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German Pages 260 Year 1948
KUBISCHE UND BIQUADRATISCHE GLEICHUNGEN VON
H E I N R I C H
D'O'RRIE
MIT 19 A B B I L D U N G E N
19
mtM'
48
LEIBNIZ VERLAG MÜNCHEN B I S H E R R. O L D E N B O U R G
VERLAG
Prof. Dr. H. Dörrie, geb. 2. 12. 1873 in Hannover. Reifeprüfung 1895 an der Leibnizschule Hannover. Studium der Mathematik, Physik, Geographie, Englisch und Französisch an den Universitäten Göttingen und Leipzig. Doktor- und Staatsexamen 1898 an der Universität Göttingen. Lebt in Hofstetten bei Ebern als wissenschaftlicher Schriftsteller. Copyright 1948 by Leibniz Verlag (bisher R. Oldenbourg Verlag) München. US-E-179. Dezember 1948. 1 , - 3 . Tausend. Druck- und Buchbinderarbeiten: R . Oldenbourg, Graph. Betriebe G.m.b.H., München.
VORWORT Die Entstehung des vorliegenden Buches geht auf eine Anregung von Herrn Dr. Rudolf Oldenbourg zurück. Sein Gedanke, die wichtigsten Gesetze und Anwendungen der kubischen und biquadratischen Gleichungen zusammenhängend darzustellen, erwies sich als ein ungemein glücklicher; wir sind ihm für seine Initiative und für seine unablässigen Bemühungen zur Überwindung der Druckschwierigkeiten zu größtem Dank verpflichtet. Über Einteilung und Umfang des Buches gibt das Inhaltsverzeichnis hinreichenden Aufschluß, so daß an dieser Stelle von einem Eingehen auf Einzelheiten abgesehen werden kann. Ein äußerlicher, für den Leser aber wichtiger Umstand muß jedoch hier erwähnt werden: Im Buche treten mehrfach neben den lateinischen Großbuchstaben A, B, M, N\ die entsprechenden griechischen Buchstaben auf; um diese von ersteren zu unterscheiden, wurden für die l a t e i n i s c h e n Buchstaben die Zeichen A, B, M, N, für die g r i e c h i s c h e n Buchstaben die Zeichen A, B, M, N gewählt. Der Verfasser hofft, daß es ihm gelungen ist, einen brauchbaren Anteil zur Erreichung des beim vorliegenden Thema zu erstrebenden Ziels beigetragen zu haben. Er wird jeden Vorschlag zu Verbesserungen und zur weiteren Ausgestaltung des Themas dankbar begrüßen und bestrebt sein, ihn bei etwaigen Neuauflagen nutzbringend zu verwerten. Nicht selten begegnet man der Ansicht, daß der Stoff der kubischen Gleichungen „wegen seiner Trockenheit und Unwichtigkeit für Höhere Schulen entbehrlich sei". Wie unberechtigt und abwegig eine solche Auffassung ist, wird jeder Unbefangene erkennen, der das vorliegende Buch auch nur oberflächlich durchblättert; er wird sehen, daß hier von Trockenheit und Einförmigkeit keine Rede sein kann, und daß besagter Stoff für den Lehrplan jeder höheren Schulart bedeutungsvoll "und unentbehrlich ist. Unser Buch zeigt eindringlich, wie erstaunlich viele und verschiedenartige, einfache und schwierige Gedankengänge mit der Lehre von den kubischen und biquadratischen Gleichungen verflochten sind. Diese Fülle und Mannigfaltigkeit der geschilderten Erscheinungen erweckt das Gefühl der Bewunderung für die Leistungen der Männer, denen wir die Kenntnis dieser Gesetze und Methoden verdanken, und wird, wie ich hoffe, alle, die eine mathematische, naturwissenschaftliche oder technische Ausbildung anstreben, von der Notwendigkeit überzeugen, sich mit diesem wichtigen Wissenszweig vertraut zu machen. Hofstetten-Ebern, im Herbst 1948
Heinrich Dörrie
INHALTSVERZEICHNIS
ERSTER TEIL / THEORIE Seite
Erster § 1. § 2. § 3. § 4. § 5. § 6. § 7. § 8. § 9. § 10. §11. § 12. § 13. § 14.
Abschnitt: Kubische Gleichungen Die rein kubische Gleichung Die reziproke kubische Gleichung Die allgemeine kubische Gleichung Casus irreducibilis Beziehungen zwischen Koeffizienten und Wurzeln Rationale Wurzeln Numerische Wurzelbestimmung Graphische Lösung der kubischen Gleichung Lösung der kubischen Gleichung durch Einschiebung Doppelwurzel und D i s k r i m i n a n t e Zeichenwechsel und Zeichenfolgen Wurzelintervalle I n v a r i a n z der D i s k r i m i n a n t e R e s u l t a n t e zweier kubischer Gleichungen
7 7 9 10 15 17 19 22 26 26 29 35 38 40 42
. . . . . . .
Zweiter Abschnitt: Biquadratische Gleichungen § 15. Ferraris Verfahren §16. Beziehungen zwischen Koeffizienten und Wurzeln §17. Descartes' Verfahren § 18. Lagranges Verfahren zur Auflösung der biquadratischen Gleichung §19. Graphische Lösung der bi quadratischen Gleichung §20. Doppelwurzel und D i s k r i m i n a n t e §21. Vom Doppelverhältnis über Gauchys I d e n t i t ä t zur D i s k r i m i n a n t e . § 22. RealitätsVerhältnisse §23. Der Satz von Sturm § 24. Reziproke bi quadratische Gleichungen § 25. Der Satz von Legendre § 26. I n v a r i a n t e n der bi quadratischen Form
. .
45 45 4.9 51 53 55 57 61 67 70 73 77 79
ZWEITER TEIL / A N W E N D U N G E N Erster Abschnitt: Anwendungen der kubischen und biquadratischen Gleichungen auf mathematische Aufgaben § 27. Arithmetische Aufgaben §28. Planimetrische Aufgaben § 29. Trigonometrische Aufgaben § 30. Stereometrische Aufgaben §31. Aufgaben aus der analytischen Geometrie § 32. E x t r e m a u f g a b e n
84 84 90 93 107 112 125
Zweiter Abschnitt: Anwendungen auf die Lösungen physikalischer Aufgaben § 33. Mechanische Aufgaben § 34. Optische Aufgaben § 35. Kopplung elektrischer Schwingungskreise
132 132 145 146
6
Inhaltsverzeichnis Seite
Dritter Abschnitt: Die Achsengleichung (das Achsenproblem der zentrischen Flächen 2. Grades) § 36. Orthogonale Substitutionen § 37. Das Achsenproblem der zentrischen Flächen 2. Grades § 38. Die Achsengleichung § 39. Sylvesters Realitätsbeweis § 40. Der Beweis von Kummer §41. Der Beweis von Weierstraß § 42. Achsenbestimmung der zentrischen Quadrik §43. Der Gedanke von Boole § 44. Die homogene Deformation
152 152 156 158 162 163 165 169 171 173
Vierter Abschnitt: Die Lamé-Gleichung §45.' Die vier Schnittpunkte zweier Kegelschnitte §46. Die Lamé-Gleichung §47. Die Koeffizienten der Lamé-Gleichung als Invarianten §48. Schließungsdreiecke § 49. Berührung zweier Kegelschnitte § 50. Harmonische Kegelschnitte §51. Kegelschnittlote § 52. Krümmung der Kegelschnitte
177 177 179 182 184 187 189 191 193
Fünfter Abschnitt: Anwendungen der kubischen Gleichungen auf Kurven dritter Ordnung § 53. Tangenten und Asymptoten §54. Newtons Sätze §55. Der Satz von Cotes §56. Der Polarkegelschnitt §57. Der Satz von Carnot . § 58. Schnittpunkte zweier Kubiken §59. Der Satz von Hesse §60. Der Satz von Maclaurin §61. Bestimmung der Inflexionspunkte
195 195 198 200 201 205 207 208 211 214
DRITTER TEIL / EINIGE DIOPHANTISCHE KUBISCHE U N D BIQUADRATISCHE G L E I C H U N G E N §62. § 63. §64. § 65. § 66. § 67. §68.
Die diophantische Gleichung x3 + y3 = zs Aufgabe von Bachet-Fermat Eulers diophantische Gleichung -)- Y3 = x3 -j- y3 Hermites Betrachtung der Gleichung- x3 + y3 = z3 -j- /3 . . . '. . . . Die diophantische Gleichung x3 - f y3 = z3 Die Unmöglichkeit der Gleichung x* -)- yi = z4 Die diophantische Gleichung X1—Y4 == x*—yi
217 221 224 226 227 233 234
A N H A N G / HILFSSATZE AUS DER ALGEBRA §69. § 70. § 71. §72. §73. § 74. § 75.
Moivres Formel Symmetrische Funktionen Der Fundamentalsatz der Algebra Taylors Entwicklung Vielfache Wurzeln Zerfall der temären quadratischen Form Die platonischen Formeln
Register
237 238 242 251 252 253 255 259
ERSTER TEIL / THEORIE
ERSTER A B S C H N I T T : KUBISCHE GLEICHUNGEN § 1. Die reinkubische Gleichung Die einfachste kubische Gleichung heißt x3 =
1.
Man sieht sofort, daß sie die Wurzel x = 1 besitzt. Es läßt sich aber leicht zeigen, daß sie noch zwei weitere Wurzeln hat. Bedenkt man nämlich, daß nach der bekannten Identität a3 — b3 = X3 —
1
(a — b)
=
(a2
+
1) (X 2 +
(X —
ab
+
b2)
1)
X +
ist, so erkennt man, daß außer der ursprünglichen Schreibung x3
— 1=
0
unserer Gleichung noch eine zweite Schreibweise existiert: (x —
1) (x2
+
x +
1 ) = 0 .
Und hieraus folgt, daß auch die beiden Wurzeln der quadratischen- Gleichung x2
+
x
+ 1= 0
die Ausgangsgleichung befriedigen. Die Wurzeln der quadratischen Gleichung sind ,„ =
(— 1+
i y 3)y2
und
HJ =
(— 1 —
i]/3)/2,
wo i die imaginäre Einheit bedeutet; und zwar ist w der konjugierte Wert von a>. D i e z w e i t e W u r z e l ( = l/«>,
o> = + 1 = 0. Natürlich läßt sich das Formeltripel auch sofort vermöge der für a> und w angegebenen Werte gewinnen. Die Probe bestätigt, daß co und ¡ü Wurzeln der Ausgangsgleichung sind, daß also co3= 1 und ZU3 — 1
8
E r s t e r Abschnitt: Kubische Gleichungen
ist. In der Tat: zunächst ist co3 = co2 • co = co • a>= 1, sodann a > 3 = (co2)3 = (co3)2 = 1 2 = 1. Das E r g e b n i s unserer Betrachtung lautet: Die kubische Gleichnng
x3 — 1
hat drei Wurzeln:
x = m2
x = 1, x = ot, oder, wie man auch schreiben kann, x = Ol, x = 3.
x= folgert und ihre Wui'zel demgemäß als D r i t t e E i n h e i t s w u r z e l bezeichnet» so können wir auch sagen: Es gibt drei D r i t t e E i n h e i t s w u r z e l n : 1, CO, CD . Z u s a t z . Man achte darauf, daß die Folge 1, co, co2, co3, coi, co.5 ... der Potenzen von co p e r i o d i s c h ist, insofern sich die Werte der sukzessiven Folgeglieder nach je drei Schritten wiederholen: CO3 = 1, CO4— CO, c o 5 = c o 2 , c o 6 = l , co 7 =co, c o 8 = c o 2 usw. 2
Darstellung der Dritten Einheitswurzeln als Ecken eines regulären Dreiecks.
Werden die drei Dritten Einheitswurzeln co1, co2, co3 als „Zahlen der Gaußebene" (komplexen Zahlenebene) konstruiert, so bilden sie, wie die Figur zeigt, die drei Ecken A,B,C eines dem Einheitskreise x2 y2= 1 einbeschriebenen gleichseitigen Dreiecks. 3 x m Bei Benutzung der drei Dritten Einheitswurzeln ist die Bestimmung der Wurzeln der allgemeinen reinkubischen Gleichung a;3= K, in welcher K eine beliebig gegebene Konstante bedeutet, einfach. Es sei k eine Zahl, deren Kubus K ist (man nennt k kurzweg „die" Kubikwurzel aus K); dann geht die kubische Gleichung in x3 = k3 über. Diese Gleichung hat, wie man ohne weiteres erkennt, die drei voneinander verschiedenen Wurzeln ix= k, ß=kco, y=kco2. Andere Wurzeln hat sie nicht, da aus ihrer Schreibung (x — k) (x2 + kx + k2)= 0 hervorgeht, daß sie genau drei Wurzeln hat.
§ 2. Die reziproke kubische Gleichung
9
Man würde also auf dieselben drei Wurzeln stoßen, wenn man statt des o b i g e n k ein a n d e r e s k nehmen würde, dessen Kubus K ist. Wir drücken das erhaltene Ergebnis folgendermaßen aus: Die kubische Gleichung
x3 = K bat die drei Wurzeln
¡Ii,
o> | 7 i ,
«>2 ]' K ,
3
wo y K die Kubikwurzel (eine beliebige Kubikwurzel) aus K bedeutet.
Mit anderen Worten: Es gibt genau drei Kubikwurzeln aus einer vorgelegten Zahl K ; jj
ihnen, so sind toy K
3
und o>21/ K
3
ist \! K
eine von
die beiden andern.
§ 2. Die reziproke kubische Gleichung Eine algebraische Gleichung heißt bekanntlich r e z i p r o k , wenn die reziproken Werte ihrer Wurzeln gleichfalls ihre'Wurzeln darstellen. Anders ausgedrückt: Eine Gleichung raten Grades in x heißt r e z i p r o k , wenn sie durch die Verwandlung von x in 1 : x unverändert bleibt. Wenden wir diese Definition auf die kubische Gleichung ax3 + bx2 + cx + d= 0 an, so geht diese Gleichung durch die Verwandlung von x in 1 : x über in a : xs + b : x2 -)- c : x + d— 0 oder in
dx3 + cx2 + bx + a=
0.
Wenn diese neue Gleichung dieselben Wurzeln wie die vorgelegte haben soll, so müssen ihre Koeffizienten den Koeffizienten der Ausgangsgleichung proportional sein: d : a= c: b = b : c— a : d. Nennen wir den gemeinsamen Wert dieser vier Verhältnisse t, so gelten die .Relationen d=at,
c=bt,
b=ct,
a=dt.
Substituieren wir den Wert von d aus der ersten in der letzten, so wird t2= mithin
t=
+ 1
1,
oder
t — — 1.
Im ersten Falle wird
d=a,
c=b,
im zweiten
d = — a,
c=
— b.
Demnach gibt es zwei Arten reziproker kubischer Gleichungen: