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German Pages 574 [584] Year 1959
FRIEDRICH
KLAGES
Lehrbuch der organischen Chemie 1,1
LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE IN D R E I
BÄNDEN
VON
DR. FRIEDRICH KLAGE S Professor der organischen Chemie an der Universität München
1959
W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen "sehe Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
B E R L I N W 35
LEHRBUCH DER ORGANISCHEN CHEMIE I. B A N D SYSTEMATISCHE ORGANISCHE
CHEMIE
1. HÄLFTE KOHLENWASSERSTOFFE . HALOGENVERBINDUNGEN SAUERSTOFFVERBINDUNGEN
VON
DR. FRIEDRICH KLAGES Professor der organischen Chemie an der Universität München
2., d u r c h g e s e h e n e und v e r b e s s e r t e A u f l a g e Mit 12 A b b i l d u n g e n und 25 T a b e l l e n
1959
WALTER D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
B E R L I N W 35
© Copyright 1958 by Walter de Gruyter & Co., vormals 0 . J. Göschen'sche Verlagshandlung, J.Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Keimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin \V 35. — Alle Hechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. — Archiv-Nr. 52 94 58. — Printed in Germany. — Sa ta: Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35. -
Druck: Buchdruckerei Franz Spiller, Berlin SO 3C
Dem Andenken meines hochverehrten Lehrers Herrn Geh. Regierungsrat, Prof. Dr. phil., Dr. ing. e. h., Dr. med. h. c., Dr. phil. h. c. HEINRICH WIELAND
VII
Vorwort zur 1. Auflage Die Entwicklung der organischen Chemie innerhalb der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat gegenüber der mehr praktisch eingestellten Forschungsrichtung der Vorperiode — bedingt durch den Zwang zum Ausbau des von K E K U L E aufgestellten Systems der organischen Chemie — insofern einen grundsätzlichen Wandel erfahren, als nunmehr wieder rein theoretische Fragen in den Vordergrund des Interesses gerückt sind, so insbesondere die Zusammenfassung des reichhaltigen in dieser Vorperiode aufgefundenen Tatsachenmaterials mit Hilfe moderner physikalischer Methoden zu einem geschlossenen theoretischen Gebäude der „Chemie des Kohlenstoffs". Dieser Entwicklung hat die Mehrzahl der organisch chemischen Lehrbücher, die immer noch, der Forschungsrichtung der Vorperiode entsprechend, im wesentlichen auf eine beschreibende Darstellung der einzelnen Verbindungsklassen und Verbindungen eingestellt ist, bisher nur unvollkommen zu folgen vermocht, so daß ein steigendes Bedürfnis entstanden ist, diese allgemeinen Lehrbücher durch Werke rein theoretischen Inhalts zu ergänzen. Um diese Lücke in der chemischen Lehrbuchliteratur zu schließen, wurde in dem vorliegenden neuen „Lehrbuch der organischen Chemie" der Versuch unternommen, die moderne Forschungsrichtung auch im Rahmen eines allgemeinen Lehrbuchs schon ausführlich zu behandeln und dadurch dem Chemie-Studierenden in einem einzigen Werk ein neuzeitliches Gesamtbild seiner Wissenschaft zu geben. Insbesondere wurde Wert gelegt auf ein tieferes Verständnis für die zahlreichen Beziehungen und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Verbindungen und Verbindungsklassen, die für den noch lernenden Chemiker häufig wichtiger sind als die Einzeltatsachen selbst. Dieser erweiterte Aufgabenbereich machte allerdings eine wesentliche Vergrößerung des bisher üblichen Lehrbuchumfanges und damit die Abfassung eines mehrbändigen Werkes, wie sie auch in den Nachbargebieten (anorganische Chemie, Physik, Mathematik) bereits vorliegen, erforderlich. Doch wurden Umfang und Stoffaufteilung der einzelnen Bände so abgewogen, daß eine über einen längeren Zeitraum gehende ratenweise Anschaffung des Gesamtwerkes ohne wesentliche Beeinträchtigung des Verständnisses möglich ist; denn das Lehrbuch soll ja nicht erst kurz vor dem Examen angeschafft werden, sondern den Studierenden während eines möglichst großen Teiles seines Studiums begleiten. Auch hinsichtlich der Stoffeinteilung hat sich die Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung gegenüber den bisherigen Gepflogenheiten ergeben. So ist es z. B.
VIII
Vorwort
heute nicht mehr möglich, theoretische Fragen, wie etwa die Mesomerielehre oder die Stereochemie, im Rahmen der üblichen Lehrbucheinteilung in eine aliphatische, eine aromatische und eine heterocyclische Reihe erschöpfend zu behandeln, da ihre Darstellung jeweils die Kenntnis sämtlicher Verbindungsklassen der organischen Chemie voraussetzt. Ebenso treten bei den organischen Farbstoffen, den verschiedenen Gruppen von Naturstoffen, der Biochemie usw. häufig Stoffe nebeneinander auf, die verschiedenen Verbindungsklassen angehören, also bei keiner dieser Verbindungsklassen gemeinsam behandelt werden können. Zur Umgehung dieser und ähnlicher Schwierigkeiten wurde daher das Prinzip der geschlossenen Darstellung des gesamten Materials aufgegeben und eine Unterteilung des Stoffes in die folgenden drei, voneinander mehr oder weniger unabhängigen Teile vorgenommen: 1. Die s y s t e m a t i s c h e o r g a n i s c h e C h e m i e (zwei Halbbände), in der die verschiedenen organisch-chemischen Verbindungsklassen vom Standpunkt der Chemie des Kohlenstoffs aus nebeneinander behandelt werden. Hier wurden im Gegensatz zu sämtlichen bisherigen Lehrbüchern erstmals die aliphatischen und aromatischen Verbindungen nicht mehr getrennt einander gegenübergestellt, sondern sowohl die Unterschiede als auch die zahlreichen Übergänge zwischen den gesättigten, ungesättigten und aromatischen Reihen für jede Verbindungsklasse besonders hervorgehoben. Ferner wurden die bisher stets bei den einzelnen Verbindungsklassen untergebrachten und daher über das ganze Gebiet verstreuten Reaktionen des Kohlenstoffgerüstes (Oxydation, Reduktion, Synthese und Abbau) am Schluß dieses Teils nochmals in einem eigenen Kapitel zusammengefaßt. 2. Die t h e o r e t i s c h e u n d a l l g e m e i n e o r g a n i s c h e C h e m i e , in der, nach Beschreibung der wichtigsten Einzeltatsachen im ersten Teil und unter Voraussetzung dieser Einzeltatsachen, die theoretischen Grundlagen des gesamten Gebietes von einer höheren Warte aus behandelt werden, und schließlich 3. Die S o n d e r g e b i e t e , die die mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen, die organischen Farbstoffe, die Grundlagen der Chemie der hochmolekularen Stoffe, die verschiedenen Gruppen von Naturstoffen und die Grundlagen der Biochemie enthalten. Das Buch ist seiner ganzen Anlage nach in erster Linie für den fortgeschrittenen Chemie-Studierenden (nach dem Diplom-Vorexamen) bestimmt und enthält für ihn sowie auch für den fertigen Chemiker, über den rein erlernbaren Stoff hinaus genügend (vielfach in Tabellen und Formelbildern übersichtlich geordnetes) Tatsachenmaterial, um sich über sämtliche wichtigeren Gebiete der organischen Chemie einen orientierenden Überblick zu verschaffen. Doch ist die ganze Darstellung, namentlich des ersten systematischen Teiles, so gehalten, daß das Buch auch von einem Anfänger mit den üblichen anorganisch-chemischen Vorkenntnissen gelesen werden kann. Ein derartig umfangreiches Werk, das die Grenzen dessen erreicht, was ein einzelner Autor heute noch zu überblicken vermag, kann natürlich nicht ohne Hilfe
Vorwort
IX
von außen fertiggestellt werden. Insbesondere habe ich von einer sehr großen Anzahl von Kollegen in und außerhalb von München, die ich unmöglich alle namentlich anführen kann, durch Anregungen, Ratschläge, Überlassung von Sonderdrucken und vor allem auch Begutachtung einzelner Kapitel wertvolle Unterstützung erfahren, für die ich an dieser Stelle nochmals meinen herzlichen Dank aussprechen möchte. Ferner danke ich meinen Mitarbeitern, Herrn Dr. K. M ö n k e m e y e r , sowie den Herren Dipl. ehem. R. H e i n l e , W. G r i l l , H. M e u r e s c h und W. M e s c h , für ihre unermüdliche Hilfe beim Lesen der Korrekturen, sowie meiner lieben Frau für ihre Mitarbeit bei der Abfassung des Manuskripts und des Registers. Die Hinweise auf einschlägige Stellen in den anderen Teilen des Buches erfolgen stets durch Angabe der Kapitel und Kapitelabschnitte (z. B. III, Kap. 4, IV, 2 b), so daß sich gegebenenfalls auch bei voneinander unabhängigen Neuauflagen der einzelnen Bände keine Schwierigkeiten ergeben würden. Hierbei bedeuten die vorstehenden fetten römischen Zahlen I, II und III jeweils die oben angeführten drei Bände. Innerhalb der einzelnen Bände, sowie von der zweiten Hälfte der systematischen organischen Chemie zur ersten zurück, werden dagegen stets die Seiten zitiert. M ü n c h e n , im Mai 1952
Friedrich
Klages
Vorwort zur 2. Auflage I n der vorliegenden zweiten Auflage wurde als hauptsächliche Neuerung das inzwischen in den Bänden I I und I I I bewährte Prinzip der Zitierung der wichtigsten zusammenfassenden Literatur und der wichtigsten Originalarbeiten übernommen, sowie im Zusammenhang hiermit das Sachregister durch ein Autorenregister ergänzt. Um das Buch nicht zu umfangreich werden zu lassen, beschränkt sich die Anführung von Literaturzitaten allerdings auf den Zeitraum nach dem letzten Krieg, während sämtliche früheren, im Zentralblatt leicht aufzufindenden Arbeiten wie bisher nur durch Autorennamen und Jahreszahl belegt sind. Die Notwendigkeit einer weiteren, in diesem Buch nunmehr allgemein durchgeführten Änderung ergab sich durch die in den letzten Jahren in Deutschland (in Anlehnung an die angelsächsische Nomenklatur) erfolgte offizielle Umbenennung der hydroxylgruppenhaltigen Stoffe in Hydoxy Verbindungen (statt früher OxyVerbindungen). I m übrigen wurde der gesamte Text unter Berücksichtigung der neueren Forschungsergebnisse des In- und Auslandes nochmals sorgfältig durchgesehen und überarbeitet. Meinem Mitarbeiter, Herrn G . L T J K A S C Z Y K , bin ich für seine Mithilfe beim Lesen der Korrekturen zu großem Dank verpflichtet. M ü n c h e n , im Oktober 1958
Friedrich Klages
Stoffeinteilung I. Band, erste Hälfte: Einführung in das Gesamtwerk 1. Kapitel: Die Grundlagen der organischen Chemie Systematische organische Chemie 2. Kapitel: Die Kohlenwasserstoffe 3. Kapitel: Die organischen Halogenverbindungen 4. Kapitel: Die organischen Sauerstoffverbindungen (OxyVerbindungen, bindungen, Carbonsäuren, Kohlensäurederivate) 5. Kapitel: Verbindungen mit mehreren Sauerstoff-Funktionen im Molekül
Oxover-
T. Band, zweite Hälfte: 6. Kapitel: Die organischen Stickstoffverbindungen 7. Kapitel: Die organischen Schwefelverbindungen 8. Kapitel: Die organischen Verbindungen der übrigen Nichtmetalle 9. Kapitel: Die metallorganischen Verbindungen 10. Kapitel: Verbindungen mit anomalen Funktionen (Kohlenoxydderivate, freie Radikale, organische Verbindungen mit künstlichen Isotopengemischen) 11. Kapitel: Die cyclischen Verbindungen 12. Kapitel: Die Reaktionen am Kohlenstoffgerüst (Oxydation, Reduktion, Synthese, Abbau) II. Band: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel:
Theoretische und allgemeine organische Chemie Die Geschichte der organischen Chemie Die physikalischen Hilfsmittel der organischen Chemie Die Bindungen und Bindungssysteme der organischen Chemie Die Reaktionen und Reaktionsmechanismen der organischen Chemie Tautomerieprobleme Die zwischenmolekularen Kräfte und Assoziationserscheinungen Die Stereo- oder Raumchemie
III. Band: Sondcrgcbicte Die mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen Die organischen Farbstoffe Die Grundlagen der Chemie der makromolekularen Verbindungen Die Zucker oder Kohlenhydrate Die natürlichen Isoprenabkömmlinge Sonstige stickstofffreie Naturstoffe (Fette und verwandte Verbindungen, natürliche Phenolderivate) 7. Kapitel: Die stickstoffhaltigen Naturstoffe (Eiweißstoffe, Purinderivate, Alkaloide) 8. Kapitel: Die Grundlagen der Biochemie
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel: Kapitel:
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Inhalt I. Band, erste Hälfte Seite
E i n f ü h r u n g in das G e s a m t w e r k I. Kapitel. Dio Grundlagen der organischen Chemie
3
I. Die organische Chemie als Teil der Gesamtchemie 1. Gebietsabgrenzung 2. Die organische Chemie im Periodensystem der Elemente IT. Der Molekülbegriff in der organischen Chemie 1. Grundlegende Definitionen 2. Die Isomerie 3. Tautomerie und Mesomerie 4. Die Stereo- oder Raumisomerie a) Die Spiegelbild-isomerie b) Die geometrische Isomerie 5. Nomenklaturfragen
.
3 3 4 7 7 9 10 11 12 16 17
III. Die Grundlagen der Elektronentheorie der Valenz 1. Der Atombau 2. Die Natur der chemischen Valenz 3. Die Neufassung des Wertigkeitsbegriffes a) Die Gesamtwertigkeit b) Die Bindigkeit c) Die oxydative Wertigkeit 4. Die Elektronenformeln
20 20 23 29 29 30 31 32
IV. Zeitreaktion und Katalyse 1. Die Aktivierungsenergie 2. Die Katalyse 3. Andere Möglichkeiten der Reaktionsbeschleunigung
37 37 38 42
V. Die Aufgaben und Ziele der organischen Chemie 1. Analyse und Konstitutionsermittlung a) Die Elementaranalyse b) Die Bestimmung funktioneller Gruppen c) Die Molekulargewichtsbestimmung d) Die Konstitutionsermittlung e) Die Konfigurationsermittlung 2. Die reine organische Chemie a) Die systematische organische Chemie b) Die theoretische und allgemeine organische Chemie c) Die Arbeitsmethoden der organischen Chemie 3. Die organische Chemie als Hilfswissenschaft für andere Forschungszweige VI. Das organisch-chemische Schrifttum
43 43 44 46 47 48 52 52 52 52 53 54 55
XII
Inhalt S y s t e m a t i s c h e organische Chemie Seite
2. Kapitel. Die Kohlenwasserstoffe I. Die gesättigten Kohlenwasserstoffe oder Paraffine 1. Grundlegende Definitionen 2. Vorkommen und Darstellung der Paraffine 3. Die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Paraffine • • 4. Einzelverbindungen II. Die ungesättigten Kohlenwasserstoffe 1. Grundlegende Definitionen 2. Kohlenwasserstoffe mit e i n e r Doppelbindung (Olefine) 3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren Doppelbindungen (Poly-olefine) • • a) Kohlenwasserstoffe mit kumulierten Doppelbindungen (1,2-Di-ene) b) Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen (1,3-Di-ene) o) Kohlenwasserstoffe mit isolierten Doppelbindungen 4. Die Acetylene oder Alkine III. Die aromatischen Kohlenwasserstoffe 1. Die Grundlagen der Benzolchemie 2. Das Benzol und seine Alkylderivate 3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren, nicht kondensierten Benzolkernen a) Kohlenwasserstoffe mit direkt verbundenen Benzolkernen b) Die Polyphenylmethane c) Kohlenwasserstoffe mit größerem Abstand der Benzolkerne
• •
• • • • • •
• •
8. Kapitel. Die organischen Halogenverbindungen I. Allgemeines II. Die aliphatischen Halogenverbindungen 1. Die Alkylhalogenide (Monohalogen-paraffine) 2. Die Halogen-olefine und Halogen-acetylene 3. Die Polyhalogenverbindungen a) Allgemeines b) Die Alkylen-dihalogenide c) Die Alkylidenhalogenide oder gem. Dihalogenparaffine d) Die gem. Trihalogenparaffine e) Verbindungen mit vier und mehr Halogenatomen im M o l e k ü l . . . . 4. Die aliphatischen Fluorverbindungen III. Die aromatischen Halogenverbindungen • • • • IV. Die organischen Verbindungen mit mehrwertigem Jod und verwandte Substanzen 4. Kapitel. Die organischen Sauerstoff Verbindungen 1. Die HydroxyVerbindungen und ihre Derivate 1. Die Alkohole a) Darstellung und allgemeine Eigenschaften b) Die gesättigten Alkohole c) Die ungesättigten und aromatischen Alkohole d) Die Halogenalkohole 2. Die Derivate der Alkohole a) Die Metall-alkoholate b) Die Ester c) Die Äther d) Die Mono-, Di- und Trialkyl-oxoniumsalze 3. Die Enole
61 62 62 67 72 79 82 82 83 103 104 105 111 111 122 122 126 143 143 144 145 149 149 153 153 160 162 162 164 165 166 168 170 172 176 179 181 181 181 189 196 198 199 199 203 215 223 225
XIII
Inhalt
Seite
4. Die Phenole
229
a) Darstellung und allgemeine Eigenschaften b) Einwertige Phenole c) Die Phenolderivate
229 235 238
IT. Die Oxoverbindungen und ihre Derivate
241
1. Die Aldehyde a) b) c) d) e)
Darstellung und allgemeine Eigenschaften Die gesättigten Aldehyde Die ungesättigten Aldehyde Die aromatischen Aldehyde Die Halogenaldehyde
242 242 260 • • 266 269 270
2. Die Ketone a) b) c) d) e)
Darstellung und allgemeine Eigenschaften Die gesättigten Ketone Die ungesättigten Ketone Die aromatischen Ketone Die Halogenketone
3. Die Derivate der Aldehyde und Ketone a) Allgemeines b) Die Halogenderivate der Aldehyde und Ketone c) Die Sauerstoffderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Hydrate ß) Die Halbacetalc y) Die Acetale Die Polymerisationsprodukte der Aldehyde e) Die Säure- und Peroxyderivate der Aldehyde und Ketone . . . . d) Die Schwefelderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Schwefelwasserstoffderivate der Oxoverbindungen ß) Die Derivate der Sauerstoffsäuren des Schwefels e) Die Stickstoffderivate der Aldehyde und Ketone a) Die Amoniakderivate ß) Die Derivate der primären Amine (ScHiFFSchc Basen) y) Die Derivate der sekundären Amine 4. Die Ketene 5. Die Chinone [TT. Die Carbonsäuren und ihre Derivate
271 271 280 281 282 284 285 285 286 287 287 288 289 292 293 294 294 296 297 298 300 303 304 308 319
1. Darstellung und allgemeine Eigenschaften 2. Die Derivate der Carbonsäuren
319 332
a) Allgemeines b) Die Halogenderivate der Carbonsäuren
332 334
R : N : O: R
i
Bei dieser Reaktion entstehen also n i c h t , wie man früher angenommen hatte, echte N=0-Doppelbindungen, sondern lediglich k o m p l e x a r t i g e V e r b i n d u n g e n mit semipolar g e b u n d e n e m S a u e r s t o f f , die, wie wir später im einzelnen noch sehen werden, sich in jeder Beziehung anders v e r h a l t e n als die Verbindungen mit d o p p e l t g e b u n d e n e m S a u e r s t o f f , und die daher stets s t r e n g v o n d i e s e n u n t e r s c h i e d e n werden müssen.
3. Die Neufassung des Wertigkeitsbcgriffcs1) Infolge der Möglichkeit der D i s s o z i a t i o n in Ionen, der K o m p l e x b i l d u n g und der Bildung s e m i p o l a r e r B i n d u n g e n ist häufig die Zahl der wirklich von einem Atom ausgehenden A t o m b i n d u n g e n von der W e r t i g k e i t im ursprünglichen Sinne verschieden, und es hat sich als praktisch unmöglich und auch gar nicht mehr erforderlich herausgestellt, eine allgemeine Wertigkeit, die allen Ansprüchen gerecht wird und eine moderne Passung des bis etwa 1930 gültigen Wertigkeitsbegriffes darstellt, zu definieren. Der früher gebräuchliche Begriff der W e r t i g k e i t s c h l e c h t h i n hat vielmehr eine Aufsplitterung in die drei Unterbegriffe der Gesamtwertigkeit, der Bindigkeit und der oxydativen Wertigkeit erfahren, die im folgenden einander gegenübergestellt werden sollen. a) Die G e s a m t w e r t i g k e i t Unter Gesamtwertigkeit versteht man die Gesamtheit der von einem Atom betätigten K o - und E l e k t r o v a l e n z e n . Sie muß auf Grund dieser Definition stets gleich der S u m m e d e r v o n d e m b e t r e f f e n d e n A t o m a u s g e h e n d e n A t o m b i n d u n g e n u n d s e i n e r L a d u n g s z a h l sein. So zeigt beispielsweise der Sauerstoff im O x y d - I o n (Atombindungszahl 0, Ladungszahl 2), H y d r o x y l - I o n (1 bzw. 1) und W a s s e r (2 bzw. 0) jeweils die Gesamtwertigkeit 2, in den O x o n i u m d e r i v a t e n , wie z. B. dem H y d r o n i u m i o n oder K o h l e n o x y d (jeweils 3 bzw. 1) dagegen die Gesamtwertigkeitsstufe 4: Vgl. auch die Zusammenfassung von F. SEEL: Angew. Chem. 66, 581 (1954).
Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
30 O
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H:0:H
H H:Ö:H
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ffl Auch der K o h l e n s t o f f des Kohlenoxyds erscheint auf Grund dieser Definition normal v i e r w e r t i g , und zwar, wie wir in I, Kap. 10, I, 1 sehen werden, in Übereinstimmung mit seinem chemischen Verhalten. Ferner muß man der s e m i p o l a r e n S a u e r s t o f f b i n d u n g (etwa in den auf S. 29 formulierten Aminoxyden) z w e i W e r t i g k e i t s s t u f e n zusprechen, da die durch sie verknüpften Atome einerseits durch eine e i n f a c h e A t o m b i n d u n g verbunden sind, andererseits je e i n e L a d u n g s e i n h e i t tragen. Der Begriff der Gesamtwertigkeit entspricht danach in vielen Fällen dem früher gebräuchlichen allgemeinen Wertigkeitsbegriff und soll im folgenden immer dann Anwendung finden, wenn von der W e r t i g k e i t eines Elementes s c h l e c h t h i n die Rede ist, wie etwa vom f ü n f w e r t i g e n S t i c k s t o f f in den N i t r o v e r b i n d u n g e n oder dem s e c h s w e r t i g e n S c h w e f e l in den S u l f o n e n oder S u l f o n s ä u r e n . E r unterscheidet sich von der ursprünglichen allgemeinen Wertigkeit jedoch grundsätzlich darin, daß die K o m p l e x b i l d u n g nunmehr mit einer Ä n d e r u n g d e r G e s a m t w e r t i g k e i t s s t u f e verbunden ist, der A m m o n i a k s t i c k s t o f f also z . B . beim Übergang zum A m m o n i u m s t i c k s t o f f fünfwertig wird. Doch wird diese Fassung insofern besser den Tatsachen gerecht, als der Ammoniumstickstoff auch tatsächlich f ü n f v e r s c h i e d e n e L i g a n d e n , wenn auch in verschiedenen Sphären, miteinander verknüpft (vgl. auch anorg. Lehrbücher). b) D i e B i n d i g k e i t Von erheblich größerer Bedeutung als die Gesamtwertigkeit ist für die organische Chemie die Zahl der von einem Atom ausgehenden A t o m b i n d u n g e n , da diese allein den M o l e k ü l z u s a m m e n h a l t bedingen. Diese Zahl wird als Bindigkeit oder koordinative Wertigkeit bezeichnet. Sind Wertigkeit und Bindigkeit voneinander v e r s c h i e d e n , so tritt, wie oben abgeleitet, sowohl bei der K o m p l e x b i l d u n g als auch bei der D i s s o z i a t i o n i n I o n e n eine elektrische A u f l a d u n g d e s Z e n t r a l a t o m s ein, so daß, abgesehen von dem Vorzeichen dieser Ladung, zwischen beiden Größen die folgende einfache, bereits in der Definition der Gesamtwertigkeit zum Ausdruck kommende Beziehung gilt: D i e D i f f e r e n z z w i s c h e n W e r t i g k e i t und Bindigkeit eines E l e m e n t s ist stets gleich der Zahl d e r p r o A t o m a u f g e n o m m e n e n e l e k t r i s c h e n L a d u n g s e i n h e i t e n . So ist z. B. die Zahl der Ladungseinheiten sowohl des zweiwertigen Sauerstoffs im H y d r o x y l - I o n mit der Bindigkeit 1 als auch des vierwertigen Sauerstoffs im O H J - I o n mit der Bindigkeit 3 gleich 1. Ahnlich zeigt der S c h w e f e l im S u l f a t - I o n die Bindigkeit 4 und die Gesamtwertigkeit 6, muß also d o p p e l t g e l a d e n sein. Infolge der strengen Gültigkeit des O k t e t t p r i n z i p s bei den Elementen der e r s t e n A c h t e r p e r i o d e kann hier die Bindigkeit vier n i e m a l s ü b e r s c h r i t t e n werden. Erst bei den Elementen der h ö h e r e n P e r i o d e n trifft man Bindigkeitszahlen > 4 an, deren Auftreten anfangs von der Elektronentheorie ebenfalls b e s t r i t t e n wurde. Die höchstmögliche Bindungszahl beträgt bei den Elementen der zweiten Achterperiode s e c h s und steigt bei einigen höheren Elementen (z. B. beim O s m i u m im OsF 8 ) auf a c h t an. Gegenüber K o h l e n s t o f f als Bindungspartner, bei dem die Möglichkeit der Vortäuschung höherer Bindigkeiten durch das Auftreten von E l e k t r o v a l e n z e n am geringsten ist, wurden jedoch noch niemals Bindigkeiten > 6 beobachtet.
III, 3c: Die oxydative Wertigkeit
31
c) Die o x y d a t i v e W e r t i g k e i t Unter der Oxydsitionsstufe oder oxydativen Wertigkeit verstand man ursprünglich die Z a h l von E l e k t r o n e n , die entweder ein M e t a l l a t o m beim Übergang in ein Kation a b g i b t oder die umgekehrt ein N i c h t m e t a l l a t o m beim Übergang in ein Anion a u f n i m m t . Sie drückte also jeweils die Zahl der E l e m e n t a r l a d u n g e n von I o n e n aus, und man unterschied daher seit jeher im Gegensatz zur allgemeinen Wertigkeit zwischen p o s i t i v e r und n e g a t i v e r O x y d a t i o n s s t u f e . Später wurde der Begriff auch auf die polaren A t o m b i n d u n g e n ausgedehnt, da man diese, wie wir oben gesehen haben, als eine erste Annäherung an die „Ionenbindungen" ansehen kann. Man legt diesem erweiterten Begriff der Oxydationsstufe daher am besten die i o n i s i e r t e G r e n z s t r u k t u r der polaren A t o m b i n d u n g zugrunde und definiert allgemein die oxydative Wertigkeit als diejenige Anzahl von E l e m e n t a r ladungen, die ein Atom tragen würde, wenn man sämtliche von ihm ausgehenden polaren A t o m b i n d u n g e n bis zur v o l l s t ä n d i g e n I o n i s a t i o n w e i t e r pol a r i s i e r t , d.h. die n e g a t i v e n E l e m e n t e als Anionen (z. B. Sauerstoff als : O : - I o n ) ^ ¿ j ¿ ¡ e p o s i t i v e n E l e m e n t e als K a t i o n e n (z.B. Wasserstoff als e 0
Proton) abdissoziiert. Obgleich die oxydative Wertigkeit in dieser Form in der Mehrzahl der Fälle mit der oben definierten Gesamtwertigkeit identisch wird (abgesehen vom Vorzeichen), kann sie letztere doch n i c h t allgemein e r s e t z e n , da einerseits die K o m p l e x b i l d u n g (die ja bei der Zerlegung des Moleküls in Ionen wieder rückgängig gemacht wird) ohne Änderung der O x y d a t i o n s s t u f e erfolgt — hier hat die oxydative Wertigkeit also das „Erbe" des ursprünglichen allgemeinen Wertigkeitsbegriffes angetreten —, andererseits wir eine Reihe von Verbindungen kennen, von deren Atomen neben polaren auch oxydativ 0-wertige unpolare B i n d u n g e n oder gar e n t g e g e n g e s e t z t polare B i n d u n g e n ausgehen. So ist z . B . im H y d r a z i n und H y d r o x y l a m i n der Stickstoff ohne Zweifel dreiw e r t i g , doch kann man ihm in keinem von beiden Fällen die O x y d a t i o n s s t u f e —3 zuordnen. Vielmehr ergibt sich hier die oxydative Wertigkeit erst auf einem kleinen Umweg, indem man die p o s i t i v e n und n e g a t i v e n W e r t i g k e i t e n voneinander a b z i e h t und für die unpolar gebundenen Substituenten den O x y d a t i o n s w e r t 0 annimmt. Danach hat jedes N-Atom im Hydrazin bei der Gesamtwertigkeit 3 nur die O x y d a t i o n s s t u f e —2 ( = —2 und ¡¿0) und im H y d r o x y l a m i n sogar nur —1 (—2 und + 1). Ähnlich steigert sich beim K o h l e n s t o f f die Oxydationsstufe, wenn man die C—H-Bindung in Anbetracht ihrer Ähnlichkeit mit der C—C-Bindung als in erster Näherung u n p o l a r bzw. o x y d a t i v 0-wertig annimmt, von Null im Met h a n (CH4) über + 1 im M e t h y l a l k o h o l (H3C—OH), + 2 im F o r m a l d e h y d ( H 2 C = 0 ) und + 3 in der Ameisensäure
auf + 4 im K o h l e n -
dioxyd ( 0 = C = 0 ) , obgleich ihm in allen diesen Verbindungen die G e s a m t w e r t i g k e i t 4 zugesprochen werden muß. Der Begriff der Oxydationsstufe in dieser Form ist wichtig für die Ermittlung der zur Oxydation bzw. Reduktion des betreffenden Atoms erforderlichen R e d o x äquivalente.
Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
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4. Die Elcktroncnformcln Die Einführung der Elektronentheorie der Valenz hat zu einer weitgehenden Klärung der verwickelten Bindungsverhältnisse geführt. Doch fehlte zunächst noch eine brauchbare S c h r e i b w e i s e , denn die bisher benutzten Punktformeln sind für die allgemeine Anwendung zu u m s t ä n d l i c h . Hier erwies es sich als die beste Lösung, den altgewohnten V a l e n z s t r i c h auch auf die Elektronenformeln zu übertragen und j e d e s E l e k t r o n e n p a a r der ä u ß e r e n S c h a l e d u r c h e i n e n S t r i c h wiederzugeben, der nur bei A t o m b i n d u n g e n beide Atome in der üblichen Weise m i t e i n a n d e r v e r b i n d e t und bei u n g e b u n d e n e n E l e k t r o n e n p a a r e n (auch in Ionen) zur Erreichung eines gefälligeren Aussehens der Formeln q u e r g e s t e l l t wird. Daneben findet der bisher für die Wiedergabe der Elektronen gebräuchliche P u n k t nur noch zur Kennzeichnung der nicht zu Dubletts vereinigten E i n z e l e l e k t r o n e n der f r e i e n A t o m e und R a d i k a l e Anwendung, um diese sofort auffällig von den normalen Molekülen mit p a a r e r E l e k t r o n e n z a h l zu unterscheiden. Die auf diese Weise erhaltenen n e u e n E l e k t r o n e n f o r m e l n (b) sind im folgenden für einige charakteristische Verbindungen den bisherigen P u n k t f o r m e i n (a) und den alten H a u p t v a l e n z - oder W e r t i g k e i t s f o r m e l n (c) gegenübergestellt: H H:C:H H
H
H I H—C—H I H
H—C—H i b
Methan
H
' C"0* H'-
H > o >
H-OH b Wasser
H-X I H b
H-iI H
freies Methylradikal
>
H. H
;C=0
+
r
h i i © H—N—H 1 L H J
H:N:H ii
+
H H—N-H 1-
i
J
Ammoniumion
Formaldehyd
H:Ö:H
H
H H:CH
H-O-H
-.0
Na+ : 0 : H
-
0
Na+ IO-H
Na-O-H
Natriumhydroxyd
Wie man sieht, besteht bei den e i n f a c h e n o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n infolge der Gleichheit von W e r t i g k e i t und B i n d i g k e i t beim K o h l e n s t o f f eine weitgehende Angleichung der neuen Formeln an die alten Wertigkeitsformeln, so daß man nicht umzulernen braucht und diese, die ja in der älteren Literatur bis etwa 1935 a b s o l u t v o r h e r r s c h e n , bis auf die fehlenden ungebundenen Elektronenpaare der Heteroatome d i r e k t zu elektronischen Betrachtungen heranziehen kann. Man übernimmt sie daher ohne weiteres als v e r e i n f a c h t e E l e k t r o n e n formeln. Nicht ganz so einfach liegen die Verhältnisse dagegen bei der Formulierung k o m p l i z i e r t e r e r a n o r g a n i s c h e r S u b s t i t u e n t e n , die zur K o m p l e x b i l d u n g oder zur Ausbildung s e m i p o l a r e r B i n d u n g e n neigen. Hier ist die Wertigkeit und Bindigkeit des Zentralatoms v e r s c h i e d e n , und wir erhalten demnach bei den alten Hauptvalenz-(a)und den modernen Elektronenformeln (b) v e r s c h i e d e n e Ausdrücke:
33
III, 4: Die Elektronenformeln
0 II
H,C—N—CH,
1
CH3 a
101® I©
H.C—N—CH3
I
CH3 b
0 t
H 3 C-N—CH 3 ;
I
CH3 c
Trimethylamin-oxyd
H F | |
H F |e |
Q
HF ||
H—N-B—F
H—N—B—F
H—N-*B—F
H F
H F
H F
I
a
I
I
I
b
I I c
BorfJuorid-Ammoniak
Die Hauptvalenzformeln besitzen den Vorteil der ü b e r s i c h t l i c h e n D a r s t e l l u n g der o x y d a t i v e n W e r t i g k e i t e n und lassen infolgedessen sofort die für die verschiedenen Reaktionen erforderlichen R e d o x ä q u i v a l e n t e erkennen. Aber sie geben die Bindungsverhältnisse f a l s c h wieder und schreiben eine Doppelbindung, wo keine vorliegt, was zuweilen zu schweren Irrtümern geführt hat. Bei den E l e k t r o n e n formein dagegen erhält man wiederum nur bei Mitanführung der ungebundenen E l e k t r o n e n p a a r e und der e l e k t r i s c h e n Aufladung der einzelnen Atome ein richtiges Bild der WertigkeitsVerhältnisse, so daß sie reichlich u m s t ä n d l i c h wirken.
Hier hat man zur Vereinfachung der Verhältnisse ein neues Symbol eingeführt und gibt die scmipolarc Bindung heute allgemein durch einen Pfeil in Richtung der bei der Aufrichtung der Doppelbindung oder bei der Komplexbildung stattfindenden E l e k t r o n e n v e r s c h i e b u n g wieder, so daß die mit c bezeichneten Formeln entstehen. Damit ist der Unterschied gegenüber der normalen Atombindung genügend gekennzeichnet, und es läßt sich auch die oxydative Wertigkeit befriedigend ablesen, wenn man der Komplexbindung keine und der semipolaren Sauerstoffbindung zwei Oxydationsstufen zuordnet. Im Gegensatz zur anorganischen Chemie liegt der Wert der Elektronentheorie der Valenz für den Organiker weniger in der Aufstellung neuer Formeln, als hauptsächlich in der konkreten Vorstellung, die sich nunmehr mit dem B i n d e s t r i c h verknüpft. Er stellt also nicht mehr einen Undefinierten Bindungszustand zwischen den Atomen dar, sondern er enthält jetzt wesentliche Teile der Atomsubstanz, denn die Elementsymbole H, C, N, O usw. bedeuten jetzt nicht mehr wie früher die vollständigen Atome, sondern nur noch die in allen Verbindungen gleichartigen, von den Außenelektronen entblößten Atomrümpfe, während die von Verbindung zu Verbindung wechselnde Verteilung der Valenzelektronen durch die Valenzstriche wiedergegeben wird. Dies bedeutet die Möglichkeit einer wesentlich eingehenderen Beschreibung der Vorgänge im Verlaufe chemischer Reaktionen (z. B. des Verbleibs des Bindungselektronenpaares), auf die wir später noch ausführlich zu sprechen kommen werden. Allerdings muß man eich bei der viel größeren Ausdrucksmöglichkeit der neuen Formeln davor hüten, mehr aus ihnen herauslesen zu wollen, als in ihnen enthalten ist, was namentlich in der Anfangszeit der Elektronentheorie häufig geschah und ihrer allgemeinen Einführung sehr geschadet hat. Um diese erweiterte Deutimgsmöglichkeit voll auswerten zu können, muß man auch die anderen Symbole und Zeichen der chemischen Formelsprache e x a k t e r definieren, als es bisher geschehen ist, und an die E l e k t r o n e n t h e o r i e angleichen. Dies ist im vorliegenden Buch erstmals im Rahmen eines Lehrbuches geschehen und zwar sollen sie, nach Möglichkeit in Anlehnung an die allgemeine Gepflogenheit, stets im Sinne der folgenden Regeln angewandt werden. 1. Der früher für die Kennzeichnung eines freien Radikals gebräuchliche, von nur einem Atom ausgehende Valcnzstrich (z. B. —CHS) soll in Zukunft ein normales R a d i k a l , d. h. einen in Bindung befindlichen Molekülteil (vgl. S. 18) darstellen. 3
K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie 1 . 1
Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
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Er bedeutet in diesem Falle also ebenfalls ein B i n d u n g s e l e k t r o n e n p a a r , und zwar dasjenige, das die Bindung des Radikals an den restlichen, hier nur n i c h t m i t g e s c h r i e b e n e n Molekülteil bewirkt. Wir können auf diese Weise vier vers c h i e d e n e M ö g l i c h k e i t e n des Auftretens einer „radikalartigen" Gruppe unterscheiden, wie es im folgenden am Beispiel der M e t h y l g r u p p e gezeigt sei: H
H
H e
iJ
positiv geladenes Methylkation mit Elektronensextett (in Derivaten existenzfähig)
H:—¿i H
negativ geladenes Methyl« anion mit ungebundenem Elektronenpaar (ebenfalls inDerivaten existenzfähig)
k freies Methylradikal .kurzlebig (in Form von Derivaten auch langlebig) existenzfähig
„X i
in Bindung befindliches Methylradikal, z. B. in Methylchlorid (CH,—Cl)
Wir begegnen hier erstmals ionogenen Derivaten des Kohlenstoffs. Sie treten zwar infolge der mangelnden Ionisationstendenz des Kohlenstoffs nur selten in Form von f r e i e n I o n e n in salzartigen Verbindungen auf (vgl. z. B. S. 160 und I, Kap. 9, II, 1), spielen jedoch eine große Rolle als i n t e r m e d i ä r e M o l e k ü l b r u c h s t ü c k e bei zahlreichen organischen Reaktionen, die wir in II, Kap. 4, II, l b zusammenfassend als K r y p t o - I o n e n r e a k t i o n e n kennenlernen werden. Sie haben infolgedessen eigene, der Nomenklatur der ionogenen Derivate der Nachbarelemente entsprechende Namen erhalten. Für das im M e t h y l k a t i o n enthaltene, nur von s e c h s B i n d u n g s e l e k t r o n e n umgebene, positiv geladene C-Atom sind zwei N a m e n gebräuchlich. In der a n g e l s ä c h s i s c h e n Literatur und in Anlehnung an diese neuerdings vielfach auch im d e u t s c h e n Schrifttum spricht man in Analogie zum positiv geladenen A m m o n i u m s t i c k s t o f f von Carbonium-C-Atomen und den sich von ihnen ableitenden Carbonium-Ionen. In einem gewissen Gegensatz hierzu steht der von W. D I L T H E Y vorgeschlagene Name Carbenium- Kohlenstoff (bzw. Carbenium-Ionen). In ihm soll durch die Endung -eniurn (im ausdrücklichen Gegensatz zu der sonst für Molekülkationen gebräuchlichen Endung -onium vor allem die „ u n g e s ä t t i g t e " N a t u r d e s K o h l e n s t o f f s zum Ausdruck gebracht werden, denn die positive Aufladung erfolgt hier nicht wie bei den Onium-Ionen durch A n l a g e r u n g eines p o s i t i v g e l a d e n e n S u b s t i t u e n t e n an das ungebundene Elektronenpaar des Zentralatoms, sondern umgekehrt durch H e r a u s s p a l t u n g eines n e g a t i v g e l a d e n e n S u b s t i t u e n t e n mit seinem Bindungselektronenpaar unter Hinterlassung einer E l e k t r o n e n l ü c k e :
f H—Nl ± E > .
i
H—N—H
i
Ammonium-Ion
Durch diese Einführung des Namens C a r b e n i u m , der auch im folgenden beibehalten werden soll, bietet sich also die Möglichkeit, daß man zwei R e i h e n von positiv geladenen Ionen unterscheiden kann: nämlich 1. die O n i u m - I o n e n , die stets unter Angliederung eines n e u e n S u b s t i t u e n t e n an das neutrale Zentralatom entstehen und daher gegenüber diesem eine e r h ö h t e B i n d i g k e i t aufweisen, und 2. die E n i u m - I o n e n , bei denen die Bindigkeit des Zeritralatoms umgekehrt gegenüber dem Normalzustand um eins v e r m i n d e r t ist, und bei denen das Zentralatom infolgedessen eine E l e k t r o n e n l ü c k e enthält. Die Bildungsmöglichkeit derartiger E n i u m - I o n e n beschränkt sich durchaus nicht nur auf d e n ' K o h l e n s t o f f , sondern man beobachtet sie auch beim S t i c k s t o f f (hier spricht man von Azenium-Ionen) und S a u e r s t o f f . Von letzterem leiten sich also sowohl positiv geladene Oxonium-Ionen (z. B. das H 3 0 + -Ion) als auch positiv geladene Oxenium-Ionen (z. B. das H-0+Ion) ab, zwischen denen ohne die Einführung des Begriffs der Enium-Ionen nicht so einfach unterschieden werden könnte. Das im M e t h y l a n i o n enthaltene negativ geladene C-Atom mit einem u n g e b u n d e n e n E l c k t r o n e n p a a r hat demgegenüber die für ein Säureanion charakteristische Endung -eniat
III, 4: Formelzeichen und Symbole
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erhalten und wird allgemein Carbenlatkoblenstofi bzw. die von ihm abgeleiteten Ionen und Salze Carbeniat-Ionen und Carbenialsalze genannt. Auch hier soll durch den Buchstaben e die gegenüber den Carbonaten und Carboxylaten k o o r d i n a t i v u n g e s ä t t i g t e N a t u r des ionogenen Kohlenstoffs zum Ausdruck gebracht werden. Neben dem Namen Carbeniat-Ion trifft man häufig auch die vereinfachte Bezeichnung Carbanion an.
2. Die Wiedergabe der elektrischen Aulladung der Atome und Ionen geschieht in der üblichen Weise durch die Zeichen -f- und — ,und zwar werden diese Symbole stets dann ohne K r e i s verwandt, wenn es sich um die nach außen in Erscheinung tretende Aufladung eines I o n s s c h l e c h t h i n handelt, ohne daß ein bestimmtes Atom als Sitz dieser Aufladung gekennzeichnet werden soll (z. B. in OH - , NH 2 , NH4' usw.). Zur Kennzeichnung der Aufladung b e s t i m m t e r A t o m e in einem größeren © .0 Molekülverband (etwa in einem Zwitterion wie 0 oder auch r / e © ©v~ 0 in einem komplizierteren Ion wie \ N = N = N / werden die Symbole dagegen immer in einen Kreis gesetzt, um einer Verwechslung mit den m a t e r i e l l e n B e s t a n d t e i l e n des Moleküls — des Minuszeichens insbesondere mit den ungebundenen und Bindungselektronenpaaren — vorzubeugen. 3. Der bisher für die Bezeichnung von Nebenvalenzen und insbesondere auch für die Komplexbindung gebräuchliche punktierte Bindestrich • • • soll in Zukunft nur die Wiedergabe wirklich z w i s c h e n m o l e k u l a r e r B i n d u n g e n , d. h. von Bindungskräften, die n i c h t durch gemeinsame E l e k t r o n e n p a a r e bewirkt werden, in Anwendung kommen. Derartigen zwischenmolekularen Kräften werden wir vor allem in der „ W a s s e r s t o f f b r ü c k e " (II, Kap. 6, I, 4), z. B. in den Doppelmolekülen der Carbonsäuren (II, Kap. 6, I I I , lb/3):
R—üf
\>—.R
begegnen. X)—H • • • 0 4. Um die Vorgänge bei einer Reaktion besser veranschaulichen zu können, sind allgemein dünn punktierte Hilfslinien in Gebrauch, die in die Formeln der Ausgangsverbindung bzw. -Verbindungen eingetragen werden und die während der R e a k t i o n e i n t r e t e n d e n M o l e k ü l s p a l t u n g e n (also nicht etwa bereits in dem ruhenden Molekül vorhandenen Bruchstellen) wiedergeben. Nachdem nunmehr der Bindestrich einen w e s e n t l i c h e n M o l e k ü l t e i l darstellt, sind die Hilfslinien stets so gelegt, daß sie über den w a h r s c h e i n l i c h e n V e r b l e i b des B i n d u n g s e l e k t r o n e n p a a r e s Auskunft geben, wie am Beispiel der Hydrolyse einer metallorganischen Verbindung gezeigt sei: Mej—R + j Ü j - Ö - H
>- R - H + MelÖH"
Die Reaktionsgleichung besagt also, daß der Alkylrest in diesem Fall als C a r b e n i a t - I o n , d. h. mit seinem E l e k t r o n e n p a a r in Reaktion tritt und an diesem Elektronenpaar den als P r o t o n vom Wassermolekül abdissoziierenden W a s s e r s t o f f anlagert. Die früher allgemein übliche Teilung des B i n d e s t r i c h e s würde demnach nunmehr nur noch speziell bedeuten, daß eine „Entkoppelung" des Elektronenpaares unter Bildung freier R a d i k a l e bzw. Atome erfolgt, wie es z. B. bei der thermischen Zersetzung vom B l e i t e t r a m e t h y l der Fall ist (vgl. I, Kap. 10, II, 3): CH, CH3rfelcH3 JH 3 3«
Pb + 4 • CH3
Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
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5. Die bisher üblichen eckigen Klammern zur Hervorhebung von k o m p l e x e n V e r b i n d u n g e n und I o n e n werden beibehalten. Sie haben sich insbesondere zur Wiedergabe von I o n e n bewährt, die zwischen m e h r e r e n F o r m e n tautomer oder mesomer sind, um anzuzeigen, daß der Übergang zwischen diesen Formen o h n e Ä n d e r u n g i h r e s I o n e n c h a r a k t e r s und ohne Mitbeteiligung des e n t g e g e n g e s e t z t g e l a d e n e n I o n s erfolgt: _ e /OH o, © / e\ |0—C = N| ^ x O = C = N x R - < e x — XNH mesomere Formen des Cyanatiuns
tautomere Formen des Säurelmidions
Dagegen sollen, um Verwechslungen vorzubeugen, die eckigen Klammern bei der ebenfalls üblichen Einklammerung der im Verlauf von Mehrstufenreaktionen auftretenden i n s t a b i l e n Z w i s c h e n p r o d u k t e in diesem Buch stets durch runde Klammern ersetzt werden. Sie kommen nur dann in Anwendung, wenn das angenommene Zwischenprodukt unter den Reaktionsbedingungen bisher weder isoliert noch durch seine Reaktionen einwandfrei nachgewiesen werden konnte, so daß sich ein besonderer Hinweis auf seine mehr oder weniger h y p o t h e t i s c h e Natur erübrigt. Als Beispiel eines derartigen nicht isolierbaren hypothetischen Zwischenproduktes sei das bei der A c y l i e r u n g s r e a k t i o n intermediär auftretende „ O r t h o c a r b o n s ä u r e d e r i v a t " (S. 206, 337) angeführt: R—G
x
+ H—X ci
/ R—C—O— / x :"H\ — R—C / x + HCl \ %
i
6. Zur Vereinfachung der Formeln werden häufig die Bindestriche f o r t g e l a s s e n . Von dieser Möglichkeit wird besonders dann Gebrauch gemacht, wenn über die betreffende Bindungsart k e i n e n ä h e r e n A n g a b e n möglich sind, oder der Bindungstypus offensichtlich ist, wie etwa bei der ionogenen S a l z b i n d u n g oder der a t o m a r e n B i n d u n g d e s W a s s e r s t o f f s . In letzterem Falle bedeutet die dünn punktierte Hilfslinie (z. B. in XiH) stets, daß der Wasserstoff im Verlauf der Reaktion o h n e E l e k t r o n e n p a a r , also als P r o t o n zum Reaktionspartner übergeht. 7. Ferner bedeuten bzw. werden angewandt: R ein einwertiges Alkylradikal im weitesten Sinne (also einschließlich Allyl-, Benzyl-, — CH2— COOH-Radikal usw.). Dagegen wird die Verwendimg von R zur Beschreibung eines o r g a n i s c h e n R a d i k a l s s c h l e c h t h i n (also einschließlich der Arylradikale) nur auf die wenigen Fälle einer Zusammenfassung aller organischen Derivate einer Verbindungsklasse (z. B. aller magnesiumorganischen Verbindungen R—Mg—X) beschränkt. R', R " usw. von R verschiedene Alkylradikale, im Gegensatz zu R a , R 3 usw., worunter z w e i bzw. m e h r e r e g l e i c h a r t i g e Radikale R verstanden werden sollen. Ar, Ar', A r " usw. aromatische Radikalo mit einer vom B e n z o l k e r n ausgehenden Valenz. Q Q Ac, Ac' usw. Säureradikale, speziell C a r b o n s ä u r e r a d i k a l e R — u n d Ar—C^ Hai ein Halogenatom. X ein einwertiger „negativer" (d. h. elektro-affiner) Rest, insbesondere —Hai, —OH, - O R , — OAc, - N H 2 USW.
IV, 1: Die Aktivierungsenergie
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Y ein zweiwertiger „negativer" Rest, z. B. = 0 , = N R , = S . Z ein dreiwertiger „negativer" Rest, z. B. = N , = 0 ® . Me ein einwertiges Metallradikal, z . B . —Li, —Na, —K, —MgX, \ =Mg, \ = Z n , $ = H g , 1/3=A1 usw. hg, al, fe usw. das einem H-Atom entsprechende Äquivalent des betreffenden mehrwertigen Elements. R z. B. in H—i I
OH, zur Kennzeichnung eines asymmetrischen C-Atoms.
R' ... zur Kennzeichnung eines stark nach der rechten Seite verschobenen Reaktionsgleichgewichtes. •«——• zur Kennzeichnung einer Mesomerie, an der die rechtsstehende Struktur überwiegend beteiligt ist.
Bzgl. weiterer Symbole vgl. auch II, Kap. 4, II, 1.
IV. Zeitreaktion und Katalyse Neben den s t a b i l e n M o l e k ü l e n einerseits und den B i n d u n g s k r ä f t e n , die die Atome in diesen Molekülen zusammenhalten, andererseits steht als dritte grundlegende Erscheinung die c h e m i s c h e R e a k t i o n , durch die die Atome und Bindungselektronen zu neuen Molekülen umgruppiert werden. Hier müssen wir uns vor den eigentlichen Ausführungen in erster Linie mit der für organische Umsetzungen charakteristischen Erscheinung der Z e i t r e a k t i o n und den Möglichkeiten, deren Geschwindigkeit zu verändern, vertraut machen. 1. Die Aktivierungsenergie Das Vorliegen einer Zeitreaktion setzt bereits gewisse R e a k t i o n s h e m m u n g e n voraus, denn, wenn j e d e r Z u s a m m e n s t o ß zwischen zwei Molekülen zur Reaktion führen würde, müßte ja jede Umsetzung u n m e ß b a r r a s c h verlaufen, wie uns das Beispiel der I o n e n r e a k t i o n e n zeigt. Es ist nunmehr an der Zeit, auf die Ursache dieser R e a k t i o n s t r ä g h e i t d e r A t o m b i n d u n g etwas näher einzugehen. Im Gegensatz zu den praktisch r e a k t i o n s l o s e n E d e l g a s e n sind die unpolaren Atombindungen zwar sehr r e a k t i o n s t r ä g e , aber durchaus nicht etwa reaktionsunfähig, wie u. a. aus dem Beispiel der Verbrennung der P a r a f f i n e d e s E r d ö l s hervorgeht, die bekanntlich einen der wichtigsten Energielieferanten unserer Wirtschaft darstellt. Trotz der großen Wärmetönung dieser Verbrennungsreaktion sind aber die Kohlenwasserstoffe gegenüber Sauerstoff bei normaler Temperatur vollkommen s t a b i l (bzw. metastabil), weil in ihnen — im Gegensatz zu den voneinander unabhängigen Ionen und Einzelatomen, die sich im allgemeinen bei j e d e m Z u s a m m e n s t o ß mit dem Reaktionspartner umsetzen — die Bindungen erst w e i t g e h e n d a u f g e l o c k e r t , ja im Extremfall sogar v o l l s t ä n d i g g e l ö s t werden müssen, ehe sich die Atome zu neuen Molekülen umgruppieren können. Hierzu ist E n e r g i e erforderlich, die immer erst in daa System hineingesteckt werden muß, ehe die Reaktion auch bei noch so großer Wärmetönung in Gang kommen kann. Die Verhältnisse liegen also ähnlich wie bei einem Bergsee, der trotz großer Höhendifferenz wegen eines dazwischen hegenden Bergrückens nicht in das benachbarte Tal abfließen kann.
Diese Energie, die aufgebracht werden muß, um die reaktionsträgen Moleküle in einen a k t i v e n Z u s t a n d zu versetzen, nennt man Aktivierungsenergie oder
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
Aktivierungswärme. Sie erreicht u. U. den m e h r f a c h e n Betrag der bei der eigentlichen Reaktion beobachteten Wärmetönung und macht dadurch die Stabilität und Reaktionsträgheit der organischen Verbindungen durchaus verständlich. Normalerweise wird sie aufgebracht aus der W ä r m e b e w e g u n g der Moleküle durch Umwandlung der beim Zusammenstoß der Reaktionspartner frei werdenden k i n e t i s c h e n E n e r g i e . Da sich diese Wärmebewegung der Moleküle auf Grund des MAXW E L L s c h e n V e r t e i 1 u n g s g e s e t z e s (vgl.phys.- ehem.L ehrbücher) über alle Geschwindigkeitsstufen verteilt, erfolgt der Eintritt der Reaktion nicht plötzlich bei einer bestimmten Temperatur, sondern die Reaktionsgeschwindigkeit steigt mit der Temperatur a l l m ä h l i c h in dem Maße an, wie der Anteil der Moleküle, die eine der Aktivierungswärme entsprechende kinetische Energie besitzen, zunimmt. Die q u a n t i t a t i v e D u r c h r e c h n u n g dieses Gedankenganges ergibt für die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten (k) in guter Übereinstimmung mit der Wirklichkeit die bekannte G l e i c h u n g v o n S. A R R H E N I Ü S : —A
k = « • e KT ,
in der A die Aktivierungsenergie bedeutet und a einen als Aktionskonstante bezeichneten P r o p o r t i o n a l i t ä t s f a k t o r darstellt, der von allen Molekülzusammenstößen, die mit einer zur Aufbringung der Aktivierungsenergie ausreichenden Geschwindigkeit erfolgen, die Zahl derjenigen erfaßt, die auch t a t s ä c h l i c h z u r Rea k t i o n führen (Näheres vgl. II, Kap. 4, I, 2). Rechnet man auf Grund dieser Beziehung einmal aus, wie groß die Aktivierungswärme sein muß, damit eine Reaktion nicht augenblicklich, sondern mit m e ß b a r e r G e s c h w i n d i g k e i t erfolgt, d. h. damit der Bruchteil der Molekülzusammenstöße, der zur Reaktion führt, so klein ist, daß innerhalb m e ß b a r e r Z e i t e n ein m e ß b a r e r B r u c h t e i l der Moleküle zur Umsetzung gelangt, so erhält man bei m i t t l e r e n a - W e r t e n von 10 1 0 —10 : 4 für Zimmertemperatur eine Aktivierungswärme von etwa 15—25 kcal/Mol, die für 300° bereits auf 30—50 und für 1000° auf 60—100 kcal/Mol ansteigt. Ist die Aktivierungsenergie k l e i n e r , so verläuft die Reaktion u n m e ß b a r s c h n e l l , und ist sie g r ö ß e r , so wird die Reaktionsgeschwindigkeit u n m e ß b a r k l e i n , d. h. die Reaktion „ f r i e r t e i n " und die Substanzen werden s t a b i l bzw. m e t a s t a b i l wie etwa die Paraffine gegen Luftsauerstoff.
Damit findet das Auftreten von Zeitreaktionen in der organischen Chemie eine b e f r i e d i g e n d e E r k l ä r u n g , und wir können nunmehr unter Zuhilfenahme des Begriffes der Aktivierungsenergie die oben gegebenen Definitionen der I s o m e r i e und T a u t o m e r i e e r s c h e i n u n g e n noch folgendermaßen ergänzen: Eine I s o m e r i e oder S t e r e o i s o m e r i e zwischen zwei möglichen Molekülformen tritt nur dann auf, wenn die zur gegenseitigen Umwandlung der Isomeren erforderliche Aktivierungswärme m i n d e s t e n s 15—20 kcal beträgt, und auch die g e g e n s e i t i g e U m w a n d l u n g der Isomeren ineinander wird u n m ö g l i c h , wenn die Aktivierungswärme der Umwandlungsreaktion die der Z e r s e t z u n g s r e a k t i o n erreicht oder gar ü b e r s t e i g t , also höher liegt als etwa 30—50 kcal. Ähnlich tritt stets dann T a u t o m e r i e ein, bzw. es fällt wie bei den Enolen (S. 226) eine Isomeriemöglichkeit fort, Avenn die Aktivierungswärme der Umwandlungsreaktion k l e i n e r a l s 1 5 - 2 0 kcal wird. 2. Die Katalyse Für den Chemiker ist es meistens von großer Wichtigkeit, die Geschwindigkeit seiner Reaktionen b e e i n f l u s s e n zu können, insbesondere s e h r l a n g s a m v e r l a u f e n d e oder normalerweise überhaupt nicht stattfindende Umsetzungen durch H e r a b s e t z e n der A k t i v i e r u n g s e n e r g i e praktisch durchführbar zu machen.
IV, 2: Die Katalyse
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Dies gelingt in erster Linie durch die Katalyse, worunter man die B e s c h l e u n i g u n g e i n e r R e a k t i o n d u r c h z u g e s e t z t e S t o f f e versteht, die während der Reaktion k e i n e d a u e r n d e n V e r ä n d e r u n g e n erleiden, also scheinbar nur d u r c h i h r e G e g e n w a r t wirken. Diese „Katalysatoren" treten infolgedessen n i c h t in d e r s u m m a r i s c h e n R e a k t i o n s g l e i c h u n g auf und sind auch n i c h t in s t ö c h i o m e t r i s c h e n M e n g e n erforderlich. Ebensowenig verändern sie, da aus Gründen des ersten Hauptsatzes die Wärmetönung einer Reaktion u n a b h ä n g i g v o n d e m W e g ist, auf dem sie durchgeführt wird (HESs'scher Satz, vgl. phys.-chem. Lehrbücher), die R e a k t i o n s w ä r m e und damit die L a g e des R e a k t i o n s g l e i c h g e w i c h t e s . Letzteres bedeutet wiederum, daß Hin- und Rückreaktion durch d e n s e l b e n K a t a l y s a t o r in g l e i c h e r W e i s e beschleunigt werden müssen. Das Wesen der katalytischen Wirkung beruht immer auf einem direkten E i n g r e i f e n des Katalysators in die chemische Reaktion durch Bildung einer Z w i s c h e n Verbindung mit einem oder auch mehreren der Reaktionspartner, wodurch die einfache Umsetzung in mehrere T e i l r e a k t i o n e n zerlegt wird. Betrachtet man z. B. die Reaktion A + B —• C und bezeichnet den Katalysator mit K , so läßt sich im einfachsten Fall die katalytische Einwirkung auf das folgende Schema zurückführen : A + K —• A K A K + B —>• 0 + K
t
in summa A + B —• C
aus dem sich in summa sowohl K als auch A K herausheben. Wesentlich für den Wirkungsgrad des Katalysators ist in erster Linie das V e r h ä l t n i s d e r A k t i v i e r u n g s w ä r m e n von katalysierter zu nicht katalysierter Reaktion. Daneben spielt aber auch die M e n g e des zugesetzten Katalysators und bei Kontaktsubstanzen (s. unten) auch dessen O b e r f l ä c h e n b e s c h a f f e n h e i t eine wichtige Rolle, denn je m e h r Katalysatormoleküle vorhanden sind, bzw. je größer die Oberfläche der Kontaktsubstanz ist, um so m e h r Zusammenstöße zwischen Substanz- und Katalysatormolekülen können stattfinden, und um so g r ö ß e r ist daher die Reaktionsgeschwindigkeit. I m übrigen braucht das intermediäre Zwischenprodukt A K durchaus k e i n e s t a b i l e und bekannte Verbindung zu sein. Vielmehr dürfte es im Gregenteil in den meisten Fällen sogar nur ein sehr u n b e s t ä n d i g e s , dafür aber um so r e a k t i o n s f ä h i g e r e s Z w i s c h e n g e b i l d e darstellen, das häufig nur i m V e r l a u f e d e r R e a k t i o n und für B r u c h t e i l e e i n e r S e k u n d e existenzfähig ist. Als einfaches Beispiel eines derartigen katalytischen Vorganges sei die alkalischo Umesterungsreaktion (S. 344) angeführt. E s s i g s ä u r e m e t h y l e s t e r ist in Äthylalkohol als Lösungsmittel b e s t ä n d i g , weil zur Umwandlung in E s s i g s ä u r e - ä t h y l e s t e r und M e t h y l a l k o h o l nach folgender summarischen Gleichung: CH 3 —CO—0—CH 3 + HO—C 2 H 6
CH 3 —CO—0—C 2 H 5 + H O — C H ,
die erforderliche Aktivierungsenergie mehr als 30 kcal/Mol beträgt. Enthält die Lösung dagegen etwas N a t r i u m ä t h y l a t bzw. das eigentlich katalytisch wirkende basischeÄthylation ( 0 — C , H 5 - ) als Katalysator, so verläuft die Reaktion sehr r a s c h , weil dieses sich an die C=0-Doppelbindung des Esters unter Bildung des instabilen ortho-esterartigen Zwischenproduktes I anzulagern vermag, das dann beim anschließenden Zerfall nicht nur das Ä t h y l a t I o n wieder rückwärts, sondern auch das M e t h y l a t - I o n abspalten kann. In letzterem Fall hat aber bereits die eigentliche U m e s t e r u n g stattgefunden, und es braucht nur noch in einer letzten Reaktionsphase das M e t h y l a t - I o n durch den überschüssigen Ä t h y l a l k o h o l in den M e t h y l a l k o h o l als das zweite Reaktionsendprodukt übergeführt zu werden, ein Vor-
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
gang, der als einfacher P r o t o n e n ü b e r g a n g zwischen korrespondierender Säure und Base (vgl. anorg. Lehrbücher) u n m e ß b a r r a s c h verläuft. E s findet also eine Aufsplitterung der Gesamtreaktion in die folgenden d r e i T e i l v o r g ä n g e s t a t t : /Ö—C2Hs / -Q 1. CH 3 —C=0> + |0—C S H S " —1• CH 3 —C—0| I X
Ö-CH3
\Ö-CH,
^O—C2H5
^O—C2H,
2. C H 3 — C — Ö |
e
—• C H 3 — C = 0
\Ö_CH
+ |0—CH3-
3
3. IÖ—CH 3 - + H—0—CJHJ
CH a —Ü—H + | Ö—C 2 H 5 /O—C2H5
in summa C H 3 — C = 0
+ H—0—C 2 H S
—> C H 3 — C = 0
+ H—O—CH S .
\o—CH3 In ihnen übernehmen das O C a H 6 _ - I o n die Rolle des K a t a l y s a t o r s K und das intermediär entstehende A d d i t i o n s p r o d u k t sowie das M e t h y l a t - I o n die Bolle der Z w i s c h e n v e r b i n d u n g AK in dem oben angeführten Schema. Alle drei Ionen heben sich, wie gefordert, in der summarischen Gesamtgleichung wieder heraus.
Die Einteilung der Katalysatoren erfolgt in erster Linie auf Grund ihrer p h y s i k a l i s c h e n E r s c h e i n u n g s f o r m und erst innerhalb der so gebildeten Hauptgruppen nach der k a t a l y s i e r t e n R e a k t i o n oder der chemischen Zusammens e t z u n g des K a t a l y s a t o r s . Man unterscheidet drei Hauptgruppen von Katalysatoren bzw. katalytischen Vorgängen. 1. die homogene Katalyse. Sie spielt sich meistens in L ö s u n g , seltener in der Gasphase ab, und der Katalysator besteht, ebenso wie die umzusetzenden Substanzen, aus h o m o g e n v e r t e i l t e n E i n z e l m o l e k ü l e n . Hier ist der Reaktionsmechanismus stets leicht aufzuklären, da die reagierenden Moleküle und auch die möglichen Zwischenprodukte weitgehend b e k a n n t sind. Die wichtigsten hierher gehörenden Reaktionen sind die Säuren- und B a s e n k a t a l y s e (letztere z. B. bei der oben angeführten a l k a l i s c h e n Umesterung), sowie die Katalyse durch K o m p l e x b i l d n e r (z. B. die durch A l u m i n i u m c h l o r i d katalysierte F R I E D E L CsAFTSBche Reaktion, S. 129/282). 2. die heterogene Katalyse. Sie erfolgt immer an der Grenzfläche fester Substanzen (sog. „Kontakte") und wird daher auch Kontakt- oder Berührungskatalyse genannt. Die wirklichen Vorgänge sind hier sehr v e r w i c k e l t und in den seltensten Fällen geklärt. Sehr wesentlich für die Erhöhung des Umsatzes ist naturgemäß die Ausbildung einer möglichst großen K a t a l y s a t o r o b e r f l ä c h e , d.h. eine möglichst f e i n e V e r t e i l u n g des Katalysators. Zur Erreichung dieses Zieles werden mitunter recht raffinierte Verfahren angewandt. Z. B. erfolgt die Herstellung eines f e i n v e r t e i l t e n N i c k e l s f ü r die Hydrierungskatalyse heute bereits bei Z i m m e r t e m p e r a t u r durch Herauslösen des Aluminiums aus einer A l u m i n i u m - N i c k e l - L e g i e r u n g mittels konzentrierter N a t r o n l a u g e nach R A N E Y , da bei dieser w e i t u n t e r h a l b d e s S c h m e l z p u n k t e s liegenden Temperatur jede nachträgliche Glättung der Nickeloberfläche durch S i n t e r u n g praktisch u n m ö g l i c h ist. Auch durch vorsichtige Reduktion von N i c k e l f o r m i a t mit Wasserstoff bei Temperaturen u n t e r 200° erhält man noch sehr brauchbare, gegenüber dem RANEY-Nickel wesentlich r e i n e r e Katalysatoren. Eine weitere Möglichkeit zur Gewinnung möglichst fein verteilter Kataly-
IV, 2: Die Katalyse
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satoren beruht auf ihrer N i e d e r s c h l a g u n g auf T r ä g e r s u b s t a n z e n , für die sich vor allem die oberflächenreichen A k t i v k o h l e n und K i e s e l s ä u r e n (z. B. Silicagel) gut eignen. Auch in r a u c h a r t i g e m Z u s t a n d als A e r o g e l werden zuweilen derartige Kontaktsubstanzen angewandt.
Neben der Erzielung einer möglichst großen Katalysatoroberfläche sind diese verschiedenen Möglichkeiten der feinen Verteilung auch sehr wesentlich für die als Spezifität bezeichnete q u a l i t a t i v e W i r k u n g s w e i s e des Katalysators. So werden durch die auf T r ä g e r s u b s t a n z e n niedergeschlagenen Katalysatoren häufig g a n z a n d e r e R e a k t i o n e n beschleunigt als durch die r e i n e n K o n t a k t s u b s t a n z e n selbst. Ferner kann man zuweilen durch M i s c h u n g zweier Katalysatoren außer ihrer g e g e n s e i t i g e n W i r k u n g s s t e i g e r u n g auch völlig n e u a r t i g e K a t a l y s a t o r w i r k u n g e n hervorrufen, die bei den reinen Einzelstoffen n i c h t b e o b a c h t e t werden. Die z. T. außerordentlich weitgehende Spezifität derartiger Kontakte für eine ganz bestimmte Reaktion kommt häufig dadurch zustande, daß zufällig die A t o m a b s t ä n d e d e r K a t a l y s a t o r o b e r f l ä c h e mit denen der reagierenden Atome in den umzusetzenden Molekülen übereinstimmen. Die Kontaktkatalyse ist infolge der zahlreichen sich bietenden Möglichkeiten in der Praxis der bei weitem w i c h t i g s t e T y p u s , aber auch der am s c h w e r s t e n zu e r f o r s c h e n d e , da jede Theorie für eine systematische Auswahl der Katalysatoren fehlt. Man ist daher bei der Suche nach geeigneten Kontaktsubstanzen im wesentlichen aufs Probieren angewiesen. Lediglich einige wenige S u b s t a n z g r u p p e n zeigen zuweilen ein g l e i c h a r t i g e s V e r h a l t e n gegenüber bestimmten Reaktionstypen, ohne daß man jedoch Voraussagen über den Ablauf bestimmter Reaktionen machen kann. Am bekanntesten ist hier die wasserstoffaktivierende (d. h. hydrierende und dehydrierende) Wirkung der M e t a l l e der 8. G r u p p e sowie die w a s s e r a b s p a l t e n d e (dehydratisierende) Wirkung der E r d m e t a l l o x y d e . 8. die Enzyme oder Fermente. Bei der großen Bedeutung der Katalyse für den Ablauf organischer Reaktionen wäre es sehr zu verwundern, wenn sich nicht auch das L e b e n dieses Mittels zur Durchführung seiner S t o f f w e c h s e l v o r g ä n g e bediente. Die Katalysatoren der Lebensprozesse sind k o m p l i z i e r t e E i w e i ß k ö r p e r , die Enzyme oder Fermente genannt und in III, Kap. 8, I I zusammenfassend behandelt werden. Neben diesen eigentlichen katalytischen Vorgängen gibt es noch eine Reihe v e r w a n d t e r E r s c h e i n u n g e n , die mehr oder weniger eng mit der Katalyse zusammenhängen. So besteht z. B. die Möglichkeit, daß ein Stoff zwar eine Reaktion beschleunigt, sich aber s e l b s t an ihr b e t e i l i g t und dadurch die geschilderten Verhältnisse von Grund auf ändert. Ein derartiger Fall liegt bei der alkalischen Esterspaltung vor, bei der die stark basischen OH-Ionen zunächst zwar in normaler Weise die Reaktion „ k a t a l y t i s c h " beschleunigen (in voller Analogie zur oben beschriebenen a l k a l i s c h e n U m e s t e r u n g durch das Alkoholat-Ion), aber nachträglich durch die hierbei entstehende Carbonsäure n e u t r a l i s i e r t werden:
OH ;
0
0
Der U n t e r s c h i e d gegenüber einer e c h t e n K a t a l y s e macht sich hier vor allem darin bemerkbar, daß einmal der „Katalysator" wegen seiner Beteiligung an der Reaktion
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
v e r b r a u c h t w i r d und infolgedessen mindestens in m o l a r e m V e r h ä l t n i s zugesetzt werden muß, und daß zweitens infolge des H e r a u s f a n g e n s d e s e i n e n R e a k t i o n s p r o d u k t e s aus dem Gleichgewichtsgemisch die L a g e d e s R e a k t i o n s g l e i c h g e w i c h t e s verschoben und die W ä r m e t ö n u n g geändert wird. Infolge dieser andersartigen Verhältnisse grenzt man zweckmäßig alle derartigen Reaktionen, bei denen das reaktionsbeschleunigende Agens auch in der summarischen Reaktionsgleichung auftritt, als aktivierte Reaktionen von den eigentlichen k a t a l y t i s c h e n V o r g ä n g e n ab. Auch die umgekehrte Möglichkeit, daß bei der Reaktion S t o f f e e n t s t e h e n , die ihrerseits k a t a l y t i s c h wirken, wird zuweilen beobachtet. Sie wird Autokatalyse genannt, spielt jedoch in der organischen Chemie nur eine geringe Rolle. Ein Beispiel werden wir auf S. 261 kennenlernen. Schließlich gibt es auch Stoffe, die v e r z ö g e r n d auf eine Reaktion einwirken. Hier spricht man von negativer Katalyse. Sie kommt meistens dadurch zustande, daß eine n i c h t e r k e n n b a r e p o s i t i v e K a t a l y s e oder anderweitige Reaktionsbeschleunigung g e s t ö r t wird, und ist damit nahe verwandt der häufig beobachteten Katalysator- oder Kontaktvergiftung. Diese beruht darauf, daß geringfügige V e r u n r e i n i g u n g e n der Reaktionspartner eine g r ö ß e r e A f f i n i t ä t zum Katalysator zeigen als die umzusetzenden Stoffe selbst und i r r e v e r s i b e l mit ihm reagieren, so daß er für die eigentliche Umsetzung b l o c k i e r t wird. Besonders die oberflächenreichen K o n t a k t s t o f f e und die vielleicht noch oberflächenreicheren E n z y m e werden sehr leicht „ v e r g i f t e t " . Auch die toxische Wirkung der bekannten G i f t s t o f f e dürfte auf einer derartigen Vergiftung der für die Lebensfunktionen notwendigen E n z y m e beruhen, so daß der scheinbar zufälligen Übereinstimmung der Bezeichnung „Vergiftung" für beide Vorgänge eine t i e f e r e B e d e u t u n g zukommt.
3. Andere Möglichkeiten der Reaktionsbeschleunigung Neben der Katalyse gibt es noch einige andere Möglichkeiten, eine zu träge verlaufende Reaktion wirksam zu beschleunigen. Allerdings muß hierbei die Aktivierungsenergie dem System stets v o n außen zugeführt werden. Das bekannteste Mittel ist die Erhöhung der Reaktionstemperatur, wodurch die Zahl der die notwendige kinetische Energie besitzenden Moleküle sehr rasch vermehrt wird. Wie sich im einzelnen auf Grund der Gleichung von A J R R H E N I U S (S. 38) berechnen läßt, steigt bei den üblichen Aktivierungswärmen von 15 bis 25 kcal/Mol die Reaktionsgeschwindigkeit pro 10° Temperaturerhöhung auf etwa das 2—4fache an, so daß man durch Temperatursteigerungen von mehreren 100° bereits recht beachtliche Effekte erzielen kann (Näheres vgl. II, Kap. 4, I, 2). Eine zweite Möglichkeit der Zuführung der Aktivierungswärme besteht in der Bestrahlung mit energiereichem, also möglichst ultraviolettem Licht. Hierbei wird die Aktivierungsenergie von jedem Molekül e i n z e l n in Form eines L i c h t q u a n t e s (h • v) aufgenommen, so daß sie sich aus der W e l l e n l ä n g e des absorb i e r t e n L i c h t e s ohne weiteres berechnen läßt. Bei diesen durch Bestrahlung aktivierten Reaktionen bemerkt man häufig, daß pro absorbiertem Lichtquant mehrere (bei organischen Reaktionen bis zu etwa 50000) Moleküle umgesetzt werden, so daß man direkt von einer „ k a t a l y t i s c h e n Wirkung" des eingestrahlten Lichtes sprechen kann. Dieser Effekt ist auf das Auftreten von „ K e t t e n r e a k tionen" zurückzuführen, bei denen die eingestrahlte Aktivierungsenergie n i c h t , wie sonst üblich, in die Reaktionswärme eingeht und damit für die Aktivierung weiterer Moleküle verloren geht, sondern unter E r h a l t u n g der c h e m i s c h e n Akt i v i t ä t innerhalb der Reaktionskette von Molekül zu Molekül w e i t e r g e g e b e n wird (bzgl. Einzelheiten vgl. II, Kap. 4, I, 1). Eine ähnliche beschleunigende Wirkung erreicht man bei Gasreaktionen zuweilen durch dunkle elektrische Entladungen, z. B. im O z o n i s a t o r . Auch andere elektrische Effekte,
V, 1: Analyse und Konstitutionsermittlung
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wie z. B. das Anlegen eines normalen W e c h s e l s t r o m s an das Reaktionsgefäß, führt in manchen Fällen zu einer Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit. Die in der a n o r g a n i s c h e n Chemie vielfach gebräuchliche Vakuumentladung ist dagegen für organische Reaktionen meistens zu energiereich und führt, zumindest bei höher molekularen Verbindungen, zu einer mehr oder weniger v o l l s t ä n d i g e n Molekülzerstörung.
Eine letzte Möglichkeit der Zuführung der notwendigen Aktivierungsenergie besteht in der Heranziehung chcmischer Energie durch Verwendung besonders energiereicher, d.h. i n s t a b i l e r und reaktionsfähiger Reagentien. So geht z. B. die Chlorierung primärer Alkohole mit Chlorwasserstoffsäure ohne Katalysator nur sehr langsam vor sich. Verwendet man aber Phosphorpentachlorid als Chlorierungsmittel, so wird die Chlorierungsreaktion mit der s t a r k exothermen Umwandlung des instabilen Pentachlorids in das stabile Phosphoroxychlorid energetisch gekoppelt, so daß nunmehr die notwendige Aktivierungsenergie sofort zur Verfügung steht und die Reaktion sehr stürmisch verläuft. Auch die Zelle führt viele ihrer Reaktionen mit derartigen energiereichen Verbindungen durch (Näheres vgl. III, Kap. 8, III, 1). Das Beispiel des Phosphorpentachlorids hebt gleichzeitig die große praktische Bedeutung der Katalyse für die organische Chemie hervor, denn energiereiche und reaktionsfreudige Reagenzien sind immer teuer im Gegensatz zu stabilen und r e a k t i o n s t r ä g e n Verbindungen. Die Katalyse führt also mit wenigen Ausnahmen stets zu einer Verbilligung eines chemischen Verfahrens.
V. Die Aufgaben und Ziele der organischen Chemie Die organische Chemie befaßt sich materiell zwar ausschließlich mit den Verbindungen des K o h l e n s t o f f s , doch ist mit deren Erforschung ihr Aufgabenkreis durchaus noch nicht erschöpft, sondern sie greift als Hilfswissenschaft auch in zahlreiche andere Wissenszweige ein. Es soll daher im folgenden im Rahmen eines kurzen Überblicks über ihre Aufgaben und Forschungsziele und, soweit später nicht mehr zusammenhängend darauf zurückgekommen wird, auch über •die zur Erreichung dieser Ziele gebräuchliche Arbeitsmethodik die vielseitige Stellung der organischen Chemie innerhalb des Gesamtgebietes der Naturwissenschaften umrissen werden. 1. Analyse und Konstitutionscrmittlung Dieser in seiner Zielsetzung scheinbar bescheidenste Aufgabenkreis ist trotzdem von großer praktischer Bedeutung, denn wenn es nicht gelungen wäre, einwandfreie und sichere Methoden zu finden, das große Heer der synthetischen und vor allem der uns von der Natur gelieferten organischen Verbindungen zu sichten und in seiner Konstitution sicherzustellen, dann hätte auch niemals das stolze Gebäude errichtet werden können, das die organische Chemie heute darstellt. Auch ist die Strukturbestimmung unbekannter Verbindungen, namentlich die komplizierter Naturstoffe, z. T. sehr schwierig und seit jeher eine der lohnendsten und i n t e r e s s a n t e s t e n Aufgaben selbst der größten Chemiker gewesen, zu deren Lösung es oft jahrzehntelanger Bemühungen und raffinierter Methoden bedurft hat. Der für die Konstitutionsermittlung einzuschlagende Weg gliedert sich in fünf Stufen, die sich aus dem unter I I (S. 7f.) Gesagten von selbst ergeben.
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
a) D i e E l e m e n t a r a n a l y s e Der erste Schritt besteht in der Ermittlung der p r o z e n t u a l e n Z u s a m m e n s e t z u n g der zu untersuchenden Verbindung aus den einzelnen Atomarten, der Elementaranalyse. Hierzu wird, da sich die Bestimmung z u s a m m e n h ä n g e n d e r B r u c h s t ü c k e des organischen Moleküls, abgesehen von wenigen Ausnahmen (s. unten), mit einer für die quantitative Analyse ausreichenden Genauigkeit und vor allem auch nach einer allgemein brauchbaren Methode n i c h t durchführen läßt, stets das organische Molekül v o l l s t ä n d i g z e r s t ö r t und alle Elemente in ihren einfachsten Verbindungen in g e t r e n n t e n A n a l y s e n g ä n g e n bestimmt. Die hierfür gebräuchlichen Analysenmethoden wurden in ihren Grundzügen schon vor mehr als 100 Jahren von J. v. L I E B I O entwickelt und haben sich seither bestens bewährt. Die einzig hinzugekommene wesentliche Neuerung besteht in ihrer Übertragung auf die Analyse k l e i n s t e r S u b s t a n z m e n g e n , die Mikroelementaranalyse, die in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg von F. P R E G L ausgebaut wurde. Sie gestattet es, mit nur 3—5 mg Substanz eine Bestimmung mit der g l e i c h e n S i c h e r h e i t ( i 0,3% Fehlergrenze) auszuführen, wie früher mit der lOOfachen Substanzmenge. Nur auf diese Weise ist es möglich gewesen, die Konstitutionsermittlung der V i t a m i n e und H o r m o n e , von denen man aus mehreren Hundert Kilogramm Material oft nur wenige Milligramm an reiner Substanz erhalten hat, in dem bisherigen Umfang durchzuführen. Die Analysengänge selbst, deren Einzelheiten in jedem Praktikumsbuch 1 ) nachzulesen sind, beruhen auf den folgenden Umsetzungen: 1. Kohlenstoff und Wasserstoff werden stets g e m e i n s a m nach J . v. L I E B I G bestimmt, indem man die Substanz im S a u e r s t o f f s t r o m am P l a t i n k o n t a k t oder auch ohne Kontakt unter der zusätzlichen Wirkung von K u p f e r o x y d bzw. K u p f e r o x y d - B l e i c h r o m a t vollständig verbrennt. Hierbei geht der Kohlenstoff quantitativ in K o h l e n d i o x y d und der Wasserstoff quantitativ in W a s s e r über, die dann anschließend, nach Entfernung der aus ev. vorhandenen Hetero-elementen stammenden störenden Gase (HCl, SO t , NO» usw.), in hintereinander geschalteten C h l o r c a l c i u m - und N a t r o n k a l k r ö h r e n getrennt absorbiert und zur Wägung gebracht werden. 2. Der Sauerstoff wurde bis zum Jahre 1935 n i c h t g e s o n d e r t bestimmt, sondern stets aus der D i f f e r e n z der G e h a l t e a l l e r ü b r i g e n E l e m e n t e gegen 100% errechnet. Aber abgesehen von der hierbei häufig erfolgenden S u m m i e r u n g a l l e r F e h l e r q u e l l e n kann man bei diesem Verfahren leicht auch ein bisher übersehenes Element fälschlich als „Sauerstoff" bestimmen. Ebenso kann man sehr geringe Differenzen in hochmolekularen Stoffen n i c h t m e h r e i n d e u t i g als S a u e r s t o f f a n s p r e c h e n . Es wurden daher in neuerer Zeit mehrere Sauerstoffbestimmungsmethoden ausgearbeitet. Am einfachsten ist das Verfahren von L I N D N E R und UNTERZAUCHER, das im wesentlichen auf einer h y d r i e r e n d e n H e r a u s s p a l t u n g des S a u e r s t o f f s aus dem organischen Molekül als W a s s e r beruht, das sich seinerseits dann leicht wie oben zur Wägung bringen läßt (UNTERZAUCHER) oder nach L I N D N E R durch die quantitativ erfolgende Hydrolyse von C h l o r n a p h t h y l - o x y c h l o r p h o s p h i n in zwei Moleküle HCl umgewandelt: Cl—C10H„—P0C12 + H a O
>- Cl—C10H,—PO, + 2 HCl
und dann a c i d i m e t r i s c h t i t r i e r t wird. Daneben hat in der Technik noch ein zweites, von J . U N T E R Z A U C H E R 2 ) ausgearbeitetes Verfahren Anwendung gefunden, nach dem die organische Substanz bei hoher Temperatur „vercrackt" wird und die sauerstoffhaltigen z. B. Gattermann-Wieland, Die Praxis des organischen Chemikers, 38. Aufl. Berlin 1958, vgl. auch H A N S M E Y E R , Analyse und Konstitutionsermittlung, 6. Aufl. Wien 1938. J ) Bull. Soc. Chim. France 1953, C 71.
V, l a : Die Elementaranalyse
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Crackgase durch Leiten über auf 1120° e r h i t z t e n Kohlenstoff quantitativ in Kohlenoxyd übergeführt werden. Dieses Kohlenoxyd läßt sich dann mittels J a 0 5 wiederum quantitativ in K o h l e n d i o x y d umwandeln, das schließlich wie bei der CH-Bestimmung zur Wägung gebracht wird. In der Praxis zieht man meistens die maßanalytische Bestimmung des nicht verbrauchten J o d p e n t o x y d s (nach Umsetzung mit Jod-Ionen zu freiem Jod) vor. Obwohl die Genauigkeit beider Methoden durchaus der anderer analytischer Verfahren entspricht, haben sie sich noch nicht allgemein durchsetzen können und finden nur in Spezialfällen Anwendung. 3. Der Stickstoff wird im allgemeinen nach der Methode von J. B. DUMAS bestimmt. Danach verbrennt man den organischen Molekülteil vollständig mit K u p f e r o x y d , wobei der Stickstoff in seine „beständigste Verbindung", den elementaren S t i c k s t o f f übergeht. Dieser wird anschließend durch Kohlendioxyd als Trägergas in ein „Azotometer" getrieben und dort über konzentrierter Kalilauge aufgefangen und volumetrisch gemessen. Auch die relativ rohe KjELDALmethode ist noch gebräuchlich und wird neuerdings sogar in einem Halbmikroverfahren 1 ) angewandt. 4. Die übrigen Nichtmetalle (Halogen, Schwefel, Phosphor, Arsen usw.) werden meistens nach L. C A R I U S aufgeschlossen, indem man den organischen Molekülteil bei erhöhter Temperatur im geschlossenen Rohr mit konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e vollständig v e r b r e n n t . Hierbei gehen die genannten Elemente in ihre s t a b i l s t e n Oxydationss t u f e n über, in der sie nach den üblichen a n a l y t i s c h e n Methoden bestimmt werden können, z. B. Chlor und Brom als Silberhalogenide, S c h w e f e l als B a r i u m s u l f a t usw. 5. Die Metalle in den Salzen der Carbonsäuren, metallorganischen Verbindungen usw. werden durch Verglühen an der Luft oder Abrauchen mit konzentrierter Schwefelsäure in die Oxyde, Carbonate oder S u l f a t e übergeführt und dann direkt zur Wägung gebracht oder nach einer der üblichen analytischen Methoden bestimmt. An Stelle des CABiusverfahrens schließt man heute bei Halogenbestimmungen die Substanzen meistens mit Natriumperoxyd in der „WüRZSCHMiTTbombe"2) auf. Man erspart sich auf diese Weise das Arbeiten im zugeschmolzenen Rohr. Ähnlich gelingt bei Schwefelbestimmungen der Aufschluß mit alkalischem Hydroperoxyd schon auf dem Wasserbad3). Auf Grund dieser Elementaranalysen erhält man zunächst die p r o z e n t u a l e Z u s a m m e n s e t z u n g der zu untersuchenden Verbindung, aus der sich durch Division der G e w i c h t s a n t e i l e der einzelnen Elemente durch das jeweilige A t o m g e w i c h t die Atomanteile (natürlich nicht mehr in Prozenten, sondern in willkürlichen Einheiten) berechnen lassen, die wiederum, auf die k l e i n s t m ö g l i c h e n g a n z e n Z a h l e n gebracht, als erste charakteristische Angabe die Verhältnisformel und damit ein Mindestmolekulargewicht ergeben. Erhält man z. B. bei der Analyse einen Gehalt von 38,68% K o h l e n s t o f f , 9,74% Wasserstoff und 61,56% S a u e r s t o f f , so entspricht das nach Teilung durch die Atomgewichte 3,22 Atomteilen Kohlenstoff, 9,67 Atomteilen Wasserstoff und 3,22 Atomteilen Sauerstoff, aus denen sich nach weiterer Division durch den kleinsten Faktor 3,22 die Verhältnisformel C ^ O j und damit das Mindestmolekulargewicht 31 errechnet. Einen ersten Anhaltspunkt für die wahre Molekülgröße kann man aus der Vierw e r t i g k e i t d e s K o h l e n s t o f f s ableiten. Da pro C—C-Bindung jeweils z w e i K o h l e n s t o f f v a l e n z e n abgesättigt werden, müssen infolge dieser Vierwertigkeit in jeder organischen Verbindung eine g e r a d e A n z a h l v o n K o h l e n s t o f f v a l e n z e n an andere Elemente gebunden sein. Kohlenwasserstoffe z. B. können also nur eine g e r a d e A n z a h l v o n H - A t o m e n enthalten. Die logische Weiterentwicklung dieses Gedankenganges führt zu dem folgenden, für alle organischen Verbindungen 1 2
3
) G. FREY: H e l v . 31, 709 (1948). ) B . WUBZSCHMITT: Chem.-Z. 74, 356 (1950).
) F. FEHÉR U. E. HEUER: Angew. Chem. 62, 162 (1950).
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
gültigen und als Gesetz der paaren Atomzahlen bezeichneten Satz: I n e i n e r K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g m u ß die Gesamtzahl der Atome mit u n g e r a d e r Wert i g k e i t eine g e r a d e Z a h l sein. Auf unser obiges Beispiel bezogen würde dieser Satz besagen, daß die angegebene Verhältnisformel zumindest v e r d o p p e l t werden muß, um zu der richtigen Bruttoformel zu gelangen. Das ist auch der Fall, denn die Analysenzahlen wurden aus der Zusammensetzung des G l y k o l s (C 2 H 6 0 2 ) berechnet, und es ist in der Tat unmöglich, auf Grund der e i n f a c h e n V e r h ä l t n i s f o r m e l C J H J O J ein Molekül mit v i e r w e r t i g e m K o h l e n s t o f f aufzubauen, wovon sich jeder leicht selbst überzeugen kann. Das Gesetz der paaren Atomzahlen ist weiterhin auch bei komplizierteren Verbindungen b e k a n n t e n M o l e k u l a r g e w i c h t s ein wichtiges Hilfsmittel zur eindeutigen Festlegung des W a s s e r s t o f f g e h a l t e s , denn es besagt, daß in einer bestimmten Verbindung je nach der Anzahl und Wertigkeit der Heteroelemente entweder nur g e r a d e oder nur u n g e r a d e W a s s e r s t o f f z a h l e n möglich sind. Die Wasserstoffzahlen zweier ernstlich in Betracht kommender Bruttoformeln unterscheiden sich also jeweils um mindestens z w e i E i n h e i t e n , was in der Praxis eine V e r d o p p e l u n g der z u l ä s s i g e n F e h l e r g r e n z e der Methode bedeutet.
b) D i e B e s t i m m u n g f u n k t i o n e l l e r G r u p p e n Die Elementaranalyse ergibt nur das A t o m v e r h ä l t n i s , jedoch noch keinerlei Anhaltspunkt für die Konstitution oder auch nur das Molekulargewicht der untersuchten Verbindung. Hier kommt man einen wesentlichen Schritt weiter durch die Grnppcnanalyscn, die es gestatten, ohne vollständige Zerstörung des Moleküls den p r o z e n t u a l e n A n t e i l bestimmter Atomgruppen oder sonstiger Funktionen im Molekül zu bestimmen. So würde z. B. im p - C h l o r a n i l i n - h y d r o c h l o r i d allgemeine C h l o r b e s t i m m u n g einen Gehalt von z w e i C h l o r a t o m e n in der Verhältnisformel (C«H7NC12) ergeben. Bei der Auflösung in Wasser dissoziiert aber das e i n e C h l o r a t o m sofort ab und kann als i o n o g e n e s C h l o r einzeln bestimmt werden. Durch eine derartige Zusatzanalyse ist es also möglich, ohne weitere Konstitutionsbestimmung eine v e r s c h i e d e n a r t i g e Funktion beider Chloratome nachzuweisen. Derartige Analysen bestimmter Atomgruppen sind in neuerer Zeit in großer Zahl entwickelt worden und ebenfalls in den angegebenen Praktikumsbüchern in allen Einzelheiten beschrieben. Wir wollen uns daher an dieser Stelle mit einer kurzen Zusammenstellung der verschiedenen Möglichkeiten begnügen, zumal wir die einzelnen Reaktionen selbst später noch näher kennen lernen werden. Die wichtigsten der mit analytischer Genauigkeit quantitativ durchführbaren Nachweisreaktionen sind: a) die Bestimmung a n o r g a n i s c h e r G r u p p e n : 1. die a c i d i m e t r i s c h e T i t r a t i o n organischer S ä u r e n und B a s e n . 2. die Bestimmimg der a n o r g a n i s c h e n I o n e n in den Salzen der organischen Säuren und Basen (Hai', S 0 4 " , B a " , Ag' usw.). 3 . die Bestimmung der 0 2 N — 0 - G r u p p e als N O nach B E R L - L U N G E . 4. die Bestimmungen von A m i n o s t i c k s t o f f nach VAN S L Y K E U S W . b) die Bestimmung o r g a n i s c h e r G r u p p e n : 5 . die A l k o x y l b e s t i m m u n g nach Z E I S E L und verwandte Methoden [Bestimmung von O—CH 3 , (S. 219) N - C H S (I, Kap. 6, I, l a ) , S - C H 3 (I, Kap. 7 , 1 , 1) usw.].
V, l c : Die Molekulargewichtsbestimmung
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6. die A c y l b e s t i m m u n g (0—CO—R, N—CO— R usw.). 7. die Bestimmung von „ a k t i v e m " , d. h. an S a u e r s t o f f , S t i c k s t o f f und andere n e g a t i v e E l e m e n t e gebundenem W a s s e r s t o f f nach Zerew i t i n o f f (I, K a p . 9 , 1 ) .
8. die J o d z a h l b e s t i m m u n g und andere Bestimmungsmethoden für die olefinische D o p p e l b i n d u n g (S. 92 u. III, Kap. 6,1,1). 9. die J o d z a h l b e s t i m m u n g und andere Bestimmungsmethoden der Aldeh y d g r u p p e , speziell i n d e r K o h l e n h y d r a t c h e m i e (III, Kap. 4,1, 5 c). Mit Hilfe dieser Gruppenanalysen ist es möglich, nicht nur das Ä q u i v a l e n t gewicht einer Verbindung und damit ein erstes wirklich brauchbares Mindestm o l e k u l a r g e w i c h t , sondern auch erste wertvolle Hinweise für die spätere K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g zu erhalten. Als ein praktisches Beispiel für den Wert derartiger Gruppenanalysen können wir wieder das Glykol heranziehen. Dieses zeigt bei der ZEREwiTiNOFF-Bestimmung einen Gehalt von zwei a k t i v e n H - A t o m e n (auf das wirkliche Molekulargewicht bezogen). Diese können bei der angegebenen Zusammensetzung nur an S a u e r s t o f f gebunden sein. Die Verbindung muß also zwei H y d r o x y l g r u p p e n enthalten, wodurch die Funktion der b e i d e n O - A t o m e bereits festgelegt ist. Als Ä q u i v a l e n t g e w i c h t (bezogen auf die Hydroxylgruppen) erhält man auf Grund dieser Analyse den der e i n f a c h e n V e r h ä l t n i s f o r m e l entsprechenden Wert 31.
c) Die M o l e k u l a r g e w i c h t s b e s t i m m u n g Die genaue Kenntnis des M o l e k u l a r g e w i c h t e s ist für die Festlegung einer einwandfreien S u m m e n f o r m e l unerläßlich. Seine Ermittlung geschieht ausschließlich mit Hilfe p h y s i k a l i s c h e r M e t h o d e n , von denen, abgesehen von der nur für die wenigen flüchtigen Verbindungen geeigneten D a m p f d i c h t e b e s t i mm u n g nach J. B. Dumas, vor allem die verschiedenen osmotischen Methoden (vgl.phys.-chem. Lehrbücher) in Gebrauch sind. Von diesen ist wieder bei weitem am wichtigsten die G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g s m e t h o d e (Kryoskopie) und in geringerem Umfang auch die S i e d e p u n k t s e r h ö h u n g s m e t h o d e (EbvMioskopie), während die direkte B e s t i m m u n g des o s m o t i s c h e n D r u c k e s nur in seltenen Fällen (z. B. bei den h o c h m o l e k u l a r e n V e r b i n d u n g e n , III, Kap. 3, III, 4) Anwendung findet. Eine gewisse Einschränkung in ihrer Anwendbarkeit erfahren diese Methoden lediglich durch die nicht immer leichte Auswahl geeigneter, in der Nähe der Zimmertemperatur schmelzender oder siedender L ö s u n g s m i t t e l . Als eine wichtige Abart der kryoskopischen Methode hat sich die Molekulargewichtsbestimmung nach Bast durch Messung der Gefrierpunktserniedrigung in Campher als Lösungsmittel erwiesen. Dieser besitzt nämlich infolge seines Molekülbaues (I, Kap. 11,1, 3d) eine e x t r e m hohe G e f r i e r p u n k t s k o n s t a n t e von 40° für eine einnormale Lösung, die die Durchführung von M i k r o b e s t i m m u n g e n in einer gegenüber der umständlichen BeckmannApjaratur wesentlich v e r e i n f a c h t e n Versuchsanordnung gestattet.
Die Fehlergrenze ist bei allen osmotischen Methoden r e l a t i v groß und beträgt etwa ^ 6% (in einigen Fällen sogar ^ 10%) des theoretischen Wertes. Molekulargewichtsbestimmungen liefern daher immer nur einen e r s t e n N ä h e r u n g s w e r t , der lediglich gestattet, den g a n z z a h l i g e n F a k t o r abzuschätzen, mit dem man die Verhältnisformel multiplizieren muß, um zur richtigen Summenformel zu gelangen. Die Berechnung des genauen Molekulargewichts erfolgt stets erst sekundär aus der Summenformel durch A d d i t i o n d e r A t o m g e w i c h t e .
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
So sind z. B. bei der e b u l l i o s k o p i s c h e n Molekulargewichtsbestimmung von Glykol in Aceton als Lösungsmittel Werte zwischen 60 und 65 zu erwarten, die innerhalb der angegebenen Fehlergrenze dem d o p p e l t e n G e w i c h t der oben abgeleiteten Verhältnisformel entsprechen. Danach muß dem Glykol die Summenformel C 2 H 6 O s zukommen, aus der sich schließlich durch A d d i t i o n der A t o m g e w i c h t e das genaue, osmotisch niemals mit der gleichen Genauigkeit bestimmbare Molekulargewicht von 62,07 errechnet.
G r u n d s ä t z l i c h e F e h l e r werden bei den osmotischen Molekulargewichtsbestimmungen im allgemeinen n i c h t b e o b a c h t e t . Die einzige wesentliche Fehlerquelle stellt die Tendenz verschiedener Verbindungen dar, durch Zusammenlagerung mehrerer Moleküle zu „ a s s o z i i e r e n " , wodurch ein h ö h e r e s , u . U . sogar m e h r f a c h e s M o l e k u l a r g e w i c h t vorgetäuscht werden kann. Da die Assoziationsneigung hauptsächlich auf die W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n des S a u e r s t o f f s und S t i c k s t o f f s beschränkt ist, führt häufig bereits die Analyse organ i s c h e r D e r i v a t e dieser Wasserstoffverbindungen, z. B. bei den C a r b o n s ä u r e n die der E s t e r , zu richtigen Molekulargewichten. Das Auftreten zu k l e i n e r W e r t e wird demgegenüber (abgesehen von den leicht erkennbaren D i s s o z i a t i o n s e f f e k t e n ) nur bei sehr wenigen S u b s t a n z e n mit ganz charakteristischem Molekülaufbau (vgl. III, Kap. 6, II, 2) beobachtet. Die osmotischen Verfahren liefern deshalb (bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Möglichkeit des Auftretens von Assoziationseffekten) im allgemeinen einen M a x i m a l w e r t für das wirkliche Molekulargewicht, der p r a k t i s c h n i e m a l s ü b e r s c h r i t t e n wird. Sie stehen damit in einem gewissen Gegensatz zur E l e m e n t a r - und G r u p p e n a n a l y s e , die einen m i n i m a l e n W e r t ergeben. Durch Kombination beider Werte kann man meistens das tatsächliche Molekulargewicht richtig abschätzen, doch ist es auch vorgekommen, daß mangels geeigneter Methoden das richtige Molekulargewicht einer Verbindung j a h r e l a n g unbekannt geblieben ist, wodurch naturgemäß die Konstitutionsermittlung sehr erschwert wurde. Neben den osmotischen wurden in neuerer Zeit auch einige andere p h y s i k a l i s c h e E f f e k t e zu Mol-gewichtsbestimmungen herangezogen. So kann man z.B. die Diffusionsgcschwindigkeit der Moleküle in Lösung, die bekanntlich wie die der Gasmoleküle u m g e k e h r t p r o p o r t i o n a l der W u r z e l des M o l e k u l a r g e w i c h t e s ist, zur Bestimmung der Molekülgröße verwenden, etwa indem man nach H. BBINTZINGER (1930) die D i a l y s e n g e s c h w i n d i g k e i t durch feinporige M e m b r a n e n mißt. Doch hat es diese Methode zu keiner allgemeinen Anwendung gebracht, und sie wird nur herangezogen, wenn die osmotischen Verfahren versagen. Für hochmolekulare Verbindungen sind außerdem noch die Yiskositätsmcthodc nach H. STAUDINGER (III, Kap. 3, II, 1 b) und die Bestimmung der Sedimentationsgeschwindigkeit mit der U l t r a z e n t r i f u g e nach TH. SVEDBERG gebräuchlich (vgl. III, Kap. 3, III, 4). d) Die K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g Die Analyse und Molekulargewichtsbestimmung liefern die B r u t t o z u s a m m e n s e t z u n g bzw. die S u m m e n f o r m e l der untersuchten Verbindung, und es folgt nun die weitere Aufgabe, ihre Konstitution, d.h. die R e i h e n f o l g e und V e r k n ü p f u n g s a r t der Atome im Molekül zu bestimmen. Diese Aufgabe ist die bei weitem s c h w i e r i g s t e , und wir werden die verschiedenen Methoden zu ihrer Lösung erst im weiteren Verlauf dieses Buches bei den einzelnen Verbindungen kennen lernen, so daß wir uns an dieser Stelle auf das G r u n d s ä t z l i c h e beschränken können.
V, l d : Die Konstitutionsermittlung
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Einen ersten Anhaltspunkt f ü r die Struktur einer Verbindung kann man häufig bereits mit Hilfe ähnlicher a l l g e m e i n e r Ü b e r l e g u n g e n gewinnen, wie wir sie oben zur Ableitung des Gesetzes der paaren Atomzahlen angestellt haben. Wie sich leicht zeigen läßt, beträgt nämlich die M i n d e s t z a h l v o n B i n d u n g e n , die die Atome eines n - a t o m i g e n M o l e k ü l s zusammenhalten, n—1. Man beobachtet diese Zahl von n—1-Bindungen stets dann, wenn ein e i n f a c h e s K e t t e n m o l e k ü l vorliegt, während c y c l i s c h e V e r b i n d u n g e n pro RingschluB je e i n e w e i t e r e B i n d u n g enthalten müssen. Ähnlich beobachtet man bei M e h r f a c h b i n d u n g e n pro Doppelbindung e i n e und pro Dreifachbindung zwei z u s ä t z l i c h e B i n d u n g e n über die Zahl n—1 hinaus, wenn man sie als mehrere einfache Bindungen in Ansatz bringt. Da weiterhin jede einfache Bindung zwei und jede n-fache Bindung 2n V a l e n z e n der miteinander verbundenen Atome absättigen, folgt aus der Gesamtzahl von mindestens n—1 Bindungen, daß die Summe der Wertigkeiten aller Atome in einem K e t t e n m o l e k ü l mindestens 2n—2 sein muß, um auch tatsächlich alle Bindungen aufbauen zu können, und daß bei Überschreitung dieser Zahl 2n—2 das Molekül pro zwei Valenzen eine D o p p e l - oder R i n g b i n d u n g enthalten muß. Man hat in diesem Gesetz der minimalen Bindungszahl also ein einfaches Mittel, aus der S u m m e n f o r m e l einer Verbindung bereits auf das Vorliegen von M e h r f a b h b i n d u n g e n oder R i n g s y s t e m e n schließen zu können. Hiervon wird bei der leichten anderweitigen Nachweisbarkeit von Mehrfachbindungen insbesondere zum N a c h w e i s v o n R i n g s y s t e m e n und gegebenenfalls auch der Z a h l d e r R i n g s c h l ü s s e häufig Gebrauch gemacht (vgl. z. B. I. Kap. 11, I, 3a). So besitzen z. B. die zehn Atome des G l y k o l s zusammen die geforderte Mindestzahl von 2n—2 = 18 V a l e n z e n . Glykol muß also ein K e t t e n m o l e k ü l besitzen, das weder eine Doppelbindung noch ein Ringsystem enthält. Auf der andern Seite besitzen die zwölf Atome des B e n z o l s (C6H6) zusammen 30 V a l e n z e n , die zur Bildung von 15 B i n d u n g e n ausreichen, während bloß elf Bindungen zum Z u s a m m e n h a l t d e s M o l e k ü l s benötigt werden. Hier müssen also noch v i e r z u s ä t z l i c h e B i n d u n g e n im Molekül untergebracht werden, von denen drei ohne Schwierigkeiten als Doppelbindungen erkenntlich sind. Danach muß Benzol eine c y c l i s c h e V e r b i n d u n g mit e i n e m R i n g im Molekül sein. Die gleiche Regel kann bei kettenförmigen Verbindungen auch zur Ableitung eines m a x i m a l e n M o l e k u l a r g e w i c h t s dienen, denn bei einer an sich denkbaren V e r d o p p e l u n g d e r A t o m z a h l reicht häufig die Zahl der zur Verfügung stehenden Valenzen nicht mehr zum Zusammenhalt der Atome in einem einzigen Molekül aus. So besitzen z. B. die 20 Atome von zwei G l y k o l m o l e k ü l e n (C 4 H, 2 0 4 ) zusammen nur 36 V a l e n z e n , mit denen man 18 B i n d u n g e n aufbauen kann, während zum Zusammenschluß aller Atome in e i n e m M o l e k ü l n—1 = 19 B i n d u n g e n erforderlich sind. Im Falle des Glykols (und ähnlich auch bei zahlreichen anderen gesättigten KettenVerbindungen) kann man also auf Grund allg e m e i n e r G e s e t z e ohne eigentliche Molekulargewichtsbestimmung r e i n r e c h n e r i s c h ableiten, daß 1. das Molekül mindestens das d o p p e l t e des aus der V e r h ä l t n i s f o r m e l berechneten Gewichts haben muß (Gesetz der paaren Atomzahlen), und daß 2. diese doppelte Größe gleichzeitig eine M a x i m a l g r ö ß e ist, da sonst die Zahl der möglichen Bindungen zum Molekülzusammenhalt n i c h t a u s r e i c h t (Gesetz der minimalen Bindungszahl). Die Bruttoformel kann also nur C,H6OI sein. Die chemischen Methoden zur Konstitutionsermittlung beruhen sämtlich auf dem P r i n z i p d e r g e r i n g s t m ö g l i c h e n M o l e k ü l v e r ä n d e r u n g e n bei chemischen Reaktionen, d. h. man nimmt an, daß z. B. bei Substitutionsreaktionen der neue Substituent immer g e n a u a n d i e S t e l l e d e s a l t e n tritt, oder daß die Addenden bei der Anlagerung an eine Doppelbindung immer an die beiden Atome treten, zwischen denen sich die Doppelbindung befunden hat, kurz, daß während der Reaktion k e i n e weiteren Umgruppierungen von Atomen innerhalb des Moleküls stattfinden, als aus der Reaktionsgleichung zu erkennen sind. Unter dieser Voraussetzung versucht man nun durch möglichst zahlreiche Reaktionen, vor allem durch s c h r i t t w e i s e n M o l e k ü l a b b a u , die Funktion der einzelnen Molekülbausteine zu erkennen, bis man schließlich nur e i n e e i n z i g e Konstitutionsformel als mögliche übrig behält. 4 K l a g e s , Lehrbuch der Organischen Chemie 1 , 1
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
So ergibt sich z. B. für das von uns gewählte Beispiel des Glykols (Summenformel C 2 H 6 0j) die Struktur auf Grund der folgenden Reaktionen: 1. Die energische R e d u k t i o n führt zu dem gesättigten Kohlenwasserstoff Ä t h a n (C2He). Daraus folgt, daß die beiden C-Atome z u s a m m e n h ä n g e n . 2. Auf Grund der ZEREWiTiNOFF-Bestimmung muß das Molekül zwei OH-Gruppen enthalten (s. oben), die ihrerseits nur über die C - A t o m e mit dem restlichen Molekül verbunden sein können. Diese zwei OH-Gruppen müssen also zusammen mit den restlichen vier H - A t o m e n die sechs n a c h a u ß e n g e r i c h t e t e n Valenzen der Äthan-C-Atome absättigen, was nur bei den folgenden beiden Strukturformeln der Fall ist:
H
i
H
H
Ii
H
B. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten kann man schließlich mit Hilfe einer milden O x y d a t i o n s r e a k t i o n entscheiden, durch die einfache C—C- und C—H-Bindungen, wie z. B. die CH3-Gruppe in II, noch n i c h t angegriffen werden, sondern nur der einer H y d r o x y l g r u p p e b e n a c h b a r t e W a s s e r s t o f f (vgl. I, Kap. 12, I, 3). Bei einer derartigen Reaktion würde also I auf beiden S e i t e n o x y d i e r t werden, so daß als Endprodukt O x a l s ä u r e mit zwei „Carboxyl"gruppen im Molekül (HOOC—COOH) zu erwarten wäre, während I I unter Erhaltung der CH 3 -Gruppe in E s s i g s ä u r e mit nur einer Carboxylgruppe (CH3—COOH) übergehen sollte. Die praktische Durchführung zeigt, daß Glykol sich leicht zur O x a l s ä u r e oxydieren läßt, wodurch Formel I als die e n d g ü l t i g e K o n s t i t u t i o n s f o r m e l sichergestellt ist.
Leider ist jedoch das Prinzip der geringstmöglichen Molekül-Veränderungen k e i n f e s t e s G e s e t z , sondern nur eine R e g e l mit vielen A u s n a h m e n . Ganz abgesehen von den T a u t o m e r i e f ä l l e n , die g r u n d s ä t z l i c h keine absoluten Konstitutionsbestimmungen zulassen, kommen auch bei normalen s t a b i l e n Molek ü l e n während der Reaktion zuweilen I s o m e r i s i e r u n g e n vor, wie z. B. W a n d e r u n g e n von S u b s t i t u e n t e n (vgl. z . B . I, Kap. 6,1, 3a) oder D o p p e l b i n dungen (S.97 u.a.), U m l a g e r u n g e n (S.331, 464u.a.), R i n g w e i t e n ä n d e r u n g e n (I, Kap. 11,1, 1) usw. Infolgedessen führt k e i n e Konstitutionsbestimmung mit a b s o l u t e r S i c h e r h e i t zum Ziel, sondern stets nur zu einer gewissen, meistens allerdings sehr g r o ß e n W a h r s c h e i n l i c h k e i t für die Richtigkeit einer bestimmten Strukturformel, und es ist öfters vorgekommen, daß eine für richtig gehaltene Formel auch n a c h J a h r e n noch geändert werden mußte. Daß wir trotzdem hinsichtlich der Konstitution der Mehrzahl der organischen Verbindungen durchaus auf f e s t e m B o d e n stehen, ist hauptsächlich auf das sehr g r o ß e Tatsachenmaterial zurückzuführen, das während der mehr als 100 Jahre organisch-chemischer Forschung durch Zehntausende von Chemikern zusammengetragen wurde und wesentliche Fehlschlüsse bei den einfacheren Verbindungen als ä u ß e r s t u n w a h r s c h e i n l i c h erscheinen läßt. Ist es nun dem Chemiker gelungen, in der angegebenen Weise die Konstitution einer Verbindung sicherzustellen oder wenigstens wahrscheinlich zu machen, so ist es eine der verlockendsten Aufgaben, diese Konstitution durch S y n t h e s e zu erhärten, d. h. nach genau bekannten und e i n w a n d f r e i v e r l a u f e n d e n Reaktionen eine Verbindung der ermittelten Konstitution aufzubauen und dann nachzuprüfen, ob diese auch tatsächlich mit dem untersuchten Stoff i d e n t i s c h ist. Geht diese Synthese von den e i n f a c h s t e n a n o r g a n i s c h e n K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g e n mit nur einem C-Atom aus, oder wenigstens von Verbindungen, die
V, l d : Die Konstitutionsermittlung
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sich aus ihnen herstellen lassen, so spricht man von einer Totalsynthesc. Sind dagegen die Ausgangsmaterialien selbst noch n i c h t s y n t h e t i s i e r t oder gar in ihrer Konstitution noch unbekannt, so liegt eine partielle Synthese vor. Die Beweiskraft einer Totalsynthese hängt ausschließlich von dem einwandfreien und übers i c h t l i c h e n V e r l a u f der einzelnen Reaktionen ab, ist aber ebenfalls n i c h t absolut. Immerhin sind hier die Fehlermöglichkeiten etwas geringer als bei der Abbaumethode, da man sich die einzelnen Reaktionsstufen besser aussuchen kann, so daß die geglückte Synthese im allgemeinen als der Abschluß einer K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g angesehen wird. Wählen wir wieder das G l y k o l als Beispiel, so läßt sich eine derartige ü b e r s i c h t l i c h v e r l a u f e n d e und die Struktur beweisende T o t a l s y n t h e s e etwa auf dem folgenden Wege durchführen: Durch Anlagerung von L i t h i u m m e t h y l an die C=0-Doppelbindung des F o r m a l d e h y d s — also von zwei Verbindungen mit je einem C-Atom ausgehend—kann man im Sinne der folgenden Formeln in einfacher Weise das bereits zwei aneinander gekettete C-Atoms im Molekül enthaltende L i t h i u m ä t h y l a t und daraus mit Säuren den Ä t h y l a l k o h o l erhalten. Dieser geht bei der W a s s e r a b s p a l t u n g (z. B. mit konzentrierter Schwefelsäure) in Ä t h y l e n über, an das sich mit Hilfe von Kaliumpermanganat zwei H y d r o x y l g r u p p e n zum G l y k o l anlagern lassen: H
H H
H
H—¿—Li
i Lithiummethyl
+
H H
0 = c f —> H—¿—C—OLi \h I I H H Formaldehyd
Lithiumäthylat
H H
H
H—6—C—OH ~ I I' A H
Hs°
V H—C—J—O—H + LiCl I I H H
>
Äthylalkohol
Äthylalkohol
H
> = < IV MI
OH
OH
^ H - i — i - H I I H H
Äthylen
Glykol
Ein Gegenbeispiel für eine u n ü b e r s i c h t l i c h verlaufende Synthese, aus der sich k e i n e r lei Bückschlüsse auf die Konstitution der entstehenden Verbindung ziehen lassen, ist die Bildung von K o h l e n o x y d k a l i u m aus K o h l e n o x y d und m e t a l l i s c h e m K a l i u m (vgl. anorg. Lehrbücher), die ohne das Auftreten irgendwelcher Zwischenprodukte verläuft und nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür bietet, daß hierbei ein kompliziertes B e n z o l d e r i v a t entsteht: KOx^ 6 K + 6 CO
• KO—/ KO/
.OK S—OK xOK
Kohlenoxydkalium
Alle diese chemischen Methoden der Konstitutionsaufklärung haben den Nachteil, daß das Molekül m i t H i l f e v o n R e a k t i o n e n untersucht wird, so daß Isomerisierungen nicht streng ausgeschlossen werden können. Man hat daher versucht, auch physikalische Effekte zur Konstitutionsaufklärung mit heranzuziehen, die von den s t a b i l e n , n i c h t in Reaktion befindlichen Molekülen gegeben werden. Derartige Methoden sind insbesondere in neuerer Zeit in steigender Zahl entwickelt 4»
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
worden, nachdem es gelungen ist, an Hand eines größeren, an bekannten Verbindungen gesammelten Beobachtungsmaterials die „Sprache" der Moleküle bei den verschiedenen physikalischen Beeinflussungen zu verstehen. Sie sind in einem besonderen Kapitel im zweiten Teil dieses Buches (II, Kap. 2) zusammengestellt worden. e) Die Konfigurationsermittlung Außer der Konstitutionsbestimmung ist stets dann, wenn Stereoisomerie vorliegt, noch die B e s t i m m u n g der K o n f i g u r a t i o n erforderlich, um die endgültige K o n s t i t u t i o n s formel aufstellen zu können. Die hierzu gebräuchlichen, z. T. sehr komplizierten Methoden können ebenfalls erst im zweiten Teil dieses Buches (II, Kap. 7, II, 2 u. 3) behandelt werden.
2. Die reine organische Chemie Während die Analyse und Konstitutionsermittlung trotz ihrer großen allgemeinen Bedeutung letzten Endes doch nur eine Voraussetzung zur Erforschung der organischen Verbindungen darstellt, liegt in der reinen organischen Chemie der uns am meisten interessierende Zweig unserer Wissenschaft vor, der sich ausschließlich mit der Gewinnung, Beschreibung und Deutung der Verbindungen und Verbindungsmöglichkeiten des Kohlenstoffs befaßt. Hier stellt also die organische Chemie eine selbständige Wissenschaft mit eigener Problemstellung dar. Von ihren Aufgaben sind an dieser Stelle vor allem drei hervorzuheben. a) Die systematische organische Chemie Sie hat die Aufgabe, s y s t e m a t i s c h alle Verbindungsmöglichkeiten des Kohlenstoffs zu erforschen und die beobachteten Verbindungsklassen hinsichtlich ihrer Bildungsmöglichkeiten und R e a k t i o n s f ä h i g k e i t zu beschreiben. Dieser Forschungszweig kann heute bereits als im wesentlichen abgeschlossen gelten. Jedenfalls ist, wenn auch im einzelnen ein stetiger weiterer Ausbau der verschiedenen Substanzklassen stattfindet, mit der Auffindung prinzipiell neuartiger Verbindungsgruppen kaum mehr zu rechnen. Die Behandlung der systematischen organischen Chemie erfolgt hauptsächlich im ersten Teil dieses Buches, so daß sich ein näheres Eingehen an dieser Stelle erübrigt. b) Die t h e o r e t i s c h e und allgemeine organische Chemie Während die systematische organische Chemie sich im allgemeinen mit einer beschreibenden Darstellung der Chemie des Kohlenstoffs begnügt, versucht die theoretische organische Chemie die Reaktionsfähigkeit der verschiedenen Verbindungsgruppen aus ihrem Aufbau heraus zu erklären, um so zu einem möglichst tiefen Einblick in die Natur der organischen Verbindungen zu gelangen. Sie hat naturgemäß erst sehr viel später (in größerem Umfang erst nach 1900) als die systematische Erforschung der Kohlenstoffchemie eingesetzt, nachdem eine genügend große Anzahl von Verbindungen zur Ableitung und Nachprüfung der verschiedenen Gesetzmäßigkeiten bekannt war. Sie erlangte aber in neuerer Zeit durch Hinzuziehen der modernen physikalischen Untersuchungsmethoden, die einen tieferen Einblick in den inneren Aufbau der Moleküle ermöglichten, eine stetig
V, 2c: Die Arbeitsmethoden der organischen Chemie
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wachsende Bedeutung, so daß sie z. Z. als der w i c h t i g s t e F o r s c h u n g s z w e i g der reinen organischen Chemie angesehen werden muß. Ihre eingehende Behandlung erfolgt insbesondere im z w e i t e n Teil des vorliegenden Buches. c) Die A r b e i t s m e t h o d e n der o r g a n i s c h e n Chemie Eine mehr p r a k t i s c h e , aber in neuerer Zeit ebenfalls stets wachsende Bedeutung haben die A r b e i t s m e t h o d e n der o r g a n i s c h e n Chemie erlangt, ohne die auch bei noch so genauer Kenntnis der theoretischen Zusammenhänge die modernen S y n t h e s e n und S t r u k t u r b e s t i m m u n g e n komplizierter Natur- und Kunststoffe nicht möglich gewesen wären. Neben der p r ä p a r a t i v e n ist es insbesondere auch die t e c h n i s c h e o r g a n i s c h e Chemie, die bei ihren modernen R o h s t o f f s y n t h e s e n in steigendem Ausmaß aus dieser Fortentwicklung der Arbeitsmethodik Nutzen zieht, denn gerade bei diesen technischen Verfahren handelt es sich vielfach weniger darum, neue V e r b i n d u n g e n darzustellen, als darum, für Verbindungen, die mit Hilfe der bisher gebräuchlichen Methoden bereits zugänglich sind, w i r t s c h a f t l i c h tragbare G e w i n n u n g s m ö g l i c h k e i t e n aufzufinden. Infolge der v e r s c h i e d e n e n Aufgabenstellung in der Technik und in der präparativen organischen Chemie hat in neuerer Zeit eine weitgehende A u s e i n a n d e r e n t w i c k l u n g der technischen und der im Laboratorium gebräuchlichen Arbeitsmethoden stattgefunden. Während in der Frühzeit der organischen Chemie die Technik im wesentlichen die Verfahren des Forschers übernommen, d. h. lediglich versucht hat, die üblichen präparativen Methoden i n s G r o ß e zu ü b e r t r a g e n , ist heute die technische Aufgabenstellung häufig eine g a n z a n d e r e als die des präparativen Chemikers. Bei der billigen Massenherstellung der verschiedenen Rohstoffe, z. B. des k ü n s t l i c h e n B e n z i n s , der verschiedenen s y n t h e t i s c h e n W e r k s t o f f e usw., wären die alten Laboratoriumsverfahren viel zu t e u e r . Hier muß versucht werden, im Sinne der Ausführungen von S. 43 durch Heranziehung k a t a l y t i s c h e r M e t h o d e n billiger zu arbeiten, insbesondere aber die r e a k t i o n s t r ä g e n , jedoch in bel i e b i g e n M e n g e n zur Verfügung stehenden Rohstoffe, wie etwa die n a t ü r l i c h e K o h l e , die Kohlenwasserstoffe des E r d ö l s und des S t e i n k o h l e n t e e r s usw., auszuwerten. Dies ist z. T. bereits in erstaunlich hohem Ausmaß geschehen, doch beobachten wir als Folge dieser Entwicklung, daß die Technik heute im wesentlichen auf k a t a l y t i s c h e V e r f a h r e n eingestellt ist, die zwar g r o ß e und t e u r e Apparaturen, aber nur b i l l i g e A u s g a n g s m a t e r i a l i e n erfordern, während der Laboratoriumschemiker demgegenüber f ü r seine oft nur e i n m a l i g und mit g e r i n g e n S u b s t a n z m e n g e n durchzuführenden Reaktionen mit Recht den Aufbau oder gar die Ausarbeitung kostspieliger Apparaturen scheut und daher meistens die o h n e K a t a l y s e verlaufenden normalen p r ä p a r a t i v e n M e t h o d e n vorzieht, selbst wenn sie t e u r e r e A u s g a n g s m a t e r i a l i e n erfordern.
Eine zusammenhängende Beschreibung der Arbeitsmethoden der organischen Chemie würde den Rahmen dieses Buches bei weitem überschreiten, so daß hier auf Spezialwerke1) hingewiesen werden muß. Wir werden uns daher im folgenden nur auf die Anführung der wichtigsten, insbesondere der g r u n d s ä t z l i c h e n Methoden beschränken, die im allgemeinen bei den verschiedenen Verbindungsklassen im 1. Teile des Buches beschrieben sind. Lediglich die über das ganze Gebiet der organischen Chemie verstreuten Reaktionen zum Auf- und Abbau von C—CB i n d u n g e n , sowie die O x y d a t i o n s - und R e d u k t i o n s r e a k t i o n e n sind wegen ihrer allgemeinen Bedeutung im 12. Kapitel gesondert zusammengefaßt. ') vgl. z. B. HOUBEN-WEYL, Die Methoden der organischen Chemie, 4. Aufl. Leipzig ab 1952; C. WEYGAND, Organisch-chemische Experimentierkunst, Leipzig 1935; G. M. SCHWAB, Handbuch der Katalyse, Bd. 2, Organische Katalyse, Wien 1943 u. a.
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
3. Die organische Chemie als Hilfswissenschaft für andero Forschungszweige Wie kaum eine andere Wissenschaft dient die organische Chemie neben ihrer eigentlichen Aufgabe, der Erforschung der Chemie des Kohlenstoffs, auch als H i l f s w i s s e n s c h a f t für andere W i s s e n s z w e i g e , die sich zwar ebenfalls mit organ i s c h e n V e r b i n d u n g e n befassen, in denen aber die P r o b l e m s t e l l u n g e n bereits v o n außen diktiert werden. So bietet z. B. die Chemie der E i w e i ß v e r b i n d u n g e n nach Klärung ihres grundsätzlichen Aufbaus vom Standpunkt der reinen K o h l e n s t o f f c h e m i e aus nicht mehr viel Neues, wohl aber ist sie von außerordentlichem Interesse für die Biochemie. Ähnlich stellt die Gewinnung der verschiedenen Varianten eines F a r b s t o f f e s zwar vom Standpunkt der reinen o r g a n i s c h e n Chemie kein interessantes Problem mehr dar, wohl aber vom Standpunkt des Färbers, z.B. Um eine bessere F a s e r h a f t u n g zu erzielen. Wenn trotz dieser verschiedenen Problemstellungen diese Grenzgebiete mit zur organischen Chemie gerechnet und daher auch in diesem Buch behandelt werden, so hauptsächlich deshalb, weil sie in starkem Ausmaß mit zur E n t w i c k l u n g der reinen o r g a n i s c h e n Chemie beigetragen haben. Viele interessante Verbindungsklassen, wie z. B. die K o h l e n h y d r a t e oder die E i w e i ß k ö r p e r sind uns synthetisch nicht oder nur in sehr unvollkommenem Maße zugänglich. Ohne Mithilfe der b e l e b t e n N a t u r und damit der B i o c h e m i e wären daher diese Verbindungsklassen kaum erforscht worden. Weiterhin ist erst durch die optische Aktivität der n a t ü r l i c h e n W e i n s ä u r e n das an sich rein o r g a n i s c h e Gebiet der Stereoisomerie, von den K o h l e n h y d r a t e n aus das der D i a s t e r e o m e r i e , von den Terpenen und Camphern aus das der S t e r e o i s o m e r i e c y c l i s c h e r Verbindungen erschlossen worden, und schließlich hat die Erforschung der natürlichen und technischen F a r b s t o f f e wesentlich mit zur Entwicklung unserer modernen Vorstellungen über die Beziehungen zwischen K o n s t i t u t i o n und Farbe beigetragen. Das bei weitem wichtigste Grenzgebiet der organischen Chemie ist die Biochcmic, deren Aufgabenkreis im wesentlichen die Aufklärung aller c h e m i s c h e n Vorgänge beim S t o f f w e c h s e l der L e b e w e s e n darstellt, die also speziell alle diejenigen Probleme umfaßt, die ursprünglich als die eigentlichen Aufgaben der organischen Chemie angesehen wurden (S. 1). Weitere wichtige Grenzgebiete sind die pharmazcutischc Chemie, die sich mit den zwar körperfremden, aber immer noch p h y s i o l o gisch a k t i v e n organischen (und auch anorganischen) G i f t e n und H e i l m i t t e l n beschäftigt, und die Lcbensmittelchemie, deren Aufgabenbereich mehr prakt i s c h e r N a t u r ist und neben der Möglichkeit der k ü n s t l i c h e n Lebensm i t t e l e r z e u g u n g (z.B. Herstellung s y n t h e t i s c h e r F e t t e , der Züchtung f e t t - und e i w e i ß l i e f e r n d e r E i n z e l l e r usw.) vor allem die K o n s e r v i e r u n g und K o n t r o l l e der natürlichen Lebensmittel umfaßt. Schließlich kennen wir auch einige wichtige t e c h n i s c h e Grenzgebiete der organischen Chemie, von denen wir uns im Rahmen dieses Buches vor allem mit den organischen Farbstoffen, den mineralisch vorkommenden organischen Verbindungen und den hochmolekularen Stoffen zu beschäftigen haben. Die Behandlung all dieser Grenzgebiete erfolgt in gesonderten Kapiteln, die im d r i t t e n Teil dieses Buches zusammengefaßt sind.
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VI: Das organisch-chemische Schrifttum
VI. Das organisch-chemische Schrifttum Unsere heutigen Kenntnisse der organischen Chemie stellen ein Gebäude dar, an dem seit über 100 Jahren Zehntausende von Chemikern mit m e h r e r e n 100000 E i n z e l v e r ö f f e n t l i c h u n g e n gearbeitet haben. Eine Kenntnis all dieser Arbeiten, ja auch nur das Heraussuchen all dessen aus ihnen, was über e i n e e i n z i g e V e r b i n d u n g bekannt ist, stößt bei der Fülle des Materials schon seit längerer Zeit auf u n ü b e r w i n d l i c h e S c h w i e r i g k e i t e n . Um den in diesen Originalarbeiten niedergelegten wertvollen Erfahrungsschatz allen Chemikern leicht zugänglich zu machen, ist daher eine sehr u m f a n g r e i c h e O r g a n i s a t i o n notwendig, die, obwohl sie nicht auf einmal geschaffen wurde, sondern nur allmählich in ihren Aufgabenkreis hineingewachsen ist, als v o r b i l d l i c h bezeichnet werden muß und jedem selbständig arbeitenden Chemiker geläufig sein sollte. Der Aufbau des chemischen Schrifttums gleicht einer P y r a m i d e . Die B a s i s derselben stellen die zahlreichen Originalarbciten dar, die in verschiedenen Sprachen in hunderten von über den ganzen Erdball verteilten Zeitschriften erscheinen und nur wenigen Bibliotheken in ihrer G e s a m t h e i t zugänglich sind 1 ). Die wichtigsten dieser Zeitschriften, soweit sie sich vorwiegend mit der Wiedergabe o r g a n i s c h - c h e m i s c h e r O r i g i n a l a r b e i t e n befassen, sind in folgender Übersicht zusammengestellt: Titel der Zeitschrift
Gründungsjahr
Sprache
Annalen der Chemie Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft, ab 1947 Chemische Berichte Journal für praktische Chemie, ab 1947 Die Makromolekulare Chemie Monatshefte für Chemie H O P P E - S E Y L E R ' S Zeitschrift für Physiolog. Chem. Biochemische Zeitschrift Helvetica chimica acta Recueil des travaux chimiques des Pays-Bas
1832
Deutsch
1868
»
Journal of the Chemical Society of London Journal of the American Chemical Society Journal of Organic Chemistry Journal of Biological Chemistry Biochemical Journal Annales de Chimie Bulletin de la Société Chimique de France Comptes rendus
1849 1879 1936 1905 1907 1789 1864 1835
LIEBIGS
1834 1880 1877 1906 1918 1882
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a Französisch a a
Über diesen Originalarbèiten steht in der n ä c h s t h ö h e r e n E b e n e der Pyramide als S a m m e l o r g a n das Chemische Zentralblatt 2 ), das von der G e s e l l s c h a f t D e u t s c h e r C h e m i k e r als der führenden Organisation der deutschen wissenschaft») In Deutschland ist z. Z . die einzige derartige Stelle die K E K U L ¿-Bibliothek der Farbenfabriken Bayer in Leverkusen. *) Dem chemischen Zentralblatt entsprechen in den angelsächsischen Ländern die noch umfangreichere amerikanische Zeitschrift Chemical Abstracts und die (neben dieser an Bedeutung allerdings zurücktretende) englische Zeitschrift British Abstracts,
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Kap. 1: Die Grundlagen der organischen Chemie
liehen Chemie, sowie der G ö t t i n g e r und der B e r l i n e r A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n betreut wird und von s ä m t l i c h e n chemischen V e r ö f f e n t lichungen, die in irgendeiner Zeitschrift der Welt erscheinen, je einen kurzen Bericht veröffentlicht, so daß man sich nunmehr an Hand einer einzigen Zeitschrift kurz orientieren kann, was an neuen Forschungsergebnissen herausgekommen ist. Das Zentralblatt, das jährlich bis zu etwa 50000 Referate umfaßt, ist seinerseits verbunden mit einem b e s o n d e r e n R e g i s t e r w e r k , das zunächst jährlich erscheint und dann von fünf zu fünf Jahren nochmals zu einem G e n e r a l r e g i s t e r zusammengefaßt wird. In ihm ist der Stoff 1. nach den A u t o r e n , 2. nach dem behandelten G e g e n s t a n d und, soweit es sich um o r g a n i s c h e Verbindungen handelt, schließlich 3. in einem sog. Formelregisler geordnet (seit 1922). Dieses schließt sich lückenlos an das von der D e u t s c h e n C h e m i s c h e n G e s e l l s c h a f t herausgegebene und ebenfalls in Form eines Formelregisters erschienene L e x i k o n v o n J. S T E L Z N E R an, das die Literatur der Jahre 1910—1921 e r s c h ö p f e n d umfaßt und sich seinerseits wiederum lückenlos an das erste derartige Werk, das F o r m e l - L e x i k o n der o r g a n i s c h - c h e m i s c h e n V e r b i n d u n g e n v o n M . M . R I C H T E R anschließt1). Letzteres berücksichtigt sämtliche vor dem 1. J a n u a r 1910 erschienenen Arbeiten und enthält auch die Anweisung zum Lesen des F o r m e l r e g i s t e r s . An Hand dieser drei Werke kann man sich also verhältnismäßig leicht darüber orientieren, was über eine bestimmte Verbindung bereits bekannt ist.
Aber auch das Zentralblatt ist häufig noch zu umständlich in der Handhabung, da die verschiedenen Beobachtungen über eine bestimmte Verbindung häufig über eine große Zahl von R e f e r a t e n verstreut sind. Es ist daher, wieder in einer höheren Ebene der Pyramide, ein Sammelwerk geschaffen worden, das als B E I L S T E I N S Handbuch der organischen Chemie zunächst privat begonnen, dann aber von der 4. Auflage ab von der Deutschen Chemischen Gesellschaft (bzw. ab 1946 von der Gesellschaft Deutscher Chemiker) übernommen wurde und nach einem b e s t i m m t e n , im ersten Band näher beschriebenen Ordnungsprinzip von s ä m t l i c h e n bekannten organischen Verbindungen sämtliche Beobachtungen zusammenstellt, so daß man sich nunmehr an einer Stelle über alle bekannten Daten einer Verbindung orientieren kann. Das Hauptwerk umfaßt die g e s a m t e Literatur bis zum 1. 1. 1910 und ist in 31 Bänden erschienen. Ein erstes und ein z w e i t e s Ergänzungswerk mit der Literatur der Jahre 1910—1919 bzw. 1920 bis 1929 sind ebenfalls bereits vollendet, während das dritte E r g ä n z u n g s werk, das die Literatur bis zum 1. 1. 1950 umfassen wird, gerade zu erscheinen beginnt. Damit ist die Zahl der vollständig referierenden Werke erschöpft. Doch gibt es darüber hinaus, wiederum in einer höheren Ebene der Pyramide, noch eine Reihe weiterer Sammelorgane, die Teilgebiete der organischen Chemie behandeln. Hier sind zunächst zwei Zeitschriften zu erwähnen, die „Angewandte Chemie", die mehr vom praktischen, und die „Naturwissenschaften", die mehr vom erkenntnist h e o r e t i s c h e n S t a n d p u n k t aus von Zeit zu Zeit zusammenfassende Forts c h r i t t s b e r i c h t e über die verschiedenen Arbeitsgebiete der Chemie (und auch anderer naturwissenschaftlicher Disziplinen) herausbringen. Ihnen stehen in der a n g e l s ä c h s i s c h e n Literatur die ausschließlieh für derartige zusammenfassende Fortschrittsberichte bestimmten Zeitschriften „Chemical Reviews" und „Quarterly Reviews" zur Seite. Neben diesen Zeitschriften gibt es dann vor allem eine große 1 ) Ein weiteres Formelrsgister, das nahezu die gesamte ältere Literatur (bis auf die Jahrgänge 1920 und 1921) in e i n e m e i n z i g e n Werk zusammenfaßt und daher in der Praxis meistens bevorzugt wird, ist das G e n e r a l f o r m e l r e g i s t e r d e s „ B e i l s t e i n " .
VI: Das organisch-chemische Schrifttum
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Zahl von Einzelhandbüchern, die, wenn auch n i c h t v o l l s t ä n d i g und durch den jeweiligen Autor mehr oder weniger s u b j e k t i v b e e i n f l u ß t , über T e i l g e b i e t e d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e ausführlich berichten. Namentlich dort, wo der nur auf die B e s c h r e i b u n g e i n z e l n e r V e r b i n d u n g e n eingestellte „ B E I L S T E I N " versagt, sind derartige Zusammenfassungen sehr wertvoll, so z. B. auf dem wichtigen Gebiet der o r g a n i s c h - c h e m i s c h e n A r b e i t s m e t h o d i k , wo es nicht nur über die p r ä p a r a t i v e n , sondern auch über die bioc h e m i s c h e n und k a t a l y t i s c h e n Methoden schon mehrbändige Sammelwerke gibt. Auch über die verschiedenen S o n d e r g e b i e t e , wie z. B. die S t e r e o c h e m i e , , die K o h l e n h y d r a t e , die E i w e i ß v e r b i n d u n g e n , die V i t a m i n e u n d H o r m o n e , die F a r b s t o f f e usw. sind sehr brauchbare Handbücher erschienen, auf die an den entsprechenden Stellen dieses Buches hingewiesen werden wird. Als oberste Spitze der Pyramide erscheint schließlich das Lehrbuch, das, ohne auf Einzelheiten einzugehen, einen e r s t e n Ü b e r b l i c k über das g e s a m t e G e b i e t d e r o r g a n i s c h e n C h e m i e vermittelt. Will nun ein Chemiker sich erstmals mit einem organisch-chemischen Problem beschäftigen, so wird er den hier geschilderten Weg in u m g e k e h r t e r R i c h t u n g verfolgen, d. h. er wird sich zunächst an Hand eines L e h r b u c h e s mit dem betreffenden Gebiet vertraut machen, dann mit Hilfe einiger H a n d b ü c h e r seine Kenntnisse vertiefen oder die geeigneten Methoden heraussuchen, und erst zum Schluß, wenn es an die Darstellung einer bestimmten Verbindung geht, wird er über den B e i l s t e i n und das Z e n t r a l b l a t t bis zu den O r i g i n a l a r b e i t e n vorstoßen. Eines darf aber der forschende Chemiker über der geschilderten Pyramide niemals vergessen: Das gesamte referierende Schrifttum ist k e i n E r s a t z , sondern immer nur ein W e g w e i s e r zu den Originalarbeiten, die erst die eigentliche G r u n d l a g e der chemischen Literatur darstellen. Nur die Original-Literatur vermag die letzten Feinheiten einer Synthese oder einer neuen Arbeitsmethode zu vermitteln, nur die Original-Literatur führt zu einem wirklichen inneren Kontakt mit den gerade bearbeiteten Problemen, und nur ein gründliches Studium der Original-Literatur gibt wertvolle Anregungen für die eigene Forschungsarbeit.
I. Band
Systematische organische Chemie Erste Hälfte
2. K a p i t e l
Die Kohlenwasserstoffe Die einfachsten organischen Verbindungen sind die Kohlenwasserstoffe» die, wie schon der Name1) sagt, nur aus den Elementen K o h l e n s t o f f und Wassers t o f f bestehen und im Sinne der Ausführungen auf S. 6 die natürliche Grundlage der organischen Chemie bilden. Sie enthalten ausschließlich die in nahezu allen organischen Verbindungen vorkommenden und für die Stabilität des Kohlenstoffgerüstes wichtigen K o h l e n s t o f f - K o h l e n s t o f f - und K o h l e n s t o f f - W a s s e r s t o f f - B i n d u n g e n . Mit ihrer Besprechung müssen wir daher beginnen. Eine zwanglose Unterteilung der Kohlenwasserstoffe ergibt sich auf Grund der verschiedenen Arten der in ihnen vorkommenden K o h l e n s t o f f - K o h l e n stoff-Bindungen. Den einfachsten Bau zeigen die Paraffine, deren Kohlenstoffgerüst ausschließlich die reaktionsträgen einfachen C—C-Bindungen enthält, die also im eigentlichen Sinne das oben beschriebene B ü c k g r a t der organischen Chemie darstellen. Daneben kennt man aber auch reaktionsfähigere Kohlenwasserstoffe, die mehrfache K o h l e n s t o f f - K o h l e n s t o f f - B i n d u n g e n enthalten und als ungesättigte Kohlenwasserstoffe bezeichnet werden. In ihnen stellen die „ungesättigten" C=C- oder O^C-Bindungen reaktionsfähige F u n k t i o n e n im oben definierten Sinne dar, an denen unter Erhaltung des paraffinartigen Restmoleküls die eigentlichen Umsetzungen stattfinden. Unter der Bezeichnung aromatische Kohlenwasserstoffe faßt man schließlich noch eine dritte Gruppe von Kohlenwasserstoffen zusammen, die sich vom Benzol, dem auf S. 49 bereits kurz gestreiften ringförmigen Kohlenwasserstoff mit drei „ k o n j u g i e r t e n " Doppelbindungen ableiten. Sie sind streng genommen nur eine Untergruppe der ungesättigten Kohlenwasserstoffe, werden aber wegen ihres besonderen, von den Eigenschaften anderer ungesättigter Verbindungen abweichenden Verhaltens als selbständige Verbindungsklasse angesehen, der man wegen ihrer großen allgemeinen Bedeutung häufig sogar die Gesamtheit der übrigen gesättigten und ungesättigten Kohlenwasserstoffe zusammenfassend als aliphatische Kohlenwasserstoffe gegenüberstellt. Da sich von den Kohlenwasserstoffen alle andern organischen Verbindungen ableiten, wurde diese Gegenüberstellung aliphatischer und aromatischer Substanzen auch auf die übrigen o r g a n i s c h e n Verbindungsklassen ausgedehnt, so daß sich eine scharfe Zweiteilung der o r g a n i s c h e n Chemie in aliphatische2) oder Fettverbindungen (auch Feitreihe genannt) einerseits und aromatische3) oder Benzolverbindungen (Benzolreihe) anderer') Der Ausdruck Kohlen- ist eine häufig gebrauchte Abkürzung für das Element Kohlenstoff (z. B. in Kohlendioxyd, Kohlenoxyd, Kohlenhydrate usw.) und darf nicht verwechselt werden mit der Bezeichnung Kohle für die hochmolekulare Substanz der n a t ü r l i c h e n K o h l e a r t e n (z. B. in JEbAiehydrierung, Kohleveredlung usw.). 2 ) Von griech. &XEi H— U 4 - L «
I H—C—H I H—C—H | H Äthan
+
H—C—H = »
H « -XA .- H I H—C—H I H—C—H I H Propan
\
H H A H iH H H H n-Butan Isobutan *) Von lat. parum affinis = wenig verwandt. Der Name weist auf die R e a k t i o n s t r ä g h e i t dieser Verbindungsklasse hin. 2 ) P. A S I N G E R : Chemie und Technologie der Paraffinkohlenwasserstoffe. Berlin 1956.
I, 1: Grundlegende Definitionen
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Jeder Kohlenwasserstoff ist danach aus n C H , - G r u p p e n und zwei H - A t o m e n aufgebaut, woraus sich die Summenformel CnH i n +, ebenfalls ohne weiteres ergibt.
Diese Ableitung läßt weiterhin erkennen, daß sich zwei P a r a f f i n e und damit auch sämtliche von ihnen abgeleiteten g e s ä t t i g t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f r a d i k a l e in ihrer Zusammensetzung immer um die Gruppe CH2 oder ein V i e l f a c h e s von ihr unterscheiden. Verbindungen, bei denen dies der Fall ist, zeigen stets eine besonders enge V e r w a n d t s c h a f t bzw. eine g l e i c h m ä ß i g e A b s t u f u n g ihrer physikalischen und chemischen Eigenschaften mit wachsender Zahl der CA t o m e , so daß man sie zweckmäßig unter der Bezeichnung homologe Verbindungen oder auch homologe Reihe zusammenfaßt. Die Paraffine stellen danach das e i n f a c h s t e B e i s p i e l für eine derartige homologe Reihe dar. Wie die oben angeführten Formeln des n- und des I s o b u t a n s zeigen, kann von vier C - A t o m e n ab die Verknüpfung zum Kohlenstoffgerüst v e r s c h i e d e n a r t i g erfolgen, und man unterscheidet dementsprechend jeweils zwischen einer geraden oder normalen und den verschiedenen Möglichkeiten einer verzweigten Kette. Die Zahl der durch diese Kettenverzweigung bedingten Isomeriefalle läßt sich mit Hilfe einfacher Gleichungen nicht berechnen und wächst, wie aus der auf S. 10 angeführten Zusammenstellung hervorgeht, mit der Zahl der C-Atome sehr r a s c h an. Über die durch diese Verzweigungsisomerie gegebene Möglichkeit hinaus kommen wir schließlich noch zu einer w e i t e r e n G r u p p e p a r a f f i n a r t i g e r S t o f f e , wenn wir die C-Atome nicht nur zu o f f e n e n K e t t e n , sondern auch zu ß i n g m o l e k ü l e n verknüpfen. Die hierbei entstehenden Cycloparaffine enthalten wegen der erhöhten Zahl von C—C-Bindungen natürlich nicht mehr die oben abgeleitete Höchstzahl von H-Atomen und gehören damit n i c h t m e h r zu den e i g e n t l i c h e n G r e n z k o h l e n w a s s e r s t o f f e n . Ihre Behandlung geschieht in einem besonderen Abschnitt in I, Kap. 11, I .
Nomenklatur. Die ersten vier Glieder der Paraffinreihe führen die oben angegebenen T r i v i a l n a m e n . Die höheren Paraffine werden nach der Zahl der C-Atome benannt, indem man an das entsprechende g r i e c h i s c h e Z a h l w o r t die Endung -an anhängt. Man kommt so zu den Bezeichnungen Pentan, Hexan, Heptan usw. für die Paraffine mit f ü n f , s e c h s , sieben und mehr C-Atomen (vgl. Tabelle 1, S. 74). Diese Namen kennzeichnen wegen der genannten Isomeriemöglichkeiten jedoch durchaus noch keine e i n h e i t l i c h e n V e r b i n d u n g e n , sondern müssen zunächst nur als S a m m e l b e z e i c h n u n g für alle möglichen isomeren P a r a f f i n e gleicher K o h l e n s t o f f z a h l aufgefaßt werden. Lediglich die wichtigsten Verbindungen mit unverzweigter K e t t e kann man auf diese Weise eindeutig als normale Paraffine (abgekürzt: n-Pentan, n-Hexan usw.) gegen alle anderen Kohlenwasserstoffe mit v e r z w e i g t e r K e t t e , die Isoj>araffine (i-Butan usw.) abgrenzen. Für eine eindeutige Benennung der Isoparaifine kommt man nur bei den B u t a n e n mit der Bezeichnung I s o b u t a n aus. Bei allen höheren Gliedern der Reihe existieren jedoch mehrere I s o p a r a f f i n e , und es hat sich hier als zweckmäßig erwiesen, den Kohlenwasserstoff für die Benennung im Sinne der Ausführungen auf S. 17 als einen durch P a r a f f i n r e s t e s u b s t i t u i e r t e n unverzweigten G r u n d k o h l e n w a s s e r s t o f f aufzufassen. Als solchen wählt man im allgemeinen dasjenige n-Paraffin, das aus der l ä n g s t e n im Molekül v o r h a n d e n e n unverzweigten K e t t e gebildet werden kann, und dessen C-Atome in der auf S. 18 angegebenen Weise zur Festlegung der Stellung der Substituenten d u r c h n u m e r i e r t werden. Die den Grundkohlenwasserstoff substituierenden P a r a f f i n r e s t e heißen Seitenketten. Ihre Benennung erfolgt nach den gleichen P r i n z i p i e n wie die der P a r a f f i n e , von denen sie sich ableiten, nur daß man die Endung -an der
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
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Kohlenwasserstoffe durch die für alle e i n w e r t i g e n R a d i k a l e charakteristische Endung -yl ersetzt (z. B. CH 3 — = Methyl, CH 3 —CH 2 — = Äthyl usw. 1 )). Auf diese Weise erhält man für die zwei möglichen I s o p e n t a n e die folgenden r a t i o n e l l e n B e z e i c h n u n g e n , die ihre K o n s t i t u t i o n erkennen lassen und damit eindeutig n u r d i e a n g e f ü h r t e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e benennen: CH
CII3
H3C—¿H—CH2—CH3 1 2 3 4 (4) (3) (2) (1> 2-Methyl-butan •)
H 3
9~1ir?1*3 ATT CH3 2,2-Dimethyl-propan
In diesen Formeln wurde bereits eine etwas v e r e i n f a c h t e S c h r e i b w e i s e angewandt bei der die umständlichen Bindestriche zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff fortgelassen werden. Zur w e i t e r e n V e r e i n f a c h u n g , vor allem auch, um kompliziertere Formeln im l a u f e n d e n D r u c k bringen zu können, verwendet man weiterhin l i n e a r e F o r m e l n , in denen die Seitenketten eingeklammert in d e r H a u p t k e t t e m i t g e s c h r i e b e n werden, wie es im folgenden am Beispiel der vier möglichen I s o h e x a n e geschehen ist: CH3—CH(CH3)—CH2—CH2—CH3 2-Methylpentan
CH3—CH,—CH(CH3)—CH2—CH3 3-Methylpentan
CH3—C(CH3)2—CH2—CH3 2,2-Dimethylbutan
CH3—CH(CH3)—CH(CH3)—CH3 2,3-Dimethylbutan
Will man nur die IsomerieVerhältnisse an sich bekannter Verbindungen darstellen, so ist es zur weiteren Vereinfachung der Formeln schließlich auch noch möglich, die C- u n d H- A t o m e ü b e r h a u p t f o r t z u l a s s e n und lediglich durch eine Z i c k z a c k l i n i e das Kohlenstoffgerüst s c h e m a t i s c h a n z u d e u t e n , wie es im folgenden in anschaulicher Weise für die acht isomeren I s o - H e p t a n e geschehen ist:
2-Methylhexan
< 2,4-Dimethylpentan
>
-
R — H
+
C 0
2
! X>—H Die Reaktion kann bei den P a r a f f i n e n selbst allerdings nur durch ziemlich s c h a r f e R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n , und zwar durch Erhitzen der f e t t s a u r e n S a l z e mit ü b e r s c h ü s s i g e m A l k a l i (S. 329) erzwungen werden, verläuft aber bei einigen komplizierteren organischen Verbindungen, insbesondere den / ? - K e t o c a r b o n s ä u r e n ( S . 5 2 0 f ) , außerordentlich l e i c h t und wird z . T . schon durch gelindes Erwärmen der f r e i e n S ä u r e n auf Temperaturen u n t e r 100° ausgelöst. b) Die Hydrierung einfacher C—C-Bindungen. Außer an doppelte und dreifache Bindungen läßt sich k a t a l y t i s c h e r r e g t e r W a s s e r s t o f f unter geeigneten Bedingungen auch an e i n f a c h e C—C-Bindungen anlagern. Hierbei wird naturgemäß das Molekül in zwei T e i l e zerlegt, so daß man auch auf diesem Wege durch A b b a u höherer organischer Verbindungen P a r a f f i n e gewinnen kann: R—R' + H—H
•
R—H + H—R'
Allerdings ist diese Reaktion wegen der größeren R e a k t i o n s t r ä g h e i t der einfachen C—C-Bindungen nur bei Temperaturen um 400° und unter s e h r h o h e n W a s s e r s t o f f d r u c k e n durchführbar. Da außerdem infolge der G l e i c h a r t i g k e i t a l l e r C—C-Bindungen stets ein G e m i s c h a l l e r m ö g l i c h e n R e a k t i o n s p r o d u k t e entsteht, hat das Verfahren keine präparative Bedeutung zur Darstellung e i n z e l n e r P a r a f f i n e erlangt, doch spielt es in der Technik eine wichtige Rolle als Grundlage der K o h l e h y d r i e r u n g (III, Kap. 1, I, 5a). Auch die C—C-Bindungen im e l e m e n t a r e n K o h l e n s t o f f des Rußes lassen sich mit W a s s e r s t o f f bis zum Methan abbauen. Die Reaktion verläuft mit N i c k e l oder P a l l a d i u m als Katalysator bereits von 250° ab, kann aber auch ohne K a t a l y s a t o r bei Temperaturen um 1200° durchgeführt werden.
72
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
3. Die physikalischen und chemischcn Eigenschaften der Paraffine Der Aggregatzustand der Paraffine wird durch z w i s c h e n m o l e k u l a r e K r ä f t e bedingt und ist daher in starkem Maße von der M o l e k ü l g r ö ß e abhängig. Die n i e d e r e n G l i e d e r der Reihe bis etwa zu den B u t a n e n sind bei Zimmertemperatur g a s f ö r m i g , die m i t t l e r e n f l ü s s i g und die h ö h e r e n P a r a f f i n e , etwa vom H e p t a d e c a n (C17H36) ab, in der n o r m a l e n R e i h e f e s t . Im einzelnen steigen, wie aus Tabelle 1 hervorgeht, die S i e d e t e m p e r a t u r e n der n - P a r a f f i n e anfangs schnell, später langsamer mit der Zahl der C-Atome an1) und erreichen etwa beim N o n a d e c a n (C19H40) die mit zunehmender Molekülgröße langsam abnehmende Z e r s e t z u n g s t e m p e r a t u r . Doch kann man im V a k u u m , H o c h v a k u u m und neuerdings im H ö c h s t v a k u u m bei der M o l e k u l a r d e s t i l l a t i o n (vgl. S. 74 Anm. 3) auch höhergliedrige Paraffine bis herauf zum H e p t a k o n t a n (C70H142) noch u n z e r s e t z t destillieren. Ähnlich steigen auch die S c h m e l z p u n k t e der n o r m a l e n P a r a f f i n e ununterbrochen bis zu den höchsten Gliedern der Reihe an. Doch verläuft die Kurve hier wesentlich f l a c h e r und u n r e g e l m ä ß i g e r als die Siedepunktskurve und nähert sich im Gegensatz zu dieser asymptotisch einem o b e r e n G r e n z w e r t von etwa 140—150°, der auch in h o c h m o l e k u l a r e n P a r a f f i n e n nicht überschritten wird. Neben der Molekülgröße übt vor allem auch die M o l e k ü l f o r m einen gewissen Einfluß auf den Aggregatzustand der Paraffine aus. So bewirkt z.B. jede M o l e k ü l v e r z w e i g u n g eine deutliche S i e d e p u n k t s s e n k u n g gegenüber den normalen Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl, die allerdings bis zu den Dekanen auch beim stärksten Verzweigungsgrad niemals ausreicht, um den Siedepunkt des n ä c h s t niederen n - P a r a f f i n s zu erreichen. Immerhin ist es infolge dieser Siedepunktsunterschiede der isomeren Paraffine mit einfachen Mitteln nicht mehr möglich, oberhalb etwa C6 ein Paraffingemisch durch f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n in seine Bestandteile zu zerlegen.
Wesentlich stärker als der Siedepunkt wird naturgemäß der S c h m e l z p u n k t durch M o l e k ü l v e r z w e i g u n g e n beeinflußt, da jede Seitenkette die Einordnung der Moleküle in ein Kristallgitter sehr e r s c h w e r t , wenn nicht gar unmöglich macht. Wir beobachten daher bei den meisten Isoparaffinen s e h r n i e d r i g e oder überhaupt k e i n e K r i s t a l l i s a t i o n s p u n k t e . Erst wenn bei h o h e m V e r z w e i g u n g s g r a d r e g e l m ä ß i g g e b a u t e M o l e k ü l e entstehen, steigt der Schmelzpunkt wieder an und kann bei s e h r h o h e n S y m m e t r i e g r a d e n , wie z. B. beim T e t r a m e t h y l m e t h a n u n d H e x a m e t h y l - ä t h a n , sogar den des isomeren n - P a r a f f i n s um mehr als 100° überschreiten. In geringem Grade ist dieser Einfluß der Molekülform auf den Schmelzpunkt sogar schon bei den normalen P a r a f f i n e n zu erkennen, wie aus dem Vergleich der Werte für die geradz a h l i g e n und die u n g e r a d z a h l i g e n P a r a f f i n e in Tabelle 1 hervorgeht. Erstere zeigen gegenüber letzteren einen etwas e r h ö h t e n Schmelzpunkt, so daß die g e r a d z a h l i g e n P a r a f f i n e vielfach bei nahezu der g l e i c h e n Temperatur schmelzen wie die um ein C-Atom höheren ungeradzahligen Kohlenwasserstoffe. Ein derartiges Oscillieren der Eigenschaften zwischen den geradzahligen und ungeradzahligen Gliedern einer homologen Reihe beobachtet man auch bei anderen Verbindungsklassen (vgl. z. B. S. 325, 475), jedoch stets nur bei Vorgängen, an denen die k r i s t a l l i s i e r t e Phase beteiligt ist. Als Ursache ist die v e r s c h i e d e n artige g e g e n s e i t i g e Lage der Molekülenden im K r i s t a l l anzusehen.
Ebenfalls ausschließlich auf z w i s c h e n m o l e k u l a r e K r ä f t e sind die Lösungseigenschaften der Paraffine zurückzuführen. Doch ist hier infolge des annähernd *) B z g l . S i e d e p u n k t s b e r e c h n u n g v g l . F . KLAGES: B . 76, 7 8 8 (1943); H . WIENER: A m . S o c . 6 9 , 1 7 (1947).
I, 3: Die physikalischen Eigenschaften der Paraffine
73
g l e i c h a r t i g e n A n w a c h s e n s der Assoziations- und Solvatationskräfte mit der Mol e k ü l o b e r f l ä c h e der Einfluß der M o l e k ü l g r ö ß e und auch der F o r m nur gering. Sämtliche Paraffine zeigen daher s e h r ä h n l i c h e L ö s u n g s e i g e n s c h a f t e n , die ausschließlich auf ihre Zusammensetzung aus den von W a s s e r n i c h t b e n e t z b a r e n CHS- und CH 2 -Gruppen zurückzuführen sind. Sie gehören infolge dieser Zusammensetzung, wie im einzelnen in II, Kap. 6, II, 1 erörtert wird, einerseits zu den ausgesprochen hydrophobenJ) Stoffen, d. h. sie sind i n W a s s e r u n l ö s l i c h und vermögen Wasser und w a s s e r ä h n l i c h e V e r b i n d u n g e n (z. B. Glycerin, Säureamide usw.) ihrerseits ebenfalls n i c h t zulösen, andererseits zu den typisch lipophilen2), d. h. in o r g a n i s c h e n L ö s u n g s m i t t e l n löslichen und f e t t a r t i g e S t o f f e a u f l ö s e n d e n Verbindungen. Insbesondere ihre wasserabweisende Natur ist s e h r s t a r k ausgeprägt und stärker als die aller anderen organischen Verbindungen, so daß sich beispielsweise P e t r o l ä t h e r nur mit r e i n e m , nicht aber mehr mit 96 p r o z . M e t h y l a l k o h o l vermischt. Im Vergleich zu anderen organischen Lösungsmitteln (z.B. Ä t h e r , A c e t o n , C h 1 o r o f o r m und selbst B e n z o 1) zeigen die Paraffine ein auffallend g e r i n g e s L ö s u n g s v e r m ö g e n und rechnen daher zu den ausgesprochen „ s e l e k t i v e n " L ö s u n g s m i t t e l n . Eine letzte Reihe von physikalischen Konstanten, wie etwa die Dichte, der Brechungsexponent, die Dielektrizitätskonstante usw., sind gegenüber den vorbesprochenen Eigenschaften unabhängig von den zwischenmolekularen Kräften und werden von den A t o m e n und B i n d u n g s e l e k t r o n e n selbst hervorgerufen. Sie sind infolgedessen, wenn man sie auf die V o l u m e n e i n h e i t bezieht, u n a b h ä n g i g von der M o l e k ü l g r ö ß e und F o r m und nähern sich mit wachsendem Molekulargewicht rasch einem k o n s t a n t e n E n d w e r t . Unter Mitberücksichtigung des Molekulargewichtes lassen sich diese Werte vielfach a d d i t i v aus den Einzelbeiträgen der verschiedenen Atome und Bindungselektronen errechnen, weshalb man sie auch als additive Molekularkonstanten bezeichnet (Näheres vgl. II, Kap. 2, I).
Hinsichtlich ihrer chemischen Eigenschaften sind die Paraffine als Glieder einer h o m o l o g e n R e i h e untereinander s e h r ä h n l i c h , galten jedoch lange Zeit als wenig interessante Verbindungsklasse, weil sie infolge der ausschließlichen Anwesenheit der nahezu ideal u n p o l a r e n C—C- und C—H-Bindungen bei niederen Temperaturen praktisch r e a k t i o n s l o s sind. Dazu kommt als weiterer erschwerender Umstand, daß die durch diese Reaktionsträgheit der C—C- und C—H-Bindungen ermöglichte L o k a l i s i e r u n g der Reaktionen a l l e r a n d e r e n o r g a n i s c h e n Verb i n d u n g e n auf bestimmte Stellen des Moleküls (vgl. S. 6) für Paraffine selbst n i c h t m ö g l i c h ist, da in ihnen infolge des Fehlens aktiver Gruppen alle Bindungen mehr oder weniger g l e i c h w e r t i g sind. Zwingt man die Paraffine daher durch v e r s c h ä r f t e R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n dennoch zu einer Umsetzung, so werden im allgemeinen nur schwer trennbare I s o m e r e n g e m i s c h e als Reaktionsprodukte erhalten. Erst in neuerer Zeit ist es gelungen, diese Schwierigkeiten wenigstens zum Teil zu überwinden, und es hat sich in einigen Fällen sogar eine ü b e r r a s c h e n d g r o ß e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t der Paraffine auch bei relativ niederen Temperaturen herausgestellt. Diese Paraffinreaktionen weichen in ihrem M e c h a n i s m u s allerdings weitgehend von den „ k l a s s i s c h e n " R e a k t i o n e n der organischen Chemie ab. Der Angriff auf das sehr beständige Paraffinmolekül ist nämlich nur mit Hilfe sehr energiereicher f r e i e r A t o m e oder R a d i k a l e möglich, und es müssen infolgedessen Bedingungen gefunden werden, unter denen sich die 1
) Von griech. OScop = das Wasser und q>ößos = die Flucht. ) Von griech. Miros = das Fett und - || CH2
Die Reaktion stellt eine Art innermolekulare WuBTzsche Synthese dar und bietet gegenüber der Abspaltung von H—X-Molekülen den Vorteil der g e n a u e n F e s t l e g u n g d e s O r t e s der entstehenden Doppelbindung. Physikalische Eigenschaften. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, zeigen die Olefine hinsichtlich ihres A g g r e g a t z u s t a n d e s gegenüber den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl k e i n e g r ö ß e r e n U n t e r s c h i e d e . Z. B. Hegen die S i e d e - und S c h m e l z t e m p e r a t u r e n der Olefine mit e n d s t ä n d i g e r D o p p e l b i n d u n g nur um wenige Grade tiefer als die der entsprechenden Paraffine (vgl. Tabelle 1, S. 74). Lediglich die c i s - F o r m e n d e r O l e f i n e mit mittelständiger Doppelbindung schmelzen wegen der für die Einordnung in ein Kristallgitter u n g ü n s t i g e n M o l e k ü l g e s t a l t wesentlich tiefer als die mit den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl besser übereinstimmenden t r a n s - V e r b i n d u n g e n . Diese Schmelzpunktsregel ist insbesondere bei den h ö h e r e n G l i e d e r n d e r R e i h e und auch a n d e r e n u n g e s ä t t i g t e n V e r b i n d u n g e n , wie z. B. eis-(Smp. arafJMi
• Ha'—Hai
OH
+ 2 OH
OH
¿H,—¿Hj
Hai OH I I CH2—CH2
Glykolacctat
Halogenhydrin
Hai NO I I CH2—CH2
- :>n
Ozonld
Diese Ozonide können in der angedeuteten Weise durch v o r s i c h t i g e H y d r o l y s e oder noch besser durch k a t a l y t i s c h e H y d r i e r u n g leicht zu den A l d e h y d e n oder K e t o n e n , von denen sie sich ableiten, aufgespalten werden, so daß man in der „Ozonisierung" ein bequemes Mittel zur Ermittlung der L a g e der D o p p e l b i n d u n g in d e m u r s p r ü n g l i c h e n O l e f i n besitzt. Hierzu sind die Ozonide insbesondere auch aus dem Grunde gut geeignet, weil bei ihrer Bildung nur sehr s e l t e n die unten beschriebene Neigung der Doppelbindung zur W a n d e r u n g i n n e r h a l b der K e t t e während der Anlagerungsreaktion beobachtet wird. Ähnlich wie S a u e r s t o f f und die H a l o g e n e lassen sich schließlich auch S c h w e f e l und zahlreiche S c h w e f e l v e r b i n d u n g e n an Olefine anlagern1). Die Reaktion ist vor allem für die V u l k a n i s a t i o n d e s K a u t s c h u k s (Näheres vgl. III, Kap. 5, I, 3 a) von Bedeutung. Der eigenartige Name Pseudonitrosit für das Additionsprodukt von N 2 0 3 an die olefinische Doppelbindung ist h i s t o r i s c h bedingt und beleuchtet charakteristisch die eigenartige Geschichte der Konstitutionsaufklärung dieser Verbindungaklasse. J . SCHMIDT, der Entdecker dieser Stoffklasse, glaubte aus der sehr leichten Abspaltbarkeit des e i n e n N - A t o m s bei der Reduktion schließen zu können, dal} die NO s -Gruppe über den S a u e r s t o f f , also als E s t e r d e r s a l p e t r i g e n S ä u r e (I) an den organischen Rest gebunden sei: NO ONO
NO N0 2
I
II
Die Verbindungsklasse erhielt daraufhin den aus Nitroso- nitrite abgeleiteten Namen Nitrosite. Später stellte H. WIELAND jedoch fest, daß mindestens in den N 2 0 3 -Addukten einiger ung e s ä t t i g t e r a r o m a t i s c h e r V e r b i n d u n g e n echte, d . h . über den S t i c k s t o f f an den organischen Rest gebundene N i t r o g r u p p e n vorliegen (II) und schlug für diesen „Ausnahmefall" den Namen Pseudonitrosite, d. h. f a l s c h e N i t r o s i t e vor. Wieder einige Jahre später stellte es sich schließlich heraus, daß echte Nitrosite bei derartigen Anlagerungsreaktionen ü b e r h a u p t n i c h t e n t s t e h e n , sondern nur N i t r o s o - n i t r o - V e r b i n d u n g e n der Struktur II, für die sich aber die Bezeichnung P s e u d o n i t r o s i t e als Gruppennamen erhalten hat.
Zu b) Bei der Anlagerung von Säuren kommt das ähnliche Verhalten von Olef i n e n und A m m o n i a k am deutlichsten zum Ausdruck, wie aus der folgenden Gegenüberstellung der Reaktionsgleichungen hervorgeht: ') Zusammenfassung: H . E . WESTLAKE JE.: Chem. Rev. 39, 219 (1946).
II, 2: Olefinreaktionen
H3N| + H —X
PRLMÄRL EAKTLON
'
+
keine Fol ereaktlon
[H,N—H! X~
Y
95
g
H PR NARREAKTI( 1
CH2=CH2 + H —X
"
"
H
I
© € CH»—CHO j
»
_
A v
Sekundärreaktion
X
n T r > Lli,—Uli«
Die Anlagerung erfolgt daher in Analogie zur N e u t r a l i s a t i o n der A m i n e um so leichter, j e s t ä r k e r s a u e r die anzulagernde Verbindung ist, und läßt sich bei Verwendung s t a r k e r S ä u r e n auch r e v e r s i b e l durchführen, wie die auf S. 85 f. beschriebene Darstellung von Olefinen aus E s t e r n s t a r k e r S ä u r e n zeigt. Erst bei der Anlagerung s c h w a c h e r und s c h w ä c h s t e r „Säuren wie z.B. von Wasser oder A m i n e n , verschwindet die Analogie mit dem Ammoniak, da hier bei den Olefinen zwar ebenfalls keine starke Anlagerungsneigung, aber auch k e i n e r l e i Tendenz zur Wiedera b s p a l t u n g der einmal angelagerten schwachen Säuren beobachtet wird. Dies ist darauf zurückzuführen, daß nur die F r i m ä r r e a k t i o n , nicht aber die s e k u n d ä r e A n l a g e r u n g des S ä u r e a n i o n s X - a n das labile salzartige Zwischenprodukt I a m m o n i a k a n a l o g verläuft. Gerade diese Sekundärreaktion geht aber mit um so größerer W ä r m e t ö n u n g vor sich, je stärker b a s i s c h das Anion X~ und damit je s c h w ä c h e r Bauer die Verbindung H—X ist. Der verminderten Wärmetönung der Primärreaktion entspricht also stets eine e r h ö h t e W ä r m e t ö n u n g der S e k u n d ä r r e a k t i o n , so daß die G e s a m t w ä r m e t ö n u n g der vollständigen Anlagerungsreaktion nahezu u n a b h ä n g i g v o n der A c i d i t ä t der Verbindung H—X ist. Von dieser hängt lediglich die L e i c h t i g k e i t der B i l d u n g der Z w i s c h e n v e r b i n d u n g I und damit die A k t i v i e r u n g s e n e r g i e der Hin- und Rückreaktion ab. Man beobachtet daher bei abnehmender Acidität der Verbindung H—X lediglich eine Herabs e t z u n g der A n l a g e r u n g s - und auch der W i e d e r a b s p a l t u n g s g e s c h w i n d i g k e i t .
Die wichtigsten Anlagerungsreaktionen dieses Typus sind in dem folgenden Formelbild zusammengestellt: +H
-OSO,H Schwefelsäurehalbester
| CHJ—CHJ—Hai Alkylhalogenid
-° S 0 » H
__ + H—Hai
'
CH 2 =CH 2 +H-OQO-V CH3-CH2-OOC^R |
1| +
3}
I
j* CH3—CH2—OH Alkohol
_ _ _ H—ONO|
Carbonsäureester
J CH3—CH2—OXO, Salpetersäureester
Im einzelnen beobachtet man etwa die folgende A b s t u f u n g der R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t beim Übergang von s t a r k e n zu s c h w a c h e n S ä u r e n : S c h w e f e l s ä u r e als stärkste der gebräuchlichen Mineralsäuren vermag in k o n z e n t r i e r t e r Form (zuweilen sogar bereits als 67%ige Säure) g a s f ö r m i g e Olef i n e ähnlich leicht wie A m m o n i a k direkt a u s der G a s p h a s e zu a b s o r b i e r e n , wovon in der Technik zum A b f a n g e n der O l e f i n e aus Industriegasen des öfteren Gebrauch gemacht wird (vgl. S. 184). Auch die Anlagerung von H a l o g e n w a s s e r s t o f f e n erfolgt noch ziemlich glatt, und zwar wiederum abnehmend in der Reihenfolge HJ-+HBr-»HCl->HF, während C a r b o n s ä u r e n ohne Katalysatoren nur noch in w e n i g e n A u s n a h m e f ä l l e n reagieren (vgl. z. B. die t e c h n i s c h e Camphers y n t h e s e , III,Kap.5,II,2d) und W a s s e r überhaupt n i c h t mehr angelagert werden kann. Auch in Gegenwart von n e u t r a l e n K a t a l y s a t o r e n wie N a t r i u m b o r a t , N a t r i u m m e t a s i l i k a t u. a. erfordert die Wasseranlagerung noch Temperaturen von 150—300° und Drucke von 20—50 Atmosphären. Erst in Gegenwart von S c h w e f e l s ä u r e geht die Reaktion wesentlich l e i c h t e r vor sich, und man kann nunmehr C a r b o n s ä u r e n ziemlich glatt und auch W a s s e r ohne besondere Schwierigkeiten an einige besonders a k t i v e O l e f i n e mit mindestens einem t e r -
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
96
t i ä r e n C - A t o m zur Anlagerung bringen, weil hier die sauren O n i u m i o n e n (R—COOHj und OH3) zur Einwirkung kommen. Die Anlagerung von A m m o n i a k an u n v e r z w e i g t e O l e f i n e ist schließlich erst bei 450° und 20 A t m o s p h ä r e n D r u c k über Molybdänkontakten möglich und erfordert auch bei Verwendung der bereits schwach sauren A m m o n i u m - I o n e n noch Reaktionstemperaturen von etwa 300°. Ähnlich der S ä u r e k a t a l y s e derartiger Anlagerungsreaktionen ist die Katalyse durch s ä u r e a n a l o g r e a g i e r e n d e K o m p l e x b i l d n e r (sog. LEWis-Säuren). Beispielsweise geht die Anlagerung des nur noch schwach sauren F l u o r w a s s e r s t o f f s nur in Gegenwart von B o r f l u o r i d vor sich 1 ). Bei Verwendung von A l u m i n i u m c h l o r i d ist es sogar möglich, den W a s s e r s t o f f des Addenden H—X durch einen wesentlich reaktionsträgeren A l k y l r e s t zu ersetzen, d.h. t e r t . B u t y l c h l o r i d an Olefine anzulagern2). Die letztere Reaktion ist vor allem als aliphatisches Modellbeispiel zu den FRIEDEL-CRAFTS-Synthesen der aromatischen Reihe (S. 129) von Interesse. Außer von der Säurestärke hängt die Geschwindigkeit der Anlagerungsreaktion in ähnlicher Weise von der S t r u k t u r der O l e f i n e ab, wie die der auf S. 85f. beschriebenen Abs p a l t u n g s r e a k t i o n e n . Insbesondere Olefine, deren Doppelbindung von einem w a s s e r s t o f f f r e i e n C - A t o m (vor allem dem V e r z w e i g u n g s - C - A t o m e i n e s R i n g m o l e k ü l s ) ausgeht, treten sehr leicht in Reaktion, so daß man z. B. den t e r t i ä r e n A m y l a l k o h o l direkt als „Amylenhydrat" (S. 195) oder das B o r n y l e h l o r i d als „Pinenhydrochlorid" (III, Kap. 5, II, c) bezeichnet. Auch die nicht mehr zu den eigentlichen Kohlenwasserstoffen zählenden a , / ? - u n g e s ä t t i g t e n C a r b o n y l v e r b i n d u n g e n lagern sehr leicht Wasser und andere Verbindungen vom Typus H—X unter Bildung der /? - S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e der gesättigten Verbindungen an: O 0 X worauf in anderem Zusammenhang (S. 281 u. a.) noch näher eingegangen wird.
Im Gegensatz zu der unter a) beschriebenen Reaktionsgruppe werden bei der Anlagerung von H—X-Molekülen nur m o n o s u b s t i t u i e r t e P a r a f f i n e gebildet, so daß bei unsymmetrischen Olefinen z w e i i s o m e r e R e a k t i o n s p r o d u k t e nebeneinander auftreten können, je nachdem, an w e l c h e s C - A t o m der Wasserstoff tritt: R—CHX—CH2—R' - < + x ~ H R—CH=CH—R'
+H
~X>
R—CH2—CHX—R'
Die Bildung der beiden stellungsisomeren Additionsprodukte n e b e n e i n a n d e r wird jedoch nur bei g l e i c h e m V e r z w e i g u n g s g r a d der beiden olefinischen CAtome beobachtet. Andernfalls sind die Unterschiede der Reaktionsgeschwindigkeit stets so groß, daß nach einer Regel von MARKOWMKOW der n e g a t i v e Subs t i t u e n t X immer ausschließlich an das w a s s e r s t o f f ä r m s t e C - A t o m tritt. Es wird also die Bildung t e r t i ä r e r vor der s e k u n d ä r e r oder p r i m ä r e r und die Bildung s e k u n d ä r e r vor der p r i m ä r e r Derivate begünstigt. Erst in neuerer Zeit ist es zuweilen gelungen, durch Verwendung von P e r o x y d e n und andern Oxydationsmitteln als K a t a l y s a t o r e n (sowie bei der auf S. 70 beschriebenen I s o - o c t a n - s y n t h e s e ) diese Regel zu umgehen und auch die zumeist erwünschten p r i m ä r e n S u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e durch Addition von Wasserstoffverbindungen an Olefine zu gewinnen: BrCH»—CH,—CH.Br J
2
(nach Markownikow)
) A. L . HENNE u n d R . C. ARNOLD: A m . Soc. 70, 7 5 8 (1948). ) V . A . MILLER; A m . S o c . 69, 1764 (1947).
CH3—CHBr—CHäBr
II, 2: Olefinreaktionen
97
Dieser a n d e r s a r t i g e R e a k t i o n s v e r l a u f ist darauf zurückzuführen, daß hier einer der auf S. 92 angedeuteten Fälle vorliegt, in denen die Umsetzung wie bei den Paraffinen nach dem R a d i k a l m e c h a n i s m u s im Sinne einer K e t t e n r e a k t i o n erfolgt. Da unter diesen Umständen die Säurestärke der Verbindung H—X o h n e w e s e n t l i c h e n E i n f l u ß auf das Reaktionsgeschehen ist, können in Gegenwart von Peroxyden auch s e h r s c h w a c h s a u r e S u b s t a n z e n , wie z. B. P h o s p h o r w a s s e r s t o f f 1 ) oder S H - V e r b i n d u n g e n 2 ) , zur Anlagerung gebracht werden. Ferner dürfte die in I, Kap. 8, IV, 1 beschriebene Addition von S i H - V e r b i n d u n g e n an die C=C-Doppelbindung nach einem ähnlichen Mechanismus verlaufen.
Da nicht nur die Anlagerung sondern, wie wir auf S. 86 gesehen haben, auch die A b s p a l t u n g des H—X-Moleküls nach zwei verschiedenen Richtungen erfolgen kann, führt die Einwirkung von Schwefelsäure und ähnlichen Reagenzien auf Olefine u. U. über eine abwechselnde Anlagerung und W i e d e r a b s p a l t u n g zu einer Verschiebung der Doppclbindung innerhalb des Moleküls: R—CH=CH—CH»—R' 2
I n r
—HX
R—CH,—CHX—CH.—R' 2 2
t r y
!
R
+HX
- R—CH2 2 —CH=CH—R'
So kann man z. B. Dodecen-1 durch längeres Behandeln mit 50%iger Schwefelsäure in ein Gleichgewichtsgemisch s ä m t l i c h e r m ö g l i c h e n s t e l l u n g s i s o m e r e n n - D o d e c e n e überführen. Derartige Wanderungen von Doppelbindungen, die man zusammenfassend auch als Dreikohlenstofftautomerie (Näheres vgl. II, Kap. 5, II, 4)
bezeichnet, treten in mehr oder weniger starkem Ausmaß bei fast allen Doppelbindungsreaktionen auf und können u. U. die K o n s t i t u t i o n s e r m i t t l u n g ungesättigter Verbindungen empfindlich stören. Neben der Anlagerung als H—X-Verbindungen können S c h w e f e l - und Salpetersäure in ihrer höchst konzentrierten Form als rauchende S c h w e f e l säure und als „Nitriersäure" (Salpeter-schwefelsaure, vgl.I,Kap.6,IV, 1) nach H. W I E L A N D auch in Form der Bruchstücke —OH und —S0 3 H bzw. —OH und —N0 2 an die Doppelbindung angelagert werden, wobei die primär entstehende alkoholische Hydroxylgruppe in dem stark w a s s e r e n t z i e h e n d e n Medium sofort weiter reagiert und v e r e s t e r t wird: CH 2
ON0 2 ^
ch2—no2
/CH 2 _ h ,
OH \ ^
^
CH,
Ho
_go ^
° \ch2—NOJ
/CH 2
OH
N ^
\ch2—so3h/
~Hi°
CH2—OSO3F ch2—so3h
Hier treten jedoch nicht mehr die n o r m a l e n S ä u r e m o l e k ü l e H 2 S0 4 und H N 0 3 in Reaktion, sondern ihre d e h y d r a t i s i e r t e n A c i d i u m - I o n e n (S0 3 H + und X0 2 + ), die wir in II, Kap. 4, II, 3bot als die a k t i v e n A g e n z i e n bei der S u l f o n i e r u n g und N i t r i e r u n g kennenlernen werden. Die Reaktionen sind deshalb von einem gewissen Interesse als a l i p h a t i s c h e M o d e l l r e a k t i o n e n für die a r o m a t i s c h e S u b s t i t u t i o n . Eine andere einer a r o m a t i s c h e n S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n nahe verwandte Anlagerungsmöglichkeit beobachtete H. WIELAND bei der Einwirkung von C a r b o n s ä u r e h a l o g e n i d e n auf Olefine in Gegenwart von A l u m i n i u m c h l o r i d . Hier findet eine der FRIEDEL-CRAprsschen Reaktion (S.282) analoge Addition der Bruchstücke —Hai und —CO—R zum / 7 - H a l o g e n k e t o n statt (S. 285): C H 2 = C H 2 + R—CO—C1 - — V
R—CO—CH2—CH2—CI
Die Methode hat neuerdings auch praktische Anwendung zur Synthese von ß-Halogenketonen erlangt. ') A. R. 2
S T I L E S U.
Mitarbb.: Am. Soc. 74, 3282 (1952).
) J . I . CÜNNEEN: Soc. 1947, 36,
134.
Klages, Lehrbuch der Organischen Chemie 1,1
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
98
Ebenfalls einen von der normalen Addition abweichenden Verlauf der Anlagerungsreaktion beobachtet man nach W . REFFE, wenn man die Verbindung H — X in Gegenwart von N i c k e l c a r b o n y l oder ähnlichen K o h l e n o x y d a b g e b e n d e n S t o f f e n auf die olefinische Doppelbindung einwirken läßt. In diesem Fall wird gleichzeitig je ein Mol CO und der Verbindung H — X unter Synthese eines Carb onsäurederivates an die Doppelbindung angelagert. So entstehen im Falle der Verwendung von Äthylen z. B. Derivate der P r o p i o n s ä u r e (S. 385), die durch diese Reaktion zu einer großtechnisch leicht herstellbaren Säure geworden ist. Wie die folgende Zusammenstellung der wichtigsten bisher durchgeführten Reaktionen zeigt: 0 +H—oir •f H—XR. -CH, H3C—CH2—C/ H2C=CH2 + CO vN R , OH Propionsäure
P r o p i o n s ä u r e - » in i ° \ C—R
-CH, -c
R—¿H—CH=CHj
D a diese P e r o x y v e r b i n d u n g e n ihrerseits wieder die P o l y m e r i s a t i o n der Olefine z u hochmolekularen S u b s t a n z e n katalysieren, ist in ihrer E n t s t e h u n g in erster Linie die U r s a c h e der N e i g u n g vieler ungesättigter Verbindungen z u suchen, a n der L u f t zu v e r h a r z e n . Eine ähnliche Oxydationswirkung wie mit Luftsauerstoff kann man auch mit B l e i t e t r a a c e t a t erzielen. Dieses ist also nicht nur zur A d d i t i o n von z w e i A c e t o x y l g r u p p e n an die Doppelbindung (S. 93), sondern auch zur S u b s t i t u t i o n eines A l l y l - H - A t o m s durch einen A c e t o x y l r e s t befähigt (vgl. auch I, Kap. 12, I, l c ) : R — C H = C H — C H 3 r-p^oAc)!"- R—CH=CH—CH 2 —O—Ac + HO—Ac Häufig findet jedoch die Anlagerung und die Substitution g l e i c h z e i t i g statt, so daß die Reaktion o h n e B e d e u t u n g geblieben ist. Erst die Verwendung von Q u e c k s i l b e r a c e t a t als Oxydationsmittel 1 ) gestattet die ausschließliche O x y d a t i o n d e r A l l y l s t e l l u n g unter S c h o n u n g d e r Doppelbindung. Auch eine H a l o g e n i e r u n g der Olefine in A l l y l s t e l l u n g ist möglich. Z. B. tritt C h l o r i e r u n g ein, wenn man mit der Temperatur auf 500—600° hinaufgeht. Auf diese Weise werden sämtliche Doppelbindungsreaktionen weitgehend z u r ü c k g e d r ä n g t , so daß die S u b s t i t u t i o n des AUylWasserstoffs unter S c h o n u n g d e r D o p p e l b i n d u n g durchgeführt werden kann: C H 2 = C H — C H 3 + CI2
CH 2 =CH—CH 2 —C1 + HCl
Wichtiger ist die V e r w e n d u n g v o n Bromsuccinimid als Bromierungsmittel, das schon bei tiefer Temperatur unter S c h o n u n g der o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g ausschließlich d e n a l l y l s t ä n d i g e n W a s s e r s t o f f substituiert 2 ). Ähnlich wie die vom Allyl-C-Atom ausgehenden C—H- sind auch die von ihm ausgehenden C — C - B i n d u n g e n etwas aktiviert bzw. labilisiert, so daß alle ungesättigten Verbindungen zwischen dem zur Doppelbindung ß- und y-ständigen C-Atom relativ leicht z u m Z e r f a l l n e i g e n . Als Beispiel sei die hauptsächlich zum P r o p y l e n und M e t h a n führende Spaltung des a - B u t y l e n s angeführt, die bei der thermischen Zersetzung unter gleichzeitiger Dehydrierung eines zweiten a-Butylenmoleküls zum Butadien erfolgt: > 2 CH 2 =CH—CH 2 —CH 3
C H 2 = C H — C H 3 + CH 4
_ ch2=ch—ch=ch2
Wir werden dieser von O. SCHMIDT entdeckten und als „ D o p p e l b i n d u n g s r e g e l " bezeichneten Gesetzmäßigkeit später noch öfter begegnen (vgl. z. B. S. 262). Einzelverbindungen. Trotz der großen allgemeinen B e d e u t u n g der olefinischen D o p p e l b i n d u n g sind die einzelnen Olefine selbst nur v o n relativ geringem Interesse, da die wichtigsten u n g e s ä t t i g t e n Verbindungen auch noch andere F u n k tionen im Molekül enthalten. Ä t h y l e n (Athen) als Grundkörper der R e i h e wird präparativ a m b e s t e n durch W a s s e r a b s p a l t u n g aus Ä t h y l a l k o h o l rein dargestellt. I n der Technik d i e n t zu seiner Gewinnung d a n e b e n auch die p a r t i e l l e H y d r i e r u n g v o n A c e t y l e n !) W . T R E I B S u . H . B A S T : A . 5 C 1 , 1 6 5 2
(1949).
) K. Z I E G L E R u. Mitarbb.: A. 551, 80 (1942); Zusammenfassung: C. Rev. 43, 271 (1948).
DJERASSI:
Chem.
103
II, 2: Einzelne Olefine
(S. 114) sowie die D e h y d r i e r u n g des bei der Kohlehydrierung als Nebenprodukt anfallenden Ä t h a n s bei 7—800°: H—C=C—H
H 2 C=CH 2
H3C—CH3
Ferner kommt Äthylen in einigen E r d g a s e n und vor allem in zahlreichen I n d u s t r i e g a s e n vor (z. B. zu etwa 4% im L e u c h t - und K o k e r e i g a s und zu über 20% in den beim C r a c k p r o z e ß auftretenden Gasen), aus denen es nach dem LINDE-Verfahren oder durch Absorption mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e abgetrennt wird. Doch lohnt in letzterem Fall seine Regeneration aus der entstehenden Äthylschwefelsäure nicht, sondern diese wird meistens direkt weiter verarbeitet, z. B. auf D i ä t h y l ä t h e r .
R e i n e s Ä t h y l e n ist ein farbloses, angenehm riechendes Gas, das infolge des gegenüber dem Äthan verminderten Wasserstoffgehaltes bereits mit s c h w a c h r u ß e n d e r F l a m m e brennt. Es ist in neuerer Zeit eine wichtige t e c h n i s c h e A u s g a n g s v e r b i n d u n g für die Herstellung aliphatischer und aliphatisch-aromatischer Substanzen geworden. Erwähnenswert sind vor allem die A d d i t i o n v o n B e n z o l (nach FRIEDEL-CRAFTS, vgl. S . 1 2 9 ) zum Ä t h y l b e n z o l , von dem aus man weiter zum S t y r o l und P o l y s t y r o l gelangt, die Oxydation zum Ä t h y l e n o x y d (S. 445), die Wasseranlagerung zum Ä t h y l a l k o h o l , die verschiedentlich bereits mit der a l k o h o l i s c h e n G ä r u n g in Konkurrenz treten kann, und schließlich die Polymerisation zu P o l y ä t h y l e n e n unterschiedlicher Molekülgröße, die in der S c h m i e r s t o f f - und K u n s t s t o f f i n d u s t r i e Anwendung finden. Propen oder Propylen, CH 2 =CH—CH 3 , Buten-1 oder a-Butylen CH 2 =CH—CH 2 —CH 3 sowie das Gemisch von eis- und trans-Buten-2 (eis- und trans-ß-Butylen) CH 3 —CH=CH—CH 3 sind bei normaler Temperatur noch g a s f ö r m i g und neben den entsprechenden P a r a f f i n e n in den als Brennstoff dienenden F l ü s s i g g a s e n enthalten. Sie werden ebenfalls durch S c h w e f e l s ä u r e leicht absorbiert und in der Technik auf diesem Wege über die A l k y l s c h w e f e l s ä u r e n zu den entsprechenden s e k u n d ä r e n A l k o h o l e n (Regel von M A R K O W N I K O W , Gleichungen formulieren!) verarbeitet. Isobutylen CH,=C(CH 3 )—CH 3 wird als einziges Olefin dieser Molekülgröße in derTechnik als e i n h e i t l i c h e V e r b i n d u n g benötigt, und zwar einerseits als Ausgangsmaterial für die I s o o c t a n s y n t h e s e (S.70), andererseits in polymerisierter Form als Kunststoff (Polyisobutylen). Seine Darstellung erfolgt durch D e h y d r i e r u n g des bei der Kohlehydrierung anfallenden I s o b u t a n s (S. 80) sowie durch D e h y d r a t i s i e r u n g des auf dem Wege der K o h l e n o x y d h y d r i e r u n g leicht zugänglichen I s o b u t y l a l k o h o l s (S. 195). Diese Dehydratisierung ist n i c h t r e v e r s i b e l , denn bei der Wasseranlagerung an Isobutylen entsteht auf Grund der Regel von M A R K O W N I K O W ausschließlich t e r t . - B u t y l a l k o h o l . Man kann infolgedessen über das Isobutylen als Zwischenprodukt I s o b u t y l a l k o h o l in t e r t . - B u t y l a l k o h o l umwandeln (Gleichung formulieren!).
3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren Doppelbindungen (Poly-olcfine)
Enthält ein Kohlenwasserstoff m e h r e r e D o p p e l b i n d u n g e n im Molekül, so findet u . U . eine g e g e n s e i t i g e B e e i n f l u s s u n g der Doppelbindungen unter Bildung wesentlich r e a k t i o n s f ä h i g e r e r B i n d u n g s s y s t e m e statt. Man unterteilt die Poly-olefine daher zweckmäßig nach dem g e g e n s e i t i g e n A b s t a n d der Doppelb i n d u n g e n , in a) Kohlenwasserstoffe mit k u m u l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n , bei denen diese u n m i t t e l b a r aufeinander folgen, b) Kohlenwasserstoffe mit k o n j u g i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n , bei denen sich zwischen zwei Doppelbindungen jeweils eine e i n f a c h e B i n d u n g befindet, und schließlich c) Kohlenwasserstoffe mit i s o l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n , bei denen der Abstand zwischen den Doppelbindungen g r ö ß e r ist.
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
104
Die Benennung der Polyolefine erfolgt auf Grund der Genfer N o m e n k l a t u r in der Weise, daß man die Zahl der D o p p e l b i n d u n g e n durch nochmaliges Einschieben eines g r i e c h i s c h e n Z a h l w o r t e s zwischen das Stammwort des Kohlenwasserstoffs und die für ungesättigte Verbindungen charakteristische Endsilbe -en sowie ihre Lage wie üblich durch N u m e r i e r u n g der C - A t o m e , von denen die Doppelbindungen ausgehen, kennzeichnet. Man kommt so zu Ausdrücken wie Buta-di-en-1,3 (CH 2 =CH—CH=CH 2 ) oder Hexa-tri-en1,3,5 (CH,=CH—CH=CH—CH=CH,) für die sich vom B u t a n bzw. H e x a n ableitenden Polyolefine mit zwei bzw. drei „konjugierten" D o p p e l b i n d u n g e n .
a) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t k u m u l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n (1,2-Di-ene) Folgen mehrere C=C-Doppelbindungen u n m i t t e l b a r aufeinander, wie z. B. im einfachsten Fall beim Allen CH 2 =C=CH 2 , so spricht man von kumulierten Doppelbindungen (von lat. cumulus = der Haufen) und nennt die entsprechenden Kohlenwasserstoffe meistens kurz Kumulene oder auch nach dem Anfangsglied der Reihe Allene. Ihre Darstellung erfolgt nach den bei den Olefinen beschriebenen Methoden, wobei man allerdings darauf achten muß, daß nicht andere u n g e s ä t t i g t e S y s t e m e entstehen können. So erhält man z. B. bei der leicht durchführbaren Abspaltung von zwei Molekülen Halogenwasserstoffsäure aus 1,2-Dihalogenp a r a f f i n e n nur in seltenen Fällen die Allene, da meistens leichter k o n j u g i e r t e D o p p e l b i n d u n g e n oder eine d r e i f a c h e B i n d u n g gebildet werden (s. unten). Ein einfaches Beispiel, bei dem letzteres infolge einer M o l e k ü l v e r z w e i g u n g unmöglich ist, so daß tatsächlich ein Allenderivat entsteht, liegt in der Bildung des a s - D i m e t h y l - a l l e n s aus 2 - M e t h y l - 2 , 3 - d i b r o m - b u t a n vor: Br H Br H CH3V | \ / | >—Cä—6H2 CH/
CH, X \=C=CH, CH3/
Für A l l e n selbst besitzen wir im Bromentzug aus 2 , 3 - D i b r o m p r o p y l e n mittels Zink ein einfaches Darstellungsverfahren, das nur zur Bildung des Allensystems führen kann, da die Lage der neu entstehenden Doppelbindung bei dieser Methode von vornherein f e s t g e l e g t ist (vgl. S. 90): Br Br C H 2 = C — ¿ H 2 + Zn —• CH 2 =C=CH 2 + ZnBr2
Die kumulierten Doppelbindungen sind infolge der besonders stark ungesättigten Natur des m i t t l e r e n C - A t o m s wesentlich energiereicher und r e a k t i o n s fähiger als normale Doppelbindungen, doch werden prinzipiell die g l e i c h e n Anl a g e r u n g s r e a k t i o n e n gegeben. Bei der Addition von zwei Molekülen einer Wasserstoffverbindung gehen nach der Regel von MARKOWNIKOW beide negative Reste an das mittlere C-Atom unter Bildung von K e t o n d e r i v a t e n . Z. B. entsteht aus Allen selbst und Wasser A c e t o n : H—OH
HO—H + -* CH 2 =C=CH 2
HO x .OH o \ / -^iü?». II CH3—C—CH3 CH3—C—CH3 Acetonhydiat
Aceton
Die labile N a t u r der kumulierten Doppelbindungen äußert sich u. a. in einer gewissen Tendenz des Systems, sich in eine A c e t y l e n b i n d u n g umzulagern. So kann man z. B.
II, 3b: Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen
105
Allen bereits durch Erhitzen seiner ätherischen Lösung mit Natrium auf 100° in das Natriumderivat des isomeren Allylens überführen: CH a =C=CH 2
NaC=C—CH3 Allylen-natrium
T e t r a s u b s t i t u i e r t e Aliene sind sterisch von Interesse, da sich von ihnen eine Molekularasymmetrie ableitet (vgl. II, Kap. 7,1, ld). Die einfachste Verbindung mit drei kumulierten Doppelbindungen liegt im Butatrien vor, das erstmals von W. M. SCHUBERT1) dargestellt wurde. In ihm stehen die erste und dritte Doppelbindungin echter Konjugation zueinander, d. h. es liegt gleichzeitig ein kumuliertes und ein konjugiertes Doppelbindungssystem vor. Letzteres macht sich u. U. bei Additionsreaktionen bemerkbar, die wie bei anderen Verbindungen mit konjugierten Doppelbindungen in 1,4-Stellung erfolgen können2) (Näheres über 1,4-Addition vgl. S. 107): CH2=C=C=CH2 Buta-trien
+Í!
(1,4-Addition)
,. J—CH 2 —feC—CH 2 —J
Wie schon diese Reaktion erkennen läßt, stehen höhere Kumulene in nahen Beziehungen zu den Acetylenen und Polyacetylenen. Sie sind nur in der aromatischen Reihe bekannt und werden deshalb erst auf S. 147 beschrieben.
b) Kohlenwasserstoffe mit k o n j u g i e r t e n Doppelbindungen (1,3-Diene) Sind die Doppelbindungen durch eine einfache Bindung getrennt, wie etwa in den oben als Nomenklaturbeispiel angeführten Kohlenwasserstoffen B u t a d i e n -1,3 und Hexatrien-1,3,5, so liegt ein System von konjugierten Doppelbindungen vor. In diesem Fall ist die gegenseitige Beeinflussung der Doppelbindungen am größten, und die Verbindungen zeigen vielfach völlig neuartige R e a k t i o n e n . Außer der im Butadien-1,3 und Hexatrien-1,3,5 verwirklichten fortlaufenden Konjugation mehrerer Doppelbindungen in einer normalen K o h l e n s t o f f k e t t e besteht auch die Möglichkeit, daß eine an einer Molekülverzweigung stehende Doppelbindung mit je einer Doppelbindung in jeder der S e i t e n k e t t e n konjugiert ist, wie es z. B. bei den in I, Kap. 11,1, 2c beschriebenen Fulvenen der Fall ist. I=\_/
C H ä
\CH S
Dlmethylfulven
Hier spricht man von verzweigt konjugierten Doppelbindungen. Einen dritten Typus von konjugierten Doppelbindungen beobachtet man schließlich bei cyclischen Verbindungen, z. B. dem auf S. 122f. beschriebenen Benzol und seinen Derivaten. Hier liegt ein geschlossen konjugiertes Bindungssystem vor, da keine der miteinander in Konjugation stehenden Doppelbindungen „endständig" ist, sondern jede Doppelbindung nach beiden Seiten mit einer anderen in Konjugation steht: H
H
HCT
^CH HBenzolH
J
H 0=C(
C=0 H H Chinon
) W. M. SCHUBERT U. Mitarbb.: Am. Soc. 74, 569 (1952). ) F. WILLE U. Mitarbb.: A. 591, 177 (1955).
2
H
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
106
Auch bei den auf S. 308f. beschriebenen Chinonen spricht man meistens von einem g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e n B i n d u n g s s y s t e m , da eine zwischen zwei C=0-Doppelbindungen stehende C=C-Doppelbindung nicht den Charakter einer endständigen Doppelbindung aufweist.
Vorkommen. Die Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen sind bereits zu u n b e s t ä n d i g , um noch m i n e r a l i s c h (etwa im E r d ö l ) auftreten zu können. Dagegen spielen sie b i o c h e m i s c h eine große Rolle, und wir werden ihnen daher bei den N a t u r s t o f f e n (z. B. in den C a r o t i n o i d f a r b s t o f f e n , I I I , K a p . 2,11,1) des öfteren begegnen. Die Darstellung erfolgt im wesentlichen nach den bei den O l e f i n e n beschriebenen Verfahren, jedoch für jede Verbindung nach s p e z i e l l e n M e t h o d e n , so daß sich kaum allgemeine Angaben machen lassen. Wichtig ist, daß bei der Möglichkeit der Bildung v e r s c h i e d e n a r t i g e r doppelt ungesättigter Bindungssysteme die des relativ energiearmen k o n j u g i e r t e n S y s t e m s mit wenigen Ausnahmen stets bevorzugt wird. Von den drei Möglichkeiten der Abspaltung von zwei Molekülen HBr aus 2 , 3 - D i b r o m p a r a f f i n e n : der Bildung einer A c e t y l e n b i n d u n g (s. unten), eines Systems k u m u l i e r t e r D o p p e l b i n d u n g e n und eines Systems k o n j u gierter Doppel-Bindungen: CH 2 =C=CH—CH,
.
Kumulierte Doppelb.
CH3—C=C—CH3
"«.9
Br Br | I CH3—CH—CH—CH3
f> T T T > r
"
V
CH 2 =CH—CH=CH 2 K o n j u g i e r t e Doppelbindungen
^
Acetylcn-Bindung
wird also, wenn es die Konstitution zuläßt, in den meisten Fällen die l e t z t e r e verwirklicht werden, so daß dieses schöne Verfahren zur Darstellung der beiden anderen Bindungssysteme nur mit den dort angegebenen E i n s c h r ä n k u n g e n verwendbar ist. Bei der großen Tendenz zur Wanderung der D o p p e l b i n d u n g e n erhält man über die normalen Bildungsweisen hinaus zuweilen auch dann ein System k o n j u g i e r t e r D o p p e l b i n d u n g e n , wenn infolge des großen Abstandes der abzuspaltenden Gruppen eigentlich nur i s o l i e r t e D o p p e l b i n d u n g e n auftreten sollten. Ebenso ist es häufig möglich, Verbindungen mit i s o l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n durch relativ geringfügige Einwirkungen in solche mit k o n j u g i e r t e n Doppelbindungen u m z u l a g e r n (vgl. z . B . S. 390).
Die starke g e g e n s e i t i g e B e e i n f l u s s u n g der in Konjugation stehenden Doppelbindungen läßt sich bereits an Hand einer Reihe von physikalischen Eigenschaften erkennen. So ist z . B . im Butadien-1,3 (CH 2 =CH—CH=CH 2 ) der Abs t a n d d e r m i t t l e r e n b e i d e n C - A t o m e um etwa 5% geringer als bei einer n o r m a l e n e i n f a c h e n C—C-Bindung (Näheres vgl. II, Kap. 3, III, 1). Ferner zeigt die M o l e k u l a r r e f r a k t i o n (II, Kap. 2,1, 4) eine gewisse Abweichung (Exaltation) von dem für zwei isolierte Doppelbindungen berechneten Wert, und in nahem Zusammenhang damit wird auch die W e l l e n l ä n g e d e s a b s o r b i e r t e n L i c h t e s gegenüber der der einfachen olefinischen Doppelbindung nach den l a n g e n W e l l e n hin verschoben. Schließlich geht die gegenseitige Beeinflussung der Doppelbindungen auch aus der V e r b r e n n u n g s w ä r m e hervor, die auf einen gegenüber zwei isolierten Doppelbindungen um durchschnittlich 3,5 kcal/Mol v e r m i n d e r t e n E n e r g i e i n h a l t hinweist. Der Übergang zweier normaler Doppelbindungen in ein konjugiertes System ist also ein unter weitgehender U m g e s t a l t u n g d e s B i n d u n g s c h a r a k t e r s verlaufender, mit einer Wärmeabgabe von 3,5 kcal verbundener e x o t h e r m e r V o r g a n g , den wir später (II, Kap. 3, III, 1 u. 3) auf eine M e s o m e r i e zwischen den beiden Doppelbindungen zurückführen werden.
II, 3 b : Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen
107
Chcmischcs Verhalten. Die Reaktionen der 1,3-Diene lassen sich in zwei größere Gruppen unterteilen: 1. Umsetzungen, die bereits von den e i n f a c h e n Olefinen gegeben werden und 2. völlig n e u a r t i g e R e a k t i o n e n . Zu 1. Die 1,3-Diene sind prinzipiell zu den g l e i c h e n A d d i t i o n s r e a k t i o n e n befähigt wie die e i n f a c h e n Olefine. Doch macht sich hier der Zusammenschluß der beiden Doppelbindungen zu einem gemeinsamen Bindungssystem bereits in dem Sinne bemerkbar, daß die Anlagerung nicht mehr nur an die e i n z e l n e n D o p p e l b i n d u n g e n erfolgt, sondern daß die stärker abgesättigten m i t t l e r e n C - A t o m e des Systems sich häufig n i c h t mehr an der A n l a g e r u n g b e t e i l i g e n . In diesem Fall reagiert das konjugierte System als G a n z e s , und es findet nur an seinen E n d e n die Aufnahme der Addenden statt, wobei die ü b r i g b l e i b e n d e D o p p e l b i n d u n g (bzw. bei längeren Systemen s ä m t l i c h e ü b r i g b l e i b e n d e n D o p p e l b i n d u n g e n ) jeweils an die Stelle(n) des Systems rückt (rücken), die vorher die einfache(n) B i n d u n g ( e n ) eingenommen hat (haben). Wir kommen so zu dem wichtigen Typus der \,A-Addition bei zwei, der Iß-Addition bei drei konjugierten Doppelbindungen usw.: Br
Br
Br
1.4- Addition
Br
l.C-Addit.'on
Wann mit 1,4- und wann mit normaler 1,2-Addition gerechnet werden muß, hängt von den jeweiligen Reaktionsbedingungen ab und kann im Einzelfall n i c h t vorausgesagt werden. Die Anlagerung erfolgt im allgemeinen trotz der um 3,5 kcal/Mol geringeren Wärmetönung w e s e n t l i c h l e i c h t e r als bei den e i n f a c h e n O l e f i n e n , weil, wie später gezeigt wird, die E l e k t r o n e n b e w e g l i c h k e i t im konjugierten System g r ö ß e r und damit die zum Einleiten der Reaktion erforderliche A k t i v i e r u n g s e n e r g i e k l e i n e r ist als bei einer einzelnen Doppelbindung. Zu 2. Die g e s t e i g e r t e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t der C=C-Doppelbindungen macht sich besonders in einer stärker hervortretenden Tendenz zur n u c l e o p h i l e n Addit i o n basischer Stoffe bemerkbar. Hier sind vor allem die folgenden drei Reaktionen hervorzuheben: a) A m m o n i a k und o r g a n i s c h e A m i n e lagern sich in Gegenwart von metallischem N a t r i u m als Katalysator schon bei t i e f e r T e m p e r a t u r an Butadien an, wobei im allgemeinen s ä m t l i c h e N — H - B i n düngen in Reaktion treten: KHj + 3 CH2=CH—CH=CH2 R—NH2 + 2 CH2=CH—CH=CHS
>. N(—€H2—CH2—CH=CH2)3 R—N(—CH2—CH2—CH=CH2)2
b) Als weiterer neuartiger Reaktionstypus muß die Fähigkeit der 1,3Diene hervorgehoben werden, Alkalimetalle in 1 , 4 - S t e l l u n g zu addieren. Die entstehenden metallorganischen Verbindungen sind allerdings sehr zersetzlich und reagieren rasch weiter. So wird z. B . in Gegenwart von solvolysierenden Lösungsmitteln das Metall sofort unter Bildung der p a r t i e l l h y d r i e r t e n M o n o - o l e f i n e durch Wasserstoff ersetzt (S. 68): Na CH2=CH—CH=CHs+2Na
— •
Na
¿H 2 —CH=CH—CH 2
CH S —CH=CH—CH S
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
108
Auf dieser Reaktion beruht die R e d u z i e r b a r k e i t der Polyene durch n a s c i e r e n den W a s s e r s t o f f bis zur Mono-olefinstufe (vgl. I, Kap. 12, II, 1 b). Eine andere Sekundärreaktion beruht darauf, daß man c) ähnlich wie die Alkalimetalle auch alkalimetallorganische Verbindungen an 1,3-Diene anlagern kann: CH a =CH—CH=CH 2 + R—Li
>- R—CH2—CH=CH—CHa—Li
Diese Reaktion führt insofern leicht zu K o m p l i k a t i o n e n , als die oben beschriebenen Alkalimetalladdukte als m e t a l l o r g a n i s c h e V e r b i n d u n g e n sich ihrerseits ebenfalls an ein zweites Dienmolekül unter Bildung einer n e u e n m e t a l l o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g addieren können, die wiederum additionsfahig ist, usw. Im Endeffekt kommt man infolgedessen, ähnlich wie bei der P o l y m e r i s a t i o n der einfachen Olefine, zu h o c h m o l e k u l a r e n , in diesem Fall allerdings p o l y ungesättigten Kohlenwasserstoffen: ii II
r N a ii rNa/i n rNa/i /i + 2 Na—• || + | —• || / || + | —• || / || / || + | l_ N a II
1/
l_Na
11
1/
1/
I-Na
11
rNa/i /i /i II - * II / II / II / II + I —I• • • 1/ 1/ 1/ L N a II In dieser Alkalimetallpolymerisation besitzen wir für die 1,3-Diene neben der auch hier möglichen P e r o x y d - und M e t a l l h a l o g e n i d p o l y m e r i s a t i o n noch eine dritte Polymerisationsmöglichkeit, die für die K a u t s c h u k - und B u n a s y n t h e s e eine gewisse praktische Bedeutung erlangt hat.
d) Bereits wieder zu den e l e k t r o p h i l e n Additionsreaktionen der 1,3-Diene kann man die Diensynthese von Diels und Alder rechnen. Sie besteht in der gegenseitigen Absättigung der ungesättigten Systeme eines 1,3-Diens und einer Verbindung mit einer, in bestimmter Weise a k t i v i e r t e n e i n f a c h e n D o p p e l b i n d u n g (philodiene Komponente), wobei in Analogie zur Dimerisierung der ein fachen Olefine zu C y c l o b u t a n d e r i v a t e n (S. 99) unter Verschwinden von zwei Doppelbindungen ein noch eine Doppelbindung enthaltender S e c h s r i n g entsteht COv
Butadien
Maleinsäureanhydrid
Tetrahydro-phthalsäureanhydrid
Die Reaktion geht bei Auswahl geeigneter philodiener Komponenten bereits unter sehr m i l d e n R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n , meistens sogar schon beim bloßen Zusammengeben der Reaktionsteilnehmer vor sich. Sie hat sich deshalb in neuerer Zeit zu einer der wichtigsten synthetischen Reaktionen für den Aufbau h y d r o a r o m a t i s c h e r V e r b i n d u n g e n entwickelt. Ihre eingehende Behandlung erfolgt in I, Kap. 12, III, 3.
II, 3 b : Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen
109
Als einen Spezialfall der Diensynthese kann man die von G. 0 . Schenck 1 ) entdeckte und später von H. Hock 2 ) näher untersuchte Anlagerung von 1,3-Dienen an die Doppelbindung des e l e m e n t a r e n S a u e r s t o f f s ansehen, die allerdings nur selten auf der Stufe des monomolekularen „Endoperoxyda" stehen bleibt, da die Pero^ydgruppe eine P o l y m e r i s a t i o n der im Molekül verbleibenden o l e f i n i s c h e n D o p p e l b i n d u n g auslöst. Als Beispiel eines beständigen Endoperoxyds sei das bei 83° schmelzende, gut kristallisierte bicyclische Addukt I von Sauerstoff an C y c l o h e x a d i e n - 1 , 3 angeführt:
/\
+
/ l \ 0 I 0
O
N / e) Eine weitere der Diensynthese formal sehr ähnliche Additionsreaktion, die allerdings bisher kaum praktische Anwendung gefunden hat, liegt in der Anlagerung von Schwefeldioxyd an 1,3-Diene zu c y c l i s c h e n oder bei zwischenmolekularer Addition auch h o c h m o l e k u l a r e n S u l f o n e n (I, Kap. 7, II, 2) vor: +
oder
SO.
••• + = — = + S O , + = - = + SOa + = — = + . . . . . . . CHA—CH=CH—CH2—S02—CH2—CH=CH—CH2—S02—CHJ—CH=CH—CH2
—
Selbst der sonst so reaktionsträge elementare Schwefel wird in gleichem Sinne angelagert, doch führt hier die Reaktion infolge der „ A r o m a t i s i e r u n g s t e n d e n z " des entstehenden D i h y d r o t h i o p h e n s unter anschließender Dehydrierung zum 1 , 3 - D i e n s y s t e m zurück, und man erhält das aromatische Ringsystem des T h i o p h e n s (Näheres vgl. I, Kap. 11, III, 3): — H, ,
+ S Dihydxo-thiophen
Einzel Verbindungen: Butadien-1,3 (meistens Butadien schlechthin genannt) oder Erythren h a t in neuerer Zeit als wichtigster Rohstoff für die B u n a g e w i n n u n g sehr an technischer Bedeutung gewonnen. Seine H e r s t e l l u n g i m g r o ß e n geschieht heute v o m A c e t y l e n (in Agrarländern auch v o m Ä t h y l a l k o h o l ) ausgehend nach d r e i V e r f a h r e n , von denen hier nur die Formeln angeführt seien, da sie sich mit Reaktionen befassen, die im einzelnen erst später behandelt werden 5 ): OH
OH 2 CH 3 —CHJ— O H — — >
+ H,
OH
2 CH,—CH=0 HjO ->- CH. > CH3—CH—CH,—CH2 + 2 H.0 /> ' Acetaldehyd Butan-dtol-1,3 —2H,0 Dlmerisierung 2 H—C=C—H > CH 2 =CH—C=CH GH 2 =GH-GH=GH 2 < CuCl+HCl Acetylen Vinylacetylen OH OH OH + 2 H,C=0 + 2 Ht, CHj—C=C—CH] !H S —CH A —CH A Butin-2-dlol-l,4 Butan-diol-1,4 Äthylalkohol
Angew. Chem.: 67,101 (1944). 2
3
) H . HOCK u . P . D e p k e : B . 84, 349 (1951).
) Zusammenfassung über die Gewinnung von Butadien aus S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n :
G. E g l o f f u . G . H u l l a : C h e m . R e v . 36, 6 3 (1945).
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
110
Das e r s t e V e r f a h r e n wird trotz des ziemlich umständlichen Weges z. Z. noch in der P r a x i s bevorzugt, zumal es als einziges die Möglichkeit bietet, sich auch vom Ä t h y l a l k o h o l ausgehend in die Reaktion einzuschalten. Doch hat es gerade hier in neuerer Zeit eine scharfe Konkurrenz durch ein russisches, von S.W. LEBEDEW (1935) entwickeltes Verfahren erfahren, nach dem man die gesamte Reaktionsfolge vom Ä t h y l a l k o h o l bis zum B u t a d i e n über MnO—A12OJ- oder ZnO—Al,0 3 -Katalysatoren bei 400° in e i n e m R e a k t i o n s g a n g in 50%iger Ausbeute durchführen kann: 2 C2HsOH
• CH,=CH—CH=CH, + 2 H 2 0 + H,
Das Verfahren findet in dieser Form in Rußland bereits g r o ß t e c h n i s c h e Anwendung. Das formal ebenfalls recht einfache z w e i t e V e r f a h r e n bietet noch einige technische Schwierigkeiten, dürfte aber wegen seiner Einfachheit größere Z u k u n f t s a u s s i c h t e n haben. Letzteres gilt auch für den dritten Weg, der den Vorteil des Ersatzes der Hälfte des relativ teuren Acetylens durch den aus K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f über das M e t h a n o l leicht zugänglichen F o r m a l d e h y d für sich hat. Isopren (2-Methylbutadien) C H 2 = C ( C H 3 ) — C H = C H 2 ist der monomere Grundkörper zahlreicher Naturstoffe, die in III, Kap. 5 zusammenfassend beschrieben sind. Die wichtigsten von ihnen, d i e T e r p e n e und C a m p h e r , leiten sich von einem c y c l i s c h e n D i m e r e n des Isoprens, dem L i m o n e n oder D i p e n t e n (vgl. III, Kap. 5, II, 1 a) ab, das aus Isopren bei etwa 300° im Sinne einer D i e n s y n t h e s e erhalten wird und sich bei 500° an einer schwach glühenden Platinspirale wieder in I s o p r e n zurück verwandeln läßt: I -
Isoprcn
..
J
. S0Q> P t
—
\
/
\
|
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Von t e c h n i s c h w i c h t i g e n I s o p r e n d e r i v a t e n ist vor allem der K a u t s c h u k (III, Kap. 5, I, 3) zu erwähnen, der ein dem Buna analoges n a t ü r l i c h e s hochmolekulares Polymerisationsprodukt des Isoprens darstellt, aber auch s y n t h e t i s c h gewonnen werden kann, z. B. durch N a t r i u m p o l y m e r i s a t i o n von Isopren. Doch kommt dem künstlichen Isoprenkautschuk neben dem viel billigeren Naturprodukt k e i n e p r a k t i s c h e B e d e u t u n g zu, zumal seine Eigenschaften durch den Buna in mancher Hinsicht bereits t e c h n i s c h ü b e r h o l t sind. T e c h n i s c h wird Isopren aus A c e t o n und A c e t y l e n auf dem folgenden Wege gewonnen, dessen einzelne Reaktionsstufen wir ebenfalls erst später kennen lernen werden: CH 3 X CHJ. .OH CHj. /OH +H \ ) = 0 + H—C=CH —>• '>. xr OH,/ C H / ^C=CH C H S / X CH=CH 2 Aceton
Acctylen
3-Methyl-butln-l-ol-3
-H'°».
3-Methylbuten-l-ol-3
CH 2 =i—CH=( Isopren
2,3-Dimethylbutadien CH,=C(CH 3 )—C(CH,)=CH„ kurz Dimethylbutadien genannt, ist von einem gewissen h i s t o r i s c h e n I n t e r e s s e , weil es aus A c e t o n durch P i n a k o n r e d u k t i o n (S. 27/) und anschließende Wasserabspaltung als erstes Dien t e c h n i s c h in größerem Maßstab hergestellt wurde:
II, 4: Die Aoetylene oder Alkine
111
2
Aceton
Pinakon
Dimelliylbuladien
Es diente im ersten Weltkrieg auf deutscher Seite zur e r s t m a l i g e n t e c h n i s c h e n S y n t h e s e k a u t s c h u k a r t i g e r P r o d u k t e , doch war dieser „Metkylkautschuk" infolge der noch ungenügenden Beherrschung des Polymerisationsprozesses zu weich, um sich gegenüber dem Naturkautschuk durchsetzen zu können. Heute ist er vom Buna r e s t l o s verdrängt.
c) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t i s o l i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n Am wenigsten Interesse beanspruchen schließlich Verbindungen mit mehreren, mindestens durch zwei P a r a f f i n - C - A t o m e getrennten Doppelbindungen, da hier keine gegenseitige Beeinflussung der Doppelbindungen mehr erkennbar ist. Derartige Kohlenwasserstoffe verhalten sich infolgedessen lediglich wie ein d o p p e l t e s M o n o - o l e f i n , und man spricht von isolierten Doppelbindungen. Als Beispiel einer einfachen Verbindung dieses Typus sei das Hexadien-1,5 oder Diallyl angeführt, das durch WURTZSCHE Synthese aus A l l y l j o d i d und N a t r i u m leicht zugänglich ist:
CH2=CH—CHj—J + 2 Na + J—CH2—CH=CH.•2
> CH2=CH—CHj—CHj—CH=CH,
Diese Reaktion ist gleichzeitig ein schönes Beispiel für die auf S. 85 erwähnte Möglichkeit der Synthese eines Olefins unter U m g e h u n g j e g l i c h e r D o p p e l b i n d u n g s r e a k t i o n . Komplizierteren Kohlenwasserstoffen mit isolierten Doppelbindungen werden wir ebenfalls bei den T e r p e n e n und Camphern begegnen. Auch die oben kurz gestreiften natürlichen und künstlichen K a u t s c h u k a r t e n sind P o l y e n e mit isolierten Doppclbindungen.
4. Die Acctylcne oder Alkine Definition. Fehlen an zwei b e n a c h b a r t e n C - A t o m e n v i e r A t o m e W a s s e r s t o f f , so muß man in Analogie zu den O l e f i n e n annehmen, daß hier eine d r e i f a c h e B i n d u n g vorliegt. Kohlenwasserstoffe, die als einzige Funktion eine derartige dreifache Bindung enthalten, werden nach ihrem einfachsten Vertreter Acetylene genannt und besitzen, wie sich aus der Definition ohne weiteres ergibt, die S u m m e n f o r m e l CnH2n—2Die Isomcricverhältnfsse dieser Verbindungsgruppe sind etwas e i n f a c h e r als die der O l e f i n e , da die Möglichkeit der Verzweigung am dreifach gebundenen C-Atom und auch die der Ä t h y l e n i s o m e r i e fortfällt. Die Benennung erfolgt entweder auf Grund der G e n f e r N o m e n k l a t u r durch die Endung -in, die wiederum in g l e i c h e r W e i s e angewandt wird wie die Endung -an der P a r a f f i n e bzw. die Endung -en der Olef i n e , und der der vielfach übliche Gruppenname Alkine für die ganze Reihe entspricht. Daneben ist aber auch die Benennung nach dem Grundkörper der Reihe gebräuchlich, indem man die höheren Glieder der Reihe einfach als A l k y l d e r i v a t e d e s A c e t y l e n s auffaßt, was bei seiner beiderseitigen Besetzung mit je m a x i m a l e i n e m A l k y l r e s t besonders naheliegt. Praktische Beispiele für beide Benennungsarten sind in Tabelle 3 angeführt (S. 103). Die Radikale der Acetylcnrclhe werden, wieder in Analogie zu den entsprechenden O l e f i n r e s t e n , durch die Endung -inyl gekennzeichnet, doch sind auch hier in den einfachsten
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
112
Fällen Trivialnamen gebräuchlich, die in den folgenden Beispielen eingeklammert beigefügt sind: _C=C—H
-^feC—CH,
—CHj—C=C—H
—CH2—C=C—CH3
Äthinyl(Acetylenyl-)
Propinyl-1(Propinyl-)
Propiny!-3(Propargyl-)
Butin-2-yl-l-
Im übrigen wird, wie auch bei den Olefinen, für die Benennung von verzweigten Alkinen die Verwendung der Alkinylreste nach Möglichkeit vermieden, indem man die Hauptkette so auswählt, daß sich die dreifache Bindung in ihr befindet. Einfache K o h l e n w a s s e r s t o f f e der Alkinreihe kommen n i c h t n a t ü r l i c h vor. Dagegen trifft man k o m p l i z i e r t e r e A c e t y l e n d e r i v a t e verschiedentlich, wenn auch stets nur in g e r i n g e n M e n g e n , in der Natur an 1 ). Für die Darstellung der Alkine stehen wie bei den Olefinen zwei Gruppen von Reaktionen zur Verfügung: l . D i e N e u h e r s t e l l u n g d e r d r e i f a c h e n B i n d u n g und 2. die E i n f ü h r u n g des f e r t i g e n A l k i n y l r e s t e s in ein anderes organisches Molekül. Zu 1. E>ie Herstellung der dreifachen Bindung kann im Prinzip nach den g l e i c h e n Methoden erfolgen wie die der O l e f i n e , wenn man zwischen zwei C-Atomen jeweils zwei M o l e k ü l e d e r V e r b i n d u n g H — X abspaltet. Doch ist von den zahlreichen Möglichkeiten praktisch nur die H a l o g e n w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g aus D i h a l o g e n p a r a f f i n e n in Gebrauch. Die am leichtesten durch Halogenaddition an Olefine zugänglichen yß-Dihalogenide liefern hierbei allerdings nur dann mit Sicherheit Alkine, wenn die Bildung k o n j u g i e r t e r D o p p e l b i n d u n g e n u n m ö g l i c h ist (vgl. S. 106), sich die beiden Halogenatome also am Ende der Kette in 1, 2S t e l l u n g befinden: Hai H H Hai H—C
C—R
— 2 HHal 2
—H—feC—R ,
während die an sich ebenfalls mögliche Bildung von A l l e n d e r i v a t e n wiederum hinter der Bildung der d r e i f a c h e n B i n d u n g zurücktritt. Mit Sicherheit kann man die Bildung konjugierter Systeme weiterhin vermeiden, wenn man von den aus den Aldehyden und Ketonen leicht zugänglichen g e m - D i h a l o g e n p a r a f f i n e n (S. 165) ausgeht, die o h n e die W a n d e r u n g e i n e r D o p p e l b i n d u n g nur in A c e t y l e n e (oder die auch hier weniger leicht sich bildenden K u m u l e n e ) übergehen können: H H ^ R^-CH;/
R—C=CH
: C1 Allerdings liegt bei dieser Reaktion die Stellung der entstehenden dreifachen Bindung n i c h t f e s t , da die Halogenwasserstoffabspaltung bei den aus den K e t o n e n gewonnenen Dihalogeniden, ähnlich wie bei der entsprechenden O l e f i n b i l d u n g s r e a k t i o n (S. 86), nach b e i d e n S e i t e n erfolgen kann (Gleichungen formulieren!). •Für die Darstellung der Alkine mit endständiger Acetylenbindung sind besondere Vorsichtsmaßregeln erforderlich, da sie ziemlich unbeständig sind und sich leicht unter Wanderung der dreifachen Bindung in das Innere der Kette umlagern. Sie entstehen daher aus den 1,2- oder 1,1-Dihalogenparaffinen nur bei Verwendung von Natriumamid als Abspaltungsmittel, da das sonst für diesen Zweck gebräuchliche alkoholische Kali bereits die Wanderung der Acetylenbindung katalytisch beschleunigt. Zn 2. Die Einführung eines Alkinylrestes in ein organisches Molekül geschieht am einfachsten über die leicht zugänglichen M e t a l l d e r i v a t e des A c e t y l e n s ') Zusammenfassung: F. BOHLMANN: Angew. Chem. 67, 389 (1955).
113
II, 4: Die physikalischen Eigenschaften der Acetylene
(s. unten) oder anderer Alkine nach den bei den m e t a l l o r g a n i s c h e n Verbindungen beschriebenen Methoden (vgl. I, Kap. 9,1). An dieser Stelle seien daher nur kurz die Formeln der •wichtigsten hierher gehörenden Reaktionen angeführt: a) Die A l k y l i e r u n g des Acetylens bzw. seiner M e t a l l d e r i v a t e : H—C=C—CHj + NaJ
H—Cs=CNa + J—;CH3 CH 3 —J + Na
- >-
X a + J—CH 3
CH 3 —C=C—CH s + 2 NaJ
b) Die auf S. 118 ausführlich beschriebene Anlagerung von Acetylen (oder auch seinen Metallderivaten) an O x o v e r b i n d u n g e n : OH H—C!=c—¿:H,
H—C=C—H + 0 = C H 2
+ H,C=Q
>
H £ - t CHj—C=C~-CH2 Butin-2-diol-l,4
Propargylalkohol
!H,
H—C=C—H + 0 =
.
CHj—CH 2 —^
+ H20
Die Umsetzung ist im allgemeinen auf Alkohole beschränkt, die Wasser zu Olefinen abspalten können, und läßt sich ebenfalls mit den Olefinen selbst durchführen, wobei auch hier die Regel von M A R K O W N I K O W eingehalten wird. Doch können aus dieser Tatsache noch keine Schlüsse auf den Reaktionsmechanismus gezogen werden (vgl. z.B. die Diskussion über die FKIEDEL-CRAFTS-Reaktion in II, Kap. 4,11, 3b), da unter gewissen Bedingungen auch nicht dehydratisierbare Alkohole, wie Methyl-und Benzylalkohol zur Kondensation befähigt sind. Zu 3. Für den Ersatz von anderen Substitucntcn durch Wasserstoff stehen außer den bereits bei den Paraffinen beschriebenen Methoden (Hydrolyse metallorganischer Verbindungen, Reduktion von im Kern oder in der Seitenkette oxydierten und halogenierten Stoffen, Alkalidestillation von Carbonsäuren usw.) noch drei, speziell in der aromatischen Reihe gebräuchliche Verfahren zur Verfügung: a) die saure Hydrolyse von Arylsulfonsäuren (Näheres vgl. I, Kap.7,11,1): + HOjH
b) die Reduktion von phenolischen „Zinkstaubdestillation" (vgl. S. 234): O—H+Zn
O
+ H2S04
Hydroxylgruppen mit Hilfe der •
+ ZnO
c) die Reduktion von DiazoVerbindungen mit alkalischer Z i n n - I I - c h l o r i d lösung (vgl. I, Kap. 6, III, l b ) : VZjQ^Z¿ja+"&n(ÖNa^+NaÖ—H
•
^ + N, + Sn(ONa)4
') A. A. O'KELLY U. Mitarbb.: Ind. Engng. Chem. (ind. Edit.) 39, 154 (1947). Zusammenfassung: L. v. ERICHSEN: Angew. Chem. 61, 322 (1949).
2)
III, 2: Die physikalischen Eigenschaften aromatischer Kohlenwaiserätoffe
131
Die aromatischen Kohlenwasserstoffe unterscheiden sich in ihrem physikalischen Verhaltenbereits etwas stärker von den Paraffinen gleicher Kohlenstoffzahl, doch sind die Unterschiede im wesentlichen nur gradueller Natur. Tabelle 4 Physikalische K o n s t a n t e n einiger einfacher a r o m a t i s c h e r Kohlenwasserstoffe Trivialname
rationeller Name
Sdp.
Smp.
Dichte Temp. (flüssig)
Cumol
Benzol Methylbenzol Äthylbenzol Propylbenzol Isopropylbenzol
80° 111 136 159 153
+ 5» — 95 — 94 —101 — 97
0,879/20° 0,872/15 0,867/20 0,862/20 0,862/20
o-Xylol m-Xylol p-Xylol
1.2-Dimethylbenzol 1.3-Dimethylbenzol 1.4-Dimethylbenzol
144 139 138
— 25 — 53 + 13
0,881/20 0,864/20 0,861/20
Mesitylen Hemellithol Pseudocumol
1,3,5-Trimethylbenzol 1.2.3-Trimethylbenzol 1.3.4-Trimethylbenzol
164 175 168
— 53 — 57
0,864/20 0,895/20 0,878/20
Prehnitol Isodurol Durol
1.2.3.4-Tetramethylbenzol 1.2.3.5-Tetramethylbenzol 1,2,4,5-Tetramethylbenzol
204 196 192
— 4 — 24 + 80
0,904/16 0,896/0 0,833/81
o-Cymol m-Cymol p-Cymol
l-Methyl-2-isopropylbenzol l-Methyl-3-isopropylbenzol 1-Methyl-4-isopropylbenzol
175 175 177
— 74
0,879/16 0,862/20 0,859/20
Mellithol
Pentamethylbenzol Hexamethylbenzol Hexaäthylbenzol
231 265 298
+ 53 + 169 + 129
Vinyl-benzol Phenylacetylen
146 140
— 45
Benzol Toluol
Styrol
0,847/107 0,831/130 0,907/20 0,930/20
So ist, wie aus Tabelle 4 hervorgeht, die D i c h t e infolge des gedrängteren Molekülbaus durchweg um etwa 30—40% h ö h e r als in der aliphatischen Reihe, und auch die S i e d e p u n k t e liegen um 10—40° über denen der n - P a r a f f i n e gleicher Molekülgröße. Sehr interessant sind weiterhin die S c h m e l z p u n k t v e r h ä l t n i s s e . Bei den r e g e l m ä ß i g gebauten Verbindungen (z. B. Benzol) und von diesen vor allem bei denjenigen, die p-ständige Methylgruppen im Molekül enthalten ( p - X y l o l , D u r o l , M e l l i t h o l usw.) und sich daher besonders leicht in ein Kristallgitter einordnen, beobachtet man jeweils relativ h o h e S c h m e l z p u n k t e , die weit über denen der entsprechenden n-Paraffine liegen, während bei u n r e g e l m ä ß i g e r S u b s t i t u t i o n , insbesondere bei den M o n o s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e n und Verbindungen mit m - s t ä n d i g e n Gruppen ( T o l u o l , m - X y l o l , I s o d u r o l usw.) besonders t i e f liegende Schmelzpunkte auftreten, die die Schmelzpunkte der n-Paraffine gleicher Kohlenstoffzahl z. T. sogar u n t e r s c h r e i t e n . Schließlich bewirkt der Übergang von der starr an den Benzolkern gebundenen M e t h y l - zu der infolge der freien Drehbarkeit um die C—C-Bindung(en) bereits beweglicheren Ä t h y l - oder gar P r o p y l g r u p p e trotz der Molekülvergrößerung ebenfalls eine S c h m e l z p u n k t s s e n k u n g . ') Zusammenstellung physikalischer Eigenschaften: A. W. FRANCIS: Chem. Rev. 42, 107 (1948). 9*
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
132
Auch hinsichtlich der L ö s l i c h k e i t s e i g e n s c h a f t e n ergeben sich einige g r a d u e l l e U n t e r s c h i e d e gegenüber den Paraffinen. Z. B. ist bei grundsätzlich ebenfalls l i p o p h i l e r und h y d r o p h o b e r Natur das allgemeine Lösungsvermögen bereits m e r k l i c h g e s t e i g e r t , so daß die aromatischen Kohlenwasserstoffe eine wesentlich g e r i n g e r e S e l e k t i v i t ä t aufweisen als die Paraffine gleicher Kohlenstoffzahl. Auch die h y d r o p h o b e N a t u r ist nicht mehr ganz so stark ausgeprägt und man kann z. B. bereits bis zu 1% W a s s e r in Benzol auflösen. Da dieses bei Zusatz von P a r a f f i n e n (Benzin) wieder ausfällt, ruft es zuweilen Störungen bei Treibstoffgemischen hervor. Die chemischen Reaktionen der aromatischen Kohlenwasserstoffe lassen sich in zwei scharf voneinander getrennte Gruppen unterteilen: 1. die Umsetzungen des K e r n s und 2. die der S e i t e n k e t t e n . Zu 1. Die Reaktionsfähigkeit des Kerns ist ausschließlich durch die d r e i g e s c h l o s s e n k o n j u g i e r t e n D o p p e l b i n d u n g e n bedingt, deren gegenseitige Beeinflussung infolge dieser geschlossenen Konjugation b e s o n d e r s s t a r k ist, so daß der olefinische Charakter fast v ö l l i g v e r s c h w i n d e t und man zweckmäßig von einem n e u a r t i g e n B i n d u n g s s y s t e m , eben dem aromatischen System spricht. Zum besseren Verständnis der R e a k t i o n s f ä h i g k e i t dieses a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s s y s t e m s ist es erforderlich, sich die auf S. 124 bereits erwähnte Tatsache ins Gedächtnis zurückzurufen, daß das Benzolsystem infolge der bei seiner Bildung frei werdenden A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e um 36 kcal e n e r g i e ä r m e r ist als das Doppelbindungssystem des Cycloh e x a t r i e n s mit der r e i n e n KEKUL£-Struktur. Die Benzoldoppelbindung ist daher um d u r c h s c h n i t t l i c h 12 kcal stabiler als die olefinische, und mindestens um diese 12 kcal pro Doppelbindung müssen alle a r o m a t i s c h e n Anlagerungsreaktionen w e n i g e r e x o t h e r m sein als die entsprechenden a l i p h a t i s c h e n R e a k t i o n e n . Die Verhältnisse liegen in Wirklichkeit für die Anlagerungsreaktionen des Benzols sogar n o c h u n g ü n s t i g e r , da man das aromatische Bindungssystem a l s G a n z e s betrachten muß, das bereits bei der Absättigung der e r s t e n D o p p e l b i n d u n g aufgehoben wird. Infolgedessen vermindert sich die Reaktionswärme bereits für die erste Phase der Anlagerungsreaktion um nahezu die volle A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e von 36 kcal (genau um die Differenz der A r o m a t i s i e r u n g s e n e r g i e und der K o n j u g a t i o n s e n e r g i e des bei der Anlagerung entstehenden C y c l o h e x a d i e n d e r i v a t e s ) , und die Absättigung der beiden andern Doppelbindungen geht dann mit einer ähnlichen Wärmetönung vor sich wie in der a l i p h a t i s c h e n Reihe. Diese Gesetzmäßigkeit geht sehr schön aus den von G. B. KISTIAKOWSKY 1 ) experimentell bestimmten Hydrierungswärmen der w i c h t i g s t e n D o p p e l b i n d u n g s a r t e n hervor: Bindungstypus cis-disubstituierte aliphatische Doppelbindung Cyclohexen Cyclohexadien (Durchschnitt) Benzoldoppelbindung (Durchschnitt) einfache C—C-Bindung (aliphatisch) erste aromatische Doppelbindung
Hydrierungswärme in kcal pro hydrierte Bindung — 28,6 kcal2) -28,6 „ — 27,7 „ —16,6 ,. — 9,6 „ + 5,6 „
Danach wird bei der Hydrierung der e r s t e n aromatischen Doppelbindung durch die zur Aufhebung des aromatischen Systems erforderliche E n e r g i e z u f u h r die große Hydrierungswärme der aliphatischen und alicyclisehen C=C-Doppelbindungen ü b e r k o m p e n Am. Soc. 57, 876; 58, 146 (1935/36). ) E x o t h e r m e Reaktionen verlaufen vom System aus gesehen unter W ä r m e a b g a b e , zeigen also eine n e g a t i v e und e n d o t h e r m e Reaktionen entsprechend eine p o s i t i v e Reaktionswärme. 2
133
III, 2: Die Reaktionen des aromatischen Kerns
siert und die Reaktion s c h w a c h e n d o t h e r m . Sie steht damit energetisch selbst hinter der Hydrierung der wesentlich beständigeren e i n f a c h e n C—C-Bindung noch weit zurück.
Auf diesen außerordentlichen Widerstand des Benzolkerns gegen die Aufhebung der e r s t e n Doppelbindung ist in erster Linie das Verhalten der aromatischen Kohlenwasserstoffe zurückzuführen. Er bewirkt, daß sich das Benzol Anlagerungsr e a k t i o n e n gegenüber ähnlich, jedoch in noch viel stärkerem Maße r e a k t i o n s t r ä g e verhält wie die m i t t e l s t ä n d i g e n C-Atome in einem aliphatischen konj u g i e r t e n S y s t e m . Ist aber einmal ein primäres Additionsprodukt gebildet, so zeigt dieses, da es kein B e n z o l s y s t e m mehr enthält, die normale R e a k t i o n s f ä h i g k e i t eines aliphatischen Polyolefins, d. h. es reagiert unter den relativ scharfen Bedingungen der Primärreaktion meistens s o f o r t weiter unter Absättigung auch der andern Doppelbindungen. Man kann infolgedessen mit ganz wenigen Ausnahmen die primären Addukte n i c h t f a s s e n , sondern erhält sofort das vollständig abgesättigte Cyclohexanderivat: H
H /
H —
v + c u
/
01
H
\ \ = A h /
\
C1 H C1 H
—
+2ci'
>
C l / ^ ^ - ^ H H
C1H C1
Grundsätzlich anders verhält sich Benzol dagegen bei S u b s t i t u t i o n s r e a k t i o n e n , da diese unter E r h a l t u n g bzw. R e g e n e r i e r u n g des a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s s y s t e m s verlaufen. Hier wird infolgedessen die Reaktionswärme gegenüber der entsprechenden Olefinreaktion n i c h t h e r a b g e s e t z t , sondern man beobachtet wegen der nur zeitweisen Auflockerung des aromatischen Systems in den intermediär durchlaufenen aktiven Grenzstrukturen lediglich eine E r h ö h u n g der A k t i v i e r u n g s e n e r g i e und damit eine Verlangsamung der R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t (vgl. z . B . II, Kap. 4, II, la), so daß man etwas s c h ä r f e r e R e a k t i o n s b e d i n g u n g e n als in der Olefinreihe wählen muß. So erfolgt z. B. die Chlorierung des B e n z o l k e r n s mit elementarem Chlor, das sich mit Olefinen spontan umsetzt, erst in Gegenwart von Aluminiumchlorid und verwandten Katalysatoren. Wir beobachten infolge dieser Verhältnisse bei den aromatischen Kohlenwasserstoffen gegenüber den Olefinen bei allgemeiner Herabsetzung der Reaktionsgeschwindigkeit eine starke Zunahme der Neigung zu (fast ausschließlich elekt r o p h i l e n , vgl. S. 90) Substitutionsreaktionen, die hier den bei weitem überwiegenden Reaktionstypus darstellen, und ein fast völliges Z u r ü c k t r e t e n der Anlagerungsreaktionen. Gleichzeitig bewirkt die verminderte Additionsfähigkeit eine auffallende S t a b i l i t ä t des Benzolkerns »gegenüber O x y d a t i o n s - und sonstigen A b b a u r e a k t i o n e n . a) Additionsrcaktionen. Von den zahlreichen bei den Olefinen beschriebenen Anlagerungsmöglichkeiten hat lediglich die k a t a l y t i s c h e Hydrierung des Benzolkerns eine gewisse praktische Bedeutung erlangt. Sie erfordert im allgemeinen gegenüber der Hydrierung einer aliphatischen Doppelbindung e r h ö h t e T e m p e r a t u r e n oder a k t i v e r e K a t a l y s a t o r e n , so daß eine g e t r e n n t e H y d r i e r u n g beider Bindungsarten immer möglich ist. Doch sind die Unterschiede im ganzen nicht sehr erheblich, so daß wir in der Hydrierung aromatischer Verbindungen heute den einfachsten Weg zur Gewinnung des C y c l o h e x a n s und seiner Derivate (I, Kap. I I , I, 2d) vor uns haben, die durch diese Methode überhaupt erst leicht zugängliche Verbindungen geworden sind.
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
134
Chlor und Brom benötigen dagegen bereits erheblich s c h ä r f e r e Bedingungen als in der aliphatischen Reihe, um an die Doppelbindungen des Benzolringes angelagert werden zu können, und zwar erfolgt die Reaktion eigenartigerweise nur unter der aktivierenden Wirkung von U l t r a v i o l e t t - oder Sonnenbestrahlung. Diese Auslösung der Reaktion durch Belichtung spricht für eine intermediäre Bildung von freien Radikalen (Näheres vgl. II, Kap. 4, II, 3ay). Die Reaktion kann deshalb nicht unmittelbar mit der elektrophilen Halogenaddition an Olefine (S. 90f.) verglichen werden. Als Reaktionsprodukt erhält man stets ein Gemisch der verschiedenen stereo-isomeren Hexahalogen-cyclohexane, da die Addition des Halogens an die Doppelbindungen sterisch nicht einheitlich verläuft. Von den übrigen Anlagerungsreaktionen ist, abgesehen von der bereits zu den Abbaureaktionen zählenden Ozonidbildung (s. unten), lediglich die Anlagerung des Diazoessigesters zum Norcaradien-carbonsäureester (I; auch Pseudo-phenylessigester genannt) hervorzuheben (Näheres vgl. I, Kap. 6, III, 1 a):
A %/
+ N2CH—COOR
-n
/ r>CH—COOR, \ 1 V
die als einzige Reaktion dieser Gruppe bereits nach Absättigung der ersten Doppelbindung stehen bleibt.
b) Die aromatische Substitution ist als w i c h t i g s t e r R e a k t i o n s t y p u s des a r o m a t i s c h e n B i n d u n g s s y s t e m s gleichzeitig von außerordentlicher praktischer Bedeutung, weil sie das H a u p t e i n f a l l s t o r darstellt, durch das man von den Kohlenwasserstoffen des Steinkohlenteers ausgehend präparativ und technisch zu fast allen gebräuchlichen aromatischen Verbindungen gelangt. Die wichtigsten dieser Substitutionsreaktionen werden daher vielfach auch als die Grundreaktionen der organischen Chemie bezeichnet. Diese Grundreaktionen, auf die im einzelnen erst später näher eingegangen wird, sind: oc) die Nitricrung, die in der aromatischen Reihe fast ausschließlich mit N i t r i e r s ä u r e (Salpeter-Schwefelsäure) durchgeführt wird (näheres vgl. I, Kap. 6, IV, 1): Ar—H + HO—N02
>- Ar—N02 + HaO
Ihre Bedeutung liegt darin, daß man die Nitrogruppe über die Amino- und Diazogruppe durch nahezu sämtliche wichtigen anderen Substituenten ersetzen kann, worauf wir in I, Kap. 6, IV, 1 noch näher eingehen werden. ß ) die Sulfonierung, die in der aromatischen Reihe hauptsächlich mit konzent r i e r t e r oder gar r a u c h e n d e r S c h w e f e l s ä u r e geschieht (vgl. I, Kap. 7, II, 1): Ar—II
HO—S03II
v Ar—S03H + H 2 0
Auch hier kann man in s e k u n d ä r e r R e a k t i o n die Sulfonsäuregiuipipe gegen zahlreiche andere Substituenten a u s t a u s c h e n (I, Kap. 7, II, 1). y) die Halogenierung, die mit Ausnahme der Jodierung in der aromatischen Reihe durch Katalysatoren, wie z. B. die E i s e n h a l o g e n i d e , A l u m i n i u m c h l o r i d usw., beschleunigt werden muß (vgl. S. 152): Ar—H + Cl—C1
TTAPI
' > Ar—C1 +HCl
III, 2: Die Reaktionen des aromatischen Kerns
135
Die hierbei entstehenden a r o m a t i s c h e n H a l o g e n v e r b i n d u n g e n traten früher an Bedeutung hinter den Nitrokörpern und Sulfonsäuren zurück, doch ist es in neuerer Zeit gelungen, auch von ihnen aus zu zahlreichen anderen aromatischen Verbindungen zu gelangen (vgl. S. 174). Zu diesen drei eigentlichen Grundreaktionen gesellt sich : (5) als vierte wichtige Substitutionsmöglichkeit die bereits auf S. 129 erwähnte Synthese von Friedel und Crafts, die wegen der möglichen N e b e n r e a k t i o n e n (s. oben) ihr hauptsächliches Anwendungsgebiet weniger in der Darstellung von K o h l e n w a s s e r s t o f f e n gefunden hat, sondern in erster Linie zur Gewinnung von K e t o n e n dient, die bei der Einwirkung der reaktionsfähigeren S ä u r e Chloride entstehen (vgl. S. 282): Ar—H + Cl—CO-R
Alcl
' > Ar—CO—R + HCl
In Spezialfällen kann man die Methode auch auf die Darstellung von A l d e h y d e n (S. 269) und C a r b o n s ä u r e d e r i v a t e n (S. 322) ausdehnen. Auch die auf S. 130 beschriebenen, der FRIEDEL-CRAFTS sehen Synthese ähnlich verlaufenden Kondensationsreaktionen zwischen a r o m a t i s c h e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n und Alkoh o l e n lassen sich bei geeigneter Variation der Versuchsbedingungen nicht nur zum Aufbau von Kohlenwasserstoffen, sondern auch zur Synthese anderer a r o m a t i s c h e r Verbind u n g e n verwerten. So treten z. B. bei der Einwirkung von P a r a f o r m a l d e h y d (S. 261) und Salzsäure in Gegenwart von Z i n k c h l o r i d eine oder auch zwei Chlormethylgruppen in den Benzolkern ein. Als eigentliches aktives Agens fungiert hierbei wahrscheinlich das aus Formaldehyd und Salzsäure intermediär entstehende M e t h y l e n c h l o r h y d r i n : H 2 C = 0 + HCl
Cl—CII2—-OH + H
~J ) >
Z C
" '' >
Cl-CHa-
Methylenchlorhydri n
Ferner gehört die Kondensation der P h e n o l e (S.233f.) und a r o m a t i s c h e n Amine (I; Kap. 6 I, 3a) mit A l d e h y d e n und K e t o n e n , die allerdings zu einer Substitution des g e s a m t e n Car b o n y l s a u e r s t o f f s durch zwei aromatische Reste führt, diesem Reaktionstypus an.
Trotz des formal gleichartigen Reaktionsverlaufes weicht der M e c h a n i s m u s all dieser Substitutionsreaktionen grundsätzlich von dem der P a r a f f i n s u b s t i t u t i o n ab und steht in naher Beziehung zur elektrophilen o l e f i n i s c h e n Subs t i t u t i o n und auch A d d i t i o n . Auf Einzelheiten dieses Mechanismus kann erst in II, Kap. 4, II, 3 b « näher eingegangen werden. Ist in dem zu substituierenden Kern bereits ein Substituent enthalten, so entstehen bei der Einführung des zweiten Liganden nicht alle drei möglichen Disubstitutionsprodukte in gleicher Menge nebeneinander, sondern eines oder auch zwei von ihnen werden b e v o r z u g t gebildet. Hierbei beobachtet man nach A. F. H O L L E M A N die folgenden, in II, Kap. 4, III, 1 auch theoretisch begründeten Substitutionsregeln: Der bereits vorhandene Substituent übt eine d i r i g i e r e n d e W i r k u n g auf den E i n t r i t t s o r t des z w e i t e n S u b s t i t u e n t e n aus, und man kann die verschiedenen Substituenten auf Grund dieser dirigierenden Wirkung in zwei sich d i a m e t r a l g e g e n ü b e r s t e h e n d e G r u p p e n unterteilen. Zur ersten Gruppe, den Substituenten erster Ordnung, gehören sämtliche A l k y l r e s t e , d i e H y d r o x y - und A m i n o g r u p p e , die H a l o g e n e , die N i t r o s o - , Azo-und—SR-Gruppe sowie eine Reihe weiterer, weniger wichtiger Substituenten. Mit Ausnahme der H a l o g e n e
136
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
(vgl. II, Kap. 4, III, 1) beschleunigen, sie die Substitutionsreaktion gegenüber dem B e n z o l als Vergleiehssubstanz und dirigieren den zweiten Substituenten stets überwiegend in die ooder p - S t e l l u n g . Hierbei wird im allgemeinen bei t i e f e r T e m p e r a t u r die o - u n d bei höherer Temperatur die p - S u b s t i t u t i o n begünstigt,doch kann man hinsichtlich dieser beiden Möglichkeiten niemals strenge Voraussagen machen. Zur zweiten Gruppe, den Substituenten zweiter Ordnung, gehören vor allem die N i t r o - , die S u l f o - , die C a r b o n y l - und die C a r b o x y l g r u p p e sowie der q u a r t ä r e A m m o n i u m s t i c k s t o f f . Sie v e r l a n g s a m e n gegenüber dem Benzol die Substitutionsgeschwindigkeit und lenken den zweiten Substituenten überwiegend in die m - S t e l l u n g . Nur wenige Substituenten, wie etwa die —CHCl a -Gruppe sind schließlich nahezu o h n e jede dirigierende Wirkung.
Diese Substitutionsregeln sind von großer praktischer Bedeutung, da jede ihnen zuwiderlaufende Reaktion meistens außerordentliche Schwierigkeiten bereitet, so daß einerseits zwar das lästige Auftreten schwer trennbarer Isomerengemische bis zu einem gewissen Grade v e r m i e d e n wird, andererseits aber auch zahlreiche Verbindungen, wie etwa o- und p-Dinitrobenzol (I, Kap. 6, IV, 3), nur auf U m w e g e n oder mit g e r i n g e n A u s b e u t e n dargestellt werden können. Wenn trotzdem die Gewinnung der meisten Disubstitutionsprodukte des Benzols relativ leicht vor sich geht, so ist dies nur auf den g ü n s t i g e n U m s t a n d zurückzuführen, daß sowohl die kohlenstoff- als auch die stickstoffhaltigen Reste in der r e d u z i e r t e n F o r m (—CH 3 und —NH 2 ) zur e r s t e n und in der o x y d i e r t e n F o r m (—COOH und —N0 2 ) zur z w e i t e n Substituentengruppe gehören. Man kann also je nachdem, ob man v o r oder n a c h der Reduktion der Nitro- zur Aminogruppe, bzw. ob man v o r oder n a c h der Oxydation des Toluols zur Benzoesäure die weitere Substitution vornimmt, alle möglichen Disubstitutionsprodukte erhalten. c) Abbaureaktionen. Der Abbau des Benzolringes unter wenigstens t e i l w e i s e r E r h a l t u n g des K o h l e n s t o f f g e r ü s t e s bereitet ziemliche Schwierigkeiten und wird praktisch auch kaum durchgeführt, da der Benzolkern selbst keine durch klassische organische Reaktionen aufklärbaren Konstitutionsprobleme mehr bietet. Immerhin ist Benzol gegen s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l nicht absolut widerstandsfähig und kann mit Hilfe der folgenden Methoden p a r t i e l l abgebaut werden: - / Erhitzen \
Y_C=C—H /
Zusammenfassung über die Chemie des S t y r o l s : W. S. 347 (1949).
EMERSON:
Chem. Rev. 45, 183,
I I I , 3: Kohlenwasserstoffe mit mehreren Benzolkernen
143
und zeigt chemisch durchaus das e r w a r t e t e V e r h a l t e n . Insbesondere entstehen bei der Einwirkung von a m m o n i a k a l i s c h e r S i l b e r - und K u p f e r ( I ) - s a l z l ö s u n g die f ü r Verbindungen mit AcetylenWasserstoff charakteristischen s c h w e r l ö s l i c h e n S c h w e r m e t a l l d e r i v a t e , und die Anlagerung von W a s s e r f ü h r t auch hier im Sinne der Regel von MARK O W N I K O W zum K e t o n , dem A c e t o p h e n o n (S. 283): O C=CH + H20
•
C—CHS
Eine gewisse Steigerung der Reaktionsfähigkeit der dreifachen Bindung gegenüber dem A c e t y l e n äußert sich darin, daß hier die Wasseraufnahme bereits mit Schwefelsäure allein, also o h n e Z u s a t z v o n Q u e c k s i l b e r s a l z e n vor sich geht. 3. Kohlenwasserstoffe mit mehreren, nicht kondensierten Bcnzolkernen D i e Eigenschaften der Kohlenwasserstoffe mit m e h r e r e n B e n z o l k e r n e n im Molekül hängen weitgehend v o n deren g e g e n s e i t i g e m A b s t a n d ab, so daß m a n sie zweckmäßig nach diesem Abstand unterteilt. a) K o h l e n w a s s e r s t o f f e m i t d i r e k t v e r b u n d e n e n
Benzolkernen
D i e direkte Verknüpfung mehrerer Benzolkerne führt m a n a m besten m i t H i l f e der W u B T z - F i T T i a s c h e n S y n t h e s e durch: \ = /
\ = /
J
\ = /
— 2 KaBr
— 2 Na J
\
\
=
=
/
/ \ Diphenyl \
=
/
/ \ = / Quaterphenyl
=
\
=
/
A u c h mit K u p f e r kann m a n das Halogen herausspalten 1 ) (UllmANN-Reaktion). Daneben hat M. BUSCH (1929) eine sehr interessante z w e i t e M e t h o d e entwickelt, die im Prinzip an die Gewinnung der h ö c h s t g l i e d r i g e n P a r a f f i n e (S. 80) erinnert. Danach wird p - D i b r o m b e n z o l mit Hydrazin als W a s s e r s t o f f q u e l l e in Gegenwart eines H y d r i e r u n g s k a t a l y s a t o r s behandelt. Hierbei übernimmt der W a s s e r s t o f f die Rolle des M e t a l l s bei der WuRTZSchen S y n t h e s e und verknüpft in noch nicht näher bekannter Weise unter Herausspaltung von B r o m w a s s e r s t o f f die Benzolkerne zu einem G e m i s c h v e r s c h i e d e n l a n g e r K e t t e n m o l e k ü l e , das sich im allgemeinen leicht trennen läßt: B rr — f^
Br + H j + j B + r— B \r — B Br r + HHi j ++ BBr r~—\ ^
REDUK
"°" >
Y
Br Br++ HH2 ,++ BBr r^ f^
%—Br
\
Auf diese Weise sind bereits Kohlenwasserstoffe mit bis zu 16 a n e i n a n d e r g e r e i h t e n B e n z o l r i n g e n hergestellt worden. Geht man bei dieser Reaktion von m - D i b r o m b e n z o l aus, so kann man in analoger Weise auch Kohlenwasserstoffe gewinnen, deren Benzolringe in m - S t e l l u n g miteinander verknüpft sind. l
) Zusammenfassung: P. E. FANTA: Chem. Rev. 38, 139 (1946).
144
Kap. 2: Die Kohlenwasserstoffe
Die Benennung dieser eigenartigen Kohlenwasserstoffe erfolgt in der Weise, daß man die Zahl der miteinander verknüpften Benzolringe als l a t e i n i s c h e s (nicht wie sonst üblich als griechisches) Zahlwort vor den Radikalnamen P h e n y l setzt, so daß man die Namen T e r p l i e n y l , Q u a t e r p h e n y l , Quinquephenyl und S e x a p h e n y l für die Kohlenwasserstoffe mit 3—6 Benzolringen erhält. Für das Anfangsglied der Reihe mit zwei Benzolkernen ist jedoch immer noch die aus dem Griechischen abgeleitete Bezeichnung B i p h e n y l in Gebrauch. Diphenyl, vielfach im Sinne der angegebenen Nomenklatur auch Biphenyl genannt, entsteht außer durch WuRTzsche Synthese auch beim Leiten von B e n z o l dämpfen durch ein glühendes R o h r , eine Reaktion, der wir in verschiedenen Variationen noch des öfteren begegnen werden (vgl. z. B. I, Kap. 12, I I I , 4): 2
Weitere nichtige Bildungsweisen des D i p h e n y l s y s t e m s , die allerdings nur für die Darstellung seiner D e r i v a t e von Bedeutung sind, werden wir später in der B e n z i d i n u m l a g e r u n g (I, Kap. 6, II, 5b) und der d e h y d r i e r e n d e n Verknüpfung zweier Benzolkerne in p-Stellung zu Amino- (I, Kap. 12, III, 4) und in selteneren Fällen auch Oxygruppen kennenlernen.
Diphenyl selbst ist ohne Bedeutung geblieben. Es spielt jedoch als Muttersubstanz zahlreicher t e c h n i s c h e r F a r b s t o f f e (vgl. z. B. III, Kap. 2, VI, 2) eine gewisse Rolle. Ferner zeigen einige seiner Derivate eine interessante M o l e k u l a r a s y m m e t r i e (II, Kap. 7,1, ldy). Die h ö h e r e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e der p - R e i h e sind vor allem s t e r i s c h von Interesse, da sie infolge der ungewinkelten Verknüpfung der Benzolringe s t a r r e S t a b m o l e k ü l e darstellen und damit charakteristische p h y s i k a l i s c h e E i g e n s c h a f t e n , insbesondere anomal hohe Schmelz- und in geringerem Ausmaß auch S i e d e p u n k t e aufweisen. Ferner zeigen sie gegenüber den Kohlenwasserstoffen der m - R e i h e interessante Unterschiede hinsichtlich der M e s o m e r i e v e r h ä l t n i s s e , worauf wir in II, Kap.3,IJI,le noch näher eingehen werden.
b) Die P o l y p h e n y l m e t h a n e Sind die Benzolkerne durch ein C-Atom getrennt, so kommen wir zu den Aryld e r i v a t e n des Methans. Sie zeichnen sich gegenüber den normalen aromatischen Kohlenwasserstoffen vor allem durch eine stark gesteigerte Reaktionsfähigkeit des am Methankohlenstoff noch befindlichen W a s s e r s t o f f s aus, die wir in ihren Allfängen bereits beim einfachsten Phenylmethan, dem T o l u o l , als besondere A k t i v i t ä t des B e n z y l k o h l e n s t o f f s (S. 137) kennengelernt haben. Diphenylmcthan kann nach F r i e d e l - C b a f t s durch Einwirkung von Methylenchlorid auf zwei Mol, oder von B e n z y l c h l o r i d auf ein Mol B e n z o l , sowie schließlich auch aus B e n z y l a l k o h o l und B e n z o l in Gegenwart von Schwefelsäure erhalten werden:
Methylcnchlorld
c x