Kultur in finsteren Zeiten: Nazifaschismus, Innere Emigration, Exil 9783412213107, 9783412206048


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Kultur in finsteren Zeiten: Nazifaschismus, Innere Emigration, Exil
 9783412213107, 9783412206048

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Kultur in finsteren Zeiten

Jost Hermand

Kultur in finsteren Zeiten Nazifaschismus, Innere Emigration, Exil

2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Fritz Erler: „Bild des Führers“ 1939, aus: Kunst im Dritten Reich, Band 3,2 (1939), S. 239 (linkes Motiv). Felix Nussbaum: „Selbstbildnis mit Judenpaß“ um 1943. akg-images © VG Bild-Kunst 2010 (rechtes Motiv).

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Judith Mullan Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20604-8

In­halt 7



Vorwort Dreierlei Kulturansprüche

13

Nazifaschismus

13

154

Kulturpolitische Rahmenbedingungen Feindbilder Proklamierte Zielvorstellungen Das Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur Umsetzungen in die Praxis Auswirkungen auf die Künste 61 Architektur 72 Malerei und Skulptur 91 Musik 109 Literatur 130 Theater 137 Rundfunk, Film und Presse Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik

175

Innere Emigration

175

Zwischen Widerwillen und Anpassung Unterschiedliche Ausdrucksformen in den Künsten 180 Literatur 191 Malerei und Skulptur 199 Musik

15 25 39 47 61

180

Inhalt  5

207

Exil

207

Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten 223 Zufluchtsorte des Exils 244 Antifaschistische Wirkungsmöglichkeiten 255 Auswirkungen auf die Künste 255 Literatur 267 Theater 273 Film 282 Malerei, Graphik und Fotomontage 290 Musik 300 Visionen einer „befreiten“ Kultur im Hinblick auf das nachfaschistische Deutschland 309 Auswahlbibliographie 325 337

Namenregister Bildnachweise

6  Inhalt

Vorwort Dreierlei Kulturansprüche

Beginnen wir mit der zentralen Frage dieses Buchs: Warum wurden in dem Zeitraum von 1933 bis 1945 gerade die künstlerisch anspruchsvollsten Formen der Kultur von allen gebildeten oder auch nur halbgebildeten Deutschen – ob nun den Hauptverantwortlichen unter den Nazifaschisten, den Vertretern der Inneren Emigration sowie den aus dem Dritten Reich Vertriebenen – noch als politisch bedeutsame Phänomene empfunden, um deren Besitz erbittert gerungen wurde? Eine derartige Wertschätzung der hohen und höchsten Manifestationen von Kultur ist vielen Menschen innerhalb der heutigen massenmedialen Freizeit- und Eventbetriebsamkeit kaum noch verständlich. Sie haben sich längst damit abgefunden, daß die verschiedenen Formen der sogenannten Hochkultur inzwischen gesellschaftliche Randphänomene geworden sind, die zwar weiterhin existieren, aber keine in das Gesamtbewußtsein einer Nation „eingreifende“ Funktion mehr haben. Unter „Kultur“ wird deshalb gegenwärtig weder eine Hochschätzung der Meisterwerke der älteren Kunst noch eine Auseinandersetzung mit den elitären Restformen der einstmals „avantgardistischen“ E-Künste verstanden. Im Zuge eines erweiterten Kulturbegriffs gilt heutzutage als „Kultur“ geradezu alles, was die Menschen in ihrem täglichen Leben umgibt. Daher meinen viele der neoliberalen Kulturkritiker, wenn sie diesen Begriff gebrauchen, nicht nur die sogenannten höheren oder ernsten Künste, sondern auch das, was in den Bereich der Unterhaltungskultur, Wohnkultur, Reisekultur, Freizeitkultur, ja selbst der Eßkultur und Badezimmerkultur fällt. „Kultur“ ist demzufolge im Laufe der letzten 60 bis 70 Jahre ein relativ unverbindlicher Allgemeinbegriff geworden, für den die ideologisch einflußreichen Meinungsträgerschichten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur ein verständnisloses Kopfschütteln übrig gehabt hätten. Diese entwicklungsgeschichtlich bedingten Veränderungen haben – einmal sozialhistorisch gesehen – ihr Gutes und ihr Schlechtes. Gut daran sind im Zuge der fortschreitenden Demokratisierung der Gesamtgesellschaft sowohl die erweiterte Freizeit als auch die damit verbundene Vorwort  7

Wertschätzung des Alltäglichen. Als weniger gut daran erweist sich dagegen der durch die verbreitete Konsumentenhaltung eingetretene Sinnverlust innerhalb der arbeitsfreien Zeit und die dadurch entstandene innere Leere, die nur noch schwer mit irgendwelchen gesamtgesellschaftlichen oder hochkulturellen Werten aufzufüllen ist. Dadurch ist in breiten Schichten der Bevölkerung ein Ablenkungs- und Zerstreuungsbedürfnis entstanden, das sich ständig an neuen technologischen Innovationen und pseudokulturellen Kommerzprodukten abzureagieren versucht, da selbst den meisten Vertretern und Vertreterinnen der sogenannten gebildeten Schichten irgendwelche überindividuellen Zielvorstellungen – seien sie nun staatlicher, religiöser, parteigebundener oder auch kunstbetonter Art – im Laufe dieser Entwicklung abhanden gekommen sind. All das war in der so oft apostrophierten „Hitler-Ära“ zwischen 1933 und 1945 offenbar noch anders. In diesem Zeitraum wurde zumindest in den oberen Rängen der Gesellschaft noch allerorten – ob nun innerhalb oder außerhalb des Dritten Reichs – geradezu ständig von unverzichtbaren Kulturansprüchen geredet, als gehe es dabei um die höchsten weltanschaulichen Werte schlechthin. Als „Kultur“ galt in der öffentlichen Meinungsbildung während dieses Zeitraums lediglich das, was in den hohen, ja höchsten Künsten zum Ausdruck kommt und nicht nur dem Staat, sondern auch dem Einzelnen seinen eigentlichen Wert verleiht. Und derartige Proklamationen klangen damals in den Ohren vieler auf gesellschaftliche Repräsentanz bedachter Menschen noch recht überzeugend. Oder war dieser politästhetische Anspruch – nach dem Einbruch der kommerzgesteuerten Massenmedien in den Kulturbetrieb der Weimarer Republik – bereits in diesen Jahren zu einer bedeutungslosen Phrase geworden? Das ist eine der nicht zu umgehenden Problemstellungen, welche im Folgenden immer wieder auftauchen wird. Meinte man in dieser Ära wirklich nur die hohen Künste, wenn von „Kultur“ gesprochen wurde? Oder hatten beispielsweise die NS-Behörden bei solchen Beteuerungen etwas ganz anderes im Sinn? Doch lassen wir diese Fragen erst einmal unbeantwortet. Zwischen 1933 und 1945 wurde jedenfalls auf Seiten der meisten Nazifaschisten, der Inneren Emigration und des Exils noch mit derselben Vehemenz darum gerungen, wer auf diesem Gebiet den maßgeblichen Stellvertretungsanspruch aufbieten könne, die wahrhaft „große deutsche Kultur“ 8  Vorwort

1

Wandtafel mit einem Leitsatz Hitlers auf der Kulturtagung der NSDAP am 1. September 1933.

zu vertreten. Ob nun die kulturtheoretischen Ideologen unter den „völkisch“ gesinnten Nazifaschisten, die Vertreter der Inneren Emigration mit den von ihnen empfohlenen Rückzügen auf das „Gute, Wahre und Schöne“ sowie die aus dem Bereich der Hochkultur kommenden „besseren Deutschen“ unter den Exilanten aus Hitlers Reich: sie alle bemühten sich, als Repräsentanten der jeweils maßgeblichen Kultur Deutschlands aufzutreten, um damit nicht nur ihre künstlerischen, sondern auch ihre politischen Stellvertretungsansprüche zu rechtfertigen. Allerdings ergaben sich bei derartigen Proklamationen oft höchst bedeutungsüberspannte Brechungen oder Widersprüche. Und darum gibt es, wie nicht anders zu erwarten, zu diesem Problemkreis bereits eine Fülle von Thesen und Theorien, von denen schon an dieser Stelle wenigstens einige angedeutet werden sollen. Im Rückblick auf die Kulturansprüche des Nazifaschismus haben dabei meist folgende Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden. So ist gern darauf verwiesen worden, daß sowohl der frühere Maler Adolf Hitler als auch eine Reihe seiner wichtigsten Gefolgsleute und Unterführer – wie der Architekt Alfred Rosenberg, der Dramatiker und Romanautor Joseph Goebbels sowie die Lyriker Rudolf Heß und Baldur von Schirach – anfänglich „Künstler“ waren, bevor sie sich für den Nazifaschismus engagierten, weshalb sie den anspruchsvollen Formen der „Kultur“ stets einen besonders hohen Rang, wenn nicht gar eine missionarische BedeuVorwort  9

tung eingeräumt hätten. Außerdem wird in diesem Umkreis häufig betont, daß sich hierbei fast alle Führer der NSDAP auf die vom Houston Stewart Chamberlain aufgestellte und von Hitler weidlich ausgeschlachtete These gestützt hätten, daß alle höheren Kulturleistungen der letzten vier- bis fünftausend Jahre von jenen rassebewußten „Ariern“ hervorgebracht seien, deren würdigste Nachfahren heutzutage in Deutschland lebten. Den Deutschen, folgerten diese Kreise daraus, stehe daher der kulturpolitische Führungsanspruch in der gesamten Welt zu, um so den Rest der Menschheit vor einem Absinken in ein kulturloses, nur von niederen Instinkten beherrschtes Chaos zu bewahren. Und manche der ideologischen Fanatiker innerhalb der NSDAP glaubten wirklich an solche Thesen, während sie von anderen, eher opportunistisch eingestellten Gruppen, lediglich dazu benutzt wurden, um damit dem politischen Weltherrschaftsanspruch des Dritten Reichs eine „höhere Weihe“ zu verleihen. Bei den Vertretern der Inneren Emigration herrschten zum Teil ebenso hochgespannte Ansprüche – wenn auch nicht, wie bei manchen Nazifaschisten, auf einen herrschsüchtigen Imperialismus hinauslaufend. Sie verstanden unter „Kultur“ größtenteils weiterhin das, worauf sich bereits die gehobene Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts im Rahmen ihrer Besitz- und Bildungsansprüche berufen hatte, nämlich jenes Idealreich einer „höheren Gesittung“ jenseits der Welt des Tagespolitischen, das Thomas Mann bekanntermaßen kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Begriff der „machtgeschützten Innerlichkeit“ zu umschreiben versuchte. Statt sich in die angeblich niederen Bezirke des GesellschaftlichKonkreten zu begeben, wichen diese Kreise lieber in den Bereich des „Eigentlichen“ aus, um so unbeschmutzt, so rein, so unpolitisch wie nur möglich zu bleiben. Daß diese Haltung weitgehend auf eine Ideologie der Nichtideologie hinauslief, welche den Nazifaschisten nicht ungelegen kam und ihnen die ungestörte Ausübung ihrer mannigfachen Verbrechen erleichterte, war zwar vielen Vertretern dieser Richtung bewußt, hielt aber dennoch die meisten nicht davon ab, ihre Augen vor der unmittelbaren Realität zu verschließen und Zuflucht bei den angeblich „ewigen Werten“ des Glaubens oder der Kunst zu suchen. Um so höher sind deshalb jene Vertreter der Inneren Emigration zu bewerten, die sich bemühten, in ihren angeblich unpolitischen Werken wenigstens einige kryptisch verschlüsselte Widerstandstendenzen anzudeuten, um nicht 10  Vorwort

als willenlose Mitläufer oder gar schäbige Komplizen des herrschenden Regimes zu gelten. Daher sollte man auch in diesem Bereich, wie schon bei den Nazifaschisten, im Hinblick auf den von ihnen gebrauchten Kulturbegriff sorgfältig zwischen mehreren Gruppen unterscheiden, statt einfach pauschalisierend von einer geschlossenen Front der Inneren Emigration zu sprechen. Das gleiche trifft auf die Vertreter des Exils zu. Genauer betrachtet, war hier die Aufsplitterung in einzelne, ideologisch höchst verschiedene Richtungen vielleicht sogar noch größer als bei den im Dritten Reich verbliebenen Künstlern und Kulturtheoretikern. Nicht nur der Gegensatz zwischen jenen, die wegen ihrer linken Gesinnungen sowie jenen, die wegen ihrer jüdischen Herkunft nach 1933 ins Ausland flüchten mußten, verhinderte eine durchgehende Solidarität zwischen den in viele Länder versprengten Exilanten. Schließlich gab es in diesem Bereich auch noch die Gegensätze zwischen reichen und armen Exilanten, Christen und Atheisten sowie sogenannten bürgerlichen Humanisten und Vertretern sozialistischer Anschauungen. Und doch hielten die meisten, von den Exilanten in der Unterhaltungsbranche der Filmindustrie einmal abgesehen, hartnäckig an den Hochwerten der deutschen Kultur fest, um sich auf diese Weise in ihrer persönlichen und weltanschaulichen Identität zu bestärken. Ja, vielen, selbst manchen „Jüdischbürtigen“, wie sie im Jargon der Nazifaschisten hießen, gab das Festhalten an den Hochleistungen der deutschen Kultur fast das Gefühl, die „besseren Deutschen“ zu sein. Während man nach 1933 innerhalb des Dritten Reichs, behaupteten sie, weitgehend in die Niederungen des Kulturlosen, wenn nicht gar Barbarischen abgestiegen sei, sah eine beträchtliche Anzahl dieser „Hitler-Flüchtlinge“ in sich selbst noch immer die maßgeblichen Erben jener unverzichtbaren deutschen Kulturleistungen, die es auch im Ausland hochzuhalten gelte. Aus diesem Grund nannten sie den ersten großen antifaschistischen Kongreß während der Exiljahre, der 1935 in Paris stattfand, „Zur Verteidigung der Kultur“. In diesem Punkt, mochten sie auch politisch und ideologisch zum Teil noch so weit von einander abweichen, waren sich fast alle Exilanten einig. Vor allem viele Schriftsteller und Komponisten unter ihnen empfanden die humanistisch eingestellten Werke der älteren deutschen Kunst noch immer als das Höchste, was ihnen außerhalb Deutschlands verblieben war. Vorwort  11

Es ist daher sicher nicht abwegig, im Hinblick auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 einmal das Phänomen „Kultur“ in den Mittelpunkt einer gesellschaftspolitischen Analyse der durch den Nazifaschismus in Gang gesetzten Geschehnisfolgen zu stellen. Damit soll keineswegs von den konkreten politischen, militärischen und rassistischen Verbrechen der Nazifaschisten abgelenkt werden. Im Gegenteil, vielleicht verhilft gerade eine Analyse der höchst komplexen Zusammenhänge zwischen den kulturpolitischen Konzepten der verschiedenen ideologischen Gruppierungen zwischen 1933 und 1945 eine etwas genauere Einsicht in all jene weltanschaulichen „Haltungen“ zu gewinnen, die gemeinhin mit Begriffen wie Opportunismus, Blindheit, Anpassung, Ausflucht in Höheres, Gemeinsinn oder Widerstandswillen umschrieben werden. Denn nicht alles, was damals mit dem emphatischen Begriff „Kultur“ ausgezeichnet wurde, hat diese Hochschätzung verdient. Neben vielen ernsthaften Bemühungen im Rahmen der Inneren Emigration und des Exils, die Würde der deutschen Kultur aufrecht zu erhalten und sie als Waffe gegen die „Barbarei“ des Nazifaschismus einzusetzen, wurde innerhalb des Dritten Reichs mit diesem Begriff – trotz aller hochtönenden Worte – auch viel Schindluder getrieben und selbst das Trivialste als „Kultur“ ausgegeben, wenn es sich dazu gebrauchen ließ, den sogenannten breiten Massen ein falsches Bewußtsein einzutrichtern. Daher waren die Kulturvorstellungen der Nazifaschisten in ihrer Doppelbödigkeit wesentlich inkongruenter als die der Inneren Emigration und des Exils. Doch gerade ihre schichtenspezifische Aufspaltung, die vom Höchsten bis zum Niedersten reichte und dementsprechend nicht nur den Bildungsbürgern, sondern auch den Angestellten und Arbeitern das ihnen „Gemäße“ offerierte, erwies sich als einer jener Faktoren, der ihnen zu den bis heute beschämenden Erfolgen verhalf. Ihre Gegner in der Inneren Emigration und im Exil – ohne Zugang zu den auf Breitenwirkung zielenden Massenmedien und daher zwangsläufig auf den Bereich der randständigen höheren Künste angewiesen – blieben dagegen relativ wirkungslos und konnten erst im Zuge der sogenannten Vergangenheitsbewältigung nach dem Dritten Reich die nötige Anerkennung finden und damit eine politästhetische Wirkung entfalten.

12  Vorwort

Nazifaschismus

Kulturpolitische Rahmenbedingungen Es gibt wohl kaum ein Schlagwort in der nazifaschistischen Propaganda, das neben Begriffen wie „Rasse“ oder „Volk“ so oft auftaucht wie der Begriff „Kultur“. Ständig ist in den Schriften dieser Bewegung von „deutscher Kultur“, „nordischer Kultur“, „arischer Kultur“, „volkhafter Kultur“, „Kultur aus Blut und Boden“ oder ähnlich gearteten Begriffsbildungen die Rede. Wer jedoch hinter solchen Beschwörungsformeln ein kohärentes Kulturkonzept erwartet, wird nach einer genaueren Lektüre der vielen diesem Thema gewidmeten Bücher, Broschüren, Aufsätze und Pamphlete, in denen solche Begriffe schon in der Endphase der Weimarer Republik und dann noch verstärkt in den Jahren nach 1933 geradezu inflationär verwendet werden, zwangsläufig enttäuscht sein. Mal wird in ihnen unter „Kultur“ ein vorwiegend rassistisch definierter Oberbegriff verstanden, wobei es oft unklar bleibt, worin denn – außer einer ständig herausgestrichenen geistigen „Höherartung“ – die kulturelle Überlegenheit der nordischen Rasse über alle anderen Rassen der Welt eigentlich besteht. Mal versteht man in dieser Richtung unter Kultur vor allem jenes nationale Traditionsbewußtsein, das im Hinblick auf die weiterwirkende Vorbildlichkeit der Großleistungen der älteren deutschen Kunst auf alle pseudorevolutionären Umbrüche verzichten könne. Mal wird mit derselben Emphase als „Kultur“ vornehmlich das bezeichnet, was sich gegen den zivilisatorischen Ungeist des „modernen Großstadtwesens“ mit all seinen liberalistischen, materialistischen und sich daraus ergebenden pluralistischen „Entartungen“ aufzulehnen versucht. Ja, dieser Katalog „zivilisatorischer“ Entartungserscheinungen, die zu einem immer bedrohlicher werdenden Kulturverlust geführt hätten, ließe sich noch seitenweise verlängern, wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz die Nazifaschisten in ihren kulturtheoretischen Schriften auch allem Obszönen, Hurenhaften, Dekadenten, Lasterhaften, Geldgierigen, Intellektualistischen, Konjunkturhörigen, Anarchischen, Egozentrischen, Internationalistischen, Technizistischen, Untermenschlichen, Kulturpolitische Rahmenbedingungen  13

Zersetzenden, Klassenspaltenden, Jüdischen oder Negroiden als „kulturgefährdend“ entgegen getreten sind. Zugegeben, viele dieser strategischen Abwehrmanöver gegen alles angeblich „Fremdvölkische“ ließen sich unter dem Begriff „undeutsch“ subsumieren. Doch damit würde die begriffliche Unklarheit auf diesem Gebiet nur noch größer. Denn was ist „deutsch“? Nur ein von vornherein als „höhergeartet“ bezeichnetes Theoriegebilde, das sich einer konkreten, das heißt gesellschaftswissenschaftlichen Definition weitgehend entzieht? Ist „deutsch“ das Althergebrachte, noch Unverfälschte, durch die Hochwerte der Tradition Gerechtfertigte, das noch nicht vom Makel der modernen Großstadtzivilisation und ihren technologischen Errungenschaften gezeichnet ist? Ist „deutsch“ das durch die NSDAP entfachte Bestreben, aus den Niederungen der „Sumpfkultur“ der Weimarer Republik wieder zu den Höhen einer „völkischen Gesittung“ aufzusteigen? Oder ist „deutsch“ lediglich das, was die Führer des Nazifaschismus, vor allem Adolf Hitler, darunter verstanden? So viele Konzepte, so viele Widersprüche. Um in das verwirrende Dickicht dieser Theoriebildungen wenigstens einige Schneisen zu schlagen, empfiehlt es sich, in den folgenden Abschnitten erst einmal nach den zentralen Feindbildern derartiger Rechtfertigungsideologien Ausschau zu halten und dann die ihnen entgegengesetzten, als „positiv“ ausgegebenen Zielvorstellungen ins Auge zu fassen. Vielleicht läßt sich nach einer kritischen Analyse dieser beiden Strategien etwas genauer bestimmen, worin denn die nazifaschistischen Kulturvorstellungen eigentlich bestanden haben. Denn nur so wäre es möglich, zu einem besseren Verständnis jener politästhetischen Leitkonzepte zu gelangen, die – neben der Fortführung des Althergebrachten – entweder ins Blindwütig-Gläubige tendierten oder denen lediglich geschickte Machtgewinnungs- und zugleich Machterhaltungsbemühungen zugrunde lagen. Dabei wird sich herausstellen, daß die Widersprüche innerhalb der nazifaschistischen Kulturkonzepte, um bereits auf ein Hauptargument dieses Buchs hinzuweisen, nicht nur auf ideologischen Unklarheiten, sondern auch auf gegensätzlichen Anschauungsweisen der kulturverantwortlichen Hauptfunktionäre der NSDAP beruhten. Vor allem der erbittert geführte Kampf zwischen den nordisch-gesinnten Radikalfaschisten und den kompromißbereiten Pragmatikern innerhalb dieser 14  Nazifaschismus

Partei hat hierbei, wie sich zeigen wird, eine wichtige Rolle gespielt. Während bei den einen fast ausschließlich ein fanatischer Drang nach dem „Arisch-Höhergearteten“ im Vordergrund stand, neigten die anderen im Hinblick auf eine dem Dritten Reich dienliche Kultur eher zu einer realistischen Einschätzung der gesellschaftlich vorgegebenen Verhältnisse, wobei sie auch Zugeständnisse an die „niederen“ Unterhaltungsbedürfnisse der sogenannten breiten Massen nicht verschmähten, um nicht von vornherein im Sektiererischen befangen zu bleiben. Nach den Vorüberlegungen zu den Feindbildern und den proklamierten Zielvorstellungen der nazifaschistischen Kunsttheorien sowie dem dahinter stehenden Konzept einer „ewig-deutschen Kultur“ in den ersten drei Abschnitten dieses Buchs soll in einem anschließenden Kapitel darauf eingegangen werden, zu welchen Konsequenzen der Gegensatz zwischen den Radikalfaschisten und den eher realistisch denkenden Pragmatikern bei der Umsetzung all dieser Konzepte in die kulturelle Praxis nach 1933 führen mußte. Da sich die Pragmatiker bei diesen Auseinandersetzungen als die Stärkeren und damit Einflußreicheren erwiesen, kam es hierbei im Kulturbetrieb des Dritten Reichs – trotz aller immer wieder betonten „Volksgemeinschafts“-Parolen – zwangsläufig zu einer unübersehbaren Aufspaltung in höhere und niedere Kulturvorstellungen, die von dem ursprünglichen Konzept einer von „arisch-deutschen“ Grundimpulsen gespeisten Hoch- oder Allgemeinkultur immer stärker abwichen und zu einer Weiterführung der schon in der Weimarer Republik bestehenden Koexistenz einer bildungsgesättigten E-Kultur und einer weniger anspruchsvollen, eher den Unterhaltungsbedürfnissen der gesellschaftlichen Unterschichten dienlichen U-Kultur führten. Wie stark sich diese schichtenspezifische Differenzierung auf das Niveaugefälle innerhalb der verschiedenen Künste ausgewirkt hat und welchen durchschlagenden Erfolg die dahinterstehende kulturpolitische Strategie mit einer derartigen Taktik hatte, wird dann das zentrale Thema der darauffolgenden Abschnitte sein.

Feindbilder Auf den ersten Blick scheinen die beiden politischen und kulturellen Hauptgegner der NSDAP die Kommunisten und die Juden zu sein. Feindbilder  15

Partei hat hierbei, wie sich zeigen wird, eine wichtige Rolle gespielt. Während bei den einen fast ausschließlich ein fanatischer Drang nach dem „Arisch-Höhergearteten“ im Vordergrund stand, neigten die anderen im Hinblick auf eine dem Dritten Reich dienliche Kultur eher zu einer realistischen Einschätzung der gesellschaftlich vorgegebenen Verhältnisse, wobei sie auch Zugeständnisse an die „niederen“ Unterhaltungsbedürfnisse der sogenannten breiten Massen nicht verschmähten, um nicht von vornherein im Sektiererischen befangen zu bleiben. Nach den Vorüberlegungen zu den Feindbildern und den proklamierten Zielvorstellungen der nazifaschistischen Kunsttheorien sowie dem dahinter stehenden Konzept einer „ewig-deutschen Kultur“ in den ersten drei Abschnitten dieses Buchs soll in einem anschließenden Kapitel darauf eingegangen werden, zu welchen Konsequenzen der Gegensatz zwischen den Radikalfaschisten und den eher realistisch denkenden Pragmatikern bei der Umsetzung all dieser Konzepte in die kulturelle Praxis nach 1933 führen mußte. Da sich die Pragmatiker bei diesen Auseinandersetzungen als die Stärkeren und damit Einflußreicheren erwiesen, kam es hierbei im Kulturbetrieb des Dritten Reichs – trotz aller immer wieder betonten „Volksgemeinschafts“-Parolen – zwangsläufig zu einer unübersehbaren Aufspaltung in höhere und niedere Kulturvorstellungen, die von dem ursprünglichen Konzept einer von „arisch-deutschen“ Grundimpulsen gespeisten Hoch- oder Allgemeinkultur immer stärker abwichen und zu einer Weiterführung der schon in der Weimarer Republik bestehenden Koexistenz einer bildungsgesättigten E-Kultur und einer weniger anspruchsvollen, eher den Unterhaltungsbedürfnissen der gesellschaftlichen Unterschichten dienlichen U-Kultur führten. Wie stark sich diese schichtenspezifische Differenzierung auf das Niveaugefälle innerhalb der verschiedenen Künste ausgewirkt hat und welchen durchschlagenden Erfolg die dahinterstehende kulturpolitische Strategie mit einer derartigen Taktik hatte, wird dann das zentrale Thema der darauffolgenden Abschnitte sein.

Feindbilder Auf den ersten Blick scheinen die beiden politischen und kulturellen Hauptgegner der NSDAP die Kommunisten und die Juden zu sein. Feindbilder  15

Jedenfalls tauchen ihre Fratzen in den Satiren der NS-Propaganda am häufigsten auf. An ihnen wurde weder in bildlichen noch in schriftlichen Darstellungen kein gutes Haar gelassen. Statt ihnen menschliche Gesichter zu geben, sehen sie einerseits mit ihren weit aufgerissenen Augen, fanatisierten Gesichtszügen und geballten Fäusten, andererseits mit ihren krummen Nasen, wulstigen Lippen und fettleibigen Bäuchen wie gefahrdrohende Politmonster oder geldgierige Schmarotzer aus, denen kein „echter Deutscher“ über den Weg trauen sollte. Bei Satiren dieser Art, wie etwa denen Hans Schweitzers und Otto von Kursells, die in NS-Blättern wie Der Stürmer oder Der Angriff erschienen, wurde nichts beschönigt. Hier herrschte lediglich ein ungezügelter Haß, der auch vor den übelsten Verzerrungen nicht zurückschreckte. Beginnen wir mit dem Feindbild der Kommunisten. Schon die am 5. Januar 1919 in München gegründete Deutsche Arbeiterpartei (DAP), aus der im Februar 1920 die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) hervorging, trat von Anfang an gegen alle damals als marxistisch geltenden Leitkonzepte auf. Zur Verschärfung ihrer antikommunistischen Haltung trug vor allem der Versuch bei, im April 1919 in Bayern eine Rote Räterepublik zu gründen, deren Durchsetzung allerdings schon vier Wochen später am Widerstand der rechtsradikalen Freikorpsgruppen unter dem Freiherrn Franz von Epp scheiterte. Um weiteren linken Aufstandsbewegungen den ideologischen Wind aus den Segeln zu nehmen, gaben sich deshalb die Anhänger der DAP und dann der NSDAP betont arbeiterfreundlich, das heißt traten im Gefolge Gottfried Feders und Dietrich Eckarts im Abwehrkampf gegen die „drohende Bolschewisierung“ Deutschlands als national eingestellte „Sozialisten“ auf. Das Gleiche tat der am 29. Juli 1921 zum Vorsitzenden der NSDAP ernannte Adolf Hitler, der sich in seinen Anfängen – unter schärfster Ablehnung des Kommunismus – vor allem als „volkssozialistisch“ ausgab. Unterstützt wurde er dabei unter anderem von dem Estland-Deutschen Alfred Rosenberg, der bereits 1922 ein Buch unter dem Titel Pest in Rußland. Der Bolschewismus, seine Häupter, Handlanger und Opfer mit 75 Lichtbildern aus Sowjet-Rußland herausbrachte, dem die reaktionäre Gesinnung der damals im Baltikum gegen die Rote Armee kämpfenden deutschen Freikorpsgruppen zugrunde liegt. In die gleiche Kerbe haute Adolf Hitler dann in seinem Buch Mein Kampf (1925–1927), wo er die Kommunisten als die übelste Ausgeburt 16  Nazifaschismus

jener „Roten Internationale“ hinstellte, die es auf eine Auslöschung aller „arteigenen“ Triebkräfte der verschiedenen Rassen und Völker abgesehen habe, um darüber ihr bastardisiertes und damit kulturloses Weltreich zu errichten. „Das furchtbarste Beispiel dieser Art“, behauptete er, biete Rußland, wo der Kommunismus „an dreißig Millionen Menschen in wahrhaft fanatischer Wildheit unter unmenschlichen Qualen tötete und verhungern ließ“. Und daraus habe sich jene widernatürliche „Diktatur des Proletariats“ ergeben, deren Nutzen nicht den dortigen Arbeitern, sondern lediglich einem „Haufen von Börsenbanditen“ zugute gekommen sei. Ja, in den Jahren nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 wurden Hitlers rhetorisch überhöhte Ausfälle gegen den Kommunismus noch schärfer. Jetzt, wo es galt, nicht nur die ideologisch verschreckten Kleinbürger, sondern auch die ein weiteres Anwachsen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) befürchtenden Industriellen für seine „Bewegung“ zu gewinnen und somit auf legalem Wege an die Macht zu kommen, stellte Hitler die Gefahr einer möglichen Bolschewisierung Deutschlands immer stärker als die Hauptbedrohung der durch die sozioökonomische Krise ausgelösten chaotischen Verhältnisse innerhalb der Weimarer Republik hin. Dementsprechend hieß es etwa in der nazifaschistischen Propagandabroschüre Ein Kampf um Deutschland, die mit einem Vorwort Hitlers erschien, daß die KPD-Mitglieder nicht nur beabsichtigten, sämtliche Führer der NSDAP umzubringen, sondern auch eine Reihe öffentlicher Gebäude in die Luft zu sprengen, alle reicheren Volksgenossen zu enteignen, die Arbeitslosenunterstützung abzuschaffen und dann einen Staat zu errichten, in dem lediglich die kommunistischen Parteibonzen das Sagen hätten. Propagandistisch aufgebauschte Erklärungen dieser Art führten schließlich zu einer steigenden „Verbürgerlichung“ der ursprünglich proletarisch-kleinbürgerlich orientierten NSDAP, was Hitler aus strategischen Gründen veranlaßte, seine bisherige Unterklassenperspektive zu Gunsten eines „Volksgemeinschafts“-Konzepts aufzugeben, das auch die gesellschaftlichen Oberklassen in sich einschloß. Dieser ideologische Kurswechsel wurde sowohl von Hitlers finanziell bessergestellten als auch bildungsbürgerlich orientierten Anhängern bereits in den Jahren der ökonomischen Krise nach 1929, als die KPD zusehends an Stimmen gewann, lebhaft begrüßt. Schließlich befürchteten diese Schichten, daß mit einem Vordringen des Bolschewismus in Deutschland erneut jene Feindbilder  17

„novembristischen“ Tendenzen aufflackern könnten, die sie schon in den frühen zwanziger Jahren erbittert abgelehnt hatten. Ja, nicht nur das. Sie ängstigten sich zugleich, daß sie bei einem Sieg des Kommunismus in Deutschland ihre politische und ökonomische Vormachtstellung verlieren könnten. Deshalb liefen sie seit 1930, obwohl sie gegen den Sozialismus waren, in hellen Scharen zu den angeblichen „Nationalsozialisten“ über, die sich – im Gegensatz zu ihren bisherigen Parteiprogrammen – plötzlich als die entschiedensten Verteidiger der bestehenden Eigentumsrechte ausgaben. Eine ähnliche Entwicklung spielte sich in den Kulturvorstellungen der NSDAP ab. So trat der 1928 unter Führung von Alfred Rosenberg gegründete Kampfbund für deutsche Kultur – in scharfer Ablehnung aller kommunistischen „Erniedrigungen“ der hohen Künste ins Antibürgerliche und damit angeblich geistig Subalterne – in den folgenden Jahren fast ausschließlich für ins Idealistische tendierende E-Kulturkonzepte ein, mit denen er vor allem die konservativ gesinnten Schichten innerhalb der deutschen Besitz- und Bildungsbourgeoisie für seine Ziele zu gewinnen suchte. Aufgrund dieser eingeschränkten Perspektive blieb allerdings diesem Bund in seiner Gründungsphase eine gesellschaftliche Breitenwirkung weitgehend versagt. Dennoch sollte man nicht unterschätzen, wieviel auch er zu einer steigenden Nazifizierung jener gesellschaftlichen Oberschichten zwischen 1929 und 1933 beigetragen hat, welche im Bereich der verschiedenen Künste alles „Linke“, wie die Filme Sergej Eisensteins, die Roten Eine-Mark-Romane eines Willi Bredel und Klaus Neukrantz, die Fotomontagen John Heartfields in der ArbeiterIllustrierten Zeitung aller Länder (AIZ), die Dramen Bertolt Brechts und Friedrich Wolfs, die Rote Kampfmusik Hanns Eislers, die satirischen Zeichnungen von George Grosz sowie KPD-Blätter wie Die rote Fahne und Die Linkskurve, nicht nur als besitzgefährdend, sondern auch als „kulturlos“ und damit im Prinzip „undeutsch“ empfanden. Diese Schichten mußten zwar zugeben, daß auch einige SA-Lieder etwas „primitiv“ seien, hielten sie aber politisch für durchaus angebracht. Ebenso nachdrücklich begrüßten sie die häufig in Prügeleien ausartenden Störaktionen rechtsradikaler Studentengruppen gegen kommunistisch inspirierte Theateraufführungen und lehnten auch präfaschistische Kriegsromane, selbst wenn diese ihren ästhetischen Ansprüchen nicht genügten, keineswegs ab. 18  Nazifaschismus

Als daher kurz nach der am 30. Januar 1933 erfolgten Machtübergabe an Hitler Zehntausende von KPD-Mitgliedern sowie Sympathisanten dieser Partei von der Polizei oder randalierenden SA-Gruppen verhaftet und zum Teil in Gefängnisse oder Konzentrationslager verschleppt wurden, sahen die meisten Vertreter der Oberklassen in derartigen Aktionen keine politischen Gewaltverbrechen. Und auch in der Folgezeit setzten sie sich nur in Ausnahmefällen für verfolgte Linke ein. Schließlich hatten sich diese Schichten – trotz mancher „liberalen“ Attitüden – schon in der Weimarer Republik mehrheitlich antidemokratisch verhalten und begrüßten daher Hitlers Antikommunismus als eine Wende ins Kapital­ erhaltende, durch die nach den turbulenten Jahren zwischen 1929 und 1933 in Deutschland endlich wieder „Ruhe und Ordnung“ eingetreten sei. Demzufolge gab es in ihren Reihen kaum jemanden, der nach 1933 gegen die Verbrennung linksorientierter Schriften oder die Entfernung ebensolcher Gemälde aus den deutschen Museen eingetreten wäre. Die wenigen Proteste gegen solche Aktionen, die jedoch schnell wieder unterdrückt wurden, kamen weitgehend von ehemaligen bürgerfeindlich eingestellten Linken. Als daher 1942 in Berlin die antikommunistische Propagandaausstellung „Das Sowjet-Paradies“ eröffnet wurde, waren es lediglich einige Mitglieder des 1933 aufgelösten Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), welche der sogenannten Baum-Gruppe angehörten, die dagegen protestierten und das zum Teil mit dem Leben bezahlen mußten. Zu ebenso scharfen, wenn nicht noch schärferen Argumenten griffen die Hauptverantwortlichen innerhalb der NSDAP, wenn sie sich die Juden aufs Korn nahmen. In dieser Hinsicht konnten sich Hitler und seine Anhänger in ihren Haßtiraden und -aktionen auf eine geradezu unübersehbare Fülle bereits existierender Feindbilder stützen. Statt sich hierbei der altbewährten christlichen Vorurteile gegen die „verruchten Jesusmörder“ unter den Juden zu bedienen, stellten sie in ihren antisemitischen Schriften – im Gefolge von Adolf Bartels, Houston Stewart Chamberlain, Artur Dinter, Paul de Lagarde, Jörg Lanz von Liebenfels, Georg von Schönerer und Richard Wagner, um nur einige ihrer „Vorläufer“ anzuführen – fast ausschließlich das Rassisch-Minderwertige dieser „semitischen Untermenschen“ heraus, das sich vor allem in ihrer geldgierigen Umtriebigkeit, heuchlerischen Anpassungssucht und ungezügelten Sexualität, das heißt ihrem krassen „Materialismus“ manifestiere, der den Feindbilder  19

absoluten Gegenpol zu der stets ins Ideale strebenden Gesinnung der geistig höhergearteten Arier bilde. Aufgrund dieser rassisch bedingten „Niedrigkeit“, betonte daher Hitler in Mein Kampf, herrsche unter den Juden „nichts als ein nackter Egoismus“. Wenn diese „Rotte von Ratten“ zur Macht käme, erklärte er demzufolge haßerfüllt, würde die gesamte Welt „in Schmutz und Unrat ersticken“. Schließlich habe es diese Rasse nur auf die „Ausplünderung ihrer Mitmenschen“ abgesehen, statt irgendeine Staatsidee und eine damit verbundene „Kultur“ zu entwickeln. Fast die gleichen Ansichten finden sich darauf in Büchern wie Wilhelm Stapels Antisemitismus und Antigermanismus (1928), Alfred Rosenbergs Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930), Gottfried Feders Die Juden (1933) und Johannes von Leers’ Juden sehen Dich an (1933). Auch in ihnen wurde behauptet, daß die Juden nie kulturschöpferisch vorgetreten seien, sondern stets die Kultur ihrer jeweiligen „Wirtsvölker“ auf eine höchst oberflächliche Weise nachgeahmt oder ins Kommerzielle depraviert hätten. Besonders in der Weimarer Republik, die den Juden – unter Hintansetzung der eigenen nationalen Interessen – die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung mit den alteingesessenen Ariern eingeräumt habe, hieß es in derartigen Schriften immer wieder, hätten die Juden dieses artvergessene Zugeständnis auf das Schamloseste ausgenutzt und weite Bereiche der deutschen Kultur mit ihren pseudodeutschen „Schundprodukten“ überschüttet. Vor allem in den Neuen Medien, wie dem Film, der Presse, dem Rundfunk, dem Boulevardtheater und der Musikindustrie, aber auch den höheren Künsten, seien sie durch betrügerische Machenschaften in führende Positionen aufgestiegen und hätten sich bemüht, das spezifisch Deutsche weitgehend zu Gunsten einer alle rassischen Unterschiede nivellierenden Unkultur in den Hintergrund zu drängen. Als die Hauptsündenböcke solcher kulturellen Überfremdungsbemühungen wurden dabei in den diesbezüglichen nazifaschistischen Schriften und Polemiken schon in den späten zwanziger Jahren im Bereich der „zersetzenden“ Literaturkritik vor allem Alfred Kerr und Kurt Tucholsky, im Film die Obszönität eines Richard Oswald, im Pressewesen Verlagshäuser wie Mosse und Ullstein, in der Musik die Boulevardkompositionen eines Kurt Weill und die Herrschaftsallüren eines Kurt Kestenberg sowie auf dem Gebiet des „schäbigen“ Bestsellerromans die Werke von Lion Feuchtwanger und Stefan Zweig angeprangert. Ja, selbst 20  Nazifaschismus

in den höheren und höchsten Künsten, die zuvor eine Domäne des „reinen Deutschtums“ gewesen seien, hätten Komponisten wie Arnold Schönberg und Franz Schreker, Maler wie Max Liebermann, Dramatiker wie Walter Hasenclever, Ernst Toller und Friedrich Wolf sowie Theaterleiter wie Leopold Jessner und Max Reinhardt ihr jüdisches Unwesen getrieben und damit in ihrem vorgetäuschten Heimatland dem Ansehen dieser um das Erhabenste ringenden Künste einen „heimtückischen Dolchstoß“ versetzt, von dessen Folgen sich Deutschland nur durch eine konsequente Ausschaltung dieser Menschengruppe erholen könne. Die nazifaschistischen Kulturverantwortlichen gingen deshalb schon im Frühjahr 1933 dazu über, dem „verhängnisvollen Einfluß“ der Juden auf das deutsche Kulturleben so nachdrücklich wie nur möglich entgegenzutreten, indem sie alle jüdischen Künstler, die bis dahin einflußreiche staatliche Stellen innehatten, aus ihren Positionen entfernten. Auch jene 430 Juden, die anfangs in eine der 1933 gegründeten Reichskulturkammern eingetreten waren, wurden schon ein Jahr später wieder aus diesen Kammern ausgeschlossen. Zugleich kam es zu einer Reihe von infamen Judenboykotts sowie dem 1935 verabschiedeten „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, das sowohl Ehen als auch jeden außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nicht-Juden als gesetzwidrig brandmarkte. Im November 1937 wurde darauf im Bibliotheksgebäude des Deutschen Museums in München die Ausstellung „Der ewige Jude“ eröffnet, mit der vor allem der „kulturzersetzende“ Einfluß des Judentums auf das deutsche „Wirtsvolk“ demonstriert werden sollte. Ja, Rosenberg und Konsorten bemühten sich zu diesem Zeitpunkt mit Hilfe aller verfügbaren Archivmaterialien immer schärfer, jeden bisher noch nicht „enttarnten“ Juden in der deutschen Geschichte und im deutschen Geistesleben aufzuspüren. Selbst ein erklärter Antisemit wie Goebbels, der diese Form der „Juden-Schnüffelei“ als ideologische Pedanterie empfand, schrieb daher angesichts eines derartigen „Übereifers“ in sein Tagebuch: „Am Ende bleiben in unserer Geschichte nur Widukind, Heinrich der Löwe und Rosenberg übrig. Das ist ein bißchen wenig.“ Doch mit solchen Hinhalteanschauungen war der antisemitische Furor, der nicht nur von Rosenberg, sondern auch von Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich, Julius Streicher und anderen NS-Führern mit Parolen wie „Juda verrecke“ oder „Die Juden sind unser Unglück“ stänFeindbilder  21

dig aufs Neue angeschürt wurde, nicht mehr aufzuhalten oder gar abzuschwächen. Wie wir wissen, kam es demzufolge am 9. November 1938 zu jenem Judenpogrom, das unter der Bezeichnung „Die Reichskristallnacht“ in die Geschichte eingegangen ist. Ja, danach wurde es für die Juden in Deutschland von Jahr zu Jahr zusehends unerträglicher. Wer das Dritte Reich nicht freiwillig verließ, wurde in „Judenhäuser“ überführt, nach Polen abgeschoben, bekam die Zwangsvornamen „Israel“ bzw. „Sarah“ verpaßt, mußte ab 1941 den gelben Judenstern tragen und wurde nach der berüchtigten Wannsee-Konferenz, die am 20. Januar 1942 stattfand, in die im Osten gelegenen Vernichtungslager Auschwitz, Chelmno, Majdanek, Sobibor und Treblinka deportiert, wo bis 1945 etwa 165 000 deutsche Juden dem nazifaschistischen Rassenwahn zum Opfer fielen. Um ihren antisemitischen Argumenten eine größtmögliche Durchschlagskraft zu geben, gingen dabei manche NS-Theoretiker oft so weit, auch den Kommunismus – unter Hinweisen auf Karl Marx, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki – als eine „jüdische Erfindung“ hinzustellen. Dementsprechend zögerten einige Hitler-Anhänger schon vor 1933 nicht, alle Produkte einer nichtarischen politischen oder kulturellen „Betriebsamkeit“ – seien sie nun kommunistischer oder jüdischer Art – kurzerhand als „kulturbolschewistisch“ zu bezeichnen, um sie damit von vornherein als „fremdvölkisch“ zu diffamieren. Wiederum war es Rosenberg, der auch in dieser Hinsicht zu den wuchtigsten Keulenschlägen ausholte. Für ihn war der Bolschewismus, wie es im Mythus des 20. Jahrhunderts heißt, lediglich die schärfste Form jener von den Juden angestrebten „Weltrevolution“, mit der sich diese „orientalisch-syrische“ Rasse an dem ihr „fremden Charakter“ des europäischen Geistes zu rächen versuche. Dementsprechend bezeichnete er die UdSSR einfach als ein „Sowjet-Judäa“, in welchem durch das Betreiben der „jüdischen Bolschewiki“ der verruchte „Gedanke des Internationalismus“ seine übelste Form angenommen habe. Wer solchen Tendenzen nicht Einhalt gebiete, dürfe sich daher nicht wundern, erklärte er unentwegt, wenn auch Deutschland dem „semitischen Weltbolschewismus“ zum Opfer fallen würde. Und zwar sah Rosenberg die gefährlichste Voraussetzung dazu in der immer weiter umsichgreifenden „Sumpfkultur“ der großen Industrieregionen, wo ein proletarisches „Untermenschentum“ hause, das sich unter Anleitung jüdischer Kommunisten anschicke, auch die 22  Nazifaschismus

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Jüdische Weltverschwörung. Karikatur in dem antisemitischen Hetzblatt Der Stürmer (1943).

letzten Reste einer höhergearteten arischen Kultur zu zerstören oder zumindest in den Dreck zu ziehen. Ja, als Hitler 1941 nicht nur die UdSSR überfiel, sondern auch den USA, als dem führenden Industriestaat der Welt, den Krieg erklärte, wurde selbst der Dollar-Imperialismus von einigen übereifrigen Antisemiten innerhalb der NSDAP als eine Ausgeburt der „jüdischen Weltverschwörung“ hingestellt. Doch das war noch keineswegs alles, was sich in den kulturtheoretischen Schriften mancher Nazifaschisten an Feindbildern findet. Nicht nur das Kommunistische und das Jüdische erschienen den Vertretern solcher Anschauungen im Hinblick auf eine wahrhaft deutsche Kultur als verdammenswert, sondern geradezu alles, was sie als „fremd“ und demzufolge mit dem deutschen Wesen als unvereinbar empfanden. Wie Carl Schmitt, der schon 1927 in seinem Traktat Der Begriff des Politischen gegen alle pluralistischen Staats- und Kulturauffassungen aufgetreten war und sämtliche Vertreter eines nichtdeutschen Denkens als die „Anderen“, wenn nicht gar als zu bekämpfende „Feinde“ bezeichnet hatte, sprachen sich auch viele Nazifaschisten immer wieder dafür aus, im Bereich der Kultur allen Tendenzen eines gleichmacherischen Internationalismus, und zwar gleichviel welcher ideologischen Couleur, so Feindbilder  23

scharf wie möglich entgegen zu treten. Neben dem Kommunismus und dem Judentum zogen sie deshalb in ähnlicher Schärfe gegen alle Formen eines pluralistisch ausgerichteten Liberalismus, Parlamentarismus oder Demokratismus vom Leder, die nicht nur das spezifisch Volkhafte, sondern auch jeden staatlichen Ordnungssinn bedrohen und schließlich vernichten würden. Als Hauptorte dieses Ungeistes, in dem sich diese artvergessene „Entdeutschung“ verbreitet habe, stellten dabei vor allem „Blut und Boden“-Verfechter wie Paul Schultze-Naumburg sowie einige Rosenberg-Anhänger die damaligen Großstädte hin, in denen das Ureigene der älteren volkhaft-nationalen Kulturvorstellungen zusehends in einer egoistisch-kommerziellen Betriebsamkeit verloren gehe. Hier herrsche, betonten sie immer wieder, ein seelenloser Funktionalismus, der nicht zögere, selbst die höchsten Güter der Kultur einer rein ökonomisch ausgerichteten Zivilisation auszuliefern und sie damit zu bloßen Konsumprodukten zu erniedrigen. Und zwar machten die Vertreter derartiger Anschauungen dafür nicht nur die Juden, sondern auch jene artvergessenen Deutschen verantwortlich, die sich in der Weimarer Republik nicht geschämt hätten, mit einem Internationalismus zu sympathisieren, dem es ohne Rücksicht auf die deutschnationalen Traditionen lediglich um die Durchsetzung konsumorientierter Weltmarktbestrebungen gegangen sei. Wie dem „semitischen Weltbolschewismus“ habe auch diesem Trend, betonten sie immer wieder, dieselbe Tendenz zu einer „antivölkischen“ und damit „seelisch entleerten Gleichmacherei“ zugrunde gelegen. Als Beispiele für derartige „Entartungserscheinungen“ innerhalb des Unkulturbetriebs der Weimarer Republik führten NS-Theoretiker dieser Art meist die Ausbreitung modernistisch eingerichteter Warenhäuser, den technizistischen Funktionalismus des Dessauer Bauhauses, die gegendstandslosmodernistische Malerei, die „negroide“ Komponente innerhalb der kommerzialisierten Jazzmusik sowie all das an, was sie im Bereich der Bestsellerromane und Zeitungsreportagen als „gehaltlose Asphaltliteratur“ bezeichneten. Durch diese konsequente Abwertung alles „Zivilisatorischen“ wurden somit in den Schriften vieler Nazifaschisten selbst Begriffe wie sezessionistische Modernität sowie kritische Gehirnorientiertheit zu negativ besetzten Wörtern. Das kulturschöpferische Ideal derartiger Autoren war weder der sich von der Gesellschaft absondernde Ästhet noch die 24  Nazifaschismus

gesellschaftskritische „Intelligenzbestie“, wie sie immer wieder erklärten, sondern jener arische „Vollmensch“, der in seinen Handlungen und Wertvorstellungen weniger irgendwelchen zeitverhafteten Moden oder rationalen Vernunftgeboten als der inneren Stimme seiner arteigenen Abstammung vertraue. Was deshalb von solchen Theoretikern neben den Kommunisten und Juden meist als drittes undeutsches Feindbild angeprangert wurde, war jener „entwurzelte Großstadtintellektuelle“, der sich so weit von seinen völkischen Ursprüngen entfernt habe, daß er keinen seiner Nation dienlichen kulturschöpferischen Elan mehr aufbringen könne und nur noch seinen subjektiven Antrieben oder den Modediktaten der von den jeweiligen Konjunkturmanagern angepriesenen Vorstellungen folge, denen in den meisten Fällen lediglich eine nichtarische Profitgier zugrunde liege. Und damit müsse in einem „Dritten Reich deutscher Art“, wie es in solchen Schriften mit drohender Stimme häufig hieß, endgültig aufgeräumt werden.

Proklamierte Zielvorstellungen Nach dieser katalogartigen Aneinanderreihung der wichtigsten Feindbilder der nazifaschistischen Kulturtheoretiker ergibt sich zunächst als zentrale Frage: welche ideologischen Leitvorstellungen eines „wahren Deutschtums“ stellten denn diese Autoren schon vor 1933 und dann noch schärfer nach der Machtübergabe an Hitler der allgemein beklagten „kulturellen Überfremdung“ entgegen? Die meisten gingen bei solchen Bemühungen zwar mit einer ungeheuren Vehemenz, aber auch mit einer ebenso unübersehbaren Unklarheit vor. Aber das war kaum anders zu erwarten. Schließlich tendierten damals auf dem Gebiet der Völkerpsychologie, wo es meist nur um das wesensmäßige „An sich“ bestimmter Nationen ging, alle noch so „wissenschaftlich“ verbrämten Urteile stets ins Pauschalisierende und damit Fragwürdige. Wenn daher die Vokabel „Deutschtum“ in Schriften dieser Art auftaucht, verbargen sich dahinter fast immer irgendwelche ins Nationalistische oder Chauvinistische ausschweifende Allgemeinvorstellungen. Viele dieser ins Essentielle tendierenden Wortklaubereien erinnern dabei an ebenso problematische Bemühungen im Bereich jener unkonkreten Begriffsbildungen, für die sich auch in der akademischen Geistesgeschichte oder ExistenzphilosoProklamierte Zielvorstellungen  25

gesellschaftskritische „Intelligenzbestie“, wie sie immer wieder erklärten, sondern jener arische „Vollmensch“, der in seinen Handlungen und Wertvorstellungen weniger irgendwelchen zeitverhafteten Moden oder rationalen Vernunftgeboten als der inneren Stimme seiner arteigenen Abstammung vertraue. Was deshalb von solchen Theoretikern neben den Kommunisten und Juden meist als drittes undeutsches Feindbild angeprangert wurde, war jener „entwurzelte Großstadtintellektuelle“, der sich so weit von seinen völkischen Ursprüngen entfernt habe, daß er keinen seiner Nation dienlichen kulturschöpferischen Elan mehr aufbringen könne und nur noch seinen subjektiven Antrieben oder den Modediktaten der von den jeweiligen Konjunkturmanagern angepriesenen Vorstellungen folge, denen in den meisten Fällen lediglich eine nichtarische Profitgier zugrunde liege. Und damit müsse in einem „Dritten Reich deutscher Art“, wie es in solchen Schriften mit drohender Stimme häufig hieß, endgültig aufgeräumt werden.

Proklamierte Zielvorstellungen Nach dieser katalogartigen Aneinanderreihung der wichtigsten Feindbilder der nazifaschistischen Kulturtheoretiker ergibt sich zunächst als zentrale Frage: welche ideologischen Leitvorstellungen eines „wahren Deutschtums“ stellten denn diese Autoren schon vor 1933 und dann noch schärfer nach der Machtübergabe an Hitler der allgemein beklagten „kulturellen Überfremdung“ entgegen? Die meisten gingen bei solchen Bemühungen zwar mit einer ungeheuren Vehemenz, aber auch mit einer ebenso unübersehbaren Unklarheit vor. Aber das war kaum anders zu erwarten. Schließlich tendierten damals auf dem Gebiet der Völkerpsychologie, wo es meist nur um das wesensmäßige „An sich“ bestimmter Nationen ging, alle noch so „wissenschaftlich“ verbrämten Urteile stets ins Pauschalisierende und damit Fragwürdige. Wenn daher die Vokabel „Deutschtum“ in Schriften dieser Art auftaucht, verbargen sich dahinter fast immer irgendwelche ins Nationalistische oder Chauvinistische ausschweifende Allgemeinvorstellungen. Viele dieser ins Essentielle tendierenden Wortklaubereien erinnern dabei an ebenso problematische Bemühungen im Bereich jener unkonkreten Begriffsbildungen, für die sich auch in der akademischen Geistesgeschichte oder ExistenzphilosoProklamierte Zielvorstellungen  25

phie der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, denen es gleichfalls eher um das existentiell „Seinsgemäße“ als um das geschichtlich Gewordene ging, genug Beispiele finden. Besonders beliebt war es in diesem kulturtheoretischen Umfeld, das „Wahrhaft-Deutsche“ – im Gefolge von Ludwig Ferdinand Clauß, Hans F. K. Günther, Alfred Rosenberg, Paul Schultze-Naumburg, Josef Strzygowski und anderer Germanenschwärmer – auf rassenbiologischer Grundlage als Ausdruck einer „arischen Blutsgemeinschaft“ hinzustellen. Und zwar gingen die Vertreter dieser Gruppe dabei meist von einer deutschbewußten „Wesensschau“ aus, die alle rationalistischen, das heißt als „fremdvölkisch“ abgewerteten Erkenntnisweisen als oberflächlich und damit unergiebig verwarf. Das spezifisch „Deutsche“ sahen diese Theoretiker weniger in dem, was sich im Laufe der Jahrhunderte historisch herausgebildet habe, als in dem, was der indogermanischen Rasse, deren würdigste Repräsentanten heutzutage die Deutschen seien, seit Urzeiten ihre innere Größe und kulturschöpferische Ausdruckskraft verliehen habe. Und ein solches Ingenium lasse sich letztlich nicht verstandesmäßig erklären, sondern sei nur auf der Grundlage einer instinktiv erahnten Wesensverbundenheit zu erkennen. Als das wichtigste Postulat aller kulturellen Bemühungen, zu den arischen Grundvoraussetzungen des „Wahrhaft-Deutschen“ zurückzukehren, wurde daher von vielen nazifaschistischen Autoren eine konsequente rassische Aufartung auf arisch-germanischer Basis hingestellt, die auch vor der Anwendung von Sterilisations- und Euthanasiemaßnahmen nicht zurückschrecken würde. Lediglich dann, wenn die schöpferischen Menschen in Deutschland wieder das Gefühl hätten, daß in ihren Adern noch immer das „Blut ihrer edelgesinnten Ahnen“ pulsiere, hieß es bei ihnen, könne – nach den kulturellen Entartungserscheinungen der jüngsten Vergangenheit – erneut eine arisch-höhergeartete Kultur entstehen. Was deshalb die Vertreter dieser Gruppen in ihren Proklamationen ständig beschworen, war eine radikale Abkehr von allen Tendenzen einer internationalen Rassenvermischung innerhalb einer nur den Gesetzen des Funktionalismus gehorchenden „modernistischen“ Großstadtzivilisation, die jeden Bezug zum Ewig-Seienden verloren habe. Nur im Gefolge eines ernstgemeinten Solidarpakts mit den Kräften der seit der germanischen Urzeit bestehenden Quellgründe des deutschen Wesens, erklärten sie mit bedeutungsvoll aufgeladenen Beteuerungen, würde sich 26  Nazifaschismus

in Deutschland wieder eine artgemäße Volksgemeinschaft und damit eine echte, nach höchsten Zielen strebende Volkskultur entwickeln. Zu einem solchen „Aufschwung“ seien jedoch eine konsequente Ausschaltung aller Fremdeinwirkungen sowie die Errichtung eines wahrhaft deutschbewußten Dritten Reichs erforderlich, wie die Autoren derartiger Schriften immer wieder behaupteten. Als der erforderliche Vollstrecker solcher Tendenzen wurde dabei als vordringlichste Leitvorstellung stets ein „Starker von Oben“ anvisiert. Und den sahen sowohl die alten Völkischen als auch die jungen Präfaschisten schon vor 1933 fast ausschließlich in Adolf Hitler. Nur er, der eine einmalige Aura, ein unwiderstehliches Charisma habe, betonten sie geradezu pausenlos, könne Deutschland auf der Grundlage eines radikal durchgeführten rassischen Aufartungsprogramms zu einer kulturellen Renaissance verhelfen und somit den drohenden Abstieg in den Sumpf eines von den Kommunisten und Juden angestrebten „artgefährdenden Modernismus“ verhindern. Die NS-Ideologie war daher nicht nur in politischer, sondern auch in kultureller Hinsicht voller personenkultischer Komponenten. Ständig wurde in ihren Schriften jener von der Vorsehung auserwählte Adolf Hitler beschworen, in dem auf magische Weise das „Wahrhaft-Deutsche“ seine überzeugendste Auferstehung erlebe. Er, der aus den „Tiefen des Volkes“ stamme, hieß es in ihnen immer wieder, wisse am besten, daß alles Verheutigende, Modische und Konjunkturbedingte, wie auch alles Kulturbolschewistisch-Revolutionäre zutiefst „undeutsch“ sei. Daher stütze er sich zu Recht auf jene traditionsbewußten Wertvorstellungen, in denen sich seit Jahrhunderten die besten Züge des deutschen Wesens verkörpert hätten. Hitler sei ein Mann der rassischen „Wiedererweckung“ und nicht ein Mann des artvergessenen „Umsturzes“, erklärten darum seine unzähligen Anhänger geradezu unentwegt. Ihm bedingungslos zu folgen, sei deshalb eine nicht zu hinterfragende Notwendigkeit, um sich nicht weiterhin am Niedergang des deutschen Geistes mitschuldig zu machen. Aufgrund dieser extremen Führerbezogenheit glaubte die NSDAP – im Gegensatz zu anderen politischen Parteien – schon vor 1933 auf eine genau durchformulierte Kulturpolitik weitgehend verzichten zu können. Statt auf diesem Gebiet eine rational-konkrete Analyse der bestehenden politischen und sozioökonomischen Verhältnisse vorzunehmen, stellte sie als ihr zentrales Leitbild immer wieder jenen Hitler hin, der als Proklamierte Zielvorstellungen  27

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Fritz Erler: Bildnis des Führers. Große Deutsche Kunstausstellung (1939).

28  Nazifaschismus

faustisch-nietzscheanischer Tat- und Übermensch all das in seiner Person verkörpere, was ihr als richtungsweisend erschien. Hitler war daher nicht nur ihr Führer, sondern zugleich ihr Programm, ihr Telos, ihre angebliche Utopie. In ihm sahen seine Parteigänger jenen, der in seiner rückhaltslosen Hingabe an die „große Sache“ allen Deutschen ein leuchtendes Vorbild gebe. Während sich die Vorsitzenden der anderen Parteien auf irgendwelche trockenen, abgelebten Programme gestützt hätten, hieß es in ihren Schriften mit emphatischem Nachdruck, sei Hitler in erster Linie ein Kämpfer, ein Retter, ein Erlöser, an den man blindlings „glauben müsse“, wie Joseph Goebbels wiederholt erklärte, um so den wahren Kern seiner Botschaft erfassen zu können. Da Hitler all seine Kräfte der Wiedererweckung des deutschen Volks zu seiner angestammten „Größe“ widme, beteuerten seine Anhänger, sei es nicht unbillig, daß er von den auf ihn Eingeschworenen die gleiche kämpferische Gesinnung in der Verfolgung seiner „hehren Ziele“ verlange. Die Reden und Schriften der maßgeblichen NS-Unterführer waren deshalb anfangs voller Appelle an die Kampf- und Opferbereitschaft der ihm folgenden braunen SA-Kolonnen, während sie sich später zusehends an die gesamte „Volksgemeinschaft“ wandten. Immer wieder liest man in ihnen von Gefolgschaftstreue, von Zucht, Pflicht und Mannhaftigkeit, ja von Opferbereitschaft und Todesmut, um so den Deutschen – als den würdigsten Repräsentanten der weißen Rasse – im Kampf gegen die ehr- und kulturlosen Untermenschen, deren Hauptvertreter die Juden, Slawen, Zigeuner und „vernegerten“ Franzosen seien, den nötigen Lebensraum einzuräumen und ihnen damit die entscheidende Grundlage für die politische Vorherrschaft in Europa, wenn nicht in der ganzen Welt zu verschaffen. Fast alle Nazifaschisten bekannten sich daher in ihren Reden und Schriften zum Leitbild des „Heldischen“. Hitler selber sprach schon am 1. September 1933 auf einer Kulturtagung der NSDAP vom kommenden „heroischen Zeitalter“. Goebbels erhoffte sich in seiner Eröffnungsrede der Reichskulturkammer am 15. November des gleichen Jahres von den zu schaffenden Kunstwerken der unmittelbaren Zukunft eine „stählerne Romantik“, der eine „heroische Lebenserfassung“ zugrunde liegen müsse. Wie erwartet, trat auch Rosenberg 1934 in seiner Schrift Revolution in der bildenden Kunst? für einen „Heroismus der kommenden Kunst“ ein, die sich an den arisch-hellenischen Skulpturen der alten Proklamierte Zielvorstellungen  29

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Germanen der frühen Bronzezeit. Aus Altgermanische Kultur in Wort und Bild (1934) von Wolfgang Schultz.

Griechen orientieren solle. Paul Schultze-Naumburg setzte kurz darauf in seinem Buch Kunst aus Blut und Boden den „nordisch-deutschen Menschen“ einfach mit dem „heldischen Menschen“ gleich. Nicht minder herrisch gesinnt gab sich Georg Sluyterman von Langeweyde, der 1937 die Deutschen in seinem völkischen Manifest Kultur ist Dienst am Leben als ein „mannschaftliches Volk“ charakterisierte, dessen „geistiger Unterbau“ eine „wehrhafte Haltung“ sei. Ja, selbst die deutschen Christen forderten ihre Anhänger in diesen Jahren mehrfach zu einer „heldischen Frömmigkeit“ auf. Im Anschluß an all diese parteipolitischen Proklamationen gab demzufolge der NS-Kunsthistoriker Hubert Schrade 1937 einem seiner traditionsverhafteten Bücher den Titel Die heldische Gestalt in der deutschen Kunst, das von den NS-Behörden als ein Hauptwerk der neueren Kunstgeschichte gefeiert wurde. Im Umkreis derartiger Ideologiekonzepte entfesselten demzufolge viele Vertreter der NSDAP einen geradezu unbarmherzigen Kulturkampf gegen alles Kommunistische, Jüdische, Negroide, GroßstädtischModernistische und Liberalistisch-Intellektualistische, um so ihren „art30  Nazifaschismus

eigenen“ Gegenbildern den Anschein eines heroischen Idealismus zu geben, mit dem sie ihre rassistischen und imperialistischen Ziele zu bemänteln versuchten. Unter pseudoreligiösen Schlagwörtern wie „Die Säuberung des Tempels“ oder „Die Aufstellung neuer Tafeln“ setzten sie daher dem Katalog ihrer Feindbilder meist einen ebenso langen Katalog ihrer eigenen „Ideale“ entgegen, bei dem sie sowohl mythologisch-verschwommene als auch wesensmäßig-rassistische Rechtfertigungsideologien aufgriffen. Wie im Bereich des Politischen gingen hierbei die Übereifrigen in ihren Reihen auch auf kultureller Ebene, falls man diese beiden Bereiche überhaupt auseinanderhalten kann, so demagogisch wie nur möglich vor. Schon ihr Wortschatz, in dem es von Vokabeln wie „Wesen“, „Art“, „Gemüt“, „Sein“ oder „Sinnhaftigkeit“ nur so wimmelte, beweist, daß es ihnen in diesem Zusammenhang nicht um rationale Deutungsweisen ging. Statt in eine von der NSDAP weitgehend abgelehnte „Gelehrtensprache“ zurückzufallen, bedienten sie sich weitgehend einer angeblich „arteigenen Wesensschau“, die sich mit pathetisch aufgeladenen Leerformeln bemühte, den Eindruck einer unergründlichen Tiefe zu erwecken. Hinter den vielfach apostrophierten Mächten von „Blut und Boden“ wurde hierbei manchmal sogar irgendein nordischer „Urschoß“ als der entscheidende Quellgrund der arischen Rasse beschworen. Einen besonders verschwommenen Eindruck erwecken in diesem Umkreis die häufig aufgestellten Leit- oder Idealbilder der alten Germanen. Schließlich wissen wir über die Anfänge dieser Völkerstämme herzlich wenig. Aus diesem Grunde ließen sie sich in ideologischer Hinsicht um so leichter und eindringlicher als leuchtende Vorbilder des Heldenhaften und des Kulturschöpferischen, als den beiden Hauptqualifikationen der arischen Rasse, mißbrauchen. Mit Rückgriffen dieser Art versuchten manche Vertreter der nazifaschistischen „Germanenkunde“ im Sinne einer umfassenden Volkserziehung alle Deutschen aus ihren christlich-quietistischen oder auch spießbürgerlich-selbstgenügsamen Lebenshaltungen herauszureißen und auf den Weg zu einer artbewußten Daseinsform zurückzuführen. Statt das „Heilige Land“ weiterhin in Palästina zu sehen, erklärten die Exponenten solcher Anschauungen, solle jeder Deutsche endlich zu der Einsicht kommen, daß nicht die Juden, sondern die Germanen das älteste Kulturvolk der Erde seien, das bereits vor Tausenden von Jahren auf dem Boden Deutschlands eine Proklamierte Zielvorstellungen  31

hohe Kultur der Thingstätten, Runeninschriften, Lurenmusik, SagaDichtungen und bronzezeitlichen Schmuckstücke besessen habe, die sich durchaus mit der späteren Kultur der Griechen und Römer vergleichen lasse. Es sei daher an der Zeit, lesen wir beispielsweise in den Schriften von Heinar Schilling, Josef Strzygowski und Herman Wirth aus den frühen dreißiger Jahren, daß sich Deutschland endlich dieser „hohen Ahnen“ würdig erweise und wieder seine ursprüngliche Willensstärke und kulturelle Eigenart zurückgewinne. Statt sich weiterhin von irreleitenden judäo-christlichen oder humanistisch-demokratischen „Verweichlichungskonzepten“ blenden zu lassen, forderten deshalb Fanatiker dieser Art alle Deutschen auf, sich erneut zu den urgermanischen Wertvorstellungen eines kriegerischen Heroismus und eines kulturellen Selbstbewußtseins durchzuringen, um so den „Urkräften des Nordens“ zu dem längst fälligen Sieg über Judengott „Jahwe“ zu verhelfen. Ähnliche Zielvorstellungen im Umkreis solcher Aufartungskonzepte lagen dem weitverbreiteten Bauernkult der NSDAP zugrunde. Auf diesem Gebiet konnten sich die übereifrigen Verfechter der „Blut und Boden“-Ideologie auf ein besonders üppiges Angebot bereits bestehender Ideologieansätze stützen. Manche unter ihnen ließen sich dabei zum Teil von den Bodenreformbestrebungen Otto Damaschkes, den Sippensiedlungsgedanken Georg Hauersteins, den Mittgart-Schwärmereien Willibald Hentschels, der Arierverkultung der Obstbaukolonie Eden sowie den Aktivitäten der Artamanen und des Jungdeutschen Ordens anregen, die schon während des Zweiten Kaiserreichs bzw. der Weimarer Republik für eine entschiedene „Wiederseßhaftmachung“ des deutschen Volkes eingetreten waren. Um einer „aufsteigenden Nation“ wie den Deutschen endlich den erforderlichen „Lebensraum“ zu verschaffen, hatten nämlich die meisten dieser Gruppen bereits damals zweierlei vorgeschlagen: erstens eine verstärkte Binnenkolonisation und zweitens, falls diese nicht ausreichen sollte, eine militante Ostkolonisation, möglichst bis zum „alten Gotenlande“ auf der Krim, wofür die Alldeutschen unter Georg von Schönerer schon um die Jahrhundertwende eingetreten waren. Ihre nazifaschistische Ausprägung erhielten solche Konzepte dann vor allem in Adolf Hitlers Mein Kampf sowie den vielfachen Proklamationen von Otto Bangert, Walter Darré und Heinrich Himmler. In ihrem Gefolge traten deshalb zahlreiche NS-Autoren schon kurz vor 32  Nazifaschismus

1933 dafür ein, endlich die „volksschädigende“ Auswanderung vieler Deutscher nach Übersee zu unterbinden und stattdessen – am besten im Zuge einer „germanischen Landnahme“ in Osteuropa – ein großes, zusammenhängendes und dichtbesiedeltes Stammesreich zu errichten, damit dem deutschen Volk in Zukunft kein einziger Tropfen arischen Blutes mehr verloren gehe. Wie schon Julius Langbehn in seinem manifestartigen Buch Rembrandt als Erzieher (1890), das bis 1926 50 Auflagen erlebte, forderten diese Gruppen dementsprechend eine konsequente „Verbauerung“ des gesamten deutschen Volkes, wobei sie sich ständig auf eine immer intensivere Symbiose von „Blut und Boden“ beriefen. Aufgrund derartiger Anschauungen verwarfen sie – wie bereits viele Befürworter der Heimatkunst-Bewegung um 1900 – sowohl die negativen Auswirkungen der modernen Industrialisierung als auch den daraus resultierenden „Ungeist“ der fortschreitenden Vergroßstädterung, welche dem im bäuerlichen Schollebewußtsein verwurzelten Wesen der arischen Rasse zutiefst entgegengesetzt seien. Geradezu alle modernistischen Zivilisationserscheinungen erschienen deshalb den auf die Mächte von „Blut und Boden“ schwörenden nazifaschistischen Fanatikern als artvergessener „Heimatverlust“, als „Entdeutschung“, ja als drohender „Volkstod“, welchen man nicht entschieden genug entgegentreten könne, um in Deutschland wieder jene Kräfte zu stärken, mit denen sich die Heraufkunft einer aus den angestammten Urveranlagungen hervorgehenden arisch-germanischen Bauernkultur herbeiführen lasse. Als derartige „Wesenheiten“ wurden von den Anhängern dieser Richtung, die bereits in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre vor allem durch die Publikationen Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse (1929) und Neuadel aus Blut und Boden (1930) Walter Darrés, des späteren Reichsbauernführers, eine lebhafte Unterstützung erfuhren, vor allem Wertvorstellungen wie „Stammesbewußtsein“, „Erbhofgesinnung“ und „Kinderreichtum“ herausgestrichen, in denen die germanischen Wesensqualitäten eines „bäuerlichen Urseins“ besonders unverfälscht zum Ausdruck kämen. In diesem Zusammenhang wurde der programmatisch herbeigesehnte Prozeß einer „Wiederverwurzelung in der Scholle“ großer Teile der deutschen Bevölkerung, wie gesagt, häufig mit der Zielvorstellung einer allmählichen Zurückdrängung oder gar schonungslosen Liquidierung der osteuropäischen „slawischen Untermenschen“ verbunden, um so dem deutschen Proklamierte Zielvorstellungen  33

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Oskar MartinAmorbach: Erntegang (1938 von Hitler angekauft).

Volk endlich den ihm zustehenden „Lebensraum“ zu verschaffen. Unter Berufung auf die Bauernromane von Adolf Bartels, Gustav Frenssen und Hermann Löns strichen dementsprechend Autoren dieser Art am arischdeutschen Bauerntum nicht nur den angestammten Schollegeist, sondern zugleich die kämpferische Natur dieser Bevölkerungsschicht heraus, welche sie von jenen dekadenten Großstadtmenschen unterscheide, die bereits weitgehend durch die luxurierenden Errungenschaften der modernen Zivilisation „verweichlicht“ seien. Neben den deutschen Bauern wurde dabei als ein ebenso wichtiges Leitbild echten Deutschtums häufig der deutsche Ritter, und zwar meist in Gestalt des Deutschordensritters oder Albrecht Dürers Ritter zwischen Tod und Teufel beschworen, um so allen schollebewußten Bauern mannhaft gesinnte Führerfiguren zur Seite zu stellen, mit denen sich die vielfach angestrebte „Ostkolonisation“ am erfolgsversprechendsten verwirklichen lasse. Unter Berufung auf die Ordensritter des späten Mittelalters verbanden damit manche NS-Fanatiker zugleich die Vorstellung neuer heroisch eingestellter Männerbünde, die sich in noch zu gründenden Ordensburgen zu nordisch-gesinnten Gefolgschaften zusammenschließen würden, um dann mit geballter Kraft „nach Ostland zu reiten“. 34  Nazifaschismus

Wohl am nachdrücklichsten setzte sich Alfred Rosenberg für solche ordensstaatlichen Vorstellungen ein, wie aus seiner 1934 vielbeachteten Rede auf der Marienburg in Ostpreußen hervorgeht, in der er für sich die Rolle eines nationalsozialistischen „Ordenskanzlers“ beanspruchte und seine aus dem Kampfbund für Deutsche Kultur hervorgegangene NS-Kulturgemeinde als einen „Ordensrat der Bewegung“ bezeichnete, mit dem sich die von Hitler erträumten Visionen am besten in die gesellschaftliche Praxis umsetzen ließen. Auch Heinrich Himmler huldigte bei seinen rituellen Zusammenkünften mit anderen SS-Führern in der Wewelsburg bei Paderborn ähnlichen Ordensvorstellungen, die jedoch streng geheimgehalten wurden, um nicht gegen das eher populäre Konzept der allgemein verkündeten nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zu verstoßen. Ja, selbst Hitler schwärmte manchmal in Privatgesprächen, wie etwa denen mit dem Danziger NS-Führer Hermann Rauschning, von ordensstaatlichen Vorstellungen, wobei er sich meist auf Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal berief, dessen Gralsideologie er als einen spezifisch „nordischen“ Mythos hinstellte. Das Blut, das im Gralskelch aufbewahrt werde, war für ihn nicht das Blut Christi, sondern das arische Blut. Er bezeichnete deshalb in diesem Zusammenhang die SS als eine „Bruderschaft der Tempelritter um den Gral des reinen Blutes“, der erst dann wieder aufleuchten werde, wenn das deutsche Blut von allen fremdrassigen Bestandteilen gereinigt sei. Nur wenn das gelänge, erklärte er, werde Deutschland fähig sein, die Weltherrschaft anzutreten. So gesehen, gehört also auch Hitler, so selten er das auch öffentlich zugab, durchaus in die Traditionslinie jener Arierschwärmer, die aus den alten Atlantis- und Thule-Mythen das Konzept eines durch die Vorsehung auserwählten Volks abzuleiten versuchten. Dieser gralshafte Elitismus, nämlich die Überzeugung, einer nordischen Herrenrasse, ja einem begnadeten Ritterstand anzugehören, erzeugte in Hitler und seinen Führungsstäben ein aristokratisches Erwähltheitsbewußtsein, das im Laufe der Jahre immer stärker ins Wahnwitzige tendierte. Denn je anspruchsvoller die geheimgehaltenen Zielvorstellungen dieser Kreise wurden, desto verächtlicher schauten sie auf jene angeblich ressentimentgeladenen schwarzen, jüdischen, mongolisch-asiatischen oder bastardisierten westeuropäischen Völker herab, deren einziges Trachten – ihrer Meinung nach – darin bestehe, die arischen Edelmenschen Proklamierte Zielvorstellungen  35

6 Georg Sluyterman von Langeweyde: Ritter (1943).

schrittweise auszurotten, um sich endlich ohne Scham ihren „niederen Trieben“ hingeben zu können. Und aus derart überspannten Vorstellungen leiteten einige Vertreter der NS-Führungsschichten geradezu zwangsläufig den Herrschaftsanspruch der arisch-deutschen Rasse über die gesamte Weltbevölkerung ab, die ohne die führende Hand der Arier, 36  Nazifaschismus

wie sie behaupteten, auf Ewigkeit in einem trüben Rassen- und Unkulturchaos versinken würde. Hitlers Machtbestrebungen lagen demnach – im Gegensatz zu anderen Alleinherrschern dieser Ära wie Francesco Franco, Benito Mussolini, Josef Klemens Piłsudski oder Josif Stalin – nicht allein nationalbetonte, sondern zugleich imperialistische Zielsetzungen zugrunde. Er bezog sich zwar in den meisten seiner Reden lediglich auf das Wohl der deutschen „Volksgemeinschaft“, aber unter dem Deckmantel solcher hochtönenden Schlagwörter verbargen sich von Anfang an ideologische Fernziele, die weit über einen bloßen Deutschheitskult hinausgingen. Doch auf derartige Zukunftsvisionen spielte Hitler in seinen Reden lediglich dann an, wenn er auf die Vorstellung jenes „Tausendjährigen Reichs“ zu sprechen kam, das er zu gründen hoffe. Es gibt daher Gesellschaftswissenschaftler, die darin die eigentliche Utopie des Nazifaschismus sehen. Schließlich erinnert die Vision eines tausend Jahre währenden Reichs deutlich an jene utopischen Wunschphantasien, deren Autoren seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts den fatalen Wechselschicksalen der verschiedenen Herrschaftssysteme stets das Konzept einer Gesellschaftsform entgegengesetzt hatten, die so wohlgeordnet ist, daß sie sich als unveränderlich erweist. Allerdings hatten sie in ihren meist als Utopien angelegten Staatsromanen zugleich noch drei andere Forderungen aufgestellt: die konsequente Vermeidung kriegerischer Auseinandersetzungen, die soziale Gleichstellung aller Bürger sowie die Abschaffung der bisherigen Eigentumsprivilegien, um so allen inneren Konflikten, die zu einem Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung führen könnten, von vornherein einen Riegel vorzuschieben. Von alledem kann jedoch im Hinblick auf Hitlers Drittes Reich, das 1 000 Jahre dauern sollte, keine Rede sein. Erstens stand hinter seiner Reichsvorstellung nicht jener Traum vom „Ewigen Frieden“, der so vielen Aufklärern bei ihren Wunschphantasien als unverzichtbar erschienen war. Zweitens entbehrte das nazifaschistische Versprechen einer „wahren Volksgemeinschaft“, das auch die meisten älteren Utopien propagiert hatten, jeder konkreten Fundierung, da Hitlers Herrschaftssystem auf einem sozialdarwinistischen Führerprinzip beruhte, dem fast ausschließlich das antiutopische Recht des Stärkeren über die Schwachen zugrunde lag. Ja, selbst in der Frage der Eigentumsprivilegien entschieden sich die Nazifaschisten für einen antiutopischen Kurs. Statt sie abzuschaffen, Proklamierte Zielvorstellungen  37

wofür vor allem Utopiker von Thomas Morus, Louis-Sébastien Mercier und Morelly bis hin zu Charles Fourier, Étienne Cabet, William Morris, Theodor Hertzka und Edward Bellamy eingetreten waren, setzte sich Hitler schon in seiner ersten Reichstagsrede für eine Aufrechterhaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ein und versprach den finanziell bessergestellten Schichten „die stärkste Förderung der Privatinitiative und die Anerkennung des Eigentums“. Daß er damit all jene seiner Unterklassenanhänger enttäuschte, die den Machtantritt der Nazifaschisten durchaus mit utopischen Hoffnungen begrüßt hatten, konnte nicht ausbleiben. Diese Schichten hofften zwar noch bis zum Frühjahr 1934 auf eine „Zweite Revolution“, in der Hitler den Kapitalismus abschaffen würde, um so eine soziale Gleichstellung aller deutschen „Volksgenossen“ durchzusetzen. Aber das erwies sich als eine Illusion, da Hitler nicht gewillt war, seine mit Hilfe des Großkapitals und der Reichswehr errungene Machtstellung leichtfertig durch „revolutionäre“ Umsturzpläne aufs Spiel zu setzen. Ein Mann wie Otto Strasser, der vor seiner Flucht ins Exil zu den Führern des linken Flügels der NSDAP gehört hatte, verglich diesen Kurswechsel ins Antiutopische später mit dem „Sieg der Gironde über den vorwärts drängenden Jakobinismus“ oder dem Sieg der „Royalisten über die Puritaner unter Cromwell“. Ebenso erbittert über Hitlers prokapitalistischen Kurs und sein Streben nach bürgerlicher Respektabilität waren diejenigen SAMänner, die seit Jahren mit revolutionärer Emphase von jener Nacht der langen Messer geträumt hatten, in der man all jene „dicken Industriellen“ beseitigen würde, um endlich ihre Fabriken und Bürohäuser in Gemeineigentum zu überführen. Doch das Gegenteil trat ein. Nachdem Hitler fast alle Führer des linken Flügels der NSDAP am 30. Juni 1934 umbringen ließ und sich in der anschließenden Nürnberger Reichsparteitagsrede gegen jede Form eines angeblich „undeutschen“ Revolutionismus ausgesprochen hatte, siegte innerhalb der nazifaschistischen Parteihierarchie ein antiutopischer Pragmatismus über alle utopischen Restelemente der bisherigen NS-Ideologie. Die „wahrhaft Gläubigen“ unter den SA-Männern waren daher so desillusioniert, daß allein in den Monaten August und September 1934 100 000 von ihnen jenen braunen Marschkolonnen den Rücken kehrten, die sie bisher in ihrem Glauben an eine „echte Volksgemeinschaft“ bestärkt hatten. Die meisten dieser Männer fühlten sich 38  Nazifaschismus

danach an den Rand gedrängt und zogen sich zusehends ins Privatleben zurück. Dementsprechend schrumpfte die Mitgliedschaft in der SA von 2,9 Millionen im August 1934 bis zum Oktober 1935 auf 1,5 Millionen und nahm danach, als für die Durchsetzung wahrhaft nationalsozialistischer Zielvorstellungen keine weiteren realpolitischen Chancen mehr bestanden, noch weiter ab. Das Dritte Reich war also alles andere als jener Idealstaat, wie ihn viele der älteren Utopien anvisiert hatten. Im Gegenteil, wenn man von den heuchlerischen Gleichheitsparolen aus der Frühzeit dieses Reichs einmal absieht, waren seine Fernziele, was nicht oft genug betont werden kann, alles andere als utopisch, sondern eher dystopisch. Genauer besehen, lag ihnen – gemäß der dahinterstehenden Rassenideologie – fast immer ein „Mythos des Bluts“ zugrunde, der letztlich auf eine „kriegerische Unterwerfung“, wenn nicht gar „Ausmerze alles Fremden und Schwachen“ hinauslief und selbst den eigenen „Volksgenossen“ weder Formen einer im besten Sinne als sozialistisch zu verstehenden Solidarität noch einer individuellen Selbstrealisierung erlaubte. Warum dieses Reich dennoch von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung akzeptiert, ja zum Teil lebhaft begrüßt wurde, ist nicht leicht zu erklären. Mögen die folgenden Kapitel dazu beitragen, wenigstens einige Erklärungsgründe für diesen jeden Interpreten des Phänomens „Nazifaschismus“ bestürzenden Widerspruch ausfindig zu machen.

Das Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur Doch zurück zu den mit derartigen Leitbildern – ob nun dem Führerkult, dem Postulat des heldischen Menschen, der Arier- oder Germanenschwärmerei, dem Stolz auf das deutsche Bauerntum, dem ordensstaatlichen Ritterprinzip sowie den gralshaften Erwähltheitsphantasien – verbundenen Kulturvorstellungen. Was die Vertreter solcher Ideologiekonzepte, wenn auch meist in recht pauschalisierender Form, verband, war, wie gesagt, der oft energisch proklamierte Wille, erneut eine Kultur zu schaffen, die – nach den vielen modernistisch-internationalistischen Überfremdungen und Entartungen seit dem späten 19. Jahrhundert – im Bereich der Kunst wieder jene Kräfte reaktivieren würde, in denen sich die deutsche „Art“ seit dem Beginn der Germanenzeit und des Mittelalters am reinsten verDas Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur  39

danach an den Rand gedrängt und zogen sich zusehends ins Privatleben zurück. Dementsprechend schrumpfte die Mitgliedschaft in der SA von 2,9 Millionen im August 1934 bis zum Oktober 1935 auf 1,5 Millionen und nahm danach, als für die Durchsetzung wahrhaft nationalsozialistischer Zielvorstellungen keine weiteren realpolitischen Chancen mehr bestanden, noch weiter ab. Das Dritte Reich war also alles andere als jener Idealstaat, wie ihn viele der älteren Utopien anvisiert hatten. Im Gegenteil, wenn man von den heuchlerischen Gleichheitsparolen aus der Frühzeit dieses Reichs einmal absieht, waren seine Fernziele, was nicht oft genug betont werden kann, alles andere als utopisch, sondern eher dystopisch. Genauer besehen, lag ihnen – gemäß der dahinterstehenden Rassenideologie – fast immer ein „Mythos des Bluts“ zugrunde, der letztlich auf eine „kriegerische Unterwerfung“, wenn nicht gar „Ausmerze alles Fremden und Schwachen“ hinauslief und selbst den eigenen „Volksgenossen“ weder Formen einer im besten Sinne als sozialistisch zu verstehenden Solidarität noch einer individuellen Selbstrealisierung erlaubte. Warum dieses Reich dennoch von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung akzeptiert, ja zum Teil lebhaft begrüßt wurde, ist nicht leicht zu erklären. Mögen die folgenden Kapitel dazu beitragen, wenigstens einige Erklärungsgründe für diesen jeden Interpreten des Phänomens „Nazifaschismus“ bestürzenden Widerspruch ausfindig zu machen.

Das Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur Doch zurück zu den mit derartigen Leitbildern – ob nun dem Führerkult, dem Postulat des heldischen Menschen, der Arier- oder Germanenschwärmerei, dem Stolz auf das deutsche Bauerntum, dem ordensstaatlichen Ritterprinzip sowie den gralshaften Erwähltheitsphantasien – verbundenen Kulturvorstellungen. Was die Vertreter solcher Ideologiekonzepte, wenn auch meist in recht pauschalisierender Form, verband, war, wie gesagt, der oft energisch proklamierte Wille, erneut eine Kultur zu schaffen, die – nach den vielen modernistisch-internationalistischen Überfremdungen und Entartungen seit dem späten 19. Jahrhundert – im Bereich der Kunst wieder jene Kräfte reaktivieren würde, in denen sich die deutsche „Art“ seit dem Beginn der Germanenzeit und des Mittelalters am reinsten verDas Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur  39

wirklicht habe. Statt „revolutionär“ aufzutreten, was von den meisten NSFührern als „undeutsch“, weil „verheutigend“ abgelehnt wurde, ging es derartigen Autoren auch im Hinblick auf die Kultur vornehmlich um das Altbewährte. Sie wollten in ihrem Reich das Traditionsverhaftete und nicht das Umstürzlerische gestärkt sehen. Also boten sie alles auf, was sich auf kulturästhetische Weise als „ewigdeutsch“ charakterisieren ließ. Während sie sich im Bereich des Politischen dabei meist auf die germanischen Recken, die deutschen Kaiser des Mittelalters oder preußische „Heroen“ wie Friedrich den Großen, Otto von Bismarck und Paul von Hindenburg beriefen, deren würdigster Nachfolger Adolf Hitler sei, faschisierten sie im Bereich des Kulturellen Erbes all das, was den künstlerischen Rang der Staufischen Klassik, der Reformationszeit, der Beethoven-Ära, der Goethe-Zeit sowie der deutschen Romantik besaß. Es erschienen daher unzählige NS-Proklamationen, in denen ständig von Jung-Siegfried, vom heldisch blickenden Bamberger Reiter, der nordisch-keuschen Uta von Naumburg, der arischen Mystik Meister Eckeharts, von Dürers Ritter zwischen Tod und Teufel, vom deutsch-heroischen Geist in Beethovens Eroica, von Goethes Faust als „nordischem Tatmenschen“, von Schiller als „Kampfgenossen Hitlers“, vom antifranzösisch gesinnten „Befreiungskriegsmaler“ Caspar David Friedrich oder vom „germanischen Mythenschöpfer“ Richard Wagner die Rede ist. Alle diese Gestalten und ihre Werke, die im „modernistisch“ eingestellten Kulturbetrieb der Weimarer Republik viel von ihrer früheren Aura eingebüßt hätten, stellten demzufolge die von der NS-Führungsschicht angeregten Publikationen, Presseberichten, Konzerten und Ausstellungen als ewige und damit zeitlose „Größen“ deutscher Art hin, denen man – wie bei dem 1939 in München pompös ausgestatteten Festumzug „Zweitausend Jahre deutscher Kultur“ – nicht nur die schuldige Ehrerbietung erweisen sollte, sondern die damit zugleich in den anspornenden Rang künstlerischer Vorbilder erhoben wurden. Nur in Anlehnung an sie, hieß es immer wieder, könne all das Tagesbezogene, Niedrige, Häßliche, Obszöne, Untermenschliche, kurzum: „Jüdisch-Kulturbolschewistische“ wieder aus dem hehren Bereich einer wahrhaft deutschen Kunst verschwinden. Als die idealen Leitbilder einer solchen Kunst, welche der „Wiederauferhebung“ der deutschen Kultur dienen sollten, wurden dabei von den führenden NS-Gremien mit großsprecherischen Worten vor allem 40  Nazifaschismus

die angeblich „unvergänglichen“ Werte des „Wahrhaft-Klassischen“ aufgeboten: also menschliche Würde, Willensstärke, Edelmut, Charakterfestigkeit und körperliche Wohlgestalt. In Anlehnung an Hitler wies man in diesem Zusammenhang nicht nur auf die alten Germanen, sondern ebenso häufig auf die „arischen“ Griechen hin, deren Wesensverwandtschaft mit den Deutschen schon Friedrich Hölderlin beschworen habe, wie es bei Rosenberg mehrfach heißt. Daß man in der Weimarer Republik derartige Leitvorstellungen gering geschätzt habe, empfanden viele NS-Kulturtheoretiker als einen bewußt gezielten Angriff auf alles „Höhere“ von Seiten jener als „artvergessen“ angeprangerten Kommunisten und Juden wie auch all jener konjunkturbeflissenen Managertypen, die es vor 1933 – neben ihrer kommerziellen Gewinngier – vor allem auf eine Auslöschung des sich nach seelischer Erhebung sehnenden „Volksempfindens“ abgesehen hätten. Statt auch in der Kunst die Würde und Schönheit der nordischen Rasse in den Vordergrund zu stellen, wären diese Gruppen vor allem auf eine zunehmende „Überfremdung“ und damit „Erniedrigung“ des wahrhaft deutschen Kunstwollens bedacht gewesen, um so jedes „völkische“ Bewußtsein unter den Deutschen abzutöten und damit auch im Bereich der Kultur eine internationalistisch orientierte Massenproduktion und eine dementsprechende „fremdvölkische Trivialisierung“ in Gang zu setzen. Was sich daher einige der führenden Kulturtheoretiker der NS-Bewegung schon vor 1933 herbeiwünschten, war eine deutschgesinnte, nur dem Höchsten verpflichtete Kunst, in der alle artbewußten Mitglieder dieser Nation eine Widerspiegelung der kulturellen Überlegenheit ihres Volkes über alle anderen Völker und Rassen sehen würden. Der – angesichts mancher kommerziellen Depravierungen der älteren Hochkultur in der marktwirtschaftlichen Prosperitätsphase der Weimarer Republik – nicht unbedingt zu verurteilende Wille zu einer „Wiederauferhebung“ der deutschen Kultur, die es aus allen Erniedrigungen ins Massenmediale, Konsumistische und damit Leichtabsetzbare zu befreien gelte, paarte sich deshalb in den nazifaschistischen Kulturtheorien von Anfang an mit einem rassistischen Hochmut, der höchst gefährliche Auswirkungen haben konnte. Doch das sahen die meisten konservativ gesinnten Vertreter der deutschen Bildungsbourgeoisie in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren noch kaum. Da sie sich – aus Abneigung gegen den modernistischen Kulturbetrieb mit all seinen „Abirrungen“ ins ExpresDas Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur  41

sionistische, Dadaistische, Technizistische, Reveuartige oder Linksorientierte – weitgehend in den Innenraum der älteren deutschen Hochkultur zurückgezogen hatten, empfanden sie die hochtönenden Phrasen vieler NS-Kulturtheoretiker, die ihnen eine Wendung ins Edelmütige und Schönheitsbetonte vorgaukelten, durchaus ansprechend. Ja, viele von ihnen hatten das Gefühl, durch diesen Gesinnungswandel im Reich der Kunst wieder jenen kulturellen Führungsanspruch zurückzugewinnen, der ihnen aufgrund ihrer Bildung rechtmäßig zustehe. Doch wie „realistisch“ waren eigentlich die Chancen jener bildungsbürgerlich eingestellten Bevölkerungsschichten, die seit den späten zwanziger Jahren darauf vertrauten, daß ihnen nach einer Machtübergabe an die Nationalsozialisten ihr früherer Stellvertretungsanspruch in Sachen „Kultur“ zurückerstattet würde? War nicht die NSDAP – jedenfalls in ihren programmatischen Verlautbarungen – eine „Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei“, die in der Weimarer Republik den unteren Bevölkerungsklassen eine größere Geltung im Staate versprochen hatte? Hätte daher diese Partei nicht folgerichtig eine an proletarischen Kriterien orientierte „Volkskultur“ anstreben müssen, in der die älteren Klassenbarrieren auch im Bereich der Kunst endlich aufgehoben würden, statt unentwegt die Vorbildlichkeit der Großleistungen der älteren deutschen Kunst herauszustreichen? Oder war das ständige Gerede von der „Wiederauferhebung der ewig-deutschen Hochkultur“ von Seiten vieler NS-Kulturtheoretiker nur ein wohlkalkulierter Propagandatrick, um auf diese Weise auch die weitgehend „unpolitische“ Bildungsbourgeoisie für ihre Ziele zu gewinnen? Daß es auf derartige Fragen keine eindeutigen Antworten gibt, geht größtenteils auf die relativ unklaren Zielvorstellungen der frühen nazifaschistischen Ideologiebildungen zurück, die eher im Irrationalen als in klar erkennbaren Theoriekonzepten verankert waren. Trotz einiger nicht zu übersehender Konstanten, wie der Verdammung alles Kommunistischen und Jüdischen sowie der Glorifizierung alles Kämpferischen, waren sich die führenden Kulturtheoretiker der NSDAP in vielen ihrer grundsätzlichen Anschauungen bis in die Anfangszeit des Dritten Reichs keineswegs einig. Und zwar hängt das zum Teil damit zusammen, daß sich die eher pragmatisch Eingestellten unter ihnen erst einmal auf die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht verstörende Nahziele beschränkten, während sie ihre nazifaschistischen Fernziele, die wesent42  Nazifaschismus

lich radikaler waren, vorläufig verschwiegen. Um also sowohl die bildungsbürgerlichen Schichten und die Angestellten als auch die breite Masse der Bevölkerung zu gewinnen, bedienten sie sich auf kulturellem Gebiet – trotz aller „Volksgemeinschafts“-Parolen – meist dreierlei Strategien, von denen sie sich den größtmöglichen Erfolg versprachen: der verstärkten Förderung der traditionellen Hochkultur für die gebildete Oberklasse, der Propagierung einer sogenannten Durchschnittskultur für die mittleren Schichten der deutschen Bevölkerung sowie der weitgehenden Duldung jener für die Unterklassen gedachten massenmedialen Unterhaltungskultur, die sich bereits in der Weimarer Republik ausgebreitet hatte und welche die Pragmatiker unter den Nazifaschisten lediglich von ihren ins Volksfremde, das heißt ins Jüdische oder Bolschewistische „entarteten“ Begleiterscheinungen, zu „reinigen“ versuchten. Und diese Tripelstrategie erwies sich nach 1933 als äußerst erfolgreich. Von jenen, die aus politischen oder rassischen Gründen ins Exil gehen mußten, einmal abgesehen, begrüßte ein Großteil der gebildeten Schichten durchaus, was der NS-Staat zur „Wiederauferhebung der deutschen Kultur“ auf allen Gebieten in die Wege leitete und mit hochtönenden Proklamationen zu unterstützen versuchte. Schließlich wurden nach diesem Zeitpunkt fast alle Dramen der seit langem bewährten Klassiker regelmäßig aufgeführt, bedeutsame Museumsausstellungen veranstaltet und die wichtigsten Werke der älteren deutschen Literatur sowie die Meisterwerke der Weltliteratur ständig neu aufgelegt. Und auch an anspruchsvollen Kulturzeitschriften, wie Die Kunst im Dritten Reich und Das Innere Reich, fehlte es keineswegs. Ja, selbst im Rundfunk waren in der Anfangszeit des Dritten Reichs häufig Symphonieund Solokonzerte mit den Hauptwerken der klassischen oder romantischen Musik zu hören, was den Gesellschaftsschichten mit höheren Geschmacksansprüchen durchaus zusagte. All dies bewegte sich also weiterhin in den bürgerlichen Bahnen der herkömmlichen Traditionspflege. Als wesentlich problematischer erwies sich dagegen die oft herausgestellte Zielvorstellung einer mit parteipolitischen Maßnahmen anzustrebenden allgemein verbindlichen „deutschen Volkskultur“, mit der einige besonders gläubige NS-Kulturtheoretiker die klassenmäßige Gebundenheit der bisherigen Kulturvorstellungen zu überwinden hofften. Es gab zwar in dieser Hinsicht eine Reihe hochtönender Proklamationen, mit Das Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur  43

denen diese Gruppe die von ihr immer wieder apostrophierte „Volksgemeinschaft“ anzustreben suchte, ohne sich jedoch über die vorgegebenen Bildungsschranken hinwegsetzen zu können. Dazu war die damalige deutsche Bevölkerung – trotz der sich in der Weimarer Republik anbahnenden Demokratisierungstendenzen – noch zu sehr in verschiedene Klassen mit jeweils höchst verschiedenen Bildungs- und Kulturkonzepten aufgespalten. Daß nach 1933 erneut das „gesunde Volksempfinden“ in jener seit Urzeiten bestehenden deutschen Kultur vorherrschen sollte, die es wieder „aufzuerheben“ gelte, klang zwar als sozialbezogenes Programm recht vielversprechend, ließ sich jedoch weder ohne weiteres mit den künstlerischen Geschmacksvorstellungen der kunstinteressierten Oberschichten noch mit den Unterhaltungsbedürfnissen der Angestelltenschicht und den breiten Massen des Proletariats vereinbaren. Und so blieb selbst nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten die herkömmliche Spaltung in eine elitäre Hochkultur und eine relativ krude Massenkultur durchaus erhalten, mochten auch manche Kulturtheoretiker der NSDAP noch so lauthals von den Zielvorstellungen einer durch sie herbeizuführenden „ewig-deutschen Hoch- oder Volkskultur“ schwärmen, in der sich durch die Ausschaltung aller fremdvölkischen, minderrassigen und politisch zersetzenden Tendenzen endlich ein deutschbetonter Einheitswille durchsetzen würde. Ein derart ins Rassistische überzogenes Idealkonzept erwies sich nur allzu schnell als eine Illusion. Schließlich blieb auch nach diesem Zeitpunkt auf kulturellem Gebiet das kapitalistische Prinzip von Angebot und Nachfrage weitgehend erhalten und gewährte somit vielen der weiterbestehenden Medienkonzerne – trotz aller Zensurbestimmungen – eine relative Autonomie, die sie weidlich auszunutzen wußten. Und so ging auch nach dem Machtantritt Hitlers die Mehrheit der deutschen Bevölkerung weiterhin ihren bisherigen kulturellen Gepflogenheiten nach: die Oberschicht erfreute sich aufgrund ihres bildungsbürgerlichen Herkommens nach wie vor an den Werken der traditionellen Hochkultur, das heißt erlebte ihre ästhetischen oder auch seelischen Hochgenüsse im Theater, im Opernhaus, im Konzertsaal, beim Museumsbesuch oder bei der Lektüre anspruchsvoller Dichtungen, die unteren Klassen ließen sich dagegen von trivialer Unterhaltungsmusik umdudeln, sahen sich Kintoppfilme an, blätterten in Illustrierten, schwoften zu Shimmy- oder

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Charleston-Klängen oder lasen Bestsellerromane, wenn nicht gar billige Groschenhefte. Welche Rechtfertigungsideologien mußten demnach manche der weniger pragmatisch eingestellten NS-Kulturtheoretiker aufbieten, um trotz dieser unübersehbaren Aufspaltung, bei der es selbstverständlich auch zahlreiche Zwischenformen gab, dennoch das Ideal einer „ewigdeutschen Volkskultur“ zu propagieren? Zugegeben, eine Reihe dieser Programmatiker glaubte tatsächlich, daß sich das Rad der Geschichte auch auf diesem Gebiet wieder zurückdrehen ließ. Sie propagierten deshalb zumeist einen Rückzug in die Provinz, ins Kleinstädtische oder Bäuerliche, wo es angeblich noch eine homogene Bevölkerung gebe, die noch nicht vom Makel der Spaltung in eine bürgerliche Oberklasse, eine mittelständische Angestelltenschicht und ein mehr oder minder „depraviertes“ Proletariat gezeichnet sei, sondern wo alle Menschen noch in relativer Gleichheit miteinander auskämen und daher dieselben Kulturbedürfnisse hätten. Hier lebe man noch nicht in jener „minderwertigen, volksfremden Zivilisation, die überall in Mode, Film, Theater und Tanz von den gleichen kapitalistischen Interessen geleitet werde und so die ödeste und vernichtendste Barbarei aller Zeiten das gesamte geistige Leben verpeste“, wie es gegen Ende der zwanziger Jahre in den Schriften mancher völkisch gesinnten Heimatkünstler, nationalrevolutionären Bauernführer oder SA-Programmatiker hieß, die sich wie Otto Bangert oder Paul Schultze-Naumburg gegen den „volkstötenden Terror der Großstädte“ wandten. Solche Parolen verfehlten zwar als Polemiken gegen die modernistisch-kommerzielle Kulturindustrie der Weimarer Republik keineswegs ihre Wirkung, gingen aber an der gesellschaftlichen Wirklichkeit weitgehend vorbei. Die Klügeren unter den NS-Kulturtheoretikern sahen das in dem Moment, als sie an die Macht kamen, auch ein, um nicht von vornherein im außergesellschaftlichen Abseits des Kleinstädtisch-Provinziellen zu bleiben. Nach diesem Zeitpunkt mußten sie sich, ob sie es wollten oder nicht, allen Deutschen, ob nun der Oberklasse, den Kleinbürgern und dem Proletariat, verständlich machen. Und das konnten sie nicht allein mit bäuerlichen oder rassistisch-überspannten Zwangsparolen erreichen, sondern nur, wenn sie sich auch auf kulturellem Gebiet auf die vorgegebene Situation einstellten. Trotz des propagandistisch aufgebauschten Jubels von Seiten der NS-Führungsschichten, endlich – nach Das Ideal einer „ewig-deutschen“ Kultur  45

der als „verhängnisvoll“ angeprangerten Novemberära einer in viele Parteien und Kulturbedürfnisse aufgespaltenen Gesellschaft – in einer wahren „Volksgemeinschaft“ zu leben, in der sich jeder Deutsche als Teil des „Großen-Ganzen“ fühlen könne, blieben daher die meisten derartiger klassenüberspannender Kulturkonzepte selbst in den Jahren nach 1933 reichlich vage. Schließlich war es selbst für die Aktivisten unter den Nazifaschisten weder möglich, sofort eine „völkisch“ gesinnte Klassenverbrüderung herbeizuführen, noch eine neue, in die Tausende gehende und zugleich auf ihre Vorstellungen eingestimmte Kulturmannschaft auf die Beine zu stellen. Stattdessen mußten sie sich erst einmal auf die weiterbestehenden Klassen einstellen und zugleich mit jenen Künstlern vorlieb nehmen, die nicht ins Exil gegangen waren, sondern unter dem neuen Regime teils gläubig, teils opportunistisch, teils widerwillig weiterhin in ihrem Metier tätig bleiben wollten. Neben einer Reihe überzeugter Nazifaschistischen, die bei dem allerorten verkündeten Aufbruch in die neue „Volksgemeinschaft“ eine führende Rolle zu spielen versuchten, gab es daher im Bereich der Kultur in den folgenden Jahren auch viele halbherzig gesinnte Mitläufer und pragmatisch eingestellte Heuchler. Zu den Letzteren gehörten vor allem jene im Kulturbetrieb aktiven Schichten, welche die „breiten Massen“ weiterhin mit den Produkten der etablierten Medienindustrie – ob nun Schlagern, Operetten, Filmkomödien, Illustrierten oder Groschenromanen – belieferten, ohne sich groß Gedanken über eine „völkische Gesundung“ oder gar „rassische Aufartung“ des deutschen Volkes im Rahmen einer auf den Ewigkeitswerten der nordischen Rasse beruhenden deutschen Kultur zu machen. Ja, selbst viele der eher anspruchsvollen „Kulturschaffenden“, die auf dem Gebiet der „hohen Künste“ tätig waren, verstanden sich nach 1933 nicht in erster Linie als Gefolgsleute der auf die „Gemeinschafts“-Parolen eingeschworenen Fanatiker innerhalb der NSDAP, sondern als „Künstler“, die weiterhin der alten bürgerlichen Parole „Lex nihi ars“ folgten. Die parteipolitisch proklamierten Zielvorstellungen einer „ewig-deutschen Kultur auf arischer Grundlage“, von denen in den theoretischen Verlautbarungen der offiziellen NS-Schriften so viel die Rede war, blieben daher in weiten Bereichen der Kunst der dreißiger Jahre eher randständig, weil sie sowohl gegen die realexistierenden Kulturbedürfnisse der verschiedenen Klassen innerhalb der deutschen Bevölkerung als auch gegen das Kunstverständnis der meisten 46  Nazifaschismus

anspruchsvollen Schriftsteller, Maler und Komponisten verstießen. Und solange viele NS-Kulturtheoretiker diese Anpassung an die vorgegebenen Verhältnisse duldeten, ja zum Teil im Geheimen begrüßten, um so alle Bevölkerungsschichten, ob nun die gebildeten, die halbgebildeten und die ungebildeten, in ihren Bann zu ziehen, lief der Kulturbetrieb der Nazi-Zeit fast bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs relativ glatt und bedurfte – nach der rücksichtslosen Ausschaltung aller „unliebsamen Elemente“ – keiner weiteren allzu gravierenden oder gar gewalttätigen Eingriffe.

Umsetzungen in die Praxis So viel – in knapper Übersicht – zu den wichtigsten Feindbildern und zugleich proklamierten Zielsetzungen einer „ewig-deutschen Kultur“, welche zum Teil bereits in der präfaschistischen Propaganda der späten zwanziger Jahre tonangebend waren. Doch wie ließ sich all dies nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten am 30. Januar 1933 in die gesellschaftliche Praxis umsetzen? Schließlich herrschten innerhalb der verschiedenen Schichten der deutschen Bevölkerung, wie bereits ausgeführt, weiterhin höchst disparate Kulturbedürfnisse, die sich nicht ohne weiteres auf einen Nenner bringen ließen. Um es nochmals auf den Punkt zu bringen: in der vorausgehenden Weimarer Republik hatte es vor allem drei Hauptformen von Kultur gegeben, und zwar 1. die Kultur des gebildeten Bürgertums, die weitgehend traditionalistisch ausgerichtet war und sich vornehmlich auf die anspruchsvollen Klassiker des deutschen „Kulturerbes“ stützte, 2. die Kultur der Angestelltenschicht, die sich eher an jenen Genres orientierte, die den US-amerikanischen „Middle Brow“-Vorstellungen entsprachen, sowie 3. die Kultur der Unterklasse, die sich auf die anspruchslosen Unterhaltungsbedürfnisse der sogenannten ungebildeten Schichten einstellte und diese mit all jenen massenmedial hergestellten Produkten versorgte, denen fast ausschließlich ein kommerzielles Profitinteresse zugrunde lag. Zugegeben, zwischen diesen drei Verhaltensweisen gab es auch mancherlei Überschneidungen. Selbst einige Vertreter der Bildungsbourgeoisie waren in den zwanziger Jahren nicht davor zurückgeschreckt, sich ab und zu auch Ausflüge ins Unterhaltsame zu gestatten, und nicht alle Angestellten Umsetzungen in die Praxis  47

anspruchsvollen Schriftsteller, Maler und Komponisten verstießen. Und solange viele NS-Kulturtheoretiker diese Anpassung an die vorgegebenen Verhältnisse duldeten, ja zum Teil im Geheimen begrüßten, um so alle Bevölkerungsschichten, ob nun die gebildeten, die halbgebildeten und die ungebildeten, in ihren Bann zu ziehen, lief der Kulturbetrieb der Nazi-Zeit fast bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs relativ glatt und bedurfte – nach der rücksichtslosen Ausschaltung aller „unliebsamen Elemente“ – keiner weiteren allzu gravierenden oder gar gewalttätigen Eingriffe.

Umsetzungen in die Praxis So viel – in knapper Übersicht – zu den wichtigsten Feindbildern und zugleich proklamierten Zielsetzungen einer „ewig-deutschen Kultur“, welche zum Teil bereits in der präfaschistischen Propaganda der späten zwanziger Jahre tonangebend waren. Doch wie ließ sich all dies nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten am 30. Januar 1933 in die gesellschaftliche Praxis umsetzen? Schließlich herrschten innerhalb der verschiedenen Schichten der deutschen Bevölkerung, wie bereits ausgeführt, weiterhin höchst disparate Kulturbedürfnisse, die sich nicht ohne weiteres auf einen Nenner bringen ließen. Um es nochmals auf den Punkt zu bringen: in der vorausgehenden Weimarer Republik hatte es vor allem drei Hauptformen von Kultur gegeben, und zwar 1. die Kultur des gebildeten Bürgertums, die weitgehend traditionalistisch ausgerichtet war und sich vornehmlich auf die anspruchsvollen Klassiker des deutschen „Kulturerbes“ stützte, 2. die Kultur der Angestelltenschicht, die sich eher an jenen Genres orientierte, die den US-amerikanischen „Middle Brow“-Vorstellungen entsprachen, sowie 3. die Kultur der Unterklasse, die sich auf die anspruchslosen Unterhaltungsbedürfnisse der sogenannten ungebildeten Schichten einstellte und diese mit all jenen massenmedial hergestellten Produkten versorgte, denen fast ausschließlich ein kommerzielles Profitinteresse zugrunde lag. Zugegeben, zwischen diesen drei Verhaltensweisen gab es auch mancherlei Überschneidungen. Selbst einige Vertreter der Bildungsbourgeoisie waren in den zwanziger Jahren nicht davor zurückgeschreckt, sich ab und zu auch Ausflüge ins Unterhaltsame zu gestatten, und nicht alle Angestellten Umsetzungen in die Praxis  47

und Arbeiter hatten sich in diesen Zeitraum ausschließlich mit den mehr oder minder kruden Produkten der Unterhaltungsindustrie zufrieden gegeben. Aber aufs Große und Ganze gesehen, war die Weimarer Republik noch ein Klassenstaat gewesen, wo im Bereich der Kultur – trotz aller vorgeblichen demokratisierenden Parolen – noch weitgehend schichtenspezifische Geschmacksorientierungen vorgeherrscht hatten. Selbst als im gleichen Zeitraum an den Rändern dieser drei Hauptkulturen auch einige Minderheitsgruppen versuchten, sich kulturpolitisch Gehör zu verschaffen, hatte sich daran nicht viel geändert. Zu diesen Gruppen gehörten während der ersten Turbulenzphase der Weimarer Republik, also in den Jahren zwischen 1918 und 1923, im linken Lager vor allem die Expressionisten und Dadaisten, deren progressionsbetonte, ja offen revolutionäre Bestrebungen jedoch wegen der bizarren Formgebung oder zynischen Schärfe ihrer künstlerischen Werke weitgehend randständig und damit unwirksam geblieben waren. Ihnen folgten auf Seiten des gleichen Lagers zwischen 1929 und 1933, also während der zweiten Turbulenzphase der Weimarer Republik, jene Künstlergruppen, die sich der KPD anschlossen, aber trotz verzweifelter Bemühungen, den Siegeslauf der NSDAP aufzuhalten, schon wegen ihrer geringen finanziellen Mittel ebenso ineffektiv blieben wie ihre expressionistischen oder dadaistischen Vorgänger. Ein etwas breiteres Publikum erreichten dagegen jene Künstler und Kulturtheoretiker in der weniger turbulent verlaufenden Prosperitätsphase der Weimarer Republik, also in den Jahren zwischen 1923 und 1929, welche eine liberal-demokratische Kunst und Kultur ins Auge faßten, die auf dem Prinzip der „mittleren Linie“ beruhte und daher vom eher toleranten Flügel des damaligen Bürgertums relativ wohlwollend akzeptiert wurde. Ihre Kulturvorstellungen beruhten weitgehend auf „modernistischen“ oder „neusachlichen“ Vorstellungen, wie es damals hieß, und wandten sich vor allem an jene Schichten der Bourgeoisie sowie der neuen Angestelltenklasse, die nicht in die klassenbedingten Rangvorstellungen der wilhelminischen Ära zurückfallen wollten. Sie faßten deshalb eine Kultur ins Auge, die weder bürgerlich-sezessionistisch noch proletarisch-revolutionär eingestellt war, sondern eine reformbetonte Breitenwirkung anstrebte, welche sich im Sinne dieser ersten deutschen Republik als „demokratisierend“ verstand. Obwohl diese Richtung, vor allem in den Jahren 1926 bis 1929, also gegen Ende 48  Nazifaschismus

der Prosperitätsphase, wesentlich breitere Gesellschaftsschichten ansprach als die Vertreter des kämpferisch eingestellten linken Lagers, wurde sie durch die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise und die politische Radikalisierung der folgenden Jahre, die auch auf die verschiedenen Kulturbereiche übergriff, wieder in den Hintergrund gedrängt. Was sich dagegen in den letzten Jahren der Weimarer Republik auch kulturell breit zu machen versuchte, waren eher Manifestationen deutsch-nationaler bzw. präfaschistischer Kulturbestrebungen, welche sich in unverhohlener Schärfe sowohl gegen alle linken als auch alle bürgerlich-liberalistischen Kulturbestrebungen wandten, die sie entweder als „kulturbolschewistische“ oder als „modernistische“ Verfallserscheinungen anprangerten. Und zwar wurden solche Tendenzen nicht nur von dem ab 1928 aktiv werdenden Kampfbund für deutsche Kultur unter Alfred Rosenberg, sondern auch von einer Reihe älterer Heimatkünstler sowie jenen jüngeren Präfaschisten unterstützt, die meist der in ihrem nationalen Selbstbewußtsein angeschlagenen Weltkriegsgeneration angehörten und im Gefolge der weit verbreiteten Dolchstoßlegende gegen die „Schmach von Versailles“ anzukämpfen versuchten. Was also, wie gesagt, die Nazifaschisten Anfang 1933, nachdem sie endlich an die Macht gekommen waren, im Bereich der Kultur vorfanden, war eine höchst diffuse Situation, die sich nicht sofort „gleichschalten“ ließ. Auf die Mehrheit der Bildungsbürger, denen sie eine tatkräftige Unterstützung des traditionellen „Kulturerbes“ versprachen, konnten sie mehr oder weniger vertrauen. Aber wie gingen sie mit der Angestelltenschicht um, die im Bereich der Kultur lediglich geschickt aufgemachte Unterhaltungswerke erwartete? Oder wie hielten sie es mit den Arbeitern, welche vorher weitgehend links eingestellt waren? Kurzum: wie ließen sich diese drei höchst verschiedenen Bevölkerungsschichten kulturell so weit vereinheitlichen, daß sich daraus eine homogene „Volksgemeinschaft“ ergeben würde? Und außerdem: gab es überhaupt genug Künstler und Kulturschaffende, mit denen sich geradezu über Nacht eine völlig andersgeartete, „völkisch“ orientierte Kultur aus dem Boden stampfen ließ, mit der sie weder die Bildungsbürger noch die Angestellten und Arbeiter von vornherein enttäuschen würden? Was mußten sie also tun, um nicht vor der Mehrheit der deutschen Bevölkerung kulturell mit leeren Händen dazustehen? Dazu waren Entscheidungen nötig, die nicht leicht zu treffen waren und je nach der ideologischen OrientieUmsetzungen in die Praxis  49

rung der für diese Bereiche zuständigen Parteiführer mal eher eine pragmatische Ausrichtung hatten, mal eher ins Fanatisiert-Überspannte tendierten. Relativ einig waren sich die neuen Herren innerhalb der Führungsspitze der NSDAP auf diesem Gebiet zu Anfang lediglich in der Frage, welche Arten von Kunst in den verschiedenen Bereichen der deutschen Kultur in Zukunft nicht mehr geduldet werden sollten. In Übereinstimmung mit ihren staatskapitalistischen Anschauungen unterdrückten sie zuerst sämtliche marxistisch ausgerichteten Strömungen im Kulturleben der Weimarer Republik. Dazu gehörten in ihren Augen insbesondere jene Autoren und Maler, die vor 1933 Mitglieder des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) oder der Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands (ASSO) waren. Doch auch Künstler, die nicht diesen Organisationen angehört hatten, aber wie Bertolt Brecht und Hanns Eisler ebenfalls mit der KPD sympathisiert hatten, traf der gleiche Bannstrahl. Ja, selbst einige linksliberale oder anarchistisch gesinnte Schriftsteller, vor allem wenn sie „jüdischbürtig“ waren, wie sich manche Nazifaschisten ausdrückten, gerieten schon im Februar / März 1933 in Gefahr, ihre Pässe zu verlieren, staatenlos zu werden oder gar unter unmenschlichen Bedingungen eingekerkert zu werden. Zur gleichen Zeit erschienen die ersten „Schwarzen Listen“ unerwünschter oder verbotener Bücher. In dieser Hinsicht gab es anfänglich unter den Führern der NSDAP kaum gravierende Unstimmigkeiten. Wer sich als Autor zu „kulturbolschewistischen“ oder anderen „volksfremden“ Tendenzen bekannt hatte, für den war nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar und dem ersten Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April im lauthals verkündeten Dritten Reich kein Bleiben mehr. Ihren ersten Höhepunkt erlebte diese Diffamierungswelle kurz darauf am 10. Mai, als von der Nationalsozialistischen Deutschen Studentenschaft an vielen deutschen Universitäten die Bücher jener Autoren, die inzwischen als „unliebsam“ galten, mit „Feuersprüchen“ auf brennende Scheiterhaufen geworfen wurden. Nicht minder rabiat sprangen die neuen Herren mit all jenen Malern um, die sich – unter Mißachtung des deutschen „Kulturerbes“ – dem internationalen Trend einer modernistischen, abstrakten oder gar gegenstandslosen Kunst angeschlossen hatten, statt in ihrer Kunst weiterhin in traditionsgebundener, das heißt realistischer Form den „gemüthaften 50  Nazifaschismus

Tiefen“ des deutschen „Volksgeists“ Ausdruck zu verleihen. Auch auf diesem Sektor gab es daher bereits im Frühjahr 1933 eine Reihe Lehroder Ausstellungsverbote, durch die sich einige Maler gezwungen sahen, entweder in der Provinz unterzutauchen oder ins Exil auszuweichen. Um allen Deutschen mit einem „gesunden Volksempfinden“ endlich die Augen über den angeblich infamen Charakter der expressionistischen, dadaistischen oder gesellschaftskritisch-veristischen Kunst zu öffnen, wurden demzufolge schon 1933 / 34 eine Reihe von Ausstellungen sogenannter „Novemberkunst“ veranstaltet, auf welche dann im Jahr 1937 die von Adolf Ziegler, Hitlers Lieblingsmaler, in München arrangierte Monsterschau „Entartete Kunst“ folgte, auf der möglichst abschreckende Beispiele derartiger Abirrungen ins „Kommunistische“, „Semitische“, „Hurenhafte“, „Irrsinnige“ oder „Negroide“ gezeigt wurden. Mit ähnlicher Schärfe gingen die Nazifaschisten gegen alles „Undeutsche“ in der sogenannten seriösen oder anspruchsvollen Musik vor. Nach vielen Ausweisungen und Aufführungsverboten erfolgte auf diesem Sektor eine von Hans Severus Ziegler 1938 in Düsseldorf inszenierte Ausstellung unter dem Titel „Entartete Musik“, welcher die gleiche diffamierende Tendenz wie der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ vom Jahr zuvor zugrunde lag. Auf ihr wurden all jene Musikwerke der Weimarer Republik als „undeutsch“ angeprangert, in denen sich Links­ orientiertes, Jüdisch-Synagogales, „niggerhafte“ Jazzelemente oder technizistische Abstraktionen nachweisen ließen, für die in einer „volkhaft“ ausgerichteten Musikpflege kein Platz mehr sei. Und damit glaubten die hierfür Verantwortlichen, auch auf diesem Gebiet endlich reinen Tisch gemacht zu haben. All dies ließ sich von Seiten der maßgeblichen NS-Behörden relativ leicht in die Wege leiten. Als wesentlich schwieriger erwies sich dagegen für die Nazigewaltigen die Aufgabe, welche Art von Kultur man derartigen „Abirrungen“ entgegensetzen sollte. Im Hinblick auf solche Bemühungen, die von einer spezifisch „deutschbewußten“ Sehweise ausgingen, lassen sich in den Anfangsjahren des Dritten Reichs vor allem zwei Hauptrichtungen ausmachen: eine eher nationalrevolutionäre, die im Sinne eines ins Mythische gesteigerten „arischen“ Bewußtseins nur noch eine hohe, aber zugleich unmittelbar „volksverbundene“ Kultur gelten lassen wollte, sowie eine eher pragmatische, welche weitgehend von der vorgegebenen Situation der unübersehbaren Spaltung in hoch- und triUmsetzungen in die Praxis  51

vialkulturelle Bedürfnisse ausging und diese lediglich durch Teilverbote sowie eine sorgfältig taktierende Beeinflussung in das zu schaffende Kulturleben des entstehenden Dritten Reichs zu überwinden versuchte. Hinter der einen Richtung stand als maßgeblicher Kulturtheoretiker vor allem Alfred Rosenberg, hinter der anderen der im März 1933 von Hitler zum Minister für Volksaufklärung und Propaganda ernannte Joseph Goebbels. Obwohl Rosenberg in seinem bereits in den späten zwanziger Jahren gegründeten Kampfbund für deutsche Kultur sowie in seinem 1930 erschienenen Manifest Der Mythus des 20. Jahrhunderts auch den traditionellen „hohen Künsten“ den gebührenden Respekt gezollt hatte, ging es ihm letztlich nicht um eine historisch orientierte Erbepflege, sondern um die Schaffung einer sich gegen alle internationalen Einflüsse abschottenden germanisch orientierten Zukunftskultur, die jedem Deutschen ein gesteigertes Selbstbewußtsein verleihen würde. Im Gegensatz zu irgendwelchen Rückzügen ins Vorgestrige, für die sich vor allem ältere Heimatkunst-Vertreter wie Adolf Bartels und Paul Schultze-Naumburg einsetzten, faßte Rosenberg deshalb von Anfang an eine Kunst und Kultur ins Auge, die als „Volksgemeinschaftskultur“ in ihren utopistisch überspannten Zielsetzungen durchaus vorwärtsgewandt war. Allerdings mußte er sich hierbei gegen einige recht vehement auftretende Gruppen im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund zur Wehr setzen, welche in ihren nationalrevolutionären, das heißt ebenfalls vorwärtsgewandten Bestrebungen an jenen Flügel des Expressionismus anzuknüpfen versuchten, den sie im Sinne Wilhelm Worringers als Ausdruck des spezifisch „Nordisch-Gotischen“ verstanden, wobei sie sich zum Teil auf Künstler wie Emil Nolde und Ernst Barlach beriefen. Da jedoch auch Hitler solche Bestrebungen ablehnte, gelang es Rosenberg, diese Gruppe 1934 im Völkischen Beobachter sowie in seiner Kampfschrift Revolution in der bildenden Kunst? als eine kulturelle Schwarze Front à la Otto Strasser zu diffamieren und damit zum Schweigen zu bringen. Dennoch erwies sich sein Kampfbund für deutsche Kultur, der in seinen Anfängen vor allem von Autoren wie Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer und Emil Strauß, von Verlegern wie Hugo Bruckmann und Eugen Diederichs, von Professoren wie Andreas Heusler, Othmar Spann und Heinrich Wölfflin, von der Bayreuth-Herrin Winifred Wagner sowie vom Deutschen Pfadfinderbund, vom Werwolf und vom Deut52  Nazifaschismus

schen Frauenkampfbund unterstützt wurde und nach 1933 die Bezeichnung NS-Kulturgemeinde annahm, als nicht so einflußreich, wie Rosenberg noch in den ersten Monaten des Dritten Reichs gehofft hatte, sondern wurde von vielen Pragmatikern unter den NS-Kulturtheoretikern als „unrealistisch“, wenn nicht gar „überspannt“ empfunden. So bezeichnete etwa Hermann Göring die „philosophischen Rülpser“ in Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhundert schlichtweg als „Schund“ und selbst Hitler nannte ihn in privater Runde manchmal eine parteipolitische „Kaffeetante“. Lediglich ein sektiererisch eingestellter Fanatiker wie Heinrich Guthmann, der als Vertreter der NS-Kulturgemeinde beim Berliner Volkschaft-Verlag ein Buch unter dem Titel Zweierlei Kunst in Deutschland herausbrachte, berief sich noch 1936 auf Rosenbergs Vorstellung einer allumfassenden „mythischen“ Wiedererweckung der deutschen Kultur aus den Urgründen der deutsch-germanischen „Seelentiefe“ und machte sich für völkisch gesinnte Oratorien und Festspiele stark, um sich sowohl von allen expressionistischen Abirrungen ins Linksbizarre als auch von jenen Formen des Kulturbetriebs der Weimarer Republik abzusetzen, in denen eine „pfahlbürgerliche Genügsamkeit“ vorgeherrscht habe. Was er und sein Bund der Verschworenen forderten, war demzufolge im Sinne Rosenbergs eine Kultur, in der es keine Spaltung in Hohes und Niederes mehr geben dürfe, sondern in der alle „Volksgenossen“ in ihrem Kunsterleben von den gleichen völkischen Hochgefühlen ergriffen würden. Aber damit stand Guthmann 1936 mit seiner nationalrevolutionären Emphase – nach der Ermordung Ernst Röhms und dem zunehmenden Prestigeverlust Rosenbergs innerhalb der NSDAP – bereits auf verlorenem Posten. Obwohl Rosenberg als offizieller Beauftragter des Führers zur Überwachung der gesamten weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP mit seinen deutsch-völkischen Ansichten immer wieder in die nazifaschistische Kulturpolitik einzugreifen versuchte, ja sogar danach strebte, zum Reichsminister für Weltanschauung und Kultur ernannt zu werden, wurde er in den Jahren 1934 bis 1937 zusehends an den Rand gedrängt. Als sein Hauptgegenspieler erwies sich dabei Joseph Goebbels, der es als Minister für Volksaufklärung und Propaganda schon im Sommer und Herbst 1933 ausgezeichnet verstand, die Zügel im Bereich der NS-Kulturpolitik zusehends an sich zu reißen und somit Rosenberg, diesen „sturen eigensinnigen Dogmatiker“, wie er ihn Umsetzungen in die Praxis  53

nannte, ins Abseits zu drängen. Selbst Rosenbergs NS-Kulturgemeinde blieb daher ein Randphänomen und wurde 1937 vom Arbeitsfrontführer Robert Ley kurzerhand in seine Kraft durch Freude-Organisation eingegliedert. Und so war schließlich von Rosenberg, dem ehemaligen Chefideologen der NSDAP, den selbst manche „ alten Kämpfer“ unter den Nazifaschisten wegen seiner antikirchlichen und germanophilen Schärfe als zu radikal empfanden, im NS-Kulturleben immer weniger die Rede. Um so stärker setzte sich dagegen Joseph Goebbels im Bereich der Kultur durch, und zwar nicht nur durch seine Radioansprachen und Zeitungsartikel, sondern auch durch eine Reihe höchst effektiver organisatorischer Maßnahmen. Sein wirkungsmächtigster Vorstoß in diese Richtung war die bereits im Sommer 1933 von ihm konzipierte Reichskulturkammer, die er in sieben Einzelkammern unterteilte. Als erste dieser Kammern gründete Goebbels im Juli dieses Jahres die Reichsfilmkammer unter Fritz Scheuermann, die er im Hinblick auf die Propagierung der NS-Ideologie als die wichtigste, weil breitenwirksamste empfand. Darauf folgten im November 1933 die Einrichtung der Reichstheaterkammer unter Otto Laubinger, der Reichsschrifttumskammer unter Hans Friedrich Blunck, der Reichskammer für Bildende Kunst unter Eugen Hönig, der Reichsrundfunkkammer unter Horst Dreßler-Andreß, der Reichsmusikkammer unter Richard Strauss und der Reichspressekammer unter Max Amann. Schon daß Goebbels neben den Formen einer völkisch erhabenen Kunst, die für Rosenberg die einzig entscheidenden waren, nicht nur für den Film, sondern auch für die Presse und den Rundfunk, also den mit massenbeeinflussenden Taktiken operierenden Medien, eigene Kammern einrichten ließ, zeugt davon, daß er die kulturelle Situation wesentlich „realistischer“ einschätzte als die Vertreter der NS-Kulturgemeinde. Und das hatte zweierlei Auswirkungen: erstens in organisatorischer und zweitens in wirkungsbezogener Hinsicht, die allerdings in manchen Punkten aufs Engste miteinander zusammenhingen. Beginnen wir mit den Organisationsaspekten. Jeder im kulturellen Bereich Tätige, ob nun als Journalist, Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekt, Filmproduzent, Musiker, Verleger, Schauspieler, Buchhändler usw., mußte nach der Gründung der Reichskulturkammern Mitglied in einer der sieben Einzelkammern werden, wodurch es Goebbels auf 54  Nazifaschismus

einem Schlag gelang, das gesamte deutsche Kulturleben unter seine Kontrolle zu bringen. Im Bereich der Presse wurden dadurch etwa 3 500 Tageszeitungen, 15 000 Zeitschriften und 470 Werkzeitungen mit einer Gesamtauflage von über 100 Millionen Exemplaren der diesbezüglichen Kammer unterstellt. Im Rundfunk waren es etwa 70 Sendestationen, deren Programme auf über 10 Millionen Radioapparaten empfangen werden konnten, die sich den Richtlinien der Reichsrundfunkkammer fügen mußten. Für die rund 1 100 Filme, die zwischen 1933 und 1945 gedreht und in über 800 Kinotheatern gezeigt wurden, sowie für die etwa 20 000 Bücher, die pro Jahr bei über 3 000 Verlagen erschienen, waren die Reichsfilmkammer bzw. die Reichsschrifttumskammer verantwortlich. All das wirkt wie ein perfektes Überwachungssystem. Und das war es im Großen und Ganzen auch. Dennoch darf man sich die parteiamtliche Kontrolle nicht allzu strikt vorstellen. Zwar mußte sich jeder im Kulturbereich Tätige, und das waren rund 60 000 Menschen, um die Mitgliedschaft in einer dieser sieben Kammern bewerben. Doch dazu war weder eine Parteizugehörigkeit noch eine nazifaschistische Gesinnungstreue, sondern lediglich der Nachweis von vier „arischen“ Großeltern erforderlich. Ja, Goebbels betonte am 15. November 1933 in seiner vielbeachteten Eröffnungsrede der Reichskulturkammer ausdrücklich, daß für den Bereich der Kunst ein gewisses Maß an persönlicher Freiheit durchaus erforderlich sei und sich nicht jeder Kulturschaffende in allen Fragen ausschließlich an die Direktiven der Partei halten müsse. „Wir wollen keine Kunst“, erklärte er, die nicht „mehr ist als ein dramatisiertes Parteiprogramm. Wir haben den Mut, großzügig zu sein und hoffen, daß unsere Großherzigkeit durch die gleiche Großherzigkeit seitens der Künstlerwelt belohnt wird.“ Auch in der Auswahl der Präsidenten und Geschäftsführer der verschiedenen Kammern ging Goebbels ebenso taktierend und zugleich pragmatisch vor. Statt dabei lediglich Parteifanatiker wie Hans Hinkel heranzuziehen, forderte er 1933 selbst einen Komponisten wie Richard Strauss auf, der sich bis dahin weitgehend unpolitisch verhalten hatte und allgemein als „Judenfreund“ galt, das Amt des Präsidenten der Reichsmusikkammer zu übernehmen, um damit am Weltruhm dieses Komponisten teilhaben zu können. Angesichts dieser Situation notierte sich der erbitterte Rosenberg an 5. Juni 1934 in sein Tagebuch: „Überall, Umsetzungen in die Praxis  55

wohin ich komme, höre ich einmütiges Klagen über die Richtungslosigkeit der Reichskulturkammer. Im Lande ist man sich im klaren über das Sammelsurium, das sich da zusammengefunden hat. Alte Judengenossen als Präsidenten, Rechtsanwälte der Rotary an maßgebender Stelle, unfähige ‚Nationalsozialisten‘, dazwischen einige tüchtige Leute, die sich mehr als ungemütlich fühlen. Dazu Goebbels-Reden ohne Gehalt, in glatter Manier, um alle Probleme herumgehend. Es ist trostlos.“ Und Rosenberg fuhr halb hoffnungsvoll, halt resigniert fort: „Man hofft auf mich, aber durch die Tatsache, daß ein Nationalsozialist Präsident der Reichskulturkammer ist, ist es schwer, parteiamtlich eine andere Organisation zu schaffen.“ Und damit sollte er Recht behalten. Während Rosenbergs Einfluß in der Folgezeit immer geringer wurde, wurde der von Goebbels ständig größer. Indem er alle „Radikalismen“ vermied, mit denen die NSDAP sowohl die kulturell anspruchsvolle Bildungsbourgeoisie als auch die kulturell weniger anspruchsvollen „breiten Massen“ lediglich verstört hätte, schuf Goebbels mit den Reichskulturkammern eine Organisation, die weitmaschig genug war, auch bisher nicht mit der NSDAP Sympathisierende für die verschiedenen Branchen der NS-Kultur zu gewinnen. Im Sinne der Parole „Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen“, mit der sich sowohl künstlerisch wertvolle Dramen, Opern und Symphonien als auch weniger kunstvolle Schlager und Lustspielfilme rechtfertigen ließen, befriedigte somit Goebbels – als geschickter Realpolitiker – nicht nur die hochgespannten Kulturbedürfnisse der gebildeten Bevölkerungsschichten, sondern auch die wesentlich kruderen Unterhaltungsbedürfnisse der Unterklassen. Ja, nicht nur das. Goebbels räumte sogar jenen 17 000 „jüdischbürtigen“ Künstlern, die ab 1934 wegen ihres nichtarischen Herkommens keine Mitglieder in einer der sieben Reichskulturkammern werden konnten, durch die Gründung eines Kulturbunds Deutscher Juden, der sich allerdings schon kurz darauf in Jüdischer Kulturbund umbenennen mußte, ein kulturelles Betätigungsfeld ein, wo rund 110 000 Juden in Form einer Abonnementsregelung an Schauspiel- und Opernaufführungen sowie an Konzerten, Vorträgen und Ausstellungen teilnehmen konnten. Dem Unterstützungskomittee dieses Bundes gehörten anfangs der Philosoph Martin Buber, der Maler Max Liebermann sowie die Autoren Georg Hermann und Jakob Wassermann an. Selbst als am 10. 56  Nazifaschismus

November 1938 – einen Tag nach der sogenannten Reichskristallnacht – alle jüdischen Kulturbünde zur Schließung gezwungen wurden, konnte der Berliner Jüdische Kulturbund auf Anordnung von Goebbels bereits am 20. November 1938 wieder aktiv werden und mußte erst am 11. September 1941 auf Anordnung der Gestapo seine Veranstaltungen endgültig aufgeben. Und auch in dem Vorzeigekonzentrationslager Theresienstadt wurde den dort inhaftierten 37 000 Juden bis 1944 ein reichhaltiges Kulturleben mit Theateraufführungen, Operinszenierungen und Symphoniekonzerten „erlaubt“, ja ihnen sogar eine Bibliothek mit 180 000 Bänden gestattet, womit sich die NS-Behörden den Anschein des „Großzügigen“ zu geben versuchten. Eine ähnliche „repressive Toleranz“ legte Goebbels – im Gegensatz zu Hitler und Rosenberg – anfangs sogar manchen Expressionisten gegenüber an den Tag, denen er nicht nur „gesunde Ansichten“ nachrühmte, sondern deren Werke er sogar in seine Privatsammlung aufnahm. Überhaupt vertrat Goebbels in Kulturfragen nicht nur parteiamtliche Propagandaparolen, vor allem keine solchen, die zu dick aufgetragen waren. Ihm ging es nicht in erster Linie um die ideologische Reinerhaltung der in Hitlers Mein Kampf vertretenen Lehre, sondern auch und vor allem um wirkungsstrategische Gesichtspunkte. Und dazu waren ihm viele Mittel Recht, selbst wenn sie den Vertretern der konsequenten „Aufnordung“ des deutschen Volkes nicht gefielen, die am liebsten jeden Dunkelhaarigen 1933 sofort aus dem deutschen Kulturleben ausgeschlossen hätten. Goebbels ließ dagegen zum gleichen Zeitpunkt sogar potentielle Emigranten bitten, in Deutschland zu bleiben und setzte sich zum Teil erfolgreich für die Rückkehr prominenter Flüchtlinge ein. Im Gegensatz zu einem arischen Rassefanatiker wie Adolf Bartels, der außer Juden sogar „Freimaurern, Rosenkreuzern, Illuminaten und Jesuiten“ die Mitgliedschaft in seinem 1932 gegründeten Völkischen Kulturbund verwehrte, war Goebbels in seiner Personalpolitik relativ großzügig. Wenn es seinen Zielen diente, unterstützte er manchmal sogar Nichtfaschisten, in „Ehrenarier“ umgewandelte „jüdischbürtige“ Deutsche oder mit Jüdinnen verheiratete Komponisten und Schauspieler wie Franz Lehar, Hans Moser und Leo Slezak. Und mit dieser Strategie hatte er wesentlich mehr Erfolg als all jene Kulturfunktionäre der NSDAP, die entweder nicht über die gleichen allumfassenden Parteiorganisationen verfüg-

Umsetzungen in die Praxis  57

ten wie er oder die in ihren nazifaschistischen Vorstellungen viel zu engstirnig waren, um eine effektive Breitenwirkung zu erzielen. Dennoch, trotz der offenkundigen Unterschiede in den kulturpolitischen Strategien, die Rosenberg und Goebbels sowie die ihnen verpflichteten Anhänger verfolgten, lag letztlich beiden dieser Gruppen das gleiche Ziel zugrunde, nämlich die Schaffung einer „wahren Volksgemeinschaft“, welche sich in der Rückbesinnung auf ihr angestammtes „Deutschtum“ von allen fremdrassigen Einflüssen distanzieren würde. Daß sie hierbei in ihren Methoden zum Teil weit voneinander abwichen und dadurch manchmal geradezu konträre Standpunkte vertraten, hängt vor allem damit zusammen, daß Rosenberg – als utopistisch gesinnter Fanatiker – eher die Fernziele der nazifaschistischen Ideologie ins Auge faßte, während sich Goebbels – als realistisch denkender Pragmatiker – erst einmal mit der Durchsetzung erreichbarer Nahziele begnügte. Hitler, der trotz seiner rassistischen Wahnvorstellungen letztlich ebenfalls ein geschickt taktierender Realpolitiker war, begünstigte daher weitgehend Goebbels, weil ihm eine verfrühte Durchsetzung der nazifaschistischen Fernziele, das heißt eine gewaltsam durchgeführte „Aufnordung“ des deutschen Volkes, im Hinblick auf die gesellschaftspolitisch vorgegebenen Verhältnisse als unklug erschien. Auch Hitler sah sehr wohl, daß sich die ideologischen sowie kulturellen Präferenzen der einzelnen Bevölkerungsschichten nicht über Nacht „gleichschalten“ ließen und paktierte demzufolge in den Anfangsjahren des Dritten Reichs erst einmal mit den realexistierenden Machtblöcken innerhalb der Groß­ industrie, der Reichswehr und der Kirchen, statt mit übereilten Maßnahmen einen Staat aufbauen zu wollen, der – jenseits der bestehenden Machtstrukturen und Klassengegensätze – allein auf dem Prinzip einer imaginierten „Volksgemeinschaft“ beruhen würde. Daher konnte sich Goebbels, der die gleiche Strategie verfolgte, in seinen kulturpolitischen Taktiken weitgehend auf die Unterstützung Hitlers verlassen und wurde von ihm nicht, wie so manche der alten „rauschebärtigen Germanenschwärmer“ und von „Thule-Phantasien“ umnebelten Arierfanatiker, ins gesellschaftspolitische Abseits abgeschoben. Im Gegenteil, er erfreute sich des absoluten Vertrauens, das ihm Hitler schenkte, der in Goebbels einen der brauchbarsten Strategen seiner kulturpolitischen Pläne sah, denen zwar auch höchst überspannte 58  Nazifaschismus

Fernziele zugrunde lagen, welchen jedoch beide vorerst mit der geschickt taktierenden Erreichung gewisser Nahziele eine auf den realen Verhältnissen beruhende Basis zu geben versuchten. Trotz aller Parolen einer anzustrebenden „Volksgemeinschaft“ bemühte sich deshalb Goebbels, mit einer Reihe höchst disparater, aber demagogisch aufeinander abgestimmter Strategien an die weiterhin recht unterschiedlichen Gesellschaftsschichten heranzukommen, um so die Sympathien aller Deutschen für den neuen Staat zu gewinnen, anstatt sich – wie die bisherigen Kommunisten oder auch Sozialdemokraten – lediglich um die Zustimmung einer Klasse zu bemühen. Eine kohärente, das heißt logisch zusammenhängende Kulturpolitik ist daher in den Jahren nach 1933 ebenso schwer auszumachen wie eine kohärente nazifaschistische Ideologie. In beiden Bereichen kam es zu eklatanten Widersprüchen, die zwar nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen waren, aber letztlich dennoch auf das Gleiche hinausliefen, nämlich möglichst allen Schichten der deutschen Bevölkerung das von ihnen Ersehnte zu bieten: den Bauern eine „Blut und Boden“-Ideologie, den Industriellen eine Beibehaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, den Kirchen eine sie ansprechende Zusicherung der Religionsausübung, den Armeeführern einen Ausbau der deutschen Wehrmacht, den Arbeitern eine garantierte Vollbeschäftigung und den finanziell bessergestellten Großstädtern eine technologische Modernisierung, um so jene Massenzustimmung zu erreichen, die den Realpolitikern unter den Nationalsozialisten vorerst als das wichtigste Nahziel erschien. Was Goebbels daher seiner Kulturpolitik zugrunde legte, war weitgehend das Prinzip eines begrenzten Pluralismus. Dementsprechend bot er alles auf, um auch auf diesem Gebiet – nach der Ausschaltung sämtlicher offenkundigen Regimegegner – den verschiedenen Schichten der deutschen Bevölkerung das ihnen jeweils „Gemäße“ zu offerieren. Statt eine „revolutionäre“ Umwälzung der bestehenden Verhältnisse im Sinne einer allein auf rassistischen Grundsätzen beruhenden „Volkskultur“ anzustreben, um so zu versuchen, die realexistierende Spaltung in eine hohe und eine niedere Kultur mit einem Schlag aus der Welt zu schaffen, bemühte er sich, einen kulturpolitischen Kurs zu steuern, der anfänglich – im Hinblick auf die zu erreichenden Nahziele – auch gewisse Kompromisse keineswegs verschmähte. Obwohl er dabei stets seine propaUmsetzungen in die Praxis  59

gandistischen Absichten im Auge behielt, vermied er deshalb alles „Revolutionäre“, das auch Hitler 1934 auf seiner berühmt-berüchtigten Reichsparteitagsrede in Nürnberg – nach der Ermordung der Röhmund Strasser-Anhänger – als „undeutsch“ abgelehnt hatte. Stattdessen faßte er im Hinblick auf die kulturelle Situation erst einmal die vorgegebenen Verhältnisse ins Auge. Kurzum: er versprach den bildungsbürgerlichen Schichten eine verstärkte Unterstützung des „Kulturellen Erbes“ sowie die Möglichkeit einer Inneren Emigration ins Nichtfaschistische und den sogenannten breiten Massen im Bereich des Films, des Rundfunks und der leichten Musik eine eher triviale Unterhaltungskultur, um sie nicht mit etwas Fremdartigem zu konfrontieren, sondern ihnen das Gefühl zu geben, weiterhin im Zustand der Normalität zu leben. Und der Erfolg dieser Strategie ließ nicht lange auf sich warten. Schließlich gelang es Goebbels auf diese Weise, alle Bevölkerungsschichten kulturell anzusprechen, während die Rassenfanatiker innerhalb der NSDAP sowohl die gebildeten Schichten als auch die breiten Massen mit ihren germanophilen Kulturvorstellungen eher „verstört“ hätten. Auf diese Weise wurde zwar im Sinne der Machtstabilisierung des Dritten Reichs auf kulturellem Gebiet viel erreicht, aber von den ideologischen Fernzielen des Nazifaschismus, vor allem dem einer sich als „sozialistisch“ verstehenden Volksgemeinschaft, war vorerst kaum noch die Rede. Schließlich blieb bei dieser Strategie die bereits in der Weimarer Republik herrschenden Aufspaltung in eine E- und U-Kultur weitgehend erhalten, ja sie bot, wie gesagt, Teilen der Oberschicht die Möglichkeit einer Ausflucht in die althergebrachten Bildungsreservate und den Unterschichten die Ausflucht in jene altvertrauten „Wonnen der Gewöhnlichkeit“, welche ihnen die Medien der auf Massenkonsum eingestellten Unterhaltungsindustrie offerierten. Und zwar gilt das nicht nur für die Frühzeit des Dritten Reichs, als Goebbels erst einmal allen Schichten der deutschen Bevölkerung das sie Ansprechende zu bieten versuchte, sondern selbst noch für die Jahre zwischen 1939 und 1945, in denen er zwar zu einem „totalen Krieg“ aufrief, aber gleichzeitig die unterhaltsamen Elemente innerhalb der NSKultur, die schon vor 1939 über 70 Prozent ausgemacht hatten, noch weiter verstärkte, um die sogenannten breiten Massen bei „guter Laune“ zu halten. Manche der eher blindgläubigen Nazifaschisten wurden daher in ihren ins „Nordische“ drängenden Ansichten im Laufe der Jahre zuse60  Nazifaschismus

hends verunsichert. Einige von ihnen bestanden sogar auf einen entschiedenen Kurswechsel. Aber von solchen Unmutsäußerungen ließ sich Goebbels nicht beirren. Er verfolgte weiterhin seine Kulturpolitik des „begrenzten Pluralismus“, die sich nicht auf eine klare ideologische Linie festlegen ließ, sondern der nach wie vor aus strategischen Gründen eine schichtenspezifische Differenzierung zugrunde lag. Als daher Goebbels im Jahr 1940 auf einer Berliner Pressekonferenz von einem Journalisten gefragt wurde, worin denn die eigentliche „Utopie“ des Nationalsozialismus jenseits der bereits erreichten Nahziele eigentlich bestehe, erwiderte er höchst geschickt, daß es erst einmal „zu siegen gelte, danach werde man weiter sehen“. Und bei dieser Einstellung blieb er bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs.

Auswirkungen auf die Künste Architektur

Als eine der wichtigsten Kulturaufgaben faßte Hitler von Anfang an die Schaffung einer neuen Architektur ins Auge. Während seiner Meinung nach auf diesem Gebiet in der Weimarer Republik – von einigen sozialen Wohnungsbauprojekten einmal abgesehen – weithin das „unwürdige“ Prinzip der privatkapitalistischen Willkür geherrscht habe, schwebten ihm dabei vor allem repräsentative Gemeinschaftsbauten vor, in denen sich das neue „völkische Einheitsbewußtsein“ widerspiegeln sollte. Statt also weiterhin auf diesem Gebiet den großen profitgierigen Konzernen und den von ihnen abhängigen Architekten einfach freie Hand zu lassen, hoffte Hitler, durch eine staatliche Lenkungs- und Investitionspolitik im Bereich der ihm besonders dringlich erscheinenden Bauaufgaben dem „Neuen Reich“ schon rein äußerlich ein wahrhaft imponierendes, wenn nicht gar imperiales Aussehen zu verleihen. Allerdings mußte er dabei – angesichts der weiterwirkenden Weltwirtschaftskrise – als geschickter Realpolitiker erst einmal möglichst arbeitsintensive Bauprojekte unterstützen, um so der seit 1930 brachliegenden Bauindustrie wieder neue Wirkungsmöglichkeiten zu verschaffen und damit zugleich die noch immer in die Millionen gehenden Arbeitslosen, denen er 1931 / 32 in seinen Wahlkampagnen „Brot und Arbeit“ verArchitektur  61

hends verunsichert. Einige von ihnen bestanden sogar auf einen entschiedenen Kurswechsel. Aber von solchen Unmutsäußerungen ließ sich Goebbels nicht beirren. Er verfolgte weiterhin seine Kulturpolitik des „begrenzten Pluralismus“, die sich nicht auf eine klare ideologische Linie festlegen ließ, sondern der nach wie vor aus strategischen Gründen eine schichtenspezifische Differenzierung zugrunde lag. Als daher Goebbels im Jahr 1940 auf einer Berliner Pressekonferenz von einem Journalisten gefragt wurde, worin denn die eigentliche „Utopie“ des Nationalsozialismus jenseits der bereits erreichten Nahziele eigentlich bestehe, erwiderte er höchst geschickt, daß es erst einmal „zu siegen gelte, danach werde man weiter sehen“. Und bei dieser Einstellung blieb er bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs.

Auswirkungen auf die Künste Architektur

Als eine der wichtigsten Kulturaufgaben faßte Hitler von Anfang an die Schaffung einer neuen Architektur ins Auge. Während seiner Meinung nach auf diesem Gebiet in der Weimarer Republik – von einigen sozialen Wohnungsbauprojekten einmal abgesehen – weithin das „unwürdige“ Prinzip der privatkapitalistischen Willkür geherrscht habe, schwebten ihm dabei vor allem repräsentative Gemeinschaftsbauten vor, in denen sich das neue „völkische Einheitsbewußtsein“ widerspiegeln sollte. Statt also weiterhin auf diesem Gebiet den großen profitgierigen Konzernen und den von ihnen abhängigen Architekten einfach freie Hand zu lassen, hoffte Hitler, durch eine staatliche Lenkungs- und Investitionspolitik im Bereich der ihm besonders dringlich erscheinenden Bauaufgaben dem „Neuen Reich“ schon rein äußerlich ein wahrhaft imponierendes, wenn nicht gar imperiales Aussehen zu verleihen. Allerdings mußte er dabei – angesichts der weiterwirkenden Weltwirtschaftskrise – als geschickter Realpolitiker erst einmal möglichst arbeitsintensive Bauprojekte unterstützen, um so der seit 1930 brachliegenden Bauindustrie wieder neue Wirkungsmöglichkeiten zu verschaffen und damit zugleich die noch immer in die Millionen gehenden Arbeitslosen, denen er 1931 / 32 in seinen Wahlkampagnen „Brot und Arbeit“ verArchitektur  61

sprochen hatte, erneut in den Produktionsprozeß einzugliedern. Und dafür bot sich vor allem die Durchführung des bereits in den späten zwanziger Jahren entworfenen Plans eines ganz Deutschland umfassenden Straßennetzes an, das jetzt der deutschen Bevölkerung von den NSPropagandaorganisationen als das Projekt der „Reichsautobahnen“ oder der „Straßen des Führers“ angepriesen wurde. Bereits am 27. Juli 1933 erließ Hitler demzufolge das Gesetz zur Errichtung der „Reichsautobahnen“ und beauftragte Fritz Todt, den Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, mit der Durchführung dieses Vorhabens. Ja, am 23. September 1933 griff Hitler in Frankfurt am Main selber zum Spaten, um am Baubeginn der ersten Teilstrecke dieses „gigantischen Unternehmens“ teilzunehmen. Und danach ging es, durch ihn persönlich immer wieder neu angestachelt, rasant weiter. Im Oktober 1934 waren bereits 1 500 Autobahnkilometer im Bau. Kurz darauf wurden weitere 1 200 zur Erweiterung freigegeben. Um hierbei auch den „Kultur“-Aspekt im Auge zu behalten, stellten die verantwortlichen NS-Behörden – im Auftrag Hitlers – die Autobahnen häufig als „deutschbetonte Gesamtkunstwerke“ hin und gaben Alwin Seifert, dem NS-Landschaftswart, die Anweisung, dafür zu sorgen, daß die neuen Trassen nicht gegen die natürliche Schönheit der umgebenden Landschaft verstießen sowie die Böschungen mit „einheimischen“ Sträuchern und Blumen bepflanzt würden. Außerdem veranlaßten sie, daß ein seit langem bekannter Architekt wie Paul Bonatz die künstlerische Gestaltung der Brücken übernahm. Im Jahr 1936 waren bereits 125 000 Menschen bei der Fertigstellung weiterer Autobahnen beschäftigt, so daß bis 1939 rund 3 000 Autobahnkilometer in Betrieb genommen werden konnten. All das trug wesentlich dazu bei, Hitler als den „genialen Überwinder der Arbeitslosigkeit“ hinzustellen. Damit war erst einmal dem realpolitischen Aspekt der neuen Baugesinnung Genüge geleistet. Doch worin Hitler auf diesem Gebiet von Anfang an seine wesentlich wichtigere „Berufung“ sah, war, wie gesagt, als Baumeister großer nationaler Gemeinschaftsbauten in die deutsche Geschichte, wenn nicht gar in die Weltgeschichte einzugehen. Und auch hier spielte wiederum der „Kultur“-Aspekt eine zentrale Rolle. Als den ersten Großbau dieser Art gab Hitler dementsprechend schon Mitte 1933 dem Architekten Paul Ludwig Troost den Auftrag, in München ein monumentales „Haus der deutschen Kunst“ zu errichten. Damit 62  Nazifaschismus

erkor er München – in seinen eigenen Worten – nicht nur zur „Hauptstadt der Bewegung“, sondern auch zur „Hauptstadt der Kunst“ in dem von ihm anvisierten Großdeutschen Reich. In dieser „Weihehalle“, an deren Grundsteinlegung Hitler am 15. Oktober 1933 persönlich teilnahm, sollten später, wie er anordnete, alljährlich die Großen Deutschen Kunstausstellungen stattfinden. Als dieser 175 Meter lange Bau mit seinen gigantischen Pfeiler- und Säulenreihen, zu dessen Errichtung die deutschen Banken und Industriekonzerne rund acht Millionen Reichsmark „gespendet“ hatten, am 18. Juli 1937 eingeweiht wurde, nannte ihn Hitler einen „Tempel der Kunst“, der nicht mehr wie die meisten größeren Bauten der zwanziger Jahre an funktionalistisch entworfene „Fabriken, Fernheizwerke, Bahnstationen oder Umschaltzentralen“ erinnere, wie er abschätzig erklärte, sondern in dem der „rassische Schönheitssinn“ des von ihm gegründeten neuen Reichs zum Ausdruck komme. Ebenso früh faßte Hitler – als dritte baupolitische Maßnahme – die architektonische Ausgestaltung großer Aufmarschgelände sowie eindrucksvoller Thingstätten, Ehrentempel und Ordensburgen ins Auge, um somit dem Durchsetzungswillen „seiner NSDAP“ einen imposant wirkenden Rahmen zu geben. Als erste dieser Bauten wurde 1934 die Thingstätte bei Halle an der Saale ihrer Bestimmung zugeführt und noch im gleichen Jahr die architektonische Ausgestaltung des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg in Angriff genommen. Am 9. November 1935 folgte darauf die Einweihung des von Paul Ludwig Troost und Leonhard Gall entworfenen Ehrentempels auf dem Königsplatz in München für die 16 zu Märtyrern erhobenen Putschisten, die am 9. November 1923 bei dem von Hitler angeführten berühmt-berüchtigten Marsch auf die Feldherrnhalle ums Leben gekommen waren. Ein Jahr später wurden die von Werner March entworfene Dietrich Eckart-Bühne, die heutige Waldbühne, sowie das vom selben Architekten fertiggestellte Olympiastadion in Berlin eröffnet. Zur gleichen Zeit konnte Clemens Klotz die unter seiner Leitung entstandenen Ordensburgen Vogelsang in der Eifel und Krössinsee in Pommern dem Führer „übergeben“, denen 1937 die von Hermann Giesler entworfene Ordensburg Sonthofen in Oberbayern folgte. Was alle diese Bauten in den Augen Hitlers „auszeichnete“, war eine deutliche Abwendung von jener Bauweise der maßgeblichen ArchitekArchitektur  63

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Hermann Giesler: Modell für die Hohe Schule am Chiemsee (1939).

64  Nazifaschismus

ten der Weimarer Republik, welche er und andere NS-Funktionäre nach 1933 als Ausdruck eines unwürdigen Strebens nach einem „modernistisch“ ausgerichteten Internationalismus oder gar Kulturbolschewismus hinstellten, das in seinen konstruktivistischen Bauformen bewußt auf alle der Größe des deutschen Geistes verpflichteten Traditionen verzichtet habe. Statt also Gebäude zu entwerfen, die sich – unter dem Motto „Kampf dem Ornament“ – durch ihre flachen Dächer, glatten weißen Wände oder gar Glas-Eisen-Konstruktionen à la Adolf Loos, Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder auch Le Corbusier, den Alexander von Senger den „Lenin der Architektur“ nannte, gegen jeden historischen Rückbezug gewandt hätten, bevorzugten die NS-Architekten weitgehend eine klassizistisch anmutende Steinbauweise, welche durch ihre puristisch-klobige Vereinfachung den Eindruck einer herrschaftsbetonten Monumentalität erwecken sollte. Mit dieser angeblich „artgemäßen“ Bauweise versuchte sich die NSArchitektur sowohl von allen an ornamentalen Mustern orientierten „Stil“-Vorstellungen älterer Art als auch vom Funktionalismus der sogenannten Neuen Sachlichkeit abzusetzen. Wie Werner Rittich 1938 im Gefolge Alfred Rosenbergs und Paul Schultze-Naumburgs in seinem Buch Architektur und Bauplastik der Gegenwart betonte, sollte sie in der „Klarheit der Tektonik, der Harmonie in den Maßen sowie ihrer Ausgewogenheit im Verhältnis von Last und Stütze“ vor allem dem nach Reinheit strebenden „Fühlen der nordischen Völker“ entsprechen. Statt sich um eine „Neuartigkeit“ um jeden Preis zu bemühen, müsse ihr, wie er und ähnlich gesinnte NS-Kulturtheoretiker erklärten, wieder ein „Gefühl der Ur-Fügung“ zugrunde liegen, das sich in erster Linie um ein Streben nach „organischer Geschlossenheit“ bemühe, statt von vornherein ins Extravagante oder Willkürliche abzugleiten. Und zwar berief sich Rittich dabei ausdrücklich auf Hitler, der bereits 1925 in Mein Kampf geschrieben habe, daß die Bauweise der heutigen Großstädte durch die Neuigkeitssucht einzelner Architekten und der hinter ihnen stehenden kapitalistischen Bauherren – architektonisch gesehen – weitgehend den Eindruck des Ungeplanten, ja geradezu Chaotischen erwecke. Überall habe man „seelenlose“ Privat- oder Geschäftshäuser, aber – in Gegensatz zur Antike oder zum „germanischen Mittelalter“ – keine „staatlichen Prachtbauten“ errichtet, auf die alle Deutschen stolz sein könnten. Statt sich als Wahrzeichen einer idealistisch gesinnten „Volksgemeinschaft“ Architektur  65

auszugeben, sei dadurch selbst die Architektur, diese wichtigste und höchste aller Künste, wie Hitler bereits damals erklärt habe, zum schäbigen Ausdruck des „Rein-Zweckmäßigen“ entartet. Ja, letztlich äußere sich in den „plutokratischen Zweckbauten“ der zwanziger Jahre ein skrupelloses Profitverlangen, das nicht den „breiten Massen“, sondern nur einer kleinen Schicht raffgieriger Geschäftemacher, und zwar meist einer kulturlosen Clique antideutsch eingestellter „Juden“ sowie einigen ihr Vaterland, das heißt ihr Deutschtum vergessenden „Modernisten“ zugute gekommen sei. Aus diesem Grunde ließ Hitler im Laufe der dreißiger Jahre nicht nur einzelne Bauten als Willensäußerung seines machtpolitischen Strebens entwerfen, sondern begann immer stärker, auch über die Neugestaltung ganzer Städte, sogenannter „Führerstädte“, nachzusinnen. Zu ihnen gehörten anfangs vor allem Nürnberg, München, Berlin und Hamburg. Später kamen als „Neugestaltungsstädte“ noch Augsburg, Bayreuth, Breslau, Dresden, Düsseldorf, Graz, Hannover, Innsbruck, Köln, Königsberg, Linz, Münster, Oldenburg, Saarbrücken, Salzburg, Stettin, Weimar und Würzburg hinzu, deren Modelle 1938 / 39 auf den „Ersten Deutschen Architekturausstellungen“ einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Wie gesagt, eine der ersten Städte, die dementsprechend „umgebaut“ werden sollten, war Nürnberg. Dabei ging es vor allem um die Anlage eines weiträumigen Reichsparteitagsgeländes, das Hitler sofort nach seiner Machtübernahme im Frühjahr 1933 ins Auge faßte. Zur Ausführung dieser Aufgabe berief er anfangs Paul Ludwig Troost, der jedoch schon bald von Albert Speer abgelöst wurde. Erst durch ihn bekam dieses Projekt jenen Zug ins Gigantische, den auch Leni Riefenstahl in ihrem 1934 gedrehten Film Triumph des Willens – unter Einbeziehung von Massenaufmärschen, Fahnenmeeren und Fackelzügen – herauszustellen versuchte. Speer ließ das Gelände um das Fünffache vergrößern, so daß es eine Fläche von 30 Quadratkilometern umfaßte. Nachdem die Aufmarschareale fertig waren, blieb allerdings vieles Andere weiterhin in der Planung stecken. So sollte das von Speer entworfene „Deutsche Stadion“, für dessen Ausschmückung lediglich ein martialischer Reichsadler mit 80 Meter weiten Schwingen vorgesehen war, nach seiner Fertigstellung Platz für rund 400 000 Zuschauer bieten. Die gleiche Gigantomanie lag dem Plan zugrunde, die Tribünen neben dem „Märzfeld“ mit 195 000 Sitzplätzen auszustatten. Und als einen 66  Nazifaschismus

weit ins Land ragenden Zentralbau des Ganzen begann Speer schließlich, eine 190 Meter hohe „Neue Kongreßhalle“ mit granitenen Umfassungsmauern und einem amphitheatralischen Innenausbau errichten zu lassen. Die Entwürfe zu diesen Bauten und den sie ergänzenden Anlagen beeindruckten Hitler so sehr, daß er Anfang Januar 1937 Speer den Auftrag erteilte, den deutschen Pavillon für die Pariser Weltausstellung zu entwerfen, dem von der dortigen Jury die Goldmedaille zugesprochen wurde. Obendrein ernannte er ihn zum alleinbestimmenden Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin, die nach ihrer Umgestaltung – als größte Stadt Europas mit über 10 Millionen Einwohnern – den Namen „Germania“ erhalten sollte. Speers eigenen Aussagen zu Folge wurde ihm aufgetragen, zwei Straßenachsen von über 38 Kilometer Länge quer durch die bestehende Stadt anzulegen, in deren Mittelteil die „größten und repräsentativsten Bauten des Neuen Reichs“ stehen sollten, um damit Berlin das gleiche „imperiale“ Aussehen wie Rom oder Paris zu geben. Als das Herzstück des Ganzen plante Speer – sicher nach genauer Absprache mit Hitler – jene „Große Halle des deutschen Volks“, deren Höhe Speer auf 220 Meter veranschlagte und in der zwischen 160 000 bis 180 000 stehende „Volksgenossen“ Platz haben sollten. Auch großzügig angelegte Theaterviertel und Künstlerkolonien wurden bei diesen Umgestaltungsplänen keineswegs vergessen. Dem gleichen bewußt zur Schau gestellten „Kultur“-Bewußtsein entsprach die Absicht, in der Mitte der Runden Platzes, das heißt dem Schnittpunkt der beiden Hauptachsen, einen sechs Meter hohen, von Arno Breker entworfenen Apoll, als den obersten Gott der Künste, aufzustellen. Während an all diesen Projekten noch bis Kriegsbeginn geplant und gearbeitet wurde, ohne daß schon ein tatsächliches Achsensystem zu erkennen war, vollendete Speer 1939 – im Auftrag Hitlers – in einer Rekordzeit von neun Monaten wenigstens die Neue Reichskanzlei in Berlin, bei der er trotz ihrer „baumeisterlich strengen Ordnung“, wie es lobend hieß, auch dem „Künstlerischen“ einen weiten Spielraum einräumte. Dafür sprechen vor allem die von Hermann Kaspar angefertigten Mosaikflächen, die von Werner Peiner entworfenen Schicksalschlachten der deutschen Geschichte auf den Gobelins der Marmorgalerie, die im Vorhof aufgestellten Statuen von Arno Breker sowie das von Hitler selbst ausgesuchte Zentralgemälde Die Göttin der Kunst von Adolf ZiegArchitektur  67

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Albert Speer: Modell für die Große Halle in Berlin (1938).

ler, um so neben dem herrscherlichen Charakter des neuen Führers zugleich auf seine Kunstbegeisterung hinzuweisen. Die gleiche Mischung zwischen Imperialismus und Ästhetizismus liegt dem von Werner March für Berlin entworfenen Reichssportfeldgelände sowie dem dazu gehörenden Stadion zugrunde, die termingerecht bis zur Sommerolympiade 1936 fertig wurden und neben den verschiedenen Bauten in den Eingangsarealen auch betont athletisch wirkende Statuen von Josef Wackerle und Karl Albiker aufwiesen. Um dabei die von den NS-Behörden, wie auch von Leni Riefenstahl in ihrem OlympiaFilm immer wieder betonte „rassische Wesensverwandtschaft“ zwischen den kunstbegeisterten alten Griechen und den heutigen Deutschen herauszustreichen, beschrieb March das Ganze, das nicht nur einen sportlichen, sondern zugleich einen feierlich-weihevollen Charakter haben sollte, mit folgenden bildungsgesättigten Worten: „Neben der Kampfbahn, dem stadion, lagert sich das Maifeld als forum mit der Langemarck68  Nazifaschismus

halle als templon, die Freilichtbühne als theatron, die Reichsakademie als gymnasion, das Haus des Deutschen Sports als prytaneion und das öffentliche Erholungsgelände als palästra. Und selbst der heilige Ölbaum vom Tempel des olympischen Zeus, von dessen Zweigen ein Knabe mit goldenem Messer die Siegeskränze abschnitt, hat seine Wiederkehr gefunden in der deutschen Eiche, die heute am olympischen Tor die Eintretenden grüßt.“ Auch für München, Hitlers Lieblingsstadt, waren ähnliche architektonische Umgestaltungen und Neubauten vorgesehen, die weit über die 1935 erfolgte Errichtung des bereits erwähnten Ehrentempels auf dem Königsplatz hinausgingen. Doch die diesbezüglichen Pläne blieben, wie in Berlin, weitgehend in ersten Ansätzen stecken. Hitler ernannte zwar am 21. Dezember 1937 Hermann Giesler, der in Bayern auch die „Hohe Schule“ der Parteiführung bauen sollte, zum Generalbaurat für die Hauptstadt der Bewegung, wie dieser Architekt im nazifaschistischen Jargon tituliert wurde, ja übertrug ihm außerdem sogar noch die architektonische Neugestaltung von Augsburg, Linz und Weimar. Aber zur Vollendung derartiger Vorhaben kam es nicht mehr, da nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 die Ausführung aller bereits entworfenen oder begonnenen Bauten dieser Art auf Hitlers Anweisung eingestellt wurde oder von vornherein in der Planungsphase steckenblieb. Was Hitler danach in architektonischer Hinsicht ins Auge faßte, war eher pragmatischer oder realpolitischer Art. So ernannte er Wilhelm Kreis, den altbewährten Erbauer vieler klobig wirkender BismarckTürme, am 16. März 1940 zum „Generalbaurat für die Gestaltung der deutschen Kriegerfriedhöfe“ und ließ ihm 1943 durch Joseph Goebbels sogar die Präsidentschaft der Reichskulturkammer für die bildenden Künste übertragen, um Kreis die Chance zu geben, eine Fülle von Ehrenmalen und Ruhmeshallen zu entwerfen, in denen die durch den Zweiten Weltkrieg erzwungene „Einigung Europas unter der Führung seines deutschen Herzvolkes“ eine überzeitliche Gestalt annehmen sollte. Um neben der „würdevollen“ Ausgestaltung solcher Gedenkstätten zugleich seine „tiefe Verbundenheit“ und „Sorge“ für die Familien der im Krieg gefallenen Soldaten zum Ausdruck zu bringen, berief Hitler – ebenfalls 1940 – den Arbeitsdienstführer Robert Ley zum „Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau nach dem Kriege“. Da jedoch nach 1943 der Architektur  69

Hoffnungsschimmer auf einen Endsieg der deutschen Wehrmacht über die Sowjetunion und die Westmächte allmählich verblaßte, wurden auch derartige Planungen zusehends aufgegeben. Was Hitler besonders schmerzte, war die bittere Einsicht, daß er wegen der sich rapide verschlechternden Kriegslage den Umbau seiner Heimatstadt Linz nicht mehr in Angriff nehmen konnte. Während Berlin das politische Zentrum der „Neugestaltung Europas“ werden sollte, beabsichtigte er noch bis 1943, Linz durch den Bau einer gigantischen Museumsanlage in ein europäisches Kunstzentrum zu verwandeln, mit dem keine andere Stadt der Welt konkurrieren könne. Hier wollte er – nach Abschluß skrupelloser Raubzüge in allen an Deutschland angrenzenden Ländern – die „berühmtesten Werke der älteren und der neueren ‚germanischen‘ Klassik“ zu einer jeden Besucher überwältigenden Schau versammeln. Zur Durchführung dieses Plans hatte er bereits gegen Ende des Kriegs Tausende von Gemälden und Graphiken im Stift Kremsmünster und im Salzbergwerk Alt-Aussee einlagern lassen. Summa summarum: die Großbauten der NS-Architektur machten zwar in ihrem „imperialen Klassizismus“, der durch den Einsatz von Fackelzügen und Lichtdomen noch verstärkt wurde, auf die „breiten Massen“ den von Hitler und seinen Hauptarchitekten erwünschten Eindruck, blieben aber zu wenige, um bereits die von der NS-Führerschaft angestrebte imperiale Gesamtwirkung zu erzielen. Dazu war die Zeitspanne zwischen 1933 und 1939 viel zu kurz. Im Gegensatz zu anderen Kunstformen, ob nun Gemälden, Büchern, Filmen oder musikalischen Kompositionen, die nur eine relativ kurze Entstehungsphase benötigen, brauchen nun einmal monumental gedachte Gemeinschafts- oder Prachtbauten, geschweige denn neu entworfene Stadtzentren eine wesentlich längere Anlauf- und Herstellungsphase. Daher fällt es schwer, überhaupt von einer bedeutsamen NS-Architektur zu sprechen. Die Absicht sieht man wohl, aber für die Ausführung fehlte es einfach an der erforderlichen Zeit. Knappe sechs Jahre waren letztlich nicht genug, um den wichtigsten deutschen Städten ein neues architektonisches Aussehen zu geben. Außerdem waren viele dieser Bauten, wie die auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg oder die „Große Halle“ in Berlin, die siebzehn Mal größer sein sollte als der Petersdom in Rom, viel zu „gigantisch“ geplant, um geradezu über Nacht Gestalt anzunehmen. Doch selbst an 70  Nazifaschismus

dem vollendeten Stückwerk der NS-Architektur läßt sich eins deutlich genug ablesen: Hier sollte mit der planlosen Bodenspekulation und architektonischen Nouveautésucht der Weimarer Republik ein für alle Mal Schluß gemacht werden. Mit ihr wollte die NS-Führung nicht nur das Kommerziell-Gewinngierige, sondern auch das Individuell-Originelle durch ein Streben nach imperial wirkender Gemeinschaftsbetontheit verdrängen. Darum faßte sie eine Architektur ins Auge, die, wie Hitler immer wieder betonte, selbst im Hinblick auf die griechischen Tempel oder die Kathedralen des Mittelalters vor dem „Auge der Ewigkeit“ bestehen könne. In diesen Bauten sollte eine „steingewordene Weltanschauung“ zum Ausdruck kommen, die sowohl darauf verzichten würde, in parvenühafter Manier irgendwelche „älteren Stile“ zu imitieren, als auch sich in den Dienst eines „seelenlosen Funktionalismus“ zu stellen. Die charakteristischsten Bauten der NS-Architektur, von denen viele heute nicht mehr existieren, waren daher jene, die sich nicht an ältere Stilmuster anlehnten, sondern sich bemühten, allein das „Monumentale an sich“ zum Ausdruck zu bringen. Außer dem Adler und dem Hakenkreuz – als den zwei wichtigsten NS-Hoheitszeichen – verzichteten demzufolge die Architekten solcher Paläste, Ministerien oder Museen meist auf jedes weitere Ornament und begnügten sich mit der ästhetischen Wirkung von Bruchsteinen, zementgrau belassenem Rauhputz, Muschelkalkplatten, behauenem Holz oder grob gemeißelten Reliefs. Da, wo derartige Gebäude das allzu Gigantische in Form steilaufragender Türme, Riesenkuppeln und schematisch entworfener Pfeilerreihen vermieden, entstanden deshalb zum Teil durchaus akzeptable Einzelleistungen. Dafür sprechen vor allem jene, welche sich in ihrer Formgebung an bereits existierende Bauten von Mitgliedern oder Sympathisanten des Deutschen Werkbunds, wie Heinrich Tessenow und Peter Behrens, anzulehnen versuchten. Ähnliches gilt für die Bau- und Ausschmückungsbemühungen des 1933 gegründeten Amts Schönheit der Arbeit, das eine Unterorganisation der NS-Kulturgemeinde bzw. der Deutschen Arbeitsfront war. Auch es sorgte im Gefolge älterer Werkbund-Tendenzen oftmals dafür, daß bei kleineren Bauprojekten, ob nun Rathäusern, Gerichtsgebäuden, HJ-Heimen, Wohnsiedlungen und Fabrikkantinen, das allzu Maßlose steil aufragender Türme oder säulenstarrender Palastarchitekturen Architektur  71

ebenso vermieden wurde wie die forcierte Herausstellung technologischer Innovationen, was von der Mehrheit der in solchen Gebäuden Arbeitenden oder Wohnenden durchaus begrüßt wurde. Schließlich erschien damals breiten Schichten der deutschen Bevölkerung der sogenannte Internationale Stil des Neuen Bauens, wie ihn vor allem die „Meister“ des Bauhauses sowie Architekten wie Ernst May, Erich Mendelssohn und Bruno Taut favorisiert hatten, noch ungewohnt oder gar fremd. Im Hinblick auf viele der nach 1933 errichteten Gebäude gab es darum im Dritten Reich – weder privat noch öffentlich – kaum oder keine Kontroversen. Die meisten an Architektur interessierten Menschen empfanden derartige Bauten in ihrer betont „würdevollen Schlichtheit“ einfach schön oder zumindest nicht gegen ihren Geschmack verstoßend. Jedenfalls sahen sie in ihnen einen größeren „Kulturwillen“ am Werke als in den von ihnen als „seelenlos“ bezeichneten Funktionsbauten aus der Zeit der ökonomischen Prosperitätsphase der Weimarer Republik. Malerei und Skulptur

Von einer spezifisch präfaschistischen Kulturpolitik in Sachen „Malerei“ kann man erst seit dem Jahr 1928 sprechen. Zugegeben, bereits vorher hatte es einige „völkisch“ gesinnte Theoretiker und Maler wie Ferdinand Avenarius, Julius Langbehn, Fritz Mackensen, Hans Thoma, Carl Vinnen und andere gegeben, die ab 1890 unablässig gegen die sogenannte „Moderne“ in der bildenden Kunst zu Felde gezogen waren. Aber erst die 1927 von Alfred Rosenberg gegründete Nationalsozialistische Gesellschaft für deutsche Kultur, die kurz darauf in Kampfbund für deutsche Kultur umbenannt wurde, gab derartigen Bestrebungen eine unübersehbar nazifaschistische Tendenz. Das beweist das im Jahr 1928 erschienene Buch Kunst und Rasse, in dem Paul Schultze-Naumburg nach Jahrzehnten relativ einsichtsvoller Heimatschutz-Publikationen dazu übergegangen war, die Figurenwelt des malerischen Expressionismus mit der von Geisteskranken und Verkrüppelten gleichzusetzen, um sie damit als „rassisch minderwertig“ anzuprangern. Doch auch in anderen kulturtheoretischen Publikationen dieser Art erfuhr das politästhetische Vokabular der alten völkischen Garde zu diesem Zeitpunkt eine 72  Nazifaschismus

merkliche Verschärfung ins Nazifaschistische. Während man die nichttraditionelle Malerei in nationalbewußten Kreisen bis dahin vornehmlich als „undeutsch“ angegriffen hatte, gebrauchten manche Vertreter dieser Richtung jetzt in steigendem Maße diffamierende Adjektive wie „entartet“, „untermenschlich“, „jüdisch-zersetzend“, „negroid“ oder „kulturbolschewistisch“, wenn sie sich gegen die angeblichen Machwerke innerhalb der „modernistischen“ Malerei wandten. Als daher die Partei der Nationalsozialisten 1930 in Thüringen im Rahmen einer bürgerlichen Koalitionsregierung zum erstenmal an der Macht beteiligt wurde, ließ der dortige NS-Innen- und Volksbildungsminister Wilhelm Frick – mit Unterstützung Paul Schultze-Naumburgs – im Weimarer Schloßmuseum sofort alle „modernen“ Bilder mit rassistischen Argumenten als Schandmale einer „undeutschen Negerkultur“ entfernen. Doch der eigentliche Dammbruch in dieser Hinsicht erfolgte erst nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten im Frühjahr 1933. Ob nun Expressionismus, Futurismus, Kubismus, Dadaismus oder Surrealismus: alle als „modernistisch“ angeprangerten Kunstrichtungen der letzten 25 Jahre galten in den Augen vieler NS-Kulturtheoretiker plötzlich als „volksfremd“, ja als „volksfeindlich“. Insbesondere der Expressionismus, obwohl ihn ein Publizist wie Paul Fechter, ein Kritiker wie Fritz Hippler und ein Museumsfachmann wie der Leiter der Berliner Nationalgalerie Alois Schardt, ja sogar manche Vertreter des linksradikalen Flügels der NSDAP, wie etwa Otto Andreas Schreiber in seiner Zeitschrift Kunst der Nation (1933–1935), weiterhin als künstlerisch bedeutsam, wenn nicht gar als „revolutionär“ zu verteidigen suchten, wurde er von den „Blut und Boden“-Fanatikern innerhalb des Nazifaschismus immer nachdrücklicher als „instinktunsicher“, „untermenschlich“, „artfremd“, „rassisch uneins“ oder „papuahaft“ angegriffen. Diese Gruppen bezeichneten daher nach 1933 die Figuren Emil Noldes zusehends als „negroid“, die Ernst Barlachs als „halbidiotisch“ sowie die Karl Hofers als „dekadent“. Angesichts derartiger Diffamierungskampagnen zogen es Maler, Graphiker und Fotomonteure wie Max Beckmann, Heinrich Campendonk, Lyonel Feininger, Raoul Hausmann, John Heartfield, Thomas Theodor Heine, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Johannes Molzahn, Felix Nußbaum, Kurt Schwitters, Johannes Wüsten und andere entweder sofort oder in den folgenden Jahren vor, sich ins Ausland abzuMalerei und Skulptur  73

setzen. Ein ehemaliger Kommunist und dann zum kritischen Verismus übergeschwenkter Maler und Graphiker wie George Grosz hatte demzufolge Deutschland wohlweislich schon im Januar 1933 verlassen. Wer nicht freiwillig ging, wurde, wie Willi Baumeister, Otto Dix, Max Pechstein und Georg Tappert, von den verfügungsberechtigten Herren der neuen Partei rücksichtslos aus seinen bisherigen Stellen oder Ehrenämtern entfernt, mochten sich auch manche Maler, wie etwa das langjährige NSDAP-Mitglied Emil Nolde oder der in der Schweiz lebende Ernst Ludwig Kirchner, aus „deutschbewußten“ Motiven noch so sehr gegen diese Maßnahmen sperren. Selbst auf vorübergehende Anpassungsversuche von Seiten Wassily Kandinksys und Oskar Schlemmers gingen die NS-Behörden nicht ein. Das „Neue um des Neuen willen“, wie sich Hitler auf dem Reichsparteitag von 1933 ausdrückte, wurde nach diesem Zeitpunkt nicht mehr geduldet. Für einen direkten oder indirekten Widerstand gegen solche Anschauungen bestanden also in den folgenden Jahren nur noch geringe Chancen. Schließlich hatte Hitler schon 1925 / 27 in Mein Kampf die künstlerischen Bestrebungen des Dadaismus, Futurismus und Kubismus als eine „Prostituierung der Kunst“ hingestellt, in der sich ein allgemeiner „Kulturverfall“ manifestiere. Also beauftragte er sowohl Joseph Goeb­b els als auch Alfred Rosenberg, diesem „volksschädigenden Unfug“ möglichst umgehend ein Ende zu bereiten. Die Maßnahmen, die sich daraus ergaben, gingen vor allem von der im Herbst 1933 von Goebbels ins Leben gerufenen Reichskammer für bildende Kunst und ihrem ersten Vorsitzenden, dem Architekten Eugen Hönig, sowie der von Rosenberg geleiteten NS-Kulturgemeinde aus. Während Goebbels und jene Funktionäre des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, der SS und der Deutschen Arbeitsfront, die im Sinne der Strasser-Brüder auf eine zweite, wesentlich tiefergehende „nationalsozialistische“ Revolution gehofft hatten, dabei anfänglich das „Aufrührerische“ in den „modernistischen“ Werken Emil Noldes, Karl Schmidt-Rottluffs und Ernst Barlachs durchaus gelten ließen, ja zum Teil als vorbildlich hinstellten und es bis in die frühen vierziger Jahre in geheim gehaltenen Fabrikausstellungen den deutschen Arbeitern nahe zu bringen versuchten, machten Rosenberg und seine Anhänger aus ihrer grundsätzlichen Abneigung gegen alles „Moderne“ kein Hehl. Und da Rosenberg in diesem Punkt mit Hitler einer Meinung war, zog Goebbels bei dieser inner74  Nazifaschismus

parteilichen Auseinandersetzung den Kürzeren. Schließlich distanzierte sich auch Hitler 1934 in seiner nicht nur für den politischen, sondern auch für den kulturellen Sektor höchst folgenreichen Ansprache auf dem Nürnberger Reichsparteitag von allen sozialrevolutionären Bestrebungen innerhalb der NSDAP und bekannte sich in aller Offenheit zu den Mächten der „Tradition“. So wie er kurz zuvor Ernst Röhm, Gregor Strasser und 100 andere Vertreter des linken Flügels seiner Partei sowie einige ihm ebenso „radikal“ erscheinende Regimegegner liquidieren ließ, unterdrückte er danach auch alle Versuche innerhalb der Künste, den Nazifaschismus als eine „revolutionäre“ Bewegung hinzustellen und sich dabei auf bestimmte avantgardistische Kunstströmungen der jüngsten Vergangenheit zu berufen. Dementsprechend fiel er in dieser Rede besonders vehement über das „Kunst- und Kulturgestotter“ jener Kubisten, Futuristen und Dadaisten her, die er als die gefährlichsten Vertreter der von ihm verworfenen „kulturbolschewistischen Ismenkunst“ attackierte. Anschließend kam es unter seinen auf ihn eingeschworenen Gefolgsleuten zu einer geradezu apokalyptischen Verdammung jeder Art von „undeutscher“ Malerei. Die meisten der von dieser Gruppe publizierten Pamphlete stützten sich hierbei entweder direkt auf Hitlers eigene Aussagen oder beriefen sich auf Rosenbergs Bücher Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) sowie Revolution in der bildenden Kunst? (1934), in denen dieser überfanatisierte Arierschwärmer die „Mestizenkunst“ des Expressionismus wegen der „geistigen Syphilis“ und des „malerischen Infantilismus“, die in dieser Kunstrichtung zum Ausdruck kämen, à la Houston Stewart Chamberlain auf die „naturentfremdenden“ und „rassistisch bastardisierenden“ Auswirkungen der modernen Großstädte zurückgeführt hatte. Wohl am einflußreichsten erwies sich dabei während der Anfangszeit des Dritten Reichs – neben Pamphleten wie Paul Schultze-Naumburgs Kunst aus Blut und Boden (1934) und Winfried Wendlands Kunst und Nation. Ziel und Wege der Kunst im neuen Deutschland (1934) – die Schrift Was ist Deutsch in der deutschen Kunst? (1934) von Kurt Karl Eberlein, welche sich wie ein Lästerkatalog aller „Sünden“ der betont modernistischen Malerei liest. Den absoluten Tiefpunkt der deutschen Kunst sah Eberlein – in enger Anlehnung an Hitler und Rosenberg – eindeutig in der Zeit der Weimarer Republik. In dieser Ära habe es nur so von „Kunstsybariten“, „Ästhetengesindel“, „InternaMalerei und Skulptur  75

9 Umschlagbild der Ausstellungsbroschüre Entartete Kunst in München (1937) unter Verwendung der Skulptur Der neue Mensch (1912) von Otto Freundlich.

tionalitätssnobs“ und „Kunstjobbern“ gewimmelt, erklärte er, die selbst in der „hehren Malerei“ nur noch „Selbstzweck, Augenhurerei und Sensation“ gesehen hätten. Auf weite Strecken sei diese Art von Malerei eine ins Unverbindlich-Bizarre tendierende „Oberschichten“-Kunst, kurzum: eine volksfremde „Großstadtkunst“ bzw. kommerzialisierte „Mode“Kunst gewesen, deren Werke für ihre profitgierigen Besitzer lediglich den Wert gewinnbringender Wandaktien gehabt hätten. Die Haupt­ übeltäter innerhalb der Malerei der zwanziger Jahre sah daher Eberlein weniger in linken Künstlern wie Käthe Kollwitz oder den Mitgliedern der Assoziation revolutionärer bildender Künstler (ASSO) als in den bohemienhaft-elitären Expressionisten mit ihrer auf niederträchtigste Schockwirkungen abzielenden „Volksfeindlichkeit“ und ihrer Tendenz zu einer Abscheu erregenden „Bordellisierung“ der gesamten Kunst. Viele von ihnen hätten, wie es bei ihm heißt, vorwiegend „Holzgötzen, 76  Nazifaschismus

Verbrecher, Magenkranke, Südseeinsulaner, slawisch-russische Bauern, Dorfidioten, Schizophrene, ausgezogene Freibadindianer, Medien, Huren und Zuhälter“ gemalt. Ja, einige Vertreter dieser Richtung seien sogar dazu übergegangen, „gottlose Verbrecherjuden als Christus und schwindsüchtige Fürsorgenutten als Muttergottes“ darzustellen. Doch selbst solche Tiraden ließen sich noch überbieten, wie die Reden und Schriften der folgenden Jahre beweisen. Und zwar erregten sich dabei manche NS-Theoretiker besonders gern über die kulturbolschewistische Entartung und schamlose Obszönität dieser Art von Malerei, mit der die Expressionisten die Reinheit der „deutschen Rassenseele“ in den Dreck gezogen hätten. Nach einer Reihe kleinerer „Schandausstellungen“ unter Titeln wie „Regierungskunst von 1918 bis 1933“, „Schreckenskammern der Kunst“, „Spiegelbilder des Verfalls in der Kunst“ oder „Novembergeist. Kunst im Dienste der Zersetzung“ erlebte diese Tendenz ihren Höhepunkt im Jahr 1937 in München auf der berühmt-berüchtigten Monsterschau „Entartete Kunst“, deren Absicht es war, dem deutschen Volke endlich die Augen über den allgemeinen „Kulturverfall“ der Jahre vor 1933 zu öffnen, wie es in dem offiziellen Führer durch die Ausstellung hieß. Die Formzersprengung, die Diffamierung des Religiösen, die Vorliebe für Häßliches, die antibürgerlichen Schockeffekte: geradezu alle expressionistischen Form- und Inhaltskriterien, die zwischen 1910 und 1922 / 23 als „antibürgerlich“ und damit „revolutionär“ gegolten hatten, wurden hier als „Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des Wehrzersetzenden, des Jüdisch-Krankhaften, des Nichtskönnertums und des bolschewistischen Umsturzwillens“ angeprangert, wie sich Adolf Ziegler, der Organisator dieser Ausstellung, ausdrückte. „Diese vorgeschichtlichen, prähistorischen Kultursteinzeitler und Kunststotterer“, höhnte Hitler zum gleichen Zeitpunkt, „mögen unseretwegen in die Höhlen ihrer Ahnen zurückkehren, um dort ihre primitiven Kritzeleien anzubringen.“ Ja, ein sich willfährig anpassender Publizist wie Bruno E. Werner schrieb am 20. Juli 1937 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung: „Mit der Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ wird durch den Willen des Führers endgültig ein Schlußstrich unter eine gesamte Periode gezogen.“ Alles Weitere folgte mit vorhersehbarer Konsequenz. So veröffentlichte Wolfgang Willrich 1937 unter dem Titel Die Säuberung des Kunsttempels eine „Kunstpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutMalerei und Skulptur  77

scher Kunst im Geiste nordischer Art“, in der er aufs Unflätigste über die expressionistischen Dichter der Aktion sowie die Maler der Novembergruppe, die Kubisten und Dadaisten herfiel, um somit der anarchistischen und roten „Kunstverseuchung“ während der zwanziger Jahre ein für allemal den Garaus zu machen. Im gleichen Tonfall ereiferte sich Hitler 1938 anläßlich der Eröffnung der „Zweiten Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München noch einmal über die „Novembergrößen vom Stamme der Dada und Kubi“, als ob es sich dabei um prähistorische „Untermenschen“ handele. Ein Jahr später brachten Bettina Feistel-Rohmeder und Adolf Dresler ihre Pamphlete Im Terror des Kunstbolschewismus sowie Deutsche Kunst und entartete Kunst heraus, in denen sie nochmals behaupteten, daß die Malerei der Weimarer Republik vornehmlich aus „Gotteslästerungen“, „Schmierereien von Kretins“ sowie Darstellungen von „Dirnen, Zuhältern, Mördern, Landesverrätern und Wahnsinnigen“ bestanden habe. In Übereinstimmung mit solchen Proklamationen wurde am 31. Mai des gleichen Jahres ein „Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ erlassen, das die Entfernung von rund 16 000 Kunstwerken aus öffentlichem Besitz zur Folge hatte. Viele davon wurden rücksichtslos vernichtet oder im Ausland „verauktioniert“, wie es offiziellerweise hieß. So gingen allein in Berlin am 20. März 1939 1 004 Gemälde und 3 825 graphische Arbeiten im Hof der Hauptfeuerwache in Flammen auf. Andere „unerwünschte“ Werke – darunter Gemälde und Skulpturen von Ernst Barlach, Max Beckmann, Marc Chagall, Lovis Corinth, Otto Dix, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, George Grosz, Carl Hofer, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Max Liebermann, Franz Marc, Gerhard Marcks, Paula Modersohn-Becker, Otto Müller, Emil Nolde, Max Pechstein und Pablo Picasso – ließ die NS-Parteileitung im Juni 1939 in Luzern öffentlich versteigern, wobei eine „Hochstimmung wie auf einem Schützenfest“ geherrscht haben soll. Als eine der verderblichsten Ideologien wurde bei all diesen programmatisch aufgezogenen Aktionen – neben dem Bolschewismus und der jüdischen Kulturverhunzung – ebenso häufig der bürgerliche „Liberalismus“ mit all seinen Folgen ins Egoistisch-Hemmungslose hingestellt. Um Deutschland nicht in einer großstädtisch-internationalistischen „Schmutz und Schundzivilisation“ untergehen zu lassen, predigten demzufolge Hitler und Rosenberg nicht nur auf politischem, sondern auch 78  Nazifaschismus

auf kulturellem Gebiet eine durchgreifende „Religio“, das heißt Rückbindung an die „Urkräfte deutschen Wesens“. Immer wieder behaupteten sie, daß alle Großleistungen innerhalb der Künste stets auf nationalen Gemeinschaftsidealen beruht hätten, während die individualistisch eingestellte Privatisierung durch ihre Neigung zu einem „schwindsüchtigen Ästhetizismus“ notwendigerweise zu weltanschaulicher Unverbindlichkeit, intellektueller Blasiertheit, wenn nicht gar dekadenter Entartung geführt habe. Kunst dürfe nicht mehr „autonom“ sein, behaupteten sie, sondern müsse wieder „verantwortungsbewußt“ und „volksnah“ werden. Wie zu erwarten, wollten daher die meisten NS-Kulturtheoretiker auch in den bildenden Künsten als oberste Werte vor allem Prinzipien wie Kameradschaft, Volksgemeinschaft und Gemeinnutz durchsetzen. Statt also Maler anzuhimmeln, die sich vom Volke elitär absonderten, um so die Gunst der „oberen Zehntausend“ zu erringen, unterstützten sie deshalb vor allem Künstler, die auf die breiten Massen einzuwirken versuchten. „Denn nur das ist wahre Kunst“, erklärte Hermann Göring mit pseudosozialistischem Zungenschlag, „was der einfache Mann begreift und verstehen kann.“ In Bereich der Malerei wurden dementsprechend im Hinblick auf die Jahrzehnte vor dem Beginn des „verderblichen“ Ismen-Karussels um 1900 von den NSDAP-Sprechern gern Perioden wie die Romantik, das Biedermeier, der „poetische Realismus“ sowie die Gründerzeit als leitbildlich herausgestellt, da in ihnen die Kunst noch wahrhaft „volkstümlich“ gewesen sei. Erst nach diesen vier Epochen habe seit 1890 im Zuge der fortschreitenden Kommerzialisierung der Künste und einer Reihe sezessionistischer Gegenreaktionen auf diesen Trend eine verderbliche Polarisierung in Gebildete und Ungebildete, in Esoterik und Kitsch, in E-Kunst und U-Kunst eingesetzt. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, propagierten deshalb Hitler und seine Gefolgsleute unentwegt das Ideal einer neuen A-Kunst, das heißt einer Allgemein-Kunst, die sich wieder an den bewährten „Urkräften des Ewig-Deutschen“ orientieren und alles bloß Neue, Avantgardistische, Elitäre, Ästhetisierende oder Kommerzbetonte verächtlich von sich weisen sollte. Hitlers Eröffnungsrede zur „Ersten Großen Deutschen Kunstausstellung“ von 1937 beruhte demzufolge fast ausschließlich auf dem Gegensatzpaar „modern“ und „deutsch“. Das eine Adjektiv stehe für Verfall, betonte er hier, da sich die ihm entsprechende Kunst in steigendem Maße von den Malerei und Skulptur  79

Urkräften deutschen Wesens entfernt habe, das andere für die Wiedergeburt des Immergleichen, nämlich des Nordischen, Germanischen, Deutschen. Und zwar stellte Hitler dabei das spezifisch „Deutsche“ stets als das Positive, Veredelnde, Aufrichtende hin. Was er und seine Gefolgsleute damit meinten, war eine neu-alte deutsche Kunst, die nicht kritisch, sondern erhebend, nicht intellektualistisch, sondern volksnah, nicht international, sondern arteigen, nicht frei, sondern verantwortungsbewußt auftreten würde. Ihre künstlerischen Produkte sollten so „bedeutend“ sein, erklärten sie, daß man sie nicht mehr kritisieren, sondern nur noch würdigen könne, wie Goebbels 1936 im Hinblick auf zukünftige Ausstellungsbesprechungen verfügte. All das klang auf Anhieb sehr „volksverbunden“, lief aber letzten Endes auf recht autoritäre Vorstellungen hinaus. Schließlich beruhte dieses Volkstümlichkeitskonzept fast immer auf einer angeblich untrennbaren Symbiose von Volk und Führer. Im Umkreis solcher Theoriebildungen hieß es deshalb nicht: es will, sondern er will, da sich in Hitlers ästhetischen Vorstellungen, wie meist behauptet wurde, ohnehin der Gesamtwille des deutschen Volkes manifestiere. In ihnen habe das „deutsche Sein“, erklärten viele der in Begeisterungsstimmung versetzten Nazifaschisten der ersten Wochen und Monate des Dritten Reichs, endlich seine höchstmögliche Form angenommen. Dem entspricht, daß selbst ein durch sein hochspekulatives Buch Sein und Zeit (1927) berühmt gewordener Philosoph wie Martin Heidegger am 3. November 1933 als Rektor der Freiburger Universität im Sinne des neuen Regimes vor den dortigen Studenten erklärte: „Nicht Lehrsätze und ‚Ideen‘ seien die Regeln eures Seins; der Führer selbst und allein ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz.“ Nicht ganz so führerbezogen klingen dagegen jene Programmer­ klärungen im Hinblick auf eine neue, weniger aus „seinshaften“ Direktiven als aus einem volkhaften Verantwortungsgefühl hervorgehende Kunst, wie sie vor 1933 bereits ältere Deutschtumsfanatiker wie Paul de La­garde, Julius Langbehn und Ferdinand Avenarius gefordert hatten. Und zwar kam dabei in den Schriften der zutiefst „Gläubigen“ innerhalb dieser Richtung, die sich vom Nazifaschismus auch in der Kunst eine entschiedene Wendung ins Sozialbetonte versprachen, nach der Machtübergabe an Hitler die Hoffnung auf, daß jetzt eine Zeit anbrechen würde, in der endlich alle Menschen und nicht nur die gesellschaftlichen 80  Nazifaschismus

10 Karl Gries: Sommer (1942). Gobelin.

Malerei und Skulptur  81

Oberschichten ein gesteigertes Interesse an den Hochleistungen der deutschen Kultur entwickeln würden. Ja, manche dieser programmatischen Verlautbarungen hatten dabei – im Sinne der erhofften „zweiten Revolution“ – anfangs fast einen Zug ins Sozialistische. So hieß es beispielsweise in der Schrift Der Arbeiter und die bildende Kunst, die 1935 von der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude herausgegeben wurde, daß es im Dritten Reich auch darum gehen müsse, die „Arbeiterschaft für die bildende Kunst zu gewinnen“. Statt das Bedürfnis der „breiten Massen“ nach bedeutsamen Bildern weiterhin mit kitschigen Öldrucken zu befriedigen, lesen wir hier, solle man endlich sozialbewußte Künstler in die Fabriken schicken, um den Arbeitern zu zeigen, daß auch „Malen“ eine harte Arbeit sei, um sie so vom Wert wirklicher Kunst zu überzeugen. Die gleichen Versuche wurden auf bäuerlicher Ebene unternommen. So lud etwa der Eifelkreis Mayen 1936 eine Gruppe von Malern ein, ein Jahr in kameradschaftlicher Verbundenheit unter Bauern und Landarbeitern zu leben, um von ihnen zu lernen und zugleich auch in diesen Menschen – durch ihre Gemälde – einen Sinn für die Schönheit des künstlerischen Gestaltens zu wecken, anstatt sich damit zu begnügen, ihre Werke weiterhin nur für jene verbildeten „Großstädter“ und „Ästheten“ zu schaffen, die selbst in der Kunst lediglich ihr arrogantes Oberklassenbewußtsein zu befriedigen suchten. Doch solche „positiven“ Ansätze traten ab 1937 immer stärker in den Hintergrund oder gingen in einem Kauderwelsch nichtssagender rassistischer Ideologiekonzepte unter. Im Zuge dieser Entwicklung wies zwar Wolfgang Willrich in seinem Buch Die Säuberung des Kunsttempels (1937) nach wie vor auf die Ideale des Volkstümlichen und Handwerklichen hin, faselte aber sonst fast ausschließlich von den weltüberlegenen Kräften der „nordischen“ Seele, die man in der Kunst zum Ausdruck bringen solle. Das gleiche taten Bruno Kroll in Deutsche Maler der Gegenwart. Die Entwicklung der deutschen Malerei seit 1900 (1937), Adolf Dresler in Deutsche Kunst und entartete Kunst (1938), Georg Sluytermann von Langeweyde in Kultur ist Dienst am Leben (1938) und Georg Schorer in Deutsche Kunstbetrachtung (1939), die sich alle vier nicht genug über das „Ewig-Deutsche“ innerhalb der Kunst ereifern konnten und sich so scharf wie möglich gegen jenen „demokratischen Wühlgeist“ aussprachen, welcher auf den „übermodernen“ Bildern der „artvergessenen Kunstbolde“ der Weimarer Republik geherrscht habe. 82  Nazifaschismus

11 Wolfgang Willrich: U-Boot-Kommandant Joachim Schepke (1941).

Aber dieser nordorientierte, geistesgeschichtliche oder seinsbezogene Phrasenschwall sollte nicht lange währen. Wie zu erwarten, wurde nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs in solchen Programmschriften aufgrund der gewandelten Situation weniger das Rassisch-Unklare als das Heroisch-Konkrete betont. So stellte etwa Hermann Stenzel 1943 als das Endziel aller deutschbewußten Malerei fast ausschließlich den „Mythos des Heldentums“ hin. Wilhelm Westecker ging 1944 in seinem Buch Krieg und Kunst so weit, alle volksbewußten Maler aufzufordern, das Schlachtengetümmel als ein grandioses Schauspiel darzustellen. Bruno Brehm verstieg sich im Vorwort des gleichen Bandes sogar dazu, vom „großartigen Grauen des Kriegs“ zu sprechen. Denn im „Großdeutschen Freiheitskampf “, wie der Zweite Weltkrieg innerhalb des Dritten Reichs offiziellerweise hieß, verband sich für solche Programmatiker geradezu alles, was sie als nazifaschistisch empfanden: der Schicksalsglaube, das Volksgemeinschaftskonzept, der Führerkult, das Heroische – und zwar bis zu den „Höhen“ der Wagnerschen Götterdämmerung oder Nietzsches Entwurf eines „tragisch-gefährlichen“ Lebens. Malerei und Skulptur  83

Doch genug der großen Worte! Wie sahen denn die meisten Werke der nazifaschistischen Malerei tatsächlich aus? Was stellten sie dar? Wer nahm sie wahr? An wen wurde sie verkauft? Auch hier sollte man sich vor allzu griffigen Pauschalurteilen hüten und etwas genauer auf die historische Abfolge der Jahre zwischen 1933 und 1945 eingehen. Kurz nach der Machtübergabe herrschte – trotz aller forcierten „Gleichschaltung“ – auf diesem Gebiet erst einmal eine gewisse Richtungslosigkeit. Neben angegrauten völkischen Malern, wie Ludwig Fahrenkrog, Fidus und Franz Stassen, oder auch Vertretern des rechten Flügels der Neuen Sachlichkeit, wie Bernhard Dörries, Werner Peiner und Georg Siebert, versuchten sich anfangs sogar einige Expressionisten als „deutschbewußt“ aufzuspielen. Die Ekstatiker wurden hierbei, wie gesagt, eher von Goebbels, die Völkischen eher von Rosenberg gefördert. Um diesem Konflikt die Spitze abzubrechen, wandte sich Hitler in seiner Rede auf dem Nürnberger Reichsparteitag von 1934 sowohl gegen die expressionistischen „Kleckser“ als auch gegen die völkischen „Rückwärtser“ und fällte das pseudosalomonische Urteil: „Deutsch sein, heißt klar sein!“ Anstatt in diesem Streit Partei zu ergreifen, erhob er als selbsternannter „Führer“ in der Malerei einfach seinen eigenen Geschmack zur offiziellen Richtschnur. Und diesem Geschmack entsprachen weitgehend säuberlich-akkurat malende Künstler wie Franz von Defregger und Eduard Grützner, mit anderen Worten: die Hauptvertreter der „realistischen“ Genremalerei des späten 19. Jahrhunderts, sowie einige gründerzeitliche Historienmaler und Salonidealisten wie Anselm Feuerbach, Franz von Lenbach, Hans Makart, Gabriel Max und Karl Theodor von Piloty. Auch auf diesem Gebiet unterstützte also Hitler keineswegs das Umstürzlerische, sondern eher das bewußt Traditionelle. Dieser Machtspruch führte notwendigerweise zu einem Sieg der sogenannten Feld-, Wald- und Wiesenmaler über alle wirklich „engagierten“ Talente, die im Nationalsozialismus mehr als einen bloßen Regimewechsel gesehen hatten. Demzufolge kam es schon 1934 / 35 auch in der Malerei zu einem folgenreichen Triumph der Opportunisten, Mitläufer, Zukurzgekommenen, Provinzler und Kleinstädter über die zutiefst „Gläubigen“ innerhalb der nazifaschistischen Malerei. Das zwangsläufige Ergebnis dieser Tendenzwende äußerte sich in einer auffälligen Wiederbelebung der altbewährten Gattungsmalerei, worunter die NS-Kulturtheoretiker jene „Pinselkunst“ der Landschaften, Porträts, Tierbilder, 84  Nazifaschismus

Stilleben und Genreszenen verstanden, die seit dem 17. Jahrhundert zu den dominierenden Ausdrucksformen der europäischen Malerei aufgestiegen waren. Völkische, nordische oder antisemitische Motive hätten das kunstinteressierte Bürgertum, wie Hitler wußte, sicher als zu „ideologisch“, das heißt „unschön“ abgelehnt. Die herkömmliche Gattungsmalerei akzeptierte es dagegen mit der gleichen Freude wie die zu Bestsellern aufgestiegenen Romane eines Werner Beumelburg, Bruno Brehm, Ludwig Ganghofer und Hermann Löns. Diese Art von Malerei erwies sich daher als wahrhaft „populär“ und verkaufte sich wie warme Wecken. Und so hatte Hitler selbst in diesem Punkt sowohl einen Großteil der bildungsbürgerlichen Meinungsträgerschichten als auch der an Kunst interessierten Kleinbürger innerhalb der deutschen Bevölkerung durchaus auf seiner Seite. Wohl das überzeugendste Dokument dafür ist die „Erste Große Deutsche Kunstausstellung“, die am 18. Juli 1937 – parallel zur Ausstellung „Entartete Kunst“ – in München als Repräsentativschau des nationalsozialistischen Kunstwollens eröffnet wurde. Was hier vorherrschte, war wie im 19. Jahrhundert weitgehend die Landschaftsmalerei, und zwar in ihrer biedermeierlich-gemüthaften Variante, das heißt als Darstellung jener „heilen Welt“, in der es noch keine Telegraphendrähte, keine Eisenbahnen, keine Fabriken und andere „naturverhunzenden“ Einrichtungen gab. Zu ihr gehörten etwa 40 Prozent aller ausgestellten Bilder. Darauf folgten – rein quantitativ gesehen – die Porträts und bäuerlichen Genreszenen mit 35 Prozent sowie die Stilleben und Tierbilder mit 10 Prozent. Für die spezifisch nazifaschistische Thematik, also die Funktionärsporträts und SA-Bilder, blieben bei dieser Überschau nur 5 Prozent übrig. Der Hauptakzent lag also eindeutig auf den Darstellungen des „einfachen Lebens“, das heißt jenen unkomplizierten, idyllischen und allgemein-menschlichen Genreszenen und Landschaften, die es in gleicher oder ähnlicher Form bis heute als „publikumsnahe“ Bilder in vielen Rahmengeschäften, Kaufhäusern oder auf Trödelmärkten zu sehen gibt. Kein Wunder also, daß die Werke eines Angelo Jank, Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Leo Samberger, Rudolf Schramm-Zittau, Raffael Schuster-Woldan und Heinrich von Zügel, die noch aus der bäuerlichen oder salonidealistischen Motivwelt der Zeit um 1900 stammten, auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen der späten dreißiger Jahre von fast niemandem als altmodisch empfunden wurden. Wer sie Malerei und Skulptur  85

12 Adolf Ziegler: Göttin der Kunst (1941).

nicht von früher kannte, hätte diese Maler ebensogut für NS-Maler halten können. Das gilt vor allem auf dem Gebiet der bäuerlichen Motive, die 1937 etwa 20 Prozent der Gesamtschau ausmachten. Was Maler wie Carl Baum, Thomas Baumgartner, Georg Günther, Sepp Hilz, Oskar Martin-Amorbach, Hermann Tiebert und Adolf Wissel hier ausstellten, hätten 20 bis 30 Jahre zuvor zum Teil auch Fritz Boehle, Johann Vinzenz Cissarz, Albin Egger-Lienz, Karl Haider und Hans Thoma – wenn auch etwas qualitätvoller – gemalt haben können. Die Welt der Fabrikarbeit war dagegen bezeichnenderweise nur mit 2 Prozent vertreten, um nicht gegen den Schein des schönen Lebens oder die Rückbesinnung auf die Traditionen der angeblich „urdeutschen“ Malerei zu verstoßen. Doch diese malerischen Darstellungen des „einfachen Lebens“, die zu Anfang des Dritten Reichs noch zum Teil durchaus ernst gemeint waren, gerieten im Laufe der Jahre in einen eklatanten Widerspruch zum Lebensstil der nazifaschistischen Führungseliten. Je sicherer sich nämlich die Führer und ihre Funktionäre in ihrer Volksbeherrschung fühl86  Nazifaschismus

ten, um so stärker wurde ihr Hang zu einem luxurierenden Repräsentationsbedürfnis, was man oft als den „Makart-Geist“ dieser Kreise charakterisiert hat. Wohl am deutlichsten kommt das in ihrer steigenden Vorliebe für weibliche Akte auf den Bildern von Ernst Liebermann, Bernhard Müller, Paul Mathias Padua, Ivo Saliger, Johann Schult, Eberhard Viegener und Adolf Ziegler zum Ausdruck, deren idealisierende Darstellung in vielem an den Beaux Arts-Geschmack des späten 19. Jahrhunderts erinnert. Überhaupt schälte sich im Laufe der dreißiger Jahre auch in dieser Hinsicht innerhalb der NS-Oberschicht relativ schnell eine neue Klasse heraus, die in der öffentlichen Zurschaustellung ihres eigenen Besitzes eine parvenühafte Genugtuung empfand. Während zu Anfang des Dritten Reichs besonders systemkonforme Kunstwerke gern als „Volksbesitz“ hingestellt wurden, erschien jetzt in prächtig ausgestatteten Kunstzeitschriften unter Illustrationen von Bildern als „berühmt“ angepriesener NS-Maler immer häufiger die Unterschrift „Im Besitz des Führers“ oder „Im Besitz des Reichsmarschalls Hermann Göring“. Noch krasser wurde diese schmarotzerhafte Besitzgier nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, als sich viele Nazigrößen an „eroberten“ Kunstwerken zu bereichern versuchten, ja sogar einige Erzeugnisse der „entarteten Kunst“ heimlich in ihre Behausungen abschleppen ließen, womit sie ihre ständige Berufung auf das „gesunde Volksempfinden“ und die angebliche Veredlung des künstlerischen Geschmacks innerhalb der „breiten Massen“ zur Farce degradierten. So bestand etwa Görings Kunstsammlung, in der sich 1 375 Gemälde sowie eine Vielzahl kunstgewerblicher Objekte befanden, zum Teil aus früheren jüdischen Sammlungen oder aus jenen 21 900 Kunstwerken, die der Sonderstab Bildende Kunst aus den von den deutschen Kriegstruppen besetzten Gebieten in sechs Bergungsorte innerhalb des Dritten Reichs abtransportiert hatte. Gilt das gleiche auch für die Werke der Bildhauerkunst, die in diesen Jahren entstanden? Da die meisten Skulpturen ohnehin auf Aufträge der öffentlichen Hand zurückgehen, machte sich auf diesem Sektor der Einfluß der NS-Kulturprogrammatiker zum Teil noch stärker bemerkbar als in der Malerei. Schließlich ging es hier um eine Kunstgattung, die nicht primär für private Innenräume bestimmt war, also auf einen kleineren Kreis von Betrachtern beschränkt blieb, sondern um eine Darstellungsform, die durch ihre Aufstellung auf Plätzen und Sportarenen sowie vor Ministerien und anderen öffentlichen Gebäuden von vornherein einen Malerei und Skulptur  87

bewußt „gemeinschaftsbetonten“ Charakter hatte. In diesem Bereich, wo es nichts Genrehaftes, Bäuerliches oder Porträtähnlich-Intimes darzustellen galt, sondern eher ein Drang ins Monumentalisierend-Vereinfachende überwog, konnte sich also das Nazifaschistische – schon von der Formgebung her – wesentlich massiver durchsetzen als in der Malerei. Und doch lassen sich auch in der Bildhauerkunst zwischen 1933 und 1945 ähnliche Entwicklungstendenzen beobachten wie in den malerischen und graphischen Künsten. Zu Anfang herrschte selbst auf diesem Gebiet erst einmal ein Zustand der Unsicherheit. Die meisten Bildhauer erkannten zwar sehr wohl, daß es in Zukunft auch in ihrer Kunst vor allem um eine idealisierende Gestaltung des von Hitler und seinen Gefolgsleuten immer wieder herausgestellten „reinrassischen nordischen Menschen“ gehen würde. Aber sie wußten noch nicht, mit welchen Stilmitteln sie dabei vorgehen sollten. Daß irgendwelche „Entgleisungen“ ins Expressionistische, KritischVeristische oder gar Abstrakte, kurzum: „Kulturbolschewistische“, wie es jetzt hieß, nicht mehr auf der Tagesordnung standen, war ihnen durchaus bewußt. Aber solche „Fehltritte“ waren auf diesem Gebiet ohnehin Ausnahmeerscheinungen geblieben. Schon in der Bildhauerkunst der Weimarer Republik hatte weithin das Prinzip des „Realistischen“ vorgeherrscht. Und das machte diese Künstler den neuen Machthabern von vornherein sympathisch. Was also nach 1933 an Bildwerken – auf Wunsch der NS-Behörden – „ausgeschieden“ werden mußte, waren lediglich einige als „unheroisch“ geltende Kriegerdenkmale Ernst Barlachs, die expressionistischen Plastiken Max Beckmanns, Otto Freundlichs und Ernst Ludwig Kirchners, die veristisch wirkenden Figuren Joachim Karschs sowie die abstrakten Gebilde eines Hans Arp und Rudolf Belling. Fast alle anderen Bildhauer, darunter Bernhard Bleeker, Fritz Klimsch und Georg Kolbe, konnten dagegen relativ ungestört weiterarbeiten. Zugegeben, bei einigen läßt sich nach 1933 eine stärkere Tendenz ins Idealisierende beobachten, jedoch ohne daß es hierbei bereits zu deutlich wahrnehmbaren Anpassungen an die nazifaschistischen Kunstmaximen gekommen wäre. So wehrte sich Georg Kolbe, wie auch sein Freund Richard Scheibe, lange Zeit gegen die von der NSDAP gewünschte Tendenz ins Monumentale. Und auch Fritz Klimsch blieb bei seinen weiblichen Aktdarstellungen im Bereich des Amutig-Gemäßigten, das heißt verzichtete darauf, durch breite Beckenpartien die 88  Nazifaschismus

13 Arno Breker: Aufbruch der Kämpfer (1942).

Gebärtüchtigkeit der „nordischen Frau“ herauszustreichen. Vieles, was diese Bildhauer jetzt schufen, hätte selbst nichtfaschistische Auftraggeber angesprochen, da in ihren Werken noch immer etwas von jenem klassizistischen Geist zu spüren war, der bereits um 1900 den Statuen Adolf von Hildebrands ein hohes Ansehen verliehen hatte. Doch neben diesen meist älteren Bildhauern traten gegen Mitte der dreißiger Jahre auch einige jüngere Bildhauer auf den Plan, die sich voll und ganz in den Dienst der NSDAP stellten. Neben einer Reihe kleinerer Talente genossen darunter vor allem Arno Breker und Josef Thorak die Gunst der neuen Herren. Beiden wurden deshalb von den NSBehörden überdimensionale Ateliers und zahllose Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Was sie auf Wunsch ihrer staatlichen Auftraggeber ins Auge faßten, waren weitgehend ins Monumentale gesteigerte Athletenfiguren, die zwar als Manifestationen eines „faschistischen Olymps“ an altgriechische Vorbilder oder Werke der Hildebrand-Schule erinnern sollten, zumal sie ihre Männergestalten gern als Prometheus, Perseus oder Dionysos ausgaben, welche aber im Laufe der Jahre zusehends ins AggresMalerei und Skulptur  89

sive, wenn nicht gar Barbarische tendierten. Breker und Thorak, die mit dem Titel „Unersetzliche Künstler“ ausgestattet wurden, erhielten daher von Hitler und Speer die wichtigsten Aufträge. Brekers Statuen Partei und Wehrmacht wurden sogar 1939 im Ehrenhof der Neuen Reichskanzlei in Berlin aufgestellt. Ja, einige seiner Werke sollten später einmal im Zentrum der Nordsüdachse der neuen deutschen Hauptstadt „Germania“ stehen. Während Breker dabei einer von fern an Aristide Maillol erinnernden Formvorstellung treu blieb, die er sich in seiner Pariser Frühzeit angeeignet hatte, ging Thorak bei seinen Athleten und Schwertträgern immer stärker ins Monumentale über, um so den „Triumph des Starken und Gesunden über die Schwachen und Kranken“ Ausdruck zu verleihen. Manche seiner Statuen, die er im Auftrag Speers für das Nürnberger „Märzfeld“ entwarf, sollten eine Höhe von 17 Metern erhalten. In ihnen äußerte sich dieselbe Gigantomanie, die auch Speer mit seiner „Großen Halle“ anstrebte. Hier, wie auch in den Diskuswerfern von Karl Albiker und dem Rosseführer von Joseph Wackerle für das Reichssportfeld sowie dem Fackelträger von Willy Meller für die Ordensburg Vogelsang, offenbarte sich der nazifaschistische Ungeist in der bildenden Kunst wohl in seiner krassesten Form, das heißt in dem Bestreben, Ausdruck eines allbeherrschenden Machtregimes zu sein, das schon durch seine imperialen Gesten und archaisierenden Ausmaße jeden Widerspruch von vornherein zu ersticken versuchte. Was danach, während des Zweiten Weltkriegs, als die meisten NSBauvorhaben weitgehend zum Erliegen kamen, noch im Bereich der Bildhauerei entstand und auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ in München gezeigt wurde, waren meist Kleinplastiken sowie die seit eh und je beliebten Porträtköpfe, die noch am qualitätvollsten wirkten. Dagegen lassen sich Darstellungen zum Letzten entschlossener Kämpfer, wie die von Breker und Thorak oder auch von Adolf Wamper und Willy Meller aus dem gleichen Zeitraum, welche mit Titelgebungen wie Wehrhaft oder Kampfbereit als Verkörperungen „heroischer Willensanspannung“ auf den kommenden Sieg vorausweisen sollten, nur noch als „gewaltbetont“ charakterisieren. Was also auf die nazifaschistische Ideologie im allgemeinen zutrifft, gilt auch für die Skulpturen der von Hitler favorisierten Bildhauer. Vor allem ihre in „höherem Auftrag“ geschaffenen Werke sind von einer nicht zu übersehenden Zwiespältigkeit. Einerseits lag ihrem Streben 90  Nazifaschismus

14 Hans Liska: Das von Albert Speer für Josef Thorak gebaute Staats­ atelier in Baldham bei München (um 1938).

nach etwas „Höherem“ das Bemühen zugrunde, über den Bereich des Privategoistischen in den Bereich einer wahren Volksgenossenschaft vorzustoßen, andererseits neigten sie im Laufe der Jahre zu einer einseitigen Bevorzugung des Kriegerischen und Rassetüchtigen, die letztlich auf die Bekämpfung, ja Liquidierung alles Nicht-Deutschen bzw. Nicht-Arischen hinauslief. Viele Statuen der spezifisch nazifaschistischen Bildhauerkunst sind daher nicht nur „schön“, nicht nur „formvollendet“, wie es damals hieß, sondern zugleich in einem eminenten Sinne brutal, da ihnen eine Weltanschauung zugrunde lag, die zu ihrer Durchsetzung notwendig über Leichen gehen mußte. Musik

Auf dem Gebiet der Musik glaubten die NS-Kulturtheoretiker, daß es hier wesentlich leichter sei, das spezifisch „Deutsche“ innerhalb dieser Kunst zu definieren, als in der Malerei und Skulptur. Die meisten berieMusik  91

fen sich in dieser Hinsicht einfach auf die unangefochtene „Weltgeltung“ der deutschen Musik, der seit dem späten 18. Jahrhundert in vielen Ländern der Erde eine gleichbleibende Hochschätzung, ja Ehrfurcht entgegengebracht worden sei. Mit penetranter Selbstgefälligkeit ist daher in den Schriften vieler nazifaschistischer Musikprogrammatiker ständig von jener nicht zu überbietenden musikalischen Ahnengalerie die Rede, die von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach über Franz Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Carl Maria von Weber, Robert Schumann, Richard Wagner, Johannes Brahms und Anton Bruckner bis hin zu Hans Pfitzner und Richard Strauss reiche. Dies seien jene „Tonschöpfer“, behaupteten sie, denen keine andere Nation der Welt etwas Vergleichbares zur Seite stellen könne. Und für alle Nazifaschisten, die in ihren Proklamationen so weit gingen, war es dann nicht schwer, mit derselben anspruchsvollen Eindringlichkeit zu behaupten, daß die Musik die „deutscheste aller Künste“, wenn nicht gar die „Ars sacra“ für jeden „völkisch“ empfindenden Deutschen sei. So weit, so großspurig. Die Absicht sieht man wohl, doch worin bestand eigentlich – nach Ansicht derartiger Programmatiker – das wahrhaft „Deutsche“ in den Werken dieser zwar hochbedeutenden, aber zugleich recht unterschiedlichen Komponisten? Für die Rassenfanatiker unter den NS-Musikwissenschaftlern gab es dafür nur einen Erklärungsgrund: in ihrer als „germanisch“ zu definierenden „Seinsveranlagung“ oder „Wesensvoraussetzung“. Wer sich als „nordischer“ Mensch empfinde, hieß es deshalb in vielen der diesem Thema gewidmeten Schriften von Walter Abendroth, Friedrich Blume, Richard Eichenauer, Walter Kühne, Hans Joachim Moser, Fritz Stege und Guido Waldmann, könne gar nicht anders, als „musikalisch“ sein. Da schon die alten Germanen keinen Sinn für ein „begriffliches Erfassen und denkmäßiges Verarbeiten“ sinnlicher Eindrücke gehabt hätten, sondern allein ihrem inneren, das heißt gemüthaften und damit musikalischen Instinkt gefolgt seien, erklärten die Vertreter dieser Gruppe unentwegt, hätten auch die von den Germanen abstammenden Deutschen die Musik stets als ihr Eigenstes empfunden und deshalb auf diesem Gebiet ihre größten künstlerischen Leistungen hervorgebracht. Im Gegensatz zur Musik anderer Völker herrsche darum in der deutschen Musik keine „taschenspielerische Geschicklichkeit glaubensloser Blender“, schrieb Hans Joachim Moser 92  Nazifaschismus

dementsprechend mit nationaler Überheblichkeit, sondern stets ein gemüthaft-aufgewühltes Ringen „um den letzten Sinn“ des Lebens. Aus diesem Grund verachte jeder wahrhaft Deutsche, behauptete der gleiche Moser, in der Musik „alles glatt Geschleckte, platt Schönlingshafte und allzu billig Gemeinverständliche“. Ihm gehe es in dieser Kunst stets um das Tiefste, Ausdrucksvollste, Sinnhaft-Erfüllteste. Um also dem spezifisch „Deutschen“ in der Musik – als einer „blutsgebunden-seelischen“ Ausdrucksform der germanischen Rasse – nach den „mannigfachen Depravierungen“ dieser Kunst während der Weimarer Republik wieder zu ihrer ursprünglichen Größe zu verhelfen, verwarfen deshalb einige besonders fanatisierte NS-Musiktheoretiker und ihre Gefolgsleute schon zwischen 1928 und 1933 und dann noch verstärkt nach der offiziellen Machtübergabe an Adolf Hitler geradezu alles, was sie innerhalb der Musik der jüngsten Vergangenheit als „undeutsch“ empfanden. Und das war nicht wenig. Dazu gehörte nicht nur jene Musik, die sie im Rahmen ihres rassistischen Denkens als „semitisch“ oder „negroid“ ablehnten, sondern auch alles, was ihnen als linksorientiert, atonal oder neusachlich und damit „antinordisch“ erschien. Im Hinblick auf textgebundene Werke ließen sich diese angeblich „artfremden“ Elemente relativ leicht bestimmen. Wesentlich schwieriger war es hingegen für diese Gruppen, das spezifisch „Undeutsche“ innerhalb der Instrumentalmusik herauszuhören. Doch auch darüber wurden viele Spekulationen angestellt. Das „Semitische“ glaubten die nazifaschistischen Rassentheoretiker noch am ehesten aussortieren zu können. Damit meinten sie – ohne jede Ausnahme – alle E-Musik-Werke von Komponisten jüdischer Herkunft, also nicht nur die „volksfremden Machwerke“ anspruchsvoller Gegenwartskomponisten vom Schlage eines Walter Braunfels, Hanns Eisler, Erich Wolfgang Korngold, Arnold Schönberg, Franz Schreker, Ernst Toch, Kurt Weill und Stefan Wolpe sowie die „Judenoperetten“ von Paul Abraham, Leo Fall, Emmerich Kálmán und Oscar Strauss, sondern auch die angeblich „pseudoromantischen“ Werke älterer jüdischer Komponisten wie die von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Giacomo Meyerbeer, Max Bruch und Gustav Mahler. Weil Juden, wie sie erklärten, außer ihren „synagogalen Mißtönen“ nie eine eigene Musik besessen hätten, seien sie stets auf Nachahmungen angewiesen gewesen und hätten – je nach Zeitmode – mal romantisch, mal atonal, mal neusachlich, mal agitMusik  93

propmäßig, mal kommerzorientiert komponiert und damit das spezifisch „Deutsche“ ins Internationalistische oder Profitgierige verballhornt. Die Werke derartiger Komponisten durften daher im Dritten Reich nicht mehr gespielt werden. Das galt selbst für MendelssohnBartholdys äußerst beliebte Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum, an deren Stelle 1939 Carl Orffs „arische“ Zwischenaktmusik zu dem gleichen Stück trat. Ja, es wurden sogar Versuche unternommen, „jüdische“ Opernlibretti, wie die von Lorenzo da Ponte zu Mozarts Figaro, Don Giovanni und Cosi fan tutte, durch „arische“ Neudichtungen zu ersetzen oder dem Händel-Oratorium Judas Maccabäus wegen seiner „semitischen“ Heldenverklärung einen anderen Text unterzulegen. Ebenso scharf gingen manche NS-Kulturtheoretiker gegen alles „Negroide“ in der Musik der Weimarer Republik vor. Darunter verstanden sie vor allem den aus den USA eingeführten Jazz oder „Nigger-Jazz“, wie sie ihn nannten und den sie als „Lebensäußerung primitiver Negerstämme“, das heißt als „nichtarisches Geheul aus dem Urwald“ charakterisierten. Dementsprechend wurden in der anspruchsvollen Musik alle Jazz-Elemente, wie sie sich im Gefolge sogenannter Zeitopern wie Ernst Křeneks Jonny spielt auf (1927) und Kurt Weills Dreigroschenoper (1928) ausgebreitet hatten, nach 1933 möglichst schnell unterdrückt. Etwas länger hielt sich dagegen die durch den Jazz beeinflußte Tanzmusik. Noch in den späten dreißiger Jahren finden sich in führenden NSMusikzeitschriften Klagen darüber, daß die deutsche Tanzmusik weiterhin an einer „unwürdigen Verniggerung“ leide. Nach wie vor gebe es in Tanzdielen und anderen Vergnügungsstätten, hieß es dort empört, eine Musik zu hören, welche durch ihre „näselnden, jaulenden, plärrenden und schrillen Töne“ sowie ihre „gestopften Blasinstrumente, ihren heiseren oder bellenden Refraingesang und die Gliederverrenkungen ihrer Spieler“ einer „internationalen Dekadenz“ Vorschub leiste, die dem auf seine „Gesunderhaltung bedachten deutschen Volk“ gefühlsmäßig diametral zuwiderlaufe. Daher biete diese Musik lediglich den „musikalisch Verdorbenen“ einen nervenaufreizenden „Kitzel“, während sie für germanisch empfindende Menschen ein „Gräuel“ sei, um aus Blättern wie Die Musik oder Die Volksmusik zu zitieren. Doch nicht genug damit. Auch alles andere, was in der Musik dem „abendländischen diatonischen System mit seinem klaren Fortschreiten in ganzen und halben Stufen“ sowie seiner auf „Harmonie bedachten 94  Nazifaschismus

Tonalität und Melodie“ widerspreche, wurde nach 1933 staatlicherseits zusehends beargwöhnt oder abgelehnt. Allerdings war es in diesem Bereich wesentlich schwieriger, allgemein-verbindliche Regeln oder Kriterien aufzustellen. So schwankten einige NS-Musikkritiker zeitweilig unschlüssig hin und her, ob sie beispielsweise die halbmodernen Werke von Boris Blacher, Werner Egk, Paul Höffer, Carl Orff, Hermann Reutter, Heinrich Sutermeister, Heinz Tiessen, Rudolf Wagner-Régeny und Winfried Zillig wegen gewisser „Entgleisungen“ ins Atonale als „verdammenswert“ oder als „deutschbewußt“ charakterisieren sollten. Auch als Wilhelm Furtwängler, der Dirigent der Berliner Philharmoniker, relativ „modern“ klingende Werke von Béla Bartók, Arthur Honegger, Maurice Ravel und Igor Strawinsky in seine Konzertprogramme aufnahm, verhielt sich die NS-Musikkritik weitgehend hilflos. Als schwierigster Fall erwies sich in dieser Hinsicht die Beurteilung eines Komponisten wie Paul Hindemith, der nach expressionistischen und neusachlichen Anfängen in den späten zwanziger Jahren wieder ins relativ „Tonale“ zurückgekehrt war. Obwohl er mit seiner Oper Mathis der Maler (1934) – schon wegen ihrer Beschwörung eines der größten deutschen Maler und der dahinterstehenden Bauernkriegsthematik – den NS-Kulturtheoretikern mehr als einen Schritt entgegengekommen war und sich zudem der Unterstützung Furtwänglers erfreute, den die Nazifaschisten wegen seines internationalen Prestiges anfangs geradezu liebedienerisch hofierten, sah er sich schließlich wegen des von Hitler verfügten Aufführungsverbots dieser Oper sowie anderer seiner Werke im Jahr 1938 ebenfalls gezwungen, seinen jüdischen, avantgardistischen und marxistisch gesinnten Kollegen ins Exil zu folgen. Als die wichtigste Wasserscheide bei der Trennung von anzupreisender „deutscher“ und abzulehnender „nichtdeutscher“ Musik wurde von den meisten nazifaschistischen Theoretikern und Komponisten die 1938 in Düsseldorf veranstaltete Ausstellung „Entartete Musik“ empfunden. Ihr Hauptorganisator war Hans Severus Ziegler, der bereits seit den späten zwanziger Jahren in vielen deutschen Städten als Agitator des Rosenbergschen Kampfbunds für deutsche Kultur aufgetreten war. Wie zu erwarten, ging es bei diesem Propagandaspektakel vor allem gegen die artfremde „Verjudung“ und „Verniggerung“ der deutschen Musik während der Weimarer Republik. Das kam schon darin zum Ausdruck, indem auf der Vorderseite der maßgeblichen Broschüre dieser AusstelMusik  95

15 Umschlagbild der Ausstellungsbroschüre Entartete Musik in Düsseldorf (1938).

lung ein schwarzer Saxophonbläser mit einem Davidsstern abgebildet war, um so in plakativer Vereinfachung auf die „minderrassige“ Verquickung dieser beiden Musikformen hinzuweisen. Nicht minder scharf wurden auf den dort aufgestellten Plakatsäulen Arnold Schönbergs Zwölftonlehre, der „unheilvolle“ Einfluß des jüdischen „Musikdiktators“ Leo Kestenberg, der „Kulturbolschewist“ Hermann Scherchen, das „Sexualpathologische“ in den Werken Franz Schrekers, die „modernistischen“ Tendenzen in Zeitschriften wie Melos und Anbruch sowie die futuristischen oder kubistischen Inszenierungen Wagnerscher Opern verurteilt. Selbst die bis dahin geduldete Musik Igor Strawinskys mußte auf dieser Ausstellung mehr als eine Feder lassen. Und auch mit einigen deutschen Nichtjuden, wie den angeblich „wurzellosen Scharlatanen“ Alban Berg und Paul Hindemith, wurde hier wegen ihrer „neutönerischen“ Musik nicht gerade glimpflich umgesprungen. 96  Nazifaschismus

Mit diesem „Horrorkabinett des Musikbolschewismus“ war erst einmal ein gewichtiger Schlußpunkt unter den langwierigen und komplizierten Ausschluß undeutscher Elemente im Hinblick auf eine „arisch“ausgerichtete Musik der Zukunft gesetzt worden. Auf diesem Feld glaubten also viele NS-Theoretiker endlich eine ideologische „Klärung“ erreicht zu haben. Um es auf eine Formel zu bringen: alles Semitische, Negroide, Linksorientierte oder Modernistische sollte fortan keinen Platz mehr im deutschen Musikleben haben. Was es allerdings weiterhin theoretisch wie auch kompositorisch zu klären galt, war die Frage, worin denn das spezifisch „Arische“ in der deutschen Musik eigentlich bisher bestanden habe und wie sich daraus eine neue, genuin nazifaschistische Musikkultur entwickeln könne, die sich als wahrhaft „volkstümlich“ und zugleich „seelisch-hochstehend“ charakterisieren lasse. Einige der später entscheidenden Maßstäbe wurden dafür bereits im Herbst 1933 bei der Gründung der Reichsmusikkammer aufgestellt. Allerdings übte diese Kammer, unter deren 15 000 Mitgliedern sich rund 350 Komponisten befanden, nie jenen durchgreifenden Einfluß aus, den sich manche nazifaschistischen Theoretiker davon erhofft hatten. Schon daß Joseph Goebbels als ihren ersten Präsidenten nicht einen völkisch-gesinnten Fanatiker wie Hans Pfitzner, sondern einen zwar musikalisch-hochbegabten, aber ideologisch-unverbindlichen Bonvivant wie Richard Strauss berief, bewirkte eine merkliche Abschwächung allzu scharfer antisemitischer und antimodernistischer Bestimmungen. Ja, Strauss erlaubten die Nazifaschisten 1933 sogar, seine gerade fertiggestellte Oper Arabella nach einem Libretto des „Juden“ Hugo von Hofmannsthal uraufzuführen, deren Reinschrift er ein Jahr später Hermann Göring schenkte, während Pfitzner – trotz seiner entschieden völkischantisemitischen Haltung – von den NS-Behörden wesentlich weniger herausgestellt wurde. Aber Strauss war nun einmal der international weitaus Berühmtere. Daher versprach sich Goebbels von seinem Bekanntheitsgrad einen erheblich größeren Prestigezugewinn, als wenn er diese Stelle Pfitzner angetragen hätte. Und Strauss, obwohl kein überzeugter Nazifaschist, paßte sich den neuen politischen Gegebenheiten durchaus an. Hierfür spricht einer seiner Briefe aus diesem Zeitraum, in dem er höchst nonchalant und profitorientiert erklärte: „Für mich existiert das Volk erst in dem Moment, wo es Publikum wird. Ob dasselbe aus Chinesen, Oberbayern, Neuseeländern oder Berlinern besteht, ist Musik  97

mir gleichgültig, wenn die Leute nur den vollen Kassenpreis bezahlt haben.“ Ja, an Stefan Zweig, den „jüdischen“ Librettisten seiner Oper Die schweigsame Frau, schrieb er am 17. Juni 1935 ebenso opportunistisch, daß er den Präsidenten der Reichsmusikkammer lediglich „mime“, um „Gutes zu tun“, aber sich ansonsten hüte, „politisch vorzutreten“. Aufgrund dieses von der Gestapo abgefangenen Briefs, den Hitler „empörend“ fand, sah sich Goebbels schließlich genötigt, Strauss kurz darauf möglichst schonend zur Aufgabe seines Präsidialamts zu bewegen und als seinen Nachfolger den unbedeutenden, aber ideologisch wesentlich „strammer“ gesinnten Komponisten Peter Raabe zu ernennen, der sofort nach seiner Amtsübernahme 3 000 Musikern Berufsverbot erteilte und sich obendrein 1936 in seinem Buch Kulturwille im deutschen Musikleben so eindeutig wie möglich zur NSDAP bekannte. Dennoch blieb die politästhetische Unsicherheit auf diesem Gebiet noch bis 1938 bestehen. Wie in fast allen kulturellen Bereichen lag dem unter anderem wiederum die Rivalität zwischen dem eher strategisch denkenden Goebbels und dem ideologisch übereifrigen Rosenberg zugrunde. Während Goebbels selbst einige „modernistisch“ klingende Werke durchaus tolerierte und ihre Komponisten, sofern sie „Arier“ waren, zu bereden versuchte, in Deutschland zu bleiben und nicht ins Exil zu gehen, zog Rosenberg immer wieder energisch vom Leder, wenn es um Verstöße gegen die Tonalität innerhalb der „deutsch-arischen“ Musik ging. Er hätte sicher, wenn man ihm freie Bahn gelassen hätte, selbst Boris Blacher und Carl Orff kaltgestellt – und außerdem die gesamte Operetten- und Schlagermusik verboten, in der er lediglich eine „Depravierung“ des hehren „arischen Geistes“ ins Vulgäre und damit „Undeutsche“ sah. Doch Goebbels – unterstützt von Hitler, der neben den Meistersingern von Nürnberg auch die Lustige Witwe schätzte – erwies sich in diesen Auseinandersetzungen als der Erfolgreichere, weil pragmatisch Eingestelltere. Und so blieb in der Musik – im Gegenzug zu den Nordfanatikern – durchaus ein begrenzter Pluralismus erhalten. Goebbels sah sehr wohl, daß man auf diesem Sektor keine allzu hohen Ansprüche stellen dürfe, um nicht von vornherein gegen die nur schwer zu verändernden Geschmackspräferenzen der unteren Bevölkerungsschichten zu verstoßen und damit ins Sektiererische abzugleiten. Also duldete er neben den großen Werken der Operntradition, den symphonischen und kammermusikalischen Kompositionen des Klassischen 98  Nazifaschismus

16 Fanfarenzug der Hitler-Jugend.

Erbes sowie der Agitprop-Musik der NSDAP auch die ins Seichte tendierende Operettenmusik eines Eduard Künneke, Franz Lehar, Paul Lincke und Carl Zeller sowie eine leicht „verjazzte“ Tanzmusik, ja sogar eine schmalzig oder vulgär klingende Schlagermusik, um nicht nur die Spitzen der Partei und die anspruchsvolle Bildungsbourgeoisie zu befriedigen, sondern auch die sogenannten breiten Massen mit einer betont „melodiösen“ Musik, wie er immer wieder erklärte, bei guter Laune zu halten. Aus diesem Grunde sorgte etwa die unter seiner Leitung stehende Reichsrundfunkkammer dafür, daß zu Hitlers Geburtstag im Radio nicht nur Symphonien und das Horst Wessel-Lied, sondern auch Schlager und Operettenmelodien gesendet wurden. Allerdings gilt es im Hinblick auf den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 auch auf musikalischem Gebiet, weder die chronologische Abfolge Musik  99

der verschiedenen Kulturprogramme noch ihre künstlerischen Auswirkungen aus dem Auge zu verlieren. In den ersten zwei Jahren des Dritten Reichs spielten – entsprechend der Bedeutung, welche die SA damals noch für sich beanspruchte – auch die frühen Parteilieder weiterhin eine wichtige Rolle innerhalb des NS-Musikbetriebs. Dazu gehörten unter anderem die zahlreichen Marschlieder, in denen nach wie vor die „nationalrevolutionäre“ Aufbruchstimmung der frühen NSDAP weiterlebte. Von zentraler Bedeutung war dabei das 1929 entstandene Lied „Die Fahne hoch! Die Reihen festgeschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt“ des 1930 von Berliner Kommunisten ermordeten SAFührers Horst Wessel, das – auf Anweisung Hitlers – ab Juli 1933 bei feierlichen Anlässen nach dem Deutschlandlied stets als zweite Nationalhymne gesungen wurde. Was das Horst Wessel-Lied für die SA war, war das vom Reichsjugendführer Baldur von Schirach verfaßte und von Hans Otto Borgmann vertonte Hitler-Jugend-Lied „Vorwärts! Vorwärts! schmettern die hellen Fanfaren,   /   Vorwärts! Vorwärts! Jugend kennt keine Gefahren,  /  Deutschland, du wirst leuchtend stehn,   /  mögen wir auch untergehn“, das nicht nur in dem Film Hitlerjunge Quex (1934), sondern auch in der Reichsparteitagsdokumentation Triumph des Willens (1935) von Leni Riefenstahl an zentraler Stelle erklang. Viele dieser Marschlieder, denen meist ein scharf akzentuierter Rhythmus zugrunde lag, stützten sich dabei in ihren Texten auf Motive, die vornehmlich Bilder und Schlagwörter wie „Hakenkreuz“, „Hitlerfahnen“, „Trommeln“, „Sturm“, „lodernde Flammen“, „schaffendes Deutschland“, „rinnendes Blut“ oder „Todesbereitschaft“ umkreisten, um ihnen dadurch den Charakter des Kämpferischen zu geben. Schließlich hatte Rosenberg schon vor 1933 immer wieder erklärt, daß der „deutsche Lebenstil“ ein „Stil marschierender Kolonnen“ sein müsse. Doch dieser SA- und HJ-Elan ebbte mit den Jahren allmählich ab. Was nach 1934  /  35 auf diesem Gebiet in den Vordergrund trat, waren eher pathetisch intonierte Feierund Bekenntnishymnen, ins Faschistische transponierte ältere Soldatenlieder sowie all jene altdeutschen Volkslieder, die schon in der Wandervogel-Bewegung eine zentrale Rolle gespielt hatten. Lediglich in den Spielmanns- oder Musikzügen der Hitler-Jugend, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bestanden, dominierte weiterhin der „Stil marschierender Kolonnen“, zumal ihre Instrumente fast ausschließlich schmetternde Fanfaren und grob geschlagene Lands100  Nazifaschismus

knechtstrommeln waren. Hier ging es oft ebenso laut zu wie bei den von manchen SA-Gruppen um 1933  /  34 herausgebrüllten Marschliedern. Vor allem bei Umzügen oder Aufmärschen entstand dadurch ein geradezu mörderischer Lärm, der etwas Aufputschendes hatte und von vielen Jugendlichen als „begeisternd“, wenn nicht gar „hinreißend“ empfunden wurde. Dagegen erwiesen sich die Versuche einiger ideologisch besonders überspannter Nazifaschisten, auch die bronzezeitlichen Luren in den Dienst irgendwelcher parteiamtlicher Veranstaltungen oder theatralischer Darbietungen zu stellen, in denen das „Urgermanische“ zum Ausdruck kommen sollte, schon nach kurzer Zeit als gekünstelt und wurden daher – auf Anweisung des Propagandaministeriums – wieder eingestellt. Während der nazifaschistischen Lied-, Instrumental- und Marschmusik vor allem in den späten zwanziger Jahren und dann zu Beginn des Dritten Reichs, als es galt, der NSDAP zum Sieg und dann zur Durchsetzung ihrer „Ideale“ zu verhelfen, von den Kulturtheoretikern dieser Partei die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wurde, erfreute sich die „große Musik“ des „Kulturellen Erbes“ in allen Phasen der NS-Bewegung einer unverminderten Hochschätzung. Mit ihr wollten die dafür zuständigen Behörden sowohl die häufig apostrophierte „Weltgeltung“ der deutschen Musik herausstreichen als auch die gebildete Bourgeoisie davon überzeugen, daß es den „neuen Herren“ nicht nur um die Durchsetzung des Horst Wessel-Lieds, sondern ebenso sehr um die Hochachtung vor den musikalischen Meisterwerken der Vergangenheit gehe. An mustergültigen Aufführungen barocker, klassischer und romantischer Musik, ob nun unter der Stabführung von Karl Böhm, Karl Elmendorff, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan, Hans Knappertsbusch oder Clemens Krauss, war daher im Dritten Reich kein Mangel. Auch an Festspielen zu Ehren älterer Komponisten wurde keineswegs gespart. Ob nun in Konzertsälen, in Opernhäusern, in Kirchen, im Radio oder auf Schallplatten: überall ertönten im Dritten Reich Werke von Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Weber, Schumann, Brahms, Wagner und Bruckner. In den Schriften der ideologisch Übereifrigen, wie Friedrich Blume, Richard Eichenauer und Fritz Stege, wurde dabei gern auf die „nordische Disposition“ dieser Komponisten hingewiesen, welche ihrer Musik jene Größe verleihe, mit der kein fremdvölkischer Komponist konkurrieren könne. Doch das interessierte die meisten bilMusik  101

dungsbürgerlichen Hörer und Hörerinnen dieser Musik nur am Rande. Sie betraten auch nach 1933 die Konzertsäle mit der gleichen weihevollen Ehrfurcht, die sie bei solchen Anlässen seit eh und je beseelt hatte, ohne sich dabei irgendwelchen arisch-überspannten Hochgefühlen hinzugeben. Als besonders „nordisch gesinnt“ wurden sowohl von der NS-Musikkritik als auch von der NS-Musikwissenschaft vor allem Komponisten wie Bach, Beethoven, Weber, Wagner und Bruckner herausgestrichen. An Bach lobte man die kraftvoll-urgermanische „Zuversicht“ seiner Werke, an Beethoven den Zug ins „Heroische“ in seiner Eroica sowie seiner Egmont-Ouvertüre, an Weber das „Romantisch-Deutsche“ seines Freischütz, an Wagner die Vorliebe für altgermanische Mythen und an Bruckner die kaum zu überbietenden Monumentalität seiner neun weit ausladenden Symphonien. Da Hitler schon seit seinen „Wiener Lehrund Leidensjahren“, wie er in Mein Kampf behauptete, vor allem Wagner bewundert hatte, konzentrierten sich auch die ihm hörigen Musikkritiker vornehmlich auf diesen Komponisten, wenn sie das „Ur-Arische“ in den Hauptwerken der älteren deutschen Musik herausstellen wollten. Unter Absehung aller „revolutionären“ Züge in Wagners Frühwerk wurde dabei an diesem „Tonschöpfer“ meist seine Vorliebe für Germanisches, sein Antisemitismus, sein Antiliberalismus, sein Heroenkult sowie seine patriotische Nürnbergverklärung herausgestrichen, um ihn als einen der wichtigsten Vorläufer des Dritten Reichs feiern zu können. Vor allem Hitler selbst, der schon in den frühen zwanziger Jahren Kontakte zur Wagner-Familie in Bayreuth aufgenommen hatte, wies immer wieder auf Wagners Meistersinger mit ihrem „Wach auf “-Chor und ihrer Schlußansprache des Hans Sachs hin, in welcher dieser dem „welschen Tand“ die Größe der deutschen Kunst entgegengesetzt habe. Das gleiche tat Goebbels, der am 6. August 1933 die Pause einer Bayreuther Meistersinger-Aufführung dazu benutzte, in einer Radioansprache den „hinreißenden“ Charakter des „Wach auf “-Chors als ein „Symbol des Wiedererwachens des deutschen Volkes aus der politischen Narkose der Jahre nach dem November 1918“ hinzustellen. Während Rosenberg, wie schon Nietzsche, einige Bedenken gegen die „christlichen Züge“ in Wagners Denken anmeldete, ging man im Gefolge Hitlers sonst im Dritten Reich bedenkenlos dazu über, Wagners Musik zu allen nur möglichen parteiamtlichen Gelegenheiten auszu102  Nazifaschismus

17 Adolf Hitler mit Winifred, Wieland und Wolfgang Wagner im Garten der Villa Wahnfried in Bayreuth (1936).

schlachten. So diente der „Walkürenritt“ im zweiten Teil der Tetralogie Der Ring des Nibelungen gern als Begleitmusik für die in den Kriegswochenschauen gezeigten Stuka-Angriffe. Der Trauermarsch gegen Ende der Götterdämmerung wurde im Rundfunk häufig bei Todesfällen irgendwelcher NS-Größen gesendet. Die Meistersinger bildeten nicht nur den Höhepunkt des von Goebbels am 21. März 1933 anläßlich der erneuten Reichstagseröffnung mit allem nur denkbaren nazifaschistischen Pomp inszenierten Tags von Potsdam, sondern auch Jahr für Jahr den Hintergrund zur deutsch-völkischen Verklärung der Nürnberger Reichsparteitage. Der Rienzi, erklärte Hitler, habe ihm bewußt gemacht, daß auch er zum Volkstribun berufen sei. Ja, im Gral des Wagnerschen Parsifal sah Hitler, wie er in seinen Gesprächen mit Hermann Rauschning betonte, einen Kelch, in dem sich nicht das Blut Christi, sondern das „nordische“ Blut befinde. Um ihre Verbundenheit mit Hitler zu betonen, schenkten ihm daher führende Vertreter der deutschen Wirtschaft zu seinem 50. Geburtstag am 20. April 1939 die Partituren der Wagner-Opern Rienzi, Das Rheingold und Die Walküre. Musik  103

An Lobeshymnen auf Wagner oder andere bedeutende deutsche Komponisten war darum im NS-Schrifttum kein Mangel. Auf diesem Sektor nahmen manche Nazifaschisten den Mund besonders voll. Wenn sie dagegen auf die deutsche Musik ihrer eigenen Zeit zu sprechen kamen, äußerten sich die gleichen Musikkritiker meist wesentlich kleinlauter. Trotz angestrengter Bemühungen fanden sie hier wenig, auf das sie stolz sein konnten. Während in der Sowjetunion zur gleichen Zeit hochbedeutende Symphonien, Instrumentalkonzerte und Opern, darunter die von Dimitri Schostakowitsch, Sergej Prokofjew und Aram Katschaturian, entstanden, die sofort oder kurze Zeit später weltweite Anerkennung fanden, ist von den im Dritten Reich komponierten Werken kaum etwas ins Ausland gedrungen. Im Bereich der symphonischen Musik könnte man in dieser Hinsicht höchstens auf die Spätwerke Wilhelm Furtwänglers, wie seine 1944 entstandene, an Brahms anklingende 2. Symphonie, verweisen. Auch im Bereich der Oper hat sich außer einigen Werken von Richard Strauss, darunter seine Arabella (1933) und sein Capriccio (1942), fast nichts im Repertoire gehalten. Zugegeben, auch ein paar andere Opern, wie Rudolf Wagner-Régenys Der Günstling (1935), Werner Egks Die Zaubergeige (1935), Hermann Reutters Doktor Johannes Faust (1936), Ottmar Gersters Enoch Arden (1937) und Carl Orffs Der Mond (1939), erzielten im Dritten Reich kurzlebige Achtungserfolge. Aber mehr auch nicht. Angesichts der 175 Uraufführungen neuer deutscher Opern zwischen 1933 und 1943 war das – trotz vielfacher Anpreisungen und großer finanzieller Aufwendungen – ein mageres Ergebnis. Selbst die Nazigrößen waren von den meisten dieser Werke, die sich zu einer „stählernen Romantik“ bekennen sollten, immer wieder aufs Neue enttäuscht. Schließlich wichen auf diesem Sektor viele Komponisten häufig ins Märchenhafte, Phantastische oder Religiöse aus, das heißt bevorzugten Opernstoffe wie Melusina, Das Herzwunder, Das Lambertusspiel, Eulenspiegel oder Das Stuttgarter Hutzelmännchen, um sich ideologisch nicht allzu deutlich festlegen zu müssen. Es gab sogar manche, die darin in bildungsbürgerlicher Vereinzelung oder auch hochmütiger Distanzierung von allem „äußerlichen Getriebe“ einen Akt der Inneren Emigration sahen. Deshalb streiten sich einige Musikkritiker noch heute darüber, ob man die wenigen bedeutsameren Werke aus diesem Zeitraum, wie etwa Carl Orffs Oratorium Carmina burana (1937) 104  Nazifaschismus

18 Joseph Goebbels im Gespräch mit Franz Lehar (m.) und Bernhard Herzmanowsky (l.) auf dem 9. Komponistenund Autoren­ kongreß in Berlin (1936).

oder die Oper Friedenstag (1938) von Richard Strauss, als systemintegriert bezeichnen soll oder nicht. Daß diese Kompositionen von den NS-Musikkritikern zum Teil gelobt wurden, macht sie nicht unbedingt zu Werken, die sich als „nazifaschistisch“ bezeichnen lassen. Schließlich war auf diesem Sektor die „repressive Toleranz“ selbst dem Andersartigen gegenüber manchmal besonders groß. Dafür spricht auch, daß Goebbels sogar den deutschen Juden, die nach 1934 keine Mitglieder der Reichsmusikkammer mehr werden konnten, erlaubte, im Rahmen des Jüdischen Kulturbunds eigene Symphonieorchester und kammermusikalische Ensembles zu gründen, ja sogar Opern zu inszenieren. Und diese Chance nahmen die Musikinteressierten innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe auch sofort wahr. Dementsprechend veranstaltete dieser Kulturbund allein in dem halben Jahr zwischen dem 1. September 1934 und dem 30. Mai 1935 558 Konzerte und 57 Opernabende in rund 60 deutschen Städten. Besonders aktiv in dieser Hinsicht war der Berliner Kulturbund, der noch bis zum November 1940 im Theater in der Kommandantenstraße regelmäßig Opern Musik  105

oder Auszüge aus Opern aufführen ließ, und zwar zuerst fast ausschließlich deutsche Werke, bis ihm das verboten wurde und er sich auf italienische, russische oder französische Opern beschränken mußte. Auch im KZ-Vorzeigelager Theresienstadt erlaubten die NS-Behörden den nach dort verschleppten Juden, einen anspruchsvollen Konzertbetrieb aufzubauen. Nicht nur Symphoniekonzerte unter der Leitung von Karel Ančerl fanden in diesem Lager statt, es wurden sogar Opern wie Mozarts Entführung aus dem Serail, Verdis Aida, Puccinis La Bohème und Bizets Carmen von den Inhaftierten aufgeführt. Ja, selbst eine bedeutsame Oper wie Der Kaiser von Atlantis oder Der Tod dankt ab des SchönbergSchülers Viktor Ullmann, der kurz zuvor seine Oper Der zerbrochene Krug abgeschlossen hatte, wurde dort einstudiert, aber dann doch nicht gespielt, weil die Lagerleitung einen widersetzlichen Geist darin vermutete. Doch nun zu der im Dritten Reich prozentual am weitesten verbreiteten Musikform: der Unterhaltungsmusik. Sie verursachte anfangs einigen ideologischen Puristen innerhalb der NS-Elite durchaus Kopfschmerzen. Wie ließ sich diese Musikform – nach der angeblichen „Entwürdigung“ großer Teile der deutschen Musik ins UnterhaltsamMinderwertige während der Weimarer Republik – überhaupt mit den vielfach proklamierten Idealen einer „kulturellen Höherführung“ der deutschen Bevölkerung in Übereinstimmung bringen, fragte man sich in diesen Kreisen schon seit den späten zwanziger Jahren immer wieder? War nicht eine solche Musik von vornherein viel zu „niedrig“, viel zu frivol, viel zu kosmopolitisch, um sie in den Dienst einer „rassischen Aufartung“ der deutschen Nation zu stellen? Herrschte hier nicht das Gedankenlose, wenn nicht gar „Dusselige“ oder zumindest „Duselige“ vor, das im Prinzip unpolitisch, wenn nicht gar „entartet“ war? Um einer solchen Kritik von vornherein entgegenzutreten, versuchte ein auf Breitenwirksamkeit bedachter Pragmatiker wie Goebbels auch diese Kunstform sofort nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten in den Dienst des neuen Reichs zu stellen. Er verbat sich von Anfang an, das Unterhaltungsbedürfnis der „breiten Massen“ als etwas zu bezeichnen, dem man keine Beachtung zu schenken brauche, da man sonst in ein sektiererisches Abseits geraten würde. Also unterstützte er nicht nur die „hohe Musik“, sondern ebenso nachdrücklich die sogenannte U-Musik, mit anderen Worten: all das, was in den Bereich der Operette, 106  Nazifaschismus

der Tanzmusik und des Schlagers gehörte. Aufgrund dieser Einstellung erklärte er schon 1933, um einer möglichen Kritik der nordischgestimmten Fanatiker innerhalb der NSDAP zuvorzukommen: „Um der Langeweile und Trübsal entgegenzuwirken, wollen wir das Schaffen des kleinen Amüsements keineswegs unterdrücken. Man soll nicht von früh bis spät Gesinnung machen.“ Später wurde er in dieser Hinsicht sogar noch deutlicher und gab in aller Offenheit zu, daß er auf diesem Gebiet – falls es die Mehrheit der Bevölkerung so wünsche – selbst „gegen Kitsch im allgemeinen nichts einzuwenden“ habe. Allerdings hatte Goebbels dabei ein unpolitisches „Amüsement“ im Sinn, das durchaus politisch gemeint war, nämlich die sogenannten breiten Massen der deutschen Bevölkerung bei „guter Laune“ zu halten, das heißt ihnen die Möglichkeit kultureller Freiräume zu bieten, in denen sie nicht immer über die Mühsal des Alltags oder die Anforderungen der Partei nachzudenken brauchten. Aus diesem Grund sah er selbst in ideologisch hanebüchenen Schlagern eine „politisch sinnvolle Unterhaltung“, die man genauso ernst nehmen solle wie die sogenannte hohe Musik. Ja, er beteiligte sich sogar persönlich an der Komposition neuer Schlager, indem er Melodielinien änderte oder neue Textideen einbrachte, wie Norbert Schultze, einer der beliebtesten Schlagerkomponisten dieser Ära, später berichtete. Nach den ersten Niederlagen der NSWehrmacht, als halb Deutschland bereits in Trümmern lag, ließ Goebbels deshalb 1943 zur Unterstützung solcher „aufheiternden“ Tendenzen sogar einen Wettbewerb für „optimistisch stimmende Schlager“ ausschreiben, den Franz Grothe mit dem Titel „Wir werden das Kind schon richtig schaukeln“ gewann. Grob gesprochen, läßt sich über die Schlagerproduktion der Jahre nach 1933 Folgendes sagen: Obwohl die Musikindustrie – im Gegensatz zur Filmindustrie – im Dritten Reich nicht verstaatlicht wurde, das heißt vorwiegend Konzernen wie Deutsche Grammophon AG, Telefunken und Electrola gehörte, vollzog sich die Verbreitung solcher Werke weitgehend unter der Kontrolle der NSDAP. Schließlich gehörten zu den populärsten Schlagern dieses Zeitraums auch all jene Tonfilmschlager, die in den staatlich gelenkten Unterhaltungsfilmen des Dritten Reichs eine zentrale Rolle spielten und Sängern wie Hans Albers, Johannes Heesters und Heinz Rühmann sowie Sängerinnen wie der Ungarin Marika Rökk, der Chilenin Rosita Serrano und der Schwedin Zarah Musik  107

Leander einen kaum zu überbietenden Bekanntheitsgrad verliehen. Auf diesem Gebiet, wie auch hinsichtlich der Unterhaltungssendungen des Rundfunks, in denen oft die gleichen Schlager erklangen, hatte also die Partei durchaus ein Mitspracherecht, das sie weidlich zu nutzen wußte. Allerdings waren dies meist Schlager, die nicht mehr jenen „frechen“ oder auch „schlüpfrigen“ Ton hatten, wie die Songs und Schlagertexte eines Friedrich Holländer, Marcellus Schiffer, Mischa Spoliansky oder Kurt Tucholsky aus der Mitte der zwanziger Jahre, sondern die im Sinne der altbewährten Brust-Lust- oder Herz-Schmerz-Thematik wieder die gängigen Illusionen oder auch Glücksmomente der „großen Liiiebe“ beschworen. Dafür sprechen unter anderem Schlagertitel wie „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“, „Schön ist jeder Tag“, „Laß mir doch meine Träume“, „Du bist die Welt für mich“, „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“, „Bei dir war es immer so schön“, „Für eine Nacht voller Seligkeit, da geb ich alles hin“, „Sing mir was, tanz mit mir“ oder „Ich hab dich und du hast mich, was brauchen wir noch mehr“, zu deren Komponisten vor allem Werner Bochmann, Franz Grothe, Michael Jary, Werner Kleine, Peter Kreuder, Eduard Künneke, Theo Mackeben, Willi Meisel und Norbert Schultze gehörten. Die Hauptaufgabe dieser auf die Schlagerproduktion geeichten Traumfabrikanten war es, im Sinne der „weichen Welle“ der NS-Propaganda der sogenannten breiten Masse der deutschen Bevölkerung mit derartigen Schnulzen das Gefühl zu geben, im Zustand einer gesellschaftlichen Normalität zu leben, in dem sich zwar auf politischer Ebene manches geändert habe, wo jedoch auf privater Ebene alles beim alten geblieben sei. Aus diesem Grund wurden im Bereich der Schlagerindustrie sogar Zugeständnisse an den in der hohen Musik verpönten Jazz gemacht. Selbst kritische Äußerungen von Seiten des Amts Rosenbergs, welches immer wieder monierte, daß in manchen Lokalen und Bars „jede Menge Swing und Jazz“ gespielt werde, konnten dagegen nichts ausrichten. Von solchen kritischen Einwänden ließ sich Goebbels keineswegs beirren. Er erklärte im Oktober 1941 in einer Rede vor der Hitler-Jugend, daß in „einer Zeit, in der der gesamten Nation schwere Lasten und Sorgen aufgebürdet würden“, die beschwingte und damit aufheiternde „Unterhaltung“ einen besonders hohen Stellenwert habe. Ja, kurz darauf vertraute er seinem Tagebuch sogar an: „Die gute Laune 108  Nazifaschismus

ist ein Kriegsartikel. Unter Umständen kann sie nicht nur kriegswichtig, sondern auch kriegsentscheidend sein.“ Schon diese knappen Hinweise auf die Musikpolitik im Dritten Reich beweisen wohl zur Genüge, daß es auch in diesem Bereich relativ schwer ist, von einer kohärenten NS-Ideologie zu sprechen. Rassischüberspannte Forderungen und bildungsbürgerliche Stellvertretungsansprüche stehen hier unvermittelt neben pragmatischen Anpassungsmanövern an den Geschmack der „breiten Massen“. Nirgends scheint sich eine ideologische Übereinstimmung zu ergeben. Und doch laufen letztlich selbst auf diesem Gebiet die unterschiedlichsten Tendenzen – im Zuge schichtenspezifischer Strategien – immer wieder auf das Gleiche, nämlich ein möglichst vielgestaltiges Angebot hinaus, innerhalb dessen es zwar keine linken, jüdischen oder allzu modernistischen Werke mehr gab, aber bei dem weiterhin so viel übrig blieb, daß sich die jeweiligen Bevölkerungsschichten – gemäß ihrer verschiedenartigen Geschmacks­ präferenzen – das zu ihnen Passende heraussuchen konnten. Literatur

Für die propagandistischen Absichten der Nazifaschisten ließen sich, wie sie selbst immer wieder betonten, die visuellen und akustischen Kunstformen auf kulturellem Gebiet wesentlich besser gebrauchen als die textgebundenen der Literatur. Schließlich setzen Gedichte, Erzählungen und Romane stets eine individuelle Rezeption voraus. Ja, selbst Dramen werden entweder von Einzelnen gelesen oder im Theater von kleineren Gruppen wahrgenommen. Repräsentative Bauten, Skulpturen, Plakate, massenhaft reproduzierte Bilder, Rundfunksendungen, Filme, Schlager und Marschmelodien wenden sich dagegen stets an größere Bevölkerungsgruppen, wenn nicht gar an alle Menschen innerhalb eines bestimmten Staates. Dieser Aspekt fehlt jedoch auf literarischem Gebiet. Dennoch unterwarfen die 1933 an die Macht gekommenen NS-Kulturverantwortlichen auch die Literatur bzw. die „Dichtung“ oder das „Schrifttum“, wie sie diesen Bereich im Zuge ihrer auf vielen Gebieten einsetzenden sprachlichen „Eindeutschung“ nannten, einer genauen staatlichen Kontrolle. Sie überführten zwar die vielen privatwirtschaftlichen Buchverlage nicht in „Gemeineigentum“, griffen aber immer wieLiteratur  109

der mit Zensurmaßnahmen – vor allem von Seiten des Zentrallektorats im Amt Rosenberg, dessen Leiter Hellmuth Langenbucher war – in die laufende Produktion ein und verfügten zugleich, daß jeder auf diesem Gebiet tätige Verleger, Buchhändler oder Autor Mitglied der Reichsschrifttumskammer sein mußte. Während im Literaturbetrieb der Weimarer Republik neben dem Roman auch die Lyrik noch eine beachtliche Rolle gespielt hatte, nahmen daher der Umfang und die Bedeutung dieser beiden Schrifttumsgattungen in den Jahren nach 1933 eher ab. Manche der ideologisch übereifrigen NS-Kulturtheoretiker fanden ihre Wirkung entweder nicht zündend oder nicht breitenwirksam genug. Sie erwarteten von der Kunst keine sich im Privatbereich abspielenden intellektuellen Verarbeitungsprozesse, sondern massenbewegende Emotionen. Und solche Gefühle glaubten sie durch Bilder und Klänge wesentlich leichter in Gang zu setzen als durch langwierige, sich im Bereich des Individuellen abspielende Lesevorgänge, die keinen „gemeinschaftsstiftenden“ Charakter hätten. Aber trotz derartiger Überlegungen sahen sie ein, daß man selbst auf diesem Sektor nichts unversucht lassen sollte, um außer den Theaterbesuchern auch die Romanleser und Lyrikfreunde in ihrem Sinne zu beeinflussen. Und zwar begannen sie dabei – vor allem im Bereich der „höheren Kultur“ – erst einmal mit der Ausschaltung, ja Ausmerzung sämtlicher Autoren, die sie als „kulturbolschewistisch“, „modernistisch“ oder „jüdisch“ empfanden, um so auch auf diesem Sektor eine „Reinigung ins Artgemäße“ vorzunehmen. All jene Schriftsteller, die in ihren Büchern, Manifesten oder Essays seit 1918 mit novembristischem, expressionistischem, dadaistischem, proletarisch-revolutionärem oder auch nur liberalem Elan für eine Veränderung der politischen und sozialen Verhältnisse ins Linksgerichtete eingetreten waren, hatten dementsprechend schon im Februar  /  März 1933 mit scharfen Repressionsmaßnahmen von Seiten des neuen Regimes zu rechnen. Viele von ihnen wichen daher umgehend ins Exil aus, um nicht im Zuge der staatlich-verordneten „Schutzvorkehrungen“ eingekerkert zu werden. Dazu gehörten vor allem jene Autoren, die sich in ihren Schriften politisch wesentlich „konkreter“ ausgedrückt hatten als die Maler auf ihren Bildern oder die Komponisten in ihren musikalischen Werken. Ihnen traten deshalb die Nazifaschisten schon in der Anfangszeit des Dritten Reichs mit einer Reihe von Ausschluß- oder 110  Nazifaschismus

Gewaltmaßnahmen entgegen, welche zum Teil fast noch schärfer waren als jene Behinderungen oder Berufsverbote, denen sich andere nicht­ systemkonforme Künstler ausgesetzt sahen. Bereits kurz nach der Machtübergabe an Hitler kam es demzufolge auf diesem Gebiet zu unverzüglichen Verhaftungen, Ausbürgerungen sowie zur Aufstellung „Schwarzer Listen“ mit den Namen derjenigen Autoren, welche von nun an als „unerwünscht“ oder „volksschädlich“ galten. Ihren ersten Höhepunkt erlebten diese Aktionen am 10. Mai 1933, als in vielen deutschen Universitätsstädten, darunter Berlin, Breslau, Göttingen, Köln, Frankfurt, Hamburg, München und Würzburg, öffentliche Bücherverbrennungen stattfanden, die meist von nazifaschistischen Studentengruppen veranstaltet wurden und bei denen besonders fanatisierte Professoren wild entflammende Brandreden hielten. Unter dem Gejohle der umstehenden Menge und zu den Klängen von SA- und SS-Kapellen wurden dabei neben Büchern von Karl Marx, Karl Kautsky, Sigmund Freud, Magnus Hirschfeld, Emil Ludwig, Theodor Wolff, Alfred Kerr und Carl von Ossietzky, in denen es vornehmlich um „Aufreizung zum Klassenkampf “, „seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens“, „volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung“, „dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache“ sowie „Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten“ gegangen sei, auch die Werke bekannter Schriftsteller der Weimarer Republik, unter anderem von Lion Feuchtwanger, Ernst Glaeser, Erich Kästner, Heinrich Mann, Ernst Ottwalt, Theodor Plivier, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky und Arnold Zweig, den Flammen übergeben. Entgegen der „schmählichen Erniedrigung“ des deutschen Geistes in all diesen Büchern, wie es in den jeweiligen Brandreden und Feuersprüchen hieß, an denen sich in Berlin auch Joseph Goebbels, Alfred Bäumler und Fritz Hippler, der spätere Regisseur des Films Der ewige Jude, beteiligten, sollten in Zukunft auch im deutschen „Schrifttum“ wieder „Zucht und Sitte“, der „Adel der menschlichen Seele“, die „Erziehung des Volks im Geiste der Wehrhaftigkeit” sowie das „Streben nach Volksgemeinschaft und idealistischer Lebenshaltung“ den Ton angeben. Zugleich stellten ideologisch übereifrige Studenten auf anderen Plätzen sogenannte „Schandpfähle“ auf, an welche die Bücher der gleichen Autoren angenagelt wurden. Ja, zehn Tage später meldete die Berliner Polizei voller Stolz, daß sie in Buchhandlungen, Verlagen und GroßsorLiteratur  111

timenten rund 10 000 Zentner „marxistischer“ Bücher und Zeitschriften beschlagnahmt habe. Weitere Maßnahmen dieser Art ließen nicht lange auf sich warten. So wurden – unter Mitarbeit von Hanns Johst, Paul Kluckhohn und Bruno E. Werner – die „Schwarzen Listen“ all jener Bücher, die in Zukunft nicht mehr verkauft werden durften, immer länger und beliefen sich schließlich auf 6 843 Titel, was vor allem vom NS-Lehrerbund und der Reichsführung der Hitler-Jugend lebhaft begrüßt wurde. Außerdem forderten am 16. Mai 1933 die NS-Behörden alle öffentlichen Bibliotheken auf, die von ihnen beanstandeten Bücher „volksschädlicher“ Schriftsteller aus ihren Beständen „auszusäubern“. Neben bekannten Sowjetautoren wie Maxim Gorki, linken US-Schriftstellern wie Jack London und Upton Sinclair sowie einem französischen Antikriegsromancier wie Henri Barbusse gehörten dazu im Bereich der deutschen Literatur unter anderem Autoren wie Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Klaus Mann, Ludwig Renn, Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Ernst Toller, Jakob Wassermann, Franz Werfel und Stefan Zweig – also wiederum vor allem Linke und Juden. Was diesen „Kommunistenfreunden“, „Asphaltliteraten“, „semitischen Konjunkturerotomanen“ und „Dekadenzschriftstellern“ sowie all jenen Autoren, welche die NS-Behörden – unter aktiver Beteiligung von Gottfried Benn – bereits im März 1933 aus der Preußischen Dichterakademie entfernt hatten, vorgeworfen wurde, waren sowohl „kulturbolschewistische Zersetzung“ und „pazifistische Verweichlichung“ als auch „widerliche Obszönität“. Diesen „Burschen“, schrieb damals Will Vesper, der Herausgeber der NS-Zeitschrift Neue Literatur, triumphierend, ist es jetzt endlich verboten worden, „unser Volkstum weiterhin mit der Jauche ihrer Literatur zu vergiften“. Nach diesen radikal durchgeführten „Säuberungsmaßnahmen“ erfolgte im Spätherbst 1933 die Gründung der Reichsschrifttumskammer, als deren ersten Präsidenten Goebbels den „völkisch“ gesinnten Romanautor Hans Friedrich Blunck berief. Die Richtlinien dieser Kammer galten für alle öffentlichen Bibliotheken, den Börsenverein des deutschen Buchhandels wie auch für sämtliche Verlage, Sortimente, Antiquariate, Buchgemeinschaften und Leihbibliotheken. Außerdem durften von nun an nur noch jene 3 000 Autoren publizieren, die eingetragene Mitglieder dieser Kammer waren und deren Zahl bis zum Jahr 1941 auf 5 000 anstieg. Urkundlich belegt, gehörten dieser Organisation 5 000 112  Nazifaschismus

Verleger, 7 000 Buchhändler, 10 000 Verlags- und Buchhandelsangestellte, 2 500 Leihbüchereihändler, 3 200 Buchvertreter, 1 500 Volksbibliothekare und 400 Lektoren, also fast 35 000 Literaturbeflissene an. Um Mitglied in dieser Kammer zu werden, war zwar keine Parteizugehörigkeit, aber seit 1934 ein staatlich beglaubigter „Ariernachweis“ erforderlich. Wer kein reinrassiger „Arier“ war, sondern als „Semit“ eingestuft wurde, durfte von nun an, obwohl sich Blunck anfänglich gegen eine derartige Diskriminierung ausgesprochen hatte, seine Schriften nur noch in einem Verlag des Kulturbunds deutscher Juden bzw. des späteren Jüdischen Kulturbunds herausbringen, der über 25 eigene Verlagshäuser verfügte, die bis 1938 etwa 1 000 Bücher herausbrachten. Worin allerdings der Inhalt der neuen „nationalgesinnten Literatur“ zu bestehen habe, wurde in den Richtlinien der Reichsschrifttumskammer nicht genau definiert. Antifaschistisches war selbstverständlich von vornherein ausgeschlossen. Doch ansonsten verfuhr Goebbels – wiederum im Gegensatz zu dem wesentlich strikter denkenden Rosenberg – auch auf diesem Gebiet relativ tolerant, da ihm die Literatur als Propagandainstrument nicht so wichtig erschien wie die Massenmedien Rundfunk und Film, an deren Aussäuberung und ideologischer Ausrichtung er einen wesentlich größeren Anteil nahm. Demzufolge war zwar in den Verlautbarungen der Reichsschrifttumskammer auch von der durch dichterische Mittel herbeizuführenden „Volksgemeinschaft“ die Rede, aber eine gewaltsame „Gleichschaltung“ wurde auf diesem Gebiet keineswegs angestrebt. So förderte etwa Goebbels selbst ehemalige Expressionisten wie Gottfried Benn, Arnolt Bronnen und Hanns Johst, die allerdings bereits in der späten Weimarer Republik von ihren früheren Vorstellungen abgerückt waren. Ja, Hanns Johst ernannte er später – nach dem Rücktritt von Hans Friedrich Blunck – sogar zum federführenden Präsidenten der Reichsschrifttumskammer. Doch nicht nur das. Auch einer Fülle nichtfaschistischer und religiös gesinnter Autoren ließ er durchaus freie Hand. In Einzelfällen verteidigte er sie sogar gegen Angriffe im SS-Blatt Das schwarze Korps oder in Rosenbergs Die Bücherkunde, um nicht als allgewaltiger Diktator dazustehen und dadurch die ältere Bildungsbourgeoisie gegen sich aufzubringen. Oft genug ging es ihm als geschicktem Taktiker auf diesem Gebiet eher um das literarische Prestige oder die massenwirksame Anziehungskraft bestimmter Autoren als um deren politische Einstellung. Dementsprechend hätte er es beiLiteratur  113

spielsweise gern gesehen, wenn ein von vielen Konservativen hochgeschätzter Dichter wie Stefan George, der noch kurz zuvor in seinem Gedichtband Das neue Reich den „verruchten Jahren“ der Weimarer Republik aufs schärfste entgegengetreten war, den Vorsitz der Deutschen Dichterakademie übernommen hätte, was dieser jedoch ablehnte. Ebenso sehr schmerzte es ihn, daß sich der militante Nationalist Ernst Jünger nach 1933 weitgehend aus der Öffentlichkeit in eine Art aristokratischer Innerer Emigration zurückzog und sogar, wie Stefan George, eine Berufung an die Deutsche Akademie der Dichtung ablehnte, um nicht in den Augen seiner Leser mit „zweitrangigen“ Autoren und Autorinnen wie Werner Beumelburg, Hans Carossa, Hans Grimm, Erwin Guido Kolbenheyer, Agnes Miegel, Wilhelm Schäfer, Hermann Stehr, Emil Strauß oder Will Vesper verwechselt zu werden, welche sich in dieser Akademie rückhaltlos zum neuen Staat bekannten. Was von den neuen Mitgliedern dieser Akademie wie auch dem Führungsgremium der Reichsschrifttumskammer als Manifestationen der „Neuen deutschen Dichtung“ hingestellt wurden, waren erst einmal Bekenntnisse zu Adolf Hitler als der „höchsten Inkarnation der deutschen Volksseele“. Er, hieß es in ihnen immer wieder, habe sich mit vorbildlicher Entschiedenheit sowohl von dem „oberflächlichen Materialismus“ der Kommunisten als auch dem „heillosen Intellektualismus“ der jüdischen Rasse abgewandt und wieder einen Blick in die „Tiefe“ der nordischen Gemütsabgründe geworfen. In Hitler, der als Erlöser „mitten aus dem Volke komme“ und um den sich heute „alle scharen“, dichtete beispielsweise Otto Bangert, „sehen wir daher unseren einzig möglichen Retter“. Im Neuen Reich, ereiferte sich Hanns Johst, seien „Führer und Volk“, die sich so lange fremd gegenüber gestanden hätten, endlich wieder vermählt worden. Um Hitler, in dem des „Volkes Herze“ schlage, bekannte Ina Seidel, „stehn wir alle einig“. Laß „sein Werk das unsre“ und „unser Werk das seine sein“, hieß es bei Hermann Claudius. „Hitler“, erklärte Will Vesper, sei als „tüchtigster Sohn“ Deutschlands aus des „Volkes Mitte“ emporgestiegen und gleiche heute einem Herzog, der wie in altgermanischer Zeit „vor dem Heer einherziehe“. Er habe sich zu jenem „Kämpfer“ entwickelt, lesen wir bei Hans Carossa, der unser aller „Schicksal“ trägt. In ihm werde deutlich, beteuerte Hermann Stehr, daß sich ein Volk „nur unter der Herrschaft eines sinnvollen Willens, als Gefolgschaft des Führers zu erfüllen und zu erhalten vermag“. Ja, Her114  Nazifaschismus

19 Hans von Norden: Postkarte (kurz nach 1933).

mann Burte schrieb mit geradezu religiös-verzücktem Zungenschlag: „Es ist ein neuer Mann gekommen, tief aus dem Volke, er hat neue Tafeln aufgestellt, und er hat ein neues Volk geschaffen, aus derselben Tiefe emporgeholt, woher die großen Gedichte steigen: Von den Müttern her, von Blut und Boden her.“ Und Hitler ließ sich solche Lobhudeleien und Ergebenheitsadressen selbstverständlich gern gefallen, ja förderte sie sogar, um sich immer stärker mit dem Nimbus der Unfehlbarkeit zu umgeben. Wenn schon der Nazifaschismus als Ideologie kein wirkliches Zentrum hatte, sondern weitgehend aus geschickt taktierenden Maßnahmen bestand, mit denen er seine ideologischen Absichten durchzusetzen versuchte, dann sollte das neue Reich wenigstens in der überragenden Größe seiner Person einen unumgänglichen Fixpunkt haben. Demzufolge fiel Hitler im Rahmen dieses Systems geradezu zwangsläufig die Rolle zu, durch sein persönliches Auftreten, seine pompöse Rhetorik, seine herrischen Gebärden sowie seine salomonisch-vereinfachten Spruchweisheiten selbst den eklatantesten Widersprüchen innerhalb der NS-Ideologie den Anschein einer inneren Logik zu verleihen. Doch allein auf dem Prinzip „Das Volk wird erst Volk, wenn es folgt“, wie es Friedrich Nietzsche formuliert hatte, ließ sich keine neue Literatur aufbauen. Neben den vielfach propagierten Autoritätsglauben mußLiteratur  115

ten daher noch eine Reihe anderer Werte treten, um sich nach 1933 in seinen Werken als national-gesinnter „Dichter“ auszuzeichnen. Da sich der Nazifaschismus vornehmlich als eine „Wiedererweckung“ und nicht als eine revolutionäre „Umwälzung“ verstand, kamen diese Leitvorstellungen fast ausschließlich aus der weltanschaulichen Vorratskammer jener „Völkischen Opposition“, die bereits seit der Gründung des Zweiten Reiches – im Zeichen von Stammesbewußtsein, Reinrassigkeit, Großstadthaß und Schollebewußtsein – gegen den „zivilisatorischen Ungeist“ der rapide zunehmenden Industrialisierung und Vergroßstädterung Deutschlands aufgetreten war. Und auch die literarische Einkleidung dieser Werte, ob nun in Form des chronikartig angelegten Erzählromans, der feierlichen Vaterlandslyrik oder des weihevollen Dramas, wurde weitgehend aus diesen Bereichen entlehnt und als Wiederauferstehung einer seit Urzeiten bestehenden, aber zeitweilig verschütteten wahrhaft deutschen Dichtung hingestellt. Daher ist auch im Bereich der Literatur, wie schon in der Malerei und Musik, in den Jahren zwischen 1933 und 1945 weder formal noch inhaltlich irgendetwas spezifisch Neues oder gar Avantgardistisches zu erwarten. Die nazifaschistische „Dichtung“ wollte nichts „umstürzen“, sondern vor allem dazu mithelfen, die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder so zu gestalten, daß sie nicht mit dem seit eh und je bestehenden artgemäßen Deutschtum in Widerspruch geraten würden. Deshalb vernimmt man in den ersten Monaten des Dritten Reichs lediglich bei den Autoren des äußersten linken Flügels der NSDAP einige halbwegs „revolutionäre“ Töne, die jedoch schon im Herbst 1934, nach der von Hitler angeordneten Liquidierung der Röhm-Strasser-Gruppe, wieder größtenteils unterdrückt wurden. Dementsprechend breitete sich auch im NS-Schrifttum – trotz der anfänglichen Führerverherrlichung und kämpferischen Aufbruchsgesinnung – im Laufe der dreißiger Jahre eine eher traditionsverhaftete Dichtung aus, in der man all jenen Formen und Inhalten wiederbegegnet, die bereits in manchen Werken der bürgerlichrealistischen Literatur des 19. Jahrhunderts sowie der nationalistischorientierten Literatur der Jahrhundertwende eine zentrale Rolle gespielt hatten. Daß Goebbels, als „treuer Diener seines Herrn“, dieser Entwicklung – im Sinne seiner auf kulturelle Nahziele gerichteten Strategien – nicht entgegentrat, sondern sie eher begrüßte, war zu erwarten. Schließlich wollte er, wie Hitler, der deutschen Bevölkerung erst einmal 116  Nazifaschismus

einreden, daß die NSDAP zwar einen „Reinigungsprozeß“, aber keine totale Umwälzung in Gang setzen wolle. Und das wurde von der bürgerlichen Mehrheit der an Kunst Interessierten, die aufgrund solcher Parolen die barbarischen Fernziele der Nazifaschisten weitgehend aus den Augen verloren und sich von der neuen Regierung – angesichts der Gefahren einer kommunistischen Bedrohung – vor allem eine Festigung ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Positionen versprachen, auch durchaus geglaubt oder zumindest wohlwollend toleriert. Die eigentliche Parteidichtung spielte daher im Dritten Reich bei weitem nicht jene Rolle, welche ihr später – im Zuge der sogenannten Vergangenheitsbewältigung nach dem Untergang des Dritten Reichs – bei der mit schlechtem Gewissen betriebenen Herausstellung der spezifisch deutschgläubigen oder gar rassistischen Komponenten innerhalb der NS-Literatur oft beigemessen wurde. Ideologisch wohl am nachdrücklichsten kam sie in jenen Hymnen und Marschliedern zum Ausdruck, die anfänglich für die SA, das Jungvolk, die Hitler-Jugend, den Bund Deutscher Mädel und den Reichsarbeitsdienst geschrieben und vertont wurden. Die ersten Texte dieser Art verfaßte Dietrich Eckart, Hitlers früher Mentor und Gründungsredakteur des Völkischen Beobachters. Vor allem sein Lied Deutschland erwache! wurde umgehend von der SA, die dem Ganzen noch die Parole „Juda verrecke!“ anfügte, als „Sturmlied“ aufgegriffen. Ebenso effektiv erwies sich das 1929 entstandene Horst Wessel-Lied „Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen. / SA marschiert mit ruhig festem Schritt“, das seit Juli 1933 zur zweiten Nationalhymne des Dritten Reichs aufstieg. Dagegen wurde das Lied „Es zittern die morschen Knochen“ von Hans Baumann, das auf den berüchtigten Refrain „Denn heute gehört uns Deutschland / und morgen die ganze Welt“ hinausläuft, vor allem von den Fähnleins, Stämmen und Zügen der Hitler-Jugend gesungen. Hinter der Beschwörung marschierender Kolonnen tauchte dabei in vielen dieser Lieder an zentraler Stelle häufig das ins Heroische gesteigerte Bild Hitlers auf. Hierfür sprechen Zeilen wie: „Brüder, Hitler führet euch, / mit uns zieht das Dritte Reich!“, „Vorwärts, frisch zum Streit, / Adolf Hitler findet uns zum Kampf bereit“, „Die heut marschieren in den erznen Haufen, / Wir fragen nicht, wir sind des Führers Faust“ oder „Aus tausend Augen glomm das letzte Hoffen! / Aus tausend Herzen brach der stumme Schrei: / Den Führer! Knechte uns! Herr, mach uns frei!“ Doch solche Literatur  117

Töne, in denen noch der Geist der frühen Kampfjahre der SA nachklang, ebbten – wie so viele nazifaschistische Kampfparolen – schon während der Stabilisierungsphase des Dritten Reichs in den mittdreißiger Jahren wieder merklich ab. Noch deutlicher läßt sich diese Entwicklung im Hinblick auf das Thingspiel beobachten, mit dem vor allem einige der alten völkischoder arischgesinnten Rosenberg-Anhänger innerhalb der NSDAP nach 1933 große Hoffnungen verbanden, das jedoch Hitler und Goebbels schon kurze Zeit später als „volksfremd“ empfanden und wieder in den Hintergrund drängten. Die damals bekannteste, von Werner March entworfene Thingspielstätte war die Dietrich Eckart-Bühne bei Berlin, auf der 1934 vor 20 000 Zuschauern mit Hunderten von Mitwirkenden Richard Euringers Deutsche Passion aufgeführt wurde, die jedoch – in Form eines nationalsozialistischen Gottesdienstes – in ihrer halb revolutionären, halb pseudoreligiösen Verklärung Hitlers als des Erretters der deutschen Nation aus tiefster Erniedrigung sowohl bei den Kirchenführern als auch bei Hitler selber Bedenken erweckte. Nachdem Autoren wie Rudolf Ahlers, Otto Erler, Kurt Heynicke, Eberhard Wolfgang Möller und Heinrich Zerkaulen noch einige ritualistisch vereinfachte Texte zu diesem Genre beigesteuert hatten, die Goebbels zum Teil als „nordischen Kitsch“ empfand, wurde deshalb diese Form des NS-Dramas, der anfangs noch die Erwartungen auf eine „zweite Revolution“ zugrunde lagen, im Jahr 1937 wieder offiziell eingestellt. Demzufolge siegte letztlich auch auf diesem Sektor das bildungsbürgerliche Traditionsbewußtsein über die Tendenz zu volkhaftem Aufbegehren. Statt das die „breiten Massen“ ergreifende Thingspiel zu fördern, unterstützten die Goebbels unterstellten NS-Kulturverantwortlichen lieber die bereits bestehenden staatlichen und kommunalen Theater, wo vorwiegend die Werke der Klassiker der Weltliteratur sowie die bekanntesten Dramen und Lustspiele der deutschen Literatur aufgeführt wurden, mit denen die neuen Herren das theaterinteressierte Bürgertum von der kulturellen „Dignität“ des neuen Regimes zu überzeugen versuchten. Und dieses Bestreben führte auch zu den gewünschten Ergebnissen. Den gesellschaftlichen Meinungsträgerschichten innerhalb der deutschen Bevölkerung, welche die Thingspiele an die von ihnen verachteten Formen des älteren Gewerkschafts- oder SPD-Theaters gemahnten, kam diese Entwicklung selbstverständlich sehr gelegen. Aus diesem Grunde 118  Nazifaschismus

20 Richard Schwarzkopf: Deutsche Passion (1936).

beließen es die für diesen Bereich verantwortlichen NS-Größen weitgehend bei brillant inszenierten Theateraufführungen altbewährter Stücke, in denen beliebte Schauspieler und Schauspielerinnen wie Gustav Gründgens, Heinrich George, Emil Jannings sowie Käthe Dorsch, Käthe Haack und Marianne Hoppe in ihren Glanzrollen auftreLiteratur  119

ten konnten. Was dagegen an neuverfaßten Stücken zur Aufführung kam, wurde von der Mehrheit der bildungsbürgerlichen Schichten kaum beachtet und erfuhr daher auch von Seiten der Reichskulturkammer keine besondere Unterstützung. Lediglich Hanns Johsts nationales Aktionsdrama Schlageter konnte 1933 einen gewissen Erfolg für sich verbuchen. Doch dann trat auch diese Form des Dramas – trotz der vorübergehenden Bemühungen Curt Langenbecks, Eberhard Wolfgang Möllers und Hans Rehbergs – wieder in den Hintergrund. Wesentlich ernster nahmen dagegen die NS-Dichtungstheoretiker die Gattung des Romans. Schließlich war der Roman – neben gewissen Liedtexten – seit dem 18. Jahrhundert die populärste Literaturgattung schlechthin und erreichte erheblich breitere Bevölkerungsschichten als die Buchlyrik, das Versepos oder das Theaterstück. Allerdings gilt es dabei zwischen einer Reihe höchst unterschiedlicher Romangenres zu unterscheiden, die man nicht über einem Kamm scheren sollte. Zugegeben, es gab in dieser Gattung auch sogenannte publikumsnahe Bestseller, deren Lesepublikum sich – soziologisch gesehen – nur schwer bestimmen läßt. Aber bei der Mehrheit der publizierten Romane hatten die jeweiligen Autoren und ihre Verleger stets von vornherein eine klar überschaubare Leserschaft im Auge. Nicht alle Romane, so „populär“ sie oft hingestellt wurden, waren daher massengreifende, sondern eher schichtenspezifische Phänomene. Und das wußten auch die NS-Verantwortlichen auf diesem Gebiet sehr genau, selbst wenn sie es aus ideologischen Gründen nur ungern zugaben. Dementsprechend schenkten die zuständigen Zensurbehörden sogar diesem Genre eine relativ genaue Aufmerksamkeit und förderten vor allem Werke, von denen sie sich, ob nun direkt oder indirekt, eine fortschreitende Durchsetzung des NS-Geistes versprachen. Dazu gehörten einerseits all jene das Deutsch-Kraftvolle betonenden Germanen- oder Bauernromane, die ihrer „Blut und Boden“-Ideologie am nächsten kamen, sowie andererseits Kriegsromane, in denen der heldisch-kämpfende Mann, Hitlers Lieblingsvorstellung eines wahrhaft deutschen Menschen, im Mittelpunkt stand. In solchen Werken mußte daher stets eine „artbetonte“ Gesinnung herrschen, während es die gleichen Behörden im Hinblick auf andere Romanformen, bei denen in altgewohnter Weise eher das Unterhaltsame in Form melodramatischer Liebesverwicklungen, humoristischer Passagen oder geschickt eingefädelter Span120  Nazifaschismus

21 Arthur Kampf: Hildebrand überwindet den Sohn Odoakers. Aus Deutsche Heldensagen (1938) von Hans Friedrich Blunck.

nungselemente den Ton angab, nicht so genau nahmen und auch viel Nichtfaschistisches durch die Lappen gehen ließen. Beginnen wir mit den Germanenromanen. Wahrhaft „populär“ war in diesem Umkreis nur das, was sich im Gefolge von Felix Dahns Ein Kampf um Rom (1876) relativ eng an die historischen Fakten hielt und diese spannungsreich nachzuerzählen verstand. Das beste Beispiel dafür wäre Hans Friedrich Bluncks als Schullektüre konzipierter Vandalenroman König Geiserich (1936), mit dem vor allem dreizehn- bis vierzehnjährige Oberschüler traktiert wurden. Andere Germanenschwärmer, welche, wie Johannes Arnoldt, Hermann Barthel, Rudolf Brunngraber und Edmund Kiß, bei ihren ins Utopisch-Obskure oder Pseudowissenschaftliche ausschweifenden Urzeitromanen auch die Thuate-Vorstellungen Herman Wirths, die Welteislehre Hanns Hörbigers oder den rassistisch gefärbten Atlantis-Mythos ins Spiel brachten, um damit den Herrschaftsanspruch der „edelgeborenen Arier“ über alle anderen Völker der Erde zu unterstreichen, blieben dagegen in ihrer Wirkung eher begrenzt. Lediglich von den „Ahnen im Blut“ zu phantasieren, lag zwar Literatur  121

genau auf der von Rosenberg befürworteten Parteilinie, reichte aber nicht aus, um diesen Romanen eine breitere Leserschaft zu verschaffen. Dazu waren sie – trotz mancher eingestreuten Liebeshandlungen – einfach zu ideologieorientiert und ließen deshalb das Unterhaltungsbedürfnis breiterer Schichten weitgehend unbefriedigt. Etwas größere Leserschichten interessierten sich dagegen für das ebenso altbewährte Genre der Bauernromane. Im Gefolge früherer Bestsellerautoren auf diesem Gebiet erschienen daher seit dem Ende der zwanziger Jahre weiterhin eine Fülle von Romanen, in denen es, wie vorher bei Adolf Bartels, Gustav Frenssen und Hermann Löns, wiederum um jene „nordisch“ gesinnten Dithmarscher, Friesen oder Niedersachsen ging, die nicht nur eine tiefe Ehrfurcht vor der deutschen Scholle besitzen, sondern auch einen in vielen Kriegen bewährten Heldenmut aufweisen. Allerdings wurde in ihnen all das, was in anderen Werken der älteren Dorfliteratur noch eher provinziell-rustikale Züge trug, meist so stark faschisiert, daß manche Hauptfiguren dieser Romane fast wie „Bauern in Nibelungenstiefeln“ wirken, um so das Hünenhaft-Kriegerische dieser Gestalten herauszustreichen. Während in den großen Städten das deutsche Volk langsam verkümmere oder gar absterbe, hieß es in ihnen, habe sich bei vielen Bauern jene altgermanische Stärke erhalten, in der viele Theoretiker dieser Richtung den wichtigsten Urquell einer längst überfälligen „völkischen Gesundung“ sahen. Sowohl die altansässigen Erbhofbauern als auch die weizenblonden Siedlerehepaare dieser Romane zeichnen sich daher oft nicht nur durch ihre Muskelstärke, sondern ebenso sehr durch ihren überreichen Kindersegen als Hoffnungsträger eines „nordischen“ Zukunftsstaats aus. Um endlich die „völksschädigende“ Auswanderung vieler Deutscher nach Übersee zu unterbinden, traten die der NS-Ideologie am nächsten stehenden Autoren solcher Bauernromane zugleich für eine kämpferische Ostkolonisation oder eine verstärkte Binnensiedlung ein, die durch die Urbarmachung brachliegender Moore und Sumpflandschaften erreicht werden sollte. Ihr Ziel war – wie schon bei den früheren Alldeutschen unter Georg von Schönerer – nicht die Beherrschung Gesamt­europas oder die Eroberung neuer Kolonien in Afrika, sondern ein großes, zusammenhängendes und dichtbesiedeltes germanisches Stammesreich auf bäuerlicher Grundlage. Deshalb wandten sie sich sowohl gegen den „Moloch Großstadt“ als auch gegen den „Vampir 122  Nazifaschismus

22 Werner Peiner: Deutsche Erde (1933).

Kapitalismus“, die schon im Zweiten Reich zu einer „verheerenden Landflucht“ und damit „slawischen Unterwanderung“ der deutschen Ostgebiete geführt hätten. Um diese Entwicklung wieder rückgängig zu machen, schlugen deshalb derartige Autoren in den Anfangsjahren des Dritten Reichs meist vor, Teile der proletarischen Arbeitslosen in den Ostgebieten anzusiedeln und damit in würdige Vertreter des Reichsnährstands zu verwandeln. Außerdem unterstützten sie ebenso nachdrücklich die von der NSDAP eingeführte allgemeine Arbeitsdienstpflicht auf dem Lande, um so zu einer allmählichen „Verbauerung“ des deutschen Volkes beizutragen und zugleich Männer mit „harten Fäusten“ zu schaffen. Dem Thema der Binnenkolonisation widmete sich unter anderem Hans Heyck in seinem Roman Robinson kehrt heim (1934), während Josef Ponten in seiner Romantrilogie Volk auf dem Wege (1933–37), Heinz Gerhard in Kameraden an der Memel (1935), Erwin Wittstock in Bruder nimm die Brüder auf (1937) sowie Karl von Möller in Grenzen wandern (1937) die politischen, sozialen und kulturellen Belange der in der Ukraine, Litauen, Siebenbürgen und Ungarn lebenden „Volksdeutschen“ vertraten. Ja, Wilfried Bade ging in seinem Roman Gloria über der Welt (1937) sogar soweit, im Sinne älterer Utopien ein bäuerliches Zukunftsreich zu beschwören, in dem es weder Eigennutz noch techniLiteratur  123

sche Hilfsmittel geben wird, sondern sich die bäuerliche Scholle wieder als der alleinige Urgrund des Lebens erweist. Je mehr seine Neubauern das einsehen, desto stärker wird das Zusammengehörigkeitsgefühl unter ihnen. Statt nur ihr eigenes Ich im Auge zu haben, ist in diesem Zukunftsstaat jeder für jeden da. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, ordnen sich am Schluß die hier anvisierten Bauern einem gemeinsam verehrten Führer unter, der den um ihn Versammelten verspricht, alles von Grund auf umzugestalten. Die Botschaft solcher Romane vernimmt man wohl, jedoch was war an solchen Konzepten eigentlich spezifisch „nazifaschistisch“? War es wirklich das ideologische Endziel der NSDAP, eine Welt ohne Maschinen, eine Welt ohne zivilisatorische Errungenschaften, eine Welt der härtesten bäuerlichen Lebensbedingungen zu schaffen, die wieder ganz im Zeichen einer mythisierten „Scholle“-Existenz stehen würde? Oder war diese Vorstellung, wie auf vielen Gemälden dieser Jahre, nur eine ideologische Schimäre, welche die alten „Völkischen“ lange Zeit mit der Inbrunst ihres Willens zu echter Gemeinschaftlichkeit beschworen hatten und der jetzt Aktivisten wie Bade, der in den frühen dreißiger Jahren zum „revolutionären“ Flügel der SA gehört hatte, lediglich eine neue Zielrichtung zu geben versuchten, ohne sich groß Gedanken über die politische und soziale Realisierbarkeit solcher Projekte zu machen? Die Klügeren unter den NS-Kulturtheoretikern sahen sicher ein, daß solche Romane zwar die von den übereifrigen Fanatikern innerhalb der Partei lauthals proklamierte „Blut und Boden“-Ideologie unterstützten, aber daß mit ihnen kein Staat zu machen war. Schließlich begann die NS-Parteileitung zum gleichen Zeitpunkt – im Zuge einer technologischen Modernisierungswelle größten Ausmaßes – Deutschland bereits auf einen Zweiten Weltkrieg vorzubereiten, was zu einer steigenden Landflucht und damit einer Zunahme der Industriearbeiterschicht führte, die in einem diametralen Gegensatz zu dem völkisch-gesinnten Bauernkult standen. Daher wurden nach 1933 derartige Bauernromane zwar durchaus gefördert, aber keineswegs in den Vordergrund gerückt, zumal sie beim breiten Lesepublikum, das weitgehend „großstädtisch“ und „zivilisatorisch“ eingestellt war, keinen großen Anklang fanden. Falls diese Schichten überhaupt Bauernromane lasen, dann eher Werke von Josef-Martin Bauer, Peter Dörfler, Friedrich Griese, Emil Strauß oder Karl-Heinz Waggerl, in denen das Nazifaschistische – im Hinblick 124  Nazifaschismus

auf eine größere „Eingängigkeit“ – deutlich zu Gunsten idyllischer, humoristischer oder auch heimatlich-lokaler Züge abgeschwächt wurde. Wesentlich beliebter waren hingegen die vielen Romane über den Ersten Weltkrieg, mit denen sich eine ganze Generation männlicher Leser aufgrund eigener Erlebnisse identifizieren konnte. Während zwischen 1926 und 1929, also den letzten Jahren der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik, innerhalb dieses Genres eher die linkskritischen Werke von Erich Maria Remarque und Arnold Zweig im Vordergrund gestanden hatten, waren seit 1930 – im Einklang mit den Wahlsiegen der NSDAP – vor allem jene Romane erfolgreich, in denen eine kriegsverherrlichende Tendenz herrschte. Ob nun in Aufbruch der Nation (1930) von Franz Schauwecker, Gruppe Bosemüller (1930) von Werner Beumelburg, Sieben vor Verdun (1930) von Josef Magnus Wehner, Der Glaube an Deutschland (1932) von Hans Zöberlein oder ähnlichen Werken von Edwin Erich Dwinger: in all diesen chauvinistisch orientierten Frontromanen ging es um eine nichthinterfragte Einsatzbereitschaft zu Gunsten des „Großen-Ganzen“. Hier stand alles im Zeichen autoritärer Normen und verblendeter Schicksalshingegebenheit. In ihnen leistete die Masse der einfachen Soldaten – im Sinne einer vorweggenommenen „Volksgemeinschaft“ – ihren Führern stets eine willige Gefolgschaft und glaubte, sich dadurch in ihrem „Deutschsein“ bestätigt zu fühlen. Daß sich gerade solche Romane als äußerst erfolgreich erwiesen, zeugt nicht nur von dem noch immer lebendigen Frontgeist des Ersten Weltkriegs, sondern auch von der Anziehungskraft, welche die „kämpferisch“ auftretende NSDAP in den Jahren zwischen 1930 und 1933 ausübte. Fast alle Romane dieser Autoren, die nach 1933 von den Distributionsorganen der Partei lebhaft gefördert wurden und eine Welle neuer Romane dieser Art in Gang setzten, erreichten Auflagen, welche zum Teil in die Hunderttausende gingen. Während zwar auch der Gedanke der „Verbauerung“ Deutschlands im Laufe der dreißiger Jahre nicht ganz aufgegeben wurde, aber aus realpolitischen Gründen zusehends in den Hintergrund trat, ließ die Propagandamaschinerie der NSDAP keineswegs nach, weiterhin ständig auf den „heldenhaften“ Opfermut hinzuweisen, der in solchen Romanen im Vordergrund stand, um so die romanlesenden Schichten aller Männer zwischen Achtzehn und Fünfundvierzig stets aufs Neue auf den durch solche Werke verbreiteten Literatur  125

kämpferischen Geist einzustimmen und so auch mit literarischen Mitteln zur ideologischen Vorbereitung des bereits seit 1933 im Geheimen geplanten Zweiten Weltkriegs beizutragen. Und der „Erfolg“ dieser Bestrebungen gab der NSDAP durchaus Recht. Schließlich folgten die deutschen Soldaten nach dem 1. September 1939 ihren Befehlshabern wiederum mit der gleichen Unterwürfigkeit und Schicksalsgläubigkeit wie schon im Herbst 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Das hängt zwar nicht nur mit dem Erfolg der vielen nazifaschistisch orientierten Frontromane zusammen, trug aber dennoch – neben vielen anderen Faktoren – einen nicht zu unterschätzenden Teil dazu bei. Allerdings wäre es verfehlt, in solchen Werken die einzig „populären“ Romane der Nazizeit zu sehen. Ähnliche Erfolge erzielten auch all jene historischen Romane von Werner Beumelburg, Hans Friedrich Blunck, Bruno Brehm, Mirko Jelusich und Edwin Guido Kolbenheyer, die Themen aus der Völkerwanderungszeit, der Kaiserherrlichkeit des Hohen Mittelalters oder der militärisch stets siegreichen Geschichte Preußens aufgriffen. Wie in den Frontromanen über den Zweiten Weltkrieg stand auch in ihnen meist das National-Aufputschende im Vordergrund, um ihre Leser mit einem verstärkten Stolz auf die Hochleistungen der deutschen Willenskraft zu erfüllen. Statt sich lediglich auf das BiographischFaktische oder Historisch-Belegbare zu beschränken, sollten sie demonstrieren, daß es den „großen Deutschen“ nie allein um materielle Gewinne, sondern stets auch um die Durchsetzung „höherer Ziele“ gegangen sei, die bis heute nichts von ihrer bisherigen Vorbildlichkeit eingebüßt hätten. Doch selbst damit erfaßt man noch nicht die ganze Spannbreite der Romanliteratur der dreißiger Jahre. Vor allem Goebbels und seine Gefolgsleute sahen ein, daß man die „breiten Massen“ nicht nur belehren oder aufputschen, sondern auch unterhalten müsse, um sie selbst im Rahmen eines auf den Zweiten Weltkrieg zusteuernden Gesellschaftssystems bei guter Laune zu halten. Statt also lediglich „in Gesinnung zu machen“, das heißt den „nordischen Geist einer heroischen Lebensauffassung“ allzu massiv in den Vordergrund zu rücken, befürworteten sie auf diesem Gebiet zugleich ebenso nachdrücklich den ideologisch eher anspruchslosen Unterhaltungsroman. Und zwar meinten sie damit keinen „verblödenden Kitsch oder eine geistlose Amüsierware“, sondern etwas Leichteingängliches, Zerstreuendes, eine „heitere Stimmung“ Ver126  Nazifaschismus

breitendes, kurzum: etwas, das zum Schmökern einlädt und damit den Charakter des bewußt Ablenkenden oder auch nur Zeitvertreibenden hat. Als einer der willfährigsten Autoren dieser Art erwies sich Heinrich Spoerl, dessen Romane Die Feuerzangenbowle (1935), Der Maulkorb (1936), Wenn wir alle Engel wären (1936) und Der Gasmann (1940) von der NSDAP vor allem wegen ihrer nichtfaschistischen Humorigkeit begrüßt wurden. Ja, selbst der bisherige Gesellschaftskritiker Erich Kästner galt zu Anfang des Dritten Reichs wegen seiner Romane Das fliegende Klassenzimmer (1933), Drei Männer im Schnee (1934) und Emil und die drei Zwillinge (1935) noch bei vielen Lesern vornehmlich als ein „Humorist großen Stils“. Nicht minder interessiert zeigte sich das große Publikum an der Fülle der spannenden Kriminal- und Detektivgeschichten, die in diesem Zeitraum herauskamen. Auch seit Jahrzehnten beliebte Karl May-Romane wie Winnetou, Old Shatterhand und Der Schatz im Silbersee, die zu Hitlers Lieblingslektüre gehörten, erlebten im Dritten Reich noch einmal hohe Auflagen. Das gleiche gilt für die unzähligen Abenteuer- und Liebesromane dieser Ära, die zwar – im Gegensatz zu ähnlichen Werken vor 1933 – nicht mehr ins „Mondäne“ oder „Erotische“ ausschweiften, aber wie die gängigen Unterhaltungskomödien und -filme der NS-Ära von den für diesen Bereich Verantwortlichen wegen ihrer Eskapaden ins Illusionäre als empfehlenswerter Ausgleich zu der zum Teil harten und entsagungsvollen Tagesarbeit hingestellt wurden. Im Hinblick auf solche als „unterhaltsam“ eingestuften Romane nahmen es deshalb die dafür zuständigen Lektoren nicht so genau, ob derartige Werke von deutschen oder ausländischen Autoren und Autorinnen stammten. Neben den Romanen von Rudolf G. Binding, Waldemar Bonsels, Ludwig Ganghofer, Rudolf Herzog, Reinhold Conrad Muschler, Felicitas Rose, Ina Seidel und Richard Voß erfreuten sich deshalb in den mittdreißiger Jahren auch die Romane von Archibald Joseph Cronin, Warwick Deeping, Sascha Guitry, Gunnar Gulbranssen, John Knittel, Selma Lagerlöf, Margaret Mitchell, Thyde Monnier und Sigrid Undset einer großen Beliebtheit, die genau jenen weltanschaulichen Ablenkungsbemühungen entsprachen, die von den NS-Behörden als systemerhaltend begrüßt wurden. Sie hatten daher nichts dagegen, daß sich von Mitchells Roman Vom Winde verweht binnen kürzester Zeit Literatur  127

fast 300 000 Exemplare verkauften. Im Gegenteil, genau das war ein Roman, der seine Leser und Leserinnen in jene „exotischen“ Gefilde jenseits ihrer ermüdenden Alltagssphäre entführte, wo sie sich wenigstens für kurze Zeit irgendwelchen kompensatorischen Abenteuer- und Liebessehnsüchten hingeben konnten. Ja, als nach Beginn des Zweiten Weltkriegs das Bedürfnis nach Entspannungsliteratur ständig anstieg, wurden die ästhetischen Ansprüche an diese Form der Literatur – vor allem bei der Versorgung der Soldaten mit Lesestoffen – von den dafür verantwortlichen Stellen noch weiter heruntergeschraubt und stattdessen die Tendenz ins Unterhaltsame zusehends verstärkt. Vor allem Goeb­ bels unterstützte diesen Trend und schrieb 1941 mit einem Seitenhieb auf Rosenberg: „Vor allem sorge ich dafür, daß die Männer von den U-Booten eine leichte und entspannende Literatur bekommen. Es gibt unter uns immer noch Ideologen, die glauben, daß der U-Boot-Mann, wenn der verdreckt und verölt aus dem Maschinenraum kommt, am liebsten zum ‚Mythus des 20. Jahrhunderts‘ greift. Das ist purer Unsinn.“ Ebenso populär innerhalb dieser halb faschistischen, halb nichtfaschistischen, aber nie antifaschistischen Unterhaltungsliteratur waren zweifellos jene Werke, die im Dritten Reich als „Zukunftsromane“ bezeichnet wurden, um damit sowohl den progressionsbetonten Begriff „Utopie“ als auch den anglo-amerikanischen Begriff „Science Fiction“ zu vermeiden. Neben relativ obskuren Autoren wie Werner Chompton, Hans-Joachim Flechtner, Paul Alfred Müller und Titus Taeschner setzte sich auf diesem Gebiet vor allem Hans Dominik als opportunistischer Bestsellerautor durch, dessen Werke vor und während des Dritten Reichs eine Gesamtauflage von 2,5 Millionen erreichten. In seinen für damalige Leser höchst spannungsreichen Romanen äußert sich das, was heute im Hinblick auf den Nazifaschismus zu Recht als „reaktionärer Modernismus“ bezeichnet wird, auf eine besonders eklatante Weise. So gelingt es etwa in seinem Roman Befehl aus dem Dunkel (1933) einem deutschen Ingenieur durch die „elektrische Verstärkung seines Gehirns“, wodurch es wie ein Radiosender funktioniert, die nach Australien eingedrungenen Japaner, die zu diesem Zeitpunkt noch als Vertreter der „gelben Gefahr“ galten, telepathisch in Schach zu halten und schließlich zu vertreiben. Um in Zukunft gegen weitere Einfälle „asiatischer Horden“ gewappnet zu sein, werden anschließend „Millionen weißer Siedler“ 128  Nazifaschismus

nach Australien eingeschleust, wie es gegen Schluß heißt. Obwohl es eigentlich die geniale Erfindung eines einzigen Ingenieurs war, welche die „gelbrassigen Fremdlinge“ zum Rückzug gezwungen hat, sollen dieses Geschäft – um auch der nazifaschistischen „Scholle“-Ideologie Genüge zu leisten – in Zukunft die „kräftigen Bauernfäuste“ der deutschen Siedler übernehmen. Noch besser hätte man eine der Hauptstrategien der NS-Ideologie, nämlich die Einbettung des Bauern- und Siedlerkults in den Prozeß der industriellen Modernisierung, kaum darstellen können. Wie viele Leser diese Taktik allerdings schon damals wahrgenommen haben, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Das gleiche gilt für die Romane des Bestsellerautors Karl Aloys Schenzinger, der – nach dem er 1932 erst den Roman Hitlerjunge Quex verfaßte hatte, dessen Auflage fast eine halbe Million Exemplare betrug – 1937 den szientifisch aufgezogenen Entdeckerroman Anilin, den erfolgreichsten deutschsprachigen Roman der dreißiger Jahre schlechthin, publizierte, von dem sich in den folgenden vier Jahren 920 000 Exemplare absetzen ließen. Gerade dieser Roman, in welchem es um die vielversprechende Herstellung eines der wichtigsten Ausgangsmaterialien der Farben- und Arzneimittelindustrie ging, traf genau den Nerv der Zeit. Schließlich war er nicht nur spannend geschrieben, sondern strahlte zugleich jenen forcierten Optimismus aus, von dem sich viele NS-Größen die wirksamste Unterstützung ihrer Ideologie versprachen. So gesehen, erfüllte auch die Romanliteratur im Kulturbetrieb des Dritten Reichs genau jene Rolle, die ihr von den „Oberen“ zugedacht war: sie bot ihren Lesern und Leserinnen sowohl Ablenkendes in Form emotionaler Ausflüchte ins Abenteuerliche und Liebesbeseligende, Bäuerliches im Rahmen der „Blut und Boden“-Theorien, Historisches im Hinblick auf die Größen der germanisch-deutschen Geschichte, Warnungen vor den „verderblichen Folgen“ des liberal-kommerzialisierten Großstadtlebens, bewußt humorvoll Erzähltes, heroisch stimmende Kriegserlebnisse als auch die Fortschritte der deutschen Technik darstellende Erfinder- und Zukunftsromane. Besonders neuartig war das nicht. All das hatte es – wenn auch zum Teil in wesentlich interessanterer Form – bereits in der Literatur der Weimarer Republik gegeben. Was fehlte, waren lediglich die linkskritischen und reformorientierten Romane der Zeit vor 1933, deren Autoren fast alle nach der Machtübergabe an HitLiteratur  129

ler das Weite gesucht hatten. Und das war schlimm. Aber fast noch schlimmer war, daß diese Autoren von der Mehrheit der Leser und Leserinnen kaum vermißt wurden. Denn die übriggebliebene Literatur bot ihr – in wohlkalkulierter Absicht – immer noch genug Spannendes, Aufheiterndes, Gemütsentlastendes wie auch Anspornendes, womit sich die verschiedenen Bevölkerungsschichten weitgehend zufrieden gaben. Theater

Wie zu erwarten, spielten sich im Bereich des Theaters nach der am 30. Januar 1933 erfolgten Machtübergabe an die Hitler-Regierung fast die gleichen Vorgänge ab wie auf dem Gebiet der Malerei, der Musik und der Literatur. Fast alle Intendanten, Regisseure und Schauspieler, die vorher mit „linken“ Anschauungen sympathisiert hatten oder deutschjüdischer Herkunft waren, verloren schon kurze Zeit später ihre bisherigen Anstellungen. Um nicht noch schärferen Repressionen ausgesetzt zu sein, zogen es die besonders Exponierten unter ihnen vor, so schnell wie möglich ins Exil auszuweichen. Wer von den jüdischen Vertretern dieser Gruppe dennoch in Deutschland blieb, wechselte entweder den Beruf oder versuchte, im Rahmen des Jüdischen Kulturbunds, zum Teil bis 1941, weiterhin in seinem Metier tätig zu sein. Einige der bisherigen Linken, die einen „Ariernachweis“ erbringen konnten, hatten es dagegen im Theaterbetrieb etwas leichter. Falls sie mit ihren bisherigen Anschauungen hinterm Berge hielten oder sich gar reumütig zeigten, wurden ihnen – aufgrund pragmatischer Erwägungen – ihre bisherigen „Verfehlungen“ zum Teil großmütig verziehen. Unter den Intendanten und Regisseuren, die sich damals gezwungen sahen, Deutschland zu verlassen, befanden sich vor allem Paul Barnay, Leopold Jessner, Leopold Lindtberg, Erwin Piscator und Max Reinhardt. Das gleiche Schicksal teilten unter anderem Schauspieler und Schauspielerinnen wie Albert Bassermann, Elisabeth Bergner, Ernst Deutsch, Tilla Durieux, Alexander Granach, Fritz Kortner, Wolfgang Langhoff, Peter Lorre, Grete Mosheim, Carola Neher und Helene Thimig. Gerade weil sich darunter viele der besten und demzufolge erfolgreichsten Begabungen befanden, die dem Theater der Weimarer Republik ein spektakuläres Ansehen verliehen hatten, wurde ihnen in den 130  Nazifaschismus

nazifaschistischen Publikationen die übelsten Schmähungen nachgeschickt, um so ihr Andenken beim „deutschgesinnten“ Theaterpublikum ein für allemal auszulöschen. Geradezu alles, was sie inszeniert oder gespielt hatten, galt plötzlich als „kulturbolschewistisch“ oder „artfremd“. Ihnen sei es nur um eine „klassenkämpferische Volksverhetzung“, wirtschaftliche „Profitgier“ oder „nervenaufreizende Sensationslust“ gegangen, hieß es jetzt in vielen NS-Gazetten. Es sei daher höchste Zeit, daß man sich auch im Theater, dieser „hehren Kulturinstitution“, wieder auf das besinne, was sich als wahrhaft „deutsch“ bezeichnen lasse. Die nazifaschistischen Fanatiker legten ihren Wesensbestimmungen, was in Zukunft auf dem Theater als wegweisend herausgestellt werden sollte, selbstverständlich das Rassenbewußte zugrunde. „Unser Theater muß wieder deutsch-völkisch oder noch besser nordisch-germanisch werden“, hieß es daher vor allem in den Schriften jener RosenbergAnhänger, die sich als die „Rassisch-Erweckten“ empfanden und sich nach dem chauvinistisch aufgezogenen Tag von Potsdam gewaltsam in den Vordergrund zu drängen versuchten. Sie verlangten nicht nur in politischer, sondern auch in kultureller Hinsicht eine entschiedene Wendung vom „ökonomischen zum mythischen Kollektiv“ und eine damit verbundene opferbereite Hingabe an „das Totale, den Staat, die Rasse“, wofür sich 1933 selbst Gottfried Benn in seiner Bekenntnisschrift Der neue Staat und die Intellektuellen einsetzte. Statt im Theater Aufklärung oder Bildung zu verbreiten, sehnten sich diese Gruppen und die mit ihnen sympathisierenden Parteigänger – im Rahmen einer metaphysisch erhofften „Glaubensgemeinschaft“ – nach einer Rückbindung an das „Urtümliche“, wenn nicht gar „Kultische“, denen das Erlebnis einer „inneren Schau“ zugrunde liegen sollte. Von solchen Programmatikern wurde darum der „rassische Niedergang“ des deutschen Theaterwesens weitgehend aus dem verderblichen Trend zum „Widerstaatlichen“ und damit „Privattragischen“ hergeleitet, der für das bürgerlich-individualistische wie auch jüdisch-orientierte Drama seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bezeichnend sei. An die Stelle solcher Tendenzen müßten von nun an, wie es bei den vorwiegend rassisch orientierten Theoretikern auf diesem Gebiet hieß, wieder groß aufgefaßte „Staatsaktionen“ treten, um so eine „heldische Weltanschauung“ zu fördern, die alle Volksgenossen als „verpflichtend“ empfinden würden. Theater  131

Die geeignetste Form eines derartigen Theaters sahen die von ihren politischen Triumphen umnebelten NS-Fanatiker in den Jahren 1933 / 34 vor allem in der Einführung „nordisch“ inspirierter Thingspiele, bei denen endlich „Gerichtstag“ über die Feinde des Neuen Reichs abgehalten werde. Statt ein Dutzend „Prominente oder allbekannte Stars“ auf die Bühne zu stellen, sollte nach Meinung dieser Gruppe an solchen Spielen das gesamte „Volk“ teilnehmen und seine mythische Erweckung wie einen „Festtag“ erleben. Daher bemühten sich die für diesen Bereich Verantwortlichen, die ersten Thingspielstätten möglichst auf dem Gelände altgermanischer Kultstätten, wie den Brandbergen bei Halle, anzulegen. Ende 1934 waren bereits 5 solcher Thingstätten fertiggestellt, während sich 15 weitere im Bau befanden. 1936 kamen noch 9 neue hinzu. Doch dann stagnierte der Bau derartiger Anlagen, von denen einige der besonders gläubigen Nazifaschisten ursprünglich 400 ins Auge gefaßt hatten, allmählich. Eine Spieltätigkeit fand in diesem Jahr nur noch auf der Dietrich Eckart-Bühne anläßlich der Berliner Olympiade statt. Danach wurde es um die Thingstätten wieder still. Auch Goebbels teilte anfangs – in der noch als „revolutionär“ verstandenen Phase des „nationalen Aufbruchs“ – solche Anschauungen, kam jedoch im Laufe der Zeit zu der Einsicht, daß man auch auf diesem Sektor des allgemeinen Kulturlebens Kompromisse machen müsse, um das bildungsbürgerliche und darum anspruchsvolle deutsche Theaterpublikum nicht gewaltsam vor den Kopf zu stoßen. Während er im Februar / März 1933 noch ein nazifaschistisches Agitations- und Propagandatheater ins Auge gefaßt hatte, für das er sogar einen entschiedenen Linken wie Erwin Piscator zu gewinnen hoffte, verfolgte er daher schon im November 1933 in der von ihm eingerichteten Reichstheaterkammer etwas gemäßigtere Ziele. Auch Otto Laubinger, der von ihm ernannte erste Präsident dieser Kammer, dem als Stellvertreter der Schauspieler Werner Krauss zur Seite trat, war bei weitem nicht so „radikal“ gesinnt wie die von Rosenbergs Kampfbund für deutsche Kultur herkommenden Theaterkritiker. Er trat zwar einerseits energisch gegen die „merkantilen Interessen“ sowie die „liberale Willkür“ der bisherigen „jüdischen“ Intendanten auf und setzte sich für eine Ausschaltung aller „undeutschen“ Stücke ein, wandte sich aber andererseits gegen eine einseitige Bevorzugung jener dick aufgetragenen Parteidramen und als germano132  Nazifaschismus

phil verstandenen Thingspiele, mit denen man das geschmacksverwöhnte Theaterpublikum weitgehend langweile oder gar abstoße. Trotz dieser Entwicklung ließ sich Goebbels noch im Sommer 1934 dazu herab, einen „Dichterkreis“ zur Förderung von Thingspielen zu gründen, verfügte jedoch schon ein Jahr später, mythisch klingende Begriffe wie „Thing“ oder „Kult“ bei derartigen Aufführungen lieber zu vermeiden. Auch die Dichtungsform des Sprechchors, wie sie bei den Aufmärschen der Nürnberger Reichsparteitage verwandt wurde und die Goebbels als ein „Werbemittel“ bezeichnete, das „zwar in der Kampfzeit benötigt wurde, um den Gegner zu schlagen“, erschien demzufolge vielen NS-Theoretikern bereits Mitte der dreißiger Jahre als rückständig und damit überflüssig. Deshalb spielten nationaltheatralische Formen wie der Sprechchor, das Reichsautobahntheater oder das Thingspiel, die der volkssozialistische Flügel der NSDAP zu Anfang des Dritten Reichs mit großen Hoffnungen begrüßt hatte, um so der elitären Form des „bürgerlichen“ Theaterbetriebs den Garaus zu machen und stattdessen ein „Theater der Zehntausend“, wenn nicht gar der gesamten „Volksgemeinschaft“ ins Leben zu rufen, nach diesem Zeitpunkt keine zentrale Rolle mehr. Sie waren zwar auf der Ebene der Hitler-Jugend, der SA, der Deutschen Arbeitsfront und der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude nach wie vor beliebt, nahmen aber selbst dort immer stärker die Form laienspielhafter Freizeitbeschäftigungen an, anstatt sich der ursprünglichen Aufgabe einer gemeinschaftsstiftenden „Formung des Masse des Volkes“ im Gefolge des frühen nazifaschistischen Gedankenguts zu widmen. Was das Goebbelssche Propagandaministerium und die von ihm abhängige Reichstheaterkammer von nun an finanziell immer stärker unterstützten, waren nicht mehr die völkisch-gesinnten Freilichttheater, sondern all jene bereits bestehenden staatlichen und kommunalen Bühnen, die am 15. Mai 1934 durch das von Goebbels erlassene NS-Theatergesetz der Kontrolle seines Ministeriums unterstellt wurden. Sie erhielten dementsprechend von Jahr zu Jahr immer größere Zuschüsse, die von 9 Millionen Reichsmark im Jahr 1934 auf 34 Millionen Reichsmark im Jahr 1942 anstiegen, während die Zuschüsse für die Freilichtaufführungen und ähnliche Veranstaltungen im gleichen Zeitraum von 300 000 Reichsmark auf 135 000 Reichsmark zurückgingen. Ebenso stark förderte Goebbels nach 1938 die deutschsprachigen Theater im sogenannten Reichsprotektorat Böhmen-Mähren, die 1942 3,3 MillioTheater  133

nen Reichsmark erhielten. Einmal in Prozenten ausgedrückt, überließ Goebbels den Theatern den Löwenanteil aller finanziellen Zuwendungen im kulturellen Bereich, nämlich 24,4 Prozent. Die Filmindustrie, die ihm eigentlich viel wichtiger war, da sie einen wesentlich größeren Wirkungskreis hatte, sich aber – im Gegensatz zu den Theatern – zum Teil selber trug, erhielt dagegen nur 11,5 Prozent der staatlichen Finanzspritzen. Und dieser gewaltige Aufwand für das Bühnenwesen blieb nicht ohne Folgen. Schließlich konnten die NS-Behörden später mit Genugtuung feststellen, daß sich die Zahl der Theaterbesucher während ihrer Amtszeit nicht nur verdoppelt, sondern vervierfacht, wenn nicht gar verfünffacht habe. Was Goebbels auf diesem Gebiet erreichte, war also wiederum ein Sieg des Traditionsverhafteten über die von den Fanatikern innerhalb der NSDAP beabsichtigen kulturpolitischen Umsturzbemühungen. Während Rosenberg noch 1933 ein „revolutionäres Erweckungsdrama“ vorgeschwebt hatte, um so alle Deutschen auf den „arischen Mythus des 20. Jahrhunderts“ einzustimmen, mußte er schon zwei Jahre später erbittert mit ansehen, wie sich mit der Stabilisierung des Dritten Reichs die eher pragmatisch ausgerichteten Bestrebungen auch im Hinblick auf das Theaterwesen zusehends verstärkten. Er versuchte zwar im Jahr 1935 – anläßlich seiner Rede auf der Reichstagung der NS-Kulturgemeinde in Düsseldorf – noch einmal mit scharfen Worten gegen diesen Trend anzukämpfen, indem er Goebbels vorwarf, vor allem die bereits bestehenden Bühnen finanziell zu unterstützen und ihren Leitern obendrein eine relativ „liberale“, das heißt bildungsbürgerlich orientierte Programmgestaltung zu erlauben, statt auch auf diesem Sektor eine drastische Umorientierung im Sinne volkssozialistischer Ziele anzustreben. Doch für solche Veränderungsvorschläge war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät. Schließlich hatte sich auch Hitler inzwischen für den von Goebbels eingeschlagenen kulturpolitischen Kurs entschieden. Und das bedeutete im Bereich des Theaters eine Zurückdrängung aller „revolutionären“ Tendenzen zu Gunsten einer eher repräsentativen Pflege des „Klassischen Erbes“. Zugegeben, auch in der Folgezeit wurden noch einige der mehrheitlich schon vor 1933 entstandenen Historien- und Tendenzstücke von NS-Bühnenschriftstellern wie Hanns Johst, Curt Langenbeck und Eberhard Wolfgang Möller aufgeführt, die jedoch im Laufe der Zeit immer 134  Nazifaschismus

stärker hinter den bühnenwirksamen Dramen des 18. und 19. Jahrhunderts zurücktraten. Auch der Anteil der neuverfaßten Werke blieb wesentlich kleiner als die Zahl der ausländischen Theaterstücke oder der altbewährten deutschen Tragödien, Komödien und Unterhaltungsstücke. Und damit brach auf den deutschen Bühnen jene trügerische „Glanzzeit“ des deutschen Theaters an, welche in den Zeitungen des Dritten Reichs geradezu überschwänglich gefeiert wurde. Unter der Direktion von Otto Falckenberg, Jürgen Fehling, Heinrich George, Gustav Gründgens, Heinz Hilpert, Eugen Klöpfer und Lothar Müthel traten in diesen Jahren Schauspieler wie Horst Caspar, Friedrich Kayßler, Werner Krauss, Bernhard Minetti, Will Quadflieg und Paul Wegener sowie Schauspielerinnen wie Bertha Drews, Käthe Dorsch, Elisabeth Flickenschildt, Käthe Gold, Marianne Hoppe, Hermine Körner, Gisela Uhlen und Elsa Wagener auf, die breiteren Bevölkerungsschichten zum Teil auch durch publikumsnahe Filme bekannt gemacht wurden. Ja, sogar Intendanten wie Gründgens und George, die vor 1933 eher links eingestellt waren, mischten sich in den von ihnen geleiteten Theatern zum Teil selber unter die Akteure: Gründgens als Mephisto und George als Götz von Berlichingen, der Große Kurfürst oder Wallenstein. Zu den wichtigsten Stücken innerhalb der von den NS-Behörden geförderten Theaterprogramme gehörten – neben den Komödien Molières und den Dramen des von Rassefanatikern wie Adolf Bartels und Hans F. K. Günther als vorbildlichen „Nordmenschen“ hingestellten Shakespeare oder „Schüttelspeer“, wie er bei den besonders „Deutschbewußten“ bereits seit 1900 hieß – vor allem die deutschen Klassiker. Allein Goethes Faust wurde in der Spielzeit 1936 / 37 insgesamt zweihundertzwanzigmal aufgeführt. Neben Gründgens, der nicht nur den Faust, sondern 1939 auch Büchners Dantons Tod und 1944 Schillers Die Räuber inszenierte und sich als „Staatsrat“ der besonderen Hochschätzung von Goebbels erfreute, machte vor allem Fehling mit seiner Inszenierung von Schillers Don Carlos (1935) und Hebbels Kriemhilds Rache (1936) auf sich aufmerksam. Die meisten Intendanten enthielten sich dabei irgendwelcher allzu „propagandistisch“ wirkender Übertreibungen. Erst als die „Endlösung“ bereits im Gange war, hielt Müthel 1943 in Wien seinen Starschauspieler Werner Krauss dazu an, die Titelrolle in Shakespeares Kaufmann von Venedig als „pathologische Figuration des ostjüdischen Rassetyps“ zu spielen. Theater  135

23 Leni Riefenstahl: Der Führer spricht. Aus dem Film Triumph des Willens (1936).

Kurzum: was in den Theatern des Dritten Reichs zwischen 1935 / 36 und 1943 / 44 – neben den unumgänglichen Lustspielen, mit denen die NS-Behörden das Publikum in eine systemintegrierte „gute Laune“ versetzen wollten – gespielt wurde, waren vor allem die „Glanznummern“ 136  Nazifaschismus

der dramatischen Tradition, die ihnen von den jeweils besten Schauspielern und Schauspielerinnen geboten wurden. Im Vordergrund standen hierbei meist die großen Namen sowie das Prestige, das mit ihnen verbunden war. Und das gefiel jenem finanziell bessergestellten und zugleich ästhetisch anspruchsvollen Publikum, welches das Theater immer noch wesentlich höher schätzte als das Kino, ausnehmend gut. In diesen „heil’gen Hallen“ fühlte es sich weiterhin in seinem kulturellen Bildungsstolz bestätigt und übersah dabei geflissentlich oder unbewußt, welches Spiel hier mit ihm getrieben wurde. Deshalb nahmen die meisten Theaterbesucher dieser Ära gar nicht wahr, daß sich das eigentliche Theater des Dritten Reichs gar nicht auf den hochdotierten Bühnen der staatlichen und kommunalen Theater, sondern bei den großen Aufmärschen, Sonnenwendfeiern, Fackelumzügen und Reichsparteitagen abspielte, die seit 1927 vor allem in Berlin und Nürnberg stattfanden. Bei diesen parteipolitischen Selbstinszenierungen brauchte die NSDAP keine Schauspieler, sondern nur Regisseure. Und das erkannte Hitler, der sich bei pressewirksamen Auftritten gern als „Theaterfreund“ hinstellte, schon relativ früh. Bei solchen Anlässen wollte er sich nichts vorspielen lassen, sondern selber der entscheidende Akteur sein. Eine gute Chance dafür boten ihm vor allem die großen Reichsparteitage, wo er vor Zehntausenden ihm willig zuhörender Arbeitsdienstmänner, Soldaten und SA-Kolonnen seine vorher genau einstudierten Reden halten konnte. Diese Veranstaltungen – und nicht die bildungsbürgerlichen Klassikerinszenierungen – waren für ihn das Theater, das wirklich zählte, weil er hier kein Zuschauer war, sondern selber die Hauptrolle spielte. Rundfunk, Film und Presse

Rundfunk, Film und Presse, die sich in den zwanziger Jahren zu den drei wirkungsmächtigsten Massenmedien entwickelt hatten, wurden von Goebbels als so wichtig empfunden, daß er für sie – neben den vier Kulturkammern für die „hohen Künste“ – schon im Herbst 1933 drei ebenso einflußreiche Lenkungsinstitute einrichten ließ: die Reichsrundfunkkammer, die Reichsfilmkammer und die Reichspressekammer. Jeder deutsche Staatsbürger, der in diesen Bereichen tätig sein wollte, mußte Rundfunk, Film und Presse  137

24 Verhaftete Rundfunkdirektoren und Sendeleiter im Konzentrationslager Oranienburg (August 1933). Von rechts: Kurt Magnus, Hans Flesch, Hermann Giesecke, Alfred Braun, Friedrich Ebert jun. und Ernst Heilmann.

fortan, nachdem er, um noch einmal darauf hinzuweisen, seinen „Ariernachweis“ erbracht hatte, Mitglied in einer dieser drei Kammern werden. Da es sich bei den Beschäftigten innerhalb dieser schnell anwachsenden Medien nicht um eine Reihe vereinzelter Künstler, sondern um eine kaum zu übersehende Anzahl von freiberuflich Schaffenden sowie bei den bisherigen Medienkonzernen Angestellten handelte, stieg die Zahl der Mitglieder in diesen Kammern schnell in die Zehntausende an, was zwangsläufig zu einigen Verzögerungen in der Bewilligung der Aufnahmeverträge führte. Wie schon in den „hohen Künsten“ legte Goebbels – unter Propagandaaspekten – auch auf diesem Gebiet den Schwerpunkt auf die akustischen und visuellen Medien, also auf den Rundfunk und den Film und weniger auf das Printmedium der Presse. Die Lektüre von Büchern und Zeitungen fand er zwar auch wichtig, aber nicht so massenbeeinflussend wie all jene Kunst- und Medienformen, die sich unmittelbar an die menschlichen Sinne, vor allem an Auge und Ohr, wenden und daher keinen allzu anspruchsvollen Rezeptionsvorgang voraussetzen. Obwohl er 138  Nazifaschismus

selbst lange Zeit als Schriftsteller und Zeitungsherausgeber tätig war, schenkte er daher als Minister für Volksaufklärung und Propaganda sein Hauptinteresse nicht dem gedruckten Wort, sondern der primär akustisch vermittelten Rundfunksendung sowie dem akustisch und zugleich visuell wahrgenommenen Tonfilm, da er sich von diesen beiden Medien eine wesentlich intensivere, weil sinnlich unmittelbarere und zugleich breitgestreutere Wirkung versprach. Den Rundfunk unter seine Kontrolle zu bringen, erwies sich für Goeb­bels am leichtesten. Schließlich war dieses Medium – nach seinen privatkapitalistischen Anfängen – bereits am 27. Juli 1932 von den Behörden der Weimarer Republik verstaatlicht worden. Was sich in diesem Bereich nach dem 30. Januar 1933 änderte, waren also nicht die Besitzverhältnisse, sondern vornehmlich die Leitungsfunktionen und Programmgestaltungen. Im Hinblick auf das Personal kam es dabei allerdings zu einer Reihe gravierender Umstellungen oder Kündigungen. Da es in den Chefetagen der verschiedenen Rundfunkanstalten nur wenige Linke oder Juden gegeben hatte, betraf das vor allem die reformbetonten Liberalen, die nach Hitlers Machtübernahme sofort von SA-Trupps verhaftet wurden. Ebenso massiv griffen die neuen Herren in die Programmgestaltung ein. Sowohl der Inhalt der jeweiligen Sendungen als auch die betreffenden Sendezeiten und Sendebereiche wurden vorher von Goebbels und seinen Mitarbeitern, darunter in führender Position Eugen Hadamovsky und Horst Dreßler-Andreß, genau festgelegt, um so den Rundfunk in ein effektives „Verkündigungsmittel der nationalsozialistischen Weltanschauung“ zu verwandeln. Um möglichst vielen „Volksgenossen“ den Empfang der neu strukturierten Sendungen zu vermitteln, entschied sich die neue Regierung nicht nur, die Herstellung von relativ erschwinglichen „Volksempfängern“ anzukurbeln, die erst 76 und dann nur noch 59 Reichsmark kosteten, während man für Radioapparate bisher zwischen 200 bis 400 Reichsmark ausgeben mußte, sondern auch die Arbeiter und Angestellten dazu anzuhalten, sich in Gaststätten oder Betriebskantinen „staatspolitisch wichtige Sendungen“ in größeren, gemeinschaftlich verbundenen Gruppen anzuhören. Außerdem veranlaßte sie die Aufstellung von etwa 6 000 „Lautsprechersäulen“ auf dafür geeigneten Plätzen und ließ auch sonst nichts unversucht, die Mehrheit der NS-Arbeitsfront- und Kraft durch Freude-Mitglieder in ihrer Freizeit zum Radiohören anzureRundfunk, Film und Presse  139

25 Werbung für den Volksempfänger (um 1935).

gen. Im ersten Jahr des Dritten Reichs standen dabei die Reden Hitlers sowie die seiner wichtigsten Anhänger im Zentrum der Sendeprogramme. Allein von Hitler wurde jede Woche eine Rede ausgestrahlt. Auch der Beginn des Autobahnbaus, politisch bedeutsame Ausstellungseröffnungen sowie nationalsozialistische Gedenk- und Feiertage – wie Hitlers Geburtstag, der Tag der deutschen Arbeit und die Reichsparteitage – wurden anfangs im Rundfunk ausführlich gewürdigt, was zu einer merklichen Einschränkung der bis dahin beliebten Musik- und Unterhaltungssendungen führte. Wie groß der parteipolitische Überschwang Anfang 1933 in den Sendungen des NS-Rundfunks war und welche Rolle die NS-Führung diesem Medium zumaß, kommt vielleicht am besten in einer Rede des Reichssendeleiters Hadamovsky zum Ausdruck, die dieser im Spätherbst 1933 anläßlich der Gründung der Reichsrundfunkkammer hielt und in der er lauthals erklärte: „Der Rundfunk ist in Deutschland der Hammer gewesen, mit dem nach dem 30. Januar Adolf Hitler die Nation zusam140  Nazifaschismus

menschmiedete. Er ist der Hammer gewesen, mit dem er dreißig Parteien in Deutschland kurz und klein und in tausend Trümmer geschlagen hat. Er ist der Hammer gewesen, mit dem er den Klassenkampf in Deutschland ein für allemal zerschlug. Er ist der Hammer gewesen, mit dem Marxismus und Kommunismus nicht durch blutigen Klassenkampf, sondern durch die zwingende geistige Kraft überwunden werden konnten. Und er ist der Hammer gewesen, mit dem dieses zweitausend Jahre zerrissen gewesene deutsche Volk zu dem Stahlblock geschmiedet worden ist, der unzerreißbar und unteilbar heute und für alle Ewigkeit im Herzen Europas ruhen wird.“ Bei den sogenannten breiten Massen, die sich vom Radio eher eine unterhaltsame Entspannung als eine ideologiegetränkte Berieselung wünschten, kam es aufgrund dieser parteipolitischen Holzhammermethode schon im Sommer 1933 zu vielfachen Unmutsäußerungen. Goebbels, der als kulturverantwortlicher Stratege solche Äußerungen durchaus ernst nahm, erklärte daher gegen Ende des gleichen Jahres in einer Ansprache vor den neuen Rundfunkintendanten: „Nur nicht langweilig werden. Nur keine Öde. Nicht die Gesinnung auf den Präsentierteller legen. Nur nicht glauben, man könne sich im Dienste der nationalen Regierung am besten betätigen, wenn man Abend für Abend schmetternde Märsche ertönen läßt. Gesinnung muß sein, aber Gesinnung braucht nicht Langeweile zu bedeuten. Die Phantasie muß alle Mittel und Methoden in Anspruch nehmen, um die neue Gesinnung modern, aktuell und interessiert den breiten Massen zu Gehör zu bringen. Interessant und lehrreich, aber nicht belehrend.“ Um also den dick aufgetragenen Propagandacharakter in den chauvinistisch überzogenen Radiosendungen der ersten Monate des Dritten Reichs etwas zurückzudrängen, entschied sich Goebbels deshalb schon im Spätherbst 1933, in die Rundfunkprogramme sowohl mehr anspruchsvolle Konzerte und Dichterlesungen als auch mehr musikalische Unterhaltungssendungen und humoristische Kurzszenen aufzunehmen, um so den gehobenen Schichten die gewünschte „Erbauung“ und den breiten Massen die geforderte „Entspannung“ zu bieten. Diese Maßnahmen führten in den folgenden Jahren zu einer bis dahin ungeahnten Beliebtheit des Rundfunks. Während es 1932 nur knapp 4 Millionen „Rundfunkteilnehmer“ gab, stieg ihre Zahl bis 1939 auf über 10,8 Millionen und dann bis 1942 auf 16 Millionen an, womit Rundfunk, Film und Presse  141

Deutschland auf diesem Gebiet – nach Dänemark und Schweden – den höchsten Entwicklungsstand aller europäischen Länder erreichte. Das ging vor allem darauf zurück, weil sich Goebbels entschied, die Zahl der sogenannten „Hörberichte“, worunter auch die Reden der Parteiführer fielen, zusehends zu reduzieren. Statt eine ideologische „Dauerberieselung“ zu befürworten, setzte er sich ab 1935 immer stärker dafür ein, den Rundfunkteilnehmern möglichst verschiedenartige Programme anzubieten. So veranlaßte er etwa, die Sendung „Stunde der Nation“, die der „geistigen Unifomierung“ dienen sollte und anfänglich jeden Tag zwischen 19 und 20 Uhr, also in der Haupthörzeit, ausgestrahlt wurde, schon im Frühjahr 1934 nur noch in gekürzter Form dreimal die Woche zu senden. Ja, im folgenden Jahr ließ er sie gänzlich einstellen. Im Rahmen der neuen „Kultur“-Programme traten daraufhin an die Stelle ideologisch aufputschender Sendungen in der Folgezeit zusehends bildungsbetonte Symphonie- und Opernsendungen. Statt weiterhin vornehmlich auf das „Revolutionäre“ des Nationalsozialismus hinzuweisen, gab es jetzt im Radio unter anderem alle neun Symphonien Beethovens sowie den gesamten Wagnerschen Ring des Nibelungen zu hören, deren musikalische Darbietung und klangliche Wiedergabe von einer solchen Qualität war, daß derartige Sendungen auch von einer Reihe ausländischer Rundfunkstationen übernommen wurden. Doch diese Überbetonung des „Hochkulturellen“ erschien vielen Unterklassenhörern und -hörerinnen als zu anspruchsvoll. Während sich diese Schichten anfangs vornehmlich gegen die Übermacht der parteipolitischen Sendungen ausgesprochen hatten, rebellierten sie jetzt gegen den sie geschmacklich „überfordernden“ Charakter vieler Musiksendungen. Und Goebbels, stets auf Breitenwirkung bedacht, lieh auch solchen Stimmen ein williges Ohr. Dementsprechend ließ er den Anteil der Unterhaltungsmusik in den Rundfunkprogrammen zuerst auf 60 Prozent und schließlich auf 70 Prozent erweitern, während Sendungen mit sogenannter „Ernster Musik“ nur noch 5 Prozent zugebilligt wurden. Damit stieß er zwar einigen bürgerlichen Bildungsfanatikern und völkisch gesinnten Kulturtraditionalisten vor den Kopf, gab aber den von ihm immer wieder beschworenen „breiten Massen“ das erwünschte Gefühl, in einer höchst „normalen“ Gesellschaft zu leben, wo auf die anstrengende Arbeit stets die wohlverdiente Unterhaltung folge. Im 142  Nazifaschismus

Zuge dieser Entwicklung erklärte Goebbels 1936: „Das Programm des Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnten Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Es soll in einer klugen und psychologisch geschickten Mischung Belehrung, Anregung, Entspannung und Unterhaltung bieten. Dabei soll besonderer Bedacht gerade auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer meistens vom Leben sehr hart und unerbittlich angefaßt wird und Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirkliche Entspannung und Erholung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.“ Ein Jahr später unterstützte Goebbels sogar die Tendenz, in Zukunft bei der Programmgestaltung auf alle Arten eines „geistigen Hochmuts“ zu verzichten und sich noch „gelockerter“ zu geben als zuvor. „Was will denn dieser Furtwängler mit seinen 2 000 Zuhörern in der Philharmonie?“, erklärte er jetzt, „was wir brauchen, sind die Millionen, und die haben wir mit dem Rundfunk.“ Selbst nach Beginn des Zweiten Weltkriegs änderte sich im Hinblick auf die Programmgestaltung innerhalb des Rundfunks an dieser Grundtendenz nicht viel. Zugegeben, jetzt hörte man zu Anfang auch eine Fülle stolzgeschwellter Siegesmeldungen, die von Franz Liszts Tonpoem Les Preludes eingeleitet wurden, aber das unverbindliche Gedudel der Unterhaltungsmusik ging deshalb keineswegs zurück. Im Gegenteil, als sich die Kriegslage nach dem Fall von Stalingrad im Januar 1943 zusehends verschlechterte, nahmen jene Musiksendungen, die eine optimistisch stimmende Laune verbreiten sollten, prozentual erheblich zu. Eine wichtige Rolle spielten dabei die oft drei Stunden dauernden „Wunschkonzerte“ mit ihren Opernchören, Operettenmelodien, Volksliedern, Karnevalsschlagern, Walzern und Militärmärschen, die sich sowohl bei den Soldaten im Felde als auch bei rund 50 Prozent der Hörer und Hörerinnen an der „Heimatfront“ als Abend- oder Sonntagsunterhaltung einer zunehmenden Beliebtheit erfreuten. Dazu kamen all jene von Zarah Leander, Hans Albers und vielen anderen Publikumslieblingen gesungenen Schlager, welche mit einprägsamen Anfangszeilen wie „Davon geht die Welt nicht unter“, „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“, „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“, „Wir Rundfunk, Film und Presse  143

werden das Kind schon richtig schaukeln“ oder „In der Heimat, in der Heimat, da gibts ein Wiedersehen“ eine „Durchhalte“-Moral befördern sollten, die sich erst Ende April 1945 im Gefolge einer militärischen Niederlage nach der anderen als sinnlos erwies. Fast die gleichen Entwicklungstendenzen lassen sich in der NS-Filmproduktion beobachten. Lediglich zu Anfang gab es hier einige nicht zu übersehende Unterschiede. Während sich der Rundfunk bereits vor der Machtübergabe an Hitler in staatlichen Händen befand und daher von der neuen Regierung sofort ohne allzu große Mühen in den Dienst ihrer eigenen Weltanschauung gestellt werden konnte, war die gesamte Filmindustrie im Jahr 1933 noch privatwirtschaftlich organisiert. Im Hinblick auf die Beschäftigten innerhalb dieser beiden Branchen gab es deshalb anfänglich erhebliche Unterschiede. Im Gegensatz zum Rundfunk, wo die Linken und die Juden, wie gesagt, nur eine verschwindend kleine Minderheit gebildet hatten, waren zwar in den verschiedenen Firmen der Filmindustrie ebenfalls kaum Linke, aber dafür um so mehr Juden tätig gewesen, welche sich plötzlich an den Rand gedrängt sahen. Wohl wissend, daß sie unter Hitlers Fuchtel keine weiteren Berufsaussichten haben würden, verließen darum nach dem 30. Januar 1933 rund 800 Filmregisseure, Kameramänner, Filmschauspieler und Filmschauspielerinnen, darunter Fritz Kortner, Fritz Lang, Max Ophüls, Otto Preminger, Billy Wilder und Fred Zinnemann, das von den Nazifaschisten ausgerufene Dritte Reich Deutscher Nation. Die meisten von ihnen gingen nach Kurzaufenthalten in Frankreich, England und den Niederlanden wie Marlene Dietrich mehrheitlich in die USA, und zwar fast ausschließlich nach Hollywood. Später behaupteten die Nazifaschisten in ihrer Zeitschrift Der deutsche Film, daß in den Jahren vor 1933 70 Prozent aller Filmmanuskriptautoren, 50 Prozent aller Regisseure und 20 Prozent aller Besitzer von filmherstellenden Firmen „Juden“ gewesen seien, um diesen angeblichen „Mißstand“ auch in schockierenden Prozentzahlen so scharf wie möglich herauszustellen. Diese Verluste waren ein schwerer Schlag für die deutsche Filmindustrie, die kurz zuvor noch zu Recht behauptet hatte, nach Hollywood die zweitwichtigste Filmindustrie in der Welt zu sein. Vor allem den „Halbjuden“ Fritz Lang, welchen die „Deutschgesinnten“ vornehmlich wegen seiner Nibelungen-Verfilmung (1924) schätzten, hätte Goebbels gern in Deutschland behalten

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und als Regisseur nazifaschistischer Propagandafilme eingesetzt, was dieser jedoch ablehnte. Wie wichtig Goebbels, der sich sonst gern als ein „Freund der hohen Künste“ gab, den Film fand, beweist die Tatsache, daß er im Spätherbst 1933 im Rahmen der von ihm gegründeten Reichskulturkammer auch für den Film, der lange Zeit als ein künstlerisch „niedriges“ Genre gegolten hatte, eine eigene Kammer einrichten ließ. Schließlich mußte er als Propagandaminister gerade den „niederen“ Kunstformen, mit denen sich die sogenannten breiten Massen besonders leicht erreichen ließen, seine besondere Aufmerksamkeit schenken. Da die Bildungsbourgeoisie weiterhin vornehmlich ins Theater und ins Opernhaus ging, während die Kinos vor allem die Unterklassen anzogen, versuchte Goebbels sofort, nicht nur mit dem Rundfunk, sondern auch mit dem Film diese Schichten für das neue Regime zu gewinnen. Er wußte genau, daß die Arbeiter, die damals noch fast 50 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachten, ihre Stimme vor 1933 weitgehend der SPD oder der KPD gegeben hatten. Also setzte er alle nur denkbaren Mittel in Bewegung, um sich trotz seines eigenen Bildungshintergrunds als „Freund der Arbeiter“ auszugeben und ihnen kulturell das zu bieten, womit er ihnen am schnellsten und suggestivsten zu einem „neuen Bewußtsein“ zu verhelfen hoffte. Und dafür schien ihm – neben dem Rundfunk – das Medium des Films am geeignetsten. Auf diesem Gebiet sah sich also die neue Regierung besonders großen Aufgaben gegenüber. Mit der Gründung einer Reichsfilmkammer war es auf diesem Sektor allein nicht getan. Hier stellte sich plötzlich eine Fülle nicht leicht zu beantwortender Fragen. Woher sollten die Kulturverantwortlichen innerhalb der NSDAP neue Regisseure sowie neue Schauspieler und Schauspielerinnen bekommen, die sich auf dieses Genre einstellen konnten? Wo gab es talentierte Drehbuchautoren, um den neuen Themen eine effektvolle Wirkung zu verleihen? Und wie würde das Unterklassenpublikum auf solche Veränderungen reagieren? Würde es nicht weiterhin irgendwelche schmalzigen Melodramen oder Action-, Revue-, Kostüm- und Lustspielfilme verlangen? Kurzum: wie ließ sich die „neue nationale Gesinnung“, von der jetzt so viel die Rede war, einem Publikum vermitteln, das – angesichts der Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit, die gerade die Arbeiterschichten besonders hart traf – vom Kino vor allem eine unterhaltsame Spannung Rundfunk, Film und Presse  145

26 Emil Lohkamp in dem Film Hans Westmar (1933) von Hans Wenzler.

oder gar einen ins Kitschige übergehenden Eskapismus erwarteten? Alle diese Fragen waren nicht leicht zu beantworten. Zu Anfang schlug das neue Regime auch in diesem Genre erst einmal einen betont „revolutionären“ Kurs ein, indem es die Produktion von knallharten Propagandafilmen unterstützte. Im Jahr 1933 waren das vor allem folgende drei: SA-Mann Brandt. Ein Lebensbild aus unseren Tagen, Hans Westmar. Einer von vielen. Ein deutsches Schicksal aus dem Jahr 1929 sowie Hitlerjunge Quex. Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend. Alle drei beruhten thematisch auf Konflikten zwischen der SA bzw. der Hitler-Jugend mit kommunistischen Rotfrontgruppen, wobei sie entweder auf gelungene Bekehrungen oder auf heroische Märtyrerschicksale hinausliefen. Doch damit war bei dem damaligen, ehemals linksorientierten Unterklassenpublikum kein Furore zu machen. Lediglich der Film Hitlerjunge Quex, in dem Heinrich George eine höchst eindrucksvolle Vaterrolle spielte, hatte einen gewissen Erfolg, während die beiden anderen weitgehend auf Nichtbeachtung oder passiven Widerstand stießen. 146  Nazifaschismus

27 Standfoto aus dem Film Zu neuen Ufern (1937) von Detlef Sierck mit Willy Birgel und Zarah Leander.

Daher korrigierte Goebbels, wie in fast allen künstlerischen Bereichen, schon kurz darauf auch auf diesem Gebiet seinen bisherigen Kurs und schlug den Filmemachern eine wesentlich „geschicktere“ Mischung aus Propaganda und Unterhaltung vor. Und Hitler, der wie Goebbels – trotz seiner hochgespielten „Kulturerwartungen“ – das Unterhaltsame in Franz Lehars Operette Die Lustige Witwe und Walt Disneys Mickey Mouse-Filmen für ebenso wichtig hielt wie das Anspruchsvolle, unterstützte ihn bei diesen Bestrebungen. Statt also weiterhin vornehmlich heroische oder auch tragisch erschütternde Braunhemdfilme drehen zu lassen, beauftragten darum Goebbels und seine Mitarbeiter die führenden Filmkonzerne, vor allem humoristische oder melodramatische Unterhaltungsfilme zu produzieren. Und diese Firmen, ob nun die Bavaria, Ufa, Tobis oder Terra, die erst im Laufe der mittdreißiger Jahre immer stärker unter staatliche Kontrolle gestellt wurden und schließlich in Staatsbesitz übergingen, nahmen solche Aufträge, von denen sie sich höchst ergiebige Profite versprachen, nur allzu willig an und engagierten hierfür die „besten“ Drehbuchautoren, darunter selbst Axel Eggebrecht, Rundfunk, Film und Presse  147

Hans Fallada, Curt Goetz, Peter Huchel, Wolfgang Koeppen, Ernst von Salomon, Reinhold Schüntzel und Günther Weisenborn, obwohl diese dem Nationalsozialismus weitgehend kritisch oder ablehnend gegenüberstanden. Aufgrund dieses Kurswechsels entstand in der Folgezeit eine geradezu unübersehbare Anzahl „gut gemachter“ Lustspiel-, Liebes-, Heimat-, Revue-, Musik- und Ausstattungsfilme, die von den sogenannten breiten Massen begeistert begrüßt wurden, da sie ihnen eine Welt jenseits des Nazifaschismus vorspiegelten, in der es sich offenbar sehr gut leben ließ. Die „Bekehrungsabsichten“, die in den ersten drei Propagandafilmen vorgeherrscht hatten, wurden von nun an weitgehend den Wochenschauen sowie einigen Kultur- und Dokumentarfilmen überlassen, denen zum Teil ähnliche Szenen wie dem 1934 von Leni Riefenstahl gedrehten Reichsparteitagsfilm Triumph des Willens zugrunde lagen, der wegen seiner filmischen Qualität nicht nur den deutschen Filmpreis, sondern 1935 auch den italienischen und 1937 den französischen Filmpreis erhielt. In den abendfüllenden Spielfilmen trat dagegen auf Goebbels’ Weisung das Propagandistische erst einmal zurück und verstärkte sich erst wieder im Herbst 1939, als es nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs galt, die aufopferungswillige Tapferkeit der deutschen Soldaten herauszustreichen. Neben Dokumentarfilmen wie Feldzug in Polen (1939), Feuertaufe (1940) und Sieg im Westen (1941) gehörten dazu unter anderem abendfüllende Spielfilme wie Kadetten (1941), Kampfgeschwader Lützow (1941), Blutsbrüderschaft (1941), Stukas (1941) und Himmelhunde (1942). Ebenso propagandistisch eingestellt waren jene Filme, welche für die sogenannte „Endlösung“ oder das Euthanasieprogramm der NSDAP werben sollten, sowie jene, in denen die Polen und Russen als „slawische Untermenschen“ hingestellt wurden. Die bekanntesten Werke dieser Art waren die drei antisemitischen Filme Die Rothschilds (1940), Jud Süß (1940) und Der ewige Jude (1940), der „Sterbehilfefilm“ Ich klage an (1941) sowie die antislawischen Filme Heimkehr (1941) und GPU (1942). Während in dem antisemitischen Film Der ewige Jude, in welchem die Juden mit einer seuchenübertragenden Rattenplage verglichen wurden, das Propagandistische derart krud in Erscheinung tritt, daß einige besonders blutrünstige Schächterszenen mit Rücksicht auf das weibliche Publikum wieder herausgeschnitten werden mußten, wurde in dem Film 148  Nazifaschismus

Ich klage an die „Gnadentod“-Problematik so verschleiernd angedeutet, daß sie keine allzu verstörende Unruhe unter den Zuschauern und Zuschauerinnen hervorrief. Wohl den größten Anklang unter diesen Propagandafilmen fand Jud Süß von Veit Harlan, und zwar nicht nur, weil in ihm bedeutende Schauspieler wie Heinrich George, Werner Krauss und Ferdinand Marian sowie die Schwedin Kristina Söderbaum die Hauptrollen übernahmen, sondern auch, weil das Drehbuch eine etwas höhere literarische Qualität besaß als die Drehbücher der meisten anderen Propagandafilme. Unter den gegen Kriegsende gedrehten Propagandafilmen sticht – neben dem Fridericus-Film Der große König (1942) – lediglich der im Juni 1943 von Goebbels in Auftrag gegebene Durchhaltefilm Kolberg heraus, in dem Harlan die Hauptrollen wiederum an berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen wie Horst Caspar, Heinrich George, Kristina Söderbaum und Paul Wegener vergab, und der nach höchst aufwendigen Dreharbeiten, bei denen Harlan über ein damals als sensationell geltendes Budget von acht Millionen Reichsmark verfügen konnte, seine Uraufführung am 30. Januar 1945 erlebte, um damit an die vor zwölf Jahren am gleichen Tag erfolgte Machtübergabe an Hitler zu erinnern. Doch diese Filme, denen sich noch eine Reihe propagandistisch intendierter Geschichtsfilme oder Filme über Wissenschafts- und Kulturgrößen wie Robert Koch (1939), Friedrich Schiller (1940), Ohm Krüger (1941), Andreas Schlüter (1942), Friedrich „den Großen“ (1942), Bismarck (1942) und Paracelsus (1943) zuordnen ließen, bildeten zwar eine vielbeachtete, aber prozentual kaum ins Gewicht fallende Minderheit innerhalb der 1 094 Filme, die während des Dritten Reichs gedreht wurden. Rund 80 Prozent davon waren Filme, die in irgendwelchen „realitätsfernen Räumen“ spielten, um den Zuschauern und Zuschauerinnen die Möglichkeit zu geben, sich ganz ihren eigenen Träumen und Wunschvorstellungen hinzugeben. Und zwar herrschte in ihnen, wie etwa in Schwarze Rosen (1935), Zu neuen Ufern (1937), La Habanera (1937), Das unsterbliche Herz (1939), Die goldene Stadt (1942) oder Romanze in Moll (1943), entweder das Melodramatische vor oder es wurde, wie in Wenn wir alle Engel wären (1936), Hallo Janine (1939), Der Gasmann (1940) oder Frauen sind doch bessere Diplomaten (1941), mit Schauspielern und Schauspielerinnen wie Hans Brausewetter, Evelyn Künneke, Theo Lingen, Hans Moser, Marika Rökk, Heinz Rundfunk, Film und Presse  149

28 Szene aus der Filmkomödie Rosen in Tirol (1940) von Géza von Bolvary mit Hans Holt, Theo Lingen und Hans Moser.

Rühmann, Adele Sandrock und Grethe Weiser bewußt in „Blödelei“ und „Liiiebe“ gemacht, was den meisten Kinobesuchern- und -besucherinnen, deren Zahl von 1938 bis 1941 von 450 auf 900 Millionen im Jahr anstieg, ebenso gut, wenn nicht noch besser gefiel. Viele dieser Filme sind von einigen zu gleicher Zeit in Hollywood gedrehten Musik- und Lustspielfilmen, die bis 1940 / 41 auch in Deutschland gezeigt werden konnten, kaum zu unterscheiden. Besonders wichtig für eine „optimistische“ Gesamtstimmung innerhalb der deutschen Bevölkerung empfand die NS-Führung nach Beginn des Zweiten Weltkriegs die betont „harmlosen“ Lustspielfilme. Vor allem in der letzten Kriegsphase, das heißt nach dem Stalingrad-Debakel, stieg ihr Anteil an der Filmproduktion von 47,8 Prozent auf 55,4 Prozent an, während der Anteil eher propagandistisch ausgerichteter Filme von 10 Prozent auf 8 Prozent zurückging. Neben melodramatischen Filmen wie Das Wunschkonzert (1940) und Die große Liebe (1942) kam dabei der Film Münchhausen (1943) mit Hans Albers, dessen Drehbuch von Erich 150  Nazifaschismus

Kästner stammte, beim großen Publikum besonders gut an. In ihm wurde, wie es Goebbels wünschte, alles aufgeboten, was von der bitteren Realität dieser Zeit ablenken konnte: glänzende Abenteuer, kostbar ausgestattete Paläste, Brigitte Horney als Zarin Katharina die Große, ein noch nie gesehener Ritt auf einer Kanonenkugel, ein orientalischer Harem mit nackten jungen Frauen, ein an Rasanz kaum zu überbietender Schnelläufer, Gondelfahrten durch Venedig, Gestalten wie Cagliostro und Casanova, ein Ballonaufstieg zum Mond und zugleich jener strahlende Charme des männlichen Titelhelden, dem keine Frau zu widerstehen vermag. Ja, ein Jahr später lachten noch Millionen Deutsche über Heinz Rühmann in dem Film Die Feuerzangenbowle, während sich um sie herum manche Städte bereits in Trümmerfelder verwandelten. Obwohl die Führungskreise der NSDAP auch dem Zeitungswesen eine beachtliche Aufmerksamkeit schenkten und Goebbels am 15. November 1933 im Rahmen der Reichskulturkammer sogar eine Reichs­ pressekammer einrichtete, deren Präsidentschaft er dem NS-Verlagschef Max Amann übertrug, maßen sie der Presse innerhalb der politisch einflußreichen Massenmedien nicht jene Bedeutung zu wie dem Rundfunk oder dem Film. Wie im Buch sahen sie auch in der damals noch vorwiegend textorientierten Zeitung ein Lesemedium, das einen wesentlich anspruchsvolleren und zugleich langwierigeren Aufnahmeprozeß voraussetzt als die primär akustisch oder visuell operierenden zwei anderen Massenmedien. Daher war die Wichtigkeit der Zeitung, die zu Anfang der Weimarer Republik im Rahmen der meinungsbildenden Öffentlichkeit noch eine Monopolstellung innehatte, schon im Laufe der zwanziger Jahre durch die immer breitere Bevölkerungsschichten erfassende Wirkung des Rundfunks und des Films allmählich zurückgegangen. Ja, gegen Ende dieser Republik drohte selbst manchen der zuvor florierenden Zeitungen, wie dem Berliner Tageblatt, der Bankrott. Und damit schwand auch ihr politischer Einfluß. Das bekam selbst die NS-Presse, also Zeitungen wie der Völkische Beobachter, der Freiheitskampf, Der Stürmer und Der Angriff, zu spüren, denen deshalb innerhalb der Parteiführung nach 1933 nicht mehr dieselbe Bedeutsamkeit beigemessen wurde wie noch in ihren Anfängen. Selbst Goebbels, obwohl er den 1927 vom ihm gegründeten Angriff als sein Leibblatt empfand und unzählige Leitartikel dafür geschrieben Rundfunk, Film und Presse  151

hatte, verlor nach seiner Ernennung zum Minister für Volksaufklärung und Propaganda das Interesse an dieser weiterhin erscheinenden Zeitung und ließ schon im Mai 1933 zu, daß dieses Blatt in die Tageszeitung der Deutschen Arbeitsfront umgewandelt wurde. Lediglich für den Völkischen Beobachter und das Wochenblatt Das Reich schrieb er weiterhin einige Artikel. Dieses Desinteresse hing allerdings nicht nur mit der steigenden Vormachtstellung der audio-visuellen Massenmedien, sondern auch mit dem forcierten Streben nach „Respektabilität“ zusammen, das die NSDAP nach ihrer offiziellen Machtübernahme am 30. Januar 1933 an den Tag legte. Schließlich waren die Zeitungen der NSDAP in den späten zwanziger Jahren, als die Nazifaschisten noch als „revolutionär“ galten, ausgesprochene „Kampfblätter“ gewesen, während viele Führer der NSDAP jetzt danach strebten, dem neuen Regime ein eher repräsentatives Ansehen zu geben. Da jedoch die NS-Führung auf keins der möglichen Propagandamedien verzichten wollte, versuchte sie auch das Zeitungswesen ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Allerdings verfuhr sie dabei etwas großzügiger als auf anderen Gebieten. So wollte sie sogar dem Juden Hans Lachmann Mosse, dem das international bekannte Berliner Tageblatt gehörte, sowie seinem jüdischen Chefredakteur Theodor Wolff die Ehrenarierschaft antragen, falls sich beide bereit erklärt hätten, diese Zeitung – wenn auch unter Auslassung jeder regimekritischen Äußerung – weiterzuführen. Doch sowohl Lachmann Mosse als auch Wolff lehnten dieses von Hermann Göring ausgehende Angebot ab und kehrten nicht aus dem Exil nach Berlin zurück. Und so ließ das Propagandaministerium diese Zeitung wegen ihres internationalen Prestiges, wenn auch unter „arischer“ Leitung, einfach weiterlaufen und stellte sie erst am 31. Januar 1939 ein. Auch viele der anderen Zeitungen der Weimarer Republik, wie die von Alfred Rosenberg als „börsianisch“ charakterisierte Frankfurter Zeitung sowie die Deutsche Allgemeine Zeitung, die Kölnische Zeitung, die Vossische Zeitung und die BZ am Abend, konnten nach 1933 weiter erscheinen. Verboten wurden lediglich linke Blätter wie der Vorwärts, die Rote Fahne und die Arbeiter-Illustrierte Zeitung aller Länder. Allerdings mußten alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie die Besitzer der nach wie vor herauskommenden Zeitungen Mitglieder der Reichspressekammer werden und einen „Ariernachweis“ erbringen. Zugleich sahen sich ihre federführenden Redakteure gezwungen, in ihren Leitartikeln 152  Nazifaschismus

stets den „nationalen Aufstieg“ zu betonen. Obendrein verlangten die zuständigen Parteiverantwortlichen von ihnen, zumindest zwei der bisher in der „bürgerlich-jüdischen“ Presse vorherrschenden Einstellungen aufzugeben: nämlich sowohl das „persönliche Betroffensein“, dem die „Wurzellosigkeit des subjektiven Einzelinteresses“ zugrunde gelegen habe, als auch das im Widerspruch dazu stehende Gebot der „neusachlichen Objektivität“, wie der Direktor der Reichsrundfunkanstalt Eugen Hadamovsky 1933 erklärte. Von jetzt ab, hieß es, solle sich jeder Journalist in erster Linie als Mitglied der „nationalen Gemeinschaft“ fühlen und dem auch in seinen Berichten Ausdruck verleihen. Doch darüber hinaus wurden in den mittdreißiger Jahren keine weiteren allzu gravierenden Ansprüche an diese Berufsgruppe gestellt. Erst als es im Zweiten Weltkrieg galt, eine „optimistische Stimmung“ zu verbreiten, wurde auch den Zeitungsredakteuren die Aufgabe zuerteilt, „muntermachende“ Artikel zu verfassen. Im Gefolge dieses Umschwungs schrieb ihnen etwa das Propagandaministerium unter anderem vor, anstelle von Wörtern wie „Rückzug“ oder „Katastrophe“ irgendwelche geschickt verschleiernden Euphemismen zu verwenden. Doch, wie gesagt, ansonsten blieb im Zeitungswesen, wie auch im Verlagsgeschäft oder in Zeitschriften wie Das Innere Reich, bis zum Ende des Dritten Reichs durchaus ein begrenzter Pluralismus erhalten. Selbst das Wochenblatt der Berliner Juden konnte – trotz der unablässigen Angriffe auf das „semitische Unwesen“ in Julius Streichers Der Stürmer – bis Mitte 1941 weiter erscheinen. In den Kleinanzeigen seiner letzten Ausgaben finden sich sogar noch Heiratsgesuche, so sehr hatten sich manche Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe bereits mit den allgemeinen Zuständen, in denen sie sich weiterhin einzurichten versuchten, so gut oder so schlecht es eben ging, abgefunden. Doch schon kurze Zeit später mußten sie erschüttert einsehen, daß es für sie in diesem Reich keine Lebensmöglichkeiten mehr gab, während viele ihrer „arischen“ Mitbürger, denen Hunderttausende von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen die meisten der anfallenden „Drecksarbeiten“ abnahmen, seit 1943, als die Hoffnungen auf einen siegreichen Ausgang der Kampfhandlungen allmählich schwanden, zynisch erklärten: „Genießt den Krieg, der Friede wird schrecklich sein.“

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Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik Frühere Kunst- und Kulturhistoriker haben sich lange Zeit immer wieder gefragt: Wie war es nur möglich, daß sich ein so hochkultiviertes Volk wie die Deutschen nach 1933 geradezu über Nacht von einer „halbgebildeten Terrorclique“ wie den Nazifaschisten willenlos „gleichschalten“ ließ und ihr unter größten persönlichen Opfern bis zur Katastrophe von 1945 eine zu allem bereite Gefolgschaft leistete? Wie die jüngere Forschung ergeben hat, liegen dieser Frage mindestens drei Trugschlüsse zugrunde. Erstens konnte sich die nazifaschistische Führungsriege bereits auf eine beachtliche Reihe nationalkonservativer bzw. völkischgesinnter Weltanschauungskomplexe stützen, deren ideologische Ahnenkette bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreichte. Zweitens hat es das Volk „der Deutschen“ nie gegeben, sondern stets nur eine in verschiedene Klassen gespaltene deutsche Bevölkerung, die sich auch nach dem 30. Januar 1933 nicht ohne weiteres zu einer homogenen „Volks­ gemeinschaft“ zusammenschloß. Und drittens herrschten in den verschiedenen Schichten dieser Bevölkerung aufgrund höchst disparater Bildungsvoraussetzungen recht unterschiedliche Kunst- und Kulturerwartungen, auf welche die hierfür Verantwortlichen innerhalb der NSDAP durchaus Rücksicht nahmen, indem sie jeder Schicht das ihnen Gemäße zu offerieren suchten. Von einer „kulturellen Gleichschaltung“ kann demnach in den Jahren nach 1933 nur mit vielen Abstrichen die Rede sein. All jene, die dies als Historiker oder Soziologen behaupten, gehen meist von der trügerischen Anschauung aus, daß der gegenwärtige, gern als „massenmedial eingeebnet“ hingestellte Bildungsstand breiter Bevölkerungsschichten schon für die Gesamtheit der damaligen Gesellschaft charakteristisch gewesen sei. Das trifft jedoch weder heute und noch viel weniger im Hinblick auf die zwanziger bis dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts zu, in denen nur etwa vier bis fünf Prozent der deutschen Bevölkerung über eine „höhere Schulbildung“ verfügte und die Zahl der Studierten sogar noch darunter lag. Man sollte daher, wenn man die bildungspolitische Situation der Weimarer Republik und des Dritten Reichs ins Auge faßt, eher von einer sozialen Gemengelage sprechen, in der irgendwelche „demokratisierenden“ Tendenzen – vor allem in kultureller Hinsicht – noch recht schwach ausgebildet waren. Etwas verschärft gesagt, war selbst die Wei154  Nazifaschismus

marer Republik trotz der häufig zitierten Zunahme der angeblich zwischen den Bürgern und dem Proletariat vermittelnden Angestell-­ ten­berufe noch immer ein Klassenstaat, in dem sich die einzelnen Bevölkerungsschichten nicht nur in den Wahlkämpfen, sondern auch in ihren Kulturbedürfnissen noch relativ fremd, wenn nicht gar feindlich gegenüberstanden. Und das war den NS-Führungskreisen, als sie in den späten zwanziger Jahren zur Macht drängten, nur allzu bewußt. Sie nannten zwar ihre Partei die „Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei“, versuchten also, vornehmlich die breiten Massen der Bevölkerung, das heißt die Angehörigen des Proletariats, für sich zu gewinnen, hatten aber zugleich die Oberklassen und die kleinbürgerlichen Schichten im Auge, um so eine absolute Majorität im Reichstag zu erreichen und dadurch, wie Hitler 1930 unter Eid beim Ulmer Reichswehrprozeß erklärte, auf diesem Wege „legal“ an die Macht zu kommen. Aus dieser Einstellung heraus erklären sich auch die vielen teils prokapitalistischen, teils antikapitalistischen Komponenten innerhalb ihrer Ideologie, auf die man immer wieder hingewiesen hat. Aber letztlich lagen diesen Diskrepanzen, wenn man genauer hinsieht, gar keine weltanschaulichen Inkonsequenzen zugrunde. Im Gegenteil, mit ihren sich vielfach widersprechenden Slogans wandten sich die Nazifaschisten mal an die eine, mal an die andere Bevölkerungsschicht, um möglichst alle Deutschen unter einen Hut zu bringen. Und in dieser Form der Demagogie waren sie so geschickt, daß sich ihnen – aufgrund der 1929 / 30 einsetzenden Weltwirtschaftskrise, der rapide anwachsenden Zahl der Arbeitslosen und der Angst der finanziell Bessergestellten vor einem kommunistischen Umsturz – immer breitere Schichten der Bevölkerung anschlossen. Ihre Ideologieansätze waren also gar nicht inkohärent oder gar stümperhaft, sondern durchaus der vorgegebenen Situation angepaßt. Einerseits stützten sich diese Weltanschauungskomplexe auf das Motto „Jedem das Seine“, andererseits auf das Motto „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“, um damit sowohl die privatkapitalistisch-orientierten als auch die sozialistisch-gesinnten Schichten an sich zu binden. Und das gelang den Meinungsführern innerhalb der NSDAP in einem erstaunlichen Maße. Was sich daher nach 1933 in Deutschland abspielte, war eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen, die es nicht nur pauschalisierend zu verwerfen, sondern auch analysierend zu verstehen gilt. Wohl selten ist es den VerSchichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  155

tretern einer realpolitisch kalkulierenden Massenstrategie – nach der Ausschaltung alles „Bolschewistischen“ und „Artfremden“ – gelungen, nicht nur zur Macht zu kommen, sondern diese Macht auch zu erhalten und in kürzester Frist weiter auszubauen. Während in früheren Zeiten dazu oft eine brutale militärische Unterwerfung nötig war, gelang den Nazifaschisten dieser Coup auf geradezu „demokratischem“, das heißt parlamentarisch-legalem Wege. Und damit stellt sich immer wieder die Frage: Wie erreichten sie das eigentlich? Und welche Taktiken setzten sie hierbei ein, um nicht nur die berechtigte Forderung der Unterklassen nach Vollbeschäftigung und damit sozialer Absicherung zu befriedigen, sondern auch die Herzen und Hirne der ihnen folgenden Bevölkerungsschichten mit möglichst attraktiven Freizeitangeboten zu gewinnen? Kurzum: welche Rolle spielten in dieser Hinsicht Kunst und Kultur, auf deren Wichtigkeit sich die Nazi-Größen geradezu unentwegt beriefen? Um die deutsche Bevölkerung nicht sofort mit ihren rassistischen Fernzielen, also denen einer nur durch einen Zweiten oder gar Dritten Weltkrieg zu erreichenden „arischen“ Weltherrschaft, zu schockieren, beschränkten sich die eher pragmatisch eingestellten Nazifaschisten – nach der Ausschaltung der KPD und den ersten Judenboykotts – erst einmal auf die Durchsetzung jener Nahziele, von denen sie sich eine breite Zustimmung erhofften. Statt also lediglich von einem stärkeren „Wehrwillen“, einer „Ausrottung“ aller fremdrassigen Anteile in der deutschen Bevölkerung oder einer Rückführung zu „Blut und Boden“ zu sprechen, stellten sie in ihren Programmen vor allem die Hoffnung auf einen neuen Wohlstand für alle, die Verstärkung traditioneller Wertvorstellungen sowie die staatliche Förderung der in der Weimarer Republik angeblich „depravierten“ Künste heraus. Wohl wissend, daß die aggressiven Tendenzen in ihrer Ideologie keineswegs ausreichen würden, ihre Machtstellung zu befestigen, sondern – im Gegenteil – gefährliche Rückwirkungen haben könnten, dämpften sie daher schon Ende 1933 und dann noch verstärkt in den darauffolgenden Jahren alle betont „kämpferischen“ oder gar „revolutionären“ Züge in ihrer Ideologie zu Gunsten einer traditionsbewußten Gesinnung ab, von der sie sich eine erheblich größere Breitenwirkung versprachen. Damit enttäuschten sie zwar die eher nationalrevolutionär eingestellten Kreise innerhalb ihrer eigenen Partei, deren Führer sie zwischen dem 30. Juni und dem 3. Juli 1934 von Mordkommandos der Gestapo und der SS unbarmherzig 156  Nazifaschismus

umbringen ließen, gewannen aber immer breitere Schichten der deutschen Bevölkerung für ihre Ziele, die sich nach den turbulenten Jahren der späten Weimarer Republik von den Maßnahmen der NSDAP eine Rückkehr zu „Ruhe und Ordnung“ versprachen. Im Hinblick auf die Kulturkonzepte der NS-Führungsriege ergaben sich daraus im Innenbereich der Partei einige recht dramatisch ablaufende Auseinandersetzungen, die allerdings immer wieder kaschiert wurden und daher kaum an die Öffentlichkeit drangen. Die Fanatiker innerhalb der NSDAP, die vom Hitler-Regime einen durchgreifenden Umsturz der bestehenden politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse erwartet hatten und daher von Anfang 1933 bis Mitte 1934 auf eine „zweite Revolution“ drängten, zogen im Laufe dieser Konfrontationen den Kürzeren. Zu diesen Gruppen gehörte neben den alten „Völkischen“ der wilhelminischen Ära, den von Hitler keineswegs geschätzten „rauschebärtigen“ Germanenschwärmern, den nationalbolschewistisch eingestellten Strasser-Anhängern sowie den Nationalrevolutionären innerhalb der SA auch ein sich als Chefideologe aufspielender Theoretiker wie Alfred Rosenberg, der mit radikalfaschistischer Absicht die ältere Spaltung in eine E-und eine U-Kultur mit dem Konzept einer arisch-gesinnten Volkskultur zu überwinden hoffte, welche sich ausschließlich in den Dienst der zu schaffenden „Volksgemeinschaft“ stellen würde. Diese Gruppen waren also sowohl gegen die Weiterführung einer elitären Bildungskultur für die Oberen Zehntausend als auch gegen die weithin kommerzialisierte Unterhaltungskultur, die sich innerhalb der Weimarer Republik ausgebreitet hatte. Sie favorisierten vor allem gemeinschaftsbetonte Kulturvorstellungen, bei denen die Unterschiede zwischen den bildungsbürgerlichen, kleinbürgerlichen und proletarischen Geschmackspräferenzen wegfallen würden, um so jene Allgemeinkultur durchzusetzen, in der jeder „Arier“ seine artgegebene „Wesensbestimmung“ wiedererkennen könne. Dies war zwar einerseits in einem guten Sinne „demokratisch“, wenn nicht gar „volkssozialistisch“ gedacht, beruhte aber andererseits zugleich in aller Offenheit auf einem rassistischen Überheblichkeitsgefühl, das in seinen herrschaftsbetonten Fernzielen auf höchst gefährliche Konsequenzen hinauslief. Demgegenüber waren die Kulturvorstellungen, die Joseph Goebbels als NS-Propagandaminister und verantwortlicher Leiter der Reichskulturkammern vertrat, wesentlich pragmatischer. Er stellte sich erst einmal Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  157

auf „realistisch“ vertretbare Nahziele ein. Statt gleich den fünften Schritt vor dem ersten zu wagen, sprach zwar auch er wiederholt von einer erstrebenswerten „Volksgemeinschaft“, sah aber zugleich ein, daß man auf kulturellem Gebiet nicht die weiterbestehende Klassendifferenzierung aus dem Auge verlieren dürfe. Daher förderte er sowohl eine hohe Kultur für die bildungsbürgerlich eingestellten Schichten als auch eine eher unterhaltsame Kultur für den sogenannten niederen Geschmack. Man hat das oft als ein unentschlossenes Schwanken zwischen an­spruchsvollen und anspruchslosen Kulturvorstellungen hingestellt. Nichts wäre falscher als eine solche Beurteilung. Im Gegenteil, dahinter stand ein geschickt vorgehendes Taktieren, mit dem er es unter dem Motto „Jedem das Seine“ allen Bevölkerungsschichten Recht zu machen versuchte. Und das erwies sich – im Rahmen der nazifaschistischen Nahziele – als wesentlich erfolgreicher, als mit irgendwelchen rassistisch begründeten „Gleichschaltungs“- oder „Volksgemeinschafts“-Konzepten sofort eine „arische Verbrüderung“ der höchst unterschiedlichen Bevölkerungsschichten erzwingen zu wollen. Was Goebbels demzufolge auf kultureller Ebene befürwortete, war erst einmal ein begrenzter Pluralismus. So wurde das zwar nicht genannt, lief aber in der gesellschaftlichen Praxis meist darauf hinaus. Nachdem die „unliebsamen Elemente“, das heißt die Kommunisten, Juden und Zivilisationsmodernisten, weitgehend ausgeschaltet waren und auch die übereifrigen Arierfanatiker nicht mehr jenen Einfluß hatten, den sie sich anfänglich erhofft hatten, stellte sich daher durch seine vielfältigen Machinationen im kulturellen Bereich wieder die gleiche Spaltung in eine E- und eine U-Kultur ein, welche bereits in der von den Nazifaschisten vielgeschmähten „Novemberrepublik“ bestanden hatte. Da sich in den wenigen Jahren der NS-Herrschaft die Bildungsvoraussetzungen kaum änderten, blieben auch die Kulturbedürfnisse innerhalb der verschiedenen Bevölkerungsschichten weitgehend die gleichen. Was sich änderte, waren lediglich die Sprachregelungen auf diesem Gebiet. Während man vor 1933 noch durchaus von „Klassen“ gesprochen hatte, sprach man jetzt einfach von „Arbeitern der Faust“ und „Arbeitern der Stirn“, die beide für den Aufbau des Dritten Reichs von gleicher Wichtigkeit seien. Wie effektiv sich diese Strategie auf der höheren Ebene erwies, haben bereits die Abschnitte über die Malerei, die Musik und die Literatur im 158  Nazifaschismus

Dritten Reich gezeigt. In diesen Bereichen fiel es den NS-Kulturtheoretikern – nach der Ausschaltung der linken Systemkritiker sowie der jüdischen Künstler – relativ leicht, mit ihren traditionsverpflichteten Parolen die Mehrheit der älteren Bildungsbourgeoisie für sich zu gewinnen. Da große Teile dieser Schichten bereits in den zwanziger Jahren aus ihrer Abneigung gegen alle „modernistischen“ Abweichungen von den Formen der älteren klassisch-romantischen Kunst kein Hehl gemacht hatten, stimmten sie jetzt durchaus jenen Maßnahmen zu, welche auf eine durchgreifende Säuberung des Kunsttempels hinauslaufen sollten, wie eine diesbezügliche Schrift von Wolfgang Willrich aus dem Jahr 1937 hieß. Es gab daher kaum Proteste, als die expressionistischen Bilder aus den Museen sowie die linken und jüdischen Publikationen aus den Bibliotheken und Buchhandlungen verschwanden. Auch der Schönbergschen Zwölftonmusik, den neusachlichen Zeitopern oder den „negroiden“ Jazzrhythmen trauerte in diesen Schichten kaum jemand nach. Stattdessen war man hier beglückt, daß die Symphonieorchester wieder mehr Beethoven, Schumann, Brahms und Bruckner spielten, in den Oberschulen der Hauptnachdruck erneut auf die Lektüre der deutschen „Klassiker“ gelegt wurde und es zu einer merklichen Renaissance der Malerei der DürerZeit sowie der Hauptwerke der romantischen und realistischen Kunst des 19. Jahrhunderts kam, in denen diese Schichten die absoluten Höhepunkte des ästhetischen Gestaltungswillens innerhalb der deutschen Kunst sahen. Vieles an dieser Begeisterung für das große „Erbe“ war keineswegs geheuchelt, sondern entsprach durchaus dem Geschmack und der Weltanschauung jener nationalkonservativen Kreise, die zwar manches am Nazifaschismus als „kleinbürgerlich“, wenn nicht gar „halbgebildet“ empfanden, aber seine alles Deutsch-Klassische oder DeutschRomantische anpreisende Kulturpolitik als eine längst überfällige Revision der seit dem Einbruch der fremdländischen „Kunst-Ismen“ stattgefundenen Depravierung des deutschen Geistes begrüßten. Diese Schichten unterstützten daher alles, was die NS-Regierung zur Förderung der „hohen Künste“ unternahm. Wie die nazifaschistischen Kulturtheoretiker wollten auch sie keinen „Proletkult“, keinen „NiggerJazz“, keinen „das Obszöne hervorkehrenden Expressionismus“, keine „dadaistische Verhohnepipelung der Kunst“, keine sexuell aufklärende Filme wie Anders als die Anderen, keine „bizarren Verrücktheiten“ wie Das Kabinett des Dr. Caligari, keine „schnoddrige Neue Sachlichkeit“ Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  159

sowie keine „frivolen Kommerzschlager“ mehr dulden. Im Gegenteil, sie hofften, daß in der Kunst endlich wieder das „Große“, „Bedeutsame“ und „Idealgesinnte“ im Vordergrund stehen würde. Daher waren sie begeistert, daß Hitler 1933 seine Rede auf dem Reichsparteitag unter das Motto „Die deutsche Kunst ist die stolzeste Verteidigung des deutschen Volkes“ stellte. Viele von ihnen erblickten damals in ideologischer Verblendung in Hitler und Goebbels vor allem Künstler, also „Kulturmenschen“, denen es im Bereich der Künste in erster Linie um eine ästhetische „Geschmacksveredelung“ gehe. Und sie sahen sich in diesem Gefühl bestätigt, als sich in den folgenden Jahren die staatlichen Zuwendungen für die Theater, Opernhäuser und Symphonieorchester ständig erhöhten, daß bei feierlichen Anlässen meist Beethoven-Werke gespielt wurden, daß als erster großer Nazi-Bau in München das monumentale Haus der Kunst errichtet wurde, daß Wagners Bayreuth den Rang einer nationalen Pilgerstätte erhielt, ja daß Hitler in Frankfurt und Leipzig sogar die Einrichtung „Musischer Gymnasien“ anregte. Dementsprechend gaben sie sich wie in wilhelminischer Zeit wieder dem Gefühl hin, in kultureller Hinsicht die wichtigste Meinungsträgerschicht innerhalb der deutschen Bevölkerung zu sein und damit auf dem Gebiet von Kunst und Kultur ihren früheren nationalen Stellvertretungsanspruch zurückerobert zu haben. Doch das war, wie gesagt, nur die eine Seite der NS-Kulturpolitik. Zur Unterhaltung der sogenannten breiten Massen wurde dagegen nach 1933 die bereits in der Weimarer Republik zur weithin beherrschenden Kulturform aufgestiegene kommerzielle U-Kunst keineswegs in den Hintergrund gedrängt, sondern staatlicherseits ebenso gefördert wie die sogenannte hohe Kunst. Schließlich wollte ein Propagandakünstler wie Goebbels, der auf diesem Gebiet den meisten Einfluß hatte, im Zuge der lauthals proklamierten „Volksgemeinschafts“-Konzepte auch die kulturell relativ kruden Bedürfnisse der Arbeiter und Angestellten befriedigen. Zugegeben, es gab in der NS-Kulturpolitik auch eine Reihe „volksbildnerischer“ Tendenzen. So versuchten einige Traditionalisten mit „idealistischem“ Elan selbst diese Schichten mit den Werken der hohen Kunst vertraut zu machen und sie im Rahmen staatlicher Besucherorganisationen in die Theater, Opernhäuser und Konzerthallen zu locken. Ja, Wilhelm Furtwängler ließ sich sogar herab, mit den zum „Reichsorchester“ aufgestiegenen Berliner Philharmonikern in den Fabrikhallen 160  Nazifaschismus

der Siemens-Werke sowie anderer Industriekonzerne anspruchsvolle Symphoniekonzerte zu geben, bei denen im zweiten Teil oft Beethovens Neunte Symphonie erklang. Doch der weitaus größere Nachdruck wurde in den verschiedenen Künsten auf das „Unterhaltsame“ in Form von Operetten, Schlagern, beschwingten Tanzweisen, Bestsellerromanen und Lustspielfilmen gelegt, um so den „hart Arbeitenden“, wie es immer wieder hieß, die nötige „Entspannung“ zu bieten und sie nicht mit allzu hohen kulturellen Ansprüchen zu überfordern. Demzufolge verzichteten die dafür Verantwortlichen in diesen Bereichen meist auf allzu gewaltsame Überredungskünste. Sie wollten die „breiten Massen“ weder ständig mit nazifaschistischen Propagandaparolen bombardieren noch ihnen eine Kunst aufzwingen, für die sie nicht die nötigen Bildungsvoraussetzungen besaßen. Stattdessen fanden sie es angebrachter, diese Schichten mit den sie ansprechenden unterhaltsamen Kulturformen bei „guter Laune“ zu halten, um so die nazifaschistische Gesellschaft als etwas Normales, ja für sie Eingerichtetes zu empfinden. Die U-Kulturlandschaft des Dritten Reichs blieb deshalb – von der Ausschaltung alles Frechen, Obszönen oder Kritisch-Aufreizenden einmal abgesehen – weitgehend die gleiche wie in der Weimarer Republik. Auch sie war vornehmlich auf eine heiter stimmende Breitenwirkung eingestellt. Hauptsache, irgendwo dudelten eingängige Schlager, wurde zum Tanz aufgespielt oder das „Volk“ im Kino mit hanebüchenen Lustspielfilmen unterhalten. Die gleiche Funktion hatten Revuebühnen wie die Scala oder der Wintergarten, wo inmitten märchenhaft ausgestatteter Dekorationen halbbekleidete Girl-Gruppen oder artistische Kunststücke zu sehen waren. Daß dabei auch einige „deutschbetonte“ Züge ins Spiel gebracht wurden, konnte bei der nationalen Gesamtstimmung, die in diesen Jahren herrschte, kaum ausbleiben. Aber letztlich blieb diese Form der „Kultur“ überwiegend unpolitisch. Aber das „Unpolitische“ daran war – genauer betrachtet – fast noch „politischer“ als irgendwelche Propagandaparolen. Schließlich wollten die NS-Institutionen gerade die unteren Schichten der Gesellschaft, die vor 1933 weitgehend sozialdemokratisch oder gar kommunistisch eingestellt waren, mit einer groß aufgezogenen Unterhaltungsmaschinerie in eine „frohgemute Stimmung“ versetzen, um sie nicht aufsässig werden zu lassen. Und das war mindestens ebenso „politisch“, wie der Versuch, sie überreden zu wollen, nazifaschistische „Schulungsbriefe“ zu lesen oder sich parteipolitische Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  161

Sendungen im Rundfunk anzuhören. In diesem Sinne hatte Goebbels schon im März 1933 gesagt: „Die tendenziöseste Kunst ist die, deren Schöpfer behaupten, sie habe keine.“ Große Teile der NS-Unterhaltungskultur setzten daher ruhig das fort, was schon den Überredungskünsten der „amerikanisierten“ Massenmedienindustrie der Weimarer Republik zugrunde gelegen hatte. Die Gründe dafür sind leicht einzusehen. Schließlich hatten sich in den USA, wo es keine feudalistischen, ja selbst kaum spezifisch bürgerlichen Kulturtraditionen gab, derartige Taktiken besonders früh und besonders effektiv entwickelt. Und so war dort ohne irgendwelche Verzögerungen oder Hemmungen schon um die Jahrhundertwende jene später von Theodor W. Adorno als „faschistoid“ bezeichnete marktwirtschafliche Kulturindustrie entstanden, über die sich ein Kulturkritiker wie H. L. Mencken bereits in den zwanziger Jahren mit dem berühmt gewordenen Satz mokiert hatte: „No one ever went bankrupt in this country, underestimating the taste of the general public.“ Kein Wunder daher, daß sich in den ersten Jahren des Dritten Reichs auf diesem Gebiet kaum antiamerikanische Stimmen zu Wort meldeten. Ganz im Gegenteil. In diesen Jahren lagen in Deutschland sogar überall US-amerikanische Zeitungen und Zeitschriften aus. Obendrein brachte die Firma Blaupunkt 1937 einen „Übersee-Empfänger“ heraus, mit dem man selbst im Dritten Reich eine Reihe US-amerikanischer Kurzwellensender empfangen konnte. Bis 1940 gab es außerdem in allen größeren deutschen Städten jede Woche einen Hollywood-Film zu sehen. Viele Kinogänger waren daher mit den dortigen Stars, ob nun Gary Cooper, Clark Gable, Buster Keaton, Charles Laughton sowie Joan Crawford, Greta Garbo und Katherine Hepburn, ebenso vertraut wie mit den Lieblingen des deutschen Films. Das Gleiche gilt für Mickey Mouse, Goofy und andere Walt Disney-Figuren, welche sogar Hitler amüsierten und die bis 1940 in vielen Vorprogrammen der abendfüllenden NS-Filme zu sehen waren. Als nicht minder beliebt erwies sich im Dritten Reich – trotz mancher Einwände von Seiten der übereifrigen Rassefanatiker – die US-amerikanische Swing-Musik. Selbst NegroSpirituals wie Old Man River oder Jazz-Trompeter wie Louis Armstrong kamen bei vielen Jugendlichen zeitweilig gut an und wurden sogar im Rundfunk gesendet. Und auch die als typisch US-amerikanisch empfundene Coca-Cola setzte sich mit ihren knallbunten Werbeplakaten 162  Nazifaschismus

29 Heinz Rühmann sammelt am 1. Mai 1937 für das Winterhilfswerk in der Reichskanzelei. Rechts neben Hitler sein Adjudant Julius Schaub.

zur selben Zeit in vielen deutschen Städten als eine Art „Volks“-Getränk durch. So viel zu den „amerikanisierten“ Komponenten innerhalb der NSMassenkultur, denen sich in anderen Bereichen noch manches Ähnlichgeartete hinzufügen ließe. Nicht nur profitorientierte Firmen, auch die pragmatisch Eingestellten unter den Nazifaschisten zögerten keineswegs, solche kulturellen Aufheiterungsbemühungen auf ihre Weise zu fördern. Sie erkannten sehr früh, daß es nach der Misere der Weltwirtschaftskrise nicht ausreichen würde, die sogenannten breiten Massen lediglich mit der versprochenen Vollbeschäftigung sowie mit groß aufgezogenen Organisationen wie dem Winterhilfswerk (WHW), der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) sowie der Bereitstellung staatlicher Unterstützungsgelder für „kinderreiche Minderbemittelte“ zufrieden zu stellen. Wohl wissend, daß es auch unbefriedigte Gemütsbedürfnisse zu stillen gab, entfalteten sie daher – neben dem Import USamerikanischer Massenmedienprodukte – zugleich eine eigene, von den Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  163

30 Heinrich Hoffmann: Urlauber auf einem KDFSchiff (1936).

entsprechenden NS-Behörden genau überwachte und zugleich geförderte Unterhaltungsindustrie, welche der Mehrheit der Bevölkerung soviel Zerstreuung und Vergnügen wie nur möglich bereiten sollte, um sie von den verbrecherischen Fernzielen der NSDAP, wie dem schon früh ins Auge gefaßten Zweiten Weltkrieg, der Ausweisung oder Liquidierung aller fremdrassigen Bevölkerungsteile sowie der Auslöschung der Sowjetunion samt ihrer „slawischen Untermenschen“, abzulenken. Als einer der wichtigsten Antriebsmotoren solcher „aufheiternden“ Taktiken erwies sich dabei die am 27. November 1933 gegründete NSGemeinschaft Kraft durch Freude (KdF). Sie war eine Unterorganisation der von Robert Ley angeführten Deutschen Arbeitsfront, die für die Arbeiter und kleinen Angestellten ein umfangreiches Erholungsund Unterhaltungsprogramm entwickelte, das – neben „volksbildnerischen“ Tendenzen, wie Vorträgen, Konzerten und kostenlosen Theaterbesuchen – ab 1937 auch zu günstigen Preisen ausgedehnte Kreuz­fahrten 164  Nazifaschismus

auf dafür eingerichteten Schiffen, welche als die „Weiße Flotte des Friedens“ ausgegeben wurden, nach Madeira, die italienische Riviera und die norwegischen Fjorde anbot. Außerdem konnten bis 1936 bereits sechs Millionen Arbeiter und Angestellte mit der KdF höchst preiswert in die schönsten deutschen Feriengebiete in Urlaub fahren. Und auch das wurde von diesen Schichten, von denen fast die Hälfte vorher noch nie ihren Heimatort verlassen hatte und auch von anderen derartigen „Vergnügungen“, wie Reitkursen oder der Betreuung durch KdF-Filmwagen in abgelegenen Gebieten, ausgeschlossen geblieben waren, lebhaft begrüßt. Dementsprechend erklärte Ley im November 1938 in einer Rede zum fünfjährigen Bestehen dieser Organisation mit einem selbstgefälligen Unterton: „Was wir 1933 nur ahnen konnten, ist inzwischen eingetreten, nämlich daß wir damit die Wünsche der Arbeiterschaft erfüllten und die Sehnsucht der breiten Masse trafen, und ihr das gaben, worum sie jahrzehntelang gekämpft hatte.“ Und, wie so viele NS-Theoretiker, betonte er dabei nachdrücklich, daß er darin eine „Kulturaufgabe“ sehe, mit der man vor allem „das Herz und das Gefühl“ der bisher Unterprivilegierten zu befriedigen suche, statt ihnen lediglich eine verstandesmäßig ausgerichtete Belehrung zu bieten. Doch zur Aufputschung solcher „Gefühle“ in Richtung Optimismus und Lebensfreude reichten die Kraft durch Freude-Aktivitäten allein nicht aus. Dazu mußten von den NS-Behörden noch wesentlich mehr Maßnahmen ergriffen werden. Eine davon war die Organisation Schönheit der Arbeit innerhalb der KdF. Wie bei all diesen kulturellen Machinationen darf man allerdings auch hier nicht die ideologische Zwiespältigkeit aus dem Auge verlieren, welche ihr zugrunde lag. Einerseits bewirkten ihre Bestrebungen, die oft als „Geschenke des Führers“ hingestellt wurden, eine merkliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen, indem sie zu einer Säuberung und Entrümpelung der von Staub und Schmutz „verhäßlichten“ Arbeitsstätten sowie einer Neugestaltung der hygienischen Anlagen führten, andererseits setzten sie eine innerbetriebliche Rationalisierung und damit Produktionssteigerung im Dienste der zukünftigen Kriegsführung in Gang. Ja, letztlich beabsichtigte die NSFührung mit diesem Programm zugleich, noch bestehende klassenkämpferische Restelemente innerhalb der Arbeiterschaft in den Hintergrund zu drängen und den sogenannten breiten Massen durch die Ästhetisierung ihrer Arbeitswelt ein Gefühl der mitbestimmenden Anteilnahme an Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  165

den Produktionsvorgängen zu geben. Mit Slogans wie „Gutes Licht – Gute Arbeit“ und „Warmes Essen im Betrieb“, der Anlage von Gärten neben den Fabriken sowie der Einrichtung „künstlerisch“ gestalteter Kantinen und Freizeiträume versuchte diese Organisation wie die NSGemeinschaft Kraft durch Freude den Arbeitern einen neuen „lebenszugewandten Frohsinn“ zu vermitteln. Beide trugen daher – nach der brutalen Zerschlagung der älteren Arbeiterorganisationen – in einem eminent „politischen“ Sinn zur fortschreitenden Ent- bzw. Neuideologisierung großer Teile der Arbeiterschaft bei, die sich durch solche Taktiken nur allzu willfährig täuschen ließen und bis Kriegsende keinen innerbetrieblichen Widerstand gegen die NS-Führungsschichten unternahmen. Und damit verschwanden auch auf diesem Sektor die nazifaschistischen Fernziele zusehends hinter einer „Kultur“-Fassade, die – trotz der unübersehbaren Aufspaltung in höhere und niedere Kunstbestrebungen – auf dem trügerischen Schein einer bereits erreichten oder zumindest angestrebten „Volksgemeinschaft“ beruhte. Doch nicht genug damit. Um auf „Nummer sicher“ zu gehen, wie es hieß, ließ die NSDAP auch auf anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens nichts unversucht, um die immer wieder beschworenen „Volksgenossen“ bei guter Laune zu halten. Und dazu gehörten – neben der Vollbeschäftigung, den sozialen Hilfsorganisationen, den KdF-Bemühungen sowie den Werken der Unterhaltungsindustrie mit all ihren Schlagern, Tanzmelodien und Lustspielfilmen – noch drei weitere staatlicherseits geförderte Bestrebungen: 1. der nachdrücklich geförderte Technikkult, 2. die Sportbegeisterung und 3. die Ankurbelung der Konsumgüterindustrie. Diese hatten zwar, wie wir wissen, bereits in der Weimarer Republik, besonders in der „Phase der relativen Stabilisierung des Kapitalismus“ zwischen 1923 und 1929, eine zentrale Rolle gespielt und waren dort als „Neue Sachlichkeit“ ausgegeben worden, wurden aber jetzt noch stärker intensiviert und zugleich mit nationalen Akzenten versehen. Allerdings muß man auch hier wiederum die von den Nazifaschisten angestrebten Nahziele und die dahinterstehenden Fernziele im Auge behalten, um nicht dem Trugschluß zu verfallen, daß es sich dabei in erster Linie um eine allgemeine „Volks“-Beglückung gehandelt habe. Doch das erkannten die meisten der davon beeindruckten Deutschen damals noch nicht und ließen sich deshalb mit verblendeten Augen ohne allzu viele Skrupel in den Zweiten Weltkrieg und die sich daraus ergebende Katastrophe führen. 166  Nazifaschismus

Im Bereich des nicht mehr neusachlichen, sondern bereits nazifaschistischen Technikkults waren – neben der Einführung „moderner“ Kommunikations- und Haushaltsgeräte, die zum Teil ebenfalls schon in der Weimarer Republik begonnen hatte – vor allem der D-Zug, das Auto und das Flugzeug von zentraler Bedeutung. Während die anderen technischen Errungenschaften weitgehend den Bereich der alltäglichen Konsumsphäre betrafen und daher zwar eine wohlwollende Zufriedenheit, aber keinen tiefergehenden Enthusiasmus hervorriefen, ließen sich mit diesen drei sich an Schnelligkeit überbietenden „Wundermobilen“ unentwegt neue, die „breiten Massen“ begeisternde Rekorde aufstellen, welche zu einem wirksamen Stolz auf die deutschen Leistungen auf diesen Gebieten beitrugen. Nicht nur Architekten, Ingenieure und Techniker wie Albert Speer und Fritz Todt, sondern auch Lokomotivführer, Rennfahrer und Flugzeugpiloten wurden daher von der NS-Führung und der ihr in dieser Hinsicht nur allzu willig folgenden Bevölkerung als „Stars“ oder „Pioniere der Zukunft“ umjubelt. Die erste Sensation auf diesem Gebiet war ein Schnellzug, genannt der „Fliegende Holländer“, der 1933 auf der Eisenbahnstrecke BerlinKöln eine Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern erreichte und als der beste D-Zug der Welt hingestellt wurde. Unter den Rennautos waren es vor allem die „Silberpfeile“ unter den Autounion- und Mercedeswagen, die in den dreißiger Jahren einen Rekord nach dem anderen erzielten. Als daher der allseits bewunderte Rennfahrer Bernd Rosemeyer im Januar 1938 auf einer der gerade dem Verkehr übergebenen Autobahnen, die als die „Straßen des Führers“ galten, bei dem Bemühen, schneller als 330 Kilometer in der Stunde zu fahren, tödlich verunglückte, wurde das in der NS-Presse fast als nationale Tragödie hingestellt. Doch die größte Aufmerksamkeit in diesem Bereich galt dem Fliegen, dem selbst Hitler leidenschaftlich frönte. In ihm sahen damals viele der im Dritten Reich lebenden Menschen eine der wichtigsten „Kulturleistungen der Gegenwart“ schlechthin. Nicht nur wegen der Geschwindigkeit einzelner Flugzeugtypen, mit denen Firmen wie Heinkel und Messerschmitt 1939 mehrere Weltrekorde aufstellten, sondern auch durch den Anhauch des Abenteuerlichen und Gewagten übte das Fliegen zu diesem Zeitpunkt noch eine starke Faszination auf die Mehrheit der Bevölkerung aus. Daher wurde es schnell zu einem zentralen Topos der NS-Popularkultur, wofür unter anderem beliebte Lustspielfilme wie Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  167

31 Feierraum eines vom Amt Schönheit der Arbeit gestalteten Gemeinschafts­ hauses (1938).

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Quax der Bruchpilot (1941) mit Heinz Rühmann sowie Kriegsfilme wie Stukas (1941) oder Junge Adler (1944) sprechen. Einen ähnlichen Einfluß auf die „Nationalisierung der breiten Massen“ erhoffte sich die NS-Führung von der bereits bestehenden, aber von ihr noch weiter angefachten Sportbegeisterung. Eine der wirksamsten Voraussetzungen dazu bot die 1936 in Berlin stattfindende Sommer­ olympiade, an der fast alle sporttreibenden Länder der Welt, außer der Sowjetunion, teilnahmen. Hier ließen sich die nationalen Überheblichkeitsgefühle besonders eindringlich aufputschen. Bei dieser Olympiade fanden 1 929 Wettbewerbe in 19 Sportarten auf einem betont „künstlerisch“ angelegten Gelände statt, an denen sich die deutsche Mannschaft mit 248 Sportlern und Sportlerinnen beteiligte, die insgesamt 33 Gold-, 26 Silber- und 30 Bronzemedaillen gewannen und dadurch – mit großem Abstand – vor den USA den ersten Platz in der Nationenwertung belegten. Anläßlich dieser Spiele wurde erstmals auch das 1935 von deutschen Technikern entwickelte Fernsehen eingesetzt, um mit diesem „Fest der Schönheit“, wie es die Partei nannte, in dafür eingerichteten „Fernsehstuben“ – neben den Rundfunkteilnehmern und Direktzuschauern – so viele „Volksgenossen“ wie nur möglich von der Leistungsfähigkeit des neuen Reiches überzeugen zu können. Die gleiche Absicht lag dem diese Ereignisse feiernden vierstündigen Film Olympia von Leni Riefenstahl zugrunde, der als „Fest der Schönheit“ seine Uraufführung zu Hitlers Geburtstag am 20. April 1938 erlebte. Ebenso chauvinistisch wurden die Triumphe einzelner deutscher „Sportsasse“, wie etwa 1936 der Sieg des deutschen „Boxweltmeisters aller Klassen“ Max Schmeling über den schwarzen US-Boxer Joe Louis, von den NS-Massenmedien ausgeschlachtet. Auch Ereignisse dieser Art stellte die NSDAP auf populärer Ebene gern als „Kultur“-Leistungen hin, da in ihnen – durch die Betonung der kraftvollen Körper – eine Annäherung an das „Hellenentum“ stattfinde. Dem gleichen Zweck dienten nicht nur NS-Organisationen wie Glaube und Schönheit, bei deren Vorführungen man wohlgestaltete Jungmädchen- und Frauenleiber bewundern konnte, sondern geradezu alle der Gymnastik oder der Eurhythmie angenäherten Sportarten, ob nun der Eistanz oder das Geräteturnen. Daß dabei die Partei – nach der Auflösung der bürgerlichen und kommunistischen Sportverbände – als Fernziel, wie schon der Turnvater Jahn in der Vorbereitungsphase der Befreiungskriege gegen Napoleon, Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  169

32 Titelblatt der Zeitschrift Kraft durch Freude (1938).

auch die „Erneuerung der Wehrkraft“ ins Auge faßte, wurde anfangs nur von Wenigen durchschaut. Die meisten Deutschen bewunderten auch auf diesem Gebiet vor allem die Aufstellung neuer Rekorde. Ja, viele blieben dabei nicht nur passiv, das heißt schalteten bei solchen Ereignissen ihren Volksempfänger an oder lasen kurz darauf die Sportseiten der jeweiligen Lokalzeitungen, sondern beteiligten sich auch aktiv an den von der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude veranstalteten sportlichen „Freizeitvergnügungen“, bei denen Arbeitern erstmals die Chance geboten wurde, sich sogar an bisher als elitär geltenden Sportarten, wie Tennis, Skilaufen, Reiten und Golf, zu beteiligen. Zu diesem Zweck wurden Mitte der dreißiger Jahre mit staatlichen Mitteln Hunderte von neuen Sportplätzen, Turnhallen, Schwimmbädern und Schießständen angelegt, welche Millionen von „Volksgenossen“ die bewußt verdum170  Nazifaschismus

mende Chance boten, sich in ihrer Freizeit den allerorts angepriesenen „Leibesübungen“ hinzugeben und dabei naiverweise zu glauben, der Staat meine es „wohl“ mit ihnen. Doch selbst all das, ob nun die Werke der Unterhaltungsindustrie, die Technikbegeisterung und die Sportfaszination, hätte nicht ausgereicht, die Mehrheit der Bevölkerung jahrelang bei „guter Laune“ zu halten, wenn es nicht gleichzeitig zu einer merklichen Ausweitung der Konsumgüterherstellung gekommen wäre. Sowohl Hitler als auch Goebbels erkannten sehr früh, daß die „Befriedigung zivilisatorischer Bedürfnisse“, wie sie es nannten, ebenso wichtig wie eine „direkte politische Steuerung“ sei. Auch die Erfüllung derartiger Erwartungen spielte daher in der NS-Presse und -Werbung eine eminent wichtige Rolle. Und zwar wurde selbst die von der NSDAP geförderte Konsumausweitung nicht nur als eine Überwindung der älteren Klassenbarrieren, sondern auch als eine „Kulturleistung“ des neuen Reichs hingestellt. Immer wieder betonten die für diesen Bereich zuständigen Behörden und Firmen, wie vielen Menschen es durch die industrielle Produktionssteigerung innerhalb des Dritten Reichs möglich geworden sei, auch ein Auto, ein Rundfunkgerät, einen Kühlschrank, ein Telefon, einen Fotoapparat, eine Waschmaschine sowie einen elektrischen Haartrockner und ähnliche „Kulturgüter“ zu besitzen. So hieß es etwa 1939 in den entsprechenden Werbungen mit nationaler Genugtuung, daß es in Deutschland mehr Fernsprechund Rundfunkanschlüsse als in irgendeinem anderen Land Europas gebe und bereits 3,63 Millionen „Volksgenossen“ einen Kraftwagen, darunter einen Opel P4, einen Opel Kadett oder einen Ford Eiffel, besäßen. Diese Zahl werde in den kommenden Jahren, in denen man für 5 Reichsmark wöchentlich einen Volkswagen erwerben könne, wie die einschlägigen Verlautbarungen erklärten, sicher noch rapide ansteigen. Mit dem gleichen Stolz wiesen die NS-Propagandaleiter auf die ständige Erweiterung der Reichsautobahnen hin, auf denen immer mehr Menschen die „Verlockung der Ferne“ genießen könnten. Ja, selbst die Zunahme der Haushaltsgeräte und Möbelfabrikate nahm bei derartigen ins Großsprecherische tendierenden Reklamekampagnen einen breiten Platz ein. Nicht nur die Siemens-Staubsauger und die AEG-Kühlschränke, sondern auch die Waschmaschinen, Volksempfänger und Rohrmöbel: es gab kaum irgendwelche Produkte, die in solchen Werbungen nicht als Zeugnisse eines neuen deutschen „Wohnstils“ angepriesen wurden. Schichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  171

Obwohl dahinter viel Zweckpropaganda stand, die mit der tatsächlichen Verbreitung dieser Produkte keineswegs übereinstimmte, kam dadurch bei den „breiten Massen“ die Hoffnung auf, daß auch sie die meisten dieser Dinge sicher bald erwerben könnten. So gesehen, waren die NS-Konsum- und -Freizeitmachinationen in vieler Hinsicht durchaus eine Fortsetzung der „neusachlichen“ Zielsetzungen innerhalb der Weimarer Republik. In ihr dominierten weniger die „Blut und Boden“Parolen, der Antisemitismus und die rassischen Höherzüchtungsprogramme, sondern eher das, was man neuerdings wegen der ständigen Propagierung der technischen Errungenschaften innerhalb des Dritten Reichs häufig als Ausdrucksformen eines „reaktionären Modernismus“ oder „depravierten Sozialismus“ bezeichnet hat. Zweifellos trug all das sowohl zur materiellen als auch zur gemütsbefriedigenden Erfolgsgeschichte des Nazifaschismus bei. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung fühlte sich in diesem Zeitraum – jedenfalls bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs – in einer Gesellschaft zuhause, die ihr nicht ständig irgendwelche Entbehrungen abverlangte, sondern die ihr durch ihre Unterhaltungsindustrie und ihre Konsumangebote ein Leben erlaubte, das sie als „unpolitisch“ empfand, da es ihr eine allmähliche Erhöhung ihres Lebensstandards sowie eine Anteilnahme an jenen lebenserleichternden, wenn nicht gar lebenssteigernden Gebrauchsgütern und zugleich jenen „Wonnen der Gewöhnlichkeit“ ermöglichte, welche ihnen die auf vollen Touren laufende Freizeitindustrie bot. Obwohl sich also an den tatsächlichen Besitz- und Einkommensverhältnissen nicht viel änderte und somit das privatkapitalistische System durchaus weiterbestand, wurde den meisten Menschen in diesem Zeitraum höchst geschickt vorgegaukelt, trotz aller schichtenspezifischen Unterschiede in einer „Volksgemeinschaft“ zu leben, in der die älteren gesellschaftlichen Rangverhältnisse zusehends verschwinden würden. Und damit hatte die NS-Führung bereits um 1936 / 37 ihre kulturideologischen Nahziele weitgehend erreicht, nämlich durch eine geschickt taktierende Realpolitik, in der die Betonung vornehmlich auf den verschiedenen „Kultur“-Leistungen lag, die drei Schichten der deutschen Bevölkerung, nämlich die Bürger, die Angestellten und die Arbeiter, durch einen „Sozialismus auf privatkapitalistischer Basis“ für sich zu gewinnen. Die NSDAP schreckte zwar in den gleichen Jahren auch vor der Einführung von Gewaltmaßnahmen, wie dem Bau von Konzentra­ 172  Nazifaschismus

33 Mercedes-Benz-Reklame (1940).

tionslagern sowie der Anwendung von Euthanasie- und Sterilisationsmaßnahmen nicht zurück, hielt aber diese weitgehend geheim, um nicht gegen den „schönen Schein“ ihrer Kultur- und Freizeitprogramme zu verstoßen. Und damit setzte sie eher die Beschleunigung in Richtung auf eine massenmediale Konsumgesellschaft in Gang, als die Durchsetzung einer wahren „Volksgemeinschaft“ zu befördern. Indem sie andere ihrer Programme, die zur Erreichung ihrer langfristigen Ziele wesentlich brutalere Maßnahmen voraussetzten, immer wieder verschob und sich auf den Ausbau ihrer gerade errungenen Machtstellung beschränkte, enttäuschte sie zwar, wie gesagt, die rassistisch eingestellten Fanatiker in ihren Reihen, stellte jedoch sowohl die gesellschaftliche Oberschicht mit ihrer Anpreisung der höheren Kulturwerte als auch die Unterschichten mit ihren massenmedialen Freizeitangeboten und einer Reihe relativ erschwinglicher Gebrauchsgüter durchaus zufrieden. Demzufolge hatten viele, wenn nicht die meisten Menschen innerhalb dieses Staats nicht das Gefühl, in einem ideologisch überspannten Gewaltregime, sondern in einer ihren Bedürfnissen entsprechenden Kultur- und KonsumgesellSchichtenspezifische Erfolge der NS-Kulturpolitik  173

schaft zu leben. Sie ertrugen deshalb sogar die als „zeitweilig“ empfundenen Entbehrungen und Opfer in der Anfangszeit des Zweiten Weltkriegs, ohne groß Widerstand dagegen zu leisten. Erst in den Jahren 1943 / 44, als es immer deutlicher wurde, daß Deutschland diesen Krieg verlieren würde, bildeten sich einige oppositionelle Gruppen, die jedoch gegen die fest etablierte Machtstruktur des NS-Regimes nichts ausrichten konnten und von den überall im Dritten Reich stationierten Sicherheitsorganen schnell liquidiert wurden. Die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung nahm daher von derartigen Protesten kaum etwas wahr und kämpfte bzw. arbeitete bis zum letzten Tag des Kriegs mit nicht nachlassender Verbissenheit. Diese Einstellung ist nur verständlich, wenn man bedenkt, wie schnell es den Nazifaschisten schon in der Anfangszeit ihrer Herrschaft gelungen war, sowohl die Ober- und Mittelschichten als auch den „breiten Massen“ der deutschen Bevölkerung auf ein geschickt vorgetäuschtes Volksgemeinschaftsgefühl einzustimmen, das sie gegen irgendwelche gesellschaftlich „konkreten“ Einschätzungen ihrer eigenen Situation weitgehend immun gemacht hatte. Daß dabei – trotz der unübersehbaren schichtenspezifischen Aufspaltung – neben der Konsumausweitung und der damit verbundenen Wohlstandssteigerung auch der „schöne Schein“ der NS-Kultur eine wichtige Rolle gespielt hat, steht wohl außer jedem Zweifel. Eine derartige Staatsverbundenheit geht nicht allein auf ältere, durch das Preußentum oder den Protestantismus geprägte Obrigkeitsvorstellungen zurück, wie oft behauptet wurde. Sonst hätten ja die deutschen Soldaten, die als wilhelminische Untertanen in ähnlich autoritären Verhältnissen groß geworden waren, im November 1918 keine gegen das herrschende Hohenzollernregime gerichtete Revolution begonnen. Daß sie es bis zum 8. Mai 1945 nicht taten, sondern daß es der militärischen Überlegenheit der Westmächte und der Sowjetunion bedurfte, um die von Hitler angeführte Wehrmacht zur Kapitulation zu zwingen, wirkt noch heute beschämend. So gesehen, waren die Nazifaschisten, obwohl sie den Zweiten Weltkrieg verloren, mit ihren realpolitischen Taktiken und ideologischen Überredungskünsten doch noch bis zur letzten Minute „erfolgreich“.

174  Nazifaschismus

Innere Emigration

Zwischen Widerwillen und Anpassung Seit Jahrzehnten streitet man sich darüber, welche Bereiche der deutschen „Kultur“ innerhalb des Dritten Reichs es wert seien, als Ausdruck einer Inneren Emigration bezeichnet zu werden. Sicher nicht alles, was sich in einem oberflächlichen Sinn als „nichtfaschistisch“ charakterisieren läßt. So betrachtet, ließen sich nämlich fast zwei Drittel aller zwischen 1933 und 1945 entstandenen Kunstwerke, wie wir gesehen haben, unter diesem relativ positiv klingenden Begriff subsumieren. Deshalb sollte man zwei Phänomene von vornherein ausschalten, wenn man im Hinblick auf diese Jahre in einem etwas präziseren Sinn von Innerer Emigration spricht: zum einen den weitverbreiteten Klassikerkult innerhalb der gebildeten Oberschichten und zum anderen die ins Triviale tendierende Unterhaltungskultur, mit der die NS-Behörden die Unterschichten von ihren realen Interessen abzulenken versuchten. Die enorme Hochschätzung, welche die führenden NS-Größen den Meisterwerken des sogenannten Kulturellen Erbes entgegenbrachten, schloß sich meist unmittelbar an das Kulturbewußtsein der in dieser Hinsicht dominierenden älteren Bildungsbourgeoisie an, die schon seit langem diese Form der Kunst als den ehrwürdigsten Teil in der „Ahnenkette des deutschen Geistes“ empfand. Diese Schichten hatten daher schon vor 1933 alles „Modernistische“ weitgehend abgelehnt und waren nicht erst durch den Nazifaschismus gezwungen worden, alle expressionistischen, futuristischen, kubistischen, dadaistischen, veristisch-gesellschaftskritischen oder kommunistischen Kunstwerke als „entartet“ abzulehnen. Das hatten sie bereits vorher getan und begrüßten deshalb mehrheitlich die entschiedene Frontstellung, welche auch die Nazifaschisten gegen diese Art von Kunst bezogen. Ihr Kulturbewußtsein stützte sich fast ausschließlich auf die Kunstwerke der Gotik und der Dürer-Zeit, die Musik der Beethoven-Ära, die Dichtungen der Weimarer Klassik sowie die Gemälde, Kompositionen, Dramen und Romane der auf sie folgenden romantischen und realistischen StrömunZwischen Widerwillen und Anpassung  175

gen innerhalb der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts. Sie sahen demzufolge in den höhergearteten Kulturprogrammen der NSDAP keine Gewaltmaßnahmen, sondern einen längst fälligen „Reinigungsprozeß“, durch den die wahrhaft bedeutsamen Werke der deutschen Kulturtradition wieder den ihnen gebührenden Ehrenplatz zurückerhalten würden. Eine solche Haltung läßt sich darum weder als nazifaschistisch noch als Ausdruck einer Inneren Emigration bezeichnen. Ihr lag letztlich eine nationalkonservative Gesinnung zugrunde, die auf jenem bürgerlich-antidemokratischen Stellvertretungsanspruch in Sachen „Kultur“ beruhte, den die kunstinteressierten Schichten dieser Bevölkerungsklasse schon seit dem späten 18. Jahrhundert zu ihren Gunsten durchzusetzen versucht hatten. Ebensowenig läßt sich die von den Nazifaschisten intensiv geförderte Unterhaltungskultur für die kulturell weniger anspruchsvollen Unterklassen als Ausdruck einer Inneren Emigration bezeichnen. Die NS-Kulturbehörden erlaubten nämlich diesen Bevölkerungsschichten durchaus eine Flucht in die „Wonnen der Gewöhnlichkeit“ und versuchten sie nicht sofort ideologisch „gleichzuschalten“. Sie wollten die sogenannten breiten Massen, wie sich Goebbels immer wieder ausdrückte, vor allem bei „guter Laune“ halten. Entwicklungsgeschichtlich gesehen, war diese Absicht keineswegs neu. Schließlich lagen ihr die gleichen Zerstreuungs­ tendenzen zugrunde, die schon in den Massenmedien der Weimarer Republik den Ton angegeben hatten. Die strategischen Manöver der „neuen Herren“ waren lediglich zielgerichteter, indem sie sich auf jede nur denkbare Weise bemühten, die Mehrheit der Bevölkerung von den brutalen Fernzielen der NSDAP abzulenken, lassen sich aber nur in Ausnahmefällen als spezifisch „nazifaschistisch“ charakterisieren. Auch diese Bereiche, die zwar vielen Menschen innerhalb des Dritten Reichs einen willkommenen Eskapismus ermöglichten, sollten daher nicht als Ausdruck einer Inneren Emigration bezeichnet werden. Dazu waren sie – besonders in Form der Schlagermusik, Lustspielfilme und Bestsellerromane – ideologisch viel zu unverbindlich. Sie gaben sich zwar größtenteils als „nichtfaschistisch“, ließen aber in ihren Rückzügen ins Unterhaltende nur in den seltensten Fällen eine mit dem NS-System übereinstimmende oder nichtübereinstimmende Tendenz erkennen. Und damit scheiden auch sie als Ausdruck einer Inneren Emigration weitgehend aus. Im Hinblick auf die unteren 80 Prozent der Bevölke176  Innere Emigration

rung betrachtet, war dies – wie unter vielen massenorientierten Regimen – die Kunst und Kultur der Angepaßten, der Mitläufer oder der sich um Politik kaum bekümmernden Menschen, die nach getaner Arbeit in ihrer Freizeit lediglich nach etwas Aufheiterndem oder auch mit Spannung Erfülltem verlangen. Wenn man also im Hinblick auf die Kultur des Dritten Reichs überhaupt von einer Kunst der Inneren Emigration spricht, in der sich – trotz aller erzwungenen Anpassung – kritische oder gar widersetzliche Haltungen zu erkennen geben, dann nur in einem wesentlich beschränkteren Umfang. Prozentual gesehen, blieben ihre Werke weit hinter dem zurück, was sich in einem engeren Sinne als spezifisch nazifaschistische Kunst bezeichnen läßt. Und selbst das war nicht übermäßig viel. Mehrheitlich lehnten nämlich in diesem Zeitraum sowohl die meisten Angehörigen der Oberklasse als auch die sogenannten breiten Massen eine ausdrücklich „politisierte“ Kunst weitgehend ab. Ihrem Kulturverständnis entsprachen – je nach den gegebenen Bildungsvoraussetzungen – entweder die Werke der hohen Kunst oder die Werke der Unterhaltungsindustrie. Sie wollten sich einerseits in ihrem kulturellen Selbstbewußtsein bestätigt fühlen, andererseits sich lediglich unterhalten, zerstreuen oder ablenken lassen. Die Kunst der Inneren Emigration entfaltete sich dagegen in jener ideologischen Grauzone zwischen Widerwillen und Anpassung, der eine nonkonformistische Haltung zugrunde lag, die sich weder eindeutig als „privat“ noch ebenso eindeutig als „offen antifaschistisch“ klassifizieren läßt. Wäre sie lediglich „privatisierend“ gewesen, verdiente sie nicht den Namen „Innere Emigration“. Wenn sie sich „offen antifaschistisch“ gegeben hätte, müßte man sie als Widerstandskunst bezeichnen. Doch einen derartigen Mut brachten – unter den gegebenen Umständen – nur sehr wenige Künstler auf und haben solche Bemühungen meist mit Berufsverboten oder Kerkerstrafen büßen müssen. Also blieben den Künstlern der Inneren Emigration nur zwei Möglichkeiten übrig: irgendwelche regimekritischen Tendenzen so stark zu verschlüsseln, daß sie von den stets wachsamen Augen der NS-Zensoren übersehen wurden, oder von vornherein darauf zu verzichten, an die Öffentlichkeit zu treten und mit ihren im Geheimen geschriebenen, komponierten oder gemalten Werken auf die Zeit nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs zu warten. Zwischen Widerwillen und Anpassung  177

Die meisten der uns bekannten Werke dieser Richtung wurden weder von Arbeitern noch von Angestellten, sondern von Künstlern geschaffen, die sich damals noch als Vertreter oder Vertreterinnen der herkömmlichen Bildungsbourgeoisie verstanden. Deshalb entfaltete sich die Kultur der Inneren Emigration, falls man dafür überhaupt den Begriff „Entfaltung“ gebrauchen sollte, weitgehend im Bereich der höheren Künste, während auf dem Gebiet der Unterhaltungsindustrie auch zwischen 1933 und 1945 eine marktwirtschaftliche Produzentenhaltung herrschte, die – neben ihren bewußten Ablenkungsbemühungen – wie eh und je vornehmlich der erfolgssüchtigen und profitorientierten Einstellung jener Managerschichten entspricht, die sich jedem Regime anzupassen versuchen. Die Künstler der sogenannten Inneren Emigration verstanden sich dagegen noch als anspruchsvolle Dichter, Komponisten und Maler, denen es nicht um finanzielle Vorteile oder gesellschaftliches Prestige, sondern um eine hintergründige Wirkungsabsicht ging, mit der sie ihre Mitbürger und Mitbürgerinnen darauf aufmerksam machen wollten, über dem „schönen Schein“ des neuen Regimes weder die repressiven Sofortmaßnahmen noch die brutalen Fernziele der Nazifaschisten aus dem Auge zu verlieren. Daß sie das nur auf eine symbolisch andeutende oder kryptisch verschlüsselte Weise tun konnten, war ihnen durchaus bewußt. Dennoch versuchten die Besten unter ihnen, wenigstens auf diese Weise einen Einfluß auf jene Menschen zu gewinnen, die gebildet genug waren, bei literarischen Werken auch zwischen den Zeilen zu lesen, bei Gemälden auch den Sinngehalt indirekter Bildaussagen zu verstehen sowie bei unharmonischen Klanggebilden auch ein Ungenügen an den fatalen Harmonisierungstendenzen der NS-Musik herauszuhören. All das setzte selbstverständlich ein Kunstverständnis voraus, das nur in einer äußerst dünnen Schicht der Bildungsbourgeoisie vorhanden war. Schon dadurch blieb der Kunst der Inneren Emigration von vornherein ein größerer Wirkungskreis versagt. So betrachtet, war sie letztlich ein Randphänomen, das kulturpolitisch keine zentrale Rolle spielte. Dennoch sollte man sie nicht ganz unterschlagen, da sich unter ihren Vertretern und Vertreterinnen auch eine Anzahl höchst achtenswerter Künstler befanden, die im Dritten Reich – wenn auch aus recht unterschiedlichen Gründen – auf alle äußeren Erfolge und Aufstiegsmöglichkeiten verzichteten und es vorzogen, zum Teil sogar unter Gefahr ihres 178  Innere Emigration

Lebens, lieber eine Kunst zu schaffen, mit der sie sich nicht an den Verbrechen des herrschenden Regimes mitschuldig machen wollten. Daß hierzu auch gewisse Strategien der Anpassung oder gar der Teilübereinstimmung nötig waren, sollte nicht unterschlagen werden. Aber diese Künstler und Künstlerinnen hofften, sich dadurch ein unbeflecktes Gewissen zu erhalten, statt sich zu ideologischen Handlangern eines von ihnen als tyrannisch, wenn nicht gar teuflisch, satanisch oder dämonisch angesehenen Gewaltregimes zu erniedrigen. Allerdings gilt es dabei im Hinblick auf die Wirkungsmöglichkeiten der von ihnen produzierten Werke, ob nun jene der Dichtung, der Malerei oder der Musik, auch einige Unterschiede herauszustellen. Am schwierigsten hatten es die Schriftsteller der Inneren Emigration, deren Werke fast durchgehend einer sorgfältigen Vorzensur von Seiten der NSBehörden unterlagen. Irgendwelche offen antifaschistischen Aussagen, es sei denn derartige Werke blieben in der Schublade oder irgendwelchen Versteckplätzen, waren daher in diesem Bereich von vornherein ausgeschlossen. Hier mußte alles, was zur Veröffentlichung bestimmt war, so sorgfältig verschlüsselt werden, daß die in diesen Werken enthaltenen geheimen Botschaften manchmal selbst von politisch interessierten Zeitgenossen kaum wahrgenommen wurden. Nur wenn sie erkannt und weitererzählt wurden, ergaben sich daraus für die jeweiligen Autoren zum Teil höchst fatale Folgen. Etwas leichter hatten es einige Komponisten der Inneren Emigration, vor allem dann, wenn sie sich auf den Sektor der Instrumentalmusik beschränkten und ihre Widersetzlichkeit zum herrschenden Regime lediglich durch eine mehr oder minder versteckte Verwendung früherer Arbeiterlieder, Schönbergscher Zwölftonreihen oder spezifisch jüdischer Melismen anzudeuten versuchten. Auf diesem Gebiet waren also widersetzlichen Tönen wenigstens einige Möglichkeiten geboten. Aber wer nahm sie schon wahr – von einigen Kennern auf diesem Gebiet einmal abgesehen? Völlig anders war dagegen die Situation innerhalb der Malerei. Hier konnten selbst widerständige Künstler, die sich zu einem Rückzug in die Innere Emigration entschlossen, weitgehend ungestört weiterarbeiten, indem sie zwar auf öffentliche Ausstellungen verzichteten, aber ihre Werke nach wie vor an private Sammler verkauften. Dadurch gelangten manche dieser Werke erst nach 1945 an die Öffentlichkeit und verhalfen ihren Künstlern somit zwar zu einem ehrenvollen Nachruhm, blieben aber während des Zwischen Widerwillen und Anpassung  179

Dritten Reichs fast ausschließlich unbeachtet. Und auch das sollte man im Auge behalten, wenn man pauschal von der Kunst der Inneren Emigration spricht. Wirkungsgeschichtlich gesehen, hatten letztlich – wenn überhaupt – nur die diesbezüglichen Werke der Literatur einen Einfluß auf jene Kreise der Bildungsbourgeoisie, die eine gewisse Distanz zum Dritten Reich anzustreben versuchten und zugleich gebildet genug waren, den verborgenen Sinn der in solchen Werken enthaltenen Botschaften zu erkennen.

Unterschiedliche Ausdrucksformen in den Künsten Literatur

Obwohl die Literatur noch den breitesten Raum in der uns bekannten Kunst der Inneren Emigration einnahm, spielte sie im Rahmen der Gesamtkultur des Dritten Reichs nur eine relativ marginale Rolle. Die Gründe hierfür sind leicht einzusehen. Erstens war ihr der Zugang zu fast allen Massenmedien von vornherein versagt. Zweitens stieß sie selbst in ihren „harmloseren“ Ausprägungen häufig auf die von den NS-Behörden aufgerichteten Zensurschranken. Drittens mußte sie ihre kritischen Aussagen soweit verschlüsseln, daß diese nur von wenigen Lesern und Leserinnen wahrgenommen wurden. Und viertens blieben einige ihrer wichtigsten Werke bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Schublade und erreichten deshalb die an ihnen interessierten Leserschichten erst nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs. Das Gleiche gilt von jener in diesem Zusammenhang oft erwähnten und manchmal mit ihr gleichgestellten Widerstandsliteratur, von der man ebenfalls nur mit großen Abstrichen reden kann. Schließlich waren all jene Autoren, welche sich nach 1933 innerhalb Deutschlands mit Druckerzeugnissen gegen den Faschismus aufzulehnen versuchten, auf Aktivitäten angewiesen, die von vornherein nur im Untergrund einiger Großstadtbezirke stattfinden konnten. Und selbst das war höchst gefährlich. Die wenigen, die sich dazu entschlossen, hatten meist der inzwischen verbotenen KPD angehört. So gaben etwa einige Mitglieder des früheren Bunds proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS), darunter Elfriede Brüning, Werner Ilberg, Louis Kaufmann und Karl 180  Innere Emigration

Dritten Reichs fast ausschließlich unbeachtet. Und auch das sollte man im Auge behalten, wenn man pauschal von der Kunst der Inneren Emigration spricht. Wirkungsgeschichtlich gesehen, hatten letztlich – wenn überhaupt – nur die diesbezüglichen Werke der Literatur einen Einfluß auf jene Kreise der Bildungsbourgeoisie, die eine gewisse Distanz zum Dritten Reich anzustreben versuchten und zugleich gebildet genug waren, den verborgenen Sinn der in solchen Werken enthaltenen Botschaften zu erkennen.

Unterschiedliche Ausdrucksformen in den Künsten Literatur

Obwohl die Literatur noch den breitesten Raum in der uns bekannten Kunst der Inneren Emigration einnahm, spielte sie im Rahmen der Gesamtkultur des Dritten Reichs nur eine relativ marginale Rolle. Die Gründe hierfür sind leicht einzusehen. Erstens war ihr der Zugang zu fast allen Massenmedien von vornherein versagt. Zweitens stieß sie selbst in ihren „harmloseren“ Ausprägungen häufig auf die von den NS-Behörden aufgerichteten Zensurschranken. Drittens mußte sie ihre kritischen Aussagen soweit verschlüsseln, daß diese nur von wenigen Lesern und Leserinnen wahrgenommen wurden. Und viertens blieben einige ihrer wichtigsten Werke bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Schublade und erreichten deshalb die an ihnen interessierten Leserschichten erst nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs. Das Gleiche gilt von jener in diesem Zusammenhang oft erwähnten und manchmal mit ihr gleichgestellten Widerstandsliteratur, von der man ebenfalls nur mit großen Abstrichen reden kann. Schließlich waren all jene Autoren, welche sich nach 1933 innerhalb Deutschlands mit Druckerzeugnissen gegen den Faschismus aufzulehnen versuchten, auf Aktivitäten angewiesen, die von vornherein nur im Untergrund einiger Großstadtbezirke stattfinden konnten. Und selbst das war höchst gefährlich. Die wenigen, die sich dazu entschlossen, hatten meist der inzwischen verbotenen KPD angehört. So gaben etwa einige Mitglieder des früheren Bunds proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS), darunter Elfriede Brüning, Werner Ilberg, Louis Kaufmann und Karl 180  Innere Emigration

Maron, von August 1933 bis Anfang 1935 in Berlin eine illegale Miniaturzeitung unter dem Titel Hieb und Stich heraus, die jedoch nur 350 bis 500 Leser erreichte. Auch der von Jan Petersen in diesem Zeitraum verfaßte antifaschistische Roman Unsere Straße. Geschrieben im Herzen des faschistischen Deutschlands gehört in diesen Zusammenhang, der allerdings im Ausland gedruckt werden mußte. Anderes, wie die in Gefängnissen und Konzentrationslagern geschriebenen antifaschistischen Gedichte, darunter das Moorsoldaten-Lied von Johann Esser und Wolfgang Langhoff sowie die 1944 / 45 geschriebenen Moabiter Sonette von Albrecht Haushofer, gingen entweder verloren, blieben lagerintern oder erreichten nur eine Handvoll Leser. Daher fällt es schwer, überhaupt von einer effektiven Widerstandsliteratur zu sprechen. Alle Achtung vor vereinzelten Bemühungen in dieser Hinsicht, aber sie blieben innerhalb des Dritten Reichs unter den herrschenden Bedingungen politisch weit­ gehend unwirksam. Politisch nicht viel effektiver war, wie gesagt, die etwas umfangreichere Literatur der Inneren Emigration. Da sie sich alle offen antifaschistischen Äußerungen versagen mußte und weitgehend in einer Grauzone zwischen Widerwillen und Anpassung blieb, wurde sie von den nazifaschistischen „Hütern deutscher Art“ größtenteils toleriert, um ihre Autoren und Autorinnen entweder mit großmütiger Geste von der ideologischen Weitherzigkeit des neuen Regimes zu überzeugen oder um sie schrittweise in den Bannkreis ihrer eigenen Überzeugungen zu ziehen. Schließlich wollte die NSDAP nach der gewaltsamen Vertreibung vieler bedeutender Autoren im Frühjahr 1933 in der Folgezeit nicht noch mehr „Märtyrer“ schaffen, sondern auch im Bereich der Literatur als eine traditionsverpflichtete Partei auftreten, die selbst den „unpolitischen“ Lieblingswerken der Bildungsbourgeoisie einen teils echten, teils geheuchelten Respekt entgegenbrachte. Und im Schatten dieses „Respekts“ entfaltete sich deshalb nach 1933 / 34 ein literarisch anspruchsvolles Schrifttum, das sich den antirevolutionären Geist der NSDAP zunutze machte und dessen Vertreter und Vertreterinnen nach wie vor bei ihren bisherigen kulturellen und religiösen Überzeugungen blieben. Schließlich wurde niemand gezwungen, als Mitglied der Reichsschrifttumskammer zugleich Parteimitglied zu werden. Was vielen NS-Literaturbonzen in dieser Hinsicht genügte, war eine traditions­ verpflichtete Haltung, die auf der Wertschätzung des deutschen „KultuLiteratur  181

rellen Erbes“ beruhte. Und eine derartige Haltung hatten viele der gutbürgerlichen Autoren und Autorinnen – von den im liberalen bzw. linksliberalen Literaturbetrieb der Weimarer Republik herausgestellten „Modernisten“ einmal abgesehen – auch schon vorher bezogen und sahen daher im Regimewechsel von 1933 keinen radikalen Umbruch, sondern eher eine Bestätigung, wenn nicht gar Stärkung ihrer eigenen literaturideologischen Überzeugungen. Ihre Anschauungen ähnelten daher in manchem durchaus den Anschauungen jener nationalkonservativen Autoren, die Hans Grimm nach 1933 zu seinen Lippoldsberger Dichtertreffen sowie Börries von Münchhausen zu seinen Rosenritterfesten auf die Wartburg einluden. Die Hauptwerke dieser Schriftsteller, darunter Rudolf G. Binding, Hans von Gabelentz, Joachim von der Goltz, Heinrich Lilienfein, Ernst von Salomon, Wilhelm Schäfer, Hermann Stehr und Leo Weismantel waren zumeist bereits vor der Machtübergabe an Hitler erschienen, erlebten aber zum Teil auch im Dritten Reich noch hohe Auflagen. Obwohl sie größtenteils keine offen nazifaschistischen Tendenzen unterstützten und in „bürgerlicher Abseitshaltung“ eine nichtfaschistische bzw. allgemeinmenschliche Haltung bezogen, sollte man dennoch die von ihnen publizierten Werke nicht der Inneren Emigration zurechnen. Sonst müßte man einen Großteil der im Dritten Reich erschienenen Literatur dieser Richtung zuordnen. Genau besehen, blieb nämlich die Mehrheit aller zwischen 1933 und 1945 in Deutschland publizierenden Autoren entweder bei ihren älteren nationalkonservativen Überzeugungen oder bevorzugte nach wie vor unpolitische Themen, bei denen sie zum Teil auch humoristische oder zumindest unterhaltsame Elemente nicht verschmähten, um einen möglichst großen Kreis von Lesern und Leserinnen zu erreichen. Schließlich wollten Schriftsteller und Schriftstellerinnen, wie etwa Georg Britting, Hans Carossa, Manfred Hausmann, Ina Seidel, Frank Thiess und viele andere, selbst im Dritten Reich nicht auf ihre schon in der Weimarer Republik erzielten literarischen „Erfolge“ verzichten. Und dafür nahmen sie manchmal sogar einige kleinere Zugeständnisse an das neue Regime in Kauf. Doch nun zu jener besagten Grauzone zwischen Widerwillen und Anpassung, in der sich jene Autoren und Autorinnen bewegten, in deren nichtfaschistischer Haltung sich auch gewisse abwehrende oder oppositionelle Tendenzen zur Ideologie sowie zu den Gewaltmaßnahmen des 182  Innere Emigration

neuen Regimes bemerkbar machen. In diesem Umkreis hat man bisher – neben der Naturlyrik eines Wilhelm Lehmann und den protestantischen Gedichten von Rudolf Alexander Schröder – häufig auf die nichtfaschistische Literatur der „jungen Generation“, also auf Autoren und Autorinnen wie Stefan Andres, Johannes Bobrowski, Günter Eich, Max Frisch, Rudolf Hagelstange, Felix Hartlaub, Gustav René Hocke, Peter Huchel, Marie Luise Kaschnitz, Rudolf Krämer-Badoni, Wolfgang Koeppen, Ernst Kreuder, Karl Krolow, Horst Lange, Wolf von Niebelschütz, Wolf Dietrich Schnurre, Eugen Gottlob Winkler und andere hingewiesen, die im Dritten Reich eine Fülle von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Gedichten publizierten, deren Inhalte sich weitgehend außerhalb der spezifisch nazifaschistischen Literatur bewegten und zum Teil auch Formelemente enthielten, die von manchen NS-Größen als „undeutsch“, wenn nicht gar „entartet“ empfunden wurden. Allerdings ist von spezifisch „oppositionellen“ Elementen in ihren Werken nicht viel zu spüren. Daher wäre es zu hoch gegriffen, in ihnen den Ausdruck einer widerwilligen Abneigung gegen das herrschende Regime zu sehen. Viele dieser Autoren und Autorinnen fingen erst nach 1933 an zu schreiben. Die demokratisch-liberalen oder gar linken Tendenzen in der Literatur der Weimarer Republik waren ihnen daher zumeist fremd. Eine Flucht ins Exil oder ein politischer Widerstand kam demnach für sie, die weder Linke noch Juden waren, kaum in Betracht. Sie nahmen die Verhältnisse nach 1933, welche sie persönlich nicht bedrohten, erst einmal so hin, wie sie waren, und versuchten, innerhalb des Dritten Reichs eine Nische zu finden, in der sie möglichst ungestört ihren literarisch-individuellen Neigungen nachgehen konnten. Und es gab auch genug Verlage, darunter Goverts, Rauch, Rowohlt und Suhrkamp oder Zeitschriften wie Neue Rundschau, Europäische Revue, Deutsche Rundschau, Das Innere Reich, Hochland und Eckart, die eine derartige Literatur bereitwillig publizierten. Selbst die Feuilletonchefs der Frankfurter Zeitung, der Kölnischen Zeitung, der Magdeburgschen Zeitung und der Rheinisch-Westphälischen Zeitung standen dieser Gruppe von Schriftstellern und Schriftstellerinnen zum Teil wohlwollend gegenüber. In ihrem Rückzug auf das Rein-Geistige und Individuelle sowie ihrer Vermeidung aller tagespolitischen Themen, die vor allem der Zeitschrift Das Innere Reich ihr „hochliterarisches“ Ansehen gab, hielt die NS-Zensur die Literatur  183

Werke dieser Gruppe offenbar für „ungefährlich“. Demzufolge kamen die Vertreter und Vertreterinnen dieser Richtung nur selten mit den NSBehörden in Konflikt und blieben weitgehend ungeschoren, ja wurden teilweise sogar staatlich gefördert. Wer sich dagegen in seinen Werken über den Bereich des Rein-Geistigen und Individuellen aufs Glatteis des Gesellschaftskritischen hinauswagte, wurde staatlicherseits sofort aufs Korn genommen. Deshalb lohnt es sich erst in diesen Gefilden, von einer Literatur der „Inneren Emigration“ in einem engeren Sinn zu sprechen. Allerdings gilt es dabei zwischen mehreren höchst verschiedenen Ausprägungen dieser Form von Literatur zu unterscheiden. Im Gegensatz zu den wenigen „linken“ Autoren, die im Dritten Reich verblieben waren und sich im Untergrund um eine parteipolitische Solidarität bemühten, hat man es bei dieser Gruppe fast ausschließlich mit „bürgerlichen“ Außenseitern zu tun, welche sich auch literarisch nur ihrem eigenen Gewissen verpflichtet fühlten. Nicht gewohnt, sich irgendwelchen ideologiegefärbten Programmen unterzuordnen, drückte hier jeder seinen eigenen Widerwillen gegen den am 30. Januar 1933 stattgefundenen Regimewechsel aus. Dennoch lassen sich im Rahmen dieser Gruppe etwa sechs verschiedene Richtungen unterscheiden, obwohl alle dieser Autoren – ohne allzu engen Kontakt untereinander – letztendlich ihren eigenen Weg zu gehen versuchten. Da wären erst einmal jene Schriftsteller, die sich bereits vor 1933 einen Namen gemacht, ja im Rampenlicht der literarischen Öffentlichkeit gestanden hatten und sich jetzt – trotz mancher oder gar vieler Vorbehalte – dem neuen Regime „anzubequemen“ versuchten, wie man damals sagte. Allen voran Gerhart Hauptmann, von dem nach 1933 sowohl profaschistische als auch antifaschistische Äußerungen bekannt sind. Insbesondere seine Freundschaft mit Juden wie dem Verleger Samuel Fischer und dem Maler Max Liebermann, an der er auch nach 1933 festhielt, wurde ihm von Nazifaschisten wie Alfred Rosenberg als schwerwiegendes Manko angekreidet, während sich Goebbels – wegen des internationalen Prestiges des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmanns – auch in dieser Hinsicht wesentlich großzügiger verhielt. Allerdings findet sich in Hauptmanns Spätwerken, in denen er sich weitgehend dem Mythologischen und Traumhaften zuwandte, bei genauerem Zusehen nur wenig Widerständiges. Dagegen leistete sich der in der 184  Innere Emigration

Weimarer Republik vielgefeierte Dramatiker Georg Kaiser nach 1933 in seinen allerdings nur hektographierten antifaschistischen Gedichten wesentlich mehr Oppositionelles und geriet dadurch in Gefahr, verhaftet zu werden, weshalb er 1936 in die Schweiz auswich. Und auch der durch seinen Roman Kleiner Mann – was nun? (1932) zu einem Bestsellerautor aufgestiegene Hans Fallada wagte es, nach 1933 in seine Romane Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (1934) und Wolf unter Wölfen (1937) auch einige sozialkritische Passagen einzufügen, die zwar Goebbels keineswegs bedenklich fand, aber von Alfred Rosenberg, Will Vesper und Hellmuth Langenbucher nur mit Widerwillen geduldet wurden. Ebenso tolerant verhielten sich die meisten NS-Behörden jenen Autoren gegenüber, die ihre Kritik an bestimmten Maßnahmen des Dritten Reichs in die Form einer ästhetizistischen Distanzierung einkleideten. Wohl das bekannteste Beispiel dafür ist der von einigen Nazifaschisten vielfach umbuhlte Ernst Jünger, dessen kriegsverherrlichende Schriften aus den zwanziger Jahren, wie In Stahlgewittern (1920), Der Kampf als inneres Erlebnis (1922), Das Wäldchen 125 (1925) und Feuer und Blut (1925), bis in die vierziger Jahre immer wieder neu aufgelegt wurden. Selbst als sich Jünger als „Wald- und Einzelgänger“ in eine „aristokratische Form der Inneren Emigration“ zurückzog, wie er später erklärte, wurde ihm das von Seiten des Regimes nicht allzu verübelt. Ja, sein 1939 publizierter Roman Auf den Marmorklippen konnte bis 1942 sogar in mehreren Auflagen erscheinen, obwohl manche seiner gebildeten Leser die hochmütige Distanzierung von den realexistierenden Verhältnissen im Dritten Reich, die diesem Buch zugrunde liegt, als „systemkritisch“ empfanden. Zum Teil wird das noch heute behauptet. Doch Urteile dieser Art, mit denen einige seiner Anhänger Jünger nach 1945 einen „Persilschein“ ausstellen wollten, müßte man etwas genauer unter die Lupe nehmen. Schließlich ist Hochmut allein noch kein Widerstand. Das gleiche gilt für andere kalligraphische Fingerübungen dieser Art, wie etwa für einige der klassizistischen Gedichte Joseph Weinhebers, der zwar nach 1933 eine Reihe höchst kunstvoller Sonettenkränze schrieb, aber ideologisch durchaus hitlerisch gesinnt war. Und auch Gottfried Benn, den selbst Heinrich Himmler noch im Herbst 1937 gegen die Angriffe der Rosenberg-Clique verteidigte, sollte man nicht seine die Emigranten verhöhnenden Bekenntnisse zum NazifaLiteratur  185

34 Rudolf Schlichter: Ernst Jünger (1937).

schismus sowie seine positive Einstellung zu den Züchtungs- und Euthanasiemaßnahmen des Dritten Reichs verzeihen, nur weil er im Oktober 1944, nachdem ihn die Nazifaschisten aus ihren Reihen ausgestoßen hatten, in seinem ästhetisch vollendeten Gedicht Chopin ein Hohes Lied auf die nur in der Einsamkeit zu erreichende künstlerische Vollendung anstimmte. Zugegeben, die meisten Vertreter der literarischen Inneren Emigration waren nicht so sprachbegabt wie Jünger und Benn. Aber das ist kein Grund, sie dafür geringzuschätzen oder gar zu disqualifizieren. Ist nicht bei solchen Urteilen, wenn es um die Einstellung zum Nazifaschismus geht, die politische Gesinnung von ebenso großer Wichtigkeit wie die formale Gekonntheit? Das abschätzige Bonmot „Zwar wohlgemeint, aber literarisch wertlos“, das Benn gern verwendete, sollte in diesem Bereich keine Gültigkeit haben. Was hier zählt, ist die antifaschistische 186  Innere Emigration

„Haltung“, die hinter derartigen Werken steht. Und die findet sich in dem Zeitraum zwischen 1933 und 1945 eher bei jenen Autoren und Autorinnen, die ihren mühsam versteckten Unwillen über den Nazifaschismus, soweit es ihnen möglich war, in die Form religiöser, humanistisch-nationalkonservativer, antimilitaristischer oder linkskritischer Überzeugungen einzukleiden versuchten, statt lediglich ins Ästhetizistische auszuweichen. Die meisten Autoren und Autorinnen dieser vier Richtungen bedienten sich dabei religiöser Motive. Sie lehnten zwar einen organisierten gewaltsamen Kampf gegen den Nazifaschismus ab, wollten aber, wie Werner Bergengruen, Albrecht Goes, Jochen Klepper, Elisabeth Langgässer, Gertrud von Le Fort, Luise Rinser, Reinhold Schneider und Ernst Wiechert, ob nun aufgrund katholischer oder protestantischer Glaubenshaltungen, ihr Gewissen „rein“ erhalten. Da sie vor 1933 nicht als Sozialkritiker aufgetreten waren, das heißt sich meist jeder politischen Äußerung enthalten hatten, wurden sie von den Nazifaschisten nicht von vornherein als „widerständig“ empfunden. Erst im Laufe der dreißiger Jahre, als einige von ihnen – in Ablehnung der Judenverfolgung, der Zerschlagung religiöser Vereinigungen, der Inhaftierung widerspenstiger Geistlicher wie Martin Niemöller, der Euthanasiemaßnahmen sowie der offenkundigen Kriegsrüstungen – eine regimekritische Haltung bezogen, wurden sie von den NS-Behörden zusehends beargwöhnt. Wohl das meiste Aufsehen innerhalb dieser Gruppe erregte Ernst Wiechert, der in den zwanziger Jahren neben mehreren religiös gefärbten Romanen auch eine Reihe nationalgesinnter Werke veröffentlicht hatte. Die NS-Behörden sahen daher in ihm – schon wegen seiner enormen Beliebtheit – anfangs einen willkommenen Bundesgenossen, zumal bei ihm im Gegensatz zu anderen Autoren dieser Richtung das Christliche oft nur im Hintergrund durchschimmert. Doch gerade das hatte Wiechert – neben seiner einfachen, schmucklosen Sprache – zu einer Popularität verholfen, aufgrund derer er glaubte, sich nach 1933 einiges „erlauben“ zu dürfen. Von besonderer Brisanz war dabei jene Rede, die er am 6. Mai 1935 vor Münchner Studenten hielt, in der er seine Hörer aufrief, sich den ins Übermenschliche und Rechtlose tendierenden Maßnahmen des neuen Herrschaftssystems in Deutschland nicht allzu willig unterzuordnen. Wegen dieser Rede wurde Wiechert danach immer stärker überwacht. Allerdings zögerten die Nazifaschisten noch bis 1938, Literatur  187

ihn festnehmen zu lassen. Erst als er sich öffentlich gegen die Verhaftung Martin Niemöllers aussprach, wurde er für sechs Wochen ins Konzentrationslager Buchenwald überführt. Nach seiner Entlassung und einer erpreßten Versöhnung mit dem von ihm weiterhin abgelehnten Regime veröffentlichte er 1939 als einziges Aufsehen erregendes Werk nur noch den Roman Das einfache Leben, in dem er als Gegenbild zur faschisierten Gesellschaft ein bescheidenes, zurückgezogenes Leben auf einer Insel beschrieb, das sich sowohl religiös als auch allgemein-ethisch auffassen ließ und daher durch seine Haltung des verstehenden Tröstens unter den „Stillen im Lande“, die zwar nicht mit dem Nationalsozialismus übereinstimmten, aber bereits vor seiner ideologischen Übermacht kapituliert hatten, eine weite Verbreitung fand. Derart große literarische Erfolge waren den anderen Autoren und Autorinnen dieser Richtung nicht beschieden. Und zwar gilt das selbst für die relativ auflagenstarken Werke Werner Bergengruens. Allerdings ist in ihnen die Widersetzlichkeit gegen das Dritte Reich weniger ausgeprägt als bei Wiechert und wird obendrein von einer stärkeren Ergebenheit in Gottes Wille überlagert, weshalb seine Romane Der Großtyrann und das Gericht (1935) und Am Himmel wie auf Erden (1940) anstandslos zur Veröffentlichung zugelassen wurden. Und das, obwohl Bergengruen mit einer „Dreivierteljüdin“ verheiratet war und zeitweilig als „nicht-arisch Versippter“ aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde. Nicht ganz so ungeschoren blieb Jochen Klepper, der in seinem Roman Der Vater (1937) dem nazifaschistisch überhöhten Führertyp in der Gestalt des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. das Leitbild eines aus christlichen Motiven heraus handelnden „sittlichen Erzieher des Volks“ entgegenzustellen versuchte, der mit seinem Plan eines „ewigen Friedens der Christenheit“ alle zukünftigen Kriege zwischen den europäischen Völkern verhindern wollte. All das paßte keineswegs in das von vielen militaristischen Klischees überlagerte Bild dieses seit altersher als „Soldatenkönig“ apostrophierten Herrschers, weshalb Klepper kurz nach dem Erscheinen dieses Romans aus der Reichsschrifttumskammer ausgestoßen wurde und schließlich mit seiner von der Deportation bedrohten jüdischen Ehefrau 1942 freiwillig aus dem Leben schied. Noch deutlicher wandte sich Reinhold Schneider 1938 aufgrund seiner christkatholischen Gesinnung in seinem im Insel-Verlag erschienenen Roman Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquistadorenzeit 188  Innere Emigration

gegen den rassistischen Ungeist des Nazifaschismus, indem er in diesem Buch deutlich durchblicken ließ, daß die Ausrottung der süd­ amerikanischen Indios durch die Spanier fast die gleichen Züge wie der Judenhaß der Nazis aufweise. Seine Schriften wurden daher 1941 mit einem von den NS-Behörden verfügten Druckverbot belegt, was ihn jedoch nicht davon abhielt, weitere widersetzliche Texte in hektographierter Form zu verbreiten, an der Gründung des nationalkonservativen Kreisauer Kreises teilzunehmen und sich auch seelsorgerisch gegen den Faschismus zu betätigen, worauf 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ ein Hochverratsprozeß gegen ihn eingeleitet wurde, der allerdings im Chaos der letzten Kriegsmonate nicht mehr zu Ende geführt werden konnte. Während die christlich grundierte Literatur der Inneren Emigration in den Werken Wiecherts, Bergengruens, Kleppers und Schneiders wohl ihre nachdrücklichste Ausprägung erlebte, läßt sich das von den Werken Elisabeth Langgässers nicht so eindeutig sagen. Obwohl sie als katholisch getaufte Halbjüdin und Mutter einer „dreivierteljüdischen“ Tochter nach 1933 von Anfang an bedroht war, versuchte sie sich dennoch in Berlin mit Erzählungen und Rundfunkaufträgen als freie Schriftstellerin durchzuschlagen, bis sie, nachdem 1936 ihr Roman Gang durch das Ried erschienen war, kurz darauf Publikationsverbot erhielt. Daß sie heute überhaupt als Autorin der Inneren Emigration eingeschätzt wird, verdankt sie fast ausschließlich ihrem Roman Das unauslöschliche Siegel, den sie zwischen 1936 und 1945 niederschrieb und der dann 1946 im Druck erschien. In ihm geht es unter anderem um einen katholisch getauften Juden namens Lazarus Belfontaine, der wie ein moderner Hiob den Prüfungen Satans ausgesetzt ist und trotz des „unauslöschlichen Siegels“ seiner Taufe letztlich „Isra­ elit“ bleibt. Doch die eigentliche 35 Elisabeth Langgässer (um 1945). Literatur  189

Leitfigur des Ganzen ist der Pater Lucien Benoit, der den festen Pol der katholischen Glaubensgewißheit vertritt, wodurch sich dieser Roman – trotz aller inneren Widersprüche – auch als Hoffnung auf eine religiöse Umkehr und damit als ein Widerstandswerk gegen den „satanischen“ Nazifaschismus lesen läßt. So viel zu den religiösen Stimmen in der Literatur der Inneren Emigration. Als würdigste Vertreterin des humanistisch-nationalkonservativen Flügels des gleichen Schrifttums wäre in diesem Zusammenhang Ricarda Huch zu erwähnen, die bereits im April 1933 freiwillig aus der Preußischen Akademie der Künste austrat, weil sie das „prahlerische Selbstlob“ und die „brutalen Methoden“ des neuen Regimes in aller Offenheit als „undeutsch“ ablehnte, und die auch in den folgenden Jahren, in denen sie außer ihren Jugenderinnerungen und einigen Werken zur altdeutschen Geschichte im Zürcher Atlantis-Verlag wenig publizierte, dieser Gesinnung treu blieb. Trotz ihrer unnachgiebigen Frontstellung gegen die nazifaschistischen Rassendoktrinen geschah ihr dennoch im Dritten Reich nichts, da die für ihren „Fall“ zuständigen NS-Behörden – wegen ihrer früheren Veröffentlichungen zur deutschen Romantik – in ihr weiterhin eine zwar nichtkonformistische, aber letztlich zutiefst nationalbewußte Autorin sahen. Wer sich dagegen bemühte, irgendwelchen antimilitaristischen oder linkskritischen Überzeugungen seine Stimme zu leihen, kam nicht so glimpflich davon. Das gilt vor allem für einen bereits in den zwanziger Jahren sozialengagiert aufgetretenen Autor wie Adam Kuckhoff. Seinen Roman Der Deutsche von Bayencourt (1937), in dem er sich für eine Verständigung zwischen den Franzosen und Deutschen einsetzte, um weitere Kriege zu vermeiden, duldeten die Nazifaschisten gerade noch. Als er sich allerdings dem antifaschistischen Widerstandskreis um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen anschloß, der meist als die „Rote Kapelle“ bezeichnet wird, wurde er 1942 verhaftet und kurz darauf in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Fast das gleiche Schicksal widerfuhr Günther Weisenborn, dessen 1931 erschienener Roman Barbaren 1933 auf dem Scheiterhaufen gelandet war und der sich daraufhin als Autor vorübergehend zu einer Flucht ins Unverbindliche entschied. Wie Kuckhoff nahm er später – aufgrund seiner älteren linkskritischen Gesinnung – ebenfalls Kontakte zur Harnack-Schulze-Boysen-Gruppe auf, erhielt jedoch 1942, als diese Gruppe von der Gestapo enttarnt 190  Innere Emigration

wurde, „nur“ eine Gefängnisstrafe von drei Jahren. Ähnlich erging es Werner Krauss, der sich der gleichen Gruppe anschloß und ebenfalls im Gefängnis landete, wo er 1943 / 44, ohne dabei ertappt zu werden, unter unmenschlichen Bedingungen seinen Roman PLN. Die Passionen der halykonischen Seele verfaßte, in dem er in satirisch-chiffrierter Form die Aktivitäten einer „Katakombengesellschaft“ innerhalb eines totalitär überformten Regimes darstellte, die in mancherlei Hinsicht denen der Roten Kapelle gegen den Faschismus entsprechen. Summa summarum: All diesen Versuchen, den Nazifaschisten eine auf religiösen, nationalkonservativen, antimilitaristischen oder linkskritischen Tendenzen beruhende Gesinnung entgegenzusetzen, sollte durchaus der ihnen gebührende Respekt erwiesen werden. Doch leider reichten sie – wegen der überwältigenden Propagandamaschinerie des NS-Regimes sowie den Erfolgen, die sie damit erzielte – nicht aus, eine wirkungsvolle Kultur der Inneren Emigration oder gar des Widerstands zu begründen. Letztlich blieben sie, angesichts der kaum zu überschätzenden Zustimmung, welcher sich das Dritte Reich bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung erfreute, sporadisch auftretende Einzelphänomene, die sich zwar gegen Kriegsende etwas intensivierten, aber selbst dann keine breitenwirksame Widersetzlichkeit auslösten. Malerei und Skulptur

Wie bereits ausgeführt, nahmen die Nazifaschisten, nachdem ihnen am 30. Januar 1933 die Macht übergeben wurde, im Bereich der Hochkultur neben der Literatur und Musik auch den Bereich der bildenden Kunst sofort scharf aufs Korn. Schließlich empfanden sich Hitler und Rosenberg, der eine als Maler, der andere als Architekt, selber als bildende Künstler und maßten sich daher in diesem Bereich nicht nur ein ideologiegefärbtes, sondern auch ein fachmännisches Urteil zu. Alles, was ihren Vorstellungen einer „wahrhaft deutschen“ Malerei und Skulptur widersprach, ob nun Linkskritisches, Jüdisches, Expressionistisches oder Abstraktes, geriet demzufolge schon im März / April 1933 in Gefahr, unterdrückt, ausgeschaltet oder gar „ausgemerzt“ zu werden. Im Gefolge solcher Anschauungen wurden selbst damals berühmte Maler wie Max Beckmann, Otto Dix, Karl Hofer, Emil Nolde, Max Pechstein, Malerei und Skulptur  191

Karl Schmidt-Rottluff und viele andere umgehend in aller Öffentlichkeit als „entartete“ Künstler bezeichnet. Als erstes entzog man einigen unter ihnen die Lehrerlaubnis. Außerdem wurden sie aus den jeweiligen Akademien entfernt, erhielten Ausstellungsverbote und mußten schließlich mit ansehen, wie man ihre Werke aus den Galerien und Museen herausholte, auf der infamen Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ als „undeutsch, semitisch, negroid oder kulturbolschewistisch“ anprangerte, ja nicht einmal davor zurückschreckte, Tausende ihrer Werke in Berlin zu verbrennen oder in der Schweiz zu „verauktionieren“. Welche Folgen ergaben sich daraus für die einzelnen Künstler? Gingen sie ins Exil, übten sie Widerstand oder tauchten sie in jenem Bereich der Inneren Emigration unter, in welchem die für diese Haltung bezeichnende Mischung aus Anpassung und Widerwillen herrschte? Da es im Gegensatz zu den Schriftstellern und Komponisten unter den deutschen Malern vor 1933 nur wenige KPD-Sympathisanten oder Juden gegeben hatte, blieben die meisten von ihnen in ihrem angestammten Vaterland. Lediglich einige nonkonformistische Veristen und Linke sowie der Schweizer Paul Klee, der US-Amerikaner Lyonel Feininger und der Russe Wassily Kandinsky, die drei Hauptvertreter der abstrakten bzw. gegenstandslosen Malerei, verließen nach einigem Zögern das Dritte Reich. Ebenso gering war die Zahl derer, die aufgrund ihrer linkskritischen Gesinnung in ihren Werken weiterhin im Verborgenen „widerständige“ Motive aufgriffen. Neben Hans Grundig und Oskar Nerlinger gehörte hierzu vor allem Otto Nagel, der vor 1933 – in enger Verbindung mit der Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands (ASSO) fast ausschließlich Szenen aus dem Berliner Arbeiterleben im Wedding gemalt hatte und sich seit dem Frühjahr 1933 sofort einer Reihe von Haussuchungen, Verhören und Inhaftierungen ausgesetzt sah, zumal er es 1934 gewagt hatte, einige seiner Bilder mit Werken von Käthe Kollwitz und Heinrich Zille in Amsterdam ausstellen zu lassen. Doch zu solchen, ihr Leben bedrohenden Aktionen entschlossen sich außer Otto Nagel nur wenige. Die meisten anderen der von den Nazifaschisten abgelehnten bildenden Künstler versuchten nach 1933 möglichst unauffällig im Bereich der Anonymität unterzutauchen. Die relativ Unbekannten unter ihnen, die nicht mehr durch Galerieausstellungen für sich werben konnten, fristeten daraufhin ein recht erbärmliches 192  Innere Emigration

Leben oder nahmen irgendwelche Angebote an, sich in der Werbeindustrie zu betätigen. Besonders schwer hatten es in dieser Hinsicht die Vertreter jener „abstrakten“ Malerei, welche sich vor allem im Umkreis des Bauhauses entwickelt hatte. Ihre Werke waren bereits in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, nachdem sich die „realistische“ Malweise der Neuen Sachlichkeit nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Ländern durchgesetzt hatte, weitgehend auf Unverständnis gestoßen. Maler wie Max Ackermann, Willi Baumeister, Georg Meistermann, Oskar Schlemmer, Theodor Werner und Fritz Winter fanden daher auch nach 1933 kaum noch Gönner oder vermögende Kunstsammler, die ihnen ihre „gegenstandslosen“ Bilder abgekauft hätten. Was die finanziell betuchten „Kunstfreunde“ bevorzugten, ob sie nun mit den Nazifaschisten sympathisierten oder einen gewissen Widerwillen gegen die extremen Auswüchse des NS-Regimes hatten, waren schon seit dem vielberufenen „Tod des Expressionismus“ in den Jahren 1922 / 23 vornehmlich „realistisch“ gemalte Bilder. Daher hatten viele Maler der Neuen Sachlichkeit gerade in diesen Kreisen nachdrücklich reüssiert. Im Rahmen dieser Geschmacksrichtung konnten deshalb selbst von den NS-Behörden verfemte oder in den Hintergrund gedrängte Künstler, falls sie sich bereits vor 1933 einen Namen gemacht hatten, weiterhin gute Geschäfte machen. Die meisten dieser Maler waren primär bildungsbürgerlich orientiert und hatten daher für die „demokratisierenden“ Tendenzen innerhalb der Weimarer Republik wenig Interesse aufgebracht. Noch schärfer lehnten sie demzufolge die ins „Gemeinnützige“ oder gar „Kollektive“ drängenden Vorstellungen der kulturtheoretischen Wortführer des Dritten Reichs ab. Mehrheitlich huldigten viele unter ihnen letztlich – trotz aller bewußten oder unbewußten Bindungen an gewisse Zeitstile wie die Neue Sachlichkeit – noch immer dem Ideal des total ungebundenen, freischaffenden Künstlers. Ein Beispiel unter vielen anderen wäre dafür Karl Hofer, der sich wiederholt gegen die „schwachbrüstige und schwachsinnige Pseudorepublik“ der zwanziger Jahre ereifert hatte und mit der gleichen Schärfe Anfang 1933 in seinem Artikel Kampf um die Kunst in der Deutschen Allgemeinen Zeitung gegen die ins „Volkstümliche“ tendierenden Absichten besonders fanatischer Nazifaschisten erklärte: „Die Illusion aber, Kunst müsse in erster Linie Volkskunst sein, muß grausam und restlos zerstört werden. Je größer und bedeutender Malerei und Skulptur  193

eine Kunst ist, desto weniger kann sie eine Kunst für die Masse sein, ist es nie gewesen und kann es nimmer werden.“ Daß Hofer darauf 1934 sein Lehramt verlor und Ausstellungsverbot erhielt, aus der Preußischen Akademie der Künste austreten mußte und seine Werke aus sämtlichen deutschen Museen entfernt wurden, konnte deshalb nicht ausbleiben. Dennoch schadete ihm das als „freischaffendem“ Künstler – im Gegensatz zu den von der Zensur abhängigen Schriftstellern und Komponisten – nicht im Geringsten. Er hing nicht wie diese von staatlich überwachten Buch- oder Musikverlagen ab, war also weder zur Verweigerung noch zur Anpassung gezwungen, sondern konnte in seinem Atelier, solange man ihn „in Ruhe ließ“, völlig seinen eigenen künstlerischen Neigungen nachgehen. Aufgrund dieser Isolierung habe er nie so viel gemalt und „nie so viel verkauft wie zu jener Zeit“, wie Hofer in seinen späteren Erinnerungen schrieb. Noch besser läßt sich die Situation bereits bekannter Maler, die unterm Nazifaschismus im Zustand der Inneren Emigration leben mußten, kaum umreißen. Obwohl staatlich verfemt, lebten sie relativ „frei im Innenraum ihrer Kunst“, wo sie nicht der Zustimmung der Öffentlichkeit ausgesetzt waren und sich ganz ihren eigenen Vorlieben sowie denen ihrer bildungsbürgerlichen Gönner und Sammler hingeben konnten. Ein ähnlicher Fall wäre der ebenso berühmte Otto Dix. Wegen seiner Antikriegsbilder und seiner „obszönen“ Darstellungen der „höheren Gesellschaft“ der Weimarer Republik wurden einige seiner Bilder, nachdem man ihm 1933 die Lehrerlaubnis an der Dresdner Akademie entzogen hatte und er 1934 Ausstellungsverbot erhielt, sowohl auf der Stuttgarter Ausstellung „Novembergeist. Kunst im Dienste der Zersetzung“ als auch auf der Münchner Monsterschau „Entartete Kunst“ als „undeutsch“ angeprangert. Anfangs reagierte er auf diese Maßnahmen, wie auf seinen Bildern Die sieben Todsünden (1933) und Triumph des Todes (l935), mit allegorischen Darstellungen, die sich durchaus als bitterböse Satiren auf den Nazifaschismus interpretieren lassen, aber nirgends gezeigt werden konnten und ihm daher kein Geld einbrachten. Darauf wandte sich Dix einer altmeisterlich wirkenden Bildnis- und Landschaftsmalerei zu, die genau der traditionsverhafteten Geschmacks­ orientierung der bildungsbürgerlichen Sammler entsprach und wegen ihrer betont „schönen Malweise“ leicht abzusetzen war. Selbst der NSAußenminister Joachim von Ribbentrop fand Mitte der dreißiger Jahre 194  Innere Emigration

36 Otto Dix: Landschaft am Oberrhein (1938) © VG-Bild-Kunst, Bonn 2010.

Gefallen an solchen Bildern und zögerte daher nicht, seine Kinder heimlich von Dix porträtieren zu lassen. Fast den gleichen Problemen sahen sich auch andere Maler der Inneren Emigration gegenüber. Wie gesagt, noch am leichtesten hatten es die „Realisten“ der Neuen Sachlichkeit unter ihnen. Sie verdienten zwar bei ihren Privatverkäufen nicht soviel wie Hofer und Dix, aber konnten über die Nachfrage nach ihren Bildern, vor allem wenn es sich um Porträts und Landschaften handelte, ebenfalls nicht klagen. Falls sie nicht zum veristischen bzw. linken Flügel dieser Richtung gehört hatten, blieben sie weitgehend ungeschoren und wurden von der NSDAP keineswegs angehalten, ihren Bildmotiven eine nazifaschistische Tendenz zu geben. Sie sahen daher keinen Anlaß, gegen irgendwelche sie nicht persönlich betreffende Maßnahmen des neuen Regimes zu opponieren. Allerdings gab es auch in diesem Bereich, wie immer, einige Ausnahmen. Eine der rühmlichsten darunter war der Maler Franz Lenk, der aus der Dresdner Realismus-Tradition kam, sich nach 1933 erst im Präsidialrat der Reichskulturkammer betätigte, dann jedoch 1935 – zusammen mit Otto Dix Malerei und Skulptur  195

– in der Berliner Galerie Nierendorf eine nur leicht kaschierte Protestausstellung zusammenstellte, sich 1937 weigerte, an der Großen Deutschen Kunstausstellung im Münchner Haus der Kunst teilzunehmen, ja ein Jahr später sogar seine Lehrtätigkeit aufgab und sich in die Provinz zurückzog, wo er weiterhin vom Verkauf höchst penibel gemalter Landschaftsbilder lebte. Dagegen hatten es die gesellschaftskritischen Veristen unter den Vertretern der Neuen Sachlichkeit, also Maler wie Karl Hubbuch, Franz Radziwill und Christian Schad nicht so leicht, im Dritten Reich weiterzuexistieren. Sie mußten sich anpassen, Brotberufe annehmen oder ins Gefällig-Unverbindliche ausweichen. Noch mehr Schwierigkeiten sahen sich, wie gesagt, die Abstrakten gegenüber, die nach der großen Wende vom Expressionismus zur Gegenstandsbezogenheit schon in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre kaum noch Käufer für ihre Bilder fanden und sich später meist gezwungen sahen, sich in anderen Berufen zu „verdingen“. Wenn man also von einer Malerei der Inneren Emigration spricht, sollte man sowohl die Verschiedenartigkeit der stilistischen Richtungen als auch die sich daraus ergebenden finanziellen Verhältnisse der einzelnen Maler im Auge behalten. Was diese Künstler mit anderen Vertretern und Vertreterinnen der Inneren Emigration verband, war dennoch ihr mehr oder minder offenkundiger Widerwillen gegen den Nazifaschismus, dem eine grundsätzliche Abneigung gegen jede Art von kollektiver Solidarität und ein dementsprechendes Beharren auf den Prinzip der künstlerischen Besonderheit zugrunde lag. Fast alle dieser Maler waren vorher weitgehend Einzelne gewesen und wollten auch nach 1933 Einzelne bleiben. Eine solche Haltung war im Dritten Reich nicht nur eine Schutzmaßnahme, da irgendwelche gruppenartigen Zusammenschlüsse von den ausführenden Organen der NS-Behörden meist sofort unterdrückt wurden, sondern hing auch mit jenem spezifisch „bürgerlichen“ Kunstverständnis zusammen, das auf einer übertriebenen Wertschätzung der persönlichen Eigenart der jeweiligen Maler beruhte. Und so entwickelte sich selbst auf diesem Gebiet, wie schon in der Literatur dieser Richtung, keine breitenwirksame Gegenkultur oder gar widersetzliche „Front“, sondern lediglich ein Nebeneinander hilflos vereinzelter Künstler zwischen Widerwillen und Anpassung, denen man dennoch – in Anbetracht der staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen – die relativ bescheidene Charakterisierung einer „Inneren Emigration“ nicht versagen sollte. 196  Innere Emigration

Ähnliches gilt für die wesentlich kleinere Anzahl von Bildhauern, zu der vor allem so unterschiedliche Künstler wie Ernst Barlach, Hermann Blumenthal, Joachim Karsch und Christoph Voll gehörten, die eine mehr oder minder deutliche Distanz zur Kulturpolitik des Dritten Reichs bezogen. Voll und Karsch versuchten in ihren Werken auch im Dritten Reich am „Realismus“ der Neuen Sachlichkeit festzuhalten, statt sich um eine von den Nazifaschisten gewünschte griechisch-römische Idealität der menschlichen Körperformen à la Arno Breker zu bemühen. Voll wurde deshalb durch die ständigen Anfeindungen von Seiten der NSDAP mehr und mehr zermürbt. Und auch Karsch mußte sich mit einer Randexistenz begnügen, ja sah 1937, wie sein Lesendes Paar (1933) wegen seiner angeblich unschönen Formgebung aus dem Essener Folkwang-Museum als „entartet“ entfernt wurde. Etwas leichter hatte es der zum „Klassizistischen“ neigende Blumenthal, dessen Skulpturen aufgrund ihrer eindrucksvollen „Schönheit“ durchaus vermögende Käufer fanden. Dennoch wurde auch seine Plastik Stehender Jüngling – wegen ihrer angeblich „bizarr überbetonten“ Körperhaltung sowie der Kontakte Blumenthals zu verfemten Künstlern wie Käthe Kollwitz und Gerhard Marcks – ebenfalls 1937 aus dem Essener Folkwang-Museum entfernt. Ja, Kollwitz, die in diesen Jahren immer stärker zur Bildhauerei überging, hatte von vornherein keine Chance, irgendeins ihrer Werke, bei denen es sich meist um Klagende oder Trauernde handelte, öffentlich auszustellen. Doch von wahrhaft überragender Größe war in diesem Bereich lediglich Ernst Barlach. Er bekam daher – vor allem wegen seiner unheroischen Kriegerdenkmale und der „slawisch-mongolischen“ Gesichtszüge seiner Gestalten – den Haß der auf Alfred Rosenberg eingeschworenen Nazifaschisten besonders nachdrücklich zu spüren. Die Anhänger dieser Richtung beschlagnahmten demzufolge nicht nur seinen 1934 beim Münchner Piper-Verlag erschienen Band Zeichnungen, sondern erzwangen kurz darauf auch seinen Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste und verhängten zugleich ein allgemeines Ausstellungsverbot seiner Plastiken und Graphiken. Dennoch entschied sich Barlach, Deutschland nicht zu verlassen und schrieb 1937 aus Güstrow, seinem schon lange vorher gewählten provinziellen Rückzugsort, in einem seiner Briefe, nachdem man vorher sein Haus nach verdächtigen Anzeichen einer regimefeindlichen Haltung durchsucht hatte: „Im Vaterlande zu einer Art von Emigrantendasein genötigt, bleibt mir nur die Wahl zwiMalerei und Skulptur  197

37 Ernst Barlach in seinem Atelier in Güstrow vor dem Fries der Lauschenden (1935).

schen dem Vollzug der wirklichen Emigration oder dem Entschluß, koste es, was es wolle, mein volles Recht auf ungehemmte berufliche Betätigung durchzusetzen. Ersteres habe ich niemals einer Erwägung gewürdigt, und so wird das Zweite für mich zur unabweislichen Notwendigkeit. Ich sehe draußen kein Heil für mich, selbst bei Erfolg. Man kann zur Flucht genötigt sein, aber kann nur schaudernd erwägen, daß man in der Fremde sich selbst entfremdet wird – oder in der Heimatlosigkeit vergeht.“ Doch auch die Entscheidung, unter „unwürdigen“ Verhältnissen in Deutschland zu bleiben, zermürbte Barlach letztendlich. Er fand zwar in dem Industriellen Hermann Fürchtegott Reemtsma einen vermögenden Gönner, doch selbst das bewegte ihn nicht, sich zum offenen Widerstand gegen das ihn bedrückende Regime aufzuraffen. Schließlich mußte er mit Ansehen, daß selbst jene religiösen oder nationalgesinnten Kreise, die ihn in seiner Frühzeit bewundert hatten, sich zusehends von ihm abwandten und sogar zuließen, daß die NS-Bezirksverwaltung seinen berühmten Friedensengel mit den Gesichtszügen von Käthe Kollwitz aus dem Ostchor der Hauptkirche von Güstrow entfernte und schließlich im Zweiten Weltkrieg zu „wehr198  Innere Emigration

dienstlichen“ Zwecken einschmelzen ließ. Eine in die Breite gehende Wirkung hatte daher selbst Barlach nicht, sondern blieb ein vereinzelter Vertreter jener Inneren Emigration, deren noble Gesinnung zwar außer jedem Zweifel steht, die aber aufgrund ihrer selbstgewählten oder erzwungenen Randständigkeit keine Chance hatten, den Nazifaschisten wirksam entgegentreten zu können.

Musik Im Hinblick auf die im Dritten Reich komponierte Musik irgendwelche Werke ausfindig zu machen, die sich als gleichgearteter Ausdruck jener Inneren Emigration charakterisieren ließen, wie sie sich in der Literatur oder Malerei dieses Zeitraums äußert, fällt nicht leicht. Schließlich gibt es viele Musikkritiker, welche diese Kunstart – wegen ihrer Wort- und Bildlosigkeit – meist ohnehin als einen Rückzug in die Gefilde des Unbestimmt-Gemüthaften, ja Unerklärlichen charakterisieren, dem mit rationalen, das heißt gesellschaftswissenschaftlichen Interpretationsbemühungen nicht beizukommen sei. Einer solchen Hörweise, deren romantisch-reaktionäre Ursprünge nur allzu offenkundig sind, sollten jedoch eher „konkret“ denkende Kulturhistoriker so entschieden wie möglich widersprechen. Auch Musik, selbst wenn sie sich in ihren Instrumentalwerken scheinbar „weltenthoben“ gibt, ist – ob nun in totalitär ausgerichteten oder in verschiedene Klassen aufgespaltenen Gesellschaftssystemen – stets Teil der jeweils herrschenden oder widerständigen Kultur. Und das gilt auch für jene Musik, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland komponiert wurde. Die „herrschenden“ Musikformen innerhalb des Dritten Reichs lassen sich – etwas vergröbernd betrachtet – in vier Rubriken unterbringen: 1. die als barock, klassisch oder romantisch herausgestrichenen deutschen Kompositionen seit dem späten 17. Jahrhundert und alle sich daran anschließenden Werke bis hin zu Hans Pfitzner und Richard Strauss, 2. die Werke der von den Nazifaschisten durchaus geduldeten, ja unterstützten protestantischen Kirchenmusik eines Hugo Distler und Ernst Pepping, 3. die seit der Weimarer Republik massenhaft verbreiteten Werke der Schlager-, Tanz- und Filmmusik sowie 4. die sich als nationalsozialistisch gebende Lied- und Marschmusik. Wie sollte sich also – Musik  199

nachdem die NS-Behörden alle linkskritischen, jüdischen oder auch modernistischen Elemente aus dem deutschen Musikleben „ausgemerzt“ hatten – zwischen diesen vier verschiedenen Formen der offiziell existierenden Musik eine Kompositionsweise entwickeln, die in den „breiten Massen“ eine Stimmung der Widersetzlichkeit gegen den Nazifaschismus bewirkt hätte bzw. der es gelungen wäre, wenigstens auf der höheren Ebene durch eine prononcierte Wendung gegen die epigonale Klassizität sowie die ebenso epigonale Spätromantik einen Protest gegen die von den NS-Behörden geförderte Aufspaltung in eine E- und eine U-Musik auszudrücken? Unter den staatlich überwachten Aufführungsbedingungen waren solche Bemühungen zwangsläufig von vornherein zum Scheitern verurteilt. Was daher den anspruchsvolleren Komponisten in dieser Situation übrig blieb, war entweder der Versuch, sich durch eine Teilanpassung den herrschenden Verhältnissen „anzubequemen“ oder von vornherein darauf zu verzichten, zwischen 1933 und 1945 in Deutschland aufgeführt zu werden und für die Schublade zu komponieren. Die eine Haltung vertrat unter den damaligen Komponisten vor allem Paul Hindemith, die andere vor allem Karl Amadeus Hartmann. Während der „Fall Hartmann“ weiterhin relativ unbekannt ist, existieren über den „Fall Hindemith“ bereits umfangreiche Bibliotheken. Hindemith hatte schon in den zwanziger Jahren eine Fülle an Werken komponiert, mit denen er die Musikkritiker zu höchst verschiedenartigen Reaktionen herausgefordert hatte. Erst war er mit seinen Kurzopern Mörder, Hoffnung der Frauen (1919) nach Oskar Kokoschka sowie Sancta Susanna (1921) nach Gustav Stramm als expressionistisches Enfant terrible aufgetreten, dann hatte er – in schnell wechselnden Phasen – dem Ideal einer neusachlichlichen „Gebrauchmusik“ gehuldigt, Texte von so unterschiedlichen Autoren wie Gottfried Benn und Bertolt Brecht vertont, eine wegen ihrer Badezimmerszene im 2. Akt als „obszön“ geltende Zeitoper wie Neues vom Tage (1929) herausgebracht, sich zeitweilig der von Fritz Jöde inspirierten Musikantengilde angeschlossen und war schließlich nach 1930 dazu übergegangen, einen musikalischen Stil zu entwickeln, der sich pauschalisierend als „tonale Halbmoderne“ charakterisieren läßt. Als daher Anfang 1933 die Nazifaschisten an die Macht kamen, fand er in ihren Reihen sowohl einige Fürsprecher als auch erbitterte Feinde. Die einen hofften, daß er sich aufgrund seiner Abwendung von den ver200  Innere Emigration

schiedenen Formen der „modernistischen“ Musik der zwanziger Jahre zu einem Klassiker der NS-Musik entwickeln würde, die anderen, allen voran wiederum Alfred Rosenberg, konnten ihm seine bisherigen musikalischen Extravaganzen nicht verzeihen und drangen darum auf einen konsequenten Hindemith-Boykott. Da auch Hitler in diesem Punkt die negative Einstellung Rosenbergs teilte, mußte es zwischen den verschiedenen Lagern zwangsläufig zu heftigen Auseinandersetzungen kommen. Diese entzündeten sich vor allem an Hindemiths Oper Mathis der Maler, an der er zwischen 1932 und 1934 gearbeitet hatte. Dem nationalkonservativ gesinnten Dirigenten Wilhelm Furtwängler gefiel dieses Werk so sehr, daß er es im Frühjahr 1935 in Berlin uraufführen wollte. Um die Kritiker Hindemiths versöhnlich zu stimmen, nahm er zuvor die drei relativ eingängigen Vorspiele dieses Werks als Mathis-Symphonie in eins seiner Konzertprogramme auf, was jedoch auf Seiten der Gegner dieses Komponisten eine Reihe massiver Gegenreaktionen auslöste und ein Aufführungsverbot dieser Oper bewirkte, dem sich selbst Goebbels anschließen mußte. Als Furtwängler aus Protest gegen dieses Verbot sowohl darauf verzichtete, weiterhin als Vizepräsident der Reichsmusikkammer zu fungieren, als auch seine Ämter als Direktor der Berliner Staatsoper und als Leiter der Berliner Philharmoniker niederlegte, kam es zwar kurze Zeit später wieder zu einer erpreßten Versöhnung zwischen ihm und Goebbels, der in Furtwängler – aus taktischen Gründen – nach wie vor ein erwünschtes „Aushängeschild unserer Kunstgesinnung“ sah, wie er sich selber ausdrückte, aber an Hindemiths Stellung im Musik­ leben des Dritten Reichs änderte sich deshalb nichts. Im Gegenteil, sie blieb weiterhin höchst unsicher. Dabei hätte sein Mathis der Maler – nach einigen Strichen und Veränderungen – durchaus ein Hauptwerk der nazifaschistischen Musik werden können. Schließlich beruht es auf einer stringent tonalen Kompositionsweise, verwendet in seinen Arioso-Partien altdeutsche Volkslieder und Choräle, behandelt die von den NS-Historikern immer wieder glorifizierten Bauernaufstände des frühen 16. Jahrhunderts und dreht sich fast ausschließlich um jenen Mathis Neithardt, genannt Grünewald, der zu den allgemein bewunderten Großmeistern der älteren deutschen Malerei gehört. All das hätte den Musikkritikern des Dritten Reichs an sich gefallen müssen. Warum also das Verbot? Sicher einerseits wegen Hindemiths expressionistischer sowie neusachlich-pikanter VergangenMusik  201

heit, andererseits wegen des von Hindemith selbst verfaßten Librettos, das zwar anfangs eine deutliche Sympathie für die revoltierenden Bauern verrät, aber gegen Ende in eine Abkehr von der gesellschaftlichen Wirklichkeit und einen Rückzug in eine halb religiöse, halb ästhetisch-wehmütige Einsamkeit mündet, die jede Hoffnung auf eine politische Veränderbarkeit der dargestellten Zustände ausschließt. Nach diesem Eklat konnten zwar einige Kompositionen Hindemiths bis in die frühen vierziger Jahre weiterhin innerhalb Deutschlands im Druck erscheinen, aber zu Aufführungen seiner Werke kam es immer seltener. Hindemith, der zwischen 1935 und 1937 ständig zwischen Deutschland und der Türkei hin- und herpendelte, nahm daher zusehends die Haltung der Inneren Emigration ein. Statt sich bei den Nazis anzubiedern, komponierte er fast nur noch unverbindlich klingende Instrumentalwerke wie kleinere Orchestersuiten, Quartette und Sonaten, verteidigte 1937 seine Kompositionsweise in einer relativ formal gehaltenen Unterweisung im Tonsatz und wich schließlich 1938 in die Schweiz und darauf 1940 in die USA aus, wo er sich ebenso „unpolitisch“ verhielt wie in den Jahren zuvor, das heißt keinerlei antifaschistische Werke komponierte. Eine solche Haltung läßt sich nur mit einiger Großzügigkeit als jene Form der Inneren Emigration bezeichnen, die sich in der besagten Grauzone zwischen Widerwillen und Anpassung entwickelte. Schließlich bleibt in seinem Fall die Frage offen, ob Hindemith bis 1938, als er auf der Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ als „wurzelloser Scharlatan“ angeprangert wurde, vielleicht doch noch insgeheim gehofft hat, von den NS-Behörden als einer der ihren anerkannt zu werden und eine führende Position im deutschen Musikleben einzunehmen. Jedenfalls hat er nichts unternommen, was gegen eine solche Vermutung sprechen würde. Wieviel eindeutiger hat sich dagegen Karl Amadeus Hartmann den Nazifaschisten gegenüber verhalten. Er lehnte jede Anerkennung von Seiten der neuen Machthaber von Anfang an ab und komponierte zwischen 1933 und 1945 lediglich Werke, in denen eine deutliche Widersetzlichkeit zum Dritten Reich zum Ausdruck kommt. Allerdings sah er sich im Jahr 1933 einer völlig anderen Situation gegenüber als Hindemith. Hartmann war wesentlich jünger als dieser, obendrein zu diesem Zeitpunkt außerhalb Münchens noch völlig unbekannt und war kurz zuvor – aufgrund seiner linkskritischen Gesinnung – zu einer Komposi202  Innere Emigration

tionsweise übergegangen, die sich an der Musik Hanns Eislers und den Theorien des Epischen Theaters Bertolt Brechts orientierte. Und zwar hatte sich diese allmählich immer radikaler werdende Gesinnung sowohl in seinen Vokalwerken, wie einer Profanen Messe und einer Kantate nach Texten von Karl Marx und Johannes R. Becher, als auch in einigen an Eisler anklingenden Instrumentalwerken geäußert. Ja, unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten beschäftigte er sich – aus Affront gegen die rassistische Politik des neuen Regimes – eine Zeitlang mit spezifisch „jüdischer“ Musik und verarbeitete in seinem 1. Streichquartett, das in den folgenden Monaten entstand, sogar eine Reihe altjüdischer Volksmelodien. Dennoch entschloß sich Hartmann, in Deutschland zu bleiben, statt wie andere seiner Gesinnungsfreunde, die entweder KPD-Mitglieder oder Juden waren, ins Exil zu gehen. „Ins Ausland gehe ich nicht“, schrieb er kurz nach 1933, „im Vaterland muß ich mich wie ein Emigrant fühlen, und zwar schlechter als ein wirklicher, weil alle Wölfe gegen mich heulen.“ Und dieses „Geheul“ hatte für ihn gravierende Folgen. Als ehemaliger „Kulturbolschewist“ war er den Nazifaschisten von vornherein suspekt, konnte also nicht damit rechnen, daß irgendeins seiner Werke innerhalb Deutschlands aufgeführt würde. Von einem jungen Komponisten wie ihm erwartete die NSDAP eine mehr oder minder stramme Gesinnungstreue. Er war einfach noch nicht bekannt genug, als daß ihm die Partei aus Prestigegründen eine „begrenzte Freiheit“ eingeräumt hätte. Schließlich hatten es die NS-Behörden selbst in dem berühmt-berüchtigten „Fall Hindemith“ nicht an der nötigen Härte fehlen lassen. Also blieb Hartmann nur die Hoffnung, seine Werke entweder im Ausland aufführen zu lassen, was auch nicht ohne Risiken war, oder sie für die Zeit nach der faschistischen Diktatur aufzuheben. Genau besehen, war Hartmann mit dieser Strategie nicht ganz erfolglos. So wurde seine Symphonie Miserae, die er seinen Freunden im Konzentrationslager Dachau widmete, 1935 unter der Leitung Hermann Scherchens in Prag aufgeführt. Sein 1. Streichquartett erklang 1936 auf einem Kammermusikfest in Genf. 1937 wurde seine Kantate Friede Anno ‘48 von der Wiener Emil Hertzka-Stiftung ausgezeichnet. 1940 führte Ernst Klug erstmals seine Musik der Trauer für Violine und Streichorchester, später auch Concerto funèbre genannt, in St. Gallen auf. Musik  203

Danach komponierte Hartmann zwischen 1941 und 1943 sein weit ausladendes Orchestertriptychon Sinfoniae Dramaticae mit den Teilen China kämpft, Symphonische Hymnen und Vita Nova, in dessen Schlußteil er nicht zögerte, als Zeichen seiner Widerständigkeit die Internationale zu zitieren. Während sich Hartmann sowohl von der seriellen Kompositionsweise als auch der obrigkeitsverpflichteten Haltung eines in Österreich verbliebenen Schönberg-Schülers wie Anton Webern, mit dem er vorübergehend Kontakte aufnahm, eher befremdet fühlte, empfand er den linksorientierten Exildirigenten Hermann Scherchen geradezu als seinen musikalischen Mentor. Von ihm empfing er im September 1934 bei einem Gespräch in der Schweiz die Anregung, eine auf dem Simplicissimus-Roman von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen beruhende Oper zu komponieren, die in manchem wie ein Gegenstück zu Hindemiths Mathis der Maler wirkt. In ihr geht es um den jungen Simplicius, der in den chaotischen Wirren des Dreißigjährigen Kriegs aufwächst, sich jedoch nicht wie Hindemiths Mathis aus der Welt der politischen Konflikte in eine eremitenhafte Einsamkeit zurückzieht, sondern sich am Schluß – in einer betont anachronistischen Wendung – einer Rotte revoltierender Bauern anschließt, welche ihre bisherigen Ausbeuter einfach niedermacht und im Sinne Thomas Münzers eine sozial gerechte Gesellschaft fordert. Um die politische Radikalität dieses Werks auch musikalisch zu unterstreichen, verzichtete Hartmann dabei auf all das, was ein bürgerliches Abonnementspublikum bisher von einer Oper erwartet hatte. Dieses Werk ist weder ein Ohrenschmaus noch eine Augenweide. In ihm werden die „Bedrängnisse einer heillosen Zeit“ in Bildern und Klängen vorgestellt, die keinerlei formale Konsistenz oder gar innere Stimmigkeit aufweisen. Mal ertönen Bänkelgesänge, mal Choräle, mal abgehackt vorgetragene Sprechtexte, mal Bach-, Borodin-, Bartók- und ProkofjewZitate, mal Anspielungen auf Strawinskys Geschichte vom Soldaten und manches andere mehr. Hartmann wollte damit einen Zustand „der Unruhe, der Ängste und der Trauer“ zum Ausdruck bringen, um so das Publikum an die bedrückende Situation nach 1933 zu gemahnen, als alle politisch Verdächtigen in Gefängnisse und Konzentrationslager abgeführt wurden, als herumstreunende SA-Männer die Schaufenster jüdischer Geschäfte einschlugen, als nazifaschistische Studenten dem 204  Innere Emigration

Regime unliebsame Bücher verbrannten, als Frauen, die sich mit „rassisch minderwertigen“ Männern sexuell eingelassen hatten, an den Pranger gestellt wurden und als sich in all diesem Tumult plötzlich die Gefahr eines zweiten, alle Kultur und Gesittung zerstörenden Weltkriegs abzuzeichnen begann. Dennoch ist sein Simplicius Simplicissimus alles andere als eine Horrorvision. „Hält man der Welt ihren Spiegel vor, so daß sie ihr gräßliches Gesicht erkennt“, schrieb Hartmann später im Hinblick auf dieses Werk, „wird sie sich vielleicht doch einmal eines Besseren besinnen.“ Und er fügte diesem Bekenntnis als kämpferischer Utopiker noch den Satz hinzu: „Trotz aller politischen Gewitterwolken glaubte ich an eine bessere Zukunft: das soll die Schluß-Apotheose in meinem ‚Simplicius‘ ausdrücken.“ Angesichts all jener Schrecken, die das Jahr 1933 mit sich brachten, welche auf eine „Gewaltherrschaft“ und das furchtbarste aller „Verbrechen“, nämlich einen neuen Weltkrieg, vorauswiesen, erklärte Hartmann mit verbissener Hartnäckigkeit, „erkannte ich, daß es notwendig sei, ein Bekenntnis abzulegen, nicht aus Verzweiflung und Angst vor jener Macht, sondern als Gegenreaktion.“ Hindemiths Mathis der Maler und Hartmanns Simplicius Simplicissimus sind sicher die zwei markantesten Beispiele für die innere Spannweite dessen, was gemeinhin als Musik der Inneren Emigration bezeichnet wird: das eine – in der Hoffnung, aufgeführt zu werden – einen Rückzug ins Unpolitische verklärend, das andere – ohne Hoffnung, aufgeführt zu werden – in historischer Einkleidung zum Aufstand gegen die angemaßte Gewaltherrschaft der regierenden Klasse aufrufend. So viel zu den offenkundigen Gegensätzen. Was jedoch diese zwei Werke gemeinsam haben, ist ihre hochkulturelle Formgebung in Gestalt musikalisch anspruchsvoller Opern, mit denen sich letztlich keine politische Breitenwirksamkeit erzielen läßt. Beide Werke, so unterschiedlich sie sind, gehen noch von der Illusion aus, selbst mit einem bereits halbwegs museal erstarrten Genre wie der Oper in das Zeitgeschehen eingreifen zu können. So gesehen, beruht die „Kultur“-Vorstellung, die ihnen zugrunde liegt, noch immer auf jenem bürgerlichen Stellvertretungsanspruch, in allen kulturell entscheidenden Fragen die richtungsweisende Klasse zu sein. Sowohl Hindemith als auch Hartmann empfanden sich in dieser Hinsicht nach wie vor als maßstabsetzende „Künstler“ jenseits einer sich rapide ausbreitenden, sich allen hochkünstlerischen AnsprüMusik  205

chen entziehenden Medienkultur. Beide verschmähten zwar in ihrer Musik und auch in ihren Themen das „Volkhafte“ keineswegs, aber versuchten, ihm eine betont kunstvolle Form zu geben. Das war im Rahmen ihrer Kulturvorstellungen zwar lobenswert, hätte aber das von ihnen intendierte Publikum, selbst wenn man diese beiden Opern im Dritten Reich aufgeführt hätte, zwangsläufig verfehlt. Denn wer war in ihnen das angesprochene „Volk“: die Ober- oder die Unterklasse? Doch ein solches Dilemma war im Rahmen des damaligen, in E-und U-Kunstformen gespaltenen Kulturbetriebs wohl kaum zu vermeiden und ist daher weniger Hindemith oder Hartmann anzulasten, sondern hängt, wie gesagt, mit der gesellschaftlich prekären Randständigkeit der Oper schlechthin zusammen.

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Exil

Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten Im Jahr 1933 kam es zu einer Emigrantenwelle, deren Ausmaß selbst in der deutschen Geschichte, in der es viele solcher Vertreibungen gegeben hat, ohne Beispiel ist. Während es im Zeitalter der Französischen Revolution, der Metternichschen Restaurationsbestrebungen, der NachmärzÄra und der Jahre der Antisozialistengesetze unter Bismarck nur Einzelne oder kleinere Gruppen waren, die sich der drohenden Verhaftung durch eine Flucht ins Ausland zu entziehen suchten, waren nach dem Machtantritt der Nazifaschisten in Deutschland Tausende, wenn nicht Zehntausende, ja schließlich Hunderttausende von Menschen aus politischen oder rassischen Gründen in Gefahr, ständigen Repressalien ausgesetzt zu sein oder in den Gefängnissen und Konzentrationslagern der neuen Machthaber eingekerkert zu werden. Am meisten hatten die Kommunisten und Juden angesichts solcher Maßnahmen zu befürchten. Aber auch viele Sozialdemokraten, systemkritische Christen, linksliberale Intellektuelle, sogenannte Asphaltliteraten sowie „modernistisch“ eingestellte Maler und Komponisten fühlten sich plötzlich bedroht und sahen sich nach möglichen Zufluchtsstätten um. Doch selbst die Flucht ins Ausland schien manchen unter ihnen keine hundertprozentige Gewähr zu bieten, mit dem Leben davon zu kommen. Schließlich gab es unter den führenden Nazifaschisten auch solche, die all jene, die sich ihrem Gericht über alles „Undeutsche“ entzögen, als „Kadaver auf Urlaub“ bezeichneten, die man bis ans Ende der Welt verfolgen würde. Da der am 30. Januar 1933 vollzogene Machtwechsel so drastisch und weitgehend unvorhergesehen erfolgte, konnten sich die größtenteils verstörten, terrorisierten und ideologisch in viele Lager gespaltenen Flüchtlingsgruppen nicht sofort zu einer „humanistischen“ oder „antifaschistischen“ Front zusammenschließen, wie später gern behauptet wurde. Was in den ersten Wochen des Exils vorherrschte, war weitgehend ein Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  207

Zustand der Vereinzelung, der Zersplitterung, des allgemeinen Chaos, da weder die „Linksengagierten“ noch die „Unpolitischen“, ja selbst viele der „Jüdischbürtigen“ einen solchen Gang der Ereignisse vorhergesehen hatten. Im Februar / März 1933 – vor allem nach dem Reichstagsbrand und der durch ihn ausgelösten Verfolgungs- und Pogromstimmung – stand für die meisten Vertriebenen erst einmal das nackte Überleben und nicht irgendeine gemeinsame Aktion im Vordergrund. Im Rückblick auf diese Zeit schrieb daher Wolf Franck 1935 in seinem Führer durch die deutsche Emigration erbittert: „Emigrant und Emigrant, das war von Anfang an nicht dasselbe. Die Geschäftsleute wollten nichts von den Politikern wissen, die Sozialdemokraten nichts von den Kommunisten, die mit Beziehungen Versehenen nichts von den Hilflos-Fremden und die Reichen schon gar nichts von ihren armen Schicksalsgenossen.“ Ja, in Lion Feuchtwangers Roman Exil hieß es noch 1940 kurz und bündig: „Die deutsche Emigration war zerklüfteter als jede andere.“ Zu den aufschlußreichsten Beweisen für die daraus erfolgende Zerrissenheit zählen die späteren Autobiographien dieser „Hitler-Flüchtlinge“, wie sie damals hießen, die vom Streitbaren und Saloppen über das Elegische und Sentimentale bis zum Religiösen und Pessimistischen reichen. Dafür sprechen so unterschiedliche Titelformulierungen wie Streitbares Leben, Vom tätigen Leben, Ein Mensch fällt aus Deutschland, Sehnsucht nach dem Kurfürstendamm, Gestohlenes Leben, Dunkle Jahre, Schicksalsreise, Flugsand, Odyssee, Aus gutem Hause, Du Land der Liebe, Alte, unnennbare Jahre, Meines Vaters Haus, Der verlorene Sohn oder Heimkehr zu Gott. Kurz nach dem 30. Januar 1933 sorgte jeder Vertriebene erst einmal für sein eigenes Heil, das heißt bevor er über seine Person und das Schicksal seiner Familie hinausgehende Perspektiven ins Auge faßte. Außer einigen, die in blindem Zweckoptimismus hofften, daß die NSHerrschaft höchstens sechs Monate dauern würde und sie dann alle wieder an ihre Heimatorte zurückkehren könnten, da ein derart „hochkultiviertes“ Volk wie die Deutschen einen politischen „Hampelmann“ oder „Hofbräuhaus-Rowdy“ wie Hitler sicher bald auslachen würde, sah die Mehrheit der anderen Exilanten recht trübe in die Zukunft. Und ihre allgemeine Gefühlslage wurde noch gedrückter, als sie aus Prager, Pariser oder Schweizer Zeitungen sowie durch Berichte anderer Flüchtlinge erfuhren, wie schnell sich in Deutschland der Wandel zu einer Einparteiendiktatur vollzogen habe und wie groß der Jubel breiter Schichten der 208  Exil

deutschen Bevölkerung sowohl über die Verringerung der Arbeitslosigkeit als auch den Prozeß der „völkischen Gesundung“ sei. Vor allem unter den anspruchsvolleren Künstlern, von denen sich viele schon während der Weimarer Republik – innerhalb einer sich immer stärker den kommerzialisierten Massenmedien zuwendenden Bevölkerung – als Individuell-Randständige gefühlt hatten, herrschte daher in den folgenden Exiljahren weitgehend das Gefühl einer zunehmenden Entfremdung vor. Die meisten von ihnen sahen sich in Länder verschlagen, die ihnen „exotisch“ vorkamen, deren Sprache sie nicht verstanden und in denen zum Teil völlig andere Kulturvorstellungen herrschten als jene, die sie in der Wilhelminischen Ära wie auch der Weimarer Republik gewohnt waren, kurzum: wo sie nirgends auf Vertrautes, sie Ansprechendes stießen. Und obendrein: welches Land wollte sie – inmitten der immer noch weiterwirkenden Weltwirtschaftskrise – schon gern aufnehmen? Schließlich hatten die anderen europäischen Länder, von der sozialistisch regierten Sowjetunion einmal abgesehen, wegen ihrer privatwirtschaftlichen Struktur kaum die nötigen staatlichen Mittel, für ihre eigenen Arbeitslosen zu sorgen. Außerdem handelte es sich bei den Flüchtlingen aus Deutschland zumeist um Linke oder Juden, wenn nicht gar jüdische Linke. Und die waren selbst in den westlichen Demokratien, in denen es ebenfalls einen von den herrschenden Meinungsträgerschichten immer wieder neu angefachten Kommunistenhaß sowie einen latenten Antisemitismus gab, nicht gern gesehen. Fast alle aus dem Dritten Reich Geflüchteten hatten demzufolge ständig mit Visa-, Affidavit- oder Work Permit-Problemen zu kämpfen. Selbst wenn ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung gewährt wurde, war diese meist zeitlich begrenzt und mußte aufgrund neuer Anträge ständig erneuert werden, um so der Gefahr zu entgehen, in ein anderes Land oder gar nach Deutschland „abgeschoben“ zu werden. Besonders unter den ärmeren Exilkünstlern verbreitete sich deshalb in der Folgezeit zusehends ein Gefühl existentieller Verlorenheit, das sich nur schwer mit irgendwelchen Ersatzkompensationen aufheben ließ. Vor allem einige der vertriebenen Autoren beteuerten demzufolge wie Alfred Polgar immer wieder, daß ihnen die Heimat zusehends zur „Fremde“ werde, ohne daß ihnen die Fremde das Gefühl einer neuen „Heimat“ biete. In einer traditionsreichen Nationalkultur großgeworden, in der es noch kaum Zeichen einer sich allmählich ausbreitenden Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  209

Internationalisierung, geschweige denn jener erst 60 Jahre später einsetzenden Globalisierung gab, bot ihnen daher selbst ihre Fähigkeit, sich sprachlich besser ausdrücken zu können als andere Exilanten, keinen Halt. Denn gerade diese Begabung war in der „Fremde“ kaum gefragt. Die Maler und Komponisten, deren Werke aufgrund ihrer bildlichen und klanglichen Ausdrucksmittel nicht auf sprachliche Barrieren stießen, hatten es deshalb im Exil in manchem etwas leichter als ihre schriftstellernden Kollegen und konnten zum Teil auch im Ausland als Lehrer oder Dirigenten weiterarbeiten. Und auch eine stattliche Reihe von Filmschaffenden machte in Hollywood ihr „Glück“. Aber deutschschreibende Autoren, meist schon in fortgeschrittenem Alter, in dem das Erlernen einer fremden Sprache bereits äußerst schwierig ist? Mußten diese Gruppen nicht von vornherein verzagen? Ja und nein. Da gab es Verzagende und Hoffnungsvolle, von Selbstmordvorstellungen Geplagte und aufrechte Kämpfernaturen, alles Deutsche Hassende und alles Gute in der deutschen Vergangenheit Verherrlichende, da gab es Zionisten, die in Deutschland lediglich das Land Hitlers sahen, und da gab es geflüchtete Juden, die sich als die „besseren Deutschen“ empfanden und weiterhin an den Idealen der deutschen Kultur und Bildung festzuhalten versuchten. Und diese Zerklüftung ist auch der Grund, warum sich viele der aus Deutschland geflohenen Künstler lange Zeit nicht auf einen zusammenfassenden Begriff für ihren Status innerhalb der im Exil stattgefundenen politischen und kulturellen Bemühungen einigen konnten. Je nach eigener ideologischer Ausrichtung und auch im Hinblick auf die nicht zu übersehende Zersplitterung all jener aus Deutschland Geflüchteten oder Ausgestoßenen verwandten sie in diesem Zusammenhang eine Fülle höchst verschiedener Bezeichnungen. Die eher unpolitisch Orientierten gebrauchten in dieser Hinsicht meist den Begriff „Emigranten“. Die aktivistisch Eingestellten bevorzugten dagegen eher Begriffe wie „Exilanten“, „Vertriebene“ oder „Verbannte“. In ihren Ohren klingt das Wort „Emigrant“ zu sehr nach einem „freiwilligen Auswanderer“, wie schon Bertolt Brecht in seinem Gedicht Über die Bezeichnung Emigranten aus den mittdreißiger Jahren erklärte. Es wäre daher problematisch, unter ideologischer Perspektive im Hinblick auf die von den „Hitler-Flüchtlingen“ hinterlassenen Zeugnisse einfach pauschalisierend von „Exilkunst“ oder „Exilkultur“ zu sprechen. Auf ihr politisches Engagement 210  Exil

überprüft, hatten nämlich Thomas Mann und Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler und Lion Feuchtwanger, Arnold Schönberg und Hanns Eisler, Robert Musil und Anna Seghers, Max Hermann-Neiße und Johannes R. Becher sowie Paul Klee und Felix Nußbaum kaum Gemeinsamkeiten. Daß sie alle Antifaschisten waren, reichte als Solidarisierungsbasis nicht aus. Ja, es gab sogar mitten im Exil zweifelhafte Gestalten wie Bernard von Brentano und Ernst Glaeser, die sich selbst in diesem Punkt nicht ganz eindeutig verhielten. Nicht minder ambivalent klingen jene Erklärungen vom Herbst 1933, mit denen sich Alfred Döblin, Thomas Mann und Franz Werfel vom Verdacht antifaschistischer Tätigkeit zu reinigen versuchten, um dem Berliner S. Fischer Verlag keine allzu großen Schwierigkeiten zu bereiten. Ein politisch besonders engagierter Autor wie Ernst Toller, der schon 1918 in der Novemberrevolution und dann noch einmal im März / April 1919 im Rahmen der Bayrischen Räterepublik – unter Einsatz seines Lebens – gegen die damaligen Mächte der „Reaktion“ aufgetreten war und das mit fünf Jahren Gefängnis abbüßen mußte, schrieb daher am 11. Januar 1934 an den ebenfalls tataktivistisch gesinnten Kurt Hiller voller Erbitterung über die tiefgehende Zerrissenheit des deutschen Exils: „Die Emigration von 1933 ist ein wüster Haufe aus zufällig Verstoßenen, darunter vielen jüdischen verhinderten Nazis, aus Tugendbolden, die Hitler verhindert hat, Schweine zu sein, und nur wenigen Männern mit Überzeugung.“ Wie soll man also diese Exilkunst, bei der entschiedenes Engagement neben kleinmütigem Verzagen, nobelster Heroismus neben persönlicher Unzulänglichkeit steht, in bestimmten Richtungen gliedern? Gab es hier überhaupt klar erkennbare Gruppen – oder war das Ganze lediglich ein Chaos von Einzelstimmen? Schon die Exilierten selber haben solche Einteilungen vorgenommen und von streitbarer sowie resignierender Kunst gesprochen. Einer der ersten Gliederungsversuche dieser Art findet sich bei Alfred Döblin, der die verschiedenen Exilkünstler konservativen, humanistisch-bürgerlichen und geistrevolutionären Strömungen zuzuordnen versuchte. Eine solche Gliederung ist zwar nicht völlig unzutreffend, läßt aber keinen Raum für marxistisch orientierte Schriftsteller wie Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Willi Bredel, Anna Seghers, Erich Weinert und Friedrich Wolf sowie linke Komponisten wie Hanns Eisler oder bildende Künstler wie Gerd Arntz, John Heartfield, Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  211

Max Lingner und Johannes Wüsten. Teilen wir daher im Folgenden die Exilkünstler einmal nach dem Grad ihres politischen Engagements gegen das Dritte Reich, das ihre Ausbürgerung verursachte, in resignierend-eskapistische, kulturbewußt-humanistische und aktiv-antifaschistische Gruppen ein. Die erste Gruppe wirkt besonders uneinheitlich. Eine eskapistische, das heißt sich in den Bereich des Privaten zurückziehende Haltung konnte man im Exil aus den verschiedensten Gründen beziehen: 1. weil man schon vorher weitgehend unpolitisch eingestellt war, 2. weil man angesichts der politischen und militärischen Übermacht des NSRegimes sowie der abwartenden Appeasementpolitik der meisten westlichen Demokratien Hitler gegenüber resignierte, oder 3. weil man plötzlich im Zionismus oder im Schoß der katholischen Kirche eine neue „Heimat“ fand. Zu den „Unpolitischen“ unter den aus dem Dritten Reich vertriebenen Künstlern oder im weiteren Sinne Kulturschaffenden gehörten vor allem viele der geflohenen Filmschaffenden, die sich nach 1933 lediglich bemühten, im „Traumort“ Hollywood mehr oder weniger lukrative Anstellungen zu finden und ihre Talente – wie schon vorher an die deutsche Filmindustrie – nun an die dortigen Konzernherren zu „vermieten“, wie Bertolt Brecht eine solche „Tui“-Haltung charakterisierte. Auch einige Schriftsteller und Schriftstellerinnen innerhalb dieser Gruppe fuhren in ihren Werken, wenn auch ohne Profitabsicht, einfach da fort, wo man sie, wie Albrecht Schaeffer und Richard Beer-Hofmann, nach der Machtübergabe an Hitler aus ihren poetischen Innenräumen gerissen hatte. Andere verloren sich, wie Else Lasker-Schüler, Karl Wolfskehl und Max Hermann-Neiße, in düstere Lamentationen über die schicksalhaft verhängte Dunkelheit des Exils oder beschränkten sich, wie Robert Musil, darauf, in egozentrisch geführten Tagebüchern ihre literarische Bedeutungslosigkeit zu beklagen. Zu denen, die als Autoren das Schwert einfach sinken ließen, da sie im Dritten Reich eine perfekte Verwirklichung ältester deutscher Spießersehnsüchte erblickten, gehörte bekanntermaßen Kurt Tucholsky, der schon am 4. März 1933 an seinen Freund Walter Hasenclever schrieb: „Man kann für eine Majorität kämpfen, die von einer tyrannischen Minorität unterdrückt wird. Man kann aber nicht einem Volk das Gegenteil von dem predigen, was es in seiner Mehrheit will (auch die Juden).“ Noch ernüchterter, wenn nicht gar 212  Exil

zynischer verhielt sich ein Graphiker und Maler wie George Grosz im Exil. Er, der vor 1933 wie Tucholsky zu den schärfsten Kritikern der chauvinistischen Freikorpsbewegung und des heraufziehenden Nazifaschismus gehört hatte, machte sich jetzt nicht nur über die in Braunhemden aufmarschierenden „Spießer“, sondern auch über all jene „Gutmenschen“ unter den Exilierten lustig, die immer noch nicht eingesehen hätten, daß das Gerede von einer „humanistischen“ Widerstandshaltung oder gar „Menschenverbesserei“, wie es in einem Brief an seinen Freund Ulrich Becher heißt, lediglich eine „Art Brei mit rationalistischer Soosse“ sei. Demzufolge fand er alle antifaschistischen „Kulturbemühungen“ und „Solidaritätsappelle“ zum „Kotzen“. Doch so nihilistisch äußerten sich nicht viele Exilanten. Andere, die sich zwar ebenso stark von der „verspießerten“ Kleinmütigkeit der Deutschen angeekelt fühlten, suchten aufgrund ihrer ideologischen Orientierungslosigkeit lieber einen neuen Halt im katholischen oder jüdischen Glauben, um sich damit von jeder „Deutschgläubigkeit“ oder „diesseitigen Fortschrittshoffnung“ zu distanzieren. Zu ihnen gehörten vor allem ältere Expressionisten wie Alfred Döblin, Franz Werfel und Arnold Schönberg, bei denen schon vor ihrer Flucht ins Exil eine gewisse Neigung zum Irrationalen vorhanden war. Einen ebenso „unpolitischen“ Charakter – jedenfalls in ihren Anfängen – hatte eine andere Gruppe unter den „Hitler-Flüchtlingen“: die der sogenannten „humanistischen Verteidiger der Kultur“. Sie setzte sich weitgehend aus gut- oder bestbürgerlichen Künstlern zusammen, die, sofern sie es sich leisten konnten, in eine vornehme Reserviertheit emigrierten. Viele von ihnen glaubten weiterhin an den Mythos von Deutschland als dem „Land der Dichter und Denker“ und vertraten demzufolge die These, daß eine gute Kunst stets die beste Politik sei. Einige darunter beriefen sich in diesem Zusammenhang gern auf Thomas Mann, den selbsterwählten Repräsentanten der bürgerlichen Hochkultur, der 1937 in seinem Essay Richard Wagner und der „Ring des Nibelungen“ noch einmal seine frühere These aus den Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918 aufgewärmt hatte, nämlich daß der „deutsche Geist an sozialen und politischen Fragen im Wesentlichen uninteressiert“ sei. „Das Werk der Kunst“, lasen die Vertreter dieser Gruppe hier, komme irgendwo aus „dem Tiefsten“ her. Daher solle man nur die Kunst und nicht die Politik als „maßgebend“ anerkennen. Ähnliche ÄußerunDie weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  213

38 Thomas Mann und Albert Einstein in Princeton (1938).

gen finden sich bei anderen exilierten Bildungsaristokraten, die, wie Heinrich Mann schrieb, 1933 von den Nazifaschisten weitgehend im „gesitteten Zustand“ der Kulturbefangenheit und damit ideologischen Wehrlosigkeit überrumpelt worden seien. So gab etwa Ludwig Marcuse später ganz offen zu, daß er damals vom „politischen Tuten und Blasen keine Ahnung“ gehabt habe. Max Brod gestand mit der gleichen Ehrlichkeit, sich noch kurz vor 1933 als optimistisch gesinnter Vertreter „einer kommenden Ära des Weltbürgertums“ vorgekommen zu sein. Ja, Klaus Mann erklärte, als die Nazi-Diktatur vorüber war, zutiefst enttäuscht: „Die Majorität ‚unserer Emigration‘ bestand eben doch aus braven Bürgern, die sich in erster Linie als ‚gute Deutsche‘, erst in zweiter Linie als Juden und zu allerletzt, oder überhaupt nicht, als Antifaschisten empfanden.“ Wie unpolitisch die Gesinnung dieser zuvor wohlsituierten Kulturund Bildungsbürger war, zeigt sich am deutlichsten in ihrer Einstellung den brutalen, ja mörderischen Aspekten des Nazifaschismus gegenüber. Vor allem die betont „Feinsinnigen“ unter ihnen reagierten in diesem 214  Exil

Punkt, wie auch viele Vertreter der Inneren Emigration, oft rein affekthaft. Ohne tiefere Einsicht in die historischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen dieses Phänomens sahen sie in Hitler vornehmlich einen Dämon, der aus dem Nichts aufgetaucht sei und ganz Deutschland auf unerforschliche Weise über Nacht in die finsterste Barbarei gestürzt habe. So sagte etwa der ins Exil geflüchtete Philosoph Ernst Cassirer in den USA allen Ernstes zu Henry Pachter, als habe es in Deutschland nie irgendwelche präfaschistischen Strömungen gegeben: „This Hitler is an error in history; he does not belong in German history at all.“ Wenn sich deshalb diese Kreise über die Nazifaschisten äußerten, blieben sie im Gefolge geistesgeschichtlicher oder dämonologischer Denkweisen meist im Bereich des Unpolitisch-Metaphorischen, das heißt Krankhaften, Wahnsinnigen oder Teuflischen befangen. So sprach etwa Walter A. Berendsohn im Hinblick auf das Dritte Reich von „rohestem Untermenschentum“, Ludwig Marcuse von „Pestgegend“, Oskar Maria Graf von „viehischer Hitlerbarbarei“ und selbst Klaus Mann von „Hölle“, „degoutantem Schwindel“ oder „schauerlicher Heimkehr in Nacht und Tod“. In sich selbst sahen dagegen manche Vertreter dieser Gruppe die würdigsten, wenn auch letzten Repräsentanten jener althumanistischen Tradition, deren bekannteste Manifestationen die kosmopolitische Haltung Goethes, die Neunte Symphonie Beethovens sowie der Kantsche Idealismus seien, wofür sie gern die Formel des „anderen, besseren Deutschland“ gebrauchten. Allerdings konnte es dabei auch zu recht ichbezogenen Haltungen kommen, die einen unverkennbar großbürgerlichen Anstrich haben. „Wo ich bin, ist die deutsche Kultur“, soll Thomas Mann damals ohne jede Ironie gesagt haben. Eins der bezeichnendsten Dokumente dieser Gesinnung ist unter anderem sein Roman Lotte in Weimar (1939), in dem an Goethe gerade das Konservative und Bildungsaristokratische betont wird. Ohne jeden Hinweis auf die progressiven Elemente in seinen Werken wird hier Goethe vor allem als ein großes Individuum herausgestellt, das sich mit herablassender Ironie über den nationalen Schwindel der Befreiungskriege mokiert habe und für eine altständische Ordnung mit weltbürgerlichem Überbau eingetreten sei. So gesehen, ist in diesem Roman die Essenz des „anderen Deutschtums“ noch immer die der nach innen gekehrten Persönlichkeit, worin sich zwar ein kulturelles, aber kein eigentlich politisches Gegenbild zum Deutschland der Nazifaschisten manifestiert. Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  215

Wirklich „politischen“ Äußerungen begegnet man in den ersten Jahren des Exils fast nur im aktivistischen Lager. Diese Gruppen forderten auch von der Kunst ein unverkennbares Engagement. So schrieb etwa Bertolt Brecht schon Anfang 1933: „Eine solche Beachtung von Seiten des Staates hat kaum je eine Literatur erfahren: Die Verbeugungen der Faschisten bestehen aus Fußtritten. Ich hoffe, daß die deutsche Literatur sich dieser außerordentlichen Aufmerksamkeiten würdig erweisen wird.“ Dementsprechend hieß es in den linksgerichteten Neuen deutschen Blättern kurz darauf unter dem Motto „Wer schreibt, handelt“: „Schrifttum von Rang kann heute nur antifaschistisch sein“ oder „Wer schweigt, verdammt sich selbst zu sozialer und künstlerischer Unfruchtbarkeit“. Ähnliche Töne hört man in Exilblättern wie der Neuen Weltbühne und der Internationalen Literatur bzw. bei Ernst Toller, Anna Seghers und Heinrich Mann. Selbst ein ehemals konservativer Autor wie Joseph Roth schrieb 1934: „Ein Dichter, der heute gegen Hitler und das Dritte Reich nicht kämpfte, ist gewiß ein kleiner, schwacher Mensch und wahrscheinlich auch ein wertloser Dichter.“ Und auch Ferdinand Bruckner erklärte 1939 mit der nötigen Emphase auf dem New Yorker PEN-Kongreß: „Nur wenn die Dichtung zu einer Waffe wird, kann es einmal zu einem besseren Leben kommen“, um sich damit von unpolitischen Autoren wie Franz Werfel und Carl Zuckmayer abzusetzen. Statt also in der Vergangenheit spielende Romane über „Pippin den Mittleren oder Melanie die Ausgefallene“ zu verfassen, wie Kurt Hiller 1938 mit einem Seitenhieb auf Hermann Kesten und Stefan Zweig schrieb, nichtssagende Landschaften zu malen oder inhaltlich unverbindliche Symphonien zu komponieren, setzten sich daher die linken Aktivisten unter den Exilkünstlern in aller Entschiedenheit für eine auf dem Prinzip antifaschistischer Solidarität beruhende Kampfkunst ein. Und zwar verfolgten sie dabei zwei Ziele: entweder Werke für den innerdeutschen Widerstand zu schaffen und diese nach Deutschland einzuschmuggeln oder jene Länder, in denen sie sich gerade aufhielten, über die Greueltaten des faschistischen Terrorregimes aufzuklären. Die Möglichkeiten einer derartigen Kampf- oder Widerstandskunst erwiesen sich jedoch als sehr begrenzt. Aber man versuchte es wenigstens. Dafür sprechen unter anderem Werke wie die Exil-Anthologie Deutsch für Deutsche (1935) mit Werken von Johannes R. Becher, Willi Bredel und Anna Seghers, die Schrift Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit 216  Exil

(1935) von Bertolt Brecht sowie die als Bändchen der Reclamschen Universalbibliothek getarnten Gedichte (1938) von Rudolf Leonhard, die nach Deutschland eingeschleust wurden, aber wie John Heartfields Hitler-Satiren innerhalb des Dritten Reichs weitgehend unbeachtet blieben. Anderes, vor allem zum Widerstand gegen den Nazifaschismus aufrufende Gedichte und Kurzreportagen, wurden über den von vertriebenen Kommunisten gegründeten Deutschen Freiheitssender 29,8 nach Deutschland eingestrahlt. Ähnliche Formen einer solchen AgitpropKunst entwickelten sich im Kampf um die Saar (1935) , im Spanienkrieg (1936–1939) und dann vor allem an der Ostfront (1941–1945), wo sich Johannes R. Becher, Willi Bredel, Adam Scharrer, Erich Weinert, Friedrich Wolf und andere an der Herstellung von Flugblättern, Rundfunksendungen oder „Kommrüber-Versen“ beteiligten. Dem Kampf dieser Aktivisten lagen – im Gegensatz zu den unpolitischen Humanisten – keine affektbetonten Abwehrreaktionen, sondern meist schlagkräftige Analysen der sozioökonomischen Grundlagen des Nazifaschismus zugrunde. So hieß es schon auf der ersten Seite der Neuen deutschen Blätter: „Viele sehen im Faschismus einen Anachronismus, ein Intermezzo, eine Rückkehr zu mittelalterlicher Barbarei; andere sprechen von einer Geisteskrankheit der Deutschen oder einer Anomalie. Wir dagegen sehen im Faschismus keine zufällige Form, sondern das organische Produkt des todkranken Kapitalismus.“ Ihre Aufklärungsarbeit innerhalb der westlichen Demokratien lief deshalb meist darauf hinaus, Hitler als einen Handlanger der antikommunistischen, profithungrigen Großindustrie anzuprangern, der sich der heuchlerischen Phrase einer neuen „Volksgemeinschaft“ nur darum bediene, um den Linken den Wind aus den Segeln zu nehmen, wie es 1935 bei Ernst Bloch in Erbschaft dieser Zeit hieß. Diese Gruppen sahen genau, daß es sich beim deutschen Faschismus nicht um eine Form des Sozialismus, sondern um eine staatskapitalistische Diktatur handelte, welche sich bemühe, mit Hilfe nationalrassistischer Vorstellungen ihre imperialistischen Ziele in ganz Europa durchzusetzen. Zudem glaubten viele Vertreter dieser Gruppe, daß nicht nur sie, sondern auch die deutschen Volksmassen diese Politik durchschauen würden. Vor allem zu Anfang hegte man in diesem Lager noch große Hoffnungen in dieser Hinsicht und behauptete wiederholt, daß der Nazifaschismus nur von einer kleinen Clique von „Gangstern“ ausgehe und über ein Volk zu herrschen versuDie weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  217

che, das in seiner Mehrheit gegen das neue Regime eingestellt sei. So schrieb selbst der in anderer Hinsicht recht klar denkende Heinrich Mann im Herbst 1933 höchst illusorisch: „In freien Wahlen bekämen die Nationalsozialisten nur zwanzig Prozent der Stimmen, die Kommunisten aber sicher mehr als sechzig Prozent.“ Dementsprechend setzten viele Linksaktivisten unter den Exilkünstlern ihr Vertrauen fast ausschließlich auf die deutsche Arbeiterschaft, von der man, wie in der 1938 in Paris von Lion Feuchtwanger, Rudolf Leonhard, Heinrich Mann und Gustav Regler herausgegebenen Broschüre Deutsche Arbeiter! Ihr seid die Hoffnung!, eine starke Widerstandskraft gegen das kapitalistisch orientierte NS-Regime erwartete. Das Bürgertum, von dem die beiden anderen Exilgruppen meist ausgingen, fehlte daher in ihren Überlegungen und Werken fast völlig. Das wirkt im Nachhinein erstaunlich kurzsichtig oder zumindest eindimensional. Doch auf welche Unterstützung sollten diese Gruppen in ihrem Kampf gegen die „braune Flut“ sonst hoffen? Auf die deutschen Industriellen und Großgrundbesitzer, die aus Furcht vor dem Kommunismus Hitler zum militanten Garanten ihrer Eigentumsrechte erkoren hatten? Auf die deutsche Bildungsbourgeoisie, die sich mehrheitlich von den traditionsbewußten Hochkulturkonzepten der Nazifaschisten blenden ließ? Auf die deutschen Kleinbürger, die schon vor 1933 nicht politisch organisiert waren und daher jedem großsprecherischen Demagogen, der sie mit gesteigerten Berufsaussichten, Wohlstandsparolen und unterhaltsamen Freizeitangeboten in seine Fänge lockte, nur allzu willig folgten? Auf die westlichen Demokratien, die Hitler im Zuge ihrer Appeasementpolitik ein Zugeständnis nach dem anderen machten? Was blieb diesen Aktivisten daher anderes übrig, als auf die Widerstandskraft jener Arbeiterschichten zu hoffen, die vor 1933 die KPD gewählt hatten und denen man damals die Sowjetunion, den vielgerühmten „Staat ohne Arbeitslose“, als ein in die Zukunft weisendes Vorbild angepriesen hatte? Die aktivste Phase dieser antifaschistischen Bestrebungen bildeten die Jahre von 1935 bis 1938, als sich in Frankreich vorübergehend eine Volksfrontbewegung durchzusetzen begann und selbst vielen der bisher „Unpolitischen“ unter den Exilkünstlern die Augen sowohl über den wahren Charakter des deutschen Faschismus als auch die mit ihm verwandte antikommunistische Haltung in den westlichen Demokratien aufgingen. Schließlich hatten fast alle dieser aus Deutschland Vertriebe218  Exil

nen oder Geflohenen zwischen 1933 und 1935 recht bittere, wenn nicht gar demütigende Erfahrungen in den sich offiziell als „liberal“ gebenden Zufluchtsländern machen müssen. Fast in keinem dieser Staaten waren sie mit offenen Armen aufgenommen worden. Die meisten mußten jahrelang mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen leben, die jeden Augenblick aufgehoben werden konnten. Außerdem hatten sie mit ansehen müssen, wie stark das Prestige Hitlers durch die NS-freundliche Politik des Danziger Senatspräsidenten Hermann Rauschning, das im Juli 1933 abgeschlossene Konkordat mit dem Papst, das HaavaraAbkommen mit der Zionistischen Weltorganisation im August des gleichen Jahres, den überwältigenden Wahlerfolg der NSDAP an der Saar im Jahr 1935 und die Berliner Olympiade von 1936 inzwischen angewachsen war. Dazu kamen kurz darauf augenöffnende Politereignisse wie der Sieg der Faschisten im spanischen Bürgerkrieg, der sogenannte Anschluß Österreichs, das beschämende Münchner Abkommen und die militärische Besetzung der Tschechoslowakei. Demzufolge verbreitete sich unter vielen Exilanten die Einsicht, daß der „Westen“ das Vordringen des Nazifaschismus nicht nur widerwillig toleriere, sondern Hitler bereits als Bundesgenossen im Kampf gegen den Kommunismus vor den eigenen Wagen zu spannen versuche. In Voraussicht dieser Entwicklung hatte Kurt Tucholsky schon 1933 im Hinblick auf das eben gegründete Dritte Reich an Arnold Zweig geschrieben: „Dies Regime wird von der ganzen Welt unterstützt, denn es geht gegen die Arbeiter.“ Nach den Geschehnissen der Jahre 1936 bis 1938 erlebten daher selbst einige „bürgerliche“ Autoren wie Thomas Mann ihr politisches Damaskus. Dementsprechend heißt es in seinem zeitpolitisch höchst bedeutsamen Aufsatz Dieser Friede (1938), den er nach dem Münchner Abkommen zwischen Adolf Hitler, Benito Mussolini, Édouard Daladier und Neville Chamberlain schrieb, daß er bisher „nicht Politiker genug“ gewesen sei, um die „Nichtinterventionskomödie zur Begünstigung Francos“ und den „Verrat an der tschechoslowakischen Republik“ als eine englische „Büberei“ zu durchschauen. „Die Angst vor dem Sozialismus und Rußland“, erklärte er hier, habe in diesem Jahr die „Selbstaufgabe der Demokratie als geistigpolitischer Position“ bewirkt. Auch ihm dämmerte plötzlich, daß „dieses Europa den Sturz der nationalsozialistischen Diktatur gar nicht wolle“. Daher stellte er nach diesem Zeitpunkt nicht mehr die liberale, Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  219

sondern die „soziale Demokratie“ als das eigentliche Gegenbild zum Faschismus hin. Und aus dieser Haltung leiteten einige der entschiedenen Hitler-Gegner unter den Exilanten sowie ihre neuen Bundesgenossen auch ihre Kulturkonzepte ab. Allerdings stellte sich dabei selbst bei den Vertretern der Volksfrontpolitik, die alle „Hitler-Flüchtlinge“ unter ein ideologisches Dach zu verbringen versuchte, keine klar erkennbare Einheitslinie ein. Obwohl sich die linksaktivistisch eingestellten Gruppen und die mit ihnen sympathisierenden bürgerlichen Einzelkünstler in ihrem Antifaschismus weitgehend einig waren, propagierten sie in kultureller und ästhetischer Hinsicht sogar in diesen Jahren zum Teil recht unterschiedliche Vorstellungen. Die aus dem eher „unpolitischen“ Lager Herkommenden glaubten weiterhin, daß eine „weltbürgerliche“ Haltung die beste Position gegen den Nazifaschismus sei und strichen deshalb all das heraus, was sich im Kulturellen Erbe Deutschlands als „humanistisch“ oder auch in einem liberal-demokratischen Sinne als „sozialbetont“ charakterisieren ließ. Allerdings blieben sie dabei stets im Rahmen des Hochkulturellen, während sie irgendwelchen „niederen“ Agitpropformen in der Kunst keine Beachtung schenkten. Auch solche Kunstformen zu verwenden, wäre ihnen zu vulgär, wenn nicht gar „faschistisch“ oder „faschistoid“ erschienen. Sie glaubten, daß nur die höchsten Kulturleistungen gut genug seien, um sie der nazifaschistischen Kulturlosigkeit, ja alle Formen einer anspruchsvollen Kunst verachtenden Barbarei entgegen zu setzen. Sie traten daher mit Kulturgrößen wie Albrecht Dürer, Johann Wolfgang Goethe und Ludwig van Beethoven statt mit Bertolt Brecht, Charlie Chaplin und Hanns Eisler oder gar Karl Marx, Friedrich Engels und Rosa Luxemburg gegen Hitler an. Nun, gegen die hochverehrten älteren Kulturgrößen hatten auch die meisten Linken unter den antifaschistischen Aktivisten nichts einzuwenden. Seit Franz Mehring herrschte selbst in ihren Reihen ein unverhohlener „Klassikerkult“, dem allerdings nicht nur das Gefühl der kritiklosen Verehrung, sondern auch das Prinzip der dialektischen Aufhebung im Hegelschen Sinne zugrunde lag. Und diese doppelte Perspektive führte im Rahmen der linken Exilkünstler notwendig zu mancherlei politästhetischen Differenzen. Während die Moskauer Gruppe um Georg Lukács weiterhin die Kultur der Goethe-Zeit hochhielt und die „modernistische“ Kunst weitgehend ablehnte, weshalb Thomas Mann 220  Exil

später Lukács als den „bedeutendsten Literaturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, ließen sich Aktivisten wie Bertolt Brecht nicht abhalten, auf die spezifisch bildungsbürgerliche Komponente einer derartigen Haltung hinzuweisen. Statt die humanistischen Ideale der Goethe-Zeit in den Sozialismus zu „verretten“, wie er sich ausdrückte, solle man lieber eine Kunst und Kultur ins Auge fassen, die den seitdem durch die Entwicklung der industriellen Produktionsweisen und die Entstehung des Proletariats grundsätzlich gewandelten sozioökonomischen Verhältnissen entspreche. Daher seien die linken Exilkünstler wohlberaten, heißt es bei ihm wiederholt, sich – trotz der gebotenen sozialistischen Gesinnung – auch der von Lukács verdammten avantgardistischen Stilmittel der neueren Kunst zu bedienen. Zu kulturpolitischen Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Positionen kam es vor allem im Jahr 1937 anläßlich der sogenannten Expressionismusdebatte. Georg Lukács und Alfred Kurella vertraten dabei die These, daß fast allen avantgardistischen Kunstarten ein unrevolutionärer Irrationalismus zugrunde gelegen habe, der später – wofür sie vor allem expressionistische Autoren wie Gottfried Benn, Arnolt Bronnen und Hanns Johst anführten – lediglich dem Nazifaschismus zugute gekommen sei. Ja, nicht nur das. Lukács und Kurella verdammten letztlich jede Art von „moderner“, das heißt elitärer, unrealistischer, formauflösender Kunst als volksfremd und damit als Dekadenzerscheinung des untergehenden Bürgertums. Weiterhin linksavantgardistische Stilmittel hochschätzende Exilkünstler und -theoretiker, wie Bertolt Brecht, Ernst Bloch und Hanns Eisler, widersprachen dem jedoch, was notwendig zu einer Aufspaltung der Aktivisten in verschiedene Gruppen führte, die sich mehr oder minder offen, wenn nicht gar mit hämischer Absicht wechselseitig als „Orthodoxe“ oder als „Formalisten“ angriffen. Doch die auf diese Debatte folgenden politischen Ereignisse – ob nun die Moskauer Schauprozesse, der sogenannte Anschluß Österreichs an das Großdeutsche Reich, das Münchner Abkommen, die „Kristallnacht“, die Besetzung der Tschechoslowakei durch deutsche Truppen, der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt und der Beginn des Zweiten Weltkriegs – verhinderten, daß es zu einer Einigung oder zumindest erpreßten Versöhnung zwischen diesen beiden Standpunkten kam. Nach dem am 1. September 1939 erfolgten Einmarsch der NS-Wehrmacht in Polen gab es deshalb im Exil kaum noch weiterführende Kulturdebatten. Wie schon Die weitgehende Zersplitterung der deutschen Exilanten  221

Anfang 1933 versuchten jetzt alle aus Deutschland und Österreich Vertriebenen, die sich bis dahin weitgehend in den Ländern rund um das Dritte Reich aufgehalten hatten, erst einmal das nackte Leben zu retten, was ihnen in den meisten Fällen nur durch eine Flucht nach Übersee – nach Schanghai, Mauritius, Kuba, Mexiko oder in die USA – gelang. Diese Neusituierung führte zwangsläufig zu einer völlig anderen Einstellung Nazi-Deutschland gegenüber. Durch die damals noch als kaum vorstellbare Ferne von Europa, den Beginn des „Totalen Kriegs“ sowie die Meldungen über Vernichtungslager wie Auschwitz wurde selbst unter den bisher aktivistisch eingestellten Exilanten ihr Verhältnis zur Politik immer stärker mit emotionalen Elementen durchsetzt. Das Gefühl, auch ein Deutscher zu sein, während alle Welt plötzlich HitlerDeutschland haßte und verdammte, verunsicherte zu diesem Zeitpunkt nicht nur viele konservativ denkende „Hitler-Flüchtlinge“, die sich wie Franz Werfel und Emil Ludwig in vielbeachteten Veranstaltungen und Radioansprachen zur Kollektivschuldthese bekannten, sondern sogar eine Reihe bisher kämpferisch eingestellter Linker. Kein Wunder, daß in den folgenden Jahren selbst innerhalb aktiv-antifaschistisch eingestellter Gruppen zusehends die Gefahr entstand, die Parole des „anderen, besseren Deutschland“ aufzugeben. Obwohl sich auch im Exil nur allzu deutlich gezeigt hatte, daß Deutschsein allein überhaupt nicht verbindet und sich einzelne Exilfraktionen zum Teil höchst erbittert entgegengetreten waren, begannen jetzt sogar viele Hitler-Gegner im linksliberalen bis linken Lager, über das „Deutsche an sich“ zu spekulieren, was bei manchen zu einer grundsätzlichen Absage an das seit „eh und je dem Teufel verfallene Vaterland“ und damit zu einer Aufgabe ihrer bisherigen Kulturkonzepte führte. Ja, für einige unter den ehemaligen Aktivisten hörte damit das Gefühl, im Exil zu leben, zusehends auf. Sie blieben daher nach 1945 – trotz bestehender Heimkehrmöglichkeiten – weitgehend in ihren jeweiligen Gastländern. Letztendlich entschloß sich in der Folgezeit nur der ideologisch unerschütterliche Kern dieser Gruppe, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Und zwar gingen seine Vertreter meist in die Sowjetische Besatzungszone und nicht in den Westen dieses Landes, wo sich nach 1946 / 47 erneut eine von den USA lebhaft unterstützte antikommunistische Ideologie verbreitete, die sich auch in den dort herrschenden Kulturkonzepten niederschlug.

222  Exil

Zufluchtsorte des Exils Die Entscheidung, welchen Zufluchtsort die aus Deutschland vertriebenen Schriftsteller, Publizisten, Filmschaffenden, Maler, Komponisten, Dirigenten und Musiker nach 1933 wählten, hing meist von zwei Faktoren ab. Entweder begaben sie sich in Länder, in denen sie Freunde oder Verwandte hatten, die ihnen erst einmal die nötige finanzielle Starthilfe boten, oder sie wählten Länder, wo sie – gemäß ihrer beruflichen Vorbildung oder politischen Orientierung – einen sinnvollen Wirkungsraum zu finden hofften. Beide Entscheidungen waren relativ schwierig, da die meisten Menschen, selbst die Künstler unter ihnen, damals noch kaum irgendwelche Auslandsbeziehungen hatten. Das gilt vor allem für jene Schriftsteller, Publizisten und Schauspieler, die bis dahin – noch ohne das Gefühl einer sich anbahnenden Globalisierung – weitgehend im deutschen Sprachraum geblieben waren. Doch sogar viele Maler und Komponisten hatten ihre Werke vor 1933 fast ausschließlich in Deutschland ausgestellt oder aufgeführt und waren daher mit anderen „Kulturen“ nur in Ausnahmefällen in Berührung gekommen. Kurzum: die bange Frage „Jetzt wohin?“, die bereits der aus Deutschland nach Paris übergesiedelte Heinrich Heine nach der gescheiterten Achtundvierziger Revolution einem seiner Gedichte als Titel vorangestellt hatte, erwies sich auch für die meisten aus dem Dritten Reich vertriebenen Künstler als eine Frage, die sich höchst schwierig beantworten ließ. Da viele von ihnen hofften oder glaubten, daß der „Hitler-Spuk“ nicht lange dauern würde, blieben sie nach den Januar / Februar-Ereignissen des Jahres 1933 erst einmal in jenen Ländern, welche direkt an Deutschland grenzten, das heißt von wo aus sie die Vorgänge in ihrer bisherigen „Heimat“ so nah wie möglich verfolgen konnten. Und das waren vor allem die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, die Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland, England, Dänemark und Schweden, in denen sie mehr oder minder widerwillig aufgenommen wurden. Zugegeben, einige von ihnen gingen auch – schon aus sprachlichen Gründen – nach Österreich, hielten es aber dort wegen der schnell zunehmenden Faschisierung dieses Landes nicht lange aus. Und auch Ungarn und Polen schieden für die aktivistisch Eingestellten unter ihnen, obwohl es in diesen zwei Ländern große deutschsprachige Bevölkerungsgruppen gab, wegen der dort herrschenden reaktionären Regime von vornherein aus. Zufluchtsorte des Exils  223

Der harte Kern der mit der KPD sympathisierenden oder ihr gar als Mitglieder angehörenden Künstler ging 1933 erst einmal in die UdSSR. Zu ihm gehörten unter anderem Johannes R. Becher, Klara Blum, Willi Bredel, Ernst Fischer, Alexander Granach, Julius Hay, Alfred Kurella, Theodor Plivier, Gustav von Wangenheim, Erich Weinert, Friedrich Wolf und zeitweilig auch Ernst Busch, Hanns Eisler und Erwin Piscator. Welche Gefühle manche dieser linken Künstler und Kulturtheoretiker, die sich schon vorher als Parteigänger der Sowjetunion empfunden hatten, bei ihrer Ankunft in diesem Lande bewegten, geht wohl am besten aus einer kurzen Niederschrift des marxistischen Literaturkritikers Ernst Fischer hervor, in der es heißt: „Das Glücksgefühl: es gibt ein Land, dessen Hymne die Internationale ist, ein Land, in dem all das triumphiert, wofür man in den kapitalistischen Ländern erschossen, gefoltert, eingekerkert wird. Wir kommen nicht als Gäste, sondern wir kommen als Menschen, die ihre Heimat brauchen.“ Doch solche überschwänglichen Gefühle sollten nicht lange anhalten. Schon auf dem im Jahr 1934 in Moskau abgehaltenen Allunionskongreß, wo sich Maxim Gorki für die Doktrin des Sozialistischen Realismus aussprach und an dem neben der Moskauer Gruppe von den deutschen Linken auch Oskar Maria Graf, Gustav Regler und Ernst Toller teilnahmen, wurden die aus dem Dritten Reich vertriebenen Kommunisten, die ein Jahr zuvor den Endkampf mit den Nazifaschisten verloren hatten, im Gegensatz zu den französischen Linken kaum noch beachtet. Hanns Eisler und Erwin Piscator, die sich in ihrem künstlerischen „Avantgardismus“ durch die kulturpolitischen Auswirkungen dieses Kongresses in ihren weiteren Wirkungsmöglichkeiten beschränkt sahen, verließen daher kurz darauf die Sowjetunion. Und auch „rote“ Architekten wie Ernst May und Bruno Taut hielten es nicht lange in der UdSSR aus. Es gab zwar danach in Moskau und Engels, der Hauptstadt der deutschen Wolgarepublik, noch eine Reihe deutschsprachiger Theateraufführungen und auch Zeitschriften wie Internationale Literatur und Das Wort, in denen nicht nur wichtige Exilromane von Willi Bredel, Lion Feuchtwanger, Theodor Plivier und Anna Seghers, sondern auch einflußreiche kulturpolitische Grundsatzerklärungen abgedruckt wurden, aber die anfängliche Begeisterungswelle für die Sowjetunion ebbte im Laufe der dreißiger Jahre selbst unter den zutiefst vom Kommunismus überzeugten deutschen Exilkünstlern allmählich ab. Die 224  Exil

39 Johannes Wüsten: Lenin (1933).

Gründe hierfür waren vor allem die Moskauer Schauprozesse, die Erschießungen, Internierungen oder Abschiebungen sogenannter Trotzkisten oder anderer angeblicher Stalin-Gegner sowie der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt von 1939, die bei vielen Kommunisten gravierende Zweifel an ihren bisherigen Anschauungen auslösten. Deshalb begaben sich nach 1938 / 39 kaum noch deutsche Flüchtlinge in die Sowjetunion und auch die kulturellen Aktivitäten der in Moskau verbliebenen Exilanten kamen weitgehend zum Erliegen. Während diese Gruppe noch in den mittdreißiger Jahren davon überzeugt war, durch die von ihr aktiv unterstützte Volksfrontpolitik einen wichtigen Beitrag zum antifaschistischen Kampfgeist geleistet zu haben, trat jetzt bei vielen ihrer Anhänger eher ein Gefühl der ideologischen Lähmung ein, das erst wieder einer neuen Tatgesinnung wich, als die NS-Wehrmacht – nach dem Debakel von Stalingrad – seit Anfang 1943 die bisher von ihr eroberten Gebiete der Sowjetunion Schritt für Schritt aufgeben mußte. Erst im Zuge dieser Entwicklung konnten die deutschen Exilkünstler in der UdSSR wieder hoffen, nach dem Untergang des Dritten Reichs in ihrer früheren Heimat eine sozialistische Kultur aufzubauen, die sich Zufluchtsorte des Exils  225

sowohl von allen nazifaschistischen Entartungen ins Rassistische als auch von allen kapitalistischen Depravierungen ins Kommerzorientierte freihalten würde. Als maßgebliche Vorbilder dienten ihnen dabei der in der UdSSR vertretene Klassikerkult sowie – im Hinblick auf neuzuschaffende Werke – die Doktrin des Sozialistischen Realismus, die seit 1934 zur Grundlage der sowjetischen Kulturpolitik geworden war. Da die tschechoslowakische Republik bereits im März 1939 von den nazifaschistischen Truppen „überrannt“ wurde, blieb für die deutschen Exilanten nicht viel Zeit, in diesem Land weitreichende Aktivitäten zu entwickeln. Was sie dennoch in dem kurzen Zeitraum zwischen 1933 und 1938 auf kulturellem Sektor an antifaschistischen Bestrebungen in Gang setzten, ist mehr als erstaunlich. Sie veröffentlichten in Prag nicht nur linksorientierte Zeitungen und Zeitschriften wie Der Gegenangriff, Die neue Weltbühne, die Neuen deutschen Blätter und die Arbeiter-Illustrierte Zeitung aller Länder, zu deren Herausgebern Hermann Budzislawski, Oskar Maria Graf, Wieland Herzfelde, Willi Münzenberg Willi Schlamm und Anna Seghers gehörten, sondern führten auch Kompositionen von Hanns Eisler und Karl Amadeus Hartmann auf, stellten trotz Einspruchs der NS-Botschaft in der Galerie Mánes eine Reihe höchst aggressiver Hitler-Satiren von John Heartfield aus, versuchten unter Mitarbeit von Willi Bredel, Louis Fürnberg, Oskar Maria Graf, Stefan Heym, Ernst Ottwalt, Adam Scharrer, Alex Wedding, Franz Carl Weiskopf, Johannes Wüsten und Hedda Zinner die Tätigkeit des BPRS fortzusetzen, gründeten einen Hans Otto- und einen Bert BrechtKlub und ließen im Prager Urania-Verein Stücke oder Szenen von aus Deutschland vertriebenen Dramatikern inszenieren. Ja, der ehemalige Dadaist und Kommunist Wieland Herzfelde konnte in Prag sogar seinen Berliner Malik-Verlag neu begründen, in dem er 1938 die beiden ersten Sammelbände der frühen Stücke Bertolt Brechts herausbrachte. All dies war nicht nur möglich, weil in der tschechoslowakischen Republik – nach der 1918 erfolgten Auflösung des Habsburgerreichs – noch immer rund 25 Prozent der dort lebenden Bevölkerung deutsch sprachen, sondern auch, weil die „liberale“ Prager Regierung unter Tomaš Masaryk und Eduard Beneš keine sich dem Nazi-Reich anbiedernde Appeasementpolitik betrieb, sondern im Gegenteil einzelnen Exilanten, wie Heinrich und Thomas Mann, sogar die tschechische Staatsbürgerschaft verlieh, um so ihre persönliche Sicherheit zu garantie226  Exil

ren und ihnen zugleich uneingeschränkte Reisemöglichkeiten zu er­öffnen. In einzelnen Fällen unterstützte sie sogar die spezifisch antifaschistische Tendenz der in Prag erscheinenden deutschsprachigen Zeitschriften und schritt daher selbst gegen die Herausgeber der linksgerichteten Neuen deutschen Blätter nicht ein, als diese 1933 ihr erstes Heft im Sinne der Parole „Wer schreibt, handelt“ mit folgender Erklärung herausbrachten: „In Deutschland wüten die Nationalsozialisten. Wir befinden uns im Kriegszustand. Es gibt keine Neutralität. Am wenigsten für die Schriftsteller. Auch wer schweigt, nimmt teil am Kampf. Wer, erschreckt und betäubt von den Ereignissen, in ein nur-privates Dasein flieht, wer die Waffe des Wortes als Spielzeug oder Schmuck verwendet, wer abgeklärt resigniert – der verdammt sich selbst zu sozialer und künstlerischer Unfruchtbarkeit und räumt dem Gegner das Feld. Daher: Schrifttum von Rang kann heute nur antifaschistisch sein.“ Was demzufolge die aktivistisch eingestellten Künstler unter den nach Prag geflüchteten Exilanten an Kulturvorstellungen entwickelten, entsprach weitgehend jenen Erklärungen, welche auch die Moskauer Gruppe bis zur Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts im Herbst 1939 vertrat. Allerdings mußten die Prager Exilanten schon im Frühjahr 1939 – anläßlich des Einmarschs deutscher Truppen in die Tschechoslowakei – in andere Länder, vor allem nach Frankreich, ausweichen. In Paris hatte sich nämlich bereits im Jahr 1933 eine zahlreiche Vertriebenenkolonie etabliert, die sich zwar nicht des gleichen Wohlwollens von Seiten der dortigen Regierungen erfreute wie die Prager Gruppe, aber dennoch erstaunliche, meist linksgerichtete Aktivitäten entwickelte. Unter Berufung auf frühere deutsche Exilanten, wie Georg Forster, Ludwig Börne, Heinrich Heine und Karl Marx, die ebenfalls im Pariser Exil gelebt hatten, sahen auch viele „Hitler-Flüchtlinge“ in Frankreich weiterhin nicht nur ein Land mit einer höchst bedeutsamen Kulturtradition, sondern auch jenes Land, in dem sich – vor der russischen Oktoberrevolution von 1917 – die meisten fortschrittsbetonten Revolutionen abgespielt hatten. Hier hofften sie also, sowohl bei den dortigen Künstlern als auch bei breiten Schichten der französischen Bevölkerung eine tatkräftige Unterstützung in ihrem Kampf gegen den Nazifaschismus zu finden. Obwohl sie in dieser Hinsicht manche Enttäuschungen erlebten, ließen die nach Paris geflohenen Exilanten dennoch nicht nach, immer wieder an die französischen Linken zu appellieren, ihnen in ihren Zufluchtsorte des Exils  227

40 Bodo Uhse, Lion Feuchtwanger und Anna Seghers in der Bibliothek der verbrannten Bücher in Paris (1936).

antifaschistischen Bestrebungen beizustehen. Und das gelang ihnen auch zum Teil, da es in Frankreich eine relativ starke kommunistische Partei gab, die in der sogenannten Volksfrontphase während der Mitte der dreißiger Jahre sogar die amtierende Regierung unterstützte, wofür sich in anderen „westlichen“ Ländern kein vergleichbares Beispiel findet. In Paris konnte daher in den von Willi Münzenberg geleiteten Editions du Carrefour schon 1933 ein zu scharfer Konfrontation mit dem Naziregime herausforderndes Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitlerterror erscheinen, das – als das erfolgreichste Buch der gesamten Exilliteratur schlechthin – in 15 Sprachen übersetzt wurde und bis 1935 eine Gesamtauflage von 600 000 Exemplaren erreichte. Zugleich wurde hier, und zwar ebenfalls schon 1933, unter dem Vorsitz von Rudolf Leonhard ein Schutzverband Deutscher Schriftsteller gegründet, der nicht nur die verlegerischen Rechte der verschiedenen Exilautoren vertrat, sondern unter dem Motto „Deutsche Schriftsteller aller Länder vereinigt euch“ auch politische Vortragsreihen veranstaltete, an denen sich unter anderem Johannes R. Becher, Ernst Bloch, Walter Benjamin, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann und Friedrich Wolf als 228  Exil

Redner beteiligten. Außerdem wurde 1934 in Paris mit Unterstützung von André Gide, Romain Rolland, Bertrand Russell und Herbert George Wells eine Bibliothek der verbrannten Bücher eröffnet, die später die Bezeichnung Deutsche Freiheitsbibliothek erhielt und einen Bestand von 20 000 Büchern aufwies. An deutschsprachigen Publikationsorganen erschienen in Paris in den folgenden Jahren das von Leopold Schwarzschild herausgegebene Neue Tage-Buch, die von Hermann Budzislawski von Prag nach Paris transferierte Neue Weltbühne, das Pariser Tageblatt und die Pariser Tageszeitung, in denen der kulturpolitische Aspekt, der viele Exilanten besonders interessierte, stets eine bedeutsame Rolle spielte. Es kam sogar zur vereinzelten Aufführungen deutscher Exildramen, unter denen vor allem Bertolt Brechts Die sieben Todsünden, Die Gewehre der Frau Carrar sowie einige Szenen aus Furcht und Elend des Dritten Reiches nicht ganz unbeachtet blieben. Doch den eigentlichen Höhepunkt der deutschen Exilaktivitäten in Paris bildete jene Volksfrontkonferenz, die am 21. bis 25. Juni 1935 „Zur Verteidigung der Kultur“ stattfand, an der sich rund 100 Schriftsteller aus nicht weniger als 28 Ländern beteiligten. Obwohl die Anregungen dazu vor allem von französischer Seite ausgegangen waren, nahmen daran unter anderem 15 sowjetische und 20 deutsche Autoren teil. Besonderes Aufsehen erregte der aus Berlin angereiste kommunistische Untergrundautor Jan Petersen, der sein Gesicht mit einer Maske verhüllt hatte und dessen Text von André Gide in französischer Übersetzung vorgetragen wurde. Der Titelgebung dieser Tagung zufolge ging es bei allen dort gehaltenen Vorträgen stets um jene „Kultur“, mit der man der NS-Barbarei am wirksamsten entgegentreten könne. Unter Ausnahme von Robert Musil, der sich für eine strikte Trennung der Bereiche Politik und Kultur einsetzte, bekannten sich sonst fast alle Redner zu einem literarischen Aktivismus, der sich vornehmlich auf die unverbrüchlichen Grundwerte des altbewährten „Humanismus“, nämlich Freiheitsliebe, Würde und Gerechtigkeit, berief. Schließlich waren viele der deutschsprachigen Vortragenden sogenannte Bildungsbürger, die noch immer an die weltverändernde Kraft jener hohen Kunst glaubten, die unterm Nazifaschismus der Gefahr ausgesetzt sei, wie sie behaupteten, mit den brutalsten Methoden ausgelöscht zu werden. Einer der wenigen, der dabei mit provozierender Absicht auch auf die materiellen „Eigentumsrechte“ zu sprechen kam, das heißt die einseitige Berufung auf den Zufluchtsorte des Exils  229

Humanismus als „tuistisch“ empfand, war Bertolt Brecht. Allerdings versuchten ihn seine linken „Genossen“ sofort zu belehren, daß es im Zuge der angestrebten Volksfrontstrategien jetzt nicht mehr darum gehe, irgendwelche proletarischen Einheitsfrontparolen zu unterstützen, sondern man sich im Kampf gegen den Nazifaschismus auch der Unterstützung der „bürgerlich-fortschrittlichen Künstler“ versichern müsse, wie es Alexander Abusch in seiner Schrift Die Verteidigung der deutschen Kultur und die Volksfront formulierte. Was sich daher auf dieser Tagung durchsetzte, war letztlich ein Kulturkonzept, dem zwar keine Trennung von Politik und Kunst zugrunde lag, welches jedoch weiterhin ein künstlerisches Bemühen befürwortete, das selbst in seinem Kampf gegen den „niedrig gesinnten“ Ungeist der Nazifaschisten von hochliterarischen Voraussetzungen ausging, während den Hauptvertretern einer auch die „breiten Massen“ einbeziehenden Agitpropkunst im Sinne Bertolt Brechts oder Hanns Eislers keine ernsthafte Beachtung geschenkt wurde. Doch damit war in Paris wenigstens ein erster Solidarisierungsansatz unter den weitverstreuten Exilanten erreicht worden. In anderen westund nordeuropäischen Demokratien wurden dagegen solche oder ähnliche Aktivitäten kaum beachtet oder von den dortigen Behörden von vornherein verhindert, die in derartigen Bestrebungen meist nur den Versuch einer kommunistischen Unterwanderung sahen und zugleich jeder politischen Konfrontation mit den deutschen Faschisten und ihren Auslandsvertretungen aus dem Wege gehen wollten. Das gilt insbesondere für die Schweiz, wo man zwar der älteren deutschen Kultur weiterhin eine hohe Wertschätzung entgegenbrachte, in der sich jedoch in den bildungsbürgerlichen Schichten – aus angestammtem Traditionsbewußtsein und wohl auch aus Angst vor dem übermächtigen „deutschen Bruderland im Norden“ – eine recht ungastliche Stimmung gegenüber den deutschen Exilanten verbreitete. Vor allem die mit den Nazifaschisten sympathisierenden „Frontisten“ wandten sich hier in öffentlichen Protestkundgebungen gegen die angebliche „Wühlerei der Emigranten“, wobei sie sowohl gegen das von Erika Mann im November 1933 gegründete „jüdische Emigrantenkabarett“ Die Pfeffermühle als auch die Zürcher Aufführungen von Friedrich Wolfs Professor Mamlock und Ferdi­ nand Bruckners Die Rassen zu Felde zogen und eine radikale „Säuberung der Schweiz vom ganzen Geschmeiß ausländischer Emigranten“ forder230  Exil

41 Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Ilja Ehrenburg und Gustav Regler auf dem Internationalen Schriftstellerkongreß „Zur Verteidigung der Kultur“ in Paris (1935).

ten. Aber auch die dortigen Behörden teilten solche Vorurteile und drangen darauf, daß in den Reisepässen aller jüdischen Exilanten das berüchtigte rote „J“ eingestempelt sein mußte. Doch selbst nichtjüdische Emigranten wurden in der Schweiz nicht besonders wohlwollend aufgenommen und mußten sich, wie der antifaschistische Dramatiker Georg Kaiser, eine weitgehende Einschränkung ihrer literarischen Publikationsmöglichkeiten gefallen lassen, um so die Verbreitung „politischer“, sprich: gegen das Dritte Reich gerichteter Schriften zu unterbinden. Erst in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre wich diese neutralisierende Abwiegelungspolitik einer etwas größeren Toleranz. Aber selbst diese Einstellung hielt sich in klar abgesteckten Grenzen. So konnten zwar Thomas Mann und Konrad Falke ab 1937 beim Zürcher Oprecht-Verlag die „Zweimonatsschrift für freie deutsche Kultur“ Maß und Wert herausgeben, nahmen aber darin eine unpolitische Haltung ein, welche sich von allen aktivistisch klingenden Äußerungen fernhielt. Unter Kunst und Kultur wurden deshalb in diesem Blatt lediglich die höchsten Ausformungen derjenigen bildungsbürgerlichen Gesittung verstanden, die man gegen jenen „Gesinnungsschund“ ins Feld führte, der das heutige Kulturleben, wie es verallgemeinernd hieß, zusehends „verpeste“. Als jedoch im Jahr 1940 – nach dem Sieg Zufluchtsorte des Exils  231

Nazi-Deutschlands über Frankreich – in der Schweiz die Furcht vor irgendwelchen „großdeutschen“ Gelüsten von Seiten der Nazi-Regierung immer größer wurde, mußte selbst Maß und Wert eingestellt werden. Ja, im November 1942 entschied die Schweizer Fremdenpolizei, nachdem sie bereits 1937 das Asylrecht erheblich reduziert hatte, keine weiteren Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen. Erst in den folgenden zwei Jahren, in denen die Angst vor dem „großen Bruder im Norden“ – aufgrund der ersten Niederlagen der Hitler-Armeen in der Sowjetunion – allmählich zurückging, entschieden sich die Schweizer Behörden, den bereits dort ansässigen deutschen Exilanten wieder gewisse Wirkungsmöglichkeiten einzuräumen. Das gilt vor allem für das Zürcher Schauspielhaus, wo gegen Ende des Zweiten Weltkriegs unter Beteiligung von Therese Giehse, Wolfgang Langhoff und Leonard Steckel sogar mehrere Brecht-Stücke uraufgeführt werden konnten. Eine ähnliche Haltung bezogen einige der anderen west- oder nordeuropäischen Länder, als dort die ersten „Hitler-Flüchtlinge“ eintrafen. Auch die belgische Regierung nahm dem Dritten Reich gegenüber eine abwartende Appeasementhaltung ein, ja erließ 1938, wie die Schweiz, ein Verbot jeder politischen Aktivität von Seiten der deutschen Exilanten und bedrohte sie sogar – bei Übertretung dieser Verfügung – mit einer Ausweisung oder gar Abschiebung nach Deutschland. Etwas toleranter verfuhr man dagegen in Holland mit den aus dem Dritten Reich Vertriebenen, zumal es dort eine durchaus liberal eingestellte jüdische Minderheit gab. Dafür spricht vor allem die tatkräftige Unterstützung, welche die Amsterdamer Verlagshäuser Querido und Allert de Lange den geflohenen Schriftstellern gewährten, die mit Hilfe von Fritz Landshoff und Walter Landauer eine stattliche Anzahl von Werken der ins Exil ausgewichenen Kiepenheuer-, Ullstein-, Insel- und Rowohlt-Autoren sowie die im Herbst 1933 unter dem Patronat von Heinrich Mann, André Gide und Aldous Huxley von Klaus Mann gegründete antifaschistische Monatsschrift Die Sammlung herausbrachten. Aufs Große und Ganze gesehen, erschienen in diesen zwei Verlagen eine beachtliche Reihe jener Bücher, die bis heute als die wichtigsten Werke der deutschen antifaschistischen Exilliteratur gelten, und zwar von Günther Anders über Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Hermann Kesten, Irmgard Keun, Egon Erwin Kisch, Hein-

232  Exil

42 Liste der Neu­ erscheinungen von Werken deutscher Exilautoren und -autorinnen im Herbst 1933 im Amsterdamer Querido-Verlag.

rich Mann, Gustav Regler, Joseph Roth, Anna Seghers und Ernst Toller bis hin zu Arnold Zweig. Selbst England, eine der anderen „liberalen“ Demokratien dieser Jahre, kann sich nicht rühmen, so viel zur Publikation und Verbreitung der deutschen Exilliteratur beigetragen zu haben wie diese beiden Amsterdamer Verlage. Bekanntermaßen herrschte auch hier während der mittdreißiger Jahre, das heißt bis zum Münchner Abkommen im Jahr 1938, eine relativ strikt durchgehaltene Appeasementpolitik dem Nazireich gegenüber. Daher gab es auch bei der Einreise nach England für viele deutsche Exilanten beträchtliche Visaprobleme. Die meisten konnten in dieses Land, das wie Frankreich lange Zeit unter den Folgen Zufluchtsorte des Exils  233

der Weltwirtschaftskrise litt, nur fliehen, wenn sie vorher die Arbeitserlaubnis einer britischen Behörde oder Firma einreichten. Dennoch zogen es viele der liberal oder bildungsbürgerlich eingestellten Exilanten vor, sich lieber – koste es, was es wolle – um eine Aufenthaltsgenehmigung in diesem Land zu bemühen, als sich in die fernabliegenden Vereinigten Staaten, das unruhige, „linksdurchseuchte“ Frankreich oder gar die Sowjetunion zu begeben. Wie erwartet, bemühten sich die meisten der exilierten deutschen Künstler, auch in England an ihren bisherigen Kulturkonzepten festzuhalten. Demzufolge gründeten sie in London eine Reihe von Kulturorganisationen, in denen sie weitgehend unter sich sein konnten. Wohl die wichtigste davon war der 1938 unter maßgeblicher Beteiligung von Oskar Kokoschka, Berthold Viertel und Stefan Zweig ins Leben gerufene Freie Deutsche Kulturbund, dessen Aktivitäten jedoch schon 1940 – durch die von Winston Churchill mit der herrischen Weisung „Collar the lot!“ verfügte Internierung von rund 17 000 nach England geflohener Deutscher – erhebliche Einbußen erlitt. Außerdem versuchten sich in London die Neue Deutsche PEN-Sektion unter ihrem Präsidenten Alfred Kerr sowie eine Gruppe Unabhängiger Autoren um Kurt Hiller Gehör zu verschaffen. Doch viel Aufsehen erregten sie damit nicht. Und auch die Aufführungen der von Exilautoren gegründeten Kleinbühnen und Kabaretts drangen kaum ins Bewußtsein der britischen Bevölkerung ein. Angesichts all dieser Schwierigkeiten, denen sich die aus Deutschland Vertriebenen sowohl in der Sowjetunion als auch in einigen der westlichen Demokratien gegenüber sahen, stellt sich notwendig die Frage, warum so wenige deutsche Künstler nach 1933 nach Palästina gegangen sind. Schließlich war die überwiegende Mehrheit unter ihnen „jüdischbürtig“, wie es damals hieß. Hätte sie das nicht bewegen sollen, sich im „Land ihres Ursprungs“ um eine neue Heimstatt zu bemühen? Doch eine solche Entscheidung zogen nur wenige in Erwägung. Und zwar hatte das folgende Gründe. Erstens erschien 1933 den meisten von ihnen Palästina – im Gegensatz zu Prag, Paris oder London – einfach „viel zu weit weg“. Zweitens befürchteten sie als weitgehend assimilierte Westjuden, dort in jenes orthodoxe „Ghetto“ zu geraten, dem sich ihre Vorfahren nach ihrer Übersiedlung aus Osteuropa ins Habsburgerreich oder nach Deutschland endgültig entzogen hatten. Und drittens, und das war meist der ausschlaggebende Grund, wollten sie als frühere deut234  Exil

sche Bildungsbürger nicht in ein tropisch heißes, noch weitgehend von Mohammedanern besiedeltes Land ohne „Kultur“ ausweichen, wo es weder Theater, Opernhäuser, Symphonieorchester, Museen und Bibliotheken noch eine deutschsprachige Presse gab. Zudem verstand fast keiner von ihnen ein Wort Neuhebräisch, also einer Sprache, die ihnen schon durch ihre „seltsamen“ Buchstaben wesentlich fremder als Französisch oder Englisch vorkam. Selbst jene deutsch-jüdischen Künstler, die im Laufe der Weimarer Republik oder im „Entscheidungsjahr“ 1933 zionistische Neigungen entwickelt hatten, entschieden sich daher fast ausnahmslos gegen eine Auswanderung nach Palästina. Alfred Döblin schloß sich in Paris der jiddisch sprechenden Freyland-Bewegung an, die keinerlei „Rückkehr“-Absichten nach Palästina hatte, sondern sich als Vertretung der sogenannten Territorialisten um überseeische Siedlungskolonien für die Juden in Angola, Argentinien oder Madagaskar bemühte. Ja, sogar der rabiate Zionist Arnold Schönberg sah nach einigem Zögern ein, daß es für ihn als „modernistischen“ Komponisten in einem kulturell „rückständigen“ Land wie Palästina keinerlei Wirkungsmöglichkeiten gab, und entschied sich daher, erst nach Paris und dann in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Zu denen, die dennoch nach Palästina gingen, gehörten vor allem Max Brod, Louis Fürnberg, Else Lasker-Schüler und Arnold Zweig. Doch selbst Zweig, der 1925 in seinem Buch Das neue Kanaan das Bild eines utopischen jüdischen Staats auf palästinensischem Boden ausgemalt hatte, in dem einmal Juden, Christen und Mohammedaner wie in einer „kleinen linken Schweiz“ in Frieden miteinander leben würden, erkannte schon wenige Wochen nach seiner Ankunft in Haifa sehr bald, daß er sich hier „in der Fremde“ befand. Schließlich galt in diesem Landstrich die deutsche Sprache als die Sprache Hitlers und nicht als die Sprache Goethes, weshalb manche Rechtszionisten im Sinne ihrer nationalen Integrationsbestrebungen den deutschen Einwanderern zum Teil höchst militant mit dem Slogan „Sprich Hebräisch – oder stirb!“ entgegentraten. Als Zweig trotzalledem versuchte, mit der von ihm und Wolfgang Yourgrau 1942 gegründeten Unabhängigen Wochenschrift für Zeitfragen, Kultur, Wirtschaft – die sich auf Anordnung der britischen Mandatsbehörden Orient nennen mußte, obwohl sie in ihrer Aufmachung an die frühere Weltbühne erinnern sollte – der verbreiteten Germanophobie entgegenzutreten, mußte er erleben, daß die Rechtszionisten aus Haß Zufluchtsorte des Exils  235

43 Titelblatt der Zeitschrift Orient vom 7. April 1943.

gegen alles Deutsche die Druckerei dieses Blatts kurzerhand in die Luft sprengten. Voller Erbitterung ließ er sich darauf hinreißen, diese Gruppen in seinen Briefen an Lion Feuchtwanger als die „Jewish Nazis“ zu bezeichnen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verließ daher Zweig dieses Land und begab sich als entschiedener Antifaschist nach Ostberlin, nachdem er bereits im Orient erklärt hatte, daß man Deutschland nach dem Krieg die Chance einer „politischen Umkehr“, ja selbst eines Übergangs zum „Kommunismus“ geben müsse, statt es von vornherein in Bausch und Bogen zu verdammen. Während es zwischen 1933 und 1938 eher Einzelne oder kleinere Gruppen waren, die sich von Deutschland aus ins Exil begeben hatten, wurde die Zahl der Exilanten danach von Monat zu Monat immer größer. Erst war es der „Anschluß“ Österreichs, dann die sogenannte Kristallnacht, die Besetzung der Tschechoslowakei und schließlich der Ein236  Exil

marsch der NS-Wehrnacht in Holland, Belgien und Frankreich, die diesen Massenexodus bewirkten. Doch wohin sich die Exilanten auch wandten, fast überall tönte ihnen der unwillige Ausruf „Das Boot ist bereits voll“ entgegen. Sogar die Zuflucht nach Palästina war ihnen nach 1937 weitgehend versperrt, da sich die dortigen britischen Behörden gegen eine weitere jüdische Einwanderung verwahrten, um dieses Gebiet nicht zu einem „Krisenherd“ politischer, religiöser und ethnischer Spannungen werden zu lassen. Etwa 20 000 Juden, die man überall abgewiesen hatte, entschieden sich daher voller Verzweiflung für das fernabliegende Schanghai, wo es kaum Visaprobleme zu bewältigen gab. Bei Anderen verlor sich der Weg im Dunkeln. Noch am besten sind wir über die Schicksale jener Künstler informiert, die sich 1940 in Paris befanden, als die deutschen Truppen ihren Blitzkrieg gegen Frankreich begannen. Sie wichen mehrheitlich nach Südfrankreich aus, was ihnen jedoch auch nicht viel half, weil die dort von den Nazifaschisten eingesetzte antilinke und zugleich antisemitische Regierung unter Marschall Philippe Pétain viele Exilanten unter dem Motto „Lieber Hitler als die Volksfront“ umgehend in Lagern internieren ließ, aus denen sie nur mühsam entkommen konnten. Den Anderen, die nicht interniert wurden, gelang es zum Teil über Marseille oder die Pyrenäen nach Spanien und dann – aus Furcht vor dem Franco-Regime – in eine portugiesische Hafenstadt zu entkommen, um von dort aus das Weite zu suchen. Doch jetzt wohin? Wie zu Beginn des Dritten Reichs sahen sie sich plötzlich wiederum mit der gleichen Frage konfrontiert. Fast alle glaubten, daß nur die Flucht nach Übersee der einzige Ausweg sei. Von den südamerikanischen Staaten schieden dabei in ihren Augen Argentinien, Bolivien und Brasilien, die sich gegen sie sperrten, weitgehend aus. Was blieb, war vor allem das damals noch halbwegs revolutionär gestimmte Mexiko, das vorher selbst Leo Trotzki, dem bekanntesten Vertreter der Ideologie der kommunistischen Weltrevolution, und dann nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs 20 000 geflohenen Spaniern Zuflucht gewährt hatte. In diesem Land konnten daher etwa 2 000 deutsche Exilanten unterkommen. Dazu gehörten ab 1941 unter den deutschen Künstlern vor allem jene Linken, die weiterhin – angefeuert durch den heroischen Widerstand, den die Rote Armee in der Sowjetunion gegen die in ihr Land eindringenden deutschen Truppen leistete – mit dem Kommunismus sympathisierten. Bereits im ersten Jahr ihrer Ankunft Zufluchtsorte des Exils  237

gründeten sie dort die kulturpolitische und militant antifaschistische Monatsschrift Freies Deutschland, in der unter der Herausgeberschaft von Bruno Frei und später Alexander Abusch vor allem Beiträge von Ernst Bloch, Ferdinand Bruckner, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Leo Katz, Egon Erwin Kisch, Theodor Plivier, Anna Seghers, Bodo Uhse und Paul Westheim erschienen. Um den als bitter empfundenen Verlust der europäischen „Kultur“ auszugleichen, schlossen sich viele Mitglieder der gleichen Gruppe obendrein zu einem Heinrich Heine-Klub zusammen, der unter der Leitung von Egon Erwin Kisch und Bodo Uhse über vier Jahre lang in Mexiko City Lesungen, Konzerte und Theateraufführungen veranstaltete. Doch als ihre wichtigste Aktivität erachteten sie die Gründung des Verlags El Libro Libre, der sich schnell zum bedeutsamsten deutschsprachigen Exilverlag in ganz Mittelund Südamerika entwickelte. In ihm erschienen ab 1942 in rascher Folge einige der wichtigsten Exilromane von Lion Feuchtwanger, Leo Katz, Heinrich Mann, Ludwig Renn, Anna Seghers, Bodo Uhse und Franz Carl Weiskopf, also wiederum von jenen Autoren, die auch an der Zeitschrift Freies Deutschland mitarbeiteten, die kurze Zeit später in Neues Deutschland umbenannt wurde. Doch die Mehrzahl der aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei geflohenen Exilkünstler begab sich ab 1939 / 40 in die USA, obwohl sie auch hier – infolge relativ strenger Quotenbestimmungen und „isolationistischer“, das heißt fremdenfeindlicher Pressekampagnen – bei der Einreise anfänglich mancherlei kaum zu überwindende Hindernisse zu bewältigen hatten. Allerdings gab es in diesem Land auch Gegenreaktionen. Am energischsten traten in den Vereinigten Staaten einige jüdische Hilfsorganisationen solchen Schwierigkeiten entgegen, die sogar einer Reihe prominenter Flüchtlinge die Überfahrt finanzierten. Außerdem war in den USA eine American Guild for German Cultural Freedom aktiv, die sich vorübergehend für die Gründung einer Deutschen Kunstakademie einsetzte, deren Präsident Thomas Mann werden sollte. Und derartige Bemühungen, wie auch die Lockerung der Einwanderungsbestimmungen durch das rastlose Wirken eines neu konstituierten Emergency Rescue Committee, blieben keineswegs wirkungslos. Und so trafen in den Vereinigten Staaten, nachdem Arnold Schönberg und Thomas Mann bereits 1934 bzw. 1938 in dieses Land übergesiedelt waren, in den Jahren vor 1941, als sich die USA noch nicht 238  Exil

im Kriegszustand mit Deutschland befanden, eine kaum überschaubare Fülle weiterer deutscher und österreichischer Künstler, darunter Hermann Broch, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Hanns Eisler, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Leonhard Frank, Oskar Maria Graf, Paul Hindemith, Ernst Křenek, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Franz Werfel und Carl Zuckmayer, in New York, Los Angeles oder anderen US-Hafenstädten ein. Froh der Naziverfolgung und den europäischen Kriegsgreuel entronnen zu sein, atmeten diese Exilanten bei ihrer Ankunft, noch kaum wissend, was ihnen hier bevorstand, erst einmal befreit auf. War dies nicht das Land der legendären „unbegrenzten Möglichkeiten“, das seit langem eine Unzahl von „Verfolgten und Elenden“ als Einwanderer willkommen geheißen hatte? Aber bei der Propagierung solcher Parolen war es den großen US-Konzerne bisher vor allem um die Anwerbung billiger Arbeitskräfte und nicht um die Zunahme von Kulturschaffenden gegangen. Und was sich dennoch in diesem Land an „höherer Kunst“ entwickelt hatte, mußte sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – seit den zwanziger Jahren fast durchgehend den Profitinteressen der sogenannten Freizeit- oder Kulturindustrie anpassen, das heißt unter dem Vorwand der „Demokratie“ den profitversprechenden Unterhaltungsbedürfnissen der „breiten Massen“ dienen. Während sich also in den meisten europäischen Ländern viele Künstler noch in bildungsbürgerlicher oder auch sozialistischer Tradition als angesehene, wenn nicht gar führende Repräsentanten ihrer Klasse oder der gesamten Nation gefühlt hatten, kamen sie in den Vereinigten Staaten in ein Land, in dem selbst die Künstler – im Rahmen einer als fordistisch empfundenen Massenproduktion – vornehmlich nach ihrer Entertainment-Fähigkeit sowie der Höhe ihres Einkommens eingeschätzt wurden. Aufgrund dieser Einstellung gab es sogar US-Amerikaner, welche die eben angekommenen Exilanten naiverweise fragten: „Und wieviel verdient dieser Hitler eigentlich im Monat?“ Fast alle Exilanten erlitten daher nach ihrer Ankunft in den USA erst einmal einen Kulturschock. Während sie sich in den meisten europäischen Zufluchtsländern – trotz aller existentiellen Bedrohtheit – wenigstens kulturell noch leidlich „zu Hause“ gefühlt hatten, sahen sie sich plötzlich in ein Land verschlagen, das weder feudalaristokratische noch bildungsbürgerliche Kulturtraditionen besaß und daher keinen großen Zufluchtsorte des Exils  239

Wert auf Kunstwerke höherer Art – ob nun Opern, Symphonien, Dramen, lyrische Gedichte oder Ölgemälde – legte, die in den Vereinigten Staaten als zu „arty“ galten. Was hier zählte, waren Musicals, Filmkomödien, Bestsellerromane, Swing Music, Burlesque Shows und Comic Strips, mit denen sich, wie es hieß, ein „Fast buck“ machen ließ. Lediglich einem Autor leichtverkäuflicher Biographien wie Emil Ludwig oder einem hochbezahlten Nobelpreisträger wie Thomas Mann begegnete man deshalb in den Vereinigten Staaten mit einem gewissen Respekt. Doch die anderen Künstler unter den deutschen und österreichischen Exilanten? Selbst die in Europa bekannteren unter ihnen, von denen man in den USA bisher noch kaum oder nie gehört hatte, sanken plötzlich auf den Status von „Nobodies“ ab. So wurde etwa Bertolt Brecht immer wieder gefragt: „Mr. Breckt, how do you spell your name?“ Und auch der in Europa hochberühmte Arnold Schönberg mußte sich in Hollywood bei einem Bankett, zu dem man zufälligerweise auch ihn eingeladen hatte, aus dem Munde unbedeutender, aber wohlverdienender Filmkomponisten, welche neben ihm Platz genommen hatten, die Frage gefallen lassen: „Hi Arnie, who are you? Never heard of you. But your stuff must be good, because otherwise you wouldn’t be sitting here.“ Für die meisten in die Vereinigten Staaten geflohenen Künstler bedeutete das nicht nur einen Abstieg in sozialer, sondern auch in künstlerischer Hinsicht. Wer war schon in diesem Land, in dem eine weitgehende Trennung zwischen Unterhaltungsindustrie und Politik herrschte, an ihren Werken interessiert? Vor allem jüdische oder antifaschistische Themen waren hier in den dreißiger und frühen vierziger Jahren – im Gefolge eines latenten Antisemitismus und einer langanhaltenden Appeasementpolitik – in den Künsten nicht besonders beliebt. So lehnte etwa Benjamin Huebsch, der Besitzer der Viking Press, der an den Übersetzungen von Arnold Zweigs Romanen über den Ersten Weltkrieg eine gehörige Stange Geld verdient hatte, 1935 – wohl wissend, daß es in den Vereinigten Staaten etwa 100 antisemitische Organisationen gab – dessen Bilanz der deutschen Judenheit wegen ihrer philosemitischen Tendenz für die USA als „untragbar“ ab. Nicht minder renitent verhielten sich andere Verlagshäuser, wie auch die Broadwaytheater und Filmkonzerne bis Ende 1941, als die Vereinigten Staaten endlich ihre bisherige Neutralitätspolitik aufgaben, allen das Dritte Reich attackierenden Wer240  Exil

44 Ruth Berlau: Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger in Pacific Palisades (1942).

ken gegenüber. Selbst danach war es für linkskritische Exilanten in den USA nicht leicht, mit antifaschistischen Werken an die Öffentlichkeit zu treten. So konnte etwa Bertolt Brecht seine Stücke Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (1941) sowie seinen Schweyk im Zweiten Weltkrieg (1943) auf den New Yorker Bühnen nirgends unterbringen. Und auch mit betont „avantgardistischen“ Kompositionen ließen sich in den Vereinigten Staaten keine Geschäfte machen. Sowohl die Werke von Arnold Schönberg als auch die von Ernst Křenek oder Stefan Wolpe wurden daher in diesem Land fast nirgendwo aufgeführt. All das führte zwangsläufig dazu, daß einige Künstler unter den Exilanten aufgrund ihres Verkanntseins eine offen zur Schau gestellte kulturelle Arroganz entwickelten, die vielen US-Amerikanern notwendigerweise auf die Nerven ging. So erklärte etwa Ernst Bloch 1939 in einer Rede vor dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller in New York: „Wir sind voll Europa, dort kennen wir uns aus, wir sind Athen.“ Doch Zufluchtsorte des Exils  241

auch andere, weniger hochtrabende Exilanten betonten immer wieder, daß „bei uns in Berlin“ oder „bei uns in Wien“ kulturell alles viel geistbetonter und niveauvoller gewesen sei, weshalb sie von manchen US-Amerikanern die „Beiunskis“ genannt wurden. Das gilt vor allem für jene deutschen oder österreichischen Künstler, die nach Los Angeles gegangen waren, weil sie hofften, in der gewaltig aufgeblähten Filmindustrie dieser Stadt noch am ehesten ein vorläufiges Auskommen zu finden. Aber selbst das erwies sich meist als ein Trugschluß, da fast alle der von ihnen mühsam verfertigten Filmskripts von den dortigen Konzernen als „nicht unterhaltsam genug“ abgelehnt wurden. Sogar ehemals in Deutschland hochberühmte Autoren wie Heinrich Mann und Alfred Döblin führten daher in Los Angeles eine kaum beachtete Randexistenz. Ja, ein Linker wie Bertolt Brecht fühlte sich hier, wo sogar Hanns Eisler mit seinen Kompositionen „auf den Strich“ gehen mußte, wie „Lenin im Prater“. Daher gab er in Los Angeles seinen Plan, einen Tui-Roman über all jene europäischen Intellektuellen und Künstler zu schreiben, die sich nicht geschämt hätten, ihre Talente an die herrschende Klasse zu „vermieten“, wieder auf. Waren hier nicht alle Tuis, die sogar stolz darauf waren, ihre Talente möglichst gewinnbringend an die jeweiligen Konzernherren zu „vermieten“? Wie sollte unter solchen Voraussetzungen überhaupt „Kunst“ entstehen? War nicht in diesen Gefilden die „wahre Kunst“ längst zur „Ware Kunst“ entwertet worden, fragte er sich erbittert? Nur einmal habe er in dieser Stadt ein „kunstähnliches Gebilde“, nämlich einen „bonbonfarbigen“ Transparentstreifen, gesehen, der am Strand von Santa Monica hinter einem Motorboot hergeflattert sei, notierte er sich in seinen Briefen an einen erwachsenen Amerikaner auf zynisch-arrogante Weise, doch leider habe es sich dabei um die Reklame einer Hautölfirma gehandelt. Ebenso ironisierend drückte sich sogar ein weniger „engagierter“ Komponist wie Paul Hindemith über die Kommerzkunst in den USA aus, der an seine Frau schrieb, daß es in diesem Land nur einen wirklichen „Künstler“ gebe, der jedoch immer noch unterschätzt sei, nämlich den Trickfilmzeichner Walt Disney. Zu noch schärferen Äußerungen in dieser Hinsicht ließ sich ein elitärer Hochkulturverehrer wie Theodor W. Adorno verleiten, der in seinem Essay Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug die in den USA hergestellten Machwerke der Musik- und Filmkonzerne als Ausdruck einer „sich selbst entfremdeten Gesellschaft“ anprangerte, die sich in 242  Exil

ihren Social engineering-Taktiken fast mit den auf ideologische Manipulation bedachten Propagandaprodukten des Dritten Reichs vergleichen ließen. Der gesamte sogenannte Kulturbetrieb, schrieb er, sei in den USA von den auf Profitinteressen abzielenden Gleichschaltungstendenzen der großen Konzerne abhängig, denen es lediglich um eine möglichst breit absetzbare Massenproduktion gehe. Demzufolge herrsche in diesem Lande eine „Nicht-Kultur“, während man in Deutschland – trotz der dort ebenfalls dominierenden kapitalistischen Wirtschaftstruktur – bis zum Beginn der nazifaschistischen Diktatur wenigstens die „Universitäten, die künstlerisch maßgebenden Theater, die großen Orchester und die Museen“ davon ausgenommen habe. In den Vereinigten Staaten herrsche dagegen lediglich ein „Kultus des Billigen“, der sich fast ausschließlich am Reklamewesen orientiere. Adorno erklärte daher in dieser Schrift apodiktisch, daß sowohl die technische als auch die ökonomische „Verschmelzung von Reklame und Kulturindustrie“ in den USA zu einer „Demoralisierung“ der breiten Massen geführt habe, ja in diesem Land die Reklame zur eigentlichen Kunst und somit zum allmächtigen Ausdruck einer kommerzialisierten Unkultur geworden sei. Zugegeben, so scharf äußerten sich nicht alle Exilanten über die Erzeugnisse der US-amerikanischen Freizeitindustrie und die in ihr herrschenden ideologischen Gleichschaltungstendenzen. Aber daß man in diesem Lande „halt keine Kultur“ habe, darin waren sich die meisten deutschen und österreichischen Exilanten einig. Dennoch fanden selbst manche der Linken und Linksliberalen – im Gegensatz zu Bertolt Brecht und Theodor W. Adorno – in den Vereinigten Staaten sowohl die private Hilfsbereitschaft als auch eine Reihe „demokratischer“ Grundvoraussetzungen des politischen und sozialen Lebens recht positiv. Allerdings gaben sich dabei einige, nicht ahnend wie genau sie von den Agenten des Federal Bureau of Investigation (FBI) observiert wurden, gewissen Illusionen hin. Doch die Folgen daraus sollten für sie erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brenzlich werden. Bis dahin lebten selbst viele der linksaktivistisch eingestellten Künstler weiterhin in einer äußerlich kaum beachteten Abseitslage und verfaßten Werke, welche nicht für die USA, sondern für das Nachkriegseuropa gedacht waren. Schließlich gab es in den Vereinigten Staaten kaum oder keine Theater, in denen ihre Dramen aufgeführt wurden, keine Symphonieorchester, die ihre Kompositionen gespielt hätten, und auch keine Verlage, die ihre Werke auf deutsch herZufluchtsorte des Exils  243

ausgebracht hätten. Also blieben manche von ihnen in einer gewissen Abwartehaltung, ohne sich zu „akkulturieren“, wie man schon damals sagte, und versuchten nach 1945, sobald es die Verhältnisse erlaubten, wieder nach Europa zurückzukehren und dort auf ihre Weise beim Aufbau einer nichtfaschistischen Hochkultur mitzuwirken.

Antifaschistische Wirkungsmöglichkeiten Weder Joseph Goebbels noch Alfred Rosenberg hatten angenommen, daß die aus Deutschland vertriebenen linken bzw. jüdischen Künstler – angesichts der sich schnell verfestigenden Macht des Nazifaschismus sowie der zurückhaltenden Appeasementpolitik vieler europäischer Staaten – schon 1933 dazu übergehen würden, trotz aller Schwierigkeiten, denen sie sich in ihren Zufluchtsorten ausgesetzt sahen, den brutalen, ja geradezu unmenschlichen Charakter des Dritten Reichs mit propagandistischen oder künstlerischen Mitteln bloßzustellen. Wie gesagt, es gab auch Künstler unter den Exilanten, die in der Fremde einfach sang- und klanglos unterzutauchen versuchten, indem sie ihre Namen wechselten, ihre nationale Herkunft verleugneten und sich den Lebensgewohnheiten ihrer neuen Umgebung so gut wie möglich anzupassen versuchten. Aber es gab auch die Anderen, die selbst im Exil weiterhin „Deutsche“ blieben, ja deutsch dachten, deutsch schrieben und sich bemühten, sich sowohl politisch als auch künstlerisch mit den Ereignissen innerhalb des Dritten Reichs auseinanderzusetzen. Die Zentralpunkte ihres Denkens waren hierbei meist folgende Fragen: 1. wie konnte es in Deutschland zum Scheitern der deutsch-jüdischen Symbiose kommen, 2. wie konnten die Nazifaschisten eine solche Popularität erringen und 3. wie konnte es geschehen, daß ein „halbgebildeter Schreihals“ wie Adolf Hitler nicht nur von den „breiten Massen“, sondern sogar von vielen ihrer hochgebildeten Landsleute als eine geradezu charismatisch begnadete Erlöserfigur begrüßt, ja vergöttert wurde? Ihre Antworten darauf waren ebenso vielfältig wie die von ihnen aufgestellten Faschismusanalysen. Die marxistisch Denkenden unter den exilierten Künstlern betonten bei ihren Interpretationsmodellen des deutschen Faschismus meist folgende Gesichtspunkte: die fatalen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit seit 1929, die politische Wankelmütig244  Exil

ausgebracht hätten. Also blieben manche von ihnen in einer gewissen Abwartehaltung, ohne sich zu „akkulturieren“, wie man schon damals sagte, und versuchten nach 1945, sobald es die Verhältnisse erlaubten, wieder nach Europa zurückzukehren und dort auf ihre Weise beim Aufbau einer nichtfaschistischen Hochkultur mitzuwirken.

Antifaschistische Wirkungsmöglichkeiten Weder Joseph Goebbels noch Alfred Rosenberg hatten angenommen, daß die aus Deutschland vertriebenen linken bzw. jüdischen Künstler – angesichts der sich schnell verfestigenden Macht des Nazifaschismus sowie der zurückhaltenden Appeasementpolitik vieler europäischer Staaten – schon 1933 dazu übergehen würden, trotz aller Schwierigkeiten, denen sie sich in ihren Zufluchtsorten ausgesetzt sahen, den brutalen, ja geradezu unmenschlichen Charakter des Dritten Reichs mit propagandistischen oder künstlerischen Mitteln bloßzustellen. Wie gesagt, es gab auch Künstler unter den Exilanten, die in der Fremde einfach sang- und klanglos unterzutauchen versuchten, indem sie ihre Namen wechselten, ihre nationale Herkunft verleugneten und sich den Lebensgewohnheiten ihrer neuen Umgebung so gut wie möglich anzupassen versuchten. Aber es gab auch die Anderen, die selbst im Exil weiterhin „Deutsche“ blieben, ja deutsch dachten, deutsch schrieben und sich bemühten, sich sowohl politisch als auch künstlerisch mit den Ereignissen innerhalb des Dritten Reichs auseinanderzusetzen. Die Zentralpunkte ihres Denkens waren hierbei meist folgende Fragen: 1. wie konnte es in Deutschland zum Scheitern der deutsch-jüdischen Symbiose kommen, 2. wie konnten die Nazifaschisten eine solche Popularität erringen und 3. wie konnte es geschehen, daß ein „halbgebildeter Schreihals“ wie Adolf Hitler nicht nur von den „breiten Massen“, sondern sogar von vielen ihrer hochgebildeten Landsleute als eine geradezu charismatisch begnadete Erlöserfigur begrüßt, ja vergöttert wurde? Ihre Antworten darauf waren ebenso vielfältig wie die von ihnen aufgestellten Faschismusanalysen. Die marxistisch Denkenden unter den exilierten Künstlern betonten bei ihren Interpretationsmodellen des deutschen Faschismus meist folgende Gesichtspunkte: die fatalen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit seit 1929, die politische Wankelmütig244  Exil

keit der kleinbürgerlichen Schichten sowie die finanziellen Beihilfen von Rhein-Ruhr-Industriellen wie Fritz Thyssen zu Gunsten der nazifaschistischen Wahlkampagnen. Die bürgerlich Liberalen drangen dagegen bei ihren Faschismusanalysen nur selten bis zu den sozioökonomischen Ursachen der nicht zu leugnenden Erfolge der NS-Politik vor. Sie blieben bei ihrer Einschätzung des Nazifaschismus weitgehend im Rahmen irgendwelcher Überbautheorien befangen und interpretierten dieses „Phänomen“, wie sie es nannten, eher in ideengeschichtlicher Sicht, das heißt führten es auf die Zunahme geistig verflachender oder gar „nihilistischer“ Tendenzen zurück, denen man mit einem gesteigerten „Kultur“-Bewußtsein entgegentreten müsse, um nicht weiterhin zu jenem „Untergang des Abendlandes“ beizutragen, den Oswald Spengler bereits zu Anfang der zwanziger Jahre beschworen habe. Ihre Hauptbastion gegen den Ungeist der „braunen Herren“ war demzufolge in schichtenspezifischer Verengung meist eine emphatisch herausgestrichene Hochkultur älteren Schlages, in der sie die entscheidende Grundlage irgendwelcher Wirkungsstrategien gegen die nazifaschistische „Barbarei“ sahen. Aufgrund dieser zwei Haltungen dem Hitler-Regime gegenüber befürworteten diese beiden Gruppen zum Teil höchst verschiedene Strategien, wie man sich gegen die gefahrdrohenden Aspekte der „braunen Flut“ zur Wehr setzen könnte, die jedoch in einem Punkte miteinander korrespondierten, nämlich hierbei auch die Kulturaspekte derartiger Bemühungen nicht zu vergessen. Daher traten sowohl die bürgerlich Liberalen als auch die Linksengagierteren unter den exilierten Künstlern sogar im Ausland fast durchgehend als Vertreter eines „anderen, besseren Deutschlands“, das heißt als Repräsentanten einer wahrhaft sozialbetonten oder zumindest geisterfüllten Kultur auf, um sich damit so scharf wie möglich von der ins Antikommunistische oder Rassistische depravierten Unkultur der seit 1933 in Deutschland tonangebenden Gewaltherrschaft abzusetzen. Und zwar wollten sie damit – ob nun als Einzelne oder in kleinen Gruppen – sich selbst und den anderen Mitexilierten das Gefühl einer „Heimat im Geiste“ geben, in der sich die „dunkle Nacht des Faschismus“ besser überstehen lasse, als wenn man den diktatorischen Maßnahmen Hitlers und seiner Gefolgsleute einfach tatenlos zugesehen hätte. Ja, viele gingen dabei von der Überzeugung aus, daß es ihnen aufgegeben sei, auch in Ländern, in denen sie keineswegs mit offeAntifaschistische Wirkungsmöglichkeiten  245

nen Armen aufgenommen wurden, die „Ehre der deutschen Kultur“ zu verteidigen und daraus eine Selbstrechtfertigung ihres weiteren Daseins abzuleiten. Manche hofften sogar, durch eine solche Haltung und die hieraus entstehenden Werke nicht nur politisch ähnlich gestimmte Bundesgenossen in ihren jeweiligen Gastländern zu gewinnen, sondern auch die nötigen Voraussetzungen einer zukünftigen deutschen Kultur zu schaffen, in der man nach dem Untergang des Nazifaschismus wieder an die bürgerlich-humanistischen, liberaldemokratischen oder sozialistischen Traditionen der Kultur der Weimarer Republik anknüpfen könne. Stellen wir in diesem Zusammenhang zuerst die linken Einzelaktionen gegen den Nazifaschismus heraus, die bereits im Jahr 1933 einsetzten. Am schwierigsten erwiesen sich hierbei Versuche, irgendwelche im Ausland gedruckten antifaschistischen Publikationen nach Deutschland einzuschmuggeln oder gar – von Prag aus – Kontakte mit den in Deutschland untergetauchten Mitgliedern des Bunds proletarisch-revolutionärer Schriftsteller aufrechtzuerhalten. Selbst Versuche, bei internationalen Schriftstellerkongressen im Ausland auf die nazifaschistische Barbarei innerhalb Deutschlands hinzuweisen, waren selten erfolgreich. So sprach sich zwar der aus dem Dritten Reich geflohene Dramatiker Ernst Toller Ende Mai 1933 bei einer Tagung des Internationalen PENKlubs in Ragusa sowohl gegen die kurz zuvor im Dritten Reich stattgefundenen Bücherverbrennungsaktionen als auch gegen die Einkerkerung antifaschistischer Autoren wie Erich Mühsam und Carl von Ossietzky aus, mußte jedoch erleben, daß während seiner Rede die österreichischen und Schweizer Delegierten den Saal verließen und sich bei der darauffolgenden Abstimmung über den von ihm gestellten Antrag, derartige Verbrechen öffentlich zu verdammen, die konservative Mehrheit der PEN-Klubbisten der Stimme enthielt. Ähnliche Einzelaktionen im Namen der „geistigen Freiheit für die Kunst“ unternahmen anschließend auch andere deutsche Exilschriftsteller, wobei sie allerdings meist die Erfahrung machten, daß es selbst in den westlichen „Demokratien“ nur wenige gab, die an ihren Aufklärungsversuchen interessiert waren, ja die antikommunistischen Unterdrückungsmaßnahmen der Nazifaschisten im Bereich der Kultur eher begrüßten als verurteilten. Als sich daher im Jahr 1935 Klaus Mann auf einer PEN-Klub-Tagung in Barcelona abermals für die im Dritten Reich 246  Exil

eingekerkerten Schriftsteller einzusetzen versuchte, trat ihm der britische Autor Herbert George Wells entgegen, der die versammelten Delegierten nachdrücklich davor warnte, den Internationalen PEN-Klub nicht in einen Klub der Linken umzufunktionieren, da die größere Gefahr für die literarische Freiheit heute von den Kommunisten und nicht von den Faschisten ausgehe. Ähnliche Szenen spielten sich auf den folgenden Tagungen des Internationalen PEN-Klubs ab. Das gilt vor allem für eine 1936 abgehaltene Tagung dieser Vereinigung in Paris, wo die Mehrheit der dort versammelten Mitglieder das „Politische“ bei den stattfindenden Debatten möglichst herauszuhalten versuchte und nur Lion Feuchtwanger die Erlaubnis erhielt, sich wiederum für Carl von Ossietzky einzusetzen, während die ebenfalls anwesenden deutschen Exilautoren Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn und Anna Seghers keine öffentlichen Reden halten durften. Aufgrund solcher und ähnlicher Ereignisse sahen sich die politisch engagierten Exilkünstler, die in fast allen westlichen „Gastländern“ auf wenig Sympathie stießen, von Anfang an gezwungen, eigene Vereinigungen in Form von Verbänden oder Klubs zu gründen, von denen sie sich eine größere Wirksamkeit versprachen. Den Auftakt dazu bildete der im Oktober 1933 in Paris gegründete Schutzverband Deutscher Schriftsteller (SDS), bei dem das Wort „Schutz“ einen wesentlich konkreteren Charakter annahm als in dem gleichnamigen Verband der zwanziger Jahre. Er verstand sich als eine „Gesamtorganisation“ aller nichtgleichgeschalteten deutschen Schriftsteller, dem sich ungefähr 150 Autoren und Autorinnen anschlossen. Zu Anfang stellten in ihm die Linken, unter dem Vorsitz von Johannes R. Becher, Alfred Kantorowicz, Egon Erwin Kisch und Anna Seghers, die stärkste Fraktion. Erst im Zuge der 1934 einsetzenden kommunistisch inspirierten Volksfrontpolitik, die auch humanistischen und linksbürgerlichen Exilautoren die gebührende Reverenz erwies, übernahm schließlich der von allen ideologischen Fraktionen verehrte Heinrich Mann den Vorsitz dieses Verbands. Doch das blieb ein Einzelfall. In anderen Exilorganisationen dieser Art kam es trotz der vielfach angestrebten Volksfrontpolitik immer wieder zu ideologischen Friktionen zwischen den Linken und den Bürgerlichen, die sich selbst 1935 auf dem versöhnlerisch gestimmten Pariser Volksfrontkongreß „Zur Verteidigung der Kultur“ nicht ganz unterdrücken ließen. Ja, sogar unter den Linken herrschte bei solchen VeranstalAntifaschistische Wirkungsmöglichkeiten  247

45 Mitgliedskarte für Arnold Zweig im Pariser Schutzverband Deutscher Schriftsteller (1936).

248  Exil

tungen oder Zusammenschlüssen in manchen Punkten keine Einigkeit. Darum blieb etwa die von Wieland Herzfelde in Prag angeregte „Union der Zwölf “, zu der – neben ihm selbst – als Mitglieder Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Hanns Eisler, Oskar Maria Graf, George Grosz, John Heartfield, Egon Erwin Kisch, Erwin Piscator, Franz Carl Weiskopf, Arnold Zweig und ein noch zu benennender Bildhauer gehören sollten, von vornherein ein utopisches Projekt. Das gleiche gilt für die von Bertolt Brecht im März 1937 ins Auge gefaßte antifaschistische Diderot-Gesellschaft, als deren mögliche Mitglieder er unter anderem so unterschiedliche Künstler wie W. H. Auden, Slatan Dudow, Sergej Eisenstein, Hanns Eisler, George Grosz, Fritz Kortner, Nicolai Ochlopkow, Erwin Piscator, Jean Renoir und Sergej Tretjakow in Auge faßte, die ebenfalls nie über eine erste Planungsphase hinauskam. Selbst der in Palästina sitzende Arnold Zweig setzte sich für solche Vereinigungen ein, konnte aber im Rahmen des Kulturbundes Lepac sowie der im Krieg gegründeten Liga V (Victory) nur einen relativ kleinen Kreis erreichen. Etwas mehr Erfolg war dagegen dem Heinrich-Heine-Klub in Mexiko City beschieden, dem sich rund 200 Exilanten anschlossen. Obwohl die meisten seiner Mitglieder politisch linksorientiert waren, nahm dieser Klub – im Gefolge der Volksfrontpolitik des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller – auch bürgerliche Liberale auf, sofern sie sich zu einem entschiedenen Antifaschismus bekannten. Einen ähnlichen Charakter hatte der 1938 in London gegründete Freie Deutsche Kulturbund. Auch hier waren die Kommunisten, darunter John Heartfield, Werner Ilberg, Jürgen Kuczynki, Jan Petersen und Max Zimmering, die aktivsten Mitglieder. Daher wurde dieser Bund – wie zu erwarten – von den Exilsozialdemokraten weitgehend boykottiert. Und auch Alfred Kerr, sein erster Präsident, trat schon nach kurzer Zeit aus Abneigung gegen die „Linken“ wieder von seinem Vorsitz zurück. Dennoch schlossen sich diesem Bund über 1 000 eingeschriebene Mitglieder an. Die antikommunistische Gegenorganisation Unabhängiger Autoren, die Kurt Hiller 1939 gründete, brachte es dagegen nur auf 15 Anhänger. Und auch der Club 1943, den Grete Fischer, Monty Jacobs und Hans J. Rehfisch aus Abneigung gegen die linke Führungsschicht im Freien Deutschen Kulturbund ins Leben riefen, blieb relativ klein. Zu ähnlichen Zwistigkeiten zwischen Linken und Liberalen kam es im US-amerikanischen Exil. Dort traf die Mehrheit der Exilkünstler und Antifaschistische Wirkungsmöglichkeiten  249

-künstlerinnen erst nach 1939 ein, als in Europa der Zweite Weltkrieg begann. Auf US-amerikanischer Seite griffen ihnen dabei die konservative American Guild for Cultural Freedom sowie die sozialistisch orientierte League of American Writers unter die Arme, die zwar beide humanitäre Hilfsprogramme unterstützten, aber in ihren programmatischen Erklärungen deutlich voneinander abwichen. Während Thomas Mann der American Guild for Cultural Freedom nahestand, schlossen sich die Linken der German-American Writers Association an. Allerdings traten in diesen Gruppen die ideologischen Diskrepanzen zwischen 1939 und 1942 noch nicht so scharf hervor wie gegen Kriegsende, als im DeutschAmerikanischen Kulturverband sowie der German-American Writers Association die Linken immer stärker die Führung an sich rissen und sich deshalb die sozialdemokratisch oder bürgerlich orientierten Künstler weitgehend aus ihnen zurückzogen, was zu einer deutlichen Schwächung dieser beiden Verbände führte. Auch die German-American Emergency Conference, die daraufhin von Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Alfred Kantorowicz und anderen ins Leben gerufen wurde, blieb eine Randerscheinung. Das gleiche gilt für das in den USA im Jahr 1943 aktiv werdende Nationalkomitee Freies Deutschland, das nach einer kurzen Phase der Solidarität wieder auseinanderfiel, da Thomas Mann, der politisch Einflußreichste unter den deutschen Exilschriftstellern in den Vereinigten Staaten, seine Unterschrift, die er unter den Gründungsaufruf gesetzt hatte, schon einen Tag später wieder zurückzog, um nicht als „Pinko“ oder „Commie“ verdächtigt zu werden. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß in den wichtigsten Organisationen der deutschen Exilkünstler und -künstlerinnen, ob nun dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller, dem Bert Brecht-Klub, dem Heinrich Heine-Klub, dem Freien Deutschen Kulturbund in London sowie dem Deutsch-Amerikanischen Kulturverband, weitgehend die Linken, als die von den Nazifaschisten am schärfsten verfolgte Gruppe, dominierten, welche jedoch zur Stärkung einer möglichst breiten antifaschistischen Front auch bürgerlich-humanistische Künstler und Künstlerinnen mit einer klaren antifaschistischen Gesinnung für ihre Ziele zu gewinnen suchten. Daß sich daraus viele Krisen und Auseinandersetzungen ergaben, die auf die ideologischen Gegensätze der Weimarer Republik zurückverwiesen, aber auch schon einige Konfrontationen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vorwegnahmen, konnte nicht ausbleiben. 250  Exil

Und so kam es zwar auf politischer und kultureller Ebene zu einer Reihe verbandsartiger Zusammenschlüsse, aber nicht zu jener gemeinsamen Front aller aus dem Dritten Reich vertriebenen oder geflohenen Künstler oder Künstlerinnen, von der anfangs manche geträumt hatten. Dazu waren die ideologischen Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen – trotz der auf vielen Ebenen propagierten Volksfrontkonzepte – einfach zu groß. Dennoch bleibt es beachtlich, daß es in der allgemeinen Misere des Exils überhaupt zu solchen Zusammenschlüssen kam und sich immer wieder Künstler und Künstlerinnen bereit fanden, sich aufgrund ihrer linken, linksdemokratischen oder bürgerlich-liberalen Gesinnung im Kampf gegen den mörderischen Rechtsradikalismus des Dritten Reichs in politisch für sie nicht ungefährlichen Widerstandsgruppen zu engagieren. Auf Seiten der Konservativen, die meist nur die Freiheit des Individuums hochhielten, hat es dagegen im Exil – außer den Anhängern des elitären, ja geradezu massenverachtenden Stefan George-Kreises, die auch nach 1933 außerhalb der deutschen Grenzen eine gewisse Gruppensolidarität bewahrten – kaum irgendwelche künstlerischen Organisierungsbemühungen gegeben. Schließlich wären solchen Künstlern derartige Zusammenschlüsse unter den damaligen Umständen fast wie indirekte Bekenntnisse zum reaktionären Gemeinschaftsgeist des Nazifaschismus erschienen. Also blieben die nichtlinken Exilanten lieber Einzelgänger und vertrauten auf die von allen gut- oder bestbürgerlichen Künstlern in solchen Situationen immer wieder beschworene Leitvorstellung einer „uneingeschränkten Subjektivität“, mit der sie zwar in der Weimarer Republik gescheitert waren, die ihnen aber weiterhin als die einzige Haltung der Nichtideologie erschien, bei der sie glaubten, ihre künstlerische Integrität bewahren zu können. Nicht nur wegen dieser ideologischen Zwistigkeiten, auch wegen der mangelnden Unterstützung von Seiten der jeweiligen „Gastländer“ sowie den vielfach eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten drangen demzufolge die meisten kulturellen Aktivitäten dieser Bünde und Verbände – von der Prager und Pariser Situation Mitte der dreißiger Jahre einmal abgesehen – kaum über den engeren Rahmen der ihnen angehörigen Mitglieder hinaus. Selbst in den frühen Moskauer Jahren und dann während des Zweiten Weltkriegs in Mexiko City, wo sie sich nicht einer vorsichtig taktierenden Appeasementpolitik gegenüber Antifaschistische Wirkungsmöglichkeiten  251

sahen, blieben solche Zusammenschlüsse schon wegen ihrer Deutschsprachigkeit weitgehend „Inseln“ in einer ihnen fremden Umwelt. Ja, viele ihrer Anhänger und Anhängerinnen klammerten sich im Ausland noch stärker als zuvor an die ihnen vertrauten älteren deutschen Kulturvorstellungen, um sich wenigstens in ihrem engeren Umkreis „zu Hause“ zu fühlen. Dementsprechend blieben die meisten Aktivitäten dieser Exilanten zwangsläufig nach innen gerichtet und erreichten lediglich den engeren Kreis der in diesen Bünden und Verbänden einen politischen und kulturellen Halt Suchenden. Daran änderte auch die Tatsache, daß manche Schriftsteller wenigstens einige ihrer literarischen Werke bei ausländischen Verlagen herausbringen konnten, nicht viel. Schließlich erschienen diese Bücher, ob nun in der Schweiz, in Schweden, in Holland oder in Moskau, mehrheitlich auf deutsch und wurden darum eher von Mitexilierten als von jenen ausländischen Bevölkerungsgruppen gelesen, welche die politisch Engagierteren unter den Exilautoren mit ihren Schriften „aufklären“ wollten. Zugegeben, es gab auch eine Reihe von Übersetzungen, aber sie bildeten eine verschwindende Minderzahl. Außerdem handelte es sich dabei selten um spezifisch antifaschistische Werke, sondern vorwiegend um spannend geschriebene Biographien oder historische Romane, von denen sich – als den beliebtesten Genres der damaligen Buchproduktion – die ausländischen Verleger noch am ehesten einen einträglichen Profit versprachen. Doch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs hörte in Europa selbst die Übersetzungstätigkeit, geschweige denn die Herausgabe deutschsprachiger Originalwerke weitgehend auf. Lediglich in den USA erschienen nach diesem Zeitpunkt noch einige Übersetzungen von Werken deutscher Exilautoren und -autorinnen. Neben der Viking Press spielte dabei der Verlag Alfred A. Knopf eine wichtige Rolle. Weil jedoch die Situation im Buchwesen der Vereinigten Staaten wegen der ökonomischen Rahmenbedingungen innerhalb der anhaltenden Weltwirtschaftskrise sowie der kurz darauf einsetzenden Kriegsanstrengungen alles andere als günstig war und es zudem in diesem Land kein großes Interesse an Publikationen mit einem europäischem Hintergrund gab, hatten hier politisch engagierte Exilanten nur eine geringe Chance, verlegt zu werden. Außer den Werken von Thomas Mann kamen daher bei Knopf fast nur buchhändlerisch „gängige“, das heißt publikumsnahe Werke, aber keine zentralen Exilwerke heraus. Darum entschloß sich im 252  Exil

Jahr 1944 eine Gruppe linker Autoren um Wieland Herzfelde, zu der vor allem Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Ferdinand Bruckner, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Heinrich Mann, Ernst Waldinger, Berthold Viertel und Franz Carl Weiskopf gehörten, in New York einen eigenen deutschsprachigen Verlag, und zwar den AuroraVerlag, ins Leben zu rufen, bei dessen Gründung sie bereits die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ins Auge faßten, in der sie sich für den Neuaufbau einer deutschen Kultur in ihrem früheren Heimatland einsetzen wollten. Wenn man also überhaupt von einer politischen Wirkung der deutschen „Hitler-Flüchtlinge“ sprechen will, die über den Bereich der ideologischen und kulturellen Auseinandersetzungen innerhalb der verschiedenen Einzelkünstler und Exilgruppen hinausging, sollte man – außer einigen Werken von Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Anna Seghers – lieber nicht die Exilliteratur, sondern die Exilpresse ins Auge fassen. So wurden etwa Zeitschriften wie Die Sammlung, die Neuen Deutschen Blätter, die Neue Weltbühne, Das neue Tage-Buch, Das Wort oder die Internationale Literatur in den jeweiligen Gastländern zum Teil stärker beachtet als die meisten deutschen Exilromane, geschweige denn die wenigen politisch intendierten Exilgemälde oder Exilkompositionen. Doch, indem in vielen dieser Blätter oft höchst unterschiedliche Autoren und Autorinnen zu Worte kamen, waren auch sie – gerade wegen der in ihnen befürworteten antifaschistischen „Freiheitlichkeit“ – häufig nicht mehr als ein Spiegelbild der ideologischen Zwistigkeiten innerhalb des Exils. Selbst in der Phase der sogenannten Volksfrontpolitik gegen Mitte der dreißiger Jahre schlossen sich die Beiträger dieser Publikationsorgane nur selten zu politisch effektiven Gruppen zusammen. Nicht nur bei den ins Exil geflüchteten Sozialdemokraten gab es weiterhin sich voneinander distanzierende Zeitschriften, die entweder die Anschauungen des Sozialdemokratischen Parteivorstandes, der Gruppe Neu Beginnen, der Sozialistischen Arbeiterpartei, der Volkssozialisten oder des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes vertraten, auch bei den Kommunisten kam es in der gleichen Zeitspanne zu erheblichen Aufspaltungen in stalinistische und antistalinistische Anschauungen, die sich nur mühsam vertuschen ließen. Vor allem die Moskauer Schauprozesse bewirkten bei vielen deutschen Kommunisten eine tiefgehende ideologische Krise, die zum Teil, wie bei Arthur Koestler, Manès Sperber Antifaschistische Wirkungsmöglichkeiten  253

und Gustav Regler, zu einer radikalen Absage an den Kommunismus führte. Selbst Willi Münzenberg, der Hauptorganisator der kommunistischen Exilpresse in Prag und Paris, der 1937 mit seinem Buch Propaganda als Waffe noch einmal alle mit der Volksfront sympathisierenden linken Exilanten aufgerufen hatte, der NS-Propaganda eine ebenso effektive „Gegenpropaganda“ entgegenzusetzen, gab kurz danach seine politischen Aktivitäten auf und beging – angesichts des verhängnisvollen Verlaufs der politischen Ereignisse, die schließlich zum deutschsowjetischen Nichtsangriffspakt und zum Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich führten – im Jahr 1940 Selbstmord. Doch wo hätten die Journalisten und Publizisten unter den deutschen Exilanten nach Beginn des Zweiten Weltkriegs überhaupt noch Zeitungen, Zeitschriften oder politische Pamphlete herausbringen sollen? Da sie mehrheitlich in die Vereinigten Staaten flohen, sahen sie sich plötzlich ihnen weitgehend unvertrauten Publikationsbedingungen gegenüber. Deutschsprachige Artikel waren hier, außer im Aufbau, einer erst vom German-Jewish Club und dann ab 1940 vom New World Club herausgegebenen Zeitung, schwer unterzubringen. Überhaupt herrschte in diesem Land ein viel stärkerer Integrationsdruck als in jenen europäischen Ländern, in denen sich die meisten Exilschriftsteller und -publizisten bisher aufgehalten hatten. Wie im Verlagswesen stand auch in der US-amerikanischen Publizistik eher der kommerzielle als der politischeingreifende Aspekt im Vordergrund. Und auch das, was die Exilanten unter „Kultur“ verstanden, fand hier kein großes Interesse. Demzufolge ging Klaus Manns Kulturzeitschrift Decision, die er Anfang 1941 in den Vereinigten Staaten gründete, schon nach 12 Monaten wieder ein. Trotz der beachtlichen Anzahl deutscher Exilkünstler, die seit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs – zum Teil unter großen Schwierigkeiten – in die USA flohen, blieb daher ihre Wirkung auf dieses Land relativ gering. Das hing zum Teil auch damit zusammen, daß viele DeutschAmerikaner, deren Eltern oder Großeltern im späten 19. Jahrhundert in die Vereinigten Staaten eingewandert waren und die man im Ersten Weltkrieg als barbarische „Hunnen“ verteufelt hatte, erst durch den selbst von vielen US-Amerikanern bewunderten Aufstieg Adolf Hitlers und des durch ihn angekurbelten wirtschaftlichen Aufschwungs und der dadurch erreichten Vollbeschäftigung wieder ein gewisses Selbstwertgefühl bekommen hatten. Die meisten unter ihnen waren deshalb allen 254  Exil

Vertretern „linker“ Ideologiekonzepte gegenüber von vornherein abhold. Und auch deren „Kultur“-Vorstellungen, die ihnen viel zu anspruchsvoll, ja geradezu überheblich erschienen, teilten sie keineswegs. Wenn sie überhaupt deutschsprachige Bücher lasen, dann Romane wie Horst Wessel von Hanns Heinz Ewers, Der Arzt Gion von Hans Carossa und Volk ohne Raum von Hans Grimm sowie Sachbücher von Alfred Rosenberg und Oswald Spengler, wie die Deutsche Buchhandlung B. Westermann Mitte der dreißiger Jahre in New York stolz verkündete. Diese Bevölkerungsschichten waren daher bestürzt, als die USA Ende 1941 in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen wurden und alles Deutsche abermals als „barbarisch“ galt, ja die Angehörigen dieser Nation als schlechtweg „aggressiv“ hingestellt wurden, was schließlich zu der weitverbreiteten Kollektivschuld-These à la Henry Morgenthau und Robert Vansittart überleitete. Da, wie gesagt, die meisten unter ihnen keine deutsch-europäische „Kultur“-Gesinnung mehr hatten, an welche sie sich wie die Künstler und Intellektuellen unter den „HitlerFlüchtlingen“ in dieser Krisenstimmung festklammern konnten, wandten sie sich deshalb mehrheitlich von ihrem bisherigen „Deutschtum“ ab und wurden hundertprozentige „Amurricans“, wie man damals sagte. Demzufolge fanden viele der engagierteren Künstler unter den Exilanten, die als sogenannte „Beiunskis“ weiterhin an ihren bisherigen „Kultur“-Vorstellungen festzuhalten versuchten, nicht nur bei den von ihnen als „kulturlos“ angesehenen US-Amerikanern, sondern auch bei diesen Bevölkerungsgruppen keinen geistigen oder politischen Rück­halt und richteten daher ihre Blicke ab 1943 / 44 zusehends auf jenes Deutschland, in dem es nach den Verbrechen des Nazifaschismus eine sozialhumanistisch gesinnte Hochkultur zu errichten gelte.

Auswirkungen auf die Künste Literatur

Rein zahlenmäßig gesehen, bilden die Schriftsteller wohl die bekannteste und zugleich bedeutsamste Künstlergruppe unter den „Hitler-Flüchtlingen“. Ohne sie könnte man kaum von einer „Kultur des anderen Deutschlands“ im Exil sprechen. Sie schufen eine Reihe nicht zu übersehender Literatur  255

Vertretern „linker“ Ideologiekonzepte gegenüber von vornherein abhold. Und auch deren „Kultur“-Vorstellungen, die ihnen viel zu anspruchsvoll, ja geradezu überheblich erschienen, teilten sie keineswegs. Wenn sie überhaupt deutschsprachige Bücher lasen, dann Romane wie Horst Wessel von Hanns Heinz Ewers, Der Arzt Gion von Hans Carossa und Volk ohne Raum von Hans Grimm sowie Sachbücher von Alfred Rosenberg und Oswald Spengler, wie die Deutsche Buchhandlung B. Westermann Mitte der dreißiger Jahre in New York stolz verkündete. Diese Bevölkerungsschichten waren daher bestürzt, als die USA Ende 1941 in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen wurden und alles Deutsche abermals als „barbarisch“ galt, ja die Angehörigen dieser Nation als schlechtweg „aggressiv“ hingestellt wurden, was schließlich zu der weitverbreiteten Kollektivschuld-These à la Henry Morgenthau und Robert Vansittart überleitete. Da, wie gesagt, die meisten unter ihnen keine deutsch-europäische „Kultur“-Gesinnung mehr hatten, an welche sie sich wie die Künstler und Intellektuellen unter den „HitlerFlüchtlingen“ in dieser Krisenstimmung festklammern konnten, wandten sie sich deshalb mehrheitlich von ihrem bisherigen „Deutschtum“ ab und wurden hundertprozentige „Amurricans“, wie man damals sagte. Demzufolge fanden viele der engagierteren Künstler unter den Exilanten, die als sogenannte „Beiunskis“ weiterhin an ihren bisherigen „Kultur“-Vorstellungen festzuhalten versuchten, nicht nur bei den von ihnen als „kulturlos“ angesehenen US-Amerikanern, sondern auch bei diesen Bevölkerungsgruppen keinen geistigen oder politischen Rück­halt und richteten daher ihre Blicke ab 1943 / 44 zusehends auf jenes Deutschland, in dem es nach den Verbrechen des Nazifaschismus eine sozialhumanistisch gesinnte Hochkultur zu errichten gelte.

Auswirkungen auf die Künste Literatur

Rein zahlenmäßig gesehen, bilden die Schriftsteller wohl die bekannteste und zugleich bedeutsamste Künstlergruppe unter den „Hitler-Flüchtlingen“. Ohne sie könnte man kaum von einer „Kultur des anderen Deutschlands“ im Exil sprechen. Sie schufen eine Reihe nicht zu übersehender Literatur  255

Werke, die nach 1933, ob nun auf deutsch oder in Übersetzungen, in mehreren europäischen Ländern und nach Beginn des Zweiten Weltkriegs sogar in Übersee erschienen. Doch nicht nur das. Sie waren auch die einzigen, die sich in Moskau, Prag, Paris, London und Mexiko City zum Teil in antifaschistischen Gruppen zusammenschlossen, um nicht nur untereinander an einem Gefühl der ideologischen Solidarität festzuhalten, sondern auch in ihren sogenannten Gastländern den dort mit ihnen politisch sympathisierenden Autoren vorzudemonstrieren, daß nicht alle Deutschen dem Nazifaschismus verfallen seien. Daß sich in den meisten westlichen Demokratien – wegen der in diesen Ländern herrschenden Appeasementpolitik dem Dritten Reich gegenüber – diese Wirkung in relativ engumrissenen Grenzen hielt, wissen wir. Und doch, dennoch, trotzalledem trugen sie zu einer „Kultur des Widerstands“ bei, die beachtlich ist und eine gleichbleibende Würdigung verdient. Daß man bei einer solchen Wertschätzung nicht allein von ästhetischen Maßstäben ausgehen kann, versteht sich wohl von selbst. Schließlich schrieben diese Schriftsteller ihre Werke nicht im Bereich einer machtgeschützten Innerlichkeit, das heißt an ihren mit hohen Bücherregalen umgebenen Schreibtischen, sondern zum größten Teil in unsicheren Verhältnissen, „öfters die Länder als die Schuhe wechselnd“, wie es Bertolt Brecht in seinem Gedicht An die Nachgeborenen formulierte. Ihre Pässe verfielen, ihre Visen oder Aufenthaltsgenehmigungen wurden nicht verlängert, ihre Verdienstmöglichkeiten waren höchst gefährdet, ihre familiären Bindungen lockerten sich und ihre Gruppenbildungen zerfielen immer wieder. In der UdSSR sahen sie sich nach 1936 den stalinistischen Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt, während in Frankreich und England viele von ihnen 1940 vorübergehend interniert wurden. Selbst die USA erwies sich damals als ein Land, das sie zwar – nach mancherlei, nur mit Mühe zu überwindenden Schwierigkeiten – aufnahm, wo jedoch der Dollar regierte und sich die meisten Autoren wegen ihrer hohen Kulturerwartungen anfangs recht verloren vorkamen. Und doch gaben die Besten und zugleich Engagiertesten unter ihnen – trotz aller sie bedrückenden Mühseligkeiten – nicht auf und versuchten weiterhin, so gut es ging, an ihrer politisch gemeinten „Verteidigung der Kultur“ festzuhalten, um so der Barbarei des Nazifaschismus ein würdiges Gegenbild eines wesentlich höhergearteten Deutschlands entgegenzustellen. 256  Exil

Zugegeben, es gab auch Opfer in den von ihnen als äußerst „bedrückend“ empfundenen Jahren zwischen 1933 und 1945. Autoren, Verleger und Kulturtheoretiker wie Walter Benjamin, Carl Einstein, Walter Hasenclever, Willi Münzenberg, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Ernst Weiss und Stefan Zweig nahmen sich das Leben. Andere verstummten, da ihnen ein Widerstand gegen den mächtig aufstrebenden Nazifaschismus sinnlos erschien. Wieder andere wollten im Exil nicht mehr an ihr deutsches Herkommen erinnert werden und änderten ihre Namen in französisch oder englisch klingende Namen. Ja, es gab sogar ehemals liberale Exilanten, die in der jüdischen Synagogalorthodoxie oder im Schoß der katholischen Kirche eine neue „Heimat“ zu finden versuchten. Doch daneben meldeten sich immer wieder Autoren und Autorinnen zu Wort, die das von ihnen als bedrückend empfundene Exil nur als eine Durchgangsstation zu einem „anderen, besseren Deutschland“ betrachteten, in dem sie nach dem Untergang des Dritten Reichs am Wiederaufbau einer auf den besten humanistischen, linksliberalen oder auch sozialistischen Traditionen beruhenden deutschen Kultur mitzuarbeiten hofften. Am stärksten war dieser Rückkehrwille unter den linksorientierten Exilschriftstellern. Daß allerdings auch sie keine geschlossene Front bildeten, hängt nicht allein mit persönlichen Animositäten, verwirrten Gefühlen oder politischen Fehlentscheidungen zusammen. Daran waren auch objektive Faktoren, wie die weit auseinander liegenden Fluchtorte und der sich daraus ergebende Mangel an Kommunikationsmöglichkeiten, beteiligt. Deshalb spalteten sich im Exil nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die vorher wesentlich linker eingestellten Autoren in mehrere Gruppen auf, die zwar weiterhin an der Vorstellung eines anderen, vom Nazifaschismus nicht korrumpierten Deutschlands nach dem Kriege festhielten, aber dabei recht unterschiedliche Konzepte entwickelten. Die meisten dieser Schriftsteller hatten vorher mit der KPD sympathisiert oder ihr sogar als Mitglieder angehört, da sie seit den späten zwanziger Jahren in Hitler den unerbittlichsten Kommunistenhasser und in der Sowjetunion den einzigen Staat sahen, der stark genug sei, in einem kommenden Krieg das Dritte Reich militärisch zu besiegen und damit eine Faschisierung Gesamteuropas zu verhindern. Und dafür nahmen sie sogar eine Führergestalt wie Stalin in Kauf. Allerdings wurden sie dabei harten Prüfungen unterworfen. Erst waren es die Moskauer Literatur  257

Schauprozesse und dann der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt im Jahr 1939, die in ihren Reihen zu vielen Rückzügen ins Unpolitische oder gar zu scharfen antistalinistischen Ausfällen führte. Dennoch hielt eine Reihe linker Autoren auch in dieser Phase an ihren Gesinnungen fest, engagierten sich, wie Erich Arendt, Willi Bredel, Alfred Kantorowicz, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Bodo Uhse und Erich Weinert, in der Thälmann-Brigade im Spanischen Bürgerkrieg, bekannten sich im mexikanischen Exil und in Moskau in aller Offenheit zu ihrem kommunistischen Überzeugungen und gingen, wie Johannes R. Becher, Willi Bredel, Hans Marchwitza, Ludwig Renn, Anna Seghers, Erich Weinert und Friedrich Wolf, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgerichtig in die Sowjetische Besatzungszone. Unter den Autoren, die auch im Exil an ihren bürgerlich-humanistischen Kulturvorstellungen, wie man damals sagte, festhielten, gab es dagegen kaum irgendwelche politästhetischen Zusammenschlüsse. Sie gaben sich zwar auch zum Teil, wie Thomas Mann, als Repräsentanten des „anderen, besseren Deutschlands“, aber vertraten diese Gesinnung meist als Einzelne, ohne irgendwelche Gruppenbindungen einzugehen. Ja, manche Autoren dieser Art, wie etwa Robert Musil, zogen sich völlig auf ihr einsames Ich zurück und lehnten jeden Bezug zwischen Literatur und Politik in aller Entschiedenheit ab. Sie fühlten sich zwar auch als Exilanten, aber schrieben keine kämpferisch gesinnte Exilliteratur und lehnten deshalb sogar den Gedanken einer möglichst breiten Volksfrontpolitik aller antifaschistischen Autoren ab, weil sie darin eine Wendung ins Kollektive und damit Linksgerichtete sahen. Fragen wir uns erst einmal, welche literarischen Formen diese Autoren im Exil aufgriffen, um ihrer kulturpolitischen Gesinnung Ausdruck zu verleihen. Am schwierigsten hatten es bei solchen Bemühungen zweifellos die Lyriker und die Dramatiker. Vor allem Gedichte, die nach alter Tradition vornehmlich als subjektive Gefühlsoffenbarungen galten, wurden von den vielen engagierten Autoren unter den Exilschriftstellern als nicht „eingreifend“ genug abgelehnt. Eine politische Wirkung könne man mit Gedichten nur dann erzielen, behaupteten sie, wenn man sie ins Epische oder Epigrammatische reduziere oder sie einprägsam vertonen lasse, um ihnen einen zitierbaren oder sangbaren Charakter zu geben. Einer der wenigen, dem dies – im Gegensatz zu Lyrikern oder Lyrikerinnen wie Rose Ausländer, Hilde Domin, Max Hermann-Neiße, Karl 258  Exil

Wolfskehl, ja selbst Else Lasker-Schüler und Nelly Sachs – gelang, war Bertolt Brecht, der schon 1934 in Paris einen Band einprägsamer Lieder Gedichte Chöre veröffentlichte, denen er um der größeren Verbreitung willen zugleich die Eislerschen Vertonungen beigab. Und Brecht war auch derjenige, der in einigen seiner späteren Gedichte, wie etwa in Schlechte Zeit für Lyrik oder An die Nachgeborenen, dabei seine eigene ideologische Situation im Exil mitbedachte, indem er in seiner Lyrik betonte, daß er – unter besseren Voraussetzungen – auch lieber Gedichte über die Schönheit der Natur geschrieben hätte, sich aber durch die Ungunst der Situation dazu gedrängt sähe, vor allem politische Themen aufzugreifen, um sich auch mit diesem Genre in die Front der antifaschistischen Kämpfer einzureihen. Ebenso schwer war es für die in der Weimarer Republik hochgeschätzten Dramatiker, in den verschiedenen Exilländern geeignete Wirkungsmöglichkeiten zu finden. Georg Kaiser und Carl Zuckmayer, die vor 1933 zu den meistaufgeführten deutschen Stückeschreibern gehört hatten, sahen sich daher nach ihrer Vertreibung weitgehend auf sich selbst zurückgeworfen. Ferdinand Bruckner, Ernst Toller und Friedrich Wolf gelang es, wenigstens einige ihrer antifaschistischen Dramen, wie Die Rassen, Pastor Hall und Professor Mamlock aufführen zu lassen. Doch keiner von ihnen konnte damit jenen Bekanntheitsgrad wiedergewinnen, den er vor 1933 gehabt hatte. Das gleiche gilt selbst für Bertolt Brecht. Er, der weltberühmte Autor der Dreigroschenoper, konnte froh sein, daß wenigstens seine Rundköpfe und Spitzköpfe, seine Mutter und Die Gewehre der Frau Carrar im Exil vereinzelte, wenn auch nicht besonders beachtete Aufführungen erlebten, während einige seiner großen „klassischen Dramen“, wie Der gute Mensch von Sezuan, Mutter Courage und ihre Kinder sowie Herr Puntila und sein Knecht Matti, die er in den dreißiger Jahren im skandinavischen Exil geschrieben hatte, lediglich gegen Kriegsende in Zürich in von ihm nicht beeinflußten Inszenierungen gespielt wurden, ohne daß eine größere Öffentlichkeit davon Notiz nahm. Dagegen blieben seine späteren Exilstücke, wie Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, Die Gesichte der Simone Machard, Schweyk im Zweiten Weltkrieg und Der kaukasische Kreidekreis, während Brechts Exiljahren in Kalifornien unaufgeführt, weil sich keiner der dortigen „Producers“ dafür einsetzte, da derartige „Bühnenhyänen“, wie sie unter den Exilanten hießen, diese Stücke wegen ihres „europäischen“ HinterLiteratur  259

grunds für ein US-amerikanisches Theaterpublikum uninteressant fanden. Obendrein war in den US-amerikanischen Privattheatern, wie etwa entlang des New Yorker Broadway, in den dreißiger Jahren das Komödiantische und Burleske noch stärker gefragt als in den meisten europäischen Theatern. Aus diesem Grunde hatten sogar Brechts Stücke, obwohl sie – trotz ihrer Ernsthaftigkeit – voller komischer Szenen waren, kaum eine Chance, in den Vereinigten Staaten aufgeführt zu werden. Schließlich war seine Art der Komik eine ins Gesellschaftskritische „verfremdende“ Komik, die keineswegs harmlos wirkt und daher viele der dortigen Zuschauer und Zuschauerinnen eher verstört als belustigt hätte. Demzufolge waren jene Dramatiker und Regisseure im Exil am erfolgreichsten, die sich von vornherein in von ihnen gemieteten Klubräumen oder auf Kleinkunstbühnen auf satirische Revuen oder Klamaukhaftes beschränkten, ohne damit einen „höheren“ Kulturanspruch zu verbinden. Was dagegen im Exil eher reüssierte, war der Roman, der sich ohnehin seit dem 19. Jahrhundert auf dem Buchmarkt als die vorherrschende literarische Form durchgesetzt hatte und deshalb – falls seine Autoren und Autorinnen dabei im jeweiligen Trend liegende Themen aufgriffen – einen beträchtlichen Absatz versprach. Die erfolgreichsten unter den Exilautoren und -autorinnen waren daher Romanschriftsteller und -schriftstellerinnen wie Vicki Baum, Lion Feuchtwanger, Hermann Kesten, Heinrich Mann, Thomas Mann, Franz Werfel und Arnold Zweig, deren Werke nicht nur in deutschsprachiger Form bei Exilverlagen wie Oprecht, Bermann Fischer, Querido und Allert de Lange, sondern auch in Übersetzungen bei Alfred A. Knopf und der Viking Press herauskamen. Weitaus am besten verkauften sich die sogenannten historischen Romane, darunter Heinrich Manns Die Jugend und die Vollendung des Königs Henri Quatre (1935 / 1938), Lion Feuchtwangers Der falsche Nero (1936), Arnold Zweigs Erziehung vor Verdun (1935), Hermann Kestens Ferdinand und Isabella (1936) und König Philipp II. (1938), Thomas Manns Joseph in Ägypten (1936) und Lotte in Weimar (1939) sowie Franz Werfels Die vierzig Tage des Musa Dagh (1933). Doch auch gut gemachte Biographien über bekannte historische Gestalten, wie Stefan Zweigs Maria Stuart (1935), Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam (1935) und Magellan (1938) sowie Emil Ludwigs Hindenburg (1935), Cleopatra (1937), Roosevelt (1938) und Simon 260  Exil

Bolivar (1939), erwiesen sich zum Teil als äußerst marktgängig. Da einige der eher ins Aktuell-Politische drängende Exilschriftsteller wie Kurt Hiller, die meist erfolglos waren, diese Art von Publikationen als eine beschämende „Flucht vor der Forderung des Tages“ hinstellten und sich für Romane mit einem eindeutigen Gegenwartsbezug einsetzten, kam es Mitte der dreißiger Jahre im Hinblick auf den historischen Roman zeitweilig zu einer exilinternen Debatte über die ideologische Relevanz dieses Genres. Vor allem Georg Lukács verteidigte damals die Bedeutsamkeit des historischen Romans und wies am Beispiel von Heinrich Manns und Lion Feuchtwangers Werken darauf hin, daß auch solche Werke keineswegs „unpolitisch“ zu sein brauchten und jeder aufmerksame, kulturinteressierte Leser in ihnen durchaus Parallelen zu den gegenwärtigen Ereignissen erkennen könne. Doch neben den Romanen mit historischen Themen kamen im gleichen Zeitraum auch einige Exilromane heraus, in denen es in höchst direkter Form um die eigene Gegenwart ging. Zu ihnen gehörten vor allem jene Werke, die sich auf kritische Weise mit der Situation innerhalb des Dritten Reichs auseinandersetzten. Einen vielbeachteten Auftakt dazu bildete der Roman Die Geschwister Oppenheim von Lion Feuchtwanger, der bereits im Spätherbst 1933 erschien und von dem sich bis zum Sommer 1934 bereits 20 000 deutschsprachige und 270 000 Exemplare in mehreren fremdsprachlichen Versionen verkaufen ließen. In ihm geht es vornehmlich um die Hilflosigkeit einer alteingesessenen, inzwischen zu beträchtlichem Reichtum gekommenen und zugleich deutschnational gesinnten jüdischen Familie dem siegreich vordringenden Nazifaschismus gegenüber, in welchem sie lange Zeit ein zu belächelndes Kleinbürgerphänomen gesehen hatte, deren Vertretern es nie gelingen würde, in Deutschland die Macht zu ergreifen. Lediglich die weitverzweigten Familienbande geben den Oppenheims nach dem fatalen Januar 1933 weiterhin einen gewissen Halt. Ansonsten müssen sie erkennen, wie ihnen – auch ökonomisch – allmählich der Boden unter den Füßen wegrutscht. Mit der gleichen Realistik wird in diesem Roman die ebenso hilflose Abwehrhaltung der nichtjüdischen deutschen Kulturbürger der „braunen Flut“ gegenüber dargestellt. Und zwar greift Feuchtwanger dafür als Beispiel einen Gymnasiallehrer heraus, der weiterhin an seinen humanistischen Bildungsidealen festzuhalten versucht und es in gutgläubiger Ahnungslosigkeit nicht für möglich hält, daß ein Literatur  261

Halbgebildeter wie Hitler, dessen Buch Mein Kampf in einem miserablen Deutsch geschrieben sei, fähig sein werde, ein so „hochgebildetes Volk“ wie die Deutschen zu regieren. All dies wird höchst einsichtsvoll beschrieben, aber ohne daß sich daraus irgendwelche Handlungsanleitungen für mögliche antifaschistische Aktionen innerhalb Deutschlands oder im Exil ergeben würden. Kommunistischen Autoren wie Willi Bredel, Heinz Liepmann und Walter Schönstedt ging es dagegen – im Gegensatz zu Lion Feuchtwanger – in ihren kurz danach erschienenen Zeitromanen nicht um das Schicksal vereinzelter jüdischer oder nichtjüdischer „Bürger“ in den ersten Monaten des Dritten Reichs, sondern um jene Arbeiter oder Arbeitergruppen, die sich trotz der Übermacht der Nazifaschisten zum illegalen Kampf gegen die braune Diktatur entschlossen. Sie beschrieben, wie kleine Widerstandsgruppen antifaschistische Flugblätter verteilen, aufreizende Slogans an den Häuserwänden anbringen und des Nachts auf hohen Gebäuden rote Fahnen hissen. Aber sie waren zugleich „realistisch“ genug, in diesen Werken darzustellen, daß dadurch kein durchgreifender Linksruck innerhalb der breiten Massen gegen den siegreichen Nazifaschismus stattgefunden habe, sondern wie schnell es den braunen Horden gelungen sei, nicht nur die Macht zu gewinnen, sondern sie auch mit immer neuen Terrormaßnahmen zu stabilisieren. Und damit erwiesen sich auch diese Werke zwar als noble Dokumente einer politischen Widerstandshaltung, boten jedoch ihren Lesern ebenfalls keine effektiven Handlungsanleitungen. Zudem, gab es im Ausland überhaupt Leser für solche Werke? Schließlich waren kaum Arbeiter, sondern – neben der Mehrheit der finanziell besser gestellten Juden – vornehmlich namhafte Intellektuelle und Künstler aus Deutschland vertrieben worden. Demzufolge hatten derartige Bücher nur geringe Auflagen, während sich ein Roman wie Die Geschwister Oppenheim, in dem es um die Schicksale bürgerlicher Vertriebener ging, an ein wesentlich breiteres Publikum, und zwar nicht nur unter den deutschen Exilanten, sondern auch unter den mit ihnen sympathisierenden Intellektuellen in den nichtfaschistischen Ländern wandte. Doch mit diesen Werken hörte die Reihe jener Exilromane, die sich weiterhin mit den politischen und sozioökonomischen Vorkommnissen innerhalb des Dritten Reichs beschäftigten, keineswegs auf. Mit der beschämenden Mitläuferproblematik der sich dem NS-Regime anpas262  Exil

senden Intellektuellen setzte sich vor allem Klaus Mann in seinem Roman Mephisto (1935) auseinander. In ihm geht es um die sich allen Regimen anpassende Karriere eines charakterlosen Schauspielers, die in vielem an den Lebensgang des zum NS-Staatsrat aufgestiegenen Gustav Gründgens erinnert, aber zugleich an den ideologischen Opportunismus anderer im Dritten Reich verbliebener Künstler wie Gottfried Benn gemahnt. Den gleichen Anpassungsdrang, und zwar innerhalb des deutschen Kleinbürgertums, nahmen sich vor allem Irmgard Keun in ihrem Roman Nach Mitternacht und Oskar Maria Graf in seinem Anton Sittinger aufs Korn, die beide 1937 herauskamen. Mit beklemmender Eindringlichkeit stellten sie dabei das ressentimentgeladene Wesen dieser Klasse heraus, die glaubte, mit dem Kleinbürgerführer Adolf Hitler auch einmal an der Macht teilhaben zu können und sich nicht weiterhin den Herren der Oberklassen unterwerfen zu müssen. Doch als Ausweg aus diesem „Mief “ wird bei Keun lediglich die Flucht ins Exil dargestellt. Aber worauf hätte man zu diesem Zeitpunkt – ob nun als Bourgeois, Kleinbürger oder Proletarier – seine Hoffnungen sonst setzen sollen? Schließlich kam es zu vereinzelten Widerstandshaltungen, wie etwa im Rahmen der Roten Kapelle, des Kreisauer Kreises, der GeschwisterScholl-Gruppe oder der Männer des 20. Juli, erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich allmählich die Überzeugung verbreitete, daß das Dritte Reich seinem Untergang zueile. In den Jahren zwischen 1933 und 1941, auf dem Höhepunkt der Naziherrschaft, blieb dagegen die Flucht ins Exil der einzige Ausweg, sich dem Terror des NS-Regimes zu entziehen. Wohl den eindringlichsten literarischen Niederschlag fand das in der Szenenfolge Furcht und Elend des Dritten Reichs (1935–1938) von Bertolt Brecht, in der es vornehmlich um die gedrückten und anpassungsbereiten Verhältnisse unterm Nazifaschismus geht, innerhalb derer sich eine jüdische Frau schließlich entscheidet, Deutschland auf Nimmerwiedersehen zu verlassen. Und auch in dem 1940 begonnenen Roman Das siebte Kreuz von Anna Seghers bleibt dem aus einem Konzentrationslager Entflohenen – trotz einiger Solidaritätsbeweise von Seiten linksgesinnter Menschen – am Schluß nichts anderes übrig, als sich dem erneuten Zugriff der Nazischergen durch eine Flucht ins Ausland zu entziehen. Wohl den anspruchsvollsten Versuch, die politische, sozioökonomische und kulturelle Situation innerhalb des Dritten Reichs darzustellen, Literatur  263

unternahm Arnold Zweig in seinem Anfang der vierziger Jahre im palästinensischen Exil niedergeschriebenen bzw. diktierten Roman Das Beil von Wandsbek. In ihm geht es um exemplarische Figuren aus allen Teilen der innerdeutschen Gesellschaftsschichten: um Intellektuelle, Beamte, neureiche Nazifaschisten, Pfarrer, Bankiers, SA-Funktionäre, Angestellte, Kleinbürger, Offiziere und Arbeiter. Obwohl sich die Haupthandlung wiederum um einen anpassungsbereiten Kleinbürger, den Schlächtermeister Albert Teetjen, dreht, der wegen der zunehmenden Monopolisierung der Lebensmittelindustrie vom wirtschaftlichen Ruin bedroht ist und daher in einem Prozeß gegen vier zum Tode verurteilte Kommunisten für eine schäbige Abfindungssumme die Rolle des Henkers übernimmt, erfährt man gleichzeitig ebensoviel über die Haltung der „guten hanseatischen Bürger“, welche, wie der Zuchthausdirektor Koldewey und die Ärztin Käte Neumeier, auf ihre Weise mit dem NSRegime zurechtzukommen versuchen. Nach einer Phase der anfänglichen Anpassung gibt ihnen jedoch schließlich nicht nur die Einsicht in die Greueltaten der braunen Herren, sondern auch ihr ausgeprägtes Kulturbewußtsein den Mut zu einer Haltung, die deutlich über die Verhaltensformen der Inneren Emigration hinausgeht. Und zwar hilft ihnen dabei die Rückbesinnung auf das Hamburg des 18. Jahrhunderts, als Gotthold Ephraim Lessing in dieser Stadt ein Deutsches Nationaltheater zu gründen versuchte, sich Friedrich Gottlieb Klopstock für die Ideen der Französischen Revolution begeisterte und Matthias Claudius seinen halb aufgeklärten, halb empfindsam gestimmten Wandsbeker Boten herausgab, wo also noch ein Vertrauen in die „Einheit des Menschengeschlechts, auf Humanität, Aufklärung, Philanthropie oder Menschenliebe und der Glauben an die Macht der Vernunft“ geherrscht habe. Damit verglichen, erscheint ihnen der Hitlerismus immer stärker als ein „hysterisches Wahnsystem“, wie es Sigmund Freud schon in seinen Schreber-Studien entlarvt habe. Während sich Koldewey zu Anfang noch auf seinen Lieblingsautor Friedrich Nietzsche beruft, der immer wieder betont habe, daß es „Pöbelgeschmack“ sei, „am Unvermeidlichen zu rütteln“, weshalb er als „kultivierter“ Mensch vor den terroristischen Akten des Naziregimes lange Zeit die Augen schließt, faßt er demzufolge gegen Ende des Romans den Entschluß, den Elfenbeinturm der Inneren Emigration zu verlassen und eine Haltung einzunehmen, wie sie für die Männer des 20. Juli charakteristisch ist. Dem 264  Exil

Faschismus lediglich eine über der Wirklichkeit schwebende Kunst und Kultur entgegenzusetzen, erscheint ihm schließlich als eine hoffnungslose Illusion. Welche Handlungsanleitungen sich daraus ergeben könnten, wird allerdings gegen Ende des Romans – trotz aller linkskritischen Orientierung – ebensowenig thematisiert wie in den voraufgegangenen Werken dieser Art. Das gleiche gilt für den gegen Kriegsende angefangenen Roman Doktor Faustus von Thomas Mann. Obwohl sich sein Autor in seinen Radioansprachen Für deutsche Hörer, die seit 1942 über den BBC-Sender nach Deutschland ausgestrahlt wurden, höchst engagiert mit den Zuständen innerhalb des Dritten Reichs auseinandersetzte, ist in diesem Roman von irgendeiner Faschismuskritik nur wenig zu spüren. Nazifaschisten tauchen in ihm, und zwar lediglich in Form von Intellektuellen, nur am Rande auf. Noch weniger ist von den politischen oder sozioökonomischen Grundlagen des Nazifaschismus die Rede. Schon indem der Erzähler Serenus Zeitbloom ein Repräsentant der Inneren Emigration ist, der mit dem Haupthelden des Ganzen, dem Tonsetzer Adrian Leverkühn, welcher sich in seinen Kompositionen zusehends dem kalten Ästhetizismus mancher NS-Künstler nähert, relativ eng befreundet ist und ihm bis zu dessen Tod ein anteilnehmendes Wohlwollen entgegenbringt, kommt es weder zu einer genaueren Faschismusanalyse noch zu einer Schilderung irgendwelcher Exilsituationen. Stattdessen endet das Ganze – trotz mancher Seitenblicke auf die Ereignisse der dreißiger Jahre und des Zweiten Weltkriegs – mit einem protestantisch gefärbten Appell, dem verstorbenen Leverkühn sowie seinem deutschen Vaterland die Gnade der Vergebung nicht vorzuenthalten. Das alles wird zwar in ein grandioses Romangeschehen eingebettet, in dem es in erster Linie um die Krise des deutschen Kulturbewußtseins geht, läßt aber die Haupt­ aspekte des Nazifaschismus völlig unberücksichtigt. Doch welche „Auswege“ sahen denn jene Autoren unter den „HitlerFlüchtlingen“, die in ihren Romanen die ideologischen Konsequenzen ihrer eigenen Situation im Exil darzustellen versuchten? Nahmen sie „konkretere“ Haltungen gegenüber dem Nazifaschismus ein oder war das unter den bedrückenden Bedingungen ihrer „ortlos“ gewordenen Lebenssituationen von vornherein unmöglich? Welchen Aufschluß geben uns solche Werke in dieser Hinsicht? Als besonders ergiebig für derartige Fragestellungen erweist sich der Roman Exil (1940) von Lion Literatur  265

Feuchtwanger. Trotz aller Vielschichtigkeit ist dieses Buch, das im Pariser Exilantenmilieu spielt, letztendlich ein Künstlerroman. Obwohl dabei die Misere des Exils, die bei vielen Vertriebenen zu gesellschaftlicher Isolierung, sozialer Deklassierung und politischer Apathie führte, das heißt welche ihre kulturbürgerliche Behaglichkeit gegen die unsichere Existenz in einem kleinen Emigrantenhotel in Paris eintauschen mußten und lediglich davon träumten, zu ihren früheren Verhältnissen zurückkehren zu können, höchst eindringlich zur Sprache kommt, wird dabei ebenso nachdrücklich auf jene Exilanten hingewiesen, die in ihrer Situation des Vertriebenseins nicht nur einen beklemmenden Schicksalsschlag, sondern auch die Chance eines Neuanfangs sahen. Die zentrale Figur dieser Gruppe ist in Feuchtwangers Roman der Komponist Sepp Trautwein, der als bildungsbürgerlicher Liberaler an einen Humanismus glaubt, welcher von einem Vertrauen auf die Vernunft bei der Durchsetzung gerechter Lebensprinzipien gegen die Gewaltverhältnisse innerhalb diktatorischer Herrschaftsformen ausgeht. Erst in Gesprächen mit seinem linksorientierten Sohn Hanns kommt Trautwein allmählich zu der Erkenntnis, daß er sich in seiner Wartesaal-Sinfonie in die Position eines „nihilistischen Aristokratismus“ zurückgezogen habe, die letztlich „folgenlos“ sei. Statt nur ständig zu warten, wird ihm bewußt, daß Geist und Macht keinen unüberwindlichen Gegensatz bilden, sondern daß man auch mit Musik gegen den Faschismus ankämpfen könne. Und damit wird die selbstkritische Überprüfung der Grundpositionen bürgerlicher Kunst zum Hauptthema des Ganzen. Statt im Gegensatz zur „Barbarei“ der Nazifaschisten lediglich „reine Kunst“ zu schaffen, sieht Trautwein schließlich immer klarer, daß Kunst und Kultur keine Privilegien der herrschenden Klassen mehr sein dürfen, sondern sich am gesellschaftlichen Handeln der breiten Masse des Volks ausrichten müssen. Aber er erkennt zugleich, daß dies unter den Bedingungen des Exils noch nicht möglich sei und sich erst in einem sozialistischen Staat der Zukunft verwirklichen lasse. Eine ähnliche und doch andere Einstellung zur Rolle der Kunst im Exil liegt dem Roman Transit (1943) von Anna Seghers zugrunde. Auch in ihm geht es um die Erfahrungen innerhalb der in Frankreich erlebten Misere des Exils. Allerdings ist sein Protagonist ein deutscher Arbeiter, der einem anonymen Zuhörer von seiner Flucht aus Deutschland, seiner Internierung durch die Vichy-Behörden und dann seiner erneuten 266  Exil

Flucht in das von der NS-Wehrmacht noch unbesetzte südliche Frankreich erzählt. Das sieht auf den ersten Blick, ähnlich wie im Siebten Kreuz, wie eine „lebenswahre“ Fluchtgeschichte aus. Und doch spielt auch hier die Kunstproblematik, und zwar auf mehreren Ebenen, eine wichtige Rolle. Indem nämlich dieser Arbeiter das Romanmanuskript eines bürgerlichen Schriftstellers mit sich trägt, der sich beim Einmarsch der deutschen Truppen in Paris das Leben genommen hatte, wird er, der bis dahin kein Literaturfreund war, zum „lesenden Arbeiter“. Bei der Lektüre dieses Werks geht ihm auf, daß nicht nur die Hinterlassenschaft des bürgerlichen literarischen Erbes, wie es von Georg Lukács und Alfred Kurella zur gleichen Zeit auf den Schild gehoben wurde, sondern – in direkter und indirekter Auseinandersetzung mit diesen zwei Theoretikern – auch ein zeitgenössischer Roman ebenso wichtig sein könne wie die ständigen Berufungen auf Goethe und Schiller, die beiden Großmeister der bürgerlichen Klassik. Und dazu paßt auch, daß Seghers’ Arbeiter am Schluß dieses Romans nicht aus Angst vor den Nazifaschisten in die sicheren Gefilde nach Übersee flieht, sondern sich zum Dableiben und zur Kontaktaufnahme mit französischen Widerstandsgruppen entschließt. Das ist zwar wiederum nicht viel, werden manche Kritiker einwenden. Aber mehr war in der Zeit des immer noch siegreich vordringenden Nazifaschismus zu Anfang der vierziger Jahre von den unter höchst bedrückenden Verhältnissen lebenden Exilschriftstellern und -schriftstellerinnen nicht zu erwarten. Nur von der unbezwinglichen Widerstandskraft des deutschen Proletariats oder einem utopistisch anvisierten Sieg über den deutschen Faschismus zu träumen, wäre illusorisch gewesen. Sich dagegen auf die sozialrevolutionären Tendenzen innerhalb einer zeitbezogenen Kunst zu berufen und in seinen Werken neben humanistisch-eingestellten Bürgern auch sich zu engagierten Kämpfern durchringende Linksliberale und sogar widerständige Arbeiter darzustellen, gehört zu den Ruhmesblättern der deutschen Exilliteratur, die der „Barbarei“ des Nazifaschismus nicht nur einen Rückzug auf die bürgerliche Klassik, sondern auch die vorwärtsweisende Funktion einer aus dem zeitgenössischen Erleben hervorgehenden Widerstandskunst entgegenzusetzen versuchte.

Literatur  267

Theater

Noch schwieriger als die Schriftsteller hatten es im Exil jene Künstler, die auf ein feststehendes Theater mit bühnentechnischer Ausstattung, einen großzügigen Werbeetat und ein zahlreiches deutschsprachiges Publikum angewiesen waren. Dabei war gerade diese Gruppe besonders groß, weil es in Deutschland – nach alter Tradition – auch in der Weimarer Republik eine Fülle staatlich subventionierter Theater gegeben hatte, deren Ensembles bis 1933 zu den besten in der Welt gehörten. Ihre Regisseure, Schauspieler und Schauspielerinnen konnten sich also durchaus sehen lassen. Berühmte Berliner Regisseure, wie Leopold Jess­ ner und Max Reinhardt, reüssierten daher nach diesem Zeitpunkt noch am ehesten, obwohl sie zum Teil auch außerhalb der deutschen Grenzen mancherlei antisemitischen Vorurteilen begegneten. Aber wo sollten die vielen deutsch-jüdischen Schauspieler und Schauspielerinnen ein neues Auskommen finden? Schließlich bildete selbst für die Bekannteren unter ihnen die Sprachbarriere meist eine unüberwindliche Schranke. Zugegeben, Elisabeth Bergner und Lotte Lenya machten auch im Ausland Karriere. Dagegen fanden beispielsweise Albert Bassermann, Fritz Kortner und Helene Weigel kaum Möglichkeiten, ihren Talenten entsprechende Anstellungen zu finden. Noch am vielversprechendsten erschienen kurz nach 1933 manchen Theaterleuten Länder wie Österreich und die Schweiz, weil sie dort keine sprachlichen Anpassungsschwierigkeiten zu bewältigen hatten. Auch Staaten wie die Sowjetunion und die Tschechoslowakei boten sich an, in denen es relativ große deutschsprachige Enklaven gab, die eine Reihe von Bühnen unterhielten, auf denen fast ausschließlich deutsche Stücke aufgeführt wurden. In anderen Ländern sahen sich dagegen viele Exilanten gezwungen, eigene Klubs oder Vereinsbühnen zu gründen, falls sie Werke in deutscher Sprache aufführen wollten. Allerdings konnten sie damit, wie in den Niederlanden, in England oder in Mexiko, keinen Einfluß auf die einheimische Bevölkerung ausüben, sondern blieben weitgehend auf das Exilantenmilieu angewiesen. Außerdem litten solche Bemühungen meist an einem chronischen Geldmangel und motivierten daher nicht unbedingt die besten Schauspieler und Schauspielerinnen, sich dafür einzusetzen. Auf derartigen Bühnen gab demzufolge meist das Wohlgemeinte, aber nicht das Professionell-Gekonnte den Ausschlag. 268  Exil

Einige der Linksorientierten unter den exilierten Theaterleuten, wie Ernst Busch, Alexander Granach, Heinrich Greif, Carola Neher, Erwin Piscator, Curt Trepte und Max Vallentin, gingen 1933 erwartungsgemäß in die Sowjetunion. Und zwar wurde ihnen hier anfangs sowohl in Moskau als auch im Gebietstheater Dnepropetrowsk die Möglichkeit geboten, in anspruchsvollen älteren und neueren deutschen Stücken aufzutreten, was sie für kurze Zeit so begeisterte, daß sie beschlossen, nicht nur vorübergehend, sondern für länger in diesem Land zu bleiben. Wohl die kühnsten Theaterpläne in der UdSSR entwickelte Erwin Piscator, der das in Engels, der Hauptstadt der Deutschen Wolgarepublik, bestehende Theater in ein bedeutsames Deutsches Nationaltheater im Exil umwandeln wollte. Da sich das mit dem dortigen Ensemble nicht bewerkstelligen ließ, wandte er sich an Wolfgang Heinz, Wolfgang Langhoff, Teo Otto, Leonard Steckel und Helene Weigel, ihm dorthin zu folgen und am Aufbau eines antifaschistischen Theaters mitzuwirken, an dem er die neuesten avantgardistischen Bühnentechniken ausprobieren wollte. Daß es Piscator nicht gelang, dieses Projekt zu verwirklichen, hatte verschiedene Gründe. Erstens folgte ihm fast niemand nach Engels nach. Zweitens war die dortige Bevölkerung, die lieber Lustspiele und Heimatstücke sehen wollte, kaum für ein derart anspruchsvolles Theater zu gewinnen. Und drittens bekam auch Piscator zu spüren, daß sich nach 1934 / 35 in der Sowjetunion ein grundlegender Wandel von den avantgardistischen Theaterpraktiken Wsewelod Meyerholds zu den Darstellungsformen des Sozialistischen Realismus vollzog, welcher sich im Bereich des Theaters der von ihm abgelehnten älteren, auf psychologischer Einfühlung beruhenden Stanislawky-Methode bediente. Enttäuscht über diese Entwicklung ging Piscator darauf in die USA. Für andere Theaterleute, die im deutschsprachigen Bereich bleiben wollten, kamen daher lediglich Österreich, die Tschechoslowakei und die Schweiz in Frage. Am schwierigsten hatten sie es in Österreich, das zwar deutschsprachig war, aber sowohl unter dem christlich-autokratischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß als auch unter der darauffolgenden Kurt von Schuschnigg-Regierung immer stärker reaktionäre Züge annahm und daher im März 1938 den Einmarsch der deutschen Truppen mehrheitlich begrüßte. Die meisten der dorthin geflohenen Regisseure, Schauspieler und Schauspielerinnen betrachteten deshalb dieses Land nur als eine Durchgangsstation. Das gilt unter anderem für Max Theater  269

46 Plakat der Nationalen Front in Zürich (1934).

Reinhardt, der bis 1938 bei den Salzburger Festspielen, die von den Nazifaschisten ausdrücklich boykottiert wurden, einige ShakespeareStücke inszenierte. Ansonsten wurde auf österreichischen Bühnen zwischen 1933 und 1938 kaum etwas aufgeführt, an dem sich führende Vertreter des deutschen Exils beteiligten oder das eine antifaschistische Tendenz hatte. Dagegen ließ sich der Leiter des Zürcher Schauspielhauses, ein Weingroßhändler namens Ferdinand Riese, trotz der antisemitischen Proteste der faschistoiden Schweizer Frontisten nicht davon abhalten, aus finanziellen Gründen eine Reihe deutscher Exilschauspieler und -schauspielerinnen an seinem Theater anzustellen, um so die bisherige Zürcher 270  Exil

„Provinz“-Bühne in ein erstklassiges Theater umzuwandeln. Daher fanden hier Schauspieler und Schauspielerinnen wie Therese Giehse, Ernst Ginsberg, Wolfgang Heinz, Kurt Horwitz, Wolfgang Langhoff, Karl Paryla, Leonard Steckel sowie der Bühnenbildner Teo Otto und der Dramaturg Kurt Hirschfeld ein interessantes Betätigungsfeld. Neben den deutschen Klassikern war es für einige Exilanten in diesem Theater sogar möglich, trotz mancher lauthals geäußerten Proteste schon 1933 / 34 in Stücken wie Die Rassen von Ferdinand Bruckner und das im Titel in Professor Mannheim umgewandelte Stück Professor Mamlock von Friedrich Wolf mitzuwirken, die sich beide mit den rassistischen Unterdrückungsmaßnahmen der Nazifaschisten auseinandersetzten. Oskar Wälterlin, der nach 1938 die Leitung des Zürcher Schauspielhauses übernahm, trat dagegen unter den neueren deutschen Dramatikern eher für Bertolt Brecht und Georg Kaiser ein. Und so konnte es kommen, daß in seinem Theater gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sogar Stücke wie Mutter Courage und ihre Kinder, Der gute Mensch von Sezuan und Herr Puntila und sein Knecht Matti ihre Uraufführung erlebten. Wenn auch manches dabei leicht entpolitisiert wurde, weshalb viele Zuschauer in der Mutter Courage weniger ein Antikriegsstück als eine Niobe-Tragödie sahen und auch die antikapitalistische Grundstruktur des Guten Menschen von Sezuan kaum begriffen, waren das Aufführungen von Exilstücken mit Exilschauspielern und -schauspielerinnen, die in diesen Jahren ihresgleichen suchten. Daß Wälterlin mit den Inszenierungen deutscher Klassiker beim Zürcher Publikum selbstverständlich wesentlich besser ankam, braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden. Aber immerhin: drei Brecht-Premieren und dann noch Erika Manns politisches Kabarett „Die Pfeffermühle“, welches gerade in den schwierigen Jahren nach 1933 manchmal kein Blatt vor den Mund nahm! Daß dies in Zürich, wo sonst eher eine Appeasementpolitik dem Dritten Reich gegenüber herrschte, überhaupt möglich war, war weit mehr, als was manche Exilanten von den konservativ gesinnten Schweizer Bürgern erwartet hatten. Damit verglichen, wirkt das, was die Exilanten vor 1938 auf Prager Bühnen zustande brachten, eher bescheiden. Hier waren zwar die linksdemokratischen bis sozialistischen Tendenzen wesentlich stärker als in Zürich, aber es mangelte an einem größeren deutschsprachigen Theaterensemble. An wahrhaft politischen, das heißt zum Kampf gegen die Theater  271

Nazifaschisten aufrufenden Stücken konnte daher in Prag unter Teilnahme von Erich Freund, Erwin Geschonneck und Charlotte Küter lediglich ein Einakter wie Bertolts Brechts Die Gewehre der Frau Carrar aufgeführt werden. Als noch geringer erwiesen sich die Möglichkeiten, größere Dramen mit antifaschistischer Tendenz in England aufzuführen. Hier gab es zwar ein Ensemble deutscher Exilanten, das auf seiner „Ganz kleinen Bühne“ revueartige Szenenfolgen in deutscher Sprache darbot, und sogar eine Exilantengruppe, die sich in ihrem Continental Cabaret mit englischsprachigen Revuen an das einheimische Theaterpublikum wandte. Aber eine größere Wirkung konnten beide nicht erzielen. Ihre letzte Hoffnung setzten daher einige Regisseure, Dramatiker, Schauspieler und Schauspielerinnen auch im Bereich des Theaters auf die Vereinigten Staaten. Doch sogar dort winkte ihnen nicht das große Glück. Schließlich waren ihnen die Aufführungsbedingungen in diesem Land weitgehend fremd. In den USA, wo sich die „Kultur“ keiner staatlichen Unterstützung erfreute, konnte ein Stück nur aufgeführt werden, wenn der jeweilige Regisseur einen „Producer“ fand, der ein Theater mietete und das nötige Geld für die Inszenierung vorstreckte, was dann durch die sich daran anschließenden Aufführungen möglichst gewinnbringend wieder eingespielt werden mußte. Hier gehorchte also alles dem marktwirtschaftlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage. Und in einem solchen System, wo es vornehmlich um die Amortisierung der jeweiligen Finanzvorgaben ging, hatten „politische“ Stücke, vor allem solche mit einem europäischen Hintergrund, von vornherein keine Chance, die gewünschten „Blockbuster“ zu werden und wurden daher von den einflußreichen Producers erst gar nicht in Betracht gezogen. Den einzigen großen Theatererfolg konnte hier unter den „HitlerFlüchtlingen“ lediglich Max Reinhardt 1934 mit seiner sensationell aufgezogenen Freilichtaufführung von Shakespeares A Midsummer Night’s Dream in der weiträumigen Hollywood Bowl erzielen, bei der Mickey Rooney für die Rolle des Puck verpflichtet wurde und Olivia de Havilland die Herminia spielte. In den zehn Abenden, an denen diese Aufführung stattfand, wurden über 150 000 Tickets verkauft, was einen spektakulären Gewinn einbrachte. Als dagegen Leopold Jessner 1939 im El Capitan Theatre am Hollywood Boulevard Friedrich Schillers Wilhelm Tell inszenierte, erwies sich 272  Exil

das nicht nur als ein finanzieller, sondern auch als ein künstlerischer Fehlschlag, weil er dabei Exilschauspieler wie Ernst Deutsch als Geßler, Leo Reuss als Wilhelm Tell und Alexander Granach als Stauffacher heranzog, deren Englisch zum Teil noch schwer verständlich war. Und auch Brecht hatte mit seinen Dramen in den USA nicht viel mehr Glück. Nachdem sein Stück The Mother 1935 in New York durchgefallen war, fand sich später kein halbwegs liberaler Broadway-Producer mehr, der es gewagt hätte, seinen Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui oder seinen Schweyk im Zweiten Weltkrieg in Szene zu setzen. Selbst die Inszenierung seines Leben des Galilei in Beverly Hills war nur deshalb leidlich erfolgreich, weil der berühmte Filmschauspieler Charles Laughton darin die Hauptrolle spielte, brachte aber bei weitem nicht so viel ein, wie vorher in sie hineingesteckt worden war. Als etwas publikumsnäher erwiesen sich dagegen in Los Angeles die Aufführungen des German Jewish Club sowie der Freien Bühne unter Walter Wicclair, die zwar zum Teil deutschsprachig waren, sich aber neben vereinzelten Abstechern ins klassische Repertoire weitgehend auf Revuen und Lustspiele beschränkten, ohne damit irgendeinen „höheren“ Kulturanspruch zu verbinden, so daß man im Hinblick auf diese Veranstaltungen eher von einem Einwanderer- als einem antifaschistischen Exiltheater sprechen kann. Film

Lohnt es sich überhaupt, in einem Buch über die Rolle der Kultur in den politästhetischen Auseinandersetzungen der Jahre zwischen 1933 und 1945 ein Kapitel über „Exilfilme“ einzufügen? Vollzog sich nicht damals in fast allen Ländern die Herstellung von Filmen vornehmlich im Rahmen jener kommerziell ausgerichteten Freizeitindustrie, deren Besitzer und Manager sich in erster Linie an den Unterhaltungsbedürfnissen der sogenannten breiten Massen orientierten? Mußte daher in ihren Filmen nicht notwendigerweise das Kriminalistische, Aktionsbetonte, Komödiantische oder Melodramatische, und zwar in einer möglichst eingängigen Form und zugleich in der jeweiligen Landessprache im Vordergrund stehen? Wo sollten daher die rund 2 000 Filmschaffenden, ob nun Regisseure, Drehbuchautoren, Produzenten, Agenten, Verleiher, Kinobesitzer, Kameramänner, Regie- und Produktionsassistenten, Schauspieler und Film  273

Schauspielerinnen, die nach dem 30. Januar 1933 aufgrund ihrer linken Gesinnung oder ihres jüdischen Herkommens Deutschland verlassen mußten, ein Unterkommen finden? Gut, technisch hochbegabte Kameramänner, Tontechniker, Filmarchitekten, Cutter und Beleuchter hatten – wegen des guten Rufs, den die deutschen Filmstudios vor 1933 hatten – noch am ehesten eine Chance, zeitweilig oder auch für länger von ausländischen Filmkonzernen angestellt zu werden. Aber Filmschauspieler und -schauspielerinnen, von denen vor allem die Berühmteren und daher schon Älteren zum Teil erhebliche Schwierigkeiten hatten, die jeweiligen Sprachbarrieren zu überwinden, wer interessierte sich für sie? Ihnen, unter denen sich besonders viele „jüdischbürtige“ Deutsche befanden, die sich während der Weimarer Republik diesem neuen Medium zugewandt hatten, kam man im Ausland nicht unbedingt mit offenen Armen entgegen. Nur falls es ihnen gelang, sich den neuen Verhältnissen anzupassen, fanden sie zum Teil ein erträgliches, wenn nicht gar gutes Auskommen. Zudem, wo sollten die exilierten Regisseure und die mit ihnen kooperierenden Drehbuchautoren Filme drehen, in denen sie – wie die vertriebenen Schriftsteller in ihren Dramen oder Romanen – ihre Exilsituation darstellen konnten? Mit anderen Worten: war es ihnen im Ausland überhaupt möglich, als Repräsentanten des „anderen, besseren Deutschlands“ aufzutreten oder mußten sie nicht völlig in dem ihnen bis dahin fremden Filmmilieu anderer Länder untertauchen und damit ihre kulturelle Identität aufgeben? Zugegeben, im Hinblick auf ihr persönliches Schicksal waren und blieben sie durchaus „Exilanten“. Aber konnten sie ihre eigene Lage auch in ihre Filmarbeit einbringen oder gar an antifaschistischen Filmen mitarbeiten? Um es gleich vorweg zu nehmen: dazu bot sich ihnen fast nirgends eine Möglichkeit, weshalb es so schwer fällt, überhaupt von spezifischen „Exilfilmen“ zu reden. Allerdings gilt es dabei, wie auf allen anderen Gebieten der im Exil stattfindenden deutschen Kulturbemühungen, zwischen den ihnen gebotenen Arbeits- und Wirkungsbedingungen in den verschiedenen Zufluchtsländern sorgfältige Unterscheidungen zu treffen. Noch am ehesten hatten jene Regisseure und Schauspieler eine Chance, an Filmen mit politischen Themen mitzuwirken, die kurz nach 1933 in die Sowjetunion gingen. Welche Hoffnungen sich dabei manche deutsche Kommunisten machten, geht unter anderem aus einem Brief des Schauspie274  Exil

lers Alexander Granach hervor, der nach seiner Ankunft in Moskau an seine Freundin in Berlin schrieb: „Bin einfach vom Glück überwältigt – es ist alles da! Und ein Mensch mit Kraft, mit Vitalität, mit Gläubigkeit, mit Phantasie kann sich hier künstlerisch, menschlich so ausleben wie nirgends!“ Diesen Enthusiasmus teilten vor allem jene deutschen Exilanten, die bei der Meshrabpom-Filmgesellschaft unterkommen konnten, denen nicht nur sie ansprechende Arbeitsmöglichkeiten geboten wurden, sondern die auch im Moskauer Haus des Kinos, einem im Zentrum der Stadt gelegenen Treffpunkt aller dortigen „Kinoarbeiter“, vielfältige Kontakte mit anderen Filmschaffenden aus aller Welt aufnehmen konnten. Der Meshrabpom-Film war in den zwanziger Jahren als Teil der Internationalen Arbeiterhilfe gegründet worden und hatte vor 1933 in Deutschland mit linken Nebenfirmen, wie Weltfilm und Prometheus, zusammengearbeitet. Dieses Filmunternehmen, zu dessen Hauptregisseuren Wsewolod Pudowkin und Dsiga Wertow gehörten, war das eigentliche Zentrum der sowjetischen Filmavantgarde, forderte aber auch linksgerichtete Autoren aus dem Ausland, wie Martin AndersenNexö, Haldor Laxness, Upton Sinclair und Friedrich Wolf, auf, Szenarien für Spielfilme einzureichen. Als 1933 der Hauptadressat der Meshrabpom-Filmgesellschaft, nämlich Deutschland, plötzlich wegfiel, mußte sie ihre Filmproduktion zwar etwas einschränken, behielt aber ihre internationale Ausrichtung weitgehend bei. In diesem Filmkombinat, das einen Mitarbeiterstab von rund 1 200 Personen hatte und neben spezifisch russischen Filmen auch Filme über die Wolgadeutschen, die Zigeuner und die Menschen in Birobidschan, der sich damals im Aufbau befindlichen halbautonomen Jüdischen Sowjetrepublik, produzierte, waren von den deutschen Exilanten nicht nur der Arbeiterschauspieler Alexander Granach, sondern auch der linke Regisseur Erwin Piscator sowie der ehemalige Filmkritiker der Roten Fahne Gustav von Wangenheim tätig. Piscator drehte in seinen Studios 1934 den Film Der Aufstand der Fischer nach einer Erzählung von Anna Seghers und Wangenheim 1935 den Film Kämpfer, in dem es um den Leipziger Reichstagsbrandprozeß ging, wobei nicht nur die in die UdSSR geflohene Agitpropgruppe Kolonne Links, sondern als Drehbuchautor auch Alfred Kurella und als Designer der seit den späten zwanziger Jahren in der Sowjetunion lebende Heinrich Vogeler mitwirkten. Da im Sommer 1936 die Meshrabpom-Gesellschaft, die in den Film  275

Augen der auf die Doktrin des Sozialistischen Realismus eingeschworenen Stalinisten als zu avantgardistisch, das heißt zu „westlich“ galt, aufgelöst wurde, mußten nicht nur Piscator und Wangenheim, sondern auch Willi Bredel, Alexander Granach und Julius Hay ihre weiteren Filmpläne aufgeben. Zudem brachen danach auch die Kontakte, die dieses Filmkombinat mittlerweile mit Exilregisseuren wie William Dieterle, Ernst Lubitsch und Max Ophüls geknüpft hatte, relativ schnell ab. Nach dem 1937 von Herbert Rappaport gedrehten Film Professor Mamlock wurden Exildeutsche in der Folgezeit nur noch zur Beratung bei Dreharbeiten sowjetischer Filme herangezogen, in denen es um spezifisch deutsche Themen ging, so Hans Rodenberg 1938 bei dem Film Familie Oppenheim nach einem Roman von Lion Feuchtwanger und Helmut Damerius, ebenfalls 1938, bei dem Film Die Moorsoldaten über eins der nazifaschistischen Konzentrationslager. Danach gab es kaum noch deutsche Exilanten, die sich im Rahmen der sowjetischen Filmproduktion betätigen konnten. Ja, selbst der ehemals linke Enthusiast Alexander Granach zog schließlich das US-amerikanische Exil dem Aufenthalt in der Sowjetunion vor. In England und Frankreich, den beiden westlichen Demokratien, sahen sich die Filmschaffenden unter den „Hitler-Flüchtlingen“ wesentlich ungünstigeren Arbeitsverhältnissen gegenüber. Vor allem in Frankreich, auf das anfangs Regisseure wie Ludwig Berger, Kurt Gerron, Fritz Lang, Max Ophüls, Georg Wilhelm Pabst und Robert Siodmak sowie die Produzenten Paul Kohner und Erich Pommer und die Filmautoren Kurt Alexander, Herbert Juttke, Hermann Kosterlitz, Robert Liebmann und Arnold Lippschütz große Hoffnungen gesetzt hatten, blieben sie recht „ungeliebte Gäste“. Und das hatte mancherlei Gründe. Erstens herrschten in diesem Land auch nach 1933 noch immer die fatalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, so daß selbst viele einheimische Filmkünstler und -techniker keine Arbeitsplätze fanden, zweitens wurde die dortige Filmszene immer stärker von Hollywood-Produkten überschwemmt und drittens machte sich in der rechten Presse eine spürbare antisemitische Stimmung breit. Um es nicht zu offenen Konflikten kommen zu lassen, erließ demzufolge die französische Regierung ein Edikt, daß im künstlerischen Personal der einheimischen Filmindustrie nur zehn Prozent Ausländer beschäftigt werden durften. Selbst berühmte deutsche Regisseure wie Fritz Lang und Max Ophüls hatten daher in 276  Exil

Frankreich – entgegen ihren Erwartungen – mit erheblichen Restriktionen zu kämpfen. Eine gewisse Stütze fanden sie nur in ebenfalls exilierten Produzenten wie Max Glaß, Hermann Millakowsky, Seymor Nebenzahl, Arnold Pressburger und Eugen Tuscherer, die bereits während der Weimarer Republik durch den Export ihrer damaligen Filme nach Frankreich genügend Kapital auf den Pariser Banken angesammelt hatten. Die meisten aus Deutschland vertriebenen Filmemacher wurden deshalb von ihnen beschäftigt, wodurch es dieser Gruppe gelang, in den Jahren 1933 bis 1939 immerhin 50 Filme in diesem Land zu drehen. Dabei handelte es sich jedoch größtenteils um sogenannte Publikumsfilme, also Komödien, Melodramen, Kriminalgeschichten und ähnliches, während alle Versuche, einen „Emigrantenfilm“ zu drehen oder sich offen mit den Nazifaschisten auseinanderzusetzen, von Robert Siodmaks Film Ultimatum (1938) einmal abgesehen, wegen der in Frankreich herrschenden Appeasementpolitik von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Nicht viel anders sah die Situation für die vertriebenen Filmschaffenden in England aus. Hier gelang es zwar einigen berühmten Stars wie Elisabeth Bergner, Fritz Kortner, Peter Lorre, Conrad Veidt und Adolf Wohlbrück sowie dem Regisseur Berthold Viertel in den marktgängigen Genres der britischen Filmindustrie für eine Weile Fuß zu fassen, von denen jedoch die meisten – wegen der erhofften größeren Sicherheit – 1939 / 40 Großbritannien in Richtung USA verließen. Dagegen konnten die exilierten Filmschaffenden in den Niederlanden, wo es vorher keine nennenswerte Filmindustrie gegeben hatte, eine Reihe recht erfolgreicher Filme drehen. Dazu gehörten vor allem Max Ophüls’ Komedie om Geld (1936) und Ludwig Bergers Ergens in Nederland (1940), in denen sogar gesellschaftskritische und antifaschistische Themen behandelt wurden. Auch Kurt Gerron, der nach kurzen Zwischenaufenthalten in Paris und Wien 1935 nach Amsterdam übersiedelte, erzielte hier mit seinem Film Het mysterie van de mondscheinsonate einen gewissen Erfolg. Dabei handelte es sich jedoch nicht um einen deutschen Musikfilm, wie man aufgrund des Titels vermuten könnte, sondern um einen Krimi. Nach der Besetzung Hollands durch die NS-Truppen hatte Gerron nur noch die Möglichkeit, in Amsterdam in einer jüdischen Kulturorganisation musikalische Revuen zu inszenieren, bis er im Februar 1944 nach Theresienstadt deportiert wurde, wo er die Regie für einen Film überFilm  277

nehmen mußte, der nach 1945 den Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt erhielt. Kurz vor dem Abschluß der Dreharbeiten für diesen Film wurde er jedoch nach Auschwitz überführt und dort im November 1944 ermordet. Einen Sonderfall innerhalb der deutschsprachigen Filmemigration bildeten jene 120 Regisseure, Kameramänner, Filmkomponisten, Drehbuchautoren, Bühnenbildner, Kinobesitzer, Techniker und Filmverleiher, die zwischen 1933 und 1940 nach Palästina flohen. Einige Vertreter dieser Gruppe drehten zwischen 1933 und 1938 – in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Kulturbund und der Zionistischen Weltvereinigung, und zwar mit ausdrücklicher Billigung der NS-Behörden – ein Dutzend zionistisch orientierter Filme, die für die Auswanderung deutscher Juden nach Palästina werben sollten. Unter der Regie von Erich Brock, Georg Engel und Hilmar Lerski entstanden so Filme, in denen zu sehen war, wie in jüdischen Siedlungsgebieten Sümpfe trockengelegt und landwirtschaftlich nützliche Bewässerungssysteme angelegt werden, wobei meist der heroische Aspekt solcher Arbeiten im Vordergrund stand, um vor allem jungen Menschen einen Anreiz zur Auswanderung nach Palästina zu geben. Inwieweit solche Filme als „Exilfilme“ zu bezeichnen sind, ist nicht ganz unproblematisch. Aber letztlich wurden sie unter Mithilfe von Exilanten gedreht und gehören daher dennoch in diesen Zusammenhang. Was noch zu betrachten bleibt, sind lediglich die Vereinigten Staaten als Betätigungsfeld jener deutschen „Hitler-Flüchtlinge“, die in der dortigen Filmindustrie tätig wurden. Rein zahlenmäßig gesehen, waren die USA für diese Berufsgruppe das wichtigste Exilland unter den verschiedenen Zufluchtsorten schlechthin. Schließlich gingen von den rund 2 000 Filmschaffenden, die Deutschland nach 1933 verließen, etwa 800 in dieses Land, und zwar fast ausschließlich nach Hollywood. Ihre Reaktionen auf die dortige „Traumfabrik“ oder „Illusionsmaschine“, wie Hollywood oft bezeichnet wurde, waren höchst verschiedenartig. Manche, wie Marlene Dietrich, Fritz Lang und Billy (Willi) Wilder machten dort steile Karrieren, andere wie Bertolt Brecht, Curt Goetz, Friedrich Torberg und Carl Zuckmayer empfanden diesen Ort als die „Hölle“, da es dort nur „ums Geschäft ohne irgendwelche höheren Ansprüche“ gehe. Doch – objektiv gesehen – bot der Hunger nach geeigneten Filmskripts, der hier herrschte, einer Reihe von Exilautoren, darunter Alfred Döblin, 278  Exil

Leonhard Frank und Heinrich Mann, die sich für 100 Dollar im Monat möglichst filmgerechte „Stories“ ausdachten, ein halbwegs erträgliches Existenzminimum. Allerdings wurden diese Skripts oder Treatments nur in den seltensten Fällen in Filme umgesetzt. Dazu waren sie meist viel zu künstlerisch oder „ambitious“, wie man in den USA sagte, da in diesem Land – im Gegensatz zu Frankreich, England oder den Niederlanden – das ästhetisch Anspruchsvolle noch weniger als das kommerziell Gängige zählte. So schrieb etwa die New York Times, als der in Europa hochgeschätzte Filmemacher Fritz Lang in den USA eintraf: „Those fellows are notorious für being ‚arty‘. To the future confusion of the natives, he wore a monocle, something to which we cannot become accustomed.“ Ja, der Exilregisseur Henry Koster, der in einem seiner Hollywood-Filme eine Passage „klassischer Musik“ einfügen wollte, mußte sich sagen lassen: „Nobody in America listens to that kind of music. You mean Wagner and Beethoven? You can’t sell that here.“ Dennoch gelang es einigen unter diesen Regisseuren und Drehbuchautoren, weniger dem eigenen Triebe als der Not gehorchend, einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf die US-amerikanische Filmindustrie zu gewinnen. Allerdings ging das thematisch nur in gewissen Grenzen. Schließlich waren bis Ende 1941, also vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, in diesem Lande weder Filme mit einem europäischen Hintergrund noch Filme mit antifaschistischen oder spezifisch jüdischen Themen gefragt. Ebenso verpönt waren „avantgardistische“ Filme, wie sie Oskar Fischinger oder László Moholy-Nagy gern gedreht hätten. Was von den großen Konzernen gewünscht wurde, waren melodramatische Society-Filme, Komödien, Musikfilme sowie Science Fiction- und Horrorfilme, also all das, was sowohl Bertolt Brecht als auch Theodor W. Adorno als „niedrige oder triviale Produkte“ einer nur auf Profit bedachten Unkulturindustrie empfanden. Trotzdem gelang es einigen Exilregisseuren wie William Dieterle, Henry Koster, Fritz Lang, Max Ophüls, Otto Preminger, Robert Siodmak, Edgar Ulmer, Billy Wilder und Fred Zinnemann selbst in diesen Genres einen gewissen künstlerischen Anspruch aufrecht zu erhalten, obwohl sie wußten, daß von ihnen nicht das Gute, Schöne und Wahre, sondern die „guten, schönen Waren“ verlangt wurden. Irgendeinen „Problemfilm“, in dem sie ihr Judentum, ihren Heimatverlust, ihren Kulturschock oder ihren Haß auf den Nazifaschismus theFilm  279

matisieren konnten, hat daher fast keiner von ihnen gedreht. Besonders vor 1941, als auch in den USA eine verbreitete Appeasementstimmung herrschte, galt der Film in diesem Lande noch weitgehend als ein möglichst „eingängiges“ Unterhaltungsgenre, in dem es nichts „Politisches“ geben durfte. Daher wurde dort selbst dem allseits beliebten Charlie Chaplin verübelt, 1936 in seinem Film Modern Times einen gesellschaftskritischen Stoff aufgegriffen zu haben, und ihm von der New York Times empfohlen, doch lieber weiterhin Slapstick Comedies zu drehen. Noch verpönter war es in den USA, anhand jüdischer Themen eine antifaschistische Gegenpropaganda zu entfalten. Aus diesem Grund hielten viele US-amerikanische Filmkonzerne ihre jüdischen Schauspieler und Schauspielerinnen – aus Geschäftsgründen und auch wegen des selbst in diesem Land herrschenden Antisemitismus – dazu an, ihre jüdisch klingenden Namen ins Landesübliche abzuwandeln. Schließlich wollten sie weder als „Judenindustrie“ dastehen noch den Export ihrer Filme nach Nazideutschland und Italien zu gefährden. Demzufolge wurde aus Bernard Schwarz plötzlich Tony Curtis, aus Issur Danielowitsch Kirk Douglas, aus Julius Garfunkel John Garfield, aus Marion Levy Paulette Godard, aus Judith Tuvim Judy Hollyday, aus Shirley Schrift Shelley Winters, aus Asa Joelson Al Jolson und aus Nathan Birnbaum George Burns. Als daher Charlie Chaplin 1939 daran ging, mit seinem Film The Great Dictator eine Hitler-Satire zu drehen und dabei sowohl die „Reichskristallnacht“ als auch den „Anschluß“ Österreichs zu thematisieren, stieß er überall auf erbitterten Widerstand. Die Antisemiten versuchten ihn in ihrer Broschüre Jew Star over Hollywood als Juden bloßzustellen, der eigentlich Israel Thonstein heiße, während er von Seiten der konservativen Isolationisten in aller Schärfe als „Warmongerer“ angegriffen wurde, was dazu führte, daß ihn sogar das House Committee on UnAmerican Activities vorladen wollte. Ja, als im gleichen Jahr der Film Confessions of a Nazi Spy von Anatole Litvak anlief, kam es wegen seines antifaschistischen Inhalts in mehreren US-amerikanischen Städten zu scharfen Protesten von Seiten des mit dem NS-Regime sympathisierenden German-American Bunds. Filme dieser Art wurden daher erst nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 möglich. Demzufolge konnten auch deutsche Exilregisseure, die bis dahin im Auftrag der großen Hollywood-Konzerne weitgehend Unterhaltungsfilme oder sogenannte B-Movies gedreht hat280  Exil

47 Ludwig Donath (r.) in dem Film The Strange Death of Adolf Hitler (1943) von James P. Hogan.

ten, erst in den folgenden Jahren antifaschistische Themen aufgreifen. Dafür spricht unter anderem der Film, den Fritz Lang 1942 nach einem Skript von Bertolt Brecht drehte, in dem es um den Heydrich-Mord in Prag ging, dessen Titel Trust the People allerdings aus dem Linkskritischen in Hangmen Also Die geändert wurde, um ihn zu „hollywoodisieren“, wie es in Exilkreisen allgemein hieß. Ein Jahr später kam James P. Hogan mit seinem Film The Strange Death of Adolf Hitler heraus, der in seinem Doppelgänger-Motiv auf Chaplins Great Dictator zurückgriff und in dem Ludwig Donath und Fritz Kortner zwei der wichtigsten Rollen spielten. Auch in anderen Anti-Nazi-Filmen wie The Hitler Gang, Enemy of Women, Women in Bondage, To Be or Not to Be, Hitler’s Madman und The Man Hunt, die zwischen 1941 und 1943 in Hollywood gedreht wurden, wirkten als Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler unter anderem Exilanten wie Hermann Millakowsky, Peter Pohlenz, Hermann Rauschning, Douglas Sirk und Alfred Zeisler mit. Dabei wurden die Nazifaschisten – im Gegensatz zu den hochmoralischen USFilm  281

Amerikanern – in der Tradition älterer Horror- oder Wildwestfilme meist als schießwütige Gangster, satanische Atheisten oder kaltblütige Frauenjäger hingestellt. Obwohl Präsident Franklin D. Roosevelt und das Office of War Information die Filmindustrie mehrfach zu überreden versuchten, bessere und vor allem realistischere Anti-Nazi-Filme zu produzieren, hatten die großen Filmstudios auch bei solchen Filmen vor allem ihr Profitstreben im Auge und griffen daher immer wieder auf die bewährten Klischees melodramatischer Gegenüberstellungen von Schurken und Edelmenschen zurück, mit denen sie bei den sogenannten breiten Massen die größten Erfolge zu erzielen hofften. Doch mehr war selbst zu diesem Zeitpunkt in der US-amerikanischen Filmindustrie kaum zu erreichen. Kurzum: Filmexilanten gab es in Los Angeles viele, aber was sie im Auftrag der großen Studios drehten, waren selbst in der Folgezeit fast ausschließlich profitversprechende Unterhaltungsfilme, das heißt Horror-, Kostüm-, Science Fiction- und Komödienfilme, aber kaum spezifische Exilfilme, in denen sie – wie in vielen Werken der Exilliteratur dieser Jahre – auch ihre eigene Situation, ihre Kultur oder ihre antifaschistische Gesinnung demonstrieren konnten. Malerei, Graphik und Fotomontage

Im Vergleich zu den Schriftstellern, Filmleuten, Komponisten und Musikern war der Anteil der bildenden Künstler, die nach 1933 ins Exil auswichen, wesentlich geringer. Das wirkt auf den ersten Blick etwas verwunderlich. Schließlich haben führende Nazifaschisten gerade auf diesem Gebiet das ihnen Mißliebige besonders scharf aufs Korn genommen, was 1937 folgerichtig zu der berüchtigten Münchner Diffamierungsausstellung „Entartete Kunst“ führte. Ja, schon im Frühjahr 1933 wurden eine Reihe bekannter deutscher Maler, wie Otto Dix und Max Beckmann, von den NS-Behörden aus ihren Lehrämtern entfernt und erhielten danach Ausstellungsverbot. Selbst einige „völkisch“ Gesinnte wie Emil Nolde, der bereits früh Mitglied der NSDAP geworden war, fanden keine Gunst in den Augen der neuen Machthaber. Dennoch blieb die überwiegende Mehrheit der deutschen Maler nach 1933 im Dritten Reich und ging nicht ins Ausland. Dafür lassen sich man282  Exil

cherlei Gründe anführen. Zum einen hängt das mit ihren künstlerischen Produktionsbedingungen zusammen. Schließlich waren diese Gruppen viel weniger als andere Künstler auf öffentliche Institutionen, das heißt Verlage, Filmkonzerne oder Orchester, angewiesen, die zwar selbst im Dritten Reich zum Teil privatwirtschaftlich weitergeführt wurden, aber doch den Zensureingriffen einer relativ strengen staatlichen Kontrolle unterlagen. Sogar von den Nazifaschisten verfemte Maler konnten daher – wenn sie bereits bekannt waren – auch ohne staatlich organisierte Ausstellungen oder irgendwelche Galeriekontakte ihre Bilder weiterhin privat an betuchte Sammler verkaufen und somit selbst unterm Hakenkreuz ein relativ unbehelligtes Leben führen. Zum anderen hatte es unter den bildenden Künstlern des Zweiten Kaiserreichs und der Weimarer Republik zahlenmäßig wesentlich weniger Linke oder Juden als unter den in den literarischen und musikalischen Bereichen tätigen Kulturschaffenden gegeben. Während es also im Hinblick auf die Schriftsteller, Filmschaffenden, Komponisten oder Musiker vor allem die Linken und die Juden waren, welche von den NS-Behörden ab 1933 aus dem deutschen Kulturleben „ausgesäubert“ wurden, mußten die gleichen Behörden unter den Malern, bei denen diese beiden Gruppen in der Zeit vor 1933 nur eine marginale Rolle gespielt hatten, eine andere Sorte von „Sündenböcken“ aufstöbern, an denen sie ihr nordisch-erhitztes Mütchen kühlen konnten. Und das waren – nach einigen internen Zwistigkeiten auf der höchsten Parteiebene – vor allem die angeblich „rassisch entarteten Modernisten“, deren Werken eine Tendenz ins Niedriggesinnte, Formlose, Obszöne, wenn nicht gar Hurenhafte zugrunde gelegen habe. Den meisten dieser Maler sei es nur darum gegangen, die Nerven der auf artistische „Sensatiönchen“ erpichten großstädtischen Oberklasse zu kitzeln, statt von einem „gesunden Volksempfinden“ auszugehen, wie es in vielen NS-Programmschriften hieß. Die Hauptwut der nazifastischen Kunstkritiker richtete sich daher gegen Kunstströmungen wie den Expressionismus, Kubismus und Dadaismus, die sie als Manifestationen jenes Internationalismus der Weimarer Republik attackierten, der versucht habe, alles zutiefst „Deutschgläubige“ innerhalb der Kunst mit pseudorevolutionären Mitteln ins Formlose zu entstellen oder gar in den Dreck zu ziehen. Was die NS-Theoretiker dagegen befürworteten, war eine deutschbetonte Malerei, die sich im Rückgriff auf die edelsten TraditioMalerei, Graphik und Fotomontage  283

48 Gerd Arntz: Der Gegensatz Deutschland-Rußland (1935).

49 Hanns Kralik: Zwangs­ arbeit im Konzentrationslager Börgermoor (1935).

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nen innerhalb der älteren Kunst wieder um Darstellungen jener „idealisierten Realität“ bemühen würde, als deren ersten, bis heute vorbildlichen Künstler sie vor allem Albrecht Dürer hinstellten, dessen Radierung Ritter zwischen Tod und Teufel nach wie vor ein Vorbild für jeden „heroisch“ gesinnten Deutschen sei. Die letzten bedeutenden Vertreter dieser Art von Kunst sahen sie dagegen in Wilhelm Leibl und Hans Thoma, Münchner Genremalern wie Eduard Grützner und Franz von Defregger, den Heimatkünstlern um 1900 sowie einigen Malern des rechten Flügels der Neuen Sachlichkeit wie Werner Peiner und Adolf Ziegler. Da die meisten der in Deutschland lebenden Maler seit den späten zwanziger Jahren ohnehin stilistische Darstellungsformen bevorzugt hatten, welche noch immer denen der älteren Heimatkunst oder des gemäßigten Flügels der Neuen Sachlichkeit entsprachen, brauchten sie von Seiten der NS-Behörden wenig zu befürchten, ja wurden von ihnen sogar im Zuge ihrer Kulturpropaganda teilweise tatkräftig unterstützt und mit Aufträgen bedacht. Auch viele der inzwischen älter gewordenen Expressionisten, die wie Erich Heckel, Max Pechstein oder Karl Schmidt-Rottluff ebenfalls schon vor 1933 zu einer eher realistischen Malweise übergegangen waren, blieben relativ unbehelligt. Kaum noch Wirkungsmöglichkeiten hatten dagegen jene Maler, die im Rahmen der Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschlands mit der KPD sympathisiert hatten. Ebenso gefährdet waren die gesellschaftskritischen Veristen, die jüdischen Künstler sowie all jene, welche sich im Sinne der Bauhaus-Tendenzen für Gestaltungsformen einer gegenstandslosen Malerei entschieden hatten. Das sieht auf den ersten Blick so aus, als habe es sich dabei um mehrere bedeutsame Gruppen gehandelt. Doch ein solcher Blick trügt. In Wirklichkeit handelte es sich hierbei nur um ein paar versprengte Einzelne, von denen nicht einmal alle ins Exil auswichen. So blieben selbst die meisten der vor 1933 der KPD angehörenden oder mit ihren Zielen übereinstimmenden Maler und Graphiker wie Otto Griebel, Hans Grundig, Otto Nagel und Oskar Nerlinger – trotz mehrfacher Verhöre, Verhaftungen und Einkerkerungen – weiterhin in Deutschland. Und sogar die wegen ihrer pazifistischen und prosozialistischen Werke auch außerhalb der Weimarer Republik bekannt gewordene Graphikerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz ging nicht ins Exil. Die während der Zeit des Dritten Reichs entstandenen antifaschistiMalerei, Graphik und Fotomontage  285

50 John Heartfield: Werkzeug in Gottes Hand? Spielzeug in Thyssens Hand. Fotomontage für die Arbeiter-Illustrierte Zeitung aller Länder (1933).

schen Werke dieser Künstler konnten allerdings erst nach 1945 ausgestellt werden und blieben bis dahin innerhalb Deutschlands so gut wie unbekannt. Außerhalb Deutschlands versuchten lediglich linksorientierte Maler und Graphiker, wie Gerd Arntz, Hanns Kralik, Max Lingner, Karl Schwesig und Johannes Wüsten, und zwar vor allem im Prager Oskar 286  Exil

Kokoschka-Kreis oder in der Pariser Union des Artists Libres, für ähnliche Zielsetzungen aktiv zu werden. In anderen Ländern stießen sie dagegen mehrheitlich auf erhebliche Schwierigkeiten. So wurde ihnen zwar 1936 erlaubt, sich in Amsterdam an der gegen die in Berlin stattfindenden Olympischen Spiele gerichteten Ausstellung „De Olympiade Onder Dictatuur“ zu beteiligen. Allerdings wurden dort – wegen der Proteste der deutschen Botschaft in Den Haag, der kritischen Äußerungen holländischer Nationalsozialisten sowie der eingeschüchterten Haltung der niederländischen Behörden – mehrere ihrer Werke, auf denen bewußt provozierende Szenen von NS-Folterkammern und Konzentrationslagern sowie prosowjetische Motive zu sehen waren, schon nach wenigen Tagen wieder „ausgesäubert“, während surrealistische oder gegenstandslose Bilder, wie die von Max Ernst, Otto Freundlich und Heinz Lohmar, auf Seiten der dafür verantwortlichen Ausstellungsleitung als „wahre Kunstwerke“ bezeichnenderweise keinen Anstoß erregten. Eine bedeutsame internationale Wirkung unter den kommunistisch orientierten bildenden Künstlern im Exil konnte letztlich nur der inzwischen weltberühmt gewordene Fotomonteur John Heartfield zwischen 1933 und 1938 mit seinen Hitler-Satiren für die Arbeiter-Illustrierte Zeitung aller Länder in Prag entfalten, auf denen er den Nazifaschismus zuerst unter sozialkritischer Perspektive als ein Marionettenregime in den Händen deutscher Industriebarone wie Fritz Thyssen und dann als ein brutales, in die Weltpolitik eingreifendes Gewaltregime zu entlarven versuchte. Nach seiner Flucht aus Prag im Jahr 1938 konnte er sich dagegen anschließend in England wegen mangelnder finanzieller Unterstützung und auch einer Reihe politischer Restriktionen fast nur als Buchgestalter betätigen. Sogar viele der linksorientierten Veristen unter den Malern und Graphikern, darunter Otto Dix und Rudolf Schlichter, blieben weitgehend in Deutschland, gingen jedoch nach 1933 zu einer Malweise über, welche kaum noch kritische Züge aufwies. Dennoch sahen sie sich – wegen der von den Nazifaschisten gegen sie verhängten Ausstellungsverbote – gezwungen, ihre Bilder von nun an lediglich an private Sammler zu verkaufen. Zu den großen Ausnahmen innerhalb dieser Gruppe gehörten vor allem George Grosz und Max Beckmann. Grosz ging schon kurz vor dem Machtantritt Hitlers in die USA, wo er in New York eine Lehrstelle übernahm, sich aber aufgrund seines tiefgehenden Pessimismus weitgehend aus der Politik zurückzog, zumal er erleben mußte, daß sich 1936 Malerei, Graphik und Fotomontage  287

von seiner antifaschistischen Mappe Interregnum in den Vereinigten Staaten, obwohl der weithin bekannte Antikriegsromancier John Dos Passos das Vorwort dazu schrieb, nur zehn Exemplare absetzen ließen. Beckmann, der wegen seiner kraß „realistischen“ Bilder im März 1933 seine Professur an der Frankfurter Städelschule verlor, danach noch bis 1937 in Deutschland vom privaten Verkauf seiner Bilder lebte, ging erst – nachdem acht seiner Gemälde auf der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ als „undeutsch“ angeprangert wurden – 1938 ins Exil, und zwar anfangs nach Paris, dann nach Holland und schließlich 1947 in die Vereinigten Staaten. Allerdings bezog er dabei keine antifaschistische Haltung, sondern blieb weiterhin bei seiner Überzeugung, daß alle Formen einer „kollektiven“ Gesinnung, ob nun linke, rechte oder auch nur spießbürgerliche, der Kunst lediglich abträglich seien und sich jeder Maler in erster Linie um die psychische Ergründung des „Individuellen“ bemühen solle. Eine ähnliche Haltung nahmen selbst die wenigen Juden unter den deutschen Malern nach 1933 ein. Max Liebermann, der sofort nach der Machtübergabe an Hitler aus Protest gegen den brauen Ungeist aus der Preußischen Akademie der Künste ausgetreten war, starb bereits im Februar 1935 in Berlin, nachdem er vorher noch einigen jüngeren Juden geraten hatte, lieber nach Palästina auszuwandern als in Deutschland zu bleiben. Ludwig Meidner, der wie so viele ehemalige Expressionisten seine ehemals revolutionär-aufwühlende Malweise im Laufe der zwanziger Jahre allmählich aufgegeben hatte, verließ Berlin 1935, gab daraufhin noch eine Weile an einer jüdischen Schule in Köln Zeichenunterricht, bis er sich 1939 entschloß, nach England zu emigrieren. Einen Sonderfall innerhalb dieser Gruppe bildet lediglich der wesentlich jüngere Felix Nußbaum, der in den späten zwanziger Jahren zu jenem Flügel der Neuen Sachlichkeit gehört hatte, für den sich damals die Bezeichnung „Magischer Realismus“ einbürgerte. Er verließ Deutschland bereits 1933 und ging erst nach Frankreich und dann nach Belgien. Nachdem er 1940 eine Weile in Gurs interniert wurde, lebte er versteckt in Brüssel, bis er im Sommer 1944 erneut verhaftet und kurz darauf nach Auschwitz abtransportiert wurde. Während er vor 1938 weitgehend Porträts und magisch verfremdete Genreszenen gemalt hatte, entschloß er sich danach, vornehmlich Bilder der Einsamkeit, der Trauer und des Schreckens zu malen, bei denen er ab 1943 auch antifaschistisch gemeinte Embleme – wie den 288  Exil

51 Felix Nußbaum: Selbstbildnis mit Judenstern und Identifikationskarte (1943) © VG-Bild-Kunst, Bonn 2010.

ihn als politischen Outcast diffamierenden gelben Davidstern und die jüdische Identifikationskarte – aufgriff. Der noch jüngere Peter Weiss, der um 1937 / 38 im Prager Exil Bilder zu malen begann, die ebenfalls dem Stil des Magischen Realismus der späten zwanziger Jahre verpflichtet waren, verzichtete dagegen auf solche ins Antifaschistische übergehende Attribute und bevorzugte zwar ebenfalls Motive der Einsamkeit, jedoch ohne ihnen eine klar dargestellte politische Tendenz unterzulegen. Malerei, Graphik und Fotomontage  289

Etwas größer war dagegen jene Gruppe von Malern, die trotz des weitverbreiteten Einbruchs der Neuen Sachlichkeit bis 1933 an einer abstrakten, konstruktivistischen oder gegenstandslosen Malerei festgehalten hatte. Zu ihr gehörten vor allem inzwischen berühmt gewordene Bauhauskünstler wie Wassily Kandinsky, Paul Klee und Lyonel Feininger, welche unter den strikt „modernistisch“ eingestellten Kunstkritikern bis 1933 als die konsequentesten Vertreter des sogenannten malerischen Avantgardismus galten. Kandinsky wich zu Beginn des Dritten Reichs nach Frankreich aus, während Klee wieder in die Schweiz und Feininger wieder in die USA zurückging, von woher die beiden Letzteren ursprünglich nach Deutschland gekommen waren. Alle drei blieben auch im Exil bzw. ihren früheren Heimatländern Vertreter einer internationalen „Moderne“, anstatt sich als Vertreter einer spezifisch deutschen Kultur auszugeben. Und auch antifaschistische Tendenzen lagen ihnen weitgehend fern. Das Gleiche gilt für den Ungarn Lázló Moholy-Nagy, der vor 1933 am Bauhaus als sogenannter Konstruktivist im Bereich des Fotografischen, Typographischen und der Bühnengestaltung gearbeitet hatte. Er emigrierte 1935 nach England und dann 1937 in die Vereinigten Staaten, wo er kurz darauf zum Mitbegründer des New Bauhaus in Chicago wurde. Doch ein wirkliches Aufsehen innerhalb dieser Gruppe erregten nur Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, die beiden wichtigsten Architekten innerhalb des Bauhauses, die 1937 ebenfalls als Vertreter des von ihnen mitangeregten internationalen neuen Baustils in die USA gingen und dort ein reiches Betätigungsfeld vorfanden. Inwieweit sie sich dabei noch als Exilanten empfanden, sei dahingestellt. Hier beginnen die Grenzen zwischen deutscher und internationaler Kultur bereits deutlich zu verschwimmen, so daß man – im Hinblick auf ihre künstlerischen Aktivitäten – kaum noch von einem Zustand des Vertriebenseins sprechen kann. Musik

Neben den Schriftstellern und Filmschaffenden waren die Komponisten, Dirigenten und praktizierenden Musiker wohl die drittgrößte Gruppe der aus dem Dritten Reich vertriebenen Künstler. Im Gegensatz zu vielen Autoren und Schauspielern, die sich wegen ihrer Deutschspra290  Exil

chigkeit im Ausland häufig unüberwindbaren Barrieren gegenüber sahen, hatte es diese Gruppe unter den Exilkünstlern – aufgrund der Internationalität der musikalischen Ausdrucksmittel – etwas einfacher, in fremden Ländern neue Wirkungsmöglichkeiten zu finden. Allerdings gilt das nicht für alle der aus Deutschland und Österreich geflohenen Komponisten und Dirigenten. Schließlich vertraten sie – bei genauerem Zusehen – höchst verschiedene künstlerische Auffassungsweisen, die nicht in allen Exilländern gleichermaßen geschätzt wurden. Noch am ehesten gelang es denjenigen unter ihnen, eine neue Wirkungsstätte zu finden, die auch im Exil als Vertreter jener klassisch-romantischen deutschen Musiktradition auftraten, welche sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in vielen europäischen Ländern und später auch in den USA einer besonders großen Hochachtung erfreute. Zu dieser Gruppe gehörte beispielsweise ein „jüdischbürtiger“ Dirigent wie Bruno Walter, der sich gern damit brüstete, im Gegensatz zu Wilhelm Furtwängler noch nie ein nichtdeutsches Werk dirigiert zu haben. Doch selbst ein Komponist der sogenannten Halbmoderne wie Paul Hindemith konnte in den dreißiger Jahren seine Werke in mehreren Exilländern aufführen und sogar in den Vereinigten Staaten an der Yale University eine hochgeachtete Kompositionsprofessur erhalten. Noch erfolgreicher waren einige Komponisten, die im US-amerikanischen Exil dazu übergingen, wie Erich Wolfgang Korngold, Miklos Rósza, Hans Julius Salter und Ernst Toch in Hollywood Filmmusiken zu schreiben oder wie Kurt Weill die New Yorker Broadway-Bühnen mit Musicals zu beliefern. Dagegen stießen zwei andere, wesentlich kleinere Gruppen fast überall auf Ablehnung. Und das waren einerseits hartnäckige Modernisten wie Arnold Schönberg und Ernst Křenek, andererseits Linke wie Hanns Eisler, Paul Dessau und Stefan Wolpe. Doch nicht nur die künstlerische und ideologische Aufspaltung in verschiedene Gruppen gilt es bei der Behandlung der aus Deutschland vertriebenen Komponisten und Dirigenten im Auge zu behalten, sondern auch die Rezeptionsbereitschaft der jeweils gewählten Länder den von ihnen im Exil komponierten und gespielten Werken gegenüber. Im Bereich der klassisch-romantischen Musik waren sie, wie gesagt, fast überall willkommen. Und das kam vor allem den vielen deutsch-jüdischen Dirigenten zugute, die auch im Ausland fortfuhren, hauptsächlich Werke der allerseits anerkannten deutschen Musiktradition einzustudieMusik  291

ren. Im Gegensatz zu ihnen ging von den angesehenen nichtjüdischen Dirigenten und Komponisten innerhalb der klassisch-romantischen Musiktradition fast niemand ins Exil, ja wurde von den Nazifaschisten größtenteils mit hohen Ehren bedacht. Unter den Dirigenten gehörten dazu Karl Böhm, Karl Elmendorff, Wilhelm Furtwängler, Eugen Jochum, Herbert von Karajan, Hans Knappertsbusch, Clemens Krauß und Hans Schmidt-Isserstedt sowie unter den Komponisten vor allem Hans Pfitzner und Richard Strauss. Selbst ein ehemaliger Expressionist und Sachlizist wie Paul Hindemith blieb nach dem Machtantritt Hitlers noch mehrere Jahre in Deutschland, da er weiterhin hoffte, von den neuen Herren doch noch anerkannt zu werden, bis er 1938 einsah, daß es in Deutschland keine weiteren Wirkungsmöglichkeiten mehr für ihn gab und er sich entschloß, auf dem Weg über die Schweiz in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Die Entscheidung, sich um ein Unterkommen in den USA zu bemühen, fällten auch andere aus Deutschland vertriebene Komponisten, Dirigenten und Solisten erst relativ spät. Kurz nach 1933 versuchten sie erst einmal, sich in den an das Dritte Reich angrenzenden Ländern nach neuen Stellen umzusehen. Als ein solches Land bot sich anfangs vor allem Österreich an, das seit altersher – als die Heimstätte von Franz Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Johannes Brahms, Anton Bruckner, Hugo Wolf und Gustav Mahler – als ein weithin bewundertes Musikland galt. Die ersten, die nach dorthin auswichen, waren ursprünglich aus Österreich stammende Operettenkomponisten wie Paul Abraham und Robert Stolz, die während der zwanziger Jahre nach Berlin übergesiedelt waren und jetzt wieder in Wien Fuß zu fassen versuchten, sich aber schon 1938, nach dem sogenannten Anschluß, als Juden gezwungen sahen, ebenfalls in die USA zu flüchten. Während sie zwischen 1933 und 1938 noch relativ ungestört in Wien weiterwirken konnten, hatte der aus Berlin zurückgekehrte und mit dem Schönberg-Kreis sympathisierende Alexander von Zemlinsky bereits vor 1938 in Österreich einen relativ schweren Stand und wich demzufolge ebenfalls in die Vereinigten Staaten aus. Den gleichen Weg ging Ernst Křenek, der seit 1928 in Wien lebte und sich nach seiner leicht verjazzten Zeitoper Jonny spielt auf (1927) der Schönbergschen Kompositionsweise angenähert hatte. Die Uraufführung seiner in strikter Zwölftontechnik komponierten und daher innerhalb der antise292  Exil

mitisch eingestellten österreichischen Musikliebhaber als „jüdisch“ geltenden Oper Karl V. wurde schon 1934 auf Betreiben der Heimwehr und der Vaterländischen Front, welche der in Deutschland herrschenden nazifaschistischen Ideologie am nächsten standen, hintertrieben. Und so entschied sich auch Křenek, obwohl er weder Kommunist noch Jude war, 1938 für eine Auswanderung in die USA. Nicht viel anders war die Situation – trotz der vielfältigen Bemühungen eines antifaschistisch eingestellten Exildirigenten wie Hermann Scherchen – in der Schweiz, deren musikinteressierte Meinungsträgerschichten sich ebenfalls aus kulturkonservativen Gründen gegen jede Art einer linksavangardistischen Musik oder eines Modernismus à la Arnold Schönberg abzuriegeln versuchten. Und auch in den Niederlanden herrschten ähnliche Verhältnisse. Wie in der Schweiz war hier alles Klassisch-Romantische innerhalb der deutschen Musiktradition seit altersher willkommen. So konnte Georg Szell von 1937 bis 1939 das Residentie-Orchester in Den Haag und Erich Kleiber, der 1935 wegen des Verbots eines Alban Berg-Werks sein Amt als Operndirektor in Berlin niedergelegt hatte, von 1933 bis 1938 die Wagner-Vereniging in Amsterdam leiten. Auch das Busch-Quartett und der Pianist Rudolf Serkin, die ebenfalls nach 1933 in Deutschland nicht mehr auftreten konnten, gaben in diesem Land nach 1933 mehrfach Konzerte mit deutsch-klassischer Musik. Modernistische oder gar gegen den Nazifaschismus gerichtete linke Werke hatten dagegen sogar in Holland kaum eine Chance, aufgeführt zu werden. Nicht ganz so restriktiv war die Situation in Großbritannien. Auch hier besaß die deutsch-klassische und deutsch-romantische Musik seit langem ein hohes Ansehen. Die englischen Behörden zögerten daher keineswegs, 1937 selbst den von den Nazifaschisten hofierten Wilhelm Furtwängler einzuladen, anläßlich der Krönungsfeierlichkeiten für Georg VI. in der Covent Garden Opera Richard Wagners Ring des Nibelungen einzustudieren. Und auch die von Furtwängler dirigierten Bach-, Beethoven- und Brahms-Konzerte erhielten in London begeisterte Kritiken. Denselben Beifall spendete die Londoner Times, als Richard Strauss 1936 mit dem Dresdner Symphonieorchester in der Londoner Queen’s Hall ein Gastkonzert gab. Doch auch manche „Hitler-Flüchtlinge“ erfreuten sich unter den Londoner Musikkennern einer großen Hochschätzung. Dafür spricht etwa die Beliebtheit der 1934 von deutMusik  293

schen Exilanten wie Carl Ebert als Regisseur, Fritz Busch als Dirigenten und Rudolf Bing als General Manager gegründeten Opernfestspiele in Glyndebourne. Auch bei der British Broadcast Company fanden eine Reihe deutscher Exilkomponisten, -musiker, -sänger und -dirigenten ein vielbeneidetes Unterkommen. Wer dort nicht beschäftigt wurde, konnte wenigstens in den 40 Konzerten auftreten, die der Freie Deutsche Kulturbund ab 1939 veranstaltete. Selbst einige „modernistisch“ klingende Werke von Arnold Schönberg, Alban Berg und Ernst Křenek wurden in London mit Unterstützung Benjamin Brittens gespielt. Die Linken hatten es hingegen, wie in allen Ländern, in denen eine Appeasementpolitik dem Dritten Reich gegenüber herrschte, auch in England wesentlich schwerer, sich Gehör zu verschaffen. Daher entschieden sich mit dem Kommunismus sympathisierende Komponisten und Dirigenten wie Georg Knepler und Ernst Hermann Meyer, die vorher Arbeiterchöre dirigiert hatten, sich aus der aktiven Musikpraxis in den Bereich der Musikwissenschaft zurückzuziehen. Noch bessere Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten bot die Stadt Prag den deutschen Exilmusikern. Neben dem bereits bestehenden Orchester am Neuen Deutschen Theater war es ihnen hier möglich, nach 1933 zwei weitere Symphonieorchester zu gründen, nämlich sowohl die Prager Philharmonie als auch die Prager Symphoniker, die sich nicht nur der klassisch-romantischen Musik, sondern auch der avantgardistischen und halbmodernen Musik annahmen und keineswegs zögerten, als Gastdirigenten den aus Deutschland verbannten linksorientierten Hermann Scherchen einzuladen. Ja, Leo Kestenberg, der ehemals höchst einflußreiche Musikreferent im Preußischen Kulturministerium, der 1925 Arnold Schönberg als Kompositionslehrer an die Preußische Akademie der Künste berufen hatte, konnte hier sogar seine in Berlin begonnene Reform des Musikunterrichts in den Schulen fortsetzen, bevor er 1939 nach Palästina fliehen mußte. Weniger gern gesehen waren dagegen die deutschen Musiker in Frankreich, wo sie als Dirigenten oder Orchestermitglieder kaum Anstellungen erhielten. Noch geringer waren ihre Chancen, wenn sie sich als Komponisten durchsetzen wollten. Selbst die „eingängige“ Musik Kurt Weills fand hier wenig Anklang. Als daher Weill 1934 in Paris seine auf Brecht-Texten beruhenden Sieben Todsünden aufführte, soll der französische Komponist Florent Schmitt im Zuschauerraum laut 294  Exil

„Vive Hitler!“ gerufen haben, während ein Beethoven-Konzert mit Wilhelm Furtwängler und den Berliner Philharmonikern im gleichen Jahr vom Pariser Publikum begeistert aufgenommen wurde. Besonders scharf wehrten sich die rechtskonservativen Kreise in diesem Lande, irgendwelche musikalischen Werke in den Dienst antifaschistischer Tendenzen zu stellen. Das mußte unter anderem Hanns Eisler erleben, der 1936 – anläßlich eines Treffens der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik – zwei Sätze seiner Konzentrationslagersymphonie, denen Texte von Ignazio Silone und Bertolt Brecht zugrunde lagen, bei dem betreffenden Gremium einreichte, das über die Auswahl der aufzuführenden Werke zu befinden hatte. Wegen ihrer hohen kompositorischen Qualität erhielten diese zwei Sätze sogar den Ersten Preis und sollten in Paris einstudiert werden. Doch wenige Wochen vor der Premiere besannen sich die Herren von der Jury eines Schlechteren. Da sie einen Einspruch der deutschen Botschaft befürchteten, schlugen sie Eisler vor, „die Stimmen mit den Anstoß erregenden antifaschistischen Liedtexten durch Saxophone zu ersetzen“. Da dieses Ansinnen Eisler unzumutbar erschien, zog er seine Partituren wieder zurück. Demzufolge blieb seine Deutsche Symphonie, wie er dieses Werk später nannte, im Exil unaufgeführt. Und dabei hatte er gedacht, daß es in seiner Mischung von Schönbergscher Zwölftontechnik und antifaschistischen Texten, von Bachschem Kantatenstil und Anklängen an die Internationale genau in jenes Volksfrontkonzept hineinpassen würde, das zu diesem Zeitpunkt – jedenfalls im linken und linksliberalen, ja sogar im bürgerlich-humanistischen Lager – durchaus auf der politischen Tagesordnung stand. Ein ähnliches Schicksal hatten seine Kantate gegen den Krieg, seine Zuchthauskantate, seine Kantate auf den Tod eines Genossen und seine Kantate im Exil, die sich auch in anderen Ländern kaum oder nicht aufführen ließen. Nicht einmal die Sowjetunion nahm sich solcher Werke an. Während dort bedeutende deutsche Exildirigenten, wie Kurt Adler, Leo Blech, Kurt Sanderling, Fritz Stiedry und Heinz Unger, wegen ihrer Vertrautheit mit der deutsch-klassischen Musiktradition durchaus mit offenen Armen aufgenommen wurden, stießen selbst in der UdSSR Komponisten links­ avantgardistischer Musik, für deren Werke sich im Laufe der dreißiger Jahre die Diffamierungsvokabel „formalistisch“ einstellte, zusehends auf Widerstände. Und so sah sich schließlich sogar Hanns Eisler genötigt, in die USA auszuwandern. Musik  295

In den Vereinigten Staaten war man sich seines Lebens zwar sicher, was zu diesem Zeitpunkt die Hauptsorge vieler Exilanten war, sah sich jedoch schnell vielen geahnten oder auch ungeahnten Schwierigkeiten gegenüber, im Bereich der gehobenen Musik irgendwo unterzukommen. Auch hier hatten es wiederum die Dirigenten und Solisten am leichtesten, eine neue Anstellung zu finden, sofern sie sich auf die Aufführung jener klassisch-romantischen Werke beschränkten, welche die altgewohnten „War horses“ der größeren Symphonieorchester in New York, Boston, Chicago, Cleveland, Pittsburgh, Los Angeles und anderer USamerikanischer Großstädte waren, wo Exildirigenten wie Jascha Horenstein, Otto Klemperer, Erich Leinsdorf, Wilhelm Steinberg, Georg Szell und Bruno Walter relativ schnell leitende Stellungen einnehmen konnten. Selbst „halbmodernen“ Komponisten wurden von US-amerikanischen Universitäten oder Colleges einträgliche „Jobs“ angeboten. Wesentlich schwieriger hatten es dagegen auch in diesem Lande jene Komponisten, denen der Ruf des Linken oder Avantgardistischen vorausging. „Linkes“ war in den USA in der sogenannten E-Musik ohnehin verpönt. Daher mußte sich Hanns Eisler, der vor 1933 der Hauptvertreter der Roten Kampfmusik in der Weimarer Republik gewesen war und sich Mitte der dreißiger Jahre der kompromißbereiten Volksfrontstrategie gegen den deutschen Faschismus angepaßt hatte, nach seiner Ankunft in den USA als Komponist noch einmal umstellen, indem er für die Filmkonzerne in Hollywood die dort gewünschte Gebrauchsmusik komponierte. Als „Alien resident“ waren ihm hier – unter den wachsamen Augen des FBI – irgendwelche politischen Aktivitäten ohnehin von vornherein untersagt. Und auch seiner älteren Neigung für Kompositionen im Stile der Schönbergschen Zwölftontechnik konnte er in diesem Lande, wo die sogenannte Neue Musik noch fast unbekannt war, nur privat frönen. Dafür spricht sein Septett Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben, das er anläßlich des siebzigsten Geburtstags seines früheren Lehrers Schönberg in strikter Reihentechnik komponierte und das am 13. September 1944 in dessen Haus in Los Angeles uraufgeführt wurde. Doch ansonsten mußte er vornehmlich für die Konzernherren der Filmindustrie „auf den Strich gehen“, wie sich Bertolt Brecht in seinen Hollywood-Elegien ausdrückte. Nicht viel anders erging es Ernst Křenek und Stefan Wolpe in den Vereinigten Staaten, die wegen ihrer „modernistischen“ Kompositionen 296  Exil

52 Arnold Schönberg im Exil (um 1935).

überall auf Unverständnis stießen. Křenek mußte sogar seine Lehrstellen am Vassar College und an der Hamline University aufgeben, und zwar vor allem darum, weil er sich allzu eifrig für die Schönbergsche Zwölftontechnik einzusetzen versuchte. Ähnlichen Schwierigkeiten begegnete ein linker Modernist wie Stefan Wolpe, der als ehemaliger Schüler von Anton Webern – nach einem Zwischenaufenthalt in Palästina – in den USA, wo seit den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren im Bereich der anspruchsvollen Musik lediglich Abstecher ins Verjazzte à la George Gershwins An American in Paris (1928) oder ins Folkloristische à la Aaron Coplands El Salon Mexico (1934) beliebt waren, ebenfalls als skurriler Außenseiter galt. Doch der eklatanteste Fall in dieser Hinsicht war und blieb Arnold Schönberg, der bereits 1934 in die USA gekommen war und danach für kurze Zeit am Malkin Conservatory in Boston unterrichtet hatte, bevor er 1936 vorübergehend Lehraufträge an der University of California in Los Angeles sowie der University of Southern California annahm. Selbst er, dessen Musik in Europa als das Non plus ultra aller modernistischen Musik  297

Kompositionsbemühungen gegolten hatte, blieb in den USA ein „Nobody“. Der „große Schönberg“, der noch 1931 in Berlin in seinem Aufsatz Nationale Musik die selbstherrliche These aufgestellt hatte, durch die Erfindung seiner Zwölftontechnik der deutschen Musik noch einmal 100 Jahre „Weltgeltung“ erobert zu haben, mußte in Los Angeles erleben, daß die meisten der dortigen Filmkomponisten, von denen er vorher noch nie gehört hatte, ein wesentlich höheres Ansehen besaßen als er und zumeist auf ihn herunterschauten, falls sie ihn überhaupt wahrnahmen. Da fast keine seiner bisherigen Kompositionen irgendwo gespielt wurde, wofür Schönberg voller Ressentiment den angeblichen Antisemitismus der in die Vereinigten Staaten übergesiedelten deutsch-jüdischen Dirigenten verantwortlich machte, zog er sich in eine Haltung des Verkanntseins zurück, die seinen sich ebenso verkannt dünkenden Adepten Theodor W. Adorno veranlaßte, Schönberg in seiner Philosophie der Neuen Musik, die 1947 herauskam, als den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts herauszustreichen, dem selbst Béla Bartók und Igor Strawinsky nicht das Wasser reichen könnten. Es half Schönberg auch nicht, daß er 1942 sowohl eine tonal gehaltene „Gebrauchsmusik“ für Blasorchester als auch eine Ode to Napoleon Buonaparte für Sprecher, Streichquartett und Klavier komponierte, welche in ihrer kryptisch angedeuteten Napoleon-Hitler-Parallele durchaus antifaschistisch gemeint war, die jedoch – wie alle seiner Werke – einen höchst anspruchsvollen Umsetzungsprozeß erforderte, um als solche verstanden zu werden, und daher unbekannt blieb. Seine zionistisch intendierte Oper Moses und Aron ließ Schönberg dagegen unvollendet liegen, da es für ein solches Werk in den USA überhaupt keine Aufführungschancen gab. Stattdessen vollendete er kurz nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs als eins der bedeutendsten musikalischen Exilwerke schlechthin noch sein elfeinhalb Minuten währendes Melodrama A Survivor from Warsaw, das in seiner zugespitzten Form das grausige Schicksal einer nach Auschwitz abtransportierten Gruppe polnischer Juden eindringlicher beschwört, als es eine weit ausgesponnene Oper getan hätte. Danach richtete er seinen Blick einzig und allein auf den Staat Israel, verdammte jeden jüdischen Exilanten, der nach Deutschland zurückkehrte, und starb nach längerer Krankheit 1951 schließlich verbittert in Los Angeles. Doch zu einer so krassen Außenseiterrolle konnten sich nur wenige „Hitler-Flüchtlinge“ unter den deutschen Komponisten in den USA 298  Exil

durchringen. Falls ihnen die Möglichkeit geboten wurde, sich – schon aus Überlebensgründen – in einer der vielen Branchen der kommerziell ausgerichteten Musikindustrie zu verdingen, dann ergriffen sie diese. So zögerte etwa Kurt Weill, dem ohnehin alles Hochgestochene sowie alle Gefühle des Verkanntseins fernlagen, in New York keineswegs, in das Broadway-Geschäft einzusteigen. Dennoch mußte sogar er erleben, daß man hier seine Werke zum Teil als zu „schwierig“ empfand. Was die dortigen Producer von ihm erwarteten, waren „eingängige“, mit anderen Worten: profitträchtig konzipierte Musicals, während er weiterhin auch das Europäisch-Opernhafte im Auge behielt. Mit dem Begriff „Oper“ verbanden jedoch die meisten US-Amerikaner damals noch etwas Bombastisch-Langweiliges, mit dem kein „Fast buck“ zu machen sei. Demzufolge lehnte eine Gruppe potentieller Sponsoren Weills Halboper Down in the Valley 1944 mit der Bemerkung ab: „That they might be accused of submitting an ‚Opera‘ to the public.“ Und auch Lotte Lenya erklärte 1946 im Hinblick auf eine Probeaufführung von Weills Street Scene in Philadelphia: „The word ‚Opera‘ frightened everybody.“ Dabei hatte Weill in den USA wirklich alles getan, den Anschein seiner deutschen Herkunft so weit wie möglich zu vertuschen und sich ins US-Amerikanische zu akkulturieren, das heißt sich mit Musicals wie Knickerbocker Holiday (1938), Lady in the Dark (1940), One Touch of Venus (1943) und Down in the Valley (1945) den musikalischen Gepflogenheiten der New Yorker Broadway-Szene anzupassen. Eine solche Haltung erregte nicht nur den Zorn Bertolt Brechts, der darin einen Verrat Weills an dessen früheren linksliberalen Anschauungen sah, sondern ebensosehr den Unmut Theodor W. Adornos, der gerade im Bereich der Musik zu besonders unerbittlichen Urteilen neigte, das heißt alle Produkte der von ihm aus Ausdruck einer totalen Depravierung hingestellten „Kulturindustrie“ von vornherein als „entfremdet“, „manipulativ“ und damit „totalitaristisch“ empfand und sie deshalb mit den Verdummungsprodukten der nazifaschistischen Propaganda gleichsetzte. Sowohl in seiner Philosophie der Neuen Musik als auch in seiner Dialektik der Aufklärung, die beide kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen, rechnete er daher mit allem ab, was gegen seinen deutsch-elitären „Kultur“-Begriff verstieß, wobei sein Haß auf die Social engineering-Taktiken innerhalb der US-amerikanischen Kulturindustrie oder Unkulturindustrie, wie es treffender heißen müßte, Musik  299

oft Formen annahm, die in ihrer Überspitzung ins Außenseiterische oder Randständige manchmal geradezu absurd wirken. So erklärte er einmal aus Affekt gegen die massenmedialen Beschallungstendenzen, daß man Musik nicht mehr hören, sondern lesen solle. Der Zorn, der solchen Äußerungen zugrunde liegt, läßt sich zwar als Ausdruck einer Exilpsychose oder auch eines „beschädigten Lebens“, wie es Adorno in seiner Aphorismensammlung Minima moralia nannte, durchaus verstehen und hat bis heute – angesichts unserer noch trivialer gewordenen Freizeitindustrie – nichts an kritischer Bißkraft verloren. Was man jedoch dabei vermißt, ist irgendein Gegenbild, das dieser Art von Kritik überhaupt erst einen tieferen Sinn geben würde. Wie bekannt, lehnte Adorno solche Sinngebungen selbst gegen Kriegsende konsequenterweise ab, während andere Mitexilierte zu diesem Zeitpunkt, als das Ende der NS-Diktatur bereits vorauszusehen oder schon eingetreten war, ihren Blick bereits auf jenes Deutschland richteten, dessen Kultur es nach dem Krieg wieder neu aufzurichten galt. Doch zu einer solchen „Vorschein“-Ästhetik brauchte man entweder linke oder wenigstens linksliberale ideologische Leitbilder. Und die lehnte der auf dem Prinzip der Negativität beharrende Musikphilosoph Adorno selbst nach dem 8. Mai 1945 radikal ab, indem er die „Entfremdung“ innerhalb der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der es „nichts Richtiges im Falschen“ gebe, als einen vorerst unabänderlichen „Weltzustand“ hinstellte.

Visionen einer „befreiten“ Kultur im Hinblick auf das nachfaschistische Deutschland Solange sich der Nazifaschismus zwischen 1933 und 1939 innerhalb Deutschlands als die allein dominierende Macht erwies und schließlich in den ersten drei Kriegsjahren an allen Fronten nach Ost, West und Nord siegreich vorzudringen begann, herrschte in den politischen und kulturellen Manifestationen des Exils entweder eine gedrückte „Wartesaal“-Stimmung oder ein auswegsloses Aufbegehren. Erst nach der Schlacht um Stalingrad im Winter von 1942 auf 1943, die eine Wende im Zweiten Weltkrieg zugunsten der Alliierten markierte, gingen vereinzelte Exilanten oder auch Exilantengruppen dazu über, Pläne für 300  Exil

oft Formen annahm, die in ihrer Überspitzung ins Außenseiterische oder Randständige manchmal geradezu absurd wirken. So erklärte er einmal aus Affekt gegen die massenmedialen Beschallungstendenzen, daß man Musik nicht mehr hören, sondern lesen solle. Der Zorn, der solchen Äußerungen zugrunde liegt, läßt sich zwar als Ausdruck einer Exilpsychose oder auch eines „beschädigten Lebens“, wie es Adorno in seiner Aphorismensammlung Minima moralia nannte, durchaus verstehen und hat bis heute – angesichts unserer noch trivialer gewordenen Freizeitindustrie – nichts an kritischer Bißkraft verloren. Was man jedoch dabei vermißt, ist irgendein Gegenbild, das dieser Art von Kritik überhaupt erst einen tieferen Sinn geben würde. Wie bekannt, lehnte Adorno solche Sinngebungen selbst gegen Kriegsende konsequenterweise ab, während andere Mitexilierte zu diesem Zeitpunkt, als das Ende der NS-Diktatur bereits vorauszusehen oder schon eingetreten war, ihren Blick bereits auf jenes Deutschland richteten, dessen Kultur es nach dem Krieg wieder neu aufzurichten galt. Doch zu einer solchen „Vorschein“-Ästhetik brauchte man entweder linke oder wenigstens linksliberale ideologische Leitbilder. Und die lehnte der auf dem Prinzip der Negativität beharrende Musikphilosoph Adorno selbst nach dem 8. Mai 1945 radikal ab, indem er die „Entfremdung“ innerhalb der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der es „nichts Richtiges im Falschen“ gebe, als einen vorerst unabänderlichen „Weltzustand“ hinstellte.

Visionen einer „befreiten“ Kultur im Hinblick auf das nachfaschistische Deutschland Solange sich der Nazifaschismus zwischen 1933 und 1939 innerhalb Deutschlands als die allein dominierende Macht erwies und schließlich in den ersten drei Kriegsjahren an allen Fronten nach Ost, West und Nord siegreich vorzudringen begann, herrschte in den politischen und kulturellen Manifestationen des Exils entweder eine gedrückte „Wartesaal“-Stimmung oder ein auswegsloses Aufbegehren. Erst nach der Schlacht um Stalingrad im Winter von 1942 auf 1943, die eine Wende im Zweiten Weltkrieg zugunsten der Alliierten markierte, gingen vereinzelte Exilanten oder auch Exilantengruppen dazu über, Pläne für 300  Exil

53 FBI-File für Heinrich Mann (1949).

ein befreites Deutschland und eine neue deutsche Kultur ins Auge zu fassen. Während sie bis dahin gefürchtet hatten, daß es zwischen den Westmächten und dem Dritten Reich vielleicht doch noch zu einem kompromißbereiten Friedensschluß kommen könnte, der Hitler die Vorherrschaft in großen Teilen Europas zugesichert hätte, machte die Visionen einer „befreiten“ Kultur  301

Forderung einer bedingungslosen Kapitulation, die Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill am 29. Januar 1943 in Casablanca erhoben, plötzlich den Weg frei, sich Gedanken über die Zukunft Deutschlands nach einem Zusammenbruch des Nazifaschismus zu machen. Allerdings vollzogen sich diese Bemühungen weitgehend im Schatten der USA und der UdSSR, die sich inzwischen als die beiden politischen Großmächte dieser Ära durchgesetzt hatten, und ließen daher für Eigeninitiativen von Seiten der deutschen Exilanten wenig Raum. In den USA teilten eine Reihe der wegen ihrer liberalen Gesinnung oder ihres Judentums Vertriebenen anfänglich Franklin D. Roosevelts, wenn nicht gar Henry Morgenthaus pauschale Verdammung aller im Dritten Reich Verbliebenen und schlossen sich erst gegen Kriegsende der These an, daß man nach der Einstellung der Feindseligkeiten eine faire Unterscheidung zwischen den tatsächlichen NS-Verbrechern und dem zwar verführten, aber zutiefst ehrenhaft gebliebenen deutschen Volk machen müsse. Am nachdrücklichsten setzten sich vor allem die Kommunisten und andere Linke unter den Exilanten für diese Unterscheidung ein, die sich zwar seit dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und dem dadurch ausgelösten Kriegseintritt der USA ebenfalls auf die Seite Roosevelts gestellt hatten, denen jedoch eine Totalverdammung des deutschen Volkes von Anfang an als politisch unklug erschienen war. Sie hielten in den Jahren zwischen 1942 und 1945, obwohl es in dieser Zeit – im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg – nicht zu der von ihnen erhofften Auflehnung oder zumindest Massendesertion der aus dem Proletariat stammenden deutschen Soldaten kam, weiterhin an der These fest, daß sich nach einem Sieg der Alliierten die Mehrheit der Deutschen sicher schnell für die Sache des Friedens, der Demokratie, ja vielleicht sogar des Sozialismus gewinnen ließe und man daher die „breiten Massen“ der deutschen Bevölkerung nicht allzu arg bestrafen oder unterdrücken solle. Doch die deutschen Kommunisten konnten sich in den Vereinigten Staaten mit solchen Vorstellungen bei den verschiedenen ExilantenOrganisationen aus zweierlei Gründen nicht durchsetzen. Erstens wurden sie von den Geheimdiensten des Federal Bureau of Investigation (FBI) ständig überwacht und dadurch zum Teil eingeschüchtert, zweitens machten sich in ihren Reihen sowie in ähnlich gesinnten Organisationen, die eine „positive“ Haltung gegenüber dem deutschen Volk ver302  Exil

traten, auch deutschnationale Tendenzen bemerkbar, deren Reichspatriotismus manchmal eine fatale Nähe zur NS-Ideologie aufwies. Aus diesem Grunde brach das Bündnis zwischen den verschiedenen Vertriebenengruppen, die sich unter Leitung des progressionsbetonten Theologen Paul Tillich im Council for a Democratic Germany zusammengefunden hatten, schon nach kurzer Zeit wieder auseinander. Die bürgerlichen Humanisten verwahrten sich gegen die Beteiligung der Kommunisten an solchen Bestrebungen, während manchen aus Deutschland stammenden Juden dieses Council zu „pangermanisch“ erschien. Nicht viel anders erging es dem auf den Volksfrontvorstellungen der mittdreißiger Jahre gründeten Nationalkomitee Freies Deutschland, das ab Herbst 1943 in den USA aktiv wurde. Auch an ihm beteiligten sich anfangs Politiker, Künstler und Wissenschaftler verschiedenster ideologischer Herkunft. Wie im Council for a Democratic Germany kam es jedoch auch hier schnell zu gravierenden Meinungsverschiedenheiten. So fand zwar am 1. August 1943 in Los Angeles ein Treffen mehrerer Sympathisanten dieses Komitees statt, an dem unter anderem Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Heinrich Mann, Thomas Mann, Ludwig Marcuse, Hans Reichenbach und Berthold Viertel teilnahmen, die sich nach längeren Debatten in einer programmatischen Erklärung darauf einigten, so scharf wie möglich „zwischen dem Hitlerregime und den ihm verbundenen Schichten einerseits und dem deutschen Volk andererseits“ zu unterscheiden und zugleich das deutsche Volk aufzurufen, „seine Bedrücker zu bedingungsloser Kapitulation zu zwingen und eine starke Demokratie in Deutschland zu erkämpfen“. Doch Thomas Mann zog bereits am nächsten Tag seine Unterschrift wieder zurück, da ihm eine solche Erklärung zu „patriotisch“ erschien und man mit ihr der US-amerikanischen Regierung „in den Rücken falle“. Wie Roosevelt und Morgenthau hielt es Thomas Mann zu diesem Zeitpunkt für nicht unbillig, wenn die „Alliierten Deutschland zehn oder zwanzig Jahre züchtigen“ würden. Ja, er fühlte sich in dieser Einsicht mehr als bestätigt, als er im Oktober 1943 bei einem Gespräch in Washington erfuhr, daß die US-amerikanische Regierung solche vorschnellen „Reconstruction“-Pläne keineswegs begünstige und daher auch eine deutsche Exilregierung, als deren Präsidenten manche Exilanten Heinrich Mann vorgesehen hatten, nicht anerkennen würde. Visionen einer „befreiten“ Kultur  303

Nach dem Scheitern all dieser Eingriffspläne, an denen sich nicht nur Kommunisten, sondern auch Sozialdemokraten, Mitglieder der Gruppe Neu Beginnen, Zentrumsleute, bürgerliche Liberale sowie Parteilose beteiligt hatten, sahen sich die Künstler und Philosophen innerhalb dieser Gruppen, denen es nicht nur um die Errichtung einer deutschen demokratischen Republik nach dem Kriege, sondern es auch um die Rolle der Kunst innerhalb einer wahrhaft volksverbundenen Kultur ging, weitgehend auf ihr jeweils eigenes Metier zurückgeworfen und begannen, Visionen einer Mitwirkung künstlerischer und philosophischer Werke bei der Durchsetzung einer demokratisch gerechten Gesellschaftsordnung in einem neu zu bildenden Deutschland zu entwerfen. Während Thomas Mann weiterhin an seinen „Züchtigungs“-Vorstellungen festhielt und eine Rückkehr nach Deutschland von vornherein ausschloß, arbeitete beispielsweise Ernst Bloch schon zu diesem Zeitpunkt an seinem Prinzip Hoffnung, in dem er seinen „romantischen Marxismus“ bereits relativ „konkret“ für ein künftiges Deutschland produktiv zu machen versuchte, wo es zwischen Politik, Philosophie und Kultur zu einer möglichst untrennbaren Synthese kommen müsse. Und auch Bertolt Brecht, der bis dahin allem Utopischen Abgeneigte, machte sich 1944 daran, in seinem Kaukasischen Kreidekreis das Bild einer Gesellschaft zu entwerfen, in der man dem Künstler beim Aufbau einer sozial gerechten Gesellschaft ein wichtiges Mitspracherecht einräumen würde. Er wagte zwar noch nicht, dem Handlungsverlauf dieses Stücks ein „befreites“ Deutschland zugrunde zu legen, sondern wählte dafür ein bereits sozialistisches Land wie Grusinien, sprich: Georgien, wo dem Volksdichter Arkadi Tscheidse bei der Lösung anstehender Konflikte die Aufgabe zufällt, mit seinen politisch „eingreifenden“ Werken zwischen der Partei und dem Volk eine vermittelnde Rolle zu spielen. Während Brecht bis dahin immer noch gehofft hatte, wenigstens einige seiner im Exil geschriebenen Stücke auch auf US-amerikanischen Bühnen unterzubringen, sah er bei diesem Drama bereits voraus, daß es sich – wenn überhaupt – nur auf einer Bühne des „befreiten“ Deutschlands aufführen ließe, wo im Rahmen sozialistischer Verhältnisse auch die „hohe Kultur“ wieder eine wichtige Funktion haben würde. Ähnliche Hoffnungen hegte der 1944 in New York von Wieland Herzfelde gegründete Aurora-Verlag, der nicht nur Ernst Blochs Abriß der Sozialutopien und Bertolt Brechts Szenenfolge Furcht und Elend des 304  Exil

Dritten Reichs auf deutsch herausbrachte, sondern kurz nach Kriegsende auch ein von Heinrich Mann eingeführtes „Lesebuch“ unter dem Titel Morgenröte veröffentlichte, in dem Herzfelde auf 350 Seiten in bunter Reihenfolge neben Texten linksgerichteter Exilautoren auch Texte jener älteren deutschen Schriftsteller abdrucken ließ, die sich zu liberalen, linksliberalen und sozialistischen Vorstellungen bekannt hatten. Im Sinne bester Volksfrontkonzepte sollte damit allen deutschen Lesern im Ausland wie auch innerhalb der vier alliierten Besatzungszonen ein Leitfaden an die Hand gegeben werden, was in Zukunft unter einer wahrhaft deutschen Literatur und Kultur zu verstehen sei. Doch die wichtigsten kulturpolitischen Impulse gingen in diesem Zeitraum nicht von den in den Vereinigten Staaten lebenden Exilanten, sondern von den in die UdSSR geflohenen deutschen Politikern und Schriftstellern aus. In Moskau begann die KPD-Führung bereits Mitte 1943 Pläne zu entwerfen, in welchen Formen sich die Exilanten an dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Neuaufbau Deutschlands nach dem Kriege beteiligen könnten. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Nationalkomitee Freies Deutschland, das am 13. Juli 1943 unter Mitwirkung führender KPD-Funktionäre und Exilschriftsteller wie Johannes R. Becher, Friedrich Wolf und Erich Weinert ins Leben gerufen wurde und vor allem eine ideologische Umerziehung der deutschen Kriegsgefangenen in Angriff nahm. In Anlehnung an Stalins berühmten Ausspruch vom 23. Februar 1942 „Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt bestehen“, mit dem er die Mehrheit der deutschen Bevölkerung von einer kollektiven Schuld an den Naziverbrechen freisprach, verbreitete sich daher unter den in der Sowjetunion lebenden deutschen Exilschriftstellern eine merkliche Wendung ins National-Gestimmte. Johannes R. Becher zögerte daher zu diesem Zeitpunkt nicht, höchst emphatisch vom „Genius eines ewigen Deutschland“ zu sprechen, der – nach der Niederringung des Nazifaschismus – beim Aufbau einer neuen Kultur im Vordergrund stehen müsse. Das Ziel dieser Gruppe war also eine eindeutige „Nationalkultur“, die in ihrer antifaschistischen Tendenz den Weg zu einem demokratischen Kunstverständnis freilegen sollte. Im Sinne der bisherigen Volksfrontpolitik wurde dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen den bürgerlich-humanistischen und den sozialistischen Kulturschaffenden anvisiert, wobei man den Hauptnachdruck auf die Beibehaltung Visionen einer „befreiten“ Kultur  305

„gesamtdeutscher“ Tendenzen legte, um so trotz der geplanten Aufspaltung in vier Besatzungszonen an der kulturellen Einheit Deutschlands festzuhalten. Diese Pläne wurden bereits am 3. Juli 1945 im großen Sendesaal des Berliner Rundfunks der deutschen Nachkriegsöffentlichkeit vorgestellt. Der Initiator dieser Veranstaltung war der kurz zuvor gegründete Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, der sowohl die Künstler der inneren als auch der äußeren Emigration, wie man sich damals ausdrückte, zu einer aufbauwilligen Gemeinschaft verbinden wollte. Zu seinem ersten Präsidenten wurde Johannes R. Becher gewählt, dem der Schriftsteller Bernhard Kellermann, der Maler Karl Hofer und der Altphilologe Johannes Stroux als Vizepräsidenten zur Seite traten. Die Ehrenpräsidentschaft übertrug man dem greisen Gerhart Hauptmann. Weitere führende Positionen übernahmen der Theaterkritiker Herbert Jhering, der Physiker Robert Havemann, der SPD-Politiker Gustav Dahrendorf, die Bildhauerin Renée Sintenis, der Schauspieler Paul Wegener, der Philosoph Ernst Niekisch, der CDU-Politiker Ernst Lemmer, der Romanist Viktor Klemperer, der Regisseur Wolfgang Langhoff, der KPD-Politiker Anton Ackermann, der Pädagoge Eduard Spranger, die Maler Otto Nagel und Max Pechstein sowie die Schriftsteller und Schriftstellerinnen Willi Bredel, Ricarda Huch, Ludwig Renn, Anna Seghers und Günther Weisenborn. Aufgrund dieser eindrucksvollen Phalanx bedeutender Politiker, Wissenschaftler und Kulturschaffender schlossen sich dem Kulturbund schon im ersten Jahr 45 000 Mitglieder an, die sich in 394 Ortsgruppen organisierten. Das Grundsatzprogramm dieses Bundes, auf das man sich schon bei der Gründungsversammlung einigte, folgte in vielen Punkten der älteren Volksfrontstrategie, indem es eine „nationale Einheitsfront aller deutschen Geistesarbeiter“ propagierte, deren Vertreter und Vertreterinnen sich beim „kulturellen Neuaufbau Deutschlands“ vor allem für die „Wiederentdeckung und Förderung der freiheitlich-humanistischen Traditionen unseres Volkes“ einsetzen sollten. In Zusammenarbeit mit allen demokratisch eingestellten weltanschaulichen, religiösen und kirchlichen Bewegungen und Gruppen, sei dabei erst einmal, wie es hieß, eine „konsequente Vernichtung der Nazi-Ideologie in allen Lebens-, Wissensund Kulturgebieten“ erforderlich.

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Ein solches Programm wirkte zwar sehr engagiert, aber auch recht allgemein. Doch eine solche Doppelstrategie war in der unmittelbaren Nachkriegssituation sicher unumgänglich, um die Mehrheit der immer noch in konservativen, völkischen oder nazifaschistischen Ideologien befangenen Künstler, die nach 1933 nicht ins Exil gegangenen war, nicht vor den Kopf zu stoßen. Ein durch und durch „revolutionär“ gestimmtes Programm wäre damals sicher im Sektiererischen steckengeblieben. In Anbetracht dieser Tatsache trat der Kulturbund zwar „ohne Scheuklappen, aber doch mit Entschiedenheit, sachlich, aber nicht neutral“ auf, wie er in seiner Zeitschrift Aufbau betonte. Zugleich erklärte er immer wieder, daß er im Gegensatz zum Nazifaschismus niemandem eine bestimmte Ideologie „aufzuzwingen“ versuche, sondern sich lediglich bemühe, in allen Menschen „den wahren Geist der Menschlichkeit wachzurufen und zu fördern“. Nur in einem Punkte machte er keinen Kompromiß, nämlich in der Forderung, daß es in aller zukünftigen Kunst um die großen nationalen, politischen und gesellschaftlichen Belange gehen müsse. Aus diesem Grunde lehnte dieser Bund jede „elitäre“ Absonderung der Kunst von der breiten Masse der Bevölkerung ebenso strikt ab wie jene Tendenz zu einer trivialen „Zerstreuung und Unterhaltung“, mit der man die Unterklasse in der Weimarer Republik und im Dritten Reich kulturell abgespeist habe. Doch diese innere Geschlossenheit zerbrach schon in den Jahren 1946 / 47, als es nach dem Beginn des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR zwangsläufig auch in den vier Besatzungszonen zu heftigen politischen und kulturellen Konfrontationen zwischen „westlich“bürgerlichen und „östlich“-sozialistischen Kulturschaffenden kam. Das wurde bereits auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß, den der Kulturbund im Oktober 1947 nach Berlin eingeladen hatte, in aller Deutlichkeit spürbar. Obwohl hier Johannes R. Becher noch einmal den Gedanken der kulturellen Einheit Deutschlands beschwor und alle Teilnehmer aufrief, sich jeder Spaltungstendenz energisch entgegenzustellen, führten solche aktivistisch klingenden Parolen schon wenige Wochen später dazu, daß der Kulturbund in den drei Westsektoren Berlins von den dortigen Besatzungsbehörden verboten wurde und auch in den drei westlichen Besatzungszonen, in denen sich ein zusehends konservativer Geist verbreitete, in seinen Aktivitäten so stark behindert wurde, daß er schließlich bedeutungslos wurde. Visionen einer „befreiten“ Kultur  307

Alles Weitere war damit leicht vorherzusehen. Als es im Herbst 1949 zur endgültigen Spaltung Deutschlands in zwei selbständige Staaten – die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik – kam, hielt man zwar in der DDR in kultureller Hinsicht noch bis weit in die fünfziger Jahre an den linksgerichteten Tendenzen der alten Volksfrontstrategie fest, das heißt schätzte nicht nur – unter Ausschluß aller trivial-kulturellen Genres – fast ausschließlich marxistisch orientierte wie auch bürgerlich-humanistische Vertreter hochkultureller Bemühungen, während man in der BRD auf der E-Kulturebene eher an die bildungsbürgerlichen Tendenzen der Inneren Emigration anknüpfte und auf der U-Kulturebene relativ schnell zuließ, daß sich dort wiederum jene kommerzielle Unkultur verbreitete, die der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands noch wenige Jahre zuvor endgültig abschaffen wollte. Und damit war die Chance einer kulturellen Einheit Deutschlands für Jahrzehnte vertan. Nach diesem Kurswechsel begann in der Geschichte der deutschen Kultur eine von vielen Menschen diesseits und jenseits des „Eisernen Vorhangs“ als „neu“ empfundene Entwicklung, zu der allerdings die in diesem Band geschilderten Ereignisse und Werke eine kaum zu überschätzende Vorgeschichte bildeten.

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Auswahlbibliographie

Neben den vielfältigen Anregungen, die ich der Durchsicht von Archivmaterialien sowie der Lektüre vieler der in der folgenden Bibliographie angeführten Bücher verdanke, waren bei der Konzeption dieses Bandes auch Gespräche mit Freunden und Kollegen wie Helmut G. Asper, Klaus L. Berghahn, Werner Mittenzwei, Klaus Scherpe und Marc Silberman äußerst anregend. Darüber hinaus wirken in meinem Erinnerungsschatz noch bis heute die zahlreichen Konversationen weiter, die ich mit Hans Mayer und George L. Mosse hatte, in denen es immer wieder um Probleme des Nazifaschismus und des Exils ging. Auch was Paul Jagenburg in Buchenwald sowie Walter Grab und Felix Pollak nach ihrer Vertreibung aus Wien erdulden mußten, steht mir immer noch vor Augen. Dies Buch ist mir daher – trotz aller wissenschaftlichen „Objektivierung“ – schwerer gefallen als die meisten meiner früheren Bücher. Für die sorgfältige Computerisierung meines anfänglich recht chaotischen Manuskripts, das später wegen seiner kompakten, ins Lehrbuchhafte reduzierten Form ständig neue Kürzungen und Umstellungen erforderte, bin ich wie immer Adam Woodis verpflichtet. Die einzelnen Beiträge in der folgenden Bibliographie sind chronologisch angeordnet, um so an weiteren Forschungen auf diesem Gebiet interessierten Lesern neben ersten Informationen zugleich Einblicke in den Entwicklungsgang der sich mit den Kulturvorstellungen der Nazifaschisten, der Vertreter der Inneren Emigration und der aus dem Dritten Reich vertriebenen Exilanten auseinandersetzenden Sekundärliteratur zu ermöglichen. NS-Kultur Hans G. Adler: Theresienstadt. 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Tübingen 1955. Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek 1963. Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970. Hajo Bernett: Sportpolitik im Dritten Reich. Aus den Akten der Reichskanzlei, Schorndorf 1971. Auswahlbibliographie 309

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Eberhard Frommann: Die Lieder der NS-Zeit, Köln 1999. Gottfried Niedhart und George Broderick (Hrsg.): Lieder in Politik und Alltag des Nationalsozialismus, Berlin 1999. Anne Niessen: Die Lieder waren die eigentlichen Verführer! Mädchen und Musik im Nationalsozialismus, Diss., Mainz 1999. Brunhilde Sonntag u. a. (Hrsg.): Die dunkle Last. Musik und Nationalsozialismus, Köln 1999. Saul Friedländer und Jörn Rüsen (Hrsg.): Richard Wagner im Dritten Reich, München 2000. Michael Walter: Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919–1945, Stuttgart 2000. Pamela M. Potter: Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reichs, Stuttgart 2000. Hanns-Werner Heister (Hrsg.): „Entartete Musik“ 1938 – Weimar und die Ambivalenz, Saarbrücken 2001. Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth, München 2002. Michael H. Kater und Albrecht Riethmüller (Hrsg.): Music and Nazism, Laaber 2003. Hans-Jörg Koch: Das Wunschkonzert im NS-Rundfunk, Köln 2003. Axel Jockwer: Unterhaltungsmusik im Dritten Reich, Diss. Konstanz 2004. Hans-Jörg Koch: Wunschkonzert. Unterhaltungsmusik und Propaganda im Dritten Reiches, Graz 2006. Stiftung Schloß Neuhardenberg (Hrsg.): Das „Dritte Reich“ und die Musik, Berlin 2006.

NS-Literatur Dietrich Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik. Ein Beitrag zur Publizistik im Dritten Reich, Bonn 1960. Franz Schonauer: Deutsche Literatur im Dritten Reich: Versuch einer Darstellung in polemisch-didaktischer Absicht, Olten 1961. Josef Wulf (Hrsg.): Literatur und Dichtung im Dritten Reich, Gütersloh 1963. Rolf Geißler: Dekadenz und Heroismus. Zeitroman und völkisch-nationalsozialistische Literaturkritik, Stuttgart 1964. Ernst Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz. Das Dritte Reich und seine Dichtung, Frankfurt a. M. 1966. Dietrich Aigner: Die Indizierung „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ im Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1971. Manfred Nagel: Science Fiction in Deutschland. Untersuchungen zur Genese, Soziographie und Ideologie der phantastischen Massenliteratur, Tübingen 1972. Klaus Vondung: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literaturtheorie, München 1973.

Auswahlbibliographie 315

Peter Zimmermann: Der Bauernroman. Antifeudalismus – Konservatismus – Faschismus, Stuttgart 1975 Horst Denkler und Karl Prümm (Hrsg.): Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen –Traditionen –Wirkungen, Stuttgart 1976. Uwe-Karsten Ketelsen: Völkisch-nationale und nationalsozialistische Literatur 1890– 1945, Stuttgart 1976. Rainer Stollmann: Ästhetisierung der Politik. Literaturstudien zum subjektiven Faschismus, Stuttgart 1978. Erwin Breßlein: Völkisch-faschistoides und nationalsozialistisches Drama. Kontinuitäten und Differenzen, Frankfurt a. M. 1980. Gisela Berglund: Der Kampf um den Leser im Dritten Reich. Die Literaturpolitik der „Neuen Literatur“ und der „Nationalsozialistischen Monatshefte“, Worms 1980. Beda Allemann (Hrsg.): Literatur und Germanistik nach der „Machtübergabe“, Bonn 1983. Horst Denkler und Eberhard Lämmert (Hrsg.): „Das war ein Vorspiel nur …“ Berliner Colloquium zur Literaturpolitik im „Dritten Reich“, Berlin 1983. Ulrich Walber (Hrsg.): 10. Mai 1933. Bücherverbrennung in Deutschland und die Folgen, Frankfurt a. M. 1983. Gerhard Sauder (Hrsg.): Die Bücherverbrennung. Zum 10. Mai 1933, München 1983. Bernhard Zeller (Hrsg.): Klassiker in finsteren Zeiten 1933–1945, Stuttgart 1983. Günter Hartung: Literatur und Ästhetik des deutschen Faschismus, Berlin 1983. Jörg Thunecke (Hrsg.): Leid der Worte. Panorama des literarischen Nationalsozialismus, Bonn 1987. Werner Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen Deutschen. Der Einfluß der nationalkonservativen Dichter an der Preußischen Akademie der Künste 1918 bis 1947, Berlin 1992. Karl-Heinz Schoeps: Literatur im Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1992. Jürgen Hillesheim und Elisabeth Michael: Lexikon nationalsozialistischer Dichter. Biographien – Analysen – Bibliographien, Würzburg 1993. Norbert Hopster und Petra Josting: Literaturlenkung im „Dritten Reich“. Eine Bibliographie, Hildesheim 1993. Günther Scholdt: Autoren über Hitler. Deutschsprachige Schriftsteller 1919 bis 1945 und ihr Bild vom „Führer“, Bonn 1993. Claudia Albert (Hrsg.): Deutsche Klassiker im Nationalsozialismus. Schiller, Kleist, Hölderlin, Stuttgart 1994. Uwe K. Ketelsen: Literatur und Drittes Reich, Vierow 1994. Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, München 1995. Sebastian Graeb-Könnecker: Autochthone Modernität. Eine Untersuchung der vom Nationalsozialismus geförderten Literatur, Opladen 1996. Christiane Caemmerer und Walter Delabar (Hrsg.): Dichtung im Dritten Reich? Zur Literatur in Deutschland 1933–1945, Opladen 1996. 316  Auswahlbibliographie

Ralf Schnell: Dichtung in finsteren Zeiten. Deutsche Literatur und Faschismus, Reinbek 1998. Walter Delabar u. a. (Hrsg.): Banalität mit Stil. Zur Widersprüchlichkeit der Literaturproduktion im Nationalsozialismus, Bern 1999. Uta Beiknüfer und Hania Siebenpfeiffer (Hrsg.): Zwischen den Zeiten. Junge Literatur in Deutschland von 1933 bis 1945, Hamburg 2000. Hans Sarkowicz und Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg 2000. Otto Seifert: Die große Säuberung des Schrifttums. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig. 1933 bis 1945, Schkeuditz 2000. Sebastian Graeb-Könneker (Hrsg.): Literatur im Dritten Reich. Dokumente und Texte, Stuttgart 2001. Edelgard Bühler und Hans-Eugen Bühler: Der Fontbuchhandel 1939–1945. Organisationen, Kompetenzen, Verlage, Bücher, Frankfurt a. M. 2002. Werner Treß: „Wider den undeutschen Geist.“ Bücherverbrennung 1933, Berlin 2003. Rolf Düsterberg: Hanns Johst. Der Barde der SS, Paderborn 2004. Jay Baird: Hitler’s War Poets. Literature and Politics in the Third Reich, New York 2008.

NS-Theater Josef Wulf (Hrsg.): Theater und Film im Dritten Reich, Gütersloh 1963. Uwe-Karsten Ketelsen: Heroisches Theater. Untersuchungen zur Dramentheorie des Dritten Reiches, Bonn 1968. Günther Rühle: Zeit und Theater. Diktatur und Exil 1933–1945, 2 Bde., Berlin 1974. Henning Eichberg u. a.: NS-Thingspiele, Arbeiterweihespiele und olympisches Zeremoniell, Stuttgart 1977. Boguslaw Drewnak: Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte, Düsseldorf 1983. Jutta Wardetzky: Theaterpolitik im faschistischen Deutschland, Berlin 1983. Rainer Stommer: Die inszenierte Volksgemeinschaft. Die Thing-Bewegung im Dritten Reich, Marburg 1985. Johannes M. Reichl: Das Thingspiel. Über den Versuch eines nationalsozialistischen Lehrstück-Theaters, Frankfurt a. M. 1988. Hans Daiber: Schaufenster der Diktatur. Theater im Machtbereich Hitlers, Stuttgart 1995. Günter Berghaus (Hrsg.): Fascism and Theatre, Providence 1996. Henning Rischbieter (Hrsg.): Theater im „Dritten Reich“. Theaterpolitik, Spielplanstruktur, NS-Dramatik, Velber 2000.

Auswahlbibliographie 317

NS-Rundfunk, -Film und -Presse Walter Hagemann: Publizistik im Dritten Reich. Ein Beitrag zur Methodik der Massenführung, Hamburg 1948. Heinz Pohle: Der Rundfunk als Instrument der Politik. Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923–1938, Hamburg 1955. Josef Wulf (Hrsg.): Presse und Funk im Dritten Reich, Gütersloh 1963. Oron J. Hale: Presse in der Zwangsjacke 1933–1945, Düsseldorf 1965. Karl Dietrich Abel: Presselenkung im NS-Staat. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik in der nationalsozialistischen Zeit, Berlin 1968. Gerd Albrecht: Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reiches, Stuttgart 1969. David Stewart Hull: Film in the Third Reich. A Study of the German Cinema 1933– 1945, Berkeley 1969. Jürgen Hagemann: Die Presselenkung im Dritten Reich, Bonn 1970. Erika Martens: Zum Beispiel „Das Dritte Reich.“ Zur Phänomenologie der Presse im totalitären Regime, Köln 1972. Wolfgang Becker: Film und Herrschaft. Organisationsprinzipien und Organisationsstrukturen der nationalsozialistischen Filmpropaganda, Berlin 1973. Francis Courtade und Pierre Cadars: Geschichte des Films im Dritten Reich, München 1975. Fritz Sänger: Politik der Täuschungen. Mißbrauch der Presse im Dritten Reich, Weisungen, Informationen, Notizen 1933–1939, Wien 1975. Jürgen Spiker: Film und Kapital. Der Weg der deutschen Filmwirtschaft zum nationalsozialistischen Einheitskonzern, Berlin 1975. Kraft Wetzel und Peter A. Hagemann: Zensur. Verbotene deutsche Filme 1933 bis 1945, Berlin 1978. Gerd Albrecht: Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Karlsruhe 1979. Helga Belach (Hrsg.): Wir tanzen um die Welt. Deutsche Revuefilme 1933–1945, München 1979. Ansgar Diller: Die Rundfunkpolitik im Dritten Reich, München 1980. Peter Nowotny, Peter: Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“, Dortmund 1981. Walter Klingler: Nationalsozialistische Rundfunkpolitik 1942–1945. Organisation, Programm und die Hörer, Diss. Mannheim 1983. Dorothea Hollstein: „Jud Süß“ und die Deutschen. Antisemitische Vorurteile im nationalsozialistischen Spielfilm, Frankfurt a. M. 1983. Arthur Maria Rabenalt: Joseph Goebbels und der großdeutsche Film, München 1985. Boguslaw Drewniak: Der deutsche Film 1938–1945. Ein Gesamtüberblick, Düsseldorf 1987. Martin Loiperdinger: Der Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl. Rituale der Mobilmachung, Leverkusen 1987.

318  Auswahlbibliographie

Günther Gillesen: Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich, Berlin 1987. Hilmar Hoffmann (Hrsg.): „Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit.“ Propaganda im NS-Film, Frankfurt a. M. 1988. Karl Ludwig Rost: Sterilisation und Euthanasie im Film des „Dritten Reiches“, Husum 1987. Nanny Drechsler: Die Funktion der Musik im deutschen Rundfunk, Film und Theater 1933–1945, Pfaffenweiler 1988. Norbert Frei und Johannes Schmitz: Journalismus im Dritten Reich, München 1989. Erwin Leiser: „Deutschland erwache!“ Propaganda im Film des Dritten Reiches, Reinbek 1989. Siegfried Zielinski: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte, Reinbek 1989 . Friedemann Beyer: Die UFA-Stars im Dritten Reich, Frauen für Deutschland, München 1991. Doris Kohlmann-Viand: Die NS-Pressepolitik im Zweiten Weltkrieg. Die „Vertraulichen Informationen“ als Mittel der Presselenkung, München 1991. Stephen Lowry: Pathos und Politik. Ideologie in Spielfilmen des Nationalsozialismus, Tübingen 1991. Ute Bechdolf: Wunsch-Bilder? Frauen im nationalsozialistischen Unterhaltungsfilm. Tübingen, 1992. Klaus Kanzog: „Staatspolitisch besonders wertvoll.“ Ein Handbuch zu 30 deutschen . Spielfilmen der Jahre 1934 bis 1945, München 1994. Gabriele Lange: Das Kino als moralische Anstalt. Soziale Leitbilder und die Darstellung gesellschaftlicher Realität im Spielfilm des Dritten Reiches, Frankfurt a. M. 1994. Wolf Donner: Propaganda und Film im Dritten Reich, Berlin 1995. Karsten Witte: Lachende Erben. Toller Tag. Filmkomödie im Dritten Reich, Berlin 1995. Erich Rentschler: The Ministry of Illusion. Nazi Cinema and its Afterlife, Cambridge 1996. Inge Marßolek und Adelheid von Saldern (Hrsg.): Radio im Nationalsozialismus. Zwischen Lenkung und Ablenkung, Tübingen 1998. Felix Möller: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich, Berlin 1998. Norbert Frei: Journalismus im Dritten Reich, München 1999. Constanze Quanz: Der Film als Propagandainstrument Joseph Goebbles’, Köln 2000. Sabine Hake: Popular Cinema of the Third Reich, Austin 2001. Gerhard Stahr: Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der nationalsozialistische Film und sein Publikum, Berlin 2001. David Welch: Propaganda and the German Cinema 1933–1945, London 2001. Lutz Kinkel: Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das „Dritte Reich“, Hamburg 2002. Auswahlbibliographie 319

Jürgen Trimborn: Leni Riefenstahl. Eine deutsche Karriere, Berlin 2002. Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz, Köln 2003. Ulrike Bartels: Die Wochenschau im Dritten Reich. Entwicklung und Funktion eines Massenmediums unter besonderer Berücksichtigung völkisch-nationaler Inhalte, Frankfurt a. M. 2004. Harro Segeberg (Hrsg.): Mediale Mobilmachung I. Das Dritte Reich und der Film, München 2004. Linda Schulte-Sasse u. a. (Hrsg.): Kunst der Propaganda. Der Film im Dritten Reich, Bern 2007. Jörg Glasenapp (Hrsg.): Riefenstahl Revisited, München 2009. Bernd Heidenreich und Sönke Neitzel (Hrsg.): Medien im Nationalsozialismus, Paderborn 2010.

Innere Emigration Karl O. Paetel (Hrsg.): Deutsche Innere Emigration. Antinationalsozialistische Zeugnisse aus Deutschland, New York 1946. Alfred Kantorowicz und Richard Drews: Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt, Berlin 1947. Max Bense: Ptolemäer und Mauretanier oder die theologische Emigration der deutschen Literatur, Köln 1950. Erhard Frommhold (Hrsg.): Kunst im Widerstand. Malerei, Graphik, Plastik 1933– 1945, Dresden 1968. Hans Rudolf Klieneberger: The Christian Writers of the Inner Emigration, Den Haag 1968. Gisela Berglund: Einige Anmerkungen zum Begriff der Inneren Emigration, Stockholm 1974. Guido Reiner: Ernst Wiechert im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Paris 1974. Ralf Schnell: Literarische Innere Emigration 1933–1945, Stuttgart 1976. Marion Mallman: Das Innere Reich. Analyse einer konservativen Kulturzeitschrift im Dritten Reich, Bonn 1978. Barbara Volksmann (Hrsg.): Zwischen Widerstand und Anpassung. Kunst in Deutschland 1933–1945 (Ausstellungskatalog), Berlin 1980. Ernst Piper: Ernst Barlach und die nationalsozialistische Kunstpolitik. Eine dokumentarische Darstellung zur „entarteten Kunst“, München 1983. Wolfgang Brekle: Schriftsteller im antifaschistischen Widerstand 1933–1945 in Deutschland, Berlin 1985. Werner Haftmann: Verfemte Kunst. Bildende Künstler der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln 1986. Sigrid Bock und Manfred Hahn (Hrsg.): Erfahrung Nazideutschland. Romane in Deutschland 1933–1945, Berlin 1987.

320  Auswahlbibliographie

Detlev Peukert: Inside Nazi Germany. Conformity, Opposition, and Racism in Everyday Life, New Haven 1987. Doris Kirchner: Doppelbödige Wirklichkeit. Magischer Realismus und nicht-faschistische Literatur, Tübingen 1993. Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Aspekte der künstlerischen Inneren Emigration 1933–1945, München 1994. Friedrich Denk: Die Zensur der Nachgeborenen: Zur regimekritischen Literatur im Dritten Reich, Weilheim 1996. Heidrun Ehrke-Rotermund und Erwin Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten. Texte und Vorstudien zur „Verdeckten Schreibweise“ im „Dritten Reich“, München 1999. Hermann Haarmann (Hrsg.): Katastrophen und Utopien. Exil und Innere Emigration 1933–1945, Berlin 2000. Neil Donahue und Doris Kirchner (Hrsg.): Flight of Fantasy. New Perspectives on Innere Emigration in German Literature 1933–1945, New York 2003. Horst Denkler: Werkruinen, Lebenstrümmer. Literarische Spuren der „verlorene Generation“ des 3. Reichs, Tübingen 2006. Christoph Studt (Hrsg.): „Diener des Staates“ oder „Widerstand zwischen den Zeilen“? Die Rolle der Presse im Dritten Reich, Berlin 2007.

Exil Walter A. Berendsohn: Die humanistische Front. Eine Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur, Zürich 1946. Alfred Häsler: Das Boot ist voll. Die Schweiz und ihre Flüchtlinge 1933–1945, Zürich 1967. Reinhold Grimm und Jost Hermand (Hrsg.): Exil und Innere Emigration, Frankfurt a. M. 1972. Hans-Albert Walter: Asylpraxis und Lebensbedingungen in Europa, Darmstadt 1972. Helmut Müssener: Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933, München 1974. Walter A. Berendsohn: Die humanistische Front. Vom Kriegsausbruch 1939 bis Ende 1946, Worms 1976. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, München 1983 ff. Anthony Heilbut: Exiled in Paradise. Refugee Artists and Intellectuals in America, New York 1983. Horst Möller: Exodus der Kultur. Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler in der Emigration nach 1933, München 1984. Jacques Picard: Die Schweiz und die Juden 1933–1945. Schweizerischer Antisemitismus, jüdische Abwehr und internationale Migrations- und Flüchtlingspolitik, Zürich 1994.

Auswahlbibliographie 321

Claus-Dieter Krohn u. a. (Hrsg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945, Darmstadt 1998 Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932–1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Bd. I, Vorgeschichte und Gründung des Ausschußes zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Berlin 2004.

Exilliteratur und -Presse Richard Drews und Alfred Kantorowicz (Hrsg.): Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur ­­– 12 Jahre unterdrückt, Berlin 1947. William K. Pfeiler: German Literature in Exile. The Concern of Poets, Lincoln 1957. Wilhelm Sternfeld and Eva Tiedemann (Hrsg.): Deutsche Exil-Literatur, 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie, Heidelberg 1962. Werner Berthold (Hrsg.): Exil-Literatur 1933–1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1965. Klaus Jarmatz: Literatur im Exil, Berlin 1966. Manfred Flügge: Wider Willen im Paradies. Deutsche Schriftsteller im Exil in Sanarysur-Mer, Berlin 1966. Matthias Wegner: Exil und Literatur. Deutsche Schriftsteller im Ausland 1933–1945, Frankfurt a. M. 1968. Wilhelm Sternfeld und Eva Tiedemann: Deutsche Exil-Literatur 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie, Heidelberg 1970. Reinhold Grimm und Jost Hermand (Hrsg.): Exil und Innere Emigration, Frankfurt a. M. 1972. Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Bedrohung und Verfolgung bis 1933, Neuwied 1972. Karl Pawek: Heinrich Manns Kampf gegen den Faschismus im französischen Exil 1933–1940, Hamburg 1972. Peter Uwe Hohendahl und Egon Schwarz (Hrsg.): Exil und Innere Emigration II, Frankfurt a. M. 1973. Hans-Ludwig Arnold: Deutsche Literatur im Exil 1933–1945, Frankfurt a. M. 1974. Dieter Schiller: „…von Grund auf anders“. Programmatik der Literatur im antifaschistischen Kampf während der dreißiger Jahre, Berlin 1974. Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur 1933–1950, Exilpresse I, Neuwied 1974. Hans Dahlke: Geschichtsroman und Literaturkritik im Exil, Berlin 1976. Günther Heeg: Die Wendung zur Geschichte. Konstitutionsprobleme antifaschistischer Literatur im Exil, Stuttgart 1977. Michael Winkler: Deutsche Literatur im Exil 1933–1945. Texte und Dokumente, Stuttgart 1977. Werner Herden: Wege zur Volksfront. Schriftsteller im antifaschistischen Bündnis, Berlin 1978. Alfred Kantorowicz: Politik und Literatur im Exil. Deutschsprachige Schriftsteller im Kampf gegen den Nationalsozialismus, München 1978. 322  Auswahlbibliographie

Egbert Krispyn: Anti-Nazi Writers in Exile. Athens 1978. Klaus Jarmatz und Simone Barck: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil. Exil in der UdSSR, Leipzig 1979. Ernst Loewy u. a.: Literarische und politische Texte aus dem deutschen Exil 1933 bis 1945, Stuttgart 1979. Alexander Stephan: Die deutsche Exilliteratur 1933–1945, München 1979. Ludwig Hoffmann: Exil in der Tschechoslowakei, Großbritannien, Skandanavien und Palästina, Leipzig 1980. Eike Middel: Exil in den USA, mit einem Bericht „Schanghai – Eine Emigration am Rande, Leipzig 1980. Klaus Hermsdorf u. a.: Exil in den Niederlanden und Spanien, Leipzig 1981. Wolfgang Kiessling: Exil in Lateinamerika, Leipzig1981. Werner Mittenzwei: Exil in der Schweiz, Leipzig 1981. David Pike: Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil, Frankfurt a. M. 1981. Dieter Schiller: Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil. Exil in Frankreich, Leipzig 1981. Christian Fritsch und Lutz Winckler: Faschismuskritik und Deutschlandbild im Exilroman, Berlin 1981. Alexander Stephan: Anna Seghers im Exil. Essays, Texte, Dokumente, Bonn 1983. Hans-Albert Walter: Deutsche Exilliteratur. Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis, Stuttgart 1984. Hélène Roussel und Lutz Winckler (Hrsg.): Deutsche Exilpresse und Frankreich, 1933–1940, Bern 1992. Alexander Stephan: Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart 1995.

Exiltheater Walter Huder (Hrsg.): Theater im Exil 1933–1945 (Ausstellungskatalog), Berlin 1973. Hans-Christoph Wächter: Theater im Exil. Sozialgeschichte des deutschen Exiltheaters 1933–1945. München 1973. Hermann Haarmann u. a.: Das „Engels“-Projekt. Ein antifaschistisches Theater deutscher Emigranten in der UdSSR (1936–1941), Worms 1975. Werner Mittenzwei: Das Züricher Schauspielhaus 1933–1945, Berlin 1979. Hansjörg Schneider: Exiltheater in der Tschechoslowakei 1933–1938, Berlin 1979. James K. Lyon: Bertolt Brecht in America, Princeton 1980. Frithjof Trabb u. a. (Hrsg.): Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933– 1945, München 1999.

Exilfilm Maria Hilchenbach: Kino im Exil. Die Emigration deutscher Filmkünstler 1933– 1945, München 1982. Auswahlbibliographie 323

Thomas Elsaesser und Ginette Vincendau (Hrsg.): Le cinéastes allemands en France. Les années trente, Paris 1983. Jan-Christopher Horak: Anti-Nazi-Filme der deutschsprachigen Emigranten von Hollywood 1939–1945, Münster 1984. Jan-Christopher Horak: Fluchtpunkt Hollywood. Eine Dokumentation zur Filmemigration nach 1933, Münster 1986. Kathinka Dittrich von Wehring: Der niederländische Spielfilm der dreißiger Jahre und die deutsche Filmemigration, Amsterdam 1987. Helmut G. Asper: „Etwas Besseres als den Tod…“. Filmexil in Hollywood. Porträts, Filme, Dokumente, Marburg 2002. Helmut G. Asper: Filmexilanten im Universal Studios 1933–1960, Berlin 2005.

Exilmalerei Manfred Hahn (Hrsg.): Künstler und Künste im antifaschistischen Kampf, Berlin 1983. Dominik Bartmann (Hrsg.): Die Olympiade unter der Diktatur. Rekonstruktion der Amsterdamer Kunstolympiade 1936, Berlin 1996.

Exilmusik Jürgen Schebera: Hanns Eisler im USA-Exil, Berlin 1978. Claudia Maurer Zenck: Ernst Křenek – ein Komponist im Exil, Wien 1980. Habakuk Traber und Elmar Weingarten (Hrsg.): Verdrängte Musik. Berliner Komponisten im Exil, Berlin 1987. Moniker Wildauer (Hrsg.): Österreichische Musiker im Exil, Kassel 1990. Juan Allende-Blin (Hrsg.): Musiktradition im Exil. Zurück aus dem Vergessenen, Köln 1993. Hanns-Werner Heister (Hrsg.): Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale Musikkultur, Frankfurt a. M. 1993. Friedrich Geiger und Thomas Schäfer (Hrsg.): Exilmusik. Komposition während der NS-Zeit, Hamburg 1999. Peter Petersen und Claudia Maurer Zenck (Hrsg.): Musiktheater im Exil der NS-Zeit, Hamburg 2006.

324  Auswahlbibliographie

Namenregister

Abendroth, Walter 92 Abraham, Paul 93, 292 Abusch, Alexander 230, 238 Ackermann, Anton 306 Ackermann, Max 193 Adler, Kurt 295 Adorno, Theodor W. 162, 242, 243, 279, 289, 300 Ahlers, Rudolf 118 Albers, Hans 107, 143, 150 Alexander, Kurt 276 Albiker, Karl 68, 90 Allert de Lange (Verlag) 232, 260 Amann, Max 54, 151 Ančerl, Karel 106 Anders, Günther 232 Anders, Stefan 183 Andersen-Nexö, Martin 275 Arendt, Erich 258 Armstrong, Louis 162 Arnoldt, Johannes 121 Arntz, Gerd 211, 284, 286 Arp, Hans 88 Auden, W. H. 249 Ausländer, Rose 258 Avenarius, Ferdinand 72, 80 Bach, Johann Sebastian 92, 101, 102, 204, 295 Bade, Wilfried 123, 124 Bangert, Otto 32, 45, 114 Barbusse, Henri 112 Barney, Paul 130 Bartels, Adolf 19, 34, 52, 57, 122, 135 Barthel, Hermann 121 Barlach, Ernst 52, 73, 74, 78, 88, 196– 199 Bartók, Béla 95, 204, 298

Bassermann, Albert 130, 268 Bauer, Josef-Martin 124 Baum, Carl 19, 86 Baum, Herbert 19 Baum, Vicki 260 Baumann, Hans 117 Baumeister, Willi 74, 193 Baumgartner, Thomas 86 Bäumler, Alfred 111 Becher, Johannes R. 203, 211, 216, 217, 224, 228, 230, 247, 249, 258, 305– 307 Becher, Ulrich 213 Beckmann, Max 73, 78, 88, 191, 282, 287, 288 Beer-Hofmann, Richard 212 Beethoven, Ludwig van 40, 92, 101, 102, 142, 159–161, 175, 215, 220, 292, 293, 295 Behrens, Peter 71 Bellamy, Edward 38 Belling, Rudolf 88 Beneš, Eduard 226 Benjamin, Walter 228, 257 Benn, Gottfried 112, 113, 131, 185, 186, 200, 221, 263 Berg, Alban 96, 293, 294 Bergengruen, Werner 187–189 Berendsohn, Walter A. 215 Berger, Ludwig 276, 277 Bergner, Elisabeth 130, 268, 277 Berlau, Ruth 241 Bermann Fischer (Verlag) 260 Beumelburg, Werner 85, 114, 125, 126 Binding, Rudolf G. 127, 182 Bing, Rudolf 294 Birgel, Willy 147 Birnbaum, Nathan 280 Namenregister  325

Bismarck, Otto von 40, 69, 207 Bizet, Georges 106 Blacher, Boris 95, 98 Blech, Leo 295 Bleeker, Bernhard 88 Bloch, Ernst 217, 221, 228, 238, 241, 253, 304 Blum, Klara 224 Blume, Friedrich 92, 101 Blumenthal, Hermann 196, 197 Blunck, Hans Friedrich 54, 112, 113, 121, 126 Bobrowski, Johannes 183 Bochmann, Werner 108 Boehle, Fritz 86 Böhm, Karl 101, 292 Bolvary, Géza von 150 Bonatz, Paul 62 Bonsels, Waldemar 127 Borgmann, Hans Otto 100 Börne, Ludwig 227 Borodin, Alexander 204 Brahms, Johannes 92, 101, 104, 159, 292, 293 Braun, Alfred 138 Braunfels, Walter 93 Brausewetter, Hans 149 Brecht, Bertolt 18, 50, 112, 200, 202, 203, 210–212, 216, 217, 220, 221, 226, 229–232, 239–243, 249, 250, 253, 256, 259, 260, 263, 271–273, 278, 279, 281, 294–296, 299, 303, 304 Bredel, Willi 18, 212, 216, 217, 224, 226, 258, 262, 276, 306 Brehm, Bruno 83, 85, 126 Breker, Arno 67, 89, 90, 197 Brentano, Bernard von 211 Britten, Benjamin 294 Britting, Georg 282 Brock, Erich 278 Brod, Max 214, 235 Bronnen, Arnolt 113, 221 326  Namenregister

Bruch, Max 93 Bruckmann, Hugo 92 Bruckner, Anton 92, 101, 102, 159, 292 Bruckner, Ferdinand 216, 230, 238, 253, 259, 271 Brüning, Elfriede 180 Brunngraber, Rudolf 121 Buber, Martin 56 Büchner, Georg 135 Budzislawski, Hermann 226, 229 Burns, George 280 Burte, Hermann 115 Busch, Ernst 224, 269 Busch, Fritz 294 Cabet, Étienne 38 Cagliostro, Alexander 151 Campendonk, Heinrich 73 Carossa, Hans 114, 182 Casanova, Giovanni 151 Caspar, Horst 135, 149 Cassirer, Ernst 219 Chagall, Marc 78 Chamberlain, Houston Stewart 9, 19, 75 Chamberlain, Neville 219 Chaplin, Charlie 220, 279 Chompton, Werner 128 Churchill, Winston 234, 302 Cissarz, Johann Vinzenz 86 Claudius, Hermann 114 Claudius, Matthias 264 Clauß, Ludwig Ferdinand 26 Cooper, Gary 162 Copland, Aaron 297 Corinth, Lovis 78 Crawford, Joan 162 Cromwell, Oliver 38 Cronin, Archibald Joseph 127 Curtis, Tony 280 Dahn, Felix 121 Dahrendorf, Gustav 306

Daladier, Édouard 219 Damaschke, Otto 32 Damerius, Helmut 176 Danielowitsch, Issur 280 Darré, Walter 32, 33 Deeping, Warwick 127 Defregger, Franz von 84, 285 Dessau, Paul 291 Deutsch, Ernst 130, 273 Diderot, Denis 249 Diederichs, Eugen 52 Dieterle, William 276, 279 Dietrich, Marlene 144, 278 Dinter, Artur 19 Disney, Walt 147, 162, 242 Distler, Hugo 199 Dix, Otto 74, 78, 191, 194, 195, 282 Döblin, Alfred 112, 211, 213, 228, 232, 235, 239, 242, 253, 278, 287 Dollfuß, Engelbert 269 Domin, Hilde 258 Dominik, Hans 128 Donath, Ludwig 181 Dörfler, Peter 124 Dörries, Bernhard 84 Dorsch, Käthe 119, 135 Dos Passos, John 288 Douglas, Kirk 280 Dresler, Adolf 78, 82 Dreßler-Andreß, Horst 54, 139 Drews, Bertha 135 Dudow, Slatan 249 Dürer, Albrecht 34, 40, 159, 175, 220, 285 Durieux, Tilla 130 Dwinger, Edwin Erich 125 Eberlein, Kurt Karl 75 Ebert, Carl 294 Ebert, Friedrich jun. 138 Eckart, Dietrich 16, 63, 117, 118, 132 Eckehart 40 Eggebrecht, Axel 147

Egger-Lienz, Albin 86 Egk, Werner 95, 104 Ehrenburg, Ilja 231 Eich, Günter 183 Eichenauer, Richard 92, 101 Einstein, Carl 257 Eisenstein, Sergej 18, 249 Eisler, Hanns 18, 50, 93, 202, 203, 211, 220, 221, 224, 226, 230, 239, 242, 249, 259, 291, 295, 296 Elmendorff, Karl 101, 292 Engel, Georg 278 Engels, Friedrich 220 Epp, Franz von 16 Erler, Fritz 28 Erler, Otto 118 Ernst, Max 287 Esser, Johann 181 Euringer, Richard 118 Ewers, Hanns Heinz 255 Fahrenkrog, Ludwig 84 Falckenberg, Otto 135 Falke, Konrad 230 Fall, Leo 93 Fallada, Hans 148, 185 Fechter, Paul 73 Feder, Gottfried 16, 20 Fehling, Jürgen 134, 135 Feininger, Lyonel 73, 192, 290 Feistel-Rohmeder, Bettina 78 Feuchtwanger, Lion 20, 111, 208, 211, 218, 224, 227, 228, 232, 236, 238, 239, 241, 247, 250, 253, 260, 261, 265, 276, 303 Feuerbach, Anselm 84 Fidus (Hugo Höppener) 84 Fischer, Ernst 224 Fischer, Grete 249 Fischer, Samuel 184, 211 Fischinger, Oskar 279 Flechtner, Hans-Joachim 128 Flesch, Hans 138 Namenregister  327

Flickenschildt, Elisabeth 135 Forster, Georg 127 Fourier, Charles 38 Franck, Wolf 208 Franco, Francisco 37, 219, 237 Frank, Bruno 239, 303 Frank, Leonhard 232, 239, 279 Frei, Bruno 238 Frenssen, Gustav 34, 122 Freud, Sigmund 111, 264 Freund, Erich 272 Freundlich, Otto 76, 88, 287 Frick, Wilhelm 73 Friedrich, Caspar David 40 Friedrich II. von Preußen 40 Friedrich Wilhelm I. von Preußen 188 Frisch, Max 183 Fürnberg, Louis 126, 135 Furtwängler,Wilhelm 95, 101, 104, 143, 160, 292, 293, 295 Gabelentz, Hans von 182 Gable, Clark 162 Gall, Leonhard 63 Ganghofer, Ludwig 85, 127 Garbo, Greta 162 Garfield, John 280 Garfunkel, Julius 280 Gauguin, Paul 78 George, Heinrich 119, 135, 146, 149 George, Stefan 114 Gerhard, Heinz 123 Gerron, Kurt 276, 277 Gershwin, George 297 Gerster, Ottmar 104 Geschonneck, Erwin 272 Gide, André 229, 232 Giehse, Therese 232, 271 Giesecke, Hermann 138 Giesler, Hermann 63, 64, 69 Ginsberg, Ernst 271 Glaeser, Ernst 111, 211 Glaß, Max 277 328  Namenregister

Godard, Paulette 280 Goebbels, Joseph 9, 21, 29, 52–61, 69, 74, 80, 84, 95, 98, 102, 103, 105– 108, 111–113, 116, 118, 126, 128, 132–135, 138, 139, 141–145, 147, 148, 151, 157, 158, 160, 162, 171, 185, 201, 244 Goes, Albrecht 187 Goethe, Johann Wolfgang 40, 135, 215, 220, 221, 226 Goetz, Curt 148, 278 Gogh, Vincent van 78 Gold, Käthe 135 Goltz, Joachim von der 182 Göring, Hermann 53, 79, 87, 97, 152 Gorki, Maxim 112 Goverts (Verlag) 183 Graf, Oskar Maria 215, 224, 226, 238, 239, 249, 250, 253, 263 Granach, Alexander 130, 224, 269, 273, 275, 276 Greif, Heinrich 269 Gries, Karl 81 Griese, Friedrich 124 Grimm, Hans 114, 182, 255 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel 204 Griebel, Otto 285 Gropius, Walter 65, 290 Grosz, George 18, 74, 78, 213, 249, 287 Grothe, Franz 208 Gründgens, Gustav 119, 135, 263 Grundig, Hans 192, 285 Grünewald (Mathis Neithardt) 201 Grützner, Eduard 84, 285 Guitry, Sascha 127 Gulbranssen, Gunnar 127 Günther, Georg 86 Günther, Hans F. K. 26, 135 Guthmann, Heinrich 53 Haack, Käthe 119 Hadamovsky, Eugen 139, 140, 153

Hagelstange, Rudolf 183 Haider, Karl 86 Händel, Georg Friedrich 94, 101 Harlan, Veit 149 Harnack, Arvid 190 Hartlaub, Felix 183 Hartmann, Karl Amadeus 200, 202– 206, 226 Hasenclever, Walter 21, 212, 257 Hauerstein, Georg 32 Hauptmann, Gerhart 184, 306 Haushofer, Albrecht 181 Hausmann, Manfred 182 Hausmann, Raoul 73 Havemann, Robert 306 Havilland, Olivia de 272 Hay, Julius 224, 276 Haydn, Franz Joseph 92, 101, 292 Heartfield, John 18, 73, 211, 217, 226, 249, 286, 287 Hebbel, Christian Friedrich 135 Heckel, Erich 285 Heesters, Johannes 107 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 220 Heidegger, Martin 80 Heilmann, Ernst 138 Heine, Heinrich 223, 227, 250 Heine, Thomas Theodor 73 Heinrich der Löwe 21 Heinz, Wolfgang 269, 271 Hentschel, Willibald 32 Hepburn, Katherine 162 Hermann, Georg 56 Hermann-Neiße, Max 211, 212, 258 Hertzka, Emil 203 Hertzka, Theodor 38 Herzfelde, Wieland 226, 249, 253, 304, 305 Herzog, Rudolf 127 Heß, Rudolf 9 Heusler, Andreas 52 Heyck, Hans 123 Heydrich, Reinhard 21, 281

Heym, Stefan 226 Heynicke, Kurt 118 Hildebrand, Adolf von 89 Hiller, Kurt 211, 216, 234, 249, 261 Hilpert, Heinz 135 Hilz, Sepp 86 Himmler, Heinrich 21, 32, 35, 185 Hindemith, Paul 95, 96, 200–206, 239, 241, 291, 292 Hindenburg, Paul von 40 Hinkel, Hans 55 Hippler, Fritz 73, 111 Hirschfeld, Kurt 271 Hirschfeld, Magnus 111 Hitler, Adolf 8, 9, 14, 16, 17, 19, 20, 22, 27–29, 32, 34, 35, 37, 38, 40, 41, 44, 53, 57, 58, 60–63, 65–71, 74, 75, 77–80, 84, 85, 88, 90, 93, 95, 98– 100, 102, 103, 108, 112, 114–118, 120, 127, 137, 138, 140, 144, 147, 155, 157, 160, 162, 163, 167, 171, 191, 201, 208, 212, 215, 218–223, 226, 228, 237, 239, 244, 245, 254, 262, 263, 280, 287, 295, 298 Hocke, Gustav René 182 Hofer, Karl 73, 78, 191, 193–195, 306 Höffer, Paul 95 Hoffmann, Heinrich 164 Hofmannsthal, Hugo von 97 Hogan, James P. 281 Hölderlin, Friedrich 41 Holländer, Friedrich 108 Hollyday, Judy 280 Holt, Hans 150 Hönig, Eugen 54, 74 Honneger, Arthur 95 Hoppe, Marianne 119, 135 Hörbiger, Hanns 221 Horenstein, Jascha 296 Horwitz, Kurt 271 Horney, Brigitte 151 Hubbuch, Karl 196 Huch, Ricarda 190, 306 Namenregister  329

Huchel, Peter 148, 183 Huxley, Aldous 232 Illberg, Werner 180, 249 Jacobs, Monty 249 Jahn, Johann Friedrich Ludwig 169 Jank, Angelo 85 Jannings, Emil 119 Jary, Michael 108 Jelusich, Mirko 126 Jessner, Leopold 21, 130, 268, 272 Jhering, Herbert 306 Jochum, Eugen 292 Jöde, Fritz 200 Joelson, Asa 280 Johst, Hanns 52, 112–114, 120, 134, 221 Jolson, Al 280 Jünger, Ernst 114, 185, 186 Juttke, Herbert 176 Kaiser, Georg 185, 231, 259, 271 Kálmán, Emmerich 93 Kampf, Arthur 121 Kandinsky, Wassily 73, 74, 192, 290 Kant, Immanuel 215 Kantorowicz, Alfred 247, 250, 258 Karajan, Herbert von 101 Karsch, Joachim 88, 187, 196 Kaschnitz, Marie Luise 183 Kaspar, Hermann 67 Kästner, Erich 111, 127, 150 Katschaturian, Aram 104 Katz, Leo 238 Kaufmann, Louis 180 Kautsky, Karl 111 Kayßler, Friedrich 135 Keaton, Buster 162 Kellermann, Bernhard 306 Kerr, Alfred 20, 111, 234, 249 Kesten, Hermann 216, 232, 260 Kestenberg, Kurt 20, 294 330  Namenregister

Kestenberg, Leo 96 Keun, Irmgard 232, 263 Kiepenheuer (Verlag) 232 Kirchner, Ernst Ludwig 73, 78, 88 Kisch, Egon Erwin 232, 238, 247, 249, 258 Kiß, Edmund 121 Klee, Paul 73, 78, 192, 211, 290 Kleiber, Erich 293 Kleine, Werner 108 Klemperer, Otto 296 Klemperer, Viktor 306 Klepper, Jochen 187–189 Klimsch, Fritz 88 Klöpfer, Eugen 135 Klopstock, Friedrich Gottlieb 264 Klotz, Clemens 63 Kluckhohn, Paul 112 Klug, Ernst 203 Knappertsbusch, Hans 101, 292 Knepler, Georg 294 Knittel, John 127 Knopf, Alfred A. (Verlag) 252, 260 Koeppen, Wolfgang 148, 183 Koestler, Arthur 253 Kohner, Paul 276 Kokoschka, Oskar 73, 78, 200, 234, 287 Kolbe, Georg 88 Kolbenheyer, Erwin Guido 52, 114, 126 Kollwitz, Käthe 76, 192, 197, 198, 285 Körner, Hermine 135 Korngold, Erich Wolfgang 93, 291 Kortner, Fritz 130, 144, 249, 268, 277, 281 Koster, Henry 279 Kralik, Hanns 276, 284, 286 Krämer-Badoni, Rudolf 183 Krauss, Clemens 101, 292 Krauss, Werner 235, 249 Krauss, Werner 190 Kreis, Wilhelm 69 Křenek, Ernst 94, 239, 241, 291–294, 296

Kreuder, Ernst 183 Kreuder, Peter 108 Kroll, Bruno 82 Krolow, Karl 183 Kuckhoff, Adam 190 Kuczynski, Jürgen 249 Kühne, Walter 92 Künneke, Eduard 99, 108 Künneke, Evelyn 194 Kurella, Alfred 221, 224, 267, 275 Kursell, Otto von 16 Küter, Charlotte 272 Lagarde, Paul de 19, 80 Lagerlöf, Selma 127 Landauer, Walter 232 Landshoff, Fritz 232 Lang, Fritz 144, 276, 278, 279, 281 Langbehn, Julius 33, 72, 80 Lange, Allert de (Verlag) 232 Lange, Horst 183 Langenbeck, Curt 120, 134 Langenbucher, Hellmuth 110, 185 Langgässer, Elisabeth 187, 189 Langhoff, Wolfgang 130, 182, 232, 269, 271, 306 Lanz von Liebenfels, Jörg 19 Lasker-Schüler, Else 211, 212, 235, 259 Laubinger, Otto 54, 132 Laughton, Charles 162, 273 Laxness, Haldor 275 Leander, Zarah 108, 143, 147 Le Corbusier 65 Leers, Johannes von 20 Le Fort, Gertrud von 187 Lehar, Franz 57, 99, 147 Lehmann, Wilhelm 183 Leibl, Wilhelm 285 Leinsdorf, Erich 296 Lemmer, Ernst 306 Lenk, Franz 195 Lenbach, Franz von 84 Lenin 65, 225

Lenya, Lotte 268, 299 Leonhard, Rudolf 217, 218, 228 Lerski, Hilmar 278 Lessing, Gotthold Ephraim 264 Levy, Marion 280 Ley, Robert 54, 69, 164, 165 Liebermann, Ernst 87 Liebermann, Max 21, 56, 78, 184, 288 Liebmann, Robert 276 Liepmann, Heinz 262 Lilienfein, Heinrich 182 Lincke, Paul 99 Lindtberg, Leopold 130 Lingen, Theo 149, 150 Lingner, Max 212, 286 Lippschütz, Arnold 276 Liska, Hans 91 Liszt, Franz 143 Litvak, Anatole 280 Löns, Hermann 34, 85, 122 Lohkamp, Emil 146 Lohmar, Heinz 287 London, Jack 112 Loos, Adolf 65 Lorre, Peter 130, 277 Louis, Joe 169 Lubitsch, Ernst 276 Ludwig, Emil 111, 222, 240, 260 Lukács, Georg 220, 221, 261, 267 Luxemburg, Rosa 22, 220 Mackeben, Theo 108 Mackensen, Fritz 72, 85 Magnus, Kurt 138 Mahler, Gustav 93, 292 Maillol, Aristide 90 Makart, Hans 84, 87 Mann, Erika 230, 271 Mann, Heinrich 111, 214, 216, 218, 226, 228, 232, 233, 238, 239, 242, 253, 260, 261, 279, 301, 303, 305 Mann, Klaus 112, 214, 215, 232, 246, 254, 264 Namenregister  331

Mann, Thomas 10, 211, 213–216, 219, 220, 226, 231, 238, 240, 250, 252, 253, 258, 260, 265, 303, 304 Marc, Franz 78 March, Werner 63, 68 Marchwitza, Hans 258 Marcks, Gerhard 78, 197 Marcuse, Ludwig 214, 215, 303 Marian, Ferdinand 149 Maron, Karl 181 Martin-Amorbach, Oskar 34, 86 Masaryk, Tomaš 226 Marx, Karl 22, 111, 203, 220, 227 Max, Gabriel 84 May, Ernst 72, 224 May, Karl 127 Mehring, Franz 220 Meidner, Ludwig 288 Meisel, Willi 108 Meistermann, Georg 193 Meller, Willy 90 Mencken, H. L. 162 Mendelssohn, Erich 72 Mendelssohn-Bartholdy, Felix 93, 94 Mercier, Louis-Sébastien 38 Metternich, Klemens von 207 Meyer, Ernst Hermann 294 Meyerbeer, Giacomo 93 Meyerhold, Wsewolod 269 Miegel, Agnes 114 Mies van der Rohe, Ludwig 65, 290 Millakowsky, Hermann 277, 281 Minetti, Bernhard 135 Mitchell, Margaret 127 Modersohn, Otto 85 Modersohn-Becker, Paula 78 Moholy-Nagy, László 279, 290 Molière, Jean-Baptiste 135 Molzahn, Johannes 73 Möller, Eberhard Wolfgang 118, 120, 134 Möller, Karl von 123 Monnier, Thyde 127 332  Namenregister

Morelly 38 Morgenthau, Henry 255, 302, 303 Morris, William 38 Morus, Thomas 38 Moser, Hans 57, 149, 150 Moser, Hans Joachim 92 Mosheim, Grete 130 Mosse (Verlag) 20 Mosse, Hans Lachmann 152 Mozart, Wolfgang Amadeus 92, 94, 101, 106, 292 Mühsam, Erich 246 Müller, Bernhard 87 Müller, Otto 78 Müller, Paul Alfred 128 Münchhausen, Börries von 182 Münzenberg, Willi 226, 228, 254, 257 Münzer, Thomas 204 Muschler, Reinhold Conrad 127 Musil, Robert 211, 212, 229, 258 Mussolini, Benito 37, 219 Müthel, Lothar 235 Nagel, Otto 192, 285, 306 Napoleon 169, 298 Nebenzahl, Seymor 299 Neher, Carola 130, 269 Nerlinger, Oskar 192, 285 Neukrantz, Klaus 18 Niebelschütz, Wolf von 183 Niekisch, Ernst 306 Niemöller, Martin 187, 188 Nierendorf (Galerie) 196 Nietzsche, Friedrich 29, 102, 115, 264 Nolde, Emil 52, 73, 74, 78, 191, 282 Norden, Hans von 115 Nußbaum, Felix 73, 211, 288, 289 Ochlopkow, Nicolai 249 Ophüls, Max 144, 276, 277, 279 Oprecht (Verlag) 231, 260 Orff, Carl 94, 95, 98, 104 Ossietzky, Carl von 111, 246, 247

Oswald, Richard 20 Otto, Hans 226 Otto, Teo 269, 271 Ottwalt, Ernst 111, 226 Pabst, Georg Wilhelm 276 Pachter, Henry 215 Padua, Paul Mathias 87 Paryla, Karl 271 Pechstein, Max 74, 78, 191, 285, 306 Peiner, Werner 67, 84, 123, 285 Pepping, Ernst 199 Pétain, Philippe 237 Petersen, Jan 181, 229, 249 Pfitzner, Hans 92, 97, 292 Picasso, Pablo 78 Piloty, Karl Theodor von 84 Piłsudski, Josef Klemens 37 Piper (Verlag) 197, 198 Piscator, Erwin 130, 132, 224, 249, 269, 275, 276 Plivier, Theodor 111, 224, 238 Pohlenz, Peter 281 Polgar, Alfred 209 Pommer, Erich 276 Ponte, Lorenzo da 93 Ponten, Josef 123 Preminger, Otto 144, 279 Pressburger, Arnold 277 Prokofjew, Sergej 104, 204 Puccini, Giacomo 106 Pudowkin, Wsewolod 275 Quadflieg, Will 135 Querido (Verlag) 232, 233, 260 Raabe, Peter 98 Radziwill, Franz 196 Rappaport, Herbert 276 Rauch (Verlag) 183 Rauschning, Hermann 35, 103, 219, 281 Ravel, Maurice 95

Reemtsma, Hermann Fürchtegott 198 Regler, Gustav 218, 224, 231, 233, 253 Rehberg, Hans 120 Rehfisch, Hans J. 249 Reichenbach, Hans 303 Reinhardt, Max 21, 130, 268, 270, 272 Remarque, Erich Maria 111, 125, 239 Renn, Ludwig 112, 238, 247, 258, 306 Renoir, Jean 249 Reuss, Leo 273 Reutter, Hermann 94, 104 Ribbentrop, Joachim von 194 Riefenstahl, Leni 66, 100, 136, 148, 169 Riese, Ferdinand 270 Rinser, Luise 187 Rittich, Werner 65 Rodenberg, Hans 276 Röhm, Ernst 53, 60, 75, 116 Rökk, Marika 107, 149 Rolland, Romain 229 Rooney, Mickey 272 Roosevelt, Franklin D. 282, 302, 303 Rose, Felicitas 127 Rosemeyer, Bernd 167 Rosenberg, Alfred 9, 16, 18, 20–22, 24, 26, 29, 35, 41, 49, 52–56, 58, 65, 72, 74, 75, 78, 84, 98, 102, 108, 110, 113, 118, 122, 131, 132, 134, 152, 157, 184, 185, 191, 197, 201, 244 Rósza, Miklos 291 Roth, Joseph 216, 233 Rowohlt (Verlag) 183, 232 Rühmann, Heinz 107, 150, 151, 163 Russel, Bertrand 229 Sachs, Nelly 259 Saliger, Ivo 87 Salomon, Ernst von 148, 182 Salter, Hans Julius 291 Samberger, Leo 85 Sanderling, Kurt 295 Sandrock, Adele 150 Schad, Christian 196 Namenregister  333

Schaeffer, Albrecht 212 Schäfer, Wilhelm 114, 182 Schardt, Alois 73 Scharrer, Adam 217, 226 Schaub, Julius 163 Schauwecker, Franz 125 Scheibe, Richard 88 Schenzinger, Karl Aloys 129 Scherchen, Hermann 96, 203, 204, 293 Scheuermann, Fritz 54 Schiffer, Marcellus 108 Schiller, Friedrich 40, 135, 267, 272 Schilling, Heinar 32 Schirach, Baldur von 9, 100 Schlamm, Willi 226 Schlemmer, Oskar 74, 193 Schlichter, Rudolf 186, 287 Schmeling, Max 169 Schmidt-Isserstedt, Hans 292 Schmidt-Rottluff, Karl 74, 192, 285 Schmitt, Carl 23 Schmitt, Florent 294 Schneider, Reinhold 187, 188, 189 Schnitzler, Arthur 112 Schnurre, Wolf Dietrich 183 Scholl, Hans 263 Scholl, Sophie 263 Schönberg, Arnold 21, 93, 96, 106, 159, 204, 211, 213, 235, 238, 240, 241, 291–298 Schönerer, Georg von 19, 32, 122 Schönstedt, Walter 162 Schorer, Georg 82 Schostakowitsch, Dimitri 104 Schrade, Hubert 30 Schramm-Zittau, Rudolf 85 Schreber, Moritz 264 Schreiber, Otto Andreas 73 Schreker, Franz 21, 93, 96 Schrift, Shirley 280 Schröder, Rudolf Alexander 183 Schubert, Franz 92, 101, 292 Schult, Johann 87 334  Namenregister

Schultz, Wolfgang 30 Schultze, Norbert 107, 108 Schultze-Naumburg, Paul 24, 26, 30, 45, 52, 65, 72, 73, 75 Schulze-Boysen, Harro 190 Schumann, Robert 92, 101, 159 Schüntzel, Reinhold 148 Schuschnigg, Kurt von 269 Schuster-Woldan, Raffael 85 Schütz, Heinrich 92 Schwarz, Bernard 280 Schwarzkopf, Richard 119 Schwarzschild, Leopold 229 Schweitzer, Hans 16 Schwesig, Karl 286 Schwitters, Kurt 73 Seghers, Anna 112, 211, 216, 224, 226, 227, 233, 238, 247, 253, 258, 263, 266, 267, 275, 306 Seidel, Ina 114, 127, 182 Seifert, Alwin 62 Senger, Alexander von 65 Serkin, Rudolf 293 Serrano, Rosita 107 Shakespeare, William 135 Siebert, Georg 84 Sierck, Detlef 147 Silone, Ignazio 295 Sinclair, Upton 112, 175 Sintenis, Reneé 306 Siodmak, Robert 276, 277, 279 Sirk, Douglas 281 Slezak, Leo 57 Sluyterman von Langeweyde, Georg 30, 36, 82 Söderbaum, Kristina 149 Spann, Othmar 52 Speer, Albert 66–68, 90, 91, 167 Spengler, Oswald 245, 255 Sperber, Manès 253 Spoerl, Heinrich 127 Spranger, Eduard 306 Stalin, Josif 37, 225, 257, 305

Stanislawsky, Konstantin Sergejewitsch 269 Stapel, Wilhelm 20 Stassen, Franz 84 Steckel, Leonard 232, 269, 271 Stege, Fritz 92, 101 Stehr, Hermann 114, 182 Steinberg, Wilhelm 296 Stenzel, Hermann 83 Stiedry, Fritz 295 Spoliansky, Mischa 108 Stolz, Robert 292 Stramm, Gustav 200 Strasser, Gregor 60, 75, 116, 157 Strasser, Otto 38, 52, 116, 157 Strauss, Oskar 93 Strauss, Richard 54, 55, 92, 97, 98, 104, 105, 292, 293 Strauß, Emil 52, 114, 124 Strawinsky, Igor 95, 96, 204, 298 Streicher, Julius 21, 153 Stroux, Johannes 306 Strzygowski, Josef 26, 32 Suhrkamp (Verlag) 183 Sutermeister, Heinrich 95 Szell, Georg 293, 296 Taeschner, Titus 128 Tappert, Georg 73 Taut, Bruno 72, 224 Tessenow, Heinrich 71 Thälmann, Ernst 258 Thiess, Frank 182 Tiebert, Hermann 86 Tillich, Paul 303 Thimig, Helene 130 Thoma, Hans 72, 86, 285 Thorak, Josef 89, 90, 91 Thyssen, Fritz 245, 286, 287 Tiessen, Heinz 95 Toch, Ernst 93, 291 Todt, Fritz 62, 167

Toller, Ernst 21, 112, 211, 216, 224, 233, 246, 257, 259 Torberg, Friedrich 278 Trepte, Curt 269 Tretjakow, Sergej 249 Troost, Paul Ludwig 62, 63, 66 Trotzki, Leo 22, 237 Tucholsky, Kurt 20, 108, 111, 212, 213, 219, 257 Tuscherer, Eugen 277 Tuvim, Judith 280 Uhlen, Gisela 135 Uhse, Bode 227, 238, 258 Ullmann, Viktor 106 Ullstein (Verlag) 20, 232 Ulmer, Edgar 279 Undset, Sigrid 127 Unger, Heinz 295 Vallentin, Max 269 Vansittart, Robert 255 Veidt, Conrad 277 Verdi, Giuseppe 106 Vesper, Will 112, 114, 185 Viegener, Eberhard 87 Viertel, Berthold 234, 253, 277, 303 Vinnen, Carl 72 Vogeler, Heinrich 275 Voll, Christoph 196, 197 Voß, Richard 127 Wackerle, Josef 68, 90 Wagener, Elsa 135 Wagner, Richard 19, 35, 40, 92, 96, 101–104, 142, 160, 293 Wagner, Wolfgang 103 Wagner, Wieland 103 Wagner, Winifred 52, 103 Wagner-Régeny, Rudolf 94, 104 Waggerl, Karl-Heinz 124 Waldinger, Ernst 253 Waldmann, Guido 92 Namenregister  335

Walter, Bruno 291, 296 Wälterlin, Oskar 271 Wamper, Adolf 90 Wangenheim, Gustav von 224, 275, 276 Wassermann, Jakob 56, 112 Weber, Carl Maria von 92, 101, 102 Webern, Anton 204, 297 Wedding, Alex 226 Wegener, Paul 135, 149, 306 Wehner, Josef Magnus 125 Weigel, Helene 268, 269 Weill, Kurt 20, 93, 94, 294, 299 Weinert, Erich 211, 217, 224, 258, 305 Weinheber, Joseph 185 Weisenborn, Günther 148, 190, 306 Weiser, Grethe 150 Weiskopf, Franz Carl 226, 238, 249, 253 Weismantel, Leo 182 Weiss, Ernst 257 Weiss, Peter 289 Wells, Herbert George 229, 247 Wendland, Winfried 75 Wenzler, Hans 146 Werfel, Franz 112, 211, 213, 216, 222, 239, 260 Werner, Bruno E. 77, 112 Werner, Theodor 193 Wertow, Dsiga 275 Wessel, Horst 99–101, 117 Westecker, Wilhelm 83 Westermann, B. 255 Westheim, Paul 238 Wicclair, Walter 273 Widukind 21 Wiechert, Ernst 187–189 Wilder, Billy 144, 278, 279 Willrich, Wolfgang 77, 82, 83, 159

336   Namenregister

Winkler, Eugen Gottlob 183 Winter, Fritz 193 Winters, Shelley 280 Wirth, Herman 32, 121 Wissel, Adolf 86 Wittstock, Erwin 123 Wohlbrück, Adolf 277 Wolf, Friedrich 18, 21, 211, 217, 224, 228, 230, 258, 259, 271, 275, 305 Wolf, Hugo 292 Wolff, Theodor 111, 151 Wölfflin, Heinrich 52 Wolfskehl, Karl 212, 259 Wolpe, Stefan 93, 241, 291, 296, 297 Worringer, Wilhelm 52 Wüsten, Johannes 73, 212, 225, 226, 286 Yourgrau, Wolfgang 235 Zeisler, Alfred 281 Zeller, Carl 99 Zemlinsky, Alexander von 292 Zerkaulen, Heinrich 118 Ziegler, Adolf 51, 67, 77, 86, 87, 285 Ziegler, Hans Severus 51, 95 Zille, Heinrich 192 Zillig, Winfried 95 Zimmering, Max 249 Zinnemann, Fred 144, 279 Zinner, Hedda 226 Zöberlein, Hans 125 Zuckmayer, Carl 116, 139, 259, 278 Zügel, Heinrich von 85 Zweig, Arnold 20, 111, 125, 219, 233, 235, 240, 248, 249, 260, 264 Zweig, Stefan 98, 112, 216, 234, 257, 260

Bildnachweise

Archive Bayreuth, Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung 17 Berlin, ADN Zentralbild 24 Berlin, Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte 8, 15, 27, 28, 36, 37, 50 Berlin, Hilde Hoffmann 44 Los Angeles, Margaret Herrick Library Academy Film Archive 47 München, Bilderdienst Süddeutsche Zeitung 18, 29 München, Bildarchiv der Bayrischen Staatsbibliothek 30 Osnabrück, Felix Nußbaum Haus 51 Washington DC, National Archives 53 Wien, Arnold Schönberg Center 52 Wikimedia Commons 38 Madison, Archiv des Verfassers 1, 6, 9, 19, 39, 42, 48

Aus Büchern Wolfgang Schultz: Altgermanische Kultur in Wort und Bild, München 1934 4 Wolfgang Langhoff: Veensoldaten, Amsterdam 1935 49 Leni Riefenstahl: Hinter den Kulissen des Reichsparteitag-Films, München 1935 23 Deutsche Heldensagen. Neu erzählt von Hans Friedrich Blunck, Berlin 1938 21 Anatol von Hübbeneit: Das Taschenbuch Schönheit der Arbeit, Berlin 1938 31 Kataloge der Großen Deutschen Kunstausstellungen 5, 10, 20 K. L. Tank: Deutsche Plastik unserer Zeit, München 1942 14 Wilhelm Westecker: Krieg und Kunst der Gegenwart, Breslau 1943 11 Was sie liebten. Salonmalerei im 19. Jahrhundert, Köln 1969 12 Werner Hecht (Hrsg.): Bertolt Brecht. Sein Leben in Texten und Bildern, Frankfurt a. M. 1978 41 Werner Mittenzwei: Exil in der Schweiz, Leipzig 1978 46 Volker Skierka: Lion Feuchtwanger. Eine Biographie, Berlin 1984 40 Otto Weber: Tausend ganz normale Jahre. Ein Photoalbum des gewöhnlichen Faschismus, Nordlingen 1987 16 Eric Rentschler: The Ministry of Illusion. Nazi Cinema and its Afterlife, Cambridge 1996 26 Götz Adriani (Hrsg.): Rudolf Schlichter. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, München 1997 34 Bildnachweise  337

Hans-Jörg Koch: Wunschkonzert. Unterhaltungsmusik und Propaganda im Rundfunk des Dritten Reichs, Graz 2006 25

Aus Zeitschriften Die Kunst im Dritten Reich 3, 7 Der Stürmer 2 Kunst dem Volke 33 Kraft durch Freude 32 Orient 43 Falls im Hinblick auf die in diesem Buch abgebildeten Kunstwerke und Fotographien irgendwelche Rechtsnachfolger übersehen wurden oder nicht ausfindig gemacht werden konnten, bitte ich diese, sich beim Verlag zu melden und ihre Ansprüche geltend zu machen.

338  Bildnachweise

Jost Hermand

der KunstHistoriKer ricHard Hamann eine politiscHe Biogr apHie (1879–1961)

Richard Hamann (1879–1961) war einer der bedeutendsten deutschen Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts. Er begründete das Marburger Bildarchiv und war zeitweiliger Vorsitzender des Kunsthistorikerverbandes. In den langen Jahren seiner Lehrtätigkeit von 1911 bis 1957 und in seinen zahlreichen Publikationen trat er stets energisch für die Durchsetzung einer leistungsbetonten Sachkultur ein und verwarf jedes gesellschaftliche Rangbewußtsein im Sinne personenkultischer Vorstellungen. Da er dieses Konzept selbst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in West- und Ostdeutschland vertrat, geriet er zusehends zwischen die Fronten des Kalten Kriegs und wurde dementsprechend an den Rand gedrängt. Jost Hermand versucht, dieser langanhaltenden Verfemung entgegenzutreten und das Vorbildliche der ideologischen »Haltung« Hamanns herauszustellen. Vor dem Hintergrund der zeitpolitischen Ereignisse entwirft er eine Biographie Richard Hamanns, der selber alles Ichbe tonte abgelehnt hätte. Deshalb wird der Hauptakzent vor allem auf Hamanns vielfältige Bemühungen gelegt, unter dem Motto »Theoria cum praxi« einer progressionsbetonten Kunst- und Kulturpolitik für Jedermann den Weg zu bereiten. 2009. 228 S. 40 S/w-Abb. Gb. mit SU. 135 x 210 mm. iSbN 978-3-412-20398-6

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K athrin iselt

»sonderbeauftr agter des führers« der KunsthistoriKer und MuseuMsMann herMann Voss (1884–1969) (studien zur Kunst, band 20)

Hermann Voss (1884-1969) gehört zu den profiliertesten deutschen Kunsthistorikern des 20. Jahrhunderts. Leipzig, Berlin, Wiesbaden und Dresden waren Stationen seiner Museumskarriere. Verbunden bleibt sein Name jedoch mit der Tätigkeit als Sonderbeauftragter Hitlers für das »Führermuseum« in Linz. Dieses Buch untersucht erstmals detailliert das Leben und Wirken des Kunsthistorikers und seine Verstrickung in den nationalsozialistischen Kunstraub, die schon lange vor seiner Ernennung zum »Sonderbeauftragten für Linz« begann. Voss hatte bereits als Direktor der Wiesbadener Gemäldegalerie, deren Leitung er 1935 übernahm, im Sinne des NS-Staates agiert und von der Beschlagnahme jüdischen Eigentums profitiert. Konsequenzen sollten sich für ihn nach Kriegsende daraus nicht ergeben. Voss verstarb 1969 in München als geachteter Wissenschaftler und Gemäldeexperte.

2010. 516 S. Gb. 170 x 240 mm. ISbN 978-3-412-20572-0

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