Kronerben der Weisheit: Gott, König und Frommer in der didaktischen Literatur Ägyptens und Israels 3161489705, 9783161578441, 9783161489709

Die Untersuchung der alttestamentlichen Proverbien und ausgewählter Lehren des ägyptischen Mittleren Reichs zeigt, dass

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichis
I. Einleitung
A. Le roi ne meurt jamais
1. Der König der Weisheit
2. Göttin m3c.t und Frau Weisheit
3. Forschungsgeschichte und Fragestellungen
B. Der Königsweg der Weisheit
4. Abgrenzung der Quellen
5. Entstehung der ägyptischen Lehren aus der Biographie
6. Einzelspruch und Sammlung im Proverbienbuch
7. Historische und literarische Datierungen
8. Die Entdeckung der Langsamkeit des Lesens
II. Vom König zum Gott des Einzelnen – eine ägyptische Rochade
A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des Unglücks
1. Die Lehre Amenemhets I.
a) Mord im Palast und die dramatische Inszenierung einer Lehre
b) Die mythische Krise der Ordnung
c) König ohne Gott
d) Zusammenfassung
2. Die Lehre für König Merikare
a) Die Schuld des Vaters als Hypothek der Herrschaft
b) Das königliche Handeln für Gott
c) König und Mensch vor dem Jenseitsgericht
d) Um der Menschen willen schuf Gott die Herrscher
e) Zusammenfassung
B. Das Herz ist König
3. Die Lehre des Ptahhotep
a) Da sagte die Majestät dieses Gottes: Belehre ihn!
b) Ist das Ende da, so währt doch m3c.t
c) Das Herz ist Leben, Heil, Gesundheit des Menschen
d) Zusammenfassung
C. Die loyalistischen Lehren
4. Die Lehre eines Mannes für seinen Sohn
a) ẖnw – innen und außen als doppelte Bestimmung der Adressaten
b) Der Gott und der König
c) „Dein Gott“ und die Ebene der Innerlichkeit
d) Zusammenfassung
5. Die Loyalistische Lehre
a) Gutes Leben im Königsgefolge
b) Die göttlichen Prädikationen des Königs
c) Die doppelte Gebundenheit in der Gemeinschaft
d) Zusammenfassung
D. Gott, König und Frommer
6. Der Handlungskreislauf der Lehren
7. Die Frage nach Macht und m3c.t
8. Die Selbstverortung der Elite in den Lehren des Mittleren Reichs
9. Die Gottesunmittelbarkeit des Weisen
10. Gott als Erbe des Königs
III. Die Weisen auf den Thron! – Alttestamentliche Erhebungen
A. Beobachtungen in Prov 10,1–22,16
1. Weiser oder Volkstribun – Prov 14,26–15,18
a) Übersetzung und Textkritik
b) Der König als Repräsentant der gerechten Gemeinschaft
c) Der Weise ist König
d) Zusammenfassung und Ausblick
2. Der königliche Mensch – Prov 16,1–15
a) Übersetzung und Textkritik
b) Leben und Tod in der Hand des Königs
c) Der Mensch in seiner schlechthinnigen Abhängigkeit
d) Gottes erster Untertan als Bild des idealen Weisen
e) Zusammenfassung
3. Eine Gesellschaftsordnung en miniature – Prov 19,10–12
a) Übersetzung und Textkritik
b) Herr über Leben und Tod
c) Macht über Leben und Tod gebührt nur dem königlichen Weisen
d) Zusammenfassung
4. Nachdrückliche Warnung vor Zorn und Raserei – Prov 20,1–3
a) Übersetzung und Textkritik
b) Die Sünde gegen das eigene Leben
c) Streit und Gebrüll als Feinde der rechten königlichen Weisheit
d) Zusammenfassung
5. Vom rechten Urteil und seinen Voraussetzungen – Prov 20,5–12
a) Übersetzung und Textkritik
b) Der königliche Richter
c) Die Gabe der Gerechtigkeit
d) Zusammenfassung
6. Vergeltung zwischen Selbstjustiz und göttlichem Privileg – Prov 20,22–21,3
a) Übersetzung und Textkritik
b) Richter, Throner und Handlanger Gottes
c) Bedingungen weltlicher Gerechtigkeit
d) Zusammenfassung
7. Königsfreunde in Gottesfurcht – Prov 21,30–22,16
a) Übersetzung und Textkritik
b) Sein Freund ist König
c) Keine Weisheit besteht vor YHWH
d) Zusammenfassung
B. Der König und Frau Weisheit
8. Die drei Gesichter des Königs – Prov 25
a) Übersetzung und Textkritik
b) Der König als Herr des Hofstaates
c) Der König als Vorbild des idealen Gerechten
d) Gott und Könige und die Grenzen der Erkenntnis
e) Zusammenfassung
9. Der königliche Hirte und die Mägde der Weisheit – Prov 27,23–27
a) Übersetzung und Textkritik
b) Eine Krone bleibt nicht für und für
c) Zusammenfassung
10. Beobachtungen einer Königsgenese – Prov 28–29
a) Übersetzung und Textkritik
b) Vom sozial verträglichen Wirtschaften und Herrschen
c) Herrschen und Handeln als Erweis von Frevel und Gerechtigkeit
d) Das richtige Antlitz suchen – YHWH und die Herrscher
e) Der königliche Weise besänftigt den närrischen Sturm
f) Zusammenfassung
11. Frau Weisheit belehrt den König – Prov 31,1–9
a) Übersetzung und Textkritik
b) Die Königslehre einer Mutter
c) Treue, Nüchternheit und Erbarmen als Prinzipien gelingenden Lebens
d) Frau Weisheit und der weise König als Kompositionsprinzipien
IV. Konvergierende und divergierende Königsgeschichten
A. Gott, König und Frommer – Konstellationen unter veränderten Bedingungen
B. Die Weisheit hat ihr Haus gebaut – Einsichten in ein komplexes Phänomen
C. Ich hatte meine Lust an den Menschenkindern – Menschenbilder der Weisheit
D. Keine Weisheit, kein Verstand, kein Rat bestehen vor dem Herrn
E. Konservation und Innovation der Weisheit am Beispiel der Rede vom König
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Stichwortregister
Register hebräischer Begriffe
Register ägyptischer Begriffe
Namensregister
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Kronerben der Weisheit: Gott, König und Frommer in der didaktischen Literatur Ägyptens und Israels
 3161489705, 9783161578441, 9783161489709

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Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) • Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)

20

Alexa F. Wilke

Kronerben der Weisheit Gott, König und Frommer in der didaktischen Literatur Ägyptens und Israels

Mohr Siebeck

F. WILKE, geboren 1973; Studium der evangelischen Theologie in Tübingen, Rom und Göttingen; Promotionsstudium der Ägyptologie und evangelischen Theologie in Göttingen und Tübingen; 2004 Rigorosum; Vikarin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. ALEXA

978-3-16-157844-1 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-148970-5 ISBN-13 978-3-16-148970-9 ISSN 1611-4914 (Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2006 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Held in Rottenburg gebunden.

Vorwort Vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2004/ 2005 von der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Das Rigorosum fand am 8. Dezember 2004 statt. Für den Druck wurde der Text durchgesehen und geringfügig überarbeitet. Vielen Menschen gebührt an dieser Stelle Dank. Vor allen anderen Prof. Dr. Hermann Spieckermann. Er hat die Arbeit angestoßen, begleitet und geduldig bis humorvoll darauf gewartet, dass seine Doktorandin ihren Weg fand. Dabei ließ er sich auf manchen Schlenker ein und stand immer als freundlich-kritischer Gesprächspartner zur Verfügung. Fachlichen Austausch und dialogbereite Gegenüber habe ich auch im Doktorandenkolleg in Göttingen gefunden. Namentlich Prof. Dr. Reinhard G. Kratz, der das Zweitgutachten erstellte, sei gedankt für Forderung und Förderung. In den Jahren 2001-2004 wurde ich als Kollegiatin des Tübinger Graduiertenkollegs „Die Bibel - ihre Entstehung und ihre Wirkung" von der DFG unterstützt. In der ägyptischen Literatur ist die Reise Sinnbild für Veränderung, für die Eröffnung neuer Räume. Dass meine dreijährige Reise in den Süden neue Räume und neue Einsichten eröffnete, danke ich auch den Tübinger Kollegiatinnen und Kollegiaten. Der Sprecher des Kollegs, Prof. Dr. Bernd Janowski, hat mich die gesamte Zeit wie eine eigene Doktorandin gefördert und begleitet. Vor allem an den fruchtbaren Austausch in seinem Doktorandenkolleg denke ich gerne zurück. Ihm, Prof. Dr. Mark S. Smith und Prof. Dr. Spieckermann verdanke ich zudem die Aufnahme in die Reihe „Forschungen zum Alten Testament 2. Reihe". Ich habe mich während dieser Arbeit oft in fremden Gefilden bewegt, da ich nicht nur durch die alttestamentliche Weisheit gereist bin, sondern auch ägyptische Wege verfolgt habe. Dabei standen mir von der ersten Hieroglyphe an hilfsbereite Ägyptologen zur Seite, die sich immer wieder den Fragen und Problemen der Theologin stellten und damit diese Arbeit überhaupt erst möglich gemacht haben. Stellvertretend nenne ich Prof. Dr. Friedrich Junge, der auch das ägyptologische Fachgutachten formulierte, Prof. Dr. Waltraud Guglielmi, die sich in Tübingen um mein Vorankommen sorgte und sich auch anlässlich kleiner Fragen bereitwillig ins Gespräch ziehen ließ, und Jun.-Prof. Dr. Gerald Moers, in dem ich einen ägyptologischen Freund gefunden habe.

VI

Vorwort

Das Manuskript ist bis zu seiner Drucklegung durch viele Hände gegangen. Dr. Alexandra Grund, Dr. Corinna Körting, Dr. Stefanie Lepre und Dr. Mareike Rake haben mich nicht nur als Freundinnen, sondern auch bei den Korrekturen der Doktorarbeit unterstützt. Klaus Vogler kümmerte sich um die schlimmsten Aussetzer meines Computers. Dass die Druckfassung wesentlich ansprechender ist als die eingereichte Arbeit danke ich Tanja Mix von MohrSiebeck, die sehr freundlich, konsequent und kompetent die Drucklegung begleitet hat, sowie meiner Schulmentorin Christiane Röper, die mit geübtem Blick und liebenswerter Ausdauer meine Seiten korrigierte. Wenn eine eine Reise tut, dann gibt es nicht nur fachliche Begleitung. Viele Menschen haben mich durch Verständnis und Freundschaft durch die Zeit getragen. Mein Mentor Stephan Wallis, der immer wieder Zeit für die wissenschaftliche Arbeit einräumte, Freundinnen und Freunde, die in heißen Phasen manche Vernachlässigungen ertrugen, sowie die Kolleginnen und Kollegen aus dem Vikariatskurs 67, die nie hämisch wurden, wenn ich einmal wieder versicherte, fast fertig zu sein. Über allem mein Mann Dr. Matthias Wilke - er ist erster Gesprächspartner, liebevoll kritisches Gegenüber und meine große Hilfe (Gen 2,18). Ich widme diese Arbeit meinen Eltern. Ihre Weisung war die erste, die mich geprägt hat. Auch wenn ich oft eigenen Wegen gefolgt bin, weiß ich, dass mich ihre Liebe begleitet. Steyerberg im Juni 2006

Alexa F. Wilke

Inhaltsverzeichis Vorwort

V

I. Einleitung l

A. Le roi ne meurt jamais

l

1. Der König der Weisheit 2. Göttin m>c.t und Frau Weisheit 3.Forschungsgeschichte und Fragestellungen

B. Der Königsweg der Weisheit

1 4 6

11

4. Abgrenzung der Quellen 5. Entstehung der ägyptischen Lehren aus der Biographie 6. Einzelspruch und Sammlung im Proverbienbuch 7. Historische und literarische Datierungen 8. Die Entdeckung der Langsamkeit des Lesens

11 15 18 24 36

II. Vom König zum Gott des Einzelnen - eine ägyptische Rochade 41

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des Unglücks 1. Die Lehre Amenemhets 1 a) Mord im Palast und die dramatische Inszenierung einer Lehre b) Die mythische Krise der Ordnung c) König ohne Gott d) Zusammenfassung 2. Die Lehre für König Merikare a) Die Schuld des Vaters als Hypothek der Herrschaft b) Das königliche Handeln für Gott c) König und Mensch vor dem Jenseitsgericht d) Um der Menschen willen schuf Gott die Herrscher e) Zusammenfassung

41 43 43 47 49 52 53 53 58 63 66 71

VIII

Inhaltsverzeichnis

B. Das Herz ist König 3. Die Lehre des Ptahhotep a) Da sagte die Majestät dieses Gottes: Belehre ihn! b) Ist das Ende da, so währt doch m>c.t. c) Das Herz ist Leben, Heil, Gesundheit des Menschen d) Zusammenfassung.

C. Die loyalistischen Lehren 4. Die Lehre eines Mannes für seinen Sohn a) hnw- innen und außen als doppelte Bestimmung der A dressaten b) Der Gott und der König. c) „ Dein Gott" und die Ebene der Innerlichkeit d) Zusammenfassung. 5. Die Loyalistische Lehre a) Gutes Leben im Königsgefolge b) Die göttlichen Prädikationen des Königs c) Die doppelte Gebundenheit in der Gemeinschaft d) Zusammenfassung.

D. Gott, König und Frommer 6. Der Handlungskreislauf der Lehren 7. Die Frage nach Macht und m>c.t 8. Die Selbstverortung der Elite in den Lehren des Mittleren Reichs 9. Die Gottesunmittelbarkeit des Weisen 10. Gott als Erbe des Königs

73 74 74 80 85 87

88 91 91 99 102 105 106 106 111 115 118

119 120 123 126 129 130

III. Die Weisen auf den Thron! - Alttestamentliche Erhebungen 138 A. Beobachtungen in Prov 10,1-22,16 1. Weiser oder Volkstribun - Prov 14,26-15,18 a) Übersetzung und Textkritik b) Der König als Repräsentant der gerechten Gemeinschaft. c) Der Weise ist König d) Zusammenfassung und Ausblick 2. Der königliche M e n s c h - P r o v 16,1-15 a) Übersetzung und Textkritik b) Leben und Tod in der Hand des Königs c) Der Mensch in seiner schlechthinnigen Abhängigkeit d) Gottes erster Untertan als Bild des idealen Weisen e) Zusammenfassung

138 138 140 143 150 157 158 160 167 172 176 178

Inhaltsverzeichnis

3. Eine Gesellschaftsordnung en miniature - Prov 19,10-12 a) Übersetzung und Textkritik b) Herr über Leben und Tod. c) Macht über Leben und Tod gebührt nur dem königlichen Weisen d) Zusammenfassung. 4. Nachdrückliche Warnung vor Zorn und Raserei - Prov 20,1 -3 a) Übersetzung und Textkritik b) Die Sünde gegen das eigene Leben c) Streit und Gebrüll als Feinde der rechten königlichen Weisheit d) Zusammenfassung. 5. Vom rechten Urteil und seinen Voraussetzungen - Prov 20,5-12 a) Übersetzung und Textkritik b) Der königliche Richter c) Die Gabe der Gerechtigkeit. d) Zusammenfassung. 6. Vergeltung zwischen Selbstjustiz und göttlichem Privileg - Prov 20,22-21,3 a) Übersetzung und Textkritik b) Richter, Throner und Handlanger Gottes c) Bedingungen weltlicher Gerechtigkeit d) Zusammenfassung. 7. Königsfreunde in Gottesfurcht - Prov 21,30-22,16 a) Übersetzung und Textkritik b) Sein Freund ist König c) Keine Weisheit besteht vor YHWH. d) Zusammenfassung.

B. Der König und Frau Weisheit 8. Die drei Gesichter des Königs - Prov 25 a) Übersetzung und Textkritik b) Der König als Herr des Hofstaates c) Der König als Vorbild des idealen Gerechten d) Gott und Könige und die Grenzen der Erkenntnis e) Zusammenfassung 9. Der königliche Hirte und die Mägde der Weisheit - Prov 27,23-27 a) Übersetzung und Textkritik b) Eine Krone bleibt nicht für undfür c) Zusammenfassung 10. Beobachtungen einer Königsgenese - Prov 28-29 a) Übersetzung und Textkritik b) Vom sozial verträglichen Wirtschaften und Herrschen c) Herrschen und Handeln als Erweis von Frevel und Gerechtigkeit d) Das richtige Antlitz suchen - YHWH und die Herrscher

IX

179 181 181 182 186 186 187 188 189 191 191 192 193 195 199 200 200 202 205 209 210 210 212 215 216

216 218 219 223 230 232 235 236 237 239 241 243 243 249 253 256

Inhaltsverzeichnis

X

e) Der königliche Weise besänftigt den närrischen Sturm f ) Zusammenfassung. 11. Frau Weisheit belehrt den König - Prov 31,1-9 a) Übersetzung und Textkritik b) Die Königslehre einer Mutter c) Treue, Nüchternheit und Erbarmen als Prinzipien gelingenden Lebens d) Frau Weisheit und der weise König als Kompositionsprinzipien

259 264 265 266 267 270 280

IV. Konvergierende und divergierende Königsgeschichten 282 A. Gott, König und Frommer - Konstellationen unter veränderten Bedingungen B. Die Weisheit hat ihr Haus gebaut - Einsichten in ein komplexes Phänomen C. Ich hatte meine Lust an den Menschenkindern - Menschenbilder der Weisheit D. Keine Weisheit, kein Verstand, kein Rat bestehen vor dem Herrn E. Konservation und Innovation der Weisheit am Beispiel der Rede vom König

283 289 291 294 297

Literaturverzeichnis Stellenregister Stichwortregister Register hebräischer Begriffe Register ägyptischer Begriffe Namensregister

301 315 325 329 331 332

I. Einleitung A. Le roi ne meurt jamais 1. Der König der Weisheit Weisheit ist das Geschäft der Könige. Diese Einsicht kann man schon aus den ersten Zeilen der Proverbien gewinnen: König Salomo belehrt seinen Sohn und Erben (Prov 1,1.8). Und nicht nur die Verfasserangaben, auch die Inhalte der Proverbien thematisieren immer wieder den Königshof und das höfische Leben, weshalb die Schlussfolgerung, „daß das Spruchbuch von sich aus zunächst auf den Königshof als eine traditionelle Pflegestelle der Weisheit verweist"1, geradezu zwingend erscheint. Von den Zuschreibungen an Salomo in einigen Sammlungsüberschriften2 bis hin zur abschließenden Königslehre für Lemuel3 spielt der König im Buch der Sprüche immer wieder eine herausgehobene Rolle im Miteinander von Gott und Mensch. Die königliche Provenienz der Weisheit ist aber keineswegs auf Israel beschränkt. So stellte schon von Rad fest, dass die Lehren auch in Ägypten „vornehmlich Königen oder höchsten Staatsbeamten zugeschrieben werden."4 Hier wie dort sind Königtum und Weisheit offensichtlich eng miteinander verbunden. Die Art ihrer Beziehung ist jedoch nicht restlos geklärt. Die Zuschreibung der Proverbien an Salomo wird heute kaum noch ernsthaft für historisch gehalten, auch eignen sich die Proverbien nicht besser als andere Spruchsammlungen für die Königserziehung. Vielmehr wird zumeist auf das Leben des Untertanen fokussiert. Dennoch verheißt der fiktive Sprecher Salomo seinen Eleven nicht weniger als dies: die Krönung. Ausgerechnet die Weisheit ist dabei die Spenderin der Königsherrschaft, denn „sie wird dein Haupt schön schmücken und wird dich zieren mit einer prächtigen Krone (Prov 4,9)." Angenommen die Fiktion der Belehrung durch Salomo wäre nicht nur der gekonnte Versuch, Aufmerksamkeit zu heischen, und das Versprechen eigener Königsmacht für gelehrige Schüler wäre mehr als das Zuckerbrot geschickter Erziehung? Wer sind dann, da doch die Königserziehung nicht das Ziel der Proverbien sein kann, die mit diesem Spruch ange1 2 3 4

VON RAD, Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1970, 28. Vgl. Prov 1,1; 10,1 und vermittelt auch 25,1. Prov 31,1-9. VON RAD, Weisheit in Israel, 28f.

2

/. Einleitung

sprochenen Kronerben? Wen krönt die Weisheit und wer sind die belehrten Erben? Oder anders gefragt: Welcher Art ist das Königtum, von dem hier die Rede ist? Erschwert wird die Beantwortung dieser Frage dadurch, dass das Königsbild der Proverbien auf den ersten Blick alles andere als einheitlich zu sein scheint. Folgt man den Erkunderinnen und Erkundern der Weisheit, so wird auf der einen Seite eine Gottähnlichkeit des Königs behauptet, die für den „unbefangenen Leser peinlich"5 wirkt. Auf der anderen Seite kann aber offenbar gerade die Weisheit als erste Kritikerin des Königs genannt werden. 6 Zwischen Sätzen, die dem Liebhaber der Weisheit Königsherrschaft verheißen (Prov 4,9), und Sätzen über die tödliche Bedrohung, die vom zürnenden König ausgeht, liegen Welten. An einigen Stellen scheint die Krone von jedem gelehrigen Schüler erreicht werden zu können, an anderen ist der eine König fern und gottgleich.7 Auch in den erwähnten ägyptischen Königslehren ist der Befund nicht einheitlich: Bisweilen ist es umstritten, wann die Lehren vom König reden und wann von einem Gott, weil der König selbst die Bezeichnung Gott (ntr) tragen kann. Zuweilen berichten sie sogar in schroffem Kontrast zu seiner Göttlichkeit vom Meuchelmord am König und von der göttlichen Bestrafung seiner Fehler. In einigen Passagen ist der König selbst wie ein Gott, in anderen abhängiger Untertan der Götter. Halb Gott, halb Mensch, so ließen sich die ersten Beobachtungen über den König in der Weisheit Ägyptens und Israels lakonisch zusammenfassen. Und auch eine systematisierende Auflistung der Königsbeschreibungen käme zu keinem weiterführenden Ergebnis. So zufallig dies auf den ersten Blick wirken mag, beinhaltet die Zusammenfassung doch eine entscheidende Erkenntnis für die weitere Erforschung des Königsbildes. Beides gehört zusammen: Gottsein und Menschsein des Königs sind in ihrem Zusammenklang die Kehrseite seiner Funktion als Mittler zwischen Himmel und Erde, als Repräsentant der Menschen vor den Gottheiten und der Gottheiten vor den Menschen. Diese Mittlerfunktion, sein Stand in der Ordnung an der Schnittstelle von Göttern und Menschen, macht ihn zu einer zentralen Gestalt in der Entwicklung von Theologie und Weisheit. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Weisheit in ihren grundlegenden Daten international ist und also auch die Stellung des Königs in Ägypten und Israel vergleichbar sein dürfte, ist zur Schärfung des Blicks für die Proverbien eine Auseinandersetzung mit der ägyptischen Weisheitsliteratur hilfreich. Trotz aller Ähnlichkeit gibt es gewichtige Unterschiede: In Ägypten 5

POLA, Struktur, 62. Vgl. zur Behauptung einer distanzierten Haltung der Proverbien gegenüber dem Königtum u.a. HAUSMANN, Menschenbild, 136 und 141ff. 7 Vgl. SCHMID, Gerechtigkeit als Weltordnung, 83. 6

A. Le roi ne meurt jamais

3

wird nicht, wie in den Proverbien, eine, redaktionell bearbeitete, Schrift untersucht, sondern eine Reihe von Lehren, die die Auseinandersetzung mit Rolle und Funktion des Königs jeweils unterschiedlich akzentuieren. Vor allem aber fällt der geschichtliche Abstand der zu vergleichenden Schriften ins Auge. Die ägyptischen Lehren des Mittleren Reiches sind im Schnitt mindestens 500 Jahre älter als die ältesten Teile des Sprüchebuches. Zwar wurde die Abhängigkeit einzelner Abschnitte der Proverbien von ägyptischen Lehren wahrscheinlich gemacht, dabei handelt es sich jedoch um Lehren des Neuen Reiches, die in dieser Arbeit nur am Rande berücksichtigt werden. Die verglichenen Schriftkorpora sind aus unterschiedlichen Zeiten, setzen verschiedene Gesellschaftsformen voraus und eine literarische Abhängigkeit kann nicht behauptet werden. Dennoch folgen beide wesentlichen Prinzipien der Weisheit und setzen sich dezidiert zum König ins Verhältnis. In beiden Korpora ist das Königtum offensichtlich ein Dreh- und Angelpunkt aller Verhältnisse von Gott/ Gottheiten und Menschen. Aus diesem Grund scheint ein Vergleich auch über Zeit und Entfernung hinweg angezeigt. Die Rolle des Königs ist in der Weisheitsliteratur wesentlich von seinem Gegenüber bestimmt. Deshalb kann seine Person nicht isoliert beschrieben werden. Das gilt sowohl für die untersuchten Textabschnitte als auch für die Fragerichtung. Der König ist der Mittler zwischen Gott und Menschen, und deshalb gelingt eine Beschreibung seiner Funktion nicht in der isolierten Betrachtung von Königsaussagen, weder in der Isolation der Königsverse vom Kontext noch in der Engführung des Blicks auf den König allein. Nicht nur der König, sondern auch Gott8 und Menschen lassen sich in der Weisheit nicht getrennt voneinander beschreiben. Sie gehören eng zusammen und werden in ihrem Bezug aufeinander thematisiert. Der Zusammenhang der Größen Gott, König und Mensch hat viele Namen und wird in der Weisheits8 Sowohl die vor polytheistischem Hintergrund formulierten Lehren Ägyptens als auch die Weisheit Israels sprechen an den meisten Stellen von Gott, nicht von Göttern. Aus diesem Grund wird im Folgenden grundsätzlich von „Gott" die Rede sein, ohne dass dabei der polytheistische Hintergrund vergessen werden dürfte. Die Wortwahl sollte also nicht als Aussage über etwaige „monotheistische Tendenzen" innerhalb der Weisheit verstanden werden. Dass solche sich für Ägypten nicht nachweisen lassen, hat zuletzt FOX, Two Decades of Research, zusammengefasst 126: „The desire to discover simple structures behind the multiplicity of phenomena is a basic drive of wisdom literature. It is this drive that gives wisdom literature its abstract, transtemporal character, and it is this that underlies the preference for the term (pi) ntr, which unites the multiplicity of gods without obviating their individuality." Vgl. dazu auch SCHMID, Wesen und Geschichte der Weisheit, 155: „So läßt sich die Weisheit weder als grundsätzlich monotheistische noch als grundsätzlich polytheistische Bewegung charakterisieren. Vielmehr könnte man sogar sagen: Die Weisheit hat aus ihrem ursprünglich in keiner Weise systematisierenden Wesen heraus überhaupt kein Interesse an irgendeinem (systematischen) -theismus. Weil sie von Gott wesentlich nur in enger Beziehung zum Vollzug weisen, d.h. Kosmos schaffenden Verhaltens spricht, ist sie vielmehr als grundsätzlich antitheistisch zu bezeichnen."

4

/ . Einleitung

literatur komplex bestimmt. Er wird als Thronfundament des Königs beschrieben,9 heißt Gerechtigkeit10 oder m>c. t, wird als Schöpfungsordnung definiert oder als Weisheit. In der Forschung bezeichnet man ihn als vertikale oder horizontale Solidarität11 und beschreibt die Handlungskreisläufe, die ihn ausmachen und in denen Tun und Ergehen von Menschen einander bedingen. Dabei befinden sich die beteiligten Personen jedoch nie in anonymen Automatismen, aus denen sich ihr Schicksal von selbst ergeben würde.12 Die beschriebene Ordnung ist immer ein interpersonales Geschehen. Dass diese Ordnung auf die Wechselfälle des Lebens und die unterschiedlichen Protagonisten ständig Bezug nimmt, macht die Besonderheit der Weisheitsliteratur aus. Dabei variiert auch das Bild vom König der Weisheit. Als seine Erben erweisen sich Götter und Menschen. Die vormals als Zusammenspiel von Gott, König und Mensch fixierte Lebensordnung ändert sich im Laufe der Entwicklung der Weisheit. Dabei tritt die Person des herrschenden Königs weithin zurück. An seine Stelle treten die Kronerben: Gott in den ägyptischen Lehren und der Fromme in Israel. Der König der Weisheit ist eine entscheidende Größe in der Bestimmung gesellschaftlicher Ordnungen, ein Gegenüber der Lebens- und Gottesbeschreibung der Weisen. Diese Rolle kann vom Herrscher übernommen werden, kann aber gerade in Zeiten, in denen kein eigener israelitischer König (mehr) existiert, auch anderweitig besetzt werden. Deshalb stirbt der König der Weisheit nie, auch nicht in Zeiten, in denen die Person des Herrschers zur Beschreibung des weisheitlichen Standes in der Gesellschaft nicht mehr vorhanden ist. Die Weisheit selbst fuhrt mächtige Kronerben ins Feld. 2. Göttin m>c.t und Frau Weisheit

In den einleitenden Bemerkungen wurde Weisheit als eine in Israel und Ägypten beheimatete Tradition beschrieben. Diese Vereinheitlichung ist nicht unumstritten, weil die ägyptische Sprache keinen dem hebräischen Begriff der häkmäh äquivalenten Ausdruck bietet. Die Rede von der Weisheit wurde von Ägyptologen aus der alttestamentlichen Wissenschaft übernommen. Auslöser für diese Adaption der Begriffe war 1932 Ermans Entdeckung der Ähnlichkeit einiger Passagen der Lehre des Amenemope mit Prov 22,1724,22. Durch die wörtlichen Anklänge konnte er die Abhängigkeit der alttestamentlichen Weisheit von ägyptischen Schriften und ihre inhaltliche Nähe zueinander plausibel machen.13 Entsprechend wurde die Kennzeichnung 9

Vgl. BRUNNER, Gerechtigkeit als Fundament des Thrones und KUHLMANN, Der Thron im Alten Ägypten, 93f. 10 Vgl. den Titel der einschlägigen Monographie von SCHMID, Gerechtigkeit als Weltordnung. Vgl. ASSMANN, Ma'at, 67. 12 Anders BRUNNER, Der freie Wille Gottes, 108. 13 Vgl. ERMAN, Eine ägyptische Quelle; vgl. RÖMHELD, Wege der Weisheit.

A. Le roi ne meurt jamais

5

„weisheitlich" für eine formal und inhaltlich mit dem alttestamentlichen Phänomen vergleichbare, ja, sie sogar weithin prägende Literatur und Denkstruktur in der altorientalischen Wissenschaft üblich. Immer wieder melden sich Stimmen, die jene Adaption für falsch halten, weil das Fehlen des Lexems für Weisheit im Ägyptischen inhaltlich bedeutsam sei. Lichtheim betont, dass in Ägypten und Israel ganz unterschiedliche Traditionen als weisheitlich bezeichnet würden.14 Vor allem die religiöse Bindung und Verankerung der „weisheitlichen" Schriften sei nicht vergleichbar. Die alttestamentliche Weisheit sei schon immer religiös verwurzelt, eine vergleichbare Frömmigkeit der Lehren ergebe sich dagegen in Ägypten erst in den Entwicklungen des Neuen Reichs oder der Spätzeit.15 Eine ähnliche Genese lässt sich jedoch auch für die alttestamentliche Weisheit wahrscheinlich machen. Auch sie ist nicht von jeher so bezeichnet worden, vielmehr ist die Verwendung des Begriffs der häkmäh eher ein Spätling der Weisheitsentwicklung.16 Vor allem ist die von Lichtheim vorgenommene Unterscheidung von religiös gebundener Weisheit auf der einen und weniger am Religiösen interessierter Pädagogik der ägyptischen Lehren auf der anderen Seite doch allzu oberflächlich, um den hier zu beobachtenden Phänomenen gerecht zu werden. Wenn man einen derart enggeführten Begriff von Religiosität anlegte, wären auch weite Teile der alttestamentlichen Weisheit nicht weisheitlich. Stattdessen ist offenkundig, dass Gott auch in den ägyptischen Lehren eine gewichtige Rolle spielt. Beide, Ägypten und Israel, konnten von einer religiösen Weltbeschreibung nicht absehen, weil beide sie nicht als religiös und damit als einem etwaigen profanen Lebensbereich entgegengesetzt wahrgenommen hätten. Gott gehört in beiden Kontexten zu einer Lebensbeschreibung unverzichtbar hinzu, da Weltdeutung ohne Gottheiten nicht vorstellbar ist. Bei aller Unterschiedlichkeit der Begriffe soll das Bemühen der Weisheit hier zunächst gefasst werden als eine literarisch-didaktische Reflexion auf Erfahrungen und Zeiterfordernisse, in der die ununterbrochene Suche nach dem Geheimnis des Lebens dokumentiert wird und Hilfe zum vernünftigen Umgang mit dem Leiden an der Zivilisation geleistet wird. Sowohl in Ägypten als auch in Israel gab es Menschen, die sich diesem Unternehmen verpflichtet wussten. Ohne deshalb Unterschiede verwischen zu wollen, nenne ich die Verfasser der Lehren in Ägypten und die der Proverbien im Folgenden unterschiedslos Weise, weil sich der von ihnen geübte Zugang zur Welt äh14 Vgl. LICHTHEIM, Moral Values, 8.95, sowie DIES., Didactic Literature, 261f. Anders PARKINSON, Poetry and Culture, 258f.: „... but in the teaching the learning process is so generalized and intangible that a sense of 'wisdom' is inevitable." 15

V g l . LICHTHEIM, M o r a l V a l u e s , 5 - 7 . 9 5 .

16

Vgl. SPIECKERMANN, Prologe, 29If.

6

I.

Einleitung

nelt. Auch die umfassenden ethischen Forderungen an den Einzelnen, die Wissen und Verhalten in einem weiten Horizont miteinander verbinden, werden weisheitlich genannt, weil dies der adäquateste Begriff ist, der zur Verfügung steht. Obwohl jedoch beide Traditionen im Horizont der Weisheit verortet werden können, müssen Begriffe oder Formulierungen, selbst wenn sie auf den ersten Blick ähnlich oder sogar identisch zu sein scheinen, immer wieder neu auf ihren Zusammenklang hin untersucht werden. Dies gilt sowohl im Vergleich ägyptischer und alttestamentlicher Traditionen wie auch innerhalb derselben. So sind die häufig verglichenen Personifikationen Frau Weisheit und Göttin mlc.t strukturell grundverschieden. Nicht häkmäh (Weisheit), sondern fdäqäh (Gerechtigkeit) wäre über weite Strecken die angemessene Parallele zur ägyptischen mlc.t. Bezeichnen beide zwar eine der Welt und Gesellschaft zugrunde liegende Ordnung, so beschreibt die häkmäh vor allem den noetischen Aspekt dieser Ordnung, die mjc.t hingegen vor allem soziale Strukturen. Auch die mF.t muss zwar erkannt werden, auch sie steht nur dem Wissenden zu Gebote, dennoch unterscheidet sie sich deutlich von einem vor allem aus dem Bereich von Weltwahrnehmung und Erkenntnis gewonnenen Begriff der häkmäh, weil sie inhaltlich am Modell der gerechten Gemeinschaftsordnung ausgerichtet ist. Die gebotene Achtsamkeit, die sich im Vergleich der beiden Frauengestalten, Göttin m)c.t und Frau Weisheit, als hilfreich erweist, ist auch im Umgang mit anderen weisheitlichen Begriffen sinnvoll. Es gibt in den seltensten Fällen ein Standardäquivalent. Vielmehr sind Bedeutungen im Fluss und werden jeweils neu konzipiert. Es ist geradezu ein Charakteristikum der Weisen, dass sie so mit einer Handvoll weisheitlicher Begriffe unterschiedliche, ja einander zum Teil widersprechende Konzepte formulieren können. Ein neuer Gedanke wird nur selten von einem Neologismus begleitet, sondern zumeist durch die Neustrukturierung überkommener Begriffe formuliert. Der gleiche Begriff kann so in immer wieder neuer Weise konkretisiert werden. Deshalb erscheint es in dieser Arbeit möglich, den einen Begriff des Königs als ständigen Begleiter und Wegweiser einer Reise zu sich ändernden Bestimmungen von Gott, Mensch und Gemeinschaft zu wählen. Auf diesem Weg zwischen Konservation und Innovation wird auch die Frage nach Weisheit, Gerechtigkeit und m jc.t immer wieder neu zu beantworten sein. 3. Forschungsgeschichte und Fragestellungen Die Königssprüche der Proverbien wurden bisher unter verschiedenen Fragestellungen untersucht. Dabei stellte man selten die Frage nach dem Königsbild der Proverbien. Häufiger wurden die Untersuchungen mit Fragen nach Herkunft und Ort der Königssprüche verbunden.

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Konträre Positionen zur Frage der Herkunft der Königssprüche vertreten exemplarisch Hermisson und Golka.17 Hermisson hält Königssprüche für grundsätzlich nicht zum Volksgut zugehörig, sondern für Schöpfungen des Hofes.18 Diese These wird von Golka angefochten, der die Ursprungssituation der alttestamentlichen Proverbien mit der afrikanischer Volkssprichwörter vergleicht.19 In einer umfangreichen Studie versucht er, inhaltliche Parallelen zwischen afrikanischen und biblischen Königssprüchen aufzuzeigen und so ihre Entstehung im Volk und nicht am Hof plausibel zu machen. Tatsächlich gelingt es Golka, thematische Nähe zwischen den Spruchgruppen aufzuzeigen. Die Interpretation der Ergebnisse ist jedoch anzuzweifeln. Auch wenn nach Golkas Erhebung eine Entstehung der Sprüche im mündlichen Volksgebrauch möglich ist, so ist sie kaum notwendig. Im Kontext des Proverbienbuches finden sich die Königssprüche in einem dezidiert literarischen Zusammenhang, von dem nicht abgesehen werden kann. Tatsächlich kann mehr als die mögliche mündliche Entstehung der Verse kaum behauptet werden, da die literarisch eingebundenen Verse weit von ihrer Entstehungssiuation entfernt sind. Erst eine ausführliche Kontextanalyse könnte zeigen, ob die Verse nicht doch erst für den literarischen Kontext formuliert wurden. Selbst wenn dies ausgeschlossen wird, kann keine Sicherheit über eine ursprüngliche Mündlichkeit erlangt werden. Eine Analyse einzelner Verse ohne Blick auf den Kontext ist kaum möglich. Zum isolierten Blick auf Einzelsprüche kommt als Quelle der Fehlinterpretation zuweilen ein großzügiger Umgang mit dem Wortlaut hinzu. So trägt Crüsemann, der sich den Thesen Golkas teilweise anschließt, unter der Rubrik „Kritik am König" Verse zusammen (Prov 28,15.16; 29,4b; 29,12), die den König gar nicht nennen, sondern Herrscher oder Fürsten.20 Eine ausfuhrliche Untersuchung der Verse und ihres Kontextes wird erweisen, dass eine königskritische Tendenz allerhöchstens in späteren Schichten, also im Kontext der Königsverse, zu finden ist, der allerdings auch nicht mehr von einem amtierenden König ausgeht. Ob die als ursprünglich apostrophierten Verse tatsächlich vor ihrer literarischen Fixierung mündlich überliefert wurden, wird in dieser Untersuchung nicht weiter zu eruieren sein. Die Untersuchung des Königsbildes beschränkt sich auf das der literarisch gewordenen Sprüche; sie versucht, eine unkontrollierte Eintragung späterer Tendenzen in hypothetische Grundbestände zu vermeiden. Unmittelbar mit der Herkunft der Königssprüche verknüpft ist die kontrovers diskutierte Frage nach dem Schulwesen in Israel. Das epigraphische Material gibt der Ansicht Evidenz, die von einem der altorientalischen Um17

Siehe dazu auch CRÜSEMANN, Der Widerstand gegen das Königtum, 189ff. Vgl. HERMISSON, Studien, 71. 19 Vgl. GOLKA, Die Königs- und Hofsprüche, 13-36. 20 CRÜSEMANN, Der Widerstand gegen das Königtum, 190. 18

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weit vergleichbaren Schulsystem auch in Israel ausgeht.21 Schwierigkeiten bereitet jedoch trotz dieses archäologischen Befundes weiterhin die Frage, in wessen „Trägerschaft" diese Schulen gewesen sein mögen.22 Für diese Untersuchung ist die Schulfrage nicht entscheidend. Selbst wenn die Proverbien im Unterricht verwendet worden sein sollten, sind sie kaum als Schulbuch konzipiert worden. Für Schreibanfanger dürften die mannigfaltigen Bezüge der Verse untereinander und zu ihrem literarischen Umfeld kaum zu entschlüsseln gewesen sein. Vielmehr setzen die Proverbien bei ihren anvisierten Lesern einen gewissen Bildungsstand voraus sowie Muße und Möglichkeit, sich mit Ausdauer den 31 Kapiteln der Proverbien zu widmen.23 Sie sind verfasst als elaborierter Diskurs bereits entsprechend Gebildeter. Die Königsverse veranlassen die Forschung offenbar in besonderem Maße zur Suche nach dem Ort oder Ursprung der Proverbien, werden aber auch nach ihren inhaltlichen Implikationen befragt. So sind die Königsverse vor allem bei Hausmann Grundlage einer ausführlichen Untersuchung des Königsbildes der älteren Weisheit. Dabei beschränkt sich Hausmann bewusst auf die Untersuchung von Einzelversen und schließt sich damit Brunner-Traut an, die hinter der ägyptischen Spruchliteratur Denkstrukturen vermutet, die als aspektive (im Gegensatz zu Perspektiven) auf das Einzelne und nicht auf die Summe der Teile fokussieren.24 Diese Einschätzung übernimmt Hausmann für die Proverbien. Brunner-Trauts Überlegungen können hier nicht ausführlich diskutiert werden.25 Viele der von ihr vorgestellten Überlegungen, etwa über den hohen Wert des assoziativen Fortschreitens im Denken, können für die Proverbien und die Lehren plausibel gemacht werden. Einer von ihr formulierten grundsätzlichen Voraussetzung kann man jedoch nicht mehr zustimmen: „Soweit die 17 erhaltenen Lehren vollständig vorliegen, geben sie sämtlich zu erkennen, daß sie nicht als Gesamtwerk konzipiert sind."26 Darüber, dass diese Deutung weder für die ägyptischen Lehren noch für die Proverbien zutrifft, besteht heute breiter Konsens. Hausmann geht zwar mit Brunner-Traut davon aus, dass die Einzelversanalyse dem aspektivisch aufzufassenden Text am ehesten gerecht würde. Gleichzeitig sieht sie dennoch den „nicht zu übersehen(den) größeren Zusammenhang der Verse", hält es jedoch für unmöglich, diesen in ihrer Untersuchung zu berücksichtigen.27 Da die vorliegende Arbeit nur einen kleinen 21

Vgl. CRENSHAW, Education in Ancient Israel, 112f. Zur Diskussion über den „Ort" der Weisheit vgl. SCHERER, Das weise Wort, 340ff. 23 Zusammenfassung der UnVerhältnismäßigkeit von literarischen Hinweisen auf ein Schulsystem und die um diese entbrannte Diskussion hervorragend bei FONTAINE, Wisdom in Proverbs, 99-114. 24 Vgl. HAUSMANN, Menschenbild, 2. 25 Vgl. BRUNNER-TRAUT, Frühformen des Erkennens, 154. 26 BRUNNER-TRAUT, Frühformen des Erkennens, 153. 27 HAUSMANN, Menschenbild, lf. 22

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Aspekt der weit gefächerten Themen aufnimmt, die Hausmann bearbeitet, erscheint es mir eher möglich, dieser Aufgabe nachzukommen und die Einzelverse je von ihrem Kontext und ihrer Stellung innerhalb der Komposition her auszulegen. Die Ergebnisse der Untersuchung, die sich von bisherigen Beschreibungen des Königs in den Proverbien unterscheiden, bestätigen das Recht einer solchen Herangehensweise. In der Bestimmung des Königs ergeben sich bei Hausmann einige Inkonsistenzen, die zum Teil der Einzelversauslegung geschuldet sind. Sie entdeckt in den Proverbien ein kritisches Königsbild, spricht an keiner Stelle von einer wesentlichen Nähe zwischen YHWH und König, sondern sieht den König in allen Belangen als ganz auf sich gestellt. Einige ihrer Ergebnisse sollen im Folgenden kritisch dargestellt werden. Hausmann bemerkt, dass in Israel - anders als in Ägypten - die Weisheit (häkmäh) nicht Fundament des Thrones sei, und damit nicht in gleicher Weise die Einbindung des Königsamtes in die Ordnung symbolisiere wie in Ägypten der in Form der Hieroglyphe für mf.t dargestellte Thronsockel. Die Thronverse der Proverbien lässt sie bei dieser Analyse außer Acht. Diese nehmen das aus dem Psalter geläufige Motiv vom Thronen YHWHs in Recht und Gerechtigkeit auf und formulieren so die Partizipation des Weisheitskönigs am Thronfundament YHWHs. Hausmann deutet die dem Thron Halt gebenden Größen ausschließlich als Forderungen an den König. Ohne auf die Übereinstimmungen mit den Thronaussagen in den YHWH-Königs-Psalmen zu achten, schließt sie: Den „Bestand des Thrones garantiert nicht die Weltordnung, sondern das Verhalten des Königs."28 Bewusst scheidet sie auch für Prov 20,28 die Möglichkeit aus, es könne sich bei den Thronstützen um göttlich zugesicherte Hilfe handeln: „Es wird nichts darüber gesagt, daß Güte und Wahrhaftigkeit nicht auch vom König kommen."29 Richtig ist an dieser Beobachtung, dass YHWH in diesen Versen nicht ausdrücklich erwähnt wird. Tatsächlich wird jedoch auch der König nicht explizit als Handelnder beschrieben, vielmehr verschleiert die Formulierung das Subjekt. Da es sich bei der Rede von den Stützen des Throns jedoch um eine für die Rede von YHWH geprägte Wendung handelt, wird eine von YHWH abstrahierende Redeweise kaum intendiert sein. So vorsichtig sich Hausmann bei der Frage äußert, ob man YHWHs Macht auch in Aussagen vermuten dürfe, in denen er nicht ausdrücklich erwähnt wird, urteilt sie jedoch nicht immer. So wird aus Prov 16,10; 20,8.26 und 29,4 nicht ersichtlich, warum Hausmann das hier gezeichnete Idealbild des Königs als vom König grundsätzlich nicht realisierbar beschreibt. Sie stellt die These auf, dass der König als Mensch niemals in der Lage sei, dem gezeigten Ideal 28 HAUSMANN, Menschenbild, 134 Anm. 9. Anders u.a. PERDUE, Cosmology and the Social Order, 473f. 29 HAUSMANN, Menschenbild, 134 Anm. 12.

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zu entsprechen. Ihre Einschätzung begründet Hausmann mit Blick auf andere (Königs-)Aussagen der Proverbien, die den Irrealis dieser Königsbeschreibungen unterstreichen würden.30 Hier weicht Hausmann also offensichtlich von ihrer Methode der strikten Einzelversanalyse ab und versteht eine Auswahl von Versen nicht allein aus ihrem Inhalt. Dieser inkonsequente Gebrauch des Kontextes ist problematisch.31 Die Verse für sich genommen sind Königsaussagen. Sie formulieren keine Konditionen eines idealen Königtums, sondern prädizieren den König als mit göttlicher Macht Handelnden.32 Hausmann unterlegt den Versen mit ihrer These über die realistischen Möglichkeiten eines Königs ein Wirklichkeitsverständnis, das an ausgewählten Versen gewonnen wurde und dessen Valenz für die Interpretation sie nicht begründet. Auf diese Weise wechseln strikte Einzelversauslegung und unausgewiesene kontextuelle Interpretation. Über das Verhältnis von YHWH und König muss Hausmann schweigen, da sie bis auf drei Verse, in denen beide genannt werden, nur durch die nachträgliche Verbindung unterschiedlicher Verse zueinander in Beziehung gesetzt werden.33 Es wird sich als eine Besonderheit der Proverbien erweisen, dass König und Gott fast ausschließlich durch die Kombination von YHWHund Königsversen miteinander in Beziehung gesetzt werden, wie es sich beispielhaft in Prov 16,1-15 zeigt. Zwar bemerkt Hausmann die Reihung von Königsversen und YHWH-Versen in Prov 16, findet darin jedoch keine Aussagen über das Verhältnis von YHWH und König.34 Sowohl eine mögliche Idealität des Königs als auch seine besondere Gottesbeziehung werden von Hausmann teilweise unterschätzt.35 Anstatt der Einbindung des Königs in eine höhere Ordnung findet sie in den Proverbien einen König, der sich allein auf seine eigene Kraft und Gerechtigkeit verlas30

Vgl. HAUSMANN, Menschenbild, 136. Dieselben Verse deutet auch Fuhs, kommt jedoch mit einer vergleichbaren Argumentation zu völlig anderen Ergebnissen (FUHS, FzB 95, 256f. u.ö.) Er argumentiert allerdings nicht mit einem unklar bestimmten Kontext, sondern formuliert seine Ansichten über die möglichen und unmöglichen Fähigkeiten eines Königs auf dem Hintergrund der eigenen Erfahrung, die ihn lehrt, dass gottgleiches Verhalten keinem Menschen zugetraut werden könne. Für Fuhs ist dies der Grund dafür, hinter den Versen über den idealen König keine Aussagen über den König zu vermuten, sondern allein Aussagen über YHWH als König. 32 Prov 16,10a; 20,8 und 20,26a sollten als Partizipial- oder Nominalkonstruktionen eher nicht als Konditionalis verstanden werden. Sie beschreiben dauerhafte und vorauszusetzende Eigenschaften, nicht Möglichkeiten eines idealen Königtums. 33 Vgl. HAUSMANN, Menschenbild, 136. 34 Vgl. HAUSMANN, Menschenbild, 136f. Anm. 28, sowie 140. 35 Anders als beispielsweise CRUSEMANN nimmt HAUSMANN wahr, dass die herrschaftskritischen Töne durchgängig nicht am Beispiel des Königs formuliert werden. Vgl. HAUSMANN, Menschenbild, 142: „Um den König (als institutionelle Größe) rein zu halten, wird stattdessen auf modifizierende Begriffe ausgewichen." Anhand der alle Stellen zu Macht und Herrschaft vereinheitlichenden Übersetzung mit ßaaiXeiSc; von LXX erklärt sie diese Differenzierungen jedoch zu bloßen Vorsichtsmaßnahmen. 31

B. Der Königsweg der Weisheit

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sen muss. Die einseitige Suche nach königskritischen Tendenzen bringt keine überzeugenden Ergebnisse. So beschreibt sie etwa die Quintessenz von Prov 25,3 damit, „daß man nie genau weiß, wie man bei einem König dran ist, ,.."36 In diesem Vers wird die Unergründbarkeit des königlichen Herzens mit der Höhe des Himmels und der Tiefe der Erde verglichen. Sie versinnbildlichen die unauslotbare Ausdehnung und Größe der göttlichen Schöpfung und nennen die Grenzen jeder Erkenntnis, die allein vom Schöpfergott umfangen werden. Sie werden kaum als Vergleichsmomente für die Feststellung einer kritisch zu beobachtenden Undurchschaubarkeit des Potentaten dienen. In zwei Hinsichten unterscheidet sich diese Arbeit von vorangegangenen Untersuchungen: zum einen durch die intensiv einbezogene Untersuchung der ägyptischen Lehren des Mittleren Reiches, zum anderen durch die bewusst kontextorientierte Auslegung alttestamentlicher Sentenzen. Der König der Weisheit wird im Folgenden in seiner Beziehung zu YHWH in seiner ursprünglichen Idealität und in seiner Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Ordnung, heiße sie nun Weisheit oder Gerechtigkeit, darzustellen sein. Dabei sollen weder seine Abhängigkeit noch seine Macht unterschlagen werden.

B. Der Königsweg der Weisheit 4. Abgrenzung der Quellen Die Textgrundlage für diese Arbeit bilden die alttestamentlichen Proverbien und die ägyptischen Lehren des Mittleren Reichs. Die Proverbien bieten sich für eine Untersuchung weisheitlich verwendeter Begriffe an, weil in ihnen die ältesten Weisheitstraditionen überliefert worden sind, sie aber zugleich eine lange Entwicklungsgeschichte aufweisen und entsprechend verschiedene Stufen der Genese der Weisheit miteinander verbinden. Der Fokus liegt auf den Königsversen der Proverbien. Dabei werden vor allem die Königsverse der Sammlungen 10,1-22,16 und 25-29 berücksichtigt sowie die Königslehre aus Prov 31,1-9. Wie die vorgestellten Arbeiten zum Königsbild der Proverbien beginnt auch diese Untersuchung mit einer Einzelanalyse aller Königsverse. Dabei zeichnet sie sich durch die konsequente Begrenzung auf die Rede vom König (mcelcek) im Unterschied zur generellen Frage nach der Bewertung von Herrschaft in den Proverbien aus. Eine Folie der Proverbienanalyse sind die ägyptischen Lehren, in denen ganz unterschiedliche Königs-Konstellationen dargestellt werden. So zeigt sich dort beispielsweise, wie etwa auch bei Achikar37, dass ein König, der an göttlicher Macht partizipiert, notwendigerweise 36

HAUSMANN, Menschenbild, 142. Vgl. KOTTSIEPER, TUAT III/ 1, 320-347; DERS., Die alttestamentliche Weisheit im Licht aramäischer Weisheitstraditionen; KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Die 37

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/. Einleitung

nicht nur an seiner lebenspendenden Macht partizipiert, sondern immer auch an der Macht über den Tod. Diese Seite königlicher Herrschaft wird in den späteren Entwicklungsstufen der Proverbien begrenzt und tabuisiert. Verschiedene Exegetinnen und Exegeten tragen diese Tabuisierung bereits in die Einzelverse ein, was vor dem Hintergrund vergleichbarer positiver Aussagen, die den König in der Fülle seiner ganzen göttlichen Macht zeigen, nicht angemessen sein kann. Während die Einzelversanalyse für alle Königssprüche der Sammlungen 10,1-22,16 und 25-29 vorgenommen wird, differieren die weiteren Schritte der Untersuchung aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen der Texte. Die Königsverse der Sammlung B, 10,1-22,16, werden innerhalb der Textabschnitte, zu denen sie zu rechnen sind, untersucht.38 Ein darüber hinausgehender Blick auf die Genese der ganzen Sammlung hätte den Rahmen der Arbeit gesprengt. Die besser aufzuschlüsselnden Texte der Sammlung E, 25-29, bieten dagegen gute Voraussetzungen für eine weitergehende Untersuchung der Textgenese. Sie teilen sich in die untereinander verbundenen Abschnitte 25; 26,1-27,22; 27,23-27; 28-29. In den Kapiteln 25 und 28-29 ist es möglich, die Lehre des Achikar stellt unter den Lehren der Weisheitsliteratur insofern eine Besonderheit dar, als „die Erzählung seines Geschicks und die ihm zugeschriebenen Sprüche" (KOTTSIEPER, TUAT III/ 1, 320) in ganz verschiedenen Sprachen und Fassungen überliefert sind. Als Herkunft werden von KOTTSIEPER aus sprachlichen und überlieferungsgeschichtlichen Ü b e r l e g u n g e n die „ s ü d s y r i s c h - l i b a n e s i s c h e n A r a m ä e r r e i c h e " a n g e n o m m e n (KOTTSIEPER, TUAT III/ 1, 321). Die Annahme einer Entstehung der Sprüche in solcher Nähe zu Israel erklärt auch die vielfach nachzuweisenden Anklänge der Proverbien an die Achikarsprüche. Für den Kontext dieser Arbeit sind die Achikarsprüche vornehmlich von Interesse, weil sie ein ursprünglicheres Königsbild bieten als etwa die Proverbien. So findet sich gerade die Beschreibung umfassender königlicher Macht über Leben und Tod im Gegensatz zu den Belegen in den Proverbien in den Achikarsprüchen noch nicht tangiert von kritischen Tendenzen; vgl. aram. Achikar X, 6-14 nach KOTTSIEPER TUAT III/ 1, 336f.: „Nicht lösche das Wort des Königs, heiß möge es dein[ Herzen] sein! Sanft ist die Rede des Königs, (zugleich aber auch) schneidender und machtvoller als ein zweischneidiges] Messer. Siehe, vor dir ist etwas Widerborstiges [ge]gen den Kö[nig]: Tritt du nicht in Erscheinung! Heftiger als ein Blitz ist sein Zor[n]! Hüte dich, daß er ihn nicht über deinen G[lie]dern entb[re]nnen läßt und du dahingehst vor deiner Zeit. [So ist der Zor]n des Königs: Wenn dir etwas befohlen ist, ist er wie ein loderndes [FJeuer. Schnell, tu e[s, da]mit es nicht [ü]ber dir entfacht werde, so daß du deine Hände verbergen mußt. [Vollende das Wort des Königs mit Herzenslust. [W]as rechten Hölzer mit Feuer, Fleisch mit einem Messer, ein Mensch mit einem [König?]. ... Der König ist wie der Barmherzige, ja, als seinen Gesandten hat er ihn erhöht. Wer ist der, der vor ihm Bestand hätte, außer dem, mit dem El ist. Schön ist der König anzusehen wie Schamasch, und geehrt ist seine Herrlichkeit bei denen, die auf Erden zu [seiner] Zufriedenheit wandeln." 38 Zur Bestimmung der Textabschnitte und Sammlungen werden vor allem herangezogen: WHYBRAY, Composition; MEINHOLD, ZBK.AT 16.1/ 2; SCORALICK, Einzelspruch und Sammlung; SCHERER, Das weise Wort. Die zum Teil sehr unterschiedlichen, miteinander nicht vermittelbaren Ergebnisse dieser Untersuchungen nötigen an einigen Stellen zu einem begründeten Neuvorschlag und zeigen vor allen Dingen, dass die Erforschung der Gliederung und Entstehung der Sammlungen noch lange nicht als abgeschlossen gelten kann.

B. Der Königsweg der Weisheit

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Königsverse innerhalb des gesamten, zusammengehörenden Textes und seiner Entstehung zu verorten. Dabei lässt es sich wahrscheinlich machen, dass beide Kapitel um die Königsverse herum gebildet wurden. Prov 26,1-27,22 werden nicht zu berücksichtigen sein, weil sie mit den Königsversen der Sammlung E nicht in Verbindung stehen. Der einzige Text der Sammlung, der untersucht wurde, obwohl ihm eine explizite Königserwähnung fehlt, ist Prov 27,23-27, weil dort das Königsthema aus Prov 31 vorweggenommen wird. In der Königslehre in Prov 31 stellt sich die Ausgangssituation wiederum anders dar. Die Lehre für Lemuel erweist sich als junger, aber einheitlicher Text. Dabei wird sich die Lehre in der Endfassung des Buches als aufschlussreich erweisen. Sie wird auch dem einzigen Königsvers aus Sammlung A, Prov 8,15, genauere Beachtung schenken müssen. Unspezifisch für die Entwicklung der Rede vom König sind die Königsverse in Prov 24 und 30.39 Sie werden zwar kurz angesprochen und auf ihre Funktion im Kontext untersucht. Eine ausführlichere Analyse kann jedoch unterbleiben. Dass die Königsverse 22,29 und 24,21 keine ausführliche Beachtung finden, mag vor dem Hintergrund ungewöhnlich erscheinen, dass ausgerechnet diese beiden Verse als Teile der kleinen Sammlung c, 22,17-24,22, zu den 30 Sprüchen gerechnet werden, die in Anlehnung an die Lehre des Amenemope gestaltet worden sein sollen. Obwohl die Proverbien im Folgenden mit ägyptischen Lehren verglichen werden, werden die Übereinstimmungen mit der Lehre des Amenemope nicht ausführlich thematisiert, weil sie für das Thema der Arbeit nur wenig austragen. Tatsächlich erwähnt die Lehre des Amenemope den König nur im Prolog, in der Selbstvorstellung des Amenemope, der sein Amt in Bezug auf den König beschreibt. Dagegen spricht der wahrscheinlich als Vorlage von Prov 22,29 anzusehende Vers nicht vom König, sondern allgemeiner vom Werdegang am Hof. In der Untersuchung des Verses wird zu zeigen sein, dass die Neufassung in Prov 22 eine Aussage über den König trifft, die in der rein auf den Königshof bezogenen Aussage in Amenemope so nicht angelegt ist und innerhalb der Genese der Königsrede zu einer der späteren Entwicklungsstufen gehört. Dass auf einen ausführlichen Vergleich mit der Lehre des Amenemope verzichtet wird, geschieht in dieser Untersuchung bewusst: Seit der Entdeckung der Nähe der Proverbien zur Lehre des Amenemope werden sie zumeist nach Maßgabe dieser Übereinstimmungen mit den ägyptischen Lehren verglichen.40 Dies geschieht vor allem unter der Fragestellung literarischer Abhängigkeiten. Dass Abhängigkeiten gegeben sind und der Diskurs der 39

Prov 24,21; 30,22.27.28.31. Anders KRISPENZ, die in Konzentration auf den formalen Nachweis vergleichbarer Strukturen die Proverbien eher mit magischen Texten vergleichen will. Vgl. KRISPENZ, Spruchkompositionen, 156f. 40

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I. Einleitung

Weisheit im Alten Orient über Ländergrenzen hinweg geführt wurde, bezweifelt heute niemand mehr. Gleichwohl wird es schwierig sein, unmittelbare Abhängigkeiten der zu vergleichenden Lehren nachzuweisen. Zwar werden die Lehren des Mittleren Reiches auch zur Zeit der Proverbiengenese noch immer tradiert und die Möglichkeit einer direkten Abhängigkeit ist somit gegeben, sie jedoch zweifelsfrei nachzuweisen bleibt unmöglich. Aus diesem Grund wurde in dieser Arbeit, in der vorrangig thematisch gearbeitet wird, die Frage nach literarischen Abhängigkeiten zurückgestellt. Stattdessen werden Analogien und Differenzen der Königsdarstellungen zusammengetragen. Weil es also vor allem um die Frage nach inhaltlichen Übereinstimmungen und Unterschieden geht, erscheint es möglich, die zu untersuchenden Lehren nicht nach ihrer Entstehungszeit auszusuchen, was für die Proverbien einen Vergleich mit den demotischen Lehren nahelegen würde,41 sondern nach thematischen Gesichtspunkten. Da die Lehren des Mittleren Reichs sich am intensivsten mit der Person des Königs auseinandersetzen, werden sie in dieser Arbeit als Vergleichsmaterial heranzuziehen sein.42 Das Ägyptische bietet eine eigene Bezeichnung für die Gattung, die im Folgenden zur alttestamentlichen Spruchliteratur in Bezug gesetzt werden soll, sbiy.t, die von Brunner als Lebenslehren charakterisiert wurden und heute zumeist mit Anhalt an den Selbstbezeichnungen als Lehren verstanden werden.43 Die Lehren bilden im Ägyptischen eine der wenigen Gattungen, die eine Selbstbezeichnung führen. Sie sind formal und inhaltlich nicht mit dem Überlieferungsgut der Proverbien identisch und bilden nur einen Teil der weisheitlichen Literatur Ägyptens. Auch Klagen und Erzählungen werden mit einigem Recht zum Korpus der Weisheit gerechnet, sei es, dass dabei inhaltliche Gründe ausschlaggebend sind, wie etwa die alle Schriften verbindende Frage nach dem richtigen Lebensweg, sei es, dass formal entschieden wird, wie etwa anhand des „Autorenregisters" im Papyrus ehester Beatty IV verso.44 Die fünf Lehren, die im Folgenden genauer besprochen werden sollen, haben die Gemeinsamkeit, dass sie auf die eine oder andere Weise eine dezi41 Vgl. QUACK, Lehre des Ani. QUACK vermutet gerade für die Weisheitsliteratur eine frühe indirekte Beeinflussung „kanaanäischer Literatur". Erst die späte Lehre Amenemopes (QUACK datiert sie in die Dritte Zwischenzeit) habe unmittelbare Wirkung gezeigt und könne deshalb auch genauer im biblischen Text nachgewiesen werden. Vgl. QUACK, Lehre des Ani, 210-212. 42 Unter anderem für die Lehre des Ptahhotep konnte gezeigt werden, dass sie eine Wirkungsgeschichte bis zu den koptischen Mönchen gehabt hat; vgl. zur Weiterverwendung von Motiven innerhalb der Lehren: BRUNNER, Zitate aus Lebenslehren, 105-171; für den Einfluss der Lehren auf neue Gattungen vgl. BRUNNER-TRAUT, Weiterleben der ägyptischen Lebens-

lehren, 1 7 3 - 2 1 6 . 43

Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, lOf. Zur Frage des Umfangs des als „didactic literature" benannten Korpus vgl. LICHTHEIM, Didactic Literature, 243-262, sowie ASSMANN, Weisheit, Schrift und Literatur, 475-500. 44

B. Der Königsweg der Weisheit

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dierte Position zum König einnehmen. Es handelt sich bei ihnen um die beiden Königslehren, die Lehre Amenemhets I. und die Lehre für Merikare, um die Privatlehre des Ptahhotep sowie die beiden sogenannten loyalistischen Lehren, die Lehre eines Mannes und die Loyalistische Lehre. In ihnen wird die Rede vom König und von den Untertanen, von Gott und der m>c.t untersucht. Auf diese Weise werden verschiedene Vorstellungen über die Konstellation dieser Größen ermittelt. Dazu werden vor allem Reden an und über den König, Aussagen über Gott und die Lebensordnung, mF.t, miteinander verglichen. Die Auseinandersetzung mit dem König in den Lehren des Mittleren Reiches wird in der Forschung als Vorstufe der Entwicklung zu einer persönlichen Frömmigkeit in Ägypten angesehen.45 Deshalb wird ein Ausblick auf spätere Lehren, in denen die Rolle des Königs teilweise vom persönlichen Gott übernommen wird, die Untersuchung abschließen. 5. Entstehung der ägyptischen Lehren aus der Biographie Die Lehren sind eine Frucht des Mittleren Reiches, deren Wurzeln jedoch bis weit ins Alte Reich zurückreichen. Sie entstammen der Gattung der Biographie und damit dem monumentalen Diskurs des Grabkultes.46 Diese Monumentalgräber waren der Oberschicht vorbehalten. Vor allem der Beginn der Entwicklung vollzog sich deshalb allein in den Inschriften der Gräber höherer Beamter, genauer: der königsnahen Elite.47 Noch in den späteren Lehren wird ausdrücklich der König als Verwalter beziehungsweise Spender von Grabstätten und Gräbern bezeichnet und damit als Herr über das jenseitige Leben. Es liegt in seiner Macht, dem Ägypter diese Dauer über den Tod hinaus zu ermöglichen. Bis in die aus der Biographie sich entwickelnden Lehren hinein spielt der König eine solch entscheidende Rolle, wiewohl sich das Verhältnis zu ihm gerade in der sogenannten Ersten Zwischenzeit deutlich ändert. Die Gattung der Biographie selbst entwickelt sich aus dem Namen und der Grabbeischrift. Letztere soll den Grabbesucher zum Kult für den Verstorbenen anregen und von der Grabschändung oder -Zerstörung abhalten. Als Begründung für den Schutz des Grabes und für die Kultausübung wird die moralische Integrität des Verstorbenen herausgestellt. Zu Beginn betonen die Inschriften nur die Rechtmäßigkeit des Grabbaus und drohen jedem Störenden Strafe an. Aus jener Rechtmäßigkeitserklärung entsteht im Laufe der 5. Dy-

45

V g l . LOPRIENO, L a Letteratura lealista, 9 - 2 1 ; DERS., L o y a l i s t i c I n s t r u c t i o n s ,

403-414;

ASSMANN, Zur Geschichte des Herzens; DERS., Die „Loyalistische Lehre" Echnatons, 1-32. 46 Als sepulkrale Selbstthematisierung beschreibt diese Wurzeln ASSMANN in: DERS., Sepulkrale Selbstthematisierung, 208-232. 47 Vgl. ASSMANN, Sepulkrale Selbstthematisierung, 214: „Eine Geschichte - und damit ein thematisierungsfahiges Selbst - zu haben ist in der ägyptischen Welt nicht etwa ein Merkmal des Menschlichen schlechthin, sondern ein Standesprivileg...."

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I. Einleitung

nastie die Reflexionsbiographie.48 Diese versichert das integere, ethischmoralischen Normen entsprechende Leben des Verstorbenen und wird zum Vorläufer der Lehren im Mittleren Reich. In den Reflexionsbiographien werden zum ersten Mal, lange vor Einführung der Lehren, Maximen und Lebenskonzepte öffentlich gemacht, allerdings noch am Beispiel des Verstorbenen. Zur gleichen Zeit werden auch die sich aus Namen und Titeln entwickelnden Handlungsbiographien deutlich autobiographischer. Die vorher streng formelhafte Aufzählung von Titeln und Belobigungen orientiert sich mehr an einzelnen herausragenden Ereignissen und die unpersönliche Erzählweise in der dritten Person wird von der ersten Person abgelöst. Diese beiden, in der fünften Dynastie noch klar zu unterscheidenden Biographietypen verbinden sich in der sechsten Dynastie zu einem neuen Diskurs. Zwei verschiedene Lebensbeschreibungen stehen nebeneinander, die Assmann unter den Aspekten der gesellschaftlichen Integration und der beruflichen Distinktion des Einzelnen beschreibt.49 Die beiden Biographietypen wachsen mit der Zeit zusammen, die Trennung von Gerechtigkeit und Leistung wird aufgehoben, und es beginnt der „autobiographische Diskurs der 1. Zwischenzeit".50 In diesem werden ethisch-moralische Fragen wichtiger als das „standing" eines Verstorbenen gegenüber dem König. Die Anteile der Reflexionsbiographie werden größer als die der auf den König und seine Gunst fixierten Handlungsbiographie. Der Wert eines Menschen resultiert aus seinem erfolgreichen und sozialen Handeln, nicht mehr aus königlicher Gnade. Diese Innovation geschieht sehr bewusst, indem die formelhaften Formulierungen der Biographien des Alten Reiches zitiert und der Unaufrichtigkeit bezichtigt werden. In der sogenannten Ersten Zwischenzeit wird das Integrationsprinzip von einem einseitigen Distinktionswunsch an die Seite gedrängt. An die Stelle der vormals vorausgesetzten Eingebundenheit tritt der dem eigenen Herzen folgende Mensch.51 Mit dieser Entdeckung der Persönlichkeit, des inneren Menschen, werden zugleich die Lehren als Handlungsmaximen des Einzelnen geboren.52 Die Rekonstituierung des Königtums im Mittleren Reich macht es notwendig, die Beamten wieder stärker in die Gesellschaft und vor allem in die Loyalität gegenüber dem König einzubinden. Zur selben Zeit werden die Normen der Grabbiographien mit Lehren, Klagen und Biographien in einen neuen Kontext gestellt und bekommen gegenüber dem Resümee des Grabberichtes als Appell einen neuen Stellenwert. Wie die Grabinschriften vor 48 Dass die geläufigen Unterscheidungen zwischen Laufbahn- und Idealbiographie zu grob sind, zeigt GNIRS, Ägyptische Autobiographie, 191-241. 49 Vgl. ASSMANN, Sepulkrale Selbstthematisierung, 215. 30 GNIRS, Ägyptische Autobiographie, 223. 51 Vgl. GNIRS, Ägyptische Autobiographie, 225. 52 Vgl. ASSMANN, Weisheit, Schrift und Literatur, 489.

B. Der Königsweg der Weisheit

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allem hohen Beamten vorbehalten sind, entwickelt sich auch die Lehre zu einem Kommunikationsmittel der Bildungselite Ägyptens. In ihnen wird das Selbstverständnis dieser gesellschaftlichen Gruppe formuliert, das zum einen an die Loyalität zum König anknüpft, zum anderen die individuellen Werte vermittelt.53 Mit der 12. Dynastie entsteht die Vorstellung vom idealen Beamten, die dieser elitären Gruppe den Zusammenhalt und die moralischethische Basis gab. Durch das veränderte Verhältnis zum Königtum entwickeln sich die Lehren. Die Trennung zwischen göttlichem Amt und menschlichem Amtsinhaber wird zwar schon im Alten Reich vollzogen.54 Erst im Tod lebt der König nicht als Mensch weiter, sondern wird zu einem Gott erhoben.55 Diese Trennung tritt im Alten Reich jedoch kaum so deutlich hervor wie im Mittleren Reich, weil die Person des Königs noch fast ganz hinter seinem Amt verborgen bleibt. So wird erst in der Lehre für König Merikare die Gefahr menschlicher Unzulänglichkeit auch für den König in den Blick genommen. Wie die Lehren erst mit der Entdeckung des inneren Menschen entstehen, wächst auch die Gattung der Königslehren erst mit einem differenzierten Verständnis des Königs, das auch ihm menschliche Fehlbarkeit unterstellt. An sie und gleichzeitig an die wieder neu erwachende Lehre vom göttlichen König knüpfen die Lehren des Mittleren Reiches auf verschiedene Weise an. Sie verbinden in den loyalistischen Lehren Elemente der Gottähnlichkeit des Königs mit den Beziehung schaffenden Elementen menschlicher und königlicher Innerlichkeit. Erst nachdem das Königtum für die Selbstbeschreibung der Beamten weniger wichtig geworden ist und stattdessen moralisch-ethische Kriterien über seinen Wert entscheiden, können die Maximen der Lehren ein Publikum finden. Gleichzeitig wird es in dieser Zeit notwendig, die Rückbindung an den König wieder neu zu formulieren. Diese Umwälzung drückt sich in einer neuen Spielart der Gattung aus, der Königslehre, deren Verfasser und Empfanger der König selbst ist. Die Lehren sind Ausdruck eines neuen Bewusstseins, das sich zwar immer auch im Verhältnis zum König begreift, aber die allem anderen vorgeordnete Relation des Selbstbildes auf ihn durch den Bezug auf die Beamtenethik relativiert, die einen anderen, eigenen Weg zur Einfügung in die Königsmacht eröffnet. Insofern ist es ein neuralgischer Punkt der Entwicklung, wenn das vormalige Zentrum der Gesellschaft sich in der Lehre für König Merikare selbst auf ein von ihm verschiedenes und ihm übergeordnetes Prinzip bezieht. Dieser Mittelpunkt ist die Lebensordnung der

53 Vgl. u. a. BAINES, Literacy, 572-99, sowie verschiedene Aufsätze von PARKINSON, unter anderem DERS., Teachings, Discourses and Tales, 91-122 sowie DERS., Individual and Society, 137-155. Ebenso gibt einen pointierten Einblick JUNGE, Rahmenerzählung des Beredten Bauern, 157-181. 54 Vgl. GOEDICKE, Stellung des Königs, 90. 55 Vgl. GOEDICKE, Stellung des Königs, 89.

18

I. Einleitung

m>c.t. In allen fünf Lehren des Mittleren Reichs, die im Folgenden untersucht werden, wird sich die Vermittlung des selbständigen Individuums mit der Macht des Staates, die im König repräsentiert wird, als ein Beweggrund des Diskurses erweisen.56 6. Einzelspruch und Sammlung im Proverbienbuch Die Sentenzenliteratur ist eine Gattung, deren Verstehen heute aufgrund mangelnder Vertrautheit Schwierigkeiten bereitet. Sie versammelt ursprünglich unabhängige literarische Einheiten, die jedoch bewusst und hochreflektiert zu größeren Zusammenhängen komponiert wurden. Vor allem Ansätze wie der von Scoralick57 haben deutlich gemacht, dass die aspektiven Sprüche als literarische Elemente längst perspektivisch zu betrachten sind.58 Der jeweilige Eigenwert der Einzelsprüche bleibt erhalten, gleichzeitig tun sich jedoch durch Stichwortanknüpfungen, zum Teil auch durch lautliche Zusammenklänge oder thematische Reihen neue Texträume auf, in denen sich neue Informationen und Inhalte finden lassen. Die Geschichte der Überlegungen zur Struktur und zum Zusammenhang der Proverbien ist nicht mehr ganz jung. Eine abrissartige Darstellung ihrer Erforschung soll im Folgenden die schon geleistete Arbeit und den Ort der vorliegenden Untersuchung verdeutlichen. Im 19. Jahrhundert hat es erste Untersuchungen gegeben, die die Sprüche der Proverbien in ihrem Zusammenhang sehen wollten.59 So kann schon Bruch 1851 betonen, dass die Sprüche der Lehren nicht einfach nebeneinander gestellt worden sind, sondern in ihrem Zusammenhang ein Ganzes formen würden.60 Bruchs Interpretation der Sprüche als Philosophie, die er als Gegensatz zu einer theokratischen Institution beschreibt, lässt sich heute allerdings nicht mehr plausibel machen. Zudem bleibt er in Bezug auf die Zusam56 Vgl. JUNGE, Rahmenerzählung des Beredten Bauern, 168: „Als den Ort der Lehren des Mittleren Reiches kann man zunächst die Selbstbestimmung und kulturelle Selbststilisierung (,self-fashioning') der Mitglieder eines Staates ansehen, der das Gewaltmonopol immer deutlicher für sich beansprucht. Die Belehrenden, Wesire und Prinzen, sind die handelnden Subjekte der Machtausübung, die mit hoher Amtsautorität versehenen Repräsentanten dieser Staatsgesellschaft; sie wollen einerseits ein Wohlverhalten erreichen, das die Ausübung ihrer Herrschaftsfunktionen reibungslos macht, sie sind andererseits darauf angewiesen, gerade angesichts der offenen oder verdeckten Machtkämpfe einer Hofgesellschaft Verhaltenskanones im Umgang miteinander zu entwickeln. Lehren haben Teil an der Modellierung von Persönlichkeiten, die den Erfordernissen einer komplexer werdenden gesellschaftlichen Struktur gerecht werden; Lehren haben Teil an der Einübung von Selbstzwang und sind gleichzeitig Ausdruck seiner Reflexion." Vgl. auch LOPRIENO, Topos und Mimesis, 86f. Anm. 12. 57 Vgl. SCORALICK, Einzelspruch und Sammlung, 239f. 58 Zur Rede von Aspektive und Perspektive siehe oben, 8f. 59 Vgl. SMEND, The interpretation of wisdom, 257-268. 60

V g l . BRUCH, W e i s h e i t s - L e h r e , 1 5 2 f .

B. Der Königsweg der Weisheit

19

menhänge der Sprüche untereinander bei einer nicht ausgearbeiteten oder nachgewiesenen Behauptung. Auch Delitzsch wendet den Begriff der Philosophie auf das Sprüchebuch an: „Die Räthsel der Welt in ihm und außer ihm lassen dem Menschen keine Ruhe, er muß sie zu lösen suchen, und indem er das thut, philosophirt er, d.h. er strebt nach Erkenntnis des Wesens und der Gesetze in dem Erscheinenden und Geschehenden"61. Das Besondere an Delitzschs Analyse ist, dass er nicht nur den fiktiven Charakter der salomonischen Verfasserschaft, sondern auch die zeitliche Streuung der Sprüche erkennt: „Unter den Händen der kritischen Analyse verwandelt es sich in einen bunten Markt der mannigfaltigsten Geisteserzeugnisse der Spruchdichtung aus wenigstens drei Epochen."62 Delitzschs redaktionsgeschichtliches Interesse bezieht sich vor allem auf die Besonderheiten der unterschiedlichen Sammlungen. Diese findet er allerdings überwiegend in formalen Auffälligkeiten wie etwa der Häufung von antithetischen Sprüchen in der Spruchsammlung B. Thematisch hält er die Zusammenstellungen für allenfalls zufallig geordnet. So stellt er für Sammlung B (10,1-22,16) fest, sie sei „ohne durchgreifenden Plan aneinandergereiht".63 Die Wiederholungen von Versen oder Versteilen innerhalb zweier verschiedener Sammlungen sind für Delitzsch Zeichen unabhängigen Wachstums, weil die Sammler nur aus Unkenntnis der jeweils anderen Sammlung eine Doppelüberlieferung produziert haben dürften. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden die Proverbien immer weniger als bestenfalls assoziativ zusammenhängendes Konglomerat von Einzelsprüchen bearbeitet, sondern werden nach innerer Struktur und Komposition befragt. Einer der Vorreiter eines recht formalistischen Zugangs zu diesen Fragen ist Boström, der in seiner Monographie „Paronomasi i den äldre hebreiska Maschallitteraturen" die lautlichen Verbindungen, er nennt sie Paronomasien, der Einzelverse über das ganze Buch hinweg verfolgt.64 Die schwerpunktmäßig formale Ausrichtung seiner Untersuchung hat einen bis heute einflussreichen Forschungstrend für die Proverbien begründet. Zu dessen entschiedenster Verfechterin kann Krispenz gerechnet werden, die alle nach thematischen Gesichtspunkten gewichtenden Kompositionsanalysen der Proverbien in den Verdacht unwissenschaftlicher Imagination bringt.65 Bei der Analyse der Proverbien geht Krispenz davon aus, dass es sich um Poesie handele, die vor allem durch lautliche Anklänge zusammengebunden würde. Als Gefahr der modernen Proverbienexegese beschreibt Krispenz, dass der Mensch dazu neige, in Ermangelung von rechtem Verständnis eher einen Sinn 61

DELITZSCH, B C I V . 3 , 3 2 .

62

DELITZSCH, B C I V . 3 , 3 .

63

DELITZSCH, B C I V . 3 , 1 4 .

64

V g l . BOSTRÖM, P a r o n o m a s i .

65

Vgl. KRISPENZ, Spruchkompositionen, 32-40.

20

/. Einleitung

in einen Text einzutragen, als sein Fehlen zu konstatieren. Diesen Mechanismus sieht sie überall dort am Werk, wo Exegetinnen und Exegeten nicht nach einer formal abgesicherten Methode vorgehen. Ihre eigene Absicherung besteht in der Konzentration auf lautliche Anklänge. Auch eine formale Methodisierung bietet jedoch keinen ausreichenden Schutz gegen exegetische Willkür. Das Problem aller rein formalen Zugänge zu den Proverbien ist, dass sie den Einfallsreichtum der Verfasser unterschätzen und mit festgezurrten Kriterien eine scheinbare Objektivität einführen, die bei der Interpretation von Texten so nicht möglich ist. Wie schon die Kommentare des 19. Jahrhunderts konzentriert sich auch Skladny in seinen Untersuchungen vor allem auf die Zusammenfiigung der Sammlungen.66 Er untersucht ihre theologischen Richtungen und fuhrt sie auf verschiedene Autoren mit zum Teil deutlich unterschiedlichen Standpunkten zurück. Skladny geht davon aus, die Weisheit habe ihren Ursprung am Königshof. Der Übergang auf andere Bevölkerungsschichten sei ein sekundäres Phänomen.67 Eine solche sekundär angesprochene Bevölkerungsschicht vermutet er unter anderem in den Kapiteln 25-27, die er als „Bauern- und Handwerkerspiegel" bezeichnet.68 Eine geradezu konträre Interpretation dieser Kapitel bietet van Leeuwen, der zumal in Prov 25 und 27,23-27 eigens für den König oder heranwachsende Herrscher formulierte Verse erkennen will.69 Weder die Beschreibung dieser Sammlung als Bauernspiegel noch als Lehre für Könige wird sich aufrechterhalten lassen. Beide Ansätze können nicht klären, welche Funktion solche spezifischen Lehren im Gesamtzusammenhang des Proverbienbuches haben könnten. Ein anderer Zweig der Erforschung der Komposition der Proverbien konzentriert sich stärker auf die Prägung verschiedener Versgruppen. So differenziert McKane in seinem Kommentar drei inhaltlich und formal unterscheidbare Spruchgruppen. Zur Spruchgruppe A zählt McKane Sprüche, die er mit der älteren Weisheit in Verbindung bringt und die auf die Erziehung zu einem erfolgreichen und harmonischen Leben abzielen. Der Spruchgruppe B ordnet er Sprüche zu, die sich eher mit der Gemeinschaft als mit dem Individuum beschäftigen und vor den schrecklichen Konsequenzen asozialen Verhaltens für die Gemeinschaft warnen. Spruchgruppe C dagegen besteht aus Sprüchen mit vorwiegend religiösem Charakter.70 Schwierigkeiten bereitet McKanes Ansatz, weil er selbst keine plausible Erklärung dafür liefern kann, wie die Verse der verschiedenen Spruchgruppen zusammengestellt wurden. 66 67 68 69 70

Vgl. SKLADNY, Spruchsammlungen. Vgl. SKLADNY, Spruchsammlungen, 57. SKLADNY, Spruchsammlungen, 56. Vgl. VAN LEEUWEN, Context and Meaning in Proverbs 25-27, 136f. Vgl. MCKANE, OTL, 11.

B. Der Königsweg der Weisheit

21

Die Spätdatierung aller dezidiert religiösen Sprüche geht zudem von einer kaum beweisbaren Nachordnung des religiösen Moments innerhalb der Geschichte der Weisheit aus. Vor allem ist jedoch bei etlichen Sprüchen die Zuweisung zu einer Spruchgruppe nicht einwandfrei zu klären. Das liegt daran, dass die Einteilung in drei schwer abgrenzbare Großgruppen notwendigerweise Überschneidungen mit sich bringen muss. Vorsichtiger geht in dieser Hinsicht Whybray vor, der in seiner ersten Annäherung an die Komposition von Prov 10,1-22,16 ebenfalls die YHWHSprüche als späte Interpretamente isoliert, dabei aber immer wieder die Vorläufigkeit seiner Untersuchungen betont.71 Zuletzt rückt Whybray selbst von der zuvor behaupteten zeitlichen Nachordnung der YHWH-Sprüche ab, weil diese in einigen Abschnitten das Zentrum der Kompositionen bilden. Folglich würden einige der Texte jedes Zusammenhangs verlustig gehen, wenn man die YHWH-Sprüche extrahierte. Die Abhängigkeit der Textzusammenhänge von den YHWH-Sprüchen zeigt, dass von ihrer späteren Einfügung kaum die Rede sein kann. In seiner Arbeit über die Komposition der Proverbien versucht Whybray, kleine Sprucheinheiten zu isolieren. Er findet diese Sprucheinheiten vor allem anhand thematischer Übereinstimmungen, berücksichtigt allerdings auch Paronomasien und Stichwortverbindungen. Dabei haben die thematischen Zusammenhänge ein deutliches Übergewicht, da Whybray alle formalen Zusammenhänge der Proverbien für nicht nachweisbar und latent zufällig hält. Whybrays Beobachtungen zur Komposition sind ebenso sorgfaltig wie vorsichtig. Vorsichtig ist auch seine abschließende Bestimmung der Proverbien als „a compendium of traditional educational or instructional material in order to gather on to a single scroll all writings of this kind which the final editor thought should be preserved."72 Diese sehr offene Interpretation der Zusammenhänge in den Proverbien wird dem zum Teil deutlich zu erkennenden Gestaltungswillen ihrer Verfasser oder Redaktoren kaum gerecht. Zudem kann Whybray bei der näheren inhaltlichen Bestimmung von Spruchgruppen ihre Zusammenhänge immer nur näherungsweise beschreiben. Diese Schwierigkeit entsteht, weil die Möglichkeit eines allmählichen Wachstums der Texte nicht konsequent berücksichtigt wird. Das gleiche Problem ergibt sich auch bei der weiterführenden Arbeit von Scoralick zur Komposition von Prov 10-15. Sie eruiert die Zusammenhänge der Sprüche auf synchroner Ebene und achtet dabei vor allem auf Wiederholungen von „Sprüchen, Spruchteilen und Wörtern", an denen sie die Gestaltung der Verskompositionen nachvollzieht.73 Die Begrenztheit der den Endtext fokussierenden Herangehensweise wird sich allerdings in ihrer Darstel71

V g l . WHYBRAY, Y a h w e h - s a y i n g s , 1 5 3 - 1 6 5 .

72

WHYBRAY, Composition, 157. SCORALICK, Einzelspruch und Sammlung, 160.

73

22

I. Einleitung

lung von Prov 14,29-15,18 zeigen, wo sie einige Besonderheiten des Textes nicht erfassen kann, weil sie seine Genese nicht berücksichtigt.74 Die von Scoralick praktizierte Konzentration auf den Endtext ist auch für Hermisson charakteristisch.75 Er hält die literarkritischen Unterscheidungen für zu heikel und will „angesichts der Unsicherheit der Methode auf literarkritische Eingriffe prinzipiell"76 verzichten. Größeren Wert auf die redaktionsgeschichtlich zu bestimmende Textgenese legt Scherer in seiner Untersuchung zu Prov 10,1-22,16. Er verbindet inhaltliche Argumentationen mit Beobachtungen zu Stichwortanknüpfiingen.77 Wiewohl Scherer in seiner Arbeit eine letzte Redaktionsschicht ausmachen kann, versucht er nicht, die Textgenese weiter zurückzuverfolgen. Aus diesem Grund kommt er auch zu einer recht umstrittenen Einschätzung, den Grundbestand von Prov 1-9 früher zu datieren als Prov 10,1-22,16. Diesen Schluss zieht Scherer aus der Abhängigkeit einiger Verse der Sammlung B von Versen aus A. Die Übereinstimmungen können jedoch nicht nur mit einer zeitlichen Vorordnung von Prov 1-9 vor Prov 10-22 erklärt werden. Vielmehr sind die betreffenden Verse auch als Einschübe späterer Redaktionen erklärbar, die die bereits miteinander verbundenen Sammlungen bearbeitet haben. Die Begrenzung der Untersuchung auf nur eine Bearbeitungsschicht ändert nichts an der Tatsache, dass mit Scherers Monographie ein wichtiger Schritt in der Erforschung der Proverbien getan ist. Seine methodischen Vorüberlegungen werden der vorliegenden Erarbeitung der Proverbien zugrundegelegt. Scherer stellt zunächst fest, dass die Existenz größerer oder kleinerer Spruchgruppen in den Proverbien inzwischen nahezu als Forschungskonsens beschrieben werden könne. Er kritisiert jedoch zurecht, dass aus diesen Spruchgruppen keine Rückschlüsse auf die Entstehungsgeschichte der Texte gezogen würden.78 Er beruft sich bei seinen Überlegungen auf Meinhold79 und Whybray, die beide von einem allmählichen Textwachstum vom Einzelspruch über Verspaare hin zu größeren Gruppen ausgehen.80 Als Schwäche der Ansätze von Meinhold und Whybray erkennt Scherer ihre Unentschiedenheit in 74 Siehe zur Stelle sowie KOTTSIEPER, Alttestamentliche Weisheit (II), 205: „Ihr (SCORALICKS) Ergebnis betrifft mithin allein die letzte Stufe einer Redaktion, die, soweit sich ihre formalen Beobachtungen dann in einer inhaltlichen Analyse verifizieren lassen, sicherlich eine wichtige Bedeutungsebene darstellt. D i e Frage nach möglichen redaktionellen Vorstufen und dem Bedeutungshorizont der ursprünglichen Sprucheinheiten stellt sich immer noch, auch wenn diese von Scoralick nicht in Betracht gezogen werden." D i e von KOTTSIEPER im selben Kontext angesprochene „inhaltliche Analyse" wird zeigen, dass die ausschließliche Betrachtung des Endtextes nicht den erwünschten Erfolg hat. 75

V g l . HERMISSON, S t u d i e n .

76

HERMISSON, S t u d i e n , 1 7 4 .

77

V g l . SCHERER, D a s w e i s e W o r t , 3 5 - 4 6 .

78

Vgl. SCHERER, Das weise Wort, 31.

79

V g l . MEINHOLD, Z B K . A T 1 6 . 1 , 2 5 f .

80

Vgl. SCHERER, Das weise Wort, 32.

B. Der Königsweg

der Weisheit

23

der Zuordnung der redaktionellen Stufen an einen präzisen historischen Ort: „Die Angaben zu den einzelnen Redaktionsphasen bleiben sehr vage."81 Scherer nennt in einer methodischen Grundlegung Stichwörter, Wortfelder und Paronomasien als kontextbildende Elemente, womit er deutlich an die Forschungsgeschichte anschließt. Innovativ sind seine Überlegungen zur Bestimmung von redaktionellem Spruchgut. Nachträglich formulierte und eingefügte Sprüche sind nach Scherer an drei Kriterien zu erkennen. Zum einen zeigt ihre Stellung im Kontext, dass „wirklich ein besonderes redaktionelles Interesse an einem bestimmten Vers vorliegt"82, weshalb redaktionelle Ergänzungen grundsätzlich eine gute Kontexteinbindung vorweisen. Zum anderen geht Scherer davon aus, dass vor allem Versdubletten als redaktionelle Spruchbildungen in Frage kommen: „Die Entstehung von Halbversdubletten und Spruchvarianten verdankt sich also zu einem nicht unwesentlichen Anteil der Tätigkeit der Redaktion, die Teile des vorliegenden Spruchgutes neu kombiniert oder modifiziert hat, um an geeigneter Stelle bestimmtes Spruchmaterial für die kompositorische Arbeit zur Verfügung zu haben."83 Das letzte und nach Scherer ausschlaggebende Kriterium ist die kontextuelle Anpassung von Versen. An ihr zeigt sich zweifelsfrei die redaktionelle, nachträgliche Erstellung eines Verses. Seinen Ansatz übernimmt Scherer zum Teil aus den Vorarbeiten von Grintz und Snell. Snells umfangreiche Studie zu Wiederholungen von Versen, Versteilen und geprägten Wendungen bietet gute Voraussetzungen für weitere Untersuchungen.84 Snell und Grintz sind vor allen Dingen daran interessiert, die verschiedenen Sammlungen der Proverbien zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei setzen all diese Untersuchungen ohne weitere Problematisierung die Abgeschlossenheit der Sammlungen zum Zeitpunkt ihrer Zusammenstellung voraus. Diese Voraussetzung kann so nicht aufrechterhalten werden. Auch konträre Überlegungen, nach denen das gesamte Buch einem Redaktor zugeschrieben wird, sind in der Forschungsgeschichte immer wieder formuliert worden. Einer der Pioniere dieser Überlegung ist Skehan.85 Er trägt jedoch ein sehr ungewöhnliches Kompositionsprinzip an die Verse heran, indem er etwa den Zahlenwert des Namens Salomo zur Anzahl der Verse einer Sammlung in Beziehung setzt. Für diese Zahlenspekulationen muss er teilweise massiv in den Text eingreifen, weshalb dieser Ansatz auch kaum

81

SCHERER, Das weise Wort, 33. SCHERER, Das weise Wort, 43. 83 SCHERER, Das weise Wort, 44. 84 Vgl. SNELL, Twice-Told Proverbs. SNELL folgt mit seiner Arbeit kritisch dem von GRINTZ vorgegebenen Ansatz; vgl. GRINTZ, Proverbs of Solomon, 87-114. 85 Vgl. SKEHAN, Single Editor, 329-340. 82

24

/.

Einleitung

überzeugen kann. In neuerer Zeit vertritt auch Fuhs die Ansicht eines Redaktors für das gesamte Spruchbuch.86 Dem Entwurf Scherers gelingt es zur Zeit am besten die Strukturen einer Gliederung der Proverbien freizulegen. Gleichwohl fragt er nicht über redaktiongeschichtliche Überlegungen hinaus und nimmt deshalb einige offensichtliche Text- und Bedeutungsentwicklungen nicht wahr. Im Folgenden wird versucht, nach einer Einzelanalyse der Königsverse, diese in ihrem Kontext zu verorten und von ihm her zu interpretieren.87 7. Historische und literarische Datierungen Sowohl in der atl. Wissenschaft als auch in der Ägyptologie besteht heute die opinio communis, Selbstdatierungen zunächst als Interpretamente zu verstehen. Salomo und Ptahhotep stehen auf diese Weise für Konzepte von Weisheit, die in der Nennung der Namen eindrücklicher zusammengefasst werden, als es jede rein definitorische Selbstverortung vermocht hätte. Denn die Zuschreibungen an die großen oder königlichen Weisen der Vergangenheit suggerieren nicht nur eine entsprechende Autorität, sie legen auch ein zutiefst weisheitliches Fundament, das Fundament der Dauer. Die Datierung der Proverbien kann nur annähernd vorgenommen werden. In jedem Fall ist von einer langen Entstehungsgeschichte des Buches auszugehen, die in der Königszeit beginnt und in hellenistischer Zeit abgeschlossen ist. Ausgehend von der lautlichen Anspielung an die ao(pia in Prov 31,27, ist die in diesem Hymnus wirkende, höchstwahrscheinlich letzte Redaktion der Proverbien auf keinen Fall vor 400 v. Chr. anzusetzen.88 Früher ist eine entsprechende Kenntnis des Griechischen nicht vorauszusetzen, und vor allem ist nicht davon auszugehen, dass zuvor ein Anlass bestanden hätte, die Weisheit des einbrechenden Hellenismus bei ihrem Namen zu nennen. In Bezug auf die Genese des Alten Testaments werden Tora89 und noch spezifischer die Dreiteilung des Kanons vorausgesetzt. Aus diesem Grund wird eine Datierung vor dem Ende des 4. Jahrhunderts kaum angebracht sein. Die Lehre für Lemuel (31,1-9) scheint sich darüber hinaus im Dialog mit Kohelet90, gegebenenfalls auch mit Jesus Sirach zu befinden. Diese Schriften 86

V g l . FUHS, FZB 9 5 , 1 5 ff.

87

D i e Erforschung des Kontextes und seiner literarkritischen G e n e s e kann dabei z u w e i l e n über Mutmaßungen und Andeutungen nicht hinausgehen. Eine ausfuhrliche, literarkritisch abgesicherte Bearbeitung kann in dieser thematisch angelegten Arbeit nicht geleistet werden. Eine solche zu erstellen, bleibt zur Zeit ein Desiderat der Forschung. 88 V g l . WOLTERS, § Ö P I Y Y Ä (Prov 31:27), 5 7 7 - 5 8 7 und MEINHOLD, Z B K . A T 16.2, 5 2 8 . 89 V g l . SPIECKERMANN, Prologe, 296: „Es leidet keinen Z w e i f e l , dass in (sc. Prov) 6 , 2 0 2 2 auf die Formulierung des Sch e ma' in Dtn 6,4-8 angespielt werden soll." 90 KRÜGER datiert Kohelet in die 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts. Unter diesen Voraussetzungen läge ein D i a l o g z w i s c h e n den beiden salomonischen Schriften Proverbien und K o h e let sogar nahe. Vgl. KRÜGER, Kohelet, 39. 51 f.

B. Der Königsweg

der

Weisheit

25

werden gemeinhin später datiert als die Proverbien. Die Datierung von Jesus Sirach und Kohelet nach den Proverbien ist jedoch vor allem eine Sache alttestamentlicher Konvention, die, so weit das hier beurteilt werden kann, nicht zwingend ist. Das Zitat von Prov 1,6 in Sirach 47,18 kann problemlos einer der früheren Gestalten des Proverbienbuches entnommen sein. Vor diesem nur sehr vage zu zeichnenden zeitlichen Abriss ließe sich eine Entstehungsgeschichte der Proverbien etwa ab der Zeit Hiskias91 bis in das 3. Jahrhundert vor Christus, in dem der Dialog mit Kohelet und Sirach geführt wurde, nachzeichnen. Dies würde eine rund 400jährige Genese des Buches voraussetzen. Anders als in den Proverbien besteht für die ägyptischen Lehren eine gewisse Möglichkeit, die ursprünglichen Texte zu ermitteln, zumindest gibt es zumeist verschiedene Textzeugen, deren Datierungen erste Hinweise auf den terminus ad quem geben. Die Faktenlage ist für die Ägyptologie um einiges besser, weil es beispielsweise durch Bauinschriften zweifelsfrei zu datierende Texte gibt, deren Inhalt und Sprache auch für die kontextuelle Datierung literarischer Texte fruchtbar gemacht werden kann.92 Die vorliegende Arbeit kann kein umfassender Beitrag zu den in der Ägyptologie noch längst nicht abgeschlossenen Überlegungen und Diskussionen zur Datierung sein. Vielmehr werden anderweitig vorgenommene Datierungen, soweit sie nachvollziehbar sind, übernommen. Bevor nun die Lehren nach Datierung und Selbstdatierung befragt werden, ist es notwendig, einen kurzen Abriss der Geschichte, die der Einordnung der ägyptischen Lehren zugrunde gelegt wird, zu geben. Die interpretative Datierung lässt sich dabei relativ kurz bestimmen: Das Alte Reich ist die „gute alte Zeit" der Lehren. Ordnung und Gesellschaft werden auf diese Geschichtsphase als ihrem Ursprung zurück bezogen. Demgegenüber sind die Wirren der sogenannten Ersten Zwischenzeit als Übergang vom Alten zum Mittleren Reich eine Art Topos für Chaos und Unheil.93 Der literarische Topos der Ersten Zwischenzeit wurde oft als Beschreibung der tatsächlichen Zustände dieser Phase verstanden. Archäologische Ergebnisse haben diese Darstellungen allerdings relativiert. Da die gesellschaftlichen Implikationen der Umbrüche, die diese geschichtliche Phase mit sich brachte, wichtig sind für die Deutung der ägyptischen Lehren und ihrer Hintergründe, soll hier auf die Forschungsergebnisse über die sogenannte Erste Zwischenzeit näher eingegangen werden. 91 Eine entsprechende Datierung könnte sich fiir die Grundschichten von Kapitel 25 nahelegen. Vgl. zur Stelle. 92 Ein hervorragendes Beispiel fiir diese Arbeitsweise bietet m. E. QUACKS Arbeit über die Lehre des Merikare, in der er gerade mit inschriftlichen Belegen arbeitet und auf diese Weise seine Neudatierung der Lehre wahrscheinlich zu machen weiß. In der vorliegenden Arbeit kann derlei nicht geleistet werden. Vgl. QUACK, GOF IV/ 23, 99ff. 93 Vgl. u.a. ASSMANN, Sinngeschichte, 99.

26

I. Einleitung

Die Erste Zwischenzeit ist die geschichtliche Periode, in der die zu allen Zeiten gefährdete Einheit Ägyptens auseinander bricht, und die augenfällige Bautätigkeit des Alten Reiches zum Erliegen kommt. Mit dem letzten gesamtägyptischen König und Urheber des letzten großen Pyramidenbezirks, Pepi II., lässt daher beispielsweise Gundlach die Erste Zwischenzeit beginnen.94 Sie endet mit der Reichseinigung zum Beginn der 12. Dynastie unter Mentuhotep II. Während der Zwischenzeit werden Ober- und Unterägypten aus Theben und Herakleopolis von verschiedenen, gleichzeitig herrschenden Königen regiert. Das Ende des zentralen Königtums und das gleichzeitige Ende groß angelegter Bautätigkeit legt einen plötzlichen Einbruch der Geschichte, eine bestimmbare Zäsur nahe. Der literarische Topos der Ersten Zwischenzeit ist entsprechend dramatisch und beschreibt das Land als in allen wesentlichen Belangen gestört. So wird von Korruption und Hungersnöten berichtet, die Produktivität und Kunstfertigkeit wird als auf den Nullpunkt gesunken beschrieben.95 Eine ähnliche Darstellung der Ersten Zwischenzeit findet sich oft auch in der ägyptologischen Literatur, in der sie als ein traumatisches Ereignis beschrieben wird, als eine Zeit, in der mit dem zentralen Königtum Verwaltung und Versorgung des gesamten Landes zusammengebrochen seien, was zu Hungersnöten und Epidemien gefuhrt hätte.96 Ein solches Ereignis ist strenggenommen nicht nachzuweisen. Die Entwicklungen der Ersten Zwischenzeit begannen schon vor dem Tode Pepis II. und zogen sich über die Zeit der Reichseinigung hinaus hin. Richtig ist, dass diese Zeit für viele Ägypter traumatisch gewesen sein muss, anders ließe sich auch die Bildung der Chaostopik, die mit dieser Periode verbunden wird, nicht erklären. Dass jedoch die Annahme einer in dieser Periode zerfallenden Kultur falsch ist, zeigt der archäologische Befund. Dieser bestätigt die Angabe einer einschneidenden Entwicklung im Zeitraum zwischen dem Alten und dem Mittleren Reich, widerspricht aber der These vom totalen Zusammenbruch.97 Das Auseinanderbrechen von Ober- und Unterägypten war für Ägypten eine auch in späterer Zeit immer vor Augen stehende Gefahr, und letztlich kann eher der Reichszusammenhalt als außergewöhnlich angesehen werden als die in der Ersten Zwischenzeit sich durchsetzende Provinzialisierung.98 94 Eine exakte Abgrenzung der Ersten Zwischenzeit gelingt nicht, weil die Behauptung dieser Epoche erst der nachträglichen Beschreibung erwächst. Vgl. GUNDLACH, Der Pharao und sein Staat, 293ff. sowie HORNUNG, Einfuhrung in die Ägyptologie, 126. 95 Vgl. BLUMENTHAL, Die literarische Verarbeitung der Übergangszeit, 105-135. 96 Klassisch: POSENER, Littérature et politique. 97 Vgl. SEIDLMAYER, Gräberfelder, 438ff. 98 Vgl. SEIDLMAYER, Gräberfelder, 440: „Formuliert nicht die ägyptische Denkposition, daß die Bereinigung der beiden Länder' ein immer neu zu vollziehender Akt sei, in unseren Begriffen die sozioökonomische Tatsache, daß die Einheit eines so großen Wirtschaftsraumes

B. Der Königsweg der Weisheit

27

Anhand typologischer Untersuchungen von Grabbeigaben der entsprechenden Perioden entdeckte Seidlmayer gleich zwei Stufen der Formentwicklung, die eine innerhalb der 6. bis 11. Dynastie, die andere erst in der 12. Dynastie, in der Zeit Amenemhets II. und Sesostris' II. Tatsächlich zeigen die Entwicklungslinien der Töpferware eine Ähnlichkeit zur politischen Entwicklung, die allerdings nicht einfach parallel gesetzt werden kann: „Es gibt also keine ,Thebaner'- oder ,Herakleopolitenkeramik"'.99 Gleichwohl konnten die einzelnen Provinzen in dieser Zeit, in der nicht die gemeinsame Reichsresidenz die Kultur beherrschte, eher ihre eigenen Stilmerkmale ausprägen. Die einheitliche Reichskultur wurde aufgegeben, und gleichzeitig damit entstanden Formen, die das pharaonische Ägypten noch unverhältnismäßig lange prägen sollten. Die Provinzialisierung hat mit einem Niedergang der Kultur nichts • 100 gemein. Ähnlich lässt sich mit Seidlmayer auch der eklatante Baurückgang der Elitekultur in der Residenz erklären, ohne dass man auf die Deutung des vollständigen Zusammenbruchs zurückgreifen muss. Auch der Baurückgang kann nicht mit einer zurückgehenden Produktivität oder Kreativität erklärt werden.101 Vielmehr wurden im Laufe der Ersten Zwischenzeit die Mittel breiter verteilt. Die jeweilige Qualitätsminderung hing daran, dass für mehr Menschen dasselbe produziert wurde. Mit der sich erhöhenden Quantität litt die Qualität des Produzierten, ohne dass aus dieser Qualitätsminderung ein tatsächlicher Niedergang zu konstatieren wäre. Das „Material von der Basis der Gesellschaft"102 zeigt, dass die Deutung der Ersten Zwischenzeit als Phase eines Niederganges nur für eine sehr kleine Gruppe zutraf, die jedoch durch ihre herausgehobene Stellung das Bild über diese Zeit prägen konnte. Die Kultur der Residenz verlor gegenüber ihrer Blütezeit im Alten Reich. Die Kultur der Provinz dagegen erlebte einen enormen Aufschwung. Zusammenfassend kann die sogenannte Erste Zwischenzeit somit als Phase der Dezentralisierung von Gesellschaft und Kultur verstanden werden. Eine Dezentralisierung, die im Selbstverständnis der Ägypter eine entscheidende

nicht einfach ein Zustand, sondern der Effekt des Funktionierens eines politischökonomischen Systems ist?" 99

SEIDLMAYER, G r ä b e r f e l d e r , 4 3 9 .

100

Vgl. SEIDLMAYER, Gräberfelder, 440: „Der Befund an der funerären Kultur, die in der Provinz während der 1ZZ floriert wie nie zuvor, ergibt m. E., daß der Ansatz einer Krise der Produktivität des Landes durch nichts gestützt wird." 101 Vgl. SEIDLMAYER, Gräberfelder, 441: „Der Niedergang der Elitekultur in der Residenz, wie ihn der Befund auf den memphitischen Friedhöfen dokumentiert, reflektiert also wohl den Niedergang der Möglichkeit dieser Kreise, alle Mittel des Landes auf einen Punkt zu fokussieren, wie das in so exorbitantem Ausmaß während des hohen AR der Fall war, nicht den Niedergang der Fähigkeit des Landes, Mittel zu produzieren." 102

SEIDLMAYER, G r ä b e r f e l d e r , 4 4 2 .

28

I. Einleitung

Wende bewirkte - eine Wende, in deren Folge die Entdeckung der Persönlichkeit stand. Mit dem gewachsenen Selbstbewusstsein von Territorialherrschern und auch Beamten umzugehen, war die Aufgabe der Reichseinigungspolitik des Mittleren Reiches. Die neu gewachsene Individualität widersetzte sich einer solchen Einigung zunächst. Deshalb galt es, gerade sie anzusprechen und neu einzubinden. Der einseitige Distinktionswunsch musste durch neue Möglichkeiten der Integration ausgeglichen werden. Der Durchbruch zu dieser neuen Integration begegnet uns in den sogenannten loyalistischen Lehren, er vollzieht sich in einem zugleich religiösen und königsbezogenen Kontext und bildet so eine Vorstufe der Gottesunmittelbarkeit des Einzelnen.103 Im Folgenden werden in der Reihenfolge der Selbstdatierungen oder, wo diese nicht vorliegen, in der der konventionellen Datierung104 die zugrunde liegenden Quellen dargestellt und ihre Datierung diskutiert. Aus diesen kurzen Darstellungen wird sich eine sinnvolle Anordnung der Lehren für den systematischen Teil der Untersuchung finden lassen. Die Lehre des Ptahhotep ist eine der am ausführlichsten diskutierten Lehren, für deren Datierung inzwischen eine gewisse opinio communis besteht. Die Lehre wird von drei Papyri, einer Holztafel und drei Ostraka überliefert.105 Der textgeschichtlich als „reinster Text" beschriebene Papyrus Prisse wird allgemein auch für das älteste Zeugnis der Lehre gehalten. Seine Datierung variiert allerdings erheblich, zwischen der späten 11. und der 17. Dynastie.106 Nur noch eine Minderheit sieht die Historisierung der Selbstdatierung ins Alte Reich als zutreffend an. Sprache und Inhalt erweisen den Text als dem Mittleren Reich zugehörend.107 Ein auffälliges Hindernis für die Ansetzung der Lehre des Ptahhotep im Alten Reich ist, dass die Lehre nicht - wie zu erwarten wäre - in Altägyptisch

103

Begriff MORENZ, Die Heraufkunft, 54f. Ich folge dabei der Anordnung von BRUNNERS Standardwerk: DERS., Weisheitsbücher. 105 Papyrus Prisse der Bibliothèque Nationale (Nr. 183-194), Paris, die zusammengehörigen Papyrusfragmente BM 10371 und 10435 des British Museum, der Papyrus BM 10509, Papyrus Turin CGT 54014, Holztafel: Carnarvon Tablet I, im Museum von Kairo CG 41790, sowie drei Ostraka aus Deir el Medine (O. DeM 1232-1234). Der Papyrus Prisse wird nach paläographischen Untersuchungen in die 11.-17. Dynastie datiert, wobei die Frühdatierungen eher konsensfahig sein dürften. Alle anderen Belege sind deutlich jünger. Die Beleglage weist darauf hin, dass die Lehre eher für Privatpersonen kopiert wurde denn als Schulstoff diente. Vgl. dazu JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 12. 106 JUNGE, ebd., sowie BURKARD, TUAT III/ 2,195. 107 FECHT meint, hier AR-Metrik nachweisen zu können. Vgl. FECHT, Cruces Interpretum, 227-251. Dagegen JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 13: „Die Organisation der Wortschreibungen, der Gebrauch von grammatischen Formen und die auftretenden Satztypen sind so charakteristisch mittelägyptisch, daß man bei einer anderen Entstehungszeit von einer grundsätzlichen Umarbeitung des Textes ausgehen müßte." 104

B. Der Königsweg der Weisheit

29

überliefert ist, sondern in klassischem Mittelägyptisch. Von Posener108, der von einer streckenweise rein mündlichen Überlieferung ausgeht, bis zu Fecht,109 der eine Übertragung der Lehre in Sprache und Rhythmus ins klassische Mittelägyptisch annimmt, gibt es allerdings verschiedene Ansätze, diesem formalen Einwand zu begegnen. Beweiskräftiger sind freilich inhaltliche und außerliterarische Belege fur die Datierung. Einen spezifischen, auf außerliterarische Bezeugungen gestützten Datierungsansatz bietet Blumenthal.110 Sie hat in einer Untersuchung zur Lehre die Begriffsgeschichte vom „Stab des Alters" beleuchtet. Der „Stab des Alters" bezeichnet den Nachfolger eines zumeist hohen Beamten, der in den letzten Jahren der Amtszeit seines Vorgängers zugleich in sein Amt eingewiesen wird und seinem Vorgänger helfend zur Seite steht. Ein diesem Famulussystem ähnliches Prinzip der Ämterübergabe hat es nach Blumenthals Untersuchungen in Ägypten wohl schon zur Zeit des Alten Reiches gegeben, allein unter einem anderen Namen. Der Begriff „Stab des Alters", der hinsichtlich seiner metaphorischen Formulierung etliche Parallelen in der Sprache des Mittleren Reichs hat, komme zum ersten Mal im Mittleren Reich vor.111 Anhand dieser Bezeugungen liegt eine Entscheidung zur Spätdatierung des Textes nahe.112 Die Lehre für König Merikare datiert sich selbst durch den Königsnamen in die Erste Zwischenzeit. Der Vater, dem die Lehre zugeschrieben wird, ist namentlich nicht bekannt.113 In Annahme einer historischen Verlässlichkeit der Datierung galt die Lehre lange Zeit als wichtiges Zeugnis für die sogenannte Erste Zwischenzeit. Diese Einschätzung wird heute weitgehend als überholt angesehen. Die Lehre wird in drei Papyri und einem Ostrakon überliefert. Den ausführlichsten Text liefert der Papyrus Leningrad. Er lässt sich durch sein recto relativ genau datieren, da in der umseitigen Beschriftung Amenophis II. (1425-1401) genannt wird. Die Zeit der Wiederverwendung des Papyrus wird für die Zeit von Thutmosis IV.-Amenophis III. (1401-1352) angenommen. Die beiden weiteren Papyri werden zumeist in die späte 18. Dynastie datiert, einige Fachleute datieren den Papyrus Carlsberg sogar erst in die 21. Dynas108 109

Vgl. POSENER, L'apport des textes littéraires, 28. Vgl. FECHT, Cruces interpretum, sowie DERS., Der Habgierige und die Maat, 49f.

110

V g l . BLUMENTHAL, Stab d e s Alters, 8 4 - 9 7 .

111

V g l . JANSEN-WINKELN, S A K 1 8 , 2 4 1 - 2 6 4 . BLUMENTHAL, Z Ä S 1 1 0 , 1 0 4 - 1 2 1 .

112 Vgl. EICHLER, ZÄS 128, 106f.: „Die Verehrung dieser Personen erfolgte nicht, weil sie Lehren verfaßt haben - was bei den meisten ja ohnehin nicht in Frage kommt - , sondern umgekehrt: Man schrieb die Lehren jenen ,Kulturheroen' zu, weil sie im Bewußtsein der Nachwelt eine besondere Rolle spielten und die ihnen so zugeschriebenen Texte besondere Glaubwürdigkeit verdienten." 113 Der Name des Vaters ist in den uns zugänglichen Textzeugen nicht zweifelsfrei zu erschließen. Gegen eine Gleichsetzung mit Cheti/Achtoi aus Mangel an Beweisen: v. BECKERATH, Die Dynastie der Herakleopoliten, 13-20, v. a. 16.

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I. Einleitung

tie. Für die Textrekonstruktionen lässt sich der wohl zumeist texttreue, aber durch etliche Flüchtigkeitsfehler und Ungenauigkeiten entstellte Text E mit den sauber gearbeiteten M und C vergleichen, die dafür inhaltlich an einigen Stellen von späteren Redaktionen verändert wurden.114 Drioton war einer der ersten, der die Selbstdatierung wegen der Ähnlichkeit der Totengerichtspassage E 53-57 mit der Turiner Stele des Bki aus der 18. Dynastie in Zweifel zog.115 Bekannter sind aber die Einwände Björkmanns, die als erste eine Datierung in die 12. Dynastie erwogen hat. 116 Seit Björkmanns Thesen zum Umgang mit Datierungen und Selbstdatierungen der ägyptischen Literatur wurde die zeitliche Ansetzung der Lehre für König Merikare immer wieder diskutiert. In neuerer Zeit will Quack eine Datierung der Lehre in die 12. Dynastie wahrscheinlich machen. Blumenthal und andere halten dagegen bisher an der Selbstdatierung fest. Wie Björkmann nimmt auch Quack vor allem das beschriebene Verhältnis zum Südreich und die Eroberung von Thinis zum Anlass einer Datierung außerhalb der Herakleopolitenzeit.117 Während diese nach Quack viele Schwierigkeiten mit sich brächte, wäre eine Datierung innerhalb der „literarischein) Propaganda der 12. Dynastie"118, die häufig speziell auf die „unterägyptischen, also ehemals herakleopolitischen Gebiete"119 gezielt habe, viel wahrscheinlicher.120 Von den äußeren Daten her passen die Aussagen zu den aus der Zeit Amenemhets I. berichteten inneren Kämpfen.121 Besonders eindrückliche Parallelen, die eine gleichzeitige Datierung nahelegen, sind Sesostris' I. Bauinschrift von Tod, Elephantine und Heliopolis. In allen drei Inschriften zeigt sich „das früher recht stumme Königtum sehr beredt in der Darlegung seiner Fundierung"122 und entspricht damit inhaltlich der Lehre für Merikare. Wie in der Lehre wird das königliche „Amt" von den Göttern zugewiesen. Erwählung und Dankesverpflichtung gehen in eins, weshalb der dreimalige Appell zum Denkmal- und Tempelbau dem von Sesostris I. verfolgten Bauprogramm entspricht.123 Interessant ist hier die Aussage, dass der König als Hirte bezeichnet werde. In der Lehre für Merikare wird in der „kleinen Genesis" auf die Motivik von Herde und Hirte ebenfalls ange-

114

Vgl. QUACK, GOF I V / 2 3 , 1 1 - 1 3 . Vgl. QUACK, GOF IV/ 2 3 , 1 1 6 . 116 Vgl. BJÖRKMANN, Egyptology and Historical Method, 9-33; zuletzt zum Thema mit ausführlichem Forschungsabriss: QUACK, GOF IV/23, 116ff. " 7 Vgl. QUACK, GOF IV/ 2 3 , 1 2 0 . 118 QUACK, GOF I V / 2 3 , 1 2 1 . 119 Ebd. 120 Vgl. POSENER, Littérature et politique, 111-113. 121 Amenemhet I. hatte es offenbar nicht leicht, seine Usurpation durchzusetzen und musste ernsthafte innere Kämpfe führen. Vgl. WILLEMS, The Nomarchs, 80-102. 122 QUACK, GOF IV/ 23, 130. 123 Vgl. QUACK, GOF IV/ 23, 132. 115

B. Der Königsweg der Weisheit

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spielt.124 Vor allem die Vergleiche mit den Bauinschriften bieten so überzeugende Parallelen, dass eine Datierung in diese Zeit sinnvoll erscheint. Ausgehend von dieser Datierung könnten die beiden Königslehren, die Lehre für König Merikare und die Lehre Amenemhets I., in zeitliche Nähe zueinander gerückt werden. Quack nimmt eine Priorität der Lehre des Amenemhet an und legt die Entstehungszeit für die Lehre Merikares auf die Zeitspanne zwischen der Abfassung der Lehre Amenemhets I. und dem Zitat der Lehre in der Stele des Mnd.w-wsr im 17. Jahr des Sesostris.125 Problematisch an Quacks Datierung bleibt, dass er die Brechung der Situation durch die auch von ihm angenommene Fiktivität nur bedingt einrechnet. Zwar stellt er die Selbstdatierung als fiktiv dar, behandelt jedoch alle historisierenden Stellen als historisch direkt auswertbar, was zumindest nicht unumstritten ist.126 Außerdem lässt sich zeigen, dass die Lehre des Amenemhet I. und die Lehre für König Merikare gerade in Bezug auf ihre Gott- und Königsbilder deutlich differieren, obgleich in beiden Lehren eine massive Gefahrdung des Königtums im Hintergrund der Belehrung zu stehen scheint. Die Überlieferung der Lehre Amenemhets I. weist auf eine breite Wirkung und lange Überlieferungsgeschichte hin. Die weit über 200 Ostraka zeigen, dass der Text noch lange als Schultext verwendet wurde. Außerdem wird die Lehre von sechs Papyri, einer Lederhandschrift und drei Holztafeln überliefert: Vier davon aus dem Grab Senenmuts, die sich in die Zeit Hatschepsuts datieren lassen (1478-1458), und etwa 200 weitere aus der Ramessidenzeit (1295-1069), von denen etwa 150 aus Deir el Medineh stammen. Die ältesten Belege sind die drei Holztafeln und der Papyrus Millingen und die Ostraka aus der Zeit Hatschepsuts. Die Ostraka tragen wegen ihres geringen Umfangs zur Textrekonstruktion jedoch nur wenig aus. Das Original des ältesten Papyrus Millingen ist verloren, er wird von den Holztafeln ergänzt, die jedoch jeweils nur einen kurzen Abschnitt wiedergeben. Die Datierung der Quellen in die 18. Dynastie wird in der Forschung nur wenig berücksichtigt, da die Glaubwürdigkeit der Selbstdatierung dieser Lehre kaum in Frage gestellt wird. Die einzige Debatte geht um die Abfassung in Bezug auf das Leben Amenemhets I. Im Zentrum der Lehre steht ein Bericht über ein auf König Amenemhet I. verübtes Attentat. Ob Amenemhet I. bei diesem Attentat starb oder nicht, ob er also selbst Autor ist, später sein Sohn das überlebte Attentat zu einer Begründung einer weiteren Koregenz benutzte oder Sesostris nach dem gewaltsamen Tod des Vaters seine eigene Legitimität wiederherstellen wollte, ist umstritten.127 124

Vgl. Merikare: E 130-38. Vgl. QUACK, GOF IV/ 23, 135. 126 Vgl. hierzu vor allem MOERS, Fiktionalität und Intertextualität, 37-52. 127 Zusammenstellung der Argumente vgl. JANSEN-WINKELN, SAK 18, 247-250 sowie 257f. 125

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I.

Einleitung

Keiner der Erklärungsversuche konnte bisher alle Probleme, die der Text aufgibt, lösen. Sollte Amenemhet die Lehre tatsächlich selbst verfasst haben, wäre es unverständlich, weshalb er sich in einem solch schwachen Zustand zeichnet und damit seine Regierung gefährdet, obwohl er auf den Erfolg verweisen kann, die Angreifer besiegt zu haben.128 Sollte Sesostris I. die Lehre direkt nach dem Tod des Vaters verfasst haben, bliebe unklar, warum er die außerliterarisch zumindest wahrscheinlich zu machende Koregenz von immerhin zehn Jahren verschweigt.129 Dass die Aufnahme des Attentats in Form dieser Lehre als Propaganda für die zweite Koregenz von Amenemhet I. und Sesostris I. gelten soll, wäre ein recht spezieller Grund für die Lehre, der nicht recht einleuchten will, wenn tatsächlich schon einmal eine zehnjährige Koregenz bestanden hat.130 Ebenso wenig überzeugend wirkt die Vorstellung, der Text sei tatsächlich allein für Sesostris I. gedacht gewesen und von einem wohlmeinenden Freund des Palastes verfasst worden. Gegen einen so kleinen Bezugsrahmen sprechen die nachmalige Bekanntheit der Lehre als Schultext und vor allem die sorgfaltige literarische Komposition, die eine Ausrichtung auf ein größeres Publikum vermuten lässt.131 Zusammen mit der Lehre des Cheti und dem sogenannten Nilhymnus wurde die Lehre des Amenemhet vor allem im Neuen Reich vielfach als Schultext benutzt und ist folglich oft, häufig allerdings mit vielen Fehlern, überliefert worden.132 Die Lehre des Amenemhet I. hat von den uns bekannten Lehren den kürzesten Text, bietet zugleich einen ungewöhnlichen Vokabelreichtum und ist sorgfältig formuliert und aufgebaut.133 Allein diese Eigenschaften machen die Lehre zu einem idealen Schultext.134 Ein weiterer Grund für die häufige Schulüberlieferung mag sein, dass sie nach Papyrus ehester Beatty IV

128 Anders ANTHES, Legal Aspect, 190: „No proof exists for the assumption that the Instruction of Amenemhet was a posthumous elaboration." 129 Anders BLUMENTHAL, ZÄS 112, 111: „Der Text sollte Sesostris' Abwesenheit bei dem Attentat und seine Unschuld bestätigen und darüber hinaus das Einverständnis zwischen Vater und Sohn und die größere Tatkraft des Sohnes erweisen." Bei dieser Interpretation bleibt die Leugnung der Koregenz eine offene Frage (112). PARKINSON interpretiert die Leugnung der Koregenz als absichtliche Brechung der Situation der Lehre. Vgl. PARKINSON, Poetiy and Culture, 248. 130 Anders JANSEN-WINKELN, SAK 18, 263: „Die Lehre ist ein Stück politischer Propaganda (...) und zwar die Rechtfertigung der neuen Institution der Koregenz." 131 Anders GOEDICKE, Studies, pass. 132 Überlieferungsanalyse bei VOLTEN, Politische Schriften, 104f. 133 Zum Umgang mit den politischen Implikationen des Textes geht KONRAD davon aus, dass diese je nach momentanem Bedarf interpretiert würden. Vgl. KONRAD, Wortverzeichnis, 91. 134 Ich habe mit den Umschriften von HELCK und VOLTEN gearbeitet und mit VOLTEN die Zeilenzählung des Papyrus Millingen übernommen. Vgl. HELCK, Der Text der „Lehre Amenemhets I; VOLTEN, Politische Schriften.

B. Der Königsweg der Weisheit

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verso zum Werk des berühmten Cheti gerechnet wurde135, das dieser nach dem Tode Amenemhets verfasst haben soll.136 Auf diese Weise wären die beiden Königslehren in nur geringem zeitlichem Abstand voneinander zu datieren. Beide beschäftigen sich mit der Hypothek der Fehler des verstorbenen Königs für seinen Nachfolger. Sie thematisieren den Ausnahmefall der häufig in den Lehren angesprochenen Übergangssituation, nämlich die durch das Verhalten und die gewaltsame Art des Übergangs belastete Konstellation. Sollten diese beiden Lehren tatsächlich in einer ähnlichen Zeit entstanden sein, so wurde eine vergleichbare Situation sehr unterschiedlich gedeutet. Ob die Unterschiedlichkeit lediglich den je unterschiedlich gewichteten Zwecken geschuldet ist, verschiedene Verfasser am Werk waren oder sogar die Datierung aus inhaltlichen Gründen in Zweifel gezogen werden muss, wird der Abschnitt über die beiden Königslehren erweisen müssen. Die Loyalistische Lehre war lange Zeit die bekanntere der beiden loyalistischen Lehren. Dies lag daran, dass ihr erster Teil neben den kursiven Überlieferungen auch auf einer Grabstele des Mittleren Reiches, der Stele des Séhétepibré, überliefert wurde, die Maspero 1878 übersetzte. Die Stelenüberlieferung ist die einzige aus dem Mittleren Reich zur Verfugung stehende Fassung der Lehre. Ob sie zur Zeit ihrer Herstellung den gesamten Text übernahm und ihn deshalb in seiner ursprünglichen Gestalt darstellt oder ob sie eine Art Abrégé eines ursprünglich längeren Textes ist, bleibt in der Forschung umstritten. Die Langfassung der Lehre wird aus drei Papyri, einer Holztafel und etwa 70 Ostraka rekonstruiert, die allerdings alle ins Neue Reich datieren. Alle Handschriften stammen frühestens aus der 18. Dynastie.137 Im Jahre 1932 wurden letztere von Kuentz zum ersten Mal mit der Stele in Zusammenhang gebracht.138 Schon er vertrat die Ansicht, die Stele gebe die Kurzfassung des ganzen Textes wieder.139 Einen vorläufigen Textbestand, versehen mit einem instruktiven Kommentar, gab Posener 1976 heraus.140 Posener ist einer der 135 Vgl. pCB IV vso 6, 13-14, in: GARDINER, Hieratic Papyri, 43: „Life and the sight of the sun to the scribe Akhtoy,... it was he who made a book as the Instruction of king Sehtepebre c , when he had gone to rest,...". 136 Die Historizität dieser Aussage ist mit Vorsicht zu behandeln, vgl. BLUMENTHAL, Rezension zu GOEDICKE, 589: Die Zuschreibung an Cheti „bezeugt vorrangig das Interesse der Ramessidenzeit, die Vergangenheit in großen Namen zu personifizieren." Es besteht deshalb auch umgekehrt die Möglichkeit, dass diese Lehre wegen ihrer Beliebtheit zum Werk Chetis gerechnet wurde. 137 Vgl. POSENER, L'enseignement loyaliste, 3-11. 138 Vgl. KUENTZ, Deux Versions, 97-110. 139 Vgl. KUENTZ, Deux Versions, 109: „En somme, il est très vraisemblable que ces deux textes dérivent d'une source commune, que Sehetepyebrê' a utilisée en l'abrégeant tandis que la version Rîfeh, quoique plus récente, l'a conservée in extenso." 140 Vgl. POSENER, L'enseignement loyaliste.

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I. Einleitung

ersten Erforscher der Lehre gewesen. Er hielt die Kurzfassung für sekundär und begründete dies vor allem mit dem Kontext der Stelenfassung: Neben der Kurzfassung der Lehre wird auf der Stele eine Inschrift Mentuhoteps überliefert, eines Wesirs zur Zeit von Sesostris I. Da der zweite Text der Stele deshalb in die Zeit Sesostris I. datiert wird, liegt es nahe, so Posener, die auf derselben Stele überlieferte Lehre auch in die Zeit Mentuhoteps zu datieren, ja unter Umständen Mentuhotep als Autor der Lehre anzunehmen. Posener spricht von einer „Versuchung", die als ursprünglich angenommene Langfassung der Lehre in die Zeit Mentuhoteps, das bedeutet in die Regierungszeit Sesostris I. zu datieren.141 Er begründet seine Hypothese einer Frühdatierung der ursprünglichen Lehre anhand von inhaltlichen Übereinstimmungen mit zeitgenössischen Texten. Die Glorifizierung des Königs und die propagandistische Argumentation seien Themen, die vor allem in der Überwindung der Ersten Zwischenzeit ein besonderes Gewicht gehabt hätten. Der hypothetischen Verbindung von Loyalistischer Lehre und Propaganda zu Beginn der 12. Dynastie wurde bis heute wenig entgegengesetzt. So unterstützt in jüngerer Zeit Fischer-Elfert die These, die Lehre sei „mit Sicherheit auf die Zeit Sesostris' I." zu datieren.142 Er verbindet die Datierungshypothese mit Überlegungen zur propagandistischen Bedeutung der Lehren. Verschiedene Studien komplettieren in den folgenden Jahren die Lehre. Posener hielt, wie vor ihm schon Kuentz, die Stelenfassung für die gekürzte Ausgabe der Lehre und legte damit die Basis für den noch immer geltenden Forschungskonsens.143 Gegen diese Interpretation, die unter anderem auch der neuesten Bearbeitung der Lehre eines Mannes von Fischer-Elfert zugrunde liegt, richtet sich Schipper in einem Aufsatz über die Überlieferungsgeschichte loyalistischer Aussagen. Er beginnt seine Untersuchungen anhand des Stelentextes und bestimmt ihn als vollständigen und lückenlos komponierten Text, den die Erweiterungen der Langfassung eher stören als komplettieren.144 In einer ausfuhrlichen Analyse der beiden Textfassungen kommt er zu dem Schluss, die Kurzfassung als die ursprüngliche und erst später erweiterte Fassung der Lehre anzusehen. Er weist in seiner Textanalyse nach, dass die Erweiterungen ursprüngliche Zusammenhänge auseinanderreißen, unnötige Dopplungen in den Text einfügen und vor allem Versumstellungen bedingen würden, die nur von der Kurzfassung auf die Langfassung, nicht in umgekehrter Richtung zu erklären seien. Die überzeugende Textanalyse deutet Schipper als Hinweis 141

Vgl. POSENER, L'enseignement loyaliste, 16. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 297. 143 Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 1 lff. 144 Vgl. SCHIPPER, Sehetep-ib-Re, 166: „Die textimmanente Analyse des Stelentextes zeigt, daß dieser ein kunstvoll aufgebautes inhaltliches und formales Ganzes ergibt, das einem klaren gedanklichen Aufbau folgt sowie eine deutliche formale und sprachliche Struktur aufweist (thought couplets)." 142

B. Der Königsweg der Weisheit

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darauf, dass die späte Langfassung der Lehre unter Umständen erst in der 18. Dynastie entstanden sei, in der sich in ähnlicher Weise wie in der 12. Dynastie die Notwendigkeit gezeigt hätte, angesichts einer starken und autarken Beamtenschaft „sowohl die Loyalität zum König explizit einzufordern als auch die Beamtenschaft in einem Aufgabenkatalog an ihre eigentlichen Pflichten zu erinnern"145. Über Mutmaßungen zur Datierungsfrage kommt jedoch auch Schipper nicht hinaus. Selbst die Priorität der Kurzfassung ist lediglich im internen Textvergleich zu ermitteln, lässt sich also nicht durch externe Daten plausibilisieren und kann somit auch nicht durch absolute Datierungen gesichert werden. Als einziger feststehender Termin bleibt die Existenz der Kurzfassung zur Zeit Sehetep-ib-Res III. Die Überlegungen Schippers verbieten es, aus diesem Datum weitere Schlüsse über die ursprüngliche Entstehung und den Zeitpunkt der Erweiterung der Lehre zu ziehen. Vor allem für den zweiten Teil der Lehre weist Schipper auf die auffallige Übereinstimmung mit der Lehre eines Mannes hin. Aufgrund motivischer Anklänge nimmt er für die Kurzfassung und den zweiten Teil vage eine Abfassung in der 12. Dynastie an, während er die Erweiterung für eine Zeit nach dem Mittleren Reich vorschlägt, etwa die 18. Dynastie. Die Lehre eines Mannes stellt innerhalb der hier vorgestellten Texte das größte Problem für die Rekonstruktion dar, weil es trotz ungezählter Einzelbelege für verschiedene Abschnitte keine durchgängige Quelle gibt. Zehn Papyri, ein Fragment, eine Lederrolle, eine Holztafel und mindestens 140 Ostraka überliefern Stücke des Textes und datieren ausnahmslos ins Neue Reich. Fischer-Elfert schließt sich mit seinem Datierungsvorschlag in die Regierungszeit Sesostris I. an einen vermeintlich bestehenden Konsens über die Datierung der Loyalistischen Lehre in dieselbe Zeit an. Als externe Evidenz nennt er eine Restaurierungsinschrift aus der Anfangszeit Sesostris I., die jedoch einem Abschnitt der Kurzfassung der Loyalistischen Lehre gleicht und damit lediglich darauf hinweist, dass unbestrittenermaßen loyalistische Themen zur Zeit Sesostris I. wichtig waren. Ein ausreichendes Argument für die Datierung der Lehre in diese Zeit ist das jedoch nicht. Fischer-Elfert kommt aufgrund von sorgfaltigen Analysen der Lehre des Cheti, der Lehre eines Mannes und der Loyalistischen Lehre dahin, die drei als aufeinander bezogene Teile eines literarisch festgelegten Erziehungsweges zu beurteilen. Die Lehre eines Mannes hat deutliche Ähnlichkeiten zu Thema und Wortwahl der Loyalistischen Lehre. Thematisch fokussiert jene den Bereich der Rede, wohingegen diese auf das Tun schaut. Ausgehend von einer an Assmann angelehnten Hypothese der Reihenfolge von mlc.t-Sagen und m)c.t-T\xa sieht Fischer-Elfert die beiden Lehren als thematisch aufeinander aufbauend an. Ob die Übereinstimmungen allerdings zwingend auf eine gemeinsame 145

SCHIPPER, Sehetep-ib-Re,

Mit

36

I. Einleitung

oder aufeinander Bezug nehmende Abfassung der Lehren schließen lassen, kann hier nicht geklärt werden. Auf jeden Fall besteht auch die Möglichkeit, die vorhandenen Übereinstimmungen und Anspielungen als Zeichen intertextueller Beeinflussung anzusehen.146 Unbestritten ist, dass die beiden loyalistischen Lehren etliche Gemeinsamkeiten gegenüber den anderen Lehren aufweisen. Vor allem aber die Perspektive auf den König und seine Rolle gegenüber dem Einzelnen unterscheidet sie diametral von den vorangehend besprochenen Lehren. Die Untersuchung der beiden loyalistischen Lehren wird die der Lehren des Mittleren Reichs abschließen. Ptahhotep und Salomo sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die Autoren der ihnen zugeschriebenen Lehren. Die Erkenntnis der Fiktivität dieser Zuschreibungen darf jedoch ihre Bedeutung für die Lektüre der Lehren nicht vergessen lassen. Die Verfasser haben mit der Wahl der textinternen Autoren einen wichtigen Hinweis darauf gegeben, wie sie die Lehre verstanden wissen wollen. Die Rahmungen, Datierungen und Zuschreibungen der Weisheitslehren sind unverzichtbare Interpretamente, die gerade auch in der Frage nach der Rolle des Königs oder der Rede über den König wichtig sind.147 Das Verhältnis von Anonymität und Persönlichkeit in der Kunst und Literatur des alten Israel und alten Ägypten entspricht nicht einem modernen Autorenverständnis oder Urhebergedanken. Zwei Fragestellungen sind zu unterscheiden: Die Frage nach der tatsächlichen Datierung auf der einen Seite, die nach der Bedeutung der Selbstdatierung für den Inhalt und die Interpretation der Lehre auf der anderen. Ähnliches gilt für den Umgang mit den Autorenangaben. Selbstdatierung und Verfassername sollten zwar nicht als historische Information, aber um so mehr als Interpretamente der Lehre ernst genommen werden. Folgt man den Angaben der Lehren, so wurden sie zu bewegten Zeiten von berühmten Männern verfasst. Nach der Selbstzuschreibung sind die Autoren hohe Beamte, Prinzenerzieher oder Könige. Oft tragen sie einen Namen, der lange über ihr Leben hinaus bekannt war. Gewöhnlich werden mit den Verfassernamen auch die Adressaten der Lehren genannt. Die Lehren werden nie im allgemeinen Unterricht angesiedelt, in dem sie letztlich benutzt wurden, sondern sie implizieren eine ganz bestimmte Situation und einen ganz bestimmten Adressaten. 8. Die Entdeckung der Langsamkeit des Lesens Die Proverbien scheinen bei vielen das Bedürfnis nach Formalisierung und strikter Methodenabgrenzung zu wecken. Von der Spekulation aufgrund von Verszahlen148 bis hin zu einer Zuordnung der paronomastisch angeordneten 146

So PARKINSON, Poetry and Culture, 2 7 0

147

V g l . PARKINSON, Teachings, Discourses and Tales, 9 1 - 1 2 2 . V g l . SKEHAN, Single Editor, 339.

148

B. Der Königsweg der Weisheit

37

Sprüche zu den magischen Texten Ägyptens149 treibt die Proverbienforschung dabei manch aberwitzige Blüte. Der Grund für diesen Hang zur Formalisierung ist in einigen Besonderheiten der Sentenzenliteratur, der Proverbien ebenso wie der Lehren, zu erkennen. Sie wurden bereits genannt, sollen im Folgenden aber noch einmal zusammengetragen werden, um die Voraussetzungen dieser Arbeit zu bündeln. Die Proverbien sind vom Einzelspruch zu einem Buch von 31 Kapiteln angewachsen und haben dabei Tendenzen aus wenigstens 400 Jahren Theologie und Weisheit in sich aufgenommen. Die zu Sammlungen zusammengefassten Einzelsprüche bilden je für sich Sinneinheiten, die nicht leicht zu verrechnen sind. Dies zeigt sich bereits an ihrer Form: Die Zweigliedrigkeit der Verse hindert einseitige Definitionen.150 Jeder Einzelvers bringt bereits in sich zwei Seiten eines Sachverhalts miteinander ins Gespräch. Durch die literarische Zusammenstellung der Einzelverse wird die Anzahl der „Gesprächsteilnehmer" um ein Vielfaches erweitert. In der literarischen Zusammenstellung können die Verse sich auf eine ähnliche Weise gegenseitig auslegen, wie es schon in der kleinsten Einheit der Sentenzen geschieht. Die Anbindung der Sprüche aneinander geschieht über gemeinsame Stichworte, ähnliche Bilder oder thematische Überschneidungen. In einigen Fällen wird die Verknüpfung auch über lautliche Verbindungen geschaffen. Ein häufig zu beobachtender Weg ist die Wiederaufnahme von Versen, bei denen entscheidende Worte ausgetauscht werden und einander dadurch gegenseitig auslegen. Als ein Beispiel kann die Erwähnung der Falle (¡möqeS) in den Proverbien dienen. Sie wird in acht Versen der Proverbien genannt. Offensichtlich verbunden sind 13,14 und 14,27, denn in beiden Versen geht es darum, dass etwas als Lebensquelle (meqör hayyim) bezeichnet wird, um die Fallen des Todes zu meiden (läsür mimmoqe$é mäwcet). In 13,14 ist diese Lebensquelle die Weisung des Weisen, in 14,27 dagegen die Furcht YHWHs. Die Weisung des Weisen und die Furcht YHWHs werden parallelisiert. Beide sind notwendig, um die Stricke des Todes zu meiden. Aber die gegenseitigen Deutungen sind nur der Anfang einer nahezu unendlichen Folge von weiteren Versen, die sich in dieses Gespräch einbringen. So erinnert die Zusammenstellung dieser beiden Verse zunächst an die Aussagen in 1,7; 2,6 und 9,10, in denen die Furcht YHWHs zur Bedingung jeder Weisheit gemacht wird. Gottesfurcht und Weisheit werden nicht nur miteinander verglichen, sondern sind in diesen Versen gar nicht mehr unabhängig voneinander zu verstehen. Auch das Motiv der Falle und der Furcht wird noch einige Male in vergleichbaren Zusammenhängen aufgenommen. Dies geschieht etwa in 29,25, wo an prominenter Stelle vor der Menschenfurcht gewarnt wird, die eine Falle ist im Gegensatz zum Vertrauen auf YHWH. Auch die anderen, 149 150

Vgl. KRISPENZ, Spruchkompositionen, 129ff. Vgl. KRÜGER, Erkenntnisbindung im Weisheitsspruch, 54f.

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I. Einleitung

verbindenden Motive der beiden Verse finden sich an ganz verschiedenen Stellen des Buches. Ein Beispiel ist die Lebensquelle, die tatsächlich eine multiple Identität hat, sie wird mit dem Mund des Gerechten (10,11) und der Klugheit (16,22) gleichgesetzt, und es wird sogar die Möglichkeit der Verschmutzung dieser Lebensquelle erwogen (25,26). Alle über Stichworte verbundenen Verse sind wiederum mit anderen Versen verbunden. Auf diese Weise ergibt sich ein Netz an kaum zu überschauenden, sich gegenseitig auslegenden Aussagen. Der Grund, warum diese über die Grenzen der Sammlungen hinausgehenden Stichwortassoziationen legitime Wege der Auslegung beinhalten, liegt in der besonderen Art der Fortschreibung, die sich in den Proverbien findet und die ich als additive Interpretation beschreibe. Das Beispiel der Verse 13,14 und 14,27 kann die Art dieser anreichernden Auslegung deutlich machen. Die Betonung der YHWH-Furcht als Voraussetzung rechter Weisheit ist mit großer Wahrscheinlichkeit später thematisiert worden als die Wichtigkeit der weisen Weisung. Die Verfasser von 14,27 haben nun aber nicht die Weisung aus 13,14 herausgestrichen und durch die YHWH-Furcht ersetzt. Stattdessen formen sie einen zweiten, nahezu identischen Vers, der den für diese Redaktion wichtigen Aspekt der YHWH-Furcht hinzufügt. Jüngere Redaktionen ergänzen den bestehenden Textbestand, aber ersetzen oder verändern ihn, soweit wir das beurteilen können, nur in Ausnahmefallen. Die Fortschreibungen lagern sich kommentarartig aneinander an und können deshalb am besten mit Blick auf ihre diachrone Textstruktur verstanden werden. Auf diese Weise ergibt sich für die Interpretation des Textes eine kaum erschöpfend darstellbare Vielschichtigkeit. Von der Grundschicht an vermehren sich Blickrichtungen und Schwerpunkte. Die jeweils folgenden Überarbeiter achten den vorangegangenen Text so hoch, dass sie ihn stehen lassen und lediglich um einen weiteren Aspekt ergänzen.151 Ohne die Aufmerksamkeit auf die diachrone Entstehung muss sich jede Interpretation mit dem Problem konfrontiert sehen, angesichts disparater Sprüche eine sinnvolle Einheit zu behaupten.152 Die Methode der additiven Interpretation zeigt jedoch, dass die Deu-

151 An einigen Beispielen wird sich aber auch zeigen, dass späte Bearbeiter den ursprünglichen Zusammenhang des Textes nicht mehr vor Augen hatten. 152 Ein Beispiel für eine Reduktion auf Formalia in Verbindung mit dem unbedingten Willen, die formalen Beobachtungen auch als inhaltlich einzig bedeutsame zu verstehen, bietet für den Zusammenhang der Kapitel 25-29 die Interpretation der Spruchgruppe Prov 25,23-28 von KRISPENZ, Spruchkompositionen. Sie entfaltet den „ohne größere Schwierigkeiten beschreibbarfen]" (104) Gedankengang, indem sie zur Plausibilisierung des Themas „Rede als Umgang mit Menschen" (106) immerhin der Hälfte der Verse (24.26 und 27) das dem Wortlaut nicht zu entnehmende Thema der Rede unterstellt. Gerade mit einer solchermaßen vereinfachenden Lesart öffnet sie Tür und Tor, um alle Verse der Proverbien unter diesem Thema zu versammeln.

B. Der Königsweg der Weisheit

39

tung von Aussagen oder einzelnen Begriffen durch ihre Aufnahme im Kontext ein gebräuchliches Verfahren gewesen ist. Ein auf solche Weise gewachsener Text bedarf besonders sorgfaltiger Wahrnehmung. Er lässt sich nicht zügig abarbeiten. Die von einem gewachsenen, mehrdimensionalen Textgefiige geforderte Leseweise wird in Ps 1,2 beschrieben:153 Der Weise sitzt Tag und Nacht halblaut murmelnd über der Weisung. Nur in einer solchen kontinuierlichen Lektüre lassen sich die Schichten des Textes erschließen. Nur wenn das Lesetempo verlangsamt wird, wie es schon die dialogisch ineinander klingenden Einzelsprüche erfordern, besteht die Möglichkeit, die formulierten Texte in ihrer ganzen Tiefe wahrzunehmen. Anders als erzählende Texte oder offensichtlich dynamisch-rhetorisch strukturierte, wie etwa die Psalmen oder einige der Prophetentexte, offenbaren die Proverbien ihre innere Struktur nur sehr zögerlich: Sie gehören einer Gattung an, mit der wir keinen Umgang mehr haben. Wir kennen die Sentenzen als einzelne, in andere Texte einzustreuende Verse und Sprüche. Ihre konzentrierte Zusammenstellung erfordert jedoch ein uns unvertrautes Retardieren der Lesegeschwindigkeit und zudem eine durch wiederholte Lektüre reifende Textkenntnis des Ganzen zur Bestimmung des Einzelnen. Nur so kann der Text der Proverbien seine reiche Textur offenbaren.154 Untersucht man die Proverbien unter diesen formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten, erweist sich als Problem gerade nicht die Isolation der einzelnen Verse, sondern die schwer überschaubare Anzahl an möglichen Bezügen. Bei der Interpretation und vor allem bei der Abgrenzung der Texte muss es nun darum gehen, zufallige und letztlich weniger bedeutsame Übereinstimmungen und Verbindungen auszuscheiden und die beabsichtigten angemessen zu werten und in ihrem Zusammenhang darzustellen. Verschiedentlich wurde der Ver153

Vgl. KRATZ, Tora Davids, 11: „Tora Jhwhs, das ist für Ps 1 und in seinem Sinne für den ganzen Psalter eine literarische, in Herz und Mund zu bewegende Größe, die den individuellen Lebensvollzug des glücklich gepriesenen Gerechten in verschiedener Hinsicht grundlegend bestimmt, persönlich in seiner das ganze Leben umgreifenden Relation zur Tora (Ps 19; 119), kosmologisch in der Artikulation der Himmelskunde von der Herrlichkeit Gottes (Ps 19), sozial im Konflikt zwischen Gerechten und Frevlern (Ps 37 und 94), kultisch im Sprechen des Lobpreises (Ps 40) und geschichtlich im Konnex mit der Erwählung des Volkes Israel und des davidischen Königs (Ps 78; 89; 105). Im Lesen und Meditieren der literarischen Größe ,Tora Ihwhs' eröffnen sich dem schriftgelehrten Gerechten von Ps 1 alle diese Lebensbezüge, und eben davon, von den Wirkungen und Prägungen der Tora im Leben des Gerechten, handelt in der Sicht von Ps 1 der Psalter." Die umfassende Bestimmung der Meditation der literarischen Größe „Tora Jhwhs" lässt sich im Blick auf die Proverbien noch erweitern. Weiterführend erscheint die parallele Entwicklung, in der der Gerechte an die Stelle „Josuas und der davidisch-salomonischen Könige" tritt. Vgl. KRATZ, Tora Davids, 7. 154 Dabei ist der Versuch, „Zusammenhänge nicht allein an unseren möglichen Kohärenzerfahrungen und den uns geläufigen literarischen Gestaltungsmustern zu messen" (KRISPENZ, Rez. zu FUHS, 747) sicher notwendig. Er darf aber gerade nicht im rein Formalen bleiben und sollte den Verfassern der Proverbien nicht zu wenig literarisches Feingefühl zugestehen.

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I. Einleitung

such unternommen, diese Wertungen der Bezüge rein formal und letztlich mechanisch vorzunehmen, indem lediglich Paronomasien, Wiederholungen oder eng gestaltete Stichwortverbindungen berücksichtigt wurden. Die so entstandenen Analysen liefern wichtiges Material für weitere Untersuchungen, laufen aber für sich genommen Gefahr, die Proverbien unter das Joch positivistischer Berechenbarkeit zu zwingen. Um diese Einseitigkeit zu vermeiden, gleichzeitig aber den gerade für die Proverbien wichtigen formalen Aspekt nicht zu unterschätzen, muss vor dem Hintergrund ihrer formalen Analyse jeweils neu und für jeden zu untersuchenden Vers die Gewichtung der Verbindungen vorgenommen werden. Gänzlich unbedeutend sind wenige, zufallig einige und zu berücksichtigen alle Bezüge. Die jüngeren Redaktoren der Proverbien haben ihre Vorgänger offenbar so hoch geschätzt, dass sie ihre Worte nicht beschnitten, sondern nur ergänzt haben. Auch heute ist eine solche Achtung gegenüber dem Text die angemessene Methode. Die Liebe zur Weisheit kann als einzige die richtige Leseanleitung geben. Wie das Wort des Geliebten müssen die Worte der Proverbien wieder und wieder gemurmelt und wiederholt werden.155 Diese Liebe wird ebenso wenig wie das lesende Murmeln von außen in den Text eingetragen: Als eines der eindrücklichsten Interpretamente für das rechte Verständnis von Weisheit wird sich in dieser Untersuchung ihre Personalisierung als liebende und Liebe heischende Frau zeigen. Die Philo-Sophie wird als in der Gottesfurcht begründet beschrieben und zeigt gerade dadurch ihren Charakter als Liebesbeziehung. So wie Ps 63,7 das Murmeln des Weisen in Ps 1,2 als ständigen Gedanken eines sehnsüchtigen Gottesliebhabers an seinen Gott deutet, muss auch das Lesen und Aneignen der Weisheit von einer vergleichbar murmelnden Liebe geprägt sein. Nur die Liebe zur Weisheit erfahrt ihre Gegenliebe und wird von ihr reich beschenkt (Prov 8,17f.).

155 Vgl. HESSE, Eine Bibliothek der Weltliteratur, 340: „Es gibt Leser, welche zeitlebens mit einem Dutzend Bücher auskommen und dennoch echte Leser sind. Und es gibt andre, die alles geschluckt haben und über alles mitzureden wissen, und doch war all ihre Mühe vergebens. Denn Bildung setzt etwas zu Bildendes voraus: Einen Charakter nämlich, eine Persönlichkeit. Wo die nicht vorhanden ist, wo sich Bildung ohne Substanz gewissermaßen im Leeren vollzieht, da kann wohl Wissen entstehen, nicht aber Liebe und Leben. Lesen ohne Liebe, Wissen ohne Ehrfurcht, Bildung ohne Herz ist eine der schlimmsten Sünden gegen den Geist."

II. Vom König zum Gott des Einzelnen - eine ägyptische Rochade A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des Unglücks Eine ernsthafte Krise bildet den Hintergrund der beiden Königslehren, der Lehre Amenemhets I. und der Lehre für König Merikare. In beiden belehrt der verstorbene Vater post mortem seinen Sohn und Nachfolger und lädt ihm mit den Umständen seines Todes zugleich eine schwere Hypothek auf. Der Vater Merikares hat gegen die mV-, t gehandelt und wurde dafür bestraft, der Vater Sesostris' I., Amenemhet I., wurde ermordet und beschreibt sich als Opfer einer Palastrevolution. Die grundsätzlich krisenhafte Situation der Amtsübergabe wird durch diese Umstände auf die Spitze getrieben.1 Die Ähnlichkeit der Ausgangssituationen in den beiden Königslehren lässt sich in zwei verschiedene Richtungen deuten. Entweder man versteht die Zuspitzung in beiden Lehren als Reflex auf eine konkret erinnerte, besonders gefährliche Amtsübergabe und führt die beiden Lehren daher mit Quack auf dieselbe historische Situation zurück.2 Oder es geht darum, dass zur Dramatisierung der Lehren der bestehende Topos des chaotischen Interregnum jeweils literarisch zugespitzt wurde.3 Sieht man von der vergleichbaren Krisenhaftigkeit ab, fällt auf, dass die Amtsübergabe in den beiden Lehren sehr unterschiedlich thematisiert wird. In der Lehre des Amenemhet I. werden dramatische und mythologische Motive

1 Vgl. HORNUNG, Geschichte als Fest, 27: „Damit jeder König das Schöpfungswerk wiederholen kann, muß vor ihm und in ihm das Chaos herrschen." 2 Eine weitere literarische Reflexion dieser Umstände findet sich in der Sinuhe-Erzählung. In ihr wird am Beispiel des Schicksals des Höflings Sinuhe berichtet, wie der (gewaltsame) Tod Amenemhets I. die Ereignisse sich überschlagen lässt, die geordnete Thronnachfolge belastet und bei Sinuhe die begründete Sorge vor einer Phase gewalttätiger Auseinandersetzungen weckt. Zur Zusammenschau dieser drei Texte vgl. v.a. QUACK, GOF IV/ 23, 128. Übersetzung bei PARKINSON, The Tale of Sinuhe, 27-43. 3 HORNUNG, Geschichte als Fest, 27: „Für den Historiker ist entscheidend, daß ein solches chaotisches Interregnum zum Geschichtsbild Ägyptens gehört und keine Beschreibung geschichtlicher Vorgänge zu sein braucht."

42

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

verwendet, die zur Deutung der Situation herangezogen werden.4 Der Aufstand der Untertanen wird als Aufstand der Ebenbilder (snn.w) des Schöpfergottes gedeutet5, und der Wechsel vom ermordeten Vater auf den nun herrschenden Sohn wird als Ineinandergreifen von einander bedingendem Abstieg und Aufstieg des göttlichen Königs beschrieben.6 Durch die mythischen Elemente wird die Göttlichkeit des Königs hervorgehoben und gleichzeitig in die Krise geführt. Der König wird mit dem einsamen Schöpfergott verglichen, der die Trennung von seinen Kindern erlebt und erleidet. Gleichzeitig wird die Göttlichkeit des Königs mit einer an der Beamtenethik orientierten Amtsauffassung verbunden. Auf eine andere Pointe läuft die Lehre für Merikare hinaus. Die Göttlichkeit des Königs wird in ihr nur sehr verhalten angesprochen, gleichzeitig wird aber die Komplexität der Situation erhöht. Die Protagonisten sind bei Merikare nicht mehr nur König und Untertanen, sondern zuallererst Gott und Menschen. Der König ist lediglich Teil der um der Menschen willen geschaffenen guten Ordnung.7 Er steht nicht göttlich über ihr, sondern ist dem Gott, der ihn zu diesem Amt schuf, dankbar verpflichtet und wird wie jeder Mensch an dieser Ordnung gemessen.8 Entscheidend für die Differenz der beiden Lehren ist die jeweilige Einordnung der gewalttätigen Ausgangssituation: Amenemhet I. ist vor allem Opfer einer in die Ordnung einbrechenden Gewalttat.9 Merikares Vater dagegen ist in das schlimme Schicksal, das ihm widerfahrt, involviert. Er hat es selbst geradezu herausgefordert.10 4 Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 24If.: „It opens and closes with a specific and highly dramatic situation of speaking, in which the king is imagined as dead and addressing his son in a 'revelation', a dream (lc-e)." 5 Vgl. WESTENDORF, GM 46, 33-42. 6 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 111, 93: „Nach dem Zeugnis mehrerer neu gefundener Ostraka spricht der nächste Passus nicht, wie bis jetzt angenommen, vom Jubel (hnw) himmlischer Wesen, sondern stellt der Deszendenz des toten die Aszendenz des lebenden Königs gegenüber: ,Ich bin nun in die Barke des Re eingestiegen (hli.n.i). Steh du auf (chc) für ein Königtum, das schon früher entstanden ist'(XVe-f)." 7 Vgl. dazu v. a. den Schöpfungshymnus in der Lehre für König Merikare, E 130-138. 8 Zum König, der an der Ordnung bemessen wird, vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 2002,255. 9 BLUMENTHAL, ZÄS 112, 106, spricht dagegen von den Versäumnissen Amenemhets I. Tatsächlich gibt Amenemhet I. solche Unterlassungen zu. Dennoch deuten meines Erachtens die rhetorischen Fragen daraufhin, dass ihm seine Versäumnisse kaum als Fehler angerechnet werden können, weil die Entwicklung sich gegen alle Regeln vollzogen hat. Fehler hat Amenemhet I. lediglich dann begangen, wenn die zynischen Lehren, die er seinem Sohn mitgibt, tatsächlich als Maßstab angelegt werden. Es steht jedoch zu bezweifeln, dass dies der Fall sein soll, da sie der sonst in den Lehren formulierten Kritik am Individualismus und an der unheilvollen Abgrenzung von der Gemeinschaft deutlich entgegenstehen. 10 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 107, 38; sie stellt fest, „daß sich der König außerhalb seiner Standesethik gestellt hat und dem Verdikt Gottes unterworfen ist." Sie wertet die Beschreibung der Amtszeit von Merikares Vater als überwiegend negativ. Anders QUACK, GOF IV/

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des Unglücks

43

1. Die Lehre Amenemhets I. a) Mord im Palast und die dramatische Inszenierung einer Lehre Der textinterne Anlass zur Formulierung der Lehre ist die im Prolog (Ia-e) und im Epilog (XVe-j) angesprochene Amtsübergabe des scheidenden Königs Amenemhet I. an seinen Sohn und Nachfolger Sesostris I.11 Die Inhalte der Lehre lassen sich nicht von den besonderen Umständen dieser Amtsübergabe trennen, dem Attentat auf Amenemhet I., von dem im biographischen Abschnitt berichtet wird. In Reaktion auf die dort als agierend beschriebenen Untertanen, die selbst vor einem Königsmord nicht zurückschrecken, liegt ein Schwerpunkt der väterlichen Ermahnungen auf dem unversöhnlichen und zynischen Appell zu Eigenständigkeit und Vorsicht gegenüber allen Untertanen.12 Auf sie sei gerade in der Stunde der Not kein Verlass. Die Diastase von rebellischen Untertanen und göttlichem König ist das die Lehre prägende Motiv. 23, 91f., dem zufolge „die erfolgreichen Leistungen wenigstens gleiche, eher überwiegende Bedeutung" haben. 11 Zwei Hinweise gibt es dafür, dass Amenemhet I. tatsächlich als Verstorbener spricht. Zum einen die Bezeichnung als selig oder gerechtfertigt (m>c-hrw) in Ib, die gewöhnlicherweise nur über Verstorbene ausgesagt wird und zum anderen der bereits zitierte Text XVe-f, in dem Aszendenz und Deszendenz der beiden Könige einander gegenübergestellt werden. Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 111, 95. Nach BURKARD, Als Gott erschienen spricht er, 164, gibt es noch einen weiteren Hinweis darauf, dass Amenemhet I. zum Zeitpunkt der Belehrung tot ist. Er liest die allgemein auf Sesostris I. gedeutete Rede als Bezeichnung des verstorbenen Vaters Amenemhet I., der als Verstorbener „als Gott erschienen" ist. Er belegt seine These vor allem mit dem Hinweis auf die Versbindung: „Eine so enge syntaktische Verklammerung über die Versgrenze hinweg wie sie Lichtheims Übersetzung ,risen as god hear what I tell you' voraussetzt, ist nicht möglich." Tatsächlich ist das verwendete Verb hcj fur das Erscheinen eines Toten als Vergöttlichtem belegt, bezeichnet aber ebenso die Erscheinung des Königs bei Amtsantritt. Nach den Untersuchungen BLUMENTHALs zur Phraseologie bezeichnen jedoch die Verben hcj und chc die beiden Aspekte der Thronbesteigung, wobei hcj vor allem dessen göttliche Komponente nennt und chc eher über das Königsregiment als anderen Ämtern vergleichbares Amt spricht. Da es sich findet, dass die beiden Verben zu Anfang und Ende der Lehre benutzt werden, erscheint es zumindest möglich, diese Klammerung für eine absichtsvolle literarische Strategie zu halten, um die beiden Aspekte des Königtums, den göttlichen und den menschlich an der Beamtenethik ausgerichteten, einander gegenüberzustellen. Anders als BURKARD bleibe ich deshalb bei der von BLUMENTHAL vorgeschlagenen Übersetzung. 12 Zur Ambivalenz der angeratenen Eigenständigkeit vgl. PARKINSON, Individual and Society, 147: „...in Amenemhat solitariness also makes the king vulnerable; thus he advises his heir, 'Do not approach them (people) when you are alone ( w ( 2 a - e ) , and laments that 'no one can fight alone' (7e). In contrast to the eulogistic Loyalist Teaching, where the king is the centre of society, the king seems here almost a social outcast because of his solitariness." Zur Kennzeichnung der Lehrinhalte als „zynisch" vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 247: „The assertion of the king's role is placed in question not only by the assassination, but also by the dead king's cynicism, which he passes on to his son."

44

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Die formal biographischen Anteile des Textes überwiegen die lehrhaften. Da jedoch die nicht-lehrhaften Teile im Zentrum der Lehre von den lehrhaften Ermahnungen des Eingangsteils und des Schlusses gerahmt werden, werden sie der Lehre inkorporiert.13 Schwieriger als die formale Zuweisung des Textes zur Gattung der Lehre ist deshalb auch die Legitimation ihrer inhaltlichen Zugehörigkeit zu diesem Korpus, weil sie vom Scheitern des idealen Verhaltens berichtet und so thematisch der Klage näher steht als der Lehre. Vor allem der Appell zur Distanz gegenüber den Menschen ist für die zumeist auf die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft ausgerichtete Gattung ungewöhnlich. Ungeachtet dieser Einwände bezeichnet sich die Lehre selbst als solche {sbly.t, Ia) und verfolgt das Ziel, m)c.t zu eröffnen (dd=f m- wp.tm)c.t, Ic). Die Überschrift und die sich anschließende Aufforderung zum Hören (Ia-c) entsprechen ganz dem Protokoll der Lehren.14 Die sich an den Prolog anschließenden Ermahnungen sind im Lehrstil verfasst. Dabei weist die in ihnen erkennbare Motivation bereits auf den Anlass ihrer Abfassung hin: Die Lehre zielt darauf, den Kronerben zum vorsichtigen Misstrauen gegenüber seinem gesamten Umfeld anzuhalten. Vor allem die Begründung der letzten Mahnung, selbst im Schlaf das eigene Herz zu bewachen (lila), weist deutlich auf das im darauf folgenden Text berichtete Geschehen voraus und bringt die in der besonderen Situation des Aufstandes sich manifestierende Diastase von König und Untertanen auf den Punkt: Ein Mann hat keine Anhänger am Tag des Unglücks (hrw n(.t)- qsn.t, Illb).15 Den ungewöhnlich anmutenden Maximen schließen sich zwei Sätze an, die der Gattung der Idealbiographie entlehnt sind (Illc-d). In ihnen werden über idealtypisches Handeln für die Gemeinschaft die zu erwartenden Lehrinhalte formuliert.16 Gerade im Anschluss an diese idealbiographischen Selbstaussagen über Amenemhets I. Sorge für Arme und Waise bricht jedoch eine seinem Wohlhandeln kaum entsprechende Klage ein (IVa-d). Obwohl der König sich als Gönner der Benachteiligten idealtypisch verhalten hat, werden seine Untertanen rebellisch. Innerhalb der Klage wird der Kontrast auf die Spitze getrieben, indem ausgerechnet die Anführer und Ränkeschmiede als die vorgestellt werden, die der König zuvor nährte, kleidete und salbte.17 Zuletzt

13

V g l . BLUMENTHAL, Z Ä S 1 1 1 , 9 9 .

14

V g l . BLUMENTHAL, Z Ä S 111, 86: „... nach dem Formular der Weisheitslehren gestaltet,

aber nicht streng daran gebunden." Vgl. DE BUCK, La composition littéraire, 1 8 3 - 2 0 0 . 15

Vgl. PARKINSON, Individual and Society, 146.

16

Z u den idealbiographischen Anteilen in IIIc-d und X-XIII vgl. PARKINSON, Poetry and

Culture, 2 4 2 : „Phrases reminiscent o f non-royal biographies articulate the k i n g ' s virtue as in many royal inscriptions", siehe auch BLUMENTHAL, Phraseologie, 352f. 17

Zur Interpretation dieser Diastase vgl. WESTENDORFF, GM 46, 37: „Analog würden bei

Amenemhet die Menschen als die (undankbaren) Geschöpfe des für sie schöpferisch tätigen Königs bezeichnet sein, d.h. es wären seine eigenen Geschöpfe, die sich gegen ihn wenden."

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des

Unglücks

45

gehen die Klagen in eine etwas ausführlichere Betrachtung18 (Va-e) der beklagten Ereignisse über. Erneut wird in ihnen die Diastase durch die Konfrontation der Gnade des Königs mit dem Undank und der Rebellion der Untertanen in ganzer Schärfe dargestellt. Die Betrachtung mündet schließlich in den ausführlichen Bericht über den in der Nacht (Via) unternommenen Attentatsversuch auf den schlafenden König.19 Erst im Anschluss an den Bericht über das Geschehene wendet sich Amenemhet I. wieder ausdrücklich an seinen Sohn (VHIa-e). Er beklagt, dass er es nicht schon vor dem Attentat unternommen habe, seine Nachfolge eindeutig zu klären, und begründet seine mangelnde Vorsorge mit eigener Unaufmerksamkeit: Er habe die Unzuverlässigkeit der Diener und damit etwaige Zeichen, die die Bedrohung seines Lebens angedeutet hätten, nicht bemerkt. Sechs Gründe fuhrt Amenemhet I. dafür an, dass ihm sein Schicksal trotz seiner Unaufmerksamkeit nicht hätte ereilen dürfen (IXa-f). Mit vier rhetorischen Fragen führt er vor Augen, dass das Geschehene außerhalb jeglicher Ordnung und damit eigentlich außerhalb des Möglichen liegt. Die sich anschließenden beiden Betrachtungen betonen im gleichen Sinn, dass Amenemhet I. keine Veranlassung zu seinem Schicksal gegeben hat. Er ist nicht nur frei von jedem Unrecht, sondern hat zudem sein Amt tapfer wahrgenommen. Die beiden zuletzt genannten thetischen Selbstbeschreibungen werden in den anschließenden idealbiographischen Zeilen (X-XIII) erläutert, in denen sich der König in seiner ganzen Größe präsentiert. Er referiert über die räumliche Ausdehnung seiner Herrschaft (Xa-c), seine Versorgungsleistung für das Land (XIa-e), seine Kampfkraft (Xlla-e) und seine königliche Grabversorgung (XHIa-d). Nach der Darstellung seiner Größe, die teils im Stil einer Beamtenethik formuliert ist, teils königliche Motive aufnimmt,20 wendet Amenemhet I. sich in den beiden abschließenden Absätzen noch einmal direkt an seinen Sohn.21 In dieser Ansprache werden die beiden einander in der Lehre Amenemhets I. ergänzenden Wesenszüge des Königs noch einmal ausdrücklich miteinander verbunden, der göttliche und der menschlich dem Amt entsprechende. Beide werden zur Darstellung der Legitimität der Amtsübergabe herangezogen. Amenemhets Schlussadresse beginnt mit der Betonung der besonderen Nähe

18

Terminus mit BLUMENTHAL, ZÄS 111, 100. Über den umstrittenen Ausgang des Attentats siehe oben. Zum Zeitpunkt vertritt BURKARD die These, es handele sich um den ermatteten Schlaf nach einem Stelldichein im Harem; vgl. BURKARD, Als Gott erschienen spricht er, 157f. 20 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 112,105f. 21 Die Überlieferung dieses letzten Abschnitts ist so lückenhaft, dass die Übersetzung nur mit besonderer Vorsicht interpretiert werden kann, vgl. BURKARD, Als Gott erschienen spricht er, 163, mit JANSEN-WINKELN, SAK 18, 241-264. 19

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II. Vom König zum Gott des Einzelnen

des scheidenden Königs zu seinem Sohn und der Gunst, die dieser bei ihm genießt. Die Ausführungen zu Sesostris' Sohnschaft (XIVd-f) gehen über in einen Preis des Himmelsvolkes (XlVg). 22 Die Rede von königlicher Sohnschaft und Himmelspreis verknüpfen hier irdisches und mythisches Geschehen miteinander. Ähnlich verbinden sich auch im weiteren Verlauf des Schlussabschnitts Aussagen über das den Sohn betreffende mythische Geschehen der Inthronisation mit Mitteilungen darüber, dass der Vater gemäß seiner Amtsethik alles für das Königsamt des Sohnes vorbereitet habe und dieser an sein Königsregiment anknüpfen könne. So schließen sich direkt an den himmlischen Lobpreis die Versicherungen des Vaters über die ermöglichte Kontinuität des Amtes an (XVa-b), 23 und im folgenden Satz wird mit der Rede über Sesostris als Gottessprössling (XVc) wieder die mythische Argumentation gewählt. 24 Sie wird erneut von der Feststellung des Vaters kontrastiert, er habe für das Amt des Sohnes einen guten Anfang gesetzt (XVd). Bis zu diesem Punkt sind die kontrastierenden Zeilen über die irdische Amtsübergabe und das himmlische Geschehen bei der Inthronisation auf die Protagonisten aufgeteilt gewesen: Die gewissenhafte Vorsorge für das Amt des Sohnes ist Sache des scheidenden Vaters, das göttliche Erscheinen dagegen betrifft nur den Sohn. Diese Rollenzuschreibung wird in den letzten Zeilen umgekehrt. Während der verstorbene Vater als Gott in die Barke des Re steigt (XVe), wird der Sohn aufgefordert, sich für das Königsam/ einzusetzen ( c h c n- nzwy.t) (XVf) und sich der Weisen anzunehmen (XVi-j). 25 In Andeutung einer gegenseitigen Bedingtheit des Verhältnisses zwischen dem König und dem Weisen wird Sesostris aufgetragen, für den Weisen zu kämpfen, weil jener für den König (d.h. an seiner Seite) gut sei.26 Die in diesen letzten Sätzen verwendete Formulierung des Herrschaftsantritts (n- nzwy.t) unterscheidet sich grundsätzlich von der im Prolog zu 22 Vgl. BLUMENTHAL über den Lobpreis in ZÄS 112, 108f.: „Er ist mit einem Satz in der Königsnovelle aus Heliopolis verwandt, die ganz auf Sesostris' göttlichen Ursprung abgestimmt ist. Des Königs Äußerung über Harachte ... ist daher in ihrem Kontext nicht ungewöhnlich. Bei Amenemhet I. aber redet der menschliche Vater, dem es sonst um die irdische Sukzession zu tun ist und der den Nachfolger im gleichen Zusammenhang als ,mein Sohn' anspricht (XlVd)." 23 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 112,110. 24 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 112, 108: „Mit dem im MR anderweitig unbekannten Königsappellativum pr.t ntr ,Gottessprößling, Gottessame' ist auch hier Sesostris' Göttlichkeit unterstrichen." 25 Anders VOLTEN, Politische Schriften, 123: „...und hüte dich vor denen, die du weisst." 26 Leider ist der Text an dieser Stelle noch mit einem Fragezeichen zu versehen. Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 44 und DIES., ZÄS 112, 109: „Die Gesinnung der Lehren lebt auch in der letzten Ermahnung ,Kämpfe für den, der Weisheit weiß (?), denn du hast sie gern an der Seite deiner Majestät' (XVi-j) mit ihren Schlüsselwörtern rh und rh.t, sofern sie richtig überliefert und von uns richtig verstanden ist."

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des Unglücks

47

findenden. Anders als in der vergleichbaren Aufforderung zu Beginn der Lehre (erscheine als Gott, bzw. der du als Gott erschienen bist: h'(j) m- ntr) wird Sesostris I. hier in nüchterner Weise aufgefordert, für das Königtum aufzustehen. In diesem Satz erscheint er nicht mehr als „Gott". Im Gegenteil wird an der gewählten Formulierung deutlich, dass das Königtum nun vor allem als ein dem Beamtentum vergleichbares Amt verstanden werden soll.27 Beide, Vater und Sohn haben in diesen abschließenden Zeilen unterschiedliche Rollen inne: Beide nehmen Teil an einem mythologischen Geschehen, in dem die Deszendenz des Vaters der Aszendenz des Sohnes gegenübergestellt wird. Beide werden aber auch nach den Maßstäben der Beamtentugend beurteilt und müssen sich entsprechend um ihr Amt und seine Vererbbarkeit kümmern. Beide, Amenemhet I. und Sesostris I., haben nach diesem Abschluss der Lehre sowohl Anteil an der Göttlichkeit des Königsamtes als auch an dessen an einem „Beamtenideal" ausgerichteten Implikationen. Eine provozierte Scheidung zwischen einem göttlichen Sesostris und einem verbeamteten Amenemhet verbietet sich, verdeckt sie doch die Brisanz der Zusammenfuhrung dieser beiden Ebenen zur Lösung des Problems der Amtsübergabe.28 Mit dem Amtsantritt wird der scheidende König zum Gott erhoben und der zuvor als göttlich gezeichnete Nachfolger muss sich nun den irdischen Erfordernissen des Amtes stellen. Beide Aspekte des Königtums, die so miteinander verknüpft sind, werden in den folgenden Abschnitten genauer untersucht. b) Die mythische Krise der Ordnung Die Lehre Amenemhets I. beschreibt sich selbst als Lehre und beansprucht, eine Eröffnung der m]c.t zu sein. Ausgehend von einer Definition der Lehren als didaktischer Literatur29 fallt es jedoch schwer, den didaktischen Gehalt

27 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 112, 109f.: „Vater und Sohn sind aber nicht nur durch den Stilzwang der Gattung mit seinen Auswirkungen auf die Position der Hauptpersonen, sondern auch durch die Auffassung vom Königtum miteinander verbunden, die dem Werk zugrunde liegt und ihren prägnantesten Ausdruck in dem Abstraktum njswj.t,Königtum' gefunden hat. Unter dem Einfluß der Beamtenideologie in der 1. Zwzt entstanden und bereits in offiziellen Inschriften der 11. Dynastie verwendet, bezeichnet dieser Begriff die Trennung des Königsamtes von der Person, die es verkörpert und steht - nach einer Formulierung der Lehre für Merikare - gleichwertig neben dem Beruf (ßw.t) des Beamten. Zu dieser Sicht bekennt sich die Lehre mit der Aufforderung ,Steh du auf (cAr) für ein Königtum (njswj.t), das schon früher entstanden ist (hpr hr hlt)." Zur Unsicherheit dieser Übersetzung vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 44, B 5.28: „... die Übersetzung ist unsicher; möglicherweise liegt auch die Konstruktion chc.n.i sdm.hui ,Da entstand ein Königtum...' vor." 28 Stärker entgegengesetzt wird die Gegenüberstellung interpretiert von BLUMENTHAL, ZÄS 112, 107. 29 Vgl. SHUPAK, Where can Wisdom be found?, 31-34. Im NR werden zwar auch Onomastika als Lehren bezeichnet, aber selbst diese haben zwar keinen unmittelbar pädagogischen

48

II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

dieser Königslehre zweifelsfrei zu bestimmen. Ungeachtet der formalen Schwierigkeit, die ihre Zuweisung zur Gattung Lehre beinhaltet30, gerät vor allem ihr Lernziel in Zweifel. Der Bericht Amenemhets I. über sein tadelloses Verhalten als König (IIIcd), das ihm jedoch mit Aufstand und Mord vergolten wird, bietet keinen pädagogischen Anreiz für ein vergleichbares Benehmen. Das Unrecht, das dem König widerfahrt, ist nämlich nicht auf seine eigene Lebensführung zurückzuführen. Vielmehr bringen die Klagen die Situation auf den Punkt, wenn sie das tadellose Verhalten des Königs unmittelbar mit seinem leidvollen Ergehen verbinden. Der König selbst formuliert die „drastische Umkehrung dessen, was das Königsdogma sonst gewährleistet" 31 . Einen Schüler, dem die Ethik seines Standes beigebracht werden soll, müssen solche Verbindungen notwendig abgeschreckt haben. Auch das von Blumenthal herausgearbeitete „Bekenntnis zur geistigen Welt des Beamtentums"32, das sie den Selbstaussagen Amenemhets I. entnimmt, wird ad absurdum geführt, wenn den König sein ideales Verhalten nicht davor schützen kann, ermordet zu werden. Entsprechend raten die formal lehrhaften Abschnitte der Lehre gerade nicht zum vorgeführten idealen Verhalten, sondern dazu, sich auf sich selbst zu verlassen und vorsichtiges Misstrauen gegenüber dem Umfeld walten zu lassen. Damit leisten sie einer Einsamkeit Vorschub, die sonst zu den in den Lehren bekämpften Lebensweisen gehört.33 Die Lehre endet jedoch nicht allein mit dem Scheitern des idealen Verhaltens, sondern der „Beamtenkönig" Amenemhet I. sorgt für eine mögliche Nachfolge. 34 Wiewohl seine Handlungsweise für sein eigenes Ergehen nichts hat austragen können, hat er mit ihm doch die besten Voraussetzungen geschaffen, damit sein Sohn an seinem Amt anknüpfen kann. Diese Anknüpfung ist möglich, weil das Königsamt, das hier entsprechend der Idee des Beamtenamtes dargestellt wird, als nahezu unabhängig von der Person angesehen wird, die es bekleidet, und damit auch von ihrem jeweiligen Ergehen.35 Deshalb können die letzten Zeilen der Lehre von Sesostris I. fordern, das schon früher entstandene Amt im Geiste seines Vaters weiterzuführen, obwohl der Vater selbst am Scheitern seines Agierens keinen Zweifel Impetus, lehren jedoch die Ordnung der Dinge. Deshalb ist die Definition als didaktische Literatur im weitesten Sinne beizubehalten. 30

V g l . BLUMENTHAL, Z Ä S 1 1 1 , 9 9 .

31

JUNGE, Die Welt der Klagen, 281 f. JUNGE spricht an dieser Stelle allerdings nicht über Amenemhet, sondern allgemein über das literarische Phänomen der Klagen. 32

BLUMENTHAL,

ZÄS 112,105.

33

Vgl. PARKINSON, Individual and Society, 146: „Middle Kingdom Literature is associated with individuals, but individuality remains problematic, as can be seen in the tendency of actual authors not to name themselves...". 34 35

BLUMENTHAL,

ZÄS 112,109.

Vgl. ebd. sowie BLUMENTHAL, Phraseologie, 27-29, A 2.1-15.

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des Unglücks

49

lässt. Selbst die Aufforderung zur Distanznahme gegenüber den Untertanen scheint in den letzten Zeilen zurückgenommen zu werden. Immerhin wird der König zu einem solidarischen Verhalten gegenüber den Weisen aufgefordert. Trotz der ermöglichten Amtsnachfolge bleiben die Notizen über das Scheitern des Ideals unvermittelt stehen. Lehre und Klage werden ausgetauscht, und das rechte Verhalten muss als naiv gelten. Es wird von den Menschen geradezu bestraft. Derselbe Konflikt wird in Hinsicht auf die Göttlichkeit des Königs noch ein weiteres Mal aufgenommen. c) König ohne Gott Der getroffenen Wahl der Gattung „Lehre" steht vor allem entgegen, dass der angesprochene Thronfolger so ausfuhrlich als göttlich inszeniert wird und ein Gott kaum wie ein Sterblicher belehrt werden muss.36 Im vorangehenden Abschnitt wurde jedoch deutlich, dass die göttlichen Aspekte des Thronfolgers mit den menschlichen Aspekten der Amtsführung vermittelt werden. Auch Amenemhet I. wird, wenn auch nur im Tod und damit ganz im Rahmen des Königsdogmas, als vergöttlicht gezeichnet.37 Zwei Bestimmungen in der ersten Ansprache an den Sohn, die sich im Prolog findet, weisen mit Nachdruck auf die Göttlichkeit seines Amtes hin: Ic-d Er spricht, indem er die Wahrheit (mf.i) eröffnet, zu seinem Sohn, dem Allherrn (nb-r-dr), und sagt: „Erscheine als Gott! (h'Q:) m- ntr)l"3S

Sesostris wird als Allherr (nb-r-dr) angesprochen, und seine Thronbesteigung wird als Erscheinen als Gott (h'(j') m- ntr) bezeichnet.39 Beide Formulierungen sind an sich Göttern vorbehalten. Die Göttlichkeit des neuen Königs wird zwar dem Dogma entsprechend an sein Amt gebunden, und die Aufforderung, als Gott zu erscheinen, bezeichnet den auch sonst vorhandenen theologischen Aspekt der Thronbesteigung. Dennoch ist der Sprachgebrauch für die Zeit vor

36 Vgl. in Merikare die pointierte Aussage, ein König werde weise geboren. Auch dort widerspricht diese königsdogmatische Aussage jedoch dem Faktum der Belehrung des Königs. Vgl. Merikare, E 115f. 37 Zur Göttlichkeit des verstorbenen Königs vgl. BARTA, Königsdogma, 489. 38 Vgl. VOLTEN, Politische Schriften, 106. Letzte Zeile mit LICHTHEIM ohne Emendation übersetzt (gegen VOLTEN), Teil der Übersetzung auch aus BLUMENTHAL, ZÄS 111, 94f. Ganz anders BURKARD, Als Gott erschienen spricht er, 171, der übersetzt: „Du wirst König des Landes sein! Du wirst die Ufer beherrschen! Du wirst das Gute vermehren!" 39 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 112, 108: „Wie sehr dem Verfasser des Textes daran lag, den Zusammenhang zwischen der Thronbesteigung und der Göttlichkeit des neuen Königs zu betonen, ist aber vor allem daran zu merken, daß er den Terminus technicus h'j .erscheine (auf dem Thron)' durch den unüblichen Zusatz m ntr, ,als Gott' näher bestimmt hat."

50

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Sesostris I. höchstens ein inoffizieller.40 Erst der literarische Adressat dieser Lehre, Sesostris I. selbst, hat die Redeweise, schon den amtierenden König als Gott (ntr) zu bezeichnen, auch für den Hof kultiviert.41 Sesostris erscheint mit seinem Amtsantritt als Gott (h (j) m- ntr).42 Besonders die Verbwahl hebt den theologischen Aspekt der Thronbesteigung hervor.43 Zudem ist die Bezeichnung des Königs als Allherr (nb-r-dr) ungewöhnlich, weil das Epitheton zumeist Göttern vorbehalten ist.44 Die göttlichen Epitheta, die Sesostris in der Schlussadresse zugeschrieben werden, wurden schon besprochen. Auch in ihnen wird die Göttlichkeit des Thronnachfolgers betont. Die Göttlichkeit des scheidenden Vaters, der im Tode in die Barke des Re erhoben wird, schließt die Aussagen zur Göttlichkeit des Amtes ab. Im Ausklang der Lehre wird zuletzt Amenemhet I. als Gott bezeichnet, wohingegen sein Sohn sich um das irdische Geschäft des Königsamtes kümmern muss. Diese dem Dogma der Erhebung im Tode entsprechende Darstellung ist jedoch nicht die einzige, die Amenemhet I. als göttlich kennzeichnet. Mitten in den Klagen, die den Attentatsbericht einleiten, werden die Menschen als aufständische Abbilder Amenemhets I. bezeichnet. Auf diese Weise wird er selbst mittelbar zum Gott gemacht: Va-c Meine lebenden Abbilder (snn.w), meine Anteile an den Menschen, waren es, die mir diese unerhörte Klage bereitet haben und die Größe eines Kampfes, wie man ihn noch nie gesehen hat.

Die zuerst von Westendorf vorgeschlagene Übersetzung beseitigt nicht allein ein zuvor nicht gelöstes Problem in der Texterfassung.46 Sie zeigt zudem 40 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 112, 107f.: „Dieser Eindruck entsteht vor allem dadurch, daß Sesostris mit einer Göttlichkeit ausgestattet ist, die nicht nur den Stil der Lehre mit ihrem am Beamtentum orientierten Menschenbild sprengt, sondern auch über die überlieferte Auffassung vom Königtum hinausgeht und in dieser Intensität später nicht beibehalten worden ist." 41 Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 76: B 2.13, wo mit einer Bauinschrift ein Beleg für die Selbstbezeichnung Sesostris I. als Gott gegeben wird. 42 Nach BLUMENTHAL sind die Möglichkeiten der Übersetzung Imp. (erscheine als Gott), partizipiale Anrede (der du als Gott erschienen bist) oder Pseudopartizip (als er als Gott erschienen war). BLUMENTHAL entscheidet sich in ZÄS 112, 108, für den Imp. wegen der Folgeaussage (dann wirst du das Gute vermehren...). Nicht in den Blick genommen wird von ihr die von BURKARD propagierte Möglichkeit, die Aussage auf den Vater zu beziehen. Da der Sohn unmittelbar vorher als Allherr angesprochen wird, folge ich BLUMENTHAL. 43 BLUMENTHAL, Phraseologie, 43-45, A 5.24-28, zeigt auf, dass es zwei Verben gibt, die die unterschiedlichen Aspekte der Thronbesteigung formulieren. hcj bezeichnet „das Offenbarwerden des Königs seit AR". c h c ist dagegen „seit dem AR Terminus technicus für Amtsantritt von König und Privatleuten." 44 Vgl. HORNUNG, Der Eine und die Vielen, 132 und 230f. 45

N a c h WESTENDORP, G M 4 6 , 36.

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51

inhaltlich weitreichende Implikationen. Die Ebenbilder (snn.w) finden sich auch in der „kleinen Genesis" (E 130-138) in der Lehre für König Merikare. Dort bezeichnen sie allerdings die Menschen in ihrem Verhältnis zum Sonnengott.47 In den biographischen Abschnitten der Lehre wird Amenemhet I. noch als idealer Herrscher gezeichnet,48 wie es schon die Gaufürsten und hohen Beamten der sogenannten Ersten Zwischenzeit für sich beansprucht haben. Mischen sich in seiner Selbstdarstellung verschiedene Aussagen zu einem Bild des idealen Königs, der sich um die Benachteiligten kümmert, sein Volk zu versorgen weiß und auch nach außen hin das Land verteidigt und sogar vergrößert, so fügt die Rede von seinen Untertanen als Ebenbildern diesem Bild des Idealkönigs eine göttliche Komponente hinzu. Ausgerechnet seine Göttlichkeit wird jedoch benutzt, um verschlüsselt von seinem Scheitern zu berichten. Entsprechend wird Amenemhets I. Göttlichkeit ebenso umgekehrt wie das bereits angesprochene idealtypische Verhalten, dessen Darstellung vor allem seine Nutzlosigkeit für das Ergehen demonstriert. Die einzige Stelle, an der die Göttlichkeit Amenemhets I. angedeutet wird, lässt die Diastase zu seinen Untertanen in dem Attentat gipfeln. In der Rede von seinen Ebenbildern spricht Amenemhet I. als Amtsinhaber und damit auch als Teilhaber an der Göttlichkeit des Amtes. Die Scheide zwischen Göttlichkeit und Menschlichkeit verläuft zwischen den verschiedenen Aspekten des Königtums, dem Amt und der Person.49 Dem König eignet als Amtsinhaber Göttlichkeit, das gilt für Amenemhet I. genauso wie für Sesostris I. Interessant ist nun, dass ausgerechnet die Passage der Lehre, die Amenemhet I. als einen verletzbaren Menschen darstellt, der Bericht über das auf ihn verübte Attentat, mit der Göttlichkeit des Königs zusammengebracht wird.50 Westendorf verbindet die Rede von den menschlichen Abbildern des göttlichen Königs mit zwei Motiven außerhalb der Lehre Amenemhets I. Er hält 46

Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 112,106f. E 132: snnwf-pw 48 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 111, 96: „Dagegen rühmt sich Amenemhet ... nach dem Vorbild von Gaufürsten und hohen Beamten der 1. Zwzt und des frühen MR, daß Korngott und Nilflut ihn begünstigt hätten, so daß das Volk weder zu hungern noch zu dursten brauchte." 49 Vgl. BARTA, Königsdogma, 488: „Die dem König eignende Göttlichkeit erstreckt sich nicht auf die dem Irdischen verhaftete Person, sondern verbindet sich allein mit dem Amte." 50 Vgl. BLUMENTHAL zum Königtum als Abstraktum ZÄS 112, 109f. - Trennung des Königsamtes von der Person. Sowie, DIES., Phraseologie, 27-29, A 2.1-15. Zum Königsamt nzwy.t vgl. vor allem auch Merikare E 116: jiw.t-pw nfr.t nzwy.t: Das Königtum ist ein schönes Amt. In diesem Beleg werden der allgemeine Begriff des Amtes (jJw.t) und der des Königtums (nzwy.t) tatsächlich direkt aufeinander bezogen. BLUMENTHAL geht davon aus, dass der Begriff für das Königtum überhaupt erst mit der Verbeamtung der Arbeit in der sogenannten Ersten Zwischenzeit entstanden sei. Mit ihm wird das Königtum grundsätzlich mit jedem Beruf vergleichbar. 47

52

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

den hinter der Chiffre der Abbilder verborgenen Schöpfergott für identisch mit dem einsamen Gott, gegen den seine Kinder rebellieren, wie er in Merikare51 und später im Kuhbuch zu finden ist. Westendorf stellt jedoch auch fest, an welcher Stelle die Anklänge an das mythische Vorbild aufhören: „Der König als Opfer eines Anschlags seiner eigenen Geschöpfe: hier ist die Übereinstimmung mit dem mythischen Vorbild nicht mehr gegeben." 52 Westendorf erklärt diese Durchbrechung des Motivs mit einander widerstreitenden Königsbildern, die in einer Zeit des Umbruchs, in die die Lehre zu datieren sei, verständlich sind.53 Der gegenwärtige Ansatz, die Lehren stärker als Literatur zu verstehen und damit ihre Fiktionalität bewusst auszuwerten, vermittelt die Möglichkeit, diese Vermischung der Motive als absichtsvollen Kunstgriff zu entdecken. Nicht ein absichtsloses Ineinander verschiedener Königsvorstellungen findet sich unter dieser Maßgabe in der Lehre Amenemhets I. Vielmehr gelingt durch die Mythologisierung der Diastase eine Beschreibung des unerhörten Geschehens, die auf der Ebene der Ordnung nicht möglich ist. Indem König und Untertanen Rollen in einem mythischen Drama einnehmen, wird der Zusammenbruch der Ordnung beschreibbar und damit dem Chaos im gewissen Sinne entrissen. d) Zusammenfassung Die Ordnung ist durch das Attentat im Palast gestört. Der in jeder Hinsicht vorbildliche und idealtypische König hat nichts getan, was ihn hätte schuldig werden lassen, und gerät dennoch in einen Hinterhalt. Von einer selbstregulativen Ordnung kann in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein, und auch der noch später in den Lehren zu beobachtende richtende und rettende Gott der Ordnung tritt nicht in Aktion. Dieser Situation wird auf zwei Ebenen begegnet, die zumal im Schlussabschnitt kunstvoll miteinander verbunden werden. Auf der einen Seite bleibt dem Unglück zum Trotz die Ordnung des Amtes, das von Amenemhet I. vorbereitet wurde und nun von Sesostris I. in der irdischen Dimension seiner Ausführung angetreten werden kann, in Kraft. Auf der anderen Seite wird die Göttlichkeit der Könige betont und die Diastase von König und Untertanen zu einem mythischen Drama erhoben, in dem der Schöpfergott von seinen Ebenbildern angegriffen wird. Die die Ordnung durchbrechende Aktion wird auf diese Weise in ihrer Ungeheuerlichkeit immerhin beschreibbar gemacht und damit eher überwindbar. Der Zusammenbruch der Ordnung wird handhabbar, der neu aufsteigende Gott hat wieder alle Möglichkeiten, die Ordnung zu errichten. Dabei zählt er, wie im letzten Abschnitt zu lesen ist, vor allem auf die Hilfe der Weisen, denen er selbst die volle Unterstützung verspricht. Das Ungewöhnliche an 51

E 133f. und E 137f.

52

WESTENDORF, G M

46,40.

53

Vgl.

GM 46,40.

WESTENDORF,

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des

Unglücks

53

dieser Lehre ist, dass sie das sich ihr stellende Problem der durch Mord belasteten Amtsübergabe nicht im genuinen Bereich der Lehren löst, sondern mythologische Vorstellungen heranzieht. Auch in der Lehre für König Merikare werden mythologische Elemente verwendet. Anders als in der Lehre des Amenemhet I. werden sie dort aber mit der Vorstellung von einer dem Leben zugrunde liegenden, göttlichen Ordnung verknüpft. Amenemhet I. stirbt angesichts der Störung der Ordnung durch andere. Merikare dagegen wird wegen seiner eigenen Ordnungsübertretungen bestraft. 2. Die Lehre für König Merikare a) Die Schuld des Vaters als Hypothek der Herrschaft Anders als in der Lehre Amenemhets I. ist in der Lehre für König Merikare sehr wohl eine verlässliche Ordnung und ein dieser Ordnung Antlitz gebender Gott zu finden. Die vorgenommene (Neu-)Gründung der Ordnung fordert jedoch vor allem von der Person des Königs einen hohen Tribut. Der König wird nicht als gottgleich gezeichnet, sondern einer Ordnung unterstellt und muss sich vor einem Gott und vor dem Jenseitstribunal verantworten. Die auch in der Lehre für König Merikare aufgenommenen mythisierenden Elemente sind der Beschreibung des göttlichen Handelns vorbehalten, in dessen Machtbereich der König mit eingeschlossen wird, ohne jedoch selbst noch eine göttliche Rolle zu spielen. Durch das Wirken Gottes wird um des Menschen willen eine Schöpfungsordnung errichtet, in der der König einen umgrenzten Ort und eine definierte Aufgabe hat. Durch diese Einbindung wird in der Lehre für König Merikare eine ähnliche Krisensituation überwunden, wie in der Lehre Amenemhets I., allerdings mit anderen Mitteln.54 Sie stehen vor allem deshalb zur Verfügung, weil als beteiligte Personen Könige der Vergangenheit ausgewählt wurden. Die Fiktionalität der Situation erlaubt größere Freiräume im Umgang mit dem König. Die Lehre für König Merikare wird von ihren Verfassern in die 10. Dynastie datiert, also in die sogenannte Erste Zwischenzeit, die in der Ägyptischen Literatur als Topos allen Chaos' und allen Untergangs der Ordnung verstanden wurde. Wie in der Lehre Amenemhets I. spricht ein scheidender König zu seinem Sohn und Nachfolger.55 Im Vergleich zur Lehre Amenemhets I.

54 Ein entscheidender Unterschied zu Amenemhet I. besteht jedoch darin, dass Merikares Vater die Situation selbst verschuldet hat. Er hat gegen die mic.t gehandelt, die er eigentlich bewahren sollte. 55 Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 249, der feststellt, Merikares Vater sei „... apparently on the point of death like the vizier in Ptahhotep, since the phrase 'may you reach (ph) me' (48d) seems to imply that the teacher is already on the threshold of the next world."

54

II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

überwiegen jedoch die Lehranteile, obwohl es auch in der Lehre für Merikare ausführliche biographische Passagen gibt. 56 Trotz der Ähnlichkeit der zugrunde liegenden Situationen unterscheiden sich die von den beiden Lehren gebotenen Lösungsansätze deutlich. Wo in der Lehre des Amenemhet I. die Diastase von König und Volk beschrieben wird, die als unverschuldeter und deshalb chaotischer Einbruch über den Vorgänger im Amt gekommen ist, da formuliert der Vorgänger Merikares neben verschiedenen Berichten über seinen Amtserfolg auch ein Schuldeingeständnis mit der Feststellung, er habe bereits die Quittung für sein Fehlverhalten erhalten.57 Der König hat sein Ergehen selbst mit verschuldet. Der im Schluss der Lehre formulierte Wunsch des Vaters an seinen Sohn „Mögest du genannt werden: Der die Zeit des Leidens beendete" (dd. tw^k hd(j)-rk-nj-mn (E 142))58 setzt den Nachfolger in eine ganz ähnliche Situation wie Sesostris I. in der vorangegangenen Lehre (dort allerdings unausgesprochen). Der Wunsch entspricht dem geläufigen Konzept, „den Regierungsantritt jedes neuen Königs als Ende des Elends und Beginn einer Heils-Zeit zu sehen."59 Vor dem Hintergrund des väterlichen Schuldbekenntnisses bringt der über die geläufige Konzeption hinaus reichende Wunsch jedoch die Hypothek, die der königliche Vater mit seiner Schuld auch seinem Sohn hinterlässt, mit in Anschlag.60 Die Zeit ist durch das Verschulden des alten

56

Die Gliederung der Lehre ist umstritten. Während QUACK, G O F IV/ 23, 14, beispielsweise die Rubra als wichtigstes Gliederungsmittel beschreibt, orientiert sich BLUMENTHAL, Z Ä S 107, 27, vor allem an inhaltlichen Kriterien und warnt vor einer Überschätzung der Rubra, die lediglich eine sehr späte Textauffassung wiedergeben. Diese Gefahr will QUACK minimieren, indem er nur die Rubra als verlässlich ansieht, die in mehreren Handschriften übermittelt sind. Problematisch ist j e d o c h sicher, dass die Rubra in Merikare nicht immer Abschnitte kennzeichnen, sondern zum Teil auch inhaltlich hervorzuhebende Passagen unterstreichen. Die vorliegende Untersuchung orientiert sich sowohl an den 2 9 Textabschnitten, die durch die Rubra gebildet werden, als auch an der von BLUMENTHAL vorgenommenen groben Einteilung in vier Abschnitte. Sie umfassen die Abschnitte E 1-30 U m g a n g mit Aufwieglern, E 30-68 Umgang mit Untertanen und Göttern, E 68-108 Innen- und Außenpolitik und E 108-143 U m g a n g mit Untertanen und Göttern. Die biographischen Passagen finden sich im dritten Abschnitt der Lehre. Die Zeilenzählung folgt mit BLUMENTHAL und QUACK der schon von GOLENISCHEFF vorgenommenen Zählung der Zeilen des Papyrus Leningrad Eremitage 1116 A verso. 57

E 120-122: m^k dk.w hntj jrj.tn=j nach VOLTEN, Politische Schriften, 65: „Siehe meine Strafe für das, was ich getan hatte". 58 Die Übersetzung folgt, w o es nicht anders angegeben wird, im Wesentlichen der Übersetzung QUACKS, G O F IV/ 23, hier 83. 59 QUACK, GOF I V / 2 3 , 92. 60 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 107, 38: „Wenn es zutrifft, daß mit der ,Zeit des Leidens' P 142 seine Regierungszeit gemeint ist ... so haben die Schlußermahnungen ein vernichtendes Fazit gezogen." Vgl. ähnlich auch PARKINSON, Poetry and Culture, 249. A n d e r s QUACK, G O F IV/ 23, 92, der die Geläufigkeit des Konzepts der anbrechenden Heilszeit zu Beginn

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Königs elend, aber, so verheißt es die Lehre, der neue König hat die Macht, diese Elendszeit zu beenden. Mit der Vorstellung von der mit dem neuen König beginnenden Heilszeit macht sich die Lehre die in diesem Königsdogma vermittelte Kraft zu eigen. Das die Heilszeit heraufbringende Handeln des Königs ist in der Lehre für Merikare jedoch kein mythologisch legitimiertes, sondern lediglich sein an der Ordnung ausgerichtetes zukünftiges Handeln im Gegenüber zum Gott. Die heilbringende Macht des Königs ist also darauf beschränkt, sich im Rahmen seiner der Ordnung gemäßen Aufgabe zu bewegen. In der Lehre für König Merikare werden Kraft und Größe des Königs nicht ungebrochen dargestellt. Gleichwohl fokussiert die Lehre auch sein Vermögen, im Rahmen der Ordnung alles Elend abzuwenden. Der König hat die Kraft, die Situation des Elends zu beheben, aber er kann auch, wie es bei Merikares Vater der Fall gewesen sein muss, gegen die mic.t handeln und dann Rückschläge und Strafe erleiden. Ganz wie alle Sterblichen steht er in der Rechtfertigungspflicht gegenüber der m>c.t oder dem Gott. Die Lehre rekurriert auf eine Weltsicht, die am Königtum festhält, obwohl sie seine Schattenseiten kennt. Das Königtum hat seine Selbstverständlichkeit eingebüßt, und der Platz des Königs innerhalb der Gesellschaftsordnung muss erst wieder begründet werden. 61 Die Zeit wird dargestellt als von Auseinandersetzungen und Krisen beeinträchtigt, und erst im Kontrast zu den Schwierigkeiten wird das positive Ziel der Lehre deutlich. Die Datierung, die die Lehre sich selbst gibt, ist nicht die einer goldenen Zeit. Die Bedrohung der Ordnung durch Aufrührer, sowie die Gefahrdung durch Bürgerkriege und einfallende Asiaten werden bewusst erwähnt. Doch es bleibt nicht bei der bloßen Feststellung von Krise und Gefährdung. Vielmehr sind sie die Projektionsfläche für das positive Bild eines Königs, der die Zeit des Leidens beendet. In der differenzierten Königsdarstellung wird eine Gesellschaft neu konstituiert, indem neue, religiöse Begründungen für eine überkommene Gesellschaftsordnung gefunden werden. 62 Zwar werden dabei dem König jeder Königsherrschaft als Argument dafür anführt, in diesem Wunsch keinen Hinweis auf die Umstände zu sehen. 61 In diesem Sinne auch QUACK, GOF IV/ 23, 137. 62 Der Text bewirkt auch eine Konstituierung und Begründung des Königsamtes und kann deswegen propagandistisch genannt werden. Dieser Terminus hat sich jedoch in den vergangenen Jahren als nicht sachgerecht erwiesen, weil in ihm die Direktive der so benannten Texte zu einseitig wahrgenommen wird. Da es sich bei allen als propagandistisch bezeichneten Schriften um Literatur handelt, ist immer auch von einer Brechung der Motive auszugehen. Propaganda im strengen Sinne würde sich eines weitaus besser Menschen verbreitbaren Mediums bedienen, als es gerade für die Literatur im Alten Ägypten möglich war. Vgl. zu diesem Gedanken SCHENKEL, Fragestellung oder Antwort?, 63-74. Pointiert fasst die Schwierigkeiten MOERS (MOERS, Fiktionalität und Intertextualität, 37-52) für die Erzählliteratur zusammen, indem er aufzeigt (50), es sei „ausgeschlossen, die ägyptische

56

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

ethische Auflagen gemacht, gleichzeitig wird jedoch ein geordnetes Welt- und Gesellschaftsbild vermittelt, in dem die (königliche) Hierarchie ihren vorbestimmten und wohlbegründeten Platz hat. Entsprechend dieser Einordnung der königlichen Rolle zwischen „großer Macht" auf der einen und der „unbedingten Abhängigkeit" vom Maßstab setzenden Gott auf der anderen Seite wird ein Königsbild entworfen, das auch in anderen Bereichen zwischen diesen beiden Polen angelegt zu sein scheint. Die Gründung der Ordnung kulminiert im Schöpfungshymnus, in dem die Herrschenden63 als Teil der um der Menschen willen geschaffenen guten Schöpfungsordnung charakterisiert werden. Dabei werden alle Herrschenden als „vom Ei an", also schon im Mutterleib, von Gott zu ihrer Aufgabe bestimmte angesprochen. Die Rede von der „Schöpfung vom Ei an" ist ursprünglich eine reine Xora/gsmetapher,64 dass sie hier von allen Herrschenden behauptet wird, ist erneut ein impliziter Hinweis auf den Machtverlust des Königs. Zwar wird seine Rolle als in der Schöpfung um des Menschen willen angelegt beschrieben, gleichzeitig teilt er sie jedoch mit allen, die Verantwortung und Macht haben. Auch in anderer Hinsicht werden ehemals königliche Privilegien auf einen weiteren Kreis übertragen. Das zeigen vor allem die ethischen Überlegungen. Sie werden zwar an den König gerichtet und enthalten auch vornehmlich vom König auszuführende Appelle wie die zu Tempel- und Denkmalbau. Ihre Begründungen sind aber allgemein für den Mann von Rang {zj) formuliert.65 Zumal im letzten Appell zum „Handeln für Gott" wird die von jedem Menschen zu erreichende ethische Integrität als königlich-kultischem Handeln überlegen dargestellt. Die Ausweitung des Adressatenkreises der königlichen Lehren formuliert eine Verantwortlichkeit jedes Menschen, die sich nur aus der Verortung menschlichen Lebens vor dem Jenseitsgericht verstehen lässt. Zuletzt wird die spannungsvolle Darstellung des Königs an der Wahl der Gattung „Lehre" deutlich. Die in den Lehren vermittelte Ethik ist erlernbar, und Bildung ist nicht nur jedem Menschen möglich, sondern für alle notwendig, denn „niemand ist verständig geboren" (Ptahhotep)66. Im Gegensatz zu dieser Implikation der Gattung steht jedoch das Königsdogma, das den König über jeden menschlichen Bildungsweg erhebt. So formuliert es auch die Lehre Erzählliteratur zur Rekonstruktion einer ansonsten verloren gegangenen Ägyptischen Lebenswelt heranzuziehen." vgl. dazu auch PARKINSON, Poetry and Culture, 272. 63 hqi.w (Herrscher) und tz.w (Machthaber) E 135f. 64 Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 37: „Der verwandte Passus in der Lehre für Merikare, daß der Schöpfergott den Menschen .Herrscher vom Ei an' erschaffen habe (...), erhält durch seinen Kontext einen anderen Akzent. An die Stelle theologischer Legitimierung des einzelnen Königs tritt der größere Zusammenhang göttlicher Schöpfungsharmonie, in die das Königtum verantwortlich einbezogen ist." Anders QUACK, GOF IV/ 23, 79f. 65 Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 295ff., spezifischer 299ff. 66 Vgl. Ptahhotep 41.

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für Merikare in E 115f., nach der der König von Amts wegen als weise erscheint: E 115f. Er ist der Wissende (rh) der beiden Ufer. Der König, Herr eines Hofstaates, kann nicht unwissend (whl) sein. Bei seinem Herauskommen aus dem Mutterleib ist er weise (sil^f).

Der König ist von Geburt an weise und wird doch zum Adressaten einer ausführlichen Lehre gemacht. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass amtsgebundene Unfehlbarkeit und menschliche Unzulänglichkeit als zwei Bestimmungen des Königs in der Lehre für König Merikare in Spannung gehalten werden: Merikare wird als keiner Belehrung bedürftiger Unfehlbarer dennoch zum Empfanger einer Belehrung. Der scheidende König berichtet seinem Nachfolger, er habe selbst die Folgen seines Handelns tragen müssen, bzw. das Handeln der Seinen, von dem er nichts gewusst habe.67 Auch der König untersteht mit seinem Tun und Lassen der mV.t. Die mic.t wird als von ihm unabhängig präsentiert. Er soll ihr dienen, sie haftet jedoch nicht an seinem Amt. Vor allem im Schöpfungshymnus (E 130-138) wird die m¥.t ihrem Inhalt nach als Aufgabe des Königs und der Fürsten erklärt, an der sie allerdings auch scheitern können.68 Es sind die m^.l und der mit ihr eng verbundene, schaffende und strafende Gott, die in dieser Lehre den Gesellschaftszusammenhang knüpfen, der in der Lehre Amenemhets I. weithin fehlt. Bei Merikare manifestiert ausdrücklich nicht der König den Zusammenhalt, sondern er untersteht selbst der Herrschaft der verbindenden und verbindlichen Ordnung, der mjc.t. Jedoch stellt die Lehre dem König mit der mlc. t keine gesichtlose Ordnung gegenüber. Vielmehr interagiert die m]c.t mit dem namenlosen, aber doch personal gedachten Gott der Lehren. Die Gottesprädikationen finden sich dabei nicht systematisch zusammengestellt, sondern entsprechend ihrer Funktion für den Gehalt der Lehre an verschiedenen Stellen.69 Da diese Partien die entschei-

67 Es ist möglich, dass an dieser Stelle die Schuld des Königs relativiert werden soll. Im Sinne einer relativen Tatdistanz übersetzt auch LICHTHEIM, Ancient Egyptian Literature I, 105: „Though it happened through my doing,/1 learned it after it was done." Die Möglichkeit, hier mit einigen Handschriften die Negation (es geschah nicht durch meine Tat) zu lesen, wird von QUACK, GOF IV/ 23, 73, abgelehnt: „Inhaltlich würde die gesamte Aussage über die Vergeltung ihre Bedeutung verlieren, sofern die schlechte Tat nicht infolge der Handlung des Königs geschehen ist." 68 Die mF.t wird hier zu einem „überpositiven Recht": Selbst das vom König verkörperte Recht wird an ihrem Maß beurteilt. 69 Zur Bestimmung der inhaltlichen Ausrichtung der Lehre auf einen politischen Zusammenhang vgl. QUACK, GOF IV/ 23, 95: „... zudem kann grundsätzlich im Alten Ägypten Religion kaum von Politik getrennt werden." Diese Feststellung ist sicher richtig, dennoch darf dies keine Reduktion aller Themen auf ihren politischen Gehalt implizieren. Gerade

58

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

denden Informationen über den Zusammenhang von Gott und Ordnung in ihrem wechselseitigen Verhältnis zum König und zum Menschen enthalten, werden sie in den folgenden Abschnitten zusammengestellt. Unterschieden werden sie dabei nach dem ihnen zugrunde liegenden Gottesbild, dem Gott im Kult und im Handeln, im Jenseits und in der Schöpfung.70 b) Das königliche Handeln für Gott

Die Betonung des Kultes in der Lehre für Merikare ist ebenso umfassend wie auffallig, besonders da sie im Rahmen der Lehren nicht die Regel ist.71 Die Hervorhebung entspricht dem besonderen Sujet der Königslehre und das vor allem in Bezug auf die Politik Sesostris' I. Der König, der nach Quacks Datierung auch zur Zeit der Abfassung der Lehre regiert haben soll, formuliert in einigen seiner Bauinschriften eine Vorstellung vom Königsamt, die ihn als vom Gott besonders Ausgezeichneten und deshalb zu tätigem Dank in Form von Tempel- und Denkmalbau Verpflichteten ansieht. Von einer solchen Verpflichtung spricht auch, zum Teil sogar mit übereinstimmenden Formulierungen, die Lehre für König Merikare. Dabei erhält aber die in der Lehre zu findende Aufforderung „Handle für Gott" einen weit über das Königtum hinausgehenden Appellcharakter. Die rein auf den König bezogene Kultthematik wird von einer für alle Menschen geltenden, eher ,,vergeistigte(n)" Ethik konterkariert.72 Gerade die Appelle zum „Handeln für Gott" beschränken sich bei Merikare nicht auf Ermahnungen zu kultischer Orthopraxie, sondern zeigen den Übergang zu einem stärker ethisch durchdrungenen Handlungsverständnis auf. Drei Stellen thematisieren die „kultische Tätigkeit" (E 63-67; E 108-116; E 127-130)73 je mit verschiedenen Schwerpunkten. Sie weisen eine innere Entwicklung vom Denkmalbau über den Tempelbau zur Grabausstattung auf, die mit einer sich intensivierenden Ausrichtung auf das Jenseits verbunden ist (E 63-67).

wenn die Themen miteinander verwoben sind, muss ihnen gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. 70 BLUMENTHAL erkennt in der Lehre drei Weisen, von Gott zu reden, die nach ihrer Einschätzung kaum in Übereinstimmung gebracht werden können. Im Folgenden sollen sie kategorisierend aufgenommen werden Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 107, 20: „Da sich das Bild des allerhaltenden Sonnengottes weder zu dem Herrn des Jenseitsgerichts noch zu dem Gott, der Wohltaten empfangt und vergilt, in Beziehung bringen läßt, kann nicht die Gottesvorstellung der Grund dafür gewesen sein, daß es Eingang in die Lehre für Merikare gefunden hat." 71 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 107,30f. 72 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 107,26. 73

BLUMENTHAL, Z Ä S 1 0 7 , 2 5 .

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59

E 63-67 Baue (irrt)) ... Denkmäler für den Gott (n ntr)\ Das ist eine Namenserhaltung (s: c nh-rn) für den, der es tut (irr -si). Ein Mann soll tun (iríi) zíiñ. was für seinen b> nützlich (>h.wt) ist: Den Priesterdienst des Monats, Ergreifen weißer Sandalen, Betreten des Tempels, Enthüllen des Verborgenen, Eintreten ins Heiligtum, Brotessen im Tempel (hw.t-ntr). Statte also die Opfertische reich aus, mache die Brote zahlreich! Vermehre das tägliche Opfer! Das ist etwas Nützliches (ßh.t) für den, der es tut (n- irr -si). Erhalte deine Bauwerke entsprechend deinem Vermögen (wsr~k)\ Ein einziger Tag gibt für die Ewigkeit (nhh). Eine Stunde macht vortrefflich für die Zukunft {n- m-ht)... Den, der flir ihn handelt (irr.w kennt Gott (rh.n ntr).

Relativ unvermittelt zum vorhergehenden Rat über den Umgang mit Soldaten und die Art der Aufrüstung (E 57-63) wird der Adressat in E 63 zum Denkmalbau aufgefordert. Das Handeln (jrr) für Gott ist dabei mit fünf Belegen als Leitmotiv markiert (im Text unterstrichen). Vom ersten Appell zur abschließenden Versicherung, Gott werde dieses Handeln wahrnehmen (rh.n ntr), werden Handeln und Motivation nachgezeichnet. Dem Appell zum Denkmalbau, der die Definitionsreihe eröffnet, schließen sich zwei Sätze an, die das Handeln allererst begründen. Beide zielen auf eine Existenz über den Tod hinaus, was daran ablesbar ist, dass die genannten Nutznießer, Name und bl, Aspekte der den Tod überdauernden Existenz eines Menschen sind.75 Das geforderte Handeln umfasst neben dem Denkmalbau Priesterdienst im täglichen Kult und Opfer.76 Die weißen Sandalen (hd. tj) als Sinnbild der Reinheit des kultisch Handelnden knüpfen bewusst an die Orthopraxie an.77 Alle Bestimmungen zählen die Elemente des gelingenden Kultes auf, und die Tätigkeiten werden jeweils als nützlich (3h) für den bezeichnet, der sie ausführt.78 So eindeutig die Handlungsanweisungen sind, gehen die ihnen zugeordneten Begründungen doch deutlich über sie hinaus: zum einen durch eine Ausweitung der angesprochenen Personengruppe, die jeden Mann von Rang 74

Wörtlich „lebendig machen des Namens". Zum bi als vornehmlich jenseitigem Konzept vgl. ZABKAR, Ba concept, 162: „Moreover, this Ba is not a part of the deceased but is in effect ... the deceased himself in the fullness of his being, physical as well as psychic." 75

76

77

V g l . BLUMENTHAL, Z Ä S 1 0 7 , 2 6 .

Vgl. SCHWARZ, Symbolik, 69-84. 78 Zur Weite dieses Begriffs vgl. JANSEN-WINKELN, ,Horizont' und .Verklärtheit', 215: „In ihrer Grundbedeutung bezeichnet die Wurzel ih in allen Zusammenhängen eine Wirksamkeit besonderer Art, nämlich eine ohne erkennbaren Kausalzusammenhang zwischen Wirkung, Handlung und Handelndem."

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II. Vom König zum Gott des Einzelnen

(.zj) in die Rolle dessen setzt, der auf solche Weise Nützliches für sich tut, zum anderen durch die pointierte Ausweitung der Handlungsfolgen für Ewigkeit und Zukunft. Die Verhältnisse werden auf die Spitze getrieben, indem das begrenzte Handeln eines Tages oder nur einer Stunde in seinem Wert für die Ewigkeit apostrophiert wird. Die Aussicht auf die Ewigkeit abschließend wird ihr Grund beschrieben und damit auch das religiöse Moment der beiden vorangehenden Sätze verdeutlicht. Gott, für den der Mensch handeln soll, nimmt dessen Handeln wahr. Deshalb sind jede Stunde und jeder Tag für die Ewigkeit von Bedeutung. Alles Tun wird vor dem Horizont der Ewigkeit bewertet, wodurch eine neue Einschätzung des Handelns etabliert wird. Der zweite kultische Abschnitt eröffnet den vierten und letzten Teil der Lehre (E 108-144), in dem sich auch der bekannte Schöpfungshymnus findet: E 108-112 Baue Tempel im Delta! Der Name eines Mannes (rn n(j) z(j)) wird nicht gering werden infolge dessen, was er getan hat (Jrj.t.n=f )... Der Schweiger wird zum Gewalttätigen, wenn die Altäre geschädigt werden, indem Gott den angreift, der gegen den Tempel rebelliert. Es soll über ihn kommen, so wie es das Seine ist. Er wird zu einem, der sich sättigt mit dem, was er als Falle gegen ihn zu stellen bestimmt hat. Wer ihm loyal ist (hr mw-f), wird nicht geholt werden an jenem Tag des Kommens (hrw(w) n(j) jwj.t). Statte die Altäre reich aus, verehre Gott!

Der Aufruf zum Tempelbau wird mit einem neuen Aspekt verbunden. Das Handeln für Gott wird um die Frage nach der Loyalität gegenüber Gott ergänzt. Deutlich ausformuliert ist die Ambivalenz des göttlichen Handelns. Die Loyalität Gott gegenüber entscheidet über den Schutz, den er einem Menschen zukommen lässt, ebenso wie die Rebellion ihm gegenüber über die Vergeltung entscheidet, die dem Handelnden widerfährt. Einen eigenen Schwerpunkt erhält E 108-112 durch die fokussierte göttliche Abwehr von Frevlern und Tempelschändern. Sie wird kontrastiert von der Zusage des göttlichen Schutzes am Tag des Kommens (hrw(w) n(j) jwj.t) für jeden, der ihm loyal ist. Gott verteidigt den Tempel gegen den Einbruch des Chaos. Er garantiert den Bestand des Tempels und hält die zerstörerische Tat fern. Der Kampf gegen den Tempelstörer ist nicht nur Bestrafung eines Einzelnen, sondern die prinzipielle Verteidigung der Ordnung und des heiligen Raumes durch Gott selbst.79 Die Aussage, die vom Frevler versuchte 79

Zur Bedeutung des Tempels als Abbild der geordneten Welt vgl. ASSMANN, Theologie und Frömmigkeit, 43-50.

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des Unglücks

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böse Tat richte sich gegen ihn selbst, wird eng mit dem Handeln Gottes verbunden. Im Kontrast zur Bestrafung des Aufrührers wird dem Loyalen (hr mw=f, wörtlich „auf seinem Wasser") Schutz zugesagt. Er soll am Tag des Kommens, welches der Todes- und Gerichtstag ist, nicht von der Fresserin geholt werden, sondern unversehrt bleiben. Gottes Schutz und Gottes Strafe werden dem Menschen je nach Maßgabe seines Handelns in Aussicht gestellt.80 Von einer anonymen oder selbsttätigen Ordnung kann auch in der Lehre für Merikare keine Rede sein. Der dritte Appell (E 127-130) zum kultischen Handeln schließt sich unmittelbar an Aussagen über die Unerkennbarkeit Gottes und die Vergänglichkeit des Menschengeschlechts an. In Aufnahme dieser Konzentration auf die Endlichkeit verbindet er Aufforderungen zur Grabausstattung mit solchen zum Tempelkult. E 127-130 Mache dein Haus des Westens vortrefflich. Mache deinen Sitz der Nekropole schön durch Gerechtigkeit (m- cq>), durch Tun der mF.t (m- jrj.t m>c.t). Das ist es, worauf sich ihr Herz (jb^sn) stützt. Angenehmer ist der Brotfladen/ Charakter (bj.i) des Rechtschaffenen ( c ql-jb) als der Ochse des Übeltäters (jrjjsf.t). Handle für Gott, er handelt entsprechend für dich (jrj n- ntr jrj~f rpk mjt.t), mit Opfern, die den Altar reich versehen, mit Einmeißelungen, dein Name ist ein Hinweis, Gott kennt den, der für ihn handelt (s:s> ntr m- jrr n-f )

Zwei Neuerungen gegenüber den bisher besprochenen kultischen Texten finden sich an dieser Stelle, die inhaltlich zu bedenken sind: Zum einen die ethische Ausdeutung des Handelns, zum anderen die pointierte Formulierung eines Handlungskreislaufs zwischen Gott und Mensch.81 Anfang und Ende des Abschnitts fordern ganz im Duktus der vorangegangenen Texte zur kultischen Orthopraxie auf. Der Angesprochene soll sich um seine Grabausstattung kümmern und Opfer bringen. Innerhalb dieser Zeilen wird das geforderte Handeln jedoch vor allem in ethischer Hinsicht gedeutet. Wieder ist das Handeln (jrj) Leitwort, wobei durch die Wiederholung verschiedene Aspekte parallel gesetzt werden: das Handeln für Gott und das Handeln in Gerechtigkeit (m- cqf) und mlc.t. Verstärkt wird der Bezug der beiden Aspekte 80 Die gleichen Alternativen zeigen sich unter anderem in den loyalistischen Lehren, in denen auf diese Handlungsdichotomie noch einmal zurückzukommen sein wird. Schon in der Lehre für Merikare spiegelt das Strafhandeln Gottes das vom König im ersten Teil der Lehre Geforderte. Diese Spiegelung sorgt einerseits für eine Legitimation des königlichen Handelns, andererseits wird deutlich, dass der König selbst dem Strafhandeln Gottes zum Opfer gefallen ist, weil er gegen die m>c.t verstoßen hat. 81 Zur Rede vom Handlungskreislauf vgl. der Sache nach auch FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 57.

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II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

durch die in der Mitte des Abschnitts stehenden Sätze über die Wertigkeit von Opfern. Wichtiger als deren Größe ist offenbar die Einstellung der Opfernden. Das Tun der m¥.t anstelle von isf.t wird in diesen Zeilen als ebenso auf den Gott bezogen beschrieben wie der Vollzug kultischen Handelns und wird diesem sogar vorgeordnet. Ordnung und Gerechtigkeit gehören ausdrücklich in die Beziehung zum Gott hinein. Das Handeln für Gott wird somit zum Beginn eines umfassenden Handlungskreislaufs: Das Handeln des Adressaten im Gegenüber zu Gott und das Handeln Gottes entsprechen und bewirken einander gegenseitig. Der Appell beginnt mit der Aufforderung, sich um den Verbleib im Westen, um einen geeigneten Platz in der Nekropole zu kümmern.82 Der Aufruf gehört zu den standardisierten Appellen, sich um sein Grab zu kümmern und bezeichnet die materielle Vorsorge für die Existenz nach dem Tod. Die Lehre für Merikare räumt jedoch dem Angesprochenen in den ethischen Ausführungen eine neue Möglichkeit ein, sich um sein Verbleiben im Jenseits zu kümmern. Rechtschaffene und Übeltäter werden einander in ihrem Jenseitsergehen gegenübergestellt, als würden handelnde Menschen im Allgemeinen angesprochen und nicht ein König im Besonderen. Wie in den vorangegangenen kultischen Abschnitten werden die vor allem auf den König zu beziehenden Aufforderungen mit allgemeineren, an den Menschen gerichteten Appellen verbunden.83 Die neue Möglichkeit, die der Einzelne gewinnt, wird jedoch auf anderer Ebene eingebunden. Es bleibt nicht bei der Aufforderung, sich um den Bau eines Grabes zu kümmern, sondern dieser Grabbau wird metaphorisch gedeutet, da die einzig wirksame Vorsorge für das Jenseits das Handeln im Rahmen von Gerechtigkeit und mf.t ist. Das Wohlergehen im Jenseits wird an der mlc.t im Diesseits bemessen. Die Aufforderung zu einem Handeln für Gott umschließt den zweiten Abschnitt des Appells und wird in beiden Zeilen dem Handeln oder Wahrnehmen Gottes gegenübergestellt. Es ergibt sich auf diese Weise ein Handlungskreislauf zwischen dem handelnden Menschen und dem agierenden Gott. Das Handeln für die jenseitige Existenz besteht sowohl in der materiellen Vorsorge für ein Grab als auch in der Hinwendung zu Gott, im Handeln für ihn, das im Tun der mlc.t besteht. Ordnung und Recht werden in dieser Lehre religiös fundiert, wodurch König und Mensch in gleicher Weise dem 82

Bei dieser Aufforderung handelt es sich um ein häufig formuliertes Segment, vgl. MOERS, Fingierte Welten, 127. MOERS schließt aus dem „kritiklosen Charakter der Übernahme" auf das rhetorische Prinzip der imitatio, die an der Autorität des Prätextes anschließen würde. Durch die deutlich ethische Ausrichtung des Kontextes unterscheidet sich die Aufnahme des Motivs in Merikare allerdings von der bloßen imitatio. 83 Anders BLUMENTHAL, die ausgehend von diesen Beispielen davon spricht, dass der König unter Umständen auch Mann von Rang (zj) genannt werden könne, also weiter davon ausgeht, es werde hier nur der König angesprochen, obwohl sie selbst eingesteht, dass allgemeingültig formuliert werde. Vgl. BLUMENTHAL, Die Rolle des Königs, 13 Anm. 45.

A. Ein Mann hat keine Untertanen am Tag des

Unglücks

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Gott der Lehre gegenüber als Handelnde in den Blick genommen werden. Das Tun oder Lassen der m]c.t wird als ein Handeln vor oder für Gott beschrieben, das wegen dieses Gegenübers weitreichende Folgen in sich trägt. Schon in den vornehmlich kultischen Appellen wird das Handeln vor den gedanklichen Horizont der Ewigkeit gestellt. Ausblick allen Handelns wird so das Bleiben oder Bestehen im Jenseits, das mit dem Sehen und Handeln Gottes schon im Lebensverlauf, also im Diesseits, anhebt. c) König und Mensch vor dem

Jenseitsgericht

„Mögest du gerechtfertigt sein bei Gott" (s:m)c-hrw=k r-gs ntr [E 30]),84 wünscht der abtretende Vater seinem Sohn und Nachfolger König Merikare zu Beginn des zweiten Abschnitts der Lehre. Er erhofft für den Sohn damit etwas, das ihm selbst nicht vollständig zuteil geworden ist. Er selbst hat gegen die m)c.t gehandelt und hat die sich aus dieser Fehlhandlung ergebenden Konsequenzen schon im Leben tragen müssen. Vor Gott als m^.i-gemäß Lebender zu gelten, vor ihm gerechtfertigt zu sein, entscheidet auch beim König über das diesseitige wie jenseitige Leben. 85 In dieser Hinsicht ist der Vers eine Vorwegnahme des Totengerichtsthemas in E 53ff. und eröffnet eine für die Lehre als ganze konstitutive Verstehensebene: die in Hinblick auf die Vergänglichkeit (E 40/ 41) formulierte Beschreibung des Menschen als verantwortlichen Einzelnen gegenüber einer Letztinstanz, die über sein ethisches Leben befindet. Das Gegenüber der Verantwortung ist hier zunächst Gott. Im weiteren Verlauf der Lehre wird diese Verantwortlichkeit entsprechend den vorhandenen mythologischen Vorgaben weiter ausgeführt. „Tue die mlc.t, damit du auf Erden dauerst", mahnt der Vater seinen Sohn (E 47) und deutet den noch ganz auf das diesseitige Ergehen bezogenen Appell auf das verantwortliche Verhalten des Königs gegenüber seinen Untertanen, denen er sich als der erweisen soll, der die Weinenden beruhigt und das Recht der Geringen achtet.86 Die Warnung vor der unaufhaltbaren Totenseele (bJ) der Personen, die ein König möglicherweise ohne Nutzen getötet hat, leitet zu einer erweiterten Perspektive auf das (königliche)

84

Unveröffentlichte Übersetzung von JUNGE. Dass der gute Charakter der Himmel eines Menschen ist (p.t -pw «=/z(j) jwn nfr), wird kurz nach diesem Zitat betont (E 31) und weist wiederum daraufhin, wie wichtig Charakter und Taten für das Schicksal des Menschen genommen werden. 86 Dieses königliche Handeln wird motivisch in der „kleinen Genesis" am Schluss der Lehre wiederholt, in der allerdings das Handeln Gottes beschrieben wird. Das vom Vater formulierte königliche Ideal, der Anspruch der m>c.t, ist für den Vater zu einem Stolperstein geworden. Er hat gezeigt, dass er die ihm zugedachte Rolle nicht vollständig auszufüllen vermag. An seiner statt handelt zuletzt der Gott, ihn zugleich unterstützend und im Sinne der dichotomischen Handlungsbestimmung bestrafend. Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 255. 85

64

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Handeln über, indem zum ersten Mal ausdrücklich auf das im Jenseits zu erwartende Gericht angespielt wird. E 53-56 Das Gericht (dldi.t), das die Bedrückten (s>ry.w) richtet (wd% du weißt (rh.n^k), dass sie nicht milde (sfn.w) sind c an jenem Tag des Richtens (hrw-pf n(j) wd ) der Bedrängten (mSr.w) Vertraue nicht (m mh jb~k) auf die Länge der Jahre (m- >w.w rnp.(w)t). c c Sie sehen die Lebenszeit ( h .(w)) in einem Augenblick (m- wnw.t) an. Ein Mensch (zQj) bleibt nach dem Sterben übrig (m-ht mnj), c c nachdem seine Taten als Endbetrag ( h .(w)) neben ihn gelegt wurden. Die Ewigkeit (nhh) ist doch die Existenz (wn jm) dort. Ein Tor (wh>) ist, wer macht (jrj), was man tadeln {tz(j).t"St) wird. Wer es aber erreicht (ph), ohne Böses .tgemäß verhaltender Mensch solchen Leiden nicht ausgesetzt sein dürfte. Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 258. Diese Interpretation betrachtet die Altersbeschreibung jedoch unter einem zu begrenzten Blickwinkel. Wie in Sinuhe, wo die Nähe des Todes mit ähnlicher Intensität dargestellt wird, sollte die Schilderung der Todesgebrechen vor allem als Manifestation des sich nahenden Todes gesehen werden. Diese Krisensituation bringt in der Erzählung von Sinuhe den Wendepunkt und ist auch in der Lehre des Ptahhotep der Auslöser einer Wende. Vgl. ASSMANN, Sinngeschichte, 159. 115 Vgl. BLUMENTHAL, Stab des Alters, 84-97. 116 Vgl. BLUMENTHAL, Stab des Alters, 84: „So erweist sich der Wunsch nach einem ,Altersstab' und mit ihm die ganze Rahmenhandlung als literarischer Vorwand, um die anschließenden Unterweisungen zu motivieren und zu autorisieren." Diese Interpretation räumt der Rahmung jedoch zu wenig Bedeutung für das Verständnis der Lehre ein. 117 Vgl. 2 Ä B A , Les Maximes de Ptahhotep, 17f.; Übersetzung nach LICHTHEIM, Ancient Egyptian Literature I, 63.

B. Das Herz ist König

77

Vorzeit verwiesen.118 Im Abschluss wird dann der zuerst ohne spezielles Gegenüber dargestellte Gehorsam als religiös fundierte Fügsamkeit gegenüber den Göttern präzisiert. Der Lehrplan schließt sich an die Erfahrungen und das Wissen der Vergangenheit an und versteht sich zudem als von den Göttern gefordert. Die Majestät dieses Gottes (hm n- ntr -pri) beantwortet im dritten Teil des Prologs (36-41) die Bitte des Ptahhotep und gibt den Lehrauftrag. Die Götter (ntr.w), die im vorangehenden Vers erwähnt werden, und die Majestät des Gottes {hm n- ntr -pri) als Bezeichnung des Königs stehen so dicht beieinander, dass sie aufeinander verweisen. Der Gehorsam gegenüber den Göttern wird durch diese Formulierungen mit dem Hören auf den König, der die Majestät bzw. irdische Gestalt des Gottes ist, vermittelt.119 Er gibt den nun folgenden Lehrauftrag in Übereinstimmung mit den Göttern. Durch die zum Teil wörtliche Übereinstimmung von Lehrbeschreibung und Lehrauftrag wird der von Ptahhotep formulierte Lehrplan vom König autorisiert, wird jedoch zugleich inhaltlich weitergeführt, wobei der König den gesellschaftlichen Aspekt der Beispielhaftigkeit hinzufugt. Auf diese Weise wird er seiner Rolle als Repräsentant der Gesellschaft gerecht. 37-41 Belehre (sbi) ihn also bezüglich früherer Rede (r- md.(w)t hr- h>.t); möge er den Kindern der Würdenträger ein Beispiel (bjT) sein, und trete das Hören in ihn ein ( c q-sdm.j n - f ) und alle Ermahnung (mt.t jb), die ihm gesagt wird es gibt denjenigen nicht, der verständig (sJJ) geboren worden ist. 120

Die Belehrung über die frühere Rede (r- md.(w)t hr- h>.t) nimmt die Motive aus dem Lehrplan auf und kombiniert sie neu. Aus der Rede der Vorfahren (jmjw-hlt) wird die frühere Rede. Im Anschluss daran geht die Beschreibung der Lehre über in die Formulierung ihrer Ziele und die Begründung ihrer Notwendigkeit. Dabei formuliert der König vor allem die „gesellschaftliche Relevanz" der pädagogischen Sorge, die über die Belehrung eines Nachfolgers hinausgehen soll.121 Die Reihenfolge der pädagogischen Leitbilder gibt

118

Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 213: ,,xhr ist ein zentraler Begriff des Textes, der von der Formgebung des eigenen Handelns über die Zielkonzepte richtigen Handelns bis hin zur Ausgestaltung des eigenen Daseins reicht...". JUNGE wählt wegen dieser Weite des Begriffs „Trachten" als Standardäquivalent. 119 Zur Bedeutung der Titel vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 98f. 120 Die Übersetzungen der Ptahhoteptexte orientiert sich, wenn es nicht anders angegeben ist, an der Übersetzung von JUNGE, Lehre Ptahhoteps. 121 LACOMBE-URAL, Le Prologue de Ptahhotep, 283-295, vertritt die These, dass die Antwort des Königs absichtlich nicht auf die Frage nach dem Altersstab eingeht, sondern stattdessen den allgemein gesellschaftlichen Diskurs fordern will. Dieser Meinung schließe ich mich nicht an. Der König nimmt Teile des Vorschlags Ptahhoteps sogar wörtlich auf.

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II. Vom König zum Gott des Einzelnen

das Interesse des Königs am Bildungsprozess wieder: Zuvorderst soll der Zögling selbst zu einem Vorbild werden. Seine Erziehung wird zunächst in Hinblick auf ihre Relevanz für sein Umfeld betrachtet. Erst an zweiter Stelle formuliert der König das innere Erziehungsziel, das an sich bereits die Voraussetzung für seine Vorbildfunktion bildet. Das zweite Bildungsziel umschließt Herzenseigenschaften, die der Schüler vom Lehrer direkt übernehmen soll: Hören bzw. Gehorsam und Zuverlässigkeit sollen Früchte der Lehre sein.122 Verständnis oder Fertigkeit (sti) fallt niemandem mit der Geburt zu, deshalb, so beschließt der König den Lehrauftrag, sind Belehrung und Vorbilder notwendig.123 Die Lehre enthält ein doppeltes Zeitprinzip, in dem die lineare Entwicklung des Einzelnen vom Ungebildeten zum Gebildeten am Maß des gleichbleibenden, sich stets in jeder Generation erneuernden Wissens ausgerichtet wird. Die grundsätzlich für jeden Menschen bestehende Notwendigkeit, belehrt zu werden, schließt den Prolog ab und leitet über zur Einleitung der Lehre, in der noch einmal die Figur des Königs Erwähnung findet. Das geschieht durch eine zweite Nennung des Sprechers der Lehre, der mit seiner vollständigen Titulatur vorgestellt wird. Die Frage nach dem Sprecher wird, anders als am Beginn des Prologs, hier jedoch nicht existentiell beantwortet, sondern mit dessen besonderem Verhältnis zum König, das sich in den nun aufgezählten Epitheta des Ptahhotep zeigt. Die in den Versen 43-44 aufgenommenen Titel „Fürst, Graf, Gottesvater, Gottesgeliebter, leiblicher Königssohn, Bürgermeister und Wesir" geben dabei keine tatsächlichen Verwandtschaftsbeziehungen zum König wieder.124 Vielmehr handelt es sich um Ämter, deren Rang in Bezug auf den König formuliert wird. Die Nähe zu ihm bestimmt die Höhe des Ranges. Dabei ist es nicht die menschliche Person Gleichwohl fallt tatsächlich auf, dass er eine Ausweitung der erwünschten Belehrung formuliert. 122 Gerade im Bezug auf persönliche Qualifikationen wie Gehorsam und Loyalität zeichnen sich die Lehren durch eine besondere Hellsichtigkeit aus. Charakterliche Vorprägungen, die hier als Prädestination durch die Götter beschrieben werden, und persönliche Einflussnahme von Eltern und Lehrern werden als zusammen auf den Zögling wirkende Kräfte wahrgenommen. Gerade die nicht gelingende Belehrung wird damit nie monokausal erklärt. Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 95: „Wo die Tugenden die Orientierung an der Ordnung der Ma'at repräsentieren, repräsentiert Gott die Ereignisbewegungen des Lebens, repräsentiert er Kontingenzerfahrung." Diese Einsicht ist ausgesprochen wichtig für die richtige Einschätzung des freien Willens Gottes in den Lehren des Neuen Reichs. Er ist dort nicht so neu, wie man zu glauben geneigt ist. 123 si.w wird in etlichen Übersetzungen als „Weisheit" übersetzt. Zur Übersetzungskritik gerade auch für diese Stelle vgl. LICHTHEIM, Moral Values in Ancient Egypt, 5-6, sowie DIES., Didactic Literature, 261. Anders PARKINSON, Poetry and Culture, 258f.: „... but in the teaching the learning process is so generalized and intangible that a sense of ,wisdom' is inevitable." 124

V g l . BLUMENTHAL, G o t t e s v ä t e r , 1 0 - 3 5 .

B. Das Herz ist König

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des Königs, sondern der König als Inhaber des göttlichen Amtes, dessen Nähe die Ehre des Titels bestimmt. Zweimal wird der König in diesen ersten Zeilen als ntr bezeichnet, in beiden Fällen allerdings innerhalb überkommener Amtstitel und in offenkundiger Unterscheidung zur im übrigen Rest der Lehre verwendeten Rede vom Gott, ntr. Im ersten Fall soll der Gehorsam gegenüber den Göttern in der Majestät dieses Gottes vermittelt wieder aufgenommen werden. Aber auch die Funktion des zweiten Belegs ist offensichtlich: Die rahmende und der Rede ihren Auftrag gebende Funktion des Königs wird noch einmal pointiert aufgenommen. Der Redende ist vom König beauftragt und definiert sich durch seine Nähe zum König, was auch den Inhalt der Lehre als königlich legitimiert ausweist. Der Gehorsam gegenüber den Göttern ( s d m n- ntr.w) wird so im Lehrauftrag der Majestät des Gottes (hm n- ntr -pn) innerlich fortgeführt, dem die Lehre des Gottesvaters (jtj ntr) entspricht. Die Rückbindung der Lehre an den König wird verbunden mit einer Rückbindung an die Götter, die im Gegensatz zum König auch im Lehrinhalt selbst eine wichtige Rolle spielen. Die Vermittlung der gesellschaftlichen Relevanz der Lehre mit ihrer religiösen Rückbindung wird also bereits im Prolog vollzogen. Die gegenüber den Göttern vermittelnde königliche Autorität wird innerhalb der Lehre dann zunehmend durch die Autorität Gottes als Gegenüber ersetzt. Diese Bewegung wird jedoch durch die Formulierung von Prolog und Einleitung der Lehre bereits vorweggenommen. Innerhalb der Lehre findet der König keine Erwähnung mehr. Das Gegenüber allen Handelns ist in ihr unmittelbar der Nächste, der Untergebene, der Höhergestellte oder der Gott und nicht der König.125 Erst am Schluss der Lehre fungiert der König noch einmal als Empfänger des Handelns. 640-644 Was ich auf Erden geleistet habe, wird nicht gering sein, denn ich habe 110 Jahre im Leben verbracht bei Großzügigkeit (n- dd n~j) des Königs (nzw) mit Gunsterweisen über die Vorfahren hinaus vermöge der mlc.t-Ausübung (jr.t m>cA) für den König bis zur Seligkeit (s.t-jmih).

125 Zusammenfassend beschreibt diese Unterscheidung von auf den König ausgerichteter Rahmung und dem Gott verpflichteten Maximen JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 144f.: „Die Mächtigen handeln allem Anschein nach für Gottes Lohn, sie sind nur dem eigenen richtigen Verhalten verpflichtet (§ 2.4). Was natürlich perspektivisch zu sehen ist: Der König tritt am Anfang der Lehre und an ihrem Ende auf, er ist zwar nicht der Initiator, aber der Beauftragende; in gewisser Weise schaut er dem Geschehen zu, ist er wohlwollender Betrachter. Er läßt es geschehen, aber es geschieht ohne ihn - der Oberherr will die selbsttragende Funktionalität seines Apparats."

80

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Die Formulierung erinnert sicher nicht zufallig an die Handlungsbeschreibungen in der Lehre für Merikare. Das Handeln für einen anderen, sei es Gott, sei es der König, ist motivisch fest in den Lehren verwurzelt. In Merikare ist Gott das Gegenüber dieses Handelns, und auch in den Maximen des Ptahhotep wird das Handeln als Handeln im Gegenüber zu Gott beschrieben. Einzig im Abschluss des Epilogs wird dieses direkte Handlungsverhältnis zu einem Gott noch einmal in die gesellschaftliche Beziehung zum König eingebunden. Ob es nun, wie Junge annimmt, der Wille des Königs ist, dass seine Untertanen in Selbstverantwortung leben und eine „selbsttragende Funktionalität" ausbilden, oder ob nicht viel eher die Rückbindung an den König ein notwendig geschuldeter gesellschaftlicher Kompromiss ist, der deshalb nur am Rand erwähnt wird, stellt sich je nach gewählter Perspektive verschieden dar. Die Lehre richtet sich an den eigenverantwortlichen Elitefunktionär, der sein moralisches Verhalten kaum auf den König bezieht, sondern sich zum Gott der Lehren verhält.126 Die Rahmung der Lehre nötigt ihm den für das gesellschaftliche Handeln notwendigen Kompromiss ab, dieses Handeln als nicht nur gegenüber dem Gott, sondern auch gegenüber seinem Statthalter auf Erden, als der der König im Prolog mit der Bezeichnung Majestät dieses Gottes (hm n- ntr -pn) bewusst benannt wird, verantwortet zu wissen. Dabei zeigt die Formulierung des Mittelteils, dass die Rolle, die der König in der Rahmung innehat, nämlich das Gegenüber des mJc.t-gemäßen Handelns zu sein, in den Maximen vom Gott ausgefüllt wird. Im Zentrum der Lehre ist es der Gott, der dieser Ordnung ein Gesicht gibt. b) Ist das Ende da, so währt doch mf.t Die im Epilog aufgenommene Rede vom Tun der mV.t für den König verbindet den Bezug allen Handelns auf den König, der in der Rahmung thematisiert wird, mit dem auch im Lehrteil angesprochenen Appell zum Tun der m>c.t. Die m)c.t wird häufig als die entscheidende Grundlage der Lehren angesehen.127 Gleichwohl wird sie nur selten so ausführlich behandelt wie in der Lehre des Ptahhotep. Nach einem Abschnitt über „das Verhalten auf der politischen Bühne"128 (§§ 2-4) wird die m>c.t gleich am Anfang der Lehre in den Maximen 5 (84-98) und 6 (99-118) thematisiert. Sie erscheint auch in diesen Maximen nicht als gesichtslose Ordnung, vielmehr wird mit ihr der die Ordnung verteidigende und ihr Person verleihende ntr (Gott) eingeführt, m/. t

126 Gleichzeitig bezieht er sein Handeln natürlich auf den König, wie es ja die Rahmung zeigen kann. 127 Vgl. BRUNNER, Weisheitsbücher, 11-17, sowie DERS., Der freie Wille Gottes, 103-120, wo er auch die Aufhebung der mic.t in den Lehren des Neuen Reichs durch den freien Willen des Gottes darstellt. Vgl. auch ASSMANN, Ma'at, 8ff. 128 JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 173.

B. Das Herz ist König

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und ntr werden als zwei sich gegenseitig deutende Aspekte der einen Ordnung beschrieben. Thema der 5. Maxime ist das Verhältnis des Einzelnen, des hohen Beamten, zur Gemeinschaft. 129 Über diese Adressatenbestimmung hinausgehend ist die Maxime nicht weiter situationsgebunden, sondern formuliert eine allgemeine ethische Grundlegung des Handelns. 84-98 84 Wenn du in leitender Position (ssm. w) c 85 den Rat/ Plan (shr.w) der Vielen ( s>.t) bestimmst, 86 dann sinne (hhf) einfach für dich auf jede Form des Wohlhandelns (nb mnh), 87 bis dein Trachten (shr) ohne Böses (nn jw) ist: c 88 m> .t ist groß (wih), dauerhaft die Wirkung (spd.t), 89 sie ist nicht beeinträchtigt worden (hnn) seit der Zeit des Osiris; 90 man straft (hsf(.twj n) den, der die Gesetze (hp.w) nicht achtet (s:w>j). c 91 Als Vergängliche (s:w>.t) aber erscheint sie dem Habgierigen ( wn-jb); 92 es ist nun zwar der Geiz (ndy.t), der Reichtümer zusammenrafft, 93 aber (mj c .r)-Missachtung (dly.i) hat ihr Ziel niemals erreicht (mn(j) zp^f); 94 ... (95 jener muss sagen: „ich will einbringen um meiner selbst willen!" 96 und kann nicht sagen: „Ich werde einbringen nach meinem Verdienst.") 130 c r 97 Ist das Ende da (wn phw.y), so währt doch m> .t (m> .t w>h=s) 98 ...

Die Dreigliedrigkeit der Maxime, die sich in Situations-, bzw. Adressatenbeschreibung (84-85), Appell (86-87) und Begründung (88-97) unterteilen lässt, ist deutlich zu erkennen. Erst innerhalb der ausführlichen Begründung wird die m)c.t erwähnt, aber schon die vorausgehend verwendeten Handlungsbestimmungen können hilfreich sein für eine Definition der mlc.t. Ort, Art und Abgrenzung der Lebensordnung lassen sich schon aus den vier Anfangszeilen bestimmen. Die Adressatenbestimmung der Maxime (84f.) nennt den Einzelnen, der die shr.w der Vielen bestimmt, und nimmt damit einen aus dem Lehrplan (3032) bekannten Terminus auf, der zu einem der wichtigsten Begriffe der

129

,j:smw" - jemand, der andere anleitet, eine Führungspersönlichkeit, vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 213. 130 FECHT, Der Habgierige und die Maat, 20ff. und BURKARD, Textkritische Untersuchungen, 81 ff., gehen davon aus, dass die Zeilen 95-98 nicht hierher, sondern in die sechste Strophe gehören. Diese Textverderbnis nimmt JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 215, nicht an. Tatsächlich passt der Doppelvers formal sehr gut in die sechste Strophe, muss aber gleichwohl nicht zwingend aus der fünften Strophe ausgeschieden werden, da es sich auch an dieser c Stelle um eine Durchführung des Themas der m> .t handelt.

82

II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

Lehren gezählt werden muss, den Lebensplan oder die Lebensführung, shr.m Der sich anschließende Appell nimmt den Begriff des shr ein zweites Mal auf. Der Angesprochene soll sich aus Verantwortung für die shr.w der Vielen um den eigenen shr kümmern. Der eigenen Lebensgestaltung korrespondiert also eine überindividuelle Verantwortung, insofern der Plan der Vielen von ihm abhängt.132 Deshalb wird der Appell (86f.) formuliert, sich mit großer Energie dem richtigen Handeln zuzuwenden und den bösen shr auszumerzen. Zwei inhaltliche Bestimmungen markieren die geforderte Ausrichtung des shr: Er soll dem Wohlhandeln entsprechen und Böses meiden. Beides, Wohlhandeln (mnh) und Böses (jw), sind Verhältnisbegriffe133, also Bestimmungen eines Handelns, das an einer vorgegebenen Ordnung zu bemessen ist. Auf diese Art weisen die beiden abgrenzenden Bestimmungen des Handelns als „trefflich" und „ohne Fehl" auf den Begründungsteil der Maxime voraus, der mit Aussagen über die mic.t beginnt und endet. In beiden Versen wird das Dauern (wjh) der m]c.t betont. Diese Immunität der Ordnung in den Wechselfällen der Zeit wird in den von den beinahe identischen Sätzen gerahmten Versen weiter ausgeführt. Der Zeitraum der mic. t beginnt mit der Zeit des Osiris und dauert über das Ende hinaus an. Das bedeutet, dass sie seit Menschengedenken nicht verändert wurde und auch von Tod und Zerstörung nicht beeinträchtigt werden kann.134 Dieser Dauer kann der Habgierige nicht trauen, der die mJc.t als etwas Vergängliches betrachtet. Zuletzt wird er allerdings nur sich selbst als Vergänglichen erleben. Die Maxime betont die Dauerhaftigkeit der mic. t, gerade diese Beständigkeit aber vermag der Habgierige nicht zu erkennen. Die negative Abgrenzung setzt sich auch in den folgenden Zeilen fort. Hier wird konzediert, dass Geiz oder Gemeinheit Reichtümer zusammenbringen können, kontrastiert wird dieses Zugeständnis allerdings mit der unmissverständlichen Aussage: 131 Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 213: „shr ist ein zentraler Begriff des Textes, der von der Formgebung des eigenen Handelns über die Zielkonzepte richtigen Handelns bis hin zur Ausgestaltung des eigenen Daseins reicht..." 132 Diese Abhängigkeit der Lebensführungen trägt auch ohne weitergehenden Appell eine Art kategorischen Imperativ in sich, nur einen solchen shr auszubilden, von dem man auch wollen kann, dass er zum shr der Vielen wird. 133 Zumal mnh zeigt sich mit der wörtlichen Bedeutung „trefflich" als an einer vorgegebenen Bestimmung von gutem Handeln orientiert, vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 213f. 134 JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 88, verbindet die Rede von der Zeit des Osiris mit der als „Neunheit von Heliopolis" bezeichneten Schöpfungslehre: „Aus Atum geworden, bringen die göttlichen Prinzipien Leben und Richtigkeitsordnung ihrerseits Himmel und Erde hervor, indem sie Nut und Geb gebären, und diese dann mit Osiris, Isis, Horus und Seth jene kosmologischen Kräfte, die in ihrem Zusammenwirken die Konstituenten der Jetztzeit und Jetztwelt, des hic et nunc, der .Präsenz' (Derrida) bilden, von Staat, Menschenwelt und Menschenzeitalter - und so gilt für die Ma'at, was die 5. Maxime über sie gesagt hatte: ,sie ist nicht beeinträchtigt worden seit der Zeit des Osiris'."

B. Das Herz ist König

83

„Unrecht tun (dfy.t) hat noch nie sein Unternehmen sicher in den Hafen gebracht." 135 Nachdem die myc.t zuvor (88f.) in der Vergangenheit verankert worden war, wird das Prinzip nun auf die Zukunft ausgedehnt. Dabei ist die Zukunft sowohl diesseitig als auch jenseitig zu begreifen. Landen oder in den Hafen kommen (mnj) bedeutet hier zum einen den erfolgreichen Abschluss einer Aktion. Auf metaphorischer Ebene bezeichnet das Verb aber gleichzeitig das sichere Ankommen am schönen Ufer des Westens, den Übergang des Toten in sein Leben jenseits des Todes, jenseits der Diesseitigkeit.136 Stellt sich das Prinzip der m>c. t in der 5. Maxime noch als gleichsam in sich ruhend dar, wird der Horizont in der 6. Maxime um den diese Ordnung setzenden Gott erweitert. Gerade im Kontext der Lebensplanung ist es notwendig, mit dem Handeln Gottes zu rechnen, der menschliche Pläne zunichte machen oder unterstützen kann. Nur unter der Voraussetzung dieses Wissens ist gutes Leben möglich: 99-118 99 Du solltest nicht vorausplanen (jr(j) hrw) für Menschen, 137 100 denn Gott vergilt (hsf) auf gleiche Weise (m-mjt.t). 115 116 117 118

Der Menschen Planen (hrw) ist niemals wirklich geworden (hpr)\ was wirklich wurde (hpr.t), ist Bestimmung Gottes (wd.t ntr). So plan' (ki(j)) du zu leben im Inneren der Zufriedenheit (m- hnw hr.t), was sie (=SH)138 geben, kommt von selbst (dsj).

Hatte die vorangehende Maxime schon durch ihre Rahmung mit der unverändert dauerhaften m?c.t deutlich gemacht, dass bleibendes Handeln nur im von der mlc.t umgrenzten Bereich möglich ist, so wird hier auf ähnliche Weise ein Handlungsraum vorgegeben, der allerdings nicht von der m>c.t bestimmt wird, sondern vom Gott und von den Göttern. Das Innere der Zufriedenheit (mhnw hr.t) ist in dieser Maxime der positiv umgrenzte Bereich des Lebens und der Lebensplanung. Das Leben in dem so festgesetzten Raum wird dem mit keinem göttlichen Handeln rechnenden Planen entgegengesetzt, das den vorangehenden Abschnitt rahmt. Nicht die mF.t ist nämlich das rahmende 135 136

Übersetzung nach FAULKNER, The Maximes of Ptahhotpe, 162. Vgl. Wb II, 73-74.

137 r

j j hrw bereitet Schwierigkeiten: In dieser Formulierung findet sich der Ausdruck im Wörterbuch nur als „Schrecken erregen". Durch die Parallele zu 115 würde sich allerdings eher der Plan o. ä. nahelegen, vgl. WB III 147,10, das für Zeile 115 Absicht oder Plan annimmt. Leitet man den Ausdruck von hr ab, kann es eine Bereitschaft zum Komplott bezeichnen. Gerade in Bezug auf Zeile 115 scheint es um das Planen überhaupt zu gehen. Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 215. 138 Die Endung =sn bezeichnet in der Lehre auch an anderer Stelle die Götter. Gerade hier wäre es zwar möglich, die Endung auf die vordem erwähnten Menschen (rmt) zu beziehen, die Parallele zu anderen Stellen, in denen der zuletzt genannte Bezug nicht möglich ist, legt allerdings auch hier den Bezug auf die Götter nahe.

84

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Prinzip, sondern im Gegenteil hrw, der (böse?) Plan des Menschen, der der Herrschaft des Gottes widerspricht. Sein Verhältnis zum Gott wird auf zwei verschiedene Weisen ausgedrückt. Er wird von Gott abgewehrt (hsf), hat aber auch von selbst nicht genug Seinskraft, weshalb er im Gegensatz zum gelingenden Plan Gottes (beide Möglichkeiten werden mit hpr — werden formuliert: 115f.) vergehen muss. Dem Planen gegen Gott oder zumindest ohne Gott wird das Leben im „Inneren der Zufriedenheit" entgegengesetzt. Dieses Leben zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht gegen den göttlichen Plan rebelliert, sondern geschehen lässt, was „von selbst" kommt.139 Frieden (hr.t) ist als Gemeinschaftskonzept das Gegenteil zum sich aus der Ordnung durch eigenes Planen herausstehlenden Individuum. Frieden, so vermittelt es diese Passage, wird nur dem zuteil, der sich einzufügen weiß. Die größte Entgegensetzung zum angestrengten Kreisen um das Eigene findet sich in der zitierten letzten Zeile: Die Gaben der Götter kommen von selbst. Die göttlichen Gaben bilden somit eine Grenze jeden menschlichen Bemühens. Gott und die (nur in der Personalendung ~sn anklingenden) Götter haben in der 6. Maxime zwei verschiedene Funktionen. Sie sind Gegenüber menschlicher Verantwortung und gleichzeitig diejenigen, die die Gaben des Lebens verwalten, die kein Mensch sich selbst nehmen kann, sondern die ihm zugeeignet werden. In ähnlicher Doppelbestimmung findet sich der Gott auch in der folgenden 7. Maxime, in der er über die Versorgung des einzelnen mit Nahrung verfügt und zugleich die ethischen Implikationen der Mahlzeit bewacht: 142 Brot zu essen jedoch unterliegt dem Ratschluss Gottes (shr r- ntr), 144 ein Narr (hm), wer sich darüber beschwert (cncy=f).

Mit dieser Formulierung wird eine Maxime beschlossen, die das Verhalten am Tisch des Vorgesetzten beleuchtet. Nahrung, das richtige Verhalten bei der Nahrungsaufnahme und innerhalb einer Tischgemeinschaft werden als unter den Gott gestellt wahrgenommen.140 Wiewohl hier nicht von Leben entscheidenden Handlungsmaximen die Rede ist, so ist doch der Ratschluss Gottes die Verantwortungs- und Begründungsinstanz des Benehmens. Selbst die Nahrungsaufnahme geschieht sub specie aeternitatis, und die Verteilung der

139 Das Leben im Inneren der Zufriedenheit wird auch in den Loyalistischen Lehren motivisch aufgenommen. Dort entscheidet allerdings das Verhältnis zum König über das Innen und Außen einer Person. Siehe zur Stelle. 140 Maxime 7 Verse 119-144, ntr in 142. Vgl. hierzu PARKINSON, Teachings, discourses and tales, 102: „The Egyptologist's assumption of historicity also goes against the tendency of many texts to view their subject matter sub specie aeternitatis: Ptahhotep's instructions on etiquette are presented not as specific practical information about the behaviour of the élite at table, but because 'eating bread is according to the council of God' (ed. ZÂBA, 142)."

B. Das Herz ist König

85

Nahrung wird allein dem Gott verdankt, über dessen Willen und Plan sich kein Mensch hinwegzusetzen vermag. Alles Verhalten des Menschen wird in seinem Gegenüber zum Gott qualifiziert. So wird es treffend in der 10. Maxime zusammengefasst: „ ... gut ( n f r ) sei all dein Verhalten (ssm^k -nb) vor Gott (hr- ntr)u (176).141 Der hier bezeichnete Handlungsraum ist der Raum vor Gott, und jegliches Handeln ist Handeln vor Gott. Im Gegensatz zu dem stumm die Ordnung verteidigenden Gott in den zuvor besprochenen Maximen, erwächst hier ein persönliches Gegenüber, dem sich der Einzelne zu verantworten hat. Das göttliche Gegenüber übernimmt auf diese Weise implizit eine begründende Funktion für die ethische Forderung. Das gute Handeln ist aus keinem anderen Grund gut als aus dem einen, dass es im Gegenüber zum Gott geschieht. Diese Verantwortung gegenüber dem Gott und die geforderte Einbindung in seinen Plan sowie die Ordnung der m>c.t nehmen den Einzelnen in die Pflicht und fordern, dass er sich keinem fremdbestimmten Leben hingibt. Die Selbstbestimmung des Menschen wird in den Maximen Ptahhoteps sehr wichtig genommen. Selbstbestimmung wird dabei als „dem eigenen Herzen folgen" bestimmt und damit gleichsam zu einem royalen Lebensprinzip des Menschen erkoren.142 c) Das Herz ist Leben, Heil, Gesundheit des Menschen Gott und König sind die Konstanten, an denen sich das Handeln ausrichtet, wobei die Art ihrer Einbindung in das Handeln variiert. Ptahhotep berichtet am Ende des Epilogs, er habe m>c.t getan für den König. Die Formulierung eines Handelns für jemanden (jrr «-...) erinnert an den in der Lehre für Merikare thematisierten Handlungskreislauf. Dort verbindet diese Reziprozität von Geben und Nehmen Gott und den König, beziehungsweise den Menschen. Ein Handeln für Gott ist in der Lehre des Ptahhotep nicht vorgesehen. In ihr verbindet der Handlungskreislauf stattdessen den Einzelnen mit seinem König, in dessen Gnade der für ihn Handelnde ein langes und behütetes Leben als Gegengabe erhält. Wie in der Lehre für Merikare wird auch bei Ptahhotep das „Handeln für" mit dem Tun der mic.t identifiziert. Ptahhotep berichtet, er habe mF.t getan für den König. Das Tun der myc.t geschieht jedoch - wie zu zeigen war - im verantwortlichen Handeln als Gegenüber zum Gott. Durch die zuvor vollzogene nähere Qualifizierung des Handelns für den König als mF.t-gemäß wird auch der Gott in dieses Handlungsgefüge einbezogen. Gegenüber aller 141 Anders als der im Epilog als Handlungsempfänger bezeichnete König ist der Gott hier Gegenüber des Handelns. Mit Gott wird also kein vergleichbarer Handlungskreislauf eingegangen wie in der Lehre für Merikare, dieses Verhältnis besteht nur zum König. 142 LOPRIENO, Topos und Mimesis, 86ff., beschreibt das Konzept des „seinem Herz folgen" als allgemeine Maxime der Literatur des Mittleren Reiches.

86

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Handlungen ist hier demnach der Gott, erster Adressat der Handlungen dagegen der König. Beide Verhältnisse, das des Einzelnen zum König ebenso wie das zum Gott, entscheiden in ihrer Qualität über den Erfolg der Belehrung. „Es trete das Hören in ihn ein und die Ermahnung des Herzens", umschreibt der König das Lernziel der Lehre in seinem Lehrauftrag (40). Hören und Herzensermahnung entsprechen aber gerade nicht nur den königlichen Ansprüchen, sondern entscheiden auch über das Verhältnis zum Gott, denn: 545 Wer hinhört ist einer, den Gott liebt (mrr.w) 546 wen Gott hasst, der kann nicht hinhören.

Die Eigenart des „Gefallenen" 143 ist es eben, nicht hören zu können. Die Fähigkeit zu hören wiederum entscheidet sich am Herzen, weshalb die Ermahnimg des Herzens hier so wichtig genommen wird. Das Herz (jb) entscheidet über das Verhältnis zu Gott, deshalb wird seine Bildung und Erziehung hervorgehoben. Für den Menschen entscheiden sich an ihm Leben, Heil und Gesundheit, die basalen Koordinaten gelingender Existenz im Einklang mit sich selbst und der Ordnung des Lebens: 550 Es ist die Sinnesart (jb), die ihren Herrn 551 zu jemandem werden lässt, der hinhört, oder aber zu jemandem, der nicht hinhört; 552 seine Sinnesart (jb) ist für den Menschen Leben, Wohlergehen und Gesundheit.

Das Herz macht seinen Herrn zu einem, der hören kann und entscheidet damit über sein Gottesverhältnis und seinen Anteil an Leben, Heil und Gesundheit. Dass sich diese Verhältnisse ausgerechnet am Herzen entscheiden, zeigt, dass das Herz selbst eine positive, aber nicht unter allen Umständen verlässliche Größe im Menschen ist. Das Herz kann sich von den niederen Trieben (hl. t) beherrschen lassen und so dem Widersacher (hftj (248)) gehören. In diesem Fall bedeutet es für den Menschen Zerstörung: 243 Setzt aber das Herz (jb) dessen, der auf seinen Leib (hlt) hört, 244 Verachtung (kn.t) für ihn an die Stelle der Liebe (mrw.t) zu ihm, 245 ist das Herz blank (jb-ßk.w), verwahrlost sein Körper (hcw=f).

Es ist weniger ein schlechtes Herz als vielmehr ein geschwächtes und entleertes, das sich beherrschen lässt und seinen eigentlichen Aufgaben nicht gewachsen ist. In ihm gewinnen die schlechten Bedürfnisse (hl.t) überhand; es entspricht nicht mehr sich selbst. Einzig Gott ist in der Lage, einem Menschen ein starkes Herz zu geben, das in solcher Situation fest ist: 247 Es ist jedoch der Geist derjenigen groß (wr-jb), denen es Gott gegeben hat (rd.w ntr); 143

Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 114.

B. Das Herz ist König

87

248 der hingegen, der auf seinen Leib hört (sdm), gehört dem Widersacher (hftj).

Wer auf seinen Leib hört, kann nicht mehr seinem Herzen folgen, und genau dazu will diese Lehre ermutigen. Gegen eine Überfremdung des Herzens, die sich im Hören auf den Leib ausdrückt, wird nachdrücklich zum Herzensgehorsam aufgefordert: 186 Folge deinem Herzen (sms jb^k) Zeit deines Seins, 187 tu nicht mehr als gesagt wird UA 188 und verkürze die Zeit der Selbstbestimmtheit (sms jb) nicht.

Denn nicht nur die schlechten Triebe können das Herz in Besitz nehmen und den Menschen dem Widersacher in die Hände spielen, es genügen schon die Nachlässigkeiten im Alltag und die Sorgen, die die Herzensfolge verunmöglichen. Der eigene Schritt des Herzens ist natürlich der der m>c.t, weil sich in ihm die Lebensordnung widerspiegelt. Ob das Herz in der Lage ist, die Herrschaft im Menschen zu übernehmen, entscheidet sich teilweise an des Menschen Erziehung, teilweise aber auch an dem, womit Gott ihn ausstattet. Das große Herz ist eine Gottesgabe, die nur Auserwählten zukommt. d) Zusammenfassung Wenn Ptahhotep im Abschluss der Lehre berichtet, er habe mlc.t für den König getan und deshalb sei ihm ein langes, behütetes Leben vergönnt gewesen, so werden in dieser Aussage noch einmal alle wichtigen Lebensbestimmungen der Lehre zusammengefasst, ohne dass sie ausdrücklich genannt würden. Ptahhotep hat m¥.t getan, das bedeutet, er ist dem Rhythmus seines Herzens gefolgt und hat ihm entsprochen, so wie sein hörendes Herz der Lebensordnung entspricht. Mit dieser wahrnehmenden Ausrichtung auf Lehre und Wissen verantwortet er sich vor dem Gott, der ihn als Hörenden liebt. Indem das im Gottesverhältnis beheimatete Wohlverhalten nun als „für den König" beschrieben wird, gliedert es sich bewusst in die politische Notwendigkeit, ohne sich von ihr abhängig zu machen. Ptahhotep lebt in dieser Hinsicht ganz in der Welt, seine innerliche Ausrichtung macht ihn jedoch weitgehend unabhängig von der Welt. Gott, König und Mensch fügen sich in diesem Abschluss zu einer ausdifferenzierten Harmonie, in der der König nicht weniger, aber im Vergleich zu den anderen Lehren vor allem auch nicht mehr ist als eine tragende Randfigur. Das Herz ist Leben, Heil und Wohlergehen, auch wenn der Segenswunsch den Einzelnen kaum zum König macht, erhält das Herz hier doch die Aufgabe, die in den äußeren Bezügen der König wahrnimmt. Das von Gott geschenkte Herz gibt dem Menschen seinen ¿-gemäßen Lebenstakt vor und

144

Zu sms vgl. JUNGE, Rahmenerzählung des Beredten Bauern, 179.

88

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

macht ihn in dieser Beziehung zumindest bildlich zum König seines eigenen Lebens. Das Herz wird in Beziehung gesetzt zur Trias Leben, Heil und Wohlergehen.145 Im Herzen wird über die Fähigkeit des Menschen zum Hören ebenso entschieden wie über sein Wohlergehen. Es wäre aber auch hier falsch, den Einfluss des Menschen zu hoch einzuschätzen, ist doch die Fähigkeit zu hören fundamental mit der Gottesbeziehung verbunden.146 Ptahhotep spricht als idealer Weiser aus der idealen Vergangenheit, nur die Spuren seines Alters trüben das Bild der Vollkommenheit. Im Angesicht des Todes übergibt er in einem Übergangsritus seinem „sozialen Sohn" und Altersstab sein Lebenswissen. Ein Wissen in Verantwortung des Selbst, Sorge für die Gemeinschaft, Achtung gegenüber dem König und Gehorsam gegenüber dem Gott.

C. Die loyalistischen Lehren Die beiden loyalistischen Lehren, die Lehre eines Mannes und die Loyalistische Lehre, unterscheiden sich in Aufbau und Ausrichtung deutlich von den beiden Königslehren und der Lehre des Ptahhotep.147 Gleichzeitig knüpfen sie jedoch an viele der dort vermittelten Vorstellungen und Motive an, so dass sie trotz ihrer Eigenart ohne Frage zu demselben Korpus zu rechnen sind und einen vergleichbaren Adressatenkreis vor Augen haben. Beide loyalistischen Lehren sind zweigeteilt. Im jeweils ersten, vorwiegend hymnisch geprägten Abschnitt, finden sich die eigentlich loyalistischen Aufforderungen zu einem engen Verhältnis zum gottähnlich gezeichneten König. Der jeweils anschließende zweite Teil ist eher am Protokoll der Lehren orientiert. Das in den loyalistischen Lehren dargestellte Verhältnis von Gott, König und Mensch unterscheidet sich sowohl von dem der Königslehren als auch von dem bei Ptahhotep propagierten. Wie in den beiden Königslehren wird 145

552: Das Herz ist/ bedeutet Leben, Heil und Wohlergehen: ZÂBA, 59: cnh wd3 snb nz(j) jb-f. PARKINSON, Poetry and Culture, 264: „The ambiguity is immediately resolved by the assertion that a man's heart is the sole determining factor for his prosperity, ascribing to it a quasi-royal role with the epithet 'life, prosperity, health'." Er erläutert die Verwendung dieses Epithetons (264f. Anm. 24): „The epithet may derive from epistolary formulae, where a letter's recipient is termed 'the lord - life, prosperity, health!' (...) rather than directly from its application to kings." 146 Vgl. BRUNNER, Das hörende Herz, 3-5. 147 Die loyalistischen Lehren sind in der Forschungsgeschichte noch relativ jung, und die Textrekonstruktionen sind bis heute noch nicht zufriedenstellend abgeschlossen, weshalb jeglicher Beschäftigung mit ihnen eine gewisse Vorläufigkeit eignet. Ein vollständiger Überblick zur Forschungsgeschichte findet sich bei FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 122. Sowie POSENER, L'enseignement loyaliste, 1-16, SCHIPPER, Sehetep-jb-Re, 161-163.

C. Die loyalistischen

Lehren

89

der König besonders in den Blick genommen. Anders als dort erklärt er sich jedoch nicht selbst, sondern wird von einem dritten zum Lehrgegenstand erhoben. Im Unterschied zu Ptahhotep fällt vor allem die hohe Bedeutung auf, die dem König in dieser Lehre zugesprochen wird. In seiner Monographie „Littérature et politique" entwickelte Posener eine noch heute die Diskussion der Lehren prägende Bestimmung der Verfasserschaft und Intention der beiden Texte und anderer Schriften des Mittleren Reiches. Posener verbreitete die von de Buck übernommene Kennzeichnung dieser Literatur als Propaganda und sammelte unter diesem Stichwort die loyalistischen Lehren, die Prophezeiung des Neferti, die Sinuhe-Erzählung und die Lehre Amenemhets I. Die Ergebnisse seiner einflussreichen Monographie sind heute zwar umstritten, bilden aber noch immer den Ausgangspunkt jeder Diskussion.148 Die neuere Forschung wendet sich, unter anderem mit Loprieno, Moers und Parkinson, gegen eine einseitige Bewertung der als „propagandistisch" bezeichneten Literatur. Kritisiert wird eine zu unmittelbar vorgenommene Gleichsetzung von Literatur und Politik, von Fiktion und Realität.149 Statt als Propaganda, die auch von der Verbreitungsmöglichkeit her anders beschaffen sein müsste,150 wird diese loyalistische Literatur als Selbstausdruck der Elitekultur verstanden. Fischer-Elfert verortet die Lehren im Bereich der Erziehung zum Loyalismus. Er sieht sie zusammen mit der Lehre des Cheti als Lehrplan auf dem Weg zum loyalistischen Beamten. Mit diesem Konzept schließt er sich der geläufigen Zusammenschau der beiden loyalistischen Lehren an, verbindet sie aber über die Feststellung der Ähnlichkeit hinaus zu einem gemeinsamen Konzept.151 Mit der Habilitationsschrift Fischer-Elferts liegt die jüngste und bei weitem ausführlichste Textrekonstruktion der Lehre eines Mannes vor. Aber auch mit ihr ist die Wiederherstellung des Textes noch nicht als abgeschlossen zu betrachten. Die loyalistischen Lehren sprechen beide vom König als gottgleich oder gottähnlich, unterscheiden sich jedoch erheblich in der Wahl ihrer Formulierungen. Während die Gleichsetzung des Königs mit verschiedenen Gottheiten

148

Vgl. dazu LOPRIENO, Loyalistic Instructions, 403f. Vgl. MOERS, Fiktionalität und Intertextualität, 38f. Dort vor allem zur erzählenden Literatur, die Schlüsse will er jedoch nicht auf die Gattung der Lehre übertragen. 150 Vgl. SCHENKEL, „Fragestellung oder Antwort?", 63-74. 151 Ich stimme FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 381ff., insoweit zu, als er an Motiven und Ähnlichkeiten einen sehr gut zu umgrenzenden gemeinsamen Horizont der Lehren aufzeigen kann. Es ist deutlich zu sehen, dass die Lehren aus einem Kontext stammen. Ein tatsächlicher Nachweis der Konzipierung der drei Lehren als Dreischritt gelingt meines Erachtens jedoch nicht und gerät zudem in Gefahr, inhaltliche Unterschiede der Lehren zu nivellieren. Vgl. auch PARKINSON, Poetry and Culture, 274. 149

90

II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

in der Loyalistischen Lehre unzweideutig ist, spricht die Lehre eines Mannes verbergend von einem letztlich nicht zu enthüllenden ntr. Einer verbreiteten Auffassung der älteren Forschung, es handele sich beim ntr der Lehre eines Mannes durchgängig um den König, widersprach Goedicke.152 Er sah entgegen der geläufigen Interpretation im Zentrum der Lehre zwar eine „metaphysische Verankerung des Königtums", aber noch keine absolutistischen Tendenzen des Herrschers.153 Gegen Goedicke zeigt Blumenthal in Anlehnimg an das in ihrer Promotionsschrift gesammelte Material zum Königtum im Mittleren Reich,154 dass sich die Rede vom ntr in der Lehre eines Mannes in drei für die Rede vom Königtum zentralen Themenkreisen bewegt und sich die Deutung des „Helden" der Lehre als König nahelegt. Sie formuliert damit den bis heute weithin geltenden Forschungskonsens. Zu einem vertieften Verständnis des „Helden" der Lehre und der Funktion der interpretationsoffenen Redeweise vom ntr gelangt Loprieno in seiner Auseinandersetzung mit den loyalistischen Lehren. Ihm zufolge vermittelt die Lehre Religiosität und Loyalität und neutralisiert auf diese Weise Spannungen zwischen der Individualität (der Herzens-Folge) und der geforderten Eingliederung in die Gruppe der Königsgetreuen.155 Über die Ambiguität der Rede vom ntr würden zwei einander prinzipiell ausschließende Intentionen stillschweigend verbunden. Tendenzen von Persönlichkeit und Individualismus mit einer persönlichen Hinwendung zum „Metaphysischen" würden aufgenommen und auf das Verhältnis zum König anwendbar gemacht, in das der Einzelne sich fügen soll. Dies geschieht, ohne dabei das religiöse Empfinden durch eine zu deutliche Gleichsetzung abzustoßen.156 Die von Loprieno beschriebene Ambiguität der Rede vom ntr findet sich so nur in der Lehre eines Mannes. In der Loyalistischen Lehre wird der König dagegen ausdrücklich mit Göttern verglichen und erhält Anteil an ihren Eigenschaften.157 Dennoch kann auch in der Loyalistischen Lehre nicht von einem vergöttlichten König die Rede sein. Er erhält zwar Anteil an einigen göttlichen Eigenschaften, wird als Person und Amtsinhaber den Göttern jedoch deutlich entgegengesetzt. Lediglich im Gegenüber zu den Menschen 152

Vgl. GOEDICKE, ZÄS 94,62-71.

153

GOEDICKE, Z Ä S 9 4 , 6 3 .

154

BLUMENTHAL, Eine neue Handschrift der .Lehre eines Mannes für seinen Sohn', 55-69. Vgl. LOPRIENO, La Letteratura lealista, 9-21. 156 Vgl. LOPRIENO, Topos und Mimesis, 94-97. 157 Zur Rekonstruktion schwieriger Textpassagen wird die Stelenfassung zwar heranzuziehen sein, inhaltlich wird jedoch auf die literarische Fassung der Lehre fokussiert. Die Langfassung hat gegenüber der Stelenfassung einen deutlichen literarischen Eigenwert. Aus diesem Grund und wegen der von SCHIPPER aufgezeigten Abhängigkeiten ist es nicht sinnvoll, davon auszugehen, dass der beziehungsreiche und ambivalente Text der Langfassung tatsächlich hätte als Vorlage dienen sollen für den eindimensionalen Text der Stele. SCHIPPER, Sehetep-jb-Re, 176ff. 155

C. Die loyalistischen

Lehren

91

prägt der König göttliche Eigenschaften aus, die jedoch in den Lehrdiskurs eingebunden und relativiert werden. Zwar erinnern die Aussagen über die Göttlichkeit des Königs an in den beiden Königslehren formulierte Gottesprädikationen. Die Beschreibung der königlichen Versorgungsleistung und erschaffenden Nähe zu den Menschen erinnert aber vor allem an den Schöpfungshymnus in der Lehre für Merikare. Die Königsbeschreibung partizipiert damit an Motiven der möglicherweise bereits bekannten Lehre, die dort jedoch ausdrücklich nicht für den König, sondern für den ihm übergeordneten Gott verwendet werden. Da die Anspielung an Merikare aber kaum vorstellbar ist ohne eine Erinnerung an die dort vorgestellte Krise des Königtums, die gerade die Heraufkunft des königlichen Gottes begünstigt hat, ist diese Anknüpfung zweischneidig. Zwar wird mit ihr die Göttlichkeit des Königs mit bekannten und deshalb besonders wirksamen Bildern gezeichnet, dennoch relativieren diese Bilder die Göttlichkeit des Königs, weil sie eine Erinnerung an seine Schwäche beinhalten. Unsicher bleibt bei dieser Deutung jedoch, ob die Bekanntheit der Lehre für Merikare bei den Adressaten der Loyalistischen Lehre überhaupt vorausgesetzt werden kann. Eindeutiger ist eine innerhalb der Lehre selbst auszumachende Tendenz zur ironischen Relativierung der königlichen Göttlichkeit. Sie zeigt sich in auffalligen Spiegelungen innerhalb der beiden Teile der Lehre. Einige der Aussagen über die Partizipation des Königs an göttlichen Eigenschaften werden motivisch im zweiten Teil der Lehre wiederholt und beschreiben dort die Unverzichtbarkeit der Untertanen. Diese wörtliche Übereinstimmung der Formulierungen wertet die Bedeutung der einfachen Leute enorm auf, gibt den Vergleichen des Königs mit Göttern aber einen ironischen Doppelsinn. Einerseits wird deutlicher als in der Lehre eines Mannes die Göttlichkeit des Königs betont und die unvermeidbare Beziehung zu ihm. Auf der anderen Seite werden ausgerechnet die Motive, mit denen seine Göttlichkeit beschrieben wird, auch zur Darstellung der Untertanen verwendet. Folglich wird seine Größe deutlich relativiert. Die königliche Göttlichkeit wird zu einer Eigenschaft, die jedem Menschen eignen kann. Auf diese Weise werden die Untertanen gestärkt, es wird deutlich, dass man sich um sie kümmern muss, zugleich aber wird die zuvor verabsolutierte Hierarchie gleichsam umgekehrt und damit weniger bedrohlich. 4. Die Lehre eines Mannes für seinen Sohn a) hnw - innen und außen als doppelte Bestimmung der Adressaten Situation und Empfanger werden in der Lehre eines Mannes anders als in den bisher besprochenen nicht in einer ausführlichen Rahmung oder in biographischen Abschnitten bestimmt. Der Mann von Rang158 (zj) eröffnet seine 158

FlSCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 295ff.; spezifischer 299ff.

92

II Vom König zum Gott des Einzelnen

Belehrungen für den Sohn sogar anonym und gibt damit weder eine bestimmte Zeit noch eine definierte Berufsgruppe als Autoren oder Empfanger der Lehre an. Dennoch wird schon im ersten Paragraphen, der noch vor dem Hymnus und dem Appell zur Gottesliebe eine einleitende Belehrung zum Primat der Rhetorik und zur Beamtenethik ausspricht, eine solche Abgrenzung der Adressatengruppe vollzogen. 159 Ähnlich wie in der Mahnung der Lehre für König Merikare 160 wird der Disput mit Worten und Argumenten ausdrücklich der handgreiflichen Auseinandersetzung vorgezogen. Die Adressaten werden so auf ihr Selbstbild als wortmächtige Elite angesprochen. 161 §1 5 6

Ausschöpfen der Worte (pnq mdw.t) geht vor der Kraftanwendung (hr-hlt hps), (denn) einen (rhetorisch ungeschliffenen) Garbenträger gibt es nicht, der zur Ratsversammlung (r- zh) zugelassen würde.

Alle Mittel des Wortes sollen ausgeschöpft werden, bevor man sich physisch auseinandersetzt. Mit dieser an den Anfang gesetzten Strophe wird der Rahmen, bzw. die Ebene der Auseinandersetzung bestimmt. Noch bevor irgendein Verhältnis zum ntr eingefordert wird, werden mit diesem Auftakt Adressat und Kommunikationsform der Lehre eingegrenzt. Die Lehre eines Mannes wendet sich an Beamte mit einer starken Bindung an das Beamtenethos. Sie wendet sich an Gebildete, denen zum Disput das Wort überhaupt zur Verfügung steht, die also schon angemessen qualifiziert sind oder wenigstens im Begriff stehen, eine entsprechende Erziehung zu erhalten. Die Abgrenzung gegenüber anderen Berufsklassen, die sich mit Wort und Schrift nicht auskennen, ist deutlich. Mit Menschen, die sich handgreiflich für ihre eigenen Interessen einsetzen, will die hier angesprochene und sprechende 159

In der Bezeichnung der Strophen und Zeilen folge ich der Textausgabe von FISCHERAuch die Übersetzungen lehnen sich, wo es nicht eigens anders bestimmt wird, vor allem an seine Übersetzungen an, werden zum Teil aber präzisiert oder aufgrund anderer Übersetzungsentscheidungen verändert. Zur Einteilung der Kapitel vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, v.a. die „Konkordanz aller bislang vorgenommenen Vers- und Kapitelzählungen", 440-443. 160 Merikare E 32f. „Sei geübt in der Rede, damit du stark bist ... Das Schwert eines Königs ist seine Zunge. Die Worte sind stärker als jeder Kampf. Den mit geübtem Verstand kann man nicht hintergehen. Er löst Probleme ohne Anstrengung..." (Übersetzung nach ELFERT.

QUACK, GOF IV/ 2 3 , 2 5 ) . 161 Vgl. JUNGE, Rahmenerzählung des Beredten Bauern, 168: „Die Belehrenden, Wesire und Prinzen, sind die handelnden Subjekte der Machtausübung, die mit hoher Amtsautorität versehenen Repräsentanten dieser Staatsgesellschaft; sie wollen einerseits ein Wohlverhalten erreichen, das die Ausübung ihrer Herrschaftsfunktionen reibungslos macht, sie sind andererseits darauf angewiesen, gerade angesichts der offenen oder verdeckten Machtkämpfe einer Hofgesellschaft Verhaltenskanones im Umgang miteinander zu entwickeln."

C. Die loyalistischen

Lehren

93

Gruppe nichts zu tun haben.162 Auf diese Weise ergibt sich die Scheidung zwischen dem Innen und dem Außen durch die Wortfahigkeit. Sie bewegt sich in dem klar umgrenzten Bereich von Wortmacht und Hörvermögen. Sie stellen die beiden fundamentalen Zugehörigkeitsvoraussetzungen dieser Gruppe dar. Das Innen ist der Bereich des Wortes und des Verstandes.163 Die loyalistischen Lehren sind literarische Selbstvergewisserungen einer gesellschaftlichen Elite im Mittleren Reich, die Mitglieder eines Staates umfasst, „der das Gewaltmonopol immer deutlicher für sich beansprucht".164 Deshalb geht es in der Ermahnung darum, Menschen neu in eine vom König abhängige Ordnung einzubinden. Dass die neue Elite, die sich als Hofstaat des Königs versammelt, eine Alternative zu dieser Ausrichtung auf den König besitzt,165 zeigt beispielsweise in der Lehre Ptahhoteps die selbstbewusste Hochschätzung des eigenen Herzen, das vor allem sich selbst und Gott gegenüber verantwortlich ist. In Aufnahme weisheitlicher Motive wird zur Befestigung der Zugehörigkeit streng zwischen der eigenen Gruppe, die sich im Inneren befindet, und der alle außen Stehenden umfassenden anderen Gruppe geschieden. Die in der ersten Strophe angedeuteten Zugehörigkeitsvoraussetzungen werden in der vierten Strophe näher beschrieben und auf einen außerhalb des Lernprozesses liegenden Ursprung zurückgeführt. Diese Rückführung ist das Neue gegenüber den bisher bearbeiteten Lehren. Die Bestimmung der „Weisheit" wird um einen entscheidenden Aspekt ergänzt: „Er" verleiht sie und bringt sie mit hervor.166 Die Fähigkeiten des Einzelnen sind Gaben des ntr. Diese Ableitung ist auffallig, weil es sich bei den Fähigkeiten um bereits aus anderen Lehren bekannte Ideale handelt, die dort ohne die Vermittlung

162

Vgl. zu diesem Ressentiment auch die Lehre des Cheti, die auf recht brüske Weise den Beruf des Schreibers von allen handwerklichen Berufen absetzt. Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 274. 163 Insofern ist FLSCHER-ELFERTS Betonung der Worthaftigkeit der Lehre eines Mannes, in der es seiner Interpretation nach vor allem um das mlc.t-Sagen gehen soll, richtig, aber zu begrenzt. Vgl. u.a. FLSCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 365: „Der 2. Teil der Lehre eines Mannes (§§ 9-24) topikalisiert Verhaltensweisen des (zukünftigen) Richters und Patrons ... am Leitfaden der ,rechten Rede' (...) und marginalisiert die Rolle des ,rechten Tuns'." 164 JUNGE, Rahmenerzählung des Beredten Bauern, 168. 165 Vgl. LOPRIENO, Loyalty to the King, to God, to oneself, 545. Ebenso BRUNNER, Die .Weisen', ihre .Lehren' und .Prophezeiungen', 29-35; ASSMANN, Schrift und Gedächtnis, 85: „Den Trägerkreis dieser Literatur bildete eine neue Beamtenelite, deren Aufbau und Ausbildung zu den dringendsten innenpolitischen Anliegen der 12. Dynastie gehört." 166 Das Subjekt wird in § 4 zwar nur pronominal genannt, was die Deutung offenlässt, es wird allerdings durch dieYW=/ sdm-f Stellung besonders hervorgehoben. Vgl. dazu JUNGE, Der Gebrauch von jw im Mittelägyptischen Satz, 271: „In jw sdm=f ist das sdm=f die Satzaussage: 'er h ö r t \ in jw=f sdm=f das Nomen/ Pronomen nach jw: 'e r hört'." ( H e r v o r h e b u n g e n JUNGE).

94

II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

oder Initiative eines göttlichen Dritten, allein durch die Befolgung der Lehre selbst zu erreichen waren. Die durch Bildung und Stand abgegrenzte Gruppe ist nach dieser Beschreibung nicht hermetisch abgeschlossen. Sie ist weder unzugänglich noch allein über den weisheitlichen Weg der Bildung zu erreichen. Vielmehr werden die Bildungsziele an die Person des ntr rückgebunden. Über die Macht, Menschen in das Innere der Gruppe zu führen, verfugt nur er. Im vierten Kapitel wird die Bewegung vom Außen der Unkenntnis und der „Wertlosigkeit" in den inneren Kreis der Weisen und Redefahigen hinein, vom erfolglosen Außenseiter zum beliebten Teil der Gruppe nachgezeichnet. Das Kapitel kann grammatisch und inhaltlich in dreimal drei Verse untergliedert werden, die sich nach Konstruktion und Subjekt „aba bbb aba" aufteilen lassen, wobei die mit a bezeichneten Verse einen Akteur nennen, die mit b bezeichneten dagegen in unpersönlichen Adverbialsätzen allgemeinere Regeln festhalten.167 Die Verse 1-3 nennen die vom ntr initiierte Einführung in die Gruppe der Sprachfähigen, 4-6 dagegen formulieren die positiven Folgen, die dieses Leben im Heilsbereich nach sich zieht. Wie an vielen anderen Stellen werden auch hier die Folgen unpersönlich formuliert. Die gesamte Strophe ist nach dem Einst-Jetzt-Formular gestaltet.168 Diese Redeweise ist vor allem aus literarischen Zusammenhängen bekannt, wo mit ihr die sich umkehrenden gesellschaftlichen Verhältnisse beklagt werden. 169 In § 4 bezeichnet sie eine positiv bewertete Entwicklung. Die Verfasser der Klagen über die sozialen Umwälzungen, etwa in den Admonitions, scheinen sich als die Opfer derselben Entwicklung zu sehen, die in diesem Kapitel hymnisch gefeiert wird.170 Man könnte deshalb auf den Gedanken kommen, dass hier die vollständig ausgewechselte neue Elite hymnisch preisend ihren neuen Stand in der Gesellschaft feiert. Für diesen Zweck allerdings die sonst durchgängig negativ besetzte Redeweise zu verwenden, erscheint gewagt.171 Zudem liegt offenbar auch kein umfassender Umbruch vor: Einige der Formulierungen knüpfen deutlich am Alten an und beschwichtigen eine früher herrschende Klasse durch die Betonung eines Nachahmungsprinzips.172 Die in 167

Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 79f. Vgl. HERRMANN, Untersuchungen zur Überlieferungsgestalt, 12f. Siehe dazu auch FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 79-81. 169 Vgl. JUNGE, Die Welt der Klagen, 282f.: „Zwar mag es im Interesse des Königshauses liegen, ,Emporkömmlinge' zu fordern, und man mag genügend Beispiele für sie namhaft machen können, in der Weltordnung der Beamtenschicht, die die vorliegende Literatur geschaffen hat und sie las, haben sie keinen Platz... Das Auftreten von .Emporkömmlingen' ist topisch mit den Ängsten vor sozialem Abstieg verknüpft..." 170 Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 272, vgl. auch DERS, Eloquent Peasant, 174. 171 Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 272. 172 Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 71, zum Nachahmungsprinzip: „Der ktt .Geringe' soll den wr - .Bedeutenden' nicht zu .überholen' versuchen unter Umkehrung der 168

C. Die loyalistischen

Lehren

95

der Klageform zusammengefügten Motive lassen sich so auch als Katalog der grundlegenden Beamtentugenden und Fähigkeiten der Bildungselite verstehen. Auf diese Weise drückt sich im vorliegenden Einst-Jetzt-Formular das Selbstbewusstsein einer teils neuen, teils altehrwürdigen Elite aus, die am Ende der Entwicklung steht, die von einigen als bedrohlich wahrgenommen worden ist. Durch die Verwendung des Klagemotivs wird dieses kritische Moment dem positiven Kontext zum Trotz nicht nivelliert. Es zeichnet diese Gruppe gegenüber anderen aus, sich mit den sozialen Umwälzungen zumindest weitgehend zu identifizieren. Aber es ist die besondere Möglichkeit des literarischen Reflexes, die vormals oder noch immer bestehenden Ressentiments gegenüber der Entwicklung versprachlichen zu können. 173 Die Elitegesellschaft ist ein Heilsraum, in dem sich auch Menschen befinden, die vorher keinen Zugang zu ihr gehabt hätten. Starre Grenzen der gesellschaftlichen Gruppen werden von der die Gesellschaft scheidenden Person des ntr aufgehoben oder zumindest durchlässig gemacht. §4 1 2 3

Er verwandelt ( s . h p r ^ f ) den Ignoranten (hm) in einen Wissenden (r- rh), der (früher) Unbeliebte (msdd) wird (hpr) nun ein Beliebter (mrw.tj). Er lässt den Unbedeutenden (Jat) den Bedeutenden (wr) nachahmen (znß)),... 174

Der Ignorant (hm) wird zu einem Wissenden (rh) gemacht. Diese Bewegung in der Lehre eines Mannes zeichnet gleichsam die Zweckbestimmung der Lehre des Ptahhotep nach,175 da der rh der Idealtypos der Lehren ist. Dabei beinhaltet sein Wissen nie nur angehäuftes Faktenwissen, sondern immer auch den Verhaltenskodex und die ethischen Grundlagen der angesprochenen Gesellschaftsgruppe. 176 Der vormals Unwissende wird in den Bereich des

bisherigen sozialen Schichtung, denn das käme einer Klage gleich. Ziel der neuen Politik ist es vielmehr, bereits vorhandenen Repräsentanten der Oberschicht eine Vorbildfunktion zuzuweisen..." 173 Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 272: „This superficially propagandist reference is intertextually ambiguous. Although it formulates education as manifesting the king's constitutive role for culture, the last-shall-be-flst pattern is elsewhere something to be dreaded... The loyalist teachings tend to foreground gaps and suspensions..." 174 Übersetzung nach FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 433. 175 Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 69: „Die Antonymie hm : rh ist eine in der älteren (s. Ptahhotep) und zeitgenössischen Weisheitsliteratur geläufige, jedoch in derart eindimensionaler Ausrichtung auf den König (mit den daraus resultierenden Konsequenzen wie in V. 2) wohl in dieser Lehre zum erstenmal thematisiert." 176 Vgl. zum Thema v.a. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 101-105.

96

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Wissens überführt, der mit dem Heilsbereich dieser Gesellschaft identisch ist.177 Auch die Verwandlung des Unbeliebten ( m s d d ) zu einem Beliebten (mrw. tj) entspricht der Ethik der Lehren: Die Aufforderung, sich beliebt zu machen, steht in der altägyptischen Ethik weithin an der Stelle des heute geläufigeren Appells, sich dem Anderen gegenüber freundlich zu verhalten.178 Auch mit ihr wird demnach ein bekanntes Ideal des sozialen Umgangs angesprochen. So nennt u. a. die Lehre des Ptahhotep den Fall, in dem die Vernachlässigung des Herzens Unbeliebtheit ( m s d d ) in seinem Umfeld hervorruft. Die Unbeliebtheit ist als Zeichen des vernachlässigten Herzens zugleich ein Phänomen der Torheit. Dem in der vorangehenden Zeile zugesagten Wissen muss die Beliebtheit folgen. Das ist im Duktus der Überlegungen bei Ptahhotep gut nachzuvollziehen, weil Wissen und Verhalten grundsätzlich zusammengehören und dem einsichtsvollen Verhalten die Beliebtheit auf dem Fuße folgt. Deshalb wird die aus dem Wissen folgende Verwandlung in einen Beliebten auch nicht kausativ auf den ntr bezogen, sondern als unwillkürliche Entwicklung beschrieben (hpr statt vorher kausatives s:hpr). Die dritte Zeile nimmt ein weiteres Ideal auf, das sich bereits an einigen Stellen der Lehren findet. Die Nachahmung ( z n ( j ' ) ) ist der übliche Weg der Nachkommen gegenüber den vorbildhaften Vorfahren.179 Der Grund dafür, dass an diesem Prinzip festgehalten wird, kann auch in dem Bemühen um eine Beruhigung für diejenigen liegen, die Angst haben, infolge sozialer Durchlässigkeit ihre angestammte Stelle im Sozialgefüge zu verlieren.180 Die heilsame Wirkung des Königs auf diejenigen, die einstmals außerhalb standen, wird im Strophenverlauf noch weiter ausgedeutet. Die drei folgenden Sätze formulieren die Ergebnisse dieser Erziehung: Erfolg, Reichtum und Grundbesitz. Diese Folgen werden beispielsweise bei Ptahhotep nicht so unmittelbar mit dem Erwerb von Wissen und Beliebtheit in eins gesetzt. Dort sind die materiellen Schätze Gaben Gottes oder der Götter, die unabhängig sind von der ethischen Disposition des Beschenkten.181 Die Verhältnisse werden in der Lehre eines Mannes simplifiziert, um eine beeindruckendere Präsentation des 177

Gegen eine Engführung auf das loyalistische Wissen vom König spricht die deutliche Anknüpfung an die Redeweise der Lehren. Vielmehr ist es die Stärke des Textes, auf beiden Ebenen, auf der rein loyalistischen ebenso wie auf einer literarisch-ethischen, verstanden werden zu können. 178 Vgl. zu dieser Einschätzung vor allem ASSMANN, Ma'at, 108f. 179 Vgl. Merikare E 35: zn(j) r- jtj.w=k ahme deinen Vätern nach, vgl. VOLTEN, Politische Schriften, 14f., anders HELCK, Die Lehre für König Merikare, 19, der hier „übertreffen" hat. Das gleiche Motiv findet sich auch in Ptahhotep, wo in 39 der König fordert, der Belehrte möge zu einem Vorbild (bjJ) werden, was als Kehrseite der Nachahmung gelten könnte. 180 Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 71. 181 Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 96f.; sowie MlOSl, God, Fate and Free Will, 82.

C. Die loyalistischen Lehren

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Königs bieten zu können; deshalb werden Vorbehalte, die in anderen Lehren bestehen (etwa über die Verbindung von m]c.t. -gemäßem Handeln und Reichtum), nivelliert. Dem oben dargestellten Aufbau der Strophe entsprechend berichten die Verse 7-9 wieder personal von der Aktion des ntr und stimmen formal mit den Versen 1-3 überein. §4 7 8 9

Er lässt den Halt finden {jw^f dj-f mnj), der haltlos war (sw m- mnj), der (früher) Heimatlose (swnw) hat (jetzt) einen (festen) Wohnsitz (nb-dmj). Er lehrt (sbT) den Stummen (Jbb) das Sprechen (md.t) und öffnet (s:wb>) die Ohren ( c nh.wj) des Tauben (jdj).

Auch diese Motive sind aus dem Lehrplan der Lehren bekannt, wenn sie auch neu zusammengefügt wurden. Das Verb mnj (mjnj), ursprünglich „landen", findet sich sowohl bei Merikare als auch bei Ptahhotep, wo es jeweils gelingendes oder negiert misslingendes Leben im Horizont der Ewigkeit bezeichnet. Das mit dem Schiffsdeterminativ geschriebene Wort bezeichnet neben der „sicheren Verwurzelung" gerade auch das „Anlanden im Westen".182 Vermittelt angesprochen wird mit diesem Verb die Dimension der Sorge für die Jenseitsversorgung, die in Kapitel sieben ausdrücklich aufgenommen wird. Der beschriebene Heilsbereich unter der Herrschaft des Königs endet nicht mit dem Tod. Gerade die Versorgung im Tod und die Ausstattung mit einer Grabstelle ist schon im Alten Reich ein besonderer königlicher Gunsterweis gewesen.183 In den Lehren wird das „Anlanden" jedoch anders als hier von der ethischen Disposition des Einzelnen abhängig gemacht, nicht von seinem Verhältnis zu einer göttlichen oder königlichen Gestalt. Natürlich kann mit Fischer-Elfert auch an dieser Stelle neben dem metaphorischen Gehalt die konkrete Deutung auf die königliche Ansiedlung steuerflüchtiger Anachoreten möglich sein.184 Die Vergleichsstellen zeigen jedoch, dass es sich bei mnj um eine geprägte Formulierung handelt. Auch in den anderen Belegen würde eine rein auf das diesseitige Leben beschränkte Interpretation die Intention der Verse unzulässig einschränken. Wieder werden dem ntr Fähigkeiten zuge-

182

183

W b II, 7 3 - 7 4

Vgl. ASSMANN, Stein und Zeit, 181. Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 74: „Neben materieller Saturiertheit (s. nb.w-chcw) und gesellschaftlicher Einbindung (s. nbw hnw) ist er (sc. der König) ferner der Garant eines sicheren Ortes, an dem es sich leben läßt, an dem man eben .anpflocken' kann... Wenn so richtig verstanden, liefert dieses Verspaar 7-8 einen weiteren, unmißverständlichen Hinweis auf die zu Zeiten des MR recht verbreitet gewesene Anachorese..." 184

98

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

sprochen, die in anderen Lehren nur das eigene, den Lehren entsprechende richtige Verhalten bewirken kann. Die im folgenden Vers bezeichnete Heilung des Hörsinns und der Sprachfähigkeit schafft die basalen Voraussetzungen zur Teilnahme an einer Sprachund Wortkultur. Da die Lehre eines Mannes aus einer solchen Kultur für eine solche Kultur verfasst ist, geht es in dieser Zusage um mehr als um die Propagandafahigkeit eines Menschen.185 Der gesamte Sprachbereich und damit die entscheidende Zugehörigkeitsvoraussetzung zur Elite wird abhängig gemacht vom ntr. Die hier vom König vermittelte Hör- und Sprachfahigkeit gehört in den anderen Lehren zu deren vordringlichen Lernzielen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es eine Verflachung der Aussage bedeutet, wenn Hören und Sprechen mit dem Aufnehmen und Weitergeben von Propaganda gleichgesetzt werden. Dafür sind die beschriebenen Fähigkeiten viel zu sehr im weisheitlichen Diskurs verankert, wo sie eben nicht lediglich das Formulieren königlicher Lobpreisungen und Hören seiner Wünsche 186

meinen. Mehrfach werden in dieser Strophe Ideale und Lernziele der Lehren aufgenommen. Sie werden auf neue Weise rückgebunden an eine außerhalb des Lernprozesses stehende Kraft. Der ntr wirkt wie eine ideale Lehre auf seine Untertanen und hat doch mehr Macht als ein Lehrer, weil er selbst die Folgen des Lernprozesses verfugt. Dabei korreliert die Fürsorge des ntr dem Handeln des Einzelnen. Der Gott lässt ihn Teil der Elite sein, wenn er selbst sich in den göttlichen Plan einfugt: §5 4 5

Du wirst über bedeutenden Besitz (wr) verfugen, wenn du deine Lebenszeit {chc.w^k) im Rahmen (m-hnw) des Plans {shr(w)) deines Gottes (ntr-k) verbringst (jrr).

Die Formulierung der Verse erinnert an die Maximen 5-6 in Ptahhotep. Der Plan (shr) wird dort ganz im Bereich menschlich lehrhafter Mitteilung verwendet, ebenso bezieht sich die Aufforderung zum Leben im Inneren (mhnw) des Friedens auf ein Sicheinfugen in die Ordnung der Götter in Harmonie mit dem sozialen Umfeld. Der Begriff des Gottesplans (shr(w)-ntr) ist dagegen ein vor allem im Bereich der Persönlichen Frömmigkeit häufig begegnender Terminus, der die vom Gott in die Welt eingeschriebene Ordnung und Planung beschreibt, „it is 'fear of god' and loyalty to him, which

185

Anders FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 74ff. Anders FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 77: „Die Aussage des Verses besteht natürlich darin, daß sich dem erfolgverheißenden Einfluß des Herrschers weder der - in übertragenem Sinne - .Stumme' noch der ,Taube' entziehen, ja sie vielmehr zu bereitwilligen Empfangern der massiven Königspropaganda werden und in deren Gefolge auch selbst zu Propagandisten." 186

C. Die loyalistischen Lehren

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occupies a major place in the life of the believer."187 Der vorgegebene Rahmen des Lebens wird nicht mehr wie in der Lehre des Ptahhotep vorwiegend sozial bestimmt als Verantwortung gegenüber den Vielen und dem allgemeinen Frieden, sondern personal, wobei die Planungshoheit wieder vom Einzelnen auf den ntr übertragen wird. Entsprechend soll der Einzelne dem ntr auch das diesem selbständigen Planen und Handeln innewohnende Herz gänzlich übereignen. An verschiedenen anderen Stellen der Lehre werden noch einmal diejenigen positiv bedacht, die sich mit ihrem Handeln und Denken im richtigen Bereich befinden: Sie werden großen/ bedeutenden Besitz (§ 5,4) und eine Grabstätte haben (§ 8,7f.), unter Umständen sogar im Pyramidenbezirk (§ 7,6). Wie die meisten kulturellen Gruppen bestimmen auch die Urheber dieser Lehre sehr genau diejenigen, die sich im „inner circle" befinden, und diejenigen, die nicht dazugehören. Als Spezifikum bleibt hier festzuhalten, dass die Zugehörigkeit als nicht abgeschlossen aufgefasst wird und dass sie zugleich an überkommene weisheitliche Ideale gebunden und von einer außerhalb stehenden Person/ Gottheit (ntr) abhängig gedacht wird. b) Der Gott und der König

Ein nicht weiter definierter ntr umfasst mit seinem Plan und Rat (shr) den im vorherigen Abschnitt beschriebenen Heilsbereich. Bis zur sechsten Strophe gibt es keine ausdrückliche Lösung der Frage, um wen es sich bei diesem ntr handelt, den zu preisen und zu lieben schon die zweite Strophe aufforderte: §2 1 2 5

Wende (stri) dein Herz (jb-k) nicht vom ntr (Gott/ König) ab, preise (dw>) ihn , liebe (mr(j)) ihn als „Sympathisant" (mr)... Bedeutender (yvr) ist er als Millionen Mann

für den, den er schätzt (ntj hs.n^f), 6

8

(wie) ein Bollwerk ist er für den, der ihn zufriedenstellt (s:htp -.sw),...

Dem, den er liebgewonnen hat (n- mr.n^f), schenkt er sein Herz (dd

jb~f)."m

Die Handschriften des Neuen Reiches haben ihre Deutung des ntr als König (nzw) in die zweite Zeile der Strophe eingeschrieben. Die Gleichsetzung, die sie damit vornehmen, zerstört jedoch die in der Lehre sonst so sorgfaltig konzipierte Doppelsinnigkeit. Die Aufforderung zum Königslob in der 187

SHUPAK, Where can Wisdom be found?, 43. Vgl. für die Verwendung im Rahmen der Persönlichen Frömmigkeit auch: VITTMANN, Altägyptische Wegemetaphorik, 49ff. 188 Vgl. FLSCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 47: „Selbst wenn nsw.t in DeM 1665 1+ und CGT 54016 nicht die originäre Lesung sein sollte, expliziert sie das Verständnis der antiken Kopisten, die vorgängiges ntr eben als ,König' interpretiert haben, wie wir Modernen es ja z.T. auch tun." 189 Übersetzung nach FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 432f.

100

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

sechsten Strophe wird deshalb später auf den Anfang der zweiten Strophe abgefärbt haben. Die Darstellung des Helden der Lehre erhält ihre Zuspitzung am Übergang vom fünften zum sechsten Paragraphen. Zum einen wird hier erstmals ausdrücklich zum Königslob aufgefordert, was die Deutung des Helden als König nahelegen würde. Es wäre plausibel, ihn auch mit dem persönlichen Gott zu identifizieren, unter dessen Vorsehung der Mensch leben soll. Zum anderen stellt die anschließende Zeile Gott und Königsamt einander direkt gegenüber, wodurch sie ausdrücklich voneinander geschieden werden: 190 §5 4 5 §6 1 2

Du wirst über bedeutenden Besitz (wr) verfugen, wenn du deine Lebenszeit (chc.wk) im Rahmen ([m-hnw) des Plans {shr(w)) deines Gottes (ntr-k) verbringst (jrr). Preise (dw>) und verehre (s: wJf) den König (nzw) von Ober- und Unterägypten, denn es ist ein Amt (jlw.t -pw) von Gott her (n.t hr- ntr).

Das Königsamt wird vor allen andern Ämtern dadurch ausgezeichnet, dass es ein Amt von Gott her ist. Mit dieser Wertschätzung des königlichen Amtes wird allerdings gleichzeitig eine deutliche Trennung vollzogen: Wenn das Amt von Gott gestiftet wurde, dann steht der König dem Gott als Amtsempfanger gegenüber. 192 Zudem widerspricht die Rede vom königlichen Amt dem Dekorum der königlichen Göttlichkeit, weil es seine Aufgabe mit anderen vergleichbar macht. In § 6,2 bezeichnet ntr deshalb ganz deutlich eine vom König verschiedene, ihm gegenüberstehende Person. Bis auf die Aufforderung zum Lobpreis des Königs in der sechsten Strophe, mit der der König im gleichen Moment vom ntr geschieden wird, erwähnt ihn die Lehre nicht. Unbenommen der von Blumenthal nachgewiesenen Übereinstimmung der Formulierungen mit geläufigen Königsmotiven muss konstatiert werden, dass die explizite Bestimmung des ntr in der Schwebe gehalten wird. Mögen sich die Rezipienten auch sicher gewesen sein, es werde über den König gesprochen und zum Königslob aufgerufen, vermeidet der Text dennoch jede Formulierung, die etwa eine eindeutige Identifizierung von ntr und König zuließe. Anstößig genug erscheint hingegen 190

Vgl. dazu auch JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 97-99. Übersetzung nach FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 433f. 192 Vgl. BLUMENTHAL, ZÄS 107, 37. Sie interpretiertßw.t als menschlichen Beruf und als Verzicht auf eine Sonderstellung. Eine Sonderstellung ist dieser von Gott gegebene Beruf meines Erachtens zwar gegen BLUMENTHAL schon, schließlich drückt er eine besondere Nähe zum Gott aus, aber die Sonderstellung bedeutet keinen qualitativen Sprung: Der König bleibt Mensch im Gegenüber zum Gott, er rückt dem Gott aber näher als es ein gewöhnlicher Sterblicher vermag. 191

C. Die loyalistischen Lehren

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die dargestellte Abhängigkeit ursprünglicher Lernziele der Lehren von einer Person. Jedoch sollte nicht vergessen werden, dass es schon bei Ptahhotep eine gewisse Handlungsausstattung durch den ntr gab. Er konnte auch dort das hörende Herz verleihen. An dieser Figur knüpft die Rede vom ntr in der Lehre eines Mannes an. Bei Ptahhotep und Merikare ist dieser ntr allerdings noch deutlich vom König unterschieden. Gott und König werden nicht ausdrücklich gleichgesetzt, auch wenn die Bild- und Sprachwahl dem Leser im Alten Ägypten eine Gleichsetzung nahegelegt haben wird. Für das Verständnis der Lehre als ganzer ist gerade die Betonung dieser Interpretationsoffenheit wichtig. Das offen gehaltene Wechselspiel von König und Gott im Begriff des ntr wird zudem zu den Schicksalsgöttinnen Renenet und Mesechnet in Beziehung gesetzt. Sie werden an zwei Stellen genannt, im dritten und im fünften Kapitel. In ihnen wird ihre Wirksamkeit und Kraft zugleich bestätigt und deutlich eingeschränkt. §5 1 2 3

All dies vollzieht sich innerhalb der (zugemessenen) Lebenszeit (m- hnw chc.w), ohne dass Renenet und Mesechnet etwas dagegen unternehmen könnten, außer dass sie die Nase mit Luft versorgen.

Die Aufgabe der beiden Geburts- und Schicksalsgöttinnen ist die, für den Rahmen des Lebens zu sorgen, Anfang und Ende festzusetzen. Der Einflussbereich des in diesem Hymnus benannten ntr endet, wie oben gezeigt, nicht mit dem Tod. Anfang und Ende des Lebens sind vom Heilsbereich des ntr umfangen. Dass Tod und Geburt anderweitig festgelegt werden, kann seine Macht nicht schmälern, weil er auf einer Ebene agiert, die von Zufälligkeiten des menschlichen Lebens nicht tangiert wird. Deshalb berührt der ntr den Machtbereich der Schicksalsgöttinnen nicht: §3 1 2 3 4 5

Wird etwa die Sache der Renenet übertreten? Wird denn die Lebenszeit auch nur um einen Tag verlängert (w>h.tw hrw n- chc.w), oder andererseits: wird sie (vorzeitig) verkürzt? Mesechnet ist, wie sie am Anfang war (mj- zp-s tpj)\ es gibt keinen, der an seinem Schicksal vorbeikönnte (nn -hd -S!.n-f ).

Hier wird ausdrücklich an eine überkommene Vorstellung angeknüpft. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als würden die traditionellen Götter abgeschafft werden. Niemand will sie in Frage stellen. Sie entfalten ihre Macht jedoch auf einer anderen Ebene, die mit der Totalität der für den ntr propagierten Macht nichts zu tun hat. Der Machtbereich des ntr, der - wie es gerade in der vierten, von den beiden Strophen über die Schicksalsgöttinnen eingerahmten, zu lesen ist -

102

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

auch vorgegebene, schicksalhafte Zugehörigkeiten zu ändern vermag, befindet sich jenseits der Bestimmungen der Schicksalsgöttinnen. Der König ist der Lebensgestalter.193 Sein Machtbereich ist gegenüber dem des menschlichen Lebens mit seinen Wechselfallen ein gleichbleibender, unveränderlich ewiger. Fecht unterstellt, die beiden Schicksalsgöttinnen würden vor allem genannt, um einem mit der Lehre bekämpften Schicksalsglauben niederer Volksschichten entgegenzutreten. Er setzt ihre Erwähnung zu der Lehre des Cheti in Beziehung, in der der Göttin Mesechnet Einfluss auf das Leben zugestanden wird.194 Der Schicksalsglaube werde in der Lehre eines Mannes aufgenommen und damit zugleich überwunden.195 Die Götter werden jedoch in diesem Text nicht bekämpft, sondern es wird ihnen die göttliche Gunst entgegengesetzt, die die Lebenswirklichkeit weitaus umfassender prägen kann, als die Schicksalsmächte es vermögen. c) „Dein Gott" und die Ebene der Innerlichkeit Der in Kapitel vier erläuterte und am Ende von Kapitel fünf näher umrissene Heilsraum wird nicht von einem beliebigen Protagonisten, sondern von ntr^k, dem persönlichen Gott, begrenzt: §5 4 5 §6 1 2

Du wirst über bedeutenden Besitz (wr) verfugen, c c wenn du deine Lebenszeit ( h .wk) im Rahmen (m-hnw) des Plans (shr(w)) deines Gottes (ntr~k) verbringst (jrr). Preise (dwf) und verehre (s:wJ,?) den König (nzw) von Ober- und Unterägypten, denn es ist ein Amt (jlw.t -pw) von Gott her (n.t

hr- ntr).

In der Bewertung der Ramessidenzeit wird heute, im Anschluss an Morenz, von einer neu entstandenen Gottesunmittelbarkeit gesprochen, die sich auch darin zeigt, dass ein zuvor unpersönlich ferner Gott ansprechbar wird für den Einzelnen und als persönlicher Gott auf dessen Leben bezogen wird.197 Diese Nähe und Ansprechbarkeit eines personalisierten ntr scheint indessen keine völlige Neuentwicklung der Ramessidenzeit zu sein. Die Nähe des Gottes ebenso wie seine zugewandte Bereitschaft zu hören, wurde auch in der Lehre für Merikare zugesichert. Der personalisierte ntr dagegen begegnet, wie oben 193

Vgl. FECHT, Schicksalsgöttinnen, 14-42. Vgl. FECHT, Schicksalsgöttinnen, 25. 195 Vgl. FECHT, Schicksalsgöttinnen, 35: „Vermutlich bekämpfte man damit auch bewußt einen Geist fatalistischer Gleichgültigkeit, an dessen Stelle man den Willen zu energischem Handeln für den König zu setzen wünschte." 196 Übersetzung nach FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 433f. 197 Vgl. Morenz, Heraufkunft, 30. 194

C. Die loyalistischen

Lehren

103

zu sehen ist, schon in der Lehre eines Mannes, wenngleich er hier nicht so sehr den transzendenten Gott meint, als vielmehr auf subtile Weise den zu verehrenden König bezeichnet. Die neue Tendenz zur Innerlichkeit zeigt sich in der Lehre eines Mannes aber nicht nur in der Personalisierung des ntr. Es sind vor allem die königlichen Beziehungsappelle, die emotional formuliert werden. Die bereits angesprochene Aufnahme des Handlungskreislaufs geschieht unter der Maßgabe gesteigerter Innerlichkeit: §2 1 2 5 6 8

Wende (stn) dein Herz (jb=k) nicht von ntr (Gott/ König) ab, preise (dw>) ihn, liebe (mr(j)) ihn als „Sympathisant" (mr)... Bedeutender (wr) ist er als Millionen Mann für den, den er schätzt (ntj hs.n-f), (wie) ein Bollwerk ist er für den, der ihn zufriedenstellt (s. htp -sw),... Dem, den er liebgewonnen hat (n- mr.n-f ), schenkt er sein Herz (dd j b - f ) .

Die königliche Rolle, die das Herz etwa in der Lehre des Ptahhotep innehat, macht deutlich, dass es auch in den Herzensaufforderungen der Lehre eines Mannes um mehr geht als um königliche Herzensangelegenheiten. Die gesamte innere Aufmerksamkeit des Adressaten wird verlangt, und diese Forderung scheint sich in Begriffen aus dem Bereich der Liebesbeziehung am besten umschreiben zu lassen. Der Adressat soll seine Liebe ( m r ( j : ) ) und sein Herz (jb) in Beziehung zum ntr bringen. Diese königliche Forderung kann als unmittelbare Reaktion auf die in der Lehre des Ptahhotep sichtbare „Hochschätzung des Herzens" beschrieben werden: „Erst nachdem das Konzept des Herzens, d.h. eine innere Instanz von Wille, Erkenntnis und Initiative nicht mehr als das Prärogativ des Königs galt, sondern zum Schlüsselbegriff eines allgemeinen Menschenbildes geworden war, konnte und musste dem wieder erstarkten Königtum daran gelegen sein, sich auch und gerade der ,Herzen' seiner Untertanen zu versichern."198 Die Entdeckung des Herzens und der Innerlichkeit ist eine hauptsächlich der Ersten Zwischenzeit zu verdankende Thematik des Mittleren Reiches. Die mit dieser Entdeckung zunächst verbundenen Emanzipations- und Distinktionsbestrebungen galt es im Interesse des Königtums wieder an eine größere Ordnung rückzubinden. Die erste Ansprache des Herzens geschieht noch in der für die Lehren geläufigen Form, indem das Herz als Organ der Wahrnehmung beschrieben wird. So zeigt es die Formulierung im Aufmerksamkeitsruf199 des Prologs: 4

198 199 200

Wende (fh)200 dein Herz (jb*k) nicht ab von dem, was ich dir zu sagen habe (dd.tj n~k)\

ASSMANN, Zur Geschichte des Herzens, 102. Vgl. RÖMHELD, Wege der Weisheit, 19. Anders FlSCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 26. Er versteht die Form als Vetitiv.

104

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Erst in den folgenden Zeilen wird das Herz vor allem zum Ort der geforderten Königsverehrung. Vornehmlich wird die Innerlichkeit sowohl des Adressaten als auch des „Helden" der Lehre in der Darstellung des Gegenseitigkeitsprinzips gebraucht. Auf diese Weise wird der Handlungskreislauf qualitativ neu bestimmt. So ist das Thema der bereits zitierten zweiten Strophe, in der die Häufung verschiedener Ausdrücke der Innerlichkeit augenfällig wird, das Verhältnis der Gegenseitigkeit von ntr und Adressaten. §2 8

Dem, den er liebgewonnen hat (»schenkt er sein Herz (dd jb-f).

mr.n-f),

Nicht allein der Preisende soll sein Herz zum Lob erheben und seine vernünftige Innerlichkeit nicht vor dem Verhältnis der Gegenseitigkeit verschließen, auch der Gepriesene gibt eine solche Innerlichkeit preis, so dass die entstehenden Handlungskreisläufe201 das jeweilige Personenzentrum mit umfassen. In den folgenden Gegenseitigkeitsformulierungen kann zwischen ideellen und materiellen Gaben für den Loyalen unterschieden werden. Dabei fallt auf, dass die ideellen Gaben von einer Person gespendet werden, hier gibt „er" sein Herz oder ist ein Schutzdamm, wohingegen die materiellen Gaben unpersönlich formuliert werden: §2 7

wer ihn (dienend) umgibt (jw phr n~f), der wird sehr reich sein (r- wr hr.t-f).

Diese unpersönliche Formulierung des aus dem guten Verhältnis zum König sich ergebenden Wohlstandes findet sich auch: §4 4 5 6

Wer an letzter Stelle stand, ist jetzt an erster. Wer nicht das Notwendigste hatte, hat (jetzt) Schätze, wer wenig (Land(?)) hatte, hat (jetzt) eine Klientel.

Die innerliche Redeweise ist dem Umstand geschuldet, dass die Adressaten der Lehre sich der Bedeutung des eigenen Geistes sehr wohl bewusst sind. In der Lehre des Ptahhotep reicht es dem dargestellten König Asosi, sich als Auftraggeber zu präsentieren und mit den Untertanen einen die m]c.t ein201

Vgl. FISCHER-ELFERT, Lehre eines Mannes, 52-57, 57: „Angesichts dieser Tatsache, daß das jw-A r-B-Muster (zu A r-B verkürzt) auch einen für beide Seiten negativen TunErgehen-Zusammenhang zu verbalisieren vermag, erscheint es fraglich, ob der Terminus ,Makarismos', also ,Seligpreisung', überhaupt angemessen ist. Deshalb plädiere ich für eine Subsumierung der Basisstrukturen B-A und (jw)-A r-B unter den gemeinsamen Oberbegriff ,Gegenseitigkeits-' oder .Retributionsformel', unter Berücksichtigung der (mitunter) kreisförmigen Direktionalität von Aktion und Reaktion. Letztere Ausprägung impliziert folglich eine insgesamt dreifache Repräsentanz der Akteure im Verhältnis 1:2: Entweder der König wird zweifach genannt und der Beamte nur einfach oder umgekehrt."

C. Die loyalistischen Lehren

105

schließenden Handlungskreislauf zu bilden. Um der Eigenständigkeit seiner Untertanen willen toleriert er sogar die royale Aufwertung des Herzen. Ganz anders begegnet das Königtum diesem Herzen in der Lehre eines Mannes, indem es die in Ptahhotep geschuldete Verantwortung gegenüber dem sozialen Nächsten, dem Gott und darin auch gegenüber der nt)c.t ersetzen will durch eine alleinige Ausrichtung auf den König. Der aus Ptahhotep und Merikare bekannte Handlungskreislauf wird intensiviert zu einem Kreislauf der Innerlichkeit, in der Herz und Herz einander gewidmet werden. Gleichzeitig werden die direkten Handlungskreisläufe nur auf der Ebene des ideellen Austausches betont. Sobald es um materielle Folgen der Gegenseitigkeit geht, wird die Personalität des Handlungskreislaufes unterbrochen zu einer unpersönlich formulierten Ordnung. Die Ebene der Innerlichkeit wird allein für die Beziehung bemüht. Für alle über die Beziehung und die Zugehörigkeit zur Gruppe der Wortfähigen hinausgehenden Gaben und Wirkungen bedarf es dieser besonderen Form der Zuwendung nicht. Hier wird eine Selbstregulierung des Heilsbereiches vorausgesetzt. d) Zusammenfassung Die Frage nach der Identität des ntr, oder, wie es Blumenthal formuliert, des „Helden" der Lehre, ist nicht in einem Satz zu beantworten. Sie wird von den Urhebern der Lehre bewusst in der Schwebe gehalten. Der ntr wird mit königlichen Motiven gezeichnet und scheint deshalb den König zu meinen. Allerdings wird nur an einer Stelle tatsächlich der König (nzw) angesprochen, und ausgerechnet dort ist er das Gegenüber des Gottes {ntr). Auf diese Weise gelingt es der Lehre, anstößige Gleichsetzungen zu vermeiden und dennoch die Dynamik einer Gottesbeziehung für das Verhältnis von Untertan und König zu nutzen. Dieses Verhältnis geht über alles hinaus, was vorher an Gottes- und Königsverhältnissen möglich gewesen ist. Das in der Lehre des Ptahhotep so deutlich und selbstbewusst hervortretende (königliche) Herz soll ganz in die Königsbeziehung hineingenommen werden. Dies hat zur Folge, dass auch die Lebensplanung im Inneren der Pläne des Königs stattzufinden hat und eine selbstverantwortete Lebensplanung im Gegenüber zum Gott nicht vorgesehen ist. Eindrücklich ist die Intensität, mit der die Lehre an weisheitliche Vorstellungen, wie sie vor allem aus der Lehre des Ptahhotep geläufig sind, anknüpft. Das Herz als Personenzentrum, Wortfahigkeit und Hörvermögen, sowie Wissen und Beliebtheit werden als im Verhältnis zum König angesiedelt. Der König entscheidet über die Zugehörigkeit zur Elite. Nicht mehr der das weite Herz schenkende Gott, sondern der das Herz fordernde König wird zum Gegenüber der Beamten. Dem möglichen Vorwurf, die königliche Begünstigungspolitik führe zu einer Ochlokratie der Ungebildeten, wehrt die Lehre, indem sie den König nicht einfach die Elite küren lässt, sondern ihr dadurch

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II. Vom König zum Gott des Einzelnen

den Zugang zur Macht eröffnet, dass der König sie mit den wesentlichen Merkmalen der Bildungselite ausstattet. Auf diese Weise entsprechen die Untertanen dem Bildungsideal und gehören nicht nur aufgrund ihrer Macht zur Oberschicht. Die Teilhabe an den Bildungsgütern wächst dem Untertanen jedoch nicht voraussetzungslos zu. Der König teilt die aus den Lehren bekannten Bildungsgüter zu, will aber im Gegenzug über das ebenfalls aus dem Diskurs der Lehren geläufige Herz verfugen. Besonders in der Lehre des Ptahhotep hatte sich das Herz als die „königliche Instanz" im Menschen erwiesen. Dieser Instanz muss der irdische König sich versichern, so er aus dem Schatten treten will, in dem König Asosi in der Lehre des Ptahhotep steht. Auch diese Forderung des Herzens bedient sich einer bereits bekannten Argumentationsstruktur, nämlich der der mlc.tbildenden Reziprozität. Die Lehre eines Mannes lässt sich in ihrer Eigenart am besten vor dem Hintergrund der Lehre des Ptahhotep verstehen. Die Figuren des Königs unterscheiden sich in diesen beiden Lehren diametral voneinander. Gleichzeitig eröffnen die vielen Anspielungen auf die so unterschiedlich ausgerichtete Lehre des Ptahhotep und auf die ebenfalls in einem ganz anderen Kontext angesiedelten Klagen einen Subtext. Er wird nur für diejenigen der Rezipienten sichtbar, die über den notwendigen Bildungshintergrund verfugen. Unter der Hand führt er den Text über die auf die Spitze getriebene Beziehung zum König hinaus, um jenseits propagandistischer Formulierungen die Selbstversicherung der Elite über die von ihnen geteilten Werte zu ermöglichen. Das mit diesen Reminiszenzen an die Bildungswerte verbundene Klagemotiv erlaubt zudem eine innere Distanznahme zum geforderten Loyalismus.202 5. Die Loyalistische Lehre a) Gutes Leben im Königsgefolge Die Loyalistische Lehre will ihre Adressaten in doppelter Hinsicht vor einem als gefahrlich empfundenen Einzelgängertum bewahren.203 Um dies zu erreichen, zeigt sie in den zwei Teilen der Lehre auf, dass diese in zwei lebenswichtigen Beziehungen stehen. Im ersten Teil ist dies die Beziehung zum König, im zweiten die zu den Untergebenen und zur Gemeinschaft überhaupt. Für das Verhältnis zwischen dem gottähnlichen König und seinen Untertanen sind die ersten Zeilen der zweiten Strophe programmatisch, wie sie sich im Stelentext finden:

202

Vgl. PARKINSON, Poetry and Culture, 272. Vgl. beispielhaft § 10,7-9 in der Übersetzung von BRUNNER, Weisheitsbücher, 183: „... kein Herdentier sperrt sich selbst von der Koppel aus, es würde brüllen wie ein durstiges Tier abseits vom Brunnen." 203

C. Die loyalistischen

Lehren

107

§2 1 2 5 6

Verehrt (dw>) den König (nzw) in eurem Inneren (hnw), betet zu ihm (snsn) in euren Herzen (m- jb.w-tn)...204 Er ist die Erkenntnis dessen, was in den Herzen (hl.tjw) ist, 205 seine Augen durchschauen206 alle Leiber.207

Leib und Herz bezeichnen hier, chiastisch zugeordnet, das Innere des Menschen. Die mit diesem weiten Ausdruck umfasste Innerlichkeit scheint über die in der Lehre eines Mannes mit der Nennung des Herzens ausgesprochene hinauszugehen. Leib und Herz werden zum Ort der Königsverehrung, weil der König Herz und Leib kennt und durchschaut. Die Rede vom Herzen wird umgeben von der Rede über den Leib, wie auch sonst das Herz als Mitte des Leibes bezeichnet werden kann. Der Ort, der zum Ort der Anbetung und Verehrung werden soll, die innere Persönlichkeit des Menschen, wird als einer bestimmt, der der Wahrnehmung und Erkenntniskraft des Königs nicht verborgen bleibt. Der König sieht hinein bis ins Innerste des Menschen. Das ist die primäre Begründung für die im Innersten geforderte Verehrung. Der König erwartet innere Beteiligung und kann selbst sehen, ob diese auch tatsächlich geleistet wird. Die offengelegte Innerlichkeit wirkt zugleich einer Vereinzelung entgegen. Selbst das Innere wird hier zu einem Gegenstand unvermeidlicher Mitteilung. Es gibt keine Rückzugsmöglichkeit vor der verordneten Gemeinschaft. Der sehende König erinnert an den in der Lehre für Merikare gezeichneten Schöpfergott, der, jeden Namen kennt". Auch dort war die Wahrnehmung des Gottes als Beziehung stiftend beschrieben worden, sorgte aber auch dafür, dass jede Situation und jedes Handeln zu einem Handeln vor Gott und in Verantwortung gegenüber der Ordnung der m^.t wurden. Beide Aspekte, der der Beziehung stiftenden und der der bedrohlichen Nähe, können auch für die königliche Wahrnehmung in der Loyalistischen Lehre festgehalten werden. Der König durchschaut alle Leiber, und entsprechend gehören sie ihm. Die in der Lehre eines Mannes noch offen gehaltene Alternative zur Königsbeziehung wird in diesem ersten Teil der Lehre nicht mehr in Betracht gezogen. Ob er will oder nicht, der Mensch gehört selbst mit seiner Innerlichkeit dem König, weil dieser auch verborgene Gedanken kennt. Die Lebensherrlichkeit des Königs erstreckt sich, in großer Nähe zur Motivik des Schöpfungshymnus in der Lehre für Merikare, über den Bereich der 204 Vgl. POSENER, L'enseignement loyaliste, 20: „On donnera la préférence à la leçon de la stèle car snsn dans ce contexte est original et fort." 205 Sj3 wird nur in der Stelenfassung als die Göttin gezeichnet, sonst geht es hier nur um die Wahrnehmungen an sich. 206 dr bedeutet auch sich kümmern um. WB V, 539f. Die dadurch entstehende Doppeldeutigkeit der Formulierung dürfte kaum zufallig sein. 207 Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 101f., B 6.23, die feststellt, dass der Ausdruck im übertragenen Sinne von der Menschenkenntnis in Epitheta von Privatleuten gebraucht wird.

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II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

menschlichen Innerlichkeit hinaus auch auf den Bereich der Versorgung des Menschen. Vor allem die Metaphern, die vom König als Sonnengott Re sprechen, sind Bilder für seine Lebensmacht: §2 7 8 9 10

Er ist Re (R w -pw), unter dessen Leitung (ssm.w-f ) man lebt, wer in seinem Schatten (sw.t) ist, wird ein Großer seines Besitzes sein. Er ist Re, durch dessen Strahlen {stw.t-f) man sieht/ der durch seine Strahlen gesehen werden kann (mJJ.w), der die beiden Länder (tlwj) mehr erleuchtet (s:hd.w) als die Sonne (r- jtri),

Vergleiche auch: §3 3 4

Er lässt grünen (s.w'ld) mehr als eine hohe Nilüberschwemmung ( h c p j 9), und er füllt (mh.n^f) dabei Ägypten mit siegreicher Macht (m- nht 'nh)l Fruchtbäumen (ht.(w) n(j) 'nh)7208

Licht und Wasser sowie der vom Wasser gebrachte Nährschlamm sind die Grundlagen altägyptischer Agrarwirtschaft, oder, allgemeiner gesprochen, alles natürlichen Lebens. Indem der als Re gezeichnete König über beides die Macht hat, wird er als Herr der Erhaltung und des Lebens dargestellt.209 Die Beziehung, zu der der Adressat aufgefordert wird, bekommt so eine materielle Basis. Es geht bei der innerlichen Zuwendung zum König nicht nur um geistige Zugehörigkeit zum Kreis der Loyalen, sondern auch um materielle Versorgung, um ein Leben in einer geschützten Welt, die die physische Erhaltung jedes Einzelnen gewährleistet. Selbst die den Menschen versorgende und ihn umgebende Welt wird personalisiert und dem Machtbereich des Königs zugerechnet. Er herrscht gottgleich über Natur und Kultur und ist damit der Herr allen Lebens. Licht und Brot kommen vom Gott; darüber hinaus ist er der Schutz seiner Anhänger, die sich in seinem Schatten bergen. Das Motiv des Sonnenschattens (sw.t) findet sich nicht nur hier. Es ist ein häufig verwendetes Bild für den durch den Gott erfahrenen Schutz. Dabei ist die Formulierung missverständlich, da nicht ohne Weiteres zu sagen ist, ob es sich tatsächlich um einen Schatten handelt, oder ob er nicht gerade im Zusammenhang mit der Rede vom Sonnengott eher dessen direkten Wirkungsbereich, also die Sonneneinstrahlung bezeichnet.210 208

Fruchtbäume findet sich in der Langfassung, die Stelenfassung ist phonetisch ähnlich und bedeutet siegreiche Macht. Die kursive Variante bleibt damit innerhalb des schon in der vorangehenden Zeile eröffneten Bildes 209 Vgl. POSENER, L'enseignement loyaliste, 23: Vegetation und Re entsprechen einander. 210 GEORGE, Schatten als Seele, nennt verschiedene Bedeutungsfelder des Schattens und subsumiert die vorliegende Stelle unter der Bedeutung des Schattens als Kühle, als Schutz vor Sonne. Vgl. GEORGE, Schatten als Seele, 5: „Unter diesen Aspekt am ehesten gehören die

C. Die loyalistischen Lehren

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Wie der im Schöpfungshymnus der Lehre für König Merikare besungene ntr gibt der König Licht und lässt es grünen. Bei Merikare agiert Gott in deutlicher Rückbindung an die ethische Disposition der Empfänger seiner Gaben. Die Menschen sind der Grund für seine Schöpfertätigkeit, aber auch für seine Abwehr. Er handelt um ihretwillen. Auch in der Loyalistischen Lehre geschieht eine vergleichbare Bindung der göttlich-königlichen Schöpfertätigkeit an die Menschen: § 3 (Stelenfassung in Klammern, Schipper 164) 5 Wenn die Nasen (fnd.w) verstopft/ kühl sind (dbV qbb), kommt es, weil er im Begriff ist, sich zu erzürnen (w>j-f r- nsr), 6 ist er gnädig (htp^f), so atmet man (tpr) seinen (Lebens-)odem (6V). 211 7 (Er gibt Lebensmöglichkeit/ Nahrung (kl/ kl. (w)) denen, die ihm folgen (sms.(w)-f )™) er speist (dfi(.w)/ s:dß~f) den, der sich auf seinem Weg hält (mdd mtn-f).

Wohlergehen und Leben, aber auch Entzug des lebensnotwendigen Atems kommen vom König. Zugleich jedoch werden sie abhängig gemacht von der Treue und Folgsamkeit des Menschen. Wieder offenbart sich die Ambivalenz des administrativen Handelns, das die ganze Lebensmacht in seiner Hand hat und dem Menschen deshalb sein Leben auch nehmen kann. Wie in der Lehre für König Merikare wird „Schöpfung" auch in der Loyalistschen Lehre auf den Menschen bezogen, und wie dort wird dem erschaffenden Handeln das strafende unmittelbar entgegengesetzt. Diejenigen Menschen, die sich auf seinem Weg halten, und diejenigen, die ihm folgen, erhalten Anteil. Doch auch auf diejenigen, die die Gefolgschaft verweigern, reagiert er machtvoll. Aktion und Reaktion des Königs sind nicht anhand der menschlichen Taten zu errechnen, sind doch Zorn (nsr) und Gnade (htp) Motivationen des Königs, die nicht unmittelbar vom Verhalten der Untertanen abhängig gemacht werden. Die beiden Zeilen, die die Lebensmöglichkeit an die Zuwendung des Königs binden, werden zwar durch die folgenden Zeilen gedeutet, in denen die Stimmung des Königs mit der Haltung der Untertanen verknüpft wird. Dennoch bleibt durch die Nennung von Zorn und Gnade und durch die nur .Sonnenschatten', eine vor allem mit dem Sonnengott verbundene Tempelart vom Neuen Reich bis zur Spätzeit belegt, die jedoch dem Verständnis noch manche Schwierigkeit bereitet." 211 Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 345f., G 6.6 und KUENTZ, Deux Versions, 105f. 212 Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 341, G 5.41, zur Gefolgschaft: „,Der dem Weg dessen folgt, der ihm wohltut' ... mdd mtn: seit der 11. Dynastie belegte Formel für Gefolgschafstreue oder Ergebenheit des Beamten, meistens mit Titeln (...) oder Epitheta des Königs ... seit der frühen 12. Dynastie auch durch die synonyme Variante mdd wl.t. ergänzt" Vgl. aaO 343, G 5.48: „In Literaturwerken kann die Wortgruppe sms gleichfalls die Beziehung des Untertanen zum König bezeichnen, indem sie in den geordneten Ablauf des Do ut des zwischen König und Beamten einbezogen wird (...) oder sich durch die pädagogische Tendenz einer Literaturgattung zum hyperbolischen Göttlichkeitsanspruch steigert (...)."

110

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

lose Verknüpfung der Motive miteinander ein königlich-göttlicher Handlungsspielraum der Willkür gewahrt. So wie der König als Herr der Lebensversorgung gezeichnet wird, ist er auch Herr über das menschliche Leben, indem er dem Menschen Atem gibt und die Möglichkeit zu sehen.213 Der Atem ist im Alten Ägypten eine der häufigsten Metaphern für das Leben.214 Atem und Augenlicht sind, neben der bereits angesprochenen Nahrung, die dem Menschen unmittelbarsten Lebensbedürfnisse. Der König sieht selbst und macht sehen. Wie in der „kleinen Genesis" bei Merikare wird auch hier die Doppelfunktion der königlich-göttlichen Solarität dargestellt. Vermittelt wird der König damit zum eigentlichen Schöpfer aller sichtbaren Dinge. Neben dem Licht ist auch die Versorgung des Menschen von diesem König abhängig. Der König speist den, der sich auf seinem Weg hält. Zumindest die Stelenfassung der Lehre verbindet den König noch ein weiteres Mal direkt mit der Ernährung: §5 1 2

Der König ist die fo'-Kraft, Überfluss ist sein Mund; der, den er entstehen ließ (s:hpr=f), ist einer, der dauerhaft sein wird (wnn.t(j)~f(j)).

Das eigentlich konsumierende Organ wird hier zum Spender von Kraft und Nahrung.215 Wiederum wird der König als Quelle der Lebenskraft ausgezeichnet, vor allem aber verleiht er die Dauer, nach der sich die Urheber und Adressaten der Lehren sehnen. Mit der Kraft des Königs wird nicht nur der nächste Tag überstanden, sondern er gibt eine Kraft, die dauern lässt und die deshalb als wichtiger beurteilt wird als das tägliche Brot. Verschiedene weitere Zitate betonen die Lebensmacht des Königs und die Notwendigkeit der Nachfolge, in der seine Lebenskraft wirksam wird. Der König ist Leben und Lebensmöglichkeit216, er garantiert körperliche Unver-

213 Vgl. ASSMANN, Ägyptische Hymnen und Gebete, 512: „Wir haben in diesen Versen die Frühform dessen vor uns, was ich in bezug auf ramessidische Amunhymnen die ,Lehre von den lebenspendenden Elementen' genannt habe: Licht: Sonne: schenkt Sehvermögen, macht die Welt begehbar. Wasser: Nilüberschwemmung: gibt Kraft und Leben durch Nahrung. Luft: Zorn und Gnade, schafft Beklemmung und Aufatmen." 214 Vgl. WESTENDORF, Art. „Atem", 5l7f. 215 Vgl. zu den verschiedenen Fassungen POSENER, L'enseignement loyaliste, 27f. 216 Vgl. § 4,7 Er bedeutet Leben für den, der ihm Verehrung zollt (Für 7f. ist die Stelenüberlieferung besser.) Ebenso: § 5,lf. Der König bedeutet Lebensmöglichkeit, sein Ausspruch Überfluss, wen er werden lässt, der hat sichere Existenz. Vgl. zum Motiv des nährenden Wortes POSENER, L'enseignement loyaliste, 27: „L'organe qui bénéficie de la chose devient la source de la chose, il se confond avec elle." Den Ernährungszusammenhang haben nur die kursiven Fassungen. Übersetzung bei GARDINER, Egyptian Grammar, § 197, 149: „He is one who (lit: he) brings into existence him who is to be."

C. Die loyalistischen

Lehren

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sehrtheit.217 Dabei erstreckt sich diese Macht nicht nur auf das Leben vor dem Tod. Auch in der Loyalistischen Lehre ist der König zudem Herr über das Jenseits und das dortige Wohlergehen des Menschen, weil er die Grabausstattung und den Grabplatz zur Verfügung stellt. Einzig wer ihm nachfolgt, kann davon ausgehen, dass sein Leben insofern sinnvoll weitergeführt wird, als ein Grabkult für ihn besteht. §3

9 11

Wem er seine Gunst schenkt, wird Opfergaben erhalten,... Die dem König treu sind, werden eine Grabausstattung erhalten...

Der Heilsbereich des Königs umfasst alle Dimensionen menschlichen Lebens bis in die verborgene Innerlichkeit jedes Menschen hinein. Ihm unterstellt sind alle natürlichen Lebensvorgänge, alle Lebensvoraussetzungen des Menschen. Er bindet seine Kraft an den ihm treu Ergebenen, der sich ihm verbindet. Weigert sich ein Mensch und übertritt die Grenzen dieses Heilsbereiches, die der göttliche König gesetzt hat, so wird der Heilsbereich zu einem Bereich der Verdammnis und der Verfolgung. Der schützende König wird zum strafenden. Diese Doppelgesichtigkeit des mächtigen Herrschers wird gerade an den Identifikationen mit verschiedenen Göttern deutlich. b) Die göttlichen Prädikationen des Königs Wie in der Lehre eines Mannes bleibt auch in der Loyalistischen Lehre der namentlich nicht näher bestimmte König in seinem Wesen von den Göttern geschieden. Gleichwohl wird sein Verhältnis zu ihnen unzweideutiger bestimmt als in der Lehre eines Mannes. Der größte Unterschied besteht darin, dass nicht verhüllend von einem ntr gesprochen wird. Der König wird als König benannt und als solcher mit göttlichen Prädikationen belegt. Die Scheidimg zwischen Göttern und menschlichem König bleibt bestehen, wiewohl der König ebenso deutlich von seinen Untertanen ab- und zugleich hervorgehoben wird. §5

3f.

Ein Erbe (jwc.t ~pw) ist er eines jeden Gottes (ntr nb(.tj), einer, der eintritt (nd. tj) für den, der ihn geschaffen hat (qml.w sw).

Sowohl als Erbe als auch als Verteidiger seines Schöpfers wird der König zum Gegenüber der Götter. Der König hat sein Amt von den Göttern geerbt, eine Vorstellung, die offenbar das Königtum auf eine Zeit zurückfuhrt, in der die Götter noch selbst Herrscher des Landes waren.218 In der Perspektive 217

Vgl. § 6,8f.: Betet den an, der die Doppelkrone trägt. Tut ihr dies, so wird euer Leib heil sein. 218 Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, 33: „Der Erbfolgegang Gott-König geht offenbar auf die Vorstellung vom vorzeitlichen Regiment des Geb zurück, der sein Erbe auf seinen Sohn Osiris und dessen Sohn Horus überträgt. So treten diese Götter primär in offiziellen

112

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

dieser Erbfolge ist das Amt ein göttliches Amt. Aber auch über die Erbfolge hinausgehend bleibt die enge Verbindung zwischen dem König und den Göttern bestehen. Die Götter verteidigen den König und vernichten seine Feinde. Das göttliche Amt ist auf die göttliche Unterstützung angewiesen. §5 5 6

Sie (die Götter)219 schlagen (hww^sn) für ihn (n-f ) seine Gegner (snty.w^f), während seine Majestät (Am=/) (LHG) in seinem Palast (m- ch~f ) sitzt.

Wie im ersten Zitat wird auch durch diese Zusage das Verhältnis doppelt bestimmt. Wieder wird die Nähe des Königs zu den Göttern betont, denn sie selbst schlagen seine Schlachten und strafen seine Gegner. Die Gegner des Königs sind entsprechend auch Feinde der Götter und es besteht zumindest in dieser Hinsicht eine Form der Willenseinheit zwischen den Göttern und dem König. Andererseits wird durch die Nähe auch der Unterschied deutlich. Dass die Götter für den König eintreten, bedeutet auch, dass er der Zahl der Götter gegenübergestellt ist. Gleichzeitig bezeichnet der Handlungskreislauf zwischen König und Göttern den König als anonymen Handlungsbeaufitragen der Götter auf Erden. Die für die Göttlichkeit des Königs auffälligste Redeweise bilden die hymnischen Sätze, die dem König neben den schon besprochenen Wesenszügen des Sonnengottes Re auch die anderer Götter zuschreiben.220 Nachdem die zweite Strophe die Ähnlichkeit des Königs zum Sonnengott ausgeführt hat, setzt in der fünften Strophe eine Gleichsetzungsrede ein, die jeweils identisch aufgebaut ist: In einem pw-Satz wird der König mit einer Gottheit identifiziert, wobei diese Gleichsetzung immer unter einem bestimmten Aspekt vorgenommen wird.221 Ein anschließender zweiter Vers präzisiert die Aussagen. Dass es sich bei der partiellen Identifikation um keine das Wesen Inschriften als Geber ihres Erbteils, d. h. der Herrschaft über Ägypten auf, und andere übernehmen die Funktion." 219 Wie an einigen Stellen in der Lehre des Ptahhotep werden auch hier die Götter nicht expressis verbis genannt, sondern die Personalendung =sn muss auf sie hin gedeutet werden. Da allerdings im vorliegenden Kontext der letztmögliche Bezugspunkt .jeder Gott" im dritten Vers ist, ist die Interpretation sogar relativ eindeutig. 220 Nach POSENER, L'enseignement loyaliste, 20, beginnt diepw-Serie schon in Zeile 5. Er hebt hervor, dass es bei diesen Sätzen nicht um eine Identifikation von König und Göttern geht, aaO 21: „Les rapprochements de ce genre ne constituent pas des identifications." 221 GRAPOW, Beiträge, 22, hat noch zwei andere Beispiele für diese Form, u. a. Sinuhe und das dritte Lied aus dem Kranz der Sesostrislieder aus Kahun: „Alle drei Lieder bringen die Aussagen über den König in derselben Form der Nominalsätze mit pw, unterscheiden sich aber inhaltlich darin, daß jedesmal anderes in Beziehung zum Gepriesenen gesetzt wird." Für diese Stelle ist nach Auffassung von GRAPOW, Beiträge, 25, bemerkenswert, dass ganz unterschiedliche Satzformen nebeneinander verwendet werden: „Denn es sind ja Sätze mit nur kopulativem pw, nicht solche mit pw als pronominalem Subjekt."

C. Die loyalistischen

Lehren

113

betreffende Gleichsetzung zwischen König und Göttern handelt, liegt nahe, weil die Göttlichkeit jeweils auf bestimmte Situationen und Aspekte des königlichen Handelns bezogen ist. Dem König eignet die Göttlichkeit nicht an sich, sondern sein Agieren wird mit dem des Gottes verglichen, dessen Fähigkeiten ihn für den angesprochenen Bereich prädestinieren. 222 Im Folgenden soll kurz auf die jeweils mit der Gleichsetzung verbundene Eigenschaft des Königs eingegangen werden. §5 7 8

Atum ist (Jtm -pw) er für den, der die Halswirbel knüpft (tz wsr.(w)t), sein Schutz (ziw-f ) ist bei dem, der seine Macht (b>.w~f) ausbreitet.

Das Knüpfen der Halswirbel ist vergleichbar mit dem Einhauchen des Lebensodems durch die Nase. Belebung und Lebensschutz gehen vom König aus. Atum ist der ungeteilte Gott, der Urgott aus Heliopolis, der aus sich, nämlich masturbierend, das erste Götterpaar erschafft. Er symbolisiert die Urzeit, die sich dadurch auszeichnet, dass eine Unterscheidung, also eine Zweiheit, noch nicht gegeben ist. Er erzeugt die erste Zweiheit aus sich.223 In der Loyalistischen Lehre scheint der König wie Atum einen niederen Gott (den, der die Halswirbel knüpft) einzusetzen, um diese Aufgabe ausführen zu lassen. Der für diese Aufgabe prädestinierte Gott ist Schu, der auch im System der Neunheit von Heliopolis die Luft als den Abstand zwischen Himmel und Erde verkörpert.224 Er bildet zusammen mit Tefnut das erste von Atum erzeugte Götterpaar. Indem Atum in dieser Aufzählung als erster Gott genannt und ihm neben dem Schutz der Befehl über den Lebensatem zugesprochen wird, wird der König mit den ersten beiden Generationen der heliopolitanischen Neunheit in Beziehung gesetzt. Die erste Prädikation des Königs bezieht sich damit positiv auf seine loyalen Untergebenen. Zugleich setzt sie ihn in der Götterhierarchie an den Uranfang. Auch die zweite Prädikation nimmt die königliche Schöpferkraft auf: §5 9 10

222

Chnum (Hnmw -pw) ist er für jeden Leib (n- hc.w -nb), der Erzeuger (wtt. w), der die Menschen225 (rhy. t) geboren werden lässt (s. hpr).

Vgl. dazu BLUMENTHAL, Phraseologie, 105: „Die Identifikationen, die in gleicher Weise auch für Privatleute verwendet werden können, sind also Vergleiche von gesteigerter Intensität, und wie die Vergleiche müssen sie als Metaphern ohne aktuelle dogmatische Verbindlichkeit betrachtet werden..." 223 Vgl. HORNUNG, Der Eine und die Vielen, 272. 224 Vgl. HORNUNG, Der Eine und die Vielen, 68f. 225 rhy.t Menschen im Gegensatz zu Göttern: WB II, 447.

114

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

In diesem Satz wird die Schöpfertätigkeit des Königs konkret in Bezug auf die Menschenschöpfung aufgenommen. Chnum, der widderköpfige Schöpfergott, erschafft auf seiner Töpferscheibe die Lebewesen.226 Für die Erschaffung der Menschen wird bezeichnenderweise nicht der Terminus rmt (Menschen) benutzt, sondern rhy.t (Untertanen). Die Schöpfertätigkeit des Königs ist begrenzt auf die Menschen als Untergebene. Auch hier geht es demnach kaum um die Rückführung der Erschaffung des Menschen auf den König, vielmehr sind die Menschen als Untertanen (rhy.t) von ihm als ihrem Lebensherrn und damit als ihrem Schöpfer abhängig. Nach diesen beiden Urgöttern wird der König zu den weiblichen Katzengottheiten Bastet und Sachmet in Beziehung gesetzt, die die zwei Seiten derselben Macht verkörpern. Vermittels der Göttinnen werden so die dichotomischen Aspekte der königlichen Macht beleuchtet, die für den Loyalen und für den Widersetzlichen gelten: §5 11 12

Bastet ist er (B>stt -pw), die die beiden Länder schützt (hwj.t tlwj), und wer ihn verehrt (dw>), den wird sein Arm schützen (nh.w c(w)=f ).

Wiederum geht es um den durch den König zugesagten Schutz, hier allerdings zunächst nicht allein auf seine loyalen Untertanen bezogen, sondern auf seine schützende Macht über das ganze Land. Erst an späterer Stelle wird sein Schutz nur denen zugesagt, die ihn verehren. Zunächst einmal bedeutet der Vergleich eine Aussage über seine Macht, die sich wie die der Göttin über die beiden Länder erstreckt. Diese Macht setzt er für die ein, die ihm Verehrung zollen. Nur wer bereit ist, ihm entsprechend zu begegnen, erfahrt seine schützende göttliche Natur. §5 13 14

Aber Sachmet (Shmt -pw) ist er gegen den, der seine Weisung (wd.t) übertritt (thj), und wen er in Ungnade hält (sfi^f), der wird zum Vagabunden/ im Elend sein (smlw).227

Sachmet ist das alter ego der Bastet. Die beiden Katzengöttinnen symbolisieren Krankheit und Heilung und damit zugleich den Doppelaspekt jeglicher Macht, die heilend und zerstörerisch sein kann. So wie der König dem Treuen das anmutige Gesicht der Bastet zuwendet, so zeigt er dem Untreuen das furchteinflößende Löwenantlitz der Sachmet. Der König kümmert sich als 226 Er ist vor allem für die Zeugung der Menschen zuständig, wohingegen der erschaffende Ptah der gesamten Welt den Lebensatem einhaucht. Chnum gehört als Gott nicht in das System der heliopolitanischen Neunheit. Vgl. HORNUNG, Der Eine und die Vielen, 46. 227 Vgl. BLUMENTHAL, Phraseologie, B 6.13, 98: „Sachmet sendet als Wüstengottheit mit den jährlichen Winden auch die Seuchen. In dieser fürchterlichen Eigenschaft wird im NR mehrmals die Macht des Königs mit der ihren verglichen..."

C. Die loyalistischen

Lehren

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Bastet um die, die ihn verehren. Die jedoch, die den von ihm begrenzten Bezirk verlassen, seine Weisung also übertreten, ihnen tritt er als Sachmet gegenüber.228 Vier, mit den Ausfuhrungen über den Sonnengott Re fünf, Götter werden zur Macht des Königs in Beziehung gesetzt. Mit ihnen wird er mit der Spitze der Götter, dem ungeteilten Urprinzip Atum, gleichgesetzt und sorgt für den Lebensatem. Er selbst schafft seine Untertanen und lässt als Chnum den Menschen geboren werden. Der Beginn des Lebens liegt in seiner Hand. Als Bastet und Sachmet verkörpert der König die Ambivalenz jeglicher Macht, und der Vergleich macht deutlich, dass der Schutz der Loyalen mit derselben Energie verfolgt wird wie die Bestrafung derer, die seinen Heilsbereich verlassen. Die Gleichsetzungen unterstreichen Aussagen, die auch an anderer Stelle der Lehre zu finden sind und bestimmen das Bild nicht gänzlich neu. Dennoch vermitteln sie den Königsprädikationen eine neue Qualität, weil der König durch sie Anteil an der weltdeutenden Macht der Götter erhält. c) Die doppelte Gebundenheit in der

Gemeinschaft

Eine Besonderheit der Loyalistischen Lehre fallt schon im Prolog ins Auge: „an seine Kinder" richtet der Gottesvater seine Belehrung. Der Plural der Adressaten ist für eine Lehre ungewöhnlich und findet sich sonst nur vereinzelt. Hier ist der Plural dagegen für den gesamten ersten Teil durchgehalten. Die Belehrungen des zweiten Teils richten sich jedoch wieder an den Einzelnen, der dafür aber gegenüber der Gruppe seiner Untergebenen verpflichtet wird. Die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft, der er zugehört, ist eines der zentralen Motive beider Lehrteile. Die Angewiesenheit des Einzelnen auf die Gemeinschaft wird vor allem im zweiten Teil (§§ 7-14) betont. Das im Prolog als Ziel der Lehre formulierte „gute Leben" (cnh mjc), das Leben also, das den Gesetzen der mlc.t entspricht und zu einem Leben in Frieden (Stele § 1,8 - htp), beziehungsweise im Staat der Glücklichen (kursive Fassung § 1,8) führt, ist ein Leben, das außerhalb der Gemeinschaft nicht vorstellbar ist. Auffallig ist hier, dass der Begriff der m>c.t nur noch im Kontext des persönlichen Verhaltens und der Einbindung in die Gemeinschaft verwendet wird, aber für das Verhältnis zwischen König und Gott nicht mehr von Bedeutung zu sein scheint. Dieser ausdrückliche Bezug auf die Verantwortung des Einzelnen für die Gemeinschaft unterscheidet die Loyalistische Lehre von der Lehre eines Mannes. Die Gründe, die für die doppelte Einbindung in die Gemeinschaft im zweiten Teil der Lehre angeführt werden, sind durchaus praktischer Natur. Die Untergebenen sind das produktive Element: 228 Vgl. ASSMANN, Ägyptische Hymnen und Gebete, 512: „Bastet: Die lieblich-gnädige Göttin, und Sachmet, die furchtbarzornige; Inbegriffe des Doppelaspekts der Macht, die den Loyalen schützt und den Übertreter vernichtet."

116 §9 1 2 3

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Die Leute (rmt) sind es doch, die alles schaffen (s:hpr), was es gibt. Man lebt (cnh.tw) von dem, was durch ihre Hände wj-sn) geht. Wenn daran Mangel ist (g>j(j). tw)> herrscht Armut (swiw.fw)).

Leben ( c nh) selbst hängt demnach von diesen Arbeitern ab, diese These formuliert die Lehre mit erstaunlicher Bestimmtheit. Deutlich wird betont, dass es ohne die Arbeiter keine Nahrung gibt (§ 10,1). Auch die Fundamente des Hauses (§ 10,2f.) stützen allein die Diener, und die Nilüberschwemmung nützt nichts, wenn niemand da ist, der pflügen kann. Hier scheinen die Abhängigkeitsverhältnisse für einen Moment umgekehrt zu werden. Und diese Umkehrung der Verhältnisse wird bezeichnenderweise mit den gleichen Worten formuliert wie die Beschreibung des Königs als Re. So ist der Ausdruck s.hpr als göttliche Schöpfungsaussage geläufig, und das gleiche Verb wird in § 5,10 für die erschaffende Tätigkeit des Königs benutzt. Genauso wird die Zusage des Lebens (cnh) sowohl für den König (§ 2,7) als auch für die Leute (rmt) gegeben. Und selbst die für den Fall der kritisch betrachteten Individualität vorausgesagte Armut des Einzelnen lässt sich ohne Schwierigkeit mit dem vom König verfugten Reichtum verbinden. Auch die Erwähnung der Nilflut verbindet die beiden Lehrteile sowie die Rede vom König und von den Leuten. Der König wird mit der nährenden Nilflut gleichgesetzt, die allerdings nur im Verbund der Gemeinschaft Nutzen bringt. Ziel dieser Darstellung ist ein verantwortliches Wirtschaften nach den Regeln solidarischer Reziprozität, das heißt der mlc.t. Die Herren sollen sich ihrer eigenen Abhängigkeit bewusst werden und die Steuern und Abgaben nicht so hoch ansetzen, dass die von ihnen abhängigen Bauern in Armut oder Obdachlosigkeit getrieben werden. Es steht zu vermuten, dass der nachhaltige Hinweis auf die Abhängigkeit auch einen sozialgeschichtlichen Hintergrund hat. Kein gesellschaftlicher Zusammenhang ist mehr selbstverständlich. Das gilt für beide Beziehungen, für die zum König ebenso wie für die zur Gemeinschaft. Den Großgrundbesitzern und Herren wird ihre eigene Abhängigkeit vor Augen geführt, sie werden auf diese Weise gleichzeitig als stärkstes und schwächstes Glied dieser Gemeinschaft gezeichnet, das sein Schicksal allerdings sehr wohl unter Kontrolle hat: §12 7 8

Wer sich selbst bezwingt (swi.wf), hat Angehörige (mr(y).t), aber es gibt keine Erben (jwcw) für den Haltlosen (tjj hl.tj).

Einsamkeit und asoziales Verhalten werden in eins gesetzt.229 Vor allem wird daran deutlich, wie unnatürlich das solitäre Leben für den Menschen ist. 229

Vgl. PARKINSON, Individual and Society, 150: „Solitariness and individuality occupy a prominent role in all types of Middle Kingdom literature, but they are accorded a problematic

C. Die loyalistischen Lehren

117

Wiederum ist in diesem zweiten Teil der Lehre wie bei Ptahhotep und Merikare zu beobachten, dass an einsamen „Helden" in diesen Lehren kein Bedarf besteht. Anders als vor allem in der Lehre eines Mannes wird die individuelle Persönlichkeit als solche angesprochen, aber nicht um sie in ihrer Individualität zu fordern, sondern um sie wieder in die Gemeinschaft einzugliedern. Dies geschieht auch deshalb, weil die Wirkung des Einzelnen auf die gesamte Gemeinschaft bedacht wird, die diese Lehre zu schützen beabsichtigt: §13 1 Der Böse (dw) zerhackt (hbS) seine Siedlung (/;.) unter allen Umständen für die Leute (hr- rmt). 2 Sie sind eine Herde {cw.t -pw), die nützlich (>h.t) ist für ihren Herrn (n- nb^sri). 3 Sie sind es, durch die man Leben (cnh) findet (gmm.w).

Der Kampf für die Leute erinnert an den im ersten Teil der Lehre angemahnten Kampf für den König. Für beide wird unbedingtes Engagement verlangt, wobei den Adressaten der Lehre unvermittelt eine königlich-göttliche Rolle des Beschützers angetragen wird. Nicht nur der Einzelne soll für den König kämpfen, auch die Götter kämpfen für ihn, so wie die angesprochene Elite für die Leute kämpft. In der so gestalteten Szene sind alle Instanzen durch unbedingte Solidarität untereinander verbunden, denn auch der König verteidigt die Seinen mit ganzer Kraft. Die Bezeichnung der Leute als „Herde", die „Leben" bedeutet, beschreibt jedoch über diese Vernetzung hinausgehend eine weitere Rollenverschiebung: Die Sorge für die Herde hat status, and their ambivalence is mobilized in many texts. There is no trace of a 'romantic' sense of individual values in contrast to ideal society: 'as Berlev puts it, the texts offer no topos 'private versus state', the dualism that we set at the heart of our own description of societies."

118

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

an sich der königliche Hirte inne. Dass hier der Adressat auf ähnliche Weise zum Hirten gemacht wird, erhebt ihn gegenüber seinen Leuten zu einem König. Dass die Untertanen „Leben" bedeuten, genauso wie der König „Leben" ist, kehrt die Hierarchie innerhalb der gesellschaftlich gesetzten Grenzen um. Innerhalb der funktionierenden Lebensgemeinschaft trägt der Herr (nb) die Verantwortung für seine Untergebenen und sorgt für ihr Leben. Soweit alle Menschen eines Systems an dem ihnen zukommenden Platz in der Gesellschaft ihre Aufgabe vollbringen, ist das Leben aller bewahrt. Selbst die den Tod überdauernde Existenz hat nicht nur der König, sondern haben auch die Untergebenen in ihrer Macht. Auch sie sind unersetzlich, um die ersehnte Dauer des Menschen zu gewährleisten: § 14 4 Sehr nützlich (¡h) sind sie auch für den Grabdienst (smi -tJ).

Im Leben wie im Sterben besteht eine doppelte Abhängigkeit des Menschen sowohl vom König und seiner Gunst als auch von seinen Untertanen und ihrer Arbeit.230 Diese Dopplung weist einerseits auf die faktische doppelte Gebundenheit des Einzelnen in Beziehung zum König und zu seinen Untertanen. Andererseits wirkt die zum Teil wörtliche Wiederholung der Motive auch wie eine ironische Brechung der Machtaussagen des erstens Teils der Lehre. Neben der Verantwortung als Einzelne gegenüber der niedriggestellten Gruppe gibt es für die Adressaten noch eine Verantwortung, in der sie selbst Teil einer Gruppe sind, die Verantwortung gegenüber dem König trägt. In seinen beiden Hauptbezügen, gegenüber den Untergebenen auf der einen, gegenüber dem König auf der anderen Seite, wird der Verantwortliche als Gemeinschaftswesen gezeichnet. Einzelgängertum ist weder in der Herrschafitsausübung noch im Verhältnis zum Herrscher gefragt. d) Zusammenfassung Die Loyalistische Lehre stimmt mit der Lehre eines Mannes nach formalen und inhaltlichen Kriterien in vielerlei Hinsicht überein. Dennoch unterscheiden sich beide Lehren in ihrer Vermittlung von Göttlichkeit und Königlichkeit. Während in der Lehre eines Mannes verhüllend geredet wird, herrscht hier größere Klarheit. Mehrfach wird der König durch verschiedenen Götternamen prädiziert, seine Stärke und Macht wird mit mythischen Metaphern gezeichnet. Gerade weil der König jedoch zu namentlich gekennzeichneten Göttern in Beziehung gesetzt wird, ist eine ähnlich zweideutige Redeweise, wie sie in der Lehre eines Mannes zu finden ist, nicht beabsichtigt. Vielmehr partizipiert der König offen an der göttlichen Macht, bleibt dabei jedoch von den Göttern klar 230

Zur Bestattung siehe auch § 3, 9-11. Die Stelle ist jedoch nur sehr schlecht überliefert.

D. Gott, König und Frommer

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unterschieden. Gleichzeitig wird eben diese partizipierende Macht im ersten Abschnitt strahlender und eindeutiger gezeichnet als in der Lehre eines Mannes. Im Gegenzug dazu werden Aussagen zur Einzigartigkeit des Königs im zweiten Abschnitt teilweise wörtlich wiederholt und auf die einfachen Untertanen appliziert. Dies deutet zum einen auf die Stände übergreifende Gesellschaftsordnung, die hier propagiert wird, gibt den Adressaten der Lehre aber zugleich die Möglichkeit, sich vom König zu distanzieren. Dem König werden als König die umfangreichsten Fähigkeiten und Machtbereiche zugesprochen. Diese Macht hat auch auf das Verhältnis des Menschen zum König Einfluss, das eindringlich formuliert und unbedingt vom Menschen gefordert wird. Der König kann den Untertanen bis ins Herz hinein sehen, sie gehören zu ihm, ob sie dies wollen oder nicht. Von ihm hängt zudem nicht mehr nur die Zugehörigkeit zu einer wohlhabenden Elite ab, sondern alle Lebenskräfte und Lebensvoraussetzungen sind in seiner Macht, weshalb derjenige, der aus seinem Bereich hinaustritt, das Land des Lebens und Dauerns verlässt. Wiederum ist der Bereich aber von zwei Seiten begrenzt. Auch derjenige, der die Solidarität mit den Leuten und Untergebenen aufkündigt, verlässt den Heilsbereich. Die unter dem Schlagwort „Loyalismus" zusammengefassten Lehren weisen über sich selbst und über den Horizont des Mittleren Reiches hinaus auf jüngere loyalistische Lehren, wie etwa die des Echnaton,231 und zugleich auf die Entwicklung zur „Gottesunmittelbarkeit" einer Persönlichen Frömmigkeit. Wie die Literatur des Mittleren Reiches insgesamt werden auch die sogenannte Loyalistische Lehre und die Lehre eines Mannes bestimmt von der Auseinandersetzung mit dem Individuum, das zwar angesprochen, aber noch ambivalent bewertet wird.232

D. Gott, König und Frommer In den vorangegangenen fünf Abschnitten wurde die Bedeutung und Rolle des Königs in fünf ausgewählten Lehren des Mittleren Reiches untersucht. Die Bestimmung des Königs erwies sich dabei als eng mit der der Untertanen, der Rede von mi€.t und dem Verhältnis zum Gott verknüpft. Die fünf Lehren setzen in den Relationen dieser Größen verschiedene Schwerpunkte. Mit der je unterschiedlichen Zeichnung des Königs wechselt aufgrund der Interdependenz der Protagonisten zudem das Bild vom Machtgefüge, in dem König, Gott und Mensch stehen. 231

Vgl. dazu ASSMANN, Die .Loyalistische Lehre' Echnatons, 1-32. Vgl. PARKINSON, Individual and Society, 146: „Middle Kingdom Literature is associated with individuals, but individuality remains problematic, as can be seen in the tendency of actual authors not to name themselves..." 232

120

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

In der Untersuchung dieses Machtgefüges konnte die These erhärtet werden, dass es sich bei den Lehren wie bei der Literatur des Mittleren Reiches insgesamt um eine literarische Selbstverortung der geistigen Elite des Staates handelt. Gott, König und m?c.t fungieren dabei als Bezugsgrößen dieser Selbstverortung. In einer systematischen Zusammenfassung sollen im Folgenden zunächst die die Protagonisten verbindenden Handlungskreisläufe, die Machtverteilung innerhalb dieser Verhältnisse und die jeweilige Beschreibung der m¥.t, das den Lehren zu entnehmende Selbst- und Menschenbild im Gegenüber zum König und das Verhältnis von König und Gottheiten bestimmt werden. Die Darstellung überschneidet sich an einigen Stellen. Als Vorbereitung eines Vergleichs der ägyptischen Lehren mit den Proverbien erscheint diese Analyse jedoch sinnvoll. Nur so können die Ergebnisse hilfreich auf die Untersuchung der Proverbien angewendet werden. Im letzten Abschnitt wird darüber hinaus ein Ausblick auf die weitere Entwicklung der Lehren im Neuen Reich und in der Spätzeit gegeben werden. Dabei zeigt sich allerdings, dass die Lehren des Mittleren Reichs, mithin die ältesten rekonstruierbaren Lehren, bereits wesentliche Entwicklungen der Lehren des Neuen Reichs und der Spätzeit antizipieren. So erweist sich die Beschränkung der Untersuchung auf Motive der ältesten Lehren auch inhaltlich als legitim. 6. Der Handlungskreislauf der Lehren Selbst in der Lehre des Ptahhotep, die den König nur am Rande erwähnt, bleibt der König der erste (innerweltliche) Referenzpunkt des Handelns. Notwendigkeit und Dignität seines Amtes werden in allen Lehren bestätigt. Dabei zeigt sich als entscheidende Voraussetzung die Unterscheidung zwischen göttlichem Amt und menschlichem König. Die Lehren unterstreichen die Göttlichkeit, die der hierarchischen Ordnung zugrunde liegt, verschweigen jedoch nicht die Menschlichkeit des Amtsinhabers. Die Rückführung des Amtes auf eine göttliche Schöpfungsordnung ist vor allem in der Lehre für Merikare zu beobachten, in der die Einrichtung des Herrscheramtes um der Menschen willen in der „kleinen Genesis" vom Sonnengott verfügt wird. Die göttliche Einrichtung eines Königsamtes verpflichtet die Person des Königs als Amtsinhaber gegenüber dieser „Stellenbeschreibung", und er wird an ihr gemessen. Realpolitik und Königsdogma können durch diese Unterscheidung von Amt und Person als zwei verschiedene Größen behandelt werden, die sich nicht gegenseitig relativieren. Entsprechend ist es auch das positive Verhältnis zur Idee des Königsamtes, das die Elite an ihn bindet. Diese Idee ist paradigmatisch bei Ptahhotep dargestellt, wo der König als Repräsentant des Staates das staatsfördernde und gemeinschaftsbezogene Handeln empfängt. Vor allem in der Lehre Amenemhets I. garantiert allein die Scheidung zwischen einem bleibenden, göttlich einge-

D. Gott, König und Frommer

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richteten Amt und einer tragischen Königsfigur die Kontinuität und bricht ironisch die Vergöttlichungsphantasien jedes Königs, indem der König gerade als Göttlicher zum Opfer seiner Ebenbilder wird. Die Person des Königs als Amtsinhaber wird unter dieselben Regeln gestellt wie die Untertanen. Er wird vor allem an den Grundsätzen seines Amtes gemessen, das von Gott selbst eingerichtet ist und deshalb, und nicht wegen einer etwaigen Göttlichkeit des Königs als Person, Dauer und Göttlichkeit vereint. Wenn nun die Weisen sein Amt unterstützen und ihn als Referenzpunkt ihres Handelns akzeptieren, dann zunächst nicht in persönlicher Loyalität oder gar Abhängigkeit vom König als Person, sondern in Verpflichtung gegenüber der göttlich eingerichteten Ordnung. Das Menschen, Gott und König verbindende Handeln füreinander kann als eine der Konstituenten der Lehren bezeichnet werden. Dabei beschreiben die verschiedenen Lehren jedoch unterschiedliche Handlungskreisläufe. Die umfassendste Bestimmung der Reziprozität findet sich in der Lehre für Merikare. Sie verbindet den König mit Gott und Gott mit den Menschen. Mehrfach fordert die Lehre dazu auf, für Gott zu handeln, und dieser Aufforderung wird die Zusage zugeordnet, Gott werde dieses Handeln wahrnehmen und vergelten. An den Stellen, an denen Merikare zum Handeln aufgefordert wird, wird ihm die Reziprozität mit dem Handeln Gottes unmittelbar in Aussicht gestellt. Die Folgen des göttlichen Handelns werden im Zusammenhang der Handlungsaufforderungen jedoch nicht näher erläutert. Erst der Schöpfungshymnus, der die Aufforderungen zum Handlungskreislauf kulminieren lässt, formuliert ausdrücklich den Lohn der Mühe. Allerdings gerade nicht als verdienter Lohn: Im theologischen Finale der Lehre wird der Sonnengott in seinem Handeln für die Menschen dargestellt, das aus voraussetzungsloser Gnade geschieht. In der Lehre des Ptahhotep liegt das Gewicht auf dem Handlungskreislauf, der die Menschen untereinander verbindet. Für unseren Kontext ist jedoch entscheidend, dass der König der Handlungsempfänger ist, auf den zuletzt alles Handeln zuläuft. Der König repräsentiert das Wohl des Staates, für den er sorgt, und ist deshalb als Amtsinhaber Empfanger des mlc. i-gerechten Tuns. Der königliche Apparat funktioniert vollkommen selbständig, nur in letzter Konsequenz wird das Handeln im Sinne der Gesellschaftsordnung auf den König ausgerichtet. Es wird belohnt mit dem langen, guten Leben im Schutz des Königs.233 Die Handlungsrichtung zwischen König und Untertanen ist in der Lehre Amenemhets I. umgekehrt, und der Handlungskreislauf ist zerbrochen. Der König handelt für die Untertanen, versorgt und schützt sie, aber es gibt keine vertikale Solidarität, die dieses Handeln angemessen belohnen würde. Im 233

Vgl. JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 145.

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II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Gegenteil: Das gute Handeln des Königs wird mit dem Aufstand der Untertanen vergolten. Deshalb rät der Vater seinem Sohn zum Rückzug aus dieser unsolidarischen Beziehung. Vor allem der von ihm angeratene „selbstbewachte Schlaf zeigt den Widerspruch zur sonst in den Lehren propagierten Gemeinschaftlichkeit. Den Schlaf können nur andere Menschen oder Gottheiten behüten. Als Moment unvermeidlicher und vollkommener Hilflosigkeit verdeutlicht er die Abhängigkeit jedes Menschen von einem intakten Handlungsgefüge, auf das er sich verlassen kann, um im Schlaf nicht übervorteilt oder getötet zu werden. Die konsequente Meidung von Gemeinschaft impliziert die Notwendigkeit, sich selbst im Schlaf zu bewachen, wie es Amenemhet I. vorschlägt. Diese Möglichkeit steht dem Menschen aber nicht zur Verfügung. Die Aufforderung ist deshalb eher ein Hinweis auf die Unmöglichkeit einer vollständigen Aufkündigung der Gemeinschaft. Selbst der „göttliche" König ist auf die vertikale Solidarität angewiesen. Sein Amt bleibt zwar auch im Falle seines Todes bestehen, weil es von Gott eingerichtet ist, aber für seine eigene Person bedarf er der gleichen solidarischen Unterstützung wie jeder Mensch. Diese Angewiesenheit auf den Handlungskreislauf unterscheidet den König von einer Gottheit. Der Aufstand gegen den König ist zugleich einer gegen die göttlich verfügte Ordnung und damit gegen den Gott. Diese mythische Dimension klingt in der Rede von der Ebenbildlichkeit der Aufständischen an. Gleichzeitig schützt sie den König jedoch nicht, weil er mit der Göttlichkeit seines Amtes nicht der menschlichen Angewiesenheit auf Reziprozität enthoben ist. Von der Angewiesenheit des Königs auf die ihm entgegengebrachte Solidarität scheinen die loyalistischen Lehren nichts zu wissen. Die Forderungen an die Untertanen sind dafür um so größer. Herz, Leib und Pläne, alles was den Menschen ausmacht, soll er für den König hingeben in der Versicherung, dafür vom König mit allen lebensnotwendigen und gesellschaftlich propagierten Gaben und mit dem Herzen - der rückhaltlosen Zuwendung des Königs - belohnt zu werden. Aber nicht nur König und Untertanen bilden einen konstitutiven Handlungskreislauf, auch das Verhältnis des Königs zu den Göttern und das der Adressaten zu ihren Untergebenen wird in ähnlicher Weise gespiegelt, so dass sich besonders in der Loyalistischen Lehre der Idealfall der vertikalen Solidarität beobachten lässt. Als wichtige Frage des weisheitlichen Diskurses zeigt sich die Ausrichtung: Wer ist beim Handeln und bei der Handlungsmotivation im Blick? Die Bestimmung des Gegenübers ist hilfreich für die Frage nach den Handlungskreisläufen, in denen die Weisen sich sehen. Darüber hinaus verraten die in die Gegenseitigkeit eingebrachten Größen viel über die Werte, die als erstrebenswert gelten. Die Erträge der Reziprozität der Lehren sind sehr unterschiedlich: irdische Güter, Teilhabe an der Elite, oder Ehre und ein guter Stand im Gericht. Entsprechend wird auch in den Proverbien der Blick auf

D. Gott, König und Frommer

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Ausrichtung und Handlungsmotivation einigen Aufschluss geben über die Personen und Werte, für die sich die Weisen engagieren. Die Verortung von König, Gott und Menschen in einem Handlungskreislauf erweist sich als für die Lehren des Mittleren Reiches wesentlich. Die Gegenseitigkeitsformeln werden vergleichbar auch in den Proverbien zu finden sein. Ebenso ist auch dort nach der zentralen Rolle des Königs innerhalb des Gefüges zu forschen. Ihre Beschreibung ändert sich, ihre grundsätzliche Dignität bleibt bestehen. Ob auch in den Proverbien zwischen der Rede vom idealen König und dem menschlichen Amtsinhaber unterschieden wird, wird die nähere Untersuchung zu zeigen haben. 7. Die Frage nach Macht und m¥.t Die im vorangehenden Abschnitt formulierten Handlungskreisläufe zeigen bereits die für die Weisheit so typische Struktur einer Ordnung des Lebens, in die sich der einzelne Weise einzufügen hat. Gerade in den ägyptischen Lehren schwingt dabei immer auch die Frage nach bestehenden Machtstrukturen mit. Dies ergibt sich auch aus der doppelten Funktion dieser Ordnung: Sie trägt das Amt und begrenzt seine Willkür. Die Verknüpfung von Macht und Handlungskreisläufen zeigt sich vor allem in den loyalistischen Lehren: Sie fordern den rückhaltlosen Austausch von Innerlichkeit und Handeln, in den der Einzelne durch die Macht des königlichen Gottes über Leben, Gesellschaft und Tod geradezu hinein gezwungen wird. Die Macht des Königs oder des Staates wird in den verschiedenen Lehren unterschiedlich pointiert. In allen Lehren jedoch wird sie im Letzten von der Macht Gottes oder der Götter begrenzt, auch wenn diese Begrenzung unterschiedlich offen zutage tritt. In der Lehre Amenemhets I. hat der König Macht über die nährende Zuwendung zu seinen Untertanen, und es ist nicht sein Fehler, dass diese sich nicht seiner Macht fügen. Die besondere Perspektive der Lehre Amenemhets ergibt sich daraus, dass die Schilderung des Mordes und die zynischen, aber undurchführbaren Anweisungen des Königs seine Machtlosigkeit als Person der geballten Macht seines Amtes entgegensetzen. Auf diese Weise wird das Königtum zugleich in seiner heilvollen Machtkonzentration, nämlich bei Antritt der Herrschaft, und in seiner hilflosen Machtlosigkeit, in der nächtlichen Ohnmacht des Königs, gezeigt. Weniger offensichtlich ist die Begrenzung der königlichen Macht in der Lehre für König Merikare. In ihrem ersten Abschnitt zeigt sich die Machtkonzentration des Königs in der Bipolarität seines Handelns gegenüber aufständischen und loyalen Untertanen. In diesem Teil der Lehre ist an seiner Machtfülle kaum zu zweifeln, schon dort werden jedoch überraschend dezidierte Anweisungen dafür gegeben, wie diese Macht einzusetzen ist. Der König wird nicht bei etwaiger Willkür unterstützt, sondern nur im eng gesteckten Rahmen seines Amtes. Noch deutlicher wird seine Macht im

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II. Vom König zum Gott des Einzelnen

weiteren Verlauf der Lehre eingeschränkt. Sie wird ganz und gar an die von Gott gesetzte Ordnung gebunden, und der königliche Verstoß gegen sie wird ebenso unmittelbar geahndet wie jeder andere. Gott als Tröster jedes Menschen bewacht das Königtum und hält es in den Grenzen der mV.t, bzw. er straft die Übertritte. Die staatliche Macht wird so in ein Erklärungssystem eingeordnet, das vorgibt, einzig an dem Wohl und Ergehen des Einzelnen interessiert zu sein. Das Gottesverhältnis des Einzelnen eröffnet die Möglichkeit einer individuellen Beheimatung in der Welt, das heißt in dem Raum, der innerhalb der Machtansprüche des Staates für den Einzelnen als Einzelnen bleibt. Dadurch ist zudem dafür gesorgt, dass diese Macht in einem um des Menschen willen umgrenzten Bereich bleibt. Die Lehre Ptahhoteps wird mit einem ähnlichen Ziel aus einer anderen Perspektive geschrieben, sie formuliert eine Selbstbeschränkung der Elite. Deshalb wird die Macht des Staates und des Königs hier nur sehr zurückhaltend dargestellt. Zwar verfügt der König in der die Lehre abschließenden Szene über die Macht, dem Einzelnen ein heilvolles, beschütztes und langes Leben zu ermöglichen. Von einem strafenden Handeln des Königs wird jedoch nicht berichtet, und auch sonst macht die Lehre kaum von Strafandrohungen Gebrauch. Die Machtentfaltung des Staates ist hier insofern absolut, als sie gerade nicht ausgesprochen werden muss, sondern stillschweigend anerkannt wird. Autorität, die nicht drohen muss, um anerkannt zu werden, genießt allseits Akzeptanz. Diese vollkommene Autorität des Staates, dem aus eigenem Antrieb Herz und Handeln eingefügt werden, ist für die Verfasser des Mittleren Reiches nicht ohne Grund allein in der idealen Vergangenheit des Alten Reichs vorstellbar. Der dort imaginierte starke König ist die ideale Machtinstanz über dem selbständigen Individuum. Einen dritten Weg in der Beschreibung der staatlichen Machtentfaltung schlagen die loyalistischen Lehren ein und bilden dabei einen unmittelbaren Gegenpol zu dem in der Lehre des Ptahhotep vermittelten Bild von Herrschaft. Die Machtbeschreibungen dieser Lehren sind hymnisch und verbinden die lebenschaffende Macht des Königs ausdrücklich mit seiner lebensbedrohlichen Macht zu strafen. Die schon in Merikare vorgenommene Eingrenzung der königlichen Macht durch den Amtsbegriff, der das gesamte Sein und Haben des Königs vom Willen Gottes abhängig macht, wird auch hier angesprochen. Anders als in der Lehre für Merikare wird jedoch nicht die Möglichkeit vergegenwärtigt, dass sich die Ordnung, auf die das Amt gegründet ist, gegen den König selbst richten könnte. Die Wege zur inneren Distanznahme gegenüber dieser überbordenden Machtfülle wurden bereits betrachtet. In der Lehre eines Mannes zeigt sie sich in der Abhängigkeit des Königs von der Autorität der Götter und in der Einbindung seiner Macht in den Bildungsdiskurs der Elite. In der Loyalistischen Lehre wird seine Macht dagegen als Teil eines gesamtgesellschaftlichen

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Machtgefüges beschrieben, in dem nicht nur der König allein als lebenspendend gelten kann, sondern jeder Mensch in seinem Amt für die Aufrechterhaltung des Lebens wirkt. Auch hier wird damit die Macht der Person des Königs durch die Macht der Götter und ihrer Ordnungen relativiert. Die Frage nach der Macht wird in der Vermittlung von Gottheit und König entschieden. Sowohl in den beiden Königslehren als auch in den loyalistischen Lehren wird die Macht des Königs oder des Staates dadurch für das Individuum erträglich gemacht, dass ihre Begrenzung durch den Gott, der das Amt überhaupt schuf, versichert wird. In der Lehre für Merikare sind Gott und König noch deutlich unterschieden. Bei den loyalistischen Lehren sieht es so aus, als hätte der König nicht nur die Macht der Götter inkorporiert, sondern auch die Kontrollinstanz. Denn er wird niemandem mehr entgegengesetzt, der sein Handeln überprüfen würde. Dass der König Aspekte des Gottes inkorporiert, sorgt dafür, dass die in Merikare zu erahnende Beziehung des Einzelnen zu einem Gott in den loyalistischen Lehren auf den König übertragen wird. Die Rolle des Gottes oder der Götter ist gegenüber der Rolle des Königs in den loyalistischen Lehren teilweise eingeschränkt und marginalisiert. Dennoch werden auch hier deutliche Akzente gesetzt. Die Lehren des Mittleren Reichs stellen sich dem Problem der Königslegitimation und der Begründung seiner Macht auf sehr verschiedene Weise. Das Spektrum der Möglichkeiten reicht vom König als Randfigur des gesellschaftlichen Zusammenlebens über seine Darstellung als Beauftragter Gottes, der immer in der Gefahr steht, wegen seines schlecht versehenen Dienstes suspendiert zu werden, bis hin zu einem geradezu mit dem Gott identifizierten König. Diese Möglichkeiten der Königslegitimation und Königszucht können auch für die Untersuchung der Proverbien fruchtbar gemacht werden. Immer ist es das Verhältnis des Königs zu den Gottheiten, das seinen Status bestimmt und in dem sein Verhältnis zu den Menschen bestimmt wird. Auch in den Proverbien ergibt sich die Bestimmung des königlichen Status grundsätzlich aus seinem Gottesverhältnis. Mit den verschiedenen Einschätzungen des Königs geht auch eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung der mic.t einher. In Ptahhotep und Merikare wird sie noch explizit angesprochen. Dort tritt der Mensch in ein bewusstes Gegenüber zu einem Gott, der die mic.t initiiert. In den loyalistischen Lehren dagegen gibt es dies kaum noch. Fischer-Elfert beschreibt den Fokus der beiden Lehren als m]c.t-Sagen und m¥. i-Tun. Dieses Tun und Sagen der m>c.t wird mit dem fehlenden (göttlichen oder königlichen) Gegenüber jedoch zu einer Angelegenheit der privaten Macht, des persönlichen Hausstandes und des eigenen Ethos in der Amtsausübung. Die mF.t wird nicht mehr da apostrophiert, wo sie bei Merikare und Ptahhotep ihren eigensten Ort hatte, in der Begrenzung staatlicher Macht und königlicher Willkür. Die Ordnung, die jede absolute Macht braucht, um zustimmungsfahig zu werden für die, die

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sich bewusst zu ihr verhalten, wird in den loyalistischen Lehren nicht mehr angesprochen. So sind die beiden Lehren zwar /-Literatur, aber Literatur einer m]c.t, deren Funktion nicht mehr die Objektivierung der Macht ist. Diese Funktion wird im Laufe des Diskurses verlassen. Gleichzeitig wird mit der Privatisierung der mjc.t die Scheidung von Amt und Person aufgegeben, die in den Königslehren so zentral ist. Auch in den Proverbien werden sich verschiedene Konzepte der Ordnung des Lebens finden lassen, die zunächst im gesellschaftlichen Bereich beheimatet sind und im Laufe der Entwicklung stärker im Bereich der Privat-Ethik und Bildung zu suchen sind. Die Verschiebung des Interesses fuhrt dort sogar zu einer Umbenennung der Ordnung. Für die weitere Arbeit ergibt sich jeweils die Frage, wie viel Macht der König in verschiedenen Konstellationen hat; ob er sie rechtfertigen muss, oder ob sie unkommentiert vorausgesetzt wird. Dabei ist vor allem an der Machtpartizipation zu erkennen, dass die Macht des Königs umfassend ist und sowohl die Möglichkeit des Lebens als auch die des Todes umfasst. Für die weitere Arbeit ist es wichtig zu sehen, dass beide Aspekte der Macht ursprünglich zusammengehören. Darüber hinaus weist vor allem der Umgang mit der mlc.t auf die Frage, welche abstrahierenden Größen in die Konstellation Gott, Mensch, König eingebracht werden und welche Funktionen sie übernehmen. Sie dienen zur Legitimation und Begrenzung des Königs oder können seine Partizipation am Göttlichen unterstreichen. In den ägyptischen Lehren hat sich dabei gezeigt, dass keine der drei Funktionen je absolut und ungebrochen zu finden war, vielmehr spielen sie immer ineinander, was sehr unterschiedliche Konstellationen zulässt. Auch in den Proverbien wird hier auf das jeweilige Gleichgewicht zu achten sein. Darüber hinaus wird die gesellschaftliche oder private Funktion der Ordnung zu beobachten sein wie auch insgesamt die Veränderlichkeit der als unveränderlich beschriebenen Ordnung. 8. Die Selbstverortung der Elite in den Lehren des Mittleren Reichs Einen Ort für den selbstbewussten Bürger innerhalb der sich verändernden Gesellschaft zu finden, ist Movens für die Abfassung der untersuchten Lehren. Dies lässt sich vor allem aus der Lehre Ptahhoteps schließen. In ihr wird das Herz an einer Stelle als „Leben, Heil und Gesundheit" des Menschen angesprochen. Die mit dieser Bestimmung verbundene Zusage einer Königlichkeit des Herzens verbindet sich offensichtlich mit einer neuen Rollenverteilung. Als Handlungsmotivation des Einzelnen fungiert nicht primär der König, sondern der Einzelne hat seine eigene Handlungsmotivation, sein eigenes Herz entdeckt.234 Der neue Staat des Mittleren Reiches stellt nun in 234

Die geschichtliche Herleitung einer neuen Eigenständigkeit des Herzens, die etwa ASSMANN unternimmt, muss sich innerhalb der verschiedenen Epochen ganz verschiedener

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seiner erneuten Zentralisation der Macht die Herausforderung an die eigenständige Elite, einen Weg zu finden, das königliche Herz zu behalten, ohne sich gegen den Staat stellen zu müssen. Im Zusammenhang der beiden Königslehren und der Lehre des Ptahhotep besteht dieser Weg in der Scheidung von göttlichem Amt und menschlichem Inhaber. Mit der Ordnung, für die das Amt steht, wie es in der Lehre für Merikare beschrieben wird, identifizieren sich diese Weisen vollkommen und ordnen ihr Herz und ihr Trachten um der Gemeinschaft willen in diese Ordnung ein. Allein die menschliche Autorität des Königs wird durch das das Maß gebende eigene Herz ersetzt. Alles Handeln geschieht im Sinne der Ordnung für die Gemeinschaft, die im König repräsentiert wird. Aber es geschieht im vom eigenen Herzen vorgegebenen Rhythmus. Die Randfigur, die der König damit etwa in der Lehre Ptahhoteps geworden ist, scheint jedoch nicht überall als ausreichende Identifikationsmöglichkeit für das Amt des Königs wahrgenommen worden zu sein. Die Lehre des Sehetep-ib-Re zeigt, wie dieser Innerlichkeit im offiziellen Diskurs begegnet wurde. Die beiden loyalistischen Lehren schlagen in der Vermittlung von eigenständigem Herzen und Autorität des Königs einen anderen Weg ein. Sie stellen einen literarischen Reflex auf anderweitig bestehende Forderungen dar. Die loyalistischen Lehren knüpfen sprachlich und inhaltlich an der Lehre für Merikare und der des Ptahhotep an. Auf diese Weise betreten sie eine „Gesprächsebene" mit der Gruppe, die sich in diesen Lehren konstituiert hat. Gleichzeitig wird allerdings der König auf neue Weise in die bekannte Motivik eingeführt, indem er einige der zuvor anderweitig besetzten Aufgaben übernimmt. Der König vermittelt in der Lehre eines Mannes die Eigenschaften, die in der Lehre des Ptahhotep als Folgen gelungener Erziehung begegnen. Er ist in der Loyalistischen Lehre wie bei Merikare einem Gott in seinen Aufgaben vergleichbar, nur dass nun nicht mehr nur die Sorge um den Menschen und die Abwehr der Aufständischen sein Amt mit dem Wirken Gottes parallelisiert, vielmehr wird er in allen Bereichen der „Lebensherrlichkeit" ebenso gezeichnet wie der Sonnengott der „kleinen Genesis". Durch diese Anknüpfungen wird deutlich, dass hier vergleichbare Werte und Regeln des Zusammenlebens vorausgesetzt werden wie bei Ptahhotep und Merikare. Einzig das Verhältnis des Einzelnen zum König wird anders bestimmt. In beiden Lehren fordern die Könige für ihre göttlichen Zuweisungen das königliche Herz des Menschen. Er soll es vollständig und authentisch in einen die gesamte Innerlichkeit umfassenden Handlungskreislauf einbringen und sein eigenes Planen dem Plan dieses Gottes einfügen.

Textgattungen bedienen, da etwa für das Alte Reich und die Erste Zwischenzeit keine Weisheitslehren vorliegen. Jegliche Absetzung der Epochen muss deshalb spekulativ bleiben, weil die Zeugnisse letztlich nicht vergleichbar sind.

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II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Mehrere Details brechen die Totalität dieser Forderung und die Omnipotenz des Gottkönigs jedoch auf. Darin lässt sich, gerade vor dem Hintergrund der Königslehren und des Ptahhotep, die bei aller Würdigung des göttlichen Amtes gewahrte kritische Distanz zum König erahnen. So wird der König in der Lehre eines Mannes zwar anspielungsreich ntr genannt, empfangt aber sein Amt selbst von einem Gott. Mit der Rückführung auf den Gott ist es zwar vordergründig legitimiert, gleichzeitig wird damit aber der König als Amtsempfanger dem Gott unterstellt. Das bedeutet, dass er als Person an der „Stellenbeschreibung" zu messen und die postulierte Göttlichkeit lediglich die des Amtes ist. Ausgerechnet das heilvolle Handeln des Königs wird darüber hinaus im Formular der Klage formuliert, so dass der Jubel der hier Sprechenden nur verhalten klingt. In der Loyalistischen Lehre werden die lebenspendenden Gaben des Königs, sein Schutz und seine Versorgung von den Untertanen und Untergebenen der Adressaten gespiegelt. Wie er geben sie Leben und Atem, garantieren die Existenz nach dem Tod und sind es darum wert, dass man für sie kämpft. Durch diese Spiegelung wird auch die geforderte besondere Hingabe an den König zusammen mit der Mahnung zur Sorge um die Untertanen zu einer eindringlichen Aufforderung, sich rückhaltlos in die Handlungskreisläufe der Gesellschaft einzugliedern, die durch das Amt des Königs ebenso repräsentiert werden wie durch das Wirken der Arbeiter. Von ihnen allen lebt der Einzelne, der zur Einsamkeit nicht geschaffen ist. Diese grundsätzliche Vernetzung menschlichen Lebens wird auch in den Proverbien zu beobachten sein. Distanz zum König und gleichzeitige Einfügung in die Ordnung bestimmen die Selbstbeschreibung der Lehrenden. Dabei ist es vor allem die von Gott gesetzte Ordnung als objektivierende Größe, die es der Elite ermöglicht, die Macht des Königs anzuerkennen und zugleich auf Distanz zu halten. Der König bleibt dabei das erste Gegenüber des Individuums, und sein Amt repräsentiert eine heilige Ordnung, der sich die Elite immer wieder selbst versichert. Durch die Ordnung kann das Staatsgefüge teilweise unabhängig vom König beschrieben werden. Auf diese Weise wird dem Individuum ein Handlungsraum eröffnet, ohne dass das göttliche Amt angegriffen werden müsste. Die Standortbestimmung gegenüber dem König hat sich für die Weisen des Mittleren Reichs als notwendig erwiesen. Die Unterscheidung von Königtum und König oder auch königlichem Amt und Person des Königs ist für die Rede vom König in den ägyptischen Lehren wesentlich. Erst durch diese Differenzierung ergibt sich überhaupt die Möglichkeit gleichzeitig eine königliche Partizipation am Göttlichen und die Menschlichkeit des Königs zu denken. Damit zeigt sich die Unterscheidung als auch für das Menschenbild wichtig, da die Selbstverortung im Gegenüber zu einem menschlichen König andere Anknüpfungsmöglichkeiten bietet. Auch in den Proverbien muss darauf geachtet werden, in welcher Hinsicht

D. Gott, König und Frommer

129

jeweils vom König gesprochen wird. Wird in der Rede vom König das Königtum oder der regierende König thematisiert? Oder kann zwischen beiden in den Proverbien gar nicht unterschieden werden? Darüber hinaus sind königliche Attribute auch unmittelbar für die Selbstbeschreibung der Weisen von Belang. Das Herz übernimmt bei Ptahhotep den königlichen Befehl über das Leben des Einzelnen. In diesem Bereich wird so der König ersetzt. Diese Formulierung öffnet den Blick für die Verwendung königlicher Attribute für menschliche Eigenschaften. Gibt es eine ähnliche Royalisierung des Einzelnen in den Proverbien und wie wird sie in Beziehung gesetzt zur Macht von König und Gott? Immer wird dabei die Frage nach den Vernetzungen des Einzelnen im sozialen Miteinander zu beobachten sein. 9. Die Gottesunmittelbarkeit

des Weisen

Die Funktion des Königs als Repräsentant der Gottheiten gegenüber den Menschen und der Menschen gegenüber den Gottheiten war in der Einleitung als ein Wesensmerkmal der altorientalischen Rede vom König bestimmt worden. In der Untersuchung der Lehren des Mittleren Reichs hat sich diese Annahme bestätigt und konnte zugleich differenziert werden. Der König spielt immer eine wesentliche Rolle im Miteinander von Gott und Menschen, dabei ist die aktuelle Funktion des Königlichen jedoch sehr unterschiedlich. So repräsentiert der König in der Lehre Ptahhoteps die gesellschaftliche Einbindung der Gottesbeziehung, in die sich das königliche Herz des Einzelnen einfügen lässt. In der Lehre für Merikare wirkt der König im Namen Gottes, gleichzeitig kümmert sich der Gott aber auch unmittelbar um die Menschen. In beiden Lehren gibt es eine Gottesunmittelbarkeit des Einzelnen, die nicht der Hilfe und Vermittlung des Königs bedarf. Einzig in den loyalistischen Lehren übernimmt der König die vorher den Gottheiten vorbehaltenen Aufgaben. In diesen Lehren ist eine Gottesunmittelbarkeit des Einzelnen nicht vorgesehen, sie wird ersetzt durch ein besonders inniges Verhältnis zum König, das schon viele Merkmale der späteren Persönlichen Frömmigkeit erkennen lässt. Auch für die Untersuchung der Proverbien ist die Frage nach der Mittlerschaft des Königs von Interesse. Auch hier muss differenziert werden: An welcher Stelle ist der König Mittler im Gottesverhältnis? Wo ist der Mensch, wie bei Ptahhotep, zur königlichen Gottesnähe selbst in die Lage versetzt? Wo dagegen übernimmt der Gott, wie in der Lehre für Merikare, Aufgaben des Königs und kommt den Menschen dadurch nahe? Das königliche Herz des Einzelnen und der königliche Gott sind Möglichkeiten, die Konstellation Gott, König, Mensch aufrechtzuerhalten und gleichzeitig zu umgehen, weil in ihnen der König zumindest teilweise suspendiert wird. Es bleibt zu fragen, ob eine ähnliche Verdrängung des Königs auch in den Proverbien beobachtet werden kann.

130

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

Ein Sonderfall des Verhältnisses von Gott und König ist die Partizipation des Königs an göttlicher Macht, wie es exemplarisch in der Lehre eines Mannes, aber auch in den loyalistischen Lehren zu beobachten ist. In den loyalistischen Lehren ist daneben kein eigenes Gottesverhältnis des Einzelnen vorgesehen. Alle Güter und Zuwendungen, die sich in anderen Lehren aus dem Verhältnis zur Gottheit ergeben, erhält der Mensch aus dem Königsverhältnis. Für das Verhältnis von Gott und Menschen kann der König oder die Chiffre des Königlichen unterschiedliche Bedeutung erlangen: in der Royalisierung des Einzelnen oder des Gottes und in der Zementierung einer Mittlerrolle des Königs, die jede Gottesunmittelbarkeit wehrt. Alle drei Möglichkeiten der Rede vom König oder vom Königlichen müssen in der Untersuchung der Königssprüche der Proverbien als Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Gott und König werden in den Lehren des Mittleren Reichs ganz unterschiedlich zueinander ins Verhältnis gesetzt. Die verschiedenen Funktionen des Königs für das Selbst- und Gottesverhältnis des Einzelnen können bei der Untersuchung der Proverbien eine Hilfe sein. Dort ist zu unterscheiden, ob der König an der Macht Gottes partizipiert, ob er ihm unter Umständen sogar gleich gestellt wird, ob Gott ehemals dem König vorbehaltene Funktionen übernimmt oder ob der Einzelne in seinem Gegenüber zu Gott königliche Züge annehmen kann. Zuletzt bleibt - wie für die ägyptischen Lehren - auch für die Proverbien die Möglichkeit, dass das Interesse am König zeitweise völlig aussetzt. Dennoch ist anzunehmen, dass die in der Rede vom König geprägten Motive und Ordnungsbegriffe auch über die Beschäftigung mit dem amtierenden König hinaus wichtig bleiben. 10. Gott als Erbe des Königs Ein Blick in die Lehren des Neuen Reichs zeigt, dass der Diskurs über den König auch gänzlich ausgesetzt werden kann. Dort finden sich kaum Bestimmungen über den König, wohingegen die Auseinandersetzung mit dem persönlichen Gott offenbar sehr wichtig geworden ist. Oft wird angenommen, dass der persönliche Gott des Einzelnen die Erbschaft des Königs, wie er in den loyalistischen Lehren dargestellt wird, antritt. Assmann verbindet Überlegungen zu dieser Erbfolge mit Thesen über den „Ausgang aus der Ma'at" im Neuen Reich. Er schließt sich mit seiner Deutung der Entwicklung, die er auch in den Lehren zu entdecken meint, an die Thesen von Brunner und Morenz über den „freien Willen Gottes"235 und die in ihm sich widerspiegelnde „Heraufkunft des transzendenten Gottes"236 an. Wiewohl eine Interessenverlagerung vom König auf den Gott beobachtet werden kann, ist ein mit dieser Änderung verknüpfter Wechsel von mV.t zur sie ersetzenden Frömmigkeit nicht plausibel zu machen. Dennoch wird ein solcher als „kopernika235

BRUNNER, D e r f r e i e W i l l e G o t t e s , 1 0 3 - 1 2 0 .

236

MORENZ, Die Heraufkunft, 30.

D. Gott, König und Frommer

131

nische Wende"237 beschriebener Wechsel von Assmann angenommen. Die Untersuchung der Lehren des Mittleren Reiches legt jedoch nahe, die Wurzeln späterer Entwicklungen bereits dort zu suchen und damit eine Entwicklung, aber keinen Abbruch der Weisheit wahrscheinlich zu machen. Die Ausgangssituation des umgreifenden Wechsels wird von Brunner folgendermaßen beschrieben: „Bei der Weisheit haben wir es mit einem Gedankengebäude zu tun, dessen Bausteine einzelne Lebensbeobachtungen darstellen, die der Weise dann nach einem erkannten, durchschauten System zu einem Bau zusammenfügt."238 Dieser systematisierenden älteren Weisheit stellt Brunner das „ursprüngliche religiöse Erlebnis" der Persönlichen Frömmigkeit entgegen, die im Neuen Reich aus den kultischen Bereichen in die Lehren eingedrungen sei und damit ihre ursprüngliche Grundlage, das ¿-Denken, aufgehoben habe. Die dem alten Ordnungsdenken entgegengesetzte Neuerung findet er in der Abhängigkeit des Individuums von seinem „persönlichen" Gott, die er unter anderem bei Amenemope nachzeichnet. „Es fragt sich", fasst Brunner die Überlegungen zum Einbruch der Persönlichen Frömmigkeit in die überkommene Weisheit zusammen, „ob sich Amenemope überhaupt Rechenschaft darüber gegeben hat, wieweit sich das aus der Frömmigkeit übernommene Gottesbild mit der von ihm gelehrten Weisheit verträgt."239 Stellt man die systematisierende Weisheit und die persönliche Inanspruchnahme durch einen Gott einander auf solche Weise gegenüber, wie es sich noch für Brunner nahelegte, so ist diese Anfrage sicherlich berechtigt. Seinen Überlegungen folgt, nur wenig abgewandelt, Assmann, wenn er die nach Brunner benannte „Theologie des Willens" mit dem Schlagwort „Weisheit versus Frömmigkeit"240 überschreibt. Auch Assmann führt in seiner Monographie über Wesen und Geschichte der mlc.t die Lehren an und will in ihnen den entscheidenden Bewusstseinswandel finden, durch den die ursprüngliche Bedeutung der mV.t verblasst: „Hier zeichnet sich ein Wandel im Weisheitsverständnis ab: von der Weisheit als Einsicht in den immanenten Richtungssinn des geschehenden' (äg. hprwt) zur Weisheit als Einsicht in die Abhängigkeit des Menschen vom Willen Gottes."241 Die Darstellung der Ausgangssituation stimmt allerdings nicht ganz mit den Ergebnissen dieser Untersuchung überein. So schreibt Assmann: „Der Begriff der Ma'at steht und fallt aber mit der gewissermaßen selbstregulativen Immanenz einer Ordnung, die in der Natur der Dinge liegt."242 Diese selbstre237

ASSMANN, Ma'at, 256. BRUNNER, Der freie Wille Gottes, 109. 239 BRUNNER, Der freie Wille Gottes, 109 Anm. 1. 240 ASSMANN, Ma'at, 252. 241 Ebd. 242 Ebd. 238

132

II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

gulative Immanenz hat sich in den Lehren des Mittleren Reiches kaum gezeigt, und eine Entgegensetzung von „Wille Gottes" und „Ordnung" ist in den Lehren des Mittleren Reichs ebensowenig angelegt. Seinen ersten Argumentationsgang entwickelt Assmann im Gefolge von Ottos Betrachtungen zum Wandel der Biographien. Auch Otto geht dabei von einer „Grundanschauung der älteren ägyptischen Ethik" aus: „Handle richtig auf Erden, dann kann der Erfolg nicht ausbleiben."243 Den von Otto beschriebenen „gesetzlichen Ablauf der Dinge" setzt Assmann mit der m]c.t gleich. Diese gesetzmäßige Ordnung würde durch den König in Willenseinheit mit Gott aufrechterhalten, die beide nichts anderes könnten als mJc. t zu verwirklichen. Deshalb sei die Rede von einem „Willen" des Königs letztlich bedeutungslos. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Position des Königs zumindest in den Lehren differenzierter wahrzunehmen ist, vor allem da der König der Lehren nicht nolens volens die mF.t tut, sondern ihr, beispielhaft in der Lehre für Merikare, sogar entgegen handeln kann. Die Idee von Königsbelehrungen wäre vor dem Hintergrund einer unhinterfragten Willenseinheit mit Gott und m>c.t kaum nachvollziehbar. In der Analyse Assmanns werden Aussagen und Vorstellungen, die sich bereits in den Lehren des Mittleren Reichs finden lassen, als Früchte der Persönlichen Frömmigkeit beschrieben. So ist die Wendung „wer etwas Gutes tut, den belohnt Gott", die Assmann nicht im Bereich der myc.t, sondern in dem der Persönlichen Frömmigkeit verortet, in Merikare sogar ausdrücklich formuliert. Und bereits in der Lehre des Ptahhotep ist Gott das Gegenüber menschlichen Handelns. Auch will die schon von Brunner getroffene Unterscheidung der verschiedenen Formen des Zukunftspessimismus nicht einleuchten. Hier werden Amenemope und Ptahhotep miteinander verglichen, weil sie beide vom Planen für die Zukunft abraten, da man das Kommende nicht voraussehen könne. Nun sieht Assmann den entscheidenden Unterschied darin, dass dieser „Zukunftspessimismus" in der Lehre Ptahhoteps durch die mic.t aufgefangen und begrenzt, in der Lehre Amenemopes dagegen auf Gottes uneinsehbaren Willen zurückgeführt werde, der mit der mf.t nicht vermittelt werden könne. Auch bei Ptahhotep ist jedoch das uneinsehbare Morgen in den Plänen Gottes verborgen, die als einzige Seinskraft haben. Deshalb kann hier keine so entscheidende Neuerung wahrgenommen werden. Die in Amenemope zu findende Beschreibung des Verhältnisses von Gott und mic.t ist ebenfalls nicht so jung, wie Assmann es vermutet. Dort heißt es: „Die mic.t ist die große Gabe Gottes, er gibt sie, wem er will."244 Assmann beschreibt als wesentliche Änderung, dass Gott bei Amenemope erstmals nicht mehr den König einsetzen würde, um m]c.t zu verwirklichen, sondern sie 243 244

ASSMANN, Ma'at, 253. Vgl. Amenemope XX nach der Übersetzung v. BRUNNER, Weisheitsbücher, 251.

D. Gott, König und Frommer

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dem Einzelnen unmittelbar zueigne.245 Der Zusammenhang in der Lehre des Amenemope muss jedoch bei der Deutung des schwierigen Satzes berücksichtigt werden. Der Vers über die vom Gott verfügte m>c.t beendet und begründet einen Appell zu unvoreingenommenem Gericht über Reiche und Arme. Er formuliert keine Zusage über die Fürsorge Gottes,246 sondern ist vor allem eine Warnung an alle Richtenden, den legitimen Rechtsanspruch vom gesellschaftlichen und finanziellen Status einer Person abhängig zu machen. Die Verwirklichung der mic.t wird also mit diesem Satz gerade nicht bei Gott belassen, sondern ist der Auftrag, der mit diesem Appell an die Richtenden ergeht. Wenn Gott seinen Lieblingen m>c.t als Gerechtigkeit unmittelbar zukommen lassen könnte, wäre jeder Appell zum gerechten Richten unnötig. Ferner wird die für ein Spätphänomen gehaltene Rede von der Loyalität gegenüber Gott, die sich darin ausdrückt, auf Gottes Wasser zu handeln247, mit identischer Formulierung schon in der Lehre für Merikare ausgedrückt.248 So konnte das Gesetz der Reziprozität bereits in den Lehren des Mittleren Reichs als ebenso auf den Gott wie auf den Mitmenschen bezogen aufgewiesen werden. Zumindest in der Lehre für Ptahhotep können Egoismus und Gottlosigkeit nicht auf die gleiche Weise gegeneinander abgesetzt werden, wie es Assmann voraussetzt.249 Die benannten Beispiele zeigen, dass Assmanns Beschreibung der Ausgangssituation nicht am Diskurs der Lehren als Literatur ausgerichtet ist, sondern an einem allgemeineren Bild von Weisheit und mjc.t. Er kann seine Ankündigung, den Bewusstseinswechsel anhand der Lehren aufzuzeigen, nicht einhalten. Paradigmatisch für die Vermengung verschiedener Diskurse ist Assmanns Zitat der Erwählungsinschrift der Hatschepsut, in der es heißt: „die Weisen werden zu Leerköpfen." Das Zitat kann kaum geeignet sein, um einen Abbrach der Lehren darzustellen. Zwar kann mit ihm wahrscheinlich gemacht werden, dass in der Zeit der Hatschepsut von einigen Personen 245 Als Änderung des Königtums nennt ASSMANN, Ma'at, 267: „Mit dem Ende der Ma'at hat das pharaonische Königtum seinen religiösen Charakter eingebüßt, der an die Vorstellungen von Weltordnung, Weltherrschaft und Welt-Inganghaltung gebunden war." Diesen religiösen Charakter des Königtums findet man in den Lehren allerdings auch im Mittleren Reich nicht durchgängig. 246 ASSMANN, Ma'at, 259f., deutet den Satz dagegen als Zusage der Fürsorge: „Gott setzt nun nicht mehr den Herrscher ein, um die Ma'at zu verwirklichen, sondern schenkt sie unmittelbar seinem Liebling, dem Frommen, der ihm vertraut, ihn beherzigt, für ihn handelt, dem Schweigenden, der sich ihm anvertraut." Alle diese Voraussetzungen werden jedoch in der Lehre des Amenemope nicht gemacht. Wem Gott die m f.t schenkt, wird hier nicht ausgesagt. 247 Vgl. ASSMANN, Ma'at, 257. 248 Vgl. Merikare, E 111,« jnj.w hr mw-f hrw -pf n(j) jwj.t - Wer ihm (aus dem Kontext wird klar, dass es sich um Gott handelt) loyal ist (wörtlich: auf seinem Wasser ist), wird nicht geholt werden an jenem Tag des Kommens. 249 Vgl. ASSMANN, Ma'at, 257.

134

II. Vom König zum Gott des

Einzelnen

Weisheit als bestimmten religiösen Erlebnissen nachgeordnet und unterlegen aufgefasst worden ist, aber über das Selbstverständnis der Weisen und ihr sich veränderndes Verhältnis zur m>c.t ist damit nichts ausgesagt. Ohne Frage ist zu konzedieren, dass die Lehren des Neuen Reichs sich thematisch deutlich von denen des Mittleren Reichs unterscheiden. So wird bei Ani und Amenemope die Person Gottes viel stärker hervorgehoben als in den Lehren des Mittleren Reiches. Dafür wird die Person des Königs nicht mehr ausführlich thematisiert. Der Diskurs in den Lehren des Neuen Reichs ändert sich, aber er ändert sich entsprechend der ererbten Voraussetzungen und wird gerade nicht abgebrochen, sondern im Rahmen der neuen Gegebenheiten weitergeführt. Zwar setzt sich der Weise nach Amenemope „in die Hand Gottes", wie Assmann es beschreibt, aber dass sich damit das Weltbild „ins radikal Unverfugbare und Unerkennbare"250 öffnen würde, wird den Lehren nicht gerecht. Warum sollten sich Ani und Amenemope und später Anchscheschonqi und der Verfasser des Papyrus Insinger die Mühe machen, den Nachkommen ausführlich Lehre und Ordnung darzulegen, wenn diese Ordnung mit der Persönlichen Frömmigkeit untergegangen wäre? Es liegt nach der Lektüre der Lehren des Mittleren Reichs nicht nahe, zwischen den klassischen Tugenden und den Geboten Gottes einen so entscheidenden Unterschied zu machen, wie es Assmann tut.251 Hilfreich für eine Bestimmung dieser Diskursänderung mag es sein, die fiktive Situation der Lehren zu berücksichtigen. Die Lehren des Ani und Amenemope werden nicht wie etwa die des Ptahhotep Regierungsbeamten zugeschrieben, sondern Tempelschreibern. Diese Zuschreibung markiert entsprechend einen ganz anderen Ausgangspunkt. Zum einen wird deutlich, aus welchem Grund der Umgang mit dem König nicht mehr zu den zentralen Themen zählen muss. Zum anderen geht aus dieser Zuschreibung hervor, aus welchem Grund die religiösen Fragen in diesen Lehren solchermaßen an Gewicht gewinnen. Als gesellschaftlichen Hintergrund der „neuen Lehren" nennt Assmann „die Ausdifferenzierung des Priestertums als sozialer Elite mit den Merkmalen der Erblichkeit, der Abstammung und der Professionalisierung"252. Wie die Selbstkonstituierung des Beamtentums in Beziehung zum König Thema des Mittleren Reichs war, könnte vor diesem Hintergrund die Selbstfindung der wachsenden Tempelbürokratie als Anlass und Ziel der Lehren des Neuen Reichs vermutet werden. Die zuvor als Propaganda beschriebenen Lehren des Mittleren Reichs haben sich zwar mit dem Königtum befasst, sind jedoch weit entfernt davon, einseitige Beeinflussung zu sein. 250

ASSMANN, Ma'at, 256. Vgl. ASSMANN, Ma'at, 256: „Es handelt sich dabei um eine geradezu kopernikanische Wende in der ägyptischen Religions- und Geistesgeschichte." 252 ASSMANN, Ma'at, 264. 251

D. Gott, König und Frommer

135

Sie sind viel eher die Spiegelung des Umgangs mit der gewachsenen staatlichen Macht. Vielleicht ist es eine ähnliche Machtzunahme der Tempel und des Kultbetriebs im Alltag, die sich in den vordergründig als „fromm" zu apostrophierenden Lehren des Neuen Reichs bei näherer Untersuchung als Auslöser des Diskurses erweisen wird. Beispiele für Brüche in der Selbstdarstellung der neuen Frömmigkeit gibt es m. E. einige. So könnte der Epilog der Lehre des Ani in diesem Sinne verstanden werden: Es verstößt deutlich gegen das Gebot des gehorsamen Hörens als einem der grundlegenden Gebote der Weisheit, dass der Sohn seinem Vater im Abschluss der Lehre Widerworte gibt. Der Schüler selbst bezeichnet sich als schwer erziehbar und rät dem Vater, dass einzig ein Gebet die Macht hätte, ihn doch noch weise werden zu lassen. Von dieser frommen Anti-Pädagogik hält der lehrende Weise aber offensichtlich nichts, was seine recht brachialen Belege für die These, dass jeder Mensch erziehbar sei, zeigen. Er tendiert als Lehrer eher zum Rohrstock als zum Gebet, was deutlich macht, dass selbst in den sich ändernden Voraussetzungen von Menschen- und Gottesbild die Erziehungsmethoden der Weisen und damit auch die Idee der Erziehbarkeit überhaupt gegenüber allem Schwärmertum auf Distanz bleiben und gerade nicht aufgegeben werden. Neu aufgenommen und diskutiert wird das Königtum erst wieder in einer Lehre der Spätzeit, der Lehre des Anchscheschonqi. Die in der Rahmung dieser Lehre verbundenen Motive lesen sich wie eine Komposition aus Rahmenmotiven früherer Lehren und lehrhafter Texte.253 Wie bei Ani und Amenemope spricht ein Tempelbeamter. Dieser macht sich allerdings auf die Reise zum Königshof, an dem der Rest der Rahmenhandlung spielt, womit sie an die Lehren des Mittleren Reichs, namentlich Amenemhet I., Merikare und Ptahhotep, anknüpft. Auch das Motiv der Reise ist dabei ein vor allem aus der erzählenden Literatur bekanntes, das die Rahmung der hier nur kurz angesprochenen Lehre des Cheti prägt.254 Anhand der beispiellosen Karriere des Freundes, den dieser Schreiber aufsucht, wird das Thema der Laufbahnbiographie aufgenommen, die sich als ganz und gar vom König oder Gott initiiert inszeniert. Dabei erinnert die sich nun ergebende dramatische Situation an die biographischen Sequenzen der Lehre Amenemhets I. Auf den König soll ein Attentat verübt werden. Anders als Amenemhet I. wird der anonym bleibende König jedoch gerettet. Er erfahrt, dass Anchscheschonqi das Leben des Pharao gegenüber dem an der Verschwörung beteiligten Freund verteidigt hat. Deshalb verschont er ihn, während alle anderen Verschwörer getötet werden. Anchscheschonqi wird inhaftiert. Seine Versorgung wird ihm, ohne dass er dies wüsste, aus dem Palast gebracht. In seiner Gefangenschaft beginnt er, die Lehre für seinen Sohn zu schreiben. Alle Worte dieser Lehre dringen jedoch 253 254

Vgl. die Übersetzung von THISSEN, Anchscheschonqi. Vgl. MOERS, Fingierte Welten, 279ff.

136

II. Vom König zum Gott des Einzelnen

nur über den Umweg des Thrones nach außen, weil der König die Lehren hören will.255 Die Übereinstimmungen mit Amenemhet I. werden kaum als rein zufallig zu beurteilen sein. Vielmehr nimmt die Lehre viele verschiedene Motive bewusst auf und verbindet sie mit neuer Intention. Der Verfasser bezieht auf diese Weise Tempel und Königtum wieder neu aufeinander. Auf die Frage, warum er seiner vom Pharao protegierten Karriere zum Trotz am Attentat mitgewirkt hat, macht der Freund Anchscheschonqis Re verantwortlich. Re trägt die Schuld, wenn aus treuen Untertanen plötzlich Aufständische werden. Diese Verantwortlichkeit des Re wird zu Beginn der Lehre sogar noch pointierter geltend gemacht. Sein Zorn wird als Grund für den Untergang von Staat und Gerechtigkeit angegeben. Selbst der König werde ungerecht, wenn Re zürnt. Nun hat im vorliegenden Fall der König kein Unrecht getan; er wird zum ersten Hörer der Lehre seines Gefangenen gemacht. Durch sein Lauschen billigt er sie implizit. Was diese Verbindung von geprägten Motiven für den Diskurs der Weisheit bedeuten kann, muss eine ausfuhrliche Auseinandersetzung zeigen. Zu kurz geschlossen wäre es, hier von einem Diskursabbruch zu sprechen. Die Motive bleiben die gleichen, und so knüpfen auch die Lehren der Spätzeit bewusst an die früheren Lehren und damit auch an die dort vermittelten Königs- und Gottesbilder. Diese Untersuchung wird auf die Lehren des Mittleren Reichs begrenzt bleiben müssen, selbst der Blick in die Spätzeit kann jedoch zeigen, dass sich die für die Rede vom und über den König verwendeten Motive nicht wesentlich verändert haben. Im kultischen Zusammenhang waren die persönlichen Gottheiten die Erben des Königs, in der Weisheit stimmt diese Beobachtung nur mit Abstrichen. Aber in einer Hinsicht ist der Gott ganz deutlich Erbe des Königs, indem er nämlich in den Lehren des Neuen Reichs und der Spätzeit mit einer ähnlichen Intensität zum Thema gemacht wird wie zuvor der König. Wie diese Thematisierung abschließend zu bewerten ist und ob sie ähnlich kritische Töne über den Gott und seinen Tempel enthält, wie es die vormals als propagandistisch bezeichneten Schriften für die Hofleute in ihrem Verhältnis zum König tun, bleibt noch zu klären. Vielleicht ist es gerade das Eigene und Besondere der Weisheitsliteratur, dass sie im Fluss bleibt und ihre entscheidenden Begriffe immer wieder neu bestimmt. Der König der einen Lehre ist nicht der der anderen, ebensowenig darf die Rede von der m¥.t in verschiedenen Schriften unbesehen verglichen werden. Weil die Lehren darum ringen, Wahrheit der jeweiligen Gegenwart 255 Gefangenschaft, Versorgung und Interesse des Königs für die Reden eines Untertanen finden sich in einer nahezu identischen Konstellation im Beredten Bauern, einem Text des Mittleren Reichs, in dem in Klagen und Lehrstücken die Selbstkonstituierung der Elite formuliert wird. Vgl. JUNGE, Rahmenerzählung des Beredten Bauern. Als biblische Parallele zum gleichen Motiv vgl. Dtn 17.

D. Gott, König und Frommer

137

angemessen zu formulieren, werden eben nicht immer wieder die alten, gleichen Systematisierungen bemüht, wenn es ein Problem zu lösen gilt. Wollte man Brunners Bild präzisieren, so wären die Beobachtungen der Weisen nicht die ewig gleichen Baupläne eines festgelegten Hauses der Weisheit, sondern die Weisheit als Baumeisterin würde je nach Anlass, überkommene Bilder und Begriffe neu verknüpfen und mit Inhalt füllen, um so immer wieder an unterschiedlichen Orten ein jeweils passendes Haus zu konstruieren. Die kontinuierlich verwendeten Begriffe und Motive schaffen als Baumaterial einen Zusammenhang zwischen geistesgeschichtlich weit voneinander entfernt liegenden Schriften, weshalb es innerhalb des sich ändernden Diskurses auch keine absoluten Brüche gibt. Aus diesem Grund ist schon die Untersuchung der ersten Entwicklungsphase der Lehren aufschlussreich und bietet anregende Vorlagen für eine Bestimmung weisheitlicher Rede vom König.

III. Die Weisen auf den Thron! - Eine alttestamentliche Erhebung Die in der Einleitung gestellte Frage nach dem König und seinen Erben lässt sich inzwischen für die ägyptischen Lehren des Mittleren Reiches differenzierter beantworten: „König" bezeichnet den Herrscher, dessen Rolle zu Göttern und Untertanen ins Verhältnis gesetzt wird. Das Handlungsgefiige dieser drei Größen ist ständigen Veränderungen ausgesetzt, die sich durch gesellschaftliche Erfordernisse ergeben. Gleichzeitig ist das Wortfeld nicht hermetisch abgegrenzt. Das zeigt sich unter anderem darin, dass „königliche" Eigenschaften auch bei Untertanen und Göttern beobachtet werden können. Die Differenzierung der Funktion des Königs und der Verwendung königlicher Motive gerade in Zusammenhang mit der Selbstbeschreibung der weisen Elite Ägyptens kann auch als hermeneutisches Fragepotential für die Untersuchung der Proverbien dienen. Dabei wird sich zeigen, dass die Bandbreite möglicher Verwendungen des „Königlichen" erheblich erweitert wird.

A. Beobachtungen in Prov 10,1-22,16 Im ersten Teil der alttestamentlichen Analyse werden Abschnitte der Sammlung B untersucht, die unmittelbar mit der Rede vom König in Zusammenhang gebracht werden können. Einige der Versfolgen lassen sich kaum abgrenzen, ohne näher auf ihre Genese einzugehen. Dennoch kann hier, anders als in den Untersuchungen zu Prov 25-29, nicht die Genese der ganzen Sammlung untersucht werden. In Prov 10,1-22,16 werden wesentliche Weichenstellungen für die Rede vom König im Proverbienbuch vorgenommen, die in den später zu besprechenden Sammlungen vorausgesetzt werden. 1. Weiser oder Volkstribun - Prov

14,26-15,181

Die beiden ersten Königsverse der Sammlung B in Prov 14,28 und 35 sind zugleich die beiden einzigen im ersten Teilabschnitt der Sammlung. Sie wer1

Als umfassende Struktur wird sich Prov 14,26-15,18 erweisen. Dennoch wurde auf die Einfügung einer Übersetzung des ganzen Abschnitts verzichtet, da der Augenmerk der Untersuchung auf dem unmittelbaren Umfeld der beiden Königsverse liegt.

A. Beobachtungen in Prov

10,1-22,16

139

den nur durch sechs Verse getrennt, stehen also relativ dicht beieinander, weshalb schon früh vermutet worden ist, dass sie aufeinander bezogen sind und mit den zwischen ihnen stehenden und sie umgebenden Versen einen spezifischen Zusammenhang bilden.2 Inhaltlich differieren sie von den übrigen Königssprüchen in den Proverbien, wobei der Unterschied sich nur in den Königsversen selbst aufzeigen lässt, die zugleich den Nukleus der Textentstehung bilden. Diese Differenz wird jedoch durch die späteren Ergänzungen ausgeglichen. Die späteren Entwicklungsstufen des Textes passen inhaltlich problemlos zu den übrigen Königsperikopen im Proverbienbuch. Lassen sich deshalb zwar unter Umständen für Prov 14,28 und 35 ein eigener Hintergrund und eine eigene Entstehung gegenüber den übrigen Königsversen vermuten, so zeigt die weitere Entwicklung der Perikope, dass sie in enger Verbindung zum übrigen Teil der Sammlung stattgefunden hat. Die beiden Königsverse formulieren eine nüchterne Analyse der Bedeutung von Volk und König füreinander. Ungewöhnlich ist dabei vor allem die Perspektive in Bezug auf die Volksgemeinschaft, die in dieser Weise in den Proverbien sonst nicht erwähnt wird. Verse im Sinne einer Sozial- oder Gemeinschaftsethik finden sich ausschließlich in den Kapiteln 10-15.3 Prov 14,28 und 35 tragen ein ganz eigenes Gepräge und gehören möglicherweise zu den ältesten vollständig überlieferten Königsversen der Proverbien. In ihnen wird zwar eine recht distanzierte Haltung zum König formuliert, aber vor allem in V.35 wird noch mit dem König als Gegenüber des Einzelnen gerechnet, wie es in späteren Königsversen nicht mehr zu finden ist.4 Die beiden Königsverse schließen inhaltlich ohne Schwierigkeiten aneinander an, ihre Einbindung in den Kontext hat sich jedoch im Laufe der Textentwicklung grundlegend verändert. Deshalb wird die Genese des Textes aufzuschlüsseln sein, in deren Verlauf die Rede vom König im Gegenüber zum Volk zu einer Chiffre rechten, weisen Verhaltens geworden ist. Ausge2 Vgl. vor allem MEINHOLD, Wortspiel, 615-16, der das Thema des Abschnitts benennt (616): „Hinweise zur wohlgefälligen Herrschaft eines Königs". Darüber hinaus: PLÖGER, BK.AT XVII, 174-176; MEINHOLD, ZBK.AT 16.1, 242-46; PERRY, Structural Patterns, 221f., hält die Struktur der Verse sogar für besonders einfach zu durchschauen; WHYBRAY, Composition, 102f.; anders SCHERER, Das weise Wort, 153ff. sowie SCORALICK, Einzelspruch und Sammlung, 226. 3 Dabei bezeichne ich im Folgenden solche Gedanken als gemeinschafts- oder sozialethisch, die eine (staatliche) Gruppe als Ziel ihrer Bemühungen ins Auge fassen und sich nicht primär auf das Handeln und Ergehen des Einzelnen beziehen. Dass es diese Gedanken in Prov 10-15 häufiger gibt, sie dagegen in Prov 16-22 und darüber hinaus vollkommen fehlen, kann kaum Zufall sein. Im Gegenteil wird dieses Faktum als wichtiger Hinweis zum richtigen Verständnis von Prov 14,28 und 35 und der an ihnen und ihrem Kontext ablesbaren Bedeutungsentwicklung des „Königs" herangezogen werden können. 4 Eindrücklich zeigt sich diese Entwicklung in Prov 25, siehe dort.

140

III. Die Weisen auf den Thron!

hend von einer genauen Untersuchung der Königsverse soll deshalb im Folgenden die Entstehung ihres Kontextes untersucht werden. a) Übersetzung und Textkritik Prov 14 26 In der Furcht YHWHs (liegt ein) fest gegründetes Vertrauen 5 , und (auch) seine Kinder 6 haben Zuflucht 7 . 27

Die Furcht 8 YHWHs (ist eine) Quelle des Lebens, zu meiden die Stricke des Todes.

28

Im zahlreichen Volk (besteht) die Ehre eines Königs, aber im Schwund 9 des Volkes (liegt) der Untergang eines Regierenden 10 .

5 Die Vokabel mibtäh bezeichnet in den Proverbien zumeist das trügerische, in menschliche Stärken und Verlässlichkeit gesetzte Vertrauen, das fast zwangsläufig erschüttert werden muss (Prov 21,22; 22,19; 25,19 vgl. dazu auch Hi 8,14; 18,14 und 31,24). Einzig das in der YHWH-Furcht sich gründende „starke Vertrauen", mibtah-'oz, ist gegen Irreführungen und Erschütterungen gesichert und hält, was es verspricht (vgl. zum Vertrauen in Y H W H v.a. Ps 40,5; 65,6; 71,5). 6 Der im Personalsuffix implizierte Vater („seine Kinder") wird vorher nicht erwähnt, dennoch kann er hinter dem Begriff der Gottesfurcht als diese Praktizierender vermutet werden. Zudem bezeichnet der „Sohn" in der Weisheitsliteratur des AO nur selten das ausschließlich biologische Verhältnis der Kindschaft (vgl. die Rede vom „sozialen Sohn" bei JUNGE, Lehre Ptahhoteps, 35), weshalb eine ausdrückliche Erwähnung eines „Vaters" nicht notwendig ist. Der Sohn ist im weisheitlichen Lehrverhältnis vielmehr der Schüler, sowohl in Ägypten als auch in Israel und im AO insgesamt. (Vgl. u.a. Prov 1,8.10; 2,1: 3,1.11.21; 4,10.20; 5,1: 6,1; 7,1; 19,27; 23,15; 24,13; Koh 12,12 und Ps 34,12). Man beachte, dass an letztgenannter Stelle überdies die YHWH-Furcht Inhalt der den Kindern zukommenden Belehrung ist. 7

Mögliche Varianten: „für seine Kinder ist er (YHWH) Zuflucht" oder „für seine Kinder ist es (das Vertrauen) Zuflucht." Die erste Variante impliziert, dass die Schüler dem Beispiel des Gottesfurchtigen nachfolgen und entsprechend in ihrem eigenen Verhältnis zu Y H W H Zuflucht finden, genauso wie der Vater oder Lehrer. In der zweiten Variante ist die Zuflucht dagegen Folge einer Partizipation an den Gütern des Vaters. LXX entscheidet sich für die Interpretation der Zuflucht als Erbe oder Partizipation ( K a t a ^ e w c e t e p e i a j i a ) . Da M T hier offen formuliert ist, wird ein Ineinander von Partizipation und Nachfolge die ursprüngliche Intention am ehesten treffen. (Vgl. auch Prov 20,7). 8 LXX hat als Variation der im vorangegangenen Vers genannten YHWH-Furcht die Weisung (jtpÓGTCíYlxa). Diese Abwandlung zerstört die Stringenz der anaphorischen Reihe, durch die die YHWH-Furcht ausdrücklich zur Grundlage der folgenden Verse gemacht und zugleich in ihrer Bedeutung für den Menschen als Adressaten der Sprüche zwiefach nachgezeichnet wird. 9 Der Begriff 'cepces bezeichnet wörtlich das Ende. 10 Der hier verwendete Begriff des „Prinzen" (razón) ist ein hapax legomenon, das sich aber anhand des von der gleichen Wurzel gebildeten Verbs rzn problemlos erschließen lässt. Mit dem Part, qal bezeichnet es in Proverbien 8,15 und 31,4 einen Parallelbegriff zum König (vgl. auch Ps 2,2). Die ungewöhnliche Wortwahl wird durch die Homonymie mit razón I, in der Bedeutung Schwindsucht, Abmagerung (HAL IV, 1128), lanciert worden sein. Der Klang

A. Beobachtungen in Prov 10,1-22,16 29

Fern vom Zorn (zu sein, zeugt von) großer Einsicht, aber der Kurzgeistige11 richtet Torheit auf.12

30

Ein gelindes13 Herz (verheißt) Leben für das Fleisch, aber Leidenschaft (ist) Fäule für die Knochen.14

31

Wer einen Armen bedrückt, verhöhnt seinen15 Schöpfer, ihn ehrt dagegen, wer sich um einen Elenden kümmert.

32

Ins Unglück wird der Frevler gestoßen, aber der Gerechte birgt sich in seiner Integrität.16

141

bindet den Vers vor allem an den ursprünglich unmittelbar folgenden V.35, der mit räsdn beginnt. Zur Übersetzung als „Regierender" statt, wie oft zu sehen, Fürst oder Prinz, vgl. GEMSER, Sprüche Salomos, HAT 1/ 16, 21963, 67, mit dem auf GK § 84 k gründenden Hinweis auf die aktivische Bedeutung des Substantivs. 11 Der Ausdruck q'sar-rífh umfasst zwei in unserem Sprachgebrauch deutlich unterschiedene Dispositionen, die der Ungeduld (vgl. Hiob 21,4) ebenso wie die der Schwäche und Atemlosigkeit (vgl. Ex 6,9). Siehe dazu HAAK, qsr nps, 161-167. Zur Verbindung von Ungeduld, aufkommendem Wahnsinn und göttlicher Bestrafung gerade in der Beschreibung von Königen siehe REDFORD, Orientalia 39, 36. Er nennt „the motif of the arrogant ruler who blasphemes once too ofíen, is forsaken by the gods, and is overcome by military defeat or madness." REDFORD verfolgt das Motiv, das auch in Texten, die die Zeit der HyksosHerrschaft rekapitulieren, vorkommt, bis zu seinen angenommenen babylonischen Ursprüngen in der Geschichte von Enmerkar und dem Herrn von Aratta. 12 Die von BHS im Anschluss an LXX (die hier ÍGX'l)P®í äcppcov hat), Peschitta und Targum vorgeschlagene Emendierung zu marbceh (Vermehrung, Menge), die von vielen Kommentatoren aufgenommen wurde (vgl. WHYBRAY, NCB 1994, 222), ist nicht notwendig, da sich das von MT gebotene Part. hif. von rwm als „erhöhen" oder „aufrichten" schlüssig in den Vers einfügt. 13 Das Part, ist doppeldeutig, je nachdem ob es (marpe' I, Heilung) von rp' oder (marpe' II, Gelassenheit) von rph hergeleitet wird. Sicherlich kann kaum ausgeschlossen werden, dass auch der Verfasser diese Doppeldeutigkeit im Sinn gehabt haben mag. Dennoch legt sich wegen der parallelen Stellung zur angeprangerten Leidenschaft die Nennung des gelassenen Herzens als locus classicus weisheitlicher Sentenzen nahe. 14 Als „schmerzhafte Rückseite der Liebe" deutet REUTER qin'äh (REUTER, ART. qn\ 55), präzisiert allerdings für unsere Stelle: „Da hier ebenso wie Spr 14,30 keine Rede von dem Beziehungsdreieck Eifersüchtiger - Rivale - Partner ist, das die Grundkonstellation der Eifersucht darstellt, ist qn'an diesen beiden Stellen (die andere ist Cant 8,6) eher mit Leidenschaft zu übersetzen, wobei allerdings die Nähe beider Begriffe zu berücksichtigen ist, da die Eifersucht in vielen Fällen als Aktualisierung der Leidenschaft angesichts der Bedrohung zu verstehen ist." Eine Mahnung zur der Leidenschaft entgegengesetzten Gelassenheit findet REUTER erst in Zusammenhang mit der Einsicht in die Todesverfallenheit aller Regungen in Koh 9,6. Diese Einschätzung kann dem Text der Proverbien jedoch nicht gerecht werden. 15 Das Possessivsuffix bezieht sich, streng genommen, auf das zuletzt genannte Nomen, den Elenden, gleichwohl eignet der Konstruktion eine gewisse Offenheit, da ebenso der Schöpfer des Höhnenden bezeichnet werden kann. Diese Offenheit soll durch die gewählte Übersetzung wiedergegeben werden. 16 Hier ist MT zu ändern, der mit b'mötö den Gerechten auch in seinem Tode geborgen zu sein wähnt. So vertraut und gefallig die Formulierung klingen mag, so ist sie doch nicht für

142

III. Die Weisen auf den Thron!

33

Im Herzen des Verständigen ruht Weisheit, aber inmitten der Toren macht sie sich bekannt.17

34

Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Schmach18 eines Volkes (ist) seine Sünde.

den Kontext der Proverbien denkbar, in denen eine Geborgenheit über den Tod hinaus oder gar im Tode nicht angelegt ist. In den Proverbien bezeichnet der Tod nie ein bloß biologisches Faktum, sondern immer die qualifizierte Sphäre der Gottlosigkeit. Auch die Ersetzung des Todes durch eine das Leben erschütternde Todesangst (SCHERER, Das weise Wort, 143 Anm. 12) kann dieses Problem nicht umgehen. Nicht nur, dass der Text nicht von Todesangst spricht, selbst da, wo sich im AT ein entsprechender Ausdruck findet (vgl. Ps 55,5), zeigt sich, dass die Angst des Todes genauso zur unheimlichen und gottfernen Sphäre des Todes gehört, wie der Tod selbst. Sicherheit im Tode oder in Bezug auf den Tod ist daher in unserem Kontext nicht vorstellbar, selbst dann nicht, wenn damit keine Jenseitshoffnung ausgedrückt werden soll. Vgl. MURPHY, WBC 22, 102: „Such a reading runs contrary to the perspectives on death in this book." Aus diesem Grund legt es sich nahe, auch für MT die an LXX angelehnte Ganzheit oder Sündlosigkeit zu vermuten und eine Metathese aus b'tümmö anzunehmen. Diese Emendierung wird zusätzlich dadurch gestützt, dass das in LXX zu findende Ó0lÓTT} ri, 4 0 8 . 4 1 0 . 110 Vgl. BOTTERWECK, Art. a , ri, 4 1 6 f .

182

III. Die Weisen auf den Thron!

allem in den Psalmen zu finden ist.111 Hier wird diese Rede jedoch lediglich im Vergleich verwendet, so dass dem König keine tatsächliche Macht über die Natur zugestanden wird. Anders als in Prov 16,14f. wird die Todesmacht des Königs in 19,12 ebenso wenig eingeschränkt wie seine Lebensmacht. Todesmacht und Lebensmacht des Königs sind die umfassende Bestimmung seiner Herrschaft. 112 Jegliche Herrschaft wird von dieser Dichotomie bestimmt. Ihre Suspendierung dagegen muss als ein Zeichen für Herrschaftsverlust gewertet werden. Diese Aufhebung der legitimen Dichotomie königlicher Macht geschieht in Prov 19,12 durch die Kontexteinbindung des Verses. Aus dem Kontext heraus wird deutlich, dass - wie in Prov 16 - allein die Lebensmacht als königlich angesehen, die Todesmacht des Königs hingegen tabuisiert wird. c) Macht über Leben und Tod gebührt nur dem königlichen Weisen Prov 19,10-12 lassen sich relativ problemlos gegenüber ihrem Kontext als eigener Abschnitt bestimmen. Sie werden zu beiden Seiten von thematisch abgrenzbaren Versgruppen umgeben, die je in sich eine abgeschlossene Struktur aufweisen. Diese rahmenden Perikopen sind Prov 19,5-9113 und 1318114.

111

Vgl. u.a. Ps 72,16f. Siehe auch D I E T R I C H , Zwischen Gott und Volk, 140. Ein Blick in die ägyptischen Lehren zeigt, dass sie dort immer in dieser Bipolarität dargestellt werden. Sie werden verwendet, um das richtende Handeln des Königs zu beschreiben. Wie in der Beschreibung Gottes in der kleinen Genesis bei Merikare ist auch das Handeln des Königs als Leben ermöglichend oder tödlich strafend bestimmt. Dabei verbindet sich diese Ambivalenz vor allem mit der Notwendigkeit einer Verteidigung der Schöpfungsordnung. 113 Prov 19,5-9 werden von zwei fast gleichlautenden Versen gerahmt, die davor warnen, sich als Lügenzeugen zu betätigen. Vgl. hierzu und zum Folgenden S C H E R E R , Das weise Wort, 262f.,270-272. S C H E R E R weist nach, dass Vers 4 höchstwahrscheinlich noch mit zu diesem Abschnitt gerechnet werden muss, da er das schon zuvor angeklungene Thema von Armut und Reichtum unter dem Aspekt der sozialen Kontakte und Möglichkeiten aufnimmt, die durch die erwähnten Verse 5 und 9 ein weiteres Mal in Hinblick auf die Möglichkeiten der käuflichen, freundschaftlich-motivierten oder schlicht selbstsüchtigen Falschaussage spezifiziert werden. Die Gegenüberstellung von lakonischer Weltbeschreibung und moralischem Appell wird in den Versen 7b und 8 an den einzelnen Weisen zurückgebunden, indem die Wichtigkeit der Schulung der Vernunft eines jeden Einzelnen betont wird. 114 Auch der sich an Prov 19,10-12 anschließende Abschnitt Prov 19,13-18 wird von zwei thematisch ähnlichen Versen über die Erziehung umgeben und lässt sich entsprechend von Prov 19,10-12 unterscheiden. Abgesehen von dieser so deutlich umgrenzten Versfolge dehnt sich der Abschnitt zudem bis in die Verse 19,24 hinein aus. Anders S C H E R E R , Das weise Wort, 264f., der den Abschnitt erst mit 20,1 enden lässt. Natürlich werden die Verse 19,13-20,1 durch die Rahmung der Königssprüche besonders eng zusammengebunden. Der Neueinsatz in 19,25 mit dem Stichwort Spötter (les), das in 112

A. Beobachtungen

in Prov

10,1-22,16

183

Prov 19,10-12 bieten nicht viel Raum für eine ausgefeilte Komposition, sind jedoch mit Motiven des gesamten Buches geschickt verknüpft. Klimaktisches Ziel des Abschnittes ist V.12. Zorn und Wohlgefallen des Königs werden einander gegenübergestellt und in ihrer sowohl Leben verheißenden als auch Tod bergenden Macht dargestellt. V.12 stellt die umfassende Lebensmacht des Königs dar, ohne die eine oder andere Seite zu kommentieren, herzuleiten oder zu werten. Die in V.12 fehlende Beurteilung der königlichen Machtäußerungen ist jedoch in V.10-11 vorangestellt worden. So beschreibt V.ll die rechte Grundhaltung zur Macht. Der Vernünftige (sekcel) ist langsam zum Zorn und hat die königliche Größe, Verfehlungen zu übergehen.115 Die Langsamkeit zum Zorn {hce^rik 'appo) rahmt bereits in Prov 14-15 einen als königsethisch zu bewertenden Abschnitt. Sie ist dort das entscheidende Merkmal des königlichen Weisen. Prov 19,11 ergänzt diese Überlegungen um den Aspekt, dass es die Einsicht (Wurzel skl) ist, die langmütig werden lässt.116 Die Einsicht bezeichnet in den Proverbien die grundlegende Befähigung zu einem gesellschaftlich erfolgreichen Leben und zur Macht.117 Noch deutlicher als die Langmut stammt die Ehre (tip'cercet) aus dem Bereich des königlich geprägten Vokabulars. Sie entsteht demjenigen, der Nachsicht gegenüber Verfehlungen walten lassen kann. In beiden Teilversen spielt V . l l auf royale oder zumindest in den Proverbien im royalen Kontext gebrauchte Wendungen an. 19,29 und 20,1 wieder aufgenommen wird, muss jedoch ernster genommen werden als SCHERER dies tut. 115 Auch in 10,12 und 17,9 begegnet die Vorstellung, dass das Vergehen, pceSa', um der Liebe und Freundschaft willen vergeben werden sollte. Hier soll der weltgewandte und vernünftige Mensch sich dazu durchringen, nicht auf diese Verfehlungen zu achten. Einer weiteren Untersuchung bedürfte hier die offensichtlich ganz unterschiedliche Deutung des Begriffs in den Proverbien. Obwohl teilweise auch schwere Vergehen mit ihm umschrieben werden, scheint es regelrecht eine Spruchgruppe gegeben zu haben, die forderte, solcherlei Verfehlungen im Namen der Liebe zu übergehen. Vgl. SEEBASS, Art. päSa', 800: „In einer Reihe von Sprüchen begegnet ein Gebrauch, bei dem die Schärfe eines Deliktes nicht paßt." Zusammenfassend urteilt SEEBASS, 801: „Man wird jedoch nicht übersehen dürfen, daß dem Wort in den vorgeführten Belegen zumeist das Rechtsbrecherische fehlt ... (deshalb) scheint die Weisheit eher an die unweisen als an die dringend Rechtshilfe benötigenden Brüche zu denken." 116 Die Einsicht (bzw. Derivate der Wurzel skl) ist in Prov 14,35 und 17,2 die Eigenschaft, die den Knecht oder Untertan (ah"ray. Als suffigierte Präposition „hinter mir" gibt sie keinen Sinn. Wenn man sie nicht ganz tilgt, weil die Sache, die sie vertritt, dem Sinn nach ohnehin vorhanden ist (...), bleibt übrig, darin entweder eine fehlerhafte Schreibung des Wortes für ,Ende/ Zukunft' ('ah'rtt) zu sehen, wobei der letzte Buchstabe wegen seiner Ähnlichkeit mit dem folgenden ausgefallen ist, oder eine unübliche, aramaisierende Form des Adverbs ,danach/ hinterher/ zuletzt/ schließlich' (...)." 331 BHS streicht aus metrischen Gründen, die Nennung beider Elternteile wird aber schon von LXX überliefert und ist im Kontext notwendig verankert. Möglich ist allerdings, dass die Erweiterung erst im Zuge der weisheitlichen Interpretationsschicht vorgenommen wurde (die auch hauptsächlich für die erwähnte Verankerung sorgt). 332 Wörtlich auf sein Herz (b'libbö), wohl im Sinne von auf seinen Verstand. 333 Bemerkenswert: Nur hier und in 3,33 ist von Flüchen die Rede. SCHARBERT, Art. 'rr, 445f.: „Das Nomen ... ist der ,Fluch' im Sinn des bereits hereingebrochenen Unheils, nicht im Sinne der Fluchformel oder des Fluchwortes. Ihn ,schickt JHWH', und er ,ist im Haus des Frevlers' als bereits eingetretenes Unglück spürbar."

B. Der König und Frau Weisheit

247

Prov 29 1 Ein viel zurechtgewiesener Mann 334 , der seinen Nacken verhärtet, wird unversehens zerbrechen, und (es gibt) keine Heilung. 2

Wenn die Gerechten zahlreich werden, freut sich das Volk, aber wenn ein Frevler 335 herrscht, seufzt ein Volk.

3

Ein Mann, der Weisheit liebt, erfreut seinen Vater, aber wer sich Huren zugesellt, vernichtet (seinen) Reichtum.

4

Ein König richtet ein Land in336 Recht auf, aber ein Mann, der (nach) Abgaben 337 (giert), reißt es ein.

5

Ein Mann, der seinem Nächsten schmeichelt, (ist wie einer,) der ein Netz über seinen Schritten ausbreitet.

6

Im Vergehen eines bösen Mannes (liegt) eine Falle, aber der Gerechte wird jubeln und sich freuen.

7

Ein Gerechter weiß um die Rechtssache 338 der Elenden, (aber) ein Frevler kennt kein Verständnis. 339

8

Leute des Übermuts 340 entfachen eine Stadt, die Weisen (dagegen) besänftigen den Zorn.

9

Ein weiser Mann rechtet 341 mit einem Toren, und (der) ist erregt und lacht und (gibt) keine Ruhe.

10

Blutleute hassen den Rechtschaffenen, aber die Geraden suchen sein Leben. 342

334

Übersetzung mit DELITZSCH, BC IV. 3, 464: „Die Verbindung mrDin ETX muß an sich auf einen Leser des Spruchbuchs den nächsten Eindruck machen, daß sie einen Strafprediger bedeute, was sich aber durch das Folgende widerlegt, oder einen solchen, der Gegenreden im Mund fuhrt." 335 Singular wird gegen LXX und Handschriften beibehalten. Vgl. zur Thematik Sg./ PI. KLEWELER, Die Hiskianische Sammlung, 201, 347f. 336 Die Offenheit der hebräischen Präposition kann in der Übersetzung nicht abgebildet werden, b ist hier instrumental und locativ zu verstehen, also sowohl „durch" die geübte Gerechtigkeit als auch „in" der aller Herrschaft Basis gebenden Gerechtigkeit. 337 LXX hat 7tapdvo|lo