Kritias: Deutsche Übersetzung aus der von Ernst Heitsch, Carl Werner Müller und Kurt Sier herausgegebenen Werkausgabe 3838541502, 9783838541501


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Platon: Kritias
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Platon, Kritias oder die Geschichte von Atlantis
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Kritias: Deutsche Übersetzung aus der von Ernst Heitsch, Carl Werner Müller und Kurt Sier herausgegebenen Werkausgabe
 3838541502, 9783838541501

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Platon Kritias

Vandenhoeck & Ruprecht

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

Platon    

  Kritias    

Übersetzung von Heinz-Günther Nesselrath

              Vandenhoeck & Ruprecht

Dr. Heinz-Günther Nesselrath ist ordentlicher Professor für Klassische Philologie an der Universität Göttingen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart UTB-Nr. 4150 ISBN 978-3-8385-4150-1 (UTB-Bestellnummer)

Platon, Kritias oder die Geschichte von Atlantis

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TIMAIOS: Wie erleichtert bin ich, Sokrates, wie bei erreichter Rast nach einem langen Weg, so jetzt aus der Durchwanderung meines Logos endlich entlassen zu sein! Und zu dem in Wirklichkeit bereits in einer lange zurückliegenden Zeit, jetzt aber soeben auch in meinen Worten entstandenen Gott bete ich: Möge er von allem, was vorgetragen wurde, soweit es in rechter Weise vorgetragen wurde, mir dessen Erhaltung gewähren; wenn ich aber über diese Dinge – ohne es zu wollen – etwas unstimmig gesagt habe, so möge er mir eine Strafe auferlegen, die angemessen ist. Richtig aber ist eine Strafe, wenn sie den aus der Melodie fallenden wieder in sie hineinbringt; um folglich in Zukunft die Darlegungen über die Entstehung der Götter in zutreffender Weise vortragen zu können, bete ich, er möge mir als Arznei die vollkommenste und beste der Arzneien schenken, fundiertes Wissen; und nach diesem Gebet übergebe ich gemäß unserer U¨bereinkunft die weiteren Ausführungen an Kritias. KRITIAS: Wohlan, Timaios, ich übernehme; was jedoch auch du am Anfang für dich in Anspruch nahmst – du batest um wohlwollendes Verständnis, da du im Begriff seist, über große Dinge zu sprechen –, genau darum möchte auch ich jetzt bitten; und ich halte es für noch mehr recht und billig, dieses Verständnis in noch höherem Maße zu erlangen, mit Hinsicht auf die Dinge, die vorgetragen werden sollen. Dabei bin ich mir durchaus bewußt, daß ich im Begriff bin, eine Bitte auszusprechen, die reichlich anspruchsvoll ist und grobschlächtiger, als sie sein sollte; dennoch muß sie vorgetragen werden. Deine Ausführungen sind sicherlich vorzüglich gewesen – wer würde bei klarem Verstand das Gegenteil behaupten? Daß jedoch das, was nun ausgeführt werden soll, eines noch größeren Verständnisses bedarf, weil es mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist – dies muß ich versuchen, noch etwas zu erläutern. Wenn man nämlich über Götter etwas vor Menschen vorträgt, Timaios, kann man leichter als ein kompetenter Redner erscheinen, als wenn man dies über Sterbliche vor uns tun möchte. Mangelnde Erfahrung nämlich und große Unwissenheit der Zuhörer sorgen bei allen Themen, bei denen diese Voraussetzungen auf das Publikum zutreffen, dafür, daß derjenige leichtes Spiel hat, der über diese Themen et-

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was sagen will; und hinsichtlich der Götter wissen wir ja doch, auf welchem Kenntnisstand wir uns befinden. Um aber noch klarer zu erläutern, was ich meine, bitte ich euch, mich bei folgender U¨berlegung gemeinsam zu begleiten: Eine Nachahmung und eine nachbildende Darstellung – darauf läuft das von uns allen Vorgetragene doch wohl notwendigerweise hinaus. Was nun die Abbildungskunst der Maler betrifft, die sich mit den göttlichen und den menschlichen Körpern beschäftigt, so wollen wir sie einmal in Hinsicht darauf betrachten, wie leicht oder wie schwierig es zu erreichen ist, daß diese Körper den Betrachtenden hinreichend gut nachgebildet zu sein scheinen, und wir werden feststellen: Bei Erde und Bergen und Flüssen und Wald, auch beim ganzen Himmel, und was in seiner Sphäre vorhanden ist und sich dort bewegt, da sind wir erstens einmal zufrieden, wenn jemand auch nur mäßig in der Lage ist, etwas der A¨hnlichkeit dieser Dinge angenähert darzustellen; und da wir zweitens über solche Dinge nicht genau Bescheid wissen, unterziehen wir das Gemalte weder einer näheren Prüfung noch einer Kritik, sondern wir begnügen uns in seiner Hinsicht mit einer vagen und trügerischen Schattenmalerei. Sooft aber jemand es unternimmt, unsere Körper abzubilden, da bemerken wir scharfäugig, was ausgelassen wird, weil uns diese Wahrnehmung stets begleitet, und werden zu strengen Richtern für jeden (Künstler), der nicht in jeder Hinsicht die Entsprechungen vollständig herstellt. Und das Gleiche tritt eben auch – dies muß man sehen – bei sprachlichen Darstellungen ein: Bei dem, was mit Himmel und Göttern zu tun hat, sind wir schon zufrieden, wenn deren sprachliche Wiedergabe auch (nur) in geringfügiger Weise der Wahrscheinlichkeit entsprechend ist; bei (Ausführungen zu) sterblichen Lebewesen und zum Menschen aber stellen wir genaue Prüfungen an. Wenn ich deshalb eben bei diesen jetzigen improvisierten Ausführungen nicht in der Lage bin, in jeder Hinsicht eine angemessene Wiedergabe zu liefern, so sollte man ihnen gegenüber nachsichtig sein; denn nicht als seien die sterblichen Erscheinungen leicht, sondern schwierig in Hinblick auf (unsere) Erwartung nachzubilden, so muß man sich (die Dinge) vorstellen. Um euch an diese Sachverhalte zu erinnern, und weil ich, was verständnisvolle Nachsicht angeht, nicht ein geringeres, sondern ein größeres Maß fordern muß hinsichtlich dessen, was ich vortragen will, habe ich alle diese Bemerkungen gemacht, Sokrates. Und wenn ich denn zu Recht diese Gunst zu fordern scheine, so gewährt sie mir aus freien Stücken. SOKRATES: Und warum sollten wir sie dir nicht gewähren, Kritias? Und noch zusätzlich dazu soll als drittem diese gleiche Gunst auch dem Hermokrates von uns gewährt sein; denn es ist klar, daß nur kurze Zeit

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später er, wenn er (seinerseits) vortragen soll, diese Bitte ebenso äußern wird, wie ihr es getan habt. Damit er also sich einen anderen Beginn (für seine Ausführungen) zurechtlegt und nicht gezwungen ist, den gleichen vorzutragen, soll er unter der Vorausssetzung sprechen, daß ihm verständnisvolle Nachsicht sicher ist, wenn die Reihe an ihn kommt. Allerdings will ich dir, mein lieber Kritias, (auch) die Haltung deines Publikums zum Voraus kundtun: Der Dichter vor dir hat bei ihm wundersamen Anklang gefunden – daher wirst du schon eines ganz beträchtlichen Ausmaßes an verständnisvoller Nachsicht bedürfen, wenn du in die Lage kommen willst, daran (ebenbürtig) anzuknüpfen. HERMOKRATES: Damit freilich, Sokrates, drohst du auch mir das 108c Gleiche an wie unserem Freund hier. Doch andererseits, Kritias: Männer ohne Mut haben noch nie ein Siegeszeichen errichtet; also heißt es nun tapfer auf die Darstellung losgehen, den Paion und die Musen zum Beistand anrufen und die Bürger der Urzeit als tüchtige Männer aufzeigen und (als solche) preisen. KRITIAS: Mein lieber Hermokrates, da du weiter hinten aufgestellt bist und einen anderen vor dir hast, bist du noch zuversichtlich. Welcher Art dieses Unterfangen tatsächlich ist, wird es selbst dir in Kürze klarmachen; deinem Zuspruch freilich und deiner Ermunterung muß ich Folge 108d leisten und zusätzlich zu den Göttern, die du nanntest, auch noch die anderen anrufen und unter ihnen vor allem die Göttin der Erinnerung; denn geradezu die gewichtigsten Anteile meiner Ausführungen liegen sämtlich bei dieser Göttin. Wenn ich mir nämlich in hinreichender Weise das ins Gedächtnis zurückrufe und wiedergebe, was einst von den Priestern erzählt und dann von Solon hierher gebracht wurde, dann bin ich mir einigermaßen sicher, daß ich in den Augen dieses Publikums die mir zukommende Aufgabe in rechter Weise erfüllt haben werde. Und genau dies soll nun auch endlich geschehen und keineswegs mehr aufgeschoben werden. 108b

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Als erstes von allem wollen wir uns daher ins Gedächtnis zurückrufen, daß es insgesamt 9000 Jahre waren, seit es, wie angegeben wurde, zum Krieg zwischen den jenseits der Säulen des Herakles im A¨ußeren Meer Wohnenden und denen am Inneren Meer allen gekommen war; diesen Krieg gilt es jetzt von Anfang bis Ende darzustellen. Die Führung der einen Seite übernahm dabei, wie schon erzählt wurde, unsere Stadt – und sie hielt den ganzen Krieg bis an sein Ende erfolgreich durch –, die Führung der anderen die Könige der Insel Atlantis; von dieser sagten wir ja (schon), daß sie einst eine Libyen und Asien an Größe übertreffende Insel war, dann aber infolge von Erdbeben versank und jetzt unwegsamen Schlamm denjenigen, die von hier aus auf das weite Weltmeer hinausfah-

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ren wollen, als Hindernis entgegensetzt, so daß sie diese Reise nicht mehr unternehmen können. Was nun die vielen nichtgriechischen Völker betrifft, und soviele Stämme der Griechen es damals gab, so wird der vollständige Durchgang durch meine Darstellung sie einzeln in der Weise vorstellen, daß sie gleichsam nacheinander aufrollt, was ihr jeweils begegnet; wie es aber um die damaligen Athener und ihre Gegner, mit denen sie bis zur Entscheidung kämpften, bestellt war, dies muß ich zu Anfang und als erstes darstellen, (nämlich) die Stärke beider Seiten und ihre staatlichen Ordnungen; von eben diesen aber gebührt der Vorzug zunächst der Darstellung der hiesigen Verhältnisse.

Einst teilten Götter (im Losverfahren) die gesamte Erde nach ihren Gegenden unter sich auf – nicht im Streit; denn es ergäbe wohl keinen vernünftigen Sinn anzunehmen, daß Götter nicht wüßten, was jedem von ihnen zukommt, oder daß die einen, obwohl über das vielmehr anderen Zustehende unterrichtet, dies dennoch sich selbst durch Streitereien anzueignen versuchten –, da sie also in einem gerechten Zuteilungsverfahren als ihren Anteil das erhielten, was ihnen lieb war, gründeten sie Siedlungen in ihren Ländern, und nachdem sie die Besiedlung abgeschlossen hatten, sorgten sie – gleichsam wie Hirten für ihre Herden – für uns als ihren Besitz und ihre Geschöpfe; allerdings taten sie dabei nicht Körpern 109c körperliche Gewalt an, so wie Hirten, die ihr Vieh mit Schlägen auf die Weide führen, sondern auf die Weise, wie ein Lebewesen am besten lenkbar ist – ,vom Heck her‘ lenkend, gleichsam wie mit einem Steuerruder mit U¨berredung auf ihre Seele gemäß ihren Vorstellungen einwirkend –, auf diese Weise führten sie und lenkten das ganze Geschlecht der Sterblichen. Andere von den Göttern nun hatten ihre Landlose in jeweils anderen Gegenden erhalten und richteten diese ein; Hephaistos und Athena aber als Träger einer gemeinsamen Natur – einerseits war diese eine geschwisterliche vom gleichen Vater her, und zum anderen strebten sie aufgrund ihrer Liebe zur Weisheit und zu den Künsten in die gleiche Richtung – hatten unter solchen Voraussetzungen beide zusammen einen einzigen Anteil erhalten, nämlich dieses Land, da es in seiner Anlage ihrer Ausrichtung entsprach und geeignet war zur Hervorbringung von Tapferkeit 109d und Klugheit; sie brachten in ihm tüchtige, dem Lande selbst entsprossene Menschen hervor und und legten ihnen die Einrichtung der staatlichen Ordnung in den Sinn. Von jenen Menschen haben sich die Namen noch erhalten, ihre Taten aber gingen unter aufgrund der Vernichtung derer, die ihre Erben waren, und aufgrund der gewaltigen Zeiträume dazwischen. Denn das jeweils 109b

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übrigbleibende Menschengeschlecht fand sich, wie auch schon früher bemerkt wurde, nur noch in den Bergen und ohne Kenntnis von Schrift; es hatte von den im Lande Herrschenden nur die Namen gehört und zusätzlich dazu Weniges von ihren Taten. Die Namen nun gaben sie ihren Nachkommen und mußten sich damit begnügen; die vorzüglichen Leistungen aber und die Gesetze ihrer Vorfahren kannten sie nicht (mehr), es sei denn vom Hörensagen irgendwelche dunklen Nachrichten über die einzelnen; ferner litten sie viele Generationen lang Mangel an lebensnotwendigen Dingen – sie selbst und ihre Kinder –, richteten folglich ihr Denken auf diese Dinge, an denen sie Mangel litten, :und; machten (nur) sie auch zum Gegenstand ihrer Gespräche und U¨berlegungen; und so kümmerten sie sich nicht mehr um die Dinge, die sich unter ihren Vorfahren und überhaupt irgendwann einmal in alter Zeit ereignet hatten. Denn das Geschichtenerzählen und die Erforschung der Vergangenheit kommen beide zusammen mit der Muße (nur dann) in die Städte, wenn sie sehen, daß einigen Menschen das Lebensnotwendige bereits eingerichtet zur Verfügung steht, vorher aber nicht. Auf diese Weise haben sich daher lediglich die Namen der Alten ohne ihre Taten erhalten. Ich sage dies, indem ich als Indiz dafür Folgendes nehme: Von Kekrops und Erechtheus und Erichthonios und Erysichthon und von den anderen die meisten Namen – soviele auch zu den einzelnen Vorgängern des Theseus jeweils überliefert werden –, von diesen (Namen) also sollen die Priester nach Angabe Solons den größten Teil jenen (alten Athenern) beigelegt und so den damaligen Krieg geschildert haben; und mit den Namen der Frauen seien sie auf die gleiche Weise verfahren. So ist es ja auch mit der Darstellungsart des Standbildes der Göttin: Wie nämlich gemeinsam damals diejenigen Tätigkeiten Frauen wie Männern zukamen, die mit dem Krieg in Zusammenhang stehen, so [sagten die Priester] hätten die damals Lebenden entsprechend jener Sitte die Göttin in voller Rüstung als ihr Kultbild gehabt; dies ist ein sichtbarer Beleg dafür, daß, soviele in Gemeinschaft lebende weibliche und soviele männliche Lebewesen es gibt, ein jedes von seiner Natur her befähigt ist, die einer jeden Gattung zukommende Vortrefflichkeit gemeinsam zu verwirklichen. Damals nun wohnten in unserem Land zum einen die übrigen Gruppen der Bürger, die mit den handwerklichen Gewerben und mit der Gewinnung der Nahrung aus der Erde beschäftigt waren; die Gruppe der Krieger aber, die schon von Anbeginn an durch göttliche Männer abgesondert worden war, wohnte getrennt; sie verfügte über alles, was für ihre Ernährung und Erziehung erforderlich war; keiner von ihnen besaß irgendetwas als Privateigentum, vielmehr sahen sie alles Ihrige als Gemeineigentum aller an und beanspruchten nicht, über hinreichende Nahrung

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hinaus etwas von den anderen Bürgern zu erhalten; und so gingen sie allen den gestern genannten Beschäftigungen nach, soviele in Bezug auf die (dort) hypothetisch angenommenen Wächter genannt wurden. Es wurde nun ferner auch die Beschaffenheit unseres Landes überzeugend und wahrheitsgemäß dargestellt: daß nämlich erstens die Grenzen, die es in der damaligen Zeit hatte, am Isthmos abgesteckt waren und, was das übrige Festland betraf, bis zu den Höhen des Kithairon und des Parnes, und daß die Grenzen (von dort) herabliefen, indem sie zur Rechten das Gebiet von Oropos hatten und zur Linken – zum Meer hin gewendet – als Markierung den Fluß Asopos; daß aber hinsichtlich der Fruchtbarkeit jeder Boden von dem hiesigen übertroffen wurde und das Land deswegen damals auch in der Lage war, ein großes stehendes Heer zu ernähren, das von landwirtschaftlichen Arbeiten befreit war. (Es gibt) ein wichtiges Indiz für die (damalige) Fruchtbarkeit: Der jetzt noch vorhandene Rest des damaligen Bodens kann es nämlich mit jedem beliebigen anderen Boden darin aufnehmen, daß er alles gedeihen läßt, üppige Frucht bringt und allen Tieren reichliche Weide bietet; und damals brachte das Land – zusätzlich zu seiner Schönheit – dies (alles) sogar in vielfacher Menge hervor. Wie nun ist dies überhaupt glaubhaft, und in welcher Weise läßt sich zu Recht von einem ,Rest‘ des damaligen Bodens sprechen? Da (das Land) als ganzes vom übrigen Festland her weit in das Meer vorragt, liegt es (in ihm) wie ein Vorgebirge; und dabei ist es so, daß das Meeresbecken ringsum überall noch im nächsten Küstenbereich tief ist. Da nun viele große U¨berschwemmungen stattgefunden haben in den neuntausend Jahren – denn so viele sind von der damaligen Zeit bis zur heutigen verstrichen –, schüttete derjenige Teil der Erde, der im Verlauf dieser Zeiten und Vorgänge aus den hochgelegenen Gebieten (jeweils) abrutschte, nicht wie an anderen Orten ein nennenswertes Schwemmland auf, sondern floß ständig ringsherum in die Tiefe ab und verschwand dort; und übriggeblieben sind so, wie bei den kleinen Inseln, gegenüber den damaligen Landverhältnissen die heutigen, nämlich gleichsam die Knochen eines Körpers, den Krankheit befiel: Ringsherum weggeflossen ist (nun) der Boden, soweit er fett und weich war, und nur der abgemagerte Körper des Landes wurde zurückgelassen. Damals aber war dieses noch unversehrt; die Berge, die es hatte, waren hohe mit Erde bedeckte Hügel; die jetzt so geheißenen ,Phelleus-Ebenen‘, die es besitzt, waren ein Gebiet voll üppigen Bodens; und es besaß auf seinen Bergen viel Wald, wovon sogar jetzt noch deutliche Anzeichen vorhanden sind: Von den Bergen nämlich bieten jetzt manche nur noch für Bienen Nahrung, die Zeit ist aber nicht allzu lange her, als dort Bäume, die sich für Deckenhölzer eigneten, für Bauten – und zwar sehr große – geschlagen wurden, und die

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(daraus gefertigten) Dächer sind immer noch intakt. Es gab viele weitere hochgewachsene Fruchtbäume, und (das Land) bot überwältigend reichen Weidegrund für Vieh. Ja, es konnte auch das jährlich vom Himmel fallende Regenwasser nutzbar machen, und nicht wie jetzt verlor es (dieses), da es von einem seines Bodens entblößten Land ins Meer fließt; sondern da (das Land) viel (von diesem Boden) hatte und (Wasser) in ihn aufnehmen konnte – wobei es (dieses) mit Hilfe der isolierenden Tonschicht speicherte –, ließ es das von den höhergelegenen Gegenden her aufgesogene Wasser in die Talkessel abfließen und sorgte allerorten für reichliche Ströme von Quellen und Flüssen; an deren früher einmal vorhandenen Quellen sind auch jetzt noch Heiligtümer als Indizien dafür verblieben, daß der Wahrheit entspricht, was (von mir) jetzt über das Land erzählt wird. So also waren die Gegenden des übrigen Attika ihrer Natur nach (damals) beschaffen; und kultiviert waren sie, wie man sich denken kann, von Bauern, die zum einen wahrhaft Bauern waren und eben dieses Metier pflegten und die andererseits einen Sinn fürs Schöne hatten und von guter Naturanlage waren, die besten Boden und Wasser in Hülle und Fülle zur Verfügung hatten und über diesem Boden klimatische Bedingungen, die in schönster Weise temperiert waren. Der Bereich der Stadt aber war in der damaligen Zeit in folgender Weise besiedelt: Erstens war der Zustand der Akropolis damals nicht so wie heute. Inzwischen nämlich hat das Eintreten einer einzigen außerordentlich feuchten Nacht dafür gesorgt, daß sie von Erde entblößt ist, indem sie diese ganz und gar verflüssigte, (damals), als es zugleich zu Erdbeben und einer früheren Riesenwasserflut kam, der dritten vor derjenigen Katastrophe, die zur Zeit des Deukalion eintrat; zuvor aber, in einer anderen Zeit, hatte sie in ihrer Ausdehnung bis zum Eridanos und zum Ilissos gereicht, die Pnyx in sich eingeschlossen, und sie hatte den Lykabettos als Begrenzung auf der der Pnyx gegenüberliegenden Seite; sie war zur Gänze mit Erdreich bedeckt und – außer einem geringen Teil – auf der Höhe eben. Die außen an sie angrenzenden Gebiete – direkt unter ihren Abhängen – wurden von den Handwerkern bewohnt und den Bauern, soweit sie in der Nähe das Land bestellten; ihre Hochfläche aber hatte der Stand der Krieger für sich allein und separat um das Heiligtum der Athena und des Hephaistos zur Wohnstatt genommen und diese gleichsam wie den Garten eines Einzelhauses noch mit einer Umfassungsmauer umgeben. Die nach Norden gelegenen Teile der Akropolis nämlich bewohnten sie; dort hatten sie gemeinsame Wohnhäuser und Speiseräume für den Winter sowie all das eingerichtet, was für die gemeinschaftliche Lebensweise in baulichen Einrichtungen angemessenerweise zur Verfügung stehen sollte, in denen für sie selbst und in denen der Heiligtümer – ohne

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Gold und Silber, denn diese Metalle gebrauchten sie in keiner Weise für irgendeinen Zweck; vielmehr strebten sie nach der rechten Mitte zwischen arroganter Selbstdarstellung und niedriger Knauserei und bauten sich dementsprechend geschmackvolle Behausungen, in denen sie selbst wie auch noch die Nachkommen ihrer Nachkommen alt wurden und die sie an andere von ihrer Art stets in unveränderter Form weitergaben. Was aber die nach Süden gelegenen Teile (der Akropolis) betrifft, so hatten sie diese als Gärten, U¨bungsplätze und Speiseräume wie eben für den Sommer freigelassen und nutzten sie für diese Zwecke. Es gab eine einzige 112d Quelle am Ort der heutigen Akropolis, von der – nachdem sie von den Erdbeben verschüttet wurde – ringsherum die jetzt noch vorhandenen kleinen Wasseradern übriggeblieben sind; den damaligen Bewohnern aber bot sie allen einen reichlichen Wasserstrom dar und war dabei winters wie sommers wohltemperiert. In dieser Weise also lebten sie dort, als Wächter der eigenen Mitbürger und als Führer der übrigen Griechen, und zwar mit deren Einverständnis; sie sorgten dafür, daß ihre Menge an Männern und Frauen möglichst die gleiche sei für alle Zeit, nämlich die 112e schon und die noch zu militärischem Kampf fähige, etwa um die zwanzigtausend. Diese nun also waren zum einen selbst von solcher Art und verwalteten zum anderen stets auf etwa eine solche Weise sowohl ihren eigenen Staat als auch Griechenland in Gerechtigkeit; und dementsprechend standen sie aufgrund der Schönheit ihrer Körper und der mannigfaltigen Vortrefflichkeit ihrer Seelen in ganz Europa und Asien in hohem Ansehen und waren die berühmtesten aller damals lebenden Menschen. Welcher Art aber nun die Verhältnisse bei denen waren, die gegen sie in den Krieg zogen, und wie sie ursprünglich entstanden waren, dies werde ich – falls ich nicht von der Erinnerung an das im Stich gelassen werde, was ich noch als Kind gehört habe – nunmehr euch als meinen Freunden hier vorlegen, damit es (unser) gemeinsamer Besitz sei. 113a Folgende Kleinigkeit aber muß ich noch vor meinen Ausführungen klarstellen, damit ihr euch nicht wundert, wenn ihr jetzt öfters griechische Namen bei nicht-griechischen Personen hört; denn den Grund für diese Namen sollt ihr erfahren: Weil Solon daran dachte, diese Geschichte für seine Dichtung zu verwenden, versuchte er die Bedeutung der Namen genau herauszufinden und stellte dabei fest, daß jene A¨gypter, die damals zuerst diese Namen niederschrieben, sie bereits in ihre Sprache übertragen hatten, und er selbst nahm sich nun seinerseits die Bedeutung eines 113b jeden Namens vor, übertrug ihn in unsere Sprache und schrieb ihn so nieder; und gerade diese Aufzeichnungen befanden sich bei meinem Großvater und befinden sich noch jetzt bei mir, und ich habe mich eingehend

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mit ihnen befaßt, als ich noch ein Kind war. Wenn ihr also solche Namen hört, wie sie auch hierzulande üblich sind, solltet ihr euch keineswegs darüber wundern; denn ihr kennt jetzt den Grund dafür. Eine lange Geschichte also nahm damals etwa folgenden Anfang:

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So wie dies in den vorangehenden Ausführungen über die Aufteilung der Welt unter die Götter durch das Los dargestellt wurde – daß sie die ganze Erde unter sich aufteilten, hier in größere Lose, dort in kleinere, und dann Heiligtümer und Opferfeste für sich einrichteten –, so also erhielt auch Poseidon die Insel Atlantis durchs Los zugeteilt und siedelte dort Nachkommen von sich an, die er mit einer sterblichen Frau gezeugt hatte, an einem Ort der Insel, der etwa folgendermaßen beschaffen war: Einerseits nahe beim Meer, andererseits im mittleren Teil der ganzen Insel gab es eine Ebene, von der es in der Tat heißt, sie sei von allen Ebenen die schönste und zufriedenstellend an Fruchtbarkeit gewesen; und am Rand dieser Ebene wiederum, in der Mitte, gab es, ungefähr fünfzig Stadien (vom Meer) entfernt einen Berg, der auf allen Seiten von geringer Höhe war. Auf ihm wohnte von den dort im Anfang aus der Erde entstandenen Menschen ein Mann namens Euenor, und er lebte mit einer Frau zusammen, Leukippe; sie hatten als einziges Kind eine Tochter hervorgebracht, Kleito. Als das Mädchen gerade ins heiratsfähige Alter gekommen war, starben ihre Mutter und ihr Vater; Poseidon aber kam Verlangen nach ihr an, und er verband sich mit ihr. Und die Anhöhe, auf der sie wohnte, machte er zu einem wohlgeschützten Ort und trennte sie deshalb ringsum (von der Umgebung) ab: Er legte dazu aus Meer und Land abwechselnde, kleinere und größere, umeinanderlaufende Ringe an, zwei aus Land, drei aus Meer, indem er sie gleichsam mitten aus der Insel herauszirkelte, überall im gleichen Abstand (voneinander), so daß (der Ort) für Menschen unzugänglich war; denn Schiffe und Schiffahrt gab es damals noch nicht. Er selbst stattete die in der Mitte (der Ringe) gelegene Insel – er war ja ein Gott – mit Leichtigkeit aus: Er ließ zum einen von unten aus der Erde heraus zwei Wasserquellen entspringen – das eine Wasser floß warm, das andere kalt aus seiner Quelle –, und zum anderen vielfältige und genügende Nahrung aus der Erde hervorgehen. Er zeugte fünf Zwillingspaare männlicher Kinder und zog sie groß; und nachdem er die ganze Insel Atlantis in zehn Teile unterteilt hatte, gab er von den ältesten Zwillingen dem, der als erster geboren worden war, den Wohnsitz der Mutter und den Anteil ringsum, der der größte und beste war, und machte ihn zum König über die anderen, die übrigen aber zu Regenten, und gab einem jeden Herrschaft über viele Menschen und ein großes Landgebiet. Allen gab er Namen; dem ältesten und König

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den, von dem ja die ganze Insel wie auch das Meer seine Benennung erhielt: ,Atlantisches‘ wurde es genannt, weil der erste, der damals König war, den Namen Atlas trug. Dem Zwilling aber, der nach jenem geboren worden war und als Anteil die zu den Säulen des Herakles hingewendete Spitze der Insel in Richtung auf dasjenige Gebiet erhalten hatte, das jetzt in jener Gegend das gadeirische heißt, gab er auf griechisch den Namen Eumelos, in der Landessprache aber Gadeiros, und just dieser Name dürfte diese Bezeichnung (des Gebiets) veranlaßt haben. Von denen, die als zweites Paar geboren worden waren, nannte er den einen Ampheres, den anderen Euaimon; beim dritten Paar gab er dem, der als erster geboren worden war, den Namen Mneseus und dem nach ihm den Namen Autochthon; vom vierten Paar nannte er den früher Geborenen Elasippos, Mestor den späteren; und beim fünften Paar wurde dem zuerst Geborenen der Name Azae¨s gegeben, dem späteren der Name Diaprepes. Alle diese nun, sowohl sie selbst als auch ihre Nachkommen wohnten (dort) viele Generationen lang und regierten nicht nur über viele weitere Inseln im Meer, sondern sie hatten dazu noch – wie auch schon früher gesagt wurde – die Oberherrschaft bis hin nach A¨gypten und Etrurien über die, die innerhalb (der Säulen des Herakles) in unserer Richtung wohnen. Von Atlas nun stammte ein zahlreiches und auch in seinen übrigen Gliedern hochgeehrtes Geschlecht ab; als König aber gab der älteste stets dem ältesten unter seinen Nachkommen das Königtum weiter, und so bewahrten sie es über viele Generationen hinweg. Dabei besaßen sie Reichtum in so gewaltiger Menge, wie es ihn weder zuvor in irgendwelchen erblichen Herrschaften von Königen gegeben hat noch jemals später leicht geben kann, und sie hatten alles bereit und zur Verfügung, was in der Stadt und im übrigen Gebiet bereit zu halten und zur Verfügung zu stellen nötig war. Viele Dinge nämlich flossen ihnen von außen aufgrund ihrer Herrschaft zu, das meiste aber stellte die Insel selbst für die Einrichtungen und Bedingungen des Lebens bereit: erstens alles, was durch Bergbau ergraben wird, alle festen Materialien und alle schmelzbaren, auch dasjenige Metall, das jetzt nur noch dem Namen nach bekannt ist; damals aber war die Metallart Oreichalkos, die an vielen Orten der Insel aus der Erde gefördert wurde, mehr als ein Name und unter den damaligen Menschen abgesehen von Gold das wertvollste. Auch brachte die Insel alles, was Wald für die Arbeiten von Zimmerleuten zur Verfügung stellt, in reichem Maße hervor, und sie ernährte auch, was Lebewesen betraf, in genügender Fülle zahme und wilde. So war denn auch die Tierart der Elefanten auf der Insel ungemein zahlreich vertreten; denn Nahrung spendendes Land war nicht nur für alle übrigen Tiere, soviele in Sümpfen und Seen und Flüssen und soviele wiederum im Gebirge und soviele im Flachland

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leben, insgesamt reichlich vorhanden, sondern ebenso auch für dieses Tier, das von Natur aus das größte und gefräßigste ist. All das außerdem, was an Wohlriechendem die Erde heutzutage irgendwo entstehen läßt, sei es aus Wurzeln oder grünen Trieben oder Hölzern oder hervorquellenden Säften, sei es von Blüten oder Früchten, (all) dies brachte die Insel hervor und ließ es wohl gedeihen; ferner die landwirtschaftlich kultivierte Frucht, zum einen die trockene, die uns zur Nahrung dient – dabei auch all das, was wir außerdem zu unserer Ernährung verwenden; wir nennen davon die Teilarten insgesamt Hülsenfrüchte –, zum anderen alle Früchte, die von Bäumen stammen und Trinkbares, Eßbares und Mittel zum Salben liefern: die schwer aufzubewahrende Frucht von Obstbäumen, die zu Spiel und Spaß entstanden ist, sowie auch alles, was wir als willkommene Nachspeise – da es Abhilfe bei U¨bersättigung bringt – jemandem vorsetzen, der eigentlich schon genug hat – all dies brachte die damals noch unter der Sonne liegende heilige Insel in bewundernswürdiger Schönheit und unermeßlicher Fülle hervor. Dies also empfingen sie alles von der Erde und bauten die Heiligtümer, die königlichen Paläste, die Häfen, die Schiffshäuser und richteten auch das übrige Land ein; dabei waren sie auf folgende Weise gestaltend tätig: Die Meeresringe, die die alte und ursprüngliche Stadt umgaben, versahen sie zunächst einmal mit Brücken und legten damit einen Weg nach außen und zum Königspalast an. Den Königspalast aber hatten sie gleich zu Anfang an diesem Wohnsitz des Gottes und ihrer Vorfahren errichtet; einer übernahm ihn vom anderen, fügte der bereits vorhandenen Ausstattung noch weitere hinzu und versuchte auf diese Weise seinen jeweiligen Vorgänger nach besten Kräften zu übertreffen, bis sie die Residenz so ausgebaut hatten, daß sie aufgrund der Größe und Schönheit ihrer Bauwerke den Betrachter in überwältigtes Erstaunen versetzte. Einen Kanal nämlich, angefangen vom Meer, mit einer Breite von drei Plethren, einer Tiefe von hundert Fuß und einer Länge von fünfzig Stadien bohrten sie bis zum äußersten Wasserring, und sie schufen mit diesem Kanal die Möglichkeit, aus dem Meer landeinwärts bis zu jenem Ring wie in einen Hafen zu fahren, und öffneten dazu eine Mündung, genügend breit für die Einfahrt der größten Schiffe. Und so durchbrachen sie dann auch die Landringe, die die Meerringe voneinander trennten, im Bereich der Brücken in solcher Breite, daß für gerade eine Triere eine Durchfahrt vom jeweils einen in den anderen Meerring zur Verfügung stand, und sie deckten die O¨ffnungen von oben ab, so daß die Durchfahrt darunter war; denn die Ränder der Landringe hatten eine das Meer genügend überragende Höhe. Der größte der Ringe, mit dem das Meer durch den gebohrten Kanal verbunden war, war drei Stadien breit, und der an ihn sich anschließende

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Landring war gleich breit wie er; von dem zweiten Ring-Paar hatte der feuchte eine Breite von zwei Stadien, und der trockene war wiederum gleich breit wie der vorangehende feuchte; die Breite eines Stadions hatte derjenige, der um die Insel in der Mitte selbst herumlief. Die Insel, auf der sich der Königspalast befand, hatte einen Durchmesser von fünf Stadien. Diese Insel nun umgaben sie ringsherum – ebenso die Ringe und die Brücke, die ein Plethron breit war, auf beiden Seiten – mit einer steinernen Mauer und errichteten Türme und Tore auf den Brücken jeweils an den Durchlässen des Meeres nach jeder Seite hin; den Stein (dazu) brachen sie ringsherum von unten aus der Mittel-Insel und aus den Ringen auf der Außen- und auf der Innenseite heraus, zum Teil weißen, zum Teil schwarzen, zum Teil auch roten; indem sie den Stein herausbrachen, schufen sie zugleich Hohlraum für doppelte Schiffshäuser innerhalb des Felsens, deren U¨berdachung der Fels selbst bildete. Und was die Gebäude betraf, so gestalteten sie die einen aus einer| Steinsorte, bei den anderen aber mischten sie die Steine, ,verwoben‘ sie um des Vergnügens willen zu einem bunten Aussehen und ließen bei ihnen so ihren natürlichen Reiz zur Geltung kommen. Die Mauer, die um den äußersten Ring herumlief, faßten sie in ihrer ganzen Erstreckung mit Kupfer ein – dabei verwendeten sie dieses gleichsam wie einen Firnis –, die um den inneren Ring sich erstreckende Mauer überzogen sie mit Zinn und die Mauer um die Akropolis selbst mit Oreichalkos, der feurig funkelte. Der Königspalast innerhalb der Akropolis nun hatte folgenden Aufbau: In der Mitte war dort ein heiliger Bezirk, der Kleito und dem Poseidon geweiht, als unbetretbar frei gelassen und von einer goldenen Umfassungsmauer umgeben; dies war der Ort, an dem sie in den Anfängen das Geschlecht der zehn Königssprosse gezeugt {und zur Welt gebracht} hatten; dort pflegten sie auch jedes Jahr einem jedem von ihnen aus allen zehn Landesteilen Früchte der Jahreszeiten als heilige Gaben an diesen Ort zu entrichten. Für Poseidon selbst gab es einen Tempel mit einer Länge von einem Stadion und einer Breite von drei Plethren; seine Höhe nahm sich zu diesen Maßen passend aus, und sein Aussehen hatte etwas Nichtgriechisches. Außen hatte man den Tempel zur Gänze mit Silber überzogen, mit Ausnahme der Akrotere; die Akrotere hatten Goldüberzug. Was das Innere betraf, so hatte man die Decke, die sich als ganze aus Elfenbein zeigte, mit Gold und Silber und Oreichalkos vielfältig ausgeschmückt, alle übrigen Teile der Wände, der Pfeiler und des Fußbodens aber mit Oreichalkos eingefaßt. Golden waren die Standbilder, die man hineingestellt hatte: der Gott auf einem Wagen stehend und als Lenker von sechs geflügelten Pferden, wobei er selbst infolge seiner Größe mit seinem Scheitel

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die Decke berührte; ringsherum auf Delphinen hundert Nereiden – so viele nämlich, glaubten die damaligen Menschen, gebe es –; und noch viele andere Standbilder befanden sich im Tempelinnern, Weihgeschenke von Privatleuten. Außen um den Tempel herum standen Bilder aus Gold von allen: von den Frauen und auch von all denen selbst, die zu den (jeweils) zehn Königen gehört hatten; ferner viele weitere große Weihgeschenke der Könige und von Privatleuten sowohl aus der Stadt selbst wie auch aus allen äußeren Gebieten, über die sie (die Könige) als Oberherren geboten. Und ein Altar war da, der in seiner Größe und kunstvollen Ausführung zu dieser Anlage paßte, und der Königspalast, der in gleicher Weise der Größe des Reiches und der prachtvollen Ausstattung der Heiligtümer angemessen war. Was nun die Quellen betrifft, die mit dem kalten und die mit dem warmen Wasser – die Quellen hatten davon eine reiche Fülle, und in Hinsicht auf Geschmack und Güte war jedes der beiden Gewässer für den Gebrauch wunderbar geeignet –, diese nutzten sie, indem sie um sie herum Bauten und Baumpflanzungen anlegten, die zu den Quellen paßten; ferner legten sie drumherum auch Becken an, die einen unter freiem Himmel, die anderen überdacht für die warmen Bäder im Winter, separat die für die Könige bestimmten, separat die für die Privatleute, weitere auch für die Frauen und noch andere für die Pferde und die übrigen Zugtiere; allen gaben sie jeweils die geeignete Ausstattung. Das abfließende (Wasser) führten sie zum Hain des Poseidon, (der aus) Bäumen mannigfacher Art (bestand), die wundersame Schönheit und Höhe infolge der Güte des Bodens hatten, und zu den äußeren (Land-)Kreisen leiteten sie es durch Kanäle entlang der Brücken. Dort nun waren viele Heiligtümer für viele Götter und viele Gärten und viele U¨bungsstätten angelegt, und zwar für Männer und für Pferde getrennt auf jeder der beiden Inseln, die die (Land-)ringe bildeten; und überdies hatten sie in der Mitte der größeren dieser (Ring-)Inseln ein abgetrenntes Hippodrom, das ein Stadion breit war; in seiner Länge aber war es um den ganzen Ring herum als freier Raum gelassen, damit Pferde dort um die Wette laufen konnten. Zu beiden Seiten des Hippodroms gab es Wohnstätten für die Leibwache, (und zwar) für das Hauptkontingent der Soldaten der Leibwache; den zuverlässigeren war die Wache auf dem kleineren Landring zugeteilt, der näher bei der Akropolis gelegen war; denjenigen aber, die sich an Treue vor allen auszeichneten, waren Wohnstätten innerhalb der Akropolis in der Nachbarschaft der Könige selbst zugewiesen. Die Schiffshäuser waren voll von Trieren und allem Gerät, dessen Trieren bedürfen, und alles war in hinreichender Menge zugerüstet und bereitgehalten.

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Die Anlagen um die Residenz der Könige also waren in dieser Weise eingerichtet. Durchquerte man aber die Häfen nach außen – es waren drei –, so lief, beim Meer anfangend, ringsherum eine Mauer, die an jedem Punkt fünfzig Stadien vom größten (Wasser-)Ring und Hafen entfernt war, und traf mit der Mündung des Durchstich-Kanals ins Meer am gleichen Punkt zusammen. Dieser ganze Bereich nun war ausgefüllt mit vielen dichtgedrängten Wohngebäuden, und der landeinwärts führende Kanal und der größte Hafen waren voll von Schiffen und von Kaufleuten, die von überallher hier ankamen und infolge ihrer Menge ein vielfältiges lautes Stimmengewirr und großen Lärm bei Tag und die Nacht hindurch erzeugten. Die Stadt also und die Umgebung des ursprünglichen Wohnsitzes sind damit jetzt mehr oder weniger so wiedergegeben, wie es damals erzählt wurde; wie sich aber die natürliche Beschaffenheit des übrigen Landes und die Form seiner Ausgestaltung verhielt, dies muß ich (jetzt) versuchen, aus dem Gedächtnis darzustellen. Zunächst einmal wurde das ganze Gelände als vom Meer aus gesehen sehr hoch und steil aufsteigend beschrieben, das Gebiet um die Stadt dagegen als vollkommene Ebene, die die Stadt umschloß und selbst ringsherum von Bergen umschlossen wurde, die bis ans Meer herabreichten. Die Ebene war gleichmäßig flach und hatte insgesamt die Gestalt eines länglichen Rechtecks; sie war in der einen Richtung dreitausend Stadien lang, in der Mitte aber vom Meer landeinwärts zweitausend Stadien breit. Von der ganzen Insel war (gerade) diese Gegend nach Süden ausgerichtet und von Norden gegen kalte Winde geschützt. Die sie umgebenden Berge wurden in dem damaligen Bericht in hohen Tönen gepriesen: Sie hätten alle jetzt existierenden an Menge, Größe und Schönheit übertroffen und einerseits viele Dörfer mit großer Fülle an Umwohnern in sich beherbergt, andererseits Flüsse und Seen und Wiesen als hinreichende Nahrungsquelle für alle Arten an zahmen und wilden Geschöpfen, schließlich Wald in reicher Menge und vielfältig an (Baum-)Arten, und zwar sowohl für alle möglichen (Bau-)Arbeiten als auch in reicher Fülle für jedes einzelne Vorhaben. In folgender Weise nun war die Ebene von Natur her und durch die Einwirkung vieler Könige in langer Zeit ausgestaltet worden: Sie war selbst ursprünglich zum größten Teil ein geradliniges und länglich-rechteckiges Viereck, und was (daran) fehlte, hatte man begradigt, indem man ringsherum einen Graben ausgehoben hatte; betreffs der Tiefe, Breite und auch der Länge dieses Grabens ist es, so wie sie angegeben wurden, zwar unglaublich – jedenfalls für ein von Menschenhand geschaffenes Werk –, daß es, zusätzlich zu den anderen mit großem Aufwand geschaffenen Anlagen, so riesig gewesen sein soll, doch ist (hier) das mitzuteilen,

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was ich jedenfalls gehört habe: Der Graben war auf eine Tiefe von einem Plethron ausgeschachtet und überall auf die Breite von einem Stadion; und da er um die ganze Ebene herum ausgehoben war, ergab es sich, daß seine Länge zehntausend Stadien betrug. Er nahm die aus den Bergen herabkommenden Wasserläufe auf, und ließ sie, indem er (ganz) um die Ebene herumfloß und von beiden Seiten bei der Stadt anlangte, hier zum Meer hin abfließen. An der Binnenland-Längsseite waren von diesem Graben aus gerade Kanäle von etwa 100 Fuß Breite über die Ebene gezogen und ergossen sich wieder in den Graben an der Meerseite hinein, wobei jeder Kanal vom nächsten hundert Stadien entfernt war; auf diesem Weg nun transportierten sie sowohl das Holz aus den Bergen in die Stadt und schafften auch die übrigen jahreszeitlichen Produkte auf Schiffen hin; dazu hatten sie von den Kanälen her querlaufende Wasserstraßen gegraben, die sowohl zwischen den Kanälen als auch zur Stadt hin liefen. Und so ernteten sie zweimal im Jahr Früchte von der Erde: Im Winter verwendeten sie dazu das vom Himmel fallende Regenwasser, im Sommer aber all das Wasser, das das Land (selbst) bot, indem sie die Ströme aus den Kanälen (auf die Felder) leiteten. Was aber die Menge betrifft, zum einen die der in der Ebene wohnenden kriegstauglichen Männer (so ist zu sagen): Es war festgesetzt, daß jedes Landlos einen Mann als Offizier stellen sollte; die Größe des Landloses betrug an die zehn mal zehn Stadien, und von den Landlosen insgesamt gab es sechzigtausend. Was zum anderen die von den Bergen und dem übrigen Land herkommenden (kriegstauglichen) Männer betraf, so wurde ihrer eine unermeßliche Zahl genannt, und sie waren alle nach Gegenden und Dörfern auf die gerade genannten Landlose den Anführern zugeteilt. Der (einzelne) Offizier nun hatte die Verpflichtung, Folgendes für den Krieg zu stellen: den sechsten Teil eines Kriegswagens – so ergaben sich zehntausend dieser Wagen –; zwei Pferde und (ihre) Reiter; ferner einen zweispännigen Wagen ohne Sitz mit einem Bewaffnetem mit kleinem Schild, der herabspringen und zu Fuß kämpfen konnte, und dem Lenker der beiden Pferde; zwei Schwerbewaffnete und je zwei Bogenschützen und Schleuderer; je drei leichtbewaffnete Stein- und Speerwerfer und vier Seeleute zur Bemannung von (insgesamt) zwölfhundert Schiffen. Das Kriegswesen der Königsstadt war also in dieser Weise organisiert, bei den neun übrigen jeweils anders, was hier darzustellen zu weit führen würde. Die Amts- und Machtbefugnisse (der Fürsten) waren seit ihrer anfänglichen Einrichtung folgendermaßen geordnet: Jeder einzelne von den zehn Königen hatte in seinem eigenen Gebietsteil und in seiner eigenen Stadt die Verfügungsgewalt über die Menschen und über die meisten Ge-

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setze; er konnte dort bestrafen und töten, wen immer er wollte. Dagegen richtete sich die Herrschaft, die sie gemeinsam und wechselseitig übereinander ausübten, nach Anweisungen, die (noch) von Poseidon stammten, so wie sie ihnen der Brauch überliefert hatte und die Texte, die von den ersten (Königen) auf einer Stele von Oreichalkos aufgezeichnet worden waren, die im mittleren Bereich der Insel in einem Heiligtum des Poseidon stand. Dort kamen sie denn auch abwechselnd in jedem fünften und dann in jedem sechsten Jahr zusammen und erwiesen damit dem Geraden und dem Ungeraden gleiche Reverenz; bei diesen Versammlungen berieten sie über Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse, überprüften, ob einer (von ihnen) einem Gesetz zuwiderhandle, und saßen (darüber) zu Gericht. Wenn sie sich aber anschickten, zu Gericht zu sitzen, pflegten sie zuvor einander Treuebekundungen folgender Art zu geben: Im Heiligtum des Poseidon gab es frei herumlaufende Stiere; die Könige, zehn an der Zahl und nunmehr allein, beteten zum Gott, sie möchten das ihm gefällige Opfertier einfangen, und machten sich dann ohne Eisen mit Knüppeln und Stricken auf die Jagd; wen von den Stieren sie aber fingen, den führten sie an die Stele und schnitten ihm an ihrem Kopfende die Kehle durch, so daß das Blut über die Buchstaben lief. Auf der Stele aber befand sich zusätzlich zu den Gesetzen ein Eidestext, der gewaltige Verwünschungen auf die herabrief, die sich nicht gehorsam zeigten. Wenn sie nun das Opfer gemäß ihren Gesetzen vollzogen hatten und alle Glieder des Stieres dem Gott als Weihegabe darbrachten, richteten sie einen Mischkrug her und warfen dabei für jeden (von ihnen) einen Klumpen geronnenen Blutes hinein; das übrige (Blut) trugen sie ins Feuer, nachdem sie die Stele auf allen Seiten gereinigt hatten. Danach schöpften sie mit goldenen Trinkschalen aus dem Mischkrug, verrichteten eine Trankspende ins Feuer hinein und schworen dabei, sie würden gemäß den Gesetzen auf der Stele richten und, wenn einer (von ihnen) zuvor eine Gesetzesübertretung begangen habe, ihn bestrafen; und sie würden andererseits künftig keinen Buchstaben der Texte vorsätzlich übertreten und nicht Herrschaftsgewalt ausüben noch einem solche Gewalt Ausübenden gehorchen, außer wenn er gemäß den Gesetzen des Vaters (Poseidon) Anweisungen gebe. [***] Diese Selbstverwünschungen sprach ein jeder von ihnen gegen sich und seine Nachkommen; dann trank er und weihte die Schale ins Heiligtum des Gottes; danach kümmerte er sich um das Mahl und die (weiteren) nötigen Dinge. Sobald es dunkel geworden und das die Opfergaben verzehrende Feuer niedergebrannt war, legten alle nunmehr ein wunderschönes Gewand von schwärzlich-blauer Farbe an, setzten sich bei der Glut des Eidesopfers auf den Boden – es war jetzt Nacht –, löschten jegliches Feuer im Heiligtum aus, und wenn nun jemand unter ihnen einen

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anderen einer Rechtsübertretung beschuldigte, stellten sie sich dem Richterspruch ebenso, wie sie ihn selbst fällten. Nachdem sie aber zu Gericht gesessen hatten, zeichneten sie, sobald es Tag geworden war, die gefällten Urteile auf einer goldenen Tafel auf und weihten sie zusammen mit den Gewändern als Erinnerungszeichen. Es gab noch viele andere Gesetze spezieller Art hinsichtlich der Ehrenrechte jedes einzelnen der Könige, die wichtigsten Bestimmungen aber waren folgende: Sie sollten einerseits niemals gegeneinander mit Waffen vorgehen, andererseits aber sollten alle Hilfe leisten, wenn irgendwo jemand in irgendeiner ihrer Städte den Versuch unternehme, das Königsge120d schlecht zu beseitigen; und sie sollten :in allem; gemeinsam :handeln;, wie ihre Vorgänger bei ihren Beratungen von Beschlüssen über Krieg und die übrigen Geschäfte, wobei sie die Führungsstellung dem Geschlecht des Atlas einzuräumen pflegten. Doch solle der König über keinen von seinen Verwandten die Todesstrafe verhängen können, bei dem dies nicht mehr als der Hälfte von den zehn gutdünke. Diese Macht nun, die von solcher Größe und solcher Art damals in jenen Gegenden bestand, ließ der Gott sich gegen diese unsere Gegenden zum Krieg rüsten und ziehen, und zwar, wie es heißt, aus einem Grund folgender Art: 120e Auf viele Generationen hin – solange jedenfalls in ihnen die Natur des Gottes genügend stark war – waren sie ihren Gesetzen ergeben und dem (ihnen) verwandten Göttlichen gegenüber freundlich eingestellt; sie besaßen nämlich ein Denken, das der Wahrheit verpflichtet und in jeder Weise auf Großes gerichtet war, und mit einer milden und mit Klugheit gepaarten Gelassenheit reagierten sie auf die jeweils sich ergebenden Wechselfälle des Geschicks und verfuhren so auch im Umgang miteinander. Aufgrund dieser Haltung ließen sie außer der Tugend nichts gelten und 121a erachteten alles ihnen zur Verfügung Stehende als gering. Leicht trugen sie die Masse ihres Goldes und ihrer anderen Besitztümer; nicht aber begingen sie Fehltritte, weil sie betrunken vom Luxus aufgrund ihres Reichtums ihrer selbst nicht Herr gewesen wären, sondern nüchtern und scharfsichtig erkannten sie, daß auch dies alles aus einem Wohlwollen, das alle umfaßt, gepaart mit Tugend immer noch zunimmt, daß dagegen, wenn man diese Güter :ohne Maß; erstrebt und ehrt, sowohl sie selbst dahinschwinden als auch die genannte Tugend zusammen mit ihnen zugrunde geht. Da sie also in solcher Weise dachten und solange ihre göttliche Natur ihnen erhalten blieb, vermehrte sich ihnen alles, was ich zuvor dargestellt habe. Als jedoch der Anteil des Gottes in ihnen dahinschwand, weil er mit 121b Sterblichem oft und in großer Menge vermischt wurde, und der mensch-

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liche Charakter die Oberhand gewann, da denn waren sie nicht mehr fähig, ihren gegenwärtigen Zustand zu ertragen, und handelten in häßlicher Weise; und demjenigen, der sehen konnte, erschienen sie häßlich, da sie von ihrem wertvollsten Besitz das Schönste verspielten, denen aber, die nicht fähig waren, ein wahrhaftiges Leben mit seiner Ausrichtung auf die Glückseligkeit wahrzunehmen, schienen sie gerade damals wunderschön und vom Glück begünstigt zu sein, während sie sich mit ungerechter Habsucht und Macht (immer noch weiter) vollsogen. Der Gott der Götter aber, Zeus, königlicher Herrscher in Recht und Gesetz, erkannte – weil er solche Dinge klar erkennen kann –, daß ein edles Geschlecht dabei war, in einen unseligen Zustand zu geraten, und 121c wollte ihnen eine Strafe auferlegen, damit sie zur Besonnenheit gebracht und (wieder) stimmiger würden. So rief er alle Götter an ihrer hochgeachteten Wohnstatt zusammen, die ja in der Mitte des gesamten Kosmos ihren Platz hat und auf alles herabsieht, was Anteil am Werden erhalten hat; und nachdem er sie zusammengerufen hatte, sprach er: –