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German Pages 604 Year 1994
Kulturmanagement
Kulturmanagement Theorie und Praxis einer professionellen Kunst Herausgegeben von Hermann Rauhe und Christine Demmer in Verbindung mit Norbert Aust
W DE
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1994
Professor Dr. Hermann Rauhe, Präsident der H o c h s c h u l e für M u s i k u n d Theater, H a m b u r g , Ordinarius an der Universität H a m b u r g , Bundesrepublik D e u t s c h l a n d Christine Demmer, D i p l o m - V o l k s w i r t i n , Freie Journalistin u n d Publizistin, W i e s b a d e n , Bundesrepublik D e u t s c h l a n d
Das Buch enthält 19 Abbildungen und 6 Tabellen.
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Einheitsaufnahme
Kulturmanagement : Theorie und Praxis einer professionellen Kunst / hrsg. von Hermann Rauhe ... — Berlin ; New York : de Gruyter, 1994 ISBN 3-11-012982-5 NE: Rauhe, Hermann [Hrsg.]
© Copyright 1994 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: WB-Druck, Rieden am Forggensee — Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & BauerGmbH, Berlin — Umschlagentwurf: Johannes Rother, Berlin.
Dank der Herausgeber
Ein Werk wie das vorliegende nimmt zwar seinen Anfang in den Köpfen nur weniger Menschen, zu seinem Gelingen bedarf es freilich vieler Köpfe und Hände. Herzlichen Dank sagen wir deshalb allen Autoren, ohne deren Bereitschaft, Engagement und Geduld dieses Buch nicht zustandegekommen wäre. Bedanken wollen wir uns auch bei all denen, deren Begeisterung und Fachwissen die Organisation erleichtert haben: bei Annemarie Rauhe und Helen Ahlburg, Marlies Minuth und bei den Praktikanten des Diplomstudienganges Kulturmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Für die bibliographische Vorarbeit danken wir Dr. Ralf-Arthur Fritsche und für die vorzügliche Betreuung während der mehrjährigen Genesis des Werkes dem Verlag de Gruyter in Berlin. Hermann Rauhe
Christine Demmer
Inhaltsverzeichnis
Dank der Herausgeber
V
Kultur, Management, Kulturmanagement Einleitende Bemerkungen zu einem ungewohnten Ansatz Hans-Peter Reinecke
1
Kulturmanagement als Management für Kunst und Kultur Hermann Rauhe
5
Kultur- und Medienstrukturen in Deutschland und Europa Vom Kulturstaat zum Sponsor? Trends und Konflikte der Kulturpolitik und -finanzierung in Deutschland Andreas J. Wiesand
27
Kulturmanagement oder Kommerzialisierung der Kultur? Peter Bendixen
45
Stichwort: Kulturökonomik Michael Hutter
57
Kulturfinanzierung Wbljgang Benkert
73
In Dubio pro Arte. Grenzen des Kulturmanagements Karl Richter
85
Kulturelle Marktwirtschaft als Antwort auf die Mediamorphose Kurt Blaukopf und Hermann Rauhe
91
Kulturforderung Franz Willnauer Vor einem "Post-Maastricht-Syndrom"? Kulturpolitische Aufgaben im Prozeß der europäischen Einigung Andreas J. Wiesand
101
119
Management in den verschiedenen Kulturbereichen Kultur und ihr Management Peter Fuchs und Thomas Heinze
141
VIII
Inhaltsverzeichnis
Kulturvermittlung im Fernsehen Dieter Stalte
151
Öffentlich-rechtliche und private Hörfunk- und Fernsehanstalten Peter Schiwy
163
Private Hörfunksender: Entwicklung und Realisierung eines Kulturprogrammes Jürgen Christ
169
Vorbereitung, Kalkulation und Durchführung von Film- und Fernsehproduktionen Theo Aulich und Gyula Trebitsch
179
Film Heinz Ungureit
189
Phonographische Wirtschaft (Tonträger) Norbert Thumw und Peter Zombik
197
Medienverbund Manfred Lahnstein
211
Musikmanagement Franz Willnauer
223
Konzerte und Festivals (Pöp, Rock, Jazz) Fritz Bau
243
Musiktheater Peter Ruzicka
255
Theatermanagement Lutz Beutling
271
Museen und Galerien Heinz Spielmann
283
Kunstmarkt Regina Wyrwoll
289
Messen, Ausstellungen und Kongresse Franz Zeithammer
305
Künstlervermittlung Michael Russ
311
Musikverlage Hans W. Sikorski
319
Kulturverbände und Organisationen Andreas Eckhardt
331
Kommunale Kulturarbeit Werner Heinrichs
343
Kulturämter und-behörden Hilmar Hoffmann und Dieter Kramer
351
Inhaltsverzeichnis
IX
Bildungs- und Weiterbildungseinrichtungen Max Fuchs
365
Stiftungen als Aufgabe für Kulturmanager Bernhard Freiherr Loeffelholz von Colberg
379
Kulturelle Öffentlichkeitsarbeit in Unternehmen Matthias Kleinen
387
Kulturconsulting Anja Wöllert
391
Interkommunale Zusammenarbeit Karl Richter
403
Musik im Kulturraum Europa - Perspektiven und Strategien Reinhold Kreile und Gabriel M. Steinschulte
411
Bereichsübergreifende Methoden Management im Kulturbereich Asmus Hintz
429
Grundzüge des Bühnenarbeitsrechts Gereon Röckrath
443
Urheberrecht Erich Schulze
459
Leistungsschutzrechte Rolf Dünnwald
469
Medien- und Presserecht Renate Damm
481
Kulturverwaltungsrecht Werner Thieme
493
Rechtsformen und Steuer Edgar Castan
505
Kommunikationsmanagement Hans-Joachim Herms
517
Organisationskultur Eckart Pankoke
535
"Arts Administration Studies" in Europa - neue Maßstäbe für die Qualifizierung von Führungskräften im Kultur- und Medienbereich? . . Ritva Mitchell und Andreas J. Wiesand
553
Führung der Kunst - Kunst der Führung August Everding
567
Personenregister
573
X
Inhaltsverzeichnis
Sachregister Autorenbiographien
Kultur, Management, Kulturmanagement Einleitende Bemerkungen zu einem ungewohnten Ansatz Hans-Peter Reinecke
Unsere Gegenwart, deren kulturelle Mentalität sich auf den ersten Blick keineswegs als einhellig erweist, verunsichert Insider wie Kritiker durch mancherlei Päradoxien. Was dem einen als Kultur selbstverständlich scheint, nimmt sich für den anderen vielleicht als verschlepptes Biedermeier aus. Was dem einen Kunst ist, gilt dem anderen als Kitsch, als zynisch angediente Ware. Dieser Prozeß des permanenten Übergangs kreiert sicher nicht von ungefähr ein neues Tätigkeitsfeld: Kulturmanagement. Oder hat es das - eigentlich - immer schon gegeben? Vielleicht. Aber nicht mit diskursivem Anspruch. Neu ist jedenfalls, daß es als Studienfach heranwächst, ohne daß man dabei schon von festgeschriebenen Umrissen und Erfordernissen sprechen könnte. Zum Glück, meine ich fast. Ich denke dabei unwillkürlich an die brillanten Erläuterungen eines der Nestoren der modernen Kybernetik, die Heinz von Foerster einmal gegeben hat, wie er Molières Gestalt des Bürgers Jourdain im "Bürger als Edelmann" benutzt, um an dessen Ausruf "Ich spreche Prosa! Meine Güte, ich spreche Prosa!" zu demonstrieren, daß dieser nicht etwas entdeckt, sondern für sich seine Prosa in diesem Augenblick erfindet (nichts anderes bezeichnet ja auch der Begriff kreieren). Heinz von Foerster hat diese Art konstruktiver Leistungen auf unsere Zeit am Beispiel der "Erfindung" der Umwelt angewandt mit dem zusammenfassenden Satz: "Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung." Daß das gleiche auch für Kultur zutrifft, daß auf dieses Etikett mithin auch keineswegs mehr allein die alten "Verwaltungsordnungen" passen, wie sie einst ja auch die preußische Bürokratie mit ihren Preußischen Instruktionen und anderem erfunden hat, sondern daß nunmehr angesichts der sich beschleunigenden Prozesse eine komplementäre Größe "Kulturmanagement" auf den Plan tritt, ist ebenfalls eine Erfindung, welche die Möglichkeit eröffnet, die Not, den Mangel an geeigneten Leuten zu wenden; sie scheint eben "notwendig". Wie notwendig sie ist? Es deuten so manche Anzeichen darauf hin, daß die Buchhalter mehr und mehr an Raum erobern, daß an die Stelle der lebendigen Werke Kataloge treten oder von irrationalem System- und Vollständigkeitswahn be- oder getriebene systematische Vermehrung von Sammlungsgegenständen: "Noch 'ne Geige". Zum einen geht es keineswegs mehr darum, auf etwas bloß zu reagieren, was da auf uns zukommt, etwa durch Rückgriff auf professionelle Tricks. Das entspräche alten, dem Prädestinations-Denken verhafteten Traditionen - wozu auch die Wortbe-
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Hans-Peter Reinecke
deutung von "Zukunft" gehört: Es kommt (auf) uns zu. Angesagt ist heute das Agieren, das Sich-etwa-einfallen-lassen zu einer verantwortbaren Kultur, zu verantwortlicher Innovation, d.h. das Erfordernis, sich so zu verhalten, daß etwas daraus wird, so wie es der lateinische Begriff futurum oder auch der uralte der Genesis, ja selbst Jahwe (das "Werden") meint. Kultur in diesem Sinne erfordert den Kulturmanager als Anspruch, erschöpft sich also nicht im Job. Und das ist neu. Daran ändert auch der Einwand nichts, kreative Geister früherer Zeiten, etwa Humboldt, Schinkel oder Chrysander(î), seien auch schon so etwas gewesen. Sie nachträglich als Kulturmanager zu rekonstruieren, ändert nichts daran, daß sie sich expressis verbis nicht so verstanden, denn der Topos ist neu, erfunden als Name für zunächst vielleicht noch nebulose Vorstellungen. Er wird aber - und das zeigen die Projekte, unter ihnen vor allem das Hamburger - zum Leben gebracht - in seiner ursprünglichen konstruktiven Bedeutung erlebt (und erarbeitet). Das hat - wie erwähnt - gute Gründe. Einer davon ist das erfahrene Defizit, das aus einem Dilemma hervorgeht: Manche Künstler, zu Managern gemacht oder geworden, sind gescheitert oder unakzeptabel, praktisch oder moralisch. Und man wird sich auch nicht darüber herausreden können, daß auch der große Beethoven seine Werke gelegentlich zweimal verkauft hat, was ihm als Manager in eigener Sache einen denkbar schlechten Ruf eingetragen hat. Andererseits kamen manch gestandene Nur-Manager bei ihren Entscheidungen kaum über persönliche Erfahrungen - und Vorurteile - hinaus. Kultur ist also mehr denn je Innovation, auch wenn sie als Kult zelebriert wird. Kulturverwaltung, Betreuung, Pflege usw., das sind sehr ehrenwerte Verrichtungen, die jedoch keineswegs ausreichen, Kultur über die Runden zu bringen. Mindestes ist so etwas wie Steuerung angesagt auf einem Wege, den man nicht kennt, den man nicht kennen kann, weil er erst während des Steuerns entsteht. Der Weg selbst ist das Ziel, wenn auch auf durchaus andere Weise als man gewöhnlich Tao zu interpretieren pflegt. Nach dem einen und einzigen Weg kann man also nicht direkt fragen. Wohl aber danach, wie man den Weg bahnt, für den man später als einen mit kulturellem Anspruch geradestehen kann. Es war daher auch kein Zufall, daß ein Mann aus der Kultur wie der stets agile Hermann Rauhe, Hochschulpräsident, sich mit dem Politiker und Manager Manfred Lahnstein, ehemals Bundesfinanzminister, und den anderen Beteiligten zusammengetan hat. Sie haben sich daran gemacht, einen Hamburger Weg zur Vermittlung von Voraussetzungen zu ebnen, die einen "Kulturmanager" ausmachen könnten. Die Hamburger Hochschule für Musik und Theater, längst das, was man einen Kairos nennt, einen Schnittpunkt unterschiedlicher Anliegen, Bestrebungen, in Aktivitäten umgesetzter Hoffnungen, eingeschlossen die falschen, ein Kairos ist sie, das kann man ruhig sagen, typisch für das offene dynamische System, genannt "Freie und Hansestadt Hamburg". Sie macht sich anheischig, Management zu vermitteln. "Das gehört doch nicht zu den Aufgaben einer Musikhochschule ...", höre ich die Diskurswächter kritisieren. Wieso eigentlich nicht? Wieso nicht gerade da, wo die Probleme auf den Nägeln brennen, vor allem deshalb, weil über länger als ein Jahrhundert die Trennung der Kultur von Zivilisation und Politik als oberstes Gebot angesehen worden ist. Und was dabei herausgekommen ist, läßt sich kaum in wenigen Sätzen umschreiben. Vielleicht die Spitze dieses Eisberges umschreibt ein Buch von
Einleitende Bemerkungen
3
Boris Groys mit dem Titel "Gesamtkunstwerk Stalin". Es nicht von Richard Wagner die Rede, wohl aber von Kultur und Politik. Daß ich selbst diesem Studiengang zur Seite stehe, verdanke ich neben meinem Interesse daran, den Drang von Studierenden und Hochschulabsolventen nach Erweiterung ihres Horizontes in Bereiche des real erforderlichen Agierens hinein wenigstens halbwegs zu befriedigen, auch der Tatsache, daß ich nach mehr als zwei Jahrzehnten leitender Tätigkeit im Preußischen Kulturbesitz gewissermaßen im Pulverdampf des staatlichen Kulturmanagements ergraut bin. Etliche Grunderfahrungen, wie ich sie machen mußte (oder letzten Endes: konnte), darunter etwa die, daß das bessere Argument keineswegs immer die größere Autorität besitzt, teile ich sicher mit den Initiatoren des Studienganges. Sie mitzuteilen, ja vor allem auch: sie mit den Studierenden zu teilen, das halte ich für eines der wichtigsten Anliegen, wenn man über das Handwerk hinausgelangen will. Auch der Dirigent muß über sein musikalisches Handwerk hinaus die Fähigkeit ausbilden, seine Vorstellungen mit dem Ensemble zu teilen. Allein schon das rechtfertigt den Ansatz und den Studiengang Kulturmanagement an der/den Hochschule(n). Kulturmanagement bedeutet doch weit mehr als den erlernten Griff in die Management-Trickkiste. Es suggeriert zwar mehr Professionalität als Kultur eigentlich zuläßt, will man sie nicht zum bloßen Showgeschäft verkommen lassen. Nicht nur die stete Erneuerung erzwingt Kreativität, technische und ethische, und zwar Kreativität des Einzelnen in der singulären Situation, in singulären Erwartungsmustern und fast immer unter instabilen ökonomischen Bedingungen. Die heutige Grundvoraussetzung der weitgehenden Individualisierung kulturellen Bewußtseins — trotz der Massenphänomene - erfordert genau genommen ja nicht Kulturmanagement, sondern den Kulturmanager, einer anders als der andere, im Idealfall jeder als ein Selbst, als eine besondere Individualität. Die Schablone widerspricht der Kultur. Daher - und hier liegt in Hamburg die Chance - ist Vorläufigkeit angesagt, Vorläufigkeit gegen Routine. Manfred Lahnstein, Hermann Rauhe und alle die, welche sich für diesen Ansatz, ob Studium oder Fortbildung, stark gemacht haben, konnten eine Gruppe von echten, aus dem Leben gegriffenen Kulturmanagern zusammenbringen. Keiner hat das unter diesem Etikett gelernt, ein Team von singulären Profis, kaum austauschbar, jeder vereinigt auf besondere Weise Können mit Engagement für die Ausbildung, hier mehr, dort weniger. Es geht nicht darum, sie und ihr Können nachzuspielen, sie zu imitieren, sondern darum, aus dem ihren heraus neues Können zu erzeugen, ein Können, das vorher nicht existiert hat. Denn Kunst bleibt auch hier Können. Und Management bedeutet letzten Endes so etwas wie Kunst des kreativen Umgangs mit kreativen Menschen, auf den verschlungenen (autopoietischen) Wegen des Verwirklichens, auf Wegen, die erst in diesem Verwirklichen entstehen. Und will man ein Ziel setzen: Sie haben sich selbst zum Ziel.
Kultlirmanagement als Management für Kunst und Kultur Hermann Rauhe
Begriff Die Begriffe Kultur und Management gehören zu den Lieblingsvokabeln und Modewörtern unserer Zeit. So faszinierend die Begriffe auch sein mögen, so viele Mißverständnisse lösen sie aus; noch mehr, wenn sie kombiniert werden im Wort "Kulturmanagement". Dieses bisher unbewältigte Dilemma wird in dem von Max Fuchs herausgegebenen Bericht über das Symposion "Zur Theorie des Kulturmanagement"1 genauso deutlich wie in dem Beitrag von Peter Bendixen in diesem Buch (S. 45ff.). Zum Begriff Kultur gibt es inzwischen einige hundert Definitionen, von denen keine einzige allgemein akzeptiert wird. Künstler, Wissenschaftler, Politiker und Pädagogen streiten sich immer wieder darüber, ob der Kulturbegriff eng oder weit zu fassen, ob Kultur ein Oberbegriff für die Künste (Musik, Theater, Tanz, Literatur, bildende Künste und so weiter) sei oder ob Kultur Ausdruck ist für die Art, in der wir miteinander umgehen (Richard von Weizsäcker). Jürgen Möllemann definiert Kultur als "System kollektiver Sinnkonstruktionen, mit denen die Menschen Wirklichkeit erfahren, definieren, verarbeiten, darstellen und verändern."2 Kultur ist demnach ein Normen- und Wertesystem, das der Mensch schafft und das ihm hilft, Wirklichkeit zu erfahren und zu verarbeiten und das Maßstäbe für sein Handeln setzt (vgl. Max Fuchs, Anm. 1, S. 139-150). Im Idealfall wird dieses humane Werte- und Normensystem maßgeblich durch Kunst geprägt, denn durch Kunst wird Kultur schöpferisch, auch wenn es sich um Alltagskultur handelt. Hier liegt der Sinnzusammenhang und Wechselbezug zwischen Kunst und Kultur, der für das Tätigkeitsfeld des Kulturmanagements entscheidend ist. Auch für den Begriff Management gibt es keine allgemein akzeptierte Definition, wie ein Blick in Lexika und Wörterbücher zeigt. Der Begriff Management stammt etymologisch vom italienischen maneggiare (= handhaben, bewerkstelligen, abgeleitet vom lateinischen manus = Hand) und kennzeichnet verantwortliches, zielorientiertes Planen, Entscheiden und Handeln. Gemeint ist im Idealfall professionelles Vorgehen durch "konzeptionelles und vernetztes Denken und Handeln im Wirkungsverbund"3 bei der Leitung und Führung von Betrieben und anderen sozialen Systemen. Der Manager ist ein "Mythos der Industriegesellschaft", "eine Chiffre für den Zeitgeist und vereinigt auf sich Siege und Niederlagen der Marktmechanismen und Fortschrittsideen"4. Der Begriff Manager suggeriert wirtschaftlichen Erfolg und signalisiert ein "smartes Leitbild erfolgreich geführten Lebens"5.
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Hermann Rauhe
Weil Machbarkeit sich zum Hauptmotiv des Managers bei immer schnelleren Wettlauf zum Markt entwickelt hat, ist der Manager als "Macher" in Mißkredit geraten. "Seine Qualitäten aber werden in Zukunft gefragt sein"6, besonders in Krisenzeiten. Dies gilt auch für den Bereich Kulturmanagement als Management für Kunst und Kultur, denn Kunst und Kultur brauchen kommunikative, technologische, organisatorische, soziale, rechtliche und wirtschaftliche Bedingungen, um sich optimal verwirklichen und entfalten zu können. "Wie die Elektrizität braucht Kultur Leitungen, Kontakte, Umschaltungen. Sie ist eine geistige Energie - aber sie bedarf eines Apparatesystems, das sehr kompliziert und empfindlich ist" (Ernst Robert Curtius, zitiert in Richter, Anm. 5, S. 17). Kulturmanagement als Management für Kunst und Kultur bezeichnet nach Franz Willnauer "planvolles, öffentliches, ökonomisch orientiertes Handeln, das sich auf künstlerische Inhalte oder kulturelle Ziele bezieht, auf die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft gerichtet ist und seine Ergebnisse in den Dienst der Allgemeinheit stellt" (vgl. den Beitrag von Dieter Stolte). Gemeint ist ein professionelles Handeln, das darauf zielt, - organisatorische, wirtschaftliche, rechtliche, soziale, kommunikative und technologische Bedingungen und Freiräume für die Entstehung, Entfaltung und Vermittlung von Kunst und Kultur zu schaffen, gerade auch in Zeiten drastischer Sparmaßnahmen, - sie in gesellschaftlicher Verantwortung zu pflegen und durch planvolles, wirtschaftliches Handeln in ihrer Kreativität und Originalität zu fordern, - künstlerische Gestaltungsenergien bei Kulturschaffenden durch Entlastung von organisatorischen und materiellen Problemen freizusetzen, - Kunst zu vermitteln, ohne sie zu verzwecklichen, ein Marketing für Kunst zu entwickeln, ohne sie zu vermarkten, - Kunst zum zentralen Faktor und Ferment gesellschaftlichen Lebens und gesellschaftlicher Entwicklung zu machen, - Kunst durch Vermittlung und Internalisierung ihrer Normen und Verhaltensweisen zur Kultur als Ausdruck "der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen" (Richard von Weizäcker), werden zu lassen, - (Frei-)Räume als Orte der "kulturellen Öffentlichkeiten" zu schaffen, in denen sich Menschen über Normen und Werte ihres Handelns verständigen (Hilmar Hoffmann), sowie - den produktiven Dialog zwischen Kultur, Verwaltung, Politik und Wirtschaft anregen und moderieren zu können mit dem Ziel der Entwicklung kreativer kultureller und künstlerischer Projekte, der "Erarbeitung von etwas Neuem, vom dem die Partner nicht zu Beginn schon wissen, wie es aussieht"7.
Aufgaben Die Aufgaben von Kulturmanagerinnen sind so vielfaltig und unterschiedlich, daß Andreas J. Wiesand mit Recht vor dem Begriff "Kulturmanagerln" als Bezeichnung für ein einheitliches Berufefeld warnt und den Vorschlag unterbreitet, bei den Qualifizierungsangeboten "zwischen Grundkenntnissen und anschließender Spezialisierung" zu
Kulturmanagement als Management für Kunst und Kultur
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unterscheiden.8 Aus der Fülle und Vielfalt der Aufgaben seien folgende exemplarisch herausgegriffen: - Kulturmanagerlnnen konzipieren, organisieren und realisieren Kunst- und Kulturprojekte, -initiativen und -Veranstaltungen. - Sie leiten, betreuen oder beraten private und öffentliche Kunst- und Kulturinstitutionen und -einrichtungen wie z.B. Opernhäuser, Theater, Orchester, Chöre, Festivals, Konzertdirektionen, Künstleragenturen, Museen, Kunsthallen, Galerien, Kultur- und Kommunikationszentren, Kulturbüros und -agenturen, Messe- und Kongreßgesellschaften, Kultusämter, -behörden, -abteilungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, Kulturabteilungen in Wirtschaftsunternehmen. - Sie sind Mitarbeiterinnen oder Leiterinnen von Kulturredaktionen oder -abteilungen in öffentlich-rechtlichen oder privaten Rundfunk- und Fernsehstationen, Verlagen, Zeitungen, Zeitschriften, Film-, Fernseh-, Tonträger- und Video-Produktionsgesellschaften. - Sie sind Geschäfitsführerlnnen oder Mitarbeiterinnen öffentlicher oder privater Einrichtungen der Kulturförderung. - Sie sorgen im Rahmen dieser Aufgaben für die Entwicklung eines professionellen Managements, u.a. für die Bereitstellung der erforderlichen Räumlichkeiten, Produktionszeiten und öffentlichen oder privaten Gelder, für ein zeitgemäßes Marketing. - Sie schaffen Entfaltungsmöglichkeiten und Freiräume für Kunst und Kultur, setzen künstlerische Kreativität in kommunikative und wirtschaftliche Leistungen um. - Sie bemühen sich, für das richtige Projekt den richtigen öffentlichen oder privaten Partner zu finden und durch gekonnt betriebswirtschaftliche Abrechnung für eine kostengünstige Verwendung der vorhandenen Mittel zu sorgen, um desto größere kreative Gestaltungsmöglichkeiten und künstlerische Freiräume zu schaffen. - Sie sind insofern Kommunikatoren, "Übersetzer", Brückenbauer, Koordinatoren, Integratoren, Katalysatoren, Ermöglicher, Gestalter und vielleich auch kulturell verantwortlich handelnde "Unternehmer". - Sie bemühen sich darum, neue Bündnisse, stimmige, sinnvolle aber auch unkonventionelle Partnerschaften zwischen Kultur, Wirtschaft, Verwaltung, Politik, Medien und Öffentlichkeit zu stiften und zu erproben, im Dialog mit den Partnern kreative Konzepte und Projekte zu entwickeln und gezielt zu verwirklichen (Projektmanagement zu betreiben); dabei Gestaltungsideen eines Künstlers/einer Künstlerin aufzugreifen oder anzuregen, neue Förderungsideen zu entwickeln und originelle Initiativen zu ergreifen. - Sie verstehen Sparmaßnahmen als besondere Herausforderung an ihre Kreativität, mit viel Fantasie dennoch Kunst und Kultur zu ermöglichen.
Berufs- und Menschenbild Eine solche Auffassung von Kulturmanagement erfordert ein bestimmtes Selbstverständnis und Berufeethos. Kulturmanagerinnen verstehen sich erstens als Anwälte von Kultur und Kunst: Wie sich Rechtsanwälte auf dem Boden des Gesetzes bewegen, sind die "Kulturanwälte" an die "Gesetze", Normen, Werte, Regeln der Kultur gebunden und dürfen sie auch dann nicht verletzen, wenn ihr "Mandant" (Auftraggeber) dies von ihnen erwartet oder gar verlangt: Sie bleiben Anwälte, Treuhänder und Sachwalter, Makler und Agenten
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Hermann Rauhe
für die Kultur und müssen in jeder Situation künstlerische Glaubwürdigkeit besitzen und vermitteln. Anderenfalls verlieren sie das spezifische Attribut "Kulturmanagerln". Kulturmanagerinnen sind aber auch insofern "Rechtsanwälte", als jeder Mensch das Recht hat, "am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen". Dieses Recht ist in der Charta der Vereinten Nationen (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) verankert und bedarf eines professionellen Kulturmanagements vor allem auf kommunaler Ebene, um verwirklicht zu werden. Kulturmanagerinnen sind zweitens Beraterinnen von Kunst und Kultur: Dies setzt kulturelle Kompetenz und Sensibilität, Liebe und Begeisterung für Kunst voraus, unabhängig von dem Bereich, in dem er/sie beratend tätig ist. Wie Unternehmensberaterlnnen die Interessen des Unternehmens vertreten und Konzepte zu dessen Entfaltung und Wohlergehen entwickeln, machen Kulturberaterinnen konstruktive Vorschläge und konzipieren Projekte, die der kreativen Entstehung und lebendigen Vermittlung von Kultur und Kunst dienen und diese nicht einengen und gängeln, sondern für sie Freiräume und Entfaltungsmöglichkeiten, Impulse und Herausforderungen, Produktions- und Distributionsmittel schaffen. Kulturmanagerinnen werden dadurch drittens zu Kulturvermittlerinnen: Sie sollten sich als Erzieher und als Förderer der Kunst und Kultur verstehen, die sich vom kunstpädagogischen Ethos kultureller Bildung und ästhetischer Erziehung leiten lassen, Menschen an Kunst und Kultur heranzuführen (und auch die materiellen Möglichkeiten dafür schaffen) und andererseits Kunst und Kultur zum Menschen bringen. Ihr Wirken sollte nicht primär wirtschaftlich bedingt und bestimmt sein, wenngleich es erhebliche ökonomische Konsequenzen hat: Je mehr Menschen durch Management für Kunst und Kultur zur aktiven Teilhabe an Kunst und Kultur motiviert werden, desto mehr werden kulturelle Einrichtungen genutzt, Bücher und Kunstgegenstände, Musikinstrumente und Noten, Ton- und Bildträger, Abonnements, Eintrittskarten für Konzerte und Museen, Theateraufführungen und Kunstausstellungen gekauft, Festivalund Kunstreisen gebucht. Jeder Musikerzieher betreibt unweigerlich Marketing für die Musikwirtschaft, wenn er Menschen zum aktiven Hören und Musizieren anregt. Denn dazu bedarf es der Anschaffung von Instrumenten, Noten, Büchern, Schallplatten und Konzertkarten. Insofern ist jeder Musikpädagoge auch Kulturmanager, so wie jeder qualifizierte Kulturmanager zugleich Kulturpädagoge sein sollte: Beide vermitteln Kunst und Kultur und gehen mit Menschen um, handeln zielorientiert, planen und organisieren, führen, kommunizieren und sind an rechüiche, wirtschaftliche und technische wie gesellschaftliche, kulturelle und politische Rahmenbedingungen gebunden.
Anforderungsprofil Aus dem eben formulierten Berufe- und Menschenbild ergibt sich ein Anforderungsprofil für Kulturmanagerinnen, das durch bestimmte Eigenschaften, Fähigkeiten und Kennmisse geprägt ist.
Kulturmanagement als Management für Kunst und Kultur
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Eigenschaften (Handlungskonstanten und Persönlichkeitsmerkmale) Welche Eigenschaften muß ein Kulturmanager haben? Diese Frage wurde in einer Enquete von 1985 von Führungskräften vorgelegt, die im praktischen Kulturleben stehen. Sie führte zum Ergebnis, daß folgende Eigenschaften am häufigsten genannt wurden: Liebe zur Kunst, Kontaktfreudigkeit, Kreativität, Spontaneität, Improvisationsgabe und Flexibilität. Franz Willnauer zitiert diese Enquete in seinem Beitrag zum Musikmanagement (in diesem Band) und korrigiert das Selbstbildnis der Befragten: "Für ein professionelles Management (nicht nur) im Kunstbereich kommt den auf Ordnung, Planmäßigkeit und Konsequenz ausgerichteten menschlichen Eigenschaften zumindest gleich große Bedeutung zu wie den auf Intuition und Improvisation beruhenden." Karl Richter führte 1992 eine entsprechende Befragung durch und faßte die Eigenschaften als "Managertugenden" in einem Stichwortkatalog zusammen: Er zeigt, daß diese Eigenschaften nicht nur für Kulturmanagerinnen gelten, sondern für Managerinnen allgemein. Zu den von Karl Richter aufgeführten Stichworten gehören: Aktivität, Argumentationsstärke, Ausdauer, Begeisterungsfähigkeit, psychische Belastbarkeit, Benehmen, Disziplin, Durchsetzungsvermögen, Durchhaltevermögen, Dynamik, Einfühlungsvermögen, Eloquenz, Engagement, Energie, Fairneß, Fingerspitzengefühl, Flexibilität, Geduld, Genauigkeit, Gesprächsbereitschaft, Güte, Hartnäckigkeit, Hingabe, Humor, Idealismus, Ideenreichtum, Integrität, Kommunikationsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit, Konsequenz, Konsensorientiertheit, Kontaktfreudigkeit, Konzentrationsvermögen, Kooperationsbereitschaft, Kreativität, Lauterkeit, Motivationsvermögen, Modernitätsanspruch, Neugierde: gegenüber Neuem aufgeschlossen sein, Offenheit, Organisationstalent, Phantasie, Raffinement, Risikobereitschaft, Ruhe, Selbstsicherheit, Standfestigkeit, Stilgefühl, Tkkt, Überzeugungskraft, Verantwortungsbewußtsein, Vertrauen erweckend, vielseitig interessiert, Vitalität, Wißbegierde, Zielstrebigkeit.9 Diese Auflistung von Charaktereigenschaften ergibt insgesamt das Bild eines "Titanen", eines "Übermenschen", des Idealbildes einer Persönlichkeit, wie sie in der Wirklichkeit kaum anzutreffen ist. Trotzdem ist dieses von Karl Richter entworfene Ideal eine wichtige Orientierung für die Auswahl, Aus- und Weiterbildung von Kulturmanagerinnen. Für Kulturmanagerinnen scheinen nach den vorliegenden Befragungen und Untersuchungen folgende Eigenschaften besonders wichtig zu sein: - Organisationstalent, insbesondere auch im Blick auf Selbstorganisation und eigene Zeitplanung (time management), - künsüerische, soziale, gruppendynamische Sensibilität bei gleichzeitiger psychischer Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit, Stabilität und "Härte", also die Verbindung von Sensibilität, Fingerspitzen- und Taktgefühl einerseits und Beharrlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit andererseits, - Kreativität und Originalität, Flexibilität, Offenheit, Geduld und Toleranz. - Begeisterungsfahigkeit bis zur Hingabe und Besessenheit in Verbindung mit Selbstkontrolle und Selbstdisziplin, - Phantasie und Vorstellungskraft mit der Gabe, packende Visionen und Utopien als "Vorfelder der Wirklichkeit" (Peter Jonas) zu entwickeln und sie durch innovative Handlungsstrategien und Schaffung finanzieller wie personeller Bedingungen zu realisieren.
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Hermann Rauhe
- Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich selbst zurückzunehmen, sich auf andere Menschen einzustellen, ihnen aktiv zuzuhören, Verständnis für ihre Sorgen und Probleme aufzubringen, - Vertrauen und Sympathie wecken durch Glaubwürdigkeit, Sicherheit, Klarheit, Souveränität, Gelassenheit, Aufgeschlossenheit und echte menschliche Anteilnahme (s.o.). - Als Sympathieträger über eine starke positive, optimistische Ausstrahlung und über Charisma verfügen. - Loyalität, Fairneß, Lauterkeit und menschliche Integrität, Güte und menschliche Wärme. Fähigkeiten (Handlungskompetenzen und Fertigkeiten): Grundfahigkeiten. Zu den Grundfähigkeiten, die für alle Managerinnen gelten, gehört erstens die Fähigkeit, erworbene Kenntnisse und Erfahrungen in Handeln umzusetzen. Hierzu bedarf es der oben genannten Eigenschaften (Handlungskonstanten und Persönlichkeitsmerkmale) und der im nächsten Abschnitt aufgeführten anwendungsbezogenen Kenntnisse. Zweitens geht es um die Grundfähigkeit, fallbezogene Integrations- und Transferleistungen zu erbringen, das heißt die vielfältigen Erkenntnisse und Erfahrungen im konkreten Einzelfall zusammenzuführen, zu übertragen und in Problemlösungsverhalten umzusetzen, das zur Bewältigung der spezifischen Aufgaben führt. Diese Fähigkeit kann nur in der Praxis erworben werden. Deshalb sollte sie schon während des Studiums in den Praxisprojekten durch "learning by doing" erworben werden. Sie ist nicht abstrakt und systematisch-theoretisch vermittelbar, so wie Erfährung generell nicht gelehrt und gelernt, sondern nur durch "trial and error" beim praktischen Handeln erworben werden kann. Hier liegt ein zentrales erziehungswissenschafitlich-didaktisches Grundproblem, das zum Teil auch ein erziehungswissenschaftlich-hochschuldidaktisches ist und für die Aus- und Weiterbildung von Managerinnen und Pädagoginnen in gleicher Weise gilt.10 Zu den Grundfähigkeiten gehören drittens folgende: - Die Fähigkeit zum konzeptionellen vernetzten Denken und Handeln im Wirkungsverbund, um die Vielzahl von Einflüssen frühzeitig erkennen, bewerten und in eigene Handlungen gestaltend einbeziehen zu können (Übergang von der Reaktion zur frühzeitigen Aktion unter den Bedingungen größerer strategischer Freiheit, die der kreativen künstlerischen Entfaltung und Gestaltung zugute kommt).11 - Mitarbeiterinnen motivieren und sensibel führen, einzelne und Gruppen zu zielorientiertem Handeln anleiten und Gruppenprozesse steuern, die Ursachen und Funktionen von Konflikten im Führungsprozeß erkennen, analysieren und in einen Konfliktlösungsprozeß überleiten können. Führen bedeutet, sich selbst und die "Geführten" zu kreativer Entfaltung zu bringen, ihr Selbstwertgefuhl zu fördern, statt es zu beeinträchtigen (siehe die Beiträge von Hans-Joachim Herms, Asmus Hintz, August Everding). - Sich in die Wahrnehmungs-, Empfindungs-, Ausdrucks-, Denk- und Gestaltungswelt eines Künstlers/einer Künstlerin ebenso hineinversetzen können wie in die eines Wirtschaftlers, Politikers oder Verwalters ("Bürokraten"), Verständnis für die ver-
Kulturmanagement als Management für Kunst und Kultur
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schiedenen Positionen, Betrachtungs-, Begriffs- und Sprachebenen der an einem Kulturprojekt Beteiligten aufbringen und zwischen ihnen vermitteln können (Peter Bendixen weist auf die besondere Bedeutung ästhetischer Wahrnehmung für die Kulturmanagementpraxis in seinem Beitrag hin; siehe auch "Zur Theorie des Kulturmanagements", M. Fuchs, Anm. 1). Franz Willnauer ("Musikmanagement"), Karl Richter ("Interkommunale Zusammenarbeit"), Werner Heinrichs und Eckart Pankoke bestätigen die Bedeutung dieser Grundfahigkeit für Kulturmanagerinnen, als Mittler zwischen den scheinbar unvereinbaren Psychogrammen und Sprachebenen von Künstlern, Politikern, Wirtschaftlern, Verwaltungsangehörigen und Medienvertretern zu wirken und Wege zu finden, das Unvereinbare zu vermählen und Brücken zu bauen zwischen der "Metrik des Verwaltungshandelns und der kreativen Freizügigkeit des kulturellen Bereiches" (Hans Herdlein). - Die Fähigkeit zur Vermittlung zwischen ideellem Anspruch und konkreten Möglichkeiten, die sich aus der Verbindung von Idealismus einerseits und Sachverstand, "Realitätssinn" und "Augenmaß" andererseits ergibt (Franz Willnauer, "Musikmanagement"). - Die Spannung zwischen künstlerischer Vision und ökonomischem Zwang, zwischen Kultur und Verwaltung zugleich als Lebenselement begreifen, denn "die Anatomie von Planung und Kulturellem zeitigt den dialektischen Gedanken, das nicht Geplante, Spontane selber in die Planung aufzunehmen, ihm Raum zu schaffen, seine Möglichkeiten zu verstärken"12 (Hilmar Hoffmann/Dieter Kramer). - Trends frühzeitig erkennen und kurzlebige Modeerscheinungen von ständigen Strömungen unterscheiden können: Hierbei ist die richtige "Nase" genauso wichtig wie die Kenntnis wissenschaftlicher Analysen und Prognosen zur gesellschaftlichen Entwicklung; Offenheit für Neues muß einhergehen mit einer sicheren Urteilsfähigkeit, einem breitgefächerten Erfahrungshorizont und einer differenzierten Kenntnis der Kulturszene. Zu den Grundfähigkeiten, über die ein/e Kulturmanagerln verfügen sollte, zählt Andreas J. Wiesand in seinem Beitrag "Zwischen Grundkenntnis und Spezialisierung"13: - Beherrschung komplexer Strukturen und Einflußebenen für die Förderung der Interessen des eigenen Betriebes. - Effiziente Administration, die eine Transparenz von Unternehmenszielen nach innen und außen ebenso gewährleistet wie die entsprechende Motivation von Mitarbeiterinnen und "Kundinnen". - Entwicklung eines unterscheidbaren Unternehmensbildes - inzwischen als wesentliche Voraussetzung einer "corporate culture" anerkannt - und dessen Transport in einer wirksamen und ehrlichen Öffentlichkeitsarbeit. - Vermeidung von Ausgaben, die nicht den Unternehmenszielen dienen und zugleich Anstrengungen zur Mehrung der Finanzen durch eigene Aktivität, die zunehmend auch in öffentlichen Kulturbetrieben erwartet werden. - Ein persönlicher, die unterschiedlichen Voraussetzungen und Ansprüche der Mitarbeiter achtender und sinnvoll verknüpfender Führungsstil im Unterschied zu bürokratischem oder diktatorischem Verhalten. - Erkennen der wachsenden internationalen Verpflichtung des eigenen Betriebes zahlreiche Kulturbetriebe arbeiten überwiegend mit festen und freien Mitarbeitern aus dem Ausland - und Nutzung der damit verbundenen Wirkungsmöglichkeiten ebenso wie Eindämmen der hier vorhandenen Gefahren.
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Aus all diesen genannten Aufgaben und Eigenschaften geht hervor, daß Kulturmanagerinnen besondere Fähigkeiten benötigen, die in vieler Beziehung jene von Wirtschaftsführern übersteigen, zumal sie meist nicht über entsprechende institutionalisierte Machtmittel verfügen. Spezifische Fähigkeiten. Zu diesen Grundfähigkeiten treten spezifische Fähigkeiten, die abhängen erstens von der Ebene der Tätigkeit (Topmanager oder Assistent, Leiter oder Mitarbeiter), zweitens von der Sparte (Musik, Theater, bildende Kunst, Literatur, Medien usw.) und drittens von der Art der Tätigkeit (Planung und Organisation, Controlling, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit u.a.). Zu den spezifischen Fähigkeiten gehören - je nach der Ebene und Art der Tätigkeit - unter anderen: - Aktivitäten effizient planen und die Organisation im Hinblick auf Funktionalität beurteilen und verändern können. - Vor dem Hintergrund der Erkenntnis betriebs-, kultur- und volkswirtschaftlicher wie kaufmännischer und finanztechnischer Grundlagen und Zusammenhänge in der Lage sein, optimale Bedingungen und ("Frei"-)Räume für die Entstehung und Vermittlung von Kunst und Kultur zu schaffen. - Die wesentlichen Marketinginstrumente situationsgerecht und ergebnisorientiert im jeweiligen kulturellen Umfeld einsetzen können. - Aufgrund der Kenntnis praxisrelevanter Rechtsstrukturen rechtliche Fragestellungen in dem jeweiligen Berufefeld erkennen und bewältigen können. - Kompetenz zur Mitarbeiterführung und Kommunikation, insbesondere die Fähigkeit, die Grundregeln der Kommunikation situations- und persönlichkeitsspezifisch anzuwenden, Kommunikationssperren und Kommunikationsstörungen zu erkennen und zu beheben, kommunikative Prozesse im Betrieb zu steuern und das kommunikative Wechselspiel zwischen Organisation und Zielgruppe im Sinne der Unternehmensstrategie und kulturellen Zielsetzungen zu gestalten. - Methoden des Brainstorming, der Sitzungsleitung und Verhandlungsführung beherrschen.
Kenntnisse Bei den für Kulturmanagerinnen relevanten Kenntnissen geht es grundsätzlich um praxisorientierte, das heißt praktisch anwendbare Kenntnisse und Techniken, wie sie in den Beiträgen dieses Buches exemplarisch vermittelt werden. Auch hier kann zwischen Grundkenntnissen und spezifischen Kenntnissen unterschieden werden. Zu den Grundkenntnissen gehört beispielsweise der Überblick über die wichtigsten Kultur- und Medieninstitutionen in Deutschland und Europa, wie sie in den Beiträgen des Kapitels 3 dieses Buches dargestellt sind, und über die Berufsfelder und Bereiche des Kulturmanagements und ihrer Beziehungen zueinander. Dazu zählen: - Orchester-, Theater-, Konzert-, Festival-, Messe- und Kongreßmanagement, - Künstlervermittlung, - Management in öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten, in Film- und Fernsehproduktionsfirmen, -ateliers und Atelierbetriebsgesellschaften, - Management in Schallplattenfirmen und Musikverlagen,
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- Management internationaler Beziehungen und Entwicklungen im Kultur- und Medienbereich (insbesondere im Blick auf das vereinigte Europa), - Management in Institutionen, Verbänden und Organisationen, Kulturstiftungen, Kulturämtern und Behörden, Weiterbildungsinstitutionen im Musik- und Medienbereich, in Musikschulen, Musikakademien und Konservatorien, - Kulturverwaltung, Kulturberatung und Kulturplanung auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, - Beratung für Kultursponsoring, - Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit in öffentlichen und privaten Institutionen und Unternehmen (z.B. Management in den verschiedenen Kulturbereichen). Zu den Grundkenntnissen gehört außerdem der allgemeine Überblick über die Grundlagen jener Bereiche, die sich in der Praxis des Kulturmanagements als besonders maßgeblich herauskristallisieren: Planung und Organisation, Mitarbeiterführung und Kommunikation, Marketing, Wirtschaft und Finanzen, Recht, Kultur- und Mediensoziologie und -politik. Zu den spezifischen Kenntnissen gehört je nach Ebene und Art der Tätigkeit neben der Kenntnis besonderer Fremdsprachen - die Vertrautheit mit besonderen Strukturen, Strategien, Methoden und Techniken des Managements in den verschiedenen Kulturbereichen, wie sie in Kapitel 4 dieses Buches systematisch dargelegt sind, unter anderen: - Planung: Kenntnis der wichtigsten Planungstechniken und -instrumente, der strategischen Rahmenplanung und Szenariotechnik zur Erstellung einer Projekt- oder Unternehmensplanung. - Organisation: Kenntnis der Grundlagen der jeweiligen Organisationen und deren wechselseitiger Abhängigheit in bezug auf Unternehmensstrategie, Organisationsstruktur und -entwicklung. - Mitarbeiterführung: Kenntnis der wichtigsten Motivationstheorien, Verhaltens- und Problemlösungstypologien, Führungsmodelle und Führungsstile, Ursachen und Funktionen von Konflikten und Konfliktlösungsmodelle. - Kommunikation: Kenntnis der psychologischen Grundlagen der Kommunikation, der wichtigsten Kommunikationssperren und -Störungen, der Kommunikationssteuerungsprozesse. - Marketing: Kenntnis der Grundlagen des Marketing und der Ausprägung am Markt, der Einordnung des Marketing in der Betriebswirtschaftslehre, des Marketing als Steuerungsinstrument, besonders im Hinblick auf die Elemente des Marketing-Mix, Kenntnis der Grundlagen der Kommunikationspolitik (Werbung/Public Relations/ Sponsoring etc.), vertiefte Kenntnis weiterer Komponenten des Marketing-Mix als Voraussetzung strategieorientierter Marketing-Maßnahmen, der Distributions- und Preispolitik, der wichtigsten Marketing-Steuerungsinstrumente und -informationssysteme wie Marketingstrategien. - Wirtschaft und Finanzen: Kenntnis des Zusammenhangs von Kulturmanagement und Wirtschafismanagement, der Grundlagen der Kulturökonomik und Kulturfinanzierung. Generell: Überblick über die wichtigsten Gegenstände und Methoden der Betriebswirtschaftslehre, der Grundlagen betrieblicher Entscheidungen, der Marktforschung und Produktgestaltung, der Preisgestaltung und Preispolitik, der betrieblichen Planungsprozesse wie Investitions- und Finanzplanung, Kapitalbedarfeermittlung, Er-
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gebnisrechnung und Bilanzanalyse, der Kostenrechnung und des Controlling, der Grundlagen der Kultur-, Medien- und Musikwirtschaft, der wichtigsten Kulturbetriebslehren (bezogen auf die jeweilige Sparte), Kenntnis der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Kulturwirtschaft (kulturelle Angebote als "weicher" Standortfaktor für die Wirtschaft), der Marktmechanismen und Wirtschaftsordnung, der wichtigsten Grundprobleme der Wirtschafts-, Geld-und Währungspolitik, der Grundprinzipien staatlicher Mittelbeschaflung und Mittelverwendung, des Fundraising und Sponsoring, der Aufnahme und Abwicklung von Krediten, Beantragung und Abrechnung von Zuschüssen und Subventionen. - Recht: Kenntnis der wichtigsten Grundbegriffe und Grundstrukturen des jeweiligen Berufefeldes (z.B. Oper und Orchester, Verlage, Medien, Institutionen und Verbände), der wichtigsten Organisationsformen, Vertragssysteme, Grundzüge des Bühnenund Vertragsrechts, des Urheberrechts, der Leistungsschutzrechte, des Medien- und Presserechts, des Kulturverwaltungsrechts, der Rechtsformen und des Steuerrechts. - Kultur- und Mediensoziobgie und -politik: Kenntnis der Kultur- und Medienstrukturen und -politik in Deutschland und Europa. Kenntnis der vielfaltigen Bedingungszusammenhänge und Vernetzungen von Kultur, Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Gesellschaft im Hinblick auf das eigene Urteilen und Handeln als Kulturmanagerln, insbesondere Kenntnis der Kunst-, Musik-, Theater- und Literaturszene, ihrer Strukturen und aktuellen Probleme; der Verbände und Organisationen, Stiftungen und Förderungseinrichtungen der Musikerziehung, des Laienmusizierens, der Rock- und Popmusik, des Jazz und der jazzverwandten Musik, der Aus- und Weiterbildung, der professionellen Orchester- und Theaterszene, der Festivals, der öffentlichen Musikförderung in Deutschland und Europa, der Kulturarbeit in den verschiedenen Bereichen.
Aus- und Weiterbildung Dieses Kapitel konkretisiert die vorangegangenen Ausführungen, denn praxisbezogene Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen orientieren sich an Zielen und Inhalten, die sich aus dem Berufe- und Menschenbild ergeben. Als Ergebnis des permanenten gesellschaftlichen Wandels werden sich die Berufefelder und Tätigkeitsbereiche immer wieder wandeln, neue werden hinzutreten.14 Insofern darf die - praxisorientierte! Ausbildung nicht festgeschrieben werden, sondern muß jeweils revidiert und modifiziert werden: eine permanente Revision des Curriculums ergibt sich auch aus den wachsenden hochschuldidaktischen Erfahrungen auf internationaler Ebene. In der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sich insbesondere das Zentrum für Kulturforschung (ZfK) auf Initiative seines Direktors Andreas Johannes Wiesand (seit 1989 Professor für Kulturmanagement an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater) mit der Entwicklung entsprechender Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen (vgl. den Beitrag von Ritva Mitchell und Andreas J. Wiesand). Im Anschluß an eine Fachkonferenz zum Generalthema "Zukünftiger Arbeitsmarkt und Qualifizierung der Musikberufe: Die Schlüssenfunktion der Musikhochschulen"15 im Dezember 1983 in Bonn, an der neben Hochschulrektoren vor allem Vertreter der Berufepraxis, u.a. der Theater, Orchester, Künstlerdienste, des Deutschen Bühnenvereins, der Gewerkschaften, der Zentralen Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung (ZBF) und der Medien und
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übrigen Kulturinstitutionen teilnahmen, gründete das ZfK mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft den "Qualifikationsverbund Kultur" mit dem Ziel, geeignete Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Förderung der Kultur auf kommunaler, Landes- und Bundesebene zu entwickeln. Wichtigstes Ergebnis war die Empfehlung, praxisbezogene Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Kulturmanager im Verbund jeweils mehrerer Institutionen durchzuführen. Flankierend unterstützt wurden diese Bestrebungen durch die ebenfalls vom ZfK gemeinsam mit seinen europäischen Partnerinstituten und unter dem Patronat des Europarates veranstaltete internationale Forschungskonferenz "Qualifikation für das kulturelle Management" im Congreß Centrum Hamburg 1987. An diesem ersten weltweiten Treffen von Fachleuten für diese Thematik nahmen Wissenschaftler, Ausbilder und Kulturbeamte sowie Manager von Kulturbetrieben und Stiftungen aus 25 Ländern (u.a. USA, Canada, Australien, Japan, UdSSR, Polen, CSSR, Ungarn und Jugoslawien) teil. Die Teilnehmer der Fachkonferenz waren sich darüber im klaren, daß in vielen, wenn nicht sogar in den meisten Fällen eher ein Bedarf für Studienangebote besteht, die zusätzliche Qualifikationen als Ergänzung zu einer bereits absolvierten Ausbildung oder sogar zur Berufepraxis bieten, weniger dagegen für ein Grundstudium des Kulturmanagements. In beiden Fällen sei es aber entscheidend, daß die Erfahrungen der Kulturpraxis und des dort schon vorhandenen Trainings "on the job" angemessen berücksichtigt werden müßten. Dafür sprächen die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen, aus denen sich unter anderem ergibt: - Die Anforderungen an Führungs- und sonstige Qualitäten im Bereich des "arts management" sind vielfältig und weit gespannt. - Die empirische Struktur von Managerkarrieren in der Kulturpolitik und Kulturwissenschaft belegt, "daß man es eher mit einem Berufeverbund zu tun hat - worin jedem Zweig ein eigener Arbeitsmarkt entspricht - als mit einem einzelnen Beruf'. - Zuletzt sollte die nüchterne Erkenntnis zu denken geben, daß erfahrene Kulturpolitiker - nach den wichtigsten Kriterien für die Auswahl von Top-Managern befragt sehr viel häufiger "Takt, Allgemeinbildung und Persönlichkeit" fordern als etwa "formale Ausbildung in Kulturadministration". Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse fand auch das von mir vorgetragene Konzept eines Diplom-Aufbaustudiums Kulturmanagement Zustimmung bei den internationalen Experten. Das am folgenden Beispiel dargestellte Konzept einer praxisbezogenen Ausbildung entspricht auch den neuen europäischen Maßstäben für die Qualifizierung von Führungskräften im Kultur- und Medienbereich, wie sie in dem Beitrag von Ritva Mitchell und Andreas Johannes Wiesand in diesem Buch dargelegt sind.
Ein Beispiel: Erster Diplomaufbaustudiengang Kulturmanagement in der Bundesrepublik Nach den positiven Erfahrungen mit dem bereits 1987 begonnenen viersemestrigen Teilstudium Kulturmanagement als "Wahlpflichtbereich" für die Studierenden künstlerischer Diplom-Studiengänge an der Hochschule für Musik und Theater und nach dem überzeugenden Ergebnis der ersten Abschlußprüfungen in diesem Bereich am Ende des Sommersemesters 1989 begann am 1. Oktober 1989 der erste Diplomauf-
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baustudiengang Kulturmanagement an einer bundesdeutschen künstlerischen Hochschule als viersemestriges Vollstudium (in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg, die ihre komplementäre Kompetenz insbesondere im wirtschafte- und politikwissenschaftlichen Bereich einbringt).16 Zugelassen werden Bewerberinnen, die ein Studium an einer künstlerischen oder wissenschaftlichen Hochschule im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes abgeschlossen und die Aufnahmeprüfung bestanden haben. Die Aufnahmeprüfung dient dazu, das von den Bewerberinnen angestrebte Berufeziel, die organisatorische und kommunikative Kompetenz und das Reflexions- und Verbalisierungsvermögen zu ermitteln. Bewerberinnen, deren Studium nicht in den Bereichen Kultur und Kunst lag, müssen zusätzlich ihre kulturelle Kompetenz in einem weiteren Aufhahmeprüfiingsteil nachweisen. Im schriftlichen Teil der Aufnahmeprüfung hat der Studienbewerber/die Studienbewerberin insbesondere darzulegen - die Gründe, die sie/ihn zur Wahl des Aufbaustudiums Kulturmanagement veranlaßt haben, - ihre/seine Vorstellung von einzelnen Berufefeldern des Kulturmanagemente und - ihre/seine Vorstellungen zur Gegenwart und Zukunft der Kulturmanagementpraxis. Im mündlichen Teil der Aufnahmeprüfung (Prüfungsgespräch von etwa 15 Minuten) soll der Bewerber/die Bewerberin im Gespräch über die eben genannten drei Themen ihre/seine Kommunikationsfähigkeit, Argumentations-und Überzeugungskraft nachweisen. Außerdem werden den Bewerberinnen 60 Minuten vor Beginn der mündlichen Prüfung drei schriftlich skizzierte Konfliktfälle zur Analyse, Interpretation und Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten vorgelegt, die sie im Rahmen der mündlichen Prüfung vortragen, erläutern und diskutieren sollen, wobei die Konzentration auf einen vom Bewerber ausgewählten Konfliktfall zulässig ist. Natürlich lassen die sich im Abschnitt "Anforderungsprofile" dargelegten Qualifikationen weder zuverlässig in einem noch so ausgeklügelten Aufhahmeprüftingsverfahren feststellen, noch in einem Studium vermitteln. Dennoch: Wenn wir verantwortlich ausund weiterbilden wollen, müssen wir das Qualifikationsprofil und die Leitziele vor Augen haben, die wir anstreben, wobei zwischen Grundqualifikationen und Spezialisierungen gemäß angestrebtem Tätigkeitsbereich (Ebene, Sparte und Art) unterschieden werden muß.17 Praxisbezug. Wir können im Studium versuchen, vorhandene Eigenschaften und Fähigkeiten zu fördern und zu entfalten und handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Kreativitäts- und Kommunikationstraining, zu vermitteln. Die entscheidenden Schritte muß allerdings der Studierende selber gehen, am besten durch "learning by doing" im Rahmen von Praktika und Praxisprojekten: Sie ermöglichen die fallbezogene Integration und Erprobung der erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse und sie schaffen Klarheit über das eigene Persönlichkeitsprofil mit den spezifischen Stärken und Schwächen, bezogen auf die oben aufgeführten Eigenschaften: Diesem Profil entsprechend sollte die individuelle Schwerpunktbildung in der Ausbildung, in der Wahl der weiteren Praktika und des künftigen Berufefeldes erfolgen. Entsprechend wird das Lehrangebot in Hamburg durch betreute Praktika und Praxisprojekte anwendungsbezogen gestaltet. Als Beispiel möge die Planung und Durchführung von Veranstaltungsreihen wie
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"Junges Forum Musiktheater" dienen: Ein Team engagierter Kulturmanagement-Studierender entwickelte und realisierte dieses Projekt in Zusammenarbeit mit den Musiktheater-Regie-Studierenden, die jeweils eine Inszenierung als Diplomarbeit abliefern müssen (Integrierter Studiengang Musiktheater-Regie in Kooperation von Musikhochschule, Universität, Staatsoper und Studio Hamburg). In diesem Zusammenhang werden die neun Inszenierungen (vorwiegend zeitgenössischer Opern) einer Saison (Spielzeit) jeweils zu einem geschlossenen, neuartigen Veranstaltungszyklus (Spielplan) zusammengefaßt, präsentiert und nach modernen Kommunikations- und Marketingmethoden vermittelt. Weitere Praxisprojekte sind: - die Kulturlotterie der Hamburgischen Kulturstiftung, - die Entwicklung eines Planungskonzeptes für das Klassikradio Hamburg, - Planung und Durchführung des Hamburger Hafenfestivals in der historischen Speicherstadt (jeweils zum Hafengeburtstag Mitte Mai) im Auftrag der Tourismus-Zentrale, - Planung und Durchführung des Kulturprogramms des Deutschen Turnfestes 1994 in Hamburg, - Planung, Koordination und Durchführung des Kulturprogramms des Deutschen Evangelischen Kirchentages 1995 in Hamburg und Bildung eines "Kulturverbunds" aller Kulturveranstalter und Kulturträger Hamburgs, - Planung und Gestaltung des Kulturprogramms einer modellhaften Senioren-Wohnanlage "Este-Wohnpark" in Buxtehude bei Hamburg mit einem von mir entwickelten neuen Konzept integrierten, individuellen Wohnens und aktiv gestaltenden sinnerfüllten Lebens im Alter: Organisation der vielfaltigen Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit allen Kulturinstitutionen, -vereinen und -Veranstaltern der Region, - Büroorganisation im Vorzimmer des Präsidenten: Terminplanung, Time-Management, Telefon- und Gesprächskontakte, Korrespondenz, Ablage, Reise- und Veranstaltungsplanung, - Mitwirkung beim Management des Studiengangs Kulturmanagement (unter Anleitung des Studiengangleiters und der Leiterin des Kulturmanagementsbüros: Betreuung der Gastdozentinnen und -referentinnen, Vor- und Nachbearbeitung des Studienbegleitenden Kolloquiums, Studienberatung etc.), - Mitwirkung beim Management des Kontaktstudiengangs Popularmusik (Kompaktkurse zur Weiterbildung ausgewählter Rock-, Jazz-, Performance-Künstlerinnen, die bereits in der Szene tätig sind, mit anschließenden öffentlichen Abschlußpräsentationen und Produktionen), - Management der Nachwuchssendereihe "NDR 3-Start" im Forum der Hochschule, - Organisation der Veranstaltungsreihe "Musikalischer Salon" (Musik und Gespräche) zur Außendarstellung der Hochschule und zur Gewinnung von Freunden und Förderern, Mäzenen und Sponsoren, - Einsatz beim Management der über 100 externen Veranstaltungen der Hochschule, - Mitwirkung beim Management der Veranstaltungsreihen "Europäische Hochschulen stellen sich vor" und "Konsularische Konzerte" (Präsentation der mehr als 90 Länder, die durch Konsulate in Hamburg vertreten sind). Jedes Praktikum und Praxisprojekt wird durch Mentoren des Studiengangs Kulturmanagement betreut, das heißt vorbereitet, begleitet und nachbereitet. Die Studierenden schreiben Praktikums- oder Projektberichte, die vom Mentor und einem Professor des
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Studiengangs bewertet und im Rahmen der mündlichen Abschlußprüfung diskutiert werden ("Disputation der Praktikumsberichte"). Außerdem wählt sich jede(r) Studierende spätestens am Ende des zweiten Semesters aus dem Kreise der Professorinnen, Lehrbeauftragten und Gastdozentinnen eine/n Betreuerin ("Tutorin"), der/die sie/ihn bezüglich der individuellen Schwerpunktsetzung, Wahl der Praktika/Praxisprojekte und spezifischen Ausrichtung des Studiums auf ein angestrebtes Berufeziel berät (in der Art einer studienbegleitenden Berufeberatung). Auf diese Weise ergibt sich ein — auch durch den gezielten Kontakt mit Gastreferenten geförderter — oft fast nahtloser Übergang in das Berufeleben.
Organisation des Studiums In der Organisation der Lehrangebote, Praktika und Projekte stützt sich das Diplomaufbaustudium Kulturmanagement auf positive Erfahrungen des Modellversuchs Popularmusik der Hamburger Hochschule: Gerade die Verbindung von Kompaktkursen und betreuten Praktika in der Szene und in den Medien erwies sich für den Lernerfolg und Praxisbezug als besonders fruchtbar. Dies gilt auch für die starke Einbeziehung vieler Praktikerinnen als Lehrbeauftragte und Gastreferentlnnen. Sie vermittelten ihre Erfährungen und ihr Können "aus erster Hand". Zu ihnen gehörten auch prominente Gäste aus der Szene, die über ihre eigene Erfahrung im Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und Fremdbestimmung berichteten und damit anschauliches Material für konkrete Fallstudien lieferten. Auch im Diplomaufbaustudium Kulturmanagement bringen führende Kultur- und Medienmanagerinnen und Spitzenunternehmerinnen ihre eigenen persönlichen Erfahrungen ein. Diese "Selbstzeugnisse" wirken für die Studierenden besonders überzeugend, motivierend und lehrreich, sofern sie durch kontinuierliche Vorlesungen, Seminare und Übungen zu den oben angeführten Themen systematisch eingegliedert werden und ihren Erkenntniswert dadurch voll entfalten. Trotzdem bleibt das Lehrangebot Kulturmanagement bis zum gewissen Grade offen, um einer Verschulung und bevormundenden Gängelung der Lernprozesse vorzubeugen und dem einzelnen Studierenden die jeweils individuelle Schwerpunktbildung im Hinblick auf das angestrebte Berufefeld und die entsprechende persönlichkeitsspezifische Integration der verschiedenen Informationen, Erkenntnisse und Praktikumserfahrungen zu überlassen. Dies ist umso wichtiger, als die Qualifikationsvermittlung nicht nur auf die Anpassung an derzeit übliche Kulturmanagementpraktiken, sondern ebenso auf das verändernde Hineinwirken in diese sich permanent wandelnde Praxis gerichtet ist. Das Lehrangebot Kulturmanagement umfaßt also regelmäßige Vorlesungen, Gastvorträge, Kompaktkurse, Exkursionen mit Fachleuten verschiedenster Branchen und betreute, leistungskontrollierte Praktika und Projekte, die von den Teilnehmerinnen eine intensive und substantielle Mitarbeit fordern. Im Dienste eines engen Praxisbezuges veranstaltet der Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eine eigene Ringvorlesung "Kulturförderung durch die Wirtschaft" mit Exponenten aus ihrem Kreise. In studienbegleitenden Kolloquien mit anschließendem lockeren Beisammensein werden die Lehr- und Lernprozesse ständig diskutiert, um notwendige Korrekturen möglichst schnell vornehmen zu können. Diese Kolloquien werden von Studierenden vor- und nachbereitet.
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Das von mir im Kontakt mit Praktikern, Pädagogen und Wissenschaftlern entwikkelte Konzept des Studiengangs stützt sich auf wissenschaftstheoretische und hochschuldidaktische Erkenntnisse der Handlungsforschung und Musiklehrerausbildung.18 Im Mittelpunkt steht die Projekt- und Prozeßorientierung aller Lehr- und Lernvorgänge: das "learning by doing" in Verbindung mit einer Reflexion, Evaluation (Erfolgskontrolle) und Revision der Lerninhalte und Lernvorgänge im Rahmen der Studienbegleitenden Kolloquien und der Konferenzen der Koordinatoren, die das Lehrangebot der oben aufgeführten sieben Bereiche (Planung und Organisation, Mitarbeiterführung, Kommunikation etc.) wie die Praktika und Projekte organisieren und inhaltlich abstimmen. 19
Lehrkörper Weil der Praxisbezug im Aufbaustudium eine besondere Rolle spielt, wirken im Lehrkörper vor allem ehrenamtlich und nebenberuflich tätige Teilzeitprofessorinnen, Gastdozentinnen und Gastreferentlnnen aus der Praxis mit. Sie vermitteln ihr Fachwissen und ihre Erfährung nicht nur in Vorlesungen, Seminaren und Gastvorträgen, sondern insbesondere auch "vor Ort" und "aus erster Hand" in ihren Betrieben und Institutionen. Zu den Gastreferentlnnen gehören nicht nur exponierte Vertreterinnen der genannten Berufefelder des Kulturmanagements, sondern auch besonders erfolgreiche, kompetente, kulturell engagierte und pädagogisch interessierte Spitzenunternehmerinnen aus der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern. Mit den übrigen Institutionen, die Kulturmanagement-Studiengänge anbieten, besteht ein enger Austausch. Unter anderem besteht mit dem Institut für kulturelles Management der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien, dem Magisterstudiengang öffentliche Kulturverwaltung und kommunaler Kulturarbeit der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, dem Studiengang Kulturmanagement der Femuniversität Hagen, dem Zusatzstudium Kulturmanagement der Musikhochschule "Hanns Eisler", Berlin, und dem Zusatzlehrangebot Kulturmanagement der Musikhochschule "Franz Liszt", Weimar, und der Akademie Remscheid ein enger Dozentenaustausch. Die Zusammenarbeit mit der am Aufbaustudiengang beteiligten Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg erfolgt durch einen Koordinationsausschuß, der sich aus Professorinnen, Studiengangsplanerlnnen und Studierenden beider Hochschulen zusammensetzt. Eine enge Kooperation besteht auch mit dem Institut für Musiksoziologie der Hochschule für Musik und Theater und dem MEDIACULT-Institut für audiovisuelle Kommunikation und kulturelle Entwicklung in Wien. Der Studiengang wird außerdem unterstützt vom Internationalen Musikzentrum IMZ in Wien (einem von der UNESCO gegründeten weltweiten Verband der wichtigsten Medien- und Musikinstitutionen): Eine Reihe von IMZ-Mitgliedern gehören dem Lehrkörper des Aufbaustudiengangs an. Auch die anderen maßgeblichen Institutionen des Musiklebens sind durch ihre Exponenten im Lehrkörper vertreten, so zum Beispiel der Deutsche Kulturrat, der Deutsche Musikrat, der Deutsche Musikverleger-Verband, die GEMA, die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten), der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, die Deutsche Phono-Akademie und der Arbeitskreis der Musikwirtschaft in Hamburg.
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Das Aufbaustudium wird mit der Diplomprüfung abgeschlossen. Die Bewerberinnen schreiben eine Diplomarbeit über ein Thema aus der Praxis des Kulturmanagements (drei Monate) und eine Arbeit unter Aufeicht (Klausur über fünf Stunden), ebenfalls über ein praxisbezogenes Thema. Sie sollen die Fähigkeit zur praxisbezogenen wissenschaftlichen Arbeit und theoretischen Reflexion unter Beweis stellen. Die mündliche Prüfung umfaßt die Disputation über die Praktikumsberichte (15 Minuten) und die Prüfung über den Gesamtbereich des Kulturmanagements und insbesondere über zwei von den Studierenden angegebene Spezialbereiche (30 Minuten). Nach dem erfolgreichen Abschluß der Prüfung erhalten die Absolventinnen des Aufbaustudiums das Diplom für Kulturmanagement.
Bedarf Immer wieder wird von kompetenter Seite auf den wachsenden Bedarf an Führungskräften im Kulturmanagementbereich hingewiesen, der sich aus der steigenden Bedeutung der Kultur in unserer Industrie- und Freizeitgesellschaft ergibt. Der amerikanische Trendforscher John Naisbitt stellt einen "Kunstboom, eine neue Renaissance" fest und beruft sich auf eine Aussage des ehemaligen Direktors des Metropolitan Museum of Art in New York, Thomas Hoving: "Wir leben in einer kunstbesessenen Zeit. Unsere Zivilisation setzt Kunst und Unsterblichkeit gleich. " John Naisbitt geht in seiner Prognose so weit, daß im nächsten Jahrzehnt die Kunst den Sport in seiner Rolle als dominierende Freizeitbeschäftigung ablösen wird. Herbert Read und andere beschreiben die "Rolle und Aufgaben der Künste in der Gesellschaft" im Auftrag der UNESCO-Kommission in dem Band "Der Mensch und die Künste" (Genf 1970). D'Arcy Haymann faßt sie in seiner Einfuhrung unter den Begriffen: "Kunst als Entdeckung, Vertiefung, Ausdruck, Bericht, Vermittlung, Deutung, Veränderung, Erhöhung, Ordnung, Integration" zusammen. Im Kapitel "Die Rolle der Kunst" der Loseblattsammlung "Der Kulturmanager: Erfolgskonzept und Arbeitshilfen"20 wird die Rolle der Kunst in folgenden Thesen formuliert: -
Kunst hilft High Tech zu ertragen; Kunst wird zum bewußtseinserweitemden Mittel; Kunst schafft neue Identitäten; die Ästhetisierung der Lebenswelt und der Kunst hilft, mit der zunehmenden Komplexität unserer Umwelt zu leben; Kunst und Leben verschmelzen; das Leben kopiert die Kunst; der Künstler wird zur sozialen Integrationsfigur; die Erfindungskunst schafft neue Wirklichkeiten; Kunst wird zum Vorreiter der Wirtschaft; Kunst wird zum kreativen Moderator von Wirtschaft und Gesellschaft.
Immer mehr Menschen erkennen, wie Umfragen (unter anderen vom DGB und von der DAG) zeigen, Kultur und Kunst als wichtigen Faktor für die Steigerung ihrer Lebensqualität. Der Andrang im Musik-, Theater-, Kunst- und Museumsbereich spricht eine eindeutige Sprache. Ein Boom kultureller Großereignisse belegt den deutlichen
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Trend zur Beschäftigung mit Kultur. Kultur ist kein verzichtbares Ornament, sondern gewinnt für viele existentielle Bedeutung. Das gilt aber nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit: "Kultur ist zum Ernstfell für die Zukunft unserer Gesellschaft geworden. ... Keine Gesellschaft kann ohne Kultur, ohne moralisch-geistige Werte und Wertschöpfungen, ohne Ideale bestehen. ... Kultur ist das essentielle Element, das eine Gesellschaft zusammenhält" (Kurt A. Körber).21 Kultur ist schließlich als Image- und Standortfaktor und als Kreativpotential zum wesenüichen Faktor in der Philosophie großer und mittlerer Unternehmen geworden. Aktiver Umgang mit Kultur und Kunst ist geeignet, die Unternehmenskultur, insbesondere die Corporate Identity, die Identifikation der Mitarbeiterinnen mit ihrem Unternehmen, zu stärken. Deshalb betreiben viele Unternehmen interne und externe Kulturförderung. "Die aktive Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur ist unabdingbar für ein fortschritdiches Unternehmen" (Matthias Kleinert in diesem Band, Seite 387ff.). Kunst und Kultur werden als Instrument der "Daseinsfürsorge" des einzelnen verstanden und eingefordert. Kunst gilt als unentbehrliches "Lebensmittel". Man spricht von der "Unentbehrlichkeit des Überflüssigen"22. Deshalb ist es auch unverantwortlich, in Krisenzeiten ausgerechnet an der Kultur zu sparen: "Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere eigentliche innere Überlebensfahigkeit sichert" (Richard von Weizsäcker). Daher ist gerade in Krisenzeiten antizyklisches Verhalten angezeigt, denn man kann eben nicht sparen, indem man an der Kultur spart. Vielmehr ist Kulturpolitik die bessere Wirtschafts- und auch Sozialpolitik. Das zeigt sich zum Beispiel am Wettbewerb der Länder und Kommunen untereinander hinsichtlich der Attraktivität für ansiedlungsinteressierte Betriebe und qualifizierte Mitarbeiterinnen, für Tagungen, Kongresse und Messen, für Urlauber und Touristen: Dabei spielen die "weichen" Standortfektoren, zu denen vor allem die Kultur gehört, eine wachsende Rolle. Deshalb gewinnt auch das "kulturelle Stadtmarketing" an Bedeutung. Aus all diesen Gründen steigt der Bedarf an Kultur in allen Bereichen. Er läßt sich ablesen an der Kulturszene und schlägt sich in der Kulturwirtschaft nieder: Diese gehört zu den dynamischen Wirtschaftszweigen, wie aus der wachsenden Zahl der steuerpflichtigen Unternehmen (Steigerung von 1982 bis 1986 um 28 Prozent) und ihrer Umsätze (Zuwachsrate von 32 Prozent in diesem Zeitraum) hervorgeht. Zum Vergleich: Die Zahl der Unternehmen der übrigen Wirtschaftszweige stieg nur um zehn Prozent, ihre Umsätze erhöhten sich lediglich um 14 Prozent. Kunst und Kultur leisten einen Beitrag von 40 Milliarden DM zur Entstehung von Einkommen, d.h. 2,3 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung (vergleichbar dem Bereich der Energieversorgung). Im Bereich Kunst und Kultur werden jährlich etwa fünf Milliarden Mark investiert (das entspricht 1,4 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Investitionen, vergleichbar dem Maschinenbau). Die Steuerleistungen und Sozialversicherungsbeiträge der im Kunstund Kulturbetrieb Tätigen übersteigen die öffentlichen Kulturausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden (neun Milliarden DM) und betragen insgesamt fest zehn Milliarden DM. Wie Albrecht Schneider in seinem Aufsatz "Zur Lage der Musikwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland"23, dem auch das oben angeführte Zahlenmaterial entnommen ist, feststellt, ist die Bundesrepublik Deutschland einer der größten Musikmärkte der Welt. So suchen z.B. die 605 Musikverlage mit ihren 9000 Beschäftigten nach
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professionell ausgebildeten Führungskräften. Entsprechendes gilt für die übrigen Bereiche des Kultur- und Medienmanagements, z.B. die weit mehr als 2500 Museen, mehr als 300 Theater und Festspielbühnen (davon eine ganze Reihe mit eigenem Orchester), etwa 50 andere Konzertorchester (davon zwölf in Rundfunkanstalten), etwa 6000 öffentliche Bibliotheken (außerdem mehr als 5600 wissenschaftliche und Spezial-Bibliotheken sowie 7600 "kirchliche und öffentliche" Bibliotheken), über 700 Musikschulen und etwa 40 Kunst- und Musikhochschulen, Musikakademien und Konservatorien, fest 7000 Verlage und Buchhändler, rund 1500 Film- und TV-Produzenten und 1500 Kinos, etwa 2000 Groß- und Einzelhändler für Schallplatten, Musikalien und Musikinstrumente, einige hundert private Unterhaltungsorchester und Tanzmusikformationen sowie einige tausend Pop- und Jazzgruppen (mit zumindest professionellem Anspruch), 350 Tonträgerhersteller, mehr als 2000 Galeristen und andere Kunsthändler (ohne Antiquitätenhandel mit nochmals fest 400 Firmen), etwa 24000 Architekturbüros und nochmals 4000 Ateliers für Gebrauchsgrafik und viele andere Firmen, die dem Kulturland Medienbereich zurechenbar sind und die es, über alle Handelsstufen zusammengerechnet, auf Umsätze von rund 85 Milliarden DM im Jahr bringen. Zum Vergleich: Die öffentlichen Kulturausgaben im Inland liegen, einschließlich Erwachsenenbildung, bei etwa neun Milliarden DM. Die Lage der Musikwirtschaft in der Bundesrepublik hat sich seit den detaillierten Untersuchungen von Albrecht Schneider im Jahr 1989 u.a. durch den zusätzlichen Bedarf in den neuen Bundesländern weiterhin verbessert. Mit einem Umsatz von mehr als vier Milliarden DM im Jahr 1991 (Endverbraucherpreis) hat sich die seit 1985 anhaltende positive Marktentwicklung bei bespielten Tonträgem fortgesetzt, deren Absatz sich 1992 gegenüber 1987 insgesamt um 37 Prozent erhöht hat. Der Stückabsatz an CDs stieg im Zeitraum von 1987 bis 1991 auf das Vierfache.24 Aus dieser Situation ergibt sich insgesamt ein wachsender Bedarf an qualifizierten, professionell ausgebildeten kreativen Kulturmanagerinnen.25 Erhöht wird der Bedarf an Kulturmanagerinnen durch die besondere Bedeutung, die der Kultur gerade angesichts des Wertewandels und der sich abzeichnenden weltweiten Struktur- und Konjunkturkrise zukommt. Außerdem steigt der Bedarf durch die moderne Medienlandschaft, die wachsende Zahl privater Rundfunk- und Fernsehanstalten und die dringende Notwendigkeit, Medienpolitik als Kulturpolitik zu verstehen. Denn die Medien gehören zu den wichtigsten Kulturträgern unserer Zeit und sollten ihren Kulturauftrag ernst nehmen: In dieser Auffassung stimmen der Wiener Musiksoziologe Kurt Blaukopf26 und der Mainzer ZDF-Intendant Professor Dieter Stolte überein: "Das Fernsehen ist Teil, Medium und Faktor der Kultur."27 Wichtig ist vor allem die auch von Asmus Hintz (in diesem Band) betonte Erkenntnis, daß ein kreatives und erfolgreiches Kulturmanagement gleichermaßen künstlerische wie organisatorische Qualifikationen erfordert: Management für die Kultur ist eben letztlich eine professionelle Kunst, die jener ungreifbaren und schwer zu beschreibenden Qualitäten bedarf, die eigentlich nicht lehrbar sind. Gemeint sind jene kreativen, intuitiven, imaginativen, visionären, rational schwer bestimmbaren Fähigkeiten, die auch den großen Künstler, Pädagogen und Praktischen Theologen ausmachen. Auf sie weist auch Albert Einstein hin: "Ich glaube an Intuition und Inspiration. Imagination ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt, während Imagination die ganze Welt umfeßt, den Fortschritt anregt und Bewertungen auslöst. Diese Fähigkeiten treten zu der unverzichtbaren wissenschaftlichen und praktischen Grundqualifikation als entscheidendes Moment hinzu, so wie beim Komponisten und Interpreten zur handwerklich-technischen Perfektion auch jene künstlerische Qualifikation hinzu-
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kommen muß, die zwar deutlich spürbar, aber kaum wissenschaftlich erfaßbar und lehrbar ist.29 Letztlich kommt es beim erfolgreichen Kulturmanagement darauf an, "zwischen Kreativität und Reflexion, Irrationalität und Pragmatismus, Flexibilität und Konsequenz den Ausgleich bzw. die der jeweiligen konkreten Situation angemessene Wirkung zu finden"30.
Anmerkungen 1
M. Fuchs (Hrsg.): Zur Theorie des Kulturmanagements, Remscheid 1993.
2
Bulletin des Bundesministers ßr Bildung und Wissenschaft 158, 23. November 1988, S. 140. Dieter Stolte (Fernsehen am Wendepunkt, München 1992, S. 75) prägt - besonders im Hinblick auf die Kulturfiinktion des Fernsehens - d e n Begriff der Alltagskultur, der "außerhalb der falschen Alternative von Elitekultur oder Populärkultur" liegt und erlaubt, nicht nur "beide Kulturen nebeneinander bestehen zu lassen", sondern darüber hinaus die Möglichkeit bietet, "Verbindungslinien zwischen beiden zu ziehen".
3
Armin Töpfer/Hartmut Mehdorn: Total Quality Management, Neuwied/Kritzel/Berlin 1993, S. 4.
4
Bernhard Görg: Zukunft des Managers - Manager der Zukunft, Wien 1989, S. 197-199.
5
Karl Richter: Der Kulturmanager. Zur Monographie eines Berufes, Band 1, Hagen 1992, S. 18.
6
Bernhard Görg, a.a.O.
7
Hilmar Hoffmann/Dieter Kramer: 'Kulturmanagement', in: Friedrich Loock (Hrsg.): Kulturmanagement: Kein Privileg der Musen, Wiesbaden 1991, S. 119-130, hier S. 123.
8
Andreas J. Wiesand: 'Zwischen Grundkenntnis und Spezialisierung', in: Friedrich Loock, a.a.O., S. 339-348, hier: S. 342-343.
9
Karl Richter, a.a.O., S. 40.
10
Hermann Rauhe: Wissenschaftstheoretische und hochschuldidaktische Grundfragen zur Musiklehrerausbildung. Praxisbezogene Analysen und handlungsorientierte Perspektiven integrierter musikpädagogischer Studiengänge, München 1978, S. 14-19; Hermann Rauhe: 'Musikerziehung als eine Vision des nächsten Jahrtausends', in: Wolfgang Winkler (Hrsg.): Teilöffentlichkeiten, Wien 1992 (= Musicologica Austriaca 11), S. 31-38.
11
Vgl. Anm. 3.
12
Theodor W. Adorno: 'Kultur und Verwaltung', zitiert nach: Hilmar Hoffmann/Dieter Kramer, a.a.O., S. 123.
13
Vgl. Anm. 8.
24
Hermann Rauhe
14
Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft, München 1992, insbesondere Kapitel 20: 'Mutation durch technische Medien', S. 242-250.
15
S. hierzu insbesondere: Hermann Rauhe: 'Alternative Qualifikationsangebote für neue musikalische Berufsbilder', in: Andreas J. Wiesand (Hrsg.): Musikberufe im Wandel, Mainz 1984, S. 38-50; besonders S. 46-47.
16
Hermann Rauhe: 'Kulturmanagement: Erster Diplomstudiengang in der Bundesrepublik Deutschland', in: Das Orchester 11/1989, S. 1066-1071.
17
Vgl. Anm. 8.
18
Vgl. Hermann Rauhe, Wissenschaftstheoretische und hochschuldidaktische Grundfragen, a.a.O.
19
Vgl. Anm 16.
20
Der Kulturmanager. Erfolgskonzept und Arbeitshilfen, Stadtbergen 1992, Abschnitt 2.2: 'Dimensionen des Kulturmanagement: Die Rolle der Kunst'.
21
Kurt A. Körber: Das Profit-Programm. Ein Unternehmer geht stiften, Hamburg 1992, S. 128-129.
22
Franz Willnauer: 'Kulturförderung durch die Wirtschaft', Beitrag in diesem Buch.
23
Albrecht Schneider: 'Zur Lage der Musikwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland', in: Musikforum 70, Juni 1989, S. 19-34.
24 25
Musik-Almanach 1993/94, Kassel/Regensburg 1992, S. 595-596.
26
Kurt Blaukopf: Beethovens Erben in der Mediamorphose: Kultur- und Medienpolitik ßr die elektronische Ära, Heiden 1989, S. 162-165; Kurt Blaukopf: Musik im Wandel der Gesellschaft, München 1982, S. 242-250; vgl. den Beitrag von Kurt Blaukopf und Hermann Rauhe in diesem Buch.
27
Vgl. Dieter Stolte, a.a.O., S. 75.
28
Zitiert nach Asmus Hintz' Beitrag in diesem Buch.
29
Hermann Rauhe: 'Kulturmanagement: Beruf oder Berufung?', in: Friedrick Loock, a.a.O., S. 256.
30
Franz Willnauer: 'Musikmanagement', Beitrag in diesem Buch (Seite 223ff.). Ebenso treffend wie geistreich ist das, was Klaus Umbach zum Kulturmanagement schreibt: "Kulturmanagement, das heißt Unmögliches unter einen Hut zu bringen. ... Wer ... versucht, gegen das künstlerische Chaos anzukämpfen, um es zu sterilisieren, bleibt unten. Denn es gibt kein Opernhaus, kein Theater, kein Orchester ohne Chaos. Andererseits wären sie Kunstkasernen" (in: Loock, a.a.O., S. 333).
Hermann Rauhe: 'Berufsbild Diplomkulturmanager/in', in: Peter Strahlendorf (Hrsg.): Jahrbuch Sponsoring, Düsseldorf 1992, S. 25-30, hier: S. 2930.
Kultur- und Medienstrukturen in Deutschland und Europa
Vom Kulturstaat zum Sponsor? Trends und Konflikte der Kulturpolitik und -finanzierung in Deutschland Andreas J. Wiesand
"Vielfalt" oder mehr vom Gleichen? Gefragt, wofür sie sich in erster Linie kulturpolitisch engagieren, antworteten im Winter 1992/93 Politiker und Administratoren von Bund, Ländern und Kommunen in einer Serie des Bonner "General-Anzeiger" beinahe unisono: um kulturelle "Vielfalt" zu fordern! Eine schöne Absicht, doch was soll man sich darunter eigentlich vorstellen? Bis vor etwa einem Jahrzehnt konnte die Vorstellung von Vielfalt im Kunst- und Medienbereich bei uns und in anderen europäischen Ländern noch als konsensfähig gelten. Der Begriff galt nicht nur als eine institutionelle, sondern auch als eine inhaltliche Kategorie, schloß also neben einer Vielzahl bestimmter Einrichtungen oder Betriebe (z.B. Theater, kulturelle Vereinigungen, selbständige Presseredaktionen u.v.a.) mindestens auch das Potential für unterschiedliche Gestaltungsvorstellungen und Auffassungen sowohl im künstlerischen wie im publizistischen Schaffen ein. So waren bis in die siebziger Jahre hinein Museen weniger für ihre Architektur und die Nähe ihrer Ausstellungen zum internationalen Mainstream berühmt als für das eigenständig entwickelte bzw. über Stifter entstandene Profil ihrer Sammlungen, Theater weniger für den Gagenspiegel von Intendanten oder Sängervermittlern als für den Eigensinn und die Gestaltungskraft ihrer Darsteller und Regisseure. Eine "Verifizierung" solcher Vielfältsbegriffe, beispielsweise durch Studien zu kulturellen Angeboten und Nutzerverhalten oder den direkten Dialog mit mehr oder weniger engagierten Gruppen innerhalb einer breiteren "kulturellen Öffentlichkeit'", war so lange kein Thema, wie die Daseinsberechtigung bzw. Funktionalität kultureller Institutionen ernstlich nicht in Frage gestellt wurde. Eine Ausnahme bildete die Hörer- und Zuschauerforschung im Rundfunk mit ihrer längeren Tradition; sie ist allerdings heute überwiegend zur "Quotenforschung" für das Werbeumfeld degeneriert. Vom Rundfunk ging in den letzten Jahren auch der Versuch eines ersten Brückenschlags zwischen Nutzerstudien zum Kultur- und zum Medienverhalten aus.2 Vergleichen wir diese Ausgangslage einmal mit der in den USA, die ja in rund 25 Jahren der Nachkriegszeit als Europas Vorbild galt. Dort war seit der Industrialisierung weniger die inhaltliche Vielfalt ("diversity") ein wünschenswertes Ideal, sondern eher der "melting pot" einer möglichst großen Auswahl ("variety") auch bei Kultur- und Medienprodukten. Dabei geht es um stilistisch möglichst einheitliche Genres, die während einer bestimmten zeitlichen Periode im Markt besonders nachgefragt sind und, mit geringen Variationen, angeboten werden (z.B. Schallplatten mit Country Music oder Soft Rock, Angebote in Vergnügungsparks oder Broadwayshows, Western oder New-
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Age-Filme usw.). Die Verifizierung solcher Nachfrage, z.B. über Umfragen, war und ist entsprechend wichtig. Eine öffentlich geförderte, breit gestreute kulturelle Infrastruktur konnte in dieser Vorstellung schon deshalb keine Rolle spielen, weil sie (mit Ausnahme des gut ausgebauten, aber der Bildung zugerechneten Bibliothekswesens und der Aktivität einiger Colleges) weitgehend fehlte, übrigens vielerorts auch heute noch fehlt. Eine lebendige, von Künstlern und nicht von Managern getragene Kulturentwicklung - die es, von der Politik meist unbeachtet, gleichwohl gegeben hat - war für die Konstituierung von kultureller Vielfalt in der öffentlichen Aufmerksamkeit kaum von Bedeutung, das bunte Treiben in New York oder San Francisco ist da eigentlich kein Gegenbeweis. Erst im Laufe der siebziger Jahre zeichneten sich durch eine Qualitätsdiskussion Veränderungen dieser "Kultur der Nachfrage" ab, unterstützt u.a. vom "National Endowment for the Arts", der vom Kongreß geschaffenen nationalen kulturellen Förderagentur, der später ähnliche Einrichtungen in den Bundesstaaten und z.T. auch auf kommunaler Ebene folgten. Während der Reagan-Ära kam dieser Prozeß aus verschiedenen Gründen ins Stocken, darunter vor allem der Druck von Vertretern seiner "moral majority", der ähnlich verheerende Wirkungen hatte wie etwa der in dieser Zeit beschlossene Abbau von Steuervergünstigungen für private Stifter.3 Entgegengesetzt, so scheint es, entwickeln sich die Veränderungen hierzulande: Wo man früher mit der angeblich unpopulären Kultur nichts im Sinn hatte, genießen Politiker und Verwalter heute die Aufmerksamkeit, die ihnen als vermeintlichen neuen "Mäzenen" zuteil wird; und weil der Appetit beim Essen kommt, verändert sich allmählich die Vorstellung eines idealen, angeblich "publikumsfreundlichen" Angebots weg von der Stadtteilbücherei oder dem städtischen Sinfonieorchester hin zu Großausstellungen, Musikfestivals und anderen Formen der "Event-Kultur". Da diese Art der Kultur (zum An- und Ausknipsen) aber keineswegs billig und die Zeit der großen Etatzuwächse wie in den 80ern vorbei ist, wird man auf der anderen Seite nicht müde, nach Sponsoren zu rufen, mit deren Hilfe die öffentlichen Haushaltslücken gestopft werden sollen. Echte Privatinitiativen sind dagegen bei manchen Offiziellen weniger gefragt, schon gar nicht, wenn es sich um Angebote handelt, die wenig überregionale Resonanz versprechen, etwa in ländlichen Gebieten oder in der kulturellen Stadtteilarbeit, die ohne das Interesse der Bürger und ihr freiwilliges Engagement gar nicht funktionieren könnten.4 Es mag sein, daß auch hier Unsicherheiten über die eigene Rolle als Kulturpolitiker mitspielen, denn immerhin lassen sich Aktivitäten der freien Szene nicht so leicht steuern wie Regiebetriebe. Im letzten Jahrzehnt ist einerseits das Stifitungs-Steuerrecht liberalisiert und ergänzt worden, andererseits sind aber eine Reihe öffentlicher oder doch staatsnaher Länderstiftungen entstanden, deren Aktivitäten und finanzielle Transaktionen teilweise kaum mehr zu durchschauen sind.5 Wo es neue Förderschwerpunkte gibt, setzt man teilweise weniger auf Vielfalt und Dezentralität von Initiativen, stattdessen eher auf Repräsentation und Spektakel; entsprechend dominiert ein - auch für Tklk-Shows passendes - manchmal schon uniformes Namedropping mit Musiker- oder Bühnenstars sowie, nicht ganz passend für eine Demokratie, mit Dichter- und Maler-"Fürsten": Es sollen schließlich ein paar Blätter vom Lorbeer in die eigene Suppe der Veranstalter oder Kritiker fallen... Inzwischen wehren sich auch schon Repräsentanten des Kulturlebens - wie bei seinem Amtsantritt vor einigen Jahren der Präsident des Deutschen Musikrates, Franz MüllerHeuser, in einem "Spiegel"-Interview - gegen die Festivalitis und den "Verschleißzirkus", dem gerade junge Tálente heute ausgesetzt sind. Bekannte Schriftsteller und
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Künstler, darunter viele, die 1989/90 den Aufbruch in der DDR entscheidend prägten, suchen der Vereinnahmung durch Politik und Medienmarkt, vor allem aber wohl dem nach ihrer Ansicht fehlenden ästhetischen und historischen Differenzierungsvermögen einer neuen Machergeneration durch innere Emigration zu entgehen. Sogar in den USA treten nun schon erfolgreiche Künstler speziell gegen Großvermarkter und -sammler von Kunst an, die nur spekulieren und ihr Risiko minimieren wollen.6 Dennoch: Solche Stimmen liegen derzeit außerhalb des Trends. Viele Erwartungen richten sich nun, gerade was Finanzierungsstrategien betrifft, auf "Kulturmanager" und bei solchen Erwartungen gerät dann, zugunsten ertragsorientierter Vermarktungskonzepte von Produkten und Leistungen, häufig die mit den einzelnen Sparteninstitutionen(oder -betrieben) traditionell verknüpfte Aufgabendifferenzierung aus dem Blickfeld, ähnlich wie übrigens der aus sozialdemokratischen und bürgerlichen Bildungsidealen übernommene Gedanke einer Zugänglichkeit der Kulturangebote für alle Bürger. Das frühere Juristenmonopol der Verwaltung wird mehr und mehr durch Theorien der Volksund Betriebswirte ergänzt, zum Teil als wohlfeile Patentrezepte mißverstanden, gelegentlich aber auch genauso angeboten.7 Nach dem Muster von Marketingstrategien großer Markenartikelfirmen werden Kunstwerke jetzt in einen neuen Typ Ausstellungsinstitution eingebunden, die u.a. als Durchlauferhitzer und Vorbörse für die Leihgaben von Sammlern fungiert oder, in dem künftig auf Venedig, Salzburg und Bilbao, vielleicht auch Karlsruhe, ausgeweiteten Franchise-Modell des New Yorker Guggenheim-Museums von vorneherein gar nicht mehr für Dauersammlungen bestimmt ist. Stattdessen wird ein Ausstellungszirkus organisiert, der vor allem auf den Touristen und Flaneur abzielt, deren Brieftaschen locker sitzen. Walter Grasskamp resümiert den Nachfragetrend beim Museum (als jener deutschen Kulturinstitution, die im letzten Jahrzehnt auch in den öffentlichen Etats am stärksten zulegen konnte): "Ausstellungen, die nicht zugleich auch Medienereignisse sind, finden immer weniger Sympathie bei Geldgebern und Sponsoren. Marketingkenntnisse, Managementerfahrungen und Geschick für gepflegtes fund raising sind für den Kulturbetriebswirt vonnöten; eine dickfellige Bürokratie-Toleranz, das Fahrtenschwimmerzeugnis in allen Strudeln des mainstream und kantenlose Eleganz empfehlen den Museumsleiter der Zukunft. " 8 Teilweise werden inzwischen auch bei uns - bewußt in Konkurrenz zu den USA und Japan (wo man aber gar nicht so primitiv-materialistisch denkt, wie im EG-Europa oft unterstellt) - langfristige, multimediale Vermarktungsstrategien für Kulturangebote geplant. Sogar Verantwortliche einzelner öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten beginnen sich - wie es zunächst heißt: aufgrund der Gebühren- und Kostenentwicklung - analog zu ihren privaten Konkurrenten eher als " Anbieter" vorgefertigter audiovisueller Software denn als aktive Produzenten und Vermittler zu verstehen. Stehen wir also vor einer dramatischen Trendwende im Kulturleben? Werden wir am Ende tatsächlich, entsprechend der uns zugewiesenen Funktion im Kulturmarkt, als arbeitsteilige Zulieferer oder als Endverbraucher von jener "Kulturindustrie" vereinnahmt, in der Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit ihrem berühmten - allerdings im amerikanischen Exil verfaßten - Essay uns schon vor 50 Jahren ansiedeln wollten, als in einigen Sparten noch nicht einmal das Manufakturzeitalter des Kulturbetriebs begonnen hatte?9 Hat der Sponsor den Kulturstaat eingeholt oder gar bereits ersetzt?
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Öffentliche und private Kulturfinanzierung: Daten und Begriffe Die eben formulierten Fragen und Vermutungen, die man bei Akademieseminaren oder in einigen Qualitätsfeuilletons inzwischen nicht mehr selten hört oder liest, sind zwar plakativ, treifen aber nur teilweise ins Schwarze unserer Kulturentwicklung: - Zunächst ist es immer wieder faszinierend, daß Analysen des Programmangebots die allgemein konstatierte "kulturelle Verarmung" durchaus nicht so ohne weiteres nachvollziehbar machen (man denke nur an die heute zur Verfügung stehende, ungleich größere Zahl von Hörfunkangeboten in minoritären Genres wie Jazz oder internationale Volksmusik!) - allerdings sind die wissenschaftlichen Indikatoren und Sensoren für eine eventuelle inhaltliche "Verflachung" derzeit methodisch noch nicht sonderlich gut entwickelt - was eher Erwartungen eines insgesamt veränderten Nutzerverhaltens bei Kultur- und Medienangeboten zu stützen scheint, hin zu größerer Beiläufigkeit des Konsums und zu einer gewissen Entwertung einzelner Werke und ihrer Urheber. - Sodann ist bereits die, oft unausgesprochene, Erwartung, daß bisher die öffentliche Hand für die Finanzierung unseres Kulturlebens praktisch allein verantwortlich gewesen sei und diese staatliche oder kommunale Kulturlandschaft nun durch private Sponsoren in Gefahr gebracht würde, der Sache nach unzutreffend. - Weiter sind der privat getragene Kulturmarkt, gerade Initiativen von Künstlern und engagierten Bürgern sowie auch produzierende und vermittelnde Betriebe der "kleinen Kulturwirtschaft" durchaus nicht nur auf Finanziers oder gesichtslose Medienkonzerne zu reduzieren. - Und schließlich kann einigen verstaubten Zöpfen des Kulturbetriebs ein wenig Durchlüftung kaum schaden, einschließlich eines weniger verkrampften, dabei aber transparenteren Umgangs mit dem Geld. Zu den vor allem umstrittenen finanziellen Größenordnungen nun einige Daten und Überlegungen, die sich auf verschiedene Untersuchungen des Zentrums für Kulturforschung und seiner Partner aus den letzten Jahren stützen:10 Viel war im vergangenen Jahrzehnt vom Verhältnis "Kultur und Wirtschaft" die Rede, doch wurde darunter bis in die zweite Hälfte der achtziger Jahre hinein überwiegend nur das sogenannte "Mäzenatentum" und anschließend - ein wenig realistischer - das "Sponsoring" verstanden. Hin und wieder, so etwa beim damaligen Ministerpräsidenten und Stuttgarter Vordenker, Lothar Späth, kamen auch Wechselwirkungen zwischen künstlerischer und Arbeitsproduktivität zur Sprache und neuerdings wird man sich wieder etwas stärker der Wirkungen künstlerischer Ideen und Muster auf Strategien der Differenzierung in Produktion (Design) und Absatz (Marketing, Werbung) bewußt, letzteres keineswegs mehr nur im davon entscheidend abhängigen Konsumgütermarkt, sondern zunehmend im Dienstleistungsbereich (z.B. bei Banken und Versicherungen). Bei solcher Interessenlage konnte leicht übersehen werden, daß die Gegenleistungen der Wirtschaft für die Kultur hierzulande insgesamt doch eher bescheiden sind, vergleicht man sie etwa mit jenen der öffentlichen Hand, und daß es zudem eigene Kulturmärkte gibt, die in weit größerem Ausmaß den Wirtschaftsfaktor Kultur repräsentieren. Bleiben wir gleich bei letzterem: Es hat sich zwar herumgesprochen, daß nicht nur öffentliche Museen und Opernhäuser zur Kultur zählen, meist landen aber die Verfechter des erweiterten Kulturbegriffs automatisch bei der "Soziokultur" oder beim Lifestyle. Damit wird ausgeblendet, daß weite Teile der Kulturwirtschaft zweifellos als elementare
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Bestandteile des kulturellen Lebens zu definieren sind, denn hierunter fallen nach den Daten der amtlichen Umsatzsteuerstatistiken etwa: - der Buch- und Literaturmarkt, vom Verlag bis zum Antiquar, mit Gesamtumsätzen von mehr als 22 Milliarden DM (1990), - die Film- und Videowirtschaft, die es - ohne filmtechnische Betriebe und auch ohne das öffentliche oder private Fernsehen - auf mehr als 7,5 Milliarden DM brachte, - Betriebe der Musikwirtschaft wie ζ. B. die Phonographische Industrie, Fachgeschäfte des Musikhandels oder Musikverlage mit einem fest gleich hohen Ergebnis, - der Kunstmarkt (Galerien, Kunstverlage etc.) mit Umsätzen von nunmehr fast zwei Milliarden DM sowie - weitere Kulturbetriebe, vom Privattheater bis zur freien Tknztruppe, die sich auf knapp 500 Millionen DM beziffern lassen - immer in den Grenzen der durchaus nicht vollständigen amtlichen Statistik, die nur für die alten Länder ausgewertet werden konnte. Somit haben wir es hier mit einem finanziellen Gesamtvolumen von insgesamt mehr als 40 Milliarden DM zu tun, dessen Wachstum traditionelle Wirtschaftsbranchen in den Schatten stellt (1988 waren es erst knapp 34 Milliarden, 1980 nur rund 20 Milliarden DM). Weitere, hier geschätzte vier Milliarden DM Umsätze in Branchen, die in der Umsatzsteuerstatistik nicht unter "kulturwirtschaftlichen Kategorien" erfaßt werden, könnten hinzugerechnet werden (z.B. Auktionshäuser). Dazu kommen die Umsätze der selbständigen Künstler und Autoren, die 1990 knapp 2,4 Milliarden DM betrugen und seitdem weiter gestiegen sind. Publizistisch und politisch weit überbewertet werden demgegenüber offensichtlich die materiellen Beiträge von privaten Sponsoren, Stiftungen und Förderern zu einem - nur rechnerisch und nach dem heutigen Stand der Kulturstatistik teilweise auch nur mit Schätzungen möglichen - "Gesamtbudget" aller in der und für die Kultur verausgabten Mittel. 1989 wurden diese privaten Beiträge vom Zentrum für Kulturforschung auf knapp 300 Millionen Mark veranschlagt; Marlies Hummel vom Münchner ifb-Institut für Wirtschaftsforschung schätzte sie kürzlich für 1991 auf nunmehr rund 360 Millionen DM. Sie hält auch fest: Die Betonung des Imageaspekts hat zu einer verstärkten Nachfrage nach öffentlichkeitswirksamen, aber zunehmend kostspieligeren Maßnahmen geführt... Die Kostenentwicklung für spektakuläre Maßnahmen ist nicht ohne Rückwirkungen geblieben. Daher muß vor überzogenen Vorstellungen über die zukünftige Rolle privater Kulturausgaben gewarnt werden. Ansätze zu einer Förderung von Kunst und Kultur, wie sie durch den Staat bewirkt wird, sind weiterhin nicht zu erkennen (Ifo-Schnelldienst 3/1992). Der beste Beleg für den Nutzen der Privatinitiative wird daher vielleicht sogar im bunten Feld ehrenamtlichen Engagements erbracht, also von jenen Zigtausenden von Menschen, die ohne Bezahlung oder nur für Kostenersatz in kulturellen Vereinigungen für ihre Anliegen wirken und ihre Interessen streiten, ob es sich nun um Verantwortliche einer Liedertafel, Mitarbeiter eines alternativen Kommunikationszentrums, den nur künstlerisch professionellen Musikernachwuchs einer Jazzformation oder die "Macher" eines der über 150 Kunstvereine handelt, denen gerade jüngere Künstler so viel zu verdanken haben. Versuchtman, solche Tätigkeiten einmal ganz "konservativ" in Mark und Pfennig hochzurechnen, bringt das auf Anhieb mindestens 400 Millionen DM, also deutlich mehr als die Etats vielumworbener oder sich selbst darstellender Sponsoren oder "Mäzene".
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Abbildung 1 Öffentliche und private Kulturfinanziening 1990/91. Kulturwirtschaft und Medien / Staat und Kommunen / Sponsoren und Bürgerinitiativen. Angaben in Milliarden DM. (1) Private Stifter/Sponsoren (Hochrechnung nach dem Ifo-Institut tur Wirtschaftsforschung); (2) "eingesparter" Wert ehrenamtlicher Tätigkeiten (Schätzung Zentrum fur Kulturforschung [ZfKf]); (3) Umsätze selbständiger Künstler/Autoren (Umsatzsteuerstatistik); (4) Ausgaben öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten ohne Auslandssender Deutsche Welle (Jahrbuch ARD/ZDF); (5) öffentliche Kulturetats ohne Auswärtige Kulturarbeit (Hochrechnung nach Teilergebnissen der KMK, auf Basis der Haushaltsergebnisse des Statistischen Bundesamts einschließlich wissenschaftlicher Museen und 50% Volkshochschulen) und unmittelbare Einnahmen, inbesondere Eintrittsgebühren etc. (ARCult); (6) Umsätze Kulturwirtschaft im engeren Sinne (Buchverlage, Film, Galerien, anderer privater "Kulturkonsum") und sonstige, in der Umsatzsteuerstatistik nicht erfaßte Branchen (Schätzung ZfKf). Quelle: Zentrum für Kulturforschung/ARCult, Bonn 1993. Der Erfolg der Kulturwirtschaft relativiert allerdings auch die Beteiligung staatlicher und lokaler Instanzen an der Kulturfinanziening: Die öffentliche Hand verbucht nämlich bei einer Gegenüberstellung aller Träger des Kulturlebens kaum mehr als 20 Prozent, und zwar selbst dann, wenn man die "Betriebseinnahmen" öffentlicher Kultureinrichtungen wie Theater, Museen oder Musikschulen mit rund einer Milliarde Mark noch hinzurechnet. Die Aufwendungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die durch Gesetz und Rechtsprechung ausdrücklich einen "kulturellen Auftrag" haben lagen 1991 bei knapp 9 Milliarden DM. Das Schaubild (Abbildung 1) veranschaulicht die Relationen in Anhaltswerten für die alten Länder, wobei Umsätze und Ausgaben von etwa 66 Milliarden DM zusammengefaßt wurden. Amtliche Daten zu den Neuen Ländern liegen in vergleichbarer Form noch nicht vor, sie wären allerdings wegen der besonderen Übergangsprobleme (einschl. des vorübergehend bis in Milliardenhöhe reichenden Bundesanteils) ohnehin nicht direkt vergleichbar. Die in Abbildung 1 schon sichtbare Differenzierung von Trägern und Interessenfeldern legt Anstrengungen in der Begriffsbildung bzw. bei der Überprüfung von gängigen Erwartungen nahe. Die verschiedenen Formen privater Finanzierung und Förderung haben jedenfalls deutlich voneinander abweichende Funktionen und Motivationen, sollten daher möglichst nicht gegeneinander aufgerechnet werden: Die von Unternehmern oder
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Betriebsleitungen aus persönlicher oder gesellschaftlicher Verantwortung betriebene individuelle Förderung künstlerischer Spitzenleistungen (z.B. in Form von Preisen und Stipendien), die in den letzten Jahren sprunghaft angestiegenen Sponsoring-Aktivitäten mit ihren weitgehend betriebs-wirtschafitlichen Motivationen oder auch die betriebliche Kulturarbeit, die ganz eigene Bedeutungen hat, können sich jedenfalls gegenseitig nicht ersetzen. Produktiv für das Unternehmen, mindestens für sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder unter seinen Mitarbeitern, wird ohnehin nur das sein, was glaubwürdig vermittelbar und sachverständig-engagiert vorbereitet ist. Wie zu sehen war, gilt diese Notwendigkeit zu einer Differenzierung auch für das Verhältnis privater zu öffentlicher Aktivität, muß im übrigen sogar die Angebote der Medien, der Kulturwirtschaft sowie die freien oder privat geförderten Initiativen einschließen. Diese verschiedenen Formen der Aktivität im kulturellen Bereich korrespondieren aber untereinander und durchaus auch mit Intentionen und Bedürfnissen der Künstler oder Autoren, was bedeutet: Erst gemeinsam tragen sie zu jenem Gesamtbild bei, das wir als Kultur einer Gesellschaft bezeichnen können, ein Netz von Bedeutungen, Formen und Verbindlichkeiten, in der auch Kunst durch oder "im Unternehmen" ihren Platz hat. Alles in allem können wir zunächst einmal festhalten: Auch in Europa werden Teile der Kultur durch die Herrschaft der Konsumenten geprägt; in einigen Bereichen (z.B. Literaturbetrieb, aktuelle Bildende Kunst, Laien-, Pop- und Unterhaltungsmusik sowie Film) haben privatwirtschaftliche Aktivitäten, private Vereinigungen und unabhängige Träger bereits seit langem eine größere Bedeutung für die kulturelle Entwicklung als - sofern überhaupt vorhanden - die Arbeit entsprechender öffentlicher Institute; der Sponsor hat demgegenüber in Deutschland noch nicht die Schlüsselgewalt in der Kulturfinanzierung übernommen.
Die Komplementärfiinktion des öffentlichen Arbeitsmarkts Ebensowenig wie man die ökonomische Kraft der Kulturwirtschaft unterschätzen sollte - immerhin wächst sie zwei- bis dreimal so schnell wie die übrige Wirtschaft - sollte die entscheidende Rolle geschmälert werden, die der öffentlichen Förderung für das Entstehen und die Verbreitung von Kultur in den Bereichen Musik, Theater, Literatur, Film und großen Teilen der bildenden Kunst zukommt. Sie gibt, wie auch neuere Untersuchungen zeigten,11 vielfach der Kulturwirtschaft erst die personelle und finanzielle Grundlage für ihre Aktivität, wirkt also eher komplementär. Das hat auch damit zu tun, daß der Staat - vom Film einmal abgesehen - in der Regel die Eigengesetzlichkeit kulturwirtschaftlicher Branchen respektiert, selbst nicht in Konkurrenz zu deren Angeboten tritt und nur solche Hilfen bzw. Steuerungsmaßnahmen anbietet, die ausdrücklich erbeten wurden (Beispiel: die Preisbindung für Bücher). Für die (kulturelle) Bildung und weitere, stärker "hoheitlich" besetzte Felder, in denen sich private und künstlerische Initiativen nebeneinander tummeln, läßt sich Gleiches nicht immer behaupten... Die Kultur- und Medienwirtschaft neigt zu Investitionen dort, wo es daneben noch öffentliche Kunst- und Bildungsangebote und ebensolche öffentlichen Zuschüsse gibt. Man könnte sogar behaupten: je besser die öffentlich finanzierte kulturelle Infrastruktur, desto höher der Nutzen für die Kultur- und Medienindustrie, und rückwirkend wieder
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für den Staat durch massiven Steuerrückfluß, steigende Investitionsneigung und, wie einzelne Forscher betonen, auch geringere Sozialausgaben. In der Tat: Wechselwirkungen zwischen öffentlichen und privaten Teilen der Kunstszene scheinen gut zu funktionieren, wie wir besonders gut bei einem Blick auf den kulturellen Arbeitsmarkt feststellen können: So läßt sich schätzen, daß zwar von rund 220000 Berufetätigen, deren Arbeitsplatz oder Aufträge in Deutschland von der Musik abhängen rund zwei Drittel auf die Privatwirtschaft oder freischaffende Künstler entfallen; die meisten von ihnen arbeiten im Handel und in der Produktion des Geräteund Tonträgermarkts.12 Doch von den etwa 60000 Profis in den Musikberufen mit spezieller Ausbildung oder sonstiger künstlerischer Qualifikation, darunter z.B. die meisten Musiker, Musikpädagogen und Sänger, ist wiederum der weitaus größte Teil, wahrscheinlich mehr als 70 Prozent, bei Theatern, Orchestern, Musikschulen und anderen kommunalen oder staatlichen Stellen, beim öffentlichen Rundfunk oder bei den Kirchen beschäftigt. Dies unterstreicht, um es nochmals zu betonen, die starke Abhängigkeit der Privatunternehmen von den Funktionen und Infrastrukturen, die durch öffentliche Einrichtungen vorgehalten werden. Der frühere Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann: Ohne öffentliche Ausbildung, ohne die nebentätigkeit beamteter Musikpfleger, könnte auch der private Musikmarkt nicht so florieren, wie er es heute tut. Dieses wechselseitige Zusammenspiel sollten sich vor allem jene Politiker vor Augen halten, die vorschnell die öffentliche Kulturforderung einsparen und durch Markt und Mäzenatentum ersetzen wollen: Das bedeutet den Tod vieler Bereiche, in letzter Konsequenz auch kommerzieller Bereiche.13
Der deutsche Kulturföderalismus — ein Exportartikel? Trotz aller in diesem Beitrag genannten und vieler weiterer Probleme: das deutsche "Kultursystem" scheint vielen ausländischen Beobachtern gerade durch seine Polyzentralität und Konkurrenzbestimmtheit attraktiv, verspricht es doch auch den kommunalen Instanzen und den Ländern eine gleichberechtigte, mindestens aber weitgehend eigenständige Teilhabe an kulturpolitischen Entscheidungen, die für sie von Belang sind, was bekanntlich selbst in einigen europäischen Staaten noch längst nicht üblich ist. Anhand einiger ungelöster Fragen oder Konflikte läßt sich aber später beispielhaft aufzeigen, daß wir es hier zunächst nur mit einem prinzipiellen Versprechen zu tun haben, die Realität sich dagegen manchmal gar nicht so sehr von der in "zentralistischen" Staaten unterscheidet. Zunächst sind aber wohl einige wenige Anmerkungen über die rechtlichen Grundlagen unserer Kulturförderung am Platz, einschließlich der darin angelegten Gewaltenteilung. Ländern und Gemeinden, jeweils mit eigenen Koordinationsorganen auf Bundesebene, obliegt in verfassungsrechtlicher Perspektive weitgehend die Verantwortung für das öffentlich getragene Kulturleben in Deutschland. Diese wirkt sich primär in der Erhaltung öffentlicher bzw. staatlicher Institutionen der Kunstpflege und Kulturvermittlung aus, von denen die meisten in den Kommunen (dabei zunehmend auch in den Landkreisen), die größeren — z.B. als Staatstheater und -museen - bei den Ländern und nur wenige im Einflußbereich des Bundes angesiedelt sind.
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Diese Zuständigkeitsverteilung hat im Bereich der kulturellen Angelegenheiten ihren Sinn, und zwar nicht allein, weil sie einem Verfkssungsprinzip entspricht, sondern weil sie die Praxisnähe der Verwaltung fordern kann und auch, weil sie eine traditionelle Struktur des politischen und geistigen Lebens in Deutschland reflektiert: dieses ist zwar inzwischen stärker durchmischt, wird zunehmend von geistigen Einflüssen aus anderen Ländern und Weltregionen geprägt, der rund 1000 Jahre dauernde Kulturpartikularismus ist aber noch nicht völlig bedeutungslos geworden. Im Vergleich dazu beschränkt sich die Kompetenz der Bundesorgane im engeren kulturellen Bereich auf einige Spezialgebiete, hat aber im Prozeß der deutschen Einigung finanziell an Bedeutung zugenommen und wirkt sich im übrigen durch die allgemeine Gesetzgebung und Verwaltung (z.B. im Bereich des Steuer- oder Arbeitsrechts) ständig auf das Kulturleben aus. Traditionell kümmert sich der Bund stärker um Aufgaben wie die auswärtigen Kulturbeziehungen, den Schutz von Kulturgut, die Urheber- und Verlagsrechte oder die soziale Absicherung von Künstlern (nicht alle diese Aufgaben sind im oben genannten Etat einberechnet), wesentlich mitzureden hat er aber z.B. auch in sensiblen Bereichen wie der Filmforderung. Aufgrund der in ihrer ganzen Konstruktion angelegten Schwäche (Einstimmigkeitsprinzip, verbreitetes Proporzdenken, mangelnde Kooperation mitnichtstaatlichen Trägern etc.) konnte die Kultusministerkonferenz der Länder dem Aufgabenzuwachs des Bundes bisher nicht wirklich Paroli bieten. Auf einigen Gebieten des Kultursektors kooperieren Bund und Länder aber immerhin schon miteinander, z.B. in der Trägerschaft großer Stiftungen. Ohnehin sollte man den Ländern nicht generell vorwerfen, sie verschlössen sich stets der Einsicht, daß kooperativer Föderalismus mehr sein muß als lediglich ein plakatives Schlagwort. So wies z.B. der liberale Kultusminister von Nordrhein-Westfeien, Paul Luchtenberg, schon 1953 in einer Denkschrift darauf hin, "daß die Bundesrepublik Deutschland wegen des fehlenden Kultusministeriums selbst der kulturpolitischen Repräsentanz nach außen ermangelt, daß aber eine Kulturnation auf sie nicht verzichten darf, die in der europäischen Integration ein politisches Ideal sieht, an dessen Verwirklichung sie maßgeblich beteiligt sein möchte ", und sogar im Bayerischen Landtag war bereits 1962 die Notwendigkeit einer stärkeren "Koordinierung der deutschen Kulturpolitik" zwischen den großen politischen Kräften nicht wirklich strittig.14 Einem Gemeinwesen, das "sich im Sinne einer Staatszielbestimmung auch als Kulturstaat versteht", erwächst daraus die "Aufgabe, ein freiheitliches Kulturleben zu erhalten und zu fördern"15, wie es das Bundesverfassungsgericht 1973 formulierte. Man sollte allerdings daraus nicht den Schluß ableiten, es stehe der öffentlichen Gewalt im Sinne etwa der häufig mit dieser Verpflichtung verbundenen "Redeweise von der Kulturhoheit der Länder" (Grundgesetz-Kommentator Theodor Maunz) - auch eine "Lenkung der Kultur" zu.16 Im Gegenteil heben Rechtswissenschafitler wie Thomas Oppermann17 gerade für den engeren kulturellen Bereich den hier entscheidenden Grundsatz der "Leistungsverwaltung" (im Gegensatz zu den in anderen Feldern des politischen Lebens möglichen Eingriffen) hervor, und das Bundesverfassungsgericht selbst hat seine Skepsis gegenüber allzugroßen Steuerungsversuchen des Staates in diesem Feld mehrfach erkennen lassen, darunter übrigens auch schon im berühmten "Fernseh-Urteil" von 1961, als es seine Zuständigkeitsentscheidung gleich am Beginn mit der Einschränkung relativierte: "Soweit kulturelle Angelegenheiten überhaupt staatlich verwaltet und geregelt werden können, fidlen sie nach der Grundentscheidung des Grundgesetzes in den Bereich der Länder,
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soweit nicht besondere Bestimmungen des Grundgesetzes Begrenzungen oder Ausnahmen zugunsten des Bundes vorsehen."18 Nicht die (heute gelegentlich von Ökonomen gestellte) Frage, ob denn der Staat überhaupt etwas in der Kultur zu tun habe, ist nach diesem Urteil und auch nach der inzwischen gefestigten Meinung im verfassungsrechtlichen Schrifttum relevant, sondern es kommt darauf an, wie er das tut, ob er also "Eingriffsverwaltung" betreibt oder den Gebietskörperschaften, den freien Trägern und letztlich jedem hier beruflich tätigen oder engagierten Individuum jeden nur irgend vertretbaren Freiraum für die Entfaltung kultureller Eigenständigkeit ermöglicht. Von daher wäre etwa zu wünschen, daß nicht-offizielle Körperschaften, wie z.B. Künstler- und Autorenverbände und Zusammenschlüsse der Kulturvermittler, der kulturellen Bildung und der Kulturwirtschaft, die zum größeren Teil auf nationaler Ebene unter dem Dach des unabhängigen Deutschen Kulturrates bereits kooperieren, noch mehr als bisher bei der Klärung politischer Fragen einbezogen würden, von denen sie betroffen sind. Politik und Verwaltung müssen dabei mit kritischen Positionen, auch mit radikalen Infragestellungen ebenso umgehen lernen wie z.B. die Künstler damit, daß es in diesem Rid der öffentlichen Auseinandersetzung keine "Naturschutzgebiete" geben kann, die Kritik also legitimerweise auch sie selbst treffen kann. Manche scheinen das nicht immer richtig zu begreifen, sehen sich nach der vordemokratischen Ära von Katharina der Großen und gar nach Metternich zurück (mit dessen Staatspolizei verschiedene kritische Geister ja ganz eigene Erfahrungen machen mußten): "Was immer man der Demokratie nachsagen kann: die Kunst hat sie meist kleingemacht, verfolgt", las man vor einiger Zeit bei Rolf Hochhuth19, der seine Bekanntheit nicht zuletzt den - gegen Versuche der Theaterzensur beim "Stellvertreter" gerichteten — Protesten von Instanzen verdankt, die es so nur in einer Demokratie geben kann, nämlich einer kritischen Presse und einer selbstbewußten kulturellen Öffentlichkeit. Gelegentlich ist bereits zu fragen, ob einige Staatsvertreter solche Lehren nicht besser begriffen haben als manche Vertreter der Künstler- und Dichterprominenz. Immerhin sah sah sich auch der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vor einiger Zeit veranlaßt, daran zu erinnern: "Die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Meinungsäußerung hängen aufs engste miteinander zusammen... Ihre Einschränkung ist daher ein direkter Angriff auf den Kern der Persönlichkeit und daher auf Freiheit und Demokratie selbst. Weder dem Staat noch den politischen Parteien steht es zu, darüber zu urteilen, ob ein Kunstwerk richtig oder fidsch, gut oder schlecht sei."20
Aktuelle Konflikte - vier Beispiele Die oft leichthin benutzte Formel vom "Kulturstaat" ist keineswegs unproblematisch ist, wenn darunter im Sinne von Ernst-Rudolf Huber ein "Anspruch des Staats auf Kulturhoheit" und damit eine "herrschaftliche Kulturzuständigkeitund Kulturgestaltungsmacht"21 und nicht eine umfassend "kooperative", d.h. nichtstaatliche Kräfte voll in den kulturpolitischen Entscheidungsprozeß einbeziehende Staatskonzeption verstanden wird. Letztere schließt allerdings die öffentliche Verantwortung für ausreichende rechtlichpolitische und wirtschaftlich-soziale Rahmenbedingungen ein, in denen sich ein vielfältiges Kulturleben entfalten kann, ebenso sicher die Solidarität mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen und den Kulturschaffenden; die "Aufgabe" des so sich
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definierenden Kulturstaats zur Förderung von - in öffentlicher wie in privater Regie veranstalteten - "wirklich förderungsbedürftigen künstlerischen Leistungen"22 ist nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit vereinbar, sondern geradezu eine Voraussetzung für dessen Verwirklichung. Wie zuvor betont, ist diese Mitwirkung keinesfalls als Freibrief für die "Eingriffsverwaltung", für den Interventionismus mißzuverstehen, auch wenn der sich mit vermeintlich höherrangigen Staatsinteressen dekoriert. Die - nicht nur in Italien oder Frankreich gelegentlich exzessive Nutzung der Künste für PR-Zwecke und rituelle Selbstinszenierungen durch Repräsentanten der Politik hat inzwischen selbst im sonst eher staatsfixierten Frankreich zum Vorwurf eines gloriosen Etatismus mit Brot und Spielen geführt, der nach Meinung von Marc Fumaroli Züge einer "religion moderne" angenommen hat.23 Unterschiede in der Trägerschaft, in den Zielsetzungen und bei den Formen ihrer Umsetzung in Realität sind also gerade im kulturellen Bereich etwas Legitimes, ja Wünschenswertes; sie sollten gewahrt bleiben, und eher Anlässe für zusätzliche Förderung bieten als etwa Argumente dagegen. Anders als bei Angeboten der kulturellen Bildung, etwa Musikschulen und Musikvereinen, öffentlichen und kirchlichen Bibliotheken oder auch Volkshochschulen, geht es bei der Förderung künstlerischer Produktivität, einschließlich von Einrichtungen der künstlerischen Nachwuchspflege, nicht um standardisierte Leistungsdaten und eine "flächendeckende" Verteilung von Maßnahmen in einem Land oder einer Region, sondern primär darum, ob sich unterscheidbare Qualität entwickelt und nach einer Anlaufzeit auch dauerhaft durchsetzt. Mit dem Ziel, vorhandene Verbindungen und Wechselwirkungen noch fruchtbarer werden zu lassen, läßt sich vielleicht dieser Grundsatz am besten dadurch einlösen, daß neben die grundgesetzlich verbürgte künstlerische Autonomie hin und wieder ein wenig mehr an freiwilliger "Distanz im Konkreten" zwischen dem Staat und den verschiedenen Kräften und Institutionen der Kultur gewahrt bleibt (darunter gerade auch denen in staatlicher und kommunaler Trägerschaft!) - im angelsächsischen Raum als " arm's length principle" bekannt, aber leider auch dort längst nicht immer respektiert. Aber bleiben wir zunächst noch bei den Schwierigkeiten der Zusammenarbeit. Exemplarisch ist hier etwa die heftige Debatte, die sich in den letzten Jahren über die Frage einer Beteiligung von Künstlern und Fachleuten des Kulturbereichs an kulturpolitischen Prozessen und am System der Kunstförderung entwickelt hat - hier geht es also weniger um eine direkte Einflußnahme auf die einzelne künstlerische Auswahlentscheidung (die eher Angelegenheit eigens dafür gebildeter Gremien ist), vielmehr um die Festlegung von Themenschwerpunkten oder die Ausgestaltung von Verfahrensweisen und Rahmenbedingungen. Dieses Problem war zeitweise z.B. Teil einer Kontroverse zwischen den Sprechern der Kulturverbände und der "Kulturstiftung der Länder". Diese Institution wurde 1983 von den deutschen Bundesländern gegründet, die auf diesem Wege der Bundesregierung erlaubten, einige auch sie interessierende Aktivitäten mitzufinanzieren, dabei aber allen wirklichen Einfluß in ihren Händen behielten. Besonders der Deutsche Kulturrat hielt es für unvereinbar mit der Kunstfreiheitsgarantie unserer Verfassung, daß in dieser wichtigen und im Prinzip nützlichen Stiftung die tatsächlichen Entscheidungen lediglich von Ministerialbeamten und Politikern getroffen werden sollen.24 Es gibt zwar auch ein Kuratorium, bestückt mit Kulturvertretern und potentiellen Sponsoren, dieses hat aber innerhalb der Stiftung nur beratende Funktion. Eine solche Praxis widerspricht einer langen Bilanz öffentlicher Kunstförderung, ausgeübt durch Juries und andere Gremien. Damit wird erneut das Thema Kunstfreiheit
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im Rahmen staatlicher Förderungstätigkeit aufgeworfen, und da es immer wieder Anlaß für Mißverständnisse und Diskussionen bietet, werden in der Darstellung "Rechtsfragen zur Kulturforderung und Kunstfreiheit" einmal einige wichtige, damit verbundene Fragen gestellt und anhand der Fachliteratur25 knapp beantwortet, wobei es sich hier natürlich nur um einen ersten Einstieg in die, durchaus umstrittene, Problematik gehen kann. Eine andere - mit Blick auf die Filmförderung immer noch aktuelle - Streitfrage ist die in den achtziger Jahren deutlich gewachsene Neigung der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel, in die Kunstförderung und und vor allem in die Medienpolitik der Mitgliedsstaaten einzugreifen, ist in einem weiteren Beitrag dieses Buches behandelt worden. Dabei wird wiederum deutlich, daß es nicht eine ferne Bürokratie, sondern der nationale (in Deutschland auch der regionale) Staat - in diesem Fall vor allen die Mitgliedsstaaten der EG in ihrer Gesamtheit - ist, der letztlich für Eingriffe und "Harmonisierungsstrategien", vielleicht eines Tkges auch für "kulturelle Marktordnungen" verantwortlich gemacht werden muß. Kritiker meinen dazu, daß solche EG-Aktivitäten vor allem für große europäische Multimedia-Konzerne von Nutzen sein können, die versuchen, bei Musik, Büchern oder Filmen durch Massenabsatz die US-amerikanischen oder japanischen Medienriesen zu ersetzen - so ζ. B. auch das französisch inspirierte Konzept einer Medienstadt in PotsdamBabelsberg. Die große Mehrzahl der hiesigen Künstler und Produzenten interessiert demgegenüber kaum, ob der Produzent eines Opus wie "Dallas" in Hollywood, Tokio oder Paris ansässig ist, da sie mit derartigen Großproduktionen ohnehin nichts zu tun haben. Mehr als globale Marktstrategien interessiert sie: Lohnt sich das eigene "Investment" in künstlerische Qualität und damit verbundene Arbeit? Obwohl durch die Beschlüsse des EG-Gipfels von Maastricht Ende 1991 ein deutlicher Positionswechsel erreicht werden konnte - dort istu.a. eine Kulturschutzklausel für den neuen EG-Vertrag vereinbart und das Aktionsfeld der Kommission eingeschänkt worden26 - , kann erst die Zukunft zeigen, welche Richtung eine eventuelle "Kulturgemeinschaft EG" nehmen wird. Ein drittes Beispiel: Zwei Drittel der 1991 im Zusammenhang mit der deutschen Einigung zusätzlich aufgewandten Bundesmittel für die Erhaltung von kultureller Infrastruktur und "Substanz" in den Neuen Ländern - zusammen immerhin rund eine Milliarde DM - waren für repräsentative Vorzeigeobjekte "von europäischem Rang" wie die Semper-Oper oder Schloß Sanssouci bestimmt, was den Vertreter des Deutschen Landkreistages im Frühjahr 1992 bei einer Veranstaltung des Deutschen Kulturrates ebenso schier zur Verzweiflung brachte wie zuvor schon Sprecher vieler Kulturinitiativen, die teilweise noch in der Endzeit der DDR Entscheidendes zum Umbruch beigetragen hatten.27 Dies fügt sich ein in das Bild einer - aus Sicht anderer Staaten - opulenten deutschen Kulturlandschaft, deren Finanzierbarkeit in der Tkt immer schwieriger werden dürfte. Rund 90 öffentliche Musiktheater in Deutschland mit eigenem Ensemble sind sicher eine bemerkenswerte Infrastruktur. Manchen kulturpolitischen Beobachtern, zumal denen aus dem Ausland, mag aber gerade dies als eine kulturelle Fehlplanung erscheinen, zumal es, rechnet man die ebenfalls gut bestückte Theaterszene der Schweiz und Österreichs noch hinzu, im ganzen übrigen Europa zusammengenommen kaum noch einmal so viele professionelle Opernensembles geben dürfte (hier haben wir einmal eine wirkliche kulturelle Besonderheit der deutschsprachigen Länder, an denen im Zuge der allgemeinen Internationalisierung sonst ja eher ein Mangel besteht!).28
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Bedenkt man die wesentliche Anreger-, Produktions-, Arbeitgeber- und Vermittlerrolle, die solche mit eigenen Musiker-, Sänger- und Tänzerensembles (und einer jährlichen Finanzierung von mehr als zwei Milliarden DM) ausgestatteten Häuser innerhalb eines vielgestaltigen Musiklebens erfüllen bzw. erfüllen könnten, wird man sicher eher der Auffassung zuneigen, daß es sich hier um einen besonderen Glücksfall handelt, selbst wenn wir in Rechnung stellen, daß er weitgehend durch die frühere Rolle auch kleinerer Städte als fürstliche Residenzen bedingt ist. Wird aber der Blick auf das Repertoire der deutschen Musiktheater gerichtet, dessen Werke - gelegenüich auch auf Druck kommunaler Politiker - ein Durchschnittsalter von etwa 100 Jahren haben, so darf bezweifelt werden, ob sich dieser Anspruch bisher wirklich voll erfüllt. Fazit: Was hierzulande und wahrscheinlich anderswo benötigt wird, ist weniger ein Denken in Kategorien von Kultur"subventionen", sondern Anstrengungen und "Investitionen" in die Produktivität von Kunst und Medien, was nicht zuletzt durch vermehrte Nachwuchsförderung und einen weltweiten Austausch ermöglicht wird. Wer heute nach Deutschland kommt, erfährt vielleicht, daß wir inzwischen über 4000 Museen haben, wird aber vielleicht auch hören, daß dies mehr ist als die Zahl der Filmtheater. Wenn er sich weiter umsieht, wird er erkennen, daß zu den meistbesuchten "Kultureinrichtungen" Friedhöfe und ihre Dienste gehören. So wird man aufmerksamer als bisher beobachten müssen, ob verschiedene künstlerische Sparten nicht bald selbst so etwas wie Zeugnisse der Sepulchralkultur werden, sich also in Denkmalpflege und feierlich inszenierten, staatskulturellen Begräbnisritualen erschöpfen. "Kulturgestalter" aller Sparten und medialen Vermittlungsformen sollten sich dieser Problematik annehmen, für eine lebendige kulturelle Öffentlichkeit arbeiten und dabei auch produktive Konflikte nicht scheuen. Anhang Rechtsfragen zur Kulturförderung und Kunstfreiheit - eine Auswahl Häufig erörterte Fragen über die Rechte von Künstlern und Kulturinstitutionen, speziell im Zusammenhang mit öfFenÜichen Fördermaßnahmen, lassen sich anhand des Fachschrifttums und von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassend wie folgt beantworten: 1. Gilt die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes "unbeschränkt" oder kann sie durch gesetzliche und behördliche Eingriffe "reguliert" werden? Herrschende Meinung im Schrifttum: Letzteres in der Regel nicht, allerdings findet sie ihre Schranken in anderen Grundrechten, etwa dem Persönlichkeitsrecht, was jedoch nach Art. 5, 3 GG nicht zur "Zensur" führen darf. Konflikte sind gerichtlich zu prüfen, doch gilt auch hier: Jugendschutz geht in der Regel nicht vor Kunstfreiheit! 2. Haben die vom Grundrecht des Art 5 GG besonders betroffenen Personenkreise, also insbesondere Künstler und Wissenschaftler, eine verfassungsrechtliche Sonderstellung, die sie speziell gegenüber Eingriffen der öffentlichen Gewalt in ihren Freiheitsbereich schützt? Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (u.a. im Urteil vom 29.5.1973) und der meisten relevanten Kommentatoren ist dies der Fall, in der Praxis hat es sich aber nicht überall herumgesprochen; z.T. wird über die Finanzierung gesteuert, gelegentlich auch "Polizeirecht" raktiziert (zum Beispiel noch in den achtziger Jahren bei Versuchen, Ausstellungen von Klaus taeck oder Veranstaltungen "freier" Theatergruppen mit "unbotmäßigen" Stücken zu verhindern, wie in Bayern den "Anachronistischen Zug ).
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3. Knüpft sich an diese Sonderstellung eine staatliche Verpflichtung zur Förderung solcher Grundrechtsträger? Nach Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Grundsatz ja, wobei dieser Aspekt des Art. 5 GG bisher umfassend (insbesondere in der "Hochschul-Entscheidung" des BVerfG vom 29.5.1973) vor allem für Wissenschaftler und andere Hochschullehrer in ihrem institutionellen Umfeld entwickelt wurde, die "Aufgabe... des Kulturstaates, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern" (Urteil vom 5.3.1974) dagegen nach herrschender Meinung individuell oder von freien Trägern schlecht "einklagbar" ist. 4. Kann das im Bereich der Kulturförderung bislang betonte Prinzip der "Leistungsverwaltung" nach Wählen oder sonst entsprechend den jeweils vorherrschenden politischen Gewichten durch eine stärkere Betonung behördlicher Eingriffsverwaltung" ersetzt werden? Herrschende Meinung: Nein, allerdings waren die staatlichen Gestaltungsmöglichkeiten immer schon dort größer, wo es z.B. um Kunst im Rahmen des Erziehungswesens, um gewisse staatliche Repräsentationsaufgaben (z.B. bei der Gestaltung von Münzen und Briefmarken) oder um das Sicherstellen einer "freiheitsverbürgenden", also auf Vielfalt abzielende Förderung ging. 5. Auf welche Weise können dann aber Entscheidunsen zur Vergabe von öffentlichen Fördermitteln, z.B. an Künstler und Autoren, in unbedenklicher Form getroffen werden? Überwiegende Meinung: Durch unabhängige, für die Auswahl nach künstlerischen Gesichtspunkten verantwortliche Gutachter und Juries. Staatliches "Kunstrichtertum" oder "Erfolgsprämierung" werden abgelehnt; daß auch solche Gremien nicht immer "unabhängig" arbeiten, wird dabei als Problem durchaus gesehen. Eine Regulierung allein durch den Markt oder, damit gleichbedeutend, durch urheberrechtliche Tantiemen ist jedenfalls keine Alternative. 6. Unterliegen Künstler, Publizisten oder Wissenschaftler, die an staatlichen oder öffentlich alimentierten Institutionen der Kulturvermittlung arbeiten, der Weisungsbefugnis verantwortlicher Politiker und Beamter? Überwiegende Meinung: Bei Einrichtungen, die im Grundrechtsbereich von Art. 5 Abs. 1 bzw. 3 tätig sind, muß - ggf. im Rahmen allgemeiner gesetzlicher Festlegungen (z.B. Rundfunkgesetze) die Autonomie und damit die künstlerische, publizistische oder wissenschaftliche Aussageund Gestaltungsfreiheit der primären Grundrechtsträger grundsätzlich erhalten bleiben; an spezielle Leitungspersonen, z.B. Intendanten, kann dabei aber eine Hauptverantwortung delegiert werden. Eine Finanzkontrolle (Rechnungshöfe, Wirtschaftsberater o.ä.) darf den Kern dieser Freiheit nicht gefährden. Minderheitsmeinung: In Kulturinstitutionen und Medienbetrieben muß die volle Selbst- bzw. "Mitbestimmung" aller Künstler und Publizisten - individuell oder ggf. als Gruppe gewährleistet werden. 7. Ist es rechtlich zulässig, die Kriterien für eine öffentliche Kulturförderung - im Gegensatz etwa zu wirtschafte- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen mit Wirkung auf die Kultur - an den Vorstellungen des "Normalburgers" oder am Geschmack "breiter Kreise" - und damit letztlich am Publikumserfolg zu orientieren, wie dies ein Bundesinnenminister in der ersten Hälfte der achtziger Janre für die kulturelle Filmförderung seines Hauses zu propagieren versuchte? Herrschende Meinung: Nicht zulässig oder bedenklich. Das BVerfG im Urteil vom 5.3.1974: Die wegen fehlender "wirtschaftlicher Kraft" (also z.B. mangels Publikumszuspruchs bei anspruchsvollem Programm) benachteiligten und insofern "wirklich förderungsbedürftigen, künstlerischen Leistungen" müssen bei der Vergabe der, so das Gericht, "stets nur begrenzt verfugbaren staatlichen Mittel" Vorrang haben; dieses Urteil bezog sich übrigens nicht nur auf die Förderung des kreativen Bereichs, sondern auch die der Kunstvermittlung und der Verbreitung künstlerischer Leistungen durch die Medien. 8. Schreibt das Grundgesetz also "graue Mäuse" in der Kulturpolitik und -Verwaltung vor? Auch ohne "herrschende Meinung" und Verfassungsgerichtsurteile ist bei vernünftiger Überlegung klar, daß engagierte, künstlerisch und sonst kulturell wirklich interessierte Persönlichkeiten für
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die Kulturpolitik ebenso von Bedeutung sind, wie sie es als Partner der Künstler immer schon waren. Gefragt ist also durchaus die Bereitschaft solcher Persönlichkeiten, Maßstäbe und Förderinitiativen zu entwickeln und mit den Betroffenen offen zu diskutieren - solange daraus nicht der Irrtum erwächst, Staat, Politiker oder Markt und Medien könnten die Kultur und die Künstler - mit allen Konsequenzen - repräsentieren oder gar ersetzen.
Anmerkungen 1 Vgl. zu diesem Ansatz und den Möglichkeiten seiner empirischen Verifizierung K. Fohrbeck/A.J. Wiesand: Kulturelle Öffentlichkeit in Bremen, Bremen 1980. 2 B. Frank/G. Maletzke/K.H. Müller-Sachse (Hg.): Kultur und Medien: Angebote -Interessen - Verhalten; eine Studie der ARD/ZDF-Medienkommission, BadenBaden 1991. Daten zur kulturellen Nutzerforschung im europäischen Vergleich auch in: Zentrum für Kulturforschung/CIRCLE (Hg.): Participation in Cultural Life, Bonn 1991. 3 Einige dieser Aspekte sind genannt in: S. Toepler: Kulturfinanzierung, Vergleich USA - Deutschland, Wiesbaden 1991.
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4 Diese Problematik wird ausführlich entwickelt in K. Jedermann/B. Mann/Th. Strittmatter/B. Wölfling: Metropole ohne Milieu? Untersuchungen zu Problemen bezirklicher Kulturarbeit in Berlin, Bonn 1993. 5 Vgl. für das Beispiel der "umstrittenen Stiftung Kunst und Kultur" des Landes Nordrhein-Westfalen R. Wyrwoll: 'Kultur nach Gutsherrenart?', Süddeutsche Zeitung vom 19.1.1993. 6 Donald Judd's Philippika gegen die Kommerzialisierung der Kunst erschien unter dem Titel 'Una Stanza per Panza' in den Heften 4 - 7 der Zeitschrift Kunst intern. 7 Vgl. die höchst unterschiedlichen Ansätze einiger Autoren in F.Loock (Hg.): Kulturmanagement, Wiesbaden 1991. 8 W. Grasskamp: 'Das Museum als Metapher', Die Zeit vom 29.3.1991. 9 In: Th. W. Adorno/M. Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, Amsterdam 1944. 10 Einen Überblick zu diesen und weiteren Studien über die ökonomische Relevanz der Kultur und eine kulturpolitische Einordnung bieten K. Fohrbeck/A.J. Wiesand: Von der Industriegesellschaft zur Kulturgesellschaft?, München 1989; zum Hintergrund der Sponsorendebatte: K. Fohrbeck: Renaissance der Mäzene? Interessenvielfalt in der privaten Kulturfinanzierung, Köln 1989; fur die Entwicklung der privatwirtschaftlich betriebenen kulturellen Infrastruktur vgl. ausführlich die Studie der Arbeitsgemeinschaft Kulturwirtschaftsbericht NRW: Dynamik der Kulturwirtschaft, Bonn 1992; der hier wiedergegebene Abschnitt orientiert sich weitgehend an einem Beitrag des Verfassers in F.-O. Hofecker/M. Söndermann/A.J. Wiesand (Hg.): Kulturfinanzierung im föderalistischen Staat, Bonn 1993.
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11 Dynamik der Kulturwirtschaft, a.a.O. 12 Diese und ergänzende Daten in Zentrum für Kulturforschung/Deutscher Musikrat (Hg.): Musikleben und Kulturpolitik, Bonn 1985. 13 Frankfurter Rundschau vom 16.4.1983. 14 Für solche und weitere Beispiele die Dokumentenauswahl Deutscher Kulturrat (Hg.): Nach vierzig Jahren - ein bißchen weise?, Bonn 1991; 'Senat für kulturelle Auslandsarbeit. Ein Vorschlag von Professor Luchtenberg', Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.6.1957. 15 Urteil des BVerfG vom 5.3.1974, NJW 1974, S. 689. 16 E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel: Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin 1983, S. 983. 17 T. Oppermann: Kulturverwaltungsrecht, Tübingen 1969. 18 Urteil des BVerfG vom 28.2.1961. 19 R. Hochhuth: 'Banausenrepublik Deutschland', Die Zeit vom 25.10.1985. 20 Atelierhaus Worpswede -1986, 1987, 1988, Worpswede 1989, S. 15. Es handelt sich hier um den Arbeitsbericht einer Institution, die selbst seit nun schon rund 25 Jahren den Nutzen individuellen privaten Engagements in der Kultur, speziell auch den internationalen künstlerischen Beziehungen, verkörpert und die - trotz einer "ungleichen Konkurrenz" mit einer wachsenden Zahl staatlicher und kommunaler Künstlerhäuser um die auch hier nötigen Fördermittel - ihre Unabhängigkeit bewahren konnte, weil sie Künstlerpersönlichkeiten aus allen Teilen der Welt anzog oder entsprechenden Talenten eine Chance gab. Teile des hier wiedergegebenen Textes sind auch in einer neueren Darstellung der Arbeit dieser Institution genutzt worden. 21 Vgl. zur Auseinandersetzung mit solch weitreichenden Vorstellungen vom eingreifenden "Kulturstaat" beiE.-R. Huber: Zur Problematik des Kulturstaats, Tübingen 1957; näher M.-E. Geis: Kulturstaat und kulturelle Freiheit, BadenBaden 1990. 22 Urteil des BVerfG. vom 5.3.1974. 23 M. Fumaroli: L'Etat culturel, Paris 1991. 24 Näher ausgeführt in Deutscher Kulturrat (Hg.): Erster Bericht zur Kulturpolitik, Bonn 1988. 25 Vgl. die aktuelle Literaturübersicht in Kulturstaat und kulturelle Freiheit, a.a.O., und von älteren Titeln neben der schon zitierten Literatur auch noch H. Graul: Künstlerische Urteile im Rahmen staatlicher Förderungstätigkeit, Berlin 1970; F. Hufen: Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, Baden-Baden 1982; undP. Haberle: Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, Darmstadt 1982. Die Fragen lehnen sich an den Beitrag von A.J. Wiesand: 'Kulturförderung ohne Kunstfreiheit?', Bühnengenossenschaft 12/1983, an. 26 Vgl. KulturForschung 5/1991 und 6-7/1992.
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27 Vgl. 'Im Osten schrumpft's', Stuttgarter Zeitung vom 2.3.1992. Ein Beschluß des Sprechergremiums des Dt. Kulturrates vom 2.12.1991 in Berlin, im Anschluß an eine Diskussion mit Vertretern kultureller Initiativen, fordert nachdrücklich eine Umkehrung der bisherigen Gewichtung der Bundesfinanzierung, vor allem zugunsten von Hilfen für die Infrastrukturentwicklung in den Kommunen der Neuen Länder. 28 Vgl. R. Fisher/M. Huber (Hg.): Performing Arts Yearbook for Europe, London 1991.
Kulturmanagement oder Kommerzialisierung der Kultur?* Peter Bendixen
Was verbindet Kulturmanagement mit Wirtschaftsmanagement? Der Begriff Kulturmanagement ist geeignet, kontroverse Assoziationen und Haltungen hervorzurufen und den Kreis der Interessierten in zwei Lager zu teilen. Die einen werden sagen: Warum nicht die erfolgreichen Methoden des Managements in der Wirtschaft auch in solchen Einrichtungen praktizieren, die zwar nicht im engen Sinne zur Wirtschaft gehören, wohl aber mit Blick auf die ökonomischen Zwänge und die Kunst der Lenkung des technisch-organisatorischen Betriebsapparats sehr viel Ähnlichkeit mit dem herkömmlichen Unternehmensmanagement aufweisen? Die anderen werden die Befürchtung äußern, Management stelle eine dem Bereich des Kulturellen fremde, von kommerziellem Erfolgsstreben durchsetzte Haltung dar. Ein so geprägtes Managementdenken nähme, ließe man es unbedacht wirken, wenig Rücksicht auf die empfindlichen Strukturen und gesellschaftlichen Sinnbezüge kultureller Arbeit. Dies könne sogar in und mit den Institutionen einer letztlich zerstörerischen Kommerzialisierung des Kulturlebens das Tor öflnen. Beide Positionen haben, je für sich betrachtet, einiges für sich, und beide treten kombiniert in den unterschiedlichsten Ausgestaltungen in der Realität auf, mag dabei im einen Fall das kommerzielle Streben, mag in einem anderen das kulturelle Schaffen die Oberhand behalten. Was aber ist zu tun, wenn das Verhältnis beider Handlungsaspekte nicht mehr ausgewogen ist? Wie ist zu argumentieren und zu entscheiden, wenn wir einerseits nicht wollen, daß unser Kulturleben letztlich vollständig verwirtschaftet wird, und wenn wir andererseits nicht wollen, daß unser Kulturleben mangels ökonomischer Ressourcen banalisiert wird, weil ohne Mittel so gut wie nichts zu machen ist? Eine unangreifbare Antwort läßt sich in einer gerafften Darstellung nicht herleiten. Aber die in der Praxis des Wirtschaftsmanagements angelegten Handlungsmomente können verdeutlicht werden mit dem Ziel, übertragbare Methoden und Instrumente zu bestimmen und auf ihre Anwendbarkeit in Einrichtungen mit kulturellem Auftrag zu überprüfen. Aber genau diese graue Zone der Übertragung von Managementmethoden auf nichtökonomische Bereiche ist eines der häufigsten Schlupflöcher, durch die teils beabsichtigt, teils unerkannt ein — wie ich es nennen möchte - kommerzielles Interventionspotential eindringt; und dies geschieht nicht auf der konkreten instrumentellen Ebene, sondern über ein sich ausbreitendes Bewußtsein und Managementdenken dort, wo in Das Manuskript ist im Herbst 1990 fertiggestellt worden.
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der Praxis die fundamentalen Entscheidungen gefallt werden. Wenn Programmentscheidungen unter dem Zwang zu Rendite und ökonomischem Erfolg gefällt werden, kommt etwas anderes heraus, als wenn auf der Grundlage frei verfügbarer, wenn auch begrenzter Mittel ein kulturellen Intentionen folgendes Programm entwickelt wird. Der soeben geäußerte Satz enthält eine Kontroverse, die in vielen Alltagsdiskussionen eine Rolle spielt und deren Scheinhafügkeit oft nur mit Mühe bloßgelegt werden kann. Die hier vereinfechte Argumentationslinie geht etwa wie folgt: Alle ökonomischen Mittel (Ressourcen) sind knapp.1 Deshalb muß man mit ihnen überlegt, also rational, haushälterisch und sparsam umgehen. Der erwerbswirtschaftlich agierende Unternehmer hat sich unter der ständigen Drohung der Insolvenz zu einem Experten im Umgang mit knappen Mitteln entwickelt. Deshalb sind seine Methoden auch geeignet, vernünftige Handlungskonzeptionen zu gestalten. Dieser Brückenschlag zwischen Mittelknappheit und Managementrationalität, zwischen dem Aspekt des Haushaltens und dem des erwerbswirtschaftlichen Erfolgs ist zugleich trügerisch und inhaltsleer, weil formalistisch. Er ist geeignet, einem konkreten Handlungs- und Gestaltungsbereich dort, wo es wirklich um den vernünftigen Umgang mit knappen Mitteln geht, einen sachfremden Pelz überzuhängen. Dies bedarf ausführlicherer Begründung.
Das Dilemma der knappen Mittel Daß materielle Mittel begrenzt sind, ist trivial, wie ein Blick auf den Zustand der Ökonomie und der von ihr beanspruchten Natur eindrucksvoll unterstreicht. Wie mit dem, was da ist, freilich umgegangen werden soll, ist alles andere als trivial. Der schlechteste, weil inhaltsleere Rat ist der, man solle mit dem Vorhandenen haushalten, das heißt vernünftig wirtschaften. Dieser schlichte Hausväter-Appell empfiehlt, in allem, was man tut, wohlüberlegt (zielstrebig) vorzugehen und unnötige (zielverfehlende) Mittelverwendungen auszuschließen. Kann diese Maxime als allgemeine Basis für die kritische Bewertung konkreter Handlungen dienen, etwa gegenüber einem prunksüchtigen Bauherren, einem dreisten Einbrecher oder einem geizigen Hausvater? Ja, sie kann, und genau das ist ihr Dilemma. Hat sich jemand aus Gründen, die verständlich sein mögen oder auch nicht, entschlossen, einen Prunkbau zu errichten, so hat er damit einen konkreten Handlungszweck inhaltlich festgelegt. Auf der Basis einer zuvor geklärten Sachlage und Absicht läßt sich zweifellos überprüfen, ob der Bauherr bei der Realisierung seines Vorhabens den jeweils sparsamsten Weg gegangen ist, etwa bei der Auswahl der Baumaterialien, der Bestellung eines Architekten und der Wahl eines Bauunternehmens. Hat sich ein Mensch aus Gründen, die wir ethisch und juristisch gewiß mißbilligen, entschlossen, seinen Lebensunterhalt mit Einbrüchen zu bestreiten, so hat er damit ebenfalls einen konkreten Handlungszweck inhaltlich festgelegt. Auch von dieser Basis aus läßt sich formal überprüfen, ob er wirtschaftlich gehandelt hat, ob er sich an die Maxime der sparsamen Mittelverwendung gehalten hat, etwa bei der Beschaffung von geeignetem Werkzeug. Und der Geizige? Er zeichnet sich durch Enthaltsamkeit aus, mag diese der Tugend des einfachen Lebens entspringen oder purer Raffgier folgen. Doch die Entscheidung
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für ein solches Leben hat nichts mit dem Prinzip der wirtschaftlichen Mittelverwendung zu tun. Wohl aber unterliegt das Wenige, das auch der Geizige für sein karges Leben tut, dem Prüfmaßstab des vernünftigen Haushaltens. Nicht daß er sparsam wirtschaftet, sondern daß er sich nichts gönnt, macht uns kopfschütteln. Und schließlich: Das kurzgehaltene Budget im Kulturhaushalt des Staates, so beklagenswert dieser Umstand sein mag, kommt durch inhaltliche Entscheidungen zustande, aus dem Abwägen zwischen konkurrierenden Aufgaben und dabei wirksam werdenden politischen Werten und Prioritäten. Der Maßstab der Wirtschaftlichkeit greift erst bei der Prüfung, wie das Wenige, das verfügbar ist, eingesetzt wird. Ob etwas unnötig ist, läßt sich eben nur beurteilen im Blick auf das Gewollte und in Kenntnis von Alternativen der Mittelverwendung, also innerhalb von inhaltlich geklärten Zwecken. Und diese Prüfung ist rein formaler Natur und in den meisten praktischen Streitfällen ein unergiebiges (Kampf-)Argument. Man fordert Wirtschaftlichkeit, meint aber Bescheidenheit. Was im gesellschaftlichen Alltag konkret geschieht und wie dies gerechtfertigt werden kann, ist dem ökonomischen Prinzip des sparsamen Umgangs mit knappen Mitteln vollkommen gleichgültig. Ob sich jemand als Kulturschaffender oder Unternehmer betätigt, ob jemand Mittel für ein öffentliches Straßenfest oder Kapital für die Erforschung einer profitablen Technologie bereitstellt - in allen Fällen ist das ökonomische Prinzip in gleicher Weise anwendbar. Und deshalb ist es ungeignet, inhaltliche Unterschiede der jeweiligen Handlungszwecke zu beschreiben und zu qualifizieren. Unlogisch wäre es beispielsweise, ein kommunales Kulturfest mit der Erschließung von Gewerbegelände unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit vergleichend zu kalkulieren. Aber eben die Inhalte sind es, die das konkrete Handeln formen, und die damit verbundenen Absichten sind es, die die Herangehensweisen und Handlungskonzepte gestalten. Da dies so ist, bedarf die Frage, ob die Methoden des Wirtschaftsmanagements auf nicht-wirtschaftliche Institutionen übertragbar sind, einer differenzierenden Prüfung im Einzelfall.
Erwerbswirtschaftliches Handeln als kulturelle Praxis Anknüpfungspunkt der folgenden Überlegungen ist die Feststellung, daß auf Erwerbswirtschaft gerichtetes Management selber eine kulturelle Praxis ist, wenn auch eine unter spezifischen Leitlinien. Ich nenne sie nicht deshalb eine kulturelle Praxis, weil sie mit ihrem Verfügen über knappe Mittel der Allgemeinheit einen Dienst erweist, was sie natürlich auch tut, sondern weil alles menschliche Handeln und damit auch alles Wirtschaften auf konkrete, gelebte Normen gegründet ist und diese wiederum Bestandteil der Kultur sind. Kein einziges Erzeugnis aus Industrie und Dienstleistung wäre vorstellbar, herstellbar oder verkäuflich ohne Rücksicht auf die kulturellen Lebensumstände seiner konkreten Verwendung. Ob das ein Stück Möbel für die Wohnkultur, die besonderen Zutaten für die Eßkultur, die Uniform für die öffentlichen Rituale oder die Hausfassade für die städtische Ästhetik ist: Alle Gegenstände sind immer zugleich Erzeugnisse des öffentlichen oder privaten Wirtschaftens und kulturelle Objekte öffentlicher oder privater Natur.
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Die materiellen Erzeugnisse bilden die Output-Seite des Wirtschaftens, und ihre Einbindung in den kulturellen Alltag (einschließlich ihrer Verwendung in kulturellen Institutionen besonderer Art wie Theater, Museen oder Bibliotheken) mag unmittelbar einsichtig sein. Die Input-Seite des ökonomischen Systems beschreibt dagegen den Griff der Wirtschaftenden in die Natur, dorthin also, woher sie die Stoffe bekommen, aus deren Umwandlung und Weiterleitung eben jene Erzeugnisse hervorgehen.2 Dieser Griif in die Natur ist ebenfalls kulturell verfaßt; denn es ist das in der zeitgenössischen Kultur niedergelegte Bild der Natur, welches derzeit die Grenze zwischen erlaubten und unerwünschten Eingriffen mehr oder weniger deutlich bestimmt. Kulturen, die die Belebtheit der Natur (das Kreatiirliche) betonen, werden bei der Gestaltung ihrer Lebensweise zu anderen Ergebnissen gelangen als jene, die die Natur als eine Ressource, womöglich als einen frei verfügbaren Materialhaufen betrachten. Wie immer aber in einer bestimmten Region zu einer bestimmten Epoche das Verhältnis zur Natur betrachtet werden mag, es gibt praktisch keinen unvermittelten, sondern nur einen kulturell vermittelten Zugriff zur Natur. So möge der generalisierende Schluß gelten: Alles Wirtschaften ist kulturell verfaßt. Um eine Wirtschaftsformation verstehen zu können, braucht man folglich ein historisches, konkretes Bild der sie bedingenden Kultur. Die Kultur ist stets das Umfassende, die Wirtschaft als der Bereich der materiellen Versorgung das ihr Dienende. In dieser Beschreibung - das sei ausdrücklich betont - wird der Vorgang des Wirtschaftens bewußt reduziert auf den Aspekt der Herstellung und des Gebrauchs materieller, ursprünglich der Natur entnommener Stoffe und Gegenstände. So gesehen wäre der gegenständliche Aspekt des direkten Verzehrs einer aufgelesenen Wildfrucht zweifellos eine, wenn auch historisch überholte Form des Wirtschaftens. Ebenso ist der private Garten mit seinen Erzeugnissen oder das in Eigenarbeit erstellte Haus ein Stück Wirtschaft. Was den stofflichen Aspekt angeht, unterscheiden sich diese Vorgänge in nichts von jenen, die in erwerbswirtschaftlichem Rahmen organisiert werden, und es gelten in ihnen — wie erwähnt - dieselben Prinzipien des vernünftigen Haushaltens mit dem Verfügbaren. Das Charakteristikum erwerbswirtschaftlichen, das heißt auf Einkommenserzielung durch Kapitalgewinn gerichteten Wirtschaftens ist ein anderes. Seiner "Natur" nach ist erwerbswirtschaftliches Handeln ein absichtsgeleitetes Tun, nämlich in dem realen Spannungsbogen zwischen dem in einem bestimmten Bereich3 geäußerten oder vermuteten Bedarf an materiellen Mitteln und dem, was verfügbar ist oder gemacht werden kann, tätig zu werden. In einer auf Geld beruhenden Marktwirtschaft bedeutet diese Tätigkeit die Suche nach Bereichen, in denen durch Preisunterschiede ein Schnitt gemacht werden kann (Arbitragegewinn). Dem Gewinn steht, angemessen oder unangemessen, die Leistung gegenüber, solche Spannungsverhältnisse zu überbrücken, sei es durch Handel oder durch gewerbliche Produktion oder auch nur durch bloße Vermittlung von Kontrahenten durch Makler. Daß der kluge Kaufmann in der Praxis weit über die Ebene von Preisunterschieden hinaus überdenken muß, in was für einem Lebensausschnitt der ihn umgebenden Gesellschaft er tätig sein will, d.h. auf welche kulturellen Gewohnheiten (Lebensformen, ästhetische Empfindungen und ähnliches) er sich einstellen muß, um erfolgreich wirtschaften zu können, ist der ökonomischen Theorie - aber nicht der Praxis! bislang weitgehend entgangen. Sein Entscheidungsverhalten (beispielsweise hinsichtlich der Bestimmung seines Warensortiments, kommunikativer und ästhetischer Eigenarten
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der Werbung wie überhaupt des gesamten Marketing) ist normativ verknüpft mit den kulturellen Umständen seiner erwerbswirtschaftlichen Einkommenserzielungsabsichten. Deshalb sei das erwerbswirtschafitliche Handeln und damit die Ausgangsbasis für Wirtschaftsmanagement als eine auf der normativen Ebene angesiedelte, innerhalb des gesellschaftlichen Kulturraumes wirksame Praxis gekennzeichnet. Die Charakterisierung des erwerbswirtschaftlichen Handelns als eine spezifische Form kultureller Praxis beruht auf einem Kulturbegriff, der sich nicht auf die exponierten Formen des Kulturlebens in Theatern, Opernhäusern oder Literaturzirkeln beschränkt. Kultur wird - vor allem in der Kultursoziologie und -anthropologie meist abstrakt verstanden als die Gesamtheit aller gelebten Werte und Nonnen einer Gruppe, die zugleich deren Zusammenhalt und Identität ausmachen. Sinnlich wahrnehmbar ist die Kultur in der Symbolik und Ästhetik von Handlungen, Ritualen und Objekten der Verehrung, aber auch in bedeutungsvollen Formen der alltäglichen Kommunikation und den stofflichen Gegenständen der individuellen und kollektiven Lebensgestaltung. In alle Bereiche des alltäglichen wie des zeremonialen Handelns und der ästhetischen Erbauung ragt das Wirtschaften in dem Maße hinein, als zur Ausführung dieses Tuns materielle Ressourcen (Stoffe der Natur und die Umwandlungsprodukte daraus) herangezogen werden. Und es gibt kaum eine kulturell bedeutsame Handlung, die nicht auf den Gebrauch materieller Mittel angewiesen wäre. Die von mir gegebene Beschreibung der Wirtschaftspraxis als Leistung im Spannungsausgleich zwischen Bedarf und Vorrätigkeit an Ressourcen läßt ein Bild der Wirtschaft entstehen, welches der fälschen Vorstellung vom dienenden Charakter dieses Teils der gesellschaftlichen Lebens Vorschub leistet. Wirtschaft dient der Bedürfnisbefriedigung, heißt es lapidar in Lehrbüchern, und das ist korrekt, wenn damit nur gemeint ist, daß alle materielle Produktion bestimmten, kulturell definierten Zwecken zugeführt wird. Dienen heißt darin, daß die kulturelle Autonomie des Einzelnen wie der Gruppen in der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse zumindest nicht unterlaufen oder überrannt wird, daß mithin die Erzeugnisse hinsichtlich ihrer Gebrauchsfunktionen, ihrer Ästhetik und ihrer kulturellen Symbolik nicht von den Herstellern diktiert werden. Was in der ökonomischen Theorie unter dem Terminus "Konsumentensouveränität" debattiert wird, läßt sich erweitern auf den Begriff der kulturellen Autonomie der Artikulation von konkreten Bedürfnissen. Von einer solchen Unantastbarkeit der individuell oder gruppenbezogen bestimmten Lebensgestaltung und Kultur kann nun in der Realität keine Rede sein. Wie der Bauer seinen Acker bestellen muß, damit die Saat aufgeht und gute Früchte trägt, so ist seit langem eine Wirtschaftspraxis entstanden, die mit ihren Formen der Marktbearbeitung (mit ihrer Werbung, mit der Ästhetik ihrer Waren und den architektonischen Gestalten ihrer öffentlichen Präsentation) nahezu alle Bereiche des Alltagslebens eindringlich und nachhaltig prägt. Dies ist der konkrete Ausdruck der Tatsache, daß die Wirtschaft als Sektion der Gesellschaft nicht einer von ihr getrennten Kultur gegenübersteht, sondern mitten in ihr agiert und nicht weniger an der Prägung und Veränderung teilnimmt als andere Institutionen auch (wie zum Beispiel Religionsgemeinschaften, Wissenschaften, politische Parteien, Gewerkschaften). Man kann deshalb auch das Mitwirken der Wirtschaft an der Gestaltung der Kultur nicht generell als einen von außen vorgetragenen Kampf von Kräften der Wirtschaft gegen die Substanz der Kultur interpretieren. Es handelt sich vielmehr um einen
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historisch sehr wirksamen Prozeß der allmählichen Überformung traditionaler durch neue, vom erwerbswirtschaftlichen Managementdenken geprägte Ausdrucksformen der Kultur; ein Prozeß, der im Alltag eher unauffällig wirkt und meist von der Überlegenheit industrieller Produktion gegenüber individueller angetrieben wird. Der Unterschied zwischen einer Brotfabrik und der kleinen Bäckerei oder dem einstigen dörflichen Gemeinschaftsbackofen ist nicht nur ein technologischer, sondern vor allem ein kultureller. Aber der Prozeß hin zu industrialisierten Lebensformen entspringt nicht irgendwelchen Geheimbünden der Geschichte, sondern wird von den Kräften der Wirtschaft angetrieben. Dies soll hier nicht wertend, schon gar nicht kulturpessimistisch kommentiert, sondern lediglich als realer Vorgang festgestellt und beschrieben werden. Auch wenn gelegentlich Gegenbewegungen zur Rekultivierung des Selbsttuns zu verzeichnen sind, bleibt doch - nach meiner Einschätzung - der Hauptstrom der kulturellen Verwandlung des Alltagslebens durch industrialisierte Handlungsmuster und Gegenstände mächtiger.
Die Kontroverse Mit Blick auf das Thema Kulturmanagement erscheint indessen weniger der gesellschaftliche Alltag mit seinen profanen Bedürfnissen als der gesellschaftliche "Sonntag" mit seinen gehobenen Bedürfnissen nach kulturellen Ritualen, ästhetischen Genüssen und kreativen Herausforderungen jener Bereich zu sein, in dem sich so etwas wie ein Kulturkampf zwischen dem Eigensinn und der Eigenbedeutung der Kultur auf der einen und den ökonomischen Zwängen und intervenierenden kommerziellen Interessen auf der anderen Seite abzuspielen. Und diese Kontroverse läßt sich vereinfachend auf die beiden polaren Positionen reduzieren, nämlich auf der einen die Forderung, Kultur müsse sich ökonomisch selbst tragen, indem ihre kulturellen Produktionen auf dem Markt letztlich ohne Subventionen bestehen, und auf der anderen auf das Postulat, die Eigenbedeutung des Kulturlebens eben gerade nicht solchem Zwang zu unterwerfen. Die Gründe dafür, daß der Gedanke und die Praxis von sich selbst am Markt tragenden Kulturinstitutionen mehr und mehr Raum gewinnt, sind sehr vielfältig. Die Nachgiebigkeit von Kulturpolitikern, die sich auf diese Weise Erleichterung für ihre Haushaltsbudgets versprechen, ist nur ein und zudem eher vordergründiges Motiv. Hintergründig und, weil historisch langwieriger, weniger deutlich hervortretend sind Kräfte wirksam, die im Bereich des Kulturlebens selbst gewisse Formen und Praktiken hervorgebracht haben, für die eine ökonomische Handhabung mehr und mehr unverzichtbar geworden ist. Um es zunächst thesenartig vorwegzunehmen: Je mehr eine bestimmte kulturelle Praxis (zum Beispiel die Inszenierung eines Theaterstücks oder die Realisierung eines Filmprojektes) auf materielle Ressourcen zurückgreifen muß, um so mehr fallt das Ökonomische in diesem Handlungskomplex ins Gewicht (nicht selten auch ins Übergewicht). Braucht man für die kulturelle Produktion nichts als ein Blatt Papier und einen Stift zum Zeichnen, so ist der notwendige Rückgriff auf materielle Ressourcen, also auf das, was im Bereich der Wirtschaft hergestellt werden muß, relativ gering. Der Zeichner wird kaum auf die Nutzung fremden Kapitals angewiesen sein.
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Wo aber für eine technisch und organisatorisch komplexe kulturelle Produktion Kapital gefragt ist und dieses nicht vom Souverän (einst dem Fürsten, heute dem Staat als Sachwalter des Volkes) oder von einem privaten Mäzen verfügbar gemacht wird, dringt der Gesichtspunkt der privatwirtschaftlichen Rendite ein und zwingt zu kommerziellem Management. Der Zustand, daß viele kulturelle Institutionen in hohem Maße materielle Ressourcen einsetzen wollen oder müssen, Sachmittel also, für deren Finanzierung und Unterhaltung Kapital gebraucht wird, ist das Ergebnis eines anhaltenden kulturgeschichtlichen Prozesses. Der Bau und das Betreiben eines Theaters ebenso wie vieler anderer Kulturstätten hat immer schon Geld verschlungen, aber es war das für Konsum vorgesehene Budget des Fürsten, nicht das private Kapital des Kaufmanns (es sei denn als privater Kreditgeber oder Bankier). In der demokratischen Gesellschaft übernimmt der Staat diese Funktion im Verfolg einer wie immer gefaßten Kulturpolitik. Eine Kulturinstitution als Investitionsobjekt zu betreiben und marktwirtschaftlich eigenständig zu managen, ist eine Neuerung ziemlich jungen Datums.
Ökonomische Zwänge und der Eigenwert des Kulturellen Daß eine Inszenierung erfolgreich ihre Kosten einschließlich verlangter Kapitalrendite einspielt, ist gewiß nichts prinzipiell Negatives. Auch der private Bauherr muß Hypothekenzinsen zahlen, und solange der Kreditgeber sich nicht in die funktionale und ästhetische Gestaltung des Hauses einmischt, gibt es sicher keinen Streit, es sei denn, der Bauherr ist als ein verspielter Zeitgenosse bekannt, der zu riskanten Abenteuern neigt. Eine kulturelle Institution ist - in dieser Hinsicht durchaus vergleichbar mit dem privaten Bauherrn - eine Einrichtung des öffentlichen Konsums, nicht der produktiven Investition.4 Hier werden materielle Mittel verbraucht und gebraucht, aber nicht hergestellt und verkauft. Sitzplätze in einem Musikhaus werden nicht verkauft, sondern gegen eine Eintrittsgebühr für die Dauer des kulturellen Rituals überlassen. Folglich5 kann man im Verhältnis zur Klientel an Zuhörern auch nicht von einer Marktbeziehung im ökonomischen Sinne sprechen, und das, was hier angeboten und entgegengenommen wird, nämlich eine musikalische Darbietung, ist kein knapper Gegenstand, mit dem gewirtschaftet werden müßte. Was sollte auch physikalisch gesehen an der Ausbreitung von (ästhetisch gestaltetem) Schall knapp sein? Dies gilt allerdings nur im Grundsatz, und nur allzu leicht ist ein Zustand vorstellbar, worin das erforderliche Kapital für die Herrichtung und Ausstattung einer Musikhalle, womöglich einschließlich eines festen Orchesters samt Dirigent, von privater Hand mit dem Ziel des Werterhaltes und einer angemessenen Rendite gegeben wird. Der Kreditgeber wird sich in die Programmgestaltung vielleicht nicht einmischen wollen, sofern das Management des Hauses von sich aus die Gewähr bietet, keine riskanten, allzu verspielten kulturellen Abenteuer einzugehen und für eine hohe Sitzplatzausnutzung zu sorgen. Doch dürfte es nicht schwierig sein, sich auszumalen, worin die Unterschiede in der Programmgestaltung zwischen einer öffentlich finanzierten und einer privatwirtschaftlich finanzierten Kulturinstitution liegen werden. Stellt man sich auf den Standpunkt, daß letztlich die Neigung der Besucher, die
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Kosten einer Eintrittskarte zu tragen, das einzig demokratische Signal sei, welches über Bestand oder Abdankung einer bestimmten kulturellen Praxis zu befinden habe, so heißt dies nichts anderes, als daß die kulturelle Praxis einer Gesellschaft zu einem getreuen Spiegelbild ihres auf Individualisierung und Kommerzialisierung beruhenden Zustandes wird. Damit wäre dann auch außerhalb des Alltagslebens jener soziale Mechanismus eingebracht, der im herkömmlichen Waren-Marketing schon längst selbstverständlich ist: Das erwerbswirtschaftliche Gewinnstreben beschränkt sich nicht auf die dienende Ausschöpfung von Arbitragemöglichkeiten innerhalb eines kulturell vorgegebenen Lebensbereichs, sondern greift in die Entwicklung der kulturellen Orientierungen gestaltend ein. Es ist möglich, daß dieser Zustand in marktwirtschaftlich formierten Gesellschaften von Anläng an angelegt war und insofern konsequent ist.6 Stellt man sich dagegen auf den Standpunkt, daß die Rolle des Staates als Platzhalter und Wegbereiter eigenständiger und eigenwilliger, jedenfalls von kommerziellen Bindungen (nicht dagegen von ökonomischer Vernunft!) freier kultureller Betätigungsmöglichkeiten nach wie vor unverzichtbar sein soll, so müßte eine diesem Anliegen verpflichtete Kulturpolitik auf Gegengewichte zu der aus eigener Kraft selber durchsetzungsfahigen kommerziellen Kulturpraxis ausgerichtet sein. Solche Gegengewichte wären freilich nicht dadurch erreichbar, daß man sich haushaltstechnisch im Kulturbudget verkleinert mit dem Argument, was privat getan werden könne, müsse man privatem Engagement überantworten. Was sich privatwirtschaftlich nicht rechnet, ist deswegen ja nicht kulturpolitisch unwichtig und dürfte ohne Bedenken unterbleiben. Als privater Konsument käme man ja auch nicht auf die Idee, nach der Rendite einer Urlaubsreise oder eines Museumsbesuchs zu fragen.
Wozu brauchen wir Kulturmanagement? Unabhängig davon, ob eine Kulturinstitution von einem kommunalen Träger oder privatwirtschaftlich betrieben wird, muß eine den allgemeinen Anforderungen des haushälterischen Umgangs mit den verfugbaren Ressourcen entsprechende Lenkung gewährleistet werden. Das nämlich bedeutet Wirtschaftsführung im ursprünglichen Sinne. Die Transparenz der organisatorischen, personellen und finanziellen Vorgänge in einem Betrieb gleich welcher Aufgabenstellung ist dafür eine unverzichtbare Voraussetzung. Allerdings ist diese Tätigkeit nachrangig in dem Sinne, daß sie den von anderen Ziel- und Wertkriterien bestimmten inhaltlichen Programmentscheidungen nachfolgt. Dies ist in einem Wirtschaftsunternehmen herkömmlicher Art nicht anders. Womit sich ein Unternehmen in der Erwartung, am Markt ergiebige Arbitragen zu erlangen, inhaltlich (d.h. hier, das Warensortiment betreffend) befaßt, läßt sich nicht aus der Bilanz ablesen oder in den Strukturen der Organisation aufspüren, sondern bedarf des geübten Blicks für und der systematischen Durchforstung von Handlungsmöglichkeiten in der gesellschaftlichen Außenwelt. Die Arbeit der kaufmännischen Leitung in einem Betrieb gehört zwar zum Management, doch umfaßt dieses als Führungsfunktion wesentlich mehr. Man muß hier deutlich zwischen kaufmännischer Leitung und Unternehmerrolle unterscheiden.
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Überträgt man diese Überlegungen auf Kulturinstitutionen, so kämen für eine profilierte Ausgestaltung der Funktionen des Kulturmanagements nicht nur und nicht in erster Linie die traditionellen Aufgabengebiete des kaufmännischen Direktors in Betracht, wiewohl diese im Rahmen eines systematischen Kulturmanagements unverzichtbar bleiben. Die eigentliche Kunst des Managements liegt - wie in Wirtschaftsunternehmen auch — im Aufspüren und Ermöglichen von Austauschprozessen im Spannungsfeld zwischen (Kultur-)Bedürfhissen und (kulturellen) Realisierungsmöglichkeiten. Um es deutlich zu sagen: Man muß die eigenen Leistungsmöglichkeiten mit dem, was die Kundschaft will, in Einklang bringen können. Die Entscheidung darüber, mit welchem Programm dies geschehen soll, wird freilich im Falle erwerbswirtschaftlicher Zielsetzungen anders ausfallen als im Falle nichterwerbswirtschaftlicher. Entsprechend werden die konkreten Handlungskonzepte des Managements jeweils ganz anders aussehen. In einem privaten Betrieb wird schon bei der Programmfestlegung das Kriterium einer möglichst hohen und preislich ergiebigen Auslastung des Produktionsapparates einen hohen Rang einnehmen. Darüber hinaus werden auch die verkaufefördernden Konzepte der Öffentlichkeitsarbeit und des Marketing ihr eigenes, erwerbswirtschaftliches Gesicht bekommen müssen. Öffentliche, also nichterwerbswirtschaftliche Kulturbetriebe folgen zwar anderen inhaltlichen Zielsetzungen, und die ihnen folgenden Programmentscheidungen haben andere Konturen. Dennoch brauchen auch sie, zumindest wenn sie Dauereinrichtungen mit aufwendigem und technisch-organisatorisch komplexem Aufbau sind, durchdachte Handlungskonzepte, insbesondere eine ihrer kulturellen Identität gemäße Öffentlichkeitsarbeit unter Einschluß von Marketing. Auch nichterwerbswirtschaftliche Kulturbetriebe erfüllen ihre gesellschaftliche Aufgabe ja nur, wenn ihre Programme und Veranstaltungen der Öffentlichkeit bekannt sind und vom Publikum gewollt, besucht und verstanden werden. Mit diesen wenigen Gedanken sind allenfalls die Umrisse der Aufgabenstellung von Kulturmanagern gezeichnet. Ob die dem Kulturmanagement zuzuordnenden praktischen Handlungsfunktionen zu einem eigenständigen Rollenbild zu verdichten sind oder ob sie lediglich als Erweiterungen und Ergänzungen der traditionellen Aufgaben von Intendanten und vergleichbaren Leitungsorganen aufzufassen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Daß solche Aufgaben indessen in der Praxis wahrgenommen werden müssen, weil anders große Kulturbetriebe oder komplexe Veranstaltungen wie Festivals nicht mehr regierbar wären, hat mit zwei Hauptkräften der kulturhistorischen Entwicklung zu tun. Die eine resultiert - wie an anderer Stelle bereits erwähnt - aus dem Vordringen immer komplexerer technisch-organisatorischer Apparate. Die andere, parallel dazu wirksame, ist ihrerseits eine komplizierte gesellschaftliche Entwicklung hin zu mehr und mehr technisch vermittelten Existenzformen des privaten Lebens. Was soll damit gesagt sein? Das öffentliche Leben als die Sphäre der nichtprivaten Kommunikation findet nur noch in Ausnahmen auf konkreten, unvermittelten Handlungsplätzen statt und auch dies meist nur in organisierter Form (Straßenfeste, Demonstrationen, Trödelmärkte). Das Publikum eines Kulturbetriebes oder eines Kulturprojektes ist auf diesem Wege meist nicht erreichbar. Die technisch vermittelte Öffentlichkeit ist abstrakt und nur über Medien und andere technische Einrichtungen erreichbar. Dieses Vordringen der technischen Medien (im übrigen in gleicher Weise "Schlupfloch" für kommerzielle
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Interessen) bringt die Notwendigkeit mit sich, diese für die kulturelle Öffentlichkeitsarbeit systematisch in Anspruch zu nehmen und dabei ähnliche Methoden zu nutzen, wie sie im privatwirtschaftlichen Marketing entwickelt worden sind. Die Bedeutung eines den jeweiligen praktischen Verhältnissen angemessenen Kulturmanagements wird zumindest für eine ganze Reihe von Kulturinstitutionen wohl kaum umstritten sein. Doch auch wenn das Verhältnis von Management und kulturellem Auftrag der betreffenden Institution einigermaßen geklärt ist, besteht die latente Gefahr, daß kommerzielles Denken die Oberhand gewinnt. In privatwirtschaftlich geführten Kulturbetrieben (die ja übrigens im Buchverlagswesen schon lange und durchaus nicht erfolglos die Regel sind)7 ist dies beabsichtigt und damit insoweit klar. In allen anderen Fällen bleibt eine konfliktträchtige Zone erhalten, die aufzulösen bedeuten würde, auf das Finden gangbarer Mittelwege zu verzichten. Die Kunst des Kulturmanagements könnte vielleicht im Kern darin bestehen, eben solche Wege aufzuspüren und für die Kulturschaffenden begehbar zu machen.
Anmerkungen 1 Das Verfügen über knappe Ressourcen ist, wie in nahezu allen einschlägigen Lehrbüchern nachlesbar, für die meisten Ökonomen der Kern des Wirtschaftens überhaupt. Argumentativ auszubreiten, weshalb diese Sicht an wichtigen Tatbeständen der Realität völlig vorbeigeht, ist hier nicht möglich. Vgl. P. Bendixen: Fundamente der Ökonomie - Ökologie und Kultur, Wiesbaden 1991. 2 Kapitalbildung als Summe der investiven Sachmittel ist zwar - folgt man Adam Smith, dem Klassiker der Ökonomen - ohne Arbeitsfleiß und Nichtkonsum nicht erreichbar, materiell gesehen aber kommt alles Kapital aus der Natur. Diesen ökologischen Tatbestand zu übersehen, führt zu falschen ökonomischen Weltbildern. Einzelheiten vgl. P. Bendixen, a.a.O. 3 In der Ökonomie "Markt" genannt, von mir jedoch umfassender als der konkrete, kulturell verfaßte Lebensausschnitt verstanden, in dem sich der Bedarf an materiellen Mitteln konkret bildet. 4 Der gesamte Bereich des Kulturlebens gehört allerdings in die Unruhezone wachsender erwerbswirtschaftlicher Interessen, damit des Übergangs von der Konsum- in die Investitionssphäre, vergleichbar dem Vorgang des Übergangs von hauswirtschaftlichen zu erwerbswirtschaftlichen Produktionsformen (z.B. fertige Tiefkühlkost statt häuslicher Zubereitung von Speisen). 5 Und aus einer ganzen Reihe von weiteren Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. 6 Das technologische Prinzip, auf dem die industrielle Produktionsweise beruht, ist das der Stetigkeit, die auf mehr oder weniger radikale Vereinfachung (Normierung) der Produktgstalten hinausläuft. Industrie ist - ästhetisch gesehen eine Veranstaltung zur Banalisierung der Warenwelt, nur mühsam durch äußerliche Warenästhetik, zum Beispiel Verpackung, kaschiert.
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7 Womit ich nicht behaupte, daß immer alle wichtige Literatur über einen Verlag die Foren der Kulturgesellschaft erreicht und daß es unter den Schriftstellern kein Unbehagen an der kommerziellen Entwicklung des Verlagswesens gibt.
Stichwort: Kulturökonomik Michael Hutter
Zur Geschichte der Disziplin Unter Kulturökonomik versteht man heute das Feld der wissenschaftlichen Untersuchungen, die die wirtschaftliche Beobachtung kultureller Aktivitäten zum Thema haben. Der Kulturbegriff wird dabei in der Regel auf die klassischen Künste reduziert, so daß vor allem Märkte für bildende Kunst, für Musik, für Theateraufführungen und für Literatur untersucht worden sind. In einer Reihe von Fällen erstrecken sich aber die Beobachtungen auch auf benachbarte Bereiche, etwa die Alltagskultur, die Kulturindustrien und das noch kaum erschlossene Gebiet der Medienwirtschaft. In jedem Fall geht es darum, die beobachteten Aktivitäten unter der Perspektive ihrer wirtschaftlichen Bewertung zu sehen. Die Kulturwirtschaft oder Kulturökonomie ist also Forschungsgegenstand der wissenschaftlichen Disziplin der Kulturökonomik. Derartige Betrachtungen haben den Prozeß der Bildung von Kunstmärkten seit deren Entstehung im Verlauf des 18. Jahrhunderts begleitet. Beispielsweise war schon um 1830 das rapide Wachstum der französischen "Literaturindustrie" begleitet von kritischen Kommentaren (Hauser 1951). Auch die Argumente, die etwa Honoré de Balzac im Kampf um verbesserte Urheberrechte vorbrachte, klingen noch heute vertraut. Als dann gegen Ende des Jahrhunderts der Handel mit Werken der bildenden Kunst erstmals ein derartiges Volumen erreichte, daß ein eigener Berufestand, der der Galeristen, und ein eigenes Zuteilungsverfähren, das der Kunstauktion, ausdifferenziert werden konnte, setzten auch in diesem Sektor wissenschaftliche Untersuchungen ein (Drey 1910, Epstein 1914, Koch 1915, Smith 1924). Daneben fänden sich aber auch subtilere Auseinandersetzungen mit dem Einfluß der Kunst auf wirtschaftliches Handeln. Insbesondere Alfred Marshall, die zentrale Figur der englischsprachigen Volkswirtschaftslehre um die Jahrhundertwende, stellte detaillierte Betrachtungen über die ökonomische Bedeutung der Künste an (Rieter 1992). Bis in die sechziger Jahre blieben aber derartige Studien Einzelfalle. Dann aber begannen sich die Beiträge zu häufen. Zum einen führte das immer noch steigende Transaktionsvolumen in Bildermärkten zu einigermaßen systematischen Analysen der langfristigen Preisentwicklung, insbesondere unter Wertanlagegesichtspunkten (Rush 1961, Wagenführ 1965); besonders zu nennen ist die dreibändige Studie von Reitlinger (1961a, 1961b, 1970), die die Auktionspreise von hunderten von Malern über drei Jahrhunderte weg verfolgt. Zum zweiten richtete sich das Interesse einiger hervorragender Wirtschaftstheoretiker auf die Eigenarten der immer professioneller organisierten Kunstmärkte (Blaug 1976). Und schließlich gelang es einem der renommiertesten amerikanischen Ökonomen, William Baumol, eine ausführliche, empirisch gut fundierte Studie zur wirtschaftlichen Situation der aufführenden Künste zu verfässen (Baumol/Bowen 1966). Darin wurden
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Nachfragerverhalten, Produktionsbedingungen der Aufluhrungshäuser und die Abhängigkeiten von öffentlicher Förderung untersucht, um folgende Generalthese zu stützen: Die Abhängigkeit der aufführenden Künste von öffentlicher Förderung steigt stetig an, weil die Produktivität der Arbeit in der gesamten Volkswirtschaft durch den Einsatz neuer Technologien steigt, während sie in den fast völlig handwerklich betriebenen Künsten konstant bleibt. Diese These, die als "Baumol's Disease" in die Literatur einging, konnte zwar nicht stringent nachgewiesen werden. Trotzdem hat sie in vielen Fällen eine hohe Plausibilität. Vor allem aber begann mit ihr die Zeit der systematischen kulturökonomischen Forschung. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der Beiträge zumindest in der englischsprachigen Literatur so rasch angewachsen, daß sie selbst in ausführlichen Überblicksaufsätzen nicht mehr zur Gänze erfäßt wird (Throsby 1982).1 Trotzdem herrschen nach wie vor starke Berührungsängste zwischen denjenigen, die selbst in der Kunstwirtschaft tätig sind, und ihren wissenschaftlichen Beobachtern.2 Diese Kontroverse wird zu einem guten Teil dadurch verursacht, daß viele Autoren davon ausgehen, daß unter "Ökonomik" (economics) eine spezifische Untersuchungsmethode zu verstehen ist, und zwar diejenige, die rationale Wahlhandlungen aller Gesellschaftsteilnehmer als Entscheidungsmodell unterstellt. Zweifellos können auch in der Kunstwelt viele Phänomene mit der Maximierung individuellen Nutzens erklärt werden (Grampp 1989, Pömmerehne/Frey 1985, Bonus/Ronte 1991). Vielleicht sind sogar diejenigen, deren Verhalten dadurch am genauesten beschrieben wird, die selben, die ein Interesse an der Mystifizierung des Kunstbetriebs haben. Dennoch kann eine derartige methodische Einschränkung der Komplexität des Untersuchungsgegenstands nicht gerecht werden. Es geht in der Kulturökonomik um die ganze Breite der wissenschaftlichen Beobachtung der Kulturwirtschaft. Der nun folgende Überblick über die zur Zeit vorhandenen Forschungsschwerpunkte beginnt mit Arbeiten zur allgemeinen Wechselwirkung zwischen Kunst und Wirtschaft, reduziert dann den Grad der Allgemeinheit bis hin zu individuellem oder unternehmerischem Einzelverhalten und schließt mit dem Stand der Forschung zur Kulturförderung.
Wechselwirkungen zwischen Kunst und Wirtschaft Die allgemeinste kulturökonomische Frage ist wohl die nach dem gegenseitigen Einfluß von Kunst und Wirtschaft "als Ganzes". Die Fragestellung hat ihre Tradition vor allem in der von Marx beeinflußten Literatur. Wenn es tatsächlich so ist, daß die materiellen Produktionsbedingungen ihre eigenen Umweltbedingungen schaffen, dann muß sich auch in den Künsten und in der Kunstvermittlung dieser Anpassungsprozeß beobachten lassen. Christian Enzensberger (1977) hat diese These anhand des "Oliver Twist" und und anderer Beispiele demonstriert.3 Ein umgekehrter Ansatz fragt danach, inwiefern das Kunstschaffen einer Gesellschaft die Bedingungen des Wirtschaftens beeinflußt und inwieweit derartige "Quellen wirtschaftlichen Wachstums" im Kunstmarktgeschehen erfaßt werden. Grundlegende Vorarbeiten finden sich in der Kultursoziologie und in der Kunstgeschichte. Schücking (1961) hat gezeigt, wie literarisches Schaffen in Zirkeln organisiert ist. Bourdieu hat daraus eine allgemeine Theorie der "intellektuellen Kraftfelder" entwickelt (1974).
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Baxandall (1977) hat herausgearbeitet, wie präzise die Maler des 15. Jahrhunderts auf die professionelle und kognitive Vorbilder ihrer Auftraggeber und ihres Publikums eingingen. Außerdem stellt die moderne Soziologie mit der "Theorie sozialer Systeme" ein Paradigma zur Verfügung, in dem sich die Wechselwirkungen von Kunst und Wirtschaft als Wechselwirkungen zwischen zwei Kommunikationssystemen4 konsistent modellieren lassen. Auf dieser Basis hat der Verfasser eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, in denen die Auswirkungen von Innovationen des künstlerischen Ausdrucks auf ihre gesellschaftliche Umwelt und schließlich auf die Bedingungen des Wirtschaftens beobachtet werden.5 Als Fallstudien dienen Bilder von Masaccio, Ghirlandaio und Picasso (Hutter 1986), kompositorische Erfindungen von Perotin und Monteverdi (Hutter 1987) und Texte von Defoe und Balzac (Hutter 1991). Außerdem versucht der Verfasser eine allgemeinere Abschätzung der Produktivität, genauer: des Wertschöpfungspotentials, der Künste gegenüber den Wirkungen von Religion, Politik, Recht und Wissenschaft. Unter den Prämissen einer "Informationsgesellschaft" mit hoch entwickelten, überall verfügbaren Kommunikationsmitteln sagt er einen Anstieg in der wirtschaftlichen Wertschätzung der Künste voraus, der durchaus vergleichbar ist mit den Erfolgen von Wissenschaft und Technik im 19. Jahrhundert (Hutter 1992b). Derartige Untersuchungen gehen notwendigerweise über die ökonomische Betrachtung hinaus. Sie müssen ja die ästhetische Dimension gleichberechtigt reflektieren. Die Betrachtung wird gesellschaftswissenschaftlich, also soziologisch. Daraus folgen eine Reihe von methodischen - insbesondere das Problem der "Selbstbeobachtung"6 - und empirischen Problemen im Nachweis von Kausalitäten und Wirkungen, die alle noch nicht gelöst sind. Es bleibt aber festzuhalten, daß jede umfassende kulturökonomische Betrachtung unvermeidlicherweise in einem derartigen gesellschaftlichen Horizont stattfindet, und daß eine angemessene Berücksichtigung der künstlerischen Perspektive auf solche allgemeinere Modelle angewiesen ist.
Der Wirtschaftskreislauf des Kultursektors Bis vor wenigen Jahren lagen über die monetär meßbare Wertschöpfung des Kultursektors nur sehr ungefähre Angaben vor. Inzwischen werden weltweit Anstrengungen unternommen, um eine kontinuierliche kulturstatistische Berichterstattung zu gewährleisten. Dabei entstehen erst einmal Abgrenzungs- und Definitionsprobleme. Die umfassendste Studie für das Gebiet der alten Bundesländer, Hummel/Berger (1988), wählt folgende Abgrenzung: Künstler, Presse und Verlagswesen, Theater und Orchester, Bild- und Tonträger, Hörfunk und Fernsehen, Denkmalschutz, Kunst- und Kulturpflege, Kulturverwaltung, Ausbildung, vorgelagerte und nachgelagerte Bereiche. Die Daten dieser Teilsektoren können, wenn sie einmal erfeßt sind, mit den Mitteln der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dargestellt werden. Das hat einmal deskriptive Zwecke. Ausgaben für künstlerische Aktivitäten werden als Teil der Gesamtbilanz ausgewiesen, ihre Größenordnung und ihre Verflechtung mit anderen Sektoren wird sichtbar.7 Zum zweiten ergibt sich daraus auch ein analytischer Ansatz. Seit Keynes ist bekannt, daß jede Ausgabe weitere Ausgaben nach sich zieht. Der Faktor, mit dem sich die ursprüngliche Ausgabe zur gesamten Ausgabenkaskade vervielfältigt, wird "Multiplikator" genannt. Der "Multiplikatoreffekt" gilt prinzipiell für alle Ausgaben, die in einer Wirtschaft getätigt werden.
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Für die kulturpolitische Argumentation war der Effekt eine willkommene Hilfe. In einer rasch wachsenden Folge von Studien wurde gezeigt, wie die Ausgaben von Theater- und Museumsbesuchern ihre Wirkungen im Handwerk, in der Gastronomie und bei den Steuereinnahmen hinterlassen.8 Die Größenordnung des errechneten Multiplikators schwankt stark, je nach den ebenso stark schwankenden Untersuchungsmethoden. Während das Interesse an derartigen Nachweisen nach wie vor ungebrochen scheint, melden die Ökonomen längst Vorsicht an (Throsby/Withers 1979, Benkert 1989). Zwar ist es richtig, daß auch Investitionen in den Kultursektor Folgeausgaben verursachen. Aber diese Wirkung begründet keinerlei Priorität vor der Investition in andere Sektoren, etwa Sport oder technologische Forschung. So bleibt für die kulturstatistische Ergänzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vor allem die wichtige Aufgabe der deskriptiven Erfassung von Ausgabenströmen, Beschäftigtenzahlen und Produktionsvolumina.
Preisentwicklung in Kunstmärkten Differenziertere Untersuchungen einzelner Kunstmärkte unterscheiden sich schon allein deshalb stark, weil die Marktgegebenheiten stark voneinander abweichen. In Märkten für bildende Kunst werden einmalige Objekte gehandelt, bei den auffuhrenden Künsten sind es Zutrittsrechte zu Aufführungen, im Literaturmarkt sind es Bücher, also industriell gefertigte Kopien von Manuskripten. Dazu kommen noch die Arbeitsmärkte für Künstler, vom Bühnenbildner bis zum Orchestermusiker, und kompliziertere Mischformen, wie Zutrittsrechte zu Bildersammlungen, aufgezeichnete und kopierte Musikaufluhrungen, oder Rechte an Fernsehfilmen. Eine Reihe von Studien hat sich mit Marktstrukturen und Preisentwicklung in Märkten für bildende Kunst beschäftigt.9 Beweggrund war in der Regel die Frage, ob Investitionen in Gemälde eine Rendite erbringen, die mit der anderer Wertanlageformen vergleichbar ist. Die Frage wurde insbesondere während der achtziger Jahre virulent, als die augenscheinlichen Preissteigerungsraten hohe Erträge versprachen. Baumol (1986) errechnete - auf Grund der Preisdaten von Reitlinger (1961a, 1961b) - eine langfristige Rendite von weniger als zwei Prozent. Frey/Pommerehne (1989) bestätigten das Ergebnis mit einem erweiterten Datensatz. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Anderson (1974) und Stein (1977) mit anderen Berechnungsmethoden und Daten. Inzwischen haben sich aber Zweifel eingestellt, inwieweit mit diesen Methoden tatsächlich die Preisentwicklung angemessen erfaßt werden kann.10 Insbesondere bleibt die Bedeutung der Durchschnittsrendite unklar. In Märkten, in denen Vorwissen und Erfahrung eine derart große Rolle spielt wie in denen für klassische und zeitgenössische Bilder und Skulpturen, ist die Streuung der individuell erzielten Renditen sehr breit, sodaß es sehr wohl denkbar ist, im gleichen Marktgeschehen erfolgreiche Insider und erfolglose Outsider agieren zu sehen. Auch im Vergleich zu anderen Wertanlageformen - ein noch wenig untersuchter Bereich käme es darauf an, die Risiken, die durch die spezifische Wertbeständigkeit von Bildern vermieden werden, deutlich zu machen. Dennoch haben diese Studien sicherlich dazu beigetragen, daß die Märkte für Kunstobjekte als Märkte für Formen der Wertanlage verstanden wurden. Das Preisverhalten der Akteure im Kunstmarkt ist Gegenstand einer Reihe von
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Studien, die eher journalistischen Charakter haben. Bongard (1980) und Herchenröder (1978, 1991) beschreiben den deutschen, Moulin (1967) den französischen, Villani (1978) den italienischen und Wraight (1965) den amerikanischen Markt. Von einer wissenschaftlichen Absicherung der berichteten Fakten kann allerdings in keinem dieser Bücher die Rede sein. Im Fall der Märkte für aufführende Künste stand für die meisten Studien die Ausgabenentwicklung der Theater, Opernhäuser und Orchester im Vordergrund. Das liegt daran, daß bei den aufführenden Künsten große Betriebe mit komplexen Produktionskosten in Erscheinung treten. Die Preise für die Inputfàktoren dieser Produktion, insbesondere die Löhne für den Faktor Arbeit, sind seit den sechziger Jahren rapide gestiegen (Baumol/Bowen 1966, Wahl-Zieger 1978). Hauptursache ist sicherlich die von Baumol vermutete niedrige Arbeitsproduktivität des Sektors. Allerdings ist die Entwicklung nicht unbeeinflußt vom hohen Grad der öffentlichen Förderung. In Europa werden in der Regel nur 10 bis 30 Prozent der Ausgaben durch Eintrittsgelder der Besucher erbracht (Schuster 1985). Entsprechend gering ist das Interesse an einer differenzierten Preisgestaltung für Aufführungen.11 Auf die Förderung mit öffentlichen Finanzmitteln - ein komplexerer Vorgang als der der direkten Preisbildung - werden wir weiter unten zurückkommen. Die umfassendste Studie zum Sektor der aufführenden Künste stammt von Throsby und Withers (1979). Darin wird erst in einer Art Branchenanalyse die Wettbewerbsituation in den angelsächsischen Ländern (Großbritannien, USA, Kanada, Australien) dargestellt. Dann wird das ökonomische Verhalten von Anbietern und Konsumenten unter den Randbedingungen dieser Märkte formal analysiert. Für Deutschland liegen nur Teilstudien (Frey/Pommerehne 1989) vor. Der Literaturmarkt hat wohl bisher die geringste Aufmerksamkeit von Seiten der Kulturökonomik bekommen. Zu sehr scheint er eingebunden in ein einigermaßen normales industrielles Fertigungsverfahren. Noch dazu sorgt gerade in Deutschland die ungewöhnliche "Preisbindung der zweiten Hand" dafür, daß der Preiswettbewerb weitgehend verhindert wird.12 Die vorhandenen Studien geben entweder generelle Überblicke (Weigner 1989) oder bleiben eng an betriebswirtschaftlichen Aufgabenstellungen (Prosi 1971). Allerdings stellt sich auch hier das Problem, wie sich die künstlerische Literaturproduktion im engeren Sinne vom allgemeinen Verlagsoutput unterscheiden läßt. Anhand von konkreten Kalkulationsbeispielen zeigt Weigner (1989), wie zumindest einige Verleger durch Mischkalkulation Bücher ermöglichen, die wirtschaftliche Verluste einfahren.13 Über die Preise, die die eigenüichen Schöpfer der Werke, also die Maler, Komponisten und Autoren, erzielen, ist bisher noch wenig gesagt worden. Sie tauchen vornehmlich in vergleichenden Studien von durchschnittlichen Künstlereinkommen auf (Krieg 1953, Filer 1987, Frey/Pommerehne 1989, Throsby 1992, Towse 1992, Hummel/Berger 1988). Die empirischen Ergebnisse zeigen durchwegs eine hohe Streuung innerhalb der einzelnen Berufesparten, sie zeigen weiterhin große Unterschiede zwischen kommerziell und nicht-kommerziell einsetzbaren Berufen, etwa zwischen Werbephotographen und Malern. Diese Unterschiede sind theoretisch einigermaßen gut zu erklären. Nur wenige können von der künstlerischen Arbeit leben. Aber zum einen ist der angestrebte Erfolg - Ruhm und Reichtum - verlockend. Zum anderen ist offenbar die unmittelbare Befriedigung aus künstlerischer Arbeit ungleich größer als bei Tätigkeiten, die nur dazu dienen, sich das Geld für die eigentliche Befriedigung zu verschaffen. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, daß Künstler
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sich in "Brotberufen" ein Minimum an finanziellen Mitteln verschaffen, um dann den Rest ihrer Zeit für künstlerisches Schaffen frei zu haben. Daraus folgt aber auch, daß eine öffentliche Förderung von Künstlereinkommen nicht etwa eine vorgegebene Gruppe unterstützen, sondern ein prinzipiell unerschöpfliches Potential entsprechender Berufeentscheidungen auslösen würde. Spezielle Probleme sind die der "asymmetrischen Marktmacht" zwischen Künstler und Kunstvermittler (Galerie, Agentur oder Verlag): dem unbekannten Künstler gegenüber ist der Nachfrager in einer Monopolsituation, dem bekannten Künstler gegenüber ist die Marktmacht genau umgekehrt.14 "Stars" - auf der Bühne ebenso wie im Sport und in anderen Medienbereichen - sind in der Lage, durch ihre Verhandlungsposition den gesamten Zusatzgewinn einzustreichen, den ihr Auftreten einspielt, ohne einen Dekkungsbeitrag zu den hohen fixen Aufwendungen zu leisten, die ihr Auftreten überhaupt erst ermöglicht haben (Rosen 1981). Das Bild der Kulturwirtschaft, das sich aus der heterogenen Vielfeit der bisherigen Studien ergibt, ist noch diffus und in weiten Bereichen unerforscht. Allmählich erhalten wir aber einen Eindruck von den differenzierten Binnenbedingungen der einzelnen Märkte, von der Dynamik ihrer historischen Entwicklung15 und von der aktuellen Wettbewerbssituation. Dabei zeigt sich, daß die Kunstmärkte mit ihrer hohen Rate der Innovation, ihrer Dynamik und ihrer Heterogenität der Qualität keineswegs ein Randphänomen der Wirtschaft sind. Im Gegenteil, genau diese Eigenschaften machen sie zu paradigmatischen Beispielen für die Informations- und Kommunikationsindustrien, die einen wachsenden Anteil des Sozialprodukts moderner Wirtschaften herstellen. Zu den unmittelbaren Nachbarbereichen, der Phono- und der Filmindustrie, liegen zwar Untersuchungen vor,16 aber die Verbindung zur kulturökonomischen Forschung ist noch nicht hergestellt.
Entscheidungsverhalten in der Kulturwirtschaft Gemäß der traditionellen ökonomischen Verhaltenshypothese maximieren Individuen und Organisationen ihren Nutzen und, gegebenenMs, ihr Einkommen. Mit dieser Vermutung läßt sich auch im Kultursektor das beobachtete Verhalten der Teilnehmer recht gut erklären. Allerdings kommt es darauf an, die spezifischen Randbedingungen künstlerischen und kunstvermittelnden Handelns, insbesondere die Bedingungen künstlerischer Produktion, in die Erklärung miteinzubeziehen. Nachdem diese Bedingungen in den einzelnen Kunstgattungen sehr unterschiedlich sind, muß die Situation für jeden einzelnen Fall getrennt spezifiziert werden. Tatsächlich liegen inzwischen für viele dieser Situationen eigene Studien vor. In Märkten für bildende Kunst spielt der Galerist eine zentrale Rolle. Seine Arbeit besteht darin, aus dem breiten Angebot künsüerischer Objekte diejenigen auszuwählen, deren Eignung als Mittel ästhetischer Kommunikation in wirtschaftliche Bewertung umgesetzt werden kann, die ausgewählten Werke zu präsentieren und sie, zusammen mit potentiellen Käufern zu interpretieren. Streuung auf verschiedene Werkgrappen kann das Risiko des Engagements verringern, und die Präsenz auf Messen, vermehrte Werbung und Filialenbildung können das Produktionsvolumen erhöhen. Aber die meist mündliche Form, auf die Kunstvermittlung angewiesen ist, setzt dem Gesamtvolumen der "Betriebe" enge Grenzen. Galeristen haben ein Interesse an einem gleichmäßigen
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und raschen Nachschub mit Bildern bekannter Maler. Daraus resultiert eine Tendenz, Tálente rasch auszuschöpfen, denn Rechte an der Entdeckung von Tklenten können kaum geltend gemacht werden. In Auktionen werden vergleichbare Objekte und potentielle Nachfrager zu einem Zeitpunkt zusammengebracht. Auktionshäuser sind spezialisiert auf die Bewertung derartig heterogener Objekte. Die ästhetische und die wirtschaftliche Qualität der eingelieferten Werke wird von Experten geschätzt, potentielle Käufer werden über das Angebot informiert, und schließlich wird der Wettbewerb zwischen den Nachfragern inszeniert. Aus diesen drei Tätigkeiten besteht die "Produktionsfunktion" von Auktionshäusern. Es liegt auf der Hand, daß die Häuser ein Interesse an hohen Umsatzvolumen und damit an einer raschen Zirkulation der Objekte haben. Sehr erfolgreich in dieser Hinsicht war das Vordringen in den Markt für zeitgenössische Kunst, der bis in die siebziger Jahre hinein dem Galeristenhandel vorbehalten gewesen war. Ein analytisch besonders schwieriger Fall ist das Verhalten von Museen. Dort wird nicht nur ein bestimmtes Produkt, etwa der Besuch der Ausstellungen und Sammlungen, maximiert (Hendon 1979, Frey/Pommerehne 1989). Gleichzeitig steht das Museum Kunstwissenschaftlern für Forschungszwecke zur Verfügung. Wenn die Museumsführung durch Ausstellungen und Ankäufe aktiv in den Prozeß der Bewertung von zeitgenössischer Kunst eingreift, kommt eine dritte Zielsetzung hinzu. Diese Zielsetzung ist aber gefährlich für die Rollenverteilung im Kunstmarkt. Museen sind bisher als Wertbestimmungs- und Wertaufbewahrungsinstanzen betrachtet worden. Sie erfüllen also eine ganz ähnliche Rolle wie Depositenbanken. Wenn sich die Museen an der Spekulation über zukünftige Werte beteiligen, dann verlieren sie diese Funktion, mit ähnlich inflationärer Wirkung, wie das im Bankwesen der Fall wäre. Die Organisation des Produktionsprozesses spielt in den aufführenden Künsten eine ungleich größere Rolle. Die Kombination von Sachkapital, technischer Arbeit und künstlerischer Arbeit muß von Opernhäusern, Theatern und Orchesterensembles ständig bewältigt werden.17 Dabei spielt sich die Produktion unter arbeitsrechtlichen Bedingungen ab, die auf gänzlich andere Wirtschaftssektoren zugeschnitten sind. Etwas verändert ist die Situation für reine Aufführungshäuser oder für Festivals, die den Großteil ihrer Produktionen fertig einkaufen und damit die Kapazität des Hauses ausfüllen. In allen Fällen geht es aber um die beständige Auslastung des Auditoriums, und es geht wesentlich darum, die Information über die angebotenen Produktionen an potentielle Hörer und Zuschauer zu vermitteln. Im Fall der Orchester kommt dazu, daß die Orchestermitglieder auch ohne den technischen Apparat des Ensembles produktiv werden können. Daraus resultieren komplizierte Arrangements zwischen haupt- und nebenberuflicher Tätigkeit. Allerdings lassen sich kaum konkrete Beispiele finden, bei denen nicht das Ensemble staatliche Förderung und Alterssicherung genießt, sodaß die beruflichen Entscheidungen der Musiker auch davon beeinflußt werden (Wahl-Zieger 1978). Die Produktionsbedingungen für Literatur sind hinlänglich bekannt. Anhand der Kalkulationsregeln für den Buchpreis lassen sich die Wertanteile der einzelnen Produktions fhktoren (Herstellung, Personal, Werbung, Auslieferung, Autorenhonorar) gut abschätzen. Fast die Hälfte des Erlöses geht an Großhandel und Handel. In diesem Sektor gelten die Gesetzmäßigkeiten der "Skalenerträge" in besonderem Maß. Darunter versteht man das überproportionale Anwachsen der Ausbringung bei einer Steigerung der Faktorkombination. Die kleinen Auflagen der schöngeistigen Literatur können
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bei scharfem Kostenwettbewerb in der Regel nur erhalten werden, wenn sie in das Programm größerer Verlagshäuser eingebettet sind.18 Derartige "Mischkalkulationen" sind aber nicht nur durch ästhetische Interessen motiviert. Es gilt als gesichert, daß der Prestige- und Vertrauenseffekt solcher Produktionen verkaufefördernd auf das Gesamtprogramm des Unternehmens wirkt (Weigner 1989). Die leichte Transportierbarkeit von Büchern bringt es auch mit sich, daß hier der Wettbewerb weitaus stärker ist als bei Aufführungen in ortsfesten Häusern oder bei den meist nur regional bekannten Kunstobjekten. Entsprechend weiter fortgeschritten ist der Konzentrationsprozeß und der Einsatz technischer Hilfemittel in der Produktion. Einzelne Künstler sind in dieser Perspektive noch nicht vorgekommen. Maler, Komponisten und Autoren produzieren nachwievor in individueller Hand- bzw. Kopfarbeit, sodaß sich über die Produktionsbedingungen wenig sagen läßt. Auch die Zielfunktion der Künstler ist umstritten. Sicherlich ist es ungenügend, schlichte Einkommensmaximierung zu unterstellen. Doch es bleibt unklar, in welchem Maß künstlerischer Rang oder Bekanntheitsgrad oder Selbstverwirklichung in die Zielfunktion eingehen. Die Verhandlungsposition mit denjenigen Akteuren, die die Zwischenprodukte der Künstler bis zur Marktfahigkeit weiterentwickeln (Galeristen, Aufführungshäuser, Verlage) ist generell schwach, weil die wirtschaftliche Größe der Vertragspartner zu ungleich ist - wenn nicht das "Star-Phänomen" dem Künstler eine Monopolstellung verschafft, weil genau seine Werke nachgefragt werden.19 In diesem Zusammenhang spielt auch die Ausgestaltung der Eigentumsrechte, insbesondere durch das Urheberrecht, eine wichtige Rolle. Sie ist aber nur ein Beispiel dafür, wie stark rechüiche, insbesondere auch steuerliche, Randbedingungen das Verhalten der Akteure in den Kunstmärkten beeinflussen. Die kulturökonomische Betrachtung ist an der Erklärung von Phänomenen und an der Vorhersage ihrer Veränderung und Entwicklung bei veränderten Randbedingungen interessiert. Genausogut läßt sich aber die Maximierungshypothese als Handlungsvorschrift einer Kunstlehre verwenden. Sie dient dann als Entscheidungshilfe für "effizientes" unternehmerisches Handeln, also für Kulturmanagement. Detailliertere Anwendungen unterscheiden zwischen Problemstellungen in den Bereichen Produktion, Finanzierung, Marketing (Absatz und Vertrieb) und Personalentwicklung. Die theoretischen Grundüberlegungen zeigen aber, daß sich Entscheidungen nur dann durch Verweis auf Kosten und Erträge rechtfertigen lassen, wenn ausschließlich Gewinne maximiert werden. Bisher ist nur das Verhalten der Anbieter auf Kunstmärkten thematisiert worden. Bei den Nachfragern sind Ökonomen traditionell zurückhaltend, weil es schwierig ist, zu verläßlichen Aussagen über menschliche Präferenzen zu kommen. Dennoch haben sich einige grundsätzliche Unterscheidungen etabliert, eine davon ist die zwischen Konsum- und Spekulationsmotiven. Konsummotive sind Wirkungen der Objekte oder Ereignisse auf den Nachfrager selbst (Erbauung, Unterhaltung etc.), und Wirkungen auf andere (Prestige, Gesprächsstoff etc.) Solche Wirkungen gelten für individuelle Sammler ebenso wie für Großbanken. Spekulationsmotive können dann unterstellt werden, wenn die Kunstobjekte dauerhaft sind. Die bildenden Künste haben den Materialanteil gegenüber dem Kommunikationsanteil ständig verringert und dadurch die Aufbewahrung und den Transfer erleichtert. Deshalb sind Kunstwerke zu einer Alternative der Wertaufbewahrung geworden. Jede Wertaufbewahrung erfolgt aber unter dem Risiko zukünftiger Wertveränderung. Wenn
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die Preise in einem Teilmarkt beständig steigen, dann bilden sich "Erwartungserwartungen", die den bestehenden Trend verstärken. Die so ausgelöste Verstärkung der Nachfrage kann nicht unbegrenzt andauern, aber sie kann genügen, um denjenigen, die spezialisiertes Wissen und Möglichkeiten der Marktbeeinflussung haben, Spekulationsgewinne zu verschaffen.20 Eine zweite Unterscheidung ist die zwischen Konsum- und Suchtverhalten. Während die Konsumententheorie üblicherweise davon ausgeht, daß Bedürfnisse durch Konsum gesättigt werden, beobachten wir beim Kunstgenuß häufig das umgekehrte Phänomen: der Nachfrager "kommt auf den Geschmack", er wird zum Sammler und Connaisseur. Offenbar hat die Auseinandersetzung mit der Kunst in solchen Fällen die Präferenzen für Kunst verstärkt. Analytisch ist dieses Verhalten durchaus vergleichbar mit Suchtphänomenen bei Genuß- und Rauschmitteln.
Kulturförderung und Kulturpolitik Kein Bereich der Kulturökonomik ist so intensiv erforscht worden wie der der Kulturund Kunstforderung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: die weitgehende Subvention insbesondere der auffuhrenden Künste bedarf der Legitimation. Dennoch sind die bisher erstellten, oft aufwendigen Studien nur der Anfang der Erkundung eines Zusammenhangs, der wegen des Zusammenspiels dreier Systeme - Kunst, Politik und Wirtschaft — theoretisch besonders schwer zu fassen ist. Schuster (1985) hat die unterschiedlichen Förderniveaus in einer internationalen Studie beschrieben. Für die deutschsprachigen Länder finden sich zahlreiche Daten in Fohrbeck (1981) und Hummel/Berger (1988), die Förderung für den Aufführungssektor der englischsprachigen Länder wird von Throsby/Withers (1979) systematisch dargestellt. Mehrere Studien zeigen, daß öffentliche Förderung einigermaßen systematisch von kulturellen, wirtschaftlichen und demographischen Faktoren abhängen (Withers 1979, Seaman 1980). Die Frage, ob öffentliche Förderung private Unterstützung verdrängt, ist eher negativ beantwortet worden (Netzer 1978, Seaman 1980). Sehr umfangreich ist die theoretische Diskussion um die normative Begründung für öffentliche Kunst- und Kulturförderung. Dabei werden prinzipiell zwei Argumente entwickelt. Das erste Argument verwendet das Konzept öffentlicher Güter. Darunter versteht man Güter, bei denen Wirkungen auf andere als den Käufer nicht oder nur mit Aufwand verhindert werden können, und die von mehreren nicht-rivalisierend konsumiert werden können. Es ist wohl bekannt, daß das Angebot von öffentlichen Gütern unter dem gesellschaftlich erwünschten Niveau liegt, weil positive externe Effekte entstehen, die nicht bezahlt werden müssen. Kunstereignisse haben Informationscharakter, und damit sind sie Paradebeispiele für öffentliche Güter. Der Ausschluß von der Information muß mit Aufwand, etwa durch Zutrittsbeschränkungen und Exklusivrechte, betrieben werden, und die Weiterverwendung, etwa in der Unterhaltungsmusik oder der Mode, kann kaum verhindert werden. Außerdem muß sich, wegen des gemeinschaftlichen Nutzungscharakters, immer eine Gruppe finden, die die Grundeinrichtungen vorhält (club good). Auch hier kann die öffentliche Hand helfen, um ein kollektives Handeln zu ermöglichen. Das zweite Argument verwendet das Konzept der meritorischen Güter. Das sind Güter, deren Wert vom Entscheidungsträger einfach postuliert wird. Deshalb wird
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diese Begründung oft als paternalistisch abgelehnt. Es besteht aber weitgehende Übereinstimmung, daß gerade die aufführenden Künste eine wichtige Rolle bei der Identitätsbestimmung und der ständigen Selbstkritik einer Nation oder einer Gemeinde spielen. Insofern erscheint es legitim, daß öffentliche Körperschaften derartige Effekte in ihre Entscheidungen miteinbeziehen.21 Wenn auch die grundsätzlichen Argumente für die Förderung überzeugend sind, so bleibt unklar, welche Entscheidungsträger diese Förderung übernehmen sollen, und welche Formen der Förderung jeweils angemessen sind. Bei öffentlichen Haushalten kann man einerseits annehmen, daß die Zielfunktion auch Eigeninteressen der jeweiligen Körperschaften enthält. Des weiteren ist unklar, wie öffenüiche Stellen angemessene ästhetische Werturteile fallen oder auch nur einschätzen können. Außerdem setzen die Regeln der kameralistischen Wirtschaftsführung oft die falschen Anreize, weil die Einnahmen von den Ausgaben abgekoppelt sind. Erfolgreicher sind dagegen "Not-for-profit"-Unternehmen oder intermediäre Institutionen, die Teilnehmer am Kunstbetrieb in ihre Entscheidungsgremien berufen. Natürlich läßt sich auch bei Anwendung dieses "arm's length principle" vermuten, daß Verflechtungen zwischen Förderern und Geförderten entstehen. Aber die Gefahr inkompetetenter und ineffizienter Förderung ist doch erheblich gemildert. Nach wie vor offen ist Frage nach den jeweils besten Fördermethoden.22 Zwar ist allgemein anerkannt, daß die wirtschaftlich neutralste Form die Förderung der Nachfrage wäre. Entsprechende Fördermaßnahmen, etwa im Schul- und Ausbildungsbereich, sind aber sehr indirekt in ihren Wirkungen. Wenig thematisiert ist auch die Tatsache, daß Staat und Gemeinden in vielfacher Hinsicht Kulturpolitik betreiben. Sie tun das neben der Bildungspolitik auch durch ihre Bauinvestitionspolitik, ihre Tarifpolitik und ihre Finanzpolitik (Hutter 1992c).
Schlußbemerkungen Ein Vierteljahrhundert nach ihren Anfangen präsentiert sich die Kulturökonomik als eine rasch wachsende Teildisziplin. Die Beiträge sind heterogen, und die sich stellenden Fragen sind weder theoretisch zufriedenstellend gelöst, noch liegen die Methoden vor, um zu verläßlichen empirischen Aussagen zu kommen. Die Kulturbereiche, die über die unmittelbaren Kunstmärkte hinausgehen - etwa die Kulturindustrien und die Medien - , sind bisher noch in keine vergleichbare Systematik gebracht worden. Erst in jüngerer Zeit wächst das Bewußtsein dafür, daß kulturökonomische Fragestellungen deutlich schwieriger sind als in anderen Wirtschaftssektoren. Andererseits zeigt sich aber, daß genau die Eigenschaften, die Kunstmärkte so ungewöhnlich machen - ständige Innovation, hoher Kommunikationsanteil, rasche Marktdynamik und Güterheterogenität - auch diejenigen Eigenschaften sind, die in der "Informationsgesellschaft" zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Kulturökonomik hat also durchaus das Potential, unser Verständnis der gesamten Wirtschaft zu verändern.
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Anmerkungen 1 Interessante Einblicke ergeben sich durch die Tagungsbände zu den Konferenzen der "Association of Cultural Economics" (Hendon et al. 1980, 1983, 1984, 1987, Grant et al. 1987, Owen/Hendon 1985, Shaw et al. 1987, Waits et al. 1989, Towse/Khakee 1992) und durch die Aufsätze im "Journal of Cultural Economics". Einen nicht-technischen Überblick bieten Andreae (1986) und Hutter (1989). 2 Vgl. dazu die erregten Debatten in Andreae (1983). 3 Eine detaillierte Studie zu den wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen Musik entsteht, hat Silbermann schon 1957 vorgelegt. 4 Nicht nur die Kunst, auch die Wirtschaft wird demnach näherungsweise als Diskurs, genauer als fortgesetzte Kette von Verständigungsakten aufgefaßt. Während die Selbstreproduktion der Kunst in ästhetischen Ereignissen stattfindet, reproduziert sich die Wirtschaft in der Kette der Zahlungsakte (Luhmann 1988, Hutter 1992a). Das ist ein entscheidender Unterschied zu Modellen, in denen die Wirtschaft als "Güterhaufen", also als Ansammlung materieller Objekte, verstanden wird. 5 Die Frage nach den Bedingungen verhindert, daß hier mit der Maximierungsthese gearbeitet werden kann. Die Bedingungen sind Regelhaftigkeiten, die gerade vorausgesetzt werden müssen, damit überhaupt maximiert werden kann. Dieses Problem ist in der allgemeineren theoretischen Diskussion um "konstitutionelle Regeln" und "Eigentumsrechtestrukturen" inzwischen wohl bekannt. 6 Dieses Problem ist traditionell unter dem Stichwort der Hermeneutik dikutiert worden. In jüngster Zeit entsteht eine eigenständige Beobachtertheorie (Baecker 1993). 7 Vgl. dazu Hummel/Waldkircher (1991). 8 Eine Zusammenfassung enthalten Behr/Gnad (1987) und, für England, Myerscough (1988). 9 Pommerehne/Schneider (1983) machten den interessanten Versuch, die Preisentwicklung der Werke eines Künstlers aus bisherigen Preisen und anderen statistisch relevanten Faktoren zu prognostizieren. 10 Problematisch ist insbesondere die Technik, nur Doppel- und Mehrfachverkäufe von Gemälden auf Auktionen zu zählen. Aussagekräftiger sind Durchschnittspreisindizes, die allerdings wegen der Heterogenität der Objekte schwer zu konzipieren sind. Vgl. Holub et al. (1993). 11 Beispielsweise könnte man stärker zwischen Premiere und Folgeaufführung und zwischen Sitzkategorien unterscheiden. Vgl. Frey/Neugebauer (1976). 12 Ob diese Regelung allerdings zum Vorteil kleiner Verlage und Buchhandlungen ausschlägt, darf bezweifelt werden. Auf der Suche nach "Profitnischen" haben Kauf- und Handelshäuser den Buchmarkt entdeckt und schöpfen nun, auf der Basis ihrer Verhandlungsmacht, Steuer- und Gewinnanteile ab.
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13 Siehe auch Winckler (1986) und Fohrbeck/Wiesand (1989). 14 Zur besonders ohnmächtigen Situation des Übersetzers siehe Wollschläger (1986). 15 Für den Literaturmarkt beispielhaft ist die Studie von Wittmann (1982). 16 Vgl. die Bibliographie von Schenk/Hensel (1986). 17 Anhand empirischer Daten hat Gapinski (1980) den Versuch unternommen, die Produktionsfunktionen von Opernhäusern, Theatern, Symphonieorchestern und Tanztheatern zu bestimmen. Vgl. auch Throsby (1977). 18 Eine Ausnahme sind kleine Verlage, die ein stabiles Nischenpublikum bedienen. 19 In solchen Fällen schaltet sich in der Regel ein Agent ein, der die Interessen des Künstlers vertritt. Derartige Differenzierungen der Wertschöpfungskette setzen allerdings ein Marktvolumen voraus, das nur bei wenigen Musikern, Malern und Schriftstellern erreicht wird. 20 Als in den 80er Jahren Gewinnüberschüsse zunehmend in Kunstwerken angelegt wurden, führten die Informationen über erzielte Preissteigerungen zu einer Spekulationswelle oder "-blase", wie sie in Finanzmärkten wohlbekannt ist. Am Ende dieser Phase genügte dann ein vergleichsweise geringer Konjunkturabschwung, um die Blase zum Platzen zu bringen. 21 Eine ausfuhrliche Darstellung der Argumentation bringen Throsby/Withers (1979), Pommerehne/Frey (1987) und O'Hagan/Duffy (1987). Die radikalste Kritik der Förderungsargumente enthält Grampp (1989). 22 Throsby/Withers (1979) listen über ein Dutzend unterschiedlicher Methoden, von der Defizitbürgschaft über die Sachleistungshilfe bis zu den Künstlerstipendien, auf.
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Kulturfinanzierung Wolfgang Benkert
Kunst und Kultur sind auf vielfältige Weise mit dem Wirtschaftssystem verknüpft. Ein Teilaspekt dieser Verknüpfung ist die Finanzierung von künstlerischen und kulturellen Aktivitäten und Einrichtungen; daneben gibt es vielfältige weitere Bezüge wie etwa - aus betriebswirtschaftlicher Sicht - die Produktion künstlerischer und kultureller Gegenstände und Leistungen und den Absatz dieser Produkte oder - aus volkswirtschaftlicher Sicht - die Beschäftigungs- und Produktivitätssteigerungseffekte von Kunst und Kultur. Gegenstand der Theorie der Kulturfinanzierung ist die Beschallung und Disposition von Finanzmitteln (oder Äquivalenten) als Voraussetzung für die Tätigkeiten von Künstlern und Kultureinrichtungen. Die Finanzierung dieser Tätigkeiten ist elementar in einem prozeßlogischen Sinne: Mindestens zur eigenen physischen Reproduktion benötigen die an künstlerischen und kulturellen Produktionsprozessen beteiligten Menschen Ressourcen (Einkünfte); soweit nicht alle Produktionsressourcen selbst erstellt werden, müssen über die eigenen Reproduktionsaufwendungen hinaus Mittel beschafft werden, mit denen diese Fremdbezüge bezahlt werden. Die Mittel für die Finanzierung der am künstlerischen und kulturellen Produktionsprozeß beteiligten menschlichen und sachlichen Ressourcen können aus verschiedenen Quellen stammen: - Erträge oder Substanz von Vermögen, das den Künstlern bzw. Kulturschaffenden selbst gehört, - Einkünfte aus dem Verkauf der Produkte und Leistungen des Produktionsprozesses (der dann freilich bei längerer Produktionsdauer bzw. Lagerung vorfinanziert werden muß), - Einnahmen aus Darlehensaufnahme und ertragsbezogene Beteiligungen Externer, - nicht ertragsbezogene Beteiligungen oder sonstige Einlagen privater Dritter und - Finanzierungsbeiträge des Staates. In welchen Relationen diese Quellen konkret den Finanzbedarf eines Künstlers oder einer Kultureinrichtungen decken, hängt zum einen von den spezifischen Bedingungen in der einzelnen Kultureinrichtung ab; zum anderen ist die Kulturfinanzierungsstruktur ein gesellschaftliches "Kulturprodukt". Insbesondere die nicht ertragsbezogene Beteiligung privater Dritter und des Staates (z.B. Spenden und Zuweisungen) an der Kulturfinanzierung gebietet es, das Thema "Kulturfinanzierung" nicht nur als betriebswirtschaftliches, sondern auch als volkswirtschaftliches Problem zu behandeln. Entsprechend werden im folgenden zunächst die betriebswirtschaftlichen Aspekte der Kulturfinanzierung entwickelt, bevor die Finanzierung von Kultureinrichtungen und künstlerischen Tätigkeiten unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wird.
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Finanzierung von Kultureinrichtungen als betriebswirtschaftliche Aufgabe Die betriebswirtschaftliche Betrachtung der Kulturfinanzierung beinhaltet zunächst die Frage, aus welchen Gründen und in welchen Erscheinungsformen sich das Management von Kultureinrichtungen mit Finanzierungsproblemen zu beschäftigen hat. Der Finanzierungsbedarf kann aus verschiedenen Quellen und mit unterschiedlichen Formen von Mitteln gedeckt werden. Als Übergang zur volkswirtschaftlichen Betrachtung der Kulturfinanzierung sind schließlich die sich aus den institutionellen Besonderheiten von Kulturbetrieben ergebenden Spezifika der betriebswirtschaftlichen Finanzierungsproblematik zu erörtern. Arten von Finanzierungsproblemen Die Beschallung von Finanzmitteln war zuvor als elementare Aufgabe des Managements von Kultureinrichtungen bezeichnet worden in dem Sinne, daß sowohl die Reproduktion der Eigentümer bzw. Betreiber der Einrichtungen als auch die Entlohnung bzw. Honorierung der fremdbezogenen Arbeits- und Sachleistungen gesichert werden muß. Dabei ist - und dies ist ein Spezifikum vieler Kultureinrichtungen - zu unterscheiden zwischen einer Vorfinanzierung von Ressourceninputs einerseits und dauerhafter Defizitdeckung andererseits. Die Vorfinanzierung der Inputs ist bei jedem Betrieb notwendig, der Leistungen produziert, die nicht unmittelbar, d.h. ohne zeitliche Verzögerung zu einem mindestens kostendeckenden Preis an Dritte abgegeben werden. Dies kann im wesentlichen aus drei Gründen der Fall sein: Erstens dann, wenn für die Produktion Vorleistungen notwendig sind, die (wie etwa Investitionsmittel oder auch nicht unmittelbar verzehrte Roh- und Hilfsstoffe) über eine längere Zeitperiode in die Produktion eingehen (beim Theater z.B. die Bauten und der Fundus); zweitens, wenn die Produktion selbst bis zur Leistungsabgabe einen gewissen Zeitbedarf hat (beim Theater die Proben vor der Premiere); und drittens, wenn die produzierten Güter und Leistungen zwischengelagert werden (etwa wenn ein Bild erst nach einiger Zeit einen Käufer findet). Dienstleistungen werden zwar häufig als nicht lagerfähig bezeichnet; daß diese Aussage nur bedingt richtig ist, zeigt das in einer Inszenierung akkumulierte "Kapital", das erst im Laufe der Vorstellungen zu Finanzierungseffekten in Form von erwirtschafteten Einnahmen führt. In diesen drei Fällen ist also eine Vor- oder Zwischenfinanzierung notwendig; weil dieser Finanzierungsbedarf bei einem kontinuierlich produzierenden Betrieb dauerhaft anfällt, ist auch die Finanzierungsaufgabe i.d.R. eine permanente. Dies gilt natürlich insbesondere für wachsende Unternehmen, aber auch bei einem stagnierenden Unternehmen muß der Bestand an Finanzmitteln geplant und gesteuert werden, so daß zum Finanzierungsmanagement auch die Disposition der verfügbaren Finanzmittel unter Rentabilitätsgesichtspunkten (Zinskosten- und Ertragsoptimierung und Liquiditätsplanung) gehört; dieser Aspekt der Finanzierungsproblematik soll hier jedoch nicht weiterverfolgt werden. Während für mindestens kostendeckend produzierende Unternehmen die Finanzierungsaufgabe damit im groben hinreichend beschrieben ist, kommt bei vielen Kultureinrichtungen ein Aspekt hinzu, der oben mit dem Stichwort "Defizitdeckung" benannt worden ist. Während ein am Markt operierendes Unternehmen vorübergehend auftre-
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tende Defizite aus der Substanz oder durch Beschaffung zusätzlicher Mittel decken, bei absehbar dauerhaften Defiziten aber vom Markt verschwinden wird, decken die meisten Kultureinrichtungen ihren Finanzbedarf nur zum Teil aus erwirtschafteten eigenen Einkünften; sie produzieren nach gängigen betriebswirtschaftlichen Maßstäben nicht kostendeckend. Zusätzlich zur "normalen" Finanzierungsaufgabe hat das Management von Kultureinrichtungen also häufig noch eine spezielle zu erfüllen, nämlich die Beschaffung von finanziellen und sonstigen Mitteln, die - z.T. als "verlorene Zuschüsse" - von privaten Dritten oder von öffentlichen Körperschaften zur Verfügung gestellt werden. Wiederum im Gegensatz zu "normalen" Unternehmen können die Manager einer Kultureinrichtung diese Zuschüsse nicht aus der zu erwartenden Verzinsung des Kapitaleinsatzes begründen; wo es keine hinreichende betriebswirtschaftliche Rentabilität gibt, müssen andere Rechtfertigungen gefunden werden, sei es der persönliche "Lustgewinn" des privaten Spenders oder die vermuteten Vorteile für das Gemeinwesen, wenn eine Inszenierung ermöglicht, ein Bild für ein Museum gekauft werden kann etc. In neuerer Zeit haben die Bemühungen zugenommen, für die Finanzierung von Kunst und Kultur anstelle einer betriebswirtschaftlichen eine volkswirtschaftliche "Rentabilität" ermitteln, die dann als Rechtfertigung für die (insbesondere öffentliche) Förderung herangezogen wird. Es bleibt festzuhalten, daß sich für Kultureinrichtungen die Finanzierungsaufgabe in dreifächer Weise als betriebswirtschaftliches Problem stellt: Als "Basisfinanzierung" der Einrichtung, als Vor- bzw. Zwischenfinanzierung bei Produktionsprozessen mit zeitlicher Ausdehnung und als wiederkehrende Notwendigkeit der Beschaffung von Zuschüssen bei privaten und öffentlichen Geldgebern, wenn die Einrichtung im betriebswirtschaftlichen Sinne nicht rentabel ist. Finanzierungsquellen und Finanzierungsformen Betrachtet man nach dieser allgemeinen Beschreibung der Finanzierung von Kultureinrichtungen als Managementaufgabe die Mittelherkunft im einzelnen, so können die Betreiber der Einrichtung im wesentlichen zurückgreifen auf - Eigenkapital (eingesetzte Mittel der Eigner), - Fremdkapital (Kredite bzw. Einlagen Dritter), - Erlöse aus abgesetzten Produkten bzw. Leistungen, - Spenden und sonstige Leistungen Dritter (soweit für diese keine Gegenleistung vereinbart wurde) sowie - Zuschüsse der öffentlichen Hand. Schon bei dieser groben Klassifizierung erweist sich die Rechtsform der Kultureinrichtung als gravierende Determinante der Finanzierungsstruktur; denn soweit Kultureinrichtungen als Regie- oder auch Eigenbetriebe der öffentlichen Hand (einer Kommune oder eines Landes) betrieben werden, sich also in öffentlichem Besitz befinden, stellen sich die Finanzierungsmöglichkeiten, aber auch die Deckungsbedarfe anders dar als bei privaten Kultureinrichtungen. In diesem Abschnitt werden die Finanzierungsquellen und -formen zunächst allgemein dargestellt; den Besonderheiten städtischer bzw. staatlicher Kultureinrichtungen ist der nächste Abschnitt gewidmet. Hinsichtlich der Einlagen der Eigentümer (die nicht mit den Betreibern identisch sein müssen; selbst die Rechtsform der Aktiengesellschaft findet sich bei Kultureinrich-
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tungen) unterscheiden sich Kultureinrichtungen prinzipiell nicht von anderen Unternehmen: Die Mittel werden der Kultureinrichtung aus dem Privatvermögen bzw. als Beteiligung anderer Unternehmen zur Verfügung gestellt; die Einleger haften mindestens in Höhe ihres Beitrages für die Verbindlichkeiten des Unternehmens ("Eigenfinanzierung"). Auch beim Fremdkapital ("Fremdfinanzierung") gelten die üblichen Bedingungen der Kreditaufnahme, wenn man einmal davon absieht, daß viele Künstler und auch manche Kultureinrichtungen mangels sicherungsgeeigneter Wirtschaftsgüter Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung haben dürften; im Ausland gibt es bereits einzelne Modelle für "Künstler-Kreditbanken" u.ä. Natürlich ist eine Kreditaufnahme auch dann schwierig, wenn nicht zu erwarten ist, daß aus der Verwendung der aufgenommenen Mittel im betriebswirtschaftlichen Sinne Erträge fließen, die Mittelverwendung also "rentierlich" ist, da - wie bereits beschrieben - in diesem Fall nicht nur die Zinserwirtschaftung, sondern u.U. sogar die Rückzahlbarkeit des Kredites unsicher ist. Für die Bewältigung beider Probleme bei der Kreditbeschaffung bietet sich das Instrument der Bürgschaft an, bei der Dritte sich gegenüber dem Gläubiger ersatzweise für die Tilgung und Verzinsung des Kredites verpflichten. Neben den meist längerfristig disponiblen Finanzierungsformen Eigen- und Fremdkapital (Kredite können prinzipiell auch kurzfristig in Anspruch genommen werden, z.B. um Liquiditätsengpässe zu überbrücken; grundsätzlich gilt, daß die Länge der Kreditlaufzeit der Nutzungsdauer des zu finanzierenden Objektes entsprechen sollte) kann eine Kultureinrichtung ihren Finanzbedarf aus zufließenden Einnahmen, insbesondere Erwerbseinkünften decken. Soweit die Einnahmen die Ausgaben übersteigen, also ein Gewinn entsteht, kann dieser Gewinn für Investitionen und andere Zwecke in den Folgeperioden verwendet werden ("Selbstfinanzierung"). Auch wenn es gewinnerzielende Kultureinrichtungen gibt, stellt die Selbstfinanzierung doch die Ausnahme dar; diese Finanzierungsart stößt bei Kultureinrichtungen häufig an strukturelle Grenzen, die als eine Rechtfertigung für eine kommunale oder staatliche (Mit-)Finanzierung herangezogen werden (vgl. dazu die folgenden Ausführungen). Werden keine Erträge erwirtschaftet, d.h. können auch die Eigenmittel und das aufgenommene Fremdkapital nicht aus den Erträgen verzinst werden, müssen Dritte fortlaufend Mittel einschießen, um den Fortbestand der Kultureinrichtung zu sichern. Diese laufenden Finanzierungsbeiträge Dritter (d.h. hier: nicht als Miteigentümer oder Kreditgeber auftretender Personen bzw. Körperschaften) sind finanzierungstechnisch und steuerrechtlich danach zu differenzieren, ob der Kultureinrichtung durch den Mittelzufluß eine Verpflichtung zur direkten Widerleistung entsteht oder nicht. Mit Gegenleistungen verbundene Einnahmearten: - Einnahmen mit Gegenleistungscharakter sind zunächst alle Erlöse aus dem Verkauf oder der Vermietung bzw. Verpachtung von Produkten, Leistungen oder Rechten. Insoweit gehören sie zu den bereits behandelten Finanzierungsmitteln. - Von diesen nicht immer eindeutig zu trennen sind die Einnahmen aus Sponsoringvereinbarungen; denn Kultursponsoring ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Der Sponsor stellt Finanz- oder Sachmittel bereit und erhält dafür bestimmte Rechte im Zusammenhang mit seiner eigenen oder der Öffentlichkeitsarbeit der Kultureinrichtung.
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Einnahmearten ohne Gegenleistungen: - Zu den Einnahmearten, denen kein Gegenleistungsanspruch gegenübersteht, gehören insbesondere die Spenden privater Unternehmen und Haushalte. - Ohne konkreten Gegenleistungsanspruch (wenngleich natürlich nicht ohne Vergabekriterien) fließen i.d.R. auch die Zuschüsse der öffentlichen Hand.
Finanzierung städtischer und staatlicher Kultureinrichtungen Die Finanzierungsmöglichkeiten von Kultureinrichtungen werden in betriebswirtschaftlicher Sicht entscheidend beeinflußt durch die Rechtsform, in der eine Einrichtung betrieben wird. Dies gilt nicht nur für die privatwirtschaftlichen Alternativen (z.B. Personengesellschaften vs. Körperschaften, also etwa Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) vs. Aktiengesellschaft (AG)), die Auswirkungen auf die Kapitalbeschaffung haben (auf diese Problematik kann hier nicht eingegangen werden; sie wird in den gängigen betriebswirtschaftlichen Finanzierungslehrbüchern behandelt), sondern insbesondere auch für die Unterscheidung privat betriebener von öffentlich betriebenen Kultureinrichtungen. Während diese Unterscheidung unter reinen Finanzierungsgesichtspunkten die beiden Pole eines Kontinuums abbildet (auch Kultureinrichtungen in privater Rechtsform können öffentliche Zuschüsse erhalten; die sog. freie Szene wäre ohne solche Zuschüsse nur bedingt überlebensfähig), hat sie für die Handlungsmöglichkeiten der Kultureinrichtungen grundsätzliche Bedeutung. Insbesondere die in Form eines Regiebetriebs geführten Kultureinrichtungen sind haushaltstechnisch Bestandteil des kommunalen Haushalts. Diese kameralistische Haushaltsführung hat u.a. zur Folge, daß der Einrichtung zu Beginn eines Haushaltsjahres (der Höhe, aber auch dem Verwendungszweck nach) bestimmte Mittel zur Verfügung gestellt werden, die nur unter besonderen Bedingungen überschritten werden dürfen (auch wenn etwa die Zahl der Besucher höher ist als erwartet oder wenn sich Gelegenheiten für besonders günstige Beschaffungen ergeben); schwerer wiegt, daß auch die Verwendungsart im Haushalt vorgeschrieben wird. Das bedeutet, es können beispielsweise nicht genutzte Mittel für Personalausgaben (etwa weil ein vorgesehener Gastschauspieler abgesagt hat) nicht für andere Zwecke (z.B. eine aufwendigere Bühnenausstattung) verwendet werden. Unter Finanzierungsaspekten bedeutsam ist insbesondere, daß der Kultureinrichtung zufließende Einnahmen in aller Regel ohne Zweckbindung - und damit ohne Zugriff für die Kultureinrichtung - im allgemeinen Haushalt verbucht werden, womit natürlich auch der Anreiz entfällt, diesem Finanzierungsinstrument besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Natürlich darf eine Kultureinrichtung als unselbständige Einheit auch keine eigenen Kredite aufnehmen; sie ist vollständig von den Mitteln abhängig, die ihr von der Kommune oder vom Staat zur Verfügung gestellt werden, wenn man einmal davon absieht, daß unter bestimmten haushaltsrechtlichen Bedingungen Spenden ihren Finanzspielraum vergrößern können, nämlich dann, wenn die Spender diese Mittel ausdrücklich mit einer Zweckbindung für diese Einrichtung versehen. Schon über die aus Sponsoringvereinbarungen fließenden Mittel kann ein Regiebetrieb strenggenommen nicht selbständig verfügen. Verglichen mit dem permanenten Finanzierungsdruck, dem sich die meisten privat betriebenen Kultureinrichtungen ausgesetzt sehen, mag die kameralistische Haushalts-
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führung vielen Kulturmanagern (eine Berufebezeichnung, die in vielen städtischen und staatlichen Kultureinrichtungen insbesondere unter Finanzierungsgesichtspunkten angesichts des tatsächlichen Handlungsspielraums allerdings befremdlich klingen wird) als kleineres Übel erscheinen. Um die - auch für die Qualität des produzierten Angebotes folgenreichen — Einschränkungen zu mindern, ohne auf die längerfristige Sicherung der Mitfinanzierung durch die öffentliche Hand verzichten zu müssen, wurden in den letzten Jahren auch Kultureinrichtungen aus der Rechtsform des Regiebetriebes in die des Eigenbetriebes oder gar der (meist städtischen) GmbH überführt. Während der Eigenbetrieb einen eigenen Haushalt vor allem mit größerer Flexibilität hinsichtlich der Verwendung der Mittel verfügen kann, bedeutet die Überführung in eine GmbH den Übergang zur Privatisierung mit (hier nicht erläuterbaren) Unterschieden im Grad der Selbständigkeit der Kultureinrichtungen.
Kulturfinanzierung als volkswirtschaftliches Problem Die vorangegangenen Erörterungen zur betriebswirtschaftlichen Problematik der Kulturfinanzierung kamen natürlich nicht ohne ein (hier aus Platzgründen nicht zu explizierendes) Vorverständnis dessen aus, was insbesondere institutionalisierte Kultureinrichtungen typischerweise sind. Dabei ist zum einen an typische Rechtsformen zu denken (im vorangegangenen Abschnitt waren einige genannt worden), zum anderen aber auch an bestimmte qualitative oder zumindest kategoriale Vorstellungen. Die Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland machen eine Dominanz privat oder gar eigenfinanzierter Kultureinrichtungen nur schwer vorstellbar, doch läßt sich sowohl in historischer Perspektive als auch im internationalen Vergleich zeigen, daß es in gesamtwirtschaftlicher Sicht eine große Vielfeit vonKulturfinanzierungsstrukturen gibt. Die "Logik" dieser alternativen Strukturen wird im folgenden Abschnitt kurz skizziert, bevor dann einige ökonomische Rechtfertigungen für eine Förderung von Kunst und Kultur durch die öffentliche Hand diskutiert werden. Der abschließende Abschnitt behandelt einige bedeutsame Instrumente der städtischen und staatlichen Kulturförderung.
Die Struktur der Kulturfinanzierung als "Kulturprodukt" Viele Kultureinrichtungen in Deutschland haben eine - auch unter Finanzierungsaspekten - spezifische Entwicklung durchlaufen: Gegründet als feudale Einrichtungen ("Schatzkammern" als Vorläufer der Museen, Hoftheater als Vorläufer der Staatstheater), sind sie in städtische oder staatliche Regie übernommen worden; die privat betriebenen Kultureinrichtungen (zumindest in "etablierten" Kulturbereichen) sind demgegenüber in der Minderheit. Dabei hat es vor allem im 18. und 19. Jahrhundert eine große Zahl privat betriebener Bühnen gegeben, die als "Tourneetheater" gegen eine Konzession (der Bühnenbesitzer zahlte an die Stadt!) in den Städten aufgetreten sind. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden nach einer Welle von Spekulationen mit Theaterbetrieben viele dieser Bühnen nach und nach in städtische Regie übernommen - neben der feudalen Tradition ein bürgerlicher Entwicklungs-
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Strang. Die Rechtfertigungen dieses kommunalen und staatlichen Engagements beziehen sich insbesondere auf bildungspolitische Ziele der Städte und des Staates; sie stellen insofern eine Ergänzung der weiter unten zu behandelnden ökonomischen Rechtfertigungen für die kommunale bzw. staatliche (Mit-)Finanzierung von Kultureinrichtungen dar. Schließlich darf nicht übersehen werden, daß es insbesondere im Museumsbereich auch in Deutschland eine lange Tradition privaten Mäzenatentums gibt, die nicht nur auf die Museumsbauten, sondern auch auf die dort gezeigten Kunstwerke bezieht. Die Kombination von privater und staatlicher Finanzierung von Kultureinrichtungen findet sich in allen Staaten, doch zeigen sich in den Relationen und in den Formen der Finanzierung erhebliche Unterschiede. Als beispielhaft für ein Land mit dominierend privater Finanzierung von Kunst und Kultur werden oft die USA genannt: Hier finden sich sowohl eine große Zahl von Kultureinrichtungen in Privatbesitz (auch in Form großer Publikumsgesellschaften wie z.B. die Broadway-Theater) als auch eine ausgeprägte Tradition der mäzenatischen Kulturförderung durch Unternehmen und Privatpersonen; schließlich ist auch das Kultursponsoring in den USA am weitesten fortgeschritten.
Rechtfertigungen für staatliche Kulturfinanzierung Neben traditionellen Rechtfertigungen für ein städtisches bzw. staatliches Engagement in der Kulturfinanzierung, die die Nähe zur bzw. die Funktion von Kunst und Kultur für die Ziele der Bildungspolitik betonen, sind in den letzten Jahren vermehrt ökonomische Rechtfertigungen für ein solches Engagement entwickelt worden. Solche Argumentationsmuster sollen im folgenden skizziert werden. Vorab ist jedoch einschränkend zu sagen, daß diese " Nützlichkeitsargumente " natürlich auf einer Funktionalisierung von Kunst und Kultur beruhen (die freilich - wenn auch auf andere Weise - auch für die o.g. traditionellen Rechtfertigungen zu konstatieren ist). In der Kunstökonomik ist eine Vielzahl von Rechtfertigungen für eine staatliche Unterstützung von Kunst und Kultur entwickelt worden, z.B. folgende: - Die von Künstlern und in Kultureinrichtungen produzierten Leistungen haben zumindest teilweise Kollektivgutcharakter. - Von diesen Leistungen gehen positive externe Effekte aus. - Ein Teil dieser Leistungen hat meritorischen Charakter. - Die Nachfrage nach diesen Leistungen entwickelt sich mit dem Angebot. - Die Inanspruchnahme dieser Leistungen sollte nicht von der Kaufkraft abhängig gemacht werden. - Die Leistungen werden mit sinkenden Durchschnittskosten produziert. - Die Arbeitsintensität der Leistungsproduktion bedingt, daß die Kosten im Zeitablauf den erzielbaren Einnahmen davonlaufen. Aus Platzgründen wird im folgenden nur das "Kollektivgutargument" näher erläutert und auf seine Tragfähigkeit überprüft; einen (kritischen) Überblick über die anderen Rechtfertigungen bietet etwa Grampp (1989). Künstlerische und kulturelle Leistungen weisen zumindest teilweise Eigenschaften auf, die sie zu sog. öffentlichen Gütern machen. Öffentliche Güter zeichnen sich zum
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einen dadurch aus, daß - technisch bedingt - niemand von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden kann, auch wenn er nicht bereit ist, ihre Erstellung mitzufinanzieren ("Nichtausschließbarkeit des Konsums"). Zum anderen wäre es auch ökonomisch ineffizient, Mitnutzer vom Konsum auszuschließen, weil "Nichtrivalität des Konsums" (d.h. Β kann ein von A genutztes Gut mitnutzen, ohne dessen Verfügbarkeit zu schmälern) gegeben ist. Die Reichweite und die Grenzen dieses Arguments seien an einem Beispiel von Robbins (1963) verdeutlicht: Die von bildenden Künstlern erbrachten Leistungen sind Bestandteil des "kulturellen Erbes" (einer Nation, aber auch der Weltgesellschaft), von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann, insbesondere was die in den Werken enthaltenen "Kunstfertigkeiten" betrifft (beim anderen Element des kulturellen Erbes, den produzierten Werken, hingegen trifft dieses Argument nur begrenzt zu: Kunstwerke in privatem Besitz stehen Dritten nicht bzw. nur in Reproduktionen zur Verfügung; hier gilt also die "Ausschließbarkeit vom Konsum"). Ein Ausschluß wäre zudem ökonomisch ineffizient (dies gilt prinzipiell für Werke wie "Fertigkeiten"!), weil das kulturelle Erbe von jedermann genutzt werden kann, ohne daß seine Verfügbarkeit dadurch geschmälert würde. Man kann sogar hinzufügen, daß mit der Verbreitung, also der umfassenden Verfügbarkeit unter den Mitgliedern der Gesellschaft, der Wert des kulturellen Erbes steigt, weil nunmehr die gesellschaftliche Kommunikation und Nutzung dieses Erbes vielfältiger ist. Mit diesem Beispiel wird aber auch deutlich, daß Kunst und Kultur sowohl Privatgut- als auch Kollektivgutelemente aufweisen. Daraus folgt zunächst, daß für einige Leistungsbestandteile das Ausschlußprinzip anwendbar ist, und es ist normativ zu entscheiden, ob es auch angewandt werden soll. Zweifellos können - technisch gesehen - nicht zahlungswillige Menschen vom Besuch eines Museums ausgeschlossen werden; in der Bundesrepublik erheben die meisten Museen ein Eintrittsentgelt, während etwa in Großbritannien vor einigen Jahren eine heftige öffentliche Diskussion entstandenist, als einige Museen infolge der Budgetkürzungen "vom Spendentopf zur Eintrittskasse" übergehen wollten - auch dies ein Beleg für die These von der Kulturfinanzierungsstruktur als "Kulturprodukt"; denn vom "Kollektivgutgehalt" her dürften sich die Leistungsangebote deutscher und britischer Museen kaum unterscheiden. Die ökonomische Theorie würde im Falle des Museums empfehlen, aus Gründen der Effizienz auf die Erhebung eines Eintritlsentgelts zu verzichten, jedenfalls solange ein zusätzlicher Besucher die Nutzungsmöglichkeiten der anderen Besucher nicht beeinträchtigt. Aus diesem Grunde ist es ökonomisch effizient, während der Tagesstunden an Werktagen keinen Eintritt zu erheben, wohl aber in den Abendstunden und am Wochenende, wenn größere Besucherzahlen Rivalität des Konsums durch Überfüllung aufkommen lassen; in diesem Falle übernimmt das Eintrittsentgelt weniger die Finanzierungsfunktion als die Funktion der Nachfrageregulierung (strenggenommen müßte man sogar - der Grenzkostenregel entsprechend - vom Besucherandrang abhängige Preisstaffelungen einführen). Diese Maßnahme erscheint sinnvoll, weil bei Überfüllung die Besucher die Nutzung gegenseitig ausschließen. Ein solcher Vorschlag stößt insbesondere im Kulturbereich häufig auf Widerspruch, weil - so wird argumentiert - damit Besucher je nach ihrem Einkommen vom Besuch des Museums ausgeschlossen würden, d.h. es werden verteilungspolitische Bedenken geltend gemacht. In der Tkt ist die oben skizzierte Preisbildungsregel allokationsorienüert und vernachlässigt die Verteilungsdimension des Problems. Allerdings ist zu bedenken, daß bei drohender Überfüllung eine Zuteilungsregelung in jedem Falle
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gefunden werden muß; will man nicht über den Preis regulieren, ist entweder über die Wartezeit (Zutritt nur in dem Maße, wie Besucher das Museum verlassen) oder über Losverfahren u.ä. der Zutritt zu regulieren. Im übrigen drückt sich in der Bereitschaft, ein gefordertes Eintrittsentgelt zu entrichten, neben der "Kaufkraft" auch die Zahlungsbereitschaft aus: Wenn von zwei potentiellen Besuchern mit gleichem Einkommen einer ein höheres Entgelt zu zahlen bereit ist, drückt dies auch seine höhere Dringlichkeit aus.
Formen und Instrumente staatlicher Kulturfinanzierung In diesem Unterabschnitt soll es darum gehen, die verschiedenen Formen und Instrumente der staatlichen Kulturfinanzierung zu unterscheiden und zu typisieren. Volkswirtschaftlich folgt aus den oben erwähnten Begründungen für die Notwendigkeit einer staatlichen (Mit-)Finanzierung von Kunst und Kultur keineswegs, daß der Staat das Angebot auch selbst produzieren, d.h.staaüiche Theater, Museen und andere Kultureinrichtungen betreiben muß. Vielmehr ist der Staat aufgrund seines Besteuerungsrechts als einzige gesellschaftliche Instanz in der Lage, dafür zu sorgen, daß über die freiwilligen und vielen Zufällen unterworfenen privaten Förderungsbeiträge hinaus für die Abgeltung der vom Angebot an Kunst und Kultur ausgehenden positiven externen Effekte zu sorgen. Eine Beschaffung der Finanzierungsmittel durch den Staat erfordert aber keineswegs ein staatliches, oder besser: ein staaüich produziertes Angebot. Vielmehr kann der Staat durch eine geeignete Gestaltung der Rahmenbedingungen dafür sorgen, daß ein hinreichendes (wenn man den ökonomischen Maßstab anlegt: ein optimales) Angebot an Kunst und Kultur zustandekommt. Neben der Zahlung staatlicher Subventionen an Kultureinrichtungen bzw. Unterstützungsleistungen für Künstler ("direkte Unterstützung") kann der Staat private Kulturforderung ("indirekte Unterstützung") animieren. Als dritte Form staatlicher Kulturförderung ist schließlich an die "Verbesserung der Eigenfinanzierungsmöglichkeiten" zu erinnern, die zuvor schon behandelt worden ist. Die direkte Unterstützung von Künstlern und Kultureinrichtungen durch den Staat besteht vor allem in der Vergabe von Zuschüssen, Stipendien etc. Ferner kann man staatliche Ankäufe und Aufträge zu den direkten Unterstützungsmaßnahmen rechnen; strenggenommen gehören sie aber zum Maßnahmentyp "Verbesserung der Eigenfinanzierungsmöglichkeiten", weil mit ihnen eine konkrete Gegenleistung der Künstler bzw. Kultureinrichtungen verbunden ist. Die wichtigsten Instrumente indirekter staatlicher Förderung von Kunst und Kultur, also der Schaffung von Rahmenbedingungen, die Private veranlassen, mehr Mittel für die Förderung von Kunst und Kultur bereitzustellen,liegen im steuerlichen Bereich. So begünstigt etwa die steuerliche Absetzbarkeit von privaten Förderungsbeiträgen bei der Einkommensteuer das private Engagement. Eine solche steuerliche Begünstigung der privaten Kulturforderung gegenüber anderen Formen der Einkommensverwendung bedeutet, daß der Staat im Maße des Grenzsteuersatzes an der Kulturfinanzierung beteiligt ist; aus diesem Grunde ist es sinnvoll, von einer indirekten staatlichen Kulturforderung zu sprechen. Man kann den Sachverhalt auch so interpretieren, daß private Kulturförderung zu einem geringeren Steueraufkommen führt; die Differenz fließt der geförderten Kultureinrichtung zu. Im Gegensatz zur direkten staatlichen Kulturfinanzierung bestimmt hier also der
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private Kulturförderer mit seiner Wahl des Förderungsobjektes auch über die Verwendung des staatlichen Finanzierungsanteils. In der ländervergleichenden Studie von Feld/O'Hare/Schuster (1983) machten diese "Steuerausgaben" (tax expenditures) im Jahre 1973 im Durchschnitt fast ein Drittel aller staatlichen Ausgaben für die Kulturfinanzierung aus. Die deutsche Finanzstatistik weist die Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen für die Förderung von Kunst und Kultur nicht separat aus; die private Kulturförderung wird im Rahmen der "Förderung mildtätiger, kirchlicher, religiöser, wissenschaftlicher und staatspolitischer Zwecke und der als besonders förderungswürdig anerkannten gemeinnützigen Zwecke" in § 10b Einkommensteuergesetz erfaßt und begünstigt. Wie sehr die Kulturfinanzierungsstruktur ein "Kulturprodukt" ist, zeigt sich besonders am Stellenwert dieser indirekten staatlichen Kulturfinanzierung : Während in der Bundesrepublik bis zu 5 Prozent des zu versteuernden Einkommens (bei "besonders förderungswürdigen" Zwecken bis zu 10 Prozent) in Abzug gebracht werden können, sind es etwa in den USA bis zu 50 Prozent. Nicht nur wegen des vergleichsweise geringen staatlichen Engagements bei der direkten Kulturförderung in den USA folgt schon aus diesem Unterschied eine wesentliche andere Kulturfinanzierungsstruktur. Neben den steuerlichen Begünstigungen bei der Einkommensteuer (sowie anderen am Ertrag ansetzenden Steuern) kann eine indirekte staatliche Kulturförderung sich praktisch des gesamten Spektrums an Steuerarten bedienen, aus dem hier nur beispielhaft einige genannt seien: - Durch die Umsatzbesteuerung des Kulturbereichs mit dem ermäßigten Satz von derzeit sieben Prozent werden Transaktionen verbilligt. - Unter bestimmten Bedingungen sind zu Lebzeiten des Künstlers erworbene Kunstwerke von der Vermögensteuer befreit (vgl. genauer Benkert 1987). Dadurch wird der Erwerb solcher Kunstwerke gegenüber dem Erwerb anderer Kunstwerke und natürlich auch anderer Vermögensgegenstände gefördert. - In einigen Ländern (z.B. in Frankreich und Spanien) kann die Erbschaftssteuer ganz oder teilweise in Kunstwerken entrichtet werden. Die indirekte staatliche Kulturförderung durch Gewährung steuerlicher Begünstigungen eröffnet ein weites Feld unterschiedlicher Förderungsmaßnahmen, bei deren Anwendung man sorgfältig die Gestaltungsziele definieren muß, um geeignete Instrumente auszuwählen. So kann etwa die erwähnte vermögensteuerliche Begünstigung des Erwerbs und Besitzes von Werken lebender Künstler durchaus einen Beitrag zur Stärkung der Eigenfinanzierungsmöglichkeiten von Künstlern durch den Verkauf ihrer Werke leisten. Ähnliche Wirkungen werden mit der Gewährung des ermäßigten Steuersatzes bei der Umsatzsteuer erzielt; im Unterschied zur vermögensteuerlichen Regelung werden allerdings generell Umsätze des Kunsthandels begünstigt, also auch solche aus Verkäufen von Werken nicht mehr lebender Künstler. Definiert man als Gestaltungsziel den Besitz von Kunstwerken in Privatbesitz, so unterstützen beide steuerliche Maßnahmen die Realisierung dieses Ziels; stellt man hingegen auf die Unterstützung (besser: Verbesserung der Eigenfinanzierungsfahigkeit) von Künstlern ab, so hat der ermäßigte Mehrwertsteuersatz eine erhebliche "Streuwirkung", d.h. geringe Zielgenauigkeit. Es empfiehlt sich hier wie bei anderen Fördermaßnahmen, zwischen Künstlerförderung, Kunstmarktförderung und Kunstvermittlungsförderung zu unterscheiden (so die Terminologie bei Fohrbeck 1981, dem trotz der Überholtheit der Einzelregelungen noch immer umfassendsten Überblick über die international angewandten Fördermaßnahmen).
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Zusammenfassend kann hinsichtlich der indirekten staatlichen Unterstützung von Kunst und Kultur also festgehalten werden, daß das diesbezügliche Instrumentarium sich auf den steuerlichen Bereich konzentriert. Des weiteren ist festzuhalten, daß diese indirekte Unterstützung starke Überschneidungen mit der Unterstützung der Eigenfinanzierungsmöglichkeiten von Künstlern und Kultureinrichtungen aufweist; denn viele steuerliche Begünstigungen basieren nicht auf Spenden u.ä., sondern auf Markttransaktionen, die gegenüber anderen Einkommensverwendungen bzw. Vermögensanlagen bevorteilt werden. Die indirekte staatliche Unterstützung von Kunst und Kultur eröffnet den privaten Förderern (bzw. Investoren) erhebliche Handlungsspielräume, die sich auch auf die Verwendung der "Steuerausgaben" (= Steuermindereinnahmen) erstrecken.
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In Dubio pro Arte. Grenzen des Kulturmanagements Karl Richter
" Kulturmanagement" als Lehrfach von Management für Kunst und Kultur findet universitär und auch, was die praktische Führung von Kulturinstituten angeht, zunehmende Aufmerksamkeit. Analog zu den Modellen der erfahrungsreichsten Institute für Kulturmanagement an den Hochschulen für Musik und Theater in Hamburg, an der Hochschule für Musik in Wien sowie der Fernuniversität Hagen entwickeln sich verschiedene vergleichbare Ausbildungsstätten in allen Kulturzentren. Der "Kulturkonsum im Aufwärtstrend" dürfte die Nachfrage weiter erhöhen. Zentrales Thema für Lehre und Forschung ist die Professionalisierung des Berufe, der Methoden und Arbeitsweisen einer neuen Disziplin. Sie ist berufebildend orientiert, setzt zum Ziel das Kulturmanagement, obwohl sie zwischen Theorie und Praxis, zwischen Kunst, Kunst- und Wirtschaftswissenschaften noch keine endgültige Zuordnung gefunden hat. Eindeutige Zielformulierungen sind jedoch die Grundlage jeder Professionalisierung. Die Frage stellt sich deshalb: Was kann, darf und sollte das Kulturmanagement? Preziöser formuliert: Was sollte es rühmlicherweise nicht? Wo werden die Grenzen des Machbaren überschritten? Bei der drohenden Vermarktung von Kunst und Kultur oder beim dilettierenden Umgang mit den Instrumenten des Managements? Der permanente Zielkonflikt wird sichtbar, den der Kulturmanager zu lösen und produktiv umzusetzen imstande sein sollte. Wäre dies nicht der Fall, so bliebe er, der Kulturmanager, eine unbehauste, zwischen Ästhetik und Wirtschaft, zwischen Kunst und Profit schwankende "Kunstfigur" (Andreas J. Wiesand). Die widersprüchliche Entlastung durch nebulose Ausflüchte in die Ästhetik einerseits oder die Berufung auf zahlentransporüerende und berechnungsselige Kalkulationen andererseits könnte ihn, den Macher, stigmatisieren und in einen (hier nicht zu erörternden) Identitätskonflikt führen. Lösungen des Problems sind angezeigt, wenn "die Ökonomie ihre Zielborniertheit, ihre Programmierungsbeflissenheit und die Kulturschaffenden ihr Selbstmitleid" (Ekkehard Kappler) aufgäben. Schon die Begriffe "Kunstmanagement", "Kulturmanagement", "Kulturökonomie" u.a. schaffen Verwirrung. Die substantivische Kontraktion von Kultur und Management, Kultur und Ökonomie im Satzbau bereits verdeutlichen eine verdächtige Ambivalenz der Aufgabenstellung. Ungenauigkeiten entstehen zudem durch unzulänglichen Wissenstransfer aus der Terminologie der Managementlehre, der Künstler und Kulturschaffende skeptisch gegenüberstehen. Die daraus resultierenden Defizite vergrößern den emotionalen Abstand, so daß die in der Betriebswirtschaft gebräuchlichen Fachbegriffe von den Künstlern zumeist nicht angenommen, manchmal sogar mißbilligt werden. Es wird sprachliche Unterwanderung befürchtet und als Folge "der Ausverkauf von Kunst". Den changierenden und mutierenden Begriffen Kunst- beziehungsweise Kulturmanagement entzieht sich Klarheit schaffend Gerard Mortier, künstlerischer Leiter der
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Salzburger Festspiele und Prototyp des fachkundigen Kulturmanagers. Er spricht von "Management für Kunst und Kultur". So verstanden wird die dienende Funktion des Managements deutlich. Im Kunst- und Kulturbereich darf es nicht Selbstzweck sein, sondern ist Mittel zum Zweck. Pointiert formuliert heißt das: Wir brauchen ein Marketing für Kunst, ohne sie zu vermarkten. In solchem Widerspruch fühlt sich jedoch der Kulturmanager "aufgehoben". Kulturmanagement kann - die organisatorischen, wirtschaftlichen und kommunikativen Interessen von Kunst und Künstlern sichern, - den Widerspruch von Kunst und Wirtschaft produktiv verwirklichen, - Qualität wirtschaftlich ermöglichen und Freiräume für In- novation und Provokation von Kunst schaffen. In seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 1986 befaßte sich der Finanzwissenschaftler Clemens-August Andreae mit der Wertschöpfung künstlerischer Märkte und deren ästhetischer und politischer Bewertung. Er beschreibt das Wechselverhältnis von Kultur und Wirtschaft mit dem Hinweis, "daß der ästhetische Wert von Kunstwerken wesentlich davon abhängt, wie erfolgreich sie sich der Wirtschaftsmechanismen bedienen". Es lag ihm daran, am Beispiel der Salzburger Festspiele zu zeigen, wie "differenziert das Ineinanderwirken ökonomischer Mechanismen funktionieren muß, um komplexe ästhetische Werte produzieren zu können. Wenn diese Mechanismen nicht zur Verfügung stehen, dann sind künstlerische Ausdrucksformen und ihre Verbreitung radikal reduziert". Umgekehrt vergrößern Kunst- und Kulturereignisse die Standortqualität, mit der die Anziehungskraft für Investitionen, Betriebsansiedlungen, kurz die Vergrößerung der Wirtschaftsräume beschrieben werden. Für das Beispiel Salzburg seien hier die Untersuchungen von Alfred Kyrer angeführt, der den wirtschaftlichen Nutzen der Festspiele und deren Umwegrentabilität nachgewiesen hat. Ästhetische und wirtschaftliche Werte korrespondieren miteinander, ja bedingen und ergänzen sich, obwohl ihre Märkte verschieden sind. Der Kulturmanager wird produktiv, sobald er sich die Interdependenzen von Kultur und Wirtschaft deutlich macht und mit diesem empfindsamen Gleichgewicht operiert. Die Funktionen des modernen Managements sichern die organisatorischen, wirtschaftlichen und kommunikativen Vorbedingungen für Kunst und Kultur. Sie wendet der Kulturmanager an. Seine Fähigkeiten beruhen darauf, das Instrumentarium der modernen Managementlehre verfügbar und dienstbar zu halten. Dies gilt für alle Funktionsbereiche: das Marketing-, Material-, Finanz-, Personal-, Produkt- und Informationsmanagement (W.H. Staehle). Dabei sind die modernen Technologien der elektronischen Datenverarbeitung selbstverständliche Voraussetzung. Was also macht der Kulturmanager? Es geht um die finanzielle und organisatorische Ermöglichung und Entlastung des Kunst- und Kulturprozesses durch professionelle Planung und Öffentlichkeitsarbeit. Im Schema dargestellt, sieht die fünffache Ermöglichung von Kunst folgendermaßen aus: Kunst braucht Geld: Der Manager sorgt für die Finanzierung mit öffentlichen und privaten Mitteln. Kunst braucht Raum und Zeit: Der Manager sorgt für Organisation von Räumlichkeiten und Produktionszeiten. Kunst sucht ihren Markt: Der Manager sorgt für das Marketing.
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Kunst braucht Publikum: Der Manager sorgt für Werbung, Verkauf und Public Relations. Kunst braucht Freiräume: Das Kulturmanagement schafft; sie, setzt ästhetische Kreativität in kommunikative und wirtschaftliche Leistungen um. "Management für Kultur" meint also nichts anderes als die erwähnte Indienstnahme der Managementfunktionen für den genuinen Kunstprozeß. Durch ästhetische Grundvoraussetzungen, wie Phantasie, Intuition und Eigengesetzlichkeit, sind sie ebenso determiniert und durch die Sachzwänge künstlerischer Organisationsformen, wie Theater, Konzert, Ausstellung, Museum und Freie Szene, betriebswirtschaftlich spezifiziert. Die "kopernikanische Wende", wenn dieser Begriff benutzt werden darf, beruht für den Kunst- und Kulturmanager jedoch auf dem Umschlag von organisatorischer, technischer, finanzieller Zurichtung (einschließlich aller sozialen, rechtlichen und politischen Vorgaben) auf die Freisetzung künstlerischer Energien. Die virtuellen Spiel-, Frei- und Simulationsräume für den experimentellen und fragmentarischen Bereich des Schöpferischen sind dann Teil der konkreten Planung und deren Realisierung. Der Forschung im Bereich der Kulturökonomie bliebe es vorbehalten, zu untersuchen, mit welchen Berechnungen die offenen Formen des Ästhetischen und ihrer Imponderabilien zur rechnerischen Richtigkeit gebracht werden können; anders ausgedrückt, wie weit die Berechenbarkeit des Unberechenbaren disponiert werden kann. Durch das Kulturmanagerprinzip "Ermöglichung" wird das Verhältnis von ästhetischer und ökonomischer Wertung harmonisiert. Im geglückten Kunstprozeß kommt es zur Synthese. Den der Manager stimuliert, vermittelt und sichert. Sein Tätigkeitsfeld sind nun nicht mehr ausschließlich Fakten und deren Berechenbarkeit, sondern der Künstler, der mit seinen Kunstwerken ideelle und zugleich materielle Werte schafft. Er wird also verhindern, daß das Kunstwerk Marktgesetzen ausgeliefert wird, die ihm möglicherweise nicht adäquat sind. Ließe sich die Arbeit des Kulturmanagers von der bloßen Vermarktung mit souverän eingesetzten Managementfunktionen zum "Prinzip Verantwortung für Kunst und Kultur" steigern, so wäre die Spitzenqualität des Kulturmanagers beschrieben. Dann operiert der Kulturmanager nicht nur marktkonform, sondern betreibt künstlerisch verantwortliche Wertschöpfung. Kunstmärkte und Kunstmessen sowie internationale Kunstbörsen sind zwar vielfaltiger Kritik ausgesetzt, dennoch bleiben sie Plattform der Begegnung für die antithetischen Bereich von Kunst und Wirtschaft. Als Maxime kann gelten: Kulturmanagement ermöglicht Wertschöpfung im kunstverpflichtenden Sinn. Wo stößt Kulturmanagement an seine Grenzen — wo muß es sich Grenzen setzen? - Die Eigenschaften des Künstlers und das Kunstereignis sind nicht kalkulierbar. - Das Management darf nicht Selbstzweck sein. - Innovation, Provokation, Gesellschaftskritik und die Freiheit des Kunstwerks sind unantastbar. In seiner nicht veröffentlichten Abhandlung "Theoretisches über die Praxis des Kunstmanagements" hat Emst Istler auf die verschiedenen, nicht kalkulierbaren Eigenheiten im Kunst- und Kulturprozeß hingewiesen. Er sieht den Künstler nicht nur im Werk objektiviert, sondern als gestaltenden und nachgestaltenden Menschen, und er bringt ihn als solchen in das Bewußtsein des Managements. "Der künsüerische Mensch und das Kunstereignis an sich sind ihrem Wesen nach nicht in den Wirtschaftsprozeß integrierbar." Das investierte Kapital und Know-how ist mit "dem Ideal des unab-
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hängigen Künstlers, der die Freiheit des Schaffens bzw. des Nachschaffens in vollem Maße für sich in Anspruch nimmt" (Ernst Istler), in widersprüchlicher, zugleich unauflösbarer Allianz verbunden. Hierzu drei exemplarische Beipiele: Der Autor und Regisseur George Tkbori lehnt es ab und hält es für unwürdig, einen Künstler Produktionszwängen zu unterwerfen. Wolfgang Rihm, prominenter zeitgenössischer Komponist, grenzt z.B. die Rechte des Auftraggebers ein: "Auftrag heißt in der Musik nichts anderes, als daß das Aufführungsrecht erworben wird. Durch das symbolische Honorar sichert sich derjenige, der es zahlt, das Recht, das Stück in seiner Institution oder mit seinem Ensemble aufführen zu dürfen, mehr nicht. Das Stück ist nicht Besitz des Auftraggebers." Die Erwartungen des Auftraggebers und auch des Produzenten sind dabei irrelevant. Der Bildhauer, Zeichner und Maler Alfred Hrdlicka nahm für den Künstler in Anspruch, sich außerhalb der Rationalität zu bewegen. Er muß, herausfordernd formuliert, auch gelegentlich "größenwahnsinnig sein dürfen". Es gibt kein durchgängiges, allgemein verbindliches Regulativ, das für die Entstehung von Kunstwerken maßgeblich sein könnte. "Ein Maler mag wissen, was er nicht will", sagt Max Ernst, der nie für Geld gearbeitet und folglich auch keine diesbezüglichen Verträge abgeschlossen hat. "Doch wehe, wenn er wissen will, was er will! Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet. " Von prominenten Galeristen weiß man, daß sie entsprechend handeln und gar keine Verträge schließen wollen. Der künstlerische Mensch und sein Werk sind operational nicht faßbar. Auch ist jeder Künstler als Individuum nur sich selbst gegenüber verantwortlich und nur durch sich selbst und seine eigene Ästhetik bewertbar - wenn überhaupt in Zahlen erfaßbar, so mit der Einschränkung, daß das Kunstereignis spontan, prozeßual und einem RaumZeitkontinuum zugehört. Es ist nicht empirisch fkßbar als das, was war. Die Qualität eines Konzertes, einer Theateraufführung oder das spontane Erlebnis vor einem Meisterwerk der bildenden Kunst ist auch "im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Kunst" (Walter Benjamin) vom Zusammenhang vieler unberechenbarer Faktoren abhängig und besitzt nur, was seine Materialität angeht, rechnerische Quantität. Dies gilt für die Arbeitsverläufe, die sogenannten Schaffensprozesse, ebenso wie für das vollendete Kunstwerk. Auch im sozialen System von Kunst bleiben Faktoren der Unbestimmbarkeit. Zur Kunst gibt es immer nur einen künstlerischen Zugang, was auch immer darunter verstanden wird. Wer den Probenverlauf eines Konzertes oder einer Theaterinszenierung nur nach der abgelaufenen Zeit bemessen würde, träfe das Wesentliche nicht. "Probenverläufe sind immer an Atmosphäre, Gestimmtheit und Animation gebunden, in der sich Phantasie werkbezogen ausprobiert" (Corinna Brocher, Mitarbeiterin des Regisseurs Peter Zadek). "Kluge Kinder des Computerzeitalters, wo Richtigkeit von eindeutigen Ja/Nein- Entscheidungen abhängt, dürften derartige Reflexionen als ästhetisches Gequatsche abtun - als, ein wenig vornehmer formuliert, Spekulation. Doch wer mit Kunst umgeht, muß bestehen auf der Freiheit zur Spekulation, zur ästhetischen Reflexion" (Joachim Kaiser). Analog dazu könnte aus dem Bereich der bildenden Kunst auf die Skizze und ihre ästhetischen Freiräume im Verhältnis zum abgeschlossenen Werk hingewiesen werden. Die Managerfrage lautet in diesem Zusammenhang nicht: Wieviele Skizzen sind gestattet, welchen Eigenwert besitzen sie und wie sieht das Endprodukt aus, in welcher Qualität kommt es auf den Markt? Clemens-August Andreae hat recht, wenn er behauptet, "es kommt nicht darauf an, die geringfügigsten Kosten zu machen, das wäre gleich Null". Er bemerkt dazu, daß
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auch jeder Eingriff in die Freiheit der Kunst und die ästhetische Wertvorstellung langfristig wirtschaftlich nachteilig ist. Eine unkünsüerisch aufgestellte Rechnung wirkt sich also kontraproduktiv auf die Wertschöpfung des Kunstwerks aus. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat den Fortschritt mit einer Rolltreppe verglichen, "auf der die Totalität der Bewegungsmasse alles ist, die Eigenbewegung kaum mehr zählt". Dies gilt auch für den Kulturbetrieb, wenn er zum Selbstzweck herabgewürdigt, von Profit und Konsum dirigiert wird und außer sich selbst nichts bewegt. Zwar sind die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten immer die gleichen. Doch das Kunstwerk ist keine Ware als solche. Die Managementpraktiken, die zu seiner Verwirklichung beitragen, müssen sich deshalb ständig und erneut am Kulturschaffenden und seinem speziellen Metier legitimieren. Die marktwirtschaftlichen Elemente Angebot und Nachfrage, die für gewinnbringende Unternehmen unabdingbar sind, greifen im Management für Kunst und Kultur nur sehr bedingt, denn Kunstwerke sind ihrem Wesen nach nicht bedarfeorientiert. Ihre Wertskala wäre mit Markierungen für Verkaufe- und Besucherzahlen unzulänglich aufgestellt. Auch käme Rentabilität als Ziel in der Regel in Konflikt mit ästhetischen Kategorien des Schöpferisch-Neuen, das nicht im Konsumbereich des Marktes liegt. Damit wird nicht bestritten, daß Kunstwerke, wenn schon keine ökonomischen Ursachen, so doch ökonomische Folgen haben. Deshalb dienen Kalkulation und Finanzierung im Rahmen des Managements der sachgemäßen Bewirtschaftung öffentlicher oder privater Förderung. Deren Nutzanwendung sollte mit aller Raffinesse erfolgen, doch muß das Prinzip der Uneigennützigkeit im Blick bleiben. Die besondere Schwierigkeit des Managements für Kunst beruht darauf, daß die zeitgenössische, pluralistische Ästhetik keine allgemein gültigen Weltmaßstäbe anzubieten hat, sondern künstlerische Qualität in der individuellen Eigenart und in der Selbstbestimmung des einzelnen Künstlers begründet sieht. Der Künstler schafft nicht, was er für rentabel, sondern was er für ästhetisch wichtig und richtig hält. Die kritische, engagierte und revolutionäre Kunst käme sonst nie zustande. Daß auch diese auf dem Markt schnell reüssieren kann und dann Höchstpreise erzielt, gehört zu den nicht vorherbestimmbaren Qualifikationen der Wertschöpfüng. Würde der Kunstbetrieb sich fortgesetzt vermarkten und rechnerische Abläufe anstelle von Kreativität zum alleinigen Funktionssystem gewandelt werden, liefe der Kunst- und Kulturmanager nach unserem Verständnis Gefahr, den Sinn seiner eigenen Existenz zu verfehlen. Er würde an dem Verkommen schöpferisch-ästhetischer Qualitäten mitwirken, statt diese zu entfalten. Er hätte preisgegeben, was seine Professionalität ausmacht: ökonomisch die Freiheit der künstlerischen Wertschöpfung (an der er finanziell partizipiert) zu sichern. Er würde den Kunstprozeß aushebeln, zu dessen Ermöglichung er angetreten ist. Die Grenzen des Managements bedenkend stellt sich die Frage: Wieviel Management brauchen Kunst und Kultur? Die Antwort muß lauten: Soviel als nötig, so wenig wie möglich. In dubio pro arte! Die selbstgezogenen Grenzen des Kunst- und Kulturmanagers lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: - Das Management sollte ernst nehmen, was die Kunst selbst ernst nimmt. Ein Kunstwerk wird korrumpiert, wenn das künstlerische Konzept durch Betrieb und falsche Repräsentation überlagert wird. - Planwirtschaftlich betriebenes Kunstmanagement käme der Zerstörung von Kunst und Kultur gleich.
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- Die marktwirtschaftlichen Elemente Angebot und Nachfrage, für die gewinnorientierte Wirtschaft unerläßlich, sind für den künstlerischen Vorgang weniger entscheidend. - Kunst aus der eigenschöpferischen Qualität wegführen, um den Künstler angepaßt auf den Markt zu bringen, disqualifiziert das Management der Kunst. - Der Manager muß wissen, daß Verkaufeerfolge kein Werturteil bestimmen können. Die Hypostasierung von Erfolg und Qualität bewirken ästhetische Fehleinschätzungen. - Der Künstler ist dem Manager anvertraut. Er zerstört dessen künstlerische Existenz, wenn Erfolge ausgebeutet werden. Die Auslieferung eines Künstlers an Leistungsdruck verdirbt das Kunstwerk und das planvoll angelegte Management. - Der "Manager" als Verhinderer handelt dann verantwortlich, wenn er ein Talent vor dem Verschleiß auf dem Markt bewahrt. Einer behutsamen Herausforderung dienen keine falschen Versprechungen und Vorschußlorbeeren. - Sponsorengelder von falscher Seite bringen den Künstler in Mißkredit. Über Gefälligkeit ist keine erfolgversprechende Karriere zu machen.
Literaturhinweise Andreae, Clemens-August (Hrsg.): Symposium Kunst und Wirtschaft, Köln 1983. Andreae, Clemens-August: 'Kunstwerke zwischen Ästhetik und Ökonomik' [Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele], in: Almanack der Salzburger Festspiele, Salzburg 1986. Istler, Ernst: 'Theoretisches über die Praxis des Kunstmanagements' (unveröffentlicht). Kaiser, Joachim, zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 30. ß 1.3.1991. Kappler, Ekkehard: 'Zur Wechselwirkung von Technik, Wirtschaft und Kultur im technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungsprozeß', in: Technik, Wirtschaft, Kultur, Münster 1988. Kyrer, Alfred: 'Der wirtschaftliche Nutzen von Festspielen, Fachmessen und Flughäfen am Beispiel der Region Salzburg', Regensburg 1987. Richter, Karl: 'Neue Verantwortung der Kulturpolitik', in: Revier-Kultur, Heft 3-Λ! 1987. Sloterdijk, Peter, zitiert nach: Die Presse vom 10.12.1991. Wehovsky, Stephan: Zum 100. 'Geburtstag von Max Ernst', Süddeutsche Zeitung vom 30.03.1991
Kulturelle Marktwirtschaft als Antwort auf die Mediamorphose Kurt Blaukopf und Hermann Rauhe
Die Kulturpolitik ist herausgefordert, auf die wirtschaftliche Nutzung der elektronischen Medien und die machtvolle Entfaltung der Kulturindustrien zu reagieren, wenn sie ihre Ziele verfolgen will. Während das System der von Medien durchsetzten Kulturwirtschaft der wissenschaftlichen Analyse zugänglich ist, lassen sich die Ziele der Kulturpolitik nicht theoretisch begründen. Sie ergeben sich vielmehr aus dem politischen Konsens über kulturelle Werte. Auf europäischer Ebene ist solche Übereinstimmung von den Mitgliedern des Europarates formuliert worden. Die Konferenz der für kulturelle Angelegenheiten zuständigen Minister hat 1987 die Forderung angemeldet, daß die kulturellen Grundwerte "nicht der ausschließlichen Bedachtnahme auf wirtschaftliche Interessen und industrielle Rationalität geopfert werden" (Europarat 1987). Traditionelle Kulturpolitik sucht diesem Grundsatz durch Förderungsmaßnahmen zu entsprechen. Ihr Ziel ist es, Kreation, Produktion, Distribution und Konsum dem Einfluß der Rentabilitätsrechnung zum Teil oder zur Gänze entziehen. Solch defensive Kulturpolitik behauptet zwar weiterhin ihre Bedeutung, doch stößt sie an die Grenzen, die ihr in der Epoche der industriellen Produktion und Distribution von kulturellen Gütern und Dienstleistungen gesetzt sind. Die traditionellen Formen kultureller Kommunikation (Theater, Konzert, Ausstellung und so weiter) bestehen wohl fort, doch gewinnen ihnen gegenüber die technisch-industriell geprägten Formen — vor allem im Bereich der elektronischen Medien - erhöhtes Gewicht. Eine ausschließlich defensiv orientierte Kulturpolitik nimmt diese Veränderung nicht ins Visier. Kulturpolitik wird auf Förderungspolitik reduziert. Massen- und Medienkultur findet keinen Platz im "ökonomisch eingeengten kulturpolitischen Verständnis" (Smudits 1991, 61). Um die Effizienz kulturpolitischer Maßnahmen - auch wenn ihre Ziele unverändert beibehalten werden - zu garantieren, muß sich die Strategie den technisch-industriellen Bedingungen anpassen. Dazu gehört auch — wie der österreichische Bundesminister für Unterricht und Kunst hervorgehoben hat — die Bestimmung des Stellenwertes der Kulturindustrien in der gegenwärtigen Gesellschaft: "Die Unternehmen, die Marcuse, Horkheimer und Adorno vor einigen Jahrzehnten als Kulturindustrien untersucht haben, waren im Vergleich zu den Möglichkeiten der Gegenwart kleine und bescheidene Manufakturen" (Schölten 1991, 5). Damit wird der Blick auf die durch technische Neuerungen ermöglichte und beschleunigte Metamorphose der kulturellen Kommunikation gelenkt: auf die Mediamorphose der Kultur. Sie ist als Summe der Veränderungen zu verstehen, die sich durch die Nutzung von Ton- und Bildträgern, Hörfunk, Fernsehen, Film, Kabel- und Satellitensystemen eingestellt haben.
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Eine der Folgen der Mediamorphose besteht darin, daß die Mehrheit der im kulturellen Sektor Tätigen ihr Einkommen nicht vorwiegend aus dem Schaffen für prämediale "live"-Kultur erzielt, sondern aus der Nutzung ihrer Kreationen und Dienstleistungen durch die elektronischen Medien. Die Konsequenzen der Mediamorphose erstrecken sich des weiteren auf die Ausbildung und die Berufebilder der Kulturschaffenden, auf die Ökonomie der industriell-technischen Kulturproduktion, auf die Formen der Distribution und schließlich auch auf die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Die Veränderung des Lebensstils ist an der ständig wachsenden Ausstattung der Haushalte mit Heimelektronik abzulesen. Diese wirkt sich wieder auf das Zeitbudget aus, wie eine in den Niederlanden angestellte Untersuchung belegt. Danach ist zwischen 1955 und 1985 die Zeit, die die Bevölkerung den elektronischen Medien insgesamt widmet, um etwa 250 Prozent gestiegen (Knulst 1989, 261). Eine andere Erhebung, die Aufcchluß über das Zeitbudget der englischen Bevölkerung (Garnham 1990, 155) zu geben versucht, gelangt zum Ergebnis, daß die 168 Stunden einer Woche im Durchschnitt wie folgt genutzt werden: -
Arbeit und Weg zur Arbeit 45 Stunden; Schlaf 48 Stunden; Fernsehen 20 Stunden; alles andere (unter Einschluß von sonstiger Heimelektronik) 55 Stunden.
Die Dominanz der elektronisch vermittelten Kultur hat, wie zur Genüge bekannt, zahlreiche Vertreter des Kulturpessimismus auf den Plan gerufen. Sie insistieren zumeist auf dem Lamento über den für sie unbefriedigenden Zustand und widmen sich weniger der Analyse der Verhältnisse oder gar den möglichen Wegen zu deren Verbesserung. Ein Kenner der schweizerischen Kulturlandschaft vermerkt mit Bedauern, daß sich in "kulturellen Kreisen große Skepsis und teilweise Ablehnung den elektronischen Medien gegenüber" entwickelt habe (Oppenheim 1990, 39). Solche Haltung hemmt die wissenschaftliche Analyse der Medienkultur und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen und behindert die schöpferische Auseinandersetzung der Kulturschaffenden und der Kulturpolitiker mit Wirkung und Nutzung der technischen Errungenschaften. Es überrascht also nicht, daß eine andersartige Perspektive, die auf die offenbar unumkehrbare Entwicklung zu einer von den Medien getragenen Kultur verweist, nur ausnahmsweise und nur mit Vorsicht vorgetragen wird: "Vermutlich ist die Prognose nicht sehr gewagt, daß ein beträchtlicher Teil der Kunst von morgen audiovisuell sein wird. Das mag man befürworten oder nicht, wir werden es nicht entscheiden" (Bacher 1991, 7). Die Mediamorphose hat auch eine rechtliche Mutation eingeleitet, die sich auf Urheberrecht, Leistungsschutzrecht, Medienrecht und auf internationale Vereinbarungen erstreckt (wie z.B. die Regelung des grenzüberschreitenden Femsehens durch die "Konvention" des Europarates und die "Richtlinie" der EG). Diese Bestimmungen steuern die kulturelle Kommunikation und sind deswegen als essentielle Bestandteile der Kulturpolitik anzusehen - wenn sie auch nicht primär in kulturpolitischer Absicht getroffen worden sein mögen. Ein Merkmal der Kulturwirtschaft in der Ära der Mediamorphose besteht darin, daß die privaten Aufwendungen für Kultur und die finanziellen Aufwendungen der Kulturindustrien (unter Einschluß der Rundfunkanstalten) in Summe immer gewichtiger werden gegenüber den Ausgaben der öffentlichen Hand für kulturelle Zwecke. Kulturpolitische Maßnahmen müssen daher, um wirksam zu werden, vorwiegend ökonomische Dimension haben.
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Daraus ergibt sich die Frage nach der Legitimität und der Natur von Maßnahmen, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage in einer für die Kultur erwünschten Weise beeinflussen könnten. Maßnahmen solcher Art, also Mariakorrekturen, werden im Interesse der Kultur oft gefordert. Häufig werden sie jedoch als Eingriffe in den freien Wettbewerb abgelehnt. Den Vertretern des Gedankens eines völlig deregulierten Marktes kann die Wirtschaftswissenschaft allerdings entgegengehalten, daß auch die Marktwirtschaft ihrer inneren Natur nach auf regelnde Rahmenbedingungen (wie etwa das Kartellrecht) angewiesen ist, die den freien Wettbewerb sicherstellen (Thurow 1980, 130). Die Notwendigkeit einer Regelung ergibt sich auch aus grundlegenden Wertvorstellungen. So ist Marktwirtschaft in Verbindung mit Sklaverei durchaus denkbar (und hat sogar existiert). Das Verbot der Sklaverei ist jedoch als externe "Regulierung" zu verstehen, die aus den Prinzipien der Marktwirtschaft ebensowenig abgeleitet werden kann wie die Bestimmungen über den Handel mit Lebensmitteln und Arzneien oder über die Beschränkung der Werbezeiten im Rundfunk. Wenn gesetzliche Regelung aus humanitären, sozialen und neuerdings auch aus ökologischen Gründen legitimiert scheint, dann gilt dies ähnlich auch für Marktkorrekturen unter kulturellem Aspekt. Damit stellt sich die Frage nach dem Konzept einer kulturellen Marktwirtschaft. Ein solches Konzept reagiert auf die kulturellen Herausforderungen der Mediamorphose ähnlich wie die Idee der sozialen Marktwirtschaft auf die sozialen Probleme der freien Wirtschaft geantwortet hat. Diese Parallele ist nicht etwa bloß metaphorisch zu verstehen, denn der ethisch motivierte, philosophisch fundierte und im geistigen Widerstand gegen die Herrschaft des Nationalsozialismus entwickelte Gedanke der sozialen Marktwirtschaft war als Erfüllung sozialer Gebote gedacht und als Befreiung von den "Leiden des ausbeuterischen Kapitalismus" älterer Prägung (Bismarck 1990, 5). Eingriffe in die Marktwirtschaft sind schon von neoliberalen Theoretikern wie Wilhelm Röpke als zulässig und geboten erachtet worden, und zwar dort, wo sich "Verfehlungen" (Kartelle, Marktmacht, Dirigismus) einstellen. Eine der Grundideen der sozialen Marktwirtschaft, wie Ludwig Erhard oder Alfred Müller-Armack sie vertreten haben, bestand in der Schaffung und Bewahrung der Bedingungen freien Wettbewerbs. Gegen die Verzerrung oder Verfälschung des Wettbewerbs wendet sich auch Artikel 3 des Gründungsvertrags der Europäischen Gemeinschaft. Und in Artikel 86 dieses Vertrages heißt es: "Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten ist die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen...". Marktkorrekturen, ja sogar Verbote sind dem EG-Konzept also durchaus eingeschrieben, und Korrekturen zum Vorteil der Kultur können daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, wenn das freie Spiel der Kräfte zu Ergebnissen führen sollte, die dem europäischen Konsens im kulturellen Bereich zuwiderlaufen. Obgleich das Gebiet der Kultur nach der Satzung der EG nicht zu ihrem Aktionsfeld gehört, sind doch die Möglichkeiten kultureller Maßnahmen relativ früh diskutiert worden (vgl. EG 1978). Bald hat sich in der EG das Bewußtsein gefestigt, daß kulturelle Errungenschaften und Werte durch das freie Spiel der Marktkräfte gefährdet werden können. In bezug auf die technischen Medien hat diesen Gedanken der Präsident der Kommission der EG formuliert: "... wenn das Gewährenlassen (laisser-aller) den Sieg davonträgt, dann
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wird diese phantastische Entwicklung in eine kulturelle Verarmung münden und eine Gefährdung des Pluralismus hervorrufen" (Delors 1989). Diese These von Jacques Delors ist nicht etwa bloß als subjektive Stellungnahme zu werten, denn es gibt bereits einen ganzen Katalog von Maßnahmen, die als kulturelle Marktkorrekturen der EG zu verstehen sind. Paradigmatischen Charakter hat das ambitionierte, für die Jahre 1991 bis 1995 beschlossene MEDIA-Programm zur Entwicklung der europäischen audio-visuellen Industrie (EG 1991). Dieses sieht ein Budget vor, aus dem die EG Zuschüsse gewährt. Es handelt sich um Maßnahmen, die kulturell wichtigen und zugleich wirtschaftlich schwachen Projekten den Zugang zum Markt eröffnen und die Behauptung im Wettbewerb erleichtern sollen. Zu diesem Programm gehören unter anderem: - EURO-AIM: ein Programm, das kleineren Produzenten erleichtern soll, sich auf internationalen Messen zu präsentieren und Ko-Produzenten zu finden. - EFDO: ein Projekt, das den Vertrieb von sogenannten Low-Budget-Filmen durch Zuschüsse zu den Verleihkosten erleichtern soll. - BABEL: ein Fonds zur Förderung der Mehrsprachigkeit von europäischen audiovisuellen Werken. Der Fonds gewährt Hilfe für Synchronisierung und Untertitelung von Programmen in weniger verbreitete Sprachen unter der Voraussetzung, daß diese Programme die Sendegarantie einer Fernsehanstalt erhalten haben. - EUROPEAN SCRIPT FUND: Kredite zur Entwicklung von Drehbüchern und zur Vorfinanzierung von Filmprojekten, die bei Beginn der Dreharbeiten zurückzuzahlen sind. Die Förderung erstreckt sich auf Kinofilme, Fernsehserien und Fernsehfilme. - CARTOON: Förderung der Technologie und Produktion von Zeichentrickfilmen, die im Wettbewerb mit japanischen und amerikanischen Produktionen bestehen können. - GRECO: ein Projekt der Verbände europäischer Produzenten mit dem Ziel, eine Europäische Ko-Produktions-Gemeinschaft zu gründen. Einzelprojekte sollen zu 75 Prozent von den TV-Anstalten, zu 12,5 Prozent von den Produzenten und zu 12,5 Prozent von der EG finanziert werden. Zu den erwarteten Wirkungen dieses MEDIA-Programms zählen: - die Überwindung von Sprachbarrieren, die die kulturellen Chancen kleiner Länder auf dem europäischen Markt begrenzen; - der bessere Zugang zum europäischen Markt für kulturell bedeutsame und zugleich finanzschwache Unternehmen; - die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer audio-visueller Programme auf dem Weltmarkt. Der zuletzt genannte Aspekt ist der für die europäische Medienkultur dringlichste. Dies ergibt sich allein schon aus dem Kinofilm-Bedarf der europäischen TV-Anstalten, der auf etwa 18000 Sendestunden jährlich geschätzt wird. Da in Europa nur ein Bruchteil davon produziert wird, verschlingen die europäischen Anstalten im Verlauf von weniger als drei Jahren die amerikanische Produktion von 15 Jahren ("Neue Zürcher Zeitung", 5. Oktober 1989). Während die öffentlich-rechtlichen Anstalten den Anteil von US-Programmen an ihren Sendezeiten zu begrenzen in der Lage sind, bleiben die privaten Anstalten auf US-Programme in weit höherem Maße angewiesen. So stieg etwa im italienischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen der US-Anteil zwischen
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1977 und 1988 nie über 13 Prozent, während die privaten TV-Veranstalter Italiens den US-Filmen zwischen 30 und 80 Prozent ihrer Sendezeit einräumten (Cascino 1989, 60). Diesem Trend entgegenzuwirken, ist das Hauptziel des MEDIA-Programms der EG. In letzter Analyse stellt es sich dar als Ansatz zur Sicherung kultureller Vielfalt durch (teilweise) Ausschaltung ökonomischer Zwänge. Eben das ist das Konzept einer kulturellen Marktwirtschaft. Das zentrale Problem, mit dem die Kulturpolitik unter den Bedingungen der Mediamorphose konfrontiert wird, ist der Widerstreit zwischen ökonomisch bedingter Nivellierung und dem Bemühen um kulturelle Vielfalt. Pluralismus kann durch die Maßnahmen der EG zwar gefördert, doch keineswegs sichergestellt werden. Der ökonomische Zwang diktiert der Produktion und Distribution technisch-industrieller Kulturgüter die Konzentration auf Programme, die ein Publikums-Maximum erreichen können. Eine solch ökonomisch bedingte Strategie reduziert die Programm-Palette, aus der die Konsumenten wählen können, und marginalisiert die Interessen von Minderheiten mit spezifischen Geschmacksrichtungen und Interessen. Analysen der Programmangebote privater Rundfimkanstalten bestätigen, daß diese solchen Zwängen stärker ausgesetzt sind als die öffentlich-rechtlichen Anstalten (vgl. Svitek 1984, Hilf 1987, Krüger 1988, Gellner 1989). Eben darum sind auch auf staatlicher Ebene Marktkorrekturen erforderlich, die dem EG-Modell folgen. Diese können rechtlicher Natur sein, wie etwa die Bestimmung von Artikel 11 des britischen Rundfunkgesetzes (British Broadcasting Authority Act), wonach der TV-Kanal 4 einen angemessenen Anteil von Programmen aufzuweisen hat, die dem Geschmack und den Interessen jener Konsumenten genügen, deren Bedürfnisse von anderen privaten Sendern nicht befriedigt werden. Die finanzielle Grundlage für diese Programm-Aktivität wird durch die Zweckwidmung eines Teiles der Werbeeinnahmen anderer Privatanstalten gesichert. Zu einem möglichen Bündel von Marktkorrekturen gehören auch die in einigen europäischen Ländern praktizierten obligatorischen oder freiwilligen Beiträge der Rundfunkanstalten zur Filmforderung und die Widmung von Teilen der Einnahmen aus der Leerkassettenabgabe für kulturelle Zwecke. Aus der Analyse medienrechtlicher Bestimmungen in mehreren europäischen Ländern (Europarat 1990) ergibt sich, daß Marktkorrekturen im Bereich der Rundfimkanstalten zumindest zwei rechtliche Formen annehmen können: - Für private Veranstalter, die sich der Produktion und Distribution von Kulturprogrammen widmen wollen, welche nur ein begrenztes Segment des Publikums interessieren und deswegen nicht genügend Aufträge der Werbewirtschaft erwarten lassen, können finanzielle Anreize geschaffen werden (Zuschüsse, Steuererleichterungen etc.). - Da öffentlich-rechtliche Anstalten eher in der Lage und zum Teil sogar verpflichtet sind, kulturelle Programme (auch zur prime time) ohne Rücksicht auf ökonomische Zwänge auszustrahlen, muß ihre rechtliche Stellung gestärkt, ihr Bestand gewährleistet und ihre ausreichende Finanzierung aus Gebühren gesichert werden (vgl. Europarat 1990). Eine den Bedingungen der Mediamorphose entsprechende gestaltende Kulturpolitik ist geeignet, auch auf die traditionell defensive Kulturpolitik zurückzuwirken, denn die von der industriellen Mutation erfaßten Kulturbereiche sind in hohem Maße auf das
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Funktionieren der "traditionellen" Kulturinstitutionen (Theater, Opernhäuser, Konzertorganisationen, Orchester) angewiesen. Die Gefährdung dieser Institutionen der "live"Kultur kann durch das Angebot der Rundfunkanstalten nicht wettgemacht werden. So kommt eine von den deutschen Rundfunkanstalten initiierte Studie zum Ergebnis: "Die Hypothese, daß die elektronischen Medien bei kulturellen Defiziten vor Ort eine Kompensationsfunktion übernehmen, wird für das Musikangebot im Fernsehen zunächst einmal jedenfalls nicht bestätigt" (Frank/Maletzke/Müller-Sachse 1991, 271). Kulturelle Lebensqualität hängt daher auch unter den Bedingungen der Mediamorphose vom fortdauernden Bestand der prämedialen Kulturunternehmen ab sowie von den Kulturschaffenden, die in diesen Institutionen wirken. Die Schöpfer der Kultur bilden das Potential der Innovation, Forschung und Entwicklung, ohne das auch die Medienwirtschaft nicht auskommen kann. Künstler und Kulturschaffende haben somit multifunktionelle Rollen: Sie sind unentbehrlich sowohl für die prämediale wie für die mediale Kultur und bilden die Voraussetzung sowohl der öffentlich geförderten wie der auf Gewinn orientierten Kulturindustrien. Aus dieser Überlegung können rechtliche Maßnahmen abgeleitet werden, die zugleich wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung haben, wie zum Beispiel: - steuerrechtliche Bestimmungen, die geeignet sind, Mäzene und Sponsoren zur Förderung kultureller Institutionen zu motivieren; - ein kulturfreundliches Stiftungsrecht, das Unternehmer anregt, einen Teil ihres Vermögens in eine Kulturstiftung einzubringen (etwa durch testamentarische Verfügungen); - Bestimmungen des Vereins- und des Gesellschaftsrechtes, die kulturellen Interessen Rechnung tragen; - Vergünstigungen für Film-, TV-, Schallplatten- und Videoproduzenten, die Nachwuchskünstler in angemessenem Maße heranziehen oder im Rahmen ihrer Produktion für die Aus- und Weiterbildung von Kulturschaffenden sorgen; - Steuerliche Vergünstigungen für Veranstaltungen, die durch Fachgutachten unabhängiger Kommissionen als künstlerisch besonders wertvoll eingestuft werden; dies unter Bedachtnahme auf Unternehmungen, die der kulturellen Identität einer Region, eines Landes, eines Staates oder auch Europas dienen. Maßnahmen dieser und ähnlicher Art sind auch geeignet, jenes "menschliche Kapital" zu sichern, ohne das die Kulturwirtschaft (sei sie nun privat oder öffentlich-rechtlich) nicht Bestand haben kann. Diese auf lange Sicht ökonomisch relevante Überlegung rechtfertigt Marktkorrekturen, die den Status der Kulturschaffenden verbessern. Eine im Jahr 1989 veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluß, daß in der Bundesrepublik Deutschland rund 700000 Personen für den Kultur- und Medienmarkt arbeiteten. Ein beachüicher Teil davon wirkte für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die etwa ein Drittel aller professionell tätigen Künstler und Autoren beschäftigten (Fohrbeck/Wiesand 1989, 36). Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Kultur (und damit der Produzenten von Kultur) geht auch aus zahlreichen Untersuchungen hervor. So entspricht in Österreich der Wert der im Radio-, TV-, Video- und Filmsektor geschaffenen Produkte jährlich sechs Milliarden Schilling und der Beitrag der sogenannten Copyright-Industrien zum Brutto-Inlandseinkommen etwa demjenigen der eisen- und metallverarbeitenden Unternehmen (Scheuch/Holzmüller 1989). Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Österreichs (ORF) beschäftigt nicht weniger als 3200 Personen und bietet 15000 frei-
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schaffenden Autoren, Darstellern etc. Beschäftigung. Auch die Kosten eines eigenen Orchesters werden aus dem regulären ORF-Budget bestritten. Um die Beschäftigung von und den Nachwuchs an Kulturschaffenden zu sichern, ist es notwendig, die Neuzulassung von Rundfunk-Veranstaltern mit der Verpflichtung zu verbinden, einen angemessenen Anteil ihres Programms nicht einzukaufen, sondern selbst zu produzieren. Dieses Verlangen wurde schon 1983 von der Fédération Européenne des Réalisateurs Audio-Visuels (FERA) ausgesprochen und später vom Deutschen Kulturrat aufgegriffen. Das Programm des Deutschen Kulturrats, der für eine kulturfreundliche Medienpolitik eintritt, stimmt mit den Konzepten einer kulturellen Marktwirtschaft überein. Der Kulturrat wendet sich gegen die Verfälschung des freien Wettbewerbs und weist der Kulturpolitik die Aufgabe zu, die Förderung so zu gestalten, "daß Einseitigkeiten oder Verzerrungen des (Medien)-Marktes ausgeglichen werden" (Deutscher Kulturrat 1985, 10). Diese These unterstreicht die Notwendigkeit von Marktkorrekturen und verweist auf die kulturellen Schäden, die ohne derartige Maßnahmen eintreten könnten. Solchen "Spätfolgen" kann ein kulturpolitisches "Frühwarnsystem" begegnen, das einen Bestandteil des Konzeptes der kulturellen Marktwirtschaft bildet. Elemente dieses Modells sind also, wie die Initiativen des Deutschen Kulturrats belegen, schon lange vor dem Fall von Mauern und Eisernen Vorhängen entwickelt worden. Durch die Umwälzungen in Osteuropa hat diese Denkweise erhöhte Aktualität gewonnen. Im Sturm der Ereignisse gewann freilich vorerst die Idee des Übergangs von dirigistischer Planwirtschaft zu völlig deregulierter Wirtschaft rasch an Boden, und zwar ohne Bedachtnahme auf kulturelle Aspekte. Eine solche Haltung entspricht jedoch keineswegs den Gedanken, die implizit in den Maßnahmen der EG enthalten sind, und sie widerspricht sogar den explizit formulierten Forderungen des Europarates. Manche kulturellen Bemühungen des Europarates peilen in der Tat das an, was wir "kulturelle Marktwirtschaft" nennen, wenngleich dieser Begriff in den offiziellen Dokumenten unseres Wissens bisher nur ein einziges Mal gebraucht worden ist (Europarat 1990). Der Gedanke eines Übergangs von der Kommandowirtschaft zu einer mit kulturellen Korrektiven ausgestatteten Marktwirtschaft wird auch in einigen osteuropäischen Staaten geprüft. So traten die Wortführer der elektronischen Medien der CSFR, Polens, Ungarns, Sloweniens und Kroatiens bei der Tagung "Neue Medienpartner in Mitteleuropa" (Wien, Februar 1991) für eine demokratische Erneuerung ein, in der wirtschaftliche Privatinitiative ihren Raum hat und in der zugleich der öffentlichrechtliche Rundfunk eine starke Position einnimmt. Die Tagungsteilnehmer bekannten sich ausdrücklich zur Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlich organisierten Rundfunks "auf der Basis gemischter Finanzierung durch Gebühren und Werbung als Garant für staatliche Unabhängigkeit sowie im Interesse der Erhaltung nationaler Identität". Die Kultur- und Medienforschung kann sich nicht damit begnügen, die aus pragmatischen Überlegungen angemeldeten Forderungen der Rundfunkveranstalter oder der Kulturschaffenden bloß zu registrieren. Der Wissenschaft ist die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der kulturellen Kommunikation unter den Bedingungen der Mediamorphose auferlegt. Erst dadurch qualifiziert sie sich zur Hilfestellung bei der Lösung praktischer Probleme. Wie dringlich dies geworden ist, zeigt die Diskussion, die auch in osteuropäischen Ländern an Intensität gewonnen hat. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist der Versuch einer russischen Autorin, das Verhältnis von Kulturpolitik und Marktwirtschaft, wie es sich im Westen präsentiert,
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auf seine Anwendbarkeit in Rußland zu prüfen. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Erfahrungen und Errungenschaften marktwirtschaftlich geprägter Länder, die ihre "große alte Kulturtradition erfolgreich weiterentwickeln". Sie befürwortet ein System der kulturellen Marktwirtschaft und knüpft daran die Feststellung: Ist es doch im Eifer unermüdlicher Demokratiebestrebungen und anarchistischer Auflehnung gegen jegliche existierende Struktur nur allzu leicht möglich, daß mit dem Bad auch das Kind ausgeschüttet und keine Alternative angeboten wird. Auf den reinen Prinzipien der Marktwirtschaft kann echte Kultur weder bewahrt, noch neu geschaffen werden (Seifàs 1991, 20). Die Suche nach einer Alternative ist auch durch die Vereinigung Deutschlands beschleunigt worden. Die Erwartung, daß sich ein zum "Wirtschaftswunder" der Jahre nach 1947 analoger Prozeß in den neuen Bundesländern einstellen und auch auf die Kultur befruchtend wirken würde, hat sich nicht erfüllt. Die Konsequenzen wurden in Ermangelung eines Konzeptes der kulturellen Marktwirtschaft und in Nichtbeachtung der von EG und Europarat gewonnenen Erkenntnisse - falsch beurteilt. Die Verwirklichung der im Einigungsvertrag (Artikel 35, Abs.2) enthaltenen Forderung, daß die kulturelle Substanz der DDR keinen Schaden nehmen dürfe, mußte auf Hindernisse stoßen. Verkannt wurden nicht nur die Schwierigkeiten einer Umstrukturierung von der zentralistischen zur föderalistischen Kulturverwaltung, sondern vor allem die Probleme der Umstellung von der dirigistisch strukturierten und finanzierten staatlichen Kulturwirtschaft auf ein marktwirtschaftlich orientiertes System, das nach kulturellen Korrektiven verlangt. Der Denkprozeß, der nicht zuletzt von Europarat und EG schon lange vor der osteuropäischen Wende eingeleitet worden ist, hat die Bedeutung der Marktkorrektur für das Schicksal der europäischen Kultur schon hinlänglich belegt. Dabei ergab sich, daß die europäischen Errungenschaften einem System zu verdanken sind, das die Kultur vor uneingeschränktem ökonomischem Druck in immer stärkeren Maße zu schützen vermochte. Zu diesem Schluß kommt auch eine von der EG initiierte Studie: Die zunehmende Kommerzialisierung des audio-visuellen Sektors tendiert zur Marginalisierung des kulturellen Schaffens, das in Europa seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versucht, sich den Zwängen des Marktes zu entwinden (Lange/Renaud 1988, 136). Prägnanter als in dieser im Auftrag der EG enstandenen Untersuchung läßt sich die aktuelle Problematik der Kulturökonomie kaum ausdrücken. Implizit ist damit auch das Prinzip der kulturellen Marktwirtschaft legitimiert.
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Kulturförderung Franz Willnauer
Kulturförderung ist ein weites Feld. Jede Gliederung dieser Materie kann nur grob schematisch sein, jede Systematik nur eine Orientierungshilfe in einem inzwischen unüberschaubar, ja undurchdringlich gewordenen Dschungel unterschiedlichster Ideen, Aktionen, Ereignisse und Verlautbarungen, die sich alle unter dem nichtssagenden Wort "Förderungsmaßnahmen" subsumieren lassen. Im Grunde gibt es so viele Arten von Förderungen, wie es Anlässe dazu gibt; und nicht nur die Mischformen schaffen Unklarheit und Verwirrung, sondern mehr noch der unpräzise, jeder Definition abholde Sprachgebrauch der hier zur Verwendung kommenden Begriffe. "Sponsoring" heißt das Zauberwort, das in aller Munde ist; ihm wird das gute alte Mäzenatentum gegenübergestellt. Wer zweifelt, ob das eine noch am Leben und das andere unbedenklich ist, der spricht vom "mäzenatischen Sponsoring". Dieses wiederum ist für manchen gleichbedeutend mit "Unternehmenskultur", und um die Begriffsverwirrung komplett zu machen, meinen viele, das alles wäre "kulturelles Management". Mit diesem Begriff freilich sind wir beim professionellen, planvollen und öffentlichen Handeln im Kunst- und Kulturbereich angelangt, das - kein Zweifel - auch einmal die Förderung von Kunst und Künstler zum Inhalt haben kann, sich in der Regel jedoch auf Tätigkeiten im Organisations-, Verwaltungs- und Vermittlungsbereich von Kunstbetrieben bezieht. Im allgemeinen ist Kunstförderung eine Angelegenheit, die vom Förderer nicht-professionell und, sieht man von den Sponsorvermittlungs-Agenturen ab, nicht hauptberuflich betrieben wird, sondern als zusätzliche berufliche Aufgabe oder aus privatem Engagement - jedenfalls aus persönlicher Neigung und Sachkenntnis. Förderer können Privatpersonen, Organisationen, Institutionen oder Unternehmen sein, die mit Finanzoder Sachmitteln Kunst und Kultur fördern.
Kultur und Wirtschaft - eine Annäherung Kultur und Wirtschaft sind heute in ein Nahverhältnis eingetreten, das noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar war. Karl Richter, Kulturmanager der ersten Stunde, konstatiert: "Die Wirtschaft ist ein Kulturfaktor, die Kultur ist ein Wirtschaftsfaktor." Im fortschrittlichen Freistaat Bayern hört man gelegentlich sogar den Slogan: "Der Kultusminister ist der beste Wirtschaftsminister." In diesem Annäherungsprozeß sind wir nun an einem Punkt angelangt, der vor 20 Jahren fast unglaublich schien. Damals war die Beziehung zwischen Kunst und Wirtschaft geprägt von gegenseitigem Unverständnis und Animositäten. Wirtschaft und
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Kultur - in England, Amerika und Australien seit je aufeinander angewiesene Partner - waren für uns Deutsche ein fast unverträgliches Paar. Sie wußten kaum etwas voneinander, sie interessierten sich kaum füreinander, und sie sollten auch nicht paktieren miteinander. Der "große Bruder" Staat wachte sorgsam, daß er seinem Selbstverständnis, demzufolge dieses Deutschland (auch) ein Kulturstaat ist, gerecht werden könne, ohne daß ihn dabei ein unbedachter Flirt der Künste mit der Wirtschaft beeinträchtigen oder ihm gar die ausgestreckte Spenderhand der Industrie Konkurrenz machen würde. In den Jahren nach 1968 war die Rolle der öffentlichen Hand im Kulturleben so dominant, daß private Kunst- und Kulturförderung unerwünscht, unbeliebt und ignoriert war. Nachdem Kunst und Kultur in den sechziger Jahren der Prosperität und des Wirtschaftswunders an den Rand gedrängt und in den Feierabendbereich verwiesen worden waren, kam mit den siebziger Jahren ein neues Bewußtsein in unsere Gesellschaft: Kultur wurde als Instrument der "Daseinsfürsorge" verstanden und eingefordert, die Teilhabe aller am Kulturbesitz und Kulturgebrauch als Fundament der "Lebensqualität" des Einzelnen angesehen. Das Wort von der "Unentbehrlichkeit des Überflüssigen" machte die Runde. Kunst wurde zum Lebensmittel. Damit wurden Kunst und Kultur auch zum Wirtschaftsgut. Nicht nur regte sich, nach dem Schock durch ideologische Anfeindung und obrigkeitliche Bevormundung, ein neues Interesse und neue Bereitschaft zu privater Initiative und Trägerschaft; es entstand auch ein neues Bewußtsein von der wirtschaftlichen Bedeutung des Lebensmittels Kultur. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre wurde die Kultur erstmals als Wirtschaftsfaktor ernstgenommen und wissenschaftlich erforscht. Bei der öffentlichen Hand - in unseren Gemeinden und Städten in den Ländern und beim Bund - , vor allem aber auch bei den politischen Parteien wuchs zur gleichen Zeit die Erkenntnis, daß der Anspruch totaler (also auch totaler materieller) Verantwortung für Kirnst und Kultur unrealistisch ist. Das Ergebnis dieses, zugegeben schmerzlichen, Erfehrungsprozesses läßt sich in zwei schlichte Erkenntnisse kleiden: 1. Der Staat soll nicht alles regeln. 2. Der Staat kann nicht alles leisten. Es ist das Verdienst der konservativen Kräfte in unserem Land, diese Gedanken zum Gegenstand einer kulturpolitischen Grundsatzdebatte gemacht zu haben. Auf dem kulturpolitischen Symposium der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im November 1984 sagte deren damalige Stellvertretende Vorsitzende, Helga Wex, unter Anspielung auf die Gefahr einer gleichfalls alles reglementierenden Sozialpolitik: Auch im künstlerischen Bereich soll der Staat Hilfe zur Selbsthilfe geben und den Privatinitiativen die Freiräume eröflhen, die zu ihrer Entfaltung notwendig sind. Kulturpolitik ist keine Prärogative des Staates, zumal kein System öffentlicher Kulturförderung perfekt ist, und sie soll es auch nicht sein. Alle gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen können und sollten Träger von Kultur und Kulturforderung sein.1 Von dieser Aufforderung war kein weiter Weg mehr zu den Feststellungen, die die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU des Landes Nordrhein-Westfeien 1989 in einer Broschüre mit dem markanten Titel "Kultursponsoring" getroffen hat: Kultur und Wirtschaft in einem Atemzug zu nennen, mag vielen noch ungewöhnlich erscheinen. Eine Handvoll spektakulärer Kooperationen im Bereich des Kultursponsoring ändert daran nicht viel. Kultur gilt in erster Linie als unrentabler Kostgänger
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der öffentlichen Hand, als Luxus, als Zusatzgeschäft. Neuere Studien liefern ganz andere Ergebnisse: - Kultur ist rentabel: Der Kultursektor ist ein expansionsfähiger Markt. - Kultur schafft Arbeitsplätze: Die im Kulturbereich Beschäftigten sind ein bedeutender arbeitsmarktpolitischer Faktor. - Kultur ist Image- und Standortfaktor: Die Wirtschaft legt zunehmend Wert auf die kulturelle Infrastruktur ihrer Standorte. - Kultur ist Kreativpotential für die Wirtschaft.2 Dem kann, fern jeder parteipolitischen Benevolenz, die Wirtschaft als Verursacher der Trendwende nur zustimmen. 650000 Beschäftigte und Jahresumsätze von fest 40 Milliarden DM im Kulturbereich - das sind Zahlen, die selbst für das wirtschaftliche Gesamtpotential der Bundesrepublik beachtlich sind. Kultur als Wirtschaftsfaktor wird zunehmend Gegenstand empirischer und soziologischer Forschung. Mit einer Erhebung von Daten über die Wirtschaft als Kulturförderer hat 1987 der Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie den Anfang gemacht.3 Statistisch untermauerte Langzeitstudien des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München und des Zentrums für Kulturforschung in Bonn sind gefolgt.4 Inzwischen liegen die in ministeriellem bzw. Senatsauftrag entstandenen Berichte über "Kultur als Wirtschaftsfaktor" aus den Ländern Nordrhein-Westfeien und Berlin vor.5 In ihnen spricht die öffentliche Hand, als wäre es die selbstverständlichste Sache auf der Welt, von der "Kulturwirtschaft" und mißt ihr "mehr und mehr Gewicht neben den traditionellen Schlüsselindustrien" des jeweiligen Landes bei. So profitiert denn also unsere Wirtschaft von der Kultur? Zweifellos, und das in mehrfacher Hinsicht. In der erwähnten NRW-Studie werden gleich vier wirtschaftsrelevante Faktoren des gegenwärtigen Kunst- und Kulturlebens angeführt: - Die Attraktivität von Städten und Regionen vermittelt sich heute vor allem über ihr kulturelles Leben. - Kulturangebote sorgen für öffentlich und privat bereitgestellte Produktivitätsvorleistungen. - Die Kultur stärkt erforderliche Qualifikationsstrukturen von morgen. - Die Kulturwirtschaft leistet, ebenso wie die Kulturinstitutionen, einen wichtigen Eigenbeitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum Arbeitsmarkt in Städten und Regionen.6 Der an zweiter Stelle genannte Bedeutungsfektor bedarf einer Erläuterung. Hinter der etwas kryptischen Aussage, daß Kulturangebote für Produktivitätsvorleistungen sorgen, verbirgt sich nichts anderes als die Erkenntnis, daß Kunst die "Problemlösungskompetenz", in der nicht nur Industrie und Wirtschaft die Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis und innovativer Forschung sehen, fördern und befruchten kann. Wie auch die oben zitierte Sentenz, "Kultur ist Kreativpotential für die Wirtschaft", zielt diese Feststellung auf einen wesentlichen, auf den geradezu philosophischen Aspekt im Verhältnis von Kultur und Wirtschaft ab: auf die Erkenntnis nämlich, daß die Kultur und im besonderen die Kunst dank der drei konstitutiven Merkmale Kreativität, Innovation und Produktivität Modellcharakter für die Wirtschaft haben kann. Diesen Hinweis auf den geistigen Gewinn für die Wirtschaft aus der Partnerschaft mit der Kultur dem heute üblichen pragmatischen Kosten-Nutzen-Denken hinzuzufügen, scheint notwendig, hat doch die Diskussion um die ökonomischen Vorteile, die
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für die Wirtschaft aus der Beschäftigung mit Kunst und Kultur entstehen können, die grunsätzlichen Gemeinsamkeiten in den Hintergrund treten lassen. Der unvergessene Jürgen Ponto hat schon 1973 auf die innere Verwandtschaft zwischen Unternehmer und Kiinsder hingewiesen.7
Vom Nutzen der Kultur für den Staat Kein Zweifel: Der Staat profitiert im vieler Hinsicht von der Kultur, auch wenn die Wehklagen unserer Kultusministerien und Kulturdezernenten über die leeren Kassen nicht enden wollen. Festspiele und kulturelle Großereignisse wie die von Jochen Hoet als Jahrhundertereignis konzipierte Kasseler documenta, Veranstaltungen insgesamt, die als "Event" und Medienspektakel den Ruch des Einmaligen und Einzigartigen bekommen - es leuchtet ein, daß da die Kunst sich rechnet. Aber in unserem täglichen Kulturbetrieb, in der Praxis unserer Theater und Opernhäuser, unserer Stadt- und Staatsorchester, unserer Museen und Bildimgseinrichtungen? Da kann von Rentabilität wohl keine Rede sein, und an der aus dem "Kulturauftrag" abgeleiteten Bezuschussungspflicht tragen die öffentlichen Haushalte inzwischen eine schwere Last. Die Tktsache, daß jeder Sitzplatz im Kölner Opernhaus, ob besetzt oder nicht, derzeit an jedem 1kg des Jahres 260 DM an Steuergeldern kostet, läßt dem Besucher nicht nur ob dem Schmelz der Arien und der Virtuosität der Koloraturen den Atem stocken. Und dennoch: 8,5 Milliarden DM an öffentlichen Investitionen im Kulturbereich der Bundesrepublik Deutschland - die Zahlen stammen aus dem Jahr 1988 - standen Einnahmen in Höhe von 13,2 Milliarden DM gegenüber, die in Form von Steuern und Abgaben aus allen Dienstleistungen, Produkten, Gütern und Investitionen, die durch den Kulturbereich verursacht oder angeregt wurden, an die öffentliche Hand zurückgeflossen sind. Lediglich das deutsche Haushaltsrecht sorgt dafür, daß das Geld aus den Finanzkassen den Weg nicht wieder dorthin zurückfindet, woher es gekommen ist.
Die Kulturförderung der öffentlichen Hand Auch wenn die Bedeutung des Wirtschaftsfektors Kultur für die öffentliche Hand mit diesen eindrucksvollen Zahlen hinreichend bewiesen ist, so ist doch unbestreitbar, daß Kunst und Kultur ohne öffentliche Förderung, die die "Grundversorgung" des Bürgers mit Kulturgütern und Kultureinrichtungen sicherstellt, nicht existieren könnten. Aus 8,5 Milliarden DM Gesamtzuwendung im Jahr 1988 sind bis zum Jahr 1992 zehn Milliarden DM geworden. 60 Prozent davon bringen die Kommunen auf, 35 Prozent die Länder. Der Bund steuert fünf Prozent bei. Demgegenüber betragen die Gesamtaufwendungen an privatwirtschaftlicher Kulturförderung derzeit zwischen 350 und 400 Millionen DM - im Höchstfell also 4 Prozent des Gesamtvolumens. Man muß diese Zahlen gut im Auge behalten, wenn man über Nutzen und Notwendigkeit, Chancen und Gefahren privater Kulturförderung diskutiert. Eines steht fest: Sie kann die öffentliche Kulturförderung nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
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Die Bereiche, in denen staatliche Kulturförderung wirksam wird, sind: -
Subventionen, Trägerschaften, Einrichtungen der Künstlerforderung, Unterstützungen der Kulturwirtschaft, Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz.
Während sich die übrigen Positionen von selbst verstehen, muß das seit der Jahreswende 1990/91 geltende "Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz" kurz vorgestellt werden, ist es doch geeignet, durch die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur in Zukunft vermehrte Anreize für kulturelle Spenden und für die Errichtung oder Aufstockung von Stiftungen zu schaffen. Darüber hinaus ändert das Gesetz aber auch Steuergesetze in Punkten, die über das kulturpolitische Anliegen hinausgehen. Das "Gesetz zur steuerlichen Förderung von Kunst, Kultur und Stiftungen sowie zu Änderungen steuerrechtlicher Vorschriften", wie sein voller Name lautet, soll mit seinen wesentlichen, auf Kunst und Kultur bezüglichen, Bestimmungen - die Möglichkeit schaffen, Großspenden (mindestens 50000 DM je Einzelzuwendung) für wissenschaftliche oder als besonders förderungwürdig anerkannte kulturelle Zwecke, insbesondere Stiftungsdotationen, steuerlich auf mehrere Jahre zu verteilen, sogar mit Rückwirkung; - Erben und Vermächtnisnehmer von der Erbschafts teuer befreien, sofern sie das Erworbene innerhalb von 24 Monaten einer gemeinnützigen Stiftung, dem Bund, einem Land oder einer inländischen Gemeinde zuführen; - diejenigen, die ihre Kunstschätze für eine begrenzte Zeit (mindestens fünf Jahre lang) der Öffentlichkeit zugänglich machen, von der Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer freistellen; - die Möglichkeit schaffen, Erbschaft- und Vermögenssteuer durch Hingabe besonders wertvoller Kunstwerke zu tilgen; - die Ausdehnung des sogenannten Buchwertprivilegs auf Sachentnahmen aus einem Betriebsvermögen für besonders förderungswürdige kulturelle und mildtätige Zwekke erlauben; - die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden bei der Gewerbesteuer, die bisher auf Spenden für wissenschaftliche Zwecke begrenzt war, auch auf Spenden für mildtätige, kirchliche, religiöse und als besonders förderungswürdig anerkannte gemeinnützige Zwecke ausdehnen; - auch Künstler berechtigen, den Übungsleiterfreibetrag von 2400 DM jährlich in Anspruch zu nehmen, der bisher nur für nebenberufliche Sporttrainer oder Chorleiter galt.
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Modelle privater Kulturförderung Mäzenatentum "Mäzene - gibt's die?", fragte schon 1980 skeptisch-keck die Kulturforscherin Karla Fohrbeck, um sich ein Jahrzehnt später mit einer 650 Seiten dicken Faktensammlung selbst die Antwort zu geben, allerdings wieder mit einem Fragezeichen hinter dem Titel: "Renaissance der Mäzene?". 8 Die Antwort muß lauten: Mäzene gibt es auch heute, noch immer oder schon wieder. Zugegebenermaßen war dieser Inbegriff uneigennütziger Förderung von Kunst und Kultur zwischendurch einmal ein Rarissimum, als weltfremd bespöttelt und als altmodisch verschrieen. Inzwischen kommt gerade das Mäzenatentum wieder in Mode, die - laut Definition "längerfristige Förderung ausgewählter Künstler und Kulturinstitutionen aufgrund innerer Neigung und Überzeugung", ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. "Kommerzielle, politische oder sonstige Nebenabsichten bestehen nicht. Mäzenatentum schließt zwar einen Imagegewinn nicht aus, ist jedoch nicht auf diesen hin angelegt"9, auch nicht, so muß man ergänzen, auf Steuerersparnis für das Vermögen, dem sich die mäzenatische Großzügigkeit verdankt - auch wenn der Mäzen von heute die Steuervergünstigung so selbstverständlich in Anspruch nimmt wie die Renaissancefürsten und -päpste die Huldigungen der von ihnen geförderten Künstler. Rupert Graf Strachwitz weist zu Recht darauf hin, daß jeder von uns sich als Mäzen verstehen darf, wenn er das ihm gegebene Instrument "unternehmerischer Förderung gemeinnütziger Anliegen" benutzt: die Spende. Jeder steuerpflichtige Bürger und somit auch jedes steuerpflichtige Unternehmen ist berechtigt, von seinem steuerpflichtigen Einkommen bzw. Gewinn fünf Prozent, für einige Zwecke zehn Prozent als Sonderausgaben abzusetzen, wenn er Quittungen über Zuwendungen an anerkannte gemeinnützige Organisationen vorlegen kann. ... Sinn dieser Regelung ist, daß der Steuerpflichtige mit einem freilich sehr kleinen Teil seiner Steuerpflicht selbst den Zweck seiner Abgaben zugunsten der Allgemeinheit präzise bestimmen kann und die Auswahl nicht dem großen Topf der öffentlichen Haushalte überlassen muß. Allerdings, so Graf Strachwitz weiter, erkauft sich der spendenfreudige Staatsbürger diese Freiheit "mit einer sehr erheblichen Zuzahlung, deren Höhe von seiner Steuerprogression bestimmt ist'" 0 . Das ist wohl der Grund, warum es in unserem Land nicht von namenlosen Mäzenen nur so wimmelt. Die wahren Mäzene aber haben einen Namen. Der erste hießt Gaius Clinius Maecenas und lebt von 70 bis 8 vor Christus. Daß er als reicher Großgrundbesitzer und Diplomat von hohem Rang über die finanziellen Mittel verfügte, um den bedeutenden Dichtern seiner Zeit den Lebensunterhalt zu sichern, ist hinlänglich bekannt; nicht minder, daß er Horaz, Vergil und Properz nun eben doch nicht uneigennützig förderte, indem er nämlich als Berater und Freund des Kaisers Augustus durch sein "Mäzenatentum" für regierungsfreundliche Schriften sorgte. Die Literaten von heute lassen sich schwerer durch mäzenatische Wohltaten auf eine unkritische, staats- oder unternehmerfreundliche Haltung einschwören. Folgerichtig wendet sich das Mäzenatentum heute vorwiegend an Musiker und bildende Künstler. Einer der bedeutenden deutschen Mäzene, Alfred C. Toepfer, hat kurz vor seinem Tod noch die Maecenas-Ehrung des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute
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(AsKI) entgegengenommen. Bei der Feierstunde zur Verleihung des Preises am 17. November 1991 in Weimar definierte Altbundeskanzler Helmut Schmidt in aller Deutlichkeit die Charakteristika zeitgenössischen Mäzenatentums: Wenn der Vorstand oder der Aufeichtsrat einer Aktiengesellschaft Spenden oder Stiftungen vergibt, aus den Gewinnen erzielt oder zu Lasten der Aktiengesellschaft, dann trifft das nicht die Vorstands- oder Aufsichtsratspersonen persönlich, sondern dann trifft es die Aktionäre, die in ihrem Gewinn, in ihrer Dividende geschmälert werden und die dabei in aller Regel gar nicht mitreden können. Wenn ein Parlament oder ein Landtag oder ein Stadtrat oder der Bundestag Spenden vergibt oder Stiftungen errichtet, dann ist das kein Anlaß zum besonderen Dank an die beteiligten Personen, es ist nicht ihr Geld, was dort verfügbar gemacht wird, sondern das Geld der Steuerzahler. Auch dort wird also dann gespendet und gestiftet zu Lasten anderer. Sofern aber ein Kaufmann als Eigentümer spendet oder stiftet, so trifft jeder seiner Entschlüsse sein eigenes Vermögen, das heißt, es trifft ihn selbst. Das ist ein ganz großer Unterschied.11
Stiftungen Mit der Strukturveränderung der Wirtschaft, die in den großen Unternehmen zu einer Ablösung des Eigentümerunternehmers durch Aktionäre und ein mehrköpfiges Spitzenmanagement geführt hat, ist der klassische Mäzen seltener geworden. An die Stelle individueller mäzenatischer Zuwendung tritt mehr und mehr die Stiftung. Stiftungen sind Sondervermögen, die gemäß dem Willen eines Stifters selbständig verwaltet und zur Förderung eines bestimmten Zweckes verwendet werden. Die Förderung der Kultur zählt zu den gemeinnützigen Zwecken; Kunst- und Kulturstiftungen genießen deshalb Steuerfreiheit. Stiftungen, heißt es im Vorwort der Zehnjahresschrift der "Stiftung van Meeteren", zählen zu den sogenannten freien gesellschaftlichen Kräften, die jenseits von Staat und Markt aus Verantwortungsbewußtsein für das Gemeinwesen tätig werden. Ohne Auftrag greifen sie öffentliche Anliegen auf und versuchen, bei der Lösung derselben hilfreich tätig zu werden. Da naturgemäß die finanziellen Möglichkeiten einer privaten Stiftung begrenzt sind, müssen Prioritäten gesetzt werden. So ist es verständlich, daß der Stifter versucht, die ihm am wichtigsten erscheinenden Gebiete satzungsgemäß zu verankern.12 Stiftungen haben Hochkonjunktur. Die Errichtung einer Stiftung bietet die Möglichkeit, das Förderungsvorhaben aus dem Organisationsgefüge eines Unternehmens herauszulösen und ihm zu einem echten Eigenleben zu verhelfen. Steuerliche Aspekte dürften dabei jeweils eine große Rolle spielen. Der Aufbau einer Stiftung ist in der Regel eine komplexe Maßnahme, die sich nur für größere und auf Dauer angelegte Vorhaben anbietet. Dabei fällt auf, daß im Vergleich zu den Stiftungen, deren Aufgabengebiet in anderer gesellschaftlichen Bereichen liegt, den Kunst- und Kulturstiftungen nur untergeordnete Bedeutung zukommt. Das 1991 erschienene, erste Verzeichnis der deutschen Stiftungen zählt nicht weniger als 5933 in Deutschland registrierte Stiftungen auf.13 Mehr als die Hälfte davon, genau 3012, widmen sich sozialen Aufgaben. Die weiteren Zahlen dürfen zwar
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nicht prozentual bewertet werden, da Mehrfachnennungen möglich waren; sie sind aber immer noch höchst aufechlußreich: 1856 Stiftungen widmen sich dem Bereich Bildung/Ausbildung/Erziehung und noch einmal 996 den Bereichen Wissenschaft/ Forschung/Lehre. Demgegenüber nehmen sich die 853 Stiftungen, die die Förderung von Kunst und Kultur in ihren Satzungszweck geschrieben haben, relativ bescheiden aus. Fast 42 Prozent der rund 6000 deutschen Stiftungen, nämlich 2487, wurden zwischen 1951 und 1990 errichtet. Die älteste heute noch existierende Stiftung freilich geht auf das Jahr 917 zurück. Man darf also getrost behaupten, daß das Stiftungswesen in Deutschland eine tausendjährige Tradition hat und die älteste Form gemeinnütziger Förderung ist. Städte, die ihre Prosperität der Entfaltung des Bürgertums, dem großzügigen Kaufmannsstand und dem kunstsinnigen, oft jüdischen Handel verdanken wie Leipzig oder Frankfurt/M., genießen noch heute Vorteile und Wohltaten aus Stiftungen, die von reichen Bürgern des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zum Wohl des Gemeinwesens errichtet worden sind. Die Motive, die heute zur Errichtung von Stiftungen fuhren, sind möglicherweise weniger altruistisch. Es gibt in unserem Land mehr privates Vermögen denn je. Ende 1990 betrug es fast drei Billionen DM. Man rechnet damit, daß in diesem Jahrzehnt etwa die Hälfte davon vererbt wird. 1990 betrug das vererbte Volumen schon 100 Milliarden DM, worauf - nach einer Schätzung des Genossenschaftsverbandes Hessen/Rheinland-Pfalz - rund drei Milliarden DM Erbschaftsteuer anfielen. Die einzelnen Erbschaften werden bis zum Jahr 2000 im Durchschnittswert von 200000 auf 300000 DM ansteigen. Auch rund 700000 mittelständische Unternehmen stehen zur Übergabe an die nächste Generation an. Wen nimmt es Wunder, daß immer mehr Privatpersonen, Unternehmer und Unternehmen die Gelegenheit ergreifen, einen Teil ihres zu vererbenden Vermögens dem Zugriff der Finanzämter zu entziehen; und wer wollte sie schelten, wenn sie diese Gelder in ein Stiftungsvermögen umwandeln und die Zinserträge für das Wohl der Allgemeinheit, für wissenschaftliche Zwecke oder zur Förderung von Kunst und Kultur verwenden - vielleicht sogar nur für das eigene Firmenarchiv, das Produktmuseum oder zum Erhalt der Gründervilla? Freilich: Wir brauchen Stiftungen, die sich nicht von der Welt abkapseln, deren Management sich nicht nur um die Erhaltung und Anlage des Vermögens kümmert, sondern von dem inhaltliche Impulse ausgehen: Phantasie, Kompetenz, Rückgrat, Kommunikationsfreude und Gestaltungswille sind gefragt. Um alles das verwirklichen zu können, müssen Stiftungen mit ausreichendem Kapital ausgestattet sein. Solche Stiftungen sind heute leider noch die Ausnahme, sie sind jedoch neben Staat und Kommunen auf der einen Seite und Sponsoren aus der Wirtschaft auf der anderen als dritte Säule im Gefüge der Kulturforderung notwendig.14 So postuliert Bernhard Freiherr von Loeffelholz Funktion und Aufgabe der Stiftung von morgen.
Fördervereine Der dritte Bereich privater Kulturförderung wird von den Fördervereinen eingenommen. Erstaunlicherweise ist die Dimension des mäzenatischen Engagements auf diesem Sektor bisher weder statistisch erfaßt noch umfassend dargestellt worden - immerhin
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gibt es in der Bundesrepublik (ohne neue Bundesländer) mehr als 8500 Gemeinden, in denen sich ein Vereinsleben entfeiten kann und zumeist entfeitet hat. In einer Vielzahl dieser Kommunen leben meist mittelständische Unternehmen, die zwar vorzugsweise den lokalen Sport fördern, ihr Mäzenatentum aber durchaus auch auf die in den Vereinen verkörperte lokale Kultur ausdehnen. Das Ausmaß dieser privatwirtschaftlichen Beteiligung am öffentlichen Kulturleben ist weitgehend unbekannt. Dabei ist die Bundesrepublik überreich an Vereinen, die sich vorwiegend der Pflege der Musik oder der bildenden Kunst widmen. Auch hier fehlt eine statistische Übersicht. Es gab, nach einer Schätzung von 1985, rund 120 Kunstvereine, 20 Museumsvereine, 2000 historische, Denkmals- und Brauchtumsvereine, aber 43000 Gesangsvereine und Chöre. Im vereinigten Deutschland sind es sicherlich noch weit mehr. Zwar sind diese Vereine, wie Jochem von Uslar-Gleichen konstatiert, zunehmend weniger lebensfähig ohne Zuwendungen der öffentlichen Hand. "Es bleibt jedoch ein beachüicher, finanziell ins Gewicht feilender Faktor eigener finanzieller Leistungen. Sie akkumulieren sich aus einer Vielzahl finanzieller Verpflichtungen und Spenden. Auch dies ist Mäzenatentum. Der ortsansässige, ortsbezogene Bürger, der einem Verein beitritt, zahlt in Form von Mitgliedsbeiträgen für die Kultur."15 Und die ortsansässigen Unternehmen leisten mit ihren Zuwendungen an Sach- und Personalleistungen für diese Vereine oft mehr, als ihr Werbebudget für Sponsormaßnahmen vorsieht. Der Unternehmer oder das Unternehmen, das sich in dieser Weise als Förderer im lokalen Kulturleben engagiert, tritt meist mit seinem Namen kaum in Erscheinung und beteiligt sich auch nicht unmittelbar an der Durchführung von Projekten. Jedoch, wieviel Enthusiasmus, wieviel uneigennützige Liebe zur Kunst (oder was dafür gehalten wird), wieviel Sachverstand wirkt hier im verborgenen! Das ist die Domäne der ehrenamtlichen Vereinsvorsitzenden und Schriftführer, Rechnungsprüfer und Jugendwarte, das ist die als Freizeitbeschäftigung deklarierte Feierabendtätigkeit von Geschäftsführern und Ingenieuren, Sekretärinnen und Buchhaltern, Handwerksmeistern und Sparkassendirektoren. "Secondment" nennt man inzwischen diese Überlassung menschlicher Arbeitskraft in Form von Management-Unterstützung, wenn sie von Großunternehmen betrieben wird und deren Führungskräfte involviert. In den USA ist diese Praxis gang und gäbe, bei uns findet sie allmählich als "Senior Experten Service" Verbreitung. Erfreulicherweise kommt sie derzeit überwiegend auch den neuen Bundesländern zugute. Die Bedeutung der lokalen und regionalen Kunst- und Fördervereine ist nicht hoch genug zu veranschlagen. Kunstvereine haben in Deutschland eine lange Tradition. Ihre Entwicklung ging einher mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert; nach ihrem Selbstverständnis waren sie die bürgerliche Kunstvermittlungsinstanz schlechthin. Auch heute noch betrachten die Kunstvereine die Erfüllung ihrer Vermittlungsfunktion als wichtigste Aufgabe. Daneben erhalten die Kunstfördervereine, die sich den Erwerb einzelner Kunstwerke zum Auf- oder Ausbau bestehender Sammlungen als Hauptaufgabe stellen, angesichts der Haushaltslage unserer Kommunen zunehmend an Gewicht. Die Bedeutung all dieser Vereine als Gegenstand privater Förderung durch die Wirtschaft wird durch die schon erwähnte Studie des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie bestätigt. In der Häufigkeit der Nennungen von Empfangern privatwirtschaftlicher Förderung stehen für rund 1100 beteiligte Unternehmen die Kunst- und Kulturvereine mit 60 Prozent an der Spitze.16 Der Geldwert der hier investierten Sach- und Personalaufwendungen erreicht sicherlich einen dreistelligen Millionenbetrag, erhöht also die in den Bilanzen ausgewiesenen Summen privatwirtschaftlicher Kulturförderung nochmals um mindestens ein Drittel.
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Kulturförderung durch Unternehmen Was veranlaßt ein Wirtschaftsunternehmen, sich im Kulturbereich zu engagieren? Diese Frage beschäftigt seit einigen Jahren die Feuilletonisten genauso wie die Studenten der Betriebswirtschaftslehre. Renate Müller hat in ihrer Diplomarbeit für die Hochschule St. Gallen 1991 eine Motivanalyse versucht.17 Sie unterscheidet zwischen unternehmensbezogenen, kulturbezogenen und gesellschaftsbezogenen Motiven für bzw. gegen Kulturförderung. Im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen heute - zu Recht oder zu Unrecht - vor allem die gesellschaftsbezogenen Motive, die überwiegend von den Unternehmen selbst als Begründung kulturellen Engagements ins Treffen geführt werden. Renate Müller: Eine aktive Kulturförderung wird von Seiten der Unternehmen sehr oft mit der Wahrnehmung und gleichzeitigen Demonstration gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung begründet. Das Unternehmen ist selbst Teil der Gesellschaft. Es kann sich nicht losgelöst von dieser entwickeln, sondern muß Veränderungen in der Gesellschaft erkennen und in seinem Handeln berücksichtigen. Im Rahmen der gesellschaftlichen Funktion nimmt es auch kulturelle Aufgaben wahr: die Entwicklung von langfristig sinnvollen Zielen und Wertvorstellungen ist ein Aspekt. Und: Indem das Unternehmen bewußt seine Funktion in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und gegenüber dem Individuum wahrnimmt, kann von 'praktizierter Selbstverantwortung' als Motiv gesprochen werden.18 Soweit die Theorie. In der Praxis liegt der Schwerpunkt, je nach Interessenlage des einzelnen Unternehmens, entweder bei der Mitarbeiter-orientierten oder bei der Unternehmens-orientierten Kulturförderung. Mitarbeiter-oríentíerte Kulturforderung. Das Modell der Mitarbeiter-orientierten Kulturforderung ist wahrscheinlich die älteste und originärste Form des Zusammenwirkens von Wirtschaft und Kultur seit Beginn des Industriezeitalters. Es waren nicht hehre sozialpolitische Überzeugungen, sondern ganz reale firmenbezogene Überlegungen, die dazu führten, daß die rasch wachsenden deutschen Konzerne der Stahl-, der Elektroindustrie und der Chemie in den letzten Jahrzehnten des 19. und im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts soziale und kulturelle Einrichtungen für ihre Arbeiter und Angestellten schufen. Alfried Krupp in Essen machte den Anfang, die Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer & Co. in Leverkusen, die Firma Siemens und Halske in Berlin, die Badische Anilin- und Soda-Fabrik in Mannheim und später in Ludwigshafen zogen nach, und manch anderer klingender Firmenname, auf dem Weg vom Familienunternehmen zur Aktiengesellschaft, schloß sich an. Sie alle sahen die gleiche Notwendigkeit und sorgten für ähnliche Abhilfe: den ständig wachsenden technischen Anforderungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten mit Hilfe von Mitarbeitern gerecht zu werden, die qualifiziert und motiviert, seßhaft und zufrieden waren. Vor allem die Fluktuation bereitete in der Anfängsphase der Industrialisierung Sorgen. Wem es an einem Arbeitsplatz nicht gefiel, der zog einlach weiter, den Rhein entlang, die Elbe hinunter, dem nächsten Industriestandort entgegen. Denn viele der rasch expandierenden Unternehmen hatten sich, um die Produktionsstätten erweitern zu können, am Rand oder abseits der großen Städte angesiedelt - und muß-
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ten nun erkennen, daß der Lohn allein nicht ausreichte, den Mitarbeiter zu halten. Wo Wohnungen, Schulen, Kaufhäuser, Sportstätten, Freizeiteinrichtungen fehlten, dort geboten es unternehmerische Vernunft und handfestes Eigeninteresse, diese Einrichtungen selbst zu schaffen und zu unterhalten. Neben Einrichtungen "zur Hebung der materiellen Lage und zur Verbesserung der Lebensführung", so vermerkt etwa die Firmengeschichte der Bayer AG Leverkusen, entstanden auch solche "zur Hebung der allgemeinen Bildung und zur Förderung der Geselligkeit". Das Unternehmenskonzept des Leverkusener Chemiekonzerns nahm in seinen zentralen Punkten Forderungen der zeitgenössischen Volksbildungsarbeit auf und war zugleich, ebenso wie die Bildungs- und Wohlfahrtspflege anderer deutscher Unternehmen, auch ein Ausdruck gesellschaftspolitischer Hoffnungen und Befürchtungen: angelegt auf ein harmonisches Verhältnis und eine gefestigte Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einerseits, auf die Abwehr sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Mobilisierung andererseits. Mitarbeiter-orientierte Kulturforderung hatte damals drei konkrete Ziele: Bildung, Entspannung, Betätigung. Aus den firmeneigenen Bildungsangeboten mit Volksbildungscharakter ist mit den Jahrzehnten ein umfangreiches und hochqualifiziertes Ausund Weiterbildungsprogramm geworden. Bei den Freizeiteinrichtungen - vor allem im Sport, aber auch im Hobbybereich - wetteifern inzwischen Unternehmen und Kommune in nicht immer friedlichem Wettbewerb. Nahezu unverändert hat sich allein die Anstiftung zur Kreativität und die Ermöglichung musischer Betätigung erhalten; davon legt heute in der Bundesrepublik eine Vielzahl von Firmenorchestern und WerksChören, von Ausstellungen und Theaterabenden der Firmenmitarbeiter, aber auch von Aktionen von Auszubildenden mit Künstlern oder von Kulturreisen der Werkspensionäre eindrucksvoll Zeugnis ab. Solche Aktivitäten schmücken nicht nur die Jahresberichte der Wirtschafts- und Industrieunternehmen - das deutsche Kulturleben wäre insgesamt ärmer ohne die zahllosen großen und kleinen Ereignisse und Ergebnisse Mitarbeiter-orientierter Kulturförderung. "Wir sind uns bewußt, daß die Zukunft unserer Industrie zu einem großen Teil von der Qualität unserer Mitarbeiter abhängt, die wir gewinnen und halten können. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein ..., und es ist deshalb wichtig, daß wir imstande sind, den Menschen in unserer Gegend auch etwas mehr zu bieten."19 Philip Rosenthal wird mit dieser Äußerung nicht bloß deshalb zitiert, weil er die Erkenntnisse der Konzernherren aus der Gründerzeit erst 1956 mit der Gründung des "RosenthalFeierabends" für die Prozellanstadt Selb in die Tat umgesetzt hat, sondern vor allem, weil sein Fördermodell mehr den Kunstkonsum als die Förderung der Kreativität zum Inhalt hat. Wie Rosenthal in Selb, so übernimmt Audi in Ingolstadt, VW in Wolfsburg, die Hoechst AG in Höchst oder Boehringer in Ingelheim die Rolle des lokalen Kulturveranstalters, oft bis hin zu einem firmeneigenen Konzert-, Theater- oder Ausstellungsmanagement. Solche "Selbstverpflichtung" zu einer "Feierabend-Kultur" hat, wie selbst Karla Fohrbeck rühmt, "wenig mit Stammtisch oder Fernsehidylle gemein, aber viel mit hoher künstlerischer Qualität, Risikobereitschaft bei Erst- und Uraufführungen im musikalischen und darstellenden Bereich, Experimentierfreude mit der visuellen Avantgarde und Offenheit im internationalen Kulturaustausch"20. Unternehmens-orientierte Kulturförderung. Qualitätsbewußtsein schaffen, Innovationen ermöglichen und Nachwuchs fördern: das sind freilich auch die Zielsetzungen, an denen ein Unternehmen wie BMW seine Kulturforderung orientiert, ohne daß dabei
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- wie dies noch vor zehn Jahren der Fall war - ein Firmeninteresse als lokaler Veranstalter mit regelmäßigen Programmen für die Mitarbeiter im Vordergrund steht. Dieses und viele weitere Beispiele zeigen, daß die Grenzen zwischen Mitarbeiter- und Unternehmens-orientierter Kulturförderung fließend sind. Das Kulturkonzept des bayerischen Automobilkonzerns wurde 1988 neu formuliert; daß es zu den "durchdachtesten und erfolgreichsten Konzeptionen" in diesem Bereich gehört, bestätigte eine vom Institut für Wirtschaftsforschung Dr. Doeblin unter Kulturjournalisten durchgeführte Umfrage. Ausführlich beschäftigt sich die Dissertation von Birgit Grüßer zum Thema Kultursponsoring, die inzwischen als Handbuch erschienen ist, mit diesem Konzept: Das Kulturprogramm bei BMW ist in die langfristige Unternehmensstrategie eingebettet und verfolgt soziokulturelle Ziele mit Hilfe standortbezogener Projekte, aber auch absatzmarktspezifische Ziele durch den Einsatz PR-wirksamer, national und international angelegter Projekte. Der Kulturetat liegt hierfür bei 1 bis 2 MillionenDM p.a. Bis 1988 lag der Schwerpunkt eher bei den standortbezogenen Aktivitäten. ... Das neue Kulturkonzept sieht folgende Zielsetzungen vor: - Erzeugung/Erhaltung der Sympathie zu Unternehmen und Produkt (Abbau von Ablehnung, Angst und Neid), - Verständnis erzeugen/erhalten für die Art, wie wir sein müssen (es ist nicht immer möglich, nett zu sein), - gesellschaftliche Gesamtverantwortung leben und demonstrieren, - Vorbildlichkeit demonstrieren (BMW gehört zur Elite), - neue Wege ausstecken (d.h. solche Wege als Pionier suchen und gangbar machen), damit wir unserer Intention als Innovator auch kulturell entsprechen.21 Unternehmens-orientiert wie BMW betreiben heute eine Vielzahl von Firmen, vor allem der Großindustrie, ihre Kunst- und Kulturförderung. Gerade bei großen Unternehmen "beschränkt sich das kulturelle Engagement nicht auf einige kleine Betätigungsfelder, sondern umfaßt, im Rahmen eines Corporate-Identity-Konzeptes, ein großes Spektrum kultureller und künstlerischer Ausdrucksformen"22. Die Namen Daimler-Benz, IBM, Siemens, Lufthansa, AEG, Philips, Sony, Philip Morris seien hier stellvertretend genannt. Beim einen steht ein produktorientiertes Interesse im Vordergrund, beim anderen die Marktstrategie, bei einem dritten die Gewinnung oder die Sicherung des Standortvorteils. Im "Initiativkreis Ruhrgebiet" haben sich gleich 60 Unternehmen zusammengeschlossen, um durch die Förderung von Wissenschafts- und Kunstaktivitäten einer von der Kohle- und Stahlkrise geschüttelten Region wieder zu Standfestigkeit und Attraktivität zu verhelfen. Kundenpflege, Akquisition und Sympathiewerbung in der Öffentlichkeit sind die Unternehmensziele der Banken und Versicherungen: Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, WestLB, Bayerische Hypo, um nur einige Institute zu nennen, kaufen zeitgenössische Kunst oder erwerben Werke alter Meister, um sie entweder der hauseigenen Sammlung einzuverleiben oder an Museen und andere öffentliche Einrichtungen zu verleihen. Der Gerling-Konzern oder die Nordstern-Versicherung wiederum haben sich an der Restaurierung der Kölner romanischen Kirchen beteiligt. All diese Beispiele zeigen: Ebenso vielfältig wie die Motive sind die Anwendungsmöglichkeiten solcher Förderung. Gemeinsam ist allen, die sich an den Slogan "Tue Gutes und rede darüber!" halten, nur eines: Sie behaupten, damit kein Sponsoring zu betreiben.
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Sponsoring Was ist dann noch Sponsoring? Erstens: nichts Ehrenrühriges. Auch wenn das Wort Sponsoring allmählich vom Mode- zum Reizwort geworden ist, auch wenn die Kultursponsoring-treibenden Firmen dabei verschämt die Augen niederschlagen, die vom Sponsoring ohnedies verschont gebliebenen Künstler um ihre Unschuld fürchten, auch wenn die Kulturkritiker das Phänomen mit gerunzelter Stirn analysieren und die Kulturverwalter der öffentlichen Hand sich nur widerwillig damit befassen: Sponsoring ist ein reelles Geschäft. Und das ist so redlich, wie jedes Geschäft auf dieser Welt redlich ist wenn die Geschäftspartner es redlich miteinander meinen. Geschäft heißt auch: Kein Almosen. Es geht grundsätzlich um Größenordnungen, die Eindruck machen - auf die Konkurrenz genauso wie auf das Finanzamt. Zweitens: etwas Nützliches. Beide Seiten profitieren davon, denn Sponsoring ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Sponsoring basiert auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung, und funktioniert auch nur dann, wenn zwei vergleichbare Leistungsgrößen ausgetauscht werden. Die Kommunikationswissenschaft spricht vom Imagetransfer, die Soziologie vom Interessenausgleich zwischen Kultur und Wirtschaft. Drittens: etwas sehr Zeitgemäßes. Sponsoring ist der perfekte Ausdruck unseres Werbezeitalters. Zweierlei mußte zusammentreffen: die totale Vereinnahmung des Menschen durch die Medien und die Perfektionierung des industriellen Produkts bis zur Gesichtslosigkeit. Seit es Unternehmen gibt, deren Produkte für den Konsumenten nicht mehr unterscheidbar sind, müssen sich diese Unternehmen durch Ersatzmaßnahmen ein Image verschaffen, das jenseits der Produktpalette liegt: Der Erfolg des Boris Becker heftet sich an das von ihm benutzte Produkt, die Originalität des Luciano Pavarotti überträgt sich in der Meinung der Öffentlichkeit auf das Unternehmen, das seinen Auftritt sponsert. Eine knappe Definition von Sponsoring gibt Manfred Bruhn: Sponsoring bedeutet die - Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten, - die mit der Bereitstellung von Geld- oder Sachmitteln durch Unternehmen - für Personen und Organisationen im sportlichen, kulturellen oder sozialen Bereich - zur Erreichung von unternehmerischen Marketing- und Kommunikationszielen verbunden sind.23 Ungezählte andere Definitionen beschreiben mit anderen Worten den gleichen Sachverhalt. So definiert der Soziologe Alphons Silbermann im unveröffentlichten Exposé zu einem Forschungsprojekt seines Kölner Instituts für Massenkommunikation: Sponsoring ist - im deutlichen Unterschied zum klassischen Mäzenatentum - als wirtschaftliche und gesellschaftliche Handlung zu verstehen, bei der ein Wirtschafisunternehmen materielle und/oder finanzielle Güter, Dienstleistungen und/oder Know-how einem nicht-wirtschaftlichen Bereich in Erwartung von Gegenleistungen des Geförderten zur Verfugung stellt. Diese Gegenleistung kann in ideeller und/oder materieller Form erfolgen und betrifft in aller Regel die Kommunikationspolitik des Unternehmens auf dem Markt. Sponsoring ist damit Teil des sogenannten 'Marketingmix' eines Wirtschaftsunternehmens und unterliegt den Gesetzmäßigkeiten der Nutzenmaximierung dieses Unternehmens: mit seinem nicht-wirtschaftlichen Enga-
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gement (z. B. im Kunst-Bereich) verfolgt das Unternehmen eine wirtschaftliche Absicht.24 Wie stark die wirtschaftliche Macht des Sponsoring ist, mögen einige Zahlen verdeutlichen: Wurden noch 1985 in Deutschland 210 Millionen DM für Sponsoraktivitäten ausgegeben, so waren es 1987 bereits 600 Millionen DM und 1988 schon nahezu das Doppelte, nämlich 1,1 Milliarden DM. Das freilich waren nur knapp 15 Prozent dessen, was im gleichen Jahr 1988 insgesamt für Werbung in der Bundesrepublik aufgewendet wurde: 17 Milliarden DM. Angesichts dieser Zahlen hat es vielleicht sogar etwas Tröstliches, zu erfahren, daß rund 80 Prozent des Sponsoringvolumens in das Sportsponsoring gehen und nur rund 15 Prozent in das Kultursponsoring. Das waren 1988 165 Millionen und 1992 - geschätzt - 300 Millionen DM. Spätestens an diesem Punkt ist es an der Zeit, auch von Chancen und Risiken der Kulturförderung zu reden - vielleicht sollte es besser heißen: von den Chancen und Risiken der Kultur angesichts solch massiver Förderung durch das Sponsoring. Sind die Chancen wirklich so groß, wie uns die wie Pilze aus dem Boden schießenden Sponsorvermittlungs-Agenturen immer weismachen wollen? Sind die Risiken wirklich so hoch, ist der Einfluß der Sponsoren auf die gesponserte Kunst und Kultur wirklich so stark, wie die Zahlen dies suggerieren? Bei beiden Fragen steht Meinung gegen Meinung. So kann man hören, daß die Kultur als Investitionsbereich für Firmen deshalb zunehmend interessanter wird, weil sie das einzige "intakte Refugium" ist, wo Geld noch ohne "schlechten Ruf' eingebracht werden kann - Negativbeispiel sei derzeit der Sport, der durch Skandale, Doping und Hops seiner exponiertesten Leistungsträger sein Ansehen und seine Attraktiviträt, gerade auch für Sponsoren, verspielt habe. Andererseits begegnet es uns immer öfter, daß Politiker und Repräsentanten des Staates ihre ehrgeizigen Projekte mit dem Bemerken ankündigen, die Finanzierung müsse über Sponsoren aufgebracht werden, als wäre Sponsoring ein Selbstbedienungsladen. Auch manche Künstler neigen dazu, bei der Frage nach der Finanzierbarkeit ihrer Ideen an die Grenze ihrer Kreativität zu stoßen und in den etwas naiven Hilferuf nach dem Sponsor auszubrechen. So kommt es zu dem sonderbaren Phänomen, daß gerade jene Form der Kunstförderung, die in hohem Maße professionell betrieben werden muß und schon darum auf viele unangenehm wirkt, oft auf zwar gutwillige, aber ahnungslose und amateurhafte Partner trifft. Kein Wunder, daß Sponsorfirmen auf Nummer sicher gehen und das markenartikelhafte Kunstprodukt der risikoreichen Zusammenarbeit mit einem Künstler vorziehen - was ihren schlechten Ruf natürlich noch verstärkt. So ist es nicht nur in der sich abschwächenden Konjunktur und in den Lasten der deutschen Wiedervereinigung begründet, wenn sich die Unternehmen und die Unternehmer zu dem Werbeinstrument " Kultursponsoring " schon wieder skeptischer und zurückhaltender verhalten. Die kürzlich veröffentlichte zweite Untersuchung des IfoInstituts für Wirtschaftsforschung in München zum Thema "Wechselwirkungen zwischen Kultur und Wirtschaft" konstatiert, wenn auch vorsichtig, daß die Neigung zum Kultursponsoring seit neuestem stagniert und zum Teil sogar abnimmt, während "andere Förderformen, die sich unter dem Stichwort 'Soziosponsoring' zusammenfassen lassen", im Vormarsch sind.25 Das mag alle jene aufatmen lassen, die immer wieder vor einer Vermengung wirtschaftlicher Interessen mit künstlerischen Zielen gewarnt haben. Man kann es ihnen nachfühlen, daß sie aus dem Doppelsinn des Satzes "It takes art to make a company great", den George Weissman für das Zigarettenim-
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perium von Philip Morris geprägt hat, immer nur die negative, die Kunst bedrohende Bedeutung herausgehört haben.
Der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft Diese Entwicklung legt es auch nahe, als letztes Modell privater Kulturförderung jene Einrichtung vorzustellen, die als idealer Hort für alle Möglichkeiten der Förderung durch Unternehmen außerhalb des Sponsorings erscheint: den Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Einundvierzig Jahre lang ist er der "Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie" gewesen und hat als solcher unter seinen rund 400 Mitgliedern mehr als 25 Millionen DM aufgebracht, um damit mehr als 800 Künstlern Preise, Stipendien und Förderungen verschiedenster Art zuteil werden zu lassen; den Zusatz "der deutschen Wirtschaft" hat sich der Kulturkreis erst im September 1992 gegeben, um die verstärkte Öffnung für nicht-industrielle Mitgliedsunternehmen auch in seinem Namen deutlich zu machen. Denn Versicherungen, Banken und Dienstleistungsunternehmen, vor allem aber auch Vertreter der mittelständischen Wirtschaft sollen zunehmend zum Kulturkreis stoßen und sich dort genauso repräsentiert finden wie die Großindustrie. In der Rechtsform des gemeinnützigen Vereins bietet der Kulturkreis all denen, die sich der Kunstförderung nicht bloß aus ökonomischem Interesse, sondern aus echt kulturbezogenen Motiven widmen, eine Heimat - und mehr: die Verbindung und den Umgang mit den geförderten Künstlern. In vier Gremien - für bildende Kunst, Literatur, Musik und Architektur - werden die Förderungsmaßnahmen beraten, Auszeichnungen vergeben und die Präsentationen der Geförderten vorbereitet; in jedem Gremium wirken Unternehmer als engagierte Laien mit Fachberatern zusammen, die das Urteil professionell und die Entscheidung unanfechtbar machen. Auf den Jahrestagungen, die Mitglieder und geförderte Künstler jedesmal in einer anderen deutschen Stadt zusammenführen, lesen die preisgekrönten Schriftsteller aus ihren Werken, zeigen die Künstler und Architekten ihre mit Preisen und Förderpreisen bedachten Werke in Ausstellungen, geben die Gewinner des Musikwettbewerbs ein Konzert. Sie alle erfahren Anerkennung und spüren Neugier, stellen sich der Auseinandersetzung mit ihren Förderern und schließen Freundschaft mit ihnen, und letztlich zählt dieses Aufeinanderzugehen mehr als der Scheck, den ihnen der Vorsitzende überreicht. Da gibt es nicht immer nur Konsens und Wohlgefallen. Mancher Künstler tut sich zunächst ebenso schwer mit den Industriebossen wie der Wirtschaftsmann mit den Hervorbringungen zeitgenössischer Kunst. Karla Fohrbeck hat vom Kulturkreis als von einer "Risikogemeinschaft von Kunst und Wirtschaft"26 gesprochen - ein sehr zutreffendes Etikett für das Selbstverständnis des Kulturkreises. "Tue Gutes und rede darüber": Das gilt auch für den Kulturkreis der deutschen Wirtschaft. Die Mittel allerdings, die er dazu einsetzt, Gutes zu tun, stammen aus Beiträgen der persönlichen Mitglieder und aus den Spendentöpfen der Mitgliedsunternehmen - und nicht aus ihren Werbebudgets. Das unterscheidet die Kulturkreis-Förderungen vom Sponsoring ebenso wie die Tatsache, daß sie aus einem großen anonymen Topf finanziert werden, in den alle Spenden und Beiträge geflossen sind: Kein Künstler weiß, aus wessen Tasche seine Auszeichnung oder sein Stipendium bezahlt wird, und kein Unternehmen kann steuern, wem seine Zuwendung zugute kommen soll.
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Noch mehr aber unterscheidet den Kulturkreis von allen anderen Modellen der Kunstund Künstlerforderung die Partnerschaft mit den Geforderten, der aus Zuneigung und Respekt, aus Distanz und Nähe richtig dosierte Umgang mit den Künstlern, das "Prinzip Verantwortung" (Hans Jonas) für die ihm anvertrauten Menschen.
Anmerkungen 1
Privates Mäzenatentum - Zur Bedeutung der Privatinitiative als Ergänzung staatlicher Kulturpolitik bei der Förderung von Kunst und Kultur, 3. Kulturpolitisches Symposium der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag, Mülheim an der Ruhr, 19.11.1984, Dokumentation, hg. von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag, Bonn 1985, S. 6.
2
Kultursponsoring — Neue Wege für die kommunale Kultur?, hg. von der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU in Nordrhein-Westfalen e.V., Recklinghausen 1989, S. 14.
3
Die Wirtschaft als Kulturförderer, Ergebnisse einer Befragung bei den Mitgliedern der Vollversammlungen aller Industrie- und Handelskammern in der Bundesrepublik Deutschland, hg. vom Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Köln 1987.
4
Marlies Hummel/Karl-Heinz Brodbeck, Längerfristige Wechselwirkungen zwischen kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung, Schriftenreihe des IfoInstituts für Wirtschaftsforschung Nr. 128, Berlin/München 1991; vgl. auch: Marlies Hummel/Manfred Berger, Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur, Gutachten im Auftrag des Bundesministers des Innern, Schriftenreihe des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Nr. 122, Berlin/ München 1988. Div. Veröffentlichungen in der Schriftenreihe "Kultur und Staat", z.B Kunstförderung im internationalen Vergleich, Literaturförderung im internationalen Vergleich, hg. vom Archiv für Kulturpolitik (ARCult) beim Zentrum für Kulturforschung, Köln 1981; vgl. auch das Feldforschungsprojekt "Kulturbarometer" des Zentrums für Kulturforschung, Bonn 1991.
5
Die Kulturwirtschaft von Nordrhein-Westfalen im Vergleich, Kulturwirtschaftsbericht 1991/2, hg. von der Arbeitsgemeinschaft Kulturwirtschaftsbericht NRW, ARCult - Archiv für Kulturpolitik, Düsseldorf/Bonn 1992. Kultur als Wirtschaftsfaktor in Berlin, eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW im Auftrag der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, Berlin 1992.
6
Kultur als Wirtschaftsfaktor in Berlin, a.a.O., S. 127-129.
7
Jürgen Ponto, Begegnung von Kunst und Wirtschaft in unserer Zeit, hg. vom Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Sonderdruck, Köln 1973.
8
Karla Fohrbeck, Renaissance der Mäzene?, Köln 1989.
9
Nach Karla Fohrbeck, a.a.O., S. 42-43.
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10
Rupert Graf Strachwitz, 'Unternehmen als Sponsoren, Förderer, Spender und Stifter', unveröff. Manuskript, 1992, S. 8.
11
Franz Fechner, '"Patriot und Europäer" - Maecenas-Ehrung an Alfred Toepfer in Weimar', in: Kulturberichte, hg. vom Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V. (AsKI), 1/1992, S. 5 - 6
12
In: 'Stiftung van Meeteren 1980-1990', hg. von Udo van Meeteren, Privatdruck, Düsseldorf 1991, S. 7.
13
Verzeichnis der Deutschen Stiftungen, hg. vom Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V., Darmstadt 1991.
14
Bernhard Freiherr von Loeffelholz, 'Die dritte Säule der Kulturförderung Ein Plädoyer für mehr Stiftungen', Sonderdruck aus der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 15.12.1990.
15
Jochem von Uslar-Gleichen, 'Privates Mäzenatentum - Eine Bestandsaufnahme', in: Der Städtetag, hg. vom Deutschen Städtetag Köln, 6/1985, S. 401.
16
Jochem von Uslar-Gleichen, a.a.O., S. 25.
17
Renate Müller, 'Aktive Kulturförderung als Managementaufgabe - Beweggründe, Entwicklungsstand und Perspektiven', Diplomarbeit für die Hochschule St. Gallen, St. Gallen 1991, unveröff., S. 10-23.
18
Renate Müller, a.a.O., S. 18.
19
Karla Fohrbeck, a.a.O., S. 225.
20
Karla Fohrbeck, a.a.O., S. 225.
21
Birgit Grüßer, Handbuch Kultursponsoring - Ideen und Beispiele aus der Praxis, Hannover 1992, S. 45 und S. 50.
22
Birgit Grüßer, a.a.O., S. 45.
23
Manfred Bruhn, Sponsoring, Frankfurt a.M./Wiesbaden 1987, S. 16.
24
In: 'Kultursponsoring - Exposé zu einem Forschungsprojekt', Kölner Institut für Massenkommunikation e.V., Köln 1992, unveröff., S. 2.
25
Vgl. Wirtschaftliche Entwicklungstrends von Kunst und Kultur, Schriftenreihe des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Nr. 132, München/Berlin 1992.
26
Wirtschaftliche Entwicklungstrends, a.a.O., S. 164.
Vor einem "Post-Maastricht-Syndrom"? Kulturpolitische Aufgaben im Prozeß der europäischen Einigung Andreas J. Wiesand
Ginge es nur nach den Terminkalendern der Politiker, könnte man meinen, das kulturpolitische Europa habe sein Soll bereits übererfüllt: Da beschließt im Herbst 1992 die Europäische Kulturministerkonferenz in Paris eine Erklärung über die Notwendigkeit, literarische Werke, ihre Übersetzung und speziell die Buchkultur zu fördern.1 Ein ähnliches Programm hatten europäische Kulturminister allerdings auch schon einige Jahre vorher beschlossen.2 Und um das Maß vollzumachen, trafen sie sich im Dezember 1992 gleich noch einmal in Brüssel. Und wieder spielten Buchmarkt und Literaturforderung dabei eine Rolle.
Organisationsformen der Kultur-Kooperation in Europa Die Konferenzhektik der Minister läßt sich aufklären und bleibt dennoch verwirrend: Bei allen drei Konferenzen saßen zwar teilweise die gleichen Personen am runden Tisch, ihre Funktionen unterschieden sich jedoch erheblich. Die Kulturministerkonferenz in Paris fand nämlich unter den Fittichen des Europarats statt (35 Staaten sind Mitglied seiner Kulturkonvention), in den anderen Fällen tagte man dagegen im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft (zwölf Staaten). Seit dem Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages Ende 1993 hat sich die EG selbst in "Europäische Union" (EU) umbenannt. Zur Verwechslung trägt noch bei, daß sich die EG vor einigen Jahren die offizielle Flagge des Europarats ausgeborgt hatte. Da im gleichen Zeitraum auch noch auf weiteren politisch-organisatorischen Ebenen europäische Konferenzen mit ähnlichen Themenstellungen und Ministerbeteiligung stattfeinden, wird man zunächst gut daran tun, das Dickicht etwas zu lichten (siehe Tabelle 1). Die Tabelle icht ist exemplarisch angelegt, und sie berücksichtigt auch nicht mehr die frühere Zusammenarbeit der einst im Warschauer Pakt vereinten Staaten Mittel- und Osteuropas. Zum Klima der Kulturkontakte auf den unterschiedlichen Ebenen läßt sich noch ergänzen, daß Tagungen des Europarats inzwischen als verhältnismäßig offener Erfahrungsaustausch anzusehen sind, dessen Ergebnisse ohne allzu strenge rechtliche Bindungen formuliert werden (und dann entsprechend auch ohne rechtliche Verbindlichkeit bleiben), soweit sie nicht in der Form besonderer Konventionen von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Ahnlich wird man im Nachhinein auch die kulturpolitischen Aktivitäten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) einzustufen haben, wobei hier wie dort fehlende begriffliche Präzision
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Ifabelle 1 Dimensionen und Institutionen der kulturpolitischen Zusammenarbeit in Europa Institutionen
Geographische Dimensionen 1
Rechtliche/politische Grundlagen (für Kulturaktivitäten) 2
Spezielle (kulturpolitische) Institutionen 3
I. Europäisch-zwischenstaatliche und supranationale Institutionen Al. UNESCO
Gesamteuropäische "Reeion" (bis Ural und Idee: "Pflege des (eum- Kaukasus, einschließlich päischen) humanistiNordamerika, Türkei, schen Kulturerbes und Israel); (Ost-Wst-)Nord-Südbis 1990 Subregionen: Dialog " - Westeuropa - Osteuropa - "Neutrale" (heute politisch obsolet)
Gründungsvertrag als zwischenstaatliche Oreanisation am 16.11.1945; indirekt: Allgemeine Erklärung der Menschenreclite (1948), Pakt über "wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" (1966) der UNO; spezielle Abkommen (z.B. "Florenz-Abkommen" über freien Kulturaustausch 1950, Kulturgutschutz 1954/ 1972); Empfehlung der Generalkonferenz
Sektion Kultur und Kommunikation im Pariser Sekretariat; Spezialagenturen und Büros (z.B. für Urheberrecht); 1974 Internationaler Kulturfonds; spezielle Kooperation mit "NonGovemmental Organizations" (NGO) für alle Sparten.
A2. KSZE
KSZE ("Konferenz für Sicherheit und ZusamIdee: "Friedenssichemenarbeit in Europa" rung durch Vertrauens- 1975) ähnlich bildung im UNESCO, aber ohne Ost-mst-Dialog " Israel (Sonderstatus für die Mittelmeerländer)
KSZE: Schlußakte (Konferenz von Helsinki, 1.8.1975)
KSZE: "Korb ΠΙ" sah "Europäische Kulturelle Datenbank" vor (spätere Konferenzen erbrachten noch andere Vorschläge, aber bisher kaum konkrete Ergebnisse).
B. Europarat
Statut vom 5.5.1949; Europäische Kulturkonvention vom 19.12.1954 und andere Abkommen; kulturpolitische Beschlüsse des Ministerkommittees, der Kulturministerkonferenzen und der parlamentarischen Versammlung; "Europäische Kulturdeklaration" (1984); geplant: "Kulturcharta"
1959 Kulturfonds; 1962 Rat für Kulturelle Zusammenarbeit CDCC (regelmäßige Beamtenkonferenzen, Projekte); Direktion für Bildung, Kultur und Sport im Sekretariat in Straßburg; Kulturausschuß der Parlamentarischen Versammlung
Idee: "Europa als (kultur-)politischer Pmzeß und soziokulturelles Fòrum"
29 Mitgliedsstaaten des Europarats, bis 1991 nur Westeuropa, jetzt deutliche Öffnung nach Osten, vor allem in der "Europäischen Kulturkonvention" (1993 über 35 Signatarstaaten nach dem Prinzip "variable Geometrie )
Vor einem "Post-Maastricht-Syndrom?"
Wichtige europäische (Kultur-)Konferenzen
Hauptziele in der Kulturpolitik (80er und 90er Jahre)
Wichtigste Aktionsformen (bis 1992)
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Position in der Frage einer "Europakultur"
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Europäische Regionalkonferenz der Kulturminister (EUROCULT 1972); Regionalkonferenzen nationaler UNESCOKommissionen; Expertenkonferenzen (z.B. Helsinki 1980: "Entwicklung der Kulturpolitik in Europa")
Als Ziele oft genannt: - Cultural dimension of development - Respect cultural identity - Better participation in cultural life - Stimulation of artistic creativity Seit 1988 läuft "Weltdekade fur kulturelle Entwicklung" (ähnliche Ziele, aber z.T. geringe Resonanz).
Unter vielfältigen Aktivitäten für Europa u.a. interessant: - Stipendien für künstlerische literarische Projekte - "Kampagnen" (u.a. Rettung von Baudenkmälern) - Liste "Kultur- und Naturerbe"/World Heritage Fund - "Europäische Joint Studies" und "Intercultural Studies" - Kulturstatistik
Gezielte Unterstützung des Konzepts der (nationalen) kulturellen Identität und eines "WeltKulturerbes"; Förderung des "OstWest-Dialogs" (heute von geringerer Bedeutung) und gemeinsamer europäischer Beiträge zum "Nord-Süd-Dialog"
KSZE-Hauptkonferenz von 1973-75; Folgetreffen und "Kulturerbe "-Tagung (Krakau 1991) ohne große politische Relevanz, anders als das "Kulturelle Forum" Budapest 1985
KSZE-"Korb ΠΙ" nennt u.a.: - öffentliche und private Kontakte - bessere Information zu Kunst und Kulturpolitik - Buch-, Film- und Kunstaustausch - Joint Studies
KSZE: Expertentagungen, Akademiepläne, aber u.a. wegen Nähe zu Aktivitäten von UNESCO und Europarat wenig Konkretes (Projekt "Europäische Kulturelle Datenbank" wurde 1982 z.T. an die UNESCO delegiert)
KSZE: Unterstützung des vor allem sicherheitspolitisch relevanten Programms durch begleitenden kulturellen Ost-West-Dialog (heute eher "Vorfeldinstitution" der Diplomatie)
Europäische Kulturministerkonferenzen seit 1976 (z.B. in Berlin 1984); Konferenz Staatschefs 1993; häufige Fachkonferenzen (z.B. "Staat und Kulturindustrie"); mittelfristige "Projekte" (z.B. für regionale Kulturoolitik, "Evaluation of National Cultural Policies")
Kultur als politisch gestaltbarer, allgemein zugänglicher Teil von Umwelt und Lebensbedingungen ("Kulturentwicklung", aber nach dem Prinzip "Kulturelle Demokratiç"); seit 1985 Öffnung für Kooperation im östlichen Europa (z.B. durch Unterstützung kulturpolitischer Reformprozesse)
Im Kern Abstimmung unter Regierungsvertretem und Parlamentariern, i.d.R. aber vorbereitet von Experten, Studien und Symposien, bei wachsendem Einfluß von "networks" (z.B. CIRCLE); nationale Rückwirkungen der Konventionen; Aktionen" (z.B. kulturelle Reiserouten); Fonds ("Eurimages")
Entwicklung der kulturellen Eigenarten von Ländern, Regionen und Bevölkerungsgruppen durch gemeinsame Aktionen und Austausch; Reflexion über europäisches "Kulturerbe" und politisch-wirtschaftliche "Dimensionen der Kultur"
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libelle 1 Dimensionen und Institutionen der kulturpolitischen Zusammenarbeit in Europa (Fortsetzung) Institutionen
Geographische Dimensionen 1
C. Europäische Union
12 Mitgliedstaaten der EU (west-/Südeuropa); Idee: "Europa als ge- diverse Beitrittskandidameinsamer (Kultur- und turen (zunächst Finnland, Österreich, Medien-) Maria und Schweden, eventuell rechtlich-politische Norwegen); assoziierte Union " Staaten (Ost- und Südçuropa, aber auch in Ubersee)
Rechüiche/politische Spezielle (kulturGrundlagen (für Kultur- politische Institutionen aktivitäten 2
3
EWG-Vertrag von 1957 ohne kulturpolitische Ziele; hilfsweise politische Erklärungen der Staatschefs (z.B. 1973 und 1982), der Kulturminister und des Europäischen Parlaments sowie "Gemeinschaftsaktionen im kulturellen Bereich" der Kommission (1977, 1982, 1987), ähnlich "Kulturkonzept" (1992); Unionsvertrag von Maastricht (1991/93 subsidiäre Rechtsgrundlage für Kulturfragen)
Verschiedene Generaldirektionen der Kommission in Brüssel, darunter GD X für Medien, Information und Kultur (mit Beirat) und "Task-Force" für Bildungsfragen; Ministertreffen, seit 1984 auch von Kulturministern (im Ministerrat der EG); Kulturausschuß des Europäischen Parlaments; 1993 "Ausschuß der Regionen"
Π. (Inter)Regionale Institutionen und professionelle Zusammenschlüsse D. (Tnter-)regionale Institutionen Idee: "Europa als kulturgeschichtlich geprägter Raum "
E. Andere Organisationen Idee: "Europa als Arbeitsfeld'
Verbund von Ländern und Regionen mit kulturell-sprachlichen Gemeinsamkeiten (z.B. "Nordischer Rat": Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden; "Frankophonie" u.a., z.T. über Europa hinausreichend)
Beim Nordischen Rat ähnlich wie Europarat (vgl. B.) : Auf der Basis der Abkommen vom 23.3.1962 und 15.3.1971 arbeiten u.a. ein Ministerrat mit Sekretariat für kulturelle Zusammenarbeit, Kulturausschuß des Nordischen Rats, Nordischer Kulturfonds (1966) etc.
Stiftungen und nichtstaatliche Zusammenschlüsse im europäischen Rahmen (Geographische Reichweite von A.-D.)
Hunderte von Organisationen und "Netzwerken" mit unterschiedlichen Rechtsformen, meist Dachorganisationen nationaler Verbände). Wesentlichen Einfluß auf die Kulturpolitik hat neben Berufsorganisationen (z.B. Journalisten) und Zusammenschlüssen der Kultur- und Medienwirtschaft (z.B. Phono-Industrie) der Stiftungsverbund "European Cultural Foundation" (Amsterdam).
Quelle: Zentrum für Kulturforschung, Bonn 1993
Die anderen regionalen Zusammenschlüsse in Europa haben mehr den Charakter lockerer Arbeitsgemeinschaften, die nur bei besonderen Gelegenheiten politisch aktiv werden (z.B. "Arge ALP , Arbeitsgemeinchaft "Alpen-Adria" sowie andere grenzüberschreitende "Euregios").
Vor einem "Post-Maastricht-Syndrom?"
Wichtige europäische (Kultur-)konferenzen
Hauptziele in der Kulturpolitik (80er und 90er Jahre)
Wichtigste Aktionsformen (bis 1992)
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Position in der Frage einer "Europakultur"
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"Gipfel" der Staatschefs und regelmäßige Treffen von Kulturministern; Debatten des Europäischen Parlaments zu Kulturfragen; Fachkonferenzen (z.B. "Europa im Wandel: die kulturelle Herausforderung" 1987); Events in den Mitgliedstaaten (z.B. Glasgow 1990), Weimar 1999)
Stärkung "europäischer Identität^' u.a. über Projektförderung (z.B. "Kaleidoskop", Literatur, Denkmalpflege); Verbesserung rechtlichökonomischer Lage der Künstler und der Medienwirtschaft; allgemeine ökonomische una politische Ziele der EG in Sicht von Kommission und Gerichtshof auch für Kultur relevant (Aktionen gegen "Wettbewerbsverstöße" und "Diskriminierungen")
Bisher nur für AVMedien (u.a. "MEDIA") und Denkmalpflege intensive Förderung; laufend Kontrolle des Kulturland Medienmarkts, ggf. Intervention (z.B. Verfahren bei Europäischem Gerichtshof gegen nationale Foderprogramme), Harmonisierungsversuche (z.B. Richtlinien im Medienbereich, beim Kulturgutschutz oder beim Urheberrecht), Studien, Anhörungen, Events etc.
Derzeit unklar: einzelne Wortführer streben nach "harmonisierter" Europa-Kultur (Ziel u.a. PR Mr den Binnenmarkt, meist aber Distanz zu Kulturpolitik im eigentlichen Sinne); Vertrag von Maastricht stellt erstmals "nationale und regionale Vielfalt" neben 'gemeinsames kulturelles Erbe" (Subsidiarität bremst politische Ambitionen)
Nordischer Rat: Ständige Regierungs- und Fachkoniferenzen; andere Institutionen: Fallweise Treffen, gelegentlich auch Minister; Europakonferenz der Gemeinden und Regionen in Straßburg (mit Europarat verbunden)
Nordischer Rat: Umfassende Zusammenarbeit in allen kulturellen Bereichen, darin eingeschlossen Kommunikation und Medien (Satelliten-TV etc.) mit Verbindungen zum Bildungswesen. Dabei enge Kooperation auch mit traditionsreichen nichtstaatlichen Einrichtungen ("Norden"-Vereinigungen u.a.)
Fallweise Konferenzen und Mitgliedertagungen, speziell die Europäische Kulturstiftung (mit nationalen Sektionen) veranstaltet große Symposien.
Zusammenarbeit für bestimmte Sachziele, Kultursparten, Medieninteressen, Berufe oder Institutionen, z.T. in Verbindung mit EG, Europarat oder UNESCO; Förderung von multilateralen Projekten (insbesondere der Stiftungen); Lobbytätigkeit bei den europäischen Organisationen; Städtepartnerschaften etc.; Beratung (CIRCLE); gemeinsame Forschung (ERICArts)
Bei anderen Zusammenschlüssen bzw. Arbeitsgemeinschaften eher begrenzte Ziele (z.B. Spracnförderung, gemeinsame Kulturveranstaltungen). Jugoslawien-Konflikt führte Studie der "Arge. Alpen-Adria" über ethnische-sprachliche Minderheiten (1990) ad absurdum.
Einbringen regionaler oder sprachlicher Gemeinsamkeiten in den größeren europäischen und internationalen Kontext; z.T. auch Versuch der Behauptung als Ensemble gegenüber größeren politisch-kommerziellen Kräften
Sehr unterschiedliche Positionen, meist aber pragmatische Sicht (Interesse an Eigenprofilierung kann z.B. bei Lobbies und networks "Europaideal" überlagern).
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und Sanktionsmöglichkeiten nicht unbedingt darauf schließen lassen, daß die Kontakte politisch ohne Wert und einflußlos in den jeweiligen nationalen Terrains gewesen sind. Diesen Ruf hat schon eher die Weltorganisation UNESCO, zugleich eine weitere Karte im Spiel der europäischen Kulturdiplomatie, die freilich seit dem Austritt der USA und Großbritanniens und seit dem Abflauen des globalen Ost-West-Konflikts, in dem sie gelegentlich Verbindungsfunktionen auf diplomatisch niedrigen Level ermöglichte, kaum mehr als Trumpfkarte bezeichnet werden kann. Im Vergleich zu diesen und anderen Europa-Ebenen war und ist die EG/EU stets sehr streng in das System ihrer originären Zuständigkeiten eingepaßt, unter denen bis vor kurzem ein kultureller Bezug völlig fehlte. So bedurfte es z.B. einer langen Zeit und dann auch erheblicher verbaler Klimmzüge, bis sich die Kulturminister aus den Mitgliedsstaaten überhaupt zum ersten Mal auf EG-Ebene treffen konnten.3 Und was die Brüsseler Kommission als "Gemeinschaftsaktion im Kulturbereich" seit 1977 propagiert und bis 1992 fortgeschrieben hat, konnte sich zwar auf das Wohlwollen einiger Politiker stützen, beruhte ansonsten aber zu großen Teilen nur auf abgeleiteten Zuständigkeiten aus dem Wirtschafts- und Steuerrecht, der Sozialpolitik und dem Niederlassungsrecht, gelegentlich wurden auch Initiativen des Europäischen Parlaments aufgegriffen (z.B. die Förderung des "Europäischen Jugendorchesters"). Gleichwohl nahmen die kulturell relevanten Aktivitäten, zum Mißvergnügen mancher Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft, schon in den achtziger Jahren ständig zu. Was da, teilweise am Rande der EG-Legalität, an Förderprogrammen sowie Tagungen, Ausstellungen und anderen Großevents alles veranstaltet wurde - z.B. im Zusammenhang mit der Designation bestimmter Orte als quasi-offizielle "Europäische Kultur(haupt)städte" - hatte nicht zuletzt mit Profilierungsfragen zu tun.4 Nachdem sich im Verlauf der siebziger Jahre auf zahlreichen anderen politischen Ebenen (Europarat, UNESCO, Verbände etc.) kultur- und medienpolitische Kontakte ständig intensiviert hatten und sich allmählich herumsprach, daß die Kulturpolitik in ihrer Vielfalt durchaus zu den für Politiker attraktiven Gestaltungsfeldern mit öffentlicher Resonanz zählen kann, verstärkte sich auch bei der EG das Interesse, ihr stets gefährdetes Image in der Öffentlichkeit durch die Förderung einer sogenannten europäischen Identität aufzubessern. Wegen deren heute allgemein anerkannter PR-Wirkung erschienen dafür nicht zuletzt kulturelle Aktivitäten als besonders geeignet, und in der Folge häuften sich entsprechende Veranstaltungen, europäische Festivals und andere Medienaktivitäten. Man darf nun allerdings nicht in den Fehler verfallen, solche Entwicklungen allein oder auch nur in der Hauptsache einer anonymen Brüsseler Bürokratie anzulasten. Tatsächlich, so Kathinka Dittrich van Weringh (Goethe-Institut), sind es ja zunächst einmal die Vertreter der Mitgliedsstaaten, die über Projekte wie die "Kulturstadt Europas" entscheiden und anschließend oft einem Hang zu großspuriger Repräsentation frönen: Ort und Zeitpunkt fur die Kulturstädte Europas werden von Politikern und Verwaltern festgelegt, von Berufefremden also. Mittel werden von Ihnen wie von Wirtschaftsunternehmen bereitgestellt. Wer das Geld hat, hat oft die Macht. Kleine wie größere Subventionsempfanger richteten bei den vorausgegangenen Kulturstädten Europas den starren Blick aufe Geld und 'europäisierten' zum Teil ihre Vorhaben, um mit von der Partie sein zu können.5
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Wirtschafts- und Kulturräume Weil sich einzelne EG-Organe im Besitz einer umfassenden Zuständigkeit für die Kontrolle oder gar Steuerung aller wirtschaftsrelevanten Vorgänge und vor allem des innergemeinschaftlichen Verkehrs mit Wirtschafisgiitern und Dienstleistungen glauben und weite Bereiche des Kulturlebens neben der künstlerisch-literarischen eben auch eine wirtschaftliche Dimension haben, fand man in den letzten Jahrzehnten immer wieder Anlässe zum Eingreifen. Gelegentlich wurde dann sogar deutlich und offen ausgesprochen, daß sogenannte "große europäische Lösungen" und Wirtschaftseinheiten den Vorzug vor "kleinen" Initiativen im Kultur- und Medienbereich erhalten sollen, zumal dies angeblich die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Amerikanern oder Japanern verbessert.6 Konflikte mit Mitgliedsstaaten konnten da nicht ausbleiben. Ob nun die EG-Kommission Verfahren gegen die Filmförderungssysteme verschiedener Mitgliedsländer einleitete (da ja der Film ein "Wirtschaftsgut" sei und seine nationale Unterstützung daher mit den Gemeinschaftsregeln nicht vereinbar), oder ob zur Wahrung vermeintlich marktwirtschaftlicher Prinzipien gegen feste Ladenpreise für Bücher und Zeitschriften argumentiert wurde - für die Kulturpolitiker der Mitgliedsländer, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und nicht zuletzt die Künstler und Autoren gab es immer wieder Anlaß zur Auseinandersetzung mit den Eurokraten. Diese verschärften sich noch dadurch, daß der Verkehr über die Grenzen innerhalb der Gemeinschaft wegen unterschiedlicher (Einfuhr-)Umsatzsteuern und Kulturgutschutz-Regelungen der Mitgliedsstaaten keineswegs so freizügig ablief, wie man das in einem Gemeinsamen Markt erwarten durfte. Der Verfasser konnte die Folgen am eigenen Leib erfahren, als er sich - in einem Projekt der "Aktionsforschung" als Künstler verkleidet und mit einigen selbstgemalten "Werken" ausgerüstet - zu Testzwekken für eine Studie im Auftrag der UNESCO gesetzestreu den Zollmaschinerien an 19 europäischen Grenzübergängen auslieferte: Die größten bürokratischen Probleme entstanden hier, ausgerechnet, in Belgien und damit im Sitzland der EG-Kommission, während man sich zum Beispiel in der Schweiz damit zufrieden gab, die Bilder auf die Waage zu stellen und die fällige Kaution kurzerhand durch Augenschein-Schätzung des Zöllners zu ermitteln.7 Wer nun aber glaubt, daß sich dergleichen nach dem jüngst verkündeten Inkrafttreten des Binnenmarkts so einfach zum Besseren gewendet haben müßte, ist auf dem Holzweg: Der Verkehr mit "nationalem Kulturgut" - zu dem nach Meinung maßgeblicher Mitgliedsstaaten der EU auch die Hervorbringungen von Künstlern und Autoren der Moderne gehören — wird zunächst kaum erleichtert, da dessen Ausfuhr nach einem Beschluß der EG-Finanzminister von 1992 auch innerhalb der Gemeinschaft weiterhin nach den Kulturgutschutzregeln der Mitgliedsstaaten zu beurteilen ist, was z.B. in Frankreich eine aufwendige Bürokratie von Regierungskommissaren im Geschäft halten wird.8 Lediglich die steuerliche Harmonisierung hat inzwischen Fortschritte gemacht. Nun wäre es freilich ein Verstoß gegen Chronisten-Pflichten, wollte man der EG vorwerfen, sie habe sich bei ihren Aktivitäten stets gegen die Interessen der Kulturberufe gewandt oder sei durch ihre tendenziell zentralisierenden Maßnahmen in jedem Fall eine Gefahr für die kulturellen Besonderheiten innerhalb der Union. So wurden zum Beispiel schon 1982 Kommissionsvorschläge zur Erleichterung des Transitverkehrs mit Kunstwerken vorgelegt, danach aber auf Expertenebene hin- und hergescho-
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ben und schließlich vor allem von den Finanzpolitikern der einzelnen Mitgliedsländer als Verstoß gegen die nach wie vor verbliebenen staatlichen Hoheitsrechte verworfen. Die Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten, die den europäischen Einigungsprozeß begleiteten, mußten Kunst, Literatur und Kulturpolitik schon deshalb stark treffen, weil sie nicht primär auf wirtschafis-, sondern auf kulturräumlichen Gegebenheiten aufbauen, und dies im Kleinen wie im Großen. Dabei sind die - nur teilweise in die EU einbezogenen - deutschsprachigen Länder nicht der einzige "natürliche" Kulturraum, an den hier zu denken wäre. Für das EULand Dänemark mit seinen besonders engen Verbindungen zu den nördlichen Nachbarn - es existiert hier mit dem "Nordischen (Minister)Rat" ein gerade in der Kulturpolitik besonders aktives Koordinationsorgan - stellt sich die Problematik vielleicht noch schärfer, und es nimmt daher auch nicht Wunder, daß die Dänen stets besonders mißtrauisch die kulturellen Ambitionen der EG-Zentrale verfolgt haben. Experten versichern, daß die Volksabstimmung über den Vertrag von Maastricht im Frühsommer 1992 nicht zuletzt aufgrund der "nordischen Motivationen" das bekannte negative Ergebnis hatte: von den Nachbarn, die über Jahrhunderte im Guten wie im Bösen mit Dänemark eng verbunden waren, wollte man sich "von denen in Brüssel" nicht so einfach separieren lassen. Im Grunde läßt sich aber auch für Großbritannien oder Frankreich ein ähnliches Bild zeichnen. Der lang andauernde wirtschaftliche Integrationsprozeß innerhalb der EG hat es bisher nicht vermocht, traditionelle kulturelle Bindungen und kulturwirtschaftliche Verbindungen zu dritten Ländern und generell zu den eigenen Sprachregionen ernsüich zu stören. Versuche, dies zu ändern, etwa eine auf EU-Länder beschränkte oder auch nur konzentrierte europäische Identität zu entwickeln, könnten daher zur bislang größten Krise des Gemeinsamen Marktes führen. Damit wird die Frage aufgeworfen, wie es denn um die Dimensionen des größeren Europa bestellt ist, die insbesondere der Europarat eröffnet. Einige der bislang genannten Schwierigkeiten, auch im Hinblick auf den Zusammenhalt größerer Kulturregionen, fallen hier ja weniger ins Gewicht. Die meisten deutschsprachigen Länder und auch der gesamte nordische Raum haben, ebenso wie viele mittel- und osteueropäische Länder, die Kulturkonvention des Europarates ratifiziert, die zugleich die Basis der Zusammenarbeit für die europäischen Kulturministerkonferenzen bildet (alle zwei bis drei Jahre). Zugleich hat der Europarat in vielfältigen Aktivitäten vor allem auf Expertenebene gerade im Feld der Kulturpolitik wertvolle Hilfestellungen zum Erfahrungsaustausch geleistet und einzelne Themen erst für die Zusammenarbeit fruchtbar gemacht, so etwa Mitte der siebziger Jahre die seither überall in Europa intensivierte Denkmalpflege. Andererseits dürfen auch die Begrenzungen in der Arbeit des Europarates nicht übersehen werden. Auf der politischen Ebene ist er im wesentlichen ein Instrument der Regierungen und hier vor allem der Diplomaten und Kulturbeamten, die streng auf Wahrung ihrer Eigenständigkeit bedacht sind, was - zumal angesichts der größeren Mitgliederzahl - eine Abstimmung oder gar den Abschluß von konkreten Vereinbarungen außerordentlich erschweren kann. Sichtbar ist inzwischen auch eine Art Profilneurose des Europarates, ausgelöst vor allem durch die vermehrten Aktivitäten der EGKommission und des Europäischen Parlaments. Sie könnte sich dann noch verstärken, wenn die Union sich weiterhin dagegen sperren sollte, als supranationale Institution ein regulärer Partner bei der Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Kulturkonvention zu werden und wenn sich die von den EG-Regierungschefs beschlossenen, inzwi-
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sehen in allen Staaten ratifizierten, Vertragsbestimmungen von Maastricht mit einer eigenen "Kulturklausel" auswirken.
"Maastricht" und seine kulturpolitischen Wirkungen In der Europäischen Gemeinschaft selbst hatte es nach den wechselvollen Erfahrungen der ersten Jahrzehnte in den achtziger Jahren einen Prozeß des Umdenkens gegeben, der die Geschäftsgrundlage, also den Vertrag und seine Durchführung betraf. Man war sich nun im klaren darüber, daß einzelne, in ihrer politischen Bedeutung gewachsene Aktionsfelder wie der Bereich der Kulturförderung nicht mehr länger ausgeklammert werden konnten. Und als dann im Dezember 1991 in Maastricht ein deutlich erweitertes System der Zusammenarbeit in Europa beschlossen wurde, wollte man konsequenterweise für Aufgabenfelder in Kultur und Bildung erstmals eigenständige, also nicht mehr nur aus wirtschaftlichen und sozialen Harmonisierungsinteressen abgeleitete Kompetenzen schaffen. Ein Vergleich des damals neu eingefügten Art. 128 mit ersten - seinerzeit noch sehr umstrittenen - Ideen zu einer "Kulturklausel" im EG-Vertrag vor etwa 10 Jahren9 oder entsprechenden Beschlüssen des Deutschen Kulturrats bei seinem Essener Plenum von 1988 läßt erkennen, daß wesentliche kulturpolitische Erwartungen durch die neuen Bestimmungen abgedeckt werden (siehe dazu Übersicht 1). Übersicht 1 Titel IX: Kultur (Art. 128, Beitrag der Gemeinschaft) (1) Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfeit sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes. (2) Die Gemeinschaftfördertdurch ihre Tätigkeit die Zusammenarbeit zwischen den MitgliedStaaten und unterstützt und ergänzt erforderlichenfalls deren Tätigkeit in folgenden Bereichen: - Verbesserung der Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Geschichte der europäischen Völker. - Erhaltung und Schutz des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung, - nichtkommerzieller Kulturaustausch, - künstlerisches und literarisches Schaffen, einschließlich im audiovisuellen Bereich. (3) Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten fordern die Zusammenarbeit mit dritten Ländern und den fur den Kulturbereich zuständigen internationalen Organisationen, insbesondere mit dem Europarat. (4) Die Gemeinschaft trägt den kulturellen Aspekten bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen dieses Vertrags Rechnung. (5) Als Beitrag zur Verwirklichung der Ziele dieses Artikels erläßt der Rat: - gemäß dem Verfahren des Artikels 189b und nach Anhörung des Ausschusses der Regionen Fördermaßnahmen unter Ausschluß jeglicher Harmonisierum der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Der Rat beschließt im Rahmen des Verfahrens des Artikets 189b einstimmig; - einstimmig auf Vorschlag der Kommission Empfehlungen. (Auszug aus dem Vertragstext von Maastricht in der Fassung vom 7. Februar 1992)
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Übersicht 2 Entschließung der 1. Europäischen Konferenz der Künstler- und Kulturräte Die Teilnehmerinnen der ersten europäischen Konferenz der Künstler- und Kulturräte vom 10. September 1992 in Bonn haben sich mit dieser Entschließung fir einige Grundsätze und Empfehlungen entschieden. Sie hoffen, daß diese \brschläge mit dim beitragen können, die gegenwärtig unsichere Rechtslage der öffentlichen Kulturförderung in der Europäischen Gemeinschaft aufzuklären, ähnlich auch andere Fragen im Zusammenhang mit der Förderung im Kultur- und Medienbereich sowie aktuelle Themen der europäischen Kulturpolitik. Sie sind mit den Ergebnissen ihrer Gespräche in Bonn zufrieden und betrachten sie als ersten Schritt für eine erweiterte Zusammenarbeit zwischen unabhängigen Kulturverbänden und öffentlichrechtlichen Fördemgenturen mit bereits bestehenden Initiativen und Kooperationsnetzen sowie den großen europäischen Institutionen. Die Delegierten und Beobachter der Konferenz 1. unterstützen die kulturellen Komponenten des Vertragstextes von Maastricht als eine Arbeitsgrundlage fur die Kulturentwicklung in Europa, dabei insbesondere die Forderung, daß die Europäische Gemeinschaft (EG) den Wirkungen Rechnung trägt, die ihr gesamtes politisches Handeln für das kulturelle Leben entfeiten kann; 2. betonen gleichzeitig die Notwendigkeit, daß die EG die Grundsätze der Subsidiarität, der Solidarität und der Vielfalt innerhalb ihrer Grenzen wie auch im Hinblick auf das größere Europa respektiert; 3. schlagen eine wirksame Zusammenarbeit zwischen der EG und anderen für Kulturfragen in Europa zuständigen Institutionen oder Organisationen vor, dabei insbesondere dem Europarat; 4. fordern mehr Transparenz und eine bessere Berücksichtigung von individuellen Talenten und 'kulturellem Sachverstand' aus den Ländern und Regionen Europas bei der Planung und Umsetzung europaweiter Kunst- und Medienpolitik und, auch mit diesem Ziel; 5. empfehlen die Bildung nichtstaatlicher Kulturräte und Künstlerorganisationen sowie autonomer bzw. öffentlich-rechtlicher Förderstiftungen in jenen Ländern, in denen es bis heute noch keine solchen Einrichtungen gibt; 6. befürworten das Prinzip der Nicht-Diskriminierung von Künstlern und anderen Kulturberufen aufgrund ihrer nationalen, religiösen oder etnnischen Zugehörigkeit, z.B. bei der Vergabe bestimmter Fördermittel oder bei Bewerbungen im kulturellen Arbeitsmarkt; Kriterien wie die Dauer des Wohnsitzes oder die Wahl einer Sprache bei audiovisuellen und literarischen Produktionen sollten zugelassen, zugleich aber ihre Folgen für das kulturelle Leben und die künstlerische Vielfeit in den betroffenen Ländern und Regionen wissenschaftlich überprüft werden; 7. unterstreichen die Notwendigkeit europäischer, nationaler und regionaler Fördermaßnahmen öffentlicher Stellen mit dem Ziel, kulturelle Vielfalt sowie angemessene rechtliche Rahmenbedingungen für Künstler und Autoren in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich zu schaffen oder zu erhalten (z.B. im Hinblick auf eine Unterstützung innovativer aber nicht marktgängiger Kunst, der Kulturen von nicht-seßhaften Gemeinschaften und von sprachlichen Minderheiten oder der Gewährleistung der Vielfalt des Angebots durch einen festen Ladenpreis für Bücher); 8. laden die EG auf der Grundlage von Artikel 128 des Maastrichter Vertrags (nach dem die Gemeinschaft einen 'Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten' leisten soll) dazu ein, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und nichtstaatlichen Kulturorganisationen oder -Stiftungen eine flexiblere Anwendung von Wettbewerbsbestimmungen in Hinblick auf die öffentliche Förderung von Unternehmen der Kulturwirtschaft und anderen marktorientierten Kulturaktivitäten zu entwickeln, speziell in Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den Interessen eines 'Gemeinsamen Markts' (vgl. Revision des Artikel 92 des Maastrichter Vertrags); Formen der Überwachung sollten sich dabei auf Subventionsfälle bei Unternehmen mit europäischem oder internationalem Aktivitätsfeld konzentrieren; 9. berücksichtigen, daß es einerseits große Unterschiede in der Kulturpolitik der europäischen Länder und Regionen, in ihrer Förderstruktur und in ihren Möglichkeiten zur Finanzierung neuer Programme gibt, es aber für die EG und ihre Mitgliedsstaaten ebenso erforderlich ist, hier 'die Zusammenarbeit mit dritten Ländern una ... internationalen
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Organisationen' zu fördern (Art. 128 Abs. 2 und 3, Maastricht), und empfehlen vor diesem Hinteigrund gemeinsame Aktivitäten zur Unterstützung von europaweiter Mobilität und der Zusammenarbeit von Künstlern und Kultureinrichtungen; 10. erwarten, daß die EG, bei ihrer Umsetzung von Artikel 128 des Maastrichter Vertragstextes, gemeinsam mit dem Europarat sowie der UNESCO die wichtigen kulturellen Beiträge in Europa lebender Menschen berücksichtigt, deren Ursprung, Weltanschauung oder Traditionen außerhalb des herrschenden westlichen 'mainstream' liegen. (Beschluß der Konferenzteilnehmer aus rund 20 europäischen Staaten am 10. September 1992 in Bonn) Da sich aber, wie geschildert, die übrigen Aktivitäten der Union unter Umständen sehr drastisch für den Kultur- und Medienbereich auswirken können, ist es besonders bemerkenswert, daß gleichzeitig eine Art "Wohlverhaltensregel" für die gesamte Kommissionsarbeit eingeführt (Art. 128, Nr. 4; siehe Übersicht 1) und damit mehr getan wurde, als nur die ohnehin sehr bescheidenen Fördertöpfe der Gemeinschaft nach neuen Richtlinien zu verwalten. Inwieweit eine solche Schutz- und Prüfklausel später tatsächlich auf andere Politiken der Union Anwendung findet und beispielsweise die Regional- und Wissenschaftspolitiken oder die Rechtsangleichung in einem "kulturfreundlichen" Sinne beeinflussen könnte, muß sich erst noch zeigen. Immerhin ist dies aber eine Bestimmung, an die man z.B. die Kommission gelegentlich erinnern sollte; das Ende 1993 gegründete "Europäische Institut für Kulturforderung" (ERICArts) will sich dieser Aufgabe annehmen. Was aus Sicht der Kulturberufe und -förderer zu diesem Thema zu sagen war, ist bereits in einer Entschließung der ersten europäischen Konferenz der Künstler- und Kulturräte vom September 1992 in Bonn festgehalten worden, an der Sprecher aus 20 Ländern Ost- und Westeuropas teilnahmen (siehe Übersicht 2). An solchen Erwartungen wird man "Maastricht" und seine Befürworter spätestens Ende der neunziger Jahre zu messen haben. Sie stellen auch eine Orientierung für Planer und Manager dar, da sie bei dieser Gelegenheit auch mit Experten der EG, des Europarats und einzelner Mitgliedsstaaten beider Organisationen im Grundsatz abgestimmt wurden. Vor dem Inkrafttreten aller Regelungen des EU-Binnenmarkts läßt sich jedenfalls nur in Umrissen die künftige Richtung gemeinschaftlicher Aktionen im Kultur- und Medienbereich und das Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten und -regionen sowie zu anderen europäischen Ländern erfassen, die nicht der EU angehören. Sicher ist allerdings, daß weniger die Kulturpolitik i.e.S. und eher verschiedene unserer traditioneller Politikfelder mit Einfluß auf das Kulturleben durch die neue Rolle der EU und speziell die Bestimmungen des Vertragstextes von Maastricht erheblich beeinflußt werden. Fragen ergeben sich beispielsweise auf folgenden Gebieten: - Über die bekannten Rivalitäten in der innerstaatlichen Organisation auf Bundes- und Länderebene hinaus findet man z.B. Doppelarbeit und mangelnde Abstimmung verschiedener Bundesressorts, mangelnde Dokumentation und Analyse für den Kultur- und Medienbereich relevanter Aktivitäten europäischer Organe und entsprechend eine ungenügende Vermittlungsleistung in Brüssel, Luxemburg oder Straßburg anstehender Probleme, ebenso aber auch von dort sichtbaren Erfolgen und Verbesserungen. - Als Problem für die Außenpolitik gibt es nach wie vor die schon früher zu beklagende ungenügende Zusammenarbeit von EU, Europarat, UNESCO sowie der z.T.
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ebenlalls kulturell engagierten KSZE-Organisation und von regionalen Instanzen, außerdem stehen Fragen wie die der "Sprachpolitik" innerhalb der Union und darüberhinaus das Thema eventueller gemeinsamer EU-Auslandskulturinstitute in anderen Weltregionen an. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geht es z.B. um die Frage einer Harmonisierung, mindestens aber gegenseitigen Anerkennung von Regelungen der Künstlersozialversicherung in Europa oder oft sehr "indifferente" Interventionen wie die "Dienstleistungsrichtlinie", die sich für einzelne Berufesparten (zum Beispiel Architekten oder Designer) durchaus nachteilig auswirken kann - könnte es hier nach Maastricht für bestimmte Kulturberufe Differenzierungen geben? Bei der Steuerpolitik haben sich in bestimmten Feldern, etwa beim ermäßigten Mehrwertsteuersatz für kulturelle Leistungen, die Fronten noch nicht völlig geklärt, immer noch werden überholte Abgrenzungen für Kunstwerke in europäischen Zolltarifen fortgeschrieben und von einer gemeinsamen, kulturfreundlichen Bereinigung der Vermögen- und Erbschaftssteuerregelungen ist wenig zu sehen. In der Bildungs- und Wissenschaftspolitik bleiben nach Maastricht nicht nur die Zuständigkeiten unklar, es fehlt auch an umfassenden Informationen über die Wirkungen bisheriger Regelungen oder Vereinbarungen zur Anerkennung von Berufeabschlüssen des Kultur- und Medienbereichs in den Ländern der EU sowie in Nordund Osteuropa. Wesentliche urheberrechtliche Essentials der Künstlerverbände und Verwertungsgesellschaften sind zwar bei einer Anhörung der Bundesregierung im Juni 1989 zur kulturellen Dimension der Europapolitik festgehalten worden, doch ist aus den gegenwärtigen Entwicklungen auf EU-Ebene noch keine Strategie gegenüber neuen elektronischen Nutzungsformen von Rechten zu erkennen und mit der vorgesehenen Verlängerung der Schutzfristen auf 70 Jahre (bisher innerhalb der EU nur in Deutschland durchgeführt) gerät das für die Finanzierung künftiger Aufgaben der Kulturforderung, insbesondere der künstlerischen Nachwuchsförderung, so interessante Modell des "Goethe-Groschens" (domaine public payant) beinahe ins Abseits. Oder lassen sich dort vielleicht interessante Kombinationen beider Modelle schaffen, praktisch zu realisieren über mit Beteiligung der Verwertungsgesellschaften organisierte Fonds, durch die die Erträge persönlicher geistiger Schöpfungen nicht länger umstandslos an mit ihnen geistig oft gar nicht nicht weiter verbundene Nacherben bzw. an Vertreter abfließen, sondern heute lebenden Künstlern und Autoren oder auch kulturell engagierten Verlagen und Produzenten wenigstens anteilig zugute kommen?10 Hierfür setzt sich seit vielen Jahren Adolf Dietz vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in München ein. Schließlich sind wirtschaftspolitische Fragen der europäischen Einigung vielfach von Bedeutung für den Kultur- und Medienbereich und dabei etwa die - bezeichnenderweise auch nach den Maastricht-Beschlüssen noch anhaltende - Auseinandersetzung um die öffentliche Filmförderung in Deutschland und anderen Ländern (die der EGKommission immer ein wenig als, noch dazu oft "diskriminierende" Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft galt).
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Nach welchen Regeln soll in Europa gefördert werden? Exemplarisch soll hier auf fünf Problemfelder ein weniger näher eingegangen werden, von denen einige bereits zuvor oder in den genannten Resolutionen angesprochen wurden. "Diskriminierung" nach Nationalität Häufig sprach man bislang von den sogenannten "Freiheiten", die der "alte" EGVertrag den Bürgern und Wirtschaftssubjekten der Mitgliedsstaaten verhieß, und zu diesen Freiheiten gehörte, abgesteckt durch ein zunehmend dichteres Netz von Bestimmungen der Grundsatz, daß niemand wegen seiner Nationalität in der Gemeinschaft benachteiligt werden darf. Diese Bestimmung wurde übrigens auch dafür genutzt, gegen Fördermaßnahmen in den Mitgliedsstaaten vorzugehen, die ganz oder teilweise an Präferenzen für Bürger des eigenen Landes festhielten. Uber die Probleme einer schematischen Bevorzugung muß dabei im übrigen ebensowenig debattiert werden wie über das Gegenteil, also über eine Leugnung jeglicher unterschiedlicher Ausgangsbedingungen und Förderprogramme für spezifische nationale oder regionale Vorhaben. Auch der Europäische Gerichtshof hat sich verschiedenüich gegen echte Diskriminierungsbestimmungen ausgesprochen, andererseits aber das sogenannte "Territorialititätsprinzip" des Urheberrechts, nach der z.B. Filme mit einer Lizenz für ein Land nicht automatisch auch in den anderen im Femsehen abgespielt werden dürfen, durchaus akzeptiert (so in einem Streit um die Kabelausstrahlung des französischen Films "Le Boucher" von Claude Chabrol in Belgien). Maastricht schafft nun, wie es die Kommission sieht, nicht nur eine "Europäische Union", sondern "begründet gleichzeitig eine Staatsangehörigkeit dieser Gemeinschaft"11. In dieser Sicht wird der neue Vertrag jedem Staatsangehörigen eines Mitgliedslandes Zugang zu den öffentlichen Leistungen gewähren, die auch den Einheimischen zustehen, also auch denen der öffentlichen Kulturforderung (nicht dagegen denen privater Stellen und Stiftungen!). Allerdings sieht die Kommission dennoch Möglichkeiten, "kleinere Kulturbudgets vor einer raschen Überforderung durch gesamteuropäische Anträge zu schützen", wenngleich sie erneut festhält, daß diese Kriterien nicht auf der bloßen nationalen Staatsangehörigkeit beruhen dürfen. Tktsächlich sind viele Förderprogramme und andere Unterstützungsformen auch heute schon für Ausländer geöffnet, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Für Fragen des Managements kultureller Einrichtungen ist dieses Problem durchaus relevant, sei es, daß deutsche Einrichtungen und einzelne Künstler oder Autoren sich künftig durchaus mit Erfolg um Arbeitsplätze wie um Fördermittel im EU-Ausland bewerben können (das nunmehr ja als besondere Form des "Inlands" gelten soll) sei es, daß etwa staatliche oder kommunale Einrichtungen bei ihren Förderprogrammen, also z.B. bei Stipendienregelungen, künftig solche Ausschreibungsgesichtspunkte berücksichtigen sollten, um Unstimmigkeiten oder gar Klagen zuvorzukommen. Dies geschieht tatsächlich mehr und mehr, wie die Untersuchungen des Zentrums für Kulturforschung für das "Handbuch der Kulturpreise und der individuellen Künstlerförderung 1993" ergaben. Zwar überwiegt nach wie vor die Zahl der Preise mit nur lokalem oder regionalem Bezug, aber dennoch steigt der Anteil jener Förderangebote, die europaweit, international oder sogar nur für Ausländer ausgeschrieben werden.12
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Anwendbarkeit der Beihilfe- und Wettbewerbsregeln auf den Kulturbereich Weniger in seinen direkten Auswirkungen auf die meisten Sektoren des Kulturlebens, dafür aber umso stärker "ideologisch" relevant sind die Wettbewerbsregeln der EU, die, vereinfacht formuliert, im Prinzip die gesamte Kulturförderung in Frage stellen, weil sie jedwede öffentliche Förderung als nahezu unvereinbar mit den Grundregeln der Marktwirtschaft ansehen. Dies ist ein Grundgedanke, gegen den natürlich dann ganz besonders heftig verstoßen wird, wenn die EU selbst bzw. in ihrem Auftrag die Mitgliedsstaaten umfassende Subventions- und Steuerungssysteme für bestimmte Sektoren der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens auflegen. Man denke nur an die Kohle- und Stahlpolitik oder an den politisch und publizistisch schon lange berüchtigten EU-Agrarmarkt. Das Prinzip, Subventionen als solche schon mit dem Ruch des Dubiosen zu versehen, hat natürlich auch einen ganz sachlichen Hintergrund: Bislang war es ja keineswegs selten, daß nationaler Protektionismus, der prinzipiell dem Geist der EU-Verträge zuwiderläuft, im Gewand wohltätiger Wirtschafisforderung daherkam. Andererseits trifft das Brüsseler Verdikt gegen öffentliche Förderung keineswegs nur die Leistungen für die Privatwirtschaft. Ein im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstelltes Gutachten betont vielmehr, daß die meisten Formen staatlicher und kommunaler Kulturförderung, also auch die für sogenannte Regiebetriebe der öffentlichen Hand und andere öffentlich getragene Einrichtungen sowie gemeinnützige Organisationen, unter den Anwendungsbereich der EU-Bestimmungen über Beihilfen fallen können. Anders formuliert: "Eine Bereichsausnahme zugunsten kulturpolitischer Fördermaßnahmen existiert also nicht, so daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß derartige Maßnahmen gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen."13 Selbst wenn man das für überzogen hält, wird man doch zur Kenntnis nehmen müssen, daß der Europäische Gerichtshof staatliche (und selbst in den vorstaatlichen Raum übertragene, aber aus staatlichen Mitteln finanzierte) Subventionen schon öfter für unzulässig hielt.14 Auch der in praktisch allen Mitgliedsstaaten garantierte festen Ladenpreis für Bücher erschien Beamten und Gutachtern der EG-Kommission wegen ihres an finanziellen und nicht an inhaltlichen Kritierien orientierten Wettbewerbsbegriffs häufig als nur schwer tolerierbar. Dies zeigt, wie stark man in bestimmten Kreisen der EG auf ein Standardmodell von Freihandel und Unternehmerautonomie fixiert war. Dazu äußerte sich anläßlich einer Debatte des Europäischen Parlaments vom 30.2.1981 das damalige Mitglied der EG-Kommission, O'Kennedy: Die Wettbewerbsregeln des Art. 85 und folgende (des EWG-Vertrags) sind bisher nicht gut auf den Bereich der Kulturpolitik zugeschnitten, der außerdem weitgehend von nationalen politischen Maßnahmen bestimmt wird. ... Ich habe bereits festgestellt, daß die Möglichkeiten der Kommission zur Beeinflussung von Buchpreisen durch die entsprechenden Artikel der Verträge begrenzt sind. (Eigentlich) sollten die Aufgaben der Gemeinschaft im Hinblick auf Bücher integrierter Teil einer eigenen Kulturpolitik sein. ... (Doch) das für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsmitglied hat keine Verantwortung für diesen Bereich. Wie schon bei anderer Gelegenheit forderte das Europäische Parlament am gleichen Tkg die EG-Kommission zu einer Politik auf, die Kulturgüter wie das Buch (auch wenn sie zugleich Wirtschaftsgüter seien) nicht allein unter "wirtschaftlichen Kriterien" behandeln solle, die "kulturelle Identität Europas (in ihrer Mannigfaltigkeit)" vor
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Gefährdungen schützen und auch das Recht der Mitgliedsländer anerkennen müsse, "diejenigen Sektoren, in denen die natürlichen Marktkräfte zur Wahrung kultureller Interessen nicht ausreichen, zu unterstützen"15. Diesem Wunsch und ähnlichen Entschließungen vieler Parlamente der Mitgliedsstaaten der EU scheint nun durch die Vertragsbestimmungen von Maastricht wenigstens teilweise entsprochen worden zu sein. Die Neufassung bisher nur allgemein gefäßter Verbotsbestimmungen für unzulässige "Beihilfen", die übrigens auf besonderen Wunsch der deutschen und niederländischen Regierungen zustandekam, sieht eine Ausnahmeregelung für die Kulturfinanzierung durch den Staat im kulturellen Bereich vor, wenn es nunmehr in Abs. 3d von Art. 92 ("Staatliche Beihilfen") heißt: "Als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar können angesehen werden: ... Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handelsund Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft". Ob damit wirklich die drohende Gefährdung der öffentlichen Kulturfinanzierung entschärft wurde, muß wiederum erst noch die künftige Anwendung der Bestimmung zeigen. Man könnte ja ebenso argumentieren, daß die Förderung nun unter einem Genehmigungs-vorbehalt steht ("können angesehen werden", "gemeinsames Interesse"!) und entsprechend von staatlichen oder kommunalen Gremien nicht mehr frei nach kulturpolitischen oder künstlerischen Gesichtspunkten zu entscheiden wäre, ob und was zu fördern ist. Die Kommission sieht in diesem Artikel jedenfalls keinen generellen Freibrief, sondern unterstreicht, daß Zuschüsse nur erlaubt sind, wenn sie den innergemeinschaftlichen Handel und Wettbewerb nicht gravierend beeinträchtigen.16 Was dies im einzelnen bedeutet und wie die Prozeduren der Prüfung bei einer solchen Klausel aussehen sollen, kann bis heute noch niemand mit Bestimmtheit sagen. Im Gespräch sind sowohl "Wertbegrenzungen" (nur Subventionen, die einen bestimmten Betrag, z.B. 30000 Ecu im Jahr, übersteigen, müssen von den Mitgliedsstaaten in Brüssel notifiziert werden) wie andererseits eine generelle Ausnahmebestimmung für die öffentliche Kulturforderung, verabschiedet vom EG-Ministerrat. Darin könnte als eine Art "Unschuldsvermutung" eine Beeinflußbarkeit des wirtschaftlichen Wettbewerbs durch öffentliche Beihilfen für kulturelle Zwecke im Normalfall verneint werden: daß dies bei den meisten kommunalen Kultureinrichtungen in der Tkt die Regel sein wird, kann wohl nicht bestritten werden. Keine Regel ohne Ausnahmen: Man denke nur an die neuerdings so beliebten Großevents wie europäische Festivals oder Ausstellungen mit internationalen Künstlerstars! Neue Förderprogramme in Sicht? Es sieht derzeit so aus, als ob eine Verwirklichung der Beschlüsse von Maastricht nicht zu einem grundlegenden Neubeginn in der Kulturförderung der EU fuhren wird. Da es außer dem Fonds "Kaleidoskop", der für Events und Netzwerke zuständig ist, dem Programm für Übersetzungen literarischer Werke und der Unterstützung der Denkmalpflege und der Architektur nur weniger kontinuierliche Fördermaßnahmen gibt, bedeutet dies zugleich, daß sich die bisher eher geringen Summen - 1992 waren das z.B. rund 25 Millionen DM, davon etwa die Hälfte zur Förderung des "europäischen architektonischen und kulturellen Erbes" - auch nicht dramatisch erhöhen können: nach den Regeln von Art. 189b des Vertragsentwurfe von Maastricht können neue Förderprogramme in der EU nur einstimmig beschlossen werden.
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Die Kommission ist im übrigen der Auffassung, daß ihre Aktivitäten in diesem Feld bislang dem von Art. 128 geforderten Subsidiaritätsprinzip bereits dadurch entsprechen, daß im allgemeinen nur bis zu 25 Prozent der jeweiligen Kosten aus Gemeinschafismitteln abgedeckt werden.17 Dies wird man freilich mit einer gewissen Einschränkung zu werten haben, denn der Subsidiarität kommt es im Prinzip ja auf einen gewissen Rang der Einflußnahme an und weniger auf die Höhe der anteiligen Förderung: Erst wenn andere Mittel nicht zur Verfügung stehen, so wäre dieses Prinzip hier zu übersetzen, kann ein Zugriff auf EU-Mittel möglich sein. Beziehungen der EU zu den Nichtmitgliedsstaaten Hier ist einerseits zu unterscheiden zwischen der Union als Wirtschaftsraum (von dem vor allem auch die Kulturwirtschaft und der entsprechende Handel mit Kulturgütern betroffen wird) und der Einbeziehung von Drittstaaten und ihren Bürgern oder Kulturinstitutionen in gemeinschaftliche Förderprogramme andererseits. Letzteres ist für uns weniger von Interesse, nachdem, wie zu sehen war, die Förderprogramme höchst bescheiden sind und die gravierenden Differenzen zwischen Ost und West keinesfalls aufheben können. Durch die Assoziierung von Ungarn, Polen, Tschechien, der Slowakei sowie später auch Rumänien, Bulgarien und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks werden diese Staaten im übrigen noch stärker in andere Förderprogramme der Union (z.B. im Bildungswesen) einbezogen werden können. Eigentlich sollte dies, nimmt man den Art. 128 ernst, künftig sogar der Regelfäll sein, da sich die kulturellen Aktivitäten ja nicht allein auf die EU-Mitgliedsstaaten beschränken sollen. Auch wären solche Beziehungen an sich ein besonders gutes Aktionsfeld für die ebenfalls im Vertragsentwurf angestrebte Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, speziell dem Europarat. Diese Kooperation ist aber leider, abgesehen von Einzelprojekten, wenig intensiv bzw. wirklich arbeitsteilig organisiert, und so bleibt nach wie vor, etwa in so wichtigen Feldern wie der Film- und Medienpolitik, der Unterstützung von Ausstellungen und ähnlichen Aktivitäten eher ein Nebeneinander, gelegentlich auch eine Konkurrenzsituation zwischen der EU und dem Europarat zu konstatieren, wie am Beispiel der Buch- und Literaturpolitik bereits angedeutet.18 Mehr Einfluß für den außerstaatlichen "kulturellen Sachverstand"? Hier ist vielleicht einer der wundesten Punkte der "neuen Kulturpolitik" der EU; er war dies aber auch schon in der Vergangenheit, wo man glaubte, durch ein nach eigenem Gusto berufenen "Beratenden Kulturausschuß" habe man sich ausreichend in der kulturellen Basis der Mitgliedsländer verankert (obwohl es gerade den so Berufenen teilweise an engeren Verbindungen mit der innerstaatlichen Kulturszene mangelt). Im übrigen bleibt nach wie vor der Ministerrat das Gremium mit der obersten Entscheidungskompetenz. Die Kommission setzt Maßnahmen um und sieht sich zugleich als Kontrollorgan, als "Wächter der Verträge". Für entsprechende Aufgaben ist gleichzeitig aber auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg und, rechtlich stärker eingeschränkt, das Europäische Parlament zuständig; letzteres unterhält einen eigenen
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Ausschuß, der sich u.a. mit Kulturfragen beiaßt. Am Ende obsiegen oft die Interessen mächtiger Lobbies... Welches Maß an Demokratie und Offenheit ein komplexer Organismus wie z.B. die EU-Kommission verträgt und vertragen können muß, ist aber nicht belanglos, wenn man etwa an die Eingriffsrechte der Union in die Politiken der Mitgliedsstaaten denkt, Rechte, die Organisationen wie der Europarat oder die UNESCO als zwischenstaatliche Kooperationsinstitute keineswegs besitzen (und bei denen das "Demokratiedefizit" daher auch viel weniger gravierend erscheint). Vollends die medienpolitischen Ambitionen vieler Berufeeuropäer, darunter das erklärte Ziel, die "gemeinsame europäische Zukunft" auch durch entsprechend vergemeinschafitete Fernsehprogramme zu gestalten,19 werden weitere Ergänzungen des EG-Vertrags erforderlich machen. Zwar sollen schon durch die Beschlüsse von Maastricht die Befugnisse des EU-Parlaments wiederum leicht weiterentwickelt werden, aber eine volle parlamentarische Verantwortlichkeit der Kommission wird es nach wie vor nicht geben, und auch die Mitwirkungsrechte beziehen keineswegs alle diejenigen Funktionen ein, die man üblicherweise einem demokratischen Parlament zubilligt, etwa ein umfassendes Budgetrecht. So stellt sich gerade nach Maastricht durchaus die Frage, wie - parallel zu Behördenvertretern und Abgeordneten - auch der außerstaatliche "kulturelle Sachverstand" künftig besser in Beratungen und Kontrollmechanismen einbezogen werden kann. Gerade die Vielfalt der kulturellen Szene kann sich allerdings in Parlamenten stets nur unvollkommen abbilden - und eine gewisse Distanz ist hier gelegentlich auch ein künstlerisches Lebenselixier. Im Prinzip kommen für für die kulturelle Interessenvertretung in Frage: - Projekt- oder Beratungsgremien oder unabhängige Juries bei der Vergabe von Fördermitteln;20 - die Einrichtung von "Lobbybüros" am Sitz europäischer Institutionen (für manche, durch EU-Aktionen besonders betroffene Sektoren der Kultur- und Medienwirtschaft sicher auch in Zukunft eine angemessene, freilich nicht unbedingt transparenzfördernde Lösung); - gemeinsam mit dem Europarat die Nutzung der Querverbindungen zu nationalen Fachorganisationen oder Beratungsstellen und ihren "Netzwerken";21 - die derzeit vorbereitete Einrichtung eines eigenen europäischen Forschungsinstituts für Kulturfragen (ERICArts) sowie - die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Spartenorganisationen, die oft schon lange Erfahrungen in der internationalen Zusammenarbeit pflegen, wie etwa der Museumsverband ICOM oder die europaweit und international kooperierenden nationalen Musikräte. Voraussichtlich wird man alle diese Wege und vielleicht noch andere beschreiten müssen, um künftig bei der EU-Kommission und anderen europäischen Organen seine Interessen angemessen vertreten zu können. Es gibt also mit Sicherheit nicht nur einen Weg, der für alle Formen des Dialogs und der Einflußnahme gleichermaßen gut geeignet sein wird.
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Fünf Grundsätze der europäischen Kultur-Kooperation Daß es allein mit einem verbesserten Dialogmanagement, zum Beispiel mit mehr Transparenz oder mit einer optimalen Organisation von Konferenzen, nicht getan ist, will man europäische, nationale oder regionale, gruppenspezifische und natürlich höchst individuelle Sichtweisen von künstlerischen, wissenschaftlichen und kulturpolitischen Prioritäten in diesem Feld versöhnen, soll am Ende dieses Berichts noch festgehalten werden. Ein respektvoller Umgang miteinander - sowohl im Verhältnis von Vertretern europäischer Institutionen mit solchen aus den Mitgliedsstaaten und anderen Teilen Europas wie, und das wird zut Zeit oft übersehen, in den immer noch vielfältig belasteten zwischenstaatlichen oder sogar interkulturellen Kontakten - kann jedenfalls auch bei harten Auseinandersetzungen nicht schaden. Von letzteren wird es vielleicht in den kommenden Jahren einige geben, und daher soll am Abschluß dieser Darstellung eine kleine Auswahl derjenigen Grundsätze stehen, die für die Gestaltung eines produktiven "europäischen Konzerts" nach den Erfahrungen des Verfassers besonders gut geeignet sind: 1. Europäische Kooperationen oder Projekte müssen vom Prinzip des freizügigen Austausches ausgehen. Dies ist die Grundlage, auf der die Europäische Gemeinschaft ebenso wie der Europarat angetreten sind, letzterer bereits mit seiner Kulturkonvention von 1954. Die Künstler, die Autoren, die Kulturleute in Europa sind an solcher Freizügigkeit in aller Regel persönlich besonders interessiert, obwohl das im ersten Moment oft gar nicht so aussieht. Doch wenn sie mit Vorliebe auf kulturelle Besonderheiten eigener und fremder Regionen verweisen, dann meint dies ja keine Ablehnung unbehinderter grenzüberschreitender Kontakte; im Gegenteil wird der Wert solcher Besonderheiten erst klar, wenn man ihn mit denen der jeweils anderen vergleicht und sich darüber mit diesen austauscht. Niemand hat etwas davon, wenn z.B. mit bürokratisch-aufwendigen Kontrollen oder Genehmigungsverfehren Hürden vor persönlichen und künstlerischen Begegnungen aufgerichtet werden und deshalb ist es schade, wenn durch einem mißverstandenen "Kulturgutschutz" (und vereinzelt auch durch eine nicht qualitätsorientierte Beschäftigungspolitik) die versprochene volle Freizügigkeit in Europa schon wieder auf dem Spiel steht. Grundsatz Nr. 2 ist die Freiwilligkeit der Zusammenarbeit. Es darf einfach nicht sein, daß Menschen zu einer "Kooperation" gezwungen werden, die daran gar nicht interessiert sind, oder gar, daß irgendwo zentral bestimmt wird, wer in welchen Fragen wie zu kooperieren hat. Es muß Auswahlmöglichkeiten geben, und man sollte nicht durch Zwang, sondern durch das gute Beispiel vom Wert gemeinsamer Aktionen überzeugt werden. Wir können, wie es auch die französische Regierung in einem "Blaubuch" in den achtziger Jahren tat22, von einem Prinzip der europäischen KulturKooperation "à la carte" sprechen und hoffen, daß es sich bei der EU in der weiteren Ausgestaltung der Kultur-Kooperation nach Maastricht über Einzelbeispiele hinaus ähnlich durchsetzt wie beim Europarat, der hier z.B. mit seinem Medienfonds "Eurimages" ein gutes Beispiel gibt. Mißachten wir diesen Grundsatz, laufen wir Gefahr, daß eine unfreiwillige Zusammenarbeit am Ende durch Boykotts, komplizierte Abstimmungsverfahren und Kompromisse des kleinsten gemeinsamen Nenners behindert wird oder sogar ganz scheitert. Drittes Prinzip ist eine bessere Arbeitsteilung in der europäischen Kulturpolitik, die ebenfalls durch den neuen EU-Kulturartikel unterstrichen wird. Das gilt zunächst vor allem für die Arbeitsteilung mit anderen im kulturellen Bereich tätigen Organisationen,
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etwa dem Europarat oder der UNESCO. Unsere Bundesländer haben diesen Grundsatz mit anderer Orientierung ebenMs immer wieder eingebracht, indem sie nicht müde wurden, "Subsidiarität" zu fordern, nach der grundsätzlich so viel wie möglich auf örtlicher und regionaler Ebene entschieden werden soll. Man muß sich andererseits darüber im klaren sein, daß "Arbeitsteiligkeit" eigentlich nur dann funktioniert, wenn ein unterschiedliches Aufgabenspektrum existiert. Man wird also z.B. als Europäische Union nur dann mit dem Europarat oder der Unesco arbeitsteilig vorgehen können, wenn es jeweils spezifische Aufgaben, "Reichweiten" (Ost-West, Nord-Süd etc.) und Aktivitäten gibt - für eine echte "Konkurrenz" sind diese Organisationen jedenfalls weder geeignet noch finanziell ausgestattet. Hier wird die Diplomatie wohl noch einige Schularbeiten machen müssen... An vierter Stelle steht das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Besonderheiten anstelle schematischer Harmonisierung, das vor allem rechüiche Grundlagen, Fördersysteme, speziell auch die Bildungs- und Ausbildungsstrukturen betrifft (wo man aber zum Teil schon weiter ist). So sehr bei bestimmten Aufgaben etwas mehr Gemeinsamkeit in den Rahmenbedingungen nützen kann - dafür lassen sich, wie erläutert, eine Reihe von Beispielen etwa im Steuer-, Sozial- und Urheberrecht finden - so sehr ist vor der Überschätzung der Gestaltungskraft einzelstaatlicher wie europäischer Rechtssysteme im komplexen Feld von Kultur und Medieninteressen zu warnen. Wenn ich an fünfter und letzter Stelle den Grundsatz der Solidarität im Innern und nach außen nenne, dann nicht etwa, weil er so unwichtig wäre, sondern weil ich ihn besonders hervorheben möchte. Aktuelle Anlässe für die Betonung dieses Prinzips in Deutschland, in Europa und im Verhältnis zur übrigen Welt gibt es mehr als genug: Man muß nur an bisher nicht ausreichend in ihren kulturellen Wurzeln verstandene europäische Konflikte wie jene im bisherigen Jugoslawien denken - wo beginnen die Orthodoxie und der "Balkan" in Europa? - und unsere immer wieder zur Schau gestellte Unfähigkeit erwähnen, den Dialog mit Ländern und Kulturen, mit Kollegen und Gästen aus der südlichen Hemisphäre ernst zu nehmen, also von der Einbahnstraße wegzuführen.
Anmerkungen 1 Entschließung der 7. Europäischen Kulturministerkonferenz des Europarates, "Books reading and publishing in Europe", Paris 1992. 2 Entschließung "Förderung des Buches und der Lektüre". EG-Ministerrat, Amtsblatt C 183/1989. 3 "Session du Conseil et des Ministres Responsables des Affaires Culturelles au Sein du Conseil" (offizielle Bezeichnung des Treffen der EG-Minister). 4 K.D. v. Weringh, 'Die Entdeckung der Kultur Europas', Zeitschriftför Kulturaustausch Nr. 4/1988. 5 Wering (1988, S. 473ff.), a.a.O. 6 Mitteilung der EG-Kommission, "Grünbuch über Urheberrecht und die technologische Herausforderung" (Kom. (88) 172 endg.), Brüssel 1988; Mitteilung
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Andreas J. Wiesand der EG-Kommission "Femsehen ohne Grenzen" (Kom. (84)300 endg.), Brüssel 1984.
7 A.J. Wiesand, Kunst ohne Grenzen. Kulturelle Identität und Freizügkeit in Europa, Köln 1987. 8 Vgl. zu den noch andauernden Beratungen die Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rats vom 9.12.1992. 9 Vgl. Wiesand (1987), a.a.O., S. 123, sowie ein vorbereitendes Gutachten des Verfassers für die Konferenz der EG-Kommission "Europa im Wände", Florenz 1987. 10 Dazu näher A. Dietz, 'Einige Thesen zum Urhebergemeinschaftsrecht', in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Nr. 3/1991; sowie im Frühjahr 1993 in diesem Sinne gestartete, durchaus umstrittene, Initiative des Verfassers im Deutschen Kulturrat. 11 Schreiben von Colette Flesch, der zuständigen EG-Generaldirektorin, an den Verfasser, 31.8.1992. 12 Bundesminister des Inneren (Hg.), Handbuch der Kulturpreise und der individuellen Künstlerförderung, Bonn 1993. 13 G. Ress, Kultur und Europäischer Binnenmarkt, Stuttgart 1991. 14 G. Ress (1991), a.a.O. 15 Protokoll der Sitzung des Europäischen Parlamentes vom 30.12.1981. 16 Schreiben von Colette Flesch. 17 Schreiben von Colette Flesch. 18 Vgl. Council of Europe, Preliminary Study on Future Orientations of Cultural Cooperation in Europe, Straßburg 1992. 19 R. Fisher, Who does What in Europe?, London 1992. 20 Z.B. beim EG-Förderprogramm "Kaleidoskop". 21 Verschiedene Regierungsberater sowie Dokumentations- und Forschungsstellen sind z.B. im Dachverband CIRCLE zusammengeschlossen, der besonders intensiv mit dem Europarat kooperiert. 22 Französische Regierung, Blaubuch fir ein Europa der Erziehung und der Kultur, Paris 1987.
Management in den verschiedenen Kulturbereichen
Kultur und ihr Management Peter Fuchs und Thomas Heinze
Kultur, man weiß und beklagt es, ist ein sozial funktionierender Begriff. Er paßt nicht in die Reagenzgläser der Wissenschaft. Jede Definition von Kultur, die wissenschaftlichen Präzisionsansprüchen genügen will, hat es mit einer sozialen Totalisierung zu tun, die säuberliche Abgrenzungsbemühungen nachgerade verschluckt. Wie immer und wo immer die Wissenschaft definitorisch zuschlägt, direkt daneben blüht sogleich Anderes und davon Verschiedenes, das sich gleichwohl und unbekümmert um Definitionen auch "Kultur" nennt. Unter diesen Voraussetzungen bleiben nur wenige Möglichkeiten: 1. Man kann empirisch untersuchen, wie "Kultur" sozial genutzt wird. Dann gehört zur Kultur, was sich selbst "Kultur" nennt. 2. Man kann dezisionistisch verfahren. Dann gehört zur Kultur, was die Wissenschaft "Kultur" nennt. 3. Man kann eine Abstraktionslage wählen, die dem Umstand sozialer Totalisierung des Begriffes angemessen ist. Dann konstruiert man ein Problem, im Blick auf das Kultur als eine Lösung, vergleichbar mit äquivalenten Lösungen, in einer Problemhierarchie erscheint. Wir wollen bei den folgenden Überlegungen den letzten Weg wählen. Das hat den Vorteil, daß wir auf eine Verdinglichung von Kultur verzichten und uns (wenn auch hier nur lose) an moderne Theorie- und Problementwicklungen anschließen können, die wissenschaftlich unter dem Großtitel "Systemtheorie" zusammengefaßt werden und in der breiteren intellektuellen Diskussion eher unter dem Schlagwort "Postmodernität" bekannt geworden sind. Daraus ergibt sich der Aufbau unserer Arbeit: Zunächst wollen wir das Problem vorstellen, auf das "Kultur" reagiert. Dann werden wir, darauf aufbauend, den Begriff des Kulturmanagements näher erläutern. Schließlich werden wir aus dieser Diskussion eine allgemeine Bestimmung der Ziele von Kulturmanagement vornehmen, die wir dann unter den Sonderbedingungen einer sich postmodern gebärdenden Gesellschaft erörtern. Diese spezifizierten Ziele münden notgedrungen in politische Problemstellungen ein, die wir abschließend und in offener Spekulation behandeln werden. Im Hintergrund all unserer Überlegungen steht, daß wir in der unmittelbaren Praxis der kulturmanagerialen Ausbildung stehen, gerade dort aber das Defizit an theoretischen und programmatischen Beständen deutlich verspüren.
Was also ist Kultur? Die Soziologie beobachtet wie jede wissenschaftliche Disziplin ihren Gegenstandsbereich ausschnittsartig. Man kann auch sagen, sie bezieht sich auf Einheiten, die als Fixpunkte ihrer Analysen gelten können. Sie kann sie weder unterschreiten noch
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Peter Fuchs und Thomas Heinze
überschreiten, ohne an Zuständigkeit zu verlieren und gleichsam illegitim über ihr Unzugängliches zu sprechen. Diese Einheiten sind in unserem Fach seit Olims Zeiten "Handlungen", seit einiger Zeit "Kommunikationen". Aber ob Handlung oder Kommunikation, ein Problem ist seit Hobbes erhalten geblieben: Jedes soziale Ereignis produziert einen Überschuß an Anschlußmöglichkeiten. Jede Handlung, jede Kommunikation kann Unberechenbares, Unerwartbares zeitigen. Die soziale Welt ist in diesem Sinne gefährlich. Tatsächlich läßt sich aber eine Begrenzung solcher Anschlußmöglichkeiten beobachten. Die soziale Welt ufert nicht beliebig aus, sie hält nicht Spielräume für arbiträre Anschlüsse offen. Alles in allem gesehen, ist sie recht ordentlich verfaßt. Das ist nur möglich, wenn sie Formen bereitstellt, die entschieden einschränken, woran angeschlossen, woran nicht angeschlossen werden kann.' Was diese Formen "wirklich" sind, symbolische Codes oder Deutungsmuster oder latente Sinnarragements, ist zwar eine theoretisch keineswegs zweitrangige Frage; für unsere Zwecke jedoch genügt es, das Problem festzuhalten, daß solche Formen im sozialen Einsatz sein müssen, damit die Welt sozialen Sinns nicht explodiert. Und wenn wir hier darauf setzen dürfen, daß dieser Sinn kommunikativ betrieben wird, dann müssen solche limitierende Formen kommunikative Formen sein. Wir neigen dazu, in einer ersten abstrakten Annäherung zu sagen, daß Kultur im weitesten Verständnis der Typenschatz solcher Formen ist. Sie ist das Ensemble oder das Register aller sozial (mithin: kommunikativ) verfügbaren Formen, die kommunikative Anschlüsse verstehbar organisieren. Wenn der Begriff Kultur so gebildet ist, entspricht er dem eingangs erwähnten Befund: Kultur ist ein soziales "Totalphänomen" mit universaler Applizierbarkeit. Das Management eines derart universalen Komplexes wäre eine Absurdität. Deshalb empfiehlt es sich, den Begriff einzuschränken. Die zentrale Möglichkeit nämlich, Kommunikationsprozesse geordnet und anschlußfahig zu halten, ergibt sich aus der Bindungskraft von Themen. Ob über Kinder und Küche, Krieg oder Frieden, über die Basilika Santo Stafano Rotondo oder über die Anlage eines neuen Gemeindefußballplatzes am Rande eines Feuchtbiotops gesprochen wird, immer entscheiden die Themen, wer was wann und wie - passenderweise oder unpassenderweise - zur Kommunikation beitragen kann. Diese Führfähigkeit von Themen kann sich evolutiv einstellen, aber sie wird auch gesondert gepflegt.2 Es gibt gesellschaftliche Einrichtungen, die sich damit befassen, alte und neue Themen aufzugreifen, auszuarbeiten, zu variieren und zu lancieren und für gesellschaftliche Kommunikation verfügbar zu machen. In Ausarbeitung der oben gegebenen ersten und abstrakten Definition sagen wir jetzt: Kultur ist das Ensemble oder das Register aller sozial verfügbaren Themen, die in eigens dafür geschaffenen gesellschaftlichen Einrichtungen zum Zweck der Kommunikation aufbewahrt, aufbereitet, entwickelt und implementiert werden. Das Arrangement dieser Einrichtungen, wie immer sie beschaffen sein mögen, unterliegt dabei selbst der thematischen Evolution, die sie ermöglichen. Unnötig zu erwähnen, daß man es hier mit ständigen Dissoziationen, mit ständigen (an die Entwicklung der Gesellschaft gebundenen) Arrangements und Re-arrangements zu tun hat. Entscheidend ist, daß unsere Definition die Konstellation der je gepflegten und zur Pflege bestimmten Themen unterscheidet vom Bereich der daflir zuständigen Einrichtungen. Diese Unterscheidung ist der Ansatzpunkt für unsere Diskussion dessen, was gemeinhin und in inflationärer Weise als "Kulturmanagement" bezeichnet wird.
Kultur und ihr Management
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Was ist Kulturmanagement? Jene gesellschaftlichen Prozesse, deren Problembezug wir eben diskutierten, haben, wie man leicht einsehen kann, einen inftastrukturellen Abstütziungsbedarf.3 Es muß ob auf politischem Wege institutionalisierte oder auf dem Wege der Selbstorganisation zustandegekommene - Einrichtungen geben, die die "weichen" semantischen (thematischen) Prozesse ermöglichen, tragen, auf Dauer stellen oder entsprechend gesellschaftlicher "Großwetterlagen" umdirigieren. Natürlich gibt es sie auch, querbeet in der Gesellschaft, von den kommunalen Kulturämtern über Theater, Museen und Bibliotheken, Galerien und Kunstzeitschriften, Kunstmärkten bis hin zu Pop-Festivals und Stadtteilfesten. Aber für all diese (und ungezählt weitere) Einrichtungen scheint zu gelten, daß sie in gewissem Sinne nicht selten, ja oft mit semiprofessionellen Personal ausgestattet sind, dessen Ausbildung sich nicht auf den Abstützungsbedarf kultureller Prozesse insgesamt bezieht, sondern einmal in verschiedenen Hinsichten spezialisiert erscheint, dann aber auch von den Erfahrungen lebt, die sich im Berufeleben selbst verdichten. Das muß nicht unzuträglich sein, das kann sogar zu kreativen Potentialen in dem einen oder anderen Fall führen. Aber aufs Ganze gesehen, ergibt sich, wie alle Insider wissen, ein ärgerlicher Dilettantismus im "handling" kultureller Prozesse, der ihrer gesellschaftlichen Bedeutung wahrlich nicht angemessen ist. Deswegen wird diskutiert (und in bundesweit laufenden Versuchen erforscht und erprobt), ob angesichts der Relevanz kultureller Prozesse nicht eine eigene Profession des Kulturmanagements eingefiihrt und am Markt der Kulturinstitutionen durchgesetzt werden sollte und könnte.4 Unseren oben vorgetragenen Überlegungen entsprechend, schlagen wir vor, Kulturmanagement als diejenige Profession aufzufassen, die mit der Organisation infrastruktureller Bedingungen der Möglichkeit kultureller Prozesse befaßt ist, insofern diese Prozesse gesellschaftliche (kommunikative) Prozesse sind. Wenn man sich darüber verständigen kann, ist zugleich klar, daß Kulturmanagement in keiner Weise Kultur produziert, wie immer es auch an ihr partizipiert. Kulturmanagement stellt, um es moderner auszudrücken, die Umwelt kultureller Prozesse. In dieser Funktion liegt seine Pragmatik begründet. Das macht es notwendig, in der darauf bezogenen Ausbildung beides, die kulturellen Prozesse und die Bedingungen ihrer Möglichkeiten, zu studieren. Dieses "und" markiert zugleich, daß Kulturmanagement nichts anderes als eine Grenzgängerprofession sein kann. In modernen Begriffen gesprochen: Diese Profession ist in einer hybriden Zone angesiedelt.5 Das darauf bezogene Studium kann nicht anders als lateral gestaltet sein.6
Die Funktion von Kulturmanagement Das allgemeinste Ziel der Profession Kulturmanagement ergibt sich aus der Definition: Es ist die Organisation infrastruktureller Bedingungen der Möglichkeit von Kultur, und es ist die professionelle Organisation solcher Bedingungen. Kulturmanagment bezeichnet ein Möglichmachen von Kultur, eine Technik des Zubereitens, des Gestaltens von Terrains, des Verfügbarmachens von Ressourcen, von Planungs-, Rechts- und Wirtschafts-Know-how unter modernen gesellschaftlichen Bedingungen, und nicht: ein Dirigieren kultureller Prozesse.
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Gleichwohl (und auch das macht die Lateralität der Ausbildung notwendig) ist diese nicht-dirigistisch gedachte Organisation der Bedingungen der Möglichkeit von Kultur nicht einflußlos auf das, was an kulturellen Prozessen geschieht. Wër Konditionen setzt, konditioniert auch, und eben dies nötigt dam, Kulturmanagement in politischgesellschaftlichen Dimensionen zu sehen. Es wäre ausgesprochen naiv, die konditìonierende Wirkung von Konditionen zu übersehen und Kulturmanagement auf eine rein technologische Funktion zu reduzieren. Es ist absolut nicht verwunderlich, daß diese sich gerade entwickelnde Profession ins Kreuzfeuer der öffentlichen Diskussion geraten ist. Wir wollen diese Diskussion thesenförmig (und natürlich selektiv) zusammenfassen in folgenden Thesen: - Kultur ist seit altersher ein Prozeß, der sich im Rahmen gesetzter Möglichkeiten selbst organisierte. Dieses Rahmen-Setzen geschah, wo es wesentliche gesellschaftliche Folgen hatte, immer schon extern. Das taten Fürsten- und Königshöfe so gut wie die sich feudal gerierenden Impressariofiguren der letzten zweihundert Jahre, die totalitären Regime so gut wie die demokratischen Kulturinstitutionen, die wir kennen. - Das widerspricht aber dem Autonomiegedanken, der sich im Blick auf kulturelle Prozesse mehr und mehr durchgesetzt hat. Kultur, heißt es, darf nicht reguliert, dirigiert, konditioniert, auf dem Wege des Oktroi fremdbestimmt werden. Kulturmanagement ist deshalb nicht nur überflüssig, es setzt dirigistische Traditionen fort und reiht sich ein in die je geltenden "offiziösen" politischen und gesellschaftlichen Paradigmen. Es kann nicht anders als affirmativ sein. In Wahrheit wird mit dem Kulturmanagement eine Profession etabliert, die sich selbst "bedient", aber keine echte Funktion hat. Für sie besteht kein Bedarf außer dem, den sie selbst lauthals proklamiert. Beide Thesen lassen sich, so leid es uns tut, auf eine Theorieschwäche zurückführen, die wir hier nur andeuten können, die aber weitreichende Folgen hat, die gesondert zu diskutieren wären. Kultur nämlich wird behandelt, als sei sie ein System, eines unter einer Reihe anderer gesellschaftlicher Subsysteme und wie diese ausgestattet mit der Möglichkeit der Autonomisierung.7
Kultur ist kein System Die moderne Gesellschaft ist, wie man in der Soziologie sagt, gekennzeichnet durch junktionale Differenzierung. Das soll bedeuten, daß wesentliche Funktionen in ihr von Funktionssystemen wahrgenommen werden: die Ermöglichung kollektiv bindender Entscheidungen durch die Politik, die Regulierung von Knappheit durch die Wirtschaft, die Stabilisierung von Erwartungen durch das Recht, die Fixierung von Wahrheit oder Unwahrheit durch die Wissenschaft etc. Für diese Systeme, zu denen auch Erziehung, Familie und Kunst zählen, gilt, daß sie sich über einen Code jeweils intern kurzgeschlossen haben. Mit diesem Code formieren sie ihre Grenze. Jenseits dieser Grenzen ist alles anders als diesseits. So nimmt das Wirtschaftssystem die Welt nur mit Hilfe der Unterscheidung von Zahlen/ Nichtzahlen wahr, die Wissenschaft ist blind für alles, was sich nicht als wahr oder unwahr beobachten läßt. Entscheidend ist, daß solche Systeme wie die Gesellschaft
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selbst aus nichts anderem als aus Kommunikationen bestehen, die Kommunikationen erzeugen, die Kommunikationen erzeugen... Sie unterscheiden sich von der Gesellschaft durch die Konditionierung ihrer Kommunikationen, eben durch ihren jeweiligen Code. Auch Kunst ist, wie wir angedeutet haben, ein System dieses Typs, ein Sozialsystem also, das sich operational verdichtet und mittlerweile autonom gesetzt hat in dem Sinne, daß nur noch Kunst entscheidet, was als Kunst gilt. Unsicher ist, das sei gleich zugegeben, was denn der Code der Kunst sei, schön oder häßlich, sensationell oder langweilig, bizarr oder nichtbizarr. Wir plädieren dafür (ohne das hier eigens noch begründen zu können), daß im Fall der Kunst die Bezeichnung/Nichtbezeichnung als Kunst mittlerweile den Code darstellt.8 Damit kann sich Kunst eine extreme Offenheit bei vollkommener Geschlossenheit leisten, gerät natürlich auch in die Gefähr, als hoch arbiträr beobachtet zu werden. Gesetzt aber den Fall, auch Kultur sei ein System, wie wäre es codiert? Welche Grenzen hätte es denn, jenseits derer das Nicht-Kulturelle wäre? Gibt es Kommunikationen, die sich nicht unter dem Gesichtspunkt Kultur beobachten lassen? Das Kulturproblem (Organisation und Begrenzung von kommunikativen Anschlußmöglichkeiten) fallt schließlich in jedem Kommunikaüonsprozeß an, und deshalb muß gesellschaftsweit unentwegt die Bindewirkung von Themen genutzt werden. Die jeweiligen Lösungen des Problems sind gerade nicht autonomießhig, sondern immer von globalen gesellschaftlichen und von lokalen Kommunikationsbedingungen abhängig. Und es ist die Evolution dieser Bedingungen, die in wechselnden Zeiten wechselnde Typen der Organisation der Bedingungen von Kultur erzwingt. Die These ist, daß die moderne Gesellschaft den Typus "Kulturmanagement" auszudifferenzieren beginnt (nicht: ein System Kultur) und wir uns genau an der Stelle befinden, an der dieser Ausdifferenzierungsprozeß läuft und sich bewähren muß. Das macht, denken wir, die Spannung und die Faszination aus, die sich mit diesem Prozeß verbindet. Er ist nolens volens innovativ und damit auch: kontrovers.
Die moderne Gesellschaft Vieles hängt also davon ab, wie man die moderne Gesellschaft beschreibt. In einer breiten, Wissenschaft und Kunst überschreitenden, intellektuellen Debatte wird ihre Entwicklung unter dem Schlagwort "Postmoderne" zusammengefoßt. Ob man sich dabei an Lyotard, an Baudrillard, an Welsch oder anderen orientiert, immer steht dabei etwas im Vordergrund, das man als Explosion der Beobachtungsmöglichkeiten in der Gesellschaft kennzeichnen könnte und als ein daran anschließendes: anything goes. Die Pluralisierung möglicher Standpunkte, die Aufhebung legitimer (allgemein anerkannter Perspektiven), die Unmöglichkeit, die Einheit der Gesellschaft zu fassen und generell gültige Strategien zu entwickeln, all das ist im Begriff Postmoderne enthalten, jedoch, wie wir sagen wollen, diffus, so diffus, daß jede in diesem Kontext angesiedelte Maßnahme (zum Beispiel die Implementation von Kulturmanagement) kontingent erscheint: als ein Mehr desselben. Die postmodernen Diagnosen der Gesellschaft sind deskriptive Diagnosen. Sie entdecken und beschreiben Symptome einer uneingeschränkten Pluralität ohne MetaRegulierung, ohne eine Über-Erzählung im Sinne Lyotards, ohne die Möglichkeit
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eines Realitätskontaktes im Sinne Baudrillards. Über diese Symptomatik, die wir nicht bestreiten, kommt man aber hinaus, wenn man an die Stelle des postmodernen Syndroms Gesellschaftsanalyse piaziert.9 Wir können das hier nicht anders tun als durch das Präsentieren des Ergebnisses: Die moderne Gesellschaft ist funktional differenziert, aufgespalten in Funktionssysteme mit strikter Autonomie und eigener Codierung, die keine Grenzüberschreitungen zulassen ohne Sinnveränderungen. Entscheidend für unsere Überlegungen ist, daß dieses Bild einerseits die Symptome der Postmoderne (nachvollziehbar) generiert, andererseits deren Ursachen an (ebenso nachvollziehbare) Systemstrukturen bindet. Damit wird nämlich wichtig, daß Kultur kein System ist. Sie ist ein globales Phänomen mit lokalen Effekten und Strukturen, aber nirgends an andere Grenzen als an gesellschaftliche gebunden. Sie ist damit, wie man sagen könnte, tmnsferentiell, und gerade solche transferientiellen Phänomene erweisen sich in der postmodernen (funktional differenzierten) Gesellschaft als Zentmlphänomene.10 Der zunehmende Ruf nach Kultur (ja nach kultureller Marktwirtschaft) siedelt an dem Problem, daß die Heterogenität der Systemperspektiven nach Überbrükkung, nach Austausch, nach artikulierter Interdependenz, nach der Formulierung von thematischen Differenzen verlangt. Gerade das aber fordert eine Profession, die sich dieser transferentiellen Funktion von Kultur in einer babylonischen Gesellschaft nicht nur bewußt ist, sondern sie auf der Basis einer lateralen Ausbildung zu pflegen und zu fordern in der Lage ist. Es könnte sein, daß eben diese Profession sich im Moment unter dem Titel "Kulturmanagement" ausdifferenziert.
Allgemeine Ziele des Kulturmanagements Einerseits hat das Kulturmanagement eine entschieden gesellschaftlich-politische Dimension, weil es Bedingungen setzt, die Kultur kondiüonieren. Andererseits, so scheint es, kommt man nicht um es herum, wenn denn Kultur als transferentielles Phänomen begriffen werden kann, das gerade in dieser Pöintierung seine besondere moderne Bedeutung hat. Deswegen ist die Formulierung von Zielen des Kulturmanagements von vornherein ein ebenso unverzichtbares wie kontroverse Positionen aufrufendes Unterfangen. Wenn wir dennoch einige dieser Ziele nennen, so können wir das natürlich nur standortgebunden tun, abgeleitet zwar aus unseren Begriffsbestimmungen, aber (und das entspricht dem Bild der modernen Gesellschaft, das wir angedeutet haben) dennoch in Differenz zu anders möglichen Diagnosen, die allerdings, darin sehen wir den Vorteil unserer Optionen unter anderem begründet, ebenfalls in einem logisch-argumentativen Duktus auftreten müßten. Die Kontingenz der eigenen Vorstellungen vorausgesetzt, fassen wir als zentrale Ziele von Kulturmanagement (im Blick auf die Organisation infrastruktureller Bedingungen der Möglichkeit von Kultur) folgende auf: - Das Management von Kultur unter modernen Bedingungen einer sich unaufhaltsam pluralisierenden Gesellschaft ist darum bemüht, die globale Pluralität lokal abzubilden. Es bringt die Differentialität und Heterogenität der modernen Gesellschaft in die Sicht und eröffnet damit solchen kulturellen Prozessen besondere Chancen, die Vergleichsmöglichkeiten steigern.
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- Es fordert Prozesse, mit denen Zusammenhänge (Vernetzungen) im Differenten sichtbar gemacht werden. Es forciert insofern Differentialität und Konnektivität zugleich. - Das bedeutet, daß der kommunikative Charakter kultureller Prozesse eigens hervorgehoben und im Sinne einer Stärkung der Kommunikationssensibilität und Kommunikationsfähigkeit eingesetzt wird. - Kulturmanagement sucht, entsprechend der transferentiellen Funktion von Kultur in der Moderne, die codebedingten "gaps" zwischen den Funktionssystemen nicht unbedingt zu schließen, aber vor Augen zu führen. Damit wirkt es der isolationistischen Tendenz entgegen, Kultur als einen Sonderbereich aufzufassen, der sich im Kontakt mit einzelnen Funktionssystemen kontaminiert. Stattdessen kommt es darauf an, vorurteilsfrei den Umstand zu nutzen, daß kulturelle Prozesse global anfallen. Damit bietet sich die Chance, an Sinnverarbeitungsprozessen ganz unterschiedlicher Art zu partizipieren. - In allgemeinster Form definiert: Kulturmanagement (auf der Ebene genereller Ziele) organisiert kulturelle Felder, in denen Heterogenität nicht verwischt und Konnektivität nicht ausgeschlossen wird. Anders ausgedrückt: Es organisiert und ermöglicht kommunikative Strukturen, die die Zahl und Qualität kultureller Beobachtungsmöglichkeiten lokal steigern. - In diesen kulturellen Feldern wächst die Chance temporärer Identitätsbildungsprozesse, des "Heraus-Mendelns" lokaler Eigenwerte, die sich im Konzert der globalen Differentialität behaupten. Das Feld selbst verhindert dabei die dogmatische Besetzung der Eigenwerte durch das Fortfuhren der Möglichkeit unentwegten Vergleichs.
Konkrete Ziele des Kulturmanagements Was wir bis jetzt abstrakt diskutiert haben, wird pragmatisch dann, wenn man sich klar macht, daß Kulturmanagement, wo immer es wirklich vorkommt, sich zu arrangieren hat mit kulturpolitischen Maximen und Strategien und lokalen (kommunalen) Gegebenheiten. Gerade die Berücksichtigung solcher Gegebenheiten ist wesentlicher Bestandteil der kulturmanagerialen Ausbildung. Weder Kultur noch das auf sie bezogene Management schweben im luftleeren Raum. Sie sind sehr konkrete kommunikative Prozesse, die sich an keiner Stelle loslösen aus dem Bereich, den sie tragen und der sie trägt. Dieser Bereich ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß er politisch geprägt, daß er der Bereich der "öffentlichen Hand" ist, die - ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommend - einerseits eigene kulturelle Einrichtungen unterhält, andererseits auch nicht-staatliche Institutionen, Gruppen und Personen fördert. Kulturpolitische Akteure sind in diesem Kontext nicht nur der Staat und seine nachgeordneten Gebietskörperschaften, sondern auch die Parteien, die Kirchen, die Vereine und sonstige Organisationen. Das Zusammenwirken, die wechselseitige Kontrolle von Staat, Kommunen und freien Trägern bei der Förderung und Gestaltung des kulturellen Lebens wird im Begriff des "kooperativen Kulturfoderalismus" (Wiesand) zusammengefaßt. Daraus ergibt sich (und das ist die typische Situation, auf die das Kulturmanagement trifft) ein außerordentlich komplexes Netzwerk von rechtlich, wirtschaftlich und politisch miteinander verquickten Strukturen, die das jeweilige kulturelle Feld explizit,
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weitgehend aber auch implizit definieren. Die kulturellen Ereignisse, die darin Zustandekommen, sind vielfältig restringiert und im NormalM Effekte von Kompromißbildungen. Deswegen ist der kooperative Kulturfoderalismus darauf angewiesen (ohne schon darüber zu verfügen), daß eine Koordinationsinstanz jenes komplexe Netzwerk nicht nur zu entflechten, sondern im Interesse der Kultur zu nutzen versteht. Kulturmanagement hat dann eines seiner Ziele in der Koordination der rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen (und sonstigen) Ressourcen und Potenzen als Bedingung der Möglichkeit von relativ reibungsverlustfreien kulturellen Prozessen. Das in diesem Sinne immer lokale Management kultureller Prozesse steht aber in einem Spannungsverhältnis zwischen Lokalität und Globalität. Was lokal geschieht, geschieht in globaleren Kontexten, wie umgekehrt global wirksame Ereignisse lokale Möglichkeiten verändern. Aus diesem Grund muß Kulturmanagement die Zielvorstellung realisieren, dieses Spannungsverhältnis aufrechtzuerhalten und fruchtbar zu machen. Im Zuge der wachsenden Industrialisierung, Technisierung und elektronischen (sichtbaren und unsichtbaren) Vernetzung aller gesellschaftlichen Prozesse, damit auch der kulturellen Prozesse, muß dabei sowohl den neu entstehenden Formen von Kultur Rechnung getragen wie die Verflechtung der internationalen Kulturszene beachtet werden. Aus diesem Spannungsverhältnis resultiert aber auch zunehmende Komplexität kultureller Prozesse. Mit Sicherheit werden kulturelle Angebote schwieriger "konsumierbar" werden. Je mehr Differentialität und Vernetzung sie spiegeln, desto deutlicher treten "Kulturvermittlungsprobleme" auf. Diese Probleme müssen im Zielekanon modernen Kulturmanagements aufgenommen werden. Kulturvermittlung, auch und gerade dann, wenn sie es mit Avantgarde-Prozessen und Experimenten zu tun hat, ist unabdingbar, damit eine hinreichende Themenvariation in der modernen Gesellschaft gegeben bleibt und nicht Wiederholung zum Prinzip kultureller Prozesse wird. Wir haben versucht, in programmatischer (wiewohl theoretisch abgestützter) Weise ein Bild modernen Kulturmanagements in der modernen Gesellschaft zu entwickeln. Dieses Bild muß ausgemalt und mit Details angereichert werden, und da wir von der Ausbildungsseite her sprechen, versteht es sich, daß wir es gleichsam von der Bedingung seiner Möglichkeit her, von der Ausbildung eines Personenkreises her, ausmalen und anreichern würden. Das können wir hier nicht mehr leisten.11 Klar ist, daß wir nicht annehmen, daß Kulturmanager/inn/en geboren werden, irgendwie selbstläufig entstehen. Hin und wieder mag das der Fall sein, daß spezifische Lebens- und Berufeerfahrungen einer Person sie in den Stand versetzen, kulturmanagerial zu agieren und darin erfolgreich zu sein. Aber das geschieht nicht so oft, daß dauerhafte gesellschaftliche Effekte daraus resultieren. Wir denken, daß die Funktion von Kulturmanagement und seine daraus abgeleiteten Ziele ein "Personal" erfordern, daß gründlich ausgebildet und vorbereitet wurde, theoretisch wie praktisch, im Management so gut wie in den Theorien, die sich auf kulturelle Prozesse beziehen. Vielleicht kann man es nicht lernen, Kultur zu machen, wohl aber: dieses Machen den Bedingungen seiner Möglichkeit nach lege artis zu organisieren.
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Anmerkungen 1 Es kommt ganz besonders auf das Wiederbereitstellen, auf die Wiederholung oder die Wiederaktualisierbarkeit an. Obwohl wir in unseren Überlegungen nicht auf Parsons zurückgreifen, ist hier sein latent-pattern-maintenance-Problem impliziert. 2
Vgl. dazu Luhmann, N., Soziale Systeme, Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main 1984, S.224.
3 Siehe dazu eingehender Fuchs, P./Heinze, Th., Kulturmanagement in der Weiterbildung: 'Integrierter Studiengang an der FernUniversität Hagen', Manuskript Hagen 1992. 4 Vernetzungen sind in der Planung zum Beispiel mit der Hochschule für Musik und Thater und der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg. 5 Weiter unten wird deutlich werden, daß dies genau den Bedingungen einer modernen Gesellschaft korreliert. 6 Eine solche laterale Gestaltung wird von uns im oben bezeichneten Projekt angestrebt und durchgeführt. Siehe dazu noch einmal Fuchs/Heinze, a.a.O. 7 So zum Beispiel Schwarz, H.U., 'System: Kultur - Medium: Mode', in: Mode und Gesellschaft 1, 1990. Jg.l, S.5-21. Dezidiert dagegen argumentiert Fuchs, P., 'Die Kultur, die Liebe und soziale Systeme, Zum Problem sozialer Ordnung', Studienbrief (G 103) im Rahmen kulturwissenschaftlicher Weiterbildung der Fernuniversität Hagen, Hagen 1992. 8 Man könnte auch, Hamlet variierend, sagen: Schild oder Nichtschild, das ist hier die Frage. Siehe dazu auch Fuchs, P., 'Die Welt, die Kunst und soziale Systeme', Studienbrief (G 102) im Rahmen der Kulturwissenschaftlichen Weiterbildung der FernUniversität Hagen, Hagen 1992. 9 Das geschieht dezidiert in Fuchs, P., Die Erreichbarkeit der Gesellschaft, TAUT Konstruktion und Imagination gesellschaftlicher Einheit, Frankfurt am Main 1992. 10 Wir könnten hier mit Welsch, W., Unsere Postmoderne Moderne, Weinheim 1987, von "Transversalität" sprechen. 11 Siehe dazu noch einmal Fuchs/Heinze, a.a.O.
Kulturvermittlung im Fernsehen* Dieter Stolte
Nach einem einheitlichen Verständnis von Kultur sucht man heute sowohl in den Wissenschaften als auch im Alltagsverständnis der Zuschauer vergeblich. Gerade hinsichtlich der Einordnung des relativ neuen Mediums Fernsehen in den kulturellen Rahmen scheiden sich die Geister: Während die einen es als unverzichtbaren Promotor und Ausdruck einer neuen und breiten Massenkultur begrüßen, verwerfen es die anderen als "Teufelswerk", das wahre Kultur zerstöre und einem rapide sich vollziehenden Kulturverfall Vorschub leiste. Solch gegensätzliche Einschätzungen beruhen auf einem unterschiedlichen, explizit zugrundegelegten oder implizit unterstellten (Vor)-Verständnis von Kultur. Strukturell lassen sich mindestens drei KulturbegrifFe unterscheiden: 1. Elite- bzw. Hochkultur (= höhere Kultur im engeren Sinne). Darunter fallen die sog. schönen Künste von der Malerei und Bildhauerei über die klassische Musik bis hin zu Theater, anspruchsvoller Literatur und Philiosophie. Sie ist ein Werk weniger schöpferischer Geister für eine gebildete Elite. 2. Kultur als Inbegriff der schöpferischen Leistungen des Menschen im literarischkünstlerischen, gesellschaftlich-politischen und wissenschaftlich-technischen Bereich (= höhere Kultur im weiteren Sinne). Zu den bereits genannten Künsten kommen Wissenschaft, Technik, Recht, Medizin und Religion hinzu. Kultur wird hierbei pragmatisch verstanden im Sinne des Schaffens bzw. Hervorbringens des Menschen. Dazu gehört sowohl die ethisch-politische Kultur des Handelns als auch die wissenschaftlich-technische Kultur des Machens.1 3. Massen- bzw. Populärkultur (= Kultur im weitesten Sinne). Hierzu zählt alles, was den Lebensstil größerer Gruppen unserer Gesellschaft prägt, wie z.B. Mode, PopMusik, Unterhaltungsfilme, Wohnen und Freizeitgestaltung. Diese Form der Kultur ist - wie bereits der Name sagt - eng mit den Massenmedien verbunden. Die genannten drei Kulturbegriffe sind geschichtlich gewachsen; sie entstammen drei verschiedenen Epochen und beziehen sich in ihrer ursprünglichen Bedeutung auf drei verschiedene Sozialstrukturen. Das moderne, sehr stark durch das Buch geprägte Verständnis von Kultur als Elitekultur findet sich erstmals ausdrücklich bei Herder. Er unterscheidet streng zwischen Kultur als Inbegriff der geistigen Leistungen des Menschen und Zivilisation im Sinne der wissenschafitlichen-technischen Errungenschaften. Kultur dient nach den Vorstellungen der deutschen Klassik, die dabei ihrerseits an die humanistischen Ideale der Antike anknüpfte, der Herausbildung und Veredelung des Mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Bertelsmann entnommen aus: Dieter Stolte (in Zusammenarbeit mit Emil Kettering), Fernsehen am Wendepunkt - Meinungiforum oder Supermarkt?, C. Bertelsmann Verlag GmbH, München 1992.
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menschlichen Charakters, der Ausbildung der ganzen Persönlichkeit. Kultur war wesentlich auf eine kleine Bildungselite begrenzt. Mit dem rasanten Siegeszug von Wissenschaft und Technik und der Ausweitung der Bildung im 19. Jahrhundert erweiterte sich auch der Kulturbegriff: Nicht mehr der Fortschritt in der Ausbildung des Menschen, sondern der wissenschaftlich-technische Fortschritt steht seither im Vordergrund. Die fortschreitende Industrialisierung führte zu einer Einebnung von Individualität und einer Vermassung, von der auch die Kultur nicht ausgenommen war. Unterstützt durch die Ausbreitung der Massenmedien Zeitung, insbesondere aber Hörfunk und Fernsehen bildete sich in unserem Jahrhundert eine weltweite Massen- bzw. Populärkultur: Man trägt in Europa dieselben Jeans wie in Amerika, hört dieselbe Musik und sieht sich dieselben Filme an. Im Zuge dieser Entwicklung wurde Kultur auch zur kommerziellen Ware nivelliert. Ein neuer Industriezweig ist geboren: die "Kulturindustrie"2. Massenkultur ist wesentlich geprägt durch Standardisierung, Stereotypisierung, maschinelle Fertigung und Ausrichtung auf Verkauf und Verbrauch. Verfolgt man die zahlreichen und völlig unterschiedlichen Kulturdiskussionen unserer Tkge, so kann als einziger Konsens festgehalten werden, daß alle für die Förderung und Bewahrung von Kultur plädieren, daß aber das jeweilige Verständnis von Kultur erheblich differiert. Was Kultur ist und was sie sein soll, ist mehr als früher zum Problem geworden. Eine Schwierigkeit unserer Zeit liegt sicherlich darin, daß alle drei genannten Kulturbegriffe bis heute ihre Anhänger und Fürsprecher haben und wir infolgedessen in einem Konglomerat unterschiedlicher Kulturauffassungen leben. Alphons Silbermann hat bereits in den sechziger Jahren überzeugend nachgewiesen, daß Elitekultur und Populärkultur keine einander ausschließenden Gegensätze darstellen, wie die Begriffe auf den ersten Blick nahelegen, sondern sich - genau besehen auf unterschiedliche Gesellschafisstrukturen und deren Selbsteinschätzung beziehen.3 Um sowohl dieses unhistorische Gegensatzverhältnis als auch die mit den Begriffen Populär- und Massenkultur als niedere Kulturformen leicht assoziierbare Abwertung fernzuhalten, habe ich vor einigen Jahren in einem Artikel in der "Zeit" den Terminus "Alltagskultur" vorgeschlagen.4 Dieser scheint mir gerade auch im Hinblick auf die Kulturfunktion des Fernsehens angemessener als die geläufigen Begriffe zu sein. Alltagskultur liegt außerhalb der falschen Alternative von Elitekultur oder Populärkultur. Sie erlaubt nicht nur, beide Kulturen nebeneinander bestehen zu lassen, sondern bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Verbindlungslinien zwischen beiden zu ziehen. Während es früher nahezu keine Berühungspunkte zwischen Elite- und Massengeschmack gab, lassen sich heute - nicht zuletzt aufgrund der Vermittlung durch die Massenmedien - doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten auffinden. Erinnert sei z.B. an die nicht geringe Zahl von Zuschauern, die neben klassischer Musik auch PopMusik lieben oder die die perfekt gemachte Unterhaltung eines James-Bond-Films ebenso schätzen wie die Thematisierung konkreter sozialer Probleme in einem Fernsehspiel. Das Massenmedium Fernsehen ist wegen seiner im Vergleich mit den Printmedien deutlich geringeren Hemmschwelle weit mehr als diese in der Lage, unterschiedliche kulturelle Gruppierungen zu einem Publikum zu vereinen. Es bietet somit die Chance, daß unterschiedliche Lebensformen einander näherkommen und Verständnis füreinander gewinnen. Jeder kann sehen, was dem anderen gefällt. Das von mir präferierte Verständnis von Kultur als "Alltagskultur" geht also einher mit der Bemühung, eine Verbindung — was nicht heißen soll eine bloße Vermischung - zwischen besonderen und allgemeinen Kulturkreisen herzustellen, unterschiedliche und gesellschaftliche
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Gruppierungen miteinander bekannt zu machen und das darin Bewegende und Relevante allen mitzuteilen. Eine wesentliche Funktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in einer pluralistischen Gesellschaft besteht darin, die Vielfalt und Vielzahl konkurrierender Weltanschauungen und Lebensstile wiederzugeben. Daher darf es nicht verwundern, wenn alle vier genannten Kulturbegriffe auch für den Bereich des Fernsehens eine Anwendung finden. Diese läßt sich im Blick auf den dreifachen Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens - informieren, bilden und unterhalten - verdeutlichen. Bildung wird häufig mit höherer Kultur im engeren Sinne gleichgesetzt. Zwar reicht das bildungsbürgerliche Verständnis des 18. und 19. Jahrhunderts von Kultur als Hochkultur trotz des enormen Zuwachses der Bildungsschicht in diesem Jahrhundert nicht zu, um dem relativ neuen Massenmedium Fernsehen im ganzen gerecht zu werden. Dennoch spielte es bei der anfänglichen Einteilung der Fernsehanstalten in Redaktionen in den 50er und 60er Jahren für das Selbstverständnis der Kulturabteilungen eine tragende Rolle. Später hat dieser Kulturbegriff dann eine Ausweitung auf moderne Ausprägungen der Populärkultur erfahren. Dieses neue, erweiterte Kulturverständnis wurde im Jahre 1973 programmatisch von dem damaligen Leiter des ZDF-Kulturmagazins "Aspekte", Reinhart Hoffmeister, artikuliert: Der Kulturbegriff wird bei 'Aspekte' realistisch verstanden. In unserer Zeit bedeutet Kultur nicht allein Literatur und bildende Kunst, Theater und Musik, Film und Architektur. Gerade das, was dem Menschen direkt unter die Haut geht, gehört heute zur Kultur: sein Wohnen, seine Freizeit, seine Umwelt. Nicht eine elitäre Minderheit, sondern alle Menschen, die aufgeschlossen und diskussionsbereit sind, sollen durch 'Aspekte' angesprochen werden.5 Neben der beschriebenen weitgehenden Gleichsetzung von bildenden und kulturellen Programmen werden häutig bildende und informierende Sendungen unter dem erweiterten, pragmatisch orientierten Begriff von höherer Kultur zusammengefaßt, der wie beschrieben - neben der literarisch-künstlerischen die gesellschaftlich-politische und die wissenschaftlich-technische Sphäre umfaßt. Fragt man schließlich nach dem kulturellen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht auferlegten Verpflichtung zur "Grundversorgung", so kommt der weiteste Begriff von Kultur als "Alltagskultur" zum Tragen, der neben Information und Bildung auch die Unterhaltung umfaßt. Zum umfassenden Kulturauftrag des Fernsehens gehört beides: die Pflege der höheren Kultur und die Vermittlung der Massenkultur. Allerdings darf die Berücksichtigung eines veränderten Kulturverständnisses in unserer Gesellschaft nicht als Kehrtwendung zu einem unterhaltungsorientierten Fernsehen mißverstanden werden: Die eher anspruchsvolle Kultur bleibt auch weiterhin als Kern der kulturellen Programme erhalten. Auf der Folie dieser unterschiedlichen Begriffe von Kultur lassen sich auch die erheblich differierenden Zahlen bezüglich des Anteils von Kultursendungen am Gesamtprogramm anschaulich machen. So belief sich beispielsweise im ZDF im Jahre 1990 der Anteil kultureller Sendungen im engeren Sinne (= Bildungsprogramme) auf ca. 15%, im erweiterten pragmatischen Sinne (= Bildungs- und Informationsprogramme) auf rund 50% und im weitesten Sinne von Alltagskultur (= eher anspruchsvolle Informations-, Bildungs- und Unterhaltungsprogramme) auf ca. 60%. Allerdings ist sehr häufig eine scharfe Grenzziehung zwischen informierenden, bildenden und
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unterhaltenden Programmen nicht möglich. Vielmehr können im Idealfall alle drei Funktionen Bestandteile einer Sendung sein. Die öffentliche und rundfunkinterne Diskussion über den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im dualen System veranlaßte die ARD/ZDF-Medienkommission im Jahre 1987, eine großangelegte repräsentative Studie durchzuführen, die in ihrem Kern Kulturangebote und -nutzung vor Ort und in den Medien, insbesondere dem Fernsehen, untersuchte und das Verhältnis der Publika unterschiedlicher Kulturbereiche analysierte. Aus forschungspragmatischen Gründen mußte der Kulturbegriff auf "Kultur als autonomes Feld gesellschaftlicher Praktiken, unterschieden von anderen gesellschaftlichen Handlungssystemen wie Politik, Religion, Bildung, Wissenschaft usw." eingeengt werden. Untersucht wurden die fünf Kulturbereiche belletristische Literatur, Theater, Malerei/bildende Kunst, Musik und Film - allerdings jeweils in ihrer gesamten Bandbreite von der Kunstkultur bis zu Pöpulärkultur.6 Durch diese, aus forschungspragmatischen Gründen notwendige Beschränkung des Kulturbereiches war von vorneherein klar, daß die Studie keine Klärung des Kulturbegriffs bringen konnte, was auch nicht ihr Ziel war. Dennoch liefert sie erstmals umfassende Ergebnisse über die Interessenten- und Nutzerkreise von Kultur vor Ort und im Fernsehen sowie deren Überschneidungen und Differenz. Aus der Vielzahl der Daten können hier nur einige markante herausgegriffen werden: Knapp 13% der westdeutschen Bevölkerung sind im Erhebungszeitraum (Frühjahr 1989) als kulturinteressiertes Publikum im engeren Sinne einzustufen. Fast ebenso viele, nämlich 11 % haben so gut wie keine Kontakte mit Kultur vor Ort oder in den Medien. Nimmt man die Gruppe der "Gelegenheitsnutzer" hinzu, die knapp ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung ausmacht, so kommt man zu einem Gesamtpotential von 44%. Diesem stehen 45 % der erwachsenen Bevölkerung gegenüber, die in ihrer Freizeitbeschäftigung rein unterhaltungsorientiert sind.7 Die Hauptprogramme von ARD und ZDF boten 1989 wöchentlich Kultur mit einer Sendedauer von über 28 Stunden an, von denen gut 15 Stunden auf die Abendzeit entfielen. Der Anteil kultureller Programme im engeren Sinne, innerhalb der Studie als "Kunst-Kultur" definiert, betrug bei ARD und ZDF rund 14% der Gesamtsendezeit und blieb bei RTL plus und SAT1 unter 4%.8 Dies macht deutlich, daß die öffentlichrechtlichen Programme ihrem Kulturauftrag nachkommen und sich die Angebotsprofile von öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Anbietern in diesem Bereich signifikant unterscheiden. Kultur, sofern sie bei den privaten Programmen vorkommt, ist fest immer Populärkultur. Dies zeigt sich im Bereich der kulturellen Information, wo bei den Privaten Kulturinfotainment vorherrscht, im Musikbereich, wo die Unterhaltungsmusik den weitaus größten Platz einnimmt, und insbesondere auch im Fictionbereich: Während 30% des Fictionangebots des ZDF zur Kunst-Kultur zu rechnen sind, finden sich hier bei den Privaten — mit Ausnahme von Pro7 — ausschließlich populäre Unterhaltungsfilme und -serien.9 Andererseits belegte die Kulturstudie einmal mehr, daß Kultursendungen weit unterdurchschnittlich genutzt werden: Zum einen verlieren die ohnehin zum überwiegenden Teil nicht hoch eingeschaltenen Sendungen überproportional an Zuschauern, zum anderen zeigt der Vergleich zwischen Sendezeit und Sehdauer zwischen 20.00 Uhr und 1.00 Uhr, daß lediglich 10% der angebotenen Kultursendungen bei ARD und ZDF gesehen werden, dagegen aber 50 bis 60% der angebotenen Unterhaltungsfilme und Serien.10 Erwartungsgemäß sehen die Zuschauer am häufigsten Kulturprogramme, die auch
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am kulturellen Leben vor Ort teilnehmen. Einzig die Fernsehspiel- und Spielfilmnutzung hängt wenig vom kulturellen Interesse ab. Die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens als Kulturvermittler zeigt sich insbesondere darin, daß es ihm immer wieder gelingt, auch Zuschauer mit keinem oder geringerem kulturellen Interesse zumindest mit einzelnen Sendungen zu erreichen. Beispielsweise erreicht das ZDFKulturmagazin "Aspekte" im Laufe eines Vierteljahres rund 4,6 Millionen kulturell wenig Interessierte.11 Eines der zentralsten, wenn nicht das zentrale Merkmal der Fernsehkultur ist, daß Fernsehen ein Massenmedium ist. Durch seine unschlagbare Kombination von Bild und Wort ist das Fernsehen zum wichtigsten Instrument der Massenkomunikaüon unseres Zeitalters geworden. Kennzeichen von Massenkommunikation ist nach Charles R. Wright, daß sie sich an "umfassende, heterogene und anonyme Publikumsschichten" wendet.12 Im Unterschied etwa zum Fachbuch richtet sich das Fernsehen nicht an ein jeweils bestimmtes, sondern an ein allgemeines Publikum, versucht nicht wenige, sondern alle anzusprechen. Dieses Faktum unterstreicht erneut, daß die Kulturfunktion des Fernsehens nur von einem weitgefaßten Kulturverständnis als "Kultur für alle"13 her zureichend interpretiert werden kann. Allerdings ist der Terminus "Massenmedium" in zweifachem Sinne zu verstehen: Einerseits ist das Fernsehen Massenmedium in einem absoluten Sinne, indem es darauf aus ist, sehr große Teile der Bevölkerung mit seinen Sendungen zu erreichen, was vornehmlich Spielfilmen, Unterhaltungsshows und Übertragungen sportlicher Großereignisse mit Einschaltquoten über 30 oder 40% gelingt. Andererseits ist das Fernsehen aber auch Massenmedium in einem relativen Sinne, wenn es beispielsweise bei einer Opernübertragung "nur" Einschaltquoten von 1 oder 2% erzielt, denn damit erreicht es immer noch 400000 bis 800000 Zuschauer, eine Zahl, an die selbst die bestbesuchten Opernhäuser über einen längeren Zeitraum betrachtet nicht einmal annähernd herankommen können. Um nur ein konkretes Beispiel zu geben: Bayerns größtes Theater, das Nationaltheater in München, verfügt über 2101 Plätze. Die erfolgreichste Inszenierung nach seiner Wiedereröffnung im Jahre 1963 ist Rennerts "Figaros Hochzeit" mit 261 Aufführungen. Unterstellt man immer ein ausverkauftes Haus, so kommt man auf 548361 Zuschauer in einem Zeitraum von 26 Jahren. Das Fernsehen kann an einem Abend das Doppelte erreichen.14 Dem Fernsehen kann es - zumindest in seinen Vollprogrammen - nicht darum gehen, nur Elitekultur zu zeigen, die dann nur sehr wenige Zuschauer findet, noch nur Massenkultur vorzuführen, die sich allein an der Größe der Verbreitung bemißt, vielmehr muß es ihm darum zu tun sein, sowohl die Gefahren und Einseitigkeiten der Elitekultur als auch die der Populärkultur zu vermeiden. Fernsehen sollte sich darum bemühen, Kultur in der Weise anzubieten, die sie als lebenswichtigen Bestandteil des individuellen und gesellschaftlichen Lebens ausweist. Dieses weite Verständnis von Kultur als "Alltagskultur", das sich auf alle Ausformungen unserer Gesellschaft erstrecken kann, läßt sich durch die philosophische Einsicht der modernen Kulturanthropologie (Erich Rothacker, Arnold Gehlen, Michael Landmann)15 stützen, die Kultur als Inbegriff dessen versteht, was die Menschheit nicht schon von der Natur als Anlage mitbekommen, sondern durch eigene Schöpferkraft hervorgebracht hat, und als zentrales Wesensmerkmal (" Anthropinon") des Menschen herausstellt. Erinnert sei hier an Landmanns Formel vom Menschen als "Schöpfer und Geschöpf der Kultur".
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Erst im Ausgang von dieser wesensmäßigen Kulturalität des Menschen kann sinnvollerweise nach unterschiedlichen Kulturniveaus gefragt und von einem Aufstieg oder Niedergang der Kultur gesprochen werden. Es ist beispielsweise zu fragen: Muß Kultur nicht immer auch ein ethisches Moment enthalten, das es erlaubt, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden, wie Albert Schweitzer in seinem Werk "Kultur und Ehtik"16 leidenschaftlich fordert? Gibt es eine dem Menschen vorgezeichnete "natürliche", "ideale" Kultur, oder müssen wir uns mit einer Pluralität von Kulturen begnügen, die jeweils nur nach ihrem immanenten Maßstab zu messen sind, wie Michael Landmann17 nachzuweisen versuchte? Die hier angesprochene Schwierigkeit, geeignete Kritereien für die Bewertung unterschiedlicher nationaler Kulturen zu finden, läßt sich auch auf die unterschiedlichen Kulturstile und -ausprägungen innerhalb einer Gesellschaft übertragen. Auch wenn das Massenmedium Fernsehen einen nicht unerheblichen Anteil an der Prägung der Alltagskultur hat, würde man die Programmacher überfordern, wollte man ihnen allein die Verantwortung für das kulturelle Niveau einer Gesellschaft aufbürden. Die genannten vier Kulturbegriffe können als Folie dienen, auf der das Verhältnis von Femsehen und Kultur erörtert werden kann. Einleitend wurde bereits die populäre These Neil Postmans referiert, Fernsehen bewirke einen Verfall unserer Kultur. Im folgenden werden im Anschluß an Alois Huters bemerkenswerte Studie, "Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... Fernsehen als Kulturwirklichkeit"18, fünf wesentliche Mängel der Pöstmanschen Argumentation herausgestellt: 1. Postman unterstellt von vornherein einen bestimmten, normativen Begriff von Kultur als Buchkultur, noch dazu einer gehobenen Buchkultur, von dem aus er seine Wertungen vornimmt.19 2. Er fällt zu schnell Werturteile, ohne sich zunächst um eine genaue und möglichst vollständige Beschreibung des Kulturwandels und des Phänomens Fernsehen zu bemühen.20 Selbst wenn man diese beiden Punkte als zulässige subjektive Standpunktnahme zugesteht, bleiben drei prinzipielle methodische Fehler: 3. Postman verkürzt das wechselseitige Bedingungsverhältnis von Fernsehen und Kultur auf ein lineares Ursache-Wirkungs-Verhältnis, wobei das Fernsehen die Ursache, der Kulturwandel die Wirkung darstellt.21 4. Er betrachtet Fernsehen rein funktionalis tisch, d.h. er fragt nur nach seinem Nutzen und Zweck, nicht aber nach seinem Wesen, d.h. nach dem, was es ist.22 5. Er reduziert den Kulturwandel im 20. Jahrhundert allein auf den Medienwandel und versucht, kulturelle Veränderungen ausschließlich vom Fernsehen her zu erklären.23 Huter dagegen ist davon überzeugt: "Der Kulturwandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sofern er denn tatsächlich stattfand, hat ganz bestimmt nichts mit dem Fernsehen zu tun."24 Auch wenn ich diese These für eine Überziehung ins andere Extrem halten, denn Fernsehen hat unleugbar unser Alltagsleben entscheidend mitgeprägt und verändert, so ist Huter sicherlich zuzustimmen, wenn er behauptet: "Das Fernsehen ist kulturelle Wirklichkeit und schafft kulturelle Wirklichkeit."25 Genau besehen läßt sich das Verhältnis von Fernsehen und Kultur folgendermaßen beschreiben: Das Fernsehen ist Teil, Medium und Faktor der Kultur. Mit anderen Worten: Es ist kulturgeprägt, kulturvermittelnd und kulturprägend. Fernsehen ist erstens Teil der Kultur. Als solcher ist ftrnsehen Kultur, gehört es
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zur kulturellen Wirklichkeit und kann daher nicht abgetrennt von dieser gesehen werden. Der Antagonismus Femsehen versus Kultur erweist sich unter diesen Vorzeichen als unzulässiges Konstrukt. Fernsehen ist ein Geschöpf der Kultur und als solches kulturgeprägt. Will man das Fernsehen kritisieren, so muß man zwangsläufig auch die Kultur kritisieren, die es hervorgebracht hat, die es trägt und prägt. Daher konstatiert Huter zu Recht: "Alles, was je von einer Kultur hervorgebracht wurde, ist kulturbedingt. Aber alles, was Kultur je hervorgebracht hat, wird ebenso kulturbedingend."26 Fernsehen ist zweitens Medium der Kultur. Es dient der Vermittlung und Verbreitung fremdgeschaffener Kultur. Kulturelle Leistungen und Ereignisse können transportiert und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Es gilt, Interesse zu wecken für Kultur und einzelne Schöpfungen verständlich zu machen, es gilt, zu informieren und zu orientieren, aber auch dort, wo es nötig scheint, Kritik zu üben. Die Rolle des Fernsehens als Kulturmedium erstreckt sich zunächst auf die Vermittlung und Aufbereitung nationaler Kultur, beispielsweise in Sendungen zur deutschen Geschichte, einheimischen Kunst und Lebensart. Es dient aber auch dem Bekanntmachen mit fremden Kulturen sowie der Integration unterschiedlicher Kulturkreise. Schließlich sind die Kultursendungen im engeren und im erweiterten Sinne zu nennen, die über Tendenzen in Literatur, Kunst, Musik und Philosophie sowie in Recht, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik berichten. Als Kulturmedium spiegelt das Fernsehen kulturelle Ereignisse und Meinungen wider. Dabei fungiert es allerdings nie nur als neutraler Reflektor kultureller Vorgänge, sondern immer auch als Multiplikator und Katalysator kultureller Meinungsbildung. Mit anderen Worten: Genau besehen findet bereits im Bereich der Vermittlung fremdgeschaffener Kultur keine bloße Wiedergabe statt, vielmehr wirkt auch hier das Fernsehen aufgrund seiner großen Verbreitung als kulturprägender oder zumindest kulturmitprägender Faktor. Zwar erleiden die spezifischen Kultursendungen in den Kabel- und Satellitenhaushalten durch die übermächtige Unterhaltungskonkurrenz derzeit Zuschauerverluste von der Hälfte bis zu zwei Dritteln, dennoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß selbst unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen des dualen Rundfiinksystems - was die Verbreitung betrifft - Fernsehen noch immer der Kulturvermittler Nummer 1 in Deutschland ist. So erreicht beispielsweise die Ausstrahlung einer Oper mit einer Einschaltquote von 1 oder 2%, was in absoluten Zahlen 400000 bzw. 800000 Zuschauern entspricht, weit mehr Zuschauer als die bestbesuchten Opernhäuser der Welt in einer ganzen Saison. Ein Kulturmagazin wie "Aspekte", das nach 22 Uhr noch von 2 bis 3 Millionen Zuschauern gesehen wird, geht weit über den Leserkreis des Feuilletonteils von "Spiegel", "Zeit" und "FAZ" hinaus. Selbst eine Philosophiesendung, die, im Dritten Programm ausgestrahlt, allein in Nordrhein-Westfalen von 250000 Zuschauern gesehen wird, findet ein um ein Vielfaches größeres Publikum als einschlägige BuchveröfFentlichungen. Fernsehen fungiert drittens als Faktor der Kultur in einem eminenten Sinne durch die Eigenproduktion von Spielfilmen, Serien und Femsehspielen, durch Gestaltung und Umsetzung literarischer oder musikalischer Vorlagen, Koproduktion im Rahmen des Film/Fernseh-Abkommens (FFA) und durch Auftragsproduktionen an die Filmwirtschaft. Nicht vergessen werden sollte auch die Beteiligung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an kulturellen Veranstaltungen und seine vielfaltigen Anstrengungen zur Förderung insbesondere junger Künstler, etwa durch die Ausrichtung von musikalischen Nachwuchswettbewerben oder die jährliche Verleihung des Aspekte-Literatur-
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preises durch eine unabhängige Jury von Fachkritikern. Schließlich prägt das Fernsehen in nicht unerheblichem Maße unsere Sprachkultur. Auch übt das Fernsehen - ob es will oder nicht - mit seinen Serienhelden und Show-Stars eine Vorbildfuntkion aus. Es vermittelt Ideale, Wunschbilder von geglücktem Leben und Schreckensbilder von dem, was vermieden werden sollte. Am deutlichsten zeigt sich diese Vorbildfunktion im Bereich der modischen Trends. Man trinkt denselben Kaffee wie Professor Brinkmann, trägt dieselben Abendkleider wie Krysüe aus dem "Denver Clan", schmückt sich mit einer Sonnenbrille Marke "Miami Vice" usw. Aus dem beschriebenen vielfältigen Wechselverhältnis von Fernsehen und Kultur ergibt sich folgendes hermeneutische Problem, das die Kulturpessimisten gemeinhin übersehen: Einerseits ist das Fernsehen - wie jedes Medium - nur im Kontext der Kultur verstehtbar, die es hervorgebracht hat und die es trägt. Andererseits ist eine Gesamtkritik des Fernsehens als solchem und seiner Kultur nur möglich von einem anderen Kulturverständnis her, etwa dem der Buchkultur. Es gibt aber keinen archimedischen Punkt, von dem aus Kultur beurteilt werden kann, weil wir keinen Standpunkt außerhalb der Kultur, auch nicht außerhalb unserer jeweils eigenen Kultur einnehmen können. Anders gewendet: Insofern Fernsehen Teil einer bestimmten Kultur ist, trägt es auch zum Kulturwandel bei und prägt mit die Maßstäbe einer Kultur. Und insofern Fernsehen Medium einer Kultur ist, reflektiert es sowohl die Werte dieser Kultur als auch deren Veränderungen. Aus diesem Grund müssen zwangsläufig alle einsinnig gerichteten Kausalerklärungen am Phänomen Fernsehen sowie dem Kulturwandel vorbeigehen. Zu Postmans Entgegensetzung von Fernsehen und Buch ist aus der Sicht eines Fernsehverantwortlichen zu sagen: Fernsehen kann und will das Buch nicht ersetzen. Im Gegenteil, Fernsehen lebt zu einem wesentlichen Teil vom Buch, sei es in der Form von Romanvorlagen, Schauspielen, wissenschaftlichen Nachschlagewerken oder eigens für es angefertigten Drehbüchern. Auch ist ein wirkliches Studium und vertieftes Eindringen in die Welt des Geistes nur durch intensive Lektüre möglich. Was das Fernsehen leisten kann, ist, Interesse zu wecken für Kultur, Ideen und kulturelle Leistungen einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen und in ihrer Relevanz für unser Alltagsleben zu verdeutlichen. Ferner bietet das Fernsehen dadurch, daß es beispielsweise bei Literaturverfilmungen gezwungen ist, zu selektieren und bildlich zu konkretisieren, Reibungspunkte für alle diejenigen, die dieses Buch gelesen haben und sich eine eigene Vorstellung davon gemacht haben, animiert zur Auseinandersetzung mit anderen Weltsichten. Fernsehen und Buch stehen nicht in einem Verdrängungsverhältnis zueinander, sondern einem Ergänzungsverhältnis, wie eine großangelegte Studie über "Kommunikationsverhalten und Buch" Ende der 70er Jahre bestätigte.27 Dieses Resultat hat auch nach der neuesten Studie der Bertelsmann Stiftung, "Kommunikationsverhalten und Medien", seine Gültigkeit behalten.28 Auch wenn ich Postmans Antagonismus von Fernseh-Kultur und Buch-Kultur und seine darauf aufbauende KulturverMsthese nicht teilen kann, so glaube ich, müssen wir dennoch seine Kritik ernst nehmen, soweit sie die von ihm für die USA reklamierte verhängnisvolle Entwicklung betrifft, daß Fernsehen zu einem rein kommerziellen Unterhaltungsmittel verkommt und daß infolgedessen alle Themen — ganz gleich ob ernst oder heiter - nur noch in der Form des Entertainments angegangen werden. Bedenkenswert scheinen mir ferner seine Hinweise auf die Änderung unseres Welt-
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und Wirklichkeitsverhältnisses durch die Dominanz des Fernsehens. Es bleibt eine Aufgabe für die zukünftige Medienforschung, diesen Hinweisen nachzugehen und eine detaillierte Beschreibung des Kulturwandels und des Wesens des Fernsehens zu geben. Manches spricht dafür, daß es dazu einer Änderung der bisherigen Forschungsrichtung bedarf, die mehr als bisher auf die komplexen Interdependenzen zwischen Fernsehen und Kulturumwelt eingeht, wie dies beispielsweise von Joshua Meyrowitz vorgeschlagen wurde.29 Meyrowitz zufolge ändern sich mit dem Medienwandel auch die sozialen Rollen und das zwischenmenschliche Verhalten und können daher nicht abgelöst davon gesehen werden. Auf das unterschiedliche Verhalten im Umgang mit Kulturangeboten gehe ich im Kapitel 6 von "Fernsehen am Wendepunkt" (München 1992) am Beispiel von Buch und Fernsehen ein.
Anmerkungen 1 Zu dieser Unterscheidung vgl. Reinhart Maurer: Handeln und Machen - Zum Begriff der Kultur in Revolution und 'Kehre'. Studien zum Problem gesellschaftlicher Naturbeherrrrschung, Frankfurt a.M. 1975, S. 111-125. 2 Vgl. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: 'Dialektik der Aufklärung'. In: Adorno: Gesammelte Schriften, Bd. 3, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1984, S. 141— 199 und S. 299-335 (Erstdruck 1947). Ferner Theodor. W. Adorno: 'Résumé über Kulturindustrie'. In: Adorno: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt a.M. 1967, S. 60-71; Theodor W. Adorno: Modelle, Frankfurt a.M. 1963, S. 69-80. Allerdings beruht letztgenannter Aufsatz auf Studien, die der Autor in den Jahren 1952/53 in den USA durchführte, deren Resultate nach eigner Aussage "keineswegs blank auf das deutsche Fernsehen zu übertragen sind" (S. 69). 3 Vgl. Alphons Silbermann: Vorteile und Nachteile des kommerziellen Fernsehens. Eine soziologische Studie, Düsseldorf 1968, S. 33-49; Alphons Silbermann: 'Kultur' und 'Massenkultur'. In: Handwörterbuch der Massenkommunikation und Medienforschung, Bd. II, Berlin 1982, S. 258-60 und 293-294. 4 Vgl. Dieter Stolte: 'Kultur für alle'. In: Die Zeit, Nr. 31, 27. Juli 1984, S. 14. 5 Zitiert nach Peter Seiberts Artikel 'Kulturmagazine'. In: Helmut Kreuzer (Hrsg.): Sachwörterbuch des Fernsehens, Göttingen 1982, S. 126-136, hier S. 128. 6 Vgl. Bernward Frank, Gerhard Maletzke, Karl H. Müller-Sachse (Hrsg.): Kultur und Medien. Angebote - Interessen - Verhalten. Eine Studie der ARD/ ZDF-Medienkommission, Baden-Baden 1991, S. 75. 7 Vgl. Kultur und Medien, a.a.O., S. 342-346. 8 Vgl. Kultur und Medien, a.a.O., S. 382. Nimmt man nicht die Sendungen, sondern die Kulturbeiträge innerhalb von Sendungen zum Maßstab, so fallen die Unterschiede noch deutlicher aus: ZDF 13,5%, ARD 9,7%, RTL plus 3,2%, SAT1 0,3% (vgl. S. 402).
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9 Vgl. Kultur und Medien, a.a.O., S. 155. 10 Vgl. Kultur und Medien, a.a.O., S. 384-349. 11 Vgl. Kultur und Medien, a.a.O., S. 387-388. 12 Vgl. Charles R. Wright: Mass Communications: A Sociological Perspective, New York 1959, S. 95. Ferner Denis McQuail: Soziologie der Massenkommunikation, Berlin 1973, S. 79-80. 13 Vgl. meinen gleichnamigen Aufsatz in: Die Zeit, Nr. 31, 27. Juli 1984; vgl. auch Hilmar Hoffmann: Kultur für alle, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1981; Hilmar Hoffmann: Kulturßr morgen, Frankfurt a.M. 1985; Hilmar Hoffmann: Kultur als Lebensform, Frankfurt a.M. 1990. 14 Zitiert nach Wolf Feller: 'Zwischen Klimbim und Tagesshow - Anmerkungen zur Programmpolitik für die neunziger Jahre'. In: Medientage München. Dokumentationen 89, Bd. 2: Unterhaltungskongreß, Baden-Baden 1989, S. 34. 15 Vgl. Erich Rothacker: Probleme der Kulkturanthropologie, 4. Aufl., Bonn 1988 (Erstdruck 1942); Erich Rothacker: Philosophische Anthropologie, Bonn 1964; Arnold Gehlen: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 12. Aufl., Wiesbaden 1978 (Erstdruck 1940); Arnold Gehlen: Unmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, Wiesbaden 1956; Michael Landmann: Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der Kultur, Basel 1961; Michael Landmann: Philosophische Anthropologie. Menschliche Selbstdeutung in Geschichte und Gegenwart, 4. erw. Aufl., Berlin 1976, insb. S. 172-200. 16 Vgl. Albert Schweitzer: Kultur und Ethik. Sonderausgabe und Einschluß von "Verfall und Wiederaufbau der Kultur", München 1981, insb. S. 34-52 (Erstdruck 1923). 17 Der Mensch als Schöpfer und Geschöpf der Kultur, a.a.O., S. 193-197. 18 Vgl. Alois Huter: Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... Fernsehen als Kulturwirklichkeit, Zürich, Osnabrück 1988. Zu den Behauptungen Postmans über das Fernsehen und seine Wirkungen im einzelnen sowie möglichen Gegenargumenten vgl. ferner Gerhard Maletzke: Kulturverfall durch Fernsehen?, Berlin 1988. Zur Kritik an Postmans Thesen vgl. ferner Hertha Sturm: 'Die grandiosen Irrtümer des Neil Postman'. In: epd/Kirche und Rundfunk, Nr. 71, 10.9.1986, S. 3-14. 19 Vgl. Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 26-27. 20 Vgl. Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 8, 88-89. 21 Vgl. Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 8, 21, 43—47. 22 Vgl. Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 22. 23 Vgl. Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 25. 24 Vgl. Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 95. 25 Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 11.
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26 Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung ... , a.a.O., S. 45. 27 Vgl. Dieter Stolte: 'Ergänzung, nicht Ersatz. Zum Verhältnis von Fernsehen und Buch'. In: Areopag 1981. Jahrbuch für Kommunikation und Kultur, Pfullingen 1980, S. 34-41. Vgl. zu diesem Zusammenhang auch den Überblick über die Ergebnisse empirischer Untersuchungen von Elisabeht Noelle-Neumann: 'Das Fernsehen und die Zukunft der Lesekultur'. In: Werner D. Fröhlich, Rolf Zitzlsperger und Bodo Franzmann (Hrsg.), Die verstellte Welt. Beiträge zur Medienokologie, Frankfurt a.M. 1988, S. 222-254. 28 Vgl. Ulrich Saxer, Wolfgang Langenbucher und Angela Fritz: Kommunikationsverhalten und Medien. Lesen in der modernen Gesellschaft. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 1989. 29 Vgl. Joshua Meyrowitz: Die Fernsehgesellschaft. Wirklichkeit und Identität im Medienzeitalter. Weinheim und Basel 1990. Vgl. dazu Dieter Stolte: Fernsehen am Wendepunkt - Meinungsforum oder Supermarkt?, München 1992, Kap. 6.
Öffentlich-rechtliche und private Hörfunk- und Fernsehanstalten Peter Schiwy
Den Programminhalten von Hörfunk und Fernsehen galt bis weit in die achtziger Jahre hinein nahezu ausnahmslos die Aufmerksamkeit einer kritischer Öffentlichkeit. Die Verwaltung oder gar das Management der bis dahin in der Bundesrepublik Deutschland existierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wurden zwar bisweilen als bürokratisch überladen und deswegen ineffizient bezeichnet;1 die Kritik reichte aber nie so weit, schon allein deswegen eine Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Alleinstellung zu fordern. Maßgeblich für den sich über Jahre aufbauenden Druck auf Zulassung auch von privaten Rundfunkanbietern war die vermeintliche oder tatsächliche Einseitigkeit2 der öffentlich-rechtlichen Programmangebote, die hinreichende programmliche Vielfalt vermissen ließen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk entstand in der Bundesrepublik Deutschland ohne geschichtliche Tradition als "Kind der Besatzungsmächte" unter dem Eindruck nationalsozialistischen Mißbrauchs des staatlichen Reichsrundfunks.3 Den Besatzungsmächten kam es dabei weniger auf die Neuordung von Verwaltungsstrukturen, sondern vielmehr auf die Aufnahme aller gesellschaftlich relevanten Strömungen in die Programmgestaltung an. In Ergänzung dazu entstand ziemlich schnell das Führungsmodell der "Intendantenverfassung". Es sollte den ebenfalls alsbald entstehenden öffentlichrechtlichen Anstalten die "Staatsferne" genannte Unabhängigkeit im Sinne des erstrebten — von unzulässigen Einflüssen freien - Programms bewahren helfen. Schon die Bezeichnung "Intendant" knüpft dabei an zwar auch im militärischen Bereich, vor allem aber für die Leitung staatlicher Unternehmen des Künstlerisch-Kreativen (Theater, Opernhäuser, Musiksäle) benutzte Bezeichnungen an. Die Berufung von Intendanten der öffentlich-rechdichen Anstalten vollzog sich mit den Jahren zunehmend weniger mit Blick auf ihre Führungsfähigkeiten. Systemgerecht4 geriet ihre Berufung mehr und mehr zur Frage der Entscheidungsgewalt der jeweils die Wahlgremien beherrschenden gesellschaftlich-relevanten Gruppen und ihrer Absicht programminhaltlicher Einflußsicherung. Die ursprünglich angestrebte "Staatsferne" wandelt sich so mehr und mehr zur Parteiennähe. Erst das Hinzutreten privater Programmanbieter und ihr stürmischer wirtschaftlicher Erfolg setzten die öffentlich-rechtlichen Anstalten seit Mitte des vorigen Jahrzehnts einem in dieser Schärfe wohl unerwartet schnellen Wettbewerb aus. Natürlich wird er vor allem über die Konkurrenz der Programme ausgetragen. Seine Heftigkeit hat freilich schnell sichtbar werden lassen, daß das Führen und Verwalten nicht ohne Einfluß auf die Programme bleibt und damit wesentliche Bausteine für den Erfolg sind. Die privaten Rundfunkanstalten sind bis auf wenige Ausnahmen5 gesellschaftsrecht-
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lieh mit Unternehmen der Zeitungs- und Zeitschriftenbranche verbunden. Damit sind Führungsstil und -verfahren dieser Gruppen und Konzerne, auch wenn sie bisher im elektronischen Bereich nicht tätig waren, in die neuen Einrichtungen weitgehend übertragen worden. Soweit es dabei überhaupt zu wirtschaftlichen Mißerfolgen kam, basierten sie, wie z.B. in Baden-Württemberg, auf Mängeln der früheren - weniger von Medienpraktikern als von -politikern bestimmten - Gesetzgebung, die über allen Vielfaltserfordernissen die Notwendigkeit wirtschaftlich hinreichender Bezugsgrößen für das Werbeund damit das Finanzmittelsaufkommen privater Stationen außer acht ließ oder, wie zum Beispiel in Berlin, bei der Einstellung von "Radio in Berlin"6 wohl tatsächlich auf bisher nicht geklärten Managementfehlern, die auch in Hamburg bei der Aufgabe von "Radio 107 " 7 entscheidend gewesen sein dürften. Die privaten Anbieter mit ihrer wirtschaftlichen und publizistischen Nähe zu großen Pressehäusern begriffen von Anfang an ihre Tätigkeit als vom Markt, vom Kunden und vom Produkt her bestimmt. Dieser Marketing-Orientierung können sich auch öffentlich-rechtliche Sender heute in keiner Weise mehr entziehen. Stärker denn je haben sie sich, angesichts der noch wachsenden Konkurrenz, diesen Herausforderungen zu stellen. Ohnehin haben sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten im Laufe der Jahrzehnte ihrer Existenz von "mittelständischen Betrieben" mit nur einem Radioprogramm ohne Fernsehen zu Großunternehmen der Medienbranche entwickelt: Sie betreiben bis zu vier oder gar fünf und mehr Hörfunkprogramme, eigenständige Dritte Fernsehprogramme und beteiligen sich am ARD-Gemeinschaftsprogramm. Sie weisen komplexe Produktionsstrukturen entsprechend ihrem breiten Programmsortiment auf. Der ihnen vom Gesetzgeber zugewiesene Auftrag ist dabei umfassend. Betriebswirtschaftlich besteht für sie eine Sonderstellung: Einerseits sind künstlerischkreative Strömungen zu beachten, die sich ökonomischer Wertung nur schwer zugänglich zeigen, andererseits ist aus dem bekannten Gebot von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit eine sensible Balance zu halten. Zudem ist mittlerweile eine völlig neue Situation eingetreten. Der inzwischen gewollte Wettbewerb trifft die öffentlich-rechtlichen Anstalten im Augenblick finanzieller Restriktion. Die Sättigung von Teilmärkten und die Internationalisierung der Medienbranche bereiten weitere Schwierigkeiten. Hinzu kommen soziale Trends und Veränderungen in der Gesellschaft, die zu immer stärker segmentierten Märkten führen. In bestimmten Bereichen der Programmbeschaffung steigen die Kosten explosionsartig, besonders in den attraktiven Bereichen Sport und Spielfilme. Es etabliert sich ein erweiterter Zwischenhandel der Lizenzvermittler. Nicht nur auf technischem Gebiet wird der Innovationsdruck stärker, insgesamt ist eine zunehmende Dynamik feststellbar. Der gesamte Regelkreis des Managements, also Zielsetzen, Planen, Entscheiden, Organisieren und Kontrollieren, unterliegt diesen Bedingungen; hinzu kommen so wichtige Elemente wie Motivation und Kommunikation. Die Rahmenbedingungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber bleiben zu beachten. So ist feststellbar, daß sich die künstlerisch-kreativ Tätigen in Rundfunkanstalten allein schon an der Wortwahl "Management" reiben. Wichtig ist, daß Intuition und Spontaneität als wesenüiche Elemente der Programmgestaltung nicht beeinträchtigt werden. Personal- und Betriebsräte sowie Gewerkschaften generell dürfen in einem Manage-
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mentkonzept keine zusätzlichen Instrumente der Kontrolle und Leistungsmessung entdecken. Bisherige Denkstrukturen, die häufig am öffentlichen Dienst ausgerichtet sind, werden sicher noch zu überwinden sein. Und nicht zuletzt sind die gesetzlich verbrieften Intendantenverfassungen der modernen Managementkonzeption nicht unbedingt forderlich. Sie führen bekanntermaßen zu einer erheblichen Aufgabenfülle in der Leitung der öffentlich-rechtlichen Rundftinkanstalten. Trotz oder auch gerade wegen der vielschichtigen Probleme und der zum Teil schmerzhaften Restriktionen gilt für den Erfolg nur ein ganzheitlicher Managementansatz bei der Führung von Rundfunkanstalten. Dabei ist zunächst kein wesentlicher Unterschied zu Unternehmen der Wirtschaft zu sehen, die sich längst der speziellen Instrumentarien des Managements bedienen. Allerdings fehlt den öffentlich-rechtlichen Sendern beim Einzelprodukt die Erlöskomponente (Vorabendprogramm = Werbung, deswegen dort verstärkte, publikumsorientierte Lösungen). Es gibt auch keine Gewinnorientierung; aber es sind in vielen Programmsparten andere Erfolgsfaktoren als Ersatz denkbar. Im Rahmen einer verstärkten betriebswirtschaftlichen Führung gehört ein solches Managementmodell zu einer Unternehmenskonzeption für öffentlich-rechtliche verfaßte Medienunternehmen. Rundftinkanstalten brauchen, abgeleitet von Gesetz und/oder Staatsvertrag, eine Unternehmensverfassung oder eine Corporate Identy, ein Leitbild. Es soll Antwort geben auf Fragen, wie sich das Unternehmen in der Gesellschaft, am Markt, im Verhältnis zu seinen Mitarbeitern und Aufcichtsgremien versteht. Solch ein Leitbild soll ein Maßstab für das gemeinschaftliche Denken und einheitliche Handeln liefern. Schlüssiges Verhalten wiederum fördert eine widerspruchsfreie Unternehmenskommunikation. Wichtig ist sodann, sich eingehend und kritisch im Rahmen einer Stärken- und Schwächenanalyse mit dem gesamten Programm zu befassen, und zwar über das hinaus, was ohnehin schon an Produktveränderungen geschieht. Hier sollten dann die Überlegungen eines professionellen Marketings Platz greifen, also des Denkens und Fühlens mit den Köpfen der Hörer und Zuschauer. Ausgehend von dieser Analyse sind wichtige Ziele für die einzelnen Programme zu formulieren, sowohl quantitative als auch qualitative. Bei den Zielsetzungen ist zu berücksichtigen, daß einerseits wettbewerbsfähige Programme anzubieten sind. Auf der anderen Seite folgt aus dem Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten, daß auch Angebote für speziell Interessierte und Minderheiten, also kleinere Hörer- und Zuschauerpotentiale zu produzieren und auszuarbeiten sind. Entscheidend bleibt dabei die Erkenntnis, daß auch der vielzitierte Begriff der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung einen Bedarf beim Publikum voraussetzt. Anschließend wären die Strategien und Maßnahmen festzulegen, die zur Zielerreichung nötig sind. Das geht nicht nur von oben nach unten, sondern muß in ständiger Wechselwirkung betrieben werden. Einen ganz entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem Managementmodell stellt die Einführung eines zielorientierten Führungskonzepts dar. Dazu gehören besonders Führungsverhalten und Führungstechniken. Dies muß auf der Top-Ebene, also bei den Intendanten und Direktoren der Anstalten beginnen und sich über die nächste Ebene bis zu den kostenverantwortlichen Abteilungs- und Redaktionsleitern fortsetzen. Erfahrungsgemäß dürfte dieses der schwierigste Teil in der Umsetzung eines Managementkonzeptes sein. Solch ein Führungskonzept schließt alle wesentlichen Managerfunktionen ein. Die Betonung liegt auf der Zielorientierung. Wichtig für den genannten Mitarbeiterkreis ist auch, daß er auf ein betriebsinternes
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Berichtswesen über Kosten und Leistungen zurückgreifen kann. Es sollte so gut sein, daß wirtschaftliche Konsequenzen für zu treffende Entscheidungen kurzfristig aufzeigbar sind. Auch das ist nicht von heute auf morgen erreichbar, zumal hier ohne Unterstützung moderner Informationstechnik wenig zu bewerkstelligen ist. Hier einzuschließen sind auch die Daten, die der Markt ständig liefert. Damit sind also Einschaltquoten, Erkenntnisse über die Zufriedenheit der Kunden, also der Hörer und Zuschauer gemeint. Dies gilt nicht nur bei Programmen für Millionen von Kunden, sondern auch für wesentliche kleinere Zielgruppen. Management für Hörfunk und Fernsehen ist angesichts der schnell wechselnden Programmerfordernisse ein anspruchsvolles Vorhaben. Und sicher stehen die dem Markt oft noch fernen öffentlich-rechtlichen Anstalten vor großen Aufgaben. Die nach wie vor stürmisch wachsende Branche gewährt freilich allen Beteiligten keinen Aufschub.
Anmerkungen 1 Vgl. u.a. Franz Barsig: Die öffentlich-rechtliche Illusion. Medienpolitik im Wandel. Köln 1981; hier bes. S. 86ff.; Wolfgang Langenbucher: 'Rundfunkkontrolle und gesellschaftliche Relevanz'. In: Herrschaft und Kritik. o.O. 1974, S. 78ff; hier bes. S. 95 f.; Fritz Ossenbühl: Rechtsprobleme der freien Mitarbeit im Rundfunk. Frankfurt a.M./Berlin 1978; hier bes. S. 120ff.; Manfred Linz: 'Privatwirtschaftliches und öffentliches Interesse im Rundfunk'. In: Rundfunk und Fernsehen Nr. 1/1970, S. Iff.; Cordt Schnibben: 'Der Koloß wird kollabieren'. In: Der Spiegel Nr. 45 vom 6.11.1989, S. 93ff.; Cordt Schnibben: 'Die ARD ist wie die DDR'. In: Der Spiegel Nr. 46 vom 13.11.1989, S. 114ff. Eine zusammenfassende Darstellung der Kritik bei Wolfgang Hoffmann-Riem: 'Die Zukunft des Rundfunks - ein Verfassungsproblem'. In: Rundfunk und Fernsehen Nr. 2-3/1979, S. 143ff.; hierbes. S. 155ff.; Dietrich Schwarzkopf: 'Chancen des gegenwärtigen Rundfunksystems in der Bundesrepublik'. In: Rundfunk und Fernsehen Nr. 1/1978, S. 20ff. 2 Vgl. besonders Elisabeth Noelle-Neumann: 'Das doppelte Meinungsklima. Der Einfluß des Fernsehens im Wahlkampf 1976'. In: Politische Vierteljahresschrift Nr. 18/1977, S. 408ff. 3 Vgl. Peter Schiwy, 'Versagt, versäumt, verpaßt - Die Medienordnung in den neuen Bundesländern'. In: Bertelsmann-Heft Nr. 127/1992, S. 42ff. Zur Rundfunkentwicklung nach 1945 vgl. ausführlich Hans Bausch: 'Rundfunk nach 1945'. In: Hans Bausch (Hrsg.): Rundfunk in Deutschland, München 1980, Bd. 2 und 3; hier bes. Bd. 2, S. 13ff. 4 Der ARD-Vorsitzende und gegenwärtige NDR-Intendant Plog verweist in diesem Zusammenhang sogar auf die Praktiken bei der Bestellung der Bundesverfassungsrichter. Vgl. Der Spiegel Nr. 41/1990, S. 43. 5 Hier seien insbesondere die ordnungspolitisch herausragenden Entscheidungen der früheren Berliner "Anstalt für Kabelkommunikation" (jetzt "Medienanstalt Berlin-Brandenburg") erwähnt, die mit der Zulassung von " 100,6" (1986) und
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"r.s.2" (1992) zwei im Medienbereich wirtschaftlich nicht tätigen Gesellschaftergruppen den Marktzutritt ermöglichten. 6 Zuletzt unter dem Titel "Hit 103" am 12.05.1989; Gesellschafter waren damals die Medienkonzerne Springer, Holtzbrinck, Bertelsmann und RTL zu je 22,5 Prozent sowie das Berliner Anzeigenblatt "Zweite Hand". 7 Am 10.02.1989; Gesellschafter waren zu diesem Zeitpunkt die HoltzbrinckGruppe, RTL und die drei mittelständischen Hamburger Kaufleute Nikolaus Broschek, Hans-Otto Mertens und Thomas Wegner zu je 20 Prozent. Am 22. 05.1989 Wiederaufnahme des Sendebetriebs (alleinige Gesellschafter seitdem Broschek/Mertens/Wegner zu gleichen Anteilen); seit 02.09.1990 als "Alster Radio".
Private Hörfiinksender: Entwicklung und Realisierung eines Kulturprogrammes Jürgen Christ
Vor dem geplanten Sendestart muß durch eine Marktanalyse die Marktsituation erkundet werden. Folgende Gesichtspunkte müssen erörtert werden: Kann für ein solch spezielles Produkt ein genügend großes Publikum gefunden werden, ist die Nachfrage hoch genug, und wie gestaltet sich die Struktur der Hörerschaft? Eine Hörerzielgruppe muß definiert werden. Untersuchungen zum Hörverhalten im Bereich klassischer Musik zeigen, daß vor allem ältere Menschen Klassik hören (40- bis 70-jährige) und vor allem sozial Bessergestellte (Kriterien: Hochschulabschluß, Leitende Angestellte, durchschnitdiches Monats-Nettoeinkommen pro Haushalt 5000 DM). Man kann davon ausgehen, daß in Deutschland rund sechs Prozent der Bevölkerung zwischen 14 und 59 Jahren Klassik und Kultur rezipieren, sei es durch Radio, Fernsehen, Schallplatte, Konzertbesuch o.ä. Öffentlich-rechtliche Kultur-Radioprogramme erreichen durchschnittlich zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren. Die Zielgruppe ist also relativ klein, das Produkt wird in jedem Fall im Special-InterestBereich angesiedelt sein. Es ist davon auszugehen, daß ein kommerzieller Klassiksender zur Zeit nicht annähernd die Einschaltquote eines erfolgreichen Popprogrammes erzielen wird. Da er sich ausschließlich über Werbung und Sponsoring finanziert und sich die Höhe der Werbeeinnahmen auch bei einem Special-Interest-Produkt im Wesentlichen über die Höhe der Einschaltquote errechnet, hängt der Erfolg von folgenden Faktoren ab: Verbreitungsgebiet. Ein Klassiksender muß national verbreitet werden, da nur die nationale Verbreitung die Grundlage für eine ausreichende Hörerquantität bilden kann. Fünf Prozent Einschaltquote bundesweit könnten bereits genügen, um die Basisfinanzierung eines Senders durch Werbeeinnahmen abzudecken. Verbreitungswege. Momentan stehen drei Verbreitungswege zur Verfügung: 1. UKW, 2. Kabel, 3. Satellit (Kopernikus, Astra, DSR). Am wichtigsten ist UKW. Denn als einziger der möglichen Verbreitungswege kann er mobil genutzt werden, während die restlichen zwei nur stationär zu empfangen sind. Darüberhinaus stützen sich die für die Werbewirtschaft entscheidenden Höreranalysen und Markterhebungen MA (Medienanalyse) und EMA (Elektronische Medienanalyse) fast ausschließlich auf UKW, die Methodik der Kabelerhebung steckt in ihren Anfängen und läßt noch keine zufriedenstellende Abbildung der Hörerzahl und -struktur zu. Satellitenempfäng (vor allem Kopernikus) findet keine genügend große Verbreitung, um auch nur im Ansatz eine wirtschaftliche Einschaltquote zu produzieren. Ab 1995 wird ein neuer Verbreitungsweg als Prototyp angetestet werden, nämlich der digitale terrestrische Rundfunk DAB (Digital Audio Broadcasting). Dieses System
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wird erstmals einen mobilen Empfang in digitaler Sendequalität ermöglichen, der störungsfrei mit nationalen und regionalen Frequenzen genutzt werde kann. DAB wird wohl bereits anfang des nächsten Jahrtausends in Serie gehen können und dann sukzessive UKW ablösen. Erweiterung der Zielgruppe. Da die traditionelle Zielgruppe der Klassikhörer auf Dauer zu klein für ein gewinnbringendes Programm ist, müssen Erweiterungsmaßnahmen ergriffen werden. Untersuchungen belegen, daß etwa 50 Prozent der Hörerschaft von Pop- und Unterhaltungsprogrammen klassische Musik tolerieren. Mit einem Klassikprogramm, das neben dem Kenner und Liebhaber klassischer Musik auch den interessierten Laien anspricht, läßt sich die Zielgruppe auf sechs bis acht Prozent erweitern. Die Programmkonzeption und die Eigenwerbung des Senders müssen darauf abgestimmt sein. Budget und Mitarbeiterzahl. Die Höhe des Jahresbudgets setzt sich im wesentlichen aus folgenden Bestandteilen zusammen: Kosten für Verbreitungswege, Personalkosten, Studio- und Equipmentkosten, Marketing und PR sowie sonstiges (Büromaterial, Telefon, Reisekosten etc.). Die Kosten für die Verbreitung des Programms belaufen sich jährlich auf rund 1,5 Millionen DM, wenn Kabel und UKW parallel genutzt werden. Die Personalkosten, ausgehend von zwölf festangestellten Mitarbeitern, belaufen sich auf rund 1,5 Millionen DM. Hinzu kommen Kosten für Sendungen und Beiträge freier Mitarbeiter/ Korrespondenten in Höhe von rund 500000 DM. Die Studio- und Equipmentkosten rekrutieren sich im wesentlichen aus den Anschaffungskosten, das heißt Einrichtung des Sende- und der Produktionsstudios, technische Gesamtausstattung inklusive vollautomatische CD-Abspielanlage, mobiler Aufnahmegeräte und Computernetzwerke. Der Kostenpunkt liegt je nach möglichem bzw. nötigem Aufwand zwischen 750000 DM und 1,5 Millionen DM, ist jedoch einmalig zu kalkulieren. Die jährlich anMenden Kosten für Technik reduzieren sich auf reine Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie den laufenden Materialverbrauch (DAT-Cassetten, Magnetbänder, Kleber, Disketten etc.), zusammen rund 500000 DM. Der Marketing- und PR-Bereich sollte mit mindestens 1,5 bis zwei Millionen DM veranschlagt werden, wobei Hörerbindungs- und PR-Aktionen auf die wesentlichen Zentren im Bundesgebiet beschränkt bleiben. Dieser Bereich ist der wichtigste und sensibelste des gesamten Radioprojektes. Alle sonstigen Kosten sollten mit mindestens 500000 DM kalkuliert werden. Der Jahresetat wird insgesamt bei 6,5 bis sieben Millionen DM liegen.
Redaktionsstruktur Ausgehend von einer zehnköpfigen festangestellten Mannschaft ergibt sich folgende Redaktionsstruktur: -
Programmdirektor, Geschäftsführer, Musikchef, Technikchef, Wortchef, 2 (-4) Verkäufer,
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1 Musikredakteur, 2 Wortredakteure, 1 Archivleiter, 2 Sekretärinnen, Freie Mitarbeiter (Redaktionsassistenten, RvDs, Techniker, Moderatoren, Korrespondenten).
Programmkonzeption Die Möglichkeiten der Programmkonzeption richten sich nach der Hörerzielgruppe, nach der Personalstärke und nach dem Budget. Folgende Fragen müssen beantwortet werden: -
Wie erreiche ich möglichst viele und möglichst junge Hörer? Wie unterscheide ich mich von anderen Radioprogrammen? Welche Musikauswahl treffe ich? Wie breit fasse ich den zu thematisierenden Kulturbegrifl?
Zunächst gilt es, ein klar strukturiertes Programm-Layout zu erstellen, um ein eigenes Profil zu entwickeln. Sendeschienen müssen eingerichtet und mit Namen versehen werden, das Gesamtprogramm muß klar und übersichtlich auf einen Blick erkennbar sein (siehe Tabelle 1). Zwei-, drei- und vierstündige Sendeblöcke bieten sich als Unterteilungseinheiten an, stündliche Nachrichten (zum Beispiel von sechs Uhr morgens bis 19 Uhr abends) helfen bei der Strukturierung des Gesamtprogramms. Aus Kostengründen ist es sinnvoll, neutrale Nachrichten von einem externen Radiosender zu übernehmen, da eine eigene Nachrichtenredaktion mit mindestens zwei festen Redakteuren zu teuer käme. Zur Wiedererkennbarkeit des Programmes tragen folgende Elemente bei: Sender-ID. Eine leicht einprägbare Melodie mit Signalcharakter fungiert als Identifikationsfaktor und akustisches Logo und eröffnet jede Sendestunde und jeden Programmblock. Die Sender-ID sollte nicht länger als 10 bis 15 Sekunden dauern. Jingles. Jingles sind akustische Signale, die wenigsten zwei- bis dreimal pro Stunde in Variationen erklingen sollten, um dem Hörer klarzumachen, bei welchem Sender er sich momentan befindet. Sie sollten zumindest Elemente der Sender-ID beinhalten und in ihrem Aufbau derart strukturiert sein, daß kürzere und längere Varianten angefertigt werden können, so daß Spielmöglichkeiten bestehen. Empfehlung: Eine Tonfolge, die aus zwei eigenständigen Motiven besteht, von denen jedes einzelne neue melodische und harmonische Verbindungen eingehen kann, ohne seine Eigenständigkeit zu verlieren. Testimonials. In einem "Testimonial" bezeugt ein möglichst Prominenter, daß und warum er gerne den Sender hört. Dies macht einerseits das Programm wichtiger (Opinionleader hören den Sender und finden ihn gut), andererseits gibt es dem Hörer das Gefühl, sich beim Hören des Senders in bester Gesellschaft zu befinden. Das "Testi" bestätigt unterbewußt die gute Wahl des Programms. Testimonials sollten zweimal pro Stunde eingesetzt werden, und es ist darauf zu achten, daß die Auswahl der Promis sowie die Inhalte ihrer Aussagen möglichst breit gefächert sind. Wichtig: Sie müssen selbst ihren Namen nennen und den Namen des Senders. Hier
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zwei Beispiele: "Ich bin Anne Sophie Mutter und Sie hören Klassik-Radio", oder "Mein Name ist Luciano Pavarotti, und ich finde einen Klassik-Sender mit 24 Stunden schönster klassischer Musik fantastisch. Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dem Programm von Klassik-Radio." Trailer, Teaser. Trailer sind kurze, rund 40sekündige Minihörspiele, die wie ein Werbespot Aufmerksamkeit erregen sollen für ein bestimmtes Produkt, mit dem sich der Sender identifiziert, zum Beispiel Konzertpräsentationen, CD-Neuerscheinungen in Zusammenarbeit mit dem Sender etc. In der Regel wirbt der Trailer für das Programm in Verbindung mit einem externen Event. libelle 1 Sendeschema eines Klassikradios Zeit
Montag-Freitag
Samstag
Sonntag
0.00 Nachtprogramm 6.00 7.00 8.00 9.00 10.00 11.00 12.00 13.00 14.00 15.00 16.00 17.00 18.00 19.00 20.00 21.00 22.00 23.00
1. Sendeblock: Börse, Kulturnachrichten, Presseschau etc.
Kindersendung
2. Sendeblock: Top-Termine, Buchtip, Kulturbeiträge
3. Sendeblock
4. Sendeblock: Top-Termine, Kulturbeiträge 5. Sendeblock: monothematisch
Musiksendung: Hits
Wunschkonzert Musiksendung
6. Sendeblock 7. Sendeblock
Ausgehend von dem Umstand, daß Radio (auch Kulturradio) im Ikgesablauf (6 Uhr bis 19 Uhr) von der Mehrheit der Hörer als Begleitmedium genutzt wird, bietet sich als Grundlage ein Magazinprogramm mit Musik und kurzen, prägnanten Wortbeiträgen (rund zwei Minuten Länge) an. Abends (ab 19 Uhr) besteht Raum für speziellere und monothematische Sendungen, da der Hörer mehr Zeit und Muße hat zuzuhören. Das Verhältnis von Musik zu Wort beträgt im gesamten Programm durchschnittlich 80 zu 20 Prozent.
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Programmpräsentation und Programminhalte Das Zusammenwirken von Wort und Musik ergibt den Gesamteindruck des Programms, erzeugt einen bestimmten Stil. Die Musik schafft die Reichweiten (der Sender wird vom Hörer zunächst wegen der Musikfarbe gewählt), und die Kombination von Musik und Wort bildet die Grundlage für ein Programm, das den Hörer schließlich zu fesseln vermag. Neben allen oben aufgeführten Elementen zur Wiedererkennbarkeit und Abwechslungsbreite spielt die Art der Programmpräsentation eine wesentliche Rolle. Folgende Fragen tauchen auf: -
Welcher Typ Moderator/in darf ans Mikrofon? Wie alt soll er/sie sein? Was soll er/sie sagen? Wie soll er/sie die Inhalte vermitteln?
Wichtig ist, daß jeder Moderator innerhalb des Rahmens der generellen Programmphilosophie, die sich durch das Zielpublikum definiert, einen höchstmöglichen Grad an persönlicher Freiheit entfalten kann. Er muß in die Lage gebracht werden, einen eigenständigen Stil zu entwickeln, um vom Hörer als Individuum wiedererkannt werden zu können, was zur Hörerbindung beiträgt. Dabei ist es von höchster Bedeutung, daß der Moderator auf sympathische und geistreiche Art durch das Programm führt und den Hörer direkt anspricht, ihm einen Bezug zur Musik und den Kulturthemen vermittelt. Der Rezipient muß die Chance erhalten, auf unterhaltende, pädagogisch sensible Art neue, ihm sehr oft unbekannte Informationen verstehen zu können. Inhalte dürfen deshalb nicht in wissenschaftlichen Termen abgefaßt werden, sondern müssen in einer allgemeinverständlichen, zeitgemäßen Sprache gehalten sein. "Infotainment" ist das Schlagwort, die effektive Mischung aus profunder Information und seriösem Entertainment. Spielerisch und entspannt sollte der Hörer Informationen aufnehmen können, die allgemeinverständlich dargeboten werden. Verklausulierte feuilletonistische Abhandlungen werden in eher zum Um- oder Ausschalten bewegen. Dem Programm nutzt deshalb auch der höchstgebildete moderierende (Musikwissenschaftler nichts, wenn er durch spezielle, komplizierte Sprache oder Art mit seinem Wissen allein bleibt, also nicht in der Lage ist, dieses Wissen einem breiten Publikum zu vermitteln. Die Sprache sollte prägnant, knapp, verbindlich und jung sein, Schachtelsätze und wohlkonstruierte Nebensatzgeflechte, die einem Feuilletonisten im Printbereich zur Ehre gereichen würden, haben im Radio nichts zu suchen. Das Gesagte muß sofort verständlich werden, da keine Möglichkeit besteht, das eben Gehörte noch einmal "nachzuhören". Während kompliziertere Satzgebilde eines Zeitungsartikels beliebig oft nachlesbar sind, bis sie verstanden werden, muß im Radio Gesagtes beim ersten Hören erfaßt worden sein, da es eine zweite Chance nicht gibt. Der Zielgruppe entsprechend sollten die Moderatoren relativ jung sein, im Alter zwischen 18 und 40 Jahren, wobei auch ältere Stimmen die Ausnahme von der Regel durchaus bestätigen können. Es reicht nicht aus, im Programm lediglich Titelansagen stattfinden zu lassen, das wirkt auf Dauer langweilig. Die Sendestunden müssen phantasievoll und abwechslungsreich gestaltet werden. Neben der reinen Musikmoderation sollte der Sprecher auch in der Lage sein, Bei-
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träge, Live-Telefonate und -interviews zu führen, die Themenpalette sollte möglichst breit gewählt sein. Ein wesentlicher Faktor für die Attraktivität und Akzeptanz des Programms ist die Erweiterung des Kulturbegriffs, traditionelle Künstler/Komponistenportraits gehören da ebenso hinein wie Berichte über Lifestilethemen. Alle Beiträge sollten die Zweiminutengrenze nicht Überschreiten und mit verschiedenen Elementen (Musik, Geräusche, Abwechslung der Stimmen, O-Töne etc.) spielen. Aktualität spielt auch im Kulturradio eine tragende Rolle, Kulturnachrichten, Hinweise auf die wichtigsten Konzerttermine im In- und Ausland, Wirtschaftsnews sowie Buch- und Filmtips bilden die unverzichtbare Grundausstattung eines interessanten und spannenden Kulturprogramms.
Musikzusammenstellung und -auswahl Da aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nur ein Musikchef und ein Musikredakteur für das Musikprogramm verantwortlich zeichnen, ist ein unterstützendes Computerprogramm für die Musikzusammenstellung unabdingbare Voraussetzung. Es ersetzt weitere Musikredakteure, deren Aufgabe es eigenüich wäre, Musik für das Laufbandprogramm zusammenzustellen, das heißt für die Magazinsendungen im Tkgesbereich, sowie für das Nachtprogramm. Darüber hinaus muß der Bediener des Programms in der Lage sein, die Musik auf drei verschiedene Wege zusammenstellen zu können: vollautomatisch, halbautomatisch und manuell. o
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Abbildung 1 Musikuhr
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Die vollautomatische Zusammenstellung geschieht nach bestimmten Ausschluß- und Verlaufkriterien, die eine möglichst hohe Abwechslung im Zugriff auf das aktive Gesamtarchiv gewährleisten. Folgende Gesichtspunkte bilden die Basis dafür: - Musikuhr (siehe Abbildung 1); - stundenweiser Ausschluß für Komponisten, Interpreten, Werke, Epochen, Gattungen. Einige Beispiele: Auf ein Werk von Beethoven sollte χ Stunden lang kein anderes Werk von Beethoven folgen. Die 8. Sinfonie von Dvorak darf erst nach χ Stunden wieder im Programm erscheinen. Auf ein Barockwerk sollte nicht unmittelbar ein weiteres folgen und so weiter; - direkter Nachfolgeausschluß für Instrumentengattungen. Beispiel: Auf ein Klavierkonzert sollte keine Klaviersonate folgen, auf eine Cellosolosonate kein Cellokonzert etc.; - Verlaufstrukturen für Tempo/Dynamik. Beispiel: Auf ein sehr schnelles/lautes Werk sollte nicht ein sehr schnelles/lautes folgen, aber auch nicht ein extrem langsames/ leises, da der Gegensatz zu groß sein könnte und ein rundes Programm nicht entstehen würde. Es muß grundsätzlich festgelegt werden, welche Werke zu welcher Tageszeit gespielt werden sollen. Es liegt nahe, am frühen Morgen den Charakter des Musikprogramms eher flott und positiv zu halten, um dem Hörer positiv auf den 1kg einzustimmen. Die durchschnittliche Verweildauer des Hörers am Radio zwischen 6 und 9 Uhr beträgt ca. 20 Minuten, worauf man in der Musikauswahl Rücksicht nehmen sollte. Es wäre wenig ratsam, in dieser Zeit eine späte Mahlersinfonie zu senden oder Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen". Diese Art von Musik sollte man lieber in die Abendzeit verlegen, da der Hörer hier eher Muße hat zuzuhören. Es scheint also sinnvoller, morgens kürzere Stücke und auch eigenständige Einzelsätze aus Gesamtwerken zu senden, um dem beschäftigten und sich auf den Tag vorbereitenden Hörer eine Auswahl verschiedener Stücke anzubieten, die er vielleicht ganz durchhören oder zumindest als angenehmen atmosphärischen Hintergrund akzeptieren würde. Dem Tkgesverlauf entsprechend kann die Musikauswahl dann flächiger werden, um jedoch den Magazincharakter zu wahren, sollten die Stücke 20 bis 25 Minuten Spieldauer nicht überschreiten. Abends (ab 18/19 Uhr) ist Raum für längere und speziellere (Musik-)Themen gegeben, da davon ausgegangen werden kann, daß der Hörer um diese Zeit eher zu- als nebenbeihört. Welche Musik? Um ein breites Publikum zu erreichen, das neben dem etablierten Klassikliebhaber auch den interessierten Laien repräsentiert, muß die Musikauswahl einen hohen Anteil an populären Klassiktiteln beinhalten. Sie sollte insgesamt den traditionellen Hörgewohnheiten entsprechen, sich also im harmonischen Bereich der Epochen Barock, Klassik, Romantik bewegen. Vereinfacht gesagt ist die Musik vor Bach und nach Brahms zu großen Teilen erklärungsbedürftig, setzt beim Hörer gewisse Kenntnisse der Auffiihrungspraxis oder der harmonischen Zusammenhänge voraus, wodurch sie nicht ohne weiteres in ein Laufbandprogramm integriert werden kann. Sie muß verständlich gemacht werden, sonst schaltet der Hörer ab, weil er nicht versteht, was diese Musik auszeichnet.
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Um das Archiv elektronisch anzulegen und die einzelnen Titel per Computer auffindbar und einsatzfähig zu machen, müssen sie vercodet werden. Diejenigen CDs, die in die vollautomatische Abspielanlage gestellt werden und für die Rotation vorgesehen sind, müssen entsprechend aufwendig kategorisiert werden (rund 40 verschiedene objektive und subjektive Kriterien), hinsichtlich der Handarchiv-CDs reicht eine objektive Kategorisierung. Zur Erklärung: "Objektive Kategorisierung" zeigt zum Beispiel an, um welches Werk es sich handelt, wie der Interpret/Solist heißt, aus welcher Epoche es stammt etc., "subjektive Kategorisierung" beinhaltet beispielsweise die Entscheidung über den Charakter des Stückes, wie schnell/langsam oder laut/leise es ist beziehungsweise zu welcher Tageszeit es nicht gespielt werden soll. Diese subjektive Kategorisierung muß mit äußerster Sorgfalt und nur von maximal zwei Personen vorgenommen werden, denn sie entscheidet über sinnvolle Wiederauffindbarkeit der Titel im Programm sowie über das generelle Klangbild der Musikzusammenstellung.
Technik Der Technikbereich untergliedert sich in zwei Hauptteile, in die Sendetechnik und die Produktionstechnik. Der Einfachheit halber sei hier lediglich die Basisausstattung aufgeführt, welche die Voraussetzung für einen reibungslosen Sende- und Produktionsablauf bildet. Der Sendekomplex besteht aus einem Sendestudio, einem Sprecherraum und einem Produktionsstudio. Sende- und Produktionsstudio sollten als Selbstfahrerstudio konzipiert und identisch ausgestattet sein, so daß die Studiofunktionen bei Bedarf umgepolt werden können (Sendestudio wird per Knopfdruck Produktionsstudio und umgekehrt). Folgende Ausstattung sollte in beiden Studios mindestens vorhanden sein: - 2 Microfone, - 2 CD-Player, - 2 DAT-Recorder, - 2 Bandmaschinen, - 1 Telefon, - 1 Zentrale Steuerung für die automatische CD-Abspielanlage, - 1 Mischpult zur Steuerung der verschiedenen Funktionen. Des weiteren ist es sinnvoll, einen externen Schnittraum einzurichten, um über zusätzliche Beitragsbearbeitungsmöglichkeiten verfügen zu können. In diesem zusätzlichen Schnittraum sollte vorhanden sein: -
1 CD-Player, 1 DAT-Recorder, 1 Bandmaschine, 1 Doppelcassettenrecorder, 1 Plattenspieler (analog), 1 Telefon, 1 Microfon, 1 Videorecorder, 1 digitaler Schnittplatz mit mindestens 15 Minuten Kapazität und acht Monospuren, 1 zentrales Mischpult.
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Eine Bandmaschine sollte noch in den Bereich der Wortredaktion gestellt werden, um dort das schnelle und direkte Abhören und Bearbeiten von Beiträgen zu ermöglichen. An jeden Arbeitsplatz gehört eine Programmabhöranlage, an die Plätze des Musikchefc und -redakteurs zusätzlich noch je ein CD-Player und ein Cassetten- und DATRecorder. Ein weiterer speziell klimatisierter Raum wird notwendig zur Unterbringung der CD-Abspielanlage, die je nach Aufwand aus 10 bis 20 CD-Wechslern bestehen sollte. Diese CD-Wechsler können bis zu je 60 CDs eigenständig wechseln und sind über Interfaces miteinander verbunden, so daß der komplett zusammengestellte Sendeplan vollautomatisch abgespielt werden kann. Die Anlage spielt solange einen Titel nach dem anderen ab, bis der Moderator oder Redakteur manuell im Studio ein sogenanntes "Stopset" setzt, um die Abspielanlage für eine Moderation oder einen Beitrag anzuhalten. Erst das Bedienen der "Play"-Taste auf dem Remote-Control-Set startet das eigentliche Musikprogramm wieder von neuem. Der Moderator geht also nicht mehr mit einem Packen CDs unter dem Arm ins Studio, wo ihm das Einlegen und "Eincuen" (das Einrichten) der Titel obliegt, sondern er ruft per Computer die bereits automatisch über ein zweites Computersystem zusammengestellten Titel ab und aktiviert sie vom Studio aus. Mit den eigentlichen CDs hat der Moderator nichts mehr zu tun.
Übertragungstechnik Da aus Kapazitäts- und Etatgründen kein "Sendesaal" oder entsprechendes AufnahmeStudio zur Verfügung steht, ist eine sinnvolle Eigenproduktion ausgeschlossen. Um Konzertübertragungen oder -aufzeichnungen zu realisieren, muß nach Bedarf ein freies Technikerteam mit entsprechendem Equipment verpflichtet werden.
Geschäftsführung und Finanzen Zu den wichtigsten Aufgaben des Geschäftsführers zählen: -
Koordination des gesamten Personalbestandes; Festlegen der allgemeinen Geschäfts- und Programmpolitik; Evaluierung der Hörerstrukturen durch geeignete Repräsentativumfragen Entwicklung einer individuellen Marketingstrategie; Planung von PR-Maßnahmen; Reichweitenplanung und Frequenzakquisition; Controlling der Ausgaben und Einnahmen; Koordinierung der Werbeakquisition; Kontakten von wichtigen Geschäftspartnern.
Die Erlössituation des Senders hängt ab von der quantitativen Akzeptanz der Hörerschaft. Je mehr Hörer den Sender einschalten, desto höher kann der Spotsekundenpreis berechnet werden. Da das Produkt im Special-Interest-Bereich angesiedelt ist, kann auch die Programmqualität als Argument für Spot- oder Sponsoringmaßnahmen herangezogen werden. Für manchen Werbekunden, dessen Produkt hochqualitativ ist, wird ein Sender mit einem ebenso hochqualitiativen Programm eine einzigartige und wertvolle Grundlage für einen effektiven Imagetransfer bilden.
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Damit ein neues Produkt wie ein Radiosender mit klassischer Musik sich am Markt behaupten kann, muß zunächst dafür gesorgt werden, daß er einen möglichst hohen Bekanntheitsgrad erlangt, soll dies möglichst kurzfristig geschehen, sind wirksame PRAktionen in hoher Konzentration ebenso unerläßlich wie programmbegleitende Maßnahmen zur Hörerbindung. Externe Aktionen wie zum Beispiel Plakatierung, BusTkxi- oder Konzenpräsentationen werden im Programm begleitet durch Wunschkonzerte oder Verlosungen attraktiver Preise. Wesentliche Kriterien für den Erfolg eines Programmes sind: - Der "Hörer-Gestern "-Wert·. Wieviele Hörer haben am Tag zuvor das Programm genutzt? - Die Stundenreichweite: Wieviele Hörer werden pro durchschnittliche Sendestunde erreicht? - Der weiteste Hörerkreis: Wieviele Hörer haben in den vergangenen 14 Thgen den Sender gehört? - Der Marktanteil, das ist die nach einem bestimmten Schlüssel errechnete Zahl aus "Hörer gestern" und Verweildauer. Vom Sendestart bis zum Erreichen des Break Even muß eine Zeit von mindestens drei bis fünf Jahren gerechnet werden.
Vorbereitung, Kalkulation und Durchführung von Film- und Fernsehproduktionen Theo Aulich und Gyula Trebitsch
Die Erfinder, Techniker und Wissenschaftler erfüllten uns den Wunsch, Bilder zu bewegen, sie zu projizieren und nicht viel später "fern sehen" zu können, schneller, als man es sich hatte vorstellen können. Der rasch angewachsene Herstellungsbetrieb für Film- und/oder Fernsehproduktionen ist heute zu einem durchorganisierten Konglomerat von vielseitigen Beschäftigungen geworden. Der Werdegang bis zum heutigen Zeitpunkt weist folgende Stationen auf: Vom Stummfilm über den Tonfilm bis zum Farbfilm, vom Normalfilm (35 mm) bis zum Schmal- und Umkehrformat und Großbildformat (Breitwand/Cinemascope) bis schließlich zur Filmaufzeichnung (FAZ) und zum elektronisch-magnetischen Aufzeichnungssystem (MAZ). Der technische Fortschritt hat zudem das Filmschaffen auf ein vielseitiges Terrain gehoben, so daß die ausgedehnte Entwicklung der Filmkunst und der Filmwirtschaft immer in Wechselbeziehung standen und stehen, wobei jedoch die Prinzipien der Herstellung stets die gleichen geblieben sind. Der folgende Beitrag ist überwiegend auf das Verfahren bei der Filmaufzeichnungen (FAZ) zugeschnitten. Dieser Weg wurde gewählt, weil er es ermöglichte, das Wesen des Produktionsverfahrens vor allem mit seinen wirtschaftlichen Elementen in aller gebotenen Deutlichkeit darzustellen. Vorweg die Erklärung einiger relevanter Grundbegriffe: "Produktion" bedeutet Umsetzung (Realisation) eines bestimmten Vorhabens (Projekts), das nach Inhalt und Umfang dazu vorgesehen ist, als Endprodukt öffentlich vorgeführt und nutzbar gemacht zu werden. Der Begriff Filmproduktion ist eng verbunden mit dem Kino-Film, d.h. solchen Projekten, die von ihrer Zweckbestimmung her primär zur Verwertung in Filmtheatern vorgesehen und danach ausgelegt sind. Bei der "Fernseh-Produktion" handelt es sich um Projekte, die eigens für das Fernsehen realisiert werden. Der Projektablauf ähnelt dem der Filmproduktion. "Koproduktionen" sind in der Regel auf internationale Zusammenarbeit zugeschnitten. Eine Variante dessen ist die "Gemeinschaftsproduktion": die Verständigung zweier oder mehrerer Sender im deutschsprachigen Fernseh-Bereich auf ein bestimmtes Projekt zur gemeinsamen Ausstrahlung. "Projekt" bedeutet, daß dem Vorhaben eine Erfolgserwartung zugrunde liegt, die - je nach Vorgabe, Sujet, Zweckbestimmung - bestehen kann in - kommerziellem Erfolg - künstlerisch/kulturellem Wert, - Unterhaltungseffekt, - Werbewirksamkeit,
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Theo Aulich und Gyula Trebitsch
- Unterrichtung/Information, - Erziehung/Aufklärung. "Produzent" ist die Bezeichnung für die juristische Person (Firma), die die Möglichkeit zur Realisierung eines Film- und/oder Fernsehprojekts und die damit verbundene vielfältige Arbeit der Koordination eröffnet. Dies gilt sowohl für den wirtschaftlichen Bereich als auch für die künstlerischen Tätigkeiten. Der Produzent ist somit als ein "kreativer Kaufmann" anzusehen. Der "Produktionsleiter" ist dem Produzenten gegenüber verantwortlich für die Erstellung eines realistischen Drehplans und einer entsprechenden Kalkulation sowie der danach ausgerichteten Organisation und Durchführung der Produktion. Er bereitet die erforderlichen Vertragsabschlüsse vor und vertritt den Produzenten am Drehort.
Ökonomische und juristische Grundlagen Zur Herstellung eines Films gehören: -
ein publikumswirksamer, interessanter "Stoff"; ein klar gestaltetes Drehbuch; eine gut gewählte Besetzung; ein Finanzierungsplan, der auch die nationalen und internationalen Vertriebsmöglichkeiten berücksichtigt.
Wer sich als Produzent betätigen will, muß vor Beginn seines Projektes Eigenmittel einsetzen und Finanzierungsmöglichkeiten erschließen, die es ihm ermöglichen, die Produktion durchzuführen. Dies wird ihm in der Regel nur dann gelingen, wenn sich damit Vertriebs- und Verleihchancen verbinden, die der Zweckbestimmung des Projektes entsprechen. Im Bereich der Kinoproduktion spricht man in von einer Verleih-Garantie. Das Verleihunternehmen gewährt den kreditgewährenden Banken eine Bürgschaft in Höhe eines Teiles der Produktionskosten. Grundlage dafür sind entsprechende Verträge mit den Produzenten, durch die dieser die Auswertungsrechte an seinem Produkt dem Verleihunternehmen teilweise überträgt. Beim Produzenten verbleibt dabei ein sogenannter Selbstbehalt als Eigenbeitrag. Mit der Finanzierung muß sich jeder Produzent vor Beginn der Produktion genauso sorgfältig befassen wie mit dem kreativen Part seines Geschäfte, denn mit jedem Projekt ist ein mehr oder weniger großes unternehmerisches Risiko verbunden. Eine besondere Möglichkeit der Finanzierung und Produktion von Kinofilmen ist der Weg über die staatliche Filmförderung. Ohne eine staatliche Filmforderung ist die Finanzierung eines Kinofilms aufgrund der Marktsituation nicht möglich. Zudem besteht ein öffentliches Interesse, den Kinofilm als Teil des deutschen Kulturguts zu erhalten und weiterzuentwickeln. Die Auftragsproduktion ist aus dem Programmspektrum der Fernsehanstalten kaum noch hinwegzudenken. Der Auftragsproduzent wirkt auch hier als Unternehmer, wenngleich ihm die Last der Finanzierung weitgehend vom Auftraggeber abgenommen ist. Der Erfolg seines Produktes läßt sich nicht am Kassenergebnis, sondern allenfalls an der Einschaltquote ablesen läßt (mögliche Ausnahme: Pay-TV). Dennoch wird auch hier dem Produzenten neben seiner kreativen Leistung ein gewisses wirtschaftlichem
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Potential abverlangt. Bis zum Abschluß eines Produktionsvertrages hat er Vorleistungen zu erbringen, und auch während des Produktionsvorganges, d.h. nach Abschluß des Produktionsvertrages bis zur Abnahme des Endprodukts muß er mit finanziellen Eigenleistungen aufwarten. Beides setzt eine gewisse Bonität des Produzenten voraus, aufgrund derer es ihm normalerweise nicht schwerMen dürfte, die notwendigen Zwischenkredite zu erhalten. Der Schwerpunkt seiner wirtschaftlichen Leistung liegt freilich auf der Erstellung einer Kostenrechnung, die den programmwirtschaftlichen Vorstellungen des Auftraggebers und damit auch dem Produktionsvertrag entsprechen. Da derartige Produktionsverträge häufig auf einen sogenannten Festpreis-Abschluß hinauslaufen, trägt er an dieser Stelle ein Risiko, denn er kann nicht damit rechnen, daß ihm etwaige Kostenüberschreitungen honoriert werden. Unter den BegriiF Auftragsproduktion im weiteren Sinne M e n auch solche Projekte, die von der öffentlichen Hand, von Ministerien, Behörden, Institutionen und von der Industrie vergeben werden, um mit dem Medium Film Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und bestimmte Zielgruppen zu erreichen. Hier, wie auch bei der Produktion von Werbefilmen, hat sich der Produzent bei der Realisation derartiger Projekte an die allgemeinen produktionswirtschaftlichen Grundsätze zu halten.
Die Kalkulation Voraussetzung einer jeden realistischen Kalkulation ist das Vorliegen eines Drehbuchs, auf dessen Grundlage eine entsprechende Vorbereitung der Produktion erfolgen kann. Es liegt letztlich in der Verantwortung des Produzenten, zu beurteilen, ob diese Voraussetzung für das Projekt gegeben ist. Eine realistische Kalkulation kann nur dann entstehen, wenn die Zusammenarbeit des Produktionsteams mit dem künstlerischen Team sichergestellt ist. Im Vorlauf zur Kalkulation ist ein Kostenplan zu entwickeln, in dessen Rahmen folgende Faktoren zu erfassen bzw. zu erarbeiten sind: - Sicherung der Verlags- und Autorenrechte (eventuell durch Option) - vorgesehene Länge des Endprodukts; - eventuell einzuhaltende Ablieferungstermin; - Drehbuchanalyse nach Atelier- und Außenaufnahmen; - Daten der Produktionsplanung; - Zusammenstellung der Stäbe (einschließlich Regiestab); - Ermittlung von Besetzungsmöglichkeiten (vor allem für Hauptrollen) - Einholung von Kostenvoranschlägen von Dienstleistern wie Studios, Kopierwerken und Ausstattungsfirmen. Die so ermittelten Grunddaten fließen in die Kalkulation ein, die sich üblicherweise wie folgt gliedert: 1. Nutzungsrechte, 2. Gagen und Honorare, 3 Atelier-Bau, 4. Atelier-Dreh, 5. Außenaufnahmen, 6. Ausstattung,
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Theo Aulich und Gyula Trebitsch Synchronisation, Musikaufnahme, Mischung, Bild- und Tonmaterial und Bearbeitung, Versicherungen, Allgemeine Kosten.
Dazu im einzelnen: Nutzungsrechte. Hierbei handelt es sich um den Erwerb von Rechten an urheberrechtlich geschützten Werken und/oder Leistungen, die der Produzent benötigt, um sein Projekt realisieren und dessen Verwertung sicherstellen zu können. Zu den Nutzungsrechten ("Wort") gehören in erster Linie Verlags- und Autorenrechte; ferner von Fall zu Fall Nutzungsrechte an benötigtem Bild- (Fotos) und Filmmaterial (Ausschnitte aus fremden Produktionen); schließlich alle Arten von Musikrechten (Kompositionen, Arrangements). Dazu zählen auch solche, die von der GEMA und GFL wahrgenommen und verwaltet werden. Alle diese Rechte unterliegen speziellen Vertragsgestaltungen, wobei der Zeitraum und der Umfang der Verwendung von besonderer Bedeutung sind. Dafür gibt es einen großen Spielraum, der allerdings für das eigentliche Produktionsvorhaben nur insoweit genutzt werden muß, als es dem unmittelbaren Verwertungsbedarf entspricht. Gagen und Honorare. Bei dieser Pösition zeigt sich am deutlichsten, daß jede Produktion als selbständiges wirtschaftliches Projekt zu betrachten ist. Alle Produktionen der hier behandelten Art werden überwiegend mit freien Mitarbeitern besetzt. Wenn der Produzent über einen Stamm von festen Mitarbeitern verfügt, ist er beim Einsatz solcher Kräfte berechtigt, sie entsprechend ihrer Berufesparte und Qualifikation mit angemessenen Gagen in die Kalkulation einzubringen. Das gilt auch für den Produzenten selbst, wenn er, wie beispielsweise bei "Low Budget"-Produktionen als Mitwirkender (zum Beispiel Autor, Regisseur, Kameramann) in der Produktion tätig wird. In der Kalkulation wird nach folgenden Arbeitsgruppen bzw. Tätigkeitsbereichen gegliedert: - Produktionsstab mit Produktionsleiter, Erster und Zweiter Aufnahmeleiter, Aufnahmeleiterhilfe, Produktionssekretärin, Kassierer, Geschäftsführer; - Regiestab mit Regisseur, Regieassistent, Ateliersekretärin; - Kamera mit Kameramann, Kameraassistent, Schärfe- oder Materialassistent; - Schnitt mit Schnittmeister, Schnittmeisterassistent, Filmkleberin (eventuell MAZSchnitt beim elektronischen Aufzeichnungsverfahren) ; - Kostümstab mit Kostümbildner, Garderobe (männliche Rollen), Garderobe (weibliche Rollen), Garderoben-Aushilfen; - Bau- und Ausstattungsstab mit Bühnenbildner (Architekt), Bildhauer, Kunstmaler, Außenrequisiteur, Innenrequisiteur, Requisitenhilfe; - sonstiger Stab mit Herren-Maskenbildner, Damen-Maskenbildner, MaskenbildnerAushilfe, Kraftfahrer, Geräuschemacher, Kabelträger (nur bei MAZ-Produktion), Titelzeichner, Fachberater; - Darsteller, unterteilt in Hauptdarsteller, kleine Rollen, Komparsen, Artisten, Ballett, Choreographie; - Musik, unterteilt in Musiker-Synchronisation, Musiker im Bild, Dirigent, Sänger und Chor. Die Gagen und Honorare orientieren sich an Tkrifverträgen und am sogenannten Honorarrahmen (wie beispielsweise bei den Rundfunkanstalten), aber auch, vor allem bei den künstlerischen Berufen, an deren Marktwert.
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Wesentlich für die Vertragsgestaltung sind daneben folgende Rahmenbedingungen: 1. Die Arbeitszeit. Gesetzliche Grundlage dafür sind die Arbeitszeitordnungen (AZO) in Verbindung mit tarifvertraglichen Regelungen. Jeder Insider weiß, daß in diesem Geschäft mit einem normalen acht Stunden-Tkg bzw. einer 40 Stundenwoche nicht auszukommen ist. In welchem Umfang Mehrarbeitsleistungen in Anspruch genommen werden müssen, ist in der Regel nicht vorausschaubar. Daher werden bei den betreffenden Vertragsabschlüssen Pauschalvereinbarungen getroffen (ausgenommen Sonn- und Feiertage, die, felis produktionsbedingt eingeplant, schon in der Kalkulation ausgewiesen werden müssen). 2. Pauschaliertes Gesamthonorar. Bei bestimmten Berufegattungen ist die Vereinbarung eines Gesamthonorars branchenüblich und unumgänglich. Ein typischer Fall dafür ist der Vertrag mit dem Bühnenbildner/Architekten, der dementsprechend auch als Werkvertrag gestaltet ist. Die Leistung des Bühnenbildners setzt sich aus kiinstlerischen und handwerklichen Arbeiten zusammen; sie erstreckt sich auf Skizzen, Dekorationsentwürfe im Vorbereitungsstadium, auf die Überwachung der Bühnenbauten und sonstiger Ausstattungsvorgänge; alle seine Arbeiten gehen uneingeschränkt in das Eigentum des Produzenten über. Nur der anderweitigen Weiterverwendung seiner kreativen Leistungen sind Grenzen gesetzt. Ähnliches gilt für den Kostümbildner. 3. Regievertrag. Ein Vertrag sui generis ist auch der Regievertrag. Die Gesamtgage des Regisseurs wird entsprechend den an ihn gestellten Anforderungen aufgeteilt in Leistungs- und Drehhonorar (einschließlich zumutbarer Bearbeitung und Proben) sowie in ein Honorar für Vorbereitungsarbeiten und die Endfertigung. Für darüber hinausgehende gestaltende und kreative Drehbuchbearbeitung kann ein Zusatzhonorar in Betracht kommen. 4. Wiederholungshonorare. Für die Kalkulation nicht relevant, aber für die Vertragsgestaltung wichtig ist die Frage der Einräumung von sogenannten Wiederholungshonoraren. Abweichend vom normalen Mitwirkungsvertrag können Wiederholungshonorare nach einem bestimmten Berechnungsmodus solchen Vertragspartnern zugestanden werden, die wesentlich an der künstlerischen Gestaltung einer Produktion beteiligt sind. Dazu gehören in erster Linie Autoren und Regisseure, aber auch Darsteller, die im Rahmen der Spielhandlung Hauptrollen zu gestalten haben. 5. Kleine Rollen und Komparsen. Sie werden ebenso wie technische Hilfekräfte mit Tagesgagen honoriert. Komparsen erhalten keine Einzelverträge, sondern werden über Sammellisten geführt. Außenaufnahmen. Während in alten Filmzeiten der Schwerpunkt der Bau- und Dreharbeiten sowie die Tonauftiahmen in den Hallen der Atelierbetriebe lag, womit vor allem auch umfängliche Dekorationsbauten und Beleuchtungsinstallationen verbunden waren, haben sich diese Produktionsvorgänge in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr nach "außen" verlegt. Die Gründe dafür liegen nicht nur im Wirtschaftlichen, sondern überwiegend in der Forderung, für die szenische Gestaltung größeren Spielraum zu haben und mehr Schauelemente einzubringen, als es die (relative) Enge eines Studios bei noch so perfekter Bau- und Ausstattungsleistung ermöglicht. Dementsprechend wurde das Geschäft der Atelierbetriebe im wahrsten Sinne des Wortes "mobilisiert". Übrig geblieben sind vor allem im Fernsehbereich als klassische Atelierproduktion Sendereihen mit Standard-Dekorationen, aber auch langläufige Reihenproduktionen, für die bestimmte wiederkehrende Handlungsorte vorgegeben sind und die sich mithin dazu eignen, solche Szenen drehplanmäßig zusammenzuziehen und im Atelier zu realisieren. In der Kalkulation tauchen diese Kosten häufig pauschaliert auf. Das gilt gleicher-
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maßen für den Bau- und Drehkomplex wie für die Innen- und Außenaufnahmen. Berechnungsgrundlage sind in jedem Fall die Preislisten der jeweiligen Dienstleister in Verbindung mit den im Kalkulationsschema aufgeführten Einzelpositionen und dem daran orientierten Bedarf. Pauschalierungen dieser Art haben eine besondere Bedeutung im Bereich von öffentlichen Veranstaltungen erlangt, die vornehmlich im Fernsehen zur Live-Ausstrahlung bestimmt sind, aber auch versetzt gesendet werden können. Da derartige Produktionen oft Eigenproduktionen der Sender sind, M e n sie im Grunde aus dieser Betrachtung heraus. Sie bleiben trotzdem erwähnenswert, weil hierbei das Ausschreibungsverfähren praktiziert wird: Der von der Produktion ermittelte Bedarf wird einer Mehrzahl von in Betracht kommenden Dienstleistern zur Bewerbung angeboten; den Zuschlag erhält derjenige, der das wirtschaftlichste Angebot abgibt. Für Pauschalvereinbarungen können sich im übrigen auch Dienst- und Sachleistungen anderer Art eignen, wenn deren Gegenstand und Umfang überschaubar sind. Dies gilt beispielsweise für Außenaufnahmen, bei denen naturgemäß eine Vielzahl von Kostenfaktoren auftreten (Reisekosten, Unterkunft, Verpflegung, Fracht und Speditionskosten, Stromanschlüsse etc.). Eine Liste aller Außenmotive ist der Kalkulation beizufügen. Zum Bereich Ausstattung gehören in erster Linie Requisiten und Kostüme, ferner aber auch das Material, das die Maskenbildner für ihre Arbeit benötigen. Stets wird dabei nach Kauf und Miete unterschieden; welche der beiden Möglichkeiten gewählt wird, ist anhand des durch das Drehbuch festgelegten Bedarfs zu beurteilen. Der Kostümbildner oder Requisiteur wird aufgrund seiner Erfahrung abzuschätzen wissen, was gemietet werden kann und was zu kaufen ist. Aus wirtschaftlichen Gründen wird dabei der Miete der Vorzug zu geben sein, ganz abgesehen davon, daß auch die Möglichkeit besteht, sich der bei den Fersehanstalten und den großen Atelierbetrieben bestehenden Fundi zu bedienen. Im übrigen gibt es Spezialfirmen, die für das Mietgeschäft zur Verfügung stehen. Der Komplex Synchronisation, Musikaufnahme und Mischung gehört zu den Aufnahmevorgängen, die in der Regel erst nach Beendigung der Dreharbeiten anstehen. Je nach Bedarf umfaßt er die Tonapparatur und die Löhne für Sprachaufnahmen, Geräuschaufhahmen, Musikaufhahmen und Mischung. Darüber hinaus müssen in der Kostenberechnung der Einsatz des Regiestabes, des Tonmeisters oder Ton-Ingenieurs, des Aufnahmeleiters sowie der mitwirkenden Schauspieler, des Komponisten und der erforderlichen Anzahl von Musikern, schließlich des Geräuschemachers, berücksichtigt werden, soweit deren Gagen nicht schon in der Kostengruppe Gagen und Honorare erfaßt sind. Für die Kalkulation kommen, so weit nichts anderes vereinbart, die Preislisten der film- und tontechnischen Betriebe zur Anwendung. Bei den Kosten für Bild- und Tbnmaterial und Bearbeitung handelt es sich um Aufwendungen, die - vornehmlich im Film- Aufzeichungsverfähren — sowohl bei den Dreharbeiten entstehen, als auch in den Endfertigungsbereich feilen. Grundlage für die Kostenberechnung sind auch dafür die Preislisten der in Betracht kommenden Dienstleister und Lieferanten, die folgende Varianten für die einzelnen Material- und Bearbeitungsleistungen ausweisen: -
Negativ/Umkehroriginal Schwarz-Weiß, Negativ/Umkehroriginal Farbe, Lichttonnegativ, posiüv/Dup.-Umkehr Schwarz-Weiß,
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Pösitiv/Dup.-Umkehr Farbe, Videoband, Magnettonmaterial, Negativ-/Umkehrentwicklung, Bildmusteranfertigung, Sonstige Filmarbeitung, Kopienanfertigung, Magnettonüberspielung, Fotomaterial und Bearbeitung.
Nahezu unabdingbar für jede Film- und Fernsehproduktion, insbesondere bei fremdfinanzierten, ist der Abschluß von Versicherungen gegen den Ausfall des Regisseurs und insbesondere von Darstellern mit durchgehenden Rollen, der aus nicht vorhersehbaren, in der Person des Darstellers liegenden Gründen (im allgemeinen sind es gesundheitliche) eintritt. Der Versicherer verlangt in der Regel eine Untersuchung der betreffenden Darsteller. Er kann im EinzelM den Versicherungsabschluß aus Altersgründen ablehnen. Nicht weniger bedeutsam ist eine Versicherung gegen Negativschäden. Das sind Schäden, die während der Dreharbeiten am belichteten Negativmaterial aufgetreten sind und die Unverwendbarkeit dieses Materials zur Folge haben. Es dürfte sich empfehlen, zu diesem für die Produktion äußerst wichtigen, vielschichtigen Fragenkomplex einen Versicherungsexperten heranzuziehen und dabei auch Klarheit über andere Schutzmöglichkeiten zu schaffen. Dazu gehören beispielsweise die Transportversicherung, die Requisitenversicherung und dergleichen. Für die Kalkulation selbst sind zunächst nur die entsprechenden Prämienansätze von Bedeutung. Bei den unter Allgemeine Kosten im Kalkulationsschema ausgewiesenen Positionen handelt es sich um ein Sammelsurium von einzelnen Kostenfäktoren, die zum Teil reine Bürokosten wie Porti, Telefon- und Telegrammgebühren, Schreibkräfte, Vervielfältigungen, Übersetzungen und dergleichen sind, zum anderen aber auch wesentliche Elemente des Produktionsgeschehens umfassen wie BefÖrderungs-, Transport-, Frachtund Zollkosten und Reisekosten, Fahrkosten, läge- und Übernachtungsgelder. Letztere gehören im Grunde zu den einzelnen, zuvor behandelten konkreten Produktionsvorgängen. Was schließlich dieser Kostengruppe noch zuzuschreiben ist, sind die insbesondere bei der Kinofilm-Produktion auftretenden Finanzierungskosten und Treuhandgebühren. Letztere können auch anfallen bei sogenannten Abrechnungsproduktionen für die Fernsehanstalten. Die Einschaltung eines Treuhandunternehmens wird in diesen Fällen von den Kreditinstituten bzw. Auftraggebern verlangt, um bei der Produktionsdurchführung die zweckgebundene Verwendung der zur Verfugung gestellten Gelder zu überwachen. Das Thema Kalkulation kann nicht abgeschlossen werden, ohne den Begriff Beistellung zumindest aufgeführt zu haben. Er spielt gegenwärtig nur bei den Auftragsproduktionen der Fernsehanstalten eine Rolle und bedeutet, daß sich der Auftraggeber vorbehält, bestimmte Teile oder Leistungen aus dem Eigenbereich für die Produktion zur Verfügung zu stellen. Die Kostenansätze dafür erfolgen nach hausinternen Richtlinien und sind in der Kalkulation als "Indirekte Kosten" auszuweisen.
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Projektdurchfuhrung Spätestens sechs Monate vor den Dreharbeiten sollten vorliegen: - eine verbindliche (abgenommene) Drehbuchfassung ; - ein Drehplan, der in seinen Grundelementen zumindest den terminierten Ablauf der Dreharbeiten ausweist, aufgegliedert nach durchnumerierten Bildern, den entsprechenden Dekorationen und Motiven (Atelier/Außen/Außen-Innen), sowie die Einsatzdaten der Hauptdarsteller und sonstigen Mitwirkenden, soweit sie im Bild erscheinen oder Probentage haben. Dieser Drehplan ist für alle Produktions-Beteiligten die verbindliche Grundlage für den Ablauf der Produktion; - die komplette Kalkulation, die mit dem Drehplan übereinstimmen muß. Einzelverfügungen werden während der Dreharbeiten in Tagesdispos itionen und ergänzende Weisungen umgesetzt. Bereits bei der Behandlung der Position Materialaufwand im Rahmen der Kalkulation wurde darauf hingewiesen, daß bei jeder Filmproduktion der Materialverbrauch bedeutsam ist. Dafür steht der Begriff Drehverhältnis: Der Regisseur ist gehalten, sich bei der Inszenierung einer Szene und deren Wiederholungen in den kalkulierten Grenzen zu halten. Drohen wesentliche Kostenüberschreitungen, muß der Produzent in Zusammenarbeit mit der Regie und der Produktionsleitung Maßnahmen treffen, die den weiteren Produktionsablauf sicherstellen. Neue Ideen des Regisseurs, die nicht im Drehplan und in der Kalkulation erfaßt sind, können nur dann realisiert werden, wenn der Produzent seine Zustimmung gibt. Eine unberechenbare Größe: das Wetter, besonders bei Produktionen, die vom Thema her wie auch aus Gestaltungsgründen auf Außenaufnahmen angewiesen sind. Was tun, wenn das Wetter den Erwartungen nicht entspricht? Dann wird aufgrund von Doppeldispositionen, die für die Außendreharbeiten erstellt worden sind, gearbeitet. Hier ist gegebenenfalls die Produktion gezwungen, Dispositionsänderungen vorzunehmen, die den Drehplan beeinflussen: Austausch von Außen- und Innenaufnahmen, Verlegung des Außenmotivs nach innen oder Zurückstellung auf einen späteren Nachdreh. Schwierigkeiten können entstehen, wenn die betreffenden Bilder Anschluß an vorausgegangene Aufnahmen haben müssen. In vielen Fällen führen Umdispositionen zu nicht vorhersehbaren Mehrkosten. Täglich sind Berichte über den Projektfortschritt von der Aufnahmeleitung zu erstellen und vom Produktionsleiter genehmigt. Sie dienen dazu, den Produzenten über den Ablauf jedes einzelnen Arbeitstages zu unterrichten. Vom Produktionsplan abweichende und sonstige besondere produktionsrelevante Vorkommnisse sind mit entsprechenden Erläuterungen zu vermerken. Zwischen dem am Drehort tätigen Regisseur und dem Filmschnitt steht das Kopierwerk, zu dem täglich nach Drehschluß das belichtete Material gebracht werden muß. Als Begleitpapier dient dabei der vom Kameramann und der Regieassistenz abzuzeichnende "Filmaufinahmebericht", der den Materialverbrauch ausweist und als Auftrag an das Kopierwerk dient, von dem belichteten Negativ die näher zu bezeichneten Teile (Einstellungen) zu kopieren. Diese Kopien landen im Schneideraum und werden dort in einer eigens dazu von der Aufnahmeleitung anzuordnenden Mustervorführung für den Rohschnitt aussortiert. Das Ergebnis wird protokollarisch festgehalten.
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Kostenkontrolle Ein wesentlicher, wenn nicht überhaupt der wichtigste Bestandteil der Überwachungsaufgaben bei der Prcxiuktionsdurchfìihrung ist die Kostenkontrolle. Hauptstütze sind dabei die von der "Filmgeschäflsführung" anhand der Belege laufend zu vervollständigenden Aufschreibungen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe hat die Filmgeschäflsführung eine "Produktionskladde" zu führen, die - entsprechend der Kalkulation - alle kostenverursachenden Geschäftsvorgänge positionsgerecht zu registrieren und in Form von Zwischenkostenständen (mit Hilfe einmer modernen EDV-Anlage) zusammenzufassen hat. Ihr müssen daher von der Produktionsleitung die erforderlichen Unterlagen vollständig und zügig zugeleitet werden, so daß sie nicht nur Kassenvorgänge, sondern auch zur Regulierung anstehende Verpflichtungen erfassen kann.
Die Endfertigung Erforderliche Mus ikaufnahmen können vorproduziert und später in den Mischungsvorgang eingefügt werden. Dieser Vorgang, den Feinschnitt des Bildmaterials vorausgesetzt, bildet den Abschluß der Produktion. Die Herstellung eines Titel-Vor- und Abspanns kann im EinzelM auch noch zu künstlerischen Varianten führen, ist aber letztlich nur noch Routinearbeit. Dem folgt im produktionswirtschafllichen Bereich die Schlußabrechnung, die, wenn sie zeitnah erstellt werden soll, gleiche Probleme wie bei den Zwischenkostenständen aufwirft. Fast von selbst versteht es sich, daß jede Schlußrechnung nicht nur der Struktur des Kalkulationsschemas entsprechen, sondern auch Kongruenz und Kontinuität in bezug auf die vorausgegangenen Zwischenkostenstände sowie Tkgesaufhahme- und sonstige Ablaufberichte erkennen lassen muß. Der Zusammenrechnung der eigenüichen Herstellungskosten in der Schlußabrechnung bleiben nach dem sich daraus ergebenden Kostenstand von Fall zu Fall noch hinzuzufügen oder gegenzurechnen: -
Treuhandgebühren und Finanzierungskosten, der Handlungsunkosten- (HU-) und Gewinn-Bonus der Produzenten, etwaige Nachbewilligungsbeträge des Auftraggebers, Vergütungen aus Versicherungsfällen, Erlösen aus Requisiten und Kostümverkäufen, Beiträge aus der "Zusammenarbeit mit Dritten".
Für Planung, Kalkulation und Abrechnung sollte eine moderne EDV-Anlage benutzt werden.
Film Heinz Ungureit
Seit 1895 ist es möglich, bewegtes Leben - vorgefundenes und gestaltetes - auf einem Filmstreifen festzuhalten und mit Hilfe eine Apparates "lebensecht" auf eine Bildwand zu reproduzieren. Auf dem Rummelplatz fing es an und endete in Kinos, Filmtheatern, Filmpalästen, Kleinstkinos, Heimkinos, Bildschirmen, Multiplex-Kinos... Schwarzweiß waren die bewegten Bilder zuerst, dann wurden sie — noch während der Stummfilmzeit - farbig, bekamen Musikuntermalung (entsprechend dem Musilschen Satz: "Musik ist innere Bewegung; sie fördert die Bewegungsphantasie"), nahmen dann Töne, Sprache, Geräusche und Musik grundsätzlich und gleichzeitig mit auf und werden jetzt auf Großleinwänden mit Dolby-Stereo-Ton wiedergegeben. Das überlebensgroße Gemeinschaftserlebnis im abgedunkelten Raum - Fortsetzung der klassischen Theater-, Konzert-Öffentlichkeit mit anderen Mitteln. Man kann alle diese Filme aber auch auf die heimischen Klein-Bildschirme bringen. Da verlieren sie das Überlebensgroße, werden sachlicher (heimischer) es sei denn, wir haben zuhause bald auch die elektronische Großbildwand in Form von HDTV (hochauflösendes Fernsehen). Vielleicht geht sogar der Filmstreifen eines Tkges verloren zugunsten des Elektronikstreifens, wenn er dann auf Großbildwänden auch in riesigen Gemeinschaftssälen entsprechende oder bessere Qualität bietet. Der Film brachte die Erweiterung des Erlebnisraums aus der Wirklichkeit heraus und über die Wirklichkeit hinweg (durch Gestaltung auch des Phantastischen, Märchenhaften, Surrealen, Expressiven etc.). Gleich zu Beginn stellte Lumière seine Kamera auf die Straße und filmte Arbeiter beim Verlassen der Fabrik, Züge beim Einfahren in den Bahnhof, Menschen in ihrem individuellen und gesellschaftlichen Verhalten - dokumentarisch eben. Gleichzeitig baute Meliès sein "künstliches" Leben in einem Filmatelier auf, phantasierte sich neue Lebensbilder, Reisen zum Mond, Märchenfiguren oder Bewegtheiten aller Art, die im wirklichen Leben nicht einfach zu finden waren. Bis heute haben sich beide Linien im Film weiterentwickelt, mit tausendfachen Vermischungen, immer in dem Bemühen, den Menschen zu überraschen, verblüffen, erschrecken, besänftigen, aufzuputschen, ideologisch zu formieren, innerlich und äußerlich zu bewegen. Daraus entwickelten sich große Industrien, Handwerksbetriebe, Kunst-Studios; mal privat, mal staatlich organisiert und gelenkt. Chaplin brachte die Menschen in aller Welt genial und einsichtig zum Lachen, Bunuel stieß souverän in surreale Traumwelten vor; Orson Welles verband psychologische und gesellschaftliche Mechanismen und schuf große menschliche Dramen, Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau suchten nach den Hinter- und Urgründen des äußeren Anscheins; Eisenstein, Godard und Kluge montierten gefundene und erdachte Wirklichkeiten zu neuen Bildern von Menschen und ihrer jeweiligen Zeit. Und es wurden einfach und kompliziert Geschichten
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erzählt, historische, literarische, gegenwärtige, aus denen sich auch Stereotypen, Genres, Stars bildeten. Der Film ist vieles: Traumfabrik, Propaganda-Instrument, Massenunterhaltung, Individual-Kunst, Fabrikations-Kunst. Er hat mit Markt, Macht, Finanz- und ApparatOrganisation zu tun, er will gemanagt sein und andererseits individuelle Ausdrücke seiner Macher, der Autoren, Regisseure, Schauspieler, Musiker, Dekorateure, Kameraleute wahren. Widersprüchlich also und oft heterogen ist, was hier beschrieben wird; es fordert Manager, Industrie-Magnaten, Produzenten, Künstler, Individualisten gleicherweise heraus. Es ist seit hundert Jahren das moderne Ausdrucksmittel für Massen, kapitalintensiv, verführerisch, gescholten und verehrt, als verderblich für traditionelle Künste und Menschen ebenso betrachtet wie als großartiges Mittel, Menschen neu zu sehen und zu berühren, auch als Amalgam von Theater, Oper, Vaudeville, Journalismus, Circus, Konzert, Tingeltangel und bildender Kunst. Die Tktsache des Gefálles und des Vielfältigen teilt der Film mit anderen traditionellen (Original-)Künsten. Auch Theater, Musik, bildende Kunst, Literatur schwankten in ihren Hervorbringungen zwischen Trivialem, Massenhaftem, Einfachem, Verständlichem und dem differenzierten künstlerischen Ausdruck von bleibendem Wert. Die Frage ist nur, ob das jeweils Massenhaftere der nächsten Medien-Entwicklungsstufe und das Kapitalintensivere nicht per se Verluste zeitigen. Darüber wird gestritten, so lange sich die Medienentwicklung - vor allem der Neuzeit - verfolgen läßt. Der Buchdruck am Beginn der Neuzeit veränderte Wissen und Macht. Verärgert zeigten sich darüber Adel und Klerus, die bisher allein im Besitz des Mediums Buchhandschrift waren. Ein massiver Wandel war zu konstatieren: der Niedergang eines traditionellen Mediums für wenige bei gleichzeitigem Aufkommen eines neuen Mediums für viele. Das neue Medium war nicht mehr so viel Kunst, nicht so original und einzig wie das alte; es reproduzierte Buchstaben technisch-mechanisch. Ein Stück Aura schwand dahin. Das Medium des gedruckten Buches und sonstige drucktechnische Erzeugnisse haben es trotzdem im Laufe der Zeit zu hohem kulturellen Ansehen gebracht, obwohl nicht nur Kunst, Wissenschaft oder hohe Schule des Journalismus darin gedruckt wurden. Populärkultur und -literatur gingen von Anfang an mit einher. Sie sollten von den Nutzern der "Hochkultur" nicht arrogant verachtet, sondern genauer betrachtet, beachtet und in ihrer jeweiligen Beziehung zu den Menschen gewürdigt werden. Als der Film Ende des 19. Jahrhunderts aufkam, waren darüber die Leser von Gedrucktem und die Nutzer des Theaters verärgert, weil sie um Autonomie, Aura und Macht ihrer Medien fürchteten. Die Theateranhänger verboten über den Bühnenverein ihren Mitgliedern 1913 bei Strafe des Ausschlusses die Mitwirkung an der neuen "Afterkunst", die nicht so sehr für versenkungsbewußte Kunstbürger, sondern für abgewrackte Heloten (George Duhamel), Kleinbürger, Ladenmädchen gemacht zu sein schien. Wieder war ein Verlust zu beklagen: Wissen durch Lesen von gedruckten Wörtern und Versenkung durch Sehen originalen Spiels im Theater verloren ihre Einzigartigkeit. Vieles aus Büchern und vom Theater und noch manches sonst war jedenfalls jetzt auch durch bewegte Reproduktionsbilder vermittelbar. Das mechanische Festhalten und Reproduzieren von Musik auf Platten wie das Aufkommen des Rundfunks verstörte die Liebhaber der Originalkunst Musik im Konzerlsaal zunächst ebenso. Aber Künstler, Neugierige, Phantasievolle ließen sich durch Verbote nicht abhalten, beim jeweils neuen Medium mitzumachen, und einige Kulturkritiker (für den Film
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Benjamin, Kracauer, Arnheim, Iros, Balasz) nahmen sich verständnisvoll des neuen reproduktionsfähigen Masseninstruments an. Der Film stieg im kulturellen Ansehen (auch durch entsprechende Beispiele). Als schließlich abermals ein neues, massenhafteres Medium Mitte des Jahrhunderts aufkam, das Fernsehen, beklagten die Kinoanhänger abermals Verluste. Filme, so fänden sie, hätten nur eine Daseinsberechtigung im Kino, auf der großen Leinwand, vor versammeltem Publikum. Nur da entwickle er seine Aura, seinen Mythos, seine Strahlkraft. Die Filmwirtschaft dekretierte deshalb Mitte der fünfziger Jahre (unter Assistenz mancher Cineasten): "Kein Meter Film für das Fernsehn". Autoren, Regisseure, Stars des Kinos wurden beschimpft, wenn sie sich dem neuen Medium zuwandten. Alles wie gehabt. Die Vorgänge in der Geschichte der Medien (wie anderswo natürlich auch) wiederholen sich konsequent. Nun wird längst kein Film mehr für das Kino allein hergestellt; viele Filme entstehen original und ursprünglich für das Fernsehen, kommen manchmal (erfolgreich oder nicht) ins Kino. Das Kino selbst wandelt sich, wie Literatur und Theater sich bei Aufkommen des Films gewandelt haben. Es nimmt längst nicht mehr alle Filme, die entstehen, auf; es hat ein kleineres, zumeist jüngeres, aktives, aushäusiges Publikum. Über das Fernsehen kommen heute entschieden mehr Leute mit Filmen in Berührung als über das Kino. Über die Schallplatte, das Radio, das Tonband oder die CD kommen auch wesentlich mehr Leute mit Musik in Berührung als über den Konzertsaal. Man kann das als Anhänger der reinen (originalen) Konzertsaal- oder Kino-Lehre bedauern, wie die Buchhandschrift-Anhänger das weniger originale und aurahafte Druckmechanische ablehnten, aber die erbarmungslose Kulturkritik aus der jeweiligen Gewohnheits- und Marktposition von gestern bringt nicht weiter, läßt Entwicklungen möglicherweise eher zum Schlechteren tendieren, als wenn mit Verständnis solche Entwicklungen begleitet und beeinflußt werden. Das ist mühsamer und verzwickter als das Beharren auf vertrauten Positionen, aber die schiere Ablehnung (etwa eines Neil Postman gegenüber dem Fernsehen, vergleichbar der von G. Duhamel gegenüber dem Film) ist prinzipiell fruchtlos, selbstzweckhaft. Daß die immer größer werdende Flut massenhaft produzierter und reproduzierter Bilder und Töne für mehrzweckhafte Verwendung ihre vertrackten (widersprüchlichen) Seiten hat, daß immer weniger kreative Menschen als technisch-mechanisch gemachte Muster gefragt sind für die alleinige Herstellung dessen, was bei vielen ankommt, kann nicht geleugnet werden. Aber auch für diesen Trend gibt es Beispiele in der Geschichte der Medien, und er darf die Phantasie-Menschen nicht davon abhalten, sich einzumischen, mitzumachen und für bessere Möglichkeiten dieser neuen Medien zu sorgen. Der Mensch ist zum Schlechten verführbar, aber immer wieder auch zum Schöpferischen, Einzigartigen, Neuen, Überraschenden. Gerade die Kulturmanager aller Bereiche müssen Institutionen und Politik dazu bewegen, Freiräume für die kreativen Inhalte und Formen zu schaffen. Auch die frühen Theoretiker und Kritiker des Film haben immer wieder bedauert, daß das schöne neue Medium, das so viele Menschen gleichzeitig erreichte, oft so spekulativ war und sich schlechten Gewohnheiten und schlechtem Geschmack auslieferte. Trotzdem ist die Filmgeschichte der knapp hundert Jahre reichhaltig und substantiell genug, daß sie jede intensive Betrachtung ebenso aushält wie die letzten hundert Jahre Literatur, Musik, Theater, bildende Kunst. Und das nicht nur mit Minderheiten-Kunstfilmen, sondern gerade auch mit Erfolgen von Chaplin bis Fritz Lang, Orson Welles, Hitchcock, Robert Altman, François Truffaut, Carlos Saura, István Szabó, Rainer Werner Faßbinder und vielen anderen.
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Die moderne Medien-Technik darf wegen der ihr innewohnenden Tendenz zum Norm-Spiel, zur Norm-Kultur von den Kultur-Machern nicht verteufelt und verachtet werden. Dergleichen restriktives Besitzstands-Denken kennen wir, wie ausgeführt, seit der Erfindung des Buchdrucks. Es gilt schon, sich in die Widersprüchlichkeit der Entwicklung zu begeben. Aus Berührungsangst darf nicht neuer Kultur-Chauvinismus werden; die lustvolle Suche nach der (nur) eigenen Indentität sollte nicht in TrennungsPhantasien enden. Man muß vielmehr auch das Eigene gemeinsam wagen. Die Wahrung der jeweiligen regionalen oder nationalen Spiel-Eigenheiten kann nur im Willen zur europäischen Gemeinsamkeit gelingen. Amerikaner suchen Geschichten für das massenhafte Erzählen, wo sie zu finden sind: in ihrer eigenen Historie, der Erfahrung, in der antiken und europäischen Literatur. Sie erzählen sie - seit Griffith - im Film und dann auch im Fernsehen unbefangen, assimilierend, zu ihrer eigenen Legende stilisiert. Durchs amerikanische Kameraauge gesehen, bekommen sie die pragmatische, eindeutige, einfache (und doch formelhaft überhöhte) Note, die Europäern einerseits als Verrat an ihrer tieferen Kunstauffassung erscheint, die sie andererseits aber auch bewundern, ja partiell (wenngleich unzulänglich) imitieren. Europäer tragen nicht nur schwer an ihrer mehrtausendjährigen Erzähltradition; sie haben es auch noch mit der fest ebenso alten Kunsttheorie und Kunstphilosophie zu tun. Da stellt sich oft die lange Geschichte der ästhetischen Theorie vor das praktische Geschichtenerzählen. Aber auch die hohen Ansprüche an die Kunst, Leben zu veredeln, sinnliche Erfahrung und Erkenntnisfähigkeit zu vertiefen, gerieten immerzu in Widerstreit mit der Realität von Leben und Geschichte. Solcher Widerstreit kumulierte in Ereignissen wie der französischen und russischen Revolution, wie den beiden Weltkriegen und der Massenvernichtung und ließen Zweifel aufkommen, ob Kunst wirklich helfen könne, ob sich Poesie nach all dem überhaupt noch machen und Phantasie-Geschichten noch erzählen ließen. Robert Musil läßt A. verausahnend im "Mann ohne Eigenschaften" sagen: "Geben Sie mir durch fünf Jahre unumschränkte Regierungsgewalt über die weiße Welt, und ich verpflichte mich, daß vor Ablauf des fünften Jahres Menschenfresserei zu etwas gemacht wird, woran niemand Anstoß nimmt." Und Alfred Andersch kann nach der Erfahrung des Krieges und der Judenvernichtung durch zivilisierte, gebildete Deutsche, gezielt auf den humanistischen Vater Himmlers, mit Fug fragen: "Schützt Humanismus denn vor gar nichts?". Das Urbedürfnis des Menschen nach dem Geschichtenerzählen und nach dem Erleben von Erzähltem ließ sich dennoch auch dadurch nicht aufheben. Musil erzählte, so kompliziert und gebrochen auch immer, Andersch erzählte, wenngleich mit Hemmnissen und Zweifeln. Die Sehnsucht nach dem wegtauchenden wie dem aufweckenden Kunsterlebnis (nicht zuletzt durch Eintauchen in eine fremde Geschichte) blieb gewahrt; und wenn man sich auf Ottilies schön widersprüchliche Wendung aus Goethes "Wahlverwandtschaften" berufen mußte: "Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch Kunst. " Und Robert Musil seinerseits fend: "Kunst ist die Entfernung von der Wirklichkeit, mit dem Ziel, danach erfrischt zu ihr zurückzukehren." Die Maschinerie der filmischen und elektronischen Medien verlangte ohnehin nach Geschichten aller Art, den stereotypen und den singulären, den oberflächlichen zum alsbaldigen Ge- und Verbrauch und den künstlerischen von bleibendem Wert. Der Verlust an Aura in der Massenproduktion und Massenverbreitung ist seit Walter Ben-
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jamins Analyse "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" eine quälende Frage, wobei sowohl zur Debatte steht, ob Geschichten in Filmen (auf Leinwand und Bildschirm) auch ohne Aura bestehen können, als die Ungewißheit, ob nicht Aura auf andere Weise als bei den klassischen Originalkünsten auch den technisch und elektronisch reproduzierbaren Filmen eigen sei. Man sieht, Europa hat es in vielerlei Beziehung schwer, sich heute und in Zukunft in modernen Film-Spielen (Spiel-Filmen) auszudrücken und wiederzufinden. Zum weiteren Beweis für die Skepsis und Bürde sei noch Milan Kundera, der tschechoslowakische Romancier (und ehemalige Filmerzähler) zitiert: Mit bösartiger Leidenschaft sammelte Flaubert die stereotypen Wendungen, welche die Leute um ihn von sich gaben, um als intelligent und à la page zu gelten. Er verwendete sie für sein berühmtes Wörterbuch der Gemeinplätze. Bedienen wir uns dieses Titels, um zu sagen: Die moderne Dummheit ist kein Nicht-Wissen, sie ist das Nicht-Denken der Sprachklischees. Flauberts Entdeckung ist für die Zukunft der Welt wichtiger als die revolutionären Ideen von Marx und Freud. Man kann sich sehr wohl die Welt ohne Klassenkampf und Psychoanalyse vorstellen, nicht jedoch ohne den unaufhaltsamen Vormarsch der Gemeinplätze: Klischees in Computern gespeichert und von Massenmedien verbreitet, drohen zu einer Kraft zu werden, die jedes originelle und individuelle Denken erdrückt und so das erstickt, was das Wesen der neuzeitlichen europäischen Kultur ausmacht. Gleichviel, ob hier nicht auch zuviel Besitzstandsdenken und pessimistische Kulturkritik angesichts der unübersehbaren Folgen moderner (technisch speicherbarer und reproduzierbarer) Medien-Kultur mitschwingt, wird man auch beruhigt feststellen können, daß die Gemeinplätze, die sich vor Kunst und Denken stellen, keine neue Erscheinung sind. Dennoch darf man sich auch nicht einfach an den Zweifeln über den Fortbestand kulturellen Erzählens in Europa vorbeimogeln. Also sei kritisch gefragt: Gibt es das, kann es das geben: Europa im modernen Medien-Monopoly-Spiel? Soll es das überhaupt geben, oder verliert es dann noch den Rest an Eigenschaft? Büßen nicht auch die europäischen Film-Spiele in ihrer europäischen Synthetik (Normierung) Eigenschaften ein? Die Fragen sind nur auf den ersten Blick eindeutig zu beantworten. Gewachsene Eigenheiten, vor allem der Formenwelt des Erzählens, sind zu verteidigen. Die Zutaten-Filme, die zwangsweise Elemente aus mehreren Ländern enthalten, bleiben leer und überflüssig, wenn sie nicht in ein schöpferisches Zentrum zusammengebracht werden. Dann sagen die sardinische Schafhirten-Geschichte "Padre Padrone" der Brüder Taviani oder das schwedische Bergman-Epos "Fanny und Alexander" oder die deutsche "Heimat"-Saga von Edgar Reitz in ihrer Summe mehr von Europa und seinen mannigfachen Erzählwelten. Sie verbinden sich auf eigene Weise mit den Menschen des Landes, ihrer Geschichte und Identität und rufen die Menschen der anderen Länder zur Wahrnehmung dieser Spezifika, die im allgemeinen aufgehoben sind, auf. Das bloße Beharren bei sich schafft unnötige Barrieren. Die Massenmedien erlauben den Blick über den Zaun, dem man sich nur mit Toleranz und Ebenbürtigkeit aussetzen muß. Die ewige Ausrede, das sei zu italienisch für die Briten und das sei zu deutsch für die Franzosen und das zu schwedisch für die Deutschen, kann man angesichts der erwähnten Geschichten nicht länger gelten lassen. Auch solche Filme sollten in Europa gemeinsam gestützt, aber von einem allein auf seine spezifische Welt hin gemacht werden.
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Aber wir können nicht so tun, als fänden Berührungen und Vermengungen anderer Art in Europa nicht statt, die nicht auch ihre eigenen Geschichten und möglicherweise kooperativen Erzählformen brauchen. Es gibt ständige Wanderbewegungen in Europa, wirtschaftliche und finanzielle Zusammenschlüsse, grenzüberschreitende Wissenschaften, Techniken, Abwehr- und Gefahrenpotentiale ; Nahtstellen und Reibungen, die in ihren Chancen und Problemen produktiv gemacht werden müssen. Die Kultur war früher einmal - gerade in Europa - Vorahner politischer und wirtschaftlicher, revolutionärer und evolutionärer Wandlungen. Derzeit scheint sie den technologisch-wirtschaftlichen Entwicklungen (nicht zuletzt auf dem eigenen Feld der Medien-Technik) erbarmungslos hinterherzuhinken - wie die Pölitik, so daß Kultur und Politik zwangsläfuig in die Abhängigkeit von Technik und Wirtschaft geraten. Geschichten an den Naht- und Reibungsstellen zu Europa werden anders aussehen als die genannten einer regionalen und nationalen Autorenschaft; sie werden anders erzählt sein müssen. Der Weg dahin ist angesichts des Traditions- und National-Ballasts wieder einmal voller Stolpersteine, aber man wird ihn ausprobieren, sollen nicht die übergreifenden Synthetik-Geschichten, die vorderhand gemacht werden, allein das Feld beherrschen. Beispiele für diese sprach- und grenzsprengenden Möglichkeiten gibt es immerhin, erwähnen wir nur István Szabós Film "Zauber der Venus", Gabriel Axels Film "Babettes Fest", Jean Paul Rappeneaus "Cyrano von Bergerac", Krzysztof Kiéslowskis "Zwei Leben der Veronika", Lars von Triers "Europa", Xavier Kollers "Reise der Hoffnung" oder Jaco von Dormaels "Toto der Held". Kooperative Modelle aller Art bedürfen der Erprobung, will man das Ziel neuer europäischer Erzählformen, die nicht in der Zutaten-Produktion landen, im ersten Anlauf ein Stück weit erreichen. Die Besinnung auf Künstler-Wanderschaften und Künstler-Werkstätten während früherer europäischer Kulturepochen kann dabei ebenso helfen wie die phantasievolle Nutzung neuer produktiver Gemeinschaftsformen, die aus den gewachsenen Besonderheit der europäischen Vielfalt auch schon Möglichkeiten des Erzählens im Blick auf geistige Gemeinsamkeiten Europas erkennen lassen. Sind das Utopien, die zu nichts fuhren? Das tolerante, neugierige, Unterschiede achtende Europa ohne Grenzen ist noch eine Vision. Grenzüberschreitende Kommunikationstechniken sind längst Realität. Kreative Menschen Europas müssen diesen Kommunikationstechniken allmählich ihre eigenen Geschichten geben, so schwer das bei der gewohnten Beharrlichkeit und Schwerfälligkeit Europas und bei der gebotenen Skepsis gerade der Intellektuellen diesen übergreifenden Techniken gegenüber sein mag. Auch hier geht es in Amerika unbefangener, wagemutiger, kapitalkräftiger für einen homogeneren eigenen Markt und für den Weltmarkt gleichzeitig zu. Mit Geld lassen sich auch solche Filme machen und weltweit verbreiten und andere verdrängen, die das Verdienst dafür nicht automatisch in sich tragen. Aber die pure Abwehrgeste hilft so wenig wie eifriges Lamentieren, zumal eüiche dieser (mit viel oder etwas weniger Geld gemachten) amerikanischen Filme auch staunenswerte Qualitäten aufweisen. Wohin also kann es gehen mit dem europäischen Film nach dem hundertsten Geburtstag und mit Blick auf das Jahr 2000? Die Schwierigkeiten mit der Tradition, mit den Teil-, Sprach- und Mentalitätsmärkten sind genannt. Aber auch die Möglichkeiten, aus diesen Regionen Europas die allgemeineren Geschichten zu erzählen und über die Regionen hinaus wirklich europäische (neue) Filme machen zu können. Dafür gibt es finanzielle Hilfen aller Art - vom Europarat mit Eurimage so gut wie von der EG mit einem umfassenden Media-Programm für Produktions-, Vertriebs-, Technik-Hilfen aller Art.
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Die Kulturmanager sind aufgerufen, den kreativen Menschen in Europa diese Möglichkeiten zu erschließen, ihnen die bürokratischen Hürden auf dem Weg durch die nationalen und europäischen Förder-Instanzen aus dem Weg zu räumen. Amerika braucht bei seiner Marktkraft derartige Hilfen (wie Subventionen) nicht, da alles selbstverständlicher, größer, erfolgsträchtiger, einfacher, effektiver abläuft. Wir machen es jeweils singulär, handwerklich und kompliziert zugleich. Da braucht es andere (organisatorische, produktionelle, stoffentwickelnde) Strukturen, große mittlere und kleine - alles für die tatsächliche Vielfalt, die ja nur theoretisch gegeben, in Wahrheit verloren gegangen ist. Aber das ewige Klagelied über die verschlungenen Förder-Wege in Europa helfen auch nicht, denn in Europa wird Kultur da, wo sie kostspielig ist, auch sonst subventioniert. Der Film bei uns braucht das erst recht, will er nicht auf dem Weg des geringsten Widerstandes endgültig seinen Geist aufgeben. "Denken ist keine darstellende Kunst", warnt der an amerikanischer Medienerfahrung geschulte Neil Postman in seiner Generalschelte an den modernen Bildermedien nicht zuletzt die europäischen Intellektuellen. Wer wollte in unseren Breiten als denkender Mensch nicht den Diskurs und die Begrifflichkeit hochhalten! Spannungen zwischen Denken und "Spielen", zwischen Begriffen und Bildern sind natürlich geläufig in der europäischen Kulturgeschichte. Sie haben in bestimmten Phasen der Entwicklung auch zu radikaler Bilderstürmerei geführt. Aber die Anschauung und die Umsetzung der gedanklichen Diskurse in konkrete dramatische und filmische Spiele sind aus dem Leben der Menschen nicht wegzudenken. Und sie verdrängen auch nicht das Denken, sondern verbinden es auf andere Weise über die Phantasie mit Erfahrung und Vorstellung. Europäer sind mit der begrifflichen Umformung der Welt, mit Ideen und Ideologien zweifellos besonders weit (oft zu weit) vorgedrungen. Damit haben sie sich die unmittelbare Anschauung, den Spaß am Spiel zuweilen erschwert. Sie haben sich beim Erzählen gleich mit dessen ästhetischer und historischer Gesetzmäßigkeit abgeplagt, haben oft Verbotsschilder aufgestellt, aber - wenn schon mit Last - doch auch mit Lust immer wieder erzählt, gefilmt, dargestellt und sich Geschichten bis ans Ende vorgestellt. Am Ende ist man nach hundert Jahren Film damit keineswegs, in mancherlei Beziehung erst am Anfang. In amerikanischen Filmgeschichten tragen - vereinfachend gesagt - Menschen zupackend etwas miteinander aus, das gegenständlich und gegenwärtig ist, das meint, was es zeigt, und auf ein Ziel gerichtet ist, nämlich Erfolg und Sieg. Es ist das Spiel, in dem man (der "Held", die "Heldin") gewinnt und verliert. Das beeinflußt den Gang des Erzählens, Gestus, Haltung, Blicke, Sprechen des handelnden Menschen. Die Bilder, die das zeigen, weisen das aus; sie weisen nicht über das und sich hinaus. Europäisches Erzählen ist vielfach gebundener und gebrochener, mit Verweisen zurück und über das jeweils Gezeigte hinaus, mit Metaphern und Anspielungen, in denen handelnde, etwas miteinander austragende Menschen auch mehr Treibende, Getriebene, Zeichenhafte sind, die ein Schicksal tragen und Ziele dessen, was sie miteinander aushandeln, nur diffus erkennen lassen. Solche Geschichten sind anders; Menschen in ihnen geben sich, bewegen sich anders, geben insgesamt ein anderes Bild von sich ab. Künstlich erzeugte europäische Mixturen können ihren Grund, ihren Ort, ihre spezifische Note verlieren und in ungenießbaren Melangen untergehen. Die gesten- und wortreichen italienischen Bilderwelten, mit ihren phantasievollen, widersprüchlichen
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Spieler-Figuren, sind nicht in eins zu bringen z.B. mit den vertrackten, eher bilderarmen, zergrübelten deutschen Geschichten, deren Bilder sich nur selten von Abstraktion und Ideen und mythisch-mystischen Hintergründen lösen können. Die tief gründende schwedische Psychologie und Metaphorik läßt sich schwerlich kombinieren mit dem englischen Pragmatismus und Realismus und der wiederum ebenso wenig mit den französischen Rsychodramen, Gesellschaftsspielen, die ihre eigenen Verborgenheiten und Verbogenheiten pflegen. Aber der Blick über den Zaun kann nicht nur als der sündige empfunden werden, der per se Wechselbälger zur Folge haben muß. Die Polen Zanussi, Wajda, Agnieska Holland haben ihre Ausflüge in deutsche und französische Geschichte, Literatur, Gegenwart gemacht; ebenso die Ungarn István Szabó oder Imre Gyöngyössy/Barna Kabay. Die Engländer Jack Gold und Kenneth Loach suchen gleichfalls die Berührungsund Reibungspunkte mit deutscher Geschichte und deutschen Geschichten; deutsche Grenzen nach Frankreich, Spanien, Italien, USA, Australien... Wohin sie kommen, machen Polen ihre polnischen, Ungarn ihre ungarischen, Deutsche ihre deutschen Filme, aber manchmal auch schon mehr als das, das in der Reibung an anderen nicht ärmer, sondern reicher wird. Europa im Film - das ist eine Formel, mit Vorsicht zu betrachten, aber auch eine Herausforderung. Das Schneckenhaus hat etwas Bergendes, aber es kann auch in die Abkapselung führen. Die auf einen Punkt gebrachten, ans Ende erzählten Geschichten in Europa können bei aller Wahrung ihrer Tradition und ihrer regionalen Eigenheiten nicht einfach bleiben, wie sie sind. Neue Kooperations- und Erzählformen müssen entwickelt werden, will man nicht mit seinen Geschichten in Europa hinter den grenzsprengenden Entwicklungen technischer Kommunikationswege hoflhungslos zurückbleiben. Gemeinsame kulturelle Wurzeln in Europa und gemeinsame Ziele müßten ausreichen, die Erzähler und Filme-Macher zu einem Wettstreit mit ihren Kollegen der Technik, Wissenschaft und Wirtschaft anzustacheln. Nur so kann sich Europa auch auf dem schönen Feld der Phantasie-Produkte, der Filme aller Art, drinnen wie draußen, kenntlicher machen. Mit Filmen, die von ihrem konkreten Ort nicht ablösbar und doch im Allgemeinen "aufgehoben" sind. Der Film der Zukunft in Europa braucht wieder stärker den Produzenten, den Organisator, den Manager, der auch einen Großfilm, ein Budget von 20 oder 30 Millionen DM zu "managen" weiß, der Finanzierungswege im eigenen Land und jenseits der Grenzen (im grenzenlosen Europa) so gut kennt wie Marketing-Strategien. Der Filmemacher der sechziger und siebziger Jahre, der alles allein machen wollte (meist nicht konnte), ist da entschieden überfordert. Geist und Kapital tun sich oft schwer miteinander, aber der moderne, konkurrenzfähige Film braucht sein Geld. Und er sollte es nehmen und sinnvoll einsetzen. Ecus schaffen für sich keinen Wandel, keine geistige Einkehr, keinen guten, erfolgreichen Film. Aber man muß sich nicht scheuen, sie auch dafür anzunehmen. Sie werden (teilweise) für so viel Unsinnigeres ausgegeben. Sie schaffen den toleranten, verstehenden Blick natürlich nicht; der muß aus den Augen, Köpfen, Sinnen kommen. Wir können die unterschiedlichen Völker Europas nicht anders haben, als sie in ihrer jeweils eigenen oder auch miteinander verwobenen Geschichte geworden sind. Wir können keine anderen machen oder wählen: gut so! Wir haben genug zu tun, sie kennenzulernen, sie zu erfahren mit ihren Besonderheiten, ihren Gefühlen, ihrem Verhalten und ihren Verhältnissen. Filme mit dem Blick zurück auf ihre reichhaltige Geschichte seit Lumière und Méliès und mit ihrem Blick nach vorn aufs Jubiläum der hundert Jahre und auf das Jahr 2000 können dabei helfen. Nutzen wir die Chance!
Phonographische Wirtschaft (Tonträger) Norbert Thurow und Peter Zombik
Die Öffentlichkeit und die Medien bezeichnen den Sektor der Musikwirtschaft, der sich mit der Herstellung und Vermarktung von Tonträgern befaßt, gern als "Schallplatten-Industrie". Diese Bezeichnung mag eingängig und eingeführt sein, sie vermengt gleichwohl unzulässigerweise zwei Tätigkeiten, die eine getrennte Betrachtung erfordern: Die Tätigkeit der Tonträgerherstellung und -Vermarktung und die Tätigkeit der mechanischen Vervielfältigung von Tonträgern (Pressung von Platten, Kopieren von Tonbandkassetten). Nach der Definition des sogenannten "Rom-Abkommens" von 1961, das als internationale Konvention den Schutz der ausübenden Künstler und der Hersteller von Tonträgern regelt, ist "Hersteller von Tonträgern die natürliche oder juristische Person, die erstmals die Töne einer Darbietung oder andere Töne festlegt" (Art. 3c des Abkommens). Tonträgerhersteller im Rechtssinne ist also nicht derjenige, der die Massenproduktion von Tonträgern technisch durchführt, sondern die Person oder das Unternehmen, das die Erstaufnahme vornimmt, organisiert und verantwortet. Entsprechend definiert das deutsche Urheberrechtsgesetz ausdrücklich über das Tonträgerhersteller-Recht: "Das Recht entsteht nicht durch Vervielfältigung eines Tonträgers" (Art. 85, Abs. 1, Satz 3 UrhG). Dieser Begriffsklärung entsprechend befaßt sich der folgende Beitrag mit der Tonträgerherstellung nicht als industriellem, technischem Prozeß, sondern mit den kulturund musikwirtschaftlichen Aspekten eines Mediums, ohne das die moderne Rezeption von Musik nicht mehr denkbar ist. Gleichwohl ist es längst nicht mehr allein das Medium, welches das Selbstverständnis der Tonträgerhersteller prägt. War einst die Walze Thomas Alva Edisons oder die Schellackplatte Emil Berliners noch die einzige Möglichkeit, Musik abseits von LiveDarbietungen zum interessierten Musikliebhaber zu transportieren, so sind längst neue Wege hinzugetreten. Die elektromagnetischen Wellen von Hörfunk und Fernsehen sind für die Musikrezeption ebenso wichtige Transportwege geworden wie der physische Transport mittels Compact Disc, MusiCassette und Schallplatte. Musik wird privat (heute auf Leercassetten) mitgeschnitten und von physischen Trägern öffentlich aufgeführt. Musik wird in Kabelnetze eingeleitet und ist möglicherweise bereits in absehbarer Zukunft via Bestellcode und interaktiven Kabeldiensten aus großen elektronischen Musikspeicherbanken abrufbar. Tonträgerhersteller verstehen sich deshalb als Musikproduzenten. Sie sind es, die die Programme schaffen, deren sich andere (wie z.B. der Hörfunk) bedienen, um sie für ihre jeweiligen Zwecke lediglich "zusammenzustellen". Der physische Transport von Musik zum Endverbraucher ist allerdings unverändert der mit weitem Abstand wichtigste Eckpfeiler der Wirtschaftstätigkeit von Tonträgerherstellern. Wesentlich mehr als 90 Prozent des Umsatzes werden mit der Verbreitung physischer Träger
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erzielt, die damit nahezu die gesamte Last der Finanzierung und Amortisation der Musikproduktion tragen müssen. Die Massenvervielfältigung von Tonträgern geschieht in der Tat in industriellem Rahmen; sie kann jedoch von jedermann im Lohnauftrag vergeben werden, soweit er als Tonträgerhersteller das Ausgangsmaterial, nämlich eine fertige Tonaufnahme ("Mutterband") anliefert. Nach der Veröffentlichung sind Promotion, Marketing und Vertrieb von Tonträgern musikwirtschaftliche Prozesse, die es hier zu untersuchen gilt. Sie sind mit der Tonträgerherstellereigenschaft nicht notwendigerweise verknüpft. In der Praxis zeigt sich vielmehr, daß voll ausgebaute Vertriebsorganisationen auch Musikproduktionen betreuen und distribuieren, die nicht im eigenen Unternehmen entstanden sind. Solche vertraglich sorgfaltig geregelten Dienstleistungsvorgänge schließen in vielen Fällen nicht nur Vertriebsrechte, sondern auch andere Verfügungs- oder Vergütungsrechte des Tonträgerherstellers im Rechtssinne ein. Mißt man den Begriff Tonträger-Hersteller an der Meßlatte der oben erwähnten Legaldefinition, so gibt es allein in der (alten) Bundesrepublik rund 1200 Tonträgerhersteller. Dies ist die Zahl der als Tonträgerhersteller bei der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) registrierten Original-Rechtsinhaber an Tonaufnahmen. Schallplattenfirmen im landläufigen Sinne des Wortes, nämlich in der Musikwirtschaft tätige Unternehmen der Schallplatten-Branche gibt es jedoch in der gleichen Bundesrepublik nur etwa 250 (ausweislich der Mitgliederliste der Deutschen Landesgruppe der IFPI, die als deutsche Sektion des Weltverbandes der Tonträgerhersteller die gesamte Branche praktisch lückenlos repräsentiert). Versucht man hingegen als Konsument die Zahl der Schallplattenfirmen zu ermitteln, von denen man Schallplatten beziehen kann, die also über einen eigenen Vertrieb verfügen, so gibt es derer nur etwa 30. Die verwirrende Optik dieser verschiedenen Zahlen löst sich dem Kundigen bald auf, denn sie sind Ausdruck der Funktionenbündelung auf dem Wege von der individuellen Herstellung einer Aufnahme bis zu ihrem schließlichen massenweisen Vertrieb (oder jedenfalls bis zum Angebot an die Öffentlichkeit, denn über die schließlich abgesetzte Stückzahl entscheidet allein die Nachfrage der Konsumenten). Dieses komplexe Erscheinungsbild der Branche ist bereits das Ergebnis einer Fülle von Managemententscheidungen, denn die Bestimmung darüber, wieweit ein Tonträgerhersteller nach der Herstellung der Erstaufhahme den Weg zur Vermarktung selbst gehen will, oder in welchem Stadium er die eigene Aktivität abbricht, die weiteren Funktionen abgibt und sich mit entsprechenden Verträgen seinen Anteil am Markterfolg sichert, will gründlich erwogen werden.
Produktbezogene Ebenen innerbetrieblicher Managemententscheidungen Folgende Schritte sind von der Erstaufhahme bis zum Vertrieb des Endproduktes regelmäßig zu vollziehen: 1. -
Phase Auswahl der aufzunehmenden Werke (Melodien/Texte) Auswahl des/der zu produzierenden Interpreten (oft zugleich Autoren) Abschluß eines Verlagsvertrages (mit Autoren - nur soweit auch die Funktion des Musikverlages ausgeübt wird)
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Abschluß eines Künstlervertrages (mit Interpreten) Entscheidung, entweder selbst zu produzieren, oder Auswahl des Produzenten (künstlerisch-technischer Betreuer der Aufnahme) Anmietung des Studios
- Aufnahme und Abmischung/technische Bearbeitung Ergebnis: "Mutterband" der Produktion 2. Phase - Prüfung und Bewertung des Mutterbandes - Entscheidung über Veröffentlichung oder NichtVeröffentlichung - Veröffentlichung in eigener Regie oder Versuch, einen Interessenten für die Bandproduktion zu finden, der die Veröffentlichung auf eigenes Risiko weiterbetreibt (Bandübernahmevertrag) - Preßaufitrag und Pressung einer Startauflage (unter Umständen zunächst nur für Promotion-Zwecke) - Erstellung von begleitendem Promotion-Material - Organisation eventueller Live-Auftritte der Interpreten - Planung und Realisierung von Promotion-Aktivitäten bei Printmedien, Funk und Fernsehen, Fan-Kreisen und Öffentlichkeit - Endgültige Entscheidung über Veröffentlichung und Vertrieb - Pressung der (Erst-) Verkaufeauflage - Entscheidung über handels- und publikumsbezogene Marketingmaßnahmen - Aufnahme in den Katalog und Vermarktung des Endproduktes Ergebnis: Marktreifer Tonträger Der Weg, der mit den oben aufgeführten Schritten gezeigt wird, ist der Weg eines Titels, einer Aufnahme von ihrer Konzipierung bis zur Vertriebsentscheidung über das Endprodukt. Nun ist aber zu berücksichtigen, daß der Katalog einer Schallplattenfirma aus einer Fülle von Aufnahmen besteht, ja bestehen muß, denn ohne ein in sich geschlossenes, ständig ergänztes, präsentierbares "Programm" wird eine Firma schwerlich Erfolg im Markt haben. Jede Einzelentscheidung über einen Titel muß also auch mit Rücksicht darauf getroffen werden, ob der Titel ins Gesamtprogramm des Hauses paßt und ob er geeignet ist, die Attraktivität des Gesamtprogramms zu erhöhen.
Die Beschaffung des Repertoires Nicht immer wird es möglich sein, alle Titel des Programms in eigener Regie von der Aufnahme bis zur Marktreife selbst zu entwickeln. Die Regel ist vielmehr, daß ein Katalog zusammenzustellen ist aus - Eigenproduktionen; - Aufitragsproduktionen, die bei freien Produzenten piaziert werden; - Titeln, die als Mutterband von freien, auf eigenes Risiko arbeitenden Produzenten durch Bandübernahmevertrag erworben werden; - Übernahme von ganzen Repertoirebereichen oder von Künstlern/Künstlergruppen, die von in- oder ausländischen Partnern im Wege eines "Label-Übernahmevertra-
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ges" in der Regel für einen fest definierten Zeitraum für den inländischen Vertrieb erworben werden; - Wiederveröffenüichungen/Neukopplungen von erfolgreichen Produkten früherer Jahre; - unter Umständen auch Importen von Tonträgern, die in den eigenen Katalog passen. Die Management-Verantwortung für die Zusammenstellung des Kataloges einer Schallplattenfirma liegt bei der Abteilung "Artist and Repertoire" ("A&R"). A&R-Manager haben eine Schlüsselstellung inne, und viele Geschäftsführer großer Schallplattenfirmen sind über eine erfolgreiche Karriere als A&R-Manager in ihre schließliche Gesamtverantwortungs-Pösition gelangt. Dies ist eine logische Konsequenz der Tatsache, daß vor allem in der Position des A & R-Managers jene spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die das "Schallplattengeschäft" eigentlich ausmachen: Praktisch auf jeder Station nicht nur des Produktionsvorganges von Einzeltiteln, sondern auch der Repertoirezusammenstellung auf dem zu veröffentlichenden Tonträger und der Gesamt-Kataloggestaltung sind eine Fülle von Managemententscheidungen zu treffen, deren Reiz (und deren Qual) darin liegt, daß künstlerische und wirtschaftliche Aspekte darin untrennbar verflochten sind. Die Zahl der Firmen, die mit musikalisch und künstlerisch bedeutenden Katalogen gescheitert sind, ist ebenso Legion wie die Zahl der Firmen, die mit unscheinbaren Titeln respektable Gewinne erwirtschaftet haben. Natürlich und erfreulicherweise gilt auch umgekehrt, daß anspruchsvolle Kataloge oft erfolgreich sind und eine Unzahl von Versuchen scheitern, mit seichter Ware auf der Welle des unberechenbaren Publikumsgeschmacks den ganz großen Gewinn zu machen. A&R-Manager operieren in einem außerordentlich komplizierten und kritischen Umfeld. Es ist leicht gesagt, daß sie für den "richtigen Repertoire-Mix" im Katalog einer Schallplattenfirma sorgen müssen. Doch von welchen Startbedingungen ist dabei auszugehen? In aller Regel findet man bereits einen Katalog der Firma vor, in die man berufen wird, und zunächst gilt es, diesen Katalog zu pflegen, gegebenenfalls zu bereinigen, und erst dann, ihn weiterzuentwickeln. Bedeutende und imageprägende Künstler des Hauses müssen an das eigene Unternehmen gebunden werden und Entwicklungsmöglichkeiten bekommen, aber auch die Trennung von Alt-Repertoire muß geplant und verantwortet sein. Die gewünschte Verpflichtung neuer erfolgreicher Künstler für das Haus findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einem außerordentlich hart umkämpften Markt. Jeder Konkurrent weiß, daß erfolgreiche Künstler, Stars und Superstars, in jeden Katalog gehören, damit er als Ganzes erfolgreich ist. Die Verpflichtung wirklich prominenter Künstler kostet große Garantiesummen, die erst wieder hereingebracht sein wollen, bevor wirtschaftlich die erhoffte Stützung des Gesamtkataloges durch die Verpflichtung eines solchen Künstlers eintritt. Da ist es wirtschaftlich sicher interessanter und in vieler Hinsicht auch künstlerisch reizvoller, aber viel risikoreicher, die Entwicklung prominenter Künstler aus dem großen Angebot vielversprechender Tálente selbst zu betreiben. Diese Tätigkeit, "Artist Development", ist die Königsaufgabe des A&R-Managers: Sie verlangt neben künstlerischem Einfühlungsvermögen, Instinkt für den Publikumsgeschmack, Verständnis für den Künstler auch eine gute Portion Glück und das Gefühl für die Wahl des richtigen Zeitpunktes. Die Repertoire-Beschaffung ist einer der ganz wesentlichen Bereiche intensiven Wettbewerbs zwischen Tonträgerherstellern, und zwar auf einer dem Endverbraucher
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vorgelagerten Ebene. Auf diesem " Beschaffungsmarkt" entscheiden sich Struktur und Qualität eines Kataloges. Auf dieser Ebene werden Managemententscheidungen getroffen, die im Ergebnis zentrale Auswirkungen auf den Gesamterfolg des Unternehmens haben. Der A&R-Manager ist bei der Zusammenstellung des Kataloges seines Hauses zudem nicht so frei, wie er es vielleicht gern sein möchte: Große Schallplattenfirmen jedenfalls sind übernational oder gar weltweit tätige Unternehmen, und jede der miteinander verbundenen Firmen vertreibt in der Regel auch das Repertoire der anderen Schwesterfirmen auf dem nationalen Markt - und für dieses Repertoire war ein anderer Label-Manager verantwortlich. Es ist offensichtlich, daß die Kombination so vieler heterogener Elemente im Gesamtkatalog einer großen Firma dazu führen kann, die Klarheit des Repertoire-Konzeptes, das der Label-Manager zu vertreten hat, zu beeinträchtigen. Die Integration von Repertoire, Stilen und Künstlern in ein das Unternehmensbild prägendes Konzept gehört daher zu den Hauptzielen der A&R-Arbeit. Es ist zwar auch eine in der Branche immer wieder gern diskutierte Frage, ob ein junger, talentierter und hoffnungsvoller Künstler nicht besser beraten sei, zunächst sein Glück bei einer kleinen oder mittelgroßen Firma zu versuchen, statt sich in den gewaltigen Katalog-Zusammenhang einer Großfirma einordnen zu müssen. Die Frage wird aber unentschieden bleiben, denn auch die Vorteile einer solchen Einbindung sind offensichtlich: Die weltweiten Förderungs- und Promotion-Möglichkeiten einer Großfirma sind sehr attraktiv.
Marketing: Der Weg zum Endverbraucher Marketing ist zunehmend ein Schlüsselwort für den zum Massenmedium gewordenen Tonträger geworden. Marketing - hier verstanden als die Summe aller Maßnahmen zur planvollen und systematischen Ausrichtung des unternehmerischen Handelns auf die Bedürfnisbefriedigung des Marktes - bedient sich einer Vielzahl von Instrumenten und erfordert Managemententscheidungen unterschiedlicher Reichweite und auf unterschiedlichem Verantwortungsniveau. Es soll hier darauf verzichtet werden, eine (notwendigerweise unzulängliche) Kurzfassung aller wesentlichen Elemente von Marketing im Tonträgermarkt zu versuchen. Es gibt viele Parallelen zum Markenartikel- und Endverbraucher-Marketing. Zahlreiche Instrumente, die für beliebige andere Produkte im Endverbraucher-Markt verwendet werden, werden auch im Tonträger-Marketing eingesetzt. Dies betrifft z.B. im Werbebereich Maßnahmen von "Corporate Identity" und zur Markenbindung; bei der produktbezogenen Werbung finden — wie praktisch in allen anderen konsumgüternahen Bereichen auch - Anzeigenwerbung, Hörfunk- und Fernsehwerbung, Plakat und Point-of-Sale-Werbung Einsatz. Die hierauf bezogenen Entscheidungsprozesse und Managementaufgaben sind mit denen in anderen Produktmärkten vergleichbar und dürfen deshalb in einer die Besonderheiten des Tonträger-Managements betreffenden Darstellung vernachlässigt werden. Natürlich müssen auch die "klassischen" Instrumente des Marketing die spezifischen Rahmenbedingungen des Tonträgermarktes berücksichtigen. Die wichtigsten dieser Rahmenbedingungen sind: - Hohe Produkt-Einführungsquote: Jede Neuveröffentlichung ist ein neues Produkt, das Entscheidungen über das Instrumentarium des Marketing erfordert.
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- Kurze Produktlebenszyklen: Die meisten Veröffentlichungen haben einen außerordentlich kurzen Lebenszyklus. Bei Pöp-Veröffentlichungen im Single-Bereich ist von einem Lebenszyklus von etwa drei bis vier Monaten, bei Longplay-Produkten von rund sechs bis acht Monaten auszugehen. Nur wenigen Produkten ist ein langes Leben im Katalog des Tonträgerherstellers vergönnt. - Neuheitenorientierung: Der überwiegende Teil des Umsatzes entfällt auf Neuerscheinungen (etwa 65 bis 80 Prozent des Gesamtumsatzes). Diese Rahmenbedingungen machen deutlich, daß Entscheidungsprozesse im TonträgerMarketing außerordentlich schnell verlaufen müssen und auf eine große Zahl von Produkten gerichtet sind. Die folgenden Darstellungen beschränken sich auf jene Elemente des Marketingund Kommunikationsprozesses, in denen sich der Tonträgerbereich von anderen konsumnahen Bereichen ganz wesentlich unterscheidet.
Tonträgerpromotion: Das Produkt als Kostprobe Mit dem Wort Promotion rückt ein zentrales Arbeitsfeld des Managements einer Schallplattenfirma ins Blickfeld: Das Publikum, das Tonträger kaufen soll, muß diese in aller Regel zuvor kennen, denn die Nachfrage nach Tonträgern richtet sich zumeist nicht auf (Unterhaltungs- oder Ernste) Musik, sondern auf bestimmte Titel, und das ist in aller Regel Musik, die von einem bestimmten Künstler dargeboten wird. Es gilt also, die Musik dieses Künstlers beim Publikum so bekanntzumachen, daß das diffuse Bedürfiiis nach Musik zur Nachfrage nach Musik des eigenen Künstlers hin konkretisiert wird. Hier gilt es, die schwierige Management-Aufgabe zu lösen, knappe finanzielle Ressourcen für die Promotion auf die verschiedenen Promotion-Kanäle zu verteilen. Je nach Art des Produktes mag eine Promotion-Kampagne allerdings auch auf einen bestimmten Sektor hin konzipiert werden. Promotion meint dabei die Anregung von Nachfrage durch die Stimulanz produktbezogener Kommunikation. Promotion-Aktivitäten für Tonträger lassen sich systematisch in zwei Gruppen einteilen: Aktivitäten, bei denen das Produkt bzw. der Künstler selbst zum Einsatz kommt, und Aktivitäten, die im Umfeld des Produktes stattfinden. Die Promotion-Maßnahmen im Produktumfeld sind bald aufgezählt: Hierbei handelt es sich vor allen Dingen um Anregung von Berichten über die Künstler und ihre Musik in den Print-, aber auch in den elektronischen Medien (Artikel über die Künstler, Interviews mit den Künstlern, Stories usw.), um Betreuung von Journalisten, Kritikern und anderen (Meinungs-)Multiplikatoren (z.B. Fan-Clubs) mit dem Ziel positiver Beeinflussung der Meinungsbildung und des Bekanntheitsgrades. Für das Produkt "Tonträger" gilt aber, daß die beste Werbung für Musik die Musik selbst ist. Promotion-Aktivitäten der Plattenfirmen konzentrieren sich deshalb vor allem auf jene Felder, auf denen das Produkt selbst dem als Käufer zu gewinnenden Publikum präsentiert wird. Zu unterscheiden sind - Veranstaltungen, auf denen der Künstler präsentiert wird: Live-Auftritte, FernsehAufiritte, Vorführung und Sendung von sogenannten Videoclips, - Veranstaltungen, auf denen das Produkt (der Tonträger) präsentiert wird: Discotheken und Musicbox-Einsätze, Rundfunk-Einsätze.
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Wenn man den Endzweck von Promotion-Bemühungen im Auge behält, nämlich den Verkauf des Produktes zu fördern, bergen Promotion-Bemühungen, bei denen das zu verkaufende Produkt selbst eingesetzt wird, in sich ein Paradoxon: Hier wird der Versuch gemacht, den Kauf eines Produktes dadurch zu fördern, daß man es dem Käuferpublikum kostenlos präsentiert. Für Musik läßt sich besonders effektiv dadurch werben, daß man sie dem Hörer und potentiellen Kunden "vor Ohren führt". Das Paradoxon findet seine Auflösung in den Gegebenheiten der menschlichen Natur: Kein Filmhersteller käme auf die Idee, für den Besuch eines Filmes dadurch zu werben, daß er dem umworbenen Publikum den Film zur Gänze "vor Augen führt". Bei Musik hingegen ist diese Praxis gang und gäbe, und zwar nicht nur (wie bei Filmen ab und zu im Fernsehen) in Ausschnittform, sondern in der ganzen Länge des angebotenen Titels. Die menschlichen Rezeptionsgewohnheiten bei Audio und Video sind grundverschieden. Wo das Auge ein gebotenes Programm mit großer Perfektion umgreift und abspeichert, will das Ohr eine als schön empfundene Musik immer wieder hören, und so kommt es, daß für den Kauf eines Hörgenusses auf Schallplatte mit eben diesem Hörgenuß bis zu einem gewissen Grade sogar wiederholt geworben werden kann - und muß! Zentrale Zielbereiche der Promotion sind natürlich die Multiplikatoren mit der größten Reichweite. Konkret sind dies die elektronischen Medien Hörfunk und Fernsehen (hier durch Videoclips und Live-Auftritte). Erst an zweiter Stelle (und dort auch begrenzt auf relevante Repertoire-Segmente) folgen Diskotheken, Clubs und Tanzschulen. Zunehmende Bedeutung haben in den letzten Jahren öffentliche Aufführungen von Videoclips gewonnen, die über Monitorwände in Kaufhäusern, an öffentlichen Plätzen, aber auch in Diskotheken erfolgen. Das oben dargestellte Paradoxon der Promotion hat in bezug auf den Rundfunk zu der falschen Einschätzung geführt, daß die Hörfunk-Sendung von Tonträgern oder die Fernsehsendung von Videoclips ausschließlich Werbecharakter hat und nur auf Absatzförderung des entsprechenden Produktes zielt. Dies hat dazu geführt, daß es bis in die jüngste Zeit hinein außerordentlich schwierig ist, angemessene Vergütungen für den Einsatz der von den Tonträgerherstellern produzierten Programme bei Hörfunk und Fernsehen zu erzielen. Tatsächlich ist aber Hörfunk ohne die Musikproduktionen der Tonträgerhersteller gar nicht denkbar. Mehr als 90 Prozent der Musikprogramme bei öffentlich-rechtlichen Sendern und praktisch sämtliche Musikprogramme bei privaten Sendern bestehen aus den Produktionen der Tonträgerhersteller. Nicht der Hörfunk macht ein Musikprogramm, sondern der Hörfunk stellt lediglich das Programm der Tonträgerhersteller für seine Zwecke zusammen. Dem entsprechend ist in den letzten Jahren auch die Programmbedeutung von Musikvideos für die Fernsehsender gewachsen. Im Ergebnis besteht zwischen Tonträgerherstellern und Rundfunk ein Verhältnis, das symbiotische Züge trägt. Ohne die Produktionen der Tonträgerhersteller ist kein Programm zu machen und ohne Sendezeit im Rundfunk ist kaum Promotionwirkung zu erzielen. Mißt man die Promotionziele an den Rahmenbedingungen des Tonträgermarktes, so wird schnell deutlich, daß diese Symbiose sehr enge Grenzen hat. Der Sendeeinsatz eines Titels ist keineswegs immer und schlechthin Promotion. Das starke Gewicht von Neuerscheinungen am Umsatz der Tonträgerhersteller und der kurze Produktlebenszyklus setzen die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Rundfunkpromotion: Aufgabe ist es hierbei, in der Frühphase des Lebenszyklus (Beginn des Diflusionsprozesses) möglichst zahlreiche Sendeeinsätze in solchen Programmen zu erzielen, die die höchste
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Reichweite bei der jeweils relevanten Zielgruppe aufweisen. Es ist Managementaufgabe, dieses Erfordernis in konkrete, operationale Zielvorgaben umzusetzen. Die Umsetzung dieser Vorgaben ist eine außerordentlich schwierige Kommunikationsaufgabe der damit betrauten Firmenmitarbeiter. Ihre Aufgabe ist es, die Programm-Macher beim Rundfunk auf Grundlage genauer Kenntnis der jeweiligen Sendekonzepte dahingehend zu beraten, daß die Zielvorgaben erfüllt werden. Häufiger Sendeeinsatz für Titel, die nicht lieferbar oder - weil schon relativ alt - nur mäßig distribuiert sind, ist unter dem Gesichtspunkt der Promotion-Wirkung ebenso kontraproduktiv wie zu häufiges Senden aktueller Titel in der Kernphase des Produktlebenszyklus. Letzteres kann Sättigungstendenzen verursachen und auch vor allem Anreize für private Mitschnitte auf Leercassetten geben, die häufig den Kauf des Produktes selbst zu ersetzen drohen. Alle Promotion-Maßnahmen müssen selbstverständlich - eingebettet in einen produktspezifischen Gesamtplan - mit den klassischen Instrumenten des Marketing abgestimmt sein. Für den schließlichen Verkaufeerfolg ist unabdingbar, daß Promotionaktivitäten, Verbraucher- und händlerbezogene Werbung sowie logistische und vertriebsbezogene Maßnahmen zur Gewährleistung entsprechender Produktpräsenz unmittelbar und friktionslos ineinandergreifen.
Tonträger-Charts: Die Wendeltreppe zum Erfolg Produktbezogene Management-Entscheidungen müssen eingebettet sein in eine umfassende Analyse des kommunikativen Umfeldes, der relevanten Zielgruppe und der geeigneten Difiussionskanäle. Genaue Marktkenntnisse durch kontinuierliche Marktund Wettbewerbsbeobachtung sowie intensive Marktforschung sind Voraussetzungen für den Verkaufeerfolg. Das klassische Instrumentarium der Informationsgewinnung und -Verarbeitung unterscheidet sich für den Tonträgermarkt nicht grundsätzlich von dem anderer Märkte. Im Rahmen dieses Beitrages kann es daher unerwähnt bleiben. Eine besondere Rolle im Tonträgermarkt spielen dagegen die sogenannten Charts. Charts sind Rangfolge-Listen solcher Produkte, die am besten verkauft, am meisten gehört oder am häufigsten aufgeführt/vorgeführt wurden. Angesichts der großen Zahl von Neuveröffentlichungen und der relativ kurzen Produktlebenszyklen, angesichts also der äußerst schnellen Produktdiflussion, spielen Charts im Tonträgermarkt eine wichtige Rolle. Die große Bedeutung dieses Erfolgsbarometers war Anlaß für die gesamte Branche, über ihren Verband eine offizielle Τορ-100-Chart unter kontrollierten statistischen Bedingungen und mit einer repräsentativen Ermittlungsmethodik erstellen zu lassen. Daneben existiert eine Vielzahl weiterer Charts, die jeweils besondere Segmente im Hinblick auf Repertoire und/oder den jeweiligen Bereich der Datengewinnung in den Mittelpunkt stellen. Eines haben alle Charts gemeinsam: Sie sind zentrales Orientierungsmittel in einem schnellebigen und unübersichtlichen Markt. Aus der Masse des Angebots werden die Hits durch Charts herausgehoben. An Charts orientieren sich deshalb die ProgrammMacher bei den elektronischen Medien, weil Hit gleich Erfolg, Erfolg gleich Publikumsinteresse und Publikumsinteresse gleich Einschaltquote bedeutet (bzw. bedeuten kann); an Charts orientieren sich Fachhändler, die schließlich die "richtigen" Produkte in ausreichender Menge disponieren und vorrätig halten wollen; den Tonträgerherstellern helfen die Charts, Trends zu erkennen und zu entwickeln sowie ihre Logistik auf
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die "Schnelldreher" des Marktes auszurichten; Musikfans schließlich benutzen Charts als Information über potentiell interessante Produkte, z.B. zur Vorbereitung einer Kaufentscheidung. Charts sind insofern - felis unter statistisch kontrollierten Rahmenbedingungen ermittelt - ein Instrument der Marktforschung. Sie sind Teil des Instrumentariums, das die Informationsgrundlage für Management-Entscheidungen legt. Neben ihrer Funktion als Instrument stellen Charts auch das Ziel von Managemententscheidungen dar. Der "Eintritt in die Charts" verhilft einem Produkt dazu, aus der Menge mehr oder weniger namenloser Wettbewerbsprodukte aufzutauchen und gesteigerte Aufmerksamkeit zu erregen. Die Charts sind deshalb für Tonträgerhersteller nicht nur Mittel zur Informationsgewinnung, sondern sie sind auch das Ziel von Marketingaktivitäten. Der Chart-Eintritt wirkt häufig als Eintritt in eine Erfolgsspirale, die wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wirken kann: Die Wahrscheinlichkeit, daß die betreffenden Produkte häufiger gesendet und aufgeführt werden, daß die betreffenden Künstler größere Auftrittschancen erhalten, daß die Tonträger vom Handel stärker disponiert und schließlich - in einer Vermischung von Ursache und Wirkung - von Musikfans häufiger gekauft werden, um dadurch in den Charts höher zu steigen, noch gesteigertere Aufmerksamkeit zu erringen usw. usf. steigt beträchtlich an. Der Marketing-Mix für Hit-Produkte muß deshalb die Grundlagen und Zyklen der Chart-Ermittlung berücksichtigen, freilich ohne sie dabei manipulativ zu beeinflussen. Cross-Marketing: Leichter durch Huckepack Die Marketing-Praxis im Tonträgermarkt hat einer weiteren Besonderheit zu wachsender Bedeutung verholfen. Gemeint ist die aktive Einbeziehung wechselseitiger Verstärkungen des Diflussionsprozesses zwischen dem Tonträgermarkt und anderen, meist ebenfalls medienbezogenen Märkten. Zentrales Beispiel für diese wechselseitige Impulsaufhahme und -Verstärkung in den jeweiligen Marketing-Strategien ist die Veröffentlichung von Filmmusiken, die Verwendung von Hörspiel-Charakteren (insbesondere bei Kinderhörspielen) im Tonträger- und im Filmbereich (Beispiele zeigen, daß hierbei Film und Tonträger wechselweise bestehende Charaktere aufgreifen), in jüngerer Zeit aber auch die wechselseitige Impulsaufhahme mit dem Werbebereich. Basis für diese Art von Kooperationen ist die kommunikative Potenz des jeweiligen Pärtnerbereiches, durch den bereits wesenüiche Beiträge des erforderlichen Multiplikatorprozesses zur Produktdifftision getragen werden. Die durch diese Kooperation ermöglichte gegenseitige Förderung der jeweiligen Interessen gibt ihnen im Management-Entscheidungsprozeß eine besondere Bedeutung. Vertriebspolitik: Der Wettlauf in die Regale der Musikfans Ziel aller Marketing-Maßnahmen ist der Verkauf von Tonträgern (Schallplatten, MusiCassetten und Compact Discs). Die logistischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen hierfür werden durch die Vertriebsabteilungen geschaffen. Von entscheidender Bedeutung sind hier Definition und Strukturierung der Preis- und Konditionspolitik eines Unternehmens. Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit werden durch darauf zielende Managemententscheidungen maßgeblich beeinflußt. Ohne dem Vertriebsbereich unmittelbar zugeordnet zu sein, stehen im Zusammenhang mit der physischen Distribution
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selbstverständlich auch Organisation, Planung und Lenkung des Produktionsprozesses und der Lagerhaltung. In der wirtschaftlichen Praxis der Tonträgerbranche werden Produktion und Logistik nicht selten von dritten Unternehmen im Wege der Dienstleistung erbracht. Die Vertriebsaktivitäten müssen sich nahtlos an die Marketingmaßnahmen anschließen. Es gehört zu den zentralen Managementaufgaben, Marketing und Vertrieb so zu koordinieren, daß sie sachlich und zeitlich unmittelbar aufeinander abgestimmt sind. Die Schwerpunkt-Aktivitäten und Schwerpunkt-Produkte bei Werbung und Promotion müssen entsprechend Schwerpunkte der Vertriebsaktivitäten sein. Vertrieb und Marketing müssen schnell und flexibel aufeinander reagieren und wechselweise Impulse aufnehmen und verarbeiten können. Hierbei gilt es auch, das je unternehmensspezifisch definierte Gleichgewicht zwischen aktuellen Produkten und Katalog-Angebot zu wahren. Tonträgerkäufe von Musikfans sind vor allem Impulskäufe. Die Produktpräsenz im Handel spielt daher eine zentrale Rolle. Die "richtige" Distribution ist die Königsaufgabe des Vertriebsmanagements.
Controlling und Finanzen Schallplattenfirmen sind in einem privatwirtschaftlich organisierten Markt tätig, d.h. sie müssen ihr Geschäft mit Gewinn betreiben, wenn sie überleben wollen. Es wurde oben schon daraufhingewiesen, daß angesichts der Unwägbarkeiten des Publikumsgeschmacks eine ausreichende Risikostreuung durch Neuerscheinungs- und Katalogpolitik gefunden werden muß. Trotz des differenzierten Instrumentariums von Marketing und Vertrieb ist der wirtschaftliche Erfolg kaum vorhersagbar, wenn es auch Erfahrungswerte gibt (so kann zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß die neue Platte eines Superstars an die Erfolge seiner früheren Veröffentlichungen anknüpfen mag). Für den Gesamtkatalog hingegen gilt ein Erfahrungswelt, der sich in der Branche als beständig herauskristallisiert hat: Mehr als 80 Prozent aller veröffentlichten Tonträger kommen nicht in die Gewinnzone, weil die verkaufte Auflage nicht ausreicht, um Produktions- oder Lizenzkosten, Künstler- und Urheberkosten (GEMA), Promotion-, Werbe-, Vertriebs- und anteilige Gemeinkosten zu amortisieren. Die verbleibenden 20 Prozent rentabler Produkte müssen zunächst die Verluste der unrentablen 80 Prozent ausgleichen, bevor eine Schallplattenfirma als Ganzes schwarze Zahlen schreibt. Es liegt auf der Hand, welche Herausforderung dies für das Management einer Schallplattenfirma bedeutet. Diese Herausforderung trifft nicht nur diejenigen, die die Katalogzusammenstellung zu verantworten haben, sondern auch die Verantwortlichen für Marketing und Vertrieb. Ihr Geschick, ihr Können, ihr "Feeling" und ihr siebter Sinn für musikalisches Talent und für den Publikumsgeschmack sind für eine erfolgreiche Schallplattenfirma unverzichtbar. Aufgabe der Controller und der Geschäftsführung ist es, die Strategie des Unternehmens im Markt so abzustimmen, daß das Unternehmen rentabel arbeitet. In einem von Launen, Moden und Trends bestimmten Markt sind Kostenrisiken und Umsatzchancen nur schwer abzuschätzen. Diese Aufgabe ist umso schwieriger, je kurzfristiger die Zielvorgaben gesetzt werden. Der Geschmack des musikkaufenden Publikums ist im Prinzip unvorhersehbar, wenn auch Routine, Erfahrung und Gefühl für den Markt,
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verbunden mit der Fähigkeit, schnell auf Geschmackswandel zu reagieren, die Aufgabe erleichtern, marktgerechte Produkte anzubieten. Doch die beschriebenen Verläufe rentabler und unrentabler Veröffentlichungen, von "Hits" und "Flops", treten durchaus nicht regelmäßig auf, vielmehr ist es die (unregelmäßige) Regel, daß eine Schallplattenfirma, gute und sehr gute, schlechte und sehr schlechte Jahre hat. Diese Hochund Tiefzeiten, wenn man von Trendbewegungen der gesamten Branche, wie dem CD-Erfolg der letzten Jahre, absieht, treten durchaus unberechenbar auf. Gute und sehr gute Jahre der einen Firma treffen also mit schlechten und sehr schlechten Jahren anderer Firmen zusammen. Für das Management einer Schallplattenfirma bedeutet das, daß eine faire Bewertung der Managementqualität innerhalb eines Unternehmens nur möglich ist, wenn eine hinreichend lange Vergleichsperiode herangezogen werden kann. Nur auf diese Weise lassen sich zufallsbedingte Schwankungen mit einiger Sicherheit aus der Bewertung eliminieren. Zur Unternehmensstrategie einer Schallplattenfirma gehört es, sich Gedanken über die weitere Entwicklung des Tonträgermarktes zu machen, und angesichts des rasanten technologischen Fortschritts ist es durchaus nicht gesagt, daß die heutigen Tonträgerfirmen auch in 20 Jahren noch ihre Hauptumsätze mit dem Verkauf von Musik machen, die auf mechanisch vervielfältigten Tonträgern angeboten wird. Zwar steht die Branche heute mit der Compact Disc als dem vorläufigen Nonplusultra perfekter Musikwiedergabe glänzend da, doch ist unverkennbar, daß der Konsum von Musik, und das heißt in diesem Zusammenhang, der Konsum des von Schallplattenfirmen produzierten Programms, sich mit deutlich zunehmender Tendenz vom bespielt erworbenen Tonträger emanzipiert. Es sind insbesondere drei Bereiche, auf denen dies geschieht: - bei der Sendung von Musik über die Medien Hörfunk und Fernsehen; - bei der "Selbstbedienung" des Publikums durch privaten Mitschnitt (vom Hörfunk oder im Wege der Kopie bestehender Tonträger); - bei der praktisch ubiquitären Nutzung von Musik in der Öffentlichkeit (angefangen von der Diskothek und endend bei der "Beschallung" von Verkauferäumen, Hotelhallen und Restaurants und der Pausenmusik im Kino). Diese Musiknutzung wird von Veranstaltern vorgenommen oder - im Falle des Mitschneidens - von Industrien ermöglicht, die dies ihrerseits im Zusammenhang mit ihrem Gewerbe tun und damit Geld verdienen. Eingesetzt wird praktisch die gesamte Produktionspalette der etablierten Schallplattenfirmen. Es ist nur natürlich, daß dieser "Zweitverwertungsmarkt" auch für die Schallplattenfirmen Einnahmen abwerfen muß, denn schließlich machen sie ihn mit ihrer Musik erst möglich. Das Urheberrechtsgesetz sieht für diese Nutzungsformen eine "angemessene Vergütung" für die Rechtsinhaber vor, und zu den Rechtsinhabern gehören (neben den Autoren und Künstlern) auch die Schallplattenfirmen. Lange wurde die zunehmende Bedeutung dieses speziellen Zweitverwertungsmarktes verkannt, und die Einnahmen daraus waren unbedeutend. Erst seit Mitte der siebziger Jahre konnten die Erlöse in zäher Arbeit langsam gesteigert werden. Mit der Wahrnehmung dieser Rechte befaßt sich die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL), der Künstler und Tonträgerhersteller ihre Zweitverwertungsrechte treuhänderisch übertragen haben. Die GVL nimmt derzeit jährlich etwa 130 Millionen DM für diese Rechte ein, von denen der Herstellerseite etwa 50 Millionen DM zufließen. Wenn man den Umsatz der gesamten Branche mit gut zwei Milliarden DM pro Jahr ansetzt, so sind dies nur wenig mehr als zwei Prozent.
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Die Dimensionen des Zweitverwertungsmarktes hingegen sind gigantisch: Musik im Radio kommt zu weit über 90 Prozent von der Schallplatte, und der Umfang privater Mitschnitte beträgt nach wiederholten zuverlässigen Untersuchungen, gemessen an den überspielten Musikminuten, etwa das Doppelte der über den Ladentisch verkauften Tonträger. Der Qualtitätsvorsprung, den die CD als Wiedergabemedium vor allen anderen Formen des Musikgenusses bisher innehat, ist bedroht: Der digitale Rundfunk steht vor seiner Einführung, und die private Überspielung mit Hilfe digitaler Leerbänder und auch überspielbarer Compact Discs erlangt gerade ihre Markteinführung. Kein verantwortlicher Schallplattenmanager kann die Gefahren übersehen, die sich damit für den potentiellen künftigen Absatz seiner Produkte ergeben. Über die kurzund mittelfristigen Aufgaben von Controlling und Rentabilitätssicherung hinaus ist es deswegen von existenzieller Bedeutung und eine zentrale Managementaufgabe, die Gestaltung zukünftiger Marktbedingungen zu beeinflussen. Hierzu gehört die Konzeptionierung neuer Produkte (wie gegenwärtig DCC und Minidisc) und die vorausschauende Einbeziehung neuer Verbreitungswege in die langfristige Unternehmensplanung (wie beispielsweise die leitungsgebundene Verbreitung an Endverbraucher aus EDVgestützten Musikdatenbanken) ebenso wie die Einflußnahme auf die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Verwertung von Musik (die im wesentlichen über die Verbände der Tonträgerhersteller geschieht). Managementaufgaben erschöpfen sich also keineswegs in produktbezogenen Entscheidungslinien, die von der Repertoirebeschaffung bis zum Absatz reichen, sondern beziehen die langfristige Existenzsicherung des Unternehmens und die Mitgestaltung der Marktbedingungen und -strukturen ganz entschieden ein.
Die internationale Dimension Die Nachkriegsgeschichte des Tonträgermarktes ist in immer stärkerem Maße von der Internationalisierung der Musik und der Internationalisierung der Märkte geprägt. Musik hat sich als internationales Verständigungsmittel erwiesen und folglich auch internationale Strukturen für ihre wirtschaftliche Verwertung hervorgerufen. In der ersten Phase dieses Prozesses der Internationalisierung ist die Auswertung nationaler Kataloge ausländischen Partnern im Dienstleistungswege übertragen worden. Internationalisierung ist also zunächst im wesentlichen den Weg der Arbeitsteilung gegangen. Zunehmend aber ist dieser Prozeß in eine Konzentrationsbewegung übergegangen, die durch die Gründung von Tochterunternehmen in den jeweils nationalen Zielmärkten eingeleitet wurde. Diese Konzentration hat sich insbesondere in den achtziger Jahren dadurch weiter beschleunigt, daß Unternehmen (auch mit internationaler Bedeutung) aufgekauft oder miteinander verschmolzen wurden. Internationalisierung und Konzentration ermöglichten es dabei den betreffenden Unternehmen, sowohl die Talent- und Repertoire-Resourcen ihres territorialen Tätigkeitsbereichs konzentriert zu nutzen, als auch ihren Produktionen die größtmögliche Verbreitung zu sichern. Diese Prozesse sind das Resultat von Wechselwirkungen zwischen langfristiger Unternehmensplanung und dem Wirken langfristiger Marktkräfte. Gehört es einerseits zu den Unternehmenszielen, Umsatz, Marktanteil oder Gewinn zu vergrößern (und wird dies durch Vergrößerung des Unternehmens angestrebt), so ist andererseits die Vergrößerung des Unternehmens Voraussetzung für die Sicherung langfristiger Wett-
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bewerbsfáhigkeit. So hat z.B. der intensive Wettbewerb auf dem Repertoire-Beschaffungsmarkt zu einer drastischen Erhöhung von (Künstler-)Lizenzkosten geführt, deren Amortisation nur noch möglich ist, wenn gewährleistet ist, daß das Repertoire international verbreitet werden kann. Dieselbe Wirkung hat die Tktsache, daß wachsende Ansprüche von Musikliebhabern an die künstlerische und technische Qualität von Musikproduktionen zu einer drastischen Erhöhung der Aufhahmekosten geführt haben. Internationale Organisationen verfügen über eine von ihnen selbst kontrollierte Infrastruktur, die alle relevanten Funktionen abdeckt. Sie ermöglicht sowohl die Konzentration von Kräften auf aktuelle Marktschwerpunkte als auch die breite Verteilung von Risiken sowohl in sachlicher als auch in räumlicher Hinsicht. Planung und Steuerung dieser Prozesse erfordern zentrale und länderübergreifende Managemententscheidungen, orientiert an langfristigen Unternehmensstrategien. Diese internationale Dimension des Managements im Tonträgermarkt wird überlagert durch branchenübergreifende und -integrierende, ebenfalls übernational wirksame Bewegungen. Ihren Ursprung haben darauf bezogene Managemententscheidungen in dem Umstand, daß Musik und ihre wirtschaftliche Verwertung in die nationalen und internationalen Medienmärkte und in entsprechende Märkte der Unterhaltungselektronik eingebunden ist. Wie oben dargestellt, können Multi-Medien-Cross-Marketing-Aktivitäten einen erheblichen Beitrag zum Markterfolg leisten. Es ist deshalb naheliegend, daß international tätige Medienunternehmen darauf abzielen, die Bereiche Film, Fernsehen, Buch und Musik zu integrieren, um Synergie-Effekte und wechselseitige Impulsverstärkung unter dem eigenen Dach zu realisieren. Eine der Integrationsbewegungen der vergangenen Dekade hat - unter Einbeziehung des Musikbereichs - zur Bildung großer Multi-Medien-Unternehmen geführt. Neben dieser horizontalen Bewegung innerhalb des Medienbereiches ist eine zweite, vertikale Bewegung aufgetreten. Gegenstand dieser Bewegung ist die Integration von Hard- und Software. Das tragende Motiv dieser Bewegung ist die Tatsache, daß sich neue technische Entwicklungen der Unterhaltungselektronik umso leichter durchsetzen lassen, je breiter das Programmangebot für die jeweilig neue Technologie ist. Programmanbieter und Hardwarelieferant unter einem Dach vereinigen heißt deshalb, die Marktdurchsetzungschancen für eigene Entwicklungen der Unterhaltungselektronik verbessern.
Die schönste Nebensache der Welt Musik gehört zu unseren wertvollsten Kulturgütern. Sie ist ein Resultat der schöpferischen Kräfte des Menschen. Der Umgang mit Musik muß die einzigartige kreative Leistung aller am Entstehungsprozeß einer Musikproduktion Beteiligten respektieren. Management im Tonträgermarkt bezieht sich auf ein lebendiges Produkt, das Teil unseres kulturellen Selbstverständnisses ist. Management im Tonträgermarkt verbindet deshalb die Verantwortung für wirtschaftliche Existenz und Entwicklung eines im marktwirtschaftlichen Wettbewerb stehenden Unternehmens mit der (Mit-)Verantwortung für die Bewahrung und Entwicklung unserer Musikkultur. Diese Tktsache muß im Bewußtsein der Branche verankert bleiben und darf nicht im beinharten Tkgesgeschäft verloren gehen. Die Verantwortung hierfür trifft aber nicht nur die Entscheidungsträger innerhalb der Branche allein, sondern sie trifft auch politische Instanzen. Ihnen obliegt es nämlich, die Einlösung kultureller Verpflichtungen durch die Schaf-
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fiing und Erhaltung von Rahmenbedingungen zu sichern, die die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Musik ermöglichen.
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Dies ist kein Beitrag mit wissenschaftlichem Anspruch. Der Leser wird die gewohnte Komplexität des wissenschaftlichen Gedankengangs und dessen Formulierung vermissen. Ich habe mich bemüht, klar zu denken und einfach zu schreiben. Auch Literaturverzeichnisse und Quellenangaben tauchen nicht auf. Beides habe ich nicht genutzt, sofern es so etwas wie Literatur zum Thema überhaupt gibt. Sollten dennoch Parallelitäten zu bereits Ausgedrücktem aufscheinen — Plagiat war nicht beabsichtigt. Ich bin kein Mann der Wissenschaft, sondern der Praxis. Was ich zu sagen habe, entspringt ausschließlich persönlicher Erfahrung, wie ich sie in der Medienwirtschaft und insbesondere im Hause Bertelsmann gesammelt habe. Mögen Zufälligkeit und Lücken in der Aussage durch Unmittelbarkeit aufgewogen werden. Da ich meinen Beitrag nicht ohne Engagement zu Papier bringen kann, fließen immer wieder Wertungen ein. Ich hoffe, sie als solche kenntlich gemacht zu haben. Danken möchte ich all meinen Kollegen und Mitarbeitern, ohne die ich meine Erfahrung nicht hätte machen können. Möge sie dem Leser nutzen - vor allem meinen Studenten. Ihnen sei das Nachfolgende gewidmet.
Medien und Medienverbund Medien sind Mittler für Inhalte. Sie dürfen mit den Inhalten selbst nicht verwechselt werden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, kann nur über das "Transportmittel" der Medien aus Information schließlich Kommunikation werden. Andererseits schieben Medien einen zusätzlichen Filter zwischen die Realität und deren Wahrnehmung durch uns. Medien ordnen, kodieren und verdichten unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. Damit aber verfälschen Medien Realität - zwangsläufig. Beim Einsatz von Medien zur Vermittlung von Inhalten wird die ordnende und verdichtende Wirkung in der Regel beabsichtigt. Genau das macht die Faszination eines Buchs, eines Hörspiels oder einer Fernsehdokumentation aus. Ohne diesen Vorgang gäbe es keine Medienwirtschaft, keine Medienunternehmen, die den systematischen und ergebnisorientierten Einsatz von Medien zum Ziel haben. Im Kern ist im gleichen Vorgang damit auch das Spannungsverhältnis zwischen unternehmerischer Effizienz und verlegerischer Verantwortung angelegt. Der Einsatz mehrerer Medien zur Vermittlung des gleichen Inhalts ist jedem Beobachter bekannt. Eine OpernaufRihrung oder eine große Sportveranstaltung sind schon für den Besucher multi-mediale Ereignisse. Aber erst dann, wenn die Bündelung von Medien planvoll konzipiert und betrieben wird, wenn sie ein Haupt- und nicht Neben-
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zweck ist, wird man von "Medienverbund" sprechen können. "Medienverbund" ist damit ein neuartiges Phänomen der modernen Medienwirtschaft. Ein horizontaler Medienverbund liegt dann vor, wenn ein Inhalt (zumeist komplexerer Art) zweckvoll über mehrere Medien vermittelt wird. Von horizontalem Verbund läßt sich aber auch dann sprechen, wenn ein Medienunternehmen planmäßig auf den Märkten verschiedener Medien tätig ist. Am konsequentesten hat wohl heute die Bertelsmann AG diesen Weg beschritten. Ein vertikaler Medienverbund liegt dann vor, wenn ein Unternehmen zwei oder mehrere Stufen auf dem Weg des Medienprodukts zum Kunden miteinander verknüpft und in seine Aktivitäten einbezieht (z.B. Produktion - Fertigung - Distribution). Weltweit am konsequentesten ist das japanische Unternehmen Sony (über den Kauf von CBS Music und Columbia Pictures) den Weg des vertikalen Verbundes gegangen, allerdings bewußt auf Audio- und audiovisuelle Medien beschränkt. Dieser Verbund besonderer Art kann verschiedene Formen annehmen. Eine international integrierte Produktion und Distribution z.B. ist für audiovisuelle Medien heute bereits eher die Regel als die Ausnahme. Häufig wird auch eine spezifische, tradierte Stärke eines Medienunternehmens auf Auslandsmärkte übertragen, wobei dies eher für Funktionen und Konzepte gilt als für einzelne Produkte. Es versteht sich von selbst, daß ein auf Auslandsmärkten tätiges Medienunternehmen auch solche Funktionen wie Steuern, Recht und Finanzen in ihrer internationalen Verbundwirkung betrachten muß.
Matrixformen Aus den drei Elementen horizontaler, vertikaler und internationaler Medienverbund läßt sich eine gleichsam dreidimensionale Matrix von theoretisch ungeheurer Komplexität entwickeln. Natürlich ist kein Unternehmen in der Lage oder auch nur willens, diese Matrix voll auszuschöpfen. Eine beträchtliche Anzahl von ihnen ist aber auf wichtigen Ausschnitten aktiv. Die erschöpfende Analyse verbietet sich im Rahmen dieses Beitrages. Wesentliche Phänomene des Medienverbundes sollen aber im folgenden an einigen Beispielen vorgestellt werden. Multimediale Verwertung von Großereignissen Ob Salzburger Festspiele oder Fußball-Weltmeisterschaft, längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Eintrittskarte und der Zeitungsbericht allein Öffentlichkeit schafften. Heute werden ausgeklügelte, multimediale Verwertungskonzepte eingesetzt, um mehr Öffentlichkeit zu erreichen, aber auch um zusätzliche und unverzichtbar gewordene Finanzierungsquellen zu erschließen. Die wichtigsten seien aufgezählt: Presse, Hörfunk, Fernsehen, Banden- und Trikotwerbung, Programmverkauf, Begleitereignisse, Package-Reisen zum Ereignis, Videokassetten und Bücher über das Ereignis. Horizontaler Medienverbund wird heute bei allen Großereignissen konsequent eingesetzt. Wo dies nicht geschieht, wird sowohl auf Öffentlichkeit als auch auf finanziellen Dekkungsbeitrag verzichtet. Aus der Sicht des "Event-Managements" läßt sich ein derartiger Verzicht wohl nur dann begründen, wenn die volle Ausschöpfiing des Medienverbund-Potentials dem Ereignis seinen Charakter und damit auf Sicht seine Attraktivität nehmen würde.
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Multimediale Verwertung von Stoffen (strukturierten Inhalten) Am Markt verwertbare Inhalte sind der eigentliche Rohstoff der Medienwirtschaft. Die Strukturierung dieser Inhalte in "Stoffe" (Drehbücher, Konzepte, Scripts und anderes) ist in diesem Zusammenhang eine wesentliche schöpferische Leistung. Der Autor, der "Schöpfer" also, stellt den eigentlichen Engpaßfäktor für die Zukunft von Medienunternehmen dar. Seine Sicherung, Pflege und Fortentwicklung wird zur zentralen Managementaufgabe. Autoren aber realisieren zunehmend, daß "ihr" Inhalt multimedial und auch international verwertbar ist. Sie stellen sich folgerichtig auf entsprechende Ressourcenoptimierung ein. Medienunternehmen versuchen zunehmend, dem Autor ein entsprechendes "Full-Service"-Angebot zu machen, um ihn nicht zu verlieren. Der Vertrag zwischen Sony und Michael Jackson ist nur der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, die noch längst nicht abgeschlossen ist.
Die "Music Industry" Der Musikmarkt ist der am weitesten internationalisierte aller Medienmärkte, was der Natur des Produkts entspricht. Tonträger werden heute nicht nur international produziert oder koproduziert, sondern sie benötigen zur Rentabilität vor allem internationale Absatzwege. Hinzu kommen stark steigende Lizenzzahlungen für Spitzenkünstler, Kostendegressionseffekte bei der Herstellung und beim weltweiten Marketing. Das hat die "Music Industry" zu einer durchgreifend internationalisierten Branche mit den entsprechenden Konzentrationstendenzen gemacht. Fünf Unternehmen beherrschen heute weitgehend den Weltmarkt. Kennzeichnend (und tröstlich) aber ist es, daß Nischenproduzenten mit "local product" und/oder einem guten Gefühl für die Weltstars von morgen sich gleichermaßen dynamisch entwickeln.
Das internationale Buchclubgeschäft Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß internationaler Medienverbund auch durch die Übertragung erfolgreicher Geschäftsideen auf Auslandsmärkte entstehen kann. Der weltweite Erfolg der Bertelsmann-Clubs (mit mehr als 25 Millionen Mitgliedern) gibt hierfür ein eindrucksvolles Beispiel ab. Die in Gütersloh entwickelte "Königsidee" ist mittlerweile in rund 30 Länder exportiert worden. Wichtig ist festzuhalten, daß eine schematische Übertragung von Erfolgskonzepten zum Fehlschlag führen muß. Jeder Club mußte sein eigenes Profil finden, um erfolgreich zu sein. Am radikalsten gilt dies für die inhaltlich-publizistische Arbeit über Angebote, die im Einklang mit den kulturellen Traditionen und Sensibilitäten des jeweiligen Gastlandes stehen. Aber auch Marketing-, Vertriebs- und Betreuungskonzepte waren nach der Devise zu gestalten: "All business is local." Das Geheimnis dieser Art von Medienverbund liegt eher im permanenten Erfahrungsaustausch der einzelnen nationalen Zentren, durch den sich über die Jahrzehnte hinweg eine gesicherte, spezifische "Club-Betriebswirtschaftslehre" herausgebildet hat.
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Die Verbundmatrix eines Spielfilms Alle Medienverbund-Wirkungen kumulieren beim großen Spielfilm: - Horizontaler Verbund: Die sogenannten Nebenrechte werden zunehmend bewußt geplant: Buch zum Film, Merchandising-Produkte und anderes mehr. - Vertikaler Verbund: Das aus Hollywood stammende Studio-System versucht, alle Wertschöpfungsstufen in der eigenen Obhut zu behalten: Herstellung, Nachbearbeitung, Vervielfältigung, einen Teil der Kino-Abspielschiene, Distribution, Verleih und anderes. - Internationaler Verbund: Ein auf den Weltmarkt zielender Spielfilm wird auf Internationalität bereits im kreativen Bereich achten (Besetzung; Handlung; Schauplätze; Regisseur; Produzenten). Noch weniger verwunderlich ist es, wenn auch Distribution, Verleih und Finanzierung durchgreifend international organisiert werden. Wohlgemerkt - hier werden keine Aussagen über die formale oder inhaltliche Qualität des Spielfilms getroffen, sondern lediglich solche, die Gegenstand von Managemententscheidungen in Medienverbundunternehmen sind. Vorgelagerte Stufen der Wertschöpfung Verlegerisch oder publizistisch tätige Unternehmer versuchen immer wieder, "vorgelagerte" Stufen der Wertschöpfung (z.B. Druck, Papierherstellung, Tonträgerfertigung, Studioausrüstung) oder "nachgelagerte" Stufen (z.B. Auslieferung, Vertrieb, eigener Endverkauf) zum Gegenstand ihrer Aktivitäten zu machen. Diese Vorgehensweise, bei der man von tieferer (vertikaler) Wertschöpfung sprechen kann, entspringt nicht nur dem Wunsch, einen möglichst hohen Anteil an "Fremdmarge" in die eigene Kasse fließen zu lassen. Ebenso wichtig sind die Gesichtspunkte der Qualitätskontrolle oder der Termintreue. Über horizontalen Medienverbund läßt sich, wie bereits geschildert, die Wertschöpfung verbreitem. Neben direkt rentabilitätsorientierteren Zielen spielt hier insbesondere die Notwendigkeit eine Rolle, den "Autor" ans eigene Haus zu binden. Es kann gar nicht deutlich genug auf den entscheidenden Faktor Kreativität hingewiesen werden, so wie er sich im Autor verkörpert. Einige größere Akquisitionen im Medienbereich haben übersehen, daß man dort an sich nur Talent kauft und sonst recht wenig. Folgerichtig sind derartige Akquisiteure in Schwierigkeiten geraten. Talent aber ist flüchtig, denn "der Geist weht, wo er will". Insofern stellt ein multimediales Angebot in gewissem Umfang Bindewirkung her. Ob das reicht, bleibe dahingestellt. Fast jeder Medienverbund bietet die Chance zur Kostenoptimierung. Man wird in erster Linie an die Optimierung von Overhead-Kosten (Verwaltung, Disposition, Marketing) denken. Beim vertikalen Verbund tritt die Absicht hinzu, Provisionen, Fremdmargen oder andere Einzelkosten zu sparen oder zumindest zu senken. Die Medienwirtschaft gehört zu den Branchen mit dem höchsten Innovations- und Entwicklungstempo. Das bezieht sich sowohl auf neue Produkte als auch auf neue Verfahren. Die Entwicklung ist sehr häufig reich an Brüchen und nicht ausreichend berechenbar. Das gilt im übrigen nicht nur für die sogenannten neuen Medien, sondern auch für ihre älteren Schwestern. Rahmenbedingungen im Politischen (Wiedervereini-
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gung!), im Rechtlichen (der Europäische Binnenmarkt!), im Technischen (Kommerzielle Satelliten!), im Absatzbereich (Telefonverkauf!), im Geschmacklichen (Reality TV!) - sie alle ändern sich zuweilen über Nacht. Vor diesem Hintergrund gilt der Grundsatz der "Chancenstreuung" ganz besonders. Er wird in einer dynamischen Branche meiner Meinung nach wichtiger als der ältere Grundsatz der "Risikostreuung". Die Chancen des Wandels aber kann ein im Medienverbund arbeitendes Unternehmen besser, zumindest systematischer ergreifen. Es besteht die Möglichkeit, am Markt rascher zu reagieren. Die Risiken des Medienverbundes liegen, wie bei jeder unternehmerischer Tätigkeit, sozusagen spiegelbildlich neben den Chancen. Marktmacht ist häufig die Konsequenz der Arbeit im Medienverbund. Zuweilen ist sie ausdrücklich beabsichtigt. Marktmacht im Medienbereich aber birgt tendenziell die Gefahr von Meinungsmacht in sich. Es wäre töricht, diesen Umstand wegleugnen oder verharmlosen zu wollen. Es ist deshalb notwendig, daß Medienunternehmen (nicht nur die, die im Medienverbund arbeiten) nicht nur das allgemeine Wettbewerbsrecht, sondern auch spezifisches Medienrecht akzeptieren. Das Recht seinerseits hat verläßliche Rahmenbedingungen zu setzen und nicht über kleinliches Hineinregieren und Spezialbürokratien vernünftige Investitionsentscheidungen zu verzögern oder gar zu blockieren. Einer unzuträglichen gesellschaftlichen Machtzusammenballung wirken außer den Rechtsnormen weitere Faktoren entgegen: -
die aus erprobter verlegerischer Verantwortung erwachsende Selbstkontrolle; die Pluralität der Medienprodukte, der Absatzmärkte und der Autoren; möglichst niedrige Eintrittsbarrieren für "newcomer"; ein weltweiter Wettbewerb, der z.B. bei der Definition des "relevanten Marktes" ausreichend beachtet werden muß.
Die Einbindung kreativer Ressourcen in die komplizierte Welt eines Konzernmechanismus stellt ein ungemein schwieriges Problem dar. Das an sich notwendige, dialektische Spannungsverhältnis enüädt sich häufig genug in Frustration und schließlicher Trennung. Ebenso gefährlich aber ist es, wenn es sich in bequeme Behaglichkeit angesichts der Netze materieller Sicherheit auflöst, die ein Medienverbund-Unternehmen in der Regel anbieten kann. Dann geht Kreativität schlagartig zurück. Diese bittere Erfährung machen nicht nur öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, sondern auch private Medienkonzerne. Die unternehmerische Verwertung oder schon Konzipierung kreativer Ressourcen kann in den Verlust von Originalität einmünden. Auch Autoren sind eben nicht in allen Medien gleichermaßen zu Hause. Zuweilen wird deshalb eine recht verstandene, langfristige Optimierung die mögliche Medienverbundwirkung begrenzen, im Extremfäll sogar ausschließen. Das Risiko der organisatorische Schwerfälligkeit besteht für Unternehmen und Institutionen aller Branchen und Lebensbereiche. Für Medienverbund-Unternehmen existiert es in besonderem Maße. Interne Abstimmungsschwierigkeiten und organisatorische Reibungsflächen können leicht zu Blockaden führen, die das Unternehmen wertvolle Markt- und Entwicklungschancen verpassen lassen. Auch paßt das ausgeklügelte Berichts-, Rechnungs- und Kontrollwesen eines wohlgeordneten Konzerns nicht zwangsläufig auf die bunte, ja machmal exotische Welt der Medien. Ein weiteres Risiko: Ein großes, im Medienverbund arbeitenden Unternehmen und sein Management stehen immer wieder vor der Gefahr, über einer großen und verwic-
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kelten "Innenwelt" die "Außenwelt", also den Markt zu übersehen oder doch zu unterschätzen. Das Hauptrisiko im vertikalen Verbund liegt darin, daß Leistungen zwischen einzelnen Unternehmensteilen nicht zu Marktpreisen verrechnet werden, im Ergebnis also intern subventioniert wird, ohne daß dies strategisch notwendig ist. Leistungsverrechnungen nach "cost plus-" oder ähnlichen Methoden verteuern im Ergebnis das Produkt und mindern seine Qualität. Was aber am schlimmsten ist: Die leistungsorientierte Mentalität des Managements wird unmerklich verbogen. Dies geht nur so lange, bis Markt und Wettbewerb unnachsichtig deutlich machen, daß auch die stärkste Marktstellung kein bequemes Polster darstellt. Die Gefahr, an Marktorientierung zu verlieren, ist im horizontalen Verbund geringer. Sie entsteht am ehesten dann, wenn über erhofften Medienverbundeffekten übersehen wird, daß der Markterfolg häufig genug auf einem raschen Durchbruch bei einem Medium beruht. Das "breitflächige" Vorgehen im Verbund kann mit der damit einhergehenden, verminderten Reaktionsgeschwindigkeit Marktchancen verbauen.
"Cultural Clashes" im Medienunternehmen Die meisten der heute in Europa im Medienverbund arbeitenden Unternehmen sind zunächst über lange Zeit auf den Bereich der Printmedien konzentriert gewesen. Selbst dort hatten sie sich eindeutig spezialisiert, z.B. Springer auf Zeitungen und Zeitschriften, Hachette auf Zeitschriften, Rizzoli auf Buchverlage. Der Vorstoß in neue Medienbereiche und die Arbeit im Medienverbund gehen nicht ohne Brüche und Reibungen vor sich. Prozeduren und Hierarchien müssen sich ändern. Eingefahrene Managementmethoden und Leitbilder müssen aufgefächert werden. Führungspotential muß von außen rekrutiert werden, da ausgebildetes Personal im Unternehmen nicht zur Verfügung steht. Im Bereich der elektronischen Medien zwingen rechtliche und politische Rahmenbedingungen zu Unternehmensverbindungen, deren Management ungewöhnlich kompliziert ist. Schließlich müssen beim Vorstoß in neue Bereiche zwangsläufig Anlaufkosten und zum Teil erhebliche Aufbauverluste in Kauf genommen werden. So ist es nicht allzu verwunderlich, daß von den großen europäischen Printkonzernen nur Bertelsmann sich bislang im Bereich der elektronischen Medien wirklich auf breiter Front etabliert hat. Umgekehrt aber sind auch die meisten Vorstöße von Unternehmen aus dem audiovisuellen in den Printbereich nicht von strahlendem Erfolg gekrönt gewesen.
Erfolgsfaktor Unternehmensführung Zur Abwägung zwischen den Chancen und Risiken ist unternehmerische Führung notwendig. An ihr, meistens nur an ihr, entscheiden sich Erfolg oder Mißerfblg. Abwägen, das bedeutet: - Risiken minimieren, ohne wesenüiche Chancen kurzfristig zu verpassen oder langfristig zu verbauen; - Chancen nutzen, dies aber nur bei kalkuliertem Risiko. Hierzu gehört auch der
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Mut, Wege zu gehen, die sich als Sackgassen herausstellen, dies aber auch frühzeitig zu erkennen. Aus den Besonderheiten der Arbeit im Medienverbund ergeben sich zudem Eigenheiten, die dafür typisch oder in besonderem Maße kennzeichnend sind. Schließlich sollten auch übergreifende Führungsgrundsätze beachtet werden, die über die operative und die strategische Steuerung hinaus bedeutsam sind. Steuerung technischer Prozesse. Im Technikbereich wird ein im Medienverbund arbeitendes Unternehmen darauf achten müssen, alle relevanten Datenbestände so zu organisieren, daß sie multimedial (Text, Graphik, Standbild, Bewegbild) umgesetzt und verwertet werden können. Die heutigen EDV-gestützten Speicherungs- und Verarbeitungssysteme machen dies möglich. Die wesentliche Entscheidung besteht darin, diese Systeme konsequent zu konzipieren und zu nutzen. Finanzierung, Steuern. Die hier gegebenen Gestaltungs- und Optimierungsnotwendigkeiten stellen für Medienverbund-Unternehmen keine Besonderheit dar. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen. Die im Urheber- und Leistungsschutzrecht sowie die im Wettbewerbsrecht liegenden Probleme stellen an die Führung und Steuerung eines im horizontalen und/oder internationalen Verbund arbeitenden Unternehmens hohe Anforderungen. Sinnvolle Gestaltungsspielräume müssen genutzt werden; andererseits muß dies in vollem Respekt vor der verlegerischen und gesamtgesellschaftlichen Verantwortung geschehen. Bei Aktivitäten im Rundfunkbereich (Hörfunk, Fernsehen) sind zusätzlich spezifisches Medienrecht und die Besonderheiten der Medienpolitik zu beachten (siehe dazu auch die Beiträge von Peter Schiwy und Renate Damm).
Steuerung von Verbundphänomenen Diese Phänomene sind im allgemeinen nicht neu. Die Schwierigkeit ihrer Steuerung wächst in quasi geometrischer Progression mit der Dichte der Verbundmatrix, in der das Medienunternehmen arbeitet. Im folgenden will ich lediglich die wichtigsten dieser Phänomene schildern. Planung und Analyse "Analysiere und plane gründlich, bevor Du handelst!" Eine Binsenweisheit? Wohl nicht, sonst würde nicht so häufig dagegen verstoßen. Die achtziger Jahre haben vorzügliche Beispiele dafür geliefert, wie sich Unternehmer und "Unternehmer" Hals über Kopf in unkalkulierte Abenteuer beim vertikalen, horizontalen und/oder internationalen Medienverbund gestürzt haben. Die Faszination der Medien sowie die verlockende Öffentlichkeitswirkung, der rasche "Glamour", all das kann nüchterne Urteile offensichtlich rascher außer Kraft setzen als in vielen anderen Branchen. Umso wichtiger bleiben die intensive Analyse der Medienmärkte, ihrer Verbundwirkung und ihrer internationalen Verflechtungen. Umso wichtiger bleiben vorsichtige Business-Pläne und noch vorsichtigere Finanzierungskonzepte. Umso wichtiger bleibt die sorgsame Erarbeitung von Organisations-, Personal- und Führungskonzepten, die den bereits geschilderten Eigenheiten des Medienverbundes gerecht werden.
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Mit Zahlenfetischismus und Planungsgläubigkeit hat dies nichts zu tun, zumal eh nur flexibles Vorgehen angezeigt ist. Es geht schlicht darum, Chancen systematisch zu optimieren und Risiken permanent kalkulierbar zu halten. Marketing und "Human Relations" Medienprodukte müssen am Markt abgesetzt werden. Elitäres und schlußendlich kundenverachtendes Vorgehen sollten sich nicht einmal öffentliche Einrichtungen leisten (obwohl es es hin und wieder tun). Bei privaten Medienunternehmen hat es keinerlei Platz. Wer sich am Markt behaupten will, muß ihn kennen. Der Analyse der Medienmärkte müssen dann Marketingkonzepte folgen, die diese Marktkenntnis mit genauen Vorstellungen über die objektiven Produkteigenschaften und die subjektiven, häufig emotionalen Einstellungen des Kunden verbinden. Von zentraler Bedeutung ist dabei ein vorausschauendes Marketing, das Veränderungen im Kundenverhalten, im Publikumsgeschmack, im Zeitgeist und in den gesellschaftlichen Wertvorstellungen rechtzeitig auf die Spur kommt. Nur so lassen sich die im Medienverbund liegenden Chancen auch mittel- und langfristig nutzen. Schnellschüsse haben die unangenehme Eigenschaft, daß sie sich nur selten wiederholen lassen. Nur so lassen sich aber auch die eigenen publizistischen und inhaltlichen Vorstellungen sinnvoll in das unternehmerische Gesamtkonzept einbringen. Wer Geschmacksvorlieben ändern und Medienqualität anheben will, der stelle sich auf lange Zeiträume ein. Zur Marktkenntnis gehört auch die Erkenntnis, daß erstklassige Medienprodukte nur von erstklassigen Medienmachern zu erwarten sind. Sie stellen die eigentliche Beschaffungsseite von Medienunternehmen dar. Man muß sie kennen, man muß sie lieben, man muß sich an ihnen reiben. Vor allem - man muß sie pflegen! Es gilt also, über eine hohe und mit erheblichem Zeitaufwand verbundene Kontaktdichte das zwangsläufig dialektische Verhältnis zwischen der Maschinerie eines Medienunternehmens und der hochsensiblen Verfassung von Autoren, Musikern, Filmemachern und anderen kreativen Tklenten zu beherrschen und fruchtbar zu machen. Allein mit Geld geht das nicht, wenn beiderseitiges Einfühlungsvermögen und vor allem Ehrlichkeit fehlen. Risikostreuung Das Management des Medienverbundes darf nicht vom Grundsatz der Risikostreuung ausgehen. Im Vordergrund muß vielmehr die bereits beschriebene Optimierung der Chancen stehen. Wenn sie einigermaßen glückt, kann nach einer gewissen Zeit auch der Gesichtspunkt der Risikostreuung in die unternehmerische Perspektive ergänzend einbezogen werden. Dann kann es durchaus helfen, Einbrüche in nationalen Teilmärkten, bei einzelnen Medien oder Wertschöpfungsstufen dadurch teilweise auffangen zu können, daß der Medienverbund vermehrte Chancen an anderer Stelle bereithält. Sinnvoll aber bleibt auch dann Risikostreuung nur, wenn aufgetretene Risiken und Gefahrdungen des Geschäfts ebenso entschlossen angegangen werden, als handelte es sich um das einzige Geschäft. Ansonsten werden Bequemlichkeit und Sklerose produziert sowie am Ende das Ganze zerstört.
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Delegation und Dezentralisation Die durchgreifende Delegation von Verantwortung und eine klar dezentrale Unternehmensorganisaüon sollten längst Allgemeingut für Manager aller Branchen geworden sein. Für Medienunternehmen und insbesondere für solche, die im Medienverbund arbeiten, sind sie überlebenswichtig! Anders kann niemand der großen Vielfalt der einzelnen Medienmärkte gerecht werden. Anders verkümmern aber nicht nur die Antennen zum Kunden, sondern auch die zum Tklent. Anders kommt es schließlich nicht zur Herausbildung unternehmerischen Führungsnachwuchses in ausreichender Zahl. Natürlich produzieren Delegation und Dezentralisation auch Reibung. Wenn sich zum Beispiel benachbarte Profit Center eines Unternehmens am Markt tummeln, kann das zu Konkurrenz innerhalb dieses Unternehmens fuhren. Was daran ist schlecht? Nichts. Es ist wesentlich besser, Konkurrenz spielt sich am Markt ab als in Palastintrigen. Dort kann sie nicht produktiv werden. Die Ausrichtung am Markt muß nach meinen Erfahrungen ganz besonders für den vertikalen Medienverbund gelten. Die Funktion des internen Sicherheitsnetzes darf er natürlich nicht verlieren. Wenn Bücher, Compact Discs oder Filmkopien benötigt werden, müssen sie verfügbar sein. Die Konditionen aber, zu denen Leistungen innerhalb des Konzerns angeboten oder nachgefragt werden, müssen wirkliche Marktkonditionen sein. Dies wiederum läßt sich am besten bewerkstelligen, wenn der Markt wirklich zugänglich gemacht wird, man also an Dritte anbieten oder von Dritten beziehen kann und dies auch tut. Ein letzter Hinweis zum Thema: Delegation und Dezentralisation taugen wenig, wenn sie bloß formale Organisationsprinzipien sind oder in "Sozialtechnik" steckenbleiben. Sie müssen wirklich gelebt und vor-gelebt werden.
Die Projektgruppe als zentrales Instrument der Steuerung im Medienbverbund Die entschlossene Durchsetzung der Prinzipien von Delegation und Dezentralisation reibt sich nun zwangsläufig an der Notwendigkeit, im Medienverbund über die einzelne Geschäftseinheit und den einzelnen Unternehmensbereich hinaus zusammenzuarbeiten. Formale Koordinationsmechanismen mit Weisungsbefugnis einer zentralen Stelle scheiden als Steuerungsinstrumente aus, da sie den o.a. Prinzipien zuwiderlaufen. Der Versuch, sie dennoch durchzusetzen, hebelt diese Prinzipien entweder aus oder scheitert an ihnen. In beiden Fällen ist Ineffizienz die schädliche Folge. Andererseits kann die für den Medienverbund notwendige Zusammenarbeit auch nicht dem Zufoli überlassen bleiben. Auch von dort droht Ineffizienz, gepaart mit Chaos. Deshalb muß in einer Kombination von Instrumenten das erstrebte Ziel erreicht werden. Ich halte folgende Kombination für zweckmäßig: - Bewußtseinsbildung. Jede eigenständig vorgehende Geschäftseinheit muß mental auf das Ziel der Arbeit im Verbund eingestellt sein. "Was kann ich bei meinem Handeln für den Kollegen/die Kollegin herausholen?" Dies muß Standardfrage sein. - Clearingstelle. An einem Punkt im Unternehmen muß ein Service-Center aufgebaut werden, das permanent Fakten zusammenträgt, Kontakte knüpft, Chancen aufspürt und die Bildung übergreifender Projektgruppen anregt. Wohlgemerkt, es muß sich
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um ein Service-Center handeln, nicht um einen Koordinations- oder gar Entscheidungsmechanismus . - Projektgruppe. Sie ist das zentrale Steuerungsinstrument. Medienverbund muß vom Einzelprojekt her angedacht und angegangen werden. Dazu sind dann temporäre Strukturen mit kollektiver Entscheidungsbefugnis zu bilden, also Projektgruppen. Zweckmäßigerweise sollten sie durch die Geschäftseinheit gefuhrt werden, die den wichtigsten Teil des Verbundprojektes zu verantworten hat. Wichtig ist der temporäre, projektbezogene Ansatz. Es darf nicht dazu kommen, daß derartige Gruppen sich verselbständigen, sich vom Projekt lösen oder in anderer Form ein permanentes Eigenleben herausbilden. - Resultatsaufteilung. Wie auch immer das wirtschaftliche Ergebnis eines Medienverbundprojektes aussieht, es muß fair auf diejenigen aufgeteilt werden, die an seinem Zustandekommen beteiligt waren. Hierfür gibt es kein Regelwerk, sondern nur das Vertrauen in die Fähigkeit der handelnden Manager. Ist dies nicht gegeben, taugt der gesamte Ansatz sowieso nicht.
Übergreifende Führungsgrundsätze Gerade die komplizierte Arbeit im Medienverbund erfordert das Herausarbeiten von Führungsgrundsätzen, die über die Ziele Effizienz und Rentabilität hinausreichen. Wenn Effizienz eine wesentliche Grundlage für den Gewinn ist, wenn der Gewinn den Maßstab unseres Leistungsbeitrages für die Gesellschaft darstellt, dann müssen wir klarmachen, worin dieser Leistungsbeitrag besteht. Neben "internen" Beiträgen wie Motivation, Selbstverwirklichung, materielle und soziale Sicherheit will ich einige eher "externe" Punkte herausgreifen. Sie entspringen meinen persönlichen, aber auch den in meinem Haus durchgängig vertretenen Wertvorstellungen. Dabei ist mir klar, daß völlig legitim auch andere Auffassungen vertreten werden können. Entwicklung und Durchsetzung verlegerischer Wertsysteme. Wer mit Medien umgeht, geht mit Inhalten um. Wer mit Inhalten umgeht, verändert zwangsläufig die Realität. Wer die Realität verändert, hat nach meiner Überzeugung die Pflicht, seine Gründe und seine Zielsetzungen sichtbar zu machen und sie auf den Prüfetand zu stellen. Das und nichts anderes ist verlegerische Verantwortung - also kein Sachzwang, sondern Wertentscheidung. Ich will kein Plädoyer für den "ideologischen Verleger" halten. Aber, selbst er ist mir lieber als die vielen seiner Kollegen, die ihre eigenen Wertsysteme sorgsam verstecken. Nein, für den Verleger und damit für sehr viele Medienmanager darf es keine künstliche Trennung zwischen den Sphären seines Denkens und Handelns geben. Mut zur Pluralität. Nur Pluralität, bewußt geförderte Vielfalt, entspricht der Wertordnung unseres Grundgesetzes, für die ich mich einsetzen möchte. Eine Begrenzung dieser Pluralität durch kaufmännische und marktorientierte Zwänge wird dabei unvermeidlich. In diesem Rahmen aber sollte sie sich ausdrücken können. Es gehört Mut zu der Überzeugung, daß der Kunde reif genug ist, sich sein Urteil selbst bilden zu können! Medienunternehmen sollten den Suchprozeß des Kunden erleichtern, ihn spannend, unterhaltend, anregend machen. Sie sollten ihrerseits auf den erhobenen Zeigefinger, auf pädagogische Vorgaben oder gar Meinungsdruck verzichten. Die einzige Vorgabe,
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die ich akzeptieren mag, liegt im aktiven Eintreten für die Grundwerte, wie wir sie in den Verfassungen oder Grundlagen aller westlichen Demokratie finden. Mut zur Internationaütät. Pluralität und Internationalität haben zunächst eine eminent praktische Dimension für den Medienmanager. Sie bedeuten den Vorstoß in neue Produkte und auf neue Märkte. Damit sind sie in vielen Fällen Voraussetzung für ein erfolgreiches Arbeiten im Medienverbund. Aber nicht nur die Pluralität, sondern auch die Internationalität hat eine zusätzliche Dimension. Die eigene Geschichte, das eigene Denken, die eigenen Traditionen und Wertvorstellungen müssen sich mit denen anderer Länder und Kulturen messen. Nur so gewinnen sie die richtige Perspektive und können aktive Toleranz befördern. Nur so gewinnen Medienmanager aber auch diejenige Sensibilität, die zur erfolgreichen Arbeit über die Landesgrenzen hinaus notwendig ist. Gerade die Arbeit im Medienverbund benötigt den so verstandenen Mut zur Internationalität. Sie muß immer wieder der Versuchung widerstehen, überall die "Welt als Dorf" zu verstehen. Weltweite Dimension für eher technische Funktionen wie Produktion und Vertrieb, das ist notwendig und vorteilhaft. Beim Umgehen mit Inhalten aber geht es häufig eher darum, das "Dorf als Welt" zu verstehen. Selbstbeschränkung und Unternehmenswachstum. Die Medienwirtschaft entwickelt sich dynamisch und in zunehmender Vielfalt. Damit wird auch die Matrix des Medienverbundes in Zukunft noch komplizierter sein, als sie es heute bereits ist. Dynamische Unternehmer laufen vor diesem Hintergrund bei ihrem verständlichen Streben nach raschem Unternehmenswachstum gerne in zwei Fallen: Flächendeckung anzustreben über alle Medien und/oder über alle Märkte sowie der nicht strategische geplante Eintritt in medienfremde Geschäfte. Immer wieder wird auch übersehen, daß Größe und Wachstum keine Unternehmensziele an sich darstellen. Sie sind nichts anderes als Instrumente zur Durchdringung von Märkten und zur Sicherung des langfristigen Untemehmenserfolges. Die Verbreiterung und Vertiefung der Verbundmatrix sollte deshalb umsichtig angegangen werden. Es kommt sonst leicht zu erheblichen Wachstumsproblemen. Sie treten insbesondere dann auf, wenn die im Unternehmen angelegte Management- und Führungsfähigkeit nicht parallel zu neuen, scheinbar attraktiven Aktivitäten mitwächst. Schon manches Medienunternehmen hat sich per raschem Zukauf oder überhasteter Neugründung schlicht überfressen und ist am Ende auf Schuldenbergen und nicht mehr steuerbaren Strukturen sitzengeblieben. Andererseits ist die Matrix des Mediengeschäftes so vielgestaltig, so voll von positiven Abenteuern und Herausforderungen, daß man nicht daneben eine zweite Matrix medienfremder Geschäfte setzen sollte. Die damit verknüpften, ständigen Intellekt-, Mentalitäts- und Konzeptsprünge hält das stärkste Unternehmen und der beste Medienunternehmer auf Dauer nicht aus.
Kulturmanagement und Medienverbund Machen wir uns nichts vor: ein tradierter, zuweilen großbürgerlicher, fest immer elitärer Kulturbegriff geistert immer noch durch die Köpfe, insbesondere durch die deutschen. Er wird zäh verteidigt, eignet er sich doch vorzüglich als Schlagstock in der ideologischen Auseinandersetzung, aber auch als wirksames Mittel der gesellschaftlichen Differenzierung und zur Verteidigung so mancher Privilegien.
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Dieser Kulturbegriff hat in der abendländischen Geschichte schon so manchen Schaden angerichtet. Er gehört entzaubert. Ich pädiere nachdrücklich für einen Kulturbegriff aus angelsächsischem Verständnis. Der Bundespräsident hat ihn einmal vortrefflich so formuliert: "Kultur als Ausweis für die Art, in der wir miteinander umgehen." Akzeptiert man diesen oder einen ähnlichen Kulturbegriff, dann sind Medien nicht nur Mittler von Realitäten oder Inhalten. Sie sind Mittler von Kultur (natürlich auch von Un-Kultur). Es macht dann auch überhaupt keinen Sinn, Medien oder Verbundformen zwischen Medien bestimmte kulturelle Qualitäten zuzuordnen. Die Diskussion muß vielmehr über die jeweiligen Inhalte geführt werden. Und sie muß über unsere Befähigung geführt werden, mit Medien selbstverantwortlich umzugehen. So gesehen, wird Medienmanagement zu einem zentralen Bestandteil des Kulturmanagements. Es geht beim Kulturmanagement nicht um erweiterte Selbsterfahrung oder -Verwirklichung. Es geht immer auch um die vernünftige Durchdringung der gesellschaftlichen Bezüge von Kultur.
Musikmanagement Franz Willnauer
Der Begriff Musikmanagement ist nicht präzise und eindeutig zu definieren. Bezeichnet "Musik" in ihrer umfassendsten Bedeutung "die absichtsvolle Organisation von Schallereignissen" aller Art (Meyers Taschenlexikon, Mannheim 1985), so läßt die Definition von "Management" als "praktische Unternehmensführung" (A.J. Greiner 1983) sowohl theoretisch-formale als auch bloß inhaltlich bestimmte und sogar rein ideologisch fixierte Auslegungen zu. In der Praxis hat sich eine vereinfechte, an den einschlägigen Berufen orientierte Begriffsbestimmung durchgesetzt, der sich - im Hinblick auf die praktische Nutzbarkeit des vorliegenden Handbuchs - die nachfolgende Darstellung anschließt.
Begriffsbestimmung Musikmanagement ist ein Teilbereich des übergreifenden Managements von Kulturbetrieben, für das sich im deutschen Sprachraum der Begriff Kulturelles Management oder Kulturmanagement eingebürgert hat. Ohne auf die Vielfalt und die Vielschichtigkeit der diese Begriffsbildung konstituierenden "Kultur" eingehen zu können, kann festgestellt werden, daß sich die generelle Anwendung des Begriffs auf die traditionellen Kunstdisziplinen, hauptsächlich auf die ausübenden und reproduzierenden Künste, beschränkt. Soweit das Kulturelle Management einer theoretischen Grundlegung bedarf, wird diese von der Kulturwissenschaft geleistet. Die Koppelung der Begriffe Kultur und Management ist, vor allem von seiten einer traditionellen Autonomieästhetik und der konservativen Kulturpolitik, nicht ohne Kritik geblieben. Daran ist die nur zu oft unreflektierte Verwendung des Wortes Management, vor allem im Kunstjournalismus, nicht unschuldig. Denn insgesamt kennt der heutige Sprachgebrauch (vgl. Wörterbuch der deutschen Sprache) drei Verwendungsarten des Wortes Manager: 1) Leiter eines Unternehmens; 2) Betreuer eines Berufesportlers oder Künstlers; 3) jemand, der eine Sache vorbereitet und durchführt. Problematik und zugleich Vorzug des Kulturellen Managements ist die Teilhabe an allen drei Inhaltsfeldern dieses Wortgebrauchs. Als wesentliches Element gemeinsam ist ihnen die zentrale Aufgabenstellung: Planen, Entscheiden und Handeln. Damit ist eine professionelle Vorgehensweise ebenso impliziert wie der gesellschaftliche Aspekt dieses Tuns, nämlich dessen Nutzen für die Allgemeinheit. Kulturelles Management ist in meiner Definition "planvolles, öffentliches, ökonomisch orientiertes Handeln, das sich auf künstlerische Inhalte oder kulturelle Ziele bezieht, auf die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft gerichtet ist und seine Ergebnisse in den Dienst der Allgemeinheit stellt".
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Von Musikmanagement kann demnach in allen Handlungsfeldem des musikalischen Berufelebens gesprochen werden, auf die sich die o.g. Definition anwenden läßt: Musikmanagement ist planvolles, öffentliches, ökonomisch orientiertes Handeln in allen Bereichen des institutionalisierten Konzertbetriebs, des kommerziellen und des freien Musiklebens. Seine Hauptanwendung findet das Musikmanagement in den vier dominierenden Bereichen unseres Musiklebens: im Konzertbetrieb, bei Musikfestspielen, im Tourneewesen und bei Musikwettbewerben. Dementsprechend werden, nach der Darstellung ihrer Gemeinsamkeiten, das Konzertmanagement, das Festspielmanagement, das Tourneemanagement und das Wettbewerbsmanagement nachfolgend ausführlich behandelt.
Allgemeine berufliche Voraussetzungen Eine berufespezifische Ausbildung zum Musikmanager gibt es derzeit (noch) nicht. Mehrere Hochschulen, speziell Musikhochschulen in Deutschland und Österreich bieten Lehrgänge für Kulturelles Management (zumeist als Aufbaustudiengänge) an, die Absolventen aller Kunststudienrichtungen offenstehen. Die Hochschule für Musik und Theater in Hamburg verleiht als derzeit einzige Hochschule in Deutschland nach erfolgreichem viersemestrigem Studium ein Diplom für Kulturmanagement. Das berufeinformierende Schrifttum hat zumeist lediglich feuilletonistischen Charakter; theoretische oder fachpädagogische Literatur fehlt fast völlig. Auch ist die Lehre vom Kulturellen Management keine theoretisch-abstrakte, zudem keine historische und keine fachspezifische Wissenschaft. Sie besteht ihrem Wesen nach 1. in der Vermittlung von Kenntnissen und Techniken, 2. in der Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten für das kulturelle Handeln im beschriebenen Sinn und 3. in der Entfaltung von Handlungskonstanten und Persönlichkeitsmerkmalen, die, neben dem beruflichen, auch das charakterliche und ethische Persönlichkeitsbild des Kunstmanagers zu bestimmen vermögen. (Auf die Problematik, persönlichkeitsbildende Wesensmerkmale im Rahmen einer Lehre oder Ausbildung zu entwickeln und zu trainieren, muß nicht eigens hingewiesen werden.) Dazu gehört auch die Bezeichnung. Weder der von Kurt Blaukopf für das Wiener Institut für Kulturelles Management entwickelte Begriff "Kulturbetriebslehre" noch der von der Universität Passau für die Absolventen ihres Studiengangs "Wirtschaft- und Kulturraumstudien" vorgesehene Titel "Kulturwirt" haben sich allgemein durchgesetzt. Übereinstimmend werden zu den unter 1. genannten Kenntnissen und Techniken, die der Musikmanager beherrschen muß, sowohl betriebswirtschaftlich-formale als auch inhaltliche, kulturwissenschaftliche und künstlerische Disziplinen gezählt. Zu den erstgenannten gehören Betriebswirtschaftslehre (BWL), Allgemeine Managementlehre, Rechnungswesen, dazu Grundkenntnisse der Organisationslehre, der Buchführung, des Kunst- und Medienrechts sowie die Beherrschung der EDV. Zu den kulturwissenschaftlich-künstlerischen Disziplinen gehören Allgemeine Musiklehre, Kunst-, speziell Musikgeschichte, Dramaturgie, Instrumentenkunde, aber auch Kulturgeschichte, Ästhetik und Kunstphilosophie. Fremdsprachenkenntnisse können nicht hoch genug veranschlagt werden. Die Beherrschung eines Musikinstruments ist selbstverständlich in allen Bereichen des Musikmanagements von Vorteil.
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Bei dem unter 2. genannten Lehrinhalt muß unterschieden werden zwischen der Ausbildung von Fertigkeiten (= erlernten Verhaltensweisen) und der von Fähigkeiten (= erworbenen Persönlichkeitsmerkmalen). Zu den Fertigkeiten, die ein Musikmanager in der Ausbildung erwerben sollte, gehören Rhetorik, Verhandlungsgeschick, Dispositionsgabe und Führungsverhalten; zu den Fähigkeiten, die er, ggf. im Selbststudium, entwickeln muß, gehören Wahrnehmungsfähigkeit ("Sensibilität"; diese ist in der ständigen Beschäftigung mit Kunstwerken ebenso gefordert wie im täglichen Umgang mit Künstlern), Kommunikationsfähigkeit und die Gabe der Vermittlung zwischen ideellem Anspruch und konkreten Möglichkeiten ("Realitätssinn", "Augenmaß"). Kulturmanager sind, nach Karl Richter, "Ermöglicher von Kunst"; sie sollen nicht selbst Künstler sein. "Verstehen und Teilhaben heißt die Maxime" (Richter), doch erst die Mischung aus Idealismus und Sachverstand garantiert den Erfolg. Welche Eigenschaften muß ein Kulturmanager haben? Eine Enquete hat 1985 die Antworten einer Reihe im praktischen Kulturleben stehender Führungskräfte auf diese Frage veröffentlicht. Die am häufigsten genannten Eigenschaften waren: Liebe zur Kunst, Kontaktfreudigkeit, Kreativität, Spontaneität, Improvisationsgabe und Flexibilität. Dieses Selbstbildnis des Kunstmanagers muß korrigiert werden, will man eine profunde und erfolgversprechende Ausbildung auf die (oben unter 3. genannten) Persönlichkeitsmerkmale und Handlungskonstanten ausdehnen. Für ein professionelles Management (nicht nur) im Kunstbereich kommt den auf Ordnung, Planmäßigkeit und Konsequenz ausgerichteten menschlichen Eigenschaften zumindest gleich große Bedeutung zu wie den auf Intuition und Improvisation beruhenden. Letztlich zeichnet den erfolgreichen "Profi" im Kunst-, speziell im Musikmanagement nicht die einseitige Neigung zu bestimmten Verhaltensmustern aus, sondern von der sozusagen konstitutiven Liebe zur Kunst und dem fundamentalen Verständnis für Künstler und künstlerisches Tun ganz abgesehen - die Gabe, zwischen Kreativität und Reflexion, Irrationalität und Pragmatismus, Flexibilität und Konsequenz den Ausgleich bzw. die der jeweiligen konkreten Situation angemessene Mischung zu finden.
Aufgabenfelder im Musikmanagement Musikmanagement wird gemeinhin mit Konzertmanagement gleichgesetzt, und dieses wird in der Regel als bloße Veranstaltungstätigkeit verstanden. Beides ist falsch. Musikmanagement spielt sich in den folgenden Aufgabenfeldern ab: - Veranstaltung, - Vermittlung und - Verwertung. Der Veranstaltungsbereich ist der traditionelle Kern des Musikmanagements. Er umfaßt alle Formen musikalischer Äußerung und Darbietung, die sich "veranstalten", d.h. in geplanter Form und auf ökonomischer Grundlage in der Öffentlichkeit durchführen lassen. Die traditionelle, in jahrhundertelanger Entwicklung herausgebildete Form musikalischer Veranstaltung ist das Konzert. Das Konzertleben einer Stadt, einer Region, eines Staates ist heute nicht nur ein bedeutender Faktor für die kommunale, regionale oder nationale Kulturwirtschaft, sondern bestimmt oft auch maßgeblicher als andere Einrichtungen des Kulturlebens wie Theater, Museen, Universitäten u.a. den kulturpolitischen Rang des Trägers und das kulturelle Selbstverständnis der Bürger.
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Neben das Konzertwesen ist heute, als beinahe gleichwertiger Faktor, die Veranstaltung von Musikfestspielen getreten. Auch wenn man die sich inflationär vermehrende Zahl von Festspielen (oder Musikveranstaltungen, die sich diesen Namen zulegen) mit Sorge betrachten muß: Jedes einzelne von ihnen bedarf eines professionellen Managements und gehört daher grundsätzlich in diese Betrachtung. Ebenso gehören Musikwettbewerbe und Musikertourneen zum Veranstaltungssektor. Auch hier sind alle Größenordnungen, inhaltlichen Zielsetzungen, Formationen und Bedeutungsgrade möglich und deshalb Gegenstand des Musikmanagements, unabhängig von der im Musikbetrieb oft noch praktizierten Trennung in E- (Ernste) und U- (Unterhaltungs-)Musik. Der Vermittlungsaufgabe liegt der Begriff "Vermittlung" im doppelten Wortsinn zugrunde: als Vermittlung von Kunst und als Vermittlung von Künstlern. Verständlicherweise beschäftigt sich das Musikmanagement vorrangig mit der Vermittlung von Musikern. Diese erfolgt in der Regel auf privatwirtschafitlicher Basis, auch wenn sich die Künstlervermittlungsdienste der Arbeitsämter und die Zentrale Bühnen-, Fernsehund Filmvermittlung (ZBF) der Bundesanstalt für Arbeit die gleiche Aufgabe stellen. Zusätzlich ist das Vermitteln sowohl von Musik als auch von Musikern das Geschäft einer Branche, die als "Errungenschaft" unserer Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnt: das Sponsorvermittlungsgewerbe. Sponsoring ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: der Transfer von Geld gegen Image. Sponsoring ist inzwischen fester Bestandteil der Werbemaßnahmen von Wirtschaftsunternehmen geworden und hat, ausgehend vom Sport, zunehmend Ereignisse und Personen des Kunst- und des Musiklebens zu Gegenstand. Das Geschäft wird in der Regel getätigt zwischen einem Sponsorwilligen und einem Sponsorsuchenden; verständlich, daß sich in dem weiten Feld der Vermittlungsmöglichkeiten zwischen diesen Partnern ein eigener Berufezweig etabliert hat: der Sponsorvermittler, zuweilen — vorwiegend in der bildenden Kunst - auch Art Consultant genannt. Vermittlung im Sinne von Zugänglichmachen von Kunstwerken ist ein weiterer Aufgabenbereich des Vermittlungssektors. Auch hier bietet eine Vielfalt von Aufgabenstellungen die unterschiedlichsten Berufemöglichkeiten. Sie reichen vom Konzertdramaturgen, der durch Programmwahl und -kombination ebenso wie durch begleitende Rahmenveranstaltungen das Publikum zu interessieren, zu motivieren und zu informieren hat, über den Verfasser von Einführungstexten zu den im jeweiligen Konzert aufgeführten Werken, mit denen dem Hörer Verständnishilfen an die Hand gegeben werden sollen, bis zum Musikkritiker, der auch in der kritischen Nachbetrachtung noch Vermittlung betreibt. Die Verwertung von Musik hat vor allem der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts enorm an Bedeutung gewonnen. Musik ist grundsätzlich eine transitorische Kunst: Sie verklingt im Augenblick des Erklingens. Musik zu verwerten setzt daher voraus, daß man ihre klingende Gestalt festhalten kann, um deren Wiederholung zu ermöglichen. Fast fünf Jahrhunderte lang war die Verwendung des Notendrucks, die bald nach der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg (um 1450) einsetzte, die einzige Möglichkeit, Musik zu fixieren; demgemäß hatte in dieser Zeit der Musikverleger ein Monopol bei den Musikverwertungsberufen. Erst im "Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks" (Walter Benjamin) haben sich auch der Musikverwertung unzählige Möglichkeiten eröffnet. Das technisch immer perfektere Verfahren der Schallaufzeichnung und -fixierung hat die Entwicklung von der Wachsmatritze über die Schallplatte bis zur Video-Compactdisc in Gang gesetzt und einen florierenden Industriezweig geschaffen. Die Erfin-
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düngen des Hörfunks und des Fernsehens verhelfen der beliebig wiederholbaren Wiedergabe von Musik zu ungeahnter Verbreitung. Die hier sich stellenden Aufgaben haben daher zu einer Vielzahl von Berufen im Verwertungssektor des Musikmanagements geführt. Aber auch die Verwertungsgesellschaften sind in dieses Berufsfeld zu zählen: die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungsrechte), der in Österreich die AKM (Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger), in der Schweiz die SUISA (Schweizerische Gesellschaft der Urheber und Verleger) entspricht; die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten), deren Pendant in Österreich ÖSTIG (Österreichische Interpreten-Gesellschaft) heißt; dazu all die privaten Personengesellschaften, die sich die Verwertung der künstlerischen Leistungen und/ oder Rechte einzelner Musikerpersönlichkeiten zur Aufgabe gemacht haben. Schließlich müssen die Einrichtungen erwähnt werden, die die in Form von Notendrucken und Tonaufzeichnungen konservierte Musik durch Aufbewahren, Verleih und Verkauf der Öffentlichkeit zur Verwertung zur Verfügung stellen: Musikarchive, Musikbibliotheken und der Musikalienhandel.
Berufsbilder im Musikmanagement Um die Vielzahl der Berufebilder zu beschreiben, genügt es nicht, die dargestellten Erscheinungsformen der drei Aufgabengebiete Veranstaltung, Vermittlung und Verwertung in konkrete Berufeinhalte umzusetzen. Vielmehr müssen auch die Trägerschaften und Einrichtungen, in denen diese Berufe ausgeübt werden, nach Struktur und Rechtsform unterschieden werden. Bei den Trägern des institutionalisierten Musiklebens handelt es sich entweder um Einrichtungen der öffentlichen Hand, vornehmlich der Kommunen, oder um privatwirtschaftliche oder, seltener, um gemeinnützige Einrichtungen. In der Regel sind die Städte Träger des Konzertlebens. Im Veranstaltungsbereich dominieren daher Managementberufe unter kommunaler Verwaltungshoheit. In größeren Städten gibt es die Position des Städtischen Musikdirektors (mit nachgeordneten Dienststellen); orchestertragende Großstädte, auch Rundfunkanstalten mit eigenem Symphonieorchester, berufen einen eigenen Orchesterintendanten. Darüber hinaus beschäftigen viele Großstädte in ihrer Kulturverwaltung einen eigenen Musikreferenten. In kleineren Kommunen mit einem sogenannten Bespieltheater und dort, wo Landkreise kulturelle Veranstaltungen anbieten, muß oft der Kulturamtsleiter, der Leiter des Amtes für Fremdenverkehr oder des Sport- und des Schulreferats die Aufgaben des örtlichen Musikmanagers übernehmen. In vielen Großstädten sind namhafte - oft traditionsreiche - privatwirtschaftlich geführte Konzertgesellschaften beheimatet. Häufig haben sie die Gesellschaftsform eines gemeinnützigen Vereins, von dessen "Organen" (Vorstand, Aufeichtsrat oder Beirat, Mitgliederversammlung, Geschäftsführung) meist nur der Geschäftsführer, oft auch "Generalsekretär" genannt, hauptamtlich tätig ist. Diese Positionen sind genuine Berufefelder für den professionellen Musikmanager, ebenso die vergleichbaren Positionen in den Musikabteilungen der Rundfunkanstalten, bei selbständigen Orchestern, Chören oder Ensembles. Erwähnt werden muß schließlich der private Konzertunternehmer, der sich lokale,
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oft vom Programmangebot her bestimmte Marktnischen abseits der großen Musikinstitutionen sucht und, zumeist mit großem Idealismus, das Musikleben mit Veranstaltungen auf eigenes geschäftliches und künstlerisches Risiko bereichert. Im Bereich der Musikervermittlung dominieren drei Berufegruppen, die sich nach Größe und Rechtsform unterscheiden: das Künstlersekretariat, die Agentur und die Konzertdirektion. Wer in einem Künstlersekretariat arbeitet, hat in der Regel die Betreuung eines einzelnen oder einiger weniger Künstler als Aufgabe, diese allerdings in jeder Hinsicht: von der Erledigung der Geschäfts- und Fan-Post bis zum Vertragsabschluß, von der Reisevorbereitung bis zur Betreuung bei den Proben und Konzerten. Die soziale Absicherung ist nicht immer gewährleistet. Oft erhält der/die Künstlersekretär/in nur ein minimales Grundgehalt und wird darüber hinaus an den Auftrittshonoraren des Künstlers prozentual beteiligt. Künstleragenturen sind Künstlersekretariate im großen. Diese meist alteingesessenen und renommierten Firmen betreiben die Vermittlung und Betreuung von Künstlern gewerbsmäßig. Das Geschäftsideal ist die "Generalvertretung" möglichst prominenter Künstler; in der Praxis müssen sich viele Agenturen mit der Ländervertretung gerade ihrer prominentesten Stars begnügen. Ein Großteil des Musikermarktes wird von einigen wenigen Künstleragenturen, die ihrerseits Prominentencharakter haben, bedient. Das führt dazu, daß die beruflichen Aufgaben in den großen Agenturen oft nur Teilbereich des Musikmanagements - nur einzelne Künstler oder nur bestimmte Musikgattungen, beispielsweise Streichquartette oder Gastorchester - betreffen. So übernehmen vor allem Berufeeinsteiger und die Mitarbeiter von großen Agenturen, die sich selbständig machen, die Vertretung junger, noch unbekannter Nachwuchsmusiker. Auch hier gilt: Je kleiner die Agentur, desto höher das Risiko, desto größer aber auch - wenn man den "Richtigen" entdeckt hat - der Erfolg. Viele Künstlervermitüungen im Musikgeschäft nennen sich Konzertdirektion. Oft ist zwischen Agentur und Konzertdirektion kein Unterschied; nicht selten verdankt der Name nur besonderen historischen oder lokalen Umständen seinen Ursprung. Manchmal ist jedoch eine Konzertdirektion - neben dem reinen Vermittlungsgeschäft - als lokaler Konzertveranstalter tätig, und in diesen Fällen heißt es grundsätzlich Konzertdirektion, nicht Agentur. Es liegt nahe, daß dort, wo es kein kommunales Konzertleben gibt (oder dieses nicht alle Bereiche abdeckt), eine am Ort ansässige Konzertdirektion auch als Konzert"anbieter" in Erscheinung tritt. Die von ihr vertretenen Künstler sind das sozusagen naturgegebene Reservoir für die Programmgestaltung; die renommierten Konzertdirektionen, gerade in Deutschland, orientieren sich jedoch uneigennützig an höchsten Qualitätsmaßstäben und verpflichten häufig ohne Vorbehalte auch die Künstler der Konkurrenz. Über die Berufechancen auf dem Vermittlungssektor läßt sich nur schwer eine verbindliche Aussage machen. Als privatwirtschaftliche Unternehmer sind die Inhaber von Agenturen und Konzertdirektionen direkt vom Markt abhängig und müssen ihr Angebot, insbesondere die Zahl der von ihnen vertretenen Künstler, mit der Nachfrage, d.h. den Engagementsverpflichtungen durch die lokalen Veranstalter, in Einklang bringen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten schrumpft in der Regel das Volumen des Konzertangebotes, und das hat Auswirkungen nicht nur auf die Zahl der vermittelbaren Künstler, sondern auch auf die Zahl der Fachkräfte, die in dieser Branche Arbeit finden. Zweifellos sind aber gerade hier die Chancen für den im Musikmanagement
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Ausgebildeten höher als für rein kaufmännische oder Verwaltungsangestellte oder gar für ausübende Musiker, die sich nach einer mißglückten Solistenkarriere einem administrativen Musikerberuf zuwenden wollen. Dies bedeutet freilich nicht, daß die Berufe des ausübenden Musikers und des Musikmanagers grundsätzlich unvereinbar wären. Im Gegenteil: Jeder Instrumentalist, Sänger, Orchester- oder Chorleiter, der sich professionelle Kenntnisse und Techniken dieser Managementform angeeignet hat, kann diese in der täglichen Praxis seiner Musikerlaufbahn (die oft genug das Selbstmanagement voraussetzt) zu seinem Vorteil einsetzen. Darüber hinaus verlangt der begehrteste Beruf des institutionalisierten Musiklebens, der des Generalmusikdirektors, geradezu nach einer vollen Managementausbildung. Die Anforderungen, die hinsichtlich Planung, Disposition, Personalführung und Verwaltung - keineswegs nur im künstlerischen Bereich, sondern gerade hinsichtlich des Vertragswesens, der Finanzierung und des Interessenausgleichs mit den Gruppenvertretern - an die Kompetenz und den Sachverstand der Inhaber dieser das Musikleben dominierenden Positionen gestellt werden, sind groß und für den beruflichen Erfolg unverzichtbar. Defizite im Management werden auch nicht durch künstlerische Autorität, ja nicht einmal durch das Charisma des "Pultstars" nachhaltig ausgeglichen.
Konzertmanagement Das Wort Konzert bezeichnet die einzelne Werkgestalt innerhalb der Gattung Vokaloder/und Instrumentalmusik ebenso wie deren Darbietung als öffentliche Veranstaltung, meint also das Artelakt ebenso wie dessen Präsentation. Hier beschäftigt uns nur die zweite Wortbedeutung: die öffentliche Darbietung von Musik, und zwar ausschließlich als Gegenstand "planvollen, ökonomisch orientierten Handelns". Die Anfänge eines geregelten, kommerziell betriebenen und in eigens dafür geschaffenen Institutionen sich vollziehenden Konzertlebens reichen in das frühe 18. Jahrhundert zurück. Im 19. Jahrhundert bilden sich, im Wechselspiel zwischen stilgeschichtlicher Entwicklung des Komponierens, zunehmender Verfeinerung, Vervollkommnung und Erweiterung des Instrumentenbaus und -spiels, ständiger Vermehrung von Konzertsaal-Neubauten und Orchestergründungen und schließlich wachsender Teilhabe des Bürgertums am Musikkonsum, jene Konzerttypen heraus, die das traditionelle Musikleben bis heute geprägt haben: das Sinfoniekonzert, der Kammermusikabend, der Liederabend, das Solistenkonzert als Virtuosendarbietung. In diesen Konzertformen mußten auch noch die "Klassiker der Moderne" zwischen 1890 und 1920 ihre oft genug anderen Strukturen verpflichteten Werke der Öffentlichkeit präsentieren. Erst nach 1950 setzt eine Entwicklung der neuen und neuesten Musik ein, die - parallel zu neuen Produktionsformen wie Ensemblemusik, Elektronische Musik — auch neue Darbietungsformen und Konzertgattungen hervorbrachte. Als Beispiele seien das von Rundfunkanstalten bevorzugte Studiokonzert, die zyklische Zusammenfassung auseinanderliegender Konzertereignisse oder der Konzertmarathon genannt. Die Rückbesinnung der Interpreten alter Musik auf "authentische" Spielweisen unter Verwendung von Originalinstrumenten und unter Benutzung kleindimensionierter Konzerträume hat für ein weiteres Aufbrechen verkrusteter Konzertstrukturen gesorgt.
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Auch der Anteil, den die Alternativkultur an der gegenwärtigen Vielfeit des Konzertlebens hat, darf nicht unerwähnt bleiben. Das Auftreten "freier Gruppen", die sich ihrem Publikum hauptsächlich in Lokalitäten abseits der etablierten Konzerteinrichtungen präsentieren, gehört ebenso hierher wie die Auftritte der Mega-Stars der Pop-, Rock- und Unterhaltungsszene, die sich in Großhallen und Sportstadien vollziehen. Das Feld, das der professionelle Konzertmanager zu bestellen hat, ist schier unübersehbar geworden, und jegliche Form öffentlicher Musikdarbietung gehört zu seinen Aufgaben. Wie sehen diese Aufgaben konkret aus? (Die nachfolgende Auflistung folgt dem Ordnungsschema, das ich meinen Vorlesungen über Konzertmanagement an der Wiener und an der Hamburger Musikhochschule zugrundegelegt habe.) Wesentliche und konstante Aufgaben im Konzertmanagement sind: -
Planung und Disposition Organisation Verwaltung und Vertragsgestaltung Gestaltung des Veranstaltungsablaufs Marketing Werbung und Öffentlichkeitsarbeit Vermittlung Kalkulation und Kostenkontrolle
Jede der genannten Aufgabenstellungen wird nachfolgend kurz dargestellt. Planung und Disposition. Die Planungs- und Dispositionsaufgaben - sicherlich der kreativste und den künstlerischen Ehrgeiz des Konzertmanagers am meisten befriedigende Teil seiner Tätigkeit - werden gleichwohl häufig unterschätzt. Routinemäßiges "Organisieren" der Obliegenheiten des täglichen Lebens, gewohnheitsmäßiges Handeln aufgrund von Lebenserfahrung und das meist instinktive Reagieren auf Herausforderungen, die den Problembereich des Banalen nicht übersteigen, verdecken im allgemeinen die Bedeutung sorgfältigen Planens und gekonnten Disponierens für ein professionelles Handeln im Kunstmanagement. Planung und Disposition benötigen dreierlei: das geeignete "Handwerkszeug", die einschlägigen Kenntnisse und Techniken und die richtige Vorgehensweise. Daß zum Handwerkszeug Terminkalender ebenso gehören wie Adressenverzeichnisse (neben den eigenen natürlich die einschlägigen Künstlerlisten, das Deutsche Bühnenjahrbuch, der [vom Deutschen Musikrat herausgegebene] Musik-Almanach, dem in Óstereich das "Musikhandbuch für Österreich" entspricht, "der Oeckl", ein Who is who, die einschlägigen Film- und Fernsehalmanache usw.), bedarf keiner Erwähnung; eher schon, daß eine auf die beruflichen Bedürfhisse zugeschnittene Auswahl von Fachliteratur (Musiklexika, Konzertführer, Instrumentenkunde, Sachwörterbuch, Verlagsverzeichnisse, "der Bielefelder", "der Buschkötter"), aber auch Fremdsprachenlexika und nicht zuletzt ein "Duden" als Handapparat zur Verfügung stehen muß. Zum unverzichtbaren Handwerkszeug gehören schließlich auch all jene Hilfemittel, die den eigenen Wirkungskreis zu strukturieren vermögen: in Karteien oder Dateien gespeicherte Daten der Künstler, die aufgetreten, der Werke, die gespielt worden sind; ein Fotoarchiv; eine auf den speziellen Bedürfhissen und Erfahrungen beruhende Check-Liste für Erledigungsvorgänge; Kostenblätter für die Budgetplanung, die sowohl die Honorare als auch die Nebenkosten erfassen, und schließlich die Bibel des Konzertmanagers, das "Dispo-Buch", das alle in Frage kommenden Veranstaltungsorte mit
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ausfuhrlichem Platz für alle in Frage kommenden (getrennt einzutragenden) Proben und Veranstaltungen enthält. Auch die Aufzählung der Kenntnisse und Techniken, die der Konzertmanager für seine Planungs- und Dispositionsaufgaben einsetzen muß, bewegt sich im Bereich des eigentlich Selbstverständlichen. Professionelle Konzertplanung geht nicht ohne Sachkenntnis, ohne Personenkenntnis, ohne Marktkenntnis. Wer Konzerte plant und Künstler dafür verpflichten will, muß über das Repertoire ebenso Bescheid wissen wie über Terminverfügbarkeiten, über den Marktwert der Stars ebenso wie über die Erstlingserfolge junger Preisträger und Wettbewerbsgewinner, über die Hörgewohnheiten seines Publikums ebenso wie über die Marktstrategien der Konzertdirektionen und Schallplattenfirmen. Und er muß Zähigkeit ebenso besitzen wie Flexibilität, Verhandlungsgeschick ebenso wie Improvisationsgabe, eine künstlerische Überzeugung ebenso wie das Vermögen, diese - wenn es sein muß, auch gegen Künstler, Kritiker und Kulturpolitiker - auch durchzusetzen. Gerade weil Planen und Disponieren den kreativsten, schönsten, "lohnendsten" Teil des Konzertmanagements darstellt, gibt es über das "richtige" Vorgehen die unterschiedlichsten Meinungen. Einigkeit sollte bestehen über folgende Maximen: 1) "Ordnung ist das halbe Leben." 2) Jedes Vorhaben muß in kleine planerische Einzelschritte zerlegt werden. 3) Künstlerische Planung muß sich an den finanziellen Möglichkeiten orientieren, nicht umgekehrt. 4) Eine vernünftige Disposition versucht ein ausgewogenes Verhältnis von Konstanz und Kontrast, von Wiederholung und Abwechslung, von Bekanntem und Überraschendem zu schaffen. 5) "Die Wahrheit ist konkret" (Brecht); das heißt für den Konzertmanager: Die Angaben müssen präzise sein, die Vereinbarungen konkret, die Verhandlungen konzentriert und die angesteuerten Ergebnisse realistisch. - Erfolg ist kein Zufall und verdankt sich nicht dem Glück, sondern dem professionellen Handeln. Organisation. Vieles von dem oben Gesagten gilt auch für den Organisationsbereich. Dabei wird Organisation hier nicht als "der Zusammenschluß von Menschen zur Durchsetzung bestimmter Ziele" verstanden, sondern als "zielgerichtete Ordnung bzw. Regelung von Aufgaben (Funktionen) und Tätigkeiten (Arbeitsvorgängen) in Sozialgebilden (Betrieben, Behörden etc.) in der Weise, daß alle Elemente der Organisation (Aufgaben, Tätigkeiten) und alle daraus gebildeten Organisationseinheiten (Stellen, Abteilungen, Arbeitsprozesse) in das Gefüge des Sozialgebildes eingegliedert sind" (Meyers Taschenlexikon, Bd. 7, S. 151). Als Aufgabe für den Konzertmanager bedeutet Organisation demnach die Gesamtheit aller Tätigkeiten, Anordnungen und Maßnahmen, die zur Umsetzung des geplanten künstlerischen Vorhabens in das konkrete Konzertereignis mit allen Implikationen administrativer, finanzieller und künstlerischer Art erforderlich sind. Da er in der Regel diese Umsetzung nicht allein vollzieht, gehört auch die funktionsgerechte Einbindung aller Mitarbeiter und sonstigen Partner, aber auch die Abstimmung mit den vorgeordneten Instanzen und Personen zu seinen Organisationsaufgaben. Organisieren ist in der Managementlehre als Mittel zur Erreichung der Unternehmensziele definiert. Dementsprechend muß die Lösung organisatorischer Aufgaben 1) situativ erfolgen (sie muß den unterschiedlichen Situationen angepaßt sein); 2) entscheidungsorientiert sein (sie muß aus den gegebenen Kenntnissen und Techniken die erfolgversprechende Auswahl bestimmter Maßnahmen und Mittel zur Erzielung bestimmter Ziele treffen); 3) "instrumental" verstanden und begründet werden (sie muß, unabhängig von der subjektiven Meinung des Entscheidenden, objektiv, sachbezogen und verbindlich getroffen werden).
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Wie sehr gerade die letzte Forderung in dem hochsensiblen Bereich des Künstlerischen für den Konzertmanager zu einer ständigen Bewährungsprobe werden kann, muß nicht näher ausgeführt werden. Verwaltung und Vertragsgestaltung. "Verwaltung" ist auch für den Konzertmanager die Gesamtheit der Aufgaben, die bei der Durchführung eines Arbeitsprozesses im administrativen Bereich anfallen. Besser als das deutsche Wort verdeutlicht, dank seiner lateinischen Sprachwurzel, das Fremdwort Administration die begleitende Funktion dieser Aufgaben: Sie stellen die notwendige Ergänzung aller Maßnahmen zur Durchführung von (in unserem Fall: Konzert-)Veranstaltungen dar, sollten aber nicht zum Selbstzweck werden. Zur Verwaltung zählen alle Geschäftsvorgänge, die geeignet sind, die aus der Planung und Disposition stammenden Entscheidungen und Beschlüsse in die Tkt umzusetzen: Verhandlungen mit Geschäftspartnern, Schriftverkehr, Gedächtnisprotokolle und Aktennotizen, Vertragsabschlüsse. Verwaltungsvorgänge dienen der geordneten und planvollen Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen, ihrer Wiederholbarkeit und ihrer Überprüfbarkeit. Daß auch der Umgang mit den Behörden im allgemeinen und mit "der Verwaltung" des eigenen Wirkungsbereichs zu den Aufgaben des Konzertmanagers gehört, bedarf keiner Erwähnung. Ein zentraler Bereich administrativer Tätigkeit besteht im Aushandeln, in der Gestaltung und im Abschluß von Verträgen. Wer im Umgang mit Künstlern auch nur einigermaßen Erfahrungen gesammelt hat, weiß, wie wichtig für die Einhaltung von Absprachen und somit für das Zustandekommen künstlerischer Leistungen das Vorliegen einer vertraglichen Vereinbarung ist. Jeder Vertrag bedarf bestimmter rechtlich relevanter Inhalte, um als solcher gewertet zu werden; dazu gehören: die präzise Festlegung von Leistung und Gegenleistung, die Benennung der daran beteiligten Personen, die "Bestimmbarkeit" der Leistung, die Beschaffenheit von Leistung (Ort, Zeit, Häufigkeit, Dauer der Leistung; Hinweis auf die Rechtsfolgen, die gelten sollen, wenn eine der vertragschließenden Parteien ihre Vertragspflicht verletzt) und Gegenleistung (im Falle einer finanziellen Vereinbarung: Höhe und Zahlungsart des Entgelts). Es empfiehlt sich, Verträge grundsätzlich schriftlich abzuschließen oder mündlich geschlossene Verträge zumindest schriftlich zu bestätigen. Auch ist es ratsam, Original und Kopie des Vertrages in Anwesenheit beider Parteien zu unterschreiben. Gestaltung des Veranstaltungsablaufs. Dieser Aufgabenbereich des Konzertmanagements ist so unterschiedlich und vielfältig, wie jedes Konzert sich von jedem anderen unterscheidet. Hier verbindliche Aussagen zu machen und allgemeingültige Regeln aufzustellen, kann nicht einmal Aufgabe eines Management-Handbuchs sein. Statt dessen weise ich auf das Muster einer "Check-Liste" (Abbildung 1) hin, wie ich sie in der praktischen Veranstaltertätigkeit kennengelernt und verwendet habe. Erfahrene Konzertmanager bedürfen keiner schriftlichen Festlegung der einzelnen Aufgabenschritte vor, während und nach einer Konzertveranstaltung; Berufsanfänger sollten sich, je nach den speziellen Erfordernissen "vor Ort", eine solche Liste mit den entsprechenden Änderungen und Ergänzungen anlegen - und nach ihr vorgehen. Marketing. "Marketing umfaßt die Analyse, die Planung, die Durchführung und die Kontrolle sorgfältig ausgearbeiteter Programme, deren Zweck es ist, freiwillige Austauschvorgänge in spezifischen Märkten zu erzielen und somit das Erreichen der Organisationsziele zu ermöglichen. Dabei stützt sich das Marketing in starkem Maße auf die Gestaltung des Organisationsangebotes mit Rücksicht auf die Bedürfhisse und
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Wünsche der Zielgruppen sowie auf effektive Preisbildungs-, Kommunikations- und Distributionsmaßnahmen, durch deren Einsatz die Zielgruppen auf wirksame Weise informiert, motiviert und versorgt werden können" (Philip Kotler 1978, S. 5-6). Veranstaltung:
eigener Sitzplatz: Außenplatz, Bühnennähe
Transport empfangen
eventuell Ansage
Aufbau überwachen
Pause: Künstler abschirmen
Instrumente stimmen lassen
Presse-ZMedienbetreuung
Saal kontrollieren
Programmhefte abrechnen
Nebenräume kontrollieren
Einnahmen abrechnen
Auftrag erledigt Während
Künstler abholen/begrüßen
Auftrag erteilt an
bis:
Aufgabe
Auftrag erledigt
von:
Auftrag erteilt an
am:
Aufgabe
im:
Programmheft an Verkäufer
Applausordnung kontrollieren
Garderoben vorbereiten (Mineralwasser, Tee, Kaffee)
Blumen übergeben
Fotograf, Interview, Presse
Autogramme organisieren
Honorare bereitstellen
Honorare auszahlen
Applausordnung/ Zugaben verabreden
Abbau überwachen
Einlaßpersonal kontrollieren
Transport verabschieden
Arzt, Rotes Kreuz, Feuerwehr
Künstler verabschieden
Nachher
Vorher
Beleuchtung festlegen Tonaufnahme/-wiedergabe festlegen
Abbildung 1 Check-Liste Im spezifischen Markt "Konzertleben" besteht der Austauschvorgang im Transfer von künstlerischen Leistungen gegen Geld: Der Veranstalter verkauft ein Konzert, der Besucher erwirbt es gegen Bezahlung einer Eintrittskarte. Daß es sich in dem sensiblen Kunstbereich, anders als auf manchem anderen Markt, um einen freiwilligen Austauschvorgang handeln muß, versteht sich von selbst: Dieses Käuferpublikum soll und darf nicht "mit allen Mitteln" und "um jeden Preis" erobert werden. Sinn und Zweck des Marketing ist die Erreichung der Organisations-/Unternehmensziele. Handelt es sich um ein Unternehmen des normalen Wirtschaftslebens, steht die Gewinnerzielung an erster Stelle. Im Nonprofit-Bereich liegt das Hauptziel häufig im öffentlichen Wohl; in dem weiten Bereich, in dem Kunst-Unternehmen unterschiedlichster Art tätig sind, muß das Marketing neben dem geschäftlichen noch ein idealistisches Ziel verfolgen: Es hat die im einzelnen Kunstwerk verkörperten künstlerischen und kulturellen Werte zu verbreiten, zu vermitteln und, zumindest, zu schützen.
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Die Zielgruppe - das Konzertpublikum - auf wirksame Weise zu informieren, zu motivieren und mit dem "Produkt" - dem Konzertereignis - zu versorgen, ist das legitime Ziel des Marketings im Konzertmanagement. Der Hinweis, daß dabei auf die Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe Rücksicht genommen werden muß, ist in dieser Branche eigentlich überflüssig. Unsere Konzertveranstalter nehmen eher zuviel Rücksicht auf den Publikumsgeschmack. Dagegen kann bei der Gestaltung des Organisationsangebotes gar nicht genug Vorsorge getroffen werden, daß die angebotene "Ware", das singuläre, im Konzertleben dargebotene Kunstwerk, durch das Marketing nicht beschädigt wird, sondern in seiner Individualität und Autonomie erhalten bleibt. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit sind Elemente des Marketings, also Bestandteile jener Handlungen und Maßnahmen, mit denen auch Nonprofit-Unternehmen - in unserem speziellen Fall: Musikbetriebe aller Art versuchen, ihr Produkt auf dem Markt durchzusetzen und zu vertreiben. Daß Werbung auch Kunst zum Gegenstand haben kann, wird zumeist kritisch gesehen; im Zusammenhang mit dem professionellen Musikmanagement muß dieser Vorgang aber wertneutral gesehen werden. Das Thema Werbung wird in einer umfangreichen Fachliteratur umfassend behandelt. Von den zahllosen Gliederungen der Materie, die dort angeboten werden, sind für den Konzertmanager zwei Einteilungen hilfreich: die in produktbezogene und in personenbezogene Werbung, und die Dreiteilung der Aufgabenstellung in Werbekonzept (=Werbeplanung), Werbemaßnahmen (=Werbemittel) und Erfolgskontrolle. Folgt man den gängigen Definitionen, so versteht man unter Werbeplanung "die Festlegung zukünftiger Werbemaßnahmen nach Kosten, Gestaltung und Steuerung der Werbemittel. Sie richtet sich nach der betrieblichen Struktur, der wirtschaftlichen Lage und den absatzpolitischen (Marketing-)Zielen des Unternehmens". Werbemittel sind "diejenigen sachlichen und personellen Ausdrucksformen, die ausschließlich Werbezwecken dienen". Als Erfolgskontrolle wird die "quantitative und qualitative Beurteilung des Verhältnisses von Werbeziel (Erwartung) und Resultat der Werbemaßnahmen in den einzelnen Teilbereichen der Werbeplanung" bezeichnet. Sie erfaßt also nicht nur das "Ergebnis" jeder einzelnen Werbeaktion, sondern sollte das Verhältnis von Erwartung und Ergebnis darstellen. Das erstgenannte Einteilungsprinzip bedarf keiner Erläuterung, wohl aber einer Ergänzung. Daß "produktbezogene" Werbung bedeutet, für die Kammermusik-Reihe, für ein Jazz-Konzert oder für einen Strawinsky-Zyklus Werbung zu treiben, versteht sich von selbst; ebenso, daß "personenbezogene" Werbung bestimmte Zielgruppen ansprechen soll: das Abonnementpublikum oder die Schüler, die Senioren, die MahlerFans, die Bewohner eines bestimmten Stadtteils. Das Konzertleben ist aber seinem Wesen nach ein "Ereignisbetrieb", und daher steht gleichberechtigt neben den genannten Werbungsformen die "projektbezogene" Werbung. Sie kann mehr als die anderen auf die Besonderheiten des Ereignisses eingehen, dem die Werbung gilt, und kann sich daher meist auch unkonventionellerer Werbemittel bedienen. Öffentlichkeitsarbeit, heute gern mit Public Relations (PR) umschrieben, ist die Summe aller Bemühungen eines Unternehmens, sein Ansehen in der Öffentlichkeit zu festigen bzw. zu verbessern. Adressat der Öffentlichkeitsarbeit ist die Öffentlichkeit schlechthin, nicht eine bestimmte Zielgruppe. Damit ergeben sich charakteristische Unterschiede zur Werbung: Öffentlichkeitsarbeit hat eine andere Zielsetzung (sie zielt nicht auf höheren Umsatz und Gewinn, sondern auf ein größeres Vertrauen in der
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Öffentlichkeit); sie strebt nicht die Verbesserung von Teilbereichen an, sondern will das Unternehmen als ganzes stärken; sie bedient sich anderer Träger als die Werbung (diese braucht Spezialisten; Öffentlichkeits"arbeiter" aber kann jeder Mitarbeiter des Unternehmens sein); und sie wendet sich an andere Adressaten (ihre Zielgruppe sind nicht primär die Kunden des Unternehmens, sondern Meinungsführer wie Presse und Medien, Politiker, meinungsbildende Institutionen und Multiplikatoren). Zu den innerbetrieblichen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit gehören Erklärungen der Unternehmensleitung, Schulung der Mitarbeiter, Beratungsausschüsse ("Vertrauensleute"), Handbücher und Werkzeitschriften; zu den außerbetrieblichen, also in die Öffentlichkeit gelangenden Mitteln gehören Geschäftsberichte, Kundenzeitschriften, Betriebsbesichtigungen und unternehmensbezogene Sponsoring-Aktivitäten. Für den Konzertmanager ergibt sich aus dieser Aufstellung ein Repertoire von Mitteta und Maßnahmen musikspezifischer Öffentlichkeitsarbeit, das hier nur stichwortartig angedeutet werden kann: Archiv; Hauszeitschrift, Monatsinfo, Veranstaltungsprospekt; Lokalpresse, Rundfunk, Fernsehen; Werkeinführungen, Vorträge, Filmdarbietungen; Begleitveranstaltungen; "1kg der offenen Tür"; Programmhefte. Vermittlung. Zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Vermittlung sind die Grenzen fließend. Viele der für die Öffentlichkeitsarbeit eingesetzten Mittel und Maßnahmen dienen dem Konzertmanager auch zur Vermittlung seines "Produkts". Es empfiehlt sich daher, den Begriff Vermittlung nur dort zu verwenden, wo die werbende Information über den besonderen Inhalt oder über eine besondere Darbietungsform des zu vermittelnden Kunstwerks gemeint ist. Nur Nonprofit-Unternehmen müssen sich der Vermittlung bedienen, und hier sind es speziell die Kunstbetriebe, die auf diese Weise etwas vom ästhetischen Wert und der kulturellen Bedeutung des Kunstwerks dem Rezipienten nahebringen können. In dieser Funktion als Vermittler, als Mittler zwischen Kunstwerk, Künstler und Publikum hat der Kulturmanager ganz allgemein seine zentrale Aufgabe zu sehen. Im Konzertmanagement stellt sich, dank des transitorischen Charakter der Musik, eine besondere Aufgabe. Vermittlung heißt hier immer auch Festhalten des flüchtigen Höreindrucks, heißt vor- und nachbereitendes Einstimmen auf ein sinnlich-geistiges Geschehen, das sich ausschließlich im Kopf des Hörers vollzieht, heißt: Bewußtseinsbildung. Der Konzertmanager sollte daher nicht nur und erst dann zu den Möglichkeiten der Vermittlung greifen, wenn es ein ausgefallenes Programm, eine "Ausgrabung" oder neue Musik zu vermitteln gilt; Musik an sich, soll sie über den Augenblick des Erklingens hinaus Wirkung erzielen, bedarf der Vermittlung. Dem Konzertmanager stehen dafür viele Möglichkeiten offen. Das Programmheft ist der klassische Träger der Vermittlungsinhalte (erfunden wurde es von dem berühmten Berliner Konzertagenten Hermann Wolff, der im Berlin und im Hamburg der Jahrhundertwende die Konzertzyklen organisierte). Das Programmheft liefert Informationen über Fakten (Komponistenbiographie, Werkentstehung, stilistische Einordnung), kann kompositionstechnische und ästhetische Einsichten vermitteln und Sinnzusammenhänge herstellen; es kann freilich auch rein assoziativ Empfindungen und Gefühle beschreiben, die ein Musikstück hervorruft, oder gar poetisierend den Verlauf der Musik nacherzählen. Es sollte freilich nicht nur über die aufgeführten Kunstwerke informieren, sondern auch über die ausführenden Künstler, und dabei nicht nur deren Biographie und die Liste der Wettbewerbspreise, Auslandstourneen und Schallplattenaufhahmen anführen, sondern sie - soweit möglich und sinnvoll - zu Fragen der Interpretation selbst zu Wort kommen lassen.
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Weitere bewährte Instrumente der Vermittlung sind Einführungsvorträge, einführende Pressetexte und Begleitveranstaltungen. Die vielfältigen Möglichkeiten, die Fernsehen und Video für die Musikvermittlung bieten, sind bisher weder richtig erkannt noch professionell genutzt worden. Daß mit einer klugen Programmzusammenstellung, durch Werk- und Interpretenwahl, nicht zuletzt durch Zyklen selbst Vermittlung betrieben werden kann, sei nur am Rande erwähnt. Kalkulation und Kostenkontrolle. Budgetplanung und Kostenkontrolle gehören zu den zentralen Aufgaben des Kultur-, also auch des Konzertmanagements. Wer dort eine leitende Funktion innehat, trägt in der Regel die Verantwortung nicht nur für den künstlerischen, sondern ebenso für den wirtschaftlichen Erfolg. Kunstbetriebe sind zwangsläufig Zuschußbetriebe; "Erfolg" im wirtschaftlichen Sinn bedeutet also nicht, durch Verzicht auf Qualität und mit populistischen Programmen die Einnahmen so zu steigern, daß sie die Ausgaben übersteigen und einen Gewinn abwerfen, sondern so sorgsam und vernünftig zu wirtschaften, daß die erwarteten Einnahmen erreicht und die zugesagten Zuwendungen oder genehmigten "Betriebsabgänge" nicht überschritten werden. Über all dem darf die Programmvielfalt nicht beschnitten, dürfen Qualität und Risiko nicht vernachlässigt werden. Dieser schwierige und heikle Balancevorgang kann dem Konzertmanager nur gelingen, wenn er den Verlauf der Geschäftsentwicklung ständig vor Augen hat. Realistische Kostenschätzungen und die präzise Kalkulation aller Einnahmen und Ausgaben für jedes einzelne Konzertvorhaben, das seiner Verantwortung unterliegt, sind dafür ebenso die Voraussetzung wie die laufende Beobachtung des Budgetverlaufe. Nur wer sich im Zahlenwerk einer Kosten- oder Kostenartenrechnung ebenso auskennt wie in einer Partitur, darf sich zu den Profis seiner Zunft rechnen. Ein wichtiges Hilfemittel für die Budgetplanung sind Kostenblätter, in denen Höhe und Art der Kosten für jedes einzelne kostenverursachende Detail einer Veranstaltung festgehalten werden. Diese Angaben müssen in eine sog. Projektkalkulation einfließen, deren Zahlenwerk heute in der Regel von der EDV erstellt wird. Auf der Grundlage dieser exakten Zahlen lassen sich nicht nur die künstlerischen Vorhaben so frühzeitig planen, daß Erfolge und Mißerfolge vorhergesehen und gegeneinander ausgeglichen werden können, sondern können auch Subventionen und Zuschüsse fristgerecht beantragt oder Sponsoren frühzeitig gesucht werden. Die genaue finanzielle Planung trägt zweifellos ihre Früchte. Aus der Zusammenschau von Projektkalkulation und Kostenrechnung lassen sich, wenn auch erst auf längere Sicht, die tatsächlichen Aufwendungen so an die vorgegebenen Sollwerte annähern, daß gravierende Kostenüberschreitungen vermieden werden können und eine langfristige realistische, d.h. an den finanziellen Möglichkeiten orientierte Programmgestaltung ermöglicht wird. Was für den öffentlich-rechtlichen Kunstbetrieb der Haushalt, ist für das privatwirtschaftliche Unternehmen der Jahresabschluß. Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung sind die Bestandteile des mit dem Ende eines jeden Rechnungsjahres zu erstellenden Jahresabschlusses. Sie stellen das zusammengefoßte Ergebnis des gesamten Rechenwerks (Buchführung) dar, wobei die Bilanz ein auf einen bestimmten Stichtag bezogenes Bild über den Vermögensstand des Kulturbetriebes, beispielsweise einer Agentur oder eines Konzertvereins, abgibt (aktives Vermögen: Grundstücke, Wertpapiere, Forderungen, Kassastand; passives Vermögen: Kapital, Rücklagen, Verbindlichkeiten usw.). Die Gewinn- und Verlustrechnung macht Aussagen über die erfolgten Vermögensbewegungen zum und vom Betrieb und gibt den daraus resultierenden Betriebserfolg, der Gewinn oder Verlust sein kann, wieder.
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Bilanz und Gewinn- und Verlust- (GuV-)Rechnung dienen gemeinsam mit den ihnen zugrundeliegenden weiteren Unterlagen der Buchfiihrung auch der Erstellung einer über die Betriebsfiihrung erforderlichen Analyse. Mit Hilfe der daraus gewonnenen Kennziffern des Betriebes erlaubt diese Analyse eine Beurteilung des Betriebserfolgs. Je genauer sie ist, umso zuverlässiger wird sie für die Entscheidung über die Erteilung von Subventionen oder über die Zuwendung von Mitteln durch einen Sponsor herangezogen werden können. Dem Konzertmanager, der vor der wirtschaftlichen Verantwortung seines Tuns zurückscheut oder gar die "reine Kunst" vor der Behelligung durch Budgetplanung und Kostenkontrolle schützen zu müssen glaubt, seien die Sätze ins Stammbuch geschrieben, die Giuseppe Verdi 1899 in einem Brief an den Direktor der New Yorker Metropolitan Opera, Giulio Gatti-Casazza, gerichtet hat: Lesen Sie mit allergrößter Aufmerksamkeit die Rapporte der Billettkasse! Diese sind nun einmal, ob Sie es mögen oder nicht, die einzigen wahren Gradmesser von Erfolg oder Mißlingen; mit ihnen kann man nicht rechten, sie stellen keine Meinungen dar, sondern Tktsachen. Wenn das Publikum erscheint, ist der Zweck erreicht. Wenn nicht... . Die Plätze sind da, um besetzt zu werden, nicht um leer zu bleiben. Daran sollten Sie stets denken!
Festspielmanagement Eine verbindliche Definition des Begriffes Festspiele gibt es nicht. "Feiern und Feste sind kein Gegenstand der neutralen Wissenssoziologie, sondern der Mentalitäts- und Ideologie-Soziologie" (H. Kaufmann 1970, S. 107). Demgemäß müssen die konstituierenden Merkmale des Festspielbegriffs aus Beschreibung und Vergleich gewonnen werden. Der deutsche Musiktheoretiker Hans G. Helms hat 1973 die sozialökonomischen Bedingungen, Funktionen und Perspektiven von Festspielen nach drei Grundtypen unterschieden: kommunales Festival, Musikerfestival und nationales Festival. Der Wiener Kulturpublizist Manfred Wagner prognostizierte schon 1983, daß "sich für die Zukunft der neunziger Jahre eine Veränderung der Typen mit gewichtigen Differenzierungen ergeben" wird (M. Wagner 1983, S. 41). Manfred Wagner sieht für die Zukunft vier Formen von Festspielen voraus: - das Repräsentationsfestival (für ihn verkörpert durch die Salzburger Festspiele), - das Heimatfestival (Traditionsveranstaltungen in Orten mit ländlichen Strukturen, aktualisiert in den zunehmend verbreiteten "Stadtfesten"), - das Themenfestival und - das Zielgruppenfestival. Spezialformen des Heimatfestivals sind für Wagner das Denkmalfestival ("das versucht, eine spezifische, kulturell repräsentative Figur, die in irgendeinen Zusammenhang mit dem Ort gebracht wird, zum Denkmal erheben zu lassen und ihr zu Ehren Festspiele zu veranstalten") und das Wirtschaftsfestival (vorwiegend fremdenverkehrsorientierte Großausstellungen von Kommunen, die "begreifen, daß das kulturelle Angebot und dessen Akzeptanz einen wichtigen Wirtschaftsfäktor darstellen kann").
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Themenfestivals sind nach Wagner in der Regel von individuellen Persönlichkeiten initiiert oder getragen und entsprechen "dem Bedürfnis nach mehr Information und der Öffnung kultureller Prozesse gegenüber breiteren Schichten" (Beispiele: Steirischer Herbst, ars electrónica in Linz). Nach Wagners Theorie werden sich die Themenfestivals zu Marktlückenfestivals weiterentwickeln, "deren genaue Planung auf Bedürfniserweckung bzw. Befriedigung von Marktlücken abgestimmt werden wird". Das Zielgruppenfestival "ist im wesentlichen darauf ausgerichtet, daß — gleichgültig, was immer die thematische Vorgabe ist — die Zielgruppe als gesicherter Kern des Angebots existiert, womit in der Regel Subventionen und Öffentlichkeit nur von sekundärer Bedeutung sind" (Operettenfestspiele, Karl-May-Festspiele). Als Spielarten des Zielgruppenfestivals nennt Wagner das Randgruppenfestival und das Liebhaberfestival. Das Festspiel als Organisationsform hat sich erst in den vergangenen fünfzig Jahren zu einem bestimmenden Faktor des Musiklebens entwickelt. Lange Zeit haben die Bayreuther Festspiele, von Richard Wagner zur Aufführung des eigenen Bühnenwerks konzipiert, mit einem dafür optimal geeigneten Festspielhaus ausgestattet und 1876 mit der ersten Gesamtaufführung des "Rings des Nibelungen" eröffnet, als das einzige Festspiel im modernen Sinn gegolten. Vorbereitet wurde Wagners Festspielgedanke durch Karl Immermanns "Musteraufführungen" (Düsseldorf 1832-37), die Niederrheinischen Musikfeste (Schumann, Hiller, Mendelssohn, seit 1817) und Franz von Dingelstedts System der "Gesamtgastspiele" (München 1854). In unserem Jahrhundert erfolgten zunächst nur wenige Festspielgründungen, vorwiegend unter politischen Vorzeichen: die bedeutendste war zweifellos die der Salzburger Festspiele, die 1920 von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss ganz bewußt in kultarpolitisch-"kompensatorischer" Absicht ins Leben gerufen wurden - um Österreich, mit Salzburg im Schnittpunkt und den darstellenden Künsten, Oper und Schauspiel, als Vehikel, zum kulturellen Bedeutungsträger mit europaweiter Ausstrahlung zu machen und so einen "Ersatz" für die verlorengegangene Monarchie zu schaffen. Einer ähnlichen nationalpolitischen Idee verdankt sich, fünfzig Jahre nach dem deutschen Sieg über Frankreich und der Reichsgründung, die Gründung der Breslauer Festspiele 1921. Darüber hinaus kennt die europäische Festspielgeschichte der ersten Jahrhunderthälfte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nur ein halbes Dutzend Festspielgründungen: 1912 Savonlinna, 1913 Verona, 1933 Florenz, 1934 Glyndebourne und 1938 Luzern - die beiden letzten schon als Reaktion auf Hitlers Machtergreifung und die Vertreibung jüdischer Künstler aus Deutschland und dem 1938 okkupierten Österreich. Nach 1945 setzt eine Welle von Festspielneugründungen ein, die erst rund 15 Jahre später zum Halten kommt und zu der heutigen, inzwischen nochmals verdichteten "Festspiellandschaft" führt: 1945 Perugia und Montreux; 1947 Holland-Festival, Edinburgh, Ansbach; 1948 Aix-en-Provence; 1949 Dubrovnik, Venedig; 1950 Berlin; 1951 Wien, Granada; 1952 Bergen, Santander, Ljubljana; 1953 München (Neugründung der Opernfestspiele); 1957 Warschau, Spoleto, Flandern-Festival; 1960 Cuenca. Die weitere Entwicklung in den letzten dreißig Jahren ging in die von Manfred Wagner beschriebene Richtung des Heimat-, des Wirtschafts- und des Marktlückenfestivals. Der Prototyp des Denkmalfestivals wird neuerdings durch das Rossini-Festival in Pesaro verkörpert, ein Sonderfall in der - ebenso geschickten wie erfolgreichen Mischung von Heimat-, Wirtschafts- und Zielgruppenfestival ist das von Justus Frantz gegründete Schleswig-Holstein-Musik-Festival. Eine Unzahl weiterer sogenannter
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Festspiele hat sich etabliert und den Markt gesättigt: Die meisten von ihnen können strengen Festspielkriterien nicht standhalten und sind bestenfalls lokal bedeutsame Großveranstaltungen mit stark touristischer oder ökonomischer Zweckbindung. Vier Kriterien sind es, nach denen Festspiele auf ihre Wertbeständigkeit und Existenzberechtigung hin geprüft werden müssen: -
die die die die
Herausgehobenheit des Angebots, Musterhaftigkeit des Gebotenen, spezifische Eigenart der Darbietung und Legitimation durch Idee und/oder Aura.
Für den Festspielmanager ist die inhaltliche Seite des erstgenannten Kriteriums das eigenüiche Betätigungsfeld, die des zweitgenannten die künstlerische Herausforderung. Zugleich wird gerade durch diese beiden Kriterien der Unterschied zum "normalen" Konzertbetrieb deutlich. In Analogie dazu unterscheiden sich die konkreten Aufgaben des Festspielmanagers von denen des Konzertmanagers. Herausgehoben gegenüber dem ständig laufenden Konzertbetrieb ist das FestspielAngebot in dreifacher Hinsicht: organisatorisch, künstlerisch und gesellschaftlich. Die organisatorischen Besonderheiten können nur stichwortartig beschrieben werden: ein bestimmter fester und wiederkehrender Zeitraum, ein besonderer Ort, Verzicht auf feste Strukturen (bestehendes Ensemble, vorhandenes Personal, übliche Vertriebsformen, bestehende Abonnements usw.) zugunsten projekt- und produktionsbezogener Teams und Organisationsformen; nicht zuletzt höhere Eintrittspreise. Die gesellschaftliche Exponiertheit äußert sich im "Ereignis-Charakter" von Festspielen. Sie ziehen ein anderes Publikum an und sind für einen bestimmten Personenkreis - Führungskräfte von Wirtschaftsunternehmen, Politiker, Medienvertreter attraktiver als die Ereignisse eines ganzjährigen Musiklebens. Manchen Festspielen wird darum der Vorwurf des Elitären gemacht. In der künstlerischen Herausgehobenheit fällen Glanz und Elend von Festspielen zusammen. Daß eine Kunstgattung im Mittelpunkt steht (wie bei den lägen für Alte Musik in Innsbruck), daß eine Spielstätte das Kriterium für das Einzigartige abgibt (die Arena in Verona, die Treppe in Schwäbisch Hall), daß das künstlerische Geschehen eines Festivals mit einem einzigen Künstler identifiziert wird (Pablo Casals in Prades, Karajan in Salzburg, Gidon Kremer in Lockenhaus): Das ist den einen Anlaß zur Begeisterung und Grund für eine Pilgerfahrt, den anderen Anlaß zu Kritik und Abstinenz. Legitimiert wird eine solche Personalbezogenheit eines Festivals ausschließlich durch die als zweites Kriterium genannte "Musterhaftigkeit des Gebotenen". Hier ist die tiefste Wurzel des Festspielgedankens zu finden. Die Erfüllung dieses Kriteriums verlangt nach Superlativen: ein Festspiel hat die "besten Besetzungen" aufzutreiben und diesen "optimale Bedingungen" zu bieten, es muß "kompromißlose Ansprüche" verwirklichen und kann nur so die "höchste Attraktivität" ausstrahlen. Führt man solche oft großspurig wirkenden Forderungen auf die Dimension des "Machbaren" zurück, auf das Maß, das sowohl zu verwirklichen als auch durchzusetzen ist, dann sieht sich der Festspielmanager rasch konfrontiert mit unrealistischen Besetzungswünschen, maßlosen Probenforderungen und unerfüllbaren Honoraransprüchen. Gleichwohl muß er an der Musterhaftigkeit des Gebotenen als Ideal für die Ergebnisse seines Tuns unbeirrbar festhalten.
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Tourneemanagement Wie beim Festivalmanagement, so stellen sich auch beim Tourneemanagement grundsätzlich die gleichen Aufgaben wie bei dem oben ausführlich beschriebenen Konzertmanagement: Planung und Disposition, Organisation und Verwaltung, Marketing, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, Vermittlung. Das Anwendungsgebiet hat freilich seine Besonderheiten. Konzerttourneen bedeuten für alle Beteiligten eine große Belastung, am meisten natürlich für den/die reisenden Künstler. Die Beschwernisse soweit als möglich von ihnen fernzuhalten, die durch ständige Ortswechsel und Termindruck verursachte Unruhe zu minimieren und die Voraussetzungen für künstlerische Konzentration auch in einer dem Künstler fremden Umgebung zu schaffen, gleichzeitig aber für die professionelle Vorbereitung des Auftritts an fremdem Ort, vor unbekanntem Publikum zu sorgen, oft genug auch in einer Fremdsprache, die er nicht beherrscht: All das gehört zu den Obliegenheiten des Tourneemanagers. Reist ein Solist, so begleitet ihn in der Regel die Person, die sein Künstlersekretariat betreut. Geht ein Orchester auf Tournee, so wird ein Tourneeleiter erforderlich, der meist über Hilfskräfte für die Routineerledigungen (Bezeichnung der Garderoben, Bereitstellung der Konzertkleidung usw.) verfügt. Der Tourneeleiter selbst ist für die pünktliche Einhaltung aller Termine verantwortlich, aber auch für die Entgegennahme der Aufitrittshonorare und die Auszahlung von Diäten oder Übernachtungsgeldern sowie für die Aushändigung von Fahrkarten und Flugtickets. Bei den Tourneen der Rock- und Pop-Stars schließlich ist eine ganze Equipe unterwegs, in der jedem einzelnen Mitarbeiter präzise definierte Aufgaben, speziell der technischen Vorbereitung des Bühnenaufbaus und der Beschallungsanlage, zukommen.
Wettbewerbsmanagement Die Präsentation der Gewinner von Preisen ist ein nicht mehr übersehbarer Bestandteil unseres Musiklebens geworden. Im Bereich der Musik beruht die Vergabe von Preisen größtenteils auf Wettbewerben. Sie dienen häufig der Nachwuchsforderung. Preise werden deshalb oft auch in Form von Stipendien vergeben; in aller Regel ist jedoch mit dem Gewinn eines Wettbewerbs ein öffentlicher Auftritt verbunden. Bei vielen Wettbewerben besteht der Preis sogar in der festen Zusage von Konzertengagements durch verschiedene Veranstalter. Dementsprechend vielfaltig sind die Aufgaben, die den Wettbewerbsmanager vor, während und nach dem Wettbewerb erwarten. Die erste und die letzte Station seiner Tätigkeit - Ausschreibung des Wettbewerbs und abschließende Betreuung der Gewinner - ist noch am ehesten mit den üblichen Tätigkeiten des Konzertmanagements vergleichbar. Die Besonderheit des Wettbewerbsmanagements kommt vorwiegend während des Wettbewerbsverlaufes zum Tragen. Die spezifischen Aufgaben sind aus der besonderen Situation abzuleiten. Zu betreuen sind nicht nur die Kandidaten, die sich allesamt in einer ungewöhnlichen psychischen Situation befinden. Verantwortlich ist der Wettbewerbsmanager auch für die reibungslose und ungestörte Arbeit der Jury. Nach beiden Seiten hin gleichermaßen präsent zu sein, einerseits den Kandidaten Aufmerksamkeit, geduldige Zuwendung und auch das nötige Mitgefühl entgegenzubringen und andererseits den Juroren das Gefühl zu vermitteln,
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daß jeder einzelne von ihnen sich persönlich betreut fühlt: Das ist keine ganz einfache Aufgabe. Durch den besonderen Charakter von Wettbewerben als Ereignissen mit "bedingter Öffentlichkeit" können sich zusätzliche Schwierigkeiten ergeben. Der Wettbewerbsmanager muß die Beratungen der Jury störungsfrei abschirmen und zugleich dem interessierten Publikum (sofern der Wettbewerb so angelegt ist) die Teilnahme an allen Ausscheidungsrunden oder an der entscheidenden "Finalrunde" ermöglichen. Er muß absolute Verschwiegenheit über die Zwischenergebnisse der einzelnen Durchgänge wahren und gleichzeitig das Interesse der Medien wachhalten. Er muß mit den Finalisten zittern und die Verlierer trösten können. Mehr noch als Konzert-, Festspiel- und Tourneemanager muß der Wettbewerbsmanager der "gute Geist" der Veranstaltung sein.
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Franz Willnauer
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Konzerte und Festivals (Pop, Rock, Jazz) Fritz Bau
Pop, Rock und Jazz gehören zur Unterhaltung. Damit haben wir Deutschen unsere Schwierigkeiten, da die Unterhaltung nicht zur staatlich geförderten Hochkultur gehört, sondern als minderwertige Alltagserscheinung abgetan wird und sich selbst oder dem Markt überlassen bleibt. Musik wird unterteilt in E-Musik, die ernste oder, präziser gesagt, ernst zu nehmende Musik, und U-Musik, die Unterhaltungsmusik, die von den Verwaltungen der Hochkultur oft als Un-Musik behandelt wird. Doch hier geht es nicht um eine künstlerische Bewertung, sondern um harte wirtschaftliche Konsequenzen, die die Lebensund Arbeitsbedingungen der beteiligten Künstler und Macher ungeheuer erschweren. Das betrifft insbesondere die Steuern und sonstigen Abgaben an die öffentliche Hand. Bei Unterhaltungskonzerten muß die Mehrwertsteuer abgeführt werden. Bei ausländischen Künstlern ist der Veranstalter verantwortlich für die Ausländereinkommensteuer und haftet für die Abgabe. Dann gibt es die Künstlersozialversicherung, die nur zum geringsten Teil den Künstlern zugute kommt. Hinzu kommen erhöhte Mieten für Konzerte in städtischen und staatlichen Konzerthallen. Bei klassischen Konzerten wird die Mehrwertsteuer erlassen, und es muß keine Ausländereinkommensteuer abgeführt werden. Die Konzertsäle werden zu subventionierten Niedrigstmieten überlassen. Ich arbeite seit 37 Jahren in der musikalischen Unterhaltungsbranche und fühle mich dort wohl, da dort die erfreulichsten Erscheinungen der Musik dieses Jahrhunderts aufgetreten sind: von Louis Armstrong, der aus den Bordellen in New Orleans kam, über Benny Goodmann, der in den Speak Easy Clubs der Chicagoer Unterwelt während der Prohibitionszeit spielte, bis zu Jimi Hendrix, der zu Lebzeiten als Sexist gescholten und nach seinem Tod zum Musikgenie erhoben wurde. Und so geht es allen. Duke Ellington war während seiner Deutschland-Torneen allen Diffamierungen und Zwängen unserer Unterhaltungslandschaft ausgesetzt und wurde erst nach seinem Tod als Jahrhundert-Künstler gewürdigt. Das Kulturniveau eines Volkes mißt sich nicht nur an der Anzahl und dem Glanz von Opernauffiihrungen und sinfonischen Konzerten, sondern auch an dem Niveau der Unterhaltung, der Massenkultur. Unterhaltung ist nicht Amusement, nach der Formel: a-musisch = Plattkopfmusik. Sie ist kein Zeitvertreib, da nirgends das Wertvollste im Leben - die Zeit - vertrieben werden sollte. Unsere Konzerte sind ein sehr nützlicher Gebrauch der Zeit. Unterhaltung darf nicht "unter der Haltung" stehen (Konstantin Wecker), sondern sie muß vielmehr geprägt sein durch die Haltung des Künstlers und seiner Helfer, die die Ereignisse planen und produzieren. Der Künstler muß sein Bestes geben wollen und nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner auf niedrigstem Niveau suchen. Die großen Künstler der Unterhaltungsmusik tragen ihre Lebenserfahrungen vor, die in Liedern geformt sind, in Musikstücken und in Bühnendarstellungen. Ein Konzert ist
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dann geglückt, wenn sich das Publikum nach der Veranstaltung besser fühlt als zuvor, zärtlicher geworden ist und stärker. Dann ist die Unterhaltung ein Lebensmittel. Für die Schwarzen in den Armenghettos der USA und die Gitanos aus den spanischen Zigeunerghettos wurde die Musik zum Überlebensmittel. Es ist müßig, über gute oder schlechte Musik nachzudenken, da es keine einheitlichen Maßstäbe gibt. Ein Bluesgitarrist wie Big Joe Williams kann sich nie mit einem Gitarrenvirtuosen wie Segovia messen, und ein Teufelsgeiger wie Jerry Goodman (Flock - Mahavishnu Orchestra) würde den Konzertmeister der Berliner Philharmoniker zum Verzweifeln bringen. Selbst Oscar Peterson konnte nie verstehen, warum Thelonius Monk einen Konzertflügel mit den Ellenbogen traktierte. Und dennoch haben alle diese Beispiele einen gemeinsamen Wert, der sich aus der subjektiven Einstellung des Künstlers, zu dem was er spielt, ergibt — aus seiner Wahrhaftigkeit. Die Qualität der Unterhaltung definiert sich aus dieser Echtheit. Spekulierte Musik, auch wenn sie eine Zeit lang "in" ist, hat diese Wahrhaftigkeit nicht. Das ist das Problem von Live-Musik und Playback etwa von Milli Vanilli sowie von banaler Schlagermusik im Verhältnis zu Evergreens, wie sie Gershwin, Mackeben oder Udo Jürgens geschrieben haben. Eine Sonderstellung gegenüber der Pop- und Rockszene hat der Jazz. Er ist die hohe Schule der populären Musik. Jazzer wie Quincy Jones oder Klaus Doldinger und viele mehr haben bewiesen, daß ihre Fähigkeiten aus dem Jazz zu hervorragenden Leistungen innerhalb der Popmusik führen, sei es die Produktion der Thriller-LP von Michael Jackson oder die Filmmusik zum "Boot". Schlagersänger mit Swing-Feeling wie Peter Alexander oder Udo Jürgens sind besser als alle anderen. Der Jazz wird zu Recht immer mehr in den Bereich der subventionierten Kultur aufgenommen, ganz abgesehen davon, daß viele Kulturverwalter zu den Jazz-Fans der fünfziger und sechziger Jahre gehören. Sie sollten sich nur davor hüten, die Rock- und Pop-Musik für minderwertiger zu halten. Auch in den späteren Jahren sollte man sich ein offenes Ohr erhalten und sich berühren lassen von allem, was ernst zu nehmende Künstler zu singen oder zu spielen haben. Doch sind die Grenzen zwischen dem Jazz und der Rock- und Pop-Musik fließend. Es gibt den Rock-Jazz und den Jazz-Rock. Miles Davis, eines der unbestrittenen Genies der gegenwärtigen Musik, hat die Grenzen zwischen Jazz und Rock weggeblasen. Andererseits gehört die "Blue Türtle"-Langspielplatte von Sting mit Branford Marsalis und anderen Musikern aus dem Miles-Davis-Kreis nicht nur zu seinen besten Schallplattenveröffentlichungen, sondern mit weltweiten Millionenverkäufen auch zu einer seiner erfolgreichsten. Für das Management von Künstlern und die Organisation von Konzerten ist eine funktionierende Szene besonders wichtig. Sie beginnt bei den Proberäumen für Bands bis hin zu kleinen und größeren Clubs, in denen Live-Konzerte stattfinden können. Diese Konzertclubs, die es in jeder Stadt geben sollte, sind die Brutstätten unserer Musikszene. Sie verdienen jegliche Förderung durch die öffentliche Hand. Es ist ungeheuer schwer, solche Clubs im freien Markt unsubventioniert am Leben zu erhalten. Ich betrachte es als Kulturschande, daß das Hamburger Onkel Pö, aus dem Udo Lindenberg und viele andere deutsche Künstler hervorgegangen sind und wo Al Jarreau, Helen Schneider und andere ausländische Stars ihre ersten deutschen Auftritte hatten, seine Pforten schließen mußte, weil die finanzielle Grundlage fehlte. Es gibt keine vernünftige Nachwuchsförderung ohne diese Clubs. Aber es genügt nicht der Schrei nach staatlichen Suventionen, auch wenn er noch so berechtigt ist, es
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muß auch ein Bewußtsein erfolgreicher Künstler erhalten bleiben, diese Clubs nicht nur als Ausgangsbasis ihrer Karriere zu benützen. Sie sollten durch Gastspiele oder sonstige Unterstützung auch dann den Club fördern, wenn sie schon längst große Konzertsäle füllen. In diesem Sinne geben die Rolling Stones immer wieder Clubgastspiele, die erst am 1kg des Konzertes über den Rundfunk bekanntgegeben werden. Auch Konstantin Wecker kehrt immer wieder in die Mainzer Katakombe zurück und gibt dort mehrtägige Gastspiele, die den Clubmanagern helfen zu überleben. Nachwuchsförderung bedeutet nicht vereinzelte finanzielle Zuwendungen, sondern Bereitstellung von Produktionsmitteln. Man soll dem Hungernden keinen Fisch schenken, sondern eine Angel besorgen, mit der er sich am Leben erhalten kann. Ein weiterer Schritt der Nachwuchsförderung ist der Einbau von jungen Bands in das Konzertprogramm eines erfolgreichen Künstlers. Es empfiehlt sich aber, diese junge Band nicht als Vorprogramm dem Publikum auszuliefern, das allzuoft nur auf den Hauptkünstler wartet. Viel vorteilhafter für alle Beteiligten ist der Einbau einer Gruppe in die zweite Konzerthälfte, so wie es Peter MafFay in seiner Tournee '92 mit der Rockband "New Legend" tat oder Udo Lindenberg mit der Gruppe "Die Prinzen" und bei früheren Tourneen mit Gianna Nannini, Helen Schneider, Inga Rumpf und anderen. Ein weiteres Modell für effektive Nachwuchsförderung hat der legendäre Bruno Coquatrix in seinem Pariser Olympia entwickelt. Seine Stars Edith Piaf, Charles Aznavour oder Nana Mouskouri traten im zweiten Teil des Konzertes auf. Der erste Teil war zwei Gastattraktionen gewidmet, der "Vedette Française", einem französischen Nachwuchskünstler und dem "Vedette Americanie", einem Künstler, der sich bereits einen Namen gemacht hat, aber noch nicht aus eigener Kraft das Olympia füllen kann. Dies ist Nachwuchsförderung in zwei Stufen. Aber wo gibt es in Deutschland ein Olympia und einen Bruno Coquatrix? Ich könnte mir gut vorstellen, daß eine deutsche Showschule viel besser im Theater des Westens in Berlin oder im Deutschen Theater in München aufgehoben wäre als in einer Universität oder Musikhochschule. Showbusiness kann nur in der Praxis gelehrt und gelernt werden. Es dauert ungeheuer lange, ehe ein Künstler die Konzertreife erlangt, sowohl künstlerisch (daß er sein Publikum zwei Stunden unterhalten kann) als auch ökonomisch (wenn genügend Interessenten Eintrittskarten kaufen, um das Konzert zu finanzieren). Daher brauchen wir im Vorfeld die Konzertclubs, die Musikhallen, die Nightclubs mit Liveauftritten wie etwa die Tennisbar in Bad Homburg oder das Hotel Bachmair am Tegernsee, wo namhafte Künstler auftreten, aber auch Künstler präsentiert werden, die erst auf dem Weg nach oben sind. Unsere Nobelhotels sollten sich am Vorbild der amerikanischen Großhotels in Las Vegas und Atlantic City orientieren, aber auch am Empire Room des Waldorf Astoria in New York und anderswo. Dort wird Unterhaltung auf höchstem Niveau präsentiert, und dort haben auch Künstler die Chance, sich zu entwickeln und sich einen Namen zu machen. Die Medien verlangen immer wieder, Newcomer zu fördern. Man erhält Insidertips, die Musikmagazine sind voll neuer Namen, die oft hochgejubelt werden und damit kaum die Chance haben, das zu halten, was andere für sie versprechen. Dabei wird zu oft übersehen, daß es Künstler gibt, die Jahre brauchen, bis sie die Konzertreife erreichen. Ihre Namen sind in der Szene lange bekannt und haben daher für viele Journalisten keinen Neuigkeitswert mehr. Dabei müßte es doch interessant genug sein, die künstlerische Entwicklung eines solchen Künstlers zu beobachten, ihm Mut zu machen und ihn gerade dann zu fördern, wenn er kein Newcomer mehr ist, aber auch noch kein Konzertstar.
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Hier leisten Schallplattenfirmen eine hervorragende kulturelle Arbeit, indem sie immer wieder Schallplatten veröffentlichen, auch wenn die letzte Produktion die Kosten nicht eingespielt hat. Ulla Meinicke beispielsweise hat vier sehr gute Schallplatten mit mäßigem Verkaufeerfolg produziert, ehe sie mit der fünften den Durchbruch schaffte. Sogar mit dem nicht einfachen Titel "Wenn nicht schon für immer, dann doch wenigstens für ewig" und der bemerkenswerten Single "Die Tänzerin". Vor dem Konzerterfolg eines Künstlers sind zwei riesige Barrikaden aufgetürmt: - die örtlichen Kosten: Das sind die Ausgaben für die Miete und Herrichtung des Konzertsaales und die Organisation der Veranstaltung sowie für Werbung und Promotion. Und - die Produktionskosten: Das sind die Ausgaben für die Ton- und Lichtanlage, die in die Konzertstätten gebracht werden müssen, für die Begleitmusiker sowie die Reiseund Aufenthaltskosten aller Beteiligten. Diese Kosten bestimmen den Eintrittspreis und können dazu führen, daß viele Tourneen nicht mit einem Überschuß enden, sondern mit einem Defizit. Oftmals müssen Künstler sich damit abfinden, daß eine Tournee lediglich eine kostspielige Promotionaktivität zur Förderung des Schallplattenverkaufc ist. Aber auch diese Rechnung geht nicht immer auf. Wegen dieser Kosten bleiben manchmal auch hochtalentierte Künstler auf der Strecke, sie geben entweder auf oder verschwinden in Orchestern und nehmen Abschied von künstlerischen Zielen und Träumen. Daher sollte die Kulturförderung der öffentlichen Hand grundlegend neu überdacht werden. Es ist falsch, nur einen Teil unseres Kulturlebens zu fördern, nämlich die etablierte Hochkultur der Opernhäuser und klassischen Konzerte, die sehr oft in Prunkpalästen präsentiert werden, als wolle der Bürger die feudalen Verhältnisse am Hofe kopieren. Viel wichtiger ist, Produktionsmittel zu subventionieren für alle kulturellen Erscheinungen, zu denen auch die Ereignisse der musikalischen Unterhaltungsszene gehören. Es ist sehr wichtig, vernünftige Konzerthallen verfügbar zu machen, die an Künstler mietgünstig überlassen werden können. Es ist leider unser unerfüllter Traum, Konzerthallen vorzufinden, in denen moderne Ton- und Lichtanlagen installiert sind, so wie es für Opernhäuser und Theater selbstverständlich ist. Statt dessen sind wir oft auf Sporthallen angewiesen, bei deren Konzeption in keiner Weise an die spätere Nutzung als Konzertarena gedacht wurde. Diese Hallen müssen für unsere Konzerte äußerst kostspielig hergerichtet werden, so daß sie einem mündigen Publikum gerecht werden. Vor den Hallen stehen die Lastkraftwagen, die tonnenweise Ton- und Lichtanlagen sowie Bühnenaufbauten herbeischaffen, damit die Ideen des Künstlers zu seinem Konzert als akustisch-optisches Gesamtkunstwerk verwirklicht werden können. Alles zusammen kostet so viel Geld, wie es oft nur die erfolgreichsten Künstler einspielen können. Das gefahrliche Ergebnis: Erfolgreiche Künstler werden noch erfolgreicher und die erfolglosen nur mehr. Wir stellen immer wieder bei den Konzertplänen des Künstlers einen grundsätzlichen Irrtum fest: Das Konzert ist nicht der Beginn einer Künstlerkarriere, sondern der Höhepunkt - und eine Konzerttournee ist schon ein gewaltiger Höhepunkt. Daher muß die künstlerische und ökonomische Konzertreife des Künstlers äußerst präzise überprüft werden. Der Künstler muß lange genug seinen Weg durch die Konzertclubs und ähnliche Einrichtungen gegangen sein, die unter dem Begriff Nachwuchsförderung abgehandelt wurden. Eine wichtige Rolle spielen die Schallplattenveröffentlichungen. Der Schallplatten-
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vertrag ist der wichtigste frühere Schritt lange vor einer Konzerttournee. Die Schallplattenumsätze und die Rundfunksendungen sowie die Auftritte beim Fensehen mit Titeln, die auf der Schallplatte enthalten sind, schaffen den Bekanntheitsgrad, der zur ökonomischen Konzertreife führt. Hier liegt auch die kulturelle Bedeutung der Schallplattenindustrie, der wir sehr viel verdanken. Die erste Voraussetzung für ein Konzert oder gar eine Tournee ist die finanzielle Absicherung. Ich habe mein erstes Konzert als Student 1955 in Heidelberg veranstaltet. Als Künstler stand Albert Mangelsdorff mit den "Frankfurt All Stars" fest, aber ich brauchte noch ein halbes Jahr, um einen Geldgeber zu finden, der das Konzert finanzierte und dem ich der Einfachheit halber den gesamten Überschuß verpfändete. Das Konzert war ausverkauft und ein großer Erfolg, aber auch für den Fall, daß alles schief laufen würde, stand Geld zur Verfügung. Unsere Firma hieß Lippmann & Rau, obwohl ich die Firma Jahrzehnte lang allein führte. Aber Horst Lippmann hatte nicht nur hervorragende Musikkenntnisse und stellte seine Erfährung zur Verfügung, sondern auch sein Geld für den Fall, daß die Kosten nicht eingespielt werden konnten. Glücklicherweise mußten wir dieses Geld nie anrühren, doch es gab uns die Sicherheit, herrliche und kostenaufwendige Tourneen zu wagen und viele Künstler erstmals in Deutschland vorzustellen. Es ist einfach, auf einem Blatt Papier die voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben gegenüberzustellen und einen möglichen Profit zu errechnen. Aber was geschieht, wenn die Ausgaben nicht gedeckt werden? Dieses Vabanquespiel ist die große Gefähr in unserem Business und führt immer wieder zu Pleiteveranstaltungen, die meistens auf dem Rücken des Künstlers ausgetragen werden. Der Entschluß, ein Konzert oder eine Tournee zu wagen, sollte zunächst darauf beruhen, daß der Unternehmer von der künstlerischen Qualität des Künstlers überzeugt ist. Das heißt: Er muß sich in der Musikszene auskennen. Gleichzeitig muß er ein sicheres Auge für den Markt haben und die ökonomischen Aussichten der Tournee abschätzen können. Hier erleben wir eine geradezu schizoide Situation des idealen Konzertunternehmers, der einerseits ein musikbegeisterter Träumer sein soll und andererseits ein hart kalkulierender Kaufmann. Der Erfolg einer Tournee hängt davon ab, welche Konzertorte zu welchem Termin festgelegt werden. Wenn ein Künstler 2000 Besucher anzieht, ist sein Konzert in einer Halle mit 4000 Plätzen halb leer, aber in einer Halle mit 2000 Plätzen ausverkauft. Hinzu kommt, daß eine zu große Halle auch höhere Kosten verursacht und damit die Veranstaltung einem Defizit nahe bringt. Bei der Festlegung der Termine ist wichtig, daß die günstigen Veranstaltungstage wie Samstag und Sonntag den großen Hallen vorbehalten bleiben oder den Konzertorten, zu denen das Publikum aus einem weiteren Umkreis anreisen muß, wenn in einem kleinen Ort eine große Halle für ein großes Einzugsgebiet gebaut wurde. Als ich anfing, Konzerte zu veranstalten, gab es Regeln, die mir gepredigt wurden. Aber Gott sei Dank gibt es das Wort "warum". Dazu zwei Beispiele: Sonntage galten als schlechte Konzerttage, da die Konzertbesucher sich meistens am Wochenende verausgaben und am Sonntagabend früher zu Bett gehen wollen, um am nächsten Tag frisch zu sein für die Arbeit. Da kam uns die Idee, die Sonntagskonzerte um 18 Uhr statt um 20 Uhr beginnen zu lassen, und schon war dieses Problem beseitigt. Eine weitere Regel war, daß man im Januar und Februar keine Tourneen unternehmen soll, da die Besucher durch die Ausgaben an Weihnachten und Silvester finanziell erschöpft seien. Daher legten wir den Beginn des Kartenvorverkaufes und die Kampagne in die
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Vorweihnachtszeit, so daß Konzertkarten als Festgeschenk angeboten werden können. Das macht die Monate Januar und Februar zu äußerst attraktiven Tourneemonaten. Nach der Festlegung der Konzertorte und der Termine, das heißt der Erstellung des Tourneeplanes, müssen die Eintrittskartenpreise bestimmt werden. Das ist ein äußerst wichtiger Vorgang, da die Preise für die Eintrittskarten beim Konzertpublikum eine ähnliche psychologische Bedeutung haben wie der Brotpreis oder die Bierpreise in Bayern. Ein Fan kann es dem Künstler sehr verübeln, einen Eintrittspreis zahlen zu müssen, den er nicht als adäquat und fair empfindet. Andererseits müssen aber die Kosten für die Konzert- und Tourneeunternehmungen nicht erst beim ausverkauften Konzert gedeckt sein, sondern schon bei einem früheren "Break-even-point", der zugleich natürlich auch die Gewinnspanne definiert. Die nächste Phase der Vorbereitung ist der Start der Promotion und der Werbung, der mit dem Beginn des Kartenvorverkaufes abgestimmt werden muß. Es muß eine genaue Kampagne erarbeitet werden: Die Qualität liegt im Detail. Es kommt nicht nur auf zündende Promotionideen an, sondern auch auf die akurate Durchführung der Kampagne, die sich über Monate erstreckt. Die Relation zwischen Aufwand und Wirkung spielt die entscheidende Rolle. Das Budget ist limitiert - und die Wirkung muß dennoch optimal sein. So müssen oft die kreativen Phantasien des Unternehmens an die Stelle von großen Geldausgaben treten. Mein Lehrer, der amerikanische Impresario Norman Granz, sagte einmal, daß ein Veranstalter dann gut sei, wenn er die größten Anzeigen schalte. Das war natürlich ironisch gemeint. Viel treffender ist seine Antwort auf die Frage nach der Qualität eines guten Veranstalters: Der beste ist derjenige, der eine Stunde früher mit der Arbeit anfängt und eine Stunde länger tätig ist. Eine wichtige Rolle bei der Werbung sollte das Konzertplakat spielen. Wir hatten das Glück, seit den fünfziger Jahren mit dem besten Konzertplakatgraphiker der Welt zusammenarbeiten zu dürfen: Professor Günter Kieser. Seine Plakate hängen inzwischen im Modern Art Museum in New York, und seine Auszeichnungen und Goldmedaillen reichen von Mexiko bis nach Asien. Günter Kiesers "Visual Music Design" machte die musikalischen Ideen des Konzertes sichtbar, so etwa in seinem berühmten Jimi-Hendix-Plakat mit elektrischen Kabeln als Teil seiner Haarpracht. Solche Plakate sind ein Preludium für das Konzert, sie stimmen auf das Musikereignis ein und verführen zum Kartenkauf, auch wenn der Künstler noch keinen sicheren Platz am Markt hat. Die Kieser-Plakate waren ausschlaggebend, daß wir musikalische Ideen wie das American Folk Blues Festival oder das Festival Flamenco Gitano mit damals kaum bekannten, aber heute legendären Künstlern in den sechziger Jahren in Europa erfolgreich verwirklichen konnten. Es ist bedauerlich, daß die herrliche klassische Musik mit primitiven Schriftplakaten angekündigt wird. Auch in der Unterhaltungsbranche verzichten immer mehr Künstler auf ein Preludium zum Konzert mit einem künstlerisch gestalteten Plakat - und beschränken sich mehr auf bombastische Schriftplakate. Das ist kein Zeichen guten Kulturmanagements. Die Kampagne für die Werbung und Promotion ist dann optimal, wenn sie zwischen allen Beteiligten im Detail abgestimmt ist. Viele Künstler legen äußersten Wert darauf, daß die Promotion ihrem Image und ihren Vorstellungen entspricht. Entscheidend ist auch die Zusammenarbeit zwischen dem Tourneeveranstalter und der Schallplattenfirma. Es ist töricht, wenn beide versuchen, sich gegenseitig vor den Karren zu spannen, um eigene Kosten zu sparen. Besser ist es, wenn die Budgets in
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voller Höhe erhalten bleiben und zum angestrebten Ziel fuhren: Keine Werbung für die Tournee ohne Werbung für die Schallplatte, keine Promotion für die Schallplatte ohne Promotion für die Tour. Der Erfolg hängt auch ab vom "Timing", der zeitlichen Festlegung der Aktivitäten und der Abfolge. Wichtig ist der Umfang, in dem der Künstler sich selbst in die Kampagne einbringt durch Fernsehauftritte, die aufeinander abgestimmt sein müssen, durch Rundfunkinterviews (Senderreisen) und Presseinterviews (Pressekonferenz). Ideal wäre auch eine starke Einbindung der Verleger, die sich oftmals merkwürdig im Hintergrund halten. Für die Weiterführung der Kampagne sind die Vorverkaufszahlen entscheidend, die einmal wöchentlich ermittelt werden. Der Dienstag ist dafür ein guter 1kg, um die Auswirkung der Wochenendanzeigen auf den Kartenvorverkauf am Montag einzubeziehen. Die notwendigen Maßnahmen werden auf die Verkaufeergebnisse in den einzelnen Städten abgestimmt. Hier entscheidet sich auch, ob Zusatzkonzerte und Tourneeverlängerungen angesetzt werden müssen. Werbungskosten können in der Stadt eingespart werden, wo der Vorverkauf gut läuft, und auf eine andere Stadt umgeleitet werden, wo es noch hapert. Die örtlichen Veranstalter erhalten während der gesamten Vorbereitungszeit Promotionanweisungen, zu denen sie durchaus mit Gegenvorschlägen Stellung beziehen sollen. Diese Anweisungen richten sich nach dem jeweiligen Stand des Kartenvorverkaufes in den einzelnen Städten. Sehr oft gibt es auch ejn Nord/Süd-Gefälle oder Süd/Nord-Gefälle in der Popularität des Künstlers. Bei dem Österreicher Reinhard Fendrich war beispielsweise bei seiner Tournee '92 zweimal die große Olympiahalle in München mit insgesamt 20000 Besuchern ausverkauft. In Norddeutschland muß dieser Künstler dagegen noch aufgebaut und gefördert werden durch Konzerte in verhältnismäßig kleinen Hallen wie dem Capitol in Hannover oder der Musikhalle in Hamburg. Die Qualität des Künstlers lohnt es aber, Geld aus erfolgreichen Konzerten in Neuland-Veranstaltungen zu investieren und für die Zukunft zu arbeiten. Die Qualität der Toumeeplanung und Organisation hängt davon ab, wie früh sich der Künstler und der Veranstalter entscheiden und die Tournee festlegen - je früher, desto besser. Wir müssen sehr oft kurzfristig Tourneen aus dem Boden stampfen, insbesondere bei ausländischen Künstlern. Erfolgreiche Gruppen wie etwa die Rolling Stones legen ihre Tourneen sehr frühzeitig fest (ein Jahr). Bei Peter Maffay wird die nächste Tournee (zwei Jahre) während der laufenden Tournee festgelegt, um die Erfahrungen optimal in die zukünftige Planung umzusetzen. Eine solche Planungs- und Vorbereitungszeit von zwei Jahren verhilft zu optimalen Produktionsbedingungen. Die Begleitmusiker müssen frühzeitig verpflichtet werden, da die besten Musiker äußerst gefragt sind. Der Erfolg des Konzertes hängt sehr wesentlich von der Besetzung der Begleitband ab und auch von der Verpflichtung von "Special guests" wie zum Beispiel des hervorragenden Springsteen-Saxophonisten Clarence demons und des legendären Ten-Years-After-Gitarristen Alvin Lee zur Peter Maffay Tournee '92. Bei Rock- und Pop-Konzerten spielt die technische Produktion eine ganz entscheidende Rolle. Man sollte sich aber davor hüten, mit einer Supertechnik den Künstler in den Hintergrund zu drängen, so daß nach dem Konzert mehr über das Licht und den Bühnenaufbau geschrieben und gesprochen wird als über die künstlerische Darbietung. Die Kunst des Bühnendesigns liegt darin, den Künstler adäquat zu unterstützen. Sein Livevortrag muß Mittelpunkt des Konzertes bleiben. Allerdings hat das Publikum ein
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Anrecht darauf, jenes akustisch-optische Gesamtkunstwerk zu erleben, das dem Künstler vorschwebt. Nach Fertigstellung der Planung für die technische Produktion werden Bühnenanweisungen ausgearbeitet, die oft viele Seiten lang sind. Hier werden dem örtlichen Veranstalter und der Hallenverwaltung alle Erfordernisse mitgeteilt und alle Anweisungen gegeben, die zu einer optimalen Verwirklichung der Konzertproduktion führen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Produktion äußert zeitknapp verwirklicht werden muß, wenn am Abend zuvor ein Konzert stattfand, dann der Abbau erfolgt, der Transport des Equipments und der Aufbau für das Konzert am nächsten Tkg. Die beteiligten Tourneetechniker werden in Schlafbussen von Ort zu Ort gebracht, damit sie etwas Ruhe finden. Ihre Arbeitsleistung ist ungeheuer groß. Erholung finden sie nur in den Tourneepausen. Diesen Technikern gilt mein ganzer Respekt, genau wie den anderen Beteiligten, insbesondere den Tourneeleitern, die wahre Zehnkämpfer sein müssen als Reiseorganisatoren, Psychologen, Buchhalter bei den Konzertabrechnungen und so weiter. Eine immer größere Bedeutung im Konzerlgeschäft gewinnt das Merchandising und das Sponsoring. Merchandising bedeutet die Vermarktung und den Verkauf von Gegenständen, die mit dem Namen des Künstlers verbunden werden, etwas T-Shirts, Mützen, Schallplatten. In den USA und Großbritannien sind die Umsätze mit der Vermarktung von Nebenrechten, insbesondere bei Hard-Rock-Gruppen, gigantisch. Dies führte beispielsweise dazu, daß die letzte Europa-Tournee der Rolling Stones 1990 von einer Merchandising-Firma organisiert wurde, da sie mit Hilfe einer Brauerei den Rolling Stones einen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe in US-Dollar garantiert hatte. Sehr oft sind die Erlöse aus dem Merchandising genau so hoch oder sogar noch höher als die Nettoerlöse aus dem Eintrittskartenverkauf nach Abzug aller Kosten. In den USA wurde das Sponsoring von Konzerttourneen entwickelt. Man denke etwa an die Rolle von Pepsi-Cola bei den Welttourneen von Michael Jackson und Tina Turner. Die Einnahmen aus der Verknüpfung von Künstlername und Tournee mit dem Verkaufeprodukt können natürlich die Nettoeinnahmen des Künstlers erheblich vergrößern. Sie können aber auch - vernünftig angewendet - eine Hilfe sein, die Probleme unseres Konzertgeschäfites zu lösen. Vor allem bei Konzerten für ein junges Publikum, das noch nicht voll im Erwerbsleben steht, müssen trotz hoher Produktions- und örtlicher Kosten vernünftige Eintrittspreise gehalten werden. Die Leistung der Sponsoren kann die Lücke füllen, die durch mangelnde Unterstützung der öffentlichen Hand entsteht. Sponsoring ist dann Kultursponsoring, wenn es nicht nur den Nettogewinn der Tournee erhöht, sondern für eine bessere Produktion und vernünftige Eintrittspreise eingesetzt wird. Ein besonderes Phänomen sind die Open-Air-Konzerte in Fußballstadien. Ich habe mich jahrelang zurückgehalten, Open-Air-Konzerte zu organisieren - aus Angst vor schlechtem Wetter und großen Organisationsproblemen. Dann konnte ich bei meinem Freund Bill Graham im Oakland-Stadion bei San Francisco die Organisation von Open-Air-Konzerten gründlich studieren und war 1976 so weit, das Abschlußkonzert der Rolling Stones im Stuttgarter Neckarstadion durchzuführen. Seitdem hat sich die Open-Air-Kultur in Deutschland von Jahr zu Jahr entwickelt. Der steigende Zuspruch des Publikums deutet an, daß Open-Air-Konzerte einen festen Platz im Kulturspektrum der Sommermonate haben. Es müssen sogar Zusatzkonzerte angesetzt werde, zum Beispiel Doppel-Konzerte in den größten deutschen Fußballstadien bei der Rolling-
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Stones-Tournee 1990. Aber auch Open-Air-Tourneen mit Michael Jackson, Tina Türner oder Pink Floyd brachen alle Rekorde. Inzwischen sind auch deutschsprachige Künstler stark genug, Fußballstadien zu füllen, etwa Marius Müller-Westernhagen und Peter Maffay. Bei der Organisation von Open-Air-Konzerten muß besondere Sorgfalt bei der Vorbereitung angewandt werden, da es sich hier um Massenzusammenkünfite bis zu 100000 Menschen handelt. Open-Air-Konzerte sollte nur der veranstalten, der viel Geld für die optimale Herrichtung der Spielstätten unter Berücksichtigung aller Sicherheitsvorkehrungen einsetzen kann. Es müssen riesige Bühnen gebaut werden, die ein Verhältnis zu dem großen Raum schaffen, der bespielt wird, mit ungeheuren Ton- und Lichtanlagen sowie entsprechenden Bühnenaufbauten und Dekorationen. Es empfiehlt sich, ein zweites Tonsystem in die Mitte des Platzes zu stellen (Delay-System), das den Sound etwas verzögert weitergibt, so daß die Tonübertragung am Ende des Platzes genauso stark ist wie vor der Bühne oder vor der Bühne genauso moderat wie in den hinteren Rängen. Aufgrund der vorhandenen Infrastruktur (Parkplätze, Toiletten etc.) ziehen wir Open-Air-Konzerte in Fußballstadien vor. Wir haben bereits vor vielen Jahren beschlossen, keinen Alkohol bei Open-Air-Konzerten zu verkaufen, wobei uns alkoholfreies Bier eine große Hilfe ist. Merkwürdigerweise sind wir am Anfang auf den massiven Widerstand der Stadion-Verwaltungen gestoßen. Inzwischen aber werden auch bei großen Fußballspielen keine Alkoholika mehr verkauft. Wichtig ist, daß die Bühne regensicher überdacht ist, wobei hydraulische Dachelemente notwendig sind. Wir haben festgestellt, daß auch bei zeitweiligem Regen das Publikum befriedigt werden konnte, wenn das Konzert technisch einwandfrei stattfinden und übertragen werden konnte. Auch große Videowände sind hilfreich. Doch sollte nicht das ganze Konzert einfach übertragen werden, sonst würde aus dem Liveerlebnis ein riesiges Fernsehspektakel. Die Bilder auf den Videowänden (close-ups) müssen eine Ergänzung zu dem Ablauf auf der Bühne sein. Nur wenige Künstler sind befähigt, ein so großes Publikum zu faszinieren. Daher muß man vorsichtig sein, wenn man von einer großen Halle auf Open-Air umsteigt. Manchmal ist es besser, mit erfolgreichen Künstlern mehrere Konzerte in einer großen Halle zu geben. Wer aber die Rolling Stones, Bruce Springsteen oder Peter Maffay open-air erlebt hat, wird sich an außergewöhnliche Konzerte erinnern. Unser Konzertgeschäft war in den früheren Jahren gekennzeichnet durch ein Trio: Manager - Agent - Veranstalter. Der Manager ist der Pilot des Künstlers und hat nur seinen Künstler im Kopf. Der Agent ist der Vermittler zwischen Künstler und Veranstalter, und der Veranstalter muß die Konzerte realisieren. Dies hat sich inzwischen geändert, da viele Manager direkt mit dem Veranstalter zusammen arbeiten, frühere Agenten auch als Veranstalter tätig sind und Konzertveranstalter als Vermittler. Auch die Rolle des Künstlers hat sich geändert. Er ist nicht mehr das Objekt, über das Manager und Veranstalter verfügen können. Der Erfolg des Künstlers setzt voraus, daß er zu irgendeinem Zeitpunkt sein Geschick selbst in die Hände nimmt und seine Karriere bestimmt. Er trennt sich von sogenannten Erfolgsmanagern, die ihn dirigieren, und von Erfolgsproduzenten, die ihm vorschreiben, was und wie er zu spielen hat. Die Beispiele gehen von den Rolling Stones bis zu Peter Maffay. Der Manager ist heute vielmehr der Berater des Künstlers, der dafür sorgt, daß die Vorstellungen des Künstlers in die Tkt umgesetzt werden, und der Schaden von ihm abwendet.
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Das gleiche gilt für den Veranstalter, der nach den Ideen des Künstlers die Tourneen zusammen mit ihm produziert. Rechtsanwälte und "Accountants" spielen als Berater eine immer größere Rolle. Accountants sind eine Mischung von Steuerberater und Buchhalter, die die finanziellen Erträge des Künstlers kontrollieren und verwalten. Diese Entwicklung ist gerechtfertigt und zeigt sich auch im Filmgeschäft, wo Künstler wie Michael Douglas die größten Filme selbst produzieren. Eine Gefähr besteht nur dann, wenn die Bedingungen für den Veranstalter so erschwert sind, daß er nicht mehr das Kapital erwirtschaften kann, das es ihm ermöglicht, auch neue Künstler aufzubauen und in diese neuen Künstler Geld zu investieren. Wir müssen profitorientiert arbeiten, da wir keine öffentlichen Gebühren erheben oder sonstige staatliche Quellen erschließen können. Bei andauerndem Mißerfolg kennen wir nur den Weg zum Konkursrichter. Kulturmanagement bedeutet aber auch, daß Profitmaximierung nicht der alleinige Weg sein darf. Das hat in den USA zu größten Schwierigkeiten geführt, in Europa blieben wir bislang verschont. Daher müssen alle Beteiligten - vom Künstler und seinen Beratern über die Schallplattenfirmen bis zu den Veranstaltern - zusammen arbeiten und dabei auch zukünftige Entwicklungen berücksichtigen. Eine große Rolle für unser Konzertgeschäft und die Karriere der beteiligten Künstler spielen die Medien, also Fernsehen, Radio und Presse. Ich halte den Hörfunk für das wichtigste Medium bei der Verbreitung von Musik und freue mich über eine zunehmend angereicherte Landschaft durch private Rundfunkanstalten und lokale Sender. Bei den Printmedien wird die Unterhaltungsbranche allerdings noch viel zu wenig im Feuilleton besprochen und ist daher dem Klatsch und Tratsch der Boulevardpresse ausgeliefert, wo weniger die künstlerische Leistung im Mittelpunkt steht als das Privatleben der beteiligten Personen. Doch ist hier eine Entwicklung zu beobachten, die der Berichterstattung über die Unterhaltungskonzerte eine ähnliche Seriosität verleiht wie den Kritiken zu klassischen Konzerten. Das Fernsehen ist keinesweg der große Konkurrent von Live-Konzerten. Immer wieder erhalten die Konzerttourneen eine positive Unterstützung durch Künstlerauftritte in Popsendungen, insbesondere dann, wenn Showmaster wie Jürgen von der Lippe, die etwas von Musik verstehen und persönliche Bekenntnisse zur Musik äußern, sie in ihren Sendungen präsentieren. Bei den beliebten Samstagsabend-Sendungen wäre zuweilen eine sachkundigere und liebevollere Präsentation des Künstlers zu wünschen. Es ist bedauerlich, daß das deutsche Fernsehen nicht mehr die legendären RockpalastNächte des WDR ausstrahlt. Eine wichtige Rolle im Konzertgeschäft spielen die Berufeverbände. Da gibt es den Verband der Deutschen Konzertdirektionen mit dem tüchtigen Präsidenten Michael Russ (Verband der Deutschen Konzertdirektionen, Charlottenstr. 17, 70182 Stuttgart). Hier sind alle wichtigen deutschen Konzertveranstalter zusammengeschlossen. Daneben gibt es einen zweiten Verband, IDKV, mit seinem rührigen Präsidenten Jens Michow (IDKV e.V., Lenhartzstr. 15, 20249 Hamburg). In diesem Verband sind nicht nur wichtige Konzertveranstalter, sondern auch Künstlervermittler erfaßt. Im Hinblick auf den europäischen Marktes wurde 1992 eine "European Concert Promoters Association" gegründet. Ich habe die Ehre, als Vice-Chairman dem Vorstand dieses Verbandes anzugehören und an der Satzung mitgearbeitet zu haben (ECPA, 16 Birmingham Road, Walsall, West Midlands WS2 2NA). Diese drei Verbände sollten durch Wochenendkurse und Seminare den aktiven und kommenden Konzertveranstaltern Hilfestellung leisten und Aufklärung geben.
Konzerte und Festivals (Pop, Rock, Jazz)
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Konzertveranstaltung ist eine Dienstleistung. Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Qualität des Konzertes von der Qualität dieser Dienstleistung abhängt. Wir dienen dem Konzertbesucher an der Seite des Künstlers, genau wie der Besucher uns und dem Künstler dient in der Ausübung seines Berufes. Daher sollte der Grundsatz gelten: Diene deinem Nächsten, wie du seinen Dienst erwartest, und würdige seinen Dienst, wie dein Dienst gewürdigt werden soll.
Musiktheater Peter Ruzicka
"Kulturmanagement", diese mittlerweile zum Gemeingut zählende Wortprägung, hat die Kultureinrichtungen aller künstlerischen Sparten zum Umdenken gezwungen. Der Begriff hat angeregt, systematisch über Fragen der Organisation und Steuerung von Einrichtungen der Kunst nachzudenken. Eine in institutionellen Formen sich ereignende Kunst kommt ohne Planung, Lenkung, Mitarbeiterführung, mit einem Wort: ohne modernes Management, nicht mehr aus. Besonders gilt dies für den heutigen Theaterbetrieb, dessen angebliche Manövrierunfähigkeit immer wieder behauptet wird. Theaterbetriebe sind fuhrbar, wenn sich Theaterleitungen den vielfaltigen administrativen Aufgaben stellen und diese nicht grundsätzlich als Barrieren künstlerischer Arbeit verdächtigen. Richtig verstandenes Management am Theater bedeutet, die verfügbaren Mittel im Hinblick auf die intendierte künstlerische Zielsetzung so effektiv wie möglich einzusetzen. Ein solches Management muß sich daher stets an der künstlerischen Zielsetzung des Hauses orientieren, diese zu ermöglichen versuchen. Vorbehalte gegen Kulturmanagement resultieren demgegenüber wohl aus der Sorge, künstlerische Inhalte könnten einem sachfremden Diktat unterfallen. Das Theater benötigt ohne Frage eine kompetente künstlerische Führung, und in diesem Bereich verspüren wohl die wenigsten Theaterleiter ihr persönliches Defizit. Das Theater braucht aber genauso eine organisatorisch-administrative Steuerung, und es erscheint heute als ein Desiderat, daß der Theaterleiter beide Fähigkeiten in sich vereinigt. Der historisch gewachsene Opernbetrieb stellt ein höchst komplexes Gebilde dar.1 Er ist nicht nur die Arbeitsstätte oftmals Hunderter von Mitarbeitern - die Hamburgische Staatsoper beschäftigt etwa 800 Künstler, Techniker und Verwaltungskräfte - , sondern beherbergt gleichzeitig eine kaum faßbare Vielfalt unterschiedlicher Berufe.2 Am Theater arbeiten, und auch diese Aufzählung bleibt lückenhaft, Sänger, Orchestermusiker, Tänzer, Dirigenten, Regisseure, Bühnenbildner, Bühnenhandwerker, Bühnentechniker, Schlosser, Schreiner, Requisiteure, Kascheure, Inspizienten, Souffleure sowie ein höchst vielfältig strukturiertes Verwaltungspersonal. Schon diese Auflistung deutet die Fülle der organisatorischen Lenkungsaufgaben an, die sich einer heutigen Opernleitung stellen. Opernaufiührungen sind stets Gemeinschaftsaufgaben, die einer vorausschauenden Planung sowie gezielter Mitarbeiterführung bedürfen. Die Faszination der Oper rührt gerade daher, daß sie in sich unterschiedliche Künste zu einem Gesamtkunstwerk vereint. Dies setzt jedoch zugleich voraus, daß das in der Praxis bisweilen schwierige Ineinandergreifen so verschiedener Bereiche wie Bühne, Werkstätten, Fundus und Verwaltung organisatorisch bewältigt wird. Gleichwohl muß ein Freiraum erhalten bleiben, in dem sich künstlerisch-imaginative Prozesse ereignen können. Nur ein Opernbetrieb, der im Bereich der Verwaltung und der Werkstätten nicht improvisiert, wird auf künstlerische Ansprüche und
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Peter Ruzicka
Herausforderungen adäquat reagieren können. Wenn es der Theaterleiter versteht, die Erkenntnisse moderner Management- und Betriebswirtschaftslehre für seinen Bereich zu nutzen, dient er damit letztendlich seiner künstlerischen Zielprojektion.
Theaterbetriebsformen3 Für die Rechtsträger (Land, Stadt, Gemeinden) besteht hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung ihrer Theaterbetriebe eine Wahlfreiheit zwischen rechtlich unselbständigen und rechtlich verselbständigten Organisationsformen.4 Zu den rechtlich unselbständigen Betrieben zählen der Regiebetrieb (z.B. Deutsche Oper Berlin, Bayerische Staatsoper München, Württembergisches Staatstheater Stuttgart), der Eigenbetrieb (z.B. Stadttheater Aachen) und die Gesellschaften bürgerlichen Rechts, für die sich die "Theaterehen" in Düsseldorf/Duisburg und Krefeld/Mönchengladbach entschieden haben. Bei der Organisationsform des rechtlich selbständigen Betriebs können die Anstalt des öffentlichen Rechts (Theater der Stadt Baden-Baden), der Zweckverband (Saarländisches Staatstheater) und die privatrechtliche GmbH (Hamburgische Staatsoper, Theater der Freien Hansestadt Bremen) und der ebenfalls privatrechtliche eingetragene Verein (Schloßtheater Celle) unterschieden werden. Auf die Wahl der Rechtsform des Theaters nehmen gesetzliche, haushaltspolitische und personalwirtschaftliche Kriterien Einfluß. Im Mittelpunkt steht die Entscheidung, ob für den Theaterbetrieb eine enge Anbindung an den Rechtsträger oder aber eine Ausgliederung angemessen ist, eine gundsätzliche Fragestellung gerade auch im Hinblick auf die anstehende Neuordnung der Theaterbetriebe in den neuen Bundesländern. Die unterschiedliche Organisationsform der großen bundesdeutschen Opernhäuser in München, Berlin, Leipzig, Hamburg und Dresden zeigt, daß nicht die Größe des Theaterbetriebes den Ausschlag für die Wahl der Rechtsform gibt. Eher scheint der historisch-geographische Standort des Theaters eine Rolle zu spielen. Während in den südlichen Bundesländern der Regiebetrieb dominiert, trifft man im Norden häufiger Theater an, die in der Rechtsform der GmbH geführt werden. Mit der Wahl einer Rechtsform wird über die Kompetenzen und Entscheidungsspielräume innerhalb des Theaters sowie über das Verhältnis zwischen dem Rechtsträger und dem Theater entschieden.5 Die Kontrollintensität des Rechtsträgers ist bei privatrechtlichen Rechtsformen (z.B. AG/GmbH) tendenziell geringer als bei öffentlichen Betriebsformen (z.B. Regie- und Eigenbetrieb). In der Praxis konvergieren die Rechtsformen, da die strenge Anbindung des Regiebetriebes an die Verwaltung vielfach gelockert wurde, während die Freizügigkeit innerhalb einer GmbH durch einschränkende Regelungen in den Dienstverträgen der Geschäftsführer, den Satzungen und in den Bewilligungsbedingungen für gemeindliche oder staatliche Zuschüsse zurückgenommen wurde. Regiebetrieb Der Regiebetrieb ist ein unselbständiger Zweig der Gemeinde- oder Staatsverwaltung wie jede andere Verwaltungsabteilung.6 Aufgrund seiner rechtlichen wie organisatori-
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sehen Eingliederung in die öffentliche Verwaltung geht er mit seinen Einnahmen und Ausgaben in die gemeindliche bzw. staatliche Haushaltsrechnung ein (kameralistische Rechnungslegung), führt aber keine eigene Vermögensrechnung durch.7 Das Theater verwaltet nicht alle seine internen Belange selbst, sondern eine Reihe von administrativen Funktionen werden von Querschnittsämtern vorgenommen. In der Praxis kann dies zu Doppelarbeit, Reibungsverlusten und unklaren Verantwortlichkeiten führen.8 Da die Mitarbeiter der Verwaltung nicht mit den Eigenheiten der Theaterarbeit vertraut sind, bedarf es in der Praxis häufig langwieriger Abstimmungsprozesse zwischen Theater und Verwaltung, die drängende Entscheidungen hinauszögern können. Aufgrund einer Vielzahl von theaterspezifischen Tkrifverträgen läge es nahe, die personalwirtschaftlichen Befugnisse der Theater zu erweitern, auch wenn die Mitarbeiter des Theaters Angestellte des Rechtsträgers sind. In der Praxis sind personelle Entscheidungen eines Theaterleiters indessen nur im Rahmen des Stellenplans möglich, der die Anzahl der Stellen und deren Bewertung festlegt. Auswirkungen hat dies auf die Geltung des öffentlichen Tkrif- und Besoldungsrechts. Hieraus resultieren Probleme z.B. bei der Anwerbung von Handwerkern für die Theaterwerkstätten, die auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz zu den privaten Handwerksbetrieben stehen. Das öffentliche Tkrif- und Besoldungsrecht stellt nicht selten ein Hindernis für die Gewinnung von Nachwuchs dar, da Arbeitnehmer die Vorteile einer leistungsbezogenen Bezahlung im gewerblichen Handwerksbereich dem eher unflexiblen öffentlichen Besoldungssystem vorziehen. Der Regiebetrieb unterliegt aufgrund seiner Eingliederung in die Verwaltung der kameralistischen Haushaltsführung.9 Regiebetriebe können nicht mit einem auf die Spielzeit (in der Regel September-August) bezogenen Rechnungsjahr operieren, da das gemeindliche Haushaltsjahr mit dem Kalenderjahr identisch ist. Die strikte Trennung von Einnahmen und Ausgaben liegt im System der kameralistischen Rechnungslegung begründet, die keine Jahresabschlußrechnung mit Gewinn- und Verlustausweisung kennt. Da die Einnahmen des Theaters global in den Haushalt des Rechtsträgers fließen, fehlt ferner der Anreiz für die Theater, höhere Einnahmen durch eine marktwirtschaftliche Preisgestaltung und zusätzliche Aktivitäten im Medienbereich zu erzielen.10 Die sachliche und zeitliche Bindung der Haushaltsmittel sind Folge der Unterstellung der Regiebetriebe unter das öffentliche Haushaltsrecht. Grundsätzlich fehlt es an der Möglichkeit einer gegenseitigen Deckung von Ausgabetiteln.11 Im Prinzip ist eine Übertragbarkeit von Ausgabeansätzen in das nächste Wirtschaftsjahr nicht vorgesehen. Die zeitliche Bindung der Ausgabenermächtigung verleitet die Praxis dabei zu "künstlichen" Ausgaben zum Ende des Rechnungsjahres, um künftige Etatkürzungen zu vermeiden.12 In der Praxis zeigt sich aber, daß für die Theater im Bereich der Haushaltsführung oft eine Lockerung von der staatlichen oder gemeindlichen Haushaltsordnung erreicht worden ist. Durch entsprechende Haushaltsvermerke ist manchem Regiebetrieb eine etatmäßige Deckungsfähigkeit zugebilligt worden, die im Sinne einer flexiblen und autonomen Wirtschaftsführung wünschenswert ist.13 Durch eine Lockerung der Kameralistik kann mithin eine Theaterleitung auch innerhalb eines Regiebetriebes zu kaufmännischen Überlegungen ermutigt werden, die das Theater insgesamt effektiver und wirtschaftlicher machen. Strukturbedingte Nachteile des Regiebetriebes können damit durch theatergerechte Sonderregelungen in der Praxis verringert werden. Es gibt Beispiele dafür, daß der Einfluß der Querschnittsämter verringert wurde und die Kompetenzen der Theater für die personalwirtschaftlichen, organisatorischen und
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finanzwirtschaftlichen Angelegenheiten im Interesse einer flexibleren Betriebsführung erweitert wurden. Größere Sachnähe und Fachkenntnis der Mitarbeiter des Theaters rechtfertigen diese Maßnahme und führen auch zu einer eindeutigeren Regelung der Verantwortlichkeit.14 Der Regiebetrieb überläßt dem Theaterleiter in keinem Falle die finanz- und personalwirtschaftliche Gesamtverantwortung für sein Haus. Entscheidungsvorgänge benötigen nach wie vor in der Regel einen höheren Zeitaufwand und schränken die Flexibilität des Theaters ein.
Eigenbetrieb Gegenüber dem Regiebetrieb zeichnet sich der (öffentlich-rechtliche) Eigenbetrieb durch eine größere Selbständigkeit aus. Der Eigenbetrieb besitzt eigene Organe und ist damit organisatorisch aus der übrigen Verwaltung ausgegliedert.15 Im Unterschied zu den Kapitalgesellschaften (AG/GmbH) hat der Eigenbetrieb allerdings keine eigene Rechtspersönlichkeit. Mit der Errichtung eines Eigenbetriebes wird ein Sondervermögen der Gemeinde einer besonderen Verwaltung unterstellt. Der Eigenbetrieb führt daher nach den Grundsätzen der kaufmännischen Rechnungslegung einen eigenen Jahresabschluß durch, dessen Ergebnis (Verlust und Gewinn) im Gemeinde- bzw. Staatshaushalt ausgewiesen wird.16 Da die Betriebssatzungen eine Reihe von Zuständigkeiten der Gemeindevertretung vorbehalten, ist auch hier der Spielraum für eigenverantwortliches Handeln der Theaterleitung begrenzt. Die eigentliche laufende Betriebsführung liegt jedoch in der ausschließlichen Kompetenz der Theaterleitung. Der Eigenbetrieb ist damit in mancher Hinsicht den rechtlich verselbständigten Eigengesellschaften angenähert. Eigengesellschaft am Beispiel einer Theater-GmbH Als sogenannte Eigengesellschaften werden bezeichnet alle "privatrechtlich selbständig organisierten Aufgabenträger, an denen eine Gemeinde ausschließlich beteiligt ist"17. Mit der Gründung einer selbständigen juristischen Person des Privatrechts (in der Regel GmbH) wird eine weitgehende haushalte- und vermögensmäßige Trennung des Gemeinde- und Gesellschaftsvermögens vollzogen. Der Rechtsträger ist auf die Einwirkungsmöglichkeiten beschränkt, die im GmbH-Recht zugelassen sind. Der Rechtsträger kann damit nur über die Gesellschaftsorgane (Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat) Einfluß auf die Führung des Theaters nehmen. Die übergreifende Gesamtverantwortung der geschäftsführenden Theaterleitung ist daher im Grundsatz in einen GmbH-verfaßten Theaterbetrieb ungleich stärker ausgeprägt als im Regiebetrieb, auch wenn der Geschäftsführung gesetzlich kein ausschließlicher Kompetenzbereich vorbehalten ist. Da das GmbH-Gesetz überwiegend dispositives Recht darstellt, können die weitreichenden gesetzlichen Vollmachten und Befugnisse der Geschäftsführung eingeschränkt werden. Von dieser Möglichkeit haben die Rechtsträger in unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch gemacht. Hierdurch nähern sich die GmbH-verfaßten Theaterbetriebe den sogenannten Eigenbetrieben der Gemeinden an.
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Möglichkeiten und Grenzen einer Theater-GmbH werden nachfolgend am Beispiel der Hamburgischen Staatsoper dargestellt. Der Gesellschaftsvertrag der Hamburgischen Staatsoper GmbH vom 10. Juni 1981 sieht eine Zustimmung des Aufsichtsrats für die Bestellung und Abberufung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten, den Wirtschafisplan, die Festsetzung allgemeingültiger Entgelte, den Abschluß von Miet- und Pachtverträgen ab einer gewissen Größenordnung, die Aufnahme von Krediten, die Gewährung von Darlehen sowie die Übernahme von Bürgschaften usw. vor. Die Geschäftsanweisung des Aufsichtsrats für die Geschäftsführung der Hamburgischen Staatsoper nennt weitere Geschäfte, die in Erweiterung des Gesellschaftsvertrages der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Zustimmen muß der Aufsichtsrat danach z.B. der Einstellung von MTV-Angestellten, BTT-Angestellten und Angestellten nach Sonderdienstvertrag ab einer bestimmten Vergütungshöhe. Solche Zustimmungserfordernisse wirken allerdings ausschließlich im Innenverhältnis. Im Rahmen einer unbeschränkbaren Vertretungsmacht der Geschäftsführer sind solche Willenserklärungen der Geschäftsführung auch dann wirksam, wenn eine Zustimmung des Aufsichtsrats bzw. der Gesellschafterversammlung nicht vorliegt. Paragraph 35 Absatz 2 GmbH-Gesetz schützt das Vertrauen des Rechtsverkehrs auf die umfassende Vertretungsmacht der Geschäftsführer in einer GmbH. Die Nichtbeachtung dieser Einschränkungen des Gesellschafisvertrags bzw. der Geschäftsanweisung kann jedoch im Innenverhältnis Konsequenzen haben, die von Regreßverpflichtungen bis zur Abberufung der Geschäftsführer gehen können. Bestellung, Anstellung und Abberufung der Geschäftsführer obliegen nach dem Gesellschaftsvertrag dem Aufsichtsrat und bedürfen überdies der Zustimmung der Gesellschafterversammlung. Auch im Bereich der wirtschaftlichen Führung des Theaters hat die in der GmbHVerfassung angelegte Handlungsfreiheit der Geschäftsführung eine Reihe von Einschränkungen erfahren. Diese werden in Zuwendungsrichtlinien oder besonderen Bewilligungsbedingungen statuiert, die die Voraussetzungen für die Gewährung von staatlichen oder gemeindlichen Zuschüssen festlegen.18 Hinsichtlich der Bewirtschaftung der Zuwendungen gilt für die Hamburgische Staatsoper, daß die im Wirtschaftsplan und in den Erläuterungen aufgeführten Zweckbestimmungen und Einzelmaßnahmen für die Wirtschaftsführung des Theaters grundsätzlich verbindlich sind. In den Bereichen Technik, Hausverwaltung und Kaufmännische Verwaltung dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich nur nach Maßgabe des Stellenplans eingestellt bzw. beschäftigt werden. Von den Stellenplänen für das nichtkünstlerische Personal kann nur mit der Einwilligung der Kulturbehörde und der Finanzbehörde abgewichen werden. Derartige Vorschriften der Zuwendungsrichtlinien schränken die Personalhoheit der Geschäftsführung im nichtkünstlerischen Bereich erheblich ein. Die Geschäftsführung kann daher nur mit Beteiligung der genannten Behörden, z.B. eine Umorganisation im Bereich der Werkstätten vornehmen, die nach ihrer Auffassung die Effizienz in diesem Bereich erhöhen würde. Mit der Bindung an Stellenpläne ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum Regiebetrieb aufgehoben. Weiterhin besteht ein Verbot der privatrechtlich geführten Staatstheater in Hamburg, ihre Beschäftigten finanziell besserzustellen als vergleichbare Bedienstete des Rechtsträgers. Bei privatrechtlich geführten Theaterbetrieben, die wie im Falle der Hamburgischen Staatsoper zu etwa 75 Prozent aus staatlichen Mitteln finanziert werden, soll auf diese Weise eine vergütungsmäßige Vergleichbarkeit mit dem Verwaltungsbereich des Rechtsträgers erreicht werden. Es läge im Interesse einer betriebsna-
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hen Personalwirtschaft, die Möglichkeiten der GmbH-Verfassung in diesem Bereich konsequenter zu nutzen, wie dies bei einigen Theatern der Fall ist, die nicht an Stellenpläne gebunden sind (z.B. Theater und Philharmonie Essen GmbH). Für die Haushaltsführung kommt der Frage der Deckungsfähigkeit innerhalb des Wirtschafitsplans zentrale Bedeutung zu. Die Ansätze für Aufwendungen im Erfolgsplan sowie die Ansätze für Investitionen im Finanzplan sind jedoch je für sich gegenseitig deckungsfähig. Die Geschäftsführung kann daher Minderausgaben in einem Bereich für Mehrausgaben in einem anderen Bereich verwenden. Verstärkungsmittel können zur Finanzierung von zwangsläufigen Mehrausgaben im Erfolgsplan aufgrund gesetzlicher, tarifvertraglicher sowie anderer bindender Tatbestände (z.B. Preissteigerung) beantragt werden. Dies betrifft vor allem tarifliche Lohnerhöhungen, die vor einer Lohnrunde nur mit einem geringen Prozentsatz im Wirtschaftsplan berücksichtigt wurden, um für die Tarifauseinandersetzung kein Signal zu setzen. Die Möglichkeit der Verwendung von erzielten Mehreinnahmen bestimmt nachhaltig die Haushaltsführung einer Theaterleitung. Die erzielten Netto-Mehreinnahmen werden vorrangig zur Deckung unabweisbarer und unvorhersehbarer Mehraufwendungen herangezogen, die nicht im Rahmen der Deckungsfähigkeit ausgeglichen werden können. Die darüber hinaus verbleibenden Netto-Mehreinnahmen führen im Falle der Hamburgischen Staatsoper in Höhe von 60 Prozent zur Verminderung der Zuwendungen der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Geschäftsführung kann somit lediglich 40 Prozent der erzielten Netto-Mehreinnahmen für betriebliche Zwecke einsetzen oder auf eines der folgenden Wirtschaftsjahre übertragen. Die Bereitschaft zu unternehmerischem Verhalten dürfte in dem Maße wachsen, in dem Mehreinnahmen dem Theater verbleiben und nicht für eine Verringerung des staatlichen oder gemeindlichen Zuschusses herangezogen werden. Das gesamte Rechnungswesen einer GmbH ist nach kaufmännischen Prinzipien ausgestaltet, die eine Erfolgsrechnung ermöglichen. Der Rechtsträger verlangt kontinuierliche (monatlich) Berichterstattungen über die wirtschaftliche Entwicklung des Theaters in Form von Hochrechnungen zum Spielzeitende, die eine Übersicht über den Stand der tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen bieten. Bewertung In der Theater-GmbH ist im Vergleich zum Regiebetrieb eine relativ autonome Erledigung der haushaltsrechtlichen, personalwirtschaftlichen und organisatorischen Angelegenheiten möglich.19 Es kommt allerdings entscheidend auf die Fassung des Gesellschafisvertrages und der Bewilligungsbedingungen an, die - im ungünstigen Fall - sogar eine strukturelle Angleichung an den Regiebetrieb bewirken können (Beispiel: Bindung an Stellenpläne und öffentliches Besoldungssystem). Mit dem Eigenbetrieb läßt sich ein der GmbH durchaus vergleichbarer Handlungsspielraum für die Theaierleitung erreichen.20 Die Einflußnahme des Rechtsträgers vollzieht sich beim Eigenbetrieb und der Eigengesellschaft gleichermaßen über die Organe der Gesellschaft bzw. anhand operativer Bestimmungen in den Zuwendungsrichtlinien. Die Kontrolle verlagert sich dadurch weniger in den politischen Raum (Rat/Kulturausschuß) als vielmehr in spezialisierte Organe. Dies fordert eine Versachlichung von Entscheidungsvorgängen, da sich in diesen Gremien parteipolitische Einflüsse weniger auswirken.21 Angesichts der Konvergenz der Theaterbetriebsformen kommt es entscheidend auf
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das Geschick des Theaterleiters an, den gegebenen Spielraum in künstlerischen und wirtschaftlichen Fragen für sein Theater zu nutzen und zu erweitern. Die größere Verselbständigung des privatrechtlich geführten Theaterbetriebs gegenüber dem Rechtsträger mag das Theater als Berufefeld auch für Führungspersönlichkeiten aus der Privatwirtschaft interessant erscheinen lassen. Finanzierung Jenseits aller "ästhetischen Plädoyers" für die Oper bleibt die Frage nach ihrem materiellen Unterbau. Oper kann fraglos eindrucksvolle Akzeptanzdaten vorweisen. Die durchschnittliche Platzausnutzung der Oper liegt nach der Theaterstatistik für die Spielzeit 1990/91 bei über 80 Prozent. Die Oper erscheint bisweilen als ästhetisches Massenmedium des zwanzigsten Jahrhunderts. Für manche gilt die Oper jedoch auch heute lediglich als teures Prestigeobjekt. Und in der Tkt scheinen gelegentlich bekannt werdende Verirrungen der Gagenspirale, Zuwendungen aus Steuermitteln in Größenordnungen von jährlich 70 oder 80 Millionen DM für ein einzelnes Opernhaus angesichts drängender sozialer Staatsaufgaben dem Bürger zuweilen nur schwer vermittelbar. Opernhäuser sind mit ihrem großen künstlerischen und technischen Apparat insgesamt defizitär und werden es notwendigerweise auch bleiben, da die Kosten aus Gründen sozialer Belastbarkeit nicht voll auf den Besucher abgewälzt werden können.22 Den Theaterunternehmen flössen in den alten Bundesländern als Zuwendungen aus öffentlichen Steuermitteln in der Spielzeit 1990/91 2,3 Milliarden DM zu.23 Der Etat der Hamburgischen Staatsoper beträgt zur Zeit etwa 100 Millionen DM. Die Hamburgische Staatsoper erwirtschaftet davon etwa 20 Millionen DM aus eigenen Einnahmen. Die Geschäftsführer sind gehalten, für jedes Geschäftsjahr (= Spielzeit) einen Wirtschaftsplan aufzustellen. Der Wirtschaftsplan besteht aus einem Erfolgsplan, einem Finanzplan und einer Stellenübersicht (siehe Tabelle 1). Der Erfolgsplan enthält sämtliche Einnahmen und Aufwendungen eines Wirtschaftsjahres. Der Finanzplan zeigt unter Berücksichtigung der einmaligen invesüven Ausgaben und des Betriebsverlustes (Saldo der Einnahmen und Ausgaben aus dem Erfolgsplan) den Zuschußbedarf auf. Die Geschäftsführer haben für ein abgelaufenes Geschäftsjahr, das der Spielzeit entspricht, einen Jahresabschluß aufzustellen. Dieser enthält die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung. Der Aufsichtsrat prüft den Jahresabschluß und berichtet der Gesellschafterversammmlung, die schließlich den Jahresabschluß beschließt. Vor der Beschlußfässung durch den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und der Abstimmung in der Bürgerschaft muß der Aufeichtsrat dem Wirtschaftsplanentwurf der Geschäftsführung zustimmen. In der Praxis wird weitgehend der jeweils vorjährige Wirtschaftsplan unter Berücksichtigung von Preissteigerungen im Sachkostenbereich bzw. von zu erwartenden Tariferhöhungen auf dem Sektor Lohnkosten fortgeschrieben. Qualitative Steigerungen bei einzelnen Ausgabenpositionen sind in diesem Verfahren kaum durchsetzbar. Geschäftsführung und Kultur- und Finanzbehörde verständigen sich ferner über das erreichbare Einnahmevolumen in einer Spielzeit. Im Unterschied zu einem Regiebetrieb, für den die Ausgabenbewilligungen im Vordergrund stehen, fließen bei einem in der Rechtsform der GmbH betriebenen Theaterunternehmen auch Einnahmen in den Wirtschaftsplan mit ein. Da der Zuschuß der Freien und Hansestadt Hamburg
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Tabelle 1 Wirtschaftsplan eines GmbH-Theaters am Beispiel der Hamburgischen Staatsoper, Angaben in % I Aufwendungen 1 Persönliche Ausgaben 1.1 Geschäftsführer 1.2 Künstlerisches Personal - Regiestab, Künstler, Verwaltung u.ä - Dirigenten - Sänger - Chor - Ballett/Ballettschule - Personalkosten des Orchesters 1.3 Technisches Personal 1.4 Kaufmännisches Verwaltungspersonal 1.5 Sozialleistungen
0,4 46,4 4,5 2,2 12,2 6,3 7,6 13,6 22,1 2,6 11,8
Rersonalausgaben gesamt 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 3
83,5
Sachausgaben Betriebsausgaben Verwaltungs-, Werbungs-, Vertriebskosten Urheberrechte Steuern, Versicherungen, Gerichtskosten u.a Grundstücksaufwendungen BaUettzentrum/-schule/-internat Fundus Sonstige Aufwendungen Einmalige Ausgaben
1,5 2,5 1,0 0,8 6,0 1,0 2,1 1,3 0,3
Sachausgaben gesamt
16,5
Gesamtaufwand 1t Erfolgsplan
100,0
Π Erträge 1 Eigenerträge 1.1 Einnahmen aus Vorstellungen (Kartenverkauf, Abonnement, geschlossene Vorstellungen) 1.2 Nebeneinnahmen (Garderobe, Programm) 1.3 Medienerlöse 1.4 Ballettschule/-intemat 1.5 Sonstige Einnahmen Eigenerträge gesamt 2 Deckum des Betriebsverlustes 2.1 Zuschuß der Freien und Hansestadt Hamburg 2.2 Entnahme aus der freien Rücklage Gesamtertrag lt. Erfolgsplan
15,9 0,9 0,7 0,6 1,0 19,1 80,9 80,7 0,2 100,0
Die Verhältniszahlen beziehen sich auf die Gesamtausgaben (Erfolgsplan + Finanzplan = 100 Prozent). Grundlage ist das Geschäftsjahr 1992/93 (identisch mit der Spielzeit 1992/93). Die Betrachtung von Verhältniszahlen macht die Kbstenstruktur eines Musiktheaterbetriebs transparenter.
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nach den maßgeblichen Bewilligungsbedingungen lediglich den Fehlbetrag zwischen Eigenerträgen der Oper und den Gesamtaufwendungen decken soll (Fehlbedarfefinanzierung), ist die Festsetzung des Einnahmesolls im Wirtschaflsplan von eminenter Bedeutung für die Haushaltsführung der Geschäftsführung. Mindereinnahmen müssen im selben Wirtschaftsjahr durch entsprechende Minderausgaben ausgeglichen werden, wenn eine Nachforderung an den Rechtsträger vermieden werden soll. Bei GmbH-Theatern sind daher häufiger differenziertere Preissysteme anzutreffen als bei Regiebetrieben, die eine solche Wechselwirkung von Einnahmen und Ausgaben nicht kennen. Die Hamburger Oper staffelt die Kartenpreise immerhin in acht unterschiedlichen Preisstufen, so daß u.a. flexibel auf bestimmte Besetzungen reagiert werden kann. Seit der Spielzeit 1991/92 gelten sogar an den einzelnen Tagen der Woche unterschiedliche Preise, die der höheren Nachfrage an bestimmten lägen Rechnung tragen. Der Zwang zur Einhaltung des im Wirtschaflsplan festgelegten Einnahmesolls bei einer in bestimmten Grenzen möglichen Verwendung von Mehreinnahmen für betriebliche Zwecke schafft jedenfalls für GmbH-Theater den Anreiz zu marktorientiertem Verhalten. Da die Einnahmemöglichkeiten in hohem Maße abhängig sind von der künstlerischen Konzeption einer Theaterleitung (z.B. Anteil der zeitgenössischen Opern und unbekannterer Werke im Spielplan, Repertoire- oder Blockprinzip, Anzahl der Schließtage), ist die haushaltsmäßige Fortschreibungspraxis jedenfalls beim Einnahmesoll kritisch zu befragen. Ein ausgesprochen publikumsnaher Opernspielplan setzt Richtwerte, die für eine der zeitgenössischen Opernproduktion aufgeschlossene spätere Theaterleitung zum Problem werden können. Die Festschreibung eines Einnahmesolls hat dem Theaterleiter Spielraum zu lassen für einen ausbalancierten Spielplan, der auch Ansprüche stellt und "ästhetische Neugier" voraussetzt. Der Einsatz für zeitgenössische Musik, für bislang unentdeckte Werke des Opernrepertoires und für innovative Regieansätze bei den Werken des vertrauteren Opernrepertoires darf nicht durch die Barriere zu hoch angesetzter Einnahmeverpflichtungen des Theaters unmöglich gemacht werden. Das Einnahmesoll sollte daher bereits Gegenstand der Berufungsverhandlungen mit einer neuen Theaterleitung sein. Mit dieser Berufung muß sich der Rechtsträger nämlich mit der künstlerischen Konzeption der neuen Theaterleitung identifizieren, nicht zuletzt auch in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen. Frühere Einnahmeergebnisse können sonst eine Hypothek für eine neue Theaterleitung bedeuten, die sich für eine avanciert-muügere Programmplanung entschieden hat. Spielplankonzepte dürfen nicht über das Einnahmesoll "konserviert" werden. Die Hamburgische Staatsoper erreichte in den vergangenen Jahren eine Eigenfinanzierungsquote von 22 bis 25 Prozent. Für die Spielzeit 1990/91 errechnete sich für dieses Opernhaus ein Betriebszuschuß in Höhe von 199,69 DM je (zahlendem) Besucher. Die über den Kartenpreis auf den Opernbesucher abgewälzte individuelle Preisbelastung müßte also um ein Vielfaches höher sein, wenn sich die Oper selbst zu tragen hätte. Bei der Preisgestaltung werden aber auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigt, die letztlich die Finanzierung der Theater mit Steuermitteln rechtfertigen. Im Durchschnitt erwirtschaften die bundesdeutschen Theater 15 Prozent ihrer Ausgaben aus Vorstellungseinnahmen und anderen Erträgen. Jede Theaterleitung eines als GmbH geführten Opernhauses steht vor der Herausforderung, künstlerische Strategien mit dem "politischen Zwang" zu wirtschaftlich ausgeglichener Haushaltsführung in Einklang zu bringen. Dabei ist zu berücksichti-
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gen, daß der größte Teil des Etats nicht beeinflußbare Personalkosten sind. Keine andere Kunstsparte erfordert einen so hohen Personalaufwand wie die Oper, die etwa im Unterschied zum Schauspiel große Kollektive (Orchester, Chor und Ballett) beheimatet. Für einen solchermaßen personalintensiven Betrieb entsteht als Folge von Tariferhöhungen ein enormer Kostendruck, dem sich die Oper kaum durch Automation und Rationalisierung - die Theaterwerkstätten stellen Unikate und keine genormten Industrieprodukte her - entziehen kann. Die Hamburgische Staatsoper beschäftigt immerhin knapp 800 Mitarbeiter im künstlerischen, technischen und verwaltenden Bereich. Der Personalkostenanteil am Gesamtbudget beträgt 84 Prozent. Mißverständlich ist daher die Behauptung, für die Kunst bliebe nur ein verschwindend geringer Prozentsatz des Budgets. Im Prinzip gibt es keinen Bereich, der nicht in enger Verbindung zur künstlerischen Produktion steht. Das ganze Haus arbeitet für die Kunst, auch wenn der jeweilige Beitrag der Verwaltung, der Technik und des künstlerischen Personals unterschiedlich groß sein mag. Es bedarf also einer differenzierenden Sichtweise, die auf die Balance der festen und freien Mittel eines Hauses abstellt. Entscheidend geht es um die Frage, wieviel Mittel aus dem Etat für die künstlerische Produktion im engeren Sinne (also für Dirigenten, Regisseure, Bühnenbildner, Gastsänger, zur Verfügung stehen. Im Falle der Hamburgischen Staatsoper sind dies etwa 15 bis 19 Prozent des Gesamtetats, die vom Intendanten nach seinen künstlerischen Gesichtspunkten disponiert werden. Für die Ausstattung der Neuproduktionen steht an der Hamburgischen Staatsoper ein Betrag in Höhe von 1,7 Millionen DM zur Verfügung, der auf alle Neuproduktionen einer Spielzeit verteilt werden muß. Dies macht deutlich, warum eine private Förderung weiterhin sinnvoll und notwendig ist. Unterstützung von Mäzenen und Sponsoren in der Größenordnung von etwa 100000 DM für eine Opern-Neuproduktion stellen angesichts begrenzter "freier" künstlerischer Mittel keineswegs marginale Beträge dar. Sie sind hilfreich, weil sie den einzelnen Etat für eine Neuproduktion erhöhen. Finanzielle Unterstützungen von Sponsoren und Mäzenen - es sei hier nur die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper erwähnt - tragen damit effektiv zu einer künstlerischen Qualitätsverbesserung eines Hauses bei. Die Theaterbesucher als Zielgruppe, der Bekanntheitsgrad von auftretenden Künstlern und die Resonanz in den Medien haben dem Musiktheater einen steigenden Stellenwert in den Sponsoringstrategien der Unternehmen verschafft. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, daß kulturelle Vielfalt und Qualität eines Standards der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region förderlich sind. Hier sind wir auf dem Weg einer prospektiven Partnerschaft von Kultur und Wirtschaft. Wichtig ist dabei freilich, daß die künstlerische Unabhängigkeit des Theaters gewahrt bleibt. Selbstverständlich steht es dem Sponsor frei, sich vor der endgültigen Entscheidung für ein Sponsoring ein Bild von der künstlerischen Produktion zu verschaffen, mit der er sich möglicherweise identifizieren möchte. Eine Einflußnahme auf das künstlerische Produkt oder ein Mitspracherecht bei der Besetzung sollte es nicht geben und - dies sei aus langjähriger Intendantenerfàhrung gesagt - hat es auch nicht gegeben. Im Gegenzug müssen dem Sponsor Möglichkeiten für eine werbliche Präsentation geboten werden. Hierfür gibt es freilich Grenzen, die von den einzelnen Theatern recht unterschiedlich definiert werden. Im Raum steht die Meinung, Sponsoren unterstützten nur, was beim Publikum ankommt (August Everding). Daß ein Theater aber auch zeitgenössische Opern aufführen kann, verdankt es der öffentlichen
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Finanzierung, die auch in der Zukunft die tragende Säule der Finanzierung eines Opernhauses sein wird.
Abhängigkeiten bei der Spielplangestaltung Schon bei der Gestaltung des Spielplans bestehen Abhängigkeiten, die mit künstlerischen Konzeptionen kaum noch zu tun haben. Die spezifischen technischen und logistischen Rahmenbedingungen eines Musiktheaters nehmen auf vielfaltige Weise Einfluß auf den Spielplan. Jede einzelne Aufführung muß sich mit ihren eigenen technischen Parametern in das Umfeld des Spielplans einfügen. So bestehen von vornherein mannigfache Einschränkungen bei der Festlegung des Spielplans, die von der technischen Ausstattung der Bühne abhängen. Das Hamburger Haus verfügt beispielsweise nicht über Seiten- und Hinterbühnen, die es ermöglichen, Bühnenbilder parallel aufzubauen und auf Bühnenwagen zu verschieben. In Hamburg muß die Ausstattung einer Produktion nach der Aufführung vollständig abgebaut werden, damit am nächsten Vormittag auf der Hauptbühne wieder geprobt werden kann. In den Verträgen mit Regisseuren und Bühnenbildnern für eine Neuproduktion muß deshalb Vorsorge getroffen werden, daß eine Ausstattung ab 13.00 Uhr des Vorstellungstages aufbaubar ist, damit das Probenfeld nicht beeinträchtigt wird. Andere Häuser, wie beispielsweise die Bayerische Staatsoper München, die über Seiten- und Hinterbühnen verfügen, können möglicherweise auf eine solche Regelung verzichten, da die kompletten Ausstattungen nach hinten oder zur Seite verschoben werden können. Schon bei den Vorgesprächen mit Regisseur und Bühnenbildner muß darauf geachtet werden, daß eine Neuproduktion erstellt wird, die sich an den spezifischen technischen und räumlichen Möglichkeiten des Opernhauses orientiert. Ein Theaterleiter muß es daher verstehen, mit der Erwartungshaltung von Bühnenkünstlern umzugehen, die ihre Erfahrungen von anderen Häusern herleiten und bestimmte technische Möglichkeiten als selbstverständlich voraussetzen. Es bedarf eines ständigen Gedankenaustausches mit den gastweise beschäftigten Bühnen- und Kostümbildnern über die künstlerische Konzeption sowie Fragen ihrer technischen Umsetzung in die Bühnenwirklichkeit. Hierbei durchlaufen Kunst und Technik einen Prozeß der Annäherung. Die Planbarkeit im technischen Bereich wird allerdings generell dadurch erschwert, daß die künstlerische Produktion ausnahmslos aus "Unikaten" besteht, d.h. die technischen Anforderungen von Stück zu Stück gänzlich verschieden sind. Der Arbeitsprozeß kann deshalb kaum vor dem Hintergrund früherer Erfahrungen rationalisiert werden. Bei der sogenannten Bauprobe muß sich erweisen, ob das künsderische Konzept des Bühnenbildners an der jeweiligen Bühne zu verwirklichen ist. Diese Probe sollte möglichst ein Jahr vor der Premiere stattfinden, da zu diesem Zeitpunkt noch genügend Zeit zur Verfügung steht, das Konzept zu ändern, sofern es die technischen Möglichkeiten des Hauses ganz oder teilweise überfordert. Aufgrund dieser Bauprobe fertigt der Bühnenbildner Modelle und Zeichnungen der Ausstattung an, nach denen das Bühnenbild in den Werkstätten hergestellt wird. Wichtig ist, daß in den Verträgen mit den Bühnen- und Kostümbildnern Ablieferungstermine für die Werkstattunterlagen verbindlich festgelegt werden, um so eine zeitge-
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rechte Erstellung der Bühnenbilder und Kostüme im Rahmen der verfügbaren Werkstattkapazitäten abzusichern. Im Falle der Überschreitung dieser Ablieferungstermine begeht der Bühnenbildner eine Vertragsverletzung, für die im Vertrag Sanktionen (Schadenersatz, Rücktrittsmöglichkeit) vorgesehen sein können. Fraglich ist allerdings, ob im Falle der Ausübung eines vertraglichen Rücktrittsrechts mit der Verpflichtung eines neuen Bühnenbildners der ursprüngliche Produktionsplan noch eingehalten werden kann. Theater stehen bei mangelnder Vertragstreue der künstlerischen Partner damit immer vor der Gefähr, eine angekündigte Premiere absagen zu müssen. Damit in einer Spielzeit eine annähernd gleichmäßige Auslastung der Werkstätten gewährleistet ist, die eine Überlastung einzelner Teilbereiche ausschließt, bedarf es einer langfristigen Planung, die sämtliche Neuproduktionen einer Spielzeit mit einbezieht. Größenordnungen und Details der Neuproduktionen einer gesamten Spielzeit müssen einer Theaterleitung also schon zu einem frühen Zeitpunkt bekannt sein. Auf diese Weise wird ein Spielraum für Entscheidungsalternativen gewonnen, sollte eine Überlastung der Werkstätten erkennbar werden. Eine solche vorausschauende Werkstattplanung hat zum Ziel, Ressourcenkonflikte zu vermeiden, die zu kostspieligen Fremdvergaben einzelner Dekorationsteile führen. In den Verhandlungen mit Regisseur und Bühnenbildner ist deshalb auf eine Dimensionierung der Ausstattung zu achten, die die vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen des Hauses nicht überspannt. In den Verträgen wird üblicherweise das Produktionsbudget genannt, in dessen Rahmen die Neuproduktion realisiert werden muß. Kostenkontrolle ist heute ein zentrales Anliegen. Jede Neuproduktion muß ausgabenmäßig überwacht werden. Dies setzt eine detaillierte Vorkalkulation, die zentrale Erfassung von Ausgaben und eine Nachkalkulation mit einem Soll-Ist-Vergleich voraus. Verläßliche und zeitnahe Informationen über die aktuelle Ausgabenentwicklung bilden die Voraussetzung für eine kostenbewußte Herstellung von Dekorationen. In diesem Bereich sollten bei entsprechender technischer Ausstattung und Schulung der Mitarbeiter die Vorteile der elektronischen Datenverarbeitung genutzt werden, die das fur die Entscheidungen benötigte Datenmaterial schneller aufbereiten kann. Regisseure und Bühnenbildner verpflichten sich, Vereinfachungen an ihrem Konzept vorzunehmen, wenn sich eine Überschreitung der Produktionskosten ankündigt. Hier ist selbstverständlich die Kompetenz der technischen Leitung vonnöten, dem Regiestab Alternativen aufzuzeigen, die das künstlerische Konzept weitgehend unangetastet lassen, gleichwohl aber zu der gewünschten Kosteneinsparung führen. Für diesen künstlerisch-technischen Dialog bedarf es eines besonderen Fingerspitzengefühls, bisweilen aber auch der persönlichen Vermittlung des Intendanten, der auftretende Gegensätze, die sich aus den unterschiedlichen Charakteren der Beteiligten erklären mögen, auflösen hilft. Grundsätzlich wird auch den Technikern des Theaters Sensibilität für künstlerische Anliegen abverlangt, soll der Dialog zwischen Kunst und Technik Erfolg haben. Die Theaterleitung muß bei ihren Mitarbeitern die Bereitschaft fördern, gemeinsam mit dem Künstler neue Wege zu gehen, aber auch umgekehrt diesen zu überzeugen, wenn seine Ideen technisch nicht umgesetzt werden können. Dies ist nicht selten ein schmaler Grat, der die Kommunikationsfahigkeit des Theaterleiters in hohem Maße fordert.
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Harmonisierung der geltenden Tarifverträge Zentrales Anliegen eines Theaterleiters ist es, die Zusammenfiihrung verschiedenartiger Teilbereiche des Theaters zu ermöglichen - angesichts der großen Zahl der Berufegruppen, die an einem Theater beschäftigt sind, eine nicht immer leicht zu lösende Aufgabe. Die Theater der DDR kannten einen Rahmenkollektiwertrag, der mit gewissen Sonderregelungen hinsichtlich einzelner Berufegruppen für alle Beschäftigten des Theaters galt. In der Bundesrepublik ist die Tarifentwicklung in diesem Bereich anders verlaufen und hat ein schwer durchschaubares System von unterschiedlichen Tarifverträgen hervorgebracht.24 In der Verwaltung und in den technischen Bereichen arbeiten Beamte oder Angestellte nach Bundesangestelltentarifvertrag (BAT). Für Orchestermusiker gilt der Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK). Für Chorsänger ist der Normalvertrag Chor maßgebend. Tänzer werden auf der Grundlage des Normalvertrages Ballett beschäftigt. Mit Schauspielern und Sängern werden sogenannte Normalverträge Solo abgeschlossen. Der Bühnentechnikertarifvertrag (BTT) regelt die Rechtsverhältnisse der Bühnentechniker. Darunter fallen etwa Maskenbildner, Beleuchter, Theatermaler und andere künstlerisch-technische Berufe. Dieses komplizierte Tarifvertragssystem der Bühnen wirft die Frage nach seiner Funktionsfähigkeit im täglichen Proben- und Spielbetrieb auf. Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, August Everding, hat in einem Interview ein "Theatergesetz" gefordert, das die Unübersichtlichkeit der geltenden Tkrifverträge beenden sollte. Dahinter steht der Gedanke einer Harmonisierung der Tkrifverträge, jedenfalls dort, wo unterschiedliche Regelungen der notwendigen Zusammenarbeit der Berufegruppen am Theater entgegenstehen. Die Normalverträge Solo, Chor und Tanz enthalten im wesentlichen identische Regelungen über Ruhezeiten und Mitwirkungsverpflichtungen. Schwieriger gestaltet sich die Situation an der Schnittstelle von Kunst und Technik. Bühnenhandwerker sind entweder auf der Basis des Bundesangestelltentarifvertrages oder aber eines Manteltarifvertrages beschäftigt, die gewisse Sonderbestimmungen für das Theater vorsehen. Hier wäre in der Tat eine Kongruenz der Tkrifverträge wünschenswert, damit die Zusammenarbeit der Kollektive reibungsloser verlaufen kann. Dazu erforderlich wäre allerdings eine gemeinsame Tkrifzuständigkeit des Deutschen Bühnenvereins und der Bühnengewerkschaften auch für das technische und verwaltende Personal, an der es bislang fehlt. Ein genereller Angriff auf die Tkrifverträge des künstlerischen Personals übersieht, daß die bestehenden Tarifverträge nicht etwa den Theatern einseitig von den Bühnengewerkschaften aufgezwungen wurden. Sie waren stets das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger und dem Deutschen Bühnenverein, dessen Tarifausschuß auch Intendanten als beratende Mitglieder angehören. Im übrigen ist es das verfassungsrechtlich verbürgte Recht der Arbeitnehmer, eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen auf tariflichem Wege zu erreichen. Die in der Verfassung geschützte Kunstfreiheit setzt nicht das Sozialstaatspostulat des Grundgesetzes außer Kraft. Zwischen sozialem Besitzstand der künstlerisch Beschäftigten eines Theaters und der Kunstfreiheit besteht daher durchaus ein Spannungsverhältnis. Bei einer sinnvoll genutzten Probe sind Musiker aber durchaus bereit, einer kurzfristigen Überziehung der Probe zuzustimmen. Falsch ist auch die Annahme, daß sich Phantasie und Inspi-
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ration eines Regisseurs immer nur dann einstellen, wenn die tariflich vorgesehenen Probezeiten der Kollektive bereits abgelaufen sind. Die Arbeitszeitregelungen erziehen Regisseure und Dirigenten zu einer sinnvollen Nutzung der verfügbaren Probenzeiten. Ein Theaterleiter mag sich zuweilen eine größere Elastizität der Tarifverträge wünschen. Unhaltbar ist aber die Vorstellung, wahre Kunst könne sich nur in einem tariflosen Raum entfalten. Die Harmonisierung von Tarifverträgen wird fraglos ein Ziel der kommenden tarifpolitischen und tarifrechtlichen Diskussion sein.
Anmerkungen 1 Eine Bestandsaufnahme des heutigen Musiktheaters liefern die Beiträge verschiedener Intendanten unter dem Titel: 'Notwendig? Entbehrlich? Überflüssig? Das deutsche (Musik-)Theater in den neunziger Jahren', in: Opernwelt 1990, 10, S. 12-17; 11, S. 11-16; 12, S. 14-22. 2 Darstellung der Bühnenberufe in: Werner-Jensen, Arnold, Oper intern, Mainz/ München 1989. 3 Die vergleichende Untersuchung der Theaterbetriebsformen einer Expertengruppe des Deutschen Bühnenvereins - Bundesverband deutscher Theater aus dem Jahr 1984 ist veröffentlicht in: 'Führung und Steuerung des Theaters', KGSt-Gutachten, Köln 1989, Anlage 8, S. 161-179; immer noch lesenswert Wezel, Wolfdietrich, 'Das subventionierte öffentliche Theater. Seine Struktur und seine Problematik', München, Diss. 1964, S. 97-115/152-168; Maier, Hanns, 'Die Situation der Musiktheater-Betriebsformen', in: Strukturprobleme des Musiktheaters in der Bundesrepublik Deutschland, Thurnau 1978, S. 7277. 4 Allgemein zur Wahlfreiheit Scholz, Rupert/Pitschas, Rainer, 'Kriterien für die Wahl der Rechtsform', in: Püttner, Günter (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 5, Kommunale Wirtschaft, Berlin 1984, S. 129-130. 5 Scholz, R./Pitschas, R., a.a.O., S. 142. 6 Wezel, W., a.a.O., S. 97. 7 Zeiss, Friedrich, 'Die Selbständigkeit der Organisation der Eigenbetriebe innerhalb der Verwaltung', in: Püttner, G., a.a.O., S. 153-167, hier S. 154. 8 'Führung und Steuerung des Theaters', KGSt-Gutachten, Köln 1989, S. 45. 9 Grundlegend Winckelmann, Hans, Kameralistische und kaufmännische Rechnungslegung in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben, Berlin 1950; Mühlhaupt, Ludwig, 'Kameralistik', in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 1/2, Stuttgart 1975, S. 2059-2077. 10 'Führung und Steuerung des Theaters', KGSt-Gutachten, Köln 1989, S. 50.
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11 Der Ausschluß der gegenseitigen Deckungsfähigkeit wird noch verstärkt durch das den Haushaltsplan beherrschende Spezialitätsprinzip; vgl. hierzu Wezel, W., a.a.O., S. 99/156. 12 Winckelmann, H., a.a.O., S. 31; Mares, Rolf, 'Betriebsformen des heutigen Musiktheaters', in: Strukturprobleme des Musiktheaters, a.a.O., S. 70; Wezel, W„ a.a.O., S. 157. 13 Allgemein zur Problematik von Ausnahmeregelungen, Wezel, W., a.a.O., S. 155. 14 'Führung und Steuerung des Theaters', KGSt-Gutachten, Köln 1989, S. 47. 15 Ausführlich zur Struktur der Eigenbetriebe, Zeiss, F., a.a.O., S. 153-167; vgl. auch Wezel, W., a.a.O., S. 105-108. 16 Bolsenkötter, Heinz, Rechnungslegung und Prüfung kommunaler Unternehmen, in: Püttner, G., a.a.O., S. 220-237. 17 Kraft, Ernst Thomas, 'Eigengesellschaften', in: Püttner, G., a.a.O., S. 168— 183, hier S. 169. 18 Für die Staatstheater der Freien und Hansestadt Hamburg ist eine Novellierung der derzeit geltenden Bewilligungsbedingungen im Gespräch. 19 Karpen, Ulrich/Hofer, Katrin, 'Zur Verwaltung großer Bühneninstitute', VerwArch 1990, S. 557-577, hier S. 559-560. 20 Wezel, W„ a.a.O., S. 167-168. 21 Vgl. Zeiss, F., a.a.O., S. 164; 'Führung und Steuerung des Theaters', KGStGutachten, Köln 1989, S. 92; kritisch Repkewitz, Ulrich, 'Nochmals: Zur Verwaltung großer Bühneninstitute', VerwArch 1990, S. 578. 22 Vgl. Jonas, Lutz, 'Die Finanzierung der öffentlichen Theater in der Bundesrepublik Deutschland', Diss, Mainz 1972, S. 102ff.; zum gesamten Komplex Scherpenberg, Norman von, 'Musiktheater in unserer Zeit - eine musikpolitische Betrachtung', Opernwelt 8/1990, S. 8-10. 23 Theaterstatistik 1990/91, Köln, herausgegeben vom Deutschen Bühnenverein. 24 Behr, Andreas, 'Sozialgefüge der deutschen Musiktheater', in: Strukturprobleme des Musiktheaters, a.a.O., S. 78-81.
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Das Theater als Kultur- und Wirtschaftsfaktor Angesichts der tiefgreifenden finanziellen Krisensituation der öffentlichen Haushalte, insbesondere der Kommunen, ist es, nicht zuletzt auch für die öffentlichen Theater, höchste Zeit, den Fragen ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung entschieden mehr Aufmerksamkeit zu widmen als bisher. Dies gilt um so mehr, da wir in einer wachsenden Freizeitgesellschaft leben, die von einer inflationären Entwicklung der audiovisuellen Medien gekennzeichnet ist. Bei der Frage, welchen Stellenwert das Theater in unserer heutigen Gesellschaft einnimmt, tritt sogleich ein eklatanter Grundwiderspruch in Erscheinung: Einerseits gibt es die erfreuliche Erkenntnis, daß das Theater, wie die Kultur schlechthin, als Wachstumsbranche für die Zukunft gilt. Andererseits aber ist die ernüchternde Tatsache nicht zu leugnen, daß bei einer Kürzung der öffentlichen Kassen gerade die großen und traditionsreichen Kultureinrichtungen wie die Theater immer wieder als erste in die "Schußlinie" geraten. Die wesentliche Ursache hierfür dürfte sein, daß der Theater- wie der gesamte kulturelle Bereich im Gegensatz zu anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge bis heute immer noch nicht als gesetzliche Pflichtaufgabe anerkannt ist. Als sogenannter "Subventionsempfanger" (oder treffender: "Almosenempfänger") ist er in viel stärkerem Maße Beweiszwängen ausgesetzt. Deshalb muß er ständig um seine Existenz kämpfen. Dieser grundlegende Widerspruch kann nur durch ein rückhaltloses Bekenntnis zum Kulturstaat und die Sicherung der öffentlichen Finanzierung von Kultur und ihrer Einrichtungen ausgeräumt werden. Mit diesem längst überfälligen Schritt würde auch das Theater zu einem autonomen Faktor unserer Gesellschaft. Insofern erweisen sich - ohne die Kultur durch ökonomische Argumente bzw. eine Orientierung am wirtschaftlichen Erfolg substituieren zu wollen - die Ergebnisse neuer wissenschaftlicher Untersuchungen als hilfreich. Sie belegen nämlich, was zunächst als völlig verblüffende These erscheint: Theater stellen nicht nur bedeutende Kulturfaktoren dar, sie sind auch beachtliche Wirtschaftsfäktoren für die jeweilige Stadt und die umliegende Region. Denn auf dem Wege der Umwegrentabilität (also zum Beispiel durch ihre Einkommens- und Beschäftigungs-Nebeneffekte) bringen sie mehr Geld ein, als sie kosten.1 Als künstlerische Einrichtungen sind Theater nämlich nicht nur Auftraggeber für die einheimische und regionale Wirtschaft, sie erbringen darüberhinaus, durch ihre Wirtschaftstätigkeit und auch über die Ausgaben ihrer Besucher, in erheblichem Maße Leistungen an die Wirtschaft bzw. induzieren Leistungen und bewirken Steuerrückflüsse an den Staat. So nehmen beispielsweise Besucher Transport- und Verkehrsmittel in Anspruch, besuchen Restaurants oder tätigen im Zusammenhang mit einem Theaterbesuch vielleicht Einkäufe. Durch alle diese
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wirtschaftlichen Aktivitäten wird der Geld- und Wirtschaftskreislauf angeregt. Obwohl von vielen milde belächelt, haben diese neuen Erkenntnisse endlich einmal mit der Vorstellung aufgeräumt, Kultur sei ein überflüssiger Luxus, auf den man, wenn es darauf ankomme, als erstes verzichten könne. Die neuere Erkenntnis, daß kulturelle Einrichtungen konstituierende Faktoren ökonomischer Aktivitäten und Erfolge sind, müssen sich auch die öffentlichen Theater zu Nutzen machen. Das bedeutet allerding gleichzeitig, daß sie sich mehr am Markt orientieren und dessen Möglichkeiten und Instrumente voll ausschöpfen, ohne sich ihm anpassen zu müssen.
Kunst und Geld: Die Doppelrolle des Theaters in der Marktwirtschaft — Grundüberlegungen zur Wirtschaftlichkeit Die Doppelrolle, die das Theater als Kultur- und Wirtschaftsfaktor spielt, spiegelt sich auch in seiner eigenen Rolle als Wirtschaftsunternehmen innerhalb der Marktwirtschaft wider. Da die Rolle des Theaters in der Marktwirtschaft die Entwicklung eines theaterspezifischen betriebswirtschaftlichen Managementmodells mitbestimmt, bedarf sie zunächst einer kurzen Darstellung: Als wirtschaftliche und künstlerische Einrichtungen leben die Theater in einem ständigen Zielkonflikt zwischen Kunst und Geld. Ein Konflikt, der so alt ist wie das Theater selbst und der seine wechselhafte Geschichte geprägt hat und bis heute mitbestimmt. Als Spielstätte der Kunst und Produktionsstätte für Kunst ist das Theater ein Wirtschaftsunternehmen. Es ist damit, wie jeder andere Betrieb, ins allgemeine Wirtschaftsgeschehen eingebunden. Aber es hat dazu eine schwierige Doppelrolle zu erfüllen: Die Leistungsziele von Theatern liegen in einem Überschneidungsfeld zweier Wertesysteme, nämlich dem marktmäßiger und damit ökonomischer und dem künstlerischer, damit nicht-ökonomischer Bewertung.2 Und somit unterscheidet sich das Theater wesentlich von anderen, rein marktwirtschaftlich orientierten Unternehmen, die ausschließlich auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind. Denn das Primärziel eines Theaterbetriebes liegt in seiner künstlerischen Leistung oder, besser gesagt, in seinem künstlerischen Erfolg. Selbstverständlich wird der wirtschaftliche Erfolg gleichermaßen angestrebt, nur decken sich die beiden Erfolgsziele nicht immer. Die Balance zwischen diesen beiden Zielen — insbesondere in finanziellen Krisenzeiten - gleicht vielmehr einem ständigen Drahtseilakt, wie das Theater selbst. Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit öffentlicher Theater ergeben sich aufgrund ihrer Doppelrolle als künstlerische und wirtschaftliche Einrichtungen also besondere Aspekte. Der Charakter des öffentlichen Theaters als Produktions- und als Dienstleistungsbetrieb dokumentiert sich in der Wirtschaftlichkeit auf zwei Ebenen (vgl. Abbildung 1). Der Produktionsbetrieb Theater erbringt durch den Einsatz personeller, sächlicher und finanzieller Produktionsfaktoren (Sekundär-Input) Produktionsleistungen in Form von künstlerischen Produktionen (Inszenierungen von Werken/Stücken). Der Output des Produktionsbetriebes (Inszenierungen = SekundärOutput) stellt gleichzeitig den Primär-Input des Dienstleistungsbetriebs Theater dar. Aus der Verbindung von künstlerischen Leistungen (Inszenierungen von Bühnenwerken) und produktionstechnischen Leistungen (Herstellung von Produktionen) ergibt sich als Primär-Output das künstlerische Programm (Spielplan/Aufführungsfolge).
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Abbildung 1 Theaterbetriebsprozeß (in Anlehnung an das Effizienz-Modell für Rundfunkanstalten). Vgl. G. Sieben, Anm. 3. Die Wirtschaftlichkeit auf der Primärebene (Spielplan) bestimmt sich aus dem Verhältnis der künstlerischen Produktion und der am Grad der Erfüllung des künstlerischen Auftrags gemessenen Qualität des künstlerischen Angebots. Die Messung der Wirtschaftlichkeit auf der Primärebene entzieht sich jedoch sowohl im Soll (Planung) als auch im Ist (Kontrolle) rein quantitativ betriebswirtschaftlichen Kriterien. Denn die Qualität des Theaters ist kaum definierbar, geschweige denn meßbar. Es bedarf deshalb der Heranziehung von Hilfegrößen, die zur Darstellung des Zielerreichungsgrades des Theaters indikatorhaft herangezogen werden können. Dafür kommen beispielsweise in Betracht: die Häufigkeit positiver Kritiken in den Medien, Einladungen zu Wettbewerben, Verleihung von Preisen, Attraktivität des Theaters für junge Künstler. In der Regel handelt es sich dabei um subjektive Qualitätsurteile, die keine absolute Gültigkeit beanspruchen können. Sie sind aber dennoch eher geeignet, den Sachzielerreichungsgrad eines Theaters zu beurteilen als Verkaufserlöse, Deckungsbeiträge oder Kostendeckungsgrade.4 Die Wirtschaftlichkeit auf der Sekundärebene ist bestimmt durch das Verhältnis von Art, Menge und Preis der eingesetzten Produktionsfaktoren (Sekundär-Input) und der Anzahl der Produktionen und Aufführungen. Zur Beurteilung der Sekundär-Effizienz ist zunächst der Sekundär-Input nach Art, Menge und Preis zu bestimmen. Zur
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Messung und Beurteilung des Sekundär-Outputs können zum Beispiel Auslastungsund Ausbringungsstatistiken, die Leistungsrechnung sowie die Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung dienen.
Modernes Theatermanagement tut not Wenn man die gegenwärtige Struktur der öffentlichen Theater in Deutschland betrachtet, wird deutlich, daß sie völlig unflexibel und deshalb weitgehend reformbedürftig geworden ist. Dies gilt nicht nur in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Die wesentlichen Mängel, die zu einer fortschreitenden Behinderung der künstlerischen Prozesse geführt haben, sind: - das geradezu theaterfeindliche Tkrifgefüge, das ein Neben- und nicht ein Miteinander fördert. Es führt zu einer wachsenden Entfremdung der am künstlerischen Prozeß Beteiligten; - das stete Wachsen von Verwaltungsvorschrifiten und gesetzlichen Regelungen, die die Theaterarbeit einengen; - die straffe Anbindung an relativ starre Verwaltungsstrukturen (Ämterkompetenzen, kommunale Personalwirtschaft, lange und umständliche Entscheidungswege, theaterfremde Entscheidungskriterien) und die fehlende Eigenverantwortung bzw. Selbstverwaltung des Theaters in organisatorischer, personalwirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Hinsicht. Hinzu kommt, daß das derzeit vorhandene Instrumentarium der Unternehmensführung des Theaters in betriebswirtschaftlicher Hinsicht weitgehend veraltet und damit reformbedürftig ist. Seine Hauptschwachstellen sind: - eine ineffiziente Gestaltung des Rechnungswesens (in Form der Kameralistik mit unzureichenden Kontrollinstrumenten); - eine weitgehend fehlende Planung; - eine überwiegend unselbständige Rechtsform (meist in Form des Regiebetriebes, der in seiner derzeitigen Gestaltungsform für ein effizientes Theatermanagement untauglich ist). Das gesamte Instrumentarium der Unternehmsführung des öffentlichen Theaters bedarf damit dringend der Verbesserung. Die zur Beseitigung seiner Mängel notwendigen Strukturreformen erfordern ein fundiertes künstlerisches und betriebswirtschaftliches Management. Dem künstlerischen Management obliegt dabei die Steuerung des gesamten künstlerischen Produktionsprozesses (Gestaltung der Spiel- und Probenplanung, Engagement und Beschäftigung der Künsüer, Organisation der künstlerischen Prozesse sowie die Darstellung und Vertretung des Theaters in der Öffentlichkeit. Das künstlerische Management bildet die Primärfunktion innerhalb des Theaters. Dem Management obliegt die Steuerung des betriebswirtschaftlichen Prozesses (Finanz· und Wirtschaftsplanung, Kassen- und Rechnungswesen, Steuerung der Wirtschaftlichkeit, Verkaufegeschäft, Materialbeschaffung, Haus- und Gebäudeverwaltung, Vertrags- und Rechtsangelegenheiten). Das betriebswirtschaftliche Management dient in erster Linie der Unterstützung des künstlerischen Managements. Da das Theater eine Einheit aus Kunst und Geld ist und seine Möglichkeiten auch nur als solche voll
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zur Entfaltung bringen kann, bilden das künstlerische und das betriebswirtschaftliche Management die beiden Seiten einer Medaille.
Entwicklung eines betriebswirtschaftlichen Theatermanagementmodells mit Hilfe von Controlling Das Ziel: Die Steuerung der Wirtschaftlichkeit Hauptziel und -aufgabe des betriebswirtschaftlichen Theatermanagements ist die Steuerung der Kosten und damit der Wirtschaftlichkeit des Theaters. Ziel der Kostensteuerung ist es, die dem Theater zur Verfügung stehenden Ressourcen zielgerichtet und wirtschaftlich einzusetzen. Es hat deshalb dafür zu sorgen, daß rechtzeitig Informationen über Zielabweichungen und kostenverursachende Faktoren und Trends bereitstehen. Somit hat man eine Kontrolle über die Wirksamkeit getroffener Maßanhmen und kann gegebenenfalls Kurskorrekturen einleiten, bevor wirtschaftliche Fehlentwicklungen eintreten. Die Erreichung dieses Ziels setzt operational Leistungs- und Finanzziele, in jedem Fall aber ein Rechnungswesen, das eine vorausschauende Kostenplanung ermöglicht und betriebswirtschaftliche Entscheidungs- und Kontrollhilfen bietet, eine realistische Terminplanung sowie ein frühzeitige Information der Entscheidungsträger durch ein Berichtswesen und die laufende Überprüfung der Arbeitsorganisation und des Stellenbedarfs voraus. Grundlage der Kostenplanung ist dabei der Spielplan. Zur Erreichung dieses Ziels gilt es, ein System bzw. Modell zu entwickeln, das die notwendigen Steuerungshilfen für das betriebswirtschaftliche und das künstlerische Theatermanagement liefern kann.
Controlling als Steuerungsinstrument Das Controlling, das bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen seit Jahren mit Erfolg eingesetzt wird, könnte auch für das öffentliche Theater als ein wichtiges Hilfmittel für eine effiziente Unternehmensführung dienen. Denn mit seiner Hilfe wäre es nicht nur möglich, das Kosten- und Leistungsgefüge sowie die Wirtschaftlichkeit des Theaters transparenter zu machen, sondern gleichzeitig auch ausreichende Steuerungsund Entscheidungshilfen zur Verfügung zu stellen, die für das Theatermanagement unverzichtbar sind. Um die in der Theaterpraxis vorhandenen verständlichen Hemmschwellen der Theatermacher gegen jede Form von Steuerung und Kontrolle im künstlerischen Bereich abzubauen, gilt es, zunächst einmal nachdrücklich klarzustellen, daß es beim Controlling bzw. der Steuerung des Theaters nicht darum geht, das Theater zu kontrollieren und im Sinne ökonomischer Zielsetzung zu instrumentalisieren, sondern es ganz einfach bei seinen Steuerungsaufgaben zu unterstützen, und zwar wohlgemerkt im Interesse der Kunst. Beim Controlling handelt es sich um ein Führungsunterstützungssystem, das zielund zukunftsorientierte Informationen beschafft, auswertet und bereitstellt. Es erweist sich insbesondere bei komplexen Aufgabenstellungen mit hohem Koordinie-
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rungsbedarf als sinnvoll und dient dem kritischen Hinterfragen von Zielsetzungen, Stärken und Schwächen. Es geht dabei letztlich um Soll/Ist-Vergleiche, d.h. um die Ermüdung der Abweichungen der Ist-Ergebnisse von Soll-Vorgaben einschließlich ihrer Ursachen sowie die Erarbeitung verbesserter Handlungsalternativen. Im Gegensatz zu vergangenheitsorientierten Kontrollen bezieht sich das Controlling dadurch, daß es versucht, frühzeitig Zielabweichungen festzustellen und Kurskorrekturen vorzunehmen, auf zukünftige Entwicklungen.5
Zur Übertragbarkeit des Controlling auf das Theater Im Hinblick auf die Komplexität des Theaterbetriebs und seine Funktion als eine künstlerische und wirtschaftliche Einrichtung erscheint ein möglichst umfassender Controlling-Ansatz als adäquat, der von der reinen Kostensteuerung, also der zahlenmäßigen Erfasung der Einnahmen und Ausgaben bzw. der Aufwendungen und Erträge, bis hin zur künstlerischen Erfolgssteuerung, also der nur schwer meßbaren Bewertung künstlerischer Leistungen und Ergebnisse, reichen müßte. ControllingInstrumente für das Theater haben deshalb sowohl produktions- als auch dienstleistungsspezifischen Steuerungsproblemen zu dienen. Aufgrund der besonderen Funktion und der damit verbundenen Schwierigkeit, die Leistungen des Theaters operational zu definieren, ergeben sich besondere Anforderungen an das TheaterControlling. Auf der einen Seite ist es das primäre Erfolgsziel des Theaters, die künstlerische Qualität des Angebots zu sichern bzw. zu steigern. Auf der anderen Seite wird dieses künstlerische Ziel jedoch durch die finanziellen Rahmenbedingungen, die durch die jeweiligen Rechtsträger gesetzt werden, begrenzt. Der daraus entstehende Zielkonflikt zwingt das Theater im Interesse seiner Zukunftssicherung, sich neben seinem künstlerischen Auftrag auch intensiv mit Fragen der Früherkennung und Beeinflussung politischer Entscheidungsprozesse auseinanderzusetzen. Ein sinnvoll eingesetztes Controlling zur wirtschaftlichen und künstlerischen Erfolgssteuerung könnte sich im Zeichen der zunehmenden finanziellen Engpässe, insbesondere der Kommunen als wesentlicher Kulturträger, als ein wichtiges und zum Überleben geradezu notwendiges Selbstverteidigungsinstrument erweisen.
Steuerungs- (Controlling-)bereiche und -instrumente Zu den Grundelementen des Controlling bzw. der Steuerung des Theaters gehören folgende Aufgabenbereiche: Kosten-Controlling Das Kosten-Controlling (wirtschaftliches Erfolgs-Controlling) ist auf die Planung und auf die Kontrolle aller Kosten des Theaters gerichtet. Um ein effizientes KostenControlling überhaupt zu ermöglichen, bedarf es zunächst einmal einer grundlegenden Verbesserung des derzeitigen Rechnungswesens und hier insbesondere der Planungsund Kontrollaktivitäten der öffentlichen Theater. Wesentliche Schwachstellen der
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Theaterplanung sind der Ausgangspunkt der Planung (Haushalts- oder Wirtschaftsplan anstatt Spielplan), die Reichweite der Planung (in der Regel ein Jahr), die zu geringe Differenzierung der Planung (neben Stellen-, Finanz- bzw. Investitionsplänen bilden Teilpläne wie Kapazitäts-, Beschaflungs- und Erlöspläne eher eine Ausnahme) sowie die zu kurzfristige Bereitstellung der Haushaltsmittel (in der Regel ein Jahr). Diese Mängel bei der Planung, die in erster Linie auf dem gegenwärtigen System beruhen, sind gravierende Hindernisse für die Wirtschaftlichkeit. Für die Kostenkontrolle gilt ähnliches: Das Rechnungwesen ist zu wenig differenziert und erfolgt überwiegend noch nach der Kameralrechnung. Ebenso sind die Kontrollaktivitäten sind nicht umfassend genug. Statistiken werden in erster Linie für den Erlösbereich (z.B. Kartenverkauf, Besucher, Platzausnutzung), nicht aber für den Kostenbereich (z.B. Kapazitätsausnutzung) geführt. Analysen über die Ursachen von Abweichungen gibt es kaum. Zielerreichungsgrade für die einzelnen Arbeitsbereiche existieren ebenfalls nur selten. Die Kontrollzyklen beim Leistungsvollzug sind in der Regel zu lang. Steuerungsinstrumente für das Kosten-Controlling sollten insbesondere sein: eine laufende differenzierte Kostenkontrolle sämtlicher Ausgaben und Einnahmen aller Haushaltsstellen, regelmäßige Kostenprognosen (Hochrechnungen) zur Steuerung des Mitteleinsatzes, eine Teilkosten- bzw. Leistungsrechnung für die leistungsabhängigen bzw. beeinflußbaren Kosten (z.B. Gästeetat, Ausstattungs- und Werkstättenbereich) sowie eine Deckungsbeitragsrechnung (z.B. für die einzelnen Produktionen, Gastspiele, Fernsehaufzeichnungen).
Finanz-Controlling Das Finanz-Controlling dient dazu, die jeweiligen Auszahlungsverpflichtungen sicherzustellen und gegebenenfalls überschüssige Liquidität auf dem Kapitalmarkt anzulegen. Da die weitaus überwiegende Zahl der öffentlichen Theater in unselbständiger Rechtsform und damit in der Regel nach der Kameralistik geführt werden, kommt dieses Instrument kaum zum Einsatz.
Künstlerisches Erfolgs-Controlling Das künstlerische Erfolgs-Controlling dient der Steuerung des künstlerischen Erfolgs. Es kann, wie bereits dargestellt, lediglich an Hand von Indikatoren beurteilt werden. Es sollte vom künstlerischen Management jedoch als ein wirksames Instrument zur Vermittlung der künstlerischen Qualität bzw. des künstlerischen Stellenwerts des Theaters gegenüber Öffentlichkeit und Politik nicht unterschätzt werden.
Produktions-Controlling Das Produktions-Controlling hat die Aufgabe, die Wirtschaftlichkeit des Produktionsprozesses zu gewährleisten. Es setzt zunächst sowohl für die kurzfristige als auch für die längerfristige Produktionsplanung Informationen (Daten) über die verfügbaren Kapazitäten (z.B. Personalbeschäftigungsplan für das künstlerische und das technische
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Personal) und die zeitlichen Produktionsabläufe (Entwurf der Ausstattungen der Produktionen, Herstellung der Dekorationen und Kostüme in den Werkstätten, künstlerische und technische Probenplanung) voraus. Dabei kommt es darauf an, die benötigten Personal- und Sachkapazitäten so effizient wie möglich einzusetzen. Beim künstlerischen Produktionsprozeß stößt dies an Grenzen, weil der lebendige Prozeß der Umsetzung künstlerischer Ideen in künstlerische Leistungen Veränderungen und Unwägbarkeiten unterliegt, die den Produktionsprozeß beeinflussen. Dennoch ist es im Interesse eines effektiven Einsatzes aller Kräfte und Mittel unabdingbar, den künstlerischen Prozeß mit den jeweiligen Rahmenbedingungen des Theaters (Proben- und Arbeitsbedingungen, Personalkapazitäten, z.B. des technischen Personals) in Einklang zu bringen. Dabei gilt es, den Anteil der Leerkosten bzw. der überflüssigen Kosten (die bei einem künstlerischen Prozeß nicht auszuschließen sind) so gering wie möglich zu halten. Als Steuerungsinstrumente für das Produktions-Controlling kommen insbesondere in Frage: Auslastungsstatistiken für die Werkstätten (im Hinblick auf Eigenproduktionen bzw. Fremdvergaben), Beschäftigungsstatistiken für das künstlerische Personal (im Hinblick auf den Einsatz des Ensembles oder Gästen), Terminplanung und -kontrolle der Produktionsabläufe. Investitions-Controlling Das Investitions-Controlling soll die notwendigen Informationen für die technische Ausstattung bzw. Neuausstattung, Daten über Alter und Wert sowie die technische Leistungsfähigkeit der derzeitigen Ausstattung, über die bisherige Auslastung und Produktivität, über Investitionsfolgekosten sowie deren Finanzierbarkeit liefern. Da Investitionsrechnungen nicht zum konstitutiven Bestandteil der öffentlichen Haushalte gehören, wird dieses Instrument, abgesehen von akuten Bedarfefällen (z.B. dringenden Sanierungsmaßnahmen bzw. dem Neubau eines Theaters), in der Regel nicht genutzt. Beschaffungs-Controlling Die Aufgabe des Beschaffungs-Controllings besteht in einer möglichst effizienten Beschaffung von Materialien, Dienstleistungen und Personal durch gezielte Planungsund Kontrollaktivitäten. Bei der Beschaffung der benötigten Materialien kommt es auf eine umfassende Kenntnis des jeweiligen Marktes und die Ausschöpfung günstiger Konditionen (z.B. Großeinkäufe, Kauf von Restposten) an. Dafür wäre, was bisher nur bei wenigen Theatern der Fall ist, ein Zentraleinkäufer erforderlich. Für die Beschaffung der Dienstleistungen gilt ähnliches. Bei der Personalbeschaffung ist zu prüfen, ob und inwieweit in Abhängigkeit von der jeweiligen Spielplanung der Einsatz von Festbeschäftigten oder zeitweise Beschäftigten personalwirtschaftlich günstiger ist.
Theatermanagement
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Absatz-Controlling Das Absatz-Controlling dient der Sicherung und Verbesserung des Absatzes von Theaterleistungen (Aufführungen). Hier könnte neben der Erlöskontrolle die gesamte Palette der Marketing-Strategie (wie z.B. die Optimierung der Eintrittspreisgestaltung, des Kartenverkaufssystems, der Vertriebswege, der Werbung, der Serviceleistungen, einer zielgruppenorientierten Kommunikationspolitik, der Präferenz von Theaterbesuchern) eingesetzt werden. Sonstige Controlling-Bereiche Neben den aufgeführten Controlling-Bereichen könnten z.B. folgende weitere Controlling-Aufgaben in die Überlegunen mit einbezogen werden: - das Organisations-Controlling, das sich mit der Arbeitsorganisation, der Überprüfung der Arbeitsabläufe, der Arbeitsverteilung, neuen Arbeitsmitteln und dem Einsatz des Personals (Stellenbedarf, Stellenausstattung) befaßt; - das Logistik-Controlling, das die optimale Steuerung der Bevorratungs- und Transportvorgänge (z.B. Lagerwirtschaft, Dekorationstransporte) beinhaltet, und nicht zuletzt das - Öffentlichkeits-Controlling, das die Aufgabe hätte, das politische und öffentliche Meinungsfeld zu beobachten und im Falle von Negativentwicklungen (z.B. Kürzungen von Haushaltsmitteln, öfffentliche Negativtendenzen gegen das Theater) sorgfältig zu analysieren und frühzeitig notwendige Gegensteuerungsmaßnahmen vorzuschlagen. Außerdem sollte damit im Sinne einer offensiven Strategie das Ziel verfolgt werden, der Öffentlichkeit den Stellenwert und die Bedeutung des Theaters als Kultur- und Wirtschaftsfaktor durch gezielte Kommunikationspolitik besser als bisher zu vermitteln.
Ein controllinggestütztes Grundmodell für das Theater Zur Entwicklung eines Grundmodells für das betriebswirtschaftliche Theatermanagement gilt es, für die einzelnen Steuerungs- (Controlling-)bereiche des Theaters Steuerungsinstrumente zu entwickeln und mit deren Hilfe dem Theatermanagement die für die Entscheidung notwendigen Informationen in geeigneter Form zur Verfügung zu stellen. In einem derartigen Theatermanagement-System müßten alle entscheidungsrelevanten Daten des Produktions- und Leistungsbereichs des Theaters dokumentiert, vernetzt und aufbereitet werden. Um daraus für das Theatermanagement ein sinnvolles Führungsinstrument für das Theater zu gestalten, bedarf es der Entwicklung eines integrierten, computergestützten und möglichst praktikablen Informations- und Steuerungssystems. Seine Aufgabe wäre, die verschiedenen Steuerungsinstrumente mit ihren Informationen und Aussagen so aufzubereiten und aufeinander abzustimmen, daß sie sowohl möglichst qualifizierte Einzelentscheidungen als auch stets eine Beurteilung der betrieblichen Gesamtsituation ermöglichen.
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Lutz Beutling Datenpool
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Kosten-/Finanz-/Erfolgs-Controlling
Steuerungsinstrumente
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