Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preussen: Band 3 (1919–1945) [Reprint 2021 ed.] 9783112472989, 9783112472972


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German Pages 390 [392] Year 1986

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Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preussen: Band 3 (1919–1945) [Reprint 2021 ed.]
 9783112472989, 9783112472972

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LAGE UND KAMPF DER L A N D A R B E I T E R IM O S T E L B I S C H E N (1919-1945) BAND 8 / I I I

PREUSSEN

ARCHIVALI SC H E F O R S C H U N G E N ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN ARBEITERBEWEGUNG V E R Ö F F E N T L I C H T VOM Z E N T R A L I N S T I T U T F Ü R

GESCHICHTE

DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER

DDR

H E R A U S G E G E B E N VON PROF. DR. DR. H. C. MULT. LEO S T E R N ( f )

BAND 8 / I I I

LAGE UND KAMPF DER LANDARBEITER IM OSTELBISCHEN P R E U S S E N (1919-1945) BAND III

Quellen

E I N L E I T U N G , AUSWAHL UND BEARBEITUNG: ROSWITHA BERNDT

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1985

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR -1086 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1985 Lizenznummer: 202 . 100/87/85 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckhaus „Maxim Gorki", 7400 Altenburg Bestellnummer: 2127/8/III (754 378 2) LSV 0265 05800

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen I. Einleitung: Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preußen (1919-1945)

VII XI

1. Die Kämpfe der Landarbeiter in der Novemberrevolution und der revolutionären Nachkriegskrise XIII 2. Zur rechtlichen Stellung und sozialen Lage der Landarbeiter in der Weimarer Republik XXVII 3. Die gewerkschaftlichen Organisationen der Landarbeiter XLI 4. Der Kampf der KPD um die Gewinnung der Landarbeiter LIV 5. Lage und Kämpfe der Landarbeiter unter der faschistischen Diktatur LXVI 6. Die Organisierung des antifaschistischen Widerstandes auf dem Lande durch die KPD und ihre agrarpolitische Konzeption 1933-1945 LXXXI II. Quellen 1. Thematische Gliederung der Quellen 2. Verzeichnis der Dokumente in zeitlicher Reihenfolge . . 3. Abkürzungsverzeichnis 4. Dokumententeil III. Register 1. Sachregister 2. Geographisches Register 3. Personenregister

1 3 4 11 13 291 293 296 300

Vorbemerkungen

Die vorliegende Quellensammlung stellt sich — zusammen mit der Einleitung — die Aufgabe, Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preußen für die Zeit von 1919 bis 1945 in ihrer wirtschaftlichen, sozialund organisationspolitischen Verflechtung auf möglichst engem Raum zu dokumentieren. Sie setzt die bereits vorliegenden zwei Bände von H. Hübner und H. Käthe zu „Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preußen (Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Novemberrevolution 1918/19)", Berlin 1977, für die Anfangsperiode der Epoche des Ubergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus fort und möchte Lehrenden und Studierenden sowie historisch Interessierten Materialien in die Hand geben, die anschaulich die Haupttendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung für diesen speziellen Bereich der Agrar- bzw. politischen Geschichte belegen. Die Schriftstücke wurden aus einer Fülle von Archivmaterial — besonders des Zentralen Staatsarchivs der DDR, Potsdam und Merseburg, des Zentralen Parteiarchivs des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, und des Wojewodschaftsarchivs Opole, Volksrepublik Polen — und zeitgenössischen Dokumenten ausgewählt. Vollständigkeit konnte dabei nicht erreicht werden. Zur Wahrung der Chronologie und des logischen Zusammenhangs wurden auch bereits in anderen Quellensammlungen publizierte Stücke aufgenommen. Die Bearbeiterin war bemüht, sowohl die Strategie und Taktik der herrschenden Klasse in bezug auf herkömmliche und neuartige Methoden zur Unterdrückung, Ausbeutung und Integration der Landarbeiter als auch die vielfältigen Mittel ihres Kampfes in politisch und ideologisch unterschiedlich ausgerichteten Organisationen zu demonstrieren. Besonderer Wert wurde auf die Herausarbeitung der Haltung der KPD zur Landarbeiterproblematik gelegt und diese Frage sowohl von ihrer theoretisch-konzeptionellen als auch praktischen Seite her verfolgt. Aus Raummangel unterblieb eine Kommentierung der abgedruckten Quellen. Der Einleitung, die die Dokumente in möglichst breitem Umfang einbezieht, liegen die marxistisch-leninistischen Gesamtdarstellungen zur deutschen Geschichte für die Jahre 1919-1933 und 1933—1945 zugrunde, so besonders der Abriß „Klassenkampf — Tradition — Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der

VIII entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik", Berlin 1979, u n d die u n t e r F e d e r f ü h r u n g von V. K l e m m h e r ausgegebene „Agrargeschichte. Von den bürgerlichen A g r a r r e f o r m e n zur sozialistischen Landwirtschaft in der DDR", Berlin 1978. Es w u r d e nicht n u r der gegenwärtige L i t e r a t u r - und Forschungsstand zu Einzelfragen berücksichtigt, sondern auch versucht, die gestellte Thematik überblicksartig zu erfassen. Grundlage d a f ü r boten die Bände 3 bis 5 der achtbändigen „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", Berlin 1966, die dreibändige „Wirtschaftsgeschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland vom Ende des 19. J h . bis 1945", Berlin 1978 ff. — die erstmalig umfassend auch die Landwirtschaft einbezieht —, u n d Band 5 der Studien J. Kuczynskis zur „Geschichte des Alltags des deutschen Volkes", Berlin 1982. D a r ü b e r hinaus zog die Bearbeiterin die in den letzten zwei J a h r z e h n t e n erschienenen a g r a r - bzw. parteigeschichtlich orientierten Dissertationen heran, die — zum Teil in Studien u n d Artikeln verarbeitet — vor allem regionales Material über Lage u n d Kampf der Landarbeiter enthalten, so aus den ehemaligen preußischen Provinzen Sachsen u n d B r a n d e n b u r g sowie Teilen Mecklenburgs. F ü r die heute auf dem Gebiet der Volksrepublik Polen liegenden preußischen Landesteile P o m m e r n , Schlesien u n d Ostp r e u ß e n existieren ebenfalls vorrangig regionalgeschichtliche Untersuchungen, die — teilweise in Gemeinschaftsarbeit von polnischen u n d DDRHistorikern entstanden — auch Quellenpublikationen (z. B. D o k u m e n t e u n d Materialien zum gemeinsamen Kampf der revolutionären deutschen u n d polnischen Arbeiterbewegung 1918—1939, Berlin-Opole 1977) u n d Erinnerungsberichte (z. B. Wspomnienia opolskich komunistöw, Opole 1978) u m fassen. Zudem h a b e n sich solche polnischen Historiker wie zum Beispiel Cz. Luczak u m die Erforschung u n d Darstellung von Rekrutierung, Lage u n d Kampf polnischer Zwangsarbeiter w ä h r e n d der faschistischen D i k t a t u r in Deutschland verdient gemacht. Trotz der umfangreichen A u f a r b e i t u n g der Geschichte der deutschen Arbeiter- u n d Gewerkschaftsbewegung in solchen Werken wie „Geschichte des FDGB", Berlin 1982, zeigt sich, daß Entwicklung u n d Rolle der Einzelgewerkschaften noch der Untersuchung bedürfen. Die Landarbeiterproblematik weist auch auf Forschungslücken f ü r die Bereiche Sozialpolitik u n d Arbeits- und Lebensweise der u n t e r d r ü c k t e n Klasse auf dem Lande f ü r den gesamten Zeitraum von 1919 bis 1945 hin. Der internationale Forschungsstand w u r d e einmal ü b e r die Arbeiten der sowjetischen Historikerin M. I. Orlowa zur Agrarpolitik der K P D u n d die erreichbaren polnischen Publikationen erfaßt, zum anderen auch durch die kritische V e r a r b e i t u n g nichtmarxistischer Literatur. J ü n g e r e Historiker der BRD (z. B. J . Flemming, M. Schumacher) stellten in ihren vorrangig auf den Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik konzentrierten

IX Untersuchungen besonders die taktisch variierten sozialpolitischen Praktiken des ostelbischen Großgrundbesitzes heraus, ohne dessen langfristige konterrevolutionäre Strategie genügend zu beachten. Abhandlungen zu den Landarbeitergewerkschaften finden sich in bürgerlichen Darstellungen zur Gewerkschaftsbewegung in Deutschland (z. B. M. Schneider, G. Beier, G. Laubscher). Für die faschistische Sozialpolitik bietet das Dokumentenwerk des englischen Historikers T. W. Mason „Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft", Opladen 1975, nach wie vor reichhaltiges Material. Die Edition ist so angelegt, daß die Herkunft der Quelle — auch wenn diese bereits gedruckt vorliegt — jeweils nach der Überschrift (halbfett) zu jedem Stück genannt und gegebenenfalls auch ihr Standort angeführt wird. Da manche Schriftstücke wegen ihres Umfangs nur gekürzt wiedergegeben werden können, sind Eliminierungen durch drei Punkte in Klammern (...) gekennzeichnet, notwendige Ergänzungen werden ebenfalls in Klammern gesetzt. Sperrungen im Original erscheinen im Druck kursiv.

I. Einleitung Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preußen (1919-1945)

1. Die Kämpfe der Landarbeiter in der Novemberrevolution und der revolutionären Nachkriegskrise Die deutsche Novemberrevolution hatte trotz ihrer Niederlage „Millionenmassen in den politischen Kampf einbezogen, wertvolle Kampferfahrungen vermittelt und viele jahrzehnte-, ja jahrhundertealte Vorurteile und Auffassungen ins Wanken gebracht". 1 Das galt auch für das agrarische Ostelbien. Obwohl die Revolution dieses Gebiet anfänglich kaum erfaßte, wurden die Landarbeiter aus ihrer Passivität gerissen, wuchsen ihr revolutionäres Bewußtsein und der Wille zur gewerkschaftlichen Organisation. Es gab Forderungen nach Boden, und es kam zu vereinzelten Landaufteilungen. Mit einiger Verspätung brachen im Frühjahr 1919 in den ländlichen Gebieten Preußens verstärkt Streiks aus. Die Mitgliederzahl des Deutschen Landarbeiter-Verbandes stieg im Laufe des Jahres 1919 auf das 60fache im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 1918.2 Die in der Revolution errungenen und gesetzlich verankerten bürgerlichdemokratischen Rechte und Freiheiten hielten Einzug im preußischen Ostelbien. Dazu gehörten das allgemeine und gleiche Wahlrecht, auch für Frauen, die Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, der Achtstundentag und das Streikrecht. Den Landarbeitern mußten die Aufhebung der feudalen Gesindeordnung und der Ausnahmegesetze bereits am 12. November 1918, eine „Vorläufige Landarbeitsordnung" und eine Verordnung zur Beschaffung von landwirtschaftlichem Siedlungsland im Januar 1919 zugestanden werden. Auch die Landarbeitergewerkschaften konnten Tarifvereinbarungen abschließen und Betriebsräte wählen. Diese Entwicklung vollzog sich in harten Klassenauseinandersetzungen zwischen Revolution und Konterrevolution. Dem Kriegs ausschuß der deutschen Landwirtschaft und den reaktionären landwirtschaftlichen Organisationen, wie dem Bund der Landwirte, war es seit den ersten Tagen der Revolution gelungen, sich des Rätegedankens unter der Bauern- und Landarbeiterschaft zu bemächtigen und ihn demagogisch zu mißbrauchen. 1 Illustrierte Geschichte der deutschen Novemberrevolution, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1978, S. 425. 2 Vgl. H. Hübner, Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preußen (Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Novemberrevolution 1918/19), in: Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. v. L. Stern, Bd. 8/1, Einleitung, Berlin 1977, S. LXVI.

XIV Im Gegensatz zu Rußland hatten die revolutionären Linken im Deutschland bis zur Revolution Landarbeiter und Bauern noch ungenügend als Bündnispartner berücksichtigt. Erst im Laufe der Klassenkämpfe kam es zu gemeinsamen Aktionen. Auf dem Höhepunkt der Revolution war ihr Bündnis zu schwach gegenüber den Vereinbarungen, die Vertreter des agrarischen Konservatismus mit rechtsopportunistischen Führern eingingen. Die konservativen Politiker sahen in der Landbevölkerung die zentralen Adressaten ihrer Politik 3 und nutzten deren Rückständigkeit und jahrzehntelange Bindung an den deutschen Imperialismus und seine politischen Parteien für die Gegenrevolution aus. Demagogisch versuchten säe für den landwirtschaftlichen Bereich etwas Ähnliches anzuregen wie das Arbeitsgemeinschaftsabkommen in der Industrie und fanden willige Partner in den rechten Gewerkschaftsführern. Solche Versuche der Arbeitsgemednschaftspolitik gab es vor allem in der Provinz Sachsen, wo der linke Flügel der USPD auch starken Einfluß in den Dörfern hatte und die Großagrarier sich weit konzessionsbereiter zeigen mußten als in anderen Teilen Preußens. Die wendigsten Gutsbesitzer gaben vorübergehend ihren „Herr-im-Hause"-Standpunkt auf. Als erste landwirtschaftliche Unternehmervertretung in Deutschland vereinbarten die Großagrarier der Provinz Sachsen am 13. Dezember 1918 mit dem sozialdemokratischen Deutschen Landarbeiter-Verband (DLV) und dem Christlich-nationalen Zentralverband der Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter Deutschlands (ab 1920 Zentralverband der Landarbeiter, ZdL) die Bildung einer landwirtschaftlichen „Provinzialarbeitsgemeinschaft" und die Schaffung einei; provinziellen Landarbeitsordnung/' Diese Vereinbarung, mit der Landarbeiterstreiks abgewürgt und dem Landproletariat eine „Mitbestimmung" bei der Regelung seiner Arbeitsund Lebensbedingungen vorgetäuscht werden sollte, bildete die Grundlage für die Ausarbeitung der Vorläufigen Reichs-Landarbeitsordnung vom 24. Januar 1919 und diente 1919 und 1920 als Modell für ähnliche Abkommen in anderen preußischen Provinzen und Ländern der Weimarer Republik. 5 Am Ende des Jahres 1919 gab es neben der Provinz Sachsen in 3 Vgl. Otto Hoetzsch in einer Denkschrift vom 5.11.1918, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VjZ), 1973/3, S. 346. 4 Vgl. Landarbeitsordnung -für die Provinz Sachsen und für Anhalt, Magdeburg 1919 (Dok. Nr. 1, 7); J. Flemming, Landwirtschaftliche Interessen und Demokratie, Bonn 1978, S. 275 ff. 5 Vgl. Dok. Nr. 6; W. Vogler, Die werktätigen Bauern und Landarbeiter in der Novemberrevolution 1918 im Regierungsbezirk Halle-Merseburg und die revolutionäre Agrarpolitik der KPD während der revolutionären Nachkriegskrise, in: Bauern und Landarbeiter im Klassenkampf, hrsg. v. H. Hübner, Halle/S. 1976, S. 82 f.

XV Brandenburg eine solche Provinzialarbeitsgemeinschaft. In der Provinz Sachsen vereinbarten seit Dezember 1918 Kreisarbeitsgemeinschaften die Tarife für die Landarbeiter. Die konterrevolutionäre Verfälschung des Rätegedankens, wie sie seit November 1918 in allen preußischen Provinzen durch junkerlich-konservative Kreise betrieben wurde, trug wesentlich zur reaktionären Lösung der Machtfrage in der Novemberrevolution bei. Der Aufbau der „Räteorganisation" auf dem Lande von oben nach unten (Reichs-, Provinz-, Bezirks-, Kreis- und Orts-Bauern- und Landarbeiterrat) sollte die Rätebewegung „in ruhigen, gesetzlichen Bahnen" halten und einen Keil zwischen die Bauernräte auf der einen und die Arbeiter- und Soldatenräte auf der anderen Seite treiben.6 Die rechten Führer der SPD und des DLV, besonders Otto Braun und Georg Schmidt, unterstützten mit Parolen wie „Sicherung der Volksernährung" und „Überlegenheit des Großbetriebs" die Erhaltung des junkerlichen Eigentums und damit den weiteren politischen Einfluß des Großgrundbesitzes. Otto Braun, Landwirtschaftsminister in der neuen, am 12. November 1918 gebildeten preußischen Regierung, verstand sich später mit der Gloriole eines „Landarbeiterministers" zu umgeben. Diese Geschichtsfälschung hielt sich bis in bürgerliche Untersuchungen der Gegenwart.7 Was Braun zwischen 1919 und 1921 an neuen Siedlerstellen durch Gewinnung von Ödland und Moorkultivierung schuf, hatte mit einer demokratischen Bodenreform nichts zu tun. Vielmehr stimmte er mit der Reaktion darin überein, die „sehr große Gefahr des Bolschewismus" auf dem Lande zu bekämpfen.8 In seinen, 1940 in der Schweizer Emigration geschriebenen Memoiren hat Braun den Verrat zu rechtfertigen gesucht: daß der Ruf nach Enteignung des Großgrundbesitzes zwar „nach großen Kriegen und revolutionären Bewegungen meist akut" werde und „stürmisch nach Befriedigung" dränge, „die Bewegung der Landhungrigen" aber „ganz unbillige, volkswirtschaftlich nicht zu vertretende Forderungen erhoben" hätte. „Diesen habe ich widerstrebt", schrieb Braun, „was mir auch aus den Reihen der Linksparteien heftige Angriffe eintrug. Dort wurde oft die restlose Zer-

6 Vgl. Aus revolutionären

Tagen ...

(Erlebnisberichte aus der Zeit der deut-

schen Novemberrevolution 1918), hrsg. v. d. Bezirkskommission zur E r f o r schung der Geschichte der Arbeiterbewegung

bei der Bezirksleitung

der

SED, Halle/S., o. O., o. J., S. 75. 7 Vgl. z. B. H. Schulze,

Otto Braun oder Preußens demokratische

Sendung,

W i e n - F r a n k f u r t / M a i n — ( W e s t - ) B e r l i n 1977. 8 Zit. nach: H. Muth,

Die Entstehung der Bauern- und Landarbeiterräte im

November 1918 und die Politik des Bundes der Landwirte, in: V j Z , 1973/1, S. 16.

XVI schlagung des Großgrundbesitzes gefordert, was in jener Zeit der größten Ernährungsschwierigkeiten zu einer Katastrophe geführt hätte."9 Durch die opportunistische Agrarpolitik unterblieb 1918 die Enteignung des Junkertums. In den ostelbischen Provinzen machte sich weiter die Reaktion breit. In deutschnationalen Kreisen zwar verhaßt, vertrat Braun objektiv die Interessen dieser Konservativen wie sonst kaum ein anderer auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie. Auch die rechten Gewerkschaftsführer des DLV nahmen für sich in Anspruch, den konterrevolutionären „Bauernräten" nachträglich durch ihre Verwandlung in „Bauern- und Landarbeiterräte" die Giftzähne ausgebrochen zu haben. Im Geschäftsbericht des Zentralvorstandes von 1919 hieß es: „Wir haben damals eingegriffen, damit diese Bauern- und Landarbeiterräte nicht zu politischen Organen wurden. Von uns war dieser Treppenwitz der Weltgeschichte, daß die konservativen Vertretungen der Landwirtschaft zum Schutze der revolutionären Errungenschaften beitragen wollten, von vornherein nur als eine vorübergehende Erscheinung gewürdigt worden. Jedenfalls haben wir damit erreicht, daß der Schachzug der Agrarier, sich das Rätesystem für ihre reaktionären Zwecke nutzbar zu machen, nicht gelungen ist."10 In Wirklichkeit wurden die Bauern- und Landarbeiterräte von den DLV-Führern bewußt als Vorstufe für die integrative Arbeitsgemeinschaftspolitik mit den Unternehmerverbänden genutzt, um die keimende revolutionäre Bewegung und die Entwicklung des Klassenbewußtseins im Landproletariat abzuwürgen.11 Sie mißbrauchten das Vertrauen, das Hunderttausende von elementar zuströmenden Landarbeitern in die „freie" Gewerkschaft setzten, und handelten gemeinsam mit dem ZdL und den konservativen Vertretern des Reichs-Bauern- und Landarbeiterrats kompromißlerisch die „Vorläufige Landarbeitsordnung" aus. Diese Landarbeitsordnung12 brachte weder den Gewerkschaften die volle Anerkennung noch den Landarbeitern die Bestätigung der Koalitionsfreiheit. Sie bezog nur die Lösung der dringendsten Fragen der Arbeitsvertragsverhältnisse, wie die Lohnfrage über Tarife, ein. Eine Zusatzvereinbarung enthielt den Kern einer Schlichtungsordnung. Betrogen wurden die Landarbeiter um den Achtstundentag13, den die Industriearbeiter in der Novemberrevolution erkämpft hatten. Die Landarbeitsordnung regelte für je ein Jahresdrittel eine durchschnittliche tägliche Höchstarbeitszeit von 9 O. Braun, V o n W e i m a r zu Hitler, H a m b u r g 1949, S. 23. 10 Geschäftsbericht

des Deutschen

Landarbeiter-Verbandes

für die Jahre 1914

bis 1919, Berlin 1920, S. 61. 11 Vgl. E. Hoernle, Die G r o ß e Sozialistische Oktoberrevolution und das deutsche Dorf, in: Unser stärkstes Argument, Berlin 1977, S. 233. 12 Abgedruckt in: Archivalische 13 Vgl. Der kommunistische

Forschungen, Bd. 8/II, S. 558—562.

Landarbeiter,

N r . 18 (September 1921).

XVII acht, zehn und elf Stunden und die Vergütung der Überstunden. Die tägliche Normalarbeitszeit festzusetzen überließ sie dem Tarifvertrag, der auf kollektiver Grundlage zwischen den Arbeitgeberorganisationen und der Gewerkschaft für ein bestimmtes Gebiet und einen bestimmten Zeitraum ausgehandelt wurde. Das war im Vergleich zur rechtlichen Lage der Arbeiter vor 1918 ein gewaltiger Fortschritt, blieb aber hinter den realen Möglichkeiten zurück, die durch die Novemberrevolution für die Einschränkung der Ausbeutung auf dem Lande bestanden hätten. Die Landarbeiter wurden in ihrer rechtlichen und sozialen Lage nicht den Industriearbeitern gleichgestellt. Vieles trug sozialreformerischen Charakter und ging nicht über das hinaus, was einzelne sozialkonservative Großgrundbesitzer, Agrarwissenschaftler und -publizisten schon in den letzten J a h r zehnten des 19. Jahrhunderts gefordert hatten. 14 Trotzdem widersetzten sich die Großgrundbesitzer und ihre Interessenvertreter Verhandlungen mit den Gewerkschaften und Zugeständnissen an die Landarbeiter. Bis 1923/24 wurde um die Durchsetzung der neu geregelten arbeitsrechtlichen- und Tarifbestimmungen erbittert gerungen, wofür die Landarbeiter gegen den Willen der gewerkschaftlichen Verbandsführung wiederholt streikten. Die erneute Festigung ihrer ökonomischen und politischen Position erlaubte es den Junkern, ab Mitte der 20er J a h r e offen zur Beseitigung dieser wenigen sozialen Errungenschaften überzugehen. Angesichts der anhaltenden Revolutionierung der Landarbeiterschaft hielten es Teile der Agrarier nach der Niederlage der Novemberrevolution für angebracht, den Arbeitsgemeinschaftsgedanken fortzusetzen. Der Betriebsrätegesetzentwurf, der seit Juni 1919 vorlag und auch die Landwirtschaft einbeziehen sollte, ließ den Führern der landwirtschaftlichen Arbeitgeberorganisation erneute Übereinkünfte mit den Gewerkschaften geraten erscheinen. Offene Proteste des Reichsausschusses der deutschen Landwirtschaft und der Provinziallandbünde gegen die Einführung von Betriebsräten beim Reichsarbeitsminister waren zunächst unwirksame Varianten agrarkapitalistischer Politik. 15 Die Initiative für das Fortbestehen des Reichs-Bauern- und Landarbeiterrats als Reichsarbeitsgemeinschaft land- und forstwirtschaftlicher Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen ging im Herbst 1919 ebenfalls von der Provinz Sachsen aus. 16 Der Vorsitzende der provinzialsächsischen 14 Vgl. H. Schumacher, Land und Politik, Düsseldorf 1978, S. 113. 15 Vgl. Landwirtschaftliche Wochenschrift für die Provinz Sachsen, Jg. 21, Nr. 31/32 (2. und 9. 8. 1919), S. 295, 304; ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 320, Bl. 88 ff. 16 Vgl. C. v. Dietze, Die ostdeutschen Landarbeiterverhältnisse seit der Revolution, Berlin 1922, S. 47 ff. 2 Ostelb. Landarbeiter n i

XVIII Arbeitgeberorganisation, Rittergutsbesitzer Alwin Schurig, wurde zusammen mit Georg Schmidt zu Vorsitzenden, der schlesische Graf von Keyserlingk und Franz Behrens (ZdL) zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Um dieses Prinzip der Parität zwischen Arbeitgeberorganisation und Gewerkschaften hatte es im Reichs-Bauern- und Landarbeiterrat monatelange Auseinandersetzungen gegeben17, so daß das Abkommen erst am 20. Februar 1920 unterzeichnet wurde. „Vornehmstes Ziel" der Vertragspartner sollte die Förderung gemeinsamer Berufs- und Wirtschaftsinteressen und der Abbau von Gegensätzen sein, um „insbesondere durch Vorbereitung, Beschluß und Durchführung von Tarifverträgen" den „Wirtschaftsfrieden" zu erreichen.18 Diese Grundsätze wurden nach dem Kapp-Putsch bestätigt. In einem Aufruf vom 5. Mai 1920 verlangten Schurig und Schmidt im Namen der Landwirtschaft wirksamen Schutz für „die Sicherheit der Person und des Eigentums gegen Ausschreitungen und Übergriffe".19 Damit verteidigten die rechten Gewerkschaftsführer weiterhin die Interessen des Großgrundbesitzes und hofften auf den „Ausgleich der Interessengegensätze". Wie in der Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) der Industrie bestimmten aber auch hier die Unternehmer Richtung und Ziel. Große Teile der Großgrundbesitzer erkannten zunächst die Vorteile der Arbeitsgemeinschaftspolitik an. Das bezog sich nicht nur auf die Tarife, mit denen die Landarbeiter materiell und politisch zu ködern waren20, sondern auch auf die Sicherung des „sozialen Friedens" in der Landwirtschaft. Angesichts der zahlreichen Landarbeiterstreiks, die seit Frühjahr/ Sommer 1919 bis in die nachfolgenden Jahre der revolutionären Nachkriegskrise hinein die preußischen Provinzen erschütterten, reichten terroristische Mittel zur Abwehr allein nicht aus. So fielen Versuche, eine einheitliche „Landvolkideologie" zu entwickeln, bereits in der Frühphase der Weimarer Republik günstig aus. Besonders in Pommern entstand jenes „Prinzip" der „wahren Arbeitsgemeinschaft auf dem Lande", das von seinen Ideologen als „vorbildlich" im Kampf um die „Seele des Arbeiters" bezeichnet wurde. Von der „natürlichen Lebensgemeinschaft" auf den Gütern ausgehend, sollte an Stelle des Klassenkampfgedankens ein patriarchalischer Gemeinschaftsgedanke treten.21 Für die Existenz und Unterstützung 17 Vgl. Z S t A Merseburg, Rep. 87 B, N r . 345, Bl. 200 ff. 18 Vgl. Reichsarbeitsgemeinschaft

land-

und Arbeitnehmervereinigungen, 19 Vgl. Deutsche Landwirtschaftliche

und forstwirtschaftlicher

Arbeitgeber-

(Berlin 1920). Presse, 1920, N r . 36, S. 263.

20 Vgl. Vortrag des G r a f e n Keyserlingk über das A r b e i t s - und Lohnverhältnis in der Landwirtschaft auf der 8. Vorstandssitzung der deutschen l a n d - und forstwirtschaftlichen Arbeitgebervereinigungen am 14. Dezember 1920 (Dok. Nr. 21), in: W A P w Opolü, Schloßarchiv Praschma, Nr. 1105, Bl. 101 ff. 21 Vgl. C. v. Eickstedt, W i e d e r a u f b a u und wirtschaftsfriedliches Prinzip, B e r -

XIX wirtschaftsfriedlicher Verbände in Pommern wurde die Arbeitnehmergruppe des pommerschen Landbundes typisch. Die Streiks der Landarbeiter zwischen 1919 und 1923/24 hatten vorrangig wirtschaftliche und soziale Ursachen und Ziele. An der Abwehr des Kapp-Putsches 1920, der mitteldeutschen Märzaktion 1921 und dem Generalstreik gegen Cuno im August 1923 beteiligten sich auch Landarbeiter. Charakteristisch für alle politischen Streiks waren ihre örtliche und regionale Begrenztheit, die teilweise kurze Dauer und geringe zahlenmäßige Beteiligung. Zu den wirtschaftlichen und sozialen Forderungen der Streikenden gehörten Lohn- und Deputaterhöhungen, Arbeitszeitverkürzung und Verbesserung der Wohnraumsituation; alles Fragen, die mit der „Vorläufigkeit" der Landarbeitsordnung zusammenhingen. Weigerungen der Großgrundbesitzer, Tarifverträge abzuschließen, Betriebsräte auf den Gütern anzuerkennen, gewerkschaftlich organisierte entlassene Arbeiter wieder einzustellen, lösten ebenfalls Streiks aus, die von ihrem Charakter her bereits politische Streiks waren. In einigen Fällen beteiligten sich die Landarbeiter an Massenstreiks im regionalen 22 oder Generalstreiks im überregionalen Rahmen 23 und führten Sympathiestreiks mit der Industriearbeiterschaft. Zahl der Landarbeiterstreiks 1919-1924 2 4 Preußische Provinzen Ostpreußen Grenzmark Posen-Westpreußen Pommern Brandenburg Schlesien Sachsen Preußen Deutsches Reich

1919

1920

1921

1922

1923

1924

2

34

41

23

4

2

5 39 3 4 57 127 163

4 41 15 27 64 249 366

33 46 27 64 27 254 302

2 10 9 41 17 244 331

1 -

17 4 5 42 70



1 1 1 8 17

lin 1923, S. 45, 88; ders., Wahre Arbeitsgemeinschaft auf dem Lande, Langensalza 1925, S. 30 iL; ders., Die berufsständische Lösung der Landarbeiterfrage in Pommern, Berlin o. J., S. 8 f£. 22 Vgl. W. Wilhelmus, Der Kampf der Werktätigen in Vorpommern im Juli 1919, in: ZfG, 1958, Sh., S. 222 ff. 23 Vgl. M. Polzin, Kapp-Putsch in Mecklenburg, Rostock 1966, S. 112 ff.; E. Könnemann, H.-J. Krusch, März 1920, Berlin 1981, S. 63 ff. 24 Statistik des Deutschen Reiches von 1920/21. Reichsarbeitsblatt 1923—1926. Zit. nach: C. v. Schwerin, Die Landarbeiterorganisationen Ostdeutschlands und ihre klassenmäßige und ständische Struktur, Langensalza 1928, S. 44. 2*

XX Aus der Streikstatistik lassen sich die Höhepunkte der Streikbewegung erkennen, die die ostelbischen Provinzen Preußens unterschiedlich erfaßten. Für die Jahre 1919/1920 fällt die große Zahl von Landarbeiterstreiks in der Provinz Sachsen auf. Das resultierte vor allem aus der hohen Konzentration der Industriearbeiterschaft in diesem Gebiet24" und der unmittelbaren Ausstrahlungskraft der revolutionären Arbeiterbewegung, vor allem der linken USPD, auf die Landarbeiter. Schon im Zusammenhang mit dem mitteldeutschen Generalstreik im Februar/März 1919 beteiligten sich erstmals seit Ausbruch der Novemberrevolution Landarbeiter an diesen Kämpfen.25 Im Sommer und Herbst 1919 waren Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Verbesserung der Wohnverhältnisse Hauptursache von Streiks j36 alle waren lokal und zeitlich begrenzt. Sie erfaßten meistens nur einzelne oder einige benachbarte Güter und dauerten ein bis zweti Tage. Ursache dafür war vor allem das Verhalten der DLV-Funktionäre, die sich möglichst schnell in die ökonomischen Kämpfe einschalteten, sie für „wilde Streiks" erklärten und für ihre rasche Beendigung sorgten. Die Landwirtschaftliche Wochenschrift der Provinz Sachsen schätzte im November 1919 ein: „Dem tatkräftigen Eingreifen der Gewerkschaftsbeamten ist es zu danken, daß die bisherigen Landarbeiterstreiks in unserer Provinz keine größere Ausdehnung genommen haben und nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder beigelegt werden konnten. Wo es not tat, sind sie den Arbeitern gegenüber sehr energisch aufgetreten, sie haben sie immer auf die Notwendigkeit der Tariftreue und auf die Verwerflichkeit der wilden Streiks hingewiesen" ,27 Eine eindeutig politische Stoßrichtung hatte die Beteiligung mitteldeutscher Landarbeiter am Generalstreik gegen den Kapp-Putsch. Bewußt setzten diese sich für die Erhaltung der Republik und der Errungenschaften der Novemberrevolution ein. So ruhte am 15. März 1920 auf vielen Gütern die Arbeit. Es entstanden revolutionäre Gutsräte. Gemeinsam mit Indu-

Vgl. auch J. B. Beßler, Die Streikbewegung in der Landwirtschaft, Diss. Bamberg 1927, S. 34, 59, 61 ff., 85 ff.; Streik. Zur Geschichte des Arbeitskampfes in Deutschland während der Industrialisierung, hrsg. v. Tenfeldej Volkmann, München 1981, S. 304 ff. 24a Vgl. allg. K. H. Leidigkeit/I. Herrmann, Auf leninistischem Kurs. Geschichte der KPD-Bezirksorganisation Halle—Merseburg bis 1933. Halle/S. 1979. 25 Vgl. W. Vogler, Probleme des Klassenkampfes zwischen den Landarbeitern und Gutsbesitzern im Regierungsbezirk Merseburg (1918—1923), phil. Diss., Halle/S. 1974, S. 172 ff. 26 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 276, Bl. 206 ff. 27 Landwirtschaftliche Wochenschrift für die Provinz Sachsen, Jg. 21, Nr. 46 (15.11.1919), S. 451.

XXI striearbeitern entwaffneten Landarbeiter die Einwohnerwehren, spürten Waffenverstecke auf und beteiligten sich an bewaffneten Auseinandersetzungen.28 Schon ab Herbst 1920 überwogen in der Provinz Sachsen wiederum Streiks zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, die die Großgrundbesitzer der Provinz geschickt unterwanderten. So erklärten sie sich zu gewissen Zugeständnissen, wie Erhöhung der Barlöhne, bereit. Das Landes-Arbeitsamt warnte auch eindringlich vor einer Kürzung der Deputate. Etwa ein Jahr später als in der mitteldeutschen Provinz Sachsen kam es in den ostelbischen Provinzen Brandenburg, Ostpreußen, Posen-Westpreußen und Schlesien zur Streikbewegung für wirtschaftliche und soziale Forderungen. Einen Höhepunkt erreichte sie 1921, als sich die Angriffe der herrschenden Klasse auf die elementaren Lebensrechte der Werktätigen auch unmittelbar auf die Landarbeiter auswirkten. Die K P D orientierte in ihrem „Offenen Brief" vom Januar 1921 auf gemeinsames Handeln der Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Im Gegensatz dazu arbeiteten landwirtschaftliche Arbeitgeberorganisationen und rechte Gewerkschaftsführung auf antikommunistischer Basis zusammen und praktizierten immer besser die Methode der Beilegung von Streiks unter „Vermittlung von Berufsvereinigungen oder dritten Personen" (Schlichter). Nach der Statistik beantragten in überwiegender Zahl diie Großgrundbesitzer die Verhandlungen und erreichten, daß die meisten Streiks in diesen preußischen Provinzen zwischen 1919 und 1923 ohne Erfolg endeten.29 Das von großen Teilen der Junker widerwillig anerkannte, wenn nicht abgelehnte Tarifsystem und die Institution des Schlichtungswesens funktionierten auch in der Landwirtschaft zur Dämpfung des Klassenkampfes. „Die zahlreichen Streiks nach der Revolution hatten die Frage nach einem Aushilfsmittel aufwerfen lassen, mit dem der Arbeitsfrieden aufrecht erhalten werden könnte, ohne daß den Forderungen der Werktätigen völlig Rechnung getragen werden müsse, aber auch ohne daß die staatlichen Machtmittel dauernd brutal und offen eingesetzt werden müßten, um den Standpunkt der Unternehmer durchzusetzen, was unter den gegebenen Umständen auch kaum ratsam gewesen wäre."30 Demgegenüber suchte in Pommern der Landbund die offene Konfrontation zu den Landarbeitern. Er bezog auch den preußischen Landwirtschaftsminister Braun in diese Auseinandersetzung ein. Die Großagrarier stellten die Koalitionsfreiheit, das Recht auf eigene gewerkschaftliche Ver28 Vgl. W. Vogler, Probleme, S. 223 ff. 29 Vgl. J. B. Beßler, a. a. O., S. 86 ff. 30 M. Nussbaum, Wirtschaft und Staat in Deutschland während der Weimarer Republik, Berlin 1978, S. 244.

XXII tretung, die Tariffähigkeit des DLV und vor allem das Streikrecht der Landarbeiter in Frage. 31 Außerdem wurden im Sommer 1919 Versuche des Landbundes bekannt, das platte Land zu bewaffnen, sich mit den militärischen Kommandostellen, den Staatsorganen und der Pommerschen Landwirtschaftskammer gegen die Landarbeitergewerkschaft zu verbünden. Die preußische Regierung ordnete zwar Haussuchungen in der Landwirtschaftskammer Stettin an, und Braun sprach in seinen Memoiren von „erfolgreicher Haussuchung" bei Dewitz, dem Vorsitzenden des Pommerschen Landbundes, die er unter Überschreitung seiner Ressortzuständigkeit vorgenommen habe32, doch die Hand an die Wurzel des Übels legte die Regierung nicht. Selbst Georg Schmidt stellte im Dezember 1919 auf der „Pommern-Konferenz" des DLV kritisch fest, „daß damals nicht von der Regierung mit Entschiedenheit zugegriffen wurde, wie das notwendig gewesen wäre". 33 Im Juli 1919 brachen gleichzeitig auf verschiedenen Gütern des Kreises Franzburg im Regierungsbezirk Stralsund Streiks aus. Der Landrat und das Generalkommando des II. Armeekorps hielten am 12. Juli die Verhängung des Belagerungszustandes für den Kreis Franzburg, später auch für den gesamten Regierungbezirk Stettin für dringend geboten. Damit war endlich ein Grund gefunden, mit militärischen Mitteln gegen die demokratischen Rechte und Freiheiten vorzugehen. Fortschrittliche Zeitungen, vor allem Blätter der KPD, wurden verboten, etwa 50 Landarbeiter verhaftet. 34 Industriearbeiter und Landarbeiter Vorpommerns antworteten auf diese Provokationen und halbherzigen Maßnahmen der sozialdemokratisch geführten preußischen Koalitionsregierung mit dem Generalstreik, der einzigen Möglichkeit, die „Junkerrevolte" in die Schranken zu weisen. Die Landarbeiter erkämpften sich die zehnstündige Arbeitszeit, festgeschrieben in neuen Tarifverträgen, die die Landbundvertreter zusammen mit der Einführung des Schlichtungswesens zusichern mußten. Trotzdem gingen die Auseinandersetzungen weiter, so daß sich Braun am 2. September 1919 zum Erlaß einer Verordnung zum Abschluß von Zwangsarbeitsverträgen genötigt sah. Um diese Verordnung, die rechtlich dem preußischen Demobilmachungskommissar die Befugnis zusprach, über Zwangstarifverträge zur „Sicherstellung landwirtschaftlicher Arbeiten" beizutragen, entbrannte in der Folgezeit ein heftiger Streit. Braun war 31 Vgl. Brief des Vorsitzenden des pommerschen Landbundes, v. Dewitz, an den Reichskanzler Scheidemann vom 21. 5.1919, ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 329, Bl. 162; Der Pommersche Landbund, eine Gefahr für die deutsche Volksernährung, Berlin 1920, S. 77 ff. 32 Vgl. O. Braun, a. a. O., S. 53. 33 Vgl. Der Pommersche Landbund, S. 9. 34 Vgl. W. Wilhelmus, a. a. O., S. 228 ff.

XXIII Hetzkampagnen des Pommerschen Landbundes ausgesetzt35, der damit die Konfrontation des Agrarkonservatismus gegen die liberal-reformistische Variante bourgeoiser Herrschaft demonstrierte. Der Schutzverband des Deutschen Grundbesitzes sprach für 2,5 Millionen landwirtschaftliche Arbeitgeber, als er Braun vorwarf, an Stelle friedlicher Verständigung auf wirtschaftlichem Gebiet den Klassengedanken und den Klassengegensatz zu vertreten und damit Zwiespalt in die Landbevölkerung zu tragen.36 Eingriffe in das privat-kapitalistische Eigentum waren mit dieser Verordnung nicht verbunden. In Pommern wandten die Junker auch in der Folgezeit verstärkt terroristische Mittel wie Massenkündigungen organisierter Landarbeiter an und maßregelten sie durch Aussperrung oder Räumungsklagen. Sofort nach Aufhebung der Zwangstarife flammten im Mai 1920 in Pommern wieder Streiks auf, die brutal durch die Polizei, teilweise durch das Militär und die Technische Nothilfe bekämpft wurden. Wie Übersichten ergaben, wurde die Technische Nothilfe (Teno) am häufigsten in der Landwirtschaft und hier besonders in Schleswig-Holstein, Magdeburg-Anhalt37, Brandenburg und Pommern eingesetzt. Kamen im Durchschnitt 1919/20 auf 1 landwirtschaftlichen Betrieb 10 Nothelfer und 640 Arbeitsstunden, 1920/21 auf 1 landwirtschaftlichen Betrieb 10 Nothelfer und 603 Arbeitsstunden, 1921/22 auf 1 landwirtschaftlichen Betrieb 9 Nothelfer und 580 Arbeitsstunden38, so waren es in Vorpommern im Oktober 1920 416 Nothelfer, im Juli 1921 208 Nothelfer.39 Sie brachen als Erntesicherungskommandos den Landarbeiterstreiks die Spitze ab und wurden als vorgeblich klassenneutrale Organisation auch nach 1924 im „Interesse der Sicherung des Lebens" zum Schutz des großgrundbesitzerlichen Eigentums eingesetzt. Hinzu kamen die gut organisierten preußischen Landjägereinheiten, die, teilweise beritten, den Landräten als Vollzugsorgane zur Verfügung standen.40 Die Streikbewegung der revolutionären Nachkriegskrise erreichte ihren Höhepunkt mit dem schlesischen Landarbeiterstreik im Juni 1923.41 Dieser bekam einmal durch seinen Umfang besonderes Gewicht. Zum anderen 35 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 197, Bl. 181 ff., 187 f£.; ebenda, Nr. 199, Bl. 164 f. 36 Vgl. Brief vom 19. 9. 1919, ebenda, Nr. 197, Bl. 32 ff. 37 Vgl. W. Vogler, Probleme, S. 405 ff. 38 Vgl. ZStA Potsdam, Deutscher Landwirtschaftsrat, Nr. 73, Bl. 47. 39 Vgl. ebenda, Bl. 107 ff.; Die Räder, 1925, S. 144; M. H. Kater, Die „Technische Nothilfe" im Spannungsfeld von Arbeiterunruhen, Unternehmerinteressen und Parteipolitik, in: V j Z , 1/1979, S. 33 f., 46, 71. 40 Vgl. P. Riege, Die preußische Polizei, Berlin 1929, S. 36 ff.; S. Zaika, Polizeigeschichte, Lübeck 1979, S. 165. 41 Vgl. Dok.Nr. 28-30; M. I. Orlova, Stacka silezskich batrakov v ijune 1923 g.,

XXIV trug er als Bestandteil einer breiten Streikbewegung der Industriearbeiter und des nationalen Befreiungskampfes der deutschen Werktätigen gegen die Ruhrbesetzung zur Herausbildung einer revolutionären Situation im Sommer/Herbst 1923 bei. Gemeinsam mit anderen Aktionen bereitete er den Generalstreik gegen Cuno vor. Der Streik, der nach erfolglosen TarifVerhandlungen am 27. Mai im Kreis Striegau elementar ausbrach, dauerte einen Monat und erfaßte in dieser Zeit fast 120 000 Landarbeiter Mittel- und Niederschlesiens.42 Die Forderungen der Streikenden waren nicht nur rein wirtschaftlich und bezogen sich nicht nur auf Lohn- und Deputaterhöhung. Die Landarbeiter verlangten die Auflösung der paramilitärischen Organisation „Jungdeutscher Orden", strenge Aufsicht über die Verteilung von Lebensmitteln sowie die Erhöhung der Besitzsteuern, vor allem der Steuern für Luxuswaren. Die rechten DLV-Führer, sowohl der Zentrale als auch der Gauleitung in Breslau, versuchten, die Führung des Streiks an sich zu reißen. Sie konnten es sich nicht leisten, bei schwindender Mitgliederzahl des Verbandes abseits zu stehen. Außerdem erwarteten die Mitglieder, „daß die Verbandsführung hinter ihnen steht und dies ist auch der Fall", resümierte G. Schmidt Mitte Juni in einem Streikbericht.43 Zum gleichen Zeitpunkt erklärte er die jederzeitige Bereitschaft zu Verhandlungen, die sich aber infolge unnachgiebigen Verhaltens der Provinzial-Arbeitgeberorganisation unter Leitung des Grafen Keyserlingk (Cammerau) lange hinzogen. Die schlesischen Junker setzten gegen die Streikenden bewaffnete Banden und Selbstschutzorganisationen wie die „Orgesch" ein und riefen zum Teil die Reichswehr zu Hilfe. Die rechten Sozialdemokraten in der preußischen Regierung billigten dieses Vorgehen. Carl Severing erklärte als Innenminister und Polizeipräsident am 19. Juni im preußischen Landtag, er handle nicht als irgendein Sozialist, sondern als ältester preußischer Beamter.44 Zum anderen konnte die herrschende Schicht mit dem christlich-nationalen Zentralverband der Landarbeiter die Streikfront spalten. Die Leitung des relativ starken Bezirksverbandes Breslau hielt ihre Mitglieder vom Streik ab und verhinderte so einen Generalstreik. Dem ZdL gegenüber erklärte sich der Arbeitgeberverband in Verhandlungen eher zu Zugeständnissen bereit. Mit Beginn der Ernte forderten die schlesischen Junker von den preußiin: Novaja i novejsaja istorija, 1961/4, S. 78 ff.; dies., Revolucionnyj krizis 1923 g. v Germanii i politika KommunistiCeskoj partii, Moskva 1973, S. 273 ff. 42 Vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 3, Berlin 1966, S. 398. 43 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 290, Bl. 162. 44 Vgl. M. I. Orlova, Stacka, a. a. O., S. 86.

XXY sehen Behörden die Beendigung des Streiks. Technische Nothelfer, die als Streikbrecher fungierten, beschleunigten den Abbruch über Verhandlungen. Der Schiedsspruch des Reichsarbeitsministers vom 27. Juni 1923 brachte nur geringe Ergebnisse im Hinblick auf die Sicherung des B a r und Deputatlohnes. Streiks in anderen preußischen Provinzen wie Brandenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen, Sachsen und Hannover wurden im Keim erstickt. Obwohl die KPD ihren Einfluß unter den Landarbeitern und Kleinbauern seit ihrer Gründung verstärkt hatte, war ihre Massen- und Bündnispolitik noch indifferent und fehlerhaft. So gelang es ihr nicht, die Vorherrschaft der reformistischen Führer im DLV zurückzudrängen. Trotz seiner Niederlage war der Streik der schlesischen Landarbeiter die größte und bedeutendste Aktion landwirtschaftlicher Arbeiter Deutschlands in der revolutionären Nachkriegskrise. Er fand im Moment schärfster Zuspitzung der wirtschaftlichen und politischen Situation statt und kündete vom Entstehen einer revolutionären Krise, die im Herbst 1923 voll zum Ausbruch kam. Wie in der Industrie klang die Streikbewegung auch in der Landwirtschaft erst im ersten Halbjahr 1924 ab. Zwischen April und Mai 1924 erfaßte ein Landarbeiterstreik 18 Kreise Ostpreußens und dauerte etwa vier Wochen. 45 Der ostpreußische Landwirtschaftsverband hatte am 15. März 1924 die Arbeitsgemeinschaft mit dem DLV gelöst, um am 16. April einseitig mit dem ZdL einen Tarifvertrag auszuhandeln. Auch hier führte der frühzeitige Einsatz der Technischen Nothilfe und das „tariftreue Verhalten der Mitglieder des ZdL während der ganzen Bewegung" 4 6 zur Isolierung der streikenden Arbeiter des DLV. Die revolutionäre Bewegung der Landarbeiter war in den Jahren zwischen 1919 und 1923 untrennbar mit dem Kampf der Arbeiterklasse und der demokratisch gesinnten Kräfte verbunden. In entscheidenden Situationen kam es zu gemeinsamen und einheitlichen Aktionen mit dem Industrieproletariat gegen den Ansturm der Konterrevolution, die die Errungenschaften der Novemberrevolution zu beseitigen und vor allem die Dörfer zu konterrevolutionären Zentren auszubauen versuchte. Die Rechte und Freiheiten, die die Landarbeiter der herrschenden Klasse abgerungen hatten, mußten immer wieder neu erkämpft werden. Dabei spielten die gewerkschaftlichen Organisationen des Landproletariats eine große Rolle. Trotzdem zeigte sich, daß weder die kleinbürgerlich-reformistische Agrarkonzeption der rechten SPD- und Gewerkschaftsführer noch christlichnationale oder werksgemeinschaftliche Eliminierung des Klassenkampfes den wirklichen Interessen der Landarbeiterschaft entsprachen. Die junge 45 Vgl. Dok. Nr. 33; J. B. Beßler, a. a. O., S. 50 ff. 46 Vgl. ebenda, S. 54.

XXVI Kommunistische Partei Deutschlands war erst dabei, opportunistische und sektiererische Auffassungen in der Agrarfrage zu überwinden. Dem Klassengegner gelang es durch große Variabilität seiner Taktik, Streiks der Landarbeiter niederzuschlagen oder im Keim zu ersticken. Erfolgreich nutzte er die Spaltung der Landarbeiterschaft in verschiedene Organisationen aus.

2. Zur rechtlichen Stellung und sozialen Lage der Landarbeiter in der Weimarer Bepublik Deutschland war in den 20er Jahren von seiner Struktur her ein entwickeltes Industrieland. Auch in Preußen, das weite agrarische Gebiete hatte, überwog der Anteil der in der Industrie Beschäftigten. Eine Gegenüberstellung zeigt die annähernde Gleichheit der Werte f ü r Preußen und das Reich. 1 Prozentuale Verteilung der Erwerbstätigen auf Industrie und Landwirtschaft im Reich und in Preußen 1925

Reich Preußen

Industrie und Handwerk

Land- und Forstwirtschaft

41,4 41,0

30,5 29,5

Für den agrarischen Bereich verbargen sich hinter diesen Prozentzahlen f ü r ganz Deutschland — nach der amtlichen Statistik — etwa 14,3 Millionen Arbeitskräfte, von denen 3,3 Millionen in einem Lohn- oder Gehaltsverhältnis standen. 2 Diese Landarbeiter, die auf den großen Gütern Ostelbiens fast 90 Prozent und in den großbäuerlichen Wirtschaften 60 Prozent der Arbeitskräfte ausmachten, lebten und arbeiteten auch in der Weimarer Republik nicht viel anders als im Kaiserreich, denn das Produktionsniveau der Landwirtschaft blieb hinter dem der Industrie zurück. Ein gewisser Aufschwung der Produktivkräfte wurde in der Periode der relativen Stabilisierung des Kapitalismus durch die Motorisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft erreicht. Die Subventionen, die die Monopole nach heftigen Auseinandersetzungen als „Osthilfe" ab 1929/30 zugestanden, dienten jenem Zweck, womit diese Kreise aber den agrarischen Besitzstand des Großgrundbesitzes konservierten, ohne daß die Industrie allerdings das Interesse an einer weiteren Modernisierung der Landwirtschaft aus dem Auge verlor. 3 1 Vgl. W. Woytinsky, Zehn Jahre Neues Deutschland, Berlin 1929, S. 21. 2 Vgl. R. Berthold, Zur sozialökonomischen Struktur des kapitalistischen Systems der deutschen Landwirtschaft zwischen 1907 und 1925, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, T. III, Berlin 1974, S. 122. 3 Vgl. M. Nussbaum, a. a. O., S. 346.

XXVIII In der Novemberrevolution hatte es zunächst so ausgesehen, als ob auch für die Landarbeiter die neuen arbeits- und sozialrechtlichen Gesetze und Bestimmungen gelten sollten. Bald zeigte sich aber, daß die Landarbeiter gegenüber den Industriearbeitern teilweise erheblich benachteiligt waren. Alles lief auf eine Sondergesetzgebung oder — wie es die KPD nannte — Ausnahmegesetzgebung4 gegenüber den Landarbeitern hinaus. Das begann bereits bei der Vorläufigen Landarbeitsordnung, die nicht öffentlich-rechtlichen, d. h. mit Strafandrohungen versehenen Charakter hatte, sondern lediglich ein privates Arbeitsvertragsrecht war.5 Sie regelte zwar den landwirtschaftlichen Arbeitsvertrag mit Arbeitszeit, Arbeitslohn, Kündigungsfristen und Arbeitsordnung, enthielt aber nicht jene Schutzbestimmungen in bezug auf Sonn- und Feiertagsarbeit, Ruhepausen, Kündigungsrecht, Lohnzahlungen, Lehrlingswesen, Kinderschutz, Beschäftigung Jugendlicher, Wöchnerinnenschutz u. ä., wie sie die Gewerbeordnung wenigstens auf dem Papier vorsah.6 Deshalb galt in der Weimarer Republik der Landarbeiter als der am meisten ausgebeutete Proletarier, der am schlechtesten entlohnt wurde und die längste Arbeitszeit hatte. Auch das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 schränkte in § 4 die Anwendung dieses Gesetzes auf die Landwirtschaftsbetriebe beträchtlich ein. Die Wahl eines Betriebsobmannes war erst dann zulässig, wenn das Gut mindestens zehn ständige Arbeitskräfte hatte7, während für einen Industriebetrieb schon fünf Arbeiter genügten. Von vornherein war die Wahl eines Betriebsobmannes in kleineren und solchen Landwirtschaftsbetrieben ausgeschlossen, die vorwiegend Saisonarbeiter beschäftigten. Nach den Erhebungen des preußischen Landwirtschaftsministeriums hatten in den östlichen Regierungsbezirken erst Betriebe von 200 bis 500 Hektar einen solchen Arbeitskräftebesatz, daß die Wahl eines Betriebsobmannes erfolgen konnte; nur auf Gütern über 500 Hektar konnte ein Betriebsrat aus mehreren Mitgliedern gewählt werden.8 Aber auch dieses Recht mußte erkämpft werden. Die Betriebsratsmitglieder hatten Drohungen und Maßregelungen der Gutsbesitzer in Kauf zu nehmen, mit Entlassung und Wohnungsausweisung zu rechnen. Die Kommunistische Partei setzte sich im Preußischen Landtag und im Reichstag wiederholt für den Ausbau der Rechte der Betriebsräte ein.9 4 Vgl. Landarbeiter, heraus aus Eurem Elend! Hrsg. v. ZK der KPD, Berlin 1928, S. 22. 5 Vgl. L. Preller, Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Stuttgart 1949, S. 233. 6 Vgl. Gesetzgebung und Landarbeiterschaft, in: Landarbeiter-Archiv, 1928, Nr. 4, S. 180. 7 Vgl. Reichs-Gesetzblatt, 1920, Nr. 26, S. 148. 8 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 322, Bl. 158. 9 Vgl. Preußischer Landtag, 1. Wahlperiode, 1. Tagung 1921, Große Anfrage

XXIX In Preußen zeigte sich nicht nur 1923/2410, sondern noch 1929/3011, daß in den Betrieben, wo es keine Betriebsräte gab, die Großagrarier entsprechenden Druck ausgeübt hatten. Vielfach wirkten Werksgemeinschafts- und Landvolkideologie so, daß die Arbeiter selbst angesichts des „guten Einvernehmens" mit dem Gutsbesitzer den Betriebsrat für überflüssig hielten. Die organisatorische Zersplitterung der Landarbeiter und ihr mangelndes politisches und fachliches Wissen hemmten die volle Wahrnehmung ihrer Rechte. Bewußt verlangte die KPD ab Mitte der 20er Jahre die gewerkschaftliche Sammlung und verstärkte Schulung des Landproletariats. Nicht nur um die in der Revolution erkämpften sozialen Rechte der Landarbeiter mußte immer wieder mit parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln gerungen werden. Auch die 1927 angenommenen Gesetze zur Arbeitszeit, Schwangerenfürsorge, Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung fanden ebenso wie die Reichsversicherungsordnung in bezug auf Unfall- und Krankenversicherung für den landwirtschaftlichen Bereich überhaupt keine oder nur eine einengende Anwendung. Die Junker im RLB, in der DNVP und den Landwirtschaftskammern bereiteten zusammen mit schwerindustriellen Kreisen in der Mitte der 20er Jahre einen erneuten Generalangriff auf die Errungenschaften der Novemberrevolution vor. Ihre übereinstimmende Zielstellung hieß Kampf gegen die Sozialdemokratie und die gewerkschaftlichen Forderungen und Abwehr von sozialen Fortschritten.12 An die Stelle einer Erneuerung der Zentralarbeitsgemeinschaft trat die Werksgemeinschaft und die von A. Vogler (Vereinigte Stahlwerke) seit 1925 propagierte DINTA-Ideologie13, die über Ausbildung und Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter verbreitet wurde. Ständisch-nationalistische Organisationen der Ruhrindustrie und der pommerschen Junker und ein Heer von Ständeideologen führten den „Kampf um die Seele des Arbeiters", die „weder eine sozialistische noch eine klerikale, sondern eine deutsche Seele" sein sollte. „Alle Arbeiter, die so eingestellt sind", führte Thyssen auf der Mitgliederversammlung

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13

Nr. 11 der Abgeordneten Schulz (Neukölln) und Genossen vom 14. April 1921, in: Ebenda, Nr. 312, Bl. 201; Reichstag, III. Wahlperiode 1924/27, Interpellation der Fraktion der KPD vom 3. Oktober 1927, in: Ebenda, Nr. 322, Bl. 261. Vgl. ebenda, Bl. 158 f. Vgl. ebenda, Nr. 323, Bl. 199, 199 a. Vgl. Jahrbuch des ADGB 1926, Berlin 1927, S. 60 f.; K. H. Pohl, Weimars Wirtschaft und die Außenpolitik der Republik 1924—1926, Düsseldorf 1979, S. 115; Feldman/Steinisch,, Die Weimarer Republik zwischen Sozial- und Wirtschaftsstaat, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 18, Bonn 1978, S. 354, 435. Vgl. L. Preller, a. a. O., S. 131 f.

XXX des Längnamvereins am 1. Oktober 1926 aus, „stehen uns gleich nahe."14 Damit brachte er auch die Ziele ostelbischer Junker zum Ausdruck, die erneut zur vollen Durchsetzung ihres Herr-im-Hause-Standpunkts antraten. So forderten bereits im Sommer 1925 schlesische Landbünde die Einführung eines Entlassungsscheins für landwirtschaftliche Arbeiter, um der verstärkten Landflucht zu begegnen und Einstellungen von Landarbeitern in der Industrie zu verhindern. 15 Dieses Ansinnen, das die Arbeiterorganisationen und die demokratische Öffentlichkeit immer wieder herausforderte 16 , bedeutete nichts anderes, als schwarze Listen anzulegen, die Arbeiter — wenn nötig — mit Polizeigewalt an das Gut zu fesseln und ihre verfassungsrechtlich garantierte Freizügigkeit einzuschränken. Es stand im schroffen Gegensatz zur Sozialgesetzgebung vom Sommer 1927, die nach jahrelangen, wenn nicht jahrzehntelangen Kämpfen angenommen werden mußte. Die Ansätze, die es für arbeitsrechtliche Regelungen in der Novemberrevolution und in den Beschlüssen der Washingtoner Konferenz der Internationalen Arbeiterorganisation des Völkerbundes (ILO) vom Herbst 1919 gegeben hatte, waren von der herrschenden Klasse Deutschlands verschleppt, verwässert und schon 1922/23 hart angegriffen worden. Erst die massiven parlamentarischen und außerparlamentarischen Vorstöße der Arbeiterparteien und Gewerkschaften, die günstige konjunkturelle Lage und die zeitweilige Zurückdrängung der Führungsposition der Schwerindustrie durch die Silverberg-Gruppe im Herbst 192617 erbrachten sozialpolitische Zugeständnisse, die von den reaktionären Kreisen aber sofort wieder in Frage gestellt wurden. Der Reichsverband der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgebervereinigungen griff seit Herbst 1927 das Tarifsystem, das Schlichtungswesen und die Arbeitslosenversicherung scharf an.18 Das Reichsarbeitsministerium — eine Schöpfung der Revolutionstage und bis zum Amtsantritt Papens ständig von reformistischen oder christlichen Gewerkschaftsführern in systemstabilisierender Weise geleitet 19 — gab zunehmend den Forderun14 Zit. nach: K. H. Pohl, a. a. O., S. 263; auch F. Fricke, Sie suchen die Seele!, Berlin 1927, S. 3 f., 40 ff. 15 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 268, Bl. 292 ff.; auch Dok. Nr. 40. 16 Vgl. ebenda, Bl. 311 ff., 387; ebenda, Nr. 269, Bl. 11 f.; auch Dok. Nr. 41, 43, 49, 50. 17 Vgl. D. Stegmann, Die Silverberg-Kontroverse 1926, in: Sozialgeschichte heute, Festschrift für H. Rosenberg, Göttingen 1974, S. 606 ff.; K. H. Pohl, a. a. O., S. 259 ff. 18 Vgl. ZStA Potsdam, RAM, Bd. 6511, Bl. 76, 82; Die wirtschaftliche Lage der Landarbeiter und Landarbeiterinnen Deutschlands, Berlin 1928, S. 3; auch Dok. Nr. 48. 19 Vgl. M. Nussbaum, a. a. O., S. 242 f.

XXXI gen der herrschenden Klasse nach und konstatierte spätestens 1930 einen Stillstand in der Sozialpolitik bzw. „ein fast von den gesamten bürgerlichen Parteien getragenes Rückwärtsstreben" auf diesem Gebiet.20 Der ADGB, der jahrelang die Illusion genährt hatte, daß diese Zugeständnisse durch sein vorbehaltloses Bekenntnis zum bürgerlichen Staat entstanden waren, mußte in seinem Jahrbuch für 1931 eingestehen: „Die Mauern des stolzen Gebäudes, das sich die Arbeiterschaft in dem kollektivistischen System moderner Sozialpolitik geschaffen hatte, stehen noch. Aber im Innern ist dieses Gebäude bereits heute zerbröckelt und teilweise zerstört." 21 Im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht wurde für Preußen aib 1927 auch die Frage der Einbeziehung der Landarbeiter in die Berufsorganisation, die Landwirtschaftskammern, erneut diskutiert. Dazu waren bereits im Sommer 1918 Reformvorstellungen der kaiserlichen Regierung entwickelt worden. Sie wollte von vornherein der Meinung der aus dem Krieg heimkehrenden Landarbeiter entgegentreten, daß ihnen die Gleichberechtigung mit den Industriearbeitern versagt bliebe.22 Aber trotz der Revolution hatte sich in Preußen — zum Unterschied von anderen deutschen Ländern — bis 1927 nichts an der Zusammensetzung der Landwirtschaftskammern geändert. Sie waren Sammelpunkte der Reaktion, in denen der Großgrundbesitz und seine Verbände den Ton angaben. 1920/21 hatten sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine grundlegende Veränderung der Zusammensetzung der Kammern zu verhindern.23 Seit 1928 durchlief der neue Gesetzentwurf die Parlamentsmühlen des preußischen Landtags. Die Vertreter der reformistischen und christlichen Gewerkschaften24 wandten sich gegen die provinziellen Landbünde, die den Kampf gegen die „Politisierung" der Kammern führten und jegliche gewerkschaftliche Mitbestimmung ablehnten.25 Das neue Gesetz fiel schließlich dem Abbau des Parlamentarismus zum Opfer. Zeigte sich die Benachteiligung der Landarbeiter bereits in bezug auf die Gesetzestexte, um wie viel schlimmer mußte es da in der praktischen Verwirklichung von Arbeitsrecht und Sozialpolitik in der Landwirtschaft aussehen! Die Junker nutzten ihre ökonomische Macht, vor allem aber ihren politischen Einfluß zur Unterdrückung und Ausbeutung, zur ideologischen Bevormundung, Manipulierung und Korrumpierung des Landproletariats aus. Bis Anfang 1928 hatten sie als Vorsteher der 12 000 in Ost20 21 22 23 24 25

Vgl. R. Wisseil, 21 Monate RAM, in: Die Arbeit, 4/1930, S. 217 ff. Jahrbuch 1931 des ADGB, Berlin 1932, S. 85. Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 55, Bl. 1 ff. Vgl. ebenda, Nr. 13282, Bl. 37, 209 f.; ZStA Potsdam, Film-Nr. 8596, Bl. 42 ff. Vgl. ZStA Merseburg, a. a. O., Nr. 13 314, Bl. 166 ff. Vgl. ebenda, Nr. 13 320, Bl. 72 ff., 148; ZStA Potsdam, Film-Nr. 8596, Bl. 223 ff.

XXXII elbien bestehenden Gutsbezirke zugleich die polizeiliche Gewalt. Erst Ende 1927 w a r die sozialdemokratische Fraktion darangegangen, eine „nach neuzeitlichen Gesichtspunkten gestaltete Landgemeindeordnung" im p r e u ßischen Landtag durchzubringen. 2 6 U n t e r den IV2 Millionen E i n w o h n e r n Ostelbiens, die bis zu diesem Zeitpunkt kein kommunales Wahlrecht h a t ten, w a r e n auch Zehntausende von Landarbeitern. Die Großgrundbesitzer erreichten über ökonomische Machtmittel eine enge Bindung der Landarbeiter an den junkerlichen Betrieb. Sie nutzten die unterschiedlichen Lohnsysteme zur sozialen Differenzierung aus. Im ostelbischen P r e u ß e n gab es folgende soziale Kategorien von Landarbeitern 2 7 , die sich nach ihrer ökonomischen und rechtlichen Stellung voneina n d e r unterschieden: Da w a r e n zunächst die D e p u t a n t e n (männliche D e p u t a t e m p f ä n g e r oder Tagelöhner), die meistens über einen J a h r e s a r b e i t s v e r t r a g gebunden w a ren, in W e r k w o h n u n g e n (mit Stall u n d Garten) w o h n t e n u n d den größten Teil ihres Lohnes in Naturalien (Getreide, Brennholz u n d V i e h f u t t e r ) erhielten. Der Barlohn w a r äußerst niedrig. Diese Landarbeiter w a r e n vertraglich gezwungen, zu bestimmten Arbeitsspitzen Familienangehörige, mit denen kein Arbeitsvertrag bestand, zur Arbeit auf die G ü t e r mitzubringen (Hofgänger). Das w a r e n meistens die D e p u t a n t e n f r a u e n , deren Lohn weit u n t e r dem der M ä n n e r lag oder deren Lohnanteil im Lohn der Männer enthalten w a r (Familienlohn). Eine rechtlich u n d sozial andere Kategorie w a r e n die männlichen u n d weiblichen Freiarbeiter. Sie w u r d e n mit oder ohne Arbeitsvertrag zu Spitzenarbeitszeiten eingestellt. Sie w o h n t e n selten in W e r k w o h n u n g e n , und ihr Barlohn lag höher. Freiarbeiter w u r d e n vorrangig in den Hackfruchtgebieten der Provinzen Sachsen u n d Schlesien beschäftigt u n d w a r e n auch in der Weimarer Republik häufig polnische Wanderarbeiter. Die männlichen u n d weiblichen jugendlichen Arbeitskräfte, die es auf den G ü t e r n gab, w a r e n die K i n d e r der Deputanten u n d rechtlich i m Stat u s eines Hofgängers. Sie w a r e n sozial besonders benachteiligt. Beim F e h len eigener K i n d e r w a r der D e p u t a n t verpflichtet, f r e m d e gleichwertige A r b e i t s k r ä f t e zu stellen. Sie erhielten Kost u n d U n t e r k u n f t in den F a milien der Deputanten. Das Gesinde (Knechte u n d Mägde) bekam Kost u n d W o h n u n g auf den Gütern. Es w u r d e durch schwere körperliche Arbeit, ungeregelte Arbeitszeit, Sonn- u n d Feiertagsarbeit besonders ausgebeutet. Das Gesinde lebte u n t e r ständiger Kontrolle u n d Aufsicht des Gutsbesitzers. 26 Vgl. Preußentag der SPD, o. O. o. J. (1928), S. 5. 27 Vgl. W. Hucho, Die Naturalentlohnung in der deutschen Landwirtschaft, Berlin 1925, S. 5f.; für das 19. Jh. vgl. H. Plaul, Landarbeiterleben im 19. Jahrhundert, Berlin 1979, S. 90 ff.

XXXIII Die Naturalentlohnung war die Hauptform des Lohnes ostelbischer Landarbeiter in der Zeit der Weimarer Republik. Sie herrschte in den Getreideanbaugebieten Ostpreußens, Brandenburgs, Schlesiens, Pommerns und Schleswig-Holsteins vor, während in der Provinz Sachsen der Geldlohn überwog.28 Zunächst bedingt durch Krieg und Inflation, hielten die ostelbischen Grundbesitzer auch in den 20er Jahren an dieser Lohnform fest. Das war Ausdruck der geringen Intensität ihrer Betriebe, wurde aber ebenso bewußt zur Förderung der „Interessengemeinschaft" von Junkern und Landarbeitern und der Vertiefung der sozialen Unterschiede zwischen Industrie- und Landproletariat ausgenutzt. So hatte der schlesische Graf von Keyserlingk Ende 1920 auf der Vorstandssitzung des Reichsverbandes der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgebervereinigungen betont: „Jeder Arbeitgeber, der das natürliche Band, das ihn mit seinem Arbeitnehmer verbindet, festigen will, muß die Naturalentlohnung fördern, die den Landarbeiter über den Industriearbeiter stellt, wie es recht und billig ist."29 Partei für die Junker in der Frage der Naturalentlohnung ergriffen die christlichen und „gelben" Gewerkschaften, die über das Deputat das Interesse des Landarbeiters an einer kleinen Eigenwirtschaft wecken und damit seine Bindung an den Boden festigen wollten. Der DLV, der vor dem 1. Weltkrieg das Deputat als Fessel für den Landarbeiter (betrachtet hatte30, trat in der Mitte der 20er Jahre für die Annäherung der Landarbeiterlöhne an die Industriearbeiterlöhne ein31 und verstand darunter sowohl Geld- wie Deputatlohn. Die KPD forderte Erhöhung der Barlöhne und ausreichende Deputate und band die Lohnfrage in ein ganzes Bündel zu lösender sozialer Probleme ein. Die Landarbeiterlöhne waren in der Regel Tariflöhne. Durch die Trennung in Bar- und Deputatlohn erfolgte ihre Berechnung nach einem komplizierten System und war für den Naturallohn anteil von den Preisen für landwirtschaftliche Produkte (Berliner Börsenpreis) abhängig. Dadurch differierten die Bewertungsmaßstäbe für die Werkwohnungen, das Lohnland und die Naturalien in den einzelnen Jahren stark und wurden von den Unternehmerorganisationen anders als von den offiziellen staatlichen Stellen und den Gewerkschaften berechnet.32 Einen vermittelnden Stand-

28 V g l . W. Hucho, a. a. O., S. 6. 29 V o r t r a g des G r a f e n K e y s e r l i n g k v o m 14. D e z e m b e r 1920, a. a. O., B l . 101 f. 30 V g l .

G.

Schmidt,

Lohnfragen

und

Arbeitsverhältnisse

in

der

Landwirt-

schaft, B e r l i n 1913, S. 15. 31 V g l . Industriearbeiterlöhne

für Landarbeiter!

B e r l i n 1929.

32 V g l . W . Hucho, a. a. O., S. 19, 25; Deputatbewertungsschlüssel v o m Juli 1926, i n : Baade,

Bernier,

Kwasnik,

D i e wirtschaftliche L a g e d e r L a n d w i r t s c h a f t .

D i e L o h n f r a g e i n der L a n d w i r t s c h a f t . Sozialpolitik in d e r L a n d w i r t s c h a f t . 3 Ostelb. Landarbeiter III

XXXIV punkt erreichte in den Anfangsjahren der Weimarer Republik das Tarifamt Halle, das aus der „Arbeitsgemeinschaft" hervorgegangen war. Aber auch hier gaben die landwirtschaftlichen Unternehmer den Ton an. In der Mitte der 20er Jahre wurden die Führungsgremien des DLV und ZdL infolge der Landflucht von Tausenden von Landarbeitern und des Drucks der Mitgliedermassen gezwungen, sich mehr mit den Arbeits- und Lebensverhältnissen der Landarbeiter zu beschäftigen. Die Regierung setzte einen Enqueteausschuß ein, der aber vorrangig die Erzeugnis- und Absatzbedingungen der deutschen Landwirtschaft untersuchte. Ergebnis der gewerkschaftlichen Analyse waren zahlreiche Untersuchungen zur Arbeitszeit, Lohn- und Sozialfrage in der Landwirtschaft. Dabei fiel als erstes ins Auge, daß in keinem junkerlichen Betrieb der Achtstundentag garantiert war. Statt 2 400 Jahresarbeitsstunden betrug f ü r die Landarbeiter Ostelbiens die tarifmäßige Arbeitszeit von 1923 bis 192833 Tarifliche Arbeitsstunden Provinz

Tarifbezirk

1923

Ostpreußen Pommern Brandenburg

Königsberg Randow Teltow und Niederbarnim Schlesien Börde

2 788 2 895 2 895 2 903 2 903 2 903 2 900 2 900 2 900 2 963 2 963 2 964

Schlesien Sachsen

1924

1925

1926

1927

1928

2 700 2 850 2 850 2 850 2 850 2 850 2 840 2 857 2 856 2 856 2 856 2 856 2 675 2 750 2 750 2 750 2 750 2 750

Diese Übersicht verdeutlicht, daß die Arbeitszeit in den rückständigen Gebieten des Ostens höher war als in Mitteldeutschland. Ähnlich gelagert waren auch die Einkommensunterschiede. Der Naturallohnanteil betrug in den östlichen Provinzen zwischen 60 und 80 Prozent, während er in der Provinz Sachsen 30 Prozent ausmachte. Eine Analyse, die 1929/30 über Lebenshaltung, Lohn- und Arbeitsverhältnisse von 145 Landarbeiterfamilien angefertigt wurde, wies folgende prozentuale Verteilung von Naturalund Barlohn aus 34 : Drei Vorträge, Berlin 1927, S. 27; Deputatbewertungsschlüssel vom Oktober 1927, in: Die wirtschaftliche Lage, S. 6. 33 Bericht des Verbandsvorstandes über die Verbandsarbeit in den Jahren 1926 bis 1928, Berlin 1929, S. 35. 34 Vgl. W. Bernier, Die Lebenshaltung, Lohn- und Arbeitsverhältnisse von 145 deutschen Landarbeiterfamilien, Berlin 1931, S. 57.

XXXV Provinz

Naturallohn in %

Barlohn in %

Pommern Ostpreußen Brandenburg einschl. Grenzmark Schlesien Sachsen-Anhalt einschl. Braunschweig

83,7 77,3 64,4 56,0 30,9

16,3 22,7 35,6 44,0 69,1

F ü r alle Gebiete Preußens gleichermaßen ungünstig fiel ein Vergleich der Landarbeiterlöhne mit denen der Industriearbeiter aus. Eine Gegenüberstellung ergab f ü r Oktober 1927, daß nur bei Mitarbeit der Frau des Deputanten und eines 18jährigen Hofgängers annähernd der Lohn eines Bauhilfsarbeiters als des schlechtbezahltesten Industriearbeiters erreicht w u r de 35 : Provinz

Landkreis

Gesamtstundenverdienst aller drei Landarbeiter (Pf.)

Stundenlohn eines Bauhilfsarbeiters (Pf.)

Ostpreußen SchleswigHolstein Schlesien Mitteldeutschland (Börde)

Königsberg alle Landkreise

64,97 87

63 88

Ohlau Wolmirstedt

77,32 92,68

71 80

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, einen Blick auf die Löhne der etwa IV2 Millionen Landarbeiterinnen sowie der Jugendlichen zu werfen. War die Frau im imperialistischen Deutschland schon allgemein diskriminiert, so die Landarbeiterin im besonderen. Das bezog sich vor allem auf ihren Lohn. In der Inflationszeit betrugen die Frauenlöhne zwei Fünftel der Löhne der männlichen Landarbeiter. „Das ist unter allen Erwerbszweigen bei weitem das ungünstigste Verhältnis" 36 , hieß es in einer Untersuchung aus dem J a h r e 1924. Stieg dieser Anteil in den Jahren nach 1924 auch etwa auf drei Fünftel an37, so war in der Weltwirtschaftskrise ein Lohnabbau von 30 Prozent keine Seltenheit. 35 Vgl. Die wirtschaftliche Lage, S. 7. 36 Vgl. Dok. Nr. 57; A. Geyer, Die Frauenerwerbsarbeit in Deutschland, Jena 1924, S. 61 f., zit. nach: J. Kuczynski, Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Bd. 5, Berlin 1982, S. 311. 37 Vgl. ebenda, S. 313; Die wirtschaftliche Lage, S. 8.

3*

XXXVI Die KPD ermittelte 1931 folgenden Stundenlöhne in Pf.38: Provinz

männliche Freiarbeiter

weibliche Freiarbeiter

Deputanten

Ostpreußen Pommern Schlesien

36,38 30,32 40,68

15,35 25,00 17,00

34,82 41,54

Deputantenfrauen 18,33 26,00

Zu dieser Lohndiskriminierung kam der Zwang für die Frauen der Deputanten, auf dem Gutshof zu arbeiten, auch wenn sie eine Eigenwirtschaft und kleine Kinder zu versorgen hatten. Die KPD prangerte diese Mißstände ebenso an wie den fehlenden Wöchnerinnenschutz. Darstellungen über Mißhandlungen, Beleidigungen und Vergehen gegen schwangere Frauen häuften sich in der Presse.39 Neben den Frauen wurden jugendliche Arbeiter und auch Kinder in das Zwangssystem des Hofgängerwesens einbezogen. Während in der Industrie jugendliche Arbeiter vom 18. Lebensjahr ab den vollen Lohn erhielten, erreichten in der ostelbischen Landwirtschaft 14- bis 20jährige 1927 nur folgenden prozentualen Anteil am Spitzenlohn eines vollwertigen Arbeiters40: in in in in in

Ostpreußen Pommern Brandenburg Schlesien der Provinz Sachsen

25-40%, 30-50%, 29-45%, 36-45%, 37-51%.

Dieser geringe Verdienst erlaubte es den jungen Landarbeitern nicht, sich selbständig zu machen. Die Landarbeiterfamilie konnte nur durch den Verkauf eines Teils des Deputats und der Produkte der Eigenwirtschaft, vor allem aber durch eine übermäßig lange Arbeitszeit aller Familienangehörigen existieren. Auch Kinderarbeit gab es im hochindustrialisierten Deutschland. Die gesetzlichen Schutzbestimmungen bezogen sich nicht auf die Landwirtschaft, so daß nur einige landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften in ihren Unfallverhütungsvorschriften das Mindestalter von 12 Jahren für die Beschäftigung von Kindern an Maschinen festsetzten. Die Unfallziffern nahmen bei 12- bis 16jährigen — wie die Unfälle generell — in den 20er Jahren erschreckend zu. Nach einer amtlichen Zählung waren 1925 in der deut38 Vgl. Not und Kampf der Landarbeiterinnen, o. O. o. J.' (1931), S. 3. 39 Vgl. Baade, Bernier, Kwasnik, a. a. O., S. 25. 40 Vgl. Die Wirtschaftliche Lage, a. a. O., S. 7 f.

XXXVII sehen Landwirtschaft 400 000 Kinder unter 14 Jahren tätig. Die KPD veranschlagte diese Zahl für die Zeit der Weltwirtschaftskrise bedeutend höher. 41 Selbst die Einzeluntersuchung in 145 Landarbeiterfamilien ergab zusammen die Mitarbeit von 29 Kindern unter 14 Jahren. 4 2 Die KPD verlangte immer wieder, die Kinderarbeit zu verbieten und jugendlichen Landarbeitern bis 18 Jahren einen Lohnanteil von 60 bis 85 Prozent der Vollarbeiter zu gewähren. 43 Sie beschrieb darüber hinaus anklagend das Milieu, in dem das proletarische Kind aufwachsen mußte: „Umgeben von Schmutz, Feuchtigkeit, Gestank, Elend, frühzeitig zu schwerer körperlicher Arbeit mißbraucht, unterernährt und dauernder Gesundheitsschädigung durch unhygienische Wohnräume ausgesetzt. Unausgeschlafen und körperlich ermüdet, bleich und scheu kommt es zur Schule, meist uninteressiert und unfähig zu geistiger Mitarbeit (20% der proletarischen Landkinder sind deshalb nur aufnahmefähig)." 44 Das Wohnungselend der Landarbeiter hatte verheerende gesundheitsschädigende Folgen nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen. Die menschenunwürdigen Wohnungen waren mit Ursache für eine hohe Säuglingssterblichkeit und einen dreimal so hohen Tuberkulosekrankenstand wie in den Städten. Die ungesunden Lehmkaten, ohne Licht und Sonne, meistens zu klein für die vielköpfigen Landarbeiterfamilien, führten neben der niedrigen Entlohnung verstärkt zur Landflucht. Hinzu kam, daß das Werkwohnungswesen den Landarbeiter an das Arbeitsverhältnis band und ihn zusätzlich der Willkür des Gutsbesitzers auslieferte. Dieser konnte mit dem Arbeitsvertrag auch die Wohnung kündigen, weil er entschied, wer sich darin aufhalten durfte. Wohnungsklagen waren nach Lohn- und Deputatklagen, Kündigungsund Entlassungsklagen die häufigsten Rechtsfälle, die der DLV für seine Mitglieder auszufechten hatte. Aber sowohl er als auch die SPD, die im preußischen Landtag wiederholt den Bau von gemeindeeigenen Mietwohnungen für Landarbeiter, die Errichtung von Eigenheimen mit Hilfe der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge und die Verwendung günstiger Siedlungskredite auch für die Landarbeitersiedlung forderte 45 , unterbreiteten nur Reformvorschläge zur Beseitigung der schlimmsten Auswüchse des 41 Vgl. Not und Kampf der Landarbeiterinnen, S. 12. 42 Vgl. W. Bernier, Die Lebenshaltung, a. a. O., S. 68. 43 Vgl. Landarbeiter, heraus aus Eurem Elend! S. 22; Preußischer Landtag, 3. Wahlperiode, 1. Tagung 1928/30, Urantrag Nr. 5553 vom 13. November 1930, in: ZStA Merseburg, Rep. 169 D, Xle, F 4, Bd. 2, Bl. 227. 44 Not und Kampf der Landarbeiterinnen, a. a. O., S. 13. 45 Vgl. z.B. Preußischer Landtag, 2. Wahlperiode, 1. Tagung, 1925/26, Entschließungsantrag Nr. 2962 der SPD-Fraktion vom 24. März 1926, in: ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 172, Bl. 161; Preußischer Landtag, 3. Wahlperiode, 1. Tagung 1928, Urantrag Nr. 80 der SPD-Fraktion vom 22. Juni

XXXVIII gutsbesitzerlichen Regimes. Sie mobilisierten die demokratische Öffentlichkeit u n d appellierten an das Gewissen der Gutsbesitzer, ohne daß sich an den Verhältnissen grundlegend etwas änderte. Erschreckend niedrig w a r auch das Bildungsniveau ostelbischer Landarbeiter. Das begann beim unzureichenden Volksschulwesen in Preußen. Nur in den Städten gab es halbwegs ausgebaute achtklassige Schulen. Auf dem Lande bestand das wenig gegliederte System fort. Von den Schülern preußischer Landgemeinden besuchten in der Mitte der 20er J a h r e über 50 Prozent ein- bzw. zweiklassige Dorfschulen. 46 Sie erhielten dort n u r eine kurze u n d kümmerliche Ausbildung. Das preußische Berufsschul- u n d Fortbildungswesen u n d die Volkshochschulen berücksichtigten noch am Ende der 20er J a h r e die Landarbeiter kaum. 4 7 Als stark h e m m e n d e F a k toren standen dem Bildungsdrang der Landarbeiter lange Arbeitszeit, weite Entfernungen, geringe geldliche Mittel u n d die Einbindung in das Hofgängerwesen entgegen. Der DLV-Funktionär Bernier m u ß t e nach seiner Untersuchung in 145 Landarbeiterhaushalten feststellen, d a ß die Ausgaben f ü r Bildung, Schulgeld u n d Zeitungen äußerst niedrig waren. Die Recherchen bei den F a m i lien Ostpreußens wiesen den geringsten Pro-Kopf-Anteil von 2,72 M auf, w ä h r e n d der höchste Satz von 12,93 M im Freistaat Thüringen einschließlich Regierungsbezirk E r f u r t erreicht wurde. In den vier Ostprovinzen gaben die Landarbeiterfamilien im Untersuchungszeitraum von Mitte 1929 bis Mitte 1930 im Durchschnitt pro Person 4,62 M aus. 48 In den 20er J a h r e n intensivierten DLV u n d ZdL ihre Schulungstätigkeit u n t e r den Landarbeitern mit der Absicht, reformistisches u n d ständischnationalistisches Gedankengut als Gegengewicht gegen revolutionäre Ideen zu verbreiten. 4 8 Sie versuchten, in ihren Lehrgängen vor allem die „gehobenen" Landarbeiter politisch u n d fachlich zu schulen. 50 Mit der voranschreitenden Technisierung der Landwirtschaft f o r d e r t e n neben dem DLV 51 auch Agrarwissenschaftler u n d Betriebswirtschaftler

46

47 48 49 50 51

1928, Urantrag Nr. 80 der SPD-Fraktion vom 22. Juni 1928, in: Ebenda, Nr. 174, Bl. 82. Vgl. Geschichte der Erziehung (11. Auflage), Berlin 1973, S. 588 ff.; A. Leschinsky, Volksschule zwischen Ausbau und Auszehrung, in: VjZ, 1/1982, S. 42; W. W. Wittwer, Die sozialdemokratische Schulpolitik in der Weimarer Republik, (West-)Berlin 1980, S. 240 f. Vgl. C. Cornberg, Landarbeiter und Agrarpolitik, Berlin 1929, S. 74; ZStA Merseburg, a. a. O., Nr. 20 528, Bl. 151 iL; W. W. Wittwer, a. a. O., S. 256 f. Vgl. W. Bernier, Die Lebenshaltung, S. 90 f. Vgl. C. Lomberg, a. a. O., S. 76. Vgl. ZStA Merseburg, a. a. O., Nr. 379, Bl. 38 ff. Vgl. Baade, Bernier, Kwasnik, a. a. O., S. 20.

XXXIX immer häufiger eine bessere Berufsausbildung für Landarbeiter.52 Sie stellten sich in den Dienst des Deutschen Instituts für Technische Arbeitsschulung (DINTA), das in der zweiten Hälfte der 20er Jahre in solchen preußischen Provinzen wie Schlesien an Einfluß gewann53, und strebten an, über eine verbesserte Landarbeitslehre zur „Lösung der Landarbeiterfrage" beizutragen.54 Besonders in den technisch gut ausgestatteten Betrieben der Provinz Sachsen, wo außerdem ständig die Gefahr des Abwanderns in die Industrie bestand, sollten Arbeitswille und Arbeitsfreude der Landarbeiter durch qualifizierten Einsatz und solche Lohnformen erreicht werden, die die Leistung über Akkord-, Prämien-, Prämienstaffel- oder Prämienpensumlohn berücksichtigten.55 Auch andere Veränderungen, die sich aus dem Prozeß der Mechanisierung und Rationalisierung für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter ergaben, machten sich zunächst in solchen Provinzen wie Sachsen und Schlesien bemerkbar. So traten in Mitteldeutschland an die Stelle der ständigen Arbeitskräfte zunehmend Freiarbeiter, die meistens polnische Saisonarbeiter waren. Um die Frage der polnischen Wanderarbeiter gab es seit Mitte der 20er Jahre Auseinandersetzungen zwischen den großagrarischen Kreisen auf der einen und den preußischen Regierungsstellen und den Gewerkschaften auf der anderen Seite. Die Großgrundbesitzer widersetzten sich einem weiteren Rückgang der Zulassungszahlen, wie ihn die gewerkschaftliche Seite im Zusammenhang mit dem Ansteigen der Arbeitslosigkeit forderte.56 Für die Unternehmer verband sich mit der polnischen Saisonarbeit Billigkeit und Leistungsfähigkeit. Polnische Wanderarbeiter hatten weder das Streikrecht noch das Recht 52 Vgl. J. W . Seedorf,

Die Vervollkommnung der Landarbeit und die bessere

Ausbildung der Landarbeiter unter besonderer Berücksichtigung des T a y l o r Systems, in: Archiv der Landarbeiterfrage, H. 2, 1919, S. 71 ff.; Die arbeiterfrage.

Land-

Vorträge auf der Arbeitsnachweistagung in M a g d e b u r g

am

8.10.1926 ( = Schriftenreihe des Landesarbeitsamtes Sachsen-Anhalt, H. 6), Leipzig

1927, S. 17 f.; E. Hoernle,

Die Industrialisierung

der

Landwirt-

schaft — eine neue Phase kapitalistischer Monopolherrschaft, in: Ders., Z u m Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern, Berlin 1972, S. 149 ff. 53 Vgl. Drei Jahre berufsständische Ober-

und Niederschlesiens,

54 Vgl. W . Lüders,

Arbeit

in der praktischen

Landwirtschaft

Breslau 1930 (Dok. N r . 60).

Landarbeitslehre

und Landarbeiterfrage, i n : Die

Land-

arbeiterfrage, a. a. O., S. 23. 55 Vgl. ebenda, S. 17 ff. 56 Vgl. K. Dohse,

Ausländische Arbeiter und bürgerlicher Staat, Königstein/

Ts. 1981, S. 112 H., allg. J. Sobczak, Die polnischen Landarbeiter in Deutschland in den Jahren 1919—1939 und ihre Behandlung, in: Deutscher I m p e rialismus

und polnische

Arbeiter

in Deutschland

1900—1945 ( =

arbeiterpolitik des Imperialismus, H. 2), Rostock 1977, S. 48 ff.

Fremd-

XL der Freizügigkeit und waren in billigen Schnitterkasernen untergebracht. Besonders beliebt waren polnische Saisonarbeiterinnen wegen ihres niedrigen Lohnes. Außerdem durften sie keinerlei soziale Forderungen stellen. Selbst nationalistische Großagrarier zogen polnische Arbeiter den sogenannten Artamanen vor, die sich seit Mitte der 20er J a h r e als eine Art freiwilliger Arbeitsdienst anboten und gleichzeitig unter arbeitslosen J u gendlichen völkisches und faschistisches Ideengut propagierten. 57 Die arbeitsrechtliche und sozialpolitische Benachteiligung der Landarbeiter zeigte sich in der Weltwirtschaftskrise besonders kraß. Im Frühjahr 1932 betrug die amtliche Arbeitslosenquote in der Land- und Forstwirtschaft 12 Prozent 58 , wobei anzunehmen ist, daß diese Zahl wesentlich höher war, da sich nicht alle Arbeitslosen beim Arbeitsamt meldeten. Diese Arbeitslosen bekamen nur dann eine Unterstützung, wenn sie ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch Lohnarbeit bestritten. Bewirtschaftet von Kleinstparzellen waren ebenso wie das Gesinde von Zahlungen ausgeschlossen. F ü r die Landarbeiter, die eine versicherungspflichtige Tätigkeit von 26 Wochen nachweisen konnten, wurde eine Erwerbslosenunterstützung nach dem Verdienst der letzten 13 Wochen berechnet, die bei dem niedrigen Lohn unter dem Existenzminimum lag. F ü r die noch im Arbeitsverhältnis Stehenden erfolgte eine erhebliche Lohnreduzierung, die auf Grund der Brüningschen Notverordnungen sowohl den Barlohn als durch das Sinken der Preise für landwirtschaftliche Produkte auch den Deputatlohn betraf. In den preußischen Provinzen lag die Lohnkürzung zwischen 25 und 30%. 59 Zur Unterbezahlung kamen verlängerte Arbeitszeit und gesteigerte Arbeitsintensität, was besonders für einheimische und ausländische Saisonarbeiterinnen auf den Gütern der mitteldeutschen Agrarkapitalisten galt. Landarbeiter und Kleinbauern reagierten zunehmend mit Streiks und Protestaktionen auf die sich verschärfenden Auswirkungen der Krise. Die Landarbeitergewerkschaften DLV und ZdL hielten am Prinzip der Tarifverhandlungen fest; Streiks lehnten sie ab. 60 Die Mitglieder antworteten mit Austritten und wandten sich dem Einheitsverband der Land- und Forstarbeiter (EVLF) zu. 57 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 346, Bl. 211, 262 a; ebenda, Nr. 380, Bl. 291; allg. W. Schlicker, Die Artamanenbewegung — eine Frühform des Arbeitsdienstes und Kaderzelle des Faschismus auf dem Land, in: ZfG, 1/1970, S. 66 ff. 58 Vgl. V. Klemm, Agrargeschichte. Von den bürgerlichen Agrarreformen zur sozialistischen Landwirtschaft in der DDR, Berlin 1978, S. 102. 59 Vgl. ebenda: Jahrbuch der Christlichen Gewerkschaften 1931, Berlin 1931, S. 129. 60 Vgl. Jahrbuch 1931 des ADGB, S. 262f.; Jahrbuch der Christlichen Gewerkschaften 1931, S. 58 f.

3. Die gewerkschaftlichen Organisationen der Landarbeiter Die bedeutendste und mitgliederstärkste gewerkschaftliche Organisation der Landarbeiter war der 1909 gegründete Deutsche LandarbeiterVerband (DLV), der zwischen 1919 und 1933 dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) als Berufsverband und damit den Freien Gewerkschaften angehörte. Er profitierte aus der Revolutionierung der Landarbeiterschaft nach 1919, so daß sich die Mitgliederbewegung wie folgt entwickelte: Jahresdurchschnitt Jahresende

19181 1918 1919 19202

9 923 Mitglieder 16 349 624 935 680 174

Bereits 1921 setzte eine rückläufige Bewegung ein, die rasch zunahm, so daß sich f ü r die nächsten Jahre folgende Zahlen nachweisen lassen: Jahresende

1921 19223 19234 1924 1925 1926 1927 1928 1929 19305 19316

626 160 Mitglieder 499 107 101 503 180 000 185 000 142 000 153 000 178 000 180 000 166 000 131 000

1 Vgl. Geschäftsbericht des DLV für die Jahre 1914-1919, Berlin 1920, S. 65 ff. 2 Vgl. Bericht des Verbandsvorstandes über die Verbandsarbeit in den Jahren 1920-1922, Berlin 1926, S. 5. 3 Vgl. ebenda. 4 Vgl. Bericht des Verbandsvorstandes über die Verbandsarbeit in den Jahren 1923-1925, Berlin 1926, S. 13. 5 Vgl. Internationales Handwörterbuch des Gewerkschaftswesens, Bd. 2, Berlin 1932, S. 1733. 6 Vgl. Jahrbuch 1931 des ADGB, S. 300.

XLII Aus den Zahlen geht hervor, daß sich bereits während der revolutionären Nachkriegskrise eine innere Auseinandersetzung vollzog, die auf das Aufeinanderprallen der zwei Klassenlinien im Verband zurückzuführen war. Der opportunistische Verbandsvorstand löste diese Widersprüche mit Brachialgewalt. So kam es im Zusammenhang mit der Linksentwicklung der Arbeiterbewegung besonders im mitteldeutschen Raum seit 1921/22 zu Ausschlüssen bzw. Massenaustritten oppositioneller USPD-Mitglieder. Der Mitgliederschwund, der im ADGB erst an der Jahreswende 1923/24 zu Buche schlug, vollzog sich im DLV bereits ein bis zwei J a h r e früher. Kein anderer Berufsverband des ADGB war so stark opportunistisch beherrscht wie der DLV. Das hing auch damit zusammen, daß es vielen Landarbeitern, die erst kurz zuvor zum Verband gestoßen waren, an Klassenbewußtheit, Organisationserfahrung und Ausdauer fehlte. Sie brachten den rechten Führern großes Vertrauen entgegen. Der DLV galt schon von seiner Organisationsstruktur her als undemokratisch 7 , da er nur alle drei J a h r e einen Verbandstag einberief und die Funktionäre (Gauleiter) durch den Vorstand ernannte und entließ, anstatt sie zu wählen. Für alle Streiks war eine Zentralvorstandsgenehmigung notwendig, ebenfalls dann, wenn ein Zwei-Drittel-Mehrheitsbeschluß vorlag. So kam es wiederholt zu diktatorischem Verhalten des Vorstandes bei Streikkämpfen, die entweder verhindert, abgewürgt, zu „wilden Streiks" erklärt oder wo Unterstützungsgelder verweigert wurden. Den Vorsitz des DLV hatte der rechte Sozialdemokrat Georg Schmidt von 1909 bis 1933 inne. Seit 1919 gehörten dem Vorstand weiter Wilhelm Bernier, Fritz Faaß, Walter Kwasnik, Emil Härtung, Paul Löhrke und Emil Woldt an. 8 Von den 33 Gauen des DLV in der Anfangsphase der Weimarer Republik (1928 bestanden 14 Gaue, 147 Kreisgruppen und 6 071 Zahlstellen) waren im Gau 16 mit Sitz in Kothen, später in Halle und im Gau 3 (Magdeburg) sowohl die Gauleiter (W. Theuerjahr bzw. W. Berkling) als auch viele Kreisleiter Mitglieder des linken Flügels der USPD. Das führte zu scharfer Konfrontation zwischen dem Berliner Vorstand und der Organisation in Mitteldeutschland. Die Unzufriedenheit und der Druck der Mitglieder waren so stark, daß es zur Spaltung der Landarbeitergewerkschaft kam. Die Abteilung Land der Zentrale der KPD stellte hierzu fest: „ . . . doch ist es unmöglich, die Landarbeiter noch länger im DLV zu halten. Nicht allein die verratenen Streiks, sondern vor allen Dingen auch die schandmäßigen Tarife, die die DLV-Bürokratie mit den Junkern abge7 Vgl. Beiträge zur Agrarfrage, hrsg. unter der Redaktion von E. Varga, Hamburg 1924, S. 162; allg. G. Laubscher, Die Opposition im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) 1918-1923, Frankfurt a. M. 1979, S. 168, 231. 8 Vgl.Niederschrift über die Konferenz der Gauleiter des DLV, Dezember 1919, Berlin 1920, S. 3.

XLIII schlössen hat, . . . haben eine so tiefe Kluft zwischen den Landarbeitern und der Gewerkschaftsbürokratie geschaffen, daß selbst unsere intensive Aufklärungsarbeit und all unsere Mahnungen, im DLV zu verbleiben, u m die Bürokratie desselben zu überwinden, ohne Erfolg geblieben" sind. 9 Die opportunistische Politik der Klassenversöhnung und der Arbeitsgemeinschaft erwies sich mit wachsender Revolutionierung der Massen in den Jahren 1922/23 als immer ungeeigneter, die Interessen der Landarbeiter zu vertreten. Nur auf ein gewerkschaftliches Minimalprogramm wie wirtschaftliche und soziale Verbesserung der Lage der Landarbeiter und ihren Rechtsschutz ausgerichtet, blieben die Ergebnisse dieses Kampfes durch die selbstgewählte Beschränkung der Mittel gering. Die Tarife, die die Führung mit den Arbeitgeberorganisationen aushandelte, entsprachen mehr den Forderungen der Großagrarier als denen der Landarbeiter. Anträge der Mitglieder aus dem J a h r 1923, die Austritt aus der Arbeitsgemeinschaft, Wiederaufnahme der ausgeschlossenen oppositionellen Mitglieder, Propagierung der Arbeiter- und Bauern-Regierung und Proklamierung des Generalstreiks verlangten 10 , deuteten auf die tiefen Gegensätze zwischen Führung und Mitgliederschaft hin. Ende 1923 betrug die Stärke des DLV nur noch ein Sechstel gegenüber 1920. Erst im Laufe der nächsten Jahre stieg die Zahl wieder an, erreichte aber nicht das Doppelte von 1923. In den ostelbischen Provinzen profitierten die „nationalen" Organisationen vom Schwund des DLV. Nach 1924 hielt die DLV-Führung an ihrer opportunistischen Gewerkschaftspolitik fest. Die objektiv günstigen Bedingungen der Konjunktur, die aber in der Landwirtschaft schon 1927/28 — eher als in der Industrie — zu Ende ging, förderten Illusionen über eine „Wirtschaftsdemokratie" und eine rasche und durchgreifende Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter. Da die Verbandsführung nie eine Agrarrevolution und die Zerschlagung des Großgrundbesitzes plante, beschränkte sich ihre Einflußnahme auf reformistische Tagesforderungen. Es standen nicht politische oder bündnispolitische, sondern ausschließlich Konsuminteressen im Vordergrund. Im Verhältnis zu den J u n k e r n schien alles über Tarifverträge regelbar, von denen es 1928 im landwirtschaftlichen Bereich 200 gab, davon zwei Rahmen-, 24 Landes-, 12 Provinzial-, 41 Bezirks-, 66 Kreis- und 10 Kommunaltarife und 45 Werktarife und sonstige Abkommen. 11 Die DLV-Presse wie „Der Landarbeiter" und das „LandarbeiterArchiv" unterstützte die Illusionen über den Staat von Weimar. 9 Jahresbericht der Abteilung Land der Zentrale der KPD (1. 10. 1921—30. 9. 1922), in: IML/ZPA, 3/10/94, Bl. 8; Dok. Nr. 23. 10 Vgl. Bericht des Verbandsvorstandes über die Verbandsarbeit in den Jahren 1923-1925, S. 13. 11 Vgl. Internationales Handwörterbuch, Bd. 1, Berlin 1931, S. 373.

XLIV Die Ablehnung außerparlamentarischer Kampfmethoden auch unter den verschärften Bedingungen der Weltwirtschaftskrise und des Faschisierungsprozesses ab 1929 führte zur Polarisierung der Klassenkräfte und zur Spaltung der Gewerkschaft ähnlich der Anfangsphase der Weimarer Republik. Der DLV hatte von 1930 zu 1931 einen Mitgliederschwund von 20 Prozent.12 Mit der SPD- und ADGB-Führung versagte auch die DLVBürokratie am 30. Januar 1933 und bezahlte ihren legalistischen Kurs des Abwartens und Stillhaltens gegenüber der faschistischen Diktatur mit der Auflösung der Gewerkschaft am 2. Mai 1933. Die zahlenmäßig zweitstärkste Landarbeiterorganisation war der als christlich-nationale Arbeitnehmergewerkschaft 1912 gegründete „Zentralverband der Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter Deutschlands" (ab 1920 „Zentralverband der Landarbeiter"). Er stellte die größte bürgerliche Landarbeitergewerkschaft dar, nicht nur christlich-sozial, sondern auch stark nationalistisch ausgerichtet. Franz Behrens, der langjährige evangelische erste Vorsitzende, war zunächst als Mitglied der DNVP und ab 1929 als Mitglied des Christlich-sozialen Volksdienstes Reichstagsabgeordneter. Auch der ZdL profitierte aus der Novemberrevolution. So wuchsen die Mitgliederzahlen 13 in den ersten Jahren der Weimarer Republik von 1918 1919 1920 1921 1922 192314

6 972 (im Jahresdurchschnitt) auf 55 753 89 108 103 722 103 321 87 786.

Ab Mitte der 20er Jahre entwickelte sich der Mitgliederstand (am Jahresende) wie folgt: 1926 1927 1928 1929 193015 193116

80 000 80 000 81 000 81 000

73 000 62 000.

12 Vgl. Jahrbuch 1931, S. 184. 13 Vgl. Zehn Jahre christlich-nationale Landarbeiterbewegung 1913—1923, Berlin 1923, S. 46. 14 Vgl. Verhandlungsbericht über den 3. Verbandstag des Zentralvorstandes der Landarbeiter vom 18.—20. Juli 1926 in Berlin, Berlin 1926, S. 32. 15 Vgl. Internationales Handwörterbuch, Bd. 2, S. 1736. 16 Vgl. Jahrbuch der Christlichen Gewerkschaften 1932, Berlin 1932, S. 50.

XLV Die Mitglieder kamen nicht nur aus der katholischen Landarbeiterschaft Schlesiens, sondern auch aus der protestantischen der Provinzen Ostpreußen und Sachsen. Für die relative Stetigkeit der Mitgliederstärke war ähnlich wie bei der Zentrumspartei die konfessionelle Bindung ausschlaggebend. Der ZdL, der sich im Laufe der 20er Jahre immer mehr zu einer „gelben" Gewerkschaft mauserte17, war 1918/19 unter dem Druck der Klassenauseinandersetzungen auf dem Lande gezwungen, „die Landarbeiterfrage als eine soziale Frage" in den Vordergrund zu rücken.18 Bewußt erkannte er den Streik als Kampfmittel an, verlangte aber Tariftreue und stellte die gewerkschaftlichen Rechte seiner Mitglieder wie Arbeitsvermittlung, kostenlose Rechtsberatung, Unterstützung bei Krankheit und Sterbefällen, ländliche Wohlfahrt und Verbesserung von Wohnungs- und Gesundheitswesen in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Sein Programm, ein Konglomerat von christlich-sozialen und bürgerlich-nationalistischen Elementen, lief darauf hinaus, ein ideologisches und organisationspolitisches Gegengewicht gegen den sozialdemokratisch ausgerichteten Deutschen Landarbeiterverband zu schaffen, die Landarbeiter vom Klassenkampf und von revo-, lutionären Forderungen nach Enteignung des Großgrundbesitzes abzuhalten und eine Politik des „sozialen" und „Wirtschaftsfriedens", der Klassenharmonie und der „Dorfgemeinschaft"19 zu propagieren. In diesen Auffassungen traf sich die Bielefelder Zentrale des ZdL mit Ansichten von Agrarkapitalisten, die die Notwendigkeit einer starken, äußerlich von den Einflüssen der Unternehmer freien Organisation der Landarbeiter erkannten. Zu den Förderern des ZdL gehörte der oberschlesische Graf Hans von Praschma, der als einflußreicher Vertreter des adligen Flügels der Zentrumspartei im Frühjahr 1919 im Briefwechsel mit dem deutsch-nationalen Vorsitzenden des ZdL, F. Behrens, die Formierung einer starken Provinzialorganisation Schlesien anregte.20 Im Laufe der Zeit trat auch die Übereinstimmung mit den Zielen des Reichslandbundes (RLB) immer deutlicher zutage, der durch seine nationalistische Landvolkideologie die Fiktion einer „Schicksalsgemeinschaft" zwischen Großgrundbesitzern und werktätiger Landbevölkerung zu schaffen suchte. Nachdem der Hauptvorstand des ZdL beschlossen hatte, sich nicht am Generalstreik gegen den Kapp-Putsch zu beteiligen, war die 17 Vgl. Beiträge zur Agrarfrage, S. 163. 18 Vgl. F. Behrens, Gewerkschaftliche Selbsthilfe der Landarbeiter, Bielefeld 1919, S. 5; Dok. Nr. 3. 19 Vgl. P. Zanona, Dorfgemeinschaft ( = Schriftenreihe des Schlesisehen Landbundes, H. 8), Schweidnitz 1922; allg. M. Schneider, Die christlichen Gewerkschaften 1894-1933, Bonn 1982, S. 530 ff., 578 ff. 20 Vgl. WAPw Opolü, Schloßarchiv Praschma, Nr. 1140, Bl. 147 f£. (Dok. Nr. 4, 5).

XLVI Bahn frei für eine Rechtsentwicklung, die im Herbst 1921 zu einem Abkommen des ZdL mit dem RLB führte. 21 In den Provinzen Schlesien22 und Sachsen 23 trat der ZdL den Landbünden korporativ bei und vereinbarte mit ihnen die „Förderung des Landarbeiterstandes". Gemeinsames Ziel war die Ablehnung der „staats- und gesellschaftsfeindlichen Auffassung von Klasseninteressen und Klassenkampf" und die Erziehung der Landarbeiter zu antiproletarischem Bewußtsein. Die Großagrarier münzten es in ihrem Interesse in antikapitalistische, ständische Vorstellungen um. Insofern waren die Unterschiede zwischen diesem, in Schlesien und der Provinz Sachsen praktizierten christlich-nationalen Modell und dem pommerschen Prinzip des organisatorischen Anschlusses der Landarbeiterorganisation an den Landbund in Gestalt des Reichslandarbeiterbundes gar nicht so groß. Trotz einer in vieler Hinsicht ähnlichen Programmatik gab es Gegensätze zwischen der christlich-nationalen und der wirtschaftsfriedlichen Landarbeiterorganisation. 24 Der ZdL, bewußt auf Massengewinnung in solchen preußischen Provinzen ausgerichtet, "wo die Landwirtschaft innigere Fühlungnahme mit der Industrie hatte und der Einfluß von KPD, USPD und SPD entsprechend groß war, hielt auch in den Jahren der relativen Stabilisierung des Kapitalismus an seinem gewerkschaftlichen Charakter fest. Die verstärkten Angriffe der Großgrundbesitzer auf die wenigen sozialen Rechte der Landarbeiter ab Mitte der 20er J a h r e forderten ihn immer wieder zu Vorschlägen sozialer Versöhnung heraus. 25 Dabei ließ er den ostelbischen Junkern so Gerechtigkeit widerfahren: „Der unsoziale Arbeitgeber ist keine typisch ,ostelbische' Erscheinung. Der ,Herr-im-Hause-Standpunkt' ist auch ,westelbich' sehr stark vertreten. Es ist für uns ein Gebot der Gerechtigkeit, ausdrücklich zu betonen, daß in dem so viel und abfällig genannten und doch recht wenig bekannten ,Ostelbien' weit mehr soziales Verantwortungsbewußtsein anzutreffen ist als anderwärts." 26 Der ZdL, immer wieder zur Neubelebung der gescheiterten Arbeitsgemeinschaftspolitik bereit 27 , ordnete sich parteipolitisch und ideologisch den beiden großbürgerlichen Parteien, Zentrum und DNVP, unter, auch wenn 21 Vgl. P. Zanona, a. a. O., S. 15 ff.; Zehn Jahre, S. 31. 22 Vgl. P. Zanona, a. a. O., S. 18 f. 23 Vgl. W. Vogler, Probleme, a. a. O., S. 371; J. Flemming, Großagrarische Interessen und Landarbeiterbewegung, in: Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1974, S. 759 f. 24 Vgl. J. Flemming, a. a. O., S. 760. 25 Vgl. z. B. H. Böhm, Vorschläge zur Lösung der Landarbeiterfrage. Vortrag, gehalten auf dem 3. Verbandstag des ZdL (18.-20. Juli 1926 in Berlin), Berlin 1926. 26 Ebenda, S. 46. 27 Vgl. ebenda, S. 48.

XLVII es dabei zu Kontroversen kam. 28 Seine nationalistische, an der katholischen Soziallehre orientierte „antimodernistische" Ständevorstellung knüpfte an die Rückständigkeit Tausender Landarbeiter an und schuf schließlich einen günstigen Nährboden für die faschistische Agrarideologie. Eine von den Großgrundbesitzern ausgehaltene und in ihrem Sinn agierende Landarbeiterorganisation war der Reichslandarbeiterbund (RLAB), der am 20. Mai 1920 unter Vorsitz des deutschnationalen Reichstagsabgeordneten und ehemaligen Landarbeiters Johannes Wolf gegründet wurde. Ausgangspunkt war Pommern, wo die Junker schon 1919 an berufsständische Gedanken anknüpften, um die Landarbeiter von einer Organisierung in Gewerkschaften abzuhalten. Was in der Industrie nach der Novemberrevolution nur schwer durchzusetzen war, auf den ostelbischen Gütern schienen die Voraussetzungen gegeben, um an die Stelle des Klassenkampfes den „friedlichen" Ausgleich der Interessengegensätze zwischen Großagrariern und Landarbeitern treten zu lassen. 29 Grundanliegen war die Verhinderung von Streiks. Darüber hinaus waren Antikommunismus, Gewerkschaftsfeindlichkeit, Nationalismus und Protestantismus als gemeinsame Klammer gedacht. Die pommerschen Junker korrumpierten ihren Landarbeiterbund offen durch materielle Besserstellung wie höhere Deputate und finanzielle Propagandazuschüsse und bevormundeten ihn organisatorisch. Der Bund wuchs in Pommern von 54 841 Mitgliedern (1921) auf 72 061 (Ende 1922) und hatte 1927 eine Stärke von 43 583. 30 In den Jahren der revolutionären Nachkriegskrise erreichte er die gleiche Mitgliederzahl wie die Provinzialorganisation des DLV. In den anderen Provinzen Preußens war diese „wirtschaftsfriedliche" Bewegung weit schwächer ausgeprägt. 31 Das hing hauptsächlich mit der ablehnenden Haltung der Agrarkapitalisten zusammen; das Prinzip der Arbeitsgemeinschaft brachte bessere Möglichkeiten zur Anpassung an die Anforderungen der neuen Epoche des Ubergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus als das Festhalten an vorrevolutionären Leitbildern. Nur im Brandenburgischen Landbund gab es eine starke, „wirtschaftsfriedlich" ausgerichtete Landarbeitergruppierung (Ende 1922: 19 887, 1927: 16 154 Mitglieder 32 ), während es in Schlesien, Ostpreußen und der ProvinzSachsen 28 Vgl. M. Schneider, a. a. O., S. 526 ff., 563 ff. 29 Vgl. C. v. Eickstedt, Wiederaufbau, a. a. O.; H. Brauweiler, Die ständische Bewegung und die Landwirtschaft, Berlin 1922. 30 Vgl. H. Hildebrandt, Die Rolle der sog. „wirtschaftsfriedlichen" Landarbeiterbewegung in Ostelbien während der Weimarer Republik, phil. Diss. A, Rostock 1969, S. 67. 31 Vgl. K. Vorwerck, Die wirtschaftsfriedliche Arbeitnehmerbewegung, Jena 1926, S. 128 f. 32 Vgl. H. Hildebrandt, a. a. O.

XLVIII zur Vereinigung der zahlenmäßig kleinen Gruppen des Landarbeiterbundes mit dem ZdL kam. Der Mitgliederschwund nach 1924 hing mit den veränderten konjunkturellen Bedingungen zusammen, wodurch die Streikbewegung abflaute und sich die gewerkschaftliche Stellung konsolidierte. Der pommersche Landbundführer Hans-Joachim von Rohr (Demmin) versuchte 1926 mit der Gründung der „Berufsständischen Arbeitsgemeinschaft auf dem Lande" dem zu begegnen. Sie fiel in dasselbe Jahr wie die Installierung des „Bundes für Nationalwirtschaft und Werksgemeinschaft" in der Ruhrindustrie. Zu diesem Zeitpunkt trat der in der DNVP parteimäßig gebundene, stark am Junkertum orientierte Konservatismus auch politisch in den Vordergrund. Trotzdem erfolgte die Zuerkennung des RLAB auf gesetzliche Gleichberechtigung mit den Gewerkschaften erst durch den Reichsarbeitsminister Schäffer im Oktober 1932. Die Papen-Regierung rechnete dem Bund an, daß er jahrelang für den „Frieden" zwischen den antagonistischen Klassen gekämpft und freiwillig auf den Streik verzichtet hatte. Seldte bestätigte das als Arbeitsminister am 6. April 1933.33 Damit war das „Monopol der Gewerkschaften" endgültig gebrochen. So ergab sich die widersprüchliche Tatsache, daß einerseits die konservativ-ständische Lösung der „Arbeiterfrage", wie sie der Pommersche Landbund ideologisch und praktisch-politisch vertrat, dem seit Beginn der 30er Jahre wachsenden Masseneinfluß der Nazis auf dem Land unmittelbar Vorschub leistete. Andererseits konnten die Faschisten diese Erfolge nur deshalb erringen, weil sie sich von den anachronistischen Vorstellungen des Pommerschen Landbundes lösten und mit scheinradikalen Phrasen und sozialdemagogischen Mitteln und Methoden operierten. Letztendlich entsprach die faschistische „Lösung" der Landarbeiterfrage den Gesamtinteressen von Monopolkapital und Großgrundbesitz. Neben diesen opportunistisch, christlich-national und „gelb" ausgerichteten Landarbeiterorganisationen gab es in der Weimarer Republik zeitlich begrenzt oppositionelle Landarbeiterverbände, die kommunistisch beeinflußt waren. Dazu gehörte der „Freie Landarbeiterverband", der in die „Union der Hand- und Kopfarbeiter Deutschlands (Räteorganisation)" aufging. Er wurde im November 1920 aus den durch die Spaltung der mitteldeutschen Organisationen des DLV entstandenen Verbänden und einer erheblichen Anzahl von ausgetretenen DLV-Mitgliedern im Freistaat Braunschweig als „Freier Verband der Landarbeiter und verwandter Berufe Deutschlands, Sitz Braunschweig", in Magdeburg gegründet. 34 33 Vgl. ebenda, S. 124. 34 Vgl. Seid einig! — Ein Mahnwort an alle Mitglieder des Deutschen Landarbeiterverbandes, hrsg. v. Vorstand des DLV, Berlin 1921, S. 31, in: ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 348, Bl. 100; G. Laubscher, a. a. O., S. 207 f.

IL Dem DLV waren nach eigenen Angaben 374 Ortsgruppen mit 30 411 Mitgliedern verlorengegangen. 35 Trotzdem läßt sich die Mitgliederzahl des „Freien Landarbeiterverbandes", wie er später kürzer genannt wurde, nicht exakt nachweisen. Die Angaben schwanken zwischen 1 000 und 100 000. 36 Sie dürften aber zwischen 20 000 37 und 30 000 gelegen haben. Der Verband setzte sich die Sozialisierung der Landwirtschaft und die Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Landarbeiter zum Ziel. Folgende Forderungen wurden gestellt: ,,a) Ausbau des Rätesystems, b) Einführung von Landarbeitergerichten, c) Abschaffung aller Ausnahmebestimmungen gegen die Landarbeiterschaft, d) Gewährung von freiem Rechtsschutz bei Streitigkeiten mit den Arbeitgebern und der Sozialgesetzgebung, e) Gewährung von Streiks- und Maßregelungsunterstützung, f) Gewährung von Krankenunterstützung, g) Wochenhilfe, h) Begräbnishilfe, i) Einführung einer Wohnungskontrolle, j) Pflege der geistigen Ausbildung durch Abhaltung von Versammlungen, Kursen, Schaffung von Bibliotheken und Zeitungen." 38 Die Zielstellung des Verbandes, sein Eintritt in die Rote GewerkschaftsInternationale (RGI), die im Juli 1921 in Moskau gegründet wurde, und der Vertrieb der von der KPD herausgegebenen Zeitung „Der Kommunistische Landarbeiter" in den Ortsgruppen 39 verdeutlichen den vorherrschenden kommunistischen Einfluß. Die Zentrale der KPD, die auf dem Vereinigungsparteitag mit dem linken Flügel der USPD solche Spaltungen als sektiererisch und deshalb als falsch und schädlich einschätzte"50, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage, durch langwierige und geduldige Überzeugungsarbeit die oppositionellen Mitglieder im DLV zu stärken, die opportunistische Verbandsführung zu isolieren und den DLV insgesamt in eine revolutionäre Klassenorganisation umzuwandeln. Bald schon zeigte sich, daß die Abspaltung vom DLV ein schwerwiegender Fehler war. Im Jahre 1921 wies die KPD nach, daß sich der Freie Landarbeiterverband und die anderen kleineren Verbände, die sich vom DLV getrennt hatten, wegen ihrer schmalen organisatorischen Basis und der damit verbundenen relativ geringen finanziellen Kraft für Streikkämpfe, aber auch auf Grund der zum Teil abenteuerlichen Politik ihrer Führer und starker organisatorischer Mängel, die Streikniederlagen zur Folge hatten, nirgends 35 Vgl. Bericht des Verbandsvorstandes über die Verbandsarbeit in den Jahren 1920 bis 1922, a. a. O., S. 5 f. 36 Vgl. W. Vogler, Probleme, a. a. O., S. 374 f. 37 Vgl. Beiträge zur Agrarfrage, S. 163. 38 Seid einig!, S. 30 f. 39 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 348, Bl. 95. 40 Vgl. Bericht über die Verhandlungen des Vereinigungsparteitages der USPD (Linke) und der KPD (Spartakusbund), abgehalten in Berlin vom 4.12. bis 7.12.1920, Berlin 1921, S. 188. 4 Ostelb. Landarbeiter III

L durchsetzen oder halten konnten. Die Konsequenz war die Isolierung revolutionärer Kräfte von der Masse der Gewerkschafter. „Die ehrlich gesonnenen Landarbeiter sind auch hier enttäuscht worden und zum Teil F ü h rern' in die Hände gefallen, die wohl radikaler als die DLV-Bür.okraten, aber auch stark von persönlichen Motiven, Ehrgeiz oder Abenteuerlust geleitet wurden. Immer jedenfalls sind sie getrennt von der Masse der Landarbeiter, ohne deren Zusammenfassung und Schulung die Revolution nun einmal nicht durchzuführen ist."41 Von Anfang an versuchte die KPD, die abgespaltenen Splittergruppen in die sich entwickelnde Einheitsfront einzubeziehen. Ihr „Offener Brief" vom Januar 1921 bot dazu einen guten Ansatz. Die fehlerhafte Haltung verschiedener Führer der KPD zur Märzprovokatton in Mitteldeutschland und das brutale Vorgehen der Reaktion gegen die des Freien Landarbeiterverbandes nach Niederschlagung der Aktion schwächten den Verband weiter. Hinzu kam, daß die im Mitteldeutschen Tarifamt vereinigten „Arbeitgeber" und „Arbeitnehmer" (DLV, ZdL, Allgemeiner Schweizerbund) ihm unter antikommunistischen Verleumdungen die Tariffähigkeit absprachen. Viele enttäuschte Landarbeiter verließen im Laufe des Jahres 1921 den Verband wieder, suchten erneut Anschluß an den DLV, traten dem ZdL bei oder blieben unorganisiert.42 Der Rest des Freien Landarbeiterverbandes vereinigte sich am 6. September 1921 in Halle mit der Freien Arbeiter-Union (Gelsenkirchen) und dem Verband der Hand- und Kopfarbeiter zur „Union der Hand- und Kopfarbeiter Deutschlands (Räteorganisation)".43 15 Delegierte des Freien Landarbeiterverbandes vertraten auf dem Vereinigungskongreß 25 000 Mitglieder. Unter dem Einfluß der KPD beschloß der Kongreß, die bisherige sektiererische Losung der drei vereinigten Verbände „Heraus aus den Gewerkschaften" aufzugeben und sich zum Ziel der RGI zu bekennen, den Kampf für die Eroberung und nicht für die Zerstörung der Gewerkschaften zu betreiben. Die praktische Politik der Führer der „Union" aber blieb weiter auf die Spaltung der Gewerkschaft gerichtet. Unter den Landarbeitern Mitteldeutschlands lösten sie im April 1922 einen Streik aus, der, politischideologisch völlig unvorbereitet, als Niederlage mit ernsten negativen Folgen endete.44 Die Mitglieder verließen scharenweise den Verband, so daß er völlig bedeutungslos wurde. Die KPD orientierte in den Jahren 1922/23 immer wieder darauf, den 41 Die Rote Fahne, Nr. 322, v. 16.7.1921, zitiert nach: W. Vogler, a. a. O., S. 348. 42 Vgl. ebenda, S. 379. 43 Vgl. Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Chronik, Teil II, Berlin 1966, S. 117. 44 Vgl. W. Vogler, a. a. O., S. 383 ff.

LI DLV von innen her zu erobern. Es war die arbeiterfeindliche und antikommunistische Haltung des DLV, die viele Mitglieder, verbittert und enttäuscht, zum Verlassen des Verbandes zwang oder die oppositionellen Mitglieder ausschloß. Forderungen nach Neubildung eines kommunistisch beeinflußten Landarbeiterverbandes wurden laut. Im November 1923 vereinigten sich in Berlin oppositionelle DLV-Mitglieder mit den Resten der Industriegruppe Landwirtschaft der „Union der Hand- und Kopfarbeiter". Der neue Verband erhielt den Namen „Verband der Wald- und Landarbeiter Deutschlands" und schloß sich der RGI an. Seine wichtigsten Einflußgebiete waren Ostpreußen, Brandenburg und die Regierungsbezirke Merseburg und Magdeburg der Provinz Sachsen. 45 Aber auch dieser Verband konnte keine Massenbasis gewinnen. Ende 1924 löste er sich selbst auf, da sich der DLV bereit erklärt hatte, die ehemaligen Mitglieder wieder aufzunehmen. Die KPD orientierte auf die Einheit der gewerkschaftlichen Organisation und die Bildung kommunistischer Zellen innerhalb des DLV. 46 Nach der Bildung des Thälmannschen ZK 1925 setzte die KPD immer konsequenter auch in der Gewerkschaftspolitik marxistisch-leninistische Positionen durch und verstärkte ihre Arbeit auf dem Lande. Wegen des scharfen antikommunistischen Kurses und der Spaltungsmaßnahmen der reformistischen Gewerkschaftsinstanzen war es außerordentlich schwierig, den Kurs der Partei auf „Formierung der revolutionären Front in den Gewerkschaften" durchzuhalten. 47 Es gelang nicht, die ausgetretenen Landarbeiter für den DLV zurückzugewinnen. Im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise, dem verschärften imperialistischen Kurs auf Abbau der sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse und ihrer Revolutionierung kam es erneut zu Ausschlüssen von Kommunisten, ganzen Branchengruppen und Ortsorganisationen aus dem ADGB. Die KPD suchte nach Wegen, die kampfbereiten Arbeiter zu mobilisieren. „Auf der Suche nach entsprechenden Organisationsformen entwickelte sich die in den Gewerkschaften bestehende revolutionäre Opposition jedoch zunehmend zu einer selbständigen Organisation. Sie bildete Ende 1929/Anfang 1930 eine zentrale Reichsleitung der revolutionären Gewerkschaftsopposition, die sich auch bezirkliche Leitungen schuf. Die revolutionären Gewerkschafter und die KPD waren der Meinung, daß sie die Massen auf diese Weise besser * und umfassender für den einheitlichen Kampf gewinnen und organisieren können. Solche Überlegungen waren die Antwort auf die Stillhalte- und Streikbruchpolitik der rechten Gewerk45 Vgl. F. Hering, Die Landarbeiter und ihre Gewerkschaften, Berlin 1929, S. 34 f. 46 Vgl. IML/ZPA, St. 12/47, Bd. 1, Bl. 166 f. 47 Vgl. Ernst Thälmann. Eine Biographie, Berlin 1979, S. 407. 4»

LH schaftsführer. Sie drückten aber auch eine Überschätzung des Bewußtseinsstandes der Massen der Arbeiter sowie Stimmungen revolutionärer Ungeduld aus."48 1930/31 entstanden nach dem Streikbruch rechter Führer in verschiedenen Branchengewerkschaften Rote Einheitsverbände. Es wurde auch eine revolutionäre Landarbeitergewerkschaft gefordert. Im März 1931 kam es in fast allen preußischen Provinzen zur Gründung des „Einheitsverbandes der Land- und Forstarbeiter" (EVLF), der Mitglied der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) und der RGI war. Entsprechend den Satzungen hatte der EVLF die Aufgabe, die Landarbeiter in einem revolutionären Klassenverband zusammenzufassen. Zur Durchsetzung der Kampfforderungen sollten ständige Einheitsfrontorgane wie rote Gutsräte und RGOBetriebsvertrauensleute gebildet werden, zeitweilig unterstützt durch Kampfausschüsse, Delegiertenkonferenzen, Streikleitungen und Wahlausschüsse.49 In der Provinz Brandenburg50, in Ostpreußen51 und in der Provinz Sachsen52 wuchs die Mitgliederzahl rasch an. Sie rekrutierte sich aus oppositionellen Mitgliedern von DLV und ZdL und unorganisierten Landarbeitern. Die KPD intensivierte seit 1930 und besonders seit Verkündung des Bauernhilfsprogramms im Mai 1931 ihre Arbeit auf dem Lande. Zahlreiche Frühjahrs- und Erntestreiks der Landarbeiter in den Jahren 1931 und 1932 fanden unter ihrer Leitung statt. Es gelang den KPD-Abteilungen Land durch bezirkliche Kampfkongresse der Landarbeiter und EVLFFunktionäre, durch Dorfzeitungen und Flugblätter den Streikforderungen eine einheitliche Stoßrichtung zu geben. Verlangt wurde die unmittelbare Verbesserung der Lebenslage der Landarbeiter wie Lohnerhöhung, Gewährung von Erntezulagen, gleiche Entlohnung für Männer und Frauen, Wiederaufnahme der Arbeitslosenversicherung u. ä. Darüber hinaus gehörte es zur Strategie und Taktik der Partei im Kampf gegen den aufkommenden Faschismus, den „roten" Einheitsverband für die Einheitsfront der Arbeiterklasse und die sich entwickelnde Antifaschistische Aktion zu gewinnen. Die organisatorische Selbständigkeit der oppositionellen Landarbeitergewerkschaft erwies sich auch in dieser Situation als Fehler. Der EVLF blieb eine kleine Splittergruppe mit einigen zehntausend Mitgliedern. Es dominierten die traditionelle Bindung an die alten Gewerkschaften und 48 49 50 51 52

Geschichte des FDGB, Berlin 1982, S. 131. Vgl. Dok. Nr. 64; IML/ZPA, St. 10/105, Bd. 5, Bl. 486 f. Vgl. ebenda, Bd. 6a, Bl. 143 f. Vgl. R. Neddermeyer, Es begann in Hamburg ..., Berlin 1980, S. 160 ff. Vgl. H. Zeise, Der Kampf der KPD-Bezirksorganisation Halle—Merseburg um die Verwirklichung des Bauernhilfsprogramms der KPD, phil. Diss. A, Halle 1981, S. 142 f.

LIII der damit verbundene Einfluß der reformistischen Führer. 53 Hinzu kam, daß unter den Landarbeitern weiterhin reaktionäre Parteien und Organisationen wie der RLB und der Stahlhelm starken Einfluß ausübten. Ab 1931/32 war es die Nazipartei, die durch die Bildung nationalsozialistischer Betriebszellen auf den Gütern die zunehmende Unzufriedenheit der Landarbeiter in eine scheiinradikale Richtung zu lenken versuchte. 53 Vgl. Geschichte des FDGB, a. a. O.

4. Der Kampf der KPD um die Gewinnung der Landarbeiter Teil der Gesamtpolitik der KPD war die Gewinnung der Landarbeiter. Um das Landproletariat von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrükkung zu befreien, mußte dessen Klassenbewußtsein entwickelt und es organisatorisch in Gewerkschaften als Schulen des proletarischen Klassenkampfes zusammengefaßt werden. Fast ein Drittel in Gewerkschaften organisierte Landarbeiter waren unmittelbar nach der Novemberrevolution ein gewaltiges Potential. Die im Vergleich zu den Industriearbeitern unterschiedliche Arbeits- und Lebensweise des Landproletariats erforderte nicht nur modifizierte Formen und Methoden der politischen Beeinflussung, sondern auch eine klare marxistisch-leninistische Agrarkonzeption der KPD. Deren Ausarbeitung vollzog sich über einen längeren Zeitraum und stand in engem Zusammenhang mit der schöpferischen Anwendung der Leninschen Revolutionstheorie auf Deutschland. Die Befreiung der Landarbeiter war Teil der Bauernbefreiung, die über eine antiimperialistische Agrarrevolution führte und in der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft ihre Vollendung fand. Bereits auf ihrem Gründungsparteitag betrachtete die KPD das Einbeziehen der werktätigen „Landbevölkerung in den Kampf gegen Großbourgeoisie und Großgrundbesitz" als Voraussetzung für den Sieg der Revolution.1 Rosa Luxemburg rief die Delegierten auf, im Interesse der revolutionären Umgestaltung ihr Augenmerk auf das flache Land und die Industriezentren gleichermaßen zu richten. Sie forderte, besonders „das landlose Proletariat und das Kleinbauerntum mobil zu machen" und dazu die Landarbeiter und die Kleinbauern in das Rätesystem einzubeziehen.2 Das Gründungsprogramm der KPD enthielt als grundlegendes Ziel die entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes, setzte sich aber nicht für die Aufteilung dieser Ländereien ein. Die KPD forderte „Bildung sozialistischer landwirtschaftlicher Genossenschaften im ganzen Reiche".3 Auch die ungenügende Differenzierung der Bauernschaft4, die sich in 1 2 3 4

Vgl. Protokoll des Gründungsparteitages der KPD, Berlin 1972, S. 59. Vgl. ebenda, S. 219. Ebenda, S. 321. Vgl. H. Schäwel, Die Bedeutung des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale für die weitere Ausarbeitung der Bündnispolitik der

LV

den Gründungsdokumenten und der praktischen Bündnispolitik ausdrückte, bewies, daß die umfassenden Erfahrungen der Bolschewik! noch unberücksichtigt geblieben waren. Einen großen Schritt voran machte die KPD mit ihrem Agrarprogramm vom Sommer 1919, das mit einigen Veränderungen auf dem Vereinigungsparteitag im Dezember 1920 beschlossen wurde. 5 Um die Wirksamkeit der Agitation unter den Landarbeitern und Bauern zu erhöhen, wurde im Juli 1919 eine Abteilung Land bei der Zentrale der KPD gebildet und die Zeitung „Der Pflug" herausgegeben. Der Leitgedanke des Agrarprogramms war die Revolutioniierung der Landarbeiter und das enge Zusammenwirken von Arbeiterklasse und Bauernschaft. Die Forderung nach einer Bodenreform wurde aber noch nicht erhoben.6 Ein wichtiger Meilenstein bei der Überwindung sektiererischer Auffassungen in der Agrarfrage war der 4. Parteitag der KPD vom April 1920. Er würdigte das Verhalten der Landarbeiter während des Kapp-Putsches und schlußfolgerte, daß die „Landarbeiterschaft in ihrer Masse . . . in den aktiven revolutionären Kampf bereits eingetreten" ist. Edwin Hoernle und andere Redner betonten die „Empfänglichkeit" der Landarbeiter für die „kommunistischen Grundsätze und Parolen". 7 Der Einfluß der Partei auf dem Land war im Frühjahr 1920 erheblich gewachsen. Die Reaktion des Klassengegners bestätigte das. Der Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung gab zu, daß er „bezüglich der Bekämpfung der kommunistischen Agitation unter den Landarbeitern . . . mit dem Vorsitzenden des Landarbeiterverbandes, Herrn Abgeordneten Schmidt", in Verbindung stehe.8 Auch das Preußische Landwirtschaftsministerium tauschte mit dem DLV-Vorstand vertraulich Materialien über die kommunistische Landagitation aus. Dabei wurde der DLVFührung empfohlen, die Taktik der KPD mit „schärfster Aufmerksamkeit" zu verfolgen und eine wirkungsvolle Gegenpropaganda zu entfalten. 9

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KPD mit den werktätigen Bauern, in: Studien zur ideologischen Entwicklung der KPD 1919—1923, hrsg. v. W. Imig und W. Kisljakow, Berlin 1981, S. 124 f. Vgl. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. VII/1, Berlin 1966, S. 373 ff. (Dok. Nr. 20). Vgl. Edwin Hoernle, Ein Leben für die Bauernbefreiung, Berlin 1965, S. 37. Vgl. (Dok. Nr. 13; Bericht über den 4. Parteitag der KPD am 14. und 15. April 1920, o. O. o. J., S. 81. Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 348, Bl. 2 (Schreiben des Staatskommissars für die Überwachung der öffentlichen Ordnung an das Preußische Landwirtschaftsministerium vom 12. 2.1920). Vgl. ebenda, Bl. 3, 107.

LVI Nach dem Parteitag verstärkte sich die Agitations- und Propagandaarbeit der KPD. Mit dem „Kommunistischen Landarbeiter" erschien ab Mai 1920 eine gesonderte Zeitung für das Landproletariat. Flugblätter und Flugschriften wurden herausgegeben. Bei den Bezirkssekretariaten und in den KPD-Ortsgruppen wurden Vertrauensleute bzw. Kommissionen mit den spezifischen Aufgaben der Landagitation betraut. Im Herbst 1920 konnte „Der Kommunistische Landarbeiter" berichten, daß im KPD-Bezirk Mitteldeutschland in 56 von 70 Ortsgruppen Landagitationskommissionen und in den fünf Unterbezirken Leipzig, Weißenfels, Zeitz, Merseburg und Bitterfeld Zentrale Landagitationskommissionen bestanden. 10 Auf einer „Reichskonferenz der Landvertrauensleute" in Berlin trafen sich Anfang Novemer 1920 auch oppositionelle Gruppen des DLV und Delegierte des „Freien Landarbeiter-Verbandes" aus Ostpreußen, der Niederlausitz, aus Mitteldeutschland und Sachsen-Anhalt. 11 Immer deutlicher wurde, daß zwischen dem revolutionären Kampf für ökonomische und politische Veränderungen und der Gewinnung der Landarbeiter ein Zusammenhang bestand. Die Arbeiterpartei mußte Forderungen stellen und Ziele verfolgen, die den Landarbeitern eine Perspektive boten und ihren Traum von eigenem Grund und Boden ebenso berücksichtigten wie die sozialistische Umgestaltung des Dorfes. Vom II. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale gingen im Sommer 1920 weitere Impulse für das Ringen um eine noch breitere Einbeziehung der werktätigen Landbevölkerung in den revolutionären Kampf, um eine marxistisch-leninistische Lösung der Bodenfrage aus. Lenins „Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur Agrarfrage" 1 2 und das einleitende Referat, vorgetragen vom Mitglied der KPD, Ernst Meyer, analysierten differenziert die einzelnen Gruppen der Landbevölkerung und leiteten daraus entsprechende Schlußfolgerungen für die Politik der kommunistischen Parteien ab. 13 Das an erster Stelle genannte Landproletariat wurde als aktiver Teil der Revolution gekennzeichnet, der für die Diktatur des Proletariats zu gewinnen sei. Die Kommunisten hatten die Aufgabe, „eine selbständige, von den anderen Gruppen der Landbevölkerung getrennte (politische wie militärische, gewerkschaftliche und genossenschaftliche wie kulturell aufklärende usw.) Organisation dieser Klasse zu schaffen, intensive Propaganda und Agitation in ihr zu betreiben" 14 und sie schließlich für die Ziele der Partei zu gewinnen. 10 11 12 13

Vgl. W. Vogler, Probleme, a. a. O., S. 196f.; H. Schäwel, a. a. O., S. 131 f. Vgl. Der Kommunistische Landarbeiter, Nr. 12, November 1920, S. 90 f. Vgl. W. I. Lenin, Werke, Bd. 31, Berlin 1959, S. 140 ff. Vgl. F. Apel, Zur Kontinuität und Aktualität der Agrar- und Bündnispolitik der Kommunistischen Internationale, in: Bauern und Landarbeiter im Klassenkampf, a. a. O., S. 92 f. 14 W. I. Lenin, a. a. O., S. 141.

LVII Lenin sah neben den Landarbeitern in den Halbproletariern oder Parzellenbauern und in der Kleinbauernschaft jene Gruppen, die für den Sozialismus gewonnen werden konnten. Sie seien „wirtschaftlich, sozial und kulturell am Sieg des Sozialismus interessiert"15 und durch einen tiefen Abgrund von den Gutsbesitzern und Agrarkapitalisten getrennt. Damit wandte sich Lenin gegen die Auffassung von der „Einheit" der Landbevölkerung, die die herrschende Klasse mit Unterstützung der Agrarrevisionisten verbreitete. Die Thesen gingen auch sehr differenziert an das Verhältnis der Kommunisten zu den Mittel- und Großbauern heran und wurden zur Grundlage kommunistischer Bündnispolitik über den Sieg der sozialistischen Revolution hinaus. Nach wie vor blieb die Frage der weiteren Verwendung des entschädigungslos enteigneten Bodens der Großgrundbesitzer in der Diskussion. Lenin sprach sich für die vorwiegende Beibehaltung der Großbetriebe in den entwickelten kapitalistischen Ländern aus, bezeichnete es jedoch als den größten Fehler, wollte man diese Regel zur Schablone erheben. Gegen jene gewandt, die eine Aufteilung des Bodens für Opportunismus und Verrat an der Revolution hielten, erklärte er, daß alle diese Fragen, auch eine vorübergehende Ertragsminderung, der Sicherung der Revolution unterzuordnen seien. Außerdem setze die Großproduktion einen „aufgeklärten, revolutionär bewußten Landproletarier voraus, der eine solide Schule der gewerkschaftlichen und politischen Organisation durchgemadit hat."16 Die Politik der kommunistischen Parteien aber hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht jene Reife erreicht, die eine schöpferische Anwendung der Leninschen Lösung der Agrarfrage ermöglichte. Auch in der Programmatik und Praxis der KPD gab es erst Ansatzpunkte für die Bewältigung des dialektischen Verhältnisse von Boden-, Bündnis- und Machtfrage. Ihr Agrarprogramm, angenommen im Dezember 1920, formulierte die Frage der Bodenaufteilung noch sehr vorsichtig. Es blieb bei der Forderung, nur in kleinbäuerliche Betriebe eingesprengte Güter aufzuteilen, die anderen genossenschaftlich zu bewirtschaften. E. Hoernle sprach später von nur ökonomischen, nicht politischen Gesichtspunkten, die das Programm bestimmten. Die demokratischen Postúlate seien nicht ausreichend gewesen.17 Für viele Mitglieder der VKPD war die Agrarfrage Neuland. Noch gelang es der Partei nicht in genügendem Maße, an die Stimmungen und elementaren Forderungen der Landarbeiter anzuknüpfen und dort wirk15 Vgl. ebenda, S. 143. 16 Ebenda, S. 148. 17 Vgl. E. Hoernle, Die Große Sozialistische Oktoberrevolution und das deutsche Dorf, a. a. O., S. 231 (Dok. Nr. 15).

LVIII sam zu werden, wo die opportunistische Gewerkschaf tsführung versagte. Sie sammelte erste Erfahrungen beim Durchsetzen sozialer Belange der Landarbeiter. So verlangte die KPD für 1921 einen Rahmentarifvertrag für das ganze Reich, der folgendes berücksichtigen sollte: Achtstundentag, wesentliche Erhöhung des Barlohns, ausreichende Deputate, Gleichstellung der Frauenlöhne mit den Männerlöhnen, Verbot der Kinderarbeit, Wohnungsaufbesserungen und Neubauten auf Kosten der Gutsbesitzer. 18 Auch für 1922 wurde ein Mustertarifvertrag entworfen 19 , der den unterschiedlichen Reifegrad des Klassenbewußtseins der Landarbeiter berücksichtigte und die nächstliegenden sozialen Forderungen enthielt. Die Partei versuchte das System der Landagitation auch organisatorisch zu festigen. Zur Herstellung eines engeren Kontaktes der Bezirksleitungen der großen Agrarbezirke mit der Abteilung Land bei der Zentrale der KPD wurden zwei Agrarkommissionen gebildet: eine für die Parteibezirke Brandenburg, Pommern, Mecklenburg, Wasserkante und Ostpreußen und eine zweite für die Bezirke Halle-Merseburg, Sachsen, Thüringen und Magdeburg, in denen alle Bezirkslandsekretäre und Redakteure der Bezirkszeitungen zur Mitarbeit verpflichtet waren. 20 Trotz finanzieller Schwierigkeiten wurden Flugblätter in einer Auflagenhöhe von 50 000 bis 100 000 Stück herausgegeben. Im Jahre 1922 zeigte sich die Partei den erhöhten Anforderungen, die die revolutionäre Nachkriegskrise an ihre Massen-, Gewerkschafts- und Bündnispolitik stellte, nicht voll gewachsen. Der Parteieinfluß war Ende 1922 in den ostelbischen Agrargebieten (Schlesien, Pommern, Ostpreußen) relativ gering und hauptsächlich auf die Städte beschränkt. Selbst im Bezirk Halle-Merseburg stand die organisatorische Basis der Partei in keinem günstigen Verhältnis zu ihrem politisch-ideologischen Einfluß auf dem Lande. Im Sommer 1922 war die KPD nur in 193 von insgesamt 1 574 Landgemeinden des Regierungsbezirkes Halle-Merseburg mit Ortsgruppen vertreten. 21 Die Unterschätzung der Landagitation fußte vor allem auf der opportunistischen Politik der Führungsgruppe der Partei um Brandler und Thalheimer. Wichtige Positionen auf dem Land wurden im Laufe des Jahres 1922 preisgegeben. „Der Kommunistische Landarbeiter" stellte zu Beginn des Jahres, die unter den Kleinbauern verbreitete Zeitung „Der Pflug" am 1. Oktober das Erscheinen ein. Ende 1922 wurde die zentrale Abteilung Land der Gewerkschaftsabteilung angegliedert. Das bedeutete die 18 Vgl. Dok. Nr. 22; Der Kommunistische Landarbeiter, 1921, Nr. 12, S. 91. 19 Vgl. IML/ZPA, 3/10/94, Bl. 17 f.; Aufruf der Zentrale der KPD vom Februar 1922 an die Landarbeiter zur Vorbereitung des Lohnkampfes, in: Dokumente und Materialien, Bd. VII/2, S. 36 ff. (Dok. Nr. 26). 20 Vgl. W. Vogler, Probleme, a. a. O., S. 298. 21 Vgl. IML/ZPA, 21/1/167, Bl. 101.

LVIX Reduzierung der Agrarfrage auf die gewerkschaftliche Organisation der Landarbeiter. Im Jahre 1923 oblag der jungen Kommunistischen Partei die schwierige Aufgabe, die Leninsche Revolutionstheorie sofort praktisch umzusetzen. Die im wesentlichen richtige Orientierung des Leipziger Parteitages vom Januar 1923 im Hinblick auf die Einheitsfront, die Bildung einer Arbeiterregierung und die Lösung der nationalen Frage mußte immer wieder gegen rechte und linke Abweichungen verteidigt werden. 22 Im Herbst 1923 erreichte die KPD noch nicht jenes Verhältnis von revolutionärer Klarheit, Prinzipienfestigkeit und Elastizität, um gegen die raffinierte Politik des Klassengegners und die verräterische Haltung der rechten SPD-Führer ihre revolutionären Forderungen durchzusetzen. Es hemmten sie dabei auch Versäumnisse in der Massenpolitik. So blieben die Dörfer im entscheidenden Monat Oktober überwiegend ruhig. 23 In dem Maße, wie sich der Leninsche Kern der Partei festigte, das Thälmannsche ZK herausbildete und die Politik der Partei bestimmte, gelang es den Kommunisten immer besser, was die unmittelbare Arbeit ständig bewies, daß die KPD als einzige Partei die Interessen der werktätigen Landbevölkerung ehrlich, konsequent und kontinuierlich vertrat. Die KPD verband dabei außerparlamentarische und parlamentarische Kampfmethoden, wandte vielfältige Formen der politischen Agitation an und engagierte sich für Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben des Landarbeiters. Die Jahre 1925/26 waren agrarpolitisch von vielfältigen Initiativen gekennzeichnet. Die KPD-Bezirksorganisation Halle-Merseburg veranstaltete Pfingsten 1925 „rote Müntzer-Tage" in Eisleben, um die dort noch lebendigen revolutionären Traditionen des deutschen Bauernkrieges zur Herstellung der Kampfgemeinschaft von Industrie- und Landarbeitern und des Bündnisses von Arbeiterklasse und Bauernschaft zu nutzen. Mit der Fürstenenteignungskampagne mobilisierte die KPD neben den Städten auch das flache Land. 24 Ihr Aufruf „Das Gesicht dem Dorfe zu!", veröffentlicht in der „Roten Fahne" vom 14. Februar 1926, kündete vom Beginn einer neuen Etappe in der marxistisch-leninistischen Agrarpolitik der Partei. Auch in den nächsten Jahren standen in Aufrufen, Rundschreiben und programmatischen Forderungen das uneingeschränkte Koalitionsrecht für die Landarbeiter und ihre volle Gleichstellung mit den Industriearbeitern in allen Lohn- und Arbeitsrechtsfragen im Mittelpunkt der Tätig22 Vgl. M. I. Orlova, Agrarnaja politika KPG v 1923 g., in: Problemy novoj i novejsej istorii, Moskva 1972, S. 189 ff. 23 Vgl. V. Klemm, a. a. O., S. 89. .24 Vgl. allg. H. Karl, Die deutsche Arbeiterklasse im Kampf um die Enteignung der Fürsten, Berlin 1957.

LX keit der Partei. 2 5 Es begann die Bildung von Parteiorganisationen auf dem Land u n d die v e r s t ä r k t e Arbeit der Landabteilungen bei den Bezirks- u n d Unterbezirksleitungen der Partei. Zu deren A u f g a b e n gehörten die A n leitung u n d Instruktion der Landvertrauensleute, der Vertrieb von Zeitungen u n d Flugblättern u n d die Organisierung roter Landsonntage. Auf d e m 11. P a r t e i t a g 1927 in Essen w u r d e n alle betrieblichen Parteiorganisationen verpflichtet, Patenschaften f ü r ein bestimmtes Dorf zu übernehmen. 2 6 Auch die Agitation u n t e r den polnischen Saisonarbeitern w u r d e intensiviert. Erste Erfolge in der Tätigkeit der Landobleute zeigten sich a m Ende der 20er J a h r e . Die K P D nutzte alle Ansatzpunkte zur G e w i n n u n g der Landarbeiter aus. Sie f o r d e r t e nach wie vor zunächst die gewerkschaftliche Organisation, die Wiederherstellung der Einheit des DLV mit den Splitterorganisationen 2 7 u n d eine proletarische Klassenpolitik im DLV. Bei der durchgängig antikommunistischen Haltung rechter SPD- u n d G e w e r k s c h a f t s f ü h r e r u n d der anwachsenden H ä r t e des Klassenkampfes am Ende der 20er J a h r e w a r die Gewerkschaftspolitik d e r P a r t e i v e r s t ä r k t sektiererischen Angriffen ausgesetzt. U n t e r der Leitung Ernst T h ä l m a n n s w u r d e auch die parlamentarische Arbeit der K P D f ü r den Ausbau des Masseneinflusses der K P D genutzt. „Die kommunistischen Abgeordneten verstanden es immer besser, aktuelle Tagesforderungen aufzugreifen u n d in Gesetzesvorschlägen f ü r die sofortige Lösung dringender wirtschaftlicher u n d sozialer Probleme zusammenzufassen." Sie erarbeiteten Alternativen zur imperialistischen Agrarpolitik u n d schlössen darin sowohl die allseitige Verbesserung der materiellen u n d kulturellen Lebensbedingungen der werktätigen Landbevölkerung als auch ihre B e f r e i u n g von Ausbeutung u n d U n t e r d r ü c k u n g ein. 28 Im Preußischen Landtag, wo die landwirtschaftlichen Probleme eine besondere Rolle spielten, entwickelte die kommunistische F r a k t i o n u n t e r dem Vorsitz von Wilhelm Pieck eine initiativreiche Tätigkeit. Ihre Mit25 Vgl. Das Gesicht dem Dorfe zu! Aufruf des ZK, der Reichstags-Fraktion und der Landtags-Fraktionen der KPD v. 14.2.1926, in: Dokumente und Materialien, Bd. VIII, S. 316 ff.; Arbeiter und Arbeiterinnen in der Land-, Weinbau- und Forstwirtschaft! Wahlaufruf v. 1928, in: IML/ZPA, SUF/16. 26 Vgl. Rundschreiben der Zentrale der KPD vom 23. Januar 1925 an die Bezirksobleute und Landvertrauensleute, in: IML/ZPA, St. 12/47, Bd. 1, Bl. 220; Beschluß des Essener Parteitages der KPD vom März 1927 zur Arbeit auf dem Lande, in: Dokumente und Materialien, S. 505 ff. (Dok. Nr. 39). 27 Vgl. z.B. Rundschreiben der Zentrale der KPD vom 23. Januar 1925, a. a. O. 28 Vgl. Kommunisten im Reichstag. Einleitung von K.-H. Leidigkeit, K. Haferkorn, Berlin 1980, S. 17 f., 23.

LXI glieder wie H. Rau, F. Möricke, P. Schwenk und R. Neddermeyer hatten durch ihre zeitweilige Tätigkeit in den ostelbischen Provinzen Preußens zum Teil große Erfahrungen in der Landarbeit gesammelt. Sie kannten die Arbeits-, Lohn- und Wohnverhältnisse der Landarbeiter aus eigener Anschauung. In den Anträgen und Anfragen der kommunistischen Fraktion wurden in den drei Wahlperioden des Preußischen Landtags bis 1932 solche Fragen in den Mittelpunkt gerückt, die sich aus der Rückständigkeit der ostdeutschen Landwirtschaft und den Angriffen der Großgrundbesitzer gegen die sozialen Rechte der Landarbeiter ergaben. Die kommunistischen Parlamentarier wandten sich unter anderem gegen die Beschränkung des Koalitionsrechts der Landarbeiter, das Einschränken ihrer persönlichen Freiheit durch schwarze Listen, den Zwang zur Frauen- und Kinderarbeit, gegen die willkürliche Kündigung von Tarifen und die Entlassung von Landarbeitern in den Wintermonaten, das Nichteinbeziehen von Landarbeitern und Landarbeiterinnen in den Versicherungsschutz, gegen Versammlungs- und Demonstrationsverbote und die körperlichen Mißhandlungen durch Junker und Gutsinspektoren.29 Im Unterschied zur Fraktion der SPD, die sich den reaktionären Vorstößen des Junkertums und dem schreienden Unrecht, das an Landarbeitern, ihren Frauen und Kindern begangen wurde, ebenfalls nicht entziehen konnte30, schlugen die Kommunisten grundsätzliche Lösungen vor. Immer verbanden sie damit weitergehende Vorstellungen vom Ausbau der sozialen Rechte der Landarbeiter. Die entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes und der Fürsten, die Aufhebung aller noch bestehenden gutsherrlichen Rechte und somit die grundlegende Veränderung der Besitzverhältnisse gingen weit über das hinaus, was die sozialdemokratische Fraktion z. B. im Februar 1928 zum Beschluß vorlegte. Dort heißt es: „... dafür Sorge zu tragen, daß die landwirtschaftlichen Großbesitzungen, die eine nach den örtlichen Verhältnissen zu bemessende Optimale, d. h. die volkswirtschaftlich angemessene Betriebsgröße, überschreiten — für den deutschen Osten etwa 750 ha —, den überschießenden Teil an die öffent29 Vgl. z.B. Preußischer Landtag, 2. Wahlperiode, 1. Tagung 1925, Urantrag Nr. 1645 v. 17. November 1925, in: ZStA Merseburg, Rep. 160 D, Xle F 2, Bd. 1, Bl. 30; Entschließungsantrag Nr. 7843 v. 28. Januar 1928, in: Ebenda, Rep. 169 D, Xle F l , Bd. 2, Bl. 11; Preußischer Landtag, 3. Wahlperiode, 1. Tagung 1928/29, Urantrag Nr. 3361 v. 13. Dezember 1929, in: Ebenda, Rep. 169 D, Xle F 4, Bd. 2, Bl. 124, (Dok. Nr. 35, 36, 46, 51). 30 Vgl. z.B. Preußischer Landtag, 2. Wahlperiode, 1. Tagung 1925, Nr. 1367, Große Anfrage Nr. 78 vom 22. Oktober 1925, in: ZStA Merseburg, Rep. 169 D, Xle, F 2, Bd. 1, Bl. 22; Preußischer Landtag, 3. Wahlperiode, 1. Tagung 1928, Große Anfrage Nr. 28 vom 27. Oktober 1928, in: Ebenda, Rep. 87 B, Nr. 334, Bl. 295, (Dok. Nr. 52).

LXII liehe Hand gegen eine Entschädigung abzutreten haben . . .". 31 Die SPD wiederholte damit F o r d e r u n g e n ihres Bodenreformvorschlages vom 17. Mai 192332, mit dem sie auf dem H ö h e p u n k t der revolutionären Nachkriegskrise die Massen zu täuschen versucht hatte, und die auch in das Kieler A g r a r p r o g r a m m von 1927 eingegangen waren. Sie hielt über den gesamten Zeitr a u m der Weimarer Republik hinweg an ihrer reformistischen Siedlungskonzeption fest. Außer der preußischen Landtagsfraktion t r a t auch die Reichstagsfraktion der K P D in den J a h r e n der relativen Stabilisierung des Kapitalismus gegen die Rationalisierung mit ihren A u s w i r k u n g e n auf die Lage der Massen u n d die volksfeindliche Politik der Bürgerblockregierungen auf. 33 Sie beschäftigte sich vor allem mit solchen sozialpolitischen F r a gen wie dem Arbeitsschutz, der Arbeitszeit, dem Wohnungsbau, der rechtlichen u n d sozialen Gleichstellung der Frauen, dem Gesundheitswesen u n d der Sozialversicherung. So begründete M a r t h a Arendsee 1927 die Notwendigkeit, auch die Landarbeiterinnen in den Mütterschutz u n d die Schwangerenfürsorge einzubeziehen. 3 '' Ausgehend von der Lösung der Bodenfrage, erstrebten alle A n t r ä g e u n d Gesetzentwürfe der kommunistischen Reichstags- u n d preußischen Landtagsfraktion eine allseitige Verbesserung der materiellen u n d k u l t u rellen Lebensbedingungen der werktätigen Landbevölkerung, besonders der Landarbeiter. Während der Agrarkrise, die sich f ü r die Landarbeiter in Lohn- u n d Sozialabbau u n d hoher Arbeitslosigkeit äußerte, m u ß t e die K P D ihre A r beit auf dem Land weiter verstärken. Der 12. Parteitag im J u n i 1929 w a r n t e angesichts der faschistischen G e f a h r vor einer Vernachlässigung der P r o p a g a n d a auf dem Dorf. Ernst T h ä l m a n n bezeichnete in seinem Referat die Landarbeiter als „Blut vom Blut u n d Fleisch vom Fleisch der Arbeiterklasse" u n d w a n d t e sich gegen jegliche T r e n n u n g von Industrieund Landproletariat. 3 5 Vor allem k a m es darauf an, die unorganisierten Landarbeiter zu erreichen, den weiteren Rückgang der gewerkschaftlich Organisierten a u f zuhalten u n d kommende L o h n k ä m p f e gut vorzubereiten und d u r c h z u f ü h ren. 36 Die Partei entwickelte im P r o g r a m m zur nationalen u n d sozialen 31 Preußischer Landtag, 2. Wahlperiode, 1. Tagung 1925/28, Entschließungsanträge, Nr. 7864 vom 2. Februar 1928, in: Ebenda, Rep. 169 D, Xle, F. 2, Bd. 1, Bl. 58. 32 Vgl. B. Wagner, Die Bodenreformpolitik der SPD, Berlin 1959, S. 52 ff., 121 ff. 33 Vgl. Kommunisten im Reichstag, S. 21 ff. 34 Vgl. ebenda, S. 195 ff. 35 Vgl. E. Thälmann, Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 2, Berlin 1956, S. 124. 36 Vgl. Die praktische Anwendung der Beschlüsse des VI. Weltkongresses der

LXIII Befreiung, in ihrem Bauernhilfsprogramm und dem Arbeitsbeschaffungsplan Krisenalternativprogramme, die die Abwehr des Faschismus mit der Vorbereitung einer grundlegenden Umwälzung der Machtverhältnisse zu verbinden suchten. 37 F ü r die Agrar- und Bündnisfrage war die Verkündung des Bauernhilfsprogramms durch Ernst Thälmann am 16. Mai 1931 besonders bedeutungsvoll. Die KPD rief darin zur entschädigungslosen Enteignung des Großgrundbesitzes und unentgeltlichen Bereitstellung von Land f ü r landarme Bauern und Bauernsöhne auf und schlug vor, die staatlichen Mittel zur Überwindung der Agrarkrise und zur Unterstützung der Landarbeiter und werktätigen Bauern zu nutzen. Das Bauernhilfsprogramm verstärkte den Einfluß der KPD auf die Antikrisenbewegung der werktätigen Landbevölkerung. Seit Sommer 1930 mobilisierte die Partei die Landarbeiter und arme Bauernschaft gegen Faschismus und Krieg und f ü r die Verteidigung der Sowjetunion. 38 Besonders das bedrohliche Anschwellen des nazistischen Einflusses in den protestantischen Agrargebieten Ostelbiens, wie es sich bei den Septemberwahlen 1930 zeigte, veranlaßte führende Funktionäre der KPD, auf die „schweren Mängel unserer Arbeit auf dem Lande, unter dem ländlichen Proletariat und den verelendeten Bauern" hinzuweisen. 38 Die Partei hatte dort Erfolge erreicht, wo sie von den Bezirkslandabteilungen bis zu den Dorfzellen durchorganisiert war. Mitte 1930 gab es n u r bei den Bezirksleitungen Berlin-Brandenburg, Ostpreußen, Danzig und Nordwest gut arbeitende Landabteilungen. Viele Ortsgruppen hatten keine Landkommission eingesetzt und nur ein Bruchteil der Parteizellen verfügte über einen Landobmann/' 0 Die Gewinnung geeigneter Funktionäre und ihre Schulung wurden seit 1931 verstärkt in Angriff genommen. Im September 1932 konnte Heinrich Rau feststellen, daß in fast allen Parteibezirken Landabteilungen aus zwei bis neun Genossen bestanden. 41

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KI und des 12. Reichsparteitages auf die Arbeit der Partei unter den Landarbeitern und Bauern, hrsg. v. ZK der KPD, als Ms. gedr. September 1929, S. 3 ff. Vgl. E. Thälmann. Eine Biographie, S. 499. Vgl. Die Wendung der Partei zur bolschewistischen Agrarpolitik und Massenarbeit im Dorfe ( = Kampf um die Massen, Nr. 8), o. O., Juli 1930, S. 9 ff.; Rundschreiben Nr. 8 vom 3.7.1930, Anweisungen der ZK-Landabteilung, in: IML/ZPA, St. 10/66, Bd. la, Bl. 200 ff. (Dok. Nr. 62, 65). Vgl. Ph. Dengel, Das Ergebnis der Wahlen vom 14. September, in: Die Internationale, 1930, H. 19/20, S. 590; H. Wagner, Wendung der KPD zur Dorfarbeit, in: Die Kommunistische Internationale, 1930, H. 37, S. 2000 f. Vgl. J. Reinhold, Die bündnispolitische Offensive der KPD auf der Basis der Forderungen des Bauernhilfsprogramms von 1931, in: Wissenschaftliche Mitteilungen der Historiker-Gesellschaft der DDR, 1982, II, S. 15. Vgl. ebenda.

LXIV Die verschärften Klassenkämpfe erforderten wirksamere Formen und Methoden der Landarbeit. Die Partei im Dorf organisatorisch zu verankern, hieß auch, verstärkt schriftliche und mündliche Propaganda zu betreiben. Besondere Erfolge wurden in Ostpreußen erreicht, wo die Bezirkslandabteilung unter maßgeblicher Leitung von Robert Neddermeyer eine Dorfzeitung herausgab, die reißenden Absatz fand.42 Darüber hinaus wurde die Patenschaftsarbeit der Betriebs- und Straßenzellen verstärkt. Im Laufe der Jahre 1931 und 1932 gelang es der Kommunistischen Partei, große Teile der Landarbeiter zu gewinnen. Sie trat vor allem gegen Lohnraub auf, setzte sich für revolutionäre Gutsräte, für die Organisierung des antifaschistischen Massenselbstschutzes auf dem Dorf, für die Einbeziehung der polnischen Saisonarbeiter in die Streiks43 und für die Gleichberechtigung der Landarbeiterinnen44 verstärkt ein. Es wurden „Landarbeiter-Stoßgebiete" benannt. Dazu gehörten die Bezirke Brandenburg, Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Mecklenburg, Magdeburg und Halle-Merseburg. Es war jeweils ein Plan für die Arbeit auf den wichtigsten Gütern auszuarbeiten.45 Das Reichsinnenministerium machte im Herbst 1932 die Nachrichtenstellen der Länder auf die qualitativ neue Stufe der Landarbeit der KPD aufmerksam. Es wies besonders darauf hin, „wie systematisch die Kommunisten ihre Kräfte zur Mobilisierung der Landarbeiter, Zwerg- und Kleinbauern einsetzen und welcher Mittel und Methoden sie sich bedienen, um Aktionen (Landarbeiterstreiks, Demonstrationen, bäuerliche Aktionen gegen Pachtzins, Zwangsversteigerungen usw.) vorzubereiten und auszulösen". Als allgemeine Richtlinie gelte, „neben der KPD und RGO möglichst alle kommunistischen Massenorganisationen in den Dienst auf dem Lande zu stellen".46 Infolge der systematischen Arbeit der Partei schwoll die Streikbewegung seit Frühjahr 1931 vor allem in den preußischen Provinzen Sachsen47, Brandenburg, Ostpreußen und Oberschlesien an.48 Dabei bedienten sich die Landarbeiter so ziemlich aller Kampfformen, angefangen von Betriebsversammlungen, Streikandrohungen, Demonstrationen vor den Herren-

42 Vgl. H. Wagner, a. a. O., S. 2001; R. Neddermeyer, Es begann in Hamburg . . . , S. 151 f. 43 Vgl. IML/ZPA, St. 10/83, Bl. 123; ebenda, PSt. 3/222, Bl. 79 ff., 119 ff., 135 ff. (Dok. Nr. 47, 55, 58, 59, 61, 66, 67, 70). 44 Vgl. Not und Kampf der Landarbeiterinnen ( = Kampf um die Massen, Nr. 13), o. O. o. J. (1931). 45 Vgl. IML/ZPA, St. 10/83, Bl. 125. 46 Ebenda, St. 10/105, Bd. 7, Bl. 188. 47 Vgl. H. Zeise, a. a. O., S. 139 ff. 48 Vgl. WAPw Opolü, Oberpräsidium Oppeln, Nr. 968, Bl. 1 ; Nr. 971, Bl. 1.

LXV häusern, passiver Resistenz bis zu Streiks. 49 Immer orientierte die Partei auf die sorgfältige Vorbereitung der Streiks unter Einbeziehung der DLVMitglieder, die Isolierung der opportunistischen Verbandsführer, die engste Zusammenarbeit der Streikenden mit den Erwerbslosenausschüssen der nächsten Stadt und den Kleinbauern. Sie forderte die Solidarität mit streikenden Saisonarbeitern. Gemeinsam mit der Bauernkomitee-Bewegung, die nach der Veröffentlichung des Bauernhilfsprogramms Ausdruck des sich formierenden Bündnisses von Arbeiterklasse und Bauernschaft war 50 , zeugten die zahlreichen Streiks der Landarbeiter vom zunehmenden Einfluß der Kommunistischen Partei in den ostelbischen Agrargebieten. Die Landabteilung des ZK der KPD schätzte in einem Rundschreiben vom Oktober 1932 ein: „Die Ergebnisse der Reichstagswahlen zeigen in fast allen Gebieten bei Landarbeitern, Zwerg- und Kleinbauern einen wachsenden Einfluß der Partei. . . . Die Erfoge sind nachweisbar dort am stärksten, wo die Aktionen (Landarbeiterstreiks, Demonstrationen . . . etc.) kühn und mit Energie durchgeführt worden sind." 51 Trotzdem war die Landarbeit der Partei nicht überall erfolgreich, und es gab besonders dort Fehlschläge, wo die KPD keine ausreichenden Stützpunkte besaß und junkerliche Organisationen langfristig den Boden für die faschistische Ideologie bereitet hatten. Das galt besonders für Pommern, wo die Bildung faschistischer Landzellen 1932 schon weit fortgeschritten war. 52 Die opportunistischen Führer des DLV widersetzten sich den Streikforderungen der Mitglieder ihres Verbandes und betrieben eine einheitsfrontfeindliche und antikommunistische Politik. Trotz Teilerfolgen nach Veröffentlichung des Bauernhilfsprogramms gelang es der KPD bis zur Jahreswende 1932/33 erst in Ansätzen, die werktätige Landbevölkerung in die Formierung der antifaschistischen Kampffront einzubeziehen. 49 Vgl. R. Neddermeyer, Wie die deutschen Landarbeiter streikten, in: Internationale Gewerkschafts-Pressekorrespondenz, Jg. 2, Nr. 98 (13.12.1932), S. 1285 (Dok. Nr. 73). 50 Vgl. J. Reinhold, a. a. O., S. 16 ff.; ders., Die Bündnispolitik der KPD auf dem Lande (1930-1932), in: BzG, 2/1982, S. 267 f. 51 IML/ZPA, St. 10/128, Bd. 5a, Bl. 143. 52 Vgl. Dok. Nr. 68, 72.

5 Ostelb. Landarbeiter III

5. Lage und Kämpfe der Landarbeiter unter der faschistischen Diktatur Der Hauptstoß der in der Hitler-Hugenberg-Regierung vereinigten und am 30. Januar 1933 zur Macht gebrachten faschistisch-deutschnationalen Konterrevolution richtete sich sofort gegen die Arbeiterklasse, ihre Parteien und gewerkschaftlichen Organisationen. Kommunisten und Antifaschisten wurden bereits in den ersten Wochen der Nazidiktatur zu Tausenden verfolgt, ermordet und in die Konzentrationslager geworfen. Der offene Schlag gegen die Gewerkschaften erfolgte am 2. Mai 1933, nachdem der Bundesvorstand des ADGB seit dem 30. Januar eine Stillhaltepolitik betrieben, am 21. März gegenüber Hitler eine Loyalitätserklärung abgegeben1 und auf den faschistischen Mißbrauch des 1. Mai als „Feiertag der Arbeit" nicht reagiert hatte. Mit der Zerschlagung der Gewerkschaften war die Voraussetzung geschaffen, gegenüber Industrie- und Landarbeitern einen harten Kurs2 einzuschlagen, den Schwerindustrie und Junkertum seit langem gefordert hatten und der Lohnstopp, Raub des Koalitions- und Streikrechts, der Freizügigkeit und verschärfte Ausbeutung vorsah. Durch Terror und gesetzliche Absicherungen wurde bis zum Vorabend des zweiten Weltkrieges in Deutschland das „Militärzuchthaus für die Arbeiter" voll ausgebaut.3 Die Faschisten begannen sofort nach dem 30. Januar durch staatsmonopolistische Regulierungsmaßnahmen mit einer Konzentration der agrarischen Produktivkräfte, um die gesamte Landwirtschaft auf den künftigen Aggressionskrieg auszurichten. Sie versicherten sich zuerst und vor allem der Landarbeiter und Bauern, unter denen sie sich bereits vor 1933 besonders in den ostelbischen Gebieten eine Massenbasis zu schaffen versucht hatten. Als erstes zerschlugen sie den unter dem Einfluß der KPD stehenden Reichsbauernbund und den EVLF, die revolutionäre Klassenorganisation der Landarbeiter. In den DLV, den ZdL und den Reichslandarbeiterbund schickten sie Kommissare, um diese Organisationen von innen her 1 Vgl. H. Bednarek, Gewerkschafter im Kampf gegen die Todfeinde der Arbeiterklasse und des deutschen Volkes, Berlin 1966, S. 12. 2 Vgl. N. Steinberger, Die Agrarpolitik des Nationalsozialismus, MoskauLeningrad 1935, S. 53. 3 Vgl. L. Zumpe, Wirtschaft und Staat in Deutschland 1933-1945, Berlin 1980, S. 88 ff.

LXVII auszuhöhlen und im Sommer 1933 in einer einheitlichen faschistischen Scheinlandarbeitergewerkschaft zusammenzufassen. Sie gliederten sie als Reichsbetriebsgemeinschaft 14 — Landwirtschaft — der Deutschen Arbeitsfront (DAF) an. Noch vor der Bildung des Reichsnährstandes (RNS) als staatsmonopolistischer Zwangsorganisation der Landwirtschaft hatte die herrschende Klasse die Landarbeiter weitgehend in der Hand. Nach Bildung des Reichsnährstandes im September 1933 wurden die Landarbeiter — laut Verordnung vom 8. Dezember 1933 als zum RNS gehörig — diesem im März 1934 eingegliedert. Der RNS trat der DAF als Korporativmitglied bei/' 1935 wurden die Landarbeiter ganz dem RNS unterstellt, um die harmonische „Landvolkgemeinschaft" von Großgrundbesitzern, Bauern und Landarbeitern zu demonstrieren. Als sich 1938 trotz drakonischer Maßnahmen zur Regulierung des Arbeitsmarktes und lautstarker faschistischer Propaganda die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter nicht verbessert hatten und ihre Landflucht anhielt, wurde erneut die Zwangsmitgliedschaft jedes Landarbeiters in der DAF gefordert.5 Hinter diesen organisationspolitischen Kompetenzstreitigkeiten standen handfeste Rivalitäten zwischen DAF und RNS. Sie waren Ausdruck der Widersprüche, die sich aus der Notwendigkeit des Ausbaus bzw. der Festigung und Erhaltung des Regimes auf dem Land auf der einen und "der Einbeziehung der Landwirtschaft in Aufrüstung und Krieg auf der anderen Seite ergaben. Soziale Zugeständnisse an die Landarbeiter bewegten sich nur im engen Rahmen aggressiver Klassenpolitik und wurden in den Kriegsjahren zunehmend durch die Parteiinstanzen allein bestimmt. Zunächst wurden auf dem Rücken der werktätigen Landbevölkerung auch die Auseinandersetzungen zwischen Nazis und Deutschnationalen um die politische Führung und Struktur der Agrarwirtschaft ausgetragen. Der Leiter des agrarpolitischen Apparates der NSDAP und Anwärter auf den Posten des preußischen und Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft, Richard Walther Darre, verstand es, gegen den Junkerfreund und ersten Wirtschafts- und Ernährungsminister des neuen Kabinetts, Alfred Hugenberg, Front zu machen. Die Landarbeiter lockte er weiter mit den Versprechungen der Jahre vor 1933, wie sozial gerechte Arbeitsverträge, Verbesserung der Wohnverhältnisse, Erhöhung der Löhne, Ausschal4 Vgl. ZStA Potsdam, Deutsche Reichsbank, Volkswirtschaftliche Abteilung, Nr. 2064, Bl. 208; allg. R. Jäckel, Die faschistische Politik gegenüber der werktätigen Landbevölkerung in Deutschland (1933—1935), Diss. A, Berlin 1979, S. 46 ff., 77; H. Gies, Die Rolle des Reichsnährstandes im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: Der „Führerstaat": Mythos und Realität, Stuttgart 1981, S. 282 f. 5 Vgl. T. W. Mason, Sozialpolitik im Dritten Reich, Opladen 1977, S. 258 f. 5»

LXVIII tung der Konkurrenz ausländischer Saisonarbeiter und Schaffung von Siedlerstellen für „tüchtige" Landarbeiter. 6 Die Faschisten hatten mit dieser Propaganda bei den Wahlen zwischen 1930 und 1932 in den protestantischen Agrargebieten des Ostens besonders große Erfolge gehabt. 7 Ihr agrarpolitischer Apparat traf dort auf einen durch den konservativen Nationalismus gut vorbereiteten Boden und konnte in vielem ideologisch profitieren, demagogisch anknüpfen und organisatorisch fortführen. 8 Das bedeutete aber nicht, daß sich die ostelbischen Junker geschlossen und widerspruchslos zu den Nazis bekannten und diese sich mit den ständisch-korporativen Organisationsprinzipien der Landbünde und des Reichslandarbeiterbundes einverstanden erklärten. Darre sagte den pommerschen Junkern schon 1931 nach, die Peitsche führen zu wollen9, und kritisierte zusammen mit anderen faschistischen Agrarexperten am Tag der Gründung der Harzburger Front im Oktober 1931, „daß die Arbeitnehmer im Pommerschen Landbund nicht frei und unabhängig vom Wohlwollen der Arbeitgeber" seien. 10 Der R L A B seinerseits begrüßte sofort den 30. Januar 1 1 und erklärte im Mai 1933 die rückhaltlose und freudige Unterstellung unter die Führung Hitlers. Alfred Hugenberg und sein Staatssekretär Hans Joachim v. Rohr mißtrauten mit vielen ihrer Klassengenossen dem kleinbürgerlichen Massenanhang der Faschisten und besonders der auf Bauernfang ausgehenden Agrarpropaganda Darres. Sie erkannten in ihm einen Vertreter jenes Flügels des deutschen Monopolkapitals, dessen agrarpolitische Vorstellungen auf eine verstärkte staatliche Agrarregulierung hinausliefen, und der bereit war, Teile des junkerlichen Besitzes zu opfern. Darre konnte nämlich zu Beginn der Nazidiktatur Massenmobilisierung der Landarbei6 Vgl. Dok. Nr. 72; F. Hildebrandt, Nationalsozialismus und Landarbeiterschaft, München 1930, S. 3 ff.; Die Nazis auf dem Lande. Material über die zwiespältige Tätigkeit der Nationalsozialisten auf dem Lande ( = Schriften des DLV, Nr. 33), Berlin 1932, S. 80; allg. J. Reinhold, Die Bestrebungen der NSDAP zur Gewinnung einer Massenbasis innerhalb der Bauernschaft während der Weltwirtschaftskrise, in: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte, Nr. 45, Jena 1981, S. 109 ff. 7 Vgl. L. Fahlbusch, Zu Problemen der wachsenden nationalsozialistischen Massenbeeinflussung auf dem Lande in den Jahren 1928—1932, in: Ebenda, Nr. 43, Jena 1978, S. 29. 8 Vgl. R. Berndt, Agrarkonservatismus und Faschismus, in: WZ der Universität Halle-Wittenberg, 3/1982, S. 97. 9 Vgl. Pommerscher Landbund v. 28.11.1931, zit. nach: ZStA Potsdam, Reichslandbund, Pressearchiv, Nr. 2941, Bl. 7. 10 Vgl. Deutsche Bauernzeitung, Nr. 41, v. 11.10.1931, zit. nach: H. Hildebrandt, Die Rolle, a. a. O., S. 163 (Anm.); allg. J. Petzold, Die Demagogie des Hitlerfaschismus, Berlin 1982, S. 337 ff. 11 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 203, Bl. 88 f. (Dok. Nr. 74).

LXIX ter und Kleinbauernschaft nur mit antijunkerlichen Siedlungsversprechen betreiben. Hitler hatte bereits 1928 im Interesse der Ausbreitung der NSDAP nach Nord- und Ostdeutschland den Punkt 17 des 25-Punkte-Programms seiner Partei dementiert, in dem ein Gesetz zur unentgeltlichen Enteignung von Boden gefordert wurde. 12 Im J a n u a r 1931 legte er vor einem auserwählten Gremium märkischer J u n k e r seine grundsätzliche Position zur Erhaltung des Eigentums dar. 13 Trotzdem mußten sich J u n k e r und Nazis immer wieder erneut engagieren. Nach seiner Ernennung zum Reichsminister f ü r Ernährung Ende Juni 1933 zielte Darres Agrarpolitik ausschließlich auf die Einordnung der Landwirtschaft in die Kriegsvorbereitung. Er begann, teilweise Hindernisse zu beseitigen, die einer modernen kapitalistischen Landwirtschaft im Osten Deutschlands und der angestrebten ernährungswirtschaftlichen Autarkie entgegenstanden. Konsolidierung der faschistischen Diktatur auf dem Dorf und Umstellung der Landwirtschaft auf kriegswirtschaftliche Belange — das bestimmte trotz innerer Widersprüchlichkeit und Rivalität zu Schacht und Göring sein Agrarkonzept. Besonders unter der zeitweiligen Schwächung der Massenbasis des Faschismus in der ersten Hälfte des Jahres 1934 forcierte Darre demagogisch Siedlungsagitation und Siedlungspolitik, so daß das erste Halbjahr 1934 als der siedlungspolitische Höhepunkt der Zeit des Hitlerfaschismus gelten kann. 14 Mit der Siedlungsagitation sollte der Forderung der Landarbeiter nach Enteignung entgegengewirkt werden. Ausgehend vom „Gesetz über die Neubildung deutschen Bauerntums" vom Juli 1933, haben die Nazis die Siedlungspolitik ihrem Gesamtinteresse eingepaßt. Sie verfügten eine „Auslese" der Siedler und berücksichtigten dabei vor allem treue Hitleranhänger. 15 Die Erwartungen der großen Masse der Landarbeiter und Kleinbauern wurden getäuscht und in eine sozialimperialistische Richtung gelenkt. An Deutschlands Ostgrenze sollte ein „lebendiger Deich aus deutschen Menschen" geschaffen werden. 16 12 Vgl. R. Kühnl, Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1975, S. 106 f. 13 Vgl. Gossweiler/Schlicht, Junker und NSDAP 1931/32, Dokumentation, in: ZfG, 4/1967, S. 644 ff. 14 Vgl. R. Jäckel, a. a. O., S. 123; A. v. Saldern, Mittelstand im „Dritten Reich", Frankfurt/New York 1979, S. 78 ff. 15 Vgl. Richtlinien über die Neubildung deutschen Bauerntums vom 1. Juni 1935, in: ZStA Potsdam, Film-Nr. 8602, Bl. 264 ff., auch Dok. Nr. 83. 16 Vgl. H. v. Schlange-Schöningen, Bauer und Boden, Hamburg 1933, S. 76. H. v. Schlange-Schöningen (1886—1960) vertrat zusammen mit Schleicher und Darre jenen Flügel des deutschen Monopolkapitals, dessen Vorstellungen auf eine verstärkte staatliche Agrarregulierung hinausliefen und der

LXX Die Zahl der Neusiedlerstellen, die seit 1933 unter die des Jahres 1932 sank und bis 1939 weiter abnahm 17 , wies prozentual bei den bäuerlichen Betrieben zwischen 10 und 20 Hektar den höchsten Anteil auf. Von ihnen waren die wenigsten mit ehemaligen Landarbeitern besetzt. Schon vor 1933 bildete die großbäuerliche Schicht die soziale Hauptstütze der Nazis auf dem Land. Prozentuale Verteilung der Neusiedlerstellen zwischen 1932 und 1936 18 : Größe der Stellen

1932

1933

1934

1935

1936

unter 2 ha 2 - 5 ha 5 - 1 0 ha 1 0 - 2 0 ha 2 0 - 5 0 ha 50 und mehr ha

5,8 10,1 28,1 51,3 4,3 0,4

5,3 7,0 27,2 53,3 6,4 0,8

4,8 7,7 17,2 53,0 15,6 1,7

5,7 5,9 10,3 53,5 21,8 2,8

5,1 6,4 8,6 50,3 26,8 2,8

Die Bevorzugung der Großbauern entsprach der staatsmonopolistisch ausgerichteten Agrarkonzeption der Faschisten und schloß bis zum 30. Juni 1934 auch antijunkerliche Attacken Darres nicht aus. Er beabsichtigte aber weder, noch vermochte er es, die ökonomischen und politischen Einflüsse des Junkertums zu eliminieren. Auch hat die Reichsnährstandspolitik mit ihren Hauptbestandteilen, Marktordnung und Erbhofgesetz, der „Sicherung und Wahrung aktueller und alter Kapital- und Junkerinteressen" gedient 1 9 Vor allem garantierte der Faschismus den Agrarkapitalisten und J u n kern günstige Bedingungen für die Ausbeutung der Landarbeiter. Eine moderne, kapitalistisch wirtschaftende und durchrationalisierte Landwirtschaft, die die Kriegsernährung sicherzustellen hatte, brauchte einen Landarbeiter, der sich willig unterordnete, „Soldat der Arbeit" war. Mit der Landarbeiterproblematik eng verbunden waren für die faschibereit war, Teile des junkerlichen Besitzes zu opfern. Das ließ den ehemaligen Deutschnationalen Schlange in Opposition zu den extrem reaktionären und faschistischen Kreisen von Industrie- und Agrarkapital geraten. 1945 war er Mitbegründer der CDU in den Westzonen, 1946 Leiter des Zentralamts für Ernährung und Landwirtschaft der britischen Besatzungszone und von 1947 bis 1949 mit gleichen Funktionen Direktor im Verwaltungsrat der Trizone. 17 Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Jg. 1938, S. 90 f.; Jg. 1939/40, S. 93. 18 Vgl. ebenda, Jg. 1938, S. 91; Jg. 1939/40, S. 93. 19 Vgl. L. Zumpe, a. a. O., S. 110.

LXXI stische Wirtschafts- und Sozialpolitik solche Fragen wie die Beseitigung der Arbeitslosigkeit bzw. ab 1935/36 des Facharbeitermangels, die Regulierung des Arbeitsmarktes und die Ausgestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Sechs Millionen Arbeitslose 1933 standen der Stabilisierung dieses Regimes und der Aufrüstung zunächst entgegen. Deshalb wurde die Arbeitsbeschaffung zu einer politisch zwingenden Notwendigkeit und einem Hauptschlager faschistischer Propaganda. Über den „Freiwilligen Arbeitsdienst", die „Landhilfe" und über Notstands- und Fürsorgearbeiten erreichte die Hitlerregierung im ersten Jahr ihres Bestehens einen Rückgang der Arbeitslosenzahl um die Hälfte. Sie knüpfte dabei an die Arbeitsbeschaffungsprogramme der Präsidialkabinette an und beschäftigte die Arbeitslosen zunächst vorwiegend in der Landwirtschaft. Verbunden mit dem Ziel, die arbeitslosen Industriearbeiter, vor allem die Arbeiterjugend, in Lagern zusammenzufassen, erreichte das Regime, daß ein Heer billiger landwirtschaftlicher Arbeitskräfte bereitstand, das lohndrückend wirkte. 1935 kennzeichnete das Arbeitsdienstpflichtgesetz nicht nur „den Übergang zur Militarisierung des Arbeitsmarktes" 20 , sondern schuf mit zunehmender Massenflucht aus der Landwirtschaft das einzige Arbeitskräftereservoir. Noch vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges zeigten sich die Grenzen und Widersprüche der Arbeitsmarktregulierung in der Landwirtschaft, die seit 1934 gegenüber den Landarbeitern mit Brachialgewalt durchgesetzt worden war. Mit der Zerschlagung der Landarbeitergewerkschaften beraubte der Staat die lohnabhängige Landarbeiterschaft ihres tariflichen Interessenvertreters. Die Lohntarife wurden gekündigt, und die Regelung der Lohnfrage oblag dem „Betriebsführer". Im September 1933 wurde die Arbeitslosenversicherung für die Landarbeiter aufgehoben. Zur selben Zeit verlangten Arbeitgeberverbände der Provinz Sachsen bei Kontraktbrüchen von Landarbeitern, „wenn nicht Wiedereinführung der Gesindeordnung möglich ist", Freiheits- oder Arbeitsstrafen. 21 Sie brachten damit jene alten Forderungen zum Ausdruck, die auf den Herr-im-Hause-Standpunkt zielten und seit der Novemberrevolution Programm der reaktionären Kräfte waren. Schon im Frühjahr 1934 wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, die regulierend in die Freizügigkeit landwirtschaftlicher Arbeiter eingriffen und weitere Zwangsmaßnahmen vorsahen. An erster Stelle stand das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 1934, das den Landarbeitern jedes Koalitions- und Streikrecht nahm und sie der Ordnung des Betriebes, die der „Betriebsführer" bestimmte, unterwarf. Es deklarierte das „Führer-Gefolgschafts-Prinzip" 20 Vgl. ebenda, S. 98. 21 Vgl. ZStA Merseburg, a. a. O., Nr. 270, Bl. 5 ff.

LXXII und begünstigte ein persönliches Abhängigkeits- und Untertanenverhältnis, wodurch die politische und soziale Entrechtung der Landarbeiter vollendet wurde. Der „Vertrauensmann" oder der „Vertrauensrat", der an die Stelle des beseitigten Betriebsrates trat, arbeitete mit dem „Betriebsführer" zusammen und hatte f ü r den „Arbeitsfrieden" zu sorgen. 22 Die Landarbeiter wurden auch als erste bereits 1934 in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt. Trotzdem stieg der Arbeitskräftebedarf durch die „Erzeugungsschlachten" seit 1934 ständig an. Das „Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes" vom 15. Mai 193423 wurde durch die „Anordnung über die Beschränkung des Einsatzes landwirtschaftlicher Arbeitskräfte in nichtlapdwirtschaftlichen Betrieben und Berufen" vom 17. Mai 193424 weiter vervollkommnet. Die Einstellung von Landarbeitern im Bergbau, in der Metallindustrie, beim Autobahnbau und bei der Reichsbahn wurde untersagt. Da die Wirkung offenbar nicht ausreichte, wurde bereits im Februar 1935 ein weiteres Gesetz erlassen, das die zwangsweise Rückführung von Arbeitskräften in die Landwirtschaft ermöglichte. 25 Verstärkt wurden auch Jugendliche auf das Land gelenkt. Das geschah über die „Landhilfe" und den Arbeitsdienst und durch die Verordnung über die Verteilung von Arbeitskräften vom August 1934.26 Mit der Einführung des Arbeitsbuches und der endgültigen „Zentralisierung" des Arbeitseinsatzes war 1935 die Arbeitskräftelenkung komplett. In der Landwirtschaft sollten diese Maßnahmen mit Zwang und Demagogie verwirklicht werden. Trotzdem hielt die Landflucht an. Die Polizei versuchte, kontraktbrüchige Landarbeiter in Konzentrationslagern und Gefängnissen gefügig zu machen. 27 Die Organe des Reichsnährstandes eröffneten zudem ein sozialdemagogisches Trommelfeuer. Am 1. September 1934 ernannte der Reichsbauernführer den ehemaligen Landarbeiter Helmuth Reinke zum Reichskommissar f ü r Landarbe'iterfragen und berief ihn im März 1935 zum Sonderbeauftragten. 2 8 Reinke sah das Landarbeiterproblem in erster Linie nicht als „Leib- und Magenfrage", sondern als eine Frage der „inneren Werte des bäuerlichen Menschen". Er forderte dazu auf, die bäuerliche Familien-, Hof- und Betriebsgemeinschaft zu schaffen, die Stellung des Landarbeiters zu heben und ihn über das 22 23 24 25

Vgl. Reichsgesetzblatt, 1934, T. I, S. 45 ff.; L. Zumpe, a. a. O., S. 94. Vgl. Reichsgesetzblatt, a. a. O., S. 381 f£. (Dok. Nr. 78). Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, 1935, T. I, S. 130; L. Zumpe, a. a. O., S. 95; R. Giersch, Zum Platz der sozialen Demagogie in der Nachkriegsplanung des faschistischen deutschen Imperialismus, in: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte, Nr. 45, S. 82 f. 26 Vgl. L. Zumpe, a. a. O., S. 96. 27 Vgl. ebenda. 28 Vgl. Dok. Nr. 79; ZStA Potsdam, Deutsche Reichsbank, Nr. 2098, Bl. 200.

LXXIII Heuerlingswesen, das ihm drei bis vier Morgen Land gewährte, zu einem „bodenverwurzelten" Menschen zu machen. 29 Die Reden Reinkes aus den Jahren 1934/35, stark der Blut-und-Boden-Mystik verpflichtet, konnten nicht darüber hinweggehen, „artgemäße" Lohnformen für die Landarbeiter, die Beseitigung des Hofgängerwesens und den Schutz der Landarbeiterin als Mutter zu fordern. 30 Die Eindrücke Reinkes und der anderen Reichsnährstandsorganisatoren während ihrer Reisen durch das Land offenbarten der faschistischen Führung die Ursachen der Landflucht, die in unzulänglichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter offen zutage traten. 1935 mußte das Büro für Sozialpolitik der DAF zugeben, daß der Fortschritt der weiterhin auf der vorläufigen Landarbeitsordnung vom Januar 1919 basierenden vielgestaltigen Tarifforderungen für Landarbeiter gegenüber der Zeit vor 1933 allein darin bestehen dürfte, „als ihre Innehaltung in ganz anderer Weise erzwungen werden kann" 31 . Faschistische Zeitungen prangerten wiederholt die miserablen Wohnverhältnisse der Landarbeiter auf ostelbischen Gütern an und machten Stimmung gegen die Besitzer, die vor „Ehrengerichten" zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt wurden 32 , deren Eigentum man aber nicht antastete. Außer mit Siedlungsversprechen, die im Fall des Heuerlingswesens die Landarbeiter in ein neues Abhängigkeitsverhältnis gebracht hätten, hielten die Funktionäre des Reichsnährstandes die Landarbeiter mit jährlichen pompösen Erntedankfesten auf dem Bückeberg 33 , „Landarbeitertagen" in den ostelbischen Provinzen Preußens und in Mecklenburg, der Pflege ländlicher Sitten und Bräuche und einer „echt national-sozialistischen Behandlung" an Stelle von höheren Barlöhnen hin. Die Einbeziehung der werktätigen Landbevölkerung in die soziale und kulturelle Betreuung übernahm die DAF. Dazu wurde im Oktober 1935 ein Abkommen zwischen dem Reichsbauernführer Darre und dem Reichsleiter der DAF, Robert Ley, abgeschlossen („Bückeberger Abkommen"), das die Aufgabengebiete beider Organisationen festlegte und Kompetenzstreitigkeiten vermeiden sollte.34 Es bedeutete einen Sieg des Reichsnährstandes, da seine Mitglieder, die in den Genuß der Leistungen der DAF („Kraft durch Freude", Unterstützungseinrichtungen) kommen wollten, ein besonderes Entgelt an die DAF zahlen mußten. Ähnliche Vereinbarungen 29 Vgl. ebenda, Bl. 253; H. Reinke, Der deutsche Landarbeiter, Berlin 1935 (2. Aufl.), S. 8, 53. 30 Vgl. ebenda, S. 32 ff. 31 Vgl. Tarifforderungen für Landarbeiter, in: Soziale Praxis, Jg. 44, H. 36 (5. 9. 1935), Sp. 1052. 32 Vgl. Die Landarbeiterfrage, hrsg. v. Arbeitswissenschaftlichen Institut der DAF, Berlin Ende Mai 1938, S. 80 (Dok. Nr. 97). 33 Vgl. ZStA Potsdam, Deutsche Reichsbank, Nr. 2099, Bl. 41. 34 Vgl. ebenda, DAF, AWI, Zeitungen, Nr. 6140, Bl. 28.

LXXIV Darres hatte es im Februar 1935 mit dem Reichsarbeitsführer Hierl über die Ableistung des Arbeitsdienstes für jeden Bauern- und Landarbeitersohn und mit der NS-Frauenschaft über die koordinierte Einflußnahme auf die Landfrauen gegeben. Unter der Führung von Großagrarierinnen oder Großbäuerinnen war die Frauenschaft für die „weltanschaulich-politische Schulung" und der RNS für „die Förderung der bäuerlich-kulturellen und ständischen Aufgaben" zuständig. 35 Trotz Einschränkung der Freizügigkeit, trotz Terrors und sozialdemagogischer Phrasen hielt die Abwanderung der Landarbeiter an. 1939 ergab sich — bei vorsichtiger Interpretation der Ergebnisse der verschiedenen Betriebszählungen — folgender Rüdegang der in der Landwirtschaft beschäftigten Lohnarbeiter im Vergleich zu 1925 und 1933 36 :

Jahr

Anzahl der Lohnarbeiter in 1 000 ständige Saisonkräfte insgesamt

1925 1933 1939

2 305,9 2 074,0 1 936,0

987,0 825,7 858,4

3 292,9 2 899,7 2 794,4

Die Abnahme ständig beschäftigter Arbeitskräfte bezog sich — nach der amtlichen Statistik — weniger auf Betriebe über 50 Hektar und mehr, wo 75 Prozent der Lohnarbeiter beschäftigt waren, als vorwiegend auf das Gesinde, das in den bäuerlichen Betrieben von 5 bis 50 Hektar überwog. So betrug die Abnahme männlicher Arbeitskräfte in den Betriebsgrößenklassen 5 - 1 0 Hektar 10-20 20-50 über 50 „

44 Prozent, 31 „ , 23 „ , 2 „ .3

Hauptursache der Abwanderung waren die rüstungswirtschaftlich bedingten höheren Löhne (sog. Locklöhne) in einigen Industriezweigen, so daß die „Sicherstellung des Arbeitskräftebedarfs für staats- und wirtschaftspolitisch bedeutsame Aufgaben" jedes Freizügigkeitsverbot immer wie35 Vgl. R. Jäckel, a. a. O., S. 168. 36 Vgl. G. G. Kotow, Agrarverhältnisse und Bodenreform in Deutschland, Bd. 1, Berlin 1959, S. 100; L. Zumpe, a. a. O., S. 283. 37 Vgl. Wirtschaft und Statistik, hrsg. vom Statistischen Reichsamt, Jg. 21, Berlin 1941, S. 216 f.

LXXV der durchlöcherte.38 Die Rüstungskonzerne begannen, sich die Facharbeiter gegenseitig wegzuengagieren. Hinzu kam, daß sich bis 1939 nichts an den Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter änderte. Spezielle Untersuchungen des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF zur Landarbeiterfrage wiesen für 1938/39 aus, daß in Pommern, Schlesien und Ostpreußen der Naturallohnanteil nach wie vor 85,2 bzw. 73,8 bzw. 79,0 Prozent betrug 39 ; der Gesamtlohn des Landarbeiters glich dem eines ungelernten Metallarbeiters.40 Das Hofgängerwesen verbot dem Deputanten zudem einen Wohnungswechsel und verhinderte die berufliche Entwicklung der Jugend. Infolge fehlenden Versicherungsschutzes, besonders für Frauen und Kinder, waren die Landarbeiter die Bevölkerungsgruppe, „an der der wirtschaftliche Aufschwung fast spurlos vorüberging".41 Das Lohngefälle Stadt-Land weitete sich zu einem West-Ost-Gefälle aus. Einen Ausweg sahen die Faschisten nur in verschärftem Arbeitszwang. In der Vierjahrplanperiode waren folgende Mittel und Wege vorgesehen, um in der Landwirtschaft den Arbeitskräftemangel zu beheben: 1. verstärkter Einsatz von Maschinen, 2. Forcierung des Landarbeiterwohnungsbaus und 3. Beschäftigung von mehr ausländischen Arbeitskräften. 42 Damit versuchte Göring den Realitäten Rechnung zu tragen. Der Zwang zu stärkerem Maschineneinsatz führte bereits bis 1939 zu Fortschritten in der Technisierung.43 Für viele Landarbeiter war fehlender bzw. völlig unzureichender Wohnraum Anlaß zur Landflucht. Selbst faschistische Publikationen kritisierten die mangelnde Bereitschaft der Gutsbesitzer zu Veränderungen. Die Verordnung von 1937 über die „beschleunigte Förderung des Baues von Heuerlings- und Werkwohnungen sowie von Eigenheimen für ländliche Arbeiter und Handwerker" sah zwar langfristige Darlehen vor, wurde aber zu einem Zeitpunkt verabschiedet, als Baugewerbe und Bauindustrie durch die Rüstungswirtschaft stark überlastet waren.44 Zeitgenössische Darstellungen sprachen von 50 000 Landarbeitern, die bis 1939 neue, aus öffentlichen Mitteln finanzierte Wohnungen erhielten.45 Das bedeutete im Ver38 Vgl. L. Zumpe, a. a. O., S. 272 f., 277. 39 Vgl. Die Landarbeiterfrage, a. a. O., S. 71. 40 Vgl. ebenda, S. 19; Die Landarbeiterfrage. Soziologische und lohnpolitische Untersuchung, Sonderdruck aus dem Jahrbuch 1939 des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF, Berlin, S. 410 ff. 41 Vgl. T- W. Mason, a. a. O., S. 169 (Dok. Nr. 88, 89, 92, 100). 42 Vgl. L. Zumpe, a. a. O., S. 282. 43 Vgl. Dok. Nr. 90; V. Klemm, a. a. O., S. 137. 44 Vgl. Dok. Nr. 87 ; L. Zumpe, a. a. O., S. 283. 45 Vgl. P. Petersen, Der Bauer und die sozialen Fragen der Zeit, Berlin 1940, S. 75.

LXXVI gleich zu den durch das Arbeitswissenschaftliche Institut 1938 errechneten fehlenden betriebseigenen Wohnungen auf dem Land von 350 00046 einen Tropfen auf den heißen Stein. Viel Aufhebens wurde um sogenannte Landarbeitermusterdörfer gemacht, während die Pläne zur Entwicklung eines „neuen Dorftyps des Ostens", wie sie auf einer Tagung zur Förderung landwirtschaftlichen Bauens im November 1941 am Beispiel des Adolf-Hitler-Koogs in Cloppenburg diskutiert wurden'' 7 , Bauwissenschaft und Architektur in den Dienst faschistischer Eroberungspolitik stellten. Der deutsche Landarbeiter wurde auf die Zeit nach dem Krieg vertröstet. Seit 1936 verhandelten die staatlichen Behörden mit einigen ausländischen Regierungen über die Entsendung von Arbeitern nach Deutschland, so mit denen Österreichs, der Tschechoslowakei, Jugoslawiens, Hollands und Polens. Insgesamt waren 1937/38 121 368 und im Mai 1939 155 314 ausländische Arbeiter in der Landwirtschaft tätig."58 Die Steigerungsrate betrug seit 1936/37 140 Prozent. Wie vor 1932 hatten die ausländischen Arbeiter eine lange Arbeitszeit und einen geringen Lohn. Hinzu kamen rassische Diskriminierungen. Nach Ausbruch des Krieges wurden Hunderttausende von Ausländern zur Arbeit in Deutschland zwangsverpflichtet. Bis 1939 wurde deutlich, daß die „Landarbeiterfrage" nicht zu lösen war. Die Forcierung der Aufrüstung konnte einerseits nicht ohne Korrumpierung von Teilen der Arbeiter durchgesetzt werden, während andererseits die aggressiven Ziele gravierende Verbesserungen der lohn- und sozialpolitischen Verhältnisse ausschlössen. Im landwirtschaftlichen Bereich lösten weder gesetzliche Zwangsregelungen noch demagogische Phrasen von der „Herbeiführung ausgeglichener sozialer Zustände" 49 zwischen Stadt und Land, zwischen Großgrundbesitzern, Bauern und Landarbeitern die gesellschaftlichen Grundprobleme. 1938 häuften sich Maßnahmen, die das soziale Ansehen der Landarbeiterschaft steigern und ihre Abwanderung eindämmen sollten. Dahinter stand der massive Druck der DAF und ihres Arbeitswissenschaftlichen Instituts auf die Führungsorgane des RNS. 50 Die faschistische Sozialpolitik wurde auch im agrarischen Bereich zur umfassenden Kriegsvorbereitung und Absicherung der ersten Aggressionshandlungen benutzt. Darre schuf ein staatliches Ausbildungssystem, das die landwirtschaftlichen männlichen Arbeitskräfte über eine zweijährige Landarbeits- und 46 Vgl. Die Landarbeiterfrage, Ende Mai 1938, S. 62 f. 47 Vgl. ZStA Potsdam, Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des landwirtschaftlichen Bauwesens, Nr. 1, Bl. 1 ff. 48 Vgl. Li. Zumpe, a. a. O., S. 285; die Zahlen differieren etwas bei K. Dohse, a. a. O., S. 113, Tabelle 9. 49 Vgl. Die Landarbeiterfrage, S. 62 (Dok. Nr. 93, 94). 50 Vgl. H. Gies, a. a. O., S. 287.

LXXVII Sonderberufslehre zu Facharbeitern machen sollte. Die „Förderungsgemeinschaft für die Landjugend", ins Leben gerufen am 1. Mai 1938, war dafür die entsprechende Institution. Trotzdem blieb die Gewinnung von Lehrlingen für landwirtschaftliche Fachberufe bis in die Kriegsjahre hinein problematisch. 51 Auch die Zahlung von Kinderbeihilfen seit 1. April 1938 sollte besonders den kinderreichen. Landarbeiterfamilien zugute kommen. Im selben J a h r erschien eine Verordnung zur Förderung der Landbevölkerung, die die Stundung von Ehestands- sowie die Vergabe von Einrichtungsdarlehen vorsah. 52 Diese sozialen Maßnahmen, verbunden mit kultureller Betreuung, Urlaubsgestaltung, „Mütterdienst" und öffentlichen Ehrungen auserwählter Landarbeiter in „Musterbetrieben" und „Musterdörfern", waren dazu bestimmt, die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte bei der Stange zu halten. Aber auch das „Pflichtjahr für Mädchen" ab 15. Februar 1938, das dem Frauenarbeitsdienst entsprach und in der Land- und Hauswirtschaft abgeleistet werden mußte, löste das Arbeitskräfteproblem in der Landwirtschaft nicht. Es blieben nur Verlängerung des Arbeitstages, intensivste Ausbeutung und gesteigerter Arbeitsaufwand für Bäuerinnen und Landarbeiterinnen. Damit gestaltete sich in der Landwirtschaft das Verhältnis der Faschisten zur Frauenberufsarbeit besonders widersprüchlich. Während des Krieges sprach der totale Einsatz der Arbeitskraft von Landarbeiterinnen und werktätigen Bäuerinnen jedem variierten faschistischen Frauenleitbild Hohn. 53 Bis 1939 gelang der Masse der Landarbeiter weder der soziale „Aufstieg" zum Heuerling oder Neubauern, noch hielt ihr Lohn einem Vergleich mit Industriearbeiterlöhnen stand. Was blieb, war der Aufruf zu „Opfern für die Volksgemeinschaft". 54 Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges verschärfte die sozialpolitischen Probleme für die Landarbeiter, und mit der Mobilmachung der Männer spitzte sich die Arbeitskräftelage weiter zu. Seit Ausbruch des Krieges verstärkten sich die terroristischen Züge des Naziregimes. Aus Furcht vor dem Verlust seiner Massenbasis, vor Mißstimmungen breiter Bevölkerungskreise, vor Sabotageakten und Widerstandsaktionen konnten geplante 51 Vgl. ZStA Potsdam, Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Nr. 2063, Bl. 8 ff. (Dok. Nr. 95, 101). 52 Vgl. Reichsgesetzblatt, 1938, T. I, S. 835 (Dok. Nr. 98). 53 Vgl. Dok. Nr. 111; L. Zumpe, a. a. O., S. 346, 361; allg. S. Jacobeit, Arbeitsund Lebensbedingungen der Bäuerin in Klein- und Mittelbetrieben. Ein Beitrag zur Lebensweise der Frau auf dem Lande in der Zeit der faschistischen Diktatur des deutschen Imperialismus 1933—1939, agr. Diss. A, Berlin 1979. 54 Vgl. Die Landarbeiterfrage, soziologische und lohnpolitische Untersuchung, S. 414.

LXXVIII und im Herbst 1939 auch zeitweilig praktizierte verschärfte arbeitszeitliche, lohn- und gehaltspolitische Maßnahmen nicht voll durchgesetzt werden.55 Auch während des Krieges untersuchte das Arbeitswissenschaftliche Institut der DAF die „auftauchenden Schwierigkeiten und Spannungen der Gegenwart" und befaßte sich darüber hinaus mit „grundlegenden Arbeiten für den sozialen Neubau" und die „kommende soziale Ordnung in Deutschland". 56 Ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene sollten nach dem Willen des Staates das sich verschärfende Arbeiitskräfteproblem lösen. Die Verschleppung von Arbeitskräften nach Deutschland war langfristig und zynisch eingeplant. Durch die Ernennung eines „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" im März 1942 wurde die Deportation von Millionen Zwangsarbeitern systematisch betrieben. Aus kriegswirtschaftlichen und politischen Gründen war von Kriegsbeginn an ihr Einsatz in umfangreichem Maß für die Landwirtschaft vorgesehen. „In den ersten Wochen des Krieges waren es vorwiegend polnische Kriegsgefangene, die mit äußerster Beschleunigung der Landwirtschaft, besonders den großen Gütern, zur Arbeit in der Hackfruchternte überwiesen wurden. Ihre Arbeitskraft war, wie es ausdrücklich und offiziell angeordnet wurde, ,auf das schärfste anzuspannen'. 300 000 Gefangene (70 bis 80 Prozent aller nach Deutschland gebrachten polnischen Kriegsgefangenen) wurden auf diese Weise in Arbeitskommandos innerhalb nur weniger Tage nach ihrer Einlieferung eingesetzt. Wie sich die faschistischen Behörden brüsteten, war es ihnen gelungen, trotz der bis zum Eintreffen der meisten Kriegsgefangenen zum Teil schon sehr vorgerückten Jahreszeit den weitaus größten Teil der polnischen Kriegsgefangenen noch rechtzeitig bei der Hackfruchternte, vor allem in den östlichen und mitteldeutschen Gebieten, einzusetzen." 57 In den folgenden Kriegsjahren stieg die Zahl ausländischer Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft ständig und betrug bis 1941 etwa die Hälfte und seit 1942 im Durchschnitt mehr als ein Drittel aller in der Kriegswirtschaft eingesetzten Kräfte. In den Jahren des „totalen Krieges" 1943/44 waren in landwirtschaftlichen Großbetrieben über zwei Millionen ausländische Arbeiter und Kriegsgefangene zwangsverpflichtet. Bei Verringerung der Zahl deutscher Arbeitskräfte hieß das, daß 1942 ein Drittel und 1944 zwei Drittel aller in der Landwirtschaft Tätigen ausländische Zwangsarbeiter waren. 58 Diese 55 Vgl. L. Zumpe, a. a. O., S. 347 ff. 56 Vgl. Das Arbeitswissenschaftliche Institut der DAF 1935—1942, hrsg. v. AWI der DAF, Berlin, Februar 1943, S. 3, 15 ff. 57 D. Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft, Bd. 1: 1939—1941, Berlin 1969, S. 94; vgl. auch Dok. Nr. 103, 105. 58 Vgl. J. Lehmann, Zum Verhältnis des Einsatzes von Kriegsgefangenen und

LXXIX Arbeitskräfte verrichteten nach dem Urteil des Nürnberger Gerichtshofes Sklavenarbeit, und zwar vorrangig auf den großen Gütern Ost-, Nordund Mitteldeutschlands. Ihre Arbeitsbedingungen waren grundsätzlich schlechter als die deutscher Arbeiter59, was der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Sauckel, rassentheoretisch begründete. Die ostelbischen Großgrundbesitzer, in der Ausbeutung ausländischer Saisonarbeiter jahrzehntelang erfahren, konnten — gestützt auf staatliche Lohnbestimmungen und Behandlungsvorschriften — ihre Wünsche nach billigen, unbeschränkt auszubeutenden Arbeitern verwirklichen. Hinzu kam ein ganzes System von Terrormaßnahmen, das die osteuropäischen Zwangsarbeiter — vor allem polnische und sowjetische — diskriminierte, sie in Lagern gefangenhielt, ihnen die elementarsten Menschenrechte verweigerte und sie verhungern ließ oder zu Tode folterte. Flucht, Sabotage und Widerstand, aber auch die Notwendigkeit, die Arbeitsleistung der ausländischen Arbeiter einigermaßen zu erhalten, zwangen das Regime immer wieder zu einer „artgemäßen Betreuung" unter Aufsicht der Gestapo. So wies die Gestapoleitstelle Magdeburg im Sommer 1942 die Landräte an, „in den Unterkünften aus eigener Kraft eine artgemäße Freizeit zu gestalten", Nachrichtensendungen in russischer und ukrainischer Sprache zuzulassen und eine „straffe, aber gerechte Behandlung" zu gewährleisten. 60 Diskriminierung, Terror und Mord blieben die festen Bestandteile des Zwangsarbeitsregimes. Von 10 Millionen nach Deutschland verschleppten Zwangsarbeitern erlebten nur 7,5 bis 7,9 Millionen61 die Befreiung. Das Naziregime vervollkommnete während des Krieges die terroristischen Machtmittel und Manipulationsmethoden gegenüber der werktätigen Landbevölkerung. Der Machtzuwachs der Gauleiter, die in Preußen vielfach in Personalunion das Amt des Oberpräsidenten bekleideten, setzte sich nach unten im örtlichen Rahmen fort und schränkte die sozialpolitischen Aufgabenbereiche von RNS und DAF vollständig ein. Anfang 1943 wurden sogenannte Dorf- oder Ortsdreiecke, bestehend aus dem NSDAPOrtsgruppenleiter, dem Bürgermeister und dem Ortsbauernführer, propagiert. Sie sollten der „Gemeinide die Leistungsgemeinschaft, aber auch jene

ausländischen Zwangsarbeitern in der Gesamtwirtschaft und Landwirtschaft des faschistischen Deutschland während des II. Weltkrieges (unter besonderer Berücksichtigung polnischer Kriegsgefangener), in: Deutscher Imperialismus und polnische Arbeiter, a. a. O., S. 104 ff., 114; K. Dohse, a. a. O., S. 129 f., Tabelle 11, 12. 59 Vgl. E. Seeber, Zwangsarbeiter in der faschistischen Kriegswirtschaft, Berlin 1964, ß. 161 ff.; D. Eichholtz, a. a. O., S. 96 f.; L. Zumpe, a. a. O., S. 355 f. 60 Vgl. IML/ZPA, St. 3/899 I, Bl. 112 ff. 61 Vgl. E. Seeber, a. a. O., S. 89 ff.

LXXX seelische und charakterliche Haltung vorexerzieren", die von jedem Gemeindemitglied verlangt werden müsse. 62 Das Schlagwort von der „sozialen Leistungsgemeinschaft" füllte seit 1943 die Spalten der Zeitungen. Nach wie vor galt es, wie die F ü h r u n g des RNS zugab, „die „Landflucht zu bekämpfen, die Arbeits- und Lebensverhältnisse auf dem Lande zu verbessern, das Berufsethos der Landarbeit zu heben und so Bauern und Landarbeiter fester mit dem Boden und der Arbeits- und Pflichtengemeinschaft der bäuerlichen Betriebe zu verbinden".® Sogar Garten und Stall des Landarbeiters wurden in die Erzeugungsschlacht einbezogen. Die Verschärfung des Zwangsablieferungssystems, die Ausweitung der staatlichen Machtbefugnisse und die Bespitzelung der Dorfbevölkerung durch Ortsgruppenleiter und Ortsbauernführer sollten trotz der sich abzeichnenden militärischen Niederlage Hitlerdeutschlands die Stabilität des Hinterlandes erhalten. Die imperialistischen Nachkriegsplanungen bezogen mit der Sozialpolitik auch die Landarbeiterfrage ein und versuchten auf diese Weise, sozialen und politischen Erschütterungen entgegenzuwirken. 64 Terror und Propaganda erreichten, daß bis in die letzten Monate des Krieges die Massenbasis des Faschismus auf dem Dorf erhalten blieb. Die Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus gab den demokratischen K r ä f t e n unter Führung der KPD die Chance, unter den Landarbeitern und Kleinbauern einen Umdenkungsprozeß einzuleiten, der zur Entmachtung der ostelbischen Großgrundbesitzer und zur Aufteilung des enteigneten Bodens führte. 62 Vgl. Deutschland im zweiten Weltkrieg, Bd. 3, Berlin 1979, S. 179. 63 Vgl. ZStA Potsdam, DAF, AWI, Zeitungen, Nr. 4511, Bl. 3 (Dok. Nr. 113, 114). 64 Vgl. R. Giersch, a. a. O., S. 92.

6. Die Organisierung des antifaschistischen Widerstandes auf dem Lande durch die KPD und ihre agrarpolitische Konzeption 1933—1945 Über zwölf Jahre bekämpften in Deutschland und im Ausland Angehörige aus allen Klassen und Schichten des deutschen Volkes das Nazisystem. Kern und soziale Hauptkraft dieses antifaschistischen Widerstandes war die Arbeiterklasse, wobei die Organisationen der KPD den entschiedensten und wirksamsten Teil bildeten. Seinem Wesen nach war antifaschistischer Kampf Klassenkampf zwischen den Kräften der Reaktion und des Imperialismus auf der einen und denen der Demokratie und des Sozialismus auf der anderen Seite. Die Kommunistische Partei Deutschlands war nach der Errichtung der Nazidiktatur die einzige organisierte Kraft mit einer einheitlichen Führung und mit klarer Zielsetzung. Durch die faschistische Terrorwelle wurde in den ersten Wochen und Monaten die Arbeit der Landabteilungen des Zentralkomitees stark eingeschränkt. Viele Verbindungen rissen ab und mußten unter äußersten Schwierigkeiten wieder geknüpft werden. Schon im April 1933 intensivierten die neu eingesetzten Landinstrukteure ihre Arbeit, um die Verhältnisse unter den Landarbeitern, den erwerbslosen Frauen und Jugendlichen und den Kleinbauern möglichst genau zu analysieren und die Mittel und Methoden aufzudecken, mit denen es dem Gegner gelungen war, in diese Teile der Bevölkerung einzudringen. 1 Eine solche ständige Entlarvung der nationalen und sozialen Demagogie der Nazis war Voraussetzung und zentraler Bestandteil des antifaschistischen Kampfes. Aus dieser Tätigkeit, die von der Kommunistischen Internationale unterstützt wurde, gewann die KPD jedoch die Erkenntnis, daß es dem Faschismus deshalb gelingt, „die Massen zu gewinnen", wie G. Dimitroff auf dem VII. Weltkongreß der Komintern ausführte, „weil er in demagogischer Weise an ihre brennendsten Nöte und Bedürfnisse appelliert. Der Faschismus entfacht nicht nur die in den Massen tief verwurzelten Vorurteile, sondern er spekuliert auch auf die besten Gefühle der Massen, auf ihr Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar auf ihre revolutionären Traditionen. Warum spielen sich die deutschen Faschisten . . . vor den Massen als Sozialisten auf und geben ihren Machtantritt als ,Revolution' aus? Weil sie bestrebt sind, den Glauben an die Revolution, den Drang zum Sozialismus, 1 Vgl. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 19467, Bl. 38 (Dok. Nr. 77). 6 Ostelb. Landarbeiter m

LXXXII der in den Herzen der breiten werktätigen Massen Deutschlands lebt, auszunutzen." 2 Wie ernst die Kommunistische Partei Deutschlands eine solche analytische Tätigkeit nahm, welche Bedeutung sie dabei dem tieferen Eindringen in die faschistische Agrarpolitik beimaß, beweist nicht zuletzt die gründliche Vorbereitung der demokratischen Bodenreform, die konzeptionell auf der Brüsseler Konferenz 3 begann und im „Agrarprogramm des Blocks der kämpferischen Demokratie" vom Herbst 1944 Gestalt annahm. Zunächst erfolgte die Anwendung des Leninismus auf die neuen Bedingungen des Klassenkampfes schrittweise. Angesichts des brutalen Terrors des Hitlerregimes gegenüber den Kommunisten, der Passivität rechter SPD- und Gewerkschaftsführer, aber auch des weiteren Eindringens faschistischer Ideologie in Teile der Landarbeiter- und Bauernschaft mußten die entsprechenden strategischen und taktischen Schlußfolgerungen erst gezogen werden. 4 Ernst Thälmann wies auf der illegalen Tagung des ZK der KPD am 7. Februar 1933 darauf hin, die Losung von der Volksrevolution neu zu durchdenken. Er forderte die Arbeiterklasse zum Massenkampf gegen die Hitlerregierung auf, ohne sofort die Diktatur des Proletariats auf die Tagesordnung zu setzen. Mit dem Übergang in die Illegalität setzte sich das ZK der KPD für die Einheitsfront und für Einheitsgewerkschaften 5 ein und rief die Kommunisten auf, nicht nur für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, sondern zugleich für das Streik- und Koalitionsrecht, die Versammlungs- und Pressefreiheit. F ü r die Agitation hieß das, die Landarbeiter bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit und der Abwehr jedes Pfennigs Lohnabbau zu unterstützen, sie für den Zusammenschluß mit den Kleinbauern und für die Solidarität mit den eingekerkerten Antifaschisten zu gewinnen. 6 Immer wieder erinnerte die KPD die verschiedenen Klassen und Schichten daran, die Versprechen der Faschisten aufzugreifen und deren Erfüllung zu verlangen. So erhielten schon im August 1933, während des Höhepunktes von Darres Siedlungsagitation, Landarbeiter und Kleinbauern Flugblätter, Klebe- und Streuzettel, in denen sie angehalten wurden, Siedlungsaus-

2 VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, Berlin 1975, S. 95. 3 Vgl. Die Brüsseler Konferenz der KPD, Berlin 1975, S. 145ff.; E. Hoernle, Methoden und Organisationsformen der nationalsozialistischen Massenbeeinflussung auf dem Lande, in: Ders., Zum Bündnis, a. a. O., S. 201 ff. 4 Vgl. K. Mammach, Die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933-1945, Berlin 1974, S. 57 f. 5 Vgl. IML/ZPA, St. 3/29, Bl. 6; Geschichte des FDGB, S. 140 f. 6 Vgl. ZStA Merseburg, a. a. O., Bl. 40 f. (Dok. Nr. 82).

LXXXIII schüsse zu bilden, Aufteilungsvorschläge zu machen und mit den Arbeitern gemeinsam für die Verteidigung ihrer Rechte zu kämpfen. 7 Die KPD konzentrierte ihre Widerstandsarbeit auf dem Lande dort, wo die Nazis größere Massen zusammengezogen hatten. 1933/34 waren dies die Arbeitsdienstlager, von denen die städtischen Arbeitslosen als Landhelfer oder Notstandsarbeiter eingesetzt wurden. Die arbeitsrechtlich und sozial ungeklärte Lage der Arbeitsdienstler auf der einen, ihre unwillkommene Funktion als Lohndrücker in der Landwirtschaft auf der anderen Seite waren Quellen von Unzufriedenheit und politischer Unruhe, so daß es sogar zu vereinzelten Arbeitsverweigerungen in den landwirtschaftlichen Gebieten Ostdeutschlands kam. 8 Solche Streikaktionen nahmen zu, nachdem, bedingt durch den Mangel an Arbeitskräften, in der Landwirtschaft mehr Wanderarbeiter vermittelt wurden. Seit 1935, besonders im Jahr 1936, streikten auf mitteldeutschen Gütern schlesische und oberschlesische Landarbeiter. Die Berichte der Gestapo wiesen solche Arbeitsniederlegungen für den Gau MagdeburgAnhalt, wo Anfang Juli 1936 schlagartig Streiks in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben ausbrachen 9 , aber auch für Güter im Raum Halle, in Pommern und in Schlesien aus. 10 An der Spitze der oft nur Stunden dauernden Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen standen in vielen Fällen Kommunisten. Sie machten sich zu Sprechern für die gewerkschaftlichen Forderungen der Landarbeiter und entlarvten zugleich die faschistische Agrarpolitik und -propaganda. Viele kommunistische Landarbeiter wurden verhaftet und in die Konzentrationslager verschleppt. In dem Maße, wie die KPD in Vorbereitung und Auswertung des VII. Weltkongresses der KI ihre antifaschistische Strategie und Taktik vervollkommnete, arbeitete sie auch ihre bündnis- und agrarpolitische Konzeption weiter aus. 11 Nach ihren Tagungen vom Sommer 1934 und Januar 1935 verstärkte sie den Kampf um die Aktionseinheit der Arbeiterklasse, um den Wiederaufbau freier Gewerkschaften und damit des Deutschen Landarbeiterverbandes. Trotz der destruktiven Haltung des Prager P a r teivorstandes der SPD und einiger Gewerkschaftsführer kam es 1934/35 zu ersten erfolgreichen antifaschistischen Aktionen in verschiedenen In7 Vgl. IML/ZPA, a. a. O., Bl. 25, 128 f.; H. Kühnrich, Die KPD im Kampf gegen die faschistische Diktatur 1933-1945, Berlin 1983, S. 111 f. 8 Vgl. IML/ZPA, St. 3/713, B. 5 ff.; ebenda, St. 3/463, Bl. 9, 27. 9 Vgl. ebenda, Bl. 200. 10 Vgl. ebenda, Bl. 112, 188, 213, 233 f., 243 ff., 292. 11 Vgl. J. Piskol, Zur Entwicklung der agrarischen Konzeption der KPD 1935 bis 1945, in: Wissenschaftliche Mitteilungen der Historiker-Gesellschaft der DDR, 1982/11, S. 55 ff. 6*

LXXXIV dustriegebieten Deutschlands12, die es ebenso auf die besonderen Bedingungen landwirtschaftlicher Betriebe auszudehnen galt. Unter strenger Beachtung der Regeln der Illegalität suchten die Kommunisten alle Möglichkeiten auszunutzen, um die Landarbeiter auf den Gütern zusammenzufassen und zu organisieren, sie in Form von Broschüren und Flugblättern aufzuklären und ihnen ihre ureigensten Forderungen bewußt zu machen.13 Im Vordergrund standen als Tagesaufgaben Maßnahmen gegen das Wohnungselend, die Verlängerung der Arbeitszeit und die niedrigen Löhne der Landarbeiter. Auch Edwin Hoernle, Agrarspezialist der KPD im Moskauer Exil, forderte in seinem Aufsatz „Das deutsche Dorf und die antifaschistische Volksfront", den er in Heft 3 des Jahrgangs 1936 der Zeitschrift „Die Internationale" veröffentlichte14, den Kampf „mit den einfachsten kleinsten Schritten" zu beginnen. „Sich keine Mehrarbeit gefallen lassen, keine Lohnherabsetzung hinnehmen, gute Qualität des Deputats und gutes Gewicht verlangen, auf strenge Einhaltung der Arbeitspausen achten, auf pünktliche(r) Auszahlung des Lohnes ohne Abzüge oder Einbehaltung eines Teils bestehen, anständige Wohnung verlangen und ähnliches mehr sind die ersten Schritte der Landarbeiter zur Brechung der faschistischen Gewalt auf dem Gutshof."15 Die Einheits- und Volksfrontpolitik, wie sie die KPD auf der Brüsseler Konferenz präzisierte, schloß auch die Bündnispolitik mit den Bauern ein. Die breite antifaschistische Volksfront verlangte das Bündnis mit der gesamten Bauernschaft, ohne deren soziale Differenzierung außer acht zu lassen. Trotz vorrangiger Konzentration auf die Lösung der sozialen Fragen des Landproletariats und der armen Bauernschaft bezog die Partei in den Kampf um grundlegende politische Forderungen — wie Aufdeckung der Aufrüstungs- und Kriegspolitik der Nazis — die gesamte Bauernschaft ein. So verstärkte sie ab 1937/38 in den Dörfern sowohl West- wie Ostdeutschlands ihre Tätigkeit. In „Bauernbriefen" wurden der Arbeitskräftemangel und der Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion als Auswirkungen der Aufrüstungspolitik entlarvt, vor allem aber Stellung bezogen gegen einen neuen drohenden Krieg und seine verheerenden Folgen.16 Ebenso gewann auch die Bodenfrage immer größere Bedeutung. In dem 12 Vgl. K. Mammach, a. a. O., S. 82 ff.; Geschichte des FDGB. 13 Vgl. Die Landarbeiter im Dritten Reich, in: Internationale GewerkschaftsPress ekorrespondenz, Nr. 9, Mitte Mai 1935; IML/ZPA, St. 3/1000, Bl. 63 (Dok. Nr. 85). 14 Vgl. ebenda, Bl. 67 ff.; E. Hoernle, Bauer und Bodenrecht im Dritten Reich, in: Ders., Zum Bündnis, a. a. O., S. 252 ff. 15 IML/ZPA, St. 3/100, Bl. 73. 16 Vgl. ebenda, St. 3/891, Bl. 379, 382; St. 3/1049, Bl. 54.

LXXXV Maße, wie die KPD um die schöpferische Anwendung der Leninschen Revolutionstheorie auf Deutschland rang, mußte sie sich mit der Frage der Enteignung und der Aufteilung des Großgrundbesitzerlandes eindeutiger und klarer auseinandersetzen. Ausgehend von der Brüsseler Konferenz 1935, entsprach nur die alternative Gesellschaftskonzeption der KPD — und darin eingeschlossen die Demokratisierung des Dorfes — den objektiven Gegebenheiten. 1936 antwortete E. Hoernle auf die Frage: „Was werden die Kommunisten den Bauern geben?" „Die deutsche Arbeiter- und Bauernmacht wird sofort den gesamten Boden und das landwirtschaftliche Inventar der Fürsten, Junker und Kapitalisten beschlagnahmen und den Landarbeitern und werktätigen Bauern unentgeltlich übergeben. Damit zerschlägt sie die Kette der Lohnknechtschaft, der Pachtknechtschaft und der Zinsknechtschaft des werktätigen Landvolkes. Das revolutionäre Proletariat verspricht nicht nur dies den arbeitenden Dorfmassen. Es ruft sie auf, selber den Boden zu ergreifen, selber mit Hilfe der Arbeiter die Junker von ihren Beamtenstuben zu verjagen. Die Kommunisten folgen hierbei dem großen Beispiel der russischen Oktoberrevolution, als das siegreiche Proletariat unter Führung der Bolschewiki den russischen Bauern Boden und Inventar des Adels, der Kirche und des Zaren übergab." Der faschistischen Verleumdung von dem versklavten Bauern in der Kollektivwirtschaft stellte er entgegen: „Heute heißt es, den Bauern aus Schulden, Steuernot und Pachtknechtschaft zu befreien. Erst wenn der Boden den Bauern gehört, kann die Frage der Bewirtschaftungsweise überhaupt aufgeworfen werden. Laßt uns erst einmal gemeinsam Junker und Kapitalisten zum Teufel jagen, damit der Weg frei wird für ein besseres Leben."17 In der Resolution der Berner Konferenz vom Februar 1939 gehörte zu den Grundforderungen für eine neue demokratische Republik: „Schutz des bäuerlichen und mittelständischen Eigentums. Demokratische Bodenreform zugunsten der Bauern und Landarbeiter."18 Neben der Liquidierung des Großgrundbesitzes war die Schaffung lebensfähiger Wirtschaften werktätiger Bauern als Hauptinhalt der antifaschistisch-demokratischen Bodenreform vorgezeichnet. 1942 behandelte das von E. Hoernle ausgearbeitete Dokument19 „Bauernhilfe im befreiten Deutschland" wichtige agrarpolitische Aufgaben der antiimperialistisch-demokratischen Etappe der Revolution und perspektivische sozialistische Zielstellungen. Breiten Raum widmete es der Entwicklung von Formen bäuerlicher Gemeinschaftsarbeit, vermengte aber noch anti17 E. Hoernle, Das deutsche Dorf, a. a. O., Bl. 71. 18 Die Berner Konferenz der KPD, Berlin 1974, S. 138. 19 Vgl. J. Piskol, a. a. O., S. 55 f.

LXXXVI imperialistisch-demokratische Aufgaben mit der sozialistischen Lösung der Agrarfrage. Es war eine Nationalisierung des enteigneten Bodens und die Schaffung von staatlichen und kommunalen Mustergütern in beträchtlichem Umfang vorgesehen. Diese Forderungen zeugten von einer gewissen Uberschätzung des Reifegrades des subjektiven Faktors und der Unterschätzung einiger historischer Besonderheiten wie des Landhungers und des ausgeprägten Eigentumssinns der deutschen Bauern, aber auch der Landarbeiter. Trotz dieser zeitbedingten Einschränkungen entsprachen die agrarpolitischen Forderungen der KPD den Interessen der „werktätigen und ausgebeuteten Massen auf dem Lande, die das städtische Proletariat in den Kampf führen oder jedenfalls für sich gewinnen muß", wie Lenin in seinen Agrarthesen 1920 formuliert hatte. 20 Darüber hinaus waren die agrarpolitischen Vorstellungen der KPD so gefaßt, daß die gesamte werktätige Bauernschaft gewonnen und an die sozialistische Revolution herangeführt werden konnte. Das „Agrarprogramm des Blocks der kämpferischen Demokratie", Bestandteil des von Anton Ackermann im Herbst 1944 entworfenen „Aktionsprogramms des Blocks der kämpferischen Demokratie"21, präzisierte die Agrarkonzeption der KPD weiter. Die sich abzeichnende militärische Niederlage des deutschen Faschismus und die Befreiung des deutschen Volkes forderten von der KPD konkrete Maßnahmen für die demokratische Umgestaltung. Das Agrarprogramm, von E. Hoernle im Auftrag der Parteiführung ausgearbeitet, enthielt Angaben zur Größe der zu enteignenden Güter (150 Hektar), zum Eigentümerstatus des Neubauern und verdeutlichte jene Gedanken aus dem Dokument von 1942, die auf eine sofortige Verbesserung der Lage der Landarbeiter und Bauern und perspektivisch auf eine gemeinsame genossenschaftliche Bearbeitung des Bodens gerichtet waren.22 Die KPD hatte damit die bis dahin reifste Agrarkonzeption vorgelegt, die den Leninismus schöpferisch verarbeitete. Sie beachtete Lenins Hinweise von 1920, daß die Umwandlung der enteigneten landwirtschaftlichen Großbetriebe in staatliche oder genossenschaftliche einen „aufgeklärten" Landarbeiter voraussetzt, der eine solide gewerkschaftliche Schule durchgemacht hat. Sie stellte die nationalen und historischen Besonderheiten in Rechnung und berücksichtigte, daß die Forderungen der Landarbeiter und landarmen Bauern nach Boden weder durch die Bourgeoisie noch durch die Sozialdemokratie erfüllt worden waren. 20 Vgl. W. 1. Lenin, Ursprünglicher Entwurf, S. 141. 21 Vgl. E. Hoernle, Zum Bündnis, a. a. O., S. 333 ff. (Dok. Nr. 115). 22 Vgl. ebenda; H. Laschitza, Kämpferische Demokratie gegen Faschismus, Berlin 1969, S. 201 f.; Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Abriß, Berlin 1978, S. 100.

LXXXVII Zum Zeitpunkt der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus verfügte die KPD über ein marxistisch-leninistisches Agrarprogramm, das den konkreten Bedingungen in Deutschland entsprach und Ziel, Inhalt und Methoden einer konsequent antiimperialistischen Umwälzung auf dem Land enthielt.23 Es fand Eingang in den Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 und in die Bodenreformdirektive des Zentralkomitees von Ende August 194524, die die Bodenreformgesetzgebung unmittelbar vorbereitete. Kernstück aller Maßnahmen war die revolutionäre Lösung der Bodenfrage mit einer radikalen Boden- und Besitzreform zugunsten der Landarbeiter, landarmen Bauern und Umsiedler. Die demokratische Bodenreform, die Anfang September 1945 in allen Ländern bzw. Provinzen der damaligen sowjetischen Besatzungszone begann, wurde unter Führung der Arbeiterklasse „zu einer bis dahin beispiellosen erfolgreichen revolutionären Massenaktion".25 Ihre Ergebnisse waren grundlegend für die gesamte weitere antiimperialistische Entwicklung. Mit der Vernichtung der klassenmäßigen Existenz des Junkertums in den traditionellen ostelbischen Gebieten erlitt auch das deutsche Monopolkapital eine entscheidende Niederlage. Mit Beseitigung des gutsherrlichen Großgrundbesitzes wurde zugleich seiner politischen und wirtschaftlichen Macht auf dem Lande ein Ende gesetzt und ebenso die Hauptquelle des Militarismus endgültig ausgetrocknet. Der Weg zur Entwicklung demokratischer dörflicher Verhältnisse war frei. Bereits auf dem 15. Parteitag der KPD im April 1946 konnte mit vollem Recht eine optimistische Bilanz der in einem früheren ostelbischen Kernland erfolgten Gesellschaftsumwälzung gezogen werden: „ . . . daß die Provinz Brandenburg nicht mehr die Provinz des militaristischen Potsdamer Geistes oder eine Provinz der Ostelbier ist, sondern daß ein neues demokratisches Brandenburg entstanden ist, dem die werktätigen Schichten heute das Gepräge geben."26 „Mit der Beseitigung des Großgrundbesitzes, der ökonomischen Stärkung der Klein- und Mittelbauern und der Herausbildung gesellschaftlichen Eigentums auf dem Lande wurden feste Fundamente für das Bündnis 23 Vgl. Nehring/Piskol, Zur Dialektik von antifaschistisch-demokratischer Umwälzung und sozialistischer Revolution in der Agrarpolitik von KPD und SED 1945—1949, in: Wissenschaftliche Mitteilungen der Historiker-Gesellschaft der DDR, 1982/1, S. 11 ff.; dies., Zur führenden Rolle der KPD in der demokratischen Bodenreform, in: ZfG, 4/1980, S. 324 ff. 24 Vgl. KPD und demokratische Bodenreform. Dokumentation, in: BzG, 5/1975, S. 849 ff. 25 Vgl. Geschichte der SED, S. 101; allg. R. Stöckigt, Der Kampf der KPD um die demokratische Bodenreform, Berlin 1964. 26 Bericht über die Verhandlungen des 15. Parteitages der KPD, Berlin 1946, S. 162.

LXXXVIII zwischen der Arbeiterklasse und der gesamten werktätigen Bauernschaft gelegt und die Bauernbefreiung erfolgreich eingeleitet. Eine alte Forderung der Bauern und Landarbeiter, von der revolutionären Arbeiterbewegung aufgegriffen, wurde verwirklicht. Zugleich waren damit die Voraussetzungen geschaffen, um die jahrhundertewährende soziale und kulturelle Rückständigkeit des Dorfes und den Gegensatz zwischen Stadt und Land . . . allmählich zu überwinden." 2 7 27 Geschichte

der SED, S. 103.

II. Quellen

1. Thematische Gliederung der Quellen* 1. Die Leninsche Lösung der Agrarfrage und ihre Umsetzung durch die KPD 8, 9, 13, 14, 15, 20, 23, 24, 26, 32, 35, 37, 40, 42, 44, 45, 47, 55, 58, 59, 62, 64, 67, 77, 85, 115, 116 2. Vorstellungen der SPD zur Lösung der Boden- und Landarbeiterfrage 12, 16, 52 3. Zur Entwicklung und Arbeit der Landarbeiterorganisationen 3, 4, 5,14, 23, 25, 27, 33, 34, 41, 50, 54, 60, 74, 75 4. Streikkämpfe der Landarbeiter 1920-1932 10, 11, 17, 18, 19, 22, 26, 28, 29, 30, 31, 33, 61, 66, 69, 73 5. Zur sozialen und rechtlichen Stellung der Landarbeiter in der Weimarer Republik 1, 2, 6, 7, 21, 22, 26, 27, 35, 36, 38, 39, 41, 42, 43, 46, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 57, 62, 63, 71 6. Bemühungen der Nazis zur Gewinnung der Landarbeiter sowie deren Lage und Widerstand während der faschistischen Diktatur 65, 68, 70, 72, 74, 75, 76, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111,112, 113, 114 * Es wird die Nummer des betreffenden Dokuments angegeben.

2. Verzeichnis der Dokumente in zeitlicher Reihenfolge Nr. 1 2

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Seite Landarbeitsordnung f ü r die Provinz Sachsen und f ü r Anhalt. (13. Dezember 1918). Der Reichsminister f ü r wirtschaftliche Demobilmachung, Koeth, an die Demobilmachungskommissare und Demobilmachungszentralen betreffend Vereinbarungen über Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft. (16. Januar 1919). Aufruf des Zentralverbandes der Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter Deutschlands an seine Mitglieder zur Stärkung der Organisation. (Januar 1919). Briefwechsel zwischen Graf Praschma, Franz Behrens und der Hauptgeschäftsstelle des Zentralverbandes der Forst-, Landund Weinbergsarbeiter Deutschlands über die Bildung einer christlichen Landarbeitergewerkschaft. (März 1919). Briefwechsel des Grafen Praschma mit dem Grafen Ballestrem über die Bildung eines Arbeitgeberverbandes und die Unterstützung des Zentralverbandes der Landarbeiter. (April 1919). Tarifvertrag f ü r die Landarbeiter des Kreises Ost-Prignitz. (23. Juni 1919). Ergänzung zur Landarbeitsordnung f ü r die Provinz Sachsen und f ü r Anhalt. (1. August 1919). Aufruf des Verbandes kommunistischer Landarbeiter und Kleinbauern Deutschlands vom 3. August 1919 an alle Landarbeiter und Kleinbauern, dem Verband beizutreten. Aufruf der Zentrale der KPD vom Februar 1920 an die Landarbeiter, Gutsräte zu bilden und die Kontrolle über die Gutsverwaltungen zu erkämpfen. Rundschreiben Nr. 40 der Zentrale der KPD an die Bezirksleitungen zum Eintritt in den Generalstreik und zur Herstellung einer gemeinsamen Kampffront gegen die Militärdiktatur. (14. März 1920). Der Stettiner „Kämpfer" über die Forderungen der Landarbeiter Pommerns nach umfassender Verbesserung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Lage. (22. März 1920).

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Seite Forderungen des SPD-Unterbezirks Vorpommern. (23./24. März 1920). Die Landarbeiter- und Bauernfrage auf dem 4. Parteitag der KPD. (April 1920). Haltung der KPD zur Opposition im DLV. (Juli 1920). Haltung der KPD zur Enteignung und Bewirtschaftung der Güter. (Juli 1920). Richtlinien der SPD zur Agrarpolitik, angenommen auf dem Parteitag in Kassel. (Oktober 1920). Streik auf den Gütern Wentzels, Höhnstedt, Kreis Mansfeld. (Oktober 1920). Streik in Vorpommern. (November 1920). Aufruf zur Solidarität f ü r die streikenden Landarbeiter des Regierungsbezirkes Stralsund. (November 1920). Agrarprogramm der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands. (Dezember 1920). Graf Keyserlingk-Cammerau zur Gestaltung von Tarifverträgen in der Landwirtschaft. (Dezember 1920). Streikforderungen im F r ü h j a h r 1921. Forderungen der KPD an die Haltung der Landarbeiter gegenüber dem DLV. (September 1921). Forderungen an die Landarbeiter zur Unterstützung Sowjetrußlands. (Dezember 1921). Einladung von Franz Behrens an den Grafen Praschma zu einer Tagung von Freunden der nichtsozialistischen Landarbeiterbewegung. (Dezember 1921). Aufruf der Zentrale der KPD vom Februar 1922 an die Landarbeiter zur Vorbereitung des Lohnkampfes. Aus dem Bericht des Verbandsvorstandes des DLV über die Verbandsarbeit in den Jahren 1920 bis 1922. Entschließung der streikenden Landarbeiter des Kreises Ohlau. (13, Juni 1923). Aufruf des Landrats des Kreises Neumarkt zu Ruhe und Besonnenheit während des Landarbeiterstreiks. (14. Juni 1923). Bericht des DLV-Vorstandes über den Stand des Landarbeiterstreiks in Schlesien. (14. Juni 1923). Aufstellung über den Einsatz der Technischen Nothilfe während des Landarbeiterstreiks in Schlesien im Juni 1923. (27. September 1923). Aus dem politischen Rundschreiben des Direktoriums der K P D vom 8. J a n u a r 1924 zur Lage und zu den Aufgaben der Partei.

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Seite Zentralverband der Landarbeiter gegen den Streik in Ostpreußen. (April 1924). Briefwechsel mit dem Grafen Praschma wegen der Spaltung des schlesischen Zentralverbandes der Landarbeiter. (Oktober/ November 1924). Antrag der Reichstagsfraktion der KPD vom 20. J a n u a r 1925 auf entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer und auf Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der werktätigen Landbevölkerung. KPD gegen sozialreaktionäre Vorstöße der Großgrundbesitzer. (17. November 1925). Aufgabenstellung f ü r die Arbeit der KPD unter den Landarbeitern nach dem Volksentscheid gegen die Fürstenenteignung. (Juni 1926). Soziale Zustände in Schnitterkasernen f ü r Wanderarbeiter. (1. Februar 1927). Zusammenstellung des preußischen Landwirtschaftsministeriums über Ursachen der Landflucht von Landarbeitern. (14. J a nuar 1927). Beschluß des Essener Parteitages der KPD zur Arbeit auf dem Lande. (März 1927). Proteste des DLV gegen die Benachteiligung der Landarbeiterschaft bei der Sozialgesetzgebung. (März 1927). Aufruf der KPD vom Frühsommer 1927 an die polnischen Saisonarbeiter in Deutschland zum gemeinsamen Kampf mit den deutschen Landarbeitern. Wohnverhältnisse der Landarbeiter in Ostpreußen. (Juni 1927). Mitteilung des Reichskommissars f ü r Überwachung der öffentlichen Ordnung in Berlin v. 23. Juni 1927 über die Agitation der KPD unter polnischen Industrie- und Landarbeitern in Deutschland. Aus dem Bericht der Abteilung Land der Bezirksleitung BerlinBrandenburg-Lausitz der KPD von Ende 1927 über die politische Arbeit unter polnischen Saisonarbeitern in Deutschland vom 1. J a n u a r bis 31. Oktober. Anprangerung körperlicher Mißhandlungen von Landarbeitern durch die Gutsbesitzer. (28. J a n u a r 1928). Aufruf der KPD vom März 1928 an die polnischen Saisonarbeiter in Deutschland zum gemeinsamen Kampf mit den deutschen Arbeitern. Ablehnung tariflicher Lohnerhöhungen durch den Reichsver-

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Seite band der deutschen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgebervereinigungen. (28. Februar 1928). Preußischer Staatsrat zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse der Landarbeiterschaft. (23. März 1928). Stellung des DLV zur Arbeitslosenversicherung der Landarbeiter. (April 1928). KPD für die Durchsetzung sozialer Belange der Landarbeiter. (8. Juni 1928). SPD für soziale Belange der Landarbeiter. (27. Oktober 1928). Wohnverhältnisse der Landarbeiter in der Grenzmark PosenWestpreußen. (1928). Aus dem Bericht des Verbandsvorstandes des DLV über die Verbandsarbeit in den Jahren 1926 bis 1928. Bericht der Polnischen Sprachgruppe der KPD von Anfang 1929 über ihre Tätigkeit unter polnischen Arbeitern in Deutschland vom 1. November 1927 bis 31. Januar 1929. Die Tarifbestimmungen über die Benutzung der landwirtschaftlichen Werkwohnungen. (1929). Die Tarifbestimmungen über die Frauenarbeit und die Gestellung von Hofgängern in der Landwirtschaft. (1929). Notiz der Politischen Polizei des Polizeipräsidiums in Berlin vom 25. April 1929 über die Agitation der KPD unter polnischen Saisonarbeitern. Rundschreiben der Bezirksleitung Pommern der KPD, Abteilung Land, vom 19. März 1930 mit Maßnahmen für die Agitation unter polnischen Saisonarbeitern. Einfluß der DINTA-Ideologie auf die Landarbeiter. (1930). Pressebericht vom 9. Juli 1930 über den Streik deutscher und polnischer Landarbeiter im Gebiet von Torgau. Aufgabenstellung für die Arbeit der KPD unter den Landarbeitern. (Herbst 1930). Forderungen des Reichsverbandes ländlicher Arbeitnehmer zur Beseitigung der Krisenauswirkungen auf die Landarbeiter. (24. Oktober 1930). Gründung des „Einheitsverbandes der Land- und Forstarbeiter". (März 1931). Einbeziehung der Dörfer in den Kampf gegen den Faschismus. (Sommer 1931). Presseartikel vom 5. September 1931 über gemeinsame Streiks deutscher und polnischer Landarbeiter. Aus einem Presseartikel vom 5. April 1932 über die Grenzkon-

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Nr. ferenz von Vertretern der Landarbeiter Deutschlands, Polens und der Tschechoslowakei am 20. März. 68 Bildung faschistischer Landzellen in Pommern 1932. 69 KPD zur Unterstützung streikender Landarbeiter in Ostpreußen. (13. Februar 1932). 70 Aus einem Pressebericht vom 29. Juli 1932 über gemeinsame Demonstrationen deutscher und polnischer Bauern und Landarbeiter am 26. Juni in Ostpreußen und Pommern gegen Faschismus und Kriegsgefahr. 71 KPD für vollen Lohn an Landarbeiter in der Weltwirtschaftskrise. (6. Juli 1932). 72 Demagogische Versprechungen der Faschisten gegenüber den Landarbeitern. (November 1932). 73 Landarbeiterstreiks unter Führung der KPD im Herbst 1932. (13. Dezember 1932). 74 Reichslandarbeiterbund begrüßt die Errichtung der faschistischen Diktatur. (Februar 1933). 75 Schaffung eines einheitlichen faschistischen Landarbeiterverbandes. (Juni 1933). 76 Aus dem Bericht des Regierungspräsidenten in Allenstein (Ostpreußen) vom 6. September 1933 an das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin über die Zusammenarbeit deutscher und polnischer kommunistischer Landarbeiter. 77 Einschätzung der KPD über die ersten Monate Hitlerscher Agrarpolitik. (Herbst 1933). 78 Faschistische Gesetze zur Arbeitskräfteregulierung. 78/1 Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes. Vom 15. Mai 1934. 78/2 Anordnung über die Beschränkung des Einsatzes landwirtschaftlicher Arbeitskräfte in nichtlandwirtschaftlichen Betrieben und Berufen. Vom 17. Mai 1934. 78/3 Gesetz zur Befriedigung des Bedarfs der Landwirtschaft an Arbeitskräften. Vom 26. Februar 1935. 79 Ernennung eines Reichskommissars für Landarbeiterfragen. (2. September 1934). 80 Der Reichskommissar für Landarbeiterfragen zur Mitgliedschaft der Landarbeiter in der Deutschen Arbeitsfront. (15. Oktober 1934). 81 Einheitstarif für die pommersche Landwirtschaft. (September 1934). 82 Die soziale Lage der Landarbeiter unter der faschistischen Diktatur. (1935).

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Nr. 83 Aus den „Richtlinien für die Neubildung deutschen Bauerntums" vom 1. Juni 1935. 84 Mitteilungen aus dem Amt Information des Zentralbüros der Deutschen Arbeitsfront an die Gestapo Berlin über Arbeitsniederlegungen durch Wanderarbeiter in landwirtschaftlichen Betrieben. (1936). 85 Aufruf der KPD zur Einbeziehung der Landarbeiter in die antifaschistische Volksfront. (1936). 86 Mit „Schönheit der Arbeit" gegen die Landflucht. (9. Januar 1937). 87 Verordnung zur beschleunigten Förderung des Baues von Heuerlings- und Werkwohnungen sowie von Eigenheimen für ländliche Arbeiter und Handwerker. Vom 10. März 1937. 88 Aus dem streng vertraulichen Monatsbericht Mai 1937 des Reichstreuhänders der Arbeit über die sozialpolitische Lage in der Landwirtschaft. 89 Aus dem streng vertraulichen Monatsbericht Juni/Juli 1937 des Reichstreuhänders der Arbeit über die sozialpolitische Lage in der Landwirtschaft. 90 Technisierung der Landwirtschaft durch den „Vierjahresplan". (Juni 1937). 91 Organisierung einer „Landnothilfe". (August 1937). 92 Aus dem streng vertraulichen Monatsbericht Januar/Februar 1938 des Reichstreuhänders der Arbeit über sozialpolitische Klagen und Wünsche in der Landwirtschaft. 93 Geringe Chancen für „Aufstiegsmöglichkeiten" der Landarbeiter. (März 1938). 94 Die Gliederung der Landarbeiterschaft unter der faschistischen Diktatur. (1938). 95 Wirtschaftliche und soziale Maßnahmen des Regimes zur Korrumpierung der Landarbeiter. (Mai 1938). 96 Arbeitskräftelenkung in der Landwirtschaft. (1938). 97 Anprangerung unhaltbarer sozialer Zustände auf ostelbischen Gütern durch die Deutsche Arbeitsfront. (1938). 98 Verordnung zur Förderung der Landbevölkerung. Vom 7. Juli 1938. 99 Stand der „Lösung" des Landarbeiterproblems im Herbst 1938. (15. September 1938). 100 Aus den streng vertraulichen Berichten der Reichstreuhänder der Arbeit für das 4. Vierteljahr 1938 über die sozialpolitische Lage in der Landwirtschaft. 7 Ostelb. Landarbeiter III

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10 Nr. 101 Mit sozialen Maßnahmen gegen die Landflucht der Landarbeiter. (Mai 1939). 102 Stellungnahme des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront zur Lösung der Lohnfrage in der Landwirtschaft. (1939). 103 Das Oberkommando der Wehrmacht zu den Schwierigkeiten des Einsatzes von Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft. (11. Dezember 1939). 104 Erste „soziale Leistungsgemeinschaften" der Landarbeiter. (Juli 1940). 105 Vorschläge des Agrarkapitalisten C. Wentzel (-Teutschenthal) zur verstärkten Mobilisierung von Gefangenen f ü r die deutsche Landwirtschaft. (8. November 1940). 106 Forderung nach besserer Versorgung der landwirtschaftlichen Bevölkerung mit Arbeitsschuhen. (4. August 1941). 107 Aufruf an die Landarbeiter zum Durchhalten. (Oktober 1941). 108 Richtlinien Görings vom 7. November 1941 über den Arbeitseinsatz russischer Kriegsgefangener und „freier Arbeiter". Aus dem Dokument 386-USSR des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. 109 Das Reichsarbeitsministerium gegen eine Einschränkung der Eigenwirtschaft der Landarbeiter. (27. J a n u a r 1942). 110 Verordnung über Steuervergünstigungen zur Förderung des Baues von Landarbeiterwohnungen. Vom 6. Februar 1942. 111 Vorschläge der Regierungspräsidenten von Magdeburg und Merseburg zur Beseitigung des Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft über die verstärkte Einbeziehung von Kriegsgefangenen und Frauen. (Januar/Februar 1942). 112 Brief Sauckels an Rosenberg vom 17. März 1943 mit der Anforderung einer weiteren Million Zwangsarbeiter aus den Ostgebieten. Dokument 019-PS des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. 113 Heranbildung der Landarbeiterin zur „Landfrau". (Juli 1943). 114 Soziale Korrumpierung der Landarbeiter während des „totalen Krieges". (August 1944). 115 Das Agrarprogramm des „Blocks der kämpferischen Demokratie". (August 1944). 116 Aus der Verordnung der Provinzialverwaltung Sachsen vom 3. September 1945 über die Bodenreform.

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3. Abkürzungsverzeichnis ADGB AWI BGB BzG DAF DINTA DLV Dok. EVLF HJ IML/ZPA kathol. KI KJV Min. OKW NSBO NSK NSV o. J. o. O. Pr./pr. RAM REM Reg.-Bez. RFMB RGI RGO RKO RLAB RLB RNS RVO 7*

Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Arbeitswissenschaftliches Institut Bürgerliches Gesetzbuch Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung Deutsche Arbeitsfront Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung Deutscher Landarbeiterverband Dokument Einheitsverband der Land- und Forstarbeiter Hitlerjugend Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Zentrales Parteiarchiv katholisch Kommunistische Internationale Kommunistischer Jugendverband Ministerium Oberkommando der Wehrmacht Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation Nationalsozialistische Partei-Korrespondenz Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ohne Jahr ohne Ort Preußen/preußisch Reichsarbeitsministerium Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Regierungsbezirk Roter Frauen- und Mädchenbund Rote Gewerkschafts-Internationale Revolutionäre Gewerkschaftsopposition Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung Reichslandarbeiterbund Reichslandbund Reichsnährstand Reichsversicherungsordnung

12 Schupo/Sipo StA Teno VB M. A. v. H. VjZ VKPD VLO/v. LAO VLWD WAP WZ ZdL ZdR ZfG ZStA Merseburg ZStA Potsdam

Schutzpolizei/Sicherheitspolizei Staatsarchiv Technische Nothilfe Völkischer Beobachter, Münchener Ausgabe vom Hundert Vierteljahrshefte f ü r Zeitgeschichte Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands Vorläufige Landarbeitsordnung Verband der Land- und Waldarbeiter Deutschlands Wojewodzkie Archivum Panstwowe Wissenschaftliche Zeitschrift Zentralverband der Landarbeiter Zeitungsdienst des Reichsnährstandes Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg Zentrales Staatsarchiv der DDR, Potsdam

4. Dokumententeil 1

Landarbeitsordnung für die Provinz Sachsen und für Anhalt (13. Dezember 1918). Sonderdruck aus Nr. 51, 1918 der „Landwirtschaftlichen Wochenschrift" für die Provinz Sachsen. Amtsblatt der Landwirtschaftskammern für die Provinz Sachsen und das Herzogtum Anhalt. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 201, Bl. 47.

I. Die Arbeitgeber u n d Arbeiter aus der Land- u n d Forstwirtschaft in der Provinz Sachsen u n d in Anhalt haben sich in den Ausschuß f ü r Landu n d Forstwirtschaft bei der Zentralauskunftsstelle Sachsen-Anhalt in Magdeburg zu einer Arbeitsgemeinschaft ländlicher Arbeitgeber u n d A r beiter auf paritätischer Grundlage zusammengeschlossen u n d vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung f ü r ihren Bezirk folgende L a n d a r beitsordnung beschlossen. Der Arbeitsgemeinschaft obliegt die Durchf ü h r u n g nachstehender Vereinbarungen, sowie die Regelung der M a ß n a h m e n zur Demobilmachung, A u f r e c h t e r h a l t u n g des Wirtschaftslebens und Sicherung der Existenzmöglichkeit der Arbeiterschaft, insbesondere der Schwerkriegsbeschädigten. II. Innerhalb der Land- u n d Stadtkreise obliegt die D u r c h f ü h r u n g der Landarbeitsordnung u n d die Festsetzung der Arbeitsbedingungen im einzelnen den auf paritätischer G r u n d l a g e zu errichtenden lokalen Arbeitsgemeinschaften, die sich nach Bedarf aus je 3—5 Arbeitgebern u n d Arbeit e r n u n d einem unparteiischen Vorsitzenden zusammensetzen, der von den Mitgliedern gewählt wird u n d im Nichteinigungsfalle von dem Ausschuß f ü r Land- und Forstwirtschaft bei der Zentralauskunftsstelle bestimmt wird. ( . . . ) IV. Es wird darauf hingewiesen, daß alle Verbote u n d S t r a f b e s t i m m u n gen gegen Arbeitgeber, Arbeiter und Angestellte wegen V e r a b r e d u n g und Vereinigung zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder durch Entlassung der A r beiter, u n d ebenso alle landesrechtlichen Bestimmungen, die an Verletzung des Dienstvertrages von Arbeitern, einschließlich Dienstboten, S t r a f e oder politische Zwangsbefugnis k n ü p f e n , aufgehoben sind.

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V. Bei Streitigkeiten über Lohn- und Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern gelten, wenn innerhalb des Betriebes keine Einigung erzielt werden kann, nur die unter II genannten Kreis-Arbeitsgemeinschaften als Schlichtungsausschüsse. (...) Vor endgültiger Entscheidung der Streitfälle durch die Schlichtungsinstanz dürfen weder die Arbeiter die Arbeit gemeinsam einstellen noch die Arbeitgeber die Arbeiter fristlos entlassen. Führt ein Arbeitgeber die durch eine Einigung oder durch einen Schiedsspruch festgesetzten Bedingungen nicht aus, so ist der Arbeiter berechtigt, die Arbelt einzustellen (Siehe hierzu Ziffer VII). Führt der Arbeiter die durch die Einigung oder durch einen Schiedsspruch festgesetzten Bedingungen nicht aus, so steht dem Arbeitgeber die fristlose Entlassung gegen den betreffenden Arbeiter zu (Siehe hierzu Ziffer VII). VI. Für jeden Betrieb mit mindestens 20 Beschäftigten ist ein Arbeiterausschuß einzusetzen. Der Ausschuß besteht bei einer Anzahl von 20 Beschäftigten aus 3 Mitgliedern; für je 20 weitere im Betriebe vorhandene Arbeitskräfte ist ein weiteres Mitglied hinzuzuwählen. Wahlberechtigt zu diesem Ausschuß sind alle männlichen und weiblichen deutschen Angestellten und Arbeiter über 20 Jahre; wählbar sind nur ständig Beschäftigte. Der Arbeiterausschuß hat die Arbeiter zu vertreten und gemeinsam mit dem Arbeitgeber oder dessen Vertreter darüber zu wachen, daß die Verhältnisse nach Maßgabe dieser Verordnung geregelt werden. VII. Für die Festsetzung der Arbeitsbedingungen durch die Kreisarbeitsgemeinschaften Ziffer II sind folgende Richtlinien maßgebend: § 1. Als Entgelt für die Arbeitsleistung ist ein Gesamtverdienst festzusetzen. Der Gesamtverdienst kann sich aus Geldlohn und Naturalbezügen zusammensetzen. Enthält er Naturalbezüge, so sind diese einzeln zu bewerten und auf den Gesamtverdienst in Anrechnung zu bringen. Der vereinbarte Barlohn ist wöchentlich, in der Forstwirtschaft nach Bedarf auch 2-wöchentlich, zu zahlen. (...) § 2. Sind in einem Arbeitsvertrage Wohnung, Landnutzung und Landeserzeugnisse der Wirtschaft oder andere nicht bare Bezüge oder Leistungen zugesichert, so bedarf die Vereinbarung der schriftlichen Form. § 3. Naturalien sind in guter Marktware zu liefern. Ihre Lieferung erfolgt, wenn möglich, zu Anfang eines jeden Monats, soweit das Produkt nicht auf kürzere Zeit bemessene Lieferung erfordert. Soweit Naturalien, den Notstandsverordnungen entsprechend, nicht voll geliefert werden, ist der verhältnismäßige Teil in bar zu vergüten. In diesem Falle ist der amtliche Erzeugerhöchstpreis und sofern ein solcher nicht festgesetzt ist, der Marktpreis, der zur Zeit der Lieferungsfrist im Bezirk gilt, zu Grunde zu legen.

15 § 4. Ist eine Wohnung zur Häuslichkeit für den Dienstverpflichteten vom Dienstberechtigten zugesichert, so steht den Dienstverpflichteten bei durch den Arbeitgeber verschuldeter fristloser Kündigung des Dienstvertrages die Wohnung auch nach Lösung des Dienstverhältnisses mindestens 2 Wochen ohne Vergütung, darüber hinaus bis zu einem Monat gegen Vergütung zu, so fern ihm eine andere Unterkunft nicht zur Verfügung steht. Ist fristlose Kündigung vom Dienstverpflichteten verschuldet, so darf er die Wohnung nur noch 2 Wochen gegen Vergütung benutzen, sofern ihm eine andere Unterkunft nicht zur Verfügung steht. ( . . . ) § 6. Die durchschnittliche Höchstarbeitszeit für die in den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und ihren Nebenbetrieben beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen beträgt ausschließlich der Ruhepausen in der Zeit vom 15. 11.—15. 3. 9 Stunden, in der übrigen Zeit 11 Stunden. In die Arbeitszeit ist einzurechnen der Weg von der Betriebszentrale zur Arbeit. Während der Arbeitszeit müssen mindestens 2 Stunden Ruhepause gewährt werden. Die Verteilung der Arbeitszeit und Ruhepausen auf die Tageszeit bleibt unter Berücksichtigung der unbedingten Betriebsnotwendigkeiten der freien Vereinbarung überlassen. § 7. Überstunden und Arbeit an Sonn- und Festtagen können nur verlangt werden, soweit es die unbedingte Aufrechterhaltung des Betriebes erfordert. Diese Überstunden und Arbeiten an Sonn- und Festtagen sind mit einem Aufschlag von 50 v. H. des Gesamtverdienstes zu vergüten. Diese Berechnung findet keine Anwendung auf die Zeit, die die Geschirrführer, die ihre Pferde selber pflegen und füttern, über die durchschnittliche Höchstarbeitszeit (§ 6) hinaus beschäftigt sind. Solche Geschirrführer erhalten gegenüber ihren Arbeitsgenossen, welche Pferde nicht füttern und pflegen, einen Aufschlag von 15% des Gesamtverdienstes. Für regelmäßig wiederkehrende Überstunden werden wöchentliche Pauschalvergütungen entsprechend der Mehrleistung vereinbart. Wenn dringende, zur Sicherung der Volksernährung wichtige Bestellungs- und Erntearbeiten an Sonn- und Festtagen notwendig sind, die den vollen Arbeitstag beanspruchen, so können diese höchstens an 2 Sonn- und Festtagen hintereinander verlangt werden und sind mit 100 v. H. Aufschlag des Gesamtverdienstes zu vergüten. § 8. Arbeiterinnen, die ein Hauswesen zu versorgen haben, sind auf ihren Antrag so frühzeitig von ihrer Arbeitsstelle zu entlassen, daß sie mindestens 1 Stunde vor Eintritt der Mittagspause in ihrer Häuslichkeit eintreffen. Die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren darf die Dauer von durchschnittlich 5 Stunden im Winter und 8 Stunden im Sommer

16 täglich ohne Beeinträchtigung des Schulbesuches nicht überschreiten. In dringenden Fällen k a n n im Sommer die Dauer auf 9 S t u n den ausgedehnt werden. § 9. F ü r die K ü n d i g u n g gelten die Bestimmungen des § 621 BGB. VIII. F ü r jeden Kreis m u ß mindestens ein öffentlicher Arbeitsnachweis f ü r die Landwirtschaft auf paritätischer Grundlage bestehen. Als Ausschuß des Arbeitsnachweises k a n n die Kreis-Arbeitsgemeinschaft (Ziffer II) gelten. IX. Sämtliche aus dem Heeresdienst zurückkehrenden Arbeiter k ö n n e n beanspruchen, in die Arbeitsstelle, die sie vor dem Kriege innehatten, nach Meldung wieder einzutreten. Die Kreis-Arbeitsgemeinschaften w e r den dahin wirken, daß durch Beschaffung von Arbeitsgelegenheit diese Verpflichtung i m vollsten U m f a n g e d u r c h g e f ü h r t w e r d e n k a n n . Die A r beitsgemeinschaft f ü r die Provinz Sachsen und Anhalt (Ziffer I) ist befugt, weitere A n o r d n u n g e n grundsätzlicher A r t zu treffen. Ihre Entscheidungen haben f ü r Arbeitgeber u n d Arbeiter verbindliche Geltung, w e n n sie nicht i n n e r h a l b einer Woche von einem der in F r a g e k o m m e n d e n beiderseitigen Berufsverbände angefochten werden. X. Diese Vereinbarungen treten sofort in K r a f t und gelten bis auf weiteres mit einer gegenseitigen dreimonatigen Kündigung.

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Der Reichsminister für wirtschaftliche Demobilmachung, Koeth, an die Demobilmachungskommissare und Demobilmachungszentralen betreffend Vereinbarungen über Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft (Berlin, den 16. J a n u a r 1919). Abschrift. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 194, Bl. 524.

Die Sorge f ü r die Sicherstellung der Volksernährung f o r d e r t gebieterisch eine rechtzeitige, möglichst sorgsame Frühjahrsbestellung, eine ausreichende Pflege der Saaten u n d eine restlose Bergung der zu e r w a r t e n d e n Ernte. Die hier bevorstehenden, ungewöhnlich bedeutungsvollen A u f g a ben sind n u r zu lösen, wenn der Landwirtschaft unverzüglich die noch fehlenden A r b e i t s k r ä f t e z u g e f ü h r t werden. Die f ü r die Beschaffung dieser A r b e i t s k r ä f t e erforderliche Erhöhung der bisherigen Lohnsätze wird mit Rücksicht auf die Notwendigkeit schneller Hilfe nicht zu u m g e h e n sein, und die Arbeitgeber w e r d e n sich, wie ich annehmen darf, u m so m e h r zu einer hinreichenden Erhöhung der bisherigen Lohnsätze bereit finden lassen, als es sich n u r u m die Ü b e r w i n d u n g des gegenwärtigen Notstandes

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handelt und die zu vereinbarendenSätze nicht für dauernd festgesetzt werden sollen. Vor allem scheint es mir hierbei darauf anzukommen, daß, wenn irgend möglich, freie Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern herbeigeführt werden, und ich betrachte es als eine besonders wichtige Aufgabe der Herren Demobilmachungskommissare und Zentralen, auf die Herbeiführung solcher Vereinbarungen hinzuwirken. Ich habe die Arbeitsgemeinschaft landwirtschaftlicher Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Reichsbauern- und Landarbeiterrats um Stellungnahme zur landwirtschaftlichen Lohnfrage ersucht. Die Arbeitsgemeinschaft kam zu dem Ergebnis, daß die Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen für die landwirtschaftlichen Arbeiten den einzelnen Provinzen und in diesen den Kreisen zu überlassen sei. Ich trete dieser Auffassung bei und bestimme, daß in den einzelnen Bezirken die nach der Bekanntmachung des Staatssekretärs des Reichsernährungsamtes vom 22. 11. 18 Reichsanzeiger Nr. 278 vom 25.11. 18 für jeden unteren Verwaltungsbezirk gebildeten Kreis (...) Bauern- und Landarbeiterräte für die Herbeiführung solcher Vereinbarungen zuständig sind. Ich darf annehmen, daß bei diesen Beratungen solche Sätze und Bedingungen vereinbart werden, die eine namhafte Zunahme der auf dem Lande tätigen Arbeitskräfte zur Folge haben. Wenn auch selbstverständlich die neuen Sätze denen der ständigen, sesshaften Landarbeiter angepaßt sein müssen, so muß doch bei der Bemessung der Lohnhöhe den wesentlich veränderten Verhältnissen gebührend Rechnung getragen werden, und die Lohnhöhe darf unter den jetzigen überaus kritischen Zuständen unter keinen Umständen für die Entscheidung bei der Einstellung von Arbeitern ausschlaggebend sein. Im übrigen stimme ich der Arbeitsgemeinschaft landwirtschaftlicher Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch darin zu, daß für Saisonarbeiter besondere Abschlüsse stattfinden müssen, wobei ich voraussetze, daß auch hier eine entsprechende Erhöhung Platz greift. Sobald in einem Kreis des dortigen Bezirkes die Regelung von Lohn- und Arbeitsbedingungen auf Grund freier Vereinbarungen stattgefunden hat, ersuche ich um unverzüglichen Bericht, wobei die Höhe der den ständigen, sesshaften Landarbeitern bisher gewährten Vergütung getrennt nach Natural- und Barleistung, und zum Vergleich daneben die neuen Bedingungen für die verschiedenen Kategorien von Arbeitern anzugeben sind. (...) Koeth.

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Aufruf des Zentralverbandes der Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter Deutschlands an seine Mitglieder zur Stärkung der Organisation. (Anf a n g des J a h r e s 1919). WAP w Opolu, Gräflich Praschmasches Schloßarchiv, Nr. 1140, Bl. 182 (Drude).

An unsere Mitglieder! Freiheit, Gleichberechtigung, wirtschaftliche Sicherstellung sind die H a u p t f o r d e r u n g e n unseres Zentralverbandes f ü r die ländlichen Arbeiter u n d Arbeiterinnen von A n f a n g an gewesen. Der Zentralverband h a t g e k ä m p f t f ü r die Beseitigung der u n w ü r d i g e n Polizeigesetze und Gesindeordnungen, durch welche die persönliche Freiheit der Landarbeiter eingeengt w u r d e . Er ist stets f ü r ein freies Koalitionsrecht (Vereinigungsrecht) der ländlichen Arbeiter eingetreten. Laut u n d vernehmlich h a t der Zentralverband allezeit die Gleichberechtigung der Landarbeiter mit den gewerblichen Arbeitern verlangt. Die u n e r t r ä g lichen A u s n a h m e b e s t i m m u n g e n f ü r die ländlichen A r b e i t n e h m e r müssen verschwinden. Sie d ü r f e n nie w i e d e r k e h r e n ! Der Land-, Forst-, Weinbergsarbeiter, S t r a ß e n w ä r t e r , Gestütewärter usw. m u ß die gleichen Rechte besitzen wie die übrigen Staatsbürger. Er ist m ü n d i g geworden u n d darf nicht m e h r als Mensch zweiter Klasse behandelt werden. Gesetzgebung und V e r w a l t u n g müssen den ländlichen Arbeiter als gleichberechtigt anerkennen. In die Reichs-, Staats-, Provinzial-, Kreis- u n d Gemeindevertretung m ü s sen auch ländliche Arbeiter gewählt werden. ( . . . ) Die wirtschaftliche Lage der Landarbeiter m u ß eine menschenwürdige sein. Die vielfach noch erbärmlichen Löhne sind auf eine Höhe zu b r i n gen, daß der Arbeiter mit seiner Familie gut und w ü r d i g leben k a n n . A n ständige, gesunde und ausreichende Wohnungen müssen v o r h a n d e n sein. Die Möglichkeit zur Eigenwirtschaft ist zu schaffen. V e r k ü r z u n g der A r beitszeit m u ß verlangt werden. Der 8-Stundentag läßt sich teilweise auch in der Land- u n d Forstwirtschaft d u r c h f ü h r e n . F ü r Freiheit, Gleichberechtigung u n d wirtschaftliche Sicherstellung der ländlichen Arbeiter wird der Zentralverband auch f e r n e r h i n k ä m p f e n . Die Vergangenheit h a t gezeigt, daß er auf dem richtigen Wege ist. Das hat-auch die Landarbeiterschaft eingesehen. Zu Tausenden u n d Abertausenden strömen sie in den Zentralverband, wissend, daß ihre Interessen hier gut aufgehoben sind. Der gewaltige Mitgliederzuwachs unseres Zentralverbandes h a t n u n in verschiedenen Bezirken sozialdemokratische Agitatoren auf den Plan gerufen. Sie versuchen, die Geschlossenheit der Arbeiter zu zerstören, Zwie-

19 tracht und Unfrieden zu säen, weil ihnen die sozialdemokratische Parteisache höher steht als die Interessen der Arbeiter. Mit Unterstützung verschiedener Arbeiter- und Soldatenräte stürzen diese Leute sich auf unsere Mitglieder, um sie zum Treuebruch an ihrer Organisation zu verleiten. Dabei gibt es r\och Millionen unorganisierter Land- und Forstarbeiter! Auch unter einer sozialistischen Regierung kann sich die Arbeiterschaft den Luxus gegenseitiger Zerfleischung nicht erlauben. Auch unter einer sozialistischen Regierung wird die Arbeiterschaft um die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage kämpfen müssen. Mit viel Lärm wurde ab 1. Januar der 8-Stundentag eingeführt. Jetzt hat die sozialdemokratische Regierung verfügt, daß der Achtstundentag nur für die der Gewerbeordnung unterstellten Betriebe in Frage komme. Also forst- und landwirtschaftliche Betriebe fallen nach dieser Verfügung aus. Man hat die Masse in den Glauben versetzt, daß, wenn die Sozialdemokratie die Regierung in den Händen habe, paradiesische Zustände die Völker beglücken würden. Dabei sagte der Volksbeauftragte Ebert bei Begrüßung der Truppen in Berlin, daß Arbeit die Religion der Republik sei. Und der sozialdemokratische Vorwärts schrieb: „Wenn wir nicht fleißig arbeiten und sparsam wirtschaften, werden wir verrecken wie die Hunde." So sieht der vielgepriesene Zukunftsstaat der Sozialdemokratie aus. Händeringend flehen die jetzigen Machthaber die irre geleiteten Massen an, doch endlich zur Vernunft zu kommen und nicht zum Totengräber unseres eigenen Volks- und Wirtschaftslebens zu werden. Freiheit, Friede und Brot sollte uns die Revolution bringen. Knechtschaft von außen und innen, Brudermord, Arbeitslosigkeit und Hungersnot ist aber der bisherige Erfolg der Revolution. Das alte Regierungssystem war reformbedürftig. Seit Jahren kämpften wir um Gleichberechtigung des Arbeiterstandes im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben. Wir wollten den uns gebührenden Anteil an allen Kulturgütern genießen. Vor allem kämpften wir um ein modernes Landarbeiterrecht. Der Erfolg war uns gesichert. Das gleiche Wahlrecht war beschlossen, durch die Parlamente zugestanden und wir hätten es uns nicht wieder entreißen lassen. Auch der Friedensschluß war angebahnt und in greifbarer Nähe. Die Revolution hat diese ruhige, fruchtbare Entwicklung zum wahren Volksstaat gewaltsam unterbrochen. (...) Mit goldenen Versprechungen sucht die Sozialdemokratie unsere mächtig aufstrebende Organisation zu zertrümmern; wir warnen Euch(,) Kollegen(,) fallt auf diese Verlockungen nicht herein. ( . . . )

20 Wir glaubten in Frieden unter der unorganisierten Arbeiterschaft wirken zu können, die Sozialdemokratie hat es nicht gewollt. Die Sozialdemokratie zwingt uns zur Abwehr! Wir stehen auf dem B o den der christlichen Weltanschauung und sind infolgedessen entschiedene Gegner der Sozialdemokratie. Das sozialdemokratische Wirtschaftsprogramm lehnen wir ab, weil es zum Verderben führt. ( . . . ) Das schließt nicht aus, daß wir in friedlicher Weise, in edlem Wettbewerb die unorganisierten Arbeiter zu sammeln suchen und für die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage wirken. Das Arbeitsfeld ist groß genug für beide Teile! Der Zentralverband hat sich durch seine für die Mitglieder erzielten E r folge deren Vertrauen erworben. Zielklar und tatkräftig werden wir unseren Grundsätzen gemäß weiterarbeiten zum Segen unserer Mitglieder. Treue, Ausdauer und Geschlossenheit führen zum Ziel. Darum auf zu gemeinsamer Arbeit für die Stärkung und Ausbreitung unseres Zentralverbandes ! Der Hauptvorstand der Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter Deutschlands.

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Briefwechsel zwischen Graf Praschma, Franz Behrens und der Hauptgeschäftsstelle des Zentralverbandes der Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter Deutschlands über die Bildung einer christlichen Landarbeitergewerkschaft. (März 1919).

WAP w Opolu, Gräflich Praschmasches Schloßarchiv, Nr. 1140, Bl. 147, 149 (Handschrift), 151 (Durchschlag). Schloß Falkenberg O./S. den 22. März 1919 Sehr geehrter Herr Behrens! Auf Grund unserer früheren gemeinschaftlichen parlamentarischen T ä tigkeit möchte ich Ihnen folgendes mitteilen. Ich interessiere mich für die Organisation der Landarbeiter, die natürlich aber nicht von den Arbeitgebern gemacht werden kann. Es scheint mir aber(,) nach dem was ich sehe und auch von anderer Seite höre, dass die christlichen Gewerkschaften hier in Schlesien nicht mit der nötigen Energie an diese Aufgabe herangehen und doch ist es dringend notwendig, wollen wir es vermeiden, dass die ganzen Landarbeiter in das sozialdemokratische Lager übergehen. Auf der einen Seite arbeitet der katholische Arbeiterverband Ost, daneben mit reichlichen Mitteln und auch Personal ein paritätischer Landarbeiterverband, aber die gewerkschaftliche Grundlage fehlt.

21 Von verschiedenen Seiten wurde mir geklagt, daß Versuche, den Arbeiterverband an die christlichen Gewerkschaften anzuschliessen, was unbedingt nötig wäre, an den hiesigen Leitern gescheitert wäre. Ich würde es daher für ausserordentlich dringlich halten, daß Sie selbst einmal nach Schlesien kämen und nach dem Rechten sähen. Sie werden sich dann überzeugen, dass das, was von unserer Seite bisher geleistet wurde, sehr gering ist, und doch ist Schlesien eine der wichtigsten landwirtschaftlichen Provinzen, die wir unbedingt der christlichen Arbeiterbewegung erhalten müssen. Ich bin gerne bereit(,) wenn Sie Ihr Weg in die Provinz führt, eine Zusammenkunft mit Ihnen, eventuell unter Hinzuziehung aller beteiligten und interessierten Herren zu verabreden, damit wir endlich zu einer gedeihlichen Arbeit kommen. Indem ich mich Ihnen bestens empfehle, bin ich Ihr sehr ergebner (gez. Graf Praschma)

Verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung

Weimar, den 24. 3.1919

Sehr geehrter Herr Graf! Herzlichen Dank für Ihren Brief vom 22.3. Meine Verbandszentrale wird Ihre Anregungen gerne weiter verfolgen. Sobald ich nach Schlesien komme(,) werde ich mich bei Ihnen melden. Mein Verband macht große Anstrengungen(,) allen Rufen(,) die Arbeiter zu organisieren^) zu folgen. Unsere Finanzkraft ist leider schon überangespannt. Unsere sozialdemokratische Konkurrenz hat nicht nur den großen Parteiapparat, sondern auch sehr große Geldmittel zur Verfügung. Uns fehlen zur Zeit etwa 10 000 bis 20 000 M. für Werbezwecke^) um allen Anforderungen genügen zu können. Wir haben jetzt etwa 70 Sekretäre in Tätigkeit. Wir müßten aber noch mindestens weitere 100 Sekretäre anstellen können. Dazu fehlen uns zur Zeit noch die Mittel. Wir müssen also sehen, wie wir unter diesen Umständen unsere Aufgaben erfüllen. Hoffentlich gelingt es. Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihr ergebener Franz Behrens.

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Zentralverband der Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter Deutschlands Hauptgeschäftsstelle : Bielefeld, Gütersloherstr. 45

Bielefeld, d. 31. 3.1919 An den hochgeborenen Herrn Grafen v. Praschma Schloß Falkenberg O./S.

Sehr geehrter Herr Graf! Ihr an Herrn Behrens gerichtetes Schreiben vom 22. März wurde uns zur Erledigung zugestellt. Zunächst danken wir verbindlichst für das unserem Verbände entgegengebrachte Interesse. Wir sind ganz Ihrer Ansicht, daß Schlesien eine der wichtigsten landwirtschaftlichen Provinzen ist, die auf keinen Fall der sozialdemokratischen Bewegung überlassen bleiben darf. Unter diesem Gesichtswinkel haben wir die Arbeit unter der Landarbeiterschaft bereits aufgenommen. Wir können Ihnen mitteilen, daß in Schlesien bereits 2 Mitarbeiter tätig sind. Um ganz Schlesien intensiv zu bearbeiten, müßte allerdings die Zahl der Mitarbeiter vervierfacht werden. Da wir unseren Etat jedoch bereits bis zum Äußersten angespannt haben, müssen wir uns zunächst mit den bisherigen Mitarbeitern begnügen. Trotzdem haben wir unserem Vertreter in Breslau, Herrn J. Röder, Graupenstrasse 11, Mitteilung von Ihrem Schreiben gemacht und ihn ersucht, soweit es möglich ist, Ihren Wünschen Rechnung zu tragen. Außer Hern Röder sind in Breslau noch zwei Beamte unseres Verbandes stationiert. Mit den in Schlesien von uns stationierten Kräften könnte noch erfolgreicher gearbeitet werden, wenn von den Arbeitervereinen Berliner Richtung nicht gegen den Strom geschwommen würde. Durch die Tätigkeit der Berliner wird unseren Funktionären die Arbeit in bestimmten Gebieten erschwert und letzten Endes der Sozialdemokratie die Wege geebnet, denn mit dem Landarbeiterprogramm der katholischen Arbeitervereine Berliner Richtung ist die Landarbeiterschaft auf die Dauer nicht zu halten. Unsere Zeit verlangt doch eine möglichste Geschlossenheit aller wirklich christlich-nationalen Arbeiter. Jede Zersplitterung fördert die Sozialdemokratie, den Bolschewismus und den Kommunismus. Daß dies die Arbeitervereine Berliner Richtung nicht einsehen, ist tief bedauerlich. (...)

Wir würden Ihnen, verehrter Herr Graf, zu großem Dank verpflichtet sein, wenn Sie die Leitung der Berliner Arbeitervereine veranlassen könnten, daß diese ihren Funktionären Anweisung gibt, nicht gegen uns zu arbeiten. Wollen die Herren nicht für uns arbeiten, dann mögen sie sich in der Landarbeiterfrage zum mindesten neutral verhalten. (Stempel: Zentralverband der Mit vorzüglicher Hochachtung Forst-, Land- und Weinbergsarbeiter sehr ergebenst Deutschlands) K. Meyer

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Briefwechsel des Grafen Praschma mit dem Grafen Ballestrem über die Bildung eines Arbeitgeberverbandes und die Unterstützung des Zentralverbandes der Landarbeiter. (April 1919). WAP w Opolu, Gräflich Praschmasches Schloßarchiv, Nr. 1140, Bl. 143 (Durchschlag), 145, 146 (Handschrift).

Puschine, 7. 4. 19 Lieber Hans! Gestern h a t auf Einladung des christlich-sozialen Sekretariats Friedland O/S dortselbst der Bezirksleiter des Zentralverbandes der Land-, Forstu n d Weinbergsarbeiter Deutschlands, Provinz Schlesien, J o h a n n Roeder (Breslau, Graupenstr. 11, P r i v a t w o h n u n g Adalbertstr. 74, Telef. 6286) einen Vortrag f ü r die Landarbeiter gehalten. Ich bin persönlich nicht dabei gewesen, h a b e aber d a n n hinterher gehört, daß der V o r t r a g erst gestern f r ü h überraschend angesetzt w e r d e n konnte, zwar gut, aber so gut wie von kein e n Landarbeitern besucht gewesen ist, so daß sich a m Schluss trotz A u f f o r d e r u n g niemand in die Liste des Zentralverbandes h a t a u f n e h m e n lassen. Im übrigen soll der Vortrag nach Aussage des P f a r r e r s g u t u n d leidlich gemäßigt gewesen sein. Ich sprach d a n n h i n t e r h e r den Bezirksleiter Roeder selbst u n d interessierte es mich sehr, einmal einen christlichen A r b e i t e r f ü h r e r k e n n e n zu lernen. Wir k a m e n sofort auf die A u s d e h n u n g der Agita-t tion der christlichen Gewerkschaften auf unsere G ü t e r zu sprechen u n d n a n n t e er mir schon die u n g e f ä h r e Höhe der Tariflöhne f ü r Deputatisten, welche allerdings die bei uns jetzt üblichen, schon erhöhten, nicht u n e r h e b lich übertreffen. Ich machte ihn darauf a u f m e r k s a m , daß bei solchen Löhn e n u n d jetzigen staatlichen Zwangspreisen f ü r landwirtschaftliche P r o d u k t e die Grenze der Rentabilität schon überschritten wäre, worauf er ausdrückte, wir Besitzer sollten uns doch auch geschlossen bessere Preise erzwingen; in diesem Falle k ö n n t e n doch sogar einmal die organisierten Arbeitgeber mit den organisierten A r b e i t n e h m e r n gemeinsam vorgehen. Auch hob er die Richtigkeit des Zuvorkommens der christlichen G e w e r k schaften vor der Einmischung der sozialdemokratischen auf unseren G ü t e r n hervor, worin m a n ihm ja beistimmen m u ß . Im übrigen w a r e n wir u n s beide d a r ü b e r im klaren, daß zwischen ihm u n d den Besitzern zumeist kein Zusammenhang äußerlich e r k e n n b a r sein darf, u m nicht sofort das Mißtrauen der A r b e i t n e h m e r zu erregen. N u r b a t er, daß ihm, w e n n er die Höfe betreten werde, von Besitzern oder Inspektoren keine Knüppel zwischen die Beine geworfen w e r d e n möchte(n). Schließlich k a m e n wir dahin überein, daß ich bei Dir die baldigste G r ü n d u n g eines ländlichen Arbeitgeberverbandes f ü r den Kreis Falkenberg O./S. anregen würde, w a s ich hiermit tue, u n d w o r ü b e r w i r u n s ja gelegentlich Deines Hierseins am letzten Montag schon klar w a r e n ; n u r m ü ß t e

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die Sache, glaube ich, schnellstens erfolgen. Mit diesem Arbeitgeberverband ist dann Roeder bereit, über einen Tarifvertrag für den Kreis Falkenberg zu verhandeln, bei welchem allerdings m. E. die verschiedenen wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie auch in dem so sehr langgestreckten Kreise herrschen, berücksichtigt werden müßten. Im übrigen sagte mir noch Roeder, daß noch vor Ostern ein Sekretariat des Verbandes katholischer Arbeitervereine Ostdeutschlands eingerichtet werden würde und dieser Verband mit seinem Zentralverband vollkommen Hand in Hand arbeite und auch staatlich anerkannte Tariflohnverträge abschlösse bzw. vermittle. Du wirst vielleicht in Falkenberg noch Näheres in Erfahrung bringen können ; der Zusammenhang dieser beiden Verbände schien aber „unter geheim" zu bestehen. Über die Gründung des Arbeitgeberverbandes könnten wir erst am besten am Tage des Kreistages, den 12. d. Mts., verhandeln. (...) Also auf Wiedersehen am 12. in Falkenberg! Mit vielen Grüßen von Haus zu Haus Dein treuer Vetter Marco Ballestrem. Schloss Falkenberg, den 9. April 1919

Sehr geehrter Herr Röder! Von Ihrer Zentrale in Bielefeld wird mir mitgeteilt, dass man Ihnen Kenntnis gegeben hat von einem Schreiben, das ich an Herrn Behrens gerichtet habe. Ich möchte Ihnen daher auch meine dorthin gerichtete Antwort zur Kenntnis geben. Ich bin gern bereit, wenn es Ihnen erwünscht erscheint, das Weitere mit Ihnen gelegentlich in Breslau, oder falls Ihr Weg Sie hierher führt, hier zu besprechen. Inzwischen erhielt ich auch Kenntnis von Ihrer Unterredung mit dem Grafen Ballestrem(,) Puschine(,) und Ihrer Korrespondenz mit Herrn von Wichelhaus(,) Schönwitz, welch letztere durch meine Abmachung mit Herrn Sekretär Lange vom Arbeiterverband Ost wohl erledigt ist. Ich hoffe, dass Ihre Arbeit demgemäss im hiesigen Kreise bald einsetzen und gute Früchte tragen wird. Ihre dem Grafen Ballestrem gegebene Anregung, auch baldigst einen Arbeitgeberverband zu gründen(,) mit dem Sie einheitlich verhandeln können, wird weiter verfolgt werden. Mit aufrichtiger Hochachtung (gez. Graf Praschma)

25 6 Tarifvertrag für die Landarbeiter des Kreises Ost-Prignitz. (23. Juni 1919). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 344, Bl. 209. Der Verband zur Wahrung der Interessen der Landwirte des Kreises Ost-Prignitz und der Deutsche Landarbeiterverband schließen f ü r alle ländlichen Arbeiten f ü r den Kreis OstPrignitz folgenden Tarifvertrag A. Die Lohnsätze werden, wie folgt, geregelt: 1. Vollkräftige verheiratete Männer erhalten einen Jahreslohn von 2 550 Mark. Etwaige Sachleistungen werden auf den Lohn in Anrechnung gebracht zu folgenden Sätzen: a) Wohnung mit Stall 150—200 Mark, besonders gute mit elektrischer Beleuchtungseinrichtung mit 210 Mark. Besonders geringe Wohnungen werden niedriger bewertet bis herunter zu 80 Mark. b) 1 Raummeter Knüppelholz mit 18,— Mark, ebenso 2 Raummeter Reiser I, 1 Zentner Briketts zum Einkaufspreis 1 Fuhre Busch mit 9,— Mark, 1 000 Stück Torf mit 9 , - Mark, alles frei Hof. Es müssen 6 Raummeter Knüppelholz oder 12 Raummeter Reiser I und 2 Fuhren Busch geliefert werden. In Ermangelung von Holz sind 60 Zentner Briketts f ü r den Preis von 126 M. zu liefern; an Stelle von je 10 Zentner Briketts können je 3 000 Stück Torf gegeben werden. Sind Briketts oder Braunkohlen nicht zu beschaffen, so kann der Arbeitnehmer an Stelle von je 10 Zentner Briketts die Lieferung von 1 Raummeter Knüppelholz oder 2 Raummeter Reiser I fordern. c) 1 Morgen Kartoffelland mit 150—200 M. (letzterer Höchstsatz bei bester Stall- oder Gründüngung und ausreichender Zulage an Kunstdünger und vollständiger Bearbeitung, ausgenommen Handhacke). 8 Ostelb. Landarbeiter III

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Auf Wunsch sind 1—IV2 Morgen zu geben. 1 Ztr. Kartoffeln mit 5,— M. (wie sie das Land liefert, sandfrei und vorgefahren). d) 1 Liter Milch mit 0,40 M., Magermilch 0,20 M. Nach Aufhebung der Zwangswirtschaft sind bis 4 Ltr. Milch zu geben für den Tag. Freie Kuhhaltung ohne Kraftfutter im Stalle des Arbeitgebers mit 450,— M. (Futter wie Herrschaftskühe). Freie Kuhhaltung im Stall des Arbeitnehmers ohne Kraftfutter mit 3 5 0 , - Mark. e) Getreide zum heutigen Höchstpreis. Zu eigenem Bedarf sind auf Wunsch zu liefern bis 24 Zentner Roggen, bis je 2 Zentner Gerste, Hafer, Erbsen, Weizen, soweit gesetzlich zulässig, auf dem Gute angebaut und zur Veräußerung vorhanden. f) 1 Quadratrute* Gartenland mit 0,25 M. Auf Wunsch sind 60—90 Ruten zu geben, die Gärten der Arbeitnehmer mit einem gemeinsamen Zaun zu versehen und ausreichend mit Obstbäumen zu bepflanzen. Bis zur Tragfähigkeit der Bäume erhält der Arbeitnehmer auf Wunsch je einen Zentner Aepfel, Birnen und Pflaumen zum Erzeugerhöchstpreis, wenn der Arbeitgeber Obst verkauft. g) 1 Morgen Wiese 6 0 - 9 0 M. h) 1 Zentner Heu mit 8 , - M. i) 1 Zentner Stroh mit 4,— M. Streustroh bei Rückgabe des Dungs frei, k) 1 Zentner Runkel- oder Kohlrüben mit 2,50 M. 1) . Freie Weide für eine Kuh 50—90 Mark (Höchstsatz nur bei vollwertiger Weide und reichlichem Futter), m) besonderes Stellen eines Gespanns für Pferd und Tag (ohne Gespannführer) mit 15,— M. n) andere Sachleistungen zum Höchst- bzw. Marktpreis. Der Gespannführer erhält als Vergütung für Fütterung und Pflege des Gespanns, soweit diese nicht im Jahreslohn enthalten ist, für den Werktag 0,75 M., für den Sonntag 1,— M., solche, die nur putzen, 0,10 M. für das Pferd Werktags und Sonntags. 2. Die vollkräftige Frau oder deren Stellvertreterin erhält für die Stunde 0,45 M., zwei Erntemonate hindurch 0,55 M. Eine Frau, die 550 Stunden im Sommerhalbjahr gearbeitet hat, erhält eine Sonderzulage von 3 Zentner Roggen, für jede weitere Arbeitsstunde den entsprechenden Bruchteil. 3. Unverheiratete, vom Arbeitgeber beköstigte männliche Arbeitnehmer erhalten 14 bis 18jährige 400—800 Mark Jahreslohn; 18 bis 21jährige 6 0 0 - 1 000 Mark, ältere bis 1 100 Mark. * 1 Quadratrute = 14,2 Quadratmeter.

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Die höchste Lohnstufe wird bei beiden Lohnklassen nur solchen Arbeitern zugestanden, die alle landwirtschaftlichen Arbeiten, insbesondere Mähen verrichten. Vergütung für Gespannpflege und Fütterung ist im Jahreslohn einbegriffen. 4. Vom Arbeitgeber benötigte Mädchen erhalten, wenn sie vollkräftig sind und melken: 14 bis 17jährige 300-600 Mark, ältere 500-800 Mark. 5. Fremde männliche Arbeiter erhalten: 14 bis 17jährige 0,30 M. bis 0,50 M. Stundenlohn, 17 bis 21jährige 0,40 M. bis 0,60 M. Stundenlohn, ältere Männer, die vollkräftig sind und mähen können, 0,80 M. Stundenlohn, fremde Mädchen 14 bis 17jährige 0,30 M. bis 0,45 M. ältere 0,55 M. Stundenlohn. Mädchen(,) die an Stelle einer Frau auf Arbeit kommen und mindestens 60 Tage im Sommerhalbjahr arbeiten, erhalten eine Sonderzulage von 3 Zentner Roggen, für jeden weiteren Arbeitstag den entsprechenden Bruchteil. 6. Aeltere Männer, die nicht mehr mähen und keine schwere Arbeit verrichten, werden nach besonderer Vereinbarung bezahlt, ebenso die übrigen hier nicht aufgezählten Klassen. 7. Hofmeister, Aufseher, Viehwärter usw. werden nach besonderer Vereinbarung bezahlt. Handwerker erhalten mindestens 15 % Aufschlag, wenn sie sich ihr sämtliches Geschirr selbst halten, erhält dafür der Stellmacher 100 M. der Schmied 150 M. Monteure erhalten für eigenes im Betrieb notwendiges Werkzeug 25 % Abnutzungsgeld. Die Festsetzung des Wertes des Werkzeugs bleibt freier Vereinbarung vorbehalten. 8. Akkordarbeit ist grundsätzlich zulässig. Akkordlöhne werden besonders vereinbart, doch muß der Tagelohn gewährleistet sein. 9. Als Vergütung für unvorhergesehene Ueberstunden wird der gewöhnliche Lohn, für vereinbarte Ueberstunden ein Aufschlag von 50%, für Sonntagsarbeit 100% Zuschlag gewährt. Für aushilfsweise Viehfütterung am Sonntag wird nur der gewöhnliche Lohn zuzüglich 25% gezahlt. Die Fütterung und Pflege der Tiere auch an Sonn- und Feiertagen, sowie sonstige naturnotwendige Arbeiten sind nur solchen Arbeitern, die diese Arbeit nicht allgemein übernommen haben, als Ueberstunden zu vergüten. 10. Alle gesetzlichen Abgaben, Steuern, Lasten, Beiträge zur Krankenund Invalidenversicherung trägt der Arbeitnehmer zu dem vom Gesetz bestimmten Teil. Vorzugspreise für Vieh, Korn usw., alle sonstigen herkömmlichen Vergünstigungen oder Geschenke fallen fort. 8*

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11. Geschirr zu den Handarbeiten — ausgenommen Kartoff elf orken und Spitzhacken — hat der Arbeitnehmer sich selbst zu halten. 12. In die Wohnung dürfen nur solche arbeitsfähige nicht zur Familie gehörige Personen aufgenommen werden, die beim Arbeitgeber arbeiten. 13. Im landwirtschaftlichen Nebenbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer fallen unter den Tarifvertrag; ihre Vergütung unterliegt der freien Vereinbarung. Schnitter fallen nicht unter den Lohntarif. Für die fremden Arbeiter, die in Pritzwalk wohnen, wird ein besonderer Tarif geschlossen werden. 14. Den übrigen Lohnklassen zugesagte Sachleistungen werden ebenso wie unter I in Anrechnung gebracht. B. Die Arbeitszeit beträgt: in sechs Monaten (1. April bis 30. Sept.) 10V2 Std., im März und Oktober 9V2 Stunden, im November und Februar 8 Stunden, im Dezember und Januar 7 Stunden. Die Festsetzung der Arbeitszeit von 7 Stunden erfolgt unter der Voraussetzung, daß die Arbeitnehmer ohne Mittagspause durcharbeiten, sonst gilt auch für diese beiden Monate die achtstündige Arbeitszeit. In die Arbeitszeit sind die Wege vom Hofe zur Arbeit und von der Arbeit zum Hofe einzurechnen, dagegen nicht die Arbeitspausen sowie die Fütterungszeiten. Während des Sommerhalbjahres sind täglich mindestens 2V2 Stunden Ruhpausen zu gewähren, z. B. mindestens IV2 Stunde Mittags- und je V2 Stunde Frühstücks- und Vesperpause. Frauen, die einen Haushalt zu versorgen haben, sind Mittags eine Stunde und im Sommer des Abends V2 Stunde vor Arbeitsschluß zu entlassen. Dienstmädchen, die in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten, dürfen abends nicht nach 9 Uhr beschäftigt werden. Den ständigen Sonntagsarbeitern ist nach Möglichkeit jeden zweiten Sonntag Nachmittag freizugeben. C. Bereits abgeschlossene Verträge, die den Arbeitnehmer oder die Arbeiterfamilie im Gesamtlohn günstiger stellen, behalten bis zu ihrem gesetzlichen Ablauf ihre Gültigkeit, es sei denn, daß die Vertragsschließenden vereinbart haben, daß im Falle des Abschlusses eines' Tarifvertrages dieser auch für sie in Kraft treten soll. D. Die Vereinbarung niedriger Löhne ist unzulässig, es sei denn, daß die Wirtschaftsverhältnisse sich erheblich verschlechtern.

29 E. Träger des Vertrages sind die unterzeichneten Verbände. Der unterzeichnete Arbeitgeberverband steht dafür ein, daß seine Mitglieder sich an den Tarif halten, der deutsche Landarbeiterverband steht dem Arbeitgeber dafür ein, daß seine Mitglieder den Arbeitsvertrag, der dem Tarif entspricht, halten. F. Dieser Vertrag gilt bis zum 1. April 1920. Er gilt immer auf ein Jahr verlängert, wenn er nicht drei Monate vor Ablauf gekündigt wird. Im Falle der Kündigung verpflichten sich beide Parteien zur Beratung über einen neuen Tarif in der dritten Woche des Januar drei Bevollmächtigte zu einem zu vereinbarenden Termin nach Pritzwalk zu entsenden. Jede Partei darf einen Berater mitbringen. Der Tarif hat rückwirkende Kraft seit 1. April 1919. G. Nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen sind die Arbeiterausschüsse mit den vom Gesetz bestimmten Befugnissen zu bilden. H. Streitigkeiten über den Tarifvertrag sind vor die Spruchkammer für Land- und Forstwirtschaft in Pritzwalk, bis zu deren Einrichtung vor einen Schlichtungsausschuß zu bringen, zu dem zwei Arbeitnehmer und zwei Arbeitgeber gehören. Letztere wählen sich einen unparteiischen Vorsitzenden ohne Stimme. Pritzwalk, den 23. Juni 1919. Für den Verband zur Wahrung der Interessen der Landwirte Kreises Ost-Prignitz R. Löscher.

W. Wüstenberg. Für den Deutschen

K. Krause Louis Engel. schneider. August Ritter.

Glaser.

des Hoppe.

Landarbeiterverband H. Mitzfeld.

Otto Baben-

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Ergänzung zur Landarbeitsordnung für die Provinz Sachsen und für Anhalt. 1. August 1919. Landwirtschaftliches Tarifamt Sachsen-Anhalt, 1. August 1919. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 269, Bl. 217-218.

Satzung

§1 Einrichtung Die Arbeitsgemeinschaft ländlicher Arbeitgeber und Arbeiter der Provinz Sachsen und Anhalts richtet ein landwirtschaftliches Tarifamt ein mit dem Sitz bei der Zentralauskunftsstelle (künftigem Landesarbeitsamt) SachsenAnhalt. §2

Aufgaben und Zweck Das Tarifamt hat die Aufgabe unter Ausschluss parteipolitischer und religiöser Gesichtspunkte a) sämliche Lohn- und Arbeitsvertragsfragen in der Land- und Forstwirtschaft und in deren Nebenbetrieben zu bearbeiten und dadurch den Kreisarbeitsgemeinschaften Unterlagen für Kollektiwereinbarungen zu schaffen und den einheitlichen Aufbau des Tarifwesens zu fördern. b) zum Schutze des tariflichen Rechtes die Erfüllung der tariflichen Pflichten zu überwachen. c) Lohn- und Arbeitsbedingungen festzusetzen, soweit diese einheitlich für den ganzen Bezirk der Arbeitsgemeinschaft geregelt werden können. d) die von den Kreisarbeitsgemeihschaften aufzustellenden Tarife zu prüfen und vor ihrem Abschluss zu begutachten. Auf Verlangen der Kreisarbeitsgemeinschaften kann das Tarifamt Tarife in Kraft setzen. Das Tarifamt tritt bei Nichtzustandekommen der Festsetzungen über Lohn- und Arbeitsbedingungen oder eines Schiedsspruches der Kreisarbeitsgemeinschaft an Stelle der Arbeitsgemeinschaft für die Provinz Sachsen und Anhalt als Entscheidungsinstanz (siehe Ziffer II und V der Landarbeitsordnung). §3 Organe Die Organe des Tarifamts sind der Vorstand und der Beirat.

31 §4

Den Vorstand des Tarifamts bilden zwei hauptamtlich tätige Geschäftsführer, von denen einer von Arbeitgeber-, einer von Arbeiterseite unter voller Verantwortung gegenüber seinen Auftraggebern zu stellen ist. §5 Der Beirat des Tarifamtes besteht aus einer in der Geschäftsordnung festzusetzenden gleichen Zahl von Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeiterseite. Die Verteilung der Plätze auf Arbeitgeber- bzw. Arbeiterseite ist von den der Arbeitsgemeinschaft angehörenden Verbänden selbst zu regeln. (...) Der Beirat bestellt aus seiner Mitte einen Arbeitsausschuss von je 2 Mitgliedern. Den unparteiischen Vorsitzenden des Beirates, der zugleich Vorsitzender des Arbeitsausschusses ist, stellt die Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft. (...) §7 Wirkungskreis Die Entscheidungen des Tarifamtes sind verbindlich für alle der Landarbeitsordnung für die Provinz Sachsen und Anhalts unterstehenden Arbeitgeber und Arbeiter. (...) §9 Diese Satzung gehört als Ziffer X zur Landarbeitsordnung für die Provinz Sachsen und Anhalts, deren Ziffer IV und V, Absatz I wie folgt geändert werden: Ziffer II lautet: Innerhalb der Land- und Stadtkreise obliegt die Durchführung der Landarbeitsordnung und die Festsetzung der Arbeitsbedingungen im einzelnen den paritätisch gestalteten Kreisarbeitsgemeinschaften: die Festsetzungen der Kreisarbeitsgemeinschaften sind an das Tarifamt zur Prüfung und Begutachtung einzureichen. (...) Wird eine Einigung in der Kreisarbeitsgemeinschaft nicht erzielt oder ist überhaupt eine Festsetzung der Arbeitsbedingungen nicht zustande gekommen, so trifft das Tariifamt die endgültige Festsetzung. Die Kreisarbeitsgemeinschaften setzen sich nach Bedarf zusammen aus 3—7 Arbeitgebern und Arbeitern. Eine Kreisarbeitsgemeinschaft kann sich einen unparteiischen Vorsitzenden wählen oder vom Tarifamt ernennen lassen. (...) Ziffer V Absatz I lautet: Bei Streitigkeiten über Lohn- und Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern gelten, wenn innerhalb dieses Betriebes keine Einigung erzielt werden kann, die Kreisarbeitsgemeinschaften (Ziffer II) als Schlichtungsausschüsse im Sinne des § 21 der Verordnung vom 23.12. 1918

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über T a r i f v e r t r ä g e usw. (Reichsgesetzblatt 1918 Seite 1456). Wird der Schlichtungsausschuss angerufen, so h a t er eine Einigung zwischen den Parteien zu versuchen und, w e n n eine solche nicht zustande k o m m t , einen Schiedsspruch endgültig zu fällen u n d diesen dem T a r i f a m t mitzuteilen. Wenn ein Schiedsspruch nicht zustande kommt, entscheidet das T a r i f a m t . Magdeburg, den 1. August 1919. Arbeitsgemeinschaft ländlicher Arbeitgeber Sachsen u n d Anhalts: 1) Die Vereinigung der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände f ü r die Provinz Sachsen und Anhalts: Schurig, Stedten, Wendenburg, Seeburg

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2) Der Deutsche Landarbeiterverband : Berkling, Anders

und Arbeiter der

Provinz

3) Der Zentralverband der Land-, Forst- u n d Weinbergsarbeiter Deutschlands: Butscher, Gattermann

Aufruf des Verbandes kommunistischer Landarbeiter und Kleinbauern Deutschlands vom 3. August 1919 an alle Landarbeiter und Kleinbauern, dem Verband beizutreten. Der Pflug, Jg. 1., 1919, Nr. 2, S. 13. Abgedruckt in: Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. VII/1 (im folgenden: Dokumente und Materialien, Bd. VII/1), Berlin 1966, S. 126 bis 128. A u f r u f an alle Landarbeiter und Kleinbauern Deutschlands!

Die Revolutionszeiten h a b e n auch das ländliche Proletariat aufgerüttelt. Es ist aus seinem totenähnlichen Schlaf erwacht. In allen Gauen Deutschlands regt es sich; es will nicht m e h r Höriger des landwirtschaftlichen Großkapitals sein u n d bleiben. Die alten Gesindeordnungen des zusammengebrochenen Deutschlands sind hinweggefegt. Aber die alte Gewerkschaftsbürokratie u n d der alte Kapitalismus blieben bestehen u n d schufen gemeinschaftlich a m 4. J a n u a r 1919 eine neue Gesindeordnung (genannt Landarbeitsordnung, die wir in Nr. 3 des „Pfluges" besprechen werden). Mit Hilfe dieses neuen

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Sklavengesetzes sollen die Landarbeiter abermals Sklaven des Großgrundbesitzes werden. Der Verband kommunistischer Landarbeiter und Kleinbauern Deutschlands hat es sich entgegen diesen arbeiterschädigenden Abmachungen zum Ziele gesetzt, den ganzen Arbeitsprozeß in die Hände der Landarbeiter und Kleinbauern zu legen. Erst dann, wenn dies geschehen ist, wird die Not von den Hütten des ländlichen Proletariats verbannt werden. Macht euch mit dem kommunistischen Agrarprogramm* bekannt. Darin werdet ihr finden, daß der Kommunismus wohl in der Lage ist, praktische Arbeit zu leisten. Aber für die Übergangszeit vom Kapitalismus zum Kommunismus verlangen wir eine verkürzte Arbeitszeit, damit es dem Landarbeiter möglich ist, in der hierdurch gewonnenen Zeit sich erholen und sein Wissen bereichern zu können, das ihm ermöglicht, die Menschheit aus den Fesseln des Kapitals zu befreien. Einen auskömmlichen Lohn und auskömmliches Deputat fordern wir jetzt schon, die ihm ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen. Vor allen Dingen erstreben wir gesunde Wohnungsverhältnisse ; denn heute lebt der Landarbeiter und Kleinbauer zumeist in wahren Höhlen, wohingegen der Großgrundbesitzer in Schlössern wohnt, die mit allen möglichen und unmöglichen Bequemlichkeiten ausgestattet sind. Für die weiblichen und jugendlichen Arbeiter verlangen wir dieselben Lohnund Arbeitsbedingungen, damit sie aufhören, die Lohndrücker ihrer eigenen Angehörigen zu sein. Für die Kleinbauern verlangen wir, daß sein Besitz unangetastet bleibt, daß ihm die nötigen Maschinen und Düngemittel und das nötige Hilfspersonal von Staats wegen zugewiesen werden, daß sein Besitz nicht durch Staatssteuern und Gemeindeabgaben ausgebeutet, sondern vielmehr durch unkündbare Hypotheken von Staats wegen entschuldet wird. Ferner verlangen wir, daß der Kleinbauer von der staatlichen Beamtenschaf t.^die im Solde des Großkapitalismus und in dessen Auftrage ungerechtfertigte Ablieferungen von landwirtschaftlichen Produkten mit Gewaltmitteln erzwingt, endlich befreit werde. An die Stelle der bürokratischen Beamtenbevormundung des Kleingrundbesitzes tritt im kommunistischen Staat nach jeder Richtung hin die Selbstverwaltung durch den Kleinbauern. Nur der Kleinbauer wird seinen Besitz in seinem eigenen und nicht mehr im Interesse der Junker und Kapitalisten bewirtschaften. Diese Bewirtschaftung geschieht durch Kleinbauernräte. Darum, ihr Kleinbauern und Landarbeiter, war es notwendig, daß ein Verband kommunistischer Landarbeiter und Kleinbauern Deutschlands * Im Juli 1919 hatte die KPD den Entwurf eines Agrarprogramms veröffentlicht. Das Agrarprogramm wurde vom Vereinigungsparteitag im Dezember 1920 angenommen (siehe Dok. 20).

34 gegründet wurde, der ausschließlich eure Interessen sowohl gegen die bestehenden großagrarischen V e r b ä n d e als auch gegen die Gelüste des kapitalistischen Staates w a h r n i m m t . Diese Organisation heißt: V e r b a n d k o m munistischer Landarbeiter und Kleinbauern Deutschlands. Soll dieser V e r b a n d wirklich ein Machtmittel und eine scharfe Waffe w e r d e n gegen alle Ausbeutung der A r b e i t s k r a f t des Landarbeiters u n d des Besitzes des Kleinbauern, so ist es notwendig, daß alle Landarbeiter u n d Kleinbauern Deutschlands diesem kommunistischen V e r b ä n d e als Mitglied beitreten. Durch kommunistische V e r t r a u e n s m ä n n e r u n d kommunistische Bezirkssekretariate w e r d e n euch Landarbeitern u n d Kleinbauern die Beitrittsbedingungen bekanntgegeben. „Der Pflug", euer Verbandsorgan, wird eure Interessen nach jeder Richt u n g hin w a h r e n u n d euch in seiner nächsten N u m m e r die Satzungen des Verbandes kommunistischer Landarbeiter u n d Kleinbauern bekanntgeben. Lest den „Pflug" und helft, ihn mit zu verbreiten! Kein Haus eines Kleinb a u e r n u n d keine W o h n u n g eines Landarbeiters darf es in Deutschland geben, wo am Sonntag nicht „Der Pflug" gelesen wird. Der V e r b a n d kommunistischer Landarbeiter u n d Kleinb a u e r n Deutschlands

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Aufruf der Zentrale der KPD vom Februar 1920 an die Landarbeiter, Gutsräte zu bilden und die Kontrolle über die Gutsverwaltungen zu erkämpfen. IML/ZPA, D. F .VI/107, Flugblatt. Abgedruckt in: Dokumente und Materialien, Bd. VII/1, S. 190-192.

Landarbeiter! Die J u n k e r haben einen planmäßigen Feldzug gegen euch, Landarbeiter, eröffnet. H u n d e r t e n von euch ist gekündigt worden. In erster Linie h a b e n die J u n k e r die kommunistischen Landarbeiter aufs Korn genommen. Sie machen nicht einmal Halt vor den mehrheitssozialistischen Landarbeitern, die im Landarbeiterverband organisiert sind. Die J u n k e r h a b e n selbst einen gelben Landarbeiterverband* gegründet, dessen Schützlingen sie mit höheren Löhnen und Deputaten u n t e r die A r m e greifen. Was ist der Zweck der Übung? Die J u n k e r wollen noch vor der Frühjahrsbestellung die Landarbeiter* Gemeint ist der Reichslandarbeiterbund.

35 bewegung niederknüppeln. Sie wollen freie Hand bekommen, um ungehemmt ihren Lebensmittelwucher treiben zu können. Dieser Schlag muß von euch mit aller Kraft abgewehrt werden. Ihr kämpft dabei nicht nur um eure Existenz, ihr kämpft um das Leben eurer arbeitenden Brüder in der Stadt. Denn nur wenn ihr, Landarbeiter, den Junkern den Daumen aufs Auge und das Knie gegen die Brust drückt, nur dann kann der schamlose Lebensmittelwucher eingeschränkt, nur dann kann der Anbau entsprechend den Interessen der gesamten arbeitenden Bevölkerung durchgeführt werden. Was tut dagegen die Leitung des Landarbeiterverbandes? Der Vorsitzende erhebt ein Klagegestöhn im „Vorwärts", er läßt aber dabei durchblicken, daß er nicht zu kämpfen bereit ist. Die Junker versetzen euch einen Faustschlag ins Gesicht. Der Verbandsvorstand des Landarbeiterverbandes hält aber immer noch an der Arbeitsgemeinschaft mit den Junkern fest. Landarbeiter! Jedem von euch muß jetzt klar sein, daß die Parole für euch nicht sein kann: Arbeitsgemeinschaft mit den Junkern, sondern Kampf bis aufs Messer, bis die ganze Junkerwirtschaft am Boden liegt. Was tut die mehrheitssozialistische Regierung? Soeben hat der preußische Landwirtschaftsminister im Landtag erklärt, daß die Zwangswirtschaft außer für Getreide und Milch aufgehoben werden wird. Die mehrheitssozialistische Regierung hat vor den Junkern also vollkommen kapituliert. Sie öffnet dem Wucher der Junker Tür und Tor. Landarbeiter! Die Regierung, die so vor den Junkern kapituliert hat, die wird euch nicht helfen gegen die Junker in eurem Kampf um euer Leben. Wo ist also Hilfe für euch? Nur ihr selbst könnt den Kampf führen, und als Bundesgenossen werdet ihr dann das arbeitende Volk in der Stadt finden. Zuerst müßt ihr sehen, daß ihr Herr in eurem eigenen Verband werdet. Heraus mit den verräterischen Verbandsbeamten! An ihre Stelle setzt zuverlässige Kollegen, die euch nicht in den Rücken fallen, sondern euch im Kampf vorangehen. Laßt euch nicht niederzwingen von den Junkern, führt Schlag gegen Schlag! Eure Losungen sind: Gutsräte auf allen Gütern, Kontrolle der gesamten Gutsverwaltung, Kontrolle der Ablieferung, Kontrolle der Lohnund Arbeitsverhältnisse. Wenn ihr unter dieser Fahne kämpft, so kämpft ihr zugleich um das Brot eurer Brüder in der Stadt. Sie schauen auf euch, sie erwarten von euch, daß weder Verrat eurer Verbandsleitung noch die Kapitulation der Regierung vor den Junkern euch auf die Knie zwingen werden. Endgültig kann euch und den übrigen Arbeitern nur geholfen werden, wenn den Junkern das Land aus der Hand genommen und in eure Hände

36 zur genossenschaftlichen Bewirtschaftung für euch und die Gesamtheit aller Arbeitenden gelegt wird. Der Weg dazu ist ein langer und zäher Kampf, aber der erste Schritt, der getan werden muß, die erste Losung, um die ihr mit aller Kraftanstrengung kämpfen müßt, ist: Gutsräte zur Kontrolle des gesamten landwirtschaftlichen Wirtschaftsbetriebes ! Februar 1920

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Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund)

Rundschreiben Nr. 40 der Zentrale der KPD an die Bezirksleitungen zum Eintritt in den Generalstreik und zur Herstellung einer gemeinsamen Kampffront gegen die Militärdiktatur. (Berlin), 14. März 1920. Die Internationale, 24/1920, S. 13—14. Unterzeichnet: Die Zentrale der KPD. Abgedruckt in: Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Quellen ausgewählt und bearbeitet von E. Könnemann, B. Berthold und G. Schulze, Bd. I (im folgenden: Arbeiterklasse siegt, Bd. I), Berlin 1971, S. 127-129.

„Nach kurzem Zögern ist die Arbeiterschaft in Berlin, im Rheinland und in vielen anderen Orten in den Generalstreik eingetreten. Die KPD tritt in den Generalstreik ein. Unsere Organisationen haben die Pflicht, die Losungen zu geben. Gestern schien es hier in Berlin, als ob die Arbeiterschaft passiv bleiben werde, und wir glaubten, falls die Arbeiterschaft nicht aktionsbereit sei, eine Aufforderung zum Generalstreik nicht sofort geben zu können, sondern weitere Aktionen der Militärdiktatur, die die Arbeiter in Harnisch bringen, erst abwarten zu müssen. Seit gestern hat sich die Situation geändert. Unter diesen Umständen ist es selbstverständlich, daß wir uns nicht nur nicht dem Kampf entgegenstellen, sondern uns bestreben müssen, daß er so energisch wie möglich und mit den entschiedensten Parolen geführt wird. (...)* Dabei warnen wir Euch bei aller Pflicht, denKampf so energisch wie möglich voranzutreiben, vor der Vorstellung, als ob nun etwa mit einem Schlag alle Illusionen, die bislang in den Köpfen der Arbeiter über den Wert der bürgerlichen Demokratie herrschten, beseitigt seien. Es ist anzunehmen, daß es erst einer langwierigen und opferreichen Kampfführung bedürfen * So im Original.

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wird, bis diese Illusionen in den entscheidenden Schichten der Arbeiter restlos beseitigt und volle Klarheit über das Ziel der Rätediktatur und die entsprechende Entschlossenheit und Opferbereitschaft im Kampf um sie hergestellt sein werden. Die propagandistische Hauptaufgabe unserer Genossen besteht darin, mit der Kritik der Militärdiktatur, die kurz abzumachen sein wird, zugleich die bürgerliche Demokratie, die Regierung Ebert-Noske und die MSP- und die Gewerkschaftsbürokratie der unerbittlichsten Kritik zu unterziehen. Die letzten Ziele, die wir der Bewegung stellen, müssen von vornherein klar ausgesprochen werden, jedoch müssen sich unsere Genossen klar sein, daß sie in Aktionen gebunden sind und begrenzt sind durch die Ziele, die die Mehrheit der Arbeiter sich vorläufig steckt. Es handelt sich also darum, in den Aktionen im ständigen Kontakt mit dem Gros der Arbeiter zu bleiben, in der Kritik aber unseren Standpunkt in jedem Augenblick gegen die zu begehenden oder begangenen Unzulänglichkeiten, Irrtümer, Fehler, Verrätereien scharf hervorzukehren. Die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes der Arbeiter gegen die Militärdiktatur ruft in den Arbeitern notwendig den Willen zur Sammlung hervor. Die Herstellung einer gemeinsamen Kampffront kann nicht erfolgen durch den Zusammenschluß der Parteien, die in Grundsätzen und Zielen abweichen. Das gegebene Organ des Zusammenschlusses der Arbeiter für gemeinsame Führung von Aktionen und zur Herstellung eines einheitlichen Willens auf Grund der gegenseitigen Auseinandersetzung sind die Betriebs- und Arbeiterräte. Dem Ruf der Arbeiter nach Zusammenschluß zu gemeinsamer Aktion müssen unsere Organisationen nicht nur kritisch gegenübertreten, indem sie den Zusammenschluß der Parteien ablehnen, sondern sie müssen diesem Drang das positive Organ schaffen: die Betriebs- und Arbeiterräte. Die Aufgaben der Betriebs- und Arbeiterräte in diesem Kampf gegen die Militärdiktatur, dessen Auftakt dieser Generalstreik ist, sind politisch und wirtschaftlich zugleich. Diese Aufgaben umfassen die Herausbildung der B.- und A.-Räte als politische Kampforgane und gleichzeitig als Organe zur Kontrolle der Produktion nach allen Seiten. Dabei muß besonderer Nachdruck gelegt werden auf die Organisierung und Mobilisierung des Landproletariats zu Guts- und Dorfräten. Die Militärdiktatur wird sich auf dem Lande sofort bemerkbar machen als Junkerdiktatur. (.. .)* * So im Original.

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11 Der Stettiner „Kämpfer" über die Forderungen der Landarbeiter Pommerns nach umfassender Verbesserung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Lage. Stettin, 22. März 1920. Der Kämpfer, Stettin, v. 22. März 1920. Abgedruckt in: Arbeiterklasse siegt, Bd. II, S. 643 f.

„Forderungen der Landarbeiter! Die Landarbeiterschaft Pommerns hat sich dem Generalstreik angeschlossen und in einmütiger Solidarität mit den Industriearbeitern die reaktionäre Vergewaltigung durch die Offizier- und Junkerkaste abgeschlagen. Außer den politischen Forderungen des Aktionsausschusses* wurden vom Landarbeiterverband des Regierungsbezirks Stettin folgende wirtschaftliche Forderungen** aufgestellt, von denen die Wiederaufnahme der Arbeit abhängig gemacht wird: 1. Alle Kündigungen sind für ungültig zu erklären. 2. Alle arbeitslosen Landarbeiter sind auf dem betreffenden Gute ihrer Wohnsitze sofort in die Arbeit einzustellen. 3. Auf allen Gutshöfen oder Gutsgemeinden sind zur Kontrolle BetriebsArbeiterräte zu wählen. 4. Der Direktor der Landwirtschaftskammer Wangenheim*** ist von seinem Posten zu entheben, für die wichtigsten Ressorts sind Kontrollstellen von Arbeitern einzurichten. 5. Die Landräte der Kreise Greifenberg, Naugard, Cammin, Saatzig und Regenwalde, welche an der Not und dem Elend der Landarbeiterschaft schuldig sind, sind sofort ihres Amtes zu entheben. 6. Entwaffnung der Gutsbesitzer und Auslieferung der Munition. 7. Entlassung der Baltikumtruppen. 8. Einführung von Tarifverträgen, die den heutigen teuren Zeitverhältnissen entsprechen. *

Sie umfaßten folgende fünf Punkte: 1. Bezahlung der Stredktage. 2. Ersatz der den Arbeiterorganisationen entstandenen Kosten aus Reichsmitteln. 3. Straffreiheit für alle als Kampfhandlungen zu bewertende Gesetzesübertretungen der Arbeiterparteien. 4. Sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und Einstellung aller aus politischen Gründen schwebenden Strafverfahren, die sich gegen sozialistische Arbeiter richten. 5. Aufhebung des Ausnahmezustandes. (Vgl. ebenda.) ** Diese von 80 000 organisierten Landarbeitern erhobenen Forderungen waren bereits am 20. März durch die Gauleitung des Landarbeiterverbandes dem Oberpräsidenten in Stettin übermittelt worden. (Vgl. StA Greifswald, Rep. 60, Nr. 1 095, nicht foliiert.) *** Sohn des „ Landwirtschaftsministers" der Putschregierung.

39 9. Einführung eines Landarbeitergerichts mit vollstreckbarer Gewalt im Sinne des Gewerbegerichts. Alle aus dem Arbeitsverhältnis entstehenden Streitfragen sind nur von dem Landarbeitsgericht mit Ausschluß-des ordentlichen Rechtsweges zu beurteilen. 10. Wohnungskündigungen dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses für zu Recht bestehend anerkannt ist. 11. Alle Streiktage sind vom Arbeitgeber zu bezahlen. 12. Alle Arbeiter, welche wegen Unruhen in Haft genommen, sind zu entlassen."

12 Forderungen des SPD-Unterbezirks Vorpommern. (Stralsund, vermutlich 23./24. März 1920). Der Vorpommer, Stralsund, v. 24. März 1920. Unterzeichnet: Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Unterbezirk Vorpommern Stralsund. Abgedruckt in: Arbeiterklasse siegt, Bd. II, S. 647 fl.

„An die Bevölkerung Vorpommerns in Stadt und Land! Vorpommern! Männer und Frauen! Schwere Tage liegen hinter uns. Alle Errungenschaften der Revolution waren in Gefahr. Durch Euer einmütiges Zusammenstehen ist die Gefahr beseitigt. Wir hoffen, daß die Wogen der Brandung, die noch hoch gehen, sich bald ebnen werden, daß Ruhe und Besonnenheit aller Kreise uns neue Erschütterungen ersparen werden. Wir beharren auf dem Boden der siegreichen Grundsätze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die in 50 Jahren ununterbrochener härtester Kämpfe sich erprobten. Wir beharren auf dem Erfurter Programm und auf den Forderungen unserer Vertrauensmänner in der deutschen und preußischen Nationalversammlung, die aus den Berichten dieser Körperschaften, aus Presse und Versammlungen bekannt sind. Wir beharren auf dem Willen, eine sozialistische Regierung zu erstreben auf dem Wege der Demokratie!(...) Wir fordern! 1. Rücktritt der Minister Noske und Heine. 2. Sofortige Inhaftierung und strengste Bestrafung aller Offiziere, die sich auf die Seite der Putschisten gestellt haben. Bestrafung aller militärischen Ausschreitungen, die im Bezirk begangen, vom Fall Franzburg

40 (Juli 1919)* bis einschließlich des Verhaltens bei der Besetzung des .Vorpommer'. öffentliche Gerichtsbarkeit für diese Verfahren. ( . . . ) 5. Unbedingte Rücknahme aller Maßregelungen aus dem Arbeitsverhältnis und aller Kündigungen in Stadt .und Land, die bei Abbruch des Generalstreiks anhängig waren. 6. Abnahme aller Waffen, die sich in den Händen der Reaktionäre befinden, insbesondere auf dem flachen Lande. Unbedingte Gewährleistung dafür, daß die Leute Waffen nicht mehr erhalten. (Kontrollierung der Jagdscheine). Sofortige Auflösung der Wolfgang Heineschen Einwohnerwehren in Stadt und Land. Neubildung einer oder mehrerer zuverlässiger Sicherheitsorgane für den Bezirk. Restlose Entfernung der Baltikumer, der Landschützen auf Rügen usw. aus dem Bezirk nach ihrer erfolgten Entwaffnung. Stellung des Landbundes unter Polizeiaufsicht. ( . . . ) 8. Restlose Beseitigung des Widerstandes der Landbundagrarier gegen den Landarbeitertarif für den Bezirk Stralsund. Die (gelbe) Arbeitnehmergruppe des Landbundes darf als gleichberechtigt nicht anerkannt werden. 9. Sofortige entschiedene Inangriffnahme wesentlicher sozialdemokratischer Agrarf orderungen: Zuweisung von Land an Landarbeiter und Handwerker. Zulegung von Land an Kleinbauern. Neusiedlung, soweit Bauten möglich. Abnahme des erforderten Landes von den Großbetrieben, zunächst von Fideikommissen und Domänen. Ständige Überwachung der Großbetriebe; erforderlichenfalls Zwangsmaßnahmen gegen sie dahingehend, daß jeder Großbetrieb wirklich im Dienst der Allgemeinheit bewirtschaftet wird. Planmäßige Erfassung aller Lebensmittel und Bedarfsartikel. Gerechte Belastung der landwirtschaftlichen Groß- und Kleinbetriebe. Gerechte Belieferung dieser Betriebe mit Betriebsmitteln (z. B. Kunstdung, Kohle, Futtermitteln.) Abschaffung der Drusch- und Lieferungsprämien. Staatliche Vieh- und Hagelversicherung. Verschärfung der Wuchergerichte (z. B. Hafer, Leder). 10. Abschaffung der Amtsvorsteher, wo angängig. Sofortige Abschaffung der Gutsbezirke. Sofortige Ausschreibung von Neuwahlen für die Kreistage auf Grund eines wirklich demokratischen Wahlrechtes. (Notgesetz). Die neugewählten Kreistage vollziehen unmittelbar nach ihrem Zusammentritt die ihnen gesetzlich zustehenden Wahlen, insbesondere zum Provinziallandtag. * Im Juli 1919 waren über 1 000 Landarbeiter des Kreises Franzburg in den Streik getreten. Daraufhin hatte das Generalkommando des II. Armeekorps den Belagerungszustand verhängt und Militär gegen die streikenden Landarbeiter eingesetzt. (Vgl. Wilhelmus, Wolfgang, Der Kampf der Werktätigen Vorpommerns im Juli 1919, in: ZfG, Sonderheft 1958, S. 223 ff.)

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11. Sofortige Neuwahlen für die Landwirtschaftskammern auf Grund des Wahlrechts zur Nationalversammlung, vollzogen durch die selbsttätigen Landwirte. Sofortige Regelung der Kreisblattfrage. 12. Sofortige Schaffung eines zeitgemäßen Beamtenrechts. Schutz der Beamten vor reaktionären Vorgesetzten. Für diese unsere Forderungen werden wir uns mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln des geltenden Rechts einsetzen."

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Die Landarbeiter- und Bauernfrage auf dem 4. Parteitag der KPD. (April 1920). Der Kommunistische Landarbeiter, 1. Jg. (1920), Nr. 1, S. 5/6.

Am 14. und 15. April tagte in Berlin der Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands. Die Partei hatte sich schlüssig zu machen, ob sie an den kommenden Reichstagswahlen teilnehmen wolle, sie hatte ferner sich klare Richtlinien zu geben für die Arbeit in den Betriebs- und Arbeiterräten. Am Vorabend des Parteitags waren die in der Landarbeit tätigen Genossen zu einer Besprechung zusammengetreten, in der einstimmig die Notwendigkeit betont wurde, die Landarbeiter- und Bauernfrage als besonderen Punkt der Tagesordnung des Parteitags zu behandeln. Ein dementsprechender Antrag wurde gestellt und angenommen. Der Referent wies einleitend auf die Tatsache hin, daß im November 1918, aber auch noch in den Januar- und Märzkämpfen des Jahres 1919 die Landarbeiter und Kleinbauern von der revolutionären Welle gar nicht berührt wurden. Die Revolution blieb im wesentlichen beschränkt auf die Städte, auf das Industrieproletariat. Als die demokratische Republik eingerichtet wurde, erhofften sowohl Landarbeiter wie Kleinbauern von ihr eine entsprechende Besserung ihrer Lage. Sie wurden beide grausam enttäuscht. Für die Landarbeiter brachte die Demokratie zunächst immerhin einen gewissen Fortschritt: die volle Vereinigungs- und Streikfreiheit. Die Landarbeiter waren bald genug gezwungen, von dieser Waffe Gebrauch zu machen. Die Junker setzten ihren bescheidenen Forderungen brutalen Widerstand entgegen, und die demokratisch-halbsozialistische Regierung schuf, den Junkern zuliebe, mit ihrer „Landarbeiterordnung" ein neues Ausnahmegesetz gegen die landwirtschaftlichen Arbeiter. Die Landarbeiter merkten sehr bald, was es mit der gepriesenen Demokratie auf sich hatte. Als vollends im Sommer und Herbst 1919 die ersten größeren Lohnstreiks der Landarbeiter ausbrachen, da waren es die demokratischen Behörden, die statt gegen die hartnäckigen Grundherren 9 Ostelb. Landarbeiter i n

42 und J u n k e r einzuschreiten, gerade im Gegenteil mit Belagerungszustand und Maschinengewehren zugunsten der Besitzenden gegen die Landarbeiter Partei ergriffen. So erkannten die Landarbeiter von Tag zu Tag besser, daß nicht nur die J u n k e r ihre Feinde und Ausbeuter sind, sondern auch die bürgerlich-mehrheitssozialistische Regierung, die den Geldsack der J u n k e r gegen die Landarbeiter schützt. Im Winter 1919/20 kamen noch die Massenentlassungen pommerischer Landarbeiter hinzu, die wiederum breiten Massen die Augen öffneten. So waren die Landarbeiter durch die harten Tatsachen des wirtschaftlichen Kampfes auf die Seite der Revolution getrieben worden. Sie erhofften nichts mehr von der Demokratie und ebensowenig von bloß gewerkschaftlichen Lohnbewegungen. Sie haben in ihrer Masse erkannt, daß auch den Landarbeitern nur geholfen ist durch die völlige Umgestaltung unseres ganzen politischen Wirtschaftslebens, durch Rätediktatur und Kommunismus. Daß die Landarbeiter heute revolutionär sind, zeigte mit einem Schlage der Lüttwitzputsch. In Massen standen die Landarbeiter auf, geschlossen mit dem Industrieproletariat, nicht zum Schutze der Ebert und Bauer, sondern unter den Losungen der proletarischen Revolution. Zumal in Mecklenburg, aber auch in Teilen Mitteldeutschlands und Sachsens haben die Landarbeiter sich bewaffnet, überall bildeten sich revolutionäre Gutsräte. Es waren die kommunistischen Parolen, denen die Landarbeiterschaft folgte. Sehr richtig haben die Landarbeiter begriffen, welche Rolle sie in der Frage der Lebensmittelversorgung des revolutionären Proletariats zu spielen berufen sind. Vielfach haben während der Streikbewegung die revolutionären Gutsräte die Arbeiterschaft der Städte durch Milch- und Lebensmittellieferungen über den Kopf des Grundbesitzes hinweg unterstützt. Die Landarbeiter fühlen sich als Glied in dem Gesamtkörper der revolutionären Arbeiterklasse. Die Agrarrevolution in Deutschland ist heute vor allem östlich der Elbe in vollem Gang. Für den Fortschritt der Gesamtrevolution ist das von höchster Bedeutung. Bisher war Ostelbien das Paradies des Junkertums, das Rekrutierungsgebiet weißer Garden, die Hochburg der Gegenrevolution. Jetzt sitzt dem J u n k e r die Revolution auf dem eigenen Gut, jetzt kämpfen die Landarbeiter Seite an Seite mit dem Industrieproletariat, jetzt ist die Sozialisierung der ostelbischen Landwirtschaft n u r noch eine Frage der Zeit. Jeder Versuch der Junker, die proletarische Revolution in den Städten „auszuhungern", wird zum Sturze der Junker, zur sozialen Revolution der Landarbeiterschaft selbst führen. (...) So sind die Aufgaben der KPD gegenüber den Landarbeitern und Kleinbauern zweierlei: Die Landarbeiter stehen mitten im revolutionären Kampf. Sie gilt es voranzuführen und in Reih und Glied zu stellen mit dem kämpfenden Industrieproletariat. Ihr nächstes Ziel muß sein: Brechung der Junkerdiktatur auf den Gütern, der Militaristen- und Beamten-

43 d i k t a t u r in der Regierung. U e b e r n a h m e der Kontrolle der Landwirtschaft auf den G ü t e r n durch die revolutionären Gutsräte. Dazu müssen sie vor allem auch i h r e Gewerkschaft, den deutschen Landarbeiterverband, innerlich revolutionieren, an die Stelle der mehrheitssozialistischen V e r r ä t e r revolutionäre K ä m p f e r setzen. F ü r sie ist auch, angesichts der scheußlichen Bluttaten der Baltikumer u n t e r A n f ü h r u n g der J u n k e r , die Bewaffn u n g der Arbeiterschaft eine Lebensfrage. ( . . . ) Im Anschluß an das Referat w u r d e beschlossen, neben dem „Pflug", d e r hauptsächlich der kommunistischen A u f k l ä r u n g u n t e r den K l e i n b a u e r n dient, ein revolutionäres K a m p f o r g a n f ü r die Landarbeiter Norddeutschlands zu schaffen. F e r n e r w u r d e n die Bezirke verpflichtet, in allen Ortsg r u p p e n Vertrauensleute f ü r die Arbeit u n t e r der Landbevölkerung a u f zustellen. Der Zentrale der K P w u r d e eine besondere Sektion f ü r diese Arbeit angegliedert. Es ist zu hoffen, daß die Beschlüsse des Parteitages auch auf diesem Gebiet reiche Früchte tragen.

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Haltung der KPD zur Opposition im DLV. (Juli 1920). Der Kommunistische Landarbeiter, 1. Jg. (1920), Nr. 4, S. 26/27. Die Landarbeiter u n d der Deutsche Landarbeiter-Verband.

Die gedrückteste u n d rechtloseste Arbeiterschicht w a r im kaiserlichen Deutschland zweifellos die Landarbeiterschaft. Und so e r w a r t e t insbesondere das Landproletariat in heißer Sehnsucht, daß die Revolution den h a r ten Druck u n d die qualvolle Ausbeutung beseitige. (.. .) Erstes Erfordernis w a r n u n : Schaffung einer Organisation, die alle K r ä f t e des Landproletariats zum bewußten, planmäßigen Kampf gegen die Ausbeuter zusammenfaßte. Die Notwendigkeit der Vereinigung begriffen die Landarbeiter seit dem November 1918 sehr schnell. Das drückt sich in der gewaltigen Steigerung der Mitgliederzahl des deutschen Landarbeiterverbandes aus. Von 22 000 Mitgliedern, die der V e r b a n d vor dem Kriege zählte, ist er auf nahezu 1 Million hinaufgeschnellt. In diesem rasenden Wachstum t r i t t u n v e r m i t t e l t der stürmische D r a n g hervor, mit dem das Landproletariat sich des j u n k e r lichen Zwanges entledigen will. Und wie die städtischen Arbeiter e r k a n n t haben, daß n u r durch U e b e r n a h m e aller Fabriken, Bergwerke u n d Banken in den Besitz der arbeitenden Gesamtheit der rettende Anstoß zur E r n e u e r u n g der Wirtschaft gegeben werden kann, so erkennen in wachsender Einsicht die Landarbeiter die zwingende Notwendigkeit der Enteignung des Großgrundbesitzes. Das arbeitende Landvolk soll in genossenschaft9»

44 licher Weise unter Leitung seiner Landarbeiter- und Kleinbauernräte die Bewirtschaftung des Grund und Bodens übernehmen. Nur so kann der Knechtung und Ausbeutung des ländlichen Arbeiters ein Ende gemacht und der kümmerliche Kleinbauer von seiner Notlage erlöst werden. Damit ist zugleich festgestellt, daß die Eigentumsfrage im Mittelpunkt des Kampfes steht, den das Landproletariat um seine Befreiung führt. Der Organisation, dem Verband, ist hier die zu lösende Aufgabe gestellt: Sammlung, Schulung und Verwendung aller Kräfte zur Erkämpfung des Gemeineigentums am Grund und Boden. Dieser großen unabweisbaren Aufgabe ist der Deutsche Landarbeiterverband bisher nicht gerecht geworden. Die ganze erschreckende Unfähigkeit der Leitung des Verbandes trat hervor, als der Vorsitzende Schmidt unter Billigung des Verbandsbeamtenklüngels auf der letzten Generalversammlung erklärte: „Das Schlagwort heißt heute Sozialisierung. Sie wird kommen, wenn sich die kapitalistische Entwicklung auf höchster Stufe vollzogen hat, aber nur in einem reichen, nicht in einem armen Lande, wie es Deutschland jetzt ist. (...) Ich stehe auf dem Standpunkt Kautskys, daß an die Sozialisierung der Landwirtschaft erst zuletzt zu denken ist." Mit Vergnügen und höchster Befriedigung werden die Großgrundbesitzer von dieser Erklärung Kenntnis genommen haben. Den Junkern ist aber noch eine doppelte Garantie ihres Besitzes zugesichert, indem Schmidt auf der gleichen Generalversammlung aussprach: „In der Arbeitsgemeinschaft sehen wir die konsequente Fortsetzung der Tarifpolitik." „Konsequente Fortsetzung der Tarifpolitik" ist denn auch das A und O der Verbandsleitung gewesen, wobei die Interessen der Landarbeiter schwer gelitten haben. Die Tarifergebnisse sind allzu häufig erbärmlich ausgefallen. Streiks, zu denen die Verbandsleitung ihre Zustimmung versagte, waren die selbstverständliche Folge. Hierbei kam es infolge der Verweigerung der Streikunterstützung zu schroffen Zusammenstößen zwischen Mitgliedschaften und der Bürokratie (Beamtenschaft) des Verbandes. Die Selbständigkeitsregungen der Mitglieder suchte man durch im Verbandsstatut verankerte Fesseln niederzuhalten. ( . . . ) Immer heftiger lodert die Unzufriedenheit im Deutschen Landarbeiterverbande auf. Täglich mehren sich die im scharfen Gegensatz zur Führung stehenden Mitglieder. Ganze Zahlstellen und Kreise erwägen die Loslösung vom Verband. Es entsteht immer brennender die Frage: Absplitterung oder revolutionäre Durchdringung und Umwandlung der Organisation der Landarbeiter? Die Antwort darauf hängt zusammen mit Folgendem: Die große Masse der Landarbeiter befindet sich im Zustande revolutionärer Gärung. Zusammengefaßt im Deutschen Landarbeiterverbande unterliegen sie dem Einfluß, den die Leitung zunächst auf sie ausübt. Dieser Einfluß ist unheilvoll, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt. Er bleibt erhalten und unangetastet, wenn die aufgeklärteren und zielsiche-

45 ren Mitglieder aus dem Verbände ausscheiden. Darin liegt eine große Gefahr, die der Fortentwicklung des revolutionären Klassenbewußtseins, der klaren Erkenntnis der besonderen Aufgaben des Landproletariats schwere Hemmnisse bereitet. Die schädliche, verräterische Macht der Schmidt, Faaß und Co. muß gebrochen werden. Das kann jedoch nur geschehen, wenn man sie dort bestürmt und angreift, wo sie sich auswirkt: In dem Landarbeiterverbande. Es ist und bleibt also eine unabweisbare Pflicht jedes klassenbewußten Landarbeiters, innerhalb des Verbandes mit allen Gleichgesinnten den Kampf aufzunehmen. Zur Verstärkung der Wirkung dieses Kampfes gegen die Verbandsbürokratie müssen alle kommunistisch gerichteten Mitglieder, Zahlstellen, Kreise usw. untereinander ständige Fühlung nehmen. Unser Blatt, der „Kommunistische Landarbeiter", soll das geistige Band bilden, das dem Kampf Einheitlichkeit und Zielrichtung gibt. Das ist um so nötiger, als das Blatt des Deutschen Landarbeiterverbandes rücksichtslos für die Aufrechterhaltung der Vorstandsherrschaft eintritt. Wir kommen somit zu dem Schluß: kein Einzelaustritt, aber einstweilen auch kein Gruppenaustritt aus dem Landarbeiterverbande. Vielmehr lautet die Losung: 1. Zusammenfassung aller gegen die Vorstandsherrschaft rebellierenden Mitglieder, Gruppen, Kreise und Bezirke. 2. Unermüdliche Agitation für Verwerfung der Tarifpolitik und Durchführung der Enteignung des Großgrundbesitzes, wobei die Schaffung von Gutsräten mit absoluten Kontrollrechten dringendstes Gebot ist. 3. Einführung des „Kommunistischen Landarbeiter" als Verbindungsmittel und Kampforgan. (...)

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Haltung der KPD zur Enteignung und Bewirtschaftung der Güter. (Juli 1920). Der Kommunistische Landarbeiter, 1. Jg. (1920), Nr. 4, S. 29.

10 Fragen der deutschen Landarbeiter, 10 Antworten von Spartakus 1. Frage: Wem sollen die großen Güter gehören? Antwort: Spartakus will, daß sie den Junkern genommen und Gemeineigentum des gesamten arbeitenden Volkes werden. 2. Frage: Wer soll die großen Güter bewirtschaften? Antwort: Spartakus will, daß die Landarbeiter und Gutsangestellten das Land für sich und alle Arbeitenden bewirtschaften, im Groß-

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3. Frage: Antwort: 4. Frage: Antwort: 5. Frage: Antwort:

6. Frage: Antwort:

7. Frage: Antwort:

8. Frage: Antwort:

9. Frage: Antwort:

10. Frage: Antwort:

betrieb mit den modernsten Maschinen in gemeinsamer freier genossenschaftlicher Arbeit, nach einheitlichem Plan für das ganze Reich. Wer soll den Gutsbetrieb leiten? Die Landarbeiter durch die von ihnen gewählten Gutsräte. Was soll mit den Junkern geschehen? Sie mögen in euren Reihen mitarbeiten, dann werden sie zu essen haben. Wie werden die Erzeugnisse des Bodens verteilt? Spartakus will, zuerst sollen die Landarbeiter selbst essen; der Ueberschuß gehört allen Arbeitenden gleichmäßig, dafür erhalten die Landarbeiter alle anderen Waren, die sie brauchen: Kleidung, Schuhwerk, Kolonialwaren, Haus- und Ackergeräte, Maschinen, elektrische Kraft usw. Was geschieht mit den Herrschaftshäusern und Schlössern? Spartakus will, daß die Landarbeiter die Herrschaftshäuser in gemeinsamen Besitz nehmen und daß in den Schlössern Kranke, Alte und Kinder gepflegt werden. Wie wird das alles durchgeführt? Spartakus sagt, die Landarbeiter müssen gemeinsam mit den Industriearbeitern die Macht der Junker und der Unternehmer, der Reichs- und Landtage, der Bürokratie, der Offiziere, der Richter usw. brechen und für sich die gesamte Staatsgewalt erobern und ausüben. Was braucht der Landarbeiter, um die Staatsgewalt zu erobern? Spartakus sagt, er braucht Waffen, um die Junker und die weißen Garden zu schlagen. Er braucht die Kommunistische Partei zur einheitlichen Leitung des gemeinsamen Kampfes der Arbeiter in Stadt und Land. Wie üben die Land- und Industriearbeiter die Staatsgewalt aus? Spartakus will, daß alle Arbeitenden an ihrer Arbeitsstätte politische Arbeiterräte wählen, die zusammen die oberste Gewalt im ganzen Reiche ausüben. Was ist die nächste Aufgabe des Landarbeiters? Spartakus sagt, die Wahl von Gutsräten, die die Gutswirtschaft beaufsichtigen und später leiten, und von politischen Arbeiterräten, die den gemeinsamen Kampf aller Arbeiter gegen Junker, Kapitalisten und alle übrigen Ausbeuter führen und schließlich alle Macht in die Hand nehmen. Dafür kämpft

Spartakus!

Jeder Landarbeiter, der das will, kämpfe mit Spartakus!

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Richtlinien der SPD zur Agrarpolitik, angenommen auf dem Parteitag in Kassel. (10.-16. Oktober 1920). Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der SPD, abgehalten in Kassel vom 10.-16. Oktober 1920, Berlin 1920, S. 317-318. Abgedruckt in: Dokumente und Materialien, Bd. VII/1, S. 323-325.

Um der land- und forstwirtschaftlich tätigen Bevölkerung eine auskömmliche u n d gesicherte Existenz zu schaffen u n d u m die ausreichende und gesunde E r n ä h r u n g des ganzen Volkes u n t e r erträglichen Bedingungen sicherzustellen, m u ß die Land- u n d Forstwirtschaft durch die Einsicht, den guten Willen und durch die Tätigkeit der in der Land- u n d Forstwirtschaft wirkenden Bevölkerung selbst gefördert werden. Diese m u ß d a u e r n d u n terstützt w e r d e n durch die Regierungen und vor allem durch die organisierte Arbeiterklasse. Der Parteitag begrüßt das große Interesse, das die Genossen u n d Genossinnen den agrarischen Problemen entgegenbringen. Der P a r t e i t a g stellt f ü r die politische u n d wirtschaftliche Wirksamkeit im Interesse der ländlichen Bevölkerung das Folgende fest: 1. Die zur Gemeinwirtschaft reifen land- u n d forstwirtschaftlichen Betriebe sind zu sozialisieren. Die übrigen Besitzverhältnisse sind nicht zu stören. 2. Die Vorteile des Klein-, Mittel- u n d Großbetriebes in der L a n d w i r t schaft sind u n t e r Berücksichtigung der Bodenbeschaffenheit, des Klimas, der Möglichkeiten von Bodenbehandlung und Bodenbearbeitung zu b e u r teilen. Eine Übereinstimmung über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Größenklassen der landwirtschaftlichen Betriebe ist jetzt nicht möglich. 3. Von Reich, Staat u n d Gemeinde h a t alles zu geschehen, was die P r o duktivität u n d einen intensiveren Betrieb in der Landwirtschaft steigern kann. 4. Nichtbeachtung sowie unwirtschaftliche V e r w e r t u n g und R a u b b a u des Bodens h a t die Enteignung nach sich zu ziehen. 5. J e d e Spekulation mit land- u n d forstwirtschaftlichem Grundbesitz ist zu unterbinden. 6. Der Handel mit land- und forstwirtschaftlichem Grundbesitz ist zu sozialisieren. 7. Die Siedlungspolitik ist zu fördern unter besonderer Berücksichtigung der Kultivierung der ö d - und Heideländereien, deren rationelle Bewirtschaftung u n t e r Z u h i l f e n a h m e der technischen Errungenschaften nach den Leitsätzen dieses Aktionsprogramms zu sichern ist. Die von Kriegs- u n d und Revolutionsgewinnlern erworbenen Ländereien sind zu Siedlungszwecken zu enteignen. 8. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion e r f o r d e r t vor al-

48 lern den Ausbau der Volksschulen sowie der landwirtschaftlichen Fortbildungs- und Fachschulen. 9. Die Verkehrsverhältnisse sind durch Ausbau der Kleinbahnen, Landund Wasserstraßen unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Land- und Forstwirtschaft gründlich zu verbessern. 10. Licht-, Kraft- und Wasserversorgung ist der ländlichen Bevölkerung zu sichern. 11. Die Produktion und Verteilung der für die landwirtschaftliche Erzeugung notwendigen Maschinen, Werkzeuge, Roh- und Hilfsstoffe, besonders der künstlichen Düngemittel und der Kohlen, ist zu sozialisieren. 12. Alle Maßnahmen wie Bodenverbesserung, Umlegung der Grundstücke (Flurbereinigung), Saatzucht, Bekämpfung der Pflanzenschädlinge, der Tierseuchen usw. sind kräftig zu unterstützen. Die Ausführung dieser Maßnahmen ist zu sichern durch Anstellung von praktisch vorgebildeten Kreislandwirtschaftsinspektoren und durch Einrichtung von Landeskulturstellen bei den unteren Verwaltungsbehörden unter paritätischer Hinzuziehung aller landwirtschaftlichen Organisationen und Vertretungen. 13. Die Ausschaltung des Zwischenhandels mit landwirtschaftlichen Produkten ist zu beschleunigen. 14. Die kredit-, betriebs- und absatzgenossenschaftliche Zusammenfassung der Kleinbetriebe ist nach jeder Richtung kräftig zu fördern. 15. Die engste Zusammenarbeit der Großeinkaufsgesellschaft mit den landwirtschaftlichen Genossenschaften ist auf das lebhafteste zu begrüßen. 16. Die Kleinbauern, Pächter und landwirtschaftlichen Arbeiter sind gegen Überarbeit und Unfallgefahr zu schützen. Ihnen ist eine gesunde Wohnung und befriedigende Lebenshaltung zu sichern. Die Arbeitsbedingungen sind durch Tarifverträge, Schiedsgerichte und Arbeiterschutzgesetze festzulegen. Alle Zweige der Sozialversicherung sind den Bedürfnissen der Kleinbauern, Pächter und landwirtschaftlichen Arbeiter anzupassen. 17. Sozialisierung aller Zweige des land- und forstwirtschaftlichen Versicherungswesens. 18. Schaffung einer erschöpfenden, zuverlässigen land- und forstwirtschaftlichen Statistik. 19. Die Aufklärung der land- und forstwirtschaftlichen Bevölkerung hat unter Festhaltung unserer Parteigrundsätze zu geschehen. 20. Im Rahmen dieses Aktionsprogramms können für Gebiete mit besonders eigenartig vorherrschenden Betriebs- und Besitzformen in der Land- und Forstwirtschaft ergänzende Forderungen aufgestellt werden. Sie sind vor ihrer Veröffentlichung dem Parteivorstand zur Bestätigung vorzulegen.

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Streik auf den Gütern Wentzels, Kreis Mansfeld. (Oktober 1920). Der Kommunistische Landarbeiter, 1. Jg. (1920), Nr. 11, S. 83/84. Wie die Großagrarier Betriebsräte behandeln.

Die Landarbeiter in Höhnstedt, Kreis Mansfeld, befinden sich im Streik. Die Ursache dieses Streiks ist, daß in den Betrieben des O b e r a m t m a n n s Wentzel die Betriebsratsmitglieder grundlos auf die Straße geworfen w o r den sind. In welcher Weise der H e r r O b e r a m t m a n n mit seinen Arbeitern bzw. Betriebsräten umspringt, d a f ü r ist sehr bezeichnend die Art, in der den entlassenen Betriebsratsmitgliedern die P a p i e r e zugestellt w u r d e n . Der Verwalter des Gutes warf die Papiere auf Befehl des O b e r a m t m a n n s einfach durch die Stubentür, u n b e k ü m m e r t d a r u m , d a ß Kollegen sich gar nicht einmal in der Stube befanden. Der Agrarier Wentzel ist ein ausgesprochener Feind jeder Arbeiterorganisation. Seinen Arbeit e r n erklärte e r : „Mit mir könnt Ihr arbeiten, aber nicht m i t einem Verband." Eine A u s n a h m e lassen die Agrarier der Mansfelder Kreise — auch O b e r a m t m a n n Wentzel — bei der Organisation der Landarbeiter allerdings gelten, sie b e m ü h e n sich, gelbe Organisationen großzuzüchten und machen den Landarbeitern allerhand Versprechungen. Besonders möchte m a n die Landarbeiter in das gelbe Sumpfgewächs, den „Reichslandarbeiterbund", pressen. Man hängt in den Betrieben Listen aus, die zum Beitritt a u f f o r d e r n , u n d wer nicht unterschreibt, d e r w i r d entlassen. Leider lassen sich unsere Kollegen durch solche Agrarierfrechheiten v e r blüffen u n d laufen der Reaktion ins Garn. Die Landarbeiter müssen vorsichtig sein bei der Auswahl ihrer Betriebsräte, d e n n mit den agrarischen Leimruten ist sogar ein Betriebsratsvorsitzender gefangen. Die Höhnstedt e r Landarbeiter werden ihren Kampf fortsetzen, bis die entlassenen Betriebsratsmitglieder wieder eingestellt worden sind. Sie w e r d e n in ihrem K a m p f e auch nicht wankend, w e n n ein Landrat die Bergarbeiter anstachelt, die Landarbeiter zu beeinflussen, daß sie die A r b e i t wieder a u f n e h men. Die Bergarbeiter sollten, statt den K a m p f w i l l e n der Landarbeiter zu zermürben, lieber stärkste Solidarität üben. Die F o r d e r u n g e n der streikenden Landarbeiter sind: 1. Wiedereinstellung der entlassenen Betriebsratsmitglieder m i t vollen Rechten; 2. A n e r k e n n u n g des vereinbarten Akkordlohnes; 3. Kohlen; gleiche Kohlenbelieferung von 3 500 Preßsteinen oder 60 Zentn e r n Briketts ohne Nachzahlung. Die fehlenden sind sofort l i e f e r b a r ; 4. Sofortige Beschaffung von L o h n t ü t e n ;

50 5. Wo kein elektrisches Licht vorhanden ist, sollen zwei Liter Petroleum unentgeltlich geliefert werden; 6. Die alleinstehenden Witwen sollen 1 000 Preßsteine erhalten; 7. Bezahlung der Streiktage; 8. Keine Maßregelung der am Streik Beteiligten. Manche dieser Forderungen zeigen, um welche Selbstverständlichkeiten die Landproletarier mit ihren reaktionären Arbeitgebern zu kämpfen haben. Aber das erwachende Landproletariat wird dem reaktionären Agrariertum beweisen, daß es den unvermeidbaren Kampf zum Siege bringen kann und will.

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Streik in Vorpommern. (November 1920). Der Kommunistische Landarbeiter, 1. Jg. (1920), Nr. 13, S. 88/89.

Der Streik in Vorpommern. In den vorpommerischen Kreisen Greifswald, Stralsund, Grimmen, Franzburg und Rügen ist soeben ein umfangreicher Streik der Landarbeiter zu Ende gegangen. Die Ursache des Streiks waren Entlassungen von Betriebsobmännern und Vertrauensleuten des Deutschen Landarbeiterverbandes. Die Pommerschen Junker hatten im Anschluß an den Kapp-Putsch umfangreiche Entlassungen von Landarbeitervertrauensleuten geplant. Sie kündigten im April dieses Jahres vielen Arbeitern. Die Kündigungsfrist wäre normal am 10. November abgelaufen. Gegen die Kündigungen hatte am 20. April d. Js., als in Pommern der Belagerungszustand herrschte, der Oberpräsident eine Verordnung erlassen, die die Kündigungen unwirksam machen sollte. Die Junker riefen gegen die Verordnung des Oberpräsidenten das Gericht in Greifswald an. Dieses erklärte die Verordnung des Oberpräsidiums in seinem Urteil für ungültig. Gestützt auf dieses Urteil wollten die Junker die im April ausgesprochenen Kündigungen nun zu einem Teile durchführen. Damit wollten sie die Arbeiterschaft Ihrer Vertrauensleute berauben und so den Boden vorbereiten, auf dem dann dem Landproletariat bei Lohnkämpfen usw. eine Niederlage bereitet werden sollte. Die Landarbeiter antworteten mit Streik, der in Vorpommern einen großen Umfang annahm und auch nach Rügen hinübergriff. In dem Kampfe der Landarbeiter stellten sich die Behörden, wie immer, auf die Seite der Junker. So erließ der kommissarische Landrat Kogge am 18. November in Greifswald eine Bekanntmachung, in der er erklärte: „Die Behörde verurteilt diesen wie jeden anderen Streik als Störung des bitter notwendigen ruhigen Produktionsgangs und tritt der Schädigung der

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Volkswirtschaft durch Einsetzen der Technischen Nothilfe entgegen." Reaktionärer konnte sich ein Landrat auch im kaiserlichen Deutschland nicht zeigen. Wie der Greifswalder Landrat die von rechtssozialistischen Ministern ins Leben gerufene Technische Nothilfe einsetzte, um den Streik zu brechen, so übte auf Rügen der rechtssozialistische Landrat sich in der gleichen reaktionären Tätigkeit. Aber die Rügener Besitzer wollten nicht nur vom Landrat mit der Technischen Nothilfe unterstützt werden, sie verlangten auch, daß er der Streikbrechergarde militärischen Schutz beschaffe. So schrieb am 25. November die „Greifswalder Zeitung" ganz vertrauensvoll: „Hoffentlich wird der Rügener Landrat, der ja bekanntlich der Sozialdemokratischen Partei angehört, für die Zukunft der Technischen Nothilfe den gesetzlich zugesicherten Schutz nicht vorenthalten." Soviel Vertrauen, wie das Junkerblatt dem Landrat hier entgegenbringt, wird dieser gewiß nicht enttäuscht haben. (...) Am 26. November erklärte die Gauleitung des Deutschen Landarbeiterverbandes in Stralsund den Streik für abgebrochen. Nach den Erklärungen der Gauleitung soll der Widerstand der Arbeitgeber gegen die Verordnung des Oberpräsidenten vom 20. April gefallen sein. Die Entlassungen werden von einem außerordentlichen Schlichtungsausschuß geprüft und entschieden. Der Tarif ist nach den Angaben der Gauleitung bis Februar 1921 gesichert. (...) Die Gauleitung hat mit ihrem Aufruf zur Wiederaufnahme der Arbeit mancherlei Widerspruch in den Kreisen der Arbeiter gefunden. Und in der Tat ist der Abbruch des Streiks keineswegs rühmlich. Die Gauleitung hat es nicht verstanden, die Sympathien, die der Kampf der Landarbeiter bei den städtischen Proletariern Vorpommerns gefunden hatte, für die Landarbeiter auszunutzen. Die schwächliche Kampfesführung und der voreilige Abbruch des Streiks hat die Junker sehr übermütig gemacht. Die Junker fordern, daß die Gauleitung des D. L. V. angebliche „Lügen und Verleumdungen eines Flugblattes öffentlich zurücknimmt". Außerdem verkünden die Junker: „Die Streiktage werden in vollem Umfange bezüglich Barlohn und Naturalleistungen abgezogen." Die Bürokraten des Deutschen Landarbeiter-Verbandes haben in diesem Kampfe wieder einmal ihre Unfähigkeit erwiesen. Schon daß sie sich den Kampf jetzt nach Erledigung der hauptsächlichsten Erntearbeiten haben aufdrängen lassen, hat die junkerliche Position gestärkt. Außerdem ist die Frage der Kündigungen nicht nur in Vorpommern, sondern auch in Hinterpommern der Klärung bedürftig. Es war deshalb auch notwendig, das Kampfgebiet von vornherein zu erweitern. Die rechtssozialistischen Bürokraten verstehen eben nur, die Landproletarier in Niederlagen und faule Kompromisse zu führen. Der vorpommersche Landarbeiterstreik ist dafür wiederum ein deutlicher Beweis. Die streikenden Landarbeiter erfuhren aufs neue, daß, wenn sie gegen

52 ihre Ausbeuter kämpfen, sofort alle Staatsorgane, Behörden usw. der Junkerpartei helfend beispringen. Reichswehr, Technische Nothilfe, alles Organe, die von den Rechtssozialisten geschaffen wurden, erweisen sich als die Werkzeuge der Junker. Die Landarbeiter müssen, wie mit den Junkern, so mit denen, die den Feinden des Proletariats die Waffen schmiedeten, abrechnen. Als Wolfgang Heine im preußischen Landtag die Technische Nothilfe verteidigte, schwiegen seine Parteifreunde Georg Schmidt und Kompagnie, indes die Junker Beifall klatschten.

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Aufruf zur Solidarität für die streikenden Landarbeiter des Regierungsbezirkes Stralsund. (November 1920). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 288, Bl. 21 (Druck). An die gesamte Arbeiterschaft d. Regierungsbezirks Stralsund

Die gesamte Landarbeiterschaft des Regierungsbezirks steht im schwersten Kampf. Sie kämpft um ihre elementarsten Lebensrechte. Der Landbund und die Agrarier haben in letzter Zeit durch Entlassungen und Kündigungen entgegen allem gesetzlichen Recht die Landarbeiter systematisch zum Abwehrkampf herausgefordert. Sie glauben jetzt die Zeit für gekommen, um die gesamte Landarbeiiterschaft wieder unter ihre Knute zu bringen und für ihren gelben Landbund die Daseinsberechtigung zu beweisen. Gleichzeitig wollen sie den durch den Landarbeiterverband mühsam erkämpften Tarif zertrümmern und die Löhne herunterdrücken. Wir rufen der gesamten Landarbeiterschaft zu: Haltet aus! bis Eure Verbandsleitung andere Weisung erteilt. Die gesamte organisierte Arbeiterschaft steht geschlossen hinter Euch. Unserer Arbeiterschaft sagen wir: Laßt Euch nicht durch die Parolen der Landbündler gegen die Landarbeiter aufhetzen! Wenn die Lebensmittelversorgung stockt, dann sind lediglich jene machthungrigen Gesellen daran schuld, die immer schon ihre Profitgier über die Interessen der Allgemeinheit stellten und die auch heute eine Machtprobe gegen die Arbeiterschaft versuchen. ( . . . ) Das Bezirkskartell Stralsund. I. V.: Kirchmann.

Das Ortskartell Stralsund. I. V.: Krowas.

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Agrarprogramm der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands. (Dezember 1920). Bericht über die Verhandlungen des Vereinigungsparteitages der USPD (Linke) und der KPD (Spartakusbund). Abgehalten in Berlin vom 4. bis 7. Dezember 1920. Hrsg. von der Zentrale der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands, Berlin 1921, S. 237-242. Abgedruckt in: Dokumente und Materialien, Bd. VII/1, S. 373-379.

I Einleitung Das gewaltige wirtschaftliche Zerstörungswerk des Weltkrieges hat die Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaft in Deutschland unterwühlt. Der Produktionsapparat ist in diesem Höllenfeuer zusammengeschmolzen. Arbeitskräfte, Arbeitsmaschinen, Rohstoffe, Hilfsstoffe, der Goldbestand wurde dezimiert. Im selben Maßstabe aber, wie die Gebrauchswerte vernichtet wurden, wuchs die Kriegsschuld, der Anspruch der kapitalistischen Klasse auf die Früchte der Arbeit. Im selben Maße wuchs die Anarchie in der Produktion. Das Kapital, dessen geschichtliche Rolle die breiteste Entfaltung der Produktionskräfte der Gesellschaft war, hat sich zu einem reinen Schmarotzer am Körper der gesellschaftlichen Arbeit entwickelt, zu einer Kraft der Zerstörung und Verwirrung. Seine geschichtliche Stunde hat geschlagen. Das Proletariat ist berufen, das Urteil der Geschichte zu vollziehen, bei Strafe des Untergangs der Produktion. Der militärische Zusammenbruch des deutschen Imperialismus auf den Schlachtfeldern Frankreichs gab den Anstoß zum Beginn dieser Auseinandersetzung, die im Schöße der Gesellschaft vorbereitet lag. Ihr Auftakt war die Revolution des 9. November. Aber diese Revolution, obwohl getragen von kriegsmüden und enttäuschten Soldaten und den Arbeitern, ließ die Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaft unberührt. Sie erfaßte nur die äußere Staatsform. Sie verwandelte den monarchistischen Militärstaat in eine bürgerliche Republik mit den Verrätern des Sozialismus als Firmenträgern. Die politische Form der Kapitalherrschaft ward oberflächlich reformiert, neu unterbaut. Aber diese politische Revolution ward zugleich der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, die in einer Reihe gewaltiger Streikwellen und bewaffneter Aufstände Deutschland überzog und deren Ergebnis nur der Sturz der Kapitalsherrschaft sein kann. Das Industrieproletariat leitete die Rebellion der Lohnarbeit gegen das Kapital ein. In seinen Spuren folgten die Arbeiter und Angestellten des Handels- und Geldkapitals. Es ist klar, daß die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit

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nicht auf die Städte beschränkt bleiben kann. Die Kapitalherrschaft lastet noch schwerer als auf dem städtischen auf dem ländlichen Proletariat. Ihr Zusammenbruch droht auch dem Kleinbürgertum den Untergang an. Das ländliche Proletariat und das Kleinbauerntum sind in ihrem Kampf gegen das Kapital gehemmt durch die örtliche Zersplitterung und die ländliche Abgeschlossenheit. Sie können nur überwunden werden durch das ingste Zusammenwirken mit dem städtischen Proletariat. Im landwirtschaftlichen Großbetrieb ist die sozialistische Produktion vorgebildet durch das Kapital selbst. Es bedarf hier nur des Zerbrechens der Schranken des Privateigentums, der Aneignung des Landes und der Arbeitsmittel durch die Gesellschaft und des innigen Zusammenwirkens mit der sozialisierten Industrie und (dem sozialisierten) Handel, damit auch hier die sozialistische Arbeitsweise sich entfalten kann. Das Kleinbauerntum* und der im kleinbäuerlichen Betrieb bewirtschaftete Großgrundbesitz leiden nicht minder schwer wie das Landproletariat unter dem Druck der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Aber in seiner Betriebsform ist die sozialistische Wirtschaftsweise noch nicht vorgebildet. Sie kann nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Die bürgerliche Wirtschaft hat das bäuerliche Kleineigentum durch einen jahrhundertelangen gewaltsamen Prozeß der wirtschaftlichen Entwurzelung und des Betrugs unterhöhlt, der den Kleinbauern völlig in das Proletariat hinabschleudert oder ihn ein Zwitterdasein zwischen Industrieproletarier und Landproletarier führen läßt, der ihn vom Grund und Boden und seinen Arbeitsmitteln trennt und unter die Fuchtel des Großgrundbesitzers oder des industriellen Unternehmers stellt. Er wurde massenhaft in einen Landtagelöhner oder industriellen Lohnarbeiter verwandelt. Oder sein Landbesitz wurde derart verzwergt oder verschuldet, daß er, als Fußkugel an seinem Bein, ihn in die drückendste Hörigkeit gegenüber dem Großgrundbesitz und dem Industriekapital versetzte. Dlie Methode der zur Herrschaft gelangten Arbeiterklasse dem Kleinbauern gegenüber kann dagegen nur die der Hilfe und der Erziehung sein, damit er den Weg zum Sozialismus findet. Es gilt, die Lage des Kleinbauern als Kleinbauer wirtschaftlich zu erleichtern durch allseitige Hilfe der sozialisierten Industrie und des (sozialisierten) Handels. Es gilt, den Kleinbauern von der bürokratischen Schreiberzunft, die ihn bevormundete, zu befreien und ihm den Weg zur Verwaltung seiner eigenen Angelegenheiten durch ihn selbst zu eröffnen; es gilt schließlich, die Ansätze der kleinbäuerlichen Genossenschaften auszubauen, damit der Kleinbauer stufenweise zur genossenschaftlichen Produktion auf großer Stufenleiter gelangt. * Im Original: Großbauerntum.

55 II Gliederung der landwirtschaftlichen Betriebe Landwirtschaftliche Großbetriebe sind diejenigen, die ständig fremde Arbeitskraft gegen Lohnarbeit zur Erzielung kapitalistischen Profits anwenden und deren Inhaber nicht selbst landwirtschaftliche Arbeit verrichten. Landwirtschaftliche Kleinbetriebe sind diejenigen Betriebe, die fremde Arbeitskraft nicht oder nur in der Weise beschäftigen, daß sie der Hauswirtschaft nach Lebensweise öder Arbeitsweise eingegliedert sind, wie die Besitzer oder ihre Familienangehörigen selbst, und deren Ertrag nicht ganz oder gerade noch ausreicht, um ihre Besitzer zu erhalten. Landwirtschaftliche Zwergbetriebe sind diejenigen, deren Ertrag nur einen Bruchteil des Unterhalts ihrer Besitzer liefert, deren Besitzer ihr Haupteinkommen aus anderen Quellen: landwirtschaftlicher oder industrieller Lohnarbeit, Kleinhandwerk oder Kleinhandel usw., beziehen. Landwirtschaftliche Mittelbetriebe sind solche, die einen regelmäßigen Uberschuß über den Bedarf ihrer Besitzer erzielen, die aber in der Hauptsache auf die Arbeitskraft ihrer Besitzer und deren Familienangehörige sich stützen. Großbäuerliche Betriebe sind diejenigen, die überwiegend- sich fremder Arbeitskraft bedienen, deren Besitzer aber sich selbst an der landwirtschaftlichen Arbeit beteiligen. III Forderungen Um das Ziel der Befreiung des ländlichen Proletariats und des Kleinbauerntums von kapitalistischer Ausbeutung und die sozialistische Betriebsweise in der Landwirtschaft zu erreichen, stellt die Vereinigte Kommunistische Partei die folgenden Forderungen auf: A. Für den Großbetrieb 1. Aller Großgrundbesitz, der im Großbetrieb bewirtschaftet wird, wird samt lebendem und totem Inventar und den dazugehörigen gewerblichen Betrieben und dem Betriebskapital ohne Entschädigung vom sozialistischen Staat enteignet. Er wird Gemeineigentum der sozialistischen Gesellschaft. 2. Alle bisherigen gutsherrlichen Rechte und Patronate (gutsherrliche Jagd- und Fischereirechte, Steuerbefreiungen, Polizeirechte usw.) sowie alle Fideikommißrechte werden ohne Entschädigung aufgehoben. 3. Auf jedem landwirtschaftlichen Großbetrieb bilden die ständig auf ihm beschäftigten Landarbeiter, Tagelöhner, Gutsleute, Gutshandwerker,

56 Angestellten und die hauswirtschaftlich tätigen Familienangehörigen einen Gutsrat. 4. Der Gutsrat übernimmt unter Hinzuziehung landwirtschaftlicher Fachleute die genossenschaftliche Bewirtschaftung des Betriebes unter zentraler, einheitlicher Leitung für die gesamten landwirtschaftlichen Großbetriebe. 5. Der Gutsrat bestimmt im Rahmen der zentralen Anordnung: a) die Anstellung und Entlassung von Arbeitskräften; b) die Festsetzung der Arbeitszeit und der Arbeitslöhne; c) die Anbau- und Verwendungsart der landwirtschaftlich benutzten Flächen und die Oberleitung der mit dem Gutsrat verbundenen gewerblichen Betriebe; d) die Ablieferung der über den Eigenbedarf des Großgutes hinaus überschüssigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse; e) die Feststellung der Bedürfnisse des Großgutes an landwirtschaftlichen Arbeitsmitteln, die es nicht selbst erzeugt (Saatgut, Nutzvieh, Milchvieh, Zuchtvieh, Zuchtgut, landwirtschaftliche Maschinen, Geräte, Düngemittel, Futterstoffe, chemische Hilfsstoffe, Baumaterial usw.); f) die Feststellung und Verteilung des Bedarfs an industriellen Erzeugnissen und Handelsartikeln für den Einzelbedarf (Nahrungsmittel, Kleidung, Hausgerät und Mobiliar), an Erzeugnissen der Literatur und Kunst; g) die Feststellung des Bedarfs an Betriebskapital. 6. Die Höhe der für den Eigenbedarf der Genossenschafter des Großguts notwendigen landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnisse des Großguts wird zentral festgesetzt. Die Überschüsse darüber werden an örtliche Sammelstellen abgeliefert, ebenso wie die Bedürfnisse der Güter an landwirtschaftlichen, industriellen und Handelsartikeln an die örtlichen Sammelstellen überwiesen werden. 7. Die abgelieferten überschüssigen Erzeugnisse des Großgutes werden der Genossenschaft gutgeschrieben. Die Finanzierung des Großguts wird der Zentralbank des Rätestaates übertragen. 8. Die Wälder und die Jagd werden zentral bewirtschaftet durch die genossenschaftlich zusammengeschlossenen Wald- und Forstarbeiter und Forstbeamten, die ebenfalls in Räten organisiert sind. 9. EXie Nutzung von Waldungen, die bisher Eigentum bäuerlicher Gemeinden waren, verbleibt den Gemeinden im Rahmen ihrer örtlichen Bedürfnisse. Die Bewirtschaftung geschieht zentral. ( . . . ) 10. Die Wasserläufe werden nach Flußgebieten einheitlich bewirtschaftet. 11. Für die Zeiten der größten Arbeitshäufung im landwirtschaftlichen Betrieb, die eine Erledigung der Arbeit innerhalb bestimmter Fristen erfordern (Bestellung, Ernte), werden landwirtschaftliche Arbeiterkolonnen gebildet, deren örtliche Verteilung zentral bestimmt wird.

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12. Um das Angebot ländlicher Arbeiter in den Höhezeiten des Landwirtschaftsbetriebes jederzeit zu ermöglichen, ist erforderlich, daß auch die industrielle Arbeiterschaft von Jugend auf in den Elementen landwirtschaftlicher Arbeit ausgebildet wird. Andererseits ist erforderlich die Ausbildung der seßhaften Landarbeiterschaft in den Elementen der landwirtschaftlichen und industriellen Technik im Interesse der technischen Entwicklung des landwirtschaftlichen Betriebes selbst, sodann aber, um denen, die für die Beschäftigung in der Landwirtschaft nicht in Betracht kommen, den reibungslosen Übergang in die Industrie zu ermöglichen. 13. Für landwirtschaftliche Kulturarbeiten großen Stils (Urbarmachung von Ödland, Bewässerung, Entwässerung usw., Feldbereinigung, Wegebau, Tier- und Pflanzenversuche usw.) werden vom Staat die Mittel und die Arbeitskräfte den Gutsräten zur Verfügung gestellt. 14. Landwirtschaftlicher Großgrundbesitz, soweit er nicht im Großbetriebe bewirtschaftet wird, sondern in kleine Pachten aufgeteilt ist, wird ebenso wie Großbetriebe ohne Entschädigung enteignet. Soweit dieser Landbesitz im kleinen bewirtschaftet wurde, wird er zur weiteren Nutzung und Bewirtschaftung an die örtlichen Landarbeiter- und Kleinbauernräte überwiesen. Diese haben seine Nutzung und Betriebsart unter Beachtung der Interessen der bisherigen kleinbäuerlichen Bewirtschafter zu regeln. 15. Landwirtschaftliche Großbetriebe, die in kleinbäuerliche Betriebe eingesprengt und von keiner ausschlaggebenden wirtschaftlichen Bedeutung sind, können unter die Klein- und Zwergbauern der Umgebung aufgeteilt werden, um deren Betriebe so zu erweitern, daß ihre Besitzer sich selbst erhalten können. 16. Die staatlichen Domänen, soweit sie nicht in Kleinpachten zerteilt sind, bilden Muster und Versuchswirtschaften unter unmittelbarer Leitung der provinziellen oder Staatszentrale. Ihnen werden landwirtschaftliche Fach- und Hochschulen angegliedert. 17. Die Überwindung des kulturellen Gegensatzes zwischen Stadt und Land soll vom Staat eingeleitet werden dadurch, daß alle Elemente städtischer Kultur dem Lande zugänglich gemacht werden durch Ausbau eines engen Netzes von Schnellbahnen und anderen Verkehrsmitteln. Ferner, im Interesse der Produktion selbst, durch weitgehende Versorgung des Landes mit elektrischer Kraft, Gas usw. und endlich durch planmäßige Vereinigung von landwirtschaftlichem mit industriellem Großbetrieb. B. Für den klein- und mittelbäuerlichen Betrieb 1. Das Privateigentum des Klein- und Mittelbauern an Land- und Arbeitsmitteln bleibt unangetastet. Er erhält das bisher von ihm bewirtschaftete Land zur freien Verfügung überwiesen. 2. Der Kleinbauer verwaltet seine wirtschaftlichen und Verwaltungsan10 Ostelb. Landarbeiter III

58 gelegenheiten selbst im Wege der Räteverfassung. Diese Selbstverwaltung tritt an Stelle der bürokratischen Bevormundung im kapitalistischen Staat. 3. Die in kleinbäuerlichen Betrieben beschäftigten Werktätigen, einschließlich der in ihrer Hauswirtschaft tätigen weiblichen Familienangehörigen, schließen sich örtlich zu Kleinbauernräten zusammen. Den Kleinbauernräten gehören auch die in den Dörfern ansässigen Kleinhandwerker und Kleinkaufleute an, die keine fremden Arbeitskräfte ausbeuten. Die örtlichen Kleinbauernräte schließen sich ihrerseits mit den Gutsräten, die innerhalb der Markung bestehen, und mit den im Dorfe etwa ansässigen industriellen Arbeitern zu Dorfräten zusammen. Die Kleinbauernräte besorgen die gemeinsamen wirtschaftlichen Angelegenheiten der Kleinbauern. Die Dorfräte besorgen die gemeinsamen wirtschaftlichen Angelegenheiten und die Gemeindeverwaltung des Dorfes. 4. Die Kleinbauernräte vermitteln den gemeinsamen Bezug von Düngemitteln, Futtermitteln, Saatgut, Zuchtvieh, landwirtschaftlichen Erzeugnissen an die örtlichen Sammelstellen. 5. Die sozialistisch organisierte Industrie versorgt die Kleinbauern mit industriellem Lebensbedarf. Sie fördert die Vergenossenschaftlichung der Kleinbetriebe durch den Ausbau eines feinmaschigen elektrischen Kraftnetzes, durch Lieferung gemeinschaftlich zu benutzender Maschinen und Gebäude, durch Ausbau der bestehenden landwirtschaftlichen Genossenschaften, durch Ausweitung des allgemeinen und Fachunterrichts, durch kostenlose Zurverfügungstellung von Fachleuten für technische Verfahren usw. 6. Eine Ubergangsstufe zum genossenschaftlichen landwirtschaftlichen Großbetrieb bildet die Zusammenlegung der Kleinbetriebe einer Markung zu einem einheitlichen Betrieb, der Markgenossenschaft (Landkommune), die von den Markgenossen gemeinsam bewirtschaftet wird. Eine Markgenossenschaft wird durch freien Beschluß der kleinbäuerlichen Ansassen der Dorfmarkung gebildet. Der Ansatz einer Markgenossenschaft kann durch freie Vereinigung einer beliebigen Anzahl von Kleinbauern gebildet werden, die sich als Landgenossen zusammenschließen. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften und Vereine der Klein- und Zwergbauern werden bei der Lieferung von industriellen Erzeugnissen gegenüber Mittel- und Großbauern besonders bevorzugt. 7. Die Markgenossenschaft wie kleinere Landgenossenschaften werden von der sozialistischen Industrie unterstützt durch Errichtung von Markscheunen, Markställen und anderen Markgebäuden, durch Zurverfügungstellung von Geometern, Technikern, landwirtschaftlichen Fachleuten, durch Stellung von Inventar und Betriebskapital. 8. Schulunterricht, der allgemeine und Fachausbildung umfaßt, Lehrmittel und Unterhalt während der Schulzeit sind frei.

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9. Allen Schulen in Stadt und Land soll hinreichender Boden zur praktischen Ausbildung der Schüler in den Hauptzweigen landwirtschaftlicher Arbeit vom Staat zur Verfügung gestellt werden. ( . . . ) C. Die wirtschaftliche und politische Gliederung der Guts-, Kleinbauern- und Dorfräte 1. Die örtlichen Guts-, Kleinbauern- und Dorfräte schließen sich nach wirtschaftlichen Bezirken und schließlich für das ganze Staatsgebiet zusammen. Jede dieser Räteorganisationen wählt aus ihrer Mitte einen Vollzugsausschuß, der die laufenden Geschäfte unter der Kontrolle der Räte besorgt und das Recht hat, Fachleute heranzuziehen. Die oberste wirtschaftliche Rätekörperschaft für die Landwirtschaft ist der Zentralkongreß der Arbeiter- und Kleinbauernräte. Er wählt aus seiner Mitte als führendes Organ den Zentrallandwirtschaftsrat. Dieser gehört dem Zentrallandwirtschaftsamt an und setzt gemeinschaftlich mit ihm die allgemeinen Bestimmungen für den Betrieb der Landwirtschaft fest. 2. Die Dorfgemeinden verwalten sich durch die Dorfräte. Die laufenden Geschäfte besorgt der Vollzugsausschuß des Dorfrates. Die Mitglieder des Vollzugsausschusses wie des Dorfrates können jederzeit von ihren Wählern abberufen werden. Die Dorfräte schicken ihre Delegierten zu den Kreis-Arbeiter- und Bauernräten, diese zu den BezirksArbeiter- und Bauernräten usw., die gemeinschaftlich mit den übrigen Räten die politische Gewalt in ihrem Gebiet ausüben. Die bürokratische Bevormundung der Landbevölkerung wird durch ihre Selbstverwaltung ersetzt.

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Graf Keyserlingk-Cammerau zur Gestaltung von Tarifverträgen in der Landwirtschaft. (Dezember 1920). WAP w Opolu, Gräflich Praschmasches Schloßarchiv, Nr. 1105, Bl. 101 bis 102. Druck.

Vortrag des Herrn Dr. Graf R. Keyserlingk-Cammerau über das Arbeits- und Lohnverhältnis in der Landwirtschaft bei der 8. Vorstandssitzung des Reichsverbandes der deutschen land- u. forstwirtschaftlichen Arbeitgebervereinigungen am 14. Dezember 1920. M.(eine) H.(erren) Ein Jahr ist jetzt vergangen, seitdem wir im ganzen deutschen Reiche Landarbeiterlohntarifverträge abschlössen. Einige Ver10»

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bände haben neue schon für das kommende Jahr getätigt, die große Mehrzahl aber steht noch vor solchen Abschlüssen. Wir alle haben inzwischen Erfahrungen gesammelt und können auf Grund der vorliegenden Übersichten Vergleiche anstellen. Dabei fällt es in die Augen, wie schwierig der Vergleich zwischen Arbeits- und Lohnbedingungen im Osten und Westen, im Süden und Norden Deutschlands ist, und wir müssen wiederum erkennen, daß man den verschiedenartigen Betriebsbedingungen in der Landwirtschaft auch auf dem Gebiete der Lohn- und Arbeitsverhältnisse keinen Zwang antun kann. Nur in den Hauptrechtsgrundsätzen müssen war nach Einheitlichkeit streben, nur über gewisse Normen der Entlohnung lassen sich vielleicht Grundsätze für das Gebiet des ganzen deutschen Reiches aufstellen. Die Gesamtjahreslöhne verheirateter Landarbeiter weisen, selbst wenn man die Naturallöhne nach einheitlichen Sätzen bewertet, immer noch große Verschiedenheiten auf und sind sogar bei annähernd gleichen Endsummen oder Stundensätzen schwer vergleichbar. Wo, wie im Westen und Süden, geringe Naturallohnmengen gegeben werden, müssen die Barlöhne natürlich erheblich höher ausfallen als im Osten und Norden mit hohen Deputatbezügen. (...) Erstrebenswert ist, daß wir überall zu einem den landwirtschaftlichen Betriebsverihältnissen angepaßten Normaldeputat, das die Ernährung des Landarbeiters sicherstellt, kommen. In welchem Geldwerte wir dieses in die Lohnnachweisungen einsetzen, ist für den Arbeiter, abgesehen von steuerlichen Rücksichten, ziemlich gleichgültig, weil nicht diese, sondern die Menge der Naturalien für den Arbeiter in Betracht kommen. (...) Für beide Teile liegt die Bedeutung des Normaldeputats aber darin, daß es sich um Entgelte handelt, die mit steigender oder fallender Preiskonjunktur steigen und fallen. In den Naturalbezügen haben wir eine natürliche gleitende Lohnskala, die sich bei freier Preisbildung den Erzeugungskosten anpaßt, ohne an Wert für den Arbeiter zu verlieren. Je reichlicher die Deputate aber bemessen werden, um so größer ist auch das Interesse des Landarbeiters an angemessenen Preisen. Jeder Arbeitgeber, der das natürliche Band, das ihn mit seinem Arbeiter verbindet, festigen will, muß die Naturalentlohnung fördern, die den Landarbeiter über den industriellen Arbeiter stellt, wie es recht und billig ist. Es gehört zu den Sünden der Zwangswirtschaftler, daß sie den Landarbeiter durch übertriebene Rationalisierung, den Landwirt aber durch unbilligen Preisdruck schädigten. In dem Maße, wie sich die Ernten verminderten und das Mißverhältnis zwischen Betriebsaufwand und Erzeugungspreisen stieg, wurde der Arbeitgeber an der Naturalentlohnung und an der Besserung der Landarbeiterlöhne überhaupt gehindert. Je günstiger die Produktionsbedingungen sich gestalten, um so mehr können wir den Landarbeiter an den Erträgen beteiligen. Unter den heutigen Verhältnissen aber können

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wir leider nur Naturalbezüge festigen, die der verminderten Erzeugungskraft einerseits und dem allgemeinen Nahrungsmittelbedarf andererseits angepaßt werden. Die allgemeine Lohntendenz ist zweifellos eine steigende. Sie wird es bleliben, solange die Entwertung unserer staatlichen Wertmesser fortschreitet, und solange es Arbeitnehmer-Gewerkschaften gibt, die zur Erhaltung ihres Anhangs im Ringen um die Mitgliedschaft der Arbeiter bei der Erneuerung eines jeden Tarifvertrages mit neuen Lohnforderungen hervortreten. Ob solche Lohnforderungen wirtschaftlich begründet, ob sie für die Landwdrtschaft erträglich sind, spielt dabei bekanntlich eine untergeordnete Rolle. Die Gewerkschaften werden daher an einen Abbau der Löhne schwer herangehen, auch wenn in Deutschland einmal wieder günstigere Lebensbedingungen eintreten. ( . . . ) Die Lohnkosten machen im Durchschnitt mindestens 40% aller Betriebsausgaben aus. Ihre Steigerung ist durchschnittlich auf das zehnfache, der der übrigen Ausgabekosten aber auf das 15—30fache. der Vorkriegsbeträge zu veranschlagen. Demgegenüber steht eine bedeutende Verringerung der Erträge des Ackerbaus und der Viehwirtschaft an Menge und Güte, für die die derzeitigen Preise keinen Ausgleich bilden. Ich habe in den letzten Monaten Gelegenheit gehabt, das Ergebnis zahlreicher Bücherprüfungen landwirtschaftlicher Betriebe einzusehen und größere Wirtschaften selbst genau besichtigt und bin zu der erschreckenden Einsicht gelangt, daß schon im vergangenen Jahre sehr zahlreiche größere Durchschnittswirtschaften mit Unterbilanz arbeiteten. Im laufenden Wirtschaftsjahre werden die Ergebnisse schwerlich besser werden. Gewinne brachten nur solche Betriebe, die besonders rentable Produktionszweige betreiben und mit großem Kapital arbeiteten, oder die sich über die Zwangswirtschaft hinwegsetzten. Überall, wo Boden und Klima, Produktions- und Absatzverhältnisse nicht besonders günstig sind, wo keine ausreichenden Betriebskapitalien vorhanden sind, werden wir im nächsten Jahre schon vor der Frage stehen, ob die Betriebe in der bisherigen Weise, insbesondere auch mit den bisherigen Arbeiterzahlen und Arbeiterlöhnen weiterwirtschaften können. Wir stehen vor der Katastrophe des Überganges von der intensiven zur extensiven Wirtschaftsweise; Arbeiterentlassungen und Lohnherabsetzungen sind die Folge. Das kann man der Regierung und den Gewerkschaften nicht klar genug machen. Wir, die Führer der landwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände, laden eine ungeheure Verantwortung auf uns, wenn wir dies nicht tun und wenn wir uns nicht ernstlich die Frage vorlegen, ob wir überhaupt weiter die Hand zu Tarifverträgen bieten dürfen, die dem Arbeitgeber Unerfüllbares zumuten. Uberall kommt der Augenblick, wo wir uns sagen müssen: Tarifverträge sind nicht dazu da, um betriebsvernichtende Erhöhungen der Löhne zu erzwingen, sondern um unter Berücksichtigung der sozialen

62 und wirtschaftlichen Lebensbedingungen beider Teile Rechtsgrundlagen für ein ruhiges, friedliches und erzeugungsförderndes Zusammenarbeiten des Landwirts mit seinen Arbeitern zu schaffen. Finden wir diese Einsicht nicht bei den Gewerkschaften, dann gibt es kein Verhandeln mehr. Dann lieber einen Kampf durchfechten, als unsere Landwirtschaft zugrunde richten zu lassen. Kommt es zu keinen Tarifverträgen, so müssen wir uns mit Richtlinien behelfen, die die Grundlage für Einzelverträge bilden und den berechtigten Wünschen der Arbeiter ebenso wie den Existenzbedingungen der Arbeitgeber gerecht zu werden suchen. Bei unmittelbaren Verhandlungen mit freieren Landarbeitervereinigungen wollen wir dann hoffen, besseres Verständnis für die gemeinsame Not zu finden, als bei den organisierten Gewerkschaften. Eine solche Entwicklung, die zunächst schwere Erschütterungen unserer Produktion nach sich ziehen würde, wäre tief bedauerlich. Würde sie doch einen großen Teil unserer bisherigen Arbeit vernichten und die mühsam geschaffenen Arbeitsgemeinschaften zerstören. Ich gebe deshalb die Hoffnung noch nicht auf, daß alle Arbeitnehmerorganisationen die Augen vor den wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht verschließen und es vorziehen werden, mit uns weiter friedlich am Ausbau des Arbeits- und Lohnrechts zu arbeiten, als uns in die Bahn des wirtschaftlichen Kampfes zu drängen. Wir haben uns stets auf den Standpunkt gestellt, daß wir nicht einseitig Arbeitgeberinteressen allein vertreten dürfen. Das Wohlergehen des Arbeiters gehört besonders in der Landwirtschaft, wo die natürliche Interessen- und Arbeitsgemeinschaft von Unternehmern und Arbeitern viel stärker ist als in der Industrie, zu den Vorbedingungen des Wohlergehens der Arbeitgeber. Wir erblicken im Landarbeiter den gleichberechtigten Helfer, mit dem wir das Arbeitsverhältnis freundschaftlich regeln wollen. Kollektivverträge sind für uns eine Grundlage für die Schaffung dauernder klarer Rechtsbeziehungen, aber kein Kampfinstrument. Bei ihrer Ausgestaltung kommt es darauf an, einerseits der ungeheuren Vielgestaltigkeit des Landwirtschaftsbetriebes keinen unnötigen Zwang anzulegen, andererseits aber doch allgemeingültige Normen zu finden, die der Eigenart des landwirtschaftlichen Arbeitsverhältnisses gerecht werden. Auf dem Naturallohn bauen sich dann die anderen Lohnbezüge auf, bei denen zwischen solchen zur weiteren Sicherung des Existenzminimums und solchen, die der Hebung der Lebenshaltung des Landarbeiters dienen, zu unterscheiden ist. Dabei wird man aber drei Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben, nämlich: 1. die Förderung des Interesses des Arbeiters an der Arbeit, 2. die Hebung der Arbeitsleistung nach Güte und Menge, 3. die Anpassung der Löhne an die Leistungsfähigkeit des Betriebs.

63 Diesen Gesichtspunkten werden wir gerecht, wenn wir dem Normalnaturallohn und den festen Naturallöhnen die Löhne, die ich kurzweg mit Leistungslöhnen bezeichnen möchte, und solche Löhne, die im Anschluß an die Erzeugnispreise automatisch gleiten, also gleitende Löhne, anpassen. (. ..) PrämienlohnsyWir werden also in Zukunft überall das Akkord- und stem vdel weiter ausbauen und die Landarbeiter am Ertrage und am Preise der Erzeugnisse interessieren müssen. ( . . . ) Tarifverträge für die Landwirtschaft aufzubauen, ist deshalb aus diesem Grunde heute schweren denn je. Ehe nicht das alte Preisverhältnis der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu den wichtigsten Betriebsmitteln, vor allem zur Kohle wieder hergestellt ist, fehlen die wichtigsten Grundlagen zur befriedigenden Gestaltung der landwirtschaftlichen Lohnverhältnisse. Das können wir nicht oft genug erklären und in die K ö p f e der Massen in Stadt und Land einhämmern. Lohnsenkungen sind z. Zt. weder in der Landwirtschaft noch in der Industrie durchzuführen. Beginnen aber müssen sie bei der Industrie. Fährt diese mit Lohnerhöhungen fort, so müssen wir . . . im gleichlaufenden Interesse der Landwirte und Landarbeiter die Preise unserer Erzeugnisse steigern. Es ist unbegreiflich, daß viele Gewerkschaftsführer alle diese Zustände, diese Wechselwirkungen nicht erkennen. Sonst hätten sie mit ihren Lohntreibereien nicht fortfahren, sondern sich mit uns gemeinsam gegen die industriellen Preissteigerungen wenden müssen. Wenn sie uns nicht helfen, müssen wir der Landarbeiterschaft die Augen öffnen. ( . . . )

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Streikforderungen im Frühjahr 1921. (April 1921). Der Kommunistische Landarbeiter, 2. Jg. (1921), Nr. 8, S. 57-58.

Wieder Schandtarife. Seit Monaten drohte überall auf dem Lande offen der Kampf zwischen dem Landproletariat und den Junkern zu entbrennen. Seit Monaten bangten die Junker vor einer „Erschütterung der Landwirtschaft" durch neue Streiks; fieberhaft betrieben sie ihre Vorbereitungen zu deren Abwehr. In den Tätigkeitsberichten der verschiedensten landwirtschaftlichen A r beitgeberorganisationen stand zu lesen: „Die Landarbeiter erheben große Forderungen; im Frühjahr wird es Streik geben!" — Und fester als je schlössen die Junker sich zusammen; sie errichteten in Greifswald eine Streikkasse, die für das ganze Reich funktionieren soll: Die Junker zahlen Beiträge, und wenn auf ihren Gütern gestreikt wird, dann wird ihnen von

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der Streikkasse der ganze entstandene Schaden ersetzt. Die Junker glauben dadurch jeden Streik ins Endlose ausdehnen zu können. Sie rüsten aber auch auf andere Weise. Tausende und Abertausende wurden ausgegeben für „Gärtnerlehrlinge", „Schäferburschen" und ähnliches Orgeschgesindel, Waffen bereitgehalten und großes Geschrei erhoben über die „Arbeitsfront der Landwirtschaft" im Reichslandbund. Das Frühjahr kam und allerorten liefen die Tarifverträge ab. „Die Landarbeiter erheben Forderungen!" war der Alarmruf der Junker. Gewiß! Die Landarbeiter, von jeher der duldsamste Teil des Proletariats, stellen Forderungen. Sie sind auf Jahresfrist an Schandtarife gefesselt, die ihnen völlig unzulängliche Bargeldmittel und oft auch ein ungenügendes Deputat festsetzen. Immer noch wird den Frauen für gleichwertige Arbeit ein viel niedrigerer Lohn gezahlt: ein Grund für die Junker, weibliche statt männliche Arbeitskräfte einzustellen. Auch in diesem Jahr werden, obwohl heute Tausende von deutschen Landarbeitern erwerbslos sind, wieder Hunderttausende ausländischer, besonders polnischer Wanderarbeiter herbeigeholt. Immer weiter gehen heute die Junker dazu über, aus Aeckern Weide- und Brachland zu machen oder schlechtes Ackerland an Kleinpächter abzugeben. Eine solche Verschlechterung und Verkleinerung der Betriebsführung ist nicht nur ein unersetzlicher Schaden für die Ernährung des industriellen Proletariats, sondern hat ohne weiteres zur Folge, daß Landarbeiterfamilien gekündigt wird zu einer Zeit, wo schon 1 Million Proletarier in Deutschland arbeitslos sind! Alle diese und andere elende Mißstände schufen eine wachsende Erbitterung im Landproletariat. Das Junkertum aber dachte nicht daran, auch nur die bescheidenste Forderung zu erfüllen. Statt dessen rüstete es zum Kampf. Es war in dieser Situation die Pflicht der Leitung des Deutschen Landarbeiterverbandes, seinerseits zu rüsten, den machtvollen Verband zu einer schlagfertigen Organisation zusammenzuschweißen, den 17 000 Junkern zu zeigen, daß die 5 Millionen deutschen Landarbeiter noch allemal mit ihnen fertig werden, wenn sie nur es wollen. Sehen wir zu, ob die Verbandsführer den Verbandsmitgliedern, dem Landproletariat gegenüber ihre Pflicht getan haben! In Pommern haben die Landarbeiter seihon seit langem im wesentlichen ohne Tarife dagestanden. Die Landarbeiter erkennen hier die Arbeitnehmergruppe des Landbundes nicht als eine Landarbeiterorganisation an, weil sie mit dem Gelde der Junker ausgehalten wird und keinen anderen Zweck hat, als den Junkerinteressen zu dienen. Sehr stark ist diese Gruppe nicht. In ganz Deutschland hat das Junkertum trotz jahrelanger Anstrengungen und ungeheurer Geldaufwendung noch nicht 50 000 Landarbeiter einzufangen vermocht! Es war Sache des D. L. V. mit diesem gelben Verband endlich aufzuräumen. Selbst hierin aber hat die Leitung

65 versagt. Da, wo nur Kampf die Losung sein konnte, wagte der „Landarbeiter", das Organ des D. L. V., zu schreiben: „Wir haben versucht, eine Brücke zu bauen und uns gesagt, es soll uns nicht der Vorwurf gemacht werden können, daß an unserer Auffassung die Dinge scheitern." Von Anbeginn an also keine Rede von einem Kampfwillen! Die Dinge liegen heute so, daß zur Zeit ein „Schiedsgericht" über den Tarif berät, ein Schiedsgericht aus je einem Vertreter des Reichsarbeitsministeriums, des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des preußischen Landwirtschaftsministeriums. Das Landproletariat kann sich denken, was aus dieser Tarifschmiede herauskommen wird! Der so festgestellte Tarif soll alsdann vom Reichsarbedtsministerium (auf Grund des § 22 der Verordnung vom 28. Dezember 1918) für allgemein verbindlich erklärt werden. Das pommersche Landproletariat hatte dann auch in verschiedenen Teilen Pommerns sehr deutlich mit Streik den glatten Verrat seiner rechtssozialistischen Führer beantwortet. In Schlesien wurde seit September vorigen Jahres bereits verhandelt. Die Tarifverträge liefen am 31. Dezember ab. Die Forderung der Arbeiter waren Verkürzung der Arbeitszeit und Erhöhung der Löhne. Was wurde erreicht? Daß die Barlöhne um ganze 20 Pfennig pro Stunde, für die Erntezeit um weitere 10 Pfennig „erhöht" wurden. Bei 2 900 Arbeitsstunden im Jahre bedeutet dies 580 Mark im Jahr, noch nicht 12 Mark pro Woche! Und dies, obwohl seit Kriegsbeginn die Löhne kaum, 4—5mal höher geworden sind, während alle Bedarfsartikel, Schuhe, Kleider, Holz usw. um das 15—20fache im Preise gestiegen sind! Dies, obwohl heute tatsächlich kein Landarbeiter weiß, wo er Geld zu Kleidung und Schuhwerk, zu Wäsche usw. hernehmen soll! Das, obwohl seit einem Jahre die Getreidepreise, die Kartoffelpreise u. s. w. ums Vielfache gestiegen sind, der Junker also weit höhere Einnahmen hat und noch haben wird als bisher! Aehnlich in Ostpreußen. Eine Verkürzung der Arbeitszeit wurde nicht erreicht; der Schandparagraph über die Frauenarbeit blieb bestehen, desgleichen der Hofgängerparagraph; die Löhne wurden nicht erhöht. Der Tarif läuft nunmehr bis zum 1. April 1922! In Sachsen-Anhalt sind ganz geringe „Teuerungszulagen" erreicht, die aber der wirklichen Teuerung nicht im mindesten entsprechen; im Regierungsbezirk Merseburg hat man den Barlohn um ganze 10 Pfennig pro Stunde erhöht; ferner wird das Kohlendeputat nicht mehr mit 400 Mark, sondern mit 800 Mark berechnet, auch die übrigen Deputatwerte wurden höher angesetzt: als ob den Landarbeitern damit geholfen wäre! Sie bekommen natürlich kein Scheit Holz, kein Pfund Kartoffelland, keinen Getreidehalm mehr als vorher!(...) Was also ist insgesamt erreicht worden? Die Junker haben infolge des verräterischen Verhaltens der Verbandsführer durchweg die Landarbeiter

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miit unzulänglichen „Erhöhungen" abgespeist und im übrigen ihren Säckel gerettet. Und die rechtssozialistischen Führer triumphieren, daß alles im allgemeinen so „friedlich" abgegangen ist! Im „Landarbeiter" (Nr. 7) heißt es: „Diese Tarifverträge lösen gewiß keine volle Befriedigung bei den beteiligten Landarbeitern aus. Immerhin, für eine Zeitspanne ist das Arbeitsverhältnis des Landarbeiters geregelt. Damit ist auch eine Sicherung der Volksernährung verknüpft, die in der heutigen Zeit für unsere gesamte Bevölkerung nicht hoch genug bewertet werden kann." Das ist bewußte Irreführung des Landproletariats! Die Volksernährung ist nicht gerettet! Die kapitalistische Betriebsführung der Junker, der lieber Aecker brachlegt und Landarbeiter entläßt, als daß er Kunstdünger und Maschinen kauft und Löhne zahlt; ist die einzige Ursache dafür, daß die Ernte von 1920 auch noch nicht die Hälfte der Ernte von 1913 betrug! Noch deutlicher heißt es in der rechtssozialistischen „Freien wissenschaftlichen Agrarkorrespondenz": „Um keinen Preis eine Arbeitseinstellung!" Wohl auch nicht um den Preis der völligen Verelendung des Landproletariats, scheint die Meinung jener rechtssozialistischen Wissenschaftler zu sein. Das ist Hochverrat an dem Interesse des ländlichen, ja des gesamten deutschen Proletariats! Was hat das Landproletariat jetzt also zu tun? Es hat ähnliche Forderungen zu stellen, wie sie in Ostpreußen von den streikenden Landarbeitern erhoben worden. Solche Forderungen sind: Verbot der Kündigung von Landarbeitern ohne Zustimmung der Landarbeiterorganisation; Erhöhung der Barlöhne; Erweiterung der Deputate, soweit sie unzureichend sind; Zwangsweise Bebauung allen brachliegenden Landes; Kontrolle der Gutsräte über Bestellung, Aussaat, Ernte und Verkauf der Erzeugnisse. Das sind Forderungen, die nur ein Mindestmaß des Notwendigen ausmachen. Aber erst einmal diese Forderungen gilt es, nicht zu erheben, sondern durchzusetzen! Sie können durchgesetzt werden, wenn der D. L. V. endlich von seinen verräterischen Führern gesäubert und ein wirkliches Kampfinstrument des Landproletariats geworden ist. Es ist die Pflicht eines jeden Landarbeiters, in diesem Sinne zu arbeiten. Und stets mag ihn die Gewißheit leiten, daß ein einiges Landproletariat mit festem Ziel eine unüberwindliche Macht darstellt, gegen die alle Gewaltmittel und Spitzfindigkeiten des Junkertums nicht ankommen können.

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Forderungen der KPD an die Haltung der Landarbeiter gegenüber dem DLV. (September 1921). Der Kommunistische Landarbeiter, 2. Jg. (1921), Nr. 17, S. 130.

Was müssen die Landarbeiter im DLV. durchsetzen? 1. Kein Tarifabschluß ohne Genehmigung der Mitglieder. 2. Verhandlungen mit den U n t e r n e h m e r n n u r u n t e r Hinzuziehung in A r beit stehender Landarbeiter. 3. Kurzfristige Tarifabschlüsse. 4. Keine Ablaufsfrist der Tarife f ü r die Wintermonate. 5. Keine Verschleppung der Forderungen durch die von den B ü r o k r a t e n bisher geübte Taktik monatelanger Verhandlungen. 6. Respektierung des Mehrheitsbeschlusses bei Streikabstimmungen. 7. Sofortige Beseitigung der Verbandsbeamten, die Beschlüsse mißachten. 8. Auszahlung der Streikunterstützung, wenn auf Mehrheitsbeschluß gestreikt wird. 9. Nachzahlung der ausstehenden Streikgelder in allen Fällen, wo trotz Mehrheitsbeschluß solche nicht ausgezahlt w u r d e n . 10. Revision des Statuts, insbesondere Abschaffung des § 22, Abs. 2 des Verbandsstatuts. 11. Wahl aller Funktionäre, auch des Hauptvorstandes, durch die Mitgliedschaften bzw. deren selbstgewählte Vertretungen. 12. Jederzeitige A b b e r u f b a r k e i t der Funktionäre, die den Interessen der Mitglieder entgegenhandeln. 13. Zusammensetzung der Kreis- u n d Gaukonferenzen durch gewählte Delegationen aus den Ortsgruppen. Regelmäßige Kreis- u n d G a u k o n f e renzen. 14. Zurücknahme der Ausschlüsse kommunistischer Kollegen. 15. Einstellung der V e r b a n d s t a k t i k auf den Kampf gegen die Großagrarier. 16. Austritt aus den Arbeitsgemeinschaften. 17. Kampf gegen die Schlichtungsordnung, die das Streikrecht a b w ü r g e n will. 18. Kampf gegen die Streikbrechergarden der Techn. Nothilfe. 19. Sofortige E i n b e r u f u n g einer außerordentlichen G e n e r a l v e r s a m m l u n g zwecks Rechenschaftslegung der Leitung u n d aller F u n k t i o n ä r e des Verbandes über ihr V e r h a l t e n bei den Streik- u n d Lohnbewegungen seit der letzten Generalversammlung. 20. Neuwahl der F u n k t i o n ä r e u n d des Hauptvorstandes.

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24 Forderungen an die Landarbeiter zur Unterstützung Sowjetrußlands. (Dezember 1921). Der Kommunistische Landarbeiter, 2. Jg. (1921), Nr. 21, S. 163. Bist Du Landarbeiter? Hast Du schon dafür gesorgt, daß die SamenSammlungen in Deinem Dorfe f ü r die Hungernden in Sowjet-Rußland durchgeführt werden? Wenn nicht, dann tue es sofort! Bist Du Gemeindevertreter? Hast Du schon in Deinem Ortsparlament einen Antrag gestellt auf Gewährung einer Spende f ü r die Hungernden in Sowjet-Rußland? Wenn nicht, dann tue es sofort! Bist Du Mitglied einer gewerkschaftlichen Ortsverwaltung oder eines Gewerkschaftskartells? Hast du schon einmal in der Ortsverwaltung oder im Gewerkschaftskartell die Notwendigkeit der Unterstützung der Hungernden in Sowjet-Rußland begründet und entsprechende Anträge gestellt? Wenn nicht, dann tue es sofort! Bist du vom Proletariat ins Parlament geschickt? Hast du schon Anträge im Parlament gestellt, die eine Kredithilfe f ü r das hungernde Rußland wollen? Wenn nicht, dann tue es sofort! Proletarier und Vertreter des Proletariats, wenn Ihr nicht bald handelt, verhungern 30 bis 40 Millionen russische Proletarier! Also tut sofort Eure internationale proletarische Pflicht!

25 Einladung von Franz Behrens an den Grafen Praschma zu einer Tagung von Freunden der nichtsozialistischen Landarbeiterbewegung. (Dezember 1921). WAP w Opolu, Gräflich Praschmasches Schloßarchiv, Nr. 1140, Bl. 37, 38. (Druck). Einladung zu einer Tagung von Freunden der nichtsozialistischen Landarbeiterbewegung am Donnerstag, den 8. Dez. 1921 nachmittags 3 Uhr im großen Saal des Reichs-Landbundes in Berlin Dessauer Str. 26 (Nähe Potsdamer und Anhalter Bahnhof) Freie Aussprache

69 Tagesordnung: Die christlich-nationale Landarbeiterbewegung und die Hebung der landwirtschaftlichen Produktion als Voraussetzung des deutschen Wiederaufstiegs 1. Landarbeiterbewegung und Volksgemeinschaft Ministerpräsident a. D. A. Stegerwald (1. Vorsitzender des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und des Deutschen Gewerkschaftsbundes) 2.

Landarbeiterbewegung und Klassenkampf Dr. Th. Brauer (Herausgeber der „Deutschen Arbeit", wissenschaftlicher Mitarbeiter des Generalsekretariats der christlichen Gewerkschaften) 3. Landarbeiterbewegung und Wirtschaftsfrieden Franz Behrens, M. d. R. (1. Vorsitzender des Zentralverbandes der Landarbeiter) Berlin NW 6, den 30. Nov. 1921 Luisenstr. 38 Hiermit erlauben wir uns, Ihnen die Einladung zu einer Tagung zu überreichen, die zur Klärung des Urteils über Wesen und Charakter unserer christlich-nationalen Landarbeiterbewegung dienen soll. Uber unseren Zentral verband der Landarbeiter und die christlich-nationalen Gewerkschaften insgesamt sind in der letzten Zeit so viele falsche und verleumderische Mitteilungen und Urteile verbreitet, daß die landwirtschaftlich interessierte Öffentlichkeit sich über unser geduldiges Schweigen dazu gewundert hat. Wir haben bisher zu diesen Dingen meistens geschwiegen, weil, wenn wir uns in ausgiebigem Maße öffentlich verteidigt hätten, die Sozialdemokratie noch mehr Material f ü r ihre Agitation aus diesen Auseinandersetzungen gezogen hätte. Ohnehin bestreitet sie ihre gegenwärtig besonders heftige Agitation gegen unsere Bewegung zum größten Teil mit dem Material und den Argumenten, die ihr in den öffentlichen Angriffen nichtsozialdemokratischer Kreise auf unsere Bewegung zur Verfügung gestellt werden. Gehen doch diese Angriffe und Verdächtigungen u. a. so weit, daß uns dieselbe internationale Gesinnung und dieselbe klassenkämpferische Einstellung unterschoben wird, wie sie der Sozialdemokratie zu eigen ist. Die gegenwärtige Zeit ist f ü r das deutsche Volk und unsere Landwirtschaft so ernst, daß dieser vergiftende Kampf im nicht-marxistischen Lager beendigt werden muß. Aus der christlich-nationalen Landarbeiter-

70 bewegung m u ß die Einheitsfront aller nichtsozialistischen ländlichen A r beiter erwachsen. Dieser Einheitsfront stehen n u r künstlich geschaffene P h a n t o m e u n d nichtsachliche Dinge im Wege. D a r ü b e r soll unsere Tagung volle Klarheit schaffen. Sie soll der Wahrheit u n d der Einheitsfront des ganzen christlich-nationalen Landvolkes dienen. Wir geben uns der angenehmen Hoffnung hin, daß auch Sie den Besuch der Tagung ermöglichen werden. Hochachtungsvoll Zentralverband der Landarbeiter F r a n z Behrens, 1. Vorsitzender.

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Aufruf der Zentrale der KPD vom Februar 1922 an die Landarbeiter zur Vorbereitung des Lohnkampfes. IML/ZPA, D. F. VII/107. Flugblatt. Abgedruckt in: Dokumente und Materialien, Bd. VII/2, S. 36-41. Landarbeiter! Rüstet zum L o h n k a m p f !

H a r t e Not lastet auf dem arbeitenden Volke. S p r u n g h a f t steigen die Preise f ü r alle Bedarfsartikel. I m m e r größer werden die S u m m e n auf dem Steuerzettel. I m m e r weniger reicht der Lohn aus. Das Allernotwendigste an Kleidung, N a h r u n g u n d täglichen Bedarfsartikeln k a n n nicht m e h r beschafft werden. . Zu den schlechtbezahltesten Arbeitern gehört der Landarbeliter. Wenig Lohn, aber desto m e h r A r b e i t ; schlechte Wohnung, Entrechtung — gilt f ü r die Landarbeiter. Zehn, zwölf und m e h r S t u n d e n beträgt die Arbeitszeit. Schlechter als die Viehställe des H e r r n sind oft die Wohnungen. Der Willkür der J u n k e r , der Gutsbesitzer bist du, Landarbeiter, schutzu n d rechtlos ausgesetzt. Der „Herr" w i r f t die Landarbeiter auf die Straße, w e n n es ihm paßt. Die Gutsräte, die V e r t r e t e r der Landarbeiter sein sollten, h a b e n keinen oder wenig Einfluß. Deine Lage, Landarbeiter, soll noch schlechter werden. Die Steuerlast w i r d i m m e r größer. Das Reich ist bankrott. Über 600 Milliarden betragen seine inneren Schulden; an Wiedergutmachung verlangt die Entente 131 Milliarden Goldmark, das sind mit Zins u n d Zinseszinsen r u n d 6 000 Milliarden P a p i e r m a r k . Wer soll bezahlen?

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Der Reichstag berät eben die neuen Steuern. 105 Milliarden Mark sollen sie einbringen. Der Staat aber braucht allein für das Jahr 1922 über 270 Milliarden Mark. Das Defizit soll durch neue Anleihen, durch neues Papiergeld gedeckt werden. Papiergeld, das sind Schuldscheine des Staates. Wachsende Staatsschulden bedeuten aber: neue Entwertung der deutschen Mark, neue Verteuerung aller Bedarfsgegenstände! Von den neuen Steuern sollen rund 53 Milliarden Mark aus dem Massenverbrauch gewonnen werden, in der Gestalt von Kohlensteuer, Zuckersteuer, Tabaksteuer, Salzsteuer, Umsatzsteuer usw. Am allerhärtesten treffen diese Steuern das arbeitende Volk. Denn der Fabrikant, der Gutsbesitzer schlägt die Steuer auf die Preise. (...) Herr Rathenau versprach, der Staat werde keine Zuschüsse zum Brot mehr bezahlen. Für die Arbeiter in der Stadt bedeutet das doppelten Brotpreis. Das zwingt sie zum Kampf um neue Lohnforderungen. Und wiederum werden die Kapitalisten die Preise der täglichen Bedarfsartikel auch für dich, Landarbeiter, in die Höhe schrauben. Herr Rathenau versprach Verdoppelung, vielleicht Verdreifachung der Steuern. Heute schon geht die Hälfte deines Lohnes drauf für Einkommenund Verbrauchssteuern, Verkehrssteuern und Zölle. Denn im Preise jedes Stiefels, jedes Kleidungsstückes, jedes Hausgerätes, das du kaufst, zahlst du diese Steuern mit! Die Erhöhung der Steuern wird dich, Landarbeiter, vollends, ganz auffressen! Herr Rathenau versprach, die deutsche Regierung werde alle Zuschüsse zu den Staatsbetrieben einstellen. Und schon sind bei Post und Eisenbahn die Tarife in die Höhe geschnellt. Du zahlst sie nicht bloß in der Eisenbahnfahrt, im Briefporto, sondern wiederum im Preise aller Waren, die Post und Eisenbahn befördern. Für die Staatsarbeiter und Beamten aber bedeutet der neue Kurs zugleich: Entlassung von Zehntausenden, Verlängerung der Arbeitszeit für die im Dienst Verbliebenen. Die Gemeinden folgen dem Beispiel des Staates. Die Not also war es, die vor kurzem die Eisenbahner und die städtischen Beamten in den Streik zwang. Sie wurden geschlagen. Den Beamten nahm man das Streikrecht. Die staatlichen und städtischen Arbeiter wurden zu Zehntausenden gemaßregelt. Bei der Eisenbahn allein beträgt diese Zahl 50 000. Diese der Not, dem Elend preisgegebenen Eisenbahner werden die Junker, die Gutsbesitzer teilweise zu Lohndrückern, bei Landarbeiterkämpfen zu Streikbrechern heranzuziehen suchen. Auch daraus siehst du, Landarbeiter, welche Gefahren der neue Kurs der Regierung für dich birgt. Wie steht es mit deinem Streikrecht, Landarbeiter? „Die Landwirtschaft ist ein lebenswichtiger Betrieb", sagt die Regierung

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und sie schickt Sipo* gegen streikende Landarbeiter, zerrt euch vor Gericht, verurteilt euch wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit". Eure Junker aber dürfen ungestraft das Brot verteuern, dürfen ungestraft Felder brachlegen und in Weide verwandeln, dürfen ungestraft auf gutem Weizenboden Kiefernschonungen anlegen, dürfen ungestraft mißliebige Arbeiter samt Weib und Kindern aus der Wohnung jagen, Löhne zahlen zum Erbarmen, eure Betriebsräte und Vertrauensleute maßregeln, eure Rechte mit Füßen treten. Eine Regierung für die Reichen haben wir, aber keine für die Armen. Was haben die Herren Gutsbesitzer und Fabrikanten bis jetzt getan, um die Not ihres „Vaterlandes" zu lindern? Vom „Reichsnotopfer"** haben sie sich gedrückt oder es in minderwertigen „Kriegsanleihen" bezahlt. Die bisherigen Vermögenssteuern haben so gut wie nichts eingebracht, viele Kapitalisten haben ihr Kapital ins Ausland geschmuggelt, so daß allein in der kleinen Schweiz heute 60 Milliarden deutsches Geld liegen. Und dabei haben diese Herrschaften reichlich verdient. Nicht nur Maschinen und Industrieprodukte, sogar Getreide, Fett, Eier, Fleisch Haben sie ins Ausland verkauft und große Geschäfte dabei gemacht. Wucherpreise haben sie in ihrem eigenen Vaterlande abverlangt. So sind die Preise für Kohlen und Eisen um das 45fache, die Preise für Getreide, Fleisch und Kartoffeln um das 40 fache durchschnittlich gestiegen. Und nun vergleicht damit eure Löhne! Vergleicht damit eure Steuerleistungen! Euch saugt man aus bis aufs Blut. Die Finanzämter schicken den Landarbeitern Steuerzettel noch für das Jahr 1920 mit Steuern von 500 bis 1 000 Mark. Die Regierung der Niederknüppelung der Eisenbahner, der Brotverteuerung ist auch die Regierung des Steuerraubes am arbeitenden Volke. Landarbeiter! Wollt ihr wehrlos dieser Versklavung preisgegeben sein? Wollt ihr wieder leibeigen werden, wie eure Väter es waren? Wenn nicht, dann tretet mit den Industriearbeitern, mit den Kommunisten in eine einheitliche, geschlossene Kampffront. Fordert an Stelle der Steuern für das arbeitende Volk die Erfassung der Sachwerte, das heißt Uberführung eines namhaften Teiles aller Güter, Forsten, Bergwerke, Fabriken, Banken usw. *

Die Sipo wurde nach Aufforderung der Entente durch einen preußischen Ministerialerlaß vom 4. Oktober 1920 für aufgelöst erklärt. Aus ihr und der früheren Schutzmannschaft wurde die Schupo gebildet. Im täglichen Sprachgebrauch wurden die Bezeichnungen Sipo und Schupo noch längere Zeit gleichzeitig verwendet. ** Eine durch Gesetz vom 31. Dezember 1919 festgelegte einmalige Vermögenssteuer, deren Ertrag jedoch äußerst gering war.

73 in Staatsbesitz. Der Staat soll Mitbesitzer werden an allen Großbetrieben, soll mitsprechen und mitentscheiden bei ihrer Wirtschaftsführung. Aber dieser Staat kann nur der Staat des arbeitenden Volkes sein, der Land- und Industriearbeiter, der Angestellten, unteren Beamten und Kleinbauern. Nur eine Arbeiterregierung wird die Kraft und den Mut haben, den Reichen an ihren geheiligten Geldschrank zu langen und sie zu zwingen, ihre Arbeiter auskömmlich zu entlohnen. Landarbeiter! Euer Feind ist groß und stark! Die Junker sind im Arbeitgeberverband und im Landbund wohl organisiert. Sie haben ein sogenanntes Hilfswerk der deutschen Landwirtschaft* in Gang gebracht, um mit Hilfe vollster Wucherfreiheit die städtischen Arbeiter und Angestellten noch mehr auszusaugen. Zugleich verlangen sie die weitgehende Rücksicht in Steuerfragen, also Schonung des Besitzes zu Lasten der Arbelitenden. Ferner verlangen sie vom Staat „Schutz vor Produktionsstörungen". Was heißt das aber anderes als gesetzliches Streikverbot gegen die Landarbeiter. Die bisherigen Mittel zur Niederknüppelung der Landarbeiter genügen ihnen nicht. Jeder Lohnkampf der Landarbeiter soll als Verbrechen betrachtet und bestraft werden. Aber schenken werden euch die Junker trotzdem nicht, was ihr zum Leben braucht. Freiwillig wird die bürgerlich-sozialdemokratische Regierung euch nicht zu eurem Recht verhelfen. Also müßt ihr kämpfen, wollt ihr nicht zugrunde gehen! Der Deutsche Landarbeiterverband hat euch bisher im Stich gelassen. Die Tarife, die er abschloß, sind schlechter als die alten. Sein Vorsitzender, Georg Schmidt, bringt es fertig, Arm in Arm mit dem Zentral verband der Landarbeiter und den Arbeitnehmergruppen des Landbundes** sich für das „Hilfswerk" der Junker einzusetzen. Das heißt also: Er ist für Wucher- und Steuerfreiheit der Großen, für Raub des Streikrechts und für Steuerlast der Kleinen. Die Sozialdemokratie, auf die ihr im November 1918 und Anfang 1919 so große Hoffnungen setzt, hat euch wieder und wieder verraten. Der sozialdemokratische Minister für Landwirtschaft, Braun, hat während seiner Amtszeit mitgeholfen, den Arbeitgeberverband zu organisieren. Sozialdemokratische Regierungsbeamte haben Sipo gegen euch geschickt, haben zugelassen, daß die Junker bewaffnete Schutzgarden und Streikbrecher gegen euch losließen. *

Ein vom Reichsausschuß der Deutschen Landwirtschaft, einer Vereinigung von reaktionären Bauernverbänden und Genossenschaften, am 15. Dezember 1921 beschlossener Plan, der die Intensivierung der Landwirtschaft zur Steigerung der Produktion vorsah und von der Regierung Maßnahmen (Steuervergünstigung, Streikverbot) im Interesse des Großgrundbesitzes forderte. ** Gemeint ist der Reichslandarbeiterbund.

11 Ostelb. Landarbeiter III

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Viele von euch sind deshalb enttäuscht, viele verlassen den Verband, wollen nichts von einer Gewerkschaft, nichts von einer Partei wissen. Manche sind sogar in den christlichen Zentralverband, ja selbst in den Landbund eingetreten. Sie vertauschten also den Teufel mit seiner Großmutter. Zersplitterung ist in euren Reihen eingetreten. Landarbeiter! So kommt ihr nicht ans Ziel! Nur wenn ihr einig und geschlossen seid, könnt ihr kämpfen und siegen. Was sind die nächsten Ziele eures Kampfes? Ein Tarif muß errungen werden, der eindeutig und klar ausspricht, was der Gutsbesitzer dem Landarbeiter schuldet: ausreichenden Barlohn, ausreichendes Deputat, keine Ausbeutung der Kinder, gleichen Lohn für Mann und Frau, Jahresarbeitszedt von nicht mehr als 2 400 Stunden, gesunde Wohnungen mit langfristiger Kündigung, freie Verfügung über die Wohnung. Ein solcher Tarif kann nicht durch Verhandlungen, sondern nur im energischen Lohnkampf errungen werden. Landarbeiter, rüstet für diesen Lohnkampf! Rüsten, das bedeutet nicht, einen neuen Verband gründen! Rüsten bedeutet: alle Landarbeiter an jedem Ort ohne Unterschied der politischen oder wirtschaftlichen Organisation zusammenzufassen zu gemeinsamen Besprechungen eurer Lage. Bildet Ortsausschüsse der Landarbeiterschaft! Die Ausschüsse der einzelnen Güter und Dörfer müssen miteinander in Verbindung treten. Wählt Vertrauensleute, die zu Kreis-, Provinz- und Landeskonferenzen zusammentreten I So werdet ihr in der entscheidenden Stunde eine Macht sein. So werdet ihr einig raten und einig taten können. So werdet ihr den Kampf nicht nur güter- und kreisweise führen, sondern geschlossen über das ganze Land. So werdet ihr auch eine Leitung haben, die ihr selbst einsetzt und die euch jederzeit verantwortlich ist. In Holstein, in Mecklenburg, in Pommern, in Ostpreußen, in Mitteldeutschland haben schon einige solcher Kreiskonferenzen stattgefunden, sie haben einen neuen Tarifvertrag durchberaten und Ausschüsse zur Führung der Lohnbewegung gewählt. Folgt überall diesem Beispiel! Landarbeiter, die Kommunistische Partei wird euch in diesem Kampfe mit Rat und Tat unterstützen! Sie ist die einzige Partei, die beim Streik der Eisenbahner und städtischen Arbeiter bedingungslos für die Kämpfenden eintrat. Auf der Fahne der Kommunistischen Partei steht geschrieben: Solidarität, das heißt gegenseitige Hilfe der Land- und Industriearbeiter! Landarbeiter! Es gilt zu kämpfen für den Ausweg aus der Hörigkeit, aus der Unterdrückung, für ein menschenwürdiges Dasein! Darum:

75 Rüstet zum gemeinsamen Lohnkampf! Bildet eine geschlossene Einheitsfront ! Es lebe der Kampf der verbündeten Land- und Industriearbeiter! Kommunistische Partei Deutschlands (Sektion der 3. Internationale) Zentrale, Abteilung Land

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Aus dem Bericht des Verbandsvorstandes des DLV über die Verbandsarbeit in den Jahren 1920 bis 1922. Schriften des DLV, Nr. 16, Berlin 1926, S. 1 4 - 2 3 .

Lohn- und Tarifbewegungen. In der verflossenen Geschäftsperiode ist es trotz aller Gegenströmungen gelungen, den Tarifvertrag in der Land- und Forstwirtschaft immer mehr zur Einführung zu bringen und zu festigen. In der vorrevolutionären Zeit gab es in der Land- und Forstwirtschaft keinen Tarifvertrag. Bis etwa 1921 konnten wir auch feststellen, daß der Reallohn der land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter gestiegen ist, also eine tatsächliche Lohnsteigerung erfolgte. Nachher ist dies nicht überall gelungen, weil bei der fortschreitenden Geldentwertung fast allenthalben die Lohnhöhe zurückblieb. Aber auch die Mitglieder sind zu einem erheblichen Teil selbst daran schuld, daß ein Rückgang eintrat, weil sie wieder in ihre alte Schlafmützigkeit fielen. Das gilt ganz besonders für diejenigen, die ihren Mund recht vollnahmen und den sattsam bekannten Ausspruch papageienhaft immer wieder vortrugen, daß die Verbandsleitung nicht genug getan habe. Alle Erfahrungen, die wir in der Praxis machten, lehrten uns, daß Lohnund Tarifbewegungen in der Landwirtschaft einen ganz anderen Charakter haben als solche Handlungen in der Industrie sowie im Handel und Gewerbe. Streikandrohung oder gar ausgebrochene Streiks in der Land- und Forstwirtschaft, ganz besonders in der Landwirtschaft, werden von der Bevölkerung bis in die Kreise der uns Gleichgesinnten hinein ganz anders beurteilt als Streiks in anderen Gewerben. Streiks in der Landwirtschaft werden gewissermaßen als die gefährlichsten für die Volkswirtschaft betrachtet. Wir müssen uns damit abfinden, daß diese Auffassung besteht, wenn wir auch deren Berechtigung im vollen Maße nicht anerkennen können. Beachten müssen wir aber auch die nicht wegzuleugnende Tatsache, daß für einen erheblichen Teil unserer Mitglieder der Eintritt in einen Streik ein viel größeres Risiko bedeutet als für Arbeiter in anderen Berufen. Deputatarbeiter, ganz besonders diejenigen, die Kuhhaltung li»

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haben, sind wohl bereit, in den Streik einzutreten, aber sie wollen streiken unter Garantie, das heißt sie wollen auf derselben Arbeitsstelle verbleiben, auch dann, wenn ein Streik verlorengegangen ist. Wir haben in dieser Beziehung Erfahrungen gemacht, die uns zwingen, mit der Anwendung der Waffe des Streiks vorsichtig zu sein. Mitglieder, die im Streik gestanden haben, sind heute diejenigen, die den Parolen, die von linksstehender Seite ausgegeben werden, Streiks auf jeden Fall, so leicht nicht mehr Folge leisten und erfreulicherweise heute die Besonnensten in unseren Versammlungen. Der Verbandsvorstand hat diese Gefahren beachtet und in der Regel versucht, auf dem Verständigungswege zugunsten der Mitglieder herauszuholen, was herausgeholt werden kann, und sind auf diesem Wege beachtenswerte Erfolge erzielt worden. Die Mitglieder des Deutschen Landarbeiter-Verbandes sind als Gewerkschafter gewissermaßen mit dem Tarif geboren. Fast die gesamte Tätigkeit der Angestellten der Organisation bestand in der Regelung von Lohnund Tariffragen. Die Land- und Forstarbeiter haben leider zu einem erheblichen Teil die Schule nicht durchgemacht, die andere Gewerkschaften durchmachen mußten. Jahrzehntelang gehörten Arbeiter und Arbeiterinnen in anderen Berufen ihrer Gewerkschaft an, ohne daß es zum Abschluß eines Tarifvertrages kam. Unsere Mitglieder verlangten von der Verbandsleitung den Abschluß eines Tarifvertrages. War es nicht überall möglich, schnell diesen Erfolg herbeizuführen, dann ist gar mancher abtrünnig geworden, ohne dabei zu begreifen, daß er damit die Grundlage beseitigt, auf der ein Tarifvertrag gebildet werden kann. Vielleicht verstehen nun auch heute diejenigen, die am lautesten über die Bremser geredet haben, warum wir den Verständigungsweg bis zuletzt beschritten haben. Nachstehend das Ergebnis unserer Bestrebungen zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse, soweit das Jahr 1922 in Betracht kommt. Erst in letzter Zeit war es uns möglich, diese mühevolle Zusammenstellung fertigzustellen, und empfehlen wir dieses Bild aus dem Jahre 1922 der besonderen Beachtung. 1 322 Lohnbewegungen wurden geführt, die sich auf 235 052 Betriebe erstreckten. Davon sind 1 264 Fälle in 229 734 Betrieben ohne Arbeitseinstellung beendet mit 2 435 915 Beschäftigten, und zwar 1 379 340 männlichen und 1 056 575 weiblichen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitern. Bewegungen mit Arbeitseinstellungen sind 58 zu verzeichnen in 5 318 Betrieben mit 35 756 männlichen und 12 016 weiblichen, insgesamt 47 772 Beschäftigten. Fanden diese Bewegungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen statt, so dagegen zur Abwehr von Verschlechterungen ohne Arbeitseinstellungen in 87 Fällen mit 348 Betrieben und 13 783 Beschäftigten (12 428 männlichen und 755 weiblichen), Bewegungen dieser Art mit Arbeitseinstellungen in 8 Fällen, die sich über 14 Betriebe mit 339 Beschäftigten (287 männlichen und 52 weiblichen) erstreckten.

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Die Zahl der an den Bewegungen beteiligten Personen ist erheblich größer als die der in den Betrieben Beschäftigten. Um ein genaues Bild über die Anzahl der Beteiligten zu gewinnen, ist jede an einer Bewegung beteiligte Person gesondert gezählt worden. An allen Bewegungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen haben insgesamt 17 099 077 Personen teilgenommen. Davon entfallen auf die Bewegung ohne Arbeitseinstellung 9 655 380 männliche und 7 396 025 weibliche, insgesamt 17 051 305 Personen; durch Arbeitseinstellung (Streik oder Aussperrung) waren beteiligt an den Bewegungen 35 756 männliche und 12 016 weibliche, zusammen 47 772 Personen, von denen 19 280 Erfolg hatten. An den Bewegungen zur Abwehr von Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen waren beteiligt ohne Arbeitseinstellung 13 183 Personen, und zwar 12 428 männliche und 755 weibliche, mit Arbeitseinstellung dagegen 339 Personen, davon 287 männliche und 52 weibliche. Erfolg hatten 9 100 Beteiligte; an den Bewegungen ohne Arbeitseinstellung 8813, mit Arbeitseinstellung 287. Die Ursache der vielen und umfangreichen Bewegungen ist in den unsicheren und schwankenden wirtschaftlichen Verhältnissen begründet. Von der Gesamtzahl aller Fälle (1 322) sind in 1 248 Lohnerhöhungen von den Beschäftigten gefordert worden, um eine Angleichung der Löhne an die sprunghaft gestiegenen Warenpreise herbeizuführen, und nur in 74 aller Fälle wurde neben Lohnerhöhung noch Arbeitszeitverkürzung gefordert. Die Unternehmer erstrebten in 46 Fällen mit 7 857 Beteiligten Verlängerung der Arbeitszeit und Lohnkürzungen, in 49 Fällen mit 5 665 beteiligten Personen Maßregelungen usw. Durch Vergleichsverhandlungen wurden 1 417 Fälle beendet, und zwar durch direkte Verhandlungen der Parteien 14, zwischen Vertretern der Parteien 1 155 und unter Teilnahme anderer Personen (Schlichtungsausschüsse oder Einigungsämter) 248 Fälle. Für 150 000 Personen wurde durch die Bewegungen eine Arbeitszeitverkürzung von 40 384 Wochenstunden erzielt. Ohne Arbeitseinstellung wurde eine Lohnerhöhung von 3 464 132 980 Mk. pro Woche für 2 435 915 Beteiligte im Verhandlungswege erreicht, und zwar für 1 379 340 männliche Personen 3 037 286 680 Mk. und für 1 056 575 weibliche Personen 422 630 000 Mk., das sind pro Kopf und Woche der männlichen Personen 2 202 Mk. und der weiblichen Personen 400 Mk. Das sind unter Berücksichtigung des Wertes der Mark im Jahre 1922 sehr beachtenswerte Summen. Die Lohnkämpfe, die mit Arbeitseinstellungen durchgeführt wurden, ergaben für die Beteiligten eine Lohnerhöhung von 5 026 960 Mk. wöchentlich oder auf den Kopf der Beteiligten 261 Mk. (!) Der Verhandlungsweg hat sich als der einträglichere erwiesen. Aussperrungen fanden statt in 3 Fällen und 3 Betrieben. Betroffen wurden 105 männliche und 3 weibliche, insgesamt 108 Kollegen, die sei-

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tens der Organisation getroffenen Gegenmaßnahmen hatten für 67 Personen Erfolg. Lohnreduktionen wurden abgewehrt ohne Arbeitseinstellung für 7 268 männliche und 1 545 weibliche Kollegen mit einem finanziellen Ergebnis von 2 452 146 Mk. pro Woche; durch Arbeitsniederlegung verhinderten 152 männliche Kollegen Lohnminderungen in Höhe von 13 956 Mk. Im Verhandlungswege wurden insgesamt 795 Maßregelungen unwirksam gemacht. Die Ubersicht gibt ein klares Bild von der angespannten Tätigkeit des Verbandes und seiner Organe sowie von dem Erfolg der Bemühungen. Unter der Wucht der Markentwertung mußten alle Kräfte der Organisation eingesetzt werden, die Einkommensverhältnisse der Land- und Forstarbeiterkollegen der gesteigerten Lebenshaltung anzupassen. Bei größerer Stärke des Deutschen Landarbeiter-Verbandes wären zweifellos noch bessere Ergebnisse erzielt worden. Beachtenswert ist hierbei, daß in den Gebieten, wo der Barlohn vorherrschend ist, die geringste Steigerung seit 1919 erfolgt ist. Aus dieser Feststellung ergibt sich aber auch, daß allgemein die Erhöhung der Löhne auf die höhere Bewertung der Naturallöhne zurückzuführen ist. Die Unterschiede in den einzelnen Lohngebieten sind aber auch sehr in die Augen springend. Will man aber ein richtiges Bild der Löhne erhalten, dann muß der Lohn nach Stundenlöhnen berechnet werden, und muß dabei auch der Deputatlohn nach seinem tatsächlichen Wert in Mark umgerechnet werden. Diese schwierige Arbeit ist ebenfalls im Bureau des Verbandsvorstandes erledigt worden und ergab folgendes Bild, wobei zu beachten ist, daß es sich dabei nur um Löhne in der Landwirtschaft handelt. Nachschrift: Was zeigt uns diese Tabelle? Erstens zeigt sie uns, daß es gelungen ist, im Jahre 1919 ein gewisses Existenzminimum zu sichern, weil die Organiation im ersten Ansturm einigermaßen gefestigt war. Zweitens, daß mit dem Fortschreiten der Inflation und dem hierdurch verursachten Mitgliederrückgang die Löhne immer weiter abwärtsrutschen und dadurch die Landwirte, die damals ebenso jammerten wie heute, sehr billige Arbeitskräfte hatten. Und die dritte Lehre aus dieser Geschichte ist, daß die Löhne im Juni 1923 in jenen Gebieten am niedrigsten waren, wo der Barlohn den größeren Teil des Gesamtlohnes betrug. Daher ist auch der höhere Lohn in den Deputatgebieten nur ein Trugschluß, weil dies mit einer unterschiedlichen Bewertung des Deputats zusammenhing. Nur dann ist eine Lohnsteigerung eingetreten, wenn die Menge des Deputats erhöht wurde, was in den seltensten Fällen vorkam. Daraus ist ferner der Schluß zu ziehen, daß nur der Barlohn eine ehrliche Entlohnungsform ist.

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Die Arbeitsgemeinschaft. Wir haben uns an der Arbeitsgemeinschaft beteiligt, weil wir die Arbeitsgemeinschaft als ein Mittel ansehen, um die Lohn- und Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft auf dem Verhandlungswege möglichst zweckentsprechend zu regeln. Gegenstände gegen diese Arbeitsgemeinschaft sind nicht aus den Mitgliederkreisen, sondern von außen hereingetragen, und wollen wir nur ein Gebiet herausgreifen, um zu zeigen, von welchen falschen Voraussetzungen ausgegangen wird. Wie bekannt, ist im Winter 1921/22 das sogenannte Hilfswerk der Landwirtschaft lebhaft propagiert worden. Das Ziel dieses Hilfswerkes ist eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Zur Durchführung dieses Planes sind jedenfalls die Arbeitnehmer vor allen Dingen notwendig, und muß auf deren Mitwirkung Wert gelegt werden, weil dieses Hilfswerk, wenn man von allem unnötigen Beiwerk absieht, einen gesunden Kern enthält und zu unterstützen ist. Am 17. Januar 1922 befaßte sich die Zentrale der Arbeitsgemeinschaft zuerst mit diesem Plan, und ist in einem Beschluß gesagt: „Von diesem Willen zur Hilfe ist auch die Reichsarbeitsgemeinschaft land- und forstwirtschaftlicher Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen beseelt. Durch Schaffung und Festigung der Vorbedingungen gesicherter und gerechter Lohn- und Arbeitsbedingungen wird die Reichsarbeitsgemeinschaft die notwendige Grundlage des Arbeitsfriedens und der Arbeitsfreudigkeit für die Produktionssteigerung geben." Am 29. März 1922 fand ebenfalls eine Sitzung der Reichsarbeitsgemeinschaft statt, in der wir uns wiederum mit dem Hilfswerk beschäftigten. In dem in dieser Sitzung gefaßten Beschluß heißt es u. a. nochmals: „Das Hilfswerk der deutschen Landwirtschaft kann nur gelingen, wenn alle in der Landwirtschaft Beschäftigten, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer, im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung ihre Kräfte zur gemeinsamen, nachhaltigen und ersprießlichen Zusammenarbeit vereinigen.« An anderer Stelle heißt es, daß dazu notwendig ist: „Ausbau und sofortige Durchführung des tariflichen Schlichtungswesens für Gesamt- und Einzelstreitigkeiten unter Sicherung unbedingter Anerkennung und Durchführung der von diesen vom Vertrauen der beteiligten Parteien getragenen Stellen gefällten Entscheidungen. Um dies den beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zu ermöglichen, erscheint es jedoch erforderlich, die gesetzgebenden Körperschaften zu bitten, im Reichshaushalt Mittel bereitzustellen, aus denen die Kosten des tariflichen Schlichtungs- und Einigungswesens bestritten werden können." Wenn aus solchen Sätzen gewisse Phrasenhelden im Lande herausgelesen haben, daß wir uns mit Haut und Haaren den Unternehmern verschrieben

81 und das Streikrecht der Landarbeiter preisgegeben hätten, so kann man dagegen nicht ankämpfen. Wir lehnen es ab, uns gegen diese Vorwürfe noch besonders zu verteidigen. Was der Verband vor den Schlichtungsausschüssen leistete. Einen lehrreichen Überblick über die greifbaren Vorteile, die die Organisationszugehörigkeit den Mitgliedern bringt, gibt eine Zusammenstellung über „die Ergebnisse der erledigten Streitfälle vor den Schlichtungsausschüssen im Jahre 1922". Sie beruht auf einer Umfrage, die der Verbandsvorstand bei den Gau- bzw. Kreisleitern gehalten hat. Sie läßt zugleich erkennen den zähen und intensiven Kampf zur Verbesserung der Lohnund Arbeitsverhältnisse der Landarbeiter, der ohne Organisation nicht durchgeführt werden kann. Die harten Tatsachen veranschaulichen dies mit wünschenswerter Klarheit und Eindeutigkeit. Nach den Feststellungen wurden bei den staatlichen und tariflichen Schlichtungsausschüssen im gesamten Verbandsgebiet von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern insgesamt 4 562 Streitfälle anhängig gemacht. Es ist jedoch mit Sicherheit anzunehmen, daß die tatsächliche Anzahl erheblich größer ist und nicht alle erfaßt worden sind. Die prinzipielle Beurteilung der in Frage stehenden Dinge wird dadurch nicht beeinträchtigt. Das erbrachte Material liefert wertvolle Unterlagen, deren Bedeutung c}en Kollegen nachdrücklich ins Gedächtnis gehämmert werden muß. Von den Arbeitgebern wurden bei beiden Kategorien der Schlichtungsausschüsse 323 Fälle zur Entscheidung gebracht, von den Arbeitnehmern dagegen 4 239. Durch Schiedsspruch wurden von allen Streitfällen 2 128, davon zugunsten der Arbeitgeber 558, zugunsten der Arbeitnehmer 1 570 erledigt. Durch Vergleich gelangten zum Abschluß 2 434 Fälle, von denen in 532 die Arbeitgeber Vorteil hatten, die Arbeitnehmer dagegen in 1 902 Fällen. Insgesamt steht also fest, daß die Arbeitgeber die Schlichtungsstellen wenig anrufen, um so mehr jedoch die Arbeitnehmer. In einem krassen Mißverhältnis steht die Anzahl der von den Arbeitgebern anhängig gemachten Streitfälle (323) und der zu ihren Gunsten gefällten Entscheidungen (558). Die Streitobjekte zerfallen in vier Gruppen: 1. Kündigung bzw. Entlassung von Betriebsratsmitgliedern; 2. Kündigung bzw. Entlassung von anderen Arbeitern; 3. Entlohnung: a) Barlohn, b) Deputate; 4. Wohnungsräumung. Zu 1 wurden 302 Fälle zur Entscheidung gebracht. 229 Entlassungen konnten mit Erfolg angefochten werden, gleich 75,83 Prozent. Das verhältnismäßig günstige Ergebnis darf als schlüssiger Beweis d a f ü r angesehen werden, daß die Maßnahmen der Unternehmer gegen die Betriebsratsmitglieder in scharfem Gegensatz stehen zu den geltenden Gesetzen, und die Entscheidungen der Schlichtungsausschüsse sind eine beachtliche

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Rechtsbelehrung und eine Revision des angemaßten Rechts der Unternehmer. In 73 Fällen war dem Klageantrag der Erfolg versagt. Die Zahl der Streitfälle, die wegen ungerechtfertigter Kündigung bzw. Entlassung von den Arbeitern den Schlichtungsausschüssen zur Entscheidung unterbreitet wurden, ist nicht unbeträchtlich; sie betragen 1 364. Von Erfolg begleitet waren 980 Klagen j erfolglos waren 384. Groß war die Anzahl der Lohnstreitfälle. Vor den Schlichtungsausschüssen wurden nicht weniger als 3 593 anhängig gemacht. Um Barlohn handelte es sich in 1 822 Fällen, um Deputatlohn in 1 771 Fällen. Das Klagebegehren hatte in 3 163 Fällen Erfolg. Vor den Amtsgerichten gelangten in gleicher Sache zum Austrag 734 Streitfälle; die Arbeitnehmer waren in 456 Fällen oder 62,13 Prozent klagbar, die Arbeitgeber dagegen in 278 Fällen oder 37,87 Prozent. In 360 Fällen, gleich 46,32 Prozent, lautete das Urteil für die Arbeitnehmer günstig, erfolglos verliefen für sie 212 Klagen oder 26,16 Prozent. In 162 Fällen, das sind 22,07 Prozent, wurde ein Vergleich abgeschlossen. Die Zahl der Lohnstreitfälle betrug insgesamt 4 327. Wegen Wohnungsräumung wurden die Arbeiter in 235 Fällen klagbar, davon mit Erfolg in 150 Fällen oder 63,83 Prozent. Nach der vorliegenden Zusammenstellung wurden 5 273 Streitfälle mit Erfolg durchgefochten. An Barlohn wurden für die Mitglieder herausgeholt 30 129 219 Mark. Der Wert der erstrittenen Deputatmengen beziffert sich - berechnet nach dem Index 1922 - für Getreide auf 14 337 676 Mk., für Kartoffeln auf 7 871 107 Mk., für Milch auf 2 220 Mk., für Feuerung auf 168 232 Mk., für sonstige Deputate auf 13 362 699 Mk., insgesamt auf 65 871 153 Mk. Für 11 006 Mitglieder hatte der Deutsche Landarbeiter-Verband Klage eingereicht. Auf das einzelne klagende Mitglied entfallen demnach im Durchschnitt 5 985 Mk., wobei zu berücksichtigen ist, daß im Jahre 1922 bei einem viel besseren Stande der Mark die Summe eine andere Bedeutung und Wert hatte als gegenwärtig. Diese erheblichen Beträge wären den Landarbeitern entgangen, wenn sie nicht Mitglieder im Deutschen Landarbeiter-Verband gewesen wären. Die Zusammenstellung ist eins von den vielen Schulbeispielen für den Nutzen und das praktische Wirken des Verbandes. Rechtsschutz. Nachstehend unterbreiten wir eine Statistik über die Rechtsschutztätigkeit für das Jahr 1922. Es ist dies zwar nur eine nackte Aufzählung der einzelnen Sachgebiete über die Zahl der Fälle. Für jeden denkenden Kollegen bedarf es keines besonderen Hinweises, daß damit nur beabsichtigt ist, einen Einblick darüber zu geben, was in der Rechtsschutzabteilung geleistet wurde. Unmöglich ist es aber, auf die Einzelheiten der Erledigung einzugehen. Durch die Nachlässigkeit der Kollegen, die oftmals Schrift-

83 stücke unsachgemäß oder überhaupt nicht beantworteten, ist der Rechtsschutzabteilung viel Arbeit verursacht worden. Anstatt vieler überflüssiger Schreiberei sollten sich die Mitglieder angewöhnen, ruhig und sachlich und möglichst kurz zu antworten, denn das ist für die Erledigung der Fälle viel wichtiger als ein langes Schriftstück. Im übrigen empfehlen wir auch die Rechtsschutzstatistik einer gerechten Würdigung. Rechtsschutzstatistik für das Jahr 1922. Im Jahre 1922 sind bei der Rechtsschutzabteälung 2 339 neue Anträge gestellt worden. Zu den schon laufenden Sachen gingen 7 164 Schreiben ein. Insgesamt also 9 503 Eingänge. Ausgänge sind 7 765 zu verzeichnen. Zum Abschluß wurden im Jahre 1922 insgesamt 2 478 Fälle gebracht. Diese gruppieren sich wie folgt: Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis. a) Wegen des von den Arbeitgebern zu fordernden Lohnes wurden diese in 165 Fällen nach dem Klageantrage kostenpflichtig verurteilt. b) Ohne Klage erklärten sich die Arbeitgeber nach schriftlicher Aufforderung seitens der Rechtsschutzabteilung in 55 Fällen zur Zahlung bereit. c) Vergleiche konnten in 291 Fällen geschlossen werden. d) Klageabweisungen der Lohnklagen erfolgten in 185 Fällen. Diese Abweisungen sind vielfach auf nicht ganz richtige Behauptungen der Mitglieder, teils auf Verzichterklärung der Kollegen gegenüber den Arbeitgebern bei der Abrechnung, teils auf Versagen der Zeugen zurückzuführen. e) In 185 Fällen mußte die Klage wegen Aussichtslosigkeit unterbleiben, was den Antragstellern durch Schilderung der Rechtslage klargelegt wurde. f) In 236 Fällen mußten die Rechtsschutzanträge als unerledigt abgelegt werden, weil sich Rückfragen notwendig machten, und diese trotz unserer Mahnung von den Antragstellern unbeantwortet blieben. Klagen der Arbeitgeber gegen Verbandsmitglieder wegen Schadenersatz. a) In 7 Fällen ist die Klage der Arbeitgeber gegen die Mitglieder kostenpflichtig abgewiesen worden. b) Vergleiche sind in 2 Fällen zustande gekommen. c) Verurteilung der Mitglieder erfolgte in 12 Fällen. Räumungsklagen der Arbeitgeber. a) Die Klagen der Arbeitgeber wegen Räumung der Wohnung sind in 23 Fällen kostenpflichtig abgewiesen worden.

84 b) Vergleiche sind in 14 Fällen zustande gekommen. c) In 72 Fällen wurden die Mitglieder zur Räumung verurteilt. Strafsachen. a) In 72 Fällen sind die Mitglieder wegen Landfriedensbruch, Nötigung, Hausfriedensbruch, Beleidigung usw. auf Kosten der Staatskasse freigesprochen worden. b) Eingestellt wurde das Verfahren vom Staatsanwalt in 19 Fällen. c) In 4 Fällen wurden durch Einlegung der Berufung bzw. Revision günstigere Urteile erzielt. d) In 18 Fällen ist den Mitgliedern eine Bewährungsfrist erteilt bzw. die Strafe im Gnadenwege erlassen worden. e) In 71 Fällen hatte weder Berufung, Revision oder Gnadengesuch Erfolg. f) Strafanzeigen gegen Besitzer und deren Vertreter wegen Mißhandlung, tätlicher oder wörtlicher Beleidigung hatten in 6 Fällen Erfolg. g) In 10 Fällen kamen Vergleiche zustande. h) In 14 Fällen sind die Strafanzeigen erfolglos gewesen bzw. das Ergebnis unbekannt geblieben. Streitigkeiten, die aus den Arbeiterschutz- und Arbeiterversicherungsgesetzen entstanden sind. a) In 20 Fällen ist den Mitgliedern eine Rente bewilligt worden. b) Rentenerhöhung infolge Verschlechterung des körperlichen Zustandes wurde in 4 Fällen anerkannt. c) In 6 Fällen ist den Rentenbewilligungsanträgen leider der Erfolg versagt geblieben. d) Streitigkeiten mit Krankenkassen wegen Ablehnung von Zahlungen und Leistungen gegenüber den Mitgliedern hatten in 9 Fällen Erfolg. e) In 8 Fällen mußten die Sachen wegen Nichtbeantwortung von Seiten der Mitglieder als unerledigt abgelegt werden. f) Auskünfte zu den Arbeiterschutz- und Versicherungsgesetzen sind den Mitgliedern in 88 Fällen erteilt worden. Verschiedenes. a) Auskünfte in sonstigen Rechtsfragen haben die Mitglieder in 514 Fällen erhalten. b) Den Kreis- bzw. Gauleitern sind 136 Fälle zur Erledigung übertragen worden. c) Abgelehnt mußten 157 Rechtsschutzanträge werden, weil noch keine sechsmonatige Mitgliedschaft vorlag, und weil es sich um die Durchführung von Privatklagen handelte. d) In 24 Fällen wurden den Mitgliedern die von ihnen gezahlten Gerichts- bzw. Anwaltskosten zurückerstattet, wo vorher Rechtsschutz nicht von ihnen beantragt worden war.

85 e) Beschwerden bei amtlichen Behörden hatten in 6 Fällen Erfolg. f) In 3 Fällen ist denselben der Erfolg versagt geblieben. g) In Steuersachen erhielten die Mitglieder in 20 Fällen ausführliche Auskünfte. h) In 22 Fällen mußten die Sachen zum Teil unerledigt weggelegt werden, weil den Mitgliedern der Rechtsschutz entzogen worden ist bzw. dieselben aus dem Verbände ausgeschieden sind. Kostenpflichtig abgewiesen wurden noch drei Klagen von Arbeitgebern, die den Verband wegen Anstiftung zum Streik zum Schadenersatz verurteilt wissen wollten. Die Betriebsräte. Bei der ungeheuren Arbeit, die in den letzten Jahren geleistet werden mußte, um die Löhne den Zeitverhältnissen anzupassen, blieb leider nicht die nötige Zeit, die von uns gewünschte intensive Arbeit zur Ausgestaltung des Betriebsrätewesens durchzuführen. Was jedoch auf diesem Gebiete geschehen konnte, ist geschehen. In mehreren Gauen wurden besondere Betriebsrätekurse veranstaltet. Die Teilnahme unserer Betriebsräte an den Kursen der Ortsausschüsse des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes brachte(n) leider nicht den gewünschten Erfolg, weil man sich hier mit den Fragen der Land- und Forstwirtschaft sehr wenig beschäftigen kann. Auch die Herausgabe der Broschüre „Die Erfahrungen des Landarbeiters Kleinschmidt mit dem Betriebsrätegesetz" dürfte viel zur Aufklärung und zur Kenntnis des Betriebsrätegesetzes beigetragen haben. Daneben hat es an persönlicher Aufklärung bei Anfragen, die an den Verbandsvorstand gestellt wurden, nicht gefehlt. Bei den Wahlen der Betriebsräte sind in der ersten Zeit sehr oft Fehler gemacht worden. Unsere Kollegen waren zu wenig mit den Bestimmungen des Gesetzes vertraut und ließen manche Vorschrift der Wahlordnung außer acht. Der Widerstand der Arbeitgeber in der Landwirtschaft gegen das Betriebsrätegesetz ist sehr groß. Sie sind der Meinung, daß diese Einrichtung in der Landwirtschaft nicht nötig ist. Beli unseren Kollegen herrscht demgegenüber eine große Unkenntnis, die darauf zurückzuführen ist, daß sie nicht Gelegenheit hatten, ähnlich wie die gewerblichen Arbeiter bei den früheren Arbeiterausschußwahlen, sich die nötigen Kenntnisse anzueignen. Dieser Zustand hat sich jedoch in der letzten Zeit wesentlich gebessert. Die Betriebsrätefrage ist eine Personenfrage. Wenn der richtige Mann auf den richtigen Platz gestellt wird und er die Kollegenschaft hinter sich hat, dann kann vieles zum Vorteil der Arbeiter getan werden. Nur durch die Aneignung des nötigen Wissens kann der Betriebsrat erfolgreich tätig sein. Das Verhältnis zwischen Verband und Betriebsrat ist gut. Es besteht eine enge Fühlung mit den Angestellten des Verbandes, und meistens wird in den Betrieben ohne deren Gutachten nichts unternommen. Die

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Tätigkeit der Betriebsräte erstreckt sich größtenteils auf das Gebiet der Tarif- und Lohnfragen. Eine Mitwirkung in den übrigen Betriebsangelegenheiten in bezug auf bessere Ausgestaltung der betriebstechnischen Einrichtung ist leider nur in verschwindendem Maße vorhanden. Es sind aber auch hier erfreuliche Anzeichen auf eine Besserung, insbesondere in den staatlichen Forstbetrieben, bemerkbar. Diese Tatsache ist um so erfreulicher, als diese Arbeit fast immer erst unter Beseitigung des Widerstandes der Arbeitgeber geleistet werden kann. ( . . . )

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Entschließung der streikenden Landarbeiter des Kreises Ohlau. (13. Juni 1923). ZStA Merseburg, Bep. 87 B, Nr. 290, Bl. 175 (Abschrift, Durchschlag). Der Regierungspräsident

Breslau, den 15. Juni 1923

An den Herrn Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Berlin Entschließung „Die heutige Streikversammlung der Landarbeiter des Kreises Ohlau erneuert ihren Beschluß, den Streik bis zur Erfüllung ihrer gerechten Forderungen durchzuführen. Sie ersieht in der Anwesenheit der Sicherheitspolizei eine Beschränkung ihres Streikrechts und fordert sofortige Entfernung. Ferner wird das sofortige Zurückziehen der Technischen Nothilfe gefordert; für deren Einsetzen keinerlei Ursache vorliegt, da die Streikenden gewillt sind, die Notstandsarbeiten wie bisher zu verrichten. Die Arbeitgeber werden gewarnt, den Streikenden die zustehenden Deputate vorzuenthalten. Alle sich daraus ergebenden Folgen fallen den Arbeitgebern zur Last. Von den Behörden wird verlangt, durch keinerlei Maßnahmen die Sache der Streikenden zu schädigen. Die Ohlauer Industriearbeiterschaft steht geschlossen zu den Forderungen der Streikenden und ist bereit, für deren Durchführung mit allen Mitteln einzutreten. Sie verpflichtet sich, jederzeit dafür bereit zu stehen. Sie nimmt mit Entrüstung Kenntnis von den Äußerungen vieler Arbeitgeber, lieber die Ernte verfaulen zu lassen, ( . . . ) als den Forderungen der Landarbeiter entgegenzukommen. Das gesamte Land- und Industrieproletariat wird Mittel und Wege finden, um diese Drohungen zu verhindern und ihrer gerechten Sache zum Siege zu verhelfen." Ohlau, den 13. Juni 1923 Deutscher Landarbeiterverband

ADGB-Ortsausschuß Ohlau

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Aufruf des Landrats des Kreises Neumarkt zu Ruhe und Besonnenheit während des Landarbeiterstreiks. (14. Juni 1923). Sonderausgabe zum Neumarkter Kreisblatt, 15. Juni 1923. ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 290, Bl. 263. Bekanntmachung!

Dank der besonnenen Haltung der Beteiligten ist der auch im Kreise Neumarkt ausgebrochene Landarbeiterstreik bisher im wesentlichen ruhig verlaufen. Auch die gestrigen Zwischenfälle in der Stadt Neumarkt haben ernstere Folgen nicht gehabt, da der plötzlich in Erscheinung getretene Selbstschutz wieder zurückgezogen worden ist. Indem ich daher mit Befriedigung feststellte, daß ein unmittelbarer Anlaß zur Beunruhigung nicht mehr vorliegt, richte ich an alle Beteiligten die dringende Bitte, den von ihnen geführten wirtschaftlichen Kampf auch weiterhin nur in den anerkannten Formen eines solchen und dem Geiste gegenseitiger Achtung auszutragen. Zur weiteren Beruhigung wird es wesentlich beitragen, wenn Gerüchte über beabsichtigte Plünderungen, kommunistische Stoßtrupps und dergleichen nur mit allergrößter Vorsicht aufgenommen und nicht ungeprüft weitergegeben werden, da sich derartige Mitteilungen bisher in vielen Fällen als völlig aus der Luft gegriffen erwiesen haben. Sämtliche mir unterstellten Behörden und Beamten haben dem Streik als solchem gegenüber strengste Neutralität und Zurückhaltung zu bewahren. Die Voraussetzungen zum Einschreiten sind nur dann gegeben, wenn von irgendeiner Seite strafbare Handlungen drohen (...). Ich darf jedoch, nachdem mir von den führenden Persönlichkeiten ausdrücklich erklärt worden ist, daß derartige Handlungen weder gebilligt noch geduldet werden würden, die Hoffnung und die bestimmte Erwartung aussprechen, daß niemand begründeten Anlaß hierzu geben wird. Falls dieser Mahnung wider Erwarten von einzelnen Personen keine Folge geleistet werden sollte, mache ich den Ortspolizeibehörden und Landjägereinheiten ein schleuniges und festes Zugreifen zur besonderen Pflicht. Auch etwaige Bitten um gütliche Vermittlung in einzelnen Fragen ist gegebenenfalls ebenso bereitwillig wie unparteiisch nachzukommen. Selbstverständlich bin ich auch persönlich jederzeit gern bereit, meine Hand zu vermittelnder Tätigkeit zu bieten. Im übrigen spreche ich, geleitet von der Uberzeugung, daß in einer Zeit größter äußerer und innerer Not ein friedliches Zusammenstehen aller Volksgenossen im Geiste gegenseitigen verständnisvollen Entgegenkommens oberstes Gebot ist, die dringende und ernste Bitte aus, auch im Rahmen des reinen Wirtschaftskampfes alles zu vermeiden, was die Lage zu verschärfen und die sich anbahnende Verständigung zu gefährden ge-

88 eignet sein könnte. Wie auf der einen Seite die Notstandsarbeiten bisher in vollem U m f a n g e geleistet worden sind, so darf auch e r w a r t e t werden, d a ß auf der anderen Seite nicht durch Verweigerung der Hergabe von Milch f ü r Familien m i t K i n d e r n u n d ähnliche h a r t e M a ß n a h m e n ein Notstand h e r v o r g e r u f e n wird. N u r so k a n n der G e f a h r des Verlustes unersetzlicher W e r t e vorgebeugt u n d einer hoffentlich baldigen befriedigenden Regelung der Weg geebnet werden. Daß alle Beteiligten in dem Bewußtsein des außerordentlichen Ernstes der allgemeinen und besonderen Lage in diesem Sinne handeln und auch auf die sie v e r t r e t e n d e n Stellen einwirken möchten, ist der warmherzige Wunsch, dem ich als verantwortlicher Leiter unseres bisher so friedlichen u n d geordneten Kreises N e u m a r k t im persönlichen Interesse aller Beteiligten u n d der bedrohten Volksgesamtheit in dieser S t u n d e besonderen Ausdruck verleihe. N e u m a r k t , den 14. J u n i 1923 Dr. H ü t t e n h e i n Landrat

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Bericht des DLV-Vorstandes über den Stand des Landarbeiterstreiks in Schlesien. (14. J u n i 1923). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 290, Bl. 162-163 (Abzug).

DLV Berlin, Verbandsvorstand

Berlin, den 14. J u n i 1923

An das Ministerium f ü r Landwirtschaft, Domänen u n d Forsten

Berlin

Bericht über den Stand des Landarbeiterstreiks in der Provinz Schlesien Der Unterzeichnete w a r gestern Abend in Breslau, wo sämtliche Angestellte des D. L. V. zu einer Konferenz zusammen waren. Nachstehend ein k u r z gefaßter Bericht. Ursachen des Streiks: Das Ergebnis, das in schwierigen V e r h a n d l u n g e n Ende Mai erzielt w u r d e , befriedigte die Mitglieder nicht. Es gelang, in einzelnen Kreisen d a r ü b e r hinaus Zugeständnisse zu erzielen. Diese Zugeständnisse e r k a n n t e Zentrale des Arbeitgeberverbandes in Schlesien nicht an. ( . . . ) Die weiteren tariflichen Abmachungen sollten beschleunigt d u r c h g e f ü h r t werden. Diesen Schiedsspruch e r k a n n t e n A r b e i t n e h m e r an, jedoch h a b e n Arbeitgebervertreter ( . . . ) erklärt, daß sie nicht m e h r in der Lage seien, sich einem Spruch zu u n t e r w e r f e n . ( . . . ) Es k a m zu wilden

89 Streiks und zu formalem Tarifbruch. Leitung des D. L. V. hat die Führung übernommen. (...) Stand, der Lohnverhältnisse: (...) Die Arbeiterschaft leidet unter zu geringem Barlohn und (es) ist zu bemerken, daß das Deputat in Schlesien niedrig und sich gleichgeblieben ist von März 1922 bis Mai 1923. Ausdehnung des Streiks: Es streiken im Regierungsbezirk Breslau nach unseren Feststellungen 54 625, im Regierungsbezirk Liegnitz 35 788, zusammen rund 90 000. Zu Breslau sind auch die Streiks in Oberschlesien zugerechnet. (...) Obwohl ein erheblicher Teil der Streikenden schon in der dritten Woche im Streik steht und D. L. V. nicht in der Lage ist, Streikunterstützung zu zahlen, was vor Eintritt des Streiks ausdrücklich erklärt wurde, ist eine Abbröckelung des Streiks in nennenswertem Maße nicht eingetreten. (...) In den Großbetrieben ruht die Arbeit (...) Notstandsarbeiten: Die Notstandsarbeiten (...) werden von den Verbandsmitgliedern verrichtet. Setzt aber die technische Nothilfe ein oder gelingt es, Streikbrecher in die Betriebe zu bekommen, dann wird in der Regel die Verrichtung der Notstandsarbeiten eingestellt. Es wurde in der gestrigen Konferenz empfohlen, den verschärften Streik zu erklären, d. h. die Notstandsarbeiten nicht mehr zu verrichten. Verbandsleitung ist dieser Forderung entgegengetreten (...). Sollte bei der Hartnäckigkeit der Arbeitgeber sich aber die Situation verschärfen, dann kann nicht mehr verbürgt werden, daß Mitglieder dieser Parole folgen. Bis jetzt ist der Streik vollkommen in der Hand der Verbandsleitung. Einzelne Streitfälle sind vorgekommen. (. ..) Das Verhalten der Polizei in einzelnen Bezirken spielt dabei auch eine Rolle. Das Verhalten der Arbeitgeber. (...) Schlesien ist ein Gebiet, bei welchem wir schon seit langem damit gerechnet haben, daß es hier zu einem großen Streik kommt. Es ist dies der größte organisierte Streik, der in der deutschen Landwirtschaft jemals geführt wurde und von gewerkschaftlichem Standpunkt aus betrachtet ist bis jetzt eine mustergültige Haltung der Landarbeiter festzustellen. (...) Die Mitglieder erwarten, daß Verbandsleitung hinter ihnen steht und dies ist auch der Fall. (.. .) Von unseren Vertretern wurde uns versichert, daß erhebliche Teile der Arbeitgeber beredt sind, Zugeständnisse zu machen (...). Verhalten des christlich-nationalen, in Wirklichkeit deutsch-nationalen Zentralverbandes der Landarbeiter. Dieser VerbandQ der nach unserer Schätzung in Schlesien vielleicht 8 000 Mitglieder hat, übt Verrat. Er hat mit Arbeitgebern eine Ergänzung zum Tarifvertrag abgeschlossen, der Erhöhungen bringt, die nicht ausreichen. (...) Wir betrachten diese (...) Tat des Zentralverbandes als ein Manöver, um neuen Zwiespalt in die geschlossene Front der Landarbeiter zu tragen. 12 Ostelb. Landarbeiter III

90 Tätigkeit der Kommunisten. Die Kommunisten versuchen natürlich auch beim Landarbeiterstreik Führung zu gewinnen. Bis jetzt sind sie bei den Landarbeitern abgefallen, obwohl die Gefahr in Schlesien im Hinblick auf Streiks in Schlesien und im Waldenburger Revier nicht zu unterschätzen ist. Sollten die Arbeitgeber hartnäckig bleiben und der Streik sich in die kommende Woche hinziehen, dann dürften die kommunistischen Einwirkungen bei den Landarbeitern vielleicht auch mehr von Erfolg begleitet sein. Mitwirkung der Ortsausschüsse. Die Arbeiterschaft in der Industrie fühlt sich solidarisch mit den Landarbeitern und versprach moralische und finanzielle Unterstützung für Notfälle. In diesen Tagen werden Vertreter der industriellen Gewerkschaften bei den Behörden vorstellig werden und auf den Ernst der Lage hinweisen, daß sie nicht wollen, daß Landarbeiter, die einen Kampf um ihre Existenz führen, unterliegen. Damit ist natürlich Verbandsleitung einverstanden. Schluß. Verbandsleitung ist natürlich zu Verhandlungen jederzeit bereit und erwartet, daß durch Mitwirkung der Behörden dies erzielt wird. Erwünscht ist Abschluß der Streiks am Verhandlungstisch, damit möglichst Schiedssprüche vermieden werden. Verbandsleitung kann aber, gewitzigt durch Erfahrungen, das Verlangen der Arbeitgeber nicht erfüllen, erst den Streik bedingungslos abzubrechen (...). Auf eine einfache Parole, den Streik abzubrechen, ist bei der Stimmung der Arbeiterschaft kein Erfolg zu erwarten. Bei einem Im-Sande-Verlaufen des Streiks ist keine Ruhe für die kommenden Erntewochen zu erwarten. Der Verbandsvorstand I. A. Georg Schmidt

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Aufstellung über den Einsatz der Technischen Nothilfe während des Landarbeiterstreiks in Schlesien im Juni 1923. (27. September 1923). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 279, Bl. 131-132 (Abschrift).

Der Regierungspräsident Breslau, den 27. September 1923 An den Herrn Minister für Handel und Gewerbe in Berlin Betrifft: Einsatz der Technischen Nothilfe während des Landarbeiterstreiks. Erlaß vom 1. August 1923. Während des Landarbeiterstreiks ist die Technische Nothilfe in folgenden Fallen eingesetzt worden:

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a) im Kreis Breslau-Land 1. auf dem Rittergut Neukirch zum Mähen von Wiesen, deren Gras überreif war und zu faulen begann, 2. auf dem Rittergut Wirrwitz zum Vereinzeln und Behacken von Rüben b) im Kreis Brieg auf den Rittergütern Fröbeln, Groß-Jenkwitz, Johnsdorf und Schwanowitz zum Bearbeiten und Einbringen des seit Wochen lagernden Heues und zur Bearbeitung einiger Rüben- und Kartoffelfelder. c) im Kreise Ohlau 1. auf dem Rittergut Deutsch-Steine zum Auslesen und Abkeimen von Kartoffeln und zum Bearbeiten und Einernten von Heu. 2. auf dem Rittergut Jätzdorf zum Bearbeiten und Einernten von Klee unjl Heu, 3. auf dem Rittergut Laskowitz zum Bearbeiten und Einbringen von Heu, 4. auf dem Freigut Rosenhe(a)in zum Viehfüttern. d) im Landkreise Schweidnitz auf dem Dominium Wernersdorf zu täglichen Arbeiten, weil die Dominialarbeiter auch die Notstandsarbeiten verweigerten. e) im Kreise Steinau 1. auf dem Dominium Großendorf zum Pferdepflegen, zur Heuernte und zum Kartoffelbehäufeln, 2. auf dem Dominium Lampersdorf zum Viehfüttern, 3. auf dem Dominium Porschwitz zum Rübenverziehen und zum Kartoffelbehäufeln, 4. auf dem Dominium Urschkau zum Viehfüttern. f) im Kreise Trebnitz 1. auf dem Dominium Pristelwitz zum Futtereinholen und zum Rüben verziehen, 2. auf dem Dominium Obernigk zur Viehpflege, zur Bearbeitung von Rüben und Heu, 3. auf dem Dominium Lossen zum Einholen von Futter, g) im Kreise Waldenburg auf der Schweizerei Idahof in Ober-Sal(z)brunn zur Bearbeitung von Rüben, h) im Kreise Wohlau auf dem Dominium Piskorsine zu täglichen Arbeiten. I.V. gez. Wagner.

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32 Aus dem politischen Rundschreiben des Direktoriums der KPD vom 8. Januar 1924 zur Lage und zu den Aufgaben der Partei. IML/ZPA, 3/1/1078. Abgedruckt in: Dokumente und Materialien, Bd. VIII, S. 15. Kampf der Landarbeiter und Kleinbauern um ihre Existenz Die Lage auf dem Dorfe ist f ü r die Partei so günstig wie noch nie. Die Kleinbauern werden durch Steuerdruck, Pachtwucher, hohe Industriepreise, Bargeldknappheit und fallende Kornpreise in neue Schuldknechtschaft getrieben. Gegen die Landarbeiter wirkt sich die Kapitaloffensive in besonders brutalen Formen aus. Der Bodenhunger und die allgemeine Erbitterung unter Kleinbauern und Landarbeitern wächst infolgedessen rasch. In den großen Landarbeitergebieten wird im Frühjahr zweifellos der Widerstand der Landarbeiter erstarken und zu spontanen Kämpfen f ü h ren. Die Partei muß sofort vorbereitende Schritte unternehmen, damit diese Kämpfe nicht lokal, zersplittert und daher erfolglos verlaufen. Gewerkschaftsressort und Landesressort müssen die zu ergreifenden Maßnahmen sorgfältig durchsprechen und die Kampagne nach den von der Zentrale, Abt. Land, herausgegebenen gedruckten Richtlinien organisieren. Ein Normal-Tarifentwurf wird demnächst verschickt werden. Das monatlich zweimal erscheinende Organ der Land- und Waldarbeiter, die „Freie Landpost", empfehlen wir zur Information und zur Verbreitung. In den kleinbäuerlichen Gebieten ist das Schwergewicht unserer Wirksamkeit in die gegenwärtig spontan entstehenden bzw. sich überraschend schnell ausbreitenden selbständigen Organisationen der schaffenden Landwirte, Siedler und Pächter zu verlegen, um dort den noch bestehenden Einfluß der Demokraten, Sozialdemokraten, des Zentrums, der Bodenreformer und Nur-Siedler zu brechen. Das kann geschehen durch ernste praktische Mitarbeit in diesen Organisationen und rücksichtsloses Eintreten f ü r die Forderungen der kleinen Bauern, Pächter und Siedler. Insbesondere müssen unsere Parlaments-, Provinziiallandtags-, Kreistagsund Gemeindefraktionen f ü r die Interessen der kleinen Landwirte energisch eintreten. In jeder Fraktion ist mindestens ein Genosse verantwortlich mit dieser Aufgabe zu betrauen. Material zur Agrarkrise und Bauernbewegung ist in den Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft (der) schaffenden Landwirte, Pächter und Siedler enthalten, die dem Internationalen Bauernrat angeschlossen ist. Die Bewegung der kleinen Bauern ist f ü r die proletarische Revolution in Deutschland von außerordentlicher Bedeutung. (...) In jeder Großbetriebszelle, Ortsgruppe, in jedem Unterbezirk und Bezirk muß ein Ressortleiter f ü r Land und Ernährung bestimmt werden.

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Zentralverband der Landarbeiter gegen Streik in Ostpreußen. (April 1924). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 282, Bl. 68 (Flugblatt, Druck). Streik!

Der Deutsche Landarbeiterverband will seine Niederlage vervollständigen : Er hetzt die Landarbeiter in den Streik! Scheinbar handelt es sich bei diesem Kampf in erster Linie d a r u m , u n t e r der Landarbeiterschaft eine f ü r die Sozialdemokratie günstige Wahls t i m m u n g zu schaffen. Der Gauleiter des Deutschen Landarbeiterverbandes ist von der Sozialdemokratischen Partei auf die vierte Stelle d e r Reichstagswahlliste hinuntergesetzt worden. Er hat n u n weniger Aussicht wiedergewählt zu werden, weil die Landarbeiter noch nicht vergessen haben, daß der Verbandsvorsitzende Schmidt und der Gauleiter Jäcker des D. L. V. seinerzeit gegen die Freigabe des Landarbeiterdeputats und gegen die Befreiung der Landarbeiterschaft von der Umsatzsteuer gestimmt h a b e n ! Einen wirtschaftlichen G r u n d h a t der Streik nicht! Der sozialdemokratische Landarbeiterverband h a t gegen die Verbindlichkeitserklärung des zwischen Zentralverband der Landarbeiter u n d Landwirtschaftsverband Ostpreußen abgeschlossenen Tarifvertrages Einspruch erhoben, ohne die Lohnsätze ü b e r h a u p t zu kennen. Der vom D. L. V. angerufene Schlichter h a t entschieden, daß die Lohnsätze des neuen Tarifvertrages wesentlich höher als die Löhne in der Vorkriegszeit sind und daß der Tarif f ü r alle Arbeiter, auch f ü r die Mitglieder des Deutschen Landarbeiterverbandes, zu gelten hat. Durch diese amtliche u n d unparteiische Feststellung ist der D. L. V. erneut Lügen g e s t r a f t f ü r seine Behauptung, daß die vom Zentralverband abgeschlossenen Löhne niedriger seien. Der Deutsche Landarbeiterverband streikt nicht, weil i h m die Löhne zu gering sind — sonst h ä t t e er die nächste Lohnzahlung a b w a r t e n m ü s sen —, sondern er f o r d e r t zum Streik auf aus parteipolitischen G r ü n d e n u n d deshalb, weil er am T a r i f v e r t r a g nicht beteiligt ist! Es ist der letzte Verzweiflungskampf des unfähigen, n u r auf fruchtlose Hetze eingestellten Deutschen Landarbeiterverbandes. Der Streik wird bestimmt verloren gehen! Er ist in Anbetracht der diesjährigen kurzen Bestellzeit, der zum Teil vernichteten Wintersaaten u n d der ganzen wirtschaftlichen Lage unseres Volkes

94 ein Verbrechen an der Landarbeiterschaft, am landwirtschaftlichen Berufsstand und am ganzen deutschen Volke! Jedes Jahr hat der Deutsche Landarbeiterverband von ihm selbst abgeschlossene Tarifverträge gebrochen und gestreikt. Auf diese Weise wird nicht die Landarbeiterschaft wirksam vertreten, sondern die Landarbeiterbewegung lächerlich gemacht! Ein Streik in diesem Jahre liegt aber auch nicht im Interesse der Landarbeiter. Wenn das Feld nicht bestellt wird und infolgedessen nicht geerntet werden kann, dann kann es auch keine Lohnerhöhungen geben, sondern dann werden Tausende Landarbeiter brotlos und heimatlos! Durch den Streik wird den Landarbeitern die eigene Kartoffelbestellung unmöglich gemacht. Die Folgen des diesjährigen Streiks werden verheerend für die streikenden Landarbeiter sein. Wenn finanzschwache Betriebe die bisher beschäftigte Arbeiterzahl vermindern müssen, wenn Tausende arbeitslos sind und wenn die Not in Tausenden von Landarbeiterfamilien eingekehrt ist, dann werden die Hetzer nicht zu finden sein! Ist es nicht eine Schande für alle jene Landarbeiter, die sich bisher an dem Streik beteiligt haben, daß jetzt die Unorganisierten das große Wort führen? Jahrelang haben sie nicht einmal den geringen Verbandsbeitrag für ihre Berufsvertretung geopfert und jetzt wollen sie den organisierten Landarbeitern vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. An diesem Streik beteiligt sich der Zentralverband der Landarbeiter nicht! Wenn die Sozialdemokraten nun sagen, wir hätten nicht den notwendigen Mut dazu, so können wir ihnen antworten, daß weit mehr Mut dazu gehört, die Landarbeiter vor diesem unheilvollen Streik zu warnen, als sie in diesen Streik hineinzuhetzen. Wir können ihnen weiter sagen, daß eine verantwortungsbewußte Gewerkschaft mit dem Schicksal ihrer Mitglieder nicht Schindluder treibt. Der feigste und verantwortungsloseste Kerl kann vom Hinterhalt aus in einen Streik hetzen und dann, wenn die Sache schief geht, anderen die Schuld geben. Er verliert ja nichts! Die Folgen müssen die armen und betrogenen Landarbeiter tragen. Einst kommt der Tag, an dem die Landarbeiterschaft Ostpreußens mit Schrecken einsehen wird, daß sie vom Deutschen Landarbeiterverband falsche Wege geführt und ins Unglück gestürzt wurde! Einst kommt auch

95 der Tag, an dem die Landarbeiter bis zum letzten Mann einsehen werden, daß die verantwortungsbewußte Gewerkschaft der Zentralverband der Landarbeiter ist und daß wir recht hatten mit unserer Mahnung. Landarbeiter! Landarbeiterfrau! Auch Dich warnen wir! Folge der Hetze der sozialdemokratischen Volksverderber nicht! Du wirst es bereuen, wenn Du auf unsere Worte nicht hören solltest. Wir warnen aber nicht nur, sondern wir verlangen auch mit aller Entschiedenheit, daß diejenigen Landarbeiter, die ihrer Arbeitspflicht genügen wollen, ausreichend gegen den roten Terror geschützt werden. Unser Weg führt zum Aufstieg! Der Weg des sozialdemokratischen Deutschen Landarbeiterverbandes zum Untergang! Wo willst Du dabei sein? Zentralverband der Landarbeiter Bezirksleitung Ostpreußen. Königsberg i. Pr. Polnische Straße Nr. 2 Telephon Nr. 2055.

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Briefwechsel mit dem Grafen Praschma wegen der Spaltung des schlesischen Zentralverbandes der Landarbeiter. (Oktober/November 1924). WAP w Opolu, Gräflich Praischmaisches Schloßarchiv, Nr. 1140, Blatt 5 bis 7, 9.

Zentralverband der Landarbeiter Bezirksleitung für Schlesien Breslau 2, Bahnhofstraße 13

Breslau 2, den 30. Oktober 1924

Herrn Grafen Praschma Schloß Falkenberg O./S. Hochverehrter Herr Graf! Unsere bisherigen oberschlesischen Bezirksleiter Zanona und Schikora haben den Versuch unternommen, unsere oberschlesische Mitgliedschaft unter nichtigen Vorwänden von unserem Verbände abzutrennen ( . . . ) Sowohl der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften (Stegerwahd) wie die Herren Ehrhard(t) und Kanonikus Ulitzka lehnen das Unternehmen ab. Es wird also lediglich Verwirrung angerichtet und der Sozialdemokratie durch Zanona's masslosen Ehrgeiz in die Hände gearbeitet. Wir dürfen wohl darauf rechnen, dass Sie, verehrter Herr Graf, dem verderblichen Unternehmen jede Förderung abschneiden werden. Unser Hauptvorstandsmitglied, Herr Sauer — Berlin, Mitglied des Reichswirt-

96 schaftsrates und führendes Mitglied der Berliner Zentrumspartei wird zunächst die Leitung unserer oberschlesischen Organisation übernehmen. Er wird gerne die erste Gelegenheit benutzen, Sie hochverehrter Herr Graf(,) zwecks näherer Unterhaltung aufzusuchen. Mit grösster Hochachtung! Ganz ergebenst! G. Hübner Dr. H. Brüning

Berlin-Wilmersdorf, am 7. November 1924 Kaiser-Allee 25

Sr. Hochgeboren Herrn Grafen Praschma, Schloß Falkenberg O./S. Hochzuverehrender Herr Graf! Zu meinem grossen Bedauern konnte ich am Mittwoch abend keine telefonische Verbindung mehr mit Schloß Falkenberg bekommen, weil es mir unmöglich war, nach 7 Uhr anzurufen. (...) Was die Angelegenheit Zanona angeht, so haben wir uns hier schon mit der Frage beschäftigt. Wir sind der Ansicht, dass unter keinen Umständen Zanona und Schikora gehalten werden können. Derartige plötzliche Neugründungen sind nicht nur von der allergrößten Gefahr für die Arbeiterschaft, sondern sie bringen nach der tarifrechtlichen Seite hin auch für die Arbeitgeber die schwersten Bedenken mit sich. Wenn in der Arbeiterbewegung keine Disziplin gehalten wird, können auch keine Bürgschaften für die Einhaltung tarifmässiger Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern übernommen werden. Ich kenne Herrn Zanona nicht, aber was mir hier von einwandfreier Seite über ihn erzählt wird, ist nicht gerade sehr erfreulich. Ich darf mich vielleicht den Wünschen des Zentralverbandes der Landarbeiter anschliessen und Sie bitten, hochverehrter Herr Graf, auch Ihren Einfluß aufzuwenden, dass die Angelegenheit im Sinne der Zentralleitung des Landarbeiter-Verbandes geregelt wird. Wir sehen hier in der ganzen Angelegenheit insofern eine Gefahr, weil dadurch die hier und da noch nicht ganz verschollene Bestrebung einer integralen Bewegung wieder aufleben könnte. Ich könnte mir aber kein grösseres Unglück denken, als gerade solche Entwicklung. Als ich das Mandat für Schlesien übernahm, habe ich es hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt getan, um meine ganze Kraft darauf zu konzentrieren, dass die christlichen Gewerkschaften in Schlesien die sozialdemokratischen allmählich verdrängen. Das ist möglich, allerdings nicht von heute auf morgen, würde aber vollkommen hinfällig werden, wenn wir lokale

97 Schwierigkeiten zwischen integralen u n d interkonfessionellen G e w e r k schaften bekämen. ( . . . ) Inzwischen verbleibe ich in ausgezeichneter Hochschätzung Ihr, Hochwohlgeboren sehr ergebener Dr. Brüning.

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Antrag der Reichstagsfraktion der KPD vom 20. Januar 1925 auf entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer und auf Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen der werktätigen Landbevölkerung. Verhandlungen des Reichstages. III. Wahlperiode 1924, Bd. 398, Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 264—569, Berlin 1925, Nr. 393. Abgedruckt in: Dokumente und Materialien, Bd. VIII, S. 118 bis 120. Der Reichstag wolle beschließen:

1. Aller Grundbesitz, der im Großbetrieb bewirtschaftet wird, wird s a m t lebendem u n d totem Inventar und den dazugehörigen gewerblichen Betrieben und dem Betriebskapital ohne Entschädigung enteignet. Die enteigneten Betriebe w e r d e n in staatlicher V e r w a l t u n g u n t e r M i t w i r k u n g der Gewerkschaften u n d Betriebsräte mit allen Mitteln der modernen Technik, Agrarwissenschaft u n d Organisation i m Interesse der Volkse r n ä h r u n g weitergeführt. Die bisherigen Besitzer, soweit sie als Berufsl a n d w i r t e ihren Betrieb einwandfrei g e f ü h r t haben, k ö n n e n als Betriebsleiter w e i t e r v e r w a n d t werden. 2. Landwirtschaftlicher Großgrundbesitz, soweit er nicht im Großbetriebe bewirtschaftet wird, sondern in mittlere u n d kleine Pachten a u f geteilt ist, wird ebenso wie ein Großbetrieb ohne Entschädigung enteignet. Soweit dieser Landbesitz bisher von kleinen u n d mittleren Landwirten oder im Nebenberuf von Arbeitern, Angestellten, Beamten und Kleingewerbetreibenden bewirtschaftet wurde, wird (er) den bisherigen Kleinpächtern unentgeltlich zur weiteren Nutzung u n d Bewirtschaftung überwiesen. 3. Das Privateigentum der Klein- und Mittelbauern an G r u n d und Boden sowie an lebendem u n d totem Inventar usw. bleibt unangetastet. Kleinbauern, die nicht genug G r u n d u n d Boden besitzen, u m ihre Familie e r n ä h r e n zu können, wird G r u n d und Boden bis zu einer A c k e r n a h r u n g

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aus den Beständen des bisherigen Großgrundbesitzes unentgeltlich zugeteilt. Unter einer Ackernahrung ist zu verstehen, daß für sämtliche Familienmitglieder genügend Erwerbsmöglichkeit auf ihrem Grundstück vorhanden ist. Landarbeiter dürfen durch diese Zuteilung nicht arbeitslos gemacht werden. Den landwirtschaftlichen Kleinbetrieben ist von den staatlichen und kommunalen Großbetrieben jede notwendige Hilfe zu leisten. 4. Alle noch bestehenden gutsherrlichen Rechte und Patronate (gutsherrliche Jagd- und Fischereirechte, Steuerbefreiung) sowie alle Fideikommißrenten werden sofort ohne Entschädigung aufgehoben. 5. Die staatlichen Domänen, soweit sie nicht in Kleinpachten zerteilt sind, bleiben als Muster- und Versuchswirtschaften unter unmittelbarer Leitung des Staates bestehen. Ihnen werden landwirtschaftliche Fach- und Hochschulen angegliedert. 6. Die Wälder und die Jagd, ebenso die Fluß- und Seegebiete werden, soweit es sich um größere Strecken handelt, vom Staate bewirtschaftet. Die kleineren Forsten, Jagden, Flüsse und Seen werden durch die genossenschaftlich zusammengeschlossene Landbevölkerung unter staatlicher Kontrolle bewirtschaftet. Die Nutzung von Waldungen, Wasserläufen und Seen, die bisher Eigentum von bäuerlichen Gemeinden waren, verbleiben den Gemeinden im Rahmen ihrer örtlichen Bedürfnisse. Den übrigen Gemeinden werden je nach Bedarf Nutzungen zugewiesen. 7. Der Schulunterricht an den landwirtschaftlichen Fachschulen, die Lehrmittel sowie der Unterhalt während der Schulzeit sind für die arbeitenden Landwirte und ihre Angehörigen frei. Allen Schulen in Stadt und Land wird hinreichender Boden zur praktischen Ausbildung der Schüler in den Hauptzweigen der landwirtschaftlichen Arbeit vom Staat zur Verfügung gestellt. 8. Für landwirtschaftliche Kulturarbeiten großen Stils (Urbarmachung von Ödland, Bewässerung, Entwässerung, Feldbereinigung, Wegebau, Elektrifizierung, Tier- und Pflanzenversuche) sind durch den Staat ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen. Die bei diesen Kulturarbeiten beschäftigten Arbeiter sind nach Tarif zu bezahlen. 9. Der Staat vermittelt für die arbeitenden Landwirte unter Ausschaltung des privatwirtschaftlichen Zwischenhandels den genossenschaftlichen Bezug von Düngemitteln, Futtermitteln, Saatgut, Zuchtvieh, landwirtschaftlichen Geräten, Maschinen und Lebensbedarf aller Art zu verbilligten Preisen. Die staatlich geleiteten Güter sowie die genossenschaftlich zusammengefaßten Kleinbetriebe liefern ihre Produkte an die städtischen Genossenschaften oder Gemeinden zur Verteilung an die Verbraucher, um so den verteuernden Zwischenhandel auszuschalten. 10. Der Staat fördert die Vergenossenschaftlichung der Kleinbetriebe

99 durch den Ausbau eines feinmaschigen elektrischen Kraftnetzes, durch Lieferung gemeinschaftlich zu benutzender Maschinen u n d Gebäude, durch Bereitstellung ausreichender billiger Kredite f ü r die bäuerlichen Genossenschaften, durch kostenlose Zurverfügungstellung von Fachleuten f ü r technische V e r f a h r e n , durch Ausweitung eines allgemeinen Fachunterrichts. Die Ein- u n d Verkaufsvereine sowie die Produktivgenossenschaften, Lagerhaus- und Stallgenossenschaften der Klein- u n d Z w e r g b a u e r n w e r den bei Lieferung von industriellen Erzeugnissen sowie von Saatgut, Zuchtvieh, S t r e u - u n d F u t t e r m i t t e l n usw. besonders bevorzugt. 11. Die Hypotheken auf dem kleinen Grundbesitz w e r d e n vom Staate gelöscht. Die private Beleihung von Grundstücken sowie der Handel mit ihnen ist verboten. Berlin, den 20. J a n u a r 1925 Putz, Obendiek, Hoernle, F r a u Arendsee, Bertz, Buchmann, Creutzburg, Dengel, Eichhorn, Geschke, Höllein, Jadasch, Katz, Kenzier, Meyer (Franken), Rädel, Schlagewerth, Stoecker, Strötzel, Torgier, Vierath

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KPD gegen sozialreaktionäre Vorstöße der Großgrundbesitzer. (17. November 1925). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 268, Bl. 325. Druck. Preußischer Landtag 2. Wahlperiode 1. Tagung 1925 Nr. 1645 Urantrag

Schwenk (Berlin), Skjellerup, Möricke, Müller ( F r a n k f u r t ) u n d die übrigen Mitglieder der Fraktion der Kommunistischen P a r t e i : Die landwirtschaftlichen U n t e r n e h m e r v e r b ä n d e h a b e n einen Generalangriff gegen die Landarbeiter eingeleitet. Sie wollen die landwirtschaftlichen A r b e i t s k r ä f t e zu einem Kuli-Dasein niederzwingen. Auf ihren T a gungen f o r d e r n sie verschärfte M a ß n a h m e n gegen z u n e h m e n d e L a n d flucht u n d Kontraktbruch. Sie haben in i h r e n Organisationen bereits durch E i n f ü h r u n g von „schwarzen Listen" usw. M a ß n a h m e n durchgef ü h r t , durch die die Freizügigkeit der Landarbeiter fast völlig aufgehoben wird. Durch diese brutale H e r v o r k e h r u n g des agrarischen Machtdünkels w e r d e n die w a h r e n Ursachen der Landflucht u n d des K o n t r a k t b r u c h e s nicht

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beseitigt, sondern noch wesentlich verschärft. Die in der Landwirtschaft übliche miserable Entlohnung bei überlanger Arbeitszeit und menschenunwürdiger Behandlung, die jeder Beschreibung spottenden Wohnungsverhältnisse, die Beschneidung und völlige Beseitigung des Koalitionsrechts durch Unternehmerwillkür und viele andere mit diesen Tatsachen zusammenhängenden Umstände zwingen die Landarbeiter geradezu, zur Erhaltung des nackten Lebens vom Lande zu fliehen und kontraktbrüchig zu werden. Fest steht, daß durch das Einsetzen von Technischer Nothilfe und Schupo bei Landarbeiterkämpfen die Besserung der Lohnverhältnisse und die Herabsetzung der Arbeitszeit der Landarbeiterschaft ersdhwert werden, daß durch die bestehende Gutsbezirkseinteilung die Beschneidung des Koalitionsrechts der Landarbeiterschaft erleichtert wird. Zur Hebung der Lebenslage einer der wichtigsten Kategorien der Arbeiter, der Landarbeiterschaft, ist deshalb erforderlich: 1. rücksichtsloses Einschreiten gegen alle, die der Landarbeiterschaft die Ausübung des Koalitionsrechts beeinträchtigen oder unmöglich machen, und Ausbau des Koalitionsrechts, 2. Beseitigung der Gutsbezirkseinteilung und Verleihung der vollen Kommunalrechte an alle Landarbeiter und -arbeiterinnen, 3. keinerlei Behinderung in der Durchführung der wirtschaftlichen Kämpfe der Landarbeiter, insbesondere strengstes Verbot des Einsatzes von Technischer Nothilfe und Schupo bei diesen Kämpfen, 4. gesetzliche Festlegung des durchschnittlichen achtstündigen Arbeitstages und Einwirkung des Staates auf wesentliche Verbesserung der Lohnbedingungen, sofortige Lohnerhöhung in den staatlichen Landund Forstwirtschaftsbetrieben um 50% und strikte Durchführung des durchschnittlichen Achtstundentages, 5. Schaffung menschenwürdiger Wohnverhältnisse durch Beseitigung des Werkwohnungswesens, Verstaatlichung der Wohnungen und ihre Uberführung in die Verwaltung der Kreistage, Verwendung der gesamten Erträgnisse der Hauszinssteuer und aller sonst verfügbaren Mittel zum Bau von Arbeiterwohnungen durch die Kommunen und Kommunalverbände, 6. Einwirkung auf die Reichsregierung in der Richtung auf Änderung der Altersversicherung, dahingehend, daß die Altersversorgung vom 50. Lebensjahr ab bei einer Unterstützung von mindestens zwei Dritteln des vollen Arbeitslohnes gewährt wird, 7. Aufhebung aller die Freizügigkeit der Landarbeiterschaft beschränkenden Bestimmungen, Beseitigung der vorläufigen Landarbeitsordnung und Stellung der Landarbeiter unter die Gewerbeordnung, 8. Verbot jeder Kinderlohnarbeit, 9. Ausbau der Bildungsmöglichkeiten in den Landarbeiterorten durch

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Lehr- und Lernmittelfreiheit, Errichtung von Arbeitsschulen in V e r b i n d u n g mit Landwirtschaftslehre in Theorie u n d Praxis, Anstellung geeigneter u n d ausreichender L e h r k r ä f t e . Der Landtag wolle d a h e r beschließen: Das Staatsministerium w i r d ersucht, binnen kürzester Frist gesetzgeberische M a ß n a h m e n in diesem Sinne vorzulegen. Berlin, den 17. November 1925

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Aufgabenstellung für die Arbeit der KPD unter den Landarbeitern nach dem Volksentscheid gegen die Fürstenenteignung. (Juni 1926). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 19314, Bl. 35-36. Abschrift.

Zentralkomitee der KPD. Sekretariat (Land)

Berlin, den 28. J u n i 1926 An alle Bezirksleitungen u n d Landvertrauensleute.

3. Unsere Arbeit u n t e r den Landarbeitern muss unbedingt bedeutend gesteigert u n d systematisiert werden. Der Terror auf dem Lande nicht n u r beim Volkentscheid ist wesentlich das Resultat der m a n g e l n d e n gewerkschaftlichen Organisation u n d der reformistischen Taktik der DLV-Führer. Wir müssen deshalb in allen Landarbeitergebieten unsere H a u p t k r a f t auf die G r ü n d u n g , S t ä r k u n g u n d Revolutionierung von Zahlstellen des DLV ins Auge fassen. Es darf nicht wieder vorkommen, dass Lohnbewegungen, j a sogar Streiks von Landarbeitern bevorstehen, von denen unsere P a r t e i erst nachträglich e r f ä h r t . In Mitteldeutschland h a t der DLV eine Anzahl Landarbeiterdemonstrationen durchgeführt, ohne dass die P a r t e i dazu Stellung nahm, ohne dass w i r an die Ortskartells u n d den Betriebskartell h e r a n t r a t e n , damit auch die Industriearbeiter sich an diesen Demonstrationen beteiligten, u m den Druck der Landarbeiter zu verstärken. Das ist ein schwerer Mangel der Partei. Auch unsere k o m m u n a l e n V e r t r e t e r u n d Kreistagsabgeordneten müssen ihr ganz besonderes A u g e n m e r k auf die W o h n - und Erwerbsverhältnisse der Landarbeliter richten u n d in den Kreistagen und Ausschüssen einen scharfen Kampf f ü r den k o m m u n a l e n Wohnungsbau auf dem Lande, gegen die K i n d e r a r b e i t u n d die F r a u e n zwangsarbeit auf den Gütern, gegen die Einbehaltung eines Lohnteiles durch die U n t e r n e h m e r u n d dergleichen f ü h r e n . Zu einer d a u e r n d e n Beeinflussung der Land- u n d Forstarbeiter ist eine

102 regelmässige Verbreitung des oppositionellen Landarbeiterorgans „Der Landarbeiter" und die Gewinnung ständiger Leser notwendig. Der Vertrieb dieser Zeitung muss die Grundlage bilden für den regelmässigen Besuch der Landarbeiterdörfer und Wohnungen, für die ständige enge Verbindung unserer Partei mit den Landarbeitern. Um der Partei für unsere Landarbeiterpolitik bessere Unterlagen als bisher zu schaffen und unsere Tageszeitungen anziehender für unsere werktätige Landbevölkerung zu machen, ist grösster Wert zu legen auf die Gewinnung von Gutskorrespondenzen. Diese Berichterstattung kann auch mündlich an unsere Genossen geschehen, die das Gehörte dann schriftlich an die Zeitung bzw. an den Landobman weitergeben. Zur Steigerung der Werbetätigkeit für den D. L. V. und für den Kampf um die gegenwärtigen Lohnforderungen ist die Bildung von Landarbeiterausschüssen anzustreben. Von ausserordentlicher Wichtigkeit ist die engste Verbindung der DLVZahlstellen mit den ADGB-Kartellen. Der Ausschuss dieser Zahlstellen muss systematisch von uns gefordert wenden. Auf die ADGB-Kartelle ist einzuwirken, dass sie (wie beispielsweise das Kartell in Torgau) bei der freigewerkschaftlichen Organisierung der Landarbeiter planmässig mitarbeiten und regelmässig Agitationskolonnen in die Landdörfer entsenden. (...) Mit kommunistischem Gruß! Zentralkomitee der KPD. Sekretariat (Land).

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Soziale Zustände in Schnitterkasernen für Wanderarbeiter. (1. 2. 1927). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 172, Bl. 293; Abschrift.

Verein kathol. deutscher Lehrerinnen. Berlin-Steglitz, den 1. 2.1927 Breitestr. 7 (Überreicht durch E. Stoffels Mitglied des Pr. Landtags).

An den Herrn Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Berlin.

Hochgeehrter Herr Minister! Gestatten Sie mir, Ihnen eine Mitteilung zu machen über Mißstände, die ich in den sogen. Kasernen für Wanderarbeiter in der Magdeburger Gegend beobachtete.

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Auf einer Reise, die mich zufällig und in anderer Angelegenheit nach Wanzleben bei Magdeburg führte, hatte ich Gelegenheit, eine Kaserne für Familien zu besuchen. Die Familien der Arbeiter waren dort in großen fabrikartigen Räumen untergebracht. In jedem standen acht und mehr Doppelbetten für je eine Familie, das heißt, für die Eltern und die jüngeren Kinder. Soweit sie diese nicht in ihrem eigenen Bett schlafen ließen, mußten sie sie neben dem Bett unterbringen. Ich sah ein Kind in einer Kiste zwischen Lumpen liegen. Wiegen oder irgend welche andere Unterbringungsmöglichkeäten für Kinder waren nicht vorhanden. Die heranwachsenden Mädchen und Knaben seien, so wurde mir berichtet, je in besonderen Kasernen untergebracht. Ich habe den Eindruck, daß die Unterbringung der Ehepaare menschenunwürdig ist und daß das Zusammenbringen so vieler Paare auch primitiven Ideen von guter Sitte und von gesundheitlichen Anforderungen Hohn spricht. Es wurde mir auch von zuverlässiger Seite versichert, daß schlimme sittliche Verhältnisse in solchen Kasernen herrschten. Ferner erfuhr ich z. B., daß neulich in einer solchen für viele Familien bestimmten Stube in einem Bett ein typhuskrankes Kind gelegen hätte, in einem andern Fall die Leiche eines alten Mannes. Fest wurde mir versichert, daß die Verhältnisse in den sämtlichen Kasernen der Gegend mit einer einzigen Ausnahme die gleichen wären, und ganz besonders wurde mir gegenüber betont, daß auch in den zu einem Staatsgut gehörigen Kasernen die Zustände um nichts besser wären als in der von mir besichtigten, die in Privatbesitz war. Mir hat es, seitdem ich diese Besichtigung machte, nicht Ruhe gelassen. Ich habe versucht, genaueres Material über die Angelegenheit zu bekommen, stieß aber immer wieder auf die Schwierigkeit, daß die Wissenden ungern Aussage machen, weil sie fürchten, die Großgrundbesitzer, von denen sie abhängig sind, zu Gegnern zu bekommen. Ich bitte daher den Herrn Landwirtschaftsminister ergebenst, auf diese meine Mitteilung hin Nachforschungen anzustellen und alles daranzusetzen, damit diese unerhörten Zustände abgestellt werden. In vorzüglicher Ergebenheit bin ich hochgeehrter Herr Minister gez. Maria Schmitz, 1. Vorsitzende des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen.

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Zusammenstellung des preußischen Landwirtschaftsministeriums über Ursachen der Landflucht von Landarbeitern. (14. Januar 1927). ZStA Merseburg, Rep. 87 B, Nr. 268, Bl. 7-9. Druck. Nr. 5184 Preußischer Landtag 2. Wahlperiode 1. Tagung 1925/27

Der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Berlin, den 14. Januar 1927 Eingegangen am 20. Januar 1927 An den Herrn Präsidenten des Landtags Mit Beziehung auf den vom Landtag in seiner — 161. — Sitzung angenommenen Urantrag der Abgeordneten Leid, Wittich, (Hessen), Brandenburg und der übrigen Mitglieder der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, Landtagsdrucksache 1888, betreffend Umfrage bei den Herren Regierungspräsidenten über den Umfang der Landflucht und des Kontraktbruches unter den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern, übersende ich in der Anlage ergebenst das Gesamtresultat der Umfrage, gegliedert nach Regierungsbezirken. Im Jahre 1925 wurden mir aus landwirtschaftlichen Kreisen und auch sonst Klagen über die Zunahme der Abwanderung und des Kontraktbruches landwirtschaftlicher Arbeitnehmer vorgetragen. Diese Klagen fanden gleichzeitig in Zeitungsartikeln ihren Niederschlag. Insbesondere wurde in Schlesien die Anwerbung durch Agenten bemängelt. Ich sah mich demzufolge veranlaßt, mit dem nachstehenden Schreiben die Herren Regierungspräsidenten um Bericht zu ersuchen: Nach mir vorliegenden Berichten und Zeitungsnachrichten hat es den Anschein, als ob die Abwanderung vom Lande und die Zahl der Kontraktbrüche landwirtschaftlicher Arbeiter, insonderheit auch des Gesindes, in letzter Zeit erheblich zunehmen. Ich ersuche ergebenst, mir umgehend zu berichten, ob und in welchem Umfange das auch für den dortigen Bezirk zutrifft und gegebenenfalls worauf die Tatsachen zurückzuführen sind. Gleichzeitig sehe ich Vorschlägen zur Behebung etwaiger Mißstände entgegen. Das Ergebnis der Umfrage enthält beiliegende Zusammenstellung. Steiger

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