Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht der Neuzeit und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes: Eine rechtshistorische und rechtsdogmatische Untersuchung [1 ed.] 9783428439393, 9783428039395


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German Pages 380 Year 1977

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Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht der Neuzeit und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes: Eine rechtshistorische und rechtsdogmatische Untersuchung [1 ed.]
 9783428439393, 9783428039395

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JÜRGEN JEKEWITZ

Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht der Neuzeit und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 321

Recht

Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht der Neuzeit und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes Eine rechtshistorische und rechtsdogmatische Untersuchung

Von D r . Jürgen Jekewitz

D U N C K E R

&

H Ü M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1977 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1977 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 03939 4

Vorwort Die Anregung zu dieser Untersuchung geht auf die Mitarbeit an dem Buch von Prof. Friedrich Schäfer über den Bundestag i m Jahre 1966 zurück. Bei der Erarbeitung der kurzen Ausführungen, die darin der Diskontinuität gewidmet sind, stellten sich so viele Fragen, daß der Plan zu einer eigenen Monographie entstand, die Prof. K a r l Josef Partsch als Dissertation zu betreuen sich bereiterklärte. Das Material dafür w a r bereits überwiegend zusammengetragen, die Gliederung gebilligt, als berufliche Verpflichtungen der verschiedensten A r t den A b schluß zunächst unmöglich machten. Erst die Aufgabe, das Bundesministerium der Justiz bei den Beratungen der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages zu vertreten, brachte wieder engeren beruflichen Kontakt m i t Fragen des Verfassungs- und Parlamentsrechts. Daß auch das Thema trotz vereinzelter Veröffentlichungen nichts an Reiz und Problematik verloren hatte, war Ansporn, sich erneut damit zu beschäftigen. Das bis auf einen Abschlußteil abgabereife Manuskript wurde dann Anfang Mai 1975 m i t sämtlichen Unterlagen gestohlen. Es galt, die gesamte Arbeit völlig neu zu beginnen. Trotz der so bedingten Verzögerung konnte sie i m Sommersemester 1976 bei der Hechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhems-Universität i n Bonn als Dissertation eingereicht werden. Das Promotionsverfahren wurde i m Wintersemester 1976/77 abgeschlossen. Das wäre nicht möglich geworden ohne die vertrauensvolle Ungeduld wie das geduldige Vertrauen von drei Menschen, denen ich mich verpflichtet fühle: Ministerialrat Werner Blischke von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages, der bereits den jungen Studenten, Referendar und Assessor an das Parlamentsrecht heranführte, Prof. Friedrich Schäfer, MdB, der das Interesse daran schärfte und u m die politische Sicht bereicherte, und Prof. K a r l Josef Partsch, i n dessen Doktorandenkreis die Arbeit schließlich reifte, sind nie müde geworden, auf eine Fertigstellung zu hoffen und zu drängen. A l l e n dreien, vor allem aber meiner Frau, die nicht nur die zeitlichen Belastungen geduldig ertragen hat, sondern mich auch immer wieder ermutigte, wenn Rückschläge die Bereitschaft zur Weiterarbeit sinken ließen, gilt mein Dank.

Vorwort

6

Ministerialrat a. D. Prof. Johannes Broermann hat die nur wenig veränderte Druckfassung i n die Reihe der „Schriften zum öffentlichen Recht" aufgenommen, das Bundesministerium des Innern den Druck selbst durch einen Zuschuß unterstützt. Auch ihnen habe ich zu danken. Gewidmet ist die Untersuchung dem Deutschen Bundestag, seinen A b geordneten und seinen Mitarbeitern, darunter besonders meinem Vater, Amtsrat a. D. Alfred Jekewitz, der seit der Einberufung des Parlamentarischen Rates die Amtskasse leitete. Bonn, i m Frühjahr 1977 Jürgen

Jekewitz

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

10

Einleitung

13

Erster Teil: Terminologische und historische Grundlagen

15

Erstes Kapitel:

15

Terminologische

Grundlagen

§ 1 Diskontinuität, K o n t i n u i t ä t u n d Periodizität

16

§ 2 Diskontinuität als Hechtsbegriff

17

Zweites Kapitel:

25

Historische

Grundlagen

§ 3 Periodizität, K o n t i n u i t ä t u n d Diskontinuität i n den ständischen V e r sammlungen des alten Deutschen Kaiserreichs

26

§ 4 Die Entwicklung i n der englischen Verfassungs- u n d Parlamentsgeschichte

35

Zweiter Teil: Entstehung und Begründung des Grundsatzes der Diskontinuität im konstitutionellen Staat 47 Drittes Kapitel: Doktrin

Die Diskontinuität

als Bestandteil

der

konstitutionellen 47

§ 5 Der Einfluß von Bentham, Jefferson u n d Constant auf die kontinentaleuropäische E n t w i c k l u n g der Diskontinuität

49

§ 6 Die Übernahme des Konstitutionalismus i n den süddeutschen Staaten u n d die Handhabung der Diskontinuität

58

§ 7 Ansätze zur Durchbrechung u n d Umgehung der Diskontinuität i m Bereich der süddeutschen Verfassungen 70 § 8 Die Verfassungsentwicklung i n Preußen als L e i t b i l d f ü r die k o n stitutionelle Monarchie

77

§ 9 Die F i x i e r u n g u n d Dogmatisierung der Diskontinuität i n Preußen . .

85

§ 10 Der Grundsatz der Diskontinuität als Bestandteil des Staatsrechts der deutschen konstitutionellen Monarchien i m Gegensatz zu dem der freien Städte

94

nsverzeichnis Viertes Kapitel: reich

Der Grundsatz

der Diskontinuität

im Deutschen

Kaiser100

§ 11 Die Verfassungsstruktur des Kaiserreichs

103

§ 12 Die Periodizität nach der Reichsverfassung

106

§ 13 Die Diskontinuität als Rechtsfolge der Periodizitäten des Reichstags 117 § 14 Der Grundsatz der Diskontinuität u n d seine A u s w i r k u n g e n i m Gesetzgebungsverfahren 125 § 15 Politische Bedeutung u n d rechtliche Begründung des Grundsatzes der Diskontinuität 137 § 16 Ansätze zu einer Durchbrechung des Grundsatzes Fünftes landes

Kapitel:

Die Diskontinuität

in vergleichbaren

150 Staaten

des Aus159

§ 17 Die Diskontinuität i n anderen kontinentaleuropäischen Staaten

160

§ 18 Die Handhabung der Diskontinuität i n England u n d den USA

177

Dritter Teil: Der Grundsatz der Diskontinuität in der parlamentarischen Demokratie 189 Sechstes Kapitel: sung

Die Diskontinuität

unter

der Weimarer

Reichsverfas189

§ 19 Die Stellung des Reichstags i m Verfassungsgefüge der Weimarer Republik

192

§ 20 Die Periodizitäten des Reichstages u n d ihre Rechtsfolgen

197

§ 21 Die Bedeutung der Diskontinuität i m Gesetzgebungsverfahren nach der Reichs Verfassung 211 § 22 Ansätze zu einer Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität beim Reichstag 220 § 23 Periodizitäten u n d Diskontinuität unter der Weimarer Republik Siebentes Kapitel: gesetz

Der Grundsatz ,

nach den

der Diskontinuität

Landesverfassungen 225 unter

dem

Grund242

§ 24 Periodizität u n d rechtliche Existenz des Deutschen Bundestages

245

§25 Personelle Diskontinuität, O r g a n - K o n t i n u i t ä t u n d Organ-Diskontinuität beim Bundestag, seiner Organwalterschaft u n d seinen Organen 256 § 26 Die sachliche Diskontinuität als Kernproblem des Anwendungsbereichs des Diskontinuitätsprinzips beim Deutschen Bundestag 270 § 27 Der Grundsatz der Diskontinuität i n den Volksvertretungen Länder

der 298

nsverzeichnis Achtes Kapitel: Politischer Gehalt und verfassungsrechtliche des Grundsatzes der Diskontinuität

9 Zuordnung 313

§ 28 Politische Bedeutung u n d tatsächliche W i r k u n g e n des Grundsatzes der Diskontinuität 316 §29 Verfassungsrechtliche Zuordnung, Grundsatzes der Diskontinuität

Geltungsgrund u n d Bang des 327

§30 Ansätze u n d Vorschläge zur Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität 339 § 31 Einschätzung u n d Handhabung der Diskontinuität der Parlamentsarbeit i n vergleichbaren Staaten des Auslandes 352 Literaturverzeichnis

365

Abkürzungsverzeichnis a. Α . ABL a. M . AöR aRV BGBl. Bgsch. BHO BR BT BVerfG BVerfGE BVerfGG BWVB1.

= = = = = = = = = = = = = =

DJZ DÖV Drs. DVB1. ed. Erl. FAZ GBl. GG GGO I I

= = = = = = = = = =

GO GVB1. HbDStR

= = =

H i r t h s Annalen

=

HwbRW

=

h. M . i. d. F. JöR JuS

= = = =

anderer Ansicht Amtsblatt anderer Meinung A r c h i v des öffentlichen Rechts, Tübingen Verfassung des Deutschen Reiches v o n 1871 Bundesgesetzblatt Bürgerschaft Bundeshaushaltsordnung Bundesrat Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt, L a n desbeilage der Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung, Stuttgart Deutsche Juristenzeitung, München - B e r l i n Die öffentliche Verwaltung, Stuttgart - K ö l n Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt, K ö l n - B e r l i n Edition Erläuterung F r a n k f u r t e r Allgemeine Zeitung, F r a n k f u r t Gesetzblatt Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesminister i e n — Besonderer T e i l — Geschäftsordnung Gesetz- u n d Verordnungsblatt Handbuch des Deutschen Staatsrechts, herausgegeben v o n Gerhard Anschütz u n d Richard Thoma, 2 Bde., Tübingen 1930 u n d 1932 A n n a l e n des Deutschen Reiches f ü r Gesetzgebung, V e r w a l t u n g u n d Statistik. Staatswissenschaftliche Zeitschrift u n d Materialiensammlung (Hirths A n nalen), Leipzig Handwörterbuch der Rechtswissenschaften, B e r l i n u n d Leipzig 1928 herrschende Meinung i n der Fassung Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Tübingen Juristische Schulung, München - F r a n k f u r t

Abkürzungsverzeichnis JW JZ LT MVDA n. F. NJW OVG Prot. RGBl. RGSt Riv. t r i m . dir. pubb. RT RuP RuPrVBl. Sten. Ber. StGB StGH StPO StWG Verf. VerfGH VGH VO Vorbem. VU WDStRL WRV ZaöRV ZParl ZgStW

11

= Juristische Wochenschrift = Juristenzeitung, Tübingen = Landtag = Monatsschrift der Vereinigung der deutschen A u s landsbeamten, B o n n = neue Folge = Neue Juristische Wochenschrift, München - B e r l i n = Oberverwaltungsgericht = Protokoll = Reichsgesetzblatt = Entscheidungen des Reichsgerichts i n Strafsachen = Rivista trimestrale d i d i r i t t o pubblico, Milano = Reichstag = Recht u n d Politik, B e r l i n = Reichs- u n d Preußisches Verwaltungsblatt = Stenografische Berichte = Strafgesetzbuch = Staatsgerichtshof = Strafprozeßordnung = Gesetz zur Förderung der Stabilität u n d des Wachstums der Wirtschaft = Verfassung = Verfassungsgerichtshof = Verfassungsgerichtshof = Verordnung = Vorbemerkung = Verfassungsurkunde = Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, B e r l i n = Verfassung des Deutschen Reiches von 1919 = Zeitschrift f ü r ausländisches öffentliches Recht u n d Völkerrecht, Tübingen = Zeitschrift f ü r Parlamentsfragen, Opladen = Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft, Tübingen

Einleitung M i t der Absicht, „damit zugleich alle diejenigen zu widerlegen, die der parlamentarischen Demokratie die K r a f t zu einem solchen Reformwerk absprechen wollen" 1 , wurde 1966 i m Landtag von Rheinland-Pfalz eine Änderung der Landesverfassung begründet, die das i m folgenden Jahr neu zu wählende Parlament ermächtigen, aber auch verpflichten sollte, die Arbeit an der Verwaltungsreform fortzusetzen und abzuschließen, zu der sich dieser Landtag nicht i m Stande gesehen hatte. Eine solche Verfassungsänderung erschien erforderlich, u m eine Hürde zu überwinden, die als Grundsatz der Diskontinuität nach allgemein respektiertem Brauch alle bei Beendigimg einer Wahlperiode noch nicht abschließend i m Parlament beratenen Vorlagen und Anträge als erledigt gelten läßt und für die Weiterberatung die erneute förmliche Einbringung voraussetzt. Tatsächlich ist dieser Grundsatz immer wieder als Entschuldigung für verzögerte oder nicht zustandegekommene größere und kleinere Gesetzgebungsvorhaben ins Feld geführt worden. Es ist deshalb verständlich, daß er seit seinem Aufkommen von theoretisch-dogmatischen wie praktisch-politischen Ansätzen begleitet war, ihn aufzuheben, zu durchbrechen oder auch nur zu relativieren. Als unverrückbarer Bestandteil der deutschen Staatspraxis hat er sich aber über alle Verfassungswandlungen hinweg behauptet, obwohl die gegen ihn vorgebrachten Argumente auf den ersten Blick einleuchten mögen. I m allgemeinen w i r d der Grundsatz der Diskontinuität als Produkt und Erscheinung der konstitutionellen Monarchie angesehen. Seine Weitergeltung unter dem Grundgesetz w i r d m i t dieser Entstehungsgeschichte sogar bestritten. Eine Untersuchung seines Inhalts und seines Geltungsgrundes unter dem Staatsrecht von heute kann deshalb an seiner Herkunft nicht vorbeigehen. Das erfordert einen historischen Rückgriff, der zwangsläufig ausführlicher sein muß als bei vergleichbaren anderen Themen. Es läßt sich auch nicht vermeiden, daß dabei auf die Verfassungsgeschichte anderer europäischer und außereuropäischer Staaten eingegangen wird, die ähnliche Entwicklungen aufzuweisen haben. Als Ergebnis w i r d festzuhalten sein, ob es sich tatsächlich u m eine auf einem „allgemeinen europäischen Rechtsbewußtsein und einer europäischen 1

Abgeordneter K ö n i g als Berichterstatter i n der 61. Sitzung des Landtags von Rheinland-Pfalz am 13. J u l i 1966, V. Wahlperiode, Drs. A b t . I I Nr. 61, Sten. Ber. S. 2176.

14

Einleitung

Gewöhnung" 2 beruhende Erscheinung handelte oder zu jener Zeit bereits unterschiedliche Formen und Zielsetzungen herausgebildet worden sind. Schließlich ist zu prüfen, ob die für die Zeit des Konstitutionalismus gültigen Begründungen auch nach dem Ubergang zur parlamentarischen Demokratie noch Bestand haben bzw. ob unter der parlamentarischen Demokratie der Grundsatz der Diskontinuität aus anderen als gewohnheitsrechtlichen, d.h. tradierten, auf allgemeiner Uberzeugung und langer Übung beruhenden Erwägungen Anwendung findet, vielleicht sogar finden muß. Da der Grundsatz der Diskontinuität nach der hier vertretenen A u f fassung ebensosehr ein politisches wie ein verfassungsrechtliches Prinzip ist, w i r d bei der verfassungspolitischen Bewertung die Frage nach den Beweggründen zu stellen sein, die sich hinter den vielfältigen Versuchen bis i n die Gegenwart verbergen, Durchbrechungen oder A u f lockerungen zu ermöglichen. Das führt notwendig zu der weiteren Frage nach dem Verfassungsverständnis, das hinter der Verteidigung des Grundsatzes wie hinter den Angriffen auf seine Existenz steckt. Die Untersuchung w i r d sich dabei als eine Apologie der parlamentarischen Demokratie und des parlamentarischen Regierungssystems erweisen, die hinsichtlich der heutigen Gegner des Grundsatzes der Diskontinuität zu dem harten Urteil kommt, daß es sich dabei u m Vertreter technokratischer Denkweisen handelt, die Effizienz m i t politischer Entscheidungs- und Durchsetzungsfähigkeit verwechseln, insbesondere aber die Parlamentswahl als den wichtigsten Legitimationsakt dieser Staatsform gering schätzen. Eine Verfassung, die alle Staatsgewalt beim Volk konzentriert, die Ausübung aber vom Volk periodisch neu zu legitimierenden und deshalb nur m i t Macht auf Zeit ausgestatteten Gewalten überträgt, kann die Gewissens- und Entscheidungsfreiheit der zur Repräsentation des Volkes berufenen Vertreter nur schützen, wenn sie alle an diese delegierte Gewalt zeitlich wie inhaltlich limitiert. Diese Arbeit w i l l deshalb auch ein Beitrag zum besseren Verständns des Organisationsteils des Grundgesetzes sein.

2 Abgeordneter Stahl i m Preußischen Herrenhaus, 56. Sitzung, Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 13. November 1852 einberufenen K a m m e r n , Erste Kammer, 2. Bd., S. 1003.

Erster Teil

Terminologische und historische Grundlagen Erstes Kapitel

Terminologische Grundlagen I m Bereich des geltenden deutschen Staats- und Parlamentsrechts hat der Begriff „Diskontinuität" bzw. „Prinzip" oder „Grundsatz der Diskontinuität" eine festumrissene Bedeutung. Es w i r d darunter das Phänomen verstanden, „daß m i t dem Ablauf der Wahlperiode die bei dem alten Bundestag eingebrachten Gesetzesvorlagen, Anträge, Anfragen usw. automatisch ihre Erledigung finden, und daß der neue Bundestag m i t ihnen nur befaßt werden kann, wenn sie bei i h m formgerecht neu eingebracht werden" 1 . Das Gleiche gilt für die Länderparlamente. Die Diskontinuität ist damit eine Besonderheit der Repräsentativorgane 13 . Keine Anwendung findet der Grundsatz lediglich auf die kommunalen Vertretungskörperschaften, „da sie keine Parlamente sind" 2 , nach deutscher Rechtstradition vielmehr überwiegend zur Exekutive gehören 23 . Über Sinn, Geltungskraft und allgemeine Auswirkungen, insbesondere die Verankerung i m Verfassungssystem u n d die dadurch bedingten Rückwirkungen rechtlicher und politischer A r t des Grundsatzes ist damit noch nichts ausgesagt. Vor einer Untersuchung des Grundsatzes der Diskontinuität als solchem ist deshalb zunächst klarzustellen, welchen sprachlichen und damit inhaltlichen Gehalt der Begriff „Diskontinuität" und die i h m korrespondierenden bzw. entgegengesetzten Begriffe haben und welche rechtliche Bedeutung sich daran knüpft. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die eigentliche verfassungsrechtliche Zuordnung erfolgen. 1

Statt vieler: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, A r t . 39 Rdnr. 16. Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I I , § 75 I d 2. 2 Schunck/de Clerck, Allgemeines Staatsrecht u n d Staatsrecht des Bundes u n d der Länder, S. 47; O V G Münster, i n : GemTag 1971, S. 293 = DVB1. 1971, S. 660. 2a Vgl. Wolff (Anm. la) § 86 V I I e 1; Maunz/Dürig ΙH erzog (Anm. 1) A r t . 17 Rdnr. 58; auch BVerfGE 2, S. 76, w o es i n anderem Zusammenhang heißt: „ . . . , w e i l auf der Ebene der Gebietskörperschaften nicht eigentlich politische Entscheidungen fallen, die Gebietskörperschaften vielmehr i n erster L i n i e Träger von Verwaltungsaufgaben sind."

16

1.1. Kap.: Terminologische Grundlagen § 1 Diskontinuität, Kontinuität und Periodizität

Diskontinuität bedeutet i m allgemeinen Sprachgebrauch „Mangel an Zusammenhang, Unstetigkeit" 3 , das i h r immer gedanklich gleichzusetzende Gegenteil Kontinuität 4 entsprechend „Zusammenhang, Stetigkeit" 5 . Aus dem Lateinischen abgeleitet, findet der Begriff ursprünglich i n der Mathematik Anwendung und umschreibt dort die Unstetigkeit einer Funktion 6 . Diskontinuität setzt als Tatsache also einen Einschnitt voraus, eine Unterbrechung eines Ablaufs m i t der Folge eines Neubeginns. Sie ist daher nicht denkbar ohne Periodizität, d. h. ohne mehr oder weniger regelmäßige Wiederholung. Weitere Voraussetzung ist dabei, daß zwischen den Perioden Konnexität besteht 7 . I m Bereich des Verfassungs- und Parlamentsrechts w i r d Diskontinuität als Rechtsbegriff benutzt. Die i h r als Voraussetzung zugrundeliegende Periodizität muß deshalb eine tatsächliche sein, da ohne die Existenz der Periodizität wegen der notwendigen Konnexität der rechtliche Begriff Diskontinuität keinen Inhalt hätte. Ferner muß sie zeitlich sein, w e i l auch die Diskontinuität zunächst zeitlich verstanden w i r d 8 . Und schließlich muß sie genau abgegrenzt sein, u m eine klare Unterscheidung zu treffen, den Mangel an Zusammenhang also deutlich machen zu können. Dabei ist die Dauer der Perioden zunächst ebenso unbedeutend wie die Frage, ob eine einfache oder eine gestaffelte 9 bzw. mehrfache 10 Periodizität vorliegt, d. h. ob eine längere Periode i m aufgezeigten Sinne ihrerseits wieder i n Unterperioden gegliedert ist oder sich sogar Perioden überlagern. Staatsrechtlich interessant ist i n einem solchen Falle lediglich, ob sich die Rechtsfolge der Diskontinuität nur an den Tatbestand der Periode bzw. welcher Periode oder auch an den ihrer Unterperioden anschließt, und welches K r i t e r i u m der Periode die Konnexität begründet. Zeitliche Abschnitte i n diesem Sinne, also Perioden, kennt das Verfassungsrecht für die Parlamentsarbeit i n Form der Wahl- oder Legislaturperioden, der Sitzungsperioden oder Sessionen und schließlich der einzelnen Sitzungen. Gegenüber dem neutralen Begriff „Tagung" 1 1 han3

Duden-Lexikon, 1. Bd. (1961), S. 466. Klaus Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965, S. 505. 5 Duden-Lexikon, 2. Bd. (1962), S. 1140. 6 Wolfensberger, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 1. 7 Müller (Anm. 4) S. 505 Fn. 2. 8 Müller (Anm. 4) S. 505. 9 Müller (Anm. 4) S. 505. 10 Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 2. 4

§ 2 Diskontinuität als Rechtsbegriff

17

delt es sich jeweils u m abgegrenzte, i n Anfang und Ende von vornherein oder nachträglich definierte und von daher geschlossene Einheiten, die sich unter dem Oberbegriff „Arbeitsperioden" zusammenfassen lassen 12 . Sie müssen nicht unbedingt i n der Verfassung festgelegt sein, sondern können auch auf Grund oder sogar neben der Verfassung vom Parlament selbst oder gar von einem anderen Verfassungsorgan bestimmt werden 1 3 , obwohl es für die Stellung des Parlaments i m Verfassungsgefüge von großer Bedeutung ist, ob es hinnehmen muß, daß ein anderes Organ auf die zeitliche Gliederung seiner Tätigkeit Einfluß nimmt, oder ob es i n dieser Hinsicht autonom ist 1 4 . Von einer derartigen Einflußnahme hängt ferner weitgehend, wenn auch nicht allein ab, ob an die so geschaffenen, nicht unbedingt i n der zeitlichen Dauer gleich langen Perioden die Folge der Diskontinuität oder die der Kontinuität geknüpft ist. Einen weiteren Anhaltspunkt bietet dabei die ebenfalls zunächst sprachlich-terminologische Unterscheidung zwischen Schließung und Vertagung, wobei der erste Begriff einen deutlicheren Einschnitt markiert als der zweite. Beide zusammen ergeben i n ihrem Schnittpunkt den Ansatz für die Diskontinuität als Rechtsbegriff. § 2 Diskontinuität als Rechtsbegriff Wenn i m folgenden der Grundsatz der Diskontinuität i n der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung des deutschen Staats- und Parlamentsrechts und i n seiner aktuellen Bedeutung untersucht werden soll, ist zunächst erforderlich, ihn abzugrenzen und i n seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu unterscheiden. Der Begriff Diskontinuität als solcher, wie er i n der Staatsrechtslehre verwandt wird, ist nämlich nicht nur dem Grundgesetz und den geltenden Länderverfassungen unbekannt, sondern auch i n früheren Verfassungen nicht enthalten gewesen 15 . Selbst die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente regeln al11

Der Begriff „Tagung" w u r d e i m deutschen Staatsrecht bis 1918 zur Bezeichnung einer Untergliederung der Sitzungsperioden (Sessionen) verwandt, obwohl die offiziellen Stenographischen Berichte von Sitzungen sprachen. I n der Weimarer Reichsverfassung w a r der Begriff Tagung u n d Sitzungsperiode gleichbedeutend nebeneinander enthalten, was zunächst zu Interpretationsschwierigkeiten führte, dann aber durch A r t . 40a W R V implicite klargestellt wurde, vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, A r t . 24 A n m . 4, u n d Hermann Weber, Der reichsrechtliche Tagungsbegriff, S. 2 ff.; kritisch Rau, Einberufung, Vertagung u n d Schließung des Reichstages i m Verhältnis zu seinem Selbstzusammentritt, S. 8 ff. 12 MaunzlDüriglHerzog (Anm. 1) A r t . 39 vor Rdnr. 1. 13 Beiz (Anm. 10) S. 2. 14 Beiz (Anm. 10). 15 Eine Ausnahme bildet auch die Hess. Verfassung v o m 12. 12. 1919 nicht, wo zwar i n A r t . 25 die Rechtsfolgen der Diskontinuität zum ersten u n d bisher einzigen Male i n einer Verfassung niedergelegt waren, der Begriff selbst aber 2 Jekewitz

18

1.1. Kap.: Terminologische Grundlagen

lenfalls einzelne Folgen der Diskontinuität 1 6 , geben aber keinen A u f schluß über ihren Inhalt und ihre verfassungsrechtliche Zuordnung. Es handelt sich bei dem Grundsatz der Diskontinuität also u m einen Rechtsbegriff, an den sich zwar gewisse allgemein anerkannte Rechtsfolgen knüpfen, dessen Herkunft, rechtlicher Bestand und Rang damit aber noch nicht geklärt ist. Dieser Rechtsbegriff t r i t t i n verschiedenen Formen auf, die miteinander i n Verbindung stehen und — wie nachzuweisen sein w i r d — einander voraussetzen und den verfassungsrechtlichen Ort des Grundsatzes der Diskontinuität bestimmen. Die insoweit auch terminologische Unterscheidung ist ein Ergebnis des neueren Staatsrechts; zur Zeit des Konstitutionalismus und selbst während der Geltung der Weimarer Reichsverfassung wurden die Formen nur i n ihren Konturen erkannt und entsprechend nicht voneinander getrennt. Insbesondere die Zuordnung des Grundsatzes der Diskontinuität zu den einzelnen unterschiedenen oder auch nur unterscheidbaren Arbeitsperioden des Parlaments und damit seine verfassungs- und parlamentsrechtliche Rechtfertigung blieben i m Dunkeln. Daraus mag auch die zweifellose Überschätzung i m positiven 1 7 wie negativen 1 8 Sinne herrühren, die der Grundsatz seit der Mitte des 19. Jahrhunderts i m deutschen Staatsrecht erfahren hat und noch erfährt. Als personelle 19 , personale 20 oder persönliche 21 Diskontinuität — gelegentlich auch formelle Diskontinuität genannt 2 2 — werden i n dieser nicht auftaucht; vgl. den W o r t l a u t bei Ruthenberg, Verfassungsgesetze des Deutschen Reiches u n d der deutschen Länder, S. 117. Trotzdem i r r t Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 59, w e n n er davon spricht, daß der Grundsatz der sachlichen Diskontinuität „sich nie als formelles Verfassungsrecht irgendwo" niedergelegt fand. 16 E r w ä h n t ist der Begriff Diskontinuität lediglich i n der Uberschrift zu § 61 der GO des saarl. L T v o m 20. 6. 1973, Amtsbl. 1973 S. 529. 17 Vgl. für die Weimarer Zeit Hugo Preuß: „Der Reichstag u n d sein Bureau w ü r d e n i n einer Fülle von Anträgen u n d unerledigten Geschäften ersticken", Verhandlungen der Verfassunggebenden Nationalversammlung Bd. 336, A n lagen zu den Sten. Ber. Nr. 391, Bericht u n d Protokolle des 8. Ausschusses über den E n t w u r f für eine Verfassung des Deutschen Reiches, 23. Stzg. v o m 5. 4. 1919, S. 250. 18 Vgl. ebenfalls f ü r die Weimarer Zeit Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 14: „Oder soll es etwa logisch gefordert sein, daß die ganze bisher geleistete unbeendigte parlamentarische A r b e i t m i t dem Sessionsschlusse ihre W i r k u n g verliert u n d verloren geht, daß alle Anträge, auch die Regierungsvorlagen, neuerlich eingebracht, alle Ausschußberatungen von vorne begonnen werden müssen?". 19 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 1) A r t . 39 Rdnr. 16. 20 Mattern, Grundlinien des Parlaments, S. 74, der eine solche Unterscheidung jedoch ablehnt, w e i l m a n auch bei anderen Staatsorganen, deren Organschaftsträger n u r f ü r einen bestimmten Z e i t r a u m gewählt werden, nicht von personaler Diskontinuität spreche. 21 von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, A r t . 39 A n m . I I I 5; Hömig/ Stoltenberg, Probleme der sachlichen Diskontinuität, i n : D Ö V 1973, S. 689.

§ 2 Diskontinuität als Rechtsbegriff

19

Untersuchung die Rechtsfolgen der Beendigung eines periodischen Handlungsabschnittes verstanden, wie sie sich für das Parlament selbst i n seiner konkreten Zusammensetzung ergeben. Diese Rechtsfolgen bestehen i n erster Linie i n dem Erlöschen der Repräsentationsbefugnis seiner Organschaftsträger, der Abgeordneten 23 . Sie verlieren mit dem Ablauf eines solchen Handlungsabschnittes als Gesamtheit ihre Legitimation. Ob dieser Verlust automatisch durch Zeitablauf erfolgt, an welche Voraussetzungen er geknüpft ist und wer die Kriterien dafür setzt, ist dabei zunächst unerheblich. Anvertraute und verantwortliche Herrschaft, wie ζ. B. die demokratische Ordnung des Grundgesetzes voraussetzt, bedarf der i n regelmäßigen Zeitabständen erneuerten Legitimation 2 4 . Deshalb werden Parlamente heute jeweils nur auf Zeit gewählt. M i t dem Ablauf dieser Zeit findet das Parlament i n der personellen Zusammensetzung, die es durch seine Wahl oder sonstige Bestellung erhalten hatte, rechtlich sein Ende. Aus dem Begriff Wahlperiode 25 folgt, daß mit ihrem Schluß die Rechtsstellung des Parlaments „zwar nicht i n seiner Eigenschaft als abstrakt-institutionelles, wohl aber i n derjenigen als konkret und aktuell wirkungsfähiges Organ" endet 26 . Während das Staatsrecht der Zeit vor 1918 noch von dem als selbstverständlich angesehenen Grundsatz ausging, daß jedes Parlament für sich bestehe 27 , ergab sich spätestens m i t der Einführung der parlamentarischen Demokratie die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen der verfassungsrechtlichen Institution und dem Verfassungsorgan. Wo die verfassungsrechtliche Institution schon allein wegen des verfassungsgewollten Gleichgewichts kontinuierlich sein muß, „endet m i t dem Ablauf der Wahlperiode die konkret-personelle Zusammensetzung, also die politische Substanz" 28 des Verfassungsorgans. Von daher hat auch das Hinzufügen von Ordnungszahlen zum Namen eines Parlaments als Kennzeichnung seiner personellen Identität seine sachliche Berechtigung 29 . 22 Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, S. 27 f.; Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität u n d ihre W i r k u n g e n i m Gesetzgebungsverfahren, i n : JZ 1973, S. 619; Friedrich Schäfer, Vorschläge zu Fragen der Parlamentsauflösung u n d zur Beendigung der Wahlperiode, i n : Fragen der V e r fassungsreform. Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages. Z u r Sache 1/73, S. 143. 23 Mattern (Anm. 20); Schäfer (Anm. 22). 24 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 216. 25 Hamann/Lenz, Das Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, A r t 39 A n m . A . 26 von MangoldtlKlein (Anm. 21) A r t . 39 A n m . I I I 5 a. 27 Thierfelder, Z u r Bedeutung des Begriffs der Legislaturperiode des L a n d tags von Baden-Württemberg, i n : BWVB1.1965, S. 145. 28 Friedrich Schäfer, Der Bundestag, S. 83. 29 Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 356. Die K r i t i k von Beiz (Anm. 10) S. 56 f. an dieser F o r m der Kennzeichnung geht fehl; es gibt durchaus einen

2*

20

1.1. Kap.: Terminologische Grundlagen

Wenn nicht nur von einer Ersten, Zweiten, Dritten usw. Wahlperiode, sondern auch von einem Ersten, Zweiten, Dritten usw. Bundestag oder Landtag gesprochen wird, bezeichnet eine solche Zahl nicht verschiedene abstrakt-institutionelle Organe, sondern nur die verschieden zusammengesetzte Gesamtheit der Mitglieder eines Organs i n aufeinanderfolgenden Wahlperioden 3 0 . Die Verlagerung dieses Einschnitts auf das Ende der Wahlperiode ist übrigens ein Ergebnis der neueren Entwicklung. Bis 1918 wurden das sogenannte Bureau, die Ausschüsse und — wo es diese Unterteilung gab — die Abteilungen bereits m i t dem Ende der Session hinfällig 3 1 . Von der personellen Diskontinuität ist — einer Unterscheidung Friedrich Kleins folgend 3 2 — die Organ-Diskontinuität zu trennen. Darunter fallen die Hechtsfolgen, die durch die Beendigung eines periodischen Handlungsabschnittes bei einem Parlament als Organ bzw. bei seinen Unterorganen eintreten können 3 3 . Keine Organ-Diskontinuität, sondern Organ-Kontinuität liegt ζ. B. auch am Ende einer Wahlperiode beim Bundestag vor, da dieser von Verfassungswegen immer vorhanden ist, und die Identität der gesetzgebenden Körperschaften durch die Neuwahl ihrer Mitglieder nicht berührt w i r d 3 4 . Auch die von der Verfassung vorgesehenen Organe des Parlaments wie den Präsidenten, seine Stellvertreter und Schriftführer 3 5 w i r d es i n einem neugewählten Parlament geben, wobei die Festlegung der Zahl der Stellvertreter und Schriftführer wiederum jeweils dem einzelnen Parlament überlassen ist. Organ-Kontinuität herrscht auch da, wo die Verfassung die Bestellung bestimmter Ausschüsse 36, etwa zur Wahrung amtlichen Sprachgebrauch dieser A r t . Schon Jefferson, Handbuch des Parlamentarrechts, S. 231, stellte fest: „ E i n jedes Parlament besteht aus der V e r einigung der Pairs u n d der Abgeordneten der Grafschaften u n d Gemeinen. So oft es dem K ö n i g gefällt, ein neues Parlament zusammen zu berufen, so w i r d ein T h e i l desselben welcher entfernt werden kann, erneuert; die Zusammenberufung eines neuen Unterhauses ist es also, wodurch ein Parlament gebildet w i r d . M a n zählt u n d bezeichnet die Parlamente sowohl nach ihrer Reihenfolge, als auch nach dem Ort ihrer Z u s a m m e n b e r u f u n g . . . " . 30 Erich u n d Günther Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, S. 164; ähnlich auch Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 1) A r t . 39 Rdnr. 16. 31 Vgl. unten § 13. 32 (Anm. 21) A r t . 39 A n m . I I I 5. 33 Z u r besseren Unterscheidung werden hier beide Begriffe nebeneinander benutzt. Da unter Organ p r i m ä r das Parlament als Verfassungsorgan verstanden w i r d , werden die Organe des Parlaments als Unterorgane bezeichnet. U n genau, sogar unzutreffend wäre es, lediglich von Organteilen zu sprechen, wie es Steiger (Anm. 15) S. 146 hinsichtlich der Ausschüsse des Bundestages tut. Beiz (Anm. 10) S. 23 vermeidet bei der Darstellung der entsprechenden Erscheinungsformen für das Kaiserreich mögliche I r r t ü m e r , indem er v o n einer „organisatorischen Komponente" der Diskontinuität ausgeht. 34 BVerfGE 4, S. 152. 35 Vgl. z. B. A r t . 40 Abs. 1 Satz 1 GG.

§ 2 Diskontinuität als Rechtsbegriff

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der Rechte des Parlaments zwischen zwei Wahlperioden, vorschreibt. I n jedem Bundestag w i r d es deshalb einen Auswärtigen Ausschuß, einen Verteidigungsausschuß und einen Petitionsausschuß geben, die sich wie das Präsidium der fortbestehenden Verwaltung des Parlaments bedienen können 3 7 . Ähnlich dauerhaft, d. h. vom Wechsel der Organwalterschaft unabhängig sind Gremien des Parlaments, die zwar nicht durch die Verfassung, aber auf Grund der Verfassung durch Gesetz eingerichtet sind wie z.B. der Wahlmännerausschuß des Deutschen Bundestages 38 oder das Fünfer-Gremium nach dem Gesetz zu A r t . 10 GG 3 9 . Von Organ-Kontinuität ist aber auch bei gemischten Ausschüssen auszugehen, die sich aus Parlamentariern oder vom Parlament bestellten Personen und Mitgliedern des Bundesrates bzw. Vertretern der Landesregierungen zusammensetzen 40 , sowie bei jenen aus Parlamentariern bestehenden und vom Parlament berufenen Gremien, die durch Gesetz für bestimmte Zwecke der parlamentarischen Kontrolle und Einflußnahme eingerichtet sind 4 1 . Bei allen übrigen Ausschüssen, die sich ein Parlament als vorbereitende Beschlußorgane auf Grund seines Selbstorganisationsrechts gibt, endet wegen der Organ-Diskontinuität m i t dem Ablauf der Wahlperiode nicht nur die personelle Zusammensetzung, sondern auch die abstrakte Existenz 42 . Bei ihnen ändert sich nicht nur die Organwalterschaft; es ist auch allein dem nachfolgenden Parlament überlassen, die gleiche Zahl von Ausschüssen m i t dem gleichen Aufgabenbereich wie sein Vorgänger einzusetzen, eine Entscheidung, die nur für die Dauer seiner eigenen Existenz als konkret-personelle Einheit möglich ist. Das gilt auch, trotz der ausdrücklichen Erwähnung i n der Verfassung 43 , für die m i t einem konkreten Auftrag eingesetzten Untersuchungsausschüsse. Haben sie ihre Untersuchungen am Ende der Wahlperiode noch nicht abgeschlossen, erlischt nicht nur die Mitgliedschaft i n ihnen, sondern es kommt zugleich die gesamte Tätigkeit zum Erlieθβ Vgl. ζ. B. A r t . 45 G G bis zum 33. Gesetz zur Ä n d e r u n g des Grundgesetzes v o m 23. 8.1976, BGBl. I , S. 2381, sowie A r t . 45a u n d 45c. 37 von Mangoldt/Klein (Anm. 21). 38 A r t . 94 G G i. V. m. § 6 B V e r f G G v o m 12. 3.1951, BGBl. I, S.243. 39 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- u n d Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu A r t i k e l 10 Grundgesetz) (G 10) v. 13. August 1968, B G B l . I, S. 949. 40 ζ. B. der Gemeinsame Ausschuß nach A r t . 53a G G u n d der V e r m i t t l u n g s ausschuß nach A r t . 77 G G sowie der Richterwahlausschuß nach A r t . 95 Abs. 2 GG; vgl. dazu unten § 25. 41 Vgl. dazu unten § 25. 42 Schäfer (Anm. 28) S. 83. 43 ζ. B. A r t . 44 GG.

22

1.1. Kap.: Terminologische Grundlagen

gen. Wie bei den Enquete-Kommissionen, die die Geschäftsordnung des Bundestages 44 ermöglicht, ist zur Fortsetzung bzw. Wiederaufnahme entsprechender Arbeiten ein ausdrücklicher Einsetzungsbeschluß erforderlich, der sich nicht nur auf den Auftrag, sondern auch auf die Einrichtung beziehen muß. I n den Bereich der Organ-Diskontinuität fällt schließlich die Ausgestaltung der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie i n Form der für das konkrete Parlament ergangenen Geschäftsordnung. Die jeweilige Abgeordnetenschaft ist nicht gezwungen, die Geschäftsordnung des vorangegangenen Parlaments als auch für sie verbindliche Verfassungs- und Verfahrensordnung m i t allen Institutionen zu übernehmen 45 . Soweit gegen diese, hier zunächst nur zur terminologischen Klarstellung getroffene Unterscheidung zwischen personeller und Organ-Diskontinuität Bedenken geltend gemacht worden sind, weil sie nur Verw i r r u n g stifte 4 6 , übersehen die Kritiker, daß es durchaus von Bedeutung sein kann, ob das Ende eines geschlossenen Handlungsabschnittes eines Parlaments, also einer Arbeitsperiode, die Wirkung einer institutionellen Vernichtung oder nur die eines vorübergehenden Entzugs der Organwalterschaft hat. Der Blick ist hier durch die einseitige Fixierung auf die Wahlperiode als den nach der Verfassungsordnung der modernen parlamentarischen Demokratie allein wesentlichen Handlungsabschnitt verstellt. I n der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung sind durchaus unterschiedliche Folgen möglich gewesen, die tendenziell auch noch i n die Gegenwart hineinwirken. Unter sachlicher 47 oder materialer 4 8 Diskontinuität w i r d die Folge verstanden, daß m i t dem Ablauf eines periodischen Handlungsabschnittes alle vom Parlament begonnenen Arbeiten, die nicht durch Annahme oder Ablehnung zur endgültigen Erledigung gelangt sind, einschließlich der über sie schon abgehaltenen Beratungen und gefundenen Zwischenergebnisse wegfallen und automatisch gegenstandslos werden. U m für das Parlament nach Beendigung des die Diskontinuität begründenden Einschnitts wieder Bedeutung erlangen zu können, müssen sie formgerecht neu eingebracht werden. Das bezieht sich sowohl auf die Arbeiten des Plenums wie auf die Tätigkeit der Ausschüsse. Obwohl i n erster 44

§ 74a i. d. F. der Bekanntmachung v o m 22. 5.1970 (BGBl. I, S. 628). Vgl. dazu unten § 25. 46 Achterberg (Anm. 22) S. 28; Leinemann (Anm. 22) S. 619 Fn. 19, 20. Gegen den Begriff der Organ-Diskontinuität ferner Mattern (Anm. 20) S. 74, da auch innerhalb des Parlaments alle Wahlen n u r f ü r die Dauer der Legislaturperiode erfolgten. Z u r Nützlichkeit einer solchen Unterscheidung aber Steiger (Anm. 15) S. 58, Fn. 45. 47 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 1) A r t . 39 Rdnr. 16. 48 von Mangoldt/Klein (Anm. 21) A r t . 39 A n m . I I I 5 b. 45

§ 2 Diskontinuität als

echtsbegriff

23

Linie nur für das Gesetzgebungsverfahren diskutiert, kommt der sachlichen Diskontinuität für das gesamte parlamentarische Verfahren die zentrale Bedeutung zu. Sie steht i m Mittelpunkt der Erörterungen, die sich m i t dem Grundsatz der Diskontinuität auseinandergesetzt haben 49 . Ob und inwieweit dieser Grundsatz i m geltenden Staatsrecht noch von anderer als praktischer Bedeutung ist, an welche Periodizitäten er sich knüpft, ob diese Verknüpfung zwingend ist, welche Rechtsqualität i h m zukommt und wie er zur Vermeidung möglicher Nachteile ausgehend von dieser Rechtsqualität umgangen oder durchbrochen werden kann, muß deshalb wesentlicher Gegenstand dieser Arbeit sein. Sollen personelle, Organ- und sachliche Diskontinuität i n erster Linie inhaltliche Rechtsfolgen eines Einschnittes als Abschluß eines periodischen Handlungsabschnittes eines Parlaments umschreiben, so werden die Begriffe organinterne und organexterne Diskontinuität gewählt, um die Ziel- und Wirkungsrichtung anzudeuten. M i t organinterner Diskontinuität werden, einer erstmals von Klaus Müller 50 gebrauchten Unterscheidung folgend, die Diskontinuitäten innerhalb von Verfassungsorganen bezeichnet, soweit bei ihnen eine Periodizität gegeben ist. Für den Gegenstand dieser Untersuchung bedeutet das vor allem Diskontinuität i m Innern der Parlamente, kann sich aber möglicherweise auch auf andere an der staatlichen Willensbildung beteiligte Verfassungsorgane erstrecken, die insbesondere i m Gesetzgebungsverfahren m i t dem Parlament zusammenwirken und eigenen Periodizitäten unterworfen sind. Als Gegensatz dazu bezieht sich die organexterne Diskontinuität 5 1 auf das Verhältnis dieser Organe zueinander, insoweit, als nur ein Teil von ihnen Periodizitäten kennt oder sich die verschiedenen organspezifischen Periodizitäten überlagern. Als organexterne Diskontinuität werden i m Rahmen dieser Arbeit daher die Folgerungen verstanden, die sich daraus ergeben, daß das Parlament Periodizitäten unterworfen ist, die wiederum das Verfahren und die Arbeit anderer Verfassungsorgane beeinflussen und von daher Rückwirkungen auf das Parlament haben, also die über das Parlament hinausgreifende Wirkung des Grundsatzes der Diskontinuität. 49

Vgl. f ü r die neuere Zeit neben der Dissertation von Beiz (Anm. 10) die Aufsätze v o n Bahlmann, Der Grundsatz der Diskontinuität u n d seine Bedeutung f ü r die parlamentarische Gesetzgebung, i n : M V D A 1965, S. 189 ff.; Maassen, Z u r Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, i n : A k t u e l l e Rechtsprobleme, S. 68 ff.; Klaus Müller (Anm. 4); Scheuner, V o m Nutzen der Diskontinuität zwischen Legislaturperioden, i n : D Ö V 1965, S. 510 ff.; Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität der Parlamente, i n : DVB1. 1973, S. 161 ff.; Leinemann (Anm. 22); Hömig/Stoltenberg (Anm. 21). 50 (Anm. 4) S. 505. 51 Klaus Müller (Anm. 4) S. 505 u n d 509.

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1.1. Kap.: Terminologische Grundlagen

Diese Unterscheidungen sind zunächst wertungsfrei. Sie sollen lediglich die Entwicklung der Untersuchung erleichtern und den Nachvollzug von Gedankengängen ermöglichen. Ob und welche gegebenenfalls zwingenden Zusammenhänge zwischen ihnen bestehen, ist erst festzustellen.

Zweites Kapitel

Historische Grundlagen Existenz und allgemeiner Gebauch eines rechtlichen Begriffs, auch die weitgehende Ubereinstimmung hinsichtlich seiner Inhalte und W i r kungen, geben allein noch keinen Aufschluß über seine Geltungskraft. Gerade wo eine ausdrückliche Normierung fehlt, stellt sich die Frage nach der Herkunft, die um so genauer zu untersuchen ist, wenn ein Begriff und die dahinter stehenden Folgen Anspruch auf Anerkennung als „Grundsatz" erheben, wie es bei der Diskontinuität der Fall ist. I n der Mitte des 19. Jahrhunderts berief man sich i m Herrenhaus des preußischen Landtages zur Begründung des Diskontinuitätsprinzips darauf, „gegenwärtig" sei es „ein allgemeines europäisches Rechtsbewußtsein und eine europäische Gewöhnung, daß mit der Schließung der Kammern alle ihre nicht völlig erledigten Arbeiten expiriren" 1 . Vierzig Jahre später behauptet Zorn 2, die Praxis i n Preußen habe den Grundsatz von der Diskontinuität herausgebildet. Heute w i r d gelegentlich die A u f fassung vertreten, der Grundsatz gehe „auf die Entstehungszeit des britischen Parlaments zurück, als dieses noch keine ständige Einrichtung bildete, sondern nur von Fall zu Fall, oft m i t einem Abstand von Jahrzehnten, einberufen wurde" 3 . Modernen Kritikern, die das Diskontinuitätsprinzip als typische Erscheinungsform des Konstitutionalismus werten und deshalb seine Anwendbarkeit auf die parlamentarische Demokratie leugnen 4 , ist deshalb von Scheuner entgegengehalten worden, es handele sich u m „ein Erbe des ständischen Geschäftsganges" 5. Schon Georg Jellinek hat demgegenüber darauf aufmerksam gemacht, daß es interessant wäre, „alles, was i n einem Staate ungeschrieben als konsti1

So der Abg. Stahl, Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die allerhöchste Verordnung v o m 13. 11. 1852 einberufenen Kammern. Erste Kammer. 56. Stzg. v o m 4. 5.1853, 2. Bd., S. 1003. 2 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., S. 420 Fn. 40. 8 Ekkehard Stein, Staatsrecht, S. 58. 4 Klaus Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965, S. 605 ff.; i n verkürzter F o r m jetzt auch i n : Modell Müller, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, A r t . 39 A n m . 1; ähnlich Bassanini, G l i effetti della fine della legislatura sui procedimenti legislativi pendenti, i n : Riv. t r i m . dir. pubb. 1968, S. 721 ff. 5 V o m Nutzen der Diskontinuität zwischen Legislaturperioden, i n : D Ö V 1965, S. 511.

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Kap.

i o i s c h e Grundlagen

tutionell oder parlamentarisch geboten gilt, auf seine Herkunft zu prüfen. Sicherlich würde i n vielen Punkten weder die englische Praxis noch die der französischen auf Grund der Charte, sondern die Theorien Bentheims und Benjamin Constants und seiner Nachfolger als Quelle erscheinen" 6 . Unter diesen Umständen ist es notwendig, den Ursprüngen nachzugehen, die zunächst zur Bildung von Vertretungskörperschaften und derem periodischen Zusammentreten und sodann zu einer Kontinuität oder Diskontinuität zwischen den einzelnen Perioden führten. Dabei weisen die Quellen über den Beginn des modernen Staatsrechts hinaus, der m i t dem 19. Jahrhundert anzusetzen ist, als der Konstitutionalismus die absolute Gewalt des Monarchen durch die M i t w i r k u n g gewählter Volksvertretungen beschränkte. Die Verbindung altständischer Überlieferungen 7 m i t i n Frankreich entwickelten Dogmen, die wiederum auf englische Vorbilder zurückgehen und eine für die Entwicklung des deutschen Verfassungs- und Parlamentsrechts charakteristische M i schung hervorbringen, w i r f t die Frage auf, ob der Grundsatz der Diskontinuität i m Recht der altständischen Repräsentation wurzelt, ob es sich u m die Übernahme einer englischen Tradition handelt, oder ob der deutsche Parlamentarismus diesen Grundsatz eigenständig herausbildete 8 . Dabei w i r d es auch immer um das jeweilige Verständnis von Repräsentation und Repräsentativverfassung 9 und die damit zusammenhängende Frage der Legitimation gehen.

§ 3 Periodizität, Kontinuität und Diskontinuität in den ständischen Versammlungen des alten Deutsdien Kaiserreichs Ohne näher auf die Verfassungsgeschichte des frühen Mittelalters einzugehen, ist festzustellen, daß bereits zur Zeit des Lehnsstaates bei wichtigen Regierungsakten und bei der Rechtsprechung i m Reich wie i n dessen Territorien als Reichstag bzw. als Landdinge Körperschaften mitwirkten, die aus dem hohen Lehnsadel und der hohen Geistlichkeit 6

Allgemeine Staatslehre, S. 346 Fn. 1. Z u deren Einfluß vgl. Bornhak, Deutsche Verfassungsgeschichte v o m Westfälischen Frieden an, S. 373; Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte v o m 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, S. 205. Georg Jellinek hielt „die Fäden, welche die Gegenwart m i t der Vergangenheit verknüpfen", allerdings für so dünn, „daß es keine so geschichtslose I n s t i t u t i o n gebe w i e die modernen Parlamente außerhalb Englands", Besondere Staatslehre, i n : Ausgewählte Schriften u n d Reden, Bd. 2, S. 181. 8 Ä h n l i c h Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 4. 9 Vgl. dazu die Zusammenstellung von Heinz Rausch (Hrsg.), Z u r Theorie u n d Geschichte der Repräsentation u n d Repräsentativverfassung. 7

§ 3 Periodizitäten im deutschen Ständestaat

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bestanden 10 . M i t dem Verfall des Lehnsstaates verloren diese Beratungsgremien, insbesondere die Landdinge, ihre Bedeutung; ihre Befugnisse gingen zum Teil auf den fürstlichen Rat, zum Teil auf ständische Versammlungen über, die i m Gegensatz zu den Herrschaftsrechten des Fürsten das Land verkörperten. Fürst und Land standen sich dabei wie zwei Parteien i n einem Prozeß gegenüber, fühlten sich nicht als Organe des einen Staates. Beide betrachteten ihre Rechte vielmehr als gleich ursprünglich 1 1 , nicht i n irgendeiner Weise voneinander abgeleitet. Die Reichs- wie die Landstandschaft stand gewissen Rechtssubjekten — Personen oder Körperschaften — als Privatrecht zu und konnte ihnen als solches auch durch einen A k t der Gesetzgebung nicht genommen werden 1 2 . Sie wuchs neben der zunehmenden Selbständigkeit der Territorialherren auf den Trümmern der verfallenden kaiserlichen Macht und stellte ein eigenes Recht „privilegierter Untertanen" 1 3 dar. Diese privilegierten Untertanen bildeten zusammen gewisse Korporationen, bzw. i n den Territorien den Corpus der Landstände 14 . A u f Reichsebene waren dies die Reichsstände, d. h. die unmittelbar dem Reich zugeordneten, durch keinerlei Territorialgewalt mediatisierten Kräfte, die sich i m Reichstag als gemeinsamer Vertretung gegenüber dem Kaiser versammelten. Noch i m 15. Jahrhundert stellte dieser Reichstag ein lockeres Gebilde dar, das „als eine Organisation der neuen territorialen Gewalten i m Reich" entstand und dessen „Rechte und Pflichten, Zusammensetzung, Zuständigkeit und Verfahren nie fest geregelt" oder durch Herkommen festgelegt w a r 1 5 . Als geschlossenes Ganzes existierten nur die zur Wahl des Herrschers berufenen Kurfürsten, deren Zahl und Person durch die Goldene Bulle abschließend bestimmt w a r 1 8 ; bereits bei den übrigen Korporationen, den geistlichen und weltlichen Fürsten und den reichsfreien Städten, stand aber nicht fest, wer „berechtigt war zu erscheinen, ob der Berechtigung eine Pflicht zur Teilnahme entsprach, ob der Kaiser verpflichtet war, alle Berechtigten zu berufen, oder ob er die Freiheit besaß, nur die einzuladen, deren Beteiligung er für w ü n 10

Gmelin, Landtag u n d Landstände, i n : H w b R W Bd. 3, S. 901. Georg Jellinek (Anm. 6) S. 696. 12 Wolfensberg er, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 15. 13 Moser, Von der Teutschen Reichs-Stände Landen, Teutsches Staatsrecht S. 840; vgl. auch Härtung (Anm. 7) S. 35, wonach auch die Reichsstände U n t e r tanen waren. 14 Moser (Anm. 13) S. 851. 15 Härtung (Anm. 7) S. 11; Forsthoff, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 12. Uber die späteren Ansätze eines Allgemeinen Staatsrechts bei Bodin u n d Limnaeus, die die Reichsstände als Beschränkung der kaiserlichen Macht sahen, vgl. Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts i n Deutschland v o n der M i t t e des 18. bis zur M i t t e des 19. Jahrhunderts, i n : AöR Bd. 99 S. 563 ff. 16 Forsthoff (Anm. 15) S. 10. 11

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1.2. Kap.: Historische Grundlagen

sehenswert hielt, endlich ob der Reichstag sich auch ohne königliche Berufung versammeln durfte" 1 7 . Insbesondere die Vertretung der Städte war zweifelhaft und streitig 1 8 . Sie wurden zwar vereinzelt bereits i m 13., regelmäßig i m 14. Jahrhundert bei alle den Angelegenheiten herangezogen, bei denen ihre M i t w i r k u n g nicht entbehrt werden konnte, also namentlich bei allen Reichshilfen; ihr Stimmrecht blieb jedoch bis zum Westfälischen Frieden unklar 1 9 . Aufgabe des Reichstages als Versammlung der Reichsstände war i n erster Linie die M i t w i r k u n g bei der Reichsgesetzgebung und der B e w i l l i gung von Steuern. Der Kaiser war verpflichtet, mindestens alle zehn Jahre, oder „so oft es des Reiches Nothdurft erforderte", einen Reichstag zu halten und hatte sich dabei jedesmal vorher m i t den Kurfürsten zu verständigen 20 . Eine regelmäßige, vorher bestimmte Periodizität gab es auf diese Weise nicht. Die Reichsstände wurden nur einberufen, wenn sich die Notwendigkeit dazu ergab. Der Kaiser machte zu diesem Zwecke von dem nur i h m zustehenden Convocationsrecht Gebrauch 21 , das i m Gegensatz zu dem Selbstversammlungsrecht der einzelnen Korporationen gesehen werden muß, dem jedoch nicht immer gefolgt wurde. Die Städte ζ. B. waren den Beratungen des Reichstages mehr und mehr ferngeblieben und kehrten erst i n i h n zurück, als die Einsicht, daß zur Wiederherstellung von Recht und Frieden i m Reich Durchgreifendes geschehen müsse, sich durchgesetzt hatte und auch die miteinander zerstrittenen Reichsstände zusammenführte 22 Das Verfahren der Reichstage, die Form ihrer Beratung, lag seit 1489 i n den Umrissen fest 23 . Der Kaiser teilte den versammelten Ständen seine Propositionen mit, welche durch Hofdekrete oder Commissionsdekrete eingebracht wurden. Gegenstand der Verhandlungen konnten aber auch ein vom Kurfürstenkolleg ausgehender Gesetzesvorschlag oder ein Antrag einzelner Reichsstände oder anderer Personen sein. Die Reihenfolge der Behandlung wurde vom Reichsdirektorium bestimmt; spätestens zwei Monate nach Eingang sollte dieses den Gegenstand zur Beratung bringen 2 4 . Die Stände berieten sodann darüber i n getrennten Kollegien der Kurfürsten, Fürsten und der Städte. Unter der Leitung des 17

Härtung (Anm. 7) S. 11. Forsthoff (Anm. 15) S. 12; Härtung (Anm. 7) S. 11, 37. 19 Härtung (Anm. 7) S. 37 f. 20 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, Erster Theil, S. 206. 21 Leist, Lehrbuch des teutschen Staatsrechts, S. 227; Zoepfl (Anm. 20) S. 206; Bornhak (Anm. 7) S. 90 f. 22 Forsthoff (Anm. 15) S. 13. 28 Härtung (Anm. 7) S. 38; Forsthoff (Anm. 15) S. 13. 24 Zoepfl (Anm. 20) S. 208. 18

§ 3 Periodizitäten im deutschen Ständestaat

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Kurfürsten von Mainz, bei dem das Reichsdirektorium lag, wurde anschließend versucht, eine Ubereinstimmimg zwischen den häufig divergierenden Auffassungen herbeizuführen, was wegen der erforderlichen Einstimmigkeit der Beschlüsse notwendig war. K a m es zu einem solchen einstimmigen Beschluß, und stimmte der Kaiser diesem zu, waren alle Voraussetzungen für seine Gültigkeit gegeben. Er band dann alle Reichsangehörigen durch die einzelnen Reichsstände 25 . Seit 1497 wurde es üblich, die gesamten vom Kaiser genehmigten Beschlüsse eines Reichstages i n einem Reichsabschied zusammenzufassen 26 , dem damit gleichzeitig die Bedeutung einer formellen Beendigung der Arbeit des Reichstages zukam. Der letzte, auch „Jüngste" Reichsabschied genannt, k a m 1654 als Abschluß des Reichstages zustande, der die verfassungsrechtlichen Folgen des Westfälischen Friedens regeln sollte, der unter anderem die Anerkennung der Teilnahme der Reichsstädte an der Reichsregierung gebracht hatte 2 7 . Der zweite Reichstag nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, der 1663 i n Regensburg eröffnet wurde, wurde überhaupt nicht mehr geschlossen bzw. verabschiedet, sondern tagte i n Form eines Gesandtenkongresses als „ewiger Reichstag" bis zum Zusammenbruch des Reiches. Vordergründig war das ein Anzeichen für eine Erstarkung der Reichsstände, die auf diese Weise versuchten, einen dauernden Einfluß auf die Reichspolitik des Kaisers auszuüben bzw. diese zumindest ständig zu überwachen 28 . I n Wirklichkeit gelang es dem Reichstag jedoch nicht, eine derartige Einflußnahme zu erlangen; der Ubergang zur permanenten Tagung trug vielmehr wesentlich dazu bei, den Reichstag zu entmachten. „Der Gang seiner Verhandlungen wurde" immer „schleppender". „Die Reichsstände, soweit sie bisher" i n Person „auf dem Reichstag erschienen waren, mußten sich vertreten lassen"; diese Vertreter wiederum „sahen sich an die Anweisungen und Aufträge ihrer Stände gebunden, deren Einholung angesichts der damaligen Verkehrsverhältnisse oft lange Zeit i n Anspruch nahm" 2 9 . Die ewige Dauer des Reichstags wurde damit gleichzeitig zum Zeichen für seine unfruchtbare Schwerfälligkeit, die zu keinem Entschluß gelangen vermochte 30 . Parallel zur Entwicklung der Reichsstände waren i n den Territorien die Landstände stärker geworden. Wie sich die Landesherren von der kaiserlichen Gewalt freigemacht hatten und zu partikularer Selbständig25 26 27 28 29 80

Zoepjl (Anm. 20) S. 170. Leist (Anm. 21) S. 261; Bornhak Forsthoff (Anm. 15) S. 66. Härtung (Anm. 7) S. 149. Forsthoff (Anm. 15) S. 66. Härtung (Anm. 7) S. 149.

(Anm. 7) S. 94; Härtung

(Anm. 7) S. 38.

30

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Kap.

i o i s c h e Grundlagen

keit herangewachsen waren 3 1 , versuchten sich die Landstände von den Landesherren freizumachen 32 , die nach Auflösung der lehnsstaatlichen Ordnung eine neue, hoheitliche Auffassung von ihrer Stellung entwikkelt hatten 3 3 , die mit der überwiegend privatrechtlichen Betrachtungsweise des alten Rechts nicht mehr übereinstimmte. Wie die Reichsstände durch Lehnsverband dem Kaiser, waren die großen weltlichen und geistlichen Grundherren als Landstände dem jeweiligen Landesherrn verbunden gewesen. Ursprünglich ein persönliches und entsprechend persönlich wahrgenommenes Recht der M i t w i r k u n g bei der Landesregierung finden sich seit dem 14. Jahrhundert auch hier Ansätze zu korporativer Verbindung, und teilweise werden schon die landesherrlichen Städte i n der Person ihrer Vorsteher zu diesen Versammlungen hinzugezogen 34 . Das hatte seinen Grund darin, daß gemeinrechtlich die Landstandschaft als Realrecht galt 3 5 , und das Recht zu ihrer Ausübung i m allgemeinen m i t dem Eigentum an bestimmten Ländereien verknüpft war. M i t dem Aussterben weiter Teile der Ritterschaft und dem Ubergang ihres Grundbesitzes auf andere Personen, auch die Städte, trat eine Veränderung i n der soziologischen Zusammensetzung der Landstandschaft ein 3 6 , die zwar auf die Privilegien, als die die Mitwirkungsrechte angesehen wurden und die man sich i n Wahlkapitulationen und Landtagsabschieden deshalb auch regelmäßig bestätigen ließ, keinen unmittelbaren Einfluß hatte, auf die Rechte der Landstände jedoch langfristig Auswirkungen zeigte. Das ursprüngliche Selbstversammlungsrecht 37 der Landstände, das das Recht einschloß, eigenmächtig Konvente abzuhalten, und bei bösem W i l len des Landesherrn auch dazu führen konnte, daß die Reichsregierung Landtage ausschrieb 38 , mußte so langsam einem Einberufungsrecht des Landesherrn weichen 39 . Landtage als Versammlungen der Landstände 31

Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 174; vgl. auch Kuriki (Anm. 15) S. 565 Fn. 42. Härtung (Anm. 7) S. 53. 33 Forsthoff (Anm. 15) S. 33. Z u r theoretischen Begründung der Landeshoheit u n d — ebenfalls theoretischen — Versuchen zu ihrer Einschränkung vgl. Kuriki (Anm. 15) S. 568 ff. 34 Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 175. 35 Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 179. 36 Forsthoff (Anm. 15) S. 35; Härtung (Anm. 7) S. 90. 37 Vgl. Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 177; Schulze, Das Preußische Staatsrecht auf Grundlage des Deutschen Staatsrechts, 2. Bd., S. 118 f., 122. 38 Moser (Anm. 13) S. 1417; Wolfensberger (Anm. 12) S. 14. 39 Moser (Anm. 13) S. 1496; Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 181; Leist (Anm. 21) S. 161 ff.; Bornhak (Anm. 7) S. 173 ff.; Härtung (Anm. 7) S. 91; Forsthoff (Anm. 15) S. 35. Richtig insoweit Sieb er, Die Einberufung, Vertagung u n d Endigung der deutschen Landtage, S. 7; unrichtig, w e i l er n u r das 14. J a h r hundert i m Auge hat. Rau, Einberufung, Vertagung u n d Schließung des Reichstags i m Verhältnis zu seinem Selbstzusammentritt, S. 6. Ungenau auch Beiz (Anm. 8) S. 5. 32

§3 Periodizitäten im deutschen Ständestaat

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kamen i n den meisten Territorien schließlich nur noch zustande, wenn der Landesherr dazu zusammenrief. Mangels festliegender Bestimmungen über Häufigkeit und Dauer 4 0 geschah dies nach Gutdünken bzw. „so oft die Bedürfnisse des Landes es erheischten" 41 , was wiederum mehr und mehr vom Landesherrn, insbesondere seinem Finanzbedarf abhing. I n der zeitlichen Aufeinanderfolge der abgehaltenen Landtage bis zu deren völligen Einschlafen i n einigen Ländern spiegelt sich deshalb auch die Entwicklung zum Absolutismus hin w i d e r 4 2 : wo das Reichsrecht die Reichsregierung zwang, den Reichstag mindestens alle zehn Jahre einzuberufen, und diese dem Druck durch die Vertagung des Reichstages von 1663 auswich, unterliefen die erheblich mächtiger werdenden Landesherren, die keiner derartigen Verpflichtung unterlagen, die Einflußnahme durch Nichtberufung 4 2 a . Das Verfahren der Landtage entsprach weitgehend dem i m Reichstag. Waren die Landstände versammelt, erfolgte die Eröffnung des Landtages durch den Landesherrn, der seine Proposition oder Postulate 43 vorlegte; gemeinrechtlich konnte aber auch über Anträge, die aus der Mitte der Landstände kamen, verhandelt oder Petitionen an den Landesherrn gerichtet werden 4 4 . Die eigentliche Beratung erfolgte dann getrennt i n Kurien oder Kollegien, deren Zahl und Größe i n den einzelnen Territorien schwankte 45 . Diese Kurien mußten ihrerseits ihre Ergebnisse aufeinander abstimmen, weil ein Beschluß der gesamten Landschaft auch hier nur durch Einstimmigkeit erzielt werden konnte. Erst die Genehmigung durch den Landesherrn führte aber zur verbindlichen Regelung; sein absolutes Veto war unbestritten 4 6 . Die Materien, über die Einigkeit erzielt werden konnte, wurden i m allgemeinen — wie i m Reichstag — i n einem Landtagsabschied, der Vertragscharakter hatte, zusammengefaßt 47 . 40 Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 183. Nach Schulze (Anm. 37) Bd. 2 S. 122 gab es „keine Periodizität". 41 Wolfensberger (Anm. 12) S. 14. 42 Z u r Häufigkeit der Landtage w i e zu den festgelegten Sitzungszeiten, sofern es solche gab, vgl. Zachariae, Deutsches Staats- u n d Bundesrecht, S. 626. Das Beispiel Bayerns, w o M a x i m i l i a n I. 1612 die Landstände berief, u m dann 39 Jahre lang ohne sie zu regieren, ist bei Wolfensberger (Anm. 12) S. 14 zitiert. Vgl. auch Fricker/Gessler, Geschichte der Verfassung Württembergs, S. 130. 42a Vgl. auch Schulze (Anm. 37) Bd. 2 S. 122: i n Bayern w u r d e seit 1669, i n der M a r k Brandenburg seit 1653 kein allgemeiner Landtag mehr einberufen; der letzte Versuch der märkischen Stände, sich selbst zu versammeln, wurde 1654 vereitelt. 43 Daher teilweise auch die Bezeichnung „Postulat-Landtage"; vgl. Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 182. 44 Moser (Anm. 13) S. 1505; Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 182. 45 Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 180 f. 48 Zoepfl (Anm. 20) 2. Theil, S. 182.

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1.2. Kap.: Historische Grundlagen

Anders als beim Reichstag entwickelte sich m i t dem Schwinden des Selbstversammlungsrechts der Landstände neben dem Einberufungsrecht des Landesherrn auch das Recht, i n differenzierter Weise auf den Ablauf der Tätigkeit des Landtages einzuwirken. Es wurde zwischen Vertagung, Auflösung und Schluß unterschieden. Vertagung oder Prorogation nannte man die Aussetzung der Verhandlungen für eine bestimmte Zeit, Limitation die auf unbestimmte Zeit, wobei neue Ausschreiben erfolgen mußten 4 8 . Nach jeder dieser Unterbrechungen wurden die unerledigt gebliebenen Beratungsgegenstände wçiterbehandelt 4 9 . I m Gegensatz dazu wurde von Dissolution des Landtags gesprochen, wenn Landesherr und Stände über die Gegenstände der Verhandlungen nicht einig werden konnten, und der Landtag entweder auf landesherrlichen Befehl oder auch ohne diesen unverrichteter Sache auseinanderging 5 0 . Es gab also bereits zwei Formen der endgültigen Beendigung des Landtages, nämlich die Schließung nach erfolgreicher Tätigkeit, die i n einem Landtagsabschied äußeren Ausdruck fand, und die Dissolution nach erfolgloser. Dabei kam auch schon ein Erlöschen der Vollmachten von „Deputirten" der eigentlich Berechtigten vor; „ i m Ganzen konnte aber", wie Zachariae es ausdrückte, „der Natur der älteren landständischen Verfassungen zufolge, das landständische Corpus nicht in der Weise vernichtet werden, wie dieß durch die Auflösung i n den neuern Verfassungen bewirkt w i r d " 5 1 . Ob deshalb davon geredet werden kann, die Schließung eines Landtages durch den Landesherrn habe nicht nur dessen Tätigkeit beendet, sondern auch seine Existenz vernichtet 5 2 , erscheint somit zweifelhaft. Ebenso ungenau ist es aber, von dem „jeweiligen Schluß der Tagungssession" zu sprechen 53 . Einmal war der Begriff Session dem deutschen Ständestaat noch unbekannt; zum anderen gibt er gerade i m Hinblick auf die Möglichkeit der Prorogation und Limitation nur unvollkommen den endgültigen Charakter der Beendigung der Beratungen einer Ständeversammlung wieder. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die jeweils einberufene Versammlung der Stände tatsächlich eine geschlossene Einheit bildete, an die die Propositionen des Fürsten gerichtet waren, 47

Moser (Anm. 13) S. 1511; vgl. auch Wolfensberger (Anm. 12) S. 17 f. Moser (Anm. 13) S. 1510; Zachariae (Anm. 42) S. 644; Leist (Anm. 21) S. 170. Vgl. auch von Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Bd., 1. Abtheilung, S. 276 Fn. 4, u n d Scheuner (Anm. 5) S. 511. 49 Moser (Anm. 13) S. 1510. 50 Moser (Anm. 13) S. 1510; Zachariae (Anm. 42) S. 644, vgl. dort, Fn. 3, auch die Ausnahme f ü r Mecklenburg, wo der Erblandesvergleich v o n 1755 i n § 188 einen Einigungszwang konstituierte. 51 Zachariae (Anm. 42) S. 644. 52 Beiz (Anm. 8) S. 5. 53 Scheuner (Anm. 5) S. 511. Gegen i h n auch Beiz (Anm. 8) S. 5, Fn. 17. 48

§ 3 Periodizitäten im deutschen Ständestaat

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und die nach Erledigung ihrer Geschäfte als historische Erscheinung auseinanderging 54 . Der nächste Reichstag oder Landtag brauchte deshalb auch nicht mit seinem Vorgänger identisch zu sein 55 , wie andererseits in der Zeit zwischen zwei ständischen Versammlungen es kein abstraktinstitutionelles Staatsorgan dieser A r t geben konnte. Die Tatsache, daß es sich hier u m ein Recht der betreffenden Stände handelte, i n dieser Form an der Regierung des jeweiligen Gebiets mitzuwirken, und der förmliche Abschluß der jeweiligen M i t w i r k u n g erlauben jedoch den Schluß, daß der Ständestaat durchaus bereits eine A r t Organ-Kontinuität kannte, bei der die möglicherweise auftretende personelle Diskontinuität sich auf die Person der tatsächlich Erscheinenden, nicht den Kreis der rechtlich dazu Berechtigten erstreckte; dieser personellen Diskontinuität entsprach insoweit eine sachliche Diskontinuität, als eine neue Ständeversammlung die Tätigkeit ihrer Vorgänger nicht fortsetzen konnte, etwa nicht erledigte Aufträge, auf denen man bestand, also beim und durch den Nachfolger wieder neu eingebracht werden muß ten 5 6 . Diese Folgerungen werden nicht dadurch widerlegt, daß der Reichstag als Versammlung der. Reichsstände seit 1654 i n Permanenz tagte und sich damit zu einem ständigen Gesandtenkongreß wandelte 5 7 . Durch den Fortfall der bisher durch Einberufung und Schluß gebildeten Periodizitäten kannte er von diesem Zeitpunkt an eben keine Diskontinuität mehr 5 8 . Eine solche Veränderung der Verhältnisse war bei dem unausgewogenen, ständigen Verschiebungen der Machtverhältnisse ausgesetzten ständischen Staat durchaus möglich. Gerade weil die Reichsstände sich größeren Einfluß von einer dauernden M i t w i r k u n g an den Reichsgeschäften versprachen, unterliefen sie die Periodizität, setzten sich aber gleichzeitig der Gefahr aus, durch die Form ihrer Geschäftsbehandlung immer weniger zu erreichen, weil mit der Permanenz das Regulativ, das die sachliche Diskontinuität darstellen kann, bei i h m weggefallen war.

64

Scheuner (Anm. 5) S. 511; Beiz (Anm. 8) S. 6. So auch Beiz (Anm. 8) S. 6. 56 Wolfensberger (Anm. 12) S. 18, der daraus folgert (S. 21), daß i m L a n d tagsabschied des deutschen Ständestaates eine „ r e i n natürliche u n d ursprüngliche Wurzel der D i s k o n t i n u i t ä t " gelegen habe. Beiz (Anm. 8) S. 6, der dieselben Folgen schildert, k o m m t zu dem entgegengesetzten Schluß, es könne deswegen (noch) nicht von Diskontinuität gesprochen werden, vielmehr könne die altständische Überlieferung n u r den allgemeinen Gedanken beitragen, daß die Repräsentativversammlung, an deren M i t w i r k u n g der Landesherr i n der beschränkten Monarchie bei der Ausübung bestimmter Funktionen gebunden war, nicht ununterbrochen fungierte. 57 Vgl. oben; auch Scheuner (Anm. 5) S. 511. 58 So auch Scheuner (Anm. 5) S. 511, Fn. 4. Beiz (Anm. 8) S. 5, Fn. 10, übersieht hier das „mehr". 55

3 Jekewitz

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1.2. Kap. : Historische Grundlagen

Andererseits zeigt die Entwicklung i n einigen Territorien, daß ein zweiter Weg möglich war, einen dauernden Einfluß der Stände zu gewährleisten, ohne gleich mehr oder weniger ausgesprochen die letztlich vom Willen des Landesherrn abhängige Periodizität der Landtage aufzugeben. I n Form der landständischen Ausschüsse 59 etablierten sich ständisch-repräsentative Institutionen, die permanent existierten. Größte Bedeutung erlangten dies Ausschüsse i n Württemberg 6 0 . Obwohl ein einberufener Landtag die Möglichkeit hatte, auf ihre Zusammensetzung Einfluß zu nehmen 61 , wurden sie nicht als Organe des Landtags, sondern als „Stellvertreter" der Landstände angesehen 62 und verfügten über größere Befugnisse auch auf dem Gebiet der Verwaltung. Sie tagten sowohl während der „landtagslosen Zeit" als auch während der Dauer eines Landtags. Da sie das Selbstversammlungsrecht besaßen*3, hatte auch der Schluß eines Landtages keine Auswirkungen auf ihre Existenz wie auf ihre Arbeit. Gerade am württembergischen Beispiel zeigt sich, daß sie sogar geeignet und bestimmt waren, eine tatsächliche sachliche Diskontinuität der Landtage zu überspielen. Unerledigte Verhandlungsgegenstände, insbesondere Beschwerden der Landstände, konnten bei Schließung des Landtages nämlich dem ständigen Ausschuß zur weiteren Beratung zugewiesen werden. A u f diese Weise wurde ein Abschluß eines Landtags auch dann ermöglicht, wenn sich Landesherr und Landstände über bestehende Fragen nicht hatten einigen können, das I n strument der Dissolution aber nicht angebracht war. Anstelle des periodischen, diskontinuierlichen Landtags wurde dann, i n der Kegel durch den Landtagsabschied 64 , der permanente Ständische Ausschuß damit befaßt, was den geschlossenen Charakter des Landtages als Institution und Ereignis noch betont 6 5 . Auch die ständischen Versammlungen des alten deutschen Kaiserreichs kannten also bereits Periodizitäten, i n denen Diskontinuität und Kontinuität angelegt waren. Daß mit dem Heraufkommen des Absolutismus die Reichsstände permanent als Gesandtenkongreß tagten, und die 59

Vgl. Leist (Anm. 21) S. 167; Zoepfl (Anm. 20) 2. T h e i l S. 181; Härtung (Anm. 7) S. 94 f.; Forsthoff (Anm. 15) S. 35; Beiz (Anm. 8) S. 6. 60 Fricker/Gessler (Anm. 42) S. 94 ff., 132 f.; von Mohl, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 1. Bd., S. 10 ff.; Beiz (Anm. 8) S. 6 f. 61 Fricker/Gessler (Anm. 42) S. 95,132. 62 Göz, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 5. 63 Moser (Anm. 13) S. 1515, 1526; von Mohl (Anm. 60) S. 12; Fricker/Gessler (Anm. 42) S. 98. Beiz (Anm. 8) S. 7, Fn. 25, weist darauf hin, daß sie ihre Zusammenkünfte dem Landesherrn lediglich anzeigen mußten; vgl. Fricker/ Gessler ebd. 64 Vgl. die Nachweise bei Beiz (Anm. 8) S. 7, Fn. 30. 85 Beiz (Anm. 8) S. 7 sieht darin allerdings eine „bemerkenswerte Tendenz zur K o n t i n u i t ä t , die es ebenfalls ausschließt, die Diskontinuität als Erbe des ständischen Geschäftsganges zu bezeichnen".

§4 Periodizitäten des Englischen Parlaments

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Landstände weitgehend nicht mehr einberufen wurden, schwächt dieses Ergebnis nicht ab. Ob deshalb aber schon hinsichtlich des Grundsatzes der Diskontinuität der Parlamentsarbeit von einem „Erbe des ständischen Geschäftsganges" gesprochen werden kann, wie Scheuner es t u t 6 8 , ist fraglich. Dazu fehlte es unter anderem noch an der Ausbildung des Repräsentationsgedankens als eines legitimierenden Faktors. Die Stände stellten i n ihrer Versammlung zwar das jeweilige Gebiet als territoriale wie soziale Einheit dar, konnten deshalb aber noch nicht als Repräsentanten angesehen werden 6 7 . Der Geschäftsgang der Ständeversammlungen des alten deutschen Kaiserreichs und die aus i h m folgende Diskontinuität waren eine „rein natürliche und selbstverständliche und wurden i n einfacher Weise durch die Notwendigkeit diktiert" 8 8 . Dem Konstitutionalismus m i t seinem rationalen Denkansatz konnte er deshalb allenfalls als Erinnerungsposten dienen. Selbst dort, wo altständische Einrichtungen den Absolutismus überdauerten, mußte ein weiteres Element hinzukommen, u m daraus einen Grundsatz zu entwickeln. § 4 Die Entwicklung in der englischen Verfassungs- und Parlamentsgeschichte Wie das alte deutsche Kaiserreich ist auch England nie ohne Vertretungskörperschaften gewesen, m i t deren „Rat und Zustimmung" die Regierungs- und Verwaltungsarbeit vollzogen wurde, obwohl Bezeichnung, Rechte und Zusammensetzung derartiger Versammlungen i m Laufe der Zeit Veränderungen unterlagen 6 9 . M i t dem Einfall der Normannen trat an die Stelle der „witenagemots" 7 0 der angelsächsischen Periode m i t ihrer relativ geringen Zentralgewalt als Instrument der Feudalherrschaft die „curia regis", der aus den Lehnsvasallen des Königs bestehende Hofrat, m i t dessen Hilfe das eroberte Land unterworfen und zusammengehalten wurde. A l l e dazu Verpflichteten mußten erscheinen, wenn sie auf Befehl des Königs zusammengerufen wurden. Umfang und Mitgliedschaft sind dabei ebenso unklar wie die Zusammensetzung der Stände i m deutschen Mittelalter; es scheint jedoch, daß außer der Baronie, also den ranghöchsten weltlichen Fürsten, und den Bischöfen und bedeutendsten Äbten selten die gesamte lehnspflichtige 68

(Anm. 5) S. 511. So Zoepfl (Anm. 20) 1. Theil, S. 170, für die Reichsstände. A. A . Schulze (Anm. 37) 2. Bd., S. 119; Scheuner, Das repräsentative Prinzip i n der modernen Demokratie, i n : Rausch (Anm. 9) S. 386 ff. 68 Wolfensberger (Anm. 12) S. 21. 69 Taswell/Langmead, English Constitutional History, S. 127. 70 Vgl. dazu Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 17 ff.; Maitland, The Constitutional History of England, S. 54 ff. ; Gneist, Das Englische Parlament i n t a u sendjährigen Wandlungen, S. 30 f. 87

3*

1.2. Kap.: Historische Grundlagen

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Vasallenschaft erschien; der König errang vielmehr frühzeitig das Recht, die Personen auszusuchen, an die er Aufgebotsschreiben richtete 71 . Der bedeutende Unterschied zu der fast gleichzeitig i m Gebiet des deutschen Reiches stattfindenden Entwicklung lag darin, daß die Notwendigkeit, als Eroberer i n einem fremden Land die Macht einzurichten und zu erhalten, zur Aufrichtung einer starken Zentralgewalt führen mußte. Diese Zentralgewalt äußerte sich i n der Unterdrückung jedes Ansatzes zur Entstehung eines bedeutenderen Adels und in einem sich des alten angelsächsischen Verwaltungsaufbaus bedienenden, das ganze Land überziehenden königlichen Polizei- und Gerichtswesens. Die A r t , wie die eigenen normannischen Vasallen dabei geschickt gegen die u r sprünglichen Angelsachsen ausgespielt wurden, war kennzeichnend für die erste Zeit der Normannenkönige und frühen Plantagenets: zu der berühmten Versammlung von Salisbury 1086 wurden nicht nur die Lehnsherren, sondern auch die sächsischen Aftervasallen geladen und mußten einen Lehns- und Treueeid unmittelbar auf den König schwören, was die Entwicklung feudaler Hierarchien wie i m alten deutschen Kaiserreich und auf dem übrigen Kontinent ausschloß 72 . Die soziale und politische Struktur Englands erfuhr unter den normannischen Eroberern also eine grundlegend andere Ausrichtung als i n vergleichbaren Gebieten der damaligen Zeit. Der auf allen Untertanen gemeinsam und gleichermaßen lastende Druck eines frühen königlichen Absolutismus verhinderte das Auseinanderbrechen i n Einzelabhängigkeiten und bildete so die Grundlage für die Entstehung eines Nationalinteresses. Die m i t der Magna Charta 1215 Johann ohne Land abgezwungene Bestätigung und Anerkennung des alten sächsischen Rechts bedeutete deshalb nicht die Schaffimg oder Wiederherstellung privatrechtlicher Privilegien einzelner Barone, sondern die Garantie von Freiheitsrechten für die Gesamtheit der Bevölkerung 7 3 . Die Magna Charta war dann auch Ausgangspunkt für die Entwicklung eines auf dem Repräsentativsystem aufbauenden Parlamentarismus. Indem sie nicht nur der verhältnismäßig kleinen Gruppe der weltlichen und geistlichen Würdenträger das Recht zur M i t w i r k u n g an den Regierungsgeschäften, insbesondere bei der Bewilligung königlicher Subsidien zuerkannte, sondern sich auf alle freien Untertanen erstreckte, machte sie das Verfahren der Einberufung von Versammlungen aller Berechtigten so schwerfällig, daß tatsächlich nur ein kleiner Teil, der je71 72

Taswell/Langmead Taswell/Langmead

(Anm. 69) S. 127. (Anm. 69) S. 33 f.; Fischel, Die Verfassung Englands,

S. 5. 73

Fischel (Anm. 72) S. 7.

§4 Periodizitäten des Englischen Parlaments

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weils persönlich zu laden war, noch regelmäßig erschien, woraus sich dann später das Oberhaus entwickelte 7 4 . Bei den übrigen, die durch die Sheriffs als königliche Grafschaftsbeamte geladen werden konnten, war die Zahl durch Aufteilung des lehnspflichtigen Grundbesitzes bald so groß geworden, daß eine vollständige Versammlung aus objektiven wie subjektiven Gründen nicht mehr möglich war. Da die Auferlegung von Steuern ihre Zustimmung jedoch zwingend erforderte, entwickelte sich, durchaus noch i m Rahmen der bestehenden Feudalherrschaft, ein System der Repräsentativtechnik, das i m Gegensatz zu der altständischen Versammlung eine der Grundlagen für die Entstehung des Parlamentarismus bildete. Obwohl nicht auf England beschränkt 76 , erhielt es sich nur dort und überstand auch die Zeit des Absolutismus, ja w a r geradezu ein Produkt von ihr. Die Berufung von zwei oder vier Delegierten jeder Grafschaft als Vertreter der gesamten niederen Ritterschaft dieser territorialen Einheit bildete den entscheidenden Unterschied zum ständischen System des Kontinents. Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Hereinnahme der Städte und Ortschaften i n die Versammlungen. Wie i n der übrigen alten Welt waren die englischen Städte m i t der Zunahme ihrer wirtschaftlichen Macht langsam aus der Verflechtung m i t dem territorialen Lehnsverband herausgewachsen und zu verwaltungsmäßiger Selbständigkeit erstarkt. Damit wurden sie aber zu einem interessanten Faktor für die Geldwünsche des Königs. Der durch die Magna Charta festgelegte Grundsatz des „no taxation without representation" 7 ®, der letztlich dazu führte, daß alle nicht-feudalen Abgaben durch die Betroffenen gebilligt werden mußten, zwang dazu, vor der Auferlegung von neuen allgemeinen Steuern auch die Städte und Ortschaften zu hören. Sie w u r den dazu nicht mehr von der Grafschaft mitvertreten, sondern selbst eingeladen, was natürlich auch hier Formen der Repräsentation erforderlich machte 77 . A u f diesem Hintergrund entstand das englische Parlament. Als Begriff schon seit dem beginnenden 13. Jahrhundert bekannt 7 8 , wurde 74

Vgl. die Darstellung bei Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 127 f., 153. Loewenstein, Staatsrecht u n d Staatspraxis v o n Großbritannien, Bd. 1 S. 6 f. weist darauf hin, daß auch Spanien u n d Südfrankreich ähnliche Erscheinungen kannten. Vgl. auch Scheuner (Anm. 5) S. 511. 76 Loewenstein (Anm. 75) S. 6. 77 Vgl. dazu Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 134 ff. 78 Fischel (Anm. 72) S. 371 weist auf die nachträgliche Bezeichnung der 1248 die Magna Charta erzwingenden Versammlung als Parlament hin. Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 131 sehen den Begriff erstmals f ü r eine V e r sammlung der Prälaten, Fürsten u n d Barone 1246 i n London erwähnt. Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1. Bd., S. 237 Fn. 3 zitiert Jordan Fantosme, 75

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1.2. Kap.: Historische Grundlagen

darunter ganz allgemein eine zu gemeinsamer Beratung des Königs zusammengerufene Versammlung verstanden, deren Kern die kleine Gruppe der weltlichen und geistlichen Würdenträger bildete, zu der sich zunächst unregelmäßig und als reine Deputation, später als eigene, gleichberechtigte Gruppen die Vertreter der Grafschaften und der Städte gesellten 79 . Da sie — i m Gegensatz zu den geistlichen und weltlichen „Lords" — den Grafschafts- und Stadtverband als körperschaftliche A l l gemeinheit des Landes 80 repräsentierten, wurden sie „Commons" genannt. Jede dieser Gruppen tagte zunächst nicht nur für sich, sondern band auch nur sich und die durch sie vertretenen Personen m i t den bewilligten Steuern, die entsprechend unterschiedliche Höhen aufweisen konnten. Soziale und politische Spannungen sowie Interessengegensätze und -gemeinsamkeiten bewirkten jedoch schon bald, daß an die Stelle einer Unterscheidung i n die Stände des Adels, der Geistlichkeit und der Städte gemeinsame Sitzungen der niederen Ritterschaft als Vertreter des Graf schaf tsverbandes, der niederen Geistlichkeit und der Bürger traten, bis diese Gruppen zusammenschmolzen und eben das „House of Commons" als eigene Versammlung innerhalb des Parlaments bildeten, der das „House of Lords" entgegengesetzt w a r 8 1 . Zusammen m i t dem König — daher die Rechtsfigur des „ k i n g i n Parliament" — stellten sie die höchste Staatsautorität dar, wobei der König „caput, i n i t i u m et finis Parliamenti" blieb. Diese institutionelle Verfestigung konnte nicht ohne Auswirkungen auf Häufigkeit und Dauer des Zusammentretens und die Bewältigung der abzuwickelnden Geschäfte bleiben. Waren 1258 i n den „Provisions of Oxford" noch drei Parlamente pro Jahr vorgesehen worden 8 2 , so erwies sich die Verwirklichung dieses Vorhabens wegen der Schwerfälligkeit des Verfahrens, aber auch wegen der Wiedererstarkung des Königs als undurchführbar. Schon 1311 verfügte eine der „ordinances" der Lord Ordainers, daß jährlich ein — wahrscheinlich aber nur aus den Baronen bestehendes — Parlament stattfinden solle 83 . 1330 wurde dann verpflichtend festgelegt, daß mindestens einmal i n jedem Jahr, bei Bedarf auch der schon 1175 den Lehnshof eines Schottenkönigs als „sun plenier parlement" bezeichnet habe. 79 Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 150 ff.; Gneist (Anm. 70) S. 110 f. A l s erstes Beispiel w i r d stets das sog. „ M o d e l Parliament" Simon de Montforts von 1295 genannt. Bereits vorher sind aber Ladungen an Vertreter der Grafschaften gegangen; vgl. Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 132 ff.; auch schon Gneist (Anm. 70) S. 116; kritisch dazu Maitland (Anm. 70) S. 177. 80 „commonalty of the r e a l m " ; vgl. Maitland (Anm. 70) S. 177. 81 Vgl. Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 152 f.; Maitland (Anm. 70) S. 172 ff.; Hatschek (Anm. 78) S. 236 ff. 82 Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 158, Fn. 26. 83 Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 158; Maitland (Anm. 70) S. 177; Fischel (Anm. 72) S. 372.

§ 4 Periodizitäten des Englischen Parlaments

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öfter, ein Parlament abzuhalten sei, 1362 diese Verpflichtung erneuert 84 . Tatsächlich hat sich die Krone i n der Folge auch weitgehend daran gehalten. Es gab zwar durchaus Jahre ohne jedes Parlament; i n anderen fanden dafür zwei, drei oder sogar vier statt 8 5 . Die theoretische Bindung durch das Statut wurde dabei durch praktische Notwendigkeiten abgesichert: i n dem Maße, i n dem die königlichen Einkünfte aus seinem eigenen Vermögen nicht mehr zur Bestreitung seiner Auslagen ausreichten, war die Krone darauf angewiesen, Steuern zu erheben, die wiederum m i t der zunehmenden Wirtschaftskraft der Städte i n erster Linie von diesen aufzubringen waren, ohne deren Zustimmung aber nicht auferlegt werden konnten 8 6 . Wo derartige Steuern nur für die Dauer eines Jahres bewilligt wurden, war bereits i m nächsten Jahr eventuell ein neues Parlament fällig; andererseits verknüpften gerade die Commons das Zugeständnis von Geldleistungen m i t der Möglichkeit, Beschwerden vorzubringen und Petitionen einzureichen 87 . Zusammen m i t dem bereits seit 1322 zugestandenen Recht, keine Gesetze ohne Zustimmung der Gesamtnation durch die Person ihrer Vertreter i m Parlament zu erlassen, ergab sich so eine bemerkenswerte Zunahme des Einflusses gegenüber der Krone. Jedes der so zu berufenden Parlamente w a r zunächst noch ein neues, i n sich geschlossenes i n der Weise, daß für die Vertretung der einzelnen Grafschaften und Städte neue Wahlen erfolgen mußten 8 8 . Der Begriff Parlament umschrieb also auch i n England weniger die abstrakt-institutionelle Erscheinung als die einzelne konkret-personelle Versammlung, die zu einer verhältnismäßig kurzen Sitzung zusammentrat und dann wieder auseinanderging. Die für die Ständeversammlungen des alten deutschen Kaiserreichs zutreffende Bezeichnung als historische Erscheinung 8 0 ist also auch hier gerechtfertigt. Die Möglichkeit, ein Parlament über Jahre am Leben zu erhalten, war ursprünglich unbekannt 9 0 ; es endete, wenn das konkrete Anliegen, zu dem es aufgeboten worden war, erledigt war, aber auch dann, wenn die Parlamentsgeschäfte wegen dazwischentretender Ereignisse nicht hatten abgeschlossen werden können 9 1 . Die Bezeichnung „Prorogation" umschrieb dabei sowohl die Ver84 Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 158; Maitland (Anm. 70) S. 177; Fischel (Anm. 72) S. 372. Z u der Interpretation, die diese Bestimmung durch die Stuarts erfuhr, vgl. die Ausführungen bei Maitland u n d Fischel. 85 Vgl. die Nachweise bei Maitland (Anm. 70) S. 178. 86 Maitland (Anm. 70) S. 178. 87 Maitland (Anm. 70) S. 178, 179; Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 158. 88 Maitland (Anm. 70) S. 178; Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 158 insbesondere Fn. 26. Vgl. auch Gneist (Anm. 70) S. 171, der i r r t ü m l i c h bereits von Sessionen spricht. 8t> Vgl. oben § 3. 90 Maitland (Anm. 70) S. 178; Hatschek (Anm. 78) S. 334, 336. 01 Hatschek (Anm. 78) S. 337. Das entsprechende K a p i t e l seines Buches entspricht wörtlich — bis auf einen etwas umfangreicheren Schluß u n d eine

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1.2. Kap.: Historische Grundlagen

legung eines bereits einberufenen, aber noch nicht zusammengetretenen Parlaments auf einen späteren Tag — die auch dem heutigen englischen Parlamentsrecht noch geläufige „prorogation by countermanding" —, als auch die Beendigung eines Parlaments, das seine Geschäfte noch nicht sämtlich abgeschlossen hatte, einem Nachfolger also möglicherweise A r beit zurückließ, die von diesem dann zu Ende gebracht werden konnte oder sogar mußte. Dissolution und Prorogation waren damit noch gleichbedeutend. I n jedem Falle mußte zur Einberufung eines Parlaments eine königliche Proklamation ergehen, die außerhalb des Parlaments erfolgte, wenn es sich u m eine völlige Neuberufung oder eine Verlegung des bereits festgelegten Erscheinungstermins auf einen späteren Tag handelte, oder i m Parlament selbst erging, wenn der König wünschte, daß die beiden Häuser sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut versammelten, u m ihre Beratungen fortzusetzen. A u f Grund dieser Proklamation ergingen dann durch das Kanzleramt Wahlschreiben an die einzelnen Sheriffs, i n denen zur Benennung und Entsendung der Vertreter der Grafschaften und Städte zu diesem neuen Parlament aufgefordert w u r de. Ebenfalls durch Schreiben des Kanzleramtes i n Form der für die gerichtsähnliche Verfassung des englischen Parlaments charakteristischen „brevia" oder „ w r i t s " wurde den zu einem Parlament Erschienenen als förmlicher Abschluß der Tagung zur Vorlage beim jeweiligen Sheriff bescheinigt, daß sie Anspruch auf Diäten und Reisekosten i n einer bestimmten, nach Dauer und Entfernung berechneten Höhe hätten 9 2 . Dieses Schreiben und die i n i h m angegebenen Zeiten stellten zugleich den Nachweis für das Recht auf Inanspruchnahme des persönlichen, m i t der Teilnahme an einem Parlament verbundenen Privilegs der Freiheit von Verhaftung dar 9 3 . Häufung der Notwendigkeit zur Einberufung eines Parlaments auf Seiten des Königs und gleichzeitig wachsende Unlust der Commons, den sich daraus ergebenden Pflichten nachzukommen, führten dazu, daß die Krone daran interessiert sein mußte, daß zu einem folgenden Parlament, insbesondere wenn es noch Arbeiten weiterzuführen hatte, möglichst dieselben Personen als Vertreter ihrer regionalen Gliederung erschienen. Die Durchführung von Neuwahlen brachte nämlich nicht nur Kosten m i t sich, die von den entsprechenden Körperschaften zu tragen waren, sondern erregte jeweils auch Unruhe unter der Bevölkerung. Bereits genauere Wiedergabe der englischen Zitate — seinem bereits vorher veröffentlichten Aufsatz: Session, Prorogation, A d j o u r n m e n t u n d Dissolution des Parlaments. I h r e Entstehungsgeschichte u n d Bedeutung i m Englischen Parlamentsrechte, i n : ZgStW 1901, S. 152 - 192. I m folgenden w i r d nach dem A b druck i m Buch zitiert, falls nicht auf die Fassung des Aufsatzes zurückgegriffen werden muß. 92

Oers. S. 338 ff.

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Ders. S. 340 f.

§ 4 Periodizitäten des Englischen Parlaments

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Edward I I I . erließ deshalb gegen Ende seiner Regierung i n der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zur Einberufung eines neuen, die Arbeit seines Vorgängers fortzusetzenden Parlaments nicht mehr vollständige Wahlschreiben, beschränkte sich vielmehr darauf, i n Sendschreiben die Sheriffs aufzufordern, die Commons des letzten, prorogierten Parlaments zum Versammlungsort des Parlaments zu schicken 94 . Diese Technik wurde von Richard I I . als seinem Nachfolger aufgenommen. Da dieser aber vor allem daran interessiert war, dem Parlament Geldforderungen abzuverlangen, und es nach deren Bewilligung sofort wieder entließ, ergab sich der für die Commons untragbare Zustand, daß die von ihnen eingebrachten Petitionen und Beschwerden nie erledigt, sondern stets auf das nächste Parlament verlagert wurden. Das stand jedoch i n klarem Widerspruch zu der Zusage jährlicher Parlamente, i n denen unter anderem gerade diese Beschwerden und Petitionen erledigt werden sollten, Die Commons verlangten deshalb, sie nicht alljährlich lediglich zu dem Zweck einzuberufen, von ihnen Geld bewilligt zu bekommen; wenn sie aber schon einberufen würden, wenigstens ihre eigenen Vorbringen anzuhören, unerledigte Bitten und Beschwerden zu bescheiden und eine bestimmte Zeit dafür innerhalb der Zusammenkunft eines jeden Parlaments festzulegen 95 . I n der Auseinandersetzung über diese Forderungen setzte sich zunächst der König durch; er ließ durch seine Richter erklären, es sei eine Prärogative des Königs, sein Parlament zu entlassen, wann er wolle, und i h m stehe das Recht zu, zuerst seine Wünsche i m Parlament befriedigt zu sehen, bevor die Wünsche der Commons behandelt werden könnten 9 6 . I m Endeffekt siegten jedoch die Commons, denn der i n der zweiten Hälfte der Regierung Richard II. verfaßte „Modus tenendi Parliamentum", das erste Handbuch des Parlamentsverfahrens, enthielt den Grundsatz, daß kein Parlament beendet werden sollte, bevor nicht alle Petitionen befriedigt beantwortet wären 9 7 . Heinrich IV. faßte die diesen Auseinandersetzungen zugrundeliegenden Erwartungen und Forderungen zusammen und entwickelte daraus ein System, das die divergierenden Interessen weitgehend berücksichtigte. Prorogationen m i t dem Ziel einer Fortsetzung der Verhandlungen i n einem neu berufenen, i n der personellen Zusammensetzung aber unveränderten Parlament wurden dabei institutionalisiert und zum Teil mit den Folgen verknüpft, die bisher nur bei Abschluß eines Parlaments eintraten. Dazu ergingen nach einer Prorogation keine Wahlschreiben mehr, sondern nur noch Sendschreiben; ein „ w r i t de expensis levandis" 94

Oers. S. 342. Oers. S. 343. 98 Hatschek (Anm. 78) S. 344 u n d die dort als Nachweis zitierten englischen Quellen. 97 Oers. S. 336 f., 344. 95

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1.2. Kap.: Historische Grundlagen

oder Diätenzertifikat 9 8 wurde ebenfalls nur noch bei endgültiger Beendigung eines Parlaments ausgestellt, nicht schon bei einer Prorogation. Andererseits mußte auch dem Verlangen der Commons auf Erledigung aller, auch der von ihnen selbst vorgetragenen Beschwerden i n einem Parlament entsprochen werden, was Heinrich IV. ausdrücklich bestätigt und wofür er den Commons sogar bestimmte Tage i n der Woche zuerkannt hatte 9 9 . Da König wie Commons daran interessiert waren, möglichst schnell wenn nicht zum Abschluß eines Parlaments, so doch zu einer Prorogation zu kommen 1 0 0 , stand dieser Anspruch, der die königliche Zustimmung, den „royal assent" voraussetzte, jedoch oft entgegen. Aus diesem Grunde wurde die Prorogation gleichzeitig als förmliche Beendigung aller vorliegenden Arbeiten fingiert, auch wenn dies tatsächlich nicht der Fall war, wobei es durchaus möglich blieb, i n der die Prorogation anordnenden Proklamation den Hinweis aufzunehmen, daß die i n der Schwebe gebliebenen Parlamentsgeschäfte beim nächsten Zusammentritt von Neuem beraten und zusammen m i t den i n der Zwischenzeit hinzutretenden erledigt werden sollten 1 0 1 . Prorogation und Dissolution eines Parlamentes als künstlicher, gewollter Einschnitt i n der Tätigkeit bzw. als endgültige Beendigung mit der Folge auch der Erneuerung der personellen Zusammensetzung i n einem nächsten Parlament waren also seit Heinrich IV. klar unterschieden. Das fand seinen Ausdruck darin, daß „ w r i t s de expensis" jeweils erst bei einer Dissolution ausgestellt wurden, wobei zur Kostenerstattung berechtigende A n - und Abreisetage nur einmal zu Beginn und am Ende eines jeden Parlaments gewährt wurden, während die übrigen ursprünglich m i t der Anweisung zur Ausstellung der writs verbundenen Folgen, nämlich der förmliche Abschluß der Arbeiten und die Bestätigung der Parlamentsprivilegien, auch i m Falle der blossen Prorogation eintraten. Die Prorogation markierte so einen Einschnitt i n der Dauer eines Parlaments 1 0 2 , das auf diese Weise über Jahre am Leben erhalten werden konnte 1 0 3 . Für diesen Einschnitt, der sich von dem Adjournment also bloßer Vertagung auch dadurch unterschied, daß den Commons der Abschied und die Erlaubnis, nach Hause zurückzukehren, erteilt w u r de 1 0 4 , bürgerte sich die Bezeichnung „session" ein 1 0 5 , die später unter dem 98

Ders. S. 339 f., 345. Ders. S. 346. 100 Ders. S. 348, 349 f. 101 Vgl. das bei Hatschek (Anm. 78) S. 349 unten zitierte Beispiel für das Parlament des 7./8. Regierungsjahres Heinrich I V . 102 Hatschek (Anm. 78) S. 348; Fischel (Anm. 72) S. 377. 103 Maitland (Anm. 70) S. 178; vgl. auch Gneist (Anm. 70) S. 220 f. 104 Hatschek (Anm. 78) S. 351. 105 Vgl. Hatschek (Anm. 78) S. 347, v o r allem aber S. 350, der jedoch den Begriff nicht von „sedere", sondern von „sesona" (Jahreszeit, Saison) abgelei99

§ 4 Periodizitäten des Englischen Parlaments

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Konstitutionalismus i n ganz Europa üblich wurde. Erstmals i n dem Buch von Thomas Smith „The Commonwealth of England" 1577 auch literarisch erwähnt 1 0 6 , wurde sie zum Begriff für eine Unterperiode eines Parlaments, an die bereits ganz bestimmte Folgen, darunter auch die der technischen Erledigung aller noch nicht abgeschlossenen Geschäfte, geknüpft waren. Adjournment und Prorogation wurden i n der Folge dann auch bewußt als M i t t e l zur Steuerung der Parlamentsarbeit i m Sinne der Krone eingesetzt. So verwendete Königin Mary 1553 das M i t t e l der Prorogation, um eine eingebrachte Bill, wie schon damals die aus der Initiative des Parlaments stammenden Gesetzentwürfe genannt wurden, über die sich Lords und Commons nicht hatten einigen können, zu vernichten; sie prorogierte das Parlament, wenn auch nur für drei Tage, und machte so die Vorlage hinfällig. A u f der anderen Seite benutzte James I. 1621 das M i t t e l des Adjournment ausdrücklich, u m nicht durch Prorogation die eingebrachten Bills obsolet werden zu lassen 107 . Dabei entstand eine weitere, auch für die spätere Diskussion i m deutschen Konstitutionalismus wichtige Frage. Der König ließ nämlich anklingen, daß das Parlament eine Reihe von Gesetzen verabschiedet habe, zu denen er noch keinen Entschluß gefaßt habe, ob er ihnen die königliche Zustimmung erteilen solle oder nicht. Durch die bloße Vertagung wollte er sich die Möglichkeit offenhalten, nach Belieben hinsichtlich Gegenstand und Zeitpunkt die bereits beschlossenen Gesetze, die mangels „royal assent" bei einer Prorogation ebenfalls erledigt gewesen wären, i n Kraft zu setzen. I n dem folgenden Streit setzte sich gegen Hakewell, der die Auffassung vertrat, jede Zustimmung auch nur zu einer B i l l bedeute bereits das Sessionsende mit allen Folgen auch für die anderen, zunächst Coke m i t der Meinung durch, daß zwar der royal assent zu einer B i l l noch nicht den Sessionsschluß und damit das Hinfälligwerden aller anderen nach sich ziehe, eine Vertagung aber nur durch die beiden Häuser selbst, allenfalls auf Wunsch des Königs, nicht aber etwa durch den König selbst erfolgen könne 1 0 8 . Hinter dieser Unterscheidung stand der Wunsch nach Aufrechterhaltung der vom Parlament für „eigene Zwecke der Kontrolle durchgesetzten Diskontinuität der Sessionen" 109 , die nicht dadurch sollte unterlaufen werden können, daß die Krone das Parlament nur vertagte und damit die Herrschaft über die mangels endgültiger abschließender Beratung oder royal assent i n der Schwebe gebliebenen Vorhaben behielt. tet wissen w i l l . Diese Interpretation w i r d allerdings n u r v o n Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze m i t Erläuterungen, S. 404, geteilt. 108 Hatschek (Anm. 78) S. 336 f. 107 Vgl. die Nachweise bei Hatschek (Anm. 78) S. 351, 352, Fn. 2, u n d 354 f. 108 Hatschek (Anm. 78) S. 355. 109 Oers. S. 356.

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1.2. Kap.: Historische Grundlagen

Später wurde dann jeweils ausdrücklich festgestellt, daß die königliche Zustimmung zu einem Gesetz nicht etwa ipso jure das Sessionsende herbeiführe 1 1 0 , wie andererseits die königliche Sanktion vor dem offiziellen Sessionsschluß vorliegen mußte, falls die B i l l nicht hinfällig werden sollte. Diese Unterscheidung zwischen Dissolution, Prorogation und A d journment m i t den Folgen, die sich an die Session als Arbeitsperiode eines Parlaments knüpften 1 1 1 , wurde von Sir Edward Coke, der bekanntesten Rechtsautorität seiner Zeit, erstmals schriftlich fixiert 112. Sie überdauerte als Rechtssatz die zeitlichen Schwankungen, die die Einberufung der Parlamene i m 14. bis 16. Jahrhundert erfuhr 1 1 3 und die bei stetiger Verfestigung der Institution „Parliament" m i t seiner Aufteilung i n Oberhaus und Unterhaus die Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Inhabern der Krone und den Commons w i derspiegelte. Aus den Konflikten m i t den Stuarts, insbesondere Charles I., erwuchs 1640 die Triennial Bill, der der König 1641 zustimmen mußte und die die Einberufung eines Parlaments spätestens i n jedem dritten Jahr vorsah; falls der Kanzler keine Wahlschreiben erließ, sollten diese von den Peers ausgehen, und wenn auch diese es unterließen, sollten die Sheriffs und Bürgermeister von sich aus die notwendigen Wahlen veranstalten 1 1 4 . Zusammen m i t der Regelung, daß kein Parlament früher als fünfzig Tage nach seinem Zusammentritt aufgelöst oder prorogiert werden dürfe, und der weiteren, i m Mai 1641 dem König abgezwungenen Bestimmung, daß das derzeitige Parlament sich nur selbst auflösen oder prorogieren könne 1 1 5 , bildete diese erste Triennial B i l l die rechtliche Grundlage für das sogenannte „lange Parlament", das den Bürgerkrieg überdauerte und i n unterschiedlicher Besetzung bis 1653 zusammenblieb. Nach Wiedereinführung der Monarchie wurde diese Triennial B i l l 1664 zwar als unvereinbar m i t den überkommenen Rechten der Krone verworfen, i n einer zweiten Triennial B i l l jedoch festgelegt, daß die Sitzungen eines Parlaments nicht über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren ausgesetzt 110 Vgl. den Nachweis bei Hatschek (Anm. 78) S. 355 Fn. 1; auch Fischel (Anm. 72) S. 377. 111 Vgl. dazu auch Wolfensberger (Anm. 12) S. 26 ff.; Rau (Anm. 39) S. 7; Beiz (Anm. 8) S. 8, deren Darstellung ebenfalls auf Hatschek zurückgeht. 112 „Institutes of the Laws of England" T e i l I V , S. 27 (1644). 118 Vgl. den Nachweis bei Maitland (Anm. 70) S. 248 ff.; Taswell/Langmead (Anm. 68) S. 242 f. 114 Maitland (Anm. 70) S. 293; Taswell/Langmead (Anm. 69) S. 396; Gneist (Anm. 70) S. 242. Hatschek (Anm. 78) S. 335 spricht v o n der „berüchtigten" T r i e n n i a l B i l l . E r verkennt jedoch, daß es dabei nicht i n erster L i n i e u m die Auflösung eines Parlaments nach drei Jahren, sondern u m die Einberufung eines neuen Parlaments ging. 115 Maitland (Anm. 70) S. 294. Gneist (Anm. 70) S. 242 spricht i n diesem Zusammenhang von einer „verhängnisvollen Clausel".

§ 4 Periodizitäten des Englischen Parlaments

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oder sonstwie unterbrochen werden dürften 1 1 6 . Die wiederholten Verstöße dagegen führten zu der Klausel i n der B i l l of Rights, daß zur Behebung von Beschwerden und zur Ergänzung, Stärkung und Aufrechterhaltung der Gesetze Parlamente häufig abzuhalten seien, und schließlich zu dem Triennial Act i m Jahre 1693, der i m Grunde nur den wesentlichen Inhalt seiner Vorgänger wiederholte, nämlich daß wenigstens einmal i n drei Jahren ein Parlament abzuhalten sei, darüber hinaus aber die wichtige Neuerung brachte, daß auch kein Parlament länger als drei Jahre existent sein solle, vielmehr mit deren Ablauf eines bürgerlichen oder natürlichen Todes zu sterben habe 1 1 7 . 1715 zur Sicherung der hannoverschen Dynastie durch den Septennial Act ersetzt und auf sieben Jahre erweitert 1 1 8 , ist damit der Rahmen für den Arbeitsrhythmus des englischen Parlaments und zugleich sein Verfahren gesetzt: unter „parliament" w i r d nicht mehr allein die tatsächlich zusammentretende Versammlung, sondern auch die aus der Krone und beiden Häusern bestehende Institution verstanden 119 , deren einer Teil, das Unterhaus, als Vertretung der Gesamtheit der Nation regelmäßig durch Neuwahlen bestellt werden muß und deshalb nur eine Lebensdauer von sieben Jahren hat, falls es nicht vorher vom König aufgelöst und damit seinem bürgerlichen Tod verfällt 1 2 0 . Innerhalb dieser sieben Jahre tagt das Parlament nicht permanent, sondern i n Sessionen, die i m Wege der Prorogation durch den König herbeigeführt werden und für beide Häuser gelten. Eine solche Prorogation begräbt die nicht zu Ende gebrachten, d. h. abschließend beratenen und vom König sanktionierten Vorlagen 1 2 1 — i m Gegensatz zum Adjournment als bloßer Vertagung, die nur von jedem der beiden Häuser des Parlaments selbst beschlossen werden kann 1 2 2 . 116

Vgl. Maitland (Anm. 70) S. 295 f. Maitland (Anm. 70) S. 296; Fischel (Anm. 72) S. 373. Vgl. auch die Charakterisierung bei Gneist (Anm. 70) S. 331, der davon spricht, daß er „wenigstens die verletzenden Clausein der T r i e n n i a l A c t unter K a r l I. nicht wieder aufnimmt". 118 Maitland (Anm. 70) S. 296; Gneist (Anm. 70) S. 334. Fischel (Anm. 72) S. 373, Fn. 3, zitiert dazu den Protest der bei der A b s t i m m u n g über dieses Gesetz unterlegenen Minderheit i m Oberhaus: „ W e i l es zugestanden ist, daß das Haus der Gemeinen von dem Volke gewählt werden m u ß ; u n d w e n n so gewählt, sind seine Mitglieder w a h r h a f t die Vertreter des Volkes, was sich nicht sagen läßt, w e n n sie über die Zeit hinaus fortwähren, f ü r die sie gew ä h l t sind. Denn nach dieser Zeit sind sie von dem Parlamente u n d nicht v o m Volke gewählt, welches dadurch des einzigen Mittels beraubt w i r d , das es gegen jene Vertreter hat, welche das i n sie gefaßte Vertrauen entweder nicht verstehen oder dasselbe wissentlich mißbrauchen . . . " . 119 Hatschek (Anm. 78) S. 243. 120 Fischel (Anm. 72) S. 377. 121 Fischel (Anm. 72) S. 377; Hatschek (Anm. 78) S. 361. 122 Das ursprünglich mögliche „adjournment b y king's pleasure" ist seit 1814 nicht mehr gebräuchlich, vgl. Hatschek (Anm. 78) S. 361; Redlich, Recht u n d Technik des englischen Parlamentarismus, S. 322. 117

1.2. Kap.: Historische Grundlagen

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Die Diskontinuität war daher schon am Ausgang des 18. Jahrhunderts i n England fest verankert. Sie war Ausfluß des Verständnisses der Session als einer i n sich geschlossenen Handlungseinheit des Parlaments 1 2 3 ; die Verbindung zu der erst später hinzugetretenen Wahlperiode bestand allein darin, daß m i t deren Ablauf bzw. der vorher erfolgenden Auflösung des Parlaments auch die letzte Session beendet wurde. Ursprünglich als M i t t e l der Kontrolle der Commons über die Beschlüsse des Parlaments eingeführt 1 2 4 , wurde sie zum Ausdruck der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Krone und Parlament, insbesondere seit dem Übergang zur Kabinettsregierung 1 2 5 . Sie einseitig als „am Vorabend der Revolution als Kampfmittel gegen das K ö n i g t u m " 1 2 6 durchgesetzt anzusehen, t r i f f t ebenso wenig ihren Charakter 1 2 7 wie der Vergleich m i t dem Landtagsabschied des deutschen Ständestaates 128 . I n der Diskontinuität des englischen Verfassungs- und Parlamentsrechts, wie sie sich i m Laufe einer mehrhundertjährigen Entwicklung herausbildete, flössen vielmehr Elemente der Gesamtrepräsentation 129 m i t der Parlamentssouveränität zusammen, die i m „ k i n g i n Parliament" Ausdruck fanden und ebenso praktische wie dogmatische Gründe hatten. Daraus einen Grundsatz zu entwickeln, blieb erst dem Konstitutionalismus vorbehalten.

* 123

Wolfensberger (Anm. 12) S. 28 f.; Beiz (Anm. 8) S. 9 f. Vgl. oben. 125 Vgl. dazu Redlich (Anm. 122) S. 125, u n d unten § 18. 126 Hatschek (Anm. 78) S. 357. 127 Vgl. auch die K r i t i k v o n Beiz (Anm. 8) S. 10, der zu Recht darauf h i n weist, daß es schließlich von Anfang an der K ö n i g selbst war, der durch die Prorogation die Diskontinuität des Parlaments herbeiführte. 128 So aber Wolfensberger (Anm. 12) S. 33. 129 Vgl. auch Georg Jellinek (Anm. 6) S. 558; ders., Besondere Staatslehre, S. 184. 124

Zweiter Teil

Entstehung und Begründung des Grundsatzes der Diskontinuität im konstitutionellen Staat Drittes Kapitel

Die Diskontinuität als Bestandteil der konstitutionellen Doktrin Zu der Zeit, als i m englischen Parlament m i t der endgültigen Ausgestaltung seiner Stellung i m Staatsgefüge Session und Wahlperiode, die diesen Periodizitäten zugrundeliegenden Instrumente der Dissolution, Prorogation und des Adjournment und eng damit verbunden die Diskontinuität herausgebildet wurden, war auf dem Kontinent der Ständestaat bereits dem Absolutismus gewichen. Die ständische Macht hatte i m 15. und 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht und war von da ab ständig gesunken 1 . Seit 1614 waren i n Frankreich die Generalstände nicht mehr einberufen worden 2 , seit 1654 tagte der deutsche Reichstag i n Permanenz und verlor immer mehr an Bedeutung 3 gegenüber einer wachsenden Macht der territorialen Fürsten. Die Entwicklung trieb, namentlich i n der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, immer entschiedener auf eine Vereinigung aller wesentlichen Staatshoheitsrechte, auch des Gesetzgebungs- und insbesondere des Besteuerungsrechts, i n der Hand des Landesherrn, mit anderen Worten auf den monarchischen A b solutismus hin 4 . Die Stände waren zwar nicht formell aufgehoben, aber mit oder auch ohne und gegen ihren Willen i n Untätigkeit versetzt. Wo sich Ersatzorganisationen für die bisherigen Ständeversammlungen wie die französischen Parlamente als die obersten Gerichtshöfe des Landes hielten und i n zielbewußte Opposition zu der Staatsauffassung des A b solutismus traten 5 , unterlagen sie einer suggestiv wirkenden Verwechs1 Anschütz, Rückblick auf ältere Entwicklungsstufen der Staatsbildung u n d des Staatsrechts i n Deutschland, i n : HbDStR Bd. I., S. 26. 2 Loewenstein, V o l k u n d Parlament nach der Staatstheorie der französischen Nationalversammlung von 1789, S. 94; Scheuner, V o m Nutzen der Diskontinuität zwischen Legislaturperioden, i n : DÖV 1965, S. 511. 3 Scheuner (Anm. 2) S. 511; vgl. auch oben § 3. 4 Anschütz (Anm. 1) S. 26.

II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

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lung nicht nur ihres Namens, sondern auch ihrer Kompetenz: sie nahmen für sich i n Anspruch, Stellvertreter nicht nur der Stände, sondern der gesamten Nation zu sein 6 , und lieferten m i t ihrer politischen Haltung einen wesentlichen Beitrag zur Begründung des Verfassungs- und Hechtsstaates7. Der Blick auf englische Verhältnisse lag dabei nahe. Die verfassungsrechtliche Form des englischen Parlaments beruhte zwar nicht auf festen verfassungsrechtlichen Sätzen, sondern auf einer zwar infolge einer starken politischen Tradition sehr stabilen, aber doch unter dem Druck politischer Kräfte stehenden Parlamentspraxis und einem ausgeprägten Parteileben 8 , hatte aber i n der vorwiegend von naturrechtlichen Ansätzen ausgehenden konstitutionellen Theorie durch Milton, Sidney und John Locke 9 eine abstrakte Darstellung gefunden, deren Volkssouveränitätsdoktrin auf die nach einem Vorbild suchenden zeitgenössischen Kräfte Frankreichs große Anziehungskraft ausübte 10 . Montesquieu, selbst Präsident des Parlaments von Bordeaux, übernahm i n seinem nur scheinbar rechtsvergleichend-historischen „De l'Esprit des lois" deren konstitutionellen Parlamentarismus, u m die dem englischen Parlament zugeschriebene Rolle i m konstitutionellen Staat auf die Gerichtsparlamente Frankreichs zu übertragen 1 1 und zum Mittelpunkt seiner Gewaltenteilungslehre zu machen. Obwohl er damit unter Leugnung des gewachsenen Charakters das englische Parlament gleich doppelt verfremdete, wurden seine und seiner Nachfolger Theorien zum Ausgangspunkt aller Demokratievorstellungen, die die nationale Repräsentation und die M i t w i r kung eines Parlaments als Vertretungskörperschaft an der Gestaltung der Staatsgeschäfte zum Inhalt hatten. Die Behauptung Georg Jellineks, „daß es keine so geschichtslose Institution gebe wie die modernen Parlamente außerhalb Englands, ja daß i n der ganzen Vergangenheit kaum ein zweites Beispiel derartiger unvermittelter Schöpfung einer Organisation zu finden sei, die den Staat von Grund auf zu ändern bestimmt w a r " 1 2 , steht deshalb nicht i m W i 5

Vgl. dazu Loewenstein (Anm. 2) S. 92 ff. A l s „Ersatzorganisationen" k ö n nen i n gewisser Hinsicht auch die ständischen Ausschüsse angesehen werden; vgl. oben § 3. 6 Loewenstein (Anm. 2) S. 94 f. u n d die dort zitierten Nachweise. 7 Loewenstein (Anm. 2) S. 92. 8 Koellreutter, Parlamentarische Regierung, i n : H w b R W Bd. 4, S. 385. 9 Vgl. statt vieler van Calker, Die Verfassungsentwicklung i n den deutschen Einzelstaaten, i n : HbDStR Bd. I, S. 52. 10 Z u deren Einfluß auf Frankreich vgl. — ebenfalls statt vieler — Loewenstein (Anm. 2) S. 41. 11 Loewenstein (Anm. 2) S. 95. Vgl. auch Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 24. 12 Besondere Staatslehre, S. 181.

§ 5 Einfluß von Bentham, Jefferson und Constant

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derspruch zu der Feststellung Scheuners, es gehöre „zu den i n der deutschen Verfassungsgeschichte noch immer festgehaltenen Irrtümern, daß die nahe Verbindung der frühkonstitutionellen Entwicklung zu den älteren ständischen Uberlieferungen und der rechtliche Zusammenhang der Einrichtungen nicht klar genug erkannt" werde, „ w e i l man immer noch an dem aus zeitbedingten Kämpfen erwachsenen Urteil" hänge, die „Parlamente des 19. Jahrhunderts seien etwas ganz Neues gegenüber den älteren repräsentativen Einrichtungen" 1 3 . Der Vorbildcharakter, der dem englischen Parlament durch die dogmatische Aufbereitung i n der konstitutionellen D o k t r i n zufiel, mußte auch auf die Übernahme seiner Verfahrensregeln Einfluß haben. Diese Übernahme erfolgte dort u m so bereitwilliger, wo die Verfahrensregeln — und sei es auch nur entfernt — an Vorgänge und Institutionen aus der eigenen Geschichte erinnerten. Das gilt auch für die Diskontinuität.

§ 5 Der Einfluß von Bentham, Jefferson und Constant auf die kontinentaleuropäische Entwicklung der Diskontinuität Die i m Sommer 1789 zusammentretende französische Nationalversammlung hatte sich grundsätzlich die monarchische Staatsgesinnung bewahrt. A u f dem Boden der Rousseauschen Volkssouveränitätslehre stehend erkannte sie aber an, daß alle Gewalt von der Nation ausgeht und daß die Legislative als wesentlichster Inhalt der Souveränität der Gesamtheit vorbehalten bleiben muß. Sie machte sich ferner die Montesquieusche Gewaltenteilungslehre zu eigen, die eine Scheidung und A u f teilung der typischen staatlichen Funktionen unter verschiedene Faktoren für notwendig erachtete 14 . Den aus dem Zusammenhang dieser A n sätze resultierenden Widerspruch vermochte sie nur i n der Weise zu lösen, daß die Repräsentation aus einem Träger und Interpreten des Gemeinwillens zum Selbsterzeuger erhoben wurde 1 5 . Organisatorisch mußte daraus die Schlußfolgerung gezogen werden, daß auch der König als Inhaber der Exekutive Repräsentant der Gesamtnation sei 16 und als solcher an der Gesetzgebung teilhaben könne. Damit war der staatstheoretische Anschluß an die Gewaltenhemmungslehre erreicht, wie sie Montesquieu i n Anlehnung an englische Verhältnisse aufgestellt hatte, und 13 (Anm. 2) S. 511. Vgl. auch Hatschek (Anm. 11) S. 34, der an den Beginn seiner Darstellung des Englischen Staatsrechts die Forderung stellt, bei jedem I n s t i t u t die Rezeptionsschichten, worunter er die Rezeption des römischen Rechts u n d der konstitutionellen D o k t r i n versteht, abzutragen, u m zu einem Vergleich v o r allem m i t deutschen Parallelentwicklungen zu kommen. 14 Loewenstein (Anm. 2) S. 225. 15 Loewenstein (Anm. 2) S. 226. 18 Vgl. Loewenstein (Anm. 2) S. 244 f. u n d die dortigen Nachweise f ü r die Entstehung des T i t r e I I I A r t . 2 der Constitution v o m 3. September 1791.

4 Jekewitz

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

wie sie durch Blackstone 17 und de Lolme 18 auf die englischen Einrichtungen zurückprojiziert, kanonisiert und popularisiert worden w a r 1 9 . Der natürlichen Neigung jeder politischen Gewalt zur Machtkonzentration sollte dadurch begegnet werden, daß auch der König an der Gesetzgebung beteiligt wurde, andererseits diese Beteiligung aber wieder eingeschränkt war, und letztlich die Nation als Schiedsrichter i m Streit zwischen Krone und Parlament zu fungieren habe 20 . M i t diesen Prämissen hatte die Constituante an die Einrichtung der staatlichen Organisation zu gehen. Von ihnen leiteten sich alle Einzelfragen ab, die i n ihrer Gesamtheit einen Komplex von ineinander verflochtenen Problemen bildeten, wobei die jeweilige Entscheidung i n der einen Frage Rückwirkungen auf die Beantwortung der anderen haben mußte. Die Debatte über ein königliches Veto — absolut oder nur suspensiv — gegen Gesetzgebungsakte der Legislative w a r deshalb nicht von der Frage der Parlamentsauflösung zu trennen, die ihrerseits i n engstem Zusammenhang m i t der nach der Dauer der Abgeordnetenmandate, der Permanenz oder der Periodizität der gesetzgebenden Versammlungen und schließlich der gleichzeitigen Total- oder Teilerneuerung der Mandate stand 21 . Bei der Beratung und Entscheidung dieser Probleme mußte ausgesprochen oder unausgesprochen auch die Diskontinuität ins Spiel kommen, wobei die Übernahme oder Ablehnung englischer Vorbilder ein zweites Mal von Bedeutung war. Bereits Montesquieu hatte trotz der eindeutigen Herausstellung der gesetzgebenden Gewalt als höchster Staatsautorität es i m Sinne der Hemmung der Gewalten für notwendig erachtet, die Legislative nur auf Veranlassung der Exekutive tätig werden zu lassen. I h r Anfang, ihre Unterbrechungen (Pausen), i h r Ende sollte nicht von i h r selbst, sondern von der vollziehenden Gewalt bestimmt werden; sie sollte nicht existieren, nicht tätig werden dürfen, bevor sie von der vollziehenden Gewalt zum Leben und zur Tätigkeit berufen ist; sie sollte aufhören, tätig zu sein, zu existieren, sobald dies die vollziehende Gewalt vorschrieb 22 . Daß die vollziehende Gewalt i n ihrer Befugnis, die Legislative zu berufen, zu vertagen und zu schliessen, auch ihrerseits durch besondere Vorschriften wieder beschränkt sein mußte, war selbstverständliche Folge 17 I n den 1765 erschienenen „Commentaries on the Laws of England", Book I, Ch. I V ; dazu Hatschek (Anm. 11) S. 18 f. 18 I n der „Constitution de l'Angleterre", Tome I, L i v r e I I , Ch. I I I . 19 Loewenstein (Anm. 2) S. 226. 20 Vgl. die Ausführungen bei Loewenstein (Anm. 2) S. 225 ff., insbesondere S. 227 f., 247, zum sog. Vetostreit i n der Constituante. 21 Loewenstein (Anm. 2) S. 238, 247, 271. 22 Adolf Arndt, Über Anfang, Unterbrechung u n d Schluß der Legislaturperiode, i n : H i r t h s Annalen 1903, S. 722.

§ 5 Einfluß von Bentham, Jefferson und Constant

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der Lehre von der Gewaltenteilung. Die Ablehnung jedes Selbstversammlungs-, aber auch jedes Selbstvertagungsrechts der Legislative und damit die Übertragung der Festlegung von Zeit und Dauer der Tagungen von gesetzgebenden Körperschaften 23 auf die Exekutive bildete so einen, auch der Constituante bewußten, wesentlichen Teil seines Systems. Unbekannt waren auch i n Frankreich nicht die Erläuterungen geblieben, die William Blackstone dazu verfaßt hatte. I n seinem Bemühen, an Hand des Montesquieuschen Gewaltenhemmungsgedankens, aber i m Rahmen eines Systems des common law das englische Staatsrecht beschreibend darzustellen 24 , hatte er als erster nach Coke die Instrumente der Vertagung, Prorogation und Auflösung systematisch erläutert 2 5 und damit auch der an Beispielen und Vorbildern interessierten Diskussion auf dem Kontinent zugänglich gemacht. Prorogation bedeutete danach die Herbeiführung des Schlusses der Session und bewirkte deren Diskontinuität, d. h. Gesetze müssen von Neuem eingebracht werden; sie läßt aber das Parlament fortbestehen. Dieses endet erst durch Auflösung — dissolution —, wobei stets das Ende, auch das durch Zeitablauf, als Auflösung angesehen w i r d 2 6 . Prorogation und Auflösung erschienen bei Blackstone deshalb als korrespondierendes Instrument zu der aus der königlichen Prärogative erwachsenden Einberufung; zusammengesehen stellten sie — ganz i n Montesquieuschem Sinne — ein M i t t e l der zeitlichen Beschränkung der Macht der Legislative, eine Bremse gegenüber jeder Tendenz zur Permanenz und damit ein Element der Gewaltenhemmung dar, zu der dann auch die Diskontinuität zu rechnen war. Von dem historischen Hintergrund losgelöst und derart verabsolutiert, konnten sie allerdings ein gefährliches Eigenleben gewinnen. Zur Zeit der Beratung der französischen Constituante w a r Blackstone selbst schon tot und stand deshalb nicht mehr als Auskunftsperson zur Verfügung. Zudem war i h m i n Jeremias Bentham i m eigenen Lande ein K r i t i k e r erwachsen, der Blackstones Methode der Darstellung ablehnte und an die Stelle der deskriptiven Kompilation ein i m Wege der Analyse 23 Vgl. die bei Arndt (Anm. 22) zitierte Stelle aus dem „Esprit des Lois", L i b r e I, Ch. V I . 24 Hatschek (Anm. 11) S. 18 f. charakterisiert Blackstone deshalb als „ f o r maler Jurist u n d konservativer P o l i t i k e r " u n d kritisiert den zu engen Ansatz; vgl. auch S. 28, w o v o n einer „ A u f p u t z u n g des englischen Staatsrechts m i t dem Montesquieusdien Schema, w i e sie Blackstone versucht u n d m i t Verleugnung des rechten Staatslebens durchgeführt hatte", die Rede ist. 25 Vgl. die ebenfalls bei Arndt (Anm. 22) S. 723 f. zitierte Passage aus den „Commentaries on the Laws of England" Second edition I, S. 196 ff. Hier taucht auch erneut der Begriff des „ c i v i l " bzw. „ n a t u r a l death of the parliaments" auf. 2β Arndt (Anm. 22) S. 724 f.

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

gewonnenes Rechtssystem setzen wollte 2 7 , das entsprechend für alle Länder und Völker gleich gut und anwendbar wäre. A n diesen Begründer einer allgemeinen Rechts- und Staatslehre 28 geriet Mirabeau als A n hänger der konstitutionellen Monarchie auf der Suche nach einer Darstellung des Geschäftsganges i m englischen Parlament, von der er sich Hinweise für die Erarbeitung einer Verfahrensordnung für die Constituante versprach, w e i l „ein Volk, das sich seit so langer Zeit mit öffentlichen Angelegenheiten i n großen Versammlungen befaßt, notwendigerweise sich dem Bestmöglichen genähert haben muß, vor allem, was die Formen anbelangt, die erforderlich sind, u m die Debatten vor V e r w i r rung und das Ergebnis des Meinungsaustausche vor jeder Ungewißheit zu bewahren" 2 9 . A u f Bitten Mirabeaus verfaßte Bentham i n aller Eile einen kleinen Abriß der Gerichtsordnung des Unterhauses, der dem m i t der Redaktion der Geschäftsordnung der Constituante betrauten Komitee vorgelegt wurde; gleichzeitig veröffentlichte Mirabeau das Benthamsche Werk m i t einem Vorwort, aus dem das obige Zitat stammt. Die Diskontinuität ist darin als eine der Möglichkeiten, einen Antrag zu Fall zu bringen, erwähnt; unter dem Zwischentitel „Vertagimg der Kammer" heißt es i n dieser ersten Darstellung: „Das vierte M i t t e l ist, die Vertagung der Kammer vorzuschlagen; denn geht sie durch, so fällt die proponierte Motion von selbst, und w i r d bei der nächsten Versammlung der Kammern nicht wieder vorgenommen. Doch kann dies nicht immer geschehen, wie zum Beispiel, wenn ein anderes wichtiges Geschäft vorgenommen werden soll 3 0 ." Obwohl einige Abgeordnete der Constituante einen solchen Rückgriff auf englische Beispiele ablehnten, war die erste, i n der Sitzimg vom 29. J u l i 1789 angenommene Geschäftsordnung stark von dem durch Bentham vermittelten Vorbild beeinflußt 31 . Ergänzungen und Rückgriffe auf die Verfahrensregeln der alten Ständeversammlungen oder das Naturrecht erfolgten nur dort, wo die Darstellung Lücken hatte 3 2 oder sich 27

Vgl. Hatschek (Anm. 11) S. 28 ff. I n seinem 1776 als A n t w o r t auf die Blackstoneschen „Commentaries" v e r öffentlichten „Fragment on Government"; vgl. Hatschek (Anm. 11) S. 29. 29 Vgl. das Z i t a t bei Hatschek (Anm. 11) S. 426 u n d 427, abgedruckt auch i n der deutschen Ausgabe, die 1817 erschien; vgl. unten (Anm. 30). 30 Bentham, „Regeln welche i n der K a m m e r der Communen des britischen Parlaments bei dem Debattiren u n d Abstimmen beobachtet werden. Aus dem Englischen. Nebst einem Vorbericht des Herausgebers (1789 gedruckt u n d von Mirabeau publicirt)." Abgedruckt als Anhang zu Bentham, Tactik oder Theorie des Geschäftsganges i n deliberirenden Volksständeversammlungen. Nach dessen hinterlassenen Papieren bearbeitet v o n St. (Etienne) Dumont, M i t g l i e d des repräsentativen Raths des Cantons Genf, S. 219 ff., 235. Soweit auch Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 12 f., Fn. 75 u n d 76, auf Bentham h i n weist, zitiert er fälschlich die Tactik, i n der zur Diskontinuität jedoch nichts ausgesagt ist. 31 Hatschek (Anm. 11) S. 427. 28

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sonst als unergiebig oder unanwendbar erwies. Zur Diskontinuität als Folge des Sessionsschlusses oder der Auflösung des Parlaments konnte darin wegen der alleinigen Aufgabe der Constituante, zunächst eine Verfassung zu erarbeiten, noch nichts enthalten sein. Auch die grundsätzlichen Erörterungen i n der Constituante drehten sich i n erster Linie u m die Einführung oder Ablehnung eines königlichen Vetos gegen die Akte der Legislative, wobei i n den Auseinandersetzungen zwischen Royalisten, gemäßigten Konstitutionalisten wie Mirabeau und extremen Anhängern der Repräsentation u m Robespierre und Siéyès natürlich das ganze Spektrum zusammenhängender Fragen erörtert wurde 3 3 . Die Entscheidung für ein bloß suspensives Veto der Exekutive, das Einkammersystem, die Permanenz der Legislative m i t dem Recht, sich selbst zu berufen und zu vertagen — alles Ausdruck der von der Volksstimmung geförderten Ressentiments der Nationalversammlung gegen die Aufnahme absolutistischer Elemente i n die Verfassung —, mußte mit der Ablehnung des Auflösungsrechts auch die Übernahme der Diskontinuität ausschließen. Die Restauration w a r von ideologischen Vorgaben i n dieser Richtung frei; sie konnte deshalb erneut auf das englische Verfassungs- und Parlamentsrecht zurückgreifen, wie es von Bentham tradiert bzw. i n einem bestimmten Sinne rationalisiert bereits am Anfang der Arbeit der Constituante gestanden hatte. Da nicht mehr das demokratische Prinzip, das i n der letzten Phase der Beratungen der Nationalversammlung die Überhand gewonnen hatte, sondern das monarchisch-konstitutionelle den Vordergrund einnahm, waren alle Vorbehalte gegen die Übernahme englischer Institutionen entfallen. Die französische Charte von 1814 wie die Geschäftsordnungen der beiden Kammern enthielten daher i n vielem sklavische, wenn auch mißverstandene Nachahmungen englischer Einrichtungen und Verfahrensabläufe 34 . Besonders deutlich w i r d das an der sogenannten „Schließung der Session". A r t . 50 der Charte 3 5 sah vor, daß der König die Kammern prorogieren könne; m i t dieser Bestimmung sollte, wie die Protokolle ausweisen 36 , nur entsprechend dem bis dahin herrschenden Sprachgebrauch des „proroger" auf das Recht des Königs zur Vertagung der Kammern hingewiesen werden. Als man jedoch an die Formulierung der Geschäftsordnungen und damit an die Konkretisierung jener Bestimmungen der Charte von 1814 ging, wurde 32 Vgl. z. B. den Hinweis i n dem V o r w o r t Mirabeaus a u f den Verlust der Seiten, die sich m i t den drei Lesungen befaßten (Anm. 30) S. 220. 33 Loewenstein (Anm. 2), insbes. S. 247 ff. 34 Vgl. die Beispiele bei Hatschek (Anm. 11) S. 428. 35 „ L e Roi convoque chaque année les Chambres; i l les proroge, et peut dissoudre .. Λ 36 Vgl. die Hinweise bei Hatschek (Anm. 11) S. 429.

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diesem Begriff die englische Bedeutung unterlegt und damit Einberufung, Vertagung, Schließung und Auflösung ganz nach englischem M u ster, wenn auch m i t verschobenem Akzent eingeführt und vollzogen. I n dem Entwurf eines „Règlement déterminant les relations qui doivent exister entre la chambre des pairs, la chambre des députés, le Roi et les chambres entre elles" w a r nämlich plötzlich davon die Rede, daß die Kammer auseinandergehen müsse, wenn durch königliche Proklamation die Session vertagt oder die Abgeordnetenkammer aufgelöst werde 3 7 . Da das Wort „Session" dabei sowohl i n französischem Sinne als Sitzung wie i m englischen als geschlossener Handlungseinheit verstanden werden konnte, Prorogation also Vertagung wie Schließung hätte bedeuten können, übernahm man beide möglichen Versionen und erweiterte so den durch die Charte gesetzten Rahmen. Die endgültig angenommene Bestimmung sah deshalb neben der bloßen Vertagung und der Auflösung die Herbeiführung des Sessionsschlusses durch den König vor 3 8 , die nur Sinn haben konnte, wenn damit auch die Diskontinuität als Folge verbunden w a r 3 0 . Unter dem Einfluß Benthams hatte Montesquieusches Gedankengut englische, aus langen Auseinandersetzungen zwischen Krone und Parlament erwachsene Verfahrensregeln 40 m i t traditionellen Begriffen der kontinentalen Ständeversammlungen 41 gekoppelt und daraus unbewußt etwas Neues entstehen lassen, das i n dieser Form weder i m englischen Parlamentsrecht noch i m Recht der Ständeversammlungen angelegt gewesen w a r 4 2 , aber durchaus dem monarchischen Prinzip entsprach, das seit der Restauration die konstitutionelle Doktrin beherrschte und die demokratischen Ansätze der Constituante verdrängt hatte. 37 T i t r e I I A r t . 4 „ L a chambre se sépare à l'instant, si la proclamation ordonne la clôture de la session, ou dissout la chambre des députés". Z i t i e r t nach Hatschek (Anm. 11) S. 430. 38 „ L a chambre se sépare à l'instant si la proclamation ordonne la clôture de la session, l'ajournement out la dissolution de la chambre." Z i t i e r t nach Hatschek (Anm. 11) S. 430. 39 Z u r K r i t i k an diesem Nebeneinander vgl. Hatschek (Anm. 11) S. 430, für den damit „eine der unsinnigsten Nachahmungen des englischen Rechts verübt worden" war. Beiz (Anm. 30) S. 11 weist zu Recht darauf hin, daß es keineswegs „sinnlos" war, außer der Schließung auch die Vertagung durch den K ö n i g einzuführen. Der Monarch hatte auf diese Weise die Wahl, ob er dem Parlament die Möglichkeit lassen wollte, bereits angefangene Arbeiten fortzusetzen, oder ob er es zu einem völligen Neubeginn seiner Tätigkeit zwingen wollte. 40 Vgl. oben § 4. 41 Vgl. oben § 4. 42 Wolfensberger, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 40, spricht v o n der englischen Parlamentstradition als dem „missing l i n k " f ü r die Entstehung des Grundsatzes der D i s k o n t i n u i t ä t ; vgl. auch Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 58 f., Fn. 47. Nicht die englische Parlamentstradition ist aber dieses „missing l i n k " , sondern die durch Bentham abstrahierte, geschichtslose Darstellung des englischen Parlamentsverfahrens, w i e sie i n Frankreich als geltendes Recht rezipiert wurde.

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Diese Interpretation und Umdeutung widersprach i m Grunde auch der Darstellung der amerikanischen und englischen Praxis, wie sie Jefferson i n seinem Buche 43 gegeben hatte und wie sie „ i n den Geschäftsordnungen beider Häuser vom Jahre 1814 weitgehende, meist aber nur aufs äußerliche gehende Aufnahme fand" 4 4 . Dort hieß es unter der Überschrift „Von den Vertagungen" ausdrücklich: „Die beiden Kammern des Parlaments haben allein, unabhängig von einer jeden fremden Autorität, und eine jede für sich besonders, die Befugniß sich zu vertagen 4 5 ." Einige Seiten weiter wurde dann ausführlich erläutert, welche rechtlichen und tatsächlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Vertagung, Prorogation und Auflösung bestanden 46 . Es mag sein, daß die Fixierung auf die Definition der Sitzungsperiode oder Session als geschlossenen Handlungsabschnitt den Blick auf die Unterscheidung zwischen der Vertagung aus eigenem Willen des Parlaments und der Prorogation verstellte; dazu konnte der Hinweis verführen, daß „die Aussetzung und die Vertagung wesentlich eine Sitzimgsperiode constituiren". Obwohl auch Jefferson deutlich machte, daß „bei eintretender Vertagung die Geschäfte i n statu quo bleiben" und „die Verhandlungen gerade da wo sie abgebrochen wurden wieder aufgenommen" werden, „ohne daß es nöthig wäre dieselben wieder von vorn anzufangen", war m i t der Entscheidung für ein Vertagungsrecht auch des 43 M a n u a l of parliamentary Practice. Deutsche Ausgabe als: Handbuch des Parlamentarrechts oder Darstellung der Verhandlungsweise u n d des Geschäftsganges beim englischen Parlament u n d beim Congress der Vereinigten Staaten v o n Nordamerika. Übersetzt u n d m i t Anmerkungen begleitet von Leopold von Henning, 1819 i n B e r l i n erschienen. Nach dieser Ausgabe w i r d i n der Folge zitiert. 44 Hatschek (Anm. 11) S. 428 m i t Nachweisen. 45 (Anm. 43) S. 228; vgl. dazu auch die A n m e r k u n g des Herausgebers, der unter Hinweis auf Blackstone noch einmal verdeutlicht: „Der K ö n i g k a n n das Parlament prorogieren u n d auflösen, aber nicht vertagen. Wäre letzteres der Fall, so hätte das Parlament gar keine Selbständigkeit". Anders dann die konstitutionelle D o k t r i n Constants, vgl. unten. 46 (Anm. 43) S. 231 ff.: „Das Parlament k a n n auf dreierlei Weise getrennt werden, durch Vertagung, durch Aussetzung (Prorogation) u n d durch A u f lösung. Die beiden letzteren A r t e n der Trennung treten entweder durch den W i l l e n des Königs oder nach A b l a u f des Zeitraums ein für welchen das P a r lament erwählt worden ist. Die Aussetzung u n d die Vertagung constituiren wesentlich eine Sitzungsperiode. I n diesem F a l l w i r d die Behandlung aller vor die K a m m e r gebrachten Gegenstände geendigt u n d dieselben müssen bei ihrer Wiederaufnahme so betrachtet werden als ob noch nichts darin geschehen sey. Die Vertagung, deren E i n t r i t t lediglich v o m W i l l e n des Parlaments abhängt, ist n u r eine Verlängerung der Sitzung v o n einem Tage zum andern, u n d auf längere u n d kürzere Fristen, j e nachdem es den K a m m e r n beliebt. Bei eintretender Vertagung bleiben die Geschäfte i n statu quo u n d w e n n die K a m m e r n ihre Sitzungen wieder beginnen, gleichviel ob solches nach einer kurzen oder langen Unterbrechung geschieht, ohne daß es nöthig wäre dieselben wieder von v o r n anzufangen. Eine Sitzungsperiode w i r d i n rechtlicher Hinsicht als ein einziger Tag u n d als eine Fortsetzung des Tages, an welchem sie begonnen hat, betrachtet."

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

Königs, das zur gleichen Zeit i n England gerade entfallen war 4 7 , ein wesentlicher Hebel für die Entwicklung der Diskontinuität zu einem Grundsatz geschaffen worden. Jeremias Benthams Einfluß kam noch einmal und zugleich nachhaltiger und diesmal über die Grenzen Frankreichs hinaus zum Tragen, als er nach Inkrafttreten der ersten Verfahrensregeln unter der Charte versuchte, der Gestaltung des Geschäftsordnungsrechts eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. Als Ansatz dazu diente i h m eine Gegenüberstellung der seinerzeit für die französische Constituante geschaffenen Regeln m i t denen des englischen Unterhauses. I n einer umfassenden Monographie unter dem voluminösen Titel „ A n essay on Political Tactics or Inquiries concerning the discipline and mode of proceeding proper to be observed i n political assemblies: principally applied to the practice of the British Parliament and to the Constitution and situation of the National assembly of France" entwickelte er ein angeblich allgemeingültiges System der Verhandlungsweisen, das gegen 1816 i n französischer Sprache durch den Schweizer Dumont herausgegeben wurde und ein Jahr später durch die Vermittlung eines Dr. Meynier auch i n Deutschland erschien 48 . Das „allgemeine Staatsrecht" oder die „allgemeine Staatslehre" hatte damit einen Vertreter gefunden, der zur Fundierung des Konstitutionalismus den parlamentsrechtlichen Teil lieferte und dabei gleichzeitig m i t der von i h m verursachten Interpretation der Diskontinuität ein Instrument i n die Welt setzte, das die Vormachtstellung der Krone theoretisch wie praktisch untermauerte und ein Bollwerk gegen die schon von Montesquieu abgelehnte „perpétualité" oder Permanenz der Legislative darstellte. Bentham wäre jedoch wahrscheinlich nicht zur gleichen Bedeutung gelangt, wenn i h m und dem monarchischen Prinzip nicht i n Benjamin Constant de Rebecque i n Frankreich ein gleichgesinnter Mitstreiter erwachsen wäre, der die juristischen Überlegungen Benthams politisch umzusetzen verstand. Er trat erstmals 1795 i n Paris als Freund der Madame de Stael auf und war i n dieser Zeit als gemäßigter Republikaner einzuordnen, der sich gegen Royalisten und Terroristen, aber auch gegen jede A r t von W i l l k ü r erklärte 4 9 . Seinen politischen Wandel mach47

Vgl. oben § 4. Oben (Anm. 30). Vgl. auch Hatschek (Anm. 11) S. 432 u n d dessen K r i t i k an Benthams „ T a c t i k " , S. 434 ff., sowie an der gesamten Benthamschen Rechtsquellentheorie, S. 155 ff. I m K e r n läßt sich diese K r i t i k auf die unterschiedliche rechtliche Zuordnung des Geschäftsordnungsrechts zurückführen, w i e sie Hatschek i n seinem Aufsatz: Konventionalregeln oder über die Grenzen naturwissenschaftlicher Begriffsbildung i m öffentlichen Recht, i n : JöR 1909, S. 1 ff., u n d seinem Parlamentsrecht versucht hat. 49 Dolmatowsky, Der Parlamentarismus i n der Lehre B e n j a m i n Constants, i n : ZgStW 1907, S. 600 f. 48

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te er i n den Jahren des revolutionären Umsturzes durch; seine Lehre, wie sie i n den seit 1814 veröffentlichten Schriften niedergelegt ist, fußte auf den Erfahrungen dieser Zeit und beruhte auf dem Gedanken, daß Ziel und Zweck jeder menschlichen Gemeinschaft die Freiheit des Individuums sei. Die individuellen Rechte, die sich außerhalb des Staates befinden, mußten nach seiner Auffassung i n Zukunft geschützt werden; dazu bedurfte es einerseits ihrer Anerkennung durch die öffentliche Meinung, andererseits einer besonderen Einrichtung der Gewalten i m Staate, welche eine Garantie für das Bestehen der Freiheiten bieten sollte 50 . Diesem Zweck zu dienen war die Verfassung bestimmt, die Constant sich nur als konstitutionelle Monarchie vorstellen konnte, die bei i h m die Form der parlamentarischen Monarchie, d. h. eines Staates mit der Vorherrschaft der Volkskammer haben mußte 5 1 . Dem Monarchen wurde dabei die Stellung eines pouvoir neutre 5 2 , einer Gewalt zwischen bzw. über den Gewalten zugewiesen; grundsätzlich passiv, sollte er nur dort eingreifen, wo er eine Gefahr kommen sah: durch Entlassung der Minister bei Ansätzen zur Despotie, durch Auflösung des Parlaments, wenn es zur Tyrannei ausartete. Das Recht zur Gesetzessanktion, ein absolutes Veto gegen alle Gesetze und das Recht zur Einberufung und Vertagung der repräsentativen Versammlungen sowie zur Auflösung der Volkskammer waren deshalb unverzichtbare Bestandteile der Constantschen Doktrin 5 3 . Andererseits sollte diese Volkskammer die i m Zweikammersystem stärkste und bedeutendste Staatsgewalt sein. Sie sollte die öffentliche Meinung möglichst präzise widerspiegeln und deshalb aus freien und direkten Wahlen hervorgehen; ihre Erneuerung hatte deshalb stets vollständig, nicht etwa nur jeweils zu einem Drittel oder Fünftel zu erfolgen 54 und durfte nicht zu häufig stattfinden 55 . Selbstverständlich war, daß eine derartige Kammer das Recht zur Gesetzesinitiative hatte, weil sie nur so die Bedürfnisse des Volkes zum Ausdruck bringen konnte. Zusammen m i t einer parlamentarisch verantwortlichen Regierung m i t aus der Mitte der Kammer stammenden M i nistern 5 6 waren so die Grundlagen eines geschlossenen parlamentarischen Systems gelegt 57 , das — wie schon bei Montesquieu, Blackstone 50

Dolmatowsky (Anm. 49) S. 601. Ders. S. 603. 52 Ders. S. 605, 606. 53 Ders. S. 607. 54 Ders. S. 615. 55 Dolmatowsky (Anm. 49) S. 616 weist darauf hin, daß Constant ursprünglich eine fünfjährige, 1824 als M i t g l i e d der Deputiertenkammer „sogar" eine vierjährige Legislaturperiode gefordert habe. M Dolmatowsky (Anm. 49) S. 617 ff. 57 Dolmatowsky (Anm. 49) S. 624; vgl. dort auch zum Einfluß auf die V e r fassungsentwicklung i n Frankreich, Portugal u n d zuletzt Rußland i m 19. J a h r 51

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

und Bentham — auf englische Vorbilder zurückging, diese aber verselbständigte und damit veränderte. Wie durch den juristischen Analytiker und Systematiker Bentham wurde über den politischen Theoretiker Constant m i t der Idee der parlamentarisch-konstitutionellen Monarchie die Diskontinuität der Parlamentsarbeit i n das kontinentaleuropäische Staatsdenken eingeführt. Die „Väter" waren Bentham und Jefferson, sowie i n weiterem Sinne Constant 58 ; sie trafen auf „Erben", die bereitw i l l i g ihre Gedanken aufnahmen und weiterbildeten. § 6 Die Übernahme des Konstitutionalismus in den süddeutschen Staaten und die Handhabung der Diskontinuität Frankreich hatte m i t der Charte constitutionelle von 1814 das Vorbild für die Verfassungsentwicklung i m übrigen Europa gesetzt, wenn diese auch teilweise nur i n kleinen Schritten und m i t erheblichen, regional unterschiedlichen zeitlichen Verzögerungen vor sich ging. Es w a r eine oktroyierte, d. h. nicht von einem Verfassungskonvent beschlossene oder als Vertrag zwischen der Krone und einer Vertretung der Gesamtnation zustandegekommen, sondern einseitig vom König erlassene Verfassung gewesen. Trotzdem bzw. gerade deswegen wurde sie von der Grundausrichtimg bis h i n zu einzelnen Institutionen beispielhaft für die konstitutionelle Bewegung, die sich über den ganzen Kontinent ausbreitete. Das ohnehin seit dem Westfälischen Frieden bereits zerfallende alte deutsche Kaiserreich w a r 1801 m i t dem Frieden von Lunéville auf die rechts des Rheins gelegenen Gebiete zusammengeschrumpft. Zur Entschädigung der dadurch i n ihrem Besitzstand betroffenen weltlichen Landesherren wurden i m Reichsdeputationshauptschluß von 1803 die geistlichen Territorien säkularisiert und die Mehrzahl der Reichsstände mediatisiert, wobei der Fortbestand der landständischen Verfassungen garantiert blieb 5 9 . Die Reichsverfassung, wie sie i n den Reichsgesetzen hundert. Constant w i r d ausdrücklich auch v o n van Calker (Anm. 9) S. 52 als einer der Väter des Konstitutionalismus genannt. 58 Vgl. dazu noch einmal die Bemerkung Georg Jellineks, Allgemeine Staatslehre, S. 346, Fn. 1. Böckenförde, Der Deutsche T y p der konstitutionellen Monarchie i m 19. Jahrhundert, i n : Conze (Hrsg.), Beiträge zur deutschen u n d belgischen Verfassungsgeschichte i m 19. Jahrhundert, S. 90, nennt Constant — w i e Hegel u n d Lorenz v o m Stein — einen Vertreter der funktionalen Theorie der Monarchie, f ü r die die Stellung des Monarchen aus seiner politischen Funktion, aus den Aufgaben u n d Organisationsnotwendigkeiten des Staates heraus begründet gewesen sei; gegen den aufkommenden Parlamentarismus gewandt, mußte diese Überlegung gerade f ü r die Diskontinuität ihre I n t e r pretation als einseitig eingesetzte Waffe ermöglichen. 69 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 5. A u f l . 1863, 1. Theil, S. 163 f., 251 Fn. 21, 260 ff.

§ 6 Diskontinuität in den süddeutschen Staaten

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und Wahlkapitulationen niedergelegt war, hatte damit ihren Todesstoß erhalten. Als sich die süd- und westdeutschen Staaten unter der Führung Bayerns i m 12. J u l i 1806 zum Rheinbund zusammenschlossen und am 1. August vom Reichsverband lossagten, legte Franz II. die deutsche Kaiserkrone nieder und entband sämtliche Reichsstände und Reichsangehörigen von ihren bisherigen Pflichten. Damit war das alte deutsche Kaiserreich m i t seiner ständischen Verfassung endgültig aufgelöst; aber auch i n den neuen Rheinbundstaaten wurde teilweise sehr w i l l k ü r l i c h über die zumindest auf dem Papier noch vorhandenen landständischen Rechte hinweggegangen 60 . Der durch das Bündnis zwischen Rußland und Preußen ermöglichte Sieg über Napoleon veränderte die Lage erneut. I n A r t . 14 des ersten Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 wurde festgelegt, daß die deutschen Staaten künftig unabhängig und durch einen Föderations-Verband vereinigt werden sollten; die weitere Organisation dieses Bundes blieb einem Kongreß vorbehalten, der dann i n Wien stattfand und mit der Bundesakte vom 8. Juni 1815 sein Verfassungswerk abschloß 61 . Von den zwanzig A r t i k e l n dieser Bundesakte betrafen nur die ersten elf unter der Rubrik „Allgemeine Bestimmungen" das eigentliche Bundesrecht; die übrigen neun befaßten sich als „Besondere Bestimmungen" m i t der gleichmäßigen Ausgestaltung einzelner verfassungsrechtlicher Verhältnisse i n den einzelnen Bundesländern, über deren Vollzug die Bundesversammlung zu wachen haben sollte. Besondere Bedeutung mußte dabei dem A r t . 13 zukommen, i n dem bestimmt wurde: „ I n allen Bundesstaaten w i r d eine landständische Verfassung stattfinden." Das Verlangen danach w a r zur Zeit des Wiener Kongresses weit verbreitet. Der Absolutismus war durch die Erfahrungen der französischen Revolution gebrochen, die Notwendigkeit einer Beteiligung aller Volksklassen an der Regierung unter Einräumung wesentlicher Rechte allgemein anerkannt 6 2 . Als M i n i m u m an solchen Rechten, das ursprünglich auch i n der Bundesakte selbst Aufnahme finden sollte, wurde die Zustimmung der Stände zu den neu zu verfassenden Gesetzen, die Einwilligung i n neu aufzuerlegende Steuern, das Mitaufsichtsrecht über die Verwendung der Steuern und das Recht, i m Falle der „Malversation" die Bestrafung schuldiger Staatsdiener zu verlangen, angesehen 68 . Weil sich Bayern und Württemberg, welche i n der Festlegung eines Maximums oder Minimums der landständischen Rechte eine bedenkliche Beschränkung der Souveränität des Landesherrn zur eo 61 82 M

Zoepfl Zoepfl Zoepfl Zoepfl

(Anm. (Anm. (Anm. (Anm.

59) 1. Theil, S. 135 Fn. 3, 268. 59) 1. T h e i l S. 271 f. 59) 1. T h e i l S. 274 f. 59) 2. T h e i l S. 187 ff.

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

Ordnung der inneren Angelegenheiten sahen, gegen die Aufnahme dieser Prinzipien i n die Bundesakte selbst sträubten, kam es zu der eher allgemein gehaltenen Formulierung des A r t . 13 64 , die i n der Folge dann auch immer wieder Anlaß zu Auseinandersetzungen geben sollte 6 5 und i m Zuge der einsetzenden konservativen Strömungen i n der Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 die weitere Einschränkung erfuhr, daß darunter auch die noch existenten altständischen Einrichtungen zu verstehen seien. Zudem legte A r t . 57 eben dieser Schlußakte fest, daß „die gesamte Staatsgewalt i n dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben" müsse „und der Souverain durch eine landständische Verfassung nur i n der Ausübung bestimmter Hechte an die M i t w i r k u n g der Stände gebunden werden" könne. Damit war das Verbot der Gewaltenteilung bzw. die „ungeschmälerte Erhaltung des monarchischen Princips zur bundesmäßigen Pflicht erklärt worden" 6 6 . Das bedeutet aber auch, daß der Rahmen für die Verfassungsentwicklung i n Deutschland gezogen war. Sie erfolgte i n drei Schüben 67 , die wiederum weitgehend von außen beeinflußt wurden und i m Grunde die Ereignisse i n Frankreich widerspiegeln. Der erste Schub ist für die Zeit von 1814 bis 1830 anzusetzen und brachte vor allem i n den süddeutschen Staaten Verfassungen hervor, die als konstitutionell-monarchisch zu bezeichnen sind und bei Anerkennung des monarchischen Prinzips den Landständen entschieden den Charakter einer allgemeinen Landesvertretung beimaßen. Der zweite Schub von 1830 bis 1848 stand unter dem Eindruck der Doktrinen über die konstitutionelle Monarchie, die i n der französischen Charte von 1830 Eingang gefunden hatten. I n einem dritten Schub — auch hier aber nicht ohne Rückschläge — kamen schließlich stärker demokratisch-parlamentarische Einflüsse zur Geltung, die durch die Ereignisse 1848 i n Frankreich und auch Deutschland Nahrung erhalten hatten. Wie bereits zur Zeit des alten deutschen Kaiserreichs die Anerkennung und Feststellung landständischer Rechte auf zwei Wegen, nämlich durch einseitige landesherrliche „ V e r w i l l i gung" oder durch vertragsmäßige Übereinkunft zwischen Landesherrn und Landständen zustandekam, wurden auch die i n Ausführung von A r t . 13 der Wiener Bundesakte ergehenden Verfassungen entweder ein64

Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 188 f. So verfaßte schon 1819 Friedrich Gentz i m Auftrage Metternichs ein — durchaus einseitiges — Gutachten, m i t dem der Nachweis geführt werden sollte, daß unter „landständisch" keineswegs eine Repräsentativverfassung verstanden werden dürfe; vgl. statt vieler van Calker (Anm. 9) S. 51 Fn. 6. ββ Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 199 f., 244 ff. Z u m monarchischen Prinzip vgl. auch Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I S. 337, Bd. I I S. 37, Bd. I I I S. 12; Forsthoff, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 107 f. 97 van Calker (Anm. 9) S. 55 spricht von „zeitlich u n d kausal scharf geschiedenen Etappen" oder Verfassungswellen. Vgl. zum folgenden auch Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 220 ff. 85

§ 6 Diskontinuität in den süddeutschen Staaten

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seitig vom regierenden Fürsten erlassen oder zwischen den Fürsten und einer Vertretung des Landes vereinbart 6 8 . Den Anfang hatte, noch vor dem Wiener Kongreß, Nassau mit dem Erlaß der Verfassung vom 2. September 1814 gemacht, die die erste Repräsentativverfassung mit einem Zweikammersystem darstellte 69 . Es folgten Luxemburg 7 0 und Sachsen-Weimar 71 . Sodann erhielt Bayern am 26. Dai 1818 eine Verfassung 72 , am 22. August desselben Jahres auch Baden 73 . I n Württemberg hatte König Friedrich schon am 15. März 1815 den Ständen eine Verfassungsurkunde vorgelegt, die aber von diesen abgelehnt wurde, weil sie auf der Anerkennung des „guten alten Rechts" bestanden und eine Verfassung nur durch Vereinbarung anerkennen wollten; diese Vereinbarung kam am 25. September 1819 zustande 74 . Zu dem ersten Verfassungsschub sind sodann noch Hannover 7 5 , das Großherzogtum Hessen 76 und Sachsen-Meiningen zu rechnen 77 . Insbesondere die süddeutschen Verfassungen waren stark von dem gemeinsamen Vorbild der französischen Charte von 1814 bestimmt 7 8 , die alle Voraussetzungen des A r t . 13 der Wiener Bundesakte erfüllte und 68

Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 243 f.; van Calker (Anm. 9) S. 55. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 236; Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte v o m 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, S. 205. 70 Königlich-niederländische Verfassung v o m 24. August 1815; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 220. 71 V o m 5. M a i 1816; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 220 Fn. 1. 72 Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 225; Härtung (Anm. 69) S. 197. 73 Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 227; Härtung (Anm. 69) S. 197. 74 Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 226 f.; von Sarwey, Das Staatsrecht des K ö n i g reichs Württemberg, 1. Bd. S. 6 ff.; Fricker/Gessler, Geschichte der Verfassung Württembergs, S. 157 ff. Vgl. auch van Calker (Anm. 9) S. 56, u n d Böckenförde (Anm. 58) S. 75 Fn. 19. 75 H i e r w a r zunächst am 5. Dezember 1814 die alte landständische p r o v i n zial-landschaftliche Verfassung wiederhergestellt, aber auch schon eine provisorische allgemeine Ständeversammlung berufen worden, m i t welcher über die Rechte, welche den Provinziallandtagen verbleiben sollten, verhandelt wurde. Das Ergebnis w a r ein königliches Patent v o m 7. Dezember 1819 über die Organisation der allgemeinen Ständeversammlung des Königreichs H a n nover; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 226. 76 I m Großherzogtum Hessen w a r durch ein Dekret des Großherzogs v o m 1. Oktober 1806 die frühere landständische Verfassung ganz aufgehoben w o r den. Nach Verhandlungen m i t einer i m M a i 1820 berufenen Ständeversammlung w u r d e dann die Verfassungsurkunde v o m 17. Dezember 1820 verkündet; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 230. 77 Nach der Vereinigung von Sachsen-Meiningen u n d Hildburghausen als gemeinschaftliches Grundgesetz v o m 23. August 1829; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 235. 78 Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 220; Huber (Anm. 66) Bd. I S. 317; Härtung (Anm. 69) S. 205; Forsthoff (Anm. 66) S. 107; Hatschek (Anm. 11) S. 25, 432. Walz, Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 6, nennt jedoch Polen als V o r b i l d für die badische Verfassung. 89

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

sich deshalb als Modell für eine konstitutionell-monarchische Staatsform anbot. Da diese ihrerseits auf, wenn auch durch das Dazwischenschieben der Darstellungen und Interpretationen von Montesquieu, Bentham und anderen 79 veränderte englische Verhältnisse zurückging, erfolgte auf diese Weise eine umfassende Rezeption englischen Rechts, und zwar nicht nur dergstalt, daß übernommen wurde, was i n den Staatsverfassungen Aufnahme gefunden hatte, sondern auch außerhalb des Gesetzes als „lebendige Vernunft" jedes öffentlichen Rechtslebens 80 . Das durch dieWiener Schlußakte noch einmal besonders betonte monarchische Prinzip erfuhr so eine weithin allgemeine Anerkennung, weil es von Blackstone und de Lolme gepredigt worden w a r 8 1 . Aus dem Bestreben heraus, möglichst unmittelbar die englischen Quellen zu studieren, fanden deshalb die Veröffentlichungen von Bentham und Jefferson, die jetzt auch i n deutscher Sprache erschienen, große Beachtung; es wurde immer wieder auf die Nützlichkeit der Erfahrungen hingewiesen, die darin Niederschlag gefunden hatten 8 2 . M i t dem monarchischen Prinzip mußten dann aber auch alle Elemente der königlichen Prärogative, die i n die Tätigkeit der Repräsentativversammlungen hineinwirkten, also auch die Diskontinuität, übernommen werden. Der Monarch war nach diesen Verfassungen alleiniger Träger der gesamten, ungeteilten Staatsgewalt. Lediglich bei der Ausübung gewisser Funktionen, insbesondere der gesetzgebenden Gewalt, war er an die M i t w i r k u n g der Vertretungskörperschaften gebunden. Diese Bindung mußte jedoch ausdrücklich i n der Verfassung festgelegt sein; i m übri79

Vgl. oben § 5. Hatschek (Anm. 11) S. 24 f. 81 Hatschek (Anm. 11) S. 25. 82 Vgl. die Vorrede von Meynier zu der deutschen Ausgabe von Benthams „ T a c t i k " (Anm. 30) S. V : „Es ist zu hoffen, daß i n dem dermaligen wichtigen Moment, w o alle teutschen Staaten m i t dem großen W e r k beschäftigt sind, sich neue ständische Constitutionen zu geben, oder die alten neu zu organisieren, Benthams Theorie die erwünschte Aufmerksamkeit finden u n d bei der Entwerfung neuer Geschäftsordnungen benutzt werden w i r d , zumal da sie beinahe ganz auf den durch so lange Erfahrung als trefflich bewährten Geschäftsgang i n dem britischen Parlament gegründet i s t " ; u n d das V o r w o r t zu der deutschen Ausgabe von Jeffersons „Parliamentary Practice" (Anm. 43) S. 2: „Sämtliche deutschen Fürsten haben diese unabweisliche Forderung des Zeitgeistes anerkannt u n d deshalb die Einführung repräsentativer Verfassungen entweder bereits ins W e r k gesetzt oder doch solche V o r kehrungen getroffen daß an der baldigen E r f ü l l u n g der ertheilten Versprechungen nicht mehr gezweifelt werden kann." Das Buch Benthams erschien i n Erlangen zu einer Zeit, als i n Württemberg gerade der Streit zwischen K ö n i g u n d Ständen über die Verfassung ausgetragen wurde, das Buch Jeffersons i n Berlin, wo der K ö n i g noch nicht daran dachte, eine Verfassung zu geben oder zu vereinbaren! Vgl. aber auch die eher skeptischen Bemerkungen bei Schulze, Das Preußische Staatsrecht auf Grundlage des Deutschen Staatsrechts, 2. Bd., S. 185, der davon spricht, „die englische (Geschäftsordnung) kannte oder v e r stand m a n nicht". 80

§ 6 Diskontinuität in den süddeutschen Staaten

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gen bestand eine uneingeschränkte Kompetenzvermutung zugunsten des Fürsten 8 3 . Dieses eindeutige Übergewicht des Monarchen kam insbesondere i n dem Fehlen des Rechts zur Gesetzesinitiative und i m Fehlen des Selbstversammlungsrechts zum Ausdruck 8 4 . M i t der verfassungsmäßigen Anerkennung der Existenz und Rechte von Vertretungskörperschaften waren diese zwar zu einer ständig vorhandenen Einrichtung geworden 85 , die ohne Verstoß gegen die Bundesakte nicht beseitigt werden konnten und bei denen auch die Auflösung nur den gewählten Abgeordneten das Mandat entzog. Die Häufigkeit und Dauer der Tätigkeit selbst hing aber auch dort, wo die Verfassungen i n bestimmten Abständen „ordentliche" Tagungen als Ausfluß der Steuer- und Haushaltsperioden oder einfach als Auftrag an den Landesherrn vorschrieben 86 oder eine Mindest- oder Höchstfrist der Tagungen vorsahen 87 , allein von diesem ab: Ständeversammlung oder Landtag mußten die Einberufung und Eröffnung durch den Monarchen abwarten und konnten sich, wenn er dies unterließ, nicht aus eigenem Entschluß versammeln; andererseits mußten sie ihre Tätigkeit einstellen, wenn er die Vertagung, Schließung oder Auflösung anordnete 88 . M i t Hilfe dieser von Frankreich übernommenen Rechtsinstitute konnte so jederzeit auf die Arbeit der Vertretungskörperschaft Einfluß genommen werden. Sie waren das Gegenmittel, u m die durch die Legislaturperioden bestimmte Mandatsdauer der gewählten Mitglieder eines Landtages 89 nicht auch zur Funktionsdauer des Landtages selbst werden zu lassen 90 . Wahlperiode und Legis88

Vgl. insbesondere Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 245 Text u n d Fn. 3. So auch Beiz (Anm. 30) S. 10. 85 I m Gegensatz zu den altständischen Versammlungen; oben § 3; vgl. auch Beiz (Anm. 30) S. 10. 86 Vgl. die Zusammenstellung bei Zachariae, Deutsches Staats- u n d Bundesrecht, S. 627 Fn. 12. Außerordentliche Versammlungen konnte der Landesherr jederzeit einberufen, vgl. ebendort u n d Zoepfl (Anm. 59) S. 283, 307 ff. 87 Vgl. Zachariae (Anm. 86) S. 625 Fn. 8. 88 Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 306 f. nennt als „Hoheitsrechte über den Repräsentantenkörper" deshalb ausdrücklich „1) das Hecht, die Ständeversammlung oder den Landtag zu berufen; 2) das Recht, denselben zu eröffnen und zu schließen; 3) das Recht, die Dauer des Landtages zu bestimmen u n d zu verlängern; 4) das Recht, die Ständeversammlung zu vertagen u n d 5) das Recht, sie aufzulösen"; vgl. auch Zachariae (Anm. 86) S. 644f.; von Sarwey (Anm. 74) 2. Bd. S. 198; Göz, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 136; Gaupp, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 110 ff.; Walz (Anm. 78) S. 85 ff.; von Pözl, Lehrbuch des bayerischen Verfassungsrechts, S. 518 ff.; von Sey del/ Graßmann/Piloty, Bayerisches Staatsrecht, 1. Bd. S.288f.; van Calker, Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen, S. 58 f. 89 Die badische Verfassung kannte bei Partialerneuerung zunächst eine achtjährige, die von Bayern, Württemberg, dem Großherzogtum Hessen u n d Sachsen-Meiningen eine sechsjährige Legislaturperiode; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 283 Fn. 1. 90 Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 283 spricht deshalb davon, daß die Abgeordneten „ i n allen Staaten auf eine gewisse A n z a h l von Jahren (für eine sog. 84

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

laturperiode wurden daher nicht begrifflich, aber doch inhaltlich unterschieden 91 ; die schon bei Montesquieu 92 deutlich gewordene Furcht vor der „Permanenz der Legislative", die den gesamten Konstitutionalismus beherrschte, kam darin wieder zum Vorschein, obwohl gerade die Montesquieusche Gewaltenteilungslehre abgelehnt wurde. Durch die Wahlen bzw. die Ernennung der Mitglieder der Ersten Kammern, sofern es solche gab, wurde zunächst nur die Vertretereigenschaft der einzelnen Landtagsmitglieder begründet und damit die Zusammensetzung der Stände bestimmt, ihnen dagegen noch keine staatlichen Funktionen übertragen. Die „organische Wirksamkeit" der Stände begann erst, nachdem die Ständeversammlung formell einberufen und nach erfolgter „Bildung" des Landtags oder der Kammern durch den Landesherrn i n Person oder einen dazu bevollmächtigten Vertreter feierlich eröffnet worden w a r 9 3 . Die Eröffnung war somit die rechtliche Voraussetzung für den Beginn der Tätigkeit des Landtages 94 . Die Einberufung der Stände bildete den Anfang des eigentlichen Handlungsabschnittes, die ebenfalls vom Landesherrn förmlich durch Reskript verfügte und vor versammeltem Landtag dargetane Schließung, i n Württemberg deshalb Entlassung genannt 95 , das Ende dieses Zeitraums. N u r zwischen diesen Eckpunkten galt der Landtag als versammelt, kamen seine Mitglieder i n den Genuß der Immunität und hatten Anspruch auf Diäten. Dabei war die Vorstellung herrschend, „daß die Volksvertretung nur ausnahmsweise, auf kürzere Zeit, versammelt sei" 9 6 . Die Legislaturperiode) gewählt (werden), so daß sie auf den i n diese Perioden fallenden regelmäßigen, sog. ordentlichen, so w i e außerordentlichen Landtagen ihre Funktionen auszuüben befugt sind". 91 Die Verfassungen sprachen v o n Landtagen, Landtagsdauer oder Legislaturperioden. A u f die Notwendigkeit einer Unterscheidung machte aber schon van Calker (Anm. 88) S. 59 Fn. 2 aufmerksam. Vgl. dazu auch den Aufsatz von Arndt (Anm. 22). 92 Vgl. oben § 5. 93 So ausdrücklich van Calker (Anm. 88) S. 58. Den Begriff „ W i r k s a m k e i t " benutzt auch von Pözl (Anm. 88) S. 519. 94 Ä h n l i c h später auch beim Reichstag, vgl. unten § 12. 95 § 186 Abs. 1 W ü r t t V U ; vgl. auch von Sarwey (Anm. 74) 2. Bd. S. 198; Gaupp (Anm. 88) S. 112; Göz (Anm. 88) S. 136. 96 von Sarwey (Anm. 74) 2. Bd. S. 200 Zusatz 2. Vgl. auch die Ausführungen bei Zoepfl (Anm. 59) i n dem 1841 erschienenen zweiten unveränderten A b druck der 1. Auflage, S. 152 f.: „ I n großen Staaten, w i e England u n d F r a n k reich, i n welchen nicht n u r große politische Partheien sich fortwährend i m I n n e r n bekämpfen, sondern auch die Verfassung eine starke Beimischung von Volkssouverainität erhalten hat, u n d das V o l k gewohnt ist, fortwährend m i t misstrauischen Augen die Schritte seiner fast auf die vollziehende Gewalt allein eingeschränkten Regierung zu verfolgen, u n d w o i n jedem Augenblicke Principienfragen auftauchen, hat man alljährliche Versammlungen der Parlamente nicht vermeiden können. F ü r kleinere Staaten, w i e die süddeutschen, empfehlen sich am meisten Versammlungen der Repräsentanten v o n zwei zu zwei, längstens von drei zu drei Jahren. Es muß nämlich hier einerseits dar-

§ 6 Diskontinuität i n den süddeutschen Staaten

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B e s t i m m u n g e n , d i e — w i e i n W ü r t t e m b e r g — aus h i s t o r i s c h e n E r f a h r u n g e n heraus als Schutz s o w o h l gegen d i e N e i g u n g e n des Ständischen Ausschusses, a n S t e l l e d e r S t ä n d e v e r s a m m l u n g e n a u f z u t r e t e n , w i e geg e n d i e absolutistische N e i g u n g , d u r c h N i c h t b e r u f u n g d i e V o l k s v e r t r e t u n g e n z u u m g e h e n 0 7 , i m R a h m e n d e r W a h l p e r i o d e e i n periodisches Z u s a m m e n t r e t e n v o r s a h e n 9 8 , i n d e m sie festlegten, w i e o f t d e r M o n a r c h d e n L a n d t a g e i n z u b e r u f e n h a t t e , w u r d e n deshalb d a d u r c h w i e d e r r e l a t i v i e r t , daß — w i e i n B a y e r n — eine H ö c h s t d a u e r d e r T a g u n g v o n z w e i M o n a t e n vorgesehen w a r , d i e aber w i e d e r u m n u r d e n L a n d t a g , n i c h t dagegen d e n M o n a r c h e n b a n d , d e r sie ohne w e i t e r e s v e r l ä n g e r n konnte99. D i e so d u r c h E i n b e r u f u n g u n d S c h l i e ß u n g e i n g e g r e n z t e n „ W i r k s a m k e i t s p e r i o d e n " des L a n d t a g s k o n n t e n d u r c h d i e ebenfalls i n die H a n d des M o n a r c h e n gelegte M ö g l i c h k e i t d e r V e r t a g i m g n o c h w e i t e r gesteuert w e r d e n . E i n e solche a u f b e s t i m m t e oder u n b e s t i m m t e Z e i t ausgesprochene V e r t a g u n g u n t e r b r a c h d i e T ä t i g k e i t des L a n d t a g e s , b r a c h t e d i e Geschäfte v o r ü b e r g e h e n d z u m R u h e n u n d n a h m d e n A b g e o r d n e t e n n e b e n d e n D i ä t e n d i e I m m u n i t ä t 1 0 0 . W o d i e V e r f a s s u n g e n ständische A u s -

auf Rücksicht genommen werden, daß die Repräsentation selbst nicht f ü r das L a n d zu kostspielig, u n d die Regierung nicht durch die — (bei dem gewöhnlichen Mangel großer Fragen u n d der Beschränktheit der politischen V e r h ä l t nisse natürliche) — Verhandlung u n d Nachweisung specieller, m i t u n t e r oft i n das Kleinliche gehender Detaüs zu sehr i n Anspruch genommen u n d von den laufenden Geschäften abgezogen werde, u n d Zeit erhalte, die m i t der Repräsentation gefassten Beschlüsse gehörig zur Ausführung zu bringen; — anderseits aber darf die Periode bis zur Wiederversammlung der Repräsentanten nicht zu w e i t bestimmt werden, damit nicht die Ministerien sicli zu sehr an das uncontrollirte Verordnen u n d Verfügen gewöhnen, u n d dadurch verleitet werden, i n der Repräsentation mehr eine Last, als eine Stütze der Regierung zu97sehen, u n d damit auch das des Volkes an seinen verfassungsvon Sarwey (Anm. 74) 2. Bd.Interesse S. 200 Zusatz 2. 98 mässigen Rechten u n d uderen Ausübung genährt u n d erhalten werde." I n Württemberg n d Bayern ζ. B. w a r bei sechsjähriger Wahlperiode eine dreijährige Landtagsperiode vorgesehen, d . h . der Landtag m u l i te i n einer Wahlperiode mindestens zweimal einberufen werden. M i t dem Ubergang zu zweijährigen Budgetperioden w u r d e § 6 T i t e l V I I Bay V U ausdrücklich geändert; seit 1840 hatte der K ö n i g neun, ab 1865 drei Monate vor A b l a u f der Budgetperiode den K a m m e r n das Budget f ü r die folgende Periode vorzulegen; vgl. von Pözl (Anm. 88) S. 518; von Sey del/ Graßmann/Piloty (Anm. 88) 1. Bd. S. 288. I n Württemberg blieb auch nach Einführung des f ü r die süddeutschen Staaten charakteristischen zweijährigen Etats die dreijährige „Landtagsperiode" als „Hauptabschnitt der sechsjährigen Wahlperiode" erhalten; vgl. von Doli, Die Staatsrechtlichen Verhältnisse des Deutschen Reiches u n d des Königreichs Württemberg, S. 98; Göz (Anm. 88) S. 136; Gaupp (Anm. 88) S. 111; u n d die K r i t i k durch von Sarwey (Anm. 88) 2. Bd. S. 200 Zusatz 2. 99 von Pözl (Anm. 88) S. 519; von Sey del/ Graßmann/Piloty (Anm. 88) 1. Bd. S. 288. 100 Göz (Anm. 88) S. 137; Gaupp (Anm. 88) S. 111; von Doli (Anm. 98) S. 98; von Seydel/Graßmann/Piloty (Anm. 88) 1. Bd. S. 289. Ä h n l i c h auch Pözl (Anm. 88) S. 519, obwohl bei i h m offenbleibt, ob auch die I m m u n i t ä t entfiel. Walz (Anm. 78) S. 86. 5 Jekewitz

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

schüsse vorsahen, traten diese i n Funktion 1 0 1 . Die Kammern als solche blieben jedoch konstituiert, behielten also ihre Vorstände, Sekretäre und Ausschüsse bei 1 0 2 . Nach Ablauf einer vorher festgelegten Vertagungsfrist traten die Stände formlos wieder zusammen; bei Vertagung auf unbestimmte Zeit mußten sie durch königliche Verordnung einberufen werden 1 0 8 . Die Arbeiten wurden anschließend an dem Punkte wieder aufgenommen, wo sie liegengeblieben waren 1 0 4 . Eine zeitliche oder zahlenmäßige Beschränkung der Vertagungen gab es nicht; eine Vertagung konnte innerhalb einer Landtagsperiode so oft und so lange angeordnet werden, wie es dem Monarchen beliebte 1 0 5 . Dauerte eine Vertagung allerdings bis über den nächsten, von der Verfassung für einen ordentlichen Landtag vorgesehenen Termin, verwandelte sie sich mit Eintreten dieses Termins automatisch i n eine Schließung 108 . Vertagungen auf kurze Zeit aus eigener Entscheidung der einzelnen Kammer heraus kamen vor, waren aber nur als Ausdruck der Sitzungsautonomie geduldet, da sie grundsätzlich dem System widersprachen 107 . Sie konnten deshalb nicht als Vertagung i m Rechtssinne angesehen werden 1 0 8 ; der Landtag galt als versammelt, auch wenn er seine Sitzungen ausgesetzt hatte 1 0 9 . Die einschneidende Zäsur i n der Arbeit der Ständeversammlungen des frühen Konstitutionalismus war also die durch Eröffnung und Schließung determinierte Zeit der aktuellen Wirksamkeit. Sie war die eigentliche „Sitzungsperiode", m i t der der Landesherr i m Rahmen der i h m dabei entsprechend dem monarchischen Prinzip weitgehend freie Hand lassenden Verfassung die M i t w i r k u n g der Vertretungskörperschaft strukturierte. Eine Auflösung hatte gegenüber der Schließung deshalb nur die weitere Folge, daß bei der nächsten Einberufung neugewählte, eventuell andere und vielleicht willfährigere Mitglieder erschienen 110 . Meist ging einer Auflösung daher die Schließung oder Ent101

von Doli (Anm. 98) S. 98. von Pözl (Anm. 88) S. 519. 103 Walz (Anm. 78) S. 86; von Doli (Anm. 98) S. 99; Göz (Anm. 88) S. 137; Gaupp (Anm. 88) S. 111. 104 von Pözl (Anm. 88) S. 519. 105 von Pözl (Anm. 88) S. 519; von Seydel/Graßmann/Piloty (Anm. 88) 1. Bd. S. 289. 106 Walz (Anm. 78) S. 86. 107 Vgl. von Seydel/Graßmann/Piloty (Anm. 88) 1. Bd. S. 289; von Doli (Anm. 98) S. 98. 108 van Calker (Anm. 88) S. 59; als Beispiel ist dort eine Unterbrechung über Weihnachten genannt. Vgl. auch Walz (Anm. 78) S. 86, der eine U n t e r brechung der Tätigkeit m i t Rücksicht auf den Geschäftsstand, insbesondere u m Zeit zur besseren Vorbereitung der Arbeiten zu gewinnen, erwähnt. 109 von Doli (Anm. 98) S. 98. 102

§ 6 Diskontinuität in den süddeutschen Staaten

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lassung voraus. Nur wenn keine Auflösung stattfand, endete die „Funktion" der Kammer m i t dem Ablauf der eigentlichen Wahlperiode 1 1 1 . K a m der personellen Diskontinuität 1 1 2 als Ausfluß der Legislaturperiode somit keine oder allenfalls eine politische Rolle zu, insoweit, als der Landesherr versuchen konnte, durch Auflösung und Neuwahl eine seinen Wünschen eher entsprechende Vertretungskörperschaft versammelt zu sehen, so hatte die Organ-Kontinuität oder -Diskontinuität 1 1 3 , insbesondere i m Hinblick auf die durch Schließung geschaffenen Handlungsabschnitte schon größere Bedeutung. Bereits bei dem Streit zwischen König und Ständen u m die württembergische Verfassung 114 war die Frage wichtig gewesen, ob der frühere Ständische Ausschuß, der das Selbstversammlungsrecht besessen hatte und gerade zwischen den einzelnen Ständeversammlungen zusammengetreten w a r 1 1 5 , i n neuer Form als Zwischenorgan wiederkehren solle, nachdem die Festlegung auf jährliche Landtage von den Ständen nicht hatte durchgesetzt werden können 1 1 6 . Der deutsche Herausgeber des „Parliamentary Practice" hielt es deshalb für erforderlich, die Darstellung Jeffersons zur Unterscheidung zwischen Vertagung und Schließung, es sei „verstattet Ausschüsse zu erneuern und diese anzuweisen während der Vertagung Sitzungen zu halten und die an sie verwiesenen Gegenstände zu bearbeiten; während der Aussetzung darf hingegen auch kein Ausschuß bestehen", u m eine eigene Anmerkung zu ergänzen, i n der unter Bezugnahme auf eben diesen württembergischen Streit noch einmal deutlich gemacht wurde, daß eine Permanenz oder Kontinuität auch nur von Teilen der Vertretungskörperschaft mit der konstitutionellen Monarchie nach deutscher Auffassung unvereinbar sei 1 1 7 . 110 Vgl. von Pözl (Anm. 88) S. 520, nach dem der Zweck der Auflösung ausdrücklich darin liegt, „eine andere Zusammensetzung des Landtags zu v e r anlassen". Nach § 44 Bad. V U hatte f ü r den Fall, daß die Auflösung erfolgte, bevor der Gegenstand der Beratung erschöpft war, längstens innerhalb drei Monaten eine N e u w a h l stattzufinden; vgl. Walz (Anm. 78) S. 87. Auch die anderen süddeutschen Staaten kannten Bestimmungen, die f ü r eine N e u w a h l Fristen setzten; vgl. Göz (Anm. 88) S. 138; Gaupp (Anm. 88) S. 112. 111 Göz (Anm. 88) S. 138; Gaupp (Anm. 88) S. 112. 112 Vgl. oben § 2. Der Begriff Diskontinuität selbst tauchte erst i n der M i t t e des 19. Jahrhunderts i m deutschen Staatsrecht auf; so auch Beiz (Anm. 30) S. 11 Fn. 62. 118 Z u m Begriff vgl. oben § 2. 114 Vgl. oben. 115 Vgl. oben § 3. 118 Fricker/Gessler (Anm. 74) S. 233. 117 (Anm. 43) S. 233. „Die oben berührte Frage hat bekanntlich bei den w ü r t tembergischen Verhandlungen über Einführung einer neuen Ständeverfassung zu lebhaften Discussionen Veranlassung gegeben. Es erhellt aus dem was der Verfasser anführt, daß weder i n England noch i n Nordamerika sogenannte permanente Ausschüsse bestehen, auch scheint es keinem Zweifel zu u n t e r -

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

D i e bayerische V e r f a s s u n g b e s t i m m t e d a n n auch r i g o r o s : w e n n eine L a n d t a g s v e r s a m m l u n g „ v e r t a g t , f ö r m l i c h geschlossen oder aufgelöst w o r d e n ist, k ö n n e n d i e K a m m e r n n i c h t m e h r g ü l t i g beratschlagen, u n d jede fernere V e r h a n d l u n g ist ungesetzlich"118. W ä h r e n d L a n d t a g bzw. S t ä n d e v e r s a m m l u n g b e i e i n e r V e r t a g u n g t r o t z des V e r b o t s z u m T ä t i g w e r d e n aber k o n s t i t u i e r t b l i e b e n , v e r l o r e n sie d u r c h d i e S c h l i e ß u n g „ i h r e c o l l e g i a l e E i g e n s c h a f t " 1 1 9 ; d u r c h die E n t l a s s u n g w u r d e d e r L a n d tag, also d i e k o n k r e t e W i r k u n g s e i n h e i t , b e e n d i g t 1 2 0 ; es e n t s t a n d eine „landtagslose Z e i t " 1 2 1 . E i n nach einer Schließung w i e d e r berufener, „ w e n n auch aus denselben Personen bestehender L a n d t a g " w u r d e desh a l b „ a l s e i n n e u e r " 1 2 2 ; angesehen. E r m u ß t e sich n e u k o n s t i t u i e r e n , d. h. sein P r ä s i d i u m , s o w e i t i h m dieses Recht zugestanden w a r , u n d seine Ausschüsse n e u w ä h l e n 1 2 3 . O b w o h l die M i t w i r k u n g des V o l k e s b z w . e i n e r d u r c h Besitz oder B i l d u n g p r i v i l e g i e r t e n Schicht a n d e r R e g i e r u n g des L a n d e s i n F o r m v o n V e r t r e t u n g s k ö r p e r s c h a f t e n v o n der V e r f a s s u n g festgelegt w a r , also eine a b s t r a k t - i n s t i t u t i o n e l l e E i n r i c h t u n g der S t ä n d e v e r s a m m l u n g i m m e r v o r h a n d e n w a r , gab es d e n L a n d -

liegen, daß eine solche, bei Gelegenheit der württembergischen Verhandlungen häufig als zu Erhaltung der Volksrechte unumgänglich nöthig angepriesene Institution, m i t dem Wesen einer v e r n ü n f t i g angeordneten Repräsentat i o n durchaus unverträglich ist, w e i l auf solche Weise der T h e i l der gesetzgebenden Gewalt, welcher zu jeder Zeit den reinsten Ausdruck der öffentlichen Meinung, i n ihrer lebendigen Allgemeinheit enthalten soll, leicht einen starren, sektenartigen K a r a k t e r annimmt." Gerade i n Württemberg hatte sich aber aus dem Verfassungsstreit das Recht gerettet, m i t dem Ständischen A u s schuß Vertagungen u n d Entlassungen zu „überbrücken". Dieser Ausschuß konnte m i t Genehmigung der Regierung sogar ermächtigt werden, während einer Vertagung von sich aus die Kommissionen einzuberufen; vgl. von Doli (Anm. 98) S. 98 f. Z u den, nicht n u r wegen Fehlens einer I n s t i t u t i o n w i e des 118 Tit. V I I § 31 Bay V U . Vgl. auch von Pözl (Anm. 88) S. 520; von Sey dell Ständischen Ausschusses n Bayern o l l k289; o m mHillmann, e n anders Die gelagerten VerhältnisGraßmann/Piloty (Anm. i88) 1. Bd. vS. Durchführung des sen vgl. von Pözl (Anm. 88) S. 519i mu nReich d unten 118). S. 5. Grundsatzes der Diskontinuität u n d(Anm. i n Bayern, 110 von Pözl (Anm. 88) S. 520. 120 von Sarwey (Anm. 88) Bd. 2 S. 198. 121 von Sey dell Graßmann/Piloty (Anm. 88) 1. Bd. S. 289. Deshalb t r a t i n den Ländern, die als R e l i k t des „alten Rechts" einen ständischen Ausschuß kannten, dieser, der bei Entlassung eines ordentlichen Landtags jeweils vorher zu wählen war, i n K r a f t ; vgl. von Sarwey (Anm. 88) Bd. 2 S. 189; Göz (Anm. 88) S. 137 f.; Gaupp (Anm. 88) S. 112; Walz (Anm. 78) S. 87. 122 von Pözl (Anm. 88) S. 520; Göz (Anm. 88) S. 138; Gaupp (Anm. 88) S. 112. 128 von Pözl (Anm. 88) S. 520; Göz (Anm. 88) S. 138; Gaupp (Anm. 88) S. 112; von Doli (Anm. 98) S. 99. Nach von Sarwey galt dies i n Württemberg n u r für die Kommissionen, da das Präsidium auch nach E i n f ü h r u n g der zweijährigen Budgetperiode n u r für die ordentliche dreijährige Landtagsperiode gewählt w u r d e ; es ist dies eine der Ungereimtheiten, die nach seiner Auffassung „der Richtigstellung dringend bedürftig" waren; vgl. auch Bd. 2 S. 200 Zusatz 2. Z u der 1848 eingeführten O r g a n - K o n t i n u i t ä t der bayerischen Staatsschuldenkommission vgl. von Pözl u n d von Seydel/Graßmann/Piloty (Anm. 88) 1. Bd. S. 289.

§ 6 Diskontinuität in den süddeutschen Staaten

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tag als konkret-personelle Einheit nur während der eigentlichen W i r kungsperiode; i n der Zwischenzeit wurden höchstens seine Funktionen teilweise von einem Ständischen Ausschuß wahrgenommen. OrganKontinuität lag damit allenfalls bei dem Organ Landtag vor; für die konkrete Körperschaft mußte jedoch m i t der Schließung von OrganDiskontinuität ausgegangen werden, die sich auch auf die Organe des Landtages selbst, also die Präsidenten, die Sekretäre und Ausschüsse erstreckte. Soweit Organ-Diskontinuität auch für die Verfahrensregeln hätte angenommen werden können, w a r dies ausgeschlossen, da die Geschäftsordnungen nach französischem Vorbild und unter dem Einfluß von Bentham noch als Ausfluß des Vereinsrechts angesehen wurden und i n dem Teil, der das Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen betraf, durch Gesetz erlassen wurden 1 2 4 . M i t der Schließung verbanden die süddeutschen Staaten aber — ebenfalls unter französischem Einfluß — i n Theorie und Praxis die sachliche Diskontinuität 1 2 5 i m Sinne einer Vernichtung aller angefangenen, jedoch nicht zum Abschluß gebrachten Arbeiten des Landtags selbst und seiner Kommissionen 126 . Entsprechendes galt für Auflösung und Ablauf der Legislaturperiode 127 , die von daher kein eigenes Instrument darstellten, sondern nur zusätzliche Rechtsfolgen hatten. I n dieser sachlichen Diskontinuität war der — auch politisch bewußte — Unterschied zwischen Vertagung und Schließung zu sehen. Es w a r deshalb aus der Sicht der konstitutionellen Monarchie durchaus nicht „sinnlos", beide Instrumente i n die Hand des Monarchen zu legen, wie Hatschek aus dem Blickwinkel des englischen Parlamentarismus gemeint hatte 1 2 8 . Gerade solange Landtag bzw. Ständeversammlungen kein Initiativrecht hatten, sondern darauf angewiesen waren, den Monarchen i m Wege einer „Gesetzespetition" um die Vorlage eines Gesetzes zu bitten 1 2 9 , konnten auf diese Weise die tatsächlichen Ergebnisse der Arbeit der Vertretungskörperschaften gesteuert werden 1 3 0 . Die Diskontinuität war deshalb dazu 124

Vgl. auch Hatschek (Anm. 11) S. 433, 441. Vgl. auch Beiz (Anm. 30) S. 11. 126 von Mohl, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 1. Bd. S. 597; von Sarwey (Anm. 88) 2. Bd. S. 199; Göz (Anm. 88) S. 137; Gaupp (Anm. 88) S. 112; von Doli (Anm. 98) S. 99; von Pözl (Anm. 88) S. 520; von Sey del/ Graßmannt Piloty (Anm. 88) 2. Bd. S. 288; Walz (Anm. 78) S. 86; van Calker (Anm. 88) S. 59. 127 von Mohl (Anm. 126) 1. Bd. S. 598 f.; von SeydelfGraßmann/Piloty (Anm. 88) 2. Bd. S. 288. 128 (Anm. 11) S. 430; vgl. auch oben A n m . 39. 129 § 172 Abs. 1 W ü r t t V U . I n Württemberg erhielt die Ständeversammlung das Initiativrecht erst 1874; vgl. auch Beiz (Anm. 30) S. 10 u n d Fn. 54. 130 Vgl. auch ausdrücklich von Sarwey (Anm. 88) 2. Bd. S. 199 Fn. 1: „Die unerledigten Vorlagen braucht die Regierung daher nicht zurückzuziehen. Eine spätere Versammlung k a n n sie nicht als anhängig betrachten. W i l l die Regie125

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

geeignet, die Rechte des Monarchen gegenüber seinem Parlament weiter zu verstärken, und entsprach somit v o l l dem monarchischen Prinzip 1 3 1 . Daß englisches Recht damit gleich zweimal verändert worden war, wurde nicht erkannt. Indem man nämlich nicht verlangte, daß ein beschlossenes Gesetz zu seiner Wirksamkeit vor Schließung des Landtags auch die Zustimmung des Monarchen i n Form der Sanktion erhalten haben mußte 1 3 2 , wurde die Kautelwirkung, aus der heraus die Diskontinuität i m englischen Verfassungsrecht entstanden war und die nur aus der Rechtsfigur des „ k i n g i n Parliament" 1 3 3 , die dem deutschen Konstitutionalismus fremd sein mußte, verstanden werden konnte, i n ihr Gegenteil verkehrt 1 3 4 .

§ 7 Ansätze zur Durchbrechung und Umgehung der Diskontinuität im Bereich der süddeutschen Verfassungen Aus dem Widerspruch zwischen der Vorstellung, daß die Volksvertretung nur ausnahmsweise, auf kürzere Zeiten, versammelt sei, und den Anforderungen eines modernen Staates heraus mußte die Diskontinuität sich schon bald als Hindernis für sachliche Arbeit erweisen. Schon i n frühkonstitutioneller Zeit wurde deshalb nach Möglichkeiten gesucht, sie einzuschränken oder zu überwinden. Das galt sowohl für die sachliche Diskontinuität wie für die Organ-Diskontinuität bei den Ausschüssen. Man empfand es als „großen Übelstand" 1 3 5 , daß eine Gesetrung, daß sie v o n der späteren Versammlung erledigt werden, so müssen sie bei derselben w i e neue Vorlagen eingebracht werden". Soweit er weiter davon spricht, daß nicht ausgeschlossen sei, „daß eine K a m m e r frühere Arbeiten, welche durch die Entlassung des Landtags h i n f ä l l i g wurden, sachlich wieder aufnimmt, sie als ihre Arbeiten u n d Anträge behandelt", bezieht er sich auf die Zeit nach 1874; vgl. auch von Doli (Anm. 98) S. 99. 181 Beiz (Anm. 30) S. 11 Fn. 66 weist zurecht darauf hin, daß Scheuner (Anm. 2) S. 511 insoweit i r r t , w e n n er i n der Diskontinuität auch eine Selbstbindung der Exekutive sieht. 182 von Mohl (Anm. 126) S. 203; von Sarwey (Anm. 88) 2. Bd. S. 61 f.; Gaupp (Anm. 88) S. 72. 188 Vgl. oben § 4. 184 Entgegen der Auffassung v o n Beiz (Anm. 30) S. 13 handelte es sich also nicht u m eine „geringfügige" Abänderung. Hatschek (Anm. 11) Bd. 1 S. 357 hatte dies richtig erkannt, w e n n er später den „Diskontinuitätsschwärmern", die diese Seite der Diskontinuität auch f ü r Deutschland verlangten, entgegentrat; seine eigene H a l t u n g ist dabei unbewußt zwiespältig: während er die Übertragung des Vertagungsrechts auf den Monarchen aus seiner Kenntnis der englischen Parlamentsgeschichte heraus als „sinnlos" ansehen mußte, mußte er die Forderung nach der Sanktion v o r Sessionsschluß aus der Bejahung des monarchischen Prinzips heraus ablehnen. Vgl. auch unten § 14. 185 So der Abgeordnete Mosthaf am 16. Dezember 1835; Verhandlungen der K a m m e r der Abgeordneten des Königreichs Württemberg i m Jahr 1835, Bd. 2 S. 69. Vgl. auch Beiz (Anm. 30) S. 13.

§ 7 Ansätze zur Durchbrechung und Umgehung

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zesvorlage, die bei der Schließung noch nicht verabschiedet war, i m nächsten Landtag neu eingebracht und neu beraten werden mußte. Da König und Stände i n diesem Falle daran interessiert waren, die betreffenden Vorlagen verabschiedet zu sehen, kam es i n Württemberg zu einem Ubereinkommen, als dessen Ergebnis das „Königliche Reskript vom 12. Dezember 1835, den Ubergang unerledigter Gesetzes-Entwürfe auf den nächsten Landtag betreffend" 1 3 6 erging. I n diesem Reskript wurde die Ständeversammlung ersucht, ihre Zustimmung zu einem von der Diskontinuität abweichenden Verfahren zu geben. Die bereits eingebrachten Gesetzentwürfe sollten i m nächsten Landtag i n dem Stande, i n dem sie sich i m Augenblick der Entlassung befanden, „ohne die sonst erforderlichen Förmlichkeiten" wiederaufgenommen werden. Die K a m mermitglieder erteilten ihre Zustimmung 1 3 7 , w e i l von seiten der Ständeversammlung eine solche Verfahrensweise ebenfalls für zweckmäßig erachtet wurde. Es blieb jedoch bei diesem einen Fall der Durchbrechung der Diskontinuität 1 3 8 . Ähnlich, aber durch Gesetz, nicht durch Vereinbarung, war schon 1831 i n Bayern vorgegangen worden 1 3 9 . Hier war jedoch nicht die sachliche Diskontinuität 1 4 0 , sondern die Organ-Diskontinuität das Hindernis, das es zu überwinden galt. Dabei spielte die i m Verhältnis zu Württemberg und Baden andere geschichtliche Tradition und Erfahrung eine Rolle, weil Bayern nie einen ständischen Ausschuß gekannt und i h n deshalb auch m i t der neuen Verfassung nicht beibehalten bzw. eingeführt hatte. Vertagung und Schließung wurden deshalb als sehr viel härterer Einschnitt auch für die Tätigkeit der Kommissionen gewertet 1 4 1 . Zusammen 136 Verhandlungen der K a m m e r der Abgeordneten des Königreichs W ü r t temberg i m Jahr 1835, Bd. 2 S. 78. 187 „Adresse der K a m m e r der Abgeordneten über die Wiederaufnahme der bei diesem Landtag eingebrachten, noch nicht zur Verabschiedung gelangten Gesetzes-Entwürfe auf dem nächsten Landtag" (Anm. 136) S. 71. iss v g l v o n Sarwey (Anm. 88) 2. Bd. S. 199 Fn. 1, der ausdrücklich K r i t i k i n diesem F a l l übt u n d eine generelle Bestätigung f ü r „ u n s t a t t h a f t " erklärt. Von Mohls Buch erschien 1840, v o n Sarweys erst 1883! I n der Zwischenzeit hatte sich die Einstellung des deutschen Staatsrechts zur Diskontinuität unter preußischem Einfluß gewandelt; vgl. auch unten § 9. is® v g l z u m folgenden die sehr detaillierte Nachzeichnung der bayerischen Ansätze bei Hillmann (Anm. 118) S. 5 ff. Beiz (Anm. 30) S. 13 u n d Fn. 79 bezieht sich n u r auf v o n Pözl u n d ist damit ungenau, wobei i h m zugutegehalten werden muß, daß die Veröffentlichung H i l l m a n n s weitgehend unbekannt geblieben ist. 140 Natürlich ging es dabei auch u m die sachliche Diskontinuität, aber n u r als Folge der Organ-Diskontinuität. 141 Vgl. die oben (Anm. 88) zitierten Veröffentlichungen zum bayerischen Staatsrecht, wobei zu beachten ist, daß sie sämtlich erst i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen sind, als es bereits eine Reihe v o n praktischen Erfahrungen m i t dem Konstitutionalismus u n d dem monarchischen Prinzip gab.

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

m i t der von der bayerischen Verfassung vorgesehenen Landtagsdauer von nur zwei Monaten ergab sich daraus die faktische Unmöglichkeit, umfangreichere Gesetze i n Ausschuß und Plenum abschließend zu beraten. Da der König jedoch auf die Gesetzgebung und dabei auf die M i t w i r k u n g des Landtags angewiesen war, mußte auch i n Bayern die I n i tiative zu einer Vermeidung der negativen Auswirkungen der Diskontinuität von i h m ausgehen. Die zur Begründung des entsprechenden, die Ausschüsse auch bei Vertagung und Schließung des Landtags m i t Ermächtigung des Königs zur Beratung von Gesetzesvorlagen verpflichtenden Gesetzentwurfs, der i n Bayern erforderlich erschien, w e i l damit gegen den eng verstandenen Wortlaut der Verfassung gehandelt werden sollte, von dem Staatsminister der Justiz vorgetragenen Argumente machten das Dilemma deutlich, i n das auch das Diskontinuitätsverständnis des deutschen Frühkonstitutionalismus die Krone bereits bringen konnte 1 4 2 . I m Ausschuß selbst 143 fand der Entwurf, wie zu erwarten war, Zustimmung 1 4 4 ; i m Plenum erhoben sich dagegen Bedenken, weil man einen Zuwachs der Rechte der Ausschüsse auf Kosten des Einflusses und der Macht der Kammer befürchtete 145 , wobei das Beispiel der Ständischen Ausschüsse durchaus noch bewußt war. Als Kompromiß erging das Gesetz zunächst als einfaches, allerdings verfassungsdurchbrechendes, wurde aber hinsichtlich seiner Geltungsdauer auf die Wahlperiode der damaligen zweiten Kammer begrenzt 146 . 142 Staatsminister der Justiz Freiherr von Zentner, Verhandlungen der K a m m e r der Abgeordneten 1831 Bd. I I Prot. V I S. 6 ff.: „Das Schicksal der beiden an die vorige Ständeversammlung gebrachten Gesetzentwürfe hat zur Genüge gezeigt, daß während der Dauer einer Versammlung k a u m ein einziger E n t w u r f aus der Beratung des betreffenden Ausschusses einer einzigen K a m m e r auch bei angestrengtester Tätigkeit ihrer Mitglieder hervorzutreten vermochte. Soll n u n noch die Beratung dieser K a m m e r selbst folgen, soll ferner die neue gesonderte Prüfung des Gesetzgebungsausschusses der anderen K a m m e r u n d endlich noch deren eigene Beratung hinzukommen, so dürfte nach diesem Gang der Dinge auch unter den günstigsten Voraussetzungen schon wegen der Länge der erforderlichen Zeit die Durchführung auch n u r eines einzigen Gesetzbuches i m Laufe der nämlichen Sitzungsperiode der v e r sammelten Stände k a u m zu hoffen sein. E i n bedeutender Schritt auf Beseitigung dieses Hindernisses w i r d unverkennbar dadurch geschehen, w e n n i n beiden K a m m e r n die Ausschüsse, welche zunächst zur Prüfung der Entwürfe der Gesetzbücher gewählt u n d berufen sind, ermächtigt werden, sich dem so wichtigen u n d weitaussehenden Geschäfte ohne Unterbrechung auch nach beendigten Sitzungen der Ständeversammlung zu unterziehen." 143 I n Bayern mußten Gesetzentwürfe zunächst an einen besonderen Gesetzgebungs- (Ständigen) Ausschuß der K a m m e r der Abgeordneten, dann i n deren Plenum, anschließend i n einem Gesetzgebungs-Ausschuß der K a m m e r der Reichsräte u n d dann v o n diesen selbst beraten werden. 144 K a m m e r der Abgeordneten, Beilagen 1831, Bd. I I Nr. X . 145 Abgeordneter Freiherr von Closen (Anm. 142) Prot. X V I , S. 26 ff. Vgl. auch die Erwiderung des Staatsministers der Justiz, die eine der ersten klassischen Begründungen f ü r die Definition moderner Parlamentsausschüsse als lediglich vorbereitende Beschlußorgane enthält.

§ 7 Ansätze zur Durchbrechung und Umgehung

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Dieses „Gesetz über die Behandlung neuer oder revidierter Gesetzbücher" vom 9. August 1831 147 fand i m 5. Dezember 1831 erstmals A n wendung. M i t einem königlichen Reskript wurden die Kammern aufgefordert, Gesetzgebungs-Ausschüsse zu wählen. Der der Kammer der Abgeordneten nahm nach Vertagung des Landtags am 17. Dezember 1831 seine Arbeit auf und verhandelte über die i h m vorgelegten Gesetzentwürfe 1 4 8 , wurde am 26. November 1832 durch Allerhöchstes Reskript aber bis auf weiteres vertagt, „da die zur reiferen Bearbeitung der Sache erforderlichen Gutachten noch nicht eingekommen sind" 1 4 9 . Nach Ablauf der Legislaturperiode erging das Gesetz vom 9. J u l i 1834 150 , „die fernere Behandlung neuer oder revidierter Gesetzbücher betreffend", das insoweit einen Schritt weiterging, als die Gesetzgebungs-Ausschüsse beider Kammern auf königliche Einberufung hin i n der Zeit zwischen der laufenden und der folgenden Landtagssession tagen und auch über solche Gesetzentwürfe beraten sollten, die ihnen dann unmittelbar, also nicht zuerst den versammelten Ständen, vorgelegt werden würden 1 5 1 . Zu einer solchen Einberufung kam es dann zwar nicht; die Unzufriedenheit der Krone über das langwierige Verfahren der Gesetzgebung i m Landtag fand aber noch mehrfach Ausdruck 1 5 2 . Zur Beschleunigung der Einführung der Trennnung von Justiz und Verwaltung und eines auf Öffentlichkeit und Mündlichkeit aufbauenden Rechtsverfahrens griffen 1847 Mitglieder der zweiten Kammer den i n den genannten Gesetzen geäußerten Gedanken wieder auf und brachten einen Antrag ein, den König zu ersuchen, noch i m Laufe dieses Landtages ein Gesetz über das Gesetzgebungsverfahren einbringen zu lassen, das die GesetzgebungsAusschüsse beider Kammern von dem Zwang, ihre Arbeiten bei Vertagung oder Schließung des Landtags einzustellen, und damit der OrganDiskontinuität befreien sollte. Die Begründung, die der Berichterstatter 146 Vgl. Hillmann (Anm. 118) S. 7 u n d die dort i m Einzelnen dargestellte Entstehungsgeschichte. 147 GBl. S. 5. 148 Strafgesetzbuch, Gesetzbuch über das Verfahren i n Strafsachen, Z i v i l prozeßordnung, Promulgationsgesetz, Gesetz über das Verfahren der Polizei zur S t i l l u n g von A u f r u h r u n d T u m u l t ; vgl. Hillmann (Anm. 118) S. 8. 149 Bericht der K a m m e r der Abgeordneten 1834, Beilagen I I S. 37 ff.; vgl. Hillmann (Anm. 118) S. 8. 150 GBl. S. 34. 151 Vgl. die Begründung durch den Staatsminister der Justiz Freiherr von Schrenk i n der Sitzung der K a m m e r der Abgeordneten v o m 14. März 1834, zitiert bei Hillmann (Anm. 118) S. 8. 152 y g i d i e Äußerungen i m Landtagsabschied v o m 17. November 1837, I. A. Ziff. 1 i n bezug auf das v o m Landtag durch Beschluß erbetene neue bürgerliche Gesetzbuch: „wobei W i r jedoch nicht bergen können, daß durch die Beschaffenheit des i n den ständischen Verhandlungen angenommenen Geschäftsganges die Durchführung wohlbemessener Gesetzbücher k a u m möglich werde"; zitiert nach Hillmann (Anm. 118) S. 9.

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nach der Ausschußberatung für sein positives Votum gab, war verblüffend modern und könnte auch i n einem heutigen Parlament gegen den Grundsatz der Diskontinuität gegeben worden sein 1 5 3 . Da auch hier wieder Titel V I I § 31 der Verfassungsurkunde i n seiner strengen Interpretation 1 5 4 einem Tätigwerden der Ausschüsse außerhalb der Dauer einer Versammlung der Kammern entgegengestanden haben würde, sah man von vorneherein eine Verfassungsdurchbrechung vor. Zur Vorlage eines entsprechenden Gesetzes durch die Regierung kam es trotz des einstimmigen Beschlusses der Zweiten Kammer nicht mehr. I n der folgenden Session wurde dann aber durch den Justizminister ein Entwurf eingebracht, der bei gleicher Zielsetzung erheblich weitreichender und zugleich präziser war als die Vorgänger der Jahre 1831 und 1834. Zeitlich unbegrenzt, sollten nach diesem Gesetz nur bestimmte Gesetzgebungsarbeiten, nämlich die an den neuen Gesetzbüchern über das bürgerliche und das Strafrecht, über das Verfahren bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten und über das Strafverfahren, den Entwurf einer Wechselordnung, eines Handels- und eines Polizeigesetzbuches von den ansonsten bei Vertagung oder Schließung des Landtages auch für die Ausschüsse eintretenden Folgen ausgenommen werden. Dazu wurden die m i t diesen Gesetzen befaßten Ausschüsse ermächtigt, auf Anordnung des Königs auch nach seiner Schließung und Vertagung des Landtags durch den König einberufen zu lassen 155 . I n der Begründung wurde ausdrücklich auf die alten Gesetze Bezug genommen, aber auch betont, daß das jetzt vorgesehene Verfahren „sicherer zum Resultat" führen würde 1 5 6 . Der Entwurf stieß deshalb i m Landtag auf keine Schwierigkeiten, so daß das Gesetz am 12. Mai 1848 i n K r a f t treten konnte 1 5 7 . Es wurde zusammen m i t einem Gesetz verkündet, das bereits die ersten iss Verhandlungen der K a m m e r der Abgeordneten 1847 Bd. 1 S. 331 ff.: „Die Hauptsache besteht darin, daß die Gesetzgebungsausschüsse beider K a m mern vereinigt bleiben u n d arbeiten dürfen, während die K a m m e r n selbst nicht mehr vereinigt sind. Wollte m a n dieses nicht zugestehen, so w ü r d e n nach dem Zeugnisse der Erfahrung auch Ständeversammlungen v o n der längsten Dauer nicht zureichend sein, u m ein größeres Gesetzbuch oder mehrere vollständig zu erledigen. Die Ausschußmitglieder müssen die Möglichkeit haben, sich einer umfassenden u n d folgereichen A r b e i t m i t Ausschluß aller anderen Geschäfte hinzugeben. Dieses ist aber nicht der Fall, w e n n sie n u r während der Dauer der gewöhnlichen Landtage arbeiten sollen . . . M a n mußte daher m i t enormen Kosten f ü r das L a n d nach Erledigung der übrigen Landtags-Angelegenheiten die ganze Ständeversammlung beisammen behalten, u m n u r die Gesetzgebungsausschüsse arbeiten zu lassen, w e n n man nicht zu dem Ausfluchtsmittel seine Zuflucht nehmen w i l l , diese Ausschüsse auch i n Abwesenheit der K a m m e r arbeiten zu lassen, sobald sie die Regierung einberuft u n d solange die letztere deren Tätigkeit für notwendig erachtet.. 154

Vgl. oben § 6. Vgl. Hillmann (Anm. 118) S. 11. is« Verhandlungen der K a m m e r der Abgeordneten 1848 Beilagen Bd. I S. 9 ff. 155

157

GBl. S. 17; vgl. auch Hillmann

(Anm. 118) S. 12; von Pözl (Anm. 88) S. 520.

§ 7 Ansätze zur Durchbrechung und Umgehung

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Konsequenzen daraus zog, sogar noch weiterging, indem die Ständeversammlung diese Ausschüsse ermächtigte, an ihrer Stelle sogar die Zustimmung zu Gesetzen zu erteilen 1 5 8 . Einigkeit bestand bei den gesamten Erörterungen darüber, daß auch die Tätigkeit derartiger Ausschüsse m i t der Auflösung des Landtags als solchem enden sollte 1 5 9 . Erstmals Anwendung fand das Gesetz m i t der Einberufung der inzwischen gebildeten ständischen Gesetzgebungs-Ausschüsse am 25. Mai 1848; sie schlossen ihre Beratungen am 4. November 1848 erfolgreich ab 1 6 0 und wurden eine Woche später feierlich geschlossen. Daraufhin konnte am 18. November 1848 die Kammer der Abgeordneten, die bereits am 31. Mai geschlossen worden war, aufgelöst werden 1 6 1 . I n den folgenden Jahren wurde noch öfter von diesem Gesetz Gebrauch gemacht, u m wichtige Gesetzgebungsvorhaben über die Hürde der Vertagung oder Schließung des Landtages zu bringen 1 6 2 . Eigentliche Ausnahmen von der Organ-Diskontinuität kamen dabei jedoch nur 1858 und 1864 vor; i n den übrigen Fällen handelte es sich u m Uberbrückungen lediglich der Vertagung des Landtags. Beide Wege der Durchbrechung, die i m Grunde beide auch auf eine unterschiedliche Erscheinungsform der Diskontinuität zielten, waren nur aus den besonderen staatsrechtlichen Verhältnissen und Erfahrungen der beiden Länder zu verstehen. Für Württemberg m i t einer langen ständischen Tradition und starker Erinnerung an die Macht und Stellung des Ständischen Ausschusses stellte sich das Problem einer scharfen Abgrenzung auch als Folge der Vertagung nicht i n gleicher Weise wie für Bayern. Hier hatten die Stände schon immer m i t dem Landesherrn auf annähernd gleicher politischer Ebene verkehrt; es war deshalb nicht verwunderlich, wenn i m Wege des Ubereinkommens die sachliche Diskontinuität als der entscheidende Stein auf dem gemeinsamen Weg zur Verabschiedung für notwendig erachteter Gesetze aus dem Weg geräumt wurde. Es ist jedoch zu beachten, daß der Vorgang des Jahres 1835 einmalig blieb, und Nachweise für die Darstellung Robert von Mohls, „schon i m Frühkonstitutionalismus" hätten sich die „Stände die Freiheit genommen ,nach einer Entlassung die angefangenen Arbeiten fortzusetzen" 163 , weiter nicht vorhanden sind. Soweit von 158 Gesetz, eine Abänderung des Strafgesetzbuches v o m Jahre 1813 u n d andere Strafbestimmungen betreffend, GBl. S. 36; vgl. Hillmann (Anm. 118) S. 12. A n diesem Gesetz ist weiter interessant, daß es ein frühes Beispiel für delegierte Gesetzgebung darstellt, bei deren Annahme auch bereits die Öffentlichkeit v o n Ausschußsitzungen diskutiert wurde. 159 v g l . Nachweise bei Hillmann (Anm. 118) S. 15. 180

Vgl. die Nachweise bei Hillmann (Anm. 118) S. 15 f. Hillmann (Anm. 118) S. 16. 182 Vgl. Hillmann (Anm. 118) S. 16 ff.; auch von Sey del/ Graßmann/Piloty (Anm. 88) Bd. 2 S. 289 Fn. 19. 181

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M o h l hinsichtlich der Möglichkeit der Weiterberatung nach einer Entlassung des Landtags danach unterschied, ob es sich u m eine Vorlage des Monarchen oder u m eine solche aus der M i t t e der Ständeversammlung handelte 1 6 4 , w a r das materielle Gewicht der von i h m geschilderten abstrakten Fälle zu unterschiedlich, u m daraus den Schluß zu ziehen, bei einem Gesetzentwurf habe der Landtag (nur) i m Einvernehmen mit dem Monarchen die Diskontinuität einschränken können, bei einer V o r lage aus der eigenen Mitte, ζ. B. dem E n t w u r f einer an den Monarchen zu richtenden Petition habe er dagegen von sich aus i n der nächsten Session beschließen können, die Beratung fortzusetzen. I n sämtlichen übrigen Darstellungen des württembergischen Staatsrechts findet sich darüber nichts. Auch die Ausführungen von Sarweys 165 sind nicht als Bestätigung von Mohls aufzufassen, wenn er davon spricht, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß eine Kammer frühere Arbeiten, welche durch die Entlassung des Landtages hinfällig wurden, sachlich wieder aufnimmt, sie als ihre Arbeiten u n d Anträge behandelt; aus der Betonung der Tatsache, daß auch i n diesem Falle „die neue Versammlung an die Beschlüsse der früheren i n keiner Weise" gebunden sei, sie vielmehr „neue Gültigkeit n u r durch eine neue Beschlußfassung, welche sich jedoch auf jeden einzelnen Beschluß beziehen muß", erlangen, geht bereits hervor, daß hier lediglich i m württembergischen Konstitutionalismus bereits ein sehr modern anmutender 1 6 6 Weg gesucht wurde, die Nachteile der Diskontinuität bei Respektierung des Prinzips weitgehend zu umgehen. Der Weg dazu w a r jedoch erst frei, als dem Landtag auch das Recht der Gesetzesinitiative zustand 1 6 7 . Die Darstellung von Mohls konnte daher weniger das geltende Staatsrecht als eine an Bentham u n d Constant orientierte 1 6 8 eigene Meinung wiedergeben 1 6 9 . Daß die Staatspraxis i h m nicht folgte, sondern aus der Diskontinuität einen Grundsatz machte, steht auf einem anderen Blatt; von M o h l hatte als einer der fortschrittlichsten Staatsrechtler und Politiker seiner Zeit einen Weg gewiesen, auf dem er alleine blieb, w e i l zunächst die tatsäch163 So Scheuner (Anm. 2) S. 511 Fn. 10 unter Berufung auf die erste Auflage des Jahres 1829. 164 (Anm. 126) S. 598. Beiz (Anm. 30) S. 14 übernimmt von M o h l hier u n kritisch. 165 (Anm. 88) 2. Bd. S. 199 Fn. 1. 166 Vgl. unten § 28. 167 Zahlreiche Theoretiker des deutschen Allgemeinen Staatsrechts i m konstitutionellen Sinne hatten schon früh dieses Gesetzesinitiativrecht der Repräsentantenversammlung gefordert; vgl. Kuriki (Anm. 175) S. 582 Fn. 169. 168 Z u deren Einfluß auf von M o h l vgl. Hatschek (Anm. 11) S. 28, 433 Fn. 2. 169 Deshalb ist auch die Behauptung Scheuners (Anm. 2) S. 511 Fn. 10, die K o n t i n u i t ä t habe zur Disposition des Parlaments gestanden und sei von diesem als solche akzeptiert worden, zumindest fragwürdig. Vgl. auch Beiz (Anm. 30) S. 14.

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liehe Entwicklung i n eine andere Richtung ging. Davon zeugen seine Nachfolger als Kommentatoren der württembergischen Verfassung. Dieselbe tatsächliche Entwicklung machte es i n Bayern i m Laufe der Zeit unnötig, sich des 1831 gefundenen Weges länger bedienen zu müssen. Aus den kurzen Landtagsperioden wurden unter dem Druck der Notwendigkeit immer längere. Schließlich geriet das Instrument der Schließung praktisch i n Vergessenheit, und wurden die Wahlperioden nur noch i n Tagungsabschnitte zerlegt 1 7 0 . Soweit Bestimmungen wie i n den Gesetzen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts weiter ergingen, dienten sie i n erster Linie dazu, den Ausschüssen auch während der Vertagungen Sitzungen zu ermöglichen, ein Problem, das sich i n Preußen und später für den Reichstag ebenfalls stellte. Hier wie i m Falle der württembergischen Entwicklung liegt der Schluß nahe, daß es die i n Preußen gefundenen Antworten waren, die m i t dem gesamten Staatsrecht des deutschen Konstitutionalismus auch die Fixierung und Festschreibung der Diskontinuität als Grundsatz zur Folge hatten. § 8 Die Verfassungsentwicklung in Preußen als Leitbild für die konstitutionelle Monarchie Dem Aufschwung der ersten Welle der deutschen Verfassungsentwicklung war eine rückläufige Bewegung gefolgt 1 7 1 , die i n der Wiener Schlußakte mit ihrer Festlegung aller Bundesstaaten auf das monarchische Prinzip 1 7 2 ersten Ausdruck gefunden hatte und auf das Verfassungsleben auch der süddeutschen Staaten nicht ohne Einfluß blieb. Die liberalen, auf Wahrung und Erweiterung der Volksrechte bedachten Bestrebungen der Landstände erregten bei allen deutschen Monarchen das unsichere Empfinden, daß die landständische Verfassung „eine mißliche Sache" sei und daß sich dabei nur allzu leicht „statt der mütterlichen Niobe eine zänkische und anmaßende Xantippe einstellen werde" 1 7 3 . Hierbei mußte sich auswirken, daß die konstitutionelle Monarchie i n Deutschland „nicht aus einer demokratischen Revolution, sondern aus einer monarchischen Reform hervorging" 1 7 4 . Die grundsätzliche Bereitschaft des aufgeklärten Absolutismus, i m Wege der Verfassungsgebung die eigene Macht unwiderruflich einzuschränken und — jedenfalls teilweise — mit repräsentativen Vertretungskörperschaften zu tei170

Vgl. auch Hillmann (Anm. 118) S. 19. van Calker (Anm. 9) S. 57. 172 Vgl. oben § 6. 173 Vgl. die bei van Calker (Anm. 9) S. 57 Fn. 2 zitierte Äußerung aus Pfister, Geschichtliche E n t w i c k l u n g des Staatsrechts des Großherzogtums Baden, die 1836 erschien. 174 Böckenförde (Anm. 58) S. 74. 171

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

len, wurde deshalb durch die Erfahrungen m i t der neuen Staatsform erheblich gemindert und sann auf instrumentale Auswege, die Beeinträchtigung klein zu halten. Das konnte nicht ohne Folgen auch für die Durchsetzung eines am Konstitutionalismus als Ausfluß des Sozialvertrages und an der Repräsentativverfassung orientierten Allgemeinen Staatsrechts bleiben. Seine Anhänger hatten, wie K u r i k i es ausdrückt, „einen Zweifrontenkampf" zu führen, „nämlich einerseits gegen die Konservativen, die entweder aus dem Gesichtspunkte der ausschließlichen Repräsentation des Staates und des Volkes durch den Monarchen allein oder aus dem Gesichtspunkt der ständischen Gliederung der Gesellschaft den Gedanken der Vertretung des Gesamtwillens und des Gesamtinteresses durch ein anderes Subjekt als den Monarchen verneinten, andererseits gegen die Aufgeklärt-Gouvernementalen, die zwar von dem Sozialvertrag ausgingen, aber gerade mittels des Sozialvertrags alle Gewalt des Volkes i m Monarchen aufgehen ließen und durch Perfektion der Regierungsund Verwaltungstätigkeit die parlamentarische M i t - oder Selbstbestimmimg des Volkes überflüssig machen oder den vom Volk gewählten Repräsentanten nur beratende Funktion zuordnen w o l l t e n " 1 7 5 . Beide mußten sich durch die Entwicklung i n den süddeutschen Staaten bestätigt sehen, i n denen monarchisches Prinzip und aufkommende demokratische Legitimität i m Widerstreit lagen. Wie für die erste Verfassungswelle bedurfte es für die zweite deshalb eines äußeren Anstoßes. Es war dies die Pariser Julirevolution des Jahres 1830, „die den Volksgeist auch i n Deutschland neu belebte und den m i t der Erfüllung ihrer Verfassungsversprechungen noch rückständigen Fürsten die Gefahren weiteren Säumens m i t erschreckender Deutlichkeit vor Augen rückte" 1 7 6 . Sie brachte für Hessen-Kassel 177 , Sachsen 178 , Braunschweig 179 und Hannover 1 8 0 Verfassungen, die mehr oder weniger an die süddeutschen Beispiele anschlossen 181 . Für die süddeutschen Staaten selbst bedeutete diese Zeit eine Bestätigung der i n ihnen eingeschlagenen Politik; die geschilderten Ansätze zu einer Differen175 Kuriki, Die Rolle des Allgemeinen Staatsrechts i n Deutschland von der M i t t e des 18. bis zur M i t t e des 19. Jahrhunderts, i n : AöR Bd. 99, S. 580 f. 176 van Calker (Anm. 9) S. 57. 177 V o m 5. Januar 1831; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 227. 178 V o m 4. September 1831; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 225. Über den Einfluß Sylvester Jordans darauf vgl. Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I S. 118. 179 Neue Landschaftsordnung v o m 12. Oktober 1832; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 236. 180 V o m 26. September 1833; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 226. Z u m Einfluß Dahlmanns darauf vgl. Schulze (Anm. 178) Bd. I S. 119. 181 van Calker (Anm. 9) S. 58.

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zierung der Diskontinuität als Ausdruck des Verhältnisses zwischen Monarch und Vertretungskörperschaft fielen sämtlich i n die Zeit nach 1830. Stärksten Widerstand fand die Einführung der konstitutionellen Monarchie i n Preußen, obwohl dort m i t dem Edikt vom 28. Oktober 1810 und der Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volkes vom 22. M a i 1815 sowie die Stein-Hardenbergsche Verwaltungsreform eigentlich die Grundlage auch für eine Verfassungsreform i m Sinne der Einfügung einer Volksvertretung i n die obersten Verfassungseinrichtungen geschaffen worden w a r 1 8 2 . I m Schatten der nach 1833 erneut einsetzenden Rückschläge, die sich i n der einseitigen Aufhebung der hannoverschen Verfassung und Exekutionen des Bundes gegen einzelne Staaten äußerten, hielt sich das absolute, d. h. uneingeschränkte Königtum jedoch bis zur dritten Verfassungswelle, die i n der französischen Februarrevolution von 1848 ihren Auslöser hatte, aber schon länger innerlich vorbereitet w a r 1 8 8 . Zusammen m i t einigen kleineren Staaten 1 8 4 war Preußen jetzt gezwungen, eine Verfassung zu erlassen. Dabei war es nicht mehr möglich, i n gleichem Umfange wie i n Süd- und Mitteldeutschland an altständischen Einrichtungen und Traditionen anzuknüpfen. Es gelang aber auch nicht, die bereits bei der Verfassungsbewegung von 1830 nicht zuletzt unter dem Einfluß von Constant 1 8 5 den M i t t e l punkt gebildet habenden Fragen wie unter anderem die der parlamentarischen Gesetzesinitiative 186 zurückzudrängen. Der Einfluß insbesondere der auf dem Gedanken der Volkssouveränität aufbauenden belgischen Verfassung vom 7. Februar 1831 187 , die wiederum auf die französische Verfassung von 1791 zurückging, war deshalb i n Preußen groß. Wenn trotzdem i n der schließlich verabschiedeten sogenannten „revidierten Verfassung" vom 31. Januar 1850 nur noch einige wenige Konzessionen an das demokratisch-konstitutionelle Prinzip enthalten waren 1 8 8 , ist dies dem Druck der sehr schnell wieder aufkommenden Reaktion zuzuschreiben. I n Wirklichkeit war gerade die preußische Verfassung von dem monarchisch-konstitutionellen Prinzip der Fürstensouveränität beherrscht, für das die Diskontinuität bzw. die Herbei182

van Calker (Anm. 9) S. 51, 55; Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 224 f. Z u r Geschichte der Bemühungen u m eine Verfassung i n Preußen vgl. Härtung (Anm. 69) S. 255 ff.; auch Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 224 f. 184 Oldenburgisches Staatsgrundgesetz v o m 22. M a i 1849; Staatsgrundgesetz f ü r Reuß j. L . v o m 30. November 1849; Verfassung v o n Sachsen-Coburg u n d Gotha v o m 3. M a i 1852; Verfassung von Waldeck v o m 17. August 1852 sowie Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen u n d SchaumburgLippe 1854,1857 bzw. 1868; vgl. Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 224 ff. 185 Vgl. oben § 5. 186 van Calker (Anm. 9) S. 61. 187 van Calker (Anm. 9) S. 59; Böckenförde (Anm. 58) S. 74. 188 z.B. das Recht auf Feststellung des Budgets; vgl. van Calker (Anm. 9) S. 60; Gmelin, Das Staatsrecht der Einzelstaaten, i n : HbDStR Bd. I S. 85. 183

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führung der Diskontinuität ein wichtiges M i t t e l bei der Beschränkung der Rechte der Vertretungskörperschaft sein mußte. Daß i n Preußen „der Grundsatz der Diskontinuität des Parlaments von Anfang an i n Theorie und Staatspraxis anerkannt" gewesen sei 1 8 9 ist dagegen i n dieser apodiktischen Form nicht richtig. Er wurde dort vielmehr erst entwickelt, strahlte auf die übrigen Staaten des Deutschen Bundes aus und gewann so durch allgemeine Anerkennung die Rechtsqualität, die Ansätze wie die i n Württemberg i m Jahre 1835 unmöglich machte. Ausgangspunkt war auch hier das nach preußischem Verfassungsrecht ausdrücklich ausgeschlossene Recht des aus zwei Kammern bestehenden Landtags, von sich aus zusammenzutreten oder von sich aus seine Tätigkeit zu unterbrechen oder zu beendigen 190 . Die preußische Verfassung bestimmte zwar i n A r t . 76, daß der König verpflichtet sei, „die Häuser i m November jeden Jahres einzuberufen und außerdem, so oft es die Umstände erheischen", woraus sich eine, durch Änderung des A r t . 76 i m Jahre 1857 auch verfassungsrechtlich festgelegte „ordentliche" Sitzungsperiode von November bis Mitte Januar entwickelte 1 9 1 , deren Kern die Verabschiedung des nach A r t . 99 jährlichen Budgets bildete. Alle Kommentatoren zur preußischen Verfassung hoben jedoch — zum Teil unter Hinweis auf den Ausnahmecharakter etwa des § 133 der Neuen Braunschweigischen Landschaftsordnung 192 — unter Berufung auf Art. 51 der Verfassungsurkunde hervor, daß dem konstitutionellen Staatsrecht Preußens das Selbstversammlungsrecht völlig fremd sei 1 9 3 . Die Berufung der Kammern wurde als das ausschließliche Recht des Königs angesehen; „jede nicht von dem Könige zusammengerufene Versammlung der Mitglieder des Landtags zu staatsgeschäftlichen Zwek189

So aber Beiz (Anm. 30) S. 14. von Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, 1. Bd. 1. A b t h e i l u n g S. 275 f. 191 Gesetz v o m 18. M a i 1857. Z u früheren Versuchen, die Sitzungsperiode zeitlich festzulegen, vgl. von Rönne (Anm. 190) S. 275 Fn. 4. Die Bestimmung wurde als lex imperfecta angesehen, da es kein M i t t e l gab, „die Berufung zu dem gedachten Zeiträume zu erzwingen"; vgl. Bornhak (Anm. 192) S. 434. 192 Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 282; Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Bd. 1 S. 432 f. Z u den dortigen „Konvokationslandtagen", zu denen die Landesversammlung „ k r a f t althergebrachten Rechts" ohne landesfürstliche Berufung zusammentreten konnte, vgl. Rhamm, Das Staatsrecht des Herzogtums B r a u n schweig, S. 27. I m System des monarchisch-konstitutionellen Staates stellten sie durchaus einen Fremdkörper dar, der als altständisches Relikt erklärt werden konnte. 193 Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 182; Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 433; von Stengel, Das Staatsrecht des Königreichs Preußen, S. 85; Adolf Arndt, Die Verfassungsurkunde f ü r den Preußischen Staat, A r t . 51 A n m . 1; von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. 1. A b t h . S. 275; Hue de Grais, Handbuch der Verfassung u n d V e r w a l t u n g i n Preußen u n d dem deutschen Reiche. S. 69. 190

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ken wäre" nach Auffassung Schulzes 194 „verfassungswidrig" gewesen, „alles, was eine solche beschlösse, nichtig". M i t der Berufung, die durch königliche Verordnung unter ministerieller Gegenzeichnung zu erfolgen hatte, wurden erst die beiden Häuser des Landtags als politische Körperschaften gebildet 1 9 5 ; eine ohne derartige Berufung zusammentretende Versammlung wurde trotz derselben Personen nicht als die beiden Häuser des Landtags, sondern als „Privatgesellschaften zur Erörterung politischer Gegenstände, deren Beschlüsse keinen Anspruch auf irgendwelche staatsrechtliche Bedeutung hätten", gewertet 1 9 6 . Auch m i t der Berufung der beiden Häuser, die nach A r t . 77 Abs. 2 der Verfassungsurkunde stets gleichzeitig vorzunehmen war, w a r der Landtag aber noch nicht wirkungsfähig. Er mußte erst i n einer Sitzung der vereinigten Kammern durch den König i n Person oder durch einen dazu beauftragten Minister feierlich eröffnet werden 1 9 7 . Daran anschließend erfolgte die eigentliche Konstituierung, d. h. jede Kammer nahm diejenigen Handlungen vor, welche erforderlich waren, „sie als Kollegium berathungs- und beschlußfähig zu machen" 1 9 8 . Dazu gehörte bei Beginn einer neuen Legislaturperiode nach Maßgabe der jeweiligen Geschäftsordnung der Zusammentritt unter dem Vorsitz des Alterspräsidenten, bei der zweiten Kammer sodann die Wahlprüfung i n den sieben durch das Los gebildeten Abteilungen, die Wahl des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Schriftführer 1 9 9 . Diesem streng formalen, durch das Recht auf Regelung des internen Geschäftsganges i n einer Geschäftsordnung und Wahl des Präsidiums durch die beiden Häuser selbst jedoch schon angelsächsischen und französischen Vorbildern 2 0 0 angenäherten Beginn der Tätigkeit des Landtags entsprach eine ebenso streng formale Beendigung. Nach der Eröffnung dauerten die Sitzungen der Kammern ungeachtet des A r t . 76 solange fort, bis der König die Vertagung oder Schließung anordnete 2 0 1 ; die Kammern selbst waren nicht berechtigt, ihre Tätigkeit zu unterbrechen oder zu beendigen 202 . 194

(Anm. 82) 2. Bd. S. 182. Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 432, 433 f. 196 Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 433; von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 282 spricht sogar von Strafbarkeit der Teilnahme. 197 von Stengel (Anm. 193) S. 85; Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 183. 198 Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 184; von Stengel (Anm. 193) S. 85 Fn. 2. 199 Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 186 f.; von Stengel (Anm. 193) S. 86. 200 Vgl. Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 185. 201 von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 276; Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 195; von Stengel (Anm. 193) S. 86. 202 w i e i n den süddeutschen Staaten w u r d e eine — kürzere — Unterbrechung der Sitzungen aus eigener Entscheidung nicht als Vertagung angesehen; vgl. von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 276 Fn. 1; Arndt (Anm. 193) A r t . 52 A n m . 1. 195

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Als bloße Unterbrechung der Sitzung kannte auch die preußische Verfassung die Vertagung, die nach A r t . 77 Abs. 2 ebenfalls nur für beide Kammern gleichzeitig erfolgen konnte 2 0 3 und bei der der König insoweit gebunden war, als sie nach A r t . 52 ohne die Zustimmung der Kammern die Frist von dreißig Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden durfte. Über die rechtlichen Wirkungen der Vertagung sagte die Verfassungsurkunde nichts aus; von Anfang an wurde i h r aber der Sinn unterlegt, der bereits bei der Erarbeitung der Charte constitutionelle von 1814 i m Vordergrund gestanden hatte 2 0 4 , daß nämlich Vertagung nicht etwa „NichtSchließung der Session", sondern „Unterbrechung der Tätigkeit des Landtages auf eine bestimmte Zeit, ohne daß derselbe geschlossen oder aufgelöst w i r d " 2 0 5 , bedeutete. Hierin wurde auch der Unterschied zum „Sichvertagen" gesehen20®, das i n seinen Folgen äußerlich der Vertagung durch den König sehr nahekam, aber doch rechtlich davon unterschieden war, w e i l die Vertagung jegliche Tätigkeit des Landtages unterbrach, während das Zumruhenbringen der Arbeit durch Beschluß des einzelnen Hauses keine rechtliche Wirkung hatte, eine Kommission also trotz dieser Unterbrechung Sitzungen hätte abhalten können 2 0 7 . Da aber durch die Vertagung diese Tätigkeit nur „suspendiert", nicht aber aufgehoben wurde, konnte sie nach Ablauf der Vertagungsfrist ohne weiteres von selbst wieder beginnnen. Beide Häuser des Landtages blieben also „konstituiert" und traten ohne besondere Einberufung wieder zusammen; die Präsidenten und Schriftführer behielten ihre Ämter bei, alle vor der Vertagung gewählten Kommissionen konnten ohne Neuwahl ihre Tä203 So bereits i n A r t . 71 des Verfassungsentwurfs der preuß. Nationalversammlung m i t der Begründung: „Keine der zwei K a m m e r n darf allein beisammen sein u n d verhandeln, w e i l n u r beide K a m m e r n i n ihrer Totalität die Volksüberzeugung ausdrücken"; vgl. von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 276 Fn. 3. Die Bestimmung w u r d e auch nicht geändert, als die Erste K a m m e r nicht mehr gewählt, sondern aus erblichen Mitgliedern zusammengesetzt wurde. 204 Vgl. oben § 5. 205 von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 276 Fn. 4 u n d 277, w o der Unterschied zum altständischen Recht w i e zum Verfahrensrecht des englischen Parlaments noch einmal hervorgehoben w i r d . Vgl. auch Arndt (Anm. 193) A r t . 52 A n m . 1. 206 Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 436 spricht davon, es stehe „den beiden Häusern gleichwohl die Befugnis zu, ihre Sitzungstage auf G r u n d der ihnen eingeräumten Autonomie selbständig ohne Genehmigung der Staatsregier u n g zu bestimmen. I n dieser Autonomie liegt auch die Befugnis, je nach Bedürfnis zwischen den einzelnen Sitzimgstagen längere oder kürzere Pausen eintreten zu lassen. Es ist dies schon deshalb notwendig, u m den Kommissionen die f ü r ihre A r b e i t erforderliche Zeit zu gewähren. Auch können bei Gelegenheit, ζ. B. bei Festen, die Arbeiten des Landtags überhaupt auf k ü r zere Zeit ausgesetzt werden, eine Unterbrechimg, die m a n i m gewöhnlichen Sprachgebrauch ebenfalls als Vertagung bezeichnet". Beispiele f ü r diese Eigengestaltung finden sich i n der kritischen Auseinandersetzung des Abg. Vincke i n der sog. Diskontinuitätsdebatte; vgl. u n t e n § 9 A n m . 235. 207 Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 437.

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tigkeit fortsetzen, und die Zahl der Sitzungen wurde als fortlaufend bezeichnet 208 . Entsprechend mußte auch die Arbeit an den konkreten Vorlagen, die Gegenstand der Beratung von Kammern und Kommissionen vor der Vertagung gebildet hatten, an dem Punkt fortgesetzt werden können, wo sie liegengeblieben war; die Staatsrechtslehre sprach deshalb davon, daß „ i n jeder Hinsicht das Prinzip der Kontinuität zur Anwendung komme" 2 0 9 . I m Gegensatz dazu wurde die ebenfalls durch königliche Verordnung und für beide Häuser gemeinsam auszusprechende Schließung nicht als Unterbrechung der Tätigkeit des Landtages als konkreter Wirkungseinheit angesehen. M i t der Schließung der Kammern verloren diese „ihre kollegiale Eigenschaft" und hörte der Landtag selbst auf, „als solcher thätig sein zu können" 2 1 0 . Die rechtliche Bedeutung der Schließung lag also darin, daß m i t i h r die beiden Häuser des Landtags als „politische Körperschaften" endeten; „ m i t dem Augenblick der Schließung waren nur noch einzelne Volksvertreter, aber kein Landtag (mehr) vorhanden" 2 1 1 . Die Folgen waren entsprechend einschneidender: sollte ζ. B. nach einer Schließung i n derselben Legislaturperiode ein Landtag erneut zusammentreten, war das ganze Verfahren der Einberufung, Eröffnung und Konstituierung bis h i n zur Wahl des Präsidiums und der Kommissionen zu wiederholen 2 1 2 . Auch die Geschäftsordnung konnte deshalb nur für die jeweilige Session Gültigkeit haben 2 1 3 . Die Schließung stellte, wie Bornhak es formulierte 2 1 4 , somit das Gegenbild zur Berufung dar; die durch Berufung und Schließung geformte Sitzungsperiode w a r ein für sich abgeschlossenes Ganzes, das — wie schon i n den süddeutschen Ländern — den eigentlichen Wirkungszeitraum des Landtags umschrieb. Eine Auflösung, die nach Umformung der Ersten Kammer i n eine auf Erbgang beruhende Honoratiorenvertretung nur noch die Zweite K a m mer erfassen mußte, konnte deshalb lediglich die weitere Folge haben, daß die Mandate der gewählten Mitglieder des Landtages fortfielen, 208 von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 277; Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 196. Z u dem Versuch, die Amtsdauer des Präsidenten auf die ganze Legislaturperiode zu erstrecken, vgl. Plate, Die Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses, S. 10. 209 Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 196; von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 278. 210 von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 278; Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 196. 211 Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 438 f. 212 von Rönne (Anm. 192) 1. Bd. S. 279; Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 196; Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 439; von Stengel (Anm. 192) S. 86; Arndt (Anm. 192) A r t . 51 A n m . 4. 218 Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 186; vgl. auch den Abgeordneten Osterath i n der 54. Stzg. der Zweiten K a m m e r v. 25. A p r i l 1853, Sten. Ber. über die V e r handlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 13. November 1852 einberufenen K a m m e r n des Landtags, Bd. 3 S. 1078. 214 (Anm. 192) Bd. 1 S. 438.

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I I . 3. Kap. : Diskontinuität i m Konstitutionalismus

diese also i h r e A b g e o r d n e t e n e i g e n s c h a f t , d i e sie b e i e i n e r S c h l i e ß u n g durchaus behalten hatten, v e r l o r e n u n d w i e d e r zu „einfachen Staatsbürg e r n " w u r d e n 2 1 5 . Z u r S i c h e r u n g gegen e i n v ö l l i g e s U n t e r d r ü c k e n d e r V o l k s v e r t r e t u n g sah d i e preußische V e r f a s s u n g v o r , daß i m F a l l e der A u f l ö s u n g b i n n e n sechzig T a g e n N e u w a h l e n , b i n n e n n e u n z i g T a g e n die E i n b e r u f u n g des L a n d t a g s m i t d e r n e u g e w ä h l t e n Z w e i t e n K a m m e r e r f o l g e n m ü s s e 2 1 5 a . K o n s e q u e n t e r w e i s e w u r d e eine A u f l ö s u n g d e r W a h l k a m m e r als Schließung, n i c h t n u r V e r t a g u n g d e r E r s t e n K a m m e r anges e h e n 2 1 6 . A u f l ö s u n g w i e A b l a u f d e r L e g i s l a t u r p e r i o d e w a r e n also r e c h t l i c h eine S c h l i e ß u n g b e i g l e i c h z e i t i g e m W e g f a l l d e r M a n d a t s t r ä g e r s c h a f t der Wahlkammer. 215 Schulze (Anm. 82) 2. Bd. S. 197; von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 282 f.; Bornhak (Anm. 192) Bd. 1 S. 439; von Stengel (Anm. 192) S. 86. Vgl. bei von Rönne u n d Schulze auch die Begründung f ü r die Notwendigkeit der Möglichkeit einer Auflösung als königlicher Prärogative i m Repräsentativsystem, die stark v o n den Gedanken Constants über den Monarchen als Schiedsrichter bei Auseinanderklaffen der Identität zwischen tatsächlicher Volksmeinung u n d deren Widerspiegelung i n der konkreten W a h l k a m m e r bzw. beim Streit zwischen Staatsregierung u n d W a h l k a m m e r beeinflußt sind; dazu oben §5. 2i5a Versuche, i m Falle der Nichtberufung ein Selbstversammlungsrecht einzuführen, w a r e n 1848 gescheitert. Die Verfassungskommission der Nationalversammlung hatte i n A r t . 70 ihres Entwurfs — der sogenannten Charte Waldeck — zwar vorgeschlagen, daß die K a m m e r n berechtigt sein sollten, sich am 30. November jeden Jahres, w e n n sie bis dahin nicht berufen wären, sowie spätestens a m zehnten Tage nach dem Tode des Königs von Rechts wegen zu versammeln, was damit begründet wurde, daß solche Bestimmungen zur Sicherung der unabhängigen Wirksamkeit der K a m m e r n unerläßlich wären. Diese Vorschläge w u r d e n aber weder i n die Verfassungsurkunde v o m 5. Dezember 1848 aufgenommen noch i m folgenden Jahr bei Auflösung der Zweiten K a m m e r tatsächlich berücksichtigt. Auch bei der Revision dieser Verfassung w u r d e n alle Anträge, welche den K a m m e r n das Recht geben sollten, von selbst zusammenzutreten, abgelehnt. Vgl. Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 131, der zur Begründung hinzufügt: „ W e n n andere Verfassungsurkunden, z.B. die Belgische i n A r t . 70, die Norwegische i n §68, die Schwedische i n §49, eine solche Befugniß dem Landtage einräumen, so beruhen diese Verfassungen auf dem Grundsatze der Volkssouveränität!" 216 Z u dem Streit, der sich a n die 1862 als Folge des sogenannten preußischen Verfassungskonflikts erstmals angeordnete Auflösung des Abgeordnetenhauses hinsichtlich der K o n t i n u i t ä t oder Diskontinuität der Arbeiten des Herrenhauses anschloß, vgl. ausführlich von Rönne (Anm. 190) S. 279 Fn. 2, 280 Fn. 2 u n d 281 sowie den Bericht der X I I I . Kommission des Abgeordnetenhauses zur Beratung des Antrages des Abgeordneten Twesten, betreffend die bei Vorlegung des Gesetz-Entwurfs über die Verantwortlichkeit der Minister i n Frage kommende sogenannte K o n t i n u i t ä t der Sitzungen des Herrenhauses nach einer eingetretenen Auflösung des Abgeordnetenhauses, Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 6. M a i 1862 einberufenen beiden Häuser des Landtages, 6. Bd. Anlagen 2. T e i l Nr. 84 S. 627 ff. Die Mehrheit des Herrenhauses u n d die preußische Staatsregierung vertraten m i t dem W o r t l a u t der A r t . 51 u n d 77 die Auffassung, die Mitglieder des Herrenhauses seien berechtigt, die lediglich unterbrochene Sitzungsperiode nach N e u w a h l des Abgeordnetenhauses fortzusetzen; das Abgeordnetenhaus w a r dagegen m i t der herrschenden Staatsrechtslehre der Auffassung, eine Auflösung des Abgeordnetenhauses bedeute gleichzeitig eine Schließung des Herrenhauses.

§ 9 Dogmatisierung der Diskontinuität

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Begrifflich konnte daher wie unter den süddeutschen Verfassungen nicht die Legislaturperiode, sondern nur die Sitzungsperiode die entscheidende Zäsur i n der Tätigkeit des Landtages darstellen. I m Verhältnis zwischen Monarch und Vertretungskörperschaft bei der M i t w i r k u n g an der Gestaltung der Staatsgeschäfte war allein diese Sitzungsperiode als Zeit konkreter Wirkungsfähigkeit entscheidend; die Neuwahl nach Ablauf der Legislaturperiode oder als Folge einer Auflösung war nur insoweit von Bedeutung, als damit der „vernünftige Gesamtwillen" 2 1 7 festgestellt werden sollte, wobei vermieden wurde, von einem Appell des Fürsten an das Volk zu sprechen, sondern der Sinn allein darin gesehen wurde, daß die Krone als i m konstitutionellen Staat höchster, neutraler und über den Parteien stehender Wächter und Schirmherr der Verfassung und der Wohlfahrt des Landes erklärte, „daß sie i n der bisherigen Kammer nicht den wahren Ausdruck der öffentlichen Meinung zu erkennen glaube", und die Aufforderung an den Wähler richtete, „sich durch eigene Prüfung über den Grund des Konflikts zwischen dem M i n i sterium und der Wahlkammer aufzuklären und demnächst durch die neuen Wahlen ihre Mißbilligung des von dem bisherigen Repräsentantenkörper innegehaltenen Benehmens auszusprechen" 218 . Die durch Zeitablauf oder Auflösung begrenzte Legislaturperiode betraf also das politische Vertretungsverhältnis zwischen Wahlkörper und gewählter Repräsentation, die Sitzungsperiode das rechtliche Mitwirkungsverhältnis zwischen Regierung und zur M i t w i r k u n g berufener Vertretungskörperschaft 219 . I n diesem Spannungsfeld zweier unterschiedlicher Ansätze mußte — i n stärkerem Maße noch als in Süddeutschland — die Diskontinuität an Bedeutung gewinnen.

§ 9 Die Fixierung und Dogmatisierung der Diskontinuität in Preußen Wie über die organisatorischen Folgen der Sitzungsperiode als Handlungs- bzw. Wirkungsabschnitt des Landtages, also die Organ-Diskontinuität, enthielt die preußische Verfassung — gleich den süddeutschen — nichts über die sachlichen 220 . Auch die Geschäftsordnungen beider Kammern schwiegen sich dazu aus. Andererseits zeigte sich schon bei Beginn der Tätigkeit des preußischen Landtags, daß insbesondere die Zweite Kammer nicht i n der Lage sein würde, i n der bewußt kurz be217

von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 282. von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 283 u n d Fn. 1. 219 Vgl. dazu noch einmal den Aufsatz Arndts (Anm. 22) u n d die darin angelegte Unterscheidung zwischen Wahlperiode u n d konkreter W i r k u n g s periode, d. h. Session. 220 von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 276 u n d 279 Fn. 1. 218

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

messenen Sitzungsperiode alle Arbeiten, die durch das i n der Verfassimg verankerte Petitionsrecht und das Recht der Kammern zur Gesetzesinitiative größeren Umfang angenommen hatten, als nach den Vorstellungen der Zeit denkbar erschien, zu erledigen. Schon i n der zweiten Sitzung der Zweiten Kammer am 2. November 1850 wurde deshalb als erforderlich erachtet, hier Abhilfe zu schaffen, die i n der Übernahme des dem Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie geläufigen und i n der Praxis der bereits eine Vertretungskörperschaft besitzenden Staaten bekannten Beendigung aller Arbeiten m i t dem Schluß der Sitzungsperiode gesehen wurde 2 2 1 . A m 4. Dezember 1850 stellte der Abgeordnete von Brauchitsch i n der Zweiten Kammer daraufhin den Antrag, hinter § 22 der Geschäftsordnung einen Zusatz einzufügen, wonach „die Gesetzes Vorschläge, die A n träge und die Petitionen, die am Schluß einer Session noch nicht durch Berathung und Beschlußnahme i m Plenum erledigt sind, beim Beginn der folgenden Session, sobald die Fach-Kommissionen sich konstituiert haben, durch das Bureau der Kammer denjenigen Kommissionen, welchen sie i n der vorigen Session durch den Präsidenten zugeschrieben waren, zur weiteren Bearbeitung wieder vorgelegt" werden sollten. Zur Begründung wurde angeführt, daß Gesetzesvorschläge der Regierung nach dem Sinn der A r t . 62 und 64 der Verfassungsurkunde erledigt, entweder angenommen oder verworfen werden müßten. A u f Anträge sowohl als auf Petitionen müsse jedoch eine A n t w o r t erteilt werden; sei dies i n derjenigen Session, i n welcher sie eingebracht wurden, nicht geschehen, so sei es jedenfalls i n der nächstfolgenden Session nachzuholen, indem der Antrag oder die Petition nunmehr als an diese neu zusammengetretene Kammer gerichtet anzusehen sei. Der Antragsteller und der Petent hätten sich an die Zweite Kammer gewendet, diese bestehe fort, wenngleich ihre Mitglieder wechselten, wenngleich ihre Arbeiten durch A b lauf einer Sitzungsperiode unterbrochen würden; die neu zusammentretende Kammer habe die Arbeiten zu vollenden, welche ihre Vorgänger nicht zu erledigen vermochte, m i t h i n auch Bescheid zu erteilen auf die noch unbeantwortet gelassenen Anträge und Petitionen und zu dem Behufe auch ohne Wiederaufnahme von seiten des Antragstellers oder Petenten zu deren Bearbeitung von Amts wegen zu schreiten 222 . M i t diesem Antrag mußten die Gegensätze zwischen konstitutionellem Parlamentsverständnis und demokratisch-repräsentativer Selbst221 Vgl. Plate (Anm. 208) § 74 A n m . 1. Soweit Plate dort behauptet, damit sei bereits der Grundsatz der Diskontinuität aufgestellt worden, widerspricht er seinen eigenen Ausführungen auf S. 8. 222 Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste V e r ordnung v o m 2. November 1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 2. Bd. S. 77.

§ 9 Dogmatisierung der Diskontinuität

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einschätzung des Landtags aufeinanderprallen. Bei der offiziellen Einbringung i n der 11. Sitzung vom 4. Januar 1851 klang die Ablehnung des beabsichtigten Zweckes bereits i n den Worten des Präsidenten durch 2 2 3 ; die Geschäftsordnungskommission, der der Antrag zur Vorbereitung überwiesen wurde, kehrte mit ihrer konservativen Mehrheit den Sinn dann auch ins Gegenteil um, indem sie die Einführung eines § 22 a i n die Geschäftsordnung vorschlug, der folgenden Wortlaut haben sollte: „Gesetzes-Vorschläge, Anträge und Petitionen sind mit dem Ablaufe der Sitzungs-Periode, i n welcher sie eingebracht und noch nicht zur Beschlußnahme gediehen sind, für erledigt zu erachten 224 ." I n der Begründung wurde anerkannt, daß weder die Verfassung noch die Geschäftsordnung über diesen Gegenstand eine direkte Vorschrift enthielten, und sich für die Kammer gerade beim gegenwärtigen Beginn der Tätigkeit das Bedürfnis zu einer Regelung bereits fühlbar gemacht habe, weshalb die Dringlichkeit der Angelegenheit zu bejahen sei. I n der Sache selbst stützte man sich darauf, daß die i n dem Antrag vorausgesetzte Kontinuität der Arbeiten bei unveränderter Zusammensetzimg der Kommissionen bis zum Ende einer Wahlperiode m i t der bisher angenommenen Auslegung der Geschäftsordnung nicht übereinstimme, nach welcher zu A n fang jeder Session eine neue Wahl des Präsidenten, eine neue Auslosung der Mitglieder i n den Abteilungen und eine neue Bildung der Fachkommissionen stattzufinden habe; „die Arbeiten seien durch diesen durchgängigen Wechsel durchschnitten, und eine stetige Fortsetzung derselben sei durch i h n unmöglich gemacht". Es seien zwar Gesetzes vorlagen der Regierung, Anträge von Mitgliedern der Kammer und fremde Petitionen zu unterscheiden; für alle gelte aber gleichermaßen, daß nicht selten die i n dem Zwischenraum veränderten Umstände manches erledigt, manches umgestaltet haben würden. I n manchen Fällen würde es daher nicht zweckmäßig sein, „ i n die alten Vorlagen überall noch einzugehen". Bei Gesetzesvorlagen würde die Regierung freiere Hand haben, wenn sie nach Ablauf einer Session an den eingebrachten Gesetzes-Vorschlag, 223 (Anm. 222): „ I c h hatte die Absicht, ihnen heute noch Mittheilungen über diejenigen Sachen zu machen, welche aus der vorigen Sitzungsperiode noch unerledigt uns vorliegen. Ich ging nämlich v o n der Ansicht aus, u n d die M i t theilungen, die w i r gestern von der Regierung empfangen haben, bestätigen mich i n derselben, daß eine K o n t i n u i t ä t zwischen den verschiedenen SessionsPerioden i n derselben Legislatur nicht stattfinde. M i t Rücksicht auf diese meine Ansicht glaube ich auch, w e n n ich mich gleich darüber äußern darf, daß ein solcher Antrag, w i e er eben gestellt ist, k a u m nach der Geschäftsordnung w i r d erledigt werden können, weil, w e n n die Verfassung feststellt, daß jede Session eine Einheit bildet, dann doch die Geschäftsordnung nichts vorschreiben kann, daß v o n einer Session i n die andere A r b e i t e n hinübergenommen werden k ö n n e n . . 224 Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordn u n g v o m 2. November 1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 3. Bd., Anlagen zu den Verhandlungen der Zweiten K a m m e r , Erste A b t h e i l u n g Nr. 18.

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

ohne daß sie i h n förmlich zurückzuziehen braucht, nicht mehr gebunden sei. Anträge von Mitgliedern würden ohne Nachteil erlöschen, da die Abgeordneten sie ohne Mühe erneuern könnten. I n Ansehung der Petitionen ließe sich zwar das Bedenken gegen den i n Rede stehenden Geschäftsgang anregen, daß die Petenten i n der Erwartung eines Bescheides die Erneuerung der Petitionen versäumen könnten; indes sei wohl anzunehmen, daß der Geschäftsgang der Kammer i n kurzer Zeit auch dem größeren Publikum werde bekannt werden. Wenn dagegen die unerledigten Vorlagen samt und sonders i n die neue Sitzung hinübergingen, würden sich die Arbeiten der Kammer „zum Nachteil ihres Haupt Zweckes ansammeln und anhäufen"; werde indessen angenommen, daß die Vorlagen nur für eine Session gelten, so vereinfachten sich die Geschäfte, und es könnten dann „die wesentlichsten Aufgaben der Kammer gründlicher behandelt und prompter erledigt werden". Endlich spreche für dieses Verfahren, soweit der Kommission bekannt geworden sei, „der bewährte Gebrauch anderer constitutioneller Staaten, namentlich Englands". I n der Aussprache über den Bericht und Vorschlag der Kommission, der den eigentlichen Antrag i n sein Gegenteil verkehrte, erläuterte von Brauchitsch als Antragsteller noch einmal seine Beweggründe 2 2 5 . Unter Hinweis auf die Praxis der preußischen Verwaltung wie der alten Provinziallandtage, daß keine Sache liegenbleiben und keine Angelegenheit unerledigt bleiben dürfe, weshalb dort u m eine Prorogation nachgesucht worden sei, wenn innerhalb des vorher feststehenden Zeitraums die Geschäfte nicht beendet werden konnten, vertrat er die Auffassung, daß, da die Mitglieder der Kammer stets für eine gewisse Legislaturperiode gewählt seien, der Wirkungszeitraum der Kammer als „moralische Person" auch durch diese Legislaturperiode bestimmt werde, und deshalb die Kammer trotz des Einschnittes der Sitzungsperioden innerhalb der Legislaturperiode als fortbestehend angesehen werden müßte. „Die Mitglieder der Kammern, die wieder zusammentreten, sind", so führte er aus, „glaube ich, als die Erben der vorigen anzusehen, und zwar als Erben ohne Vorbehalt; sie sind also verpflichtet, die Schulden der vorigen Kammer abzutragen. Z u diesen zähle ich alle die Arbeiten, die von der vorigen Kammer unerledigt zurückgelassen worden sind" 2 2 6 . Obwohl von Brauchitsch anerkannte, daß das inzwischen von der Regierung geübte Verfahren, nicht abgeschlossene Gesetzentwürfe unverzüglich wieder neu einzubringen, einen Teil seiner Argumente auszuräumen geeignet sei, und auch der i n dem Bericht der Geschäftsord225

Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 2. November 1850 einberufenen Kammern, Zweite Kammer, 1. Bd., 13. Stzg. v o m 11. Januar 1851, S. 93 f. 226 (Anm. 225) S. 94.

§ 9 Dogmatisierung der Diskontinuität

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nungskommission aufgewiesene Weg, Anträge aus der Mitte der K a m mer formell wieder aufzunehmen, den Einschnitt nicht so schwerwiegend mache, weshalb i n erster Linie für Petitionen, für diese aber dringend, die Erhaltung über das Sessionsende hinaus erforderlich sei, und deshalb seinen Antrag, u m wenigstens einen Teil angesichts der Mehrheitsverhältnisse zu retten, entsprechend modifizierte, bei Gesetzes-Vorschlägen der Regierung u m Streichung bat und i m übrigen die Kontinuität von Anträgen und Petitionen getrennt zur Abstimmung stellen ließ, folgte i h m die Kammer unter Zustimmung der Regierung nicht, sondern beschloß „ m i t überwiegender Majorität" den Vorschlag der Geschäftsordnungskommission 227 . Damit hatte sich unter dem formalen Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit die Grundauffassung des konstitutionellen Staatsrechts, daß die Existenz und Tätigkeit der Vertretungskörperschaften sich auf kurze, geschlossene Sitzungsperioden beschränke, auch hinsichtlich der materiellen Grundlagen durchgesetzt. M i t der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung i n die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses war der Grundsatz der Diskontinuität zwar nicht aufgestellt 228 , aber doch festgeschrieben und erstmals, wenn auch nur i n einer Geschäftsordnung, niedergelegt worden 2 2 9 . Die damals noch durch Wahl gebildete Erste Kammer ergänzte die eigene Geschäftsordnung zwar nicht entsprechend, wandte die Vorschrift aber praktisch an 2 3 0 . I n der Sitzungsperiode 1852/53 wurde ein weiterer Versuch, diesmal m i t Hilfe des Initiativrechts aus A r t . 64 Abs. 1 der Verfassung, unternommen, von der organisatorischen Zäsur des Sessionsendes die materielle Auswirkung auf die schwebenden Geschäfte zu trennen. Interessanterweise waren es ganz andere politische Kräfte wie politische A b sichten, die dahinterstanden; entsprechend war auch der Ansatz ein unterschiedlicher. Der Gesetzentwurf des Abgeordneten Nöldechen zielte darauf, die i n A r t . 62 der Verfassung, wonach Gesetze i n Preußen des übereinstimmenden Willens der Krone und der beiden Kammern bedurften, angelegte inhaltliche wie zeitliche Einheit des Gesetzgebungs227

(Anm. 225) S. 95. So aber Plate (Anm. 208), wahrscheinlich unter Einfluß der Äußerung des Abgeordneten von Zander, der 1853 als Berichterstatter i n der Ersten K a m m e r erklärte: „Durch einen Beschluß der zweiten (nicht ersten! Protokollfehler) K a m m e r v o m 11. Januar 1851 w u r d e jedoch ganz ausdrücklich das Diskontinuitäts-Prinzip eingeführt"; Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 13. November 1852 einberufenen Kammern, Erste Kammer, 2. Bd. S. 997. 229 Die Bemerkungen Plates (Anm. 208) § 74 A n m . 1, bei der Beratung sei festgestellt worden, „daß eine Verfassungs-Vorschrift nicht inbetracht k o m me", ist durch die Sitzungsprotokolle nicht belegt. Z u dem Vorgang vgl. auch von Rönne (Anm. 190) 1. Bd. S. 279 Fn. 1. 230 Vgl. den Vierten Bericht der Geschäfts-Ordnungs-Kommission der Ersten Kammer, I I I . Legislaturperiode, Sammlung der Drucksachen der Ersten K a m m e r 1853, Bd. V I , Nr. 382, S. 2. 228

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

Vorganges zu sprengen. War man bisher davon ausgegangen, daß der Konsens „ i n derselben Sitzung, derselben Legislaturperiode" herbeigeführt sein mußte, sollte jetzt ermöglicht werden, zumindest den Konsens beider Kammern zwar i n derselben Legislaturperiode, aber i n aufeinanderfolgenden Sessionen herzustellen 231 . Vor dem Hintergrund der gerade auf Betreiben der Krone i n Gang gekommenen Umbildung der Ersten Kammer von einer Wahlkammer i n eine auf königliche Berufung bei erblicher Mitgliedschaft beruhende Honoratiorenvertretung mußte dies von besonderer Bedeutung sein. Indem nur Gesetzentwürfe der Regierung von der Diskontinuität ausgenommen werden und zudem die Zustimmung der Regierung selbst für die Weiterberatung erforderlich sein sollte, wurde die Abhängigkeit des Landtags von der Krone als dann reines Ratifizierungsinstrument betont. M i t der weiteren, von der Geschäftsordnungskommission eingefügten Kautele, daß die Weiterberatung i n der jeweils anderen Kammer nur möglich sein sollte, wenn der Gesetzentwurf von einer oder beiden Kammern beraten und an die andere Kammer m i t dem Beschluß derjenigen, welche die Vorlage zuletzt beraten hätte, bereits gelangt bzw. zurückgelangt wäre 2 3 2 , war sichergestellt, daß es sich hier nicht u m eine Durchbrechung oder gar Rückgängigmachung des Grundsatzes der Diskontinuität der Parlamentsarbeit, sondern u m eine Ausnahme von der ansonsten gegen den Landtag gerichteten Diskontinuität zugunsten der Krone handeln mußte, die diese nach ihrem Belieben hätte einsetzen können 2 3 3 . Die Auseinandersetzung i n der Zweiten Kammer über diesen Gesetzentwurf wurde daher m i t einer schiefen Schlachtordnung geführt. Unter den ablehnenden Stimmen befanden sich solche, die darin eine Tendenz zu einer auch „inneren Kontinuität" der Kammern und damit eine Gefahr für den monarchisch-konstitutionellen Staat sahen 234 , wie Vertreter der anderen Richtung, die m i t einem derartigen Gesetz, das beide Häuser bis zur Änderung wieder i m Gesetzgebungsverfahren gebunden hätte, eine Einschränkung der Verfahrensautonomie der einzelnen K a m mer befürchteten. Hauptargument der Liberalen gegen den Entwurf w a r aber, daß damit der Manipulation des Gesetzgebungsverfahrens durch Krone und Staatsregierung Vorschub geleistet worden wäre, in231 So ausdrücklich der Abgeordnete Nöldechen i n der 54. Stzg. der Zweiten Kammer, Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste V e r ordnung v o m 13. November 1852 einberufenen Kammern, 3. Bd. S. 1073. 232 Y g i ^ie Änderungen i n der Gegenüberstellung i n dem Bericht der Geschäftsordnungskommission der Ersten K a m m e r (Anm. 230) S. 1. 233 Das übersehen alle zeitgenössischen w i e auch die neueren Darstellungen, z.B. Beiz (Anm. 30) S. 15. Die Z u s t i m m u n g der Staatsregierung durch den Minister-Präsidenten von Manteuffel w a r daher nicht verwunderlich; (Anm. 231) S. 1072. 234 Abgeordneter Lette (Anm. 231) S. 1073.

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dem nach Belieben die Beschlüsse der einzelnen Kammern zu Gesetzesvorhaben der Regierung, die dieser gerade genehm waren, über mehrere Sitzungsperioden hätten zum Tragen gebracht werden können, während die mißliebigen wie auch Anträge aus der Mitte der Kammern sowie Petitionen der Guillotine der Diskontinuität unterfallen wären 2 3 5 . Wo Kenner der Geschäftsordnung wie die Abgeordneten Osterrath und Graf von Schwerin dem Gesetzentwurf zustimmten, geschah dies aus praktischen Erwägungen der Beschleunigung der Geschäftstätigkeit und unter Anerkennung der eingebauten Sicherheit, daß die Beschränkung dieses Verfahrens auf dieselbe Legislaturperiode grundlegende Änderungen i n der Zusammensetzung der einzelnen Kammer von Session zu Session, die gegebenenfalls einer Festlegung auf die Beschlüsse früherer Sitzungsperioden entgegengestanden hätten, ausschloß 236 . Nachdem der Berichterstatter der Geschäftsordnungs-Kommission noch einmal klargestellt hatte, daß die eigentliche Kontinuitätsfrage durch dieses Gesetz nicht berührt werde 2 3 7 , stimmte die Zweite Kammer dem Entwurf i n der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung zu. I n der Ersten Kammer wog die Geschäftsordnungs-Kommission noch einmal das Für und Wider ausführlich ab 2 3 8 und schlug als Änderung vor, die Ausnahme sogar auf alle Gesetzentwürfe, also auch die aus der Mitte der beiden Kammern auszudehnen, dafür aber der Staatsregierung die I n itiative zur Handhabimg dieses Instruments zu übertragen, indem „die Anwendung des Kontinuitäts-Prinzips nicht von der Genehmigung, sondern von der Veranlassung der Staats-Regierung" abhängig gemacht und damit i n eine Kann-Vorschrift umgewandelt wurde 2 3 9 . Die Erste Kammer selbst konnte sich trotz dieser weiteren Absicherung nicht zu einer Zustimmung verstehen. Der Eingriff, der damit i n das Gefüge des konstitutionellen Staates getan werden sollte, erschien den meisten zu groß. A m beredtesten wandte sich der konservative A b geordnete Stahl dagegen, der — aus seiner Sicht zu recht — darauf hinwies, daß der Entwurf weniger eine Frage der Geschäftsordnung als der Verfassung sei, und wenn Kontinuität i m Allgemeinen auch ein konservatives Prinzip darstelle, dies nur für die Kontinuität der KammerGesinnung, nicht aber für die Kontinuität der Kammergewalt gelte. Der 235

Vgl. den Abgeordneten Vincke (Anm. 231) S. 1073 ff. (Anm. 231) S. 1077,1078. 237 (Anm. 231) S. 1079; von Carlowitz sprach auch zum ersten M a l von einem „ P r i n c i p der Diskontinuität", dessen Anhänger er sei. 238 Vgl. den Bericht (Anm. 230), der gleich zu Beginn die Frage erörterte, ob der Vorschlag destruktiv oder konservativ sei, u n d zu dem Schluß kam, er sei konservativ, was als Vorzug empfunden wurde. 239 (Anm. 230) S. 5; vgl. auch den Abgeordneten von Blankenese i n der 56. Stzg. der Ersten K a m m e r (Anm. 228) S. 999, u n d den Abgeordneten Stahl (Anm. 228) S. 1002. 23e

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

K ö n i g allein sei die permanente legislative Gewalt, neben der es keine andere permanente legislative Gewalt geben könne. Jeder andere Faktor der Gesetzgebung entstehe u n d vergehe unaufhörlich. Der K ö n i g berufe die K a m m e r n u n d erteile ihnen jedesmal durch seine Berufung ihre legislative Vollmacht; sobald die Session geschlossen sei, hätten sie daher ihre Vollmacht verloren, u n d was sie damals beschlossen hätten, könne nachher, da die Vollmacht nicht mehr bestehe, auf die künftige Periode auch keine W i r k u n g mehr haben 2 4 0 . Als besondere Gefahr sah Stahl, daß später einmal die i n der „Veranlassung der Regierung" liegende Absicherung aufgehoben u n d dann ein Grundsatz übrigbleiben könne, der die jetzt geäußerten Befürchtungen bestätige. „Gegenwärtig", so faßte er seine Ablehnung zusammen, „ist es ein allgemeines europäisches Rechtsbewußtsein u n d eine europäische Gewöhnung, daß m i t der Schließung der K a m m e r n alle ihre nicht v ö l l i g beendigten Arbeiten expiriren. H i e r i n liegt eine große Garantie f ü r die monarchische Gewalt; sie ist dadurch allein die permanente Macht i m L a n d e 2 4 1 . " D a m i t war, nachdem der Grundsatz bereits i n der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses niedergelegt worden war, zum ersten M a l i n der Geschichte der konstitutionellen Monarchie i n Deutschland auch eine ausführliche Begründung gegeben worden, die die Diskontinuität eindeutig als integrierenden Bestandteil des monarchischen Prinzips auswies. Der gewählte w i e der durch Erbgang zur M i t w i r k u n g an den Staatsgeschäften berechtigte T e i l des Landtages bezogen ihre Legitimation zur Tätigkeit nicht aus den Kreationsakten, sondern allein aus der Berufung durch den König. M i t ihrer Entlassung erloschen auch alle ihre Beschlüsse, soweit sie nicht durch Sanktionsakt der Krone auf eine höhere Ebene der Verbindlichkeit gehoben worden waren. Nicht das Bedenken, daß eine der beiden Kammern, die einen Gesetzentwurf bereits angenommen hatte, bis i n die nächste Session an ihren Beschluß gebunden bleiben sollte 2 4 2 , sondern umgekehrt die i n einer solchen B i n d u n g auch f ü r die übrigen am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten einschließlich der Krone u n d die darin liegende K o n t i n u i t ä t oder Permanenz der K a m m e r gewalt w a r der eigentliche G r u n d für eine derart starre Festlegung der Diskontinuität als Grundsatz i n der preußischen Monarchie. E i n 1871 erneut vorgenommener Vorstoß des Abgeordneten von Brauchitsch, die inzwischen zwanzig Jahre alte entsprechende Bestimm u n g der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses wenigstens i m Hinblick auf Gesetzentwürfe aufzulockern u n d nicht abschließend beratene Gesetzentwürfe n u r durch den Schluß der Legislaturperiode für 240 241

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(Anm. 228) S. 1002. (Anm. 228) S. 1003. So aber Plate (Anm. 208).

§ 9 Dogmatisierung der Diskontinuität

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erledigt zu erachten 243 , mußte daher von vorneherein zum Scheitern verurteilt sein. Der Präsident hatte vorgeschlagen, über den Antrag sofort i m Plenum zu beraten und abzustimmen; die Abgeordneten Lasker, Kosch und Windthorst wandten aber dagegen ein, daß hier nicht nur die Geschäftsordnung, sondern materiell wie formell eine Verfassungsfrage berührt sei und deshalb die Geschäftsordnungs- wie die Justizkommission damit befaßt werden müsse. Dort wurde der Antrag, der gerade wegen der Kürze des noch für konstruktive Arbeit verbleibenden Restes der Session gestellt worden war, ein Opfer des Prinzips, gegen das er angehen wollte: er verblieb bei Ende der Session unerledigt i m Ausschuß 244 . Ein gleicher Versuch, diesmal sofort auf dem Wege der Gesetzgebung und m i t dem Ziel der Verfassungsergänzung, wurde schließlich 1873 i m Herrenhaus gemacht 245 . A r t . 64 der Verfassungsurkunde sollte einen Zusatz dahingehend erhalten, daß Gesetzesvorschläge, m i t Ausnahme des Staatshaushaltsetats, über die i n einer Sitzungsperiode die Beschlußfassung nur eines Hauses des Landtags stattgefunden hatte, oder über die eine übereinstimmende Beschlußfassung beider Häuser nicht hatte erzielt werden können, falls sie nicht zurückgezogen würden, innerhalb derselben Legislaturperiode bei dem nächsten Zusammentritt des Landtages von demjenigen Haus erneut sollten beraten werden können, bei welchem sie anhängig geblieben waren. Zur Begründung wurde auf die kurze Dauer der Sitzungsperioden des Landtags verwiesen, die durch den engen Abstand zu den Sitzungen des Reichstages eine Erledigung der Geschäfte unmöglich machten. Der Bericht der Geschäftsordnungskommission 2 4 6 führte noch einmal die gesamte Entstehungsgeschichte des Grundsatzes der Diskontinuität als Bestandteil der geschriebenen Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses und die seitdem erfolgten Versuche einer Einschränkung oder Durchbrechung auf, u m dann den A n trag zur Ablehnung zu empfehlen, weil hier „nach den bewährtesten Lehrern des Staatsrechts eine wesentliche Grundlage des Verfassungsrechts" berührt werde, und die Bedenken größer als der Nutzen seien 247 . 243 Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 4. Dezember 1870 einberufenen beiden Häuser des Landtages, Haus der Abgeordneten, Bd. 1,10. Stzg. v o m 10. Januar 1871, S. 211. 244 Plate (Anm. 208) S. 13 f. u n d 212 verweist darauf, daß der A n t r a g i n der Kommission keine Mehrheit gefunden habe, w e i l er nach Auffassung des Ausschusses eine Änderung der Verfassung i n sich schließe; aus den gedruckt vorliegenden Protokollen u n d Drucksachen des Abgeordnetenhauses geht das nicht hervor. 245 Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 4. November 1873 einberufenen beiden Häuser des Landtags. V e r handlungen des Herrenhauses, 2. Bd. Anlagen Drs. 5. 248 (Anm. 245) Drs. 26.

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II. 3. Kap.: Diskontinuität im Konstitutionalismus

Erstaunlicherweise hatte sich auch der Regierungskommissar von Brauchitsch dagegen ausgesprochen, weniger aus konstitutionellen Bedenken, als w e i l sich die Regierung keinen besonderen Erfolg davon verspreche 248 . Damit war der letzte Versuch i n Preußen, die sachliche Diskontinuität bzw. deren für die parlamentarische Arbeit fühlbarste Folgen durch eine Ergänzung des geschriebenen Rechts zu überbrücken, gescheitert. Die praktischen Ansätze dazu hatten sich vom reinen Geschäftsordnungsrecht immer mehr zur Verfassung hin verlagert. Gerade auf dieser beruhte aber die Macht der Krone; durch sie wurde das monarchische Prinzip festgeschrieben. I n der Ablehnung aller Verfassungsänderungen wurde damit der Grundsatz der Diskontinuität zu einem eigenen, auf dem Recht der Krone zur Einberufung und Schließung des Landtags beruhenden Verfassungssatz, der ein gegenüber seinem Ursprung stark verändertes Eigenleben entfaltete. § 10 Der Grundsatz der Diskontinuität als Bestandteil des Staatsrechts der deutschen konstitutionellen Monarchie im Gegensatz zu dem der freien Städte I m Gegensatz zu den tastenden Versuchen i n Württemberg und Bayern, die von der ungeschriebenen Existenz der Diskontinuität als Bestandteil des Staatsrechts der konstitutionellen Monarchie ausgehend diese i n beiderseitigem Interesse von König und Repräsentativorgan aufzulockern versuchten 249 , führten ähnliche Ansätze i n Preußen also zu genau entgegengesetzten Ergebnissen, nämlich einer Festschreibung der sachlichen Diskontinuität als Grundsatz i n der Geschäftsordnung des A b geordnetenhauses, die auch alle Änderungen dieser Geschäftsordnung überdauerte 250 . Die dominierende Rolle, die Preußen von Anfang an i n 247 Plate (Anm. 208) S. 212 gibt den tatsächlichen A b l a u f unrichtig wieder, w e n n er davon spricht, die Kommission habe den A n t r a g „ g u t geheißen", das Plenum i h n aber abgelehnt. 248 (Anm. 246). Der Bericht zitiert von Brauchitsch aber auch m i t der w e i teren Aussage: „ I n einem seiner Werke sei v o n Dr. Gneist nachgewiesen, daß die periodische Geschlossenheit der Sitzungsperioden ein Grundprinzip sei. E i n Abweichen v o n demselben werde weittragende Konsequenzen haben, ζ. B. das Bureau müsse bestehen, die Kommissionen dieselben bleiben. M a n möge lieber versuchen, durch die Geschäftsordnung den gewünschten Zweck zu erreichen u n d der Regierung überlassen, die Beschlüsse der Häuser zu werten. Die Konsequenzen des Antrags ließen sich nicht übersehen!" 249 Vgl. oben § 7. 250 Ursprünglich als §22a eingefügt, dann als §23 verselbständigt, w u r d e die Bestimmung 1869/70 bei der Twesten-Laskerschen Revision aus dem Abschnitt „Kommissionen" herausgenommen u n d dem I X . Abschnitt „ A l l g e meine Bestimmungen" als § 74 angehängt, wodurch er noch größere selbständige Bedeutung erhielt. Vgl. auch Plate (Anm. 208) S. 212.

§ 10 Diskontinuität und konstitutionelle Monarchie

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tatsächlicher Hinsicht unter den deutschen Einzelstaaten, wie sie durch Napoleon und den Reichsdeputationshauptschluß, dann durch den Wiener Kongreß vorwiegend nach Erwägungen der Statistik und der Staatsraison zurechtgeschneidert waren 2 5 1 , zuwuchs, zeigte sich dabei auch i n der Staatsrechtslehre, die insoweit i n ihren wesentlichen Vertretern nur die Erhaltung des konstitutionellen Systems und des monarchischen Prinzips verfocht. Unter dem Einfluß der Praxis i n Preußen, die Ausfluß des Abwehrkampfes des monarchischen Prinzips gegen immer wieder aufkommende und trotz aller Rückschläge sich verstärkende demokratisch-repräsentative Bestrebungen war, wandelte sich der Charakter der Diskontinuität von einem aus der englischen Verfassungsgeschichte entlehnten, das Verhältnis zwischen Krone und Parlament als gegenseitiger Bindung verdeutlichendem Ordnungsfaktor i n der relativ geschichtslosen konstitutionellen Monarchie deutscher Prägung zu einem einseitig auf die Bewahrung monarchischer Prärogativen ausgerichteten Prinzip oder Grundsatz. I n dieser Form und m i t der entsprechenden Härte wurde er dann auch nach 1850 i n allen Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, soweit sie Fürstentümer waren, vertreten und angewendet. Der Monarch konnte — wie Otto Mayer es ausdrückte 252 — verfassungsmäßig des Landtags nicht entraten; aber der Form nach war dessen jedesmaliger Bestand abhängig von seinem Willen. Entsprechend führte der Schluß des Landtags durch die Krone jeweils zu seinem Untergang als gesetzmäßiger Versammlung und damit zur Unfähigkeit der Mitglieder, fortan rechtswirksam Landtagsgeschäfte zu besorgen 253 . Wurde der Landtag später innerhalb derselben Legislaturperiode zu einer neuen Versammlung, einer neuen Session, einberufen, so war es ein ganz anderer 2 5 4 : Die ganze Konstituierung galt für ihn nicht, weder das Direktorium, das er sich gegeben, noch die Abteilungen und Deputationen, die er gebildet hatte; Vorlagen, die dem vorhergehenden Landtag gemacht worden waren, mußten also, wenn darauf bestanden wurde, erneuert werden, Beschlüsse, an welche jener gebunden war, konnte der neue Landtag ändern und zurücknehmen 255 . Soweit sich die Kommentatoren der einzelnen Landesverfassungen überhaupt dazu äußerten, wurde einhellig und unbestritten von dem Grundsatz der Diskontinuität gesprochen, der m i t dem Sessionsende verbunden w a r 2 5 6 . 251

Böckenförde (Anm. 58) S. 91. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen, S. 137. 253 (Anm. 252) S. 138. 254 (Anm. 252) S. 139. 255 (Anm. 252) S. 139. 256 Vgl. noch einmal van Calker (Anm. 88) S. 59; Walz (Anm. 78) S. 86 f.: Gaupp (Anm. 88) S. 112; Göz (Anm. 88) S. 137. 252

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

Dieser als Ausfluß des monarchischen Prinzips, wie es i n Titel I I § 1 der bayerischen Verfassung von 1818 seine klassische Formulierung gefunden hatte 2 5 7 , herausgebildete und verabsolutierte Grundsatz konnte da keine Anwendung finden, wo die Staatsgewalt nicht bei einem Fürsten konzentriert war, sondern von einer gewählten oder i n anderer Weise bestellten Personenmehrheit einer Repräsentativversammlung ausgeübt wurde. A r t . 57 der Wiener Schlußakte 258 hatte das monarchische Prinzip deshalb für alle Mitglieder des Deutschen Bundes m i t Ausnahme der freien Städte für verbindlich erklärt und i n A r t . 62 noch einmal klargestellt, daß „die vorstehenden Bestimmungen i n bezug auf den dreizehnten A r t i k e l der Bundesakte . . . auf die freien Städte i n soweit anwendbar (sind), als die besonderen Verfassungen und Verhältnisse derselben es zulassen" 259 . Diese freien Städte waren nach der Einverleibung Frankfurts i n Preußen nur noch die Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg, die m i t ihrer Staatsstruktur einen gewissen Widerspruch zu den übrigen Bundesstaaten darstellten. Sie hatten ihre seit dem 15. Jahrhundert entwickelte republikanische Staatsverfassung, die einen sich selbst ergänzenden Rat aus einer bestimmten Anzahl von B ü r germeistern und Senatoren als Regierungs- und Verwaltungsgremium und eine auf persönlichem Stimmrecht beruhende, i n Korporationen gegliederte, zur allgemeinen M i t w i r k u n g bei der Gesetzgebung, aber auch bei der Verwaltung bestimmter Bereiche befugte Bürgerschaft als Vertretung der durch Stand ausgezeichneten Bürger kannte 2 6 0 , beibehalten und nach der Befreiung von der französischen Herrschaft wieder eingeführt. Nach jahrzehntelangem Sträuben der Korporationen, die ihre ständischen Rechte nicht aufgeben wollten, wurde m i t der dritten Verfassungswelle auch hier eine Repräsentativverfassung geschaffen, die das Wahlrecht zur Bürgerschaft auf alle Einwohner, wenn auch zum Teil unter gewissen Mindestvoraussetzungen und nach Wählergruppen getrennt, ausdehnte 261 . 257 „Der K ö n i g ist das Oberhaupt des Staats, vereinigt i n sich alle Rechte der Staatsgewalt u n d übt sie unter den von i h m gegebenen, i n der gegenwärtigen Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus." 258 „Da der Deutsche Bund, m i t Ausnahme der freien Städte, aus souveränen Fürsten besteht, so muß dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge die gesammte Staats-Gewalt i n dem Oberhaupt des Staates vereinigt bleiben, u n d der Souverain k a n n durch eine landständische Verfassung n u r i n der Ausübung bestimmter Rechte a n die M i t w i r k u n g der Stände gebunden werden." 259 Vgl. auch Zoepfl (Anm. 59) 2. T h e i l S. 214. 280 y g i Brückner, Staats- u n d Verwaltungsrecht der freien u n d Hansestadt Lübeck, S. 2 f. 261 von Melle, Das Hamburgische Staatsrecht, S. 113; Bollmann, recht der Freien Hansestädte Bremen u n d Lübeck, S. 48; Brückner S. 33.

Das Staats(Anm. 260)

§ 10 Diskontinuität und konstitutionelle Monarchie

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Als gemeinsamer oberster Verfassungsgrundsatz galt i n allen drei Hansestädten, daß Träger der Staatsgewalt Senat und Bürgerschaft gemeinsam waren, und die Bürgerschaft dem Senat somit als Mitsouverän zur Seite stand 2 6 2 . Diese Kollektivwahrnehmung der Staatsaufgaben, insbesondere aber die unmittelbare Beteiligung an der Verwaltung, die i n Bremen noch dadurch verstärkt war, daß nur Mitglieder der Bürgerschaft i n die Verwaltungsdeputation gewählt werden konnten 2 6 3 , machte von vorneherein eine zeitliche Begrenzung der Handlungseinheiten der Vertretungskörperschaften unmöglich. Periodizitäten durch Legitimationsablauf oder durch ein Berufungs- und Vertagungsrecht etwa des Senats innerhalb vorher festgelegter Sitzungsperioden oder Tagungen mußten den Bürgerschaften deshalb unbekannt sein. I n allen drei Hansestädten wurden die Mitglieder der Bürgerschaft auf sechs Jahre gewählt, wobei i n Hamburg 2 6 4 und Bremen 2 6 5 nach drei Jahren jeweils die Hälfte, i n Lübeck jeweils nach zwei Jahren 2 6 6 ein Drittel ausschied und neu gewählt werden mußte. Diese Partialerneuerung der Bürgerschaft sicherte die Kontinuität der Vertretungskörperschaft, insbesondere m i t Rücksicht auf ihre Beteiligung an der Verwaltung 2 6 7 . Gab es somit keine Legislaturperioden als geschlossene Handlungsabschnitte, konnte es aus dem gleichen Grund aber auch keine Sessionen geben. Die „Geschäftsformen" der Bürgerschaften der drei Hansestädte konnten eben nur „ i m allgemeinen die parlamentarisch üblichen" sein; die wesentlichen Unterschiede ergaben sich aus der grundsätzlich unabhängigen und dem Senat gleichgeordneten Stellung, die konsequent auch das Selbstversammlungsrecht einschloß 268 . Der Senat konnte nicht durch Vertagung, Schließung oder A u f lösung i n ihre Geschäfte eingreifen. Selbst wo die erste Einberufung der Bürgerschaft nach der hälftigen Erneuerung wie i n Hamburg durch den Senat erfolgte und das Selbstversammlungsrecht deshalb zeitweise streitig werden konnte 2 6 9 , existierte keine von außen herbeigeführte Abgrenzung der Handlungseinheiten der Vertretungskörperschaft. Durch die 262 Brückner (Anm. 260) S. 7. Bollmann (Anm. 261) S. 56 spricht auch von gemeinsamer Ausübung der Staatsgewalt, was aber w o h l n u r f ü r Bremen galt. 263 Bollmann (Anm. 261) S. 48. 264 von Melle (Anm. 261) S. 113. 265 Bollmann (Anm. 261) S. 48. 266 Bollmann (Anm. 261) S. 48; Brückner (Anm. 260) S. 33. 267 Lüders, Die Partialerneuerung der Volksvertretung i m deutschen L a n desstaatsrecht, i n : H i r t h s A n n a l e n 1909 S. 544. 268 Bollmann (Anm. 261) S. 57; Brückner (Anm. 260) S. 34. 269 A r t . 4 Hbg. Verf. v o m 13. 10. 1879; vgl. Bollmann (Anm. 261) S. 57. I n Lübeck hatte der Senat die Bürgerschaft einzuberufen, w e n n ein M i t g l i e d des Senats gewählt werden mußte. A r t . 7 Lüb. Verf. v o m 7. 4. 1875; vgl. Brückner (Anm. 260) S. 18.

7 Jekewitz

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II. 3. Kap. : Diskontinuität im Konstitutionalismus

Verfassung waren zwar fest bestimmte Tage für den Zusammentritt vorgesehen; auch mußte die Bürgerschaft berufen werden, wenn und so oft es der Senat für erforderlich erachtete, oder der als ständiges Organ der Bürgerschaft gewählte Bürgerausschuß 270 es begehrte, oder wenn eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern der Bürgerschaft es beantragte. Die Einberufung selbst und die Entscheidung über Zeit und Ort der Versammlung erfolgte jedoch durch den Präsidenten oder Wortführer der Bürgerschaft, der sich dazu vorher m i t dem Senat bzw. m i t einem vom Senat allgemein m i t dem Kontakt zur Bürgerschaft beauftragten M i t glied des Senats verständigte 2 7 1 . Diese Einberufungen wie auch Vertagungen aus eigenem Entschluß aus der konkreten Geschäftslage heraus bildeten deshalb keine Einschnitte, die abgeschlossene Wirkungsperioden dargestellt hätten. I m Gegensatz zu den Landtagen und Ständeversammlungen der übrigen Bundesstaaten waren die Bürgerschaften vielmehr permanente Organe und nicht lediglich periodisch tätig 2 7 2 . Da Legislatur- und Sitzungsperioden bei ihnen somit unbekannt waren, konnte es auch keine sachliche Diskontinuität geben. Der Verlust der Legitimation durch Zeitablauf, das Ende des Amtswalterverhältnisses, traf immer nur einen Teil der Mitglieder der Bürgerschaft, nie die Gesamtheit, so daß eine personelle Diskontinuität ausgeschlossen war. Es konnte aber auch keine Organ-Diskontinuität eintreten, w e i l m i t der permanenten Bürgerschaft Präsidium und Kommissionen als Institutionen ebenfalls permanent waren, lediglich einem Wechsel der Person unterlagen. Deshalb blieb auch die Geschäftsordnung der Bürgerschaft i n Kraft, bis sie von dieser abgeändert wurde, und bedurfte keiner neuen Bestätigung, wenn die Bürgerschaft erneuert worden w a r 2 7 3 . Der so auch äußerlich zum Ausdruck kommende Mangel an Periodizität Schloß eine Anwendung des Grundsatzes der sachlichen Diskontinuität von selbst aus. Auch nach der regelmäßigen Erneuerung nahmen die Geschäfte ohne weiteres ihren Fortgang 2 7 4 . Eine künstliche Erledigung nicht abgeschlossener Arbeiten m i t der notwendigen Folge förmlicher Wiedereinbringung war unter den Verfassung der Hansestädte wegen des Fehlens von Periodizitäten nicht möglich. Die Mitträgerschaft der Souveränität durch die Bürgerschaft, das daraus fließende Selbstversammlungsrecht, die Einbeziehung i n die Verwaltung und die dadurch notwendige Permanenz, die i n einer revolvierenden Partialerneuerung Ausdruck fand, verhinderten so die Übernahme eines Grundsatzes, die 270 271 272 273 274

Vgl. dazu von Melle (Anm. 261) S. 187 ff.; Brückner (Anm. 260) S. 42 f. Brückner (Anm. 260) S. 35. Bollmann (Anm. 261) S. 57; vgl. auch Beiz (Anm. 30) S. 2 u n d 15 Fn. 94. von Melle (Anm. 261) S. 129. Bollmann (Anm. 261) S. 57.

§ 10 Diskontinuität und konstitutionelle Monarchie

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bei der engen geistigen Verwandtschaft zu England nahegelegen hätte. Diese Zusammenhänge lassen aber zugleich erkennen, daß für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht ohne weiteres davon gesprochen werden konnte, es habe keine permanenten Parlamente gegeben 275 . M i t der fehlenden Periodizität war der Hauptanknüpfungspunkt für die sachliche Diskontinuität nicht vorhanden; mangels von außen gesetzter Einschnitte konnte i n den Hansestädten auch kein entsprechender Grundsatz entwickelt werden. Die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Diskontinuität w a r also zunächst auf die monarchischen Staaten des Deutschen Bundes m i t durch die Verfassungen m i t bestimmten W i r kungsrechten ausgestatteten Repräsentativvertretungen beschränkt, die ihrerseits jedoch i n der konkreten Wirkungsfähigkeit vollständig vom Monarchen abhängig waren.

275 So aber Georg Jellinek (Anm. 12) S. 241; gegen i h n auch Beiz (Anm. 30) S. 2 Fn. 7, obwohl nicht übersehen werden darf, daß damals w i e heute die Bezeichnung „Parlament" f ü r die Vertretungskörperschaften der Hansestädte wegen ihrer Doppelfunktion ungenau ist.

7*

Viertes Kapitel

Der Grundsatz der;Diskontinuität im Deutschen Kaiserreich Die politischen und militärischen Erfolge Preußens hatten seine Stellung i n jeder Beziehung wesentlich gestärkt. Insbesondere nach der Auseinandersetzung m i t Österreich war klargestellt, wer die Führungsrolle unter den deutschen Staaten beanspruchen konnte. Bismarck konnte deshalb daran gehen, das 1848 gescheiterte Einigungswerk unter anderen Vorzeichen erneut einzuleiten. Bereits i n der entscheidenden Sitzung des Bundestages vom 14. Juni 1866, i n der die Erklärung Preußens über den Bruch und die fernere Rechtsverbindlichkeit der bisherigen Bundesverhältnisse erfolgt war, hatte der preußische Gesandte noch unmittelbar vor seinem Ausscheiden die „Grundzüge einer neuen, den Zeitverhältnissen entsprechenden Einigung" überreicht 1 . Nach der A n erkennung der Auflösung des bisherigen Bundes und Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des österreichischen Kaiserstaates durch Österreich i n A r t . 2 des Nikolsburger Präliminarienvertrages war der Weg frei, den „Norddeutschen Bund", wie das Einigungswerk jetzt genannt wurde, zu vollenden. I n dem sogenannten Augustbündnis von 1866 erklärten sich siebzehn der norddeutschen Staaten bereit, die von Preußen gemachten Vorschläge zu akzeptieren und auf ihrer Grundlage einen neuen Bund einzugehen; durch Friedensverträge Preußens m i t Reuß Ä. L., Meiningen und dem Königreich Sachsen wurden diese Staaten anschließend ausdrücklich und zu gleichen Rechten und Pflichten i n das Bündnis aufgenommen; ebenfalls durch Friedensvertrag verpflichtete sich das Großherzogtum Hessen, m i t seinen nördlich des Mains gelegenen Gebietsteilen „auf der Basis der i n den Reformvorschlägen vom 10. Juni d. J. aufgestellten Grundsätze" i n den Norddeutschen Bund einzutreten und die Einleitung für die Parlamentswahlen zu treffen 2 . Das Augustbündnis selbst war nur eine auf die Dauer eines Jahres befristete provisorische Allianz. Dieses „gegenwärtige Bündnis" sollte alsdann durch eine Bundesverfassung ersetzt werden, 1 Haenel, Deutsches Staatsrecht, 1. Bd., S. 12, 14 f.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 182 ff.; Anschütz, Der Norddeutsche B u n d u n d seine Erweiterung zum Kaiserreich, i n : HbDStR Bd. I S. 63; Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte v o m 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, S. 269; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I I I S. 537. 2 Haenel (Anm. 1) S. 16.

II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich deren Grundlinien und die A r t ihrer Feststellung vorgezeichnet waren: die beteiligten Staaten verpflichteten sich, Bevollmächtigte nach Berlin zu entsenden, u m zusammen m i t der preußischen Regierung den zunächst von dieser aufzustellenden Verfassungsentwurf festzulegen, der anschließend einem gemeinschaftlich zur Beratung und M i t w i r k u n g zu berufenden Parlament, das nach dem 1849 von der Frankfurter Nationalsversammlung beschlossenen Gesetz über die Wahlen zum Volkshaus gewählt werden sollte, vorzulegen war 3 . A m 15. Dezember 1866 trat die Konferenz der Bevollmächtigten der verbündeten Regierungen zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen; am selben Tage legte die preußische Regierung ihren Entwurf der norddeutschen Verfassung vor 4 , der i n einem Wechsel vertraulicher und förmlicher Sitzungen beraten und i n einer Reihe von Punkten nicht unwesentlichen Änderungen unterworfen wurde. Bereits i n der ersten dieser förmlichen Sitzungen am 18. Januar 1867 wurde der Krone Preußens die Befugnis übertragen, den „Reichstag" zu berufen, zu eröffnen, zu schließen, ja selbst aufzulösen sowie i h m den vereinbarten Verfassungsentwurf vorzulegen und für dessen parlamentarische Vertretung zu sorgen 5 . I n der dritten förmlichen Sitzung vom 7. Februar 1867 verständigte man sich zu der Erklärung, daß der Verfassungsentwurf, wie er sich aus den Beratungen ergeben hatte, nunmehr definitiv festgestellt sei, so daß er dem zusammengetretenen Reichstag vorgelegt werden könne. Daraufhin wurden am 12. Februar 1867 die Wahlen zum Reichstag vorgenommen, die gewählten Abgeordneten für den 24. Februar durch den hierzu ermächtigten König von Preußen nach Berlin einberufen. Nach erfolgter Eröffnung und nach seiner autonomen Konstituierung trat der Reichstag nach den Verfassungsregeln der von i h m angenommenen Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses i n die Erörterung des vorgelegten Regierungsentwurfs ein. Nach einer Vorberatung i n 22 Sitzungen und einer Schlußberatung wurde die Verfassung am 16. A p r i l mit zahlreichen Änderungen, die insbesondere die Struktur des Bundespräsidiums und die Stellung des Bundeskanzlers betrafen 6 , verabschiedet. A m selben Tage beschloß die Konferenz der Bevollmächtigten einstimmig, „den Verfassungsentwurf, wie er aus der Schlußbera3

Haenel (Anm. 1) S. 18; Anschütz (Anm. 1) S. 64. Z u r Vorgeschichte u n d Autorenschaft dieses Entwurfs vgl. M or sey, Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck 1867 -1890, S. 19 f., Fn. 1, w o auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen ist, die Originale der verschiedenen Fassungen aufzuspüren. Die Darstellung bei Meyer/Anschütz (Anm. 1) S. 190 f. w i r d darin relativiert. 5 Haenel (Anm. 1) S. 18. 6 Vgl. Meyer/Anschütz (Anm. 1) S. 495 ff., 523 ff. 4

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

tung des Reichstages hervorgegangen ist, anzunehmen" 7 ; am 17. A p r i l erklärte der preußische Ministerpräsident i m Namen aller verbündeten Regierungen die Annahme der Bundesverfassung, die nach Zustimmung aller Landtage durch Regierungsakte der einzelnen Bündnisstaaten m i t der übereinstimmenden Willenserklärung, daß sie am 1. J u l i 1867 i n K r a f t treten solle, zur Grundlage des m i t diesem Tage entstehenden neuen Staates wurde 8 . Nach Verkündung der Bundesverfassung i n dem neueingerichteten Bundesgesetzblatt und Übernahme der Präsidialgewalt durch den König von Preußen erfolgte die Einberufung des Bundesrates zu seiner ersten Sitzung auf den 15. August und die des am 21. August gewählten Reichstags auf den 10. September 9 . Der neue Bundesstaat w a r damit konstituiert und hatte seine Tätigkeit aufgenommen. Parallel dazu wurden die m i t den süddeutschen Staaten i n den Friedensverträgen vorgesehenen Verhandlungen abgeschlossen, die zu einer Reihe von Schutz- und Trutzbündnissen für den Kriegsfall und zu einer Erneuerung des Zollvereinsvertrages führten und die noch außerhalb des Norddeutschen Bunde stehenden Staaten so bereits außenpolitisch und wirtschaftlich i n das Einigungswerk einbezogen 10 . Die Kriegserklärung Frankreichs an Preußen setzte dann den Schlußstein: i n den sogenannten Novemberverträgen des Jahres 1870 erklärten die süddeutschen Staaten ihren Willen, dem Norddeutschen Bund beizutreten, der Norddeutsche Bund seinerseits, sie aufzunehmen. Die Verfassung wurde dazu den veränderten Verhältnissen angepaßt, insbesondere durch Bestimmungen ergänzt, die den süddeutschen Staaten gewisse Reservatrechte gewährten; außerdem wurde bei i m übrigen beibehaltener Verfassungsstruktur bestimmt, daß der neue Bundesstaat Deutsches Reich heißen und der König von Preußen als Träger der Präsidialgewalt den Titel eines Deutschen Kaisers führen sollte. Nach Billigung durch Bundesrat und Reichstag sowie die Landtage der süddeutschen Staaten trat dieses deutsche Kaiserreich am 1. Januar 1871 m i t der durch die Novemberverträge modifizierten Verfassung, die durch Reichsgesetz vom 16. A p r i l 1871 neu veröffentlicht wurde, i n K r a f t 1 1 .

7

Haenel (Anm. 1) S. 23; Anschütz (Anm. 1) S. 65. Z u r rechtlichen Bewertung des Staatsgründungsaktes u n d des neuen Staatswesens vgl. ausführlich Haenel (Anm. 1) S. 23 ff.; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 193 ff., 196 ff. • Haenel (Anm. 1) S. 34. 10 Vgl. dazu Haenel (Anm. 1) S. 38; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 203 ff. 11 Vgl. statt vieler Anschütz (Anm. 1) S. 68. 8

§11 Verfassungsstruktur

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§ 11 Die Verfassungsstruktur des Kaiserreichs M i t der Auflösung des Deutschen Bundes waren an und für sich auch die durch die Wiener Bundesakte und die Bestimmungen der Schlußakte gesetzten Voraussetzungen und bindenden Grundentscheidungen für einen durch das monarchische Prinzip gekennzeichneten Konstitutionalismus i n allen deutschen Staaten entfallen. A n die Stelle dieser völkerrechtlichen Verpflichtung trat aber bereits durch das Augustbündnis eine neue, wenn auch zeitlich begrenzte, die praktisch bei Fortgeltung der internen Verfassungsbestimmungen nur den äußeren Rahmen veränderte. Selbst wo der geplante neue Bund darauf angelegt war, tiefgreifende Änderungen jedes beteiligten Staates herbeizuführen, die sich sowohl auf seine äußere Rechtsstellung durch E i n t r i t t i n eine höhere politische Einheit wie auf seinen inneren Bestand nach Organisation, Aufgaben und Funktionen 1 2 erstrecken mußten, stand dem jedoch der i n allen Staaten geltende Grundsatz des A r t . 56 der Wiener Schlußakte entgegen, wonach „die i n anerkannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassungen . . . nur auf verfassungsmäßigem Wege wieder abgeändert werden" konnten. Deshalb mußte dem Inkrafttreten der Bundesverfassung eine Änderung der Partikularverfassungen vorausgehen, auch wenn diese nur i n der Zustimmung der dazu berufenen Organe zur Verfassung des Bundes und damit zur Aufgabe der eigenen Souveränität bestand, obwohl alle Staatsgewalt und damit das Recht zur Verfügung über die eigene Souveränität eigentlich allein beim jeweiligen Staatsoberhaupt lag. Da die Verfassung des neuen Bundes gleichzeitig aber Bestandteil der eigenen Landesverfassung wurde, indem sie diejenigen Rechte und Pflichten, welche die vereinbarte Verfassung dem neuen Staatswesen übertrug, aus der Kompetenz des Einzelstaates ausnahm, und zudem die Geltung der Verfassung des neuen Bundes durch eben diesen verfassungsrechtlichen A k t auf das Gebiet des Einzelstaates erstreckt wurde, war bei Fortgeltung der Verfassungen der Einzelstaaten i m übrigen ein neuer souveräner Staat entstanden, der trotz der Bezeichnung als „ewiger Bund" i n der Präambel seiner Verfassungsurkunde nicht ein vertragsmäßiges Bundesverhältnis souveräner Staaten, sondern diesen jetzt nicht mehr souveränen Staaten übergeordnet w a r 1 3 . Das so gegründete Deutsche Reich stellte ein „kompliziertes Staatsgebilde dar, das sich nur schwer i n die hergebrachten Kategorien der Staatslehre einordnen ließ" 1 4 . Seine Verfassung war aus unitarischen und föderalistischen, ja zum Teil partikularistischen, privilegienstaatli12

Haenel (Anm. 1) S. 24. Thoma, Das Staatsrecht des Reiches, i n : HbDStR Bd. I S. 71. 14 Härtung (Anm. 1) S. 274. Vgl. auch Huber (Anm. 1) Bd. I I I , S. 774 ff.; Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 16. 13

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

chen und demokratischen, monarchisch-obrigkeitsstaatlichen und konstitutionell-parlamentsstaatlichen teils rational-planmäßig, teils irrationalhistorisch zusammengefügt 15 . Sie beschritt i n mancher Hinsicht völlig neue Wege, für die es i m Verfassungsrecht der konstitutionellen Monarchien kein Vorbild gab 1 6 . Grundsätzlich war sie nach der Konzeption Bismarcks i n preußischem Interesse jedoch darauf angelegt, möglichst viel an monarchischen Privilegien i n der Person des preußischen Königs als deutscher Kaiser konzentriert i n die bundesstaatliche Ordnung zu übernehmen. So waren die Befugnisse, die i n der konstitutionellen Monarchie der Krone zustanden, zwar formell zwischen Kaiser und Bundesrat, der als Vertretung der „verbündeten Regierungen" nach der Konzeption der Reichsverfassung das höchste Reichsorgan sein sollte, geteilt; i n der Verfassungswirklichkeit wuchs m i t zunehmender innerer wie äußerer Konsolidierung des Deutschen Reiches dem Kaiser und der von i h m bestellten Reichsregierung, die weitgehend m i t der preußischen Staatsregierung identisch w a r 1 7 , jedoch die größere Bedeutung zu, wenn auch der Bundesrat ein bedeutender Machtfaktor blieb 1 8 , der allerdings durch seine Stimmenverhältnisse ebenfalls vom preußischen Einfluß bestimmt w a r 1 9 . Das deutsche Kaiserreich war damit zwar keine typische Monarchie i m Sinne der i n seinen Gliedstaaten m i t Ausnahme der Hansestädte gültigen Verfassungsordnungen. Es war aber auch kein Staatswesen m i t „republikanischer Spitze", wie Bismarck es i m Norddeutschen Reichstag genannt hatte 2 0 . Die Abhängigkeit der Bundesratsbevollmächtigten von den Weisungen ihrer Regierungen bestimmte sich nach dem Staatsrecht der Einzelstaaten, die — bis auf die genannten Ausnahmen — nun einmal konstitutionell beschränkte Monarchien waren. Soweit die tatsächlichen Regierungsfunktionen zwischen Kaiser und Bundesrat aufgeteilt waren, konnte man deshalb vielleicht von einer „kaiserlich-bundesrätlichen Dyarchie" sprechen. Damit war jedoch allein das Verhältnis des Bundespräsidiums zu den Staatsoberhäuptern als Mitgliedern des Bundes umschrieben. Für die Stellung des Reichstags zur Bundesexekutive galten dagegen allein die sämtlichen für den deutschen Konstitutionalismus charakteristischen Bedingungen. Das Reich war also von seiner A n lage her nicht „Demokratie und Monarchie" zugleich 21 , sondern allenfalls 15

Thoma (Anm. 13) S. 70. Beiz (Anm. 14) S. 16. 17 Vgl. Morsey (Anm. 4) passim. 18 Thoma (Anm. 13) S. 74 f.; Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 811 f., 849. 19 Vgl. Thoma (Anm. 13) S. 72, 75 f. 20 Vgl. Thoma (Anm. 13) S. 75, der eine solche Deutung i m H i n b l i c k auf die Stellung des Bundesrats allerdings nicht v ö l l i g ausschließt. 21 So aber Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 774. Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 16. 16

§11 Verfassungsstruktur

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ein „konstitutioneller Bundesstaat" 22 . Der politischen Wirklichkeit nach stellte es jedoch „mehr als alles andere eine singulär gestaltete, föderalistisch beschränkte Erbmonarchie dar" 2 3 . So war der Kaiser bei der Gesetzgebung nur dienend beteiligt, indem ihn die Reichsverfassung zur Ausfertigung und Verkündigung der beschlossenen Gesetze verpflichtete. Der Erlaß dieser Gesetze war dagegen Angelegenheit des Bundesrates, allerdings m i t Zustimmimg des Reichstages. Da auch der nach preußischem Vorbild jährliche Staatshaushalt und die Ermächtigung zur Aufnahme von Anleihen i n Form eines Gesetzes ergehen mußten — ebenfalls nach preußischem Vorbild gab es keine periodischen Steuern —, konnte theoretisch eine Reichstagsmehrheit die Gesetzungsarbeit des kaiserlich-preußisch dominierten Bundesrates blockieren. Tatsächlich w a r der Reichstag dazu aber nicht i n der Lage. Der Grund dafür lag einmal darin, daß es keine Ministeranklage und damit auch keine Ministerverantwortlichkeit gab. A l l e Regierungsakte des Kaisers bedurften zu ihrer Gültigkeit zwar der Gegenzeichnung durch den von i h m ernannten Reichskanzler, der damit die Verantwortung übernahm, wie er überhaupt die Gesamtverantwortung für die kaiserliche und — als preußischer Ministerpräsident — die königliche Politik trug; gegenüber dem Reichstag als unitarischer Repräsentation des gesamten deutschen Volkes fand diese Übernahme der Verantwortung aber — wie i n Preußen — jedenfalls keinen verfassungsrechtlichen und damit auch politischen Ausdruck. Vielmehr wurde bis 1917 an der Unabhängigkeit der Regierung vom Vertrauen oder Mißtrauen der Reichstagsmehrheit festgehalten. Zum anderen führte die tatsächliche Handhabung des nur auf dem Papier allgemeinen, gleichen, direkten und — durch den Norddeutschen Reichstag angefügt — auch geheimen Mehrheitswahlrechts zum Reichstag durch die Beibehaltung des Zuschnitts der Wahlkreise trotz veränderter Bevölkerungszahlen zu zwar etwas anderen Mehrheiten als i m preußischen Landtag m i t seinem aus dem plutokratischen Dreiklassenwahlrecht hervorgehenden Abgeordnetenhaus und dem vom großgrundbesitzenden Adel dominierten Herrenhaus; eine wirkliche, die tatsächlichen politischen Verhältnisse widerspiegelnde Vertretung der Bevölkerung stellte der Reichstag aber nicht dar. Beide Voraussetzungen kumuliert erlaubten dem Reichskanzler und der kaiserlichen Reichsregierung, sich wechselnde Mehrheiten für die parlamentarische Durchsetzung ihrer Vorhaben zu suchen. Sie mußten dazu zwar gelegentlich auch Zugeständnisse machen und Kompromisse 22

Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches m i t Erläuterungen, A r t . 5 A n m . A 1. 23 Thoma (Anm. 13) S. 75.

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eingehen; die politischen Grundlinien stimmten aber m i t der Haltung der preußischen Parlamentsmehrheit überein 2 4 , deren Anschauungen, Interessen und Gefühle hinsichtlich der richtigen und „gottgewollten" nationalen, wirtschaftlichen und kulturellen Ordnung 2 5 i n dem monarchischen Prinzip und seiner i n Preußen entwickelten Ausprägung Niederschlag gefunden hatten. Abgesehen von der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, die Zustimmung des Reichstags für bestimmte A k t e zu erhalten, war dieser wie die Landtage der meisten Gliedstaaten ganz der Autorität der Reichsexekutive untergeordnet und unterschied sich i n seiner Stellung deshalb nur wenig von den Vertretungskörperschaften i n den reinen konstitutionellen Monarchien. Insbesondere hatte er kein Selbstversammlungs- und Selbstvertagungsrecht 26 . Immunität, Redefreiheit, Geschäftsordnungsautonomie sowie Recht auf Interpellationen und auf Rechnungslegung verdeckten nur äußerlich die Abhängigkeit i n der konkreten Wirksamkeit von der Exekutive, die i n der institutionellen Abhängigkeit wiederum der Exekutive vom Reichstag eine zunächst nur unzureichende Entsprechung fand. Das kam ζ. B. auch i n der Versagung der Zahlung von Tagegeldern an die Abgeordneten zum Ausdruck 2 7 . Erst die weitere Verfassungswirklichkeit führte zu immer größerer Bedeutung des Reichstags, so daß man schließlich von einem „Machtgleichgewicht zwischen Exekutive und Volksvertretung" sprechen konnte 2 8 . A u f Reichsebene wurde damit eine Entwicklung nachvollzogen, die i n ähnlicher Weise bereits das Verfassungsrecht der Einzelstaaten geprägt hatte. Der bei Gründimg des Reichs unbestrittene Grundsatz der Diskontinuität bildete dabei ein Mittel, diese Entwicklung zu verlangsamen oder gar aufzuhalten zu versuchen 29 . § 12 Die Periodizität nach der Reichsverfassung Nach A r t . 24 der Reichsverfassung wurde der Reichstag auf zunächst drei, seit 1888 auf fünf Jahre gewählt 3 0 . Die Legislaturperioden began24

Thoma (Anm. 13) S. 79 f. Thoma (Anm. 13) S. 80. 26 Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 882; Beiz (Anm. 14) S. 16. 27 Thoma (Anm. 13) S. 77 spricht davon, die Abneigung gegen Tagegelder f ü r die Abgeordneten habe Bismarck „den verbündeten Regierungen vererbt". Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 775, 777. 29 Vgl. dazu den Staatssekretär des Innern, Graf von Posadow sky -Wehner, am 12. Dezember 1905 i m Reichstag: „Die Diskontinuität der Parlamente herbeizuführen, beruht auf einem wichtigen monarchischen Recht, das verfassungsmäßig die K r o n e jederzeit nach i h r e m eigenen Ermessen zu üben befugt ist." Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, X I . Legislaturperiode, I I . Session 1905/06,1. Sessionsabschnitt, 1. Bd., S. 237 C. 30 Die Verlängerung der Legislaturperiode erfolgte durch verfassungsänderndes Reichsgesetz v o m 19. März 1888, RGBl. S. 110. Bereits vorher, 25

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nen nach überwiegender Auffassung m i t dem Tag der W a h l 3 1 und endeten durch Zeitablauf oder vorzeitig durch Auflösung. Eine derartige A u f lösung war nur auf Beschluß des Bundesrates unter Zustimmung des Kaisers möglich. Da die Auflösung das wichtigste und einschneidendste M i t t e l der Einflußnahme auf Wirkungsfähigkeit und Tätigkeit des Reichstags und damit i m Kampf der Regierung gegen die parlamentarische Opposition darstellte 32 , bedeutete es eine erhebliche Beschränkung der Exekutive, daß der Kaiser nicht allein, sondern nur zusammen m i t dem Bundesrat über die Auflösung entscheiden konnte. Der Wortlaut der Bestimmung brachte allerdings das gegenseitige Verhältnis zwischen Kaiser und Bundesrat nicht klar zum Ausdruck. Insbesondere handelte es sich nicht u m ein Zustimmungsrecht der Krone Preußens zu einem A k t der verbündeten Regierungen, wie frühe Kommentatoren der Reichsverfassung behaupteten 33 , sondern u m ein eigenes Recht eines selbständigen, vom Bundesrat verschiedenen Reichsorgans 34 . Auch stand das Recht zur Auflösung nicht dem Bundesrat zu 3 5 , noch konnte die obligatorische M i t w i r k u n g des Kaisers als Vetorecht bezeichnet werden 3 6 . Es handelte sich vielmehr u m einen zu seiner Wirksamkeit von Bundesrat und Kaiser nur gemeinsam wahrzunehmenden A k t 3 7 . I n der Praxis setzte sich allerdings auch hier die Krone gegenüber dem Bundesrat durch, was dadurch erleichtert wurde, daß Reichsregierung und Bundesrat i n der Regel einer politischen Auffassung waren. Wenn von nämlich durch Gesetz v o m 21. J u l i 1870, BGBl. S. 498, w a r eine Legislaturperiode über die verfassungsmäßige Zeit verlängert worden. 31 So ζ. B. Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht m i t Einschluß der A l l g e m e i nen Staatslehre, S. 454, u n d Meyer ! Anschütz (Anm. 1) S. 509 m i t weiteren Nachweisen. Anderer Auffassung m i t ausführlicher Begründung vor allem Adolf Arndt, Über Anfang, Unterbrechung u n d Schluß der Legislaturperiode, i n : H i r t h s Annalen 1903, S. 721 ff., u n d die bei Pereis, Die Legislaturperiode des preußischen Hauses der Abgeordneten u n d des deutschen Reichstages, i n : AöR Bd. 19 (1905) S. 1 ff. zitierten weiteren Veröffentlichungen desselben Verfassers zum selben Thema, der den Beginn m i t dem ersten Zusamment r i t t ansetzt. Ä h n l i c h auch Dambitsch (Anm. 22) A r t . 24 A n m . I. V o n einer „herrschenden Meinung" zu sprechen, w i e es Beiz (Anm. 14) S. 18 Fn. 16 tut, ist deshalb ungenau. 32 Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 883. 33 Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes u n d des D e u t schen Zollvereins, S. 107; von Sey del, Commentar zur Verfassungs-Urkunde f ü r das Deutsche Reich, S. 205. Vgl. auch Kieschke, Die rechtlichen Voraussetzungen u n d W i r k u n g e n der Vertagung, Schließung u n d Auflösung des deutschen Reichstags, S. 11. 34 Kieschke (Anm. 33) S. 11. 35 So aber Adolf Arndt, Reichsstaatsrecht, S. 135. Ä h n l i c h Schulze, L e h r buch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I I , Das Deutsche Reichsstaatsrecht, S. 88, der behauptet, die Auflösung erfolge „nicht durch den Kaiser, sondern durch den Bundesrat". 36 Thudichum (Anm. 33) S. 107; von Sey del (Anm. 33) S. 205. 37 Kieschke (Anm. 33) S. 12.

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Reichsseite eine Auflösung des Reichstages für notwendig erachtet w u r de, versagten sich die verbündeten Regierungen einem entsprechenden Ersuchen niemals. Der Reichskanzler stellte dazu einen Antrag i m Bundesrat, den Reichstag aufzulösen, worauf der Bundesrat den erforderlichen Beschluß faßte. Formell vollzogen wurde die Auflösung des Reichstages dann durch kaiserliche Verordnung 3 8 , die wie jeder dessen Akte die Gegenzeichnung des Reichskanzlers voraussetzte. Einer Begründung für die Auflösung bedurfte es nicht. Sie konnte deshalb beliebig oft und zu jeder von der Reichsexekutive für opportun gehaltenen Zeit erfolgen 39 . Naturgemäß kam es vor allem bei politischen Konflikten zwischen der Regierung und der Reichstagsmehrheit zur Auflösung 4 0 ; die erstere konnte dann versuchen, i n Neuwahlen eine ihren Vorhaben geneigtere Zusammensetzung des Parlaments zu erreichen. I n der kurzen Zeit des Norddeutschen Bundes noch nicht so wichtig, endeten von den dreizehn Legislaturperioden des Reichstags des Kaiserreichs zwischen 1871 und 1918 schließlich fünf durch Auflösung 4 1 . Die einzige Beschränkung, die jedoch nicht materieller A r t war, lag darin, daß i m Falle einer Auflösung nach A r t . 25 der Reichsverfassung binnen 60 Tagen Neuwahlen und binnen 90 Tagen eine Einberufung des neugewählten Reichstages stattfinden mußte 4 2 . Hinsichtlich der Wirkungen der Auflösung stand i m Vordergrund, daß sie den Mitgliedern des Reichstags das ihnen durch die Wahl erteilte Mandat entzog. Die politische Stoßrichtung lag damit bei den aktuellen Zusammensetzung, nicht bei der abstrakt-institutionellen Existenz oder konkreten Tätigkeit 4 3 des Verfassungsorgans. Als solches konnte der Reichstag wie die Landtage der Einzelstaaten ohnehin nicht beseitigt werden, wie auch die Staatslehre einräumte 4 4 : durch die Ausgestaltung der Verfassung und die Ausstattung m i t bestimmten M i t w i r kungsrechten bei der Gesetzgebung war er eine ständige Einrichtung, die dem Bestreben konservativer Kreise, eine Permanenz der Parlamente 4 5 zu verhindern, Schranken setzte. 38

Hub er (Anm. 1) Bd. I I I S. 883, auch schon Zorn, Die Verfassungsurkunde des Deutschen Reiches, A r t . 24 A n m . 2. Vgl. jetzt Beiz (Anm. 14) S. 18. 39 Z u dem Problem, ob auch ein bereits gewählter, aber noch nicht eröffneter Reichstag aufgelöst werden konnte, vgl. Arndt (Anm. 31) S. 738. Es w a r für die Frage nach dem Beginn der Legislaturperiode wichtig. 40 Vgl. Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 883 f. u n d die dort genannten Beispiele. 41 Beiz (Anm. 14) S. 18 Fn. 20. Vgl. dort auch die zutreffende Richtigstellung gegenüber Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 883 Fn. 15. 42 Die entsprechende Bestimmung war, w i e viele andere Regelungen, der preußischen Verfassung entnommen u n d ging auf belgische Vorbilder zurück; vgl. auch oben § 8. 43 Vgl. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 304, nach dem der Reichstag „ungeachtet der Verschiedenheit i n seinem aufeinanderfolgenden Mitgliederbestand ein einheitliches u n d dauerndes Organ des Reiches" war.

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Die auch durch den Einschnitt der Legislaturperioden nicht aufgehobene abstrakt-institutionelle Existenz des Reichstages bedeutete aber — wie bei den Landtagen der Einzelstaaten — noch nicht, daß er während der Legislaturperioden kontinuierlich handlungsfähig gewesen wäre. Der traditionellen Stellung und dem konservativen Verständnis von den Aufgaben der Vertretungskörperschaft i m konstitutionellen Staat entsprach es vielmehr, daß der Reichstag nur auf besondere Aufforderung und Autorisierung durch den Monarchen tätig werden konnte. Deshalb lag nach A r t . 12 der Reichsverfassung die Befugnis zu seiner Berufung und Eröffnung wie zu seiner Vertagung und Schließung ausschließlich beim Kaiser. Ein Recht einer Minderheit oder Mehrheit von Abgeordneten, die Berufung des Reichstags zu fordern, bestand nicht 4 6 . M i t der Berufung wurde der Reichstag nach überwiegender Auffassung als konkret-personelles Organ i n rechtlichem Sinne erst existent. Wenn auch die Legislaturperiode als m i t den allgemeinen Wahlen beginnend angesehen wurde, war damit noch kein Parlament vorhanden. Vielmehr ging der überwiegende Teil der Staatsrechtslehre wie i n Preußen 47 davon aus, daß „ m i t der W a h l . . . n u r die Personen bezeichnet (sind), die zur Teilnahme am Landtag berechtigt erscheinen", während durch die „Bezeichnung dieser Personen das Haus als politische Körperschaft noch nicht gebildet" werde 4 8 . Eine Versammlung der Reichstagsmitglieder ohne kaiserliche Berufung wäre nach dieser Auffassung verfassungsw i d r i g gewesen; sie würde nicht den Reichstag i m staatsrechtlichen Sinne repräsentieren, die Beschlüsse der Versammlung würden jeder rechtlichen Bedeutung entbehrt haben 49 . Dagegen erhoben sich aber bereits Stimmen, die betonten, daß, sobald die Wahlen stattgefunden hätten, die „Neugewählten" den Reichstag bildeten 5 0 . Übereinstimmung herrschÄ h n l i c h auch Frormann, Eine Streitfrage aus dem Recht des konstitutionellen Gesetzgebungsverfahrens, i n : AöR Bd. 14 (1899) S. 511: „ I m übrigen übersieht jene Deduktion, daß trotz Erneuerung des Personalbestandes der Volksvertreter infolge von Ergänzungs- bzw. Erneuerungswahlen das Parlament als solches für die staatsrechtliche Betrachtung doch stets dasselbe bleibt." 44 Unrichtig deshalb Beiz (Anm. 14) S. 18, der davon spricht, m i t dem Ende der Legislaturperiode habe „lediglich die T ä t i g k e i t " geendet. 45 Vgl. oben § 9. 46 Hub er (Anm. 1) Bd. I I I S. 883. 47 Vgl. oben § 8. 48 z.B. Bornhak, Preußisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 404; Arndt (Anm. 35) S. 130; Thudichum (Anm. 33) S. 163; Matter, L a dissolution des assemblées parlementaires, S. 26. Vgl. auch Kieschke (Anm. 33). 49 Fülster (Anm. 31) S. 474. Thudichum (Anm. 33) S. 163 geht sogar v o n einer Strafbarkeit eines derartigen Verhaltens aus u n d beruft sich zur Begründung auf die i n den Einzelstaaten vertretene Auffassung; vgl. dazu i n bezug auf Preußen oben § 8 A n m . 196. 50 von Rönne, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I S. 252; ähnlich auch Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I S. 355; Pereis (Anm. 31) S. 7.

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te aber darüber, daß die Berufung zu den rechtlichen Voraussetzungen der Tätigkeit des Reichstags gehörte 51 . Bei der Berufung des Reichstags war der Kaiser außer durch die Frist i n A r t . 25 der Reichsverfassung nur insofern gebunden, als dieser nach A r t . 13 alljährlich zusammenzutreten hatte. Praktisch geschah dies i m November, damit Reichstag und Bundesrat die Haushaltsberatungen für das am 1. A p r i l beginnende neue Haushaltsjahr rechtzeitig abschließen konnten, da nach A r t . 69 der Reichshaushaltsetat für jedes Jahr aufgestellt und vor Beginn des Etatjahres durch ein Gesetz festgestellt werden mußte 5 2 . Dringliche Gesetzesvorlagen zwangen den Kaiser aber häufig auch zur außerordentlichen Berufung des Reichstags: so wurde er 1870 dreimal einberufen. A r t . 13 konnte deshalb nicht dahin verstanden werden, daß das Parlament nur einmal jährlich zusammengerufen werden durfte 5 8 , oder daß seine konkrete Wirkungsfähigkeit i n jährliche Arbeitsabschnitte geteilt werden mußte. Diese Bestimmung enthielt lediglich einen „indirekten Zwang" 5 4 , den Reichstag zu berufen, wenn er zur M i t w i r k u n g an der von der Verfassung vorgeschriebenen Haushaltgesetzgebung noch nicht oder nicht mehr versammelt war. K a m der K a i ser der Verpflichtung aus A r t . 13 und A r t . 25 nicht nach, beging er eine Verfassungsverletzung, die allerdings nicht sanktionsbewehrt war. Die einzelnen Mitglieder des Reichstags erhielten insbesondere damit noch keineswegs das Recht, etwa von sich aus zusammenzutreten und sich als Reichstag zu konstituieren 5 5 . Auch die förmliche Berufung durch i m Reichsgesetzblatt abgedruckte Verordnung entsprechend der preußischen Praxis und die Versendung von Einberufungsschreiben an die einzelnen gewählten Abgeordneten bedeutete aber noch nicht den Beginn der Arbeits- und Handlungsfähigkeit des Reichstags 56 . Hinzutreten mußte die feierliche Eröffnung der Versammlung, die nach Verlesung einer Thronrede durch den Kaiser selbst oder einen m i t seiner Vertretung betrauten Würdenträger vorgenommen wurde 5 7 . Erst der so eröffnete Reichstag konnte sich konstituieren; erst von diesem Augenblick an lief die zehntägige Frist zur A n 51

Vgl. z.B. die Kapitelüberschrift bei Seydel, Der Deutsche Reichstag, i n : H i r t h s Annalen 1880, S. 406. 52 Schulze, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 1 S. 494; Arndt (Anm. 35) S. 130; Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 882. 58 Laband (Anm. 43) Bd. I S. 301; von Seydel, Commentar zur VerfassungsU r k u n d e f ü r das Deutsche Reich, S. 167; Arndt (Anm. 35) S. 130. 54 Arndt (Anm. 35) S. 130. 55 Arndt (Anm. 35) S. 130. Diese Auslegung w u r d e aus der Entstehungsgeschichte der preußischen Verfassung abgeleitet; vgl. oben § 8. δβ Thudichum (Anm. 33) S. 162. 57 Fülster (Anm. 31) S. 474.

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fechtung der Gültigkeit einer Wahl zum Reichstag 58 , deren Prüfung wie i m preußischen Abgeordnetenhaus i n eigens dafür gebildeten Abteilungen vom Parlament selbst vorgenommen wurde. M i t der Eröffnung begann deshalb die Sitzungsperiode oder Session 59 . Ebenfalls wie i n Preußen und den übrigen Einzelstaaten war das direkte Gegenstück zur Eröffnung die Schließung des Reichstags durch den Kaiser. M i t ihr endete die Sitzungsperiode 60 . Sie war das anerkannte und auch als solches verstandene Mittel, dem abstrakt-institutionellen Verfassungsorgan seine konkrete Handlungsfähigkeit wieder zu nehmen. Hinter der vornehmen Formulierung Thudichums, Schließung oder Entlassung des Reichstags sei „die Entbindung der Abgeordneten von ihrer Tätigkeit bis zu einer neuen förmlichen Einberufung und Eröffnung, insoweit nicht der Ablauf der Legislaturperiode das Abgeordneten-Mandat beendigt h a t " 6 1 , k a m das gesamte Parlamentsverständnis des deutschen Konstitutionalismus zum Vorschein. Die Session war deshalb der wichtigste Abschnitt innerhalb der Legislaturperiode 62 . Das bedeutete jedoch noch nicht, daß dem Ende der Legislaturperiode jedesmal die förmliche Schließung einer Session hätte vorausgehen müssen. Das Ende der Sitzungsperiode konnte auch m i t dem Ende der Legislaturperiode zusammenfallen, was allerdings nur praktisch wurde, wenn der Reichstag aufgelöst wurde. So ging noch 1873 und 1878 der Auflösung jeweils eine Schließung voraus, während i n den Jahren 1887 und 1893 das Ende der Session m i t dem Ende der Legislaturperiode eintrat, w e i l vor der Auflösung keine Schließung erfolgte — ein Beispiel dafür, daß insoweit bereits eine Umkehrung der Anschauungen vor sich gegangen war, als die Schließung von der Auflösung überlagert wurde 6 3 . Das Recht des Kaisers, den Reichstag zu schließen, unterlag keinerlei Beschränkungen. Insbesondere war er durch keine Bestimmung gebunden, die eine Mindest- oder Höchstdauer der Sessionen vorgeschrieben hätte 6 4 . Daraus folgte, daß eine Legislaturperiode nicht notwendig meh58

Thudichum (Anm. 33) S. 162. Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . I I I ; Pereis (Anm. 31) S. 23; Fülster (Anm. 31) S. 474. Die Begriffe „Sitzungsperiode" u n d „Session" w u r d e n von der Reichsverfassung nebeneinander benutzt; vgl. z . B . A r t . 26 u n d A r t . 31 aRV. E i n materieller Unterschied ergab sich daraus nicht; vgl. RGSt 22, S. 331 f. 60 Fülster (Anm. 31) S. 475; Georg Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 406; Zorn (Anm. 50) Bd. 1 S. 243. 61 (Anm. 33) S. 162. 82 Pereis (Anm. 31) S. 23. 83 Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 19 u n d Fn. 24, der jedoch die Bedeutung dieses Vorganges als Nachweis f ü r den Wandel der Auffassungen nicht erkennt. Der andere denkbare Fall, daß durch Zeitablauf Legislaturperiode u n d Session zusammen geendet hätten, ist i n der Praxis allerdings nicht v o r gekommen. 59

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rere Sessionen enthalten mußte. Sie wies keine Session auf bei Auflösung vor erfolgtem Zusammentritt 6 5 , nur eine bei Auflösung nach einmaliger Berufung oder i m Falle einer erst bei Ablauf der Lebensdauer erstmalig erfolgenden Schließung 66 . I n der Praxis war die Dauer sehr unterschiedlich. Es gab Sitzungsperioden, die nur wenige Tage währten 6 7 , während später teilweise Sessionen erst nach mehr als zwei Jahren geschlossen wurden 6 8 . Der Versuch, aus A r t . 16 der Reichsverfassung die Folgerung zu ziehen, daß „der Kaiser den Reichstag ohne Zustimmung des Bundesrates nicht eher schließen darf, als bis der Reichstag die von diesem gemachten Vorlagen durchberaten hat, da sonst das Präsidium, das zur Einbringung der Vorlage verpflichtet ist, ein M i t t e l i n der Hand hätte, die Annahme derselben unmöglich zu machen", wurde als m i t der kaiserlichen Prärogative unvereinbar abgelehnt 69 . Die Verlängerung von durchschnittlich vier Monaten i n der Zeit bis 1898 auf i m Durchschnitt mehr als ein Jahr i n der zweiten Hälfte des Bestehens des Kaiserreichs 70 zeigt aber nicht nur die Zunahme von Beratungsgegenständen, bei denen die M i t w i r k u n g des Reichstages unumgänglich erschien, sondern auch das politische Erstarken der Position des Parlaments, dessen Existenz als konkrete handlungsfähige Körperschaft eben nicht mehr beliebig i n Frage gestellt werden konnte. Statt zum Instrument der Schließung wurde deshalb i n späterer Zeit lieber zu dem der Vertagung gegriffen, das ebenfalls allein i n die Hand des Kaisers gelegt w a r und m i t dessen Hilfe die Sitzungsperioden i n Tagungen oder Sessionsabschnitte gegliedert werden konnten 7 1 . Unter 64

Vgl. von Rönne (Anm. 50) Bd. I S. 260; Pereis (Anm. 31) S. 23. Über die Streitfrage, ob dies überhaupt möglich war, vgl. Kieschke (Anm. 33) S. 18, 22. Nach h. M. mußte vor einer Auflösung des Reichstags der Kaiser „ i h n eröffnen u n d i h m Zeit gewähren, sich zu konstituieren u n d i n die Behandlung der Geschäfte einzutreten"; vgl. von Seydel (Anm. 53) S. 206. 68 Pereis (Anm. 31) S. 23. Vgl. auch Kieschke (Anm. 33) S. 21. 67 Die I I I . Session der V. Legislaturperiode dauerte v o m 29. August bis 1. September 1883 u n d die I I I . Session der V I . Legislaturperiode v o m 16. bis 20. September 1886. Vgl. dazu die Aufstellung bei Pereis, Das autonome Reichstagsrecht, S. 73, u n d die F o r t f ü h r u n g dieser Aufstellung bei Wolfensberger, Die Diskontinuität der Parlamente, Anlage 1 (S. 88/9). Ohne Nennung der Fundstelle auch Beiz (Anm. 14) S. 19 Fn. 27. 68 Die I I . Session der X . Legislaturperiode dauerte v o m 14. November 1900 bis zum 30. A p r i l 1903. Ä h n l i c h lange wurde der Reichstag i n sämtlichen Sessionen der X I I . u n d X I I I . Legislaturperiode nicht geschlossen, wobei a l l e r dings zu beachten ist, daß die zweite (und letzte) Session der X I I I . Legislaturperiode i n die Zeit des 1. Weltkrieges fiel u n d formell nie beendet wurde. Vgl. die Aufstellung bei Wolfensberger (Anm. 67), auch Beiz (Anm. 14) S. 19 Fn. 28. 69 Vgl. Kieschke (Anm. 33) S. 21. 70 Beiz (Anm. 14) S. 19. Z u den zeitlichen Schwierigkeiten, i n die durch i m m e r längere Sessionen des Reichstags die meist aus denselben Personen zusammengesetzten Landtage der Einzelstaaten kamen, vgl. oben § 9 a. E. 65

§ 12 Periodizitäten des Reichstags

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Vertagung wurde nach übereinstimmender Auffassung eine Unterbrechung der Tätigkeit des Parlaments innerhalb einer Session verstanden 72 . Sie war deshalb nur denkbar zwischen der förmlichen Eröffnung und Schließung des Parlaments. Das kam auch, wenigstens indirekt, i m Wortlaut des A r t . 26 der Reichsverfassung zum Ausdruck, wo bestimmt war, daß die Vertagung „während derselben Sitzungsperiode" nur m i t Zustimmung des Reichstags wiederholt werden durfte 7 3 . Anders als bei der Auflösung, aber wie bei der Schließung wurde davon ausgegangen, daß es gleichgültig sei, ob der Reichstag i m Augenblick der Vertagung tatsächlich versammelt sei oder nicht. Eine Vertagung konnte deshalb auch während der Ferien bzw. bei aus anderen Gründen nicht zusammengetretenem Parlament erfolgen. Eine materielle Beschränkung des Vertagungsrechts lag deshalb allein darin, daß nach A r t . 26 ohne Zustimmung des Reichstags dessen Vertagung durch den Kaiser die Frist von dreißig Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden durfte 7 4 . Eine Sanktion war m i t der Verletzung dieser Vorschrift jedoch ebensowenig verbunden wie m i t der der entsprechenden Bestimmung der preußischen Verfassung, der sie wörtlich nachgebildet war. Der Reichstag hatte deshalb nach Auffassung von Arndt, so oft und so lange er vertagt wurde, auseinanderzugehen; er war, solange solche Vertagungen dauerten, nicht als Reichstag anzusehen 7 5 . Praktisch wurde dieser Fall jedoch nicht; auch ist nicht bekannt, 71 Pereis (Anm. 31) S. 25; Fülster (Anm. 31) S. 475. Die Begriffe „Tagung" u n d „Sessionsabschnitt" selbst w a r e n der Verfassung unbekannt, w u r d e n aber außer i n der L i t e r a t u r auch i m amtlichen Sprachgebrauch verwendet; vgl. ζ. B. Sten.Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, X I . Legislaturperiode, I I . Session 1905/06, 1. Sessionsabschnitt. 72 Vgl. z.B. Georg Meyer (Anm. 60) S. 291; Schulze (Anm. 35) Bd. I S. 494; von Sey del (Anm. 51) S. 407; Kieschke (Anm. 33) S. 17. 73 Kieschke (Anm. 33) S. 17. 74 Ρ er eis (Anm. 31) S. 25 stellte u n d verneinte die Frage, ob eine zweite u n d fernere Vertagung schon an sich an die Z u s t i m m u n g des Parlaments gebunden sei, da die Verfassungsbestimmungen bezweckten, übermäßig lange V e r tagungen gegen den W i l l e n des Parlaments auszuschließen, u n d als Grenze zunächst die Frist v o n dreißig Tagen gesetzt sei. Nach seiner Auffassung w a r deshalb der Schluß gerechtfertigt, daß es dem K ö n i g bzw. Kaiser unbenommen sei, die Volksvertretung bis zur Dauer v o n dreißig Tagen auch i n Z w i schenräumen uneingeschränkt zu vertagen u n d daß sich das Verbot der V e r tagungswiederholung aus eigener Machtbefugnis n u r auf den F a l l beziehe, daß entweder eine Vertagung über den Zeitraum von dreißig Tagen hinaus i n derselben Session bereits stattgefunden habe oder daß die Zusammenzählung der Tage der früheren u n d der gegenwärtigen Vertagung eine Summe von mehr als dreißig Tagen ergebe. Gegen i h n Kieschke (Anm. 33) S. 23 f. 75 (Anm. 35) S. 132. Gegen i h n Kieschke (Anm. 33) S. 24, der die Anordnung einer zweiten oder weiteren Vertagung ohne Zustimmung des Reichstags f ü r u n w i r k s a m hielt, der das Parlament deshalb nicht folgen dürfe, u m nicht „selbst zu einer Verfassungsverletzung die H a n d zu bieten". I m Falle einer Vertagung über einen Z e i t r a u m v o n mehr als dreißig Tagen ohne Z u s t i m m u n g des Reichstags n a h m Kieschke unter Berufung auf Zorn (Anm. 50) Bd. I

8 Jekewitz

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

daß wegen dieser Einschränkung beim Recht zur Vertagung einmal zur Schließung gegriffen worden wäre 7 6 . Von der Vertagung unterschieden wurde — ebenfalls wie i m Recht der Einzelstaaten — das Sichvertagen, obwohl es nicht ganz zu der Staatsauffassung des deutschen Konstitutionalismus paßte, die Tätigwerden wie Tätigbleiben des Parlaments ganz i n die Hand des Monarchen legte 77 . U m das tatsächlich geübte, aus der Praxis des englischen Parlaments bekannte Verfahren verfassungsrechtlich zu legitimieren, charakterisierte man es als „eine Verschiebung der Sitzungen wegen eintretender Feste oder Mangel an Berathungsgegenständen" 78 , obwohl diese Begründung auch schon als zu eng angesehen wurde 7 9 . Es erschien gerechtfertigt durch „die Notwendigkeit, die Sitzungen zu beendigen bzw. zwischen den einzelnen Sitzungen gewisse kürzere oder längere Ruhepausen eintreten zu lassen" 80 . Da das Sichvertagen als eine Frage des Geschäftsganges angesehen wurde, die allein durch Mehrheitsbeschluß des Reichstags und, ohne daß dem Bundesrat rechtlich bzw. formell eine Einwirkung zustände 81 , zu regeln war, war der Umfang n i r gends bestimmt; eine solche „Verschiebung" konnte Tage, aber auch nur Stunden oder sogar Wochen umfassen 82 . Die Darstellungen i n der Literatur legten Wert darauf, zu betonen, daß diese Vertagung eine andere, nämlich rein tatsächliche war, als die, von der die Verfassung S. 238 ff. sogar ein Selbstversammlungsrecht nach A b l a u f eben dieser dreißig Tage an, da die Voraussetzung f ü r eine längere Vertagung — die Zustimmung des Reichstags — nicht vorhanden sei. 76 Die Bewertung v o n Beiz (Anm. 14) S. 19 f., diese Beschränkung des V e r tagungsrechts habe w e n i g Sinn gehabt, da der Kaiser, w e n n der Reichstag die erforderliche Z u s t i m m u n g zur Vertagung verweigerte, jederzeit die Schließung habe anordnen können, die das Parlament ebenfalls zur Einstellung seiner Tätigkeit zwang u n d außerdem die Diskontinuität herbeiführte, ist deshalb rein theoretisch. 77 Vgl. ζ. B. Arndt (Anm. 35) S. 131: „ D a Berufung, Vertagung u n d Schließung des Reichstages zur Prärogative des Kaisers gehören, so muß der Reichstag so lange, bis es zur Vertagung, Auflösung oder Schließung kommt, versammelt bleiben." Meyer/Anschütz (Anm. 1) S. 512 sprechen sogar davon, der Reichstag habe „nicht das Recht, sich selbst zu vertagen, w o h l aber durch Hinausschiebung der Sitzungen eine tatsächliche Unterbrechung der V e r handlungen eintreten zu lassen". Beiz (Anm. 14) S. 21 wertet diesen Vorgang also nicht richtig, w e n n er i h n n u r dahin interpretiert, daß der Reichstag seine Tätigkeit unterbrechen konnte, obwohl er befugt gewesen wäre, Sitzungen abzuhalten; er konnte sie auch unterbrechen, obwohl er verpflichtet gewesen wäre, zu tagen! 78 Arndt (Anm. 35) S. 131. 79 Pereis, Das autonome Reichstagsrecht, S. 104; ders. (Anm. 31) S. 26. 80 Pereis (Anm. 79) S. 104 f.; ders. (Anm. 31) S. 26. 81 Pereis (Anm. 79) S. 105; ders. (Anm. 31) S. 26, der auf die Debatte v o m 20. Januar 1894 Bezug n i m m t ; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, I X . Legislaturperiode, 2. Session, S. 769 B. 82 Pereis (Anm. 79) S. 104 f.; ders. (Anm. 31) S. 26.

§ 12 Periodizitäten des Reichstags

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sprach 83 . Man war sich darüber einig, daß eine solche vom Reichstag selbst beschlossene Vertagung auch nicht die Rechtswirkungen einer vom Kaiser angeordneten Vertagung haben könnte 8 4 — w o r i n immer auch diese bestanden. Kannte die Reichsverfassung für den Reichstag somit fest umrissene Periodizitäten, die durch Ablauf der Legislaturperiode bzw. Auflösung, Schließung oder Vertagung durch den Kaiser herbeigeführt wurden, galt dieses für den Bundesrat nicht i n gleichem Maße. Der Grund dafür lag i n dessen besonderer staatsrechtlicher Stellung und der daraus folgenden Zusammensetzung, die periodische Legitimationsschübe als Folge von Wahlen von vornherein ausschloß. Als Volksvertretung des Reichs fungierte der Reichstag; er w a r das Parlament, nicht etwa nur eine von zwei Kammern 8 5 . I m Gegensatz zu den überwiegend nach dem Zweikammersystem gestalteten Vertretungskörperschaften der Einzelstaaten sah die Verfassung des Kaiserreichs nur eine Kammer vor, neben der der Bundesrat als föderatives Organ eine Zwitterstellung einnahm 8 6 . Wo i n den Einzelstaaten beide Kammern nur gemeinsam tagen konnten, also teilweise gemeinsamen Perioden unterworfen waren 8 7 , war der Bundesrat von der Verfassung her zwar periodisch angelegt, konnte nach A r t . 13 aber auch ohne den Reichstag versammelt sein, während der Reichstag nie ohne den Bundesrat einberufen werden konnte. Darin unterschied sich der Bundesrat einmal von dem Bundestag des Deutschen Bundes, der eine ständige Körperschaft gewesen war, aber auch von einem Reichsministerium m i t reiner Regierungsfunktion 8 8 . Nach dem Wortlaut der A r t . 12 bis 14 w a r er nicht ständig versammelt, sondern trat nur auf Berufung durch den Kaiser zusammen, der i h n auch schließen und vertagen konnte 8 9 , während eine Auflösung schon dem Charakter nach unmöglich war. Er war dabei jedoch weniger frei als beim Reichstag. Wenn der Bundesrat auch kein Selbstversammlungsrecht hatte, konnte er nach A r t . 14 der Reichsverfassung doch jederzeit seine Wiederberufung verlangen. Die Legitimation seiner Sitzungen durch kaiserliche Berufung war damit eine Formsache. 83

Pereis (Anm. 31) S. 26. Pereis (Anm. 31) S. 26; Fülster (Anm. 31) S. 475. Die i m übrigen bei Beiz (Anm. 14) S. 21 Fn. 39 angeführten A u t o r e n sagen dazu allerdings nichts! 85 So auch Beiz (Anm. 14) S. 17. 86 Besonders deutlich der Abgeordnete Windthorst am 10. M a i 1871 vor dem Reichstag: „ . . . w o m a n n u r eine K a m m e r hat, u n d allerdings einen Bundesrat." Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I. Legislaturperiode, I. Session 1871,1. Bd. S. 641. Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 17. 87 Z u dem Streit i n Preußen vgl. oben § 8. 88 Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . I I . 89 Zorn (Anm. 38) A r t . 12 A n m . 2; Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . I I . Zorn spricht deshalb davon, der Bundesrat werde i n A r t . 12 „ w i e eine erste K a m m e r behandelt". 84

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

Bis 1883 machte der Kaiser von diesem Recht, den Bundesrat zu schließen, Gebrauch und gliederte so dessen Tätigkeit ebenfalls i n Sitzungsperioden 90 . „Je mehr jedoch die Reichsgeschäfte sich häuften, desto mehr nahmen die Unterbrechungen der Sitzungen den Charakter bloßer Pausen an 9 1 ." Da der Kaiser nach der Verfassung nicht verpflichtet war, den Bundesrat zu schließen 92 , unterblieb eine Schließung seit 1883 ganz: der Bundesrat tagte permanent 93 , er war ein „ständiges Kollegium geworden, und mindestens je ein Bevollmächtigter jedes Einzelstaates (hatte) dauernd sein Domizil am Sitz des Bundesraths" 94 . A l l e seine nachfolgenden Sitzungen waren durch die „Verordnung, betreffend die Einberufung des Bundesraths" vom 21. August 188395 legitimiert. Periodizitäten gab es bei i h m daher faktisch nicht mehr, obwohl die verfassungsrechtliche Möglichkeit zu ihrer Herbeiführung weiterbestand 96 . Die Frage nach der Anwendbarkeit des Grundsatzes der Diskontinuität auf die Arbeit des Bundesrates stellte sich somit nicht; organinterne Diskontinuitäten waren bei i h m schon tatsächlich ausgeschlossen. I n der Staatsrechtslehre ging man entsprechend ohne nähere Begründung davon aus, daß für die Sitzungsperioden des Bundesrates der Grundsatz der Kontinuität gelte 97 . Die Diskontinuität wurde als ein parlamentarisches Prinzip angesehen 98 , das auf ein Verfassungsorgan, das außerhalb des parlamentarischen Bereichs stand, unmittelbar nicht angewendet werden konnte 9 9 .

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Beiz (Anm. 14) S. 17. Zorn (Anm. 50) Bd. I S. 159. 92 Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 487 Fn. b. 93 Vgl. dazu Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 487; von Jagemann, Die deutsche Reichsverfassung, S. 88; von Sey del (Anm. 33) S. 168. 94 Zorn (Anm. 50) Bd. I S. 159, der darauf hinweist, „zweckmäßig (sei) dieses F a k t u m i n Zusammenhang gesetzt worden m i t den sonst j a v ö l l i g gegenstandslosen Gesandtschaften der Einzelstaaten am preußischen Hofe". Vgl. auch Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . I I . 95 RGBl. S. 285. 96 Zorn (Anm. 38) A r t . 12 A n m . 2; ders. (Anm. 50) Bd. I S. 159, wobei er hinzufügt, daß die Ausübung des verfassungsmäßigen Rechts „ein Zeichen schwerster Z e r r ü t t u n g der Gesundheit des Reichsorganismus" wäre. Georg Jellinek, Verfassungsänderung u n d Verfassungswandlung, S. 22 f., wertete diesen Vorgang deshalb als „unaufhebbare Wandlung der Verfassung" i m Wege eines derogatorischen Gewohnheitsrechts. 97 Laband (Anm. 43) S. 277 f.; Georg Meyer (Anm. 60) S. 393. 98 Müller-Meiningen, Z u r Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, i n : H i r t h s Annalen 1904, S. 304; Frormann (Anm. 43) S. 510. 99 Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 17. 91

§ 13 Periodizität und Diskontinuität

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§ 13 Die Diskontinuität als Rechtsfolge der Periodizitäten des Reichstags M i t dem durch kaiserliche Verordnung herbeigeführten Ende eines Tätigkeitsabschnittes des Reichstags w a r dieser nach der Verfassung nicht mehr befugt, seine Arbeit fortzusetzen 100 , sondern mußte die gleichzeitig oder später erfolgende erneute Autorisierung durch kaiserliche Berufung abwarten. Insoweit mag es gerechtfertigt sein, von einer rechtlichen Unterbrechung der Tätigkeit des Parlaments als Folge von Auflösung oder Schließung zu sprechen 101 . Bereits die Vertagung hemmte Tätigkeit des Reichstags aber nur auf Zeit, hob sie nicht vollends auf 1 0 2 , so daß ein Teil der Literatur davon ausging, i m Falle der Vertagung trete nur eine tatsächliche, nicht aber eine rechtliche Unterbrechung der Tätigkeit des Reichstages ein 1 0 3 . Wie Adolf Arndt es ausdrückte, hatte die Vertagung „nach dem Brauche der Parlamente, insbesondere des preußischen Landtages, der communis opinio und demgemäß auch nach der muthmaßlichen Absicht der Reichsverfassung den Zweck, i n gewissen, dem Ermessen der Krone anheimgegebenen Fällen, so ζ. B. wenn kein Verhandlungsstoff vorliegt oder die Auflösung vorbereitet werden soll, oder die Regierung die Fassung von Beschlüssen oder die Stellung von Interpellationen hinausschieben w i l l , eine Unterbrechung der Tätigkeit des Landtags auf eine bestimmte Zeit eintreten zu lassen, ohne daß der Landtag geschlossen oder aufgelöst w i r d " 1 0 4 . Dieser Auffassung nach wäre es unzulässig gewesen, bei einer Vertagung durch den Kaiser zwar keine Plenarsitzungen abzuhalten, w o h l aber die Kommissionen weiter arbeiten zu lassen. Tatsächlich w a r jedoch i n Theorie und Praxis streitig, ob ein solches Vorgehen möglich war. Als die Frage 1882 zum ersten M a l aufkam 1 0 5 , wurde sie negativ beantwortet. 1890 dagegen beschloß der Reichstag „ i n Ubereinstimmung m i t den verbündeten Regierungen", also dem Bundesrat, eine Kommission „zu ermächtigen", die Beratung der Gewerbeordnung bereits vor Ablauf der Vertagung, nämlich vierzehn Tage vor 100

Vgl. oben § 12. Beiz (Anm. 14) S. 20, obwohl die dort Fn. 31 zitierten Autoren dies i n dieser F o r m nicht behaupten. 102 Arndt (Anm. 35) S. 132. 103 Vgl. z.B. Zorn (Anm. 50) Bd. I S. 243; ders. (Anm. 38) A r t . 26 A n m . Die K r i t i k v o n Beiz (Anm. 14) S. 20 Fn. 32 daran ist ungerechtfertigt. 104 Arndt (Anm. 35) S. 132. los F ü r die Zulässigkeit sprachen sich die Abgeordneten Windthorst u n d Lasker, dagegen die Abgeordneten Richter u n d von Minnigerode aus; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, V. Legislaturperiode, I I . Session 1882/83, 1. Bd. S. 511 bis 519. Laband (Anm. 43) S. 303 Fn. 1 berichtet v o n einer „lebhaften Polemik", die sich i n der Tagespresse an diese Erörterungen angeschlossen habe. 101

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I I . 4. Kap. : Diskontinuität i m Kaiserreich

d e m P l e n u m , w i e d e r a u f z u n e h m e n 1 0 6 . Ä h n l i c h w u r d e 1902 b e i d e r B e r a t u n g des Z o l l t a r i f s v e r f a h r e n , als d i e X V I . K o m m i s s i o n n a c h d e n O s t e r f e r i e n eine Woche v o r d e m P l e n u m m i t i h r e r A r b e i t b e g a n n 1 0 7 ; d u r c h Gesetz w u r d e auch d i e geschäftliche B e h a n d l u n g d e r Ä n d e r u n g e n des G V G , d e r S t P O , eines z u b e i d e n Gesetzen g e h ö r e n d e n E i n f ü h r u n g s gesetzes u n d d e r R V O e r m ö g l i c h t 1 0 8 . E i n e g e n e r e l l e E r m ä c h t i g i m g z u m Z u s a m m e n t r i t t w ä h r e n d d e r U n t e r b r e c h u n g d e r V e r h a n d l u n g e n des Reichstages e n t h i e l t schließlich das „Gesetz ü b e r d e n v a t e r l ä n d i s c h e n H i l f s d i e n s t " 1 0 9 f ü r d e n d a r i n vorgesehenen besonderen Ausschuß, d e r auch z u s a m m e n m i t d e m B u n d e s r a t das V e r o r d n u n g s r e c h t besaß. I n d e r staatsrechtlichen L i t e r a t u r f a n d e n sich B e f ü r w o r t e r 1 1 0 w i e G e g n e r 1 1 1 dieses V e r f a h r e n s . W ä h r e n d d i e e i n e n als V e r t r e t e r e i n e r z u n e h m e n d e n E r s t a r k u n g des Reichstages angesehen w e r d e n k ö n n e n , s i n d die a n d e r e n d e m k o n s e r v a t i v e n L a g e r zuzurechnen, das a l l e i n a u f d i e v e r f a s sungsrechtlichen W i r k u n g e n e i n e r v o m K a i s e r a n g e o r d n e t e n V e r t a g u n g als V e r b o t w e i t e r e r T ä t i g k e i t a b s t e l l t e 1 1 2 .

106 Beschluß des Reichstags v o m 28. J u n i 1890, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, V I I I . Legislaturperiode, I. Session 1890/91, 1. Bd. S. 656; vgl. auch Pereis (Anm. 67) S. 105, der eine solche Ermächtigung f ü r überflüssig hielt. 107 Pereis (Anm. 67) S. 105; Wolfensberger, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 5. Das i n diesem F a l l ergangene Gesetz, betreffend die geschäftliche Behandlung des E n t w u r f s eines Zolltarifgesetzes v o m 20. J u n i 1902, RGBl. S. 235, w a r nicht notwendig, u m der Kommission die A r b e i t zu gestatten, sondern nur, u m f ü r die Mitglieder den Bezug einer Entschädigung zuzulassen; vgl. Sten. Ber. über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, X . Legislaturperiode, I I . Session 1902/03, Sechster Anlagenband Nr. 589 u n d Sten. Ber. Bd. V I S. 5117. So auch Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . V. 108 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, X I . Legislaturperiode, I. Session 1909/11, Bd. 276, Anlagen Nr. 419 u n d Sten. Ber. 75. Stzg., Bd. 261, S. 2740A; 80. Stzg. S. 2945D-2947C; 82. Stzg. S. 2960A. A u c h hier w u r d e n den Mitgliedern der Kommission Diäten gewährt. Soweit die Begründung des Gesetzentwurfs neben dem Zolltarifgesetz auf das Beispiel der Reichsjustizgesetze Bezug nahm, handelte es sich u m einen I r r t u m , da das Recht zum Zusammentritt sich n u r auf die Zeit der Vertagung, nicht nach Sessionsende bezog. Vgl. dazu unten § 16. 109 § 19 des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst v o m 5. Dezember 1916, RGBl. 1916, S. 1333; vgl. dazu ausführlich unten v o r § 19. 110 So w o h l Laband (Anm. 43) S. 303 Fn. 1; ausdrücklich Arndt (Anm. 35) S. 132 f., der sich auf die Entscheidung RGSt 22, S. 381 beruft, u n d Pereis (Anm. 31) S. 27. 111 Georg Meyer (Anm. 60) S. 291, 406; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 511; Bornhak (Anm. 48) S. 73, 166; Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1. Teil, S. 246. 112 V o n dem Verbotscharakter der Vertagung geht auch Beiz (Anm. 14) S. 20 aus; soweit er — ohne diesen zu zitieren — m i t Pereis (Anm. 107) aber eine Ermächtigung durch den Reichstag f ü r überflüssig hält, übersieht er, daß auch der Bundestag z . B . Ausschußsitzungen außerhalb der festgelegten Sitzungswochen erlauben m u ß ; vgl. unten § 24.

§ 13 Periodizität und Diskontinuität

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Wie bereits das Reichsgericht festgestellt hatte, haftete dem Wort „Vertagen" begrifflich jedoch nun einmal unabweisbar die Vorstellung einer nur vorübergehenden tatsächlichen Ruhepause an, durch welche die geordnete Existenz und Erledigung gewisser Angelegenheiten für kurze Zeit unterbrochen und von einem „Tag" auf einen folgenden „Tag" nur verschoben werden sollte 1 1 3 . So blieb die Abgeordnetenqualität m i t allen ihren Folgen, insbesondere der Immunität nach A r t . 31 der Reichsverfassung, während der bloßen Vertagung erhalten 1 1 4 . Nach einer Vertagung auch i m Sinne des Vertagtwerdens durfte der Reichstag von selbst, ohne besondere kaiserliche Berufung wieder zusammentreten. Er brauchte sich, wie das preußische Abgeordnetenhaus, auch nicht wieder neu zu konstituieren: er behielt sein Präsidium bei, alle von der Vertagung bestellten Kommissionen brauchten nicht von Neuem gewählt zu werden und konnten ihre Tätigkeit fortsetzen, zumindest sie nach der Vertagung wieder an dem Punkt aufnehmen, wo sie diese abgebrochen hatten 1 1 5 . Es wurde sogar — offensichtlich i m Gegensatz zum Grundsatz der Diskontinuität — von einem Grundsatz der Kontinuität gesprochen 116 . Die durch Vertagung herbeigeführte Periodizität des Reichstags war also insoweit folgenlos, als sie keine der als Diskontinuität zu verstehenden Wirkungen für das Parlament hatte 1 1 7 . Demgegenüber hatten Schließung und Auflösung nach allgemeiner Auffassung zur Wirkung, „daß alsbald jede Thätigkeit des Reichstages vollständig beendigt w i r d " 1 1 8 . Dieser vollständigen Beendigung lag die Vorstellung zugrunde, daß Aufgabe und Kompetenz des Parlaments als Verfassungsorgan durch die Verfassung festgelegt seien, die Herbeiführung und entsprechend die Einziehung der tatsächlichen Funktionsfähigkeit aber i n der Hand des Monarchen liege. Wenn es diesem somit zustand, „das Organ funktionieren zu lassen" 119 , mußte eine Schließung und erst recht die Auflösung zur Vernichtung der Funktionsfähigkeit 113

RGSt 22, S. 384 f. Vgl. ζ. B. die Entscheidung RGSt 22, S. 379 ff. 115 Arndt (Anm. 35) S. 132; ders., Die Verfassung des Deutschen Reiches, A r t . 26; Pereis (Anm. 67) S. 105. 116 Fülster (Anm. 31) S. 475; Georg Meyer (Anm. 60) S. 400; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 511; von Rönne (Anm. 50) Bd. I S. 261; Schulze (Anm. 52) Bd. 2 S. 87 f. Ä h n l i c h auch Georg Jellinek, Besondere Staatslehre, S. 407, der davon spricht, die Vertagung habe nicht „die K o n t i n u i t ä t der Geschäfte" u n t e r brochen. 117 Beiz (Anm. 14) S. 20, 24 f. betont die „rechtliche Unterbrechung", die nach seiner Auffassung v o n der Diskontinuität zu unterscheiden ist u n d V e r tagung, Schließung u n d Auflösung gemeinsam gewesen sei. Eine solche rechtliche Unterbrechung w a r aber nichts anderes als das aus dem monarchischen Prinzip u n d der kaiserlichen Prärogative herausinterpretierte Verbot, nach einer kaiserlichen A n o r d n u n g überhaupt t ä t i g zu werden. 118 Arndt (Anm. 35) S. 132. 119 Wolfensberger, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 50. 114

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

führen. Die zwischen beiden Eckpunkten liegende Zeit konkreter W i r kungsfähigkeit beschrieb dann den eigentlichen geschlossenen Handlungsabschnitt des Parlaments, eine Vorstellung, die bereits bei der Entstehung des Sessionsbegriffes i n England eine Rolle gespielt hatte 1 2 0 und, da sie dem europäischen Ständestaat nicht fremd gewesen war, vom konstitutionellen Staatsrecht übernommen wurde. Weil die Zäsur des durch kaiserliche Verordnung herbeigeführten Einschnitts i n die konkrete Handlungsfähigkeit so tief war, konnte eine Sitzungsperiode, erst recht aber eine Legislaturperiode nicht als Fortsetzung der vorangegangenen angesehen werden. Oder, wie es A r n d t ausgedrückt hat: „ I m Falle der Schließung gilt die neue Sitzung nicht als Continuation der alten, während i m Falle der Schließung der nach der Vertagung wieder zusammentretende Reichstag als die Continuation des alten g i l t 1 2 1 . " Der Reichstag war deshalb jeweils nach einer Neuberufung auch zu einem völligen Neubeginn seiner Tätigkeit gezwungen. Dabei war es unerheblich, ob diese Neuberufung als Folge einer bloßen Schließung oder sogar einer Auflösung erforderlich w u r de. Beide Instrumente wurden i n ihrer Wirkung auf die konkrete Tätigkeit völlig gleichgestellt 122 . Die Auflösung schuf allein die zusätzliche Voraussetzung, daß i n der Zwischenzeit Neuwahlen stattfinden mußten und entsprechend bei der nächsten Berufung eventuell andere Personen erschienen, u m als Abgeordnete den Reichstag zu bilden. Auch die Auflösung mußte auf die Tätigkeit wie eine Schließung wirken, da eine Fortsetzung der Arbeiten, nachdem sämtliche Mitglieder die Eigenschaft von Reichstagsabgeordneten verloren hatten, nicht mehr möglich erschien 123 . Die Auflösung war deshalb i m deutschen Konstitutionalismus unter zwei verschiedenen Blickwinkeln zu sehen: als M i t t e l der Einflußnahme auf die konkrete Handlungsfähigkeit des Verfassungsorgans hatte sie alle Wirkungen der Schließung; als M i t t e l der Einflußnahme auf die Zusammensetzung der Organwalterschaft zwang sie zu Neuwahlen. Hinsichtlich der vollständigen Beendigung jeder Tätigkeit des bestehenden Organs waren sich Schließung und Auflösung also gleich. Die Charakterisierung des Endes der Legislaturperiode als der „einschneidendsten Zäsur" 1 2 4 wurde jedenfalls i n der staatsrechtlichen Theorie und Praxis i n bezug auf die Diskontinuität nicht emp120

Vgl. oben § 4. (Anm. 35) S. 133. Die Wiederholung des Wortes „Schließung" i m zweiten Halbsatz ist offensichtlich ein Druckfehler; es muß hier w o h l „Vertagung" heißen, da A r n d t gerade den Unterschied zwischen Schließung u n d Vertagung deutlich machen wollte. 122 Vgl. z.B. Arndt (Anm. 35) S. 132; Jellinek (Anm. 116) S. 249; Seydel (Anm. 51) S. 407. 123 Seydel (Anm. 51) S. 407. 124 Beiz (Anm. 14) S. 22. 121

§ 13 Periodizität und Diskontinuität

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funden. Sie spielte erst eine Holle, als und wo es darum ging, die Diskontinuität zu umgehen oder zu durchbrechen 125 . Es kann deshalb auch nicht davon gesprochen werden, es habe i m Verfassungsrecht des Kaiserreichs sowohl einen Grundsatz der Diskontinuität der Sitzungsperioden als auch einen Grundsatz der Diskontinuität der Legislaturperioden gegeben 126 ; die Diskontinuität knüpfte an die jeweilige Periodizität als geschlossenen Handlungseinheit an, die, da sie durch die kaiserliche Prärogative bestimmt wurde, eine gesamte Legislaturperiode oder auch nur eine Session i m Innern einer Legislaturperiode sein konnte. Es ist aber auch unrichtig, zu behaupten, das Ende einer Legislaturperiode sei für das Diskontinuitätsprinzip ohne Bedeutung gewesen 127 . Denn wenn der Kaiser von seinem Recht, den Reichstag zu schließen, keinen Gebrauch machte, trat Diskontinuität i n jedem Falle durch den Ablauf der Legislaturperiode oder bei Auflösung des Reichstages ein, weil auch dann eine geschlossene Handlungseinheit endete 128 . Es handelte sich also weder u m zwei verschiedene und unterscheidbare Diskontinuitäten noch u m eine einzige, allein an die Session gebundene. Die durch die Verfassung vorgegebene Periodizität der befristeten Legitimation der Organwalterschaft, die durch Auflösung noch verkürzt werden konnte, überlagerte vielmehr die getreu dem monarchischen Prinzip i n das Ermessen des Kaiser gestellte Möglichkeit, weitere Periodizitäten als geschlossene Handlungsabschnitte i n Form der Sessionen zu schaffen. M i t jedem dieser Handlungsabschnitte w a r dann Diskontinuität verbunden. Die vollständige Beendigung jeder Tätigkeit des Reichstages äußerte sich i n doppelter Hinsicht. Einmal wurde m i t dem Ende einer Sitzungsperiode oder Legislaturperiode die Konstituierung des Reichstags hinfällig, d. h. er verlor seine „kollegiale Eigenschaft" 129 und hörte auf, als „Corporation" 1 3 0 oder „konstituiertes K o l l e g i u m " 1 3 1 zu bestehen. Die 125

Vgl. unten § 16. So aber Beiz (Anm. 14) S. 22, der dann auch einräumt, daß m i t dem Ende der Legislaturperiode bezüglich der Diskontinuität des Reichstags keine w e i tergehenden Rechtswirkungen verbunden gewesen wären, u n d zur Begründung — richtig — angibt, daß das Erlöschen der Abgeordnetenmandate, also die personelle Diskontinuität, nicht als Voraussetzung der Diskontinuität betrachtet wurde. Z u r heutigen Situation vgl. dagegen unten § 29. 127 So aber Klaus Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965, S. 507. 128 Ä h n l i c h Beiz (Anm. 14) S. 22. 129 von Rönne (Anm. 50) Bd. I S. 261; Schulze (Anm. 52) Bd. 1 S. 494. 130 Thudichum (Anm. 33) S. 193. 131 Kieschke (Anm. 33) S. 38. Vgl. dort auch schon die Ansätze zu einer D i f ferenzierung zwischen Schließung u n d Auflösung, indem gegen die aus dem preußischen Konstitutionalismus überlieferte Auffassung, v o m Augenblick der Schließung an seien n u r noch einzelne Volksvertreter, aber k e i n Reichstag 126

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II. 4. Kap. : Diskontinuität im Kaiserreich

Schließung hatte somit nicht die Auflösung der Kammer, aber die „Auflösung der Organisation der Kammern" zur Folge 1 8 2 . Die Organe des Reichstags als solche i n ihrer konkreten personellen Besetzung fielen fort und mußten bei Wiederaufnahme der Arbeit neu gebildet werden 1 3 3 . Die Präsidenten und das ganze Bureau verloren „ihren Charakter als erwählte Beamte des Reichstages und (fielen) i n die Masse der Abgeordneten zurück" 1 3 4 . Dem trugen auch die §§ 5 Abs. 2, 11 und 26 der Geschäftsordnung Rechnung, aus denen sich ergab, daß Kommissionen, Präsidium und Schriftführer jeweils nur für eine Session gewählt war e n 1 3 5 und i n ihren Ämtern wieder bestätigt werden mußten. Bei Neubeginn der Geschäfte hatte sich der Reichstag nach Berufung und Eröffnung also neu zu konstituieren wie i n der ersten Session einer Legislaturperiode 1 3 6 . Schließung wie Auflösung hatten somit zur Folge, daß zwar keine Organ-Diskontinuität 1 3 7 i n dem Sinne eintrat, daß die entsprechenden Einrichtungen institutionell entfallen wären; sie wurden aber der konkreten Personen beraubt, die sie gebildet hatten, und stellten deshalb i n der Zeit zwischen zwei Sessionen nur eine leere Hülle dar. Hinsichtlich der Organisation des Reichstags trat also auch bei Sessionsschluß personelle Diskontinuität 1 3 8 ein, ohne daß die eigentliche Legitimation der Inhaber dieser Ämter als Reichstagsabgeordnete geendet hätte 1 3 9 . Sie verloren aber die besonderen Rechte aus A r t . 31 der Reichsverfassung, da diese nur für die Dauer der Sitzungsperiode galmehr vorhanden, unter Berufung auf Matter (Anm. 48) S. 8 u n d das französische Staatsrecht W e r t darauf gelegt w i r d , daß der Reichstag als solcher trotz der Schließung bestehen bleibe u n d die Vollmachten nicht des Parlaments, sondern n u r einer seiner Sessionen beende. 132 Jellinek (Anm. 116) S. 248. 133 per eis (Anm. 31) S. 23. Ä h n l i c h Tezner, Die Volksvertretung, S. 443; Kieschke (Anm. 33) S. 39. 134 So plastisch, w e n n auch i n der rechtlichen Zuordnung der F u n k t i o n u n d des Status unrichtig Kieschke (Anm. 33) S. 39. 135 Ä h n l i c h Hillmann, Die Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität i m Reich u n d i n Bayern, S. 22. Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 24 Fn. 59. Z u r Erleichterung der Geschäfte enthielt § 1 Abs. 2 GO R T eine Übergangsvorschrift, wonach i n einer neuen Session derselben Legislaturperiode der P r ä sident der vorangegangenen Session seine F u n k t i o n bis zur N e u w a h l eines Präsidenten vorläufig beibehielt. Z u Beginn einer neuen Legislaturperiode führte der Alterspräsident den Vorsitz u n d w u r d e der Präsident zunächst n u r f ü r vier Wochen gewählt. 136 Kieschke (Anm. 33) S. 39. Vgl. auch Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . I V ; Arndt (Anm. 35) S. 132; ders. (Anm. 115) A r t . 26 A n m . 1; Fülster (Anm. 31) S. 475. 137 Z u m Begriff vgl. oben § 2. 138 Z u m Begriff vgl. oben § 2. 139 I n der zeitgenössischen staatsrechtlichen L i t e r a t u r blieb unklar, ob diese Folgen aus dem Grundsatz der Diskontinuität abgeleitet wurden. Eindeutig n u r Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . I V ; Pereis (Anm. 31) S. 23; Kieschke (Anm. 33) S. 40.

§ 13 Periodizität und Diskontinuität

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ten und den Reichstag als „konstituiertes", d.h. wirkungsfähiges und zur Tätigkeit berechtigtes und verpflichtetes Gremium schützen sollten. Anders als bei der Vertagung war so auch schon begrifflich grundsätzlich ausgeschlossen, daß eine Kommission des Reichstags i n der Zeit zwischen zwei Sessionen tätig wurde. Da es keine als Reichstag versammelte bzw. zum Zusammentritt berechtigte Körperschaft gab, konnten auch nicht Teile davon weiterwirken 1 4 0 . Ob seine Organwalterschaft erneuert worden war oder nicht, der Reichstag mußte seine politische Handlungsfähigkeit erst wieder herstellen, die er m i t dem Ende der Sitzungsperiode bzw. Legislaturperiode verloren hatte 1 4 1 . Der einzige Unterschied hinsichtlich der i m weiteren Sinne organisatorischen Folgen von Ablauf der Legislaturperiode bzw. Auflösung auf der einen und Schließung auf der anderen Seite lag i n der Geltungsdauer der Geschäftsordnung. Entgegen der Auffassung i n ersten Kommentierungen der Verfassung des Norddeutschen Bundes, die noch weitgehend von den Erfahrungen m i t dem Staatsrecht der Einzelstaaten beeinflußt war e n 1 4 1 3 , wurde nach Gründung des Kaiserreichs als selbstverständlich angesehen, daß die förmlich beschlossenen Verfahrensregeln des Parlaments, die nach der Reichsverfassung zu dem autonomen Regelungsbereich des Reichstags gehörten 1 4 2 , jeweils zwar nur für eine, dann aber auch für die gesamte Legislaturperiode Geltung hatten 1 4 3 . Die Geschäftsordnung nahm damit nicht an der Zäsur teil, die das Ende der Sitzungsperiode darstellte. Die Neukonstituierung zu Beginn einer zweiten oder weiteren Session innerhalb einer Legislaturperiode erfolgte nach Regeln, die der betreffende Reichstag sich bei Aufnahme seiner Tätigkeit gegeben hatte, ja die Geschäftsordnung sah von sich aus schon ein Hinüberwirken i n die nächste Legislaturperiode vor, indem sie organisatorische Vorkehrungen für die Zeit bis zur Konstituierung und 140

Z u den Ausnahmen u n d Durchbrechungen auch i n diesem Bereich vgl. unten § 16. 141 So auch Beiz (Anm. 14) S. 24. 141 a Hiersemenzel, Die Verfassung des Norddeutschen Bundes, S. 51, führte unter Berufung auf von Rönne zu A r t . 27 aRV ausdrücklich aus: „ B e i Beginn jeder neuen Sitzungsperiode ist über die ,Geschäfts-Ordnung 4 Beschluß zu fassen u n d entweder die frühere unverändert resp. m i t Modifikationen beizubehalten oder eine neue festzustellen." Anders aber schon Thudichum (Anm. 33) S. 167. 142 Vgl. Klaus Friedrich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie u n d autonomes Parlamentsrecht, S. 22, 46 f. 143 So ausdrücklich Dambitsch (Anm. 22) A r t . 27 A n m . Β I ; Zorn (Anm. 50) Bd. I S. 237. Vgl. auch Per eis (Anm. 67) S. 4; Breiholdt, Die A b s t i m m u n g i m Reichstag, i n : A ö R 1926, S. 293 f. u n d die dortigen Nachweise i n Fn. 11 sowie Arndt (Anm. 142) S. 128. Soweit Hub er (Anm. 1) Bd. I I I S. 884 f. die Beschränk u n g der Geltungsdauer der Geschäftsordnung als F i k t i o n bezeichnet, hat er n u r v o m tatsächlichen Vorgehen her recht, w e i l die Geschäftsordnung des Reichstags tatsächlich seit 1876 praktisch stillschweigend übernommen w u r d e ; vgl. auch schon Zorn (Anm. 38) A r t . 27 A n m . 2.

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

damit der Bestätigung der alten oder der Schaffung neuer Verfahrensregeln traf. Hierin lag nicht nur ein erster Bruch m i t der ansonsten streng durchgehaltenen Auffassung von der umfassenden Zäsur bei Sessionsende, sondern auch schon der Ansatz zu einem eher auf die Legitimation durch die allgemeinen Wahlen als auf die i n Ausübung kaiserlicher Prärogative ausgesprochene Autorisierung zum Handeln gestützten Parlamentsverständnis. Neben diesen organisatorisch-institutionellen Folgen, von ihnen aber begrifflich nicht getrennt, fand die vollständige Beendigung jeder Tätigkeit des Reichstages am Schluß der Session bzw. der Legislaturperiode darin Ausdruck, daß alle bei i h m eingebrachten, aber nicht abschließend beratenen Vorlagen und Anträge gegenstandslos wurden. Erste Voraussetzung w a r also, daß sie beim Reichstag schon vorgelegen hatten. Weitere Voraussetzung war, daß ihre Beratung i m Reichstag noch nicht abgeschlossen sein durfte. Ob dies der Fall war, beurteilte sich nach autonomem Parlamentsrecht, also der Geschäftsordnung. War die geschäftsmäßige Behandlung einer Vorlage abgeschlossen, konnte das Diskontinuitätsprinzip zunächst nicht mehr zur Anwendung kommen, w e i l sich der Reichstag nach seiner erneuten Berufung damit nicht wieder zu befassen gehabt hätte 1 4 4 . Diese Wirkungen wurden i n erster Linie als „Grundsatz der Diskontinuität" bezeichnet; sie erhielten Bestätigung durch § 70 der Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses, aus der er mitübernommen worden war, nur beispielhaft Gesetzesvorlagen, Anträge und Petitionen aufzählte, umfassend verstanden wurde und Gegenstände parlamentarischer Beratung jeder A r t umfaßte 1 4 5 . Die größte Bedeutung kam dem Grundsatz allerdings bei der Gesetzgebung zu. I n diesem Bereich parlamentarischer Tätigkeit und (Mit-)Zuständigkeit war er entwickelt und ausgeformt worden. Hier ergaben sich auch die Schwierigkeiten und Streitpunkte; hier wurden schließlich Ansätze zu einer Überwindung gemacht.

144 Ä h n l i c h Beiz (Anm. 14) S. 23. Die Berufung i n Fn. 56 auf von Seydel (Anm. 53) A r t . 5 A n m . I I ist allerdings unkorrekt, da sich dessen Bemerkung: „ W o aber überhaupt nichts fortzusetzen ist, k a n n auch das ,Princip der Discontinuität' keine A n w e n d u n g finden", gerade nicht auf die organinterne, sondern auf eine mögliche organexterne Diskontinuität bezieht; vgl. dazu unten §14. 145 Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 23 Fn. 55.

§ 14 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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§ 14 Der Grundsatz der Diskontinuität und seine Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren Das Staatsrecht des deutschen Konstitutionalismus unterschied hinsichtlich jeden Gesetzes zwischen zwei Bestandteilen von unterschiedlicher rechtlicher Bedeutung. Das eine war der Gesetzesinhalt, die i m Gesetz ausgesprochene Rechtsregel, also die Formulierung eines für die Regelung des sozialen Zusammenlebens bedeutsamen Gedankens; das andere Element bildete der Gesetzesbefehl, die Ausstattung der i m Gesetz ausgesprochene Rechtsregel, also die Formulierung eines für Erhebung also des Rechtsgedankens zur Rechtsnorm 146 . Der rechtlich entscheidende A k t i n dem Entstehungsprozeß eines Gesetzes war nicht die Aufstellung der Rechtsregel, sondern die Bekleidung des Rechtsgedankens m i t dem Gesetzesbefehl, der sogenannten Sanktion. Politisch und damit tatsächlich kam aber der inhaltlichen Gestaltung die größere Bedeutung zu 1 4 7 . Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen Gesetzesinhalt und Gesetzesbefehl mußten sich Konsequenzen auch für das Verhältnis zwischen Parlament und Inhaber der staatlichen Herrschaftsmacht ergeben. Da die Feststellung des Gesetzesinhalts i m konstitutionell-monarchischen Staat durch übereinstimmenden Beschluß von Monarch und Volksvertretung erfolgte, die so inhaltlich festgestellte Rechtsregel aber erst durch die Sanktion des Monarchen zum Gesetz wurde, war formell-staatsrechtlich der Träger des Sanktionsrechts der bestimmende Faktor der gesetzgebenden Gewalt. Praktisch-politisch wuchs die Volksvertretung, vor allem nach der Zuerkennung eines eigenen Initiativrechts, aber i n eine gleichwertige Rolle hinein 1 4 8 . Je stärker diese Gleichwertigkeit zum Ausdruck kam, u m so mehr mußte die monarchische Spitze versuchen, verlorengegangenen Einfluß m i t Hilfe anderer, nicht unmittelbar aus dem Sanktionsrecht abzuleitender M i t t e l zurückzugewinnen. Als Instrument bot sich hier der als Bestandteil des monarchischen Prinzips verstandene Grundsatz der Diskontinuität an. Die Verwirklichung dieses Ansatzes wurde i m deutschen Kaiserreich durch dessen eigentümliche staatsrechtliche Konstruktion erschwert, aber auch erleichtert. Faktoren der Reichsgesetzgebung waren der Bundesrat und der Reichstag; der Kaiser als solcher besaß keinen materiellen Anteil an der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt des Reiches. Der konstitutive Teil seiner M i t w i r k u n g an der Entstehung eines 146 Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 4 ff.; Georg Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, S. 394 ff.; Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht i n Preußen, S. 230 f.; Zorn (Anm. 50) Bd. I S. 411; Fülster (Anm. 31) S. 574. 147 Fülster (Anm. 31) S. 574. 148 Ä h n l i c h Fülster (Anm. 31) S. 575.

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

Gesetzes beschränkte sich auf die letzten beiden von vier Stadien: nach Feststellung des Gesetzesinhalts und Erteilung des Gesetzesbefehls k a m er erst bei der Ausfertigung als Beurkundung der Echtheit des Gesetzestextes und der Legalität des Gesetzgebungsverfahrens 149 sowie bei der Verkündigung als amtlicher Kundmachung des Gesetzes 150 zum Zuge. Nach A r t . 5 Abs. 1 der Reichsverfassung war für das Zustandekommen eines Reichsgesetzes ein übereinstimmender Mehrheitsbeschluß des Bundesrates und des Reichstages erforderlich, aber auch ausreichend. Formell waren damit beide Verfassungsorgane hinsichtlich ihres Anteils an der Feststellung des Gesetzesinhalts gleichgestellt. Entsprechend hatten auch beide Körperschaften das Recht zur Gesetzesinitiative, dessen Ausübung durch die Verfassung selbst bzw. beim Reichstag durch dessen Geschäftsordnung geregelt war. So konnte innerhalb des Bundesrates jedes Mitglied Gesetzes Vorschläge einbringen; das Präsidium war dann verpflichtet, derartige Vorschläge dem Plenum des Bundesrates zur Beratung und Beschlußfassung vorzulegen 1 5 1 . Dem Kaiser als solchem bzw. der kaiserlichen Reichsregierung stand ein Initiativrecht nicht zu; die sogenannten Präsidial vorlagen an den Bundesrat waren ihrer Rechtsnatur nach nicht kaiserliche, sondern königlich-preußische Anträge 1 5 2 , obwohl tatsächlich auf diesem Wege der größte Teil der Gesetze initiiert wurde 1 5 3 . Initiativen aus der Mitte des Reichstages waren dagegen seltener; zu ihrer Einbringung war nach § 22 der Geschäftsordnung die Unterschrift von mindestens fünfzehn Mitgliedern erforderlich. Hatten Bundesrat oder Reichstag einen Gesetzesvorschlag angenommen, war der Entwurf dem jeweils anderen Gesetzgebungsorgan zu übermitteln. Für die über den Bundesrat initiierten Vorlagen bedeutete das, daß sie nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrates i m Namen des Kaisers beim Reichstag eingebracht werden mußten 1 5 4 . Sie wurden damit jedoch nicht Vorlagen des Kaisers, sondern blieben solche der verbündeten Regierungen. Der Kaiser bzw. der Reichskanzler waren lediglich Bote; die Einbringung durfte weder verweigert noch die Vorlage verändert werden 1 5 5 . Bei dem tatsächlichen Stimmenverhältnis i m 149

Vgl. Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 13 ff., 42 ff., v o n dem auch die U n t e r scheidung der v i e r Stadien stammt; Fülster (Anm. 31) S. 576, 583 f. 150 Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 22, 54 ff.; Fülster (Anm. 31) S. 584 f. 151 Vgl. A r t . 7 Abs. 2 aRV. 152 Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 24 Fn. 3; von Seydel (Anm. 53) A r t . 7 A n m . V I ; Georg Meyer (Anm. 60) S. 584, 585 Fn. 12; Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3d. 153 Vgl. dazu Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 d. 154 Vgl. A r t . 16 aRV. 155 Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 27; Georg Meyer (Anm. 60) S. 584; Schulze (Anm. 52) Bd. 2 S. 117; Fülster (Anm. 31) S. 579.

§ 14 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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Bundesrat war es jedoch kaum vorstellbar, daß ein Vorschlag des Bundesrates ohne oder gegen die Zustimmung der Reichsexekutive zustande kam. Der Reichstag seinerseits war verpflichtet, über die bei i h m eingehenden Gesetzesvorschläge des Bundesrates nach den von i h m aufgestellten Regeln seiner Geschäftsordnung einen sachlichen Beschluß zu fassen. Er konnte den Entwurf annehmen, ablehnen oder verändern, durfte jedoch nicht über die Vorlage zur Tagesordnung übergehen 156 . Allerdings beschränkte sich i n nicht wenigen Fällen die Stellungnahme des Reichstags auf die Uberweisung an eine Kommission, die die Vorlage dann — absichtlich oder als Folge des Sessionsendes — nie erledigte 1 5 7 , wodurch das Initiativrecht von Bundesrat und implicite auch Reichsregierung unterlaufen werden konnte, ohne daß es formell zur Ablehnung gekommen wäre. Die von der Anlage her positive Regelung der Vorschrift, daß ein abgelehnter Vorschlag i n derselben Session nicht erneut eingebracht werden konnte, die i n der preußischen Verfassung enthalten war, i n der Reichsverfassung aber fehlte, kam so umgekehrt dem Reichstag zugute 1 5 8 . Die der Initiative des Reichstags entstammenden Vorschläge waren durch dessen Präsidenten dem Reichskanzler zu übermitteln; gleiches galt für die i m Reichstag beratenen und eventuell abgeänderten Vorlagen des Bundesrates 159 . Der Reichskanzler hatte sie dann dem Bundesrat zuzuleiten, der nach A r t . 7 Abs. 1 Ziff. 1 der Reichsverfassung über die vom Reichstag gefaßten Beschlüsse beschloß. Die politische Einsicht, daß die Verhandlungen zwischen den legislativen Organen so lange fortgeführt wurden bzw. werden mußten, bis eine vollständige Übereinstimmung der beiden Körperschaften über den Inhalt des Gesetzes erreicht sei 1 6 0 , wurde damit von der Ausgestaltung der Verfassung überlagert, die dem Bundesrat das letzte Wort zu jedem Gesetz zuerkannte. Obwohl i n der zeitgenössischen Literatur teilweise streitig w a r 1 6 1 , ob i n 156

§53 Abs. 4 GO RT. Vgl. auch Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 d; Fülster (Anm. 31) S. 580. 157 Vgl. auch Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 d. 158 Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 b. Soweit dem Bundesrat von einzelnen Mitgliedern des Reichstags das Recht bestritten worden war, V o r lagen, die i m Reichstag abgelehnt worden waren, sofort erneut einzubringen, vgl. Bismarck i n der Reichstagssitzung v o m 4. März 1881; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, Bd. 1, S. 133: „Es heißt die Gleichberechtigung der beiden gesetzgebenden Faktoren des Reichs i n Zweifel zu ziehen, w e n n m a n sagt, daß eine v o m Reichtag abgelehnte Sache, w e n n sich die verbündeten Regierungen v o n der Unrichtigkeit ihrer Auffassung nicht überzeugen können, nicht wieder i n derselben F o r m vorgelegt werden dürfen." 159 § 69 GO RT. 160 So Fülster (Anm. 31) S. 580; Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 g. 161 Vgl. dazu Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 922 ff.

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

dieser abschließenden Beschlußfassung schon die Sanktion des Gesetzes zu sehen w a r 1 6 2 , oder ob die Sanktion erst durch den Kaiser erfolgte 1 6 3 , konnte der Bundesrat durch die Verweigerung seiner abschließenden Zustimmung jedes Vorhaben zu Fall bringen. Er war dabei auch nicht i n der Weise gehindert, daß er an eigene Beschlüsse gebunden gewesen wäre. Während dem Reichstag jede E i n w i r kung auf die von i h m nach seiner Geschäftsordnung verabschiedeten Gesetze entzogen war, konnte der Bundesrat durchaus einer von i h m selbst eingebrachten und vom Reichstag unverändert angenommenen Vorlage i n dieser Schlußabstimmung noch die Zustimmung verweigern, etwa, w e i l die politische Lage sich geändert oder die Voraussetzungen weggefallen waren, von denen er bei Einbringimg ausgegangen w a r 1 6 4 . Wenn der Bundesrat auch verpflichtet war, über aus dem Reichstag i h m vorgelegte Gesetzentwürfe sachlich zu entscheiden 165 , w a r er i n dem Inhalt dieser Entscheidung doch frei und nicht durch früheres T u n gebunden. Dagegen w a r dem Reichstag jede Einwirkung auf das weitere Schicksal einer von i h m beschlossenen Vorlage, sei sie eigener I n i t i a t i ve entsprungen oder vom Bundesrat eingebracht worden, entzogen. Das Sanktionsrecht i n Verbindung m i t dem Diskontinuitätsprinzip reduzierte damit die i n A r t . 5 der Reichsverfassung angelegte Gleichstellung zwischen Bundesrat und Reichstag i m Gesetzgebungsverfahren auf eine rein äußerliche 166 . Der Reichstag hatte nur zwischen Eröffnung und Schließung einer Session Gelegenheit und Zeit, einen Gesetzentwurf zu beraten und zu beschließen; wurde das Sessionsende vorher herbeigeführt, galt das Vorhaben als erledigt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Vorlage einer eigenen Initiative entstammte oder auf einen Beschluß des Bundesrates zurückging. Hatte der Reichstag dagegen i n einer Session für sich den Inhalt eines Gesetzes festgestellt, war er durch diesen Beschluß gebunden und konnte ihn nicht mehr modiflzie162 So die herrschende M e i n u n g m i t Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 32 ff.; Jellinek (Anm. 146) S. 324; Zorn (Anm. 50) Bd. I S. 413; Georg Meyer (Anm. 60) S. 581; Schulze (Anm. 52) Bd. 2 S. 118; von Rönne (Anm. 50) Bd. I I S. 48 f. Z u r Begründung vgl. Fülster (Anm. 31) S. 580 ff. 163 Fülster (Anm. 31) S. 580 f. führte als Argument, daß der Kaiser nicht Träger der Sanktionsbefugnis sein konnte, überzeugend an, daß eine Sanktionsbefugnis als K o r r e l a t auch ein allgemeines absolutes Veto zum I n h a l t gehabt haben müsse. Da nach A r t . 5 Abs. 2 aRV ein Veto jedoch n u r bei den das Militärwesen, die Kriegsmarine u n d die indirekten Steuern betreffenden Gesetzesvorschlägen eingeräumt sei, könne daneben k e i n unbeschränktes allgemeines Veto bestehen. 164 Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 c. Ä h n l i c h Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 31; Georg Meyer (Anm. 60) S. 586. 165 a. M. n u r Zorn (Anm. 50) Bd. I S. 409. ιββ Unrichtig deshalb Beiz (Anm. 14) S. 25 Fn. 67, w e n n er dem Streit über die Trägerschaft des Sanktionsrechts für den Problemkreis der Diskontinuität keine Bedeutung beimißt.

§ 14 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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ren oder zurücknehmen, gleichgültig, ob, wann und i n welcher Form der Bundesrat sich dazu äußerte. Der i m englischen Staatsrecht erforderliche 1 6 7 und auch dem Staatsrecht einiger Einzelstaaten geläufige 168 A b schluß des gesamten Gesetzgebungsverfahrens i n einer Session als Voraussetzung für die formelle und materielle Wirksamkeit eines Gesetzes war der Verfassung des Kaiserreiches wie dem preußischen Vorbild fremd, was die Stellung des Reichstages gleich doppelt einschränkte: Seine Handlungsfähigkeit konnte durch die Ausübung der kaiserlichen Prärogative i n Form von Eröffnung und Schließung beeinflußt werden; die Ergebnisse seiner Tätigkeit waren, soweit es sich u m den Beschluß über Gesetze handelte, von der als Sanktionsrecht ausgestalteten Zustimmung der verbündeten Regierungen i m Bundesrat abhängig. Als Gegenmittel blieb i h m nur die Möglichkeit der Verzögerung ungewollter Vorlagen des Bundesrates. Die Diskussion über diesen unbefriedigenden Zustand konzentrierte sich auf die Frage, ob von der Verfassung eine Frist vorgeschrieben sei, innerhalb derer eine vom Reichstag angenommene Vorlage vom Bundesrat sanktioniert und vom Kaiser ausgefertigt und verkündigt werden müsse 160 . Als sie 1871 zum ersten Male i n der Form aufkam, daß zwar die Beschlußfassung, aber noch nicht die Verkündung eines Gesetzes vor Beginn einer neuen Session des Reichstags vollzogen worden war, wurde sie i m Bewußtsein der Regelung i n verschiedenen Einzelstaaten 1 7 0 noch dahingehend beantwortet, daß ein geschlossener Handlungsabschnitt des Parlaments gleichzeitig als Zeitgrenze für das Gesetzgebungsverfahren angesehen wurde. Der Reichstag hatte i n der ersten Legislaturperiode Gesetzentwürfen über das Postwesen und Posttaxwesen des Deutschen Reiches zugestimmt. Als zu Beginn der zweiten Session das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, legte die Reichsregierung die entsprechenden Entwürfe dem Reichstag unverändert zur erneuten Beschlußfassung vor, weil es „nicht angemessen" erschienen sei, die Gesetze nach Beginn der neuen Session noch zu verkünden 1 7 1 . Wurde hier die sachliche Diskontinuität noch nicht nur organintern, sondern auch organextern 1 7 2 verstanden, änderte sich diese Auffassung 167

Vgl. dazu unten § 18, auch Jellinek (Anm. 146) S. 331 Fn. 35. Vgl. oben § 6 a. E. 169 Fülster (Anm. 31) S. 582. 170 Vgl. die Nachweise bei Frormarin (Anm. 43) S. 505 f.; auch oben § 6 a.E. 171 Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages, I. Legislaturperiode, I I . Session 1871, 2. Bd. Aktenstück Nr. 9 S. 16. Der Abgeordnete Gumbrecht lobte dieses Verhalten: „ I c h halte dieses Verfahren f ü r durchaus correct u n d zweifle nicht daran, daß i n ähnlichen Fällen i m m e r so verfahren w i r d " ; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages S. 51. Vgl. auch von Seydel (Anm. 53) S. 118 u n d Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 f. 168

9 Jekewitz

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

i n der Staatspraxis bald. Der Vorgang des Jahres 1871 blieb ein Einzelfall; i n der Folge wurden Gesetzentwürfe, über die der Reichstag Beschluß gefaßt hatte, nach Sessionsschluß nicht nur verkündet, sondern auch erst vom Bundesrat sanktioniert, ja es kam sogar vor, daß sie noch über das Ende der Legislaturperiode hinaus i n der Schwebe gehalten wurden 1 7 3 . Größtes Aufsehen erregte vor allem das Schicksal des Gesetzes zur Aufhebung des § 2 des sogenannten Jesuitengesetzes 174 , w e i l es gleichzeitig für den Kulturkampf symptomatisch w a r 1 7 5 . Jenes Jesuitengesetz enthielt Bestimmungen, durch die die Tätigkeit des Ordens i m Reichsgebiet eingeschränkt wurde; sein § 2 sah die Ausweisung ausländischer sowie die Einschränkung der Freizügigkeit inländischer Ordensangehöriger vor. Das Zentrum hatte seit 1884 immer wieder Anträge gestellt, dieses Gesetz aufzuheben, war damit aber i n der Minderheit geblieben 176 . I n der V I I I . Legislaturperiode wurde ein entsprechender Antrag zum ersten Male angenommen, 1894 i n der folgenden Legislaturperiode erneut; ob der Bundesrat dazu überhaupt Stellung genommen hatte, blieb unbekannt. A m 1. Februar 1899 hatte der Reichstag wiederum auf Antrag den Zentrums den Entwurf eines Gesetzes betreffend die Aufhebung des Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesu sowie einen von den Konservativen und übereinstimmend von den Freisinnigen m i t Unterstützung einiger Nationalliberaler eingebrachten Entwurf eines Gesetzes betreffend die Aufhebung des § 2 dieses Gesetzes beschlossen. I n der Ubersicht der vom Bundesrat zu den Beschlüssen des Reichstags gefaßten Entschließungen am Ende dieser Session wurde dem Reichstag mitgeteilt, daß die Beschlußfassung darüber noch ausstehe 177 . A u f eine Interpellation des Zentrums vom Januar 1902, ob und aus welchen Gründen bisher keine Beschlußfassung des Bundesrates erfolgt sei, antwortete der Staatssekretär des Innern, Graf Posadow sky -Wehner, daß die Anträge „der eingehenden Prüfung der einzelstaatlichen Regierungen" unterlägen und zu erwarten sei, daß sich die 172

Z u m Begriff vgl. oben § 2. Vgl. die v o m Staatssekretär des Reichsjustizamtes, Nieberding, i n der Sitzung v o m 14. A p r i l 1904 genannten Beispiele; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, X I . Legislaturperiode, I. Session, 1. Sessionsabschnitt 1903/04, 3. Bd. S. 2082 ff. Auch Kieschke (Anm. 33) S. 45; Frormann (Anm. 43) S. 503; Wolfensberger (Anm. 119) S. 60; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 686 Fn. g. 174 Gesetz über den Orden der Gesellschaft Jesu v o m 4. J u l i 1872, RGBl. S. 253. 175 Z u den politischen Hintergründen vgl. Härtung (Anm. 1) S. 295 sowie ausführlich Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I V , S. 652 ff., insbesondere S. 693 ff. 176 Vgl. hierzu u n d zum folgenden Müller-Meiningen (Anm. 98) S. 301 f. ; auch Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 f. 177 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, X . Legislaturperiode, I I . Session 1900/1903, Drs. 106. 173

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verbündeten Regierungen noch i m Laufe der gegenwärtigen Session zu der schwebenden Frage schlüssig würden; der Beschluß werde dem Reichstag demnächst i n der bisher üblichen Form mitgeteilt 1 7 8 . Ein Jahr später, anläßlich der Beratung des Etats des Reichskanzlers, erklärte auf Anfrage des Abgeordneten Spahn der Reichskanzler Graf von Billow, daß seiner Auffassung nach die allgemeinen Reichs- und Staatsgesetze ausreichten, u m den kirchlichen Frieden zwischen den beiden christlichen Bekenntnissen zu sichern 170 . Trotzdem endete auch noch diese Session und mit i h r die Legislaturperiode, bis der Bundesrat seine Zustimmung zu dem 1899 vom Reichstag beschlossenen Gesetz gab und es damit verkündet werden konnte 1 8 0 . Der Bundesrat hatte also mehr als fünf Jahre gebraucht, bis er sich zu der politischen Entscheidung durchrang, das Gesetz i n der vom Reichstag mehrheitlich beschlossenen Form anzunehmen. I n der Literatur war ein solches Vorgehen schon vor diesem besonders extremen Präzedenzfall heftig umstritten. Es ging dabei insbesondere u m die Frage, ob die Zustimmung des Bundesrates stärker als Beschluß einer A r t zweiter Kammer oder stärker als Ausdruck der Sanktionsgewalt zu werten sei. Richtigerweise wurde dabei danach unterschieden, ob die Sanktion oder die Publikation i n einer gewissen zeitlichen Nähe zu den übrigen Stadien des Gesetzgebungsverfahrens zu erfolgen habe 1 8 1 . Zur Begründung der eigenen Meinung bezog man sich wechselseitig auf die genannten Präzedenzfälle. So sah von Rönne 1 8 2 i n dem Vorgang des Jahres 1871 die Anerkennung der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer derartigen Verfahrensweise, während von anderer Seite behauptet wurde, es habe sich u m einen freien, keiner verfassungsrechtlichen Bindung entsprechenden Entschluß der Reichsregierung gehandelt 1 8 3 . Frühe Versuche einer rechtlichen Begründung für die Notwendigkeit des Abschlusses des gesamten Gesetzgebungsverfahrens i n einer einzigen Session waren m i t Blick auf das Staatsrecht der Einzelstaaten von dem Wortlaut des A r t . 13 der Reichsverfassung ausgegangen, der eine Einberufung des Bundesrates ohne den Reichstag nur zur „Vorbereitung der Arbeiten", nicht aber zur „Beschlußfassung über die stattge178 Stzg. v o m 28. Januar 1902; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, X . Legislaturperiode I I . Session 1900/1903 Bd. 4, S. 3693 B, C. 179 Stzg. v o m 3. Februar 1903 (Anm. 178) Bd. 9, S. 7640 A . 180 Gesetz betreffend die Aufhebung des § 2 des Gesetzes über den Orden der Gesellschaft Jesu v o m 4. J u l i 1872 v o m 8. März 1904, RGBl. S. 139. 181 So Frormann (Anm. 43) S. 504; Kieschke (Anm. 33) S. 43. 182 (Anm. 50) Bd. I I S. 51. 183 Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 f ; Frormann (Anm. 43) S. 508; Georg Meyer (Anm. 60) S. 527 Fn. 19.

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habten Arbeiten des Reichstages" erlaube. Daraus wurde gefolgert, daß die Zustimmung des Bundesrates zu einem vom Reichstag beschlossenen Gesetz rechtsgültig nur vor dem Schluß bzw. der Auflösung des Reichstags erteilt werden könne; insbesondere erschien der Bundesrat nach dieser Auffassung nicht berechtigt, einen vom Reichstag angenommenen Gesetzentwurf erst während einer späteren Sitzungsperiode zum Gesetz zu erheben 184 . Die tatsächliche Grundlage entfiel i n dem Maße, wie der Bundesrat zu einer ständig versammelten Einrichtung wurde, die keine Periodizitäten kannte 1 8 5 und deren Sitzungen deshalb auch nicht danach unterschieden werden konnten, ob sie zum Zwecke der Beschlußfassung über Gesetzentwürfe oder der Sanktion beschlossener Gesetze erfolgten. Mangels anderer Hinweise i n der Verfassung griff man deshalb zum Teil auf gewohnheitsrechtliche Normen zurück. So wurde die Auffassung vertreten, der gesamte Gesetzgebungsakt von der Einbringung des Entwurfs bis zur Verkündung der ausgefertigten Gesetzesurkunde müsse nach einer allgemeinen Übung, die sich zu einem „wirklichen konstitutionellen Gewohnheitsrecht" gestaltet habe, beendet sein, bevor der Reichstag zu einer neuen Session zusammengetreten sei 1 8 6 . Dem wurde entgegengehalten, daß ein wirklich allgemeines konstitutionelles Gewohnheitsrecht ein Faktor sei, m i t dem sich überall da nichts anfangen lasse, wo es sich u m eine Frage des inneren Staatsrechts, ζ. B. aus dem Gesetzgebungsverfahren handele, denn dieses sei naturgemäß i n seiner Gültigkeit beschränkt auf den Staat, auf dessen Anerkennung es beruhe. Fänden sich daher gleiche Übungen und Gewohnheiten auf diesem Gebiet i n mehreren Staaten, so sei doch noch nicht ein gemeinsames Gewohnheitsrecht i m gewöhnlichen Sinne vorhanden; der Grund für die Anerkennung dieser Normen als Gewohnheitsrecht i n einer Mehrzahl von Staaten sei nicht ihre tatsächliche Geltung i n diesen mehreren Staaten, sondern ihre folgerichtige Ableitung aus dem Wesen eines gemeinsamen Rechtsinstituts, also wiederum ihre Anerkennung i n jedem einzelnen Staat 1 8 7 . Unmittelbaren Rückgriff auf die Diskontinuität zur Begründung ihrer Auffassung nahmen nur von Rönne 1 8 8 und i h m folgend, wenn auch m i t 184

Hiersemenzel (Anm. 141 a) A r t . 13 A n m . 1. Vgl. oben § 12; auch Kieschke (Anm. 33) S. 43. 186 von Rönne (Anm. 50) Bd. I I S. 51; Schulze (Anm. 52) Bd. 2 S. 120; Laband (Anm. 43) 1. - 3. A u f l . (vgl. 3. A u f l . 1895 Bd. I S. 539), anders aber seit der 4. A u f l . Vgl. auch Kieschke (Anm. 33) S. 44; Wolfensberger (Anm. 119) S. 10; Beiz (Anm. 14) S. 26. 187 Frormann (Anm. 43) S. 507. Vgl. auch von Seydel (Anm. 53) A r t . 5 A n m . I I ; Kieschke (Anm. 33) S. 44; Rauschenberg er, Einige Bemerkungen zum Reichs-Gesetzgebungsvorgang, i n : AöR Bd. 33, S. 202. Besonders deutlich JeZlinek (Anm. 146) S. 330 f. 185

§ 14 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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Distanz, Zorn 1 8 9 . Nach ihrer, allerdings nicht näher begründeten Meinung mußte das Diskontinuitätsprinzip auch i n diesem F a l l „entsprechende Anwendung" finden. Auch dabei spielten primär Erfahrungen und Anschauungen aus dem Recht der Einzelstaaten eine Rolle. Dahinter kann aber bereits die richtige, jedoch nicht artikulierte Auffassung vermutet werden, daß bei formeller Gleichberechtigung der beiden am materiellen Gesetzgebungsverfahren i n Form der Feststellung des Gesetzesinhalts beteiligten Verfassungsorgane nicht w i l l k ü r l i c h der Bundesrat plötzlich die Disposition über den durch Mehrheitsbeschluß des Reichstags zustandegekommenen gesetzgeberischen Willen haben konnte. Die Diskontinuität wurde also wie i n England nicht als einseitig auf das Parlament begrenzter und diesem von außen aufgezwungener Grundsatz gesehen, sondern als Element der Selbstbeschränkung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane, das entsprechend auch auf die übrigen Teilhaber ausstrahlen mußte 1 9 0 , also organextern zu wirken hatte. Dem setzten die Anhänger einer alleinigen A n wendbarkeit des Diskontinuitätsprinzips auf den parlamentarischen Bereich 1 9 1 entgegen, daß dieses Prinzip nur die Bedeutung habe, daß Geschäfte, die i m Augenblick der Schließung des Reichstags noch nicht erledigt seien, i n der nächsten Session nicht fortgesetzt werden könnten, sondern von neuem begonnen werden müßten. Wenn der Reichstag einen Gesetzentwurf bereits durchberaten und angenommen habe, sei er für diesen aber erledigt: auf fertige Beschlüsse beziehe sich der Grundsatz nicht 1 9 2 , oder, wie es von Seydel ausdrückte: „Wo überhaupt nichts mehr fortzusetzen ist, kann auch das Prinzip der Discontinuität keine Anwendung finden 193." Etwas weiter war die Auffassung derjenigen, die die Ansicht vertraten, ein Gesetzgebungsverfahren müsse zwar nicht i n einer Session, aber spätestens bis zum Beginn einer neuen Legislaturperiode des Reichstages abgeschlossen sein 1 9 4 . Sie konnten sich zur Begründung 188

(Anm. 50) Bd. I I S. 51. (Anm. 50) Bd. I S. 420; vgl. auch von Rönne/Zorn, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd. I S. 349. 190 Gerade Zorn w a r hier inkonsequent. Wenn er eine Diskontinuität der Sessionen ablehnte u n d n u r auf die Diskontinuität als Folge der Erneuerung der Legitimation der Organwalterschaft abstellte, mußte das Gesetzgebungsverfahren auch erst i m zeitlichen Rahmen der Legislaturperiode abgeschlossen sein. Vgl. dazu unten. 191 Vgl. z.B. Arndt (Anm. 115) A r t . 13; Jellinek (Anm. 146) S. 330 f.; Frormann (Anm. 43) S. 510; Rauschenberg er (Anm. 187) S. 203; Meyer! Anschütz (Anm. 1) S. 663 f. Fn. c. 192 von Seydel (Anm. 53) S. 118; Kieschke (Anm. 33) S. 45. 193 (Anm. 53) S. 118. 194 Georg Meyer (Anm. 60) S. 514, 527; Rosin (Anm. 146) S. 254 f. Fn. 3; von Jagemann, Die deutsche Reichsverfassung, S. 92 f.; Müller-Meiningen (Anm. 98) S. 304. 189

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

zwar nicht auf das Diskontinuitätsprinzip berufen, da dieses i n erster Linie auf die Zäsur des Sessionsendes abstellte 1 9 5 ; auch erkannten sie m i t den Gegnern jeder zeitlichen Beschränkung die Bindungswirkung eines vom Reichstag einmal gefaßten Beschlusses über den Schluß der Session hinaus an 1 9 6 . Sie stellten aber darauf ab, daß die zu einem Gesetz erforderliche Zustimmung der beiden Verfassungsorgane vernunftgemäß an die Voraussetzung gebunden sein müsse, daß die Zustimmung des Bundesrates noch zu einem Zeitpunkt erfolge, i n welchem nicht derjenige Reichstag, welcher zugestimmt hatte, seine Gewalt bereits an einen Nachfolger verloren hatte 1 9 7 . A m deutlichsten kam das bei MüllerMeiningen 1 9 8 zum Ausdruck, wenn er forderte, die i n der Reichsverfassung offengelassene Lücke hinsichtlich einer zeitlichen Befristung des Gesetzgebungsverfahrens müsse mangels eines nachweisbaren Gewohnheitsrechts aus allgemeinen Erwägungen, aus dem Geiste, aus der rechtlichen Natur des konstitutionellen Gesetzgebungsverfahrens m i t seinem Wahlrecht zur Volksvertretung ergänzt werden, wenn anders nicht geradezu eine Absurdität aus dem Schweigen des Gesetzes hergeleitet werden solle. Hinter dieser Auffassung stand ein i m Grunde bereits sehr modernes Verständnis von den Aufgaben und der Stellung des Parlaments als Verfassungsorgan. Es wurde i n erster Linie körperschaftlich gesehen und damit von allen anderen Staatsorganen unterschieden 199 . Dieser besondere körperschaftliche Charakter kam für die Vertreter dieser A u f 195 Auch von Jagemann (Anm. 194) S. 92 r ä u m t ein, daß es keinen bestimmten G r u n d gebe, daß eine Beschränkung der Wirkungsdauer eines Beschlusses des Reichstags auf die Session positives Recht wäre, fährt aber fort: „Gleichwohl t u t m a n gewiß gut, sich i n der Praxis m i t der Sanktion an diese Cäsur der Session zu halten; denn ein aufrichtiger Konstitutionalismus muß auch dem Reichstag die A b w ä g u n g dessen, was m i t der Zeit hervortritt, einräumen, u n d es könnte eines Tages der F a l l eintreten, daß der Reichstag i n einer neuen Session i n F o r m der I n i t i a t i v e den i n der vorigen beschlossenen unsanktionierten Gesetzentwurf umgestaltet." 196 Vgl. ζ. B. von Jagemann (Anm. 194) S. 92. 197 von Jagemann (Anm. 194) S. 93; Rosin (Anm. 146) S. 254 f. Fn. 3. 198 (Anm. 98) S. 305. 199 Vgl. Müller-Meiningen (Anm. 98) S. 305: „Der W i l l e der Verfassung ist unbestreitbar, daß neben dem W i l l e n des Souveräns gleichberechtigt auch der W i l l e des Volkes i n der Gesetzgebung jederzeit zum Ausdruck kommen soll. Der W i l l e des Volkes wechselt nach Zeit u n d Verhältnissen. Aus diesem Grunde hat m a n dem Volke das Recht gegeben, zuerst i n drei, später i n fünfjährigen Zeitabschnitten die Organe der E r k l ä r u n g seines Willens zu erküren. Hätte m a n diesem Wechsel i n der Stimmung, i n der Meinung des Volks nicht Rechnung tragen wollen, so hätte m a n füglich die Vertreter lebenslänglich w ä h l e n lassen können. Das Parlament ist nicht unabhängig v o n den physischen Personen, die es bilden: Die Analogie seiner Beschlüsse m i t den v o n Monarchen, den Ministern, den Richtern, dem Bundesrate vollzogenen A k t e n h i n k t w i e jeder Vergleich. Das Parlament soll nach der ganzen N a t u r des Wahlrechts eine scharf individuelle Prägung beibehalten."

§ 14 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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fassung i n der periodischen Erneuerung zum Ausdruck, die insoweit auch Einfluß auf die innere Geschlossenheit und damit zeitliche Begrenzung des Gesetzgebungsverfahrens haben mußte. Auch diese Richtung konnte aber nicht die faktische Überlagerung dieses Verständnisses durch das monarchische Prinzip leugnen. N u r fiel ihnen die teilweise Infragestellung dieses Prinzips insofern leichter, als nach dem Staatsrecht des Kaiserreichs der Träger der Gewalt über die Handlungsfähigkeit des Reichstags von dem Träger der Sanktionsgewalt verschieden war. Ohne die Gültigkeit der Diskontinuität als Folge der vom Kaiser gesetzten Periodizitäten zu bestreiten, konnten sie für eine Einschränkung der absoluten und ungebundenen Sanktionsgewalt aus ihrem Verständnis des Parlaments heraus eintreten. Demgegenüber mußten die Vertreter einer uneingeschränkten Ausübung der Sanktionsgewalt, die ebenfalls nicht die Existenz des Reichstags als von der Verfassung vorausgesetztem Verfassungsorgan leugnen konnten, die Betonung auf dessen abstrakt-institutionelle Eigenschaft, also den organschaftlichen Charakter legen 2 0 0 . Sie konnten auf diese Weise die mehrheitliche Willensbildung der Organwalterschaft von dem konkreten Ergebnis dieser Willensbildung trennen, oder, wie es Laband ausgedrückt hat 2 0 1 , „der einmal gefaßte Beschluß" hatte eine „selbständige Kraft, welche auf der Reichsverfassung unmittelbar, nicht auf dem fortdauernden Willen der Reichstagsabgeordneten" beruhte. Er w i r k t e unabhängig von Meinungsströmungen fort, bis er widerrufen wurde 2 0 2 . Der Bundesrat hatte sich zwar m i t diesem Beschluß zu 200 Vgl. z . B . Laband, Die Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes, i n : D J Z 1904, Sp. 323; Frormann (Anm. 43) S. 511; Jellinek (Anm. 146) S. 330 f.; Laband (Anm. 43) Bd. I I S. 35 f.; Kieschke (Anm. 33) S. 46; Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 f ; Rauschenberger (Anm. 187) S. 200; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 663 f. Fn. c, 686 Fn. d. 201 (Anm. 200) Sp. 323: „ E i n Beschluß des Reichstages k o m m t zwar durch die A b s t i m m u n g der jeweiligen Mitglieder zustande, aber er ist nicht eine Willenserklärung der Abgeordneten, sondern eine Willenserklärung eines i n der Reichsverfassung vorgesehenen Organes des Reiches. Der W i l l e der einzelnen Abgeordneten ist durch die A b s t i m m u n g konsumiert, w i e der W i l l e des einzelnen Reichstagswählers durch die Abgabe des Stimmzettels. Der einmal gefaßte Beschluß hat eine selbständige K r a f t , welche auf der Reichsverfassung unmittelbar, nicht auf dem fortdauernden W i l l e n der Reichstagsabgeordneten beruht. Daß der Reichstag einen i n einer früheren Session gefaßten Beschluß durch einen späteren Beschluß wieder aufheben kann, solange er noch nicht zum Gesetz geworden ist, ist zuzugeben; solange aber ein entgegengesetzter Beschluß nicht gefaßt worden ist, erlischt die Wirksamkeit des früheren nicht." 202 Vgl. noch einmal den Staatssekretär des Reichsjustizamtes, Nieberding (Anm. 173) S. 2082 f.: „Seit der Errichtung des Reichs steht die Reichsverwalt u n g u n d stehen die verbündeten Regierungen u n d auch der Reichstag auf dem Standpunkte, daß ein Beschluß des Reichstages solange eine reale politische u n d rechtliche Potenz i n unserem Verfassungsleben ist, m i t welcher der Bundesrat zu rechnen hat, als der Reichstag nicht selbst dem Bundesrat erklärt, daß er auf seinen Beschluß verzichte."

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

befassen; wann er dies tat, lag aber allein i n seinem Ermessen. Versuche, aus dem trotzdem empfundenen Unbehagen heraus als Kompromiß zwar nicht von einer festen Frist, aber doch von einem „tempus modicum et aequum" für die Sanktion auszugehen, u m die notwendige Geschlossenheit des Gesetzgebungsvorganges deutlich zu machen 203 , wurden deshalb konsequenterweise als politische, nicht aber rechtliche A n t w o r t auf die aufgeworfene Frage angesehen 204 . Aus dem Diskontinuitätsprinzip als Folge der i n Ausübung kaiserlicher Prärogative herbeigeführten geschlossenen Handlungseinheiten des Reichstages ließ sich nach der überwiegenden Meinung des Staatsrechts der Kaiserzeit somit eine zeitliche Begrenzung für die Durchführung der auf die endgültige Beschlußfassung des Reichstages folgenden weiteren Stadien des Gesetzgebungsverfahrens nicht ableiten 2 0 5 . Das zeitlich und sachlich unbegrenzte Sanktionsrecht des Bundesrates bestimmte nach dieser Auffassung vielmehr die „obere Grenze des Grundsatzes der Diskontinuität" 2 0 6 . Von der inneren Logik des monarchischen Prinzips her war dies auch konsequent. Eine monarchische Prärogative konnte nicht die andere blockieren, wie es der Fall gewesen wäre, wenn die auf Anordnung der Exekutive beruhenden Periodizitäten des Reichstages m i t allen Folgen auch für die Exekutive selbst gegolten hätten. Die Diskontinuität mußte daher allein organintern wirken, wenn sie Sinn haben sollte; nur dann konnte sich auch das Sanktionsrecht v o l l entfalten, das anders durch die Diskontinuität eingeschränkt gewesen wäre. Ähnlich lautete die A n t w o r t auf die Frage, wie lange der Bundesrat an seine Zustimmung zu Gesetzentwürfen gebunden war. Bestritten war insbesondere, ob ein nicht eingebrachter oder i m Reichstag liegengebliebener Entwurf i n dessen nächster Session ohne neuen Bundesratsbeschluß vom Reichskanzler dort eingebracht werden konnte. Der Teil der Staatsrechtslehre, der anerkannte, daß i n der Politik das Zeitmoment eine wesentliche Rolle spielt, und die geschlossene Reichstagssession als Zäsur für das gesamte Gesetzgebungsverfahren ansah, mußte das unter Berufung auf den Wortlaut von A r t . 16 der Reichsverfassung i n Abrede stellen 2 0 7 . I n der Praxis wurde jedoch anders gehandelt, spätestens seit der Bundesrat auch äußerlich zu einer ständigen Einrichtung 203 Frormann (Anm. 43) S. 512 f ; i h m folgend Kieschke (Anm. 33) S. 47. Ä h n l i c h auch Laband (Anm. 200) Sp. 326, der sich damit ausdrücklich v o n der Auffassimg i n den ersten drei Auflagen seines Staatsrechts distanziert. 204 Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3 f.; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 686 Fn. d gegen die v o n Meyer selbst ursprünglich vertretene Meinung, vgl. A n m . 194. 205 So auch Beiz (Anm. 14) S. 27, der allerdings die Bedeutung der A r g u mentationskette nicht erkennt. 20e So Wolfensberger (Anm. 67) S. 11. 207 Vgl. von Jagemann (Anm. 194) S. 92.

§ 15 Bedeutung und Begründung

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ohne eigene Periodizitäten geworden war. Bei allem Bekenntnis zu der Gleichberechtigung zwischen Bundesrat und Reichstag, das beide als Partner bei der Feststellung des Inhalts eines Gesetzes behandelte 208 und damit äußerlich die Fiktion eines Zweikammersystems aufrechterhielt, war der erstere eben doch mehr die von Preußen dominierte Vertretung der verbündeten Regierungen und damit Teil der Exekutive. Die eigentümliche staatsrechtliche Konstruktion des deutschen K a i serreichs m i t dieser Doppelfunktion seines Bundesrates erlaubte damit aber gleichzeitig eine Rollenverteilung, die das monarchisch-konstitutionelle Übergewicht gegenüber demokratischen Ansätzen und Bestrebungen noch stärker zum Tragen brachte, als dies i n den einfacher strukturierten Einzelstaaten der Fall war. Hatte der Konstitutionalismus deutscher Prägung bei den Postgesetzen des Jahres 1871 noch eine gewisse Unsicherheit i n der Anwendung der i h m zur Verfügung stehenden M i t t e l gezeigt 209 , lernte er sehr schnell, sich der Instrumente zu bedienen, die i h m die Verfassung bzw. die Interpretation der Verfassung an die Hand gab, u m aufkommenden Demokratisierungs- und Parlamentarisierungstendenzen Widerstand zu leisten. Dazu gehörte auch der Grundsatz der Diskontinuität i n der i m Kaiserreich praktizierten Form. § 15 Politische Bedeutung und reditliche Begründung des Grundsatzes der Diskontinuität Der K e r n der politischen Bedeutung des Grundsatzes der Diskontinuität lag darin, daß es der Exekutive vorbehalten war, durch Schließung und Auflösung zu der i h r genehmen Zeit einen völligen materiellen A b bruch jeder Handlungsfähigkeit und der Handlungen selbst beim Reichs208 Vgl. ζ. B. die Uberschriften bei Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . A 3. 209 v g l . auch den Abgeordneten Bachem i n der Reichstagssitzung v o m 14. A p r i l 1904: „ . . . w i e übrigens i n diesem Hause auch längst bekannt war, ist es i n der Tat feststehende Praxis, daß Beschlüsse des Reichstages, welche Gesetzentwürfe betreffen, v o m Bundesrat auch dann noch akzeptiert werden können, nachdem derjenige Reichstag welcher sie gefaßt hat aufgelöst ist, nachdem die Legislaturperiode erschöpft ist, nachdem der neue Reichstag gewählt ist u n d sogar nachdem der neue Reichstag zu seinen Verhandlungen bereits zusammen getreten ist. Der einzige Fall, welcher dieser Praxis entgegensteht . . . r ü h r t her aus der allerersten Zeit des Deutschen Reiches, w o naturgemäß eine Sicherheit i n der Handhabung der Reichsverfassung sich noch nicht entwickelt haben konnte. V o n da an aber besteht eine ununterbrochene feste P r a x i s " ; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, X I . Legislaturperiode 1. Session, Bd. 3 S. 2082. Ä h n l i c h w i e hier auch Hillmann (Anm. 135) S. 31, der allerdings den instrumentalen Charakter verkennt, w e n n er nachträglich feststellt: „ I n diesem Z e i t p u n k t (d.h. kurz nach der Entstehung der Reichsverfassung) hatte sich eine feste Meinung über die A n w e n d u n g der einzelnen Bestimmungen der Reichsverfassung noch nicht herausgebildet. Deshalb diese vorsorgliche Maßnahme der Reichsregierung !"

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

tag herbeizuführen. Es ist deshalb nicht zutreffend, wenn Scheuner 210 die Diskontinuität als „Prinzip der Unterbrechung" beschreibt; auch kann man sie nicht als „zeitliche Aussetzung der Tätigkeit" des Parlaments bezeichnen 211 . Beide Definitionen geben nicht den eigentlichen Inhalt wieder, umschreiben nur den Anlaß, nicht die Folgen. Der rechtliche Befehl an die gewählten Abgeordneten i n Form von Berufung und Eröffnung, als Reichstag zusammenzutreten und tätig zu werden, wie der rechtliche Befehl i n Form der Anordnung von Vertagung und Schließung, die Arbeit einzustellen, betrafen nur die Periodizität des Reichstags, „die zwar die Voraussetzung für dis Diskontinuität bildete, aber nicht notwendig Diskontinuität zur Folge haben mußte" 2 1 2 . Wäre es bei dem Grundsatz der Diskontinuität allein darum gegangen, einen „Parlamentarismus i n Permanenz" zu verhindern 2 1 3 , hätte die Exekutive auch m i t der bloßen Vertagung, Schließung oder Auflösung des Reichstags diesen jederzeit zeitweilig an der weiteren Ausübung seiner Funktionen hindern können 2 1 4 . Dadurch, daß an diese Instrumente jedoch zum Teil unterschiedliche Folgen geknüpft wurden, ergab sich eine Variationsbreite der Anwendung, die je nach dem beabsichtigten Zweck eingesetzt werden konnte. Die Exekutive vermochte, wenn sie es für angebracht hielt, durch Vertagung eine Pause i n den Beratungen des Parlaments bei Wahrung der Kontinuität seiner Geschäfte, durch Schließung den Abbruch seiner Tätigkeit bei Fortbestehen der Organwalterschaft und durch Auflösung den Abbruch der Tätigkeit bei gleichzeitiger Notwendigkeit der Neuwahl der Mitglieder herbeizuführen. Die politische Situation und die politische Zweckmäßigkeit entschieden darüber, welches Instrument eingesetzt werden mußte. Dabei waren Kaiser und Reichsregierimg hinsichtlich der Wahl zwischen Vertagung und Schließung frei und auch nicht durch Beschlüsse des Bundesrates gebunden 2 1 5 ; nur für die Auflösung benötigten sie die Zustimmung der verbündeten Regierungen. Dagegen konnte der Reichstag selbst lediglich Tag und Stunde seiner Sitzungen innerhalb der zeitlichen Grenzen bestimmen, die i h m die Exekutive hinsichtlich seiner Handlungsfähigkeit zog. Insbesondere konnte er deshalb auch seine Diskontinuität nicht selbst veranlassen, sondern war insoweit Kaiser und Bundesrat ausgeliefert. 210

V o m Nutzen der Diskontinuität zwischen Legislaturperioden, i n : D Ö V 1965, S. 511. 211 Tezner (Anm. 133) S. 227. 212 Beiz (Anm. 14) S. 25. 213 So der Abgeordnete Windthorst i n der Reichstagssitzung v o m 10. M a i 1871; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I . Legislaturperiode, I . Session 1871, 1. Bd. S. 641 f. Z u der ähnlichen Argumentation i n Preußen vgl. oben § 9 a. E. 214 Beiz (Anm. 14) S. 30. 215 Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . V. Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 30.

§ 15 Bedeutung und Begründung

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Für das Gesetzgebungsverfahren bedeutete das, daß die Exekutive das Schicksal der eigenen Vorlagen gezielt steuern konnte. Hatte sie über den Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, war i h r daran aber infolge veränderter politischer Umstände nicht mehr gelegen, konnte sie ihn auf dem Umweg über eine Schließung vor der endgültigen Beschlußfassung obsolet werden lassen, wodurch die förmliche Rücknahme und der damit eventuell verbundene Eklat vermieden wurde 2 1 6 . Dasselbe M i t t e l stand i h r zur Verfügung, wenn ein von der Exekutive vorgelegter Entwurf i m Reichstag so verändert wurde, daß er den u r sprünglichen politischen Intentionen nicht mehr entsprach. Auch hier erübrigte sich die möglicherweise erforderliche Konfrontation i n Form der Verweigerung der Zustimmung durch den Bundesrat, wenn m i t vorzeitiger Beendigung der Session auch der Entwurf unterging. Wurde diese Konfrontation nicht gewünscht, konnte die Schließung immerhin dazu dienen, dem Reichstag Gelegenheit zu geben, zu bereits von i h m i n Angriff genommenen Vorlagen nochmals Stellung zu nehmen, die vielleicht auf Grund „neuen Materials, veränderter Umstände, neuer Beweisgründe der verbündeten Regierungen anders aussah" 217 , wenn nicht die Exekutive selbst den Abbruch zum Anlaß nahm, ihre Vorlagen den deutlich gewordenen Strömungen und schon vorhandenen Beratungsergebnissen entsprechend zu modifizieren 218 und somit einer A b stimmungsniederlage zu entgehen. Ähnlich zielgerichtet war die Schließung gegen aus der Initiative des Parlaments stammende Vorlagen einzusetzen. Wurde aus der Mitte des Reichstags ein Entwurf eingebracht, dessen bloße Erörterung i h r bereits politisch nicht genehm war, vermochte die Exekutive i h n m i t Hilfe der Schließung zu blockieren und — jedenfalls für diese Session — zu eliminieren. Sie konnte erst recht zu diesem M i t t e l greifen, wenn sich abzeichnete, daß eine von ihr nicht gewünschte Vorlage sogar eine Mehr216

Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . V S. 312. Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . V S. 313. 218 Vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs des Innern, Graf von Posadow sky -Wehner, bei Beginn der zweiten Session der X I . Legislaturperiode: „ N u n frage ich: was ist denn eigentlich durch den Schluß des Reichstags f ü r ein sachlicher Schaden herbeigeführt? Das Militärpensionsgesetz w a r überhaupt erst i n wenigen Paragraphen beraten; es w a r nicht die geringste A u s sicht vorhanden, daß i n der vorigen Tagung, auch w e n n der Reichstag noch w e i t bis i n den Sommer hinein beraten hätte, dieses Gesetz damals noch zur Verabschiedung gelangt wäre. Dieses Gesetz ist I h n e n bereits zum T e i l m i t den Änderungen, die damals i n der Kommission beschlossen sind, jetzt bereits wieder vorgelegt. Die Maß- u n d Gewichtsordnung ist I h n e n ebenfalls fast w ö r t l i c h i n der v o n der Kommission beschlossenen Fassung wieder unterbreitet. Auch nehme ich an, daß das Börsengesetz v o m Bundesrat i n der v o n I h r e r Kommission gewählten Fassung beschlossen u n d I h n e n zugehen w i r d . Ebenso ist Ihnen das Banknotengesetz wieder vorgelegt. Also alle die Gesetze, die damals noch nicht erledigt waren, liegen dem Reichstag jetzt ziemlich u n verändert zur Beschlußfassung wieder v o r " (Anm. 29). 217

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

heit i m Reichstag erhalten würde. Es bestand zwar dann immer noch die Möglichkeit, i n einer neuen Session dieselbe Vorlage erneut einzubringen; i n der Zwischenzeit konnte diese aber bereits an Aktualität verloren oder durch andere politische Ereignisse überholt sein 2 1 9 . Zum M i t t e l der Auflösung vermochte die Exekutive schließlich immer dann zu greifen, wenn sie nicht nur die Behandlung eines Gegenstandes abbrechen, sondern eine mögliche, vielleicht sogar notwendige Wiederaufnahme der Beratungen darüber m i t einem neuen, anders zusammengesetzten Reichstag wünschte 2 2 0 . Andererseits konnte das M i t t e l der Vertagung, eventuell mit der Ermächtigimg, daß eine Kommission das dringend für erforderlich erachtete Gesetzesvorhaben daneben weiterberiet 2 2 1 , eingesetzt werden, u m Ruheund Denkpausen i n der Tätigkeit des Reichstages eintreten zu lassen, durch die dann schwebende Geschäfte zwar nicht vernichtet, die Arbeit daran aber zeitweilig ausgesetzt wurde. Auch hieraus ergab sich gegebenenfalls bereits eine Beruhigung der politischen Atmosphäre; die Diskussion über Streitpunkte wurde entschärft, wenn auch eventuell nur hinausgeschoben. Gegenüber der Schließung oder gar der Auflösimg handelte es sich u m das weichere und damit auch für den Reichstag eher zu akzeptierende Mittel, w e i l die Folge der Diskontinuität fehlte. Politisch kam es außerdem der Grundanlage der Reichsverfassung m i t ihrem Zwang zum Kompromiß zwischen den als Partnern bei der Feststellung des Gesetzesinhalts gleichberechtigten Verfassungsorganen Bundesrat und Reichstag entgegen 222 . 219

Ä h n l i c h Beiz (Anm. 14) S. 31. Vgl. dazu noch einmal die Darstellung der A u f lösungsgründe bei Hub er (Anm. 1) Bd. I I I S. 883 f. I n allen Fällen errangen bei den Neuwahlen die regierungstreuen Parteien den Sieg. 1890 jedoch nach dem Scheitern der V e r längerung des Sozialistengesetzes e r l i t t die Regierung i n den ohnehin wegen Ablaufs der Legislaturperiode fälligen Wahlen eine Niederlage. Sie hätte den Reichstag sofort wieder auflösen können. Durch Bismarcks Entlassung w a r es i h r möglich, auf eine Verlängerung des Sozialistengesetzes zu verzichten; sie n a h m den K a m p f gegen die Reichstagsmehrheit nicht mehr auf. 221 Vgl. oben § 13. 222 Vgl. zu diesem Kompromißzwang Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . 3 g, w o sich bereits die bemerkenswerten Sätze finden: „ M i t der Macht, die zur Zeit der Gründung des Reichs der konstitutionelle Gedanke bereits gewonnen hatte, w a r es nicht vereinbar, die Volksvertretung der Regierung i n Angelegenheiten der Gesetzgebung zu unterwerfen, u n d die Reichsverfassung hat deshalb keine Lösung für die aufgeworfene Frage (d. h. w e r bei Dissens z w i schen Bundesrat u n d Reichstag i m Falle einer o b j e k t i v notwendigen gesetzlichen Regelung entscheiden sollte) gegeben u n d konnte sie nicht geben. Das Ergebnis w ü r d e also ein unlösbarer K o n f l i k t zwischen Bundesrat u n d Reichstag sein. K o n f l i k t u n d Verfassung aber sind Gegensätze. M a n muß deshalb einen dem Sinn der Verfassung entsprechenden Ausweg suchen, u n d der A u s weg k a n n n u r das K o m p r o m i ß sein. Dies ist nicht n u r eine politische, sondern nach den vorstehenden Ausführungen auch eine staatsrechtliche Erwägung; da die Reichsverfassung das Zustandekommen v o n Reichsgesetzen ohne E i n 220

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Wenn i n der zweiten Hälfte des Bestehen des Kaiserreichs beim Reichstag Schließungen immer seltener, Vertagungen dagegen immer häufiger wurden, lag das nicht nur an der fortschreitenden Veränderung des Verfassungsklimas, die wiederum auf das Erstarken der politischen Parteien und die langsame Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse zurückzuführen war, sondern auch daran, daß der Grundsatz der Diskontinuität als Folge der Schließung n u r kurzfristig vermochte, unliebsame Vorlagen und Beschlüsse des Parlaments zu verzögern. Längerfristig konnte der Reichstag bzw. eine Reichstagsmehrheit nicht daran gehindert werden, ihre Auffassungen zu bestimmten Fragen zu artikulieren, wie das Beispiel der Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes zeigt 2 2 3 ; eher als der Grundsatz der Diskontinuität w a r hier das Sanktionsrecht geeignet, die Umsetzung derartiger Auffassungen i n gesetzgeberische Befehle zu vermeiden. M i t der Zuerkennung eines eigenen Initiativrechts für den Reichstag waren die Weichen eigentlich schon gestellt, die negativen Wirkungen der Diskontinuität zu relativieren. So konnten i m Falle erneuter Einbringung zu Beginn einer neuen Session die Ergebnisse früherer Beratungen als Material benutzt 2 2 4 , bereits erzielte Kompromisse, ζ. B. i n Kommissionsberatungen, geschlossen übernommen 2 2 5 oder sogar — falls gerade diese Kompromisse für die Regierung Anlaß zur Herbeiführung des Sessionsendes gewesen waren — zum Ausgangspunkt eigener Initiativen gemacht werden 2 2 6 . War der Grundsatz der Diskontinuität nach preußisch-deutschem Verständnis i n erster Linie ein politisches Prinzip, das eine Eindämmung der parlamentarischen Teilhabe am Staat zum Ziel hatte und die Machtbefugnisse der Krone nach Möglichkeit konservieren wollte 2 2 7 , hatte er aber durchaus auch Auswirkungen, die i m Interesse des Parlaments selbst liegen konnten, worauf i n Reichstagsdebatten mehrfach hingeschränkung, also auch v o n solchen Reichsgesetzen, ohne deren Ausführung das Reich nicht bestehen kann, v o n der Übereinstimmung des Bundesrats u n d Reichstags abhängig macht, k a n n als ein dem Geist der Reichsverfassung entsprechender politischer Zustand n u r derjenige anerkannt werden, der sich aus der Verständigung zwischen Bundesrat u n d Reichstag ergibt. Steht der Regierung eine innerliche homogene Mehrheit i m Parlament nicht zur V e r fügung, so muß sie — was Reformen anbetrifft — einer programmatischen P o l i t i k entsagen u n d sich damit begnügen, m i t einer ad hoc gebildeten M e h r heit bestimmte Fragen v o n F a l l zu F a l l zu lösen!" 223 Vgl. oben § 14. 224 Vgl. dazu von Rönne!Zorn (Anm. 189) Bd. I S. 349 Fn. 3; Kieschke (Anm. 33) S. 42. 225 Kieschke (Anm. 33) S. 42. Vgl. dazu noch einmal den Staatssekretär des Innern, Graf von Posadow sky -Wehner (Anm. 29) S. 237 D m i t der i n A n m . 218 zitierten Passage. 226 Ä h n l i c h auch Beiz (Anm. 14) S. 31. 227 So ausdrücklich Müller (Anm. 127) S. 508. Gegen i h n Scheuner (Anm. 210) S. 511; auch Beiz (Anm. 14) S. 31 Fn. 106.

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II. 4. Kap. : Diskontinuität im Kaiserreich

wiesen wurde. Z u m Teil waren es dieselben Personen m i t denselben Argumenten, die schon die Paralleldiskussion i m preußischen Landtag bestimmt hatten 2 2 8 . So hob Gneist als Reichstagsabgeordneter bei der Debatte über ein generelles Ausnahmegesetz zur Diskontinuität 2 2 9 den Vorzug hervor, daß m i t dem Schluß einer jeden Session „tabula rasa" gemacht werde, so daß man einander i n der folgenden Session „ m i t freien Händen" gegenübertreten könne 2 3 0 , während der Abgeordnete Schräder bei einer späteren Auseinandersetzung betonte, daß durch eine mehrfache bloße Vertagimg die Arbeitslast des Parlaments immer mehr erhöht werde, so daß es zu begrüßen sei, wenn die Exekutive die Schließung und nicht lediglich die Vertagung des Reichstags anordne 2 3 1 . Diese Bereinigung des Programms, die i n England einmal am Anfang der Entwicklungsgeschichte der Diskontinuität bestimmendes Element gewesen w a r 2 3 2 , konnte bei dem Staats- und Parlamentsverständnis des deutschen Konstitutionalismus aber nur Nebenfolge sein 2 3 3 . Es ist deshalb unrichtig, davon zu sprechen, das Parlament selbst habe das Diskontinuitätsprinzip keineswegs als Einschränkung seiner Machtbefugnisse empfunden 2 3 4 , wie es auch unrichtig wäre zu behaupten, die Exekutive sei sich der Möglichkeiten nicht bewußt gewesen, die i h r durch die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Vertagung und Schließung an die Hand gegeben waren. Das ergab sich bereits aus dem Zusammenhang, i n dem die Aussage fiel, daß die Herbeiführung der Diskontinuität der Parlamente auf einem wichtigen monarchischen Recht beruhe, das verfassungsmäßig die Krone jederzeit nach ihrem eigenen Ermessen zu üben befugt sei. Damals war die Reichsexekutive i m Parlament a n g e griffen worden, w e i l sie die Schließung und nicht die Vertagung des Reichstags angeordnet hatte. Nachdem er festgestellt hatte, daß i n den ersten elf Jahren des Bestehens des Deutschen Reiches, wo die großen gesetzlichen Grundlagen für dessen Ausbau gelegt worden seien, eine Vertagung überhaupt nicht stattgefunden habe, und daß, da 1898 und 1903 Schluß der Legislaturperiode war, seit 1896 überhaupt nur zweimal, nämlich 1897 und 1901, ein Schluß der Session erfolgt sei, betonte der Staatssekretär des Innern, Graf von Ρosadow sky -Wehner, den Charakter der Diskontinuität als Ausfluß des monarchischen Prinzips und wies 228

Vgl. oben § 9. Vgl. dazu unten § 16. 230 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I . Legislaturperiode, I. Session, 2. Bd. S. 967. 231 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, X I . Legislaturperiode, I I . Session 1905/06 1. Sessionsabschnitt, 1. Bd. S. 241. 232 Vgl. oben § 4. 233 Z u einseitig deshalb Scheuner (Anm. 210) S. 512. Gegen i h n — wenn auch m i t Einschränkungen — auch Beiz (Anm. 14) S. 31 Fn. 106. 234 So aber Beiz (Anm. 14) S. 32. 229

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gleichzeitig darauf hin, wie bedenklich es werden könne, wenn stillschweigend Rechte der Krone zeitweise nicht ausgeübt würden, andererseits der Regierung aber kein V o r w u r f gemacht werden könne, wenn sie von diesen ihren Rechten Gebrauch mache 235 . Von diesem politischen Verständnis her waren die Versuche auch der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs geprägt, die rechtliche Natur des Diskontinuitätsprinzips zu bestimmen. Da die Reichsverfassung selbst 238 keine Aussage dazu machte, allenfalls i n A r t . 12 Anhaltspunkte für eine Auslegung bot, mußte die Begründung für die rechtlichen und tatsächlichen Folgen einer Schließung des Reichstages durch den Kaiser mit gerade diesem Inhalt und Umfang, aber auch diesen Grenzen vor bzw. außerhalb der geschriebenen Verfassung gesucht werden. Als Anhaltspunkt bot sich dabei die Aussage Stahls 1852 i m preußischen Herrenhaus an, der es als „ein allgemeines europäisches Rechtsbewußtsein und eine europäische Gewöhnung" bezeichnet hatte, „daß m i t der Schließung der Kammern alle ihre nicht völlig beendigten Arbeiten expiriren" 2 3 7 . Diese als „echt naturrechtlich" 23 ® empfundene und deshalb teilweise als rechtfertigender Grund abgelehnte 239 Ansicht kehrte i n Variationen bei allen Anhängern des Grundsatzes wieder und wurde als allgemeines bzw. allgemein anerkanntes konstitutionelles oder Staats-Gewohnheitsrecht definiert 2 4 0 , das nach deutschem staatsrechtlichem Sprachgebrauch 241 dem Begriff der Schließung immanent sei, durch die konstitutionelle Praxis 2 4 2 bestätigt werde und i n § 70 der Geschäftsordnung des Reichstags Anerkennung gefunden habe 2 4 3 bzw. ausgesprochen sei 2 4 4 . 235

s. oben A n m . 29. 23β v g l . v o n Seydel (Anm. 51) S. 407; Laband (Anm. 43) 3. A u f l . S. 302, 4. A u f l . Bd. I S. 342; Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 338; Wolfensberger (Anm. 67) S. 50; Kieschke (Anm. 33) S. 40; Hillmann (Anm. 135) S. 1 f., 22. 237 Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 13. November 1852 einberufenen Kammern. Erste Kammer, 2. Bd. S.1003. 238 Schulze, Das Preußische Staatsrecht auf Grundlage des Deutschen Staatsrechts, Bd. I S. 362; Jellinek (Anm. 236) S. 346 Fn. 1. 239 Jellinek (Anm. 236) S. 346 Fn. 1; vgl. auch oben § 14. 240 So ausdrücklich Georg Meyer (Anm. 60) S. 291 Fn. 9; Dambitsch (Anm. 22) A r t . 5 A n m . 3 f (S. 177); Hatschek, Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht Bd. 1 S. 411, 414; Meyer!Anschütz (Anm. 1) S. 360 f.; Müller-Meiningen (Anm. 98) S. 304; Pereis (Anm. 31) S. 24; von Seydel (Anm. 51) S. 407 Fn. 1. 241 von Seydel (Anm. 51) S. 407 Fn. 1; Pereis (Anm. 31) S. 23; Laband (Anm. 43) Bd. I S. 342. 242 Laband (Anm. 43) Bd. I S. 342; Fülster (Anm. 31) S. 476. Bei Laband, Dambitsch u n d Fülster sind auch die Entscheidung RGSt 22, S. 379 ff. u n d die durch Gesetz erfolgten Ausnahmen v o n dem Grundsatz der Diskont i n u i t ä t jeweils als Nachweis f ü r die praktische Anerkennung erwähnt; zu letzteren vgl. unten § 16.

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

I n dieser Kumulation von Argumenten k a m bereits die Unsicherheit zum Ausdruck, die trotz allgemeiner, fast unbestrittener Anerkennung des Grundsatzes der Diskontinuität diesem gegenüber herrschte. Bemerkungen wie: „ I n Deutschland dürfte die Positivität dieses Gewohnheitsrechts für Reichstag und Landtage keinem Zweifel unterliegen" 2 4 5 , verschleierten nur, daß die Zuordnung insgesamt Schwierigkeiten machte. A u f § 70 GO RT als Quelle konnte man sich allein nicht stützen, da der Grundsatz dann ein reines Geschäftsordnungsprinzip gewesen wäre, das der Reichstag durch die jederzeit mögliche Änderung seiner Verfahrensregeln hätte einschränken oder beseitigen können 2 4 6 . Gerade weil die A n ordnung der Schließung zusammen m i t der Herbeiführung der Folgen aber als Teil der monarchischen Prärogative gewertet wurde, hätte es dem Reichstag dann aber freigestanden, auf dem Wege über die Geschäftsordnung tief i n die Vorrechte der Krone einzugreifen bzw. dieselben zu beschneiden 247 . Das wäre jedoch nicht durch die Ermächtigung des A r t . 27 Satz 2 der Reichsverfassung gedeckt gewesen, die dem Reichstag allein die Regelung seiner inneren Angelegenheiten, also die A r t und Weise vor allem seines internen Geschäftsganges erlaubte 2 4 8 . Hätte der Reichstag aus eigenem Recht den § 70 seiner Geschäftsordnung oder eine ähnliche Bestimmung schaffen können, hätte er damit durch autonomes Parlamentsrecht i n die Verfassung eingegriffen, die z.B. nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht konstituierte, einen bei i h m eingebrachten Gesetzentwurf zum Gegenstand der Beratung und Beschlußfassung zu machen 249 . Ebensowenig wie er von sich aus i n seiner Geschäftsordnung erklären konnte, daß m i t dem Ende einer Session seine Verpflichtung zur sachlichen Befassung m i t einem i h m vorgelegten Antrag erlosch, konnte er dann aber auch verfügen, daß eine Vorlage i n einer künftigen Session weiterzuberaten sei, oder etwa, daß m i t dem Ende einer Session die Arbeiten nicht nur bei ihm, sondern auch bei allen anderen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorganen als erledigt anzusehen seien 250 .

243 von Seydel (Anm. 51) S. 407 Fn. 1; Laband (Anm. 43) Bd. I S. 342; Dambitsch (Anm. 22) A r t . 12 A n m . I V . 244 Georg Meyer (Anm. 60) S. 406 Fn. 5; Meyer/Anschütz (Anm. 1) S. 511 Fn. 5. 245 Meyer/Anschütz (Anm. 1) S. 360 Fn. 11. 246 So auch Beiz (Anm. 14) S. 28. 247 Wolfensberger (Anm. 67) S. 52. 248 Beiz (Anm. 14) S. 28. 249 Vgl. oben § 14! Ä h n l i c h Beiz (Anm. 14) S. 28. 250 Vgl. dazu noch einmal Hatschek, Englisches Staatsrecht, 1. Bd., S. 386, der i m Zusammenhang m i t der u m die Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes geführten Diskussion über die Befristung des Sanktionsrechts warnend auf das englische Beispiel verwies u n d dabei betonte, daß es am allerwenigsten

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Wenn § 70 der Geschäftsordnung des Reichstags also nur H i n w e i s 2 5 1 oder Bestätigung 2 5 2 , nicht aber Rechtsgrundlage für den Grundsatz der Diskontinuität w a r 2 5 3 , wofür auch die Herkunft aus der Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses sprach 2 5 4 , mußte seine Rechtfertigung an anderer, höherer Stelle gesucht werden. Zorn 255 hat die Existenz einer derartigen Rechtfertigung überhaupt bestritten und sich zur Begründung darauf berufen, allein die Praxis i n Preußen habe den Grundsatz der Diskontinuität der Sitzungsperioden herausgebildet. A u f irgendeiner verfassungsmäßigen Grundlage beruhe dieser nicht; ein „Fundamentalsatz des Staatsrechts" wie das Diskontinuitätsprinzip hätte vielmehr positiv i n der Verfassung zum Ausdruck kommen müssen. Es könne deshalb keine Diskontinuität der Sessionen geben; Diskontinuität trete erst m i t dem Ende der Legislaturperiode ein. Dieser vergleichsweise modernen Auffassung, die auf die Legitimation der Organwalterschaft des Reichstags durch die allgemeinen Wahlen, nicht die Legitimation zur Tätigkeit des Verfassungsorgans Reichstag durch den Träger einer monarchischen Prärogative abstellte, hatte der weitaus überwiegende Teil der Staatsrechtstheorie n u r die Berufung auf Gewohnheitsrecht entgegenzusetzen. Dem möglichen Argument, Gewohnheitsrecht setze nicht n u r allgemeine Überzeugung, sondern auch längere unbestrittene Handhabung i n einem bestimmten Rechtskreis voraus, begegneten die Vertreter dieser Auffassung m i t der Hinzufügung schmückender Beiworte wie „allgemeines" oder „allgemeines konstitutionelles Gewohnheitsrecht". Sie konnten nicht von der Tatsache ablenken, daß das Verfassungsrecht des deutschen Kaiserreiches von A n fang seines Bestehens an von der bindenden Existenz der Diskontinuität ausgegangen war, also nicht erst die Praxis den Grundsatz i m Wege längerer Übung und allgemeiner Anerkennung seiner Notwendigkeit geformt hatte. Wäre der Grundsatz aber n u r aus Preußen übernommen worden, hätte sich dieser Teil der Staatsrechtslehre der Frage ausgesetzt gesehen, ob ein Gewohnheitsrechtssatz, der sich i n einem anderen V e r fassungskreis gebildet hatte, ohne weiteres als geltendes und bindendes Recht übernommen werden konnte. Eben diese Frage w a r aber gerade i n bezug auf eine Befristung des Sanktionsrechts, die zum Teil unter Berufung auf den Grundsatz der Diskontinuität gefordert worden war, angängig wäre, eine solche Einschnürung der königlichen Prärogative durch die Geschäftsordnung i n die Verfassung einzuschmuggeln! 251 Beiz (Anm. 14) S. 28. 252 Wolfensberger (Anm. 67) S. 53. 253 So auch Hillmann (Anm. 135) S. 22. 254 Zur Entstehungsgeschichte des dortigen ursprünglichen § 23 vgl. oben §9. 255 (Anm. 50) Bd. I S. 243 Fn. 65, 420 Fn. 40; ders. (Anm. 38) A r t . 12 Anm. 1; von Rönne/Zorn (Anm. 189) Bd. I S. 349. 10 Jekewitz

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II. 4. Kap.: Diskontinuität im Kaiserreich

verneint worden 2 5 6 . Wenn auch preußische Erfahrungen und Anschauungen bei der Gründung des Kaiserreichs von großer Bedeutung gewesen waren, wurde m i t der Charakterisierung als Gewohnheitsrecht der Geltungsgrund des Diskontinuitätsprinzips doch nur unzureichend erfaßt 2 5 7 . Gleiches mußte für den Teil der Staatsrechtslehre gelten, der versuchte, den Grundsatz gleichsam naturrechtlich zu begründen. Losgelöst von der Rechtsform des Gewohnheitsrechts kehrte i n dieser Auffassung das „allgemeine konstitutionelle Staatsrecht" wieder, das als Lehre vom Territorium als Staat bereits bei der Wandlung der Territorien i n Staaten wesentlich mitgewirkt hatte 2 5 8 und nun i n neuer Form dazu dienen mußte, i n den verschiedenen Staaten die unterschiedlichsten Sätze dieses konstitutionellen Naturrechts zu rechtfertigen. Abweichungen vom geübten Recht der Vorbilder wurden dabei souverän übersehen. So sprach von Rönne m i t dem Kommissionsbericht aus Anlaß des ersten Versuchs einer Durchbrechung des Grundsatzes von dem Diskontinuitätsprinzip als einem „feststehenden, aus der Natur der Sache der Notwendigkeit folgenden Grundsatz des konstitutionellen Staatsrechts" 259 , obwohl, worauf Jellinek bereits hinweis 2 6 0 , zahlreiche andere europäische Staaten, die über vergleichbare staatsrechtliche Verhältnisse verfügten, i n durchaus anderer Weise die rechtlichen Folgen insbesondere des Sessionsendes beurteilten 2 6 1 . Beide Klippen konnten umschifft werden, wenn man sich bemühte, das Diskontinuitätsprinzip aus dem Wortlaut der eigenen Verfassung abzuleiten, wie es Arndt 262 und von Seydel 263 taten. Sie vertraten die Auffassung, der Grundsatz der Diskontinuität ergebe sich unmittelbar aus dem Sinn der Worte „schließen" und „Auflösung" i n A r t . 12 2 6 4 bzw. 256 Vgl. oben § 14. Der Reichstag hatte als Folge der Debatte über die A u f hebung des § 2 des Jesuitengesetzes i n einer Resolution v o m 16. A p r i l 1904 verlangt, daß ein Reichsgesetz die Zeitgrenze der Sanktionserteilung auf das Ende der Legislaturperiode festsetzte. E i n solches Reichsgesetz ist nie ergangen; vgl. MeyerIAnschütz (Anm. 1) S. 686 Fn. d. 257 Ä h n l i c h auch Beiz (Anm. 14) S. 29. 258 Georg Jellinek (Anm. 236) S. 346 Fn. 1. Vgl. auch oben § 3. 259 (Anm. 50) Bd. I I S. 16; Kommissionsbericht v o m 22. M a i 1871, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I . Legislaturperiode, I. Session 1871, Anlagenband 3, Aktenstück Nr. 150, S. 384 ff. 260 (Anm. 236) S. 346 Fn. 1. 261 Vgl. dazu unten § 17. 262 (Anm. 115) A r t . 26 A n m . 1; ders. (Anm. 35) S. 132; ders., Die VerfassungsU r k u n d e f ü r den Preußischen Staat, A r t . 51 A n m . 4. 263 (Anm. 51) S. 407 Fn. 1. 264 A u f A r t . 12 aRV, i n dem das Diskontinuitätsprinzip eine besondere Stütze finde, beriefen sich zusätzlich auch der Kommissionsbericht (Anm. 259) u n d von Rönne (Anm. 260).

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A r t . 24 Satz 2 der Reichsverfassung, wobei A r n d t insbesondere § 70 der Geschäftsordnung als solchem jede staatsrechtliche Bedeutung absprach. Ihnen wurde zwar von Hatschek entgegengehalten, die Verfassung enthalte keine Aussage über die Rechts Wirkungen dieser Instrumente 2 6 5 ; als eigene Begründung konnte er sich aber nur darauf berufen, daß die Diskontinuität der Sessionen einfach aus Organisationsparallelismus erwachsen sei, wozu ihn seine genaue Kenntnis der englischen Parlamentsgeschichte ermutigte 2 6 6 , und ursprünglich eine Konventionairegei dargestellt habe 2 6 7 . Die angekündigte eigene Untersuchung zu der Frage, ob dies auch für das Kaiserreich gelte, ist jedoch nie erschienen 268 , so daß bis zum Beweis des Gegenteils A r n d t und von Seydel durch ihn nicht als widerlegt gelten können. I n neuerer Zeit ist versucht worden, nachträglich über A r n d t und von Seydel hinaus den Wortlaut der Verfassimg für die rechtliche Einordnung des Grundsatzes der Diskontinuität dienstbar zu machen. Beiz 2 6 9 hat m i t Hatschek anerkannt, daß die Reichsverfassung keine Vorschriften über die Rechtswirkungen von Schließung und Auflösung enthalten habe, daraus aber i m Gegensatz zu Hatschek den Schluß gezogen, daß dann gerade diese Rechtswirkungen i m Wege der Auslegung zu bestimmen gewesen seien. Allerdings hat er den von A r n d t und von Seydel angezogenen Rahmen insofern als zu eng angesehen, als beide lediglich die Rechtsinstitute „Schließung" und „Auflösung", nicht aber auch die damit eng zusammenhängenden Begriffe „Sitzungsperiode" und „Legislaturperiode" berücksichtigt hätten. Unter diesen Begriffen seien seit dem Beginn der konstitutionellen Entwicklung geschlossene Arbeitsperioden der Parlamente verstanden worden. Diese von der Reichsver285 Hatschek, Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 410; Hatschek/ Kurtzig, Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 481. 286 Vgl. oben § 4 A n m . 91. 267 Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1. Teil, S. 25. O r ganisationsparallelismus w a r nach Hatschek jenes Phänomen der Normenbildung, w o Normen, Konventionairegeln, aber auch Rechtsregeln, die f ü r eine Organisation von Staatseinrichtungen gelten, f ü r eine parallele rechtliche Organisation, d. h. eine i n ihrer S t r u k t u r der ersten analoge, ebenfalls zur A n w e n d u n g kommen, aber nicht k r a f t Rechtsgebots, sondern als Konventionairegeln. Z u m Begriff der Konventionairegel vgl. S. 18 ff., 42 ff. u n d ders., Konventionalregeln oder über die Grenzen naturwissenschaftlicher Begriffsb i l d u n g i m öffentlichen Recht, i n : JöR Bd. 3 (1909) S. 1 ff. Gegen Hatscheks Einordnung des autonomen Parlamentsrechts als Konventionairegei vgl. i n neuerer Zeit Arndt (Anm. 142) S. 89, 150 ff. Gegen A r n d t u n d von Seydel auch schon Hillmann (Anm. 135) S. 22, f ü r den der Grundsatz der Diskontinuität Gewohnheitsrecht i m Range einfachen Rechts war. 2«8 Ungenau deshalb Wolfensberger (Anm. 67) S. 55, der Hatschek u n t e r stellt, auch f ü r den Beginn des 20. Jahrhunderts noch diese Auffassung zu vertreten. Tatsächlich ist i n späteren Veröffentlichungen (Anm. 265) i m m e r von Gewohnheitsrecht, u n d zwar m i t Verfassungsrang, die Rede. 269

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(Anm. 14) S. 29.

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fassung verwendeten Begriffe hätten nach dem damaligen staatsrechtlichen Sprachgebrauch, auf den sich übrigens auch Laband 270 und Pereis 271 zusätzlich zum Gewohnheitsrecht beriefen, einen festumrissenen Inhalt gehabt, zu dem auch das Diskontinuitätsprinzip gehört habe. Die Reichsverfassung habe deshalb die Bedeutung dieser Begriffe nicht näher zu bestimmen brauchen; f ü r eine Abweichung der Reichs Verfassung von dem allgemeinen Sprachgebrauch bestünden aber keine Anhaltspunkte. Nach Auffassung von B e i z 2 7 2 w a r das Diskontinuitätsprinzip deshalb ein Rechtssatz i m Verfassungsrang, der sich aus der geschriebenen Verfassung ergeben u n d damit für die B i l d u n g von Gewohnheitsrecht keinen Raum gelassen habe. Beiz stimmt damit i m Ergebnis Müller 273 gegen Scheuner 2741 zu, obwohl er richtigerweise auch dessen Ansatz, das Diskontinuitätsprinzip habe rechtlich auf dem fehlenden Selbstversammlungsrecht beruht, als zu eng zurückweisen muß, w e i l das Fehlen des Selbstversammlungsrechts noch nichts darüber ausgesagt habe, ob das Parlament, wenn es von der Exekutive erneut berufen wurde, seine frühere Tätigkeit habe fortsetzen können oder nicht 2 7 5 . Tatsächlich steckt i n einer derartigen K u m u lation von Gründen etwas ähnlich Richtiges wie i n der von Wolfensberger, der Hatscheks Organisationsparallelismus m i t dem konstitutionellen Gewohnheitsrecht der überwiegenden Meinung der Staatsrechtslehre der Kaiserzeit kombinierte u n d den Grundsatz der Diskontinuität i m Deutschen Kaiserreich dann als „ein aus Organisationsparallelismus erwachsenes konstitutionelles Gewohnheitsrecht" definierte 2 7 6 , i n dem „der englische als auch der eventuell altständische direkte und indirekte Einfluß als Inbegriffen" und „Labands parlamentarischer Sprachgebrauch" wie „Labands konstitutionelle Praxis", aber auch „die Richtung Montesquieu, A r n d t und von Rönne u n d die moderne Staatsrechtsauffassung" vertreten sein sollten. Schwierigkeiten hatte Wolfensberger n u r m i t dem Begriff „Gewohnheitsrecht". Nach seiner Ansicht w a r dieser aber, abgesehen davon, daß die Geschäftsordnung nach seiner Auffassung die Diskontinuität bestätigte, „begründet durch die schon erwähnte Anerkennung derselben sowohl i n der Rechtsprechung als auch i n der Gesetzgebung des Reichs"; „allerdings i m Grunde f ü r unseren Be270

(Anm. 43) Bd. I S. 342. (Anm. 31) S. 23. 272 (Anm. 14) S. 30. 273 (Anm. 127) S. 507. 274 (Anm. 210) S. 512, der von Gewohnheitsrecht i m Range einfachen Gesetzesrechts ausgeht. Vgl. Beiz (Anm. 14) S. 28 Fn. 86. 275 Beiz (Anm. 14) S. 30 Fn. 97. 276 (Anm. 67) S. 57 f. Vgl. dazu auch Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 59 ff. 271

§ 15 Bedeutung und Begründung

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weis überzählig", wies er zusätzlich darauf hin, „daß die Gewohnheit oder Gepflogenheit , die Verfassung i n Verbindung m i t der modernen Staatsauffassung so auszulegen wie es ζ. B. A r n d t und wohl auch von Rönne tun, i m theoretischen Sinne einer Rechtsgewohnheit gleichkommt, die wohl imstande ist, ein daraus entspringendes Gewohnheitsrecht zu unterlegen" 2 7 7 . Mag eine solche Mischung auf den ersten Blick recht abenteuerlich erscheinen, hat sie doch einen richtigen Kern. Das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle mußte nach der Reichsgründung von 1871, die zum ersten Male eine ausgeschriebene Verfassung gebracht hatte, hinter dem gesatzten Recht zurücktreten 2 7 8 ; insbesondere für verfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht bestand i n einem geschlossenen Normensystem keine Verwendung 2 7 9 . Andererseits war nicht zu leugnen, daß die Entstehung von Gewohnheitsrecht eine Tatsache sei, die m i t rechtlichen Mitteln nicht verhindert werden könne 2 8 0 . Gegner jeden Gewohnheitsrechts griffen dann eben auf den konstitutionellen Sprachgebrauch und die konstitutionelle Praxis zurück, erklärten den Grundsatz der Diskontinuität als aus der Natur der Sache m i t Notwendigkeit folgenden Grundsatz des konstitutionellen Staatsrechts oder sahen i h n i n Sinn und Absicht der Verfassung begründet. Sie versuchten damit ein Phänomen zu erfassen, auf das bereits Jellinek aufmerksam gemacht hatte, dem nach seiner Meinung die deutsche Wissenschaft aber keine genügende Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Die Kompetenzen der obersten Staatsorgane wurden seit dem Konstitutionalismus stets i n der Form ausschließlicher Machtzuweisungen geregelt: Der Monarch konnte die Gesetze sanktionieren, Krieg erklären, die Minister ernennen usw., das Parlament über Gesetzes vorlagen nach freiem Ermessen beschließen. Kein Gesetz konnte aber anordnen, wie derartige Machtbefugnisse anzuwenden seien 281 . Neben der geschriebenen Verfassung bestand somit auf der gleichen Ebene dispositives Recht 282 , m i t dem die weiten Zwischenräume, welche die geschriebenen Verfassungsnormen darboten, ausgefüllt wurden und so erst das Funktionieren der Verfassung gewährleisteten 283 . I n diesen Bereich gehörte auch der Grundsatz der Diskontinuität als Rechtsfolge der von der 277

(Anm. 67) S. 57 f. Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 25 f. 279 Laband (Anm. 43) Bd. I I , S. 68 ff. 280 Jellinek (Anm. 146) S. 334 ff.; ähnlich Hatschek (Anm. 267) JöR Bd. 3, S. 37, trotz seiner Einordnung derartiger Vorgänge als Konventionairegei. 281 (Anm. 96) S. 28. Vgl. dort auch den Hinweis auf den fehlenden M u t des deutschen Staatsrechts, sich m i t politischen Phänomenen zu befassen. 282 (Anm. 96) S. 30 f. 283 (Anm. 96) S. 34. 278

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Reichsverfassung dem Kaiser bzw. dem Kaiser zusammen mit dem Bundesrat zuerkannten Schließung und Auflösung des Reichstags 284 . Als Erinnerungsposten aus der eigenen Staatswerdungsgeschichte noch nicht vergessen, durch die fortwirkende Verfassungstradition Englands und der französischen Charte i n den Augen der deutschen Staatsrechtslehre bestätigt und durch die Theorien Benthams und Constants gerechtfert i g t 2 8 5 , verknüpfte das Deutsche Staatsrecht unter preußischem Einfluß m i t dem Begriff der Legislaturperiode und der Session, deren Umfang und Dauer i n Ausübung monarchischer Prärogative von den dazu bestimmten Organen festgelegt wurden, den Verfall sämtlicher noch nicht abgeschlossener Arbeiten des Parlaments. Die dominierende Stellung der Krone, aber auch die herrschenden Mehrheiten i m Reichstag selbst verhinderten, daß diese Folge und ihre politische F u n k t i o n 2 8 6 ernsthaft i n Frage gestellt wurde. Es handelte sich weder u m einen Parlamentsbrauch noch u m einen Verfassungsbrauch, sondern u m ungeschriebenes Verfassungsrecht, dessen Durchbrechung i m Einzelfall dann auch nur auf dem durch A r t . 78 Abs. 1 der Reichsverfassung vorgeschriebenen Wege eines verfassungsändernden Gesetzes erfolgen konnte 2 8 7 . § 16 Ansätze zu einer Durchbrechung des Grundsatzes Politische Bedeutung und daraus fließende verfassungsrechtliche Bewertung des Grundsatzes der Diskontinuität schlossen nicht aus, daß immer wieder Versuche gemacht wurden, generelle oder auch nur partielle Ausnahmen davon zu ermöglichen. Erfolgreiche wie gescheiterte Vorbilder gab es dazu i m Staatsrecht der Einzelstaaten, nämlich Bayerns 2 8 8 und Preußens 289 . Die entsprechenden Ansätze konnten i n dem 284

Vgl. auch Tomuschat (Anm. 278) S. 30 Fn. 6. Vgl. auch Jellinek (Anm. 236) S. 346 Fn. 1. 286 v g l . dazu noch einmal die Kontroverse zwischen Müller (Anm. 127) u n d Scheuner (Anm. 210). Eindeutig w i e hier Friedrich Schäfer, Der Bundestag, S. 84, u n d Tomuschat (Anm. 278) S. 31. 285

287 So auch Beiz (Anm. 14) S. 30, 32. Ä h n l i c h schon Arndt (Anm. 35) S. 133 u n d Pereis (Anm. 31) S. 24, die, da sie den Grundsatz der Diskontinuität aus dem Wortlaut der Verfassung ableiteten, verlangten, ein entsprechendes Gesetz müsse „ i n den Formen der Verfassungsänderung zu stände kommen, denn es modifiziert den Begriff der Schließung, w i e i h n die Verfassung enthält". Verfassungsändernde Gesetze unterschieden sich nach der Reichsverfassung von einfachen n u r durch das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit i m Bundesrat. Gegen das Erfordernis einer solchen Mehrheit f ü r eine Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität Hillmann (Anm. 135) S. 26, f ü r den die F o r m der Verfassungsänderung allerdings deswegen notwendig war, w e i l den zwischen zwei Sessionen tätigbleibenden bzw. tätigwerdenden K o m missionsmitgliedern i n Abweichung v o n der Verfassung eine Aufwandsentschädigung zugebilligt w u r d e ; vgl. dazu unten § 16. 288 Vgl. oben § 7. 280 Vgl. oben § 9.

§ 16 Ansätze zur Durchbrechung

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Maße m i t dem Entgegenkommen der Exekutive rechnen, wie sie das Diskontinuitätsprinzip nicht grundsätzlich i n Frage stellten, sondern auch i n deren eigenem Interesse erfolgten. Das war namentlich dann der Fall, wenn es galt, dringend für erforderlich erachtete umfangreiche Gesetzgebungsvorhaben abzuschließen, für deren Bewältigung sich der zeitliche Rahmen einer Session als zu eng erwies. Erfolg bzw. Mißerfolg entsprechender Initiativen stellten deshalb zugleich eine Bestätigung der politischen und rechtlichen Einordnung des Grundsatzes der Diskonnuität dar. Interessanterweise waren es dieselben Kräfte wie i m preußischen A b geordnetenhaus, die unter der neuen Reichsverfassung versuchten, eine Bresche i n den das monarchische Prinzip repräsentierenden Grundsatz zu schlagen. Wie unter der preußischen Verfassung befaßte man sich beim ersten Male am eingehendsten damit; wie unter der preußischen Verfassimg wurden dabei zugleich die Weichen für die künftige Handhabung gestellt. N u r beschritt man aus Erfahrung und Uberzeugung nicht mehr den Weg einer Geschäftsordnungsänderung, sondern setzte sofort auf der Ebene der Gesetzgebung an, obwohl hier die Hürde des Bundesrates zu nehmen war. Ausgangspunkt war ein Antrag der Abgeordneten Lasker und Genossen vom 25. A p r i l 1871 über den „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die geschäftliche Behandlung eines ungewöhnlich umfangreichen Gesetzentwurfes" 2 9 0 . Der Antrag zielte darauf ab, bei Belassimg des Instruments der Schließung i n der Hand der Exekutive den Reichstag zu ermächtigen, m i t Zustimmung des Bundesrates gewisse Folgen des durch die Schließung herbeigeführten Sessionsendes außer K r a f t zu setzen 291 . Es ging also weniger darum, wie einzelne Ausnahmen vom Grundsatz der Diskontinuität zu behandeln waren 2 9 2 , als u m eine verfassungsrechtliche Institutionalisierung 2 9 3 , die das Gewicht der Entscheidung über das Ende der Session wenigstens teilweise vom Kaiser auf Reichstag und Bundesrat verlagert hätte. Das ergab sich bereits aus § 1 des Gesetzentwurfes, der lautete: „Uber einen Gesetzentwurf von ungewöhnlich großem Umfang kann der Reichstag nach dem Abschluß der ersten Beratung unter Zustimmung des Bundesrates beschließen, daß der Entwurf einer Kommission zur Vorberatung überwiesen, die Verhandlungen des Reichstags i n der nächsten Session derselben Legislaturperiode fortge290 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I. Legislaturperiode I. Session 1871, Bd. 3, Anlagen zu den Verhandlungen, Aktenstück Nr. 80, S. 187 f. Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung bei Hatschek (Anm. 265) S. 411 ff. u n d Hillmann (Anm. 135) S. 22 ff. 291 Beiz (Anm. 14) S. 34. 292 So aber Hillmann (Anm. 135) S. 23. 293 So auch Beiz (Anm. 14) S. 34.

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setzt und i n der Zwischenzeit die Vorberatung der Kommission begonnen oder fortgesetzt werden". I n § 3 war sodann vorgesehen, daß den Mitgliedern dieser „Zwischenkommission" 2 9 4 Diäten gewährt werden sollten. Nach dem E n t w u r f war also eine Durchbrechung der Diskontinuität i n zweifacher Hinsicht beabsichtigt. Einmal sollte i n bezug auf die mit einem bestimmten, näher zu bezeichnenden Gesetz beschäftigte K o m mission die Organ-Diskontinuität aufgehoben werden. Diese Kommission wäre damit von dem Schicksal aller Organe des Reichstags bei Sessionsende, nämlich i n ihrer konkreten Zusammensetzung und als A r beitseinheit fortzufallen, ausgenommen gewesen; sie hätte weiter tätig sein bzw. ihre Tätigkeit erst aufnehmen können, wenn die Handlungsfähigkeit des gesamten Reichstags i m übrigen fortgefallen wäre 2 9 5 . Zum anderen sollte die sachliche Diskontinuität eingeschränkt werden, indem nicht nur für die Arbeiten dieser Kommission, sondern auch des gesamten Reichstages hinsichtlich eines bestimmten Projekts das Ende der Sitzungsperiode nicht mehr den Abbruch der Tätigkeit bedeutete. Die darin liegende „Permanenzerklärung" des Parlaments mußte für konservative Vertreter eine bedenkliche Gefährdung des monarchischen Prinzips bedeuten 2 9 6 . Lasker warb als Antragsteller i n der ersten Lesung am 10. M a i 1871 beredt für seinen Antrag und führte als Nachweis für die Notwendigkeit einer derartigen Regelung das Gesetz über die Organisation der Beamten an, welches i m norddeutschen Reichstag zweimal vorgelegt worden und zweimal wegen Schluß der Session liegengeblieben war. Er sprach ähnlich wie sein Kollege Mosthaf fast vierzig Jahre früher i m württembergischen Landtag 2 9 7 , von einem „Übelstand", „der allgemein gefühlt w i r d " 2 9 8 und sich besonders bei technischen Gesetzen auswirke, bei denen immer die Erörterung der Sachverständigen eine sehr bedeutende Rolle spielen und diese Erörterung am besten i n Kommissionen vorgenommen würde. Gerade diese umfangreichen Kommissionsverhandlungen könnten aber während des Reichstags wohl nicht stattfinden, weil sie 294 Diese Bezeichnung w u r d e ζ. B. i m Ausschußbericht v o m 22. M a i 1871 verwendet; (Anm. 290) Aktenstück Nr. 150, S. 385, 389. 295 D a m i t ging der E n t w u r f nicht über eine Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität hinaus, w i e Beiz (Anm. 14) S. 34 meint, sondern wollte n u r die ungeschriebenen Rechtsfolgen der Schließung modifizieren. Beiz hängt hier zu sehr a n seinem Gedanken einer Trennung zwischen Schließung als rechtlichem Verbot zum Tätigwerden u n d den weiteren Folgen des Abbruchs aller nicht abgeschlossenen Geschäfte. 296 Vgl. den Abgeordneten Windthorst i n der 32. Stzg. am 10. M a i 1871; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, I. Legislaturperiode I. Session 1871, Bd. 1 S. 641 f. 297 Vgl. oben § 7. 298 (Anm. 296) S. 638 ff.

§16 Ansätze zur Durchbrechung

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dessen Sitzungen zu sehr i n die Länge ziehen würden, es aber darauf ankomme, so viel wie möglich die Sessionen abzukürzen. Unter der Regel, daß jede Vorlage innerhalb einer einzigen Session erledigt und nicht i n die nächste Session übertragen werden dürfte, hätten die Zwecke der Gesetzgebung schon erheblich gelitten. Wenn jetzt zahlreiche Gesetze von großem Umfange bevorstünden, müßten entweder die Sessionen eine sehr bedeutende Ausdehnung nehmen oder auf eine wirksame Beratung der einzelnen Bestimmungen verzichtet werden oder aber ein Ausweg geschaffen werden, welcher es möglich mache, die Arbeit aus der einen Session i n der anderen Session fortzusetzen. Lasker räumte ein, daß sein Vorschlag vor allem deswegen, w e i l er ein allgemeines Ausnahmegesetz, kein Spezialgesetz für jeden einzelnen Fall vorsah, die Verfassung tangieren könne 2 9 9 . Dem Vorwurf, i n seinem Antrag liege eine „ungeheure Abänderung der Verfassung" hielt er folgerichtig entgegen, daß dann ratsam sei, seinen Antrag „ohne Widerspruch von 14 Mitgliedern i m Bundesrat zum Gesetze erheben zu lassen und dann i n der gewöhnlicheren und einfacheren Form, aber unter der materiellen Voraussetzung einer Gesetzesvereinbarung das zu beschließen, was i n dem Antrag vorgesehen ist". Eben dieser Auffassimg trat als entschiedenster Gegner der Abgeordnete Windthorst entgegen, der betonte, nach seiner Meinung stünde man hier nicht vor einer Geschäftsordnungsfrage, sondern vor einer entscheidenden Kardinalveränderung der Verfassung 300 . Der Antrag Lasker enthalte außer der Modalität der Geschäftsordnungsfrage den sehr bestimmten Satz oder doch die Voraussetzung, daß Gesetze i n der folgenden Session fortberaten werden sollten. Darin liege „mindestens rücksichtlich der Gegenstände, die nach Maßgabe dieser Verordnung oder dieses Gesetzes behandelt würden, eine Kontinuität des Parlaments"; es müsse jedoch „zu den Attributen des einzelnen Monarchen . . . die Befugnis gehören, zu jeder Zeit das Parlament aufzulösen i n allen seinen Teilen, i n allen seinen Funktionen". Das sei bei der Kontinuität des Parlaments nicht möglich und deshalb behaupte er, „daß eine wichtige, tief einschneidende Verfassungsänderung beabsichtigt oder doch angebahnt" würde. Dem hielt der Abgeordnete Braun entgegen, daß die Verfassung den Grundsatz der Diskontinuität aufstelle, dieser Antrag i h n aber nicht beseitige, sondern ihn i n dem Sinne „Exceptio firmat regulam" bekräftige. Er lasse die Diskontinuität i n ihrem vollen Umfang bestehen und suche nur einen Ausweg, welcher eine Verletzung der Diskontinuität überflüssig mache. Wenn gesagt worden sei, „der Antrag taste das mon299

(Anm. 296) S. 639. Vgl. auch die Abgeordneten Windthorst u n d von Unruhe-Bomst ebd. Bd. 3 S. 963. 300 (Anm. 296) S. 641 f.

ebd. S. 641 f.

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archische Prinzip an, w e i l er ein sogenanntes langes Parlament, eine Volksvertretung die kein Ende nehme, aufstelle", so sei das „ein totales Mißverständnis des Antrages, . . . eine Verwechslung zwischen einem Spezialausschuß, einer Sonderkommission auf der einen und einer ständigen Generalkommission auf der anderen Seite 3 0 1 ". Auch die übrigen Debattenredner, die Abgeordneten von Blankenburg und Dr. Schwarze, erkannten die Geltung des Grundsatzes der Diskontinuität an, stimmten i m übrigen aber dem Antrag Lasker i m allgemeinen zu 3 0 2 . Der Antrag wurde daraufhin an eine besonders zu diesem Zweck gewählte Kommission überwiesen, die i h n i n drei Sitzungen beriet und am 22. M a i 1871 einen befürwortenden Bericht vorlegte, der den Antrag m i t einigen Ä n derungen, die insbesondere die Geltungsdauer des Ausnahmegesetzes i n einem neuen § 4 ausdrücklich auf die Dauer der laufenden Wahlperiode beschränkten, zur Annahme empfahl 3 0 3 . I n diesem Bericht fand sich auch die später i m Schrifttum immer wieder verwendete Formulierung, einer ausdrücklichen Verlautbarung des Diskontinuitätsprinzips i n der Verfassung habe es nicht bedurft, „da dieses Prinzip ein feststehender aus der Natur der Sache m i t Notwendigkeit folgender Grundsatz des konstitutionellen Staatsrechts" sei. Die zweite Beratung des Antrags erfolgte auf der Grundlage des Kommissionsberichts i n der Sitzimg vom 1. Juni 1871 304 . Auch darin waren sich die Redner über die Geltungskraft des Grundsatzes der Diskontinuität einig. Eine Mehrheit sprach sich auch dafür aus, daß für die Beratung großer Gesetzentwürfe Ausnahmen von diesem Grundsatz zweckmäßig seien. I n der Abstimmung wurde der Antrag dann aber doch abgelehnt 3 0 5 , „teils aus politischen, teils aus rechtlichen, teils aus parlamentarischen Bedenken" 3 0 8 . 301 (Anm. 296) S. 642. Braun w o l l t e damit eine Parallele zu dem Ständischen Ausschuß etwa des württembergischen Staatsrechts ziehen, der als permanente Einrichtung i n einer aus der Zeit v o r 1814 bekannten F o r m tatsächlich einen Ansatz zur Permanenz des Parlaments, u n d sei es n u r stellvertretend, dargestellt hätte; vgl. dazu oben § 3. 302 (Anm. 296) S. 642 ff. Vgl. auch Hillmann (Anm. 135) S. 25. 303 (Anm. 294). Vgl. auch Hillmann (Anm. 135) S. 25 f. Der Kommissionsbericht wies hierzu auf den gleichlautenden A r t . 8 des kgl. bayerischen Gesetzes v o m 4. J u n i 1865 hin, w i e überhaupt bei den Beratungen auf das bayerische V o r b i l d i n den Gesetzen v o m 12. M a i 1848 u n d 4. J u n i 1865 Bezug genommen wurde, u n d führte aus: „ M i t der vorgeschlagenen Bestimmung w e r den nach Ansicht der M a j o r i t ä t i n der Kommission diejenigen Bedenken v ö l l i g beseitigt, welche v o m parlamentarischen Standpunkt aus gegen den A n t r a g Lasker erhoben worden sind." 304 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I. Legislaturperiode I. Session, Bd. 2 S. 962 ff. 305 (Anm. 304) S. 976. 306 Hülmann (Anm. 135) S. 26. Z u r rechtlichen Einordnung des von Lasker eingebrachten Entwurfs behauptet H i l l m a n n , daß er eine Verfassungsänder u n g i n bezug auf den Grundsatz der Diskontinuität nicht enthalten habe, da

§ 16 Ansätze zur Durchbrechung

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Die von Lasker prophezeite Notwendigkeit einer Ausnahme vom Grundsatz der Diskontinuität für die Reihe von großen Gesetzen, die für die Herstellung der Rechtseinheit zu erwarten waren, trat bald ein. Der Reichstag sah sich m i t den Entwürfen der späteren Zivilprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes konfrontiert, ohne über die zeitlichen Möglichkeiten zu verfügen, sich damit ausreichend zu beschäftigen. Wieder w a r es Lasker, der einen Ausweg anbot. Er brachte i m Reichstag einen Antrag ein 3 0 7 , „der Reichstag möge seine Bereitwilligkeit aussprechen, einem Gesetz zuzustimmen, welches a) die zur Vorberatung der Entwürfe einer CPO, StPO und eines GVG einzusetzende Kommismission ermächtigt, ihre Beratungen zwischen der gegenwärtigen und der nächstfolgenden Session des Reichstags fortzusetzen, b) die Fortsetzung der Verhandlung über die bezeichneten Gesetzentwürfe i n zweiter und dritter Lesung während einer folgenden Session der gegenwärtigen Legislaturperiode ermöglicht". Zur Begründung führte er i n der Sitzung vom 27. November 1874 308 aus: „Meine Herren, ich kann den Antrag ganz kurz begründen, da Ihnen die Unterschreiber des Antrages zeigen, daß das ganze Haus einstimmig ist i n dem Wunsch, die drei Gesetze, deren erste Lesungen sie eben beendet haben, durch eine Kommission beraten zu lassen, der die Ermächtigung erteilt werde, auch zwischen der gegenwärtigen und der nächsten Session des Reichstags ihre Vorberatungen pflegen zu können. Nach dem Standpunkte unseres bisherigen, zwar nicht geschriebenen, doch allgemein anerkannten verfassungsmäßigen Rechts halten w i r die Session für so diskontinuierlich, daß ohne ausdrückliches Gesetz der Reichstag nicht berechtigt wäre, eine i n der einen Session begonnene Beratung i n der zweiten Session fortzusetzen; oder während seiner Vertagung eine Kommission m i t der Vorbereitung seiner eigenen Geschäfte betraut sein zu lassen. Dieses Hindernis kann nur beseitigt werden, wenn ein Gesetz vereinbart w i r d und der Tenor meines Antrages gibt dies anheim, indem er offen läßt, daß vielleicht wie erwartet werden darf, die Initiative ergriffen wird." Laskers Erwartungen erfüllten sich. Der Antrag wurde fast einstimmig angenommen, der gewünschte Gesetzentwurf auf Beschluß des Bundesrats von der Reichsregierung dem Reichstag vorgelegt 3 0 9 . Die erste dieser Grundsatz n u r als Gewohnheitsrecht gegolten habe u n d nicht i n der Verfassung niedergelegt gewesen sei. Eine Verfassungsdurchbrechung sei dagegen wegen der Diätengewährung i n § 3 erforderlich gewesen, der insoweit eine Ausnahme von A r t . 32 aRV dargestellt habe. 307 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I I . Legislaturperiode I I . Session 1874/75, Anlagen Bd. 3 Drs. Nr. 64 S. 782. Der A n t r a g trägt die Unterschriften u.a. v o n Gneist, Hänel, Reichensperger, Simson u n d sogar Windthorst! 308 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I I . Legislaturperiode, I I . Session 1874/75, Bd. 1 S. 362 f. 309 (Anm. 307) Bd. 4 Drs. Nr. 109 S. 938.

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und zweite Lesung fand i m Reichstag am 15. Dezember 1874 statt, ohne daß dabei noch einmal größere Bedenken geäußert worden wären 3 1 0 . A m 18. Dezember wurde der Entwurf i n dritter Lesung vom Reichstag verabschiedet 311 und am 23. Dezember 1874 als „Gesetz, betreffend die geschäftliche Behandlung der Entwürfe eines GVG, einer StPO und einer CPO sowie der zugehörigen Einführungsgesetze" 312 verkündet. Wie der Titel bereits hervorhob, beschränkte es sich darauf, für die Beratung bestimmter Gesetzentwürfe eine Ausnahme vom Diskontinuitätsprinzip zuzulassen. So wurde i n § 1 die zur Vorberatung der Entwürfe der Reichsjustizgesetze eingesetzte besondere Kommission ermächtigt, nach dem Ende der Session ihre Beratungen fortzusetzen; für die Dauer der Kommissionsverhandlungen fanden auf ihre Mitglieder die Bestimmungen der A r t . 21 Abs. 1, 30 und 31 der Reichsverfassung Anwendung. § 3 sah während dieser Zeit Zahlung einer Aufwandsentschädigung vor, und § 4 bestimmte, daß der Reichstag i n einer folgenden Session der laufenden Legislaturperiode i n die weitere Beratung der Gesetzentwürfe eintrete. Damit war eine praktikable Lösung gefunden, die die Zäsur überbrückte, die zwischen zwei Sessionen des Reichstags bestand 313 . Da diesmal alle beteiligten Verfassungsorgane ein Interesse daran hatten, möglichst zügig zur Verabschiedung der betreffenden Gesetze zu kommen, wurden auch keine besonderen Bedenken gegen dieses Verfahren geltend gemacht. Auch daraus geht hervor, daß der Grundsatz der Diskontinuität als politisches Recht angesehen wurde, m i t dem dann auch jeweils jenseits aller verfassungsrechtlichen Zuordnung politisch verfahren werden konnte. Deshalb scheute man sich nicht, dieses Gesetz zu verlängern, als absehbar wurde, daß auch i n der dritten Session 1875/76 die Beratung der Reichsjustizgesetze trotz der Vorarbeiten der Justizkommission nicht zum Abschluß gebracht werden würde. Durch das Reichsgesetz vom I . Februar 1876 „betreffend die weitere geschäftliche Behandlung der Entwürfe eines GVG, einer StPO und einer CPO sowie der zugehörigen Einführungsgesetze" 314 wurde die Vorschrift des Gesetzes vom 23. Dezember 1874 fast wörtlich übernommen und auf die Zeit bis zur nächsten Session erstreckt. A u f Antrag des Abgeordneten Zimmermann 1 3 5 erfolgte 310 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I I . Legislaturperiode I I . Session 1874/75, Bd. 1 S. 714 ff. 311 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I I . Legislaturperiode I I . Session 1874/75, Bd. 2 S. 805. 312 RGBl. S. 194. 313 Beiz (Anm. 14) S. 35. 314 RGBl. S. 15. 315 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I I . Legislaturperiode I I I . Session 1875/76, Bd. 3 Drs. Nr. 194 S. 722. Diätenzahlung w a r darin nicht vorgesehen, w e i l die Arbeiten i m Vergleich zur Justizkommission weniger

§16 Ansätze zur Durchbrechung

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i n derselben Session eine Parallelregelung für die Beratung der Konkursordnung 3 1 6 , deren Bearbeitung i n einer Sitzungsperiode ebenfalls nicht möglich gewesen war, deren enger Zusammenhang m i t den Reichsjustizgesetzen jedoch eine gleichzeitige Verabschiedung nahelegte 317 . Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der Diskontinuität wurde i n der Zeit des Kaiserreichs nicht mehr gemacht 318 . Der Reichstag befolgte vielmehr i n ständiger Übung des zugrundeliegende Prinzip. Das fiel i h m dadurch leichter, daß die Sitzungsperioden immer länger wurden und damit ein zusammenhängendes Arbeiten ermöglichten, das auch die Bewältigung größerer Gesetzgebungsvorhaben i n einer einzigen Session nicht mehr ausschloß 319 . Erschien die Dauer einer Session trotzdem zu kurz bemessen, blieb immer noch das für die Vorbereitung des BGB gefundene Verfahren, das die Verabschiedung dieses umfangreichen Gesetzwerkes i n knapp einem halben Jahr i n der vierten Session der I X . Legislaturperiode erlaubte: die Bundesratsvorlage wurde von zwei Kommissionen, i n denen auch führende Reichstagsabgeordnete vertreten waren, gründlich vorberaten und erst deren Ergebnisse i m Reichstag selbst diskutiert 3 2 0 . Die Exekutive k a m diesem Verfahren entgegen, indem sie das Parlament i n der Zeit von der Einbringung der Vorlage am 17. Januar 1896 bis zur Annahme durch den Reichstag i n dritter Lesung am 1. J u l i 1896 weder vertagte noch Schloß. Die Ausdehnung der Sessionen, der häufigere Griff zur Vertagung anstelle der Schließung ließen den Grundsatz der Diskontinuität i n der zweiten Hälfte des Bestehens des Kaiserreichs vielleicht etwas i n den Hintergrund rücken. Daß er als M i t t e l der Außensteuerung der Parlamentsarbeit bewußt blieb und auch durch Nichtinanspruchnahme nicht obsolet wurde, zeigten die Ereignisse, die zu der Aussage des Staatssekretärs des Innern am 12. Dezember 1905 i m Reichstag führten 3 2 1 . I n umfangreich waren u n d nicht so häufige Anwesenheit i n B e r l i n erforderten. Trotzdem legte ein Abgeordneter seinen Ausschußsitz wegen dieser Belastung nieder. 316 Gesetz betreffend die weitere geschäftliche Behandlung der E n t w ü r f e einer deutschen Konkursordnung u n d des zugehörigen Einführungsgesetzes v o m 20. Februar 1876, RGBl. S. 23. 317 Vgl. die Ausführungen des Abgeordneten Zimmermann i n der Sitzung v o m 5. Februar 1876, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, I I . Legislaturperiode I I I . Session 1875/76, Bd. 2 S. 1199 ff. Vgl. auch Hillmann (Anm. 135) S. 28. 318 Hillmann (Anm. 135) S. 28; Beiz (Anm. 14) S. 36. 319 Vgl. dazu oben § 12; auch Beiz (Anm. 14) S. 36. Hillmann (Anm. 135) S. 29. Vgl. auch Beiz (Anm. 14) S. 33, der Huber (Anm. 1) Bd. I I I S. 883 Fn. 14 berichtigt, der irrigerweise auch die Verabschiedung des B G B einer Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität durch die genannten Gesetze zurechnet. 321 Vgl. oben § 12.

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II. 4. Kap. : Diskontinuität im Kaiserreich

dieser Aussage wurde deutlich, daß die Exekutive den Grundsatz der Diskontinuität vor allem der Sessionen als politisches Prinzip wertete, das eindeutig gegen das Parlament eingesetzt wurde und von dem Ausnahmen nur dann zugelassen wurden, wenn sie m i t den Interessen der Exekutive korrespondierten. Dagegen ist eine Durchbrechung der sachlichen Diskontinuität am Ende einer Legislaturperiode nie, auch vom Parlament selbst nicht erwogen worden 3 2 2 . Die zeitliche Begrenzung der Legitimation der Organwalterschaft durch die allgemeinen Wahlen w u r de auch i n einem vom monarchischen Prinzip beherrschten Staatsrecht als so einschneidend empfunden, daß niemand wagte, sie dadurch i n Frage zu stellen, daß etwa eine Verlängerung bzw. Fortsetzung der A r beiten über diese Zäsur vorgeschlagen worden wäre. Das spiegelte sich positiv i n der Auffassung Zorns wider, der als einziger den Grundsatz der Diskontinuität als m i t dem Ende der Wahlperiode legitimiert ansah 3 2 3 , auch wenn dieses Ende durch Auflösung, also wiederum durch Ausübung kaiserlicher Prägorative herbeigeführt wurde. Es kam aber auch, wenngleich unbewußt und unausgedrückt, bei denen zum Ausdruck, die das Sanktionsrecht bis zum Ende der Legislaturperiode befristet sehen wollten 3 2 4 . Von den Periodizitäten des Reichstags der alten Reichsverfassung war also, trotz des äußeren Anscheins, nicht die der Session, sondern die der Legislaturperiode die als stärker erachtete, wenn sich auch der Blick vor allem auf die Sitzungsperiode richtete, w e i l man i n ihrer Existenz die stärkste Garantie gegen einen Parlamentarismus i n Permanenz sah.

322 Hülmann (Anm. 135) S. 29; Beiz (Anm. 14) S. 22. Unrichtig u n d ungenau w i e seine gesamte Darstellung dieser Frage Sandtner, Entwicklung, Wesen u n d Befugnisse des Ständigen Ausschusses, i n : K r e m e r (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 64 f. 323 Vgl. oben § 15. Z u der Frage, ob der i n dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst v o m 5. Dezember 1916 — vgl. oben § 13 A n m . 109 vorgesehene besondere Reichstagsausschuß bereits eine Übergangserscheinung darstellte, vgl. unten v o r § 19. * 2 4 Vgl. oben § 14.

Fünftes Kapitel

Die Diskontinuität in vergleichbaren Staaten des Auelandes Die Feststellung, daß die Herausbildung und Anwendung des Grundsatzes der Diskontinuität ein Ergebnis der Verfassungsentwicklung des deutschen Konstitutionalismus der Wiener Bundesakte unter englischem, durch die Restauration i n Frankreich umgeformtem Einfluß war, und die weitere Feststellung, daß die Dogmatisierung dieses Grundsatzes i n Preußen i n den Verfassungskämpfen nach 1848 und seine Übernahme i n das Staatsrecht des deutschen Kaiserreiches einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung des monarchischen Prinzips gegen aufkommende demokratisch-repräsentative Tendenzen darstellte, w i r f t die Frage auf, ob diese Entwicklung allein i n Deutschland vollzogen wurde, also eine isolierte Erscheinung und der Grundsatz der Diskontinuität damit Ausdruck der deutschen konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts als einer selbständigen politischen Form und i n sich ruhenden Ordnung neben Absolutismus und Parlamentarismus war 1 . Diese Annahme, die — einseitig auf das fehlende Selbstversammlungsrecht der Repräsentativvertretungen des deutschen Konstitutionalismus abgestellt — auch die Argumentation von M ü l l e r 2 gegen eine Weitergeltung des Grundsatzes i n der parlamentarischen Demokratie beherrscht, wäre widerlegt, wenn sich eine Aufnahme und Weiterentwicklung dieses Grundsatzes auch i n anderen vergleichbaren Ländern nachweisen ließe. Stahl hatte i n seiner vehementen Ablehnung eines die Aufhebung der Diskontinuität zum Ziel habenden Gesetzentwurfes i m preußischen Herrenhaus sich darauf berufen, es sei „ein allgemeines europäisches Rechtsbewußtsein und eine europäische Gewöhnung, daß 1 So Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I I I , S. 4 ff., nach dem i m Konstitutionalismus das monarchische Prinzip m i t dem Repräsentat i v p r i n z i p i n der Weise verbunden worden sei, daß der Gegensatz zwischen diesen beiden S t r u k t u r p r i n z i p i e n i n einem sie verbindenden Funktionszusammenhang aufgehoben worden sei. Gegen i h n Böckenförde, Der Deutsche T y p der konstitutionellen Monarchie i m 19. Jahrhundert, i n : Conze (Hrsg.), B e i träge zur deutschen u n d belgischen Verfassungsgeschichte i m 19. Jahrhundert, S. 70 ff., der i n der Verbindung v o n monarchischem u n d demokratisch-repräsentativem Prinzip i n einem konstitutionellen System keine eigene politische Form, sondern n u r eine Übergangsregelung zur demokratischen Ordnung der Freiheit u n d Gleichheit sieht. 2 Klaus Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965, S. 506 ff.

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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m i t der Schließung der Kammern alle ihre nicht völlig beendigten A r beiten expiriren" 3 . Das legt nahe, das Verfassungs- und Parlamentsrecht der übrigen europäischen Staaten und Nordamerikas i m gleichen Zeitraum darauf zu untersuchen, ob dort ähnliche Erscheinungen zu beobachten waren. Dabei sind England und die Vereinigten Staaten von besonderem Interesse, weil der Anstoß zu der geschilderten Entwicklung von dort ausging, und englische bzw. amerikanische Staatsrechtler und Politiker dem europäischen Kontinent zu Beginn der Verfassungsentwicklung die dortige Parlamentspraxis und die dort geltenden Verfahrensregeln vermittelten 4 .

§ 17 Die Diskontinuität in anderen kontinentaleuropäischen Staaten Z u den ursprünglichen Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, die durch die Unterzeichnung der Wiener Kongreßakte sich zur Einführung einer landständischen Verfassung verpflichtet hatten, gehörte auch Österreich, allerdings unter Ausschluß der außerdeutschen Landesteile 5 . Gerade Österreich hatte sich neben Preußen und Hannover dafür eingesetzt, daß i n der Bundesakte die Notwendigkeit des Bestehens einer landständischen durch den Bund gesicherten Verfassung i n jedem Staate ausdrücklich ausgesprochen werden solle 6 . Es selbst kam dem i n A r t . 13 niedergelegten Auftrag 7 jedoch lange Zeit nicht nach: bis 1848 erhielten sich die alten Landstände i n drei oder vier Kurien auf der Grundlage ihrer alten Privilegien, zum Teil auch erst i n neuerer Zeit ergangener Ständeverfassungen 8 . Eine von Kaiser Ferdinand I. am 25. A p r i l 1848 verkündete Verfassung des österreichischen Kaiserstaates trat nicht i n Kraft; die von Kaiser Franz Joseph am 4. März 1849 oktroyierte Reichsverfassung wurde am 31. Dezember 1851 wieder aufgehoben 9 . Erst das sogenannte „Feberpatent" vom 26. Februar 1861 beendete die auf die Revolution des Jahres 1848 bzw. deren Scheitern folgende Restaurationsperiode und brachte m i t dem am gleichen Tag erlassenen „Grundgesetz über die Reichsvertretung", das später i n den Staatsgrundgesetzen des Jahres 3

Sten. Ber. über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung v o m 13. November 1852 einberufenen Kammern. Erste Kammer. 2. Bd., S. 1003; vgl. auch oben § 9. 4 Vgl. oben § 5. 5 Haenel, Deutsches Staatsrecht, 1. Bd., S. 4. 6 Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 2. Theil, S. 187. 7 Vgl. oben § 6. 8 Zoepfl (Anm. 6) 2. Theil, S. 223. 9 Vgl. Zoepfl (Anm. 6) 2. Theil, S. 223 f. u n d die dort aufgeführten Nachweise f ü r die weitere, überwiegend n u r aus Versprechungen i n K a b i n e t t schreiben bestehende Entwicklung.

§ 17 In anderen kontinentaleuropäischen Staaten

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1867 aufging, eine Repräsentativvertretung für die deutschen Landesteile auf Gesamtstaatsebene als Reichsrat nach dem Zweikammersystem durch ein Haus der Abgeordneten und ein Herrenhaus 10 . Der Reichsrat war vom Kaiser jährlich, womöglich i n den Wintermonaten, einzuberufen; er konnte durch kaiserliche Verfügung, die die gleichen Folgen wie i n den deutschen Staaten hatte, vertagt werden. Daneben kannte die Verfassung die Auflösung des Hauses der Abgeordneten, bei der Neuwahlen durchzuführen waren 1 1 . Das Institut der Schließung war dagegen i n der Verfassung nicht erwähnt; nichtsdestoweniger bestand i n Österreich genau dieselbe Praxis wie i n den Staaten, die ausdrücklich neben Vertagung und Auflösung die Schließung formuliert hatten, wie auch i n mehreren österreichischen Gesetzen die Schließung m i t den herkömmlichen Wirkungen genannt oder vorausgesetzt wurde 1 2 . Die sechsjährige Gesetzgebungsperiode 13 wurde so durch kaiserliche Schließung i n Jahresabschnitte gegliedert 14 , die wie in anderen Staaten Session, auch Jahres-Session oder Sitzungsperiode genannt wurden 1 5 . Die Session unterschied sich zunächst von der einzelnen (Tages-)Sitzung eines jeden Hauses, welche der jeweilige Präsident eröffnete und schloß. Die Session war dagegen als Phase i n der Funktion beider Kammern als einheitliches Ganzes gedacht und bestand aus einer Serie von Sitzungen, deren Anfang und Ende nur der Kaiser bestimmen konnte 1 6 . Vom Beginn der Session bis zu ihrem Schluß wurde die parlamentarische Tätigkeit als eine rechtliche Einheit angesehen. Anträge, selbst Regierungsvorlagen, die einmal abgelehnt waren, durften ζ. B. wie nach A r t . 64 der preußischen Verfassung i n derselben Session nicht wieder eingebracht werden. Entsprechend hatte der Schluß der Session auch die Wirkung, daß die Immunität der Abgeordneten erlosch 17 , daß der 10 Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten w u r d e n ursprünglich von den Landtagen der einzelnen Länder entsandt. Erst das Gesetz v o m 2. A p r i l 1875 führte die direkte W a h l der Abgeordneten bei sechsjähriger Wahlperiode ein; vgl. Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze m i t Erläuterungen, S. 402 Fn. 47; Hellbling, österreichische Verfassungs- u n d Verwaltungsgeschichte, S. 377. Die Mitglieder des Herrenhauses w u r d e n v o m Kaiser ernannt. 11 § 19 des Abgeänderten Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung v o m 21. Dezember 1867; vgl. Bernatzik (Anm. 10) S. 402; Hellbling (Anm. 10) S. 377. 12 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 346 Fn. 1. 13 A r t . I § 18 des Gesetzes v o m 2. A p r i l 1873 sprach von „Wahlperiode" für das Haus der Abgeordneten. 14 Hellbling (Anm. 10) S. 377. 15 Bernatzik (Anm. 10) S. 404 verweist auf das englische V o r b i l d und leitet — w i e Hatschek, aber ohne diesen zu zitieren — den Begriff „Session" von „Saison", also Jahreszeit, ab. Vgl. dazu oben § 4 A n m . 105. 16 Bernatzik (Anm. 10) S. 404. 17 I m Gegensatz zur bloßen Vertagung; vgl. Bernatzik (Anm. 10) S. 405, 407; Hellbling (Anm. 10) S. 379.

11 Jekewitz

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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Anspruch auf Diätenbezug endete 18 , daß die Funktion sämtlicher Organe beider Häuser aufhörte, also die der Präsidenten, Vizepräsidenten, Ordner und insbesondere auch die aller Ausschüsse und Abteilungen 1 9 , daß Ministeranklagen verjährten und daß schließlich die ganze bisher geleistete parlamentarische Arbeit, soweit sie unvollendet geblieben war, ihre Rechtswirkung verlor. Die Diskontinuität w a r also i n vollem Umfang m i t allen Erscheinungsformen als Ausfluß des Sessionsendes bekannt und geübt. Z u Beginn jeder Session war der Reichsrat deshalb feierlich wieder zu eröffnen; alle Anträge, auch Regierungsvorlagen, mußten neuerlich eingebracht werden, alle Ausschußberatungen von vorne begonnen werden, Beschlüsse der einen Kammer, welche an die andere gegangen waren, hatten ihre Gültigkeit verloren 2 0 . Obwohl auch zeitgenössische Darstellungen des Verfassungsrechts einräumten, daß „dieses hochwichtige Prinzip der sogenannten Diskontinuität, das dem englischen Parlamentsrecht entstammt", i n den österreichischen Gesetzen „merkwürdigerweise nicht ausgesprochen — nicht einmal i n der Geschäftsordnung — " sei, wurde es als selbstverständlich aus der Tatsache gefolgert, „daß alle Ausschüsse m i t der Schließung ihre Existenz verlieren und a contrario daraus, daß Anträge oder Regierungsvorlagen, die i n der vorigen Sesseon abgelehnt wurden, jetzt wieder eingebracht werden können" 2 1 . M i t jeder neuen Session war i m A b geordnetenhaus deshalb auch eine neue Hausordnung zu beschließen, und am Ende der Session waren unerledigte Petitionen nach der Geschäftsordnung beider Häuser der Regierung abzutreten 22 . Eine Ausnahme von der Strenge des Grundsatzes stellten lediglich die administrativen Funktionen des Präsidenten dar, die bis zu seiner Neuwahl fortdauerten, und die Möglichkeit zur Einrichtung von „Permanenzkommissionen", welche auch nach der Schließung der Vertagung weiter arbeiten durften 2 8 . Eine gewisse Durchbrechung bildete schließlich außer-

18 Wie bei der formellen Vertagung, nicht aber bei der Selbstvertagung der einzelnen K a m m e r ; vgl. Bernatzik (Anm. 10) S. 405, 407. 19 Bernatzik (Anm. 10) S. 405. Die Ernennung des Präsidenten u n d der Vizepräsidenten des Herrenhauses erfolgte auf Sessionsdauer durch den K a i ser, Präsident u n d Vizepräsident des Abgeordnetenhauses w u r d e n w i e alle übrigen m i t besonderen Aufgaben betrauten Mitglieder i n jedem Haus aus seiner M i t t e gewählt; vgl. auch Hellbling (Anm. 10) S. 377. 20 Bernatzik (Anm. 10) S. 405. 21 Bernatzik (Anm. 10) S. 405 f. Vgl. dort (Fn. 60) auch die K r i t i k an der Praxis der Regierung seit dem Jahre 1907, Notverordnungen, die i n der v o r angegangenen Session unerledigt geblieben, d. h. v o m Reichsrat nicht nachträglich gebilligt worden waren, nicht wieder einzubringen. 22 Bernatzik (Anm. 10) S. 405. Die eigentliche Geschäftsordnung w u r d e dagegen — w i e i n den süddeutschen Staaten — nach französischem V o r b i l d durch Gesetz festgelegt u n d galt deshalb bis zu einer formellen Änderung weiter.

§ 17 In anderen kontinentaleuropäischen Staaten

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dem die vom Reichsrat zu wählende Staatsschuldenkontrollkommission, die auch nach Vertagung, Schließung, sogar Auflösung des Reichsrats weitertagte 2 4 , und die jeweils auf ein Kalenderjahr gewählte Delegation, die trotz eventuellen Schlusses der Session während des ganzen Kalenderjahres i h r Mandat behielt 2 5 , sowie die Tatsache, daß die erhobene Ministerklage weder durch Vertagung noch durch Schließung noch selbst durch die Auflösung aufgehalten werden konnte 2 6 . Die wichtigste dieser Ausnahmen oder Durchbrechungen war i n der Möglichkeit zu sehen, „Permanenzkommissionen" einzusetzen. Deutlich beeinflußt von dem bayerischen V o r b i l d 2 7 erging schon 1867 ein „Gesetz über die Behandlung umfangreicher Gesetze i m Reichsrat" 28 , nach dessen § 11 jedes der beiden Häuser über einen nach den Vorschriften seiner Geschäftsordnung eingebrachte Antrag beschließen konnte, „daß die nach dem gegenwärtigen Gesetze gewählten Ausschüsse auch nach der Schließung der Session des Reichsrats oder während dessen Vertagung i n Tätigkeit zu bleiben haben, um hinsichtlich der ihnen zugewiesenen Vorlagen die Arbeiten zu beginnen oder fortzusetzen". Ein solcher Beschluß bedurfte zu seiner Gültigkeit ausdrücklich der Genehmigung des Kaisers; außerdem hatte sich nach § 12 „die Wirksamkeit eines über die Dauer der Session oder während der Vertagung des Reichsrats bestellten Ausschusses... auf die Vorbereitung des demselben überwiesenen Gesetzentwurfes zu beschränken", und der Kaiser konnte die Sitzungen solcher Ausschüsse aufheben oder „ m i t Vorbehalt der Wiedereinberufung der Mitglieder" einstweilen einstellen 29 . Damit hing auch die Tätigkeit derartiger Permanenzkommissionen weitgehend von der Krone ab. Sie konnte indirekt bestimmen, welches konkrete Vorhaben bei Abbruch oder auch nur Unterbrechung aller übrigen Geschäfte des Reichsrates weiterbehandelt werden sollte und welche A b geordneten während der Zeit der Weiterbehandlung i n den Genuß der Parlamentsprivilegien, vor allem des Diätenbezuges, kamen. Praktische Auswirkungen hatte das Gesetz aber wenig. Obwohl die Session nach englischem Vorbild i m Sinne des Staatsgrundgesetzes regelmäßig jedes Jahr einmal eröffnet und geschlossen werden sollte, wandelte die Praxis unter dem Druck der tatsächlichen Erfordernisse die ursprüngliche zeit23 Bernatzik (Anm. 10) S. 405. Vgl. auch Georg Jellinek, Besondere Staatslehre, S. 248 f., der darin, w i e i n anderen Staaten, eine „ M i l d e r u n g der Strenge des Prinzips" sah. 24 Bernatzik (Anm. 10) S. 406. Anders aber i n Ungarn; vgl. ebendort Fn. 61. 25 Bernatzik (Anm. 10) S. 406. 26 Bernatzik (Anm. 10) S. 406. 27 Vgl. oben § 7. 28 Gesetz v o m 30. J u l i 1867, RGBl. Nr. 104. Vgl. auch Bernatzik (Anm. 10) S. 379 ff. 29 Bernatzik (Anm. 10) S. 380.

11*

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II. 5. Kap.: Diskontinuität im Ausland

liehe Bedeutung. Während anfangs „aus diversen Gründen politischer A r t " wiederholt i n einem Jahr mehrere Sessionen stattgefunden hatten, wurde später die Session öfters über ein Jahr hinaus verlängert 3 0 . Als von der Krone abhängiger Handlungsabschnitt des Reichsrats behielt die Session aber ihre Aufgabe: m i t ihrer Hilfe konnte die Regierung das Parlament hindern, tätig zu werden; seiner Untätigkeit konnte sie durch Drohung m i t der Vertagung, die das Ende des Diätenbezuges zur Folge hatte, oder Schließung, eventuell sogar Auflösung, entgegenwirken 31 . Wie i m deutschen Kaiserreich und den konstitutionellen Monarchien der deutschen Staaten war die Session damit der gegenüber der Wahlperiode wichtigere Einschnitt i n der M i t w i r k u n g der gewählten Vertretungskörperschaft 32 ; m i t ihr verband sich daher auch — trotz der aufgezeigten Ausnahmen — quasi selbstverständlich die Diskontinuität m i t allen aus dem deutschen Konstitutionalismus bekannten Wirkungen. Neben dem deutschen Teil der österreichischen Doppelmonarchie war es das Königreich Italien, dessen Staatsrecht und Staatspraxis i n bezug auf die Handhabung der Diskontinuität den Vorstellungen des Konstitutionalismus deutscher Prägung am ehesten entsprach. Die italienische Verfassung vom 4. März 1848, das sogenannte „Statuto albertino" 3 3 , war i n ihrer Grundentscheidung zwischen monarchisch-legitimistischer und demokratisch-repräsentativer Ausgestaltung zwar nicht eindeutig, wie sich aus der Formel ergab, die den Monarchen als „König von Gottes Gnaden und dem Willen des Volkes" bezeichnete 34 , ging aber klar von einer Unterordnung des aus zwei Kammern, einem Abgeordnetenhaus und einem Senat, bestehenden Parlaments aus. Wie i n den deutschen konstitutionellen Monarchien wurden die Vertretungskörperschaften eher als dem König an die Seite gegebene Beratungsgremien denn als seine Machtstellung einschränkende eigenständige Verfassungsorgane gesehen, und die Gesetze entsprechend als eine A r t vertraglicher A k t zwischen den Kammern und dem Staatsoberhaupt gewertet, deren Gültigkeit damit letztlich von der Sanktion durch den Monarchen abhing 3 5 . Das Parlament mußte unter diesen Umständen i n seiner konkreten Handlungsfähigkeit dem König ausgeliefert sein. Ein Selbstversamm30 Die 18. „Session" des Reichsrats dauerte nicht weniger als sechs Jahre, nämlich von 1901 bis 1907; vgl. Bernatzik (Anm. 10) S. 407. 31 Bernatzik (Anm. 10) S. 408. 32 Die Stenographischen Berichte des Reichsrats w u r d e n deshalb nach Sessionen geordnet u n d durchgezählt. Z u r analogen Geltung dieser Feststellung auch f ü r die Landtage der österreichischen Einzelstaaten vgl. Bernatzik (Anm. 10) S. 408. 33 Vgl. dazu Racioppif Bruneiii, Commento allo Statuto del Regno, passim. 34 Bassanini , G l i effetti della fine della legislatura sui procedimenti legisl a t i v i pendenti, i n : Riv. t r i m . dir. pubb. 1968, S. 1245. 35 Bassanini (Anm. 34) S. 1245.

§ 17 In anderen kontinentaleuropäischen Staaten

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lungsrecht gab es ebensowenig wie i m deutschen Staatsrecht 36 . Erst nach königlicher Berufung und Eröffnung konnten die Kammern tätig werden; die Schließung durch königliches Dekret beendete ihre konkrete Wirksamkeit. N u r zwischen beiden Eckpunkten war das Parlament als Körperschaft vorhanden; die so geschaffene Session beschrieb den Zeitraum, der beiden Kammern für die Erledigung der ihnen von der Verfassung zuerkannten Aufgaben zur Verfügung stand. Entsprechend sah die Verfassung eine Begrenzung des Amtes des Präsidenten der Kammer auf die Dauer der Session vor und verbot die Wiedereinbringung eines von „einer der drei gesetzgebenden Gewalten" verworfenen Gesetzentwurfs i n derselben Session 37 . Wie i m deutschen Konstitutionalismus wurde m i t dem Schluß der Sitzungsperiode konsequenterweise auch der Verfall aller parlamentarischen Arbeiten verbunden, die noch nicht abgeschlossen waren 3 8 . Das Ende der Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses infolge Zeitablaufs oder Auflösung durch königliches Dekret trat dahinter zurück, w e i l vor oder gleichzeitig m i t der Legislaturperiode wie i m deutschen Reich auch jeweils eine Session ausdrücklich oder nur begriffsmäßig endete 39 . Auch für Italien wäre es deshalb ungenau, von zwei verschiedenen Periodizitäten m i t eigenen Diskontinuitäten auszugehen 40 ; das Ende der persönlichen Legitimation der Organwalterschaft wurde nicht als bestimmender Faktor und von sich aus rechtfertigender Grund für den Abbruch der Geschäfte betrachtet. Das Parlament hing i n seiner Existenz und der Wirksamkeit seiner Verhandlungen vom König ab, wie das Dekret über den Schluß der Session, das jede Tätigkeit des Parlaments abschnitt, ebenfalls Ausdruck königlicher Prägorative war. Die Schließung der Session, vor allem m i t der Folge des Verfalls aller noch nicht abgeschlossenen Gesetzgebungsarbeiten, war ein Instrument i n der Hand des Königs und seiner Regierung 41 , „das Leben der gesetzgebenden Versammlung zu paralysieren" 4 2 und die Zustimmung zu Gesetzentwürfen zu verhindern die nicht tunlich erschienen 43 , also insgesamt „eine Waffe mehr i n den Händen der Exekutive, u m entsprechend der politischen Nützlichkeit die Beziehungen zur Legislative zu regulieren" 4 4 . 36

A r t . 9 Statuto Albertino. A r t . 43, 56 Statuto Albertino. 38 Bassanini (Anm. 34) S. 1240 u n d die dort Fn. 343 zitierte italienische L i t e ratur. 39 Bassanini (Anm. 34) S. 1241. Die Auflösung des Abgeordnetenhauses u n terbrach nach A r t . 48 der Verfassung zugleich die Tätigkeit des Senats m i t der Folge der Diskontinuität; vgl. Bassanini S. 767. 40 Vgl. dazu oben § 19. 41 A r t . 5, 65 Statuto Albertino. 42 Racioppi/Bruneiii (Anm. 33) Bd. I S. 437. 43 Bassanini (Anm. 34) S. 1244. 37

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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Das schränkte, ebenfalls wie i m deutschen Konstitutionalismus, die Anwendung der Diskontinuität auf den parlamentarischen Bereich ein. Betroffen wurden nur die Geschäfte, die bei den beiden Kammern des Parlaments noch nicht abgeschlossen waren. Obwohl die Verfassung 45 von einer gemeinsamen Wahrnehmung der Gesetzgebung durch den König und die beiden Kammern ausging 46 , entfielen nur bei den letzteren m i t dem Sessionsende alle noch nicht endgültig beratenen und beschlossenen Vorlagen. Der König konnte dagegen nicht nur nach A b lauf der Session, sondern auch noch nach Ablauf einer Legislaturperiode seine Zustimmung zu vom Parlament verabschiedeten Gesetzen geben und diese damit sanktionieren 47 , während es für den Wegfall der das Parlament noch nicht verlassen habenden Entwürfe gleichgültig war, daß eine der beiden Kammern darüber vielleicht bereits entschieden hatte. Ob das ein Ausdruck königlicher Prärogative oder nur eine Besonderheit der Teilhabe des Königs an der gesetzgebenden Gewalt war, wie vereinzelt behauptet wurde 4 8 : die Diskontinuität traf nur die beiden Kammern und lieferte deren Arbeit damit dem König aus., I m Großherzogtum Luxemburg, ebenfalls einem Mitgliedstaat des Deutschen Bundes, der aber gleichzeitig m i t den Niederlanden uniert war, hatte ursprünglich die königlich-niederländische Verfassungsurkunde vom 24. August 1815 gegolten. A n ihre Stelle trat am 12. Oktober 1841 eine königliche Verordnung als Verfassungsersatz; am 9. J u l i 1848 wurde eine m i t den Landständen vereinbarte Verfassung vollzogen 49 . A u f Intervention der Bundesversammlung erfuhr diese Verfassung zahlreiche Abänderungen, bis sie den Vorstellungen entsprach, die man sich i n Frankfurt machte, und durch Bundesbeschluß vom 29. Januar 1857 gebilligt wurde 5 0 . M i t dem Zusammentritt der auf ihrer Grundlage berufenen Ständeversammlung am 30. November 1857 trat sie als revidierte, oktroyierte Verfassung vom 27. November 1856 i n Kraft. I n bezug auf das der Krone i m Konstitutionalismus deutscher Prägung an die Hand gegebene Instrumentarium zur Regelung der Arbeiten der Vertretungskörperschaft waren Staatsrecht und Staatspraxis jedoch erheblich zurückhaltender als i n den vergleichenden Staaten. Zwar konnte die auf sechs Jahre gewählte Deputiertenkammer durch königlichen Beschluß 44

Racioppif Bruneiii (Anm. 33) Bd. I S. 456. A r t . 3 Statuto Albertino. 46 Vgl. dazu auch Racioppif Bruneiii (Anm. 33) Bd. I S. 404 f., Bd. I I I S. 3 ff., die v o m Gesetz als „opera simultanea del Re e delle due Camere" sprechen. 47 Bassanini (Anm. 34) S. 1241 Fn. 348. 48 Vgl. Orlando , P r i n c i p i i d i d i r i t t o costituzionale, S. 157, zitiert bei Bassanini (Anm. 34) S. 1245 Fn. 368. 49 Zoepfl (Anm. 6) 2. Theil, S. 234. 50 Vgl. Zoepfl (Anm. 6) 2. Theil, S. 235 u n d die dort angeführten Nachweise. 45

§ 17 I n anderen kontinentaleuropäischen Staaten

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vertagt werden, was zur Folge hatte, daß die Sitzungen ausgesetzt, die Geschäfte aber nach dem Wiederzusammentritt der Kammer i n der Lage, i n der sie sich bei der Vertagung befanden, wieder aufgenommen w u r den. Doch war dieses „Hoheitsrecht des Staatsoberhauptes" schon seit dem Ubergang zum Repräsentativsystem i m Jahre 1848 i n der Weise beschränkt, daß diese Vertagung die Frist von einem Monat nicht überschreiten und während derselben Session ohne Zustimmung der K a m mer nicht wiederholt werden durfte 5 1 . Auch das Sessionsende als Ausfluß der Schließung der Kammer durch den Monarchen hatte nicht die einschneidende Wirkung, die i h m i n den übrigen Staaten unterlegt wurde. „Uber die Frage, ob bei Schließung des Landtags das Princip der Discontinuität eintrete und i n Folge dessen alle i n der letzten Session nicht zum Abschluß gekommenen Geschäfte von Anfang an wieder begonnen werden" muß ten, enthielt „die Verfassung keinen Aufschluß". I n der Praxis wurden die von der Regierung i n früheren Sessionen eingebrachten Gesetzentwürfe jedoch als aufrechterhalten betrachtet, wenn sie nicht ausdrücklich zurückgezogen wurden; die Wiederaufnahme der aus der Mitte der Versammlung hervorgegangenen Anträge und die Benutzung begonnener Arbeiten hing dagegen von dem Ermessen der neuen Versammlung ab 5 2 . Ähnlich offen war das Staatsrecht des Königreichs der Niederlande, von dem Luxemburg seine ersten Verfassungsimpulse erhalten hatte. Die Wirkungsdauer der General-Staaten gliederte sich zwar auch i n vom König eröffnete und geschlossene Sessionen, von denen die ordentlichen alljährlich stattfinden, am dritten Montag des Septembers anfangen und mindestens zwanzig Tage dauern sollten, während außerordentliche nur vom König berufen werden konnten. Seit 1848 wurde die ordentliche Session jedoch fast regelmäßig nur einige wenige Tage vor dem als Anfang der neuen ordentlichen Sitzungsperiode i n der Verfassimg bestimmten Datum geschlossen, was die Berufung zu einer außerordentlichen Sitzung selten machte. Gleichzeitig damit entwickelte sich für beide Kammern das Recht, während der Sitzungsperiode die eigenen Sitzungen auf einen bestimmten oder näher zu bestimmenden Zeitpunkt zu vertagen. Unter diesen Umständen konnte dem Sessionsende als gew i l l k ü r t e m Eingriff i n die Funktionsfähigkeit der General-Staaten nicht die gleiche Bedeutung zukommen wie i n den deutschen konstitutionellen Monarchien. Da sich auch die Verfassung über die Frage, ob bei Schließung das Prinzip der Diskontinuität eintrete, und deshalb alle i n der letzten nicht zum Abschluß gekommenen Geschäfte von Anfang an wieder begonnen werden müßten, nicht äußerte, war die Praxis schwan51

Eyschen, Das Staatsrecht des Großherzogtums Luxemburg, S. 108. Eyschen (Anm. 51) S. 108. Vgl. auch Jellinek (Anm. 12) S. 346 Fn. 1 u n d Wolfensberger, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 81. 52

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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kend 5 3 . „Die beiden Kammern haben darüber", wie de Hartog es ausdrückte, „ i n verschiedener Weise, und auch jede nicht immer i n konsequenter Weise geurtheilt 5 4 ." Das „allgemeine europäische Rechtsbewußtsein und die europäische Gewöhnung", von denen Stahl 5 5 gesprochen hatte, waren also bereits bei den Niederlanden nicht nachweisbar. I n Belgien, das m i t seiner Verfassung vom 7. Februar 1831 dem Konstitutionalismus i n Preußen wesentlich als Vorbild gedient hatte 5 6 , verlief die Entwicklung ebenfalls anders als i m Bereich des Deutschen Bundes und später des deutschen Kaiserreichs. A r t . 51 und 55 dieser ersten belgischen Verfassung hatten für das Abgeordnetenhaus bei vierjähriger Mandatsdauer die Wahl der Hälfte der Mitglieder i m Turnus von zwei Jahren und für den Senat bei achtjähriger Mandatsdauer die Neuw a h l der Hälfte der Senatoren alle vier Jahre vorgesehen 57 . M i t dieser Partialerneuerung sollte die Kontinuität der Gesetzgebungsarbeit und die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Traditionen gesichert werden 5 8 . Entsprechend der Praxis i n den Hansestädten 59 trat daher sachliche Diskontinuität weder nach den nach A r t . 70 der Verfassung jährlichen, vom König förmlich zu eröffnenden und zu schließenden Sitzungsperioden noch nach der hälftigen Erneuerung der Kammern ein; die Sessionen hatten nur insoweit Bedeutung, als sich die Kammern jedesmal von neuem durch Wahl ihres Präsidenten und ihres Bureaus konstituieren mußten 6 0 . Wurde dagegen eine oder beide Kammern durch königliches Dekret gemäß A r t . 71 der Verfassung aufgelöst 61 , sah man die anhängigen Vorlagen damit als erledigt an 6 2 . Weil es i n einigen Fällen jedoch vorgekommen war, daß eine nach der Auflösung neugewählte Kammer eine Vorlage behandelte und verabschiedete, über die die andere Kammer bereits vor der Auflösung ihren Beschluß gefaßt hatte 6 3 , legte die Regierung 1893 ein Gesetz vor, das rückwirkend diese 53

Jellinek (Anm. 12) S. 346 Fn. 1. De Hartog, Das Staatsrecht des Königreichs der Niederlande, S. 33. Vgl. auch Wolfensberger (Anm. 52) S. 85. 55 A n m . 3. 56 Vgl. oben § 8; auch RGSt 22, S. 380. 57 Errera , Das Staatsrecht des Königsreichs Belgien, S. 102. 58 Gilissen , L e régime représentatif en Belgique depuis 1790, S. 102 f. 59 Vgl. oben § 10. 60 Vgl. RGSt 22, S. 381. 81 I m Falle der Auflösung fand eine vollständige Erneuerung statt. U m jedoch die Reihenfolge nach dem Gesetz wiederherzustellen, wurde dann die Hälfte der Mandate auf zwei Jahre f ü r die K a m m e r u n d auf vier Jahre f ü r den Senat reduziert. Vgl. Errera (Anm. 57) S. 102. 82 Hilf, Durchbrechung der Diskontinuität der parlamentarischen Tätigkeit, i n : ZaöRV 1968, S. 750. 83 Vgl. die bei Hilf (Anm. 62) S. 750 Fn. 38 zitierten, bei der Begründung der Regierungsvorlage aufgezählten Beispiele. 54

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Praxis legalisieren und kanalisieren sollte. Gerade die Beurteilung der Präzedenzfälle führte dabei zu heftigen Debatten. Auch die den Regierungsentwurf bekämpfenden Abgeordneten gingen zwar von der Diskontinuität nach einer Parlamentsauflösung aus, wobei einmal der genannte A r t . 71 als Begründung herangezogen wurde 6 4 ; es wurde jedoch ferner darauf hingewiesen, daß man den König sonst eines Tages zwingen müsse, von i h m selbst eingebrachte Entwürfe einzuziehen, da die Krone bisher die meisten Vorlagen initiiert habe, eine neue Regierimg aber möglichst ganz reinen Tisch vorfinden müsse 65 . Bei der Beurteilung dieser Debatte muß der grundlegende Unterschied zwischen dem deutschen und belgischen Staatsrecht beachtet werden. Dem monarchischen Prinzip der deutschen konstitutionellen Verfassungen stellte die belgische Verfassung i n A r t . 25 den Satz gegenüber: "Tous les pouvoirs émanent de la nation. Ils sont exercés de la manière établie par la Constitution". A n die Stelle der monarchischen w a r damit die demokratisch-nationale Legitimität getreten. Der König war nicht König vor der Verfassung, wie Böckenförde es ausgedrückt hat 6 6 , sondern nur auf dem Boden der Verfassung. I h m kamen lediglich diejenigen Befugnisse zu, die i h m durch die Constitution und die i h r entsprechenden Gesetze ausdrücklich übertragen waren; „er war nicht Souverän, sondern Staatsorgan, König der Belgier, nicht König von Belgien" 6 7 . Unter diesem Blickwinkel war auch das Vertagungs- und Auflösungsrecht zu bewerten. Der König konnte die Kammern einzeln oder zusammen vertagen, „wenn er befürchtete, daß ihre Verhandlungen durch Unordnung v e r w i r r t oder durch äußere Ereignisse beeinflußt werden könnten" 6 8 . Ohne Zustimmung der Kammern durfte die Vertagung die Frist von einem Monat jedoch nicht überschreiten noch i n derselben Session wiederholt werden. Tatsächlich wurden aber seit 1858 die Kammern überhaupt nicht mehr vertagt 6 9 . Auch das Auflösungsrecht, das als eine der Hauptstützen des parlamentarischen Regimes i n Belgien gesehen wurde, w e i l es „gewissermaßen wieder das Gleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative herstellte, indem es der ersteren eine Waffe gegen die letztere gibt, die eben so stark ist wie das Mißtrauensvotum gegenüber den Ministern" 7 0 , war weniger gegen das Parlament gerichtet gedacht 64 Hilf (Anm. 62) S. 750 Fn. 39 u n d die dort wiedergegebenen Äußerungen des Abgeordneten Begerem. 65 Vgl. die bei Hilf (Anm. 62) S. 751 angeführten Zitate, die von i h m allerdings nicht ganz richtig interpretiert werden. 66 (Anm. 1) S. 74. 67 Böckenförde (Anm. 1) S. 74; vgl. auch Errera (Anm. 57) S. 36 f. 68 Errera (Anm. 57) S. 103. 69 Errera (Anm. 57) S. 103. 70 Errera (Anm. 57) S. 104.

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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als ein Mittel, das Einvernehmen zwischen Nation und Parlament herzustellen. Deshalb mußten auch i n der Auflösungsurkunde bereits Wahlen innerhalb von 40 Tagen und die Einberufung der Kammern binnen zwei Monaten vorgesehen sein, wie eine Auflösung des Parlaments vor seiner vollen Konstituierung nicht möglich w a r 7 1 . Diesem praktisch ausgeglichenen Kräfteverhältnis zwischen den Verfassungsorganen entsprach die Lösung, die i n dem Gesetz vom 1. J u l i 189372 Niederschlag fand. Von dem Gedanken ausgehend, daß die beiden Kammern die durch die regelmäßige Erneuerung der Nation i n ihrem aktuellen politischen Meinungsbild nächsten Staatsorgane darstellten, wurde zunächst danach unterschieden, ob nur eine oder alle zwei K a m mern aufgelöst worden war. § 1 bestimmte als Grundsatz 73 , daß i m Falle der Auflösung beider Kammern Gesetzentwürfe, die i n keiner von beiden abschließend beraten worden waren, als erledigt angesehen und entsprechend formell neu eingebracht werden mußten. Jede der neuen Kammern blieb jedoch ohne erneute Vorlage m i t den Entwürfen befaßt, die vor der Auflösung von der jeweils anderen Kammer bereits verabschiedet und nur von ihr selbst noch nicht angenommen oder verworfen worden waren. I m Falle der Auflösung nur einer Kammer wurden die bei dieser Kammer eingebrachten, aber von ihr vor der Auflösung noch nicht angenommenen Vorlagen ebenfalls als erledigt gewertet; sie blieb jedoch auch nach der Neuwahl ohne erneute Einbringung m i t den Entwürfen befaßt, die von der anderen, nicht aufgelösten Kammer vor der Auflösung bereits verabschiedet worden waren, wie diese andere Kammer jene Vorlagen weiterberaten konnte, die die aufgelöste Kammer vor ihrer Auflösung schon endgültig angenommen hatte. Das Zusammenwirken der drei am Zustandekommen eines Gesetzes beteiligten Staatsorgane w a r damit i n ein ausgewogenes Verhältnis gebracht. Der Grundsatz der Diskontinuität blieb für die Fälle aufrechterhalten, wo vor der Auflösung überhaupt noch kein endgültiger Beschluß zustandegekommen war. N u r dann mußte der untergegangene Gesetzentwurf noch einmal eingebracht werden, und die Berichte und Diskussionen mußten von vorne beginnen 74 . Beide oder auch nur eine neugewählte Kammer konnten zeitnah und entsprechend den neuen oder auch nur bestätigten Mehrheitsverhältnissen ihre Entscheidung darüber treffen. War dagegen i n einer der beiden Kammern bereits endgültig Be71

Errera (Anm. 57) S. 104 f. L o i relative aux effets de la dissolution des Chambres à l'égard des projets de l o i antérieurement déposés, Recueil des Lois et Arrêtés royaux de Belgique 1893 Nr. 90, S. 596 ff. Vgl. auch Hilf (Anm. 62) S. 744 f. 73 Vgl. auch Errera (Anm. 57) S. 105. 74 So auch Errera (Anm. 57) S. 105, bei dem allerdings diese Besonderheit nicht scharf genug herausgestellt w i r d . 72

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schluß gefaßt worden, stellte dieser Beschluß ein Faktum dar, das ein Eigenleben genoß und durch eine Auflösung nicht berührt wurde. Damit war vor allem der Krone das M i t t e l genommen, i m Wege der Anordnung einer Auflösung unliebsame, wenn auch nur durch eine Kammer gefaßte Gesetzesbeschlüsse zu beseitigen 75 . Die auch i m deutschen konstitutionellen Staatsrecht wichtige Frage, ob der Gesetzesbeschluß der Vertretungskörperschaft bzw. beider Kammern des Parlaments und die Sanktion durch den Monarchen bzw. das Staatsoberhaupt nur innerhalb derselben Legislaturperiode oder sogar derselben Session ergehen könne 7 6 , hatte i n Belgien zwar eine negative A n t w o r t gefunden: die Auffassung hatte sich durchgesetzt, daß nach der Verfassung die drei an der Gesetzgebung beteiligten Organe — die beiden Kammern und der König gemäß A r t . 26 der Verfassung — nicht gleichzeitig zu handeln brauchten 77 . Da die Sitzungs- oder sogar die regelmäßig wiederkehrende Wahlperiode aber unter den Bedingungen des belgischen Verfassungsrechts keine Rolle spielen konnte, w a r die Diskontinuität bzw. Kontinuität einmal gefaßter Beschlüsse hier von ganz anderen Grundsätzen getragen, die — so paradox dies klingen mag — eher dem englischen Vorbild entsprachen, das bei entgegengesetzten Voraussetzungen auch zu entgegengesetzten Beschlüssen kommen mußte 7 8 . Als Herrschaftsinstrument i n der Hand der Regierung konnte die Diskontinuität i n der dem Königreich Belgien eigenen Form jedenfalls nicht gewertet werden; sie war allenfalls ein natürliches M i t t e l zur Bereinigung der parlamentarischen Szene bei vollständiger Neubesetzung einer oder beider Kammern des Parlaments 79 . Auch i n Frankreich, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts die theoretischen wie praktischen Grundlagen für die Übernahme und Transformierung des aus England überlieferten Diskontinuitätsprinzips geliefert hatte 8 0 , verlief die Entwicklung anders als i m deutschen Konstitutionalismus. Uber die verschiedenen Phasen und Erscheinungsformen der Herrschaftsstruktur und des Verfassungssystems hinweg blieb zwar die Unterteilung der vierjährigen Legislaturperiode i n Sessionen, also die Periodizität der Tätigkeit des Parlaments innerhalb der Periodizität seiner Legitimation erhalten, wandelte aber ihren Charakter von einer eher w i l l k ü r l i c h gesetzten zu einer stärker rational bestimmten Gliederung der Arbeit der Deputiertenkammer. Selbst bei Ubergang zur 75 Hilf (Anm. 62) S. 751 u n d die dort Fn. 45 zitierte Feststellung des Senators Limpens. 76 Vgl. oben § 14. 77 Hilf (Anm. 62) S. 751 u n d der dort Fn. 44 zitierte Debattenbeitrag des Abgeordneten Le Jeune. 78 Vgl. unten § 18. 79 Uber spätere Ansätze zur Durchbrechung bzw. Umgehung vgl. unten § 31. 80 Vgl. oben § 5.

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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Republik behielt der Präsident der Republik als Staatsoberhaupt das Recht, die beiden Kammern, und zwar jeweils beide gleichzeitig, zu berufen, zu vertagen und zu schließen. Er konnte die Kammer der A b geordneten ferner durch Dekret auf zustimmendes Gutachten des Senats auflösen, was Neuwahlen zur Folge hatte 8 1 ; der Senat selbst war unauflöslich und wurde deshalb nie i m Ganzen neu besetzt 82 . Diese Einflußnahme auf den Tätigkeitsrhythmus des Parlaments wurde jedoch durch die Verfassungsbestimmung eingeschränkt, daß die jährliche ordentliche Session am zweiten Dienstag i m Januar jedes Jahres von Rechts wegen ohne besondere Berufung beginnen und mindestens fünf Monate dauern mußte 8 3 , es sei denn, die Deputiertenkammer wäre vorher aufgelöst worden. Diesem — normalen — Zusammentritt gingen Einberufungsschreiben der geschäftsführenden Vorsitzenden der beiden Kammern voraus. Der Präsident der Republik hatte zwar das Recht, den Beginn vorzuverlegen, nicht aber, ihn zu verzögern 84 ; während der Session konnte er von seinem Vertagungsrecht, aber erst nach Ablauf der fünf Monate und bei von i h m einberufenen außerordentlichen Sessionen auch von seinem Schließungsrecht Gebrauch machen, was zur Folge hatte, daß jede Versammlung der einen oder anderen Kammer, die außerhalb der Zeit der gewöhnlichen Sitzungsperiode stattgefunden hätte, als unstatthaft und von Rechts wegen nichtig angesehen wurde 8 5 . A u f diese Weise war zwar eine Permanenz der Kammern, wie sie bereits 1789 diskutiert 8 6 wurde und von einigen Vertretern der radikalen Partei gern 1875 i n Frankreich eingeführt worden wäre, ausgeschlossen, aber die Verfassung hatte damit keineswegs die Durchbrechung des Zusammenhangs der Sessionen innerhalb einer Wahlperiode angeordnet 87 . Schon am 31. Dezember 1832 hatte die Deputiertenkammer durch Beschluß festgelegt, daß i n einer Session begonnene Arbeiten i n der folgenden fortgesetzt bzw. wiederaufgenommen werden könnten 8 8 . Das 81

Lebon, Das Staatsrecht der französischen Republik, S. 60. Lebon, Das Verfassungsrecht der französischen Republik, S. 122. 83 § 1 Abs. 2 des Verfassungsgesetzes v o m 16. J u l i 1875; vgl. auch Lebon (Anm. 81) S. 60; ders. (Anm. 82) S. 96. 84 § 1 Abs. 1 des Verfassungsgesetzes v o m 16. J u l i 1875. Vgl. auch Lebon (Anm. 81) S. 96; Pierre, Traité de droit politique, électoral et parlementaire, S. 553. 85 Lebon (Anm. 81) S. 60. Ä h n l i c h Pierre (Anm. 84) S. 551. Eine Ausnahme bildeten weiter die Sitzungen des Senats i n seiner Eigenschaft als Gerichtshof. 86 Pierre (Anm. 84) S. 549 ff.; vgl. auch oben § 5. 87 Lebon (Anm. 81) S. 61. 88 „Les travaux législatifs commencés à une session pourront, à la session suivante, être repris dans l'état où ils sont restés." Vgl. Matter, L a dissolution des assemblées parlementaires, S. 36; Kieschke, Die rechtlichen Voraussetzungen u n d W i r k u n g e n der Vertagung, Schließung u n d Auflösung des deutschen Reichstags, S. 40 Fn. 2. 82

§ 17 I n anderen kontinentaleuropäischen Staaten

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darin zum Ausdruck kommende Verständnis von der W i r k u n g des Sessionsendes wurde unter der Republik zur Regel. Die Periodizität der Sitzungsperioden w i r k t e sich nur noch insoweit aus, als das endgültige Präsidium jeder der beiden Kammern alljährlich zu Beginn der ordentlichen Session „ f ü r die ganze Dauer dieser Session und für etwaige außerordentliche Sessionen, welche vor der nächsten ordentlichen stattfinden sollten", gewählt wurde 8 9 . Die Kommissionen der Kammern arbeiteten dann auch häufig während der „Zwischenperioden" 90 ; auch entsprach der lediglich i n Teilen erhaltenen Organ-Diskontinuität keine sachliche Diskontinuität mehr. Hatten sich die Kammern während einer Session nicht über Inhalt und Wortlaut eines Gesetzes einigen können, „verjährten" die Arbeiten durch den Schluß der Session trotzdem nicht 9 1 ; ein i n einer Session vorgelegter Entwurf wurde keineswegs als erledigt betrachtet, wenn bezüglich seiner nicht endgültig vor dem Schluß der Tagung entschieden worden w a r 9 2 . Alle nicht endgültig angenommenen Gesetzesentwürfe und -vorlagen wurden erst hinfällig, „falls die Deputiertenkammer i m Ganzen neu beschickt werden soll, gleichgültig ob infolge einer Auflösung oder der sich vier jährlich wiederholenden Neuwahlen" 9 3 . Wollte die neue Kammer diese Projekte wieder aufnehmen, „so hatte sie dabei den üblichen Weg der parlamentarischen Prozedur von vorneherein einzuschlagen" 94 . Bereits bei Ubergang zur Republik hatte Frankreich also die sachliche Diskontinuität der Sessionen aufgegeben und nur noch die Diskontinuität der Legislaturperiode beibehalten 95 . Aber auch das Ende der Legislaturperiode, d. h. das Ende der Vollmachten einer Abgeordnetenkammer schadete „durchaus nicht allen Arbeiten, welche diese Kammer zu Stande gebracht und worüber der Senat sich noch nicht erklärt" hatte 9 6 . Man unterschied zunächst zwischen den der Initiative der Regierung entstammenden und den aus der Initiative des Parlaments herrührenden Entwürfen. Nur die letzteren fielen weg, wenn sie vor dem Senat noch nicht Gegenstand eines Berichts geworden waren, während der Senat mit den ersteren befaßt blieb, selbst wenn es noch nicht über sie zur 89 §11 Abs. 1 des Verfassungsgesetzes v o m 16. J u l i 1875; vgl. Lebon (Anm. 82) S. 98. 90 Lebon (Anm. 81) S. 61. 91 Lebon (Anm. 82) S. 122. 92 Lebon (Anm. 81) S. 61. 93 Lebon (Anm. 82) S. 122. 94 Lebon (Anm. 82) S. 122. 95 Jellinek (Anm. 12) S. 346 Fn. 1; Wolfensberger (Anm. 52) S. 80; Lafferière, Manuel de D r o i t constitutionnel, S. 744; Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 12. Unrichtig deshalb Kieschke (Anm. 88) S. 40, der davon spricht, eine Ausnahme habe „eine Zeitlang n u r Frankreich" gemacht. 98 Lebon (Anm. 81) S. 61.

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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Berichterstattung gekommen w a r 9 7 . Durch Änderung des § 127 seiner Geschäftsordnung am 10. Dezember 1894 beseitigte der Senat diese unterschiedliche Behandlung von Regierungsvorlagen und Initiativentwürfen aus der Mitte der Kammer: von der Wahlkammer beschlossene Gesetze konnten auch nach Beendigung der Legislaturperiode durch Fristablauf oder Auflösung noch i m Senat abschließend behandelt und i n K r a f t gesetzt werden 9 8 . Auch die Diskontinuität der Legislaturperioden beschränkte sich i n Frankreich damit auf den eigentlich parlamentarischen Bereich. N u r was dort nicht endgültig erledigt worden war, verfiel m i t dem Fortfall der Legitimation der Abgeordneten; bereits gefaßte Beschlüsse behielten dagegen ihr Eigenleben und w i r k t e n fort 9 9 . Hier w a r also, angepaßt an die eigene Verfassungsstruktur, eine Lösung gefunden worden, die sich von dem englischen Verfahren grundlegend unterschied 100 und auch nicht m i t den Forderungen übereinstimmte, die i m deutschen Kaiserreich erhoben wurden 1 0 1 . Aus der republikanischen Staatsform ableitbar, von den besonderen Bedingungen eines echten Zweikammersystems geprägt und ohne den Druck des monarchischen Prinzips m i t seiner Betonung der Sessionen hatte sie aber eine eigene Logik für sich. Die französische Entwicklung der Aufgabe der Diskontinuität der Sessionen zugunsten einer solchen der Legislaturperioden wurde ähnlich auch i n Spanien vollzogen. Die fünfjährige Legislaturperiode der Cortes, die nach der Verfassung alljährlich berufen werden mußten, war zwar i n Sitzungsperioden gegliedert, die vom König eröffnet und geschlossen wurden, und wies damit eigene Periodizitäten auf. Wenn in einer Session ein Gesetzentwurf oder sonstiger Antrag i n der Schwebe blieb, 97

Lebon (Anm. 81) S. 61; ders. (Anm. 82) S. 122; Pierre (Anm. 84) S. 81. „Die aus der parlamentarischen I n i t i a t i v e hervorgehenden Gesetzentwürfe, die durch die Deputiertenkammer angenommen u n d v o m Präsidenten dieser K a m m e r dem Senatspräsidenten eingereicht worden sind, werden gemäß den für die Regierungsvorlagen geltenden Regeln behandelt, u n d u n t e r liegen der Prüfung seitens des Senates selbst nach der Neubesetzung der Deputiertenkammer" ; vgl. Lebon (Anm. 82) S. 122. 99 Vgl. den A n t w o r t b r i e f des Generalsekretärs der Deputiertenkammer auf eine entsprechende, der Vorbereitung des Gesetzes von 1893 dienende A n frage seines belgischen Kollegen v o m 17. Dezember 1892, i n vollem W o r t l a u t abgedruckt bei Pierre (Anm. 84) S. 836 f. Dort ist auch noch einmal auf die belgische Regelung hingewiesen, allerdings unter Angabe einer unrichtigen Jahreszahl. Nicht erwähnt ist bei Pierre dagegen die 1903 vorgenommene Änderung der Geschäftsordnung der Deputiertenkammer, die eine gewisse Auflockerung der Diskontinuität zugunsten der Übernahme bereits geleisteter Ausschußarbeit brachte; obwohl das G r u n d w e r k schon 1908 erschien, b r i n g t erst der Ergänzungsband v o n 1924 einen Hinweis darauf; vgl. auch unten § 31. 100 Vgl. dazu unten § 18. 101 Vgl. oben § 15. 98

§ 17 In anderen kontinentaleuropäischen Staaten

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konnte die Regierung oder ein Abgeordneter dieselben i n der folgenden Session aber wieder zur Sprache bringen. Dann wurde die Prüfung oder Arbeit daran an dem Punkte, an dem sie verblieben waren, fortgesetzt. War jedoch die Legislaturperiode beendet, so galten die Verhandlungen über alle schwebenden Angelegenheiten als geschlossen102. Die Diskontinuität war also, wie Wolfensberger es ausgedrückt hat, „eine natürliche, ungezwungene" 1 0 3 und stellte auf die Legitimation durch die Wahl ab. Obwohl Spanien eine konstitutionelle Monarchie war, fehlte es der sachlichen Diskontinuität hier an der einseitigen Interpretation als Machtmittel der Krone zur Beschränkung der Tätigkeit des Parlaments. Ein davon vollkommen verschiedenes B i l d wies von Anfang an das Verfassungsrecht der Schweiz auf. Bewußt als republikanischer Bundesstaat konstruiert, hätte hier eine durch Partialerneuerung gewährleistete Permanenz zumindest des Nationalrates i n der aus Nationalrat und Ständerat bestehenden Bundesversammlung nahegelegen. Die Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft ordnete i n A r t . 76 aber ausdrücklich an, daß „jeweilen Gesamterneuerung" stattzufinden habe 1 0 4 . Auch während der so geschaffenen dreijährigen Wahlperiode, i n der Schweiz Legislatur genannt, tagte die Bundesversammlung jedoch nicht ununterbrochen, sondern i n jährlichen Sessionen von verhältnismäßig kurzer Dauer, für die eine Minimal- oder Maximalfrist gesetzlich nicht festgelegt war, die sich vielmehr nach dem Arbeitsanfall richteten. Je nach den zu behandelnden Gegenständen wurde die voraussichtliche Dauer von der Präsidentenkonferenz und dem Bureau des Ständerates vorher abgeschätzt und von den Räten zu Beginn jeder Session daraufhin festgesetzt 105 . Ursprünglich begann die ordentliche jährliche Session i m Sommer und dauerte einen Monat. U m die Beratung des Budgets zu erleichtern, beschlossen die Räte aber am 22. Dezember 1863, beginnend mit dem ersten Montag i m Dezember jeweils eine zweite Sitzung als Fortsetzung der ordentlichen Junisession anzusetzen, eine Übung, die am 23. J u l i 1867 zum Beschluß erhoben wurde 1 0 6 . A m 17. Dezember 1873 erfuhr dieser Beschluß insoweit eine Modifizierung, als die entsprechende Bestimmung dahin geändert wurde, daß die ordentliche Session i n Zukunft i n zwei Perioden oder Abteilungen abzuhalten und gleichzeitig der Beginn auf den Monat Juni vorzuverlegen sei; beide Räte hatten sich dazu am ersten Montag i m Juni zur ersten Abteilung und am ersten Montag i m Dezem102

Posada, Spanisches Staatsrecht, S. 118. Wolfensberger (Anm. 52) S. 81. 104 Vgl. auch Beiz (Anm. 95) S. 53 Fn. 17. 105 Cron, Die Geschäftsordnung der Schweizerischen Bundesversammlung, S. 75. 106 Cron (Anm. 105) S. 73 f. 103

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II. . Kap. : Diskontinuität im

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ber zur zweiten Abteilung zu versammeln 1 0 7 . I n späterer Zeit erfolgten m i t zunehmender Regelmäßigkeit Fortsetzungen dieser Sitzungsabschnitte jeweils i m September/Oktober und i m März/April 1 0 8 . Da jedoch die Neuwahlen zum Nationalrat schon bzw. erst am ersten Sonntag i m Oktober stattfanden und das Mandat des alten Rats am immittelbar vorangehenden Sonntag beendet war, fiel der Beginn der parlamentarischen Tätigkeit i n die Mitte der Session. Der neugewählte Nationalrat begann deshalb seine Arbeit praktisch m i t der Restsession der vorangegangenen Legislatur, hatte dann zwei volle Jahressessionen vor sich und schloß m i t einer vierten Session von wiederum nur sechs Monaten. Die Inkonsequenz, die darin lag, wurde schließlich 1902 beseitigt, indem der Beginn der ersten Abteilung der ordentlichen Session auf den ersten Montag i m Dezember, der der zweiten auf den ersten Montag i m Juni des folgenden Jahres festgelegt wurde 1 0 9 . Die Festsetzung des endgültigen Sitzungsschlusses war Gegenstand einer Entscheidung, die gegen Ende der vorher i n etwa ins Auge gefaßten Dauer und unter Abwägung der noch zu erledigenden Arbeiten unter Federführung des Nationalrates zu treffen war. Mußte ein Tag bestimmt werden, der wesentlich über der ursprünglich genehmigten Zeit lag, war ein förmlicher Beschluß über die Verlängerung der Session — oder richtiger: der Abteilung — erforderlich 1 1 0 . Die Schließung einer Session durch übereinstimmenden Beschluß beider Räte erfolgte i m allgemeinen erst, wenn die Geschäfte des betreffenden Tagungsabschnittes erledigt waren; die Sessionen konnten jedoch auch bereits schließen, wenn eine Angelegenheit noch nicht zu Ende beraten war. A u f diesen Schluß wie auf eine mögliche Vertagung hatte der Bundesrat als Regierung keinen Einfluß. Ebensowenig wie er die Bundesversammlung auflösen konnte, konnte er auf deren Tätigkeitsperioden durch Vertagung einwirken. Ihre Vertagung am Schluß einer ordentlichen oder außerordentlichen Session konnten nur die Räte selbst durch übereinstimmenden Beschluß aussprechen; von dieser Vertagung, die praktisch ein Auseinandergehen bis zur Fortsetzung der Arbeit i n der nächsten Session oder Abteilung bedeutete, war die ebenfalls nur von den Räten selbst zu beschließende Unterbrechung zu unterscheiden, unter der die Selbstvertagung auf kürzere Zeit nach dem Vorbild i n anderen Staaten verstanden wurde 1 1 1 .

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Cron (Anm. 105) S. 74. Cron (Anm. 105) S. 79. Vgl. dort auch zur — juristisch ungenauen — Bezeichnung derartiger Fortsetzungen als Herbst- bzw. Frühjahrssession. 109 Cron (Anm. 105) S. 74 u n d die dort zitierten Nachweise. 110 Cron (Anm. 105) S. 75. 111 Cron (Anm. 105) S. 77. 108

§ 18 In England und den USA

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Bereits diese Entwicklung zeigt, daß die Session nicht als gewillkürter, von außen herbeigeführter Einschnitt i n der Tätigkeit der Bundesversammlung gewertet werden konnte. Ihre Beendigung schloß zwar alle Handlungen des parlamentarischen Lebens; auch mußte zu Beginn jeder neuen Session der Präsident beider Räte neu gewählt werden. Die Kontinuität der Geschäfte wurde durch den Sessionsschluß aber nicht unterbrochen: i n der folgenden Session konnte die Beratung eines nicht abgeschlossenen Gegenstandes ohne weiteres fortgesetzt werden. Selbst über die Legislaturperiode hinaus wurde von Kontinuität, nicht Diskontinuität ausgegangen, „ w e i l der alte und neue Nationalrat rechtlich identisch sind und zudem eine wesentlich verschiedene Behandlung desselben Gegenstandes vom neuen Rat nicht anzunehmen i s t " 1 1 2 . Die i n Frankreich und anderen Staaten m i t demokratisch-repräsentativer Verfassung als der entscheidende Einschnitt empfundene Legitimationserneuerung durch die Wahl der Mitglieder der Vertretungskörperschaft trat i n der Schweiz also von Anfang an hinter der Kontinuität der Institution zurück. Die Bundesversammlung als Verfassungsorgan wurde höher bewertet als ihre Eigenschaft als Körperschaft, deren politische Substanz von Wahlperiode zu Wahlperiode neu legitimiert werden mußte 1 1 3 . § 18 Die Handhabung der Diskontinuität in England und den USA Als Ergebnis einer sich über mehrere Jahrhunderte hinziehenden Entwicklung entstanden, das von der Ausformung der Institution Parlament untrennbar ist 1 1 4 , wurde die Gliederung des Arbeitsrhythmus des Parlaments i n Sessionen als geschlossene Handlungseinheiten und das durch Prorogation herbeigeführte Sessionsende m i t der Folge des grundsätzlichen Untergangs aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beratenen und m i t dem royal assent versehenen Gesetzgebungsvorhaben i n England ebensowenig verfassungsrechtlich oder i n sonstiger Weise normiert wie die meisten anderen, die Verfassungsstruktur Großbritanniens kennzeichnenden Prinzipien. Die m i t dem Sessionsende eintretende Diskontinuität der Parlamentsarbeit ist vielmehr dem Kreis der „constitutional conventions" zuzurechnen 115 , die als ungeschriebene po112 Cron (Anm. 105) S. 75. Vgl. auch Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 487, u n d Beiz (Anm. 95) S. 53 Fn. 17. 113 Vgl. dazu die lakonische Begründung v o n Cron (Anm. 105) S. 75: „Die persönliche u n d politische Zusammensetzung ist seitens der W a h l weitgehend sichergestellt." Z u der damit berührten Grundfrage bei der Bewertung des Grundsatzes der Diskontinuität i n der parlamentarischen Demokratie vgl. unten § 29. 114 Vgl. oben § 4. 115 So auch Beiz (Anm. 95) S. 9. Ä h n l i c h auch Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1. Teil, S. 15, obwohl er von einem anderen

12 Jekewitz

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II. 5. Kap.: Diskontinuität im Ausland

litische Regeln sowohl Quelle als auch Gegenstand des materiellen Verfassungsrechts Englands bilden und die Zuordnung der einzelnen Verfassungsorgane zueinander und ihre politischen Verhaltensweisen bestimmen 1 1 6 . Da derartige Konventionairegeln mangels einer geschriebenen Verfassung nicht neben eine oder nur komplementär und subsidiär zu einer Verfassung treten, sind sie zugleich höherrangig und flexibler als Verfassungsbräuche oder Verfassungsgewohnheitsrecht i m kontinentaleuropäischen Raum. I h r Geltungsbereich und ihre Geltungskraft hängen von der politischen Zweckmäßigkeit ab; verliert eine constitutional Convention ihre politische Nützlichkeit, w i r d sie aufgegeben, modifiziert oder durch eine andere ersetzt 117 . I n ihrer Gesamtheit ergeben sie erst — ergänzt durch das gesetzte Recht — die Verfassungsordnung Großbritanniens als dynamische Einheit. Diesen constitutional conventions verdankte England die Umwandlung der zum Absolutismus tendierenden Herrschaft der Stuarts i n die konstitutionell beschränkte Monarchie i m 18. Jahrhundert und, nachfolgend i m 19. Jahrhundert, die Ablösung dieser durch die parlamentarische Demokratie i n der Gestalt der Kabinettsregierung 1 1 8 bei äußerer Beibehaltung der Monarchie. Sie waren und sind das eigentliche Vehikel der Verfassungswandlung und ersetzen somit, soweit dies staatstheoretisch möglich ist, die Verfassungsänderung 119 . A u f dem Wege zur repräsentativen Demokratie wurden die constitutional conventions abgestoßen, die dieser Entwicklung entgegenstanden, und neue an ihre Stelle gesetzt. Da die Diskontinuität i n England zu keiner Zeit als ein M i t t e l zur Beschränkung der Rechte des Parlaments verstanden worden war, sondern sich aus der Vorstellung entwickelte, daß jede Session eine i n sich geschlossene Arbeitsperiode des Parlaments darstellt 1 2 0 , wurde sie von diesem Wandlungsprozeß nicht betroffen. Als Instrument der rationellen Gestaltung der Parlamentsarbeit, vor allem aber als Ausdruck der Begriff der Konventionairegei ausgeht; vgl. ders., Konventionalregeln oder über die Grenzen naturwissenschaftlicher Begriffsbildung i m öffentlichen Recht, i n : JöR Bd. 3 (1909) S. 1 ff. 116 Z u Begriff u n d I n h a l t vgl. Loewenstein, Der britische Parlamentarismus, S. 9 f., 93 f., u n d ders., Staatsrecht u n d Staatspraxis von Großbritannien, Bd. I S. 52 ff., sowie Taswell/Langmead, English Constitutional History, S. 597. Nach Georg Jellinek, Verfassungsänderung u n d Verfassungswandlung, S. 29, bilden die Konventionalregeln i n ihrer Gesamtheit eine politische Ethik, deren Gebote streng befolgt werden u n d befolgt werden müssen, u n d die damit w e i t über das Rechtsgebiet hinausreicht. 117 Loewenstein, Staatsrecht u n d Staatspraxis i n Großbritannien, Bd. I S. 53. 118 Loewenstein (Anm. 117) S. 54. 119 Loewenstein (Anm. 117) S. 54. 120 Beiz (Anm. 95) S. 9 f. gegen Hatschek, Englisches Staatsrecht, Bd. 1 S. 357; vgl. auch oben § 4 a. E.

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i m „ k i n g i n Parliament" verkörperten Parlamentssouveränität 121 überdauerte sie vielmehr die aufgezeigte Entwicklung und wurde auch dann noch als sinnvoll empfunden und beibehalten, als die ausschlaggebende politische K r a f t längst das aus der Parlamentsmehrheit i m House of Commons stammende Kabinett des Premierministers und aus dem royal assent zu von dieser Mehrheit beschlossenen Gesetzen ein Formalakt geworden w a r 1 2 2 . Die Parlamentsreformen des 19. Jahrhunderts betrafen i n erster Linie Wahl und Zusammensetzung des Unterhauses sowie das Verhältnis der beiden Häuser des Parlaments zueinander 123 und hoben bei Fortgeltung der alten Bestimmungen die dominierende Stellung der Commons hervor. So wurde die seit 1716 durch den Septennial Act festgesetzte Legislaturperiode des Unterhauses erst 1911 auf fünf Jahre verkürzt. A n die Stelle der trotz immer wieder erneuerter Festlegungen auf jährliche Parlamente unregelmäßigen Einberufungen trat aber jetzt ein fester Rhythmus, der durch das nur von Jahr zu Jahr bewilligte stehende Heer und die auf ein Jahr beschränkte Geltungsdauer der Bewilligung von Finanzmitteln an die Krone bzw. die königliche Regierung bestimmt w a r 1 2 4 . Das Parlament mußte mindestens einmal jährlich zu einer Session zusammentreten, u m die Fortdauer des mutiny act bzw. die Verabschiedung des Budgets sicherzustellen. Äußerlich wurde auch hier an dem ursprünglich der Krone obliegenden und einen Teil der königlichen Prärogative darstellenden Verfahren festgehalten. Noch nach der Jahrhundertwende betonten englische wie deutsche Staatsrechtler i n Darstellungen des englischen Verfassungs121 Vgl. dazu Maitland, The Constitutional History of England, S. 297 ff.; Loewenstein (Anm. 117) S. 61 ff. 122 Nach der Verweigerung der Zustimmung durch K ö n i g i n Anne 1707 zur Scotch M i l i t i a B i l l hatte k e i n Monarch mehr v o n dem formell nie aufgehobenen Recht der Zustimmungsverweigerung Gebrauch gemacht; daraus entstand dann eben eine constitutional convention. Vgl. Taswell/Langmead, English Constitutional History, S. 642 f.; Maitland (Anm. 121) S. 398; Fischel , Die Verfassung Englands S. 439, 481 f.; Loewenstein (Anm. 117) S. 55. Trotzdem nahm noch i n der M i t t e des 19. Jahrhunderts die Erläuterung der Sanktionserteilung i n deutschen Darstellungen des englischen Verfassungsrechts einen breiten Raum ein; vgl. etwa Fischel S. 439. Fischel spricht dann auch von einem „ V e r f a l l des Vetos", S. 481. Z u r Bewertung dieses Vorganges i m Gesamtzusammenhang der europäischen Verfassungsentwicklung vgl. Jellinek (Anm. 116) S. 34 ff. Jellinek leugnet allerdings, daß durch konstante Nichtausübung einer staatlichen Machtbefugnis eine Verfassungswandlung eintreten könne; er bewegt sich damit auf einer Argumentationslinie m i t dem Staatssekretär des Innern, Graf von Posadow sky- Wehner, vor dem deutschen Reichstag i n der Debatte über die Ausübung des kaiserlichen Rechts zur Schließung des Parlaments, vgl. oben § 15. 123 Vgl. dazu statt vieler Maitland (Anm. 121) S. 351 ff.; Taswell/Langmead (Anm. 122) S. 560 ff. 124 Maitland (Anm. 121) S. 374.

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rechts, daß „Zusammenberufung und Auflösung des Parlaments und die Eröffnung und der Schluß seiner Sitzungsperioden . . . Sache der Krone allein (sei), und die einzige gesetzliche Beschränkung des freien Ermessens des Souveräns hierbei . . . i n dem Gesetz des Königs Wilhelm und der Königin Maria (liege), das bestimmt, daß ein neues Parlament binnen drei Jahren nach der Auflösung zusammengerufen werden soll" 1 2 5 . I n Wirklichkeit erfolgten Einberufung des Hauses wie Beendigung seiner Tätigkeit aber nur noch formell durch den Monarchen. Dem von diesem verfügten feierlichen A k t lag schon damals eine Entscheidung der Regierung bzw. des Premierministers zugrunde; Prorogation wie A u f lösung waren nur noch äußerlich Ausdruck königlicher Prärogative. A n den Inhalten und Folgen hatte sich aber nichts geändert. Das adjournment — die Vertagung — konnte weiter von jedem Haus des Parlaments, d. h. von der Mehrheit, die i m Unterhaus m i t der Regierung identisch war, selbst beschlossen werden und hatte lediglich die Wirkung einer Unterbrechung der Parlamentsgeschäfte 126 . Die Prorogation beendete dagegen rechtskräftig die Tätigkeit beider Häuser und war damit „das regelmäßige Mittel, durch welches eine Session des Parlaments zum Abschluß gebracht w u r d e " 1 2 7 . Ihre unmittelbare Wirkung blieb damit „Aufhören der Sitzungen, Erlöschen der vom Hause seinen Ausschüssen gegebenen Vollmachten, Nichtigkeit aller bis dahin unternommenen legislativen Stadien einer Bill, die noch nicht beide Häuser passiert" hatte 1 2 8 . Entsprechend dem daneben weiter beibehaltenen Charakter des Parlaments als Gerichtshof blieben etwaige „impeachments" i m Unterhaus, also Ministeranklagen, sowie i m Oberhaus abhängige „appeals" von dem Sessionsschluß unberührt 1 2 9 . Die Auflösung des Parlaments, die i n früheren Jahrhunderten oft durch den Souverän den ins Oberhaus beschiedenen Commons persönlich angekündigt worden war, was seit 1681 nur noch einmal, nämlich 1818 durch den Prinzregenten für George III., geschah 130 , hatte demgegenüber nur die weitere Folge, daß Neuwahlen erfolgen mußten. Sie blieb das Instrument, auch bei ordnungsmäßidem Ablauf der Legislaturperiode die Voraussetzungen für die Neuzusammensetzung des Unterhauses herbeizuführen. Der gewöhnliche Vorgang war der, daß das Parlament prorogiert und kurz darauf durch Proklamation aufgelöst, das neue House of Commons gleichzeitig einbe125 Lowell , Die englische Verfassung, S. 228. Ä h n l i c h auch Redlich, Recht u n d Technik des Englischen Parlamentarismus, S. 320, obwohl er den Formalcharakter bereits durchklingen läßt. 126 Vgl. oben § 4. 127 Redlich (Anm. 125) S. 321 f. 128 Redlich (Anm. 125) S. 322. 129 Redlich (Anm. 125) S. 322. 130 Redlich (Anm. 125) S. 321.

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rufen wurde 1 3 1 . Das tatsächliche Auslaxifen der sieben-, seit 1911 fünfjährigen Wahlperiode m i t dem automatischen Ende der Legitimation der Unterhausmitglieder blieb i n England ohne praktische Bedeutung. Wie L o w e l l 1 3 2 es plastisch ausdrückte, starb „das Parlament niemals eines natürlichen Todes, und wenn i h m der Lebensfaden nicht schon früher abgeschnitten wird, so greift die Auflösung kurz vor dem Ablauf der sieben Jahre Platz". Die Verlagerung der Entscheidung über adjournment, prorogation und dissolution auf das Kabinett bei äußerlicher Beibehaltung der Verkündung der Anwendung der beiden letzteren Instrumente durch die Krone führte natürlich politisch zu einem Bedeutungswandel. Die Regierung, die sich darüber klar war, daß sie ihre Vorlagen während der laufenden Sitzimgsperiode nicht durchbringen konnte, und sie doch nicht fallen lassen wollte, konnte gegebenenfalls zu einer Vertagung statt zum Sessionsschluß greifen 1 3 3 . Insoweit ähnelte ihre Stellung der des Monarchen i n den deutschen konstitutionellen Staaten bzw. des Reichskanzlers i m Deutschen Kaiserreich; von daher konnte — wenn auch unter Verzeichnung der tatsächlichen Machtverhältnisse — die deutsche konstitutionelle Staatslehre sich auf das englische Vorbild berufen. A u f einen wesentlichen Unterschied machten aber auch englische Darstellungen aufmerksam, wenn sie darauf hinwiesen, daß „der Wert der Norm, daß der Sessionsschluß sämtliche Vorlagen zu Grabe trägt, die nicht alle ihre Stationen i n beiden Häusern durchlaufen haben, . . . beim (englischen) Parlament nicht so klar ersichtlich (ist) wie bei gesetzgebenden Körperschaften, i n denen eine große Menge Gesetzesvorlagen von unverantwortlichen Mitgliedern eingebracht w i r d " 1 3 4 . Die Diskrepanz zwischen der Fülle gesetzgeberischer Aufgaben i n einem i n der Industrialisierung begriffenen Staat und dem tatsächlichen Arbeitsrhythmus der zur Bewältigung dieser Aufgaben berufenen K ö r perschaft 135 mußte deshalb unter einem anderen Blickwinkel als i n den 131

Redlich (Anm. 125) S. 321; Lowell 132 (Anm. 125) S. 228.

(Anm. 125) S. 228.

133 Lowell (Anm. 125) S. 229 u n d die dort genannten Beispiele aus den Jahren 1902 u n d 1906. 134 Lowell (Anm. 125) S. 229, der zur Begründung fortfährt: „ I n derartigen Körperschaften w i r d jenes Prinzip zur Tötung einer großen Masse von Gesetzentwürfen führen, deren Tod keinen Verlust bedeutet, aber für das Parlament g i l t das w e i t weniger. Beinahe alle wichtigen politischen Vorlagen werden jetzt von den M i n i s t e r n eingebracht, u n d alljährlich werden V o r lagen, auf die sie u n d das Haus v i e l Zeit u n d A r b e i t verwandt haben, durch den Sessionsschluß abgewürgt. Eines schönen Tages erhebt sich der Führer des Hauses u n d t e i l t m i t , welche Gesetzentwürfe er aus Mangel an Zeit fallen lassen muß, was m a n gemeinhin die Abschlachtung der Unschuldigen nennt. Diese Zwangslage ist keineswegs glücklich zu nennen." 135 So schon Lowell (Anm. 125) S. 229: „Tatsächlich verbraucht das U n t e r haus so v i e l Zeit zur Debatte über jeden Gesetzentwurf, daß es seine Ge-

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konstitutionellen Monarchien des Kontinents zur K r i t i k an der m i t dem Sessionsende eintretenden Diskontinuität führen. Wenn auch zugegeben wurde, daß „das Haus der Gemeinen weniger an dem Uberfluß gefälliger Gutmütigkeit, das zum wenigsten i n Amerika der Vater vieler unüberlegter und unkluger Gesetze ist", leide, und „der bestehende Grundsatz . . . als ernstes Hindernis für den beharrlichen Abgeordneten (wirke)", der eine besondere Mission zu haben glaubt, und . . . vielleicht alles i n allem mehr schlechte als gute Gesetze" täte 1 3 6 , so erhoben sich doch schon früh Forderungen, von diesem Grundsatz abzugehen 137 . Die i n Frankreich m i t dem Ubergang zur Republik vollzogene 188 und i n Deutschland vereinzelt geforderte 139 Verlagerung der Diskontinuität von dem Sessionsende auf das Ende der Legislaturperiode war dabei wegen der starken historischen Bedeutung der Unterteilung i n Sessionen ausgeschlossen. Andererseits wurde erkannt, daß es jeden vernünftigen Grundes entbehren müsse, wenn der Sessionsschluß aus hierm i t nicht zusammenhängenden Gründen zwingen würde, die Kosten der Einleitung des ganzen Verfahrens erneut zu tragen 1 4 0 . Die englische Verfassungspraxis entwickelte deshalb i m 19. Jahrhundert ein Verfahren, das die grundsätzlich beibehaltene Diskontinuität der Sessionen i n gewissem Umfange zur Disposition des Parlaments stellte 1 4 1 . Ausgangspunkt waren die Private Bills 1 4 2 , also die Einzel- oder Lokalinteressen betreffenden Vorlagen, „auf die das konsequent durchgeführte Prinzip einen ausgesprochenen schädlichen Einfluß gehabt haben w ü r d e " 1 4 3 . Das Parlament, d.h. beide Häuser, konnte i n einem besonderen Beschluß feststellen, daß ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren, das am Ende der Session noch nicht abgeschlossen war, abweichend von der Regel i n der nächsten Session fortgesetzt werden sollte 1 4 4 . Dieses Inderschäfte nur langsam erledigt, und wenn man manchen anderen Volksvertretungen vorwirft, daß sie zu viel Gesetze machen, so macht man dem Parlament den Vorwurf, daß es zu wenige Gesetze mache." Vgl. auch Morrison, 136 Regierung Parlament England, S. 302; Beiz (Anm. 95) S. 9. Lowellu n d(Anm. 125) S.i n229. 187 Phillips, Constitutional and administrative law, S. 104; May, The L a w , Privileges, Proceedings and Usage of Parliament, S. 256 Fn. h. 188 Vgl. oben § 17. 189 Vgl. oben § 15. 140 Lowell (Anm. 125) S. 230. 141 Beiz (Anm. 95) S. 9. 142 Z u m Begriff u n d zur Unterscheidung zwischen private u n d public Bills u n d dem bei ihrer Behandlung angewendeten Verfahren vgl. Lowell (Anm. 125) S. 347 ff.; Campion, A n introduction to the procedure of the House of Commons, S. 109. 148 Lowell (Anm. 125) S. 230. 144 Vgl. dazu Phillips (Anm. 137) S. 104; Campion (Anm. 142) S. 104, 312 f.; May (Anm. 137) S. 959 f.; Hatschek (Anm. 120) S. 361; ders., Das Staatsrecht des Vereinigten Königreichs Großbritannien-Irland, S. 54.

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schwebehalten eines Gesetzes hatte zur Folge, „daß die bereits durchlaufenen Stationen bei Eröffnung der nächsten Sitzungsperiode nur formell wiederholt werden, so daß der Gesetzentwurf tatsächlich wieder i n dem Stadium, das er bereits erreicht hatte, seinen Weitermarsch aufn i m m t " 1 4 5 . Beim Ubergang von einer Session i n die andere wurde dabei jeweils ein besonderer, auf das einzelne Vorhaben bezogener Beschluß für erforderlich erachtet; wo zwischen zwei Sessionen gleichzeitig das Ende der Legislaturperiode lag, der Entwurf also i n einem neuen Parlament wiederaufgenommen bzw. weitergeführt werden sollte, genügte ein Sammelbeschluß für alle i n diesem Stadium befindlichen und für die Weiterberatung vorgesehenen Vorlagen 1 4 6 . Die auf diese Weise ermöglichten Ausnahmen bedeuteten aber noch keine Aufgabe des Grundsatzes als solchem 147 . Abgesehen davon, daß sie nur auf Private Bills und Provisional Order Bills anwendbar waren 1 4 8 und die bedeutsameren Public Bills ausschlossen, handelte es sich jedesmal u m einen ausdrücklichen Beschluß des Hauses, i n dem die Vorlage anhängig war. Wie jeder Beschluß des englischen Parlaments grundsätzlich nur für die Session Gültigkeit hat, i n der er gefaßt wurde 1 4 9 , konnte dadurch auch kein die Verfassung durchbrechender Parlamentsbrauch etwa i m Sinne einer Modifizierung oder gar Umkehrung der betreffenden constitutional convention entwickelt werden, was mangels einer geschriebenen Geschäftsordnung i m kontinentaleuropäischen Sinne vielleicht möglich gewesen wäre. Eine Einfügung einer entsprechenden generellen Ausnahme als Standing Order, also über das Sessionsende hinweg wirksamer Geschäftsordnungsregel i n das Geflecht aus einzelnen Geschäftsordnungsregeln, von den Sprechern entschiedenen Präzedenzfällen und praktischer Erfahrung und Übung, das das englische Parlamentsrecht umschreibt 1 5 0 , scheiterte aber ebenso wie die Regelung einer solchen Ausnahme durch Gesetz, obwohl dazu immer wieder Ansätze unternommen wurden. Entsprechende Vorschläge wurden i m Parlament beraten und sorgfältig i n den Fachausschüssen erwogen 1 5 1 ; aber zahl145

Lowell (Anm. 125) S. 230. Lowell (Anm. 125) S. 230; May (Anm. 137) S. 959 Fn. ο u n d ρ u n d die dort genannten Beispiele. 147 Die Darstellung bei Beiz (Anm. 95) S. 9 ist deshalb zu einseitig. 148 M i t der Port of London B i l l w u r d e 1903 ein einziges M a l auch eine h y b r i d b i l l , d. h. eine Vorlage, die auch Elemente einer public b i l l aufwies, über das Sessionsende hinaus „suspendiert"; vgl. May (Anm. 137) S. 256 Fn. h, 549 Fn. i u n d 960. 149 Campion (Anm. 124) S. 104. Vgl. auch Hatschek (Anm. 144) S. 54, der darauf hinweist, daß deshalb eine special standing order gewählt werden mußte. 150 Vgl. Morrison (Anm. 135) S. 261. 151 May (Anm. 137) S. 256 Fn. h u n d die dort aufgeführten Beispiele. 146

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II. 5. Kap.: Diskontinuität im Ausland

reiche Gesichtspunkte haben die gesetzgebenden Körperschaften davon abgehalten, den Verfassungsgrundsatz, nach dem Verfahren i m Parlament durch eine Prorogation abgebrochen werden, i n Frage zu stellen 1 5 2 . Er galt i n England also auch unter der parlamentarischen Kabinettsregierung weiter, wenn auch m i t anderer Zielrichtung und m i t anderer Rechtfertigung. Durch seine flexible Handhabung bei Private Bills und die strenge Anwendung lediglich bei Public Bills wurde er zu einem Instrument der Kontrolle der Regierung über die i m eigenen Interesse eingebrachten und öffentliche Angelegenheiten regelnden Vorhaben. M i t dem Wegfall des royal assent als materieller Schranke blieb er aus richtig verstandenem Geschichtsbewußtsein ein praktisches M i t t e l der Beschränkung parlamentarischen Wildwuchses und der Konzentration parlamentarischer A r b e i t 1 5 3 . Ähnlich pragmatisch, aber ebenfalls ohne Aufgabe des Grundprinzips entwickelte sich die Handhabung i n den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wohin die Diskontinuität m i t dem gesamten Parlamentsverfahren aus England übernommen worden w a r 1 5 4 . Die Mitglieder des Repräsentantenhauses wurden von Anfang an auf nur zwei Jahre gewählt, der Senat dagegen alle zwei Jahre nur zu einem Drittel erneuert. Die Legislaturperiode des aus Repräsentantenhaus und Senat bestehenden Kongreß war auf diese zwei Jahre beschränkt, da nach der amerikanischen Verfassung m i t dem Ablauf des Mandats der Repräsentanten der Kongreß endet 1 5 5 und eine vorzeitige Auflösung nicht vorgesehen ist. A m 4. März 1789 erstmals begonnen, mußte m i t dem 4. März eines jeden ungeraden Jahres somit eine Legislaturperiode auslaufen. Da der Kongreß von Verfassungswegen mindestens einmal jährlich, und zwar am ersten Montag i m Dezember zusammenzutreten hatte, stand m i t Beginn des Verfassungslebens i n Amerika fest, daß die erste Session eines jeden Kongresses an diesem Tag eines jeden ungeraden Jahres zu eröffnen war. Diese Session konnte längstens bis zum ersten Montag i m Dezember des folgenden Jahres dauern; der Kongreß konnte sie aber selbst durch Beschluß verkürzen, wie er auch durch gemeinsamen Beschluß beider Häuser den Zeitpunkt des nächsten Zusammentritts selbst bestimmen konnte. Erst bei Uneinigkeit oder auch, falls er es aus anderen, von 152 So ausdrücklich May (Anm. 137) S. 256 Fn. h : „ b u t various considerations have restrained the legislature f r o m disturbing the constitutional l a w by which parliamentary proceedings are discontinued b y prorogation". 158 So i m Ansatz richtig Beiz (Anm. 95) S. 9 f. gegen Hatschek (Anm. 120) S. 357. 154 Vgl. ζ. B. die Darstellung bei Jefferson, Handbuch des Parlamentarrechts, S. 232. 155 Freund, Das öffentliche Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, S. 107 Fn. 1; Loewenstein, Verfassungsrecht u n d Verfassungspraxis der V e r einigten Staaten, S. 185; Beiz (Anm. 95) S. 58 Fn. 50.

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der Verfassung vorgesehenen Gründen für notwendig erachtete, eine Sitzung durchführen zu lassen, stand dem Präsidenten der Vereinigten Staaten das Recht zu, den Kongreß oder nur eines der beiden Häuser einzuberufen. Eine solche Einberufung zu einer außerordentlichen Sitzung bedeutete gleichzeitig das Ende einer gegebenenfalls noch laufenden ordentlichen Session. I m allgemeinen währte die erste Session jeder Legislaturperiode aber schon i n den Frühzeiten der Verfassung bis zum August des folgenden Jahres. Die zweite — ordentliche — Session konnte dagegen höchstens vom ersten Montag i m Dezember eines jeden ungeraden Jahres bis zum 4. März des folgenden, geraden Jahres dauern 1 5 6 . Wie i n England i n frühen Zeiten vom „Parliament" und auch i n Deutschland noch unter dem Konstitutionalismus von jedem Landtag oder Reichstag als der zu einer konkreten Sitzung m i t konkreten A u f gaben zusammengetretenen geschlossenen Einheit gesprochen wurde, wurde auch der Kongreß als die auf zwei Jahre bestellte Vertretung der Nation als Einheit angesehen und entsprechend die aufeinanderfolgenden Kongresse m i t Ordnungszahlen gekennzeichnet. Innerhalb eines Kongresses galt jede Session als einzige, fortlaufende Sitzung, solange nicht i n der beschriebenen Weise diese ihr Ende gefunden hatte. Vertagungen auf eigenen Beschluß h i n unterbrachen also nicht die Kontinuität der Geschäfte; aber auch das Sessionsende führte nicht zu einer völligen Vernichtung aller nicht abgeschlossenen Vorlagen, sondern zog nur deren Abbruch nach sich. I m Gegensatz zur englischen Praxis sah die Geschäftsordnung sowohl des Repräsentantenhauses wie des Senats vor, daß sie dort wieder aufgenommen werden konnten, wo sie liegengeblieben waren 1 5 7 , ohne daß sie allerdings von selbst einen Teil der von der wiederzusammengetretenen Versammlung zu behandelnden Vorlagen ausmachten. Allerdings war — wie i n England — zur Rechtswirksamkeit eines vom Kongreß beschlossenen Gesetzes erforderlich, daß der Präsident es innerhalb der Session gekennzeichnet haben mußte. Da diese Zeichnung keinen bloßen Formalakt darstellte, sondern — entsprechend den Überlegungen i n der französischen Constituante 1 5 8 — ein Gegenstück zu dem Vetorecht des vom Parlament unabhängigen, da durch unmittelbare Volkswahl legitimierten Staatsorgans bildete, konnte der Präsident, auch ohne formell sein Veto eingelegt zu haben, durch A u f schub der Zustimmung bzw. des Vetos bis zum Eintritt der Vertagung 156

Vgl. dazu Freund (Anm. 155) S. 107; Wolfensberger (Anm. 52) S. 77 f. Jefferson (Anm. 154) S. 165; Freund (Anm. 155) S. 108; Wolfensberger (Anm. 52) S. 78. Ungenau daher Scheuner, V o m Nutzen der Diskontinuität zwischen Legislaturperioden, i n : D Ö V 1965, S. 513 Fn. 20, w e n n er davon spricht, daß i m amerikanischen Recht die Diskontinuität auch zwischen den Sessionen des Kongresses eintrete. 158 Vgl. oben § 5. 157

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die Vorlage erledigen 1 5 9 . Das Ende der Session hatte für vom Kongreß beschlossene, vom Präsidenten aber noch nicht gezeichnete Gesetze also die Wirkung einer organexternen Diskontinuität 1 6 0 m i t umgekehrten Vorzeichen. Endgültig abgebrochen und entsprechend von einem neuen Kongreß von vorne zu behandeln waren bei i h m unbeendigte Geschäfte dagegen nur bei Ende einer Legislaturperiode. I n der amerikanischen Praxis flössen also Elemente der englischen Session und der englischen Legislaturperiode zusammen. Da der Kongreß, war er einmal gewählt, nach der Verfassung zu festgelegten Zeitpunkten seine Arbeit beginnen mußte, und die Exekutive ihn weder vertagen noch auflösen konnte, bildete die Wahlperiode des Repräsentantenhauses als Legislaturperiode der Gesamtvertretung den eigentlichen Handlungsabschnitt, dessen Gliederung i n Sessionen darüber bis auf die Möglichkeit der Kombination m i t dem „Taschenveto" 161 unwesentlich war. Auch eine durch Einberufung des Präsidenten dazwischengeschobene außerordentliche Session konnte deswegen keinen derartigen Einschnitt verursachen, daß zwingend m i t diesen Periodizitäten die Diskontinuität hätte verbunden sein müssen. Sie konnte erst eintreten, dann aber auch ohne Möglichkeit der Durchbrechung oder Umgehung, wenn das Mandat eines Repräsentantenhauses abgelaufen war. Wolfensberger 1 6 2 hat sie deshalb als einen „natürlichen einfachen Geschäftsakt mit staatsrechtlicher Bedeutung" bezeichnet, „der i n offenkundigem Gegensatze zu dem absichtlichen staatsrechtlichen M i t t e l steht, als das die Diskontinuität i n Europa gebraucht werden konnte". Tatsächlich wies das amerikanische Staatsrecht schon i m 19. Jahrhundert i n bezug auf die Diskontinuität Elemente auf, die i n Frankreich erst 1875 eingeführt und i n Deutschland bis 1918 noch stark bekämpft wurden. Vor allem wurde sie hier wie i n England nicht als M i t t e l angesehen, die Institution Parlament und die Permanenz und Kontinuität ihrer M i t w i r k i m g an der Führung der Staatsgeschäfte zurückzudrängen. Ein „allgemeines europäisches Rechtsbewußtsein und eine europäische Gewöhnung" i n bezug auf die Diskontinuität der Session war also i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keineswegs nachweisbar 163 . Vielmehr hatten diejenigen Staaten, die auf dem Wege vom monarchischen 159 Schwartz , A Commentary on the Constitution of the U n i t e d States, Bd. 2, S. 30. Vgl. auch Scheuner (Anm. 157) S. 513 Fn. 20. 180 Z u m Begriff vgl. oben § 2. 161 Scheuner (Anm. 157) S. 513. 182 (Anm. 52) S. 78. 183 Unrichtig deshalb Kieschke (Anm. 88) S. 40, w e n n er davon redet „dieser Grundsatz (sei) als ein dem Begriff der Schließung innewohnender i n sämtlichen deutschen u n d außerdeutschen Verfassungen anerkannt w o r den".

§ 18 In England und den USA

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Absolutismus zur parlamentarischen Demokratie schon weiter fortgeschritten waren als das deutsche Kaiserreich und seine Gliedstaaten, überwiegend bereits den logischen Schritt zur Verlagerung der Diskontinuität auf das Ende der Legislaturperiode vollzogen — i n der richtigen Erkenntnis, daß die Legitimation zu praktischer Tätigkeit und politischer Entscheidung der repräsentativen Demokratie nicht von einem Staatsoberhaupt, sondern vom Staatsvolk selbst i n Wahlen auf Zeit verliehen wird. Der Grundsatz der Diskontinuität i n der i m deutschen Konstitutionalismus entwickelten Form war also eine Eigenart dieser Staaten und hatte auch m i t dem englischen, eher pragmatischen Vorbild nur noch wenig gemeinsam. Er war ein Mittel, die Ubergangsphase, als die Böckenförde 164 den Konstitutionalismus deutscher Prägung m i t seiner Beherrschung durch das monarchische Prinzip charakterisiert hat, hinauszuzögern. Beim Übergang zur parlamentarischen Demokratie mußte er neu geprüft, eventuell neu begründet und den veränderten staatsrechtlichen Verhältnissen angepaßt werden.

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A n m . 1.

Dritter Teil

Der Grundsatz der Diskontinuität in der parlamentarischen Demokratie Sechstes Kapitel

Die Diskontinuität unter der Weimarer Reichsverfassung Die Feststellung, daß der Grundsatz der Diskontinuität i n Deutschland seine dogmatische Ausformung dem Staatsrecht und Staatsverständnis des Konstitutionalismus verdankte und allenfalls i n Österreich 1 und Italien 2 Parallelen hatte, mußte ihn beim Untergang dieser Staatsform zumindest für das Ende der Session i n Frage gestellt sehen. Die künstliche Unterbrechung der Dauer der Legitimationseinheit des Parlaments i n Abschnitte konkreter Handlungsfähigkeit durch Anwendung der monarchischer Prärogative vorbehaltenen Instrumente der Eröffnung und Schließung wurde i n dem Maße fragwürdig, wie die Vertretungskörperschaften durch die Verfassungen ein Selbstversammlungsrecht zuerkannt erhielten 3 . Wie es sich schon vorher nicht von selbst verstand, daß der Schließung des Parlaments m i t dem Abbruch aller nicht abgeschlossenen Arbeiten Folgen dieser Tragweite zukamen, sondern durchaus denkbar war, daß erst durch die Auflösung des Reichstages die Geschäfte desselben abgebrochen wurden und neu wieder aufzunehmen waren von dem nunmehr vielleicht ganz anders zusammengesetzten Parlament 4 , mußte für die Republik i n Gestalt der repräsentativen Demokratie die Diskontinuität der Parlamentsarbeit an Hand der neuen, möglicherweise anderen Periodizitäten neu geprüft und gegebenenfalls neu begründet werden. 1

Vgl. oben § 17. Vgl. oben § 17. 8 A u f diesem Gedanken beruht einseitig die Argumentation von Klaus Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965, S. 505 ff., gegen jede Weitergeltung des Grundsatzes der Diskontinuität. 4 Wolfensberger, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 8 f. So schon die Forderung von Zorn i n v o n Rönne/Zorn, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd. 1 S. 349, u n d die Handhabung i n Frankreich u n d Spanien. 2

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

Dabei war zu beachten, daß i m Gegensatz zur Entstehung des Deutschen Bundes nach den Napoleonischen Kriegen, i m Gegensatz aber auch zur Gründung des Kaiserreichs 1867 bzw. 1871 die Verfassungsgebimg von 1919 äußerlich einen scharfen Bruch m i t dem vorher Bestehenden bedeutete, weil der Wechsel der Staatsform Folge einer Revolution war, die antrat, das alte Verfassungs- und damit Herrschaftssystem zu vernichten. Tatsächlich waren dieser Reform jedoch vor allem i n den letzten Kriegs jähren, Reformbestrebungen und Reformen vorangegangen, die über dem Zwang zum Neubeginn häufig vergessen werden und auch ohne den Einschnitt von 1918 die Verfassungsstruktur hätten verändern können 5 . Das galt insbesondere für die Stellung des Reichstages. I n der Verfassungswirklichkeit hatte das Parlament bereits eine Bedeutung gewonnen, die sich m i t der absoluten Abhängigkeit i n der konkreten Handlungsfähigkeit von der Exekutive, wie sie der Wortlaut der Verfassung vorsah, nicht vereinbaren ließ. Von dem Instrument der Schließung m i t der Folge der Diskontinuität wurde deshalb kaum noch Gebrauch gemacht 6 ; die Sitzungen des Reichstags wurden i n der Endphase des Kaiserreichs allenfalls vertagt, aber nicht mehr geschlossen. Anders wäre die Bewältigung der i h m gestellten Aufgaben auch kaum möglich gewesen. Diesem Zuwachs an tatsächlicher Macht entsprachen Bestrebungen, auch die eigenen Rechte zu verstärken. Ansatzpunkt war erneut die Budgetbewilligung, die bereits i n der Frühzeit des Konstitutionalismus den Hebel für die verfassungsmäßige Verankerung der Teilhabe der Volksvertretung an den Staatsgeschäften gebildet hatte. I m Anschluß an das nach A r t . 69 der alten Reichsverfassung gegebenen Etatrecht des Reichstags wurde versucht, den Haushaltsausschuß, der auch den Etat des Auswärtigen Amtes zu beraten hatte, unabhängig vom Zusamment r i t t des Plenums zu einem ständigen Organ für die Beratung von Angelegenheiten der auswärtigen Politik und des Krieges schlechthin auszugestalten 7 . So wurde am 27. Oktober 1916 ein Kommissionsantrag in namentlicher Abstimmung m i t überwältigender Mehrheit i m Plenum angenommen, der dem Haushaltsausschuß ein Recht zur Tagung auch außerhalb der Sitzungen des Reichstages zuerkannt sehen8 und damit eine A r t Selbstversammlungsrecht schaffen wollte, das über die bereits früher bekannte Einzelermächtigung 9 hinausging, w e i l es generell den 5 Vgl. dazu Schücking, Staatsrechtliche Reformbestrebungen u n d Reformen während der Kriegszeit, i n : HbDStR Bd. I, S. 87 ff. 6 Vgl. oben § 16. 7 Schücking (Anm. 5) S. 88. 8 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, X I I I . Legislaturperiode I I . Session, Bd. 308 S. 1857, Anlagen Bd. 319 Drs. Nr. 418, S. 861, u n d Änderungsantrag Arnstadt dazu, Drs. Nr. 424, S. 862. 9 Vgl. oben § 13.

III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung Haushaltsausschuß zum Zusammentritt nach eigenem Belieben auch bei vertagtem Reichstag ermächtigte 10 und dabei keine Kompetenzbeschränkung etwa nur auf Etatfragen vorsah 11 . Die Reichsregierung verschwieg sich dazu; die den Reichstag vertagende Verordnung erging ohne Kommentar m i t einem entsprechenden Wortlaut 1 2 . Der Reichstag hatte dam i t nicht nur für seinen wichtigsten Ausschuß eine weitere Auflockerung der Rechtsfolgen der Vertagung errungen, sondern zum ersten M a l außerhalb der eigentlichen Gesetzgebung politische Mitsprache- und Kontrollrechte erhalten. Noch weiter ging das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 191613. Den dort i n § 19 vorgesehenen besonderen Reichstagsausschuß, auf dessen Zustimmung zu Verordnungen auf Grund des Gesetzes der Bundesrat angewiesen war, hatte das Kriegsamt über alle wichtigen Vorgänge auf dem laufenden zu halten, i h m auf Verlangen Auskunft zu geben, seine Vorschläge entgegenzunehmen und vor Erlaß wichtiger Anordnungen allgemeiner A r t seine Meinungsäußerung einzuholen 1 4 . U m das zu ermöglichen, war der Ausschuß ausdrücklich zum Zusammentritt während aller Unterbrechungen der Verhandlungen des Reichstags, also auch nach einer Schließung, berechtigt 15 . Damit wurde zum ersten Mal die Zäsur des Sessionsendes institutionell überbrückt, nicht nur eine Ausnahme hinsichtlich der organisatorischen Diskontinuität von einer Session zur nächsten gemacht wie bei der Beratung der Reichsjustizgesetze 18 . Als Schranke blieb nur das Ende der Legislatur10 Auch Schücking (Anm. 5) S. 88 ging noch nachträglich davon aus, das Plenum habe i m Falle der Vertagung durch den Kaiser verfassungsgemäß keiner Kommission das Recht zur Tagung erteilen können. Vgl. dazu oben § 13. 11 Matthias/Morsey, Der interfraktionelle Ausschuß 1917/18, 1. Teil, S. X I V ; Klemm, Der Zwischenausschuß nach dem Grundgesetz u n d der Bayerischen Verfassung, S. 58. 12 Allerhöchste Verordnung v o m 4. November 1916, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, X I I I . Legislaturperiode I I . Session, Bd. 319, Anlagen S. 998 Drs. Nr. 507: „Der Reichstag w i r d bis zum 13. Februar 1917 m i t der Maßgabe vertagt, daß der Ausschuß f ü r den Reichshaushalt ermächtigt w i r d , zur Besprechung auswärtiger u n d sonstiger m i t dem K r i e g i n Z u sammenhang stehender politischer Fragen w ä h r e n d der Zeit der Vertagung zusammenzutreten." Vgl. auch Hatschek/Kurtzig, Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 705; Klemm (Anm. 11) S. 58. 13 RGBl. 1916, S. 1333. 14 Die ursprüngliche Regierungsvorlage hatte keine entsprechende Bestimmung enthalten, vgl. Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 308 Drs. Nr. 509, S. 998 ff. Erst auf Anträge des Abgeordneten Spahn u n d Genossen, Drs. Nr. 532, S. 1042, w u r d e diese F o r m der Mitregierung durch einen eigenen Ausschuß eingeführt. Vgl. die Ausführungen i n der 2. Lesung am 30. November 1916, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstages, X I I I . Legislaturperiode I I . Session, Bd. 308, S. 2270 ff. 15 Giese, Ist der Hilfsdienstausschuß des Reichstags eine staatsrechtliche Neubildung?, i n : H i r t h s Annalen 1917, S. 316 f. 16 Vgl. oben § 16.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

periode bestehen 17 ; Legitimation der Organwalterschaft durch Wahl und Wirkungsfähigkeit waren also erstmalig zur Deckung gebracht. M i t Recht ist deshalb der Hilfsdienstausschuß als Vorläufer eines Ständigen Ausschusses gesehen worden 1 8 . M i t dieser Entwicklung vor Augen muß die Untersuchung der Weitergeltung der Diskontinuität unter der Weimarer Reichsverfassung begonnen werden. § 19 Die Stellung des Reichstags im Verf assungsgefüge der Weimarer Bepublik M i t einem Bekenntnis zur Nationalversammlung hatte der letzte Reichskanzler der alten Reichs Verfassung die politische Bühne verlassen: i n der Bekanntmachung vom 9. November 1918 über die Abdankung des Kaisers und Königs hieß es, der Reichskanzler beabsichtigte, dem Regenten „die Vorlage eines Gesetzentwurfs wegen der sofortigen Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung vorzuschlagen, der es obliegen würde, die künftige Staatsform des deutschen Volkes einschließlich der Volksteile, die ihren E i n t r i t t i n die Reichsgrenzen wünschen sollten, endgültig festzustellen" 1 9 . Die Entscheidung über diese Staatsform wurde dann durch die Zeitumstände abgenommen; die Frage: Republik oder Monarchie? stellte sich nicht mehr 2 0 . Es ging i n der Folge nur noch darum, wie diese Republik organisiert werden könnte, also u m die Ausgestaltung ihrer Verfassung. Der Auftrag zu deren Ausarbeitung ging an Hugo Preuß, „den wohl am weitesten links gerichteten Staatsrechtslehrer des damaligen Deutschland" 21 . Nach mehrfacher Überarbeitung i n der Reichsregierung und m i t Ländervertretern wurde der am 19. Januar 1919 gewählten Nationalversammlung ein Regierungsenwurf vorgelegt, der i n der Zeit vom 24. Februar bis 4. A p r i l 1919 i n erster Lesung beraten, dann an einen Verfassungsausschuß überwiesen, dort umgeformt und nach erneuten Änderungen i n zweiter und dritter Lesung am 31. J u l i 1919 verabschiedet wurde. Nach Unterzeichnung durch den Reichspräsidenten trat die neue Verfassung am 14. August 1919 i n K r a f t 2 2 . 17

Giese (Anm. 15) S. 317. Klemm (Anm. 11) S. 60; Sandtner, Entwicklung, Wesen u n d Befugnisse des Ständigen Ausschusses, i n : K r e m e r (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 65. Dennewitz/Schneider, Bonner Kommentar, A r t . 45 A n m . I I I , machen aber ebenfalls zu Recht darauf aufmerksam, daß es sich i m Gegensatz zu den später üblichen Zwischenausschüssen u m ein Ausnahmeorgan gehandelt habe. 19 Vgl. Walter Jellinek, Die Nationalversammlung u n d i h r Werk, i n : HbDStR Bd. I S. 119 f. 20 Walter Jellinek, Insbesondere: Entstehung u n d Ausbau der Weimarer Reichsverfassung, i n : HbDStR Bd. I S. 129. 21 Jellinek (Anm. 20) S. 127. Vgl. dort auch die zusammenfassende Darstell u n g der Entstehung u n d des Inhalts der verschiedenen Entwürfe zu einer Reichsverfassung. 18

§ 19 Reichstag und Verfassungsgefüge

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Der erste Entwurf Preuß w a r von der Tendenz bestimmt gewesen, möglichst wenig aus der alten Reichs Verfassung zu übernehmen; statt dessen fanden sich darin Anleihen aus der Verfassung der Paulskirche, aus England, aus Amerika, aus der Schweiz und aus Frankreich 2 3 . Insbesondere die Ausgestaltung der Vertretungskörperschaft w a r der Paulskirchenverfassung m i t ihrer Einteilung des Reichstages i n zwei Kammern, ein Volkshaus und ein Staatenhaus, entlehnt 2 4 . I n den weiteren Beratungen wurde diese Konzeption, bei der m i t der Wahl der Abgeordneten des Volkshauses durch die gesamte Wahlbevölkerung, m i t der Wahl der Abgeordneten des Staatenhauses durch die Mitglieder der einzelnen Landtage ein doppeltes Moment demokratischer Legitimation geschaffen worden wäre, jedoch aus föderalistischen Erwägungen fallengelassen und zu einem Reichstag und einem Reichsrat zurückgekehrt. Das Parlament des Deutschen Reiches bestand auch nach der Weimarer Reichsverfassung damit aus einer einzigen Kammer, nämlich dem Reichstag 2 5 , während i m Reichsrat der Bundesratsgedanke, wenn auch in veränderter Form und m i t anderer Stellung aufgenommen wurde. Der Reichstag war „einheitliches körperschaftsähnliches Organ des Deutschen Reiches, Repräsentant des Trägers der Reichssouveränität, des deutschen Volkes" 2 6 , der Reichsrat das föderalistische Reichsorgan „zur Vertretung der deutschen Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs" 27 . Vervollständigt wurde die Gruppe der obersten Verfassungsorgane durch einen i n direkter Volkswahl gewählten Reichspräsidenten. A u f den ersten Blick hatte damit das Grundschema der alten Reichsverfassung eine Wiederholung gefunden, ein Eindruck, der jedoch täuschte. Der Reichstag war zwar „äußerlich nahezu unverändert i n den erneuerten Reichskörper übernommen worden" 2 8 , seine Stellung erfuhr aber „ m i t der Durchführung des parlamentarischen Systems die bedeutungsvollste Wandlung" 2 9 . Insbesondere die Zuerkennung der Kontrolle über die Führung von Regierung und Verwaltung m i t der Abkehr von 22

RGBl. S. 1383. Jellinek (Anm. 20) S. 130. 24 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches v o m 11. August 1919, Vorbem. zu A r t . 20; Stier-Somlo, Der Reichstag, Allgemeine Kennzeichnung, i n : HbDStR Bd. I S. 382; Jellinek (Anm. 20) S. 130; Bilfinger, Der Reichsrat. Bedeutung u n d Zusammensetzung, i n : HbDStR Bd. I S. 546. 25 Stier-Somlo (Anm. 24) S. 382, 385; Anschütz (Anm. 24) Vorbem. v o r A r t . 60. 26 Vgl. Sten. Ber. über die Verhandlungen der Deutschen Nationalversammlung Bd. 327, S. 1204 B ; auch Stier-Somlo (Anm. 24) S. 382; Anschütz (Anm. 24) A r t . 1 A n m . 2, Vorbem. v o r A r t . 20. 27 A r t . 60 W R V ; Bilfinger (Anm. 24) S. 545. 28 Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, S. 98. 29 Preuß, Deutschlands Republikanische Reichsverfassung, S. 77. 23

13 Jekewitz

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. 6. Kap.: Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

einer nur nachträglichen K r i t i k zugunsten einer ständigen Begleitung und Überwachung bedeutete eine grundlegende Veränderung der Verfassungsstruktur, die i m Verhältnis zu früher die Zuordnung der einzelnen Verfassungsorgane zwar nicht auf den Kopf stellte, aber doch wesentlich veränderte. Wenn sich der Reichstag auch m i t dem A m t des Reichspräsidenten die Ableitung seiner Organwalterschaft aus unmittelbarer Volkswahl teilen mußte, war er doch der eigentliche Repräsentant dieses Volkes, das seinerseits Träger der Staatsgewalt war. Der Reichstag erschien nicht mehr, wie i n der alten Reichsverfassung, als drittes und letztes der obersten Reichsorgane, sondern w a r nicht nur i n der Ordnung des Verfassungstextes an die erste Stelle gerückt 30 . A u f seiner Seite war jetzt die Vermutung der Zuständigkeit 3 1 . M i t dieser gesteigerten Bedeutung wäre eine Abhängigkeit von anderer Seite i n bezug auf Zusammentritt und Handlungsfähigkeit unvereinbar gewesen. Dem Reichstag war daher durch A r t . 23 Abs. 2 und A r t . 24 der Weimarer Reichsverfassung das Selbstversammlungsrecht zuerkannt, nachdem die ersten Entwürfe noch ein Berufungsrecht des Reichspräsidenten vorgesehen hatten 3 2 . Der Reichstag mußte also nicht mehr eine Autorisierung durch die Exekutive abwarten, sondern konnte innerhalb seiner Wahlperiode jederzeit aus eigener Initiative zusammentreten, wobei der Formalakt der Einberufung seinem Präsidenten nach Maßgabe der eigenen Geschäftsordnung oblag 33 . Dieses Selbstversammlungsrecht entsprach seiner neuen Stellung als oberstes Reichsorgan, das von keiner Berufung abhängig sein konnte 3 4 . Das Recht des Reichspräsidenten i n A r t . 24 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung, einen früheren Zusammentritt als den von der Verfassung vorgesehenen zu verlangen, stand dazu nicht i n Widerspruch, zumal der Reichspräsident, ebenfalls i m Gegensatz zu den ersten Entwürfen, den Reichstag nicht vertagen oder gar schließen konnte 3 5 . Das Parlament brauchte deshalb nicht m i t der Möglichkeit zu rechnen, von der Exekutive während der Wahlperiode zu einer Unterbrechung seiner Tätigkeit gezwungen zu werden. Das „Dogma der Permanenz der Legislatur" bzw. dessen andere Seite, das Selbst80

Anschütz (Anm. 24) Vorbem. vor A r t . 20. Stier-Somlo (Anm. 24) S. 386; ders., Übersicht über die Zuständigkeiten des Deutschen Reichstages, i n : HbDStR Bd. I S. 407. 82 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 1; Finger, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 265, 267; Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs v o m 11. August 1919, A r t . 24 A n m . 2a; Hatschek, Deutsches u n d Preußisches Staatsrecht, Bd. 1 S. 401; Hatschek!Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 469 ff., 474 f. 88 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 2. 34 Bornhak, Die Verfassung des Deutschen Reiches v o m 11. August 1919, A r t . 23 A n m . 85 Bornhak (Anm. 34) A r t . 24 A n m . 31

§ 19 Reichstag und Verfassungsgefüge

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versammlungsrecht der parlamentarischen Körperschaft, von dem die moderne Demokratie nach Hatschek 36 durchdrungen war, wurde von der Verfassung der Weimarer Republik als Bekenntnis zur gewaltenteilenden Demokratie und zur Volkssouveränität vorausgesetzt. Dazu stand allerdings i n einem gewissen Widerspruch, daß der Reichstag nach A r t . 25 WRV durch den Reichspräsidenten jederzeit aufgelöst werden konnte. Die Weimarer Reichsverfassung war insoweit nicht logisch, als sie den i n der demokratischen Republik, i n der die Regierung i n letzter Konsequenz nur die Exekutive des Parlaments ist, theoretisch vorherrschenden Grundsatz, daß nur das Parlament selbst über seine Tätigkeit zu entscheiden habe, somit Vertagung und Wiedereinberufung oder gar Auflösung nur vom Parlament selbst ausgehen können 3 7 , mißachtete. Anstelle eines Selbstauflösungsrechts gab es ein Auflösungsrecht des Staatsoberhauptes. Wie nach altem, so war auch nach neuem Recht dem obersten Träger der Regierungsgewalt damit ein E i n w i r kungsrecht auf die Existenz des Parlaments eingeräumt. Dieses Recht fand seine Entsprechung darin, daß der Reichspräsident gegen gesetzgeberische Beschlüsse des Reichstages nach A r t . 73 WRV den Volksentscheid anrufen konnte. Hier wie dort vermochte der Reichspräsident also von den Gewählten an die Wähler, von der Volksvertretung an das Volk selbst zu appelieren 38 . Er war dabei freier als der Kaiser nach der alten Reichsverfassung, da er nicht eine Zustimmung von dritter Seite, etwa des Reichsrats benötigte, sondern der Erlaß der entsprechenden Verfügung, wie jeder seiner Regierungsakte, nach A r t . 50 WRV lediglich die Gegenzeichnung eines Mitgliedes der Reichsregierung erforderte 39 , die wiederum nach A r t . 53 WRV allein von i h m berufen und entlassen w u r de. Wenn Reichskanzler und Reichsminister zu ihrer Amtsführung nach A r t . 54 WRV zwar auch des Vertrauens des Reichstages bedurften und zurücktreten mußten, sobald ihnen der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß dieses Vertrauen entzog, war die Interessenlage damit klar: i n der Frage der Auflösung würde die Reichsregierung eher auf Seiten des Reichspräsidenten als auf Seiten des Reichstages sein 4 0 ; widersetzte 36 (Anm. 32) S. 401 bzw. S. 470. Vgl. auch die Übernahme der Hatschekschen Formulierungen bei Sieb er, Die Einberufung, Vertagung u n d Endigung der deutschen Landtage, S. 7 ff.; Rau, Einberufung, Vertagung u n d Schließung des Reichstags i m Verhältnis zu seinem Selbstzusammentritt, S. 3 f. 37 Vgl. dazu Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 353 f. 38 Anschütz (Anm. 24) A r t . 25 A n m . 1. 39 A r t . 50 W R V setzte die Gegenzeichnung des Reichskanzlers oder des zuständigen Reichsministers voraus. Da es sich bei der Auflösung des Reichstags u m einen staatsleitenden A k t höchster Rangstufe handelte, w a r w o h l immer die Unterschrift des Reichskanzlers oder seines Stellvertreters erforderlich. Vgl. Anschütz (Anm. 24) A r t . 25 A n m . 5. 40 Z u dem Problem, ob der Reichstag einer drohenden Auflösung durch Entzug des Vertrauens f ü r die Reichsregierung zuvorkommen u n d — m a n -

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

sich die Reichsregierung jedoch einer vom Reichspräsidenten gewollten Reichstagsauflösung durch Verweigerung der Gegenzeichnung, konnte der Reichspräsident sie ohne weiteres entlassen. Es ist deshalb zu Recht davon gesprochen worden, daß die Reichsregierung weniger vom Vertrauen des Reichstages als von dem des Reichspräsidenten abhing 4 1 . Daran änderte auch nichts, daß dessen Auflösungsrecht formell dadurch eingeschränkt war, daß er den Reichstag nur einmal aus dem gleichen Anlaß auflösen konnte. I n der Staatspraxis erwies sich diese Bestimmung als ohne Einfluß, weil die Begründung für eine Reichstagsauflösung jeweils eng auf eine bestimmte politische Situation abgestellt wurde 4 2 . Auch wenn der Auflösungsgrund nicht i n der Auflösungsverfügung angegeben worden wäre, und der Reichspräsident sich wiederholt aus dem „gleichen" politischen Anlaß an die Wählerschaft gewandt hätte, wäre ein solches Verhalten doch nicht nichtig, d. h. unwirksam gewesen 43 . Angesichts dieses starken Auflösungsrechts des Reichspräsidenten und des dadurch begrenzten Selbstversammlungsrechts des Reichstags konnte i n der Literatur nachträglich zurecht die Auffassimg vertreten werden, der Reichspräsident habe nach der Weimarer Reichsverfassung ein deutliches Übergewicht gegenüber dem Reichstag besessen44. Tatsächlich wuchs sich die bewußt oder unbewußt unter dem fortdauernden Eindruck der Funktion des Kaisers aus der alten Reichsverfassung übernommene Ausgestaltung des Amtes des Reichspräsidenten i n der Verfassungswirklichkeit zu einer echten Gegenposition zum Parlament aus, die durch das Selbstverständnis des zweiten Amtsinhabers und das Fehlen starker regierungsfähiger Mehrheiten als Ergebnis der Reichstagswahlen noch verstärkt wurde 4 5 . Das mußte auch Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit des Parlaments haben. gels Vorhandenseins einer gegenzeichnungsfähigen Reichsregierung — das Auflösungsrecht des Reichspräsidenten unterlaufen konnte, vgl. Anschütz (Anm. 24) A r t . 25 A n m . 6 m i t weiteren Nachweisen. 41 Vgl. Friedrich Schäfer, Z u r Frage des Wahlrechts i n der Weimarer Republik, i n : Staat, Wirtschaft u n d P o l i t i k i n der Weimarer Republik, S. 122. 42 Apelt (Anm. 28) S. 203 f.; Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 37. Vgl. auch Schäfer (Anm. 41) S. 138. 43 So Anschütz (Anm. 24) A r t . 25 A n m . 9, u n d Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung v o m 11. August 1919, A r t . 25 A n m . 5, gegen Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, A r t . 25 A n m . 3, u n d Pohl, Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten, i n : HbDStR Bd. I S. 487, die i n einem solchen F a l l dem Reichstag das Recht zuerkannten, die Auflösungsverfügung zu ignorieren, seine Tätigkeit fortzusetzen u n d den Reichspräsidenten w i e den gegenzeichnenden Minister nach A r t . 59 W R V v o r dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich anzuklagen, sowie gegen Stier-Somlo (Anm. 31) S. 411 Fn. 15 u n d ders., Deutsches Reichs- u n d Landesstaatsrecht, Bd. I S. 583, der von einer Pflicht zur Verhandlung m i t dem Reichstag, der nicht auseinandergehen w i l l , w e i l er die gegen i h n verfügte Auflösung für verfassungswidrig hält, ausging. 44 Apelt (Anm. 28) S. 203, vgl. aber auch S. 215.

§ 20 Periodizitäten des Reichstages

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§20 Die Periodizitäten des Reichstages und ihre Rechtsfolgen Wie seit dem Beginn des Konstitutionalismus üblich, wurde der Reichstag jeweils auf eine bestimmte, von der Verfassung festgelegte Zeit gewählt. Diese Zeit, die nach dem Wortlaut der Weimarer Reichsverfassung i n Art. 27 und 35 jetzt offiziell Wahlperiode hieß, war i n den ersten Entwürfen nach dem Vorbild der ursprünglichen Bestimmung der alten Reichsverfassung auf drei Jahre vorgesehen. Erst die Nationalversammlung verlängerte sie zunächst auf fünf 4 6 und verkürzte sie dann i n der dritten Lesung wieder auf vier Jahre 4 7 . Damit war dem demokratischen Prinzip entsprochen, das nach allgemeiner Auffassung eine möglichst kurze Legislaturperiode verlangte, u m durch möglichst häufige Neuwahl des Parlaments dem Volk Gelegenheit zu geben, seinen Willen zu bekunden 48 . Die Wahlperioden des Reichstags begannen nach überwiegender A u f fassung m i t dem Tag der Wahl 4 9 und endeten durch Zeitablauf oder bereits vorher durch Auflösung seitens des Reichspräsidenten. Der von der Verfassung vorgesehene Normalfall trat jedoch nie ein, da sämtliche während der Geltung der Weimarer Reichsverfassung gewählten Reichstage vorzeitigt aufgelöst wurden, die gesamte Lebensdauer von vier Jahren also i n keinem Fall erreicht wurde 5 0 . Dagegen wurde die weitere von der Verfassung vorgesehene Möglichkeit der Auflösung, nämlich als automatische Folge der Ablehnung des Antrags des Reichstags auf Absetzung des Reichspräsidenten durch das Volk gemäß A r t . 43 WRV nicht aktuell. Obwohl „ i n sozial bewegten Zeiten, sonderlich nach Revolutionen, wenn eine intensive gesetzgeberische Tätigkeit notwendig ist", und verstärkt „ i n parlamentarischen Demokratien, i n denen auch das Schwer45 Vgl. Friedrich Schäfer, Die Stellung des Staatsoberhaupts i n Verfassung u n d politischer Praxis v o n 1919 u n d 1949, i n : Rheinischer M e r k u r Nr. 11 v o m 14. März 1969, S. 24. 46 Sten. Ber. über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 327 S. 1288 D, 1289 A . 47 Sten. Ber. über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328 S. 2106 D. 48 Kelsen (Anm. 37) S. 353. Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) S. 469 bezeichnen die Kürze von Legislaturperioden als „ e i n Kredo demokratischen Programms". 49 So die w o h l herrschende Meinung; vgl. Anschütz (Anm. 24) A r t . 23 A n m . 1 m i t weiteren Nachweisen. Skeptisch Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 484 ff. 50 Der erste Reichstag wurde am 13. März 1924 aufgelöst (RGBl. I S. 173), sein Nachfolger am 20. Oktober 1924 (RGBl. I S. 713). Die weiteren Auflösungen erfolgten 1928 (RGBl. I S. 136), 1930 (RGBl. I S. 299), erneut zweimal 1932 (RGBl. I S. 255 u n d 441), sowie 1933 (RGBl. I S. 45). Vgl. auch Anschütz (Anm. 24) Nachtrag S. 776 ff.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

gewicht des politischen Einflusses beim Parlament ruht", — beides Voraussetzungen, die bei der Weimarer Republik gegeben waren — die parlamentarische Funktion nach den Worten von Kelsen 5 1 zu einer permanenten hätte werden und die Gliederung der Legislaturperiode i n kurze, etwa nur für wenige Wochen oder Monate berechnete Sessionen „als eine unbegründete Fessel" hätte erscheinen müssen, sah die Verfassung eine weitere Unterteilung der Wahlperiode vor. Die Begriffswahl dafür war auch nach dem Wortlaut der Verfassung schwankend: während die A r t . 24 Abs. 2, 27 sowie 35 Abs. 1 und 2 von „Tagung" sprachen, war i n A r t . 37 Abs. 1 und 3 von „Sitzungsperiode" die Rede. I n der staatsrechtlichen Theorie 5 2 wie i n der politischen Praxis 5 3 bestand jedoch Einigkeit darüber, daß beide Begriffe i n ihrem Inhalt identisch und i m Sinne der Session der Reichs Verfassung von 1871 zu verstehen waren; das war schon deshalb angebracht, w e i l bei der Schaffung des A r t . 37 ausdrücklich davon ausgegangen worden war, den Schutz der Abgeordneten des Reichstags vor gerichtlichen Verfahren möglichst unzweideutig auszugestalten 54 . Der nachträglich eingefügte 55 A r t . 40 a WRV bestätigte diese Auffassung, indem er dem Wort „Tagung" jeweils i n Klammern das Wort „Sitzungsperiode" hinzufügte. Nach der Absicht der Verfassung begannen diese Sitzungsperioden m i t dem Zusammentritt des Reichstags 56 und endeten i n der Regel dadurch, daß der Reichstag gemäß A r t . 24 Abs. 2 WRV den Schluß der Tagung bestimmte 57 . Erfolgte dies nicht, endete die Tagung m i t dem Ablauf der Wahlperiode 5 8 bzw. m i t der Auflösung des Reichstags. Der Schluß der Tagung wurde damit der Schließung i m Sinne der Reichsverfassung des Kaiserreichs gleichgesetzt 59 ; der wesentliche Unterschied lag allein dar51

Kelsen (Anm. 37) S. 353. Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 4; Poetzsch-Heffter (Anm. 43) A r t . 24 A n m . 6; Bühler, Die Eeichsverfassung v o m 11. August 1919, A r t . 24 A n m . 2; Carl Schmitt, Einberufung u n d Vertagung des Reichstags nach A r t . 24 Reichsverfassung, i n : D J Z 1930, Sp. 1286. 53 Vgl. die Bemerkungen des Abgeordneten Kahl bei der Beratung der ersten eigenen Geschäftsordnung des Reichstags i n der Sitzung v o m 17. November 1922, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 357 S. 9051 C, u n d das dem preußischen Landtag erstattete Gutachten des preußischen Justizministers v o m 26. J u n i 1925, Drs. des preußischen Landtags 1925 Nr. 840, S. 1763. 64 Vgl. die Beratungen i n 3. Lesung, Sten. Ber. über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 328, S. 2107. 55 Gesetz zur Ergänzung der Reichsverfassung v o m 22. M a i 1926, RGBl. I S. 243. 59 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 6; Finger, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 265. 57 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 7; Finger (Anm. 56) S. 265; Giese, Deutsches Staatsrecht, S. 131; Bühler (Anm. 52) A r t . 24 A n m . 2. 58 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 7. 52

§ 20 Periodizitäten des Reichstages

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in, daß nach der Weimarer Reichsverfassung das Parlament selbst hierüber bestimmen konnte, also keinen Eingriff von außen i n seine Handlungsfähigkeit mehr zu befürchten brauchte 60 . Diese Regelung war das Ergebnis einer Auseinandersetzung i n der Nationalversammlung. Während der Regierungsentwurf zur Verfassung i n Wiederaufnahme der Regelungen des alten Staatsrechts das Recht zur Schließung und Vertagung des Reichstags noch dem Reichspräsidenten hatte übertragen wollen, wobei bei letzterer für eine Dauer von mehr als einem Monat die Zustimmung des Reichstags erforderlich gewesen wäre, und der Reichstag sich bis zur Dauer eines Monats hätte selbst vertagen können 6 1 , wurde von Vertretern der USPD, SPD und DDP beantragt, die entsprechende Bestimmimg zu streichen, w e i l sie „ein W i derspruch zum Rechte des Reichstags (sei), den Umfang, die Dauer und den Inhalt seiner Tagung selbst zu bestimmen" 6 2 . Preuß als Reichsminister des Innern wollte jedoch „aus praktischen Gründen, gerade auch i m Interesse des Reichstages" den Unterschied zwischen Vertagung und Schließung und damit den Unterschied zwischen Session und Legislaturperiode aufrechterhalten sehen, w e i l sonst „eine Schließung des Reichstages während der ganzen Legislaturperiode unmöglich" wäre und „der Reichstag und sein Bureau . . . i n einer Fülle von Anträgen und unerledigten Geschäften ersticken" würden; er hielt es nicht für „praktisch", „dem Reichspräsidenten das Recht auf Vertagung und Schließung zu entziehen", denn i n erster Linie sei es „die Regierung, die das i n Vor59

Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 7; Poetzsch-Heffter (Anm. 43) A r t . 24 A n m . 2. 60 Koellreutter, Deutsches Staatsrecht, S. 184. 81 Vgl. Hatschek (Anm. 32) Bd. 1 S. 414; von Freytagh-Loringhoven, Die Weimarer Reichsverfassung i n Lehre u n d Wirklichkeit, S. 101 Fn. 1. 62 Abg. Dr. Cohn als Mitberichterstatter:: „ E r (der A r t . 46) ist ein Überbleibsel von der alten Abhängigkeit des Reichstags von der Obrigkeit. Der alte Reichstag durfte n u r auf den W i n k des Kaisers, gegebenenfalls unter M i t w i r k u n g des Bundesrates zusammentreten oder auseinandergehen. Der veränderten Stellung des Reichstags entspricht es, w e n n ich i m A n t r a g Nr. 81 Ziff. 4 beantrage, den A r t . 46 zu streichen. W i r d der A r t . 46 meinem A n t r a g gemäß gestrichen, so w i r d es Sache der Geschäftsordnung des Reichstags sein, die i m A r t . 46 behandelten Fragen zu regeln"; Sten. Ber. über die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Bd. 336 Anlagen Nr. 391, S. 250. Ä h n l i c h der Abgeordnete Davidsohn: „ I c h b i n i m Gegensatz zum Reichsminister des I n n e r n der Meinung, daß der Unterschied zwischen Sitzungs- u n d Wahlperiode überlebt ist. Ich b i n daher dafür, daß überall i n der Verfassung das W o r t Sitzungsperiode durch Wahlperiode ersetzt w i r d . Früher hat sich die Regierung durch die Schließung des Reichstags über gespannte politische Lagen hinweggetäuscht. I n der neuen Republik sollte ein solches Verfahren der Regierung nicht mehr stattfinden. I n geeigneten Fällen hat die Regierung j a das Recht, den Reichstag aufzulösen. Den Unterschied zwischen Sitzungs- u n d Wahlperioden können w i r u m so eher aufgeben, als w i r eine Wahldauer von mehr als drei Jahren w o h l nicht mehr bekommen werden"; ebd. S. 250 f.

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bereitung befindliche Material kennt und daher am besten beurteilen kann, ob ein Interesse daran besteht, daß die Session fortdauert" 6 3 . Der Verfassungsausschuß entschied die Frage jedoch nicht nach den Preußschen „Zweckmäßigkeitserwägungen", sondern sah sie als das, was sie war, nämlich eine Machtfrage, die zugunsten des Reichstages entschieden werden mußte, und beschloß auf den Antrag Bader und Genossen den Wortlaut des späteren A r t . 24 Abs. 2. Damit gab es zwar weiter Sitzungsperioden; das Recht zu ihrer Anordnung war jedoch auf den Reichstag übergegangen. I n dieser halbherzigen Entscheidung waren mögliche Anwendungsschwierigkeiten von vorneherein angelegt. Indem wie unter der alten Reichsverfassung i n A r t . 24 Abs. 1 WRV weiter ein alljährliches Zusammentreten des Reichstags an einem bestimmten Tag vorgesehen war, und der Begriff der Sitzungsperiode als Anknüpfungspunkt für eine Reihe von Rechtsfolgen, darunter der wichtigen des Immunitätsrechts i n A r t . 37 WRV bestehenblieb, konnte die Staatsrechtslehre i n Fortführung der alten Begriffe die Theorie von einem Reichstag entwickeln, der „kein ständig tagendes Kollegium" darstellte, sondern innerhalb der Legislaturperiode nur für bestimmte Zeitabschnitte versammelt war 6 4 . „Die Residuen der Vorkriegszeit" führten damit „zu schlimmen Mißverständnissen, die sich hauptsächlich durch zwei Ursachen erklären" ließen: erstens machte das geltende Verfassungsrecht zwar das „souveräne" Selbstversammlungsrecht des Reichstags zum Mittelpunkt seiner Regelung, übernahm aber gleichzeitig „Formulierungen der ersten Entwürfe, die vom Einberufungs-, Vertagungs- und Schließungsrecht des Reichspräsidenten ausgingen"; zweitens blieb „die überkommene Einteilung der Wahl- (Legislatur-)Periode in Sitzungsperioden m i t Diskontinuität' zwar ausdrücklich und absichtlich beibehalten und den verfassungsgesetzlichen Formulierungen zugrunde gelegt, i n der praktischen W i r k lichkeit" entfiel diese Einteilung aber ganz 63 . Das Staatsrecht der Weimarer Republik war so i n bezug auf die Periodizitäten des Reichstags innerhalb einer Wahlperiode von einer echten Schizophrenie gekennzeichnet. Der konservative Teil der Literatur projezierte ausgehend von den A r t . 27, 35 und 37 WRV die Unterscheidungen hinsichtlich der verschiedenen und unterschiedlichen Handlungsabschnitte des Reichstags der Kaiserzeit ohne größere Auseinandersetzung m i t der veränderten Verfassungsstruktur auf das neue Verfassungsorgan. Weil i n den genannten Verfassungsbestimmungen Vorkehrungen es (Anm. 62) S. 250. Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht S. 62; von Freytagh-Loringhoven (Anm. 61) S. 101. 65 Schmitt (Anm. 52) Sp. 1285. 64

des Deutschen Reiches,

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zur Aufrechterhaltung einer ständigen Kontrolle der Regierung durch den Reichstag auch für eine Zeit zwischen zwei Tagungen oder Sitzungsperioden getroffen waren, ging dieser Teil kritiklos davon aus, daß die Existenz geschlossener Handlungs- und Wirkungseinheiten unterhalb der Wahlperiode die von der Verfassung gewollte Regel sei, mit der sich dann aber auch alle Merkmale, die aus dem Staatsrecht des Konstitutionalismus als Folgen der Schließung bekannt waren, verbinden mußten 6 6 . Andererseits erkannten die Anhänger dieser Auffassung an, daß daneben weiter ein Bedürfnis nach dem Institut der Vertagung bestand, obwohl die Vertagung als Begriff der neuen Reichsverfassung unbekannt war 6 7 . So konnte sich die Fiktion entwickeln, daß der Reichstag einmal von sich aus kurzfristige Unterbrechungen einer Sitzung oder seiner Verhandlungen m i t Rücksicht auf die Geschäftslage oder aus besonderen Anlässen zu beschließen i n der Lage war, nach deren Ablauf seine Geschäfte unmittelbar an dem Punkt, wo sie unterbrochen worden waren, aufzunehmen und fortzuführen waren, ohne daß es einer Neukonstituierung der konkreken Körperschaft und einer Neueinbringung aller Vorlagen bedurft hätte 6 8 . Diese „Vertagung" entsprach dann sowohl dem Vertagtwerden wie der Selbstvertagung des alten Staatsrechts. Daneben gab es, ebenfalls als Fiktion, die aus dem Wortlaut der Verfassung abgeleitete „Selbstschließung", die i m Gegensatz zu der tatsächlichen Unterbrechung der Vertagung mit allen bekannten Folgen einschließlich der Diskontinuität gewertet wurde. Ob das eine oder das andere stattfinden sollte, hing dann eben nur noch vom Willen des Reichstags ab 6 9 . Die Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit erörterte diesen Unterschied vor allem an Hand von A r t . 24 Abs. 1 Satz 2 WRV. Ein Teil interpretierte die Ausnahme von dem Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich des Beginns der konkreten Tagung als allein auf die Zeit nach einer Schließung bezogen: nur dann habe es nach der Entstehungsgeschichte und dem Wortlaut Sinn, dem Reichspräsidenten wie einer Minderheit von einem D r i t tel der Mitglieder das Recht zu geben, die vorzeitige Einberufung des Reichstags zu verlangen. Habe sich der Reichstag dagegen nur vertagt, sei für ein solches Recht kein Raum, da sonst eine Minderheit jederzeit ββ Besonders deutlich Hubrich (Anm. 64) S. 71; vgl. aber auch Finger (Anm. 32) S. 266 f.; Stier-Somlo, Deutsches Reichs- u n d Landesstaatsrecht, S. 582; Poetzsch-Heffter (Anm. 43) A r t . 24 A n m . 6. Eindeutig i n seiner K r i t i k an dieser Auffassung Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht, S. 139: „ W e n n die neue Reichsverfassung an einer derartigen Einrichtung zwar nicht ausdrücklich festhält, aber f ü r ihre A b l e i t u n g i m Wege der Auslegung Anhaltspunkte gibt, so sind dabei offenbar die tieferen politischen Zusammenhänge nicht erkannt worden." 67 Stier-Somlo (Anm. 66) S. 582; Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 9. 68 Stier-Somlo (Anm. 66) S. 582. 69 Bornhak (Anm. 34) A r t . 24 A n m . ; Hubrich (Anm. 64) S. 71.

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den Beschluß einer Mehrheit konterkarieren könne. Gerade w e i l die Verfassimg dem Reichstag das Selbstversammlungs- und Selbstschließungsrecht gegeben habe, müßten die vorgesehenen Ausnahmen eng gesehen werden. Gegenüber der bloßen „Vertagung" gebe es deshalb auch kein Einberufungsrecht 70 . Dem hielt ein anderer Teil m i t Recht entgegen, diese Bestimmung müsse sinngemäß auf alle Fälle des Nichtversammeltseins des Reichstags, als auch auf den Fall des Vertagtseins ausgedehnt werden; nur dann könne sich das Recht aus A r t . 24 Abs. 1 Satz 2 WRV überhaupt auswirken 7 1 . Hinsichtlich der übrigen Folgen beschränkte man sich auf die Aufzählung der aus dem alten Staatsrecht bekannten und vertrauten Unterschiede, als da waren das Ende des konstituierten Eigenlebens der Organe des Reichstags bei Schließung und ihre Fortexistenz bei bloßer Vertagung. Dabei stellte man wegen A r t . 27 WRV, der die Weiterführung des Amtes des Präsidenten und seiner Stellvertreter, und A r t . 35, der die Tätigkeit des auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung 7 2 auch zwischen zwei Tagungen vorsah, stärker auf die Neu- bzw. Wiederwahl bei Beginn der neuen als auf das Erlöschen bei Beendigung der alten Sitzungsperiode ab 7 3 . Den Zusammentritt von Ausschüssen während einer bloßen Vertagung erachtete man als nicht ausdrücklich geregelt, überließ i h n vielmehr der Bestimmung durch die Geschäftsordnung oder erkannte dem Reichstag die Befugnis zu, dies für einen besonderen Fall zu beschließen 74 . Unter diesen Umständen mußte für den Fall des Tagungsschlusses auch der Grundsatz der Diskontinuität als „durch die Eigenart des alten Staatsrechts nicht spezifisch bedingt" „unbedenklich als weitergeltend" angesehen werden 7 6 . Nach einer besonderen Begründung suchte man nicht; allenfalls sah man darin, daß die Verfassung es für nötig hielt, das Fortbestehen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten auch außerhalb der Tagung ausdrücklich vorzuschreiben, „eine stillschweigende Anerkennung des Grundsatzes der Diskontinuität" 7 6 . Darunter 70 Schmitt (Anm. 52) Sp. 1288 f.; Gebhard (Anm. 32) A r t . 24 A n m . 5; Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 10. Vgl. dort auch die Hinweise auf die Praxis des Reichstags i n den Jahren 1930/31. 71 So w o h l richtig, aber nicht i m m e r überzeugend Walter Jellinek, V e r fassung u n d V e r w a l t u n g des Reichs u n d der Länder, S. 65; ders., Die E i n berufung des Reichstags, i n : R u P r V B l . 1930 S. 699; Wittmayer, Einberufung u n d Vertagung des Reichstags nach A r t . 24 Reichsverfassung, i n : AöR Bd. 59, S. 281. Wie hier Rau (Anm. 36) S. 10. 72 Vgl. dazu Klemm (Anm. 11) S. 60 f. 73 Vgl. Poetzsch-Heffter (Anm. 43) A r t . 24 A n m . 6; Gebhard (Anm. 32) A r t . 24 A n m . 6a. 74 Stier-Somlo, Die Verfassung des Deutschen Reiches v o m 11. August 1919, S. 149. 75 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 8.

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auch die sachliche Diskontinuität 7 7 zu verstehen, fiel u m so leichter, als mögliche Bedenken vom Standpunkte der früheren Verfassung aus mit dem Hinweis auf das Selbstversammlungsrecht des Reichstages der Weimarer Reichsverfassung abgewehrt werden konnten: da der Schluß der Tagung nur vom Reichstag selbst herbeigeführt werden konnte, stellten sich die daran geknüpften Folgen nicht als Eingriff von außen und die gesamte Angelegenheit statt einer bedeutsamen staatsrechtlichpolitischen Maßregel als eine rein technische dar 7 8 . Durch einen kurzen formalen A k t sollte m i t Tagungsende alles, was sich i m Stadium der Vorbereitung befunden hatte und worüber feststand, daß es nicht mehr erledigt werden könnte, beseitigt und damit die „unübersteigbaren H i n dernisse für einen Versuch fruchtbringender Arbeit" aus dem Weg geräumt werden 7 9 . Die von Preuß, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, angestellten „Zweckmäßigkeitserwägungen" 80 kehrten i n dieser Auffassung wieder zurück: was sich i n den einzelnen Tagungen angehäuft hatte, w e i l die tatsächliche Leistungskraft gegenüber dem Wollen zurückblieb und es dem einen Reichstag schwer möglich war, zur Erledigung zu führen, war i n einer Geste der Programmbereinigung vom Tisch zu fegen 81 . § 70 der Geschäftsordnung des alten Reichstags, die von der Nationalversammlung übernommen und bis zur Verabschiedung einer neuen eigenen Geschäftsordnung durch den Reichstag der ersten Wahlperiode vorläufig auch von diesem seinen Arbeiten zugrundegelegt worden w a r 8 2 , hätte so losgelöst von A r t . 12 der alten ReichsVerfassung und allein auf einer Willensentscheidung des Parlaments beruhend einen neuen und m i t dem Staatsrecht der Weimarer Reichsverfassung durchaus vereinbaren Sinn gehabt 83 . I m Falle der bloßen Vertagung wäre der Reichstag dagegen ständig m i t nicht abgeschlossenen Arbeiten konfrontiert gewesen. 76

Anschütz (Anm. 24) A r t . 35 A n m . 3. Z u m Begriff vgl. oben § 2. 78 Finger (Anm. 56) S. 267. 79 Finger (Anm. 56) S. 267. 80 Vgl. oben. 81 Vgl. Finger (Anm. 56) S. 266, der m i t dieser Argumentation zwar n u r nachträglich die Diskontinuität des alten Staatsrechts rechtfertigt, damit aber gleichzeitig die Weitergeltung unter der neuen Reichsverfassung begründen w i l l . 82 Vgl. Anschütz (Anm. 24) A r t . 26 A n m . 2. 83 Innerhalb der Wahlperiode hätte sich der jeweilige Reichstag m i t seiner Geschäftsordnung n u r selbst gebunden. Ob er die Geschäftsordnung also gleich zu Beginn der Wahlperiode f ü r deren gesamte Dauer oder — entsprechend einer streng angewandten Organ-Diskontinuität — jeweils n u r für die einzelne Tagung beschlossen hätte: betroffen wäre n u r seine eigene A r b e i t gewesen. Z u dem dabei auftauchenden Problem, ob der Reichstag befugt gewesen wäre, auf diese Weise auch das Initiativrecht D r i t t e r zu beschneiden, vgl. unten § 21. 77

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Die Unterscheidung zwischen „Schließung der Tagung" und „Vertagung der Tagung" 8 4 hatte über diese theoretischen Erwägungen hinaus aber vor allem einen praktischen Grund. Erst wenn der Reichstag sich nicht nur vertagte, sondern förmlich den Schluß seiner Tagung beschloß, entfiel die Immunität für seine Mitglieder 8 5 . Diese Folge war es, die den Reichstag von Anfang seines Wirkens i n der Weimarer Republik an davon abhielt, von der i n der Verfassung angelegten Unterteilung seiner Wahlperiode i n einzelne Tagungsabschnitte Gebrauch zu machen 86 . Indem er sich nur vertagte, sicherte er seiner Organwalterschaft einen ununterbrochenen Schutz vor gerichtlicher Verfolgung. Vom ersten Zusammentritt an, der durch A r t . 23 Abs. 2 WRV spätestens auf den dreißigsten Tag nach der Wahl festgelegt war und höchstens vorgezogen, nicht aber hinausgeschoben werden konnte, bis zum Ablauf der Wahlperiode oder bis zur Auflösung waren die Abgeordneten damit auf Grund der Verfassung und eigener Entscheidung von Angriffen auf ihre Person und ihre Fähigkeit, das Mandat wahrzunehmen, weitgehend frei. Die mögliche Erwägung, durch eine Aufgliederung der Wahlperiode i n weitere Handlungsabschnitte m i t der Folge der Diskontinuität die Arbeit schlanker zu machen und das parlamentarische Programm von Zeit zu Zeit zu bereinigen, trat dahinter zurück. Der Reichstag tagte während der Wahlperiode permanent. Damit hatte sich die bereits i n der Nationalversammlung vertretene Auffassung nachträglich doch noch durchgesetzt, wenn damit — subjektiv betrachtet — auch eher den Interessen der Parlamentarier als des Parlaments entsprochen wurde 8 7 . Für eine Anwendung des Grundsatzes der Diskontinuität auf irgendwelche Sitzungsperioden war so schon tatsächlich kein Raum mehr; die dazu i n der Literatur angestellten Überlegungen blieben zumindest für den Reichstag Theorie 88 . Die i n dieser Form von Anfang an bestehende Übung fand auch i n der Geschäftsordnung Niederschlag, die sich der Reichstag 192289 gab. 84

Vgl. zu dieser Begriffserklärung Sieber (Anm. 36) S. 27. Bornhak (Anm. 34) A r t . 24 A n m . ; Stier-Somlo (Anm. 66) S. 582; PoetzschHeffter (Anm. 43) A r t . 24 A n m . 6; Jellinek (Anm. 71) S. 65; Finger (Anm. 56) S. 267. 86 Gebhard (Anm. 32) A r t . 24 A n m . 2 b ; auch Beiz (Anm. 42) S. 41. Vgl. auch S t G H i n RGZ 125, A n h a n g S. 6, Lammers-Simons Bd. I S. 271. 87 Vgl. noch einmal von Freytagh-Loringhoven (Anm. 61) S. 101 Fn. 1. 88 Wie sehr das neue Staatsrecht noch von Vorstellungen des K o n s t i t u t i o nalismus überlagert war, zeigte sich darin, daß ungeachtet dieser Tatsache die gesamte L i t e r a t u r zur Weimarer Reichsverfassung bis 1933 ausführliche Betrachtungen zur Diskontinuität der Tagungen anstellte. Eine Ausnahme bildete allein Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 14, 316 f., der schon 1922 von der „längst sinnentleerten Diskontinuität der Sessionen" sprach. Z u der teilweise unterschiedlichen Handhabung i m Landesstaatsrecht vgl. unten § 23. 89 Geschäftsordnung des Reichstags v o m 12. Dezember 1922, RGBl. 1923 I I S. 101, zuletzt g ü l t i g i n der Fassung der Bekanntmachung durch den Reichs85

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Nach § 14 wurde das Reichstagspräsidium, der Vorstand, wie er jetzt hieß, ohne Rücksicht auf Art. 27 WRV für die gesamte Wahlperiode gewählt; eine dem § 70 der Geschäftsordnung des alten Reichstags entsprechende Regelung fehlte darin. Gerade i m Hinblick auf A r t . 27 und 37 WRV wurde „die Beseitigung der einzelnen Tagungen" deshalb vereinzelt als „eine Verletzung der Verfassung" bewertet und A r t . 24 WRV als „nunmehr gegenstandslos" angesehen 90 . Vorsichtiger waren andere, die davon sprachen, daß „ m i t Ausnahme der Bestimmung über das Zusammentreten des Reichstags nach der Hauptwahl . . . alle Vorschriften der Verfassung über Tagung oder Sitzungsperiode papierene Vorschriften bleiben zu sollen" schienen, und die Einteilung der Wahlperiode i n Tagungsabschnitte „als zur Zeit totes Recht bezeichnet werden" müßte 9 1 . Es wurde auch versucht, aus dieser Praxis heraus einen neuen, gewohnheitsrechtlich gebildeten reichsrechtlichen Tagungsbegriff zu konstruieren, der mit der Wahlperiode identisch sein und entgegenstehendes Verfassungsrecht hinfällig machen sollte 92 . Die überwiegende Meinung ging jedoch davon aus, daß ein Zwang, die Wahlperiode i n Tagungen zu zerlegen, für den Reichstag nicht bestand, dieser vielmehr nur berechtigt, nicht aber verpflichtet sei, den Schluß seiner Tagimg zu bestimmen 93 . Für eine irgendwie geartete Diskontinuität blieb deshalb innerhalb einer Wahlperiode kein Raum. Die politische Praxis hatte auch insoweit die ursprünglich inkohärente und i n sich widersprüchliche Verfassung zurechtgerückt und funktionsfähig gemacht. Der faktische Fortfall der Sitzimgsperioden oder Tagungen und damit der Fortfall der Voraussetzung für eine Diskontinuität der Sessionen bedeutete jedoch nicht den Verzicht auf die Frage nach einer Diskontinuität der Wahlperiode. Wenn der Reichstag während seiner Wahlperiode i n Permanenz tagte, war er damit noch keineswegs ein permanentes Parlament 9 4 i m Sinne eines ununterbrochen konkret-personell minister des I n n e r n i n RGBl. 1931 I I S. 221. Vgl. auch die Ausführungen des Berichterstatters zu dieser Frage bei der Verabschiedung der Geschäftsordnung, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, Bd. 357 S. 9048. 90 von Freytagh-Loringhoven (Anm. 61) S. 101. Vgl. auch Lammers, Reichstag i n : H w b R W Bd. 5 S. 30. 91 Jellinek (Anm. 71) S. 65. 92 Weber, Der reichsrechtliche Tagungsbegriff, passim, insbes. S. 46 ff. 93 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 5; Schmitt (Anm. 52) Sp. 1286; Jellinek (Anm. 61) S. 65; Poetzsch-Heffter (Anm. 43) A r t . 24 A n m . 6; Lammers (Anm. 90) S. 29 f. 94 So auch Beiz (Anm. 42) S. 41 gegen Klaus Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965 S. 507, der davon spricht, „ i n p r a x i " sei der Reichstag der Weimarer Zeit bereits ein permanentes Parlament gewesen, später jedoch richtigstellt, daß es die — weitere Periodizität der Legislaturperiode gegeben habe.

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vorhandenen und auch ununterbrochen tagenden Verfassungsorgans. Das Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie, die trotz einiger plebiszitärer Elemente die Weimarer Reichsverfassung prägte, setzte eine regelmäßig, d. h. periodisch zu erneuernde Legitimation der Volksvertretung voraus. Die entsprechende Regelung i n A r t . 23 Abs. 1 Satz 1 WRV genügte diesen Anforderungen 9 5 : mit der Entscheidung für eine Totalerneuerung der Organwalterschaft, die i n der Tradition des deutschen Staatsrechts lag 9 8 , war zusammen m i t der Festlegung auf das Verhältniswahlsystem i n A r t . 22 W R V 9 7 die Voraussetzung gegeben, daß bei der Wahl jeweils das aktuelle politische Meinungsbild in der Wahlentscheidung seinen Niederschlag fand und für vier Jahre die Zusammensetzung des Reichstags bestimmte 98 . Bei einer so vorgesehenen zeitlichen Gliederung der Tätigkeit des Reichstags mußte das Ende der Wahlperiode eine Zäsur bedeuten, die eine Periodizität i m aufgezeigten Sinne 9 9 begründete. Die Verfassung selbst ging auch von einer Zäsur aus, indem sie i n A r t . 27 den Präsidenten des Reichstags und seine Stellvertreter und i n A r t . 35 den auswärtigen Ausschuß und den ständigen Ausschuß m i t der Weiterführung der Geschäfte bzw. m i t der Wahrnehmung der Rechte der Volksvertretung wie zwischen zwei Tagungen auch zwischen zwei Wahlperioden bzw. nach Beendigung einer Wahlperiode beauftragte. Soweit A r t . 35 Abs. WRV bestimmte, daß der ständige Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten auch nach Beendigung der Wahlperiode oder nach der Auflösung des Reichstags „tätig werden kann", ließ sich daraus bereits der U m kehrschluß ziehen, daß die übrigen Ausschüsse bei Tagungsschluß wie das Plenum ihre Tätigkeit einzustellen hatten 1 0 0 ; aus der Existenz eines eigenen Ausschusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung auch nach Beendigung der Wahlperiode oder Auflösung des Reichstags bis zum Zusammentritt des neugewählten Parlaments i n A r t . 35 Abs. 2 WRV war zu entnehmen, daß die Verfassung grundsätzlich die Zeit zwi95

Vgl. dazu noch einmal Finger (Anm. 55) S. 264 f. Vgl. dazu oben § 10. Die Ausnahmen f ü r die Hansestädte beruhten auf eigenständigen Entwicklungen u n d endeten m i t der Weimarer Republik, vgl. unten § 23. Auch Belgien ging i m 20. Jahrhundert von der Teilerneuerung ab, vgl. unten § 31. 97 Vgl. dazu u n d zu den Versuchen, das Wahlrecht bzw. Wahlsystem der Weimarer Republik zu reformieren, Schäfer (Anm. 41) S. 119 ff. 98 Wenn Kelsen (Anm. 37) S. 353 u n d jetzt auch Beiz (Anm. 42) S. 53 f. Totalerneuerung u n d Partialerneuerung gleichgewichtig nebeneinanderstellen u n d die repräsentative Demokratie damit als i n dieser Frage neutral ansehen, verkennen sie die Bedeutung der Legitimationsschübe f ü r die gesamte Organwalterschaft i m Verhältnis zu deren einzelnen Mitgliedern. Vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 216. 99 Vgl. oben § 1. 100 Klemm (Anm. 11) S. 49. 96

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sehen zwei Wahlperioden als parlamentslose Zeit und das Ende der Wahlperiode des alten Parlaments als Einschnitt ansah. Die formelle Gleichstellung hinsichtlich der Zeit „außerhalb der Tagung" und der Zeit „nach Beendigung der Wahlperiode" i m Wortlaut der Art. 27 und 35 WRV sollte dabei nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich u m zwei verschiedene Vorgänge handelte 1 0 1 . Während die Zäsur der Tagungsschließung vom Reichstag selbst nach A r t . 24 WRV gesetzt werden konnte 1 0 2 , war die des Endes der Wahlperiode seinem Einfluß entzogen. Die Wahlperiode lief nach der von der Verfassung gesetzten Lebensdauer automatisch aus und konnte von dem betreffenden Reichstag für sich selbst nicht verlängert werden 1 0 3 ; oder sie wurde i m Wege der Auflösung durch den Reichspräsidenten verkürzt, worauf der Reichstag ebenfalls keinen Einfluß hatte. Das Element der Fremdbestimmung, des Eingriffs von außen, das wesentlich bei der Definition der Periodizitäten als geschlossener Handlungseinheiten eine Rolle gespielt hatte, war also bei der Wahlperiode auch nach der Weimarer Reichsverfassung durchaus gegeben. Da an derartige Periodizitäten aber auch die bereits früher bekannten Rechtsfolgen geknüpft wurden, konnte der Reichstag zwar auf die Einteilung seiner Wahlperiode i n Tagungen oder Sitzungsperioden verzichten und so alle theoretischen Erwägungen über eine Fortgeltung der Diskontinuität i n diesem Bereich obsolet machen. Das Ende der Wahlperiode jedoch blieb als Zäsur für seine Tätigkeit bestehen, weil das abstrakt-institutionelle Verfassungsorgan dadurch seiner konkretpersonellen Zusammensetzung beraubt wurde 1 0 4 . M i t Ablauf der Wahlperiode und Auflösung des Reichstags war deshalb neben dem Verlust der Mandate und aller auf diesen beruhenden Vorrechte „selbstverständlich" verbunden, daß nichterledigte Entwürfe und sonstige Arbeiten gegenstandslos wurden 1 0 5 . Es galt damit eine differenzierte Diskontinuität, wenn auch die Erscheinungsformen i n der 101 Dafür spricht auch die Geschichte des Überwachungsausschusses i n Bayern. § 30 der Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern v o m 14. August 1919 sah eigentlich zwei Ausschüsse vor, nämlich den Zwischenausschuß z w i schen zwei Tagungen u n d den „ständigen Ausschuß" nach A b l a u f der W a h l periode des Landtags oder nach dessen Auflösung, welche n u r praktisch zu einem Ausschuß vereinigt waren; vgl. Klemm (Anm. 11) S. 51 u n d unten §23. 102 Vgl. den Abgeordneten Schmidt bei den Beratungen der Geschäftsordnung des Reichstags, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 357 S. 9049 A. So ausdrücklich auch Nawiasky (Anm. 66) S. 139. 103 Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1, S. 476 ff. 104 Unrichtig deshalb auch hier Müller (Anm. 94) S. 507, der diese Folgerung einfach übergeht, indem er jeden Zusammenhang zwischen Periodizität u n d Diskontinuität, den er abstrakt zunächst aufgestellt hat, i m Falle der W a h l periode leugnet u n d die Diskontinuität einseitig als Rechtsfolge allein der Sitzungsperiode wertet, m i t deren Wegfall für i h n dann auch k e i n Raum mehr für die Anwendung des Grundsatzes der Diskontinuität ist; vgl. dazu unten §29.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

Literatur systematisch immer noch nicht klar geschieden wurden 1 0 6 . Die Mandate der einzelnen Abgeordneten erloschen; es trat also personelle Diskontinuität ein. Gleichzeitig damit entfielen die organisatorischen Vorkehrungen, die das Parlament zur Sicherstellung seiner Arbeitsfähigkeit getroffen hatte: seine Ausschüsse fielen weg, die selbst gegebene Geschäftsordnung lief als solche aus 1 0 7 . Ausnahmen wie hinsichtlich der Tätigkeit des Präsidiums und der genannten beiden Ausschüsse mußte die Verfassung vorsehen; die Regelung i n der Geschäftsordnung war insoweit nur Wiederholung. Schließlich trat auch sachliche Diskontinuität ein, indem alle noch nicht abschließend behandelten Geschäfte hinfällig wurden. Die rechtliche Zuordnung des weiter als Grundsatz verstandenen Diskontinuitätsprinzips war dadurch erschwert, daß trotz der wesentlichen Veränderungen der Verfassungsstruktur historische Erfahrungen und konservative Einstellungen die Auslegung und Anwendung des neuen Rechts überlagerten. Der bei der Beratung des ursprünglichen A r t . 46 i m Verfassungsausschuß der Nationalversammlung gefundene Komprom i ß 1 0 8 mußte sich dabei als besonders hinderlich erweisen. Die Residuen der Vorkriegszeit, von denen Carl Schmitt 109 gesprochen, die er aber nicht bzw. nicht richtig eingeordnet hatte, w i r k t e n auch i n der Beurteilung des Diskontinuitätsprinzips fort. Da man es i n erster Linie m i t der alten und neuen, wenn auch nicht geübten Session verband, mußte man es als Gewohnheitsrecht 110 einstufen, das, weil es grundsätzlich m i t dem Selbstversammlungsrecht unvereinbar gewesen wäre, überwiegend als unbedenklich weitergeltend angesehen wurde 1 1 1 . Zum Teil wurde auch, i n Umkehrung der tatsächlichen Rechtslage, m i t den Argumenten von Preuß i m Verfassungsausschuß geradezu zwingend eine Notwendigkeit 105 Bühler (Anm. 52) A r t . 24 A n m . 1; Gebhard (Anm. 32) A r t . 24 A n m . 6c; Jellinek (Anm. 71) S. 64 f.; Esche, Die Auflösung der Volksvertretung i m Deutschen Reich u n d i n seinen Ländern, S. 93; Lalla, Die Auflösung des deutschen Reichstages, S. 75. F ü r das Bayerische Landesstaatsrecht vgl. Nawiasky (Anm. 66) S. 134. Die i m übrigen bei Beiz (Anm. 42) S. 42 Fn. 38 genannten A u t o r e n sind dagegen i n dieser Frage keineswegs so eindeutig, w i e Beiz es darstellt. 106 Eine Ausnahme machte Gebhard (Anm. 32) A r t . 24 A n m . 6 a. 107 Anschütz (Anm. 24) A r t . 26 A n m . 2. 108 Vgl. oben. 109 (Anm. 52) Sp. 1285. 110 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 8; Hatschek!Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 480; Gebhard (Anm. 32) A r t . 24 A n m . 6 b ; Finger (Anm. 32) S. 267; Hillmann, Die Durchführung des Grundsatzes der Diskontinuität i m Reich u n d i n Bayern, S. 31. Ä h n l i c h der Abgeordnete Dr. Kahl, der von einem „parlamentarischen Gewohnheitsrecht" sprach; Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags Bd. 357, S. 9051. V o n Gewohnheitsrecht geht auch Doertenbach, Z u r Frage der K o n t i n u i t ä t des Gesetzgebungsweges, i n : AöR Bd. 48 (N.F. Bd. 9) S. 91 aus, der allerdings ein anderes Thema behandelt; vgl. unten § 21. 111 Anschütz (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 8.

§ 20 Periodizitäten des Reichstages

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für die Fortgeltung dieses Gewohnheitsrechts hinsichtlich der „Tagungen" begründet 1 1 2 , obwohl man damit die eigentliche Fragestellung verkannte 1 1 3 . Immerhin bot sich damit eine Möglichkeit, ähnlich wie 1871 114 die Tatsache zu überspielen, daß ein Rechtssatz als Gewohnheitsrecht übernommen wurde, der dem Geltungskreis einer früheren, anderen Verfassungsordnung entstammte und durch Umbruch zumindest i n Frage gestellt war. Indem man den Grundsatz der Diskontinuität auf den eigentlichen Parlamentsbereich reduzierte, war es einfach, i h n als „alten Parlamentsbrauch" 1 1 5 zu rechtfertigen, der „ k r a f t alten Herkommens" 1 1 6 auch für das Ende der Wahlperiode galt 1 1 7 . Umstritten blieb dann nur noch der Rang. Während die einen von Verfassungsgewohnheitsrecht ausgingen, dessen Beseitigung oder A b änderung nur durch verfassungsänderndes Gesetz erfolgen könne 1 1 8 , vertrat Anschütz die Auffassung, weder das alte noch das geltende Staatsrecht hätte Gewohnheitsrecht m i t Verfassungsgesetzeskraft gekannt, so daß die Diskontinuität durch einfaches Reichsgesetz, aber nicht durch die Geschäftsordnung des Reichstages abgeschafft werden könne 1 1 9 . Gerade dies behauptete hinwiederum Triepel 120, der i m übrigen 112 Vgl. Finger (Anm. 32) S. 267. Ä h n l i c h der Abgeordnete Dr. Kahl, der zweimal von „Ladenhütern aller A r t v o n ältesten Anträgen" sprach, die der Reichstag m i t sich herumschleppe (Anm. 110) S. 8975 B, 9051 B. m Vgl. dazu ausführlich Wittmayer (Anm. 88) S. 14, 316 f., u n d Nawiasky (Anm. 66) S. 139. 114 Vgl. oben § 15. 115 So noch nachträglich Apelt (Anm. 28) S. 188. 118 Jellinek (Anm. 71) S. 64. 117 Anders auch nicht Arndt, Die Verfassung des Deutschen Reiches v o m 11. August 1919, A r t . 24 A n m . 3, der t r e u gegen sich selbst seine bereits zur alten Reichsverfassung vertretene Auffassung fortführte u n d den Grundsatz der Diskontinuität aus dem W o r t l a u t der Verfassung ableitete, sich zusätzlich aber auch noch auf „parlamentarisches Gewohnheitsrecht" berief. 118 Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 480. Ä h n l i c h Gebhard (Anm. 32) A r t . 24 A n m . 6 b, der aber darauf hinwies, daß Gewohnheitsrecht i n erster L i n i e wieder durch entgegengerichtetes Gewohnheitsrecht geändert werde, u n d deshalb eine Beseitigung schon dadurch möglich sei, daß der Reichstag m i t B i l l i g u n g des Reichspräsidenten, der Reichsregierung u n d des Reichsrats stillschweigend u n d wiederholt i n der Auffassung, daß es sich dabei u m ein veraltetes Prinzip handele, über den Grundsatz der Diskontinuität h i n w e g gehe. E i n verfassungsänderndes Gesetz hielt Gebhard n u r dann f ü r erforderlich, w e n n die K o n t i n u i t ä t der Sitzungsperioden durch Einfügung einer besonderen Bestimmung i n die Reichsverfassung hergestellt werden solle. I n allen anderen Fällen einer lediglich ausnahmsweisen Durchbrechung bedurfte es nach seiner Auffassung nicht der formellen Verfassungsänderung. Dahinter stand die Frage, w i e A r t . 76 W R V auszulegen sei; vgl. Gebhard A r t . 76 A n m . 3 gegen Anschütz (Anm. 24) A r t . 76 A n m . 2 u n d Fn. 1 - 3 . Beiz (Anm. 42) S. 45 Fn. 56 hat hier Gebhard nicht ganz verstanden. 11β (Anm. 24) A r t . 24 A n m . 8. 120 Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, i n : AöR Bd. 39 S. 516 Fn. 86.

14 Jekewitz

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III. 6. Kap.: Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

m i t dem alten Staatsrecht eine Diskontinuität vor allem der Sessionen i m Auge hatte. Richtigerweise hätte die Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit jedoch differenzieren müssen. Was die theoretisch mögliche Unterteilung der Wahlperioden i n Tagungen oder Sitzungsperioden anbelangte, so war der Reichstag darin frei, derartige Handlungsabschnitte von sich aus und für sich zu beschließen. Ein automatischer Abbruch aller Arbeiten m i t dem Zwang zum Neubeginn wäre damit nicht verbunden, eine entsprechende autonome Regelung durch die Geschäftsordnung aber auch nicht ausgeschlossen gewesen. Das Ende der Wahlperiode w a r dagegen dem Einfluß des Reichstages entzogen, die so geschaffene geschlossene Handlungseinheit i h m von außen, wenn auch auf Grund der Verfassung, aufgezwungen. N u r m i t ihr konnten sich daher zwangsweise Rechtsfolgen verbinden, die dann auch nicht einfach durch häufige und unangefochtene Nichtbeachtung i m Sinne Gebhards 1 2 1 oder auch durch eine schlichte Geschäftsordnungsbestimmung abzuschaffen waren. U m sie zu beseitigen oder auch nur zu durchbrechen, bedurfte es des von der Verfassung vorgesehenen Weges des A r t . 76 WRV. Wie i n der Kaiserzeit 1 2 2 war für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht also überhaupt kein Raum. Der Grundsatz der Diskontinuität der Wahlperiode, aber auch nur der Wahlperiode, ergab sich vielmehr aus der Verfassung selbst. Er war dort aber nicht etwa 1 Ausfluß der Begriffe „Tagung" bzw. „Wahlperiode", wie Beiz 1 2 3 nachzuweisen versucht hat, sondern der Tatsache, daß von den beiden so angelegten Handlungsabschnitten aufgrund der verfassungsrechtlichen Regelung n u r die Wahlperiode von existenzieller Bedeutung für den Reichstag i n seiner konkret-personellen Zusammensetzung wie i n seiner institutionellen Handlungsfähigkeit war. Dazu brauchte die Verfassung nicht ausgelegt zu werden; als ungeschriebenes materielles Verfassungsrecht galt der Grundsatz der Diskontinuität am Ende der Wahlperiode unmittelbar und konnte deshalb auch nur auf dem von A r t . 76 WRV vorgeschriebenen Wege durchbrochen oder eingeschränkt werden. A u f die Tagung oder Sitzungsperiode hätte er dagegen von Verfassungswegen keine A n 121

(Anm. 32) A r t . 24 A n m . 6 b. Vgl. oben § 15. 123 (Anm. 42) S. 45 f. Auch Beiz erliegt damit den „Mißverständnissen", von denen Carl Schmitt sprach, u n d die die gesamte Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit beherrschten. Die Existenz v o n „Sessionen" w a r eigentlich seit der Beratung i m Verfassungsausschuß h i n f ä l l i g ; w e n n Beiz sich an einen feststehenden I n h a l t des Begriffs „Session" klammert, tradiert auch er damit u n beirrt Reste des konstitutionellen Staatsrechts. Richtig dagegen schon Rau (Anm. 36) S. 9 ff., der die „Schuld" an diesen Mißverständnissen bei der Redaktionskommission sucht, die A r t . 24 Abs. 2 W R V eine Fassung gegeben habe, „die die nach dem W i l l e n der sozialdemokratischen Antragsteller gewünschte u n d v o n der Nationalversammlungsmehrheit gebilligte Auslegung des Begriffs ,Sitzungsdauer* nicht mehr ohne weiteres erkennen läßt". 122

§21 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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Wendung mehr finden können, selbst wenn es tatsächlich noch derartige Unterteilungen der Wahlperiode gegeben hätte. Selbst als Parlamentsbrauch oder Teil des autonomen Parlamentsrechts war er weggefallen, seit der Reichstag davon abgesehen hatte, i n seine Geschäftsordnung eine dem § 70 der Geschäftsordnung des Reichstags der Kaiserzeit entsprechende Regelung aufzunehmen, nachdem schon vorher durch Verzicht auf die Schaffung der Voraussetzungen kein Raum mehr für eine mögliche Anwendung gewesen war. Allen vom Verfassungs- und Parlamentsrecht der Weimarer Zeit zu einem Grundsatz der Diskontinuität der Sessionen angestellten Überlegungen hatte es vielmehr von vorneherein an der Grundlage gefehlt; während die Praxis des Reichstags die veränderte eigene Stellung i m Verfassungsgefüge durchaus richtig interpretierte, ging die Staatsrechtslehre immer noch von längst überholten konstitutionellen Vorstellungen aus, mochte sie diese auch noch so sehr m i t Zweckmäßigkeitserwägungen bemänteln 1 2 4 .

§ 21 Die Bedeutung der Diskontinuität im Gesetzgebungsverfahren nach der Reichsverfassung Wie unter der Verfassung des Kaiserreichs erlangte der Grundsatz der Diskontinuität seine größte Bedeutung auch i n der Weimarer Zeit für das Gesetzgebungsverfahren. Ebenfalls wie unter der alten Reichsverfassung ergaben sich Auseinandersetzungen hinsichtlich seiner Anwendung und seiner Reichweite dadurch, daß zum endgültigen Zustandekommen eines Gesetzes mehrere Faktoren erforderlich waren, die nur zum Teil unmittelbar zum Bereich des Parlaments gehörten. Nach A r t . 68 Abs. 2 W R V wurden die Reichsgesetze vom Reichstag beschlossen, nachdem sie von der Reichsregierung oder aus der Mitte des Reichstags bei diesem eingebracht worden waren. Entsprechend seiner zentralen Stellung i m Verfassungssystem der Weimarer Republik stand damit dem Reichstag das letzte Wort zu jedem gesetzgeberischen A k t zu, falls nicht unter den besonderen Bedingungen des A r t . 73 WRV ein Volksentscheid verlangt wurde. Eine Unterscheidung zwischen Feststellung des Gesetzesinhalts und Erteilung des Gesetzesbefehls wie unter 124 Auch Beiz (Anm. 42) S. 47 folgt n u r einseitig u n d unkritisch den A u s führungen v o n Preuß u n d Kahl, w e n n er behauptet, der Reichstag habe das Diskontinuitätsprinzip i n erster L i n i e als einen Rechtsgrundsatz betrachtet, der dazu geeignet gewesen sei, die Bewältigung der parlamentarischen A r b e i t zu erleichtern. Der wesentliche Unterschied zur Verfassung des Kaiserreichs w i r d v o n i h m nicht erkannt; er muß deshalb verschwommen von einer „ w o h l tuenden Bereinigung des parlamentarischen Programms" sprechen, die m a n i n der Diskontinuität erblickt habe u n d der die Nachteile bei der parlamentarischen Behandlung umfangreicher Gesetzesvorlagen gegenübergestanden hätten. Vgl. dazu aber schon Nawiasky (Anm. 66) S. 139!

14*

212

. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

der alten Reichs Verfassung 125 konnte es deshalb nicht mehr geben 1 2 6 ; beide i m Konstitutionalismus unterschiedene Abschnitte fielen vielmehr i n der endgültigen Entscheidung des Reichstags zusammen. Dafür kannte die Weimarer Verfassung die Beteiligung weiterer Verfassungsorgane am GesetzgebungsVorgang, die je nach Ausgangspunkt und Zielrichtung eines Gesetzes unterschiedlich sein konnte, aber i n Form obligatorischer Verfahrensschritte für das verfassungsmäßige Zustandekommen eines Gesetzes konstitutiv waren. Diese Beteiligung lag zum Teil vor, zum Teil nach dem eigentlichen Gesetzgebungsverfahren i m Innern des Reichstags, das sich allein nach dessen Geschäftsordnung bestimmte. Das Ende der Wahlperiode des Parlaments, das die bei i h m selbst noch nicht abgeschlossenen Vorhaben erledigte und für die Wiederaufnahme eine förmliche Neueinbringung i n der folgenden Wahlperiode erforderte 1 2 7 , konnte sich als organexterne Diskontinuität 1 2 8 bei der überragenden Stellung des Reichstags i m Gesetzgebungsverfahren auch auf diese Verfahrensschritte auswirken. Die bereits beim Reichstag der Kaiserzeit aufgetretenen Probleme wiederholten sich damit, wenn auch unter anderen Vorzeichen; die Antworten auf die entsprechenden Fragen mußten sich an der Bedeutung ausrichten, die dem Reichstag und seiner periodisch zu erneuernden Legitimation i m Verfassungsgefüge der Weimarer Republik zukam. Das Gesetzgebungsverfahren bestand auch nach der Weimarer Reichsverfassung aus einer Kette einander voraussetzender Handlungen der an der Gesetzgebung Beteiligten. Bei jedem Gesetz gab es zumindest vier deutlich unterschiedene Akte: die Einbringung, den Gesetzesbeschluß, die Ausfertigung und die Verkündung 1 2 9 . Außer bei Gesetzentwürfen aus der Mitte des Reichstags ging der Einbringung aber noch ein genau geregeltes Vorverfahren voraus; vor den endgültigen Beschluß und die Ausfertigung eines Gesetzes hatte die Verfassung die Möglichkeit verschiedener Verzögerungen und Hemmnisse gesetzt, die überwunden werden mußten, falls das Gesetz nicht scheitern sollte. Es w a r deshalb zwischen einem Gesetzgebungsvorgang i m eigentlichen oder engeren Sinne und einem solchen i m weiteren Sinne zu unterscheiden. Während für den eigentlichen Gesetzgebungsvorgang die Anwendung des Grundsatzes der Diskontinuität unbestritten war, stand dies für den weiteren nicht ohne weiteres fest. 125 126 127 128 120

Vgl. oben § 14. Walter Jellinek, Das einfache Reichsgesetz, i n : HbDStR Bd. I I , S. 163. Jellinek (Anm. 126) S. 165. Z u m Begriff vgl. oben § 2. Jellinek (Anm. 126) S. 164.

§ 21 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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Wenn A r t . 68 Abs. 1 WRV bestimmte, daß Reichsgesetze von der Reichsregierung oder aus der Mitte des Reichstags eingebracht wurden, war damit nur der Formalakt der Einbringung selbst gemeint. Der Kreis der Initiativberechtigten dagegen war weiter; außer Mitgliedern des Reichstags und außer der Reichsregierung konnten der Reichsrat, der Reichswirtschaftsrat und ein bestimmter Prozentsatz des Reichsvolkes den Anstoß zu einer gesetzgeberischen Maßnahme geben. Das I n i t i a t i v recht des Reichsrats beruhte dabei auf A r t . 69 Abs. 2 WRV; es war praktisch die Umkehrung des Vorverfahrens nach A r t . 69 Abs. 1 Satz 1 WRV, der zur Einbringung von Gesetzentwürfen der Reichsregierung die vorherige Vorlage an den Reichsrat voraussetzte. Wie die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung der Zustimmung des Reichsrats bedurfte, nach A r t . 69 Abs. 1 Satz 2 WRV i m Falle des Nichtzustandekommens einer Ubereinstimmung die Reichsregierung trotzdem die Vorlage, jedoch unter Darlegung der abweichenden Auffassung des Reichsrates einbringen konnte, so w a r auch eine Gesetzesvorlage des Reichsrats, welcher die Reichsregierung nicht zustimmte, von dieser m i t einer entsprechenden Stellungnahme dem Reichstag vorzulegen. Stimmte die Reichsregierung der Vorlage dagegen zu, so hatte sie sie als eigene beim Parlament einzubringen 1 3 0 . Der Begriff „Zustimmung" war hier allerdings ungenau. Die „ Z u stimmung" war eben nicht als förmliche Einverständniserklärung bzw. ihre Verweigerung als ein Verfahrenshindernis angelegt. Reichsregierung wie Reichsrat mußten bei eigenen Initiativen vielmehr jeweils dem anderen Verfassungsorgan vor der Einbringung beim Reichstag lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme geben und dabei versuchen, dessen Zustimmung zu erlangen 1 3 1 . Damit sollte sichergestellt werden, daß Reichsregierung und Reichsrat i n bezug auf eine für erforderlich erachtete gesetzgeberische Maßnahme möglichst einer Meinung waren, d. h. der politische Wille der Reichsregierung m i t den tatsächlichen Verwaltungserfahrungen der Länderregierungen übereinstimmte. Dabei w a r die Stellung des Reichsrats insofern stärker, als bei einer Beteiligung i m Vorverfahren schon sein späteres Einspruchsrecht 132 seine Schatten vorausw a r f 1 3 3 , die Reichsregierung bei eigenen Entwürfen also möglichst schon vorher die Billigung des Reichsrats zu erlangen versuchen mußte, u m sich später nicht der Gefahr ausgesetzt zu sehen, daß der Reichsrat ein Gesetz blockierte. Selbst wenn die Reichsregierung die zur Verabschie180 Jellinek (Anm. 126) S. 168; Bilfinger (Anm. 24) S. 559; Doertenbach (Anm. 110) S. 92; Anschütz (Anm. 24) A r t . 68, 69 A n m . 3 b. 181 Vgl. Anschütz (Anm. 24) A r t . 68, 69 A n m . 3 a; Bilfinger (Anm. 24) S. 561; Jellinek (Anm. 126) S. 167; Triepel (Anm. 120) S. 483 f. 132 Vgl. dazu unten. 133 Jellinek (Anm. 126) S. 167.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

dung eines Gesetzes erforderliche Mehrheit des Reichstags hinter sich hatte, w a r bei den tatsächlichen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen und der politischen Zusammensetzung des Reichstags nämlich noch keineswegs gewährleistet, daß i m Reichstag später eine für die Übereinstimmung des Einspruchs notwendige Zweidrittelmehrheit zustandekam. Die vom Reichsrat einmal erteilte Zustimmung ermächtigte die Reichsregierung zur Einbringung des Entwurfs i m Reichstag, verpflichtete sie aber nicht dazu. Da die Weimarer Reichsverfassung für die Erteilung der Zustimmung wie für die weitere Behandlung keine Fristen vorsah, war die Reichsregierung insoweit frei, m i t der Gesetzesvorlage, zu der der Reichsrat Stellung genommen hatte, zu verfahren, wie es ihr beliebte. Dabei stellte sich die Frage, ob es eine zeitliche Grenze für die Geltungsdauer einer einmal vom Reichsrat erteilten Zustimmung gab. Wäre es allein auf das Verhältnis zwischen Reichsrat und Reichsregierung angekommen, hätte eine derartige Grenze i n der Lebensdauer der Reichsregierung oder des Reichsrats liegen können. Die Reichsregierung selbst war aber nicht periodisch angelegt, da sie i n erster Linie vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhing 1 3 4 und eine Neuwahl des Reichstags ihre Existenz nicht unbedingt beeinflußte, insbesondere nicht automatisch ihren Rücktritt zur Folge hatte. Aber auch der Reichsrat w a r kein periodisches, sondern ein permanentes Verfassungsorgan, dessen Zusammensetzung sich allenfalls sukzessive entprechend den Umbildungen i n den einzelnen Landesregierungen veränderte. Da die Beteiligung von Reichsregierung und Reichsrat am Gesetzgebungsvorgang und dessen Vorverfahren i n Form der Initiative bzw. der Stellungnahme zu einer Initiative aber auf den Reichstag als das eigentlich beschließende Organ gerichtet war, konnten sich gegebenenfalls dessen Periodizitäten auch auf die Handlungen der übrigen Verfassungsorgane auswirken. Eine solche organexterne Diskontinuität 1 3 5 , die sich an der Wahlperiode des Reichstags orientierte, war i n zwei Erscheinungsformen denkbar. Eine Vorlage, die i n der alten Wahlperiode noch beim Reichstag eingebracht, von diesem aber nicht mehr verabschiedet worden war, wurde m i t dem Ende der Wahlperiode entsprechend dem Diskontinuitätsprinzip hinfällig. Dabei blieb es unbeachtlich, von wem diese Initiative ausgegangen war und wer den Gesetzentwurf beim Reichstag eingebracht hatte. Die Zustimmung des Reichsrates zu einem beim Reichstag eingebrachten Gesetzentwurf der Reichsregierung erlosch also m i t dem Ende der Wahlperiode, wie auch eine Initiative des Reichsrates sich erledigte. Sollte das Vorhaben zu Beginn einer folgenden Wahlperiode erneut be134 135

Vgl. oben § 13. Z u m Begriff vgl. oben § 2.

§ 21 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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handelt werden, bedurfte es einer neuen Einbringimg, die auch ein neues Vorverfahren voraussetzte, wenn derselbe Weg beschritten wurde. Dazu war dann eben auch die erneute Beteiligung des Reichsrates erforderlich 13 «. Davon zu unterscheiden war der weitere Fall, daß der Reichsrat einer Gesetzesvorlage der Reichsregierung zugestimmt hatte, es vor dem Ende der Wahlperiode aber nicht mehr zur Einbringung beim Reichstag gekommen war. Hätte der Grundsatz der Diskontinuität nur für den eigentlichen Parlamentsbereich gegolten, wäre er hier nicht zur Anwendung gekommen 1 3 7 . Da die Stellungnahme des Reichsrats aber für ein bestimmtes Vorhaben abgegeben wurde, das i n einem bestimmten Reichstag m i t bekannten politischen Tendenzen und Mehrheiten verabschiedet werden sollte 1 3 8 , also politisch die gleiche Situation gegeben war wie bei einem bereits eingebrachten Entwurf, wäre es nicht nur „wenig sinnvoll" gewesen, i n diesem Fall anders zu handeln 1 3 9 , sondern mußte die Vorlage vor Einbringung bei einem konkret-personell neu und vielleicht anders zusammengesetzten Reichstag auch von verfassungswegen erneut dem Reichsrat zur Stellungnahme vorgelegt werden. Das war nicht lediglich eine Frage der Auslegung des A r t . 69 Abs. 1 W R V 1 4 0 , sondern eine organexterne Auswirkung der Diskontinuität des Parlaments, dessen Periodizitäten als beherrschender Träger der Volkssouveränität auf die übrigen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane ausstrahlte 141 . Die Einholung der Stellungnahme des Reichsrats nach Neuwahl des Reichstags konnte dann durchaus i n abgekürzter Form erfolgen, etwa dadurch, daß alle von der Reichsregierung weiter aufrechterhaltenen Entwürfe gemeinsam dem Reichsrat vorge136 Jellinek (Anm. 126) S. 167 f.; Poetzsch-Heffter, V o m Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, I I . Teil, i n : JöR Bd. X V I I , S. 117; ders., V o m Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, I I I . Teil, i n : JöR X X I , S. 190; Doertenbach (Anm. 110) S. 93 ff. 137 So Beiz (Anm. 42) S. 44. 138 Doertenbach (Anm. 110) S. 94. 139 Jellinek (Anm. 126) S. 168. 140 So aber Beiz (Anm. 42) S. 44, wahrscheinlich i m Anschluß an PoetzschHeffter (Anm. 136) JöR Bd. X X I , S. 190, der damit jedoch etwas anderes meinte. 141 Wenn Doertenbach (Anm. 110) S. 91 v o n einem „Gewohnheitsrecht" spricht, auf dem das, „ d e m Charakter des Parlaments als eines unständigen Organs entsprechende, Hinfälligwerden der unerledigten Geschäfte bei Beendigung einer Wahlperiode" beruhe, w o l l t e er damit nicht den G r u n d satz der Diskontinuität rechtlich einordnen, sondern n u r das Schweigen des geschriebenen Rechts hervorheben, w i e sich aus dem vorangehenden Satz ergibt. Konsequenterweise fordert er deshalb: „ A u c h i m vorliegenden Falle ist daher eine Lösung n u r möglich, indem m a n die Vorschriften der Reichsverfassung über die M i t w i r k u n g des Reichsrats bei der Gesetzgebung auf die durch dieses Gewohnheitsrecht geschaffene besondere Rechtslage anwendet."

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I. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

legt wurden und dieser einen gemeinsamen, seine alten Stellungnahmen bestätigenden Beschluß faßte 1 4 2 . Diese i n der Literatur, soweit sie sich damit beschäftigte, einhellig vertretene Auffassung 1 4 3 wurde aktuell insbesondere nach der zweimaligen Auflösung des Reichstages i m Jahre 1924, als die Reichsregierung zum Teil überhaupt nicht die Zeit gehabt hatte, Gesetzentwürfe, die das Vorverfahren durchlaufen hatten, auch noch beim Reichstag einzubringen. Die Reichsregierung vertrat ursprünglich die Ansicht, „daß nach dem Wortlaut der Reichsverfassung sie zu einer nochmaligen Vorlage unveränderter Entwürfe jedenfalls dann nicht verpflichtet" sei, „wenn nach dem Inhalt der Reichsratsverhandlung anzunehmen war, daß die Zustimmung des Reichsrats ohne Rücksicht auf den Ablauf der Wahlperiode des Reichstags gegeben worden i s t " 1 4 4 . Der Reichsrat nahm diese Haltung zunächst hin, wodurch Konflikte vermieden wurden 1 4 5 . I n der Folge stellte er sich jedoch auf den Standpunkt, daß er seine Zustimmung zur „Einbringimg der Gesetzes vorlagen", nicht einfach zu Gesetzesvorlagen erteile, und daß eine Einbringung erledigt sei, sobald die Wahlperiode des Reichstags, bei dem sie erfolgte, vor der Beschlußfassung beendigt sei 1 4 6 . Nach anfänglichem Widerstand erkannte die Reichsregierung dieses Verlangen als berechtigt an, entsprach i h m aber nicht immer. Ein Verstoß gegen den so verstandenen A r t . 69 Abs. 1 Satz 1 WRV, der bei der erneuten Einbringung des Handelsklassengesetzes nach der Septemberwahl 1930 vorkam, veranlaßte den Reichsrat, für seine Zustimmungsbeschlüsse eine genauere Formel vorzusehen 147 . Obwohl nicht alle Reichsministerien die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung des Reichsrates teilten 1 4 8 , ließ die Reichsregierung i m Reichsratsausschuß für Verfassung und Geschäftsordnung erklären, daß sie in Zukunft dem Verlangen des Reichsrats nachkommen werde. Damit war 142 Vgl. dazu Doertenbach (Anm. 110) S. 97 f.; auch Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X X I S. 190. 143 Anschütz (Anm. 24) A r t . 68, 69 A n m . 3 a; Poetzsch-Heffter (Anm. 43) A r t . 69 A n m . ; Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, A r t . 69 A n m . ; Jellinek (Anm. 126) S. 168. 144 öffentliche Vollsitzung des Reichsrates v o m 29. Januar 1825, zitiert bei Doertenbach (Anm. 110) S. 91. 145 Doertenbach (Anm. 110) S. 91. 146 Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR X V I I , S. 117; JöR Bd. X X I , S. 190. 147 A u f A n t r a g Bayerns w u r d e folgende F o r m u l i e r u n g benutzt: „ I n V e r folg v o n § . . . der Niederschriften w u r d e i n erster u n d zweiter Lesung beschlossen, der Einbringung des Gesetzentwurfes b e i m Reichstag, W a h l periode 19 . . . , i n der aus der Anlage ersichtlichen Fassung zuzustimmen" ; vgl. Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X X I , S. 190. 148 Vgl. die bei Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X X I , S. 190, zitierte Begründung des Reichsfinanzministeriums zu den Gesetzentwürfen über die Steuervereinfachung.

§21 Auswirkungen im Gesetzgebungsverfahren

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anerkannt, daß das Ende der Wahlperiode des Reichstags auch eine organexterne Diskontinuität zur Folge hatte. Ähnliches mußte dann aber auch für das i n A r t . 165 Abs. 4 WRV vorgesehene I n i t i a t i v - und Begutachtungsrecht des Reichswirtschaftsrats hinsichtlich sozialpolitischer und wirtschaftspolitischer Gesetzentwürfe gelten, das wegen praktischer NichtVerwirklichung dieser Verfassungsvorschrift jedoch nicht zum Tragen k a m 1 4 9 . Keine Anwendung konnte die organexterne Diskontinuität dagegen schon begrifflich auf das I n itiativrecht der Wahlbevölkerung finden, das als Volksbegehren nach A r t . 73 Abs. 3 W R V die Abstimmung über einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf voraussetzte, sich also gerade durch eine gegen den Reichstag gerichtete Zielrichtung auszeichnete und deshalb durch das Ende der Wahlperiode des Reichstags nicht beeinflußt werden konnte. Gerade daran zeigte sich, daß das Diskontinuitätsprinzip für die Beantwortung dieser Frage durchaus etwas hergab 1 5 0 , weil es ausgehend von der alleinigen Zuständigkeit des Reichstags zum Gesetzesbeschluß, von dem lediglich A r t . 73 W R V eine Ausnahme darstellte, auch auf die übrigen am Gesetzgebungsverfahren vorbereitend beteiligten Verfassungsorgane ausstrahlte. Das Ende der Wahlperiode des Reichstags war aber nicht nur hinsichtlich des Vorverfahrens zum eigentlichen Gesetzgebungsvorgang, sondern auch für die möglicherweise auf den Gesetzesbeschluß des Reichstags folgenden Schritte von Bedeutung. Nach A r t . 74 Abs. 1 WRV stand dem Reichsrat gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze ein Einspruchsrecht zu, das nach A r t . 74 Abs. 2 W R V innerhalb von zwei Wochen nach der Schlußberatung geltend gemacht und innerhalb weiterer zwei Wochen begründet werden mußte. Wurde ein derartiger Einspruch eingelegt, w a r das betreffende Gesetz dem Reichstag zur nochmaligen Beschlußfassung vorzulegen. Der Einspruch w a r also weder die Verweigerung einer Sanktion durch den Reichsrat m i t der Folge des Nichtzustandekommens noch die Zurückversetzung des beschlossenen Gesetzes i n den Status eines bloßen Entwurfs m i t dem Zwang, das gesamte parlamentarische Gesetzgebungsverfahren von vorne zu beginnen 1 5 1 . M i t dem 149 Durch die Verordnung über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat v o m 4. M a i 1920, RGBl. S. 858, w u r d e lediglich eine provisorische Zentralinstanz der Wirtschaftsräte geschaffen; vgl. Anschütz (Anm. 24) A r t . 165 A n m . 6. 150 M i t diesen Worten verneint Beiz (Anm. 42) S. 44 die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Diskontinuität. 151 Z u der i m August 1925 aufgekommenen Frage, ob der Reichstag v e r pflichtet sei, die nochmalige Beschlußfassung i n F o r m einer vollen Beratung m i t drei Lesungen entsprechend seiner Geschäftsordnung durchzuführen, vgl. von Craushaar, Die Behandlung v o n Reichsratseinsprüchen i m Reichstag u n d Geschäftsordnungsfragen, i n : A ö R Bd. 49 (N.F. Bd. 10) S. 372 ff.; Jellinek (Anm. 126) S. 162, 173; Pereis, Geschäftsgang u n d Geschäftsformen, i n :

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

Einspruch stellte der Reichsrat vielmehr lediglich fest, daß gegen die vom Reichstag verabschiedete Fassung von seiner Seite Bedenken bestanden. Diese Bedenken konnte der Reichstag durch Abänderimg des Gesetzes ausräumen oder m i t Zweidrittelmehrheit zurückweisen. K a m die von A r t . 74 WRV vorausgesetzte Ubereinstimmung nicht zustande, konnte der Reichspräsident das Gesetz binnen drei Monaten einem Volksentscheid unterwerfen. I m Falle des Scheiterns einer gütlichen Einigung vermochte ein solcher Volksentscheid die Willensbildung von Reichstag und Reichsrat zu ersetzen; machte der Präsident von seinem Recht hier keinen Gebrauch, galt das Gesetz nach A r t . 74 Abs. 3 WRV als nicht zustandegekommen. Hatte der Reichstag seine qualifizierte Mehrheit eingesetzt, mußte sich der Reichspräsident entscheiden, ob er den Willen der Volksvertretung akzeptierte und das Gesetz verkündete oder das V o l k als Souverän selbst sprechen ließ. Der Einspruch des Reichsrats gegen vom Reichstag beschlossene Gesetze hatte also zunächst keinen Devolutiveffekt 1 5 2 , sondern w a r ein suspensives Veto 1 5 3 , das den Beschluß des Reichstags für zwei Wochen i n der Schwebe hielt. Das Schloß nicht aus, daß der Reichsrat bereits vorher ausdrücklich seine Zustimmung erklärte und damit die Frist verkürzte oder einen bereits eingelegten Einspruch zurückzog und damit implicite das Gesetz billigte. Wurde der Reichstag jedoch innerhalb dieser zwei Wochen aufgelöst oder lief seine Wahlperiode ab, hatte der Gesetzgebungsvorgang ein offenes Ende. Der Pflicht des Reichspräsidenten nach A r t . 70 WRV, das vom Reichstag beschlossene Gesetz auszufertigen und binnen eines Monats zu verkünden, stand dann das noch nicht ausgeübte Einspruchsrecht des Reichsrats gegenüber, m i t dem die Ausfertigungsreife entzogen werden konnte. Da eine solche Entziehung der Ausfertigungsreife aber n u r zur erneuten Befassung des Reichstags m i t dem von i h m beschlossenen Gesetz führen konnte, dieser Reichstag aber nicht mehr vorhanden war, mußte das Gesetz als gescheitert gelten, denn der Fortsetzung des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens i n einer neuen Wahlperiode stand das Diskontinuitätsprinzip entgegen. Ein bereits eingelegter wie ein erst nach Ende der Wahlperiode, aber noch i n nerhalb der Frist einzulegender Einspruch wurden zum absoluten Veto, w e i l es ausgeschlossen war, „daß der neugewählte Reichstag i n ein unvollendet gebliebenes Einspruchsverfahren als Partei" eintrat 1 5 4 . HbDStR Bd. I, S. 458; Anschütz (Anm. 24) A r t . 74 A n m . 8. I n der Praxis gab der Reichstag der Forderung des Reichsrats nach; m i t Pereis ist aber w o h l davon auszugehen, daß — w i e heute beim Bundestag — n u r eine einmalige A b s t i m m u n g ausgereicht hätte. Nach Triepel (Anm. 120) S. 515 w a r diese Frage i n das Belieben des Reichstags gestellt. 152 So auch Jellinek (Anm. 126) S. 173 Fn. 43 gegen Anschütz (Anm. 24) A r t . 74 A n m . 1. iss Triepel (Anm. 120) S. 510.

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I n diesen Ablauf konnte der Reichspräsident nicht etwa regulierend eingreifen, indem er den Volksentscheid nach A r t . 73 Abs. 1 WRV anordnete 1 5 5 . War dagegen das dem Einspruch des Reichsrats folgende Verfahren beim Reichstag abgeschlossen, vermochte sich das Ende der Wahlperiode und damit der Grundsatz der Diskontinuität nicht mehr auszuwirken. Das Schicksal des beschlossenen Gesetzes war dem eigentlich parlamentarischen Bereich entrückt und lag i n der Hand des Reichspräsidenten, der je nach der tatsächlichen Lage die weiteren Schritte des A r t . 74 Abs. 3 WRV oder — bei erzielter Ubereinstimmung zwischen Reichstag und Reichsrat — die Maßnahmen nach A r t . 70 bzw. 73 Abs. 1 W R V einleiten konnte. Darauf hatte die Befristung der Wahlperiode des Reichstags keine Auswirkung mehr. Das Tätigwerden des Reichspräsidenten, insbesondere die Herbeiführung des Volksentscheids durch ihn, stand wie die Möglichkeit eines Drittels der Mitglieder des Reichstags, nach A r t . 72 i n Verbindung m i t A r t . 73 Abs. 2 WRV einen Volksentscheid über ein beschlossenes Gesetz einzuleiten, außerhalb des eigentlichen GesetzgebungsVerfahrens. M i t dieser Möglichkeit konnte an der gewählten Volksvertretung vorbei an den Souverän selbst appelliert werden. Die Legitimationsschübe der periodisch wahrzunehmenden Wahlen hatten darauf keinen Einfluß. Es gab deshalb auch keine zwingende Vorschrift, das gesamte Gesetzgebungsverfahren i m weiteren Sinne von der Erarbeitung des Entwurfs bis zum Inkrafttreten i n einer Wahlperiode abzuschließen; zeitliche Begrenzungen beruhten allein auf den Fristen der A r t . 70, 72, 73 Abs. 1 und 74 Abs. 2 WRV, die den einzelnen am Gesetzgebungsvorgang beteiligten Verfassungsorganen und Organteilen zugeordnet waren 1 5 6 . Da Reichstag und Reichspräsident gleichermaßen ihre Legitimation aus Volkswahlen bezogen, konnten sich die jeweils eigenen Periodizitäten nicht auf das andere Verfassungsorgan auswirken. Der Grundsatz der Diskontinuität fand hier seine Grenzen, ein weiterer Beweis dafür, daß er ein i m parlamentarischen Bereich wurzelndes, nur auf Vertretungskörperschaften anwendbares, auf der periodisch zu erneuernden Legitimation zur Tätigkeit und Willensbildung aufbauendes Prinzip war.

154 Triepel (Anm. 120) S. 515 f. Ä h n l i c h Gebhard (Anm. 32) A r t . 74 A n m . 5 a; Poetzsch-Heffter (Anm. 43) A r t . 74 A n m . 8 a ; Giese (Anm. 43) A r t . 74 A n m . 3; Hatschek (Anm. 32) Bd. 1 S. 404; Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 475; Jellinek (Anm. 126) S. 173; Stier-Somlo (Anm. 66) S. 582. F ü r den Einspruch des preußischen Staatsrats vgl. Hatschek, Das Preußische Verfassungsrecht, S. 166 u n d unten § 23. 155 So auch Jellinek (Anm. 126) S. 177. Anderer Auffassung Triepel (Anm. 120) S. 517, 526 f.; Hatschek (Anm. 32) Bd. 1 S. 404; Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 475. 156 Vgl. dazu Hatschek (Anm. 32) Bd. 1 S. 405, Bd. 2 S. 99; Triepel (Anm. 120) S. 540: Gebhard (Anm. 32) A r t . 70 A n m . 4.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung § 22 Ansätze zu einer Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität beim Reichstag

Wenn das Diskontinuitätsprinzip nach der Anlage der Weimarer Reichsverfassung und der tatsächlichen Handhabung Anwendung nur auf das Ende der Wahlperiode finden konnte, so erlangte es politische Bedeutimg nur i m Zusammenhang m i t der Auflösung des Reichstags durch den Reichspräsidenten. Je mehr sich das ursprünglich beabsichtigte Kräftegleichgewicht zugunsten des Reichspräsidenten verschob, u m so bereitwilliger mußte dieser zu dem M i t t e l greifen, politische Konflikte zwischen der von i h m berufenen Reichsregierung und dem Parlament einer angeblichen Entscheidung durch das Volk zuzuführen 1 5 7 . Diese Bereitwilligkeit steigerte sich bis zu dem Punkt, daß eine Auflösung des Reichstags schon dann vorgenommen wurde, wenn n u r zu befürchten war, daß der Reichstag als der eigentliche Gesetzgeber eine i n Ausübung des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten nach A r t . 48 WRV getroffene Maßnahme i m Rahmen seiner verfassungsmäßigen Rechte rückgängig machen würde 1 5 8 . Nicht die Herbeiführung der Diskontinuität stand also i m Mittelpunkt der Überlegungen bei einer Auflösung des Reichstages, sondern die zeitweilige Ausschaltung des Parlaments aus dem politischen Entscheidungsund Kontrollprozeß. Das m i t dem Ende der Wahlperiode verbundene Diskontinuitätsprinzip steigerte allenfalls die Wirkung des Auflösungsrechts insofern, als es auch einmal dazu benutzt werden konnte, vorhandene oder zu erwartende Beratungsgegenstände des Reichstags zu eliminieren 1 5 9 , was natürlich stets m i t dem Unsicherheitsfaktor belastet war, daß sie i n der nächsten Wahlperiode erneut eingebracht und von neuem i n A n g r i f f genommen werden konnten. Das Auflösungsrecht i n Verbindung m i t dem Diskontinuitätsprinzip war deshalb allenfalls dazu geeignet, dem Reichspräsidenten und der von i h m gestützten Reichsregierung eine politische Atempause und die Hoffnung auf veränderte Mehrheiten zu gewähren, nicht aber das Parlament gänzlich zu beseitigen. Davor schützte bereits die Frist des A r t . 25 Abs. 2 WRV. Andererseits mußte der Reichspräsident, u m die Wirkungen nur der Diskontinuität zur Verfügung zu haben, das gesamte Risiko einer Neuwahl i n Kauf nehmen. Der noch i m Konstitutionalismus mögliche flexible Einsatz eines 157

Z u dieser „ F u n k t i o n " des Auflösungsrechts vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 354 f. 158 Durch die Auflösungsverordnung v o m 12. September 1932 w u r d e der Reichstag aufgelöst, „ w e i l die Gefahr besteht, daß der Reichstag die A u f hebung der Notverordnung v o m 4. September verlangt", RGBl. I S. 441; vgl. auch Schäfer (Anm. 41) S. 138. 159

So auch Beiz (Anm. 42) S. 47.

§ 22 Ansätze zur Durchbrechung

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von der Institution Parlament her begründeten Prinzips w a r also unter der parlamentarischen Demokratie schon nicht mehr möglich. Das mußte sich vor allem dann auswirken, wenn das politische Interesse an einer Auflösung des Parlaments m i t dem ebenfalls politischen Interesse am Abschluß einer nur vom Parlament zu bewältigenden A u f gabe kollidierte. Die allgemeine Wahrung der Rechte der Volksvertretung und die Beratung und Entscheidung auswärtiger Angelegenheiten, soweit der Reichstag daran mitwirkte, waren zwar durch A r t . 35 W R V auch für den Fall einer parlamentslosen Zeit gesichert. Probleme konnten aber entstehen, wenn einem Fachausschuß des Parlaments besondere Geschäfte übertragen waren, die i m Zeitpunkt der Auflösung noch keinen Abschluß gefunden hatten. Dann ergab sich die Notwendigkeit einer Ausnahme von dem Grundsatz der Organ-Diskontinuität, wie sie schon dem Staatsrecht des Kaiserreichs bekannt gewesen war. So erhielt der i n der I I I . Wahlperiode zur Durchführung des landwirtschaftlichen Notprogramms gebildete Ausschuß durch Gesetz vom 31. März 1928 160 die Ermächtigung, auch noch nach der Auflösung des Reichstags bis zum Zusammentritt des neu zu wählenden Nachfolgers tätig zu werden 1 6 1 . Negative Auswirkungen konnte das Diskontinuitätsprinzip nicht nur i m Zusammenhang m i t einer Auflösung, sondern auch generell bei normalem Ablauf der Wahlperiode ferner haben, wenn umfangreiche gesetzgeberische Arbeiten zu bewältigen waren. Selbst der längere Zeitraum, der innerhalb einer Wahlperiode für kontinuierliche parlamentarische Tätigkeit zur Verfügung stand, reichte nicht immer zur Beratung und Verabschiedung größerer und vielleicht besonders kontroverser Vorhaben aus; noch spürbarer wurde das, wenn dieser Zeitraum durch eine Auflösung verkürzt und eine vielleicht gutgläubig vorgenommene parlamentarische Arbeitsplanung umgestoßen wurde, w e i l die Auflösung die bereits vorhandenen Ergebnisse als Folge der Diskontinuität zumindest formal hinfällig machte. Wie i m Kaiserreich waren dann selbst konservative Politiker, die ansonsten die Geltung des Grundsatzes der Diskontinuität selbst für die längst nicht mehr vorhandenen Sitzungsperioden verteidigten 1 6 2 , bereit, nach einem Weg zur Umgehung oder Durchbrechung des Prinzips zu suchen. So hatte die erste Lesung des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches bereits stattgefunden und der Strafrechtsausschuß 160

RGBl. I S. 137. Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 422, Anlagen Drs. Nr. 4179; Bd. 395 S. 13868 C. Vgl. auch Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X V I I , S. 75. 162 Vgl. den Abgeordneten Dr. Kahl bei den Beratungen der Geschäftsordnung, oben § 20. 161

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

i n 62 Lesungen den Allgemeinen und einen großen Teil des Besonderen Teils durchberaten, als die Auflösung des Reichstags „spätestens zum 31. März 1928 . . . i n bestimmte Aussicht genommen" wurde 1 6 3 . Der Ausschuß Schloß deshalb seine Arbeiten am 2. März ab, nachdem er vorher noch den wichtigen Beschluß gefaßt hatte, daß die Ergebnisse der deutschen und österreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen als Beschlüsse des Ausschusses i n erster Leung gelten sollten. U m diese Vorarbeiten nicht ganz untergehen zu lassen, brachte eine Gruppe von Abgeordneten den „ E n t w u r f eines Gesetzes zur Fortführimg der Strafrechtsreform" beim Reichstag ein 1 6 4 . Wie der Abgeordnete Dr. Kahl bei der 1. und 2. Beratung erklärte, sollte durch dieses Gesetz verhindert werden, daß der Entwurf des Strafgesetzbuches noch einmal alle bereits zurückgelegten Phasen des Gesetzgebungsverfahrens durchlaufen müsse und dadurch die bereits auf die Strafrechtsreform verwandte Arbeit verlorengehe 165 . Der Gesetzentwurf sah deshalb vor, daß die Entwürfe eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches und eines Strafvollzugsgesetzes, wenn der Reichstag i n der I I I . Wahlperiode nicht über sie beschloß, der Beschlußfassung i n der folgenden Wahlperiode unterlagen, ohne daß es ihrer erneuten Einbringung bedurfte; zu diesem Zweck waren die bereits vorliegenden, durch die Auflösung aber obsolet werdenden Entwürfe als neue Vorlagen anzusehen. Das entsprechende Gesetz wurde vom Reichstag m i t großer Mehrheit angenommen 166 und unmittelbar vor der Auflösung des Reichstags verkündet 1 6 7 , nachdem bei der Verabschiedung wie hinsichtlich des vorerwähnten Gesetzes „zur Vermeidung von Zweifeln" festgestellt worden war, „daß die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erf ü l l t " seien 168 . Indem damit die Frage nach der Rechtsnatur des Diskontinuitätsprinzips offengelassen und lediglich ein seine Umgehung i m Einzelfall ermöglichender Weg beschritten wurde, hatte ein solches Gesetz bewußt nur eine begrenzte Reichweite, die vielleicht dem von manchem erhofften Zweck nicht ganz entsprach, dafür aber der rechtlichen Einordnung der Diskontinuität am nächsten kan. Die Bestimmung i n § 1 163

Bell, Straf rechtsreform u n d Reichstagsausschuß, i n : J W 1928, S. 778. Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 421, Anlagen Drs. Nr. 3999. 185 Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 395, S. 1355. Vgl. auch die Äußerungen der Abgeordneten Geschke u n d Landsberg ebendort S. 13353 u n d 13355 ff. sowie Bell (Anm. 163) S. 778; Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X V I I S. 75, JöR Bd. X X I S. 194. 188 (Anm. 165) S. 13868. 187 Gesetz zur F o r t f ü h r u n g der Straf rechtsreform v o m 31. März 1928, RGBl. I S. 135. 188 Z u r K r i t i k an dieser seit 1924 i m Falle einer tatsächlichen oder auch n u r vermuteten Verfassungsdurchbrechung üblichen Formel vgl. Walter Jellinek, Das verfassungsändernde Reichsgesetz, i n : HbDStR Bd. I I , S. 185 f., 187. 164

§ 22 Ansätze zur Durchbrechung

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Satz 2, daß die alten Entwürfe als neue Vorlagen gelten sollten, entsprang dem Wunsch, der Willensbildung des Reichstags i n der neuen Wahlperiode nicht vorzugreifen 1 6 9 ; insbesondere sollte jeder Partei ihre sachliche Stellungnahme vorbehalten bleiben 1 7 0 . Dadurch wurde zwar das Gesetzgebungsverfahren lediglich u m das Vorverfahren einschließlich des Einbringungsvorganges gekürzt, was eine auf Seiten des Reichsrats i m allgemeinen nicht gerne gesehene Beschränkung von dessen Rechten bedeutete 171 , der zukünftige Reichstag aber materiell noch nicht gebunden. Das Gesetz enthielt damit praktisch nur eine Vorwegnahme einer eigenen Initiative des Parlaments i n einer folgenden Wahlperiode; gleichzeitig war aber der Gefahr begegnet, eine neue, eventuell auch anders zusammengesetzte Regierimg könne gezwungen sein, einen neuen Entwurf zu erstellen, was so viel Zeit i n Anspruch nehmen würde, daß, wie Landsberg es ausdrückte 1 7 1 3 , „ w i r aller Voraussicht nach i m Laufe der kommenden Legislaturperiode das dringend nötige neue Strafgesetzbuch wieder nicht bekommen würden". Von der verfassungsrechtlichen Zuordnung des Grundsatzes der Diskontinuität her hätte aber auch schon dieser Schritt bedenklich sein können. Wenn die Diskontinuität als Ausfluß der zeitlich begrenzten, periodisch zu erneuernden Legitimation der konkret-personellen Zusammensetzung eines Verfassungsorgans zur Willensbildung anzusehen war, konnte auf die nachfolgende, neu zu legitimierende Organwalterschaft nicht i n der Weise Einfluß genommen werden, daß deren Arbeitsprogramm praktisch vorbestimmt wurde. Da aber das Initiativrecht des Parlaments selbst wie der übrigen Träger dadurch nicht blockiert war, auch die Ergebnisse der Beratungen nicht festgeschrieben werden konnten, konnte die vom Reichstag gewählte Form als zulässig 172 und m i t dem Rechtscharakter der Diskontinuität vereinbar angesehen werden. Die Form entsprach dabei den Voraussetzungen, die die Weimarer Reichsverfassung für förmliche Verfassungsänderungen wie für bloße Verfassungsdurchbrechungen mangels entgegenstehender ausdrücklicher anderer Regelungen vorsah. Als der Reichstag trotzdem auch i n seiner I V . Wahlperiode die Strafrechtsreform nicht abzuschließen vermochte, w e i l 1930 erneut „die Gefahr einer Auflösung näherrückte" 1 7 2 a , versuchte der Abgeordnete Dr. 169

Vgl. die Ausführungen des Abgeordneten Dr. Kahl (Anm. 165). Bell (Anm. 163) S. 779 f. 171 Vgl. dazu Jellinek (Anm. 126) S. 165. 171a (Anm. 165) S. 13357 C. 172 Nachträglich skeptisch gegenüber diesem Ansatz vor allem i n bezug auf die v o n Kahl geweckten Hoffnungen Beiz ( A n m . 42) S. 48 f. Z u dem ähnlich später i n Rheinland-Pfalz gewählten u n d bei der Strafrechtsreform i m B u n destag zumindest überlegten Weg vgl. unten § 30. 170

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

K a h l m i t einem praktisch gleichlautenden „ E n t w u r f eines zweiten Gesetzes zur Fortführung der Strafrechtsreform" 1 7 3 diesen Vorgang zu wiederholen. Der Antrag fand jedoch i m Reichstag nicht „die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit" 1 7 4 , so daß m i t der Auflösung i m J u l i 1930 das Gesetzgebungsverfahren abgebrochen und damit „die sämtlichen seit 1925 gepflogenen Beratungen über die genannten Entwürfe formell hinfällig" wurden 1 7 5 . Das m i t diesem Vorstoß beabsichtigte Ergebnis wurde daraufhin auf einem anderen Wege angesteuert: „durch einen Initiativantrag", so schildert es Poetzsch-Heffter 176 , „brachte die Fraktion des Abgeordneten Dr. K a h l den Entwurf i n der Fassung, i n der er sich bei Abbruch der Beratungen befand, beim Reichstag neu e i n " 1 7 7 . Daß die Strafrechtsreform trotz dieses Kunstgriffs dann doch nie abgeschlossen wurde und auf ein Strafvollzugsgesetz sogar weitere 45 Jahre gewartet werden mußte, lag an den Zeitverhältnissen, die den Reichstag seit 1930 funktionsunfähig machten 1 7 8 . Der zuletzt genannte Vorgang ist jedoch insofern interessant, als dam i t ohne Antastung des Grundsatzes der Diskontinuität der Teil sinnloser Wiederholung vermieden wurde, der bei förmlicher Neueinleitung des gesamten Gesetzgebungsvorganges durch die Reichsregierung notwendig gewesen wäre. Die Übernahme bereits erzielter Beratungsergebnisse durch eine initiativberechtigte Gruppe aus der Mitte des neugewählten Reichstags bedeutete aber auch keinen „Etikettenschwindel" oder eine Aushöhlung der I n i t i a t i v - und Beteiligungsrechte anderer Verfassungsorgane. Eine Fraktion machte sich nur zu eigen, was i m vorangegangenen Parlament m i t vielleicht anderer Zusammensetzung i n mühevoller Arbeit als Ergebnis oder auch nur Teilergebnis erzielt worden war. Reichsregierung und Reichsrat blieb es unbenommen, eventuell andere oder sogar neue Vorstellungen ihrerseits i n den Gesetzgebungs172

a Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X X I S. 194. Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 441, Anlagen Drs. Nr. 2007. 174 So Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X X I S. 194. Der E n t w u r f scheiterte bereits i m Ausschuß, der Ablehnung empfahl; vgl. den Mündlichen Bericht v o m 18. 2. 1928, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 421, Anlagen Drs. Nr. 3999. 175 Poetzsch-Heffter (Anm. 136) JöR Bd. X X I S. 194; Beiz (Anm. 42) S. 49. 176 (Anm. 136) JöR Bd. X X I S. 194. 177 E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches, Sten. Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, Bd. 448, Anlagen Drs. Nr. 395. 178 Vgl. noch einmal Schäfer (Anm. 41) S. 138; Hillmann (Anm. 110) S. 35 verband m i t derselben Feststellung — die A r b e i t w u r d e i m Sommer 1932 abgeschlossen! — die Hoffnung, daß i m Zuge der zu jener Zeit „lebhaft erörterten Verfassungsreform v o r allem auf dem Gebiet des Parlamentswesens" auch der Grundsatz der Diskontinuität „ i n v o l l e m Umfange A u f nahme i n die Verfassung fände, damit auch auf diesem Gebiet völlige K l a r h e i t geschaffen w ü r d e " . 173

§23 Nach den Landesverfassungen

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Vorgang einzubringen. Der Reichstag hatte damit einen Weg gezeigt, wie i n der parlamentarischen Demokratie die vielleicht negativen Auswirkungen der notwendig aus der periodischen Erneuerung der konkretpersonellen Organwalterschaft des Verfassungsorgans Parlament folgenden Diskontinuität der Willensbildung überwunden werden konnten 1 7 9 . § 23 Periodizitäten und Diskontinuität nach den Landesverfassungen unter der Weimarer Republik Der Ablauf der revolutionären Ereignisse i m November 1918 war i n den Ländern des Deutschen Kaiserreichs grundsätzlich gleich gewesen. Uberall waren die Landesherren, die als verbündete Regierungen i m Bundesrat die höchste Verfassungsautorität verkörpert hatten, hinweggefegt worden. Nachdem die bisherigen Inhaber für sich und ihre Dynastien auf die Throne verzichtet hatten, traten an ihre Stelle, wenn auch zum Teil erst nach Ubergangsexperimenten m i t einer Räteherrschaft wie i n Bayern, Braunschweig und Teilen Thüringens, provisorische Regierungen, die sich zur republikanischen Staatsform bekannten 1 8 0 . Diesem entscheidenden Wechsel, der sich dann i n verfassungsrechtlichen Formen stabilisierte, entsprach zunächst noch keine ebenso entscheidende Änderung der staatlichen Existenz der Länder als solcher und i n ihrem Verhältnis zum Reich. Die i n A r t . 1 der alten Reichsverfassung aufgeführten Staaten überdauerten sämtlich den revolutionären Umsturz, nur i n Thüringen bahnten sich Bestrebungen an, die i n diesem Teil Mitteldeutschlands bestehenden acht Kleinstaaten zusammenzuschließen 181 , die am 30. A p r i l 1920 gemäß A r t . 18 WRV zu dem Reichsgesetz betreffend das Land Thüringen führten 1 8 2 . Die verfassungsrechtliche Neugestaltung i n den deutschen Ländern vollzog sich parallel zu der Verfassungsgebung auf Reichsebene. Uberall wurden Nationalversammlungen oder verfassungsgebende Landesversammlungen gewählt und einberufen, u m die neuen Landesverfassungen auszuarbeiten. Deren Verabschiedung verzögerte sich zum Teil bewußt, 179 Die Einschränkung v o n Beiz (Anm. 42) S. 49, dieser Weg sei „allerdings dann nicht erfolgversprechend, w e n n die N e u w a h l eine wesentliche Änderung der politischen Zusammensetzung des Parlaments m i t sich gebracht" habe, ist nicht einleuchtend. Auch ohne den Grundsatz der Diskontinuität wäre bei einem nach den Wahlen neu u n d anders zusammengesetzten Parlament keine größere Übereinstimmung i n Sachfragen zu erzielen noch eine bessere u n d wirklichkeitsnähere Zeitplanung zu erreichen; vgl. dazu unten §28. Beiz gibt dann selbst zu, daß die Strafrechtsform 1930 an anderen Gründen scheiterte. 180 Vgl. Koellreutter, Die neuen Landesverfassungen, i n : HbDStR Bd. I, S. 138 f. 181 Koellreutter (Anm. 180) S. 141. 182 RGBl. I S. 841.

15 Jekewitz

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I. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

w e i l man auf den Abschluß der entsprechenden Beratungen i m Reich wartete, von denen man sich Hinweise und Anregungen versprach. Bis zum M a i 1923 hatten aber alle 17 deutschen Länder eine Verfassung erhalten; das ohne eigene neue Verfassung gebliebene Waldeck-Pyrmont Schloß sich an Preußen an 1 8 3 . I m Gegensatz zur alten Reichsverfassung des Kaiserreichs, die den Einzelstaaten i n ihrer Verfassungsgestaltung völlige Freiheit ließ und damit die politische Individualität der Mitglieder des auf dem Vertragswege zustandegekommenen Bundes auch äußerlich verfassungsrechtlich zum Ausdruck brachte 1 8 4 , i m Gegensatz aber auch zu den i n dieser Beziehung trotz ihrer nachhaltigen Auswirkungen eher allgemeinen Bestimmungen der Wiener Schlußakte 185 stellte A r t . 17 WRV Normativvoraussetzungen auf, innerhalb derer sich die verfassungsrechtliche Gestaltung der Länder zu halten hatte. Sinn dieser Bestimmung w a r es, die Homogenität der Staats- und Regierungsform zwischen Reich und Ländern sicherzustellen 186 . Tatsächliche Folge wurde eine weitgehende Gleichartigkeit der Länderverfassungen, die i n allen wesentlichen Grundzügen eine starke Ubereinstimmung aufwiesen. Nach A r t . 17 Abs. 1 WRV war den Ländern eine „freistaatliche Verfassung", also die Staatsform der Republik, die Festlegung auf die parlamentarische Demokratie durch Bildung einer Volksvertretung nach den Grundsätzen des Reichstagswahlrechts und die Regierungsform einer vom Vertrauen dieser Volksvertretung getragenen Exekutive vorgeschrieben 187 . I m übrigen verfügten sie über Verfassungsautonomie, d. h. sie waren darin frei, wie sie ihre Verfassung ausgestalteten. Für den Bereich des Parlaments war dabei streitig, ob der Begriff „Volksvertretung" die Einführung einer zweiten gleichberechtigten Kammer ausschloß, bzw. ob nur ein quasiparlamentarisches Organ neben der eigentlichen Volksvertretung errichtet werden konnte 1 8 8 . Gebrauch machte von der Einrichtung eines zweiten Vertretungsorgans ohnehin nur Preußen m i t dem Staatsrat als Vertretung der Provinzen 1 8 9 . Einigkeit bestand 183 Die Entstehungsdaten der Verfassungsurkunden finden sich bei Koellreutter (Anm. 180) S. 144; die Verfassungen selbst sind bei Ruthenberg, V e r fassungsgesetze des deutschen Reichs u n d der deutschen Länder, abgedruckt. 184 Koellreutter (Anm. 180) S. 144; Wenzel, Die reichsrechtlichen G r u n d lagen des Landesverfassungsrechts, i n : HbDStR Bd. I S. 604. 185 Vgl. oben § 6. 186 Koellreutter (Anm. 180) S. 144; Wenzel (Anm. 184) S. 604 f. 187 Koellreutter (Anm. 180) S. 144; Wenzel (Anm. 184) S. 605; Anschütz (Anm. 24) A r t . 17 A n m . 2. 188 Vgl. dazu Wenzel (Anm. 184) S. 607 f. 189 Gmelin, Landtag u n d Landstände, i n : H w b R W Bd. 3, S. 904. Z u r F u n k t i o n des preußischen Staatsrats vgl. Stier-Somlo, Der Preußische Staatsrat, i n : HbDStR Bd. I, S. 652 ff., zu seiner M i t w i r k u n g i m Gesetzgebungsverfahren vgl. unten.

§ 23 Nach den Landesverfassungen

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jedoch darüber, daß dem Parlament eine zentrale Stellung i m Verfassungsaufbau zukommen und i h m mindestens ein maßgeblicher Anteil an der Gesetzgebung und die Kontrolle der Verwaltung gewährt sein mußte. Die Dauer seiner Wahlperiode, die Ausgestaltung seines Zusammentretens und seines Auseinandergehens, die Einführung von Periodizitäten innerhalb der Wahlperiode, Möglichkeit und Form seiner vorzeitigen Auflösung, die Beteiligung Dritter an der Gesetzgebung durch Zustimmungs- oder Vetorechte und schließlich die unmittelbare Teilnahme des Volkes an den Staatsfunktionen durch Volksbegehren und Volksentscheid blieben dagegen landesverfassungsrechtlicher Entscheidung überlassen. Damit waren grundsätzlich die Voraussetzungen dafür gegeben, daß auch die Frage der Fortgeltung des Grundsatzes der Diskontinuität i n seinen verschiedenen Erscheinungsformen i n den einzelnen Ländern unterschiedlich beantwortet werden konnte. Größte Ubereinstimmung bestand hinsichtlich der periodischen Erneuerung der Volksvertretung. Ausgehend von der Erkenntnis, daß das Parlament als Vertreter des souveränen Volkes i m allgemeinen dem Willen dieses Volkes entsprechen m u ß 1 9 0 und deshalb eine Anpassung des Willens der Parlamente an den von ihnen repräsentierten Willen des Volkes durch Neuwahlen i n gewissen Abständen erforderlich ist 1 9 1 , schrieben alle Landesverfassungen m i t Verfassungskraft relativ kurze Legislaturperioden fest. Wie für den Reichstag betrug die Wahlperiode, Wahlzeit, Wahldauer, Tagungsdauer, Landtagsdauer oder Landtagsperiode 1 9 2 i n Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Anhalt, Lippe, Mecklenburg-Strelitz und Hessen vier Jahre; alle übrigen hatten eine solche von nur drei Jahren. Dem „Kredo demokratischen Programms" 1 9 3 war damit ebenso entsprochen wie m i t der Form der Erneuerung, denn stets war die W a h l des gesamten Parlaments vorgesehen; eine Partialerneuerung, wie sie den Hansestädten bekannnt gewesen w a r 1 9 4 und i n Belgien noch galt 1 9 5 , k a m als „reaktionäre Maßnahme" 1 9 6 nicht mehr i n Betracht. Streitig bzw. weithin durch die Verfassungen selbst ungeregelt blieb der Beginn der so geschaffenen Legitimations- und Handlungseinhei190 yogels, Grundriß des neuen Landesstaatsrechts, S. 32. Sieber (Anm. 36) S. 10. 192 Z u den unterschiedlichen Bezeichnungen i n den einzelnen Verfassungen vgl. Sieber (Anm. 36) S. 10; Walter Jellinek, Die Zusammensetzung der L a n desparlamente, insbesondere das Wahlrecht u n d die Wahlprüfung, i n : HbDStR Bd. I, S. 620. 193 Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 469 f. 194 Vgl. oben § 10. 195 Vgl. oben § 17. 196 Hatschek/Kurtzig (Anm. 12) Bd. 1 S. 470; Sieber (Anm. 36) S. 13. 191

15*

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

ten. Die bereits für das Kaiserreich diskutierte 1 9 7 und auch für den Reichstag nicht unbestrittene Frage, von wann an und wie lange die Volksvertretung i n den Ländern i n ihrer konkret-personellen Zusammensetzung existent und arbeitsfähig sei, fand auch i n den Landesverfassungen keine klare Beantwortung. Es wurde deshalb i n der Literatur vielfach zwischen einer eigentlichen „Wahlperiode" und einer „Legislaturperiode" unterschieden 198 . Während die „Legislaturperiode" als W i r kungseinheit stets erst m i t dem Zusammentritt beginnen konnte, waren die Auslegungen und Auffassungen hinsichtlich des Beginns der eigentlichen Wahlperiode ungenau und häufig widersprüchlich 1 9 9 . Sie wurden noch dadurch verkompliziert, daß eine Reihe von Landesverfassungen wie die Reichsverfassung ein Auflösungsrecht kannten, das aber zum Teil an andere Voraussetzungen geknüpft war und von unterschiedlichen Verfassungsorganen ausgeübt werden konnte. Für das hier zu behandelnde Problem kann davon ausgegangen werden, daß die Wahlperiode entsprechend der Regelung i n A r t . 16 der Preußischen Verfassung vom 30. November 1920 für den Fall einer Auflösung des Landtags m i t dem Tage der Neuwahl, für den Fall der Beendigung durch Zeitablauf aber m i t dem Ablauf der Wahlperiode des alten Landtags begann 2 0 0 . Da nach A r t . 17 Abs. 2 ein neugewählter Landtag dreißig Tage nach Beginn der Wahlperiode zusammentreten mußte, und nach A r t . 13 die Neuwahl stets vor dem Ablauf der Wahlperiode stattzufinden hatte, blieb die permanente Existenz einer konkret-personellen Volksvertretung für den Normalfall gesichert; soweit dadurch zwei Landtage für eine kurze Zeit nebeneinander bestanden, war aber der zweite mangels Ablaufs der Wahlperiode des ersten nur als legitimierte Organwalterschaft, nicht auch schon als handlungsfähiges Verfassungsorgan vorhanden 2 0 1 . Eine besonders extreme Lösung enthielt die Bremische Verfassung vom 18. M a i 1920: hatte eine Auflösung i n der ersten Hälfte des Kalenderjahres stattgefunden, dauerte die Wahlperiode der neuen Bürgerschaft bis zum Ende des zweiten, andernfalls bis zum Ende des dritten auf die Neuwahl folgenden Jahres. Entsprechend der Regelung i n der Weimarer Reichsverfassung hatten alle Landtage und Bürgerschaften das Selbstversammlungsrecht 202 . U m das zu Beginn jeder Wahlperiode entstehende, m i t einem solchen Selbst197

Vgl. oben § 12. Vgl. die Zusammenstellung bei Sieber (Anm. 36) S. 10 ff. Gegen die Verwendung des Begriffs „Legislaturperiode" Vogels (Anm. 190) S. 32. 199 Vgl. die Darstellung bei Sieber (Anm. 36) S. 13 ff. 200 Hatschek (Anm. 32) Bd. 1 S. 415. 201 Sieber (Anm. 36) S. 14 gegen Waldecker, Die Verfassung des Freistaates Preußen, S. 73. Z u der Rechtslage i n den übrigen Ländern vgl. Sieber, S. 14 ff. 202 Leibholz, Übersicht über die Zuständigkeiten der Landesparlamente, i n : HbDStR Bd. I S. 631; Sieber (Anm. 36) S. 17 f. 198

§ 23 Nach den Landesverfassungen

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Versammlungsrecht grundsätzlich unvereinbare Problem der Notwendigkeit einer Einberufung von dritter Stelle zu umgehen, legten die Verfassungen von Preußen, Sachsen, Baden, Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig einen bestimmten Tag nach dem Beginn der Wahlperiode oder nach dem Wahltag fest, an dem die neugewählte Volksvertretung von sich aus zusammenzutreten hatte. Wie auf Reichsebene konnte i n Preußen, Sachsen und Mecklenburg-Strelitz die Staatsregierung das Parlament jedoch auch schon früher einberufen lassen. Der größte Teil der übrigen Länder behielt eine erste Einberufung durch die Landesregierung bei, die jedoch an bestimmte Fristen gebunden war, die sich ebenfalls an dem Wahltag oder dem Ende der Wahlperiode orientierten. Keine besondere Regelung war i n den Verfassungen von Mecklenburg-Schwerin, Bremen und Lübeck getroffen; hier w i r k t e noch die alte hansestädtische Tradition weiter, die ohnehin i m mer ein Selbstversammlungsrecht gekannt hatte. War die Volksvertretung einmal konstituiert, erfolgte jede weitere Einberufung durch den Präsidenten, der i n Lübeck Wortführer hieß, bzw. durch den kollegialischen Vorstand i n Bremen 2 0 3 . Soweit nicht Einschränkungen und Ausnahmen gegeben waren, die sich zum Teil auch hier wieder nur aus der mangelnden geistigen Überwindung des Konstitutionalismus erklären ließen bzw. Abweichungen vom Selbstversammlungsrecht reiner Form darstellten, wie es Hatschek geschildert hatte 2 0 4 , war der Gedanke des Selbstversammlungsrechts somit konsequent durchgeführt. Als Überbleibsel aus der alten Reichsverfassung, das auch i n der Verfassung der Weimarer Republik weiterlebte, sahen die meisten Landesverfassungen vor, daß die Volksvertretungen einmal i m Jahr zur Beratung des Haushalts zusammentreten mußten. Eine Ausnahme machten auch hier die Hansestädte sowie Braunschweig; alle übrigen Parlamente hatten sich an einem bestimmten Tag von sich aus zu versammeln wie i n Preußen und Anhalt oder waren zu einem bestimmten Termin oder innerhalb einer festgelegten Frist einzuberufen 205 . Darüber hinaus enthielten fast alle Landesverfassungen Regelungen darüber, daß auch die Landesregierungen den Zusammentritt der Volksvertretungen herbeiführen konnten, wenn es aus irgendeinem politischen Grund für erforderlich erachtet wurde. Zum Teil war dies i n der Form geregelt, daß wie auf Reichsebene die Regierung ein entsprechendes Ersuchen an den Landtagspräsidenten richtete, dem dieser, i n Lippe innerhalb einer Frist von zwei Wochen, Folge zu leisten hatte. I n Sachsen, Oldenburg, beiden Mecklenburg, Württemberg, Baden und Schaumburg-Lippe konnte da203

Vgl. dazu Sieber (Anm. 36) S. 18 f., 20 f.

204

(Anm. 32) Bd. 1 S. 401; (Anm. 12) Bd. 1 S. 471 f.

205

Sieber (Anm. 36) S. 19 f.

230

III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

gegen die Regierung selbst i n derartigen Fällen die Einberufung vornehmen 2 0 6 . Als Ausnahme vom eigentlichen Selbstversammlungsrecht, aber als Teil des parlamentarischen Minderheitenschutzes ist schließlich zu erwähnen, daß wie nach der Reichsverfassung einer Gruppe von A b geordneten das Recht zuerkannt war, die Einberufung der Volksvertretung zu verlangen, wobei i n Schaumburg-Lippe dieses Verlangen auch an die Staatsregierung gerichtet werden konnte. Als extreme Ausnahme w a r zu verzeichnen, daß i n zwei Ländern auch das Volk an der Einberufung beteiligt war, indem i n Bayern ein Fünftel aller Wahlberechtigten den Landtagspräsidenten zur Einberufung des Landtags zwingen konnte, und i n Baden das Staatsministerium eine Einberufungspflicht hatte, wenn 80 000 stimmberechtigte Wähler den Zusammentritt des Landtages verlangten 2 0 7 . Durch das Bestehen von Einberufungsrechten Dritter wurden die Wahlperioden der Landtage und Bürgerschaften aber ebensowenig wie auf Reichsebene noch nicht i n weitere Unterabschnitte aufgeteilt, also keine Periodizitäten geschaffen, an welche sich möglicherweise Rechtsfolgen wie i m alten Staatsrecht knüpften. Andererseits bestand bei den Landtagen m i t ihrem zum Teil geringen Anfall an Sachproblemen noch mehr als beim Reichstag die praktische Notwendigkeit, Unterbrechungen i n der Tätigkeit eintreten zu lassen, was durchaus m i t der zentralen Stellung der Volksvertretung i m Staatsgefüge der modernen Demokratie vereinbar war. Wie beim Reichstag ging es darum, diese Unterbrechungen zu organisieren und m i t dem Charakter der Landtage und Bürgerschaften als Vertreter des souveränen Volks i n Einklang zu bringen. Dabei mußte man sich wie bei der Abfassung der Reichsverfassung m i t den Instituten der „Vertagung" und „Schließung" auseinandersetzen, was angesichts des vorausgesetzten und grundsätzlich anerkannten Selbstversammlungsrechts der Volksvertretungen ebenfalls wie bei der Reichsverfassung nicht immer zu schlüssigen Ergebnissen führte. Von der Anlage her ließen sich i n bezug auf die Regelung der Frage, wie die Tätigkeit der Volksvertretung innerhalb der Wahlperiode unterbrochen werden konnte, drei verschiedene Typen feststellen 208 . Der erste Typus kannte den Begriff des förmlichen Tagungsabschlusses i n Verfassung und Geschäftsordnung und führte i h n auch i n der Praxis streng durch; das Parlament mußte also bei jeder Unterbrechung entscheiden, ob es sich nur vertagte oder offiziell m i t allen Folgen Schloß. Interessanterweise waren es die sich schon früh wieder konsolidiert habenden Länder, die insoweit die meisten Relikte aus dem Staatsrecht des Kon20e

Vgl. Sieber (Anm. 36) S. 21. Vgl. Sieber (Anm. 36) S. 22 f. 2 «8 Sieb er (Anm. 36) S. 32.

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§ 23 Nach den Landesverfassungen

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stitutionalismus übernahmen. So bestimmte die badische Verfassung vom 21. März 1919 i n A r t . 26, daß die Landtagsperiode i n vier Sitzungsperioden von je einjähriger Dauer zu zerfallen habe. Entsprechend wurde seit Erlaß der Verfassung i n jedem Jahr die Sitzungsperiode offiziell geschlossen und eine neue m i t der Aufstellung des Etats für das folgende Jahr begonnen. Jede dieser Schließungen hatte nach § 14 der Geschäftsordnung des badischen Landtags 2 0 9 Neuwahl des Vorstandes und nach § 36 Abbruch aller Parlamentsarbeiten zur Folge, wobei jedoch ausdrücklich nach englischem V o r b i l d 2 1 0 die Möglichkeit eingeräumt war, die weitere Erledigung einzelner wichtiger Arbeiten der folgenden Sitzungsperiode vorzubehalten. Innerhalb dieser Sitzungsperioden konnte sich der Landtag nach A r t . 45 der badischen Verfassimg m i t den üblichen Folgen vertagen und die Zeit seines Wiederzusammentritts bestimmen. Der Begriff der Sitzungsperiode war hier also noch i n seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet, die auf Reichsebene bereits verwischt war211. M i t dieser Regelung und ihrer Handhabung nahm Baden eine Sonderstellung ein. Die zweite Gruppe der Länder verwendete den Begriff der Tagungsschließung zwar auch i n ihren Verfassungen, relativierte i h n aber i m Verfassungstext selbst, nahm i h m durch Geschäftsordnungsbestimmungen seinen Inhalt oder bediente sich der Einrichtung einfach nicht 2 1 2 . So hielt Bayern nach dem Wortlaut von § 30 Abs. 2 und 3 seiner Verfassung vom 14. August 1919 zwar das Institut der Schließung aufrecht, bestimmte i n § 28 aber gleichzeitig, daß der Vorstand des Landtages für die ganze Wahlperiode zu wählen sei, nachdem i m ursprünglichen Entwurf noch eine andere Regelung vorgesehen gewesen war, die aber bei der zweiten Lesung i m Ausschuß entfiel, ohne daß sich die Gründe dafür feststellen lassen 213 . I n § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung des bayerischen Landtags 2 1 4 fand sich entsprechend die Regelung, daß die Wahl der sechs Ausschüsse „für die Zeit seiner Dauer", also die gesamte Wahlperiode, stattzufinden hatte 2 1 5 . Der aus den ersten Entwürfen stammende „Zwischentagungsausschuß" nach § 30 Abs. 2 der bayerischen Verfassung, neben dem es nach § 30 Abs. 3 noch einen „Ständigen Ausschuß" für die Zeit zwischen zwei Wahlperioden gab, hatte damit eigentlich keine eigene Funktion. Die Geschäftsordnung des Landtags versuch209 Abgedruckt bei Zschucke, Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente, S. 203 ff. (S. 210). 210 Vgl. oben § 18. 211 Glockner, Badisches Verfassungsrecht, S. 157; Rau (Anm. 36) S. 13. 212 Sieber (Anm. 36) S. 32. 213 Vgl. Hillmann (Anm. 110) S. 20 f. 214 Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 116 ff. (S. 121). 215 Vgl. auch Nawiasky (Anm. 66) S. 134.

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I. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

te deshalb auch, beide Ausschüsse zu verschmelzen, indem sie anordnete, daß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung für die Zeit nach A b lauf seiner Dauer oder nach seiner Auflösung ein „Ständiger Ausschuß" einzusetzen sei, der für die zwischen zwei Tagungen liegende Zeit m i t bestimmten Befugnissen betraut wurde 2 1 6 . I n der Praxis des Landtags kamen Schließungen der Tagung vor, eine Diskontinuität wurde aber nicht geübt 2 1 7 . Staatsrechtslehre 218 und Verfassungspraxis gingen davon aus, daß der Grundsatz der Diskontinuität nur noch für die Zeit nach Ablauf der Wahlperiode oder Landtagsauflösung gelte, für die Tagungen ein und derselben Wahlperiode aber die Kontinuität der Parlamentsgeschäfte selbstverständlich sei 2 1 9 . Auch Mecklenburg-Schwerin sah i n A r t . 32 seiner Verfassung vom 17. M a i 1920 sowohl die Vertagung wie die Tagungsschließung vor. Die Geschäftsordnunng des Landtags vom 4. Juni 1924 220 forderte entsprechend die Neuwahl des Vorstandes nach jeder Schließung; der Grundsatz der sachlichen Diskontinuität, der i n § 32 der alten Geschäftsordnung enthalten gewesen war, fehlte dagegen darin. Bei den tatsächlich vorgenommenen Schließungen der Tagung wurden die Arbeiten des Landtags deshalb auch nicht abgebrochen, sondern nur der Vorstand neu gew ä h l t 2 2 1 . I n Mecklenburg-Strelitz enthielt § 18 des Landesgrundgesetzes vom 24. Mai 1923 den Begriff der Tagungsschließung; § 12 dieser Verfassung wie die §§ 1 und 8 der Geschäftsordnung des Landtags vom 24. Dezember 1923 222 bestimmten als Folge des Tagungsschlusses, m i t dem eine Sitzungsperiode beendet wurde, die Neuwahl des Präsidiums. Tatsächlich beschloß der Landtag auch mehrfach seine Schließung und wählte anschließend sein Leitungsgremium neu. Über die Frage der A n wendimg der sachlichen Diskontinuität herrschte Unsicherheit, bis das Parlament i n seiner Sitzung vom 3. J u l i 1925 auf Antrag des Geschäftsordnungsausschusses ausdrücklich beschloß, daß Diskontinuität nicht eintreten solle 2 2 3 . A r t . 10 der Verfassung für Anhalt vom 18. J u l i 1919 behielt ebenfalls den Begriff der Schließung und Vertagung bei; ein Volksentscheid über die Auflösung des Landtages war nach A r t . 11 nur nach dem Schluß der ersten Tagung möglich, und aus A r t . 17 ergab sich die Pflicht zur Neu216

Nawiasky (Anm. 66) S. 137; Klemm (Anm. 11) S. 51. Sieber (Anm. 36) S. 33; Rau (Anm. 36) S. 14. 218 Nawiasky (Anm. 66) S. 138 ff. 219 Vgl. die Beispiele bei Nawiasky (Anm. 66) S. 139 f.; auch Hillmann 110) S. 21. 220 Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 334 ff. 221 Sieber (Anm. 36) S. 33; Rau (Anm. 36) S. 14. 222 Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 492 ff. 228 Sieber (Anm. 36) S. 33; Rau (Anm. 36) S. 14. 217

(Anm.

§ 23 Nach den Landesverfassungen

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w ä h l des Vorstandes i m Anschluß an eine Schließung. Aber auch hier nahm die Geschäftsordnung des Landtags dem Institut jede Bedeutung, indem sie i n § 8 bestimmte, daß der Vorstand für die ganze Wahlperiode zu wählen sei, und i n § 80 das Diskontinuitätsprinzip nur für das Ende der Wahlperiode, nicht für den Tagungsschluß festlegte 224 . I n ähnlicher Weise verhielten sich die übrigen Länder, deren Verfassungen zwar den Begriff der Schließung kannten, i h n aber i n Einzelbestimmungen abschwächten oder i n der Praxis ihrer Landtage darauf verzichteten, von der Einrichtung überhaupt Gebrauch zu machen. So sah die württembergische Verfassung vom 22. September 1919 i n A r t . 15 Abs. 2 den Tagungsschluß zwar vor, ordnete i n A r t . 18 aber die Wahl des Landtagsvorstandes für die gesamte Dauer der Wahlperiode an; tatsächlich kamen Schließungen dann auch nicht vor. Auch Braunschweig führte i n A r t . 20 Abs. 2 seiner Verfassung vom 6. Januar 1922 den Tagungsbegriff ein, bestimmte jedoch i n A r t . 22 Abs. 4 nur, daß zwischen zwei Wahlperioden das alte Präsidium die Geschäfte fortzuführen habe. § 1 der Geschäftsordnung des Landtags 2 2 5 stellte sodann als Regel auf, daß die Tagung bis zum Schluß der Wahlperiode dauerte; Sitzungsperioden, für die nach § 87 das Diskontinuitätsprinzip galt, waren nur als Ausnahme zugelassen. I n der Praxis fand eine Tagungsschließung aber nie statt 2 2 6 . Gleichlautende Verfassungsregelungen galten i n Thüringen, wo es ebenfalls die Geschäftsordnung des Landtags 2 2 7 war, die i n § 107 bestimmte, daß die Tagung innerhalb einer Wahlperiode so lange fortdauere, bis der Landtag sie durch ausdrücklichen Beschluß für geschlossen erklärte, nachdem schon die Verfassung selbst i n § 22 den Ausschüssen des Landtags das Recht zur Beratung auch außerhalb der Tagungen eingeräumt hatte 2 2 7 * Durch die §§ 112 und 114 der Geschäftsordnung wurde zudem die Amtsdauer des Vorstandes auf die gesamte Wahlperiode erstreckt; allerdings war dem Landtag das Recht eingeräumt, Zwischenvorstandswahlen festzusetzen. Auch Schaumburg-Lippe kannte i n § 8 seiner Verfassung vom 24. Februar 1922 den Tagungsschluß und ließ i n § 11, wie i n Anhalt, ein Volksbegehren auf Auflösung des Landtags erst nach dem Schluß der ersten Tagung zu. Zugleich wurde aber bestimmt, daß das Begehren auch bereits nach Ablauf von sechs Monaten seit Beginn der Wahlperiode gestellt werden könnte; der Landtag vermochte also nicht dadurch, daß er keine Schließung eintreten ließ, ein Auflösungsvolksbegehren zu unterlaufen. Ähnlich hatte bereits die Regelung i n A r t . 11 der lippischen Ver224

Sieber (Anm. 36) S. 33 f.; Rau (Anm. 36) S. 14. Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 376 ff. (S. 378). 228 Sieber (Anm. 36) S. 34. 227 Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 241 ff. (S. 270). 227 a Hatschek, Außerpreußisches Landesstaatsrecht, S. 244. 225

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

fassung vom 21. Dezember 1920 gelautet, die außerdem die Wahl des Vorstandes für die gesamte Wahlperiode vorsah. I n beiden Ländern machte die Praxis von der Möglichkeit der Schließung keinen Gebrauch; es trat dort also ebensowenig eine Unterteilung der Wahlperioden i n Sessionen ein wie i n den Ländern, die wie Oldenburg und Preußen sowie Waldeck bis zu seiner Eingliederung nach dem Vorbild der Reichsverfassung i n ihren Verfassungen die Schließung vorsahen, sie aber tatsächlich nicht vornahmen. So kannte die oldenburgische Verfassung vom 17. Juni 1919 i n A r t . 54 Abs. 3 sowohl die Vertagung wie Tagungsschluß. Die Praxis des oldenburgischen Landtags begnügte sich aber m i t bloßen Vertagungen, wenn auch vor der jährlichen Versammlung, i n der der Etat zu beraten war, ein neues Landtagspräsidium gewählt wurde 2 2 8 . I n Preußen schließlich enthielten A r t . 17 Abs. 4, 19 und 62 der Verfassung den Begriff der Tagung und erkannten die Unterteilung der Wahlperiode i n Sessionen damit ausdrücklich a n 2 2 9 ; entsprechend verlangte § 5 der Geschäftsordnung 230 die Neuwahl des Vorstandes bei Beginn jeder Landtagstagung, und stellte § 96 den Grundsatz der sachlichen Diskontinuität auf, von dem nur Berichte und Anträge über Geschäftsordnungsfragen ausdrücklich ausgenommen waren. § 1 der Geschäftsordnung relativierte diese Vorschriften jedoch, indem er bestimmte, daß die Tagung m i t dem ersten Sitzungstag beginnen und innerhalb der Wahlperiode solange fortdauern sollte, bis der Landtag sie für geschlossen erklärte. Tatsächlich fand dann auch niemals eine Schließung statt 2 3 1 ; die Betrachtungen zur Diskontinuität, die die gesamte Literatur daran anknüpfte 2 3 2 , blieben deshalb Theorie. Eine letzte Gruppe der Länder verzichtete von vorneherein auf die Einführung des Instituts der Tagungsschließung und begnügte sich m i t der bloßen Vertagung. Keinen Bruch m i t der eigenen Verfassungstradition bedeutete das für die drei Hansestädte, deren Bürgerschaften schon zur Zeit des Konstitutionalismus permanent vorhanden gewesen waren und diese Permanenz noch durch die Partialerneuerung unterstrichen hatten 2 3 3 . Selbst als sie zu Wahlperioden bei gleichzeitiger Neuwahl der gesamten Organwalterschaft der Volksvertretung übergegangen waren, mußte ihnen eine förmliche Unterbrechung der Tagung fremd bleiben; 228

Sieber (Anm. 36) S. 34. Hatschek (Anm. 154) S. 104. 230 Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 55 ff. (S. 59, 86). 231 Sieber (Anm. 36) S. 35. 232 Vgl. Hatschek (Anm. 154) S. 164 f., 168, der hinsichtlich der A u s w i r k u n g e n auf einen Einspruch des Staatsrats i n Fn. 1 aber schon differenzierte; Hub er, Die Verfassung des Freistaats Preußen v o m 20. November 1920, A r t . 17 A n m . 4. 233 Vgl. oben § 20. 229

§ 23 Nach den Landesverfassungen

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die Bürgerschaften versammelten sich dort so oft und so lange, wie es die Vorstände nach der Geschäftslage für erforderlich ansahen 234 . Eine Diskontinuität konnte es bei ihnen deshalb schon begrifflich nicht geb e n 2 3 4 3 . I n Sachsen war i n dem von der Regierung vorgelegten Verfassungsentwurf noch die Einführung von Sitzungsperioden vorgesehen gewesen. Diese Regelung wurde jedoch von der Mehrheit des Verfassungsausschusses unter ausdrücklichem Hinweis darauf, daß eine solche Einteilung der veränderten Stellung des Landtags nicht mehr entspreche, abgelehnt 2 3 5 ; A r t . 8 Abs. 3 und A r t . 11 der Verfassung vom 1. November 1920 sowie § 1 der Landtagsgeschäftsordnung 236 kannten deshalb nur noch die schlichte Vertagung. Schließlich setzten sich auch i n Hessen die später von Wittmayer 237 und Nawiasky 238 betonten Argumente durch. A r t . 23 Abs. 2 und A r t . 26 der Verfassung vom 12. Dezember 1919 sowie A r t . 80 der Geschäftsordnung des Landtags 2 3 9 regelten nur noch die formlose Landtagsvertagung 2 4 0 ; sachliche Diskontinuität war i n A r t . 25 der Verfassung und A r t . 82 der Geschäftsordnung allein, aber auch ausdrücklich für das Ende der Wahlperiode vorgesehen 241 . Wie auf Reichsebene war i n allen Ländern m i t Ausnahme von Baden somit die Sitzungsperiode als Periodizität und Anknüpfungspunkt für den Grundsatz der Diskontinuität praktisch entfallen. Überlegungen, die dazu i n der Literatur angestellt wurden, blieben als Relikte des Staatsrechts des Konstitutionalismus reine und von der Verfassungssystematik nicht mehr gedeckte Theorie. Vereinzelt wurde deshalb als wünschenswert angesehen, daß das Institut auch aus den Verfassungen selbst, „die es i n wirkungsloser Form noch aufrechterhielten", verschwände 242 . Als begründendes Moment für das Diskontinuitätsprinzip konnte der Tagungsschluß ohnehin auf keinen Fall mehr dienen, seit m i t dem Selbstversammlungsrecht seine Herbeiführung allein dem Parlament überlassen war. Dieses Prinzip konnte sich nur m i t dem Ende der Wahlperiode verbinden, wo es insbesondere i m Zusammenhang m i t der Auflösung der Volksvertretung gerechtfertigt und von Bedeutung blieb. 234

Vogels (Anm. 190) S. 33; Sieber (Anm. 36) S. 36. a Mittelstein, Die Verfassung der Freien u n d Hansestadt Hamburg, A r t . 13 A n m . 2; Hatschek (Anm. 227 a) S. 245. 235 woelker, Die Verfassung des Freistaates Sachsen, S. 80 f.; Sieber (Anm. 36) S. 35; Rau (Anm. 36) S. 14. 234

236

Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 140 ff. (S. 141). (Anm. 88) S. 14, 316 f. 238 (Anm. 66) S. 139. 239 Abgedruckt bei Zschucke (Anm. 209) S. 273 ff. (S. 307). 237

240 241 242

Sieber (Anm. 36) S. 35. Hatschek (Anm. 227 a) S. 245. Vgl. auch oben § 1 Fn. 15. Sieber (Anm. 36) S. 36.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

Wie für den Reichstag mußte auch für die Landtage und Bürgerschaften gelten, daß sie als Institution nicht zu beseitigen waren. Als Vertretung des souveränen Staatsvolkes waren sie eine ständige Einrichtung, die dem Dogma von der Permanenz der Legislatur entsprechend nie enden konnte, solange überhaupt das Parlament als Repräsentant der Volkssouveränität anzusehen war. Es endete nur die jeweilige Erscheinungsform der Institution; es wechselten die jeweiligen Träger 2 4 3 . Das Ende der Wahlperiode bedeutete i m Prinzip deshalb nur das Ende der Abgeordneteneigenschaft aller für ihre Dauer gewählten Volksvertreter. Daß das Institut als solches fortbestand, ergab sich schon daraus, daß i n einzelnen Ländern i n der Zeit zwischen dem Ablauf der Wahlperiode und dem Zusammentritt des neuen Parlaments ein Ausschuß die Rechte der Volksvertretung wahrte 2 4 4 , und daß i n fast allen Ländern die Präsidien des auslaufenden Landtags i n dieser Zwischenzeit die Geschäfte weiterführten 2 4 5 . Die Auflösung als vorzeitiger Entzug der Legitimation der Organwalterschaft war m i t diesem Verständnis an und für sich nicht vereinbar. Die Vorstellung, daß das gewählte Parlament seine Arbeit völlig einstellen und einem neuzuwählenden Nachfolger Platz machen sollte, stand eigentlich i m Widerspruch zu der Natur der Vertretungskörperschaft, zumal i n keinem der Länder neben der Volksvertretung ein ebenfalls auf unmittelbarer Volkswahl beruhendes Verfassungsorgan existierte. Trotzdem sahen auch die meisten Landesverfassungen eine Auflösung des Landtags vor, wobei der notwendige Willensakt entweder dem Parlament selbst oder einem außerhalb des Parlaments stehenden Faktor übertragen war. Dieser Faktor konnten das souveräne Volk oder aber gewisse Exekutivorgane sein. Bei aller i m übrigen zu beobachtenden Homogenität der Landesverfassungen w a r das Spektrum hier sehr breit 2 4 6 . Von Lübeck, das eine Auflösung der Bürgerschaft i m eigentlichen Sinne nicht kannte 2 4 7 , bis Oldenburg, wo i n dem Bestreben, ein völliges Gleichgewicht zwischen der Macht der Exekutive und der des Parlaments herzustellen, der Regierung ein selbständiges Auflösungsrecht zugestanden war, ließen sich alle denkbaren Formen feststellen, wobei 243

Sieber (Anm. 36) S. 37. Vgl. dazu f ü r Bayern oben; f ü r die übrigen Länder Esche (Anm. 105) S. 93 ff.; Sieber (Anm. 36) S. 50. 245 Waldecker (Anm. 201) S. 70; Sieber (Anm. 36) S. 50; Esche (Anm. 105) S. 93 ff. 246 Vgl. dazu die systematische Darstellung bei Esche (Anm. 105) S. 21 ff.; auch Sieber (Anm. 36) S. 38 ff. 247 I n Lübeck konnte durch Volksentscheid eine vorzeitige N e u w a h l der Bürgerschaft verlangt werden. W a r diese neue Bürgerschaft gewählt, w a r die alte automatisch aufgelöst; A r t . 14 Abs. 1 der lübschen Verfassung. Vgl. auch Esche (Anm. 105) S. 69 f. 244

§ 23 Nach den Landesverfassungen

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Preußen m i t dem Auflösungsrecht des sogenannten Präsidentenausschusses, der aus dem Ministerpräsidenten, dem Präsidenten des Landtags und dem des Staatsrats bestand, eine Sonderstellung einnahm. Ein der Reichsverfassimg unbekanntes Selbstauflösungsrecht des Parlaments wiesen nicht weniger als zehn Landesverfassungen auf 2 4 8 , zum überwiegenden Teil unter erschwerten Bedingungen, u m den Mißbrauch durch Zufallsmehrheiten zu unterbinden 2 4 9 . Eine noch größere Zahl enthielt ein Auflösungsrecht des Volkes i n Form des Volksentscheids, wobei danach zu unterscheiden war, ob das Volk selbst i m Wege des Auflösungsbegehrens bzw. der Volksinitiativen 2 5 0 dieses Verfahren einleiten konnte, oder der Anstoß dazu von außen, nämlich durch die Regierung, i n Preußen durch den Staatsrat oder eine qualifizierte Minderheit des Parlaments erfolgen mußte. A l l e i n den volksbegehrten A u f lösungsvolksentscheid hatten Baden, Bayern, Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und Thüringen 2 5 1 . Die Verfassungen von Anhalt, Hessen, Lippe, Sachsen und Württemberg ließen die Volksabstimmung über die Parlamentsauflösung sowohl auf Volks- wie auf Regierungsverlangen zu. I n Preußen konnte es über ein Volksbegehren wie über die Initiative des Staatsrats zur Auflösung durch das Volk kommen. Das Grundgesetz der Hansestadt Bremen nannte neben dem Volksbegehren die Forderung des Auflösungsvolksentscheids durch die Regierung bei Zustimmung eines Drittels der gesetzlichen Mitgliederzahl der Bürgerschaft und die Abstimmung über den Verbleib des Parlaments auf Antrag eines Drittels der gesetzlichen M i t gliederzahl der Bürgerschaft 252 . I n Hamburg schließlich hatte sich das Volk nur auf Initiative der Regierung über den Fortbestand der amtierenden Volksvertretung zu äußern. Das auf diese Weise herbeigeführte vorzeitige Ende der Wahlperiode hatte wie deren regulärer Ablauf auch bei den Landtagen i n erster Linie das sofortige und gleichzeitige Erlöschen aller Mandate und Mitgliedschaftsrechte der Abgeordneten zur Folge 2 5 3 . M i t den Mandaten wurden 248 § 31 BayerVerf ; A r t . 24 BraunschwVerf; § 17 B r e m GG; A r t . 24 HbgVerf ; § 30 Abs. 2 Mecklenburg-SchwerinVerf ; § 21 Mecklenburg-StrelitzVerf; § 55 OldenburgLGG; A r t . 4 PreußVerf; A r t . 9 Abs. 1 SächsVerf; § 16 Thür.Verf. Vgl. auch Esche (Anm. 105) S. 66 ff.; Sieber (Anm. 36) S. 38 ff. 249 Esche (Anm. 105) S. 67 f.; Sieber (Anm. 36) S. 39 f. 250 § 11 Abs. 2 A n h a l tVerf; § 46 Abs. 1 BadVerf; § 30 Abs. 5 BayerVerf; A r t . 23 BraunschwVerf; § 18 B r e m G G ; A r t . 24 Abs. 1 HessVerf; A r t . 11 L i p p Verf ; § 30 Abs. 2 u n d § 45 Abs. 2 u n d 3 Mecklenburg-SchwerinVerf ; § 55 O l denburgLGG; A r t . 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 u n d 6 PreußVerf; A r t . 6 Abs. 2 SächsVerf; § 11 Schaumburg-Lipp V e r f ; § 25 Abs. 1, § 27 Abs. 3 T h ü r V e r f ; § 16 Abs. 2 W ü r t t V e r f . 251 Vgl. Esche (Anm. 105) S. 58 f. 252 § 53 Abs. 4 BremGG. 258 Esche (Anm. 105) S. 93.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

aber auch die Wahlvorschläge hinfällig, nach denen die Abgeordnetensitze verteilt worden und bei Ablehnung der Wahl oder bei Ausscheiden eines Abgeordneten die Ersatzberufenen festzustellen waren 2 5 4 . Es trat also personelle Diskontinuität m i t der weiteren Folge ein, daß ein beschlußfähiges Parlament nicht mehr vorhanden war. Die rechtliche Existenz der betroffenen Volksvertretung wurde unwiederbringlich beseitigt, i h r der Charakter einer solchen entzogen 255 . Damit verbunden mußte der endgültige Fortfall aller Funktionen der Körperschaft, ihrer Mitglieder und ihrer Organe sein. Soweit nicht durch die Verfassung selbst Vorkehrungen für die parlamentslose Zeit bis zum Zusammentritt einer neugewählten Volksvertretung getroffen waren, konnte deshalb auch der Auflösungsberechtigte nicht etwa die Weitergeltung aller oder bestimmter Funktionen anordnen. Das galt für das Parlament selbst wie für Aufgaben, die einzelne Abgeordnete des Parlaments außerhalb der Volksvertretung auszuüben hatten. So blieben i n Hessen, MecklenburgSchwerin, Thüringen und Oldenburg die vom Landtag aus seiner Mitte zum Landesstaatsgerichtshof gewählten Mitglieder über das natürliche wie vorzeitige Ende der Wahlperiode hinaus bis zur Vornahme einer Neuwahl i m A m t 2 5 6 . Die Verfassungen von Bayern und Baden ordneten ausdrücklich an, daß die Ministeranklagen beim Landesstaatsgerichtshof durch das Hinscheiden des Landtags nicht berührt würden 2 5 7 . Hatte i n Baden „zur Zeit des Zusammentritts eines neu gewählten Landtags der Staatsgerichtshof das Urteil noch nicht gefällt, so w i r d er neu gebildet und der Landtag wählt aufs neue die Vertreter der Anklage. Erfolgt hierauf eine Auflösung, so bleiben die Vertreter der Anklage und der Staatsgerichtshof i n dem früheren Bestand" 2 5 8 . Das darin zum Ausdruck kommende Verständnis vom Ende der Wahlperiode als einer Zäsur, die als Folge des Verlusts der Legitimation der Organwalterschaft die materielle Existenz des konkret-personellen Parlaments vernichtete, w i r k t e sich auch i n den Ländern dahin aus, daß unbestritten der Grundsatz der Diskontinuität der Verhandlungen 2 5 9 , d. h. die sachliche Diskontinuität eintrat. A l l e unerledigten Parlamentsarbeiten wurden hinfällig, wie es A r t . 25 der hessischen Verfassung ausdrücklich bestimmte. Das galt insbesondere für Gesetzgebungsvorhaben, obwohl dort wie i n § 96 der Geschäftsordnung des preußischen Landtags 2 8 0 Vorlagen, Anfragen, Anträge und Eingaben (Petitionen) genannt 254

Esche (Anm. 105) S. 93. Sieber (Anm. 36) S. 50. 256 A r t . 51 HessVerf; § 68 Abs. 3 Mecklenburg-SchwerinVerf; § 49 Abs. 2 T h ü r V e r f ; § 70 OldenburgLGG. Vgl. auch Esche (Anm. 105) S. 98. 257 § 56 Abs. 4 BayerVerf ; § 62 BadVerf. 258 § 63 BadVerf. 259 Sieber (Anm. 36) S. 50. 255

§ 23 Nach den Landesverfassungen

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waren 2 6 1 . Eine Besonderheit wies wie der Gesetzgebungsvorgang auf Keichsebene dabei das Verfahren i n Preußen auf, das ein Einspruchsrecht des Staatsrats gegen den Gesetzesbeschluß des Landtags kannte. Indem alle nicht abgeschlossenen Arbeiten „unter den Tisch" fielen, die abgeschlossenen, also auch vom Landtag beschlossene Gesetze, sich hingegen weiter auswirkten 2 6 2 , konnte der Staatsrat auch nach Beendigung der Wahlperiode noch Einspruch erheben, wie sich der vom Landtag vor einer Auflösung beschlossene Volksentscheid nach A r t . 42 Abs. 3 Satz 2 der preußischen Verfassung ebenfalls noch auswirken mußte. Da es sich aber u m abgeschlossene Beschlüsse zu handeln hatte, ein solcher jedoch noch nicht vorlag, wenn kurz vor Ablauf der Legislaturperiode der Einspruch des Staatsrats eingelegt wurde, und nun keine Zeit mehr für die von der Verfassung i n A r t . 43 Abs. 3 geforderte nochmalige Beratung des Landtags vorhanden war, fiel auch eine schon beschlossene Vorlage i n sich zusammen. Gleiches mußte gelten, wenn der Staatsrat innerhalb der vorgeschriebenen Frist, jedoch erst nach Ablauf der Legislaturperiode Einspruch erhob. Auch dann war kein Landtag mehr vorhanden, der die wiederholte, durch die Verfassung geforderte Beschlußfassung hätte vornehmen können 2 6 3 . Aus dem an sich nur suspensiven Veto des Staatsrats wurde wie auf Reichsebene 264 ein absolutes. Nicht ganz i n diesen Rahmen paßte auf den ersten Blick die Praxis in Hamburg. Dort wurde hinsichtlich des Schicksals nicht abgeschlossener Beratungsgegenstände der Bürgerschaft am Ende einer Wahlperiode differenziert: unerledigte Senatsanträge wurden von der neuen Bürgerschaft übernommen, eine von der alten Bürgerschaft etwa bereits abgehaltene Lesung jedoch wiederholt 2 6 5 . Das heißt, erfolgte zwischen der ersten und zweiten — abschließenden — Lesung eine Neuwahl der B ü r gerschaft, so wurde die erste Lesung von der neuen Bürgerschaft noch 280 § 96 GOPreußLT bezog sich ausdrücklich auf das Tagungsende; er mußte aber dann erst recht f ü r das Ende der Wahlperiode gelten. 261 Z u der Frage, ob bei einem Verfassungssystem, das v o m Gedanken der Volkssouveränität beherrscht wurde, das f ü r Petitionen noch gelten konnte, vgl. unten § 26. I n der L i t e r a t u r der Weimarer Zeit w u r d e diese Frage überhaupt nicht gesehen, obwohl A r t . 126 W R V das Petitionsrecht als Grundrecht verankerte. 262 Hatschek (Anm. 154) S. 167. 263 Hatschek (Anm. 154) S. 167 f., der dort auch darauf hinweist, daß i m preußischen Recht die i m Reichsrecht gegebene Möglichkeit, durch die A u f bietung des Volksentscheides seitens der E x e k u t i v e den v o m Landtag gefaßten Gesetzesbeschluß durch Volksentscheid, den Hatschek m i t einer Sanktion durch das V o l k vergleicht, am Leben zu erhalten, gefehlt habe. Vgl. dazu oben § 21. 264 Vgl. oben § 21. 265 Wulff, Hamburgische Gesetze u n d Verordnungen, Bd. 1, Verf A r t . 15 A n m . 9 (S. 14), A r t . 51 A n m . 7 (S. 38), u n d der dort zitierte Sitzungsbericht der Bürgerschaft, Sten. Ber. 1921, S. 506 f.

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III. 6. Kap. : Diskontinuität unter der Weimarer Verfassung

einmal vorgenommen 2 6 6 , ohne daß der Senat die betreffende Vorlage noch einmal förmlich einzubringen hatte. Anträge aus der Mitte der B ü r gerschaft wurden dagegen auch hier als erledigt angesehen und mußten neu eingebracht werden 2 6 7 . Der Grund dafür lag i n der aus der besonderen staatsrechtlichen Entwicklung zu erklärenden Stellung des Senats. Die i n einem Ausschußbericht 1920 beiläufig ausgesprochene Ansicht, daß nach einer Neuwahl der Bürgerschaft der gesamte Senat seine Ä m ter zur Verfügung stellen müsse, fand nach Ansicht der Staatsrechtslehre i n der hamburgischen Verfassung keine Stütze und wurde deshalb namentlich für den Fall, daß der Senat selbst die Neuwahl gemäß A r t . 36 Abs. 3 erzwungen hatte, abgelehnt. Wenn auch die Verhältnisse von selbst zu einer Verständigung m i t der Mehrheit der neugewählten B ü r gerschaft darüber führen mußten, ob der bisherige Senat ihr Vertrauen hatte, so wurde doch verfassungsrechtlich die Neuwahl der Bürgerschaft als solche ohne Einfluß auf das Verbleiben des Senats i m A m t angesehen. Der Senat stellte deshalb auch an den Anfang seiner durch politische Zweckmäßigkeitsgründe veranlaßten Rücktrittserklärung vom 9. März 1925 den Satz: „Eine Verpflichtung des Senats, nach der Neuwahl der Bürgerschaft zurückzutreten, besteht nicht 2 6 8 ." Bei einem solchen Verständnis des Senats nicht als Beauftragtem einer bestimmten Personengruppe, sondern als Träger eigener Rechte 269 mußte der Grundsatz der Diskontinuität eingeschränkt auf den eigentlichen parlamentarischen Bereich gesehen werden; er konnte insoweit nicht organextern wirken, als er auch Vorlagen des Senats vernichtete, was auch nach der hamburgischen Praxis jedoch nicht bedeutete, daß die Arbeiten der Bürgerschaften daran, also die erste Lesung, nicht wiederholt werden mußte 2 7 0 . I n Hamburg w a r somit nicht der Grundsatz der Diskontinuität relativiert oder aufgehoben, sondern nur seine Wirkung i n einem bestimmten Bereich anders ausgestaltet. Während die Literatur zum Reichs- und Landesstaatsrecht noch überwiegend von einer Diskontinuität der Tagungen oder Sessionen ausging, w a r i n der Verfassungswirklichkeit der Volksvertretungen von Reich und Ländern der Grundsatz der Diskontinuität nur noch m i t dem Ende der Wahlperiode verbunden, das die einzige von außen gesetzte Zäsur i n Existenz und Tätigkeit des Parlaments darstellte, w e i l dadurch die Le266

Wulff (Anm. 265) Bd. 1, Verf A r t . 52 A n m . 4 (S. 39). Wulff (Anm. 265) Bd. 1, V e r f A r t . 15 A n m . 9 (S. 14), A r t . 51 A n m . 7 (S. 38). 288 Wulff (Anm. 265) Bd. 1, V e r f A r t . 36 A n m . 3 (S. 27) u n d der dort zitierte Sitzungsbericht der Bürgerschaft, Sten. Ber. 1925, S. 179. 269 Wulff (Anm. 265) Bd. 1, Verf A r t . 36 A n m . 3. 270 Z u der heutigen Praxis i n H a m b u r g u n d dem damit gleichzeitig angesprochenen Abhängigkeitsverhältnis v o n Regierung u n d Parlament, das auch i n Schleswig-Holstein u n d dem Saarland eine Rolle spielt, vgl. unten § 27. 267

§ 23 Nach den Landesverfassungen

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gitimation der Organwalterschaft erforderlich wurde. N u r eine solche Zuordnung entsprach der veränderten Stellung des Parlaments i m Verfassungsgefüge, für die das Selbstversammlungsrecht nur einer von zahlreichen Nachweisen war. Die Ausnahme bzw. Variante i n Hamburg erklärte sich aus der eigenen Verfassungstradition dieser Hansestadt und der besonderen Stellung, die Bürgerschaft und Senat dort einnahmen. Daß die beiden anderen Hansestädte, vor allem Lübeck m i t seinem singulär gestalteten Auflösungsrecht, diese bei ihnen ebenfalls angelegte Tradition soweit nachweisbar ist, nicht aufnahmen und fortführten, w a r lediglich ein Hinweis auf die Herausbildung von Verfassungsgewohnheitsrecht i n begrenzten, abgeschlossenen Verfassungskreisen, das auch die reichsrechtlich i n A r t . 17 WRV vorgezeichnete Homogenität zu durchbrechen i n der Lage w a r 2 7 1 . Eine Widerlegung der Geltung des Grundsatzes der Diskontinuität stellte sie nicht dar. Dieser bildete vielmehr einen Teil des ungeschriebenen materiellen Verfassungsrechts der Weimarer Republik, aber beschränkt auf das Ende der Wahlperiode, während es für etwaige Sessionen oder Tagungen als Unterteilung der Wahlperiode auch gewohnheitsrechtlich keine Geltung mehr haben konnte. Die Regelungen der badischen Verfassung und ihre Handhabung waren insoweit anachronistische Relikte, für die es eine zwingende Begründimg nicht mehr gab.

271 Das widerlegt bereits die v o n Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 144, aufgestellte These, auf dem Boden der Verfassung könne k e i n Gewohnheitsrecht gedeihen. Vgl. dazu auch unten § 27.

16 Jekewitz

Siebentes Kapitel

Der Grundsatz der Diskontinuität unter dem Grundgesetz Während der Dauer der Herrschaft des Nationalsozialismus galt die Weimarer Reichsverfassung zwar formell weiter, und auch der Reichstag wurde noch ingesamt vier M a l gewählt, konstituierte sich seit dem 12. Dezember 1933 aber nicht mehr förmlich und trat auch immer seltener zusammen. I n seiner Endphase hatte er praktisch nur noch die von der Regierung zur Wahrung des Scheins der Legalität vorgelegten Rechtsvorschriften zu sanktionieren. I n den Ländern die Landtage und anschließend der Reichsrat als Institution waren bereits durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 und das Gesetz über die Aufhebung des Reichsrats vom 14. Februar 1934 beseitigt worden. Soweit darin die M i t w i r k u n g des Reichsrats i n Rechtsetzung und Verwaltung ausdrücklich als fortgefallen bezeichnet worden war, war das von der Verfassung vorgesehene Gesetzgebungsverfahren dam i t nicht mehr möglich. I m übrigen entsprach das verbleibende „Parlament" ohnehin nicht den Vorstellungen von einer Volksvertretung, denn auch die konservativen und bürgerlichen Parteien waren längst ausgeschaltet, und die Wahlen damit lediglich die i n allen totalitären Systemen vorausberechenbaren Akklamationen für Einheitskandidaten. Reichstagswahlen dieser A r t , denen jeweils die Auflösung des existierenden Reichstags voranging, erfolgten am 5. März 1933, am 12. November 1933, am 29. März 1936 und am 10. A p r i l 1938 nach dem „Anschluß" Österreichs als „Großdeutscher Reichstag" m i t Ergänzungswahlen am 4. Dezember 1938 i n den durch das Münchener Abkommen vom Deutschen Reich annektierten Teilen der Tschechoslowakei. Die letzte Reichstagssitzung fand am 26. A p r i l 1942 statt; auf ihr wurde ein vorbereiteter Beschluß verabschiedet, wonach der Führer über das Ermächtigungsgesetz hinaus „nicht mehr an bestehende Rechtsvorschriften gebunden" sein sollte. A m 25. Januar 1943 wurde die Wahlperiode dieses letzten Reichstags durch Regierungsgesetz ohne M i t w i r k u n g des Parlaments selbst bis zum 30. Januar 1947 verlängert, nachdem schon durch einen Erlaß vom 30. Januar 1939 die Wahlperiode des am 10. A p r i l 1938 gewählten Reichstags verfassungswidrig bis zum 30. Januar 1943 ausgedehnt worden war, wobei als rechtfertigender Grund angeführt wurde, daß der Großdeutsche Reichstag entgegen der ausdrücklichen Bestim-

III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

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mung der Verfassung erst i m Januar 1939 zum ersten Male zusammengerufen worden sei. Erstmals wurde dann auch das Ermächtigungsgesetz durch Führererlaß, nicht mehr durch den Reichstag verlängert 1 . Fragen der Diskontinuität konnten während dieser Zeit nicht auftreten. M i t der Erinnerung an diese Vorgänge vor Augen wurde der Neuaufbau nach 1945 begonnen. Die staatliche Reorganisation nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus war von dem Bestreben bestimmt, i n stitutionelle Konstruktionsfehler der Weimarer Republik, die deren Untergang zwar nicht herbeigeführt, aber doch erleichtert hatten, möglichst zu vermeiden. Das war bereits bei der Einsetzung der ersten Landesregierungen i m Bereich der drei westlichen Besatzungszonen und der Ausarbeitung der Verfassungen für die dort neuentstandenen oder wiederhergestellten Länder spürbar, obwohl dabei vor allem auch eigene historische Vorbilder Verwendung fanden 2 . Es mußte aber der Grundordnung für den i n diesem Bereich entstehenden neuen Bundesstaat von vorneherein den Charakter einer „Abwehrverfassung" 3 beilegen. Dieser Charakter läßt sich i n vielen Einzelregelungen nachweisen. Er muß auch bei der Prüfung der Frage nach der Weitergeltung des Grundsatzes der Diskontinuität i m Auge behalten werden. Insoweit w i r k e n Erfahrungen der eigenen staatlichen Vergangenheit durchaus noch weiter; sie überlagern verfassungspsychologisch die Regelungen des formellen Verfassungsrechts und sind bei dessen Interpretation mit heranzuziehen. Es handelt sich dabei noch nicht u m Verfassungsgewohnheitsrecht, weil die schon mehrfach aufgezeigten Grenzen für die stillschweigende Übernahme von Rechtssätzen aus einem Verfassungssystem i n das andere 3 3 auch hier gelten. Es gibt jedoch bestimmende Elemente insbesondere i m organisationsrechtlichen Teil jeder Verfassung, die auch den Wandel von Verfassungssystemen überdauern, wenngleich die Institutionen, denen sie zugeordnet sind, eine qualitative Veränderung erfahren; hier gilt es, diese Elemente neu auf ihre Bestandskraft zu prüfen, wobei sich herausstellen kann, daß nicht nur praktische Gründe für ihre Beibehaltung und Ausformung sprechen. 1 Vgl. dazu Domarus, Der Reichstag u n d die Macht, passim, insbesondere S. 63 ff.; dort S. 192 ff. auch die Zeittafel über die Einberufungen des Deutschen Reichstags 1932 bis 1942 m i t einer Übersicht der angenommenen Gesetze u n d Entschließungen, die deutlich machen, daß dieses Z e r r b i l d eines Parlaments tatsächlich n u r der „höchstbezahlte Gesangverein" war. Z u den nie zu Ende geführten Ansätzen einer Ä n d e r u n g der Reichsverfassung durch den Nationalsozialismus vgl. Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte v o m 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, S. 348 ff. 2 Vgl. dazu die jeweils den einzelnen Ländern vorangestellten kurzen D a r stellungen der Verfassungsgeschichte bei Storbeck, Die Regierungen des Bundes u n d der Länder seit 1945, Deutsches Handbuch der P o l i t i k Bd. 4. 3 Werner Weber, Spannungen u n d K r ä f t e i m Westdeutschen Verfassungssystem, insbesondere S. 32 ff. 3a Vgl. dazu oben § 20.

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Als Wesensmerkmal des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. M a i 1949 i n diesem Sinne ist einmal die betonte Entscheidung für die Staatsform der repräsentativen Demokratie zu sehen 4 . Die Absage an jede Form der unmittelbaren Volksherrschaft 5 , die als Volksbegehren oder sogar Volksentscheid an der gewählten Vertretungskörperschaft vorbei korrigierend bzw. deren Willensbildung überwindend i n der Weimarer Reichsverfassung noch angelegt war, bedeutet eine Stärkung der Rechte und der Stellung des Parlaments. Das souveräne Staatsvolk, das nach A r t . 20 Abs. 2 Satz 1 GG Träger der Staatsgew a l t ist, kann diese nur i n sehr geringem Umfange unmittelbar ausüben. Es ist darauf angewiesen, seinen politischen Willen nach A r t . 20 Abs. 2 Satz 2 GG i n Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck zu bringen. Diese Wahlen zielen auf die Bestellung seiner Repräsentanten i n einer Volksvertretung als Kollegialorgan, die für eine vorher bestimmte und festgelegte Zeit tätig werden. Einen weiteren Träger des Volkswillens gibt es dabei nicht; der Bundespräsident nimmt i m Gegensatz zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik seine Legitimation nicht unmittelbar vom Volk, sondern vermittelt durch die Wahl der Bundesversammlung, die sich aus den Abgeordneten des Bundestages und einer gleichen Zahl von den Landtagen gewählter Mitglieder zusammensetzt 6 . Als ein aus denselben historischen Erfahrungen heraus erklärbares Wesensmerkmal des Grundgesetzes muß aber auch die ähnlich starke Stellung der Regierung gesehen werden. Der Bundeskanzler als Regierungschef ist zwar vom Bundestag zu wählen, nimmt sein Vertrauen also nur von der Organwalterschaft des Parlaments. Die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden dann auf seinen Vorschlag h i n vom Bundespräsidenten ernannt. Bei allem uneingeschränkten Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie ist für das Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive dabei bestimmend, der Regierung höchstmögliche Stabilität zu sichern 7 . Für die Beseitigung einer Bundesregierung genügt deshalb nicht der bloße Entzug des durch die Wahl des Bundeskanzlers ausgesprochenen Vertrauens, sondern es muß zunächst i m Wege des sogenannten konstruktiven Mißtrauensvotums nach A r t . 67 GG ein neuer Bundeskanzler gewählt werden. Erst dann kann der Bundespräsident den gescheiterten Regierungschef entlassen, wie er auch den Bundestag nur auflösen kann, wenn ein eigener Antrag des Bundeskanzlers, i h m 4 Vgl. dazu Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes f ü r die B u n desrepublik Deutschland, S. 80; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 340. 5 Die Ausnahmen der A r t . 29 u n d 128 G G betreffen Spezialbereiche u n d können hier vernachlässigt werden. Z u den Ländern vgl. unten § 27. 6 A r t . 54 Abs. 3 G G ; Gesetz über die W a h l des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung v o m 24. A p r i l 1959, B G B l . I , S. 230. 7 Vgl. Fromme, V o n der Weimarer Verfassung z u m Bonner Grundgesetz, S. 56 f.

§ 24 Periodizität des Bundestages

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das Vertrauen auszusprechen, gescheitert ist, und der Bundestag keinen anderen Bundeskanzler m i t der nach A r t . 63 GG erforderlichen Mehrheit zu wählen i n der Lage war. Vor diesem Hintergrund einer engen Verschränkung von starkem Parlament und starker Regierung, die auch darin Ausdruck findet, daß nach A r t . 69 Abs. 2 GG das A m t des Bundeskanzlers und seiner Regierung i n jedem Fall m i t dem Zusammentritt eines neuen Bundestages endet, sind Weitergeltung, Inhalt und rechtliche Zuordnung des Grundsatzes der Diskontinuität zu werten. Die dabei gefundenen Ergebnisse lassen sich weitgehend auch auf das Verfassungsrecht der Bundesländer projezieren, obwohl dort, wo das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung anders angelegt ist, die Problemstellung sich demgegenüber etwas verschieben kann 8 . § 24 Periodizität und rechtliche Existenz des Deutschen Bundestages Die betonte Entscheidung für ein starkes, auf praktisch alle Staatsfunktionen Einfluß nehmendes Parlament mußte i n einem Verfassungssystem und unter einer Verfassungsordnung, die gegen jeden möglichen Mißbrauch der Macht sorgfältige Vorsorge t r i f f t 9 , auch den Bundestag der Kontrolle durch den Souverän, das Staatsvolk unterwerfen. Da einer ständigen lückenlosen Kontrolle jedoch die konsequente Durchführung der mittelbaren Demokratie entgegensteht, die eine Kollektivabberufung des gesamten Parlaments ebenso ausschließt wie die A n n u l lierung einzelner Mandate, liegt das Schwergewicht der Staatsgewalt zwischen zwei Wahlen beim Bundestag. Die vom Staatsvolk getroffene politische Entscheidung ist für dieses während dieser Zeit unwiderruflich. Es gibt auch keine rechtliche Möglichkeit, auf das Verhalten der gewählten Repräsentanten einzuwirken 1 0 ; Entscheidungen des Parlaments muß sich das Staatsvolk selbst „dann zurechnen lassen, wenn sie zu seinem Willen i m Widerspruch stehen" 1 1 . Aus dem Prinzip der Repräsentation folgt, wie Maunz es ausdrückt 12 , daß, „wenn ein Problem erst nach der Wahl neu auftritt, ohne daß sich das Volk vorher m i t i h m beschäftigen konnte und ohne daß es unter diesem Blickpunkt wählen konnte", der Bundestag dennoch befugt ist, „das Problem i n der i h m richtig erscheinenden Weise zu lösen, ohne an das Volk appellieren zu müssen". 8

Vgl. dazu unten § 29. Maassen, Z u r Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, Aktuelle Rechtsprobleme, S. 71. 10 Maurizi DüriglHerzog, Grundgesetz, A r t . 38 Rdnr. 1. 11 Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 50. 12 I n MaunzlDüriglHerzog (Anm. 10) A r t . 38 Rdnr. 10. 9

in:

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I I I . 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

U m so größere Bedeutung muß der Befristung dieses unbeeinflußten und unbeeinflußbaren Handlungszeitraums zukommen. Anvertraute und verantwortliche Herrschaft, wie sie die demokratische Ordnung des Grundgesetzes voraussetzt, bedarf nach Konrad Hesse 13 der i n regelmäßigen Zeitabständen erneuerten Legitimation. Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, gehört es zu den grundlegenden Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates, „daß die Volksvertretungen i n regelmäßigen, i m voraus bestimmten Abständen durch Wahlen abgelöst und neu legitimiert werden" 1 4 . Denn durch die W a h l übt das Staatsvolk seinerseits wieder jeweils die Kontrolle über einen zeitlichen Tätigkeitsabschnitt des Parlaments aus 15 . Die periodisch wiederkehrenden Parlamentswahlen haben damit eine doppelte Funktion: sie sind nachträgliche Sanktion über das politische Verhalten des Parlaments und der von seiner Mehrheit getragenen Regierung während der vergangenen vier Jahre; zum anderen stellen sie die Legitimation für zukünftiges Handeln und die vorweggenommene Einverständniserklärung für alle Entscheidungen des neugewählten Parlaments und der von i h m zu bestellenden Regierung dar. Daraus ergibt sich, daß die Wahlen nicht zu häufig aufeinanderfolgen dürfen, w e i l anders die Entscheidung der Verfassung für ein starkes Parlament konterkariert würde, sie aber auch nicht i n zu großem Abstand voneinander liegen können, wenn ihre K o n t r o l l - und Legitimationsfunktion nicht sinnlos sein soll 1 6 . Das Grundgesetz hat i n A r t . 39 Abs. 1 Satz 1 m i t den meisten Landesverfassungen den Vierjahresrhythmus der Weimarer Verfassung wieder aufgenommen; es entspricht damit einer Tradition, die es m i t dem weitaus größten Teil vergleichbarer Staaten teilt. Indem der Bundestag n u r auf vier Jahre gewählt wird, kommt gleichzeitig zum Ausdruck, daß sämtliche Befugnisse des so legitimierten Parlaments auf vier Jahre befristet sind, soweit das Grundgesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Der Bundestag kann deshalb seine eigene Wahlperiode nicht einfach verlängern und die i h m erteilte Legitimation damit zeitlich erweitern 1 7 . Es ist allenfalls möglich, i m Zuge einer Verfassungsreform für zukünftige Parlamente einen größeren Handlungszeitraum i n der Verfassung fest-

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Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 216. BVerfGE 18, S. 154. 15 Vgl. Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 20 Rdnr. 56; S t G H Baden-Württemberg ESVGH 11/11, S. 7, Leitsatz 1; Beiz (Anm. 11) S. 50 f., 54. 16 Z u r optimalen Dauer von Wahlperioden vgl. noch einmal Finger, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 264, u n d Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 353. 17 Vgl. dazu von MangoldtlKlein, Das Bonner Grundgesetz, A r t . 39, Anm. I I I 2; BVerfGE 1, S. 233; Thierfelder, Z u r Bedeutung des Begriffs der Legislaturperiode des Landtags von Baden-Württemberg, i n : BWVB1. 1965, S. 145. U n genau Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, S. 27. 14

§24 Periodizität des Bundestages

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zulegen, der sich dann aber ebenfalls an den genannten Kriterien zu orientieren hat, also nicht wesentlich größer als vier Jahre sein dürfte 1 8 . Der strikte Charakter der Befristung der Wahlperiode verbietet es dann aber auch, daß das Parlament den i h m verschlossenen Weg einer förmlichen Verlängerung zu umgehen und sich i n anderer Weise über den nur und erst i n der Wahl zum Ausdruck kommenden Willen des souveränen Volkes hinwegzusetzen versucht. Eine solche Mißachtung könnte darin liegen, daß der Bundestag es unternimmt, schon vor der Wahl auf die erst danach möglichen Entscheidungen Einfluß zu nehmen und eine künftige Haltung förmlich bindend festzulegen. Nach dem Verständnis des Grundgesetzes von der repräsentativen Demokratie ist es i h m jedoch verwehrt, der parlamentarischen Willensbildung i n der nächsten Wahlperiode „ i n irgendeiner Weise vorzugreifen" 1 8 0 . Das bedeutet kein „absolutes verfassungsrechtliches Verbot des Hinüberwirkens" 1 9 , weil nicht nur durch vom Bundestag beschlossene Gesetze, auch wenn sie i n einer folgenden Wahlperiode wieder aufgehoben werden, die „soziale" — und politische — „Wirklichkeit" bereits so verändert werden kann, daß jedes folgende Parlament sich damit auseinanderzusetzen hat und damit bereits i n gewissem Sinne gebunden ist 2 0 . Es schließt aber aus, daß ein Parlament von seinem „Nachfolger" zu treffende Entscheidungen i n irgendeiner Weise vorzuprägen oder i n eine bestimmte Richtung festzulegen versucht 21 . Eine solche Überschreitung der eigenen Legitimation wäre ein Verstoß gegen den Sinn der Autorisation zum Handeln durch Wahlen und m i t der Funktion der Wahlperiode nicht vereinbar. Der Bedeutimg der Wahlperioden als der geschlossenen Legitimations- und Handlungseinheiten, i n denen sich nach dem Grundgesetz die Tätigkeit des Parlaments vollzieht, entspricht, daß es eine weitere zwingende Unterteilung von Verfassungs wegen nicht mehr gibt. Während der gesamten Wahlperiode tagt der Bundestag kontinuierlich. Er kann sich zwar — als Korrelat zu seinem Selbstversammlungsrecht — vertagen; diese Vertagungen stellen aber keine Einschnitte dar, m i t denen sich Rechtsfolgen verbinden müßten. Auch die Sommerpause oder 18 I m Saarland u n d i n Nordrhein-Westfalen beträgt die Wahlperiode f ü n f Jahre. Z u r Diskussion i n der Enquete-Kommission Verfassungsreform des deutschen Bundestages vgl. Kommissions-Drucksache Nr. 155; Jekewitz, Herrschaft auf Zeit, i n : Z P a r l 1976, S. 373 ff.; u n d jetzt den Schlußbericht, BT-Drs. 7/5924, S. 38 f. 18a Beiz (Anm. 11) S. 51. 19 So aber Maassen (Anm. 9) S. 74 f. 20 So richtig Beiz (Anm. 11) S. 51. Vgl. dazu die Verabschiedung des Rentenreformgesetzes kurz v o r der Auflösung des V I . Bundestages u n d seine u m gehende Ä n d e r u n g durch den V I I . Bundestag; auch unten § 28. 21 Vgl. dazu auch die — teilweise skeptische — Wiedergabe dieses Gedankens bei Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Diskontinuität, i n : D Ö V 1973, S. 690.

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I I I . 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

sonstige längere sitzungsfreie Zeiten führen nicht zu einer Unterbrechung i n seinen Arbeiten, die eine förmliche Wiederaufnahme, eventuell sogar m i t der Voraussetzung einer Neukonstituierung erforderlich machen würde. A m deutlichsten w i r d das bei den Ausschüssen, die auch dann, allerdings nur m i t Erlaubnis des Präsidenten, zusammentreten können, wenn das Plenum sich vertagt hat, wie es ζ. B. i m Falle des Verteidigungsausschusses schon mehrfach geschehen ist 2 2 . Bei den Beratungen i m Parlamentarischen Rat wurde zwar der Gedanke aufgeworfen, i n die Bonner Verfassung die Unterscheidung zwischen Sitzungsperioden und Legislaturperioden wieder aufzunehmen, wobei als Folge m i t dem Abschluß einer Session alle Vorlagen gegenstandslos, die Ausschüsse an der Tagung gehindert, der Schutz der Immunität für die Abgeordneten aufgehoben und bei Wiederzusammentritt das Präsidium neu zu wählen gewesen wäre 2 8 ; es setzte sich aber die Auffassung durch, daß der Bundestag wie der Reichstag i n der Weimarer Republik während der ganzen Wahlperiode i n Permanenz tagen solle, „gewissermaßen nur m i t Unterbrechungen, nicht aber i n geschlossenen Sitzungsperioden (Sessionen)" 24 . Sämtliche Befugnisse des Bundestages wie seiner einzelnen Mitglieder erstrecken sich somit über den gesamten Verlauf der Wahlperiode, sind aber jeweils auch auf die Dauer einer Wahlperiode befristet. Die Ausnahme des A r t . 115 h Abs. 1 GG für den Verteidigungsfall stellt dazu keinen Widerspruch dar, sondern ist nur eine logische Konsequenz daraus. Auch von daher ist es zwingend, daß das einzelne Parlament seine eigene Wahlperiode nicht verlängern oder sonstwie hinausschieben kann 2 5 , sie aber mangels eines Selbstauflösungsrechts jedoch auch nicht abzukürzen vermag 2 6 . Wenn der Bundestag so während seiner ganzen Wahlperiode permanent tagt, ist er deshalb noch kein permanentes Parlament 2 7 . Die alle 22

Friedrich Schäfer, Der Bundestag, S. 84. So der Abgeordnete Walter i m Hauptausschuß des Parlamentarischen Rats, Sten. Ber. der Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 14; vgl. auch Schneider, i n : Bonner K o m m e n t a r zum GG, A r t . 39 A n m . I I 2. 24 Abgeordneter Schmid i m Hauptausschuß (Anm. 23) S. 14. 25 So auch Maassen (Anm. 9) S. 74. Vgl. auch B a y V G H E n. F. 11, S. 1 ff. 26 Die Auflösung des Bundestages i m Jahre 1972 erforderte deshalb eine komplizierte Prozedur über die Vertrauensfrage, u m die Voraussetzungen f ü r das Tätigwerden des Bundespräsidenten zu schaffen. Vgl. dazu die Darstell u n g des Ablaufs bei Zeh, K a l e n d a r i u m der Ereignisse auf dem Wege zur Auflösung des Bundestages am 22. September 1972, i n : K r e m e r (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 151 ff., zur Reform jetzt die Vorschläge der EnqueteKommission (Anm. 18) S. 39 ff. 27 So schon Beiz (Anm. 11) S. 55. Vgl. dazu jetzt ausdrücklich den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform (Anm. 18) S. 37 unter 23

2.2.2.

§ 24 Periodizität des Bundestages

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vier Jahre bzw. nach einer Auflösung schon früher eintretende Notwendigkeit der Erneuerung der Legitimation seiner Organwalterschaft stellt einen so tiefgreifenden Einschnitt dar, daß sie nicht als bloße „technische" Periodizität, die eine Folge des Wahlaktes ist, gewertet werden kann. Auch der Ständige Ausschuß wollte nicht „eine rechtliche Periodizität gerade überbrücken" 2 8 ; seine Existenz machte vielmehr deutlich, daß eine von der Verfassung gewollte und anerkannte Periodizität vorliegt, die, wenn m i t ihrem E i n t r i t t schon die I n i t i a t i v - und Handlungsrechte des Parlaments entfallen, wenigstens durch Aufrechterhaltung gewisser Kontrollrechte zugunsten des Parlaments entschärft werden sollte 2 9 . Diese Tatsache wie auch das weitere, schon bisher i n A r t . 39 Abs. 1 Satz 3 zum Ausdruck kommende Bemühen des Grundgesetzes, den Zeitraum zwischen zwei handlungsfähigen, d. h. konstituierten Parlamenten möglichst klein zu halten 3 0 , dürfen nicht m i t einer Tendenz zur Herstellung einer Permanenz der Volksvertretung verwechselt werden, wie auch die Enquete-Kommission Verfassungsreform i n ihrem Bericht betont hat. Als permanent vorhanden ist von der Verfassung lediglich die Institution gewollt, d. h. weder das reguläre Ende einer Wahlperiode noch die vorzeitige Auflösung vernichten das Verfassungsorgan 31 . Der Bundestag als Institution ist eine ständig vorhandene Einrichtung, deren rechtliche Identität durch den Ablauf einer Wahlperiode nicht berührt w i r d 3 2 . Diese eher statische organisatorisch-institutionelle Entscheidung der Verfassung w i r d jedoch überlagert von der weiteren, dynamischen für die repräsentative Demokratie, die zur regelmäßigen Erneuerung der Legitimation der Organwalterschaft des so vorausgesetzten abstraktinstitutionellen Verfassungsorgans zwingt. Die zunächst leere Hülle bedarf also zu ihrer Wirkungsfähigkeit der Auffüllung durch den Volkswillen, der i n den Wahlen Ausdruck findet. Damit ist einer Verselbstän28 So aber Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965, S. 508 Fn. 19 a. 29 Ä h n l i c h Scheuner, V o m Nutzen der Diskontinuität zwischen Legislaturperioden, i n : D Ö V 1965, S. 512. Vgl. dazu auch § 25. 80 Da schon bisher i m N o r m a l f a l l die N e u w a h l i m letzten V i e r t e l j a h r der Wahlperiode stattfand, konnte der neugewählte Bundestag bereits am Tage nach Beendigung der vorangegangenen Wahlperiode zusammentreten; die „parlamentslose Z e i t " w a r damit i n der Hegel auf wenige Stunden verkürzt. Vgl. die Zusammenstellung bei Friedrich Schäfer, Z u r Notwendigkeit einer Novellierung des A r t . 39 GG, Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, Kommissions-Drucksache 150, S. 2. Das durch das 33. Gesetz zur Ä n d e r u n g des Grundgesetzes v o m 23. August 1976, BGBl. I, S. 2381, vorgenommene „nahtlose Aneinanderfügen der Wahlperioden" v e r meidet parlamentslose Zeiten f ü r die Z u k u n f t ganz; vgl. auch den Schlußbericht der Enquete-Kommission (Anm. 18) S. 36 unter 2.2.1. 31 Vgl. dazu Maunz/DüriglHerzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 14; von MangoldtI Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 1 a u n d 5 a. 32 BVerfGE 4, S. 152; Wolff, Verwaltungsrecht I I , § 75 I d 2.

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

digung des Verfassungsorgans vorgebeugt. Es lebt und agiert nicht aus sich heraus, sondern stets nur als Vertretung des Staatsvolkes i n seiner durch die Wahlentscheidung ausgedrückten Meinungsvielfalt, aber auch Meinungsmehrheit. Die Wahl ist deshalb nicht nur Personenauswahl, sondern gleichzeitig Handlungsauftrag; m i t ihr w i r d ein Mandat i n doppeltem Sinne erteilt, das abstrakt-institutionelle Organ erst zu konkretpersonellem Leben erweckt. Die Staatsform der repräsentativen Demokratie ist deshalb bezüglich der Frage, ob durch die Wahlen jeweils eine Gesamterneuerung oder lediglich eine Teilerneuerung des Parlaments vorzunehmen ist, keineswegs neutral 3 3 . Weil m i t der Wahl i n erster Linie ein Handlungsauftrag erteilt, nicht lediglich eine Interessenvertretung gegenüber einem eigentlich und letzlich handelnden Organ sichergestellt wird, kann sie nur für die gesamte Organwalterschaft des abstrakt-institutionellen Verfassungsorgans gleichzeitig geschehen. Die hervorgehobene Stellung des Bundestages verlangt dabei, daß die Ubergänge von einer konkret-personellen Substanz zur anderen möglichst nahtlos erfolgen, „parlamentslose" Zeiten also möglichst vermieden werden. Dem trägt die Grundgesetzänderung vom Sommer 1976 Rechnung. Nach dem neuen Wortlaut von A r t . 39 Abs. 1 Satz 2 GG endet die Wahlperiode des auslaufenden Bundestages heute m i t dem Zusammentritt des neugewählten Parlaments. Die noch i n der Weimarer Zeit streitige Frage, wann die Wahlperiode beginnt 5 4 , ist damit positiv entschieden: sie läuft nicht bereits m i t der Wahl selbst, sondern m i t der förmlichen Konstituierung an. Vorher gibt es nur gewählte und damit legitimierte Abgeordnete; erst ihre Vereinigung zu einer Körperschaft gibt dem abstrakt-institutionellen Organ seine politische Substanz. Unklarer bzw. weniger präzise war bisher der Anschluß vom Ende der Legitimationsperiode des vorangegangenen Parlaments zum Beginn der des neugewählten. Schon bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes war zunächst überlegt worden, jegliches mögliche Intervall zwischen zwei Wahlperioden dadurch zu vermeiden, daß die Wahlperiode m i t dem ersten Zusammentritt des Bundestages nach der Neuwahl, also jeweils erst m i t dem Beginn einer neuen Wahlperiode ablaufen sollte 35 . Man verzichtete dann darauf, u m die genaue Befristung der Wahlperiode auf vier Jahre nicht zu gefährden 36 . Es wurde also die Möglichkeit einer Überlappung bzw. einer Lücke lieber i n Kauf genommen als eine noch so geringe Unklarheit i n der Befristung des Legitimationszeitraums. Wahltag und Beginn der neuen Wahlperiode standen damit in einem nur 33 34 35 36

Anders aber ausdrücklich Beiz (Anm. 11) S. 53. Vgl. oben § 20. Vgl. dazu Schneider (Anm. 23) A r t . 39 A n m . I. So der Abgeordnete Dehler i m Hauptausschuß (Anm. 23) S. 11 u n d S. 391.

§ 24 Periodizität des Bundestages

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sehr lockeren Zusammenhang. Die Neuwahl fand nach A r t . 39 Abs. 1 Satz 3 GG zwar i m letzten Vierteljahr der Wahlperiode statt; auf den Beginn der neuen Wahlperiode hatte dieser Termin jedoch keinen Einfluß. Hierfür war allein der Tag des ersten Zusammentritts maßgeblich, der nach A r t . 39 Abs. 2 GG spätestens dreißig Tage nach der Wahl, jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperaode des „letzten" Bundestages erfolgte. Wurde der Wahltermin innerhalb dieses Vierteljahres früh angesetzt, war zwar sichergestellt, daß die noch laufende Wahlperiode nicht abgekürzt wurde; andererseits überlappten sich zwei Legitimationsschübe dann dergestalt, daß neben einem konkret-personellen noch vorhandenen und entsprechend handlungsfähigen 37 Parlament bereits die nächste Organwalterschaft vorhanden war, die über die zeitnähere Legitimation verfügte, für ihr Tätigwerden aber noch den Ablauf der Wahlperiode ihrer Vorgänger abwarten mußte. M i t der bereits erwähnten Grundgesetzänderung wurde die Sperre des alten A r t . 39 Abs. 2 GG beseitigt, der zeitliche Rahmen für die Abhaltung der Neuwahlen jedoch beibehalten. Das hat zur Folge, daß die Wahlperiode einerseits äußerstenfalls u m etwa sechzig Tage verkürzt, andererseits u m höchstens dreißig Tage verlängert werden kann, je nachdem, ob die Neuwahl gleich zu Anfang oder erst ganz am Ende der Dreimonatsfrist stattfindet 38 . Auch diese Verfassungsänderung schwächt also nicht ab, sondern betont vielmehr, daß das Grundgesetz den Bundestag nicht als permanentes, sondern bewußt als periodisches Organ angelegt hat, dessen geschlossene Legitimations- wie Handlungseinheit die Wahlperiode bildet. Der Begriff „Parlament" umschreibt deshalb zwei Erscheinungsformen, nämlich sowohl die abstrakte, i n der Verfassung vorgesehene I n stitution als auch das konkrete Kollegium der jeweiligen Abgeordnetenschaft. Beide Erscheinungsformen sind auseinanderzuhalten. Sie unterscheiden sich unter anderem darin, daß die Institution Parlament stets vorhanden sein muß, w e i l sonst keine parlamentarische Demokratie als Staatsform denkbar wäre, während dieses Erfordernis für die konkrete, durch Wahl legitimierte Personengruppe nicht besteht. Deshalb w i r d bei der Institution Parlament i n aller Regel i n der Einzahl gesprochen, während mit den „Parlamenten" meist die konkreten Kollegien bezeichnet werden 3 9 . 37

von Mangoldt/Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 a. Vgl. den Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform (Anm. 18) S. 37 unter 2.3. Die Regelung geht auf Friedrich Schäfer, Vorschläge zu Fragen der Parlamentsauflösung u n d zur Beendigung der Wahlperiode, i n : Fragen der Verfassungsreform, Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, Z u r Sache 1/73, S. 141 ff., zurück; Anlaß zu seinen Überlegungen waren die Erfahrungen m i t der ersten Auflösung des Bundestages 1972, als es bis zum Zusammentritt des neugewählten Parlaments überhaupt keine legitimierte Volksvertretung mehr gab. 38

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Wenn das Grundgesetz i n A r t . 39 GG den Begriff „Bundestag" benutzt, meint es damit jedoch nicht das abstrakt-institutionelle Organ, sondern das Parlament als konkret-personelle Einheit. Jede neugewählte Abgeordnetenschaft hat ihre Wahlperiode, die ihre Individualität und Singularität umschreibt. Von daher ist es konsequent, nicht nur von einer 1., 2., 3. usw. Wahlperiode zu sprechen, sondern auch von einem 1., 2., 3. usw. Bundestag, weil „eine solche Zahl . . . nicht verschiedene abstrakt-institutionelle Organe, sondern nur die verschieden zusammengesetzte Gesamtheit der Mitglieder eines Organs i n aufeinanderfolgenden Wahlperioden (bezeichnet)" 40 . Das Parlament als abstrakt-institutionelles Verfassungsorgan bleibt dagegen auch während der Zeit vom Ende der Wahlperiode der zuletzt gewählten Organwalterschaft bis zum konstituierenden Zusammentritt der durch die Neuwahl legitimierten Mitglieder bestehen. Die die Verfassungsinstitution Parlament auszeichnenden Zuständigkeiten u n d Eigenschaften werden nicht etwa auf andere Staatsorgane aufgeteilt, sondern gehören weiter zu diesem Bereich 41 . Das Parlament besitzt nach wie vor die i h m durch die Verfassung zugeteilten „Rechte und auferlegten Pflichten i n der Substanz und zur A u s ü b u n g " 4 1 3 ; sie könnnen lediglich mangels personellen Bestandes i n dieser Zeit grundsätzlich nicht ausgeübt werden 4 2 , soweit wiederum die Verfassung nicht besondere Vorkehrungen getroffen hat. Keinesfalls vermag aber ein anderes Verfassungsorgan sie an sich zu ziehen, oder das Parlament selbst sie auf ein anderes Verfassungsorgan zu übertragen. Der Grundsatz der Diskontinuität der Wahlperioden bezieht sich nicht auf das Parlament als verfassungsrechtliche Institution, da er eine Rechtsfolge der Beendigung der Wahlperiode ist 4 3 , welche wiederum das abstrakt-institutionelle Organ nicht erfaßt, sondern allein auf das durch seine konkret-personelle Zusammensetzung bestimmte Parlament 4 4 . Des39 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 17 Rdnr. 59, A r t . 39 Rdnr. 14; von MangoldtlKlein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 4. Z u r entsprechenden Diskussion f ü r den Bereich des italienischen Verfassungsrechts vgl. Bassanini, G l i effetti della fine della legislatura sui procedimenti legislativi pendenti, i n : Riv. t r i m , dir. pubb. 1968, S. 738 ff. 40 Günther u n d Erich Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, S. 164. A . M . Beiz (Anm. 11) S. 56. 41 Klemm, Der Zwischenausschuß nach dem Grundgesetz u n d der B a y erischen Verfassung, S. 41. 41 a von MangoldtlKlein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 1 a. 42 Ä h n l i c h auch Klemm (Anm. 41) S. 42. Maassen (Anm. 9) S. 73 spricht davon, die wesentlichen Befugnisse des Bundestages seien „bis zum Zusamment r i t t des neuen Bundestages verwaist". 43 Vgl. von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 a. 44 Maunz/Düng/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 14; von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 a ; Schmidt-BleibtreulKlein, K o m m e n t a r zum

§ 24 Periodizität des Bundestages

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sen Willensbildung ist als Eigenart parlamentarischer Vertretungskörperschaften durch die Besetzung m i t bestimmten, nur auf Zeit legimierten Abgeordneten auch zeitlich beschränkt 45 . Bei diesen „Legitimationsschüben" ist deshalb die Untersuchung anzusetzen, wie der Grundsatz der Diskontinuität einzuordnen ist. Damit steht bereits fest, daß er auf andere Verfassungsorgane unmittelbar nicht anzuwenden ist. Seinem Wesen nach ist er auf die besonderen Verhältnisse parlamentarischer Repräsentationsorgane, insbesondere deren Formen der Willensbildung zugeschnitten 46 . Eine Periodizität der Repräsentation kennt das Grundgesetz nur für das Parlament. Aus diesem Grund findet das Diskontinuitätsprinzip lediglich auf den Bundestag Anwendung, nicht aber auf andere Verfassungsorgane, mögen sie auch ähnliche Funktionen erfüllen oder auf ähnlichen Kreationsvorgängen beruhen. Es gilt insbesondere weder für den Bundesrat 4 7 , noch für die Bundesregierung 48 oder den Bundespräsidenten 49 . Beim Bundesrat fehlt es einmal an der Periodizität, die die Voraussetzung jeder Diskontinuität bildet 5 0 . Er ist ein permanentes Verfassungsorgan 51 , dessen Tätigkeit sich weder i n Legislaturperioden noch i n Sessionen gliedert. Eine periodische Gesamterneuerung kennt er nicht; seine personelle Zusammensetzung ändert sich gemäß A r t . 51 Abs. 1 Satz 1 GG allenfalls allmählich als Folge der Regierungsumbildungen i n den einzelnen Bundesländern 52 . Auch die Einführung eines „GeschäftsGrundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, A r t . 39, Rdnr. 5; Klemm (Anm. 41) S. 42. 45 Vgl. Wolff (Anm. 33) § 75 I d 2. 48 Beiz (Anm. 11) S. 58. Ä h n l i c h bereits Scheuner (Anm. 29) S. 513; Müller (Anm. 28) S. 509. 47 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 51 Rdnr. 13; von MangoldtfKlein (Anm. 17) A r t . 50 Vorbem. I I I 2 c; Hans Schäfer, Der Bundesrat, S. 63; Münch, Die neue Geschäftsordnung des Bundesrats, i n : AöR Bd. 80, S. 244; Maassen (Anm. 9) S. 73, 83; Scheuner (Anm. 29) S. 513; Müller (Anm. 28) S. 509; Beiz (Anm. 11) S. 58. 48 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 20; von Mangoldt/Klein (Anm. 17) A r t . 62 Vorbem. I V 3 c; Münch, Die Bundesregierung, S. 204; Honnacker/Grimm, Geschäftsordnung der Bundesregierung, S. 27; Sträter, Die Diskontinuität des Bundestages u n d der Bundesrat, i n : D Ö V 1973, S. 521; Beiz (Anm. 11) S. 58. 49 So w o h l auch Scheuner (Anm. 29) S. 513. 50 Beiz (Anm. 11) S. 58; Müller (Anm. 28) S. 509. 51 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 51 Rdnr. 13; Schäfer (Anm. 47) S. 63; Schweitzer, A k t u e l l e Probleme des parlamentarischen Gesbhäftsordnungsrechts, i n : N J W 1956, S. 85. Vgl. auch Bundesfinanzminister Schäffer i n der 7. Stzg. des 2. Deutschen Bundestages a m 3. Dezember 1953, Sten. Ber. Bd. 18, S. 149 C. 52 Beiz (Anm. 11) S. 58. Z u der Frage, w i e die Situation zu beurteilen wäre, w e n n die Landtags wählen jeweils gleichzeitig stattfänden, also auch die Neubesetzung des Bundesrates stärker konzentriert würde, vgl. Friedrich Schäfer,

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

jahres" durch § 3 seiner Geschäftsordnung 53 bedeutet noch keine Periodizität, sondern hat nur Einfluß auf die Amtsperiode seiner Organe, nämlich die Wahl des Präsidenten und der Vizepräsidenten nach § 5 GO BR, der Schriftführer nach § 10 GO BR und der Ausschuß Vorsitzenden nach § 12 GO BR. Außerdem — und das ist der entscheidende Grund — ist der Bundesrat ein föderatives Organ, das außerhalb des eigentlich parlamentarischen Bereichs steht. Er bildet nicht die zweite Kammer eines aus Bundestag und Bundesrat bestehenden Parlaments, sondern übt nur i n gewissem Umfange die Funktionen einer zweiten Kammer aus 54 . Der Grundsatz der Diskontinuität kann deshalb auf ihn nicht aus eigenem Recht Anwendung finden; das schließt jedoch nicht aus, daß dort, wo er i m Gesetzgebungsverfahren m i t dem Bundestag zusammenw i r k t , dessen Periodizität und damit auch dessen Diskontinuität sich auf ihn auswirken kann 5 5 . Die Bundesregierung kennt dagegen eine gewisse Periodizität, indem nach A r t . 69 Abs. 2 GG ihre Amtszeit 5 6 jeweils m i t dem ersten Zusammentritt des Bundestages i n einer neuen Wahlperiode endet 57 . Auch t r i f f t A r t . 69 Abs. 3 GG gewisse Vorkehrungen für die Zwischenzeit bis zur Wahl eines neuen Bundeskanzlers durch das Institut der Geschäftsregierung. Eine von der Verfassung vorgeschriebenen Zäsur i n der A r beit m i t der Folge des völligen Neubeginns stellt die Neubestellung einer Regierung aber nicht dar. Politisch mag sich die Richtung mit veränderten Mehrheiten nach einer Bundestagswahl ändern; das t r i f f t aber auch auf Koalitionswechsel i m Laufe einer Wahlperiode zu. Rechtlich setzt jede neugebildete Regierung dagegen i n vollem Umfange die Tätigkeit ihrer Amtsvorgängerin fort 5 8 . Eine eigene oder unmittelbar aus der Periodizität des Bundestages abgeleitete Diskontinuität der Sacharbeit Gemeinsamer W a h l t e r m i n f ü r die Volksvertretungen der Bundesländer?, E n quete-Kommission Verfassungsrefom, Komm.-Drs. Nr. 154, S. 4 f., u n d jetzt den Schlußbericht (Anm. 18) S. 35. Das v o n Müller (Anm. 28) S. 509 gebildete Beispiel einer Periodizität als Folge einer Vergrößerung oder Verkleinerung der Z a h l der Bundesländer i m Zuge der Länderneugliederung vermag nicht zu überzeugen. 53 Geschäftsordnung des Bundesrates v o m 1. J u l i 1966, B G B l . I, S. 437. 54 von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 50 Vorbem. I I I 2 i, A r t . 38 Vorbem. I I I 2 d; Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 38 Rdnr. 6, A r t . 50 Rdnr. 16; Hamann/Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, I V . Abschnitt Vorbem.; Schäfer (Anm. 47) S. 30, 60; Beiz (Anm. 11) S. 58; Goppel, Die Rechtsstellung des Bundesrates u n d des Bayerischen Senates bei der Gesetzesinitiative, S. 59 ff. Vgl. jetzt auch ausdrücklich BVerfGE 37, S. 380. 55 Vgl. dazu unten § 26. 56 Z u m Begriff vgl. Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 69 Rdnr. 3. 57 Anders teilweise i n den Ländern, vgl. unten § 29. Z u r K r i t i k an der W o r t w a h l des A r t . 69 Abs. 2 GG, der v o m Zusammentritt eines „neuen Bundestages" spricht, vgl. Beiz (Anm. 11) S. 59 Fn. 53. 58 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 20. Vgl. auch Maassen (Anm. 9) S. 73.

§ 24 Periodizität des Bundestages

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kann es daher auch bei i h r nicht geben; insofern sind nur Reflexwirkungen möglich, die sich aus der alles überragenden Stellung des Parlaments i m Verfassungsgefüge ableiten. Anders als beim Bundesrat stellt sich aber die Frage, ob es eine Diskontinuität der Legitimation gibt, die m i t der Neuwahl des Parlaments auch eine förmliche Erneuerung des Vertrauensbeweises des souveränen Verfassungsorgans erfordert. Für das Grundgesetz ist diese Frage i n A r t . 69 Abs. 2 GG beantwortet; einzelne Landesverfassungen sind hier weniger eindeutig 59 . Eine Wahlperiode und damit eine Periodizität i n der Amtsführung gibt es auch bei dem Bundespräsidenten 593 . Nach A r t . 54 Abs. 2 GG beträgt seine Amtszeit fünf Jahre; sie ist damit, ähnlich wie die des Wehrbeauftragten nach A r t . 45 b G G i n Verbindung m i t §14 Abs. 2 des Wehrbeauftragtengesetzes 60 , bewußt von der Wahlperiode des Bundestages abgehoben. I n beiden Fällen soll ausgeschlossen werden, daß die Periodizität des Parlaments sich unmittelbar oder mittelbar auf diese Ämter auswirkt: beim Wehrbeauftragten, obwohl er vom Bundestag als sein Hilfsorgan gewählt w i r d 6 1 , beim Bundespräsidenten, obwohl der Bundestag i n der Bundesversammlung, die i h n nach A r t . 54 Abs. 1 Satz 1 GG zu wählen hat, nach A r t . 54 Abs. 3 GG die Hälfte der Mitglieder stellt. Dieses Absetzen von der Wahlperiode des Parlaments deutet bereits darauf hin, daß die Amtsführung bei beiden kontinuierlich angelegt ist: der Wechsel i n der Person des Amtsinhabers hat auf die Wahrnehmung des Amtes selbst keinen Einfluß 6 1 a . Organinterne Diskontinuitäten sind dem Grundgesetz außerhalb des Parlaments somit nicht bekannt. Organexterne Diskontinuitäten sind dagegen denkbar, soweit das Parlament bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben mit anderen Verfassungsorganen zusammenwirken muß. Dazu ist zunächst aber festzustellen, was als Diskontinuität beim Bundestag zu verstehen ist, und i n welchen Erscheinungsformen diese Diskontinuität auftritt.

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Vgl. dazu unten § 29. So auch Müller (Anm. 28) S. 509, 510. 60 Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages v o m 26. J u n i 1957, BGBl. I, S. 652. 61 Maassen (Anm. 9) S. 73. ® l a Z u den Folgen dieser Tatsache f ü r das Tätigwerden i m Gesetzgebungsverfahren vgl. unten § 26. 59a

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz § 25 Personelle Diskontinuität, Organ-Kontinuität und Organ-Diskontinuität beim Bundestag, seiner Organwalterschaft und seinen Organen

M i t dem Ende einer Wahlperiode des Parlaments, sei sie regulär durch Zeitablauf eingetreten oder vorzeitig durch Auflösung herbeigeführt, erlöschen die Mandate der einzelnen Abgeordneten. Die i n den Bundestag gewählten Personen scheiden aus dem Parlament aus; sie sind nicht mehr Mitglieder des Bundestages. Ihre durch das Grundgesetz konstituierte Stellung als Repräsentant der Wählerschaft und Inhaber eines freien Mandats entfällt 6 2 ; sie verlieren die ihre Unabhängigkeit sichernden Abgeordnetenprivilegien, vor allem die Rechte, die sich aus den Aufgaben als Parlamentarier notwendigerweise ergeben 63 . Auch wenn sie sich erneut zur Wahl stellen und i m Augenblick des Endes der Wahlperiode vielleicht bereits wieder gewählt sind, wie es bei normalem Ablauf möglich ist, t r i t t eine Zäsur i n ihrer Rechtsstellung ein, die als personelle oder persönliche Diskontinuität, gelegentlich auch formelle Diskontinuität genannt, bezeichnet w i r d 6 4 . Die Parlamentswahl ist insoweit nicht Bestätigung oder Widerruf eines innegehabten Mandats, sondern eine neue Kandidatur m i t neuer, originärer Beauftragung zur Repräsentation. Die durch die Zäsur des Endes der Wahlperiode fortfallenden Rechte der Abgeordneten sind auf der einen Seite Schutzrechte, zum anderen Teilhaberechte an der parlamentarischen Arbeit. Schutzrecht i n diesem Sinne ist vor allem die Immunität nach A r t . 46 Abs. 2 und 3 GG, also das Recht, nur m i t Genehmigung des Bundestages wegen einer m i t Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen oder verhaftet oder sonst i n der persönlichen Freiheit beschränkt zu werden. Auch hier zeigt sich wieder die enge Verbindung zwischen dem Verfassungsorgan und seiner Organwalterschaft. M i t der Immunität, die ein prozessuales, nicht materielles Privileg ist, soll i n erster Linie die Funktionsfähigkeit des Parlaments geschützt werden 6 5 . Wenn die Legitimation des Organs abgelaufen ist, gibt es keinen Grund mehr, die früheren Träger m i t fortwirkenden Rechten auszustatten. Aus dem gleichen Grund müssen das Recht auf ungehinderte Mandatsausübung und das Kündigungsschutz62

Schäfer (Anm. 38) S. 143. Busch, Die Parlamentsauflösung 1972, i n : Z P a r l 1973, S. 228; Kremer, Die Rechtsstellung der Mitglieder des Bundestages nach dessen Auflösung, i n : K r e m e r (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 39. 64 von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 3 b ; Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 14; Kremer (Anm. 63) S. 33; ders., Die A u s w i r k u n g e n der Bundestagsauflösung auf den Bundestag u n d seine Organe sowie auf die Gremien m i t Abgeordneten als Mitglieder, i n : K r e m e r (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 47. Vgl. auch oben § 2 u n d die weiteren Nachweise. 65 Kremer (Anm. 63) S. 40. 63

§ 25 Personelle und Organ-Diskontinuität

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recht aus A r t . 48 Abs. 2 GG entfallen. Auch für die Indemnität, d. h. die Freistellung von gerichtlichen oder dienstrechtlichen Verfolgungen wegen Äußerungen i m Bundestag oder i n einem seiner Ausschüsse gemäß A r t . 46 Abs. 1 GG ist dann kein Raum mehr. Und schließlich endet das Zeugnisverweigerungsrecht nach A r t . 47 GG, wobei sich aus der Funktion dieser beiden letzteren Privilegien ergibt, daß sie für Vorgänge, die sich während der Wahlperiode ereigneten, fortwirken. Es ist nur konsequent, daß mit dem Ablauf der Wahlperiode auch die auf A r t . 137 Abs. 1 GG fußenden Inkompatibilitätsregelungen über die Wahrnehmung eines Amtes i m öffentlichen Dienst entfallen 6 6 . Ebenfalls auf das Verfassungsorgan bezogen und m i t dem Ende von dessen Legitimations- und Handlungszeitraum fortfallend sind die aktiven Rechte der Mitglieder des Parlaments zur M i t w i r k u n g und gestalterischen Einflußnahme zu sehen. M i t dem Verlust seiner Rechtsstellung verliert ein Abgeordneter als Folge der tatsächlichen Unmöglichkeit, für die Ausübung dieser Rechte noch einen Adressaten zu haben, auch das Recht zur Parlamentsarbeit, darunter vor allem das Recht, gemeinsam m i t anderen nach A r t . 76 Abs. 1 GG i m Gesetzgebungsverfahren initiativ zu werden 6 7 , Kontrolle gegenüber der Bundesregierung i n Form von Großen und Kleinen Anfragen oder Entschließungsanträgen auszuüben oder nach den §§111 und 75 Abs. 5 GO B T mündliche Fragen i n der Fragestunde zu stellen. Er hat aber auch keinen Anspruch mehr auf Einsicht i n die Akten des Bundestages gemäß § 21 GO B T oder i n Referentenentwürfe der Bundesministerien nach § 25 Abs. 2 der GGO I I 6 8 . Es stellt dazu keinen Widerspruch dar, daß nachrangige Ansprüche wie die aus A r t . 48 Abs. 3 GG und den i n seiner Ausführung ergangenen Gesetzen 69 kurzfristig über das Ende der Wahlperiode hinaus weiter zugestanden werden können. Auch diese Regelungen zielen auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments, indem sie die materielle Unabhängigkeit der Abgeordneten sicherstellen wollen 7 0 ; sie sollen aber auch die Rückkehr i n den vor Übernahme des Mandats ausgeübten Beruf erleichtern. Die Zäsur des Endes des Legitimationsabschnittes m i t der Folge der personellen Diskontinuität w i r d deshalb betont, wenn die materiel66 Kremer (Anm. 63) S. 41 ff. Z u m Sinn u n d zur Zielrichtung des A r t . 137 Abs. 1 GG vgl. Tsatsos, Die parlamentarische Betätigung v o n öffentlichen Bediensteten, passim. 67 Vgl. dazu Jekewitz, Umfang u n d I n h a l t des parlamentarischen I n i t i a t i v rechts von Bundestagsabgeordneten, i n : D Ö V 1969, S. 136 f. 68 Kremer (Anm. 64) S. 40. 69 Gesetz über die Entschädigimg der Mitglieder des Bundestages (Diätengesetz 1968) v o m 3. M a i 1968, B G B l . I , S. 334; jetzt: Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (AbgG) v o m 18. Februar 1977, BGBl. I , S. 297. 70 Vgl. auch die Diäten-Entscheidung BVerfGE 40, S. 296 ff.

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

len Leistungen bis zum vierzehnten Tage nach dem Ablauf der Wahlperiode, i m Falle der Auflösung des Bundestages ausscheidenden Mitgliedern jedoch bis zum Ablauf des vierzehnten Tages nach der Neuwahl zugestanden werden 7 1 . M i t dem Ende der Legitimation entfallen nicht nur die Mandate der Träger der Institution Parlament, sondern konsequenterweise auch die organisatorischen Vorkehrungen, die das auf Zeit legitimierte Parlament zur Bewältigung seiner Aufgaben getroffen hatte. Der Bundestag w i r d funktionsunfähig 7 2 . Bis zur Grundgesetzänderung vom 23. August 1976 konnte sogar die bereits beschriebene parlamentslose Zeit eintreten: der Bundestag w a r dann, wenn auch nur befristet, tatsächlich nicht mehr existent. Begriffsnotwendig werden davon alle Organe erfaßt, die sich von der Existenz des konkreten Bundestages ableiten und i n ihrer Aufgabenstellung auf diesen ausgerichtet sind. Rechtlich ergibt sich der Fortfall dieser Institutionen aus der funktionellen und personellen Diskontinuität des Verfassungsorgans und seiner Organwalterschaft; tatsächlich folgt ihre Diskontinuität aus dem Wegfall jeglicher Aufgaben, weil auch die Funktionen des Bundestages als „Mutterinstitution" nicht mehr wahrgenommen werden können 7 3 . Soweit es dafür bisher i n der Verfassung selbst Ausnahmen gab, sind diese durch die genannte Verfassungsänderung jetzt als überflüssig beseitigt worden. Betroffen sind davon sowohl die Einrichtungen, die das Parlament sich selbst zur fachlich-organisatorischen Bewältigung seiner Arbeit gibt, wie die, die politisch das Parlament erst konstituieren. Die erste Gruppe umfaßt die Organe, die der Bundestag als Gesamtheit ins Leben ruft, sei es, daß sie i h m durch die Verfassung vorgeschrieben werden und nur noch die Personen auszuwählen sind, die die entsprechenden Funktionen wahrzunehmen haben, sei es, daß sie vom Parlament i n Ausübung seines Selbstorganisationsrechts geschaffen werden 7 4 . Zwingend vorgesehen sind nach A r t . 40 Abs. 1 GG ein Präsident, dessen Stellvertreter und Schriftführer, wobei bei letzteren bereits über die Anzahl nichts ausgesagt ist, so daß jeder Bundestag darin frei ist, wieviele Vizepräsidenten und Schriftführer er beruft. Von den Ausschüssen sind durch die Verfassung i n Art. 45 a und 45 c GG jetzt nur noch die 71 So bisher § 2 Abs. 2 i. d. F. des Gesetzes zur Ä n d e r u n g des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages v o m 22. J u n i 1972, BGBl. I, S. 993; dazu auch Schäfer (Anm. 38); Kremer (Anm. 63) S. 45 f. Vgl. jetzt § 32 A b g G (Anm. 69). 72 Kremer (Anm. 64) S. 47. 73 Ä h n l i c h Kremer (Anm. 64) S. 48. 74 Schäfer (Anm. 22) S. 83.

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Ausschüsse für Verteidigung und für auswärtige Angelegenheiten und der Petitionsausschuß 75 erwähnt. Bei diesen Ausschüssen ist von einer verfassungsrechtlichen Pflicht zu ihrer Bestellung auszugehen. Sie werden wie das Präsidium i n ihrer Existenz von der Verfassung vorausgesetzt 76 und unterscheiden sich insoweit von den übrigen Ausschüssen, die sich ein Parlament als vorbereitende Beschlußorgane g i b t 7 7 und die teilweise i n Anlehnung an die englische Praxis ebenfalls als „ständige Ausschüsse" bezeichnet werden 7 8 . Wie beim abstrakt-institutionellen Verfassungsorgan Bundestag muß deshalb bei ihnen von Organ-Kontinuität 7 9 ausgegangen werden, die jedoch ebenfalls wie bei der Mutterinstitution von der personellen Diskontinuität überlagert wird. Eine Ausnahme gilt i n bezug auf sie bisher i n soweit, als der frühere Ständige Ausschuß nach A r t . 45 Abs. 1 GG gerade für die Zeit zwischen zwei Wahlperioden errichtet wurde, und der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten wie der Ausschuß für Verteidigung nach A r t . 45 a Abs. 1 GG auch zwischen zwei Wahlperioden tätig werden konnten. Entsprechend sicherte der bisherige A r t . 49 GG ihren Mitgliedern und deren ersten Stellvertretern sowie den Mitgliedern des Präsidiums für diese Zeit die Rechte aus A r t . 46, 47 und 48 Abs. 2 und 3 GG zu. Das heißt, daß diese Personen bei ihrer Wahl und Beauftragung durch einen Beschluß des Bundestages wie bei Übernahme des Amtes Abgeordnete sein mußten; es heißt aber nicht, daß sie trotz des Endes der Wahlperiode auch Abgeordnete blieben, insoweit also von der personellen Diskontinuität ausgenommen waren. Wortlaut und Sinn von A r t . 49 GG bestätigen vielmehr die Auffassung, daß alle Abgeordneten m i t dem Ende der Wahlperiode ihr Mandat verlieren, es eine Ausnahme von der personellen Diskontinuität also nicht gibt 8 0 . A r t . 49 GG verlieh den Mitgliedern der Interimsgremien und deren Stellvertretern lediglich ausdrücklich bestimmte Abgeordnetenrechte für eine bestimmte Zeit und stellt sie damit Abgeordneten gleich 81 . Auch diese Gleichstellung war jedoch durch den Sinn und auf das Maß der beschränkten Befugnisse 75 Der Ausschuß f ü r auswärtige Angelegenheiten u n d der Ausschuß für Verteidigung seit dem Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes v o m 19. März 1956, BGBl. I, S. 111, der Petitionsausschuß seit dem Zweiunddreißigsten Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v o m 15. J u l i 1975, BGBl. I, S. 1907. 76 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 45 a Rdnr. 3; Schäfer (Anm. 22) S. 83. 77 Schäfer (Anm. 22) S. 83. 78 So der W o r t l a u t von § 61 GO B T ; vgl. auch Model/Müller, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, A r t . 45 A n m . 79 So für den bisherigen Ständigen Ausschuß auch Klemm (Anm. 41) S. 43 f. 80 So Kremer (Anm. 63) S. 34; Busch (Anm. 63) S. 230. 81 Kremer (Anm. 63) S. 35; vgl. auch Trossmann, Parlamentsrecht u n d Praxis des Deutschen Bundestages, S. 288, der von „Amtszeitverlängerung", nicht „Mandatsverlängerimg" spricht.

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

des Präsidiums, des Ständigen Ausschusses sowie der Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung während dieser Zeit begrenzt. A r t . 45 und 45 a GG enthielten also nur, aber dafür ausdrücklich, eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß die Existenz der Unterorgane eines Verfassungsorgans m i t dem Fortfall von dessen eigener konkret-personeller Zusammensetzung beendet ist 8 2 . Neben die Organ-Kontinuität i m eigentlichen Sinne trat bei dem Ständigen Ausschuß und den Ausschüssen für auswärtige Angelegenheiten und für Verteidigung von Verfassungs wegen eine bis zum Zusammentritt des neugewählten Parlaments befristete Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität eigener A r t 8 3 . Für diese Durchbrechung t r i f f t der Begriff „Prolongierung" nur für die beiden letztgenannten Organe zu 8 4 . Schon bei dem Präsidium ist es fraglich, ob die Erwähnung i n A r t . 49 GG eine von der Verfassung gewollte und vorgeschriebene Verlängerung des Legitimations- und Handlungszeitraums darstellte. Aus der Verfassung selbst ergab sich dazu nichts; es war deshalb umstritten, ob sich eine solche Verlängerung unmittelbar aus A r t . 49 GG herleiten ließ 8 5 . Die Auffassung, daß das Grundgesetz gegen eine Erstreckung der Amtszeit bis zum Beginn der neuen Wahlperiode lediglich nichts einzuwenden habe und es daher der Geschäftsordnung, also dem autonomen Parlamentsrecht überlasse, i n § 1 3 1 Abs. 1 zu entscheiden, ob die Amtszeit des Präsidiums m i t dem Ende der alten oder erst m i t dem Beginn der neuen Wahlperiode enden soll 8 6 , ist unrichtig. Wenn die Volksvertretung i n der parlamentarischen Demokratie bewußt von dem befristeten Mandat ihrer Organwalterschaft abhängig gemacht wird, kann diese nicht autonom entscheiden, ob sie bestimmte Aufgaben durch einen bestimmten Personenkreis über das Ende dieses Mandats hinweg wahrnehmen läßt. Bei der Fortführung der Geschäfte durch das Präsidium bis zur Konstituierung eines neugewählten Parlaments handelte es sich vielmehr u m ungeschriebenes Verfassungsrecht, das i n A r t . 49 GG lediglich institutionell abgesichert war, Existenz und Tätigkeit des Ständigen Ausschusses waren dagegen schwerer als „Prolongierung" zu verstehen, weil dieser Ausschuß zwar 82 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 15, A r t . 45 a Rdnr. 6; Maurizi Sigloch/Schmidt-Bleibtreu/Klein, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 5 Rdnr. 22. 83 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 45 Rdnr. 1. 84 So Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 45 Rdnr. 5, A r t . 45 a Rdnr. 6; vgl. auch Klemm (Anm. 41) S. 45. 85 Vgl. dazu Schneider, Die Fortführung der Geschäfte des Bundestages z w i schen zwei Wahlperioden i n der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, i n : D Ö V 1953, S. 369; Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 49 Rdnr. 6. 86 So Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 49 Rdnr. 6. A . M . ausdrücklich Schneider (Anm. 85) S. 369 f.

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jeweils m i t Beginn einer Wahlperiode gewählt wurde, aber gerade erst wirksam werden konnte, wenn kein konkret-personelles Parlament mehr vorhanden war. Aus diesem „Fehlen eines konkreten Substrats" 8 7 ist geschlossen worden, der Ständige Ausschuß sei ein eigenständiges Verfassungsorgan 88 , das sich als „Sachwalter des Parlamentarismus schlechthin fühlen und tätigen darf" 8 9 . Tatsächlich konnte sein Verhalten unmittelbar nicht dem künftigen Bundestag zugerechnet werden 9 0 , und von dem alten Bundestag trennte i h n der Fortfall von dessen aktueller Organwalterschaft und damit seiner Wirkungsfähigkeit. Wenn er deshalb auch kein eigentliches Organ des Parlaments bildete, das ihn geschaffen hatte, spiegelte er doch dessen politische Kräfteverhältnisse wider und hatte dessen Rechte gegenüber einer Regierung zu wahren, die noch von diesem eingesetzt wurde. Die ausdrückliche Beschränkung seiner Befugnisse i n dem früheren A r t . 45 Abs. 2 GG machte deutlich, daß gewisse Funktionen des alten, wegen des Ablaufs der Wahlperiode hinfällig gewordenen Bundestages von i h m weitergeführt werden sollten, u m auch auf diese Weise den Primat des Parlaments über die Exekutive aufrechtzuerhalten 91 . Er war von daher die Schöpfung einer Zeit, als der lückenlose Anschluß einer Wirkungseinheit der Volksvertretung an die nächste noch nicht selbstverständlich w a r 9 2 . Aus dieser Aufgabenstellung heraus ergibt sich, daß er mittelbar doch ein Organ des alten Parlaments war und dessen Diskontinuität nur betonte. Auch seine Beseitigung ließ die Diskontinuität als solche aber bestehen. Auch bei den übrigen Ausschüssen des Parlaments geht die Verfassung offensichtlich von einem Vorhandensein aus, wie sich unter anderem aus A r t . 42 Abs. 3 und A r t . 43 GG ergibt 9 3 , beläßt dem Bundestag aber grundsätzlich die Entscheidung über Zahl und Aufgabenbereich 94 . Eine faktische Einschränkung dieser Entscheidungsfreiheit liegt jedoch 87

Klemm (Anm. 41) S. 40. Klemm (Anm. 41) S. 52; Busch (Anm. 63) S. 230 ff.; Sandtner, Entwicklung, Wesen u n d Befugnisse des Ständigen Ausschusses, i n : K r e m e r (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 71; Schäfer (Anm. 22) S. 106. 89 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 45 Rdnr. 5. 90 Klemm (Anm. 41) S. 52. 91 Vgl. dazu die Entscheidung des Nds. S t G H v o m 19. Dezember 1957 i n : AöR Bd. 83, S. 431: „Der Interimsausschuß nach A r t . 12 Verf. besteht nach A b l a u f der Wahlperiode oder nach der Auflösung des Landtags als verbleibender T e i l des Landtags weiter u n d n i m m t Funktionen des Landtags w a h r . " I n der Kommentierung zum B V e r f G G w i r d deshalb auch untersucht, ob der Ständige Ausschuß nach dem (früheren) A r t . 45 GG Partei i m Organstreit sein kann; vgl. Maunz!Sigloch/Schmidt-Bleibtreu/Klein (Anm. 82) § 63 Rdnr. 8. 92 Z u der zuletzt praktisch auf den F a l l der Auflösung beschränkten F u n k t i o n vgl. Schäfer (Anm. 22) S. 106, sowie den Schlußbericht der Enquete-Kommission (Anm. 18) S. 36 f. 93 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 45 a Rdnr. 1. 94 § 61 GO BT. 88

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

dort vor, wo i n unterverfassungsrechtlichen Bestimmungen bestimmte Ausschüsse vorgesehen sind. Das gilt z.B. nach § 74 GO B T für den Wahlprüfungsausschuß, der sich nach § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes95 aus sieben ordentlichen Mitgliedern und sieben Stellvertretern sowie je einem ständigen beratenden Mitglied der Fraktionen, die i n i h m nicht vertreten sind, zusammensetzt und die nach A r t . 41 GG allein i n die Zuständigkeit des Bundestages fallende Aufgabe der Wahl- und Mandatsprüfung vorzunehmen bzw. vorzubereiten hat 9 6 . Es ist eine ständige Übung des Bundestages, für die Wahl i n den Wahlprüfungsausschuß Mitglieder des ebenfalls i n der Geschäftsordnung m i t bestimmten Tätigkeiten betrauten Ausschusses für Geschäftsordnung und I m munität 9 7 zu nominieren, so daß dieser Ausschuß i n drei verschiedenen Eigenschaften zusammentreten kann. Eine gewisse Vorentscheidung gibt es weiter für den i n den §§ 94 und 96 GO B T vorausgesetzten Haushaltsausschuß, von dessen Vorhandensein auch das jährliche Haushaltsgesetz ausgeht, indem es i h m besondere Aufgaben überträgt 9 8 . Hierher zu rechnen ist gleichfalls der i n § 66 GO B T genannte Wahlmännerausschuß, der nach A r t . 94 GG i n Verbindung mit § 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes 99 die vom Bundestag zu wählende Hälfte der Richter des Bundesverfassungsgerichts zu wählen hat. Erwähnt werden muß schließlich der Ausschuß für Wirtschaft i n bezug auf sein Tätigwerden beim Erlaß der Rechtsverordnungen nach § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes 100. Soweit die Bestellung dieser Ausschüsse auch i n der Geschäftsordnung des Bundestages genannt wird, gilt für sie nicht bereits deswegen Organ-Kontinuität, da die Geschäftsordnung mit dem gesamten autonomen Parlamentsrecht als Verfassungs- und Verfahrensordnung der konkreten Organwalterschaft nur soweit und solange Geltung hat, wie diese 95

Wahlprüfungsgesetz v o m 12. März 1951, B G B l . I, S. 166. Z u r Arbeit dieses Ausschusses vgl. Schäfer/Jekewitz, Die W a h l p r ü f u n g zum 5. Deutschen Bundestag, i n : Verfassung u n d Verfassungswirklichkeit, Jahrbuch 1968 T e i l 2, S. 237 ff.; zur Mandatsprüfung Jekewitz, Das Abgeordnetenmandat berührende richterliche Entscheidungen u n d parlamentarisches Wahlprüfungsrecht, i n : D Ö V 1968, S. 537 ff. 97 §§ 114, 129, 130 GO BT. 98 Schäfer (Anm. 22) S. 107; zu der Frage, i n w i e w e i t diesem Ausschuß auch Befugnisse zur selbständigen Entscheidung übertragen werden können, vgl. ebd. S. 268. 99 Gesetz über das Bundesverfassungsgericht v o m 12. März 1951, BGBl. I , S. 243, i n der Fassung des Gesetzes v o m 21. J u l i 1956, B G B l . I, S. 662. F ü r den Fall, daß das Ende der Amtszeit eines v o m Bundestag zu wählenden Richters i n die parlamentslose Zeit fällt, hat das Gesetz ausdrücklich Vorsorge getroffen: § 4 Abs. 4 B V e r f G G schiebt die Amtszeit hinaus, wenn der Bundestag i n der Zeit, i n der der Richter zu w ä h l e n wäre, aufgelöst ist; vgl. Busch (Anm. 63) S. 225; Kremer (Anm. 64) S. 58. 100 Außenwirtschaftsgesetz v o m 28. A p r i l 1961, BGBl. I, S. 481, i n der Fassung des Gesetzes v o m 25. März 1964, BGBl. I, S. 245. Vgl. auch unten § 26. 98

§ 25 Personelle und Organ-Diskontinuität

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als konstituierte und legitimierte Körperschaft existiert, also m i t dem Ende von deren Wahlperiode ihre Geltung verliert 1 0 1 . M i t der Annahme seiner Geschäftsordnunng, auch m i t der geschlossenen Übernahme der Geschäftsordnung eines vorangegangenen Kollegiums 1 0 2 kann ein Bundestag nur sich selbst binden. Die zeitliche Geltung der Geschäftsordnung bleibt auf die Wahlperiode der Vertretungskörperschaft beschränkt, die sie beschlossen hat, obwohl es zulässig und sogar i n der Praxis die Regel ist, zur Wahrung eines wünschenswerten, möglichst weitgehenden Organisationsparallelismus die Geschäftsordnung des früheren Parlaments zu übernehmen 1 0 3 . Außerhalb der förmlichen Geschäftsordnung i n einer Wahlperiode gefaßte organisatorische oder verfahrensleitende Beschlüsse sind deshalb zu erneuern, wenn sie auch für ein folgendes Parlament bindend sein sollen 1 0 4 . Auch der Ältestenrat als „Lenkungsgremium" nach § 6 Abs. 2 GO B T stellt daher kein vorgegebenes Organ des Parlaments oder des Parlamentarismus dar, sondern w i r d aufgrund des Selbstorganisationsrechts des Parlaments jeweils abstrakt-institutionell wie konkret-personell neu geschaffen, obwohl gerade hier die Verfassungstradition bereits weitgehend zu Verfassungsgewohnheitsrecht geronnen ist 1 0 5 . Entsprechend läuft seine Wirkungsfähigkeit mit dem Ende der Wahlperiode aus 1 0 6 . 101 Schweitzer (Anm. 51) S. 85; Klaus Friedrich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie u n d autonomes Parlamentsrecht, S. 126 ff.; Ritzell Bücker, Handbuch f ü r die Parlamentarische Praxis, § 1 GO B T A n m . I I 3. Α . M. Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane f ü r das Verfassungsleben, i n : Rechtsprobleme i n Staat u n d Kirche, S. 314. F ü r die entsprechende Diskussion i m Bereich des italienischen Verfassungsu n d Parlamentsrechts vgl. Bassanini (Anm. 39) S. 741 ff. m i t weiteren Nachweisen. 102 Z u den möglichen Formen der Übernahme vgl. Arndt (Anm. 101) S. 134, zu dem bisher v o m Bundestag dabei benutzten Verfahren vgl. RitzellBücker (Anm. 101) § 1 GO B T A n m . I I 3. 103 Körte, Verfassung u n d V e r w a l t u n g des Landes Niedersachsen, S. 119. 104 Wesentliche Beschlüsse w i e die Grundsätze i n Immunitätsangelegenheiten oder die Richtlinien f ü r die Fragestunde werden deshalb als Anlage zur Geschäftsordnung veröffentlicht u n d gedruckt u n d können so m i t dieser zu Beginn einer neuen Wahlperiode pauschal übernommen werden; vgl. dazu die v o m Bundestag herausgegebene amtliche Ausgabe der Geschäftsordnung. E i n Beispiel f ü r einen diskontinuierlichen Beschluß bietet die i n der 6. W a h l periode nach dem Fraktionswechsel von drei Abgeordneten der F D P geänderte Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen f ü r die Ausschüsse; vgl. dazu Busch (Anm. 63) S. 233 m i t Fn. 111. 105 Auch das widerlegt die These v o n Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, passim, i m Bereich der Verfassung, insbesondere des Verfassungsorganisationsrechts, sei k e i n Raum f ü r die B i l d u n g von Gewohnheitsrecht. F o r m a l ist es natürlich so, daß zunächst die Geschäftsordnung (wieder) beschlossen w i r d , i n der der Ältestenrat vorgesehen ist, u n d sich dieser dann konstituiert. Der Ältestenrat, früher „Seniorenkonvent" genannt, gehört aber zum Organbestand deutscher Parlamente; eine Vertretungskörperschaft ohne i h n ist auf Bundesebene nicht denkbar. Vgl. bereits Pereis, Das autonome Reichstagsrecht, S. 31 ff.; jetzt auch RitzellBücker (Anm. 101) § 6 GO B T A n m . I 1.

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Gleiches gilt für die übrigen Fachausschüsse; auch bei ihnen endet m i t dem Verlust des Mandats ihrer Mitglieder nicht nur die personelle Zusammensetzung und damit die Wirkungsfähigkeit, sondern auch die abstrakte Existenz 1 0 6 3 . Ob es sich u m ständige Ausschüsse zur Vorbereitung der Beschlußfassung nach § 61 Satz 1 GO B T oder u m Sonderausschüsse für einzelne Angelegenheiten nach § 61 Satz 2 GO B T gehandelt hat: ein folgender Bundestag ist darin frei, ob und welche Ausschüsse er m i t welchem Aufgabenbereich bestellt. Das t r i f f t auch auf Untersuchungsausschüsse zu, denn A r t . 44 GG enthält nur eine Ermächtigung zur Einsetzung, nicht aber eine generelle Verpflichtung dazu. Es bleibt dem Bundestag bzw. der i n A r t . 44 GG genannten Minderheit überlassen, zu entscheiden, wann ein Untersuchungsausschuß eingesetzt wird. Da dieser i n seiner Zusammensetzung wie i n seiner aktuellen Aufgabe nur Teil des konkreten Parlaments ist, endet seine Handlungsfähigkeit m i t der Wahlperiode. Er steht hier auf einer Stufe m i t den Enquete-Kommissionen nach § 74 a GO BT, obwohl diese auch Nicht-Abgeordnete zu Mitgliedern haben 1 0 7 . Wie auf die Fachorgane des Bundestages finden diese Folgen auch für die Fraktionen als die politischen Organe der konkret-personellen K ö r perschaft Anwendung. Ihrer Aufgäbe als Vereinigung der Mitglieder, „die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele i n keinem Land miteinander i n Wettbewerb stehen" 1 0 8 , nach müssen sie ihre Substanz und Aufgabe verlieren, wenn es keine durch Wahl legitimierten Abgeordneten mehr gibt, und das Organ, auf das sich ihre Tätigkeit richtet, mangels dieser Legitimation ebenfalls fortgefallen ist. Diese Diskontinuität der Fraktionen 1 0 9 als verfaßter politischer Einheiten i m Innern des Bundestages erstreckt sich auch auf die organisatorischen Vorkehrungen, die sie zur Bewältigung ihrer Arbeit getroffen haben. Wie die Geschäftsordnung des Parlaments unterliegen ihre jeweiligen Geschäftsordnungen deshalb der Diskontinuität; wie bei den Organen des Parlaments entfallen m i t ihrer Mutterinstitution die personellen und fachlichen Einrichtungen i n Form von Vorständen, Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen 1 1 0 . 108

Busch (Anm. 63) S. 225. loea v g l . noch einmal den Nds. S t G H (Anm. 91) S. 430: „Endet der Landtag durch A b l a u f der Wahlperiode oder durch Auflösung, so enden alle seine Ausschüsse u n d Arbeiten." 107

Schäfer (Anm. 38) S. 143; Busch (Anm. 63) S. 227; Kremer (Anm. 64) S. 49. So die Definition i n § 10 Abs. 1 GO BT. 109 So auch Hauenschild, Wesen u n d Hechtsnatur der parlamentarischen Fraktionen, S. 192 f. Ä h n l i c h Schäfer (Anm. 22) S. 132; Kremer (Anm. 64) S. 48. 110 Wenn Schäfer (Anm. 22) S. 132 davon spricht, „dennoch (gebe) es eine K o n t i n u i t ä t der Fraktionsarbeit", ist damit die politische, nicht die rechtlichtechnische Fortsetzung auch i n einer folgenden Wahlperiode gemeint, die 108

§ 25 Personelle und Organ-Diskontinuität

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Von diesen parlamentsinternen Organen zu unterscheiden sind die Gremien i m Rang von Verfassungsorganen wie auch sonstige Gremien m i t Abgeordneten als Mitgliedern. Von „gemischten Ausschüssen" zu reden 1 1 1 ist dabei ungenau, w e i l es sich nicht um Ausschüsse i m technischen Sinne handelt, sondern u m konstituierte Personenmehrheiten, die bestimmte Funktionen zur Ausübung übertragen erhalten haben. Sie werden nicht auf Grund direkter oder indirekter organisatorischer Entscheidungen des Parlaments tätig, sondern nehmen ihre Legitimation aus der Verfassung oder aus einem Gesetz; ihre Aufgabenstellung setzt aber voraus oder legt zumindest nahe, daß ihre Organwalterschaft ganz oder teilweise aus Bundestagsabgeordneten besteht. Z u nennen ist hier einmal der Vermittlungsausschuß nach Art. 77 GG, der i m Falle sachlicher Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat i n der Beschlußfassungsphase eines Gesetzes über dessen I n h a l t 1 1 2 Wege zu einer Einigung zu suchen hat und zur Hälfte aus M i t gliedern des Bundestages und zur anderen Hälfte aus Mitgliedern des Bundesrates besteht. Bereits nach dem Wortlaut von A r t . 77 Abs. 2 GG i n Verbindung m i t § 1 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses113 kann er nach dem Mandatsverlust einer Hälfte seiner Mitglieder nicht mehr tätig sein; denn schon bisher fiel er nicht unter die Gremien, deren Wirkungsdauer die Verfassung ausdrücklich über das Ende der Wahlperiode hinaus verlängerte und für deren M i t glieder die besonderen Privilegien und Schutzrechte deshalb erhalten blieben. Existenz und Funktionsfähigkeit des Vermillungsausschusses wären auch nur dann von Bedeutung, wenn er nach dem Ende der Wahlperiode noch einen Gesetzesbeschluß des Bundestages bestätigte, der dann vom Bundesrat — entgegen seinen ursprünglichen Bedenken — gebilligt würde. Andere Beschlüsse des Vermittlungsausschusses hätten nur Sinn, wenn sie auch vom Bundestag i n dieser Phase — abweichend von dessen ursprünglichem Beschluß — angenommen werden könnten. schon deshalb zwangsläufig ist, w e i l selbst bei verändertem Mitgliederbestand die Ausrichtung von der politischen H e r k u n f t u n d Zielsetzung her grundsätzlich gleich bleiben w i r d . Vgl. auch Hauenschild (Anm. 109) S. 42. 111 So aber Schäfer (Anm. 38) S. 143; Leinemann, Die parlamentarische Disk o n t i n u i t ä t u n d ihre W i r k u n g e n i m Gesetzgebungsverfahren, i n : JZ 1973, S. 619; jetzt auch der Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform (Anm. 18) S. 26 unter 2.2.1. 112 Z u Fragen der sachlichen Diskontinuität i n dieser Phase vgl. unten § 26. 113 Gemeinsame Geschäftsordnung des Bundestages u n d des Bundesrates für den Ausschuß nach A r t . 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) v o m 19. A p r i l 1951, B G B l . I I , S. 103, i. d. F. der Bekanntmachung v o m 11. Feb r u a r 1957, BGBl. I I , S. 31, u n d v o m 11. Februar 1970, BGBl. I, S. 184. F ü r die Besetzung w u r d e i n der V I . Wahlperiode hinsichtlich des Verhältnisses der Fraktionen bereits eine Sonderregelung getroffen, u m auch die F D P zu beteiligen; vgl. BT-Drs. VI/37, auch Busch (Anm. 63) S. 233 Fn. 110. Z u r Disk o n t i n u i t ä t dieser Geschäftsordnung vgl. Schweitzer (Anm. 51) S. 85.

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Das erforderte jedoch einen i n diesem Augenblick noch existenten und handlungsfähigen konkreten Bundestag 114 . M i t dem Ablauf der Wahlperiode endet daher auch die Tätigkeit des Vermittlungsausschusses 115 . Von seiner Anlage und Zusammensetzung her dem Vermittlungsausschuß ähnlich ist der Gemeinsame Ausschuß nach A r t . 53 a GG. Er besteht gemäß A r t . 53 a Abs. 1 GG zu einem D r i t t e l aus Mitgliedern des Bundesrates und zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages. Seinem Wesen und seiner Funktion nach handelt es sich bei i h m noch weniger als bei dem Vermittlungsausschuß u m einen Ausschuß des Parlaments, sondern u m ein oberstes Bundesorgan, dem die Verfassung entsprechend auch einen eigenen Abschnitt zugewiesen hat 1 1 6 . Aufgabe des Gemeinsamen Ausschusses ist es, auch für den Verteidigungsfall die Wahrnehmung der parlamentarischen Befugnisse zu sichern. Das schließt geradezu aus, daß das Ende einer Wahlperiode, selbst wenn es kurz vor der Verkündung dieses von seiner Natur her nicht voraussehbaren Zustandes eintritt, dieses Gremium funktionsunfähig macht, indem es m i t dem Verlust des Abgeordnetenmandats den größeren Teil seiner Mitglieder der Voraussetzungen für die Mitgliedschaft beraubt. Hinsichtlich des normalen Ablaufs der Wahlperiode hat deshalb A r t . 115 h Abs. 1 GG bereits eine Vorkehrung getroffen: die Wahlperiode der Volksvertretungen i n Bund und Ländern w i r d verlängert und endet erst sechs Monate nach Ende des Verteidigungsfalles, die i n dem „Rumpfparlament" die Rechte des Bundestages wahnehmenden Abgeordneten behalten also ihr Mandat. Entsprechend ist i n Art. 115 h Abs. 3 GG eine Auflösung während dieser Zeit ausgeschlossen. Für den Fall einer kurz vor dem E i n t r i t t des Verteidigungsfalles erfolgten Auflösung — die Wahlperiode kann nicht ohne „Ersatz" ablaufen, da i n jedem Fall bereits vorher gewählt worden ist — kann sinngemäß nichts anderes gelten; das Schweigen des Gesetzgebers dazu ist hier nicht gegen eine Weiterausübung der Funktion zu deuten 1 1 7 . Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Gemeinsamen Ausschusses 118 werden die Abgeordneten und ihre Stellvertreter zu Beginn jeder Wahlperiode vom Bundestag bis zu einer erneuten Bestellung bestimmt. 114 Kremer (Anm. 64) S. 50. Vgl. dazu unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Diskontinuität ausführlich unten § 26. 115 Wessel, Der Vermittlungsausschuß nach A r t . 77 des Grundgesetzes, i n : AöR Bd. 77, S. 289; Busch (Anm. 63) S. 226. 116 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 53 a Rdnr. 8; Delbrück i n Bonner Kommentar, A r t . 53 a Rdnr. 36; Busch (Anm. 63) S. 234; ders., Bundestagsauflösung u n d Gemeinsamer Ausschuß, i n : Kremer (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 79 f. 117 Busch (Anm. 63) S. 235. 118 Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß v o m 23. J u l i 1969, BGBl. I, S. 1102.

§ 25 Personelle und Organ-Diskontinuität

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Damit ist eine Tätigkeit des Gemeinsamen Ausschusses i n jedem Falle sichergestellt 119 . Für die Dreier-Kommission nach A r t . 10 G G 1 2 0 besteht grundsätzlich eine m i t der des Gemeinsamen Ausschusses vergleichbare Lage 1 2 1 . Die Mitglieder dieser Kommission, deren Vorsitzender die Befähigung zum Richteramt haben muß, und die i n ihrer Amtsführung unabhängig und Weisungen nicht unterworfen sind, werden gemäß § 9 Abs. 3 Satz 3 „ f ü r die Dauer einer Wahlperiode des Bundestages" bestellt. Die Kommission ist monatlich vom zuständigen Bundesminister über die von i h m angeordneten Überwachungsmaßnahmen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zu unterrichten; sie entscheidet von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit dieser Maßnahmen, die dann gegebenenfalls unverzüglich aufzuheben sind. Kreationsorgan für diese Kommission ist das sogenannte Fünfer-Gremium, das aus fünf vom Bundestag bestimmten Abgeordneten besteht, deren Amtszeit ebenfalls auf die Wahlperiode des Bundestages begrenzt ist; sie sollen i m Abstand von höchstens sechs Monaten durch den Bundesminister des Innern über die genannten Beschränkungen unterrichtet werden. Während bei diesem Fünfer-Gremium ähnlich wie bei dem zur Kontrolle der Nachrichtendienste berufenen interfraktionellen parlamentarischen Vertrauensmännergremium 1 2 2 Sinn und Funktion es für angemessen erscheinen lassen, daß die Mitgliedschaft i n ihnen und damit ihre konkret-personelle Existenz m i t dem Ende der Wahlperiode erlöschen 123 , verlangt gerade die Funktion der Dreier-Kommission als quasi-richterliche Kontrollinstanz, die als solche auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt worden ist 1 2 4 , daß sie ununterbrochen vorhanden ist. Entgegen dem Wortlaut von § 9 Abs. 3 Satz 3 G 10 ist deshalb davon auszugehen, daß die Kommission das Ende der Wahlperiode des Bundestages überdauert und bis zur Neuberufung oder Ernennung von 119 Maunz/DüriglHerzog (Anm. 10) A r t . 53 a Rdnr. 10 A n m . 1; Busch (Anm. 63) S. 234ff.; ders. (Anm. 116) S. 86. Z u einer Klarstellung de constitutione ferenda, die auf eine Regelung entsprechend A r t . 45 a, 49 GG hinausläuft, vgl. ebenfalls Busch (Anm. 63) S. 236; ders. (Anm. 116) S. 87 f. u n d Reiter, Verfassungsrechtliche Erwägungen zu der parlamentslosen Zeit nach einer Bundestagsauflösung, i n : K r e m e r (Hrsg.), Parlamentsauflösung, S. 102. Das ist durch die Änderung des A r t . 39 überflüssig geworden. 120 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- u n d Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu A r t i k e l 10 Grundgesetz) (G 10) v o m 13. August 1968, BGBl. I, S. 949. 121 Kremer (Anm. 64) S. 51. 122 Vgl. dazu den Zwischenbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages (Anm. 38) S. 35 ff. u n d deren Schlußbericht (Anm. 18) S. 60 ff. 123 So auch Schäfer (Anm. 38) S. 143. Kremer (Anm. 64) S. 54 geht noch davon aus, daß die Aufgaben des Gremiums notfalls auch durch den Ständigen A u s schuß wahrgenommen werden könnten. 124 BVerfGE 30, S. 18 f., 23.

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Nachfolgern durch das neue Fünfer-Gremium ihre Aufgaben weiter wahrnimmt125. Das Ende der Wahlperiode ist schließlich auch von Bedeutung für ein Gremium, i n das der Bundestag zwar Mitglieder bzw. Vertreter wählt, diese Mitglieder aber nicht Abgeordnete sein müssen. Es handelt sich u m den Richterwahlausschuß, der die Richter für die obersten Gerichtshöfe des Bundes zu wählen hat. Der Bundestag entsendet i n diesen Ausschuß die elf Mitglieder und elf Vertreter nach Wahl; die elf Mitglieder kraft Amtes sind die jeweils fachlich zuständigen Landesminister. Die Bestellung erfolgt hier für die Zeit bis zur Neuwahl durch den neu gewählten Bundestag 126 . Zwar bestimmt § 5 Abs. 4 des Richterwahlgesetzes, daß Mitgliedschaft und Stellvertretung i m Richterwahlausschuß durch Neuwahl oder Verzicht enden; diese Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf einen bestehenden, nicht auf einen aufgelösten oder normal geendeten konkret-personellen Bundestag 127 . Nicht das Ende der Wahlperiode, wohl aber die Neuwahl bedeutet deshalb für den Richterwahlausschuß die Verpflichtung zur Einstellung seiner Tätigkeit 1 2 8 . Noch weitergehend ist die Mitarbeit deutscher Parlamentarier i n den europäischen Gremien geregelt. Für die 36 bisher vom Bundestag i n das Europäische Parlament entsandten Abgeordneten gilt A r t . 4 Nr. 2 von dessen Geschäftsordnung 129 , wonach bei Verlust des nationalen Parlamentsmandats das betreffende Mitglied bis zur Benennung eines Nachfolgers i m A m t bleiben kann, jedoch längstens für die Dauer von sechs Monaten und unter der Voraussetzung, daß das i h m vom nationalen Parlament erteilte Mandat für das Europäische Parlament nicht abgelaufen ist. Entsprechend ist für die Beratende Versammlung des Europarates bestimmt, daß auch dort die je 18 vom Bundestag aus seiner Mitte zu wählenden Vertreter und Stellvertreter der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf der Wahlperiode des Bundestages i m A m t bleiben, bis der neue Bundestag innerhalb von sechs Wochen nach seinem Zusammentritt die Neuwahl durchgeführt hat 1 3 0 . Diese sich auch auf die gleich125

Busch (Anm. 63) 226; Kremer (Anm. 64) S. 51 f. Vgl. A r t . 95 Abs. 2 GG i. V. m. § 4 Abs. 1 u n d 5 des Richterwahlgesetzes v o m 25. August 1950, B G B l . S. 368, zuletzt geändert durch Gesetz v o m 30. J u l i 1968, BGBl. I, S. 873; auch § 65 GO BT. 127 Busch (Anm. 63) S. 227. 128 So w o h l Kremer (Anm. 64) S. 58. A . M . Schäfer (Anm. 38) S. 143; Busch (Anm. 63) S. 226; Leinemann (Anm. I l l ) S. 620. 129 Neufassung v o m 19. Oktober 1967, Amtsbl. der E G Nr. 268, S. 19, geändert durch Entschließung v o m 11. März 1969, Amtsbl. Nr. C 41, S. 9. 130 § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die W a h l der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarates i. d. F. des Gesetzes v o m 4. A u gust 1953, BGBl. I, S. 779. Vgl. auch das bei Blischke, Verfahrensfragen des Bundestages i m Jahre 1972, i n : Der Staat 1973, S. 82 zitierte Rundschreiben des Bundestagspräsidenten an alle Mitglieder des Bundestages. 126

§ 25 Personelle und Organ-Diskontinuität

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zeitige Mitgliedschaft i n der WEU-Versammlung, die aus Vertretern der Brüsseler Vertragsmächte bei der Beratenden Versammlung des Europarates besteht, beziehende Regelung w i l l unabhängig vom Verlust des nationalen Mandats bis zu einer Direktwahl die Kontinuität der Arbeit europäischer parlamentarischer Körperschaften sicherstellen 131 ; sie bestätigt damit gleichzeitig die einschneidende Wirkung des Endes der Wahlperiode i m nationalen Rahmen. Die zeitlich befristete, also m i t dem Ende der Wahlperiode auslaufende Legitimationsdauer des Bundestages und seiner Mitglieder stößt schließlich dort auf die Grenzen ihrer Auswirkung, wo es nicht u m die Entscheidungsfähigkeit des Parlaments als konkret-personeller politischer Einheit geht, sondern Parlamentarier als Vertreter der Institution allein oder m i t Vertretern anderer Institutionen bestimmte Aufgaben wahrzunehmen haben. Es handelt sich dabei u m die Mitgliedschaft i n Gremien, die dem Parlament nicht „institutionell" verbunden sind 1 3 2 ; sie können daher i n ihrer Existenz von dem Ende der Wahlperiode des Bundestages nicht unmittelbar berührt werden 1 3 3 . Ebenso kann das Erlöschen des Mandats für den einzelnen Bundestagsabgeordneten dann nicht auf die Mitgliedschaft i n derartigen Gremien durchschlagen. Er ist dorthinein nicht i n erster Linie wegen seiner politisch-parlamentarischen Funktion entsandt, sondern als Repräsentant der Institution Parlament. Entsprechend gehört die mitberatende und kontrollierende Tätigkeit darin nicht zu den „Kernfunktionen des Mandats" bzw. der Parlamentsarbeit 1 3 4 . Das schließt auch hier nicht aus, daß nach einer Neuw a h l des Bundestages diese Mitglieder neu bestimmt werden müssen 135 ; zwingende Folge des Grundsatzes der Diskontinuität, insbesondere der personellen Diskontinuität ist dies jedoch nicht.

131

So auch Busch (Anm. 63) S. 228; Kremer (Anm. 64) S. 56. Busch (Anm. 63) S. 227. 133 Es handelt sich ζ. B. u m den Schuldenausschuß bei der Bundesschuldenverwaltung, den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt, den V e r w a l tungsrat der Lastenausgleichsbank, das K u r a t o r i u m der Bundeszentrale f ü r politische Bildung, die Verwaltungsräte der Filmförderungsanstalt u n d der Deutschen Bundespost, die Rundfunkräte der Deutschen Welle u n d des Deutschlandfunks. Vgl. auch Busch (Anm. 63) S. 227; Kremer (Anm. 64) S. 56 ff.; zur Notwendigkeit der K l ä r u n g v o n Zweifelsfragen i n diesem Bereich Blischke (Anm. 130) S. 83. 134 Busch (Anm. 63) S. 227; Kremer (Anm. 64) S. 55. 135 v g l . dazu die Darstellung der betreffenden — durchaus unterschiedlichen — gesetzlichen Regelungen bei Kremer (Anm. 64) S. 56 ff. 132

270

III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz § 26 Die sachliche Diskontinuität als Kernproblem des Anwendungsbereichs des Diskontinuitätsprinzips beim Deutschen Bundestag

Während die vorstehend geschilderten Rechtsfolgen der Beendigung einer Wahlperiode des Bundestages i m wesentlichen unbestritten sind 1 3 6 , w i r d zwar grundsätzlich auch anerkannt, daß mit demselben Ereignis alle beim Bundestag eingebrachten und noch nicht abschließend beratenen Vorlagen, Anträge, Anfragen usw. ipso erledigt sind und vom nächsten Bundestag nur nach erneuter formgerechter Einbringung behandelt werden können 1 3 7 ; es w i r d sogar von einem durchgehend geltenden A x i o m gesprochen 138 . Wo sich Bedenken hinsichtlich einer solchen Geltung oder Weitergeltung dieser sachlichen Diskontinuität 1 3 9 unter der Verfassungsordnung des Grundgesetzes artikuliert haben 1 4 0 , bestreiten die Vertreter dieser Auffassung aber die bindende Existenz eines entsprechenden Grundsatzes oder wollen i h n zumindest für bestimmte Bereiche der parlamentarischen Arbeit ausgeschlossen sehen 141 . Es hat auch immer wieder Ansätze gegeben, nicht nur punktuelle Durchbrechungen, für die es i n der deutschen Verfassungsgeschichte Vorbilder g i b t 1 4 2 , zu beschließen, sondern generell Ausnahmen zu ermöglichen, die die als negativ empfundenen Auswirkungen vermeidbar machen 143 . Der Grund dafür liegt darin, daß Anwendungsbereich, rechtliche Tragweite und verfassungsrechtliche Zuordnung dieses Grundsatzes vielfach nur unzureichend geklärt sind 1 4 4 . Wenn die personelle Diskontinuität sich noch weitgehend unmittelbar aus dem Grundgesetz ablesen läßt 1 4 5 , fehlt es bei der sachlichen Diskon136

S. 620.

So auch Hömig/Stoltenberg

(Anm. 21) S. 689; Leinemann

(Anm. 111)

137 Vgl. von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 b ; Maunz/Dürig/ Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 16; Schmidt-Bleibtreu/Klein (Anm. 44) A r t . 39 Rdnr. 5; Hamann/Lenz (Anm. 54) A r t . 39 A n m . Β 2; Trossmann (Anm. 81) S. 246; Schäfer (Anm. 22) S. 84. 138 Schweiger, Die Diskontinuität der Legislaturperioden, i n : D Ö V 1954 S. 162; Groß, Betrachtungen (Die E n t w i c k l u n g des öffentlichen Rechts), i n : DVB1. 1954, S. 114. 139 Z u den verschiedenen Bezeichnungen vgl. oben § 2. 140 Vgl. v o r allem Müller (Anm. 28) S. 507 ff.; ders. i n Model/Müller, G r u n d gesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, A r t . 39 A n m . I n Ansätzen auch Versteyl, Wider den Grundsatz der Diskontinuität der Parlamente, i n : DVB1 1973, S. 161 ff. 141 So Versteyl (Anm. 140). 142 F ü r das Kaiserreich vgl. oben § 16, für die Weimarer Republik § 22. 143 Vgl. dazu unten § 30. 144 Ä h n l i c h Hömig!Stoltenberg (Anm. 21) S. 689. 145 So auch Leinemann (Anm. I l l ) S. 620. Mattern, G r u n d l i n i e n des Parlaments, S. 74, leugnet deswegen die Existenz einer personalen Diskontinuität

§ 26 Sachliche Diskontinuität

271

tinuität an einer eindeutig formulierten Verfassungsbestimmung als A n knüpfungspunkt 1 4 6 . Formellen Ausdruck hat sie nur i n § 126 GO B T und den entsprechenden Bestimmungen der Geschäftsordnungen der Länderparlamente gefunden 147 . I n Erkenntnis der Tatsache, daß diese Rechtsgrundlage allein nicht zu tragen vermag, u m die weitreichenden Wirkungen zu erklären, w i r d sie — wie bereits i m Staatsrecht des K a i serreichs und dann unter der Weimarer Republik — weiter als Prinzip, als „Grundsatz der Diskontinuität" behauptet, dessen Inhalt meist nur i n Wendungen skizziert wird, die eine Wiedergabe des Wortlauts von § 126 GO B T und seiner Vorläufer enthalten und damit wenig ergiebig sind 1 4 8 . Vor der Beantwortung der Frage nach dem Geltungsgrund ist deshalb eine Bestandsaufnahme dessen zu machen, was als der sachlichen Diskontinuität unterfallend behandelt und gewertet wird. Nach § 126 GO B T gelten am Ende der Wahlperiode oder i m Falle der Auflösung des Bundestages 149 „alle Vorlagen, Anträge und Anfragen als erledigt. Dies gilt nicht für Petitionen und für Vorlagen, die keiner Beschlußfassung bedürfen" 1 5 0 . Schon vom Wortlaut der Bestimmimg her ist die Anwendung der sachlichen Diskontinuität damit nicht auf Vorgänge i m Bereich der Gesetzgebung beschränkt, obwohl sie dort besonders augenfällig i n Erscheinung t r i t t 1 5 1 . Unter „Vorlagen" versteht die Geschäftsordnung des Bundestages vielmehr alle Anträge der Bundesregierung oder des Bundesrates einschließlich der von diesen Verfassungsorganen dem Parlament vorgelegten Gesetzentwürfe 152 . „Anträge" sind die von Abgeordneten eingebrachten Gesetzentwürfe, die sogenannneben der sachlichen Diskontinuität, da „ m a n j a auch bei anderen Staatsorganen, deren Organschaftsträger n u r f ü r einen bestimmten Zeitraum gewählt werden, nicht von personaler Diskontinuität spricht". Er k o m m t zu diesem Schluß, w e i l für i h n der Grundsatz der Diskontinuität auf Gewohnheitsrecht beruht, das er i m Gegensatz zum geschriebenen Verfassungsrecht sieht; vgl. dazu unten § 29. 146 Sträter, Die Diskontinuität des Bundestages u n d der Bundesrat, i n : D Ö V 1973, S. 521. 147 Vgl. dazu unten § 27. 148 Vgl. ζ. B. Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 16; Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, S. 29; Hornig!Stoltenberg (Anm. 21) S. 691. Wie hier auch Leinemann (Anm. I l l ) S. 620. 149 Z u r K r i t i k an dieser F o r m u l i e r u n g vgl. Hornig!Stoltenberg (Anm. 21) S. 691 Fn. 22, die zu Recht darauf hinweisen, daß schon bisher nach A r t . 39 Abs. 1 Satz 2 GG die Wahlperiode des Bundestages auch m i t einer Auflösung endet u n d die Worte „oder i m Falle der Auflösung" deshalb überflüssig, j a mißverständlich u n d v e r w i r r e n d seien. 150 Leinemann (Anm. I l l ) S. 618 zitiert noch nach der alten Fassung, die zur Zeit des Erscheinens seines Aufsatzes jedoch bereits durch die Bekanntmachung v o m 22. M a i 1970, B G B l . I, S. 628, abgelöst war. 151 Maassen (Anm. 9) S. 69. 152 § 75 Abs. 1 GO BT. Vgl. auch Maassen (Anm. 9) S. 69.

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

ten selbständigen Anträge 1 5 3 sowie der Antrag des Bundeskanzlers nach A r t . 68GG,ihm das Vertrauen auszusprechen 154 . Z u den „Anfragen" gehören nicht nur die i n der ursprünglichen Fassung dieser Vorschrift ausdrücklich genannten 1 5 5 Großen und Kleinen Anfragen nach den §§ 105 ff., 110 GO B T 1 5 6 , sondern auch Mündliche Fragen i n der Fragestunde nach § 1 1 1 GO B T 1 5 7 . Sie verfallen, d. h. auf sie braucht nicht mehr reagiert zu werden, wenn sie vor Beendigung der Wahlperiode und innerhalb der dafür gesetzten Fristen nicht beantwortet worden sind. Das schließt nicht aus, daß die Bundesregierung gleichwohl auch i n diesem Zeitpunkt aus Gründen der Courteoisie darauf eingeht; eine rechtliche Verpflichtung dazu gibt es jedoch nicht 1 5 8 . Das heißt, daß alle verfahrensmäßigen Anstöße für erledigt erachtet und entsprechend behandelt werden, die auf ein Tätigwerden des Bundestages, die Ausübung irgendeiner Befugnis durch i h n gerichtet sind, mag die Anregung dazu von einem anderen Verfassungsorgan ausgehen oder aus der Mitte des Parlaments kommen, mag sie die Gesetzgebung, die Regierungskontrolle, die Kanzlerwahl oder ein sonstiges Handlungsrecht des Bundestages betreffen 1 5 9 : hat sich der Bundestag bei Auslaufen seiner Wahlperiode noch nicht für seinen Bereich abschließend damit beschäftigt, werden sie hinfällig und können von dem neugewählten Parlament nur erneut zum Gegenstand seiner Beratung und Entscheidung gemacht werden, wenn sie formgerecht neu eingebracht w o r den sind. Besonders deutlich w i r d das bei Gesetzesvorlagen. Sie sind für den parlamentarischen Bereich obsolet geworden, wenn sie vor dem Ende der Legislaturperiode beim Bundestag zwar eingebracht, von diesem aber nicht mehr gemäß A r t . 77 Abs. 1 Satz 1 GG als Gesetz beschlossen worden sind 1 6 0 . N u r auf diesen Beschluß kommt es dabei an; er stellt den konstitutiven Teil des Gesetzgebungsvorganges dar, während alle 153

Vgl. dazu Trossmann (Anm. 81) S. 226 f. §§ 75 Abs. 2, 97,103 GO B T ; Ritzell Koch, Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 76 A n m . 1 u n d 2; Trossmann (Anm. 81) S. 16; Maassen (Anm. 9) S. 69. 155 Vgl. § 126 GO B T i. d. F. der Bekanntmachung v o m 28. Januar 1952, BGBl. I I , S. 389. 156 von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 b. 157 Vgl. die entsprechende F o r m u l i e r u n g i n § 120 GO R h l d - P f L T u n d § 90 GO L T Hessen sowie den W o r t l a u t i m Neuredaktionsentwurf des l a n g j ä h r i gen Vorsitzenden des Geschäftsordnungsausschusses des Bundestages, Ritzel, Ausschußdrucksache 10 des Ausschusses f ü r Wahlprüfung, I m m u n i t ä t u n d Geschäftsordnung (GO-Angelegenheiten) v o m 25. J u n i 1959 u n d i n dessen „ E n t w u r f einer Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages" v o m J u l i / August 1961. 158 Hömig!Stoltenberg (Anm. 21) S. 693. Z u dem Fragerecht der Mitglieder des bisherigen Ständigen Ausschusses vgl. noch Busch (Anm. 63) S. 231. 159 Maassen (Anm. 9) S. 69 f. 154

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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i m Innern des Parlaments i h m vorgelagerten, auf autonomem Parlamentsrecht beruhenden und gegebenenfalls schon vollzogenen Verfahrensschritte mangels Außenwirkung für die Frage des Hinfälligwerdens oder Nichthinfälligwerdens unbeachtlich sind 1 6 1 . Wie die Weimarer Reichsverfassung 162 und bereits vorher, wenn auch unter anderen Vorzeichen, die Verfassung des Kaiserreichs 163 unterscheidet das Grundgesetz zwischen dem eigentlichen Gesetzesbeschluß und dem Zustandekommen eines Gesetzes. Während der Gesetzesbeschluß allein Angelegenheit des Bundestages ist, kommt ein von diesem beschlossenes Gesetz nach A r t . 78 GG erst zustande, „wenn der Bundesrat zustimmt, den Antrag gemäß A r t i k e l 77 Abs. 2 nicht stellt, innerhalb der Frist des Artikels 77 Abs. 3 keinen Einspruch einlegt oder i h n zurücknimmt oder wenn der Einspruch vom Bundestage überstimmt w i r d " . A n die i n sich geschlossene Beratung eines Gesetzentwurfs i m Bundestag schließt sich also ein weiterer Verfahrensgang an, so daß auch hier von einem Gesetzgebungsverfahren i m engeren und einem solchen i m weiteren Sinne gesprochen werden k a n n 1 6 3 a . Erst wenn dieser gesamte Vorgang abgeschlossen ist, kann das so zustandegekommene Gesetz nach A r t . 82 GG ausgefertigt und verkündet werden. Trotz der gemeinsamen Nennung i n A r t . 77 Abs. 2 GG handelt es sich dabei u m zwei verschiedene Wege. Während die Weimarer Reichsverfassung nur den Einspruch des Reichsrats gegen vom Reichstag beschlossene Gesetze kannte, unterscheidet das Grundgesetz zwischen Zustimmungs- und anderen Gesetzen. Der Zustimmung des Bundesrats bedürftig sind alle Gesetze auf den von der Verfassung ausdrücklich als solche 1(50 So die einhellige Meinung; vgl. etwa von MangoldtfKlein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 b 2; Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 77 Rdnr. 23; Ritzel/Koch (Anm. 154) § 126 GO B T A n m . 1; Kutscher, Wichtige Gesetzentwürfe, die v o m Bundestag i n der 1. Wahlperiode nicht mehr verabschiedet wurden, i n : J Z 1953, S. 578; Schweiger (Anm. 138) S. 162; Bahlmann, Der Grundsatz der Disk o n t i n u i t ä t u n d seine Bedeutung f ü r die parlamentarische Gesetzgebung, i n : M V D A 1965, S. 189; Maassen (Anm. 9) S. 68 ff.; Schäfer (Anm. 22) S. 85; Lechner/Hülshoff, Parlament u n d Regierung, § 126 GO B T A n m . 1; Giesel Schunck, Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. M a i 1949, A r t . 39 A n m . I I 1; Schunck/de Clerck, Allgemeines Staatsrecht u n d Staatsrecht des Bundes u n d der Länder, S. 47, 253. 161 Z u r Frage der Notwendigkeit v o n mehreren voneinander getrennten Lesungen i m Gesetzgebungsverfahren vgl. auch BVerfGE 1, S. 151; 10, S. 19 f.; 29, S. 234. 162 Vgl. oben § 21. 163 Vgl. oben § 14. 163 a Die Bezeichnung als „Nachverfahren" — so aber Kutscher, Wichtige Gesetzentwürfe, die v o m Bundestag i n der 1. Wahlperiode nicht mehr verabschiedet wurden, i n : J Z 1953, S. 578; Dehrn, Die Gesetzgebung des zweiten Deutschen Bundestages 1953 - 1957, i n : J Z 1957, S. 675; ders., Die Gesetzgebung des d r i t t e n Deutschen Bundestages 1957 -1961, i n : J Z 1962, S. 127 — ist u n genau u n d irreführend.

18 Jekewitz

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

bezeichneten Gebieten 164 . Ohne diese ausdrückliche Zustimmung kommt das entsprechende Gesetz nicht zustande; ein Verschweigen des Bundesrates m i t der Folge, daß die Zustimmung dann fingiert werden könnte, gibt es nicht. Die Zustimmung ist also hier, ähnlich wie bei der Sanktion durch den Bundesrat der Verfassung des Kaiserreichs, konstitutiv. Das Grundgesetz hat deshalb davon abgesehen, dem Bundesrat eine Frist Für die Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung oder deren Verweigerung zu setzen 165 ; als Letztverantwortlichem soll es wegen der Bedeutung der entsprechenden Bereiche für die Länder allein bei i h m liegen, ob ein Gesetz hier wirksam ergeht. Auch aus der Diskontinuität des Parlaments läßt sich eine Frist deshalb nicht ableiten 1 6 6 . Das bedeutet aber gleichzeitig, daß der Bundesrat auch noch nach Beendigung der Wahlperiode des Bundestages seine Zustimmung erteilen und das Gesetz damit Zustandekommen lassen kann 1 6 7 . Anders als frühere deutsche Verfassungen t r i f f t das Grundgesetz institutionell Vorsorge für eine mögliche Lösung eines i n der Verweigerung liegenden Konfliktfalles. Der Bundesrat und nach A r t . 77 Abs. 2 Satz 4 GG die Bundesregierung und der Bundestag können den Vermittlungsausschuß nach A r t . 77 Abs. 2 Satz 1 GG anrufen, u m doch noch eine Fassung des Gesetzes zu erreichen, die gegebenenfalls die Zustimmimg des Bundesrates findet. Der Bundesrat ist hierbei an die Frist von drei Wochen aus A r t . 77 Abs. 2 Satz 1 GG seit Zustellung des Gesetzesbeschlusses gebunden; er muß sich also innnerhalb dieser Zeit darüber k l a r werden, ob er i m Falle grundsätzlicher oder partieller Ablehnung des Inhalts des Gesetzes einen Vermittlungsversuch einleitet. Endet die Wahlperiode des Bundestages während dieser Zeit, ist kein Vermittlungsausschuß mehr vorhanden 1 6 8 , der einen entsprechenden Vorschlag machen oder gegen die absolute oder bedingte Ablehnung eines solchen 164 Kratzer, Zustimmungsgesetze, i n : AöR Bd. 77, S. 266 ff. Z u r Frage, ob auch spätere Änderungen v o n zustimmungsbedürftigen Gesetzen ihrerseits n u r wegen dieser Tatsache, nicht wegen ihres Inhalts zustimmungsbedürftig sind, vgl. BVerfGE 37, S. 379 ff. 185 Kratzer (Anm. 164) S. 279. 188 Beiz (Anm. 11) S. 68. 167 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Bdnr. 19, A r t . 77 Rdnr. 23; Schmidt-Bleibtreu/Klein (Anm. 44) A r t . 39 Rdnr. 6; Lechner/Hülshoff (Anm. 160) § 126 GO B T A n m . 1; Dehrn (Anm. 163a) S. 675 m i t Fn. 8; ders. (Anm. 163a) S. 127; Scheuner (Anm. 29) S. 513; Schäfer (Anm. 22) S. 85; Trossmann (Anm. 81) S. 249; Leinemann (Anm. I l l ) S. 622; Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 691; Busch (Anm. 63) S. 224. Aus der jüngsten Staatspraxis vgl. das am 21. September 1972 beschlossene u n d nach Auflösung des 6. Deutschen Bundestages m i t Zustimmung des Bundesrates zustandegekommene Gesetz zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherungen u n d über die Fünfzehnte A n passung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung v o m 16. Oktober 1972, B G B l . I, S. 1965. 188 Vgl. oben § 25 u n d Wessel (Anm. 115) S. 289.

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Vorschlags durch den Bundesrat seinerseits von der Bundesregierung oder dem Bundestag angerufen werden könnte; eine Anrufung kommt dann nicht mehr i n Betracht 1 6 9 . Als gescheitert ist ein Gesetz aber auch dann anzusehen, wenn der Vermittlungsauschuß bemüht worden ist und vielleicht sogar noch einen Vermittlungsvorschlag gemacht hat, dieser von dem ursprünglich beschlossenen Gesetzestext jedoch abweicht und deshalb nach A r t . 77 Abs. 2 Satz 5 GG eine erneute Beschlußfassung des Bundestages erforderlich wird, die wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Endes der Wahlperiode jedoch nicht stattfinden kann. Denn ein neugewählter Bundestag vermag nicht i n ein unvollendet gebliebenes Verfahren als Partei einzutreten und Gesetzesbeschlüsse seines Vorgängers zu bestätigen oder aufzuheben 170 . Ähnliches gilt bei den einfachen oder Einspruchsgesetzen. Hier ist als Gegenstück zur Zustimmungsverweigerung die Inanspruchnahme des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat i m Falle des Widerstandes gegen den Gesetzesinhalt zwingend vorgeschrieben, wie aus dem Wortlaut von A r t . 77 Abs. 3 Satz 1 GG hervorgeht: Einspruch kann er nur einlegen, wenn vorher das Verfahren nach A r t . 77 Abs. 2 GG m i t den dortigen Fristen durchgeführt worden ist. Fällt i n diese Zeit die Beendigung der Wahlperiode des Bundestages, kann der Vermittlungsausschuß wie bei den Zustimmungsgesetzen nicht mehr tätig werden 1 7 1 . Wo er noch vor Ende der Wahlperiode tätig geworden ist, hängt von dem Ergebnis des VermittlungsVerfahrens ab, was weiter geschieht: hat der Vermittlungsausschuß eine Änderung des Gesetzes vorgeschlagen, müßte nach A r t . 77 Abs. 2 Satz 5 GG der Bundestag darüber beschließen, was i h m wegen der personellen Diskontinuität nicht mehr möglich ist; hat der Vermittlungsausschuß den Gesetzesbeschluß des Bundestages bestätigt, muß der Bundesrat sich entscheiden, ob er das Gesetz jetzt i n 169

Wessel (Anm. 115) S. 290. Schweiger (Anm. 138) S. 162 unter Berufung auf Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, i n : AöR Bd. 39, S. 515; vgl. auch oben § 25. 171 Wessel (Anm. 115) S. 290 w i l l f ü r diesen F a l l die A n r u f u n g i n einen E i n spruch ohne vorheriges Tätigwerden des Vermittlungsausschusses umdeuten, der dann nicht mehr die W i r k u n g eines suspensiven, sondern eines absoluten Vetos haben soll. Unter Berufung auf i h n stellte der Vertreter Hamburgs deshalb am Ende der Wahlperiode des 2. Deutschen Bundestages den Antrag, vorsorglich m i t der A n r u f u n g des Vermittlungsausschusses bereits Einspruch einzulegen; der A n t r a g fand eine Mehrheit; vgl. Verhandlungen des Bundesrates 1957, Sten. Ber. 183. Stzg. v o m 20. Januar 1957, S. 792 - 796; auch Leinem a n n (Anm. I l l ) S. 618. Diese Hilfskonstruktion ist jedoch überflüssig. E n t w e der läßt der Bundesrat das Gesetz passieren, d. h. er beschließt förmlich, keinen Gebrauch von A r t . 77 Abs. 2 G G zu machen, oder er r u f t den V e r mittlungsausschuß an. I m einen F a l l k o m m t das Gesetz zustande, i m anderen nicht; so auch der Vertreter des Landes Baden-Württemberg i n der genannten Bundesratssitzung u n d Dehrn (Anm. 163a) S. 675 Fn. 6. 170

18*

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I I I . 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

dieser Form akzeptiert oder den Einspruch nach A r t . 77 Abs. 3 Satz 1 GG einlegt. Ein solcher Einspruch ist dann nicht länger ein suspensives Veto, w e i l der Bundestag wegen der Diskontinuität darauf nicht mehr i n der i n A r t . 77 Abs. 4 GG vorgesehenen Form reagieren kann 1 7 2 , sondern w i r d zu einem absoluten 1 7 3 : das Gesetz ist als Folge der sachlichen Diskontinuität des Bundestages endgültig gescheitert 174 . Allerdings besteht auch jetzt noch, wie A r t . 78 GG anklingen läßt, die Möglichkeit, einen Einspruch zurückzunehmen; auch dann ist kein weiteres Tätigwerden des Bundestages mehr erforderlich, die Voraussetzungen des A r t . 78 GG sind erfüllt. Diese Rücknahme kann, wie die Erteilung der Zustimmung, selbst nach Beendigung der Wahlperiode des Bundestages erfolgen. Einen Sonderfall der Einflußnahme eines anderen Verfassungsorgans auf die endgültige Beschlußfassung des Bundestages i m Gesetzgebungsverfahren sieht A r t . 113 GG vor. Nach A r t . 113 Abs. 1 Satz 1 bedürfen Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplans erhöhen oder neue Ausgaben i n sich schließen oder für die Zukunft m i t sich bringen, der Zustimmung der Bundesregierung; dies gilt gemäß A r t . 113 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls für einnahmemindernde Gesetze 175 . Aus dem Zusammenhang wie aus dem Wortlaut von A r t . 113 Abs. 3 GG geht hervor, daß der Gebrauch dieses Zustimmungsrechts zu finanz- und haushaltswirksamen Gesetzen sich nur auf ein entsprechendes, nach A r t . 78 GG bereits zustandegekommenes Gesetz beziehen kann. Die Zustimmimg ist somit keine Voraussetzung für das Zustandekommen des Gesetzes, sondern für dessen Ausfertigung und Verkündung nach A r t . 82 Abs. 1 GG 1 7 6 . Ist sie wirksam versagt worden, sind Gegenzeichnimg nach A r t . 58 Satz 1 GG, Ausfertigung und Verkündung ausgeschlossen: das Gesetz ist rechtlich erledigt 1 7 7 . Die Bindung der Zustimmung an eine Ausschlußfrist von sechs Wochen i n A r t . 113 Satz 1 GG macht bereits deutlich, daß entgegen dem Wortlaut von A r t . 172

So auch HömiglStoltenberg (Anm. 21) S. 691 Fn. 26. Wessel (Anm. 115) S. 290. 174 Beiz (Anm. 11) S. 69 verlangt, daß die Zweiwochenfrist des A r t . 77 Abs. 3 Satz 1 GG noch abgewartet w i r d , da die A n r u f u n g des Vermittlungsausschusses k e i n sicheres Indiz dafür sei, daß der Bundesrat ein Gesetz endgültig scheitern lassen wolle. A u f die Möglichkeit der Rücknahme eines Einspruchs bezogen, mag das sein; tatsächlich w i r d der Bundesrat auch schon früher beurteilen u n d entscheiden können, w i e er zu dem Beschluß des Bundestages steht. 175 Z u der verfassungsrechtlichen Einordnung dieser Bestimmung — E i n g r i f f i n die Gewaltenteilung — vgl. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, A r t . 113 Rdnr. 4; zur H e r k u n f t auch Schneider (Anm. 101) S. 311. 176 Piduch (Anm. 175) A r t . 113 Rdnr. 6. 177 Piduch (Anm. 175) A r t . 113 Rdnr. 14. Hinsichtlich der Pflicht der Bundesregierung, ihre Entscheidung über die Zustimmungsverweigerung dem B u n despräsidenten, dem Bundestag u n d dem Bundesrat m i t Begründung m i t z u teilen, vgl. auch Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 113 Rdnr. 15. 173

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113 Abs. 1 GG nur die Verweigerung ausdrücklich erklärt werden muß; nach Ablauf dieser sechs Wochen gilt die Zustimmung nach A r t . 113 Abs. 3 Satz 2 GG als erteilt 1 7 8 . Das ergibt sich auch aus der weiteren Voraussetzung des A r t . 113 Abs. 3 Satz 1 GG, daß für die Inanspruchnahme des Verweigerungsrechts vorher das Verfahren nach A r t . 113 Abs. 1 Satz 3 und 4 oder A r t . 113 Abs. 2 GG durchgeführt worden sein muß. Damit liegt das Schwergewicht des Anwendungsbereichs des A r t . 113 eindeutig bei diesem Vorverfahren 1 7 9 . Nach A r t . 113 Abs. 1 Satz 3 GG kann die Bundesregierung verlangen, daß der Bundestag die Beschlußfassung über Gesetze der genannten A r t aussetzt; sie hat dann innerhalb von sechs Wochen dem Bundestag gegenüber dazu eine Stellungnahme abzugeben 180 . Nach § 88 a Abs. 1 GO B T ist bei Eingang der entsprechenden Erklärung der Bundesregierung die Beschlußfassung auszusetzen; der Gesetzesentwurf darf frühestens nach Eingang der Stellungnahme der Bundesregierung oder sechs Wochen nach Eingang der Erklärung der Bundesregierung beim Bundestagspräsidenten auf die Tagesordnung gesetzt werden. Auch hier liegt also die Möglichkeit zu einem suspensiven Veto vor, das seine institutionelle Berechtigung aus der Haushaltsverantwortung der Exekutive n i m m t und geeignet ist, den Gesetzesbeschluß des Bundestages zu verzögern. Fällt i n die Zeit nach dem Aussetzungsverlangen, aber vor Zuleitung der Stellungnahme bzw. vor der endgültigen Beschlußfassung des Parlaments das Ende von dessen Wahlperiode, ist kein Bundestag mehr vorhanden, der entsprechend dem Vot u m der Bundesregierung oder auch gegen es dieses haushaltswirksame Gesetz beschließen könnte. Es w i r d ein Opfer der sachlichen Diskontinuität und muß, falls es weiter verfolgt werden soll, i n einer folgenden Wahlperiode gegebenenfalls erneut eingebracht werden. Gleiches gilt, wenn die Bundesregierung nach A r t . 113 Abs. 2 GG verlangt, daß der Bundestag über ein bereits beschlossenes haushaltswirksames Gesetz erneut Beschluß faßt 1 8 1 . Sie hat dafür eine Ausschlußfrist von vier Wochen, innerhalb derer sie sich schlüssig werden muß, ob sie von ihrem Recht Gebrauch macht. Während dieser Frist kann das 178 Vgl. Piduch (Anm. 175) A r t . 113 Rdnr. 7 u n d die dort zitierte Begründung des Regierungsentwurfs. 179 Piduch (Anm. 175) A r t . 113 Rdnr. 16. 180 Vgl. auch § 49 Abs. 1 GGO I I . Eine Absicherung gegen die Notwendigkeit der Inanspruchnahme v o n A r t . 113 G G stellt das i n § 96 GO B T vorgeschriebene Verfahren i m Bundestag dar. Z u der Anwendbarkeit v o n A r t . 113 Abs. 1 G G f ü r den F a l l eines Verfahrens nach A r t . 77 Abs. 2 G G vgl. § 49 Abs. 2 GGO I I . 181 Vgl. dazu auch § 51 GGO I I . Nach § 51 Abs. 2 GGO I I ist das Verlangen auf erneute Beschlußfassung ebenfalls auf die Fälle anwendbar, daß dem Beschluß des Bundestages ein Verfahren nach A r t . 77 Abs. 2 G G vorausgegangen ist.

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

vom Bundestag beschlossene Gesetz nach A r t . 77 Abs. 1 Satz 2 GG bereits dem Bundesrat zugeleitet oder sogar i n Anbetracht der Fristen des A r t . 77 GG schon nach A r t . 78 GG zustandegekommen sein. Der Bundestagspräsident hat deshalb nach § 88 a Abs. 3 GO B T den Bundesrat von dem Verlangen der Bundesregierung i n Kenntnis zu setzen; außerdem gilt i n diesem Fall idie Zuleitung an den Bundesrat als nicht erfolgt. Der Antrag der Bundesregierung führt somit zur Wiederaufnahme des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens und zur Wiedereinsetzung i n den Stand vor der Schlußabstimmung des Bundestages über die Gesetzesvorlage. Das Verfahren nach A r t . 113 Abs. 2 GG ist deshalb nicht nur i n bezug auf Gesetzesbeschlüsse des Bundestages, sondern auch i n bezug auf bereits zustandegekommene Gesetze zulässig 182 . Nach § 88 a Abs. 2 GO B T w i r d das Gesetz m i t dem Antrag der Bundesregierung als an die Ausschüsse zurückverwiesen fingiert; dadurch soll vor erneuter Beschlußfassung des Bundestages möglichst schon bei den Auschußberatungen ein Einvernehmen m i t der Bundesregierung erzielt werden. Hat diese das Verlangen gestellt, der Bundestag sich aber noch nicht wieder m i t dem Gesetz befaßt, wenn das Ende der Wahlperiode eintritt, ist es auch hier wegen der sachlichen Diskontinuität gescheitert. Anderes kann dann aber auch nicht für den Fall gelten, daß das Ende der Wahlperiode des Bundestages i n die Vierwochenfrist für die Überlegung über die A n wendung des A r t . 113 Abs. 2 GG fällt. Theoretisch kann damit eine nach Zusammentritt eines neuen Bundestages neu eingesetzte Bundesregierung noch Gesetze verhindern, die von einer vorangegangenen, sich auf eine andere Parlamentsmehrheit stützenden Regierung eingebracht und parlamentarisch durchgesetzt worden sind, zumal auch der erneute Gesetzesbeschluß des Bundestages, wenn dieses Gesetz nach A r t . 78 GG zustandegekommen ist, der Zustimmung der Bundesregierung nach A r t . 113 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG bedarf 1 8 3 . Ob auch dieser Gesetzesbeschluß dann noch einmal dem Vorverfahren nach A r t . 113 Abs. 1 Satz 3 und 4 GG und A r t . 113 Abs. 2 GG unterliegt, hängt vom Inhalt ab und kann deshalb streitig sein; nicht nur i n der Praxis setzt der Grundsatz der Diskontinuität hier gewisse Grenzen 184 . 182

Piduch (Anm. 175) A r t . 113 Rdnr. 19. Piduch (Anm. 175) A r t . 113 Rdnr. 20 unter Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs. Das Gleiche muß gelten, w e n n die Bundesregierung die Mehrheit verloren hat, die Opposition deshalb ihre politischen Vorstellungen gesetzgeberisch durchsetzen kann, aber noch nicht über das für das konstruktive Mißtrauensvotum erforderliche Q u o r u m verfügt: soweit es haushaltswirksam war, hätte die Regierung Brandt/Scheel i m Herbst 1972 das i n A n m . 167 erwähnte Gesetz verhindern können; zur A n w e n d u n g des A r t . 113 G G wäre sie auch nach der Auflösung des Bundestages u n d selbst als Geschäftsregierung noch i n der Lage gewesen. Sie w ä h l t e stattdessen den Weg einer sofortigen Ä n d e r u n g i m Wege der Gesetzgebung nach der Bestätigung ihrer Mehrheit durch den Wähler; vgl. auch A n m . 20. 184 Piduch (Anm. 175) A r t . 113 Rdnr. 20. 183

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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I n allen übrigen Fällen werden nach A r t . 78 GG zustandegekommene Gesetze i n ihrem weiteren Schicksal von dem Ende der Wahlperiode des Bundestages nicht mehr beeinfiußt. Die Wirkungen der Diskontinuität des Bundestages enden hier. Der Bundespräsident kann die Ausfertigung und Verkündigung nach A r t . 82 GG also auch dann vornehmen, wenn zwischenzeitlich das Mandat des alten, das Gesetz beschlossen habenden Bundestages abgelaufen ist, und ein neugewählter Bundestag sich konstituiert hat. Er ist sogar daziu verpflichtet, falls das Gesetz nach seiner Auffassung verfassungsgemäß zustandegekommen i s t 1 8 5 ; eine Frist ist i h m dazu allerdings nicht gesetzt 186 . Mangels Diskontinuität seiner eigenen Amtsführung 1 8 7 muß aber auch sein Nachfolger Gesetze ausfertigen, die dem Vorgänger eventuell noch kurz vor Ende der Amtszeit zugeleitet worden sind 1 8 8 . Während über die Anwendbarkeit und Reichweite der Diskontinuität i n diesem Teil des Gesetzgebungsvorganges noch weitgehend Einigkeit besteht, w i r d die Frage, ob die Beendigung der Wahlperiode des Bundestages Auswirkungen auch auf die vor den eigentlichen Parlamentsberatungen liegende Phase hat, kontrovers beurteilt. Nach A r t . 76 Abs. 1 GG werden Gesetzesvorlagen „beim Bundestag durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht". Der Kreis der Initiatoren ist damit gegenüber dem der Weimarer Reichsverfassung verkleinert 1 8 9 ; wie i n der Weimarer Reichs Verfassung sieht A r t . 76 Abs. 2 und 3 GG aber auch hier bei Initiativen der Bundesregierung und des Bundesrates eine vorherige Beteiligung des jeweils anderen Verfassungsorgans vor, bevor der Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt wird. Obwohl die Staatspraxis von einer Ausstrahlung der Diskontinuität auch i n diesen Bereich ausgeht, ist die Notwendigkeit einer Wiederholung dieser Schritte vor Einbringung bei einem neuen Bundestag i m Schrifttum vereinzelt zu Unrecht bestritten worden. Nach A r t . 76 Abs. 2 Satz 1 GG sind Vorlagen der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zuzuleiten, der dazu innerhalb von sechs Wo185 Müller (Anm. 28) S. 510 unter Hinweis auf die Überlegungen beim Gesetz über den Belegschaftshandel; Scheuner (Anm. 29) S. 513; Beiz (Anm. 11) S. 68; Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 691; Leinemann (Anm. I l l ) S. 622. Die Frage, ob das der Ausfertigung vorgelagerte Prüfungsrecht des Bundespräsidenten n u r ein formelles oder auch ein materielles ist, k a n n hier außer Acht gelassen werden. 186 Scheuner (Anm. 29) S. 513 weist ergänzend darauf hin, daß der Bundespräsident eben kein „Taschenveto" i m Sinne der amerikanischen Verfassung hat, die die Ausfertigung zeitlich auf die Legislaturperiode des Kongresses befristet; vgl. dazu oben § 18. 187 Vgl. dazu oben § 25. 188 Müller (Anm. 28) S. 509; Scheuner (Anm. 29) S. 513. 189 v g l . oben § 21.

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I I I . 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

chen Stellung nehmen kann; die Bundesregierung vermag nach A r t . 76 Abs. 2 Satz 3 GG eine Vorlage aber auch als eilbedürftig zu bezeichnen, was i h r das Recht gibt, sie schon nach drei Wochen beim Bundestag einzubringen, selbst wenn die Stellungnahme des Bundesrates bei Ablauf dieser Frist noch nicht bei i h r eingegangen ist. Z u dieser Stellungnahme kann sie eine Gegenäußerung beschließen, i n der darzulegen ist, inwieweit sie auf Argumente und Änderungswünsche des Bundesrates eingehen w i l l . Der Gesetzentwurf selbst darf jedoch nicht geändert werden 1 9 0 ; dem Bundestag ist der ursprüngliche Regierungsentwurf zusammen m i t der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung vorzulegen. Entsprechend ist das Verfahren i n A r t . 76 Abs. 3 GG für Vorlagen des Bundesrates geregelt. Auch hier ist es die Bundesregierung, die den E n t w u r f dem Bundestag zuleitet. Sie hat dazu drei Monate Zeit; sie muß auch hier ihre Auffassung zu dem Vorschlag darlegen, die integrierender Bestandteil der Vorlage an den Bundestag w i r d 1 9 1 . Zwischen die erste Beschlußfassung m i t Außenwirkung beim Initianten eines Gesetzentwurfs und den Beginn der eigentlichen parlamentarischen Beratung ist bei Vorlagen der Bundesregierung und des Bundesrates somit von Verfassungs wegen eine Phase eingeschoben, für die sich i n Anlehnung an den Sprachgebrauch des Staatsrechts der Weimarer Republik 1 9 2 die Bezeichnung „Vorverfahren" eingebürgert hat 1 9 3 . Nicht mehr zu diesem Vorverfahren gehört die Vorbereitung der Entwürfe i m Innern des initiativberechtigten Verfassungsorgans; sie regelt sich nach der jeweiligen Geschäftsordnung, also den §§ 22 bis 40 der GGO I I bzw. den §§ 26, 36, 39, 30 und 32 GO BR. Da Bundesregierung und Bundesrat keine eigene Diskontinuität kennen 1 9 4 , kommt hier ein Abbruch der A r beiten aus eigenem Recht m i t der Folge des Neubeginns ohnehin nicht i n Frage; ein politischer Richtungswechsel w i r d allenfalls die Vorbereitungen bei einzelnen Vorhaben beschleunigen, bei anderen verlangsamen oder gar einschlafen lassen. Aber auch das Ende der Wahlperiode des Bundestages kann als organexterne sachliche Diskontinuität auf diese Arbeiten keinen Einfluß haben, w e i l sie noch nicht zu einem Beschluß des 190 § 45 Abs. 3 GGO I I ; vgl. auch Schäfer (Anm. 47) S. 69 Fn. 2 u n d Leinemann (Anm. I l l ) S. 622, der allerdings die Fundstelle — Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil, nicht: Gemeinsame Geschäftsordnung v o n Bundesregierung u n d Bundesrat — unrichtig angibt. 191 § 55 Abs. 3 GGO I I . 192 Vgl. oben § 21. 198 Vgl. z.B. Kutscher (Anm. 163a) S. 578; Schweiger (Anm. 138) S. 163; Groß (Anm. 138) S. 114; Maassen (Anm. 9) S. 78; Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 691. 194 Vgl. oben § 24.

§26 Sachliche Diskontinuität

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betreffenden Verfassungsorgans, einer ziel- und adressatgerichteten Initiative geführt haben. Anders liegt der Fall, wenn das initiativberechtigte Verfassungsorgan schon beschlossen hat, einen bestimmten Gesetzentwurf m i t einem bestimmten ausformulierten Inhalt beim Bundestag einzubringen. Die enge institutionelle und verfahrensmäßige Verknüpfung der drei am Gesetzgebungsvorgang beteiligten Organe muß dann die Folge haben, daß das Ende der Wahlperiode des Bundestages auch Auswirkungen auf die bereits bei bzw. von Bundesregierung und Bundesrat vollzogenen oder noch zu vollziehenden Verfahrensschritte zeitigt. Dabei ist es imbeachtlich, ob ein Entwurf „vor der Schwelle des Bundestages steckengeblieben i s t " 1 9 5 oder diese Schwelle bereits überschritten hat. M i t Beendigung der Wahlperiode des Parlaments als dem höchsten Verfassungsorgan, i n dem sich die politische Handlungs- und Gestaltungskraft der Volkssouveränität konzentriert, sind die beiden übrigen Verfassungsorgane verfassungsrechtlich gehindert, das Vorverfahren i n ihrem Bereich fortzuführen, j a sie müssen sogar, sollen die Vorlagen auch den neugewählten Bundestag beschäftigen, das gesamte Vorverfahren nach Beginn der neuen Wahlperiode noch einmal i n Gang setzen 196 . Konstellationen, für die diese Situation denkbar ist, lassen sich für alle Phasen des Vorverfahrens vorstellen. So kann die Bundesregierung i m Augenblick der Beendigung der Wahlperiode des Bundestages einen Gesetzentwurf bereits beschlossen, aber dem Bundesrat noch nicht zugeleitet haben, wie ein Gesetzentwurf der Bundesregierung i m Augenblick der Beendigung der Wahlperiode beim Bundesrat liegen kann. Er kann aber auch dem Bundesrat schon zugeleitet, und von diesem dazu eine Stellungnahme beschlossen sein, so daß es nur noch an dem Beschluß über die Gegenäußerung fehlte. Andererseits kann ein E n t w u r f des Bundesrates schon der Bundesregierung vorliegen u n d diese vielleicht ihre Stellungnahme beschlossen haben. I n allen diesen Fällen muß das gesamte Verfahren, falls die Initiatoren i n der folgenden Wahlperiode das Vorhaben weiterverfolgen wollen, selbst dann wiederholt werden, wenn die Vorlage nicht nur inhaltsgleich, sondern auch wortidentisch ist. Eine solche Wiederholung ist wie i n dem Fall, daß ein Gesetzentwurf beim Bundestag eingebracht, von i h m aber nicht mehr verabschiedet 195

HömigiStoltenberg (Anm. 21) S. 691. So von Mangoldt/Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 b 1; Groß (Anm. 138) S. 115; Schweiger (Anm. 138) S. 163; Maassen (Anm. 9) S. 81; Schäfer (Anm. 47) S. 72; Leinemann (Anm. I l l ) S. 622. A . M . Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 39 Rdnr. 18; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 356; Müller (Anm. 28) S. 508; Goppel (Anm. 54) S. 98; Beiz (Anm. 11) S. 69 f.; Busch (Anm. 63) S. 224; Hömig/ Stoltenberg (Anm. 21) S. 691 f. Sträter (Anm. 146) S. 521 f. enthält sich bewußt einer Stellungsnahme, stellt die Auffassungen u n d Argumente vielmehr n u r kommentarlos gegeneinander. 196

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

worden ist, nicht eine isolierte Frage der Auslegung des A r t . 76 Abs. 2 G G 1 9 7 oder aus verfassungspolitischen Gründen des Umgangs i m Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat auf der einen und dem Parlament auf der anderen Seite lediglich wünschenswert 198 , sondern ergibt sich zwingend aus dem vom Grundgesetz vorgeschriebenen Gesetzgebungsverfahren und dem darin vorgezeichnetem Zusammenwirken der drei beteiligten Verfassungsorgane. Diese Auffassung hat sich auch der Bundesrat zu eigen gemacht, als das Problem beim Ubergang von der ersten zur zweiten Wahlperiode erstmals aktuell wurde. Die Bundesregierung leitete damals dem neugewählten Bundestag ohne nochmalige Beteiligung des Bundesrates eine Reihe von Gesetzesvorlagen zu, die während der Legislaturperiode des ersten Bundestages vom Bundesrat bereits nach A r t . 76 Abs. 2 Satz 1 GG beraten worden waren. Dabei handelte es sich u m Entwürfe, die schon dem Bundestag vorgelegen hatten, wie u m solche, zu denen bisher lediglich der Bundesrat Stellung genommen hatte 1 9 9 . Insbesondere unter Hinweis auf A r t . 50 und 76 GG sowie die entsprechende Staatspraxis der Weimarer Z e i t 2 0 0 widersprach der Bundesrat diesem Vorgehen: die Bundesregierung müsse i h m nicht nur dann Gelegenheit zur Stellungnahme geben, wenn sie einen von ihren früheren Vorlagen abweichenden Entwurf einbringen wolle, sondern auch dann, wenn sich seit der Stellungnahme des Bundesrates die äußeren, für den Gesetzgebungsakt bedeutsamen Umstände wesentlich verändert hätten. Z u diesen äußeren Umständen gehöre i n erster Linie die Tatsache, daß die Bundesregierung ihre Gesetzesvorlage, zu der der Bundesrat während der Wahlperiode eines früheren Bundestages Stellung genommen habe, bei einem späteren, anderen Bundestag einbringen wolle. Damit habe sich aber der Adressat geändert 2 0 1 . Da es auch i m Bundestag darüber bereits zu Auseinandersetzungen gekommen w a r 2 0 2 , und dessen Ausschuß für Rechtswesen und Verfas197

So aber Beiz (Anm. 11) S. 70. So aber Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 692. 199 Die betreffenden Gesetze u n d der Anlaß — die Stellungnahmen des B u n desrates lagen bei Beginn der neuen Wahlperiode des Bundestages ζ. T. mehr als zwei Jahre zurück — sind ausführlich geschildert bei Groß (Anm. 138) S. 115); vgl. auch Kutscher (Anm. 163 a) S. 578; Schweiger (Anm. 138) S. 163; Schäfer (Anm. 47) S. 72; Dehrn (Anm. 163 a) S. 675 Fn. 4; Leinemann (Anm. 111) S. 618; Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 692. 200 Vgl. oben § 21. 201 Vgl. dazu die Niederschriften über die 129. Stzg. des Rechtsausschusses des Bundesrates v o m 11. Februar 1954 — R 0055 Nr. R 30/54 — sowie dessen Unterausschuß v o m 19. Januar 1954 — Nr. R 14/54 —. Skeptisch zu der darin vertretenen Auffassung, daß es unbeachtlich sei, ob die genannte Schwelle überschritten sei, Kutscher (Anm. 163 a) S. 578. 202 Vgl. die K r i t i k des Abg. Gülich an der F o r m der Einbringung des Haushaltsgesetzes, Sten. Ber. Bd. 18, S. 147 B, u n d die A n t w o r t von Bundesfinanzminister Schäffer darauf, ebd. S. 149 Β ff. 198

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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sungsrecht ebenfalls erhebliche Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Einbringung der betreffenden Vorlagen äußerte 203 , leitete die Bundesregierung die Entwürfe dem Bundesrat erneut zu 2 0 4 . Technisch wurde das Verfahren wesentlich dadurch vereinfacht, daß der Bundesrat sich bei der wiederholten Behandlung i m allgemeinen darauf beschränkte, die alten Beschlüsse zu bestätigen 2 0 5 ; er hat i n einzelnen Fällen seine Stellungnahme aber auch geändert oder ergänzt 2 0 6 . I n der Folge ist es bei diesem Verhalten geblieben. Eine Variante liegt darin, daß 1961 und 1965 die Bundesregierung von i h r beschlossene Gesetzentwürfe kurz vor dem Ende der Wahlperiode des Bundestages noch dem Bundesrat zuleitete, obwohl wegen der Fristen des A r t . 76 GG abzusehen war, daß eine parlamentarische Beratung nicht mehr i n Frage kommen würde. Der Bundesrat hat zu diesen Vorlagen noch fristgerecht, aber erst nach Zusammentritt des neugewählten und damit i n seiner Zusammensetzung bekannten Bundestages Stellung genommen 207 . Rechtliche Bedenken dagegen wurden ebenso wenig l a u t 2 0 8 wie 1976 zu Beginn der 8. Wahlperiode 20821 . Schwierigkeiten ergaben sich bei der Anwendung dieses Verfahrens nach der Bundestagsauflösung 1972. Die Bundesregierung hatte dem Bundesrat den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes zugeleitet, zu dem sich dieser wegen Fortfalls des alten Bundestages nicht mehr äußern konnte und wollte; die unterschiedlichen Fristen des A r t . 39 Abs. 1 Satz 3 i n der damals geltenden Fassimg und des A r t . 76 Abs. 2 GG machten es aber auch unmöglich, seine Stellungnahme i n bezug auf den neuzuwählenden Bundestag abzugeben. Die Bundesregierung änderte daraufhin i m Einvernehmen m i t dem Bundesrat das Zustellungsdatum 2 0 9 , 203 Protokoll der 2. Stzg. des BT-Ausschusses f ü r Rechtswesen u n d Verfassungsrecht am 18. Januar 1954; vgl. auch Groß (Anm. 138) S. 115; Leinemann (Anm. I l l ) S. 619. 204 Schäfer (Anm. 47) S. 72 f.; Leinemann (Anm. I l l ) S. 618. 205 Dehrn (Anm. 163 a) S. 675 Fn. 4. 206 Schäfer (Anm. 47) S. 73. 207 Vgl. die Nachweise bei Leinemann (Anm. I l l ) S. 619 Fn. 9 u n d Hömigi Stoltenberg (Anm. 21) S. 692 Fn. 34. 208 Leinemann (Anm. I l l ) S. 619 u n d Fn. 11. 208a Die Bundestagswahl fand bereits am 3. Oktober statt, obwohl die 7. Wahlperiode noch bis zum 13. Dezember dauerte. Die Bundesregierung leitete den E n t w u r f eines Gesetzes zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts dem Bundesrat am 5. November zu, der seine Stellungnahme am 17. Dezember beschloß, nachdem der Bundestag sich drei Tage vorher konstituiert hatte; Verhandlungen des Bundesrats, Sten. Ber. 442. Stzg. v o m 17. Dezember 1976, S. 442 C. Z u dem Verhalten bezüglich das Kakao-Übereinkommens i n der vorangegangenen Sitzung vgl. unten A n m . 221a u n d 221b. 209

Z u BR-Drs. 502/72. Vgl. auch Leinemann tenberg (Anm. 21) S. 692 Fn. 35.

(Anm. I l l ) S. 619; Hömig/Stol-

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I I I . 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

so daß der Entwurf innerhalb der Sechswochenfrist, aber nach der Wahl des Bundestages beraten werden konnte, obwohl das Parlament — entgegen der erwarteten Voraussetzung — erst am 13. Dezember 1972 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat. Wie bei dem Haushaltsgesetz 1972 210 , das ebenfalls neu zugeleitet werden mußte u n d i n derselben Bundesratssitzung behandelt wurde, hat der Bundesrat i n diesem Fall halb freiwillig, halb durch den Zeitdruck gezwungen gegen seine eigenen Postulate verstoßen 211 . Ob diese Gesetze deshalb „fehlerhaft zustandegekommen sind" 2 1 2 , ist fraglich 2 1 3 . Ohne Zweifel sollte „die Verbindung von Formerfordernissen und politischem Inhalt i m Gesetzgebungsverfahren i m Rechtsstaat nicht dazu benutzt werden, von den Formerfordernissen der Verfassung abzusehen" 2 1 4 ; auch ist die grundsätzliche M i t w i r k u n g der Länder bei der Gesetzgebung nach A r t . 79 Abs. 3 GG der Verfassungsänderung entzogen. Aber es handelt sich eben nur u m eine grundsätzliche Mitwirkung, deren normativer und damit zwingender Teil i n A r t . 76 Abs. 2 und A r t . 77 GG niedergelegt ist, die i m übrigen aber nur Beteiligungsrechte, nicht auch -pflichten begründet. Wie die erneute Beschlußfassung über die Einbringung eines Gesetzentwurfes nach E i n t r i t t der Diskontinuität durch Bundesregierung und Bundesrat listenmäßig und pauschal erfolgen kann 2 1 5 , kann auch der Bundesrat i n Ausnahmefällen davon absehen, von dem Recht auf Wiederbefassung Gebrauch zu machen. Nur organintern verbietet die sachliche Diskontinuität des Bundestages die Weiterberatung eines bei i h m unerledigt gebliebenen Gegenstandes parlamen210 Z u r Frage der Anwendbarkeit des Grundgesetzes der Diskontinuität auf Haushaltsgesetze sowie Notwendigkeit u n d Möglichkeit seiner Durchbrechung i n diesem Bereich vgl. die K r i t i k v o n Versteyl (Anm. 140); zur Auseinandersetzung damit vgl. unten § 28. 211 A l l e politischen K r ä f t e w a r e n sich einig, daß der Haushalt 1972 z u m i n dest noch v o r A b l a u f des Haushaltsjahres verabschiedet sein sollte; das w u r d e durch das Verhalten des Bundesrates ermöglicht. Den D a n k der Bundesregier u n g dafür brachte die damalige Parlamentarische Staatssekretärin i m B u n deskanzleramt, F r a u Dr. Focke, dann auch offiziell zum Ausdruck; vgl. V e r handlungen des Bundesrates 1972, Sten. Ber. 387. Stzg. v o m 1. Dezember 1972, S. 685 B, 686 A , 698 D. K r i t i s c h dazu Leinemann (Anm. I l l ) S. 623. I n derselben Sitzung hat der Bundesrat konsequent die erneute Einbringung von insgesamt v i e r seiner I n i t i a t i v e entstammenden Gesetzen beschlossen, ebd. S. 697 D, 698 C, 698 D ; hinsichtlich eines weiteren Gesetzes, zu dem der notwendige A n t r a g eines Landes schon vorher eingegangen u n d das inzwischen i n den Ausschüssen beraten worden w a r , w u r d e erstmals über die Einbringung befunden. 212 So aber Leinemann (Anm. I l l ) S. 622. 218 Ablehnend Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 692 Fn. 35, die die Auffassung Leinemanns als „unhaltbares Ergebnis" bezeichnen. 214 Leinemann (Anm. I l l ) S. 623. 215 So ist z. B. die i n i h r e m A m t bestätigte Bundesregierung nach der A u f lösung 1972 verfahren; vgl. dazu unten § 28.

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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tarischer Beschlußfassung i n einer folgenden Wahlperiode; die organexterne Wirkung beschränkt sich darauf, Mitwirkungsrechte zu begründen, die sich auf das Zusammenspiel der beteiligten Verfassungsorgane beziehen, i n dessen Mittelpunkt die Willensbildung des bewußt periodisch angelegten Parlaments steht. Diese Mitwirkungsrechte lassen sich aber nicht auf eine m i t Rücksicht auf die m i t Neuwahlen regelmäßig verbundenen Veränderungen i n der Zusammensetzung u n d Struktur des neuen Bundestages aus verf assungspolitischen Gründen lediglich wünschenswerte Neubefassung reduzieren. Eine solche Betrachtung w i r d dem Charakter des Vorverfahrens nicht gerecht. Es ist nicht von einem eigentlichen Gesetzgebungsvorgang praktisch abgekoppelt, geht diesem unabhängig voran, teilt also sein Schicksal nicht 2 1 6 ; zu einer derartigen Interpretation gibt das Grundgesetz keinen Anlaß. Die Verfassung geht vielmehr von einem einheitlichen, geschlossenen Gesetzgebungsverfahren aus, i n dessen Mittelpunkt die Beratung und Beschlußfassung des Bundestages steht, auf die der Bundesrat i m „zweiten Durchgang" dann erst reagiert. Der Anstoß zur gesetzgeberischen Willensausübung kann allerdings, wie A r t . 76 Abs. 1 GG deutlich macht, von verschiedenen, aber insoweit gleichberechtigten Stellen kommen. Wenn die Initiative aus der Mitte des Parlaments dabei direkt, ohne weitere obligatorische Verfahrensschritte zu einem Tätigwerden des höchsten Verfassungsorgans führt, w i r d damit nur dessen und seiner Organschaftsträger zentrale Bedeutung bei der Entscheidungsfindung hervorgehoben. Daß Initiativen der beiden anderen Verfassungsorgane auf dem Weg zu i h m Stationen zu durchlaufen, nicht Hindernisse zu überwinden haben, ist Folge der i n A r t . 50 und 79 Abs. 3 GG niedergelegten Stellung und Aufgabe des Bundesrats als Bundesverfassungsorgan. Wie Anträge von Bundestagsabgeordneten, die einen Gesetzentwurf zum Inhalt haben, immer auf die Verabschiedung durch einen bestimmten Bundestag, nämlich den, dem die Initiatoren angehören, gerichtet sind, zielen entsprechende Vorlagen der Bundesregierung und des Bundesrates ebenfalls auf diesen i n seinen politischen Entscheidungen einschätzbaren Bundestag. Es ist somit nicht so, daß etwa gesagt werden könnte, „ i n Anbetracht der selbständigen, an eigenen, nicht parteipolitischen Maßstäben orientierten Stellung der Zweiten Kammer sei auf die Zusammensetzung des Erklärungsempfängers nicht abzustell e n " 2 1 7 . Eine solche Auffassung w i r d der politischen Bedeutung der A r 216 So auch Leinemann (Anm. I l l ) S. 622 gegen die i n den Beratungen des Hechtsausschusses des Bundesrats zu dem Verfahren bei dem Änderungsgesetz zum Bundeskriminalamtsgesetz zum Ausdruck kommende Auffassung; vgl. Stzg. des Unterausschusses v o m 8. November 1972. 217 So aber, w e n n auch kritisch gegenüber diesem Argument, Schweiger (Anm. 138) S. 163.

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I I I . 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

beit des Bundesrates nicht gerecht, deren Hauptgewicht und Einflußnahme bei Gesetzesvorlagen der Bundesregierung erfahrungsgemäß auf den Stellungnahmen i m ersten Durchgang liegt 2 1 8 , bei eigenen Initiativen das Aufzeigen von Alternativen sowie die Berücksichtigung und gegebenenfalls Durchsetzung eigener Interessen und Anregungen i m Auge hat. Beide, i m Ergebnis auf ein Ziel hinauslaufende Verfahrensschritte sind nicht denkbar ohne genaue Kenntnis des Erklärungsempfängers und damit ohne seine konkrete Existenz. Ist dieser wegen des Endes der Wahlperiode fortgefallen, soll das Vorhaben aber weiter verfolgt werden, muß es auch i n bezug auf den neuen Erklärungsempfänger und Entscheidungsträger neu i n Gang gesetzt werden. Das ist nicht nur eine politische, sondern auch eine rechtliche Frage 2 1 9 . Der Bundesrat muß Gelegenheit haben, sich auf die veränderte Situation einzustellen; die Möglichkeit der Rücknahme der eigenen Initiative durch den Bundesrat 2 2 0 stellt ebensowenig ein ausreichendes M i t t e l dar, diese Gelegenheit sicherzustellen, wie das Recht aus A r t . 43 Abs. 2 GG auf Zut r i t t zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse, u m dort eine durch die veränderte Situation veränderte Auffassung oder Stellungnahme darzulegen und zu vertreten. Die sachliche Diskontinuität des Bundestages w i r k t sich deshalb auf die beiden anderen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane i n der Weise aus, daß die Möglichkeit gegeben sein muß, die eigene Haltung auf allen Verfahrensebenen noch einmal zu bestätigen oder zu revidieren. Das kann pauschal erfolgen, setzt aber voraus, daß die notwendigen Schritte wiederholt werden. Diese Voraussetzung entfällt, wenn der Bundesrat bereits Gelegenheit hatte, seine Meinung auf den neuen Bundestag i n seiner konkret-personellen Zusammensetzung bezogen zu äußern. Das gilt dann aber für eigene Initiativen wie für die Stellungnahme zu Regierungsentwürfen eines Gesetzes 221 . Der vom Bundesrat 1976 unternommene Versuch, dieses Ergebnis dadurch zu relativieren, daß eine Stellungnahme ausdrücklich als „ n u r i m Hinblick auf den 7. Deutschen Bundestag" abgegeben erklärt w u r d e 2 2 1 a , 218

Leinemann (Anm. I l l ) S. 622. Die derzeitige politische Frontstellung, bei der das Schwergewicht auf einer Verhinderung u n d damit beim „zweiten Durchgang" liegt, ist insoweit nicht symptomatisch. 219 So auch Schweiger (Anm. 138) S. 163; Groß (Anm. 138) S. 115. 220 Vgl. dazu Schäfer (Anm. 47) S. 64; Goppel (Anm. 54) S. 100 f. 221 Deshalb waren die Gesetze auch nicht „fehlerhaft zustandegekommen", w i e Leinemann (Anm. I l l ) S. 622 behauptet. Z u r Möglichkeit einer Vereinfachung des Verfahrens vgl. Groß (Anm. 138) S. 115. 22ia v g l . den Hinweis des Bundesratspräsidenten aus Anlaß der Behandlung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1975, Verhandlungen des Bundesrats, Sten. Ber. 441. Stzg. v o m 12. November 1976, S. 420 C.

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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obwohl die zukünftigen Abgeordneten des Parlaments der nächsten Wahlperiode bereits gewählt waren, kann keinen rechtlichen Bestand haben. Insbesondere vermag der Bundesrat nicht auf diese Weise von sich aus Inhalt und Reichweite der organexternen Wirkungen der Diskontinuität zu bestimmen. Für den Fortbestand oder Verfall des Äußerungsrechts des Bundesrats ist es ohne Bedeutung, ob i m Zeitpunkt seines Beschlusses überhaupt kein konkretes Parlament mehr vorhanden war, weil, wie 1972, das Mandat und damit die Existenz des 6. Bundestages durch die Auflösung vorzeitig beendet war, der 7. Bundestag sich aber noch nicht konstituiert hatte, oder ob die Wahlperiode der vorhandenen Vertretungskörperschaft noch nicht abgelaufen war, die neugewählte Organwalterschaft sich also noch gar nicht zu konstituieren vermochte. Diese durch die frühe Anberaumung des Wahltermins für die Wahl zum Bundestag der 8. Wahlperiode 1976 verursachte, durch die zu diesem Zeitpunkt noch geltende Fassung des A r t . 39 GG zwangsläufige Situation ist nicht anders zu beurteilen als die des Jahres 1972. I n beiden Fällen konnte die Stellungnahme nur als auf den i n seinen politischen Mehrheitsverhältnissen bereits feststehenden folgenden Bundestag gerichtet Sinn haben; allein deshalb erfolgte auch die Zuleitung durch die Bundesregierung, obwohl, ebenfalls wie 1972, schon i m Augenblick dieser Zuleitung feststand, daß der Bundesrat sich nicht mehr so rechtzeitig äußern würde, daß der Gesetzentwurf i m 7. Bundestag noch eingebracht, geschweige denn beschlossen werden könnte. Die ausdrückliche Beschränkung der Geltung der Stellungnahme auf eine abschließende Behandlung noch i n der 7. Wahlperiode vermag ein erneutes Behandlungsrecht des Bundesrats u n d als Korrelat eine nochmalige Zuleitungspflicht der Bundesregierung nicht zu begründen. Wo der Bundesrat bereits Gelegenheit hatte, m i t Blick auf eine als Ergebnis einer Wahl neu zusammengesetzte Abgeordnetenschaft zu einem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, ist sein Recht aus A r t . 76 Abs. 2 GG „verbraucht". Er kann es sich auch nicht dadurch verlängern, daß er seine Stellungnahme quasi zeitlich und adressatenmäßig beschränkt 22115 . 22ib Die Bundesregierung beschloß deshalb i m Januar 1977 zunächst noch eine Gegenäußerung zu dieser Stellungnahme des Bundesrates — BR-Drs. 585/76 (Beschluß) —, i n der sie die v o n diesem vorgenommene adressatenmäßige Beschränkung des Verzichts auf Einwendungen als v o m Grundsatz der Diskontinuität nicht gedeckt zurückwies, u n d leitete den E n t w u r f m i t dieser Gegenäußerung dem 8. Bundestag zu. M i t Schreiben v o m 9. Februar 1977 teilte der Bundesratspräsident daraufhin seinem Bundestagskollegen m i t , daß nach Auffassung des Bundesrats dessen verfassungsmäßige Rechte i n diesem Falle nicht gewahrt seien. Der Bundestagspräsident bat deshalb den Rechtsausschuß des Bundestages u m eine gutachtliche Stellungnahme, die „zu der gleichen Beurteilung w i e schon der Ausschuß für Rechtswesen u n d Verfassungsrecht i n der 2. Wahlperiode (siehe K u r z p r o t o k o l l der 4. Stzg. v o m 4. Februar 1954)" k a m ; es bestand „ e i n m ü t i g i m Rechtsausschuß die Auffassung, daß der Gesetzentwurf zu dem internationalen Kakao-Übereinkommen

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Aus dem Fehlen eigener Diskontinuitäten von Bundesregierung und Bundesrat folgt, daß nicht abgeschlossene Hechtsetzungsakte anderer A r t , an denen nur diese beiden Verfassungsorgane, nicht aber der Bundestag beteiligt sind, m i t Beendigung der Wahlperiode des Parlaments nicht abgebrochen werden und entsprechend nach Zusammentritt des neugewählten Parlaments nicht erneut förmlich einzuleiten sind. Rechtsverordnungen nach A r t . 80 Abs. 1 Satz 1 GG, zu deren Erlaß die Bundesregierung oder ein einzelner Bundesminister ermächtigt worden sind, können deshalb nach Ablauf der Legislaturperiode auch dann erlassen werden, wenn es hierzu der förmlichen Zustimmung des Bundesrates bedarf 2 2 2 . Der Bundestag ist an ihrem Erlaß dann nicht beteiligt 2 2 3 . Das dazu notwendige Verfahren der Abstimmimg w i r d auch durch die B i l dung einer neuen Bundesregierung nach dem Zusammentritt eines neuen Bundestages nicht unterbrochen. M i t der Weiterleitung der von der Bundesregierung beschlossenen bzw. von dem dazu ermächtigten Bundesminister angefertigten Rechtsverordnung an den Bundesrat ist das Rechtssetzungsverfahren i m Bereich der Exekutive zunächst abgeschlossen 2 2 4 . Es ist jetzt Angelegenheit des Bundesrates als eines ebenfalls nicht der Diskontinuität unterliegenden Verfassungsorgans, seine Zustimmung zu erteilen, was entsprechend vor oder nach dem Zusammentritt des neugewählten Parlaments bzw. vor oder nach der Regierungsneubildung erfolgen kann. Daraus folgt, daß eine erneute Zuleitung nicht erforderlich ist; allerdings steht es der neuen Bundesregierung wie auch jeder Bundesregierung während einer laufenden Wahl- und damit Amtsperiode frei, eine Rechtsverordnung, die die Zustimmung des Bundesrates gefunden hat, durch Ausfertigimg und Verkündigung i n K r a f t zu setzen oder nicht; gegebenenfalls kann deshalb auch eine neue Verordnung m i t neuem Inhalt ausgearbeitet und zur abermaligen Zustimmung zugeleitet werden 2 2 5 . Die entsprechende Entscheidung ist jedoch unabhängig von der Wahlperiode des Bundestages und damit vom Grundsatz der Diskontinuität. 1975 erneut einzubringen sei u n d sich daraus ergäbe, daß der Gesetzentwurf nicht auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt werden sollte". Wenn die Bundesregierung nachgab u n d die Vorlage noch einmal dem Bundesrat zuleitete, der sachlich wiederum keine Bedenken hatte — vgl. Verhandlungen des Bundesrates, Sten. Ber. 444. Stzg. v o m 1. A p r i l 1977, S. 64 C —, u n d dann erneut beim Bundestag einbrachte — BT-Drs. 8/272 —, ist das w o h l auf die H a l t u n g des Rechtsausschusses zurückzuführen, der allerdings den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Situation 1954 — vgl. oben (Anm. 199) — u n d 1976 übersah. Eine neue „Staatspraxis" konnte u n d w o l l t e die Bundesregier u n g damit jedoch nicht begründen. 222 HömiglStoltenberg (Anm. 21) S. 693. 223 Trossmann (Anm. 81) S. 209. 224 Vgl. § 69 Abs. 1 - 3 GGO I I u n d als Beispiel die BR-Drs. 433/53, 435/53 u n d 436/53, die dem Bundesrat a m 28. J u l i bzw. 1. September 1953 zugestellt w u r den, denen er aber erst i n der Sitzung v o m 30. Oktober 1953 zustimmte.

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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Etwas anderes muß für diejenigen Verordnungen gelten, bei denen sich der Bundestag i m Gesetz die Zustimmung vorbehalten hat. Dann muß die ermächtigte Stelle vor Erlaß die Zustimmung des Bundestages einholen, d. h. dem Bundestag den Entwurf der Verordnung m i t der Bitte u m Zustimmung vorlegen 2 2 6 . Auch i n diesen Fällen findet eine Ausschußberatung statt, die der Vorbereitung der Entscheidung des Bundestages d i e n t 2 2 7 ; abgestimmt w i r d jedoch über den Verordnungsentwurf selbst, nicht über den Ausschußantnag unmittelbar 2 2 8 . Hat der Bundestag bei Beendigung der Wahlperiode noch nicht Beschluß gefaßt, t r i t t auch hier sachliche Diskontinuität ein, d. h. der Entwurf ist dem neugewählten Parlament noch einmal zuzuleiten 2 2 9 . Eine besondere Stellung nehmen dabei die sogenannten Nachlaufverordnungen ein, bei denen der Bundestag innerhalb einer bestimmten Frist nach der Verkündung die Aufhebung verlangen kann 2 3 0 . Verordnungen dieser A r t sind von Verfassungs wegen i n A r t . 109 Abs. 4 Satz 4 GG vorgesehen; die dort vorgeschriebene gesetzliche Regelung haben sie z.B. i n § 20 Abs. 5 StWG gefunden 231 . Sie sind aber auch dem Außenwirtschaftsgesetz 232 und dem Zollgesetz 233 bekannt 2 3 4 ; Versuche, sie i n anderen Rechtsmaterien einzuführen, scheiterten bislang 2 3 5 . Macht der Bundestag bei ihnen von sei225

Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 693. Trossmann (Anm. 81) S. 209. Vgl. dort auch S. 210 f. Beispiele f ü r entsprechende Regelungen, insbesondere i n § 77 Abs. 1 des Zollgesetzes v o m 14. J u n i 1961, BGBl. I, S. 737, sowie jetzt § 51 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes 1975 i. d. F. der Bekanntmachung v o m 5. September 1974, BGBl. I, S. 2165. Eine besondere F o r m der Zustimmung w u r d e durch § 26 Nr. 3 a des Gesetzes zur Förderung der Stabilität u n d des Wachstums der Wirtschaft v o m 8. J u n i 1967, B G B l . I , S. 182, eingeführt; nach § 26 Nr. 3 a Satz 12 S t W G gilt die Zustimmung als erteilt, w e n n der Bundestag nicht binnen vier Wochen nach Eingang der Vorlage der Bundesregierung die Z u s t i m m u n g verweigert; vgl. auch Möller, Gesetz zur Förderung der Stabilität u n d des Wachstums der Wirtschaft, § 26 Nr. 3 a S t W G Rdnr. 14 f. 227 Z u r geschäftsordnungsmäßigen Behandlung der Zollvorlagen vgl. § 96 a GO BT. 228 Trossmann (Anm. 81) S. 210. 229 Schäfer (Anm. 22) S. 85. Z u r Verfassungsmäßigkeit derartiger Verordnungen vgl. BVerfGE 8, S. 274 ff. 280 Schäfer (Anm. 22) S. 85. 231 Vgl. dazu Möller (Anm. 226) § 20 S t W G Rdnr. 12. 232 § 27 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes v o m 28. A p r i l 1961, BGBl. I, S. 481, i. d. F. des D r i t t e n Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes v o m 25. März 1964, BGBl. I , S. 245. 233 § 21 Abs. 6 u n d § 77 Abs. 5 Zollgesetz i. d. F. des D r i t t e n Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes v o m 25. März 1964, B G B l . I, S. 245. Z u m Verfahren i m Bundestag f ü r die Behandlung dieser Verordnungen vgl. Anlage 6 zur GO BT, v o m Bundestag beschlossen a m 23. Februar 1962. 234 Vgl. die weiteren Beispiele bei Trossmann (Anm. 81) S. 211 u n d i n BVerfGE 8, S. 320. 235 So bei Verordnungen nach § 6 des Straßenverkehrsgesetzes v o m 19. Dezember 1952, BGBl. I, S. 837, zuletzt geändert durch das Zuständigkeitslocke226

19 Jekewitz

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

nem Aufhebungsrecht keinen Gebrauch, werden sie nach Ablauf der jeweils vorgesehenen Frist v o l l wirksam. Da diese Frist von der Verkündimg an läuft, also von der Wahlperiode unabhängig ist und allein von der die Verordnung erlassenden Regierung beeinflußt werden kann, zudem die vorgeschriebene Mitteilung an den Bundestag auf ihren Ablauf keinen Einfluß hat, darf bei ihnen das Aufhebungsrecht des Bundestages nicht ohne Rücksicht auf den Ablauf der Wahlperiode erlöschen. Die Beschlußfassung des Bundestages mag i n diesen Fällen vor Ende der Wahlperiode zwar möglich gewesen sein; erfolgte sie aber nicht, so muß die Frist für die Geltendmachung des Aufhebungsverlangens durch den Bundestag m i t der Konstituierung des Nachfolgers erneut zu laufen beginnen 2 3 6 . Nicht unter die Diskontinuität fallen dagegen die von der Bundesregierung dem Bundestag lediglich zur Unterrichtung vorgelegten EG-Verordnungen, bei denen eine Beschlußfassung zwar möglich, aber nicht erforderlich ist 2 3 7 . Die sachliche Diskontinuität spielt aber nicht nur i m Rechtsetzungsverfahren eine Rolle, sondern ist gleichermaßen bedeutsam bei der Ausübung von Kontrollrechten durch das Parlament, sei es, daß sich diese Kontrollrechte auf die Tätigkeit anderer Verfassungsorgane beziehen, sei es, daß sie den Eigenbereich zum Gegenstand haben. Von den Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Bundesregierung sind bereits die A n fragen als dem Grundsatz der Diskontinuität unterfallend erwähnt worden 2 3 8 . Auch von einem Bundestag m i t einem konkreten Auftrag eingesetzte Untersuchungsausschüsse und deren nicht abgeschlossene Arbeiten enden m i t dem Ablauf der Wahlperiode; das ist nicht nur eine Frage der personellen und Organ-Diskontinuität 2 3 9 , sondern auch eine solche der sachlichen: w i l l der neue Bundestag die Untersuchung wieder aufnehmen und fortsetzen, bedarf es eines eigenen neuen Einsetzungsbeschlusses und einer vollständigen Wiederholung der Ermittlungen 2 4 0 . Soweit i n der Literatur die Frage aufgeworfen worden ist, ob auch die Rechnungslegung und der Antrag auf Entlastung nach A r t . 114 GG rungsgesetz v o m 10. März 1975, B G B l . I , S. 685, w o eine entsprechende Ergänzung durch den Bundestag — vgl. BT-Drs. 7/3055, 7/3450 — erst i m V e r m i t t lungsverfahren durch den Bundesrat verhindert w u r d e — vgl. Niederschrift des Unterausschusses des Rechtsausschusses des Bundesrats v o m 26. u n d 27. M a i 1975 — R 0055 — Nr. R 70/75 — u n d BR-Drs. 385/75, BT-Drs. 7/4065; ein ähnlicher Versuch i n § 366 Abs. 4 der Abgabenordnung w u r d e nicht mehr weiterbetrieben — vgl. P r o t o k o l l der 68. Stzg. des Rechtsausschusses des Bundestages v o m 11. J u n i 1975, 7/79. 236 So auch Schäfer (Anm. 22) S. 85. Α. M . Trossmann (Anm. 81) S. 250. 237 Schäfer (Anm. 22) S. 85, der allerdings auch hier eine erneute Ausschußüberweisung f ü r „zumindest empfehlenswert" hält. 238 Vgl. oben § 25. 239 Vgl. dazu oben § 25. 240 Schäfer (Anm. 22) S. 83.

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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i n Verbindung m i t § 114 der Bundeshaushaltsordnung von dem Anwendungsbereich des Diskontinuitätsprinzips erfaßt werden 2 4 1 , handelt es sich allerdings u m ein Scheinproblem. Bereits mach dem Wortlaut von A r t . 114 Abs. 1 GG hat die Rechnungslegung jährlich zu erfolgen; sie ist damit Auftrag der Verfassung an die Legislative zur Prüfung des Ausgabegebarens der Exekutive und als solcher Ausfluß und notwendiges Pendant zum Ausgabebewilligungsrecht 242 . Wie der Bundeshaushalt nach Art. 110 Abs. 2 GG unabhängig von der Wahlperiode des Bundestages vor Beginn eines Rechnungsjahres 243 nicht nur aufgestellt, sondern auch festgestellt werden muß, hat auch die Rechnungslegung nach A r t . 114 Abs. 1 GG und der Bericht des Bundesrechnungshofes m i t den Anmerkungen zur Haushaltsführung nach A r t . 114 Abs. 2 GG jährlich zu erfolgen 2 4 4 . Da Beginn der Wahlperiode und Beginn des Haushaltsjahres nicht übereinstimmen, auch nicht übereinstimmen können, kann i n den vier Rechnungsjahren einer Wahlperiode des Bundestages der jeweilige Bundeshaushalt auf dem politischen Willen von zwei aufeinanderfolgenden Parlamenten i n jeweils unterschiedlicher konkret-personeller Zusammensetzung beruhen 2 4 5 . Entsprechend, wenn auch m i t Zeitverschiebung, findet die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung statt 2 4 6 . Bereits daraus ergibt sich, daß der Auftrag zur Rechnungsprüfung und Entlastung 241

Versteyl (Anm. 140) S. 164 f. So auch Versteyl (Anm. 140) S. 165. 243 Das Rechnungsjahr ist seit dem Erlaß des Gesetzes zur Anpassung des Rechnungsjahres an das K a l e n d e r j a h r v o m 29. Dezember 1959, B G B l . I, S. 832, m i t dem K a l e n d e r j a h r identisch. A r t . 110 Abs. 2 Satz 1 G G erlaubt zwar auch mehrjährige Haushalte, die dann vor dem ersten Rechnungsjahr festzustellen sind; bisher ist davon aber erst einmal Gebrauch gemacht worden, da eine längerfristige Ubersicht insbesondere über die Einnahmeseite nicht möglich ist. 244 Z u m Verfahren der Rechnungsprüfung durch den Bundestag vgl. Friedrich Schäfer, Aufgabe u n d Arbeitsweise des Haushaltsausschusses des D e u t schen Bundestages, i n : Finanzwissenschaft u n d Finanzpolitik, S. 267; ders. (Anm. 22) S. 260 ff. 245 Bei Beginn der Wahlperiode, zumal w e n n dieser i m Herbst liegt, g i l t noch der Haushalt des laufenden Jahres. Da nach A r t . 110 Abs. 2 Satz 1 G G v o r Beginn des kommenden Haushaltsjahres der Haushalt durch das Haushaltsgesetz festgestellt sein soll, ist der neugewählte Bundestag u n d die v o n i h m berufene Bundesregierung theoretisch auch noch i m ersten vollständigen Jahr seiner Wahlperiode durch einen v o n einem vorangegangenen Bundestag verabschiedeten Haushalt gebunden. Eine eigene, n u r für i h n geltende E n t scheidung t r i f f t er n u r i m zweiten Jahr seiner Wahlperiode f ü r deren drittes Jahr. Bereits der i m d r i t t e n Jahr verabschiedete Haushalt g i l t n u r noch t e i l weise f ü r seine eigene Wahlperiode. F ä l l t der A b l a u f der Wahlperiode i n den Herbst, muß nach dem W o r t l a u t der Verfassung schon wieder der Haushalt f ü r das erste Jahr der Wahlperiode des nachfolgenden Bundestages u n d damit f ü r das erste Jahr der Amtszeit der v o n diesem berufenen Bundesregierung zumindest eingebracht sein. 246 Z u den bisher üblichen zeitlichen Verschiebungen u n d Verzögerungen vgl. Piduch (Anm. 175) A r t . 111 G G Rdnr. 7 u n d § 114 B H O Rdnr. 3 sowie Versteyl (Anm. 140) S. 165 Fn. 10. 242

1 *

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I I I . 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

als an die Institution der Legislative gerichtet gewollt ist, also die jeweilige Organwalterschaft verpflichtet 2 4 7 . Für die Anwendung des Grundsatzes der Diskontinuität ist damit von der Sache her kein Raum. Sie w i r d auch dann nicht aktuell, wenn der Bundesrechnungshof dem Bundestag nach A r t . 114 Abs. 2 GG berichtet hat, dieser aber vor Beendigung der Wahlperiode nicht mehr die Entlastung beschließen konnte. Denn es ist lediglich eine Frage der Optik, ob der Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofs m i t den Bemerkungen der Bundesregierung beim neugewählten Bundestag erneut formell eingebracht oder ohne dieses Formerfordernis weiterbehandelt w i r d 2 4 8 . A u f die zeitnähere Rechnungslegung und Rechnungsprüfimg w i r d das jedoch keinen Einfluß haben; die Gründe für die bisher übliche Verzögerung liegen an anderer Stelle und sind m i t dem Grundsatz der Diskontinuität n u r bedingt i n Zusammenhang zu bringen 2 4 9 . Bei Kontrollrechten des Bundestages, die auf ein Tätigwerden des Bundesverfassungsgerichts gerichtet sind, ist einmal danach zu unterscheiden, ob es sich noch u m das Verfahren i m Innern des Bundestages handelt, zum anderen, ob bereits Außenwirkungen entstanden sind, die das Verfahren quasi verselbständigen. E i n Beispiel zeigt die Präsidentenanklage gemäß A r t . 61 GG. Der Antrag auf Erhebung einer derartigen Anklage muß nach A r t . 61 Abs. 1 Satz 2 GG von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages gestellt werden; der Beschluß auf Erhebung der Anklage bedarf dann nach A r t . 61 Abs. 1 Satz 3 GG der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Parlaments. Würde der Antrag vor Ablauf der Wahlperiode gestellt, aber nicht mehr darüber vom Bundestag beschlossen, ist eine Beschlußfassung durch den folgenden Bundestag ohne erneute Stellung eines Antrages unzulässig; ist die Anklage aber beschlossen und erhoben, geht sie auch m i t dem Ende der Wahlperiode nicht unter, da sie rechtliche selbständige Bedeutung er247

So auch Piduch (Anm. 175) § 114 B H O Rdnr. 4; Versteyl (Anm. 140) S. 165. Versteyl (Anm. 140) S. 165, 166 u n d 167 schlägt deshalb eine Ergänzung des § 126 GO B T vor, die die Rechnungslegung entsprechend den Petitionen v o n der Diskontinuität ausnehmen soll. F ü r eine solche Regelung besteht j e doch überhaupt k e i n Bedarf, da die Rechnungsprüfung u n d Entlastung i n s t i t u t i o n e l l nicht Aufgabe des konkret-personellen Parlaments sein können, also v o n dem Grundsatz der Diskontinuität gar nicht betroffen werden. Vgl. auch Piduch (Anm. 175) § 114 B H O Rdnr. 4 u n d die dort geschilderte Praxis sowie als Beispiel f ü r die tatsächliche Handhabung die Vorlage der Bundeshaushaltsrechnung f ü r das Rechnungsjahr 1963 m i t dem A n t r a g auf nachträgliche Genehmigung der über- u n d außerplanmäßigen Ausgaben, die m i t Schreiben des Bundesministers der Finanzen v o m 25. M a i 1965 — BT-Drs. IV/3495 — vorgelegt worden w a r , nicht mehr abschließend behandelt w u r d e u n d daraufh i n dem folgenden Bundestag m i t Schreiben v o m 10. November 1965 erneut zuging, wobei auf der Rückseite der neuen Vorlage — BT-Drs. V/34 — die alte Vorlage noch einmal abgedruckt wurde. 249 Vgl. dazu auch unten § 28. 248

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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langt 2 5 0 . Anders ist es bei vom Bundestag oder einer i n dessen Geschäftsordnung m i t eigenen Rechten ausgestatteten Minderheit angestrengten sogenannten Organstreitigkeiten nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 1 GG 2 5 1 . Hier erfolgt nicht nur der Anstoß zu dem Verfahren durch die konkret-perY>nelle Zusammensetzung des Parlaments, sondern ist diese bzw. eine von i h r abgeleitete Gruppe „Partei". M i t dem Fortfall der konkret-personellen Zusammensetzung bei Beendigung der Wahlperiode muß auch die Eigenschaft als Verfahrensbeteiligter entfallen, das Verfahren also unzulässig werden, wobei es unbeachtlich ist, ob das Parlament Antragsteller, Gegner oder sonst i n irgendeiner Form Beteiligter w a r 2 5 2 . Etwas anderes gilt für das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach A r t . 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, obwohl die Grenzen oft fließend sind 2 5 3 : hier handelt es sich u m ein objektives Verfahren zum Schutz der Verfassung und nicht zum Schutz subjektiver Rechte der Antragsberechtigten 254 ; wie bei der Präsidentenanklage liefert der Antrag n u r den Anstoß, der sich insofern von dem Antragsteller verselbständigt und von dem Grundsatz der Diskontinuität nicht berührt wird. Wahlprüfungs- und Immunitätsverfahren i m Innern des Bundestages sind dagegen stets n u r auf das Verfassungsorgan Parlament i n seiner konkret-personellen Zusammensetzung und Handlungsfähigkeit gerichtet. M i t den ersteren soll festgestellt werden, ob der betreffende Bundestag gemäß den Wahlrechtsgrundsätzen des A r t . 38 Abs. 1 Satz 1 G G und den i n Ausführung dazu ergangenen Wahlgesetzen zustandegekommen ist und damit den Anforderungen der Verfassung entspricht. Ist die Wahlperiode beendet, fällt nicht nur das konkrete Parlament und m i t i h m sein Wahlprüfungsausschuß, (bei dem nach A r t . 41 GG i n Verbindung m i t § 64 GO B T die Aufgabe der Wahlprüfung liegt, f o r t 2 5 5 , sondern es 250

§ 51 BVerfGG; vgl. auch Maassen (Anm. 9) S. 74 f. u n d Fn. 15. Z u r Antragsberechtigung i n diesem F a l l vgl. Maunz/Sigloch/SchmidtBleibtreu/Klein (Anm. 82) § 13 Rdnr. 37, § 63 Rdnr. 3 ff. 252 Vgl. dazu die Entscheidung des hess. S t G H i n D Ö V 1968, S. 50 f.; auch Zinn!Stein, Verfassung des Landes Hessen, A r t . 79 A n m . 3 b. Α. M. anscheinend Leibholz/Rupprecht, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Nachtrag 1971, § 63 zu A n m . 2, die f ü r den Fall, daß ein Verfahren, i n dem eine F r a k t i o n als Antragsteller auftritt, sich über das Ende einer Legislaturperiode hinzieht, die Fortsetzung des Prozesses durch die entsprechende F r a k t i o n des neuen Bundestages f ü r möglich halten; n u r w e n n die Partei i m neuen Bundestag nicht mehr vertreten ist, soll sie ihre Beteiligungsfähigkeit dann verlieren, w e n n sie ausschließlich Rechte des Bundestages selbst — also nicht eigene Kompetenzen — geltend macht. Ä h n l i c h jetzt auch Ulsamer, i n : Maunz/Sigloch/Schmidt-Bleibtreu/Klein (Anm. 82) §63 Rdnr. 11. Diese Unterscheidung erscheint jedoch w i l l k ü r l i c h . 253 Maunz/Siglochf Schmidt-Bleib treu/Klein (Anm. 82) § 13 Rdnr. 13, 20, § 63 Rdnr. 14. 254 BVerfGE 1, S. 407 f., 414; 2, S. 311 f. 255 Vgl. oben § 25. 251

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

besteht für eine derartige Feststellung auch kein Rechtsschutzinteresse mehr 2 5 6 . M i t Ablauf der Wahlperiode gelten deshalb auch alle nicht abgeschlossenen Wahl- und Mandatsprüfungsangelegenheiten als erled i g t 2 5 7 . Gleiches t r i f f t f ü r die Immunitätsangelegenheiten zu, obwohl auch diese zwar i n § 75 GO BT, nicht aber i n § 126 GO BT genannt sind 2 5 8 . Die Aufhebung der Immunität bzw. ihre Verweigerung wie die Genehmigung nach § 50 Abs. 3 StPO haben nur Sinn i n bezug auf einen konkreten Bundestag, da dieser durch diese Privilegien i n seiner Arbeitsfähigkeit und Unabhängigkeit geschützt werden soll. A m Ende der Wahlperiode entfällt daher m i t den entsprechenden Schutzrechten 259 auch die Notwendigkeit, über ihre Aufhebung i m Einzelfall zu entscheiden 260 . Unerledigte Ersuchen i n Immunitätsangelegenheiten, die i n der abgelaufenen Wahlperiode an den Bundestag gerichtet worden sind, können und dürfen daher i n der neuen Wahlperiode nicht mehr weiterbehandelt werden 2 6 1 ; sie werden wie Wahlprüfungsangelegenheiten vom Grundsatz der Diskontinuität erfaßt 2 6 2 . F ü r die Aufhebung des m i t der neuen Wahlperiode beginnenden neuen Immunitätsschutzes bedarf es dann eines neuen Antrages und einer neuen Entscheidung 263 . Dasselbe dürfte für eine noch nicht erfolgte Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen Beleidigung des Bundestages nach § 194 Abs. 4 StGB gelten, während die erteilte Ermächtigung auch nach Ende der Wahlperiode Wirkung entfaltet, w e i l geschütztes Rechtsgut das Parlament als Institution i s t 2 6 3 a . 256

Schäfer!Jekewitz (Anm. 96) S. 255 f. Z u r Erledigung der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundestages an das Bundesverfassungsgericht durch das Ende der Wahlperiode vgl. BVerfGE 22, S. 280 f.; 24, S. 203. 258 Beiz (Anm. 11) S. 63. 259 Vgl. oben § 25. 260 Z u m Verfahren vgl. die Grundsätze i n Immunitätsangelegenheiten u n d i n Fällen der Genehmigung gemäß § 50 Abs. 3 StPO sowie bei Ermächtigungen gemäß § 197 StGB, Anlage 7 zur GO BT. 261 Trossmann (Anm. 81) S. 250f. A . M . n u r RitzellKoch (Anm. 154) § 126 A n m . 3; Koch, Immunitätsfragen bei Beendigung der Wahlperiode des Deutschen Bundestages, i n : B u l l e t i n 1957, S. 1853. 262 von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 b ; Schäfer (Anm. 22) S. 85; Beiz (Anm. 11) S. 63. 2β3 Trossmann (Anm. 81) S. 251. 257

263a So schon der Abgeordnete Horlacher i n der 91. Stzg. der 1. Wahlperiode, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Sten. Ber. Bd. 5, S. 3395 C, u n d der Abgeordnete Mende i n der 160. Stzg. derselben Wahlperiode, Sten. Ber. Bd. 8, S. 6490 A , sowie die gesamte K o m m e n t a r l i t e r a t u r zu § 197 StGB a. F., z. B. Leipziger K o m m e n t a r (StGB), § 197 A n m . I I I : „ D a die politische K ö r p e r schaft als ständige, v o m Wechsel ihrer Mitglieder unabhängige Einrichtung gedacht ist, erscheint es gleichgültig, ob sie zur Zeit der Erteilung der Ermächtigung anders zusammengesetzt ist als zur Zeit der Beleidigung: RGSt 7, 386. Dies g i l t selbst f ü r den Fall, daß nach der Beleidigung die Körperschaft aufgelöst w u r d e oder die Legislaturperiode abgelaufen ist. Das neu gewählte Parlament k a n n die Ermächtigung wegen Beleidigung des aufgelösten ertei-

§26 Sachliche Diskontinuität

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Eindeutig nicht unter den Grundsatz der Diskontinuität fallen dagegen Petitionen, wie bereits § 126 Satz 2 GO B T klarstellt 2 6 4 . Sie gehören schon von ihrer Natur her nicht zu dem Kreis der Vorlagen, Anträge und Anfragen, die diese Bestimmung nennt, sondern sind von außen, also nicht von einem anderen Verf assungsorgan an das Parlament als Institution i n Ausübung des Grundrechts des A r t . 17 GG gerichtete Ersuchen, auf die das Parlament dann auch antworten muß 2 6 5 . A m Ende der Wahlperiode unerledigt gebliebene Petitionen kann das Parlament deshalb nicht zu den A k t e n nehmen 2 6 6 oder pauschal der Regierung zur weiteren Behandlung überweisen, wie das unter früheren Verfassungen möglich w a r 2 6 7 . Seit das Petitionsrecht i n A r t . 17 GG als Grundrecht m i t Verfassungsrang ausgestattet ist, verpflichtet es nicht den Bundestag i n seiner jeweiligen personellen Zusammensetzung, sondern als Verfassungsorgan 2 6 8 . Es ist deshalb auch nicht primär auf die Ausübung von Befugnissen des konkreten Parlaments ausgerichtet; soweit dem Parlament i m Zusammenhang m i t einer bei i h m eingebrachten Petition eigene Befugnisse zustehen, lassen sie sich nur als Annexrecht aus A r t . 17 GG begründen 2 6 9 . Adressat ist allein die Volksvertretung als unwandelbare, von der Verfassung vorgeschriebene Vertretungskörperschaft; w i r d die eine Organwalterschaft der Institution aus zeitlichen Gründen gehindert, den Petenten zu bescheiden, hat sie seine Eingabe an den Bundestag der nächsten Wahlperiode weiterzugeben, wo sie weiterzubehandeln ist 2 7 0 . Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der sachlichen Diskontinuität nennt § 126 Satz 2 GO B T m i t den „Vorlagen, die keiner Beschlußfassung bedürfen". Diese früheren Geschäftsordnungen imbekannte und erst durch die Fassung der Bekanntmachung vom 22. M a i 1970 eingeführte len." Α . M. n u r Koch (Anm. 261), gegen i h n aber auch zwei interne Stellungnahmen der Wissenschaftlichen A b t e i l u n g des Bundestages v o m 8. Oktober 1957 — Dok. 171/57, Blischke — u n d 2. Dezember 1957 — Dok. 181/57, H o l t kotten. 264 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 17 Rdnr. 59; A r t . 39 Rdnr. 16 Fn. 1; Ritzel/Koch (Anm. 154) § 126 A n m . 2; Bahlmann (Anm. 160) S. 190; Maassen (Anm. 9) S. 70; Schäfer (Anm. 22) S. 85; Trossmann (Anm. 81) S. 203, 248; Beiz (Anm. 11) S. 62; Achterberg (Anm. 148) S. 29; Versteyl (Anm. 140) S. 165; Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 693. 265 Vgl. BVerfGE 2, S. 230. 2ββ Trossmann (Anm. 81) S. 248. 287 Vgl. oben § 9. Z u den i n diesem Zusammenhang v o n Beiz (Anm. 11) S. 63 Fn. 74 gegen die Bestimmungen der Geschäftsordnungen einiger Länderparlamente erhobenen V o r w ü r f e vgl. unten § 27. ses Dagtoglou i n : Bonner Kommentar, A r t . 17 Rdnr. 121 (Zweitbearbeitung); Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 10) A r t . 17 Rdnr. 17; von Mangoldtl Klein (Anm. 17) A r t . 17 A n m . I V 2. 299

S. 70. 270

Maunz/Dürig/Herzog

(Anm. 10) A r t . 17 Rdnr. 70 ff.; Maassen (Anm. 9)

Z u m Verfahren vgl. §§ 112,113 GO B T .

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Formulierung hatte einen Vorläufer i n einem Beschluß des Ältestenrates vom 19. A p r i l 1966, der sich klarstellend dahin geeinigt hatte, daß „Mitglieder des Bundestages, mindestens i n einer Zahl, die einer Fraktionsstärke entspricht", verlangen können, „daß Vorlagen der Bundesregierung und des Bundesrats, die dem vorangegangenen Bundestag zugeleitet, aber noch nicht erledigt worden sind, i n der neuen Wahlperiode behandelt werden", falls es sich nicht u m Gesetzentwürfe, Verordnungen, die der Zustimmung des Bundestages bedürfen, oder Ersuchen i n I m munitäts- und ähnlichen Angelegenheiten handelt 2 7 1 . Die jetzt i n die Geschäftsordnung aufgenommene Fassung führt das Antragserfordernis nicht mehr ausdrücklich auf. Die innere Rechtfertigung dafür, daß Vorlagen, die keiner Beschlußfassung bedürfen, nicht dem Diskontinuitätsprinzip unterliegen 2 7 2 , ist darin zu sehen, daß wegen des Fehlens jeder Möglichkeit materieller Entscheidung m i t Bindungswirkung i n diesen Fällen ein Vorgriff auf die Handlungsfreiheit des neuen Bundestages nicht denkbar ist 2 7 3 . Auch ohne besonderes Verfahren t r i t t hier eine Ausnahme vom Grundsatz der Diskontinuität ein. Unter diese Ausnahme fallen außer Vorlagen der Bundesregierung zur Unterrichtung des Bundestages nach A r t . 2 des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 27. J u l i 1957274 v o r allem Berichte der Bundesregierung, aber auch des Wehrbeauftragten an den Bundestag, gleichgültig, ob sie auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen zu erstatten sind oder auf einen ausdrücklichen Beschluß des Parlaments zurückgehen 275 . Berichte dieser A r t , die der Bundestag grundsätzlich nur zur Kenntnis nimmt, zwar auch einem Ausschuß überweisen kann, darüber aber nicht abzustimmen braucht, sind, wenn sie am Ende der Wahlperiode schon zugegangen sind, der Bundestag sich m i t ihnen aber noch nicht befaßt hat, damit nicht i n dem Sinne erledigt, daß ein neugewählter Bundestag sie nicht wieder aufgreifen könnte. Vielmehr kann sich auch dieser Bundestag wieder damit beschäftigen, denn die Bundesregierung hat m i t der Vorlage, zumal wenn sie frist271 Vgl. den W o r t l a u t bei Schäfer (Anm. 22) S. 86; auch die vorangegangene Debatte i m Geschäftsordnungsausschuß, 3. Stzg. v o m 4. März 1966, Protokoll G 3. 272 Gegen diese Ausnahme von Mangoldt/Klein (Anm. 17) A r t . 39 A n m . I I I 5 b. 273 Ä h n l i c h Schäfer (Anm. 22) S. 85; Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 693. Trossmann (Anm. 81) S. 249 stellt dagegen stärker auf die „historische E n t w i c k l u n g des Grundsatzes der D i s k o n t i n u i t ä t " ab. 274 BGBl. I I , S. 753; vgl. auch Trossmann (Anm. 81) S. 250; Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 693. 275 Schäfer (Anm. 22) S. 85; Trossmann (Anm. 81) S. 249 f.; Lechner/Hülshoff (Anm. 160) § 126 A n m . 2; Hömig!Stoltenberg (Anm. 21) S. 693.

§ 26 Sachliche Diskontinuität

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gebunden erfolgen sollte und auch erfolgt ist, ihre Pflicht erfüllt und ist nicht zu einer erneuten Einbringung verpflichtet 2 7 6 . Technisch w i r d das dadurch erleichtert, daß zum Teil der alte, beim Bundestag bereits eingebrachte Bericht erneut m i t einer neuen Drucksachennummer gedruckt und verteilt, zum Teil einer neuen Vorlage als Anlage beigefügt oder lediglich auf i h n verwiesen w i r d 2 7 7 . Hatte schon eine Ausschußüberweisung stattgefunden, ist der Bericht jedoch damit nicht unmittelbar beim Ausschuß anhängig, sondern muß diesem neu zugeleitet werden, weil derartige Überweisungen m i t dem Ende der Wahlperiode hinfällig geworden sind 2 7 8 . Von ähnlichen Voraussetzungen ist auszugehen, wenn ein Bericht bei Beendigung der Wahlperiode noch nicht vorgelegt worden ist, weil er noch nicht oder obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits fällig war. § 126 Satz 2 GO B T gibt dazu allerdings nichts her. Bei gesetzlich festgelegten Berichtspflichten, mag es sich u m einen einmaligen oder einen periodisch wiederkehrenden Bericht handeln, folgt die Verpflichtung zur Vorlage i n der neuen Wahlperiode bereits aus der jeweils i n Betracht kommenden Hechtsnorm 279 . Anders w i r d auch nicht zu urteilen sein, wenn der Bundestag etwa i m Zusammenhang m i t der Verabschiedung eines Gesetzes die Bundesregierung i n einer Entschließung aufgefordert hat, nach einer gewissen Zeit über die Erfahrungen mit diesem Gesetz zu berichten. Fraglich ist die Verpflichtimg aber für den Fall, daß ein schlichter Parlamentsbeschluß nicht bereits von seiner Anlage her ein Tätigwerden der Bundesregierung ohne Rücksicht auf seine konkret-personelle Zusammensetzung fordert. Dann fehlt es grundsätzlich an einer rechtlich bindenden Grundlage, und der Vergleich m i t den Kontrollinstrumenten des Fragerechts drängt sich auf 2 8 0 . Der Grundsatz der Diskontinuität der Arbeiten des Bundestages ist aber auch hier nicht so zu verstehen, daß er organextern ein Tätigwerden der Bundesregierung verbietet; vielmehr bleibt es i h r unbenommen, entsprechenden Ersuchen gleichwohl nachzukommen, wie es i n einer Vielzahl von Fällen geschehen ist 2 8 1 . 276 277 278 279

S. 86.

Trossmann (Anm. 81) S. 249. Schäfer (Anm. 22) S. 86 u n d Protokoll GO-Ausschuß (Anm. 271) S. 4. Schäfer (Anm. 22) S. 86; Trossmann (Anm. 81) S. 249. Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 694; ähnlich bereits Schäfer (Anm. 22)

280 So auch Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 694. Ähnlich, w e n n auch nicht so differenziert, w o h l Schäfer (Anm. 22) S. 86, der sich f ü r das allgemeine Behandlungsrecht des neugewählten Bundestages hinsichtlich jeder F o r m v o n Berichten darauf beruft, daß darüber i m Bundestag „Ubereinstimmung" herrsche; skeptisch dazu Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 694 Fn. 51. 281 Hömig/Stoltenberg (Anm. 21) S. 694; vgl. dort Fn. 52 auch Beispiele aus der Vergangenheit. Z u weitgehend allerdings der Präsident des Bundesrechnungshofes i n seinem Bericht an den Bundestag v o m 4. März 1966, BT-Drs. V/417: durch Entschließung v o m 14. Oktober 1959 — BT-Drs. III/1129 — w a r

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz § 27 Der Grundsatz der Diskontinuität in den Volksvertretungen der Länder

Die vorstehend herausgearbeiteten Erscheinungsformen und Anwendungsfälle des Diskontinuitätsprinzips finden sich i n gleicher Form bei den Vertretungskörperschaften auf Landesebene, den Landtagen, Bürgerschaften der Hansestädte und dem Abgeordnetenhaus von Berlin. A b weichungen kommen nur i n geringem Umfang vor u n d gehen meist auf spezifische historische Traditionen zurück. I m ganzen weisen die Länderverfassungen und i n ihnen die Bestimmungen über Stellung und A u f gabe der Volksvertretung eine weitgehende Übereinstimmung auf, obwohl sie zum Teil vor der Schaffung des Grundgesetzes entstanden sind und A r t . 28 Abs. 1 GG von seinem Inhalt her nicht m i t der strengen Homogenitätsklausel des A r t . 17 W R V 2 8 2 zu vergleichen ist. Alle Landesverfassungen bekennen sich zur Volkssouveränität, alle sehen aber auch die Ausübimg dieser Volkssouveränität durch Wahlen und Abstimmungen vor. Damit liegt i n den Ländern das Schwergewicht ebenfalls bei der repräsentativen Demokratie, wenngleich nicht übersehen werden darf, daß i n stärkerem Maße als auf Bundesebene plebiszitäre Elemente vertreten sind. Indem jedoch die Ausübung der wesentlichen Funktionen der Staatsgewalt, nämlich die Bestellung und Kontrolle der Exekutive sowie 'die Gesetzgebung der Volksvertretung anvertraut ist, und das V o l k n u r korrigierend und ergänzend darauf Einfluß nehmen kann, stehen die Parlamente i m Mittelpunkt der Staatswillensbildung auch der Länder. Für sie muß deshalb das Gleiche gelten wie für den Bundestag: anvertraute und verantwortliche Herrschaft, wie sie die demokratische Ordnung des Grundgesetzes voraussetzt, bedarf der i n regelmäßigen Zeitabständen erneuerten Legitimation 2 8 3 . Auch die Volksvertretungen der Länder werden deshalb nur auf Zeit gewählt, und zwar i m Wege der periodischen Gesamterneuerung. Die Wahlperiode beträgt dabei überwiegend vier Jahre; Ausnahmen bilden das Saarland und Nordrhein-Westfalen, deren Verfassung eine fünfjährige Wahlperiode kennt. er aufgefordert worden, j ä h r l i c h zum Ende des Rechnungsjahres dem B u n destag zu berichten, i n w i e w e i t die Bundesregierung Aufgaben an das Bundesverwaltungsamt abgeben u n d Bundesdienststellen m i t dem Bundesverwaltungsamt vereinigen k a n n ; nachdem er zuletzt unter dem 16. März 1965 — BT-Drs. IV/3231 — berichtet hatte, regte er i n dem zitierten letzten Bericht an, „ i n Z u k u n f t i m Interesse der Einsparung v o n Verwaltungsarbeit auf eine jährliche Berichterstattung zu verzichten; dazu w ü r d e es einer formellen A u f hebung der Entschließung des Deutschen Bundestages v o m 14. Oktober 1959 nach dem parlamentsrechtlichen Grundsatz der Diskontinuität nicht bedürfen". 282 Vgl. oben § 23. 283 Hesse (Anm. 13) S. 216; vgl. auch BVerfGE 18, S. 154.

§ 27 Nach den Landesverfassungen

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I m Saarland geht diese Regelung bereits auf die Nachkriegszeit zurück. Die nach Weisimg des französischen Außenministers vom Februar 1947 i m M a i 1947 eingesetzte Verfassungskommission, auf deren Arbeiten die französischen Militärbehörden starken Einfluß nahmen, veröffentlichte i m September 1947 einen Verfassungsentwurf, der von einer ebenfalls auf französische Anordnung gewählten Gesetzgebenden Versammlung geprüft werden sollte; nach Annahme der Verfassung sollte diese am 5. Oktober 1947 gewählte Gesetzgebende Versammlung als Landtag für die Dauer von fünf Jahren weiter i m A m t bleiben 2 8 4 . A r t . 69 der durch Erklärung des französischen Oberkommandierenden i n Deutschland endgültig ratifizierten Verfassung 285 sah eine komplizierte Form der Teilerneuerung vor, die unterschiedliche Interpretationen ermöglichte, zumal die Einzelausgestaltung einem noch zu erlassenden Wahlgesetz vorbehalten blieb. Ausgangspunkt w a r nach dem Vorbild französischer Konstitutionen und Konstitutionsentwürfe aus der Zeit u m 1795285a die Entscheidung f ü r einen „ewigen Landtag", wie er i n den Hansestädten 286 und Belgien 2 8 7 bis i n die Zeit nach 1918 bekannt gewesen war. Für den einzelnen Abgeordneten sollte eine Wahlperiode von sechs Jahren gelten 2 8 8 , die Erneuerung der Legitimation des Gesamtparlaments nach einem „Uberlappungssystem" erfolgen 2 8 8 3 . Unklar blieb, ob 1952 bereits alle Abgeordneten zum Landtag, jedoch m i t drei unterschiedlichen Mandatszeiten von zwei, vier und sechs Jahren zu wählen waren, oder ob die vorgesehene Teilerneuerung aib 1952 m i t Wahlen i m Abstand von zwei Jahren für jeweils sechs Jahre bei den einzelnen Abgeordneten entsprechend den drei Bezirken zu beginnen hätten. Das A m t des Ministerpräsidenten w a r nach A r t . 89 ohnehin von der Wahlperiode des Landtags abgekoppelt und ab 1952 auf jeweils drei Jahre zeitlich beschränkt. Die Regelung wurde i n dieser Form nie wirksam. Die erste Wahlperiode vom 20. Dezember 1947 bis 22. Dezember 1952 währte zwar wie vorgesehen fünf Jahre. Bei ihrem Ablauf wurden jedoch sämtliche A b 284 Storbeck (Anm. 2) S. 299 f.; Enquete-Kommission Verfassungsreform, Die Dauer der Wahlperiode des Deutschen Bundestages, Kommissionsdrucksache Nr. 155, S. 3. 285 A B l . S. 1077. 285a Krause, Der Stimmengleichstand i m saarländischen Landtag u n d seine verfassungsrechtlichen Auswirkungen, i n : D Ö V 1975, S. 402 u n d Fn. 18. 286 Vgl. oben §§ 10, 23. 287 Vgl. oben §§ 17, 23. 288 Schranil, Verfassung des Saarlandes, A r t . 69 A n m . 4. Vgl. auch Knies, Überlebt die Regierung Röder das Parlament?, i n : F A Z v o m 27. M a i 1975, S. 8; ders., Diskontinuität des Parlaments — K o n t i n u i t ä t der Regierung?, i n JuS 1975, S. 424. 288a Knies (Anm. 288) S. 424.

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

geordneten neu gewählt, und eine der ersten Aufgaben des Landtags war die Änderung der Verfassimg durch Gesetz vom 10. A p r i l 1953 289 , durch die i n A r t . 69 f ü r den Landtag eine Wahlperiode von fünf Jahren eingeführt und die Befristung der Amtszeit des Ministerpräsidenten i n A r t . 89 aufgehoben wurde. I n der Folge wechselte die tatsächliche Dauer i m Zuge der Auseinandersetzungen u m das Saarstatut, des Abschlusses der Saarverträge, der Ubergangsregelung und der schließlichen Eingliederung i n die Bundesrepublik von drei Jahren für die zweite Wahlperiode über fünf Jahre für die dritte und vier für die vierte zu wiederum fünf Jahren seit der fünften Wahlperiode. I n Nordrhein-Westfalen wurde die ursprünglich vierjährige Wahlperiode i n A r t . 34 Satz 1 der Verfassung nach einem erfolglosen Anlauf i m Jahre 1963 durch Änderungsgesetz vom 16. J u n i 1969 290 auf fünf Jahre verlängert. Wirksam wurde diese Regelung jedoch erst für den folgenden Landtag 2 9 1 . Z u r Begründung für die Verlängerung berief man sich darauf, „daß ein großer Teil des ersten Jahres der Wahlperiode nicht für die Aufgabenerfüllung des Parlaments voll genutzt werden kann, sondern als Anlaufzeit benötigt w i r d " , ferner, „daß nach dem parlamentsrechtlichen Grundsatz der Diskontinuität der Volksvertretungen der neu gewählte Landtag m i t allen Beratungen von vorne anfangen muß"; „eine vergleichbare Behinderung der Arbeit des Parlaments ergibt sich erfahrungsgemäß i m letzten Jahr der Wahlperiode", da dieses „mehr oder weniger schon i m Schatten der bevorstehenden Wahlkampfauseinandersetzungen steht. Somit bleiben i m wesentlichen nur zwei Jahre für ungeschmälert sachliche Arbeit". Die Dauer von fünf Jahren wurde unter Hinweis auf den Reichstag der Kaiserzeit, das Preußische Abgeordnetenhaus, das Saarland sowie England und Italien als „brauchbarste Bemessung" bezeichnet 292 . Die Wahlperiode beginnt auch i n den Ländern, soweit nichts anderes, wie ζ. B. i n A r t . 30 Abs. 1 Satz 2 der baden-württembergischen Verfas289 A B l . S. 290. Z u r politischen Geschichte vgl. Storbeck (Anm. 2) S. 301, w o auch die Dauer der Wahlperioden exakt angeführt ist, S. 303 ff. 290 GVB1. S. 530. 291 Die einzige echte Verlängerung der eigenen Wahlperiode, die nicht durch äußere Umstände, w i e ζ. B. Kriege, erzwungen war, erfolgte 1930 durch den hessischen Landtag; als G r u n d w u r d e seinerzeit angegeben, der Landtag benötige mehr Zeit, u m sein Arbeitsprogramm bewältigen zu können. I n t e r essanterweise geschah das unter der einzigen Verfassung, die den Grundsatz der Diskontinuität i n i h r e n W o r t l a u t aufgenommen hatte. Z u r Zulässigkeit eines solchen Vorgehens vgl. oben § 24; allgemein zur Verlängerung von Wahlperioden auch Achterberg (Anm. 17) S. 27. I n H a m b u r g ist die W a h l periode f ü r die folgende Bürgerschaft durch Gesetz v o m 3. J u l i 1961, GVB1. S. 232, einmalig auf v i e r Jahre u n d v i e r Monate verlängert worden. 292 L T - D r s . V/234, S. 3 u n d 4; vgl. auch Kommissions-Drs. Nr. 155 (Anm. 284) S. 4.

§ 27 Nach den Landesverfassungen

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sung, vorgesehen ist, m i t dem Tag des ersten Zusammentritts der gewählten Volksvertretung 2 9 3 . Beendigungsgrund des Parlaments als Organ und konstituierte Einheit, nicht als verfassungsrechtlich vorgesehene Institution ist nach den Landesverfassungen wie auf Bundesebene der Ablauf der Wahlperiode oder die vorzeitige Auflösung. Anders als das Grundgesetz sind die meisten Landesverfassungen i n bezug auf die A u f lösung jedoch weniger zurückhaltend. Der Form nach gibt es die Selbstauflösung durch Parlamentsbeschluß sowie die Fremdauflösung als Folge verfassungsrechtlich festgelegter Tatbestände oder durch Anordnung des Ministerpräsidenten oder der Regierung; Auflösungsgründe sind ein entsprechender Beschluß einer qualifizierten Mehrheit des Parlaments oder ein erfolgreiches Volksbegehren, die Überschreitung der Frist zur Regierungsbildung oder zur Neuwahl des Ministerpräsidenten, die Verweigerung des Vertrauens gegenüber der Regierung oder dem Ministerpräsidenten, nach einigen Landesverfassungen auch die Annahme eines vom Landtag abgelehnten Gesetzes durch Volksentscheid 294 . Neben der Wahlperiode als Legitimations- und Wirkungseinheit kennen auch die Volksvertretungen der Länder keine weiteren Periodizitäten. Wo i n einigen Landesverfassungen noch Tagungen oder Sitzungen 2 9 5 vorgesehen sind, handelt es sich dabei nicht um eigene geschlossene Handlungsabschnitte, sondern u m eine rein praktische Regelung, die deutlich machen soll, daß der Landtag nicht während seiner ganzen Wahlperiode versammelt ist 2 9 6 , wegen des Selbstversammlungsrechts der Parlamente aber rechtlich ins Leere geht 2 9 7 , w e i l ζ. B. i n Bayern nach 293 Achterberg (Anm. 17) S. 27; vgl. auch Drexelius/Weber, Die Verfassung der Freien u n d Hansestadt Hamburg, A r t . 10 A n m . 1; Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 5, A r t . 82 A n m . 3; Geller/Kleinrahm/Fleck, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, A r t . 34 A n m . 2 a; u n d A r t . 10 Abs. 1 Satz 2 S - H Landessatzung. F ü r einen Beginn m i t dem Wahltag vgl. außer der genannten Regelung i n Baden-Württemberg Meder, Handkommentar zur Verfassung des Freistaates Bayern, A r t . 16 Rdnr. 1; Süsterhenn/Schäfer, Kommentar der V e r fassung f ü r Rheinland-Pfalz, A r t . 83 A n m . 2. 294 Vgl. A r t . 43, 47 B - W Verf; A r t . 18, 44 Abs. 5 BayVerf; A r t . 39 Abs. 1 B e r i Verf; A r t . 11, 36 HbgVerf; A r t . 80, 114 Abs. 5 HessVerf; A r t . 7, 21 N d s L V ; A r t . 35, 68 Abs. 3 N - W V e r f ; A r t . 84, 99 Abs. 5, 109 R h l d - P f V e r f ; A r t . 71 SaarlVerf ; A r t . 31 S - H LS. Vgl. auch Achterberg (Anm. 17) S. 28. 295 Vgl. z. B. A r t . 17 BayVerf; A r t . 37 N - W V e r f ; A r t . 83 HessVerf. Soweit A r t . 70 SaarlVerf i n seiner ursprünglichen Fassung ein kompliziertes System von ordentlichen, zusätzlichen u n d außerordentlichen Tagungen v o n bestimmter u n d unbestimmter Dauer vorsah — vgl. Schranil (Anm. 288) A r t . 70 A n m . 3 —, f ü r die dann auch Geltung des Grundsatzes der Diskontinuität angenommen werden müßte, ist dieser T e i l inzwischen durch ein Bekenntnis zum Selbstversammlungsrecht des Landtags ersetzt, w i e es auch andere Landesverfassungen kennen. 29e Hoegner, Lehrbuch des Bayerischen Verfassungsrechts, S. 50; Meder (Anm. 293) A r t . 17 Rdnr. 3. 297 So f ü r Nordrhein-Westfalen Vogels, Die Verfassung f ü r das L a n d N o r d rhein-Westfalen, A r t . 37 A n m . 2.

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

A r t . 17 Abs. 3 der Verfassung der Landtag den Schluß der Tagung und den Zeitpunkt des Wiederzusammentritts bestimmt. Soweit der Z w i schenausschuß nach A r t . 26 der bayerischen Verfassung auch i n der Zeit zwischen einzelnen Tagungen einer Wahlperiode tätig werden kann 2 9 8 , wozu i n den Vertagungsbeschluß ausdrücklich ein entsprechender H i n weis aufzunehmen ist 2 9 9 , w i r d damit noch keine Verpflichtung begründet, mindestens einmal i m Jahr die Tagung und damit den Landtag förmlich zu schließen 300 . Auch die Unterscheidung i n ordentliche und außerordentliche Tagungen, wie sie ζ. B. i n A r t . 17 Abs. 1 der bayerischen Verfassung ebenfalls noch angelegt ist, bleibt sinnlos: der Landtagspräsident kann die „ordentliche Tagung" vor dem „Herbst" beginnen lassen; er muß den Landtag sogar früher einberufen, wenn es die Staatsregierung oder mindestens ein Drittel der Mitglieder des Landtags verlangt 3 0 1 . Faktisch gibt es deshalb bei den Vertretungskörperschaften der Länder nur eine einzige „Sitzungsperiode", die m i t dem ersten Zusammentritt des Landtags beginnt und bis zum Ende der Wahlperiode reicht. Vertagungen während dieser Zeit sind rechtlich wie tatsächlich bedeutungslos, führen jedenfalls nicht zu einer Zäsur i n Existenz und Arbeit des Landtags 3 0 2 . Entsprechend werden das Landtagspräsidium u n d die Landtagsausschüsse i n allen Ländern für die ganze Dauer der Wahlperiode gew ä h l t 3 0 3 , gelten die Abgeordnetenprivilegien ununterbrochen während der Mitgliedschaft zum Parlament. Soweit i n einzelnen Landtagsgeschäftsordnungen Bestimmungen enthalten waren, die hinsichtlich der Sacharbeit von einer Diskontinuität der Sitzungsperiode ausgingen 304 , ist die Anwendung gegenstandslos geblieben, weil die Sitzungen nie geschlossen w u r d e n 3 0 5 ; die Geschäftsordnung wurde dem dann auch später angepaßt 306 . Es ist deshalb zu Recht von einer „Kontinuität der Tagungen i m Gegensatz zu der Diskontinuität der Legislaturperioden" gesprochen worden 3 0 7 . 298 Nawiasky/Leusser/Gerner/Schweiger/Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, A r t . 26 Rdnr. 3; Klemm (Anm. 41) S. 69. 299 Hoegner (Anm. 296) S. 50; Nawiasky/Leusser!Gerner/Schweiger/Zacher (Anm. 298) A r t . 17 Rdnr. 5; Klemm (Anm. 41) S. 69. 300 Klemm (Anm. 41) S. 69. 301 A r t . 17 Abs. 2 BayVerf ; Hoegner (Anm. 296) S. 50. 302 So Zinn/Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 1, A r t . 83 A n m . 4 für den hessischen Landtag; ähnlich Streng/Bim/Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden« Württemberg, A r t . 30 A n m . 4. 303 Vgl. f ü r Bayern schon Hoegner (Anm. 296) S. 51; f ü r Rheinland-Pfalz § 120 GO L T i. d. F. v o m 12. J u l i 1971. 304 So § 99 GO L T R h l d - P f i n der ursprünglichen Fassung; vgl. auch SüsterhenniSchäfer (Anm. 293) A r t . 83 A n m . 5. 305 Süsterhenn/Schäfer (Anm. 293) A r t . 83 A n m . 5, die unter Bezugnahme auf Jellinek davon sprechen, die Bestimmung des A r t . 83 Abs. 6 R h l d - P f V e r f scheine „totes Recht" zu bleiben. 306 Vgl. § 120 Abs. 1 GO L T R h l d - P f i. d. F. v o m 12. J u l i 1971.

§ 27 Nach den Landesverfassungen

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M i t dem Ende der Wahlperiode ist die Existenz der Landtage als politisches Organ i n ihrer konkreten personellen Zusammensetzimg beendet. Sie bestehen lediglich als verfassungsrechtliche Institution fort; ihre Handlungsfähigkeit ist jedoch aufgehoben, bzw. auf die Funktionen reduziert, die die Landesverfassungen ausdrücklich aufführen 3 0 8 . Wie bisher i m Bund w i r d deshalb auch i n den Ländern die Bedeutung der Wahlperiode der Volksvertretung als der fundamentale Trennschnitt nicht dadurch verringert, daß i n den Verfassungen Vorkehrungen dafür getroffen werden, die „parlamentslose Zeit" von der Stellung der Vertretungskörperschaft i m Staatsgefüge her möglichst wenig spürbar zu machen. Bestimmungen über die Fortführung der Geschäfte durch den Landtagspräsidenten und seine Stellvertreter 3 0 9 sowie die fast allen Verfassungen bekannte Institution des Ständigen, Haupt- oder Zwischenausschusses310 wollen nur die staatsrechtlichen, organexternen Folgen des Einschnitts mindern. Das gilt auch dort, wo wie nach A r t . 12 Abs. 2 der hamburgischen Verfassung die gesamte Bürgerschaft die Geschäfte bis zur ersten Sitzung der neugewählten Volksvertretung fortführt 3 1 1 . Die Mandate der gewählten Abgeordneten und die daraus fließenden Schutzrechte sind auch hier m i t dem Ende der Wahlperiode erloschen; die besondere Privilegierung der bestimmte Funktionen fortführenden verfassungsrechtlichen Institutionen folgt aus deren besonderem Verfassungsauftrag und ist außerdem jeweils von der Verfassung vorgesehen 312 . Entsprechend w i r d die Fortdauer von Funktionen von Landtagsabgeordneten außerhalb des Parlaments geregelt 313 . Alle übrigen Aufgaben können dagegen nicht mehr wahrgenommen werden, da die Volksvertretung als konstituierte Einheit und m i t i h r die von ihr zur Bewältigung geschaffenen Einrichtungen fortgefallen sind 3 1 4 . Bei Beginn der neuen Wahlperiode müssen sie erst neu geschaffen werden 3 1 5 . 307

Nawiasky/Leusser/Gerner/Schweiger/Zacher (Anm. 298) A r t . 17 Rdnr. 5; vgl. auch Geller!Kleinrahm/Fleck (Anm. 293) A r t . 34 A n m . 4, A r t . 36 A n m . 2. 308 So f ü r Hessen Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 a. 309 Vgl. z. B. A r t . 32 BayVerf; A r t . 85 HessVerf; Zinn/Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 a, A r t . 85 A n m . 2; A r t . 40 N - W - V e r f ; A r t . 85 Abs. 2 Satz 2 Rhld-PfVerf, SüsterhennfSchäfer (Anm. 293) A r t . 83 A n m . 5. 310 Vgl. z. B. A r t . 26 BayVerf, Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3, A r t . 26, Klemm (Anm. 41) S. 35 ff.; A r t . 93 HessVerf, Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 a, A r t . 93 A n m . ; A r t . 40 N - W V e r f , Geller/Kleinrahm/Fleck (Anm. 293) A r t . 34 A n m . 4, A r t . 40. S11 Vgl. Drexelius/Weber (Anm. 293) A r t . 10 A n m . 1, A r t . 12 A n m . 312 So ausdrücklich auch noch einmal i n § 120 Abs. 2 GO L T R h l d - P f : „Das Ende der Wahlperiode oder die Auflösung des Landtags beendet auch die Tätigkeit seiner Ausschüsse. Die Tätigkeit des Zwischenausschusses endet m i t dem Zusammentritt des neuen Landtages." 313 Vgl. z. B. § 4 Abs. 4 V G H G zur Fortdauer des Amtes der zu nicht berufsmäßigen Mitgliedern des bayerischen Verfassungsgerichtshofes gewählten Abgeordneten; auch Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3 a.

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III. 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

Dieser personellen -und organisatorischen Diskontinuität als Folge der Beendigimg der Wahlperiode entspricht auch bei den Landtagen eine sachliche Diskontinuität. Ausdruck hat sie wie beim Bund allenfalls lediglich i n den jeweiligen Geschäftsordnungen der Landtage gefunden 3 1 6 ; einzelne schweigen sich, w i e die des bayerischen Landtags, sogar dazu aus oder regeln, wie die der hamburgischen Bürgerschaft, nur Ausnahmen 3 1 7 . V o m Inhalt her decken sich diese Bestimmungen m i t dem Wortlaut von § 126 GO BT: m i t Beendigung der Wahlperiode gelten alle Gegenstände parlamentarischer Arbeit als erledigt; teilweise werden neben Vorlagen und Anträgen auch die Anfragen ausdrücklich genannt 3 1 8 , zum Teil unter Aufführung der Großen und Kleinen Anfragen 3 1 9 oder sogar der Großen, Kleinen u n d Mündlichen Anfragen 3 2 0 . Aber auch dort, wo keine ausdrückliche Regelung getroffen ist, gilt der Grundsatz der Diskontinuität, d. h. werden bei Ende der Wahlperiode die beim Parlament eingebrachten, dort aber noch nicht abschließend behandelten Beratungsgegenstände hinfällig und nicht automatisch auf den neuen Landtag übernommen 3 2 1 ; sollen sie den neugewählten Landtag wieder beschäftigen, müssen sie auch hier erneut formgerecht eingebracht werden. Eine teilweise Ausnahme gilt, wie bereits i n der Weimarer Zeit 3 2 2 , für das hamburgische Staatsrecht. Initiativanträge aus der Bürgerschaft auf Erlaß eines Gesetzes, Auskunftsersuchen an den Senat, bisherige Bera314 So Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 a. sis F ü r die Übernahme der Geschäftsordnung vgl. z . B . § 154 GO Bay L T : „Der Landtag stellt i n seiner konstituierenden Sitzung jeweils fest, ob u n d i n welchem Umfang die Geschäftsordnung der vorausgegangenen Legislaturperiode übernommen w i r d " . Diese Bestimmung k a n n nicht k o n s t i t u t i v sein, w e i l die jeweilige Geschäftsordnung als eigene Verfassungs- u n d Verfahrensordnung n u r das Parlament bindet, das sie beschlossen hat. Sie weist aber auf die durch die Diskontinuität begrenzte Geltungsdauer der Geschäftsordnung h i n u n d zeigt zugleich den Weg auf, w i e ohne große Mühe der zügige Neubeginn der A r b e i t e n gesichert werden kann. Insoweit stellt der Satz n u r eine Anregung f ü r den nächsten Landtag dar. 316 § 51 GO L T B - W i. d. F. v o m 19. A p r i l 1972; § 92 GO B e r l A b g H v o m 22. Januar 1971; § 74 GO BremBgsch i.d.F. v o m 26. J u n i 1974 (GBl. S. 269); § 95 GO HessLT v o m 31. Januar 1973 (GVB1. I S. 63); § 102 GO N d s L T v o m 8. J u l i 1970; § 116 GO N - W L T v o m 4. A p r i l 1974; § 120 GO L T R h l d - P f i . d . F . v o m 12. J u l i 1971; § 61 GO saarlLT v o m 20. J u n i 1973 (ABL S. 529); § 69 GO S - H L T i. d. F. v o m 28. A p r i l 1971 (GVOB1. S. 225). 317 Vgl. § 61 Abs. 4 GO HbgBgsch i. d. F. v o m 5. Oktober 1966; dazu unten. 318 § 92 GO B e r l A b g H ; § 74 GO BremBgsch; § 69 GO S - H L T . 319 § 51 GO B - W L T ; § 102 GO NdsLT. 320 § 95 Abs. 1 GO HessLT; § 120 Abs. 1 GO R h l d - P f L T . 321 F ü r Bayern vgl. Hoegner (Anm. 296) S. 51; Nawiasky/Leusser/Gerner/ Schweigerl Zacher (Anm. 298) A r t . 16 Rdnr. 2; Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3 b ; f ü r H a m b u r g vgl. Drexelius/Weber (Anm. 293) A r t . 10 A n m . 2. 322 Vgl. oben § 23.

§ 27 Nach den Landesverfassungen

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tungen der Bürgerschaft gehen zwar m i t dem Ende der Wahlperiode unter; Gesetzanträge des Senats an die Bürgerschaft hingegen bleiben nach ständiger hamburgischer Staatspraxis bestehen und werden anders als i m Bundestag und den übrigen Landtagen nicht erneut bei einer neuen Bürgerschaft eingebracht 323 . Als rechtfertigender Grund dafür w i r d auch heute angeführt, daß der Senat nach A r t . 35 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg nicht m i t dem Ende einer Legislaturperiode seine Amtszeit beendet, sondern auf unbestimmte Zeit gew ä h l t 3 2 4 sei und erst zurücktreten müsse, wenn er durch konstruktives Mißtrauensvotum abgelöst werde 3 2 5 . Ähnliche Verfassungsbestimmungen gibt es jedoch auch i n Berlin, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und dem Saarland 3 2 6 . Während i n diesen Ländern die Geschäftsordnungen der Landtage sich aber ausdrücklich zu dem Grundsatz der Diskontinuität bekennen 327 , w i r d ein entsprechender Schluß nur für Hamburg gezogen. Es handelt sich somit auf den ersten Blick u m eine isolierte Erscheinung des hamburgischen Staatsrechts, die nur aus der eigenen Verfassungstradition zu erklären ist 3 2 8 . Die hamburgische Staats- bzw. Bürgerschaftspraxis scheint zudem eine weitere Ausnahme i n § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnimg der Bürgerschaft zu kennen, wo es heißt: „Sind von Ausschüssen der alten Bürgerschaft bestimmte Arbeiten nicht abgeschlossen, so kann die neue Bürgerschaft auf Vorschlag des Präsidenten oder des Ältestenrats bestimmen, daß sie von ihren Ausschüssen ohne Wiederholung der bisherigen Beratungen fortgeführt werden." Dem Sinn nach kann sich diese Bestimmung jedoch nur auf bereits früher eingebrachte Senatsvorlagen beziehen. Auch wenn sie nicht als untergegangen gelten und deshalb nicht erneut bei der Bürgerschaft eingebracht werden müssen, sind die Ausschüsse, denen sie überwiesen waren, doch als Folge der Organ-Diskontinuität fortgefallen u n d entsprechend m i t ihnen die bereits geleisteten Vorarbeiten. § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung der hamburgischen Bürgerschaft stellt deshalb lediglich die er323

Drexelius/Weber (Anm. 293) A r t . 10 A n m . 2. Drexelius/Weber (Anm. 293) A r t . 10 A n m . 2. 325 Z u den Bedenken gegen diese Interpretation des A r t . 35 vgl. Ipsen, Hamburgs Verfassung u n d Verwaltung, S. 290 ff. 326 Uhlitz, Die Amtszeit der Landesregierungen, i n : D Ö V 1956, S. 485 f. F ü r Schleswig-Holstein vgl. BVerfGE 27, S. 44 ff., u n d Häberle, „Landesbrauch" oder parlamentarisches Regierungssystem?, i n : J Z 1969, S. 613 ff.; f ü r das Saarland Knies, Überlebt die Regierung Röder das Parlament?, i n : F A Z v o m 27. M a i 1975, S. 8; ders. (Anm. 289) S. 420 ff.; Krause, Der Stimmengleichstand i m saarländischen Landtag u n d seine verfassungsrechtlichen Auswirkungen, i n : D Ö V 1975, S. 401 ff. 327 Vgl. A n m . 316. 328 Z u m Gesamtkomplex der Frage der Abhängigkeit v o n Parlament u n d Regierung i m parlamentarischen Regierungssystem, bei dem die Befristung der Legitimation des Parlaments auch auf die v o n i h m gewählte u n d von i h m abhängige Regierung durchschlagen muß, vgl. unten § 29. 324

20 Jekewitz

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I I I . 7. Kap. : Diskontinuität unter dem Grundgesetz

neute förmliche Ausschußüberweisung von Senatsvorlagen nach der Neukonstituierung zur Disposition, erspart also die erste Lesung; er ist aber nicht auf Initiativen aus der Mitte der Vertretungskörperschaft anwendbar 3 2 9 . Die Folge des Grundsatzes der Diskontinuität, daß i m Innern des Parlaments noch nicht abgeschlossene Arbeiten m i t Beendigung der Wahlperiode hinfällig werden, t r i f f t auch bei den Volksvertretungen der Länder i n erster Linie Gesetzentwürfe. Die jeweilige Landesregierung kann zwar vom Landtag beschlossene Gesetze auch noch nach Ende der Wahlperiode ausfertigen und verkünden 3 3 0 ; unerledigt sind diese aber nicht nur dann, wenn der förmliche Gesetzesbeschluß bei E i n t r i t t dieses Ereignisses noch nicht gefaßt ist, sondern auch, wenn nach dem Gesetzesbeschluß ein anderes Verfassungsorgan das Parlament zu einer erneuten Befassung m i t der Vorlage veranlassen kann. Verfahrensschritte dieser A r t kennt die bayerische Verfassung durch die Beteiligung des Senats; sie sind einigen Landesverfassungen aber auch durch Regelungen ähnlich dem A r t . 113 GG nicht fremd. Nach A r t . 41 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern hat der Landtag die von i h m beschlossenen Gesetze dem Senat vorzulegen. Dieser kann dagegen nach A r t . 41 Abs. 2 Satz 1 Einwendungen erheben, wofür i h m durch A r t . 41 Abs. 2 eine Frist von einer Woche gesetzt ist. Der Senat hat damit eine ähnliche Stellung wie der Bundesrat auf Bundesebene. Er ist aber noch weniger als dieser eine zweite Kammer; vielmehr soll er nach dem einmütigen W i l l e n des Verfassungsausschusses i n der Hauptsache eine beratende und begutachtende Tätigkeit entfalten 3 3 1 , wozu i h n seine Zusammensetzung prädestiniert 3 3 2 . Als oberstes Staatsorgan ist er bei der M i t w i r k u n g an der Gesetzgebung unselbständig, w e i l der Landtag frei darüber entscheidet, ob er den Einwendungen gegen ein vom Landtag beschlossenes Gesetz Rechnung tragen w i l l oder nicht 3 3 3 . Das Recht, Einwendungen zu erheben, ist deshalb kein Vetorecht i m eigentlichen Sinne 3 3 4 . Die Einwendungen haben nur aufschiebende W i r kung, zwingen den Landtag aber, nochmals Beschluß zu fassen. Dabei hat dieser sich nach A r t . 41 Abs. 2 Satz 3 auf die Entscheidung zu beschränken, ob er den Einwendungen ganz oder teilweise „Rechnung tragen w i l l " , ob also der Gesetzesbeschluß so, wie vom Senat vorgeschla329

So w o h l auch Dr exeliuslWeber (Anm. 293) A r t . 10 A n m . 2 a. E. So f ü r Bayern Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3 b ; f ü r Hessen Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 c. 331 Hoegner (Anm. 296) S. 74; zur Charakterisierung als zweite K a m m e r vgl. aber Goppel (Anm. 54) S. 193 ff. 332 A r t . 34 BayVerf ; vgl. auch Goppel (Anm. 54) S. 190 ff. 333 Hoegner (Anm. 296) S. 75. 134 Hoegner (Anm. 296) S. 81; Meder (Anm. 293) A r t . 41 Rdnr. 3. 330

§ 27 Nach den Landesverfassungen

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gen, geändert w i r d oder nicht 3 3 5 . Fällt i n diese Phase das Ende der Wahlperiode, ist kein Landtag mehr vorhanden, der über die Einwendungen des Senats beschließen könnte. Die Einwendungen können dann zwar noch dem Zwischenausschuß zugeleitet werden 3 3 6 ; darüber Beschluß fassen kann dieser jedoch nicht. Es fehlt ein handlungs- und beschlußfähiges Parlament, das von der Verfassung vorgesehene Verfahren abzuschließen, denn dem neugewählten Landtag ist durch den Grundsatz der Diskontinuität verwehrt, die Arbeiten seines Vorgängers fortzuführen 3 3 7 . Auch hier vermag sich also das Mitwirkungsrecht des Senats zu einem absoluten Veto auszugestalten 338 . Ähnlich ist es bei der Inanspruchnahme eines Vetorechtes durch die Regierung nicht nur bei finanz- u n d haushaltswirksamen Gesetzen, wo die Landesverfassungen entsprechende Regelungen enthalten. So sind nach A r t . 78 Abs. 5 der bayerischen Verfassung Beschlüsse des Landtags, welche die i m Entwurf des Haushaltsplans eingesetzten Ausgaben erhöhen, auf Verlangen der Staatsregierung noch einmal zu beraten; diese Beratung darf ohne Zustimmung der Staatsregierung nicht vor Ablauf von vierzehn Tagen stattfinden. Nach A r t . 82 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg bedürfen Beschlüsse des Landtags, welche die i m Haushaltsplan festgesetzten Ausgaben erhöhen, neue Ausgaben m i t sich bringen oder Einnahmeminderungen verursachen, der Zustimmung der Regierung, die i n diesen Fällen verlangen kann, daß der Landtag die Beschlußfassung aussetzt, dann aber innerhalb von sechs Wochen dem Landtag eine Stellungnahme zuleiten muß. I n Nordrhein-Westfalen müssen Beschlüsse des Landtags, welche Ausgaben m i t sich bringen, nach A r t . 84 der Landesverfassung lediglich bestimmen, wie diese Ausgaben gedeckt werden; die Landesregierung kann jedoch gemäß A r t . 67 innerhalb einer Zweiwochenfrist Bedenken nicht nur gegen ein solches Gesetz geltend machen. Gleiches gilt für Hessen, wo A r t . 119 der Verfassung der Regierung ein allgemei335

Meder (Anm. 293) A r t . 41 Rdnr. 3. Nawiasky /Leusser/GernerlSchweigerl Zacher (Anm. 298) A r t . 20 Rdnr. 2; Schweiger (Anm. 138) S. 162. 337 Schweiger (Anm. 138) S. 162 f. Ausgangspunkt f ü r Schweigers Untersuchung w a r die Verabschiedung des Gesetzes über die Bayerische Landesanstalt f ü r Aufbaufinanzierung i n der letzten Sitzung der ersten Wahlperiode des Landtages. Der Senat beschloß damals m i t Rücksicht auf diese Rechtslage, keine Einwendungen zu erheben, obwohl er i n verschiedenen P u n k t e n nicht einverstanden w a r ; gleichzeitig kündigte er deshalb an, i n der folgenden Wahlperiode des Landtags ein Änderungsgesetz i n i t i a t i v einzubringen. Diese H a l t u n g w u r d e i h m dadurch erleichtert, daß die Staatsregierung zusagte, i n der Zwischenzeit keine Maßnahmen zu treffen, die zu den v o m Senat gewünschten Änderungen i n Widerspruch stünden. I n diesem Zusammenhang w u r d e auch erstmals das B i l d v o n den „zwei Vätern eines Gesetzes" benutzt, das seither Schweiger zugeschrieben w i r d . 338 v g l . auch NawiaskylLeusserlGernerlSchweigerlZacher (Anm. 298) A r t . 16 Rdnr. 2, A r t . 41 Rdnr. 6; Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3 b ; Schweiger (Anm. 138) S. 163. 336

20*

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I I I . 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

nes Einspruchsrecht gegen vom Landtag beschlossene Gesetze gewährt. I n Hamburg verweist A r t . 69 der Verfassung bei finanzwirksamen Gesetzen der Bürgerschaft sogar ausdrücklich auf das Verfahren nach A r t . 49 Abs. 2 und A r t . 50, die gleichfalls ein suspensives Veto des Senats zum Inhalt haben. I n allen diesen Fällen ist das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen, wenn die Regierung von ihrem Recht Gebrauch macht; es hat eine neue, weitere Lesung stattzufinden, bei der i n Hessen und Hamburg dann sogar eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist 3 3 9 . Fällt i n die Zwischenzeit das Ende der Wahlperiode der Vertretungskörperschaft, ist kein Parlament mehr vorhanden, das den notwendigen Beschluß fassen könnte: das Gesetz ist auch hier als Folge des Grundsatzes der Diskontinuität gescheitert 340 . Wie auf Bundesebene hinsichtlich der Beteiligung des Bundesrates i m sogenannten „ersten Durchgang" 3 4 1 ist auch bei der M i t w i r k u n g des bayerischen Senats bei der Gesetzesinitiative, also i m Anlaufstadium des Gesetzgebungsverfahrens umstritten, ob die sachliche Diskontinuität des Landtags i n diesen Bereich ausstrahlt, d. h. organexterne Wirkungen entfaltet. Nach A r t . 71 der bayerischen Verfassung haben der Ministerpräsident namens der Staatsregierung, einzelne Abgeordnete des Landtags, der Senat und das Volk das Recht, Gesetzesvorlagen einzubringen. Zur Ausübung dieses Initiativrechts räumt A r t . 39 Satz 1 dem Senat zwei Möglichkeiten ein: er kann „Gesetzesvorlagen unmittelbar oder durch die Staatsregierung an den Landtag bringen". Z u m Unterschied vom Bundesrat ist er damit nicht verpflichtet, seine Initiative vorher der Exekutive zuzuleiten; t u t er es doch, hat diese nach A r t . 39 Satz 2 die „Vorlage ungesäumt dem Landtag vorzulegen". Wenn über die Behandlung des Entwurfs durch die Regierung damit auch nichts ausgesagt i s t 3 4 2 , ist doch davon auszugehen, daß sie zumindest i m zweiten Fall Gelegenheit haben muß, sich zur Vorlage des Senats zu äußern und eine Stellungnahme abzugeben 343 . Einfluß auf den weiteren Gesetzgebungsgang hat das jedoch nicht 3 4 4 . Ist eine derartige Senatsinitiative direkt oder über die Staatsregierung dem Landtag zugegangen, hat dieser aber bei Beendigung seiner Wahlperiode noch nicht endgültig dar339

Vgl. auch Achterberg (Anm. 17) S. 51, 55. So f ü r Bayern Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3 b ; f ü r Nordrhein-Westfalen Geller/Kleinrahm/Fleck (Anm. 293) A r t . 34 A n m . 4; f ü r Hessen Zinn! Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 c, die eine Rücknahme des Einspruchs bis zum Zusammentritt des neugewählten Landtags f ü r möglich halten, u m das Gesetz doch noch Zustandekommen zu lassen. 341 Vgl. oben § 26. 342 Z u r ursprünglich beabsichtigten Zielrichtung der Bestimmung vgl. Goppel (Anm. 54) S. 199. 343 Nawiasky iLeusserfGernerlSchweigerl Zacher (Anm. 298) A r t . 39 Rdnr. 4. 344 Goppel (Anm. 54) S. 200. 340

§ 27 Nach den Landesverfassungen

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über Beschluß gefaßt, unterliegt sie selbstverständlich der Diskontinuit ä t 3 4 5 . Ebenso selbstverständlich hat die Beendigung der Wahlperiode des Landtags keinen Einfluß auf das Verfahren i m Innern des Senats: er kennt wie die Staatsregierimg 346 keine eigene Diskontinuität 3 4 7 , hängt aber auch i n der eigenen internen Willensbildung nicht von der periodischen Erneuerung der Volksvertretung ab. Es bleibt ein Zwischenbereich, nämlich der Fall der vom Senat beschlossenen, der Staatsregierung zur Stellungnahme zugeleiteten, dort aber vom Ende der Wahlperiode überraschten Initiative. Hier w a r der Gesetzentwurf bereits ziel- und adressatgerichtet auf den Weg gebracht und damit gleichzeitig der Einflußsphäre des Senats entzogen. Würde die Staatsregierung i h n ohne erneute Beschlußfassung des Senats dem neugewählten Landtag vorlegen können, wäre der Senat jeder Möglichkeit „auf Berücksichtigung der politischen und rechtlichen Änderung der Verhältnisse" 3 4 8 beraubt. Der Weg, über Rücknahme der Initiative oder Nachschieben eines Änderungsantrages der veränderten Situation Rechnung zu tragen 3 4 9 , stellt keinen ausreichenden Ersatz dar. Wie auf Bundesebene ist das Gesetzgebungsverfahren nach der bayerischen Verfassung m i t der vorgesehenen Beteiligung des Senats als Einheit zu betrachten, das dann auch einheitlich als organexterne Folge der Diskontinuität des Parlaments zu wiederholen i s t 3 5 0 . Das gilt dann aber auch für die Parallele der gutachterlichen Äußerung des Senats zu Gesetzesvorlagen der Staatsregierung nach A r t . 40 der bayerischen Verfassung, insbesondere i n den obligatorischen Fällen des Satzes 2 3 ß l . Von dem Grundsatz der Diskontinuität unberührt bleiben dagegen während der zu Ende gegangenen Wahlperiode zustandegekommene Volksbegehren 352 , denn der dergestalt geäußerte Volkswillen auf Vorlegung eines bestimmten Gesetzentwurfs ist nicht an den Landtag i n seiner konkreten personellen Zusammensetzung gerichtet, sondern zielt auf die Verwirklichung des materiellen Gesetzgebungsvorhabens ohne Rücksicht auf die Organwalterschaft 353 . Hier w i r d das Volk als Träger der Staatsgewalt über die von i h m gewählte 345

So auch Goppel (Anm. 54) S. 210. Vgl. dazu oben § 24; aber auch unten § 29. 347 Nach A r t . 37 BayVerf scheidet alle zwei Jahre n u r ein D r i t t e l der M i t glieder des Senats aus, u m so seine Stellung als „ständiges Staatsorgan" zu akzentuieren; vgl. auch Goppel (Anm. 54) S. 209. 348 Schweiger (Anm. 138) S. 163. Α . M . ausdrücklich Goppel (Anm. 54) S. 210. 340 So Goppel (Anm. 54) S. 210 i n A n l e h n u n g an Schäfer (Anm. 47) S. 64. 350 Vgl. oben § 26. 351 Vgl. dazu Goppel (Anm. 54) S. 212. 352 Vgl. z. B. A r t . 71 BayVerf; A r t . 117 HessVerf; A r t . 33 Abs. 3 NdsVerf; A r t . 65 N - W V e r f . 353 Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 c; Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3 b. 346

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III. 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

und legitimierte Vertretungskörperschaft hinaus und an i h r vorbei tätig; die Befristung von deren Legitimation kann darauf keinen Einfluß haben. E i n auf einem Volksbegehren beruhender Gesetzentwurf ist daher auch einem neuen Landtag vorzulegen, gleichgültig, ob er den alten Landtag überhaupt noch nicht beschäftigt hatte oder dort schon anberaten worden war. Aus den gleichen Gründen spielt es für das Verfahren des Volksentscheids, wo dieses i n Länderverfassungen vorgesehen ist, keine Rolle, ob die Wahlperiode des Landtags während seiner Durchführung endet. Für Verfahren vor einem Staatsgerichtshof, an dem eine Volksvertretung oder eine antragsberechtigte Gruppe von deren Mitgliedern beteiligt ist, ist wie auf Bundesebene auch i n den Ländern hinsichtlich der Wirkung des Endes der Wahlperiode zu unterscheiden, ob es sich u m eine Organstreitigkeit oder eine abstrakte Normenkontrolle handelt. Das Erlöschen der Legitimation der Organwalterschaft beendet die konkrete Fähigkeit des gesamten Organs wie einzelner Träger, die Verletzung eigener Rechte gerichtlich geltend zu machen; sie fallen als Verfahrensbeteiligte fort, das Verfahren selbst w i r d dadurch unzulässig 354 . Anders ist es bei der abstrakten Normenkontrolle; diese zielt als objektives Verfahren auf die Uberprüfung der Vereinbarkeit bestimmter gesetzlicher Regelungen m i t der Verf assung und ist deshalb von der Person und der Rechtsstellung des Antragstellers unabhängig. Die Beendigung der Wahlperiode und damit der E i n t r i t t der Diskontinuität können darauf keinen Einfluß haben. Wie § 126 GO B T bestätigen auch die meisten Geschäftsordnungen der Volksvertretungen der Länder, soweit sie sich überhaupt m i t den Folgen der Diskontinuität ausdrücklich beschäftigen 3 * 5 , daß Petitionen davon ausgenommen sind. Die Formulierung ist dabei unterschiedlich. Sie reicht von der schlichten Feststellung, daß die sachliche Diskontinuität für sie nicht gelte 3 5 6 , bis zum Auftrag, daß noch vorliegende Eingaben vom neuen Landtag übernommen oder weiterbehandelt werden 3 5 7 . Wo frühere Geschäftsordnungen hier eine andere Regelung trafen 3 5 8 , ist dies 354 HessStGH i n : D Ö V 1968, S. 50 f., w o allerdings der Grundsatz der Disk o n t i n u i t ä t als solcher nicht zugrundegelegt w i r d . Die Entscheidung des BayVerfGH, V e r f G H E 20, S. 36 ff., m i t der der S P D - F r a k t i o n des b a y L T die A k t i v l e g i t i m a t i o n f ü r ein Verfahren zuerkannt wurde, das bereits i m v o r angegangenen L T eingeleitet worden w a r , erging i n einem Verfahren nach A r t . 75 Abs. 3 Bay Verf, das eher der abstrakten Normenkontrolle vergleichbar ist. 355 Vgl. oben A n m . 316. 356 § 102 GO N d s L T ; § 116 GO N - W L T ; § 120 Abs. 1 GO R h l d - P f L T . 357 § 51 GO B - W L T ; § 95 Abs. 2 GO HessLT; § 61 Satz 2 GO SaarlLT; § 69 Satz 2 GO S - H L T . 358 Vgl. noch Beiz (Anm. 11) S. 63 Fn. 74.

§ 27 Nach den Landesverfassungen

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inzwischen ausdrücklich geändert worden . Auch das Schweigen einzelner Landtagsgeschäftsordnungen 360 kann nicht als gewollte Ausnahme gewertet werden 3 6 1 : Petitionen und Eingaben sind an die Institution Parlament gerichtet und deshalb von der periodischen Erneuerung der Legitimation der Organträger m i t deren Folgen unabhängig. Zweifel können wie beim Bundestag 3 6 2 darüber bestehen, ob die sachliche Diskontinuität auch nicht erledigte Parlamentsbeschlüsse erfaßt, durch welche ein Landtag ζ. B. die Regierung zur Erstattung von Berichten aufgefordert hat. § 95 Abs. 3 der Geschäftsordnung des hessischen Landtags t r i f f t darüber eine eindeutige Aussage, indem er festlegt, daß „noch nicht erledigte Berichtsersuchen an die Landesregierung und Beschlüsse, zu denen ein Bericht der Landesregierung erwartet wird, . . . für die nächste Wahlperiode i n K r a f t " bleiben. Vor Aufnahme dieser Bestimmung i n die Geschäftsordnung ist der entsprechenden Auffassung entgegengehalten worden, eine der Praxis auf Bundesebene entsprechende Übung fehle i n Hessen. Eine rechtliche Verpflichtung der Landesregierung, dem neuen Landtag einen vom alten Landtag begehrten Bericht zu erstatten, bestehe nicht; ein solcher Beschluß sei ebenso wie andere auf Grund von Kleinen oder Großen Anfragen, Petitionen oder aus sonstigem Anlaß gefaßte einfache Landtagsbeschlüsse für die Landesregierung rechtlich nicht verbindlich. Da die parlamentarische K o n trolle des Landtags nur gegenüber der von i h m selbst eingesetzten Landesregierung sinnvoll sei, fielen die bei Beendigung der Wahlperiode noch nicht ausgeführten einfachen Landtagsbeschlüsse unter den Grundsatz der Diskontinuität 3 6 3 . Wie für den Bundestag kann diese Auffassung auch für die Landtage nur begrenzt Gültigkeit haben. Wo ein derartiger Beschluß i m Zusammenhang m i t einer gesetzgeberischen Handlung ergangen ist, indem ζ. B. über gewisse Erfahrungen nach einer gewissen Zeit berichtet werden soll, t r i f f t sie nicht zu; wo das Berichtsersuchen jedoch als Kontrollmaßnahme eines konkreten Parlaments gegenüber einer konkreten Regierimg gedacht ist, w i r d auch hier Diskontinuität eintreten 3 6 4 . § 95 Abs. 3 der Geschäftsordnung des hessischen Landtags 359 Vgl. ursprünglich § 120 Abs. 2 GO HessLT 1962, dann § 102 GO L T 1968 u n d jetzt § 95 Abs. 2 GO L T 1973; auch Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 c. F ü r das Berliner Abgeordnetenhaus vgl. den alten § 91 GO u n d jetzt § 92 GO. 3βο v g l . die Geschäftsordnung der hamburgischen u n d bremischen Bürgerschaft, des Abgeordnetenhauses v o n B e r l i n u n d des bayerischen Landtags. 361

So f ü r Bayern ausdrücklich Meder (Anm. 293) A r t . 16 Rdnr. 3 b. Vgl. oben § 26. 383 Zinn!Stein (Anm. 252) A r t . 79 A n m . 2 c. So f ü r Bayern schon früher ΝawiaskylLeusserlGernerlSchweigerlZacher (Anm. 298) A r t . 16 Rdnr. 2. 364 Die v o n NawiaskylLeusserlGernerlSchweigerlZacher (Anm. 298) A r t . 16 Rdnr. 12 angeführte, f ü r Bayern abgelehnte schleswig-holsteinische Praxis der Weitergeltung derartiger Beschlüsse hängt natürlich m i t dem besonderen V e r hältnis zwischen Regierung u n d Parlament zusammen; vgl. auch unten § 29. 362

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I I I . 7. Kap.: Diskontinuität unter dem Grundgesetz

kann insofern als Binnenrecht des Parlaments auch keine konstitutive K r a f t gegenüber der Regierung entfalten und diese rechtlich verpflichten; er ist letztlich als politische Aufforderung zu verstehen, deren Durchsetzung nicht sanktionsbewehrt ist, sondern nur m i t den allgemeinen politischen Kontrollmitteln erzwungen werden kann. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Grundsatz der Diskontinuität als Folge der Wahlperiode des Parlaments i n gleichem Umfange wie beim Bund i m Verfassungs- und Parlamentsrecht der Länder gilt. Ausnahmen bzw. Abweichungen wie i n Hamburg sind aus der ungebrochenen eigenen staatlichen Tradition zu erklären, die auch neue Verfassungsgebungen überdauert hat. Ob derartige Ausnahmen Verfassungsgewohnheitsrecht darstellen, oder ob der Grundsatz der Diskontinuität selbst lediglich Gewohnheitsrecht und dann m i t welchem Rang ist, das i n Hamburg nicht rezipiert bzw. entwickelt wurde, w i r d i m Folgenden zu untersuchen sein.

Achtes Kapitel

Politischer Gehalt und verfassungsrechtliche Zuordnung des Grundsatzes der Diskontinuität M i t der Darstellung des Inhalts, den der Grundsatz der Diskontinuität nach dem Staatsrecht u n d der Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder hat, ist, wie bereits mehrfach ausgeführt wurde, noch nichts über dessen Geltungsgrund gesagt. Von diesem Geltungsgrund hängt jedoch wiederum ab, welchem Rechtsbereich der Grundsatz i n der Rangordnung möglicher Rechtsquellen unter dem Grundgesetz zugerechnet werden muß. Danach beurteilt sich dann schließlich innere Rechtfertigung und rechtliche Realisierbarkeit von Überlegungen zur Schaffung institutioneller Möglichkeiten der Umgehung u n d Durchbrechimg m i t dem Ziel der Vermeidung seiner als negativ empfundenen Folgen. Politisches Wunschdenken wie pragmatisch-technokratische Zweckmäßigkeitserwägungen haben i n diesem Teil der Untersuchung außen vor zu bleiben. Das heißt nicht, daß der Versuch der verfassungsrechtlichen Zuordnung u n d Begründung eines Rechtssatzes politikfrei erfolgen müßte und könnte. Verfassungsrecht, insbesondere Verfassungsorganisationsrecht ist stets politisches Recht, bei dem die Grenzen der Wirksamkeit und Reichweite i m Gegeneinander der betroffenen bzw. unterworfenen Organe und Institutionen ausgelotet werden müssen. Das gilt ohne Einschränkung auch für den Grundsatz der Diskontinuität. Seine historische Entwicklung ist nicht denkbar ohne ein unerbittliches Ringen u m die staatliche Macht, ohne die ständige Auseinandersetzung u m Führungspositionen u n d Herrschaftsbeschränkungen. A m deutlichsten w i r d das bei der Entstehung der Urform der Diskontinuität i n England 1 ; derselbe Ansatz beherrschte aber auch die Zeit der konstitutionellen Monarchie i n Deutschland, i n der der Grundsatz der Diskontinuität seine eigentliche Ausprägung erhielt 2 . Der Rückgriff auf Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle und Rechtsform zur Umschreibung der rechtlichen Qualität des Phänomens Diskontinuität ist deshalb weniger Ausdruck dogmatischer Unsicherheit und Schwäche als der Versuch der 1 2

Vgl. oben § 4. Vgl. oben § 9.

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III. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung

Einkleidung politischer Sachverhalte i n juristische Begriffe bei ausgesprochen subjektiver Interessenlage. Das bereits mehrfach angeführte Wort Stahls von dem „allgemeinen europäischen Rechtsbewußtsein" und der „europäischen Gewöhnung" 3 , unter Berufung auf die dieser konservative Politiker i n der Mitte des 19. Jahrhunderts die „Permanenz" der erstarkenden Parlamente und damit ihre Einflußnahme auf immer größere Bereiche der Politik verhindert sehen wollte, kann von daher nur als Inanspruchnahme moralisch-ethischer Kategorien gegen tatsächliche Entwicklungstendenzen gewertet werden. Die Ableitungsversuche von A r n d t und anderen 4 waren dagegen staatsrechtlich genauer und überzeugender, wenn auch sie die politische Natur der beschriebenen und analysierten Sachverhalte verdrängten. Hinzu kommt ein i m Staatsrecht häufig zu beobachtendes Phänomen. Sekundäres Verfassungsrecht i n Form von geschriebenen oder ungeschriebenen Verfahrensregeln reagiert viel flexibler auf politische Strömungen als die gesatzte Verfassung, kann aber auch ein viel größeres Beharrungsvermögen zeigen. Das wurde besonders deutlich beim Ubergang von der Verfassung des Kaiserreichs zu der der Weimarer Republik. Die Kategorisierung des Grundsatzes der Diskontinuität als zeitlos gültiges Gewohnheitsrecht erleichterte der Verfassungsrechtswissenschaft der Weimarer Reichsverfassung die Anknüpfung an die vorangegangene Epoche, w e i l ja auch das formelle und materielle Parlamentsrecht der Verfassung von 1871 i m wesentlichen unverändert übernommen wurde, und der Reichstag der neuen Republik noch einige Jahre nach den Verfahrensregeln seines historischen Vorgängers praktizierte. „Das Festhalten an den überkommenen Auffassungen durch die Verfassungsrechtswissenschaft der Weimarer Zeit besagt" also, wie Leinemann es ausgedrückt hat 5 , „weniger etwas über den tatsächlichen Rechtszustand als über die überwiegend konservative Einstellung der betreffenden Autoren, die den Bruch zwischen den Verfassungen von 1871 und von 1919 nicht wahrhaben wollten". Die rein technischen Verf ahrensregeln mochten zwar seit der Übernahme der Benthamschen Vorschläge durch die Geschäftsordnung der französischen Constituante 5 * 1 praktisch unverändert geblieben sein; darauf gestützt aber auch Schlüsse für das Verhältnis der beteiligten Verfassungsorgane i m Gesetzgebungsverfahren zueinander zu ziehen, bedeutete ein Verschließen der Augen vor der entscheidenderen Tatsache, „daß die Monarchie nicht nur perso3

Vgl. oben § 9 . Vgl. oben § 15. 5 Leinemann, Die parlamentarische Diskontinuität u n d ihre W i r k u n g e n i m Gesetzgebungsverfahren, i n : J Z 1973, S. 621. 5a Vgl. oben § 5. 4

III. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung nell, sondern auch institutionell beseitigt" und i h r „Platz i m Bezugssystem der Verfassung auf das Volk als Aktivbürgerschaft" übergegangen war, „das Parlament und seine Handlungen ihre Legitimation somit allein vom Volk herleiten konnten" 6 . „ M i t dem Rückzug auf Gewohnheitsrecht ist", wieder nach Leinemann 7 , „dieser Zusammenhang ebenso überspielt und aus der Diskussion gedrängt worden" wie die weitere, eigentlich zuerst zu stellende Frage, „ob es i m demokratischen Rechtsstaat zulässig sein kann, Gewohnheitsrecht als Entstehungstatbestand rechtlicher Begründungszusammenhänge anzunehmen". Denselben V o r w u r f allzu einfacher, w e i l einseitiger Betrachtungsweise muß sich die Staatsrechtslehre seit 1945 gefallen lassen, wenn auch sie i n der Mehrheit die Behauptungen über den angeblich gewohnheitsrechtlichen Charakter des Grundsatzes der Diskontinuität einfach fortgeschrieben hat. Hier wie dort mag dabei eine Rolle spielen, daß es sich u m Personen handelt, die jeweils i n beiden historischen Verfassungsepochen zu Hause waren bzw. sind, wobei die Fortführimg bereits früher vertretener Positionen an sich noch kein negatives Merkmal ist. Gegenüber der Verfassungswandlung, auch nur i n der Form der Wandlung i m Verständnis von der Verfassung und ihren Institutionen, stellt Gewohnheitsrecht als Gegensatz zum gesatzten Recht gerade i m Bereich der Verfassimg aber immer die statische Komponente, die Fortschreibung des schon Dagewesenen dar. „Gewohnheitsrecht ist Endpunkt, bereits fertige Problemlösung" 8 ; es orientiert sich von seiner Natur her an Vergangenem, das i n die Gegenwart hineinwirkt und dort erst zur Rechtsüberzeugung gerinnt. Positions- und Machtfragen sind m i t seiner Hilfe nicht zu lösen. Der Befriedungseffekt, der Gewohnheitsrecht ohne Zweifel eigen ist 9 , verliert seinen rechtfertigenden Sinn, wenn er zum Abbau der politischen Dynamik führt, ohne die auch der verfaßte Rechtsstaat nicht leben kann. Ebenso fragwürdig ist es aber, m i t der Ablehnung der Existenz von Verfassungsgewohnheitsrecht, insbesondere als systemüberschreitende oder systemüberdauernde Rechtsquelle gleichzeitig auch generell die Geltung des Grundsatzes der Diskontinuität für den Bereich des Grundgesetzes zu leugnen. Zumindest die überwiegende Zahl der Vertretungskörperschaften der Bundesrepublik Deutschland hat sich i n ihren Geschäftsordnungen entsprechend selbst gebunden. Diese Selbstbindung, mag auch sie ursprünglich auf einer Fehleinschätzung beruhen, kann 6

Leinemann (Anm. 5) S. 621. (Anm. 5) S. 621. Z u r Grundfrage vgl. Tomuschat, recht?, insbesondere S. 145 ff. 8 Tomuschat (Anm. 7) S. 150. 9 Vgl. a u d i Tomuschat (Anm. 7) S. 151. 7

Verfassungsgewohnheits-

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III. 8. Kap.: Politische und rechtliche Zuordnung

nicht von vornherein m i t der Behauptung weggewischt werden, § 126 GO B T etwa verstoße gegen tragende Strukturelemente des grundgesetzlichen Parlamentarismus 10 . Die rechtliche Geltungskraft des Grundsatzes der Diskontinuität muß a m Gesamtgefüge der Verfassung einschließlich seiner Spielräume gemessen werden. Geschieht das, enthüllen sich die meisten Argumente gegen die Diskontinuität als Effizienzproblem, die meisten für sie als Machtfragen der parlamentarischen Demokratie. I n jedem Fall werden aber vorwiegend politische Gründe nachträglich rechtlichen Kategorien zugeordnet. § 28 Politische Bedeutung und tatsächliche Wirkungen des Grundsatzes der Diskontinuität Die Feststellung, daß die wissenschaftliche Erörterung des Diskontinuitätsprinzips i n der Regel darunter leide, daß nur die Nachteile der Diskontinuität hervorgehoben, ihre positiven Aspekte aber übersehen würden 1 1 , ist i n dieser Verkürzung unrichtig. Zwar haben sich i n letzter Zeit die Stimmen vermehrt, die i n der Diskontinuität als Folge des Endes der Wahlperiode ein Hemmnis für die gesetzgeberische Arbeit allgemein sehen. Zur Begründung w i r d auf die wegen der Kompetenzfülle des Parlaments sich als notwendig erweisende Rationalisierung seiner Arbeitsweise verwiesen 12 oder die Möglichkeit einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Staatsbürgers angeführt, die durch die Verzögerung des Verfahrens beim Erlaß daseinsvorsorgender Gesetze heraufbeschworen zu werden vermöchte 13 . Auch w i r d der Grundsatz der Diskontinuität für die Zeitverschiebungen verantwortlich gemacht, die nicht nur i n der Staatspraxis auf Bundesebene dazu geführt haben, daß die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes u n d die Rechnungslegung und Entlastung hinsichtlich des vollzogenen Haushalts nicht i n dem zeitlichen Rahmen erfolgen, der dafür durch A r t . 110 Abs. 2 GG und § 31 BHO bzw. A r t . 114 Abs. 1 GG und § 114 Abs. 1 BHO gesetzt ist 1 4 . Tatsächlich hat sich von Wahlperiode zu Wahlperiode die Zahl der beim Bundestag eingebrachten und von i h m verabschiedeten Gesetze vermehrt 1 5 . Parallel dazu ist jeweils ein beträchtlicher „Überhang" an 10 So aber Müller, Kontinuierliche oder intervallierte Gesetzgebung?, i n : D Ö V 1965, S. 507 f. 11 So Beiz, Die Diskontinuität der Parlamente, S. 71. 12 Achterberg, Soziokonformität, Kompetenzbereich u n d Leistungseffizienz des Parlaments, i n : DVB1. 1972, S. 846. Ä h n l i c h bereits Hilf, Durchbrechung der Diskontinuität der parlamentarischen Tätigkeit, i n : ZaöRV 1968, S. 747. 13 Achterberg, Das Parlament i m modernen Staat, i n : DVB1. 1974, S. 704; ders., Parlamentsreform — Themen u n d Thesen, i n : D Ö V 1975, S. 841. 14 Versteyl, W i d e r den Grundsatz der Diskontinuität der Parlamente, i n : DVB1. 1973, S. 161.

§ 28 Bedeutung und tatsächliche Wirkungen

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nicht zu Ende beratenen Gesetzentwürfen entstanden 16 , die zumeist i n der Ausschußphase steckenblieben. Während i n der 1. Wahlperiode kein Gesetz zwar vom Bundestag beschlossen wurde, aber wegen Verweigerung der Zustimmung oder Einlegung des Einspruchs durch den Bundesrat vor Beendigung der Wahlperiode nicht mehr zustandekam 17 , trat dieser Fall i n der 2. Wahlperiode erstmals ein. Die letzte Sitzung des Zweiten Bundestages fand am 29. August 1957 statt; der Bundesrat befaßte sich m i t den darin verabschiedeten Gesetzen am 6. und 20. September 195718, zu einer Zeit also, als die Wahlperiode des die Gesetzesbeschlüsse gefaßt habenden Bundestages noch nicht beendet, der neue Bundestag aber auch noch nicht gewählt 1 9 war. Soweit er zu einem Gesetz noch den Vermittlungsausschuß anrief, wurde das Vermittlungsverfahren nicht mehr durchgeführt, da der alte Bundestag vor dem Ablauf seiner Wahlperiode nicht mehr zusammentrat, also auch eine Beratung i m Vermittlungsausschuß sinnlos gewesen wäre 2 0 . Später wiederholte sich dieser Fall nicht mehr 2 1 . Die Schuld an dem großen Rest unerledigter Vorlagen bei Beendigung der Wahlperiode wurde und w i r d durchweg jedes M a l erneut bei der „außerordentlichen Arbeitsbelastung des Bundestages, m i t der dieser trotz allen Fleißes nicht fertig werden konnte", gesucht 22 . Dabei wurde und w i r d dieser erst gegen Ende der Wahlperiode stets besonders fleißig, wie ein Blick auf die Tagesordnung der Schlußsitzungen der bisherigen Wahlperioden zeigt 2 3 . So befaßte sich der Erste Bundestag an seinem 15 F ü r die Erste Wahlperiode vgl. die Gesamtdarstellung „Die Bundesgesetzgebung während der 1. Wahlperiode des Bundestages", hrsg. v o m Bundesministerium der Justiz, Beilage zum BAnz. Nr. 161 v o m 22. August 1953, u n d Kutscher, Wichtige Gesetzentwürfe, die v o m Bundestag i n der 1. W a h l periode nicht mehr verabschiedet wurden, i n : J Z 1953, S. 577 f.; f ü r die Zweite Wahlperiode vgl. Dehrn, Die Gesetzgebung des zweiten Deutschen Bundestages 1953- 1957, i n : J Z 1957, S. 675 f.; f ü r die D r i t t e Wahlperiode ders., Die Gesetzgebung des d r i t t e n Deutschen Bundestages 1957- 1961, i n : J Z 1962, S. 127 ff. 18 Vgl. Kutscher (Anm. 15) u n d Dehrn (Anm. 15), zu den Restanten bei der Auflösung des Bundestages 1972 Leinemann (Anm. 5) S. 618 Fn. 1. 17 Vgl. Kutscher (Anm. 15) S. 578. 18 Dehrn (Anm. 15) S. 675. 19 Die Bundestagswahl fand am 15. September 1957 statt; die Wahlperiode endete am 6. Oktober 1957, der neugewählte Bundestag t r a t am 15. Oktober 1957 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. 20 Dehrn (Anm. 15) S. 675; vgl. auch oben § 26. 21 1965 fand die letzte ordentliche Sitzung am 2. J u l i statt. A u f die A n r u f u n g des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat h i n t r a t dieser Ausschuß noch einmal zusammen, was eine außerordentliche Sitzung des Bundestages am 6. J u l i 1965 nach sich zog, der eine weitere außerordentliche Sitzung am 23. J u l i 1965 folgte; vgl. Sten. Ber. Bd. 59, auch Leinemann (Anm, 5) S. 618 f. 22 Dehrn (Anm. 15) S. 675; ders. (Anm. 15) S. 127. 23 Vgl. die Kurzdarstellung bei Versteyl (Anm. 14) S. 163.

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letzten Sitzungstag abschließend m i t nicht weniger als 34 Gesetzgebungsvorhaben 24 . Auch der Zweite Bundestag verabschiedete bei seiner letzten Zusammenkunft noch 22 Gesetze sowie die Entlastung der Bundesregierung für das Rechnungsjahr 195725. Ähnliche Zahlen ergeben sich für das Ende der D r i t t e n 2 6 und Fünften Wahlperiode 27 , wo jeweils 26 Gesetzentwürfe i n dritter Lesung beschlossen wurden. Wenn es sich dabei vielfach auch u m „Aufräumungsarbeiten" handelte 28 , für die der Zeitdruck und Entscheidungszwang heilsam war, bedauerten Vertreter aller Fraktionen doch immer wieder, daß anstehende und der Entscheidung bedürftige Gesetze nicht mehr zur Verabschiedung kamen 2 9 . Nach den Gründen wurde dabei nicht geforscht. Allenfalls für den D r i t t e n Bundestag findet sich der Hinweis, „daß i n dieser Legislaturperiode die sogenannte ,Kanzlerkrise' i m Jahre 1959 den Bundestag lange Zeit i n seiner Arbeit lähmte und i h n viel wertvolle Zeit gekostet h a t " 3 0 . Die Nichtvollendung wichtiger Gesetzgebungsvorhaben i m Herbst 1972 schließlich w a r natürliche Folge der Auflösimg des Parlaments und durch den Sinn dieses Mittels, eine faktische Handlungsunfähigkeit durch vorzeitige Beendigung der Wahlperiode und nachfolgend erneute Legitimation der Organwalterschaft zu beseitigen, bestimmt. Solange eine exakte und vor allem ehrliche wissenschaftliche und politische Analyse der Zeitnutzung durch den Bundestag nicht vorliegt 3 1 , kann jedenfalls der Grundsatz der Diskontinuität nicht als der eigentliche Grund für die Verzögerung, vielleicht sogar für das endgültige Scheitern der Verwirklichung bestimmter Vorhaben angesehen werden. Ein Vergleich etwa der i n der Regierungserklärung zu Beginn einer Wahlperiode angekündigten Gesetze m i t den am Ende dieser Wahlperiode verabschiedeten zeigt, daß keine Bundesregierung bisher i h r Programm vollständig erfüllt hat. Politische Richtungen spielen dabei weniger eine Rolle als die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse; insbesondere Regierungskoalitionen haben stets größere Schwierigkeiten, ein ab24 280. u n d 281. Stzg. des Deutschen Bundestages am 3. J u l i 1953, Sten. Ber. Bd. 17, S. 14057 - 14155. 25 227. Stzg. des Deutschen Bundestages am 29. August 1957, Sten. Ber. Bd. 38, S. 13508 - 13532. 26 165. Stzg. des Deutschen Bundestages v o m 29. J u n i 1961, Sten. Ber. Bd. 49, S.9577 - 9704. 27 247. Stzg. des F ü n f t e n Deutschen Bundestages a m 2. J u l i 1969, Sten. Ber. Bd. 70, S. 13789 - 13854. 28 So Vizepräsident Schoettle i n der 246. Stzg. am 2. J u l i 1969, Sten. Ber. Bd. 70, S. 13498. 29 So die Abgeordneten Horn, Atzenroth, F r a u Kalinke u n d Schellenberg (Anm. 25) S. 13530. 30 Dehrn (Anm. 15) S. 127. 31 Eine Dissertation über dieses Thema bei Prof. K a r l Josef Partsch w u r d e leider nie abgeschlossen.

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strakt formuliertes Programm auch gesetzgeberisch umzusetzen. Die „Große Koalition" zwischen CDU und SPD i n der zweiten Hälfte der Fünften Wahlperiode bildete insoweit keine Ausnahme, da sie von vorneherein auf eine begrenzte zeitliche und sachliche Zusammenarbeit ausgerichtet war. Generell läßt sich feststellen, daß Koalitionsregierungen von ihrer Anlage her bereits bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen schwerfälliger reagieren; die parlamentarische Beratung braucht dann entsprechend ebenfalls längere Zeit. Ist zudem der Stimmenvorsprung vor der Opposition nicht so groß, daß der Wählerauftrag als eindeutige Berechtigung zur Durchsetzung auch allgemein kontroverser Auffassungen angesehen werden kann, liegt die Tendenz nahe, der Ankündigung eines Vorhabens eine längere Zeit relativer äußerer Inaktivität folgen zu lassen, deren Folgen vielfach erst durch das nahende Ende der Wahlperiode m i t der drohenden Diskontinuität ins Bewußtsein gerufen werden. Gerade i n deren letzter Phase ist jedoch die objektive Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit eines Parlaments durch das i m Hinblick auf den kommenden Wahlkampf als notwendig empfundene Auseinanderrücken der i n i h m vertretenen Parteien beeinträchtigt. Wünsche nach einer Verlängerung der Wahlperiode werden deshalb regelmäßig auch mit der Geltung und den Wirkungen des Grundsatzes der Diskontinuität begründet 3 2 . Hinzu kommt als weitere Tatsache, daß besonders umfangreiche und schwierige Vorhaben, wie ζ. B. i n letzter Zeit die Notstandsgesetzgebimg, das Parteiengesetz, die Strafrechtsreform, die Eherechtsreform und die gesetzliche Regelung der Mitbestimmung, aber auch das Verwaltungsverfahrensgesetz während einer Wahlperiode nicht durchgearbeitet und zum Abschluß gebracht werden können 3 3 . Derartige Projekte, die entweder neue Bereiche erstmals kodifizieren oder geltendes Recht von Grund auf umgestalten wollen, überfordern bei einem Zwang zur Realisierung während einer Wahlperiode die gesamtgesellschaftliche Konsensbildung, die ungeachtet des Inhalts der endgültigen Entscheidung vorliegen muß, wenn die Tatsache der Entscheidung akzeptiert werden soll. Der Zeitraum von nur vier Jahren ist zu kurz, u m ein ausreichendes Problembewußtsein einschließlich der Einsicht i n die Notwendigkeit und politische „Richtigkeit" der vorgeschlagenen Lösung zu schaffen. Der Versuch der Objektivierung und damit Abkürzung dieses Meinungsbildungsprozesses durch die Übertragung der Vorarbeiten auf von den politischen Instanzen distanzierte Kommissionen, i n denen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch die i n dem betreffenden Sachbereich relevanten gesellschaftlichen Kräfte vertreten sind, kann dabei nur bedingt Abhilfe 32 Vgl. die Argumentation bei der Verlängerung der Wahlperiode f ü r den Landtag i n Nordrhein-Westfalen, L T - D r s . 5/234, auch oben § 27. 33 Ä h n l i c h schon Friedrich Schäfer, Der Bundestag, S. 86.

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schaffen, da die Arbeit und die Ergebnisse derartiger Kommissionen zwar häufig des Interesses der Öffentlichkeit sicher sein können, aber noch nicht m i t unmittelbar wirksamen gesetzgeberischen Maßnahmen identifiziert werden. Sind Kommissionsvorschläge dieser A r t dann i n politische Vorlagen umgegossen, und i n das Gesetzgebungsverfahren eingebracht, zeigt die politische Institution Parlament und ihre Träger fast immer das Bedürfnis, den entsprechenden Erkenntnis- und Problemverarbeitungsprozeß noch einmal für sich selbst nachzuvollziehen, was meistens zeitraubender als die eigentliche vorherige Kommissionsarbeit ist, w e i l sich die Arbeitskraft eines Parlaments auf viele Bereiche und Projekte verteilen muß. Die notwendige Reifung bis zur Beschlußfassung und Verabschiedung unterliegt dann auch hier häufig der Unterbrechung durch das Ende der Wahlperiode u n d damit durch den Grundsatz der Diskontinuität, wobei nicht verkannt werden darf, daß diese Zäsur allzu gerne als Entschuldigung für tatsächliche politische Entscheidungsunfähigkeit herhalten muß 3 4 . Z u diesen materiellen politisch-psychologischen Hemmnissen und Verzögerungen können institutionelle treten, obwohl sie von ihrer Anlage her nicht als solche beabsichtigt sind. Die durch § 73 Abs. 3 GO BT eingeführte Möglichkeit der Durchführung öffentlicher Sachverständigenanhörungen durch die Ausschüsse des Bundestages, hinsichtlich derer noch 1966 bedauert wurde, daß von i h r nicht oft genug Gebrauch gemacht werde 3 5 , hat sich ζ. B. zu einem Verfahren entwickelt, dessen Inanspruchnahme durchaus unterschiedlich beurteilt werden kann. Inzwischen w i r d nämlich kaum ein Gesetz i m Bundestag beraten, bei dem nicht der gesamte Ausschuß oder die nach Satz 2 1. Halbsatz antrags- und durchsetzungsberechtigte Minderheit eine entsprechende Anhörung verlangt. Das kann nicht von vorneherein als etwa bewußt eingesetztes Obstruktionsmoment der Opposition gewertet werden; vielfach w i r k e n hier neben einem heilsamen Mißtrauen gegen die Pläne und Lösungsvorschläge der Exekutive Elemente der Verunsicherung der durch weitgehende Spezialisierung und Verkomplizierung des Inhalts der Gesetze überforderten Abgeordneten mit, die an anderer Stelle bereits abgeschlossene Gedankengänge nachvollziehen wollen, bevor sie eine Entscheidung treffen, über deren Weiterungen vielleicht zurecht Zweifel bestehen. Sind derartige Vorgänge bei Beendigung der Wahlperiode noch nicht abgeschlossen, unterfallen die entsprechenden Projekte also der Diskontinuität, w i r d der Grund für das Scheitern primär bei diesem Grundsatz gesucht werden; die Alternative heißt dann i n verkürzter Betrachtungsweise: 84 Zutreffend deshalb Fromme, Brave Umständlichkeit, i n : F A Z v o m 15. J u n i 1965, S. 2, der v o n einer „Entschuldigung f ü r fatalistisches Treibenlassen" spricht. Vgl. auch Beiz (Anm. 11) S. 73. 35 Vgl. ζ. B. Schäfer (Anm. 33) S. 202.

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Verlängerung der Wahlperiode oder Abschaffung bzw. Durchlöcherung des Grundsatzes der Diskontinuität 3 ®. Bei Überlegungen zur Parlamentsreform bzw. zur Reform des parlamentarischen Verfahrens, insbesondere aus Anlaß der Fortführung größerer Gesetzgebungsvorhaben, taucht deshalb auch immer wieder der Gedanke auf, das Ende der Wahlperiode zumindest partiell seiner materiellen Folgen zu entkleiden 3 7 . Dabei werden die negativen Auswirkungen der Diskontinuität vor allem i m Gesetzgebungsverfahren meist überschätzt 38 , w e i l der Zwang zur Neueinbringung nicht zu Ende beratener Vorlagen und Entwürfe bei Beginn einer neuen Wahlperiode m i t dem Zwang zur Wiederholung jedes einzelnen Verfahrensschritttes verwechselt w i r d . Was das Verfahren zwischen den einzelnen beteiligten Verfassungsorganen anbelangt, so sind diese hier allerdings durch die Verfassung gebunden. E i n von der Bundesregierung ausgegangener Entwurf kann von i h r deshalb i n einer folgenden Wahlperiode nicht etwa unter Berufung auf eine zu einem identischen Gesetzentwurf i n einer vorangegangenen Wahlperiode eingeholte Stellungnahme des Bundesrates unmittelbar beim Bundestag eingebracht werden, noch kann der Bundesrat etwa m i t einer gleichen Begründung entgegen dem Wortlaut von A r t . 76 Abs. 3 GG eine schon früher von i h m beschlossene Initiative an der Bundesregierung vorbei unmittelbar dem Bundestag zuleiten. Beide Verfassungsorgane sind aber nicht gezwungen, jeweils das gesamte Verfahren i n ihrem Innern zu wiederholen; die ihnen insoweit eingeräumte Autonomie ermöglicht es, pauschal lediglich den eigentlich das Tätigwerden des Bundestages auslösenden Beschluß zu erneuern, u m die politische Identifizierung m i t bereits vollzogenen Entscheidungen zu dokumentieren. Auch kann es niemand einer Bundestagsmehrheit verwehren, ein vom letzten Bundestag i m Ausschuß vielleicht schon durchberatenes Gesetz i n eben der Form, die der Ausschuß i h m gegeben hatte, auf die Tagesordnung zu bringen, sei es als Initiativantrag, sei es auf dem Wege eines entsprechenden Regierungsentwurfs 39 . So hat die Bundesregierung nach der Neuwahl des 36 F ü r die erstere Lösung t r a t zunächst die Enquete-Kommission Verfassungsreform ein; vgl. Kommissionsdrucksache Nr. 155 u n d die auf deren Grundlage i n der Sitzung v o m 12./13. Dezember 1975 getroffene Entscheidung f ü r eine fünfjährige Wahlperiode auch f ü r den Bundestag, jetzt aber den Schlußbericht BT-Drs. 7/5924, S. 34, 38 ff. Eine Durchbrechung der D i s k o n t i n u i t ä t befürworten ζ. B. Bahlmann, Der Grundsatz der Diskontinuität u n d seine Bedeutung f ü r die parlamentarische Gesetzgebung, i n : M V D A 1965, S. 189 ff.; Maassen, Z u r Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität, i n : A k t u e l l e Rechtsprobleme, S. 68 ff.; Versteyl (Anm. 14); Achterberg (Anm. 12 u n d 13). 37 So ζ. B. Thaysen, Parlamentsreform i n Theorie u n d Praxis, S. 252 Fn. 81 u n d die dort zitierten Nachweise. 38 So auch Beiz (Anm. 11) S. 70. 39 Fromme (Anm. 34) S. 2; auch Schäfer (Anm. 33) S. 88.

21 Jekewitz

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Bundestages 1972 die von ihr bei dem aufgelösten Parlament eingebrachten, dort aber noch nicht abschließend beratenen Gesetzentwürfe i n zwei aufeinanderfolgenden Kabinettsitzungen als „Paket" neu beschlossen und i n dieser Form auch dem Bundesrat zugeleitet; andererseits ist bei dem ebenfalls nicht mehr verabschiedeten Entwurf eines 5. Strafrechtsreformgesetzes von einer erneuten Regierungsvorlage abgesehen und die Initiative für einen neuen Anlauf zur Reform des § 218 StGB bewußt dem Parlament bzw. den Koalitionsfraktionen überlassen worden, w e i l sich i m Kabinett keine Mehrheit mehr für den früheren Lösungsvorschlag fand 4 0 . Die Erfahrimg zeigt, daß auch der Bundesrat beim sogenannten ersten Durchgang von Gesetzesvorlagen, die der Diskontinuität zum Opfer gefallen sind und beim neuen Bundestag neu eingebracht werden, i n aller Regel auf eine eingehende Beratung verzichtet und sich m i t einem Hinweis auf seine frühere Stellungnahme begnügt 4 1 . Ä h n l i ches gilt für die Behandlung i m Innern des Bundestages. Das Parlament hat es auf Grund der i h m durch A r t . 40 GG eingeräumten Autonomie i n der Hand, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, u m sinnlose Wiederholungen zu vermeiden 4 2 . Von Verfassungs wegen vorgeschrieben ist nur die Tatsache der Einbringung i n A r t . 76 G G und des Gesetzesbeschlusses i n A r t . 77 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Diskontinuitätsprinzip zwingt deshalb allein dazu, das Verfahren beim Bundestag erneut i n Gang zu setzen; bei der Vorbereitung der abschließenden Beschlußfassung kann dagegen durchaus der Tatsache Rechnimg getragen werden, daß er sich m i t dieser Vorlage i n einer früheren Wahlperiode bereits befaßt hat 4 3 . Das i n § 77 ff. GO B T niedergelegte Verfahren für die Beratung eines Gesetzentwurfs i n drei Lesungen gehört nicht zu den unabdingbaren Grundsätzen der demokratischen Ordnung 4 4 . Noch weniger als bisher schon allgemein üblich 4 5 ist der Bundestag gezwungen, bei erneut von i h m zu beratenden Vorlagen eine erste Lesung m i t einer allgemeinen 40 Vgl. die Regierungserklärung des zweiten Kabinetts Brandt/Scheel v o m 18. Januar 1973, Sten. Ber. Bd. 81, S. 132 Β . 41 Maassen (Anm. 36) S. 83. 42 Unrichtig deshalb Müller (Anm. 10) S. 505, der — als Gegner der Diskont i n u i t ä t — den Eindruck erweckt, der Bundestag müsse die ganze geleistete A r b e i t wiederholen. Derselbe Eindruck beherrscht auch die Darstellung bei Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, S. 58, u n d Tomuschat (Anm. 7) S. 30, der von einem „Zwang, am N u l l p u n k t wieder anzufangen", spricht; ähnlich verkürzt Schunck/de Clerk, A l l gemeines Staatsrecht u n d Staatsrecht des Bundes u n d der Länder, S. 47. 43 Beiz (Anm. 11) S. 70. 44 BVerfGE 1, S. 144, Leitsatz 3 a, u n d S. 151; von Mangoldtl Klein, Das Bonner Grundgesetz, A r t . 77 A n m . I I I 6 a. Vgl. dazu jetzt auch Friedrich Schäfer, Vorschläge zur Gestaltung der Gesetzesberatung, Enquete-Kommission Verfassungsreform, Kommissionsdrucksache zu Nr. 110 (1) u n d den Schlußbericht (Anm. 36) S. 80 ff. 45 Vgl. dazu Schäfer (Anm. 44) S. 2 f.

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Aussprache durchzuführen; u m von diesem Erfordernis abzusehen, genügt bereits die einfache Mehrheit 4 6 . Er kann sogar unter Inanspruchnahme von § 127 GO B T auf die Ausschußüberweisung überhaupt verzichten, wie der betreffende Fachausschuß selbst, sofern sich hierfür die erforderliche Mehrheit findet, i n früheren Wahlperioden erarbeitete Beratungsergebnisse ganz oder teilweise i n einem abgekürzten Verfahren zu übernehmen 47 oder sogar einen bereits abgef aßten Ausschußbericht erneut zu beschließen vermag 4 8 . Gerade wenn die Neuwahl keine Veränderung, sondern eine Bestätigung der politischen Mehrheitsverhältnisse m i t sich gebracht hat, werden derartige Möglichkeiten genutzt werden, u m Verzögerungen technischer A r t , die sich aus der erneuten Einbringung ergeben können, zu minimalisieren. Auch ihre Inanspruchnahme kann jedoch nicht ausschließen, daß die personellen Veränderungen, die jede Wahl m i t sich bringt, auf die Beratungen durchschlagen, oder daß die weiter oben geschilderten politisch-psychologischen Momente hinsichtlich einzelner Vorhaben unverändert auch i n der neuen Wahlperiode sich auswirken. Reduzieren sich die behaupteten Nachteile des Grundsatzes der Diskontinuität somit ganz allgemein bei kritischer Betrachtung auf technisch zu bewältigende Formfragen 4 9 , vermag bei der Haushaltsgesetzgebung erst recht nicht einzuleuchten, daß die Verwirklichung der bisher nie erfüllten Verfassungsforderung nach einer vorgängigen Haushaltsbewilligung auch an dem Diskontinuitätsprinzip scheitert 50 . Die fristgerechte Einbringung und Verabschiedung des Budgets vor Beginn des Haushaltsjahres kann nur i m letzten Jahr einer Wahlperiode und auch dann lediglich, wenn der Wahltermin und die für den Zusammentritt des neugewählten Parlaments durch die Verfassung gesetzte Frist i n den Zeitraum zwischen den für die Einbringung des Haushalts gesetzten Zeitpunkt und den Beginn des Haushaltsjahres fällt, vom Grundsatz der Diskontinuität beeinflußt werden 5 1 . Die Vorgänge des Jahres 1972 waren insoweit atypisch, als bei Auflösung des Bundestages der Haushalt für das laufende Jahr noch nicht verabschiedet war, j a diese Auflösung sogar erst mittelbare Folge der Unmöglichkeit für Bundesregierung und Koalitionsfraktionen war, i h n zu verabschieden. Die kritisierte neue Vorlage eines zahlenmäßig unveränderten Haushalts 52 w a r insoweit eine politi46

Trossmann, Der Deutsche Bundestag, S. 50; Beiz (Anm. 11) S. 71. Maassen (Anm. 36) S. 82. 48 Beiz (Anm. 11) S. 71. 49 Ä h n l i c h Beiz (Anm. 11) S. 71. 50 Selbst Versteyl (Anm. 14) S. 161, der diese Behauptung aufstellt, r ä u m t ein, daß die „Zeitdifferenz" n u r „z. T. — w e n n auch p r i m a facie unerkennbar — i m Diskontinuitätsgrundsatz begründet" sei. 51 Vgl. auch oben § 26. 47

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sehe Demonstration: die durch die Neuwahl bestätigte Koalition bescheinigte sich nachträglich m i t diesem „Regierungsprogramm i n Zahlen" die Richtigkeit ihrer Politik 5 3 , nachdem der Wähler i h r dazu die Legitimation verliehen hatte. Sie verstieß damit zwar gegen die Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung, entsprach aber dem richtig verstandenen Kerngedanken des Grundsatzes der Diskontinuität. Derartigen zumeist nur vorgeschobenen und verzeichneten Nachteilen stehen die politischen Vorteile gegenüber, die vor allem i m Gesetzgebungsvorgang i n vielem die spiegelbildliche Umkehrung bilden. Würden alle nicht abgeschlossenen Gegenstände parlamentarischer Beratung bei Beginn einer neuen Wahlperiode unverändert die neue Organwalterschaft erwarten, wäre es für das Parlament i n seiner durch die Wahl gewonnenen personellen und politischen Zusammensetzung schwierig, die Aufgaben i n A n g r i f f zu nehmen, die es f ü r vordringlich hält 5 4 . Die obj e k t i v wie subjektiv für notwendig erachtete Prioritätenfolge wäre i n der Anfangsphase von einer durch die Herkunft bestimmten überlagert: erster Arbeitsstoff des neuen Parlaments wären, da schon bzw. immer noch bei i h m vorliegend, i n der Regel die Restanten der vorangegangenen Wahlperiode; selbst i n der Regierungserklärung angekündigte und bei der Regierung vielleicht schon vorbereitete Vorhaben müßten rein faktisch dahinter zurückstehen, w e i l das Verfahren und die Fristen des A r t . 76 Abs. 2 und 3 GG einer sofortigen Aufnahme der Beratungen über sie durch das Parlament entgegenstünden. Zumindest i n einer Zwischenzeit müßte sich die neue Organwalterschaft m i t Anträgen befassen, die „vielleicht gerade auf die parteipolitische S t r u k t u r " der abgelaufenen Wahlperiode zugeschnitten waren 5 5 . Das könnte Rückwirkungen auch auf mögliche Koalitionsverhandlungen haben, w e i l „die potentiellen Koalitionspartner sich nicht nur über ein neues Arbeitsprogramm, sondern auch über die Liquidierung der Restbestände der alten Wahlperiode einigen müßten" 5 6 .

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Darauf stellt Versteyl (Anm. 14) S. 162 i n erster L i n i e ab. V o n daher hatte der Abgeordnete Haehser recht, w e n n er bei der ferneuten Einbringung davon sprach, es handele sich eigentlich u m die d r i t t e L e sung: „ W i r haben die erste Beratung u n d den Beginn der zweiten Beratung hier i m Hohen Hause gehabt. W i r haben zweitens die Rücküberweisung u n d die Beratung des Etats i m Haushaltsausschuß gehabt. Jetzt haben w i r die erste Beratung — sprich: d r i t t e Beratung — noch i m m e r desselben Entwurfs, . . . " ; 4. Sitzung des 7. Deutschen Bundestages am 15. Dezember 1972, Sten. Ber. Bd. 81, S. 34 D. 54 Vgl. dazu Schweiger, Die Diskontinuität der Legislaturperioden, i n : DÖV 1954, S. 162 f. 55 Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, A r t . 39 Rdnr. 17; Schäfer (Anm. 33) S. 88; Beiz (Anm. 11) S. 72. 66 Beiz (Anm. 11) S. 72. 53

§ 28 Bedeutung und tatsächliche Wirkungen

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Das Diskontinuitätsprinzip bewirkt demgegenüber eine „Bereinigung des parlamentarischen Programms" 5 7 und damit „nicht selten auch eine Bereinigung der politischen Atmosphäre" 5 8 . Kontroversen, auch innerhalb einer Koalition oder sogar Partei, die i n der abgelaufenen Wahlperiode aus Anlaß einzelner Vorhaben entstanden sind, können dadurch ausgeräumt bzw. ausgeklammert werden, daß der konkrete Bezug fortgefallen ist. Insbesondere die Peinlichkeit, sich von eigenen Vorschlägen förmlich trennen zu müssen, w i r d durch die Diskontinuität vermieden 5 9 . Das ist weniger eine Frage der Gewissensfreiheit der Abgeordneten, die darin liegen könnte, daß sie gezwungen wären, von dem vorangegangenen Parlament überkommene Restbestände aufzuarbeiten und dabei an den jeweiligen Verfahrensstand gebunden zu sein 60 , als der politischen Handlungsfreiheit. Der Grundsatz der Diskontinuität „zwingt dazu, liegengebliebene Vorlagen aus der alten Wahlperiode vor ihrer Wiedereinbringung an Hand der bisherigen Beratungen auf ihre Erfolgsaussichten zu überprüfen" 6 1 und vielleicht schon entsprechend anzupassen oder zu modifizieren. Andererseits erlaubt gerade dieser Zwang, gekoppelt m i t den oben beschriebenen Möglichkeiten des Wiederbeginns der Arbeiten an einem Vorhaben, das bereits vorgelegen hat, sich m i t dem fortbestehenden Ziel bei gleichzeitiger Distanzierung von den bisherigen Inhalten zu identifizieren. So sind der ursprüngliche Regierungsentwurf der Strafprozeßnovelle zu Beginn der 4. Wahlperiode und der Entwurf der Strafrechtsreform sowie eines Nettoumsatzsteuergesetzes zu Beginn der 5. Wahlperiode durch Initiativen aus der Mitte des Bundestages wieder eingebracht worden 6 2 . Auch dabei mögen politische Vorabsprachen und 57 Scheuner, V o m Nutzen der Diskontinuität zwischen Legislaturperioden, i n : D Ö V 1965, S. 513. Achterberg, Grundzüge des Parlamentsrechts, S. 29, spricht von der „entschlackenden W i r k u n g " , die sich aus der Diskontinuität f ü r „schleppende Gesetzgebungsvorhaben ergibt". Der Schlußbericht der E n quete-Kommission (Anm. 36) S. 37 betont den „Entlastungseffekt". 68 Beiz (Anm. 11) S. 72. 59 Vgl. dazu noch einmal das Schicksal der Regierungsvorlage z u m 5. Strafrechtsreformgesetz i n der 6. Wahlperiode des Bundestages, auch oben A n m . 40. 60 So aber Achterberg (Anm. 58) S. 29. Gegen i h n auch Steiger (Anm. 42) S. 65 Fn. 79. 61 Beiz (Anm. 11) S. 72. Ä h n l i c h schon Scheuner (Anm. 57) S. 513, der gleichfalls auf die Notstandsgesetzgebung u n d das Parteiengesetz als Beispiel v e r weist. 62 Schäfer (Anm. 33) S. 88. Vgl. dazu die Ausführungen des Abgeordneten Hoogen bei der Wiedereinbringung der Strafprozeßnovelle, 8. Stzg. v o m 13. Dezember 1961, Sten. Ber. Bd. 50, S. 170 C: „ I n den Kreisen der Mitglieder des Rechtsausschusses w u r d e übereinstimmend die Meinung vertreten, daß m a n diesen Gesetzentwurf, den die Bundesregierung schon i n der vorigen Legislaturperiode eingebracht hatte, baldigst beraten solle, w e i l seine Verabschiedung aus vielerlei Gründen dringend erwünscht ist. Deswegen haben sich die Fraktionen entschlossen, den Gesetzentwurf aufzunehmen, damit er nicht die ^Ochsentour 4 gehen m u ß : Bundesrat — Bundesregierung — Bundestag —

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I I I . 8. Kap.: Politische u n d rechtliche Zuordnung

V o r k l ä r u n g e n innerhalb der F r a k t i o n e n erforderlich sein63, jedoch v e r k e h r e n d e r a r t i g e n o t w e n d i g e A b s p r a c h e n die V o r t e i l e d e r D i s k o n t i n u i t ä t n i c h t i n i h r G e g e n t e i l . V o r a l l e m b e d e u t e t es k e i n e A u s s c h a l t u n g des B u n d e s r a t e s u n d d a m i t e i n U n t e r l a u f e n des i n e i n e r „ f ü r d e n d e m o k r a tischen W i l l e n s b i l d u n g s - u n d P a r t i z i p a t i o n s p r o z e ß s e h r entscheidenden A u s p r ä g u n g " i m Grundgesetz n o r m i e r t e n Gesetzgebungsverfahrens 64, w e n n die p o l i t i s c h e V o r e n t s c h e i d u n g ü b e r das O b d e r F o r t f ü h r u n g eines V o r h a b e n s v o n d e m V e r f a s s u n g s o r g a n g e t r o f f e n w i r d , d e m die e n d g ü l t i ge Sachentscheidung o b l i e g t . D e r V o r w u r f d e r „ U m e t i k e t t i e r u n g " 6 5 l i e g t h i e r n e b e n d e r Sache; insbesondere k a n n e r n i c h t d a m i t b e g r ü n d e t w e r den, daß „ d i e gesunde P o l a r i t ä t z w i s c h e n d e m d r ä n g e n d e n E n t w u r f d e r sachkundigen E x e k u t i v e u n d der kritischen u n d distanzierenden Berat u n g u n d E n t s c h e i d u n g d u r c h die d i e p o l i t i s c h e V e r a n t w o r t u n g t r a g e n d e Legislative"6521 d a m i t verlorengehe. W i e die P a r l a m e n t s w a h l nach norErste Lesung. Darüber w ü r d e es vermutlich Sommer werden. Die Fraktionen, die den Gesetzentwurf einbringen, legen aber Wert darauf, durch mich hier namens aller Fraktionen erklären zu lassen, daß sie sich m i t dem I n h a l t des Gesetzentwurfes nicht identifizieren, sondern i h n lediglich einbringen, u m dem geschäftsordnungsmäßigen Erfordernis zu genügen, nach welchem A u s schüsse sich nicht m i t Vorlagen beschäftigen dürfen, die ihnen nicht v o m Plenum überwiesen sind." Ä h n l i c h die Abgeordnete Diemer-Nicolaus bei der Wiedereinbringung des E n t w u r f s der Strafrechtsreform durch die Fraktionen der CDU/CSU u n d F D P — BT-Drs. V/32 —, 14. Stzg. v o m 13. Januar 1966, Sten. Ber. Bd. 60, S. 546 C, die betonte, daß zumindest die F D P nicht „ m i t allem, was d a r i n steht, einverstanden" sei, sowie schon die Begründung zum A n t r a g der Fraktionen der CDU/CSU, F D P z u m E n t w u r f eines Umsatzsteuergesetzes — B T - D r s . V/48, S. 16 — : „Die unterzeichneten Fraktionen beziehen sich auf die Begründung i n der Drucksache IV/1590 der letzten Wahlperiode. Sie w o l l e n m i t der Einbringung der vormaligen unveränderten Regierungsvorlage als Diskussionsgrundlage den unverzüglichen Beginn der Ausschußberatungen ermöglichen, ohne sich m i t jeder der dort vorgesehenen Einzelregelungen zu identifizieren, zumal die vorläufigen Ergebnisse der Beratungen i m Finanzausschuß der letzten Wahlperiode schon Abweichungen wahrscheinlich machen." 63 Vgl. die auch bei Versteyl (Anm. 14) S. 163 Fn. 36 zitierte 1. Stzg. des Rechtsausschusses i n der 4. Wahlperiode am 5. Dezember 1961, i n der zunächst eine Einigung über das Verfahren nicht erzielt werden konnte, da der Abgeordnete Wittrock erst einmal eine Entscheidung des zuständigen Arbeitskreises seiner F r a k t i o n einholen mußte. I m übrigen vermögen die Argumente Versteyls nicht zu überzeugen. 64 So aber Versteyl (Anm. 14) S. 163 u n d v o r i h m ähnlich schon Maassen (Anm. 36) S. 80. Pietzner, Ev. Staatslexikon, 2. A u f l . 1975, S. 275, spricht von „ m a n i p u l a t i v e r Handhabung". 65 Maassen (Anm. 36) S. 80; Versteyl (Anm. 14) S. 163. Vgl. auch Hilf, Durchbrechung der Diskontinuität der parlamentarischen Tätigkeit, i n : ZaöRV 1968, S. 749. 65a Maassen (Anm. 36) S. 80. Z. T. hat die Bundesregierung selbst geäußert, gewisse Vorlagen „eigneten" sich zur Wiedereinbringung durch eine I n i t i a t i v e aus der M i t t e des Bundestages; vgl. 4. Stzg. des Innenausschusses am 19. Januar 1966, Prot. Nr. 4 S. 10/11. Der förmliche Protest des Bundesratspräsidenten gegen die vermehrte Benutzung dieses Weges zu Beginn der 5. W a h l periode i n einem Schreiben v o m 1. A p r i l 1966 an den Bundeskanzler ging

§ 29 Geltungsgrund und Hang

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malem Ablauf der Wahlperiode oder vorzeitiger Auflösung ein Appell an das souveräne V o l k ist, die von i h m abgeleitete Herrschaft des Parlaments zu etablieren, ist der Grundsatz der Diskontinuität ein Appell an die legitimierten Organträger dieses Verfassungsorgans, die Themen und Entscheidungsgrundlagen für die i n den nächsten vier Jahren zur Bewältigung vorgesehenen Arbeiten offenzulegen. Selbstüberschätzung und vielleicht unverschuldete Entscheidungsunfähigkeit können dann nicht nachträglich diesem Grundsatz angelastet werden. § 29 Verfassungsrechtliche Zuordnung, Geltungsgrund und Rang des Grundsatzes der Diskontinuität Zurecht ist schon f r ü h gegen den Grundsatz der Diskontinuität angeführt worden, wenn bei i h m auf die politische Struktur und die politischen Machtverhältnisse i m Innern eines Parlaments u n d i n Beziehung zu den übrigen an der staatlichen Willensbildung beteiligten Verfassungsorganen abgestellt werde, müsse er eigentlich auch bei einem Koalitionswechsel oder bei Veränderungen der Mehrheit durch den Ubertritt von Abgeordneten inerhalb einer Wahlperiode Anwendung finden 66. Stimmen diesen Inhalts verkennen jedoch, daß die sachliche Diskontinuität nicht selbständige Folge aus sich heraus bestehender politischer A b schnitte einer i m übrigen ununterbrochenen Existenz des Parlaments ist, sondern das Ende geschlossener Legitimations- und Handlungseinheiten dieses Parlaments kennzeichnet, die insoweit die abstrakte Institution von dem politischen Organ i n seiner konkret-personellen Zusammensetzung unterscheidet. Das Parlament als Verfassungsorgan ist dabei kontinuierlich, unabänderlich, nicht zu beseitigen, ohne das Verfassungssystem selbst aufzugeben 67 ; das Parlament als vom Staatsvolk auf Zeit gewählte und damit für dieses Staatsvolk zum Handeln berufene und befähigte Personenmehrheit, d. h. Körperschaft, ist dagegen i n seinem Mandat zeitlich, nicht sachlich beschränkt, muß sich jedes M a l von Neuem autorisieren lassen, ist aber für die Zeit der Autorisation und Legitimation vom Staatsvolk als solchem auch weisungs- u n d bindungsfrei. V o n daher ist es richtig, daß die sachliche Diskontinuität aus der personellen Diskontinuität folgt bzw. sich aus 'dieser herleitet 6 8 . Sie ist allerdings insoweit fehl, als v o n den darin genannten fünf Vorhaben (V/32, V/48, V/276, V/325, V/350) eines bereits i n der 4. Wahlperiode i n i t i a t i v eingebracht worden war, nämlich der E n t w u r f eines Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeibeamtengesetzes, BT-Drs. V/350. ββ So schon Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 316 f.; jetzt auch Müller (Anm. 10) S. 508 u n d Steiger (Anm. 42) S. 66. 67 Vgl. dazu auch oben § 24. 68 So Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 55) A r t . 39 Rdnr. 16; Scheuner (Anm. 57) S. 512.

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III. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung

aber rechtlich nicht allein m i t dieser personellen Diskontinuität erklärbar, vor allem nicht i n der Weise, daß die periodische Erneuerung der Organwalterschaft des Parlaments zwingend den Abbruch und Neubeginn aller Arbeiten m i t sich bringen müßte, als ob die aufeinanderfolgenden Parlamente beziehungslos nebeinander stünden. Die sachliche Diskontinuität kann deshalb nur neben der personellen und Organ-Diskontinuität als eine weitere Folge einer Grundentscheidung der Verfassungsordnung des Grundgesetzes gelten 6 9 , die allen drei Erscheinungsformen insoweit vorgelagert ist. Das m i t dem Ende der Wahlperiode verbundene Erlöschen der Mandate der Abgeordneten ist damit aber nicht aus dem Begriff der Diskontinuität auszugrenzen 70 ; vielmehr ist nach dem gemeinsamen rechtfertigenden und vielleicht sogar zwingenden Grund für beide bzw. alle drei Erscheinungsformen zu fragen 71 . Der Rückgriff auf Gewohnheitsrecht, wie er überwiegend i m Staatsrecht auch unter dem Grundgesetz noch üblich und infolge der verfassungsgeschichtlichen Vorprägung naheliegend ist 7 2 , weicht dieser Fragestellung aus. Abgesehen davon, daß angebliches Gewohnheitsrecht eines besonders sorgfältigen Nachweises bedürfte, „da das Diskontinuitätsprinzip unter der Geltung des Grundgesetzes von A n f ang an anerkannt war", die Übernahme von unter früheren, anders strukturierten Verfassungsordnungen entstandenem vorgeblichen Gewohnheitsrecht jedoch rechtsdogmatischen Zweifeln unterliegt 7 3 , kann aus dem Bereich des Parlaments stammendes und auf diesen Bereich zunächst beschränktes Recht nicht nur als alter Brauch respektiert werden, dem sich dann auch andere Verfassungsorgane, soweit sie zusammen m i t dem Parlament und auf dieses ausgerichtet handelnd tätig werden, unterwerfen. Gerade die allgemeine Anerkennung deutet vielmehr darauf hin, daß die sachliche Diskontinuität als Grundsatz von zentraler Bedeutung empfunden w i r d 7 4 . Ebenso ungenau ist es aber, aus dieser Erkenntnis heraus den 89

So w o h l auch von Mangoldt/Klein (Anm. 44) A r t . 39 A n m . I I I 5 b. So aber Beiz (Anm. 11) S. 61. 71 Beiz (Anm. 11) S. 65 spricht dann auch davon, daß die „sachliche u n d die organisatorische Diskontinuität des Bundestages einander ergänzende Begriffe sind, die sich beide aus der Vorstellung der Wahlperiode als einer i n sich geschlossenen parlamentarischen Arbeitsperiode ergeben". 72 Vgl. ζ. B. von Mangoldt/Klein (Anm. 44) A r t . 39 A n m . I I I 5 b ; Maunz/ Dürig/Herzog (Anm. 55) A r t . 39 Rdnr. 16, A r t . 45 Rdnr. 5; Groß, Betrachtungen, i n : DVB1. 1954, S. 115; Schweitzer, A k t u e l l e Probleme des parlamentarischen Geschäftsordnungsrechts, i n : N J W 1956, S. 85; Münch, Die Bundesregierung, S. 204; Ritzel!Koch, Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, § 126 A n m . 4; Lechner/Hülshoff, Parlament u n d Regierung, §126 GO B T A n m . 1; Trossmann, Parlamentsrecht u n d Praxis des Deutschen Bundestages, S. 247; Achterberg (Anm. 57) S. 30; ders. (Anm. 12) S. 847; Mattern, Grundlinien des Parlaments, S. 74; Hömig/Stoltenberg, Probleme der sachlichen Diskontinuität, i n : D Ö V 1973, S. 691; Versteyl (Anm. 14) S. 162. 73 So Beiz (Anm. 11) S. 66; vgl. auch oben § 20. 70

§ 29 Geltungsgrund und

ang

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Grundsatz praktisch zu teilen, indem zwischen einem „Intra-Organ-Verhältnis" 7 5 und einer Außenwirkung unterschieden wird. So mißt Mattern 76 den Grundsatz an der Eigenschaft des Parlaments als „Repräsentanten-Kollegium" und interpretiert das Erlöschen der Repräsentationsbefugnis richtigerweise als eine Rechtsfolge der Verfassung, i n welcher die Dauer der Legislaturperiode statuiert ist. Aus dem Erlöschen der Repräsentationsbefugnis der Parlamentsmitglieder dann aber lediglich den Untergang ihrer Initiativen und Beschlüsse über Vorlagen, die noch i m Schöße des Parlaments ruhen, zu folgern, hinsichtlich der Vernichtung aller i n das Parlament von anderen Staatsorganen eingebrachten Vorlagen jedoch nicht von einer Rechtsfolge der Verfassung, sondern von Gewohnheitsrecht auszugehen 77 , verkürzt den Ansatz dann aber unlogischerweise wieder. Dieser Auffassung liegt derselbe Fehlschluß zugrunde, auf dem Müller 78 seine Ablehnung der Geltung des Grundsatzes der Diskontinuität überhaupt aufbaut. „ I n dem Bestreben, eine nach seiner Meinung verfehlte Übertragung eines Begriffs auf einen anderen Gegenstand nachzuweisen, übersieht er, daß das von i h m als Angelpunkt seiner Darlegungen bemühte Selbstversammlungsrecht des Parlaments nur während der Wahlperiode besteht, m i t deren Ende oder m i t der Auflösung des Parlaments aber ebenfalls endet 7 9 ." Vor allem verkürzt er dabei jedoch den Blick einseitig auf das Parlament als solches, sieht es praktisch losgelöst von den übrigen Institutionen der Verfassung. Die deutsche Verfassungsentwicklung seit dem Spätkonstitutionalismus beschränkt sich aber nun einmal nicht auf eine „Emanzipation" des Parlaments; dieses hat vielmehr spätestens seit 1919 eine ganz andere Qualität erhalten, ist von einem bloß beigeordneten Verfassungsorgan, das den Monarchen und dessen Exekutive zu beraten und i n beschränktem Umfange zu kontrollieren hatte, zur Zentralfigur der Verfassungsordnung geworden, von der alle übrigen Gewalten abhängen. Wenn Scheuner 80 gegen Müller die „Nützlichkeit" des Grundsatzes der Diskontinuität auch damit begründet, daß die neue Regierung, der die Gesetzesinitiativen als „ein Kernstück . . . leitender, planender, programierender Bestimmung der Ziele und der Richtung des Staates" zustehe, nicht mit dem Ballast der 74

Ä h n l i c h Maassen (Anm. 36) S. 70. So Achterberg (Anm. 57) S. 30. 76 (Anm. 72) S. 74. 77 Mattern (Anm. 72) S. 74. 78 (Anm. 10) S. 507 f., auch i n Model/Müller, Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, A r t . 39 A n m . 1. Vgl. dazu die bis auf die Schlußfolger u n g uneingeschränkte Bejahung der Thesen Müllers bei Steiger (Anm. 42) S. 61 ff. 79 So richtig die K r i t i k v o n Leinemann (Anm. 5) S. 620. 80 (Anm. 57) S. 513. 75

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III. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung

früheren Vorlagen belastet sein »dürfe, setzt er den Akzent zu extrem i n die umgekehrte Richtung, denkt nur gouvernemental, nämlich isoliert von der Exekutive zum Parlament hin, ohne die Zusammenhänge und wechselseitigen Bindungen zwischen der Regierung und eben diesem Parlament zu berücksichtigen. Wer sich von diesem verkürzten Blickwinkel her der Frage nach dem Geltungsgrund für die m i t dem Ausdruck Diskontinuität umschriebenen Rechtswirkungen nähert, muß zu einer 'gewohnheitsrechtlichen Ableitung kommen, für die eine nicht nur praktische Begründung dann schwer zu finden ist 8 1 . Die von Schweiger 82 erstmals angeführte, von Maunz sz aufgenommene und gedanklich weiterentwickelte Überlegung, daß die „Grunderwägung" für den Grundsatz der Diskontinuität heute darin bestehe, „daß der Bundestag nicht von vorneherein m i t Anträgen belastet werden soll, die vielleicht gerade auf die parteipolitische Struktur des alten Bundestages zugeschnitten waren u n d den neuen Bundestag einem Vergleich m i t dem alten aussetzen würden, u n d daß ein Gesetz usw. nicht ,zwei Väter', genauer zwei Bundestage als Väter haben soll", ist deshalb hinsichtlich der „Vaterschaftstheorie" zurecht als „biologistische Betrachtungsweise" 84 glossiert worden, die „dogmatischer Überprüfung" nicht standhält 8 5 . Eine dem Sinn des Grundsatzes der Diskontinuität gerecht werden wollende verfassungsrechtliche Zuordnung kann sich nicht auf den Eigenbereich eines Verfassungsorgans beschränken, sondern muß den Gesamtkontext zu Hilfe nehmen. Dieser Gesamtkontext der Verfassung ist das „Prinzip der sich periodisch erneuernden Repräsentation", wie es i n A r t . 20 Abs. 2, 38 Abs. 1 und 39 Abs. 1 GG Ausdruck gefunden hat 8 6 und bereits als Wesensmerkmal der Verfassungsstruktur des Grundge81 Vgl. bereits den T i t e l v o n Scheuners E r w i d e r u n g auf Müller. Auch Schäfer (Anm. 33) S. 84, 88 stellt auf den „ i n erster L i n i e praktischen Sinn u n d Zweck" ab. 82 (Anm. 54) S. 161. 83 Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 55) A r t . 39 Rdnr. 16; ähnlich auch Schäfer (Anm. 33) S. 84. 84 Müller (Anm. 10) S. 508; i h m zustimmend auch Leinemann (Anm. 6) S. 622 Fn. 44; Versteyl (Anm. 14) S. 162 f., 165, sowie i n gewissem Umfange Scheuner (Anm. 57) S. 512. 85 Leinemann (Anm. 5) S. 622. 86 So schon Maunz/Dürig/Herzog (Anm. 55) A r t . 39 Rdnr. 16, w o aber gleichzeitig auf Gewohnheitsrecht r e k u r r i e r t w i r d . Ausdrücklich Maassen (Anm. 36) S. 70, aber auch S. 77, sowie Beiz (Anm. 11) S. 66 u n d Leinemann (Anm. 6) S. 621. Tomuschat (Anm. 7) S. 85 muß diesen Ansatz bejahen, da dadurch seine These v o n der Nichtexistenz v o n Verfassungsgewohnheitsrecht gestützt w i r d . Ebenfalls dieser Auffassung zuzurechnen sind w o h l Hamann/Lenz, Das Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland, A r t . 39 A n m . Β 1, w e n n sie die Diskontinuität ohne weitere Begründung als Rechtsfolge der Beendigung der Wahlperiode bezeichnen.

§ 29 Geltungsgrund und

ang

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setzes herausgestellt worden ist 8 7 . Sein Inhalt besteht darin, daß die dem Parlament durch die Wahlen übertragene Handlungsgewalt durch den Bundestag nur jeweils für die Dauer eines Zeitabschnitts ausgeübt werden kann, daß also nur dafür ein Mandat, ein Wählerauftrag existiert 8 8 . Daraus folgt zugleich, daß m i t dem Ende des Wählerauftrages, also dem Ende der Wahlperiode, oder der Rückgabe des Mandats an die Wähler durch den dazu nach A r t . 68 Abs. 1 Satz 1 GG ermächtigten Bundespräsidenten bzw. i n den Ländern auch durch die übrigen dafür vorgesehenen und dazu ermächtigten Institutionen, also die Auflösung des Parlaments, dieses Parlament seine Legitimation zum Handeln verliert. Diese Erkenntnis gilt gerade für den modernen Parteienstaat als einer rationalisierten Erscheinungsform wesentlich plebiszitär mitbestimmter Demokratie 8 9 , mag dieser auch bei hochpolitischen u n d für das Staatsganze existenziell bedeutsamen Grundfragen immer wieder eine selbstverständliche und i n der Öffentlichkeit respektierte Neigung zeigen, i m Sinne eines geradezu klassisch freien Mandatsverständnisses eigene Entscheidungen antizipatorisch zu treffen und i n der Regel erst bei der nächsten W a h l u m entsprechende Indemnität zu bitten 9 0 . K e r n des Grundsatzes der Diskontinuität ist unter der parlamentarischen Demokratie eben nicht nur ein absolutes verfassungsrechtliches Verbot des „Hinüberwirkens" 9 1 , sondern mindestens ebenso sehr dessen spiegelbildliche Entsprechung, nämlich die Freistellung des neugewählten Parlaments und damit auch des souveränen Staatsvolks als Wählerschaft von der Verpflichtung zur Fortführung und Erledigung bereits initiierter und i n Angriff genommener Vorhaben 9 2 . Das Diskontinuitätsprinzip w i r k t verf assungsrechtlich damit nach zwei Seiten: es ist gleichzeitig Element der Beschränkung und Element der Freiheit. Ein folgendes Parlament w i r d zwar als „Nachfolger" des früheren gewählt, aber m i t einem selbständigen Auftrag durch den Wähler 9 3 . „Das bedeutet, daß es nicht Rechtsnachfolger ist, also nicht i n die A u f gabe eintritt, die sein Vorgänger unerledigt hinterlassen h a t " 9 4 , soweit 87 Vgl. oben § 24, sowie jetzt den Schlußbericht der Enquete-Kommission (Anm. 36) S. 37 unter 2.2.2. 88 Leinemann (Anm. 6) S. 621. 89 Oppermann, Z u m heutigen Sinn der parlamentarischen Repräsentation, i n : D Ö V 1975, S. 764. 90 Oppermann (Anm. 89) S. 766, der als Beispiel auf die Westintegration 1949 - 1953 u n d die Ostpolitik 1969 - 1972 verweist, f ü r die die entsprechenden Parlaments- u n d Regierungsmehrheiten i n den anschließenden Bundestagswahlen jeweils eine überzeugende Bestätigung durch den Wähler erhalten haben. 91 So aber Maassen (Anm. 36) S. 74 ff. 92 Ä h n l i c h i m Ansatz Steiger (Anm. 42) S. 67. 95 So f ü r das hessische Verfassungsrecht schon Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, A r t . 79 A n m . 2 b.

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III. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung

der Wähler nicht indirekt entschieden hat, daß die Arbeit daran wiederaufgenommen werden soll. Der Grundsatz der Diskontinuität enthält damit aber nicht nur einen Beendigungstatbestand für alle anhängigen Fragen, gleichgültig, i n welchem Stadium der Beratung diese sich befinden, sondern auch einen Handlungsauftrag an das neue Parlament und die von i h m abhängigen und auf es ausgerichteten übrigen Verfassungsorgane. Nicht umsonst werden Wahlkämpfe deshalb mindestens ebenso stark m i t nicht zum Abschluß gebrachten Themen gesetzgeberischer politischer Gestaltung wie m i t dem Versprechen der Inangriffnahme neuer geführt. Der Bundestagswahlkampf 1972 ζ. B. w a r i m Bereich der Rechtspolitik weitgehend von den Auseinandersetzungen u m die unvollendet gebliebene Eherechtsreform und die Reform des § 218 StGB beherrscht; bisherige Koalition u n d bisherige Opposition traten gegeneinander m i t dem Anspruch an, vom Wähler den Auftrag zu erhalten, die vorgeschlagenen u n d bereits vorliegenden Lösungen zu realisieren bzw. zu verhindern. Beides w i r d rechtlich erst durch den Grundsatz der Diskontinuität ermöglicht, denn dieser engt die Entscheidungsfreiheit des neuen Bundestages eben nicht ein, indem er diesen etwa daran hindert, die unerledigten Vorgänge i n dem Stadium wiederaufzunehmen, bis zu dem sie vom alten Bundestag beraten worden sind 9 5 . Allein als „Verbot der Vorgreiflichkeit" 9 6 läßt sich der Grundsatz der Diskontinuität deshalb nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz ableiten 9 7 . Hier würde tatsächlich „eine Regelung genügen, die dem neugewählten Parlament die freie Entscheidung darüber einräumt, ob es eine von seinem Vorgänger nicht abschließend beratene Angelegenheit überhaupt aufgreifen und ob es sie gegebenenfalls von Grund auf neu oder i n Anknüpfung an den vorher erreichten Verhandlungsstand beraten w i l l " . Dazu bedürfte es „nicht der rechtlichen Vernichtung der unerledigten Vorlagen und Anträge. Es würde durchaus ausreichen, diese Gegenstände bis zu einer Entscheidung des neuen Bundestages zunächst als ruhend zu behandeln und ihren endgültigen rechtlichen Verfall erst dann anzunehmen, wenn sie vom neuen Bundestag nicht innerhalb einer bestimmten Frist wieder aufgegriffen werden 9 8 ." Steiger 99 interpretiert dann auch den Grundsatz der Diskontinuität dahin, „daß die Vorlagen, da sie beim Organ Bundestag eingebracht werden, dem die Zuständig94

Leinemann (Anm. 5) S. 621. So aber Hömig/Stoltenberg (Anm. 72) S. 690; vgl. dagegen oben § 28 die faktischen Möglichkeiten, bereits erzielte Ergebnisse zur Grundlage der F o r t führung der Beratungen zu machen. 96 So die Charakterisierung bei Hömig/Stoltenberg (Anm. 72) S. 690. 97 So aber Maassen (Anm. 36) S. 70 ff.; Beiz (Anm. 11) S. 66 f. 98 Hömig!Stoltenberg (Anm. 72) S. 690. 99 (Anm. 42) S. 66 f. 95

§ 29 Geltungsgrund und

ang

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keiten zugewiesen sind, nicht ,automatisch ihre Erledigung 4 finden (Maunz), nicht ,hinfällig' werden (Klein)", sondern daß das Organ mit ihnen befaßt bleibt, lediglich die Verpflichtung zur Erledigung, insbesondere zur Behandlung und Beschlußfassung der Gesetzentwürfe beendet wird. Wenn er zu diesem Schluß kommt, w e i l er die Diskontinuität als „auf dem fortbestehenden Doppelcharakter des Bundestages" als Organ und Körperschaft beruhend versteht, der nicht „je nach Zuständigkeiten und Wahrnehmung" gespalten werden könne, versucht er allerdings zu einseitig, den Bereich des Verfassungs- und Parlamentsrechts verwaltungsrechtlichen Kategorien und Denkmustern zu unterwerfen und dam i t die politische Komponente daraus zu eliminieren 1 0 0 : die Zuständigkeiten der einzelnen Verfassungsorgane werden durch die Verfassung bestimmt; ihre Wahrnehmung richtet sich zwar ebenfalls nach der Verfassung, aber nur i n dem Umfang, wie die Verfassung dafür eine besondere Legitimation vorsieht, die beim Parlament i m Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Institutionen eben nur durch Wahl u n d nur auf Zeit erfolgt 1 0 1 . Die Argumentationskette für die Auffassung, daß sich der Grundsatz der sachlichen Diskontinuität unmittelbar dem i m Grundgesetz angelegten Prinzip der sich periodisch erneuernden Repräsentation bzw. Legitimation entnehmen läßt, erweist sich demnach i m entscheidenden Punkt keineswegs als „brüchig" 1 0 2 . Vielmehr folgt gerade daraus, daß es sich nicht um ein bloßes Verbot der Vorgreiflichkeit, sondern um eine bewußt und gewollt von der Verfassung ausgesprochene zeitliche und damit materielle Beschränkung der Macht des höchsten Verfassungsorgans i n seiner konkret-personellen Zusammensetzung handelt, auch die organexterne W i r k u n g der Diskontinuität. Die Legitimations- und Handlungseinheit der Wahlperiode ist die Schranke für alle politischen Entscheidungen, die durch das Parlament zu treffen sind; m i t ihrem Ende erlöschen alle Befugnisse, aber auch alle Entscheidungen, die noch keine, auch hier wieder auf der Verfassimg beruhende Eigenständigkeit gewonnen haben. I m Gesetzgebungsverfahren bedeutet das, daß die Voraussetzungen des A r t . 78 GG und der entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen erfüllt sein müssen; Interpretationen der Formulierung der A r t . 76 Abs. 1 und A r t . 77 Abs. 1 G G 1 0 3 dienen nur der Ver100 v g l . dazu die K r i t i k an dem gesamten Ansatz von Steiger i n den Rezensionen seines Buches von Jekewitz i n : RuP 1973, S. 121 f., u n d Partsch i n : Der Staat 1975, S. 578 ff. 101 Deshalb hebt Wolff, Verwaltungsrecht I I , § 75 I d 2, auf den die gesamte Dogmatik Steigers zurückgeht, die Diskontinuität der Willensbildung als besonderes K r i t e r i u m v o n Repräsentationsorganen hervor. 102 So aber Hömig/Stoltenberg (Anm. 72) S. 690. 103 Vgl. ζ. B. Maassen (Anm. 36) S. 77; Schäfer (Anm. 33) S. 87, nach denen dem W o r t l a u t „ b e i m " i n A r t . 76 Abs. 1 G G die Bedeutung „bei dem Bundestag,

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III. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung

deutlichung, sind nicht selbständige Begründung 1 0 4 . F ü r das Verhältnis von Regierung und Parlament allgemein ist über das hier behandelte Thema hinaus festzustellen, daß damit auch die „Lebenszeit" der Regierung auf die Wahlperiode beschränkt sein muß, ein neu gewähltes Parlament also jeweils eine neue Regierung zu wählen hat, sei es auch nur i n Form der Bestätigung der alten. Das Schweigen einzelner Landesverfassungen, selbst eine aus der jeweiligen Verfassungsgenese vielleicht ableitbare ursprünglich gegenteilige Absicht des Verfassungsgebers vermag den Grundgedanken der parlamentarischen Demokratie, daß sie Herrschaft immer nur auf Zeit zur Ausübung verleiht, nicht aufzuheben oder zu relativieren 1 0 5 . Wenn das Grundgesetz auch nicht ausdrücklich vorschreibt, daß die Amtszeit der Landesregierungen auf die Wahlperiode begrenzt ist 1 0 6 , so ist aus der Entscheidung aller Landesverfassungsgeber für die parlamentarische Demokratie doch herzuleiten, daß das Ende der Amtsdauer der Regierung von der Wahldauer des Parlaments abhängt, und keine Regierung das Parlament überdauert 1 0 7 , von dem es seine Legitimation ableitet, oder, wie es Friesenhahn noch schärfer ausgedrückt hat: „Schreibt die Verfassung vor, daß der Regierungschef vom Parlament gewählt wird, so ist die Amtsdauer der Regierung auf die Wahlperiode des Parlaments begrenzt. Jedes neugewählte Parlament ist zur Regierungsbildung berufen. Das muß auch da gelten, wo es i n der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt ist 1 0 8 ." Wie die Begrenzung der Amtsdauer der Regierung auf die Legislaturperiode als eine allgemeine und regelmäßig unabdingbare Grundstrukt u r des Parlamentarismus g i l t 1 0 9 und nicht etwa vom Grundgesetz under das Gesetz beschließt", bzw. „ w i e er auf G r u n d einer W a h l für die Dauer von vier Jahren zusammengesetzt ist" zu unterlegen ist. 104 Die an dem v o n Schäfer i n diesem Zusammenhang benutzten Begriff der Unterstellung anknüpfende K r i t i k v o n Hömig/Stoltenberg (Anm. 72) S. 691 Fn. 18 geht deshalb fehl. 105 Bedenklich deshalb BVerfGE 27, S. 44 ff., w o hinsichtlich der Amtsdauer des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten von einem „Landesbrauch" ausgegangen w i r d ; vgl. dazu Häberle, „Landesbrauch" oder parlamentarisches Regierungssystem?, i n : J Z 1969, S. 613 ff. Z u dem insoweit aktuellen Parallelproblem i m Saarland vgl. die w o h l richtige Auffassung von Krause, Der S t i m mengleichstand i m saarländischen Landtag u n d seine verfassungsrechtlichen Auswirkungen, i n : D Ö V 1975, S. 401 ff., gegen Knies, Überlebt die Regierung Röder das Parlament?, i n : F A Z v o m 27. M a i 1975, S. 8, u n d ders., D i s k o n t i n u i tät des Parlaments — K o n t i n u i t ä t der Regierung?, i n : JuS 1975, S. 420ff.; i m übrigen die dort u n d oben § 27 A n m . 326 zitierte Literatur. ιοβ BVerfGE 9, S. 268; Krause (Anm. 105) S. 401. 107 Dürig, A r t i k e l „Staatsformen", i n : H w S t W Bd. I X , S. 749; vgl. auch von Mangoldt/Klein (Anm. 44) A r t . 69 A n m . I V 2 a. 108 Friesenhahn, Parlament u n d Regierung i m modernen Staat, i n : W D S t R L 16, S. 43 f. 109 Krause (Anm. 105) S. 401.

§ 29 Geltungsgrund und

ang

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abhängiges „gemeindeutsches Recht" 1 1 0 oder gar lediglich eine verfassungspolitisch wünschenswerte Ausgestaltung darstellt, ist „auch die Rechtsnatur des Prinzips der sachlichen Diskontinuität nicht i m Gewohnheitsrecht zu finden" 111, das seine Rechtfertigung nun einmal i n der aus der Vergangenheit i n die Gegenwart hineinreichenden Praxis hat. Die Verfassungsvergangenheit darf zwar nicht ignoriert oder gar verleugnet werden; m i t Tomuschat w i r d man i h r „unter den topoi der Interpretation . . . sogar stets einen wichtigen Platz zubilligen müssen, da anders die zumindest zur Kenntnis zu nehmenden Intentionen des historischen Verfassungsgebers nicht klargelegt werden können" 1 1 2 . Gerade für die Diskontinuität gilt jedoch, was Tomuschat allgemein feststellt, daß nämlich die Vorstellung unvollziehbar sei, „daß Gewohnheitsrecht aus früheren Verfassungsepochen unvermittelt, als quasi unabänderliches Prägemuster deutschen Verfassungsdenkens, i n die vom Grundgesetz aufgerichtete Ordnung hineinrage" 1 1 3 » 1 1 4 . Auch seiner weiteren Schlußfolgerung kann deshalb zugestimmt werden: „Hat der Verfassungsgeber das Parlament i n bewußter Anknüpfung an vorgefundene Strukturen als eine Institution ausgebildet, die nicht gehalten ist, die Arbeitsrückstände ihres Vorgängers aufzuarbeiten, so bildet das Diskontinuitätsprinzip heute einen selbstverständlichen Bestandteil der formellen Verfassung i m Sinne des A r t . 79 Abs. 1 GG, ganz ohne Rücksicht darauf, auf welcher Rechtsgrundlage es unter der Weimarer Verfassung beruht haben m a g " 1 1 5 . Die Zuordnung zur formellen Verfassung kennzeichnet dabei nur seinen Rang; der Form nach ist es ungeschriebenes materielles Verfassungsrecht 1 1 6 , das auf seinen Kern zurückgeführt aus der Entscheidung der Verfassung für die parlamentarische Demokratie fließt, die auch i n A r t . 20 Abs. 2, A r t . 38 Abs. 1 und A r t . 39 Abs. 1 GG Ausdruck gefunden hat. Insoweit unterscheidet es sich von sonstigem ungeschriebenem Verfassungsrecht, zu dem neben Gewohnheitsrecht vor allem die allgemeinen oder besonderen Rechtsgrundsätze gezählt werden 1 1 7 ; aus dem gleichen 110 So aber Haberle (Anm. 105) S. 616; gegen i h n insoweit zurecht Tomuschat (Anm. 7) S. 49 Fn. 24. 111 Tomuschat (Anm. 7) S. 31, 85. 112 (Anm. 7) S. 85. 113 (Anm. 7) S. 85. 114 So auch der Ansatz bei Müller (Anm. 10), dem Leinemann (Anm. 5) S. 620 hinsichtlich der Folgerungen dann aber zurecht „Begriffsdenken, das sich v o n der Realität löst", v o r w i r f t . 115 (Anm. 7) S. 85 f. 116 So i m Ansatz, aber noch nicht weiter ausgeführt, schon Jekewitz, Umfang u n d I n h a l t des parlamentarischen Initiativrechts v o n Bundestagsabgeordneten, i n : D Ö V 1969, S. 136. D e r versteckte V o r w u r f der Unentschiedenheit, den Tomuschat (Anm. 7) S. 31 Fn. 8 dagegen erhebt, ist insoweit nicht ganz berechtigt.

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III. 8. Kap.: Politische und rechtliche Zuordnung

Grunde strahlt es aber auch auf andere Verfassungsorgane aus, die ζ. B. i m Gesetzgebungsverfahren m i t dem Parlament zusammenwirken. Die als „deklaratorische Wiederholung als Rechtssatz des Parlamentsrechts" 1 1 8 , „positivrechtliche Ausformung" 1 1 9 , „nähere Umschreibung und Ausprägung" 1 2 0 oder schlicht „Positivierung" 1 2 1 bezeichnete Ausformulierung des Grundsatzes der Diskontinuität i n § 126 GO B T bzw. den entsprechenden Bestimmungen der Geschäftsordnungen der Vertretungskörperschaften der Länder 1 2 2 kann von daher nicht selbständiges Produkt der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie und Satz des autonomen Parlamentsrechts sein, sondern steht i m Rang darüber 1 2 3 . Insbesondere ist sie nicht die einzige Grundlage für das Diskontinuitätsprinzip 1 2 4 . Sie bildet lediglich ein weiteres Beispiel für den Mischcharakter moderner Parlamentsgeschäftsordnungen, i n denen neben Rechtssätzen des Parlamentsbinnenrechts Verfassungsbestimmungen wiederholt werden, die für Rechtsstellung und Verfahren des Parlaments von Bedeutung sind 1 2 5 . Die Aufnahme auch ungeschriebenen materiellen Verfassungsrechts bedeutet insoweit keine Ausnahme, ändert vor allem nichts an der Rechtsqualität des betreffenden Rechtssatzes, mag er dort auch erstmals eine konkrete Form angenommen haben. Außergewöhnlich ist ferner nicht, daß m i t § 126 GO B T und den entsprechenden Bestimmungen der Geschäftsordnungen der Länderparlamente eigentlich eine Frage angesprochen wird, die zeitlich außerhalb des Geltungsbereichs der Geschäftsordnung liegt. Die Feststellung des Untergangs unerledigter Vorlagen und Anträge m i t dem Ende der Wahlperiode ist für das Parlament, das sich die betreffende Geschäftsordnung gegeben hat, belanglos, da es ohnehin infolge des Fortfalls der Mandate seiner Mitglieder und damit der personellen Diskontinuität seine Legitimation und damit seine Handlungsfähigkeit verloren hat; als Beendi117 Vgl. Tomuschat (Anm. 7) S. 46 ff. u n d die dortigen Nachweise. Ungenau deshalb Beiz (Anm. 11) S. 66, w e n n er davon spricht, daß es sich bei dem Grundsatz der Diskontinuität „also weder u m ungeschriebenes Verfassungsrecht noch u m Gewohnheitsrecht" handele; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 356, auf den er sich dabei bezieht, meint m i t dem „ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Prinzip der Diskontinuität der einzelnen Bundestage" eindeutig Gewohnheitsrecht, w i e sich aus dem Zusammenhang ergibt. 118 Vgl. ζ. B. Schäfer (Anm. 33) S. 87. 119 Leinemann (Anm. 6) S. 618. 120 Hömig/Stoltenberg (Anm. 72) S.691. 121 Tomuschat (Anm. 7) S. 30. 122 Vgl. oben § 27 A n m . 316. 123 So auch Trossmann (Anm. 72) S. 246, der allerdings — insoweit unrichtig — von Gewohnheitsrecht ausgeht. 124 So aber Müller (Anm. 10) S. 508. 125 Vgl. auch Klaus Friedrich Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie u n d autonomes Parlamentsrecht, S. 81.

§ 29 Geltungsgrund und ang

337

gungstatbestand für seine eigenen Arbeiten hat die Ausformulierung der sachlichen Diskontinuität deshalb allenfalls deklaratorische Bedeutung. M i t einer Geschäftsordnung kann ein Parlament aber auch stets nur sich selbst binden: als Verfassungs- und Verfahrensordnung der konkreten Organwalterschaft endet ihre W i r k u n g als Folge der Organ-Diskontinuität m i t dem Ablauf der Wahlperiode 1 2 6 . Zwar enthalten Parlamentsgeschäftsordnungen häufig Bestimmungen, die über das Ende der Wahlperiode hinausreichen, indem sie für die parlamentslose Zwischenzeit organisatorische Vorsorge treffen 1 2 7 , die Möglichkeit der Übernahme eben dieser Verfahrensregeln durch das folgende Parlament vorsehen 128 oder gar die Aufnahme der Arbeit i n der nächsten Wahlperiode prozedural regeln 1 2 9 . Dabei handelt es sich aber entweder u m bloße Wiederholungen oder Konkretisierungen an anderer, höherrangiger Stelle bereits niedergelegter Verfahren bzw. u m schlichte Anregungen an ein folgendes Parlament ohne Bindungswirkung. Die Bestimmung über die sachliche Diskontinuität geht insoweit darüber hinaus, als implicite m i t der Festlegung, daß nicht abgeschlossene Gegenstände parlamentarischer Beratung und Beschlußfassung als erledigt gelten, diese auch dem Zugriff des neuen Parlaments entzogen sein könnten. Die Feststellung des Untergangs bei einem Parlament bedeutet jedoch nicht ein Verbot der Weiterberatung durch das folgende Parlament, da die alte Vertretungskörperschaft ihre Nachfolger nicht binden kann. Deshalb sind auch weitergehende Bestimmungen wie i n § 95 Abs. 3 GO HessLT über die Weitergeltung unerledigter Berichtsersuchen bloße politische Absichtserklärungen 1 3 0 . Seinen materiellen Gehalt gewinnt der Grundsatz der Diskontinuität nicht aus der Erwähnung i n den Geschäftsordnungen, die als Norm insoweit unvollkommen sind, sondern aus der Verfassung selbst. Anders wäre nicht zu erklären, daß die tatsächliche Nichterledigung durch ein Parlament die rechtliche Schranke für die Fortführung dieser Arbeiten durch ein folgendes darstellt. Gehört der Grundsatz der Diskontinuität m i t den beschriebenen I n halten somit als ungeschriebenes materielles Verfassungsrecht i n der parlamentarischen Demokratie zum Normbestand der Verfassung i m Sinne von A r t . 79 Abs. 1 GG 1 3 1 , stellt sich die Frage, wie die teilweise ab126

Vgl. oben § 25. z. B. § 131 GO B T ; vgl. dazu oben § 25. 128 z. B. § 154 GO B a y L T ; vgl. dazu auch oben § 27 A n m . 315. 129 ζ. Β . § 1 GO BT. 130 Vgl. dazu oben § 27. 131 So i n d i r e k t auch das Bundesverfassungsgericht i m NichtehelichenUrteil, BVerfGE 25, S. 185: „ D a eine Frist für ein Handeln des Gesetzgebers zu bestimmen ist, k o m m t als sachgerechter Anknüpfungspunkt, auch i m H i n blick auf den Grundsatz der Diskontinuität, das Ende einer Legislaturperiode i n Betracht." 127

22 Jekewitz

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III. 8. Kap.: Politische und rechtliche Zuordnung

weichende hamburgische Staatspraxis 132 rechtlich zu bewerten ist. Die A n t w o r t darauf kann nicht anders lauten als auf die nach dem Verhältnis zwischen Parlament und Regierung: wie die Lebensdauer der Regierung nicht nur idealtypisch durch die Legitimationseinheit der Wahlperiode des Parlaments, das sie wählt, begrenzt sein muß, Legitimationsbasis einer bestehenden Regierung also nicht allein das von einem neugewählten Parlament nicht durchgeführte konstruktive Mißtrauensvot u m sein kann, können auch die von der Regierung beim Parlament eingebrachten Vorlagen hinsichtlich der Erledigung bei Beendigung der Wahlperiode keine Sondervorstellung einnehmen. Nach der von Matt e r n 1 3 3 und i n Ansätzen auch Achterberg lu gemachten Unterscheidung, die beim Staatsrecht des Bundes w i e der übrigen Länder von Verfassungsgewohnheitsrecht ausgeht, wäre hier aber dann der Normalfall anzunehmen. Eine solche Betrachtungsweise ist nur möglich, wenn man den Grundsatz der Diskontinuität nicht nur als parlamentarisches Prinzip, sondern auch i n seiner Geltung auf das Parlament beschränkt ansieht. Das mag bis 1918 richtig gewesen sein, gilt heute aber nicht mehr, wie bereits mehrfach dargelegt wurde. Andererseits haben gerade die Hansestädte erst nach 1918 die periodische Gesamterneuerung der Vertretungskörperschaft und damit die Grundlage für die Anwendung der Diskontinuität eingeführt 1 3 5 . Aus dem starken u n d ungebrochenen Traditionsbewußtsein einer seit mehreren Jahrhunderten republikanischen Staatsform heraus haben sich Regelungen erhalten, die nur teilweise i n der geschriebenen Verfassung ausformuliert sind, insgesamt aber den Grundforderungen der parlamentarischen Demokratie als Staatsform nicht genügen. Die hamburgische Staatspraxis ist so am stärksten von der eigenen Vergangenheit geprägt, aber auch i n der Durchführung am konsequentesten: der praktischen Unabhängigkeit des Senats entspricht ein Eigenleben aller Senatsvorlagen. Von den anderen Bundesländern m i t ähnlicher Verfassungslage läßt nur Schleswig-Holstein eine Parallelerscheinung anklingen: weil das A m t des Ministerpräsidenten nach der geschriebenen Verfassung von der Wahlperiode des Landtags unabhängig ist, bleiben Berichtsersuchen des Landtags an die Landesregierung vom Ende der Wahlperiode unberührt 1 3 6 , während i m übrigen sachliche Diskontinuität g i l t 1 3 7 . Staatsrecht und Staatspraxis aller übrigen Länder koppeln die durch die Wahl eines neuen Parlaments begrenzte Legitima132

Vgl. oben § 27. (Anm. 72) S. 74; vgl. auch oben. 134 (Anm. 57) S. 30. 135 Vgl. oben §§ 10, 23. ΐ3β v g L Nawiasky/Leusser/GernerlSchweigerlZacher, Freistaates Bayern, A r t . 16 Rdnr. 2. 137 Vgl. § 69 GO S - H L T . 133

Die Verfassung

des

§ 30 Ansätze zur Durchbrechung

339

tionsdauer der Regierung m i t der Erledigung auch der nicht abschließend beratenen Regierungsvorlagen, sind also ihrerseits konsequent 138 . Die Praxis i n Hamburg bildet damit eine durch das Filter der Verfassungsgebung nach 1918 wie nach 1945 hindurch fortwirkende Abweichung von der Grundstruktur der parlamentarischen Demokratie, die formal keine Verfassungsdurchbrechung darstellt, w e i l die geschriebene Verfassung sich zu diesem Punkt ausschweigt, w o h l aber als verfassungstranszendentales Gewohnheitsrecht i m Gegensatz zu der sonstigen Natur des Grundsatzes der Diskontinuität als ungeschriebene materielles Verfassungsrecht zu werten ist. § 30 Ansätze und Vorschläge zur Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität V o n der rechtlichen Zuordnung wie von den politisch-praktischen Auswirkungen her sind die Ansätze und Vorschläge zu beurteilen, institutionelle Möglichkeiten zur Durchbrechung, Umgehung oder auch nur A b schwächung der als negativ empfundenen Folgen des Grundsatzes der Diskontinuität zu schaffen. Theoretische Erörterungen dieser Frage hat es auf Bundesebene mehrfach gegeben; Anlaß war, wie schon unter der Weimarer Reichsverfassung 139 , die geplante Gesamtreform des Strafrechts, die sich erneut als i n einer Wahlperiode nicht zu bewältigendes Vorhaben erwies. V o n den Ländern hat sich nur Rheinland-Pfalz aus Anlaß der dort durchgeführten Verwaltungsvereinfachung m i t diesem Problem befaßt und dafür auch eine Regelung getroffen; i n NordrheinWestfalen ist dagegen nicht der Grundsatz der Diskontinuität angetastet, sondern unter anderem gerade wegen des Grundsatzes der Diskontinuität die Wahlperiode verlängert worden 1 4 0 . Vor allem der Vorgang i n Rheinland-Pfalz ist insoweit interessant, als hier formal korrekt u n d dem Rechtscharakter des Diskontinuitätsprinzips als ungeschriebenes materielles Verfassungsrecht entsprechend für 138

So ausdrücklich Staatssekretär Duppré f ü r Rheinland-Pfalz i n der Berat u n g des Sonderausschusses Verwaltungsreform, Protokoll der 10. u n d 11. Stzg. am 23. u n d 24. J u n i 1966, S. 18: „Nach der herrschenden Meinung stelle die Diskontinuität einen ungeschriebenen Grundsatz dar, der unter dem Aspekt der jeweiligen Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament u n d des neuen Parlaments i n seiner Zusammensetzung Verfassungsrang besitze." Auch das saarländische Staatsrecht geht v o n der Geltung des G r u n d satzes der Diskontinuität der Parlamentsarbeit aus, was aus der E n t w i c k l u n g der Verfassung m i t der Verfassungsänderung v o n 1953 heraus logisch ist. Ebenso logisch müßte dann aber der Schluß w i e i n Rheinland-Pfalz auf die jeweilige N e u w a h l der Regierung gezogen werden; vgl. dazu noch einmal Krause (Anm. 105) gegen Knies (Anm. 105). 139 Vgl. oben § 22. 140 L T - D r s . 5/234; vgl. auch oben § 27. 22*

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III. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung

einen Einzelfall die Durchbrechung durch eine Änderung bzw. Ergänzung des Wortlauts der Verfassung ermöglicht wurde. Anlaß war die Einbringung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verwaltungsvereinfachung i m Lande Rheinland-Pfalz durch die Landesregierung i m März 1965 141 , der „eine tiefgreifende Umgestaltung der Verwaltungsstruktur des Landes" vorsah 1 4 2 . Der Landtag überwies die Vorlage nach der ersten Lesung an einen eigens dafür eingesetzten Sonderausschuß, weil politisch Ubereinstimmung darüber bestand, „daß dieser Gesetzentwurf für die Verwaltungsreform noch i n dieser Legislaturperiode rechtzeitig verabschiedet w i r d " 1 4 3 . Der Ausschuß kam nach eingehenden Beratungen zu dem Ergebnis, daß es nicht möglich sein werde, den gesamten von der Regierung vorgesehenen Komplex der Verwaltungsreform i n der i m A p r i l 1967 zu Ende gehenden 5. Wahlperiode zu verabschieden. Er entwickelte deshalb einen „Phasenplan", nach dem i n einer ersten, noch von diesem Landtag zu verwirklichenden Phase lediglich die Gerichtsorganisation gestraft werden sollte, während die wichtigere Entscheidung über den Zuschnitt der Mittelinstanz und der Landkreise dem nächsten Landtag vorbehalten blieb 1 4 4 . Bereits frühzeitig w a r darauf aufmerksam gemacht worden, daß dabei der Grundsatz der Diskontinuität beachtet werden müsse 145 . Der Abgeordnete Storch wies dann auch darauf hin, daß die von i h m gebrauchte, jedoch nicht von i h m stammende Formulierung „Phrasenplan" insofern gerechtfertigt sei, als es als Unfug bezeichnet werden müsse, wenn der Landtag festlege, daß die erste Phase i n dieser Legislaturperiode vollzogen und die Erfüllung der anderen Phasen dem nächsten Landtag übertragen werde; es sei eine Phrase, zu sagen, daß der kommende Landtag hierüber entscheide, denn der nächste Landtag könne rechtlich i n keiner Weise gebunden werden 1 4 6 . Dem wurde entgegengehalten, es gebe durchaus rechtliche Möglichkeiten, eine solche Bindung vorzunehmen, indem beispielsweise ein entsprechendes Gesetz m i t Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet werde. Darüber hinaus gelte 141

L T - D r s . V. Wahlperiode, A b t . I I , Nr. 370. Beiz (Anm. 11) S. 75. 143 Abgeordneter Storch i n der 41. Stzg. a m 9. März 1965, Drs. Abt. I, Nr. 41, Sten. Ber. S. 1399. 144 Ungenau insoweit Stich, Verwaltungsvereinfachung i n Rheinland-Pfalz, i n : D Ö V 1966, S. 860, der den Vorgang beschönigend so darstellt, daß der Landtag „wegen anderer Gesetzgebungsvorhaben nicht mehr dazu kommen w i r d , auch die restlichen Punkte der Regierungsvorlage zu behandeln". Richtiger Hilf (Anm. 12) S. 742. 145 Staatssekretär Duppré i n der 7. Stzg. des Sonderausschusses am 31. März 1966, Prot. 6. u n d 7. Stzg., T e i l I I , S. 110: „ . . . denn Sie müssen j a davon ausgehen: M i t dem A b l a u f der Legislaturperiode ist diese Vorlage, soweit sie nicht behandelt ist, hinfällig, u n d sie müßte dann entweder von der Regier u n g wiedereingebracht werden oder i m Wege der I n i t i a t i v e noch einmal i n den Landtag kommen." 146 Protokoll 8. Stzg. v o m 27. A p r i l 1966, S. 4. 142

§ 30 Ansätze zur Durchbrechung

341

eine Erklärung der CDU-Fraktion dieses Landtags auch für die CDUFraktion des kommenden Landtags 1 4 7 . I n der folgenden Sitzung des Ausschusses legte die Staatskanzlei daraufhin eine Vorlage vor, die eine i n das Gesetz aufzunehmende Bestimmung enthielt, die die weitere stufenweise Durchführung der Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung auf Grund der Regierungsvorlage i n der nächsten Wahlperiode vorsah 1 4 8 . Damit sollte die Absicht des Gesetzgebers zur stufenweisen Regelung hinreichend glaubwürdig und deutlich gemacht und gleichzeitig die Kontinuität der Beratung, ohne daß jemand i m Wege der Initiative oder einer Regierungsvorlage verpflichtet wäre, nach Monaten des Verfahrens i n der neuen Legislaturperiode erneut i n Gang zu bringen, gesichert werden 1 4 9 . Es wurde aber schon eingeräumt, daß das, „was hier i n A r t i k e l 2 zu Papier gebracht ist, . . . natürlich, unter rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet, keine bindende Verpflichtung des Gesetzgebers für die kommende Legislaturperiode" sein konnte. Unter Hinweis auf die auf Bundesebene i m Zusammenhang m i t der Strafrechtsreform angestellten Überlegungen zu einer speziellen Durchbrechung des „Verfassungsgrundsatzes der Diskontinuität" erachtete man den Aufwand einer Verfassungsänderung zunächst aber nicht als lohnend, weil man sonst vor der Situation stünde, daß „ i n einem einzigen Falle m i t einer verfassungsändernden Mehrheit i n ganz rechtlich einwandfreier Weise die Fortberatung der alten Regierungsvorlage" sichergestellt werde. Der bisherige Vorschlag stelle nach rechtlichen Gesichtspunkten eine Deklamation, aber auch eine sehr starke moralische Bindung dar; vor allem komme darin sehr deutlich der Stufenplan zum Ausdruck. Besser wäre es natürlich, wenn man i n der Tat dazu überginge und würde das, was i n A r t i k e l 2 steht, m i t verfassungsändernder Mehrheit beschließen. „Dann hätten w i r ohne jeden rechtlichen Zweifel die Möglichkeit, bereits am 18. oder 19. M a i 1967 m i t der Beratung fortfahren zu können 1 5 0 ." Nachdem der Abgeordnete K o h l darauf hingewiesen hatte, daß er seiner Fraktion vorschlagen werde, das Verfahren m i t der verfassungsändernden Mehrheit zu wählen, und auch die anderen Parteien aufforderte, sich zu einer Verfassungsänderung durchzuringen 151 , wurde die Vorlage überarbeitet und i n einer neuen Fassung zur Beratung gestellt. I n der Eingangsformel war bereits auf 147

Abgeordneter Kohl (Anm. 146) S. 7. 148 Vorlage V/00306, S. 10: „ A r t i k e l 2: Über die weitere stufenweise Durchführung der Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung auf G r u n d der Regierungsvorlage betreffend Landesgesetz über die Verwaltungsvereinfachung i m Lande Rheinland-Pfalz (Drs. A b t . I I Nr. 370) w i r d der Landtag i n seiner nächsten Wahlperiode beschließen." 149 Staatssepretär Duppré i n der 9. Stzg. v o m 28. A p r i l 1966, Prot. S. 16. 150 Staatssekretär Duppré (Anm. 149) S. 16 f. 151 (Anm. 149) S. 17.

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III. 8. Kap.: Politische und rechtliche Zuordnung

den verfassungsändernden Charakter des neuen A r t i k e l 2 hingewiesen; dieser A r t i k e l 2 selbst sah die Einfügung eines A r t . 143 a i n die Verfassung v o r 1 5 2 . Die Begründung stellte darauf ab, daß der Regierungsentw u r f zur Verwaltungsvereinfachung „ m i t dem Ende der Wahlperiode als erledigt gelten (würde), wenn nicht dieser i n § 109 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtags ausgesprochene Grundsatz — wie es dem Wunsch des Sonderausschusses entspricht — ausnahmsweise durchbrochen werden könnte". Nach Ausführungen über den i n der Verfassungsrechtswissenschaft streitigen rechtlichen Rang des Grundsatzes der Diskontinuität wurde festgestellt, daß „die m i t dem Justizministerium vorgenommene Prüfung . . . zu dem Ergebnis geführt (habe), daß eine eindeutige und unanfechtbare Lösung des Problems nur i m Wege der Verfassungsergänzung möglich" sei. Der richtige Standort für diese Verfassungsergänzung sei, wenn sie Dauernatur haben sollte, A r t . 108 der Landesverfassung, der sich m i t den Gesetzes vorlagen befaßt. Da jedoch nur eine einmalige Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität für eine bestimmte Regierungsvorlage beabsichtigt ist, dürfe der passende Rahmen für die neu einzufügende Verfassungsbestimmung der V I I I . Abschnitt (Ubergangs- und Schlußbestimmungen) sein, i n dem sich auch andere Regelungen fänden, die nur vorübergehende Bedeutung haben oder hatten. Der neu aufzunehmende A r t i k e l 143 a sei i n seiner Geltung auf die nächste Wahlperiode beschränkt; er werde spätestens m i t deren Ablauf gegenstandslos. Solange er gelte, stelle er jedoch sicher, daß der nächste Landtag die Regierungsvorlage eines Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung i n Rheinland-Pfalz weiterberaten könne, ohne daß sie erneut eingebracht werden müsse. Damit sei zugleich die Gewähr gegeben, daß die Beratungen i n der neuen Legislaturperiode reibungslos u n d frühzeitig wieder aufgenommen und kontinuierlich fortgesetzt werden könnten 1 5 3 . I n den anschließenden Ausschußberatungen ging es nur noch u m die Notwendigkeit einer solchen Verfassungsergänzung. Insbesondere die SPD äußerte erhebliche Bedenken, obwohl die Fraktion übereinstimmend der Auffassung sei, daß das angesprochene Anliegen i n irgendeiner A r t und Weise verwirklicht werden müsse 154 . Den Ausschlag gab schließ152 Vorlage V/00330: „Der Landtag von Rheinland-Pfalz hat — i m Hinblick auf A r t i k e l 2 des Gesetzes m i t der f ü r Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Mehrheit — das folgende Gesetz beschlossen, das h i e r m i t verkündet w i r d : . . . A r t i k e l 2: Die Verfassung f ü r Rheinland-Pfalz v o m . . . w i r d w i e folgt geändert: H i n t e r A r t i k e l 143 w i r d folgender A r t i k e l eingefügt: »Artikel 143a. U m die weitere stufenweise Durchführung der Ver waltungsVereinfachung zu gewährleisten, w i r d die Regierungsvorlage eines Landesgesetzes über die Verwaltungsvereinfachung i m Lande Rheinland-Pfalz (Drs. des L T , V. WP, Abt. I I Nr. 370) v o m Landtag i n seiner V I . Wahlperiode weiterberaten, ohne daß sie erneut eingebracht werden muß 4 ." 153

Begründung zu A r t . 2; vgl. auch Stich (Anm. 144) S. 866.

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lieh der Hinweis auf die i m Sonderausschuß für die Strafrechtsreform des Bundestages geführten Erörterungen, der ebenfalls zu dem Schluß gekommen sei, daß ohne eine verfassungsändernde Vorschrift eine Vorlage aus der vergangenen Wahlperiode nicht ohne weiteres als Grundlage einer Beratung i n der neuen Wahlperiode dienen könne 1 5 5 , und etwa ein halbes Jahr benötigt habe, u m sämtliche i n der abgelaufenen Legislaturperiode erstellten Arbeitspapiere wieder präsent zu machen 156 . Der Sonderausschuß beschloß den Entwurf i n der zuletzt erarbeiteten Fassung und legte i h n dem Landtag v o r 1 5 7 , der i h n i n zweiter und dritter Lesung am 13. J u l i 1966 einstimmig u n d damit zugleich m i t der notwendigen verfassungsändernden Mehrheit verabschiedete, nachdem der Berichterstatter vorher noch einmal die Beweggründe für diese Form des Vorgehens erläutert hatte 1 5 8 » 1 5 9 . Noch bevor der 6. Landtag des Landes Rheinland-Pfalz nach den Neuwahlen vom 23. A p r i l 1967 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten war, war i h m damit schon die Beratung einer Gesetzesvorlage aufgegeben, ohne daß diese von einem der gemäß A r t . 108 der Landesverfassung Berechtigten förmlich eingebracht worden wäre 1 6 0 . Diese „bemerkenswerte Ausnahme" 1 6 1 bzw. „Novität i n der Geschichte des deutschen Parlamentarismus" 1 6 2 muß rechtssystematisch als typischer Anwendungsfall für eine Verfassungsdurchbrechung angesehen werden, die, obwohl die Verfassung von Rheinland-Pfalz ein ausdrückliches Verbot einer Verfassungsdurchbrechung nicht enthält, zur Außerkraftsetzung des Grundsatzes der Diskontinuität für eine einzige Gesetzesvorlage und nur für den Übergang von der 5. zur 6. Wahlperiode als Änderung der Verfassung i n deren Text aufgenommen wurde 1 6 3 . Von dem recht154 Abgeordneter Thorwirth (Anm. 138) S. 17; Abgeordneter Skopp (Anm. 138) S. 20, der äußerte, „er persönlich fühle sich durch die gewünschte Regel u n g i n politisch-moralischer Hinsicht stärker gebunden als i n rechtlicher Hinsicht". iss Parlamentsrat Becker (Anm. 138) S. 19. 156

Abgeordneter König (Anm. 138) S. 19. Drucksachen A b t . I I , N r . 626 (neu). 158 Abgeordneter König i n der 61. Stzg. v o m 13. J u l i 1966, Drs. Abt. I I , Nr. 61, Sten. Ber. S. 2176: „ W e n n auch dieser Weg der Verfassungsänderung etwas ungewöhnlich erscheinen mag, so glaubte der Ausschuß i h n dennoch vorschlagen zu sollen, u n d zwar aus einer zweifachen Überlegung: N u r auf diese Weise k a n n rechtlich einwandfrei ein Untergehen der Regierungsvorlage am Ende der Wahlperiode vermieden werden, zum anderen w i r d dem künftigen Landtag verfassungskräftig der A u f t r a g erteilt, die Verwaltungsreform weiterzutreiben u n d damit zugleich alle diejenigen zu widerlegen, die der parlamentarischen Demokratie die K r a f t zu einem solchen Reformwerk absprechen wollen." 159 GVB1.1966, S. 203 ff. 190 Hilf (Anm. 12) S. 742. 161 Schunck/de Clerck (Anm. 42) S. 47, 345. 162 Kopp, Stolz auf einen Torso, i n : F A Z v o m 28. J u l i 1966, S. 4. 157

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liehen Rang des Diskontinuitätsprinzips her war dieser Weg sogar richtig; ob er auch geeignet war, dem Inhalt des Prinzips gerecht zu werden, ist allerdings zu bezweifeln. Aus praktischer Sicht ist dagegen einzuwenden, daß, hätte der Landtag die Verwaltungsreform auch i n den nächsten vier Jahren nur zum Teil bewältigen können, eine erneute Verfassungsänderung erforderlich geworden wäre. So wäre zwar „jeweils die Bedeutimg der Durchbrechung der Diskontinuität unterstrichen" worden; „auch spricht für ein solches Vorgehen das logische Argument, die Überleitung noch wärend des Bestehens der Vorlage und nicht erst nach ihrer Hinfälligkeit vorzusehen" 164 . „Es ist aber nicht unbedenklich, wenn auf diese Weise die Verfassung i m Gesetzgebungsgang aus wechselnden konkreten Anlässen jeweils ad hoc-Änderungen ausgesetzt ist 1 6 5 . Noch bedenklicher unter politischen wie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist jedoch, daß auf diese Weise das alte Parlament das neue zu einer bestimmten Tätigkeit verpflichtet. Der rheinland-pfälzische Landtag der 5. Wahlperiode wollte m i t der Verfassungsänderung nicht nur anregen, sondern sogar bindend vorschreiben, daß sein „Nachfolger" die bei i h m eingebrachte Regierungsvorlage nach dem von i h m festgelegten Phasenplan weiterberiet. Das m i t dem Ende der Wahlperiode fortgefallene Parlament trat also „als ein i n der Verfasung nicht vorgesehener Einbringungsberechtigter" auf, der zudem „durch dieses Hinüberwirken i n die folgende Wahlperiode die Verantwortimg für das betreffende Vorhaben" verwischte, obwohl „nach der rheinland-pälzischen Verfassung" wie „nach dem Grundgesetz sich die Einbringungsberechtigten" — m i t Ausnahme des Bundesrates — auf Grund des periodisch geäußerten Wählerwillens jeweils neu „konstituieren" 1 6 6 . Das Element der Beschränkung wie der Freiheit, das nach der hier vertretenen Auffassung 167 den Grundsatz der Diskontinuität beherrscht und i h n damit zum integrierenden Bestandteil des Verfassungsrechts der parlamentarischen Demokratie macht, wäre aber aufgehoben, wenn dieses Beispiel Schule machte. Zwar w i r k t jedes Parlament nicht nur durch die verabschiedeten Gesetze, sondern auch durch die mittel- und langfristige Haushaltsplanung materiell i n die folgende Wahlperiode hinüber 1 6 8 , ein Vorgang, der sich bei einer Beteiligung des Parlaments an Planungsvorha163

Mayer/Ule, Staats- u n d Verwaltungsrecht i n Rheinland-Pfalz, S. 52; Hilf (Anm. 12) S. 743. 164 Hilf (Anm. 12) S. 755. 165 Hilf (Anm. 12) S. 755; ähnlich Bahlmann (Anm. 36) S. 193 u n d Versteyl (Anm. 14) S. 165 u n d Fn. 66. 168 Hilf (Anm. 12) S. 756. So generell auch Bahlmann (Anm. 36) S. 193. 167 Vgl. oben § 29. 168 So richtig Hilf (Anm. 12) S. 756 Fn. 66 gegen Maassen (Anm. 36) S. 81, der schon bloße Empfehlungen f ü r unangebracht hält, diese faktischen Gegebenheiten jedoch übersieht.

§ 30 Ansätze zur Durchbrechung

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ben noch verstärken w i r d ; unter dem Gesichtspunkt der periodischen Repräsentation des Volkes u n d der periodischen Legitimation durch das Volk sind aber alle Ansätze als der Grundstruktur der Verfassung zuwiderlaufend zurückzuweisen, die auch formell die Eigenständigkeit eines jeden einzelnen durch Wahl legitimierten Parlaments und der von i h m abgeleiteten übrigen Verfassungsorgane i n Frage stellen könnten. Der Vorgang i n Rheinland-Pfalz ist jedoch verfassungspolitisch noch zu tolerieren, da er sich auf eine Ausnahmeregelung für eine ganz bestimmte Gesetzesvorlage beschränkte u n d zudem den neugewählten Landtag nicht i n der Weise band, daß er bei veränderten Sachauffassungen und veränderten politischen Mehrheiten nicht auch eine andere Lösung als die i n der Regierungsvorlage und dem darauf aufbauenden Phasenplan vorgesehene ermöglicht hätte. Einer neuen Regierung wäre es unbenommen gewesen, zu Beginn der neuen Wahlperiode einen neuen Entwurf einzubringen, wie auch aus der Mitte des neuen Landtags initiat i v eine Alternatiworlage hätte eingebracht werden können, die dann konkurrierend zu der durch A r t . 143 a der Landesverfassung überkommenen zur Beratung gestanden hätten. Der Weg der förmlichen Verfassungsdurchbrechung wurde so w o h l auch stärker aus politisch-moralischer Selbstverpflichtung beschritten als aus verfassungsrechtlicher Notwendigkeit 1 6 9 . Er war zudem überflüssig, w e i l die Landesregierung zu Beginn der neuen Wahlperiode eine neue Vorlage zur Verwaltungsvereinfachung beim Landtag hätte einbringen können, die ein bloßer Formalakt gewesen wäre, der ohne Verzögerung hätte durchgeführt werden können, da nach Landesverfassungsrecht ein „Vorverfahren" entsprechend A r t . 76 Abs. 2 und 3 GG nicht vorgesehen ist 1 7 0 . Die geschilderten Möglichkeiten der Verkürzung der Eröffnung der Beratungen 1 7 1 hätten jeden überflüssigen Leerlauf, „nutzlose Aufwendungen an Zeit, A r beitskraft" und „reformerischem E l a n " 1 7 2 vermeiden helfen. Die vorgenommene Verfassungsänderung i n Rheinland-Pfalz erweist sich damit i n ihrem K e r n als gemeinsame Demonstration aller i m Landtag vertretenen Parteien, „diejenigen zu widerlegen, die der parlamentarischen Demokratie die K r a f t zu einem solchen Reformwerk absprechen w o l l e n " 1 7 3 . I n den Beratungen des Sonderausschusses Verwaltungsreform des Landtags von Rheinland-Pfalz war bei den Überlegungen, die schließ189 Vgl. noch einmal den Abgeordneten Kohl (Anm. 147) sowie den Abgeordneten Skopp i n der 10./11. Stzg. des Sonderausschusses (Anm. 138) S. 20. So auch Beiz (Anm. 11) S. 76. 170 Beiz (Anm. 11) S. 76. 171 Vgl. oben § 28; auch Beiz (Anm. 11) S. 76. 172 So aber Hilf (Anm. 12) S. 747. 173 Abgeordneter König als Berichterstatter i m Plenum (Anm. 159) S. 2176; ähnlich der Abgeordnete Hilf (Anm. 159) S. 2178.

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lieh zur Einführung des A r t . 143 a i n die Landesverfassung führten, i m mer wieder auf das warnende Beispiel u n d die negativen Erfahrungen des Bundestages m i t der Strafrechtsreform hingewiesen worden 1 7 4 . Tatsächlich sollte die Strafrechtsreform w i e schon fast 40 Jahre vorher i n der Weimarer Republik 1 7 5 die Bewährungsprobe für die Fähigkeit der parlamentarischen Demokratie werden, den großen A t e m eines Reformwerks über die zeitlich begrenzte Legitimations- und Handlungseinheit der Wahlperiode hinaus am Leben zu erhalten. Bereits bei der Einbringung des Entwurfs w a r man sich der Tatsache bewußt, daß der Zeitraum von vier Jahren zu kurz sein würde, die gestellte Aufgabe erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Deshalb wurde schon i n diesem Zeitpunkt vorausschauend erwogen, „durch Teilgesetze das Hindernis der Diskontinuität auszuräumen" 1 7 6 , obwohl dieser Gedanke als eine „außerordentlich unschöne Behelfsmaßnahme" 177 bezeichnet wurde. Als sich abzeichnete, daß selbst ein erstes, i n sich geschlossenes Teilgesetz nicht Zustandekommen würde, beauftragte der Sonderausschuß, der auch beim Bundestag zur Beratung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches gebildet worden war, seinen Sekretär m i t der Erstellung einer Analyse zu dem Problem, wie die bei Ablauf der Wahlperiode erzielten Ergebnisse möglichst vollständig und ohne Zeitverlust für die Fortsetzung der Arbeiten nach der Bundestagswahl 1965 erhalten bleiben könnten. Das äußerst sorgfältige und ausgewogene Papier 1 7 8 wertete den Grundsatz der Diskontinuität m i t der herrschenden Lehre als Verfassungsgewohnheitsrecht und kam zu dem Schluß, daß, nämlich wie bereits i n der Weimarer Republik, eine Überleitung von der 4. i n die 5. Wahlperiode nur m i t Hilfe eines m i t verfassungsändernder Mehrheit zustandekommenden Gesetzes, aber ohne ausdrückliche Änderimg oder Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes möglich sei 1 7 9 . Ein solches Gesetz erging jedoch nicht; vielmehr wurde die alte Regierungsvorlage i n i t i a t i v durch die damaligen Regierungsfraktionen wieder eingebracht 180 . Später wählte man dann den Weg über Teilgesetze, wobei das 3. und das 4. Strafrechtsre174

Vgl. oben A n m . 155. Vgl. oben § 22. 178 Abgeordneter Wittrock i n der 70. Stzg. v o m 28. März 1963, Sten. Ber. Bd. 52, S. 3215. 177 Abgeordneter Aschoff (Anm. 176) S. 3215 Β . 178 Sonderausschuß Strafrechtsreform, Hausdrucksache 9800/1964 des Deutschen Bundestages. Vgl. auch die lobende E r w ä h n u n g bei Maassen (Anm. 36) S. 69 Fn. 3, aber auch die K r i t i k ebendort S. 79 u n d bei Bahlmann (Anm. 36) S. 193. 179 Vgl. auch 28. Stzg. des Sonderausschusses Strafrecht v o m 5. November 1964, Protokoll S. 523. 180 vgl. oben § 28 A n m . 62; auch den Dank der Bundesregierung durch B u n desjustizminister Schäffer, 14. Stzg. v o m 13. Januar 1966, Sten. Ber. Bd. 60, S. 552 Α / Β . 175

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formgesetz auf Grund von Vorlagen verabschiedet wurden, die Beratungsergebnisse des Ausschusses i n der jeweils vorangegangenen Wahlperiode als Initiative aus der Mitte des Bundestages zusammenfaßten 181 . Der Vorgang war jedoch Anlaß, sich i n den Verfassungsressorts der Bundesregierung m i t der Frage zu beschäftigen, wie institutionell Vorsorge getroffen werden könnte, ähnliche Situationen i n Zukunft zu vermeiden. Dabei mag auch ein gewisser „Vaterschaftskomplex" eine Rolle gespielt haben, wie er i n der Beurteilung der Wiedereinbringung einer früheren Vorlage durch eine Gruppe von Abgeordneten anklingt, daß „ein solches Verfahren nur rein formal i m Rahmen des Artikels 76 GG" bleibt u n d es nicht gut sei, „wenn eine Verfassungsordnung zu einer solchen fehlsamen Anwendung ihrer Vorschriften Anlaß g i b t " 1 8 2 . Wenn i n diesem Zusammenhang behauptet w i r d , es sei „eine andere politische Situation, ob eine aus der Mitte des Hauses eingebrachte Vorlage beraten w i r d " , denn es walte „eine gesunde Polarität zwischen dem drängenden Entwurf der sachkundigen Exekutive und der kritischen u n d distanzierten Beratung und Entscheidung durch die die politische Verantwortung tragende Legislative" 1 8 3 , so kommt darin ein auf Urheberrechte pochendes Konkurrenzdenken der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Beamtenschaft zum Ausdruck, das sich hinter der scheinobjektiven Behauptung, es fehle „bei solchen umetikettierten früheren Regierungsvorlagen ein Stück des politischen Kraftfeldes, die Regierungsvorlage solle ihren Charakter nicht deshalb aufgeben, und das irgendwie doch unwahre Etikett einer Abgeordnetenvorlage nur deshalb übernehmen müssen, w e i l die Verfassung ein sachgemäßes Verfahren nicht zur Verfügung stellt" 1 8 4 , nur mühsam verbirgt 1 8 5 . 181

Über das 3. StRG — Straftaten gegen den Gemeinschaftsfrieden — k o n n te i n der Großen K o a l i t i o n keine Einigkeit erzielt werden. Nach der Bundestagswahl 1969 brachten daraufhin die Fraktionen der SPD u n d F D P einen neuen E n t w u r f ein — B T - D r s . VI/139 —, dem die inzwischen i n die Opposition gewechselte CDU/CSU einen eigenen E n t w u r f entgegensetzte — BT-Drs. V I / 261 —. Das 4. StRG — Sexualstrafrecht — w u r d e ebenfalls auf G r u n d einer Vorlage der Fraktionen der sozial-liberalen K o a l i t i o n beraten u n d verabschiedet — BT-Drs. 7/80 —. 182 Maassen (Anm. 36) S. 79 f. 183 Maassen (Anm. 36) S. 80. 184 Maassen (Anm. 36) S. 80. Maassen w a r nacheinander Verfassungsreferent, Leiter der Strafrechtsabteilung u n d Leiter der Verfassungsabteilung i m B u n desjustizministerium, bevor er dort Staatssekretär wurde. Die Straf rechtsreform konnte er damit auch als sein „ K i n d " ansehen, das sich i m m e r mehr von dem ursprünglichen Idealbild wegentwickelte. I n Maassens Argumentation w i r k e n spürbar Momente eines falschen Selbstverständnisses i m Sinne einer Eigenständigkeit der Ministerialbürokratie fort, die f ü r sich i n Anspruch n i m m t , jenseits des Wechsels politischer Mehrheiten als Folge v o n Wählerentscheidungen u n d ungeachtet des Charakters der parlamentarischen Demokratie als Macht auf Zeit stets das Sachgerechte u n d Richtige zu wissen u n d zu wollen. Gerade die E n t w i c k l u n g der Straf rechtsreform v o m E n t w u r f 1962

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Die i m Bundesministerium des Innern angestellten 186 , m i t dem Bundesministerium der Justiz, dem damals noch bestehenden Bundesratsministerium und dem Direktor des Deutschen Bundestages erörterten 1 8 7 und dem Arbeitskreis für allgemeine und Rechtsfragen der Fraktion der CDU/CSU als damaliger Regierungspartei nicht fremd gebliebenen 188 Überlegungen zu einer Änderung des Grundgesetzes i m Sinne einer Erweiterimg des A r t . 76 G G m i t dem Ziel einer Auflockerung des Grundsatzes der Diskontinuität gingen davon aus, daß, würde man auch die unerledigten Gesetzesvorlagen eines früheren Bundestages als wirksame Gesetzesinitiativen anerkennen, man „einen vierten Gesetzgebungsweg unterstellte, dessen Vorverfahren vom Grundgesetz ungeregelt geblieben wäre, obwohl doch erkennbar gerade i n diesem Falle die Beteiligung der anderen Verfassungsorgane viele Fragen a u f w i r f t " 1 8 9 . Zur Änderung des durch Auslegung des Grundgesetzes ermittelten Verfassungssatzes, auf dem die Diskontinuität beruht, wurde ein Gesetz für notwendig erachtet, das den Erfordernissen des A r t . 79 Abs. 1 und 2 GG entspricht, weil, da man einem verfassungsrechtliches Gewohnheitsrecht abändernden Gesetz den Verfassungsrang nicht absprechen kann, es sonst gesetztes Verfassungsrecht außerhalb des Grundgesetzes gäbe 1 9 0 . Die Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität wurde deshalb nur i m Wege eines Gesetzes, das neben den Mehrheiten des A r t . 79 Abs. 2 GG auch eine ausdrückliche Änderung oder Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes vorsieht, für möglich betrachtet 191 . Hinsichtlich der Ausgestaltung dieser Verfassungsänderung herrschte bei den Urhebern dieses Gedankens jedoch keine Einigkeit. Ubereinstimmung bestand nur insoweit, als die Anhängigkeit einer beim alten bis zu der i n der 7. Wahlperiode weitgehend abgeschlossenen Kodifizierung beweist jedoch die Unrichtigkeit dieses Selbstverständnisses. 185 Das übersieht Versteyl (Anm. 14) S. 166, w e n n er k r i t i k l o s die A r g u m e n tation Maassens übernimmt. Distanzierter, da rein referierend Hilf (Anm. 12) S. 757. 18e Vgl. Schäfer (Anm. 33) S. 87, dann auch Hilf (Anm. 12) S. 749 u n d Hömig/ Stoltenberg (Anm. 72) S. 690 Fn. 8. 187 A u f diese Weise kamen Maassen u n d Bahlmann m i t der Frage i n Berührung. Beide w a r e n zu dieser Zeit i n der Verfassungsabteilung des Bundesjustizministeriums tätig. 188 Unrichtig deshalb Beiz (Anm. 11) S. 73, der auf Fromme (Anm. 34) aufbauend den Vorschlag der C D U zurechnet. Richtiger jetzt Leinemann (Anm. 5) S. 619. 189 Maassen (Anm. 36) S. 78. Der Bundesratspräsident protestierte dann auch förmlich bei Bundesregierung u n d Bundestag gegen die Wiedereinbringung des Entwurfs der Strafrechtsreform durch eine I n i t i a t i v e der Koalitionsfraktionen; vgl. auch oben A n m . 65 a. 190 Maassen (Anm. 36) S. 79; Bahlmann (Anm. 36) S. 193. Vgl. auch die Parallelargumentation i n Rheinland-Pfalz oben. 191 Maassen (Anm. 36) S. 79; Bahlmann (Anm. 36) S. 193.

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Bundestag eingebrachten Gesetzesvorlage nicht automatisch auch m i t Wirkung für den neuen Bundestag begründet werden sollte; die weitere Anhängigkeit bei dem folgenden Parlament sollte von einer entsprechenden Beschlußfassung des neuen Bundestages abhängen, „dem m i t dieser Zwischenschaltung die volle Souveränität für die von i h m zu beschließenden Gesetze zuerkannt w i r d " 1 9 2 . Übereinstimmung bestand aber auch darin, daß eine derart über den Trennschnitt des Endes der Wahlperiode hinweg ermöglichte Fortsetzung der Beratungen nicht erneut ein Vorverfahren i n Form der erneuten Beteiligung des Bundesrates erfordern 1 9 3 , unter anderem aber auch deshalb nur auf Vorlagen Anwendung finden sollte, m i t deren Beratung der Bundestag bereits begonnen hatte 1 9 4 . Ebenso wurde eine förmliche Zustimmung der Bundesregierung zu dem „Weiterberatungsbeschluß" nicht für erforderlich erachtet, obwohl für sie der neue Gesetzgebungsweg als nicht unproblematisch angesehen wurde, w e i l i h r eigenes Initiativrecht als „ein ausschlaggebendes M i t t e l zur Durchsetzung ihrer P o l i t i k " dadurch eine „zwangsläufige Schmälerung" erfahren würde. Auch zur Vermeidung dieser Schwierigkeiten, daß nämlich eine neue Regierung sich „nach einem Weiterberatungsbeschluß des Bundestages einer früheren Regierungsvorlage" gegenübersehen könnte, „die nach Inhalt und Dringlichkeit ihren eigenen Vorstellungen keineswegs zu entsprechen braucht" 1 9 5 , aber auch, u m die A b wendung auf Ausnahmefälle zu beschränken und den weitgehend übereinstimmenden politischen Willen zur Weiterberatung des „motorlosen Vorhabens" zu dokumentieren 1 9 6 , schlug Maassen m i t dem ursprünglichen Entwurf des Bundesministeriums des Innern eine Ergänzimg des A r t . 76 GG u m einen neuen vierten Absatz vor, der einen Weiterberatungsbeschluß nur über Vorlagen der Bundesregierung oder des Bundesrates und dann nur m i t Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erlauben sollte 1 9 7 . Demgegenüber vertrat Bahlmann 192 Bahlmann (Anm. 36) S. 194; Maassen (Anm. 36) S. 81, die i n diesem Zusammenhang die Forderung aufstellen, „auch durch bloße Empfehlungen sollte der alte Bundestag nicht i n die alleinige V e r a n t w o r t u n g des neuen Bundestages h i n e i n w i r k e n " . 193 Bahlmann (Anm. 36) S. 195; Maassen (Anm. 36) S. 83. 194 Maassen (Anm. 36) S. 81, der darauf hinweist, daß Gesetzentwürfe, die sich noch i m Vorverfahren auf dem Wege zum Bundestag befinden, nicht ohne G r u n d endgültig dem Grundsatz der Diskontinuität verfallen, andererseits bei Entwürfen, die den Bundestag zwar erreicht hatten, aber noch nicht Gegenstand v o n Beratungen waren, es an einer ausreichenden Grundlage zur Beurteilung der parlamentarischen Situation fehle. 195 Maassen (Anm. 36) S. 82. Vgl. auch Hilf (Anm. 12) S. 757 Fn. 69. 196 Maassen (Anm. 36) S. 80. 197 (Anm. 36) S. 83: „(4) Vorlagen der Bundesregierung oder des Bundesrates, die i n einer abgelaufenen Wahlperiode eingebracht worden sind, k ö n nen weiter beraten werden, w e n n der Bundestag dies m i t Zustimmung v o n zwei D r i t t e l n seiner Mitglieder beschließt."

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entsprechend -auch von anderer Seite geäußerten Auffassungen die Meinung, es sei nicht einzusehen, w a r u m das gleiche nicht auch für Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages gelten solle; außerdem hielt er als Quorum die einfache Mehrheit für erforderlich und ausreichend, da es nicht möglich sei, die Weiterbehandlung schon einer Minderheit von Fraktionsstärke, der an sich das Hecht der Gesetzesinitiative zustehe, an die Hand zu geben, andererseits eine darüber hinausgehende qualifizierte Mehrheit dem Grundsatz widerspreche, „daß dem neuen Bundestag die volle Souveränität zusteht und diese sich grundsätzlich i n einfachen Mehrheitsentscheidungenniederschlägt" 198 . Dieser „neue vierte Gesetzgebungsweg" 199 hat nie ernsthafte Chancen der Verwirklichung gehabt 2 0 0 , obwohl seine Einführung auch heute gelegentlich noch Befürworter findet 201. Die Gründe für sein Scheitern sind nicht zu ermitteln; vermutlich wurde man sich schnell bewußt, daß die notwendige Zustimmung des Bundesrates nicht zu erlangen war. Abgesehen von der Frage, ob der Grundsatz der Diskontinuität nicht bereits dadurch, daß er, wie dargelegt, auf einem Grundprinzip der parlamentarischen Demokratie beruht, nach A r t . 79 Abs. 3 GO dem Zugriff auch des Verfassungsgesetzgebers entzogen ist 2 0 2 , muß der Vorschlag aber nicht nur deswegen, w e i l „ i m Falle seiner Verwirklichung ein Fremdkörper i n das deutsche Verfassungsrecht eingefügt w ü r d e " 2 0 3 , abgelehnt werden. Gegenüber dem i n Rheinland-Pfalz beschrittenen Weg ist darin zwar den Bedenken Rechnung getragen, die aus der sei es auch nur politisch-moralischen Bindung des zu wählenden Parlaments durch das noch amtierende entspringen könnten 2 0 4 : Entscheidungsträger ist allein der neue Bundestag i n seiner durch die Wahl bestimmten konkret-personellen Zusammensetzung, ein „Hinüberwirken" findet nicht statt. Entgegen der Auffassung von Maassen 205 beschränkt sich der i n der vorgeschlagenen Verfassungsergänzung vorgesehene „Weiterberatungsbeschluß" i n seiner rechtlichen W i r k u n g aber nicht darauf, das Erfordernis 198 (Anm. 36) S. 194 f. Nach seinem Vorschlag sollte A r t . 76 Abs. 4 GG lauten: „Vorlagen, die i n einer abgelaufenen Wahlperiode eingebracht worden sind, können weiter beraten werden, w e n n der Bundestag dies m i t einfacher M e h r heit beschließt." 199 So Maassen (Anm. 36) S. 78, 80. Vgl. auch Beiz (Anm. 11) S. 74. 200 Unrichtig insoweit Bassanini, G l i effetti della fine della legislatura sui procedimenti legislativi pendenti, i n : Riv. T r i m . Dir. Pubb. 1968, S. 1239, der i r r t ü m l i c h davon ausgeht, eine entsprechende Regierungsvorlage sei tatsächlich eingebracht worden; richtiger S. 1273. 201

So Hilf (Anm. 12) S. 757; Versteyl (Anm. 14) S. 166 f. 202 Y g i den später allerdings durch den eigenen Vorschlag relativierten Hinweis bei Bahlmann (Anm. 36) S. 193. 203 204 205

Beiz (Anm. 11) S. 74. Vgl. oben. Ungenau deshalb Achterberg (Anm. 36) S. 82.

(Anm. 13) S. 841.

§ 30 Ansätze zur Durchbrechung

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einer neuen Gesetzesvorlage zu beseitigen; jedenfalls kommt i n seiner Formulierung diese Einschränkung nicht zum Ausdruck 2 0 6 . Bereits seine Wortwahl und der politische Gesamtzusammenhang, i n den er seine Überlegungen stellt, zeigen, daß es i m Grunde darum geht, eine der kontinuierlichen, „ungestörten" Arbeit der Exekutive, deren Entwürfe vom Parlament möglichst zügig zu verabschieden sind, hinderliche Unterbrechung weitgehend auszuräumen. Das gleiche impolitische Verständnis der politischen Strukturen der parlamentarischen Demokratie steht übrigens hinter dem Gedanken, den Weiterberatungsbeschluß an das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit zu binden 2 0 7 , da damit ein falsches überparteiliches „Konsensdenken" klassischen Harmoniestrebens zugrundegelegt wird. Ist der Vorschlag einer derartigen Verfassungsergänzung somit verfassungspolitisch abzulehnen, schadet er verfassungsrechtlich jedoch unmittelbar nicht. E i n Weiterberatungsbeschluß, ob m i t einfacher oder qualifizierter Mehrheit gefaßt, läßt zu Recht noch „keine Bindung des neuen Bundestages an vorliegende Beratungsergebnisse etwa aus erster Lesung oder aus den Ausschüssen zu, da die neuen Mitglieder einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch darauf haben, sich i n allen Stadien des Verfahrens selbständig eine Meinung bilden zu können" 2 0 8 . Wiederum verfassungspolitisch würde aber damit der dem Grundsatz der Diskontinuität zugrundeliegende Gedanke der Macht auf Zeit relativiert, indem ein Sog entstehen würde, unter Hintansetzimg politischer Gegensätze und unterschiedlicher Lösungsvorschläge i m Interesse einer falschverstandenen Leistungseffizienz des Parlaments 2 0 9 , Gesetzesberatungen möglichst stromlinienförmig einzuleiten bzw. fortzuführen. Die Gefahr der politischen Niederlage schon bei dem Weiterberatungsbeschluß w ü r de von dem an der Realisierung Interessierten durch Kompromisse vor Beginn bzw. neuerlichem Beginn der eigentlichen Beratungen abgekauft. Gerade der Strafrechtsreform, die Anlaß zu derartigen Überlegungen w a r 2 1 0 , ist trotz der zeitlichen Verzögerung hinsichtlich des endgültigen Inkrafttretens die durch den Grundsatz der Diskontinuität ermöglichte mehrfache Überarbeitung und Anpassung an die gewandelten politischen Mehrheitsverhältnisse ausgesprochen gut bekommen. Auch die Eherechtsreform ist inhaltlich dabei gereift, u n d Parteiengesetz u n d Notstandsverfassung wären nicht i n der jetzt geltenden Fassung zustandegekom206

So auch Beiz (Anm. 11) S. 74. 207 wie Maassen aber auch Versteyl 12) S. 757. 208

(Anm. 14) S. 167; gegen i h n Hilf

(Anm.

Hilf (Anm. 12) S. 757 f. Vgl. noch einmal Achterberg (Anm. 12), bei dem dieser Gedankengang bereits i m T i t e l seines Aufsatzes zum Ausdruck k o m m t . 210 Vgl. noch einmal Scheuner (Anm. 57) S. 513. 209

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III. 8. Kap.: Politische und rechtliche Zuordnung

men, wenn nicht zwischen erstmaliger Einbringung und endgültiger Verabschiedung die Zäsur des Endes einer Wahlperiode und des Neubeginns der Beratungen unter den Umständen durch die Wähler bestellter und bestätigter Mehrheiten gelegen hätte. Vorschläge zur Beseitigung oder Einschränkung des Grundsatzes der Diskontinuität decouvrieren sich deshalb nicht nur als Verkennung der i m Rahmen des geltenden Rechts liegenden Möglichkeiten 2 1 1 , sondern auch als von technokratischen Gedankengänge beeinflußter geistiger Verstoß gegen den „eigentlichen Sinn und Zweck des Prinzips" 2 1 2 . Auch ohne ein starres Antragsrecht kann eine neue Mehrheit Überlegungen u n d Entwürfe wiederaufnehmen, wie ebenso eine neue Minderheit dagegen Alternativvorschläge aufstellen kann. Die Entscheidung am Ende eines kontrovers wie einm ü t i g durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens hat aber der jeweilige Bundestag zu treffen, und zwar i n der durch den Wähler auf Zeit geschaffenen Zusammensetzung. Wo dazu nicht die Zeit und K r a f t vorhanden war, sind die Beratungen eben erneut aufzunehmen; den Auftrag dazu erteilt indirekt wiederum der Wähler i n der Wahl. § 31 Einschätzung und Handhabung der Diskontinuität der Parlamentsarbeit in vergleichbaren Staaten des Auslands Die Feststellung, daß es sich bei dem Grundsatz der Diskontinuität i m Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland um einen Rechtssatz des ungeschriebenen materiellen Verfassungsrechts handelt, dessen Geltung u n d Inhalt jenseits aller historischen Vorprägung unmittelbar auf die Verfassung, die i n i h r vorgesehene Stellung des Parlaments und die durch sie vorgezeichnete Zuordnung der einzelnen Verfassungsorgane zueinander zurückzuführen ist, macht die vergleichsweise Heranziehung des Staatsrechts und der Staatspraxis ausländischer Staaten an und für sich überflüssig. Da das Diskontinuitätsprinzip aber schon i m deutschen Konstitutionalismus auch m i t einem „allgemeinen europäischen Rechtsbewußtsein und einer europäischen Gewöhnung" begründet wurde 2 1 3 , einer Behauptung, der hinsichtlich der „Allgemeinheit" bereits Jellinek 214 entgegengetreten ist und die für die Zeit des konstitutionellen Staates i n dieser Verallgemeinerung als unrichtig nachgewiesen werden konnte 2 1 5 , bliebe die angestellte Untersu211 So auch Fromme (Anm. 34), der davon spricht, „den Gedanken lieber als Anstoß (zu) nehmen, v o n den praktischen Möglichkeiten, die dem geltenden Recht entsprechen, etwas unbefangeneren Gebrauch zu machen". Ä h n l i c h Beiz (Anm. 11) S. 74 f. 212 Schäfer (Anm. 33) S. 88. 213 Vgl. noch einmal Stahl oben § 9. 214 Allgemeine Staatslehre, S. 346 Fn. 1.

§31 Exkurs ins Ausland

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chung von ihrer Anlage her unvollständig, wenn nicht, sei es auch nur als Exkurs, auf das Verfassungs- u n d Parlamentsrecht vergleichbarer Staaten eingegangen würde. Interessanterweise erwähnt die rechtsvergleichende Studie der Interparlamentarischen Union zum Verfassungs- und Parlamentsrecht von 55 Mitgliedstaaten 2 1 6 die Diskontinuität als rechtliches oder tatsächliches Problem überhaupt nicht. Hinweise finden sich allein bei dem langjährigen Sekretär des Rechtsausschusses des amerikanischen Repräsentantenhauses, Charles Zinn, der i n einem Bericht zur Organisation der Parlamentsarbeit 2 1 7 als Länder, i n denen von einer Diskontinuität zwischen einzelnen Arbeits- oder Handlungsperioden des Parlaments ausgegangen wird, lediglich Australien, Deutschland, Ghana, Israel, Italien, Japan, England und die USA nennt. Diese bereits auf den ersten Blick als unvollständig erkennbare Aufzählung 2 1 8 beweist allerdings noch nicht, daß das Diskontinuitätsprinzip grundsätzlich eine Ausnahme und i m modernen Parlamentarismus einen Fremdkörper bildet, sich vielmehr eher Beispiele für das gegenteilige Prinzip, und sei es nur i n Form der Einschränkung finden lassen 219 . Z u weit geht es aber auch, den Grundsatz der Diskontinuität überhaupt zu einem Angelpunkt des Verfassungsrechts des modernen Staates zu machen und Verfassungen, denen er unbekannt ist, damit von vorneherein als undemokratisch zu charakterisieren 2 2 0 . Die Diskontinuität ist ein Element der Herrschaftsbeschränkimg; neben u n d außer ihr sind durchaus auch noch andere Formen derartiger Herrschaftsbeschränkungen denkbar. Sinn dieses Exkurses kann daher nicht eine allgemeine rechtsvergleichende Darstellung des Staatsrechts 215 Vgl. oben § 17. 2ie parliaments. A comparative Study on the Structure and Functioning of Representative Institutions i n F i f t y - F i v e Countries. 217 Zinn, The arrangement of Parliamentary Business, i n : Constitutional and Parliamentary Information, 3rd Series, No. 48, Oct. 1961, S. 198 f.: „ . . . A t the prorogation of a Parliament or the termination of the Congress, a l l pending business lapses and must be started anew i n Australia, Germany, Ghana, Israel, I t a l y , Japan, and the U n i t e d Kingdom, and the United States of A m e r i ca." Bassanini, G l i effetti della fine della legislatura sui procedimenti legisl a t i v i pendenti, i n : Riv. t r i m . dir. pubb. 1968, S. 1215 Fn. 263, zitiert Z i n n nach einer Veröffentlichung unter dem T i t e l L'organizzazione del lavoro parlamentare, i n : Montecitorio 1964, No. 10, S. 18, die offensichtlich eine italienische Fassung jenes Berichts f ü r die I P U darstellt, u n d erwähnt interessanterweise Israel u n d Japan nicht mehr, erläutert aber zumindest f ü r Israel den G r u n d i n der folgenden Fußnote; vgl. auch unten A n m . 222. 218 So auch Bassanini (Anm. 217) S. 1215 Fn. 263. 219 So aber Bassanini (Anm. 217) S. 1215. 220 So aber Starke, Recht u n d Sinn der Parlamentsauflösung, S. 14, unter Hinweis auf die portugiesische Verfassung v o n 1933* die keine Diskontinuität gekannt habe.

23 Jekewitz

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der Staaten sein, die etwa ein parlamentarisches Regierungssystem aufweisen. Es w i r d i m folgenden allein darum gehen, die eigene Entwicklung und den derzeitigen Sachstand bei einigen der Staaten nachzuzeichnen, die zur Zeit des Staatsrechts der deutschen konstitutionellen Monarchie vergleichbare verfassungsrechtliche u n d politische Strukturen aufwiesen und deshalb zur Unterstützung der Argumentation für die damalige Zuordnimg des Grundsatzes der Diskontinuität herangezogen wurden 2 2 1 . Die Auswahl ist damit zwangsläufig exemplarisch, ohne erschöpfend sein zu können. Sie dient schließlich auch nicht dem Ziel, die Notwendigkeit oder Vorgegebenheit des Grundsatzes der Diskontinuität unter einem weltweit gültigen „allgemeinen Staatsrecht" nachzuweisen. Erscheinungen wie i n Israel, w o durch Gesetz vom 10. November 1964 ausdrücklich und grundsätzlich die Fortführung der gesetzgeberischen Arbeiten nach Beginn einer neuen Legislaturperiode eingeführt wurde 2 2 2 , sollen deshalb weder für noch gegen die Geltung des Grundsatzes der Diskontinuität i m Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland i n Anspruch genommen werden. Die nach dem Vorhergesagten bewußt unvollständige Untersuchung des Staatsrechts einiger ausländischer Staaten auf die auch heute dort noch geltende Wertung des Endes bestimmter konkreter Handlungsabschnitte des Parlaments als Beendigungstatbestand für unvollendete parlamentarische Tätigkeiten geht von ihrer Anlage her den umgekehrten Weg wie die Paralleluntersuchung für die Zeit des Staatsrechts der konstitutionellen Monarchie. Sie muß darauf abstellen, ob bei unverändertem Kernbestand des nationalen Staatsrechts frühere Erscheinungsformen der Diskontinuität beibehalten oder abgestoßen worden sind bzw. ob m i t dem Wandel der Verfassungsstruktur eine früher vielleicht vorhandene Diskontinuität der Parlamentsarbeit untergegangen ist. Die so gefundenen Ergebnisse können dann m i t dem geltenden deutschen Verf assungs- und Parlamentsrecht verglichen werden. Das größte Beharrungsvermögen auch hinsichtlich des Geltungs- und Anwendungsbereichs der Diskontinuität haben Verfassungsrecht und Verfassungspraxis des anglo-amerikanischen Rechtskreises aufzuweisen. Umbrüche i n der Verfassungsstruktur sind hier ausgeblieben. Die Verfassungsgebungen, die als Folge von revolutionär oder evolutionär bew i r k t e n Veränderungen der Machtverhältnisse die Entwicklung i m übrigen Europa auszeichnen, blieben dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika unbekannt; die meisten der dabei eingeführten Institutionen waren dort schon lange 221

Vgl. oben § 17. Vgl. den T e x t i n : Constitutional and Parliamentary Information, 3rd Series, No. 3,1965, S. 93; auch Bassanini (Anm. 217) S. 1215 Fn. 264. 222

§31 Exkurs ins Ausland

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vorhanden und hatten zum Teil sogar als Vorbild gedient. Andererseits w i r k t e sich diese Kontinuität des Verfassungslebens aber auch als konservierendes Element aus: die Diskontinuität der Parlamentsarbeit blieb i n der überkommenen Form erhalten u n d unterlag keinen Wandlungen, wie etwa i m deutschen Staatsrecht äußerlich bereits durch die Verschiebung vom Ende der Session auf das Ende der Wahlperiode 2 2 3 . Umfang, Inhalt und Geltungsgrund der Diskontinuität entsprechen i n England und den USA damit auch heute noch der Darstellung, wie sie für das Ende des 19. Jahrhunderts Gültigkeit hatte 2 2 4 . Anknüpfungspunkt ist der Begriff der „prorogation" i m Gegensatz zum „adjournment", dessen W i r k u n g auch i n neueren Lehrbüchern und Kommentaren damit umschrieben wird, daß sie sofort jede Tätigkeit des Parlaments bis zur nächsten förmlichen Einberufung suspendiert bzw. abbricht 2 2 5 . Die Encyclopaedia Britannica definiert die Prorogation deshalb als „the termination . . . of a session of Parliament by discontinuing the meetings u n t i l the next session" 226 . Ebenso unverändert sind die i n der englischen Praxis entwickelten flexiblen Formen der Wiederaufnahme bzw. Fortführung bestimmter Arbeiten nicht nur bei Beginn einer neuen Session, sondern auch bei Beginn einer neuen Wahlperiode geblieben 227 . Das englische Vorbild erklärt ferner die Geltung und Weitergeltung der Diskontinuität i n Australien und Ghana 2 2 8 . V o n den europäischen Staaten, die ursprünglich dem Kreis der konstitutionellen Monarchien, wenn auch i n unterschiedlicher Ausprägung und m i t unterschiedlich schneller Abfolge der einzelnen Ablösungsphasen zuzurechnen waren und dem englischen Beispiel entsprechend eine Diskontinuität der Sessionen kannten, w a r die Entwicklung i n Frankreich am frühesten abgeschlossen. Seit 1875, also seit dem Ubergang zur Republik, gab es dort nur noch die Diskontinuität der Legislaturperioden, 223 v g l auch A r t . 28 Abs. 4 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes von 1929, w o die K o n t i n u i t ä t der Tagungen innerhalb einer Wahlperiode ausdrücklich festgelegt ist; dazu auch Adamovich, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts, S. 192 f. Die heutige Verfassungsrechtslage i n Österreich entspricht der des deutschen Rechts; vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 6 (1972), S. 874. 224 Vgl. oben § 18. 225 Vgl. z . B . Wilding /Laundy, A n Encyclopaedia of Parliament, S. 168f.: „The effect of a prorogation is at once to suspend a l l business"; ähnlich Abraham/Hawtrey, A Parliamentary Dictionary, S. 158 f. Besonders plastisch Campion , A n introduction to the procedure of the House of Commons, S. 104 f . : „ T h e effect of prorogation is to pass a sponge over the parliamentary slate . . . " , „ A n adjournment leaves uncompleted business unaffected . . . " . 226 Encyclopaedia Britannica, Vol. 18, 1959, S. 591. 227 Vgl. dazu oben § 18 u n d die dort zitierte L i t e r a t u r , insbesondere die D a r stellung bei Erskine May. W i e hier auch Bassanini (Anm. 217) S. 1203. 228 Vgl. die Aufzählung bei Zinn (Anm. 217) S. 93. 23*

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die zudem unter den besonderen Voraussetzungen der Verfassung der I I I . Republik m i t ihrem Zweikammersystem nicht für bereits von der Abgeordnetenkammer verabschiedete Gesetzentwürfe g a l t 2 2 9 und zudem durch die Änderung von A r t . 18 der Geschäftsordnung der Kammer am 19. August 1903 dahin abgeschwächt wurde, daß auf Vorschlag aus der Mitte der Ausschüsse Arbeiten der vorangegangenen Legislaturperiode wieder aufgenommen werden konnten 2 3 0 . Dieselbe Bestimmung fand sich i n der IV. Republik als A r t . 33 der Geschäftsordnung der Nationalversammlung vom 20. März 1947 wieder, während sie unter der V. Repub l i k nicht mehr ausdrücklich ausformuliert ist 2 3 1 . A u f der Linie der Versuche auch i n Deutschland, zu einer Durchbrechung bzw. Auflockerung des Grundsatzes der Diskontinuität zu kommen, liegend, sagt sie allerdings weniger über die verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Entwicklung der Diskontinuität als über die Bedeutung des Ausschußwesens i m französischen Staatsrecht aus. Die französische Praxis, insbesondere aber auch A r t . 33 der Geschäftsordnung der französischen Nationalversammlung vom 20. März 1947 waren offensichtlich Vorbild für den Versuch, ähnliche Möglichkeiten auch für das italienische Parlament einzuführen. Durch die Erfahrungen m i t der Entscheidungsunfähigkeit ihrer Vertretungskörperschaft beeinflußt, beantragten einige Abgeordnete m i t einer Initiative vom 15. Februar 1968 232 eine Ergänzung der Geschäftsordnung der Deputiertenkammer, die den vollständigen Untergang nicht zu Ende beratener Ge229

Vgl. oben § 17. A r t . 18 Règlement de l'Assemblée Nationale i n der Fassung v o m 19. August 1903: „Après le renouvellement intégral de la Chambre, les rapports sur le fond déposés par les commissions de l a précédente législature peuvent être repris et renvoyés aux Commissions nouvelles, soit sur l ' i n i t i a t i v e des Commissions elles-mêmes, soit sur l ' i n i t i a t i v e de v i n g t membres. Les demandes de renvoi sont déposées entre les mains d u président, q u i les communique à la Chambre. Lorsque la demande émane d'une Commission, le renvoi est de d r o i t ; dans le cas contraire, la Chambre statue, par assis et levé, sans débat. Toute Commission saisie d'un rapport émanant de la précédente législature peut décider qu'elle en accepte les conclusions sans amendements; elle charge alors u n de ses membres d'en soutenir les conclusions devant la Chambre, et l'inscription à l'ordre d u j o u r a l i e u dans les formes ordinaires sans autre procédure. Si la Commission estime q u ' i l y a lieu de modifier u n ou plusieurs articles, elle soumet à la Chambre u n rapport se l i m i t a n t aux articles amendés"; vgl. zu diesem A r t . 18, der später A r t . 36 wurde, Pierre , Traité de droit politique, électoral et parlementaire, Supplément, S. 82 f., wo noch einmal betont w i r d , daß die Beendigung einer Wahlperiode auf keinen F a l l den U n tergang der v o n der K a m m e r bereits beschlossenen, aber noch nicht v o m Senat beratenen Vorlagen zur Folge hat. Interessanterweise ist die 1903 eingeführte u n d erstmals angewandte Ergänzung der Geschäftsordnung i n dem 1908 erschienenen Grundband des Traité noch nicht erwähnt. Die französische Regelung ist auch zitiert bei Bassanini (Anm. 217) S. 1221 Fn. 282. 231 Bassanini (Anm. 217) S. 1221 Fn. 282. 232 Bassanini (Anm. 217) S. 769 Fn. 109, S. 1221 Fn. 282. 230

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setzentwürfe bei vorzeitiger Beendigung der Wahlperiode auch nur einer der beiden Kammern des Parlaments i n Zukunft verhindern helfen sollte 2 3 3 . A k t u e l l geworden war die Diskontinuität der Legislaturperioden ohnehin erst durch den Fortfall der Sessionen m i t Einführung der „camera dei Fasci e delle Corporazioni" 2 3 4 als ständiges und kontinuierliches Organ des faschistischen Staates an Stelle einer auf Wahlen beruhenden Vertretungskörperschaft, was die Unterwerfung unter eine periodische Erneuerung der personellen Zusammensetzung ausschloß, aber eine andere Form der Gliederung bzw. Aufteilung der Arbeit erforderte, „ u m dem System der politischen Repräsentanz die notwendige Elastizität zu geben" 2 3 5 . Z u diesem Zweck ordnete A r t . 10 des entsprechenden Gesetzes schlicht die Aufteilung der Arbeiten des Senats und der Kammer i n „Legislaturen" an, deren Ende jeweils durch königliches Dekret auf Vorschlag des „Duce d i Fascismo, Capo del Governo" anzuordnen war, i n dem zugleich das Datum für die Einberufung der vereinigten Kammern zur Entgegennahme einer königlichen Botschaft angegeben werden mußte, die den Beginn der folgenden „Legislatur" darstellte. Diese „Legislatur" entsprach damit i n keiner Weise der Wahlperiode des formell weitergeltenden Statuto Albertino, sondern ähnelte als „rein rechtliche Unterteilung der parlamentarischen T ä t i g k e i t " 2 3 6 der alten Session, deren gesamte Folgen einschließlich der Diskontinuität i n Theorie und Praxis deshalb auch damit verbunden wurden 2 3 7 . Nach Untergang des Faschismus und Einführung der Republik kehrte auch das italienische Verfassungsrecht wieder zu Wahlperioden zurück, die für die Abgeordnetenkammer die Dauer von fünf Jahren, für den Senat die Dauer von sechs Jahren erhielten. M i t der Beendigung der Wahlperiode durch Zeitablauf oder vorzeitige Auflösung verband die Verfassungspraxis von Anfang an nicht allein den Untergang der bei der betreffenden Kammer noch nicht abschließend behandelten Beratungsgegenstände, sondern auch den der anderen, i n ihrer aktuellen konkret-personellen Zusammensetzung weiterbestehenden Kammer bereits überwiesenen. Praktisch mußte das wegen der bei normalem Verlauf längeren Lebensdauer des Senats eine Einschränkung der Macht der A b geordnetenkammer bedeuten, denn der Senat konnte während der „Uberlebenszeit" keinerlei von der bisherigen Abgeordnetenkammer i n 233 Camera dei deputati, Doc. X No. 14, Proposta d i modificazione al Regolamento d'iniziativa dei deputati La Malfa, Montanti e Melis. Istituzione degli artt. 65-bis e 30-ter del Regolamento. 234 Gesetz v o m 19. Januar 1939, No. 129. 235 Vgl. die Nachweise bei Bassanini (Anm. 217) S. 1242. 238 Ranelletti, Istituzioni d i d i r i t t o pubblico, S. 288. 237 Raneletti (Anm. 236) S. 288 sowie die übrigen bei Bassanini (Anm. 217) S. 1242 zitierten Autoren.

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der zu Ende gegangenen Wahlperiode beschlossene Gesetzentwürfe mehr billigen, aber auch kein Interesse an eigenen Initiativen haben, da diese m i t seiner personellen Erneuerung ebenfalls untergehen würden 2 3 8 . Zusammen m i t dem von der Verfassung vorgesehenen suspensiven Veto des Staatspräsidenten gegen bereits beschlossene Gesetze, das sich bei Beendigung der Wahlperiode der Abgeordnetenkammer zu einem absoluten ausweiten kann 2 3 9 , mußte diese Form der Diskontinuität zu einer starken Beschneidung der gesetzgeberischen Möglichkeiten der gewählten Vertretungskörperschaft führen, die auch nicht dadurch aufgewogen wird, daß das italienische Parlament stärker als jede andere Volksvertretung die Möglichkeit der Delegation der Gesetzgebung auf Ausschüsse wahrgenommen h a t 2 4 0 . Aufnahme i n das gesatzte Recht hat diese Form der Diskontinuität der Parlamentsarbeit auch i n Italien nicht gefunden. Sie w i r d als Gewohnheitsrechtssatz angesehen, der durch eine Bekanntmachung der Regierung vom 20. J u l i 1953 und eine ähnliche Bekanntmachung vom 25. M a i 1958 nur bestätigt w i r d 2 4 1 . I n der Literatur stark umstritten 2 4 2 , sind gegen sie die gleichen Argumente angeführt worden, die i n Deutschland von M ü l l e r 2 4 3 gegen die Weitergeltung des Grundsatzes der Diskontinuität überhaupt und von Steiger 244 gegen seine Interpretation als Beendigungstatbestand vorgebracht werden. Anders als Steiger wendet sich vor allem Bassanini 245 aber gegen eine Unterscheidung beim Parlament zwischen dessen körperschaftlicher und seiner organschaftlichen Stellung. Er sieht die gewählte Volksvertretung als kontinuierliche Einrichtung der Verfassung, deren Akte wie die von Gerichten und Verwaltungsbehörden ihre W i r k u n g über das Ausscheiden der handelnden Personen hinaus behalten; nach der von i h m vertretenen Auffassung beschließt das Organ Parlament i n seiner Kontinuität; die Wiederholung von Gesetzgebungsarbeiten ist für i h n deshalb nicht n u r nutzlos und unökonomisch, sondern steht auch i m Widerspruch zur Verfassung, die i n A r t . 238

Vgl. die bei Bassanini (Anm. 217) S. 768 Fn. 105 zitierten Autoren. Vgl. die Darstellung bei Bassanini (Anm. 217) S. 758 f. m i t Fn. 73 u n d 75. H i e r liegt eine klare Parallele z u m deutschen Staatsrecht vor. 240 Vgl. dazu Partsch, Verlagerung des Gesetzesbeschlusses an Ausschüsse i n den beiden Häusern des italienischen Parlaments, i n : Fragen der Verfassungsreform, Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen B u n destages, Z u r Sache 1/73, S. 136 ff. 241 So Bassanini (Anm. 217) S. 762 Fn. 80 u n d die dort zitierten Autoren. 242 z e i t des Statuto A l b e r t i n o schon durch Racioppi/Bruneiii, Commento allo Statuto del Regno, Bd. I S. 447 ff.; zur neueren L i t e r a t u r vgl. Bassanini (Anm. 217) S. 724 Fn. 7 u n d S. 1246. 243 (Anm. 10) S. 507 f.; ähnlich auch Versteyl (Anm. 14) passim. 244 (Anm. 42) S. 67. 245 (Anm. 217) passim. 239

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72 Abs. 1 vorschreibt, daß jede Vorlage, die bei einer Kammer eingebracht wird, entsprechend deren Geschäftsordnung zu überprüfen ist 2 4 6 . Bassaninis materialreiche Untersuchung über die Auswirkungen des Endes der Legislaturperiode auf schwebende gesetzgeberische Arbeiten ist deshalb ein einziges Plädoyer für die Verwirklichimg der erwähnten Vorschläge zur Änderung der Geschäftsordnung, die zwei Stoßrichtungen hatten, nämlich einmal die Einführung der Möglichkeit der Vorlage von einer früheren Abgeordnetenkammer bereits abschließend behandelter Gesetzentwürfe durch die neugewählte Kammer an den Senat ohne erneute Beratung 2 4 7 und zum anderen der Möglichkeit für jeden Ausschuß, i n der vorangegangenen Wahlperiode abschließend behandelte Entwürfe der Kammer zur endgültigen Beschlußfassung vorzulegen 2 4 8 . Der Respekt, der auch hier vor der starken verfassungsrechtlichen Stellung der Regierung weiterbesteht, kommt darin zum Ausdruck, daß ein entsprechendes Vorgehen jeweils an deren vorherige Anhörung gebunden sein soll. Bassanini übersieht dann auch nicht, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Beurteilung der Diskontinuität als Folge des Endes der Legitimations- und Handlungseinheit des Parlaments und der Abhängigkeit der Regierung vom Parlament besteht 249 . Gerade w e i l die Verfasung der italienischen Republik kein strenges parlamentarisches Regierungssystem kennt, ist nach seiner Meinung die Auflockerung der Diskontinuität i m Sinne der Vorschläge von L a Malfa verfassungsrechtlich wie verfassungspolitisch geboten, da sonst das Parlament i n eine zu große Abhängigkeit von der Exekutive zu geraten drohe. Während die italienischen Vorschläge trotz großer publizistischer Unterstützung 2 5 0 sich nicht durchsetzen konnten, bewältigte man i n Belgien bei ähnlicher Verfassungslage das Problem leichter. Dort w a r schon 1893, also noch zur Zeit des Konstitutionalismus, die Diskontinuität i n der Weise kodifiziert worden, daß für den F a l l der Auflösimg einer oder beider Kammern nur alle diejenigen Gesetzes vorlagen hinfällig werden sollten, die bis zum E i n t r i t t dieses Ereignisses noch nicht von wenigstens einer Kammer abschließend beraten waren 2 5 1 . Diese Rechtslage und die 246

(Anm. 217) S. 765. A r t . 65-bis: „ L a Camera, udito i l Governo e dichiaratane l'urgenza, può deliberare, sentito u n oratore per gruppo, d i trasmettere a l Senato entro u n anno dalla p r i m a riunione della Camera, i progetti d i legge già approvati dall'Assemblea ο da una Commissione i n sede legislativa nel corso della precedente legislatura." 248 A r t . 30-ter: „Ciascuna Commissione, udito i l Governo, può deliberare entro 180 giorni dalla p r i m a riunione della Camera, d i riferire all'Assemblea senza nuovo esame, sui progetti d i legge già approvati dalla Commissione stessa i n sede referente n e l corso della precedente legislatura." 249 (Anm. 217) S. 1275 ff. 250 Vgl. die Nachweise bei Bassanini (Anm. 217) S. 721 ff. Fn. 3 bis 5. 247

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auf i h r beruhende Staatspraxis wurde auch beibehalten, als durch Gesetz vom 15. Oktober 1921 252 das System der jeweils hälftigen Erneuerung der Kammern durch eine vierjährige Wahlperiode abgelöst wurde, die für alle Mitglieder beider Kammern gleichzeitig begann. Tatsächlich erreichte aber nur 1929 eine Wahlperiode die volle Dauer von vier Jahren; i n allen übrigen Fällen machte der König von seinem Auflösungsrecht nach A r t . 71 der Verfassung, zu dem jeweils die Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers erforderlich ist, Gebrauch bzw. waren Verfassungsänderungen geplant, deren Ankündigimg nach A r t . 131 der Verfassung automatisch die sofortige Auflösung beider Kammern und die Ausschreibung von Neuwahlen zur Folge hat 2 5 3 . I n diesen letzteren Fällen wurde dann auch streng nach dem Gesetz von 1893 vorgegangen: anhängig blieben nur die Vorlagen, die schon von einer Kammer vor der Auflösung beschlossen worden waren; 1929 wurden dagegen auch Entwürfe weiterberaten, die schon 1925 i m Senat eingebracht worden waren 2 5 4 . Zu einer wirklichen Auseinandersetzung m i t der i n dieser Weise gesetzlich festgelegten Diskontinuität kam es aber erst nach 1945. Die notwendig werdenden Sofortmaßnahmen nach der Befreiung und die i n schneller Folge wechselnden Regierungen hatten die Verabschiedung eines ordentlichen Haushalts für die Jahre 1945 und 1946 verhindert, als das Parlament am 9. Januar 1946 aufgelöst wurde. Die neugewählten Kammern entschlossen sich daher, beide Haushaltsentwürfe weiterzuberaten und so den Grundsatz der Diskontinuität für diesen Sonderfall zu durchbrechen 255 ; i n dem Bericht des zur Vorbereitung des notwendigen gesetzgeberischen Aktes eingesetzten Sonderausschusses des Senats w u r de als Begründung auf die vorgelegen habenden besonderen Umstände, aber auch auf die erheblichen Ersparnisse an Zeit und Geld für den anderenfalls erforderlichen Neudruck der beiden Haushaltsvorlagen hingewiesen 256 . Ähnlich wurde 1950 argumentiert, als es wieder darum ging, 251

Vgl. oben § 17. Recueil des Lois et des Arrêtés 1921, No. 239, S. 2000 ff. 253 Gilissen, L e régime représentatif en Belgique depuis 1790, S. 145; Hilf (Anm. 12) S. 752. 254 Hilf (Anm. 12) S. 752 f. versucht diesen Umstand damit zu erklären, daß die Verfassung i n A r t . 51 Abs. 2 u n d 55 Satz 2 von einem „renouvellement" der K a m m e r n spricht u n d nicht v o n einer „dissolution", die allein das Gesetz v o n 1893 erwähnt u n d bei der damaligen Verfassungslage auch n u r erwähnen konnte. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß der Gedanke der Berücksichtigung des durch die Wahlen zum Ausdruck kommenden Volkswillens, der jedenfalls auch den Beratungen des Gesetzes v o n 1893 zugrundelag, gleichermaßen f ü r die normale periodische N e u w a h l w i e f ü r die vorgezogene nach einer Auflösung gilt. 255 Gesetz v o m 28. März 1946, Pasinomie 1946, S. 392 f.; vgl. auch Hilf (Anm. 12) S. 753 f. 252

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den Haushaltsentwurf für das laufende Jahr und die Entwürfe über die Nachtragshaushalte f ü r die Jahre 1948/1949 vor der Erledigung durch die Auflösung zu bewahren; das entsprechende Gesetz 257 wurde als durch den Ausnahmecharakter der Haushaltsgesetze gerechtfertigt angesehen 2 5 8 . Noch i n derselben Wahlperiode kam es dann aber zu einer wesentlich weitergehenden Durchbrechung des Grundsatzes der Diskontinuität, indem diesmal gleich für insgesamt 27 Gesetzentwürfe bestimmt wurde, daß sie ebenfalls vor den neugewählten Kammern anhängig bleiben sollten 2 5 9 . Es wurde dabei auf die Vorbilder der beiden Haushaltsgesetze verwiesen und hervorgehoben, daß bei aller Anerkennung der Bedeutung des Gesetzes von 1893 aus Gründen der Dringlichkeit und der Bedeutung i m Interesse einer beträchtlichen Zeit- und Geldersparnis auch hier eine Ausnahme gerechtfertigt sei 2 6 0 . I n der Folge wurde dann immer wieder zu diesem M i t t e l gegriffen, so anschließend an die Neuwahl nach der Auflösung von 1954 261 , 1958 262 , 1961 263 und dann auch 1966 264 ; übernommen wurde jeweils eine ganze Reihe von liegengebliebenen Vorhaben, darunter auch solche, die schon einmal durch dieses Verfahren gegangen waren, deren politische Nichtdurchsetzbarkeit sich also praktisch erwiesen hatte. I n Belgien kann deshalb bereits von einer ständigen Parlamentspraxis gesprochen werden 2 6 5 , die sich hier aber auch durch die Verfassungsstruktur, nach der die Regierung eben nicht vom Parlament gewählt 258

Sénat, Doc. Pari., Sess. Extraord. 1946, No. 11, Berichterstatter

Doutre-

pont 257

Gesetz v o m 28. J u n i 1950, Pasinomie 1950, S. 602. Chambre des Représentants, Doc. Pari., Sess. Extraord., 1950, No. 19, A b geordneter de Gryse: „ I I s'agit simplement, en raison de circonstances p a r t i culières, d'une dérogation très limitée et tout à fait exceptionnelle." Vgl. auch Sénat, Doc. Pari., Sess. Extraord. 1950, No. 12, Berichterstatter Ronse. 259 Gesetz v o m 5. Dezember 1950, Pasinomie 1950, S. 949 ff. 2βο Berichterstatter Lagae: „L'application d u principe de la l o i de 1893 entraînerait ainsi à la fois des retards appréciables et des frais élevés de réimpression . . . L e projet ne suscite évidemment aucune objection d'ordre constitutionnel et n'est contraire à aucune règle de droit public. Votre Commission tient à souligner le caractère exceptionnel d u projet, q u i entend ne porter aucune atteinte au principe de la l o i de 1893", Sénat, Doc. Pari., Sess. ord. 1950/1951, No. 10, S. 1/2. Ä h n l i c h auch der Abgeordnete Duvieusart als Berichterstatter i n der Abgeordnetenkammer, Chambre des Représentants, Doc. Pari., Sess. Extraord., 1950, No. 145, S. 1/2. 258

281

Gesetz v o m 14. Januar 1955, Pasinomie 1955, S. 21 f. Gesetz v o m 2. A p r i l 1959, Pasinomie 1959, S. 127 ff. 283 Gesetz v o m 22. J u l i 1961, Pasinomie 1961, S. 598 ff., nachdem der E n t w u r f des Haushaltsplans f ü r 1961 schon durch Gesetz v o m 23. M a i 1961, Pasinomie 1961, S. 440, übergeleitet worden war. 284 Gesetz v o m 30. J u n i 1966, M o n i t e u r Belge v o m 30. J u n i 1966, S. 6742. 285 So auch Hilf (Anm. 12) S. 755. 262

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. 8. Kap. : Politische und rechtliche Zuordnung

w i r d und damit personell nicht von seiner periodischen Erneuerung unmittelbar abhängt, rechtfertigen läßt. Institutionell handelt es sich jeweils u m einen Weiterberatungsbeschluß des neuen Parlament, das dam i t nicht bereits durch seinen Vorgänger gebunden wird, also u m einen ähnlichen Vorgang, wie er auch den Vorschlägen zur Änderung des Grundgesetzes und zur Ergänzung der Geschäftsordnimg des italienischen Parlaments zugrundelag. Rechtlich stellt sich der Vorgang als Verfassungsdurchbrechung bzw. als Durchbrechung eines zum Verfassungsrechtskreis gehörenden Gesetzes dar 2 6 6 . Beides ist an sich zulässig und begegnet keinen Bedenken. Ob der gefundene Weg allerdings auch politisch-praktisch immer glücklich ist, ist dagegen zumindest zweifelhaft. Die neugewählten Kammern haben es zwar i n der Hand, durch ihren Gesetzesbeschluß die zur Weiterberatung geeignet erscheinenden bzw. eine Weiterberatung erfordernden Gesetze festzulegen; sie sind dabei jedoch auf eine Vorlage der Regierung angewiesen 267 , die damit i n erster Linie bestimmt, was von den unerledigten Arbeiten der letzten Wahlperiode übernommen und weiterbetrieben wird. Nicht nur bei unveränderter politischer Zusammensetzung w i r d es sich dabei u m Vorhaben handeln, die bereits vorher nicht unstreitig waren, u n d jetzt die doppelte Hürde des Weiterberatungsbeschlusses und der sachlichen Verabschiedung überwinden müssen. Die verhältnismäßig hohe Zahl von Vorlagen, die zum zweiten M a l diesen Weg zu durchlaufen haben, macht deutlich, daß der eigentlich beabsichtigte Effekt weitgehend verpufft 2 6 8 . Zudem muß die belgische Praxis i m Zusammenhang m i t dem belgischen Verfassungssystem gesehen werden: Auflösung m i t der Folge der Diskontinuität wie Initiative als Anstoß zum Weiterberatungsbeschluß liegen i n der Hand der Regierung, die damit die Tätigkeit des Parlaments weitgehend steuern kann; einzige Einwirkungsmöglichkeit durch das Parlament bildet das Erfordernis der förmlichen parlamentarischen Zustimmung, und zwar beider Kammern, zu dem die Fortführung der Beratungen ermöglichenden Gesetz. Die belgische Praxis zur Durchbrechung der Diskontinuität der parlamentarischen Tätigkeit ist damit auch eine Handhabe zur Abmilderung der Abhängigkeit des Parlaments von der Regierung, indem sie beide enger aneinanderbindet; verfassungsrechtlich wie verfassungspolitisch erklärbar ist sie nur aus dem insoweit anders struk2ββ Vgl. ζ. B. A r t . 1 des Gesetzes v o m 30. J u n i 1966: „ P a r dérogation à l'article 1er de la l o i d u 1er j u i l l e t 1893 relative aux effets de l a dissolution des Chambres à l'égard des projets de l o i antérieurement déposés, les Chambres restent saisies des projets de l o i ciaprès é n u m é r é s : . . . " 267 So auch Hilf (Anm. 12) S. 756. 268 Vgl. auch Hilf (Anm. 12) S. 756, der zurecht darauf hinweist, daß 1966 der Gesetzesbeschluß erst mehr als ein Jahr nach der N e u w a h l zustandekam, also wiederum n u r eine beschränkte Zeit zur eigentlichen Weiterberatung übrigblieb.

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363

turierten Verfassungssystem heraus, das neben „den Besonderheiten eines Zweikammersystems sowie den verfassungsgeschichtlichen Grundlagen" 2 6 9 auch noch Elemente der konstitutionellen Monarchie weiterführt und sich insoweit von der konsequenten Entscheidung des deutschen Staatsrechts für die parlamentarische Demokratie unterscheidet. Ausländische Parallelen können deshalb ebensowenig wie die eigene Verfassungsgeschichte als ausschließlicher Nachweis i n bezug auf den Grundsatz der Diskontinuität für das deutsche Verfassungs- und Parlamentsrecht i n Anspruch genommen werden. Gemeinsame Quellen i n der vorkonstitutionellen ständischen Zeit vermögen Anhaltspunkte für die ursprüngliche Herkunft zu geben, sind aber nicht aus sich selbst heraus tragfähiger Geltungsgrund für ein Prinzip, das schon i m Konstitutionalismus eine eigene deutsche Ausprägung erhielt. I n der jetzt praktizierten Form ist der Grundsatz der Diskontinuität i m Geltungsbereich des Grundgesetzes ein eigenständiger Bestandteil des ungeschriebenen materiellen Verfassungsrechts, der nicht nur aus praktischen Gründen Geltung beanspruchen kann. Soweit er sich tatsächlich bei der V e r w i r k l i chimg mancher gesetzgeberischer Aufgaben als hinderlich erweist und die i h m angelastete Verantwortung für das Scheitern bestimmter Vorhaben nicht nur vorgeschoben ist, liegt der Weg zur Uberwindung bei einer besseren gemeinsamen Zeitplanung von Parlament u n d Regierung 2 7 0 , die das tatsächliche politische Leistungsvermögen realistischer als bisher einschätzt.

270

Hilf (Anm. 12) S. 755. Vgl. schon das Plädoyer Schweigers (Anm. 54) S. 163.

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