Krieg und Nachkrieg: Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert [1 ed.] 9783412517915, 9783412517892


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German Pages [367] Year 2020

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Krieg und Nachkrieg: Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert [1 ed.]
 9783412517915, 9783412517892

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GRIECHENLAND IN EUROPA Kultur — Geschichte — Literatur Herausgegeben von Chryssoula Kambas und Marilisa Mitsou Band 5

KRIEG UND NACHKRIEG Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert

Hagen Fleischer

Herausgegeben von Chryssoula Kambas Übersetzung aus dem Griechischen von Andrea Schellinger

BÖHLAU VERLAG WIEN  KÖLN  WEIMAR

Die Drucklegung wurde freundlicherweise ermöglicht aus Mitteln des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds des Auswärtigen Amts

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2020, by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Vertauschte Rollen – Deutsche Gefangene beim Arbeitseinsatz im Freien Griechenland, 1944. Fotografie von Spyros Meletzis. Mit freundlicher Genehmigung des Archivs Spyros Meletzis, Athen. Korrektorat: Patricia Simon, Langerwehe Satz und Layout: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51791-5

Inhalt Archive  .. ..........................................................................................................................  7 Abkürzungen, Akronyme  . . ...........................................................................................  9 Vorwort der Herausgeberin  .........................................................................................  15

I Krieg und Besatzung  .. .........................................................................................  23 Besatzung und Widerstand 1941 – 1944  .. ................................................................  Kontakte zwischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand  .........  Geostrategische Pläne für ein germanisches Nachkriegs-Kreta  .. ........................  Griechisches Judentum und Deutsches Reich  . . ......................................................  Der Holocaust und seine deutsch-­griechische Vorgeschichte

25 121 145 175

II Kontinuitäten  .......................................................................................................  203 Das deutsche Venizelos-Bild nach dem Ersten Weltkrieg  ....................................  Deutsche Kränze auf griechischem Boden  . . ............................................................  Unter der Militärdiktatur  ...........................................................................................  Deutsche Kulturpolitik in Griechenland, 1967 – 1974 Das deutsch-griechische Dreieck  ..............................................................................  Instrumentalisierte Erinnerung in den deutschen Staaten und Griechenland „Wiedergutmachung“ in Griechenland  . . ................................................................. 

205 243 255 273 291

III Autobiografisches  .............................................................................................  309 Erinnerungen an die „Causa Waldheim“  . . ...............................................................  311 „Am Anfang war der Krieg“  ......................................................................................  321 Eine deutsche Nachkriegskindheit und Jugend

IV Anhang  ...................................................................................................................  349 Werkeverzeichnis der deutschsprachigen und englischen Schriften des Autors  ......................................................................................................................  Drucknachweise  ...........................................................................................................  Verzeichnis der Abbildungen  . . ...................................................................................  Personenregister  ........................................................................................................... 

351 357 359 361

Für Eleni

Archive AdR, Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Wien AdW, Akademie der Wissenschaften, Zentrales Archiv, Berlin AMAE, Archives du Ministère des Affaires Etrangères, Paris Archive diverser Staatsanwaltschaften, insbesondere der Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin AYE , Archiv des griechischen Außenministeriums (Ιστορικόν Αρχείον Υπουργείου Εξωτερικών), Athen BA -MA, Bundesarchiv-­Militärarchiv, Freiburg BA rch, Bundesarchiv, Zentrale Koblenz BA rch, Abteilung Potsdam (früheres Zentrales Staatsarchiv der DDR, ZSA) BayHStA, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München BBAW, Archiv der Berlin-­Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften BMfAA, Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Wien BS tU, Der Bundesbeauftragte für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehem. DDR, Zentralstelle Berlin DUMK, Dansk Udenrigsministeriet (Archiv des dänischen Außenministeriums), Kopenhagen LHCMA , Liddell Hart Centre for Military Archives, London NARA, National Archives and Record Administration: College Park, Maryland, USA PAAA, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin PEAEA, Archiv der Panhellenischen Union der Kämpfer des Nationalen Widerstandes und des Demokratischen Heeres, Athen TNA, The National Archives, Kew, Richmond, U. K. (ehem. Public Record Office PRO) UDS, Utrikesdepartementet (Archiv des schwedischen Außenministeriums, Stockholm)

Abkürzungen, Akronyme AA AAA

Auswärtiges Amt Kampf für Befreiung und Wiedergeburt (Αγών Απελευθερώσεως Αναγεννήσεως) Abt. Abteilung AEAK Oberstes Kampfkomitee Kretas (Ανωτάτη Επιτροπή Αγώνος Κρήτης) A. K. Armee-­Korps ΑΚΕ Agrarpartei Griechenlands (Αγροτικό Κόμμα Ελλάδος) AKFD Antifaschistisches Komitee Freies Deutschland AMM Allied Military Mission Az Aktenzeichen BBC

British Broadcasting Corporation Bfh Befehlshaber BHE Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten BLO British Liaison Officer BmfAA Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten (Österreich) BMM British Military Mission Btl. Bataillon C. A.

CARE

Corpi d’ Armata (Armeekorps) Cooperative for American Remittances to Europe

DAAD DAI DGA DGG

Deutscher Akademischer Austauschdienst Deutsches Archäologisches Institut Deutsche Gesandtschaft, Athen Deutsch-­Griechische Gesellschaft Div. Division Doc., Dok. Document, Dokument DSO Dinstinguished Service Order DW Deutsche Welle ΕΑ ΕΑΜ ΕEΑΜ ED EDA

Nationale Solidarität (Εθνική Αλληλεγγύη) Nationale Befreiungsfront (Εθνικό Απελευθερωτικό Μέτωπο) Nationale Arbeiterbefreiungsfront (Εθνικό Εργατικό Απελευθερωτικό Μέτωπο) Nationale Tat (Εθνική Δράσις) Vereinigte Demokratische Linke (Ενιαία Δημοκρατική Αριστερά)

10 | Abkürzungen, Akronyme

EDEM

ETA EWG

National-­Republikanische Befreiungsfront (Εθνικό Δημοκρατικό Ελευθερωτικό Μέτωπο) Nationaler Republikanischer Griechischer Verband (Εθνικός Δημοκρατικός Ελληνικός Σύνδεσμος) Nationale Union Griechenlands (Εθνική Ένωσις Ελλάδος) Nationale Einheitspartei (Εθνικό Ενωτικό Κόμμα) Nationale Studentenunion Griechenlands (Εθνική Φοιτητική Ένωση Ελλάδας) Nationale und Soziale Befreiung (Εθνική και Κοινωνική Απελευθέρωση) Griechisches Volksbefreiungsheer (Ελληνικός Λαϊκός Απελευθερωτικός Στρατός) Union für Volksdemokratie (Ένωση Λαϊκής Δημοκρατίας) Gesellschaft zum Studium Griechischer Probleme (Εταιρεία Μελέτης Ελληνικών Προβλημάτων) Gesellschaft zum Studium des Neuen Griechentums (Εταιρεία Μελέτης Νέου Ελληνισμού) Nationale Kretische Organisation (Εθνική Οργάνωση Κρήτης) Nationale Jugendorganisation (Εθνική Οργάνωσις Νεολαίας) Griechische Patriotische Gesellschaft (Ελληνική Πατριωτική Εταιρεία) Panhellenische Organisation für Jugendliche (Ενιαία Πανελλαδική Οργάνωση Νέων) Εθνική Ριζοσπαστική Ένωσις (Nationale Radikale Union) Ελληνική Ραδιοφωνία Τηλεόραση (Griechische Rundfunk- und Fernsehanstalten) Griechisches Heer (Ελληνικός Στρατός) Nationale Sozialistische Patriotische Organisation (Εθνική Σοσιαλιστική Πατριωτική Οργάνωσις) Andarten-­Intendantur (Επιμελητεία του Αντάρτη) Europäische Wirtschafts-­Gemeinschaft

FU

Freie Universität, Berlin

EDES EEE EEK EFEE EKKA ELAS ELD EMEP EMNE EOK EON EPE EPON ΕΡΕ ERT ES ESPO

Geb. GebirgsG(eh). geheim Gestapo Geheime Staatspolizei GFP Geheime Feldpolizei GHQME General Headquarters Middle East GPO Generalplan Ost gr(iech). Griechisch

Abkürzungen, Akronyme | 11

Hgr. Heeresgruppe Hiwi Hilfswillige HLKO Haager Landkriegsordnung HQ Hauptquartier, Headquarters HSSPF Höherer SS- und Polizeiführer IARA Inter-­Allied Reparation Agency Ic 3. Generalstabsoffizier (Feindnachrichten, Subversionsabwehr) Inf. Infanterie IRK Internationales Rotes Kreuz it(al.) italienisch JGHQ

Joint General Headquarters (der anerkannten Andartenorganisationen)

Kawi Kampfwillige KdF „Kraft durch Freude“ (Unterorganisation der nationalsozialistischen „Deutschen Arbeitsfront“) Kdr., Kdeur Kommandeur Kgl. Königlich KISE Κεντρικό Ισραηλίτικο Συμβούλιο Ελλάδος (Israelitischer Zentralrat Griechenlands) KKE Kommunistische Partei Griechenlands (Κομμουνιστικό Κόμμα Ελλάδας) KKE εσωτερικού Inlands-­K P (nach 1968, eurokommunistisch orientiert) KNE Κομμουνιστική Νεολαία Ελλάδας (Kommunistische Jugend Griechenlands) KPJ Kommunistische Partei Jugoslawiens KSZE Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KTB Kriegstagebuch KTE Kriegstagebuch der Heeresgruppe E KZ, KL Konzentrationslager LAE LSA

Λαϊκή Απελευθερωτική Ένωσις (Volksbefreiungsunion) Londoner Schuldenabkommen 1953

Mbfh. Militärbefehlshaber MDN Mark der Deutschen Notenbank (DDR) MF Mikrofilm MfAA Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (DDR) MV Militärverwaltung

12 | Abkürzungen, Akronyme

NBA National Bands Agreement (1943) NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NT Nuremberg Trials OB Oberbefehlshaber OEDE Organisation der Nationalen Kräfte Griechenlands (Οργάνωσις OKH OKM OKW ORF ORTF ÖGA OSI OSS OTE

O. V. ÖVP

Εθνικών Δυνάμεων Ελλάδος) Oberkommando des Heeres Oberkommando der Marine Oberkommando der Wehrmacht Österreichischer Rundfunk Office de Radiodiffusion – Télévision Française Österreichische Gesandtschaft, Athen Office of Special Investigations Office of Strategic Services Organisation für Telekommunikation Griechenlands (Οργανισμός Τηλεπικοινωνιών Ελλάδος) Ohne Verlag Österreichische Volkspartei

PAO

Panhellenische Befreiungsorganisation (Πανελλήνιος Απελευθερωτική Οργάνωσις) PAS Panhellenischer Befreiungsverband (Πανελλήνιος Απελευθερωτικός Σύνδεσμος) PASOK Panhellenische Sozialistische Bewegung (Πανελλήνιο Σοσιαλιστικό Κίνημα) PEAN Panhellenische Union der Kämpfenden Jugend (Πανελλήνιος Ένωσις Αγωνιζόμενων Νέων) PEEA Politisches Komitee Nationaler Befreiung (Πολιτική Επιτροπή Εθνικής Απελευθέρωσης) Pol. Politische Abteilung PR Public Relations Prop. Propaganda Pz. PanzerRAF Royal Air Force RFSS Reichsführer SS (H. Himmler)

Rg Recordgroup RH, RL, RW Signaturzeichen im BA-MA

Abkürzungen, Akronyme | 13

Rgt. Regiment RM Reichsmark RSHA Reichssicherheitshauptamt SD Sicherheitsdienst SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SI Militärische Hierarchie (Στρατιωτική Ιεραρχία)

SiPo Sicherheitspolizei SKA Στρατιωτικό Κέντρο Αντιστάσεως (Militärisches Widerstandszentrum) SΚΕ Sozialistische Partei Griechenlands (Σοσιαλιστικό Κόμμα Ελλάδος) SOE Special Operations Executive SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs SS Schutzstaffel SSN Heerschar der Versklavten Sieger (Στρατιά Σκλαβωμένων Νικητών) Stasi Ministerium für Staatssicherheitsdienst TTT

Post, Telegraf, Telefon (Ταχυδρομεία, Τηλέγραφοι, Τηλέφωνο)

VDS Verband Deutscher Studentenschaften Vf. Verfasser VO Verbindungsoffizier VS Verschlusssache (Geheimhaltungsgrad)

W. B. WJC

Wehrmachtsbefehlshaber World Jewish Congress

X

griechische Organisation „Chi“

YDIP

Dienststelle für die Verwaltung des Judenvermögens (Υπηρεσία Διαχειρήσεως Ισραηλητικών Περουσιών) Verteidiger Nordgriechenlands (Υπερασπισταί Βορείου Ελλάδος)

YVE

z. B. V. zur besonderen Verwendung z. d. A. zu den Akten ZDF Zweites Deutsches Fernsehen ZK Zentralkomitee

Vorwort der Herausgeberin Wiederkehrende Negativ-­Motivationen erhält Hagen Fleischer für sein Themenspek­ trum von der westdeutschen Geschichtspolitik zur aus dem Zweiten Weltkrieg ererbten historischen Schuld gegenüber Griechenland. Bis heute blieb sie, deren Tatsachenfundament 1941 – 1944 während der Nachkriegsjahrzehnte systematisch verdreht worden ist, ohne nachhaltige Anerkennung staatlicherseits. Unerwartet kann eine Kritik des offiziellen deutschen Umgangs mit ihr wieder aktuell werden. Zuletzt etwa durch den Anstoß, den die letzte griechische Regierung (bis 2019) mit ihrer in Richtung Berlin unternommenen Reparationsinitiative unternahm. In den Jahren zuvor wurden der Autor und seine Positionen hierzulande auch außerhalb der engeren Fachkreise der Weltkriegsforscher breiter bekannt, und einige seiner zentralen Einsichten zur deutschen Besatzung Griechenlands sind in der Öffentlichkeit angekommen. Hierbei war seine Bereitschaft ‚medialer Vermittlung‘, deren Fehlen gern den angeblich im Elfenbeinturm ihrer Archive lebenden Wissenschaftlern vorgeworfen wird, eine Voraussetzung. Trotz Komplexität und ‚Fremdheit‘ des historischen Stoffes hat er den Rezipienten die Sachlage prägnant erläutert. Für einschlägig kritisch arbeitende Publizisten ist Hagen Fleischer zur verlässlichen Autorität geworden. Seine Interviews in der Tagespresse (SZ, NZZ, Die Zeit, Berliner Tagesspiegel, Der ­Spiegel, The Guardian u. a.) im In- und Ausland oder in Direktübertragungen (3sat, ARD , DLF u. a.) oder auch in Dokumentarfilmen haben Beachtliches für die Verbreitung von Geschichtskenntnissen geleistet. Lehrenden und Lernenden, die sich erinnerungskulturellen ­Themen, mittlerweile auch zu Griechenland im Zweiten Weltkrieg, stellen, ist sein Name ein Begriff geworden, etwa als Mentor des Internet-­Erinnerungsportals memories 1, dem Projekt an der FU Berlin, griechische Zeitzeugen zu befragen. Seine vorangegangene jahrzehntelange Arbeit ‚im Staub der Archive‘ aber schlägt sich gar bis in die Szene der Tagespolitik-­Satiriker nieder.2 Überhaupt motivierte bereits den Studenten Hagen Fleischer die ‚trockene Archivarbeit‘ zu gezielter Umsetzung von Geschichtseinsichten in das Feld der Politik, den Begriff mit Bourdieu verstanden. Und dies nicht nur in punktuellem Engagement. Es wirkte auch in Bereiche d­ ieses Feldes hinein, die der Öffentlichkeit zunächst verborgen 1 http://www.occupation-­memories.org/de/project/team/Leitung/Fleischer/index.html (letzter Zugriff 08. 10. 2019). – Hinweise u. a. zur etappenweisen Realisierung des Projektes gibt der fürs Digitale verantwortliche Leiter Nikolaos Apostolopoulos, Online-­Archiv: Erinnerungen an die Besatzungszeit in Griechenland (Interview), in: Griechenlandzeitung vom 08. 11. 2019, S. 12. 2 „Die Anstalt“, ZDF , 31. 03. 2015, 22.15 Uhr sowie https://www.youtube.com/watch?v=​ LZcW8zJm9OU (letzter Zugriff 16. 07. 2019).

16 | Vorwort der Herausgeberin

bleiben wie etwa der Diplomatie oder investigativer Kommissionsarbeit. Im vorliegenden Band ist darüber u. a. in der Rubrik „Autobiografisches“ mehr zu lesen. Hier mag der Hinweis auf seine streitbare Beratung im Vorfeld der beiden offiziellen Griechenland-­Besuche der Bundespräsidenten von Weizsäcker und Gauck angebracht sein, die symbolpolitisch sensible Stätten Athens und ausgewählte Märtyrerorte aufzusuchen bereit waren. Umgekehrt hat der Historiker im Zuge der deutsch-­griechischen Krise ab 1995 (Klage­welle aus Distomo, drohende Konfiszierung deutschen Staatseigentums in Athen) an der von der Regierung Simitis 2001 eingerichteten interministeriellen Kommission „zur Frage der aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen Griechenlands“ als historischer Experte teilgenommen. Überhaupt kennt ihn die griechische Öffentlichkeit seit den 1980er Jahren längst, u. a. dank mehrteiliger TV-Dokumentarserien über die Besatzung, bei denen er als Initiator und historischer Berater mitgewirkt hat.3 Breiten Kreisen der griechischen Bevölkerung sind die historischen Einsichten des „Deutschen, der so gut Griechisch spricht“, vertraut. Ihn erreichen schriftliche Anfragen aus entferntesten Dörfern. Die um Aufklärung Bittenden trauen ihm offensichtlich allumfassende Kenntnisse zu bis hin zu Vorfällen des eigenen lokalen Umkreises, wenn es um die Kriegsjahre geht. Solchem Bedarf kommt seine jüngste griechische Publikation nach.4 Es versteht sich, dass Hagen Fleischer in den internationalen fachwissenschaft­lichen Kreisen zur Erforschung des Zweiten Weltkriegs sehr viel präsenter ist als ‚in den Medien‘. Er hat zahlreiche Beiträge zum engeren Thema, zur weiteren griechischen Zeitgeschichte sowie zu den deutsch-­griechischen Beziehungen der Neuzeit in internationalen Fachorganen und Symposium-­Bänden veröffentlicht. Der Leser findet im Schlussteil des Buches die Teilbibliografie seiner deutsch und englisch publizierten Schriften. Sie soll weitere seiner vielfältigen Th ­ emen, über den vorliegenden Band h ­ inaus, zu finden erleichtern. Dem breiteren Lesepublikum, auch den Publizisten, bleibt die bibliothekarische Suche zu den rein fachwissenschaftlichen Bänden, trotz Digitalisierung, mit Mühen verbunden. Erst recht sind im deutschen Sprachraum Fleischers griechische Publikationen weitgehend unzugänglich. Ein kurzer Hinweis zum Konzept unseres Buches: Wir – der Autor und die beiden Herausgeberinnen der Reihe – haben eine repräsentative Auswahl vor allem aus dem nur griechisch publizierten Werk getroffen. Leitend war u. a. der Gesichtspunkt einer populäreren historischen Darstellung. Der umfangreichste Beitrag „Besatzung und Widerstand 1941 – 1944“, der den Band eröffnet und vom Umfang her fast als kleines 3 So die Langzeitserien im ersten Programm des staatlichen Fernsehens ERT „Panorama des Jahrhunderts“ und „Chronik des Nationalen Widerstands“. 4 Hagen Fleischer, Η Ελλάδα στη δεκαετία 1940 – 1950. Βιβλιογραφικός Οδηγός (Griechenland im Jahrzehnt 1940 – 1950. Ein bibliografischer Führer), Athen: Themelio, 2019. Auf ca. 500 S. werden über 6000 einschlägige Titel erfasst.

Vorwort der Herausgeberin | 17

Buch durchgehen könnte, dürfte ­dieses Kriterium erfüllen. Geschrieben ist er ursprünglich als Beitrag für den Enzyklopädie-­Band 16 der Geschichte der Griechischen Nation. Das Geschick des Landes unter Hitler wird darin anschaulich fassbar. Verzichtet ist auf die apparative Überfrachtung. Dem Text liegt das bahnbrechende Grundlagenwerk des Autors Im Kreuzschatten der Mächte (1986) zugrunde. – Darüber hinaus mag für die Autorschaft ­dieses Artikels in der Griechischen Nationalenzyklopädie aufschlussreich sein, wenn es zunächst begreiflicherweise auf keine ungeteilte Zustimmung stieß, ausgerechnet einen Deutschen mit ­diesem brisanten Thema zu betrauen. Dank der hierzulande in den letzten Jahren, mit enormer Verspätung, erschienenen Publikationen zum Thema existiert heute eine gewisse Basiskenntnis von Hitlers Balkanfeldzug, doch strukturell für die Besatzungsrealität Wesentliches bleibt bislang eindimensional dargestellt. Etwa die tiefgreifenden Interessenkonflikte ­zwischen den drei Besatzungsmächten Griechenlands, den Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung wie auch den der ethnischen Minderheiten zur jeweiligen Besatzung. Oder eine ­genauere Kenntnis über die seitens der Deutschen eingesetzten griechischen Regierungen als Kollaborationsregime von verschiedenem Charakter, über das ‚Zusammenleben‘ und Überleben der Bevölkerung mit dem Besatzerfeind und gegen ihn. Der Aufsatz „Besatzung und Widerstand 1941 – 1944“ bietet trotz seines Übersichtscharakters ­solche neuen, bislang anderweitig außen vor gebliebene Zusammenhänge. So ist über das breite Spektrum der Résistance, über die EAM/ELAS und das Freie Berggriechenland hinaus auch zu den rein nationalistisch sich verstehenden Gruppierungen Detailreiches zu lesen. Gerade diese bestimmten nach ihrem, mit massiver angloamerikanischer Unterstützung errungenen Triumph im Bürgerkrieg, jahrzehntelang die griechische Innen- und Außenpolitik. Nicht zuletzt erfährt der Leser über die Rolle „Kairos“, d. h. der royali­stischen Exilregierung in London und Ägypten unter britischem Patronat, das Wichtigste. Zu den Jahrzehnten nach 1945 erörtern mehrere Beiträge das auf beiden Seiten sehr unterschiedliche Aufgreifen der Erinnerung an die Opfer des Kriegs. Erinnerungspolitische Instrumentalisierungen blieben in der Regel auch hierbei dominant. In der Bundesrepublik wollte man schließlich Fragen und Kenntnisse von griechischen Opfern lieber erst gar nicht aufkommen lassen. Im Mai 1995, auf einer Veranstaltung in der Aula der Deutschen Schule Athen zum 50. Jahrestag des Kriegsendes,5 antwortete der deutsche Botschafter, ein Urenkel Bismarcks, dem Referenten Hagen Fleischer auf dessen Frage nach der deutschen Haltung in der Entschädigungsfrage: „Ganz einfach, wir wollen nicht zahlen! Aber bitte, zitieren Sie mich nicht!“ Die Themenauswahl des vorliegenden Buches geht bewusst über die Besatzung im Zweiten Weltkrieg und ihre Nachgeschichte hinaus. Es sollten auch hellere Seiten des „schwierigen deutsch-­griechischen Jahrhunderts“ (1919 – 2019) vorgestellt werden, und 5 jec [Corinna Jessen], H. Fleischer beim „Philadelphia“. Griechenland im Zweiten Weltkrieg: ein Rückblick nach 50 Jahren, Athener Zeitung, 2. Juni 1995.

18 | Vorwort der Herausgeberin

dies mit ihren wieder eigenen Schwierigkeiten. So die Studie über das deutsche Bild des überragenden griechisch-­kretischen Politikers Venizelos. In manchen Aspekten zeigt sich auch hier eine Vorgeschichte für die spätere Besatzungszeit, doch ­diesem Beitrag geht es vor allem um die ‚Bilder des Anderen‘, bezogen auch auf Ökonomie und soziale Gruppen. So zeigt sich an der Geschichte der Juden Griechenlands, vor allem der Sepharden in Thessaloniki, ein sozial wie politisch wirksames kulturelles Potential, mit Auswirkungen auf die Politik. Die deutsche Außenpolitik hat Eleftherios V ­ enizelos, den griechischen Politiker von europäischem Rang, noch viele Jahre nach seinem physischen Ableben nicht einzuschätzen vermocht. Im Aufsatz „Unter der Militärdiktatur“ wird eine deutsch-­griechische Nähe sichtbar, die für weitere Jahrzehnte neue, qualitative Verbindungen vorbereitete. Die Phase der Junta-­Herrschaft 1967 bis 1974 gilt heute den meisten Griechen mit Blick auf die anschließende Demokratisierung (Metapolitefsi) als letzte Phase bzw. ‚Ende des Bürger­kriegs‘ und des westlichen Interventionismus zugunsten der kollaborationsaffinen griechischen Rechten. Wie konnte, gerade in diesen dunkelsten Jahren, eine progressive deutsche Kulturpolitik neue ­­Zeichen setzen? Indem das Leisetreterische deutscher Außenpolitik der Großen und der Sozialliberalen Koalition auf lokalen Ebenen zivilgesellschaftlich unterlaufen wurde; denn die Junta wurde nicht mit Hilfe Bonns, entsprechend den US-amerikanischen Wünschen, international isoliert, wie dies von wenigen nordeuropäischen Staaten erfolgreich praktiziert wurde. So erfolgte innerhalb der Bundesrepublik eine Korrektur im ­­Zeichen der Solidarität mit dem griechischen Widerstand gegen das faschistoide Militärregime, unter Mitwirkung couragierter deutscher Schriftsteller, Intellektueller, von Gewerkschaftlern oder engagierten Einzelkämpfern in Medien und Kulturinstitutionen. Die bilaterale wechselseitige Affinität, die Sympathien für den geistesverwandten Anderen in den Folgejahren der Metapolitefsi, wurden von diesen Erfahrungen mitgeprägt. Die für unseren Band nach reiflicher Überlegung ausgewählten Texte plädieren von unterschiedlichen Ansatzpunkten für die baldige Aufnahme des immer noch ausstehenden Dialogs ­zwischen den involvierten Staaten – den Erben der Okkupanten und den Erben der Opfer. Sie fordern eindringlich zu konstruktiven Gesprächen auf, über berechtigte griechische Forderungen nach Entschädigung angesichts blutiger Repressalpraktiken und Raubökonomie seitens der Besatzer – nicht aber über gleichfalls zirkulierende exorbitante Forderungen. Und das heißt: Überwindung des versteinerten Abwehr­reflexes „es ist alles beglichen“, oder, wie auch beschämenderweise gern gesagt wird, das Thema sei „obsolet und nach unserer Überzeugung final geklärt, also abgeschlossen“.6 Man lese im vorliegenden Band den Aufsatz „Wiedergutmachung“. Eine deutsche offizielle Revision der jahrzehntelangen geschichtspolitischen Verfälschung

6 So der Sprecher der Bundesregierung Seibert, Pressekonferenz am 11. 03. 2015 u. v. a.

Vorwort der Herausgeberin | 19

und Leugnung sowie die Anerkennung der griechischen Opfer und der deutschen Verant­wortung sind gewiss mittlerweile minimal signalisiert, doch längst nicht real und öffentlich nachvollziehbar angegangen. Ich nutze die Gelegenheit dieser Vorbemerkung, um auf zwei in der Debatte wesentliche Forschungsbeiträge Hagen Fleischers zu verweisen, die wir aus Platzgründen nicht in diesen Band aufnehmen konnten. „Schuld und Schulden“ – also die Entschädigungsfrage – stoßen seit der griechischen Finanzkrise, speziell seit 2013 auf ein breites Interesse. Hagen Fleischers einschlägiger Beitrag zum Thema ist bereits 2006 publiziert. Zu finden ist er in einem Band, auffindbar in nahezu allen deutschen Bibliotheken.7 Hier erschließt der Autor genauestens die Reparationsfrage in ihrem bis heute gültigen Stand, wie sie sich für Griechenland seit der frühen Nachkriegszeit stellte und wie sie von der Bundesrepublik mit dem Globalabkommen vom 18. März 1960 in die ‚freiwillige‘ – und aus eigener Machtvollkommenheit – ‚finale‘ Entschädigungszahlung von 115 Millionen DM umgewandelt wurde. Bonner Verweigerung und Obstruktion, Einzelschritte der Verhandlungen bis zum Abkommen und dessen wesentliche Bestimmungen werden dort detailliert erörtert. Auch vom Autor erstmals erschlossene Belege zur Vergabepraxis der Summe durch die Regierung Karamanlis innerhalb Griechenlands sind nach Empfänger-­Kategorien aufgeschlüsselt; Belege, die auch kursierende Verschwörungstheorien zur Vergabepraxis ad absurdum geführt haben. Bereits in ­diesem Kontext stellte der Autor erneut die Existenz eines nach 1945 nicht mehr vom deutschen Schuldner beglichenen Kredits vor, die „Besatzungsanleihe“ der Bank von Griechenland an Deutschland und Italien (bis September 1943). Zeitweilig, so bereits 1966, provozierte das Thema in der Bundesrepublik wütende Schlagzeilen. Das „Deutsche Reich“ hatte diesen Zwangskredit 1942 – 1944 Griechenland in monatlichen Raten abgepresst und bemerkenswerterweise begonnen, die Fälligkeitsraten bis zum deutschen Abzug im Oktober 1944 zu bedienen. Der Nachfolgestaat aber ‚vergaß‘ die Fortführung der Kreditbedienung bis auf den heutigen Tag. Der Posten besteht – auch jenseits von Reparationsfragen – somit weiterhin als deutsche Verpflichtung und trotz des heute von Berlin abgestrittenen Kreditcharakters jener griechischen Zahlungen.8 Mein zweiter Literaturhinweis gilt dem etwa zeitgleich veröffentlichten Aufsatz Hagen

7 Hagen Fleischer, „Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung“ (zus. mit D. Konstantinakou), in: Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945 – 2000, hg. von Hans Günter Hockerts, ­Claudia Moisel und Tobias Winstel, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 375 – 457. Auch die Einleitung Hockerts (S. 7 – 60) zu Reparationsforderungen und deutscher Entschädigungspraxis seit 1945 in Sachen stattgehabter und verhinderter Entschädigung ist sehr erhellend. 8 Die Besatzungsmacht benannte diese „Reichsverschuldung gegenüber Griechenland“ explizit, siehe Dokumenten-­Faksimile in: Hagen Fleischer, Schuld und Schulden – Der Fall Griechen­land „final geklärt“? In: Südosteuropa-­Mitteilungen, 2/2015, S. 46 – 63.

20 | Vorwort der Herausgeberin

Fleischers über die ausgebliebene juristische Ahndung der Kriegsverbrechen, dem jahrzehntelang, so Eberhard Rondholz, praktizierten Täterschutz durch die Bundesregierung und einem der schockierendsten Kapitel der ‚schwierigen‘ deutsch-­griechischen Vergangenheit. Auch dieser Beitrag ist für Leser in Deutschland leicht auffindbar.9 Die Bitte um Verzeihung „im Namen Deutschlands“, die Bundespräsident J­ oachim Gauck 2014 aussprach, war ein ermutigendes Zeichen ­­ und prägte bei vielen Griechen ein positiveres Deutschlandbild. Eine ­solche Formulierung, zu der im vorbereitenden Gespräch Hagen Fleischer die Anregung gab, war bis dahin nie von einem deutschen Staatsoberhaupt geäußert worden. Was dann allerdings seitens der Bundesregierung an praktischer Verwirklichung auf den Weg gebracht wurde, der „Deutsch-­griechische Zukunftsfonds“ und das „Jugendwerk“, machen für sich allein betrachtet und in ihrer Einseitigkeit die Dialogbereitschaft Berlins zum Thema der Geschichtsschuld nur wenig glaubhafter. Eher sieht es so aus, als wollten die modellhaften ‚Maßnahmen‘ den „sanften Weg der Erinnerungskultur“ (Constantin Goschler) bahnen, um befürchtete unangenehme Konsequenzen vermeiden zu können. Als kulturelles Begleitprogramm zu einem zwischenstaatlich – auch europäisch – aufgenommenen Dialog und neuen Abkommen können sie ihren Sinn haben. Als kostengünstiger Ersatz werden Fonds und Jugendwerk umstritten bleiben. Zu Recht spricht deshalb Karl Heinz Roth gerade auch mit Blick auf die letzte Entwicklung von einer genuinen Doppelmoral der deutschen Erinnerungspolitik.10 Die Auswahl der Texte hat der Autor selbst bereits um 2015, zusammen mit Marilisa Mitsou und der Herausgeberin, getroffen. Insofern ist das Buch in der vorliegenden Form Ergebnis von Zusammenarbeit. Marilisa Mitsou sei an dieser Stelle vielfacher Dank für ihr kritisches Mitlesen ausgesprochen. Mein eigener, die Herausgabe der Beiträge betreffender Anteil entwickelte sich kontinuierlich weiter im Gefolge der Übersetzungen, sowohl denen aus dem Griechischen wie denen aus dem Englischen. Die letzteren übernahm freundlicherweise Rüdiger Reinecke, Osnabrück. Die Übersetzungen aus dem Griechischen – und aus ihnen besteht der Großteil des Buches – stammen aus der Feder von Andrea Schellinger. Ihr vor allem möchte ich meinen großen Dank für ihre Arbeit und die dabei sehr angenehme Kooperation aussprechen. Es ist erstaunlich, in welcher Geschwindigkeit die beachtliche Textmenge aus dem Griechischen im Deutschen wieder­erstand. Angesichts der zeitlichen Projekt-­Arbeitsvorgaben zur Erstellung 9 Hagen Fleischer, Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, hg. von Norbert Frei, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474 – 535. 10 Karl Heinz Roth, Hartmut Rübner, Reparationsschuld: Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und in Europa, Berlin: Metropol, 2017.

Vorwort der Herausgeberin | 21

des Buches war dies nötig. An Sorgfalt hat die Übersetzerin dabei nichts hintangestellt. Mit großer Verve entstand ein elegantes Deutsch der Wissenschaft. Auch zahlreiche bibliografische Recherchen erledigte sie wie nebenbei. Ihre inspirierte Zusammenarbeit mit dem Autor war für den Vorgang der Manuskripterstellung unverzichtbar. Hagen Fleischer hat alle seine Texte überprüft und z. T. umfangreiche Abschnitte hinzugefügt, z. T. Einzelstellen präzisiert oder mit erforderlichen Hinweisen für den deutschen Leser ergänzt. Insofern liegen in der jetzigen Textgestalt, auch der weniger stark ergänzten Kapitel, neue und auf den neuesten Stand gebrachte Fassungen vor. Meinen Dank spreche ich auch Aimilia Rofousou aus. Sie übernahm die Erarbeitung und Überprüfung der Register und leistete damit für den Autor gleichfalls Unverzichtbares. Für die bereitwillige Überlassung mehrerer Fotografien aus seinem reichhaltigen Archiv danke ich Jason Chandrinos. Und auf d­ iesem Weg richtet auch Hagen Fleischer seinen herzlichen Dank dafür an seinen früheren Studenten und jetzigen Kollegen. Nicht zuletzt danken Autor und Herausgeberin dem Böhlau Verlag und seinen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für angenehme Zusammenarbeit und manche Hilfestellung vor und während des technischen Herstellungsprozesses des Buches. Wo das Stichwort Geschwindigkeit schon gefallen ist, ist last but not least dem unermüdlichen Autor zu danken, der geduldig und sehr genau, vielleicht strenger als während der Erstverschriftung, die Anstrengung der zum Teil als Neuarbeit zu bezeichnenden Überarbeitung auf sich genommen hat. Ich danke Hagen Fleischer sehr für unsere harmonische, ertragreiche Zusammenarbeit an d ­ iesem Band seiner eigenen Autorschaft. Dem gingen bekanntlich frühere Projekte voran. Sie alle haben öffentlich nachvollziehbare Spuren in beiden Ländern hinterlassen. Und dies wünsche ich nun ­diesem Buch. Möge es Weiteres auf der eingeschlagenen Bahn bewirken. Osnabrück, 20. Juli 2019 

Chryssoula Kambas

I Krieg und Besatzung

Besatzung und Widerstand 1941 – 1944 Deutsche Strategieziele und die Entwicklungen im besetzten Griechenland bis 1943 Die Besatzungsverwaltung Am 28. Oktober 1940 fielen italienische Truppen von dem im Vorjahr annektierten Albanien aus in Griechenland ein, ohne vorherige Konsultation Hitlers. Entgegen allen Erwartungen warf eine griechische Gegenoffensive die Angreifer weit auf albanisches Gebiet zurück. Um eine Niederlage des Achsenpartners mit schwerwiegenden Folgen für die gesamtstrategische Lage abzuwenden, hatte Hitler bereits am 13. Dezember 1940 den Angriff auf Griechenland angeordnet. Nach dem Sturz der deutschfreundlichen Regierung in Jugoslawien (27. März 1941) wurde eben ­dieses Land ad hoc in die deutschen strategischen Planungen einbezogen. Im Morgengrauen des 6. April fiel die Wehrmacht auch in Griechenland ein, wo mittlerweile ein Expeditionskorps aus britischen und Commonwealth-­Verbänden gelandet war. Nach dreiwöchigen, erbitterten Gefechten erreichten die ersten Wehrmachtstruppen am 27. April die griechische Hauptstadt Athen. Vom ersten Tag an brachte die deutsche Propaganda immer wieder vor, dass der Einmarsch sich nicht gegen die Griechen wende, sondern ausschließlich „gegen England auf griechischem Boden“. Tatsächlich sei also die Wehrmacht „nicht als Feind gekommen“, sondern vielmehr als ‚verhinderter‘ Freund. Solche Verlautbarungen klangen in Griechenland etwas weniger hohl als in anderen besetzten Ländern, zumal einige Z ­­ eichen guten Willens damit einhergingen, wobei die in keinem anderen Land praktizierte Freilassung der Kriegsgefangenen hervorstach. Reichskanzler Adolf Hitler hatte in seiner „Siegesrede“ am 4. Mai 1941 vor dem Deutschen Reichstag den „überaus tapferen Widerstand“ der Griechen gegen eine militärisch haushoch überlegene Wehrmacht hervorgehoben. Ausnahmsweise war dies keine reine Propagandaparole, da er schon früh die Weisung ausgegeben hatte, im Gegensatz zu den Serben, namentlich den Offizieren, ­seien „griechische Soldaten und Offiziere (…) ausgesucht freundlich zu behandeln“.1 Zugleich erklärte er seine Freude darüber, dass „unsere Verbündeten ihre gerechten nationalen und politischen Ambitionen“ auf dem Balkan „nunmehr zu befriedigen vermögen“, dass also „an Bulgarien das ihm einst zugefügte Unrecht wieder gutgemacht wird“ sowie „das mit uns verbündete Italien territorial und politisch den Einfluss in dem ihm allein zukommenden Lebensraum erhält“. Deutschland selbst habe dabei nur die Rolle eines „interessierten Zuschauers“ inne. 1 Hagen Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941 – 1944. Okkupation – Resistance – Kollaboration, Frankfurt a. M./Bern/New York: P. Lang, 2 Bde., 1986, Bd. 2, S. 576.

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Aus Hitlers Sicht hatte der Balkanfeldzug gewissermaßen Defensivcharakter: Die Briten müssten von ihrer letzten europäischen Festlandsbasis „vertrieben“ und das unter Druck geratene Italien entlastet werden. Auch wolle man sich angesichts der bevorstehenden „Operation Barbarossa“ gegen die Sowjetunion die Südostflanke sichern, ganz abgesehen davon, dass man für die Kriegsindustrie auf ungehinderte Zufuhr von Erzen und anderen Rohstoffen angewiesen war. Wie begrenzt das damalige Interesse Hitlers an Griechenland war, geht aus seiner streng vertraulichen Weisung Nr. 29 vom 17. Mai 1941 hervor: „Die Sicherung des griechischen Raumes fällt künftig, von nachstehend aufgeführten Ausnahmen abgesehen, den Italienern zu. Deutsche Dienststellen haben sich daher in allgemeine Fragen der Sicherung und Verwaltung des Landes nicht einzuschalten. Insbesondere ist jede etwa von den Griechen gewünschte Vermittlungstätigkeit abzulehnen.“ In den von deutschen Truppen besetzten Gebieten sei, „soweit möglich, die griechische Verwaltung auszunutzen und vom Einsatz deutscher Dienststellen abzusehen“. Laut Führererlass vom 28. April 1941 unterstand die erste Besatzungsbehörde dem „Bevollmächtigten des Reichs für Griechenland“, der mit stark erweiterten Vollmachten letztlich die Rolle der Gesandtschaft übernahm. Die gleichzeitige Umbenennung verwies auf neue, nicht kontrollierbare Befugnisse der Machtausübung, wobei innerbehördlich die alte, griffigere Bezeichnung beibehalten wurde. Auch beim Personal änderte sich grundsätzlich nichts, sieht man von einigen Auf­ stockungen in den Zuständigkeitsbereichen ab. Doch Viktor Prinz Erbach-­Schönberg, seit 1936 Gesandter in Griechenland, wollte unter Besatzungsbedingungen nicht im Land bleiben. Bevollmächtigter wurde daraufhin Dr. Günther Altenburg, der einzige Karrierediplomat unter den Botschaftern des Reichs in Südosteuropa. Nach der zwischenzeitlich erfolgten Eroberung Kretas (20.05. – 01.06.), die beiderseits schwerste Opfer gefordert hatte, ernannte Hitler am 9. Juni mit Weisung Nr. 31 und ergänzenden „Durchführungsbestimmungen“ vom 15. Juni Generalfeldmarschall ­Wilhelm List zum Wehrmachtsbefehlshaber (W. B.) im Südosten. Neben dem Oberbefehl über alle anfallenden Bodenoperationen der Streitkräfte auf dem Balkan übte er auch die exekutive Gewalt in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten aus. Gleichzeitig wurden seine Befugnisse von denen Altenburgs abgegrenzt. Dem Bevollmächtigten des Reichs in Griechenland fielen „die Aufgaben auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet“ zu, wobei „ihm die Verhandlungen mit der Griechischen Regierung zur Vertretung der Interessen des Reichs auf diesen Gebieten [obliegen]“. Potentielle Spannungen barg jedenfalls die Regelung, dass „bei militärischen Anordnungen, die außenpolitische Rückwirkungen haben können“, der Wehrmachtsbefehlshaber „vorher das Einvernehmen mit dem Bevollmächtigten des Reichs für Griechenland herzustellen [hat], soweit es die militärische Lage gestattet“.2

2 Siehe Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 64.

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Abb. 1 Im Schatten der Panzer: „Platz der Eintracht“ (Plateia Omonoias) im Zentrum Athens.

In der Führerweisung vom 9. Juni wurde auch die deutsche Besatzungszone genauer definiert. Hitler überließ den Löwenanteil seinen Verbündeten Italien und Bulgarien, denn er schloss eine eventuelle „militärische Gefahr“ seitens der unterworfenen Griechen aus. Da man jedoch britische Angriffe und Landungsaktionen, aber auch innere „Unruhen“ durchaus für möglich hielt, gehörten zum deutschen „Anteil“ an der territorialen Beute hauptsächlich Inseln, Häfen und Küstenregionen an strategisch wichtigen Stellen. Neben der Militärverwaltung Serbiens waren dem W. B. Südost auch der Militärbefehlshaber Südgriechenland, General Hellmuth Felmy sowie Curt von Krenzski, Befehlshaber Saloniki-­Ägäis unterstellt. Letzterer war zuständig für Zentralmakedonien einschließlich Thessaloniki bis zum Strymon (Struma), dem Grenzfluss zur de facto von Sofia annektierten bulgarischen Besatzungszone, sowie für die ostägäischen Inseln, Limnos, Lesbos, Agios Evstratios und Chios. Relativ diskret und mit eingeräumten Privilegien gestaltete sich die Besatzung des „Heiligen Bergs“ Athos, und dies nicht nur, weil das Konzil der zwanzig Klöster Hitler persönlich in einem

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Abb. 2 Befehlshaber Südgriechenland Wilhelm („Helm“) Speidel, Piräus 1942.

vom Empfänger sorgfältig aufbewahrten Huldigungsschreiben gebeten hatte, den Berg Athos unter seinen „Schutz und Vormundschaft“ zu nehmen, wie es bereits die byzantinischen K ­ aiser getan hätten.3 Einen geringeren Sonderstatus besaß der 2 2800 km große Grenzstreifen um die Kleinstadt Didymoteicho (Demotica) entlang des Grenzflusses Evros, der weitgehend unter griechischer Verwaltung verblieb, während von der Besatzungsmacht lediglich Polizei und Verwaltungsangestellte, doch kein Militär eingesetzt wurde. Bulgaren war das Betreten nicht gestattet, um potentielle Zusammenstöße mit der Türkei zu vermeiden und Letzterer die im Vorfeld abgestimmte Chance zu geben, entgegen den Abmachungen des Balkanpakts zumindest nach außen hin neutral zu bleiben. Im Gegensatz zum relativ kompakten Besatzungsbereich des „Befehlshabers Saloniki-­ Ägäis“ kontrollierte der Befehlshaber Südgriechenland, Wilhelm Speidel, nur wenige strategisch bedeutsame Enklaven in Attika, etwa den größeren Teil von Piräus, den Flughafen in Kalamaki, den Villenvorort Kifissia, Areale bei Kap Sounion, wo Sonder­ einheiten für den afrikanischen Wüstenkrieg trainiert wurden, sowie nahegelegene Inseln wie etwa Salamis als U-Boot-­Basis und Ägina. Unter deutscher Kontrolle blieb auch Fleves, ein unbewohntes, auch heute wieder von zahlreichen in- und ausländischen 3 PAAA, R 98804; Dimitrios G. Tzamis, Άγιον Όρος. Προσέγγιση στην πρόσφατη ιστορία του (Der Heilige Berg Athos. Annäherung an seine jüngste Geschichte), Thessaloniki: Pournaras, 1986, S. 22 ff.

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Investoren begehrtes, Attika vorgelagertes Inselchen, das im Hinblick auf ein befürchtetes alliiertes Landungsmanöver schrittweise zur Festung ausgebaut wurde und daher auch nach Kriegsende jahrzehntelang nur mit Sondergenehmigung betreten werden durfte. Darüber hinaus unterstand dem Befehlshaber Südgriechenland auch Milos als Zwischenstation und zugleich Sperrriegel auf dem Seeweg nach Kreta, dem unversenkbaren Flugzeugträger, der auch Hitler zufolge „im Südostraum eine Sonderstellung“ einnahm. Das Oberkommando der Kriegsmarine ging einen Schritt weiter und überbot diese Führerweisung, wenn es sich hartnäckig dafür einsetzte, dass Kreta auch nach dem Krieg „fest in deutscher Hand“ 4 verbleiben solle. General Alexander Andrae, Festungskommandant auf Kreta, dem Befehlshaber Südgriechenland nach eigenen Worten sowieso nur „lose zugeordnet“, machte sich diese Situation zunutze und weitete seine Kompetenzen in einer Weise aus, dass man ihn bald den „Kaiser von Kreta“ nannte.5 An diesen Tatsachen änderte sich wenig durch die Entscheidung Hitlers, der italienischen Verwaltung den Ostteil der Insel (Präfektur Lasithi) zu überlassen, in deren unmittelbarer Nachbarschaft die schon seit 30 Jahren italienisch beherrschten Dodekanes-­Inseln lagen, zumal der italienische Befehlshaber von Lasithi dem Festungskommandanten Kreta „in allen taktischen Fragen hinsichtlich der einheitlichen Verteidigung der Insel“ unterstellt war. Abgesehen von den erwähnten Enklaven im Süden sowie den deutschen und bulgarischen Besatzungsgebieten im nordöstlichen Teil Griechenlands befand sich der Rest des Landes unter dem Kommando der italienischen 11. Armee. Dieser Armee unterstanden drei Armee-­Korps: das XXVI. C. A. mit Sitz in Ioannina, das III. C. A. mit Sitz in Volos sowie das VIII. C. A. mit Sitz in Xylokastro. Die betreffenden Corpi d’ Armata waren zwei- oder dreigliedrig, d. h. sie bestanden aus zwei, öfter aus drei Divisionen. Wiederholte Truppenbewegungen und Umstellungen in der Zusammensetzung hatten Veränderungen in der jeweiligen Stärke zur Folge. Das Hauptquartier der 11. Armee unter dem Befehl von General Carlo Geloso saß in Athen. Auf Drängen Roms bzw. infolge einer Reorganisierung der eigenen Kräfte trat die Wehrmacht im Oktober 1941 die anfänglich von ihr besetzten Inseln Evia (Euböa) und Skyros sowie im September 1942 Südattika an die italienische Zone ab. Erdrückender war die italienische Präsenz in den zur Annexion vorgesehenen Gebieten. So übernahm auf den Ionischen Inseln Piero Parini, eine höhere Charge der Faschistischen Partei, die zivile Besatzungsleitung in unmittelbarer Zuordnung zum römischen Außenministerium, wobei seine Erlasse als Notgesetze galten. Die neue Obrigkeit griff in sämtliche Bereiche der öffentlichen Verwaltung ein und isolierte sie 4 Hagen Fleischer, Γεωστρατηγικά σχέδια της ναζιστικής Γερμανίας για τη μεταπολεμική Κρήτη (Geostrategische Pläne für ein germanisches Nachkriegs-­Kreta), in: Ta Istorika, Bd. 16, 1992, S. 140 ff. und im vorliegenden Band. 5 AMAE, Vichy-­Europe, Fasz. 395: 49/30. 5. 1942.

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rasch vom restlichen Griechenland. Ähnlich ging Parini auch bei gestaffelten Maßnahmen im Wirtschaftssektor vor, die in der Einführung der „Ionischen Drachme“ im Frühjahr 1942 gipfelten. Als besonders eifrig erwiesen sich die Italiener im weiteren Kulturbereich, den sie als ihre Domäne ansahen. Sie hebelten das griechische Bildungssystem aus und oktroyierten ihre sprachlichen und ideologischen Richtlinien auf jede Schul- und Altersstufe. Auch begannen sie über die Gründung und den Vertrieb neuer italienisch- oder zweisprachiger Zeitungen und Zeitschriften damit, die Presse systematisch zu infiltrieren. Die kostspielige Propaganda der Besatzer zielte auf ausgewählte Schwerpunkte und berief sich sogar auf historische Rechte und Titel von „La Serenissima“. Man präsentierte sich als vorgebliche Erben der über 1000-jährigen Geschichte der Venezianischen Republik, deren „zivilisatorisches Werk durch Taten“ fortgesetzt würde. Widerstrebende Griechen wurden dagegen als orientalische Relikte „des verschlagenen Byzantinismus“ diffamiert.6 Berlin reagierte auf diese schleichende Annexion nicht, genauso wenig wie auf ähnliche Strategien in anderen italienisch besetzten Gebieten – etwa auf Samos –, ­blockierte aber, wie zunächst auch im Fall von Bulgarien, jeden Versuch der Verbündeten, die territoriale Beute auch offiziell festzuschreiben. Als der italienische Außenminister Galeazzo Ciano bereits im April über die Ionischen Inseln hinaus den „primären“ Anspruch vorbrachte, ein „großes Stück Nordwestgriechenlands“ zu erhalten und weitere Ansprüche für die Zukunft ankündigte, versuchten sein deutscher Kollege Ribbentrop und sogar Hitler selbst ihm klarzumachen, dass Entscheidungen über „den Gesamtfragenkomplex Griechenland“ bis zum Kriegsende warten müssten. Zudem sei es nicht ratsam, allzu große griechische Minderheiten in das italienische Imperium einzubauen, weil dadurch potentielle oder gar permanente Widerstandsherde geschaffen würden.7 Ganz allgemein zielte Berlins Verzögerungstaktik darauf ab, die konkurrierenden Begehrlichkeiten der Verbündeten gegenseitig zu neutralisieren. Dies betraf nicht nur Rom und Sofia, sondern sogar Bukarest, wo man im epirotisch-­thessalischen Raum auf die sprachverwandten Aromunen (Vlachen) als potentielle „5. Kolonne“ setzte. Andernfalls war eine heftige Reaktion der Griechen zu befürchten, bis hin zur Kooperationsverweigerung. Andererseits wirkte eine in Aussicht gestellte „verbesserte“ Neuziehung der Balkangrenzen als disziplinierender Köder für die rivalisierenden Partner und Satelliten des noch übermächtigen Deutschen Reiches, nach dessen erwartetem Endsieg im Rahmen der dann anstehenden „Neuordnung“ territoriale Belohnungen anstanden. Im Fall des besonders begehrten Thessaloniki, das im März 1941 schon als Lockmittel für das damals noch neutrale Jugoslawien hergehalten hatte, blieb den sich gegenseitig belauernden „Freiern“ in Rom und Sofia nichts anderes übrig, als den Aufschub und damit die vorerst geltende deutsche Statthalterschaft zu akzeptieren, 6 Z. B. Efimeris ton Ionion/Gazzetta Ionica, 2. September und 22. Dezember 1942. 7 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 73; Bd. 2, S. 584.

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sofern nicht der jeweils anderen Seite der Vorzug gegeben würde. Ungeklärt ist, ob und inwieweit die Rivalen ahnten, dass die deutsche Führung sich tendenziell nicht mit der Schiedsrichterrolle begnügte, sondern selbst an der makedonischen Metropole Inte­ res­se zeigte. Ribbentrops Weisung, in Thessaloniki sollten sich keine „Vertreter fremder Mächte politisch etablieren“, da darüber „noch in keiner Richtung eine Entscheidung getroffen“ 8 sei, kann auf unterschiedliche Weise gedeutet werden. Die Aussicht auf eine über den Krieg hinausgehende Niederlassung in Gebieten von eminenter geostrategischer Relevanz schien auch einigen deutschen Kulturrepräsentanten verlockend. Ohnehin von der Perspektive kultureller Hegemonie besessen, lieferte ihnen der Siegeszug deutscher Waffen die ersehnte Gelegenheit, das Zepter aus beneideter französischer Hand zu reißen und gleichzeitig die zuvor propagierte „gerechte Aufteilung“ mit den Italienern auszuschließen. Auf Kreta zerbrachen sich die Deutschen den Kopf über das optimale Rezept zur Verbreitung der deutschen Sprache, damit die Kreter „mit unserem Wort auch unser Wollen verstehen“. Von Thessaloniki aus verwendete sich Dr. Otto Kielmeyer, Leiter der makedonischen Außenstellen der Deutschen Akademie, in Berlin dafür, den Schwerpunkt der eigenen Kulturaktivitäten aus der Hauptstadt Athen, die nach dem Krieg höchstwahrscheinlich sowieso unter italienischem Einfluss stehen werde, in die nordgriechische Metropole zu verlagern, wo sich dann wohl ein deutscher Hafen befände. Insgesamt müsse die deutsche Kultur­politik, des Wettbewerbs mit Engländern und Franzosen ledig, die Zügel straffer anziehen, da „wir nicht mehr die mehr oder weniger geduldeten Ausländer, sondern die Herren des Landes“ sind.9 Einige Amtsträger waren bemüht (allen voran der Direktor der Deutschen Schule Athen Alfred Romain, ­später auch dank unermüdlicher Eigenwerbung Professor am Athener Polytechnikum), die neu erworbene, schrankenlose Macht an antike Vorläufer anzudocken. So entblödete sich der frischgebackene Professor nicht zu verkünden, die Wehrmacht trete in die Fußstapfen der ebenfalls aus dem Norden eingefallenen alten Hellenen und Alexanders des Großen. Auf diese Weise hätten die Deutschen deren jahrhundertelang unter Trümmern verschüttetes Kulturerbe wieder ans Licht gebracht und neu belebt. Beziehungsreich gab Romain zu bedenken, auch „damals“ s­ eien die gewaltsamen Veränderungen von den betroffenen Einheimischen als „Raub der Freiheit“ empfunden worden. In Erinnerung daran würden aber die heutigen Griechen wohl den „weltgeschichtlichen Sinn“ und die „eherne Notwendigkeit“ dieser „Wiederholung“ einsehen, so wie „alle großen Entscheidungen an den Wendepunkten der Geschichte einmal anerkannt werden müssen (…)“.10

8 Fleischer, Geostrategische Pläne, S. 149 ff. 9 BArch, R 51/191, 16. 6. 1942. 10 Deutsche Nachrichten für Griechenland, 15. Mai 1941.

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Die meisten Wissenschaftler waren zurückhaltender, doch nur wenige widerstanden der Versuchung, sich die günstige Situation, in der sie sich plötzlich befanden, zunutze zu machen. So gab der renommierte Byzantinist Franz Dölger seiner Genugtuung darüber Ausdruck, dass bei seinen Forschungen in der Mönchsrepublik Athos dank der neuen Machtverhältnisse die „größtenteils ungebildeten Mönche“ ihm gegenüber keine „Schikanen“ mehr wagten wie noch zu Friedenszeiten. Auf der Welle militärischer Erfolge schwammen auch bekannte Archäologen, die sich in Berlin für ein Luftbildprojekt in Griechenland mit Spezialflugzeugen der Luftwaffe verwendeten, um dadurch neue Grabungen langfristig planen zu können. Mit d­ iesem „neuen wissenschaftlichen Machtmittel“ könne sich die deutsche Archäologie eine unbestrittene internationale „Vormachtstellung für ein Jahrhundert sichern“.11 Selbstverständlich gab es auch Pädagogen und Wissenschaftler der ‚guten alten Schule‘, die sich von schwammigen Visionen eines überbordenden Kulturimperialismus nicht beeindrucken ließen. Die verstiegenen Intentionen eines Teils der deutschen Intelligenz fanden ohnehin nur zurückhaltende Unterstützung in Berlin, denn dort ging es um handfestere Prioritäten. So waren schon in den ersten Besatzungstagen Spezialtrupps mit dem Auftrag unterwegs, den Italienern bei der „Erkundung und Sicherstellung wehrwirtschaftlich wichtiger Güter“ zuvorzukommen. Dabei ging es hauptsächlich um die reichen griechischen Bodenschätze. Die berühmt-­berüchtigte preponderanza, der Primat Italiens, den Hitler seinem Partner Benito Mussolini zugesagt hatte, erwies sich damit als porös. Deutlich wurde dies anhand der deutschen Vormachtstellung in fast allen Bereichen, vom kulturellen bis insbesondere zum wirtschaftlichen. Doch auch die militärische Lage verschärfte sich zunehmend. Grund dafür war ein Faktor, den Hitler unterschätzt und deshalb ausgeklammert hatte: der ständig zunehmende Widerstand der Griechen.

Der Widerstand Will man die Anfänge der Résistance zeitlich bestimmen, stößt man unweigerlich auf die vorangegangene Phase der Metaxas-­Diktatur. Selbst König Georg II. hatte gegenüber ausländischen Gesprächspartnern die faktische „Amputation“ des griechischen Volkswillens eingestanden;12 damit aber war sein eigener Eid auf die Verfassung gebrochen und die Situation einer ‚Binnen-­Okkupation‘ geschaffen. Später hatten die fremden Machthaber daher ein leichtes Spiel, durch Austausch einiger Personen „das autoritäre 11 Hagen Fleischer, Europas Rückkehr nach Griechenland. Kulturpolitik der Großmächte in einem Staat der Peripherie, in: H. Heppner; O. Katsiardi-­Hering (Hg.), Die Griechen und Europa, Böhlau: Wien/Köln/Weimar, 1998, S. 125 – 191, hier: S. 152 f. 12 UDS, Schwedische Botschaft Athen, 19. Januar 1937, 4. Februar 1938.

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System in der bisherigen Form“ 13 zu n ­ utzen, wie deutsche Militärverwaltungsexperten zufrieden kommentierten. Diese Ausgangslage gestaltete sich noch komplexer, als im Morgengrauen des 28. Oktober 1940 der Diktator Ioannis Metaxas das italienische Ultimatum zurückwies. Seitdem ist dieser „Tag des Neins“ (Ochi) zweiter griechischer Nationalfeiertag, neben dem auf 1821 rekurrierenden 25. März, einem etwas willkürlich festgelegten Datum für den Ausbruch des griechischen Unabhängigkeitskriegs. Bis heute dauert der innergriechische Streit an, wer nun tatsächlich das historische „Nein“ (oder präziser „C’est la guerre“) dem italienischen Botschafter Grazzi „ins Gesicht geschleudert“ hatte. War es der Diktator oder das „griechische Volk“? Doch um drei Uhr morgens hatte das Volk noch geschlafen und so war Metaxas der Einzige, der die Möglichkeit gehabt hätte, mit einem „Ja“ zu antworten und binnen weniger Stunden ein Fait accompli zu schaffen, der Bevölkerung die Möglichkeit zum aktiven Widerstand vorzuenthalten und das Land dem Feind auszuliefern. Tatsächlich aber entschied sich das Regime für das damals schwache, im Wesentlichen nur aus den Briten bestehende Lager der antideutschen Allianz. Spontan reagierte die griechische Bevölkerung in nationaler Geschlossenheit und mit überwältigender Zustimmung. Nur eine Minderheit der ideologischen oder schlicht opportunistischen Fünften Kolonne stellte sich quer sowie, wenn auch aus anderen Gründen, ein kleiner Teil der kommunistischen Linken, der die äußere Bedrohung für eine günstige Vorbedingung des inneren Umsturzes hielt. So kam es, dass die meisten Griechen drei Monate s­ päter den unerwartet verstorbenen Metaxas mit echter Trauer und Respekt, aber „ohne Liebe“ zu Grabe trugen.14 Auch viele Liberale verziehen ihm weitgehend sogar posthum die Diktatur und gewährten zugleich König Georg die unverhoffte Chance, diese offiziell, d. h. per Dekret abzuschaffen. Dass der König es ablehnte, eine derartige, von den Umständen gebotene Chance zu ergreifen, war zu einem erheblichen Teil prädisponierend für die anschließenden Turbulenzen, die Gesellschaft und Staat erschütterten. Darüber hinaus stellte diese Weigerung einen zusätzlichen Beleg dafür dar, dass während des Albanienkriegs das „Ochi“ des Regimes und das der „Volksmeinung“ zumindest in der Außendarstellung übereinstimmten. Dies wurde auch durch die anschließenden Entwicklungen deutlich. Nach der deutschen Invasion und dem Zusammenbruch der Landesverteidigung im April/Mai 1941 verließ der Monarch erst Athen und dann überhastet den letzten Zufluchtsort Kreta. Seinem Beispiel folgte die wiederum unrepräsentative Regierung, nunmehr Exilregierung, unter dem neuen Ministerpräsidenten E. Tsouderos. Zwar beabsichtigten die Flüchtenden, 13 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 184, Bd. 2, S. 630. 14 „Heute trauert das Volk auf die g­ leiche Weise wie man den Tod eines äußerst nützlichen Geschäftspartners bedauert.“ S. Giorgos Theotokas, Τετράδια Ημερολογίου 1939 – 1953 (Tagebuchhefte 1939 – 1953), Athen: Estia, 2005, 31. Januar 1941.

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sich schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen, vorzugsweise auf Zypern, machten aber auf britischen Druck hin die erwähnte Zwischenstation auf Kreta. Kaum begann der deutsche Angriff auf die Insel, setzte das Rumpfkabinett die Flucht in Richtung Nahost fort, wobei zuvor sich lediglich die Briten bemüht hatten, Organisationsstrukturen für künftige Widerstandszellen im nunmehr besetzen Griechenland aufzubauen. Der individuelle Widerstand andererseits begann in der Stunde null, wenn nicht gar schon früher. Anfang 1941, als die Kolonnen der künftigen Invasoren durch Rumänien auf die griechisch-­bulgarische Grenze zumarschierten, wurde der Transport-­Kommandant, in dieser Phase das wichtigste deutsche Stabsmitglied, von einem „Griechen mit fremdem Pass durch zwei Schüsse tödlich verletzt“.15 Diese schlussendlich vergebliche patrio­ tische Selbstaufopferung ist in Griechenland nie bekannt geworden. Nach dem Zusammenbruch der Frontlinien gab es zunehmend Hinweise darauf, dass der Kampf gegen die Eindringlinge auf anderer Ebene fortgesetzt würde, auch über versteckte persönliche oder aufgefundene Waffenbestände für künftigen Gebrauch ­hinaus. Ein Akt des Widerstands war etwa die Weigerung des konservativen Erzbischofs Chrysanthos, die erste Besatzungsregierung unter Ministerpräsident G. Tsolakoglou zu vereidigen. Der geistliche Würdenträger argumentierte, er habe bereits eine griechische Regierung vereidigt, die nach wie vor im Amt sei und den Krieg fortführe. Chrysanthos wusste, dass er damit seine Position riskierte, doch seine Demission hatte letztlich nichts mit der in dieser Angelegenheit eher zögerlichen deutschen Seite zu tun, sondern mit innergriechischen, insbesondere innerkirchlichen Streitigkeiten und Opportunitäten. In anderen Fällen entwickelte sich die Bereitschaft zum Widerstand allmählich, gelegentlich sogar, ohne dass die Akteure es bewusst erfasst hatten. Zu Beginn der Besatzung war ein nicht unbeträchtlicher Bevölkerungsanteil zahlreichen Quellen zufolge nicht a priori antideutsch eingestellt. Obwohl man sich verständlicherweise gegen den Tatbestand der Okkupation schlechthin auflehnte, gab es doch ein gewisses Verständnis für die deutsche Verpflichtung, den gedemütigten italienischen Bundesgenossen aus der Patsche zu helfen. Manchen Griechen waren die Bündniskonstellationen des E ­ rsten Weltkriegs noch gegenwärtig, andere empfanden eine bange Scheu vor der durchperfektionierten Kriegsmaschinerie der Wehrmacht. Außerdem zeigten die meisten Griechen, Frontkämpfer und Etappe, nach sechsmonatigen Kämpfen zunehmend Ermüdungserscheinungen. Doch die Wehrmacht selbst sorgte mit Plünderungen und sonstigen Willkürakten, aber auch durch Fehleinschätzung der griechischen Denkweise dafür, dass ihr Mythos zerstört wurde. Aktionen, deren Beweggründe anderswo herrührten, erhielten allein durch die Reaktion der Deutschen eine veränderte Tragweite. Als die Athener erstmals Anfang Mai britischen Kriegsgefangenen beim Abtransport zujubelten und sie

15 BA-MA, 11651, XL Panzer-­Korps, Kriegstagebuch II der Quartier-­Abteilung, 18. 1. 1941.

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mit Blumen oder kleinen Präsenten bewarfen, taten sie dies lediglich aus Solidarität mit ihren Alliierten. Doch Bekundungen dieser Art wurden ipso facto zu Widerstandshandlungen, nachdem die verärgerten Deutschen allen, die „englischen Kriegsgefangenen Sympathie bekundeten, bis zu fünf Jahren Haft und Deportation“ androhten.16 Auf dem Hintergrund noch weitaus härterer Sanktionen wurde es ebenfalls zur bewussten Widerstandshandlung, britischen Militärangehörigen Unterschlupf und Fluchthilfe zu gewähren. Was den Unmut ganz besonders anwachsen ließ, war die Tatsache, dass der größere Teil des Landes den von den Griechen gedemütigten Italienern überlassen wurde, aber auch den Bulgaren, ohne dass diese zuvor in irgendeiner Form an Kriegshandlungen teilgenommen hatten. Ende Mai 1941 verschärfte sich die Lage weiter, als beim „Unternehmen Merkur“ (Hermes) deutsche Fallschirm- und Gebirgsjäger Kreta und damit den letzten freien Teil Griechenlands eroberten. Bei ­diesem Gefecht bewiesen die Kreter einmal mehr ihre jahrhundertealte Tradition. Zahlreiche Zivilisten, auch Frauen und Kinder, stellten sich den Eindringlingen unter Aufbietung aller Kräfte entgegen. Weil dabei auch zu Waffen jeder Art (oft altertümlichen Familienerbstücken) gegriffen wurde, machten die Sieger das in die Geschichte eingehende Dorf Kandanos dem Erdboden gleich, verboten seinen Wiederaufbau, zerstörten in der Folge vollständig oder teilweise weitere Dörfer und erschossen Hunderte von Kretern. Schon nach diesen ersten Vergeltungsaktionen tauchten viele Kreter in den Untergrund ab. Aus illegalen Flugblättern geht hervor, dass die Insel auf dem griechischen Festland als Musterbeispiel galt, wie der Kampf mit nationalen Kräften und den verbündeten Alliierten fortzusetzen sei. Dafür stand etwa der enorme Anstieg spontaner Widerstandsakte bereits während der erbitterten Kämpfe um Kreta. Auch die Sprengung zweier mit Munition beladener bulgarischer Schiffe am 30. Mai 1941 im Hafen Piräus zählte dazu. In der folgenden Nacht holten zwei Studenten, Manolis Glezos und Apostolos Santas, die verhasste Hakenkreuzflagge von der Athener Akropolis. Diese Tat wurde als Widerstandssignal für das unterjochte Europa gerühmt, zumal es für die Nazis von symbolischer Bedeutung gewesen war, das Wahrzeichen des „Neuen Europa“ auf dem „gewaltigsten Denkmal nordischer Gestaltungskraft“ 17 zu hissen. Langfristig mindestens ebenso wichtig waren Aktionen mit multiplikatorischem Effekt in ganz Griechenland, etwa das britische Siegeszeichen (V für victory) oder antifaschistische Parolen an Mauern in Verbindung mit heruntergerissenen Bekanntmachungen der Achsenmächte. Auch entstanden kulturelle Formate des Widerstands, etwa die 16 Minos Dounias, Έπειτα από 120 χρόνια ελεύθερης ζωής είμεθα πάλι σκλάβοι. Ημερολόγιο Κατοχής (Nach 120 Jahren Freiheit sind wir wieder Sklaven. Tagebuch der Besatzungszeit), Athen: Estia, 1987, S. 34 (11. Mai 1941). 17 So Goebbels bei seinem ersten Besuch in Athen am 22. September 1936, s. Elke Fröhlich (Hg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, München: K. G. Saur, 2001, S. 188 ff.

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grassierende ‚Amnesie‘ der vor dem Krieg verbreiteten Deutsch- und Italienischkenntnisse sowie die lakonische Antwort „English spoken“ auf Fragen vereinzelter Besatzer. Oft leistete man passiven Widerstand beim mittlerweile obligatorischen Unterricht in den Sprachen der Okkupanten; dies ging mit einer demonstrativen Bevorzugung des Französischen einher, der allein zugänglichen „alliierten Sprache“, wie in Athen etwa an den enorm gestiegenen Einschreibungen beim Institut Français zu sehen war. Dort reichten die Schlangen der Kurskandidaten bis zum ironischerweise benachbarten Gebäude der Deutschen Akademie!18 In vielen Fällen von Widerstandsverhalten gingen Patriotismus und Eigennutz eine unscharfe Verbindung ein, ohne dass ein Hauptmotiv zu erkennen war. Die Grenzlinie ­zwischen Widerstandshandlung und Diebstahl war also nicht immer eindeutig zu ziehen, weder für Betroffene noch für Beobachter. Teilweise lag dies am Hang zur glorifizierenden Selbstdarstellung mancher Täter. Belegt sind Fälle, in denen die „Delinquenten“ Autoreifen keineswegs nur bei Wehrmachtsfahrzeugen „enteignet“ hatten, doch sich selbst und ihrer Tätigkeit als „Saboteure“ einen patriotischen Anstrich gaben.19 Sogar die Lageberichte der Besatzer erwähnten wiederholt „sabotageähnliche Diebstähle“,20 bei denen sie mitunter auch persönlichen Schaden davontrugen. Gleichzeitig bemühten sich die griechischen Kollaborationsbehörden, gelegentlich mit Erfolg, die Besatzer davon zu überzeugen, dass es sich um simple Diebstähle gewöhnlicher Krimi­ neller handele, „wie sie immer und überall“ passieren, aus denen sich jedoch keine Vergeltungsaktionen gegen die Bevölkerung herleiten ließen. Tatsächlich wurde bei „Wehrmittelbeschädigung“ im Allgemeinen die nächstgelegene Kommune zur Verantwortung gezogen. Zumeist handelte es sich dabei um Sabotage und gleichzeitig um Diebstahl der Überlandkabel. Dies war relativ leicht zu bewerkstelligen und versprach dem Urheber auch materiellen Gewinn an knappem und daher wertvollem Altmaterial. So registrierte die Militärverwaltung allein auf Westkreta in einem Monat 17 Fälle von Kabelsabotage, wobei die Schuldigen nur einmal ermittelt wurden. In den anderen Fällen ergingen pauschale Strafmaßnahmen in Geld oder Naturalien zu Lasten der lokalen Bevölkerung, da sie die einschlägigen deutschen Aufrufe nicht befolgt habe. Mehrmals wurde die Militärverwaltung als schlichtende Instanz für eine ‚gerechte‘ Verteilung der Lasten angerufen, etwa als ein Dorfbürgermeister die Hälfte der zu bezahlenden Kontribution einem benachbarten Kloster aufbürden wollte. 18 Fleischer, Europas Rückkehr nach Griechenland, 1998, S. 160 – 161. 19 Panagiotis M. Michailidis, Αγαθουπόλεως 7, Μικρές ιστορίες από την Κατοχή (Agathoupoleos 7, Kleine Geschichten aus der Besatzungszeit), Athen: Estia, 1991, S. 86; Interviews d. Vf. u. a. mit dem ehemaligen Gesandten G. Altenburg im Oktober 1970 und September 1978. 20 Vgl. Zitate bei Hagen Fleischer, Deutsche ‚Ordnung‘ in Griechenland 1941 – 1944, in: L. Droulia; H. Fleischer (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta. Widerstand und Besatzungsterror. Berlin: Metropol 1999, S. 151 – 223, hier: S. 157, S. 197.

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Noch undurchschaubarer war die Situation bei den „Saltadoroi“ (Springern), die auf fahrende Lastwagen oder Züge der Intendantur aufsprangen, um von oben ihren günstig platzierten Komplizen Lebensmittel, Briketts und andere epochale Raritäten zuzuwerfen. So versorgten Jugendliche ihre Familien mit Grundnahrungsmitteln und wichtigen Materialien. Von derartigen Raubzügen waren Schwarz- und Straßenhändler öfters betroffen als Kollaborationsbehörden oder die Besatzer selbst. Waren jedoch Letztere das Ziel, drohte den Tätern die Todesstrafe, genau wie patriotischen Gelegenheitssaboteuren ohne materiellen Gewinn: denen, die Reifen nicht stahlen, sondern aufschlitzten oder Sand in Automotoren streuten. Ein Grenzfall ist auch der wiederholt von deutschen wie auch griechischen Gewährsleuten berichtete Abbau von Minen aus Minensperren, der den Besatzungsbehörden große Sorge bereitete, bis sich herausstellte, dass die vermeintlichen Saboteure die Dynamitladungen lediglich zum Raubfischen benötigten.21 Insgesamt beschleunigten s­ olche Rahmenbedingungen den Reifungsprozess junger Menschen, so dass sich der organisierte Widerstand 1943/44 in den Städten und im Bergland primär auf diese Generation stützte. Demgegenüber verhielten sich viele Erwachsene teilnahmslos, denn bei ihnen wirkte das politische Vakuum der vorangegangenen fünf Jahre nach. Man hatte sich daran gewöhnt, dass die freie Meinungsäußerung durch das Regime des 4. August eingeschränkt, ja geknebelt war, und machte zunächst keinerlei Anstalten, sich zur Wehr zu setzen. Sogar der organisierte Widerstand streifte nur langsam seine Passivität ab, zumal viele befürchteten, dass der Kampf gegen die Fremdherrschaft lediglich den alten Machthabern wieder in den Sattel verhelfen würde. Aufgrund d­ ieses Zwiespalts kamen zahlreiche vielversprechende Initiativen ins Stocken; auch waren die traditionellen Führungsschichten mehrheitlich durch interne Konflikte oder Nabelschau blockiert. Doch um eine breit angelegte Widerstandsbewegung effektiv zu organisieren, bedurfte es eines satten Nährbodens aus zwei Ingredienzen: der lokal oder auch national etablierten politischen und militärischen Spitze sowie erfahrener subversiver Faktoren unterschiedlichen ideologischen Zuschnitts. Dass sich letztlich nur die zweite Kategorie in die Pflicht nehmen ließ, blieb nicht ohne Folgen für das Land.

Die Nationale Befreiungsfront Der Kommunistischen Partei Griechenlands (Κομμουνιστικό Κόμμα Ελλάδος, KKE) wurde immer wieder angekreidet, dass sie sich wegen des Deutsch-­Sowjetischen Nichtangriffspakts vom August 1939 bis zum Einmarsch der Wehrmacht ins Große Sozialistische Vaterland am 22. Juni 1941 in Schweigen gehüllt hatte. Tatsächlich gab es keine

21 Vgl. ebd.

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durchgehend einheitliche Linie. Dem Metaxas-­Regime und dessen starkem Mann, dem Vizeminister für Öffentliche Sicherheit Konstantinos Maniadakis, war es gelungen, die meisten mittleren und höheren Parteifunktionäre zu verhaften, Zehntausende zu „Reueerklärungen“ von zweifelhafter Aufrichtigkeit zu nötigen und einige Renegaten als Agenten an Schlüsselstellen zu postieren. Mit deren diskreter Unterstützung hatte man eine „Provisorische“ Parteiführung aus zumeist gutgläubigen Genossen installiert, die wiederum ihre Vorgänger im „Alten ZK“ als Organ des camouflierten Klassenfeindes – gemeint war das Metaxas-­Regime – brandmarkten. Überdies war es nach der deutschen Besetzung Griechenlands einer Anzahl kommunistischer Kader gelungen, von ihren Verbannungsorten zu fliehen und unterzutauchen. De facto konkurrierten sie nunmehr sowohl mit der „provisorischen“ als auch mit der „alten“ Parteispitze. Es gab also mindestens drei Führungen sowie zwei „zentrale Parteiorgane“ mit dem gleichen traditionellen Titel „Rizospastis“ (Der Radikale, wörtlich: „Wurzelbrecher“), die in der Beurteilung der internationalen Lage und der innergriechischen Entwicklungen stark voneinander abwichen. Von der Basis bis zur Spitze wucherten Verwirrung und Angst vor Renegaten, eingeschleusten Spitzeln und Verrätern. Nur so lässt sich die Diskordanz dreier programmatischer Briefe von Nikos Zachariadis erklären, an denen sich ein Streit innerhalb der KKE entzündete. Der Parteichef hatte sie während der ersten Monate in Haft verfasst. Abgesehen vom innerparteilichen, personen- und fraktionsbezogenen Hickhack, der hier nicht interessiert, ging es zunächst um die Frage, inwieweit das Molotov-­Ribbentrop-­Abkommen, das international und innerparteilich wie eine Bombe eingeschlagen hatte, eine revidierte Standortbestimmung kommunistischer Parteien in der internationalen Arena erforderte bzw. erlaubte.22 Zachariadis’ erster Brief vom 31. Oktober 1940 war ein Appell an das griechische Volk, dass „in ­diesem Krieg, an dessen vorderster Front die Metaxas-­Regierung steht, wir alle unsere geballte Kraft vorbehaltlos einsetzen müssen“. Später war der KKE diese indirekte Huldigung an den Diktator peinlich, doch der Parteisekretär schrieb sie dem Wunsch zu, den Konflikt unter antifaschistische Vorzeichen zu stellen. Eine gewisse Rolle spielte zweifellos auch seine Hoffnung auf mögliche Gegenleistungen des Regimes an die eigene Person, aber auch an die Partei in Form von Haftentlassungen, Teilamnestie etc. In dieser Sache existierten allerdings Differenzen ­zwischen Metaxas und dem Sicherheitsminister Maniadakis. Es gibt Anzeichen dafür, dass Ersterer eine großzügige Geste zumindest erwogen hatte; doch sein plötzlicher Tod Ende Januar 1941 setzte ­diesem Vorhaben ein jähes Ende. Zu ­diesem Zeitpunkt hatte aber auch Zachariadis in zwei weiteren Briefen vom 26. November 1940 und 15. Januar 1941 bereits das Desinteresse der Partei an der ‚widernatürlichen‘ Annäherung als Folge der italienischen Invasion dokumentiert.

22 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 83 ff.

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Insbesondere in der letzten dieser merkwürdigen Briefbotschaften distanzierte sich der Parteisekretär von Metaxas, der ihm zufolge „vom ersten Augenblick an“, vor allem aber nach dem Überschreiten der albanischen Grenze „einen faschistischen Eroberungskrieg geführt hat, nicht für das griechische Volk, sondern zu Gunsten der griechischen Pluto­kratie und des englischen Imperialismus“! Das griechische Volk hingegen verteidige „in ­diesem Krieg nur seine nationale Unabhängigkeit“, wohingegen es „nichts zu tun haben will mit dem imperialistischen Krieg von England-­Deutschland und Konsorten“. Daher müssten „Volk und Heer ihren eigentlichen Feind, die monarcho-­ faschistische Metaxas-­Diktatur stürzen“, so dass mit sowjetischer Vermittlung eine neue „antifaschistische Volksregierung“ einen „sofortigen, ehrenhaften Separatfrieden schließen“ könne.23 Zur Parteibasis jedenfalls drangen diese wiederholten Widerrufe kaum durch und beeinträchtigten auch nicht deren Einsatzbereitschaft für die landesweite Résistance gegen die Italiener. Gleich nach dem deutschen Einmarsch hielt das „Makedonisch-­Thrakische Büro der KKE“ die Bevölkerung dazu an, Waffen nicht wie befohlen abzuliefern, und im Mai rief das „alte“ ZK zum Kampf auf „für die Befreiung des Landes von Sklavenketten“. Kurz vor Beginn des deutschen Angriffs auf Kreta ermahnte der ehemalige Abgeordnete Miltiades Porphyrogenis die dortige Bevölkerung, „Differenzen, Verbitterung und Groll“ zurückzustellen im Interesse des gemeinsamen Kampfes, bei dem „die Kommunisten in der ersten Reihe stehen müssen“. Ende des Monats gründeten einige Parteifunktionäre die Nationale Solidarität (Εθνική Αλληλεγγύη, ΕΑ), eine Hilfsorganisation für inhaftierte Widerstandskämpfer und deren mittellose Familien. Für die überwiegende Mehrheit der Kommunisten stellten die Deutschen den nationalen und ideologischen Hauptfeind dar. Daher waren viele KKE-Funktionäre fast zwei Jahre lang in großer Verlegenheit, wie wohl mit den Auswirkungen des unerwarteten deutsch-­sowjetischen Nichtangriffspakts umzugehen sei. Insofern empfanden nicht wenige griechische Kommunisten nahezu Erleichterung, als sich im Juni 1941 mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion die Fronten klärten, da der Eintritt der UdSSR in den Krieg diesen „in einen antiimperialistischen verwandelte“. In den ersten Julitagen trafen sich sechs Spitzenfunktionäre, die in den Wirren des Zusammenbruchs aus Internierungsorten geflohen waren. Der Beschluss ­dieses Treffens, das ­später etwas großspurig als „6.  ZK-Plenum“ in die Parteigeschichte einging, enthielt die Forderung an die KKE, „schnellstens die Phase der Auflösung, der Verwirrung, des Denunziantentums und der Zersplitterung zurückzulassen und sich neu zu formieren“. Gleichzeitig erging ein Aufruf „an das griechische Volk, alle seine Parteien und Organisationen“, sich in einer Nationalen Befreiungsfront zusammenzuschließen, „um die deutsch-­italienischen Besatzer aus Griechenland zu vertreiben“.

23 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 89.

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Tatsächlich verzeichnete die Besatzungsverwaltung ab Juli 1941 einen erheblichen Anstieg kommunistischer Flugblätter und sonstiger Widerstandsaktionen. Am 16. Juli 1941 gründeten die wichtigsten Gewerkschaftsverbände auf Anstoß der Kommunisten die Nationale Arbeiterbefreiungsfront (Εθνικό Εργατικό Απελευθερωτικό Μέτωπο, ΕEΑΜ ). Deren Statut schrieb außer dem aktiven Einsatz für den täglichen Bedarf und die gewerkschaftlichen Rechte der Arbeiterklasse vor allem die Schaffung einer breitestmöglichen Widerstandsfront fest. Für ­dieses Ziel zeigte man sich gegenüber fast allen politischen Gruppierungen gesprächsbereit. In den meisten Fällen kam eine kühle Antwort zurück: entweder eines ideologischen Vorbehalts wegen oder weil man jegliche Widerstandsinitiative zumindest für verfrüht und anderes für prioritär hielt. Insbesondere die venizelistischen Nachfolgeparteien schlugen alternativ ein Bündnis vor, das die Restitution der Monarchie nach dem Krieg verhindern solle. Doch die KKE bestand damals auf Konstituierung einer konsistenten, ideologisch neutralen Nationalen Befreiungsfront (Εθνικό Απελευθερωτικό Μέτωπο, ΕΑΜ), in der alle Parteien und Personen aufgenommen würden – auch der „anständige“ Royalist –, „ohne ihre Vergangenheit oder ihre Nachkriegsperspektiven für ein freies, unabhängiges Griechenland in die Waagschale zu werfen, sondern nur ihren Glauben an die Notwendigkeit des Nationalen Befreiungskampfes“. In der Nacht vom 27. auf den 28. September 1941 konstituierte sich diese Front aus den Kommunisten sowie drei linken Splittergruppen. Die vom KKE-Bevollmächtigten Lefteris Apostolou verfasste Charta unterzeichneten Vertreter der Agrarpartei Griechenlands (Αγροτικό Κόμμα Ελλάδος, ΑΚΕ), der Sozialistischen Partei Griechenlands (Σοσιαλιστικό Κόμμα Ελλάδος, SΚΕ ) sowie Ilias Tsirimokos, Vorsitzender der neugegründeten Union für Volksdemokratie (Ένωση Λαϊκής Δημοκρατίας, ELD). Als Ziel war u. a. festgeschrieben: a. Befreiung der Nation vom derzeitigen Joch ausländischer Mächte und Erlangung vollständiger Souveränität unseres Landes. b. Bildung einer provisorischen Regierung der EAM, unmittelbar nach der Vertreibung der Besatzer mit dem einzigen Auftrag, Wahlen zu einer Nationalversammlung nach dem Verhältniswahlrecht auszuschreiben, damit das Volk sich als Souverän zur Regierungsform äußern kann. c. die Sicherstellung d­ ieses Grundrechtes des griechischen Volks (…) gegenüber jeglichem reaktionären Anschlag (…).

Dass demonstrativ jegliche klassenkämpferisch anklingende Terminologie vermieden wurde ging auf die KKE , nicht auf die drei Juniorpartner zurück, denn ihr war daran gelegen durch das Zusammenwirken möglichst vieler bürgerlicher Parteien eine breite Akzeptanz für die EAM zu schaffen, wobei in einer späteren Phase der Entwicklung eben diese Parteien unter Umständen abgedrängt werden könnten. Keine der angesprochenen politischen Formationen reagierte jedoch auf diese Herausforderung.

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Das politische Establishment Fast alle bürgerlichen Politiker hielten hartnäckig an ihrer Weigerung fest, sich am organisierten Widerstand zu beteiligen. Partiell ging dies auf die Befürchtung zurück, eine Auflehnung gegen die Besatzung könnte den früheren Turbulenzen wieder Raum verschaffen. Weit über den Kreis der Venizelos-­Anhänger hinaus konnten es zudem viele Politiker Georg  II . nicht verzeihen, wie willkürlich er am 4. August 1936 und danach agiert hatte. Vielen Spitzenpolitikern der zersplitterten konservativen Volkspartei (Λαϊκό Κόμμα) haftete überdies seit dem E ­ rsten Weltkrieg der Makel an, dem damaligen König Konstantin und damit traditionell auch Deutschland anzuhängen. Zuweilen zeigte sich, dass dieser Umstand stärker ins Gewicht fiel als die Appelle des umstrittenen Monarchen aus dem Exil, das Volk solle auch unter veränderten Umständen „den Kampf fortsetzen“. Am gleichen Tag, an dem der von den Besatzern zum Kollaborationspremier ernannte General Georgios Tsolakoglou die „griechische Republik“ ausrief, erkannten Vertreter beider Parteienblöcke, der Venizelisten und der Antivenizelisten, seine Regierung als „nationale Notwendigkeit“ an.24 Doch eine kleine Minderheit sah die Stunde für die Absetzung des Königs gekommen, so etwa Anfang 1942 der designierte Liberalen-­Chef Stylianos Gonatas. Ohne jede Ermächtigung sandte er ein Memorandum an die Briten und Exilpolitiker in Ägypten, in dem er sich auf die angebliche Einmütigkeit „fast des gesamten“ politischen Spektrums berief. Tatsächlich einigte sich das politische Establishment nach heftigen Diskussionen am 30. März 1942 mehrheitlich auf ein Protokoll, dem zufolge zur konstitutionellen Frage ein Volksentscheid nach demokratischen Prinzipien abzuhalten sei. Die Vertreter der Liberalen sowie des ehemals königstreuen Lagers – mit Ausnahme von Konstantinos Tsaldaris – unterschrieben, dass bei den nächsten Wahlen „die signierenden Parteien uneingeschränkt für die Republik eintreten, in der Überzeugung, so zur Konsolidierung des Friedens im Land beizutragen und den wahren und dauernden Interessen der Nation und des Volkes zu dienen“. Wer nicht unterzeichnet hatte, machte unterschiedliche Gründe geltend; Tsaldaris etwa wollte sich eine Hintertür offenhalten, da er mit der künftigen Rückkehr des Königs aufgrund britischer Unterstützung rechnete. Panagiotis Kanellopoulos war zur Unterschrift bereit, trotz seiner Überzeugung, die Differenzen um die Staatsform sollten bis zur Befreiung zurückgestellt werden; doch müssten bis dahin sämtliche politischen Kräfte am Widerstand teilnehmen, so dass die Besatzer keinen Profit aus dieser innenpolitischen Kontroverse schlagen könnten. Ähnlich positionierte sich letztlich auch die EAM; ihr Zusammenhalt war vor eine Zerreißprobe gestellt, da die kleinen sozialistischen Partner SKE und ELD dafür plädierten, das antiroyalistische Protokoll ebenfalls

24 Zeitung Eleftheron Vima, 8. Mai 1941.

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zu unterzeichnen. Die KKE wiederum vertrat die Ansicht, man solle, um das Volk und die zum Widerstand bereiten Kräfte nicht erneut zu spalten, potentiell zwistige Th ­ emen erst nach der Befreiung wieder aufgreifen, falls man sie nicht durch Beitritt aller Gruppierungen zur Nationalen Befreiungsfront gegenstandslos machen könne. Stellt man die unausgesprochenen Überlegungen der kommunistischen Führung einmal zurück, ging damals erneut die Chance eines innenpolitischen Arrangements verloren, da die Spitzen der „alten“ Politik jegliche Verantwortung für die Organisierung des bewaffneten Widerstandes ablehnten. Sie hielten diesen für verfrüht und abträglich, ja nicht einmal für realisierbar. Das von Georgios Kafantaris aufgestellte, aber sinngemäß auch von Papandreou und anderen vertretene Axiom, dass „die Parteien keinen Krieg führen“ (sollen),25 richtete sich nicht allein gegen riskante Verquickungen mit der kommunistischen Linken, da in gleicher Weise auch auf Annäherungsversuche von Kanellopoulos und weiteren Exponenten des ‚bürgerlich-­demokratischen‘ Spektrums reagiert wurde.

Nationaler Republikanischer Griechischer Verband Am 9. September 1941 gründete der venizelistische Oberst Napoleon Zervas mit zwei Gesinnungsgenossen den Nationalen Republikanischen Griechischen Verband (Εθνικός Δημοκρατικός Ελληνικός Σύνδεσμος, EDES). Laut Statut beabsichtigte er: 1. in Griechenland eine republikanische Staatsform sozialistischer Prägung zu schaffen, gleich ­welchen Ausgang der Krieg hat [sic]. 2. Mit allen Mitteln unmissverständlich den Verrat des ehemaligen [sic] Königs Georg  II. und seiner diktatorischen Clique aufzudecken sowie die abscheulichen Verbrecher mit strengen Sanktionen zu belegen (…).

Vorgesehen sei außerdem eine radikale Säuberung der weiteren Staatsmaschinerie von allen Personen, die nicht „nachgewiesenermaßen Nationale Demokratische Sozialistische Gesinnung“ erkennen ließen. Da Zervas wusste, dass sein Name nur begrenzte Zugkraft besaß, erklärte er apodiktisch General Plastiras zum Oberhaupt des Verbandes: „Diesbezüglich ist keine Diskussion erlaubt!“ Bemerkenswert an d­ iesem heute immer noch fast unbekannten – und zur späteren Ausrichtung des EDES konträren – Dokument ist die unverhohlen antiroyalistische und ‚sozialistische‘ Verve; der Begriff Résistance hingegen findet nicht einmal Erwähnung. In beiden Punkten wird der kolossale Unterschied zur EAM-Charta deutlich. Für Zervas bildete der gute Ruf von Plastiras, der wegen seiner sprichwörtlichen Tapferkeit 25 Panagiotis Kanellopoulos, Ημερολόγιο Κατοχής (Tagebuch der Besatzungszeit), Athen: Kedros 1977, S. 426 (7. Mai 1943).

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insbesondere an der kleinasiatischen Front, bei diversen Rebellionen und Putschversuchen den Beinamen „Schwarzer Reiter“ trug, ein ideales Aushängeschild; zudem war kaum zu erwarten, dass der General sein französisches Exil vor Ende des Krieges verlassen würde. Und doch brach genau an dem Tag, an dem das EDES -Statut erstmals in Athen kursierte, Komninos Pyromaglou auf Veranlassung seines Mitexilanten Plastiras von Nizza nach Griechenland auf. Plastiras hatte zu ­diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung von seiner Designation. Seit 1937 war die Gruppe um den General aus dem Exil heraus mit Plänen zum Sturz des Metaxas-­Regimes befasst. Nach dem italienischen Einmarsch in Albanien sprach sich Plastiras bei Sondierungskontakten mit Vertretern des damals noch ‚neutralen‘ Deutschland für eine ‚friedensstiftende‘ Intervention des Reichs an der albanischen Front aus. Dabei versprach er eine deutschfreundliche Wende in Griechenland, sobald das Land unter seiner Führung stünde. Gleichzeitig informierte er Athen über die Möglichkeit, den italienisch-­griechischen Konflikt mit Berliner Vermittlung beizulegen.26 In seinem s­ päter vieldiskutierten Schreiben vom 16. Juli 1941 an den exilgriechischen Botschafter im Vichy-­Frankreich machte der General für das Scheitern ­dieses Plans die „unerhörte Leichtfertigkeit der Kgl. Regierung“ verantwortlich. Nach der Befreiung werden im April 1945 royalistische Kreise diesen Brief publik machen und damit Plastiras’ Rücktritt als Ministerpräsident erzwingen. Im besagten Schreiben jedenfalls hielt dieser eine „germanophile Regierungsbildung“ zum gegebenen Zeitpunkt für angebracht, um „mit allen Kräften die Schäden zu begrenzen, die das Regime des 4. August angerichtet hatte“. Freilich schliff der Verlauf des ersten Besatzungssommers diese Ansichten ab. Trotz unvollständiger oder widersprüchlicher Faktenlage ist davon auszugehen, dass der General Pyromaglou angewiesen hatte, „eine republikanische Organisation sozialistischer Zielsetzung aufzubauen“, die in der Lage sei, das Vakuum ­zwischen den bürgerlichen Parteien und der KKE zu füllen. Die geplante neue politische Kraft „müsse unabhängig von beiden griechischen Regierungen“, d. h. von Athen und Kairo, bleiben und bereit sein, „sich zu gegebener Zeit“ gegen die Besatzer zu erheben, nach der Befreiung die Ordnung in Griechenland wiederherzustellen und einen Putsch zur Restaurierung der Monarchie zu verhindern.27 Unter Pyromaglous Gesprächspartnern in Athen zeigte allerdings nur Zervas ein gewisses Entgegenkommen: „Sollten wir uns irgendwann auf einen Widerstandskampf einlassen, so wird dies vor allem ein bewaffneter Kampf vom Bergland aus sein.“ 28 In den Folgemonaten kam es zu Verhandlungen mit alten Offizierskollegen, die nach dem gescheiterten republikanischen Putschversuch von 1935 unehrenhaft 26 Vgl. PAAA, R 101082 und AMAE: Vichy-­Europe, Fasz. 405. 27 Zu den Anfängen des EDES vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 95 ff. 28 Komninos Pyrogmaglou (Hg.), Monatszeitschrift Istorikon Archeion Ethnikis Antistasis, Heft 1, 4/1958, S. 33.

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aus der Armee entlassen worden waren, namentlich Dimitrios Psarros und ­Evripidis ­ akirtzis. Gespräche fanden aber auch mit Spitzenvertretern der EAM sowie mit B V-Leuten britischer Geheimdienste statt. Von Letzteren unterstützte insbesondere Charalambos Koutsogiannopoulos, Gründer der Sabotage- und Spionage-­Organisation ­„Prometheus  II “ Zervas finanziell bei der Vorbereitung zum Aufbruch in die Illegalität, der bis Ende Mai geplant war, doch letztendlich erst am 23. Juli 1942 auf starken britischen Druck vollzogen wurde. Zervas und vier Begleiter starteten dann ihre Vorbereitungen für Aktionen im Valtos-­Gebirgszug und organisierten eine kleine Gruppe, die nach eigenen Angaben zunächst nur über ein Taschenmesser als Waffe verfügte. Als am 9. November 1942 der junge sprachkundige englische Offizier Christopher „Chris“ Woodhouse vor Ort dem EDES die Beteiligung an einer gemeinsamen Sabotageaktion antrug, lieferten sich dessen ‚Andarten‘ gerade ihr erstes Scharmützel mit einer kleinen italienischen Einheit. Währenddessen verwarf in Athen eine Gruppierung aus EDES -Vertretern jeden Gedanken an Widerstand gegen die übermächtigen Besatzer als Hirngespinst („Chimäre“). Vielmehr sei es ein Gebot der Zeit, den doppelten Kampf gegen Monarchie und Kommunismus aufzunehmen. Irgendwann würden die Besatzer abziehen, worauf eine Machtübernahme durch Royalisten und/oder Kommunisten drohe, der man zuvorkommen müsse. Dafür war diese Gruppierung im Einvernehmen mit den putscherfahrenen Generälen Theodoros Pangalos und Stylianos Gonatas bereit, notfalls sogar mit dem vergleichsweise kleineren, da vorübergehenden Übel zu kooperieren, nämlich den Besatzern. Damit aber war die schrittweise Spaltung des EDES eingeleitet.29

Die kleineren Organisationen Die nachgenannten Gruppierungen waren trotz oft hochtrabender Eigenbezeichnungen nicht „im Volk verankert“; sie bestanden vielmehr aus relativ wenigen Mitgliedern und waren auch nicht „panhellenisch“ über ganz Griechenland verbreitet, sondern beschränkten sich auf die Hauptstadt, zumeist mit Schwerpunkt in bestimmten Stadtteilen oder, bei lokalen Vereinigungen in der Provinz, dem jeweiligen urbanen Zentrum. Fast alle diese Organisationen rekrutierten sich aus einem einzigen gesellschaftlichen Segment, nämlich den städtischen (zumeist gehobenen) Mittelschichten mit Aufsteigern aus dem Kleinbürgertum; so agierten sie in den „besseren“ Vierteln und fanden mehr schlecht als recht Anklang in den Wohngebieten der einfachen Bevölkerung. Was diese „Widerstands-­Zirkel“ zusammenhielt, war in erster Linie das jeweils g­ leiche soziale Umfeld und wörtlich eben die Nachbarschaft (γειτωνιά). Man kann bei diesen Gruppierungen eine „Überlappung

29 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 245.

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von Mitgliedern und Funktionsträgern“ 30 feststellen, die auf Kooperationen, Mehrfachmitgliedschaften oder Übertritte zurückging. Abgesehen von Einzelfällen – um eine zentrale Gründungsfigur aus Offiziers- oder Politikerkreisen – wurden diese Zirkel zumeist von jüngeren Personen ins Leben gerufen und betrieben. Hervorzuheben ist der hohe Anteil an Studenten, Intellektuellen, Beamten und sogar Geschäftsleuten – meist männlichen Geschlechts. Der hohe Frauen- und Mädchenanteil an der EAM, vor allem bei der von ihr ins Leben gerufenen Geeinten Panhellenischen Organisation für Jugendliche (Ενιαία Πανελλαδική Οργάνωση Νέων, EPON) und der Nationalen Solidarität (Εθνική Αλληλεγγύη, EA), ist im bürgerlichen Spektrum nicht anzutreffen; Sonderfälle sind das von Lela Karagianni koordinierte, bemerkenswert effiziente Spionagenetzwerk „Bouboulina“ oder die Frauenorganisation „Spitha“ (Funke), gegründet von Loukia Mantzoufa-­Metaxa, der Tochter des verstorbenen Diktators, der es darum ging, die Nationale Jugendorganisation (Εθνική Οργάνωσις Νεολαίας, EON) ihres Vaters zu erhalten. Die hellhörige Umtriebigkeit des Jugendalters, das Bildungsniveau und die Bereitschaft, sich für die Heimat bzw. Nation sowie für gesellschaftliche Veränderungen zu engagieren, liefern eine Erklärung für viele dieser Initiativen. Außerdem waren deren treibende Kräfte auch von diffusem Misstrauen gegenüber den alten, gesellschaftlich überholten Parteien geprägt, zumal bei den meisten in der Stunde der Wahrheit nur Tatenlosigkeit zu erkennen war. Dass viele Initiativen keiner Institution der politischen Arena angeschlossen waren, erklärt den nebulösen, verschwommenen Wortlaut der meisten Statuten; häufig rechtfertigte man sich dafür mit dem Hinweis, dass es der jeweiligen Organisation darum ginge, umfassend alle „wahrhaften“ (anständigen, patrio­tischen) Griechen anzusprechen, und nicht nur jene, die eigene politische Interessen im Klein-­klein verfolgten. Die vermutlich früheste Widerstandszelle war die „Heerschar der Versklavten Sieger“ (Στρατιά Σκλαβωμένων Νικητών, SSN), die ihre Gründung in den Juni 1941 datiert. Am 28. Oktober 1941, dem ersten Jahrestag des italienischen Angriffs, richtete die SSN per Flugblatt einen Appell zum Widerstand und nationaler Einheit an die Bevölkerung und erzielte damit zumindest vorübergehend eine integrative Wirkung. Das Dogma des Verzichts auf politische Ambitionen hielt die SSN zwar nicht von Kontakten zu bestimmten Politikern ab, trug aber dazu bei, dass sich Ende 1941 der republikanisch orientierte Flügel um den Mitbegründer der Organisation, den suspendierten Luftwaffenoffizier Kostas Perrikos, abspaltete. Dieser Zirkel bestand mehrheitlich aus Intellektuellen und empfand eine geistig-­ideologische Nähe zu Panagiotis Kanellopoulos und dessen Nationaler Einheitspartei (Εθνικό Ενωτικό Κόμμα, EEK). Trotz einiger sich überschneidender Mitgliedschaften lag keine organisatorische Anbindung vor, als unter Führung von Perrikos die Panhellenische Union der Kämpfenden Jugend (Πανελλήνιος Ένωσις Αγωνιζόμενων Νέων, PEAN) gegründet wurde. 30 Alexandros L. Zaousis, Οι δύο όχθες (Die beiden Ufer), 1913 – 1945, Bd. 2 (I), Athen: P ­ apazisis, 1987, S. 65.

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Die PEAN trat für den Widerstand mit allen Mitteln ein, um dadurch die Nachkriegsposition Griechenlands zu stärken und territoriale Ansprüche erheben zu können. Ihre innenpolitische Perspektive für das künftig befreite Land hatte eine sozialistische Tendenz sui generis; für die Dauer der Besatzungszeit verfocht sie eine umfassende Kooperation mit allen patriotischen Kräften, unabhängig von politischer Couleur. Daher wurde die PEAN namentlich bei der gebildeten Jugend der bürgerlichen Stadtviertel sehr beliebt. Von der EAM kamen eher kühle Reaktionen, denn dort billigte man die Appelle zu Sabotageakten nicht, lehnte diese als gefährlichen, zumindest verfrühten „Individualterror“ ab oder hielt sie gar für ein trickreiches „Manöver“ der Gestapo, die ohnehin Gelegenheiten suchte, um mit „Sühnemaßnahmen“ an politischen Gefangenen die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Obwohl subversive Erfahrung und organisatorischer Unterbau fehlten, gelangen der PEAN zwei Anschläge gegen die Kollaborationsszene. Erstes Ziel war die Organisation der Nationalen Kräfte Griechenlands (Οργάνωσις Εθνικών Δυνάμεων Ελλάδος, OEDE). Einige Wochen ­später nahm sich die PEAN die zahlenmäßig größte Organisation ­dieses Blocks vor: die faschistoide Nationale Sozialistische Patriotische Organisation (Εθνική Σοσιαλιστική Πατριωτική Οργάνωσις, ESPO ). Diese plante, eine „Hellenische Legion“ aufzustellen und im Gefolge der Wehrmacht an der Ostfront zu kämpfen. Doch am 20. September 1942, am helllichten Tage, sprengte ein Stoßtrupp der PEAN unter Führung von Perrikos das Athener Hauptquartier der ESPO. Beim Anschlag wurde deren „Führer“ Spyros Sterodimos tödlich verletzt und in der Folge löste sich die ganze Organisation auf. Dieser größte Erfolg der PEAN brachte jedoch sie selbst ins Wanken, zumindest als Gruppierung des bewaffneten Kampfes. Durch Verrat wurden die meisten ihrer Führer, darunter auch Perrikos, verhaftet und exekutiert. Zwar bildete sich eine neue Spitze heraus, doch diese nahm weit konservativere Positionen ein und verschwendete ihre Energien in einer fruchtlosen Pressefehde mit der EAM . Im letzten Halbjahr der Besatzung wurde die PEAN unter anderem mit Sabotageakten erneut aktiv, womit sie sich von der Masse der „Untergrund“-Grüppchen abhob. Insgesamt zählte die PEAN zu den wichtigsten Vertretern eines der beiden Hauptstränge bürger­licher Résistance, nämlich des liberal-­republikanischen mit sozialistischen Tendenzen, wobei Letztere sich unterschiedlich stark, deutlich und konsequent geltend machten. Dieser Strömung gehörten ebenfalls der EDES in seiner ursprünglichen Ausrichtung an wie auch die Nationale und Soziale Befreiung (Εθνική και Κοινωνική Απελευθέρωση, EKKA ). Die EKKA entstand im November 1942 auf Anstoß einiger Persönlichkeiten, die sich zur progressiven Mitte zählten. Zu ihnen gehörte Georgios Kartalis, ein vielversprechender junger Politiker aus dem Umkreis der konservativen Volkspartei, sowie Oberst Dimitrios Psarros, der sich seit 1941 mit Widerstandsinitiativen befasste. Die Wahl des Akronyms EKKA, das ausbuchstabiert exakt einer KKE-Dauerlosung entsprach,

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umschrieb zugleich das andauernde Dilemma der Organisation: Von rechts verurteilte man sie als „halbkommunistisch“, von links legte man ihr Etikettenschwindel zur Last, da sie ihre Behauptungen nicht durch Beitritt zur EAM praktisch umsetzen würde. Auch innerhalb der EKKA war man sich über die Vorgehensweise zur Befreiung von der „Doppelsklaverei“ nicht einig. Ganze fünf Monate benötigte die Führungsriege für die Formulierung eines Statuts. Dieses schrieb als Ziel eine „umfassende volksbeherrschte Demokratie“ fest, in der die „wesentlichen ökonomischen und technischen Produktionsmittel sozialisiert“ und von der werktätigen, in Syndikaten organisierten Bevölkerung kontrolliert würden. Öffentliche Schulden und indirekte Steuern ­seien zu streichen, für Privatvermögen und „individuelle Initiativen“ würden im Rahmen des neuen Systems Obergrenzen eingeführt.31 Parallel setzte Psarros auch seine Gespräche fort, und am 20. April 1943, drei Tage nach Herausgabe des Statuts, stellte er in der damaligen Provinz Parnassida das (lokale) 5/42-Evzonen-­Regiment wieder auf. Damit verfügte die EKKA über eine bewaffnete Truppe und unterschied sich von allen anderen Kleingruppierungen. Auch knüpfte sie als erster Widerstandsakteur bewusst an die Bezeichnungen und Traditionen des regulären Heeres an, was bei EDES und ELAS (Ελληνικός Λαϊκός Απελευθερωτικός Στρατός, Griechisches Volksbefreiungsheer) erst ­später der Fall war. Die EKKA verlor jedoch beträchtlich an Boden aufgrund der mehrmonatigen „Inkubationszeit“ und der damit einhergehenden Verzögerung auf politischer und vor allem militärischer Ebene. In ihrem Aktionsterrain hatte sich bereits der ELAS eingenistet und wollte über Spielräume für ein „separates Gebietskommando“ nicht mit sich reden lassen. So wurde das Regiment innerhalb von zwei Monaten zweimal (13. Mai, 23. Juni) von seinen linken Rivalen entwaffnet und aufgelöst.32 Die zweite Richtung innerhalb der bürgerlichen Gruppierungen, mitunter kaum unterscheidbar von den „sozialistischen“, bestand aus konservativen bzw. rechtsorientierten Formationen, die sich selbst für „unpolitisch“ erklärten, um auf diese Art „Universalität“ beanspruchen zu können. Dazu gehörten die SSN als ältester Vertreter d­ ieses Spektrums und, als größter und aktivster, die Nationale Tat (Εθνική Δράσις, ED ). Wie die meisten Widerstandsgruppierungen datiert auch die ED ihre Gründung auf das erste Besatzungsjahr (8. November 1941), doch ihre Aktionen beginnen erst ein Jahr ­später. Dabei ging es vor allem um unzensierte „Mitteilungen an die Bevölkerung“; man besorgte jedoch auch Informationen für alliierte Dienststellen, verübte kleinere Sabotageakte und organisierte Fluchthilfe für Untergetauchte, nach denen die Besatzer fahndeten.

31 Zeitung Apeleftherosi, 17. April 1943. 32 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 201 f., S. 218. Die dritte Entwaffnung im April 1944 bedeutete dann das endgültige, blutige Ende des Regiments.

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Kennzeichnend für die Gruppierungen dieser Richtung ist die Tatsache, dass sich ab Frühjahr 1943 die illegalen Druckerzeugnisse der ED sowie deren Berichte nach Kairo zunehmend und primär mit dem innergriechischen Gegner befassten. Die EAM-Presse hatte leichtes Spiel angesichts der Tatsache, dass die ED wie die meisten gleichgesinnten Organisationen dem Prüfstein der griechischen Politik, nämlich der Stellungnahme zum Thema Staatsform, auswich. Die Beteuerung, sie sei eine „reine Widerstandsorganisation ohne jegliche politische Färbung“, die jedoch unter der „Führung des Königs und seiner Regierung“ agiere, wurde vor allem in den Berichten nach Kairo hervorgehoben. Im Presseorgan „Machi“ (Kampf ) und anderen Druckerzeugnissen vermied die ED eine offen monarchistische Propaganda, obschon ihre Führung größtenteils aus Royalisten bestand. So hegten nicht nur Kommunisten den Verdacht, dass sich hinter dieser angeblichen „patriotischen Selbstbescheidung“ ohne „trübe politische Absichten“ reaktionäre Planungen versteckten, genauer: dass jeglicher Wandel abgelehnt wurde und darauf zielte, die Vorkriegssituation eines unfreien Regimes zu restaurieren. Den Motiven dieser Gruppierungen hinter der Fassade der Zurückhaltung auf die Spur zu kommen, erweist sich als schwierig. Fiel etwa die Sorge um den Zusammenhalt beim gemeinsamen Kampf stärker ins Gewicht als die Befürchtung, man würde angesichts der insgesamt antimonarchistischen Tendenzen weit über die EAM hinaus womöglich marginalisiert? Oft verlagerte sich auch der Schwerpunkt mit der Zeit. Hatte die EAM anfangs eine versöhnliche Haltung signalisiert, war diese inzwischen einer härteren Linie gewichen. Dies zog eine schleichende Konfrontation mit dem bürgerlichen Lager nach sich. Dazu kam der immer deutlichere britische Trend bei der konstitutionellen Frage. So ließen sich auch einstige Verfechter der Republik allmählich davon überzeugen, dass es Zeit für eine Richtungsänderung war. Neben Zervas ist dafür ein exzellentes Beispiel die Gruppierung RAN (Ρωµυλία – Αυλών – Νήσοι); deren Akronym bezieht sich auf Territorien, die man nach dem Krieg beanspruchen wollte: Romylia (Südbulgarien), Avlon (der albanische Nordepirus), Nisoi (Inseln, d. h. zumindest Dodekanes, vielleicht auch Zypern…). Im Sommer 1943 verbreitete RAN noch antimonarchistische Flugblätter. Dabei war ihr Anführer, der General Konstantinos Ventiris, bereits dabei, Brücken zur Monarchie zu schlagen, als deren Stützpfeiler er sich wenige Monate darauf entpuppte. Dubioser ist der Fall der Organisation X (gr. Chi), deren Gründer Oberst Georgios Grivas ebenfalls als „Republikaner“ begann, bis er begriff, dass angesichts des damaligen Gedränges im „demokratisch-­republikanischen Lager“ die Royalisten weitaus bessere Chancen für einen rücksichtslosen und schlagkräftigen Geheimbund boten. Laut einer Quelle der deutschen Gegenspionage schlug er anfangs eine gegen die Briten gerichtete gemeinsame Geheimkooperation vor, die Berlin aus prinzipiellen Gründen jedoch ablehnte. Sowieso war der Hauptfeind der Organisation X die EAM . Dafür baute Grivas 1944 unter loser deutscher Duldung nach und nach eine Zusammenarbeit mit den kollaborierenden Sicherheitsbataillonen und ähnlichen Formationen aus. Die Briten waren

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sich unsicher, ob der anrüchige Geheimbund als „Quisling“, „Semi-­Quisling“ oder griechischer Ku-­Klux-­Klan einzustufen sei.33 Das Problem ging jedoch über X hinaus. Selbst das Foreign Office, ansonsten verzweifelt auf der Suche nach Gefolgsleuten der Monarchie, musste feststellen, dass derartige Gruppierungen, partiell mit unpolitischer Camouflage, auf Athen beschränkt waren und „sich für die Wiederherstellung der Ordnung nach einer alliierten Landung organisieren, etwas Fluchthilfe betreiben und anscheinend in Kontakt mit der Kollaborationsregierung stehen. Sie haben einen sehr geringen Anhang.“ 34 Eine Untersuchung der Frage, w ­ elche der über hundert Gruppierungen tatsächlich Résistance-­Charakter hatten, würde den gegebenen Rahmen sprengen. Doch sollte hervorgehoben werden, dass bis zum Frühjahr 1943, bevor der Bürgerkriegskonflikt erstmals eskalierte, die Parolen in der Untergrundpresse und an den Wänden „entschiedener zum Widerstand aufgerufen und den Willen des Volkes zum Ausdruck gebracht hatten, sich dem Besatzer nicht zu beugen“.35 Diese Feststellung gilt für alle politischen Lager.

Der bewaffnete Widerstand (das Andartiko) Neben anderen Résistance-­Formaten stand der bewaffnete Widerstand, namentlich vom Bergland aus, schon seit den ersten Besatzungsmonaten zur Diskussion. Historischer Anknüpfungspunkt war das traditionelle Klephtenwesen gegen die Osmanenherrschaft, aber auch das aktuelle Beispiel kleiner Andartengruppen auf Kreta, über deren Aktionen der BBC und andere alliierte Sender Lobeshymnen und Aufrufe zur Nachahmung verbreiteten. Zwei Tage vor Stalins berühmtem Rundfunkappell an die Völker im feindlich besetzten Europa, den Partisanenkrieg zu entfachen, forderte das 6.  ZK-Plenum der griechischen KKE neben „der Organisierung des Kampfes für die Alltagsprobleme“ auch den „bewaffneten Widerstand gegen die Okkupanten“. Zwar wurde Stalins Aufruf in Griechenland verbreitet, doch viele kommunistische Führungskader hatten Bedenken, ob es womöglich übereilt sei, diese „höhere Form des Kampfes“ zu wagen. Bald sollten sich ihre Befürchtungen als begründet erweisen. In Nordgriechenland hatte sich das Makedonisch-­Thrakische Büro der KKE, das wegen nicht vorhandener geografischer und organisatorischer Verbindungen autonom operierte, Ende Juni 1941 entschlossen, den bewaffneten Widerstand voranzutreiben. Drei Monate ­später schlug die bulgarische Besatzungsmacht die kurzlebige Revolte im Umkreis der ostmakedonischen Bezirkshauptstadt Drama mit weit über 2000 Massakrierten brutal 33 Vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 250. 34 Foreign Office, Basic Handbook Greece, 1943, II, S. 27 f. 35 Anastasios Peponis, Προσωπική Μαρτυρία (Bericht eines Zeitzeugen), Athen: Kedros, 1970, S. 58.

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nieder. Wenige Tage nach d­ iesem Blutbad übernahmen „die Deutschen den Staffelstab der Barbarei und brachten ihn westlich über den Grenzfluss Strymon [Struma]“ in ihre eigene Besatzungszone.36 Zu ­diesem Zeitpunkt hatten sich bereits zwei kleine Partisaneneinheiten gebildet, beide nach Helden der griechischen Befreiungskriege gegen die Türken benannt: „Odysseas Androutsos“ in der Gegend von Nigrita, „Athanasios Diakos“ in der Präfektur ­Kilkis. Sie wagten bald kleinere Sabotageakte und Überfälle auf Dörfer, in denen sie die „reaktionäre“ Lokalverwaltung ausschalteten und die Gendarmerie entwaffneten. Auch in der westmakedonischen Provinz Eordaia hatten sich Andartengruppen der EAM -Vorläuferin „Eleftheria“ (Freiheit) gebildet, wobei hier bemerkenswerterweise kommunistische Kader mit dem linksliberalen späteren Kommandanten des 5/42-Regiments der EKKA Psarros kooperierten. Die deutschen Generalstabsoffiziere reagierten beunruhigt, da die Aktionen dieser Kleingruppen als mögliches Vorspiel einer umfassenden Partisanenbewegung angesehen wurden; damit war man bereits in Serbien und den besetzten Teilen der Sowjetunion konfrontiert. Als dann am 22. September aus einem Hinterhalt zwei Soldaten getötet und ein weiterer verletzt wurde, beschloss die betroffene 164. Infanterie-­Division, „mit den schärfsten zur Verfügung stehenden Mitteln“ zurückzuschlagen und so einer „bedrohlichen Entwicklung“ zuvorzukommen. Bereits am 16. September hatte das OKW einen „Sühnebefehl“ erlassen, demzufolge für jeden getöteten deutschen Soldaten 50 bis 100 lokale Zivilisten (möglichst Kommunisten) zu exekutieren ­seien, da „ein Menschen­ leben in den betroffenen Ländern vielfach nichts gilt und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann“.37 Diese zynische Begründung betraf zunächst die slawischen Länder, aber die aktuellen Vorkommnisse legten eine Ausweitung auf das benachbarte Griechenland nahe. So wurden nun auch in Griechisch-­ Makedonien ganze Dörfer „niedergelegt“ bzw. „plattgemacht“, die mutmaßlich „als Rückhalt für die Banden“ gedient hatten (Ano Kerdyllia, Kato Kerdyllia, Mesovouno, u. a.). Dabei wurden nahezu 500 Männer erschossen sowie Frauen und Kinder umgesiedelt, woraufhin die Andarten sich auflösten. Der Befehlshaber Saloniki-­Ägäis hielt sich „den vollen Erfolg des energischen Durchgreifens“ zugute. In der Tat ließ die verängstigte Bevölkerung nichts unversucht, um ihre Gesetzestreue unter Beweis zu stellen, während dem Résistancepotential ein schwerer Schlag versetzt worden war. Sogar die verachteten Italiener hatten es geschafft, wenn auch nur durch Hinterlist, eine Widerstandsgruppe im Umkreis von Almyros (Thessalien) zu zerschlagen.

36 Kostas Konstantaras, Αγώνες και διωγμοί (Kämpfe und Verfolgungen), Athen: o. V., 1964, S. 55. 37 OKW-Weisung vom 16. 9. 1941, vgl. Loukia Droulia, Hagen Fleischer (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta, Berlin: Metropol, 1999, S. 202 f.

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In allen drei Besatzungszonen hatte sich also nach hohem Blutzoll gezeigt, dass der bewaffnete Kampf zum Erfolg mehr benötigte als isolierte Initiativen. Vielmehr mussten im sozialen Umfeld bestimmte Voraussetzungen gegeben sein oder ausgeformt werden. Zwar hatte die KKE-Spitze wiederholt über die Fortentwicklung des Widerstands von der traditionellen „Gewerkschaftsebene“ (Streiks, Demonstrationen, etc.) zu „höheren Kampfesformen“ debattiert, doch lief diese Option ohne sorgfältige Vorbereitung Gefahr, katastrophal zu scheitern. Ohnehin hatten im apokalyptischen Hungerwinter 1941/42 andere ­Themen Vorrang. Für die EAM und die sonstigen Organisationen ging es in dieser Phase primär um „die Versorgung unseres Volkes mit dem Nötigsten fürs bloße Überleben“.38 Giorgos Siantos, amtierender ZK-Sekretär anstelle des seit 1936 inhaftierten und mittlerweile ins KZ Dachau deportierten Nikos Zachariadis, brachte die Situation auf den Punkt: „Vom Schießprügel wird das Volk nicht satt!“ 39 Die kommunistische Führung setzte daher auf stetig wachsende Massenmobilisierung und betrieb erst in zweiter Linie die „höhere“ Variante des bewaffneten Kampfes. Doch gewann Letztere an Boden durch den mit List aus der Gefängnisfestung Akronavplia entkommenen Andreas Tzimas, Nachrücker im Politbüro. Ein rudimentäres „Militärisches Widerstandszentrum“ (SKA) aus Kadern und Offizieren mauserte sich im Februar 1942 zum Zentralkomitee (ZK) des Griechischen Volksbefreiungsheeres (Ελληνικός Λαϊκός Απελευθερωτικός Στρατός, ELAS). Das SKA war allerdings der Auffassung, die irreguläre „Klephten“-Phase des Andartiko sei ungeeignet für den Einsatz regulärer Offiziere im Bergland. Ohnehin war der größere Teil der militärischen Führungsschicht der Ansicht, ein „neues 1821“ sei zum Scheitern verurteilt, denn die überlegene Waffentechnik der derzeitigen Besatzer lasse sich nicht mit Klephtentaktik ausgleichen. Um das Terrain vorzubereiten, schickten Siantos und Tzimas zwei erfahrene Funktionäre in die Regionen, von denen man sich viel versprach: nach Thessalien den Arzt Kostas Karagiorgis (-Gyftodimos) aus gutbürgerlicher Familie und nach Roumeli (Zentralgriechenland) Thanasis Klaras, der jedoch 1939 im Gefängnis eine immer noch heiß diskutierte „Reueerklärung“ gegen den „verderblichen Kommunismus“ unterschrieben hatte und ipso facto aus der Partei ausgestoßen worden war. Doch Tzimas hatte ihn schon früher auf der Verbannungsinsel Gavdos kennengelernt und garantierte für ihn. Tatsächlich kam auch Klaras mit ermutigenden Nachrichten nach Athen zurück und erhielt trotz aller Vorbehalte grünes Licht zum Aufbruch in die Berge. Am 22. Mai 1942 begann außerhalb des Fleckens Spercheiada eine Handvoll Andarten ihren Exodus in die Berge und die Illegalität. Aus Sicherheitsgründen und um Repressalien gegen Angehörige zu vermeiden, wählten alle einen Decknamen. ­Klaras hieß fortan „Aris Velouchiotis“: Aris nach dem antiken Kriegsgott, während der 38 Z. B. KKE-Parteiblatt Rizospastis, 28. 12. 1941. 39 Gianis Petsopoulos, Τα πραγματικά αίτια της διαγραφής μου απο το ΚΚΕ (Die wahren Gründe für meinen Parteiausschluss aus der KKE), Athen: o. V., 1946, S. 37.

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Nachname von dem die Region beherrschenden Gebirgsmassiv Velouchi ­( Tymfristos) abgeleitet war. Um die Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern, zeigte der neue Machtfaktor Präsenz in den Ortschaften. Erstmals am 7. Juni zogen 15 Andarten mit gehisster griechischer Flagge ins Bergdorf Domnista ein, stimmten die Nationalhymne an und erläuterten bei Glockengeläut ihre Mission. An das Beispiel der Freiheitskämpfer von 1821 anknüpfend, folgte – fortan stets mit dem gleichen Ablauf – ein Aufruf zum „heiligen Kampf “ gegen Besatzer und deren „Speichellecker“. Die daraufhin mehr oder weniger freiwillig erfolgenden Abgaben der Dorfbewohner sicherten den ELAS -Ortsgruppen die lebensnotwendige Versorgung. Den Vorläufern von 1941 war das nur mit unpopulären Requisitionen gelungen, die das 8.  ZK -Plenum jedoch missbilligt hatte. Auf diese Weise hob sich der ELAS -Trupp spürbar von den streunenden und plündernden Räuberbanden ab, die in vielen Gebirgsgegenden ihre „Macht“ durch Willkürakte gefestigt hatten. Deren „zähes kriminelles Geflecht“ 40 aus Gesetzwidrigkeiten jeder Fasson hatte zuvor den halbherzigen Säuberungsversuchen der Gendarmerie und der Italiener getrotzt. Nun erhielt die embryonale Partisanenbewegung Gelegenheit, sich als entstehende moralische und nationale Führungsinstanz zu profilieren. Die selbsternannte Instanz legte Wucherern das Handwerk und forderte Viehdiebe und sonstige Gesetzesflüchtige auf, zur ‚Wiedergutmachung‘ dem ELAS beizutreten oder zumindest die Waffen zu übergeben. Andernfalls drohe drakonische Bestrafung. Vor allem Aris, binnen weniger Monate mit seinem angenommenen Vornamen in aller Munde, übte unbarmherzige „Volksjustiz“. Der erste Leiter der britischen Militärmission berichtete: „Es war eine grausame Disziplin, doch schreckte sie die Landbevölkerung aus der Lethargie der Okkupation. Es war Aris’ wirksame Methode, die wachsende Widerstandsbewegung in Schwung zu bringen.“ 41 Im gleichen Sinne griffen auch nachgeordnete Andartenführer bei mutmaßlichen „Verrätern“ durch – eine Bezeichnung, die damals noch nicht pauschal allen politisch Andersdenkenden galt. Die Andartenbewegung (Andartiko) stellte ihr Leistungsvermögen unter Beweis, als der ELAS im Frühherbst 1942 einen Gendarmentrupp und zwei italienische Suchkommandos überfiel und entwaffnete. Zeitgleich erntete auch der EDES die ersten Lorbeeren gegen die Italiener, die sich als leichte Gegner erwiesen, anders als Bulgaren und Deutsche. Letztere verfolgten diese Zusammenstöße aus der Distanz und registrierten einen beunruhigenden qualitativen Aufwärtstrend. So sprengten am 25. November 1942 britische Saboteure der „Harling-­Mission“ unter Oberst (später Brigadier) „Eddie“ (E. C. W. Myers) die Eisenbahnbrücke über den Gebirgsfluss Gorgopotamos. Zuvor hatte eine gemischte Andartenformation von 150 Bewaffneten 4 0 Giorgos Margaritis, Από την ήττα στην εξέγερση (Von der Niederlage zum Aufstand), Athen: O Politis, 1993, S. 134. 41 E. C. W. Myers, Greek Entanglement, London: Rupert Hart-­Davis, 1955, S. 73.

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unter persönlicher Führung von Aris und Zervas die dortige italienische Brückenwache ausgeschaltet. Die bis Januar 1943 dauernde Unterbrechung der einzigen nord-­ südlichen Bahnlinie war eine der größten Sabotageaktionen der Besatzungszeit, auch wenn sie sich nur begrenzt auf die Nordafrikafront auswirkte. Ursprünglich hatte der britische Kommandotrupp tatsächlich den Auftrag, zur Blockade der Nachschublinien für das Afrikakorps einen der drei großen mittelgriechischen Eisenbahnviadukte zu sprengen. Doch die Mission verzögerte sich um fast zwei Monate, während derer Rommel von El Alamein aus so weit westwärts abgedrängt worden war, dass die Nachschubroute aus Griechenland keine Rolle mehr spielte. Bei den unterworfenen Griechen hinterließ d ­ ieses Freiheitssignal vom „Schnellen Fluss“ (Gorgopotamos) eine enorme psychologische Wirkung. Von einiger Bedeutung ist im Nachhinein auch der Aspekt, dass bei d ­ iesem Unternehmen die beiden wichtigsten und s­ päter verfeindeten Widerstandsorganisationen kooperierten: Zwei Drittel gehörten dem ELAS an, ein Drittel dem EDES . Dieser Schulterschluss dreier kollektiver Akteure: ELAS , EDES und Briten war für den Erfolg unabdinglich. Doch im Gerangel um die Verteilung der Lorbeeren lag bereits der Keim für die rapide Abkühlung ­zwischen ELAS und EDES . Dem dritten Akteur, den Briten, wurde Arglist angelastet, obschon die temporäre Zusammenarbeit von ihnen ausgegangen war. Inzwischen war für die zwölf Saboteure der „Harling-­ Mission“ bereits eine andere Aufgabe vorgesehen: Im Anschluss an einen missglückten Evakuierungsversuch nach Nahost erhielt Myers von der vorgesetzten Special Operations Executive (SOE ) in Kairo die Instruktion, vor Ort als „Britische Militärmission“ (BMM ) die anschwellende Partisanenbewegung zu koordinieren und zu kontrollieren. Die SOE war im Juli 1940 nach der Evakuierung der Briten aus Dünkirchen gegründet worden, ihrem letzten Brückenkopf auf dem europäischen Festland. In der für das Vereinigte Königreich „finstersten Stunde“ hatte Winston Churchill die Planung aller „schmutzigen“ subversiven Operationen dieser neuen Truppe für Sondereinsätze übertragen; sie unterstand dem Ministerium für wirtschaftliche Kriegsführung und hatte den Auftrag „Europa in Brand zu stecken“. Hierfür griff die SOE in den deutsch besetzten Ländern vorzugsweise auf Personenkreise mit Illegalitätspraxis zurück, vom Kommunisten bis zum Schmuggler. Wenn dabei auf politische Vorbehalte verzichtet wurde, lag dies auch daran, dass die SOE, insbesondere deren halbautonome Nahostzentrale in Kairo, größtenteils aus jungen Akademikern mit humanistischer Bildung und linken Sympathien bestand. Bald zirkulierten im Foreign Office, das ohnehin über die Eigenmächtigkeiten der neuen Außenstation irritiert war, Befürchtungen womöglich würde die offizielle britische Politik, im Fall Griechenlands grundsätzlich monarchistisch gepolt, auf dem Weg von London nach Kairo mit Linksdrall verfälscht.42

42 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 113 f., S. 168 f.

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Erster Leiter der BMM war „Eddie“ Myers, sein Vertreter der 23-jährige Major „Chris“ Woodhouse, ein extrem fähiger Mann mit griechischen Sprach- und Geschichtskenntnissen. Er wurde bald zur Persona non grata bei EAM/ELAS, wo man ohnehin verärgert war, dass die Briten als Sitz der Militärmission nicht das Gebiet der größten Organisation wählten, sondern sich neben dem Hauptquartier von Zervas einrichteten. Im Januar 1943 schlug sich Woodhouse auf Schleichwegen nach Athen durch, um mit dortigen Widerstandszellen die weitere Organisation des Andartiko abzusprechen. In der okkupierten Hauptstadt erfuhr der junge Aristokrat, dass Major Ioannis Tsigantes, der von einem U-Boot im vergangenen Sommer an der Küste Lakoniens abgesetzt worden war, eben den Tod gefunden hatte. Das britische Hauptquartier Nahost (General Headquarters Middle East, GHQME) hatte ihm in Absprache mit ­Panagiotis Kanellopoulos, dem liberalen Vizepremier der Exilregierung, einen doppelten Auftrag anvertraut, die strategisch wichtige Brücke über den Isthmos von Korinth zu sprengen und dann ein überparteiliches Widerstandszentrum aufzubauen. Nachdem der gleichermaßen tapfere wie leichtsinnige Emissär bei einem Schusswechsel mit einer italienischen Streife am 14. Januar 1943 umgekommen war, blieb der Plan unvollendet. Die SOE schickte Woodhouse daraufhin zu einem mysteriösen „Komitee der Sechs Obersten“ („Theros“), wo er feststellen musste, dass besagtes Sextett höherer Berufsoffiziere das Potential der militärischen ‚Laien‘ im Andartiko geringschätzte und nicht willens war, dringend benötigte Offiziere in die Berge zu entsenden. Die Pläne der Sechs galten ausschließlich der Phase unmittelbar nach dem deutschen Abzug, um einem eventuell geplanten kommunistischen Putsch zuvorzukommen. „Chris“ leitete daraus ab, dass sich das Komitee lediglich nach der Befreiung als „nützlich“ erweisen könnte, doch offensichtlich nicht beitragen wollte, deren Zeitpunkt zu beschleunigen.43 Daraufhin wurden seine Verbindungen zur EAM zwangsläufig enger. Es war nicht das letzte Mal, dass britische Offiziere infolge frustrierender Erfahrungen mit konservativen Entscheidungsträgern sogar in Phasen angespannter Beziehungen zur griechischen Linken schlussfolgerten, sie ­seien zur Kooperation mit allen „verdammt“, die willens und fähig waren, „Deutsche umzulegen“.44 Woodhouse entkam der Verhaftung nur, indem er mit Hilfe der EAM zurück in die Berge geschleust wurde. In Gesprächen mit Spitzenkadern war ihm allerdings klargeworden, dass die meisten Kommunisten waren. Im Gegenzug verdächtigte die EAMFührung die Briten, ihre Organisation spalten zu wollen und entsprechende Versuche des nunmehr toten Tsigantes initiiert zu haben. Tatsächlich hatte der umtriebige Major britische und griechische Instruktionen mit persönlichem Ehrgeiz, Sympathien und Impulsinitiativen in einen Topf geworfen und Ermahnungen aus Kairo in den Wind geschlagen. Nicht nur Tsigantes’ intensive Kontakte mit Vertretern des politischen 43 Myers, Greek Entanglement, 1955, S. 118 f. 4 4 „Hun-­killers“ (The National Archives (TNA), F. O. 371/43676: R 1484, und anderweitig).

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Establishments hatten bei der KKE Argwohn erregt, sondern insbesondere seine Fühlungnahme mit deren linksbürgerlichen Juniorpartnern, namentlich der Sozialistischen Partei SKE und der Volksdemokratischen Union ELD, aber auch von Vertretern des politischen Establishments. In diesen Gesprächen ging es vor allem darum, die Domäne des nationalen Kampfes nicht den Kommunisten zu überlassen. Tsigantes war zu Recht überzeugt gewesen, Zervas habe nicht das Potential, die Monopolisierung der Widerstandsidee und -praxis durch die extreme Linke zu vereiteln. Deshalb hatte er in eigener Verantwortung den Plan einer „Dritten Andartenbewegung“ forciert. Doch des Majors vorzeitiger Tod beendete einschlägige Absprachen mit seinen Gefährten vom gescheiterten republikanischen Putschversuch im März 1935, die ebenfalls unehrenhaft aus der Armee entlassen worden waren; zu ihnen zählten auch der ihm verschwägerte Dimitris Psarros sowie Oberst Stefanos Sarafis. Letzterer war zum Zeitpunkt von Tsigantes’ Tod bereits unterwegs nach Thessalien. Im Auftrag der neugegründeten Widerstandsorganisation Kampf für Befreiung und Wiedergeburt (Αγών Απελευθερώσεως Αναγεννήσεως, AAA), einem weiteren Sammelbecken für ambitionierte Republikaner, hoffte Sarafis auf der dortigen Andartenformation von Major Georgios Kostopoulos aufbauen zu können. Doch war dieser nicht bereit, den Oberbefehl abzugeben. So eilte Sarafis zu Zervas, denn „dort sitzen die Engländer“. Mit Myers’ Hilfe wurde ein neues Konzept für die Aufteilung des erweiterten Zentralgriechenlands in Einflusszonen entwickelt, in Anlehnung an Myers’ Vorstellungen eines Systems mobiler Stoßtrupps für Sabotage- und Störaktionen („Hit and Run“) gegen die Besatzer. Der Westen (Epirus) verbliebe bei Zervas, Thessalien ginge an Sarafis, und Psarros sollte den Mittelteil Roumeli oder zumindest dessen wichtiges gebirgiges Herzstück Gkiona-­Parnass übernehmen. Dort sollten jeweils „Nationale Verbände“ ohne jegliche politische Färbung operieren, d. h. sich auf Widerstands­aktivitäten beschränken, deren Steuerung das GHQME übernähme. Die britische Seite werde für Ausrüstung und Unterhalt einer begrenzten Zahl von Andarten aufkommen. Deren Aktionen würden von einem gemeinsamen Stab koordiniert, angeführt von einer populären Persönlichkeit, bei der man an Plastiras dachte.45 Der Optimismus der Runde ist schwer verständlich. Denn als Einziger des Trium­ virats verfügte nur Zervas über ein einigermaßen gesichertes Terrain, während in Thessalien und Roumeli sich bereits eine andere Organisation etabliert hatte: der ELAS. Doch die Offiziere unterschätzten die „roten Laien“ in nicht nachvollziehbarem Ausmaß und wollten sie erst einmal im Wartestand belassen, bis sich die Nationalen Verbände ­etabliert hätten. Für den Fall, dass die KKE ablehnte, wollte man sie durch „Assimilierung“ der demokratisch-­republikanisch, aber nicht unbedingt kommunistisch gesinnten EAM-Mehrheit isolieren. Dann, so prophezeite Sarafis, würde die EAM „von alleine

45 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 162 f., S. 195 f.

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verlöschen“. Allerdings verschwieg er den neuen Partnern, wie prekär seine eigene Position im Schatten von Kostopoulos war. Wer die Führung übernehmen würde, blieb offen. Das Verhältnis zur EAM jedenfalls verschlechterte sich zusehends, als eine von Aris desertierte Gruppe sich dem Rivalen Kostopoulos anschloss. Ende Februar traf man sich mit einem regionalen ELAS-Trupp zu einer Aussprache, die dieser als Falle für die Gäste geplant hatte. Nachts um drei wurden Letztere trotz zahlenmäßiger Überlegenheit buchstäblich im Schlaf entwaffnet. Die meisten der 150 überraschten Kostopoulos-­Leute wurden innerhalb von Tagen freigelassen, eine Handvoll schloss sich dem ELAS an, während die zuvor desertierten Genossen als „Verräter“ erst gefoltert, vor ein Partisanengericht gestellt und schließlich exekutiert wurden. Lange blieb unklar, was mit dem gefangenen Sarafis geschehen war, gegen den die EAM Stimmung gemacht hatte. Das änderte sich jedoch, sobald Tzimas, der Emissär des Politbüros, vor Ort eintraf. Die Parteispitze hatte Aris wegen Kompetenzüberschreitungen nach Athen zitiert, um ihn durch den jungen Kreter Vangelis Papadakis zu ersetzen, der unter dem Pseudonym Tassos Lefterias bekannt werden sollte. Doch Tzimas bestand darauf, dem schwierigen, aber forschen Kapetanios die Rückkehr auf seine mit Blut und Tränen erworbene Position zu gestatten, unter der Bedingung, dass er ihn persönlich im Zaume halte. Ohnehin fühlte sich der junge Papadakis durch die avisierte Beförderung überfordert. Zudem hatte Sarafis bei seiner unfreiwilligen Verbringung aus Thessalien nach Roumeli registriert, wie sich E ­ AM-ELAS in den griechischen Bergen sprunghaft ausgedehnt hatte. Die Andarten fanden zunehmend Rückhalt bei der lokalen Bevölkerung und hatten auch gegen die Italiener Erfolge erzielt, die sogar von der BBC anerkennend erwähnt wurden. Damit war der Übergang vom Edelbanditentum zum ‚regulären‘ Andartiko nahezu abgeschlossen; Ähnliches galt für die Frage der Führung und Koordination. Mittlerweile hatte sich dank britischer Unterstützung westlich des Flusses Acheloos der EDES und damit Napoleon Zervas an der Spitze des zweiten sich herauskristallisierenden Widerstandslagers etabliert. Das ließ kaum Spielraum für den geplanten dritten Andartenverband. Zwar war Eddie Myers mit eben dieser Intention herbeigeeilt, doch Sarafis ignorierte dessen vollmundige Versprechungen; stattdessen akzeptierte er Tzimas’ Angebot einer führenden Position beim ELAS. Doch zuvor beschlossen die beiden, gemeinsam nach Athen aufzubrechen, um Zweifler zu überzeugen, dass Sarafis’ Konversion freiwillig erfolgt war. Denn über dessen angebliche Ermordung kursierten inzwischen die wildesten, wenn auch nicht ganz unfundierten Gerüchte. Zudem wollten beide die neue Sachlage mit ihrer jeweiligen politischen Führung erörtern. Dem Beispiel von Sarafis schlossen sich auch andere Exponenten der AAA an. Am Ende der Gespräche stand Sarafis’ Beförderung zum General durch das EAM-ZK sowie schließlich seine Ernennung zum nominellen Kommandeur (Stratiotikos) des ELASHauptquartiers, neben Aris als ranghöchstem Andartenführer (Archikapetanios) und Tzimas (Pseudonym: Vasilis Samariniotis) als Politkommissar (Politikos). Insbesondere

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Letztere waren jeder auf seine Art außergewöhnlich befähigte und prägnante Charaktere. Mit dieser Entscheidung wurde für alle ELAS-Einheiten die Troika als Führungssystem implementiert. Darüber hinaus bildete das neue Hauptquartier einen Wall gegen die dezentralen Kooperationspläne der Briten.

Der Weg zum Gemeinsamen Andartenhauptquartier (Κοινό Γενικό Στρατηγείο Ανταρτών, JGHQ) Als Zervas erfuhr, dass die Gruppe Kostopoulos-­Sarafis aufgelöst war, machte er sich anheischig, massiv gegen den ELAS vorzugehen. Myers befürwortete den Vorschlag, doch die SOE widersprach, da sie EAM-ELAS nach wie vor für zuverlässiger und im wahrsten Sinne des Wortes für schlagkräftiger hielt als den „suspekten“ Zervas. Auch Woodhouse kannte die Vorbehalte gegenüber dem EDES-Führer und benutzte daher einen Kunstgriff, um den willfährigen General in ein besseres Licht zu stellen: Er empfahl d ­ iesem eine großzügige Geste in Form einer Ergebenheitsadresse an den König, ohne zu wissen, dass Zervas seine ‚republikanische Unschuld‘ bereits 1942 dem Ehrgeiz geopfert hatte, sich an der Spitze desjenigen Lagers zu sehen, das ohne die EAM oder sogar gegen diese operierte.46 In d­ iesem Zusammenhang ist ein in miserablem Englisch formuliertes Telegramm zu verstehen, das er am 9. März 1943 über die Militärmission dem GHQME zukommen ließ, verbunden mit der Bitte um Übermittlung an König und Exilkabinett. Der kritische Passus zum konstitutionellen Streit, der Kardinalfrage, lautete: „If King returns here result free opinion our people we will be first to welcome and consider Greece constitutional quarrels ended. If England for wider reasons and even without people’s wishes wants return of King we fighting for liberation will not oppose at all.“ 47 Diese „vor Opportunismus triefende“ Anbiederung ging weit über die von Woodhouse empfohlene Courtoisie hinaus; eben deswegen hatte der EDES-Führer niemanden in seiner nominell immer noch antiroyalistischen Organisation hiervon informiert, noch nicht einmal seinen Stellvertreter Komninos Pyromaglou.48 Der gekrönte Empfänger und seine Lobby im Foreign Office jedenfalls waren erfreut, während die SOE sich nicht beeindruckt zeigte. So machte sich die BMM daran, das bestehende Konzept der ‚Nationalen Verbände‘ durch frühzeitige Integration des ELAS zu erweitern und mit neueren Weisungen der SOE zu verquicken. Der revidierte Plan 4 6 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 204 ff. 47 TNA, F. O. 371/37194: R 2266; Christopher Montague Woodhouse, The Struggle for Greece 1941 – 1949, London: Hart-­Davis, MacGibbon, 1976, S. 36, S. 292. 48 Erst Jahre s­ päter bestätigte Woodhouse die bis dahin von Zervas bestrittenen diesbezüglichen Gerüchte. Christopher Montague Woodhouse, Apple of Discord, London: Hutchinson, 1948, S. 74.

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sah vor, Griechenland in unabhängige Militärbezirke aufzuteilen, um so die Kapetane der ersten Stunde an die Leine zu legen. Mit zwei Bestimmungen hoffte man, selbst die stärksten ELAS-Domänen zu unterwandern: 1. „Jede Organisation oder Person ist berechtigt, Andartengruppen in jedem Bezirk aufzustellen.“ 2. Sollten sich neue Gruppierungen mit den alteingesessenen nicht auf einen gemeinsamen Befehlshaber einigen, „werden alle Kontroversen durch den nächsten British Liaison Officer (BLO ) beigelegt“.49 Auf diese Weise übernähme das GHQME mittels britischer Verbindungsoffiziere die Koordination sämtlicher bewaffneter Partisanenverbände unter dem neuen Titel „Nationale Banden Griechenlands“. Damit hofften die Briten unliebsame Verbindungen zu politischen Mutterorganisationen zu kappen – gemeint war natürlich die EAM. Erwartungsgemäß stimmte Zervas der geforderten Umbenennung sofort zu. So legte Myers bei seiner Suche in Thessalien und Roumeli nach dem verschollenen Sarafis den ELAS -Führern diesen Entwurf vor, dessen schriftliche Anerkennung Voraussetzung für weitere britische Unterstützung sei. Da alle Angesprochenen sich für unzuständig erklärten, zeigte Myers dem eben aus Athen zurückgekehrten Tzimas das Konzept. ­Dieser bejahte die Kooperation mit anderen Organisationen, verlangte jedoch als Steuerungszentrale ein „Joint General Headquarter“ (JGHQ) der anerkannten Andartenorganisationen anstelle der BLO’s, die lediglich als Verbindungoffiziere zum GHQME akzeptabel s­ eien. Auch bestand er auf der Bezeichnung ELAS innerhalb Griechenlands. Nach einer politisch-­militärischen Besprechung am 2. Mai 1943 in Athen billigte die Führung von EAM und KKE die Position ihres Unterhändlers. Myers zeigte sich als Realist und empfahl der SOE, den modifizierten Gegenvorschlag anzunehmen. Er hatte begriffen, dass sich die Briten umsonst bemühten, die militärische Organisation (ELAS) von der politischen Front (EAM) abzuspalten. So kamen immer weniger Einwände aus Kairo; vor allem lehnte man ab, dass die zahlenmäßige Überlegenheit des ELAS im Verhältnis zu anderen Organisationen auch in der Zusammensetzung des JGHQ Ausdruck finden solle. Der Faktor Zeit arbeitete indes gegen die Briten, denn sie planten ab 21. Juni eine landesweite Störung aller Kommunikationslinien, um bei den Besatzern den Eindruck zu erwecken, die bevorstehende alliierte Invasion in „­ Hitlers Europa“ sei für Griechenland geplant. Bei ­diesem Täuschungsmanöver unter dem Decknamen „Animals“ brauchte man die Kooperation des ELAS, der in den Vormonaten die weitaus meisten Widerstandserfolge vorweisen konnte, obschon der EDES 75 Prozent des von der RAF abgeworfenen Kriegsmaterials erhalten hatte.50 Zudem wuchsen die Befürchtungen, die EAM schmiede Pläne für eine Gegenregierung in den Bergen, womöglich in Abstimmung mit den kommunistischen Partisanen der Nachbarländer. Diesen beunruhigenden Schluss zogen die Briten aus Tzimas’ zeitgleichen Treffen mit hochrangigen Vertretern Jugoslawiens und Albaniens. Was sie 49 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 208. 50 TNA, F. O. 371/37202: R 4209.

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nicht wussten: Auch Tzimas handelte unter Zeitdruck. Mit dem Ziel vor Augen, im geeigneten Moment eine Regierung der nationalen Einheit zu konstituieren, brauchte die KKE bei ihren Kontakten zu den bürgerlichen Parteien einen diplomatischen Erfolg. Käme es zu einem Pakt mit dem alliierten Hauptquartier in Kairo, wäre dies der beste Beleg für die ehrlichen Absichten der EAM. Dennoch hielt Tzimas die Briten hin, um den Zeitdruck auf sie zu erhöhen. Tatsächlich ging sein Kalkül auf und Kairo gab am 17. Juni nach. Am 5. Juli 1943 unterzeichneten Myers und die ELAS-Troika das „National Bands Agreement“ (NBA) in einer Fassung, die nahezu identisch mit dem EAMGegenentwurf war. Eben deswegen setzte Zervas seine Unterschrift erst am 12. Juli unter das Dokument, und nur auf britischen Druck. Eine Woche darauf konstituierte sich das Gemeinsame Andartenhauptquartier im thessalischen Bergdorf Pertouli, wohin die BMM und das ELAS -Hauptquartier ihren Sitz verlegt hatten. Ende Juli trafen Psarros und Kartalis ein, deren 5/42-Regiment gerade zum zweiten Mal in einer Überraschungsaktion des ELAS entwaffnet worden war. Auf britische Garantien hin stimmten beide schließlich zu, ihre Einheit im Rahmen des „National Bands Agreement“ noch einmal neu aufzustellen. Die Zeichen ­­ standen also günstig, zumal Kairo sich zur Übersendung von Kriegsgerät bereit erklärt hatte. Verteilt werden sollte es über das JGHQ . Darüber hinaus verpflichteten sich die Briten Goldsovereigns für den Unterhalt aktiver Partisanen zur Verfügung zu stellen.51 Während der gesamten Dauer der Verhandlungen und Auseinandersetzungen wurden verstärkt Offensiverfolge gegen die Besatzer erzielt. Am 1. Juni sprengten ELASSaboteure einen Teil des Kournovo-­Tunnels. Im just durchfahrenden Zug wurden bei dieser Aktion 300 Italiener und sieben Deutsche, aber auch 60 griechische Geiseln getötet. Als ‚Sühnemaßnahme‘ exekutierten die Italiener daraufhin 106 inhaftierte Kommunisten. Auch die Italiener mussten durch ELAS und EDES schwere Schläge einstecken. Im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht steht: „Nachmeldung [3.6.43]: …92 Ital. und 60 griech. Gefangene tot, große Anzahl Verwundeter und Vermisster. In Larissa 100 Kommunisten aus Konzentrationslager zur Sühne erschossen.“ Am 20. Juni sprengten die Briten als Startschuss für das Unternehmen „Animals“ die wichtige Eisenbahnbrücke über den Fluss Asopos. Einen Tag ­später rieb der ELAS bei Sarantaporos die Kolonne einer gerade in Griechenland eingetroffenen deutschen Division auf: 36 Lkw und 46 andere Kraftfahrzeuge wurden vernichtet, von der 108 Mann starken Besatzung entkamen nur fünf Mann, die anderen starben im Gefecht oder wurden zunächst „vermisst“ gemeldet, d. h. vom ELAS exekutiert, wie sich bald herausstellte.52 51 Die z­ wischen 1942 – 1944 von der SOE an die griechischen Andarten ausbezahlten Sovereigns hatten einen Gesamtwert von 2.128.592 Pfund Sterling, zusätzlich 101.975 Pfund für Spionage und Sabotageorganisationen, vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 563. 52 Percy E. Schramm (Hg.), Kriegstagebuch des OKW 1943, Frankfurt a. M.: Bernard & Graefe 1963, S. 587, S. 680, S. 698. Ein halbes Jahr s­ päter nahm die betroffene 117. Jäger-­Division für

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Weitere Widerstandsformen Die Résistance begnügte sich nicht mit dem bewaffneten Kampf. Weniger heroisch, aber von unschätzbarem Wert waren viele der mehr oder weniger kontinuierlich erscheinenden illegalen Blätter und ihre besatzungsfeindliche Informationsarbeit. Nicht umsonst waren es primär Drucker, Redakteure und Verteiler der Untergrundpresse, die mit ihrer Freiheit und zumeist auch mit ihrem Leben bezahlten, wenn sie in die Hände der Besatzungsbehörden fielen. Untergrundzeitungen trugen wesentlich dazu bei, die Griechen, die sich als „versklavte Sieger“ begriffen, moralisch aufzubauen. Gleichzeitig hielten sie Unentschlossene tendenziell davon ab, kollaborativer Stimmungsmache ein offenes Ohr zu leihen. Sie riefen etwa dazu auf, bei bestimmten Anlässen wie den Nationalfeiertagen am 25. März und 28. Oktober ihre patriotische Einstellung zu demonstrieren. Auch übermittelten sie Informationen an die Bevölkerung, die wegen der deutsch-­italienischen Zensur der legalen Medien keinen Zugang zu unabhängigen Nachrichten hatte. Als strafbar galt nicht nur, s­ olche Nachrichten weiterzuleiten, sondern auch alliierte Radiosender (London, Kairo, Moskau) zu hören. Am 9. April 1942 etwa verhaftete eine deutsche Patrouille im Hafen Piräus den Besitzer und 63 Gäste des Kafeneion „REX“ in flagranti vor dem Radio, das BBC-Nachrichten übertrug.53 Was diesen Fall von analogen Vorgängen unterscheidet, ist einmal die große Zahl der ‚Gesetzesbrecher‘, dann aber auch die Tatsache, dass unter den Beteiligten keine organisatorische Verbindung bestand. Gemeinsam waren allen lediglich die Ablehnung des Besatzungsstatus und das Vertrauen in erprobte nachbarschaftliche Beziehungen. In der Verknüpfung liefen beide Komponenten auf offensichtliche Optionen von Widerstandsbereitschaft hinaus. Um das Risiko bei der Rezeption alliierter Nachrichten zu reduzieren, entstand bald ein neuer Typ von Druckerzeugnissen, nämlich informative Berichterstattung mit Verlautbarungen insgeheim abgehörter Sender zum allgemeinen Kriegsverlauf und über das Bündnis gegen Nazideutschland. Eine weitere Ausprägung der Résistance bildeten die Organisationen für Spionage, Sabotage und Fluchthilfe, gewöhnlich in enger Zusammenarbeit mit der SOE oder entsprechenden britischen Stellen. Von wenigen, venizelistisch-­liberal gesinnten Ausnahmen abgesehen – Prometheus I und II, Apollon und Maleas (später umbenannt in Aliki) – waren zumindest deren führende Mitglieder meist konservativ. Diese Organisationen verzichteten normalerweise auf Titel, die programmatische Ziele verkündeten, und gaben sich Namen aus der griechischen Mythologie (Zeus, Kodros, Pluto

diese Erfahrungen mit den makedonischen Andarten verspätete Rache an der Zivilbevölkerung von Kalavryta (Interview d. Vf. mit dem Generalstabsoffizier Walter Barth, 5. 4. 1974). 53 Befehlshaber Südgriechenland, Ic, 10. 4. 1942, sowie 9. 5. 1942 BA-MA, RW 40/125.

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etc.) oder der neueren griechischen Geschichte, etwa Bouboulina.54 Auch auf Akronyme griff man zurück, die eine verschlüsselte Botschaft enthielten, etwa die Organisation 5 – 165, deren Bezeichnung auf die arithmetische Position der Buchstaben EPE Ελληνική Πατριωτική Εταιρεία (Griechische Patriotische Gesellschaft) verwies. Dank der Funkmeldungen über Feindbewegungen in griechischen Häfen, die von solchen Organisationen weitergegeben wurden, konnten die alliierte Luftwaffe und U-Boot-­ Flotte die deutsch-­italienische Marinepräsenz im südöstlichen Mittelmeer dezimieren. Infolgedessen stellte die Versorgung der Inseln ein Dauerproblem für die Wehrmachtsführung dar. Andererseits forderten Hunderte Verhaftungen und Todesurteile „wegen Spionage“ bei diesen numerisch meist kleineren Gruppierungen einen unverhältnismäßig hohen Blutzoll. Massencharakter hatte hingegen ab dem zweiten Besatzungsjahr die anschwellende Streikbewegung gegen Hungerlöhne und katastrophale Lebensmittelrationen. Die Arbeiter-­Sektion der EAM, die sogar strengen Beurteilungen zufolge „in ihren Reihen die besten Elemente der organisierten Arbeiterklasse Griechenlands zusammenfasste“ 55, mobilisierte die spontan protestierenden Menschen, die verzweifelt ums Überleben kämpften, und erweiterte somit schrittweise ihren Einfluss in den Städten. Besondere Erwähnung verdient, auch im europäischen Vergleich, der großflächige Ausstand des Telekommunikationsträgers TTT (Ταχυδρομεία, Τηλέγραφοι, Τηλέφωνο: Post, Telegraf, Telefon) ab April 1942, der innerhalb weniger Tage fast alle Beamten der unteren und mittleren Ebene erfasste und das Kollaborationsregime zum Nachgeben zwang. Obschon den Streikenden die Todesstrafe wegen Sabotage drohte, formte sich im August/September eine noch größere Streikwelle. Damals exekutierten die Besatzer die ersten Rädelsführer und der Militärbefehlshaber Südgriechenland drohte der Bevölkerung, im Falle fortgesetzten Ungehorsams „die ganze Härte des Kriegsrechts“ 56 walten zu lassen. Am 30. Januar 1943 verordnete der Oberbefehlshaber Südost Alexander Löhr: Jeder Einwohner Griechenlands im Alter von 16 – 45 Jahren ist, wenn die Umstände es erfordern, verpflichtet, eine ihm zugewiesene Arbeit für deutsche oder italienische Dienststellen aufzunehmen. Insbesondere ist er verpflichtet, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, die Arbeitszeit einzuhalten und eine seinen körperlichen Kräften entsprechende Arbeitsleistung zu vollbringen. Männliche Arbeitskräfte sind verpflichtet, auch außerhalb ihres ständigen Wohnsitzes, erforderlichenfalls in Lagergemeinschaften zusammengefasst, zu arbeiten.57

54 Laskarina „Bouboulina“ Pinoçi unterstützte bis zu ihrem Tod 1825 den Befreiungskrieg gegen die Osmanen mit Geld, eigenen Schiffen und persönlichem Einsatz. 55 Woodhouse, Apple of Discord, S. 32. 56 BA-MA, RW 40/125,126, beide passim. 57 Ebd.

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Den letzten Satz verstand man, in dieser Phase irrtümlich, als Vorstufe zum Zwangseinsatz auch außerhalb Griechenlands. Dementsprechend löste die Verordnung zur zivilen Mobilmachung gewalttätige Proteste aus, die in der Besetzung des Arbeitsministeriums und der Vernichtung von Akten eskalierten. Am 5. März demonstrierten zum zweiten Mal binnen weniger Tage weit über 100.000 Athener. Die Lage beruhigte sich erst, als mit deutsch-­italienischer Zustimmung die Kollaborationsregierung nicht nur finanzielle Zugeständnisse machte, sondern auch – in Übereinstimmung mit dem angesehenen Erzbischof Damaskinos – öffentlich versicherte, ein Auslandseinsatz habe stets außer Frage gestanden. Um einen allgemeinen Aufstand zu vermeiden, gaben die Besatzer nach, doch die Führung der Heeresgruppe E konstatierte erbost: „Dieses Nachlassen der Zügel bedeutet aber unsererseits keine Weichheit, da wir keineswegs die Faulheit der Griechen unterstützen wollen.“ 58

Der italienische Zusammenbruch und seine Folgen Obschon militärisch nur partiell erfolgreich, hatte die Operation „Animals“ die Besatzungsmächte unter erheblichen Druck gesetzt. Die Deutschen begriffen nun, dass das unterschätzte Partisanenpotential mit Rückendeckung aus Kairo in der Lage war, die Kommunikationswege zu blockieren, und zwar gezielt im Hinblick auf eine alliierte Invasion. In d ­ iesem Fall wäre von den Italienern keine Unterstützung zu erwarten, denn sie galten als Truppe, die „in allen Gefechten mit nur leichtbewaffneten Banden stets geschlagen“ worden war. Bereits im Frühjahr 1943 wurden in Lageberichten der Wehrmacht zunehmend beißende Ironie und Kritik an den Verbündeten und deren Insuffizienz laut. „Mit unzureichenden Kräften, schlechter Vorbereitung und häufig völlig aussetzender Führung“ unternahmen sie „Säuberungsmaßnahmen gegen Banden“, bombardierten, plünderten und brandschatzten bei der Gelegenheit leicht einnehmbare Dörfer oder wurden, wenn es für sie selbst ungünstig lief, in Gefechten vollkommen aufgerieben. In beiden Fällen machten sie die Partisanenbewegung nur noch stärker, zumal die italienische Fixierung auf Beute und willkürliche Exekutionen als „Sühnemaßnahmen“ auch viele Gemäßigte in die Arme der „Banden“ trieben. Den rapiden Aufschwung des Andartiko vor allem auf der Peloponnes hielten die Deutschen für eine „Folge gnadenloser Plünderungen und Requirierungen der italienischen Einheiten“.59 In Athen wiederum war eine beachtliche Anzahl von Offizieren in Aufsehen erregende Wirtschaftsskandale verwickelt; dazu gehörte auch Oberbefehlshaber Geloso, 58 OB Südost, Verordnungsblatt für das besetzte griechische Gebiet, 30. 1. 1943; vgl. Fleischer, Kreuzschatten, Bd. 2, S. 625, u. v. a. 59 OB Südost, Verordnungsblatt für das besetzte griechische Gebiet, 30. 1. 1943; vgl. Fleischer, Kreuzschatten, Bd. 1, S. 180 ff.

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der deshalb von Carlo Vecchiarelli abgelöst wurde. Trotz partieller Katharsis in Form von Verhaftungen (etwa 250 Offiziere!) oder Neubesetzungen empfahlen der Gesandte Altenburg und der Sonderbevollmächtigte Hermann Neubacher, die italienische Besatzung durch weitaus weniger deutsche Truppen zu ersetzen; dies bedeute zugleich „die wirksamste militärische, politische und wirtschaftliche Entlastung“ 60 für Griechenland! Zwar verfügte die Wehrmacht nicht über die nötigen Reserven, doch zeichnete sich bereits ab Mai 1943 die Erkenntnis ab: „Die Entwicklung der Lage kann es erforderlich machen, dass die Verteidigung des Balkans allein durch deutsche und bulgarische Truppen erfolgen muss.“ 61 Daher führte man der italienischen Zone deutsche Truppen als „Korsettstangen“ 62 zu. Außerdem wurden Anfang Juli Reserven freigestellt, als die Kontrolle über das Gebiet ­zwischen den Flüssen Strymon (Struma) und Axios der 7. bulgarischen Division überlassen wurde; ausgenommen waren nur Thessaloniki und die Mönchsrepublik Athos. Dass die bulgarischen Begehrlichkeiten in dieser Form unterstützt wurden, löste wütende Proteste „aller Griechen, linker und rechter“ aus, wie der Wehrmachtsstab notierte,63 obschon das überlassene Gebiet weiterhin unter deutschem Befehl stand. Die Maßnahme rückgängig zu machen, war jedoch unmöglich, da der italienische Zusammenbruch sich immer klarer abzeichnete. Überraschend wurde Mussolini am 25. Juli von König Viktor Emmanuel abgesetzt. Der neue Ministerpräsident, Feldmarschall Pietro Badoglio beteuerte zwar, den gemeinsamen Kampf fortsetzen zu wollen, doch Hitler zweifelte und gab Weisung, sich „gedanklich“ auf die Entwaffnung der Italiener einzustellen. Als dann am 8. September die alliierten Sender den Waffenstillstand mit Italien verkündeten, reagierte die Wehrmacht schlagartig mit der längst vorbereiteten „Aktion Achse“. Begünstigt wurde diese durch die Unschlüssigkeit des neuen Oberkommandierenden Vecchiarelli, ob den deutschfeindlichen Befehlen des Comando Supremo in Rom zu folgen sei, denn er wollte blutige Zusammenstöße mit den gestrigen Verbündeten möglichst vermeiden. Letzten Endes erließ Vecchiarelli den Befehl zur Kapitulation und bald kursierte zur Erleichterung des italienischen Durchschnittssoldaten die Parole „bello finito“. Innerhalb von 24 Stunden waren die meisten italienischen Verbände entwaffnet, gelegentlich auf dem Hintergrund grotesker Zahlenrelationen. So wurden etwa in Larissa 8000 Italiener von 100 älteren, schlecht ausgerüsteten Reservisten („Landesschützen“), die zufällig in der Nähe waren, zur Übergabe gezwungen. Wo keine Deutschen präsent waren, verkürzten sich die abgehalfterten Besatzer die Wartezeit damit, ihre Waren, sogar Waffen und Munition, an jeden zu versilbern, der 60 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 296. 61 Ebd. 62 Hubert Lanz, Gebirgsjäger. Die 1. Gebirgsdivision 1935 – 1945. Bad Nauheim: Podzun,1954, S. 249. 63 BA-MA, RH 19 VII/23, 16. August 1943.

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Interesse zeigte. Alles aber verblasste vor der Szenerie in Athen: „Die Italiener plünderten ihr Material und offerierten es an jeder Straßenecke zu Spottpreisen, (…) sogar Autos (…). Die Deutschen sind ihnen auf den Fersen, verprügeln sie, (…) aber bekommen die Situation nicht in den Griff.“ 64 Das Warenangebot umfasste buchstäblich alles: Nahrungsmittel, Brennstoffe, Vieh, Uniformen, selbst Geheimpapiere und politische Gefangene. In wenigen Tagen konnte die Wehrmacht einen großen Teil der Schmuggel­ ware beschlagnahmen. Immerhin gelang es der Résistance, durch Überredung, Kauf und Gewalt in vielen Gebieten erstmals schwere Waffen zu erwerben. Bemerkenswert war der Fall der Division „Pinerolo“ mit 7000 Mann, die unter ihrem Kommandeur Adolfo Infante mit der BMM und dem Andartenhauptquartier ein Abkommen zum Frontwechsel ab 11. September traf. Auf der Kippe stand dagegen, wie die Sache auf dem italienisch besetzen Dodekanes und namentlich den Ionischen Inseln ausgehen würde, wo sich die Division Acqui den ersten deutschen Entwaffnungsversuchen widersetzte. Am 11. September 1943 konstatierte der deutsche Befehlshaber, der Ausfall von 250.000 italienischen Soldaten, obschon von geringem Kampfwert, sei „eine außerordentliche Schwächung (…) gegenüber der uns feindlich gesinnten Bevölkerung“. Die dreifache Aufgabe: Sicherstellung der italienischen Ausrüstung, „Bandenbekämpfung“ und Küstensicherung stelle die Truppe vor „übermenschliche Aufgaben“. Eine alliierte Landung, fürchtete Hitler, könne sich als Sequenz von Inselsprüngen abspielen. Die deutschen Generalstäbler waren anderer Meinung: Sie erwarteten die Invasion eher auf dem Festland und wollten ihr dort mit sämtlichen verfügbaren Verbänden entgegentreten. Dafür favorisierten sie einen Sperrriegel nordwestlich von Thessaloniki; so vergeude man keine unersetzlichen Reserven an der strategisch wertlosen Peripherie. Hitler setzte seine Position durch, dass der Zugriff auf die Inseln und Südgriechenland unabdinglich sei. Keinesfalls dürften sich dorthin feindliche Truppen vorschieben und die kriegsentscheidenden rumänischen Ölfelder gefährden; dies hätte fatale Auswirkungen auf die labile türkische Neutralität und die erodierende Moral der Balkan-­Satelliten. Kurioserweise gingen Hitlers und Churchills Prioritäten nahezu konform. Letzterer hörte ähnliche Einwände gegen eine stärkere Involvierung auf dem Balkan, ohne mit einer vergleichbar absoluten Machtstellung seine Generäle sowie die Amerikaner zum Schweigen bringen zu können. So nutzten die Alliierten nicht den strategischen Vorteil, der sich aus dem Frontwechsel Roms und der Landung allliierter Kommandos auf vielen Inseln hätte ergeben können. Stattdessen streckte am 11. September die italienische Garnison auf Rhodos trotz ihres sechsfachen Übergewichts die Waffen vor der deutschen „Sturmdivision“. Am 12. und 24. September landeten deutsche Truppen auch auf Kefalonia und Korfu.

6 4 Theotokas, Tagebuchhefte, 10. September 1943.

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Derweil bereitete das GHQME auf Drängen Churchills die Rückeroberung von Rhodos vor. Doch wieder waren die Deutschen schneller und überrumpelten mit dem Unternehmen „Eisbär“ zunächst (4.10.) die mehrfach stärkere Besatzung von Kos. Am 16. November geriet auch das befestigte Leros nach fünftägigem hartem Kampf in deutsche Hand, obwohl man zuvor der Luftoperation „Leopard“ nur eine Erfolgschance von 1:99 gegeben hatte. Weitere Inseln fielen den Deutschen in den Schoß. Mit der kampflosen Besetzung von Samos und Santorin, so das deutsche Selbstlob, waren Ende November „die Folgen des italienischen Verrats bereinigt“.65 Schon am 15. September hatte das Oberkommando der Wehrmacht die Aufteilung der Italiener in drei für ihre weitere Behandlung ausschlaggebende Kategorien angeordnet: „Bündnistreue“, „Nicht-­Hilfswillige“ und „Widerstand Leistende“. Die erste Kategorie war unterteilt in Kampfwillige (Kawi) sowie jene, die sich lediglich als Hilfswillige (Hiwi) verpflichteten: Bis Ende Oktober ließen sich 15.000 Italiener (6 %) als Hiwi anwerben, etwa als Tierpfleger, Fahrer, Koch, Handwerker. Damit konnte theoretisch die g­ leiche Anzahl Deutscher von Hilfstätigkeiten entbunden und zum Dienst an der Waffe freigestellt werden. Minimal war die Anzahl jener, die zum bewaffneten Einsatz bereit waren, sogar unter den als geistesverwandt angesehenen faschistischen Schwarzhemden. Mit Mühe und Not kamen letztlich drei Bataillone, allerdings mit deutschem „Rahmenpersonal“, sowie eine Kompanie für die Bewachung des KZ Chaidari zustande. Die überwiegende Mehrheit gehörte jedoch der zweiten Kategorie an, so dass binnen drei Wochen 140.500 „Nicht-­Hilfswillige“ zur Zwangsarbeit außerhalb Griechenlands „bis zur äußersten Verladegrenze“ in Güterzüge verladen wurden. Ein noch übleres Schicksal erwartete jene, die sich im Vertrauen auf ihre schwer zugängliche (Insel-)Stellung, auf zahlenmäßige Überlegenheit oder auf Rückendeckung durch alliierte Verbände der Entwaffnung widersetzt hatten. Die Rache der Deutschen für diesen Abfall war grausam: Einem Führerbefehl folgend wurden auf Korfu und Kos Hunderte Italiener als „Verräter“ erschossen, insbesondere Offiziere. Das nachfolgende Gemetzel auf Kefalonia war weitaus schlimmer, auch wenn Hitlers diesbezügliche Vorgabe 66 nicht ganz eingehalten wurde. Bis heute ist aber das „balletto di cifra“ (Zahlenballett) bezüglich der italienischen Opfer trotz zahlreicher staatsanwaltlicher Eruierungen, Prozesse etc. nicht abgeschlossen, zumal in beiden Ländern die Endmoränen der in über 70 Jahren etablierten Legenden noch lange nicht abgetragen sind. Wenige Zahlen können als einigermaßen gesichert gelten. So gibt es Belege für die Exhumierung von „genau 2176 Gebeinen“ und 137 mit Steinen beschwerten und im Meer versenkten Leichen. Fest steht auch die Zahl der „etwa 65 BA-MA, RH 19 VII/11, Blatt 416. 66 Schramm, Kriegstagebuch OKW (1943/2), S. 1119 (18. 9. 1943): „Der OB Südost wird angewiesen (…) wegen des gemeinen und verräterischen Verhaltens auf Kefalonia keine ital. Gefangene machen zu lassen.“

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1564“ Italiener, die bei ihrem Abtransport vom Inselhafen Argostoli auf das Festland durch Minen oder (alliierte) Bombardierung ums Leben kamen, oft aber fälschlich auch unter die Exekutierten gerechnet werden. Die Gesamtzahl der auf Kefalonia von ihren einstigen Bundesgenossen „gemäß Führerbefehl behandelten“ (massakrierten) Italiener bliebe also wohl unter 3000, obwohl auch verdienstvolle Historiker wie der kürzlich verstorbene Gerhard Schreiber „auf der Basis der referierten italienischen Angaben“ von 4768 bis zu 5326 auf Kefalonia Ermordeten ausging, die das letzte deutsche Ultimatum hatten verstreichen lassen.67 Dass sich die Wehrmacht auf dem Dodekanes gegen die italo-­britischen Verbände durchsetzen konnte, war einer ihrer letzten Offensiverfolge und ein Stimulans für die Truppenmoral. Dabei profitierte sie von alliierten Fehlentscheidungen: Das GHQME hatte die Zeitspanne im Vorfeld der erwarteten italienischen Kapitulationserklärung nicht für den Aufbau von Stoßtrupps genutzt. Als Rhodos aufgrund ­dieses Versäumnisses verloren ging, hätte Kos mit allen Mitteln verstärkt werden müssen, denn in der ganzen Ost-­Ägäis gab es nur noch dort einen betriebsfähigen Flugplatz; es lag auf der Hand, dass ihm der nächste deutsche Angriff galt. Stattdessen versteiften sich vier Fünftel des britischen Kontingents auf das Sekundärobjekt Leros, und Kos überließ man hauptsächlich der fragilen Verteidigung durch die Italiener, die über Nacht zu neu erworbenen Quasi-­Alliierten aufgewertet wurden. Mit der Eroberung von Kos fiel den Deutschen die Luftherrschaft zu, die ihnen anschließend auch die Einnahme von Leros ermöglichte. Verfehlt ist das Argument unzureichender Truppenstärke, das britische Militärs anführten, denn verfügbar waren prinzipiell, ohne alliierte Verbände von anderen Fronten abzuziehen, die griechischen Nahost-­Streitkräfte, deren politische Querelen stets auf ihre erzwungene Inaktivität zurückgeführt worden waren. Trotzdem verzichtete London auf den Einsatz des griechischen Potentials, denn deren Präsenz in der Süd-­Ägäis hätte die Türken irritieren können, mit Sicherheit aber die Italiener. Um diese nicht zu verprellen, verzögerte sich die Verwendung kampfbereiter griechischer Verbände um einen ganzen Monat – sogar auf Samos, das im Gegensatz zum Dodekanes bereits griechisches Staatsgebiet war. Die britische Anbiederung führte aber nicht zum gewünschten Erfolg. Auf den meisten Inseln war die italienische Haltung den Deutschen gegenüber unschlüssig, während die Griechen – von Kairo bis Athen – über die den gestrigen Feinden entgegengebrachten Artigkeiten erbittert waren. 67 Vgl. insbesondere Hermann Frank Meyer, Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-­Division im Zweiten Weltkrieg. Berlin: Ch. Links Verlag, 2008, S. 289 – 453; Gerhard Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter Opfer, Strafverfolgung, München: Beck, 1996, S. 76 – 92. Christoph Schminck-­Gustavus, Kephallonia 1943 – 2003 – auf den Spuren eines Kriegsverbrechens. Bremen: Donat 2004.

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Angesichts der anhaltenden Zersplitterung und Überdehnung der deutschen Kräfte hatte der in dieser Kriegsphase kaum mehr erwartete Erfolg der Wehrmacht im Archipel weniger militärische als vielmehr politische Relevanz. Letztere bestand insbesondere in der Beibehaltung der Neutralität Ankaras, das zuvor sogar den Kriegseintritt auf alliierter Seite erwogen hatte. Aber auch in Griechenland gab dieser Erfolg den Deutschen Gelegenheit, sich seiner psychologisch zu bedienen. Die zensierte griechische Presse beschuldigte Briten und Italiener „verräterischer“ Geheimabsprachen mit griechischen Territorien als Köder. Als leuchtendes Gegenbeispiel dienten die „unerschütterlichen deutschen Philhellenen“, w ­ elche beste Perspektiven böten, sofern man mit ihrer „Neuordnung“ des Kontinents konform gehe. Hinzu kamen handfeste „Beweise“ guten Willens, etwa die Rückgabe der nach Verplombung beschlagnahmten Radioapparate, vor allem aber die demonstrative Freilassung mindestens 2000 politischer Gefangener, die von den Italienern verhaftet worden waren. Sogar in zeitgenössischen alliierten Quellen zeigt sich die Irritation, die diese deutsche Goodwill-­Kampagne hinterließ. Bemerkenswert ist die Zwischenbilanz der „Doppelbesatzung“ des keineswegs deutschfreundlichen Giorgos Theotokas.68 Der bekannte Schriftsteller registrierte im Vergleich zu den kleinlichen und oft gehässigen italienischen Nachbarn „mehr Freiheit“, mehr Großzügigkeit unter den Deutschen, die „einen in Ruhe lassen, solange man ihnen nicht auf die Hühneraugen tritt…“ Bemerkenswert ist der Zeitpunkt d­ ieses Tagebucheintrags, nämlich noch vor den meisten Massakern, die das Bild der deutschen Besatzer s­ päter – bis heute – nachhaltig geprägt haben. Doch auch dann wurden die blutigen „Sühnemaßnahmen“ zwar den faktischen Tätern, aber auch dem Andartiko und insbesondere dessen britischen Urhebern angelastet. Letztere hätten „das Feuer entzündet, als Teil ihres allgemeinen Plans, im besetzten Europa Unruhe zu stiften, ohne sich Gedanken zu machen über das Ausmaß der Katastrophe, die Griechenland bevorstand“, während die Andarten „untereinander einen Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen haben, als ob von uns abhinge, in ­welche Richtung sich Europa sozial und politisch orientiert“.69 Wenige Tage, bevor im fernen Libanon dieser griechische Bruderkrieg sein vorläufiges Ende fand, wurden auf deutsches Betreiben einige hohe italienische Funktionäre wegen „Bündnisverrates“ vom Sondergerichtshof der faschistischen Rumpfrepublik von Salò zum Tode verurteilt und am 24. Mai 1944 hingerichtet.70

68 Theotokas, Tagebuchhefte, 25./26. September 1943. 69 Theotokas, Tagebuchhefte, 26. Oktober 1943. 70 Darunter der ehemalige Gouverneur der Dodekanes, Admiral Inigo Campioni und der Marine­ kommandant von Leros, Admiral Luigi Mascherpa. (Völkischer Beobachter, 28./29. Mai 1944; Fleischer, Im Kreuzschatten, S. 304, 665).

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Résistance und interne Konflikte 1943 – 1944 Das Andartiko an der Peripherie

Der bewaffnete Widerstand durch „Irreguläre“ hatte bereits im Mai 1941 beim Kampf um Kreta eingesetzt; dort bekamen Griechen erstmals die unerbittlichen Repressalien der Besatzer zu spüren, die als Begründung eine Kollektivverantwortung der Bevölkerung vorgaben. Dennoch gründeten am 15. Juni 1941 Abgesandte der vier kretischen Präfekturen das Oberste Kampfkomitee Kretas (Ανωτάτη Επιτροπή Αγώνος Κρήτης, AEAK). Zu mehr als begrenzten Aktionen kam es jedoch nicht, da dem politische und persönliche Differenzen wie auch die dominierende Präsenz der Besatzungstruppen entgegenstanden. Schon Ende 1941 fiel die Entscheidung für Kreta als Anlaufstelle des Truppen- und Materialnachschubs für Rommels Afrikakorps. In ­diesem Zusammenhang begann man, einen Flughafen auf dem neuesten technischen Stand beim südkretischen Dorf Tymbaki zu errichten. Dafür wurden insgesamt 7000 Kreter zur Zwangsarbeit beordert, so dass der Ort zum Symbol deutscher Unterdrückung wurde. Viele Zwangsrekrutierte wandten Methoden passiven Widerstands an, obschon Arbeitsverweigerung bzw. -verzögerung als Sabotage bestraft wurden. Dementsprechend verzögerte sich die Fertigstellung. Nach der Niederlage bei El Alamein und dem Verlust Nordafrikas wurde das ehrgeizige Projekt auf Kreta nicht nur überflüssig, sondern sogar ein Risikofaktor. So rissen die Deutschen den nahezu fertiggestellten Flughafen wieder ab, um einer eventuellen alliierten Truppenlandung kein Einfallstor zu bieten. Um subversive Kontakte lokaler Widerstandskämpfer mit britischen U-Booten zu verhindern, hatte der Inselkommandant bereits 1942 die leicht einnehmbaren Küstenstriche zu Sperrzonen erklärt. Auf Empfehlung der deutschen Marineführung, Kreta über das Kriegsende hinaus auf Dauer besetzt zu halten, hatte Hitler Befehl erteilt, die Insel zur uneinnehmbaren Festung auszubauen. Neben umfangreichen Befestigungsarbeiten wurde auch die Garnisonsstärke erhöht: Auf jeweils fünf Kreter kam ein deutscher bzw. italienischer Besatzer, womit die Götterinsel wohl zum dichtest besetzten Gebiet in Hitlers Europa wurde. Passiver und aktiver Widerstand überlappten sich auf Kreta mehr als anderswo. Verbreitet waren das Sammeln wichtiger Informationen zur Feindlage und deren Weitergabe an alliierte Stellen, Unterschlupf und Verpflegung für Andarten und eingeschleuste britische Verbindungsoffiziere sowie Sabotageakte jeder Größenordnung, trotz drohender Todesstrafe für s­ olche Hilfeleistungen. Die Exekutionen von jeweils 50 Kretern im Juni 1942 und Juli 1943,71 beide Male nach Sabotageakten kretisch-­britischer Kommandotrupps gegen den Flugplatz in Heraklion, ließen keinen Zweifel, wie ernst die Drohung war. Generell herrschte jedoch unter den 71 Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta 1941 – 1945, Freiburg: Rombach 1989, S. 50 ff., S. 96 f.

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Besatzern eine Unsicherheit, die zuweilen – auch s­ päter auf dem Festland – aufgrund wachsender Ängste vor dem allgegenwärtigen Feind Formen einer Psychose annahm, mit blutigen Konsequenzen für die Zivilbevölkerung. Bezeichnend war etwa die Warnung in der größten Tageszeitung, die Hirten sofortige Erschießung androhte, sollten sie beim Anrücken deutscher Truppen pfeifen.72 Diese uralte Methode, Herden und Schutzhunde zu lenken, hielten die Besatzer, nicht ganz zu Unrecht, für ein Warnsignal an Dörfer und Partisanen in unmittelbarer Nähe. Die bewaffneten Gruppierungen auf dem Land agierten lange separat, da ihr Zusammenhalt auf lokale und familiäre Netzwerke zurückging. Den politisch-­ideologischen Koordinaten Griechenlands begegnete man jedenfalls auch hier: Ganz links fand man sich unter dem Banner von EAM/ELAS zusammen. Die andere Seite bildete im Oktober 1942 auf Drängen der Briten einen lockeren Verbund als Nationale Kretische Organisation (Εθνική Οργάνωση Κρήτης, EOK). Doch waren die Grenzen ­zwischen beiden Lagern unschärfer als auf dem griechischen Festland, zumal beiden der kretische Nationalheld Eleftherios Venizelos (1864 – 1936) auch noch posthum seinen Stempel aufgedrückt hatte. Insofern stellt Kreta einen Sonderfall während der Besatzungszeit dar. So geschah es mehrmals, dass Andartenführer von der einen in die andere Organisation wechselten, und trotz gelegentlicher Zusammenstöße blieben ELAS und EOK miteinander in Kontakt und kooperierten sogar, wenn es gegen den gemeinsamen deutschen Feind ging, der auf Kreta länger als anderswo blieb. Erst nach dem Ausbruch des offenen Bürgerkriegs kam es zu Brutalitäten wie auf dem Festland. Lokales Geplänkel z­ wischen ELAS, EDES und dem 5/42-Regiment in der ersten Jahreshälfte 1943 weitete sich nicht aus oder wurde durch alliierte, von den jeweiligen Gegnern akzeptierte Vermittler beigelegt. Bei ähnlichen Zusammenstößen in der griechischen Festlandsperipherie war dies nicht der Fall. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der größeren Distanz von den ‚Kommandozentralen‘ des ELAS bzw. der steigenden Zahl britischer Verbindungsoffiziere, andererseits in der Tatsache, dass sich in Makedonien und auf der Peloponnes die Rivalen des ELAS auch aus britischer Sicht diskreditierten. In beiden traditionell konservativen Regionen hatte sich aus verschiedenen Gründen der Aufstieg von EAM-ELAS verzögert, zumal bereits autonome Banden, aber auch zwei Organisationen mit diffuser konservativer Ideologie auf der Bühne erschienen waren. Die regionalen Organisationen Griechisches Heer (Ελληνικός Στρατός, ES) auf der Peloponnes und Verteidiger Nordgriechenlands (Υπερασπιστές Βορείου Ελλάδος, YVE) mit Sitz in Thessaloniki hatten aufgrund der geografischen Entfernung keine Verbindung. Beide gaben vor, bereits in den ersten Besatzungsmonaten gegründet worden zu sein, doch bewaffnete Aktionen setzten erst viel s­ päter ein.73 Der harte Gründungskern 72 Zeitung Paratiritis, 7. Januar 1943. 73 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 275 – 294.

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sowohl von ES als auch von YVE bestand aus Offizieren. Später behaupteten beide, dass zu ihren Mitgliedern nahezu alle fähigen und patriotischen Offiziere der Region zählten, darüber hinaus die überwiegende Mehrheit der ‚angesehenen Bürger‘. Die unverhohlene Neigung, für sich alles zu monopolisieren, was als nationale Gesinnung bezeichnet werden konnte, lief zwangsläufig auf einen Konflikt mit der gleichermaßen ausgeprägten, wenn auch selten eingestandenen Tendenz beim EAM-ELAS hinaus, das Résistance-­Monopol fürs eigene Banner zu reklamieren. Konfliktträchtig waren auch die ideologischen Differenzen. Der ES bestand mehrheitlich aus eingeschworenen Monarchisten. Nur auf der Peloponnes spielten diese als einzige organisierte Kraft jenseits der EAM die Rolle des ebenbürtigen Gegenpols. Daher waren die Spielräume für ein gemeinsames Vorgehen von EAM und den Anti-­ EAM-Kräften dort noch geringer als anderswo. Zur YVE gehörten in geringerem Ausmaß auch Venizelisten und sogar Gruppierungen mit sozialistischem Gedankengut, aber antikommunistischen Überzeugungen. Wie beim ES verfolgte man auch hier eine Hinhaltetaktik, um „zu rechter Zeit“, nämlich der erhofften Landung alliierter Truppen, den bedrängten bzw. bereits abziehenden Besatzern in den Rücken zu fallen. Wichtigste Intention beider Organisationen war jedenfalls die „Wahrung der Ordnung“ nach dem Abzug der Okkupanten. In der internen Korrespondenz ließ man jedoch keine Zweifel, welchem Feind primär die eigenen Vorbereitungen galten: den landeseigenen „anarchischen Elementen“ bzw. im Klartext den „EAM-Kommunisten“, denen man in der entscheidenden Phase vor dem Eintreffen alliierter Streitkräfte beim Machtkampf zuvorkommen wollte. Angesichts ähnlich rigider Einstellungen seitens der EAM war ein Bürgerkriegskonflikt vorprogrammiert. Auf der Anti-­E AM-Seite stellte sich somit die Bündnisfrage. Entsprechende Sondierungen bei den Briten fanden Resonanz nur auf individueller Ebene, d. h. bei einigen Verbindungsoffizieren. Grundsätzliche Sympathien seitens des britischen Botschafters Sir Reginald Leeper und des Foreign Office wirkten sich nur bis zu dem Punkt aus, an dem die feste Überzeugung von SOE und BMM , die alliierte Strategie sei auf eine Kooperation mit der griechischen Linken angewiesen, entsprechend Grenzen setzte. Dies war spätestens nach Unterzeichnung des National Bands Agreement der Fall, denn EAM/ELAS kontrollierte den weitaus größten Teil des nicht von der Wehrmacht beherrschten Territoriums und insbesondere den Weg ins jetzige und künftige Machtzentrum Athen. Für den Fall, dass die friedliche Koexistenz des ELAS mit der jeweils rivalisierenden Andartengruppe sich als unmöglich erweisen sollte, musste das Pendel zwangsläufig zuungunsten einer lediglich regional operierenden Organisation ausschlagen. Von dieser nahezu axiomatischen Regel nahmen die britischen Strategen den EDES und die kretische EOK aus, denn beide waren erprobte anglophile Organisationen, die im Fall einer alliierten Landung wichtige Brückenköpfe kontrollierten. Ebensolche Dienste hatten auch die Verantwortlichen von YVE/PAO und ES angeboten, ohne aber die SOE überzeugen zu können. So entschlossen sich einige Offiziere, anfängliche

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Skrupel zurückzustellen und zu einer mehr oder weniger diskreten Kooperation mit den ‚patrio­tischen Elementen‘ im Verwaltungsapparat des Besatzungsregimes überzugehen. Dabei zählte deren erwiesen antikommunistische Gesinnung mehr als die meist ephemer gebliebene Kooperation mit den bald abziehenden Deutschen. Gelegentlich gab es auch andere Berührungspunkte. So hatte die YVE sich das Ziel gesetzt, separatistische Propaganda der slawophonen Minderheit im Norden des Landes zu konterkarieren, als deren verlängerter Arm man auch die Internationalisten der KKE ansah. Zumindest in d ­ iesem Punkt ergab sich eine Kooperation mit dem Generalgouverneur Makedoniens Athanasios C ­ hrysochóou, der diesen konkreten Auftrag vom Kollaborationspremier Tsolakoglou erhalten hatte. Bis heute ist umstritten, in welchem Ausmaß sich das Verhältnis der nationalistischen Résistance zum „Gauleiter“ des kollaborierenden Regimes entwickelte, den viele, auch außerhalb der EAM, für den geheimen Führer der YVE hielten. Diese vermutete Beziehung war wohl der Hauptgrund für die stufenweise Umbenennung der Verteidiger Nordgriechenlands (YVE ) in Panhellenische Befreiungsorganisation (Πανελλήνιος Απελευθερωτική Οργάνωσις, PAO). Zugleich sollte damit auch die erhoffte, aber nie erreichte überregionale Ausdehnung der Organisation demonstriert werden. Die neue Bezeichnung und die öffentliche Distanzierung von Chrysochóou wurden von den ohnehin Misstrauischen lediglich als Bestätigung ihres Argwohns wahrgenommen. So wuchs die Rivalität z­ wischen EAM/ELAS und PAO rasch über das Stadium gedruckter Polemik hinaus und ging in bewaffnete Auseinandersetzung über, wenn auch mit gelegentlichen Verhandlungspausen. Auf der Peloponnes war eine ähnliche, etwas verzögerte Entwicklung festzustellen. Das Pendant zu Chrysochóou war Oberst Dionysios Papadongonas als verhängnisvoller Exponent des ES. Nach ersten wegweisenden Scharmützeln mit dem ELAS kontaktierte er die Besatzer mit der Offerte eines gemeinsamen antikommunistischen Kreuzzugs. Als entsprechende Informationen durchsickerten, dementierte der ES zunächst deren Authentizität, distanzierte sich aber anschließend explizit von Papadongonas und akzeptierte sogar im August 1943 die Zwangsvereinigung mit dem regionalen ELAS. Doch eine starke interne Opposition unter Rittmeister Tilemachos Vrettakos, Spross einer einflussreichen Dynastie Lakoniens, verließ die Organisation und rief zum „Gegenterror“ gegen EAM/ELAS auf.74 Als die erhoffte Rückendeckung aus Kairo ausblieb, zog die Mehrheit denselben Schluss wie zuvor viele Führungskräfte bei YVE/PAO: Angesichts der innergriechischen Auseinandersetzung sei es legitim, das hilfreiche Wohlwollen oder zumindest die Tolerierung seitens der griechischen Kollaborationsbehörden und damit zwangsläufig auch der Besatzer für den eigenen „nationalen Kampf “ zu ­nutzen.

74 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 281.

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Diese stufenweise Metamorphose wäre ohne Akteure von dritter Seite nicht möglich gewesen. So schienen auch hier die geflissentlichen deutschen Sympathiebekundungen für die „griechischen Nationalisten“ das Misstrauen der EAM zu bewahrheiten. PAO und ES wurden weiter in jene suspekte Ecke gedrängt, in der man sie bereits fest etabliert glaubte. Den weiteren Verlauf beschleunigten britische Zweifel, ob diese Organisationen Unterstützung verdienten. Damit verloren Letztere nicht nur überlebenswichtige Subsidien, sondern auch den Nimbus alliierter Anerkennung. Im Oktober 1943 wurden die letzten ES -Gruppen vom ELAS aufgerieben. Das Kriegsgerät, das Vrettakos von Papadongonas und jener dann von den Deutschen angefordert hatte, traf nicht rechtzeitig ein. Der Anführer fiel im Gefecht. Nahezu zeitgleich baten im Norden Griechenlands die Relikte der PAO für ihren Zusammenstoß mit dem ideologischen Kontrahenten die geistesverwandte Kollaborationsregierung um Hilfe, verbunden mit der Drohung, im Fall einer Ablehnung direkt mit den Deutschen zu kooperieren.75 Angesichts ­dieses Dilemmas löste das PAO-Kampfkomitee auch die letzten Partisanenverbände auf und verwarf jeden Gedanken an strategisch bedingte Kontakte zum Besatzer. Dennoch stellte die PAO keine Ausnahme im Spektrum der durch EAM/ELAS aufgeriebenen Verbände dar. Einige schlossen sich mehr oder weniger freiwillig den Siegern oder anderen Gruppen an, viele flohen nach Nahost oder kehrten in ihre Heimatorte zurück. Wieder andere beschlossen, Rache zu nehmen, sei’s auch mit deutschen Kugeln. Da sie aber weiterhin unter dem Namen PAO agierten, ruinierten sie endgültig den posthumen Ruf ihrer Organisation. Im Nachhinein unterschieden weite Bevölkerungskreise nicht mehr z­ wischen den PAO-Flügeln: dem kollaborativen einerseits und dem nicht nur dem Namen nach patriotischen andererseits. Aber auch die Anhänger des Ersteren fanden bei manchen neutralen Beobachtern Rechtfertigung als verzweifelte Patrioten, die aufgrund des Drucks der Kommunisten sich lieber mit den Deutschen als kleinerem Übel liierten. Im Gegenzug verkündete die EAM , die Absprache des inneren Gegenspielers mit dem äußeren Feind sei nicht Folge, sondern Grund ihrer eigenen Aggressivität gewesen.76 Dem Bürgerkrieg entgegen

Schritt für Schritt hatten sich die EAM und ihre ‚Volksarmee‘ ELAS landesweit ausgebreitet. Erste Scharmützel mit nahezu allen anderen Andartengruppierungen im Bergland gingen meist auf ihr Konto. Dies schuf auch in den Städten eine ausgeprägte Polarisierung der innergriechischen Konstellation, wobei das Lager jenseits der EAM allerdings in zahllose Organisationen aufgesplittert war. Der erste Versuch einer Sammlungsbewegung 75 NARA, Rg. 226: 68067. 76 Vgl. auch in ­diesem Band: „Kontakte ­zwischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand: ‚Solide Taktik‘ oder Kollaboration?“.

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führte im Februar 1943 zur Gründung der Volksbefreiungsunion (Λαϊκή Απελευθερωτική Ένωσις, LAE), in der sich vor allem bürgerlich-­sozialistische Gruppen und der Athener EDES zusammenfanden. Wenige Wochen ­später wurde ­dieses Bündnis als National-­ Republikanische Befreiungsfront (Εθνικό Δημοκρατικό Ελευθερωτικό Μέτωπο, EDEM) durch Themistoklis Tsatsos als Repräsentant des „demokratischen“ (republikanischen) Parteienspektrums erweitert. Doch die Hoffnung, dass auch die Spitzen des politischen Establishments endlich aus ihrer Lethargie erwachten, erfüllte sich nicht. Ungünstig wirkte wohl die Namenswahl, denn sie stempelte die eben entstandene Union sofort zum EDES -Anhängsel. In der Tat scheiterte EDEM letztlich vor allem daran, dass die Repräsentanten des EDES den Spaltpilz der divergierenden Flügel – bewaffneter Kampf: ja oder nein? – aus ihrer Mutterorganisation in das neue Bündnis trugen. Auch der Versuch von LAE, ihre Basis durch grundsätzliche Offenheit auszubauen, erwies sich als kurzlebig, so dass sie unvermeidlich ­zwischen den Blöcken zerrieben wurde. Zu Beginn waren EDEM und vor allem LAE auf die Linke mit Kooperationsangeboten zugegangen, wobei sogar die Option einer Verschmelzung mit der EAM nicht ausgeschlossen wurde. Doch bei diesen Annäherungsversuchen ging es wohl eher darum, eigene Toleranz und Gutwilligkeit zu demonstrieren. Zwar wurde man von der anderen Seite brüsk abgewiesen, doch genügte allein schon der Sachverhalt des Versuchs, um konservative Randgruppen auf Abstand rücken zu lassen. Folglich bemühte sich dieser periphere Bereich um eigene Organisationsstrukturen. Einen allerersten Versuch in diese Richtung unternahm der einstige Oberbefehlshaber Alexandros Papagos. Nach lang andauernden Vorgesprächen gründete er am 20. Mai 1943 die Militärische Hierarchie (Στρατιωτική Ιεραρχία, SI) mit fünf Kollegen; es handelte sich bei allen um Generalleutnants, denen nicht der Makel der Kollaboration anhing, wie bei T ­ solakoglou der Fall. Das Generalssextett war guter Hoffnung, allein schon mit dem stolzen Titel „Militärische Hierarchie“ Fakten schaffen zu können: das Offizierskorps weitgehend zu kontrollieren und dann die Führung der Résistance zu übernehmen. Dabei verfolgte man zwei Ziele: Zum einem wollte man die Mobilmachung vorbereiten, um (wieder einmal) „im geeigneten Augenblick“ gegen den äußeren Feind loszuschlagen. Das zweite Ziel motivierte die Generäle vermutlich noch mehr: nämlich die innergriechischen „antinationalen“ Elemente zu bekämpfen, so dass „jeder Versuch, die Ordnung zu zerstören und das soziale Gefüge aufzulösen“ 77, vereitelt würde. Vollkommen abgekoppelt vom faktischen Geschehen schickte Papagos in besagter Mission seinen Vertrauten, den dienstältesten General Nikolaos Tsipouras zum Sitz des Hauptquartiers in Pertouli, damit dieser in seinem Namen die Führung des Andartiko übernehme. Dort aber wurde der „Statthalter“ des Oberbefehlshabers in spe auf einstimmigen Beschluss des Andarten-­ Triumvirats und der BMM als kollaborationsverdächtig vorerst festgenommen. Fast

77 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 252.

74 | Krieg und Besatzung

gleichzeitig verhafteten die Deutschen im Juli 1943 Papagos und vier seiner Kollegen; in Konzentrationslager des Reichs verbracht, wurden sie erst im Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit. Nur der sechste General blieb verschont, da ein Minister des Athener Regimes sich für ihn verwendete; anschließend versuchte jener sich als Brückenbauer ­zwischen kollaborationsfreundlichen Elementen der Exilregierung und britischen Dienststellen. Die rechtskonservative Nationale Tat (Εθνική Δράση, ED ) hielt jedoch wenig von Papagos’ „elitärem Geschwätz“ und schickte Offiziere in die Peloponnes zum ES , während sie sich in Athen bemühte, möglichst viele Splittergruppen an sich zu binden. Schließlich fanden sich im September 1943 neun dieser Gruppen in der losen Nationalistenunion Panhellenischer Befreiungsverband (Πανελλήνιος Απελευθερωτικός Σύνδεσμος, PAS ) zusammen. Auffällig beim PAS war die große Fluktuation unter den teilnehmenden Organisationen, denn der gemeinsame Nenner bestand namentlich in einem gegen faktische oder vermutete Kommunisten gerichteten Argwohn.78 Kurzzeitig zeigte sich ein Hoffnungsschimmer, dass man den sich abzeichnenden Bürgerkrieg noch vermeiden könne. Nachdem die Wehrmacht am 7. Juli 1943 bulgarischen Verbänden das Gebiet westlich des Strymon zur „Verwaltung“ überlassen hatte, musste sie die „Geschlossenheit des ganzen [griechischen] Volkes“ feststellen. Doch diese unerwartete Einmütigkeit hatte primär antibulgarischen Charakter, während intern sogleich das Gerangel einsetzte, welches Lager diesen Kampf wohl am besten artikuliere. Diese Querelen fanden vor dem Hintergrund der eben erfolgten alliierten Landung in Sizilien statt, die man für eine Vorankündigung rascher Befreiung hielt. Schnell verkündeten alle Fraktionen, erbittert gegen den deutsch-­bulgarischen „Putsch“ kämpfen zu wollen. Doch dann ignorierten die linken Organisationen den „weißen“, nicht von der EAM organisierten, Streik am 13. Juli in Athen, Thessaloniki und anderswo. Von rechts wurden sie dafür als „Bulgarenbrüder“ diffamiert. Trotzdem war der Streik ein Riesenerfolg: Die Städte erstarrten im Zeichen ­­ des Protests; Geschäfte, Fabriken und Büros blieben geschlossen. Die Antwort der EAM kam am 22. Juli. Wieder legte ein Generalstreik die Hauptstadt lahm. 300.000 Athener ließen sich von den diesmal mit Panzern auffahrenden Besatzern nicht beeindrucken. Am Ende gab es zahllose Tote, Verletzte und Verhaftete. Diese Tatsache, so das KKE-Partei­organ Rizospastis am 30. Juli, „zerschmettert[e] alle ehrlosen Verleumdungen“ der Gegner; doch die Sachlage war komplizierter. Das Misstrauen gegen die „patriotische Gesinnung“ der KKE ging weit über konservative Kreise hinaus. Es fußte auf deren „internationalistischer“ Politik der Vorkriegsphase, als die Partei unter dem Druck der Komintern dem (slawo)makedonischen Bevölkerungsteil „umfassende Selbstbestimmung“, wenn nicht gar Unabhängigkeit

78 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 251 f.

Besatzung und Widerstand 1941 – 1944 | 75

versprochen hatte. Die Entwicklungen ließen die Parteiführung ab 1934/35 schrittweise von dieser unglückseligen Devise abrücken, insbesondere nachdem Zachariadis, von Moskau eingesetzt und vom Parteivolk mittlerweile geradezu kultisch verehrt, 1941 ins KZ Dachau deportiert worden war. Während dessen Haftjahre bis zur kaum noch für möglich gehaltenen Befreiung im April 1945 verfolgte sein De-­facto-­Nachfolger Siantos einen „sozialpatriotischen“ Kurs, zugeschnitten auf eine dafür empfängliche, immens gestiegene Anhängerschaft. Nach Kriegsende wurde ihm dies von Tito und dessen Anhängern vorgeworfen, die Aspirationen auf Griechisch-­Makedonien hegten.79 Tatsächlich hatte die KKE-Führung der Kriegsjahre erstaunlich standhaft gekontert, wenn die jugoslawischen Genossen über Titos Emissär Vukmanovic-„Tempo“ darauf drängten, Regelungen zur Vereinigung makedonischer Territorien in Jugoslawien, Griechenland und Bulgarien zu treffen. In bürgerlichen Kreisen war dies weder bekannt noch glaubhaft. Selbst Professor Alexandros Svolos, der spätere Präsident der linken „Bergregierung“, hegte lange ernste Zweifel an der KKE-Version. So geriet die lokale Kooperation von ELAS und jugoslawischen Partisanenverbänden in Grenz­ gebieten in ein schiefes Licht und goss Öl ins Feuer des nationalen Misstrauens gegen die KKE. Dieselbe Wirkung hatte auch die unverhohlene Propaganda der slawophonen Autonomisten im Sinne eines „vereinten Makedoniens“. Auch nicht-­kommunistische Exponenten der EAM waren über eventuelle Zugeständnisse an die slawischen Bruder­ parteien der KKE besorgt, zumal die „nationalen Fragen“ zu den wenigen ­Themen gehörten, bei denen die Juniorpartner SKE und die Volksdemokratische Union ELD darauf bestanden, die EAM-Politik maßgeblich mitzubestimmen. Doch als die griechischen Kommunisten die Linie zur territorialen Integrität des Landes endlich akzeptiert hatten, hielten viele – vermutlich die meisten – Griechen ­dieses Zugeständnis bereits für ungenügend. Da man fest an den alliierten Sieg und die nicht nur von Churchill für danach verheißene territoriale „Belohnung für das tapfere Griechenland“ glaubte, war unter den speziellen Bedingungen der Besatzung eine fast vergessene Parole wiederaufgelebt: „Großgriechenland“. Vor allem im heterogenen bürgerlichen Lager wirkte diese Losung richtungsweisend und integrativ, obschon die einzelnen Organisationen, was konkrete Inhalte betraf, erheblich voneinander abwichen. Die meisten trafen sich aber im Streben nach „strategisch notwendigen Grenzverbesserungen“ angesichts der aggressiven nördlichen Nachbarn, insbesondere des „Erbfeindes“ Bulgarien. Einig war man sich auch im Ruf nach der Befreiung der griechischen Irredenta, namentlich im seit 1912 italienischen Dodekanes sowie dem italo-­albanisch beherrschten Nordepirus. Hingegen wurde die „Enosis“ mit Zypern in dieser Phase 79 Vgl. etwa: Svetozar Vukmanovic, Über die Volksrevolution in Griechenland, Belgrad 1950, ein in mehreren Sprachfassungen gleichzeitig erschienenes Buch, sämtlich von der KP ­Jugoslawien herausgegeben; ders., Mein Weg mit Tito. Ein Revolutionär erinnert sich. München: Droemer Knaur, 1972. Vgl. auch das jugoslawische Parteiblatt Borba, 29.8. – 1. 9. 1949.

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fast nur von der EAM gefordert, da die meisten bürgerlichen Gruppen es vermieden die britischen Herren der Kronkolonie zu verärgern. Weitere Ansprüche wurden mit wirtschaftlichen und demografischen Notwendigkeiten begründet, etwa die Übernahme italienischer Kolonien in Afrika zur Wiedergutmachung und sogar bis in die Antike zurückreichende historische Erbansprüche.80 Im nationalistisch aufgeheizten Klima der Okkupationsjahre spekulierten gerade marginale rechtsextreme Organisationen darauf, durch überspitzte Forderungen neuen Zulauf zu erhalten. Vor allem diese ermöglichten es der linken Propaganda, die Exponenten des gegnerischen Lagers pauschal als „Imperialisten und chauvinistische Demagogen“ zu stigmatisieren. Durch s­ olche blindwütigen Attacken trug sie ungewollt dazu bei, dass eine Allianz disparater Elemente entstand, deren Bindeglied die Parole vom „Großgriechenland“ darstellte. Auch ungerufene Helfer eilten herbei, die „unter dem Deckmantel ‚nationaler Gesinnung‘ die Okkupanten vergaßen und reine Profis des Antikommunismus wurden“,81 wie sich ein führender Vertreter der von zwei Fronten bedrängten liberalen Studenten erinnert. Dass die kommunistische Polemik wieder einmal alles, was nicht EAM war, über einen Kamm scherte, wirkte so verheerend, wie es unerklärlich war; denn inzwischen hatte sich die KKE mit den gemäßigteren Ausprägungen einer öffentlichen Meinung arrangiert, die sie anfänglich unterschätzt hatte. Schrittweise machte sie ab Frühjahr 1943 in internen Diskussionen mit dem sozialistischen EAM-Flügel (ELD, SKE) und Neuzugängen (Sarafis) Rückzieher auch beim Streitpunkt territorialer Zugewinne. Beschleunigt wurde dieser Prozess nach der Auflösung der Komintern im Mai 1943, wodurch sich Handlungsspielräume für kommunistische Parteien eröffneten, und besiegelt wurde er mit einer öffentlichen Neuorientierung im November desselben Jahres. In der Broschüre „Keine Heimlichkeiten vor dem griechischen Volk“ forderte die EAM neben der Nord-­Epirus betreffenden „territorialen Abrundung“ auch strategische Grenzverbesserungen im Norden“,82 obschon man damit die Bruderparteien in den slawischen Nachbarländern verprellte. Zu einem Zeitpunkt, da die griechische Spaltung bereits zum bewaffneten Konflikt eskaliert war, offenbarte diese Stellungnahme, wie absurd die beidseitige Argumentation der Vormonate gewesen war. Der Vorwurf des „nationalen Ausverkaufs“, den das bürger­liche Lager gegen die EAM erhob, war vom Stand der Dinge überholt, genauso wie der unbedachte Kreuzzug Letzterer gegen sämtliche Schattierungen des 80 So etwa auf die seit dem Berliner Kongress 1878 autonome osmanische Provinz Ostrumelien mit der Hauptstadt Plovdiv (Philippopolis) und Bulgarisch, Türkisch und Griechisch als offiziellen Sprachen. Dieses Konstrukt der Großmachtpolitik hatte aber keinen Bestand und ging schließlich im neugegründeten Königreich Bulgarien auf. 81 Peponis, Bericht eines Zeitzeugen, S. 32. 82 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 265 ff.

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„bürgerlichen Imperialismus“. Dem Zerfall und der Auflösung der politischen Mitte folgte unvermeidlich die Polarisierung beider Lager, die sich gegenseitig als „Faschisten“ beziehungsweise als „EAM-Bulgaren“ beschimpften. In Verbindung mit dem weiterhin virulenten konstitutionellen Streit beschleunigte diese Polarisierung die bewaffnete Konfrontation. Man ließ frühere Hemmschwellen hinter sich, einen Bürgerkrieg zur Beilegung politischer Differenzen überhaupt in Erwägung zu ziehen: die jeweiligen Antagonisten wurden vereinfachend als Werkzeuge „fremder“ Mächte abqualifiziert. Überdies erwarteten die Griechen angesichts des bevorstehenden italienischen Zusammenbruchs, dass nun auch die deutsche Besatzung bald zu Ende sei und man im Hinblick auf innergriechische Machtverhältnisse dann schnell handeln müsse. Die deutsche Niederlage in Nordafrika, die alliierte Landung in Italien und der Sturz Mussolinis lösten einen Exodus frischer Andarten aus, die sich bestehenden Verbänden anschlossen oder neue bildeten. Viele sahen ihren Feind weniger im „ephe­ meren“ Besatzer als im innergriechischen Rivalen. So erklären sich Misstrauen und Aggressivität der jeweiligen Gegenseite. Beeindruckend war vor allem der Zulauf ehemals zögerlicher Offiziere zu den bürgerlichen Organisationen, offensichtlich mit der Aussicht auf baldige Befreiung (und Beförderung). Allein der EDES verzeichnete 1200 Neuzugänge, von denen sich Zervas künftige Überlegenheit versprach. So erging am 31. August 1943 sein Geheimbefehl zur Sicherung der Ordnung gegen „antinationale und reaktionäre Elemente“. Die Machtfrage beschäftigte aber auch die kommunistische Führung, die mehrere Pläne zur Besetzung Athens unmittelbar nach dem Abzug der Deutschen ausarbeitete. Doch diese Pläne ließen vorerst die Option eines bewaffneten Zusammenstoßes mit den Briten unberücksichtigt, mit denen man eben erst ein Kooperationsabkommen unterschrieben hatte. Zudem war eine Delegation der drei vom GHQME anerkannten Andartenorganisationen (ELAS , EDES , 5/42) zu Verhandlungen in Kairo geladen. Doch deren Mission verlief glücklos. Die vom Foreign Office erzwungene Rückkehr der Delegierten Mitte September koinzidierte mit der Aufwertung der Britischen (BMM) zur Alliierten Militärmission (AMM) – durch Beitritt einiger amerikanischer Offiziere. Die Gesamtleitung übernahm Woodhouse, denn man hielt ihn im Vergleich zu Myers für EAM-kritischer. Nicht unberechtigt waren deshalb die Einschätzungen der Linken, dass die Briten mittlerweile vorbehaltlos dem König den Rücken stärkten. Dessen geplante Rückkehr als Kommandeur der griechischen Nahost-­Streitkräfte ohne vorhergehenden Volksentscheid setzte Koalitionen innerhalb Griechenlands voraus, die über das Umfeld der nationalistischen Athener Kleingruppierungen hinausführten. So musste also zuerst Klarheit über die Haltung der anderen Akteure geschaffen werden. Dabei ging es vor allem um den EDES, der als vorgesehener monarchistischer Brückenkopf Gefahr lief, sich zu einem Magneten des gesamten Anti-­E AM-Spektrums zu entwickeln, unter Einschluss kollaborierender und anderer suspekter Elemente. Darüber klagte auch Woodhouse in seinen Berichten an die SOE.

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ELAS gegen EDES

Unter solchen Vorzeichen verließ KKE-Chef Siantos nach einer Sitzung des Politbüros am 1. Oktober 1943 eilends die Hauptstadt, um in den Bergen persönlich die politische Führung des ELAS zu übernehmen und vor Ort Entscheidungen zum Thema Zervas zu treffen. Dass bis Mitte Oktober die Attacken der EAM-Presse gegen den EDES dessen Anführer aussparten, zeigt, dass die Option eines Zusammengehens im konstitutionellen Streit keineswegs ausgeschlossen war. Im ELAS-Hauptquartier tendierte man aber immer mehr zum Konfrontationskurs. Diesen Standpunkt teilte inzwischen auch Tzimas, da er nicht mehr am Doppelspiel von Zervas und Pyromaglou zweifelte. Tatsächlich hatten beide den Briten versichert, dass sie „das Monarchieproblem als zweitrangig hinter dem Problem EAM/ELAS einstuften“.83 Die EAM hielt die Organisationen – namentlich die PAO –, mit denen die Briten das Vereinigte Andartenhauptquartier erweitern wollten, für kollaborationsverdächtig und die systematischen Unterwanderungsversuche des EDES im ELAS -Gebiet bei gleichzeitiger Rekrutierung EAM -feindlicher Elemente für inakzeptabel. Ähnliche Vorfälle hatte es schon im vergangenen Frühjahr gegeben; doch damals konnte ein endgültiger Bruch stets vermieden werden, obwohl eine vermittelnde Institution wie das Gemeinsame Andartenhauptquartier noch nicht existierte. Angesichts der gesamtstrategischen Situation, des erwarteten Abzugs der Wehrmacht sowie diffuser Enthüllungen über Zervas’ Rolle stimmte nun auch Siantos zu, „mitleidlos“ einen Generalangriff gegen den EDES zu starten. Er begann am 10. Oktober. Nachdem die EDES-Enklaven in Thessalien und Roumeli überrollt worden waren, überschritt der ELAS den Grenzfluss Acheloos zum Kerngebiet von Zervas. Am 14. Oktober entwaffnete der ELAS die quasi-­alliierte Division Pinerolo. Begründet wurde diese Aktion zum einen mit der kaum verhohlenen Unwilligkeit der Italiener, gegen die Wehrmacht zu kämpfen, aber auch mit einer mutmaßlich drohenden Verschwörung faschistischer Offiziere. Die demoralisierten Ex-­Okkupanten, dem Hunger und in den Bergen einsetzendem Winterwetter ausgesetzt, erlitten schwere Verluste; verzeichnet sind 1150 Tote und 1500 Vermisste. Mit der Entwaffnung wehrte der ELAS nicht nur die bis dahin drohende Gefahr eines Flankenangriffs ab, sondern konnte dank reicher Beute sogar neue Einheiten bis hin zu einer Kavalleriebrigade aufstellen. Außerdem wurde er weitgehend unabhängig von den Abwürfen britischen Kriegsmaterials. Da das ELAS-Hauptquartier zuvor wiederholte Ultimaten des GHQME, alle Angriffe gegen die Pinerolo-­Division einzustellen, abgewiesen hatte, erreichte die beidseitige Reserviertheit nun eisige Temperaturen. Aris zufolge waren nicht einmal die Deutschen so schlimm wie die Briten, während die Briten intern beschlossen, den „sadistischen“ Kapetanios bei erster Gelegenheit als Kriegsverbrecher zu verhaften und abzuurteilen.

83 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 324.

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Doch aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung riskierte keine Seite einen offenen Bruch. Überdies machte sich ein Faktor geltend, der zu früh abgeschrieben worden war: Am 17./18. Oktober stießen deutsche Verbände von Trikala und Ioannina aus ins „Banden-­Kerngebiet“ vor. Die deutschen Säuberungsoperationen „Panther“, „Tiger“, „Puma“ usw. zielten zunächst darauf ab, die abgeschnürte Verkehrsader Ioannina-­Metsovo-­Kalambaka wieder zu öffnen, was schließlich gelang. Gebirgsjäger und andere deutsche Truppen brandschatzten und plünderten zahlreiche Dörfer, die als „Versorgungsstützpunkte der Banden“ galten; dabei machten sie sich den hohen Prozentsatz unerfahrener Novizen unter den Andarten zunutze. Als Folge der harten deutschen Repressalien in Verbindung mit den Bürgerkriegsgefechten zeigten sich bei der bis dato couragierten Zivilbevölkerung verständliche Ermüdungserscheinungen. So legten es die Deutschen darauf an, den Keil der Spaltung tiefer zu treiben: Flugblätter „an die nationalen Andarten“ riefen zum Kampf „gegen den gemeinsamen Feind – den Bolschwismus“ auf und vertieften zugleich den Argwohn der Attackierten gegenüber dem EDES. Tatsächlich versuchte Hubert Lanz, kommandierender General des in Epirus residierenden XXII. A. K., die eigenen Angriffe auf den „Hauptfeind“ – den ELAS – zu begrenzen und die „Nationalisten“ möglichst nicht zu behelligen, um sich die Chancen für künftige Kooperation nicht zu verderben. Erste Kontaktversuche hatten jedoch zu keinem greifbaren Resultat geführt, und die deutschen Stoßtrupps machten sich nicht immer die Mühe, blaue und rote „Banden“ – wie auf den Generalstabskarten markiert – voneinander zu unterscheiden. Kurioserweise war für Zervas die Schlappe, die ihm die Deutschen wohl ungewollt in seinem hochgelegenen Hauptquartier Voulgareli zufügten, letztlich seine Rettung. Denn daraufhin machte der General mit wenigen Getreuen einen Schwenk nach Westen und überquerte im November den neuen Grenzfluss Arachthos. So hatten er und seine Leute die Chance, sich im Mittelgebirge Xirovouni ungestört zu sammeln, zu erholen, die entstandenen Verluste durch Neuaushebungen aufzufüllen und das Hauptquartier nach Plaisia zu verlegen, das nur 22 Straßenkilometer vom Sitz des XXII. A. K. in Ioannina entfernt lag. Während also die Wehrmacht weiterhin im EAM-Gebiet den Hauptgegner bekämpfte, hatte Zervas auch vom Letzteren nichts zu befürchten, denn der ELAS „scheute sich, den Deutschen zu nahe zu kommen, was er tun müsste, um Zervas anzugreifen“, wie sein britischer Verbindungsoffizier Barnes nicht ohne Erleichterung vermerkte.84 Zugleich erkannte die EAM-Führung, dass die eigene Strategie der Vormonate auf zumindest einer falschen Voraussetzung beruhte: Die Deutschen waren nicht abgezogen, sondern griffen massiv in die innergriechische Auseinandersetzung ein. Generell barg der Gang der Dinge Risiken für die Linke. Als sich herumsprach, dass die Deutschen

84 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 335 ff.

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Abb. 3 General Lanz bei der Vorbesprechung zu einem „Bandenunternehmen“ im Herbst 1943.

die Aufstellung kollaborierender Evzonen-­Verbände mit Zervas’ altem Weggefährten Oberst Dertilis an der Spitze forcierten, interpretierte die EAM dies als Vorbereitung einer verdeckten Kooperation mit dem EDES. Auch mehrten sich die Anzeichen, dass das politische Establishment diesseits und jenseits des Mittelmeers aufeinander zuging. Sogar eine deutsch-­britische Annäherung schien sich abzuzeichnen, als Ende November erste Informationen über Kontakte des neuseeländischen Verbindungsoffiziers Donald Stott zu deutschen Offizieren und nationalistischen Athener Organisationen durchsickerten.85 Insgesamt war die KKE-Führung von der unerwartet harten Kairoer Haltung überrascht. In Radioappellen sowie Abertausenden Flugblättern lasteten die Briten der EAM/ELAS die Alleinschuld am Bruderkampf an und säten Verwirrung im linken Fußvolk. So rief die EAM Mitte Dezember zu einer friedlichen Lösung, und auch das ELAS-Hauptquartier sendete plötzlich Versöhnungssignale. Gegen Einwände der Militärs hatte das Londoner Kriegskabinett in den Vorwochen einen Bruch mit der EAM erwogen, denn diese, so die britischen Entscheidungsträger, verfolge eine Einbindung Griechenlands in die sowjetische Einflusssphäre. Um der Linken keine Freiräume zu lassen, die konstitutionelle Frage für eigene Interessen zu ­nutzen und so das gemäßigte Lager zu spalten, müsse Georg II. sich öffentlich verpflichten, einen Volksentscheid über seine Rückkehr im Ausland abzuwarten. Mittlerweile war man sogar

85 Ebd., S. 373 ff.

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im Foreign Office überzeugt, dass ein unautorisiertes Auftauchen des Königs in Griechenland höchstwahrscheinlich einen Bürgerkrieg provozieren würde, da „mindestens 80 % des griechischen Volks“ ihn verabscheuten. Als der Monarch erneut ablehnte, sich in der geforderten Weise zu erklären, rückten auch die britischen Pläne zu einem totalen Bruch mit der EAM in weite Ferne, da beide Optionen komplementär waren und sich gegenseitig bedingten. Mittlerweile hatten das GHQME und sogar Woodhouse darauf verwiesen, dass ein alliiertes Vorgehen gegen die Wehrmacht in Griechenland nur in Kooperation mit dem ELAS möglich sei. Alternativ erwog man den weitgehenden Abzug der Militärmission. Denn fielen die Sabotageaktionen fort, würden auch die deutschen Repressalien gegen die Zivilbevölkerung eingestellt, die letztlich den Briten zur Last gelegt wurden. Aber auch diesen Plan verwarf das GHQME, kaum hatte es von den Versöhnungsavancen des ELAS Kenntnis erhalten. Die Briten standen unter Zeitdruck, da sie sich im April 1944 gedanklich bereits auf den deutschen Rückzug aus Griechenland eingestellt und gemeinsam mit amerikanischen Kommandotrupps die koordinierte Störaktion „Noah’s Ark“ geplant hatten. Dafür aber war man auf die Kooperation aller Andarten angewiesen.86 Die Bedingung, dass Schluss mit dem innergriechischen Dauerzwist sein müsse, hatte auch Exilpremier Tsouderos gestellt. Erst dann könne man auf den Vorschlag der EAM eingehen und Verhandlungen über eine Regierung der Nationalen Einheit beginnen. Am 3. Januar 1944 stellte sich sogar Moskau hinter die angloamerikanischen Einheitsappelle. Doch in Anbetracht einer bevorstehenden Waffenruhe griff Zervas anderntags den ELAS an, um vor einer Neuziehung der Grenzen das wichtige Tzoumerka-­Gebirge wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Diese erfolgreiche Überrumpelung verzieh Aris ihm nie; seinem anschließenden Gegenangriff war der EDES letztlich nicht gewachsen und musste sich wieder hinter den Arachthos zurückziehen. Dass es so weit kam, konnte selbst das wohl gewagteste Täuschungsmanöver in Zervas’ abenteuerlicher Laufbahn nicht verhindern. Der General war vor dem Angriff gegen den ELAS verhalten auf die Annäherungsversuche der Wehrmacht eingegangen und hatte sich deren wohlwollender Neutralität versichert. Dabei bediente er sich einer älteren Kairoer Weisung, die als Reaktion auf blutige deutsche Repressalien insbesondere am 3. Oktober 1943 in Lyngiades 87 empfahl, Sabotageakte vorerst einzustellen, sofern es keine andere Möglichkeit zum Schutz der Zivilbevölkerung gebe. Den Deutschen, die diese Weisung natürlich nicht kannten, offerierte Zervas die Neutralität des EDES als eigenes Zugeständnis und schlug darüber hinaus ein Geheimabkommen

86 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 436 ff. 87 Am 7. März 2014 besuchte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck Lyngiades und ehrte die am 3. Oktober 1943 dort ermordeten 83 Einwohner (zwischen 2 Monaten und 100 Jahren alt). Vgl. letzte Absätze vom Schlusskapitel in ­diesem Band.

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zur Zusammenarbeit gegen den ELAS vor. Zur Täuschung der Briten wurde sogar ein deutscher Scheinangriff gegen Zervas’ Hauptquartier minutiös inszeniert.88 Aus nachvollziehbaren Gründen war Zervas nie auf den deutschen Wunsch nach einem persönlichen Treffen eingegangen, damit die Absprachen keine Schriftform erhielten. Dennoch ist der Sachverhalt nicht nur anhand zahlloser Verweise in den deutschen Akten nachweisbar, sondern vor allem durch die Taten, mit denen Zervas jeweils postwendend auf die ihm übermittelten Vorschläge reagierte. Natürlich waren in der extrem auf den Anführer fixierten Organisation die wenigsten über seine Entscheidungen informiert. Selten äußerte sich Zervas so unverblümt wie in seinem weitgehend unbekannten Brief vom 25. November 1943 an Alekos Papadopoulos, einen seiner fähigsten Regimentskommandeure: Mach bloß keinen Unsinn! Sich auf einen Kampf mit den Deutschen einzulassen, wäre heute, wo uns die EAM im Rücken sitzt, hochgefährlich (…). Der Krieg gegen die Besatzer kann warten (…). Jetzt darf nicht ein einziger Schuss fallen, denn allein schon dadurch könnten sie sich verpflichtet fühlen, auf uns los zu gehen und dann ist dir wohl klar, was uns blüht auf d­ iesem schmalen Landstreifen, wo wir zusammengezwängt sind. Halte dich voll und ganz daran!

Wenn in deutschen Meldungen von der „neutralen“ Haltung des EDES bzw. von dem durch Letzteren gesicherten „Schutz der Verkehrswege“ (gegen den ELAS) die Rede war, erschienen diese Feststellungen in der EDES-internen Korrespondenz meist als diffuse Anweisung, den Deutschen „keinen Vorwand zu liefern“.89 Und wieder zeigte sich im EDES-Fußvolk Unmut über die Untätigkeit, die man fälschlich Kairo zuschrieb. Sie sollte bis zu den Kämpfen im Juli am Vorabend der Befreiung andauern. Zervas’ Absprachen beruhten natürlich nicht auf heimlicher Germanophilie, sondern auf einem Kalkül im Kontext des innergriechischen Konflikts, für den er nur partiell Verantwortung trug. Während der ELAS mit wenigen Ausnahmen in der Lage war, gleichzeitig Besatzern sowie internen Rivalen zu trotzen, riskierten die kleineren Organisationen ihr Überleben. Die Briten wussten nichts von Zervas’ Kontakten; nur Gerüchte kursierten, die zu glauben sich damals die meisten BLOs ostentativ weigerten. Jedenfalls teilten sie die Einschätzung ihrer deutschen Kriegsgegner, dass nämlich Zervas auf gesamtgriechischer Ebene kein ebenbürtiges Gegengewicht zum ELAS 88 Vgl. in d­ iesem Band „Kontakte z­ wischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand: ‚Solide Taktik‘ oder Kollaboration?“. 89 Z. B. Ημερολόγια Φαίδωνα Μαηδώνη (Tagebuch Phaidon Maidonis) 24. Juni bis 10. September 1944, hier: 20. Juli 1944, hg. von Hagen Fleischer; Aristeidis Stergellis, in: Mnimon 9 (1984) und: https://ejournals.epublishing.ekt.gr/index.php/mnimon/article/ viewFile/7952/7736.pdf (letzter Zugriff 20. 3. 2019).

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werden könne, doch als lokale Größe im Epirus mit Einfluss in Nachbarregionen und der Hauptstadt über ein respektables Potential verfüge. Zudem war Deutschen wie Briten aus offensichtlichen Gründen daran gelegen, dass der EDES in dem vom ihm kontrollierten Territorium autonom blieb. Von Kairo erhielt Woodhouse für die vereinbarte Friedenskonferenz ab 15. Februar 1944 folgende Richtlinien: Die ELAS -Forderung nach einem geeinten Andartenheer laufe auf Einverleibung anderer Organisationen hinaus. Akzeptiert werden könne lediglich eine Verschmelzung mit dem 5/42-Regiment, zumal ­dieses „allein nicht mehr handlungsfähig“ sei. Der EDES hingegen müsse unabhängig und gestärkt fortbestehen. Unerwünscht sei eine Neuauflage des Gemeinsamen Hauptquartiers, das sich als unfähig erwiesen habe, Bürgerkriegskonflikte zu verhindern. Als unhaltbar erwies sich dagegen der Appell des GHQME , die Diskussion auf militärische Th ­ emen zu beschränken, denn „der Bürgerkrieg hatte politische Wurzeln und politische Konsequenzen“.90 In der Tat bestimmten politische Fragen die Verhandlungen am Konferenzort Myrofyllo (15. – 22. Februar) sowie s­ päter (27. – 29. Februar) in Plaka, dem Grenzort der beiden Organisationen am Arachthos mit der größten einbögigen Steinbrücke des Balkans. Beteiligt waren neben ELAS und EDES auch die EKKA mit ihrem 5/42-Regiment und das GHQME mit Woodhouse als Repräsentanten. Auf der Agenda stand: Sollen die Andartenverbände zu einem „geeinten“ oder „einheitlichen“ Heer verschmolzen werden? Wie ist der Terminus „united“ der britischen Weisung zu übersetzen? Wer wird Oberbefehlshaber und mit welchem politischen Hintergrund? Wird Zervas über diejenigen EDES -Repräsentanten, die in Athen mittlerweile mehr oder weniger offen mit den Besatzern kollaborieren, den Stab brechen? Wie kann eine „Verhandlungskommission“ gebildet und eine Regierung der Nationalen Einheit konstituiert werden? Angesichts des Zusammenspiels aller anderen Beteiligten machte die EAM in sämtlichen Punkten Zugeständnisse. Zünglein an der Waage war der linksliberale Konferenzvorsitzende Kartalis: Zusammen mit Pyromaglou und Woodhouse heckte er insgeheim Pläne aus, um bereits erfolgte Absprachen ­zwischen seiner Organisation EKKA und der EAM zu torpedieren. Am 29. Februar des in Griechenland als unheilbringend geltenden Schaltjahrs akzeptierten die Vertreter der Linken die „endgültige Einstellung der Feindseligkeiten“, ohne die angestrebten Gegenleistungen zu erhalten, um so die Voraussetzung für eine Einigung an der inneren und äußeren Front zu schaffen. Die Konferenz von Myrofyllo-­Plaka war das einzige der griechisch-­britischen Treffen im Jahre 1944, das im Parallelstaat der griechischen Berge stattfand. Dort agierte die EAM-Vertretung nicht isoliert, sondern in vertrautem Umfeld und ständigem Kontakt mit der Parteiführung sowie Kapetan Aris, dem Protagonisten einer verschiedentlich angesprochenen ‚alternativen Lösung‘. Anders als im Nachhinein dargestellt, hatte Aris

90 Woodhouse, Apple of Discord, S. 178.

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diese legendenumwobene versäumte „dynamische“ Alternative, nämlich die endgültige Auflösung des EDES und als Folge die Konfrontation mit den Briten, damals aber nur indirekt propagiert, vermutlich weil er spürte, dass hierfür der Spielraum fehlte. Aber ein hartes Durchgreifen gegen den EDES war auch aus mehreren Gründen nicht angezeigt: Wehrmachtspräsenz, weitgehende Akzeptanz seitens der lokalen Bevölkerung, britischer Nachschub. Im Unterschied zum EDES wurde beim ELAS bereits die Munition knapp. Auch hätte eine bewusste Fortsetzung des Bürgerkriegs große Teile der Bevölkerung befremdet und vom ELAS abrücken lassen. Die offizielle Aussöhnung der wichtigsten Widerstandsorganisationen hingegen ermöglichte die Gründung des Politischen Komitees Nationaler Befreiung (Πολιτική Επιτροπή Εθνικής Απελευθέρωσης, PEEA), kurz „Berg-­Regierung“ genannt. Während die unerwartete Konzilianz der EAM allseits anerkannt wurde, fiel die negative Bilanz des Treffens zunächst auf die kleineren Organisationen zurück. Nur die Briten hatten erreicht, was sie wollten, waren aber allein nicht in der Lage, es auch durchzusetzen. Noch peinlicher als die Verzögerungsmanöver des EDES wirkte die doppelzüngige Taktik von Kartalis. Auch sie steuerte zum Alibi für die folgenschwere Vernichtung des 5/42-Regiments bei. Hätten EDES und EKKA die Courage aufgebracht, sich der Herausforderung einer ausbalancierten Teilnahme in der PEEA zu stellen, wäre die nachfolgende Tragödie zu vermeiden gewesen.

Staatswesen Freies Berg-Griechenland Da Tsouderos telegrafisch seine Bereitschaft erklärt hatte, nach der Versöhnung in Plaka sein Kabinett zu erweitern, war auch die Regierungsfrage ein heiß diskutiertes Thema der Konferenz. Alle drei Organisationen einigten sich auf die Einrichtung eines verhandlungsführenden Komitees, nicht aber darauf, mit ­welchen Befugnissen es ausgestattet würde. Der EAM zufolge sollte ­dieses Komitee im Fall gescheiterter Verhandlungen „provisorisch die unumschränkte [sic!] Führung des Kampfs in Griechenland, die Koordination der Selbstverwaltung in den freien Gebieten, die Versorgung der Andarten, die Infrastruktur und jedes sonstige Thema“ übernehmen. Der Jurist Kartalis wandte ein, so entstünde ein Regierungsdualismus, wobei die Usurpation von Hoheitsrechten strafbar sei. Darauf versicherte die EAM , das Komitee sei keine Regierung und müsse lediglich bei Bedarf gewisse administrative und regierungsamtliche Funktionen übernehmen. Zwar ließ sich die Linke letztlich auf das Paritätsprinzip ein (EAM : drei Mitglieder, EDES : zwei Mitglieder, EKKA : ein Mitglied), doch die kleineren Organisationen schlossen sich lediglich verbal an. An d­ iesem Punkt der Entwicklung ging eine Chance verloren, die niemand erwartet hatte. Das damals wie heute in den historischen Debatten notorisch vorgebrachte Argument, ein derartiges Komitee hätte unter kommunistischer Kontrolle gestanden, kann im konkreten Fall

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nicht überzeugen. Denn nur eines von den drei EAM -Mitgliedern war erklärter Kommunist, das zweite vermutlich „Sympathisant“ und das dritte unabhängig. Somit hätte die KKE höchstens ein Drittel des sechsköpfigen Komitees kontrolliert. Die Sondierungsversuche waren trotz beachtlicher kommunistischer Zugeständnisse aus mehreren Gründen ein Fehlschlag. Anfang 1944 nahm die KKE nach dem 10. ZK-Plenum erneut Gespräche mit Alexandros Svolos auf. Doch der angesehene Verfassungsrechtler hatte zeitgleich alliierten Stellen den Vorschlag unterbreitet, Persönlichkeiten der Linken in die Exilregierung zu integrieren, wobei einige Ressorts ihren Sitz im Freien Griechenland nehmen sollten. So entschied sich die EAM-Führung für eine provisorische Lösung. Am 10. März konstituierte sich die PEEA im abgelegenen Pindos-­Dorf Viniani und kam damit „den höchsten nationalen Erfordernissen“ nach. Die Spitzenposition bekleidete anfänglich der „Rote Oberst“ Evripidis Bakirtzis; es folgten – an den Sprachgebrauch der Befreiungskriege gegen die Osmanen anknüpfend – die ‚Sekretäre‘ Giorgis Siantos, Ilias Tsirimokos, Kostas Gavriilidis, Chef der Agrarpartei (Αγροτικό Κόμμα Ελλάδος, AKE), eines KKE-Ablegers, sowie der kretische General Emmanouil Mantakas. Dieses neue politische Organ verpflichtete sich zur Reorganisation des Andartiko „an der Seite unserer Alliierten“ und zur „Administration der befreiten Gebiete“.91 Dafür würde man legislatorische Akte sowie Beschlüsse mit Exekutivcharakter erlassen. Zunächst bedeutete die Gründung der PEEA ein Druckmittel für die Verhandlungen zur Bildung eines Kabinetts der Nationalen Einheit. Erst im Sommer, nach dem Bruch mit Kairo, verlieh die EAM dem Komitee immer deutlicher Regierungsstatus. Ohne Zweifel übernahm die PEEA Obrigkeitsfunktionen in den von der EAM kontrollierten Gebieten. Dort hatte die Exilregierung faktisch ohnehin nie über Einfluss verfügt, und die Machtgrundlage des Besatzungsregimes bestand lediglich in sporadisch von deutscher Seite ausgeübter Gewalt. Allerdings existierte ­dieses Vakuum, in das die PEEA stieß, nur auf höchster Ebene, denn im Unter- und Mittelbau waren längst ‚volksdemokratische‘ Verfahren eingeführt, basierend namentlich auf dem Beschluss Nr. 6 des Gemeinsamen Andartenhauptquartiers und den in 146 Artikeln kodifizierten Verordnungen für Selbstverwaltung und Volksjustiz des ELAS-Hauptquartiers. Bereits im März 1943 hatte sich die Andarten-­Intendantur (Επιμελητεία του Αντάρτη, ETA) konstituiert, die ein Besteuerungsverfahren zugunsten der Bedürfnisse des ELAS und der Opfer deutsch-­italienischer Repressalien installierte. Das Selbstverwaltungssystem, in kleinerem Maßstab auch im EDES-Gebiet praktiziert, fand unter der Ägide der PEEA erweiterte Anwendung. Dabei mäßigte man den anfänglichen „revolutionären“ Enthusiasmus, versuchte aber auch „Übergriffe und Willkürakte“ zurückzudrängen, die unter den gegebenen Umständen kaum zu vermeiden

91 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 396.

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waren. Auch reduzierte man die in der Anfangsphase nahezu omnipotente Rolle der Generalversammlung als Ausübung direkter Volksherrschaft. Stattdessen wurde auf Druck der Juristen das vor der Okkupation geltende Zivil- und Strafrecht wieder in Kraft gesetzt. Doch abermals erhoben sich zahlreiche Proteste in den eigenen Reihen, so dass zumindest für erstinstanzliche Gerichte das präjuristische Kriterium den Ausschlag gab: „Das, was allgemein als recht und billig angesehen wird.“ Dieser zaghafte Rückgriff auf bürgerliches Gedankengut kann nicht unabhängig von der Umbildung der PEEA gesehen werden. Denn ihr gehörten mittlerweile auch renommierte linksliberale Persönlichkeiten an, allen voran Svolos, der für seinen Beitritt unvermutet harte Vorbedingungen gestellt hatte. Am 19. April wurde er als Präsident des erweiterten Komitees sowie in Personalunion als Sekretär für die Ressorts Äußeres, Erziehung, Kultus und Volksaufklärung vereidigt. Die Professoren Angelos Angelopoulos und Petros Kokkalis übernahmen die Sekretariate für Finanzen und Sozialfürsorge; Nikos Askoutsis zeichnete für Verkehr und Stamatis Chatzibeis war für Wirtschaft verantwortlich. Bakirtzis, nunmehr Stellvertreter des Präsidenten, übernahm das Ressort für Ernährung. Die übrigen Mitglieder (Tsirimokos, Siantos, Mantakas, Gavriilidis) behielten ihre bisherigen Ressorts ( Justiz, Inneres, Militär, Agrarwirtschaft). Die britischen Akteure diesseits und jenseits des Mittelmeers begriffen, dass sie den neuen Machtfaktor unterschätzt hatten. Notgedrungen lud die Exilregierung nun außer KKE und EAM auch die PEEA zur anstehenden Konferenz ein und erkannte damit deren unabhängige Existenz an. Doch am Tagungsort im Libanon angekommen, spielte die Delegation der Linken nicht die erhoffte oder befürchtete dominante Rolle. Denn ihr wurden zwei Ereignisse aufs Schuldkonto geschrieben, die zumindest den Delegierten nicht angelastet werden konnten: einmal die kürzliche Meuterei nahezu der gesamten griechischen See- und Landstreitkräfte, zum anderen ein Blutbad, von dem Svolos erst wenige Stunden vor der Abreise seiner Delegation erfahren hatte. Während des Bürgerkriegs in den griechischen Bergen hatte das von ELAS-Verbänden umschlossene 5/42-Regiment, der Vernunft folgend, Neutralität gewahrt. Diesen Kurs in Verbindung mit den Zusicherungen des politischen wie auch des militärischen Führers (Kartalis und Psarros) vor der Konferenz in Myrofyllo interpretierten EAM und Briten fälschlicherweise als Bereitschaft der EKKA zur Verschmelzung. Umso größer war der Ärger der EAM-Führung, als sich dann beim Gipfeltreffen Kartalis als camouflierter Stichwortgeber für Woodhouse entpuppte. So intervenierte sie nicht, als sich im mittelgriechischen Bezirk Fokida das Verhältnis ­zwischen dem Regiment und dem regionalen ELAS -Kommando zuspitzte. Letzteres war im Vorjahr für die zweimalige Entwaffnung der 5/42er heftig gescholten worden und hatte das nicht vergessen. Verbittert war man auch darüber, dass das Regiment bei seiner Neuaufstellung zahlreiche royalistische Offiziere aufgenommen hatte. Diese Offiziere verweigerten Psarros, den sie als „Weichling“ bezeichneten, den Gehorsam und distanzierten sich von der sozialistisch angehauchten Mutterorganisation EKKA. Zugleich lieferten sie

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durch ihre Anti-­E AM-Hysterie den Extremisten der anderen Seite genügend Anlässe für die nachfolgende Eskalation.92 Wiederum fiel Aris der entscheidende Part zu: Auf dem Weg zur Peloponnes, wohin ihn die PEEA beordert hatte, machte er aus eigenem Antrieb kehrt, um – wie in seinem Abschlussbericht zu lesen – die „rasche und schonungslose Vernichtung“ des 5/42-Regiments zu bewerkstelligen. Die tragischen Ereignisse des 17. April gerieten zur düstersten Episode der Widerstandsgeschichte. Im eigentlichen Gefecht wurden zwar nur wenige Gefallene gezählt, doch die Siegerseite massakrierte anschließend mindestens 66 Andarten des Regiments, zum Teil nach fürchterlichen Foltern. Auch Psarros wurde exekutiert. Um dem gleichen Schicksal zu entgehen, schlossen sich Dutzende seiner Männer dem ELAS an. 94 Überlebenden gelang es allerdings, über den Korinthischen Meerbusen auf die Peloponnes zu flüchten, wo sie von der dortigen deutschen Garnison mit offenen Armen empfangen wurden. Unter Führung von Major Georgios Kapetzonis traten die meisten den Sicherheitsbataillonen bei. Damit aber lieferten sie den Tätern die willkommene ex post-­Rechtfertigung für ihre Mordaktion, die angeblich eine Reaktion auf vorausgegangene verräterische Kontakte der 5/42er zu den Besatzern war. Doch diese Version ist mit der deutschen Quellenlage nicht in Einklang zu bringen. Auch am Sitz der PEEA rief die Nachricht, dass Psarros ermordet worden war, tiefe Bestürzung hervor, insbesondere bei der Verhandlungsdelegation, die sich auf dem Weg nach Kairo und anschließend im Libanon befand. Komiteepräsident Svolos forderte exemplarische Bestrafung aller Schuldigen. Die anschließenden Ermittlungen führten jedoch zu keinem Ergebnis. Schließlich gingen sie im Strudel der sich überschlagenden Ereignisse und der Polarisierung unter. Parallel zu den wachsenden internen Spannungen verschärfte sich auch der Terror der Besatzer. Allein am 1. Mai exekutierten Deutsche und Kollaborateure zur „Sühne“ für einen ELAS-Überfall, dem ein deutscher General zum Opfer gefallen war, insgesamt 335 Geiseln, darunter 200 zum Teil noch vom Metaxas-­Regime inhaftierte Spitzenkader der KKE auf dem Schießgelände des roten Athener Vororts Kaisariani. Weitere Massaker folgten. Die Propagandamaschinerie der Besatzer und ihrer Handlanger lief auf Hochtouren. Daher kehrte man, zumindest seitens der EAM, die peinlichen Erinnerungen an die Auslöschung des 5/42-Regiments unter den Teppich und rechtfertigte sie als notwendige Aktion in der eskalierenden Konfrontation mit den „finsteren Mächten“ innerhalb und außerhalb Griechenlands. Unterdessen zeigte sich allen Divergenzen zum Trotz, dass man auf Erfolgskurs gegen die deutschen Besatzer war. Erstmals seit Gründung des neugriechischen Staats befand sich die Beschlusszen­ trale Griechenlands am Ende der zivilisierten Welt. Im Dorf Koryschades der Gebirgsregion Evrytania trat am 14. Mai die von der PEEA initiierte Nationalversammlung als 92 Athanasios Koutras, Εθνική Αντίσταση, 1941 – 1944 (Nationaler Widerstand, 1941 – 1944), Athen: Selbstverlag, 1981, S. 108.

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Parlament des Widerstands zusammen. 22 Abgeordnete gehörten ihm als Mitglieder des letzten, 1936 von Metaxas gewaltsam aufgelösten verfassungsändernden Parlaments ipso jure an, darunter Vertreter der Liberalen und sogar der konservativen Volkspartei. Weitere 180 waren im April in allen Landesteilen, den freien und besetzten, gewählt worden. Erstmals besaßen Frauen aktives wie auch passives Wahlrecht. Letztlich gab es zwar nur wenige weibliche Abgeordnete, fast ausschließlich Ehefrauen von Spitzenkadern, doch erwies sich die Mobilisierung des ehemals schwachen Geschlechts als der vermutlich umwälzendste politisch-­soziale Eingriff der EAM, denn sie trieb damit auch die generelle Gleichberechtigung der Landbevölkerung voran. Sicherlich: Die massenhafte Aktivierung der weiblichen Bevölkerung folgte, sieht man von den bewaffneten Kämpferinnen ab, den traditionellen Rollenbildern, so dass auch unter den neuen Bedingungen die Aufgaben weitgehend nach Geschlecht verteilt waren. Nach wie vor blieb es Frauen überlassen, sogar schwerste Lasten zu schleppen.93 In der Buchführung der Nationalen Solidarität (EA ) wurden akribisch 54.750.000 von Frauenhand für die Andarten gewaschene Kleidungsstücke registriert! Doch der weibliche Beitrag erschöpfte sich nicht am Waschtrog: Kampfgenossinnen aller Altersstufen zogen ins Feld für die Doppelbefreiung – vom Besatzer und vom Gatten. Diese Formel machten sich im Wesentlichen Hunderte aktive Andartinnen und Tausende ELAS -Reservistinnen zu eigen. Langfristig bedeutsamer war jedoch die Arbeit weib­ licher Mitglieder der Jugendorganisation EPON im Erziehung- und Gesundheitswesen, und das stets auf Augenhöhe. EPON -Wanderbühnen gaben Theatervorstellungen in den Dörfern, die noch nie eine Aufführung erlebt hatten. Hunderte Kindergärten und Schulen, gerade auch für Analphabeten, wurden errichtet oder renoviert. Die EA gründete und betrieb 679 medizinische Anlaufstellen, 90 „Genesungsheime“, 73 Krankenhäuser und 1253 Apotheken. Zwar stellt sich die Frage, was genau unter „Volksapotheke“ zu verstehen war; außer Zweifel stand jedoch die enorme Verbesserung im Vergleich zu früher, als man von einem desinteressierten Zentrum, von „denen in Athen“, abhängig war. Auch kritische Beobachter räumten ein, dass die EAM etwas vorantrieb, das die griechischen Regierungen vernachlässigt hatten, nämlich den Aufbau staatlich organisierter Strukturen im griechischen Bergland.94 Keineswegs betraf das nur Bereiche, die dem Andartenkrieg zumindest indirekt dienlich waren, wie verbesserte Kommunikation und Infrastruktur oder die Herstellung von Kleidung, Stiefeln, Teigwaren und Zigaretten; darüber hinaus entstand auch ein zuvor nicht gekanntes Kommunalwesen. Mit der Volksaufklärung gingen zweifellos auch Pressionen der lokalen Verantwortlichen einher, etwa wenn in vorauseilendem Gehorsam die Parole der Zweiten Panhellenischen Konferenz zur Massenanwerbung umgesetzt wurde. So erklären sich Fälle, in denen fast das ganze Dorf der EAM wie auch der KKE beitrat und buchstäblich mit 93 Stavros N. Makrakis, Ιστορίες του βουνού (Berggeschichten), Athen: Ermis, 1995, 7./23. 8. 1944. 94 Woodhouse, Apple of Discord, S. 147. Woodhouse, Interviews mit Vf., 1973.

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Abb. 4 Andartenversammlung: Es spricht der Führer des thessalischen ELAS Kostas Karagiorgis. Aufnahme: Spyros Meletzis.

Abb. 5 Andarten bei der Zahnärztin im Freien Griechenland. Aufnahme: Spyros Meletzis.

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Kirchengeläut zur Parteiversammlung gerufen wurde. Innerhalb von drei Jahren verhundertfachte sich die Zahl der registrierten Kommunisten auf 250.000. Bald machte sich die Parteiführung Sorgen, ob womöglich der vielgepriesene monolithische Zusammenhalt der KKE gefährdet sei. Im EAM-Gefüge hingegen galten großzügigere Aufnahmekriterien: Dort verlangte man vor allem Patriotismus, auf dessen Grundlage das Freie Griechenland aufzubauen wäre und seinen ihm nolens volens angehörenden Bürgern ein Gefühl gemeinschaftlichen Zusammenhalts vermitteln sollte. Die KKE indes, bis vor Kurzem eine Partei im Hinterhof der politischen Agenda, bewarb sich plötzlich um die Führung der größten und aktivsten Organisation in der Geschichte des Landes. In die Hochstimmung über ein neues 1821 platzte die Rundfunkmeldung von ­Georgios Papandreous gegen die EAM gerichtete Philippika bei der Libanon-­Konferenz. Die Rede des neuen Exilpremiers,95 bisher Chef einer auf ihn zugeschnittenen Splitterpartei, löste auf der anderen Seite des Mittelmeers bei der EAM-Führung in ­Koryschades Empörung aus. In der feindlichen Atmosphäre der Konferenz hatten die Emissäre der Svolos-­Gruppe Konzessionen gemacht, derentwegen sie s­ päter schweren Verdächtigungen ausgesetzt waren. Die Angriffe der EAM -Presse gegen die „Verräterclique Glücksburg-­Papandreou“ verschärften sich weiter und die PEEA wurde dementsprechend als „einzige Volksregierung“ gefeiert. Beidseits liefen die Dinge also auf eine Kollision hinaus. Immer weniger linke Spitzenrepräsentanten unterstützten die bisherige Parole der notwendigen Einheit und Versöhnung. Sie waren der Ansicht, die mehrheitlich der EAM anhängende Bevölkerung, namentlich im Hauptstadtbereich, reiche aus, um im Gefolge des nahen deutschen Abzugs die Macht zu ergreifen, auch ohne eventuellen Vorstoß der Roten Armee in Richtung Ägäis.96 Papandreou andererseits reagierte ablehnend auf die Forderung der Linken, die Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung neu auszuhandeln, denn er hielt es für seine Pflicht, „Griechenland vom Kommunismus zu säubern“.97 Dafür rechnete er mit einer Allianz konservativer Elemente unter britischer Schirmherrschaft. Ähnlichen Überlegungen folgend nahmen einige Athener Organisationen sowie diverse Stellen in Nahost Fühlung mit dem anrüchigen Sammelbecken „patriotischer Elemente“ der Kollaboration auf. Diese wiederum bauschten derartige Kontakte auf, so dass sich die schlimmsten Mutmaßungen der Linken zu bewahrheiten schienen. Aber auch die Deutschen schöpften Verdacht und reagierten mit Verhaftungen von 95 „In unserem Land herrscht heute die Hölle. Die Deutschen massakrieren. Die Sicherheitsbataillone massakrieren. Aber auch die Andarten massakrieren. Sie massakrieren und brandschatzen.“ (Georgios Papandreou, Η απελευθέρωσις της Ελλάδος (Die Befreiung Griechenlands), Athen: Hutchinson, 1945, S. 53. 96 Makrakis, Berggeschichten, S. 63, 13. Juli 1944. 97 Giorgos Seferis, Πολιτικό Ημερολόγιο A´ (Politisches Tagebuch Bd. 1), Athen: Ikaros, 1992, S. 235, 8. Juli 1944.

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verdächtigen Mitarbeitern. Teile der alten Eliten wiederum gaben den bewährten Attentismus der ‚Vernunft‘ auf und gingen vorsichtig auf die Besatzer zu, die sie angesichts der „kommunistischen Gefahr“ für das kleinere – und vorübergehende! – Übel hielten. Diese Kreise akzeptierten mehr oder weniger sogar die Sicherheitsbataillone als Rückversicherung für die entscheidende Phase nach dem deutschen Abzug. Die Besatzer machten sich keine Illusionen über die Absichten hinter den Avancen und schürten gezielt Ängste vor dem Kommunismus. Millionen Flugblätter, oft anonym oder pseudonym verfasst, gossen systematisch Öl in die Glut des Bürgerkriegs. Ende Juli häuften sich Anzeichen für eine erneute Zuspitzung der kommunistischen Strategie bis hin zum offenen Konflikt mit der Exilregierung, doch unverhofft entschloss sich deren Rivalin in den Bergen zu Konzessionen. Den Ausschlag hierfür gaben drei zeitlich zusammenfallende Ereignisse bzw. Entwicklungen: Erstens: Die Briten und Churchill höchstpersönlich bestanden auf dem Verbleib von Papandreou als Premier der Exilregierung. Offiziell erklärt wurde dies von Eden am 27. Juli vor dem Unterhaus. Zweitens: Just am Vortag war eine sowjetische Militärmission unter Oberstleutnant Grigori Popov unerwartet auf dem improvisierten Andartenflugplatz von Neraida (bei Karditsa) gelandet. Allen Gerüchten zum Trotz brachten die Russen keine verbindliche Weisung von Stalin: Sie s­ eien gekommen, „um zu hören und nicht, um zu sprechen“. Im Zwiegespräch jedenfalls hielten sie nicht mit ihrer (offensichtlich vorgegebenen) Meinung zurück, dass die internationale Situation wie auch die geostrategische Lage Griechen­ lands eine einseitige Intervention der UdSSR zugunsten der „Griechischen Berge“ ausschließe, und verlangten daher als Kompromiss die Bildung einer Einheitsregierung. Ähnlich unverbindliche Hinweise waren zuvor von der sowjetischen Botschaft in Kairo den kommunistischen und nichtkommunistischen PEEA-Vertretern übermittelt worden, ohne dass das in Griechenland verbliebene Politbüro sich sonderlich beeindruckt zeigte. Diese unterschiedlichen, aber supplementären Interventionen der beiden Großmächte – unnachgiebige Haltung Londons und als „Ratschlag“ übermittelte Zurückhaltung Moskaus – hätten allein wohl nicht gereicht, um die Hardliner der KKE zum Einlenken zu bewegen. Drittens: Den Ausschlag gab letztlich ein interner Faktor, dem in der großmachtorientierten Historiografie kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde und wird. Es handelt sich hier um einen der wenigen Fälle, in denen sich die EAM-Politik in Kardinalfragen an den Positionen der Juniorpartner ausrichtete.98 Im PEEA-Plenum blieb Svolos nach seiner Rückkehr unbeirrt dabei, mit dem Libanon-­Abkommen unter den gegebenen Umständen das Menschenmögliche erreicht zu haben. Verbesserungen könne man nur aushandeln, sobald Vertreter der „Bewegung“ dem Kabinett angehörten. Erst dann

98 Vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 473 ff.

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sei es möglich, Reibungsverluste innerhalb des republikanischen Blocks für eigene Zwecke zu ­nutzen, bei diplomatischen Entwicklungen am Ball zu bleiben und einen eventuellen monarchistischen Putsch nach der Befreiung zu vereiteln. Zudem würde eine Regierungsbeteiligung den Beweis erbringen, dass EAM und PEEA die eigenen Positionen nicht mit Gewalt durchsetzen wollten, sondern den friedlichen Ausgleich anstrebten; dies stehe auch im Einklang mit den Wünschen der überwiegenden Mehrheit der griechischen Bevölkerung.99 Svolos’ Entschlossenheit, im Fall fortgesetzter Konfrontation auf sein Amt als PEEA-Präsident zu verzichten, wirkte überzeugend auf die kommunistische Führungsspitze. Denn seinem Rücktritt wären auch andere Gemäßigte gefolgt, zumindest seine Mitarbeiter Angelopoulos und Askoutsis, vermutlich aber auch Tsirimokos, Bakirtzis, Stratis und deren Umfeld. Nicht nur Svolos warnte vor den verheerenden Auswirkungen einer derartigen Abspaltung auf die öffentliche Meinung; denn dies hieße, dass die zuvor von der EAM-Propaganda als Riesenerfolg gefeierte Komitee-­Erweiterung, „die in unserem Volk Erleichterung und Hoffnung geweckt hatte“,100 kontraproduktiv auf ihre Urheber zurückschlagen müsste. Ganz allgemein würde der Zusammenhalt der EAM erschüttert, da dann auch SKE und die von Tsirimokos (und mittlerweile auch von Svolos!) geführte ELD eigene Wege gingen. Damit aber wäre die PEEA zum camouflierten Anhängsel der KKE degradiert, wie ohnehin von der rechten Propaganda behauptet. Nachdem also die Gefahr der Spaltung abgewendet worden war, informierte die Bergregierung am 30. Juli Kairo, man sei willens, in das Einheitskabinett einzutreten, unter der einzigen Bedingung, dass Papandreou als Premier abgelöst würde. Zwei Wochen ­später, als die telegrafische Nachricht vom britischen Veto gegen einen Wechsel an der Regierungsspitze zum Vorabend der Befreiung eintraf, verzichtete man auch auf diese zuvor kategorisch vorgebrachte Bedingung und protestierte auch nicht im Nachhinein gegen ein zunächst geheim gehaltenes strategisches Spitzentreffen von Churchill und Papandreou in Rom.101 Daraufhin wurden in Kairo am 2. September, eben noch rechtzeitig vor dem Aufbruch der Exilregierung in den befreiten Teil Italiens, fünf Minister der Linken vereidigt. Abgesehen von extremen Antikommunisten machte sich in der griechischen Bevölkerung der noch deutsch besetzten Gebiete große Erleichterung breit. Im Freien Berg-­Griechenland war diese Erleichterung jedoch durchsetzt mit Ärger und Erbitterung über die provokante britische Intervention.102 Bald sollte sich die drückende Last der Hypothek zeigen, die im Namen der Nationalen Einheit aufgenommen worden war. 99 Archiv PEEA, Sitzungen vom 24. Juli 2014, veröffentlicht in: Αρχείο της Πολιτικής Επιτροπής Εθνικής Απελευθέρωσης (Π. Ε. Ε.Α), Athen: Synchroni Epochi, 1990. 100 Rizospastis, 10. Mai 1944. 101 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 505. 102 Kostas Kouvaras, Ο. S. S. με την Κεντρική του ΕΑΜ. Αμερικάνικη μυστική αποστολή Περικλής στην κατεχόμενη Ελλάδα (Office of Strategic Services und das Zentralkomitee der EAM .

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Abb. 6 Andarten stehen Spalier für den Präsidenten Svolos und andere Mitglieder der PEEA. Aufnahme: Spyros Meletzis.

Abb. 7 Früh übt sich: Waffentaufe für die „Aetopoula“, die „Jungen Adler“ des ELAS. Aufnahme: Spyros Meletzis.

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Kollaboration und Administration bis zum Besatzungsende Der Begriff „Kollaboration“ für die Kooperation von Individuen oder Bevölkerungsgruppen besetzter Länder mit dem Feind wurde erstmals im Oktober 1940 vom französischen Kriegshelden des Großen Krieges und nunmehrigen Staatschef Philippe Pétain verwendet. Der Marschall von Frankreich und „Löwe von Verdun“ (1916) verkündete in einer programmatischen Rede seine Entscheidung, auf den deutschen Vorschlag einer Zusammenarbeit für die „Neuordnung Europas“ einzugehen. Zweifellos fand er damit bei den Franzosen mehrheitlich Anklang; dies galt auch für das vom greisen Marschall geführte Vichy-­Regime, benannt nach der Stadt, die nunmehr Sitz der neugebildeten Regierung in der für zweieinhalb Jahre unbesetzten Zone des Landes war. Ungeklärt blieben Art und Umfang der seitens der neuen Herren von ihm als Gegenleistung geforderten Verpflichtung. Pétain und viele seiner Landsleute hielten die „collaboration“ für die einzig praktikable Lösung, um im Rahmen des Möglichen die Einheit und weitgehende territoriale Integrität des besiegten Landes bis Kriegsende zu bewahren – vorzugsweise nach einer Niederlage des Hitlerreichs. Berlin hingegen versprach sich von dieser Zusammenarbeit auch jenes französische Potential zu n ­ utzen, das sich der eigenen militärischen Kontrolle entzog (Kolonien, in Nordafrika stationierte Kriegsmarine); mittelfristig erwog man sogar ein militärisches Bündnis mit den Franzosen. Tatsächlich waren manche französischen Kollaborateure, insbesondere der frühere sozialistische Premier Pierre Laval, zur „collaboration“ in Form eines Bündniswechsels bereit, d. h. einer Anbindung an NS-Deutschland zu Lasten der traditionellen Entente cordiale mit Großbritannien. Für Pétain selbst stand eine ­solche Option vorerst nicht zur Diskussion, auch wenn er in der Folgezeit nach und nach die deutsche Politik, obschon seinen ursprünglichen Absichten diametral entgegengesetzt, befürwortete oder zumindest tolerierte. Dem Phänomen der Kollaboration begegnet man in allen besetzten Ländern, und zwar in der ganzen Bandbreite einander widersprechender Motivationen sowie in verschiedenster Form: politisch, militärisch, sozial, wirtschaftlich und kulturell. Am schwächsten ausgeprägt war es in den okkupierten „Ost-­Gebieten“, in denen sich die deutschen Rekrutierungsbemühungen darauf beschränkten, Handlanger aus unteren sozialen Ebenen bis hin zum Lumpenproletariat anzuheuern. Primär ging es dabei um die Sicherung der „Ordnung“, da die angestrebte Debellation, d. h. die totale Zerschlagung des Territoriums und jeglicher Souveränität des unterworfenen Staates, keinen Spielraum für Zusammenarbeit ließ.103 US-Geheimmission Perikles im besetzten Griechenland), Athen: Exantas, 1976, 16. August

1944, S. 122 f. 103 Vgl. zum Folgenden Hagen Fleischer, Nationalsozialistische Besatzungsherrschaft im Vergleich: Versuch einer Synopse, in: Wolfgang Benz; Johannes Houwink ten Cate; Gerhard

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Erste Voraussetzung für Kollaboration im eigentlichen Wortsinn waren das Interesse der Besatzer sowie der von ihnen veranschlagte Nutzen. Νur dann konnte sich eine irgendwie geartete, auch erpresste Zusammenarbeit der Besiegten mit dem Sieger entwickeln. Im Folgenden wird der Begriff wertfrei als wissenschaftlicher Terminus verwendet und soll untaugliche Simplifizierungen ersetzen; diese gehen auf Ressentiments und die Unversöhnlichkeit der Okkupationszeit zurück, aber auch auf die von Land zu Land unterschiedliche Bestrafung der Kollaborateure nach dem Krieg. Diese reichte von Ächtung bis zu Liquidierung, sofern die Betroffenen nicht durch einen nachfolgenden Bürgerkrieg unverhofft salonfähig wurden. Aus der Kriegspropaganda stammt auch der undifferenzierte Gebrauch der Injurie „Quisling“. Sie trifft bei korrekter Anwendung lediglich auf die kleine Kategorie ideologischer Kollaborateure zu, die sich am Original orientierte, d. h. am norwegischen Faschistenführer Vidkun Quisling. Dessen Kooperation war aber keine realitätsbedingte Anpassung an die neuen Machtverhältnisse. Vielmehr hatte es schon im Vorfeld der sich abzeichnenden deutschen Invasion Absprachen mit dem mutmaßlichen Okkupanten gegeben, um ­diesem die geplante Eroberung des eigenen Landes zu erleichtern. Unter den politischen und militärischen Funktionsträgern Griechenlands ist ein solcher Fall nicht bekannt. Doch auf die Briten wirkte allein schon die perspektivische Kooperation mit den Besatzern verwerflich. So denunzierten sie General Georgios Tsolakoglou als „griechischen Quisling“, kaum dass dieser am 30. April als Ministerpräsident des Athener Regimes vereidigt worden war. Erst im Nachhinein sollten sie einräumen, dem General Unrecht getan zu haben.104 Tsolakoglou hatte auf deutsches Drängen am 20. April 1941 ein erstes Kapitulationsprotokoll in zwiefacher Absicht unterzeichnet: einmal, um die versprochene Freilassung der griechischen Kriegsgefangenen sicherzustellen, und dann, um die befürchtete Auslieferung des Landes an die Italiener zu verhindern. Die erste Ernüchterung erfolgte allerdings bereits am 21. und 23. April, als auf Druck des wütenden Mussolinis zwei weitere modifizierte Abkommen unter Einbeziehung der Italiener unterzeichnet werden mussten; dem hatte sich Tsolakoglou lange verweigert, weil er sich nicht den Italienern ergeben könne, die er zuvor in offener Feldschlacht besiegt habe. Für die angespannten Beziehungen der Achsenpartner war kennzeichnend, dass sich die deutschen Militärs vor Ort mit den Griechen solidarisierten und demonstrativ mit ihnen statt mit den Italienern speisten. Zuvor hatte sich Oberbefehlshaber Wilhelm List geweigert, an einer „Geschichtsfälschung“ mitzuwirken und das von Rom geforderte dritte Kapitulationsprotokoll zu unterzeichnen.105 Otto (Hg.), Anpassung, Kollaboration, Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation. Berlin: Metropol, 1996, S. 257 – 302. 104 Vgl. The Times, 30. April 1941 und TNA, F. O. 371/29819: R 4251, F. O. 371/33175: R 856. 105 PAAA, R 29612: Jodl, 26. 4. 1941; Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 57 ff., S. 184 f.

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Trotz dieser Aufwertung bestimmte Tsolakoglous Doppelschritt (Kapitulation, Regierungsübernahme) fortan sein Bild, aber auch die generelle Beurteilung des Kollaborationsregimes in der griechischen Geschichte. Tatsächlich ließen sich angesichts der hoffnungslosen militärischen Lage gute Gründe für beide Initiativen des Generals anführen, nur hätte er sie besser nicht in seiner Person verknüpft. Denn fast zwangsläufig erregte es Argwohn, dass dieselbe Person zuerst die Niederlage festschrieb und dann, gewissermaßen auf dieser Niederlage aufbauend, die geschenkte Staatsführung übernahm. Diese Koinzidenz unterminierte von vornherein seine Politik, obschon unter anderen personellen Vorzeichen nicht wenige die Bildung einer „Regierung nationaler Notwendigkeit“ für angebracht oder wenigstens für nützlich gehalten hätten.106 Aus deutscher Sicht war Tsolakoglou „im Grunde der unpolitische Militär, der die Aufgabe, die Regierungskontinuität nach der von ihm veranlassten Kapitulation der Armee sicherzustellen, als etwas Selbstverständliches sah“, zumal er befürchtete, Griechenland würde andernfalls italienisches Protektorat werden. Aufschlussreich ist die Tagebuchaufzeichnung von Außenminister (und Mussolinis Schwiegersohn) Ciano am 28. April 1941: „Diese Geschichte mit Tsolakoglou gefällt mir immer weniger (…). Es ist klar, dass dieser General es unternimmt, die nationale und ethnische Einheit Griechenlands zu retten. Genau so klar ist auch die deutsche Billigung ­dieses Vorgehens.“ Doch obwohl Hitler und Ribbentrop „außerordentlich eingenommen“ von Tsolakoglous Haltung waren,107 wurde in deutschen Kreisen seine Verwendung unterschiedlich beurteilt. Die erste Presseerklärung spricht für die Haltung Berlins Bände: Das Reich sei bereit, mit der „neuen Regierung zu arbeiten“, also nicht: zusammenzuarbeiten, da Letztere „Realismus“ an den Tag lege.108 Zudem gab Ribbentrop dem Gesandten Altenburg zu bedenken, die Rolle der Athener Regierung beschränke sich darauf, die öffentliche Verwaltung in Gang zu halten. Entschlusskraft und sonstige Fähigkeiten, die der Gesandte einfordere, s­ eien überflüssig, wenn nicht gar schädlich, da ja der Premier ohnehin nur Weisungen befolgen solle.109 Im Gegensatz zu dieser zynischen Direktive ging es Altenburg nicht nur darum, ein williges „Hiwi“-Regime aufrechtzuerhalten. Er bemühte sich vielmehr, fraglos ohne die deutschen Interessen hintanzustellen, um eine gewisse Autonomie der Besatzungsregierung. Daher pochte er etwa auf den Verbleib neutraler oder neutral agierender diplomatischer Vertretungen in Athen, was ihm trotz heftigen italienischen Gegenwinds und Berliner Indifferenz zumindest bis Mitte 1943 gelang.110 106 Laird Archer, Balkan Journal, New York: Norton 1944, 30. 4. 1941. 107 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 185. 108 Völkischer Beobachter, 3. Mai 1941. 109 PAAA, R 29612/29614: Ribbentrop 26. 8. 1941, 4. 11. 1942, u. a. 110 So konnte der Vf. etwa die Akten der Athener Vertretungen Dänemarks, Schwedens und von Vichy-­Frankreich auswerten, die z. T. auch verhaltene Kritik an der deutschen Besatzungspolitik äußerten.

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Als nicht nur bei den Italienern, sondern auch beim OKW zunehmend Zweifel aufkamen, ob das neue Regime „genügend gefestigt und zuverlässig“ sei oder doch eine deutsch-­italienische Militärverwaltung vorzuziehen sei, trat der Gesandte für die „griechische Lösung“ ein, sofern die Besatzungstruppen, vor allem die italienischen, „auf ein Mindestmaß“ begrenzt würden, bei gleichzeitiger Linderung des akuten Nahrungsproblems. Doch Hitlers dürftiges Interesse, das sich in der Haltung der meisten deutschen Dienststellen widerspiegelte, beschleunigte den Prestigeverlust des einheimischen Regimes. Dieser Prozess setzte genau bei jenen Problemen ein, vor denen Altenburg gewarnt hatte: Die Ernährungslage verschlechterte sich täglich und die Italiener wie auch die Bulgaren waren im Begriff, „sich in den ihnen bisher überlassenen Gebieten für ständig einzurichten“. Wiederholt wandte sich Tsolakoglou an Altenburg und protestierte gegen separatistische und andere Willkürakte namentlich der beiden anderen Besatzungsmächte in ihren Zonen. Abgesehen von opportunistischem Taktieren entwickelte sich so in der Kollaborationsszene eine Art Popularitätsskala von „erträglichen“ bis zu per definitionem „üblen“ Besatzern. In dieser absonderlichen Hierarchie rangierten die Deutschen bis zur abrupten Verschärfung ihrer Ordnungspolitik im Spätsommer 1943 klar an der Spitze; sie galten als einzige unabhängige, d. h. aus eigener Kraft agierende Besatzungsmacht, die infolge des italienischen Fiaskos in Albanien gezwungen war, zugunsten ihres Partners zeitlich begrenzt einzugreifen. Kontinuierlich an letzter Stelle standen die bulgarischen „Erbfeinde“, mit denen fast kein Grieche zusammenarbeiten wollte. Mit deutscher Tolerierung setzte Tsolakoglou Vertrauenspersonen in administrative Schlüsselpositionen Makedoniens und Thessaliens, versehen mit dem Auftrag, die Sezessionspropaganda der jeweiligen Bündnispartner Berlins zu konterkarieren. Auf Rundreisen im deutschokkupierten Teil versicherte er öffentlich, die territoriale Integrität des Landes bleibe „bis zum letzten Stein“ gewahrt.111 Trotz offizieller Empörung Sofias reagierte die deutsche Seite lediglich mit einer „Empfehlung“, antibulgarische Spitzen zu unterlassen. Ein Jahr ­später erwirkte Christos Tentzos, zweiter Mann der griechischen Generalinspektion Makedoniens, zugleich bei der nationalistischen PAO in maßgeblicher Position, das Einverständnis des zuständigen Kriegsverwaltungsrats Max Merten zu „nationalgriechischen“ Protestaktionen gegen ein von Berlin genehmigtes Vorrücken bulgarischer Streitkräfte, die in der deutschen Zone administrative Aufgaben übernehmen sollten. Merten gab grünes Licht unter der Bedingung, dass der Protest ruhig verliefe.112 Eine weitere Reibungsfläche z­ wischen dem Athener Regime und den Okkupanten waren die Besatzungskosten, die sich für die griechische Wirtschaft als ruinös erwiesen. Doch die kooperationsbereiten ‚Regierenden‘ befriedigten fast uneingeschränkt 1 11 Kathimerini, 10. Juni 1942. 112 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 293.

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deutsche Begierden nach Bodenschätzen und anderen Ressourcen. Ähnlich bereitwillig verhielt sich die kooperierende Geschäftswelt, indem sie nicht selten das Minimum für die Existenzsicherung der Bevölkerung ignorierte. Oft stellte man den Besatzern mit beidseitigem Profit billige Arbeitskräfte sogar für den Bau von Befestigungsanlagen zur Verfügung. Die offen oder indirekt fast ausschließlich für die Besatzer tätigen Griechen beliefen sich mindestens auf ein Zehntel des Potentials der Beschäftigten. Die Arbeiter schufteten unter dem Damoklesschwert des Hungers und angedrohter Strafen im Fall einer Weigerung. Schwer zu bilanzieren ist die Einstellung des Beamtenapparats. Das Spektrum reichte von bereitwilligen Befehlserfüllern bis hin zu Verweigerern, denen Entlassung oder Schlimmeres drohte. Immerhin gab es vage Möglichkeiten, sich manchen Entscheidungen zu widersetzen, die internationalem Recht zufolge unvereinbar mit den Interessen des Landes waren. Tatsächlich kam es wiederholt zu erfolgreichen Protesten, z. B. bei extrem hoch angesetzten Besatzungskosten, bei Ausgrabungen oder anderen Aktivitäten der Besatzer, die ohne Einwilligung der zuständigen griechischen Ephorien oder zumindest des Deutschen Archäologischen Instituts erfolgt waren. Der Bevölkerung gegenüber versuchte General Tsolakoglou das Regime als „institutionalisierten Willen“ der mittlerweile entwaffneten aber immer noch hochgeschätzten Armee zu legitimieren, wobei zugleich das weiterhin virulente Erbe der korrupten Metaxas-­Diktatur bereinigt werden sollte. So säuberte er bei der Reorganisation der Machtstrukturen im propagierten „Neuen Staat“ radikal die Beamtenebene, rehabilitierte alle unter Metaxas Entlassenen und besetzte staatliche Funktionsstellen ausschließlich mit Frontkämpfern. Auch in den Universitäten wurden die Kommissare des alten Regimes ausgetauscht. Erziehungsminister Konstantinos Logothetopoulos erklärte seine Entschlossenheit, „zeitgemäße“ kulturelle Werte im Schul- und Ausbildungssystem durchzusetzen. Die Justiz wurde geschwächt, da auch Richter per Ministerialdekret entlassen werden konnten. Sonderbüros in direkter Anbindung an die Besatzungs­ behörden wurden in den meisten Dienststellen eingerichtet, allen voran in den dem Premierminister „beigeordneten“. Eine besonders drastische Säuberungsaktion ereilte das Staatssekretariat für Öffentliche Sicherheit, zumal Abwanderungen zum Widerstand festgestellt wurden. So ging im April 1942 ­dieses Sekretariat unter Observation eines aus drei Ministern bestehenden „Obersten Komitees für Öffentliche Sicherheit“ im Innenministerium auf. Diese Maßnahmen in Verbindung mit Privilegien für die Sicherheitsorgane (Beförderungen, Versorgungsleistungen u. a.) sollten die Kooperation mit den Besatzern im heiklen Bereich der vielgepriesenen Ordnung effizienter gestalten. Jedenfalls litt das Besatzungsregime unter dem Dauerkonflikt ­zwischen der ‚deutschen Fraktion‘ und ihrem italienischen Gegenpart, an dessen Spitze der Wirtschaftsdiktator und fünffache Minister Sotirios Gotzamanis stand. Nachdem es Rom nicht gelungen war, die Bildung einer griechischen Regierung zu verhindern, versuchte man Tsolakoglou zu unterminieren. Als die Diskussion über dessen Ablösung zunahm, akzeptierte Berlin als Nachfolger weder Gotzamanis noch andere italienische Optionen,

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wie etwa Georgios Merkouris, Anführer einer Faschistenpartei. Hitler hatte mehrfach betont, seine Ideologie sei kein Exportartikel; so hielten die Deutschen im allgemeinen Abstand von der griechischen ‚weltanschaulichen Verwandtschaft‘, die sich auf verschiedene Weise in Szene zu setzen versuchte: mit öffentlicher und telegrafischer Huldigung an Hitler, systematischem Denunziantentum und antisemitischen Aktionen, aber auch durch demonstrative Übernahme des Begriffs „Nationalsozialismus“ und Werbung für ein griechisches Freikorps an der Ostfront. Diese ideologische Distanz ließ namentlich Himmlers Sicherheitsdienst vermissen, der sich bis 1944 vergeblich bemühte, das Amt des Premiers einer Führungsfigur der radikal antisemitischen Nationalen Union Griechenlands (Εθνική Ένωσις Ελλάδος, EEE) zu übertragen. Ab November 1942 verhärtete Tsolakoglou seine Haltung gegenüber den Besatzern, erstmals einschließlich der Deutschen. So forderte er künftig freie Hand bei der Umbildung seines Kabinetts, Senkung der Besatzungskosten und Unterlassung von Willkürmaßnahmen. Nach ­diesem Ultimatum blieb ihm nur die Demission „aus gesundheitlichen Gründen“, zu der ihn die konsternierten Deutschen nötigten, um ihm keinen Platz als Held oder Märtyrer in künftigen Geschichtsbüchern zu verschaffen. Umgehend wurde Vizepremier Logothetopoulos zum Interimsnachfolger ernannt, doch suchte man weiter nach einem effizienten Kandidaten. Der in München promovierte und mit einer Deutschen verheiratete Gynäkologieprofessor schaffte es nicht, von den neuen Herren unterstützt zu werden, obschon seine Politik faschistoide Züge trug. Als die Italiener ihre Forderung nach einem italienischen Hochkommissar erneuerten, erzwangen die Deutschen am 6. April 1943, dem zweiten Jahrestag ihres Einmarschs, Logothetopoulos’ Rücktritt, um jedoch erneut auf eine „griechische Lösung“ zurückzugreifen, diesmal aber mit Hilfe eines erfahrenen Politikers. Der neue Premier Ioannis Rallis machte eine Kehrtwende weg von Tsolakoglous Konfrontationskurs. Er war der erste Besatzungspremier, der einen alliierten Endsieg erwartete, wenn auch nicht unbedingt erhoffte. Auf jeden Fall befürchtete er, bis dahin werde die EAM/ELAS vollendete Tatsachen in Griechenland geschaffen haben. Verhindert werden könne dies nur durch einen Zusammenschluss aller nationalen Kräfte sowie eine alliierte Landung. Dabei zählte Rallis nicht zu Unrecht auf stille Akzeptanz dieser Strategie seitens der Briten. In ­diesem Sinne betrieb er die Verstärkung und Bewaffnung der Präsidialgarde (Evzonen), die zur Bekämpfung des Kommunismus beitragen sollte. Anfangs verwarfen die deutschen Stellen den Plan, da der Verdacht aufkam, durch die Hintertür solle die Kerntruppe eines neuen griechischen Heeres für den Fall einer alliierten Invasion wiederaufgebaut werden. Doch nach dem italienischen Zusammenbruch wurde der deutschen Seite klar, dass sie sich angesichts einer „zu 95 Prozent feindlich gesinnten“ Bevölkerung nicht allein auf die Wehrmacht stützen konnte. So zeigte die Heeresgruppe E im Villenvorort Arsakli (heute: Panorama) bei Thessaloniki unter Generaloberst Löhr mehr Bereitschaft, „nationale“ Widerstandsgruppen, die durch den weit überlegenen ELAS massiv unter Druck standen, mit

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Waffen oder anderweitig zu unterstützen. Auch machte sich Berlin dafür stark, dass „griechische Nationallegionäre“ die rasant anwachsende „kommunistische“ Bewegung mitbekämpfen könnten, um dadurch „wertvolles“, „wertvollstes“ oder „kostbares deutsches Soldatenblut“ zu sparen.113 Sobald Hitler nach anfänglichem Zögern zugestimmt hatte, wurden im November 1943 auf der Peloponnes drei Sicherheitsbataillone (Τάγματα Ασφαλείας) zu je 800 Mann aufgestellt. Im Frühjahr und Sommer 1944 waren diese fast im ganzen griechischen Festland sowie auf Euböa präsent, aber natürlich nicht in der bulgarisch besetzten Zone. Unmittelbar vor dem deutschen Abzug waren die bewaffneten Kollaborateure auf über 20.000 Mann angewachsen, darunter 5725 Angehörige der drei Evzonen-­Regimenter (Athen, Pyrgos, Patra), die zumindest auf dem Papier der Athener Regierung unterstellt waren. Hingegen standen die Kommandeure der Sicherheitsbataillone unter direktem Befehl von SS-General Walter Schimana.114 Darüber hinaus wurden mehr oder weniger freiwillig einige Tausend Legionäre aus sprachlichen Minderheiten rekrutiert. Vor allem Rom versuchte, für eigene Zwecke separatistische Bewegungen zu initiieren; beim ambitioniertesten Versuch wurden die weitgehend gräzisierten Aromunen (Mazedorumänen, Koutsovlachen) zu Nachfahren der V. Legion des Imperium Romanum erklärt. Mit Rekurs auf diese historische ‚Verwandtschaft‘ sollte unter italienischer Protektion ein „Fürstentum Pindos“ gegründet werden, geführt vom „Prinzen“ Diamantis, der schon bei der italienischen Invasion 1940 in der kleinen vlachischen Fünften Kolonne eine führende Rolle gespielt hatte. Nach erfolgter Besetzung verkündete er die Neugründung der „Legion“, gestützt auf einige Hundert Abenteurer und Kriminelle, die er mit italienischen Waffen, Geldmitteln und Versprechungen für ein glorreiches „Rinascimento“ köderte. Seine Legionäre setzten die sich als Griechen verstehende Vlachenmajorität härtesten Pressionen aus, damit sie Aufrufe mit separatistischer Tendenz unterzeichneten. Die deutsche Seite registrierte derartige Aktivitäten in der italienischen Zone mit eisigem Desinteresse oder Spott, zumal diese bei fast allen politischen Richtungen des ‚lateinischen Elements‘ auf Ablehnung stießen. Dies galt auch für Tsolakoglou, der selbst vlachischer Abstammung war. Der ELAS ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, den separatis­ tischen Terror blutig niederzuschlagen und neben seinem nationalen Prestige auch sein Waffenlager aufzustocken. Eine ähnlich gelagerte italienische Initiative, nämlich die Verwendung albanischsprachiger Muslime des epirotischen Bezirks Thesprotien (Tschamuria), stieß auf deutlich 113 Hagen Fleischer, Deutsche ‚Ordnung‘ in Griechenland 1941 – 1944, in: Loukia Droulia; Hagen Fleischer (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin: Metropol, 1999, S. 160, S. 172, S. 183, S. 215; vgl. auch BA-MA, RH 19VII/33: Oberbefehlshaber Hgr. E, 17. 8. 1944. 114 BArch, NS 19/320, RF-SS, 2. 11. 1944.

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mehr Sympathie bei den Deutschen, so dass im Herbst 1943 die Wehrmacht mit der Verwaltung in den bis dato italienisch besetzten Gebieten auch diese Kooperation übernahm. Ihr Wohlwollen gegenüber den „im allgemeinen deutschfreundlichen Albanern“ beschränkte sich jedoch auf deren untere administrative Ebene, etwa auf die Weiterführung hilfswilliger Kollaborationsverbände wie der „Skipetarischen Gendarmerie“.115 Allerdings verlangten die höheren Instanzen, die Heeresgruppe und der Sonderbeauftragte Südost Neubacher „strengste Zurückhaltung“ gegenüber sämtlichen auf ein „Großalbanien“ abzielenden Aktivitäten, da jede Präjudizierung in dieser heiklen Frage „unerwünscht“ sei. Noch bemerkenswerter waren die Vorbehalte der in West- und Zentralmakedonien residierenden deutschen Stellen, wo man sich über Berliner Weisungen sowie das Ansinnen aus Sofia hinwegsetzte, zusätzliche probulgarische Milizen aufzustellen. Daher überschritten die Verbände der „Volksbulgaren“ die Tausendergrenze nur unwesentlich. In beiden Regionen ging die deutsche Zurückhaltung auf die Sorge vor neuen ‚rassischen‘ Divergenzen zurück, denn in d­ iesem Fall würde die ohnehin nur bedingte Kooperationsbereitschaft der Mehrheitsbevölkerung weiter vermindert und auch deren „friedfertiger“ Teil in den Widerstand getrieben.116 Die Intentionen vieler deutscher Befehlshaber waren allerdings weniger versöhnlich. Aufschlussreich war die Klarstellung von Oberbefehlshaber Löhr, er verspreche sich von den bewaffneten Kollaborateuren keineswegs nur militärischen Nutzen. Vielmehr bildeten sie für ihn eine politische Maßnahme im Zuge der von der politischen Führung gesteuerten Bekämpfung des Kommunismus, für die der antikommunistische Teil der griechischen Bevölkerung restlos eingespannt werden muss, damit er sich eindeutig festlegt und in offene Feindschaft zum kommunistischen Teil getrieben wird.117

In eben dieser Absicht drängte die Besatzungsmacht ihre einheimischen Organe auf eine abschüssige Bahn ohne Umkehr: Zunehmend wurden nämlich sie mit der Durchführung der blutigen „Sühne“ beauftragt und übertrafen dabei an Brutalität sogar ihre Auftraggeber.118 Befriedigt vermerkten Letztere, der Hass der Betroffenen richte sich hauptsächlich gegen die Handlanger, und sahen darin eine Bestätigung für die Richtigkeit 115 Der Vf. entdeckte im Rahmen seiner zehnjährigen Lehrtätigkeit an der Universität Kreta in der Vikelaia-­Bibliothek in Heraklion beträchtliche Überreste der 1941 gegründeten Wehrmachtsbibliothek – darunter auch „Durch das Land der Skipetaren“ und zahlreiche andere Titel des in Deutschland populärsten Abenteuerschriftstellers Karl May, dessen Bände Hitler (und viele seiner Soldaten) schon in jungen Jahren verschlungen hatten. 116 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 461 ff. 117 BA-MA, RH 19 VII/15, 23. 1. 1944, Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 486. 118 So auch unabhängige Quellen, etwa UDS, Greklandshjalpen, Bd. VI, Sandström, 22. 1. 1944.

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der Spaltpropaganda. Kam dazu noch die unvermeidliche Reaktion des Widerstands, erweiterte sich der Teufelskreis des Blutvergießens zum Vorboten eines „Rassenselbstmords“, wie die Briten prophezeiten.119 Doch auch diese trugen eine Mitschuld, da ihre Haltung zur organisierten Kollaboration als Gegengewicht zur EAM zumindest zweideutig war. Die Deutschen verbuchten also makabre Erfolge mit ihrer pauschalen Aufteilung aller Griechen in „Kommunisten“ und „Antikommunisten“, wobei eventuell lebensrettende Zwischenstufen nicht interessierten. Zwar waren die meisten Offiziere der Sicherheitsbataillone altgediente Republikaner, doch in einem Prozess zunehmender Polarisierung mutierten sie bald zu fanatischen Royalisten. Überdies nivellierte die zur Blutrache ausartende Fehde mit der EAM unterschiedliche Motive; selbst linke Spitzenkader räumten ein, „dass die große Masse aus einfachen, mühsam sich über Wasser haltenden und Entbehrungen gewohnten Leuten bestand“, die mannigfaltigen Pressionen oder dem Druck des Hungers nachgegeben hatten. Andere wiederum hätten sich den Bataillonen angeschlossen, „weil sie nur dort Waffen finden konnten, um sich vor Übergriffen der EAM zu ­schützen oder für erlittene Unbill zu rächen“.120 Der „Höhere SS-und Polizeiführer“ Schimana sah das natürlich anders; ihn lobte Himmler, er habe „es verstanden, die aufbau- und ordnungswilligen Elemente des griechischen Volkes zu organisieren (…) und bis zum letzten Tag in treuester Gemeinschaft mit unseren deutschen Verbänden im Kampf gegen die bolschewistischen Verschwörer zu führen“. Bei manchen war dieser „letzte“ Tag allerdings nicht der letzte: So folgten etwa die 300 Männer des „Polizei-­Freiwilligen-­Bataillons“ von Oberst Georgios Poulos, Führer der faschistischen Splitterpartei Nationale Union Griechenlands (Εθνική Ένωσις Ελλάδος, EEE), der abziehenden Wehrmacht. Noch im April 1945 wurden sie als kämpfende Einheit in deutscher Uniform im bayerischen Raum registriert.121 Der Oberbefehl über die reorganisierten Sicherheitsorgane oblag seit Herbst 1943 dem „Höheren SS- und Polizeiführer Griechenland“ (HSSPF) – zunächst Jürgen Stroop, Schlächter des Warschauer Ghettos, dann dem bereits erwähnten Walter Schimana. Dem HSSPF waren insbesondere die Sicherheitsbataillone im ganzen Land unterstellt sowie die motorisierte Einsatztruppe von Nikolaos Bourandas, die sich vor allem bei blutigen Razzien in Arbeitervierteln hervortat, aber auch die Sonderpolizei (Ειδική Ασφάλεια), die beim Foltern, Plündern und Morden direkt mit dem Sicherheitsdienst 119 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 487. Vgl. hierzu die beeindruckend recherchierte Studie von Jason Chandrinos, Το τιμωρό χέρι του λαού (Die strafende Hand des Volkes), Athen: Themelio, 2012, insbesondere Teil 3 mit dem treffenden Titel „Totaler Krieg“. 120 Thanasis Chatzis, Η νικηφόρα επανάσταση που χάθηκε. Εθνικοαπελευθερωτικός αγώνας, 1941 – 1945. (Die siegreiche Revolution, die verloren ging. Nationaler Befreiungskampf, 1941 – 1945), Bd. 3, Athen: Papazisis, 1979, S. 97. 121 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 458, S. 526.

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(SD) kooperierte. Weniger eindeutig sah es bei Polizei und Gendarmerie aus. Deren Ordnungsfunktion stand außer Zweifel, doch machten sich die neuen Herren des Landes keine Illusionen, dass die Pflichterfüllung zunächst der eigenen Existenzsicherung diente. Zahlreiche Offiziere vor allem der städtischen Polizei kooperierten mit der Résistance oder zumindest einem ihrer Flügel; hier ist vor allem der deutschstämmige Polizeichef Angelos Evert zu nennen, der auch mit Kairo in Kontakt stand. Aber auch die EAM besaß geheime Zellen in der Polizei und sogar eine eigene Zeitung: A ­ stynomiko Vima. Problematischer war die Rolle der Gendarmerie. Ihr übers ganze Land verteiltes Aktionsfeld lag fernab vorgesetzter Stellen der traditionellen Administration. Ihre Richtlinien erhielt sie daher bis 1941 vom Metaxas-­Regime, das nahezu nahtlos von den Besatzungsbehörden abgelöst wurde. Die einzige Alternative wäre gewesen, sich der Résistance anzuschließen; doch diese bestand primär aus Elementen, die in der Gendarmerie-­Tradition als „staatsfeindlich“ galten. Da die Gendarmerie zunehmend durch Desertionen dezimiert wurde, verordnete Rallis eine Reorganisierung nach undurchsichtigen Kriterien. Hauptargument aller Kollaborateure war, dass ihr Land von der „Zusammenarbeit“ profitierte. Denn für die geleisteten Dienste habe man eine dreifache Gegenleistung eingeholt, nämlich die territoriale Integrität Griechenlands gesichert, „soziales Chaos“ unterbunden und, dank der eigenen Funktion als Wellenbrecher, die Besatzungswillkür im Interesse der Bevölkerung abgemildert. Was den ersten Punkt der angeblich den Deutschen abgehandelten „Gegenleistungen“ anging, war der „Gewinn“ durch die Kollaboration bestenfalls ephemer. Dies galt insbesondere für die Annexionsgelüste Sofias auf die Gebiete östlich des Strymon, aber auch für die weniger präzisierten Forderungen aus Rom. De facto hatte Berlin seine Partner lediglich gedrängt, mit der offiziellen Festschreibung ihrer erhofften Territorialgewinne aus Gründen politischer Opportunität bis zum Endsieg der „Achse“ zu warten, um die Griechen nicht samt und sonders ins feindliche Lager zu treiben. Die Argumentation der Kollaborateure griff aber auch im zweiten Punkt nicht: Die Definition des andernfalls drohenden „Chaos“ war nahezu identisch mit der Perspektive der Besatzer und diente folglich deren Interessen; diese allerdings koinzidierten zumindest partiell mit denen der Westalliierten. Eben darauf verwiesen viele führende Kollaborateure, wenn sie, einer Rückversicherung wegen, sich den Briten anzunähern versuchten. Zum dritten Punkt, der Pufferfunktion: Tatsächlich sind zahlreiche Fälle belegt, bei denen Kollaborateure entscheidend zur Begnadigung von Verhafteten oder Todeskandidaten beigetragen hatten. Zweifellos hätten sich ohne die Proteste der Kollaborationsregierungen auch Hungersnot und Besatzungskosten noch fataler ausgewirkt. Doch schöpften diese Regime noch nicht einmal den engen Spielraum aus, der ihnen zur Verfügung stand. In seiner Apologie im Nachkriegsprozess gegen die Spitzenkollaborateure rühmte sich etwa Rallis, im August 1943 50 Geiseln vor der Exekution gerettet zu haben, indem er im Austausch seine eigene Person als Opfer anbot – eine Geste, die ihn nicht in Gefahr brachte. Wie viele Menschenleben

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hätten also er und seine Regierungskollegen retten können, wären sie entschlossener vorgegangen, wie viel Unheil verhindert mit einer kollektiven Rücktrittsdrohung, die gegebenenfalls in die Tat umzusetzen gewesen wäre! Denn die Besatzer profitierten von der Existenz dieser Regierung und hätten nicht auf sie verzichtet. Dank dieser konnten sie, ohne direkt in Erscheinung zu treten, die lästigen Routineaufgaben an die landeseigene Administration delegieren. Zudem existierte eine griechische Obrigkeit für jene zahlreichen Beamten, die es kaum mit ihrem nationalen Gewissen hätten vereinbaren können, einer feindlichen Militärverwaltung unmittelbar zu dienen. Auch hielt die Existenz einer griechischen Regierung als Sachwalter für „Sicherheit und Ordnung“ viele konservative Griechen davon ab, sich der Résistance anzuschließen. Stattdessen akzeptierten sie die Aufstellung der Sicherheitsbataillone, die den Deutschen ohne landeseigene Beihilfe kaum gelungen wäre. Eben darin sah Rallis sein großes Verdienst für Griechenland;122 ungeklärt bleibt, ob er bis zu seinem Tod im Oktober 1946 den eigenen Beitrag zur Spaltpolitik der Deutschen erkannte, die letztlich in den Bürgerkrieg mündete.

Organisiertes Chaos Als sich der Zusammenbruch des faschistischen Italiens und damit des ungeliebten „Kondominiums“ abzeichnete, begannen im August 1943 konkrete Bemühungen um eine Reorganisation der Militärverwaltung. Die bis dahin den gesamten Balkan befehligende Heeresgruppe E unter Löhr wurde auf Griechenland beschränkt, aber nur für taktisch-­operative Aufgaben. Unterstellt wurde sie der neugeschaffenen Heeresgruppe F und ihrem „Oberbefehlshaber Südost“ Feldmarschall Maximilian von Weichs mit Sitz in Belgrad. Parallel konstituierte sich, ebenfalls in Belgrad, die Dienststelle des „Militärbefehlshabers Südost“, der für Richtlinien territorialer Verwaltung und die organisatorische „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ zuständig war, einschließlich der Aufsicht über landeseigene Verwaltung, Wirtschaft und kriegswichtige Güter. Analoge Pflichten für den griechischen Raum hatte der ihm unterstehende General Wilhelm Speidel als Militärbefehlshaber Griechenland, dessen Dienststelle aus der des Befehlshabers Südgriechenland hervorgegangen war und nach dem 9. September 1943 auch die italienisch besetzten Gebiete übernommen hatte. In Wahrheit jedoch schuf die Neuregelung ein organisiertes Chaos mit Kompetenzengewirr. Umgehend klagten operative Kommandostellen über die „jetzige Regelung, wo die Truppe zwei Herrschern untersteht“. Die Oberbefehlshaber Weichs und Löhr betonten nachdrücklich, angesichts des eskalierten Partisanenkriegs sei fast ganz 122 Georgios Rallis, Ο Ιωάννης Ράλλης ομιλεί εκ του τάφου (Ioannis Rallis spricht aus dem Grab), Athen: Papanikolaou, 1947, S. 114 ff, S. 118 f.

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Griechenland (wie auch der gesamte Balkan) als einheitliche Operationszone zu betrachten. Die künstliche Trennung von taktischem und territorialem Kommando bewirke unklare Vollmachten und infolgedessen „tägliche Reibungen und Schwierigkeiten“; auch verzögere sie kritische Entscheidungen für den Fall einer alliierten Landung. Dieser Binnenzwist der Militärs erhielt am 7. September 1943 frische Nahrung durch die neue Dienststelle des „Höheren SS- und Polizeiführers Griechenland“. Die Amtsinhaber unterstanden zwar nominell dem Militärbefehlshaber, doch Walter Schimana, Nachfolger von Jürgen Stroop, schaffte es mit Hilfe seines direkten Drahts zum „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler, Speidels wichtigste Befugnisse zu usurpieren, nämlich die Kontrolle der griechischen Polizei und der politischen Aktionen. Schimana wiederum hatte entsprechende Probleme mit dem ihm hierarchisch unterstellten „Befehlshaber Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst (SiPo/SD)“ Dr. Walter Blume. Auch Blume pflegte den direkten Dienstweg nach Berlin, genauer: zum berüchtigten Reichssicherheitshauptamt (RSHA), bei dem die Richtlinienkompetenz für die „Ermittlung und Bekämpfung des Feindes“ lag – eine Formel, die sich zuvörderst auf den Widerstand und die Juden bezog. Deren Bekämpfung wurde allerdings auch nach erfolgter Verhaftung fortgesetzt. So bestimmte etwa Paul Radomski, Kommandant des im Athener Vorort Chaidari gelegenen Konzentrationslagers, unkontrolliert über Leben und Tod von sukzessive mehr als 20.000 Griechen. Er wurde erst abgelöst, als er nach einer Geburtstagsfeier am 17. Februar 1944 „schwer angetrunken“ („4 Personen tranken 3 Flaschen Kognak und 2 Flaschen Samos“!) seine deutsche Ordonnanz brutal zusammenschlug. Eine sechsmonatige Gefängnisstrafe wegen Misshandlung eines Untergebenen wurde aber nach Intervention von Himmler und Kaltenbrunner für den „alten Kämpfer“ ausgesetzt und auf ein dreijähriges Alkoholverbot reduziert! Doch obwohl ihn seine Berliner SS -Dienststelle nach d ­ iesem vergleichsweise harmlosen Vorfall als „alten Schläger, primitiv in seinem ganzen Denken und Fühlen“ und „nicht zum Führer geeignet“ abqualifizierte, wurde der Träger des „Goldenen Parteiabzeichens“ sowie des „Totenkopfrings“ nach einigen Monaten im Wartestand zum Kommandanten eines „Arbeitserziehungslagers“ ernannt! Darüber hinaus erhielt er nicht näher definierte „Sonderaufträge“.123 Die Reibereien der parteinahen SiPO/SD mit anderen Dienststellen gingen kaum je auf die abscheulichen Methoden in Himmlers Domäne zurück, sondern auf wuchernde Rivalitäten. Hier setzten auch die permanenten Auseinandersetzungen der Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris mit den in jedem Generalstab für „Feindnachrichten und Feindbekämpfung“ zuständigen „Ic“-Abteilungen an. Zahllose Beispiele dieser Art ließen sich hier anführen, denn bereits im Oktober 1943 konkurrierten allein im Athener Raum 161 deutsche Dienststellen, ungeachtet Hitlers Weisung von 1941, deren 123 Vgl. Radomskis umfangreiche Personalakte in BArch, Berlin, Bestand VBS 286: SS-Führerpersonalakten.

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Zahl auf ein Minimum zu beschränken. Deutsche Stäbe unternahmen wiederholt den Versuch, Ordnung in das Kompetenzen-­Chaos zu bringen, hatten damit jedoch bis zum Besatzungsende keinen wirklichen Erfolg. Koordinationsdefizite und daraus resultierende Funktionsstörungen schufen günstige Bedingungen dafür, dass es im berüchtigten deutschen Machtapparat zu Leerstellen kam. Lediglich an der heiklen Nahtstelle z­ wischen Diplomatie und Militär trat eine technische Vereinfachung ein, allerdings zu Lasten des besetzten Landes. Am 3. November 1943 verließ Altenburg Griechenland. Der Bevollmächtigte ohne Macht hatte im Rahmen des ihm Möglichen wiederholt versucht, die Härten der Okkupation zu mildern. Schon früh gab er seiner Überzeugung Ausdruck, die Besatzungsmächte müssten „griechische Währung und griechische Wirtschaft, aber auch griechische Religion und griechisches Ehrgefühl schonen“.124 Dass er diese mit dem Zeitgeist unvereinbare Linie weder in Berlin noch bei den Kommandostellen durchsetzen konnte, war der Hauptgrund dafür, dass er bereits Anfang 1943 seine Abberufung erbeten hatte, da er es „satt war“, für unverantwortliche Taten anderer im Nachhinein die Verantwortung übernehmen zu müssen.125 Seinem Antrag wurde erst stattgegeben, als Militärbefehlshaber Speidel aus gänzlich anderen Motiven Altenburgs Abzug befürwortete. Was die Befugnisse der reduzierten Gesandtschaft im Wirtschaftssektor betraf, hatte sich der General im Vorfeld mit dem „Sonderbeauftragten des Reichs für den Südosten“ Hermann Neubacher über eine Aufteilung geeinigt. Letzterem übertrug Hitler eine weitere, delikate Mission: Er solle in den Ländern des Südostens die „nationalen, antikommunistischen Kräfte“ in „engster Zusammenarbeit“ mit der Heeresgruppe F und dem Militärbefehlshaber Südost politisch organisieren und ihren „Einsatz im Kampf gegen die kommunistischen Banden politisch lenken“. Obgleich Hitler Neubacher zum Alleinverantwortlichen ernannte, waren durch dessen häufige Abwesenheit wegen Dienstreisen nach Berlin und allen Südoststaaten Konflikte mit Speidel, Schimana und Blume vorprogrammiert. Im letzten Besatzungsjahr nahmen die Probleme überhand, insbesondere die Invasionsgefahr, der rasante Anstieg des Widerstands und die galoppierende Inflation. Obschon die wirtschaftliche Auszehrung Griechenlands auch für die Besatzer negative Folgen hatte, zeigte die Wehrmacht wenig Verständnis für Neubachers Bemühungen, den Verfall der Drachme hinauszuzögern. Im Gegenteil forderte sie weiterhin horrende Beträge zu „Verteidigungszwecken“, die dann für nutzlose Befestigungsbauten verschwendet wurden. Im Frühsommer 1944 mussten die Verantwortlichen erneut zugeben, dass die weit über 4000 km langen Küsten Griechenlands nur „zu 20 % besetzt, zu 30 % notdürftig überwacht und zur Hälfte völlig unkontrolliert“ waren. Hitler empfand zwar „große Sorge“ vor alliierten Operationen „gegen den Raum Dodekanes, Kreta, 124 PAAA, R 29612, 19. 4. 1941. 125 Interview d. Vf. mit Altenburg, Oktober 1970, aber auch September 1978, als der ehemalige Gesandte und seine Gattin Sabine erstmals wieder Athen besuchten.

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Peloponnes“, wollte aber auf keinen Fall die stark ausgedünnten Verteidigungslinien durch Räumung von Inseln verkürzen. Für die von ihm befohlene „Rundumverteidigung“ fehlten jedoch die benötigten Reserven. Am 1. Mai 1944 belief sich die Iststärke der Heeresgruppe E in Griechenland und Südalbanien auf 142.263 Mann aller Dienstgrade. In loser Anbindung kamen hinzu 14.386  SS -Angehörige, 45.000 Mann der Kriegsmarine und Luftwaffe vor allem auf Inseln sowie 3495 Mann, zumeist Verwaltungspersonal, sämtlich dem Militärbefehlshaber Griechenland unterstellt. Inklusive aller mehr oder weniger freiwillig dienenden fremdvölkischen Verbände – Griechen, italienische Faschisten, Ostlegionäre aus verschiedenen Völkerschaften insbesondere des von Hitler hochgeschätzten Kaukasus, aber auch 500 Araber sowie der als Ordnungseinheit westlich des Strymon stationierten 7. Bulgarischen Division – zählte man also 257.168 deutschem Befehl unterstehende Köpfe, wobei die Gefechtsstärke nach alten Kriterien kaum über 150.000 lag.126 Entsprechend häufig kam es in ­diesem ethnischen Sammelsurium zu Desertionen, so dass ganze Verbände entwaffnet und zu „Hiwis“ degradiert wurden. Unter den deutschen Einheiten galt lediglich die 22. Infanterie-­Division auf Kreta als voll gefechtsfähig. Für deren Moral war es jedoch ein schwerer Schlag, als ihr neuer Kommandeur Generalmajor Heinrich Kreipe in der Nacht vom 26. auf den 27. April 1944 von zwei britischen Offizieren in Wehrmachtsuniform und Andarten der Nationalen Organisation Kretas (Εθνική Οργάνωση Κρήτης, EOK) entführt und per U-Boot nach Nahost verschleppt wurde. Von anderen Einheiten, sogar der elitären 1. Gebirgs-­ Division „Edelweiß“, wurden wiederholt kampfstarke Teile ausgegliedert und an die Ostfront abgegeben. Bestenfalls zweitklassig war der Ersatz durch frisch eingezogene „Beutegermanen“ aus annektierten Gebieten (Polen, Elsass), die laut Volksliste Nr. 3 deutsche Staatsangehörige auf Widerruf waren, sowie durch „bedingt Wehrwürdige“ oder gar „Wehrunwürdige“. Alle diese Gruppen ‚organisierte‘ die Führung der Heeres­ gruppe mehr schlecht als recht in 17 Sonderbataillonen, die ansonsten aus ehemals politischen oder kriminellen Häftlingen der „Festungs-­Infanterie“ („Strafdivision 999“) zusammengestellt waren. Dies erfolgte gegen den erklärten Willen der militärischen Führung, der die Gemengelage aus fehlender Gefechtserfahrung und Disziplin sowie weltanschaulicher Unzuverlässigkeit der eben aus dem Strafvollzug Entlassenen nicht geheuer war. Denn „im Land der Nichtstuer, Schieber und Korrupteure (…) kann bereits eine gute und disziplinierte Truppe sehr schwer den verbrecherischen Einflüssen ferngehalten werden“,127 wie der graecophobe „Kampfkommandant Peloponnes“ Karl von LeSuire – immerhin Enkel eines Kriegsministers unter König Otto- bereits wenige Wochen vor dem von ihm angeordneten Blutbad von Kalavryta dozierte!

126 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 454 f.; BA-MA, RH 19 VII/24. 127 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 455, S. 567.

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Was die „bedingt wehrwürdigen“ Soldaten betraf, versuchte die deutsche Führung zumindest Straftäter mit „fortgesetzter verbrecherischer Neigung“ aus Griechenland abzuziehen, wohingegen „staatsfeindliche Elemente“ schwerer zu identifizieren waren. So kam es Ende 1943 zu ersten Kontakten z­ wischen deutschen Sozialisten und Kommunisten mit der EAM . Im Juli 1944 gründeten Überläufer unter dem Schirm der PEEA das „Antifaschistische Komitee Freies Deutschland“ und verstärkten in den letzten Besatzungswochen die mittlerweile stilistisch und orthografisch optimierten deutschsprachigen Flugblätter mit Desertionsaufrufen. In bemerkenswerter Absprache mit dem ELAS und dem GHQME initiierten die Antifaschisten sogar eine Revolte zweier Bataillone auf der Peloponnes und deren Evakuierung nach Nahost, doch die durch Verrat informierte deutsche Führung vereitelte die Aktion „Kitchenmaid“ zwei Tage zuvor. Zumindest die „Rädelsführer“ wurden im Schnellverfahren hingerichtet.128 Dennoch scheute die Wehrmacht davor zurück, ihre zahlenmäßige Schwäche durch zusätzliche bulgarische Einheiten auszugleichen, denn auch bei den „Preußen des Balkans“ zeigte sich ein beunruhigender Rückgang an Zuverlässigkeit. Überdies versuchten die Bulgaren mit allen Mitteln, den griechischen Charakter der von ihnen besetzten Gebiete aufzuweichen und die slawophone Minderheit zu stärken. Dies wiederum ebnete der erbitterten griechischen Bevölkerung den Weg zum Widerstand.129 Nur begrenzten Erfolg hatten deutsche Versuche, als selbsternannte Beschützer aller Gutwilligen die antikommunistischen Teile der Zivilbevölkerung für sich einzunehmen. Mit solchen Parolen ließen sich am ehesten noch die Relikte des Staatsapparats überzeugen, der unter Wehrmachtskontrolle stand. Indes kam es im von der EAM kontrollierten ‚Freien Berg-­Griechenland‘ und namentlich den grauen Zwischenzonen immer häufiger zu brutalen deutschen „Säuberungsaktionen“, die die einst als psychologisch unklug kritisierten italienischen Rachezüge an Zahl und Härte weit in den Schatten stellten. Mittlerweile wurden sogar Kinder als potentielle Spione verdächtigt, denn erfolgreicher Widerstand erfordere Sympathie und Informationen der Zivilbevölkerung, „die also in vollem Umfang an den deutschen Verlusten mitschuldig ist“. Dies gelte namentlich für „Bandenschwerpunkte“, als die das Kriegstagebuch der Heeresgruppe E ganze Regionen wie den Epirus und die Peloponnes qualifizierte, wo mittlerweile „die gesamte Bevölkerung als feindlich angesehen und behandelt werden“ müsse.130 128 TNA, F. O. 371/43691: R 12785, R 13509; Hans-­Peter Klausch, Die 999er, Frankfurt: R ­ öderberg, 1986, S. 197 ff. Einige von ihnen – wie der ­später in der DDR vielfach geehrte Werner Illmer – wurden auf griechischem Boden begraben (in Amaliada), wo sie lange Jahre in ­Frieden ruhten bis sie schließlich auf den Soldatenfriedhof in Dionysos (Nordattika) umgebettet ­wurden – evtl. an der Seite mancher ihrer Exekutoren. 129 Vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 454 ff. 130 So auch das Kriegstagebuch der Heeresgruppe E; vgl. Fleischer, Deutsche ‚Ordnung‘, S. 175 und passim.

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Abb. 8 Deutsche Soldaten überwachen die Zerstörung des Weilers Mazi im Rahmen des „Sühne-­Unternehmens Kalavryta“ (Dezember 1943).

Dieses Schema legitimierte kollektive Rachefeldzüge und ließ die Mehrzahl der Kommandierenden und Kommandierten Skrupel überwinden. Wiederholt erwähnten deutsche Berichte von der „Banditenfront“, obschon nur nebenbei, eine „starke seelische Belastung“ der Soldaten, die bei Sühnemaßnahmen für Aktionen unauffindbarer Andarten Befehle zu Mord und Brandschatzung in „scheinbar friedlichen Dörfern“ ausführen sollten. Intern wurde daher spezifische „Aufklärung“ zur „Beseitigung von Hemmungen“ angeordnet; darunter fielen auch Bemühungen, die bei manchen Soldaten weiterhin bestehende Konfusion über die „rassische“ Identität oder gar Kontinuität der Neugriechen zu beseitigen. Auf einmal betonte man deren Affinität zu den Slawen, was aus NS-Perspektive gleichbedeutend mit minderem „Lebenswert“ war. So gerieten die Bewohner bandenverdächtiger Regionen immer stärker in den Malstrom einer brutalen Logik. Wiederholt wurde sinngemäß oder auch wörtlich angeordnet: „Flüchtet die Bevölkerung der Orte bei Annäherung der Truppe, sind die Männer auf der Flucht zu erschießen.“ Ungeklärt ließen die Befehlenden wie schwere deutsche Artillerie aus der Distanz in einer panikerfüllten Menschenmenge Männer, Kinder und Frauen

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hätte unterscheiden können. Einerseits galt also Flucht als Schuldbeweis, der Strafe forderte und rechtfertigte, andererseits riskierten zumindest die Männer, die im Dorf blieben, „vorsorglich“ in Geiselhaft genommen oder ohne viel Federlesens als „Sühne“ für Widerstandsaktionen irgendwo in der weiteren Umgebung liquidiert zu werden. Selbst ein deutsches „Offiziersehrenwort“ taugte wenig. So hatten etwa in Kalavryta die meisten Einwohner der Versicherung Glauben geschenkt, sie liefen keine Gefahr, da sie an der Tötung von 75 gefangenen Deutschen durch ortsfremde ELAS-Partisanen offensichtlich unbeteiligt waren. Darauf verließen nur wenige Kalavrytaner die Stadt; einige Geflüchtete kehrten sogar zurück. Nach sechs Tagen klappte die Falle zu, und am 13. Dezember 1943 wurde die männliche Bevölkerung der Stadt sowie kleinerer Nachbargemeinden erschossen. Das jüngste Opfer war zwölf Jahre alt. Im brutalen Kampf gegen die Andarten kam es nicht selten auch zu fatalen Missverständnissen, zumal den Soldaten als Credo eingehämmert wurde, im Zweifelsfall „zuerst zu schießen“. Die Methode präventiver Offensive, d. h. der Vernichtung jedes potentiellen Feindes, um nicht „kostbares deutsches Blut“ aufs Spiel zu setzen, wurde bei nicht wenigen Einheiten zur Regel. In manipulierten ‚Gefechtsberichten‘ firmierten die Ermordeten als „Bandenangehörige“ oder zumindest „Verdächtige“. Auch bei offensichtlicher Berichtsfälschung konnten die Täter mit aktivem Verständnis der obersten NS-Ebene rechnen. Herauszugreifen sind zwei von einer SS-Kompanie begangene Massaker: Nach dem ersten im makedonischen Klissoura, bei dem zumeist „Säuglinge, Kinder, Frauen und Greise“ niedergemetzelt wurden, protestierte der Sonderbeauftragte Neubacher gegen d ­ ieses „sinnlose und unverantwortliche Blutbad“, doch das angesprochene OKW war „z. Zt. mit wichtigsten unaufschiebbaren Arbeiten überlastet“. So erklärten die deutschen Kommandostellen in Saloniki und Belgrad das Vorgehen der SS-Panzergrenadiere für „berechtigt“ und alle Vorwürfe für „unbegründet“. Damit verblieben auch die ermordeten Säuglinge in der Rubrik „Bandenverdächtige“. Die Täter hingegen hatten ihre Rehabilitierung erst gar nicht abgewartet, um mit gestärktem Selbstbewusstsein erneut zur Tat zu schreiten. Vier Wochen ­später, am 10. Juni 1944, massakrierte die ­g leiche Kompanie 218 Zivilisten im böotischen Marktflecken Distomo, wiederum zumeist Frauen, Greise sowie 38 Kinder im Alter von zehn Jahren bis zwei Monaten, darüber hinaus auch ungeborene – denn wiederholt wurden schwangere Frauen mit viehischer Brutalität aufgeschlitzt. Die Täter, für die sich Himmler persönlich einsetzte, erhielten lediglich eine „Rüge“ vom in Südgriechenland führenden Kommandeur Hellmuth Felmy; diese betraf aber primär den erfundenen „Gefechtsbericht“.131 Bei den Praktiken der „Sühne“ unterschied sich die Wehrmacht graduell von der SS. Erstere tötete relativ selten auch Frauen und Kinder; blutigste Ausnahme bildeten die 317 Zivilisten, die nach einer

131 Vgl. Fleischer, Deutsche ‚Ordnung‘, S. 183 ff.

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Hochzeitszeremonie an Mariae Himmelfahrt im Morgengrauen des 16. August 1943 in Kommeno bei Arta zusammen mit dem Brautpaar niedergemetzelt wurden. Diese „quotenlosen“ Massenmorde sämtlicher vorgefundener Einwohner jeglichen Alters und Geschlechts fielen in eine andere Kategorie. Ganz allgemein hatte die SS weniger Skrupel und näherte sich auch bei „regulären“ Massenexekutionen öfter der ursprünglich nur für die Ostfront vorgegebene „Sühnequote“ von 1:50 Einheimischen für jeden getöteten Deutschen, während die Wehrmacht in Griechenland sich zumeist mit der Relation 1:10 „begnügte“. Der Résistance und vor allem dem ELAS wurde von vielen Landsleuten das krasse Missverhältnis ­zwischen getöteten Soldaten und den bei Repressalien ermordeten Griechen angelastet. Eben deshalb vermeldeten die verantwortlichen Organisationen stark übertriebene Zahlen der jeweils getöteten Besatzer. Umgekehrt minimalisierten die innergriechischen Gegner die Erfolge der Andarten oder leugneten sie gänzlich. Weniger verzerrt waren die leichter zu überprüfenden Opferzahlen bei Griechen – ob nach unten oder oben, hing von der erwünschten Tendenz dessen ab, was zu „beweisen“ war.132 Jede Zahl, ob echt oder falsch, lieferte Argumente für oder gegen die Effizienz und entsprechend für oder gegen die Berechtigung des Widerstands. Auch wenn sich dessen Bilanz nicht rechnerisch nach dem Unternehmensmodell von Investition und Rendite ziehen lässt, lohnt sich ein Blick auf einige arithmetische Fakten. Ein solides Indiz für die deutschen Verluste bildet die Zahl der Bestatteten auf dem Soldatenfriedhof von Dionysos am Nordhang des Penteli-­Bergs. Von den fast 10.000 Grabstätten betreffen 4729 Sterbedaten die letzten elf Besatzungsmonate, d. h. nach Abschluss der Gefechte mit regulären italienischen und britischen Streitkräften. Im Zeitraum Dezember 1943 bis Oktober 1944 verteilten sich die Toten pro Monat wie folgt: 292 – 250 – 244 – 257 – 346 – 314 – 336 – 579 – 544 – 878 – 689. Diese Zahlen sind um etwa 10 Prozent anzuheben, unter Berücksichtigung der nicht geborgenen Toten sowie jener, deren Todesdatum nicht zu ermitteln war. Unberücksichtigt bleiben hier die 4465 in Maleme bei Chania Bestatteten, von denen die meisten innerhalb weniger Tage fielen.133 Auf dem Festland ergab ein Abgleich mit den erhaltenen Akten, dass über die Hälfte der deutschen Verluste im „Bandenkrieg“ entstanden waren. Auf ihn geht auch der Anstieg des letzten Besatzungssommers zurück, da sich bei der Summe anderer Ursachen (Malaria und sonstige Erkrankungen, Unfälle, alliierte Bombardements) 132 Fleischer, Deutsche ‚Ordnung‘, S. 201 ff., S. 223. 133 Dem Verfasser hinterließen bleibenden Eindruck die Grabstellen dreier Nachfahren des aus den Napoleonischen Freiheitskriegen sprichwörtlich berühmten Generalfeldmarschalls Graf Gebhard Leberecht von Blücher. Die drei Brüder Hans-­Joachim, Leberecht und Wolfgang von Blücher, ­zwischen 17 und 24 Jahre alt, fielen am zweiten Tag der erbitterten Kämpfe auf Kreta (21. Mai 1941).

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geringere Schwankungen ergaben – wenn man von der Zunahme bei den Exekutionen deutscher Regimegegner absieht. Die deutschen Lageberichte lassen aber keinen Zweifel, dass die große Mehrheit der Todesfälle durch Widerstandshandlungen auf den ELAS zurückging. Dies gilt auch für die Phase nach dem Juli 1944, als der EDES angesichts der Kriegsentwicklung seine in den Vormonaten praktizierte Neutralität aufgab, wobei er von erhöhten alliierten Versorgungslieferungen profitierte. Als Zervas mit seinen Verbänden in invasionsgefährdete „Sperrzonen“ nahe der Küste vorrückte, schuf er Verwirrung bei der Wehrmacht, indem er abwechselnd angriff und dann über Boten „Missverständnisse“ auszuräumen vorgab.134 Αm 17. August 1944 verzeichnete der EDES seinen größten Erfolg gegen die Deutschen bei Menina (Thesprotien). Unter den Toten war auch David Wallace, einer der führenden britischen Verbindungsoffiziere. Wenige Tage zuvor war es dem ELAS gelungen, bei Karoutes (Fokida) ein ganzes deutsches Bataillon aufzureiben. Freilich stellten die Noch-­Besatzer bis zum letzten Moment ihre potentielle Stärke unter Beweis, zeigten aber auch zunehmend Schwäche gegenüber den Andarten. Zwar waren sie in der Lage, ausgewählte Ziele anzugreifen und – laut Wehrmachtsvokabular – „plattzumachen“, so etwa zweimal die Andartenhochburg Karpenisi und das Kerngebiet des „Freien Griechenlands“. Doch es gelang ihnen nicht, die gesamte Bandbreite dieser Ziele zu erfassen und unter Kontrolle zu halten. Immerhin hatten sie die makabre Befriedigung, die Heerschar der Obdachlosen jeweils um einige Tausend vergrößert zu haben. Wegen des überstürzten Rückzugs aus Westgriechenland kam die Wehrmacht nicht einmal mehr dazu, die geplante Racheaktion „Verrat“ gegen Zervas durchzuführen. Der Codename spricht Bände.135 Dafür „revanchierte“ sich die Truppe andernorts. So zerstörten die Deutschen auf Kreta verschiedene „Bandenzentren“ und namentlich den hochgelegenen Marktflecken Anogeia, dessen zentraler Platz bis heute nach jenem schicksalsträchtigen 13. August 1944 benannt ist. Zweck solcher Unternehmen war nicht die Flankensicherung des Rückzugs, sondern die exemplarische Abstrafung aller, die Widerstand gewagt hatten. Ohnehin aber hatte der Seitenwechsel Rumäniens neue Prioritäten im Südosten gesetzt. Die Opferzahl des erbarmungslosen Partisanenkrieges ist von Forschungsinstituten der meisten ehemals besetzten Länder in progressiver Kleinarbeit immer präziser ermittelt worden. In Griechenland jedoch hat sich infolge der innenpolitisch begründeten Verspätung der Vergangenheitsaufarbeitung wenig bewegt seit 1945/46, als der zuständige Staatssekretär für den Wiederaufbau Konstantinos Doxiadis schätzte, der Andartenkrieg habe „30.000 Männern und Frauen das Leben gekostet“. Hinzu kamen seiner Berechnung zufolge weitere 5000 Griechen „aus Massenexekutionen“ durch 134 BA-MA, RH 19 VII/25, 6. 7. 1944, u. a. 135 Vgl. auch in d­ iesem Band „Kontakte z­ wischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand: ‚Solide Taktik‘ oder Kollaboration?“.

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Italiener und Deutsche sowie 6000 Personen, die in städtischen Ballungsgebieten wegen „besatzungswidrigen“ Verhaltens von Militärgerichten im Schnellverfahren hingerichtet worden waren.136 Die Gefallenen des ELAS beliefen sich dessen militärischem Kommandeur Sarafis zufolge auf ca. 5000.137 Diese Schätzung ist weit realistischer als seine Angaben zu den „Feindverlusten“. Auch im „Freien Griechenland“ hatte sich bestätigt, dass in umstrittenen Gebieten die Verluste der Waffenträger vor den weitaus höheren der Zivilbevölkerung verblassten. Bezeichnend ist eine geheime Auflistung der Heeresgruppe E, der zufolge allein von Juni 1943 bis September 1944 insgesamt 25.435 Griechen zu Tode gebracht wurden. Auf die Monate verteilt, ergeben sich folgende Zahlen: 646 – 599 – 1064 –  1231 – 1255 – 723 – 1390 – 988 – 1287 – 1206 – 1930 – 1825 – 3203 – 3185 – 3393 – 132.138 Demnach registrierte die Wehrmacht in der Phase kulminierender Widerstandstätigkeit 106 tote „Feinde“ pro Tag. Besagte Liste klassifizierte die erfassten griechischen Opfer in zwei Kategorien: einerseits Widerständler, d. h. alle angeblich im Verlauf von Zusammenstößen Getöteten (20.650), andererseits weitere 4785, die zur „Sühne“ für Attentate etc. exekutiert wurden. Das sich ergebende Verhältnis von 4,3:1 ist jedoch fiktiv, da es auf die Praxis vieler deutscher Einheiten zurückgeht, die Verlustziffer des (bewaffneten) Feindes zugleich mit der Stärke desselben aufzublähen, um sich bei den vorgesetzten Kommandostellen in ein gutes Licht zu rücken. Auch verfälschten die bereits erwähnten „Gefechtsberichte“ die Einordnung erneut, da sie die niedergemetzelten Zivilpersonen in Vianos, Distomo und anderswo zu „Banditen“ oder „Bandenverdächtigen“ aufwerteten. Aus ­diesem Grund wird hier die jeweilige Summe beider Kategorien verwendet. Das Zahlenmaterial ist nicht erschöpfend, da nicht einmal die deutschen Täter alle ihre Opfer festhielten. Nicht erfasst sind hier jene, die zeitlich oder regional aus dem vorgegebenen Rahmen fallen, insbesondere die geschätzt 3000 Exekutionen der ersten 25 Monate aus der deutschen Besatzung Kretas, Makedoniens und Attikas, auch nicht die Opfer der bulgarischen und italienischen Zone. Zudem muss zur Gesamtopferzahl noch ein erheblicher Prozentsatz der mindestens 25.728 als verhaftet gemeldeten „Feinde“ addiert werden, die ohne Hinweis auf ihr weiteres Schicksal lediglich aufgelistet wurden. Viele von ihnen hielten sich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort auf, etwa bei den berüchtigten Razzien in Kokkinia und anderen „roten“ Arbeitervierteln Groß-­Athens. Viele wurden 136 Konstantinos Doxiadis, Αι θυσίαι της Ελλάδος στο Δεύτερο Παγκόσμιο Πόλεμο (Die Opfer Griechenlands im Zweiten Weltkrieg), Athen: Aspioti-­E LKA, 1945, S. 37. 137 Stefanos Sarafis, Ο ΕΛΑΣ (Der ELAS), Athen: Epikairotita, 1946, S. 387. 138 BA-MA, RH 19 VII/54; Droulia; Fleischer, Von Lidice bis Kalavryta, S. 222; vgl. die leicht abweichenden Zahlen bei John Louis Hondros, Occupation and Resistance: the Greek Agony, 1941 – 4 4, New York: Pella, 1983, S. 162.

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als Zwangsarbeiter ins Reich verbracht, von wo ein Großteil nie zurückkehrte. Andere wurden als Geiseln einer NS-Vokabel zufolge „aufgebraucht“ oder landeten in Kerkern und Konzentrationslagern. In Chaidari, dem bekanntesten Lager, konnte im letzten Moment größeres Unheil vermieden werden: So hatte im August 1944 SD-Chef Walter Blume geplant, bei der anstehenden Auflösung des KZs die meisten der verbliebenen 2000 Häftlinge zu liquidieren. Dabei hatte er nicht mehr primär Kommunisten im Visier, sondern die führende griechische Oberschicht, denn diese würde nach dem deutschen Abzug wieder eine maßgebliche Rolle im öffentlichen Leben spielen. Oben auf der Liste standen die unlängst verhafteten Zentrumspolitiker Sofoulis, Kafantaris und Gonatas. Ohne die bürgerliche Elite, so Blumes Kalkül, würden dem deutschen Abzug Zusammenstöße der EAM mit den Briten und insgesamt das Chaos folgen. Diese vom SD entwickelte „Chaos-­These“ als „Beweis dafür, dass ohne die Deutschen keine Ordnung möglich“ sei, war Hitler und Himmler offenbar bekannt. Da sich Neubacher und die verbliebene militärische Führung dagegenstellten und für einen sanfteren Abgang plädierten, wurde der Plan schließlich nicht verwirklicht.139 Allerdings resultierten ihre Einwände zuvörderst aus der Erkenntnis, dass eine Realisierung ­dieses Nero-­Konzepts alle Griechen gegen die Deutschen zusammenschweißen und deren Abzug erschweren würde.140 Ab Ende August 1944 befahl Hitler nach dem „Abfall“ Rumäniens erst die sukzessive, dann vollständige Räumung immer größerer Gebiete, angefangen bei der Peloponnes und den Inseln. Am 1. September, dem Tag, an dem Griechenland zur Kriegszone erklärt wurde und der Rückzugsbefehl erging, erhielt das taktische Militär (Heeresgruppen E und F) sehr spät, zu spät, den ersehnten Vorrang vor konkurrierenden deutschen Dienststellen. Das OKW war überrascht, als die angloamerikanischen Streitkräfte trotz überwältigender Luft- und See-­Überlegenheit die eigenen Absetzmanöver von den Inseln mit überladenen und kaum verteidigungsfähigen Transportmitteln zunächst nicht behelligten. Dass trotz solcher Bedingungen innerhalb von zwei Wochen das Gros der abgeschnittenen Einheiten evakuiert und aufs Festland gebracht werden konnte, interpretierte die deutsche Führung als „bewusste Zurückhaltung“ der Briten. Tatsächlich zogen Letztere Gewinn aus einem geordneten Abzug der Heeresgruppe E, denn nach der Kapitulation Bulgariens wurde so der rapide Vormarsch der Roten Armee in Richtung Adria zumindest verzögert. Nicht nur Moskau, sondern auch anglophile Athener störten sich an dieser fast schon provokativen britischen Passivität, wie die 139 Fleischer, Deutsche ‚Ordnung‘, S. 208 f.; Mark Mazower, Inside Hitler’s Greece: the Experience of Occupation, New Haven: Yale University Press, 1993, S. 232 ff. 140 Der Fragenkatalog d. Vf., der auch diesbezügliche Punkte enthielt, wurde von Blume am 9. Januar 1973 in einem rührseligen Schreiben über sein tragisches Verhältnis zur historischen Wahrheit ausweichend beantwortet.

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effizienteste Spionageorganisation („Apollo“) alliierte Stellen warnte. Anderthalb Tage ­später, am 15./16. September 1944, zerstörte die RAF die Hälfte der verbliebenen deutschen Transportmaschinen und setzte der Inselräumung ein jähes Ende. Doch auch danach, während sich auf dem Festland die Wehrmachtskolonnen in Richtung jugoslawische Grenze wälzten, unterließ es die RAF, ihre Luftherrschaft zu vernichtenden Schlägen gegen die einzige Nord-­Süd-­Bahnlinie mit ihren zahlreichen Kunstbauten zu ­nutzen. Die Unterlassung beruhte nicht auf einem legendenumwitterten deutsch-­britischen Abkommen für eine „Wachablösung“ in der strategischen Schlüsselposition Thessaloniki. Dieses Narrativ beruhte vielmehr auf einer „Enthüllung“ des ehemaligen Rüstungsministers Albert Speer, der trotz britischer Dementis auf seiner Version beharrte. Der Verfasser glaubt dennoch an ein tacit understanding, eine unausgesprochene ephemere Koinzidenz britischer und deutscher Interessen angesichts des gemeinsamen, aber nicht koordinierten Ziels, den sowjetischen Vormarsch zu den warmen Meeren zu stoppen. Denn eben diese Eventualität beunruhigte Churchill in jener Phase weit stärker als die längst abgeschriebene Wehrmacht. Sein Leibarzt und Vertrauter Moran notierte im Tagebuch: Winston spricht in diesen Tagen niemals von Hitler. Er reitet ständig auf den Gefahren des Kommunismus herum. Er träumt von der Roten Armee, die gleich einem Krebsgeschwür von Land zu Land metastasiert.141

Bis heute umstritten sind auch diverse Kontakte deutscher Funktionsträger über griechische Verbindungsleute, die ihre Befugnisse oft überschritten, zu alliierten Stellen. Im Allgemeinen war Hitler strikt gegen s­ olche Annäherungsversuche, während die Westalliierten eine deutsche Teilkapitulation anstrebten. Dennoch verblieben Spielräume für Sondierungen, da beide Seiten möglichst viele Informationen über den Gegner einzuholen versuchten. Zudem wollten die Deutschen Zeit für einen ungehinderten Abzug gewinnen und boten als Gegenleistung an, die Zerstörungen beim Rückzug auf ein Minimum zu beschränken. Gleiches wollten auch mehrheitlich die griechischen Mittelsleute, und tatsächlich gelang dies auch in den meisten Städten, namentlich in Athen; so wurde die griechische Hauptstadt von der Besatzungsmacht vor deren Abzug am 12. Oktober 1944 zur Offenen Stadt erklärt. In der Provinz aber war das Ausmaß der Vernichtung enorm; vor allem das Verkehrsnetz war auf Jahre betroffen. Allein ­zwischen dem 3. und 28. Oktober 1944 sprengte die Heeresgruppe E unter anderem 120 Straßen- oder Eisenbahnbrücken und sechs Tunnel, ließ 73 Lokomotiven und 500 Waggons an Abgründen abstürzen, zerstörte teilweise oder vollständig 42 Bahnhöfe 141 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, S. 514, S. 525, Bd. 2, S. 727; vgl. Brief von Albert Speer an Vf., 8. 12. 1975; Lars Baerentzen, Anglo-­German Negotiations during the German Retreat from Greece in 1944, in: Scandinavian Studies in Modern Greek, IV 1980, S. 23 – 42.

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sowie viele Kilometer Gleisanlagen an schwer zugänglichen Standorten.142 Wiederholt gelang es der Résistance, Zerstörungen zu vereiteln; gelegentlich entschärften deutsche Kommandostellen die Weisungen ihrer Vorgesetzten, wofür man sich etwa in Heraklion mit (bestechenden!) Goldsovereigns erkenntlich zeigte. Dadurch blieb dem Großteil der dortigen Hafenanlagen die Sprengung erspart; man brachte sie lediglich in einen Zustand, in dem sie für ankommende alliierte Streitkräfte vorerst nicht zu gebrauchen waren. Auch überließ man Nahrungsmittel und nicht spezifisch militärische Bestände dem Internationalen Roten Kreuz oder der griechischen Verwaltung, wie aus den schwedischen Akten hervorgeht. Einige höhere Militärs erinnerten sich in zwölfter Stunde sogar an das unter nazistischem Müll verschüttete Soldatenethos, um „den guten Ruf der deutschen Wehrmacht (…) nicht durch einen banditenmäßigen Abzug auszulöschen“.143 In dieser Aussage verbarg sich ein bodenloser Selbstbetrug der Besatzer hinsichtlich ihrer Wahrnehmung aus griechischer Sicht. Manifest wurde dies bei der symbolischen Rückgabe des 1941 entgegengenommenen Athener Stadtschlüssels und der Kranzniederlegung am Denkmal des Unbekannten Soldaten am 12. Oktober 1944, „um deutlich zu machen, dass die Deutschen das Land nicht als Feinde Griechenlands betreten“ hatten. Als wäre in diesen dreieinhalb Jahren Besatzung nichts von Bedeutung geschehen, wiederholte man die gleichen „philhellenischen“ Parolen und Gesten wie zu Okkupationsbeginn. Doch Griechenland war nicht mehr das g­ leiche Land, und so wurde der Kranz zerfetzt und zertrampelt, kaum dass das deutsche Kommando abgezogen war. Am 2. November 1944 überquerte der letzte deutsche Festlandsverband trotz widri­ ger Umstände geordnet die griechische Grenze nach Norden, um die Wehrmacht an der jugoslawischen Front zu verstärken. In der Ägäis blieben 10.254 Italiener zurück, aber auch 24.000 Wehrmachtssoldaten, die meisten nach den Kriterien der Wehrmacht von „minderer Qualität“ und „Wehrwürdigkeit“. Die Hälfte dieser Restbesatzungen, ungefähr ein Fünftel der ursprünglichen Stärke, stand auf Kreta. Sie zogen sich in den weiteren Umkreis von Chania im Nordwesten der Insel zurück, mit dem Auftrag, diese sogenannte Kernfestung „bis zur letzten Kugel“ zu verteidigen. Ebenso erging es den 600 Deutschen auf Milos und den 11.173 auf dem Dodekanes. Das GHQME, inzwischen mit den inneralliierten Dezemberkämpfen um Athen, den „Dekemvriana“ beschäftigt, ließ sie weitgehend unbehelligt, denn sie waren – in Churchills Worten – „Gefangene, die sich selbst verpflegen und selbst bewachen“. Zu einigen wenigen Überraschungsangriffen kam es insbesondere durch Kommandotrupps der exilgriechischen Spezialeinheit „Heilige Schar“ (Ιερός Λόχος), deren Name an ruhmreiche Vorläufer der Antike und des Unabhängigkeitskriegs gegen die Türken anknüpfte. 142 BA-MA, RH 19 VII/49.2, 31. 10. 1944. 143 BA-MA, 40/170, 8. 9. 1944.

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Abb. 9 Andarten paradieren im befreiten Larissa, 23. Oktober 1944.

Trotz miserabler Versorgungslage hielten die meisten der isolierten Außenposten bis zur bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs am 8. Mai 1945 durch. Der letzte Wehrmachtbericht meldete am 9. Mai 1945: „Fern der Heimat haben (…) die Besatzungen der Ägäischen Inseln in Gehorsam und Disziplin die Waffenehre der deutschen Soldaten gewahrt.“ 144 Die bedingungslose und alles andere als ehrenvolle Kapitulation des Deutschen Reiches wurde vom letzten Kanzler unterzeichnet. So wollte die Ironie der Geschichte bzw. ihrer Muse Clio, dass Hitlernachfolger Großadmiral Dönitz, der expansionsfreudige Oberbefehlshaber der Kriegsmarine,145 als Konkursverwalter des Großdeutschen Reiches fungieren musste. Seine verwaisten Untertanen, die deutschen Gefangenen der ehemaligen „Südostfront“, wurden, sobald genügend Schiffsraum zur Verfügung stand, etappenweise nach Ägypten in britische Lager, namentlich am Großen Bittersee, abtransportiert. Dort ergaben sich neue Probleme, denn hartgesottene Nazis trafen auf die ehemaligen „999er“, insbesondere auch Sozialisten verschiedener Schattierungen, darunter „ideologische Deserteure“, die sich ­später einen Namen machen sollten: so etwa Wolfgang Abendroth, der – in den Worten von Jürgen Habermas – Partisanenprofessor im Lande 144 Erich Murawski, Der deutsche Wehrmachtbericht 1939 – 1945. Ein Beitrag zur Untersuchung der geistigen Kriegsführung. Boppard: Boldt, 1962, S. 601. 145 Vgl. das Kapitel über Kreta im vorliegenden Buch.

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der Mitläufer, und Georg Eckert, der spätere Begründer des seinen Namen tragenden Internationalen Schulbuchinstituts. Die Verwirrung wurde komplett durch den Umstand, dass das britische War Office zahlreiche strafversetzte Anhänger von Sir Oswald Mosley, dem Führer der British Union of Fascists, als Wachpersonal buchstäblich in die Wüste geschickt hatte. Diese wiederum verhehlten nicht ihre Präferenzen.

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Kontakte zwischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand: „Solide Taktik“ oder Kollaboration? Trotz der bereits ungeheuren Menge an Publikationen zur Besatzung Griechenlands durch die Achsenmächte fehlte, als die Erstfassung d ­ ieses Kapitels publiziert wurde, noch jede wissenschaftliche Studie über das Phänomen der Kontakte des Widerstands zu den Okkupanten. So schrieb John O. Iatrides einleitend zu den Akten des 1978 bahnbrechenden Kongresses in Washington D. C.: Of the many questions that have been raised concerning the various resistance organizations none is more sensitive than the issue of their relations with the foreign occupiers. Hagen Fleischer deals with this subject of alleged collaboration by reviewing the records of military and political intelligence of the German government and through extensive interviews and correspondence with participants, both German and Greek. His findings are as complex as they are revealing.1

Wie der Titel bereits anzeigt, versucht der vorliegende Beitrag nicht, das gesamte Spek­trum offener Kollaboration abzudecken; er versucht lediglich, den tabuisierten Dunstkreis um den organisierten Widerstand gegen die Besatzungsmächte zu erhellen, namentlich die „deutschen Kontakte“ der Widerstandsorganisationen. Diese Kontakte bildeten und bilden immer noch das heikelste Thema in der griechischen Kriegsgeschichtsschreibung. Da zunächst einmal alle Gruppen für die nationale Befreiung kämpften oder, um präziser zu sein, für ihre jeweils eigene Version nationaler Befreiung, wollten und mussten sie konsequenterweise ihre Reputation s­ chützen. Dafür gab es zwei Vorbedingungen: die, oft übertriebene, Hervorhebung der eigenen Aktivitäten sowie das Leugnen oder Totschweigen aller Verbindungen, die als unpatriotisch hätten gedeutet werden können. Dies galt umso mehr, als sich der Vorwurf der Kollaboration bald zu einer gewaltigen Waffe entwickelte, die beiderseits häufig eingesetzt wurde – von der Linken wie auch den ‚nationalistischen‘ Gruppierungen oder, einfacher gesagt, seitens der EAM und den heterogenen Anti-­E AM-Kräften. Letztere waren sich fast nur in einem Punkt einig: der totalen Ablehnung der EAM . Die Injurien „Verräter“ und „Kollaborateur“ wurden in beiden Lagern zunehmend zu Synonymen für den „politischen Widersacher“ – nicht erst post mortem, sondern bereits ante mortem.

1 John O. Iatrides (Hg.), Greece in the 1940s. A Nation in Crisis, Hanover, N. H., London: University Press of New England, 1981, S. 24. Bis heute kennt der Vf. keine andere komparative Studie zu ­diesem Thema.

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Bei der Ausarbeitung d­ ieses Beitrags versuchte der Verfasser das Dickicht der Kriegsund Nachkriegsmythen zu durchbrechen, durch kritische Heranziehung einer Vielfalt möglichst neuer, auch unveröffentlichter Quellen aller involvierten Parteien. Darüber hinaus konnte er zahlreiche schriftliche und mündliche Gesprächsinterviews mit Zeitzeugen, Protagonisten und Beobachtern der geschilderten Vorgänge einflechten. Mittlerweile, nach 40 bis nahezu 50 Jahren, mussten sie den Weg alles Irdischen gehen. Um mit Offensichtlichem zu beginnen: Kollaboration setzt den Willen beider potentieller Partner zur Zusammenarbeit voraus. Bei Anwendung dieser Definition kommen wir zu dem Schluss, dass keine Kollaboration im November 1943 und Februar 1944 stattfand, als deutsche Agenten dem 5/42-Evzonen-­Regiment der Nationalen und Sozialen Befreiung (Εθνική και Κοινωνική Απελευθέρωση, EKKA) eine Übereinkunft vorschlugen. Denn der militärische wie auch der politische Führer der EKKA, Oberst Dimitrios Psarros und der Politiker Georgios Kartalis, antworteten sofort, einzig mögliche Diskussionsgrundlage sei die „bedingungslose deutsche Kapitulation“! Um jedem nur denkbaren Kollaborationsverdacht von dritter Seite zuvorzukommen, informierten sie zeitgleich die britische Militärmission (BMM) sowie die Nationale Volksbefreiungsarmee (Ελληνικός Λαϊκός Απελευθερωτικός Στρατός, ELAS) über die deutscherseits ausgestreckten „Fühler“.2 Es steht fest, dass einige von Psarros’ Offizieren lose Verbindungen zu früheren Kollegen beibehielten, die mittlerweile in den kollaborierenden, sogenannten Sicherheitsbataillonen dienten, aber dies belastete nicht die EKKA als Organisation. Zumindest ein Offizier mit dubiosen Verbindungen wurde von Psarros binnen weniger Tage entlassen, andere folgten in zwölfter Stunde.3 Nichtsdestotrotz begründete im April 1944 der ELAS seinen letzten Angriff auf das 5/42-Regiment primär mit dem Vorwurf der Kollaboration. Nach der Schlacht und viel folgendem Blutvergießen flohen an die hundert EKKA-Überlebende über den Golf von Patras. Erst danach meldete sich ein Teil von ihnen freiwillig für den „Kampf gegen den Kommunismus“, während die zögernde Mehrheit von den Deutschen festgesetzt und in „Schutzhaft“ genommen wurde, bis auch sie schließlich der Rekrutierung in den Sicherheitsbataillonen nachgab.4 Doch selbst dieser menschlich irgendwie verständliche Seitenwechsel einiger Dutzend 2 The National Archives London (TNA) F. O. 371/37208: R 11943; [Takis Papajannopoulos], Συνταγματάρχης Ψαρρός. Σελίδες από τό ημερολόγιο ενός αντάρτου υπολοχαγού (Oberst Psarros, Blätter aus dem Tagebuch eines Partisanenleutnants), Kathimerina Nea, 4. 12. 1945; Phoivos N. Grigoriades: Το αντάρτικο (Das Andartiko), Bd. 4, Athen: Kamarinopoulos, 1964, S. 411, u. v. a. 3 Georgios D. Kaimaras: Ιστορία της εθνικής αντιστάσεως του 5/42 Συντάγματος Ευζώνων Ψαρρού, 1941 – 1944 (Geschichte des nationalen Widerstandes des 5/42-Evzonen-­Regiments Psarros, 1941 – 1944), Athen: (Privatdruck), 1953, S. 69. 4 BA-MA (Bundesarchiv-­Militärarchiv Freiburg), 59644/2, 190; Roland Hampe: Die Rettung Athens im Oktober 1944, Wiesbaden: Franz Steiner, 1955, S. 63. Hampe, damals verantwortlicher Referent im Nachrichtendienst der Wehrmacht u. a. für die Kontrolle des Funkverkehrs,

Kontakte zwischen deutschen Besatzern | 123

Andarten vermochte es nicht, das bereits aufgelöste Regiment a posteriori mit dem Makel der Kollaboration zu beflecken. Die ultrakonservative Organisation X (Chi) hingegen, die insbesondere nach der Befreiung „den unheimlichen Ruf eines Ku-­Klux-­Klan“ 5 erlangte, war keineswegs dank eigener Standhaftigkeit vor totaler Kollaboration bewahrt geblieben, sondern vielmehr als Folge mangelnden Interesses der deutschen Besatzer. 1943 hatte ihr Führer, der aus Zypern stammende Oberst Georgios Grivas, den Besatzungsbehörden die Zusammenarbeit einer von ihm geführten kleinen nationalistischen Gruppe angeboten, indem er als ‚Empfehlung‘ die eigene Anglophobie sowie tief antikommunistische Einstellung heraus­strich. Doch das deutsche Oberkommando antwortete, man wolle „nicht mit einem Bandenführer sprechen“ 6 – zumal der Oberst als völlig „unwichtig“ eingeschätzt wurde.7 Erst am Vorabend der Befreiung erhielt Grivas deutsche Waffen für seinen Privatkrieg gegen den ELAS, obschon nicht unmittelbar von den sich zum Abzug aus Griechenland vorbereitenden Besatzern, sondern auf indirektem Weg über lokale Kollaborations-„Autoritäten“ wie die Sicherheitsbataillone, Gendarmerie oder die Spezielle Sicherheitspolizei (Ειδική Ασφάλεια), mit denen X bis dahin unentwirrbare connections pflegte.8 Analogien lassen sich zumindest für die erste Phase an der bekanntesten ‚nationalistischen‘ Gruppe Kretas unter der Führung des bis heute einflussreichen Βandouvas-­ Clans beobachten. Das Familienoberhaupt Manolis Bandouvas streckte im ersten Besatzungswinter vorsichtige Fühler zu den Deutschen aus und suchte um eine Amnestie nach. Der Kommandant der „Festung Kreta“ Alexander Andrae und der deutsche Botschafter Günther Altenburg empfahlen dringend ein Abkommen, aber der Wehrmachtsbefehlshaber Südost in Thessaloniki weigerte sich, seinem Vorbild Hitler und dessen Verachtung für „die Banden“ 9 folgend. Dennoch wurde bald darauf eine informelle Einigung erzielt. Ein deutscher Geheimdienstmitarbeiter, der über den Austausch von Gefangenen verhandelte, soll Bandouvas überredet haben, sich für mindestens ein halbes Jahr lang ruhig zu verhalten.10

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versicherte glaubhaft, dass das Regiment 5/42 während seines Bestehens nie kollaborierte und derartige Anschuldigungen „bösartig“ waren. Brief an Verfasser, 19. Oktober 1970. Christopher M. Woodhouse, Apple of Discord: a survey of recent Greek politics in their international setting, London: Hutchinson,1948, S. 31. Hampe, Rettung Athens, S. 63. Diese Einschätzung blieb während der gesamten Besatzungszeit unverändert. NARA (National Archives and Records Agency), T 311, Roll 284 (nunmehr BA-MA), 65031/I): „Aktuelle griech. Persönlichkeiten“, 29. September 1944. NARA , RG  226: 102476, 103069, L 48560, L 46164, L 515331; TNA , F. O. 371/43693: R 16218; u. v. a. Alexander Andrae, Private Papiere; Günther Altenburg, Interview mit dem Verfasser. Die Historikerin Ehrengard Schramm von Thadden (1900 – 1985) versicherte mir, dass sie konkrete Informationen von einem ehemaligen deutschen Geheimdienstoffizier erhalten hat,

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Doch Anfang 1943 versprach Bandouvas Loyalität gegenüber der Nationalen Organisation Kretas (Εθνική Οργάνωσις Κρήτης, EOK), der Organisation, die „unter dem ‚väterlichen Schutz‘ der BMM gegründet wurde“,11 mit der wichtigen Nebenaufgabe als Gegenpol zur EAM zu wirken. Die Beziehungen von Bandouvas zum ELAS wie auch zu den Besatzern verschlechterten sich daraufhin bald. Nach einem heftigen Kampf und der Tötung mehrerer deutscher Gefangener fürchtete er Repressalien, die dann auch tatsächlich in schärfster Form eintraten. Am 14. September wurden in Viannos etwa 400 Männer von den Deutschen ermordet. Bandouvas und zwei Dutzend seiner Andarten wurden daher zu ihrem Schutz im Oktober 1943 von den Briten in den Nahen Osten evakuiert, wo sie bis August 1944 festgehalten wurden.12 Dieser ‚Arrest‘ erbitterte jedoch den Rest seines Clans und die Andartengruppe auf Kreta. Der provisorische Anführer, sein Bruder Jannis Bandouvas, wurde noch aufgebrachter über die britischen Taktiken, als man ihn zur Aussöhnung mit den linken Andarten des ELAS zwang. So traf er sich am 21. Juli 1944 mit einem deutschen Abgesandten und bot an, ‚die Kommunisten‘ anzugreifen, sofern er – unter strengster Geheimhaltung – mit Waffen, Munition und Lebensmitteln versorgt würde. Der deutsche Kommandant stimmte zu,13 aber die Verhandlungen schleppten sich bis zum September hin, als die Wehrmacht aus dem größeren Teil der Insel abzog, woraufhin Bandouvas einwilligte den deutschen Rückzug nicht zu behindern – im Austausch für eine Wagenladung Waffen.14 Bandouvas’

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denen zufolge Manolis Bandouvas mit einer beträchtlichen Anzahl von Maria-­Theresien-­Taler bestochen worden sei, die auf dem Balkan seit dem 18. Jahrhundert als wertbeständiges Zahlungsmittel in Umlauf waren. Siehe auch E. Schramm, Göttinger Tagblatt, 26. Juli 1952. – Frau Schramm war die Frau des Historikers Percy Ernst Schramm, der im Krieg die Niederschrift und in den Sechzigerjahren die offizielle Edition des achtbändigen OKW-Kriegstagebuchs übernommen hatte. – Unabhängig davon bestätigte General Hans Korte, bis Dezember 1942 Stabschef für Kreta, die Vereinbarung mit Bandouvas, erinnerte sich aber an keine Zahlung (Schreiben an Vf. vom 19. 10. 1971); vgl. Hampe, Schreiben an Vf., 16. 10. 1978. Auf jeden Fall bestätigen nationalistische griechische Quellen auch, dass sich Bandouvas’ Beziehungen zu den Briten bald darauf abkühlten, da er sein Versprechen gebrochen hatte, keine deutschen Emissäre in Abwesenheit britischer Verbindungsoffiziere (BLO ) zu empfangen. Asklepios G. Theodorakis, Η εθνική αντίστασις Κρήτης (Der nationale Widerstand Kretas), Bd. 1, Herakleion: (o. V.), 1971, S. 163 ff., S. 182 ff. Special Operations Executive (SOE), Report on SOE Activities in Greece and the Islands of the Aegean Sea, 27. 6. 1945, App. IIIA, 13. Sophoklis Venizelos drohte sogar mit dem Rücktritt aus der Exilregierung wegen der Festsetzung seines Gefolgsmannes Bandouvas. Grigorios Daphnis, Σοφοκλής Ε. Βενιζέλος, 1894 – 1964 (Sophoklis E. Venizelos, 1894 – 1964), Athen: Ikaros, 1970, S. 334 ff., NARS, RG 59: 868.01, 21. August 1944. BA -MA, RW  40/174: FAT 383, Nr. 755/44g, 28. Juli 1944. BA-MA, 65030: Anlage 23; Stabsoffiziere der 22. Inf. Division F. A. v. Metzsch, H. Sonntag, J. Hirschfeld: verschiedene Briefe 1973 an den Verfasser; Generäle B. Bräuer und F. W. Müller:

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Gruppe entwickelte sich bald zur Hauptkraft der EOK und verteidigte diese Position auch über den Zeitpunkt der deutschen Kapitulation hinaus, als die letzten Besatzer mit einigen Wochen Verspätung schließlich ihre ‚Kernfestung‘ im Raum Chania verließen und in ein britisches Gefangenenlager abtransportiert wurden.15 Im Gegensatz zum Bandouvas-­Clan, der das Durchsickern seiner zeitweisen deutschen Kontakte weitgehend verhindern konnte, war das bei der nächstgenannten Organisation nicht möglich. Im Sommer 1943 war es auf der Peloponnes zunächst zu einer Pattsituation z­ wischen dem lokalen ELAS und einer Organisation konservativer Offiziere mit dem ambitionierten Namen Griechisches Heer (Ελληνικός Στρατός; ES) gekommen. Nach einigen Scharmützeln, für w ­ elche der ELAS vermutlich den größeren Teil der Verantwortung trug, und einer lautstarken ES-Proklamation gegen die ‚Anarchisten‘ und ‚Jakobiner‘ der EAM, veröffentlichte Letztere am 18. August eine Vereinbarung ­zwischen dem italienischen Kommandanten von Kalamata und dem starken Mann hinter dem ES, Oberst Dionysios Papadongonas. Gemäß den Bestimmungen ­dieses Abkommens hatten sich im Juni 1943 die Signatare im Kampf gegen „die kommunistischen Organisationen EAM/ELAS“ gemeinsam engagiert.16 Zahlreiche Indizien belegen die Echtheit des Abkommens. Zudem hatte Papadongonas einige Wochen ­später, als Italiens Stern sich endgültig im Niedergang befand, Kontakt mit den Deutschen aufgenommen und einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt.17 Noch bevor das geheime Einverständnis öffentlich wurde und der Oberst das Kommando über alle Sicherheitsbataillone auf der Peloponnes übernahm, hatten die Nachrichten über seine italienischen Kontakte dem Aufstieg seiner Organisation ein jähes Ende bereitet. Im August wurde der ES nicht nur gezwungen, sich öffentlich von ­Papadongonas zu distanzieren, sondern auch mit dem ELAS zu Bedingungen zusammenzuarbeiten, die nahezu einer Kapitulation gleichkamen.18 Vermutlich von britischen Verbindungsoffizieren dazu ermutigt,19 waren einige Lokalmatadore anderer Ansicht. Deren Anführer, Rittmeister Telemachos Vrettakos aus Sparta, erkannte jedoch bald, dass er es nicht gleichzeitig mit zwei feindlichen Kräften aufnehmen könne. So entschied auch er, dass die EAM /ELAS das größere Übel war. Mehrmals nahm er Verbindung zu den Deutschen auf, um sicheres Geleit für den von ihm

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Memorandum über die vom Athener Sondergericht am 9. Dezember 1946 verhängten Todesurteile (m. W. trotz verschiedener diesbezüglicher Initiativen immer noch unveröffentlicht). Siehe Kapitel „Geostrategische Pläne für ein germanisches Nachkriegs-­Kreta“. Erste Nachdrucke in Rizospastis, 30. August 1943; Eleftheri Ellada, 10. September 1943. Vgl. Fleischer, Kreuzschatten, S. 275 – 284. BA -MA, 44058/3: 117. Jg. Div. Ia, Lagebericht vom 31. August 1943; 44058/4: I Pz. Abt. Ia Lagebericht, 30. September 1943; W. Barth, Brief an den Verfasser, 5. April 1974. Kosmas E. Antonopoulos, Εθνική αντίστασις 1941 – 1945 (Nationaler Widerstand 1941 – 1945), Band I, Athen: (o. V.), 1964, S. 540 ff.; TNA, F. O. 371/37205, R 9254. TNA, F. O. 371/37210: R 13842.

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propagierten „Feldzug gegen den Kommunismus“ zu erhalten. Zugleich aber trieb er in allen Dörfern, durch die er kam, auch royalistische Propaganda und warb für die – angeblich – bevorstehende Landung der Engländer, mit der er und seine Leute wirklich rechneten. Bis dahin aber wollte der Rittmeister die deutschen Sympathien für seine Zwecke und insbesondere gegen die EAM ausnützen, ohne sich aber durch aktive Kollaboration zu kompromittieren – eine von nahezu allen ‚nationalistischen‘ Gruppen angewandte Strategie. Die Besatzer stimmten bereitwillig zu, doch alle ihre Angebote zielten darauf ab, ihn zu offener Kollaboration zu verleiten. Das aber lehnte der überzeugte Royalist ­Vrettakos weiterhin ab, der einen eigentümlichen Guerillakrieg sui generis gegen die EAM mit seiner Propagandakampagne zugunsten König Georgs und der Exilregierung verband.20 Nach einem blutigen Kampf gegen ELAS-Verbände erbat und erhielt er deutsches Kriegsmaterial, wurde aber schließlich dennoch vom überlegenen Gegner bis ans Meer getrieben. Nachdem er dort seine Hoffnung auf Evakuierung in den Nahen Osten aufgeben musste, bat er – als letzten Rettungsanker – Papadongonas um ein Befreiungskommando.21 In Ermanglung eigener Truppen informierte jener die nächstgelegene deutsche Einheit, doch als diese schließlich eintraf, war Vrettakos’ Gruppe bereits vom ELAS aufgelöst,22 der Anführer und einige seiner Männer waren getötet. Andere verstreuten sich oder liefen zu den Siegern über. Wie üblich überwanden aber viele der Überlebenden frühere Skrupel und traten in die Dienste der Deutschen, wo sie sich bald in ihrem Element fühlten. Kommandant des nunmehr in Lakonien aufgestellten Sicherheitsbataillons wurde der Bruder des toten Rittmeisters mit dem verpflichtenden Vornamen Leonidas, des Helden der Thermopylen. Papadongonas selbst war eine glanzvolle Karriere in der Kollaborationsszene beschieden. Nach dem missglückten Attentat gegen Hitler am 20. Juli 1944 übersandte er d­ iesem auch im Namen seiner 5000 Männer über Himmler Glückwünsche zu seiner Rettung: „Der Führer hat (…) sich von Herzen darüber gefreut und (…) lässt allen seinen Dank und seine Grüße übermitteln.“ Daraufhin erließ Himmler Befehl, „den braven griechischen Freiwilligen-­ Abt. bessere und stärkere Waffen zuzuführen“.23 20 BA-MA, 43889/1: 117. Jg. Div. Ia, Nr. 984/43g, 30. September 1943; 44058/7: LXVIII.AK. Ic, Nr. 310/43 g Kdos., Anlage 3; Staatsanwaltschaft Oldenburg: Ermittlungsverfahren, Js 26/70, Bd. II, Aussage vom 6. März 1961; W. Barth, Brief an Verfasser, 5. April 1974. 21 Antonopoulos, Nationaler Widerstand, S. 614 ff., Aristos Bouloukos, Η εθνική αντίστασις στην Πελοπόννησο (Der nationale Widerstand auf der Peloponnes), Ethnikos Kiryx, 3. bis 7. Dezember 1961; W. Barth, Brief an Verfasser, 5. April 1974. 22 St-­A. Oldenburg Js 26/70, II, 6. März 1961; Bouloukos, Widerstand Peloponnes, Nr. 19, 15. bis 16. Dezember 1961; Grigoriadis, Andartiko, Bd. V, S. 284. 23 Faksimiles in: Hagen Fleischer, Νέα στοιχεία για τη σχέση γερμανικών αρχών κατοχής και Ταγμάτων Ασφαλεiας (Neue Hinweise zur Beziehung deutscher Besatzungsbehörden zu den Sicherheits-­Bataillonen), Mnimon Bd. 8 (1980 – 1982), S. 197a.

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Das Pendant zum ES in Nordgriechenland war die Panhellenische Befreiungsorganisation (Πανελλήνιος Απελευθερωτική Οργάνωσις, PAO ). Trotz mancher Ähnlichkeiten war ihre Beziehung zu den Besatzern komplexer. Vorläufer der PAO waren die Verteidiger Nordgriechenlands (Υπερασπισταί Βορείου Ελλάδος, YBE ), die sich aber schon früh durch ihre engen Beziehungen zu Oberst Athanasios Chrysochóou, dem von der Kollaborationsregierung Tsolakoglou ernannten Gouverneur Griechisch-­ Mazedoniens, kompromittiert hatten.24 Auch deswegen änderte YBE bereits im Frühjahr 1943 den Namen in PAO , nicht nur um deren kompromittierende Vorgeschichte zu verschleiern, wie boshafte Kritiker vermuteten, sondern auch mit der Intention einer organisatorischen Ausdehnung auf ganz Griechenland. Mehrere ihrer Anführer, einschließlich der rangältesten Offiziere Archimedes Argyropoulos und Jannis Mousterakis, distanzierten sich von ihrem ehemaligen Mentor. Eine starke Fraktion unterstützte jedoch die Strategie von Chrysochóou, die Deutschen bei Laune zu halten, um sie für die Durchkreuzung bulgarischer Ambitionen in Makedonien „auszunutzen“.25 Dieses Muster war im Einzelfall erfolgreich,26 ließ aber die Tatsache außer Acht, dass es die deutsche Kriegsmaschinerie gewesen war, die der bulgarischen Besatzung den Weg geebnet hatte. Es war nur ein kleiner Schritt, um von einer Differenzierung z­ wischen zwei Besatzungsmächten zu einer weiteren zu gelangen, nämlich der ­zwischen den „wahren“ Alliierten und den „anderen“: den Russen 27 sowie deren angeblichen griechischen Handlagern. Die Führer der PAO sahen sich repräsentativ für die westlich denkende „gute Gesellschaft“ in Griechenland, für „nahezu alle“ griechischen Offiziere und „praktisch jedes nationale und gesetzestreue Element“.28 Folglich teilten sie Chrysochóous Angst vor der „internationalistischen“ EAM  29 und ihrer 24 TNA, F. O. 371/37202: R 4192; Kostas Konstantaras, Αγώνες και διωγμοί (Kämpfe und Verfolgungen), Athen: (Privatdruck), 1964, S. 68 ff. 25 Athanasios I. Chrysochóou, Η κατοχή εν Μακεδονία (Die Okkupation in Makedonien), 4 Bände, Thessaloniki: Etaireia Makedonikon Spoudon, 1949 – 1952, passim. 26 Chrysochόou, Okkupation, Bd. II-A, S. 131 ff., S. 207 ff.; Bd. IV-A, S. 11; und viele andere. 27 1944 kolportierte die PAO und ihre rührige, aber oft plump operierende Fälscherzentrale sogar eine angebliche Vereinbarung z­ wischen Oberst Gregori Popov, dem Leiter der sowjetischen Militärmission beim ELAS, und den Deutschen. Siehe Christophoros A. Naltsas, Τό μακεδονικόν ζήτημα καί η Σοβιετική πολιτική (Die makedonische Frage und die sowjetische Politik), Thessaloniki: Etaireia Makedonikon Spoudon, 1954, S. 359. 28 Konstantaras, Kämpfe, S. 78 ff.; [Panos Voudouris], Υπό τό φώς τής αληθείας. Αί οργανώσεις αντιστάσεως Βορείου Ελλάδος (Im Lichte der Wahrheit. Die Widerstandsorganisationen Nordgriechenlands), Thessaloniki: Legeona Efedrikon Polemistikon Organoseon Voreiou Ellados, 1948, S. 11 – 38, passim; NARA, RG 226: L 37857. 29 (PAO-Zeitung) Ethniki Phoni, 1943, passim. Hinsichtlich ihrer nivellierenden Aversionen gegenüber Bulgaren und EAM unterschieden sich die Memoranden der PAO an den Nahen Osten nicht einmal in Nuancen von denen Chrysochóous, der übrigens auch ein regelmäßiger Informant der SOE war.

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„Mob-­Armee“ ELAS .30 Wie der von den Besatzern ernannte Gouverneur Makedoniens vertraten auch sie jenen Teil der griechischen Bevölkerung, der die EAM /ELAS „mit Kommunismus assoziierte, Kommunismus mit Panslawismus und Panslawismus mit (…) dem Verlust eines Teils Makedoniens, einschließlich Thessaloniki, an die Slawen jenseits der Nordgrenze“.31 Weil Deutschland das kleinere von zwei Übeln, da nur eine temporäre Bedrohung sei, sahen zahlreiche Führer der PAO ihre primäre Aufgabe im Kampf gegen die ‚kommunistische Gefahr‘. Konsequenterweise betrachtete die britische Special Operations Executive (SOE ), als im späten Frühjahr 1943 die ersten PAO -Gruppen auf der Bühne erschienen, diese als Feinde „der wichtigsten Volkswiderstandsbewegung“, der EAM , und hielt sie für „unwillig, eine aktive Rolle im Widerstand gegen die Achse zu übernehmen“.32 Tatsache ist, dass kompromittierendes Verhalten einzelner prominenter Mitglieder die PAO als Organisation gelähmt hatte, obschon sie in ihrer Gesamtheit noch nicht in den Sog der Kollaboration geraten war. Das zeigen die erhalten gebliebenen deutschen Akten jener Zeit, w ­ elche die PAO weitgehend ignorieren, mit Ausnahme jener Exponenten, die bereits mehr oder weniger offen in deutsche Dienste getreten waren.33 Aus eben ­diesem Grund konnte sie aber von der EAM ihrerseits nicht ignoriert werden, da diese annehmen musste, dass der mazedonische Rivale andere Ziele verfolgte als den Widerstand gegen die Besatzer. In ihrer überwältigenden Mehrheit blieben die Basis wie auch die meisten Offiziere der PAO gewiss weiterhin aufrichtig patriotisch, auch wenn ihre Auffassung von Patrio­tismus eher subjektiv und ‚führerorientiert‘ war – ein Phänomen, das sich jedoch keineswegs auf die PAO beschränkte. Eine Zusammenarbeit mit der EAM/ELAS wäre also durchaus möglich gewesen, doch das gegenseitige Misstrauen überwog trotz der – nicht immer konstruktiven – Pressionen der britischen Verbindungsoffiziere.34 Vermutlich war das Misstrauen seitens der EAM etwas mehr gerechtfertigt, nicht nur infolge der aktuellen Haltung der PAO, sondern mehr noch wegen der im Langzeitgedächtnis verhafteten Erinnerungen, ­welche die linken Kader in den Vorkriegsjahren mit eben jenen Kräften gesammelt hatten, die nun hinter der PAO standen. Bald sahen sie ihr Misstrauen bestätigt. Nach dem ersten bewaffneten Zusammenstoß mit der PAO berichtete selbst der ansonsten gemäßigte politische Kommissar eines 30 PAO-Flugblatt, 14. August 1943, zitiert auch in: Grigoriadis, Andartiko, Bd. III, S. 7. 31 Woodhouse, Discord, S. 91 ff. 32 TNA, F. O. 371/37205: R 8725. Ein Referent des Foreign Office kommentierte sarkastisch: „Hat ihnen das die SOE denn erlaubt?“. 33 Vgl. Fleischer, Im Kreuzschatten, S. 285 – 294. 34 Nicholas Hammond, Thesenpapier, auf der Konferenz über den Widerstand, London präsentiert, 13. Mai 1978; unveröffentlichter Bericht über die PAO von den Generälen Archimedes Argyropoulos und Dimitris Gerogiannopoulos.

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ELAS -Regiments mit bitterer Genugtuung, viele der Geschlagenen hätten „bei den Deutschen Zuflucht gesucht (…), um sich zu retten (…), und so dem Volk den Verrat ihrer Organisation offenbart“.35 Diese verschlungene wechselweise Abhängigkeit von Ursache und Wirkung zeigte sich bald. Viele bislang zögernde PAO -Kader wussten, dass es keine Alternative zur totalen Konfrontation mit dem ELAS gab, und sie scheuten sich nicht mehr, mit prominenten „national gesinnten“ Kollaborateuren wie Chrysochóou und Georgios Poulos Verbindung aufzunehmen.36 So schwollen die Reihen der PAO mit „unbeugsamen Nationalisten“ an, die alles andere als Widerstand im Sinn hatten; einige von ihnen versuchten sogar, britische Offiziere, die beim ELAS Dienst taten, zu entführen und zu erschießen oder sie an die Deutschen zu verraten, womit sie der EAM den Eindruck vermittelten, die gesamte Organisation sei definitiv kollaborationsbelastet.37 Die innerhalb der PAO-Führung verbliebenen widerstandsorientierten Patrioten wollten diesen Teufelskreis durchbrechen, indem sie Argyropoulos und Mousterakis nach Pertouli in Thessalien schickten zu einem Versuch, im Gemeinsamen Andartenhauptquartier zugelassen zu werden. Dort wurden die Abgesandten kühl empfangen, und nur dank ihres persönlichen guten Rufs und des Drucks von Woodhouse erhielten sie schließlich „einen Monat Gnade“, damit sie ihre Organisation von dubiosen Elementen säuberten. Doch als diese Botschaft Makedonien erreichte, waren die Anschuldigungen seitens des ELAS bereits „immer lauter, immer gewalttätiger und immer wahrer“ 38 geworden. Die Chance einer Versöhnung war nun definitiv verpasst. Als sich bewaffnete Zusammenstöße häuften, lösten sich mehrere PAO -Gruppen auf und kehrten in ihre Heimatdörfer zurück. Andere „wandelten sich zu Quislingen“ 39 und bildeten „­ Nationale 35 Thanasis Mitsopoulos, Στά μακεδονικά βουνά. Το 30’ Σύνταγμα του ΕΛΑΣ (In den makedonischen Bergen. Das 30. ELAS-Regiment), Genf: Editex, 1971, S. 43. Auf meine Frage nach dem Schuldanteil der EAM daran gab Mitsopoulos eine lange Antwort, die trotz ihrer verständlichen Parteilichkeit einen bemerkenswerten Versuch unternimmt, Verallgemeinerungen zu vermeiden (Brief, 19. Mai 1975, in: Fleischer, Kreuzschatten, S. 285.). 36 TNA, F. O. 371/37206: R 10937; LHC (Liddell Hart Centre, King’s College, London), C. M. Woodhouse, „History of the Allied Military Mission in Greece“, unveröffentlichter Bericht, im Weiteren zitiert als: Woodhouse, History, S. 99. – Oberst Georgios Poulos war Gründer einer winzigen „nationalsozialistischen“ Splitterpartei und Anführer der ersten (und wohl schlimmsten) bewaffneten Kollaborationsgruppe. Als die Deutschen im Oktober 1944 das Land verließen, folgten ihnen Poulos und 280 seiner Männer, um ihre Haut zu retten. 1945 von den Amerikanern ausgeliefert, war Poulos einer der wenigen Kollaborateure, die wegen Kriegsverbrechen in Griechenland hingerichtet wurden – und der Einzige von allen, die mit den Deutschen kollaboriert hatten. 37 Woodhouse, History, S. 100. 38 Ebd., S. 100 ff.; TNA, F. O. 371/37206: R 10155; 371/37207: R 11673. 39 TNA, F. O. 371/43688: R 924. Das Foreign Office führte bezeichnenderweise den Niedergang der PAO „überwiegend, wenn nicht ganz (…) auf die Verfolgungen seitens des ELAS zurück“.

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Sonderkommandos“, ­welche die Athener Kollaborationsregierung informierten, sie würden „den Kampf gegen die kommunistischen Elemente fortsetzen, auch wenn sie dafür mit den Deutschen zusammenarbeiten müssen. Falls die Regierung sie also nicht unterstütze, würde PAO zwangsweise mit den Deutschen zusammenarbeiten.“ 40 Bemerkenswert ist, dass – wie auch bei Vrettakos – die ‚nationalen Griechen‘ möglichst lange die aktive Kooperation mit den Deutschen vermeiden wollten, aber keine Berührungsängste gegenüber deren einheimischen Stellvertretern zeigten. Patrioten, die beides ablehnten, flohen in den Nahen Osten, oftmals mit britischer Hilfe,41 oder traten dem „Nationaldemokratischen“ EDES bei, seltener dem ELAS  – mehr oder minder spontan. Einzugehen ist auch in ­diesem Kontext auf die beiden größten und umstrittensten Widerstandsorganisationen, nämlich EDES und EAM /ELAS , die einzigen, w ­ elche noch heute fast allen Griechen bekannt sind. Weil sich zahlreiche Historiker 42 mit dem EDES beschäftigt haben, wird im Folgenden nur auf umstrittene oder unbekannte Details und Aspekte eingegangen. Weil die ganze Organisation EDES, zu Recht oder nicht, immer noch als Synonym für ihren pittoresken, aber dynamischen De-­facto-­ Gründer Napoleon Zervas gilt, sollen dessen Aktivitäten herausgegriffen werden. Zu weit führen würde ein Eingehen auf die chaotische Situation in Athen, wo – selbst einer EDES-freundlichen Quelle zufolge – zumindest eine Hauptfraktion „flink hin und her über die Grenzen des Quisling-­Geländes hüpfte“.43 Gleiches gilt für die Aktivitäten der peloponnesischen EDES-Filiale, wo Konstantinos Georgiou, ein Verwandter von ­Zervas und sein regionaler Statthalter, mit den Italienern verhandelte. Sein Projekt unter Einschluss der britischen Militärmission eine Anti-­E AM-Dreierkoalition zu bilden 44 blieb sogar der EAM, dem potentiell betroffenen Gegner, verborgen.

4 0 NARA , RG  226: 68067, Louvaris an Rallis, 3. Januar 1944. Zur anschließenden „deutschen Verbindung“ der PAO siehe Institut für Zeitgeschichte, München, Fd 14/2: Kgr. Saloniki Ic, B3/947/44g, 11. Juli 1944. Die meisten dieser „Nationalen Sonderkommandos“ behielten, zum Schaden der PAO in der historischen Erinnerung, absichtlich den Namen ihrer alten Organisation. Das machte es der EAM -Presse möglich, die makedonischen Kollaborateure aller Schattierungen als „PAO tzides“ (PAO -Anhänger) in den gleichen Topf zu werfen, um damit a posteriori ihren eigenen Kreuzzug gegen die Organisation zu rechtfertigen. Hingegen rühmen rechte Autoren bis heute die PAO als Vorkämpfer „für Ehre und Integrität der Nation“. 41 Eine Gruppe von mindestens 60 Männern wurde von der Halbinsel Chalkidiki auf zwei Schiffen evakuiert, die speziell hierfür vom britischen Geheimdienst in Izmir geschickt worden waren – ein singulärer Fall in der Geschichte des griechischen Widerstands. 42 Erste seriöse Studie war wohl: John L. Hondros, Occupation and Resistance. The Greek Agony 1941 – 4 4. New York: Pella 1983, (Ms. Dissertation, 1969). 43 Woodhouse, History, S. 53. 4 4 TNA, F. O. 371/37205: R 9254, R 9529.

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Zervas, der unbestrittene Führer der Organisation, reagierte nicht auf die ersten Annäherungsversuche, die der neue deutsche Kommandant in Westgriechenland General Hubert Lanz unternahm. Als am 30. September 1943 der deutsche Regimentskommandeur Josef Salminger von EDES-Partisanen aus dem Hinterhalt überfallen und eher aus Versehen getötet wurde, verlangte Lanz, „diesen ruchlosen Banditenmord an einem unserer besten Kommandeure in einer schonungslosen Vergeltungsaktion in 20 km Umkreis der Mordstelle [zu] rächen“.45 Kurz zuvor hatte er jedoch im Prinzip auch einen Vorschlag gebilligt, den der umtriebige Schweizer ΙRΚ-Delegierte Hans Bickel unterbreitet hatte: Er wolle mit einer Delegation von Notabeln EDES und ELAS auffordern, subversive Aktivitäten einzustellen, um der Zivilbevölkerung die harten Folgen zu ersparen. Mittlerweile hatte Zervas, trotz des Vetos seitens der SOE, heimlich einer zehntägigen Waffenruhe als Voraussetzung für weitere Verhandlungen zugestimmt.46 Die Führung der 8.  ELAS -Division in Agnanta stimmte nach langen Diskussionen ebenfalls zu, da sie von einer korrespondierenden Zurückhaltung der Deutschen ausging.47 Doch Letztere waren (noch) nicht über die ELAS -Entscheidung informiert, denn die Notabeln (darunter der Bürgermeister und der Archidiakon von Ioannina) waren von Zervas instruiert worden, Informationen zurückzuhalten, damit der EDES exklusiven Nutzen aus einer Vereinbarung ziehen könne. Allerdings wagte er es nicht, ein neues SOE-Veto gegen seinen Plan zu ignorieren und persönlich – wie mittlerweile vereinbart – bei einem Treffen mit dem deutschen Stabschef zu erscheinen. Stattdessen schickte er zwei Offiziere zum Treffen,48 woraufhin die Deutschen Verzögerungstaktik argwöhnten und die Verhandlungen vorerst unterbrachen. Dennoch versuchten sie bei der Säuberungsaktion mit Decknamen „Panther“, die am nächsten Tag gegen die Widerstandsbewegung in Westgriechenland begann, den EDES zu schonen, der sich bereits kräftig im Bürgerkrieg gegen den ELAS engagiert hatte. Deutsche Flugblätter propagierten den gemeinsamen „antibolschewistischen Kampf “,49 und die vorrückenden deutschen Truppen konzentrierten sich eindeutig auf den ELAS . Im Zweifelsfall schossen die Angreifer – gemäß einer deutschen Weisung – zuerst und fragten ­später – wenn überhaupt. Im Rückblick heißt es in den deutschen Aufzeichnungen

45 BA-MA, 46520/2, 1. 10. 1943. 4 6 Dimitrios I. Doumas, Ιστορικαί αναμνήσεις καί αυτοβιογραφία (Historische Erinnerungen und Autobiographie), 2., erweiterte Auflage, Ioannina: Privatdruck, 1969, S. 77 ff.; TNA , F. O. 37206: R 10937; BA-MA, 46520/1: 7. Juli 1943; und viele andere. 47 Doumas, Historische Erinnerungen, S. 90 ff.; Doumas Brief an Verfasser, 17. Juni 1976; ­Grigoriades, Andartiko, Bd. IV, S. 401 ff.; BA-MA, 59644/3: Kgr. Jannina Ic, Nr. 303/44g. 48 TNA, F. O. 371/37206: R 10554, R 10937; BA-MA, RH 28 – 1/107 Eintrag vom 16. Oktober 1943; EAM-Zeitung Agonistis, 19. Oktober 1943; und viele andere. 49 EAM -Zeitung Phoni tou Pheraiou, 27. Oktober 1943; TNA , F. O. 371/37206: R 10937; ­Entwürfe in: BA-MA, 59644/4.

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zusammenfassend, EDES habe „den Waffenstillstand im Allgemeinen beibehalten“,50 sei jedoch leider wieder­holt mit „kommunistischen Banden“ verwechselt worden.51 Trotz solchen gelegentlichen Missgeschicks bewahrte aber die deutsche Kommunistenjagd Zervas wahrscheinlich vor der Vernichtung durch den ELAS . Nach einigen Demonstrationen guten Willens, etwa der Freilassung deutscher Soldaten aus ELAS -Gefangenschaft und ihrer Ausstattung mit Taschengeld,52 kontaktierten EDES Abgesandte die Besatzungsbehörden Mitte Dezember und wiederum am 3. Januar 1944 – Tage oder auch nur Stunden vor den jeweiligen EDES -Angriffen auf den ELAS . Der Zeitplan war perfekt, und dank der erlangten Rückendeckung gelang es Zervas, den von Aris Velouchiotis – ‚Archikapetanios‘ und dynamischstes Mitglied der ELAS -Führungstroika – geführten Gegner bis zum Achelóos zurückzudrängen. Mitte Januar 53 befahlen Zervas und sein Stellvertreter Komninos Pyromaglou ihrem Verbindungsmann Theodoros Sarantis, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, da der EDES mittlerweile stark genug sei, den innergriechischen Feind auch ohne deutsche Hilfe zu besiegen.54 Das Kriegsglück wendete sich jedoch abermals, und zwei Wochen s­ päter war Zervas wieder über den Arachthos zurückgedrängt. Sarantis telefonierte also am 31. Januar erneut mit dem deutschen Hauptquartier in Ioannina, informierte es über einen bevorstehenden Versuch, verlorenes Terrain zurückzuerobern, und schlug ein gemeinsames Vorgehen gegen ‚die Roten‘ vor. Weil die Deutschen jetzt als Priorität das Überleben des EDES als Gegengewicht zur ELAS betrieben, befahlen sie, Letztere sofort anzugreifen (Operation Sperber) und gleichzeitig den EDES mit Kriegsgerät zu verstärken.55 Dieser koordinierte Vorstoß erreichte sein Hauptziel, die weitere „kommunistische Expansion“ westlich des nunmehrigen Grenzflusses Arachthos zu stoppen: Tatsächlich versuchte der ELAS bis zum Ende der Besatzung keine erneute Überquerung. Darüber hinaus gelang es Zervas, aufkeimendes britisches Misstrauen durch eine – vom Verfasser aufgedeckte – Kriegslist zu zerstreuen. Wie ­zwischen Gebhard von Lenthe, dem „Ic“ 50 BA-MA 46520/1: XXII. A. K. Ia, Nr. 319/43 gKdos, 7. November 1943. 51 K. H. Rothfuchs (Ic der 1. Gebirgsdivision), 20. Juli 1974; Gebhard von Lenthe, 7. August 1974, jeweils Brief an Verfasser. 52 BA-MA 46520/4 XXII. A. K. Ia, Nr. 2562743g, 22. November 1943. 53 Vergleiche Heinz Richter, Griechenland z­ wischen Revolution und Konterrevolution, 1936 – 1946, Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt, 1973, S. 366. Obwohl er diese Akte gesehen hat, häuft Richter alle Schuld an den Verhandlungen auf Zervas und unterdrückt jeden Hinweis auf seinen Mentor Komninos Pyromaglou. 54 BA-MA, 59644/3: 104. Jg. Div. Ic. Nr. 89/44g, 25. Januar 1944. 55 BA-MA, 59643/1: XXII. A. K. Ia, Kriegstagebuch, Einträge für den 17. Februar 1944; NT 7 (Nürnberger Prozesse, Fall 7, gegen Wilhelm List und weitere): Verteidigungsdokumente Lanz 54, 57, 185; Hubert Lanz, Brief an Verfasser, 30. September 1971.

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(Generalstabsoffizier für Feindnachrichten und Subversion) des XXII. Armeekorps, und dem Verbindungsoffizier Sarantis vereinbart, inszenierte eine kleine, weitgehend aus „Büropersonal und Fußkranken“ zusammengewürfelte Truppe unter viel Getöse einen Scheinangriff auf das damalige EDES -Hauptquartier in Plaisia. Bereits in der Nacht zuvor hatte Zervas vorsorglich einen allgemeinen Rückzug angeordnet, da er natürlich nicht alle seine Andarten über die wahre Natur des vorgeblichen Angriffs ins Vertrauen ziehen konnte.56 Dennoch erreichte die offizielle Version von Zervas’ „heroischem Zweifrontenkampf “ und ostentativem Verdacht unterirdischer ‚braun-­roter‘ Absprachen bald Kairo und London, und beides gab britischen Politikern das wunderbare Gefühl, erneut Recht behalten zu haben. Und Winston Churchill tobte: „Niedertracht und Verrat von ELAS scheinen keine Grenzen zu kennen, wir sollten sie nicht einmal mit der Feuerzange anfassen.“ 57 Wenige Tage ­später erzielten Sarantis und die deutschen Besatzer ein Gentleman’s Agreement über ein geheimes Waffenstillstandsabkommen mit dem EDES, zum Informationsaustausch über EAM/ELAS sowie, im Notfall, bewaffnete deutsche Schützenhilfe.58 Möglich wurde diese Vereinbarung dadurch, dass Lanz auf Drängen seines Ic Lenthe die unrealistischen Forderungen ihrer Vorgesetzten in Thessaloniki und Berlin flexibel unterlief, die von Zervas vor jeder Vereinbarung einen offenen Bruch mit dem alliierten Lager gefordert hatten. Währenddessen hatten in den Grenzorten der jeweiligen Einflusssphären (Myrophyllo-­Plaka) Waffenstillstandsverhandlungen ­zwischen EDES und ELAS begonnen, bei denen Oberst „Chris“ Woodhouse, Bevollmächtigter der SOE und Leiter der Alliierten Militärmission in Griechenland, eine Schlüsselrolle spielte. Parallel ließ Zervas die Deutschen über alle Entwicklungen kontinuierlich und detailliert informieren. Nachdem am 29. Februar das Abkommen ­zwischen den Andartenorganisationen und den alliierten Vertretern geschlossen worden war, brachte Sarantis den Deutschen eine Kopie, versicherte aber Lenthe gegenüber, der EDES habe den Vertrag nur unwillig auf intensiven britischen Druck hin unterzeichnet und würde seine „loyale Haltung“ 59 folglich nicht revidieren. Tatsächlich gab die opportune Koinzidenz mit einem vorläufigen Stillhaltebefehl aus Kairo Zervas die Möglichkeit, bis zum Vorabend des deutschen Rückzugs allen bewaffneten Aktionen auszuweichen und somit gute Beziehungen zu beiden Großmächten 56 BA-MA, 59643/2: XXII. A. K. Ia. Nr. 18/44 gKdos.-Chefsache, 4. Februar 1944; Interview Vf. mit Sarantis; Lenthe, Brief an Verfasser, 7. August 1974. Auch der Pro-­EDES-Bürgermeister von Plaisia bestätigte den Tatbestand der friedlichen Evakuierung (I. Koskinas, Brief an Vf., 6. Juli 1976); nach insistierendem Fragen gab Vizekommandeur Pyromaglou schließlich zu, in die Hintergründe des Scheinangriffs eingeweiht gewesen zu sein. 57 TNA, F. O. 371/43678: R 1933; F. O. 371/43679: R 2520. 58 BA-MA, 59644/3: XXII. A. K. Ic. Nr. 431/44 gKdos., 3. März 1944; und viele andere. 59 BA-MA, 59644/3: Februar, passim, und XXII. A. K. Ic. Nr. 458/44 gKdos., 4. März 1944.

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zu bewahren: So kam er seitens der nahegelegenen deutschen Garnison in den Genuss einer Anti-­E LAS -Protektion und konnte zugleich weiterhin die Rolle von „Britain’s good boy“ 60 spielen. Erst im Sommer 1944 konnte er sich „Neutralität“ nicht mehr länger leisten, sondern musste Partei ergreifen. Seine Präferenz war immer ziemlich klar gewesen, aber in dieser Phase des Krieges war seine Entscheidung einfacher denn je. Trotz aller oft publizistischen Polemik sowie temporärer Pläne zur Liquidierung der „EDES -Verräter“ 61 war die Kommunikation mit den Deutschen selten völlig unterbrochen, da Zervas betonte, erst britischer Druck hätte die Idylle gestört. Gespräche über deutsche Transporterleichterungen, um den EDES sofort nach dem bevorstehenden deutschen Abzug in die Nähe der griechischen Machtzentren (Nordost-­Peloponnes und insbesondere Athen) gelangen zu lassen, blieben erfolglos, während die Verhandlungen des EDES mit einigen makedonischen kollaborationsaffinen Gruppen unter deutscher Schirmherrschaft gewisse Resultate zeitigten.62 Die sui generis Partnerschaft funktionierte ein letztes Mal, als die Besatzer abzogen. V-Leute des EDES erschienen allabendlich im Hauptquartier des XXII . Armeekorps und wurden über die fortschreitende Evakuierung informiert. So konnten die meisten Städte in der Epirus-­Region reibungslos von wartenden EDES -Einheiten übernommen werden, um dem ELAS zuvorzukommen.63 Die ‚Wachablösung‘ gelang also in beiderseitigem Interesse, trotz sporadischer Zusammenstöße auf dem Lande, die nach dem Kriege von den Historiografen des EDES heroisch aufgebauscht wurden. Diametral entgegengesetzt steht es um die Authentizität der kolportierten deutschen Kontakte zur EAM/ELAS. Einige Worte zu den viel beschworenen „Dokumenten der kommunistischen Kollaboration“, die unter den Vorzeichen des Kalten Krieges von der Propagandamaschinerie des griechischen Staates bis zum offiziellen Ende des Bürgerkriegs 1981 (und danach von der unversöhnlichen extremen Rechten) wieder und wieder veröffentlicht wurden:64 Fast alle sind obskur und gefälscht oder zumindest missinterpretiert, da von politischen Gegnern der EAM fabriziert, zumeist der PAO 60 LHCMA, Signal von der alliierten Funkstation „Mobility“ (BMM) 201/16. Juli 1943; ähnliche Charakterisierungen finden sich oft in Erinnerungen von BLOs. 61 Bemerkenswerterweise hatten die deutschen Strategen, erbost durch die Absetzungsbewegungen ehemaliger Partner in der Endphase des Krieges, zwei militärische Strafaktionen mit dem identischen Codenamen „Operation Verrat“ beschlossen: die eine gegen das Hitler zufolge „allzeit treue Bulgarien“, die andere gegen Zervas und den EDES. 62 NARA, T 311, Rolle 284, passim. 63 NT 7, Verteidigungsdokumente Lanz 18, 56, 57; Lenthe, Notizen Dezember 1971; NARA, RG 226: L 47432. 6 4 Bekannt sind die berüchtigten Pseudoabkommen von Petritsi und Karydies, in denen die KKE angeblich die Abtretung Griechisch-­Makedoniens an Bulgarien bzw. ein „autonom-­sowjetisches Großmakedonien“ zugestanden hatte; vgl. Naltsas, Makedonische Frage, S. 279 ff., S. 286 ff., S. 290 ff.; und viele andere.

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und ähnlicher Gruppierungen.65 Im Folgenden wird nur auf ‚echte Verbindungen‘ eingegangen, auch wenn diese mit der Sensationsträchtigkeit der gefälschten schwerlich konkurrieren können. Die ersten „Kontakte“ mit dem Feind hatten z­ wischen Dezember 1942 und Februar 1943 im von den Italienern besetzten Roumeli (Zentralgriechenland) stattgefunden, als die vereinzelten Deutschen – Dolmetscher, Ingenieure u. a. – die bei ELAS-Angriffen etwa auf für die Besatzer arbeitenden Bergwerke – angetroffen wurden, ostentativ unbehelligt blieben. Vielmehr wurde ihnen höflich versichert, der gerechte Kampf des ELAS richte sich ausschließlich gegen die Italiener und deren griechische Marionetten.66 Auf der Peloponnes, wo sich die Entwicklung der Widerstandsbewegung verzögerte, wurden bis zum Sommer 1943 ähnliche Vorkommnisse und Verhaltensmuster registriert.67 In beiden genannten Regionen zeigten die späteren Aktivitäten des ELAS, dass ­solche „Courtoisie“ nur eine vorübergehende Kriegslist war, um Zeit für die eigene Konsolidierung zu gewinnen. Diese Strategie entsprang einem Befehl des ZK-Sekretärs Georgios Siantos, die anzugreifenden Ziele progressiv auszuweiten: Zunächst ­seien die eigenen Angriffe auf die Gendarmerie und einheimische Kollaborateure zu beschränken, dann ­seien die gering geschätzten Italiener einzubeziehen und erst danach der Hauptfeind, die Deutschen, um diese inzwischen in falscher Sicherheit zu wiegen.68 Der nächste Kontakt wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. Die Details des zehntägigen Waffenstillstands, den die 8.  ELAS-Division akzeptierte, zeigen, dass er aus Besorgnis um die leidende Bevölkerung des Epirus vereinbart wurde – eine Überlegung, die Zervas zweifellos teilte. Aber anders als Letzterer verlangten die lokalen ELAS-Führer als Vorbedingung für Gespräche mit den Deutschen, dass auch Repräsentanten der rivalisierenden Partisanenorganisation anwesend waren.69 Damit aber wird der Vorwurf widerlegt, der ELAS habe dem Waffenstillstand nur zugestimmt, um einen Angriff auf Zervas vorzubereiten.70 65 Siehe etwa Naltsas Makedonische Frage, S. 279, S. 283, S. 359. Die meisten dieser ‚Dokumente‘ waren plump zusammengeschustert. So behauptete beispielsweise Naltsas (S. 362), Leiter der politischen Abteilung der PAO, seine Organisation habe sogar eine Vereinbarung ­zwischen dem KKE -Zentralkomitee und dessen Sekretär Georgios Siantos mit dem deutschen Botschafter Günther Altenburg aufgespürt, die auf einen friedlichen Wachwechsel im Herbst 1944 abzielte. Altenburg hatte Griechenland jedoch bereits ein Jahr früher endgültig verlassen. Ein neuer deutscher Botschafter wurde erst 1952 wieder ernannt. 66 BA-MA, Wi IC 1.27/28/29: „Wesentliche Probleme“, Dezember 1942, Januar und Februar 1943; ebenso: Andreas Tzimas, Tasos Lefterias und andere führende Widerstandsveteranen in Interviews mit dem Verfasser. 67 BA-MA, 44058/8: LXVIII. A. K. Ic. Tagesmeldung 19. Oktober 1943; und andere. 68 V. Papadakis (Tasos Lefterias), Interview mit Verfasser. 69 Siehe Anm. 46. 70 Christos Zalokostas, Το χρονικό της σκλαβιάς (Die Chronik der Sklaverei), Athen: Estia, o. J., S. 184 ff.; Woodhouse, Geschichte, S. 167; und viele andere.

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Zudem befahl das ELAS-Hauptquartier die sofortige Einstellung aller Vorgespräche und verhängte Disziplinarstrafen gegen die verantwortlichen Offiziere.71 Ähnliche Disziplinarmaßnahmen wurden ergriffen, als sich in Lakonien das schwer unter Druck stehende 8.  ELAS-Regiment im März 1944 mit den lokalen deutschen Behörden zeitweise auf eine Waffenruhe für Gespräche über die Entfernung beziehungsweise Auflösung der Sicherheitsbataillone einigte.72 Der kommunistische Unterzeichner der vorläufigen Übereinkunft wurde sogar zum Tode verurteilt, doch wurde auf Befehl von Aris Velouchiotis höchstpersönlich die Exekution zur Bewährung ausgesetzt, da – in den Worten des ‚Archikapetanios‘ – Unterhandlungen legitime Taktik und fester Bestandteil der Kriegsführung s­ eien. Lediglich „Apotheker, Notare und Milchmänner“ schlössen niemals einen Waffenstillstand, da sie auch niemals Krieg führten.73 Weitere Verhandlungen fanden in den Wochen vor dem deutschen Rückzug statt, um Athen in dieser kritischen Phase vor Repressalien und Zerstörung, aber auch das ganze Land vor einem neuen Bürgerkrieg zu bewahren. Dabei schienen nach dem Libanon-­ Abkommen unter britischer Ägide und Teilnahme fast aller politischen Gruppierungen (20. Mai 1944) die Vorzeichen günstig, zumal nach langem Hin und Her auch die beiden Hauptfraktionen der EAM einlenkten und am 2. September fünf Minister und ein Staatssekretär aus ihren Reihen in der nunmehr erweiterten Regierung der „Nationalen Einheit“ vereidigt wurden. Doch der Weg zur Einheit war mit scharfen Klippen übersät. Immerhin konnte, nach anfänglichen Differenzen, der befürchtete Eklat vermieden werden. Am 25/26. September verhandelte im alliierten Mittelmeer-­Hauptquartier in Caserta, dem ehemaligen italienischen Kronprinzenpalast, die aktuelle politische ‚Crème‘ der mediterranen Gesellschaft: der Oberkommandierende Wilson, der ihm beigeordnete Macmillan sowie General Ronald Scobie, der designierte Kommandeur für die „Operation Manna“ (die geplante Landung britischer Truppen und griechischer Exilstreitkräfte unmittelbar nach dem deutschen Abzug). Griechisches Fluidum erhielt die Konferenz nicht nur verbal durch die Teilnahme einer starken, allerdings auch stark gemischten griechischen Fraktion: Ministerpräsident Papandreou und vier Minister der „Einheitsregierung“ sowie ebenfalls vier Repräsentanten der „Freien Berge“, jeweils zur Hälfte EAM- und EDES-Vertreter. Bei den Verhandlungen rang ausgerechnet der ‚Konvertit‘ Konstantin Despotopoulos, einstiger juristischer Berater von Papandreou und mittlerweile der EAMDelegation, dem Commander-­in-­Chief „Jumbo“ Wilson die größten Zugeständnisse 71 Grigoriadis, Andartiko, Bd. IV, S. 406; Interviews des Verfassers mit A. Tzimas, P. ­Karagitsis (Orfeas Vlachopoulos) und P. Nasis. 72 BA -MA , RH  19 XI /10: OB Südost, Ic/AO , Nr. 2919/44 gKdos, 6. April 1944; TNA , F. O. 371/43685: R 6320. 73 Grigoriadis, Andartiko, Bd. IV, S. 408 ff., V, S. 295 ff.; Kapetan Orestis (Andreas M ­ oundrichas), in: Akropolis, 25. Mai 1961.

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ab. Bestehen blieb allerdings die prinzipielle Unterordnung aller Andartenverbände unter Scobie. Damit verzichtete der ELAS auf das Kommando in Attika und Nordgriechenland, was gleichbedeutend war mit der Preisgabe der Metropolen Athen und Thessaloniki und folglich des Machtanspruchs.74 Kritisch zu beurteilen ist allerdings eine zeitgleiche nahezu unbekannte Verhandlungsrunde auf der griechischen Seite des Mittelmeers. Unmittelbar nach dem Caserta-­Abkommen attackierten führende EAM - und KKE -Mitglieder in Athen den ELAS -Befehlshaber Stefanos Sarafis wegen Servilität gegenüber Scobie, und manche beschuldigten ihn sogar der Bestechlichkeit. Da sie ein britisches Komplott zur Restauration der Monarchie befürchteten, streckten besagte Kreise Fühler zu Hermann Neubacher aus, Hitlers Bevollmächtigtem für politische Kriegsführung. Dieser war zumindest zeitweise überzeugt, eine kommunistische Machtübernahme in Athen nach dem Abzug der Wehrmacht diene den deutschen Absichten und dem Kampf gegen England am besten; so versuchte er das Projekt voranzutreiben und versprach sogar Gold und Kriegsgerät.75 Doch der verantwortliche Kommandant, General Hellmuth Felmy, hatte Bedenken gegen s­ olche Versprechungen und deren Konsequenzen,76 aber auch die ‚EAM -Radikalen‘ zögerten, von der ­Theorie in die Praxis voranzuschreiten. Ein abruptes Ende fand die heikle Unterhandlung – in deutschen Berichten nur verklausuliert erwähnt als ‚gewisse Angelegenheit‘ – nach dem 6. Oktober, als Politbüro-­ Mitglied und Minister Jannis Zevgos nach seiner Rückkehr aus Caserta heimlich in Athen eintraf.77 Dank dessen Intervention blieb die Bilanz der EAM /ELAS in Sachen praktizierter Kollaboration makellos, denn die verschiedenen kurzlebigen Waffenruhen zielten fast immer nur auf eine Atempause zur Konsolidierung des Widerstands. Andere Kontakte, etwa jene (leider allzu seltenen) zum Austausch von Gefangenen, stellten normale Kriegshandlungen dar und sind auch im Falle des späteren Premierministers Konstantinos Mitsotakis seitens der Briten praktiziert worden.78 74 TNA, F. O. 371/43693: R 16197; Fleischer, Im Kreuzschatten, S. 465 – 506 und S. 521 ff.; zu den Verhandlungen in Athen, vgl. Hampe, Rettung Athens, passim. Unzutreffend: ­Antonopoulos, Nationaler Widerstand, Bd. III, S. 1381 ff., u. v. a. 75 BA -MA , RH  19 XI /38: Loos an Neubacher, Fernschreiben, 1. Oktober 1944; R. Loos im Interview mit Verfasser, August 1972. Loos, Chef der Geheimen Feldpolizei für Südosteuropa, war Neubachers Bevollmächtigter in Athen für brisante Unternehmungen. 76 Hampe, Brief an Verfasser, 16. Oktober 1978. 77 Dieser Tatbestand wurde dem Verfasser von einem anderen Mitglied des Politbüros (Dimitris Partsalidis) bestätigt – mit der Bitte zu Lebzeiten nicht namentlich genannt zu werden. 78 Konstantinos Mitsotakis wurde im Herbst 1944 von den Deutschen wegen seiner Verbindungen zum kretischen Widerstand (EOK) und zu britischen Geheimdiensten verhaftet. Da er konsequent seine Freilassung betrieb, traten die Parteien in Verhandlungen ein; es kamen schließlich mehr als 30 ausgewählte deutsche Gefangene aus Gefangenenlagern im Nahen Osten im Austausch für Mitsotakis und einige seiner Gefolgsleute frei. Istorikon Archeion tis

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Mehr Aktionen dieser Art hätten viele Menschenleben retten können, insbesondere in und um Kalavryta im Dezember 1943.79 Ganz allgemein zielten die dem Verfasser bekannten Kontakte des ELAS zum Feind nicht zur Vorteilsgewinnung auf Kosten anderer Organisationen. Dies im Unterschied zu den Feindkontakten seitens der ‚nationalistischen‘ Rivalen. In der einschlägigen Forschung findet sich wiederholt der Terminus καπάκι (kapaki, Deckel; „Pakt der Unterwerfung“), hergeleitet aus den Jahrhunderten unter Osmanischer Herrschaft, angewandt auf das temporäre ‚Stillhalten‘ griechischer Freischärler (Klephten).80 Doch die Kontakte des ELAS zu den Besatzungskräften erreichten nie das Niveau von καπάκι im strengen Sinne d ­ ieses Begriffs, da ihnen die Dimension selbst einer nur temporären Unterwürfigkeit (προσκύνησις, Proskynese, „Anbetung“; buyurdi etc.)81 fehlte, zumal gefordert wurde, der Feind müsse im Interesse der „griechischen Sache“ nachgeben. Inwieweit die verschiedenen nationalistischen Gruppen in den Zustand von buyurdi gelangt sind, ist umstritten, doch zumindest in einer Hinsicht übertrafen sie das ‚ererbte Muster‘ deutlich: Alle ihre Abmachungen wurden vom Hass gegen die EAM/ELAS diktiert, während das historische καπάκι nicht primär von innergriechischen Feindschaften motiviert war. In ­diesem Punkt allerdings ist auch die Bilanz der EAM/ELAS keineswegs makellos, da sie eine erhebliche indirekte Verantwortung trägt. Denn die ‚nationalistischen‘ Annäherungen gegenüber den Besatzern hatten selten eine ideologische Fundierung – sofern unter Ideologie der Faschismus und nicht lediglich ein vager Antikommunismus zu verstehen ist. Selbst extreme Antikommunisten innerhalb der Résistance hätten die Schwelle zur Kollaboration nicht so oft überschritten, wären sie nicht von realen oder Ethnikis Antistasis, Heft 2 – 3, 1958, S. 42; H. Hass, Brief an Verfasser, 1. Juli 1973; Interviews des Verfassers mit K. Mitsotakis, M. Paterakis, V. Paterakis u. a. 79 In ­diesem Fall dauerten die Diskussionen über einen Austausch der 78 deutschen Gefangenen mehrere Wochen. Verschiedene sich widersprechende Quellen führen ihr letztendliches Scheitern auf überzogene Forderungen des lokalen ELAS-Kommandeurs Dimitris Michos oder auf ein britisches Veto zurück, was angesichts beider Haltung in ähnlichen Situationen plausibel wäre. 0 Der Begriff wurde insbesondere für den EDES verwendet. Siehe Richard Clogg, „A 8 Hand in the Resistance“, Times Literary Supplement, 14. November 1975; Christopher M. ­Woodhouse, The Struggle for Greece, 1941 – 1949, London: Hart-­Davis MacGibbon, 1976, S. 91. Ein Vorschlag von Roman Loos, möglichst viele Partisanengruppen auf ähnliche Weise zu „befrieden“, wurde von seinen Vorgesetzten abgelehnt. Loos im Interview mit Verfasser, 1972. Es ist jedoch zweifelhaft, inwieweit ein solches Muster auf die griechische und gar die ‚nationalistische‘ Szene und Mentalität in breitem Maßstab anwendbar gewesen wäre. 81 John A. Petropoulos, Forms of Collaboration with the Enemy During the First Greek War of Liberation, in: Hellenism and the First Greek War of Liberation, 1821 – 1830: Continuity and Change, hg. Nikiforos D. Diamantouros, Thessaloniki: Institute for Balkan Studies, 1976, S. 131 – 143.

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‚gefühlten‘ Aggressionen der EAM dazu veranlasst worden. So war einer der Gründe für den ELAS-Angriff auf den EDES im Oktober 1943 dessen unterstellte Kollaboration. Dieser Vorwurf war jedoch bis dahin noch nahezu unbegründet, zumindest für die militärische Organisation. Es ist zweifelhaft, ob Zervas sich jemals in der geschilderten Weise verstrickt hätte, wenn nicht im Rahmen einer vermuteten präventiven Selbstverteidigung. Katastrophal wirkten auch die häufigen Kollaborationsvorwürfe gegen Organisationen, die als s­ olche noch unbescholten waren, obschon einige dubiose Gestalten in ihren Reihen Unterschlupf gefunden hatten. Anschuldigungen, „oft genug behauptet, wurden schließlich wahr“, wie der brillante Chef der Britischen und s­ päter Alliierten Militärmission in seiner leider immer noch unveröffentlichten History of the Allied Military Mission in Greece (1942 – 1944) rekapituliert.82 Tatsächlich mutierten nach den ersten Feindseligkeiten in einem sich selbst beschleunigenden Prozess viele Gruppierungen zum Auffangbecken für alle nur denkbaren ‚Antikommunisten‘. Unter Druck und in blindem Hass gegen die EAM sahen sie leichtfertig die fremde Okkupation als vorübergehendes und somit kleineres Übel an. So gerieten sie in Versuchung, auf solches Übel als Stütze zu bauen, ohne den drohenden Sturz zu bedenken, sobald die morsche Stütze einbrach. Keine dieser Gruppierungen hatte das Gefühl, die griechische Sache verraten zu haben. Da sie in der EAM die herausragende Gefahr ‚für die Nation‘, aber auch für eigene Positionen und Absichten, sahen, schienen patriotische und politische Interessen kompatibel.83 Eben deshalb versuchten alle zwielichtigen Individuen und Organisationen, „zumindest die Zehen eines Fußes“ 84 auch im deutschen Lager zu behalten – eben genug, um sich doppelte Immunität zu sichern oder materielle Unterstützung zu erhalten. Sie schmeichelten sich, sie wären es, die die Besatzer im Griff hätten und als ihre Instrumente benutzten. In Wirklichkeit war es genau umgekehrt. Die Deutschen wiederum hegten keine Illusionen über die wahren Sympathien und Einstellungen der ‚Neutralen‘ im Falle einer alliierten Invasion. Denn selbst manche der bekanntesten Kollaborateure wie Chrysochóou 85 und Papadongonas standen in loser oder ­kontinuierlicher 8 2 Woodhouse, History, S. 92 ff. 83 Die offenen Apologeten der Sicherheitsbataillone verwenden eben diese Argumente. Vgl. Antonopoulos, Nationaler Widerstand, Bd. III, S. 1487: „Nur ihre Waffen waren fremd: die Seele der Verteidiger, ihr Herz, ihre Absichten – alles war griechisch.“ Ein anderer Heros des nationalistischen Widerstands billigte sogar die Annahme deutscher Waffen, denn sie würden „zum Schutz des griechischen Vaterlandes verwendet (…), ausschließlich gegen slawische Agenten, die nur zufällig griechische Namen tragen“. Nikos A. Antonakeas, Φώς εις το σκότος της κατοχής. Εθνική αντίστασις, 1941 – 1944 (Licht ins Dunkel der Besatzung. Nationaler Widerstand, 1941 – 1944), Athen: (Privatdruck), 1947, S. 105. 84 Loos im Interview mit Verfasser (1972). 85 Bis heute (2019) scheiden sich die Geister, ob an der Stätte seines ehemaligen Wirkens (Thessa­loniki) eine Straße nach dem von den Besatzern eingesetzten Ex-­Gouverneur benannt werden darf.

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Verbindung mit ‚nationalen‘ Widerstandsgruppen, übermittelten gefärbte Informationen an alliierte Netzwerke in Nahost (SOE, Secret Intelligence Service etc.) und sorgten dafür, den Faden der Kommunikation nicht abreißen zu lassen. Lediglich Zervas, der gerissene und „allercharmanteste Schurke“ 86, konnte unter dem Tisch seine deutsche Karte spielen, ohne die volle Sympathie der ahnungslosen britischen Militärmission zu verlieren.87 Im Oktober 1943 hatte Woodhouse der SOE mitgeteilt, seiner Meinung nach s­ eien „viele Mitglieder des EDES, insbesondere in Athen, nicht über jeden Zweifel erhaben, doch Zervas selbst ist nicht so dumm, uns gegenüber illoyal zu werden“. Tatsächlich aber war jener cleverer, als Woodhouse gedacht hatte, da er vorgab, beiden Seiten gegenüber ‚loyal‘ zu sein. Der EDES-Chef nutzte vor allem geschickt den schwammigen Befehl Kairos, den „rechten Augenblick abzuwarten“. Bei den Deutschen erweckte er nämlich den Eindruck, die Einstellung der Feindseligkeiten sei seine eigene riskante Entscheidung, die folglich Belohnung verdiene. Ganz allgemein benutzte der verschlagene General den offenen bzw. latenten Antikommunismus seiner beiden ‚Partner‘, um so das Überleben des EDES als ‚unabhängige Kraft‘ zu sichern. Doch bald nach dem Abzug der Wehrmacht, nach dem Wegfallen des inoffiziellen deutschen Schutzschirms und in Ermangelung von Interventionsmöglichkeiten der offiziellen britischen Schutzmacht mussten Silvester 1944 die letzten EDES-Andarten vom Festland unter Mithilfe der Royal Navy nach Korfu vor dem vorrückenden ELAS in Sicherheit gebracht werden. Doch war dieser Erfolg auch für die Angreifer nur ein s­ päter Pyrrhus-­Sieg, denn mittlerweile hatte die Schlacht um Athen mit ihrer (de facto)-Kapitulation geendet. Mit der Absicht, verbliebene Unklarheiten zu erhellen, hatte der Verfasser Zervas’ Stellvertreter in der politischen Führung Komninos Pyromaglou mehrmals mündlich befragt. Auf wiederholtes Drängen um eine schriftliche Klarstellung der ‚deutschen Kontakte‘ des EDES ließ sich Pyromaglou schließlich nachfolgende Definition entlocken, die gerade wegen ihrer Ausflüchte aufschlussreich ist: „‚Kontakte‘, ‚Zusammenarbeit‘ (συνεργασία) ­zwischen Besatzern und Andarten bedeuten gar nichts. Was wirklich zählt, ist die bewaffnete Kooperation von Guerilla-­Einheiten mit den Besatzern. Sowas ist nie erfolgt.“ 88 Diese allzu enge Auslegung ignoriert geflissentlich die präzise koordinierte, obschon nicht gemeinsame Operation „Sperber“ gegen den ELAS im Februar 1944. Andererseits darf nicht vergessen werden: Wie auch bei anderen der erwähnten Organisationen wusste die überwiegende Mehrheit der EDES -Kämpfer nichts von der Absprache, jedenfalls nichts Konkretes, auch wenn sich viele über die oft geradezu 86 Report on SOE Activities in Greece, 27. 6. 1945, App. III (A), S. 4. 87 TNA, F. O. 371/37207: R 11673. 88 Pyromaglou, Brief an Verfasser, 6. Juni 1974.

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bukolische Koexistenz von Wehrmachtssoldaten und eigenen Andarten wunderten.89 Was die Führung des EDES betrifft, ergab sich dessen Haltung aus einer primär defensiven, auf Prävention bedachten Motivation und könnte daher als zumindest temporäre semi-­collaboration definiert werden, ein Begriff, der mit einer gewissen Nachsicht auch auf die meisten anderen ‚nationalistischen‘ Gruppen anwendbar ist. Unbestreitbar ist die Kollaborationskomponente solcher ‚Neutralität‘, denn diese gab den Deutschen freie Hand, ihr geballtes militärisches Potential auf den Hauptfeind zu konzentrieren: den ELAS oder eine eventuelle alliierte Invasionsstreitkraft, die aber niemals eintraf. Andererseits war die EAM /ELAS den ‚nationalistischen‘ Rivalen zumindest in einer Hinsicht nicht unähnlich: Allzu leichtfertig glaubten beide Seiten an alle Verdächtigungen, an die sie glauben wollten. Eben damit aber provozierten sie allzu oft die Konstellation, die sie befürchtet hatten oder zu befürchten vorgaben.90 Das letzte Wort soll einer ex officio kompetenteren Stimme gegeben werden: G ­ ebhard von Lenthe, der damalige Ic, zuständig für ‚Feindnachrichten‘ im Generalstab des XXII . Gebirgs-­Armeekorps in Westgriechenland, fasste die Situation folgendermaßen zusammen: Die partisaneninternen Uneinigkeiten waren ein Geschenk des Himmels. Wir brauchten die Feinde nicht zu addieren, im Gegenteil, wir konnten einen vom anderen subtrahieren. „Kollaboration“ trotz innerer Bedenken war die natürliche Folge der griechischen Uneinigkeit und ersparte uns, der Deutschen Wehrmacht, viel Blut.91

Aus dem Englischen übersetzt von Rüdiger Reinecke.

89 Siehe etwa: Ημερολόγιο Φαίδωνα Μαηδόνη (Tagebuch Phaidon Maidonis, 24.6. – 10. 9. 1944) in: Mnimon 9, (1984), S. 33 – 173, insbesondere Einträge 16.7., 20.7., 21. 7. 1944. 90 Das daraus resultierende Dilemma von Athener Liberalen und gemäßigten Rechten, die ­zwischen einer oft aggressiven extremen Linken und den ‚professionellen Antikommunisten‘ zur Bedeutungslosigkeit verurteilt wurden, beschreibt einer der sympathischsten Politiker, damaliger Student, mit bemerkenswerter Sensibilität: Anastasios Peponis, Προσωπική Μαρτυρία (Bericht eines Zeitzeugen), Athen: Kedros, 1970, passim. 91 Rittmeister a. D. Gebhard von Lenthe, 1943, Interview Dezember 1971, Briefe 5. 12. 1971 und 3. 3. 1972.

142 | Krieg und Besatzung

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Kontakte zwischen deutschen Besatzern | 143 Petropoulos, John A., Forms of Collaboration with the Enemy During the First Greek War of Liberation, in: Diamandouros, Nikiforos P.; Anton, John P. (Hg.), Hellenism and the First Greek War of Liberation, 1821 – 1830: Continuity and Change, Thessaloniki: Institute for Balkan Studies, 1976, S. 131 – 143. Richter, Heinz, Griechenland ­zwischen Revolution und Konterrevolution, 1936 – 1946, Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt, 1973. Theodorakis, Asklepios G., Η εθνική αντίστασις Κρήτης (Der nationale Widerstand Kretas), Bd. 1, Heraklion: (o. Verl.), 1971. [Voudouris, Panos], Υπό τό φώς τής αληθείας. Αί οργανώσεις αντιστάσεως Βορείου Ελλάδος (Im Lichte der Wahrheit. Die Widerstandsorganisationen Nordgriechenlands), Thessaloniki: Legeona Efedrikon Polemistikon Organoseon Voreiou Ellados, 1948. Woodhouse, Christopher M., The Struggle for Greece, 1941 – 1949, London: Hart-­Davis MacGibbon, 1976. Woodhouse, Christopher M., Apple of Discord: a survey of recent Greek politics in their international setting, London: Hutchinson, 1948. Zalokostas, Christos, Το χρονικό της σκλαβιάς (Die Chronik der Sklaverei), Athen: Estia, o. J.

Geostrategische Pläne für ein germanisches Nachkriegs-Kreta „In dem jetzt um die Neugestaltung der Kontinente auszutragenden Ringen aber hat der Name Kreta eine besondere Bedeutung im Hinblick auf nachkommende Ereignisse.“ Veste Kreta, 23. 6. 1942

Obschon die NS-Aspirationen auf neuen „Lebensraum“ keineswegs unbekannt sind, mag sich der Leser über Titel und Thema ­dieses Kapitels wundern. Denn bekanntlich zielten die territorialen Begehrlichkeiten des NS-Regimes in ganz andere Richtungen, ohne dass von Griechenland die Rede gewesen wäre. In „Mein Kampf “ hatte der Gründer des „Großdeutschen Reiches“ seine Absichten so unverhohlen geäußert, dass er Ribbentrop zufolge s­ päter eingestand, die dort gezeigte Freimütigkeit sei der größte Fehler seines Lebens gewesen.1 Allerdings erwies sich dieser Fehler als nicht gravierend, da unter Deutschlands potentiell gefährdeten Nachbarn nur eine verschwindend kleine Minderheit sich die geschwätzigen Hirngespinste eines bis dato (1925) erfolglosen Politikasters und Putschisten zu Gemüte führte oder sie gar ernst nahm. Nicht einmal nach Hitlers Aufstieg zur Macht schenkte man trotz nachdrücklicher Ermunterung 2 seiner Schrift nennenswerte Aufmerksamkeit, sondern beurteilte sie als exaltiertes Elaborat für die politische Arena. In gleicher Weise interpretierte man, falls überhaupt, die Warnung des selbsternannten Führers, er sei nicht Kanzler geworden, um anders zu handeln, als er 14 Jahre lang verkündet hatte.3 Hinzu kam, dass Hitlers ungelenkes Opus sogar für Deutsche eine ermüdende Lektüre war und auf eventuelle Übersetzer frustrierend wirkte. So erschien nach einigen vergeb­ lichen Anläufen erst im März 1939 eine vollständige englische Ausgabe; die Reaktion der britischen Presse darauf war beredt genug.4 Einen Monat s­ päter fand sie durch den deutschen Einmarsch in Prag ihre faktische Bestätigung. 1 Joachim von Ribbentrop, Zwischen London und Moskau. Erinnerungen und letzte Aufzeichnungen. Aus dem Nachlass, hg. von A. von Ribbentrop, Leoni: Druffel, 1953, S. 43. 2 Nur Stunden nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler erschien im offiziellen Organ der NSDAP folgende Anzeige: „Das Buch des Tages: Mein Kampf von Adolf Hitler. Was wird Adolf Hitler tun? – fragen heute Millionen hoffender Deutscher! Diese Frage kann jeder beantworten, der sein Wort und damit sein Wollen und Ziel kennt. Jeder, ob Freund oder Feind, kann jetzt das Werk Hitlers nicht unbeachtet lassen.“, Völkischer Beobachter, 31. Januar 1933. 3 Völkischer Beobachter, 3. November 1933. 4 The Daily Telegraph, 23. März 1939; The Times, 25. März 1939 (vgl. Werner Maser, Adolf Hitler. Mein Kampf. Geschichte – Auszüge – Kommentare, Esslingen: Bechtle, 6. Auflage, 1981, S. 215, S. 37 ff.).

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Doch weder in seinem entlarvenden Werk noch in späteren Äußerungen kamen Aspirationen auf Griechenland oder den weiteren Südosten zum Ausdruck. Hitler beklagte vielmehr den „ewigen Germanenzug nach dem Süden“ (und Westen), wo das wertvolle Menschenmaterial absorbiert wurde oder zugrunde ging. Das Reich müsse also nach Osten expandieren, denn in Europa böten lediglich das weiträumige „Russland und die ihm untertanen Randstaaten“ ausreichend „Lebensraum“ für die künftig anvisierten mindestens 250 Millionen Deutschen. Staatsgrenzen stellten dabei kein Hindernis dar, denn diese „werden durch Menschen geschaffen und durch Menschen geändert“. Grundlage des neuen Rechts sei „die Kraft der Eroberer und die Schwäche der Dulder“, folglich werde Deutschland „entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein“. Als Hitler ab 1939 schließlich in der Lage war, sein usurpiertes Recht durchzusetzen, blieb er den mittlerweile ausgebauten Visionen treu. Er liquidierte die zwischenzeitlich von der Wehrmacht besetzten „Randstaaten“ als autonome Gebilde;5 das Nachbarland Polen wurde nach seiner Weigerung, in einer von Hitler projizierten Globallösung als Juniorpartner oder Vasall mitzuwirken, zum „Generalgouvernement“, d. h. zur Kolonie degradiert. Ganz allgemein plante der „Führer“ nach seinen atemberaubenden militärischen Erfolgen der ersten beiden Kriegsjahre, im Westen den Westfälischen Frieden von 1648 im Mülleimer der Weltgeschichte zu entsorgen und damit zur Identität von Deutschem Reich und Abendland zurückzukehren, während er im Osten weit über alle präexistenten historischen Realitäten und Konzepte hinausgriff. Dabei sprach er den unterworfenen Bevölkerungen das Recht auf soziale, wenn nicht gar auf physische Existenz ab.6 Ganz anders verhielt es sich bei der De-­facto-­Annexion jahrhundertelang umstrittener Regionen wie Elsass-­Lothringen sowie bei der mitteloder langfristig angestrebten Integration ganzer Staaten oder Regionen mit „artverwandten Bevölkerungen“ ins Reich: etwa Norwegen-­Dänemark, Holland-­Flandern, Luxemburg, womöglich auch Burgund.7 Hingegen ließ die NS -Führung bis 1941 keinerlei Absichten auf griechisches Territorium verlauten: Griechenland war ein armes Land und besaß nicht einmal gemeinsame Grenzen mit dem Reich oder den frisch annektierten Gebieten. Diese Zurückhaltung ging so weit, dass die spätere Geschichtsschreibung einschlägige Aspirationen für die gesamte Kriegsdauer ausschloss oder jedenfalls nicht thematisierte. In Griechenland existierte keine deutsche Minderheit, die – wie anderswo – als Auslöser 5 Adolf Hitler, Mein Kampf, München: Zentralverlag der NSDAP, Franz-­Eher Nachf., 1938, S. 154, S. 722, S. 740 ff., S. 767. 6 Vgl. Hagen Fleischer, Nationalsozialistische Besatzungsherrschaft im Vergleich: Versuch einer Synopse, in: Wolfgang Benz et al. (Hg.): Anpassung, Kollaboration; Widerstand: Kollektive Reaktionen auf die Okkupation. Berlin: Metropol, 1996, S. 257 – 302. 7 Hans-­Dietrich Loock, Zur „Großgermanischen Politik“ des Dritten Reiches, Vierteljahresheft für Zeitgeschichte, Jg. 8 (1960), Heft 1, S. 36 – 63.

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für Hitlers Expansionspläne hätte dienen können. Der Eingliederung ins entstehende Imperium stand auch entgegen, dass die Neugriechen nicht als verwandte, „einzudeutschende“ oder „umzuvolkende“ 8 Nation eingestuft wurden, doch in der nazistischen Werteskala immerhin hoch genug standen, um im Rahmen des von Himmler und dessen pseudowissenschaftlichen Kohorten in ständig neuen Versionen ausgearbeiteten, monströsen „Generalplans Ost“ (GPO ) nicht zu „Untermenschen“ degradiert zu werden.9 Berücksichtigt man Hitlers zwiespältige Beziehung zum Südosten, auf die noch einzugehen ist, verwundert es nicht, dass er widerspruchslos auf Mussolinis Wunsch einging, Griechenland der italienischen Einflusszone zu überlassen. Im Gegensatz zu anderen Versprechen schien er sogar gewillt, Wort zu halten. Auch nach der Demütigung der „Armata Gloriosa“ durch die Griechen in Albanien und der dadurch erforderlichen deutschen Invasion befahl er seinen empörten Generälen, die dem Duce geschenkte Primatstellung (preponderanza) zu respektieren, und begnügte sich mit der Okkupierung strategischer Schlüsselpositionen sowie dem privilegierten Zugriff bei der Belieferung mit Chromerz und anderen kriegswichtigen Rohstoffen.10 Allerdings drängte das Oberkommando der Marine (OKM ), der „Führer“ möge ihre Planungen für eine mittel- oder möglichst auch langfristige Strategie im östlichen Mittelmeer berücksichtigen. Hier ist ein Exkurs zu den imperialistischen Ambitionen der deutschen Marineführung seit Ende des 19. Jahrhunderts angebracht. Gut erforscht ist die verhängnisvolle Rolle von Großadmiral Alfred Tirpitz,11 der im Rahmen der vom ­Kaiser initiierten „Weltpolitik“ darauf beharrte, eine starke Marine zu schaffen – als Gegengewicht zur Royal Navy, dem Hauptgegner bei der erhofften Expansion des deutschen Kaiserreichs. Erst daraufhin arrangierte sich London mit seinen einstigen Rivalen Russland und Frankreich in der Triple Entente. Weniger bekannt ist die verstörende Konsequenz, mit der das OKM auch nach der Niederlage von 1918 an krachend gescheiterten Konzepten 8 Hagen Fleischer, Η ναζιστική εικόνα για τους (Νέο-)Έλληνες και η αντιμετώπιση του άμαχου πληθυσμού από τις γερμανικές αρχές κατοχής (Das NS-Bild von den (Neu-)Griechen und der Umgang der deutschen Besatzungsbehörden mit der Zivilbevölkerung), in: Αφιέρωμα για τον Νίκο Σβορώνο (Festschrift für Nikos Svoronos), Bd. 2, Rethymno: Universitätsverlag, 1986, S. 369 – 394. 9 Zum GPO vgl. Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939 – 1945, Bd. 2, (Ost-)Berlin: Akademie Verlag, 1985, S. 430 – 459. 10 Hagen Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941 – 1944. Okkupation – Resistance – Kollaboration, Frankfurt a. M./Bern/New York: Peter Lang, 2 Bde., 1986, S. 62 ff. 11 Jonathan Steinberg, Yesterday’s Deterrent. Tirpitz and the Birth of the German Battle Fleet, London: Macdonald, 1965; Herbert Schottelius; Wilhelm Deist (Hg. für das Militärgeschichtliche Forschungsamt), Marine und Marinepolitik im kaiserlichen Deutschland: 1871 – 1914, Düsseldorf: Droste, 1972.

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festhielt. Unverblümter als andere konservative Eliten war die Marineführung weiterhin entschlossen, die misslichen Kriegsergebnisse mittels einer triumphalen Revanche zu revidieren. Die als ungerecht empfundene Niederlage Deutschlands sei auf das eindimensionale Landkriegskonzept der obersten Heeresleitung und der politischen Führung zurückzuführen.12 Zehn Jahre nach der vorgeblich ‚größten Seeschlacht aller Zeiten‘ (1916 im Skagerrak) forderte Vizeadmiral Wegener nicht als Erster, aber erstmals in einer detaillierten Denkschrift eine aktive Neuorientierung. Zunächst müsse man die Fehler der kaiser­ lichen Politik unter die Lupe nehmen, denn die Lektionen der Geschichte s­ eien einfach und monoton wie Naturgesetze. Voraussetzung für Deutschlands sichere Zukunft sei der Erwerb von Kolonien sowie einer Kette maritimer Außenposten; so könne man eine erneute Wirtschaftsblockade verhindern, die sich im Krieg als Englands gefährlichste Waffe erwiesen hatte.13 Nachweislich beeinflusste Wegeners Abhandlung die künftige Strategie zur See. Die anvisierten Kolonien suchte man primär in Afrika; also musste man die verbindenden Stützpunkte nicht nur im Atlantik (Azoren, Kapverdische Inseln), sondern auch im Mittelmeer eruieren. Da man von einer letztlich entscheidenden Seeschlacht mit Briten bzw. Franzosen ausging, waren ein deutsches Bündnis mit Rom und die Kooperation mit der quantitativ eindrucksvollen italienischen Flotte erforderlich. Mussolini, Hitler zufolge „der letzte Römer“, wollte das Mittelmeer erneut zum Mare nostrum umwandeln; somit begnügte sich Berlin mit der Aussicht, dass deutsche Schiffe italienische oder italienisch besetzte Häfen anlaufen könnten.14 Unter ­diesem Gesichtspunkt befürwortete das OKM im Sommer 1939 mit größerer Verve als die anderen Wehrmachtsteile die Notwendigkeit eines italienischen Kriegseintritts.15 Bald jedoch ließ die Begeisterung nach und der Marinestab am Berliner Tirpitz-­ Ufer monierte, die Kollegen der Supermarina s­ eien, wie alle italienischen Institutionen, 12 Unsere Kenntnisse über die imperialistische Strategie der Kriegsmarine verdanken wir den bahnbrechenden Arbeiten von Jost Dülffer, Weimar, Hitler und die Marine. Reichspolitik und Flottenbau 1920 – 1939, Düsseldorf: Droste, 1973; Gerhard Schreiber, Revisionismus und Weltmachtstreben. Marineführung und deutsch-­italienische Beziehungen 1919 bis 1944, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1978; ders., Zur Kontinuität des Groß- und Weltmachtstrebens der deutschen Marineführung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Heft 2/1979, S. 101 – 171. 13 Wolfgang Wegener, Die Seestrategie des Weltkrieges Berlin: Mittler, 2. erw. Auflage 1941, S. 80 ff.; vgl. auch Schreiber, Zur Kontinuität, S. 119. 14 Gerhard Schreiber, Italien im machtpolitischen Kalkül der deutschen Marineführung 1919 bis 1945, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken, Heft 62, 1982, S. 251, S. 250 f. 15 Michael Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung 1935 – 1945, Frankfurt: Bernard und Graefe, 1970, Bd. 1, S. 128.

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zögerlich und unfähig.16 Aus Sorge vor einer überraschenden britischen Landung auf Kreta plädierte man ab September 1940 für eine präventive Besetzung, da immer mehr Gerüchte über eine bevorstehende Offensive Mussolinis im griechischen Raum kursierten.17 Daher richtete sich die harsche Kritik des OKM, aber auch von Hitler persönlich am „völlig unverständlichen“ Einmarsch des 28. Oktober 1940 in Griechenland nicht gegen Mussolinis eigenmächtige Aggression per se, sondern gegen deren Zeitpunkt und ungenügende Vorbereitung. Besonders erbost waren die Deutschen über den „leichtsinnigen“ Verzicht Italiens auf einen gleichzeitigen Angriff gegen das noch unbefestigte Kreta und auf jegliche weitere maritime Aktion zur Flankensicherung.18 Die von Hitler offerierte Nothilfe lehnte der Duce aus Prestigegründen ab. Aber auch Hitler war 1940 nach dem trügerischen Sieg über das demoralisierte Frankreich auf der Suche nach einer mittelfristigen Strategie. Überzeugt, dass die Wehrmacht den Krieg bereits gewonnen habe, war es ihm unbegreiflich, dass die Engländer dies nicht eingestehen wollten und nicht nur sein Friedensangebot vom 19. Juli ablehnten, sondern generell keine Verständigungsbereitschaft zeigten. Wie fast die gesamte NS-Spitze hegte auch er für die „germanischen Vettern“ jenseits des Ärmelkanals gemischte Gefühle, zu denen Bewunderung und Neid gehörten. Hitler träumte davon, sich mit den Briten die „Welt aufzuteilen“;19 allerdings müssten jene zuvor unter Druck gesetzt werden, damit sie sein „großzügiges“ Angebot akzeptierten. Da die halbherzig weitergeführten Pläne für das Unternehmen Seelöwe, die Invasion in „Engelland“, ständig aufgeschoben, aber nie verworfen wurden, entschieden sich die Berliner Strategen, U-Boot-­Blockaden mit peripheren Offensiven zu verbinden, namentlich im mediterranen Raum. Zugleich stellte sich die Frage, wer außer den Italienern als Bündnispartner mit ins Boot zu holen sei: die noch zaudernden Spanier oder Türken, die einander mit Ausflüchten überboten, oder gar das französische Vichy-­Regime? Mögliche Operationsziele waren die Pforten zum Mittelmeer, Gibraltar und der Sueskanal, 16 Zu d­ iesem Urteil hatten die italienischen Schlappen in den Seegefechten bei Punta Stilo und Capo Spada im Juli 1940 sowie die miserablen Ergebnisse der italienischen Luftwaffe beigetragen. Wenige Tage zuvor war Luftmarschall Italo Balbo, Mitglied des faschistischen Quadrumvirats und Generalgouverneur in Libyen, von seiner eigenen Luftabwehr über Tobruk abgeschossen worden. 17 Vgl. Gerhard Schreiber; Bernd Stegemann, Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 3, Stuttgart: Deutsche Verlags-­Anstalt, 1984, S. 203, S. 360, S. 485. 18 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, 1986, S. 54 f. 19 Franz Halder, Generaloberst Halder. Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabes des Heeres 1939 – 1942, hg. von Hans-­Adolf Jacobsen, Stuttgart: ­Kohlhammer, 1962, Bd. 1, S. 308 (21. Mai 1940). Zur wohl entscheidenden Wende in dieser Beziehung vgl. Geoffrey T. Waddington, Hitler, Ribbentrop, die NSDAP und der Niedergang des Britischen Empire 1935 – 1938, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 40/2, April 1992, S. 273 – 306.

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sowie strategisch wichtige Inseln wie Malta, Kreta und Zypern. Das OKM mit Großadmiral Erich Raeder beharrten auf ihrem Konzept, das Empire durch Schläge in den „weichen Unterleib“ indirekt in die Knie zu zwingen.20 Gegen die Einwände des OKM und anderer Stabskreise, denen das Schreckgespenst eines Zweifrontenkriegs vor Augen stand, entschied sich Hitler Ende 1940, die widernatürliche Liaison mit der Sowjetunion zu beenden und im Frühjahr die Operation „Barbarossa“ einzuleiten, die der Menschheit „den Atem rauben“ würde. Gleichzeitig fielen die Würfel für die im Vorfeld geplante Operation „Marita“ gegen Griechenland.21 Deren Zweck war einzig und allein, dem dort bedrängten italienischen Achsenpartner aus der Patsche zu helfen und „Barbarossa“ den Rücken frei zu halten. Schon am ersten Tag betonten Hitler wie auch Wilhelm List, der Oberkommandeur an der Südostfront, in ihrem Tagesbefehl an die Wehrmacht: „Der Kampf auf griechischem Boden aber ist nicht ein Kampf gegen Griechenland, sondern gegen den (…) englischen Weltfeind.“ 22 An diesen Prioritäten änderte sich nichts nach der wiederum „blitzartig“ erfolgten Einnahme des griechischen Festlands im April 1941, als der „Führer“ den Befehl für das Unternehmen „Merkur“ erteilte, d. h. die Besetzung Kretas, die aber „Barbarossa“ keinesfalls verzögern dürfe.23 Im darauffolgenden Führerbefehl prahlte Hitler: „Das Ziel des deutschen Einsatzes im Südosten, die Engländer vom Balkan zu vertreiben und die Grundlagen für den Einsatz deutscher Fliegerkräfte im ostwärtigen Mittelmeer zu erweitern, ist erreicht.“ Das nächste in der Führerweisung Nr. 28 genannte Ziel, nämlich Stützpunkte für ein erweitertes Aktionsfeld der Luftwaffe einzurichten, wurde nach dem erfolgreichen Ausgang der Operation „Merkur“ mit der Führerweisung Nr. 31 wieder aufgegriffen. Am 9. Juni 1941 bestimmte Hitler: Die Insel Kreta nimmt im Südostraum eine Sonderstellung ein. Sie ist das Operationsgebiet, von dem aus der Luftkrieg im östlichen Mittelmeer in Übereinstimmung mit der Lage in Nordafrika fortgeführt wird. Organisation und Aufbau dieser Basis, ihrer Sicherung und ihrer Versorgung ist im Südostraum die zur Zeit vordringlichste Aufgabe.24

20 Vgl. Lagevorträge des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine vor Hitler 1939 – 1945, hg. von Gerhard Wagner, München: Lehmanns 1972, S. 151 f. (14. November 1940). Zu den Gesprächen mit Raeder: Nicolaus von Below, Als Hitlers Adjutant 1937 – 1945, Mainz: v. Hase & Koehler, 1980, S. 247, S. 254. 21 Führerweisung Nr. 20, in: Hitlers Weisungen für die Kriegsführung, 1939 – 1945. Dokumente des Oberkommandos der Wehrmacht, hg. von Walter Hubatsch, Frankfurt: Bernard & Graefe, 1962, S. 81 f. 22 Deutsche Nachrichten für Griechenland, 13. 5. 1941. 23 Führerweisung Nr. 28 (25. April 1941): Hubatsch (Hg.), S. 115 f. 24 Ebd., S. 117 (17. Mai 1941), S. 122 f. (9. Juni 1941).

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Allerdings stellte diese Formulierung kaum zwei Wochen vor dem Startschuss für „Operation Barbarossa“ wohl ein verbales Zugeständnis an Raeder und jene Stabskreise dar, die dafür plädierten, den mit viel Blut bezahlten 25 „unsinkbaren Flugzeugträger“ als Sprungbrett einer Offensivstrategie gegen die angeschlagenen Nahoststellungen der Briten zu ­nutzen, mit „Ausstrahlungen“ bis Persien und Indien.26 Ähnliche Vorschläge kamen auch von Mussolini, der als nächstes Ziel auf Zypern verwies;27 doch sein deutscher Partner ließ keinen Zweifel, dass die Eroberung zumindest des europäischen Teils der Sowjetunion absoluten Vorrang habe und jeglicher Offensivstrategie im Mittelmeer vorausgehen müsse. Bis dahin möge man sich mit Bestandssicherung begnügen. Von griechischer Seite bestünde nach Zerschlagung der dortigen Streitkräfte keine Gefahr mehr. So übertrug Hitler die Besatzung Griechenlands in der Hauptsache Italien, zumal er dem Duce auch die maßgebende Rolle in eben jenem Land versprochen hatte, das ihn im albanischen Winterkrieg weltweit zum Gespött der Karikaturisten gemacht hatte.28 Allerdings drosselte die deutsche Führung Mussolini sowie seinen Schwiegersohn (und Außenminister) Ciano bei ihren Forderungen, ausgewählte Inseln und weitere Gebietsteile unverzüglich zu annektieren. Ähnlich erging es den Bulgaren, deren Begehrlichkeiten sich auf eine De-­jure-­Eingliederung der „neuen Provinzen“ Ostmakedonien und Westthrakien richteten. Hitler plante zwar, die Bundesgenossen an kurzer Leine zu halten und territoriale Veränderungen erst „nach dem Endsieg“ zu gestatten, so dass gewaltsame Proteste der betroffenen Bevölkerungen vermieden würden, zumindest bei jenen Teilen, die nicht a priori zu „Heloten“ bestimmt waren.29 Doch gefährdete er selbst diese Strategie bei seiner Reichstagsrede vom 4. Mai 1941: Der deutsche Sieg werde „im Sinne einer höheren Gerechtigkeit“ territoriale Korrekturen nach „ethnographischen, historischen oder auch wirtschaftlichen“ Kriterien bringen. Deutschland begrüße es zwar, dass „unsere Verbündeten ihre gerechten nationalen und politischen Ambitionen nunmehr zu befriedigen vermögen“, beschränke sich aber auf die Rolle des „interessierten Zuschauers“. Das deutsche Interesse wurde in klangvollen Worthülsen zweigliedrig definiert: „Politisch (…) an der Sicherung des Friedens in d­ iesem Raume, wirtschaftlich an der Herstellung einer Ordnung, die es ermöglicht, zum Nutzen aller die Erzeugung der Güter zu fördern 25 Zu den deutschen Verlusten vgl. Hagen Fleischer, Η μάχη της Κρήτης: Σκέψεις για μια νέα προσέγγιση („Der Kampf um Kreta: Überlegungen zu einem neuen Verständnis“, in: Nikos M. Panagiotakis (Hg.), Κρήτη, ιστορία και πολιτισμός (Kreta, Geschichte und Kultur), Bd. 2, Kreta: Syndesmos Koinotiton kai Dimon Kritis, 1988, S. 511. 26 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, 1986, S. 63. 27 Schreiber; Stegemann, Das Deutsche Reich, S. 510. 28 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, 1986, S. 63 ff. 29 Zum nazistischen Sparta-­Kult vgl. Fleischer, Das NS-Bild, S. 372 f. Vgl. auch die Kollaborationspresse, z. B. Kathimerini, 3. März 1943: „Spartiaten des 20. Jahrhunderts“ – ein Loblied auf den „gigantischen Kampf “ der Wehrmacht.

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und den Austausch der Waren wieder einzuleiten.“ In seiner Bewertung der Balkanstaaten ging Hitler am schärfsten mit Serbien ins Gericht. Hingegen ­demons­trierte er ungewohntes Mitgefühl mit den Griechen: Dem besiegten, unglücklichen griechischen Volk gegenüber erfüllt uns aufrichtiges Mitleid. Es ist das Opfer seines Königs und einer kleinen verblendeten Führungsschicht. Es hat jedoch so tapfer gekämpft, dass ihm auch die Achtung seiner Feinde nicht versagt werden kann.30

Dennoch ließen die vollmundigen Versprechungen an seine bulgarischen und italienischen Vasallen die griechischen Alarmglocken schrillen. So notierte am gleichen Abend ein scharfsinniger Beobachter, der Sermon des Diktators erinnere ihn an Polyphem (den einäugigen menschenfressenden Zyklopen aus dem Neunten Buch der Odyssee): „Da ihr ein tapferes Volk seid, werde ich euch als letzte zerstückeln!“ 31 Fortan bildete die These von Deutschlands territorialem Desinteresse in Südosteuropa einen der offiziellen Grundsätze der NS-Propaganda und wurde sogar nach dem Krieg unbesehen in zahlreiche einschlägige Publikationen übernommen.32 Tatsächlich schenkte Hitler zu einem gewissen Grad seinen eigenen Worten Glauben.33 Αndererseits ist seine Skepsis gegenüber dem balkanischen Raum und den dortigen Ethnien belegt – mit Ausnahme der ihm aus Karl-­May-­Lektüre bekannten albanischen „Skipetaren“. Deren Land hatte Mussolini im April 1939 kampflos besetzt und mit Italien vereinigt, um es als Sprungbrett zur anvisierten Okkupierung auch Griechenlands zu ­nutzen. 30 Deutsche Nachrichten für Griechenland, 10. Mai 1941. Der Redetext erschien in Form einer zweisprachigen Broschüre: „Rede Adolf Hitlers 4/5 1941“, Athen: Gert. Christu, 1941, insbesondere S. 26 f.; vgl. die wichtigsten Auszüge in: Hagen Fleischer, Η ναζιστική προπαγάνδα στην Κατοχή: ένα διφορούμενο όπλο (Die NS-Propaganda während der Besatzung: eine zweischneidige Waffe), in: H. Fleischer; N. Svoronos (Hg.), Η Ελλάδα 1936 – 1944. Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση (Griechenland 1936 – 1944. Diktatur – Besatzung – Widerstand), Athen: ATE, 1989, S. 374 – 380. Sogar über die Presse der noch neutralen Sowjetunion wurde die Rede „in großer Aufmachung“ verbreitet (zit.: Deutsche Nachrichten für Griechenland, 8. Mai 1941). 31 Christoforos Christidis, Χρόνια Κατοχής. Μαρτυρίες Ημερολογίου. ( Jahre der Besatzung. Tagebuchaufzeichnungen). Athen: Selbstverlag, 1971, S. 14 (5. Mai 1941). 32 Auf dem Internationalen Symposium des Instituts für Zeitgeschichte zum 50. Jahrestag des Kriegsbeginns monierte der Verfasser, es sei „notwendig, die allgemein akzeptierte These vom totalen territorialen Desinteresse des NS-Regimes an Griechenland zu erschüttern“. Vgl. Hagen Fleischer, Das Beispiel Griechenland, in: Norbert Frei; Hermann Kling (Hg.), Der nationalsozialistische Krieg, Frankfurt a. M./New York: Campus, 1990, S. 205 – 219, hier: S. 214. 33 Hierfür existieren interne Zeugnisse, so Hitlers Versicherung gegenüber „Mimi“, der griechischen Frau seines Lieblingsbildhauers Arno Breker, ihre „Brüder“ hätten „wie die Helden des alten Hellas“ gekämpft, vgl. Arno Breker, Im Strahlungsfeld der Ereignisse. Leben und Wirken eines Künstlers, Preußisch Oldenburg: Schütz, 1972, S. 183.

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Währenddessen mühte sich Mussolinis deutscher Partner, aus der unerwünschten Verstrickung in die Balkanquerelen freizukommen;34 freilich änderte Hitler oft seine Einstellung, vor allem bei Th ­ emen, die ihm zweitrangig erschienen. Auch erwies er sich als empfänglich für geschickt vorgebrachte Avancen. So schmeichelte es dem „Führer“, als er noch im Monat des Einmarsches von der Synode der 20 großen Klöster der Mönchsrepublik Athos die „ehrfurchtsvolle“ Bitte erhielt, „diesen heiligen Ort unter seinen persönlichen Schutz“ zu nehmen und so die Tradition der byzantinischer ­Kaiser fortzusetzen.35 Der als Nachfolger der Palaiologen beweihräucherte „Erzkanzler“ blieb nicht gleichgültig angesichts ­dieses Kotaus aus dem Lager der byzantinischen Gegenspieler des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) und verlangte während seiner zur Institution gewordenen Tischgespräche, „auch ­dieses Dokument aufzuheben“.36 Als die Demarkation der Besatzungszonen diskutiert wurde, wollte Hitler den eigenen Anteil zunächst auf ein Minimum beschränken. Heraus kam eine deutsche Zone, ­welche die beiden separaten Befehlsbereiche „Saloniki-­Ägäis“ – im Wesentlichen Zentralmakedonien mit Thessaloniki und die Inseln Lesbos, Chios, Limnos – sowie „Südgriechenland“ umfasste, d. h. mehrere Attika vorgelagerte Inseln, ferner Milos, der Hafen Piräus und der größere Teil Kretas; ausgenommen war die ostkretische Präfektur Lasithi, die an den seit 1912 italienischen Dodekanes grenzte und auf der Mussolini und Ciano bestanden hatten. Die aufgesplitterte deutsche Besatzungszone bestand also primär aus wichtigen Inseln und Häfen, wobei die Handschrift der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Raeder und ­später Dönitz, erkennbar wurde. Wenn diese sich für eine permanente deutsche Vorherrschaft in der „Festung Kreta“ aussprachen, die eine Kontrolle des südöstlichen Mittelmeers ermögliche, begnügten sie sich nicht mit 34 Von Below, Als Hitlers Adjutant, S. 276; Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, hg. von Henry Picker, München: Goldmann, 1981, S. 317 (20. Mai 1942). So überrascht es nicht, dass im geheimen Zusatzprotokoll des Deutsch-­Sowjetischen Nichtangriffspakts die deutsche Seite völliges politisches Desinteresse an Südosteuropa erklärte. Hitler klagt in seinem „Testament“ vom Februar 1945, dass als Folge von Mussolinis „unglückseligem Griechenlandfeldzug“ die Deutschen gezwungen waren, „in die Ereignisse auf dem Balkan“ einzugreifen, vgl. Maser, Adolf Hitler. Mein Kampf, S. 212. 35 PAAA , Akte Inland I-D 1941 – 4 4 (Griechenland ­Kirche 2,4): AZ  86, 13./26. April 1941, Dimitrios G. Tsamis, Άγιον Όρος. Μια προσέγγιση στην πρόσφατη ιστορία του (Der Heilige Berg Athos. Eine Annäherung an seine jüngste Geschichte), Thessaloniki: Pournaras, 1986, S. 22 f. Die Bitte an Hitler endet mit einem pathetischen Segenswunsch für ihn und die „ruhmreiche Deutsche Nation“. Erwähnenswert ist die vertrauliche Erklärung des Abtes des bulgarischen Klosters Zografou, dass die Mönche Verbindung zu Deutschland suchten, „da sie bei einer Besitzergreifung durch Italien eine lebhafte Tätigkeit des römischen Katholizismus befürchteten.“ (PAAA, R 98804, Deutsche Gesandtschaft Sofia, 19. 9. 1941.) 36 Vgl. eine spätere Bemerkung Hitlers in: Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 393 (29. Juni 1942).

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strategischen Argumenten. In seiner Rede vom 4. Mai hatte Hitler die Ansprüche Italiens auf „territorialen und politischen Einfluss in dem ihm allein zukommenden Lebensraum“ mit der „überaus großen Blutlast“ gerechtfertigt, die der Bundesgenosse „seit Oktober (…) für die Zukunft der Achse zu tragen hatte“.37 Im selben Sinne lieferten aber die unerwartet hohen eigenen Verluste bei der Operation „Merkur“ kaum drei Wochen ­später ein schwerwiegendes Argument, die von Berlin bekundete Selbstbescheidung nochmals zu überdenken.38 In seinem Hauptquartier monologisierte Hitler über Territorialziele „im Süden“ nach dem Krieg. Er bevorzugte Zypern und namentlich die fruchtbare Halbinsel Krim, die „Osten“ und „Süden“ verbinde und für „uns“ auf dem Landweg zugänglich sei. Durch eine Autobahn werde sie als deutscher Süden erschlossen, zumal sie als altes Stammland der Goten „heimischen Boden“ darstelle. Das im Vormonat eroberte Kreta erwähnte er zu s­ päter Nachtstunde als weiteres Ziel, doch erschienen ihm dessen Waldlosigkeit und heißes Klima als Nachteil. Später nannte er in ­diesem Kontext auch die Malariagefahr.39 In den Folgemonaten offenbarte sich Wankelmut in den Aussagen des „Führers“.40 Einerseits verhehlte er nicht seine Bewunderung für die antike mediterrane Welt und seine Überzeugung, dass allein im „sonnigen Klima“ Griechenlands und Italiens „der Germane, (…) der germanische Geist“ die ihm eigenen Fähigkeiten entwickeln könne.41 Andererseits beharrte er auf seiner Kritik am „ewigen Germanenzug nach dem Süden“ und begrüßte die Tatsache, dass mit den deutschen Siegen im Osten und der Eroberung riesiger Siedlungsgebiete „wir (…) vom Mittelmeer weggezogen wurden“.42 Erst „nach 1000 Jahren“ könnten sich die Prioritäten erneut verlagern, „wenn das Reich aus irgendwelchen Gründen wieder Südpolitik treiben“ müsse.43

3 7 Rede Adolf Hitlers 4/5 1941, S. 26 f. 38 Interview d. Vf. mit Alexander Andrae, Festungskommandant Kreta 1941 – 1942, Oktober 1972. 39 Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941 – 1944, hg. von Werner Jochmann, München: Knaus, 1980, S. 38 (5./6. Juli 1941, 23.30 – 1.50 a. m.); Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 272, 8. 5. 1942, mittags. Seine besondere Wertschätzung der Krim – „Indien Europas“, „zweite Ostmark“ bzw. „deutscher Süden“ – brachte Hitler wiederholt zum Ausdruck (s. Monologe und Tischgespräche, passim). 4 0 Hauptquelle sind die stenografierten Mitschriften der Monologe, mit denen Hitler im Hauptquartier die Mahlzeiten seiner hungrigen Tischgenossen verzögerte. Im September 1942, nach dem Konflikt mit seinem Stabschef Jodl und den zunehmenden militärischen Misserfolgen, hob Hitler die gemeinsame Tafel vorerst auf, vgl. Hitler, Monologe, S. 9 ff. 41 Hitler, Monologe, S. 263 (4. Februar 1942); vgl. Fleischer, Die NS-Propaganda, S. 373 f. 42 Hitler, Monologe, S. 91 (17. Oktober 1941); vgl. auch Hitler, Mein Kampf, S. 742 f. sowie den wehmütigen Beitrag über das „Ende“ des unter König Otto gegründeten „bayerischen Dorfs“ im attischen Heraklion: „Der letzte Deutsche“, National-­Zeitung, 18. August 1937. 43 Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 166 (31. März 1942).

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Tausend Jahre wollte das OKM freilich nicht warten und schlug eine ergänzende Expansion im Mittelmeer vor, für die es bereits Pläne ausgearbeitet hatte. Zugleich widersprach die Marine einer am 2. Juli 1942 im Führerhauptquartier geäußerten Anregung, im fraglichen Raum die preponderanza der Bundesgenossen zu respektieren, was die Übergabe ganz Kretas an diese erforderlich mache. Offensichtlich würden die Italiener wieder nach bewährtem Muster agieren, wenn sie – von Russland bis Nahost – territoriale und wirtschaftliche ‚Tantiemen‘ aus Siegen der Wehrmacht auch ohne eigenen Kampfeinsatz zu ziehen suchten. Die deutschen Pläne und Möglichkeiten erforderten aber ein Wehen der Hakenkreuzfahne in der weiteren Region nicht nur auf Handels-, sondern auch auf Kriegsschiffen. Dafür jedoch benötige die Kriegsmarine nicht nur Zugang zu italienischen Häfen, sondern auch zu „rein deutschen Stützpunkten“, zuvörderst Kreta.44 Zwar stieß das OKM wieder einmal auf Bedenken des „Führers“, dass ganz allgemein „uns das Mittelmeer nichts angeht“. Doch auch er konnte sich den anti-­italienischen Auslassungen seiner Admirale nicht ganz entziehen. Ersichtlich wurde dies an seiner modifizierten Argumentation, die nicht auf das sattsam bekannte mare nostrum Mussolinis verwies, sondern auf den Wunsch, mit der Türkei zu einer „eindeutigen Freundschaft zu kommen“, die einen deutschen Verzicht auf die griechische Küstenlinie voraussetze.45 Einem konkreten Vorschlag, Kreta zum Vorposten des deutschen Reichs zu machen, hielt er in d­ iesem Sinne entgegen, dass man abgesehen von klimatischen Gründen und der permanenten Malariagefahr auch darauf achten müsse, Ankara nicht zu verprellen. Ein insularer Stützpunkt erfordere eine „eigene deutsche Mittelmeerflotte und bringe die Gefahr eines ständigen Konfliktstoffes mit der Türkei mit sich. Denn die Insel Kreta in deutschen Händen sei für die Türken praktisch nichts anderes als der Anfang einer Auseinandersetzung über die Dardanellen z­ wischen Deutschland und der Türkei“, was er unbedingt vermeiden wolle. Daher sehe er als einziges Ergebnis des deutschen Kreta-­ Einsatzes eine Station des NS-Erholungswerks (für ausgewählte Touristen) „Kraft durch Freude“. Doch die Einrichtung einer KdF-Station zöge nach sich, dass diese auf Dauer der zuständigen „Deutschen Arbeitsfront“ unterstellt würde.46 44 Bundesarchiv–Militärarchiv Freiburg (BA -MA ), Akte RM  7/235, KTB 1. Skl., Teil C, Heft  XIV : B. Nr. 1. SKL , I opa 852/42 g. Kdos. Chefsache, 30. 4. 1942. Vgl. Schreiber, ­Italien, S. 259 – 260. Ähnlich auch im Interview d. Vf. (Oktober 1972) mit Alexander Andrae, Kommandant der ‚Festung Kreta‘. 45 Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 291 (13. Mai 1942), sowie S. 164 (31. März 1942). Zur Bedeutung der Türkei für Hitler vgl. Hildegard von Kotze (Hg.), Heeresadjutant bei ­Hitler 1938 – 1943. Aufzeichnungen des Majors Engel, Stuttgart: Deutsche Verlags-­Anstalt, 1974, S. 120 (26. März 1942). 4 6 Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 272 (8. Mai 1942, mittags). Hitler widmete dem Thema viel Zeit, denn bei ­diesem Mittagessen war es das einzige vom Stenografen festgehaltene Sujet, während er an anderen Tagen von einem Thema zum anderen sprang. Seine Argumentation hatte erneut Schwachpunkte, da eine deutsche Anrainerschaft am Schwarzen Meer – nach

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Das OKW, bestehend aus bodenständigen Heeresoffizieren, übernahm bereitwillig Hitlers ablehnenden Standpunkt und ging noch einen Schritt weiter. Angesichts mangelnder Reserven an Menschen und Material ergab sich plötzlich die Gelegenheit, bestens bewaffnete Festungsverbände für eine andere Front „freizusetzen“. Nach der Einnahme der Festung Tobruk am 20./21. Juni 1942 setzte sich die Ansicht durch, auch die Eroberung Ägyptens durch Rommel und die Vertreibung der Engländer aus dem östlichen Mittelmeer sei eine Frage von wenigen Wochen, so dass auch Kreta unbesorgt den Italienern überlassen werden könne.47 Die Seekriegsleitung reagierte darauf mit einem elfseitigen, als „Chefsache“ deklarierten Memorandum, um die Argumentation des OKW und sogar des „Führers“ zu widerlegen. Diese Darstellung grundsätzlicher Intentionen soll im Folgenden ausführlicher erläutert werden.48 Der Text benannte anfangs die „militärischen und strategischen Gründe“, derentwegen Kreta im Vorjahr „englischer Hand“ entrissen werden musste. Der seitdem erzielte Nutzen für die Achsenmächte bestehe neben strategischen Vorteilen in Defensive und Offensive darin, dass „politisch gesehen die Beherrschung der Ägäis die Stellung der Achsenmächte gegenüber den Balkanländern und der Türkei“ sichere. Im Weiteren wird dargelegt, w ­ elche militärischen und politischen Konsequenzen im Krieg und Nachkrieg aus einer Überlassung der Insel an die Italiener drohten. Aufgrund der unerfreulichen Erfahrungen der Vergangenheit müsse wenigstens der ägäische Nachschubweg ausschließlich in deutscher Hand bleiben, in Anbindung an die Kettenglieder Thessaloniki – Piräus – Kreta. Eine „völlige Zurückziehung der deutschen Wehrmacht von Kreta und möglicherweise aus Griechenland“ würde den „militärpolitischen“ Einfluss Roms bis in die Türkei hinein erheblich stärken. Eingedenk deprimierender Erfahrungen in Kroatien und Serbien wären beträchtliche Schwierigkeiten zu befürchten, nicht nur mit Griechen und Türken, sondern – wegen des Reizthemas Makedonien – wohl auch mit den Bulgaren. In all diesen Ländern werde der dem erstrebten Anschluss der Krim im Verein mit dem „wirtschaftlichen Interesse an den Dardanellen“ – Ankara zweifellos mehr irritiert hätte als ein deutscher Vorposten auf Kreta, vgl. Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 290 (13. Mai abends), sowie S. 450 (22. Juli mittags). 47 Zwei Tage danach beschwor Hitler den Duce, dieser „einmalige Moment“, eine „historische Wende“, dürfe nicht ungenutzt bleiben. Ein Vorstoß „ins Herz Ägyptens“ hätte weltweite Konsequenzen, da dann die gesamte Ostarchitektur des British Empire vor dem Zusammenbruch stehe, vgl. Ugo Cavallero, Comando Supremo. Diario 1940 – 43 del Capo di S. M. G., Bologna: Cappelli, 1948, S. 277 f. Zeitweise gingen Hitlers Hoffnungen und Churchills Befürchtungen nahezu konform. Denn Letzterer sah im Fall Tobruks „one of the heaviest blows I can recall during the war“, vgl. Winston S. Churchill, The Second World War, Bd. 7, London: Cassell, 1964, S. 346 f. 48 BA -MA , RM 7/235. 1. Skl. KTB Teil C XIV , Deutsche Kriegsführung im Mittelmeer, II , Januar–Dezember 1942: Oberkommando der Kriegsmarine B. Nr. 1. Skl. Ib (plan) 1381/42g. K. Chefs., 28. 7. 1942; vgl. Erwähnungen in: Schreiber, Italien, S. 263 f.

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Führungsanspruch des Reiches angesichts seiner militärischen Erfolge und politischen Macht anerkannt oder zumindest toleriert. Das gelte aber nicht für ein eventuell den Italienern zugestandenes Nachrücken in diese Primatstellung. Die sich dann unweigerlich ergebenden Differenzen wären auch den wirtschaftspolitischen Interessen des Reiches abträglich. Zudem dürfe angesichts der „unverkennbaren“ Schwächen des Achsenpartners eine „Veränderung der innenpolitischen und außenpolitischen Lage Italiens (…) nicht außer Acht gelassen werden“. Sollte diese tatsächlich eintreten, benötige Deutschland eine „festgefügte, sichere Stellung“ in der Ägäis „mit den erforderlichen Stützpunkten, von denen aus deutsche See-, Luft- und Landstreitkräfte die deutschen Interessen wahrzunehmen in der Lage sind. In einem solchen Fall werden auch deutsche Faustpfänder in Gestalt von Stützpunkten in der politischen Waagschale, sei es der Türkei oder Italien gegenüber, von ganz besonderem Wert sein.“ Die Einschätzung der Nachkriegsentwicklung seitens des OKM beginnt mit der generellen Bedeutung der Insel: Das Problem Kreta kann erschöpfend nur betrachtet werden aus der Gesamtperspektive der Sicherheit des kontinental-­europäischen Raumes heraus, für deren Gewähr das großdeutsche Reich in politischer, militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht verantwortlich sein muss. Diese Sicherheit des Raumes ist nicht allein gegeben durch stark befestigte Küsten und Landgrenzen, sondern muss den Erfordernissen der modernen Kriegsführung entsprechend – selbst bei Unterstellung der Möglichkeit einer europäischen Autarkie – ihre Ergänzung finden in der Beherrschung und Überwachung eines möglichst weiten Vorfeldes. Der Insel Kreta aber kommt für die Überwachung des ganzen Südostraums an Hand ihrer beherrschenden Stellung im Süden der Ägäis im Rahmen des europäischen Sicherheitssystems die Bedeutung einer Schlüsselstellung zu.

Im Prinzip habe die Marine „vom rein militärischen Standpunkt aus nichts einzuwenden“ gegen den Vorschlag, die militärischen Aufgaben im östlichen Mittelmeer dem Partner zu übertragen, sofern eine „vertrauensvolle, enge Bundesgenossenschaft“ sichergestellt sei und Italien „die deutschen Interessen im Mittelmeer rückhaltlos achtet und wahrnimmt“. Bei realistischer „Einschätzung der militärischen und politischen Kraft und Fähigkeiten Italiens“ sei jedoch damit zu rechnen, dass die übergebene Macht „langsam der Hand unseres Bundesgenossen wieder entgleitet“, mit allen ungünstigen Folgen auch für die deutschen Interessen. Doch selbst wenn den Italienern „eine militärische und politische Durchdringung des ägäischen Raums“ gelingen sollte, wäre auch dies den eigenen Interessen abträglich, denn dann kontrolliere Rom die Dardanellen-­Durchfahrt, was den „hermetischen Abschluss eines deutsch-­beherrschten Schwarzen Meeres“ vom mediterranen Raum zur Folge haben könnte. Die Gefahren einer solchen Entwicklung ­seien offensichtlich, denn „das Schwarze Meer muss auch im Frieden in der deutschen Machtsphäre verbleiben“; dies sei nur möglich, wenn man die „lebenswichtigen Seeverbindungen“ durch die Ägäis selbst schütze. Also komme dem „Festhalten des deutschen

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Besitzes der Insel Kreta mit der (…) gut geeigneten Suda-­Bucht in Ergänzung deutscher Stützpunkte am Schwarzen Meer eine hervorragend wichtige Bedeutung zu“. Über die militärisch-­strategischen Gesichtspunkte hinaus unterstrich das OKM die politischen Gründe für den „Besitz Kretas in deutscher Hand“ auch nach Kriegsende. Trotz gleichzeitiger Erfolge an der Ostfront teilte die Seekriegsführung offensichtlich nicht mehr frühere Erwartungen, es sei möglich, die Sowjetunion vollständig zu besiegen, sondern rechnete lediglich mit einem deutschen Vordringen bis zum Ural. Die Verfasser schlossen ihre Lagebetrachtung dahingehend ab, dass es „bis auf Weiteres“ zu den Hauptaufgaben Deutschlands gehöre, die „russisch-­asiatische Machtausstrahlung“ einzudämmen: Der Schlüssel für Aufbau und Stärkung der deutschen Abwehrfront im Süden liegt in den Dardanellen. Der beherrschende Riegel für die Dardanellen und die Gesamtägäis aber ist die Insel Kreta, deren Besitz nicht nur die militärische Sicherheit für diesen Raum gewährleistet, sondern auch die politische Machtstellung Großdeutschlands den Balkanländern und der ­Türkei gegenüber eindeutig dokumentiert.

Diese Riegelstellung sei aber nicht nur für die Dauer des Krieges eminent wichtig. Auch für den Frieden ist auf die große Bedeutung der Insel Kreta in deutscher Hand besonders hinzuweisen und der politischen Führung die Erhaltung Kretas in deutschem Besitz im seestrategischen, wirtschaftlichen und politischen Interesse der großdeutschen Belange dringend anzuraten.

Mitte August legte Vizeadmiral Theodor Krancke, Vertreter der Kriegsmarine im Führerhauptquartier, Hitler diese Denkschrift vor. Als dieser nicht weiter darauf einging, intervenierte Raeder am Ende persönlich. Unter Bezugnahme auf die einzelnen Punkte des Memorandums präzisierte er ein weiteres Mal, worum es dem OKM ging: „Deutschland (muss) eine starke Position im Mittelmeer aufrechterhalten und muss vor allem in Kreta ausschlaggebend bleiben. Ebenso wenig darf es den Piräus und Saloniki aus der Hand geben.“ 49 Schließlich lenkte Hitler ein und stimmte der obigen Beurteilung zu, gab aber zu bedenken: „Geographisch werden wir das Mittelmeer nie beherrschen.“ 50 Um die innerdeutsche Auseinandersetzung über die beste langfristige Strategie zu verstehen, sei daran erinnert, dass Raeder stolz war, im Epochenjahr 1933 „die Marine geschlossen und reibungslos dem Führer in das Dritte Reich zugeführt“ zu haben, während die Heeresführung noch Abstand gehalten habe. So sei die Kriegsmarine zu einer tragenden Säule des „Dritten Reichs“ geworden. Diesen Erfolg führte Raeder darauf zurück, dass schon zuvor – während der Weimarer Republik – „die gesamte 49 Lagevorträge, S. 409 (26. August 1942). 50 Ebd.; vgl. Hitler, Monologe, S. 366 (26. August 1942, abends).

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Erziehung der Marine (…) auf eine innere Haltung hinzielte, die von selbst eine wahrhaft nationalsozialistische Haltung ergab. Aus ­diesem Grunde hatten wir uns nicht zu verändern, sondern konnten von Anbeginn aufrichtigen Herzens wahre Anhänger des Führers werden.“ 51 Das stimmte sogar weitgehend. Hitler hatte der Marineführung der Kaiserzeit vorgeworfen, sie habe übermäßig defensive Strategien vertreten.52 Doch mittlerweile hatte ein Rollentausch stattgefunden. Insofern der „Führer“ langfristig die „Weltherrschaft“ 53 anstrebte, war sein historisch, aber auch persönlich begründetes idealisierendes Festhalten am „letzten Römer“ kaum nachvollziehbar. Wenn das OKM und andere Wehrmachtskreise mit der preponderanza nichts im Sinn hatten, ging dies eigentlich mit H ­ itlers grundsätzlichen Überzeugungen konform: Schließlich hatte er seinen Vorgängern im ­Ersten Weltkrieg vorgeworfen, mit einem „dem Untergang bestimmten Gerümpel“ (Österreich-­Ungarn, Türkisches Sultanat) einer „aktiven Weltkoalition“ der größten Industrie- und Militärstaaten entgegengetreten zu sein.54 Hitlers jüngste Enttäuschungen veranlassten ihn jedenfalls, erstmals den Warnungen des OKM bezüglich Kampfkraft und Kampfeswillen des Partners Gehör zu schenken: Die deutsche Seite dürfe sich nicht voreilig zugunsten der Italiener festlegen, denn das erschwere die europäische „Neuordnung“ nach dem Krieg. Hitler, so wurde vermerkt, „macht aus seiner immer ungünstiger werdenden Beurteilung der Italiener keinen Hehl und macht Andeutungen über Absichten, über die er noch nicht sprechen könne“.55 51 Zitiert in: Michael Salewski, Von Raeder zu Dönitz. Der Wechsel im Oberbefehl der Kriegsmarine 1943, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 14, 1973, S. 139 f. (Gleichfalls in M. Salewski, Die Deutschen und die See. Studien zur deutschen Marinegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Hg. Jürgen Elvert u. a., Stuttgart: Steiner, 1998, S. 333, Dok. 8. 52 Hitler, Mein Kampf, S. 298 f. 53 Im September 1941 erhob Hitler den Anspruch, Berlin müsse der „wirkliche Mittelpunkt Europas“ werden; einen Monat darauf prophezeite er: „Berlin wird einmal die Hauptstadt sein der Welt“, vgl. Hitler, Monologe, S. 69 (25. September 1941) und S. 102 (22./22. Oktober 1941), sowie Anspielungen in Hitler, Mein Kampf, passim, und im „Zweiten Buch“, das zu seinen Lebzeiten nicht publiziert worden war, vgl. Gerhard L. Weinberg (Hg.), Hitlers Zweites Buch. Ein Dokument aus dem Jahr 1928, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1961, vor allem aber Hitlers Geheimrede vom 23. November 1937 vor dem „politischen Führernachwuchs“, in: Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 481 – 502. 54 Hitler, Mein Kampf, S. 745. 55 Lagevorträge, S. 409 (26. August 1942); vgl. das Memorandum vom 28. Juli 1942. Ins Gewicht fiel das OKM-Argument, die deutschen Beziehungen zur Türkei und Bulgarien würden negativ beeinflusst, sollte man den italienischen Einfluss vorantreiben. Hitler hielt die „Preußen“ des Orients wie auch die des Balkans für ausgezeichnete Soldaten (v. Kotze, Heeresadjutant, S. 120 (26. März 1942), im Gegensatz zum durchschnittlichen Italiener, der in seinen Augen „nur Esser, nicht Kämpfer“ war, vgl. Picker, Hitlers Tischgespräche, S. 450 (22. Juli 1942).

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Kreta war also das Hauptziel der Seekriegsleitung, doch die Gewichtung mit den anderen Objekten – Piräus und Thessaloniki – im Rahmen der angestrebten starken Mittelmeerposition blieb unklar und wechselhaft. Das galt auch für die Dauer der deutschen Herrschaft: Sollte sie sich nur im Krieg oder „ständig“, also auch „im Frieden“ behaupten? Gleichwohl unterstrichen die Verfasser des Memorandums, notfalls könne man sich damit begnügen Thessaloniki und Piräus, die „kontinentalen Eckpunkte der militärischen Kraftlinien Deutschlands“, unter eigener Kontrolle halten, sogar wenn Kreta den Italienern überlassen werden müsste. Jedenfalls schlug man beim heiklen Thema Piräus leise Töne an, solange Italien noch Achsenpartner war und das angrenzende Athen verwaltete. Obwohl Piräus nach den Regelungen von 1941 eine Enklave inmitten der großen italienischen Besatzungszone war, galt diese Dominanz vorerst als temporär und war umstritten.56 Im Fall der makedonischen Hauptstadt war man jedoch nicht an die preponderanza gebunden. Die deutsche Führung hatte im Frühjahr 1941 von den kollidierenden Begehrlichkeiten der Bulgaren und Italiener insofern profitiert, als beide Anwärter eine – wie bekundet – zeitlich begrenzte deutsche Vorherrschaft in Thessaloniki der permanenten Annexion durch die rivalisierende Macht vorzogen. So befahl Ribbentrop dem Reichsbevollmächtigten Altenburg, unbedingt zu verhindern, dass sich Vertreter „ausländischer Mächte“ im Umfeld der Metropole politisch etablierten, denn über deren Zukunft sei „noch in keiner Richtung eine Entscheidung getroffen“. Als Sofia dennoch heftige Sezessionspropaganda betrieb, intervenierte der Befehlshaber Saloniki-­Ägäis Kurt von Krenzki und machte dem Partner den „deutschen Standpunkt klipp und klar (…), dass wir uns nicht um Angelegenheiten kümmern, die sich im bulgarischen [!] Thrazien ereignen; das ­gleiche verlangen wir von den Bulgaren für den Bereich Saloniki-­Ägäis“.57 Unter solchen Vorzeichen verwundert es nicht, dass Funktionsträger des Besatzungsapparats im privaten Gespräch „zwischen Spaß und Ernst“ forderten, Deutschland dürfe ­dieses wichtige „Tor zu Mitteleuropa“ nie wieder „unbewacht“ lassen.58 Sicherlich ernst gemeint war hingegen der Vorschlag Otto Kielmeyers, des regionalen Leiters der „Deutschen Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des 56 Vgl. Rainer Eckert, Die wirtschaftliche Ausplünderung Griechenlands durch seine deutschen Okkupanten vom Beginn der Besatzung im April 1941 bis zur Kriegswende im W ­ inter 1942/43, in: Jahrbuch für Geschichte, Bd. 36, 1988, S. 252; vgl. auch BArch, Potsdam, Fasz. 09.01/68610: Telegr. 912/19. 3. 1943; 09.01/68611: Telegr. 1079/5. 4. 1943. 57 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, 1986, S. 73 f. Im Oktober 1941 diskutierten Hitler, Himmler und hochrangige Offiziere über die Deportation „Fremdrassiger“ ( Juden) aus dem Baltikum, Weißrussland und Thessaloniki, vgl. v. Kotze, Heeresadjutant, S. 111 (2. Oktober 1941). 58 Interviews d. Vf. mit G. Altenburg, Oktober 1970 und September 1978 sowie mit Karl ­Pfauter, 1990, u. a.

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Deutschtums“,59 deren Aktivitäten aus der Hauptstadt nach Norden zu verlagern. Denn Athen verbleibe wohl auch nach dem Krieg in der italienischen Sphäre, wohingegen Thessaloniki bereits als „künftiger deutscher Hafen“ gelten könne.60 Die Bedeutung eines solchen Hafens stiege gewaltig, falls er nicht nur „Grenzposten“, sondern Bindeglied für die ständige Präsenz des Reichs im Mittelmeer wäre. In d­ iesem Zusammenhang erklären sich auch deutsche Vorstöße zur administrativen Abkoppelung Zentralmakedoniens von Athen, getragen von der Absicht, die Anbindung regionaler Behörden an das Verwaltungszentrum des Kollaborationsregimes zu untergraben. In Makedonien übernahmen die Deutschen am 5. Juli 1943 auch die direkte politische Verwaltung, um die griechischen Annexionsängste nach dem Einmarsch einer bulgarischen Division als „Ordnungstruppe“ zu beschwichtigen. In den Folgemonaten gerierte sich der im Zusammenhang mit der „Entjudung“ bekannt gewordene Dr. Max Merten, in der deutschen Administration lediglich „Kriegsverwaltungsrat“, als selbsternannter ‚Gauleiter‘, bis er im Februar 1944 abgelöst wurde.61 Was die andere „deutsche Bastion“ (Kreta) betraf, identifizierte sich der erste „Festungskommandant“, Fliegergeneral Alexander Andrae, weitgehend mit den Plänen der Seekriegsleitung und baute sie in manchen Punkten sogar aus. Bis zu einem gewissen Grad galt dies auch für seinen Nachfolger, General der Fallschirmtruppe Bruno Bräuer. Beide erstrebten weisungsgemäß „Ruhe und Ordnung“ in ihrer Domäne, versuchten aber, jeder auf seine Art, die Bevölkerung zu kooperativem Verhalten durch Überzeugungskraft oder mit „sanfter Gewalt“ zu bewegen.62 In ­diesem Sinn setzte Andrae im September 59 Die „Deutsche Akademie“, kurz DA, entstand aus einer Privatinitiative, namentlich der Wirtschaft, mit aktiver Teilnahme insbesondere der bayerischen Landesregierung, aber auch zahlreicher wissenschaftlicher Institute und Akademien, in der Absicht, die seit Versailles über das Reich verhängte „Kulturblockade“ zu brechen. Bei der Gründungsversammlung 1925 füllten „die ersten Träger deutschen Geisteslebens“, von Thomas Mann bis Max Planck, die große Aula der Münchner Universität (Münchner Neueste Nachrichten, 6. 5. 1925); vgl. Hagen Fleischer, Europas Rückkehr nach Griechenland, in: Harald Heppner; Olga Katsiardi-­ Hering (Hg.) Die Griechen und Europa, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 1998, S. 125 – 191, hier: S. 140 ff. 60 Deutsche Akademie, Saloniki, 16. 6. 1942 (zitiert bei Hagen Fleischer, Der Neubeginn in den Deutsch-­Griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit, in: Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, Thessaloniki: Institute for Balkan Studies, 1991, S. 84. 61 Archiv der Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin, Akte 3P (K) JS 10/60, Bd. III, S. 38 und Bd. XVII, S. 29 f. 62 Hingegen verfocht ihr Nachfolger F. W. Müller eine weit härtere Version der Pax Germanica. Entsprechend variierte nach Kriegsende die juristische „Vergangenheitsbewältigung“. Zunächst wurde im Dezember 1946 Bräuer und Müller im Athener Plenarsaal des Alten Parlaments unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gemacht, denn man fürchtete die auf Kreta verbreitete Vendetta. Beide wurden nach sechswöchiger Hauptverhandlung zum

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1941 einen vorläufigen Schlusspunkt unter die als „Sühne“ deklarierten Strafaktionen und verkündete eine Amnestie nebst anderen „Befriedungsmaßnahmen“.63 Parallel dazu erweiterte er die Kompetenzen des griechischen „Generalgouverneurs “ (im Ministerrang) der Insel,64 wodurch dieser von Athen nahezu unabhängig wurde und de facto nur dem Festungskommandanten unterstand. Der wiederum maß den Befugnissen zentraler Dienststellen wenig Bedeutung bei 65 und griff selbst bei unter Kriegsbedingungen nachgeordneten ­Themen, etwa archäologischen Forschungen, regulierend ein. Mit dem Hinweis, Kreta stehe unter deutscher Hoheit, veranlasste der General, wie zuvor der Kommandeur der 5. Gebirgs-­Division Julius Ringel in Heraklion, die Durchführung von Grabungen und kümmerte sich kaum um die erforderliche Genehmigung der Antikenverwaltung in Athen. Bald aber wurden diese Anweisungen auf Drängen des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) außer Kraft gesetzt, denn dessen Leitung wollte möglichst nicht die Nachkriegsbeziehungen zu den griechischen Kollegen belasten.66

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Tode verurteilt. Anders als gegenüber dem wegen seiner Härte berüchtigten Müller fand das Sondergericht für Bräuer mildernde Umstände und empfahl eine Umwandlung des mit 3 zu 2 Stimmen ausgesprochenen Verdikts in lebenslange Haft. Dazu bedurfte es eines königlichen Gnadenerweises, doch Georg  II . starb überraschend am 1. April 1947. Dessen Bruder und Nachfolger Paul lehnte aber das Gesuch ab – maßgeblich beeinflusst von seiner deutschen Frau, der Kaiserenkelin Friederike. Diese befürchtete, eine Begnadigung werde zu Anspielungen auf ihre Herkunft führen, zumal bereits Flugblätter mit ihrem Bild in der Uniform der NS -Organisation „Bund Deutscher Mädchen“ zirkulierten. So wurden beide Generäle ein halbes Jahr nach ihrer Verurteilung am 20. Mai 1947, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf Kreta 1941, füsiliert. Andrae wurde viermal zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch bald fanden sich Bonn und Athen im Klima des Kalten Kriegs „an vorderster Front“ wieder. Als die Regierung Plastiras weiterhin zögerte, Andrae freizulassen, intervenierte auf Beschwerde der Deutschen Botschaft das Königspaar. Daraufhin wurde im Interesse der „schnellstmöglichen psychischen und geistigen Annäherung ­zwischen der Bundesrepublik und Griechenland“ das „viermal Lebenslänglich“ in eine mittlerweile verbüßte vierjährige Haftstrafe umgewandelt und der General im Januar 1952 freigelassen, vgl. Hagen Fleischer, ‚Endlösung‘ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474 – 535, hier: S. 485, S. 494. Ημερήσιον Δελτίον Ανακοινώσεων δια την Κρήτην (Τägliches Μitteilungsblatt für Kreta), 17., 18., 25. und 27. September 1941; ebenfalls Interview d. Vf. mit Andrae. Hellenischer Staat, Regierungsanzeiger, Nr. 326, 1. Oktober 1941: Gesetzesverordnung 530 „Zur Ernennung eines Generalgouverneurs Kreta mit außerordentlichen Vollmachten“; vgl. auch BA-MA, RW 40/132: Die politisch-­wirtschaftlichen Verhältnisse in Griechenland seit dem Balkanfeldzug, 67/42a, 12. 7. 1942 geh. Interviews d. Vf. mit Altenburg und Andrae. Vgl. zu diesen Grabungen die Berichte im Archiv des DAI Athen, Fasz. 43; Veste Krete, 18. Februar 1943 und Paratiritis, 24. Februar 1943, vgl. auch Julia Hiller von Gärtringen,

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Auch dem theoretisch vorgesetzten Befehlshaber Südgriechenland schenkten weder Andrae noch dessen Nachfolger besondere Beachtung. Die damit verbundenen Streitigkeiten hörten bis zum Ende der Besatzung nicht auf, wobei die Festungskommandanten durch eine direkte hierarchische Anbindung an den Militärbefehlshaber Südost faktisch unabhängig von Athen agierten.67 Anfang 1942 ging Andrae einen Schritt weiter, als er die Insel auch wirtschaftlich aus dem „Chaos des griechischen Festlands“ herauszulösen versuchte.68 Unter Verweis auf den rasanten Verfall der Drachme befürwortete er eine separate kretische Währung, inspiriert von analogen Experimenten der Italiener. Diese hatten sich im Februar 1942 für eine „Ionische Drachme“ entschieden und führten sie zwei Monate s­ päter im Zusammenhang mit ihrem Annexionsplan für die Ionischen Inseln ein.69 Die deutsche Gesandtschaft verwarf jedoch ­dieses Projekt, woraufhin Andrae am 20. März in Berlin vorstellig wurde. Dort trug er vor, wegen mangelnder Devisen und Goldreserven beruhe die Sicherheit für seine geplante Separatwährung auf zwei Säulen: der „Autorität der Besatzungsbehörden“ sowie der lokalen Produktion, insbesondere dem kostbaren Olivenöl. Sein Plan einer „Ölbank“ stieß in Berlin auf gemischte Reaktionen: Zwar konnte der General das OKW, den Direktor der Reichsbank (doch nicht deren „Volkswirtschaftliche Abteilung“) sowie das Finanzministerium gewinnen. Hingegen stieß sein Experiment im Wirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt auf entschiedene Ablehnung. Den Ausschlag gab letztlich Altenburg, der vor „politischen Folgekosten“ und weiteren desaströsen Auswirkungen warnte.70 Nachdem der ehrgeizige Plan gescheitert war, übte sich Andrae fortan in Zurückhaltung.

Deutsche Archäologische Unternehmungen im besetzten Griechenland 1941 – 1944. Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung, Bd. 110 (1995), S. 461 – 499 sowie Fleischer, Der Neubeginn, S. 92. Nach jahrzehntelangen Irrfahrten wurden 2017 die vorerst letzten Keramiken der Raubgrabungen repatriiert: https://ellinondiktyo. blogspot.com/2017/11/blog-­post_51.html (letzter Zugriff 8. 10. 2019). 67 Hagen Fleischer, Abstumpfung und verminderte Entschlussfreudigkeit: Deutsche Administration im besetzten Griechenland, in: Johannes Houwink ten Cate; Gerhard Otto (Hg.), Das organisierte Chaos. „Ämterdarwinismus“ und „Gesinnungsethik“: Determinanten nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft. Berlin: Metropol, 1999, S. 77 – 92. 68 Interview d. Vf. mit Andrae. 69 Spyros Loukatos, Η πολιτική της Φασιστικής Ιταλίας στα κατεχόμενα Επτάνησα (Die Politik des faschistischen Italiens auf den besetzten Ionischen Inseln), in: Fleischer; Svoronos, Griechenland 1936 – 1944, S. 236. 70 Bundesarchiv Koblenz (BArch), R 2/14569, Blatt 49 – 61, sowie: PAAA, R 27320, Blatt 45 f.; Interviews d. Vf. mit Andrae und Altenburg. Im Juni 1944 brachte der damalige Befehlshaber Müller den abgelehnten Vorschlag erneut zur Sprache, der aber sogleich vom Sondervollbemächtigten Neubacher als „naiv“ zu den Akten gelegt wurde. (PAAA, R 27302: Neubacher 264/3.7.44).

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Immerhin verzeichnete der Kommandant Ende Mai 1942 einen Teilerfolg: Die von ihm befürwortete „Deutsche Soldatenzeitung“ erschien nun sechsmal wöchentlich unter dem Namen „Veste Kreta“, herausgegeben vom auf der Insel stationierten Luftwaffen-­ Propagandazug.71 Der Chefredakteur versprach in einer der ersten Ausgaben: „Die deutschen Soldaten werden dafür sorgen, dass die deutsche Weltgeltung an diesen Küsten nicht mehr untergeht.“ 72 Kurz zuvor hatte Andrae seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass eines Tages, nach Jahren oder Jahrzehnten, anerkannt wird, dass das Fundament für diese beglückende Fortentwicklung der Insel einst von der deutschen Besatzungstruppe gelegt wurde. Die deutsche Wehrmacht konzentriert sich auf die Schaffung eines künftig geeinten Europas in der Hoffnung, dass sich die Insel Kreta als wertvoller Baustein des zu erneuernden Kontinents erweist.73

Hier sei auf die Begriffsverwirrung bzw. offensichtliche Gleichsetzung von „Europa“ und „Deutschland“ verwiesen. Tatsächlich gefiel sich Andrae in der Rolle eines Serenissimus des 18. Jahrhunderts, dessen segensreiches Wirken die Kreter anscheinend zu schätzen begannen; denn „wo auch immer“ er erscheine, werde er „liebenswürdig“ mit Blumen empfangen. Daher habe er im August das Angebot eines Dorfschulzen begrüßt, die „von deutschen Ingenieuren und mit griechischem Fleiß“ in schwierigstem Gelände gebaute Verbindungsader an der Südküste ­zwischen Agia Galini und Tymbaki „General-­Andrae-­Straße“ zu taufen.74 Doch bald fiel der solcherart Geehrte bei Göring aus nicht völlig geklärten Gründen in Ungnade und wurde vom General der Fallschirmtruppe Bruno Bräuer abgelöst. Außer der Seekriegsleitung wollte nämlich auch die Luftwaffe Kreta in eigener Regie zu einem Vorposten gegen die Alliierten ausbauen – daher auch die Bemühungen, mittels Dienstverpflichtung tausender Kreter einen Flugplatz bei Tymbaki anzulegen.75 Gleichzeitig wurden Hitlers Weisungen aus der Besprechung vom 26. August 1942 umgesetzt und Kreta systematisch mit Truppen und Material verstärkt. Im Endergebnis hatte wohl kein anderes okkupiertes Gebiet eine so hohe Besatzungsdichte wie Kreta.76 71 Veste ist eine ältere Bezeichnung für „Festung“. Während der frühen Besatzungsphase existierte ein zweisprachiges „Mitteilungsblatt für Kreta“. 72 Veste Kreta, 2. Juni 1942. 73 Zeitung Paratiritis, 23. Mai 1942. 74 Veste Kreta, 25. August 1942. Im persönlichen Gespräch bestätigte Andrae diese Episode. Vgl. Paratiritis, 7. 10. 1942: „Kreta wird die Insel der besten Straßen.“ 75 Hermann Neubacher, Sonderauftrag Südost 1940 – 1945, Göttingen: Musterschmidt, 1956, S. 86, S. 93; Final Report on SOE Missions in Crete, 1941 – 1945 (Universitätsbibliothek ­Rethymnon, Kreta). 76 Lagevorträge, S. 428 (19. November 1942); Marlen von Xylander, Die deutsche Besatzungsherrschaft auf Kreta, Freiburg: Rombach, 1989, S. 38 f. In ­diesem Zusammenhang

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Wie schon sein Vorgänger appellierte auch Bräuer „an das kretische Volk“, es möge als „wahre Kreter“ das Wohlergehen der Heimat beachten und aller umstürzlerischen Propaganda zum Trotz sich „gesetzestreu“ verhalten. Ein einziges Mal preschte der Kommandant vor und unterstrich öffentlich, gleichwohl sibyllinisch, den Stellenwert der Insel für die deutschen Pläne: „Was aus Kreta wird, wird nach dem Kriege entschieden.“ 77 Bei seinem Abschied unterstrich Bräuer, Aufbau und Erhaltung guter Beziehungen zu den Kretern s­ eien notwendig und würden „irgendwann“ Früchte tragen, auch wenn das nicht alle verstünden.78 Was die Optik der Besetzten anging, so waren viele, darunter auch das Athener Kollaborationsregime,79 nicht nur wegen der brutalen Repressalien alarmiert, sondern auch über die sich häufenden deutschen Lobpreisungen Kretas, mussten diese doch als Absicht interpretiert werden, sich am Geburtsort des Göttervaters Zeus häuslich niederzulassen. Offiziell gab sich die NS-Propaganda weiterhin „philhellenisch“. Dieses Narrativ durfte von deutschen Besatzungsstellen nicht konterkariert werden. Daher war auf Dienststellenebene die Eventualität einer Annexion Kretas (oder Salonikis) ein Tabu, gab es doch ständig die Gefahr des Durchsickerns. Diese rote Linie überschritt man selten, und wenn, wurde es fast nie dokumentiert. So verwundert es nicht, dass die erhaltenen Primärquellen nur selten explizit Bezug darauf nehmen; Ähnliches gilt für die Soldatenzeitungen, in denen sich nur verstreut Anspielungen finden lassen, dass die Zeit „noch nicht reif “ sei. Zahlreiche Verlautbarungen wandten sich an das „kretische Volk“ im Vertrauen darauf, dass die Kreter für das Wohl ihrer „Erde“ einträten. So implizierte man, die Bewohner der „Großinsel“ 80 hätten eine andere Wesensart als die übrigen Bewohner Griechenlands. Wiederholt hörte man als Propagandaformel, die Interessen Kretas und des Deutschen Reichs wären kongruent, wenn nicht gar identisch – bis hin zur Aussage, die deutsche Verwaltung habe sich von Anbeginn „kretischer als viele Kreter“ erwiesen, als sie den Kampf für die „Selbsterhaltung“ [!] Kretas aufnahm.81

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ragte die „kampfkräftige“ 22. Infanterie-­Division heraus, deren Einsatz an der Peripherie des Geschehens s­ päter harsche Kritik seitens der Stäbe (und s­ päter der Wehrmachtshistoriker) provozieren wird. Veste Kreta, 28. Januar 1943; Paratiritis, 28. Januar 1943. Veste Kreta, 27. Juni 1944. Im einzigen Artikel des Dekrets vom 8. Januar 1943 wird eine dem Staatssekretariat des Ministerpräsidenten zugeordnete Dienststelle mit der Bezeichnung „Amt für Angelegenheiten Ostmakedoniens, Kretas und West-­Thrakiens“ eingerichtet, vgl. Hellenischer Staat, Regierungsanzeiger, 1. Heft, Blatt 59, 18. März 1943. Alarmierend wirkte, dass Kreta neben zwei Regionen erwähnt wird, die nach ihrer De-­facto-­Annexion durch Bulgarien nicht mehr der Athener Administration unterstanden, was Fragen nach dem aktuellen Status der Insel aufwarf. Der Terminus Μεγαλόνησος wird nur für Kreta bzw. für Zypern benutzt. Mitteilungsblatt für Kreta, 27. September 1941; vgl. Paratiritis, 28. Januar und 22. Dezember 1943.

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Bemerkenswert sind die „von oben“ initiierten „Belehrungen“ der Soldaten, bei ihrer Kommunikation mit den Einheimischen kein Kauderwelsch oder Pidgin-­Deutsch zu benutzen, sondern gutes, klares Deutsch (…). Unverfälscht haben die Griechen bisher nur unsere K ­ raftausdrücke gelernt. Das Missachten der Grammatik (…) macht es den Leuten unmöglich, deutsch zu lernen. (Ich sprechen, Du mir geben, Kamerad parti [ist weg], wieviel kosten das?) Wie soll da der Kreter von uns Deutsch lernen? (…) Die Notwendigkeit des Gebrauchs einer Sprache und die Häufigkeit, mit der sie ins Ohr klingt, sind die Momente, w ­ elche eine Sprache anderen erschließt. Die meistgehörte Sprache ist am leichtesten zu erlernen. Und hier auf Kreta hört und spricht man Deutsch fast so viel wie griechisch. Der Zweck, dass man uns verstehen lernt, wird bestimmt durch den Nutzen auch für spätere Zeiten. Denn man versteht mit dem Wort auch unser Wollen.

Zehn Tage ­später applaudierte ein promovierter Offizier dieser „schon längst fälligen“ Mahnung, die „aus volkspolitischen Erwägungen größte Beachtung“ verdiene und auch bei den Kompaniebelehrungen zur Sprache kommen solle: Man darf nicht übersehen, ­welchen dauernden Wert es für das deutsche Volk hat, dass unsere Sprache von den Griechen beherrscht wird. Zur Weltgeltung, die wir anstreben, gehört auch, dass die Welt unsere Sprache versteht und spricht. Dazu gehört aber auch, dass wir uns weniger befleißigen, selbst die griechische Sprache zu gebrauchen, als vielmehr die Griechen zu zwingen, mehr unsere Sprache zu verwenden. (…) Wie machen es die Engländer? Sie stehen auf dem Standpunkt, wer mit mir sprechen will, möge meine Sprache lernen. Etwas von ­diesem Stolz müssen wir uns angewöhnen. Er trägt dazu bei, Weltgeltung zu erringen.82

In ­diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass vielen Besatzern die Landschaft Kretas „heimischer“ erschien als die des griechischen Festlands. Vor allem Bayern und „Ostmärker“ wurden an ihre gebirgige Heimat erinnert, explizit an Tirol.83 Zur Klassifizierung der Kreter vermerkte ein dienstlicher Bericht für Offiziere abschließend: Die gegenwärtige Struktur der kretischen Bevölkerung ist auch das Ergebnis jahrtausende­ langer Blutmischung aller Randvölker des Mittelmeeres. Sie haben den Charakter des Kreters

82 Veste Kreta, 1. und 10. August 1943; Abdruck in: Hagen Fleischer, Schwert und Olive. Besatzungsalltag in der „Festung Kreta“, 1941 – 1945. Eine Dokumentation, in: Festschrift für Klaus Betzen, hg. von Willi Benning, Parousia, Sonderband 33, Athen: Universität Athen, 1995, S. 81 – 178, hier: S. 168 f. (Hervorhebung durch den Verf.). 83 Veste Kreta, 5. September 1943. Vgl. Xan Fielding, The Stronghold, London: Secker & Warburg, 1953, S. 58, S. 66 ff.: „out of a feeling of heimweh!“

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als eines intelligenten, temperamentvollen, leicht erregbaren, verschlagenen, widerspenstigen und schwer lenkbaren, aber auch tapferen Volksschlages bestimmt. (…) Man findet aber in diesen Gebirgsdörfern noch die besten rassisch reinen Menschen von großer kräftiger Gestalt und es ist auffallend, wie alt diese Menschen werden und wie lange sie rüstig sind, was sich dadurch erklärt, dass sie wenig mit der Küste in Berührung kamen und somit nicht den Blutmischungen dieser Bevölkerung unterworfen waren. (…) Die fast ununterbrochene Fremdherrschaft hat den Freiheitsdrang der Kreter in immerwährenden blutigen Kämpfen besonders stark entwickelt. (…) Die überwiegende Mehrheit der kretischen Bevölkerung ist heute englandfreundlich eingestellt. Es ist daher klar, dass sich ihr Freiheitsdrang gegen die deutsche Wehrmacht richtet. Dem in zweckentsprechender Weise zu begegnen ist Sache aller deutschen Soldaten auf Kreta. Die Kenntnis der Geschichte und des durch sie mitgeprägten Volkscharakters werden hierbei von besonderem Wert sein.84

Bemerkenswert ist die unterschiedliche Wertung von Festlandsgriechen und Kretern durch Erhart Kästner, ehemals Sekretär Gerhart Hauptmanns und mittlerweile Soldat: Durch geschickte Eigenwerbung hatte er es fertiggebracht, sich in Athen wie auch auf Kreta durch Mentoren im Generalsrang – Wilhelm Mayer sowie der 1947 als Kriegsverbrecher in Athen hingerichtete Bruno Bräuer – von seinen militärischen Pflichten freistellen zu lassen. Kästners alleiniger Auftrag war es, ein Buch über „Griechenland“ sowie ­später ein anderes über Kreta für die Truppe zu schreiben. Während der Autor in seinem ersten Buch den offensichtlich weitgehend degenerierten Neugriechen des Festlands, insbesondere in den Städten, jede Kontinuität mit den klassischen Hellenen abgesprochen hatte,85 entdeckte er auf der Götterinsel Menschen mit „nordischem“ Erscheinungsbild: Groß, blond und blauäugig hätten sie selbst den strengsten Vorgaben der NS-Rassentheorie genügt. So kam er zu dem Schluss, dass insbesondere in schwer zugänglichen Gebirgsregionen (Samaria, Anogia) sich „dorisches Blut“ bewahrt habe und wohl nur auf Kreta eine s­ olche in die Antike zurückreichende genetische Linie existiere.86 Schon früher hatte die in Passau für das Gebiet der „Bayerischen Ostmark“ erscheinende Donau-­Zeitung eine äußerst positive Reportage ihres Kriegsberichterstatters vom ersten Jahr kretischer „Aufbauarbeit“ unter aktiver Mitwirkung der Insulaner gebracht: 84 „Die geschichtliche Entwicklung Kretas“, o. D. (Kopie im Archiv d. Vf., erhalten vom Adjutanten des Seekommandanten Kretas, Hermann Haß, in einem Brief vom 1. Juli 1973). 85 Erhart Kästner, Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege. Berlin: Gebr. Mann Verlag, 1942 bzw. 1943. Zum Gesamtwerk des Autors siehe die weitaus beste Untersuchung von Julia Freifrau Hiller von Gaertringen, „Meine Liebe zu Griechenland stammt aus dem Krieg“. Studien zum literarischen Werk Erhart Kästners, Wiesbaden: Harrassowitz, 1994. 86 Erhart Kästner, Kreta: Aufzeichnungen aus dem Jahre 1943, Frankfurt: Insel, 1975, S. 59, S. 198, S. 226 f.

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Wenn es bisher zum guten Ton gehörte, in fürsorglicher Nachsicht eine gewisse Müdigkeit in der Haltung des griechischen Volkes auf die Eigenschaft Griechenlands als Wiege aller Kultur, also auf eine Art Ausgeschöpftheit zurückzuführen, so braucht die Insel Kreta diese Rechtfertigung auf keinen Fall. Sie ist sogar die Urheimat der europäischen Kultur, war die Wurzel selber, aus der die altgriechische Glanzzeit emporblühte, und doch sind die Kreter ein starkes, gesundes, arbeitsames Volk. Selbst der Handel hat ein solideres Angesicht als in den Städten des Festlandes.87

Nach der endgültigen Niederlage des Afrikakorps wurde Kreta „zur vordersten Frontlinie der europäischen Verteidigung im Südosten“ 88 und schien nach der italienischen Kapitulation im September akut gefährdet. Unter dem Eindruck der neuen Lage, aber auch der Leichtigkeit, mit der sich viele italienisch besetzte Inseln von alliierten Landungstruppen widerstandslos einnehmen ließen, machte Raeders Nachfolger Dönitz eine Kehrtwendung und schlug denselben Kurs ein wie der Oberbefehlshaber Südost Maximilian von Weichs: Beide empfahlen „die rechtzeitige Räumung der Außenposten auf den Inseln des Ägäischen Meers einschließlich Kretas“. Hitler räumte zwar ein, dass die Heeresführung korrekt argumentierte, lehnte jedoch den Vorschlag ab, denn die politischen Auswirkungen einer freiwilligen Räumung wären katastrophal. Nicht nur die Türkei, sondern auch die Verbündeten des Reichs im Südost-­Raum, deren Haltung abhängig sei vom „Vertrauen in unsere Stärke“, würden dann ihren „Abfall“ ins alliierte Lager erwägen.89 Hitler setzte sich durch und wurde durch militärische Erfolge bestätigt, denn sämtliche nach dem italienischen Seitenwechsel verlorenen Inseln konnten überraschend zurückgewonnen werden. Die Diskussion über Sinn oder Unsinn der ägäischen Operationen, einer der letzten deutschen Siege überhaupt, ist bis heute nicht abgeschlossen, obschon die Ansicht überwiegt, es habe sich um einen Pyrrhussieg gehandelt, da unersetzliche Reserven an Menschen und Material an der „Peripherie“ verschlissen wurden. Dennoch inszenierte die deutsche Propaganda eine letzte Goodwill-­Offensive: Die dem eigenen Ansehen schädliche Hypothek des italienischen Imperialismus sei endlich getilgt, wohingegen das Reich vor allem in Griechenland niemals derartige Absichten verfolgt habe! Als Beweis wurden die italienischen Annexionsmaßnahmen auf den Ionischen Inseln storniert und die Befreiung Zyperns von britischer Herrschaft proklamiert. Auch fehlte es nicht an Anspielungen in der zensierten griechischen Presse, nach dem Wegfall der italienischen „Fremdherrschaft“ müsse auch der Dodekanes mit dem Stammland vereinigt werden.90 87 Erich Gieseler, Kreta nach einem Jahr Aufbauarbeit. Ein starkes, fleißiges Volk erarbeitet sich seine Zukunft, Donau-­Zeitung, 28. Juni 1942. 88 Veste Kreta, 28. März 1943, ähnlich: 2. Juni 1943. 89 Lagevorträge, S. 550 f. (24./25. September 1943). 90 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1., 1986, S. 305 ff., S. 359 ff.

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Gleichwohl kehrte nach den unverhofften Siegen im Archipel der Optimismus zurück ins OKM, und nicht nur dorthin. Wieder schmiedete man Pläne für eine deutsche Vorherrschaft im Mittelmeer, diesmal ohne den lästigen Expartner. Erwähnung verdient hier ein programmatischer Bericht von Generaladmiral Saalwächter, weitgehend verfasst im Oktober 1944, als die Wehrmacht bereits das griechische Festland und die meisten Inseln räumte und die Südost-­Satelliten in zwölfter Stunde die Seite wechselten. Indessen gefiel sich der Admiral darin, die deutschen Aspirationen nach Prioritäten aufzulisten: Kolonien und Marinestützpunkte von Grönland bis zu den Kanarischen Inseln und Dakar – nach dem Endsieg der deutschen Waffen. Im Mittelmeer nannte er zuvörderst Kreta und Zypern (dazu Haifa) als taugliche Basen.91 Zudem genehmigte Hitler am 3. Dezember den von Dönitz unterbreiteten Vorschlag, ein Dutzend ausgewählter Marineoffiziere ins verbündete Japan zu ­schicken, um dort Erfahrungen für den Seekrieg zu sammeln.92 Das Destillat der Hirngespinste Saalwächters wurde jedenfalls im selben Zeitraum verfasst, ergänzt und revidiert, als auf Kreta verblasste NS -Visionen als Paro­ die verwirklicht wurden. 11.828 deutsche Soldaten, für deren Verschiffung keine Transportmittel zur Verfügung standen, igelten sich im Umkreis von Chania in einer Miniaturversion ihrer einstigen „Festung“ ein. Dort setzten die abgeschnittenen Soldaten mit dreijähriger Verspätung die Pläne ihres Exkommandanten Andrae um: Da die Drachme endgültig zusammengebrochen war und die Maßnahmen der aus dem Exil zurückgekehrten Athener Regierung Papandreou noch nicht griffen, führten die Deutschen eine Naturalwährung für die verbliebene „Kernfestung“, den „Festen Platz Kreta“ ein: Kanister mit Olivenöl für große Beträge und Zigaretten für kleinere. Der Preis der Tageszeitung „Paratiritis“ belief sich auf drei, dann auf vier und schließlich auf fünf Zigaretten.93 Die „Gefangenen, die sich selbst verpflegen und bewachen“ 94 auf Kreta, Rhodos und anderen Inseln hatten gravierende Probleme in nahezu allen Aspekten. Sendungen von Lebensmitteln waren unmöglich, so dass auf Rhodos die Sanitätsoffiziere eine 91 Die Auflistung beginnt Anfang September und wird bis Februar 1945 [!] ergänzt. Vollständig publiziert bei Schreiber, Zur Kontinuität, S. 149 – 157. 92 Lagevorträge, S. 621. 93 „Selbst deutsche Besatzungsdienststellen übernahmen ­dieses Tauschsystem im Zahlungsverkehr mit Privatleuten. Die Bezahlung von Wasser und Strom wurde ebenfalls in Ware (Öl oder Zigaretten) festgelegt.“ Ab Dezember 1944 gab eine ‚Ölbank‘ Bezugsscheine mit Währungsfunktion aus. Vgl. Stavros G. Vlontakis, Η Οχυρά Θέσις Κρήτης (Der feste Platz Kreta), Athen: (Selbstverlag), 1972, S. 292. Nach den Dezemberkämpfen in Athen wurde mit deutscher Genehmigung parallel die neue Drachme eingeführt. Im März 1945 ersetzte die neue Drachme offiziell die Naturalienwährung. 94 Dieses auf Churchill zurückgehende Bonmot wurde von der „Kreta Post“ (8. 11. 1944) aufgegriffen, einem von deutschen Überläufern unter Regie der SOE herausgegebenen Blättchen.

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ausgedehnte Mittagsruhe verordneten, um den Kalorienbedarf zu senken.95 Im Bereich der Kernfestung Kreta wurde ab Neujahr 1945 die Brotportion um 50 g auf 300 g gekürzt, obgleich weitere Kürzungen „nicht mehr tragbar“ erschienen. Immerhin brachte ein Kurierflugzeug aus Agram (Zagreb) in größeren Abständen Medikamente und die für die Truppenmoral eminent wichtigen Briefe aus der Heimat, so etwa am 19. November 1944 600 kg für Kreta angesammelte Post. Zur gleichen Zeit wurde befohlen, die Lebensmittellage durch offiziellen Tauschhandel mit ausrangiertem Wehrmachtsgut, aber auch mit Anbau von Hafer, dem einzigen verfügbaren Saatgut, in zuvor unkultivierten Regionen aufzubessern.96 Denn die Mustergüter zur Tierzucht und fast alle zuvor in der Soldatenpresse gepriesenen Truppengärten, in denen es „wächst, grünt und blüht“ 97, lagen nun im befreiten Teil der Insel und waren nicht mehr zugänglich. Der letzte Wehrmachtbericht meldete am 9. Mai 1945: „Fern der Heimat haben (…) die Besatzungen der Ägäischen Inseln in Gehorsam und Disziplin die Waffenehre der deutschen Soldaten gewahrt.“ 98 Die bedingungslose und alles andere als ehrenvolle Kapitulation des Deutschen Reiches wurde vom letzten Kanzler unterzeichnet, dem Hitler-­Nachfolger Großadmiral Dönitz, expansionsfreudiger Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und mittlerweile Konkursverwalter des Großdeutschen Reiches. Auf Kreta unterschrieb der letzte Kommandant Georg Benthack die Kapitulation um 22.30 Uhr – in der Villa Ariadne von Arthur Evans, des Ausgräbers von Knossos und der minoischen Kultur, die erst als deutsches, dann als britisches Hauptquartier diente. Zu ­diesem Zeitpunkt waren die 1200 auf der Insel befindlichen Briten kaum in der Lage, die zehnmal so starken ehemaligen Okkupanten und deren schwere Bewaffnung unter Kontrolle zu halten. So akzeptierten sie den Vorschlag ihres Gefangenen Benthack, die Deutschen sollten sich in ein Konzentrationsgebiet außerhalb Chanias zurückziehen. Dort verfeuerten befehlsgemäß 800 beständig mit Meerwasser gekühlte Geschütze z­ wischen dem 17. und 24. Mai 1945 täglich von 6.00 bis 12.00 und von 15.00 bis 19.00 Uhr fast die gesamte schwere Munition in die vorgelagerte Bucht. Restbestände wurden tonnenweise im Meer versenkt, Panzer und schwere Artillerie gesprengt, damit sie nicht ‚rachdürstigen‘ ELAS -Andarten in die Hände fallen.99 Doch „auch in der Folgezeit übten die Briten die Herrschaft auf Kreta mit Hilfe des deutschen 95 Fleischer, Im Kreuzschatten, Bd. 1, 1986, S. 534. 96 Kommandant Festung Kreta, Ia, 663/44 gKdos, 7. 12. 1944, S. 13, BA-MA, RH 19VII/49. 97 Vgl. hierzu den schwärmerisch-­detaillierten Artikel „Unser Juwel“, dem „Born unserer Lebensfrische, unserer Gesundheit und Spannkraft“, Veste Kreta, 10. Juni 1943. Auszugsweiser Abdruck in: Fleischer, Schwert und Olive, S. 100. 98 Erich Murawski, Der deutsche Wehrmachtbericht 1939 – 1945. Ein Beitrag zur Untersuchung der geistigen Kriegsführung. Boppard: Boldt, 1962, S. 601. 99 Fleischer, Schwert und Olive, S. 134 f. bzw. in extenso: „Diary of Events“, War Office 204/9303, Pt. 1, The National Archives, Kew, Richmond; vgl. Vlontakis, Der Feste Platz Kreta, Athen: Selbstverlag 1975, S. 403 f.

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Machtpotentials aus: Vor und hinter dem britischen Generalswagen fuhr jeweils ein deutscher Panzerwagen zum Schutz.“ 100 Bis in den Juni 1945 hinein führten die Wehrmachtsrelikte Einsätze gegen Andarten sowie Verhaftungen durch; dann wurden auch die letzten Waffenträger der Wehrmacht, Statisten eines absurden Theaterakts und einer absurden Koalition, in die ägyptischen Gefangenenlager am Großen Bittersee abtransportiert. Der von ihnen gesäte Hafer war eben schnittreif geworden.

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100 Xylander, Besatzungsherrschaft, S. 137 f.

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Griechisches Judentum und Deutsches Reich Der Holocaust und seine deutsch-­griechische Vorgeschichte Jüdisches Leben in Griechenland ist älter und bis zum Milleniumsverbrechen der Shoah auch vielfältiger als in jedem anderen europäischen Land. Diese Vielfalt war eine Folge unterschiedlicher Einwanderungswellen: zunächst die der graecophonen Romanioten seit der Antike, ­später die jiddisch sprechenden Aschkenasim aus dem mittel- und osteuropäischen Raum sowie schließlich die spanischsprachigen Sepharden. Die beiden letztgenannten Gruppen hatten im Gebiet des heutigen Griechenlands, auch während der Jahrhunderte osmanischer Herrschaft, Zuflucht vor Pogro­men und Vertreibungen gefunden, die in verschiedenen Teilen des europäischen Kontinents wüteten. Diese Vielfalt reflektierte den unterschiedlichen Grad soziokultureller Integration in die Gesamtbevölkerung und blieb nicht ohne Folgen für die Fähigkeit, die schrecklichste Bedrohung in der jahrhundertealten Geschichte zu überstehen, zu überleben im wahrsten Sinne des Wortes. Dementsprechend können angesichts der nazistischen Verfolgung die großen regionalen Unterschiede in den Überlebensraten, z. B. ­zwischen Thessaloniki und den thessalischen Gemeinden, nicht als zufällig angesehen werden. Aus nazistischer Sicht erforderte die angestrebte „Endlösung der Judenfrage“, einen Keil z­ wischen die zum Erzfeind gestempelten Juden und die orthodoxe griechische Mehrheit zu treiben. Eine bevorzugte Methode bestand im Gebrauch historischer ‚Argumente‘, die Kollaborateuren in spe ins manipulierte Weltbild passen könnten. Die von den Besatzern sogleich nach ihrem Einmarsch gegründete Tageszeitung Nea Evropi (Neues Europa) schwelgte in Fiktionen, die den jeweils „ungriechischen“ oder gar „anti-­ hellenischen“ Charakter der einheimischen Juden und ihre Intrigen zugunsten der jeweiligen Widersacher beweisen sollten, wenn es um die „nationale Sache“ ging.1 Bevorzugte Beispiele waren Episoden, mit denen zugleich aktuelle Feinde des Reiches bezichtigt werden konnten. Das war insbesondere der Fall bei der vom englischen Aussenminister Lord Palmerston angeordneten Blockade des Athener Hafens Piräus 1850 duch die Royal Navy, zur Unterstützung der exorbitanten Entschädigungsforderungen des berüchtigten Don Pacifico – der ohnehin kein griechischer, sondern in Gibraltar geborener Jude mit englischer Staatsbürgerschaft war. Obwohl dies ein klassischer Fall von Kanonenboot-­ Diplomatie einer Großmacht zugunsten eines Untertanen war, diente der „Don“ ein knappes Jahrhundert ­später der Nazipropaganda als zeitloses Beispiel für die Komplizenschaft z­ wischen britischem Imperialismus und jüdischer Plutokratie. Noch einfacher 1 Nea Evropi 1941 – 1944, passim. Die erste große antijüdische Kampagne begann passend am 20. April 1941 zu „Führers Geburtstag“.

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fanden sich plausibel scheinende Beispiele aus den Jahrhunderten osmanischer Herrschaft. Das ansonsten unheilvolle Jahr 1453, der Fall von Konstantinopel und endgültige Untergang des Tausendjährigen Byzantinischen Reichs war für die Juden nie Anathema. Die osmanische Eroberung der letzten byzantinischen Festungen hatte nur die christliche Bevölkerung getroffen und bedeutete einen einschneidenden Eingriff in deren traditionelle Freiheiten und Privilegien. Für die Romanioten hingegen war dies nicht der Fall. Obwohl sie zuvor relativ passable Lebensbedingungen 2 genossen hatten, zumindest im Vergleich zu den Aschkenasim in Nord- und Osteuropa und auch angesichts eines höheren Grades an sozialer Integration, stellte sie das Millet-­System der neuen muslimischen Herren als „rayades“ („ungläubige“ Untertanen) auf die g­ leiche Stufe mit der christlichen Mehrheit. Ιn konkreter Anwendung schnitten die Juden jedoch oft besser ab, zumal die neuen Herrscher deren wirtschaftliche und organisatorische Fähigkeiten schätzten und sie zudem als mögliches Gegengewicht zur orthodoxen Bevölkerung betrachteten. Aus diesen Gründen zögerten die Türken nicht, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, sooft eine neue Welle des Antijudaismus das ‚christliche Europa‘ erschütterte.3 So war es verständlich, dass sich die jüdische Bevölkerung unter dem Schutz der Hohen Pforte sicher fühlte, wohingegen sie nach der griechischen Erhebung von 1821 und den siegreichen Balkankriegen – mit der Verdoppelung des griechischen Territoriums unter Einschluss Salonikis – Vorbehalte bekundete. Später wird die Propaganda der Nazis und ihrer griechischen Handlanger eben d­ ieses historische Faktum ausschlachten, ohne zu berücksichtigen, dass sich die düsteren jüdischen Vorahnungen, von Spanien bis Russland, allzu oft als wahr erwiesen hatten. Die Besatzer ließen unerwähnt, dass 2 Es gab Ausnahmen von dieser Regel, insbesondere die Zerstörung von 230 Gemeinden durch ­Kaiser Basilios II. zu Beginn des vorangegangenen Jahrtausends, ein Angriff, der dank der Vitalität des griechischen Judentums und der Seltenheit solcher Pogrome schnell überwunden wurde. 3 Schon vor dem endgültigen Zusammenbruch von Byzanz hießen die Türken aus Bayern geflohene Aschkenasim im neu eroberten Thessaloniki willkommen. Aber es war Sultan Bayezid II., der zum klassischen Vorbild für seine Nachfolger wurde, da er systematisch Tausende iberischer Juden aufnahm, die 1492 durch das „Edikt von Granada“ der selbsternannten „Katholischen Majestäten“ Ferdinand und Isabella Spanien verlassen mussten. Viele dieser „Sephardim“ zogen es vor, sich in der kürzlich entvölkerten Hafenstadt am Thermaischen Golf mit seiner günstigen Lage niederzulassen und verwandelten sie bald in „Klein-­Jerusalem“. Vgl. das wichtige siebenbändige Werk von Joseph Nehama, Histoire des Israélites de Salonique. Paris, Thessaloniki: Molho, 1935 – 1978. Siehe ebenfalls Moise Franco: Essai sur L’Histoire des Israélites de L’Empire Ottoman depuis les Origines jusqu’à nos jours, Paris: A. Durlacher, 1897; Nachdruck Hildesheim: Olms, 1973. Bald entwickelte sich Thessaloniki zu einem Zufluchtsort für jüdische Flüchtlinge aus ganz Europa. Die letzte große Welle folgte den russischen Pogromen von 1881 und 1903, als Baron Moritz von Hirsch ein neues Stadtviertel für sie errichtete, das fortan seinen Namen trug. Es war eine makabre Entscheidung der Nazis, Anfang 1943 ausgerechnet das Baron-­Hirsch-­Viertel, einen Zufluchtsort, in ein geschlossenes Ghetto und Transitlager nach Auschwitz zu verwandeln.

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zu Beginn des 20. Jahrhunderts die stigmatisierte „unhellenische“ Haltung großer Teile des griechischen Judentums darin bestanden hatte, prodeutsch zu sein. Die Gründe waren offensichtlich. Obwohl nach der Emanzipation der deutschen Juden ein Jahrhundert zuvor, 1812, soziale Diskriminierung und Antisemitismus in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft auch vor 1933 nachweisbar blieben, lebten die deutschen Juden mit der christlichen Mehrheit in einer „hoch entwickelten Symbiose“. Folglich sind sich selbst jüdische Gelehrte einig, dass es „wahrscheinlich nirgendwo in der Welt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ein so bemerkenswertes Zusammenwirken z­ wischen Bevölkerungsmehrheit und jüdischer Minderheit gab wie in Deutschland“.4 Vor allem in Berlin, der Hauptstadt des jungen Staates Preußen und des 1871 neu geschaffenen Deutschen Reiches, entwickelte sich das rudimentäre „bürgerliche Patriziat (…) im Wesentlichen aus dem Judentum“. Die bewunderten Salons der alteingesessenen ‚aristokratischen‘ jüdischen Familien, z. B. Herz, Levin (Varnhagen), Beer/ Meyerbeer, Mendelssohn Bartholdy, Liebermann, zogen auch nichtjüdische Vertreter des kulturellen Lebens aus ganz Deutschland an.5 Vor dem E ­ rsten Weltkrieg, aber auch in der Phase des innergriechischen Tauziehens für oder wider den Kriegseintritt standen jüdische Sympathien an neutralen Orten, einschließlich Thessaloniki, zumeist auf Seiten der Mittelmächte Deutschland und Österreich, die als natürliche Gegner Russlands galten, jenes Landes, in dem der Antisemitismus am stärksten institutionalisiert war. Umgekehrt hatte nicht nur die öffentliche Meinung in Deutschland eine relativ positive Einstellung zur sephardischen Bastion in Makedonien,6 auch die kleine deutschsprachige Kolonie in Thessaloniki selbst lebte in Harmonie mit der dortigen jüdischen Mehrheit. Zumindest ein deutsch-­sephardisches Joint-­Venture-­Unternehmen, das von Pfister-­Assael,7 lässt sich nachweisen; wichtiger war der starke Einfluss der Sepharden,

4 Kurt Schwerin, Deutsche Entschädigung für Opfer von NS-Verfolgungen, Northwestern University Law Review, Jg. 67, Sept.–Oct. 1972, S. 482, und die dort aufgeführte Literatur. In kleineren Städten waren die Fortschritte zur Emanzipation oft deutlich langsamer, wenn auch stetig. Vgl. in ­diesem Zusammenhang etwa die hervorragende Fallstudie über die Stadt Würzburg: Ursula Gehring-­Münzel, Vom Schutzjuden zum Staatsbürger. Die gesellschaftliche Integration der Würzburger Juden 1803 – 1871, Würzburg: Stadtarchiv Würzburg, 1992, insbesondere S. 379 – 540. 5 Karl Scheffler, Berlin. Ein Stadtschicksal, Berlin-­Westend: Erich Reiss, 1910, S. 124 ff. (Neuauflage Berlin: Suhrkamp 2015). 6 Eine Quelle, die ansonsten nicht frei von antisemitischen Stereotypen ist, wunderte sich: die Sephardim ­seien „unter den Rassen von Saloniki vielleicht die kräftigste, ein Volk der schwersten Träger und Hafenarbeiter. Bei ihnen ist also nahezu keine physische Degeneration vorhanden, die sonst bei den Juden so häufig vorkommt.“ Dr. A. Petermanns Mitteilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt, XXXIV/162 (1908), S. 358. 7 Max Brunau, Das Deutschtum in Mazedonien, Stuttgart: Ausland-­und-­Heimat Verlag, 1925, S. 19.

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sprachlich wie religiös, auf die deutsche Schule der makedonischen Metropole, wo sie mit Abstand den größten Faktor darstellten 8. Nach dem plötzlichen Zusammenbruch der osmanischen Macht in den Balkanländern reagierte die Mehrheit der kleinen deutschen Kolonie ähnlich wie die Mehrheit der Juden: d. h. mit „einer gewissen Reserve gegenüber der Regierung in Athen“.9 Angesichts dieser Umstände verwundert es nicht, dass einflussreiche jüdische Kreise in Thessaloniki als Kompromisslösung einen internationalen Status der Stadt unter österreichischer Ägide wünschten.10 Als sich ­dieses Projekt jedoch als unrealisierbar erwies, arrangierte sich die Gemeinde schnell mit der neuen Staatsmacht, zumal Premierminister Venizelos zunächst eine eher philosemitische Politik verfolgte.11 ­Dennoch 8 Brunau, Das Deutschtum, S. 67. Siehe dort Statistiken im Jahresbericht der Deutschen Schule und der Kaufmännischen Fortbildungsschule in Saloniki, herausgegeben vom (wohl jüdischen) Schulleiter August Sigmund und seinen Mitarbeitern, die Abendkurse in deutscher Sprache für Erwachsene organisierten – wiederum mit bemerkenswert hoher Beteiligung von Sepharden. – Im Vergleich dazu waren an der Deutschen Schule in Athen nur etwa 5 Prozent der Schüler Juden, alle von ihnen Aschkenasim, wie ihre Namen zeigen (Deutsche Schule in Athen, Bericht über das XII. Schuljahr. Athen, Dez. 1908, S. 18 – 20). Die französischen Schulen zogen natürlich den Großteil der jüdischen Kinder an. André Havard, Direktor des Lycée Français 1935 – 1940, wird sich ­später beschweren: „Als ich in Saloniki ankam, lag der gesamte intellektuelle Einfluss Frankreichs in den Händen der Leiter der rein jüdischen ‚Alumni der französischen Säkularmission‘. (…) Es ist keineswegs übertrieben zu sagen, dass das französische Element keine Beziehungen zur griechischen Elite der Stadt hatte. Das Gymnasium (…) galt als jüdische Schule.“ Harvard bemühte sich daher, „das jüdische Monopol für den französischen intellektuellen Einfluss zu brechen“. AMAE, Guerre 1939 – 1945, Vichy-­Œuvres, vol. 42: A. Harvard, Rapport de gestion du Lycée de Salonique, 1941. 9 Brunau, Das Deutschtum, S. 40. 10 Rena Molho, Η εβραϊκή κοινότητα και η ένταξη της στο ελληνικό κράτος, 1912 – 1919 (Die jüdische Gemeinde und ihre Integration in den griechischen Staat, 1912 – 1919), in: Η Θεσσαλονίκη μετά το 1912 (Thessaloniki nach 1912), hg. von Kentro Istorias Thessalonikis, Thessaloniki 1986, S. 285 – 301. 11 Dazu Rena Molho, Venizelos and the Jewish Community of Salonica, 1912 – 1919, in: Journal of the Hellenic Diaspora, XIII 3/4, Herbst–Winter 1986, S. 113 – 123. In der Folgezeit gab es einige Kritiker, die Venizelos des Antisemitismus beschuldigten. Siehe z. B. das American Jewish Committee, Governments-­in-­Exile on Jewish Rights. New York 1942, S. 28. – Das war sowohl ungerecht als auch simplifizierend. Venizelos persönlich zeigte damals guten Willen gegenüber der jüdischen Bevölkerung, so dass er gelegentlich von der Nazipropaganda beschuldigt wurde, selbst Jude zu sein (vgl. etwa „Griechenland ohne Romantik“, Brüxer Zeitung, 20. 11. 1940). Sicherlich bewiesen nicht alle „Venizelisten“, insbesondere unter den kleinasiatischen Flüchtlingen, den gleichen guten Willen, obschon die Juden von Thessaloniki zu ihren Gunsten einen hohen finanziellen Beitrag geleistet hatten. PAAA, R 72687: Deutsches Konsulat Saloniki, 1769/30. 10. 1922. Siehe auch George Th. Mavrogordatos, Stillborn Republic. Social Coalitions and Party Strategies in Greece. 1922 – 1936, Berkeley/Los ­Angeles/ London: University of California Press, 1983, S. 257 f.

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entschied sich die große Mehrheit der Juden beim innergriechischen Schisma bezüglich des Kriegseintritts gemeinsam mit der neutralistischen, deutschfreundlichen Gounaris-­Fraktion gegen ihn. Nur begrenzten Erfolg hatte während d­ ieses Stadiums die Pro-­Entente-­Propaganda, die von in Griechenland stationierten französischen Truppen und vom L’Indépendent verbreitet wurde – einer frankophonen und französisch subventionierten Zeitung, herausgegeben von einem jüdischen Redakteur in Thessaloniki.12 Nach dem E ­ rsten Weltkrieg konnten die „zionistischen Organisationen germanophiler Tendenz“ 13 keine Unterstützung mehr von Deutschland oder Österreich erwarten. Folglich fand die Fraktion der Autonomisten im lokalen Judentum größtenteils bei der Alliance Israélite Universelle in Paris eine neue Heimat, die mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht eine französische Schirmherrschaft für ihren Plan erhoffte, Thessaloniki zur ‚Freien Stadt‘ zu erklären. Trotz gewisser französischer Sympathien für ­dieses Projekt 14 gab es niemals eine wirkliche Chance für dessen Realisierung, zumindest nicht mit Venizelos – trotz seiner Entente-­freundlichen Ausrichtung – als Premierminister und Delegationsleiter bei der Friedenskonferenz. Nichtsdestotrotz berichtete der deutsche Konsul in Thessaloniki Dr. Fabricius 1922, dass die „Israeliten vor Ort“ einen Autonomiestatus immer noch als beste Lösung für die Stadt betrachteten, zumal diese dann mit ihrem ökonomischen Hinterland verbunden bliebe. Doch die Gemeinde „war naturgemäß nicht in der Lage, unabhängig politisch zu handeln und würde es nie wagen, verschwörerisch zu agieren“.15 Jedenfalls blieben die deutsch-­jüdischen Beziehungen in der makedonischen Hauptstadt weiterhin herzlich. So hatte Fabricius schon 1921 zum Laubhüttenfest (Sukkot) an einem vom neuen Oberrabbiner Bension Uziel organisierten Empfang teilgenommen. Dieser hatte seiner Gemeinde bereits zweimal geraten, an Energie und Fleiß sich das von der Niederlage schwer getroffene Deutschland zum Vorbild zu nehmen. Der von der Persönlichkeit des Rabbiners beeindruckte Konsul informierte Berlin, er plane, „die Beziehungen weiterhin zu pflegen“ – angesichts der sozialen und politischen „Bedeutung des Judentums in Thessaloniki“ 16. Die deutsche Haltung war maßgeblich von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst, unter ausdrücklicher Anerkennung des guten Rufes der jüdischen Firmen. Gleichzeitig kritisierte der Konsul diverse von der Regierung eingeführte antijüdische Maßnahmen, 12 Molho, Venizelos, S. 119; Brunau, Das Deutschtum, S. 46, S. 67; AMAE, Europe 1918 – 1940, Allemagne, Bd. 756: M. de Billy, Gesandter Frankreichs in Griechenland, Note vom 17. 9. 1919. 13 Note von M. de Billy, 17. 9. 1919 (siehe oben). 14 Vgl. zum Beispiel den Brief des Vorsitzenden des „service de la propaganda“ an Außenminister Pichon, 8. 2. 1919; vgl. auch Alliance Israélite Universelle an Pichon, 12. 2. 1919 (AMAE, Europe 1918 – 1940, Griechenland Bd. 69). 15 PAAA, R 72687: Deutsches Konsulat Saloniki, 1624/28. 9. 1922. 16 PAAA, R 72683: Deutsches Konsulat Saloniki, 316/18. 10. 1921.

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die ähnlichen Tendenzen in der orthodoxen Bevölkerung entsprachen.17 Mehr als ein Jahrzehnt hielten sich die Vertreter der Weimarer Republik an diese Linie. Zudem war einer der einflussreichsten Exponenten der deutschen Kolonie, Georg Karo, Mitarbeiter und Nachfolger von Wilhelm Dörpfeld als Sekretär (Direktor) des Archäologischen Instituts Athen, getaufter – und deutschnationaler – Jude. Als Chef der von Paris beargwöhnten kulturpolitischen bande allemande wurde Karo auf Druck der Entente Ende 1916 aus Griechenland ausgewiesen. 1920 erhielt er eine Professur in Halle, von wo aus er eine Initiative zur „Bekämpfung der Kriegsschuldlüge“ gründete. Erst 1924 wurde ihm die Rückkehr ins mittlerweile republikanische Griechenland erlaubt.18 Währenddessen verschlechterten sich dort die Beziehungen ­zwischen jüdischer Minderheit, insbesondere den ‚ungriechischen‘, meist nicht graecophonen Spaniolen, und dem venizelistischen Staat, dem eine zumindest passive Mitverantwortung für zunehmende antisemitische Propaganda und Aktionen zugeschrieben wurde. Die faschistoide Nationale Union Griechenlands (EEE) hatte 1931 das berüchtigte Campbell-­Pogrom im gleichnamigen jüdischen Arbeitervorort ausgelöst: eine Brandkampagne im wörtlichen wie auch im metaphorischen Sinne, die versuchte, die Verantwortung für die Wirtschaftskrise auf angebliche jüdische Intrigen zu verlagern. Mit dem Hinweis auf das abgebrannte Campbell warnten die zionistischen Zeitungen Thessalonikis, offensichtlich gebe es keine Zukunft für Juden in Griechenland. Allein 1932 emigrierten über 2000 Sepharden aus Thessaloniki in alle Himmelsrichtungen, namentlich nach Frankreich und Palästina. Aber auch die Verbleibenden liefen Gefahr, in die innergriechische Polarisierung hineingezogen zu werden. Zum ersten Mal sah sich Venizelos zu einer öffentlichen Warnung an die jüdische Gemeinde genötigt: Ihre undankbare Feindseligkeit gegenüber der „halben Bevölkerung Griechenlands“ könne nicht länger toleriert werden.19 Ende Januar 1933, sogleich nach Hitlers Machtantritt, verschlechterten sich die deutschen Beziehungen zum Judentum auch in Griechenland abrupt. Sichtbar wurde das im verschärften Tenor der sephardischen Zeitungen, insbesondere der nicht allein 17 PAAA, R 72612: Deutsches Konsulat Saloniki, 464/12. 8. 1925. – Noch in der Frühphase der NS-Okkupation liefen wirtschaftliche Beziehungen mit einigen Unternehmen im Deutschen Reich weiter, eine Tatsache, die der Besatzungsverwaltung Sorgen bereitete. 18 Angesichts seiner persönlichen Reputation sowie seiner nachweislichen „nationalen Einstellung“ wagten es die Nazis nicht, ihn 1933, wie ursprünglich beabsichtigt, auszuwechseln, sondern erlaubten ihm, bis zum Erreichen des Rentenalters 1936 zu bleiben. Eine Rolle spielte hierbei auch der ausgezeichnete Eindruck, den Karo als „Cicerone“ auf Goebbels bei dessen erstem Griechenlandbesuch hinterlassen hatte. 1939 emigrierte er in die USA und kehrte schließlich 1953 als Honorarprofesor nach Deutschland zurück. 19 Elevtheron Vima, 5. 7. 1933, Jewish Post, 31. 8. 1934; Hagen Fleischer, Anti-­Semitism in Greece: one hundred Years of Facts and Fiction, In: Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk: Wiek nienawisci (Festschrift für Jerzy Borejsza), Warszawa: PAN, 2014, hier: S. 154 f.

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von Juden gelesenen frankophonen Tageszeitung L’Indépendent, w ­ elche gegen den „mittelalterlichen Terror der Hitler-­Regierung“ protestierte und diesen Protest den obersten Behörden des griechischen Staates sowie der deutschen Gesandtschaft unterbreitete.20 In seinem Bericht an das Auswärtige Amt (AA ) rekapitulierte allerdings der deutsche Gesandte Eisenlohr nicht ganz zu Unrecht, Thessaloniki bilde wegen der Machenschaften seiner einflussreichen jüdischen Gemeinde 21 eine Ausnahme – im Gegensatz zur verbreiteten Meinung in Griechenland, die auf die innerdeutschen Entwicklungen positiv reagiert habe. Anzumerken ist hier die kritische Stellungnahme und Zivilcourage des deutschen Konsuls in Volos, Helmut Scheffel, der sich bereits 1905, im Alter von 24 Jahren, zunächst als Angestellter eines Importunternehmens in dieser Hafenstadt mit einer starken jüdischen Gemeinde niedergelassen hatte. Im Juni 1914 übernahm Scheffel die Firma sowie Titel und Aufgaben eines Honorarkonsuls für ein halbes Jahrhundert bis zu seinem Tod 1964. Trotz zwischenzeitlicher Denunziationen, Verhaftungen und Verfolgungen aufgrund von Kriegsereignissen erlebte er 1947 seine triumphale Rehabilitierung.22 Am 31. März 1933 hatte Scheffel das Auswärtige Amt gewarnt: Ein völliger Wandel trat (…) nach Bekanntwerden der deutschen Boykottmaßnahmen ein. Unter der hiesigen Judenschaft ist dadurch eine Verbitterung herbeigeführt worden, so groß, dass sie noch wirken wird, nachdem die Gegenmaßnahmen in Deutschland längst aufgehoben sein werden. Ein Hassgefühl gegen Deutschland ist festzustellen, so tief, dass es zum Teil nur durch die Anhänglichkeit zu erklären ist, die die hiesigen Juden im Weltkrieg Deutschland zeigten.23

Als die Juden jedoch Gegenmaßnahmen wie Demonstrationen und Boykotte deutscher Waren einleiteten, verbot die Tsaldaris-­Regierung ­solche Aktionen, die „in die inneren Angelegenheiten Deutschlands eingreifen“, und weigerte sich, die jüdischen Proteste an den Völkerbund weiterzuleiten. Tsaldaris’ Entscheidung zur Beschwichtigung des wichtigsten Handelspartners Griechenlands war primär den Pressionen der EEE und anderer antisemitischer Gruppen geschuldet, aber auch der einflussreichen Regionalzeitung Makedonia sowie der mächtigen Tabaklobby.24 Immerhin vertrat die Regierung 20 Vgl. L’Independent, 19. 3. 1933; PAAA , R 72615: Deutsches Konsulat Saloniki 134/Pol. I, 29. 3. 1933 und Communauté Israélite Salonique, 161/19. 4. 1933. 21 PAAA, R 72614: Deutsche Gesandtschaft Athen, IID (S. A.), 21. 4. 1933. 22 Dimitrios Benekos, Der deutsche Konsul in Volos Helmut Scheffel. Eine wahre Legende. Volos: Palmos, 2012. 23 PAAA, R 72615: Deutsches Konsulat Volos an AA, 31. 3. 1933. 24 AYE, 1933 A/11: Head of Press Office, Thessaloniki, 745/31. 3. 1933; PAAA, R 72615: Deutsches Konsulat Saloniki, 136/Pol. I, 1. 4. 1933: Deutsche Gesandtschaft Athen, II D (S. A.), 3. 4. 1933. Vgl. den Telegrammaustausch in AYE, 1933 A/11. Schließlich protestierten große Tabakfirmen beim Auswärtigen Amt, weil in Thessaloniki immer noch „christlich-­deutsche

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der royalistischen Volkspartei eine freundlichere Position gegenüber der jüdischen Minderheit, als es Venizelos getan hatte. Dies war eine normale Reaktion, da die Sepharden im Wahlbezirk Saloniki konstant mehrheitlich für die Antivenizelisten stimmten, seit sie 1915/16 erstmals an griechischen Wahlen teilgenommen hatten.25 Da eine kleine, aber solide jüdische Minderheit konsequent auf Seiten der extremen Linken 26 stand, blieben die Perspektiven für die Liberalen schwach. Diese Konstellation änderte sich trotz gelegentlicher venizelistischer, aber auch jüdischer Versuche zur Überbrückung der Kluft nur unwesentlich. Nach 1933 waren die deutschen Diplomaten in Athen und die Entscheidungsträger in der Berliner Wilhelmstraße (AA ) zutiefst irritiert von dieser Umkehrung der Allianzen: Die traditionellen Verbündeten Deutschlands in der Volkspartei waren mit dem jüdischen Bevölkerungsteil assoziiert, der weltweit als Hauptfeind des „Dritten Reiches“ galt. Andererseits standen die Juden mittlerweile in einem Dauerkonflikt mit den Venizelisten, die von den Deutschen zwei Jahrzehnte lang als infame Agenten der französischen Politik angesehen wurden, durch deren Schuld Griechenland auf der falschen Seite in den Krieg geführt worden sei. Zu den Indizien, w ­ elche die deutschen Beobachter verwirrten und beunruhigten, gehörte etwa die Entscheidung von Tsaldaris, den jüdischen Jom Kippur (Versöhnungstag) als offiziellen Feiertag für Thessaloniki anzuerkennen und ihn damit den orthodoxen gleichzustellen. Berlin hielt dies für eine eklatante Fehlleistung, die rückgängig gemacht werden müsse. Damit befanden sie sich im Einklang mit den meisten liberalen Zeitungen, die diese Entscheidung als bizarre „Hofierung der Juden“ 27 verurteilten. So wird es verständlich, dass sich eine zuvor undenkbare Umorientierung anbahnte – nach einer Initiative von Konstantinos Vellidis, Gründer und Herausgeber der Makedonia, dem traditionell antideutschen, aber zugleich extrem antisemitischen Sprachrohr der Venizelisten.28 Mit seinen täglich 30.000 Lesern erreichte es „wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Zeitungsleserschaft überhaupt ­zwischen Thessalien und Thrazien“. Vellidis wandte sich Anfang 1934 vertraulich an den neuen Konsul Jakob Diel mit der Bitte, eine der im Vorjahr beschlagnahmten „erstklassigen Rotationsmaschinen“ linker bzw. jüdischer Druckereien zu günstigen Bedingungen zu erhalten. „Denn ein Ankauf

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Unternehmen“ mit jüdischen Partnern Handel trieben (z. B.: BArch, Potsdam, 09.01/42631: A. Ch. Sterghiades, 19. 1. 1934). Molho, Venizelos, S. 118 f.; Vergleiche z. B. PAAA, R 72652: Deutsches Konsulat Saloniki, 1871/31. 10. 1923. PAAA, R 72686: Deutsches Konsulat Saloniki, 333/4. 12. 1926; und andere. PAAA, R 72655: Deutsches Konsulat Saloniki, 487/I., 10. 11. 1933. Schon früher hatte der US-Konsul geklagt, d­ ieses „Boulevardblatt der übelsten Sorte“ sei für „seine gewalttätigen Angriffe auf Juden und Ausländer berüchtigt“. NARA, Rg 59: US-Generalkonsulat Thessaloniki, 19. 12. 1923, 86 8. 4016/47.

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zu normalen Preisen“ sei bei „dem derzeitigen Drachmenstande unerschwinglich“. Als „Gegenleistung“ würde er sich „verpflichten, die außenpolitische Haltung seines Blattes (…) unseren Wünschen anzupassen“. Insbesondere versprach er eine positive Berichterstattung über das ‚neue Deutschland‘. Diel befürwortete diese Initiative, zumal auch die Makedonia scharf antisemitisch eingestellt ist. Wir würden ihr also auf d­ iesem Gebiete nicht die Hand zu führen brauchen (wodurch nur die unsere sichtbar würde), sondern könnten sie ihre Polemik um die hiesige Judenfrage (…) allein ausfechten lassen und als tertii gaudentes zuschauen.

Tatsächlich kam es bald zu praktischer Kooperation auch bei der Herausgabe einer Broschüre von ca. 100 Seiten Umfang in einer Auflage von 20.000 Exemplaren über Hitler und die „Geschichte seiner Bewegung“ in griechischer Sprache, deren „feuilletonistische Darstellungsweise für die hiesigen Leser fesselnd wirken dürfte. Zudem erfolgt die Veröffentlichung in einem Zyklus von Broschüren über aktuelle Führerpersönlichkeiten (Mussolini, Venizelos usw.) und wird dadurch unauffälliger.“ 29 Diese Neuorientierung nahm auch in der Außenpolitik konkrete Formen an: Beide Seiten missbilligten die Entscheidung von Tsaldaris am 9. Februar 1934, der neugegründeten Balkan-­Entente beizutreten (Rumänien, Jugoslawien, Türkei und Griechenland), die seit dem Vertrag von Versailles als Schlüssel der antirevisionistischen Strategie des Quai d’Orsay galt und daher für die Wilhelmstraße auch mit Rücksicht auf den dabei ‚außen vor gelassenen‘, langjährigen bulgarischen Bundesgenossen Anathema war. Eben deshalb erstaunte Venizelos’ Widerstand mit der Begründung, der neue Pakt laufe seinem komplizierten System bilateraler Verträge und „Freundschaft mit allen“ zuwider. Nur dieser Kontext macht es verständlich, dass Berlin während des gescheiterten venizelistischen Putschversuches im März 1935 strikt neutral blieb, im Gegensatz zu den meisten westlichen Regierungen, die sich offen mit Tsaldaris gegen das „kriminelle Abenteuer“ ihres einstigen Verbündeten Venizelos stellten. Anzumerken ist hier, dass zumindest manche der Putschisten sich mit der Aussicht auf Plünderung „jüdischer Reichtümer“ in Thessaloniki der Revolte angeschlossen hatten.30 Allerdings ließen die neuen deutschen Sympathien für die Venizelisten und ihren Führer abrupt nach, als dieser wenige Monate vor seinem Tod die Notwendigkeit griechischer Einheit anmahnte – mit dem Argument eines drohenden, „wiederum vom Deutschen Reich provozierten“ neuen Weltkriegs.31 29 PAAA , Presse-­Abt., Griechenland 3: Deutsches Konsulat Saloniki, Streng vertraulich, 54/ Pol. II, 30. 1. 1934; 153/Pol. II, 19. 4. 1934; 235/Pol. II, 13. 5. 1934; 186/Pol. II, 31. 5. 1934. 30 Vgl. Fleischer, Anti-­Semitism, S. 155. 31 Eleftheron Vima, 17. 11. 1935; PAAA, R 72614: Deutsche Gesandtschaft Athen, tel. 103/18. 11. 1935. Vgl. Anm. 37.

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Berlin erwog daraufhin bei den kritischen Wahlen im Januar 1936 eine massive Stellungnahme im Falle einer Regierungsbildung durch den „rückfällig“ gewordenen alten Widersacher.32 Gleichzeitig verwirrte der Umstand, dass die jüdischen Wähler „ganz überwältigend“ ihre Opposition innerhalb des antivenizelistischen Lagers manifestierten, indem sie von Tsaldaris’ gemäßigter Volkspartei zu dessen radikalem Rivalen Kondylis übergelaufen waren.33 Die gewaltigen – in Lied und Dichtung verewigten – blutigen Streiks im Frühjahr 1936 störten die Deutschen nur insofern, als sie befürchteten, ihr beträchtlicher Tabakvorrat in makedonischen Lagerhallen könne durch unvorsichtige Behandlung 34 verdorben werden. Berlin fürchtete keineswegs die in Athen beschworene Gefahr einer kommunistischen Machtergreifung, doch der Umstand, dass Thessaloniki mit seinem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil das Zentrum der „Rebellion“ war, machte es der eigenen Propaganda leicht, beide Erbfeinde des „Dritten Reiches“ über den Leisten der üblichen nationalsozialistischen Leitlinien zu schlagen.35 Nach der Etablierung der Metaxas-­Diktatur am 4. August 1936 lobte die NS-Presse unisono die „Renaissance“ Griechenlands, da nun auch dort die Periode der „Dekadenz“, das heisst die Nachahmung der „bankrotten westlichen Demokratie“ beendet sei.36 Im Gegensatz zum eher eindimensionalen Bild, das in der griechischen Öffentlichkeit und sogar in wissenschaftlichen Publikationen vorherrscht, war Metaxas nicht immer die bevorzugte Option Deutschlands auf dem politischen Parkett Athens. Unter den Auspizien der Weimarer Republik wurde die Anbindung des Generals an das kaiserliche Deutschland weitgehend negativ gesehen, und vor allem nach den konstitutionellen Wirren von 1922/23 überwogen in der Wilhelmstraße über ein Jahrzehnt lang die negativen Einschätzungen seines „ehrgeizigen“ und „opportunistischen“ Verhaltens, seiner „politischen Kurzsichtigkeit“ und sogar seiner „faschistischen Allüren“.37 32 PAAA, R 72664: Deutsche Gesandtschaft, II GJ 1/28. 1. 1936. 33 PAAA, R 72656: Deutsches Konsulat Saloniki, 78 Pol V, 11. 2. 1936. Die deutschen Diplomaten waren zudem darüber besorgt, dass die zweite Frau des ansonsten „germanophilen“, neuen Außenministers Theotokis Jüdin war. PAAA, R 72656: Deutsche Gesandtschaft Athen, 12. 10. 1935; PAAA, Geheimakten Griechenland, Pol 2, 94/5. 11. 1935. 34 PAAA, Ha-­Pol. Wiehl 14/2, Griechenland 2: AA 49/12. 5. 1936. 35 Vgl. etwa Franz Baron von Weyssenhoff, Griechenland und Deutschland, in: Europäische Revue X: 8 (August 1934), S. 513; sowie „Der Sowjetalarm von Saloniki“, in: Berliner Börsenzeitung, 12. 5. 1936. 36 Die einschlägigen Artikel verraten zumeist schon im Titel ihren Denkansatz. Vgl. z. B.: „Griechenlands innere Gefahren“, in: Münchener Neueste Nachrichten, 6. 8. 1936; „Wiedergeburt: Regierung und Volk im Neuen Griechenland“, in: Berliner Börsenkurier, 5. 11. 1936; „Sechs Monate autoritärer Aufbau in Griechenland“, in: Völkischer Beobachter, 9. 2. 1937; „Autoritäres Griechenland“, in: Germania, 9. 6. 1938. 37 Fleischer, im vorliegenden Band der Aufsatz „Das deutsche Venizelos-­Bild“.

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Eine unvoreingenommene und gründliche Untersuchung der Beziehungen ­zwischen Nazideutschland und Metaxas’ „väterlicher Diktatur“ 38 bildet trotz verschiedener Versuche weiterhin ein Desiderat,39 zumal die bestehende Literatur das Thema meist auf ideologische Sympathien oder Analogien reduziert. Mit Bezug auf die politischen und wirtschaftlichen Interessen des Reiches zweifelte Berlin jedoch nicht, dass den eigenen Interessen – trotz der Loyalität des Diktators zum anglophilen König – mit dem neuen Regime besser gedient war, als es während der dezidiert germanophilen Regierungen von Tsaldaris und Demertzis der Fall gewesen war.40 Allerdings missbilligten die deutschen Beobachter, dass das angeblich geistesverwandte Regime eine bemerkenswerte Toleranz – wenn nicht gar Anbiederung – gegenüber den Juden an den Tag legte. Metaxas und seine führenden Mitarbeiter (Maniadakis, Kotzias, Louvaris) versicherten ihnen öffentlich, dass sie die gleichen Rechte wie alle anderen Bürger genießen, als „Kinder des neuen griechischen Staates“, zumal auch sie diesen Staat als ihr Vaterland betrachteten. Die Qualität der propagierten neuen, herzlichen, „säkularen Beziehungen“ ist durch einen häufigen Austausch freundschaftlicher Telegramme ­zwischen führenden Vertretern des Regimes und den jüdischen Gemeinden dokumentiert, insbesondere denen von Thessaloniki und Athen. Der Diktator bedankte sich für seine Aufnahme in das Livre d’or du Fond National Juif; die jüdische Presse erwies, sogar in gereimter Form, dem Gründer des Regimes und seiner Jugendorganisation EON alle Ehren; der aus Deutschland importierte Oberrabbiner Dr. Zvi (Hirsch) Koretz hielt öffentliche Vorträge über „Die Juden und der 4. August“. Die jüdischen Journalisten wetteiferten mit ihren nichtjüdischen Kollegen im Erweis ihrer patriotisch-­nationalen Gefühle: Die Namenstage des Diktators, des Königs, des Kronprinzen usw. wurden prunkvoll gefeiert, ebenso das Gedenken an die siegreichen Schlachten in den Balkankriegen, aber auch an die „Befreiung Thessalonikis vom türkischen Joch“ 41 sowie den Waffenstillstand und die deutsche Kapitulation, die den ­Ersten Weltkrieg beendeten. Im Gegenzug verbot das Regime die fanatisch antisemitische EEE mit ihren Verbindungen zur Naziszene. 3 8 Vgl. „Vier Jahre ‚Väterliche Diktatur‘“, National-­Zeitung, 4. 8. 1940. 39 Eine frühe Übersicht gab Renate Meissner, Η εθνικοσοσιαλιστική Γερμανία και η Ελλάδα κατά τη διάρκεια της μεταξικής δικτατορίας (NS-Deutschland und Griechenland während der Metaxas-­Diktatur), in: Hagen Fleischer; Nikos Svoronos (Hg.), Η Ελλάδα 1936 – 1944. Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση (Griechenland 1936 – 1944. Diktatur – Okkupation – Widerstand), Athen: ΑΤΕ, 1989, S. 50 – 58. 4 0 Vgl. z. B. PAAA, R 72664: Deutsche Gesandtschaft Athen II GJ I, Politischer Bericht, 18. 3. 1936. 41 L’Independent, z. B. 27.8., 27.9., 10.11., 13. 11. 1937; 4.8., 5.8., 5.9., 26.10., 27. 10. 1938; 30. 1. 1939; Nikolaos Louvaris, Κατοχή, ο Γολγαθάς ενός έθνους (Okkupation, Golgatha eines Volkes), Ethnikos Kyrix, 8. 4. 1950, und viele andere. – Dies zeigt die Absurdität der Behauptung, Metaxas hätte alle frankophonen jüdischen Zeitungen verboten. Steven Bowman, Jews in Wartime Greece, in: Michael R. Marrus (Hg.), The ‚Final Solution‘ Outside Germany, Bd. 1, Westport: Meckler, 1989, S. 300.

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Dennoch vermied Berlin offene Kritik, solange diplomatische Überlegungen zu berücksichtigen waren. Erst s­ päter wurde öffentlich kritisiert, dass die griechischen „Juden volle Freiheiten genossen und ein friedliches Leben führten“.42 Tatsächlich hatte Metaxas die scharfen Kommentare in jüdischen Zeitungen zur nazistischen Rassenpolitik einzuschränken versucht. Dennoch wurde immer wieder Kritik geübt, auch getarnte, und die nationalsozialistischen Machthaber würden dies nicht vergessen.43 Seit die Zensur keine unverblümt antideutschen Kommentare mehr zuließ, zitierte die jüdische Presse diesbezüglich neutrale Agenturen und Zeitungen. Oft gab es Hinweise auf die Verfolgung der Juden und anderer stigmatisierter Bevölkerungsgruppen im Reich sowie in den neu besetzten Ländern Österreich, Tschechoslowakei, Polen und ­später Frankeich. Diesen Berichten wurden ­solche über Hilfsaktivitäten von Privatleuten oder staatlichen Behörden in den meisten westeuropäischen Ländern für jüdische Flüchtlinge und insbesondere für Kinder gegenübergestellt.44 Die Auswahl der Nachrichten und vor allem ihre Platzierung im internationalen Berichtsteil zeigten unmissverständlich, auf welcher Seite die Sympathien der Korrespondenten standen. Eine Alibifunktion hatte der wiederholte Abdruck von Artikeln zur NS-Rassenideologie, auch mit Verweisen auf von Goebbels und Parteigenossen gehaltene Vorträge und andere Aktivitäten, insbesondere im Ausland, oder auf Hitlers geostrategische Ziele. Schließlich gewährte die jüdische Presse auch nebensächlichen Geschehnissen, die für das „Großdeutsche“ Reich und die dort herrschende Ideologie in verschiedenster Weise peinlich oder abträglich waren, beträchtliche Publicity. Als Beispiele s­ eien die Aktivitäten von Antifaschisten innerhalb oder außerhalb des Reiches herausgegriffen: etwa die Desertion zweier deutscher Soldaten nach Frankreich bereits vor Kriegsbeginn, die K.-o.-Niederlage von Boxchampion Max Schmeling, der „großen weißen (arischen) Hoffnung“, gegen den schwarzen Joe Louis vor einem fanatisierten, meist jüdischen Publikum in New York sowie, last but not least, die im NS-Sprachgebrauch „rassenschänderische“ Konversion eines deutschen Mädchens zum mosaischen Glauben, um einen Juden aus Thessaloniki zu heiraten, in den es sich verliebt hatte!45 Bemerkenswerterweise fehlten jedoch Berichte über den aktiven Beitrag des griechischen Judentums selbst. Offensichtlich hatte das Metaxas-­Regime in ­diesem Punkt um Diskretion gebeten, während es die laufenden Aktivitäten der jüdischen Gemeinden tolerierte, die seit 1933 moralische und materielle Unterstützung für ihre verfolgten Brüder aus Deutschland und anderen Ländern leisteten, die sukzessive unter 42 Franz Bachmann, Der Einfluß des Judentums in Griechenland, in: Volk im Osten 4 (1943), S. 60 ff.; vgl. auch: Die Judenfrage, 15. 11. 1940, S. 179 ff.; Messager d’Athènes, 9. 9. 1936. 43 Siehe weiter unten Anm. 54. 4 4 L’Independent, passim. – Selten nur identifizierte die Zeitung ihre Korrespondenten als Quelle, vgl. auch den Bericht zum gesamtdeutschen Pogrom, der „Kristallnacht“. Ebd., 11. 11. 1938. 45 Z. B. L’Independent, 30. 9. 1939, 13. 11. 1939, 5. 9. 1938, 18. 8. 1938, 14. 1. 1938.

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deutsche Herrschaft oder Einfluss geraten waren. Hunderte von Auswanderern suchten in Griechenland Zuflucht, Tausenden wurde bei der Weiterreise geholfen.46 Das berüchtigte „Sonderkommando Rosenberg“, eine nationalsozialistische Taskforce zur Jagd auf weltanschauliche Feinde, sollte dies s­ päter so zusammenfassen: „Die griechischen Juden haben dem Welt-­Judentum nützliche Hilfe geleistet, indem sie eine große Anzahl jüdischer Flüchtlinge aus Mitteleuropa, mit legalen oder illegalen Mitteln, nach Palästina geschleust haben.“ 47 Tatsächlich teilte sich die Fluchtwelle der Verfolgten nach ihrer Ankunft in Griechenland in zwei Hauptströme. Mit Unterstützung der jüdischen Auswanderungsbehörden in Thessaloniki und in Athen/Piräus führten sie, im Rahmen der verbliebenen Möglichkeiten, entweder in den Nahen Osten oder über Portugal nach Amerika.48 In beiden Fällen kehrte ein beträchtlicher Prozentsatz der wehrpflichtigen Männer früher oder ­später nach Europa zurück, um für dessen Befreiung zu kämpfen. 4 6 Bereits im Herbst 1933 berichteten arabische und griechische Zeitungen von Gerüchten, London ziehe die Ansiedlung von 50.000 deutschen Juden auf Zypern in Betracht. Das Kolonialamt machte deutlich, dass es sich um eine „Ente“ handelte, die möglicherweise auf Anfragen jüdischer Kreise nach privatem Landerwerb auf Zypern beruhte. (TNA , F. O. 371/16773: C 9759; C 10261). Da diese Siedlungspläne die angebliche britische Absicht offenbarten, Zyperns ethnische Zusammensetzung zum Nachteil der griechischen Bewohner zu ändern (ebd.), ist die Möglichkeit einer bewussten deutschen Falschmeldung nicht auszuschließen. Einen Monat nach dem deutschen Überfall auf Griechenland berichteten die Behörden in Nikosia dem Kolonialsekretär über die Anwesenheit von insgesamt 460 „ausländischen Juden“. Die meisten von ihnen kamen aus von den Nazis kontrollierten Ländern: 163 aus Österreich, 92 aus Deutschland selbst, 40 aus Rumänien, 31 aus Polen. – Dimosio Archeio Kyprou (Kommunalarchiv Zypern): SAI/670/1941, Bericht 6. 5. 1941. – Anzumerken ist hier, dass die Estia gegen jede Aufnahme jüdischer Flüchtlinge in Griechenland polemisierte und daher von der Nazipresse gelobt wurde (z. B. Völkischer Beobachter, 22. 8. 1934). Es sei hinzugefügt, dass die Estia in den Zwanzigerjahren, abwechselnd von französischen und britischen Agenturen subventioniert, unter den venizelistischen Medien die aggressivste antideutsche Haltung vertreten hatte; dementsprechend war sie nach dem Zweiten Weltkrieg die einzige Zeitung in der rechtsgerichteten politischen Landschaft, zu der sie mittlerweile gehörte, die beständig gegen die Bundesrepublik polemisierte. Die einzige Periode, in der ­dieses Blatt Deutschland Beifall zollte, war die des „Dritten Reichs“. Die Estia wurde daher von der NS-Presse als „hervorragendes Blatt“ gelobt, das den griechischen Faschismus würdig vertrete (Dr. Max Fischer, Griechenlands Faschismus, in: Berliner Tageblatt, 21. 4. 1934; PAAA, Presse-­Abt. Griechenland I: Deutsche Gesandtschaft Athen II P2/19. 6. 1936; siehe auch Giorgos Seferis, Πολιτικό ημερολόγιο Ι, 1935 – 1945 (Politisches Tagebuch I, 1935 – 1945), Athen: Ikaros, 1979, S. 18 f., S. 24 (Einträge 27. 10. 1940 und 25. 3. 1941). 47 BArch, NS 30/75: Abschlussbericht über die Tätigkeit des Sonderkommandos Rosenberg in Griechenland, 15. 11. 1941. 48 Vgl. z. B. PAAA , Inland II  A/B, 295/2: Chef SiPo/SD VI D4 AZ , 8. 8. 1940; und PAAA , Inland IIg/391: Chef SiPo/SD DII 419g, 11. 6. 1940.

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Obwohl die meisten Flüchtlinge Griechenland nur als Zwischenstation auf der Suche nach einem sicheren Hafen betrachtete, blieben Hunderte dort. Nach der griechischen Volkszählung vom Oktober 1940 behielten von 536 deutschsprachigen „Israeliten“ 434 ihre Muttersprache weiterhin „in täglichem Gebrauch“. Die meisten von ihnen dürften erst kurz zuvor geflüchtet sein. Gleiches galt wohl auch für die 406 Aschkenasim, die im Alltag in „anderen“ als den aufgeführten Sprachen kommunizierten und offensichtlich aus den deutsch-­okkupierten Ländern Ost- und Mitteleuropas geflohen waren.49 Doch ihr „friedliches Leben“, das ihnen von den Nazispionen missgönnt wurde, war kurz. Wenige Tage nach Abschluss der Volkszählung verwickelte der italienische Angriff auch Griechenland in den Krieg. Die Juden erfüllten ihre Pflicht und kämpften wie alle anderen Griechen. Viele wurden getötet, verwundet oder ausgezeichnet. Mordechai Frizis, ein jüdischer Oberst aus Chalkida, war einer der ersten Offiziere und einer der ranghöchsten, der an der albanischen Front fiel.50 Trotz der Wachsamkeit des Regimes, das sich bemühte, die vorerst noch neutralen teutonischen Partner Mussolinis nicht zu irritieren, gelang es den jüdischen Zeitungen immer wieder, ihre Botschaft zu vermitteln: Neben allgemeinen patriotischen Appellen, „unser geliebtes Vaterland, die Unabhängigkeit und territoriale Integrität des ewigen Griechenlands zu verteidigen“ (Koretz), gab es häufig Kundgebungen gegen Defätisten und nicht näher definierte „Freunde des Feindes“. Die Jüdische Gemeinde in Athen wandte sich an die großen Gemeinschaften in alliierten und neutralen Staaten, damit sie das tapfere Land unterstützten, „wo die barbarischen Rassendoktrinen keine Resonanz gefunden hatten“.51 Doch auch ohne s­ olche Nadelstiche gegen den deutschen Goliath musste es nach dem Sieg der griechischen 49 Diese Schlussfolgerung wurde dem Verfasser in mehreren Interviews bestätigt, z. B. von Dr. Joseph Löwinger, dem damaligen Präsidenten des Jüdischen Zentralrates in Griechenland. Er war aus Ungarn geflohen, während seine Frau aus Österreich kam. Außerdem von Hella Cougno-­Löwi, deren Eltern die Tschechoslowakei verlassen hatten, unmittelbar vor deren Besetzung durch die Wehrmacht. – Aufgrund der Kriegsereignisse und anderer Schwierigkeiten waren die endgültigen Ergebnisse der Volkszählung erst 20 Jahre ­später – in Gegenüberstellung zur Volkszählung von 1951 – veröffentlicht worden: Royaume de Gréce, Office National de Statistique, Résultats du Recensement de la Population effectué le 7 Avril 1951, I. Athen 1961, S. CXV f., S. CXVIII. 50 Was die im Kampf gefallenen jüdischen Soldaten betrifft, vgl. die aus den Akten des griechischen Generalstabs zusammengestellten in der Zeitschrift des jüdischen Zentralrats publizierten Listen in: Chronika, hg. von KIS , Athen, 128 (1993), S. 9 ff. Während der Besatzung beschuldigte die kollaborierende Presse die Juden, ihre Auszeichnungen „erschlichen“ zu haben (vgl. z. B. Nea Evropi, 3. März 1943). Was M. Frizis betrifft, siehe den Telegrammaustausch ­zwischen seiner Witwe Victoria und Metaxas in: L’Independent, 16. 12. 1940. Vgl. auch das Telegramm von Koretz: „Son sacrifice pour la victoire de la Patrie rehausse le prestige du judaisme de Grèce (….). Le souvenir de sa mort héroique sera une source d’inspiration patriotique pour notre jeunesse et pour tous les israélites de Grèce.“ Ebd., 17. 12. 1940. 51 L’Independent, 2.11., 11.11., 14. 11. 1940 und viele andere.

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Armee über die italienischen Aggressoren unweigerlich zur Intervention der Wehrmacht kommen, die von den erschöpften Verteidigern und dem schwachen britischen Expeditionskorps nicht mehr abgewehrt werden konnte. Bald entdeckten die Sieger mit hämischer Freude unter ihren Gefangenen eine Anzahl jüdischer Emigranten aus Deutschland und Österreich, die sich freiwillig für den britischen Militärdienst gemeldet hatten.52 Im Mai 1941 teilten die neuen Herren das eroberte Land in drei Besatzungszonen auf. Seit Hitler die preponderanza – d. h. die Vormachtstellung der Italiener in Griechenland – anerkannt hatte, übernahmen Letztere den Löwenanteil der Beute, während die Bulgaren Thrakien und Ost-­Makedonien erhielten. Die eigentlichen Sieger behielten lediglich wenige Schlüsselpositionen: Piräus, Zentral-­Makedonien mit Thessaloniki sowie einige Inseln von strategischer Bedeutung, darunter den größeren Teil von Kreta. Aufgrund dieser Dreiteilung des Landes zögerten die Nazis, die berüchtigten Nürnberger „Rassengesetze“ auch in ihrer Zone sofort anzuwenden, da sie Schwierigkeiten hatten, ihre Partner von dieser Notwendigkeit zu überzeugen. Auch bevorzugten der Sicherheitsdienst (SD ) und andere deutsche Dienststellen eine konzertierte Aktion aller Besatzungsmächte und begnügten sich in den beiden ersten Okkupationsjahren mit Maßnahmen, die nur selten das Niveau individueller Übergriffe und Schikanen überschritten: so etwa Beschlagnahmungen oder Schließung jüdischer Geschäfte, auch der renommierten Buchhandlungen Molho in Thessaloniki und Kaufman in Athen. Die letzte sephardische Zeitung („Messagero“) wurde eingestellt, politisch bedeutsame Personen verhaftet, darunter ehemalige Abgeordnete und Journalisten, die in den Jahren zuvor die schärfsten Kritiker der NS-Methoden gewesen waren.53 Ebenso Flüchtlinge aus dem Reich, die mit ihren Kenntnissen deutscher Sprache und Mentalität als besonders gefährliche, potentielle Spione galten.54 Der demonstrative Verzicht auf kollektive Unterdrückung im ersten Besatzungsjahr führte zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl unter den Juden.55 Ein aufmerksamer 52 Frankfurter Zeitung, 25. 5. 1941. 53 Michael Molho, In Memoriam. Hommage aux victimes Juives des Nazi en Grèce, Thessaloniki: Israelitiki Koinotita, 1948, Bd. I, S. 52. 54 Reichsicherheitshauptamt IV  B 4b – 247/42 (1148), 11. 7. 1942, veröffentlicht in: Daniel Carpi, Nuovi Documenti per la Storia dell’Olocausto in Grecia – L’Attegiamento degli Italiani (1941 – 1943), Michael, VII (1981), Tel Aviv, S. 173. Zum Spionageverdacht siehe u. a.: Yomtov Yakoel, Απομνημονεύματα 1941 – 1943 (Erinnerungen 1941 – 1943), hg. von F ­ ragkiski Abatzopoulou, Thessaloniki: Ets Achaim-­Paratiritis 1993, S. 38 und S. 54. Unter den Gegebenheiten des nazistischen Terrorregimes schien ein gewisses Misstrauen angemessen. Dennoch waren diese Anschuldigungen gegenüber der großen Mehrheit der Auswanderer ungerechtfertigt, wie die deutschen Quellen zeigen. 55 Leften Stavros Stavrianos, The Jews of Greece, in: Journal of Central European Affairs 8 (1948), S. 260; ebenfalls: Michael Molho, in Memoriam, Bd. I, S. 42.

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Beobachter hätte jedoch vorbereitende Maßnahmen erkennen müssen, die Gefahr signa­ lisierten, so etwa die Gründung des faschistischen Hetzblattes Nea Evropi zur Aktivierung antisemitischer Reflexe in der griechischen Bevölkerung 56 und die Rekrutierung eines servilen, mediokren Gemeindevorstehers in Thessaloniki, insbesondere aber das Erscheinen einer Kommission für jüdische Angelegenheiten (Sonderkommando Rosenberg), die nicht nur unersetzbare Kultusgegenstände und andere Wertobjekte beschlagnahmte, sondern auch versuchte, die statistischen Daten aller jüdischen Gemeinden zu eruieren, um die Voraussetzung für eine landesweite Verhaftungsaktion zu schaffen. Die Angaben zur tatsächlichen Zahl der beim deutschen Einmarsch in Griechenland lebenden Juden waren und sind widersprüchlich. Die vorliegenden Statistiken beziehen sich zumeist auf die 1947 gezählten Überlebenden und vergleichen sie oft mit einer undatierten Spezifizierung „vor dem Holocaust“. Das Hauptproblem d­ ieses Ansatzes liegt in den vagen Ausgangsdaten. Die häufigsten Schätzungen ergaben eine Vorkriegspopulation von 73.000, 75.477 oder 77.317 griechischen Juden, ohne anzugeben, ob die damals noch italienischen Inseln des Dodekanes einbezogen waren. Einige Zahlen sind sogar deutlich höher.57 Sie alle erscheinen bereits in frühen Nachkriegspublikationen, als die Volkszählung von 1940 noch nicht zugänglich oder noch nicht ausgewertet war, so dass sie entweder auf Schätzungen oder auf der nur bedingt zuverlässigen Volkszählung von 1928 mit einem höheren Anteil jüdischer Bevölkerung beruhten. Die Naziexperten standen bei ihrer Ankunft 1941 vor ähnlichen Problemen, namentlich auch Johannes Pohl, ehemaliger Priester, dann Mitarbeiter der antisemitischen Wochenzeitschrift „Der Stürmer“ und schließlich kooptierter Bibliothekar am neugegründeten Frankfurter Institut zur Erforschung der Judenfrage. In dessen Namen unternahm er „Studienreisen“ durch fast alle besetzten Gebiete zur „Erfassung“ von Hebraika, wertvoller Kultgegenstände, aber auch jüdischer Archive und Statistiken. In Griechenland erklärte er die ersten und ohnehin überhöhten Schätzungen seiner eigenen Agentur von 78.500 für zu niedrig. Pohl argwöhnte vorsätzliche Täuschung seitens mehrerer jüdischer Gemeinden, um die tatsächliche Zahl von 100.000 Juden zu verschleiern und diese, zumindest partiell, dem deutschen Zugriff zu entziehen.58 Vermutlich wusste er nicht, dass sich der frühere Trend zur jüdischen Auswanderung

56 Die erste derartige Kampagne wurde an Hitlers Geburtstag gestartet (siehe Anm. 1). Sie war offensichtlich nicht erfolgreich, denn sieben Monate s­ päter, als das „Sonderkommando Rosenberg“ Griechenland verließ, klagte dessen Führer: „Für den Durchschnittsgriechen gibt es bisher kaum eine Judenfrage. Er sieht nicht die politische Gefahr des Weltjudentums und glaubte sich wegen der verhältnismäßig geringen zahlenmäßigen Stärke vor einer kulturellen und wirtschaftlichen Bevormundung durch die Juden sicher.“ BArch, NS 30/75: Abschlussbericht, 15. 11. 1941. 57 Vgl. Fleischer, Griechenland, S. 247. 58 J. Pohl, Die Zahl der Juden in Griechenland, in: Weltkampf, 3 (1942), S. 221 f.

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während der 1920er Jahre, meist aus wirtschaftlichen Gründen, verstärkt hatte.59 Tatsächlich erfasste die damals noch unbekannte Volkszählung vom Oktober 1940 nur 67.591 Einwohner „israelitischen Glaubens“, einschließlich Ausländer, innerhalb der Grenzen Griechenlands.60 Hinzuzuzählen waren die rund 2000 Juden des Dodekanes-­ Archipels, namentlich Rhodos und Kos, sowie eine Anzahl, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht registrieren ließ. Damit belief sich die Gesamtzahl potentieller jüdischer Opfer auf mindestens 72.000.61 Die erste unübersehbare antijüdische Maßnahme erfolgte am 11. Juli 1942 ausgerechnet auf dem Freiheitsplatz in Thessaloniki. Hier erfolgte die öffentliche Registrierung von fast 9000 männlichen Juden unter demütigenden Umständen.62 Danach wurden etwa 3500 Männer, die keinen „geregelten Arbeitsplatz“ nachweisen konnten, in Zwangsarbeitsbataillone gesteckt, vor allem im Straßen- und Flugplatzbau. Doch „zu schweren körperlichen Arbeiten taugten sie nicht viel“, spottete der ‚Wehrwirtschaftsoffizier Saloniki‘, so dass „ein höherer Prozentsatz“ starb:63 an Malaria, Lungenentzündung oder den grausamen Arbeitsbedingungen. Danach wurde den erschöpften Überlebenden die Rückkehr gestattet gegen ein von der Gemeinde mit Mühe aufgebrachtes „Lösegeld“ von zweieinhalb Milliarden Drachmen, äquivalent zu 8000 Gold-­Sovereigns. Darüber hinaus musste die Gemeinde der Enteignung des 450 Jahre alten, fast eine halbe Million

59 Mehr als 20.000 griechische Juden emigrierten in den Zwanziger- und Dreißigerjahren – insbesondere in den Nahen Osten, nach Frankreich, Italien und Südamerika. Viele von ihnen blieben in Paris, wo im November 1942 mindestens 5000 den deutschen Besatzern in die Hände fielen, die sie nach Auschwitz deportierten. Dazu: In Memoriam (griechische Version einer erweiterten Ausgabe von Molho und Nehama), Thessaloniki 1976, S. 253. – Zur jüdischen Auswanderung nach Frankreich siehe den Bericht des französischen Konsuls in Thessaloniki an Premierminister Millerand, 78/18. 8. 1920, AMEA, Europe 1918 – 1940, Grèce, Band 69. 60 Rekrutierung, Pt. CXVII. – 53.125 erklärten, dass sie „Spanisch oder Judäo-­Spanisch“ sprächen, 52.731 von ihnen waren jüdischen Glaubens. Die Differenz in den Angaben erklärt sich wohl damit, dass 327 zur griechischen Orthodoxie konvertiert waren, während die wenigen Katholiken zumeist Geschäftsleute „arischer“ Herkunft bzw. Gesandtschaftspersonal aus Spanien oder lateinamerikanischen Gesandtschaften gewesen sein dürften. 61 Der deutsche Terminus war „Glaubensjude“, im Gegensatz zu „Rassejude“, d. h. Mensch „jüdischer Rasse“. Im Reich selbst, wie auch in vielen anderen Ländern, machten die Nazis fast keinen Unterschied z­ wischen beiden Kategorien, da Hitler und seine Lehre „die jüdische Rasse“ und nicht ihre Religion als „Weltfeind“ bezeichnet hatten. In Griechenland waren die getauften Juden jedoch fast immer mit orthodoxen Partnern verheiratet, und so wurden sie in der Regel nicht deportiert und erlitten kein a priori härteres Schicksal als die Mehrheitsbevölkerung (vgl. Fleischer, Griechenland, S. 249). Jedenfalls wäre es für den SD s­ chwierig gewesen, die konvertierten romaniotischen „Rassejuden“ aufzuspüren, da sie weder nach religiösen noch nach sprachlichen Kriterien identifiziert werden konnten. 62 Siehe den Befehl dazu in: Nea Evropi, 9. 7. 1942. 63 Fleischer, Griechenland, S. 250 f.

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Gräber umfassenden Friedhofs zustimmen, der dann für die ganze Stadt als wohlfeiler Steinbruch und s­ päter auch als Baugelände diente. Die geplünderten, altehrwürdigen Grabsteine wurden entweiht und als Pflastersteine oder Baumaterial verwendet.64 Doch für die „Freigekauften“ war die zu einem so hohen Preis erworbene Galgenfrist nur kurz, denn Ende 1942 verloren die Berliner Strategen der „Endlösung“ die Geduld: Himmler und Eichmann schickten einige ihrer bewährtesten Mitarbeiter nach Athen. Der Chef ­dieses Kommandos, Dieter Wisliceny, informierte die führenden deutschen Stellen in Griechenland, die Juden würden im Falle einer alliierten Invasion als fünfte Kolonne fungieren und s­ eien deswegen zu kriegswichtigen Arbeiten in einen „geschlossenen Siedlungsraum“ zu deportieren. Verantwortung für die Aktion trage der SD , unter Mitarbeit der Militärverwaltung in Thessaloniki. Die Gesandtschaft habe keinerlei Mitspracherecht.65 Damit begann in Thessaloniki endgültig der Countdown für Auschwitz.66 Nach einigen Präliminarien wurde am 6. Februar 1943 angeordnet, dass alle Juden vom vollendeten 5. Lebensjahr an auf dem obersten Kleidungsstück, in der Herzgegend, stets deutlich erkennbar das „Judenkennzeichen“ tragen müssen, einen sechszackigen Stern aus gelbem Stoff von 10 Zentimetern Durchmesser. Kennzeichnungspflicht mit dem gelben Stern bestand auch für jüdische Geschäfte und Büros. Alle Juden hatten sich in eingezäunten und bewachten Ghettoquartieren einzufinden, die sie nach Einbruch 6 4 Ebd., S. 251; dazu auch: Yakoel, Erinnerungen, S. 84 ff. 65 Archiv der Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin, Verfahren gegen Max M ­ erten et al., 3P(K) Js 10/60, passim, insbesondere: Bd. V, Blätter 193 ff.; Bd. VI, 26 ff.; Bd. VII, 42; Bd. XIV, 14, 41, 85 f.; Georg Vogel, Diplomat unter Hitler und Adenauer, Düsseldorf: Econ, 1969, S. 94 ff. Nach dem Krieg behaupteten fast alle Veteranen der Wehrmacht sowie ihre diachronische ‚Lobby‘, reguläre Armeeeinheiten wären nicht zu den Deportationen heran­gezogen worden. Außerdem hätten sie kaum etwas über die Maßnahmen gegen die Juden gewusst, insbesondere nichts über deren endgültiges Schicksal. – Vgl. auch die wiederholten Behauptungen des damaligen österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim, er habe „von den Deportationen der Juden aus Saloniki bis vor kurzem [1986!] nichts gewusst.“ Diese Behauptungen waren provozierend unwahr. Für Griechenland konnten wir die Rolle der mit dem SD-Kommando kooperierenden Militärverwaltung (Merten) nachweisen. Die starke Beteiligung der Wehrmacht an den Deportationen ist am deutlichsten auf den Inseln, wo keine SS- oder SD-Einheiten eingesetzt wurden. Ebenso gibt es Zeugenaussagen, dass es „auch unter uns allgemein bekannt war, dass die deportierten Juden zur physischen Liquidierung in Konzentrationslager gebracht werden sollten. Trotz aller Versuche, Geheimhaltung zu wahren, war dies dennoch durchgesickert.“ Internationale Historikerkommission, The Waldheim Report, Kopenhagen 1993, S. 100 ff., vgl. auch: „Erinnerungen an die ‚Causa Waldheim‘“ in ­diesem Band; darüber hinaus unpubliziertes „Waldheim-­Archiv“ des Autors. 66 Zu den nachfolgenden Befehlen, erteilt von „Befehlshaber Saloniki-­Ägäis, Abt. Militärverwaltung“ (Dr. Merten), siehe: Nea Evropi, 6. 2. 1943 ff., sowie Molho, In Memoriam, vol. I, S. 59 ff. und S. 135 ff.

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der Nacht nicht verlassen durften. Eine ergänzende Anordnung definierte den Begriff der jüdischen Identität. Supplementäre Vorschriften verboten den Juden unter anderem einer Berufs- oder Betriebsorganisation anzugehören, ein Telefon oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Um die Befehle durchzusetzen, wurde aus den niedrigsten Elementen der Gesellschaft eine ‚jüdische Hilfspolizei‘ rekrutiert, die an Grausamkeit sogar ihre Auftraggeber übertraf, in der trügerischen Hoffnung, so die eigene Haut zu retten. Am 1. März musste jede jüdische Familie ihr gesamtes Hab und Gut auf detaillierten Formularen auflisten, die sogar Möbel und Hunde aufführten. Eine Woche darauf wurde eine „Agentur für die Verwaltung jüdischen Eigentums“ (YDIP) gegründet. Durch eine Flut neuer Vorschriften wurde jede Art jüdischen Besitzes enteignet und demonstrativ dem griechischen Staat übertragen – beziehungsweise ‚verdienstvollen Mitarbeitern‘! Am Sonntag, dem 14. März, wurden die Juden von ihrem Oberrabbiner Zwi Koretz zusammengerufen. Dieser war ein Aschkenasim aus Polen, der 20 Jahre zuvor in Wien seinen Doktorgrad erworben hatte (mit einer vergleichenden Analyse, makabrerweise über traditionelle Beschreibungen der Hölle, die im Vergleich zu Auschwitz alle verblassten).67 Er trug eine schreckliche Mitverantwortung, indem er seine Gemeinde fortwährend beschwor, die Deutschen nicht durch Flucht oder Ungehorsam zu provozieren, zumal alle „Evakuierten“ nach ihrer Ankunft in Polen eine neue, schönere Heimstatt erwarte.68 Am nächsten Morgen wurden an die 2400 Ghettohäftlinge in 40, auf das Doppelte ihrer Kapazität überladene, Güterwaggons getrieben. Fünf Tage ­später kam der versiegelte Zug in Auschwitz an. Dort wurden nach einer ersten „Selektion“ sogleich 1791 Juden „ins Gas“ geschickt, vor allem jene, die als unfähig zu harter Arbeit angesehen wurden: Schwangere, Kinder und Ältere.69 Weitere 15 Konvois verließen ­Thessaloniki bis 67 Hirsch S. Koretz, Die Schilderung der Hölle im Koran und ihre Vorbilder in der jüdischen Literatur. Dissertation, Univ. Wien 1925. 68 GS tA. Berlin, 3P(K) Js 10/60, Bd.  III, 22 ff.; Isaak A. Matarasso, Κι’όμως όλοι τούς δεν πέθαναν (Doch alle von ihnen starben nicht), Athen, 1948, S. 37 ff. – Obwohl Koretz’ (passive) Mitverantwortung an der Auslöschung seiner Gemeinde kaum bestritten werden kann, ist dies primär seinem Mangel an Entschlusskraft und seiner illusionären Naivität, zusammen mit persönlichen Ambitionen – auch noch unter solchen Vorzeichen – zuzuschreiben. Die Anschuldigungen gegen ihn werden zu stark vereinfacht. In d­ iesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass 1933, als sich Koretz als neuer Oberrabbiner um die griechische Staatsbürgerschaft bewarb, die griechischen Behörden vertraulich vom deutschen Außenministerium vor Koretz gewarnt wurden: Dieser sei „ein glühender, sehr aktiver Zionist und seiner administrativen Fähigkeiten wie herausragenden Eloquenz wegen besonders gefährlich“. AYE, 1933 A/21/IV: Griechische Gesandtschaft Berlin, 561/11. 3. 1933, vertraulich. 69 Danuta Czech, Deportation und Vernichtung der griechischen Juden im KL Auschwitz, in: Hefte von Auschwitz, 11 (1970), Tabelle Nr. 2, Faltblatt neben S. 24.

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Mitte Mai, als der Militärbedarf an Sklavenarbeit innerhalb Griechenlands zur k­ urzen Unterbrechung führte. Im August waren jedoch die letzten Juden aus der Metropole deportiert. Insgesamt waren es fast 45.200, darunter auch Gemeindemitglieder anderer Städte unter deutscher Besatzung.70 Die Juden der bulgarischen Zone erlebten, sofern möglich, ein noch härteres Schicksal. Αus ‚nationalen Erwägungen‘ unterschied Sofia z­ wischen „eigenen“ Juden in Altbulgarien und „fremden“ in den „neuen Gebieten“. Das Regime versuchte angesichts innerbulgarischer Widerstände, darunter des stellvertretenden Parlamentspräsidenten Dimiter Peschew, und äußerer Pressionen, „die eigenen Juden“ innerhalb der alten Landesgrenzen zu ­schützen. Hingegen erforderten die bulgarischen Pläne für die schließlich am 9. Oktober 1942 auf Beschluss des Ministerrats mit deutscher Akzeptanz vollzogene Annexion Vardar-­Makedoniens und des ägäischen Thrakiens eine wie auch immer geartete Entfernung aller „Fremdvölkischen“ – orthodoxe Griechen und griechische Juden gleichermaßen –, um „Lebensraum“ für bulgarische Siedler zu schaffen. So stimmte Sofia dem deutschen Vorschlag zu, und in einer Blitzaktion wurden in der Nacht des 3. März alle jüdischen Gemeinden im bulgarischen Machtbereich „erfasst“. Hierbei gab es sogar einige erfreuliche Momentaufnahmen, folgt man dem Beobachter aus dem deutschen Generalkonsulat in Kavala. Er berichtete, die Erfassung der Juden sei „ohne besondere Schwierigkeiten und Zwischenfälle“ verlaufen. „Bemerkenswert war nur (…) die offensichtliche Anteilnahme der griechischen Bevölkerung, die z. B. in Kavala und Drama den abziehenden Juden Geschenke und sonstige widerlich-­innige [sic!] Abschiedsovationen darbrachte.“ 71 Insgesamt etwa 4220 Juden wurden „in engem Zusammenwirken von Bulgarischer Staatseisenbahn und Deutscher Reichsbahn“ zunächst zum Donauhafen von Lom und dann per Schiff nach Wien transportiert, wo sie der SD übernahm. Nachdem eine Anzahl der Eingepferchten bereits an den Strapazen der „Anreise“ zugrunde gegangen war, wurden die auf Abruf „Überlebenden“ fast ausnahmslos in den Krematorien von Treblinka ermordet.72 70 Fleischer, Griechenland, S. 269. Vgl. die detaillierte Tabelle des Autors zu den Deportationen, ­welche die oft widersprüchlichen Daten diskutiert. Ebd., S. 273 f. 71 PAAA , Inland II g, Judenfrage in Bulgarien, Bericht Dräger 9. 3. 1943. In: Hans-­Joachim Hoppe, Bulgarien. In: Benz, Dimension des Völkermords, S. 275 – 310, hier S. 292. 72 Ebd.; vgl. Quellen und Schlussfolgerungen in: Fleischer, Griechenland, S. 255 ff.; Stefan Troebst, Rettung, Überleben oder Vernichtung? Geschichtspolitische Kontroversen über Bulgarien und den Holocaust, in: Südosteuropa, 59, 2011, S. 97 – 127. Ferner Nadia Danova, Das Schicksal der griechischen Juden im bulgarischen Machtbereich der Jahre 1941 – 1944. Ein Forschungsbericht. In: Die Okkupation Griechenlands im Zweiten Weltkrieg. Griechische und deutsche Erinnerungskultur, hg. von Chryssoula Kambas und Marilisa Mitsou, Köln: Böhlau, 2015, S. 129 – 142. Der letzte Beitrag ist fachlich und menschlich bedeutsam, da die auf frühere Perioden spezialisierte Historikerin feststellen musste, dass ihr Vater Christo Danov

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Die Italiener verzeichneten in d­ iesem Zusammenhang einen der positivsten Aspekte ihrer Besatzungsbilanz, indem sie nach Möglichkeit die deutschen Versuche zur „Entjudung“ ihrer eigenen Besatzungsgebiete blockierten. Sogar im deutschen Befehlsbereich „Saloniki-­Ägäis“ unterstützten viele diplomatische und militärische Vertreter Roms jüdische Versuche, nach Athen oder anderswohin in der quasi-­privilegierten italienischen Zone zu fliehen, oft durch Bestätigung einer angeblichen italienischen Staatsbürgerschaft. Infolgedessen offenbaren die deutschen Quellen wiederholt heftige Wut des SD auf den „unkooperativen“ und „sturen“ Achsenpartner.73 Doch im September 1943, nach der Kapitulation der Badoglio-­Regierung, erlangte die Wehrmacht, und damit auch der SD, die Kontrolle über alle italienisch besetzten Gebiete: Die griechischen Juden verloren ihr letztes „Asyl“. Ihre einzige Überlebenschance bestand darin, Lehren aus dem tragischen Schicksal ihrer Brüder in Thessaloniki zu ziehen. Tatsächlich besaßen die Verantwortlichen einiger Gemeinden genügend Gespür und Zivilcourage, vorhandene Namens- und Adresslisten rechtzeitig zu vernichten. Viele Juden tauchten unter, oft – wenn auch nicht oft genug – mit Unterstützung christlicher Nachbarn und Bekannter, manchmal auch Unbekannter. Viele folgten dem Oberrabbiner von Athen, Elias Barzilai, und dem von Volos, Moshe Pesah, bei der Flucht in die Berge, wo die EAM-ELAS einen „befreiten Staat“ geschaffen hatte, der nur schwerpunktweise von starken Einheiten der Wehrmacht penetriert werden konnte. Die Tatsache der Fluchthilfe bestätigte Barzilai in einem Schreiben an die Alliierte Militärmission.74 Bis zum Ende der Besatzung gelang mindestens 2000 Juden – mit oder ohne Bezahlung – die rettende Flucht nach Nahost. Trotz der Erfahrungen des Vorjahres gab es weiterhin Notabeln, die Koretz’ verhängnisvolle Beschwichtigungspolitik nachahmten. Die katastrophalen Ergebnisse zeigten sich am Schicksal der Gemeinde Ioannina 75 und bei den italienischsprachigen Juden auf Korfu, die dem nazistischen Moloch jeweils einen hohen Tribut von über 90 Prozent Ermordeten leisteten. Beide Gemeinden wiesen weitere Ähnlichkeiten mit Thessaloniki auf. Die Mitglieder unterschieden sich gleichfalls in Sprache und Habitus von ihren christlichen Mitbürgern, und diese Unterscheidung wurde augenfällig, da sie seine Anwesenheit im annektierten Nordgriechenland und seine dortige Tätigkeit (offiziell Dolmetscher und Dozent) stets verschwiegen hatte. Ebd., S. 138. 73 PAAA, Inland IIg/191: Inland II, 1588/4. 6. 1943; Carpi, Nuovi Documenti, S. 157: Léon Poliakov; Jacques Sabille, Gli Ebrei sotto l’occupazione Italiana, Mailand: Edizioni di Comunità, 1956, S. 159 ff; Molho, In Memoriam, I, S. 123 ff. – Tatsächlich hatte der italienische Generalkonsul Guelfo Zamboni die Unterstützung seiner Vorgesetzten, die ihm rieten, großzügige Kriterien anzuwenden: ad agire con criteri larghezza, siehe Telegramme in: Carpi, ebd., S. 178 ff. 74 TNA, F. O. 371/43690: R 11387, 13. 7. 1944. 75 Rachel Dalven, Der Holocaust in Janina, in: Journal of Modern Greek Studies, II:1, Mai 1984, S. 87 – 103.

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weiterhin – freiwillig – in den Ovraika, den jahrhundertealten „Judenvierteln“ lebten. Fehlende soziale Integration und daraus resultierender Mangel praktischer Solidarität des sozialen Umfelds erleichterten die Pläne der nationalsozialistischen Kopfjäger.76 Hingegen waren die Athener Juden zumeist hellenisiert und hatten „griechisches Bewusstsein“; zudem wohnten sie über die Stadt verstreut, so dass es den Deutschen nie gelang, genaue Informationen zu ermitteln. Deshalb wartete der SD über ein halbes Jahr, um die Untergetauchten zur Registratur zu verlocken, mittels einer Strategie von Drohungen, Versprechungen und gezielter Verteilung von Lebensmitteln. Als im März 1944 Wisliceny und seine Auftraggeber die Geduld verloren und beschlossen, die Gemeinden der ehemals italienischen Zone in einer konzertierten Aktion der „Endlösung“ zuzuführen, tappte weniger als die Hälfte der Athener Juden in die Falle. In den vier thessalischen Hauptorten (Volos, Larissa, Trikkala und Karditsa) sowie in Chalkis auf Euböa gelang es sogar mehr als zwei Dritteln, in nahegelegene, von der EAM/ELAS kontrollierte Gebiete zu fliehen. Im Allgemeinen war das Überleben – organisiert oder nicht – nur mit Hilfe der Mehrheitsbevölkerung verschiedener politischer Couleur möglich. So rettete die orthodoxe K ­ irche, vom niederen Klerus bis zum Erzbischof Damaskinos,77 zahlreiche Juden durch vordatierte gefälschte Taufbescheinigungen und anderweitige Hilfe. Das tat auch die Athener Polizei unter dem deutschstämmigen Angelos Evert mit der Ausgabe falscher Personalausweise, sozusagen unter den Augen der Besatzungsbehörden.78 Sogar manche Minister der Kollaborationsregierungen zeigten Solidarität mit den bedrohten Mitbürgern. Den größten und effektivsten Beitrag leisteten verschiedene Widerstandsgruppen, namentlich die EAM-ELAS. Wegen deren führender kommunistischer Kader äußerte sich die britische Regierung besorgt: „Fast nur reiche Juden“ könnten sich Unterstützung 76 Auf Korfu gelang es dem SD, den städtischen Mob für antisemitische Gewalttaten zu mobilisieren, ein Ereignis, das von einem Lokalhistoriker als „eine der schändlichsten Seiten im Buch der Inselgeschichte“ angesehen wird. Kostas Daphnis, Χρόνια πολέμου και της κατοχής. Κέρκυρα 1940 – 1944 (Die Jahre des Kriegs und der Besatzung. Korfu 1940 – 1944), Kerkyraika Chronika Bd. XII, Korfu: Etaireia Kerkyraikon Spoudon, 1966, S. 292 f. Vergleiche auch den Prozess gegen den jüdischen Renegaten Ino Rekanati, der dem SD als Dolmetscher diente (Evraiki Estia, 4. 7. 1947), sowie seine nachfolgende Aussage (Staatsanwaltschaft Bremen, 29 Js 1/1970, Vol. III, 474 ff.). 77 Zu seinen energischen Protesten bei Besatzungs- und Kollaborationsbehörden vgl.: Elias ­Venezis, Αρχιεπίσκοπος Δαμασκηνός. Οι χρόνοι της δουλείας (Erzbischof Damaskinos. Die Jahre der Sklaverei.). Athen: Hestia, 19812, S. 259 ff.; Miriam Novitch, Le Passage des Barbares, Nizza: Impr. Albert Bentata, 1971, S. 115 ff.; Joshua D. Kreindler, Greece and the Jews, in: Journal of Modern Hellenism, 2 (Oct. 1985), S. 113 ff. 78 Nikos Stavroulakis, Einführung, S.  XXI , in: Errikos Sevillias, Athens – Auschwitz, Athen: Lycabettus Press, 1983; Nehama, Jüdische Gemeinde, S. 210; Alexandros ­Kitroeff, Greek Wartime Attitudes towards the Jews in Athens, in: Forum on the Jewish People, Zionism and Israel 60 (1987), S. 49 f.; und viele andere.

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und Fluchthilfe der EAM erkaufen. So erwog das Foreign Office sogar Möglichkeiten einer Intervention. Doch Churchill selbst unterband s­ olche ohnehin kaum realisierbaren Pläne mit einer makabren Argumentation.79 Auch Diplomaten mehrerer neutraler Staaten sowie von Satellitenvertretungen in Athen halfen den Juden. Besondere Erwähnung verdient hier der junge türkische Generalkonsul auf Rhodos, Selahattin Ülkümen (1914 – 2003). Er rettete mindestens 42 Juden und wurde der einzige von Israel bzw. Yad Vashem als „Gerechter“ der Völker geehrte türkische Staatsbürger. Auch der ungarische Botschafter Laszlo Velics entwickelte sich im Laufe der Okkupation zum Nazigegner, beeinflusst von seiner jüdischen Frau sowie der griechischen Frau seines engsten Mitarbeiters, einer Schwester von Ilias Tsirimokos, dem Führer der linksbürgerlichen ELD-Fraktion in der EAM. Als der SD auf ihre Spur kam, flohen sie mit Hilfe der EAM in den Nahen Osten. Zusammen mit ihnen entkam auch Joseph Löwinger, Vorkriegsemigrant aus Ungarn und späterer Präsident des Zentralrats der griechischen Juden.80 Als hilfreich erwiesen sich auch die Vertreter Spaniens 81 und Argentiniens.82 Einen absoluten Sonderfall bildeten die 275 Juden der ionischen Insel Zakynthos (Zante), die infolge einer Verkettung günstiger Umstände ausnahmslos überlebten. Der offensichtlich regimekritisch eingestellte deutsche Kommandant A. Lüth warnte seine Vorgesetzten, eine Deportation der mit der Inselbevölkerung harmonisch zusammenlebenden Juden würde Unmut provozieren, eine Einstellung, die vom griechischen Bürger­meister Loukas Karrer, aber auch dem Metropoliten Chrysostomos geteilt wurde. Für alle Fälle tauchten die Juden, ohnehin zumeist arme Wanderarbeiter, im Inneren der Insel unter, und als im Juni 1944 die Lastkähne zur „Entjudung“ der Ionischen Inseln eintrafen, war die menschliche Beute mit 1795 auf Korfu Verhafteten bereits so

79 Am 14. Juli 1944 warnte er Premierminister Eden: „Das erfordert sorgfältiges Vorgehen. Es ist durchaus möglich, dass reiche Juden große Summen zahlen, um nicht von den Hunnen abgeschlachtet zu werden. Es ist ärgerlich, dass ­dieses Geld in die Hände des ELAS fällt, aber wir würden eine große Verantwortung übernehmen, wenn wir die Flucht von Juden verhindern, selbst wenn sie reiche Juden wären. Ich weiß, dass es die moderne Auffassung ist, dass alle reichen Menschen getötet werden sollten, wo immer man sie findet, aber es ist schade, wenn wir diese Haltung jetzt einnehmen. Schließlich haben sie zweifellos für ihre Rettung so viel bezahlt, dass sie in Zukunft nur noch arme Juden sein werden und damit die normalen Rechte menschlicher Wesen besitzen.“ TNA, F. O. 371/43689: R 10779. 80 Interviews des Autors mit Löwinger, 1989. – Die deutschen Besatzungsbehörden fahndeten ­später vergeblich nach ihm. PAAA, R 27318: Königlich Ungarisches Konsulat, 6/biz/7. 7. 1944; HSSPF, Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Griechenland, IV 4, 3271/3. 8. 1944. 81 Haim Avni, „Spanish Nationals in Greece and their fate during the Holocaust“, in: Yad Vashem Studien  VIII (1970), S. 31 – 68. Siehe auch: NARA, Rg 84: US-Botschaft Madrid, 4090/18. 7. 1947 Confid., 800.515/7 – 1847. 82 Fleischer, Griechenland, S. 268.

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reich, dass weder Zeit noch Raum für eine Judenjagd im 300 km entfernten Zakynthos blieb. Am 12. September wurde der Abzug der letzten deutschen Truppen im weiteren Umkreis gemeldet und die Flüchtlinge kamen aus ihren Verstecken. Damit war die kleine Insel in die europäischen Annalen eingegangen, als einsames Beispiel dafür, was bei Koinzidenz extrem glücklicher Umstände Zivilcourage und Solidarität vermögen.83 Es ist Zeit, über die Zahl der Opfer zu sprechen. Etwa 8500 schafften es, sich innerhalb Griechenlands zu verstecken, weitere 2000 flohen in den Nahen Osten und andere Länder, während etwa die g­ leiche Zahl die Hölle der Vernichtungslager überstanden hatte. Diese letztere Gruppe bestand aus Überlebenden aus Auschwitz und der Mehrheit von 600 sogenannten „privilegierten“ Juden, die nach Bergen-­Belsen deportiert worden waren, einem Lager, dessen Insassen Juden mit neutraler, insbesondere spanischer Staatsbürgerschaft waren oder aber Mitglieder des Judenrats aus dem Umfeld von Rabbi Koretz. Von den etwas über 72.000 Juden in Griechenland im Jahr 1941 sollten nur etwa 17 Prozent bis zur Befreiung überleben. Nahezu 60.000 Juden waren aber auf höchst kalkulierte und systematische Weise brutal ermordet worden: Rauch und Asche in den Krematorien von Auschwitz und Treblinka.84 Nach der Befreiung ließen sich Tausende dieser Überlebenden in Palästina/Israel nieder; dank ihrer Entschlossenheit und der Unterstützung seitens der Onassis-Stiftung floriert an der Universität Haifa ein Zentrum für Neugriechische Studien, das auch die sephardische Kultur einbezieht. In Griechenland selbst leben heute weniger als 6000 Juden, etwa 8 Prozent der Vorkriegsbevölkerung. Nur wenige Gemeinden überlebten und bewahrten ihre Autonomie. Rückkehrer der kleineren Gemeinden ließen sich in Thessaloniki und vor allem in Athen nieder, oder aber in Israel. Der Prozess der Assimilation wurde beschleunigt. Sicherlich war Hellas nicht „judenrein“ geworden, wie es die NS-Schergen geplant hatten, aber die bemerkenswerteste jüdische Population in Europa hatte einen Schlag erlitten, von dem sie sich nie mehr erholen konnte – nicht nur wegen der ungeheuren numerischen Verluste, sondern auch, weil sie ihre einzigartige Vielfalt verloren hatte. Nachtrag: Am 2. Juni 2019 wurde in Joannina Prof. Moisis Elisaf – der aus Forschung, Lehre und Administration international bekannte Direktor des pathologischen Fachbereichs der Universität Joannina – im zweiten Wahlgang zum Bürgermeister der 83 Ebd., S. 266, Nehama, Jüdische Gemeinde, S. 247 ff. 84 Siehe Daten in Fleischer, Griechenland, S. 271 ff. Nahezu die gleichen Zahlen (60.000 Verluste aus einer Vorkriegsbevölkerung von 72.000) wurden in einem unveröffentlichten Memorandum aufgeführt, das von der britischen Botschaft in Athen nach einem Interview mit Alexander L. Easterman, dem Politischen Sekretär des Jüdischen Weltkongresses, Europäische Abteilung, erstellt wurde. (287/4/4/48, 22. 4. 1948, vertraulich in NARA , Rg 84: Athens Embassy Classified, Box 24, 804, 4 Heirless Jewish Property).

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Stadt gewählt. Zahlreiche Medien betonten, ­diesem Erfolg komme gesamthistorische Bedeutung zu, da er der erste griechische Jude in einer solchen Funktion war, zumal einer Gemeinde angehörig, die von den deutschen Okkupanten 1944 nahezu ausgelöscht wurde. Aus dem Englischen übersetzt von Rüdiger Reinecke.

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II Kontinuitäten

Das deutsche Venizelos-Bild nach dem Ersten Weltkrieg Zwanzig Jahre, wenn nicht länger, war Eleftherios Venizelos „Symbol für halb Griechen­ land, Satan für die andere Hälfte“ 1 – wie Giorgos Theotokas im Todesjahr des großen Kreters griffig formulierte. Diese Formel, zumindest im zweiten Teil auch für sein Heimat­land längst überholt, besaß in Deutschland jedoch nie Gültigkeit: Das Bild war relativ einheitlich. Die überwältigende Mehrheit der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung im Reich (wie auch in Österreich) war sich spätestens seit Mitte des „Großen Krieges“ darin einig, in Venizelos den Mephisto der griechischen Politik zu sehen: den „Ränkeschmied“, der sich im offenen Aufruhr gegen den deutschfreundlichen König im Oktober 1916 an die Spitze der putschenden Offiziere der „Nationalen Abwehr“ gestellt und zuerst „seine“ Hälfte des Landes und schließlich mit französischer Hilfe ganz Griechenland gegen die Mittelmächte in den Krieg geführt hatte. War ­dieses dualistische Bild während der letzten und entscheidenden Kriegsphase durchaus verständlich, so muss dessen außergewöhnliche Persistenz doch verwundern. Eine Erklärung liegt darin, dass der organisierte Philhellenismus und ganz allgemein das deutsche Interesse an Griechenland von den Vertretern der Königspartei auf Jahre hinaus monopolisiert wurden. Nicht zufällig hatte die wenige Monate vor Kriegsausbruch gegründete „Deutsch-­Griechische Gesellschaft“ (DGG) unter dem „huldvollsten Protektorat“ der Königin (und Kaiserschwester) Sophie gestanden, zu Ehrenmitgliedern waren Kronprinz Georg sowie diverse deutsche königliche und sonstige Hoheiten ernannt, während im Komitee der Gründungsmitglieder u. a. der Hofprediger, der Leibarzt sowie zwei Adjutanten König Konstantins erscheinen.2 Zum Komitee gehörte auch der Münchner Professor für mittel- und neugriechische Philologie, August Heisenberg; sinnigerweise diente er s­ päter als Verbindungsoffizier und Sprachlehrer 3 im Stab des königstreuen IV . griechischen Armeekorps, das 1916 bei Kavala den Kampf gegen die vorrückenden deutsch-­bulgarischen Truppen verweigert hatte und sich stattdessen in Görlitz, mit ‚Gäste‘-Status, internieren ließ.

1 Theotokas, 1936 (zit. nach George Th. Mavrogordatos, Stillborn Republic. Social Coalitions and Party Strategies in Greece, 1922 – 1936. Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 1983, S. 57. Vgl. im selben Kapitel zahlreiche weitere Zitate für beide Perspektiven. 2 Siehe Aufrufe der DGG in BArch: R57neu/1033 – 14. 3 PAAA, R 72678: Kommandantur Görlitz, Griechen-­Unterkunft, J.-Nr. 1311/30. 6. 1917; vgl. auch Heisenbergs Dialektstudien mit seinen „Görlitzern“, die in größerem Umfang erst nach seinem Tode (1930) erschienen: Eduard Schwyzer (Hg.), Neugriechische Dialekttexte, aufgenommen von August Heisenberg, Leipzig: Harassowitz, 1934.

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Der Kreis schließt sich, wenn der Münchner Byzantinist sein bald nach Kriegsende erscheinendes Buch „Neugriechenland“ 4 den Männern jener in Griechenland bis heute umstrittenen Einheit widmet. Diese Darstellung, die einer interessierten deutschen Öffentlichkeit „das erste umfassende Griechenlandbild“ 5 neueren Datums vermitteln will, ist nämlich unverhohlen parteiisch. Die Sympathieverteilung ist vorgegeben: „unseren Freunden in Hellas“, geführt von Konstantin, steht Venizelos gegenüber, der sich bewusst der anglofranzösischen „Einkreisungspolitik“ zur Verfügung gestellt habe 6 und daher, mit Schützenhilfe der Entente in den Sattel gesetzt, diktatorisch herrschen konnte. Die gleichen Thesen, doch in weit schärferer Sprache, verbreitet in Athen die, trotz der rigorosen offiziellen Gegenmaßnahmen,7 immer noch recht aktive „germanophile“ Propaganda. Der Argwohn der britischen Geheimdienste, es handele sich hierbei um eine von Berlin gesteuerte Kampagne,8 ist sicherlich unbegründet. In der Wilhelmstraße hat man andere Sorgen als den Südosten, zumal deren Vertreter in Athen, selbst noch im nächsten Jahr mit einer „freundlichen Regierung“, eindringlich warnen, „wie gefährlich es für Deutschland wäre, wollte es in Griechenland aktive Politik treiben“.9 Die ­g leiche weise Selbstbeschränkung gilt aber nicht für die Relikte der alten deutschen Kolonie, die unter der „Entente-­Herrschaft“ nicht eben freundlich behandelt wurden und nun zu den fanatischsten Anhängern einer konstantinischen Restauration gehören. Kaum überraschend erscheint daher der Gleichklang obiger Parolen mit der Philippika eines anderen prominenten DGG -Gründungsmitglieds, 4 August Heisenberg, Neugriechenland, Leipzig/Berlin: Teubner 1919. (Vorwort: Dezember 1918). 5 Georgios I. Thanopoulos, Das deutsche Neugriechenland-­Bild 1918 – 1944, München: Hieronymos, 1987, S. 11. 6 Zur Richtigstellung und zum Verständnis der weit komplizierteren Außenpolitik von Venizelos siehe für die beiden kritischen Perioden die ausgezeichneten Darstellungen von Konstantin Loulos, Die deutsche Griechenlandpolitik von der Jahrhundertwende bis zum Ausbruch des E ­ rsten Weltkrieges. Frankfurt/Bern/New York: Peter Lang, 1986, sowie George B. Leon, Greece and the Great Powers 1914 – 1917, Thessaloniki: Institute for Balkan Studies, 1974. 7 Die während des Krieges vertriebenen Mitglieder der deutschen Kolonie wurden vor einer eventuellen Rückkehr genau kontrolliert, das Gleiche gilt für alle deutschen Antragsteller auf ein Einreisevisum. In beiden Fällen hatten die Geheimdienste Englands und Frankreichs ein gewichtiges Wort mitzureden, wobei deren oft kleinliche Schikanen oder gehässige Rachsucht gelegentlich selbst den britischen Botschafter sowie das Foreign Office befremdeten. Z. B. TNA, F. O. 371/4681: C 798 (Lord Granville, British Minister, Athen, to Earl Curzon of Kedleston, 263/24. 6. 1920). 8 TNA, F. O. 371/4681: C 2478 (Director of Military Intelligence, political report 29.6./20. 7. 1920 Secret); F. O. 371/4827: C 1901 (Dir. of Mil. Intelligence, pol. report 16.6./8. 7. 1920 Secret). Unter den aufgelisteten zwölf „main arguments used by German propagandists here“ lautet etwa das siebte: „Venizelos, the arch ruffian, is only a paid agent of England.“ 9 PAAA, R 72613: Deutsches Konsulat Salonik an DGA, 282/14. 10. 1921.

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des langjährigen ­Ersten Sekretärs (d. h. Leiters) des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI ) in Athen, Professor Georg Karo, der im November 1916 „wegen des erfolgreichen politischen Teils seiner Tätigkeit“ des Landes verwiesen wurde.10 Ohne von seinen Kriegsthesen auch nur ein Iota abzugehen, schmäht er nun, in einem langen Bericht für das Auswärtige Amt, Venizelos als „Verkörperung der Fremdherrschaft in ihrer schlimmsten Form“.11 Dabei hatte jener bereits im März 1920 die bedingungslose Freigabe des DAI veranlasst, während im Sommer des gleichen Jahres die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen ­zwischen Berlin und Athen beschlossen wurde. Auf deutscher Seite stört man sich allerdings daran, daß der designierte Gesandte Apostolos Alexandris wie auch die meisten seiner Mitarbeiter sich in den Vorjahren durch antideutsche Hetze oder gar „Spionage“ hervorgetan hätten. Angesichts ihrer „blinden“ Ergebenheit gegenüber Venizelos ­seien sie zur Anbahnung guter Beziehungen z­ wischen den beiden Ländern folglich kaum „besonders geeignet“.12 Aber auch die Presse der einstigen Mittelmächte sieht wenig Anlass zu einer versöhnlichen Geste. Weiterhin begegnet man Artikeln (oder „Gastkommentaren“ griechischer Royalisten), ­welche die venizelistische „Schreckensherrschaft“ anprangern. Doch bald, am 13./14. November 1920, gibt die verheerende Wahlniederlage des „Diktators“ 13

10 BayHStA, MK 11008: DGA (Empfänger aller in dieser Studie zitierten deutschen und anderen Gesandtschaftsberichte war das AA bzw. das jeweils zuständige Außenministerium), II 1020/225, 5. 4. 1923. 11 „Venizelos […] hat sich stets als Vasall der Entente gefühlt und benommen. So wie er 1914 Griechenland bedingungslos in den Krieg an der Seite der Entente hetzen wollte, so wie er die Franzosen und Engländer verräterisch nach Saloniki berufen [sic] hat, so hat er auch die griechischen Truppen wie richtige Landsknechte in Makedonien, in Südrussland, in Kleinasien der Entente bedingungslos zur Verfügung gestellt. Die wachsende Erbitterung hat er durch eine Schreckensherrschaft sondergleichen, durch organisierte Banden kretischer Mörder, vor allem aber durch Truppen der Entente zu knebeln gewußt.“ (BA rch, Abt. Potsdam, AA , Abt.  II b, Verkehrswesen 12/Reiseberichte Griechenland: Aufzeichnung zu IIIG  902, 30. 11. 1921). 12 PAAA, R 72668: Deutsche Gesandtschaft Bern 122/24. 8. 1920 bzw. Anhang vom 8. 9. 1920. 13 Nicht nur seine Gegner tun Venizelos hierin Unrecht. Zutreffend konstatiert eine der wenigen unvoreingenommenen Gesamtdarstellungen: „Diejenigen, w ­ elche es gerne gesehen hätten, wenn der einstige Aufständische von Theriso im Jahre 1920 oder schon zuvor auf diese oder jene Art ein Diktaturregime errichtet hätte, werden dem politischen Ethos des Kreters (…) nicht gerecht.“ Pavlos Tzermias, Neugriechische Geschichte. Eine Einführung, Tübingen: Francke, 1986, S. 125. Dennoch wird der Terminus auch während seiner vierjährigen Premierschaft 1928 – 1932 häufig gebraucht, und zwar nicht nur in deutschen Medien (vgl. etwa: Neue Zürcher Zeitung, 27. September 1928). Andererseits gesteht ein späteres Memorandum des Auswärtigen Amtes Venizelos ausdrücklich zu, dass er während seiner politischen Laufbahn „den Idealen bürgerlich-­demokratischer Freiheit, für die er auf

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Anlass zum Jubel. Ausgiebig delektiert man sich daran, dass diese die Öffentlichkeit, aber auch die konsternierten Regierungen der Entente-­Staaten wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“ getroffen habe. Zugleich wird Venizelos geradezu eine Stellvertreterfunktion zugewiesen. In seiner Person sieht man die siegreiche gegnerische Koalition gedemütigt, seine Niederlage erscheint als Revision der Ergebnisse des Weltkriegs, als „Sieg der Gerechtigkeit“ – und sei es auch nur an der Peripherie des Kontinents. Aber auch nüchternere deutsche (und österreichische) Diplomaten konstatieren befriedigt eine „schwere Schlappe für Paris“, das weiterhin als Hauptfeind gilt, obgleich besser informierte Beobachter bereits ein Überwechseln der venizelistischen Politik vom französischen ins englische „Schlepptau“ registrieren.14 Auch in der Folgezeit wird die angesprochene Stellvertreterfunktion einen weiteren Grund für die Zählebigkeit der deutschen Ressentiments gegen Venizelos liefern: Jahre, nachdem Clemenceau und der Rest der alten Entente-­Garde politisch, wenn nicht leiblich von der Bühne abgetreten sind, bestimmte (oder beeinflusste zumindest) in Athen weiterhin ein Fossil der feindlichen Allianz die Geschicke des Landes. Währenddessen hatten die hochgesteckten deutschen Erwartungen noch im November einen jähen Dämpfer erhalten. Berlins alter Vertrauter Petros Protopapadakis, von Gounaris telegrafisch zur Regierungsbildung nach Athen berufen, informiert vor seiner Abreise das Auswärtige Amt, dass die neue griechische Regierung die größten Sympathien für Deutschland habe, dem die meisten ihrer Mitglieder auch persönlich unendlich viel für ihre innere Entwicklung und Bildung verdankten. Sie würde aber durch die Verhältnisse gezwungen sein, diese Gesinnung nach außen hin zu verbergen (…) und müsse vorläufig den Anschein erwecken, völlig im Fahrwasser der Entente zu segeln. So werde sie in ihren offiziellen Äußerungen auf längere Zeit hinaus wohl noch uns gegenüber eine Haltung einnehmen müssen, die nicht ihrer inneren Überzeugung (…) entspräche.

In der Wilhelmstraße bekundet man daraufhin „volles Verständnis“ für diese Schwierigkeiten und teilt die Auffassung, „daß es im Interesse beider Länder liege, wenn die wahre Gesinnung, die gegenseitig vorhanden sei, möglichst wenig zum Ausdruck komme“.15 seiner Heimatinsel gekämpft hatte, im allgemeinen treu geblieben“ ist. PAAA , R 72616: AA Aufzeichnung, 26. 9. 1929. 14 Vgl. u. a.: PAAA , Polit. Abt.  III , Politische Beziehungen England-­Griechenland: Deutsche Botschaft London 417/18. 11. 1920; Deutsche Botschaft Rom 9391/22. 11. 1920 und 9933/10. 12. 1920; AdR, NPA , Karton 562: Österreichische Gesandtschaft Belgrad 293 Pol/17. 11. 1920 und Öst. Gesandtschaft London 47/9. 12. 1920. – Vgl. auch DUMK, 124 D. i.: Dänische Gesandtschaft, London, 19. 11. 1920 LXV. 15 PAAA, R 72613: AA, Aufzeichnung Freytag an von Stockhammern, 24. 11. 1920.

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Leider kann man diese Absprache nur schwer der deutschen Presse zur Kenntnis bringen, so dass jene wiederholt in großer Aufmachung die überaus deutschfreund­ liche Gesinnung der Regierung Gounaris rühmt.16 Solcher Beifall dient nicht nur den venizelistischen Blättern als willkommene Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung, sondern wirkt auch auf dem internationalen Parkett als Bumerang. So wird Gounaris’ Verhandlungsposition entscheidend geschwächt, wenn ausgerechnet am Tage seiner Ankunft zu Verhandlungen in Paris die französische Presse genüsslich aus deutschen Lobsprüchen zitieren kann. Die Deutschen am Ort (der Gesandte Ludwig Graf von Spee, der Konsul Fabricius in Thessaloniki, aber auch Karo) warnen daher eindringlich vor der Wiederholung solcher Torheiten, die „bisweilen geradezu den Eindruck [machen], auf Bestellung der Entente geschrieben zu sein“.17 Unter solchen Vorzeichen bleibt die sich 1920 abzeichnende Idylle mit der „Nachnovember-Regierung“ eine Totgeburt. Die Griechen sind befremdet über turkophile Äußerungen in der deutschen Presse und befleißigen sich im Übrigen der größten Zurückhaltung im Verkehr mit Berlin; die Notwendigkeit wird bald zur Gewohnheit: Außenminister Baltatzis betrachtet die deutsche öffentliche Meinung geradezu „als quantité négligeable“.18 Dieses permanente Schielen nach der fernen Gunst der Entente irritiert wiederum zunehmend die Wilhelmstraße, wo man bei aller Sympathie für den „maßvollen“ Gounaris 19 die Unzulänglichkeiten seiner extremen Verbündeten sowie die „schweren politischen Fehler“ seines Kabinetts nicht übersieht.20 Konsequenterweise beginnt man sich daher vorsichtig auf einen abermaligen Regimewechsel einzustellen: Obwohl venizelistische Persönlichkeiten und deren Aktivitäten in Deutschland weiterhin „unauffällig beobachtet“ werden, verzichtet man bewusst auf „irgendwelche Maßnahmen“, da „im Hinblick auf die ungünstige militärische und politische Lage Griechenlands mit der Möglichkeit gerechnet werden [muss], daß die venizelistische Partei wieder zur Macht und zur Regierung gelangt“.21 Ohnehin hatte sich die Athener Gesandtschaft schon während der gesamten „konstantinischen Aera“ gegenüber dem 16 Z. B. Das Kabinett Gunaris und seine Gegner, in: Berliner Tageblatt, 12. Oktober 1921, ­Morgenausgabe. 17 Z. B. PAAA , R  72613: Deutsches Konsulat Salonik an DGA , 282/14. 10. 1921; DGA , 307/26. 10. 1921 und 322/1. 11. 1921; Aufzeichnung Georg Karo (s. Anm. 11). 18 PAAA, R 72633: DGA, 493/17. 9. 1922; auch R 72669: DGA 216/24. 5. 1922. 19 Positiv wird etwa hervorgehoben, dass er die antivenizelistischen Rachegelüste der extremen Royalisten ablehnt und sich daher bei Letzteren entsprechend unbeliebt macht (PAAA , R 72663: DGA 196/13. 5. 1922 vertraulich). 20 Ebd., PAAA, R 72651: DGA 657/29. 11. 1922; u. a. 21 PAAA , R  72613: Auswärtiges Amt an bayrisches Außenministerium 4. 8. 1922, bzw.: DGA 321/8. 7. 1922. – Als störend empfindet man allerdings die kaum verhohlene Vorfreude des Entente-­Lagers, z. B. des Gesandten der CSR, auf einen venizelistischen Coup (PAAA, R 72651: DGA 41/302, 3. 7. 1922).

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König bewusst „reserviert“ verhalten 22 und war zudem darauf bedacht, freundliche Beziehungen zu venizelistischen Persönlichkeiten zu unterhalten.23 Entsprechend gelassen reagieren die deutschen Beobachter, als dann der befürchtete Putsch Wirklichkeit wird. Zwar beklagt man, die Revolution wachse sich innenpolitisch zu einer rein venizelistischen Bewegung „zur Aufrichtung nackter Parteiherrschaft“ aus, die – genau wie 1917 – die Anhänger des früheren Regimes „rücksichtslos“ verfolge. Doch diese vom neuen Gesandten Hans von Schoen kritisierte „allgemeine Terrorisierung“ der Volkspartei 24 und somit der „germanophilen“ Fraktion hindert ihn nicht, positive Aspekte für Berlin zu sehen: So ist der venizelistische Außenminister Politis „wenigstens kein Neuling in der Philhellenenstraße und ein Mann, der von den Geschäften mehr versteht als sein Vorgänger im Kabinett Gounaris“. Vielleicht auch deswegen zeigt jener weitaus mehr Interesse und Verständnis für den langen Katalog deutscher Wünsche, die er „mit größtem Wohlwollen“ zu prüfen verspricht. Zwar relativiert von Schoen diese Zusage mit der Mutmaßung, dass der Außenminister „in Bezug auf die allgemeine Politik sich seine Winke in Paris holen wird“, ist aber dennoch überzeugt, daß Herr Politis, schon um nicht einseitig und völlig abhängig von Frankreich zu erscheinen, in kleineren Angelegenheiten ein gewisses Entgegenkommen zeigen wird. Von Vorteil ist immerhin, daß er genau weiß, wie weit er auf deutsche Wünsche eingehen kann und für ihn kein Grund besteht, aus lauter Angst, bei den Alliierten anzustoßen, die Dinge, wie es Herr Baltatzis tat, einfach liegen zu lassen.

Von Schoen ist somit guter Hoffnung, „daß man mit dem Venizelisten Politis, der zudem für ‚expeditif ‘ gilt, sachlich besser vorankommen wird, als mit den Vertretern des Konstantinischen Regimes“.25 Die genau einen Monat ­später folgende Exekution von Gounaris und fünf anderen Spitzenrepräsentanten eben ­dieses Regimes, wegen der ihnen angelasteten Kleinasia­ tischen Katastrophe, scheint alte Vorurteile zu bestätigen. Die Rachejustiz wird von der öffentlichen Meinung im Reich „einmütig auf das schärfste verurteilt“ 26, und die deutsche Presse ergeht sich noch lange in blutrünstigen Schilderungen, wobei sie Venizelos 2 2 23 24 25

PAAA, R 72669: DGA 17. 11. 1922. PAAA, R 72613: DGA 150/687, 15. 12. 1922. PAAA, R 72651: DGA (Schoen) 130/595, 29. 10. 1922. PAAA , R 72613: DGA (Schoen) 129/594, 28. 10. 1922. – Gerade Nikolaos Politis gilt

aber im Folgenden als „Spiritus rector“ der frankophilen Politik und als „Günstling“ bzw. „getreuer Schildknappe Frankreichs“ (R 72627: DGA (Schoen) 789/26. 12. 1924; R 72612 DGA 38/22. 1. 1925; u. v. a.). 2 6 PAAA, R 72669: AA, IIb Gr 1191/13. 12. 1922.

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persönlich des „Mordes“ bezichtigt.27 Der Gesandte hingegen stellt ein weiteres Mal bemerkenswerten Pragmatismus unter Beweis. Trotz seiner persönlichen Überzeugung, dass die sechsfache Erschießung „von der Geschichte kaum anders wie als Justizmord gewertet werden wird“ 28, warnt er das Auswärtige Amt davor, den Verkehr mit der Revolutionsregierung abzubrechen, da anders als bei den Entente-­Staaten eine s­ olche Maßnahme unweigerlich als eine prokonstantinische Parteinahme Deutschlands interpretiert würde. Seine wiederholte Empfehlung, „mit Rücksicht auf deutsche Interessen“ auf die „Untat“ nicht schärfer als mit „tatsächlicher Rückhaltung“ zu reagieren, wird von seinen Vorgesetzten letztendlich akzeptiert, allerdings nicht ohne die (überflüssige) Mahnung, die „persönlichen Beziehungen auf das unumgängliche zu beschränken“.29 Die deutsche Seite ist somit „versöhnlicher“ als die Briten; Letztere fühlen nämlich eine besonders starke „moralische Verpflichtung“, denn die Regierung Gounaris habe zuvor „nichts anderes getan, als was England geraten habe“; wie der britische Gesandte Lindley seinen deutschen Kollegen vertraulich informiert.30 In der Gesandtschaft wie auch in der Wilhelmstraße wird übrigens mit großer Befriedigung die faktische Annäherung an London registriert sowie die offensichtliche Isolierung Frankreichs und seiner „Vasallen“ in dieser Angelegenheit. Wenn man dennoch vorsichtiger agiert als die meisten anderen westeuropäischen Regierungen, liegt das daran, dass Deutschland, „infolge des Vertrages von Versailles der vertraglichen Basis und der Möglichkeit der Ergreifung von Gegenmaßnahmen beraubt, (…) fast in allen“ offenen bilateralen Fragen „auf den guten Willen der griechischen Regierung angewiesen“ ist.31 Ähnliche Überlegungen, eigene Sympathien und Antipathien mit „politischer Klugheit“ 32 zu verbinden, sind auch in der Frage der expliziten Anerkennung der Revolutionsregierung (1923) bzw. der Republik (1924) entscheidend, wenn man erneut die Haltung der anderen Staaten, insbesondere Großbritanniens, verfolgt oder prognostiziert, um nicht selbst die Rolle des Außenseiters zu übernehmen. Mittlerweile hatten Venizelos’ Teilerfolg des „ehrenhaften Friedens“ von Lausanne und seine erneut demonstrierte „große Fähigkeit, sich mit nicht zu ändernden Tatsachen abzufinden“ 33, auch in Berlin Eindruck hinterlassen; zweifellos zieht man ihn 27 Z. B. Hermann Schreiber, Der Mord der Venizelisten. Bei den griechischen Ministerwitwen in Berlin, Lokal-­Anzeiger, Berlin, 13. 1. 1923. 28 PAAA, R 72651: DGA 145/657, 29. 11. 1922. 29 Vgl. u. a. PAAA , R 72613: DGA  107/5. 12. 1922 und DGA  150/687, 15. 12. 1922 sowie AA 69/11. 12. 1922; R 72669: AA, IIb GR 1191/13. 12. 1922. 30 PAAA, R 72651: DGA 145/657, 29. 11. 1922. Bald darauf wird das Foreign Office ihn abberufen und die diplomatischen Beziehungen zu Griechenland unterbrechen. 31 PAAA, R 72613: DGA 150/687, 15. 12. 1922. 32 Z. B. PAAA, Geheimakten Griechenland, Pol 2, Griechenland-­Deutschland: AA, Aufzeichnung zu II Gr. 1000, 3. 10. 1923. 33 Tzermias, Neugriechische Geschichte, S. 133.

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den Revolutionsdioskuren Stylianos Gonatas und Nikolaos Plastiras vor. Nach seiner Regierungsübernahme im Januar 1924 registriert man im AA nicht nur aufmerksam die positive Reaktion Londons, sondern fühlt auch sogleich „in der Behandlung auswärtiger Fragen die starke und geschickte Hand des alten Kreters“.34 Beigetragen zu dieser Einschätzung hat nicht nur des Letzteren gemäßigtere Haltung im konstitutionellen Streit, sondern sicherlich auch von Schoens Bericht über sein erstes Treffen mit Venizelos, bei dem Letzterer versichert, er sei von „besten Absichten“ gegenüber Deutschland erfüllt.35 Folglich wird auch der bald darauf folgende Rücktritt des Kreters bedauert, zumal die homines novi unter dem Einfluss der radikalen republikanischen Militärs stünden und mithin die Republik nicht „auf sogenanntem legalen Weg, d. h. durch P ­ lebiscit“ einführen, sondern in einem verkürzten Verfahren, wobei das Referendum nur zur Legitimierung ex post dient. Trotz der schwebenden Verhandlungen um einen Handelsvertrag konzipiert die deutsche Seite daher eine Verzögerungstaktik, geht dann aber notgedrungen davon ab, als die anderen Länder die neuen Gegebenheiten unerwartet schnell akzeptieren und man selbst „nicht als allerletzter die Reihe schließen“ will.36 Auch nach der formellen Anerkennung der hellenischen Republik bleibt die deutsche Haltung gespalten, wofür etwa von Schoens Jahresrückblick auf 1924 Zeugnis ablegt: Eine unvoreingenommene Geschichtsschreibung wird als bemerkenswert die Tatsache zu registrieren haben, daß der Übergang von dem einen zu dem anderen System sich ohne Erschütterung vollzogen hat, und die neue Staatsform erstaunlich rasch in das Volksbewußtsein übergegangen ist. Dabei sind die positiven Leistungen der republikanischen Herrschaft fast null.

Obwohl der Gesandte anmerkt, dass die immer noch tiefen Gegensätze im Volk nach dem „Fiasco“ und der Wiederabreise von Venizelos „an Schärfe etwas verloren haben mögen“, verweist er auf die nahezu permanenten Machtkämpfe der venizelistischen Gruppen untereinander jeweils im Schatten der politisierenden Generale. Ständige Begleiterscheinungen s­ eien „wachsende Korruption, allgemeine Erschütterung der Moral und weiteres Sinken der Staatsautorität“. Was die „Einstellung der herrschenden venizelistischen Kreise gegenüber Deutschland“ betrifft, sei diese trotz einiger 34 PAAA, R 72652: AA Abschrift II Gr. 83, 30. 1. 1924; vgl. auch R 72663 – BGA 32/12. 1. 1924 und 71/6. 2. 1924. 35 PAAA, R 72613: DGA 9/48, 25. 1. 1924. – Im Übrigen versichert Venizelos, „wenn er sich bemühen werde, mit Bulgarien und der Türkei, den direkten Gegnern Griechenlands von gestern, zu einem guten Verhältnis zu gelangen, so sei dies noch viel mehr bezüglich Deutschlands der Fall, das nur indirekt zu den Gegnern Griechenlands gehört habe“. 36 Vgl. u. a. PAAA , R  72613: DGA   242a/10.3. 1924; DGA   254/22. 4. 1924; AA an DGA 18/28. 4. 1924.

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zwischenzeitlicher Erfolge (Wirtschaftsabkommen, Anlage eines Soldatenfriedhofs) zwar „korrekt“, aber auch nicht mehr. Das hätten alleine schon die „vielfachen Gehässigkeiten der venizelistischen Blätter zur Genüge gezeigt“. Die Gründe für das „wenig freundliche Verhalten“ der griechischen Regierung sucht von Schoen „teils in Reminiscencen aus der Kriegszeit, wo pro deutsch gleich konstantinisch galt, teils in dem Glauben, sich durch Unfreundlichkeiten gegen uns die Gunst der Alliierten sichern zu können“. Und der Gesandte schließt pessimistisch: „Mit einer wesentlichen Änderung dieser Einstellung ist insolange nicht zu rechnen, als das gespannte Verhältnis ­zwischen Deutschland und der Entente und namentlich zu Frankreich fortdauert.“ 37 Die letztgenannte Überlegung macht es verständlich, wenn die Gesandtschaft sich im Folgenden bemüht, im buntgescheckten venizelistischen Lager z­ wischen Anglophilen sowie „Organen Frankreichs“ zu unterscheiden. Trotz wiederholter positiver Beurteilungen fähiger und persönlich „angenehmer“ Politiker bleibt man aber zu allen in gewisser Distanz, zumal die betrübliche Erfahrung nicht ausbleibt, dass selbst Studien in Deutschland und gute Sprachkenntnisse keine Garantie für eine deutschfreundliche Politik bieten, insbesondere wenn sich die Betreffenden vor ihrem Anhang profilieren wollen. Trotz der Querelen im republikanischen Lager sehen die Deutschen aber keine Chance für einen Regimewechsel, zumal sie im antivenizelistischen Lager keine heraus­ ragenden Politiker ausmachen – mit Ausnahme ihres einstigen Favoriten Metaxas, dem sie aber mittlerweile eher skeptisch gegenüberstehen.38 Angesichts der Diadochenkämpfe z­ wischen den „venizelistischen Häuptlingen“ schimmert in den Gesandtschaftsberichten wiederholt fast Sehnsucht nach Venizelos personaliter durch, der zumindest die auf ihn eingeschworenen Zeitungen besser im Zaum gehalten hätte. Tatsächlich gehören Klagen über journalistische „Hetze“ zu den Topoi der deutschen Berichterstattung. Sofern die deutsche Seite dabei aber 37 PAAA, R 72652: DGA 790/28. 12. 1924. 38 Der langjährige zweite Mann der deutschen Gesandtschaft Albert von Baligand, der von vielen (namentlich sich selbst!) als deren eigentlicher „Kopf “ angesehen wird, äußert sich wiederholt in folgendem Sinne: „Metaxas galt bislang für eine durchaus besonnene Natur. Nachdem er aber die fascistischen Allüren seines Anhangs nicht mißbilligt hat, muß man fast annehmen, daß er in der Dorotheenstraße zu Berlin mit den militärischen Kenntnissen auch die politische Kurzsichtigkeit seiner altpreußischen Fachgenossen übernommen hat.“ (PAAA , R 72651: DGA  478/11. 9. 1922). Auch in den Folgejahren ist das Urteil der deutschen Spitzendiplomaten fast immer zwiespältig über den „schillernden“, da „fähigen, aber unausgeglichenen Mann“ der mit seinem „fast krankhaften Ehrgeiz“ unberechenbar ist und gelegentlich sogar zum „opportunistischen Republikaner“ wird (vgl. z. B. PAAA , R 72652: DGA  17. 11. 1923; R 72677: AA , Ref. II  b, 1. 10. 1926 und DGA  7. 6. 1928). Erst im „Dritten Reich“ werden die Kritiken wieder auf Dauer freundlicher, zumal man ­Metaxas schon früh als „Freund der Diktatur“ einstuft (z. B. PAAA , R 72656: DGA , Politischer Bericht 14. 3. 1935).

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verallgemeinernd von „venizelistischer Presse“ spricht, macht sie es sich zu einfach. Abgesehen von der Praxis, den innenpolitischen Gegner als „deutsche Fraktion“ abzuqualifizieren, wogegen die betroffene Gesandtschaft mit wechselndem Erfolg protestiert,39 sind sich die venizelistischen Blätter in ihrer Stoßrichtung fast nur dann einig, wenn schwerwiegende außenpolitische Interessen berührt sind. Als etwa Paris die griechische Regierung auffordert, den französischen Standpunkt zu unterstützen, falls Deutschland beim Völkerbund eine Revision des Versailler Kriegsschuldverdikts beantragen sollte, folgt eine konzertierte Aktion heftigster Presseangriffe „teils auf Deutschland überhaupt, teils auf das frühere Régime“: Selbst „sonst vernünftige“ griechische Zeitungen scheuen dabei nicht vor den „albernsten Argumenten“ zurück, so werden beispielsweise der Mord von Sarajevo, die Ermordung Georgs I. sowie Liman von Sanders’ angeblicher Plan zur Ausrottung des Christentums in der Türkei jeweils dem „damaligen Deutschen ­Kaiser in die Schuhe“ geschoben. Die Quintessenz ­dieser Attacken ist jedoch die Feststellung, dass „das ganze Statut von Europa auf dem Kriegsschuldparagraphen beruht und Griechenland daher ein unmittelbares Interesse der Verhinderung jeder Diskussion dieser Art hat“.40 Ansonsten muss aber z­ wischen den zitierten „vernünftigen“ und den nahezu in Permanenz aggressiven Blättern wie etwa dem von der französischen Gesandtschaft subventionierten Progrès oder der damals venizelistischen Estia 41 unterschieden werden. In der ersten Kategorie ragt das angesehene Blatt Eleftheron Vima heraus, das zur freudigen Überraschung der Gesandtschaft von Zeit zu Zeit geradezu deutschfreundliche Kommentare bringt, so etwa nach Rathenaus Ermordung, oder als noch Mitte der Zwanzigerjahre deutsche Wissenschaftler wiederholt – wie in Versailles beschlossen – von der Teilnahme an internationalen Kongressen ausgeschlossen werden.42

39 Siehe z. B. PAAA , R 72613: DGA  744/530, 24. 8. 1923. – Wesentlich gefährlicher war der ständige Gebrauch d­ ieses Terminus von den Anklägern im Prozess gegen die „Sechs“ (royalistischen Führer und angeblichen Staatsfeinde). Vgl. oben zur Exekution von Gounaris. 4 0 PAAA, R 72613: DGA 72/524, 4. 9. 1924. 41 Der „besonders gehässige“ Stil der Estia wird des Öfteren in Gesandtschaftsberichten erwähnt (z. B. P 72669: DGA 462/8. 8. 1924 und DGA 30. 10. 1924). Bemerkenswerterweise zeichnet sich die mittlerweile rechts außen stehende Zeitung auch nach dem Zweiten Weltkrieg durch ihre scharf antideutschen Kommentare und „Hetzkampagnen“ aus, wie die bundesdeutsche Botschaft zumindest bis in die Sechzigerjahre beklagt (z. B. PAAA, Abt. 3, Ref. 206, Bd. 125: Botschaft der BRD, 514/20. 4. 1960, Vertraulich!). Zu den wenigen Perioden, in denen die Estia ein eher positives Deutschlandbild besitzt, gehört jene des „Dritten Reiches“. Vgl. z. B. Giorgos Seferis: Πολιτικό Ημερολόγιο, 1935 – 1944 (Politisches Tagebuch, Bd. 1, 1935 – 1944), Athen: Ikaros, 1979, S. 18 f., S. 24 (Einträge vom 27. 10. 1940 und 25. 3. 1941; Völkischer Beobachter, 22. August 1934). 42 PAAA, R 72613: DGA 38/292, 28. 6. 1922; Eleftheron Vima, 12. 4. 1925; AdW, ZA, II-XII, 24: DGA 225/15. 4. 1925 und DGA 232/17. 4. 1925.

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Auch die „Säbelherrschaft“ des „ehrgeizigen und skrupellosen“ Diktators ­Theodoros Pangalos bringt nicht die auf deutscher Seite vermisste „starke Hand“, da der „Bühnengeneral“ ein „noch größerer Komödiant als seine Gegner“ ist und von Mussolini „nur die Gesten und großen Worte, aber nicht die Tatkraft borgen konnte“.43 Darüber ­hinaus hatte ihm sein allzu großes Entgegenkommen gegenüber Serben, Franzosen und Italienern wenig Freunde in Berlin geschaffen. Stattdessen verfolgt man im Ausland aufmerksam Venizelos’ Verhandlungsführung zur Regelung der griechischen Auslandsschulden sowie seine Einflussnahme auf die innergriechischen Entwicklungen. Auch das Fazit des neuen Gesandten Renner ist zwiespältig: Venizelos ist wieder der starke Mann hinter den Kulissen, ist aber doch nicht mehr der alte, ist leidend und nebenbei sehr reich geworden. Gern würde er bestimmt nicht nach Griechenland zurückkommen, wo es viele Leute gibt, die mit ihm abrechnen möchten.44

Wenige Wochen darauf scheint der Gesandte sich aber zu einer neuen Präferenz durchgerungen zu haben: Als sein französischer Kollege Graf Chambrun keinen Hehl daraus macht, dass er einen venizelistischen Sieg bei den Novemberwahlen 1926 wünscht, meldet Renner ausdrücklich Zweifel an, „ob wir Grund hätten, uns über ein Scheitern der französischen Hoffnungen besonders zu freuen“. Die Hoffnung der deutschen Kolonie in Griechenland auf einen Sieg der Volkspartei und eine Restauration der Monarchie sowie die Erwartung, dass „dann eine herrliche Zeit für die deutsch-­griechischen Beziehungen anbrechen würde“, beurteilt er skeptisch: Selbst wenn eine antivenizelistische Regierung sich gegenüber den putschfreudigen Offizieren halten könnte, wäre auch sie primär auf das Wohlwollen der alliierten Mächte angewiesen. Andererseits habe er bereits in der ­kurzen Zeit seines Hierseins eine Anzahl von angesehenen Venizelisten gefunden, die Deutschland kennen, in Deutschland studiert haben, und die noch heute, trotz aller Kriegsereignisse, ehrliche Bewunderer Deutschlands sind. Kämen sie ans Ruder, so können sie sich vielleicht eher den Luxus erlauben, mit Deutschland gute Beziehungen zu pflegen als eine antivenizelistische oder monar­ chische Regierung.

Der Gesandte verwirft zwar abschließend jede deutsche Parteinahme; da er aber zugleich die für den Fall eines Regimewechsels zu erwartenden „unruhigen Zeiten“ als den Interessen der deutschen Wirtschaft abträglich bezeichnet, setzt er offensichtlich auf die venizelistische Karte. Eine Rolle spielt hierbei die Entschärfung des französischen 43 PAAA, R 72677: AA, Ref.  IIb, 12. 1. 1926; IIb, 6. 4. 1926; R 72653: DGA  HC/30. 12. 1925 und AA, Ref. IIb, 26. 8. 1926; u. v. a. 4 4 PAAA, R 72653: DGA HC/2. 10. 1926.

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Faktors, umso mehr, da das Tauwetter z­ wischen Paris und Berlin seine Entsprechung auf der Athener Ebene findet, wo Chambrun „keine Gelegenheit unbenutzt läßt“, um seinem deutschen Kollegen „eine Freundlichkeit zu erweisen“.45 Doch dann wird, „wie so oft in ­diesem Lande, (…) das Unerwartete Ereignis“ 46: Das Patt bei den Wahlen führt zur großen Koalition. Diese von den Liberalen dominierte „Ökumenische Regierung“ unter „englischem Patronat“ genießt, trotz aller Schwächen, einen gehörigen Sympathievorschuss in Berlin; im Zusammenhang mit deren „Überlebenschancen“ wird daher auch regelmäßig die große Unbekannte diskutiert, d. h. wie ernst Venizelos’ „Rücktritt“ aus der aktiven Politik zu nehmen sei. Während die deutschen Zeitungen hinter seiner ephemeren Abstinenz lediglich ein „politisches Manöver“ wittern 47 und sich dabei weitesten Beifalls gewiss sind,48 können die Diplomaten ihre widerwillige Bewunderung für den „alten Löwen“ nicht verhehlen. Dennoch überwiegt die Ansicht, dass jener mittlerweile müde und kränklich sei und Anschläge gegen sein Leben befürchte, trotzdem aber, nicht zuletzt auf Drängen seiner reichen und ehrgeizigen Frau, erneut in die Arena steigen dürfte. Ungeachtet seiner guten „gesellschaftlichen Beziehungen“ zum Ehepaar Venizelos glaubt Renner jedoch, es sei „entschieden besser“ für Griechenland, wenn der mittlerweile nach Paris abgereiste Kreter dort „weiterhin ein ruhiges Leben“ führte.49 Als Venizelos im Mai 1928 dennoch sein Comeback bekanntgibt, bedauert die deutsche Gesandtschaft, dass „dieser zweifellos bedeutende, aber unruhige und unzuverlässige griechische Staatsmann“, „dessen Verdienste um sein Vaterland nicht bestritten werden können“, nicht an seinem früheren Entschluss festgehalten habe. Die Wunden der innergriechischen Spaltung, die in den letzten beiden Jahren zu heilen begonnen hätten, ­seien wieder am Aufbrechen, und die extremen Royalisten begrüßten daher 45 PAAA, R 72653: DGA, Renner, „Aufzeichnung“, 4. 11. 1926 für Köpke, AA – Noch deut­ licher: DGA IIC/31. 10. 1926. Dennoch, selbst in den Jahren des relativ besten Einvernehmens ­zwischen Berlin und Paris wird sich wenig an der Tradition der deutschen Diplomatie ändern, argwöhnisch frankophilen Tendenzen unter den Politikern des Gastlandes nachzuspüren. 4 6 PAAA, R 72653: DGA IIC/4. 12. 1926. 47 Z. B.: Venizelos empfiehlt sich als Retter Griechenlands, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 9. August 1927. 48 Für die Mehrheit der politisch interessierten deutschen „öffentlichen Meinung“ war „venizelistisch“ immer noch eine Art Synonym zu „antideutsch“. Bezeichnend ist die Klage eines wegen Zollvergehens verhafteten Deutschen, er läge in einem griechischen Gefängnis, „auf dem seit 30 Jahren nie gereinigten, bespuckten, bepissten und bekackten Fußboden ohne irgendeine Unterlage“. Eindringlich versucht er, deutsche Stellen zu einer Intervention zu bewegen, indem er seiner Schilderung das erprobte Siegel der venizelistischen Germanophobie aufdrückt: „Ins Lazarett komme ich nicht, da der Arzt Venizelist ist und ich immer noch lebe. Auf meine Hilferufe beim Oberstaatsanwalt bekam ich den höhnischen Bescheid, ‚wenden Sie sich an Deutschland, Deutschland über alles, uns gehen Sie nichts an!‘“ [BayHStA, MJu 18547: D/A, Beilage, 13. 1. 1926]. 49 PAAA, R 72654: DGA, Politischer Bericht, 3. 2. 1928.

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diese Entwicklung, um „alte Leidenschaften neu zu entflammen“. Dennoch sei an einem Wahlsieg von Venizelos, der seine „alte Kampflust“ und „geradezu überraschenden Tatendrang“ wiedergefunden habe, kaum zu zweifeln. Die „große Bedeutung, die das Wiederauftreten von Venizelos nicht nur für Griechenland hat“, sieht man aber vor allem darin, dass er das Land erneut näher an Frankreich/Jugoslawien statt an England/ Italien orientieren dürfte. Das Auswärtige Amt sendet diese besorgte Analyse allen deutschen Auslandsvertretungen zur Information zu.50 Bald aber sieht Berlin den „großen Demagogen“ wieder mit freundlicheren Augen. Das liegt einerseits daran, dass auch London seine anfängliche „Ungnade“ schnell revidiert, andererseits Renner von Venizelos „sehr freundlich“ empfangen wird, und dieser einer Intensivierung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen das Wort redet.51 Erneut setzt sich auch die Überlegung durch, dass Venizelos, der alle anderen Politiker überrage, sich gegenüber Deutschland eher ein Entgegenkommen leisten könne als die bisherige Regierung und erst recht als ein royalistisches Kabinett, das, trotz aller freundlichen Worte, „eine wahre Angst“ hätte, diese auch in die Tat umzusetzen. Infolgedessen wäre ein royalistischer Sieg „für uns ein Unglück“.52 Zugleich sieht man Venizelos, trotz aller früher geübten Kritik an seiner „Impulsivität“, wohl als eine der wenigen kalkulierbaren Konstanten in Griechenland, denn die landläufigen europäischen Begriffe genügen in ­diesem Lande nicht, das Orient und Okzident ist, Kleinasien und Paris, uralt und ganz jung, kultiviert und primitiv, Balkan und Mittelmeer, bewohnt von einem Volk mit einem unberechenbaren und unzuverlässigen Temperament.53

Nach Venizelos’ Wahlsieg reagiert der deutsche Geschäftsträger Immelen mithin optimistisch: Sollte es Herrn Venizelos gelingen – und vieles spricht dafür –, das Land einer Periode der Sammlung und Ordnung entgegenzuführen, wird auch sein Bestreben, die Verwaltung zu säubern, von Erfolg gekrönt, so kann ­dieses für uns nur von Vorteil sein, denn wir werden aus dem sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Fortschritt jedenfalls Nutzen ziehen, und Herr Venizelos ist zu klug, um nicht zu wissen, w ­ elchen Gewinn er für sein Land aus der Anbahnung guter wirtschaftlicher Beziehungen mit Deutschland ziehen kann. Jedenfalls könnte es sich unter den jetzigen Verhältnissen lohnen, wenn deutsche Wirtschaftskreise sich mehr als bisher mit Griechenland befassen.54 50 PAAA , R 72622: DGA , Politischer Bericht  IIGJ /7.6.28; auch R 72654: DGA (Immelen), Politischer Bericht, 29. 5. 1928; AA (Bülow), 5. 6. 1928. 51 PAAA, R 72654: DGA, Politische Berichte, 4.7. und 11. 7. 1928. 52 PAAA, R 72654: DGA HGJ/25. 7. 1928. 53 PAAA, R 72622: DGA (Renner), Politischer Bericht II GJ/2. 8. 1928. 54 PAAA, R 72654: DGA, Politischer Bericht, 24. 8. 1928.

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Aufmerksam registriert man in Berlin wiederholte Gesten von Venizelos, so etwa seine „geradezu feierliche“ Erklärung gegenüber Renner, er habe den Krieg gegen Deutschland geführt, „weil Griechenland keine andere Wahl hatte“. Doch sei er „ein großer Bewunderer des heutigen Deutschlands“ und wolle daher die Qualität der bilateralen Beziehungen entscheidend verbessern. Freilich relativiert der Gesandte in seinem Bericht das Gewicht dieser Versprechungen, indem er darauf hinweist, dass letztere sich nur auf wirtschaftlichem Gebiet auswirken könnten, auf dem die bekannten Mächte ja weiterhin überragenden „politischen und finanziellen Einfluß“ ausübten.55 Insbesondere in der deutschen Presse wird diese Abhängigkeit oft genug als „Hörigkeit“ gebrandmarkt, und selbst in sonst positiven Artikeln, an deren Entstehen z. T. Gesandtschaftsangehörige mitwirken, wird Venizelos als „Serbenfreund“ bezeichnet, dessen „Hinneigung zu Frankreich“, aber auch allgemein zur alten Entente ein fester Faktor der griechischen Außenpolitik geblieben sei.56 Zumindest Skepsis wird somit jenem Absatz in seiner Regierungserklärung entgegengebracht, der volle Unabhängigkeit der außenpolitischen Orientierung sowie freundschaftliche Beziehungen zu allen Staaten ankündet. Tatsächlich weiß die deutsche Seite nicht, dass der alte Kreter längst entschlossen ist, sich aus den Fesseln der Weltkriegskoalition zu befreien, zumal er – spätestens seit der kleinasiatischen Katastrophe von 1922 – den einstigen Partnern kritisch gegenübersteht. Gelegentliche Ausbrüche in dieser Richtung schockieren etwa den britischen Gesandten Sir Percy Loraine zutiefst, der plötzlich den Eindruck hat, ihm sei der Boden für seine Griechenlandpolitik unter den Füßen weggezogen.57 Obwohl er, wie auch das Foreign Office, „vorzieht“, derartige Vorfälle mit Überarbeitung und nervöser Überreizung des griechischen Premiers zu erklären,58 bleibt ein Stachel zurück. Allerdings ist man in London eher bereit, die von Venizelos proklamierte Politik der „gleichen

55 PAAA, R 72613: DGA, Politischer Bericht II GA 1/22. 11. 1928. 56 So selbst in Kommentaren aus Anlass der Paktunterzeichnung mit Italien, obgleich eben diese einer Lockerung der allzu engen Bindungen an Paris und London dienen sollte. Frankfurter Zeitung, 18. September 1928; Berliner Tageblatt, 19. September 1928; u. v. a. 57 Dies war insbesondere der Fall, als Venizelos bei einer Einladung in Sir Percy’s Residenz die allzu große alliierte Kulanz gegenüber Sofia in der Reparationsfrage bemängelt: „He went on from this into a general diatribe against the Allies for their shameful treatment of little Greece. They had deserted her in the war with Turkey; they had broken their obligations under the agreements of 1918 and 1919 as regards the book credits. England made poor Greece pay proportionately five times as much as rich Italy on her war debt; and so on. He said his feelings about this were extremely strong and that he would lose no opportunity of stating them. The Venizelos whom the Allies had known in the war and post war periods had been ‚un monsieur aimable et coulant‘ but they would now find a very different Venizelos.“ TNA, F. O. 371/13651: C 1510 Loraine, private and confidential letter, an den Leiter des Central Department im FO, Sir Orme Sargent, 17. 2. 1929. 58 Ebd.

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Abstände“ zu akzeptieren, als etwa in Paris und Belgrad. Die mehrfach gemeldete französisch-­jugoslawische Verstimmung  59 wird wiederum in Berlin als positives Indiz gewertet, das Gleiche gilt in noch stärkerem Maße für Venizelos’ restriktive Haltung in der Frage der jugoslawischen Rechte an der Eisenbahnlinie Saloniki–Monastir sowie im Freihafen von Thessaloniki.60 Angesichts Venizelos’ wiederholter Kritik an der französischen Finanzpolitik 61 ringt man sich sogar in der Wilhelmstraße vorübergehend zur Erkenntnis durch, es sei falsch, ihn „als einseitig frankophil zu bezeichnen“.62 Unter solchen Vorzeichen reagiert das Auswärtige Amt erfreut, als Venizelos im Juni 1929 erklärt, er wolle im Anschluss an die Haager Reparationskonferenz zum Young-­Plan und die nächste Vollversammlung des Völkerbunds seinen schon mehrfach angekündigten Besuch in Berlin verwirklichen, um „öffentlich seine Hochschätzung für Deutschland“ zu bekunden und dem Ausbau der bilateralen Beziehungen, gerade auch auf dem Wirtschaftssektor, neue Impulse zu geben. Damit verbunden ist, wie der neue Gesandte Radolf von Kardorff – im Hinblick auf die turbulenten anderthalb Jahrzehnte seit Venizelos’ letzter Deutschlandvisite im Januar 1914 – ergänzt, die Absicht, den „einstigen bei uns im Weltkrieg erzeugten schlechten Eindruck“ zu verwischen.63 Tatsächlich stehen kaum konkrete Gesprächspunkte auf der Agenda, zumal auch die letzten „Rückstände“ des Weltkriegs bereits auf normalem diplomatischem Wege einer Lösung nahe sind. So ist sich die deutsche Seite klar, dass der Besuch in den Rahmen von Venizelos’ Reisediplomatie und seiner programmatischen „Freundschaft mit allen“ einzuordnen ist. Deren allgemeine Ziele sieht man darin, alte Kontakte aufzufrischen sowie neue zu knüpfen, um so den eigenen Spielraum zu erweitern und die in den Vorjahren erfolgte außenpolitische Isolierung Griechenlands aufzubrechen, ohne in ein 59 PAAA, R 72622: Deutsche Botschaft London, 641/1. 10. 1928; Deutsche Botschaft Rom, I 4323/11. 10. 1928 und 417/18. 10. 1928. 60 Siehe z. B. PAAA, R 72629: AA, Aufzeichnung über die jugoslawisch-­griechischen Verträge, 18. 3. 1929. Diese lange „Aufzeichnung“ betont ein weiteres Mal, dass Frankreich die von ihm protegierten Kleinstaaten des „Cordon Sanitaire“ ­zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung nur über Thessaloniki wirksam unterstützen könnte. „Für Frankreichs maßgebenden Einfluss im Südosten ist es von sehr großer Bedeutung, ob Saloniki in der Hand eines zuverlässigen Vasallenstaates sich befindet.“ 61 AdR, NPA, Karton 561: Österreichische Gesandtschaft Belgrad, 100-Pol/31. 12. 1930, Streng vertraulich. 62 PAAA, R 72616: AA, Nr.  II Gr. 595, Aufzeichnung, 26. 9. 1929. Im selben Zusammenhang kam das AA auch zur folgenden realistischen Feststellung: Venizelos’ „Politik lief in der Vergangenheit häufig den deutschen politischen Interessen zuwider. Es besteht aber kein Anlaß, anzunehmen, daß hierbei außer der selbstverständlichen Wahrnehmung der Interessen seines Landes, wie er sie auffaßte, auch irgendeine grundsätzliche Abneigung gegen Deutschland mitgesprochen hat.“ 63 PAAA , R 72616: DGA 37/26. 6. 1929, 39/3. 7. 1929 und II GA  1/5. 7. 1929; AA , Köpke, 29. 6. 1929.

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neues Abhängigkeitsverhältnis, etwa von der potentiellen Balkangroßmacht Italien, zu geraten. Hinzu kommt, nicht nur nach deutscher Überzeugung, „eine gewisse Eitelkeit“ des „mit allen Wassern gewaschenen Kreters“, der sich gerne als exzeptioneller Staatsmann feiern lasse, zumal die Ehrungen im Rampenlicht der europäischen Hauptstädte ihre Reflexwirkung innerhalb Griechenlands nicht verfehlten.64 Die deutsche Seite ist bereit, das in ihren Kräften Stehende hierzu beizutragen – umso mehr, da sie Venizelos’ bemerkenswertem Balanceakt und insbesondere den dahinterstehenden Intentionen, sich an keine der auf dem Balkan rivalisierenden Großmächte einseitig zu binden, ungewohnten Beifall zollt.65 Hinzu kommt, dass Venizelos in den Wochen vor seinem Besuch handfeste Beweise für seine proklamierte Deutschfreundlichkeit gibt: So setzt er sich „persönlich und mit Geschick“ dafür ein, dass Siemens & Halske die Telefonkonzession für Griechenland erhält – gegen härteste Konkurrenz insbesondere der Italiener, aber auch der Amerikaner, Briten und Schweden.66 In einem Interview mit der derzeit wohl angesehensten Zeitung Eleftheron Vima flicht der Premier einen positiven Passus zu Deutschland ein, der in der venizelistischen Presse beträchtlichen Widerhall findet,67 und unmittelbar vor Venizelos’ Eintreffen in Berlin nutzt die griechische Regierung die Gelegenheit der Hundertjahrfeier des Deutschen Archäologischen Instituts, ­diesem die Schenkung eines wertvollen Grundstücks zum Bau eines Institutsgebäudes in Athen anzukündigen.68 Dementsprechend harmonisch verläuft dann auch der Besuch des Ehepaars V ­ enizelos vom 29. September bis 1. Oktober 1929. Beide Seiten finden herzliche Worte für die Verständigungspolitik der jeweils anderen, und Venizelos bedauert nur, dass Minister Stresemann unabkömmlich ist – infolge dringender innenpolitischer Geschäfte sowie der akuten Verschlimmerung seines Gesundheitszustands.69 Misstöne kommen nur seitens der vierten Gewalt: Insbesondere die deutschnationalen Zeitungen streuen Salz in die ­ erhandlungserfolg alten Weltkriegswunden,70 angestachelt durch Venizelos’ frischen V 6 4 PAAA, R 72616: DGA Politischer Bericht II GA 1/5. 7. 1929. 65 Vgl. die bissigen deutschen Kommentare zu der Reisepraxis griechischer Spitzenpolitiker in den Vorjahren, so etwa Renner: „Es entspricht ganz der Einstellung der Herren ­Michalakopoulos und Kafantaris, daß sie anscheinend die Pariser Luft mit vollen Zügen genießen. Von Paris geht die Reise nach London, wie sich das für Griechenland gehört…“ (PAAA, R 72654: DGA  II GJ, 25. 6. 1927). 66 PAAA, R 72616: DGA 29. 7. 1929 an Bülow, u. v. a. (1930 wird dann die Konzession endgültig erteilt.) 67 Eleftheron Vima, 4. 8. 1929; PAAA, R 72613: DGA II GA 1/9. 8. 1929. 68 PAAA, R 72613: AA, Aufzeichnung 30. 9. 1929. 69 Stresemann stirbt am 3. Oktober d. J. – Zu den Gesprächen siehe u. a. PAAA, R 72616: AA, Nr. II Gr. 606/30. 9. 1929 und II Gr. 617/7. 10. 1929. 70 Schon bei Ankündigung der Visite hatte der Hugenbergsche Deutsche Dienst (Dämmert-­ Dienst) die ungeheure „Instinktlosigkeit“ der deutschen Diplomatie angeprangert, sich mit

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bei der Haager Konferenz zur Neuverteilung der nach dem Young-­Plan verbliebenen Reparationssumme, wohingegen sozialdemokratische und kommunistische Blätter sich namentlich am kurz zuvor verabschiedeten Ausnahmegesetz 4229/1929 „zur Sicherung der bestehenden Gesellschaftsordnung“ (dem sogenannten Ιδιώνυμο) stören.71 In Griechenland berichtet die venizelistische Presse indessen in großer Aufmachung über den „historischen“ Besuch, während die royalistischen Blätter, die bei Ankündigung des Besuchs zuerst betreten reagiert hatten, nun entweder sarkastisch Venizelos’ „Umfall“ kommentieren oder behaupten, seine Aufnahme in Berlin sei kühl bis ablehnend gewesen, wozu als Beweis einige unfreundliche deutsche Leitartikel in Übersetzung abgedruckt werden.72 Dieser Verkehrung der „Fronten“ begegnet man nun des Öfteren; so begrüßen etwa anlässlich des offiziellen Besuchs einer deutschen Flottenabteilung in Piräus die venizelistischen Zeitungen herzlich diese Abgesandten eines „neuen, friedfertigen Deutschlands“, attackieren jedoch ihre innenpolitischen Gegner, die in ihrer Germanophilie immer noch auf das wilhelminische Reich fixiert ­seien.73 Währenddessen verfolgt das offizielle Deutschland weiterhin mit einer gewissen Zurückhaltung Venizelos’ „autoritäre“ Innenpolitik, in der er jedoch die wachsenden Schwierigkeiten dank seines „überragenden politischen Geschicks“ meistere. Anerkennende Worte finden sich wiederholt für die Bilanz seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik, die trotz ungünstiger Voraussetzungen bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und darüber hinaus als bemerkenswert erfolgreich angesehen wird, so dass die wirtschaftliche Not bis zum Sommer 1931 geringer sei als anderswo. Den größten Beifall zollt man aber wiederum der brillanten Außenpolitik des Kreters, sowohl im Völkerbund wie insbesondere im kunstvoll geknüpften Netz Griechenlands bilateraler Beziehungen,

einer Einladung bei dem „ausgesprochenen Deutschenfeind“ Venizelos anzubiedern, der „noch heute restlos im Fahrwasser der Entente“ segele. (Morgenausgabe Nr. 356/15. 7. 1929, Kopien in PAAA, R 72616). 71 Bereits einen Tag nach der Veröffentlichung des Ausnahmegesetzes im Regierungsanzeiger schrieb der „griechische Mitarbeiter“ der Leipziger Volkszeitung (26. Juli 1929, „Besuch ­Venizelos“): „Auch jetzt noch absorbiert Venizelos das gesamte politische Leben Griechenlands, läßt niemand anderen etwas tun, und die ganze Nation bleibt wie eine leblose Masse in einem Schlafzustand, in politischem und sozialem Aufschwung zurückgehalten. Dahin gelangt er nicht durch die Gewalt, wie Mussolini, sondern durch Taschenspielerkünste, durch Beredsamkeit, durch die Lüge.“ 7 2 Insbesondere Deutsche Zeitung und Der Tag, jeweils 30. September 1929: siehe PAAA , R 72616: DGA II P 2/11. 10. 1929. 73 Eleftheron Vima, 8. Mai 1930; Messager d’Athènes, 10. Mai 1930; Estia, 14. Mai 1930; sowie PAAA , R 72677: DGA  21. 5. 1930. – Im abschließenden Jahresbericht wird vermerkt, dass die „sonst nicht rücksichtsvolle“ griechische Presse sich „niemals“ unfreundlich gegenüber Deutschland geäußert habe. (R 72608: DGA 23. 1. 1931).

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wobei vorurteilslos eingeräumt wird, dass sein System, Gleichgewicht z­ wischen Partnern mit widerstreitenden Interessen zu halten, einer „geschmeidigen Klugheit“ wie der seinen bedürfe, da sonst „aus allseitiger Freundschaft allseitiges Mißtrauen“ entstünde. Größtes Lob gilt der Aussöhnung mit der Türkei, während bedauert wird, dass die Verständigung mit dem anderen Weltkriegsverbündeten des Reichs, Bulgarien, noch nicht so weit gediehen sei. Wirklichkeitsnah konstatiert die deutsche Gesandtschaft, des Premiers Verhältnis zu den ehemaligen Entente-­Partnern beruhe nicht auf „zärtlicher Liebe“, sondern auf pragmatischen Überlegungen und insbesondere jenes zu Frankreich sei weit entfernt von herzlich. Befriedigt ist man auch darüber, dass Griechenland sich vom französischen Konstrukt der „Kleinen Entente“ fernhält, obgleich es zu deren Mitgliedsstaaten jeweils mehr oder weniger gute Beziehungen unterhält. Andererseits wird das problemfreie deutsch-­griechische Verhältnis auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene in nahezu jedem Bericht herausgestrichen.74 Über den Stellenwert dieser Veränderungen geben sich die Athener Gesandtschaft und die Wilhelmstraße dennoch keinen Illusionen hin: Das von Venizelos geführte Griechenland wünsche weiterhin die Aufrechterhaltung des Status quo im Nahen Orient und auf dem Balkan. Es hat kein Inte­ resse an einer Revision der Friedensverträge, vertritt aber ebenso wenig ein starres Festhalten an diesen Verträgen und leugnet nicht die Wandelbarkeit der politischen Verhältnisse.

Die Regierung Venizelos sei „ein aufrichtiger Anhänger des Schiedsgerichtsgedankens und der Abrüstung“, würde eine Streichung der Reparationen und Kriegsschulden akzeptieren, „vorausgesetzt, daß ihr eigenes Finanzinteresse dabei nicht zu kurz kommt“, und habe auch auf den von Paris zu Fall gebrachten Plan einer deutsch-­österreichischen Zollunion nicht ungünstig reagiert.75 Hier ist anzumerken, dass Venizelos auch gegenüber Wien schon früh guten Willen demonstriert. Abgesehen von diversen diplomatischen Artigkeiten besucht er den ersten Nachkriegsempfang in der wenige Monate zuvor mit Krediten endlich neu errichteten österreichischen Gesandtschaft in Athen und bekundet dort seine Absicht, auf seiner 74 Es handelt sich hier um den Extrakt der gesamten Berichterstattung jener Periode, mit Schwerpunkt auf den Jahresübersichten 1929 – 1931, denen auch die wörtlichen Zitate entnommen sind (PAAA , R 72608: DGA IIG , Politische Berichte, 25. 1. 1930, 23. 1. 1931, 3. 2. 1932) – Zu den wenigen ephemeren „Problemfällen“ gehört die immer noch wiederholt „unkluge“ Berichterstattung mancher Zeitungen. Der Journalist Troebst, der Venizelos als „gehässigen Störenfried“ der Völkerverständigung verunglimpft, wird auf persönliche Anweisung des „erzürnten“ Premiers aus Griechenland ausgewiesen, „als Schädling für die vortrefflichen deutsch-­griechischen Beziehungen und als Gefahr für deren glücklichen Fortbestand“ (PAAA, R 72614: DGA II P 1/23. 5. 1930). 75 PAAA, R 72608: DGA IIG, Jahresübersicht 1931, Politischer Bericht, 3. 2. 1932.

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nächsten Auslandsreise auch Wien zu besuchen.76 Obwohl man sich am Ballhausplatz klar ist, dass dem „lediglich die Bedeutung eines Courtoisie-­Besuchs“ zukommt, registriert man die Erklärung doch als „ein weiteres erfreuliches ­­Zeichen (…), welch hohe Geltung Österreich, insbesondere in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht, in der Welt genießt“.77 Abgesehen von den gerade für Wien obligatorischen kulturellen Veranstaltungen sowie dem Austausch der Ratifikationsurkunden des im Vorsommer unterzeichneten griechisch-­österreichischen Freundschaftsvertrags erwägen die Gastgeber sogar Venizelos’ Teilnahme an einem simulierten Großbrand aus der Perspektive der Wiener Feuerwehr. Die interne Begründung liegt darin, Athen plane die Ausschreibung der Reorganisierung und Ausstattung der eigenen Feuerwehr (und deren Leitung durch einen ausländischen Experten) und man könne so den griechischen Premier beeindrucken, „der sich bekanntlich für alles persönlich interessiert und auf alles Einfluß nimmt“.78 Trotz Venizelos’ sofortigen Einverständnisses kommt es schließlich doch nicht zu dieser abenteuerlichen Inszenierung während seines Aufenthalts an der Donau vom 3. bis zum 5. Januar 1931.79 Dennoch hatte selbst diese alles andere als sensationelle Visite in Wien lebhaftes Interesse und Spekulationen 80 in Europa erweckt und einmal mehr bewiesen, „daß man auf die Schritte und Worte des alten Kreters achtet, der es verstanden hat, außenpolitisch seinem Lande neue Bedeutung zu verleihen“.81 Während Venizelos sich redlich bemüht, mit den Nachfolgestaaten beider „Mittelmächte“ einen deutlich sichtbaren Schlussstrich unter die Weltkriegsvergangenheit zu ziehen, waren auch die über Jahre hinweg verkrampften und verhärteten Positionen der Gegenseite kaum weniger augenfällig „revidiert“ worden; allerdings muss man den meliorativen Wandel des offiziellen Venizelos-­Bilds zumindest partiell auf 76 Vradyni, 25. 11. 1930; AdR, NPA, Präsidium 69: ÖGA, 34P/25. 11. 1930 ; vgl. auch AdR, NPA, Karton 563: Öst. Generalkonsulat, Pol 3/27. 2. 1930. 77 AdR, NPA, Karton 560, Liasse Griechenland I, f. 122 f. (Bundeskanzleramt an alle österreichischen Auslandsvertretungen, 21. 12. 1930). Bemerkenswert ähnlich klang, anderthalb Jahre zuvor, die deutsche Reaktion auf Venizelos’ Selbsteinladung, nämlich dass diese „bei dem sehr unsentimental veranlagten und in geschicktester Weise seine Interessen verfolgenden Staatsmanne als Kompliment für unsere wiedererlangte Geltung“ zu werten sei (PAAA, R 72616: DGA II GAI/5. 7. 1929). 78 AdR, NPA Präsidium 69: ÖGA , 34/P/25. 11. 1930. Die oben skizzierte Eigenschaft von ­Venizelos ist oft belegt, kann aber in ihren Konsequenzen verschieden interpretiert werden. So hatte z. B. Renner gewarnt: „Eine der Schwächen von Venizelos liegt darin, daß er alles selbst macht. (…) Dieser wirklich bedeutende – für Griechenland vielleicht zu große – Mann ist kein Mann des Details, und selbst wenn er es wäre, könnte er nicht alles selbst übersehen.“ (PAAA, R 72654: DGA, Politischer Bericht, 27. 11. 1928). 79 Vgl. auch den ausführlichen Bericht der britischen Gesandtschaft in Wien (TNA , F. O. 371/15231: C 184/44/19, Le Rougetel an A. Henderson, 8/6. 1. 1931). 80 Vgl. das Dementi in Messager d’Athènes, 26/27. Dezember 1930. 81 PAAA, R 72648: DGA (Kardorff ), II GJ 1, Politischer Bericht 12. 1. 1931.

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opportunistische Überlegungen zurückführen. Denn kaum war „der Alte“ im Mai 1932 als Ministerpräsident zurückgetreten, hält ihm der deutsche Gesandte Eisenlohr nicht nur innenpolitische Sünden vor, sondern relativiert auch dessen „korrekte oder betont freundschaftliche“ Haltung gegenüber Deutschland in den letzten vier Jahren: Diese dürfe nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß Venizelos nicht nur wegen der gegenwärtigen Machtverteilung, sondern auch nach seiner persönlichen Einstellung und der ganzen Entwicklung seines Lebens innerlich nach Frankreich neigt und deshalb auch, wenn die Waage sonst gleichsteht, stets der französischen Seite den Vorzug geben würde, gleich ob es sich um große Politik oder um Staatsaufträge und dergl. handelt. Er ist auch seinem ganzen Wesen nach zu sehr reiner Politiker, um das Vordringen des wirtschaftlichen Moments in die Politik, wie es in der Gegenwart überall zu beobachten ist, gebührend berücksichtigen zu können.82

Abgesehen davon, dass er in überwunden geglaubte Klischees zurückfällt, spielt E ­ isenlohr mit der letzten Bemerkung auf die herausragende deutsche Handelsposition in Griechenland an, ignoriert aber dabei Venizelos’ starken Einsatz für eine Forcierung der Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland, wie im Falle der Telefonkonzession. Als Venizelos die Regierungsgeschäfte im Januar 1933 erneut übernimmt, kann sich Eisenlohr eines boshaften Kommentars nicht enthalten: „Statt weithin ausschauender Projekte und großer politischer Aktionen wie sie Venizelos liebt, dem sein Vaterland stets eine zu kleine Bühne für seinen politischen Ehrgeiz gewesen ist“, habe sich das „aus nicht übermäßig bedeutenden Männern bestehende“ Kabinett Tsaldaris bemüht, sachlich und „mit reinen Händen“ die nächsten Probleme des Landes anzugehen und habe wachsendes Vertrauen im Volke gewonnen: „Dieser Erschütterung des Axioms von seiner eigenen Unentbehrlichkeit konnte Venizelos nicht länger zusehen; eine ­solche Regierung mußte schleunigst gestürzt werden.“ 83 Eisenlohrs Verärgerung geht 82 PAAA, R 72663: DGA II GJ 1, Politischer Bericht, 28. 5. 1932 – Mangels ausreichender Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes, ist es sicherlich problematisch, eine erneute Revision der deutschen Einstellung primär aus dem Vergleich der Berichte Eisenlohrs mit denen seines Vorgängers zu folgern. Der persönliche Faktor spielt hier natürlich eine wichtige Rolle, zumal Kardorff wohl der Venizelos (und den Griechen) am meisten zugeneigte deutsche Gesandte und zudem in seinen politischen Überzeugungen liberaler war als sein Nachfolger. (1933 schied er endgültig aus dem Diplomatischen Dienst aus und lebte die nächsten 20 Jahre in Athen, wo er sich archäologischen Studien widmete.) Andererseits amtierte sein Nachfolger Eisenlohr bereits während der letzten Periode venizelistischer Herrschaft in Athen, ohne sich im obigen Sinne zu äußern. – Bemerkenswerterweise meldet auch der österreichische Geschäftsträger bald nach Wien, „trotz aller gegenteiliger Versicherungen“ hätte sich doch wieder die „enge Bindung“ der Venizelisten mit der Entente erwiesen (AdR, NPA, Karton 563: ÖGA, 20/Pol, 25. 10. 1932). 83 PAAA, R 72663: DGA II GJ 1, Politischer Bericht 17. 1. 1933.

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wohl eher darauf zurück, dass er sich vom Kabinett Tsaldaris, „wenn es lange genug am Ruder“ bleibe, eine „bequemere“ Haltung in den Beziehungen zu Deutschland erwartet hatte, obwohl der „zwangsläufig festliegende Kurs der griechischen Außenpolitik“ kaum nennenswerte Änderungen erfahren dürfte.84 Unter diesen Vorzeichen werden die sich bald darauf überstürzenden Entwicklungen in Griechenland von dem Gesandten des mittlerweile nationalsozialistisch ­regierten Reichs im Prinzip positiv gesehen: der kaum erwartete antivenizelistische Wahlsieg vom 5. März 1933, tags darauf das Scheitern von Plastiras’ Putschversuch, der als Beweis für die „tiefe Zerrüttung und militärische Wertlosigkeit“ des politisierten griechischen Heeres und namentlich seines Offizierskorps gesehen wird, sowie schließlich die erneute Regierungsübernahme durch Panagis Tsaldaris. Eisenlohr rühmt des neuen Premiers guten Willen, die vom „Volk“ in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, d. h. „eine ehrliche Verwaltung, die Sanierung der Finanzen und die Sicherung des inneren Frieden[s]“. Hingegen müsse er erst unter Beweis stellen, ob er auch „das Geschick, vor allem die Kraft und den Mut dazu besitzt“.85 Ganz eindeutig spielt bei ­diesem Vorbehalt das auch in Berlin anerkannte Axiom von der Singularität des Kreters mit, der alle anderen griechischen Politiker, im eigenen wie im gegnerischen Lager, bei Weitem überrage. Hinzu kommt die Besorgnis, was jener jeweils gerade im Schilde führe, denn einem journalistischen Bonmot zufolge, das Eisenlohr voll übernimmt, regiert V ­ enizelos entweder selbst oder er stürzt Regierungen oder er konspiriert.86 Dennoch, oder eben deswegen zögert Berlin, sich öffentlich mit Tsaldaris zu identifizieren, obwohl jener nicht nur mit pathetischen Gesten 87 oder mit der Wahl eines deutschen Kurorts für seinen jährlichen Erholungsurlaub, sondern selbst mit handgreiflichen Eingriffen etwa in die Presse-, Reise-, und Demonstrationsfreiheit seine Verbundenheit mit Deutschland (sowie seine Beflissenheit gegenüber dem dort mittlerweile herrschenden NS-Regime) zur Schau stellt. Obwohl der neue griechische Gesandte Rangavis bei seinem Antrittsbesuch sich etwa mit dem Hinweis anzubiedern sucht, in beiden Ländern ­seien durch Wahlen am gleichen Tag (5. März 1933) „nationale“ Bewegungen an die Macht gekommen oder in dieser bestätigt worden, findet Hitler lediglich „einige freundliche Wendungen für das neue Griechenland, ohne sich aber auf die Zusage einer Unterstützung festzulegen“.88 84 PAAA, R 72663: DGA, Politischer Bericht, 8. 11. 1932. 85 PAAA, R 72663: DGA, Tgr. 5/7. 3. 1933 und DGA II Gj 1. 11. 3. 1933. 86 Vgl. PAAA, R 72663: DGA II GJ 1, 17. 1. 1933. 87 So etwa mit der Absendung eines Huldigungstelegramms aus München zur „ehrfurchts­vollen Erinnerung“ an den hundertsten Jahrestag der Abfahrt König Ottos I. (PAAA , R 72614: ­Tsaldaris an Reichskanzler Schleicher, 7. 12. 1932). 88 PAAA, R 72614: AA, Bülow, 26. 9. 1933 – Das „Entgegenkommen“ der Tsaldaris-­Regierung gegenüber Berlin wurde 1934/35 noch augenfälliger.

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Abgesehen von der stets gegebenen Möglichkeit einer Rückkehr der Venizelisten an die Macht spricht gegen eine Festlegung auch der Umstand, dass sich die Berliner Machthaber ihnen zumindest in zwei Punkten näher fühlen. Zum ­Ersten lassen die Diplomatenberichte keinen Zweifel an der antisemitischen Einstellung, zwar kaum von Venizelos selbst, aber vieler seiner Anhänger und insbesondere der kleinasiatischen Flüchtlinge – mit der Folge, dass das jüdische Stimmenpotential fast ausschließlich der Volkspartei zugeflossen war, wofür sich diese natürlich erkenntlich zeigen muss.89 Zudem ist man in Berlin irritiert, als die traditionellen „Freunde“ in der Volkspartei entscheidend dazu beitragen, dass das „notorische“ französische Modell einer „Balkan-­Entente“ zur Abwehr der von Italien und sekundär auch von Deutschland protegierten revisionistischen Ansprüche im Februar 1934 seine Verwirklichung findet. Unter diesen Vorzeichen verfehlt der Widerspruch ausgerechnet der traditionell „frankophilen“ liberalen Opposition nicht ihren Eindruck auf das Auswärtige Amt. ­Venizelos sieht sein System der überlappenden bilateralen Absicherungsverträge durch den Regionalpakt in Gefahr und infolge der Überschneidung mit der Kleinen Entente auch die angestrebte griechische Neutralität im Falle eines europäischen Konflikts bedroht. Namentlich warnt er vor einer nunmehr heraufbeschworenen militärischen Verwicklung mit einer Großmacht (Italien). Als pikante Randnote sei hier jedoch angemerkt, dass in ­diesem Zusammenhang der Gesandte des „neuen“ Deutschlands Anstoß an den von Venizelos gebrauchten Formen der innenpolitischen Auseinandersetzung nimmt,90 fast auf den Tag ein Jahr nach der durch den Reichstagsbrand ausgelösten Terrorwelle und drei Monate nach Verabschiedung des Gesetzes „zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“. Immerhin verurteilt die Gesandtschaft, trotz ihrer Voreingenommenheit, das „abscheuliche“ Attentat royalistischer Provenienz gegen Venizelos im Juni 1933.91 89 Vgl. Mavrogordatos, Stillborn Republic, S. 240 ff., S. 258 ff. – An dieser generellen Trennung änderte sich auch nichts dadurch, dass einerseits Tsaldaris antideutsche bzw. Anti-­Nazikundgebungen seitens der griechischen Juden wie auch anderer Gruppen zu unterbinden suchte, während insbesondere vor kritischen Nachwahlen die Venizelisten – wenig erfolgreich – „liberalische Verbrüderung“ mit einer Handvoll „Reformjuden“ demonstrieren wollten. Verdrossen beobachteten die deutschen Diplomaten diesen „wenig würdigen Wettbewerb ­zwischen den feindlichen griechischen Brüdern“ (PAAA, R 72615: DGA II D (S. A.), 3. 4. 1933; R 72656: Deutsches Konsulat Salonik an DGA 52/PoI V, 25. 1. 1936 und 78/PoI V, 11. 2. 1936; u. v. a.). 90 „Venizelos ist, wie sein Verhalten während des Weltkriegs gezeigt hat, in seinem Machtstreben bedenkenlos: er schreckt auch vor Methoden nicht zurück, die er selbst bei anderen ohne Zweifel verurteilen würde“ (PAAA, Pol. Abt. II, Pol. 3, Bulgarien-­Griechenland, Bd. 6: DGA II GA 2a, 26. 2. 1934). 91 Ebd. – Siehe auch AdR, NPA, Präsidium 69: ÖGA I9P/10. 6. 1933, bzw. Weisung Dollfuß an ÖGA, 7. 6. 1933.

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Die infolge wechselnder Prioritäten immer noch schwankende deutsche Haltung ist zum Teil dafür verantwortlich, dass in der Wilhelmstraße das Interesse an Griechenland abnimmt und man sich erneut nach „verlässlicheren“ Partnern umsieht. Der endgültige Bruch ­zwischen den griechischen Liberalen und dem deutschen Regime wird jedoch eingeleitet, als zuerst ein venizelistischer Senator und schließlich, im Dezember 1934, Venizelos persönlich das Kabinett Tsaldaris mit der Begründung attackiert, dass es die Rüstung vernachlässige, „obwohl seit der Machtergreifung Adolf Hitlers die Bedrohung des Friedens erheblich gewachsen“ sei. Beide Male verneint Kriegsminister Kondylis öffentlich das Bestehen einer derartigen Gefahr.92 Dennoch ist Eisenlohr spürbar verärgert, was sich bei der erneuten republikanischen Militärrevolte am 1. März 1935 zeigt. Dabei ist es interessant, die verschlungenen Konstellationen und die „unorthodoxe“ Sympathieverteilung im internationalen Kontext zu rekonstruieren. Während zumindest in der ersten Phase Italien und Bulgarien ihr Wohlwollen für die Putschisten nur mühsam kaschieren, sind Venizelos’ alte Verbündete in London, Paris und Belgrad von „Sorge und Mißtrauen“ erfüllt, da sie ein von Mussolini inszeniertes oder zumindest gefördertes Manöver zur Sprengung des Balkanpakts argwöhnen.93 Dementsprechend verurteilen die englischen und französischen Zeitungen scharf den „Hasardeur“ Venizelos. Angesichts dieser nahezu geschlossenen Front des alten Entente-­Lagers, aber auch aus politischem Kalkül ist man in Berlin zurückhaltend und ignoriert sogar die Ratschläge des eigenen Gesandten. Eisenlohr warnt nämlich wiederholt das Auswärtige Amt, angesichts der offenen Parteinahme der meisten anderen Mächte für die legitime griechische Regierung schade das deutsche Abseitsstehen der eigenen Position, zumal der Aufstand ohnehin zum Scheitern verurteilt sei. Im Apparat der Wilhelmstraße sind hingegen immer noch Venizelos’ Gesprächspartner von 1929 tonangebend, die lange nicht glauben wollen, dass der politische Stern des Kreters wirklich und endgültig dem Nadir zustrebt. So beschließt man zwar, der Bitte der griechischen Gesandtschaft zu entsprechen und im Falle venizelistischer Bestellungen von Flugzeugen und anderem Kriegsmaterial unter Berufung auf eine ansonsten eher flexibel gehandhabte Bestimmung des deutschen Kriegsgerätegesetzes ein Lieferverbot zu verhängen, ansonsten aber „Vorsicht walten zu lassen“, da der Ausgang der „Revolution“ weiterhin ungewiss sei. Eisenlohr wird also informiert: „Wir tragen Bedenken im innerpolitischen Kampf Griechenlands Partei zu ergreifen und haben daher hiesige Presse angewiesen, sich auf Wiedergabe Tatsachenmeldungen zu beschränken.“ In der 92 AdR, NPA, Karton 563: ÖGA 123/Pol, 15.12.34; PAAA, R 72679: DGA II GJ 3, 26. 6. 1934 und 18. 12. 1934. 93 PAAA, R 72655: Deutsche Botschaft Rom, I 147/7. 3. 1935; DG Tirana 147/7. 3. 1935; R 72656: DGA , Politischer Bericht, 15. 3. 1935 geh.; AdR, NPA , Karton 562: ÖGA , Tlgr. 8. 3. 1935 Streng vertraulich; u. v. a.

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Praxis bedeutet das, dass der Radiodienst „Transocean“ sowie zahlreiche Zeitungen auch dubiose Erfolgsmeldungen aufständischer Provenienz verbreiten, die in Athen größtes Befremden hervorrufen.94 Nach dem definitiven Zusammenbruch der Revolte will daher Eisenlohr die Regierung Tsaldaris zu ihrem Erfolg beglückwünschen, um so „Eindruck Berichterstattung deutscher Presse zu verwischen“. Doch bemerkenswerterweise verwehrt ihm das Auswärtige Amt eine ­solche Initiative, da man auch jetzt noch den Anschein einer Parteinahme in „rein innergriechischen Angelegenheiten“ unbedingt vermeiden will. Dem Gesandten wird lediglich zugestanden, bei passender Gelegenheit der Regierung „einige freundliche Worte“ zur „Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung“ zu sagen, sowie dass die deutsche Seite ihre Bemühungen, „die dem Lande geschlagenen Wunden zu heilen, mit Sympathie“ verfolge.95 Diese (und andere)96 Formulierungen zeigen, dass ein Großteil der deutschen Berufsdiplomaten eine innergriechische Aussöhnung nicht ungern sehen würde und insbesondere nicht die letzten Brücken zum liberalen Lager abbrechen möchte, dem man trotz der erlittenen Niederlage ein politisches Comeback zutraut. Im Gegensatz zu diesen Kollegen sieht sich Eisenlohr bald als Exponent einer klar „antivenizelistischen“ Politik bestätigt: Im November des gleichen Jahres bringt die griechische Presse Auszüge aus einem Brief, mit dem der im Pariser Exil lebende Venizelos sich bereit erklärt, dem auf den Thron zurückkehrenden Georg  II. eine „Bewährungsprobe“ zuzugestehen; dann könne jener unter Beweis stellen, dass er als König aller Griechen (und nicht lediglich einer Fraktion) herrschen wolle. Tags darauf publiziert Eleftheron Vima eine Reportage aus Paris, in der ein „prominenter Freund“ die Hintergründe für diesen sensationellen Positionswechsel erläutert: V ­ enizelos habe seinem engeren Vertrautenkreis „zu verstehen gegeben“, dass angesichts der gespannten Lage in Europa der innergriechische konstitutionelle Hader für ihn „völlig zweitrangig“ sei. Dem Kontinent stünde nämlich ein neuer blutiger Waffengang bevor, „wie ein Naturphänomen, dem keine menschliche Macht widerstehen“ könne: „Und auch dieser Krieg wird von Deutschland entfesselt“! Da die Reichswehr derzeit noch nicht dazu in der Lage sei, höre man aus Berlin noch Friedensschalmeien. Doch bald sei die deutsche Aufrüstung abgeschlossen, und spätestens im Frühjahr 1937 werde Hitler losschlagen, um den Anschluss Österreichs mit Waffengewalt zu erzwingen. Der daraufhin als Kettenreaktion ausgelöste neue Weltkrieg (!) würde – infolge der Verbindungen ­zwischen Kleiner Entente und Balkanpakt – auch Griechenland erfassen; diese äußere

94 PAAA R 72655: A4, Aufzeichnung Lorenz, 4. 3. 1935 und Kommentare Röpke; AA, Röpke an DGA, Tlgr. 11/5. 3. 1935; DGA 24/9. 3. 1935; Aufzeichnung Lorenz, 9. 3. 1935; u. v. a. 95 PAAA, R 72655: DGA, Tlgr. 29/12. 3. 1935; AA, Bülow an DGA, Tlgr. 20/13. 3. 1935. 96 Vgl. etwa die Kritik an der Rache der Sieger: PAAA, R 72656: Deutsches Konsulat Salonik an DGA, 18. 3. 1935.

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Bedrohung unterstreiche jedoch die Notwendigkeit einer innergriechischen Aussöhnung und nationaler Einheit.97 Während der österreichische Außenminister ­diesem unerwarteten Seitenhieb gegen den gefürchteten großen Nachbarn applaudiert,98 schäumt Eisenlohr gegen die selbsternannte „außenpolitische Pythia in Paris“ und empfiehlt eine sofortige deutsche Erwiderung in schärfster Form.99 Doch einmal mehr bremst Berlin. Da im Falle einer offiziellen Reaktion auch die inkriminierte Passage der deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müsste, verzichtet man darauf sowie auf jegliche Erörterung in der eigenen Presse.100 Stattdessen lässt man Eisenlohr bei Kondylis bzw. Außenminister Ioannis Theotokis intervenieren, woraufhin der regierende General der Reichsregierung ein offiziöses „Sittenzeugnis“ ausstellt, wie der österreichische Gesandte ironisch formuliert,101 indem er öffentlich die von Hitler drohende Kriegsgefahr in Abrede stellt. 97 Proia, 16. 11. 1935; Eleftheron Vima, 17./18. 11. 1935. Venizelos’ Brief vom 31. 10. 1935 befindet sich im Archiv des Benaki-­Museums, Athen, Korrespondenz E. Venizelos–L. Kanakaris-­ Rouphos, Nr. 180. – Diese brisante Prophezeiung ist in der Venizelos-­Forschung lange unberücksichtigt geblieben. Vgl. Ιστορία του Ελληνικού Έθνους (Geschichte der griechischen Nation), Bd. 15, S. 372 bzw. Grigorios Daphnis, Η Ελλάς μεταξύ δύο πολέμων (Griechenland z­ wischen zwei Kriegen), Bd.  II, Athen: Ikaros 1955, S. 391 f. – Auch in seiner Rede zum Balkanpakt in der vertraulichen Sitzung der Parteiführer am 28. 2. 1934 verweist ­Venizelos auf die Gefahr einer größeren Konfrontation infolge der deutschen Pläne für einen „Anschluss“ Österreichs; vgl. K. D. Svolopoulos (Hg.), Το Βαλκανικόν Σύμφωνον και η ελληνική εξωτερική πολιτική, 1928 – 1934. Ανέκδοτον κείμενον του Ελευθερίου Βενιζέλου (Der Balkanpakt und die griechische Außenpolitik, 1928 – 1934. Unveröffentlichter Text von Eleftherios Venizelos), Athen: Estia, 1974, S. 70. Im Nachhinein gerät die düstere Prophezeiung wiederum fast in Vergessenheit, bildet aber den krönenden Abschluss einer kürzlich veröffentlichten monumentalen Biografie: Nikolaos Emm. Papadakis, Ελευθέριος Βενιζέλος. Ο άνθρωπός, ο ηγέτης (Eleftherios Venizelos. Der Mensch, der Lenker), Athen: Estia, 2017, S. 1100 ff. 98 Randglosse „Bravo Alter“ auf dem Schreiben des österreichischen Gesandten Lothar Wimmer an Außenminister Berger-­Waldenegg (AdR, NPA, Karton 562: 147/Pol., 19. 11. 1935). 99 „Hinweis, daß Venizelos früher einmal angesehener Politiker, eigentliche Ursache griechischer Zerrissenheit seit zwanzig Jahren und der Katastrophe in Kleinasien, durch verbrecherischen Aufstand im letzten Frühjahr Griechenland erneut in Bürgerkrieg gestürzt und an den Rand des Abgrunds gebracht. (…) Senil geworden und in ohnmächtiger Wut, daß seine Rolle ausgespielt, sucht sich nun erträglichen Ausweg durch einen Umfall zu schaffen, den er bemänteln will mit dem Anschein patriotischen Opfergeistes und mit probatem Mittel der Brunnenvergiftung und der Verleumdung Deutschlands“ (PAAA, R 72614: DGA, Tlgr. 103/18. 11. 1935 geh.). 100 Vgl. PAAA, R 72664: DGA II GJ 1, Politischer Bericht 28. 1. 1936 Geheim. – Dennoch wird nunmehr in der deutschen Presse eine schärfere Sprache gegen Venizelos gebraucht. Z. B.: Alexander v. Thayer, Revolution im Kaffeehaus. Novembertage auf Kreta, in: Der Angriff, 25. November 1935. 101 AdR, NPA, Karton 562: ÖGA 147/Pol, 19. 11. 1935.

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Doch bald sieht sich Eisenlohr veranlasst, das Thema wiederaufzunehmen – obwohl zu d ­ iesem Zeitpunkt seine Versetzung nach Prag bereits feststeht. Entgegen seiner ursprünglichen Hoffnung, dass die Restauration 102 der Monarchie definitiv das „Ende des Venizelismus“ bedeute, erhebe nämlich die geschlagene Opposition infolge der Fühlungnahme Georgs II. mit ihrem zunächst zum Tode verurteilten Führer „wieder das Haupt“, da der König, „dadurch daß er sozusagen die Toleranz des Herrn Venizelos erbat“, dessen Legitimation und Prestige restauriert habe.103 Als dann aus den Wahlen vom 26. Januar 1936 die Liberalen sogar als relativ stärkste Partei hervorgehen, warnt der neue Geschäftsträger Kordt das Auswärtige Amt vor einer möglichen Regierungsübernahme durch Sofoulis oder einen anderen venizelistischen Unterführer (der dann wohl, wie Kafantaris 1928, dem „Meister“ zu gegebener Zeit Platz machen dürfte). Kordt empfiehlt daher, ganz auf der Linie Eisenlohrs, einem venizelistisch geführten Kabinett „zunächst einmal einen kühlen Empfang“ zu bereiten und dabei auf die kürzlichen antideutschen „Machenschaften“ ihres Chefs zu verweisen. Angesichts der herausragenden deutschen Handelsposition, der Abhängigkeit Griechenlands und insbesondere der venizelistischen Stammwähler in den Nordprovinzen vom deutschen Tabakimport würde eine feste Haltung auch eine ­solche Regierung veranlassen, „ihren guten Willen Deutschland gegenüber unter Beweis zu stellen, um die fatalen Äußerungen des Parteihäuptlings vergessen zu machen“.104 102 Der deutsche Konsul in Saloniki berichtet missbilligend, obgleich noch relativ euphemistisch über die „Mogelei“, d. h. das „selbst für hiesige Verhältnisse ungewöhnliche Abstimmungsverfahren“ beim Referendum über die Staatsform am 3. 11. 1935 (PAAA , R 72656: DKS 499/Pol V, 5. 11. 1935 und 52/Pol V, 25. 1. 1936). Eisenlohr scheint sich an diesen Praktiken nicht zu stören, während sein österreichischer Kollege sich detailliert über die massiven Wahlfälschungen auslässt – womit es sich erübrige, „über den Wert der Abstimmung vom Gesichtspunkt der Stimmenzählung ein weiteres Wort zu verlieren“. Dennoch verdienten diese Vorgänge „als Beispiel eines klaren Sieges des entschlossenen Handelns über die rein mechanisch-­arithmetische Wahlmethode [!] festgehalten zu werden“ (AdR, NPA , Karton 563: ÖGA an Minister Egon Berger-­Waldenegg, 135/Pol, 5. 11. 1935). – Andere Diplomaten drücken sich noch schärfer aus, so etwa resümiert der Gesandte des „dynastisch verwandten“ Dänemarks, dass „diese Abstimmung gewiß die größte Komödie ist, die seit langem auf einer europäischen Bühne gespielt wurde“ (Dänische Gesandtschaft Athen, 5/5. 12. 1935 Vertraulich DUMK , 124 D. I.; vgl. auch den Gesandtschaftsbericht vom 25. 5. 1936 über die „komplette Farce des Volksabstimmungschwindels“: DUMK Athen, Politiske Depecher 1936). 103 PAAA, R 72656: DGA II GJ 1, Politischer Bericht, 1. 12. 1935. 104 PAAA , R 72664: DGA   II   GJ  1, Politischer Bericht, 28. 1. 1936, Eilt! Geheim! – Zu den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen jener Periode s. Roland Schönfeld, Wirtschaftliche Kooperation unter Krisenbedingungen. Deutsch-­griechische Handelsbeziehungen in der Zwischenkriegszeit, in: Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, hg. vom Institute for Balkan Studies, Thessaloniki: IMXA,1991, S. 143 – 159.

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Eine schriftliche Stellungnahme des Auswärtigen Amtes hierzu ist offensichtlich nicht erhalten geblieben oder, wahrscheinlicher, nie abgefasst worden. Tatsächlich ergibt sich keine derartige Notwendigkeit. In den folgenden Wochen dreht sich nämlich das „innerpolitische Karussell“ um den gleichen toten Punkt. Das Patt ­zwischen den beiden großen Lagern im Parlament (in Verbindung mit der „Koalitionsunfähigkeit“ der Kommunisten) erlaubt die Bildung einer arbeitsfähigen Regierung nur, wenn der Graben der an den Namen Venizelos geknüpften Bindungen und Aversionen durch eine darüber hinwegreichende neue Konstellation zumindest partiell zugeschüttet würde. Doch trotz der im Anfangsstadium wohl aufrichtigen Bemühungen des Königs, der in seiner Thronrede zur Eröffnung des Parlaments den Ernst der außenpolitischen Lage 105 unterstreicht, ist keiner der Parteiführer bereit, über die Schatten der trennenden Vergangenheit zu springen. So wird zur Freude der deutschen Gesandtschaft ein zweites Geschäftskabinett Demertzis gebildet, denn „von unserem Standpunkt können wir mit der gefundenen Lösung zufrieden sein“. Das Reich verfüge nämlich in dieser Regierung über „eine Reihe bewährter Freunde“, die in der Wirtschafts- und Kulturpolitik den deutschen Wünschen entgegenkommen dürften, es aber auch „nicht zulassen werden, daß sich die Balkanentente in das Schlepptau der Kleinen Entente und damit Frankreichs nehmen läßt“.106 In Sonderheit habe aber die soeben in Athen eingetroffene Nachricht vom „Tode des ränkesüchtigen Venizelos“ nicht nur die Aussichten der Regierung erheblich verbessert, sondern auch dem griechischen Volk eine neue Chance gewährt, den alten Parteienhader zu überwinden und wieder zu einer Nation zusammenzuwachsen. In seinem nächsten Bericht über die Schwierigkeiten, die selbst noch der tote Venizelos der derzeitigen Regierung bereite, flicht der Geschäftsträger auch einen ­kurzen Nachruf ein, der allerdings einen Rückschritt in die frühen Zwanzigerjahre darstellt, in denen die Auffassungen des jungen Berufsdiplomaten Kordt im Auswärtigen Amt weitgehend geprägt wurden: Der zugegebenermaßen „große Mann“ sei zeitlebens ein Feind Deutschlands gewesen und habe zudem bis zu seinem Tode und sogar noch darüber hinaus den „inneren Frieden Griechenlands“ bedroht.107 Da die Vgl. Mogens Pelt, Greece and Germany’s Policy towards South-­Eastern Europe 1932 – 1940, in: Epsilon. Modern Greek and Balkan Studies, 2, 1988, S. 55 – 76; dort (S. 60) auch zu den pro-­deutschen Pressionen der griechischen Tabaklobby. 105 Einmarsch deutscher Truppen in das entmilitarisierte Rheinland am 7. 3. 1936. 106 PAAA, R 72664: DGA II GJ 1, Politischer Bericht 18. 3. 1936. 107 „Venizelos hat das griechische Volk in den Krieg gegen uns geführt. Er ist auch s­ päter, unbeschadet seiner gelegentlichen freundlicheren Äußerungen, im Grunde immer unser Feind geblieben. Noch im November v. J. hat er seinen politischen Umfall von der Republik zum Königtum seinen Anhängern zu erklären versucht, indem er darauf hinwies, daß die Deutschen (…) einen europäischen Krieg entfesseln würden. Angesichts dieser ungeheuerlichen Beschuldigung habe ich es für richtig gehalten, von Beileidskundgebungen der griechischen Regierung gegenüber abzusehen“ (PAAA , R 72656: DGA   II   GJ  1, Politischer Bericht,

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g­ egensätzliche Meinung des britischen Gesandten Waterlow 108 kaum verwundern kann, stammt der interessanteste Nekrolog in ­diesem Kontext vom Repräsentanten des anderen deutschsprachigen Staats, in dem gleichermaßen der Name Venizelos noch Jahre nach dem Weltkrieg Anathema gewesen war. Unter dem Titel „Abschied von Venizelos“ berichtet Wimmer nach Wien: Es ist nicht der Zweck d­ ieses Berichts, aus Anlaß des Todes Venizelos, die Vergangenheit, mit der er verknüpft war, wieder aufzurollen; seine Entwicklung vom kretensischen [!] Rebellen zum griechischen Staatsmann, zum tyrannischen Volkstribunen und Überwinder einer königlichen Dynastie, zum Führer, der von seinem Volke im Stiche gelassen wurde und nach einer neuerlichen Revolution mit dem Rufe stirbt: „Es lebe der König“, gehört der griechischen Geschichte an. Seine Vermittlerrolle bei den Alliierten im Weltkrieg und anläßlich des Friedensschlusses, seine odysseische Verschlagenheit bei der an die Verbündeten gerichteten Erteilung von Ratschlägen, die letzten Endes den griechischen Zielen dienten, sein Traum von Großgriechenland, seine Mitschuld an der Vernichtung der griechischen Siedlungen in Kleinasien, seine Fähigkeit, diese Niederlage zu vergessen und mit der Türkei einen Freundschaftsbund zu schließen, bedeuteten und bildeten Merksteine der europäischen Entwicklung und sichern ihm einen dauernden Platz unter den bemerkenswertesten Staatsmännern der vergangenen Jahrzehnte. Seine Rolle in der europäischen Außenpolitik war erfüllt und sein Tod hat für Griechenland vor allem innerpolitische Bedeutung (…). So stark war die Persönlichkeit Eleftherios Venizelos, so sehr hat sein lebendiger Geist im Guten wie im Bösen die Initiative beherrscht und meist das Gesetz des Handelns diktiert, daß sein Name zum Feldruf wurde, und eine ganze Nation in der Politik nur eine Frage: für oder gegen Venizelos, nur einen Unterschied: Venizelisten oder Antivenizelisten kannte. Nicht durch Programmpunkte 27. 3. 1936). – Hier ist daran zu erinnern, dass Theo Kordt zu jenen Diplomaten gehört, die nach Hitlers „Machtergreifung“ auf Wunsch Brünings im Auswärtigen Dienst verblieben waren, um Schlimmeres durch „Einströmen nationalsozialistischer Elemente“ zu verhindern; nach dem Kriege wurde er wegen „aktiven“ Widerstandes gegen das NS -Regime als unbelastet eingestuft (PAAA , Nachlaß Theo Kordt, Bd. 1: Theo Kordt, Eidesstattliche Erklärung für G. Altenburg, 20. 6. 1949). 108 „Eleftherios Venizelos (…) not only governed Greece, but he created the Greece of to-­day, and during the Great War and afterwards he, alone among Balkan politicians, became an outstanding figure in the councils of Europe. His death (…) has for the moment stilled the passions of hatred and of devotion which the symbolism of his name generated, and which for twenty years have divided his countrymen into two opposite political camps. The Greeks have always been intolerant of their great men while they are present and active. Now that the only modern Greek who approached greatness has disappeared, the nation is practically united in pride of his achievements, and has given itself up, without distinction of party, to what strikes the Western mind as almost an orgy of mourning. (…) The only discordant note comes from the ultra-­Royalist gutter press (…)“ (TNA, F. O. 371/20392: R 1706/1598/19, Sir S. Waterlow an Eden, 122/24. 3. 1936).

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waren diese feindlichen Lager getrennt, sondern nur durch die Unterordnung unter gegnerische Führer. Venizelos überragte seine Feinde bei weitem; um ihn scharten sich alle kleinasiatischen Flüchtlinge, die Kretenser und die Bewohner des neuen Griechenlands [der nach den Balkankriegen erworbenen Territorien]; mit seinen übrigen Anhängern umfaßten sie noch am Ende seiner Laufbahn die Hälfte der Nation. Die gegnerischen Parteien, deren Unterschiede ebenfalls nicht so sehr durch Programmpunkte als durch die Gefolgschaft für einzelne Führer gekennzeichnet ist, waren in dem einen Punkt einig: denjenigen zu bekämpfen, der durch die Größe seiner Gefolgschaft drohte, alle anderen Parteihäupter um ihre Bedeutung und deren Anhänger um jede Hoffnung auf besonderen Schutz und Förderung, Gewinn oder Anstellung zu bringen.

Es folgen lange und bemerkenswert kenntnisreiche Ausführungen zum griechischen Klientelsystem seitens des österreichischen Gesandten, der dann fortfährt: Wenn es nun auch außer Frage ist, daß mit dem Tod Venizelos eine einmalige historische Figur für immer verschwindet, die in der auswärtigen Politik nicht ersetzt wird, so ist vom innerpolitischen Standpunkt die Tatsache ausschlaggebend, daß Venizelos, obwohl er der genialste und stärkste unter den griechischen Politikern war, Nachfolger finden wird, die seinen Platz, wenn auch mit weniger Glanz und weniger Geist, einnehmen werden, weil es das gleichbleibende Bedürfnis, seine Interessen durch einen Führer vertreten zu lassen, erfordert.

In ­diesem Zusammenhang sieht es Wimmer als „wichtigste Tatsache (…), daß Venizelos vor seinem Tode Frieden mit dem König gemacht hat“. Damit wäre es nunmehr die Person des Königs, die alle anderen „nicht nur hierarchisch, sondern auch an politischer Bedeutung“ überrage; es wäre zum Teil auch Venizelos’ letztes Verdienst, wenn das Königtum jetzt eine Chance hätte, sich als „einziger neutraler Faktor in Griechenland“ zu etablieren.109 Auch Wimmers zuvor zitierte Kollegen unterstreichen, dass unter den neuen Vorzeichen Georg II. der „mächtigste Mann“ im Land sei. Wenn Letzterer dann innerhalb weniger Wochen diese Chance verspielt,110 so ist der Deutsche weit weniger überrascht als der Österreicher, der sich offenbar besser auf historische Analysen denn auf politische Prognosen verstand. Bereits in seinem knappen Nachruf auf Venizelos hatte Kordt 109 AdR, NPA, Karton 562, Liasse Griechenland 2: ÖGA, 48/Pol., 30. 3. 1936 an Minister Berger-­ Waldenegg. 110 Der Vf. hat sich anderweitig zur politischen Verantwortung Georgs II. in der Periode 1936 – 1944 geäußert, z. B. Hagen Fleischer, Ντόπια και ξένη Κατοχή: ορισμένες επισημάνσεις (Inländische und Fremde Okkupation), in: H. Fleischer; N. Svoronos (Hg), Ελλάδα 1936/1944. Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση (Griechenland 1936/1944. Diktatur – Okkupation – Widerstand). Athen: ΑΤΕ, 1989. S. XIII–XIX.

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nämlich vorausgesagt, der König werde „die Zügel fester in die Hand nehmen“ und es sei „nicht ausgeschlossen“, dass „anstelle des abgewirtschafteten Parlamentarismus eine autoritäre Staatsform tritt“.111 Als dann am 4. August 1936 Georg  II. und sein Gefolgsmann Metaxas in einem kalten Staatsstreich die Verfassung „amputieren“,112 sind alle Parteien, zuvörderst die „Venizelisten“, aus der politischen Agora verbannt. Für das „Dritte Reich“ bilden sie somit keinen Faktor von Bedeutung mehr und weniger denn je stellt sich die Notwendigkeit einer verbindlichen Sprachregelung. Abgesehen von dieser Feststellung besäße eine Zitatenlese mithin wenig Aussagekraft, da die Spannweite der Äußerungen gewaltig ist, wobei die negativen überwiegen. Infolgedessen s­ eien hier nur zwei „stellvertretende“ Urteile aus der ersten Kriegsphase erwähnt, als Griechenland noch in seiner Neutralität belassen war. Im April 1940 erklärt das „Deutsche Auslands-­Institut“ die angeblich unfreundliche Haltung der (vom Metaxas-­Regime zensierten!) griechischen Presse Deutschland gegenüber immer noch mit der „venizelistischen Einstellung der meisten Redaktionen“.113 Andererseits charakterisiert ein bekannter Historiker in einer „Kriegsvorlesung“ Venizelos als „griechischen Bismarck“ und, somit fast zwangsläufig, als „Herrenmensch von Format“.114 Es verdiente eine gesonderte Studie, die Rolle der einstigen Venizelisten und ihrer zahlreichen Absplitterungen unter den Bedingungen der deutschen Besatzungszeit zu 111 PAAA, R 72656: DGA II GJ 1, Politischer Bericht, 27. 3. 1936; Eisenlohr hatte bereits bei der Ankunft Georgs  II. seinem skeptischen amerikanischen Kollegen Lincoln MacVeagh „prophezeit“, entweder werde der König binnen zwei Wochen das Land wieder verlassen oder aber Griechenland stünde eine neue Diktatur bevor. John O. Latrides (Hg.), Ambassador MacVeagh Reports: Greece, 1933 – 1947, Princeton: Princeton University Press, 1980, S. 66. 112 Gegenüber dem schwedischen Gesandten versuchte sich der König mit dem Argument zu rechtfertigen, er habe sich gegenüber der griechischen Demokratie in derselben Lage befunden „wie ein Mensch mit einem vom Wundbrand befallenen septischen Bein, das dieser amputieren lassen muß, ob er will oder nicht“. Hagen Fleischer, Im Kreuzschatten der Mächte: Griechenland 1941 – 1944. Frankfurt/Bern/New York: Lang, 1986, S. 50, S. 574. 113 BArch, R 57/956: Auslandsdienst des DAI, Bericht 878/5. 4. 1940. 114 Hans Hallmann, Die Geschichte Neugriechenlands. Zwei Kriegsvorträge der Rheinischen Friedrich-­Wilhelms-­Universität, Bonn: Bonner Universitätsbuchdruckerei 1941, S. 40. Derselbe Autor (S. 43) erkennt auch Venizelos’ „Triumph“ an, im ­Ersten Weltkrieg in der Bündnisfrage richtig kalkuliert zu haben, wohingegen die frühen deutschen „Antivenizelisten“ ­dieses Kalkül abschätzig auf „Glück gehabt“ reduzierten (insbesondere Heisenberg, Neugriechenland, S. 123). Vgl. hingegen Tzermias, Neugriechische Geschichte, S. 120: „Doch alles in allem war der Kurs Venizelos’, der in der Einschätzung wurzelte, Griechenland sei militärisch, geopolitisch und ökonomisch auf Großbritannien und Frankreich angewiesen, viel loyalistischer als die Diplomatie seiner Widersacher. Der Ausgang des E ­ rsten Weltkrieges bildet wohl das entscheidende Argument für die grundsätzliche Richtigkeit der damaligen Optik des großen Kreters.“

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untersuchen. Auch hierbei wird eine der Hauptschwierigkeiten darin bestehen, die hergebrachten Verallgemeinerungen und Simplifizierungen zu vermeiden. So hatte etwa das britische Foreign Office schon zu Beginn der Okkupation folgende Richtlinie für die Griechenlandpropaganda vertreten: Es schadet dabei nicht im Geringsten, wenn wir extreme venizelistische Kreise dadurch verletzen, daß wir dem König zur Seite stehen und Metaxas Ehre erweisen, wo ihm Ehre gebührt. Entscheidend ist, daß wir das „royalistische“ Lager nicht erzürnen. Die Deutschen können niemals die extremen Venizelisten zu sich hinüberziehen, doch könnten sie Erfolg haben bei manchen Royalisten oder rechten Elementen.115

Tatsächlich leistet London damit ungewollte Schützenhilfe für die deutsche Propaganda, die sich bemüht, über die Zirkel der traditionellen Germanophilen hinaus ein neues Reservoir potentieller Kollaborateure zu erschließen. So unterstützt man Tsolakoglous Kampagne gegen den „eidbrüchigen Georg Glücksburg“ und die Skandale der fünfjährigen „Tyrannei des 4. August“. Die Schreiberlinge im Dienste der Besatzungsmacht schonen nicht einmal den einstigen Favoriten Metaxas, dem der „Dichasmos“, das Schisma des ­Ersten Weltkriegs angelastet wird, d. h. die verhängnisvolle „Entzweiung des historischen Duumvirats Konstantin – Venizelos“ mit der nachfolgenden Spaltung der griechischen Nation in zwei feindliche Lager.116 Auf Berliner Ebene sicherlich ungewollt war die namentlich auf Kreta geradezu als sakrilegisch empfundene „Entweihung“ der kontinuierlich wachsenden Bibliothek, die Venizelos seit 1917 auf einer Odyssee ­zwischen Athen und Paris begleitete und die ihm nicht nur in den 1920er Jahren bei seiner wahrhaft historischen Übersetzung des Peloponnesischen Krieges von Thukydides wertvolle Dienste leistete. Nach Venizelos’ Tod wurden mit seiner Hinterlassenschaft insbesondere auch die Bücher auf den Landsitz der Familie in Chalepa transportiert, 1 15 Fleischer, Kreuzschatten, S. 113. 116 Fleischer: Η ναζιστική προπαγάνδα στην Κατοχή: ένα διφορούμενο όπλο (Die NS-Propaganda während der Okkupation, eine zweideutige Waffe). In: Fleischer/Svoronos, Griechenland 1936/1944, S. 362. Sicherlich war diese Strategie beeinflusst von den Gesprächen, die SD-Abgesandte noch während des albanischen Feldzugs mit dem im französischen Exil befindlichen Plastiras geführt hatten. – Dabei machte der General keinen Hehl aus seiner Aversion gegen das Metaxas-­Regime und seiner Absicht, sich an die Spitze der „mehr und mehr“ anschwellenden venizelistischen Volksbewegung zu stellen; das von ihm geführte Griechenland werde „mit Deutschland im Sinne der vom Führer angestrebten Neuordnung Europas aufs engste zusammenarbeiten“ (PAAA, Inland IIg/392: Picot an Luther, Tlgr. 14. 1. 1941). – In der ersten Okkupationsphase registrieren dann die deutschen Dienststellen besorgt verstärkte italienische Anbiederungsversuche bei venizelistischen Offizieren unter Verwendung von Venizelos’ Namen und dessen proitalienischen Stellungnahmen bis „kurz vor seinem Tode“ (BA-MA, RW 4/v. 326: „Griechisch-­italienische Beziehungen“, Anl. 7 zu Nr. 9/41 geh. Militärattaché Athen).

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dem aristokratischen Vorort der kretischen Hauptstadt Chania. 1941 requirierten die deutschen Besatzer das Anwesen für eigene Bedürfnisse. Von den Büchern ging eine nicht unbeträchtliche Anzahl durch Diebstahl verloren, andere wanderten im ersten, besonders kalten Okkupationswinter in den Kamin des Nationalhelden.117 In dieser ersten Phase sehen einige namhafte Politiker venizelistischer Provenienz die deutsche Okkupation als ephemeres und mithin geringeres Übel, verglichen mit dem Gewinn der durch die Wehrmacht beseitigten Königsdiktatur.118 Auch 1943, bei der Aufstellung der „Sicherheitsbataillone“ und anderer bewaffneter Kollaborationsverbände sind nicht nur militärische Exponenten des alten republikanischen Lagers federführend (Gonatas, Pangalos, Poulos, Dertilis etc.), sondern auch Politiker der Liberalen und anderer „demokratischer Parteien“ sehen diese Initiative nicht ohne Sympathie,119 wobei erneut innenpolitische Frontstellungen und nicht prodeutsche Präferenzen den Anstoß geben. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die deutschen Dienststellen untereinander uneins sind, was die Intentionen der venizelistischen Offiziere betrifft, zumal man nicht unberechtigt Querverbindungen zu alliierten Dienststellen in Nahost, aber auch zu Kollegen in den verschiedenen Widerstandsorganisationen befürchtet: die Offizierskader, insbesondere die höheren Chargen, von ELAS, EDES und EKKA rekrutieren sich zu einem beträchtlichen Teil aus Veteranen der gescheiterten republikanischen Putschversuche von 1933 und 1935. Spätestens im Sommer 1944 haben aber die scharfsinnigeren Protagonisten der deutschen Besatzungsadministration, darunter insbesondere der „Sonderbeauftragte Südost“ Neubacher, erkannt, dass sie es weniger als je nötig hatten, historisch bedingte Trennungslinien durch die „bürgerliche“ Szene zu ziehen. Alle „parlamentarisch-­demokratischen Figuren“ verbinde nun die gemeinsame Furcht vor einer Machtübernahme der radikalen Linken (EAM/ELAS) und einer „Nacht der langen Messer“ unmittelbar nach dem deutschen Abzug. Infolgedessen sähen sie die Besatzungsmacht als kleineres Übel; Hass empfinde man nur gegenüber der Terrortruppe der deutschen Sicherheitspolizei, und Wunschtraum aller bürgerlichen Kräfte sei ein „Gentleman’s Agreement z­ wischen uns und den Engländern“.120 117 Trotz dieser Verluste enthält die Venizelos-­Bibliothek in Chania heute 8500 Titel. Paschalis M. Kitromilides (Hg.), Elevtherios Venizelos: The Trials of Statesmanship, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2006, S. 385; museum@venizelos-­foundation.gr; u. v. a. 118 Fleischer, Kreuzschatten, S. 96 f., S. 100. 119 Fleischer, Kreuzschatten, S. 460, S. 488; Th. Papasakellariou, 27. 9. 1944 an EDES Athen. zit. in: Lazaros Arseniou, Η Θεσσαλία στην Αντίσταση (Thessalien im Widerstand), Bd. II, Athen: (Selbstverlag), 1977, S. 213 ff. – In der letzten Okkupationsphase werden die Sicherheitsbataillone allerdings bereits weitgehend von altgedienten oder auch frisch konvertierten Royalisten kontrolliert. 120 PAAA, R 27302: Telegramme Neubacher an „Diplogerma“ [DGA] 54/7. 3. 1944, 23. 7. 1944, 24. 7. 1944; R 27301: DGA (Graevenitz) an Neubacher, 324/7. 9. 1944. Aus dem gleichen

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Bis zu ihrem Abzug im Oktober 1944 ziehen die Besatzer Nutzen aus dieser Konstellation; danach, in den ersten Nachkriegsjahren, kann man sich in Deutschland (West), angesichts konkreter Bedrohungen unmittelbar vor der Haustür, den Luxus eines histo­risch bedingten Feindbilds an der Peripherie des Kontinents ohnehin nicht leisten. Anzeichen für dessen Latenz finden sich erst mit zunehmender Konsolidierung der deutschen Position: Plötzlich zeigt sich, dass auch die Bonner Diplomatie gegenüber dem langen Schatten des großen Kreters immer noch befangen reagiert. Die feine Ironie der Geschichte will es, dass „des Alten“ mediokrer Sohn, Sophoklis Venizelos, im griechischen Politkarussell gerade Premierminister ist, als im Dezember 1950 die Bundesrepublik ihr Generalkonsulat in Athen eröffnet, das dann im folgenden Sommer zur Botschaft ausgebaut wird. Doch auch er betont, obwohl weit kritischer eingestellt als sein prononciert deutschfreundlicher Stellvertreter Georgios Papandreou, die Notwendigkeit einer „engen politischen Zusammenarbeit in europäischem Geist ­zwischen Deutschland und Griechenland“ angesichts der „drohenden Ostgefahr“.121 Der Umstand, dass man sich unter den Vorzeichen des Kalten Krieges im gleichen ideologischen Schützengraben findet, erleichtert nicht nur die Verständigung mit Bonns Wunschpartner, den griechischen Konservativen, sondern – obgleich in geringerem Ausmaß – auch mit den Venizelisten. Dementsprechend wird, im Gegensatz zur Zwischenkriegsperiode, bei deutschfeindlichen Griechen nicht mehr nach dem venizelistischen, sondern primär nach dem kommunistischen Pferdefuß gesucht.122 Allerdings unterstreicht Grund vereiteln auch Neubacher und die gemäßigteren Vertreter der militärischen Führung die von Himmler gebilligte, wenn nicht gar initiierte „Chaos-­These“ des Befehlshabers des SD und der Sicherheitspolizei, Dr. Blume, der unmittelbar vor dem deutschen Abzug „eine weitere bürgerliche Führerschicht“ verschleppen und/oder liquidieren will (u. a. R 27301: Tlgr. Graevenitz 307/1. 9. 1944 an Neubacher, bzw. R 27302: Tlgr. Neubacher 347/4. 9. 1944 geh. an Graevenitz (DGA). Von diesen Terrormaßnahmen wären insbesondere die Exponenten des alten venizelistischen Lagers, darunter der zu ­diesem Zeitpunkt noch im KZ Chaidari inhaftierte Sofoulis, betroffen gewesen. 121 PAAA, B 10/250: Generalkonsulat der BRD, Athen, Tlgr. 2/12. 12. 1950. 122 So antwortet etwa das Auswärtige Amt auf Anfragen wegen geplanter Gesellschaftsreisen, trotz der noch virulenten Kriegserinnerungen gewinne in Griechenland die „traditionelle“ Deutschfreundlichkeit wieder an Boden. Dennoch gebe es natürlich, „insbesondere in kommunistischen Kreisen, noch ausgesprochen deutschfeindliche Elemente“ (PAAA, B 11/277: AA, Entwurf 24. 2. 1953, zu III 2970/53). Aber auch hier sind gewisse Überschneidungen zu beobachten, selbst wenn der von der griechischen Rechten geprägte Terminus „Venizelokommunisten“ (im Gegensatz zu anderen) von deutscher Seite nicht übernommen wird. Aus dem vorhandenen Quellenmaterial ist kaum zu ersehen, inwieweit Rudimente historischer Ressentiments bei den deutschen Vorbehalten gegen das venizelistische Lager mitspielen. Die ausgearbeiteten Botschaftsberichte befleißigen sich einer rationalen Argumentation, Kritik richtet sich namentlich gegen die „weiche“ Haltung gegenüber dem griechischen bzw. dem internationalen Kommunismus. – Insbesondere wird zunehmend beanstandet, dass S. Venizelos und die

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die Botschaft in einer frühen Analyse der politischen Landschaft, für die Liberale Partei gelte immer noch „ganz besonders die Kennzeichnung als Clan der Familie Venizelos“, obgleich dem derzeitigen Chef das „wahrhaft staatsmännische Format“ des Vaters abgehe. Die Einstellung der Partei und insbesondere von Venizelos jr. gegenüber Deutschland sei „im Grunde negativ“. Der Grund hierfür wird aber weniger in der fernen Vergangenheit des E ­ rsten Weltkriegs gesucht, sondern in Venizelos’ „starker Rücksichtnahme“ auf seine „Hauptdomäne“, die Bevölkerung von Kreta: Infolge ihrer blutigen Erfahrungen aus der Besatzungszeit gilt sie als Inbegriff der Deutschfeindlichkeit.123 Aber auch auf der Zeus-­Insel normalisiert sich die Lage im Lauf der Jahre, und so verläuft etwa die 1963 nicht ohne Befürchtungen unternommene Dienstreise von Botschafter Melchers nach Kreta erfolgreich – zumal die deutsche Präsenz bewusst in leisen Tönen gehalten wird. Zum Ende jedoch stellt sich unversehens „ein merkwürdiges Problem“, als nämlich der neue (natürlich venizelistische) Konsul Manousakis den Vorschlag unterbreitet, mit einer offiziellen Kranzniederlegung am Grabe des „Alten“ im Namen der Bundesrepublik einen augenfälligen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Unvermutet fühlt der peinlich berührte Botschafter die Last der Geschichte und er lehnt sich auf. Für sein Widerstreben nennt er zwei Gründe, die sich überlappen: Abgesehen davon, daß er [Venizelos] ein ausgesprochener Feind Deutschlands im E ­ rsten Weltkrieg gewesen war und den Eintritt Griechenlands in den Krieg gegen uns [!] mit Erfolg betrieben hatte, hat er seinerzeit eine für die regierende Dynastie verhängnisvolle Rolle gespielt.124 Liberalen trotz wiederholter Treuebekenntnisse zu den westlichen Idealen und Prioritäten mit einer janusköpfigen Strategie eben ­diesem „Westen einen schlechten Dienst“ erwiesen: Argwöhnisch registrieren die bundesdeutschen Beobachter „enge Kontakte“ zur Sowjetbotschaft sowie Zugeständnisse und Kooperationsofferten gegenüber der griechischen extremen Linken; im liberalen Parteiprogramm werden gar „Anklänge an bestimmte Formulierungen und Begriffe der sozialistischen Terminologie“ aufgespürt; und mehr als einmal zeichne Venizelos in der Öffentlichkeit „ein gefährlich verharmlosendes Bild“ von der UdSSR und gebrauche sogar die Parole von den „gleichen Abständen“ zu beiden Blöcken (wobei die verbale Entsprechung mit des alten Venizelos’ Leitsatz 1928 – 1932 wohl eher zufällig ist). PAAA, B 11/ 279: Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, Athen, 396/27. 3. 1954; B11/275: 1053/13. 8. 1955; B 26/15: 257/13. 3. 1957; B 26/ 68: Botschaft BRD, 845/4. 7. 1960; u. v. a. 123 PAAA, Β 11/ 272: Botschaft BRD, 954/26. 9. 1951. – Ähnlich auch der zweite Geschäftsträger der Bundesrepublik in Athen, Knoke (Interview mit Vf., Aug. 1990). 124 Noch 1952, als die deutsche Botschaft ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Besuch deutscher Reisegruppen in Griechenland revidierte, nahm sie Kreta ausdrücklich davon aus, da sie Schwierigkeiten mit der einheimischen Bevölkerung befürchtete. Hagen Fleischer, Der Neubeginn in den deutsch-­griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die ‚Bewältigung‘ der jüngsten Vergangenheit. In: Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, hg. vom Institute for Balkan Studies, Thessaloniki: IMXA, 1991, S. 99 f.

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Andererseits weiß aber Melchers, was den Kretern ihr „Nationalheld“ bedeutet, und er will die liberale Opposition weder brüskieren noch ihr Munition frei Haus liefern. Aus dem Dilemma ­zwischen perennierenden historischen Animositäten und aktueller politischer Opportunität hilft schließlich der volle Terminkalender: Ein offizieller Besuch des Denkmals ließ sich umgehen, da das Programm in Chania überlastet war und am einzig in Frage kommenden Rosenmontag keine Neigung zu offiziellen Veranstaltungen bestand. Dagegen haben wir das Denkmal und das Grab an d­ iesem Tage auf unserer Fahrt zum Kloster Aghia Triada inoffiziell mit Konsul Manousakis besucht.125

Ein halbes Jahrhundert nach Ausbruch des ­Ersten Weltkriegs schließt damit der diplo­ matische Vertreter der „Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs“ Frieden mit dem alten griechischen Widersacher – wenn auch nur inoffiziell und „mit kaltem Herzen.“ 126

Quellenverzeichnis Bestände der folgenden Archive wurden ausgewertet:

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PAAA). Bundesarchiv, Koblenz (BArch) sowie Abteilung Potsdam (früheres Zentrales Staatsarchiv, ZSA, BArch, Potsdam). Bundesarchiv – Militärarchiv, Freiburg (BA-MA). Österreichisches Staatsarchiv Archiv der Republik, Wien (AdR). Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (BayHStA). Akademie der Wissenschaften, Zentrales Archiv, Berlin (AdW, ZA). The National Archives. Kew, Richmond, U. K., (TNA). Dansk Udenrigsministeriet (Archiv des dänischen Außenministeriums), Kopenhagen (DUMK). Weitere Abkürzungen: AA – Auswärtiges Amt. DGA – Deutsche Gesandtschaft, Athen. ÖGA – Österreichische Gesandtschaft, Athen. Die Rechtschreibung von Eigennamen wurde, auch in Zitaten, vereinheitlicht, so insbesondere Venizelos anstelle von „Benizelos“, „Veniselos“ etc. 125 PAAA, B 26/155: Botschaft BRD, 458/28. 3. 1963. – Interview des Vf. mit Manousos Manousakis, (Dez. 1991), der Melchers’ Darstellung bestätigte, zumal der Botschafter ihm gegenüber mit offenen Karten gespielt hatte. Manousakis, der in den Folgejahren als Konsul viel zur deutsch-­kretischen Aussöhnung beigetragen hat, war wohl auch der Verfasser der Reportage zum Botschafterbesuch in der größten lokalen Zeitung (Kirykas, 27. Februar 1963). Darin wurde übrigens – wohl auf Melchers’ Wunsch – nur der Besuch des Klosters, aber nicht der des Grabes erwähnt. 126 Manousakis, Interview mit Vf.

240 | Kontinuitäten

Literatur Arseniou, Lazaros, Η Θεσσαλία στην Αντίσταση (Thessalien im Widerstand), Bd.  II , Athen: (Selbstverlag), 1977. Daphnis, Grigorios, Η Ελλάς μεταξύ δύο πολέμων (Griechenland z­ wischen zwei Kriegen), Bd. II, Athen: Ikaros 1955. Fleischer, Hagen, Im Kreuzschatten der Mächte: Griechenland 1941 – 1944, Frankfurt/Bern/ New York: Peter Lang, 1986. Fleischer, Hagen, Ντόπια και ξένη Κατοχή: ορισμένες επισημάνσεις (Inländische und Fremde Okkupation), in: H. Fleischer; N. Svoronos (Hg.), Η Ελλάδα, 1936 – 4 4. Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση (Griechenland 1936 – 4 4. Diktatur – Okkupation – Widerstand), Athen: ΑΤΕ, 1989. Fleischer, Hagen, Ένα διφορούμενο όπλο: Η ναζιστική προπαγάνδα στην Κατοχή (Die NS-Propaganda während der Okkupation, eine zweideutige Waffe), in: H. Fleischer; N. Svoronos (Hg.), Griechenland 1936 – 1944, S. 357 – 390. Fleischer, Hagen, Der Neubeginn in den deutsch-­griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die ‚Bewältigung‘ der jüngsten Vergangenheit, in: Griechenland und die Bundes­ republik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, hg. vom Institute for Balkan Studies, Thessaloniki: IMXA, 1991, S. 81 – 108. Hallmann, Hans, Die Geschichte Neugriechenlands. Zwei Kriegsvorträge der Rheinischen Friedrich-­Wilhelms-­Universität, Bonn: Bonner Universitätsbuchdruckerei, 1941. Heisenberg, August, Neugriechenland, Leipzig und Berlin: Teubner, 1919. Kitromilides, Paschalis M. (Hg.), Elevtherios Venizelos: The Trials of Statesmanship, Edinburgh: Edinburgh University Press, 2006. Latrides, John O. (Hg.), Ambassador MacVeagh Reports: Greece, 1933 – 1947, Princeton: Princeton University Press, 1980. Leon, George B., Greece and the Great Powers 1914 – 1917, Thessaloniki: Institute for Balkan Studies, 1974. Loulos, Konstantin, Die deutsche Griechenlandpolitik von der Jahrhundertwende bis zum Ausbruch des ­Ersten Weltkrieges, Frankfurt/Bern/New York: Peter Lang, 1986. Mavrogordatos, George Th., Stillborn Republic. Social Coalitions and Party Strategies in Greece, 1922 – 1936, Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 1983. museum@venizelos-­foundation.gr (Letzter Zugriff 7. 7. 2019). Papadakis, Nikolaos Emm., Ελευθέριος Βενιζέλος. Ο άνθρωπός, ο ηγέτης (Eleftherios Venizelos. Der Mensch, der Lenker), Athen: Estia, 2017. Pelt, Mogens, Greece and Germany’s Policy towards South-­Eastern Europe 1932 – 1940, in: E ­ psilon. Modern Greek and Balkan Studies, 2, 1988, S. 55 – 76. Schönfeld, Roland, Wirtschaftliche Kooperation unter Krisenbedingungen. Deutsch-­griechische Handelsbeziehungen in der Zwischenkriegszeit, in: Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, hg. vom Institute for Balkan Studies, Thessaloniki: IMXA,1991, S. 143 – 159. Schwyzer, Eduard (Hg.), Neugriechische Dialekttexte, aufgenommen von August Heisenberg, Leipzig: Harassowitz,1934. Svolopoulos, K. D. (Hg.), Το Βαλκανικόν Σύμφωνον και η ελληνική εξωτερική πολιτική, 1928 – 1934. Ανέκδοτον κείμενον του Ελευθερίου Βενιζέλου (Der Balkanpakt und die griechische Außenpolitik, 1928 – 1934. Unveröffentlichter Text von Eleftherios Venizelos), Athen: Estia, 1974.

Das deutsche Venizelos-Bild | 241 Thanopoulos, Georgios I., Das deutsche Neugriechenland-­Bild 1918 – 1944, München: Hieronymos, 1987. Tzermias Pavlos, Neugriechische Geschichte. Eine Einführung, Tübingen: Francke, 1986.

Deutsche Kränze auf griechischem Boden Am 12. Oktober 1944 räumte die Wehrmacht Athen und erklärte die griechische Metro­pole zur offenen Stadt. Um 10 Uhr morgens trat eine deutsche Ehrenkompanie vor dem Parlament an und gab dem 1941 von den Invasoren eingesetzten Bürgermeister Angelos Georgatos sowie einigen subalternen Würdenträgern den Schlüssel der Stadt zurück, den die einrückenden Besatzer am 27. April 1941 entgegengenommen hatten. Beim Abzug hinterließ der „Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht in Griechenland“ am Denkmal des Unbekannten Soldaten einen Kranz mit rührseliger Inschrift, die in erweiterter Form dem „griechischen Volk“ auch über Presse, Radio und Maueranschläge übermittelt wurde: Die Hauptstadt Athen ist seitens der deutschen Wehrmacht zur offenen Stadt erklärt worden. Die Mitteilung hierüber erfolgte am 11.10. früh durch den zuständigen militärischen Befehlshaber an den Oberbürgermeister der Stadt Athen. Die völlige Zurückziehung der Truppen aus der Stadt wurde sofort eingeleitet. Die Erklärung ist erfolgt auf Grund der freundschaftlichen Gefühle, die von der deutschen Wehrmacht seit jeher dem griechischen Volk entgegengebracht wurden. Den Beweis hierfür gibt die Tatsache, dass das griechische Land während des Feldzuges 1941 völlig unzerstört geblieben ist, dass die Gefangenen d­ ieses Feldzuges sofort nach dessen Abschluss unbehelligt in die Heimat zurückkehren durften, dass in den folgenden Jahren der Besatzungszeit die deutschen Stellen fortgesetzt bemüht waren, neben Lieferungen des Internationalen Roten Kreuzes durch deutsche Lieferungen Hunger und Elend von der Bevölkerung fernzuhalten und das wirtschaftliche und kulturelle Leben zu fördern. Die Erklärung zur offenen Stadt erfolgte in der Erwartung, dass sie auch vom Feind entsprechend gewürdigt werden würde. Das war bei bestimmten, außerhalb des Stadtgebietes liegenden Verkehrseinrichtungen von vornherein nicht anzunehmen. Aus Erklärungen, die der Feind von sich aus an die deutsche Wehrmacht herantrug, war zu ersehen, dass er sich die Hafenanlagen von Piräus sowie Flugplätze für militärische Maßnahmen gegen Deutschland nutzbar machen will. Hierdurch sieht sich die deutsche Wehrmacht gezwungen, zur Sicherstellung der Planmäßigkeit der von ihr angeordneten Bewegungen, die für den Gegner militärisch nutzbaren Anlagen unbrauchbar zu machen. Im Übrigen bleiben die dem griechischen Wirtschaftsleben nutzbaren Einrichtungen unversehrt.1

1 BA-MA, RH 19 VII/37b. Siehe auch Hagen Fleischer, Η ναζιστική εικόνα για τους (Νέο-) Έλληνες και η αντιμετώπιση του άμαχου πληθυσμού από τις γερμανικές αρχές Κατοχής (Das NS-Bild von den (Neu-)Griechen und der Umgang deutscher Besatzungsbehörden mit der Zivilbevölkerung), in: Αφιέρωμα στο Νίκο Σβορώνο (Festschrift für Nikos Svoronos), Bd. 2, Rethymno: Panepistimiakes Ekdoseis Kritis, 1986, S. 369 – 394.

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Abb. 10 Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten in Athen.

Inszenierungen dieser Art hatte es während der Okkupation wiederholt gegeben, etwa am 25. März, dem griechischen Nationalfeiertag zur Erinnerung an die griechische Erhebung gegen die Türkenherrschaft 1821. Diesen Gedenktag versuchte die Besatzungsmacht, einschließlich ihrer griechischen Kollaborateure, mit offiziellen Paraden zu usurpieren, die von der Bevölkerung jedoch demonstrativ ignoriert wurden. Das Zeremoniell jenes 12. Oktober 1944 verwies auf Beteuerungen von Nazigrößen bereits aus der Vorkriegszeit. Göring etwa hatte zehn Jahre davor an derselben Stelle einen überdimensionalen Lorbeerkranz als Ausdruck inniger deutscher Empfindungen für Griechenland, sein Volk und dessen Geschichte niedergelegt.2 In ähnlicher Weise argumentierte die deutsche Propaganda im April 1941 und danach immer wieder, die Wehrmacht habe „nicht als Feind griechischen Boden betreten“, sondern lediglich, um die Engländer endgültig aus Europa zu verjagen.3

2 AdR, NPA, Karton 560: Österreichische Gesandtschaft Athen, ZL.37/Pol., 21. 5. 1934; PAAA, R 72614: Deutsche Gesandtschaft Athen IID (S. A.), 25. 5. 1934. 3 Hagen Fleischer, Η ναζιστική προπαγάνδα στην Κατοχή: ένα διφορούμενο όπλο (Die NSPropaganda der Besatzung: eine zweischneidige Waffe), in: H. Fleischer; N. Svoronos, Η Ελλάδα 1936 – 1944: Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση (Griechenland 1936 – 1944: Diktatur – Besatzung – Widerstand), Athen: ΑΤΕ, 1989, S. 360.

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Angesichts von mittlerweile dreieinhalb Jahren beinharter Besatzung konnte diese propagandistische Argumentation weniger denn je überzeugen, und der Zeitpunkt bot sich mitnichten für Versöhnungsgesten an. Kaum waren die letzten Deutschen abgezogen, holten die umstehenden Athener den Kranz vom Denkmal, zerfetzten und zertrampelten ihn.4 Sechs Jahre s­ päter, im Dezember 1950, trafen die drei ersten Diplomaten der Bundes­ republik Deutschland – de facto nun Verbündete – in Athen ein. Zu ihren ersten Amtshandlungen gehörte eine Kranzniederlegung am Denkmal des Unbekannten Soldaten.5 Die griechische Presse berichtete ausführlich, vermied jedoch Kommentare, abgesehen von einem linken Blatt, das sich wütend über diese „unglaublich sarkastische Veranstaltung“ der ehemaligen Okkupanten äußerte.6 Im März 1954, als Kanzler Adenauer Griechenland einen offiziellen Besuch abstattete, war die Situation eine andere. Wenige Monate zuvor hatte die Bundesrepublik der griechischen Regierung einen Kredit gewährt und mauserte sich damit erstmals nach dem verlorenen Krieg zum Gläubigerland.7 So war es nur die Linke,8 die sich über Adenauers Unterlassung entrüstete, als dieser den Friedhof des mehrheitlich kommunistischen Athener Arbeitervororts Kokkinia besucht, um der dort bestatteten deutschen Soldaten zu gedenken, während er gleichzeitig Hunderte von den Deutschen im Schnellverfahren hingerichtete Widerstandskämpfer in den Gräbern direkt daneben im wörtlichen Sinne links liegen lässt. Zwar war die deutsche Botschaft der Ansicht, angesichts der politischen Sachlage in Griechenland gereiche ihr jeder Giftpfeil von Linksaußen zum Vorteil,9 doch lernte sie ihre Lektion schnell: Als zwei Jahre darauf eine Oppositionszeitung den Bundespräsidenten Theodor Heuss im Zusammenhang mit seinem Griechenlandbesuch vorschnell wegen angeblich der gleichen Unterlassung attackierte, musste sie am nächsten Tag widerrufen: Tatsächlich hatte der hohe Gast zwei Mal Station in Kokkinia gemacht und auch an den Gräbern exekutierter Griechen ein Bukett niedergelegt …10 4 Giorgos Theotokas, Τετράδια Ημερολογίου 1939 – 1953 (Tagebuchhefte 1939 – 1953), Athen: Estia, 2005, 2. Auflage, S. 506 (12. 10. 1944); Renos Apostolidis, I Kathimerini, 9. 10. 1994, Sonderheft zum 50. Jahrestag der Befreiung Athens im Oktober 1944, S. 23. 5 Der Kranz kostete damals 400.000 Drachmen, was ca. 115 Mark entsprach (PAAA, B 11/ 7: Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, 35/29. 12. 1950). 6 O Dimokratikos, 28. Dezember 1950. 7 Olga Lazaridou, Von der Krise zur Normalität. Die deutsch-­griechischen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der politischen und wirtschaftlichen Grundlagen 1949 – 1958, Diss. Bonn 1992, S. 130 ff. 8 I Avgi, 11. März 1954; s. auch G. A. Leontaritis, I Kathimerini, 5. März 1994. 9 So bereits in den ersten Tagen der deutschen Rückkehr auf die griechische Bühne (vgl. Anm. 5). 10 Eleftheria, 18. und 19. Mai 1956; PAAA, B 26/16: 688/28. 5. 1956. – Im Übrigen handelt es sich um den ersten Staatsbesuch (nach siebenjähriger Amtszeit!) eines deutschen Bundespräsidenten

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Geht es um die Überwindung (‚Bewältigung‘) der jüngsten Vergangenheit, betrat und betritt man offensichtlich ein Minenfeld. Vergleicht man die Haltung der Griechen, auch innerhalb desselben politischen Lagers in den erwähnten Fällen von 1950 und 1954, lässt sich keine einheitliche Meinung dazu ermitteln, ob das Volk der Täter ein Recht oder sogar die Pflicht hat, in besagter Form „Wiedergutmachung“ zu leisten. Diese ambivalente Haltung bereitete gerade auch den besten Vertretern des neuen Deutschlands (Bundesrepublik) Kopfzerbrechen: Sollen sie einen unerbetenen und womöglich unerwünschten Auftritt riskieren oder nicht? Das Dilemma stellte sich nicht so sehr bei offiziellen Besuchen oder an den beiden griechischen Nationalfeiertagen. Letztere, mittlerweile fester Bestandteil des diplomatischen Protokolls, beinhalteten keine (direkte) „schuldhafte Verwicklung“ Deutschlands. Selbst während der Besatzungszeit hatten die Deutschen daher oft mit demonstrativer Großzügigkeit spontane oder friedlich organisierte Kundgebungen am 28. Oktober, dem „Tag des Neins“, Jahrestag der Ablehnung von Mussolinis Ultimatum „übersehen“ und „signalisierten durch diese Haltung, dass es sich um ein griechisch-­italienisches Thema handelte, das sie selbst nicht betraf “.11 Anders stand es jedoch um die sonstigen, meist lokal begangenen, besatzungsbezogenen Jahrestage, namentlich die Veranstaltungen zum Gedenken an Massenexekutionen, etwa im kretischen Dorf Kandanos (3. Juni 1941) und dem Städtchen Kalavryta (13. Dezember 1943). Letzteres hatte infolge seiner historisch bedeutsamen Rolle, der Signalwirkung im Unabhängigkeitskrieg 1821, nunmehr zweifache Bedeutung in der kollektiven griechischen Erinnerung erlangt. Mit bemerkenswerter Verspätung hielt schließlich auch der Genozid an der jüdischen Minderheit des Landes Einzug ins griechische öffentliche Gedächtnis. Von entscheidender Bedeutung war die Frage, wer den ersten Schritt machen musste, um die Kluft zu überbrücken. Ansprechpartner hierfür war nicht der griechische Staat, dem an freundschaftlichen oder zumindest formellen Beziehungen zu einem strategisch und wirtschaftlich wichtigen Verbündeten gelegen war, sondern die jeweilige Opfergemeinde oder Opfergruppe mit hautnahen Erfahrungen: Überlebende der Massaker, die einfach nur Glück gehabt hatten, sowie Verwandte, Freunde, Weggefährten und Leidensgenossen der Opfer. Folglich bestand die Gefahr, dass zumindest Teile der betroffenen Bevölkerung die deutsche Anwesenheit bei solchen Gedenkveranstaltungen für eine Provokation halten könnten; andererseits würden viele ein Fernbleiben der Repräsentanten der Täternation als Unbußfertigkeit interpretieren – ein Prozess mit Eigendynamik. In beiden Fällen erschien der Argwohn jener bestätigt, die gegen jegliche Versöhnungsinitiative Front machten, was zugleich die politischen Folgekosten für die andere Seite erhöhte. im Ausland. 11 G. Theotokas, Tagebuchhefte (1939 – 1953), S. 376, (29. 10. 1942).

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Auf ­diesem Hintergrund ist schwer zu unterscheiden, inwieweit die lange anhaltende Abwesenheit des offiziellen Deutschlands auf eine Art Feingefühl zurückging oder ob die Furcht vor einem Missverständnis als „Provokation“ nur als Ausflucht diente, um einer Konfrontation mit der peinlichen Vergangenheit aus dem Weg zu gehen – zumal die Bitte um Verzeihung für eine im Stadium der Wiedererstehung befindliche Großmacht als kontraproduktiv angesehen und nie erwogen wurde. Für beide Erklärungen liegen Anzeichen vor, möglicherweise mehr für die zweite; dies gilt zumindest für die Anfangsphase der deutschen Rückkehr auf die griechische Bühne.12 Lange profitierte die Bundesrepublik Deutschland vom griechischen Bürgerkrieg als einer zeitlichen Pufferzone zur Besatzungszeit, aber auch von ihrem guten Einvernehmen mit dem siegreichen antikommunistischen Lager, ehemalige Kollaborateure eingeschlossen. Die Repräsentanten beider Nachkriegsstaaten bestärkten sich wechselseitig im Argwohn gegenüber dem griechischen Widerstand, wie auch gegenüber der Widerstandsidee an sich, von wenigen personalisierten Ausnahmen abgesehen. Somit hatte die sorgfältig ausgedachte schwammige Widmung des ersten deutschen Nachkriegskranzes viele potentielle Bezugspunkte: „Den Helden, die für Griechenlands Unabhängigkeit fielen“ 13. Die Toten der Nationalarmee im Bürgerkrieg, die Freiheitskämpfer gegen die Türkenherrschaft von 1821, womöglich auch die im Abwehrkrieg gegen Italien 1940/41 Gefallenen. Sicher ist lediglich, dass die zahllosen Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung als ungeehrte Helden unter den Tisch fielen. Unter solchen Vorzeichen verpasste das neue demokratische Deutschland zahlreiche Gelegenheiten, sich im Vergleich zum NS-Staat unseligen Angedenkens nicht nur verbal zu profilieren: Ende 1954, als das unwürdige deutsch-­griechische Gerangel um die Zuständigkeit der Kriegsverbrecherverfolgung (oder zutreffender: Nichtverfolgung) kulminierte, appellierte der Bürgermeister der im April 1944 auf brutalste Weise zerstörten und entvölkerten Gemeinde Klissoura an Kanzler Adenauer, die Bundesrepublik oder eine deutsche Großstadt möge eine „Patenschaft“ für sein Dorf übernehmen – ohne deren Umfang genauer zu definieren. Mit der Beantwortung wurde im Auswärtigen Amt der Referent Dr. Otto B ­ räutigam beauftragt. Mit einschlägigen Erfahrungen in den „Ostgebieten“ und mit zumindest peripherer Involvierung in den Holocaust war er im AA -Jargon als diachronischer „Besatzungsexperte“ ausgewiesen. Dieser instruierte im März 1955 die Athener 12 Hagen Fleischer, Der Neubeginn in den Deutsch-­Griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit, in: Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, Thessaloniki: IMXA, 1991, S. 81 – 108. 13 Vgl. ebd., S. 89 und die griechische Tageszeitung Empros, 28. Dezember 1950 sowie ein Doppel-­ Interview des Verfassers (August/September 1990) mit dem spiritus rector in der deutschen Botschaft (1950 – 1954), Karl Hermann Knoke.

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Botschaft, „die Bitte des Bürgermeisters aus grundsätzlichen Erwägungen“ abschlägig zu bescheiden – „insbesondere auch zur Vermeidung eines Präzedenzfalles außerhalb Griechenlands“. Bräutigam lieferte sogar konkrete Vorschläge zur Formulierung in „betont freundlicher Form“: In der Absage könnte vielleicht darauf hingewiesen werden, dass auch in Deutschland die schweren Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges keineswegs beseitigt sind. Ferner könnte darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Politik der Sicherung des Weltfriedens durch Stärkung der freien westlichen Welt, wie sie vor allem im Beitritt der BRD zum Atlantikpakt und zur Westeuropäischen Union zum Ausdruck kommt, von der BRD und ihren Bewohnern außerordentliche Opfer auf finanziellem Gebiet erfordert. Diese Opfer kommen indirekt allen freien Völkern zugute und dürften somit im Endeffekt wertvoller sein als die Finanzierung von Einzelmaßnahmen zur Wiedergutmachung geschehenen Unrechts!14

Manche Veteranen und/oder Meinungsmacher gingen noch weiter beim von den Geschädigten geforderten Verzicht auf Entschädigungen im Interesse der „großen Sache“, d. h. der neuen Allianz. So verlangte der durch die Kämpfe auf Kreta bekannte General Ramcke 1951 auf einem Treffen von 4000 ehemaligen Fallschirmjägern und anderen Veteranen in Braunschweig einen generellen Verzicht auf die Verfolgung von „angeblichen“ Kriegsverbreche(r)n, die Freilassung aller Inhaftierten, sofortige Einstellung der „Greuelpropaganda zu Lasten der Wehrmacht und der SS“ unter gleichzeitiger Anerkennung des Umstands, dass alle nur ihre Pflicht erfüllt hätten. Widrigenfalls würden die kampferprobten deutschen Kriegsveteranen sich nicht an der Verteidigung des Westens beteiligen!15 Zweifellos waren die deutschen Amtsträger irritiert über die zahlreichen Gedenk­ feiern, namentlich an den runden Jahrestagen der übelsten Massaker von 1943/44 – d. h. zehn Jahre nach den Verbrechen und dann wieder insbesondere 1993/94, 2003/04, 2013/14. Vergessen wurde dabei, dass zum einen die Häufigkeit dieser Veranstaltungen den mörderischen Takt der Zerstörungen und Exekutionen wiedergab, zum anderen, dass die Erinnerung bekanntlich selektiv arbeitet: Sie funktioniert immer besser bei den Opfern. Abgesehen davon bewiesen deutsche Dienststellen stets dann ein ausgezeichnetes Gedächtnis, wenn sich „die deutsche Seite“ betroffen oder gekränkt fühlte. Ein beeindruckendes Beispiel ist 1963 der erste Besuch des – trotz brauner Flecken in seiner Vita entnazifizierten – Botschafters Wilhelm Melchers auf Kreta 1963. Die Insel hatte infolge ihrer blutigen Erfahrungen aus der Besatzungszeit lange als Inbegriff der Deutschfeindlichkeit gegolten, so dass Touristen und sogar Jugendgruppen über Jahre hinweg von einem Besuch abgeraten wurde. Anstatt diese Trendwende hervorzuheben, 14 H. Fleischer, Der Neubeginn, S. 101 – 102. 15 Ethnos, 30. Juli 1951.

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machte der Botschafter einen Riesenschritt zurück, als er sich gegen den vorgeschlagenen Besuch am Grabmal des großen Kreters aussprach, da dieser ein knappes halbes Jahrhundert zuvor den Kriegseintritt Griechenlands „gegen uns“ betrieben hatte!16 Flexibler, zumindest in dieser Hinsicht, zeigte sich die Deutsche Demokratische Republik. Sie versuchte mit spektakulären, aber aufwandsarmen und devisensparenden Aktionen, sich als institutionalisierte Ausgestaltung eines „anderen“, besseren, friedfertigen Deutschlands zu präsentieren. DDR-Vertreter legten als erste Deutsche 1959 in Distomo und Chortiatis vielbeachtete Kränze zum ehrenden Gedenken der 1944 auf brutalste Weise massakrierten Einwohner nieder.17 Ähnliche Gesten fanden auch in den Folgejahren statt, vorrangig in Gemeinden mit linksorientierter Verwaltung und wiederum nicht aus uneigennützigen Beweggründen. Laut vertraulicher Direktive des DDRAußenministeriums (MfAA) sollten derartige Aktionen dazu beitragen, den Griechen gegenüber die wahre weltpolitische Rolle des Gegners Bundesrepublik Deutschland zu entlarven, also den „westdeutschen Militarismus“ dem Hitler-­Faschismus gleichzustellen und zugleich den „Friedensstaat“ DDR als ebenbürtigen Gegenpol zu profilieren.18 1972 leisteten deutsche Kirchenverbände finanzielle Unterstützung (40.000 DM), bestimmt für den Aufbau der zerstörten Bistumskirche von Kalavryta,19 und im Dezember 1983, 40 Jahre nach dem Massaker, wurde erstmals ein bundesdeutscher Botschafter, Helmut Sigrist, offiziell 20 zur Gedenkfeier eingeladen. Seitdem nahm der jeweilige Vertreter der Bundesrepublik nahezu lückenlos, bis 1989 zusammen mit seinem DDRKollegen Horst Brie, an den Feierlichkeiten teil. Die Anzeichen für eine fortschreitende deutsch-­griechische Versöhnung mehrten sich, bis es im Dezember 1993 zu einem Rückfall kam,21 über den nicht nur die Kalavrytaner 22 verärgert waren: Im makedonischen Namensstreit ergriff der deutsche Außenminister Klaus Kinkel für Skopje Partei 16 H. Fleischer, Der Neubeginn, S. 99 f. – Zu Melcher vgl. Eckart Conze et al., Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München: Karl Blessing, [2010], passim Vgl. auch in d­ iesem Band das Kapitel „Das deutsche Venizelos-­Bild“. 17 BA rch, Berlin, IfGA , ZPA , Faszikel  IV  2/20/253: Parlamentarische Delegation der DDR , Bericht Okt. 1959. 18 PAAA, Faszikel A 4612: 3. EA, 21. 9. 1959; Faszikel A 12505: Hausmitteilung 5. 6. 1962. 19 I Foni ton Kalavryton, 2. Januar 1973. Bemerkenswert der ungewohnt positive Ton des betreffenden Artikels, der den „wahrlich bewegenden Akt dieser Scheckübergabe“ betonte. 20 Information von Panos Polkas, langjähriger Bürgermeister von Kalavryta und Panos Tsaparas, Herausgeber der Lokalzeitung I Foni ton Kalavryton bereits in der zweiten Generation. 21 Informationen von deutscher und griechischer Seite. 22 Vgl. auch die Ausführungen von Gerd Höhler, einem der erfahrensten ausländischen Korrespondenten in Griechenland: Demütigung für Griechen, Frankfurter Rundschau, 14. Dezember 1993; ebenfalls: Hat Bonn in der Pangalos-­Affäre den Bogen überspannt?, Stuttgarter Zeitung, 14. Dezember 1993.

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und drängte ohne substantielle Vorbedingungen auf eine volle Anerkennung Nord-­ Makedoniens als „Republik Mazedonien“ bis zum Jahresende, gerade noch rechtzeitig vor der Übernahme der EU-Präsidentschaft durch Griechenland,23 woraufhin der ebenfalls für undiplomatische Sprache bekannte griechische Europaminister Theodoros ­Pangalos die Ärmel hochkrempelte:24 Seit 1990 habe sich gezeigt, dass das wiedervereinigte Deutschland ein Riese mit der Kraft eines Monstrums, aber dem Gehirn eines Kindes sei. Daraufhin verlangte der erboste Kinkel wiederholt, und zwar unter Missachtung von Beschwichtigungsversuchen der Athener Botschaft,25 sein griechischer Kollege müsse sich öffentlich entschuldigen. Dieser Sturm im kinkelschen Wasserglas brach ausgerechnet im Vorfeld des 50. Jahrestags des Massakers von Kalavryta los, für das die überfällige deutsche Entschuldigung weiterhin ausstand.26 Das erweckte bei nicht wenigen Beobachtern den fatalen Eindruck, der deutsche Minister habe es darauf angelegt, die Richtigkeit des drastischen und bereits zahllose Male auf der internationalen Bühne zitierten Ausspruchs seines griechischen Kollegen zu bestätigen. Zudem lieferte der Vorfall reichlich Material für dem bilateralen Klima abträgliche Karikaturen der griechischen Presse, in denen das „Vierte Reich“ Bonns mit dem NSTerror der Besatzung in Verbindung gebracht wurde – was die aufgeheizte Stimmung in den Beziehungen nur noch mehr hochschaukelte. Im Allgemeinen lässt sich jedoch ab 1984 feststellen, dass der deutschen Seite das ethisch schwer (be)lastende Vermächtnis des Krieges und die daraus erwachsende histo­ rische Verantwortung zunehmend bewusst wurde. Dieser Prozess der Sensibilisierung verlief anfangs parallel zur Präsidentschaft Richard von Weizsäckers und nahm auch von ihm seinen Ausgang. Als der damalige Bundespräsident 1987 beim Staatsbesuch in Griechenland an der Exekutionsstätte von Kaisariani einen Kranz niederlegte, sprach er von der „Botschaft des Ortes“, an dem „kein Mensch, zumal kein Deutscher“ stehen könne, ohne tief berührt zu sein. Er verneigte sich in Gedenken an die dort Hingerichteten und die Opfer in Kalavryta, Distomo, Klissoura, Kommeno, Lingiades, Kandanos sowie an die nahezu ausgelöschten jüdischen Gemeinden.27 Was letztere Opfergruppe angeht, so machte die deutsche Seite bei ihr eine der ganz wenigen Ausnahmen von der Regel, nur auf Einladung an Gedenkfeiern teilzunehmen. Mit einem entsprechenden Anliegen war Botschafter Sigrist 1984, wenige 23 Immerhin hatte der mittlerweile über 80-jährige (und in seiner Amtszeit kaum je selbstkritische) Kinkel in einem Interview wenige Monate vor seinem Tod eingeräumt, er sei „auch in der Sprache manchmal ein bisschen derb“ (Augsburger Allgemeine, 22. Mai 2018). 24 Klaus-­Peter Schmid, „Wortathlet vom Olymp“, in: Die Zeit, 3. Dezember 1993. 25 Mitteilung des damaligen deutschen Botschafters Leopold Bill von Bredow an den Verfasser. 26 Dies bis zum März 2014, als der parteilose Bundespräsident Gauck Verzeihung erbat, allerdings im epirotischen Märtyrerort Lyngiades. Vgl. Kapitel „Am Anfang war der Krieg“. 27 Bulletin (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), 1. 7. 1987, Nr. 66, S. 575.

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Monate nach seiner Kranzniederlegung in Kalavryta, an den Zentralrat der Juden in Griechenland herangetreten; seitdem zeigte die Bundesrepublik dort ununterbrochen Präsenz.28 1991 erhielt erstmals ein Diplomat der Bundesrepublik eine Einladung nach Distomo – und kam ihr auch nach, nachdem ihm ab 1974, dem Jahr der Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland, die Vertreter der DDR 29 und einige Jahre danach auch der Evangelischen ­Kirche vorausgegangen waren. 1991 nahm, ebenfalls erstmals, der Generalkonsul in Thessaloniki E. Schmitt an den Feiern in Chortiatis und Kerdylia teil, westmakedonischen Dörfern, die im September 1944 bzw. Oktober 1941 zerstört worden waren. Schmitt, mit einer Griechin verheiratet und glühender Philhellene, hatte Interesse an einer Teilnahme geäußert. Bei der Gedenkfeier betonte er, etwas überschwänglich, „von jeher sei es Wunsch der deutschen Seite gewesen, einen Vertreter zu Veranstaltungen wie der in Kerdylia zu entsenden“, um auf diese Weise der Besatzungsopfer zu gedenken. 1991 endlich wurden „einige Verfahrensfragen aus dem Weg geräumt“, und Schmitt nahm die Einladung unverzüglich „mit Freude“ an.30 Für die Errichtung eines Mahnmals in Kerdylia versuchte Schmitt eine deutsche finanzielle Zuwendung zu beschaffen.31 In Kalavryta und anderswo leisteten einige, leider nur wenige, deutsche Jugendgruppen einen Beitrag durch ehrenamtliche Arbeit im Bestreben, NS-Brutalitäten zu sühnen. Beim Weizsäcker-­Besuch in Griechenland kam es auf Anregung des Botschafters Rüdiger von Pachelbel mit Hilfe von Beiträgen einiger deutscher Organisationen sowie der Stadt Biberach zur Übergabe zweier (leicht gebrauchter) schwerer Lastkraftwagen der Bundeswehr für das neue Skizentrum auf dem vorgelagerten Chelmos-­Massiv; engagierte Philhellenen wie Eberhard Rondholz steuerten das Ihrige bei. Gesten dieser Art beabsichtigen nicht Verzeihung zu erkaufen, materiell Zerstörtes zu ersetzen oder, was ohnehin unmöglich ist, verlorene Leben zurückzuholen, haben jedoch symbolische Bedeutung und Wirkung. In diese Richtung zielte auch ein Vorschlag des damals für ein Jahrzehnt an der Universität Kreta lehrenden Verfassers Anfang 1991, die Bundesregierung solle den anstehenden Besuch mit obligatorischem 28 Mitteilung des Zentralrats der Juden in Griechenland an den Verfasser. – Auf dem Hintergrund des Genozids hat diese Beziehung bis heute einen Sonderstatus. Die folgende Beschreibung bezieht sich auf die Veranstaltung von 1994: „Der womöglich heikelste Moment der gestrigen Athener Veranstaltung im Israelischen Friedhof im Viertel Nikaia (Kokkinia) war die Kranzniederlegung durch einen Vertreter der deutschen Botschaft am Mahnmal. Im durchdringenden Schweigen vor Ort wurde Gemurmel laut. Es war der einzige Moment, wo die tiefe, überall spürbare Betroffenheit unterbrochen wurde“ (Ta Nea, 11. April 1994). 29 Informationen von Argyris Sfoundouris, von der Gemeinde Distomo und von Horst Brie, Botschafter der DDR von 1984 – 1991. 30 I Proodos (Serres), 18. Oktober 1991. Vgl. zu Kerdyllia S. 50. 31 Eberhard Schmitt, Brief an den Verfasser vom 30. 10. 1991 bzw. nachfolgendes Gespräch.

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Kranz von Helmut Kohl anlässlich der 50-Jahresfeier der „Schlacht um Kreta“ mittels einer Finanzspritze aufwerten – zumal in Gegenwart des einladenden Premiers Kostas ­Mitsotakis, eines Neffen des alten Venizelos. Die vorgeschlagene Geste war als Grundstein gedacht für die Umwandlung eines der zerfallenden Häuser im einstigen jüdischen Viertel von Chania in ein internationales Jugendbegegnungszentrum. Parallel bot sich mit Hilfe anderer Sponsoren die Renovierung der Synagoge Etz Hayyim an, die seit Jahren zweckentfremdet war, u. a. einer benachbarten Gaststätte als Abstellraum diente. Da seit 1944 keine jüdische Gemeinde mehr auf Kreta existierte, könnte sie als Museum und Andachtsstätte fungieren. Nicht nur der befreundete Mitbegründer und langjährige Kustos des Jüdischen Museums in Athen, der aus Kreta stammende Nikos Stavroulakis, unterstützte die Idee des Begegnungszentrums. Beeindruckend war insbesondere die positive Reaktion des zweiten Mannes in der Athener Botschaft Herbert Hoffmann-­ Loos – mit jüdischen Wurzeln (Nachfahre des jüdisch-­lutheranischen Komponisten Jakob Ludwig Felix Mendelssohn Bartholdy). Doch die vorgesetzten Bonner Stellen hielten den vorläufigen Kostenvoranschlag für besagten „Grundstein“ für „nicht kompatibel“ mit den Möglichkeiten des inzwischen vereinten Deutschlands, oder aber sie fürchteten wieder einmal das Gespenst eines drohenden Präzedenzfalles!32 Zumindest hinsichtlich der Synagoge waren die Dinge aber ins Rollen gekommen. 1995/96 wurde, auch auf Stavroulakis’ Betreiben, Etz Hayyim vom World Monuments Fund in die Liste der 100 am meisten gefährdeten Gedenkstätten aufgenommen, 1999 erfolgte die offizielle Einweihung. Es ist hier nicht der Ort, um das diffizile Thema der Wiedergutmachung – über die begrenzten Entschädigungszahlungen von 1946 und 1961 hinaus – oder gar den berühmt-­berüchtigten Besatzungskredit zu untersuchen, der anlässlich des Kohl-­Besuchs auf der Götterinsel nach längerer Pause wieder die Schlagzeilen beherrscht hatte.33 Ganz unabhängig von ­diesem Sujet, das die deutsch-­griechischen Beziehungen überschattet, obschon eine diesbezügliche Forderung jahrzehntelang von keiner griechischen Regierung offiziell unterbreitet worden war, muss ein Klima gegenseitigen Vertrauens geschaffen und kultiviert werden. Nichts gegen Kränze, doch sie genügen nicht, wenn damit keine gewachsene Erinnerungskultur verbunden ist, denn nur in ihr bleibt die Botschaft der Symbole kein lebloses Requisit, das Peinliches überdecken soll. Und nur mit einer lebendig gehaltenen Erinnerung – ohne Groll und Hader – entstehen die Voraussetzungen für wirkliche Annäherung und gegenseitiges Verständnis, jenseits der offiziellen Diplomatie.

32 Persönliche Erfahrungen des Verfassers sowie Informationen von Hoffmann-­Loos. 33 Vgl. z. B. Ta Nea, 28. und 30. Mai 1991; Eleftherotypia, 29. Mai 1991; I Avgi, 29. Mai 1991; To Vima, 2. Juni 1991; I Kathimerini, 2. Juni 1991. – Vgl. im vorliegenden Band das Kapitel „Wiedergutmachung“.

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Literatur Conze, Eckart; Frei, Norbert; Hayes, Peter; Zimmermann, Moshe, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München: Karl Blessing, 2010. Fleischer, Hagen, Η ναζιστική εικόνα για τους (Νέο-)Έλληνες και η αντιμετώπιση του άμαχου πληθυσμού από τις γερμανικές αρχές Κατοχής (Das NS-Bild von den (Neu-)Griechen und der Umgang deutscher Besatzungsbehörden mit der Zivilbevölkerung), in: Αφιέρωμα στο Νίκο Σβορώνο (Festschrift für Nikos Svoronos), Bd. 2, Rethymno: Panepistimiakes Ekdoseis Kritis, 1986, S. 369 – 394. Fleischer, Hagen, Η ναζιστική προπαγάνδα στην Κατοχή: ένα διφορούμενο όπλο (Die NS-Propaganda der Besatzung: eine zweischneidige Waffe), in: H. Fleischer; N. Svoronos, Η Ελλάδα 1936 – 1944: Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση (Griechenland 1936 – 1944: Diktatur – Besatzung – Widerstand), Athen: ΑΤΕ, 1989, S. 357 – 390. Fleischer, Hagen, Der Neubeginn in den Deutsch-­Griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit, in: Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, Thessaloniki: IMXA, 1991, S. 81 – 108. Lazaridou, Olga, Von der Krise zur Normalität. Die deutsch-­griechischen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der politischen und wirtschaftlichen Grundlagen 1949 – 1958, Diss. Bonn 1992. Theotokas, Giorgos, Τετράδια Ημερολογίου 1939 – 1953 (Tagebuchhefte 1939 – 1953), Athen: Estia, 2005, 2. Auflage.

Unter der Militärdiktatur Deutsche Kulturpolitik in Griechenland, 1967 – 1974 Das Dilemma Αm 3. Mai 1967 schrieb Legationsrat Dr. Karl Pfauter von der Botschaft Athen 1 dem Leiter einer dreißigköpfigen Jugendgruppe aus Wiesbaden, die eine Inseltour nach Hellas geplant hatte, doch angesichts der Nachricht vom Putsch der griechischen Obristen zwei Wochen zuvor ins Grübeln geraten war: „Es herrscht völlige Ruhe und Ordnung hier, so dass Ihrer Reise nichts im Wege steht.“ Weniger optimistisch war die Stimmung in den Vorbereitungsseminaren, bei denen nicht zu glättende Spannungen mit den Eltern der mitreisenden Schülerinnen und Schüler aufkamen. Mehr als 20 Elternteile zogen daraufhin ihre Einwilligung zur Reise zurück. Dabei spielten auch die psychologischen Auswirkungen des Sechstagekrieges im Nahen Osten mit. Am Ende war die Restgruppe der Wagemutigen dermaßen geschrumpft, dass sie nicht einmal die Ermäßigung der Bundesbahn beanspruchen konnte. Somit fiel die Inseltour buchstäblich ins Wasser. Dennoch bemühte sich der eifrig betreuende Legationsrat um einen weiteren Meinungsumschwung, denn er hatte bereits eine Unterkunft auf der „zauberhaften“ Insel Sifnos arrangiert: Natürlich kann ich die Besorgnis der Eltern etwas verstehen, da unsere Presse alles übertreibt und ins Feuer bläst. In Griechenland herrscht völlige Ruhe und Ordnung, mehr als je zuvor. Die Ereignisse des politischen Umsturzes sind in einigen Nachtstunden vorübergegangen und haben das öffentliche Leben kaum berührt. Die neue Regierung versucht mit großer Mühe, Ordnung in die Verwaltung zu bringen und hat darin schon manche Erfolge bewiesen. Falls die Ereignisse nicht diesen Verlauf genommen hätten, wäre das Land wahrscheinlich in einen

1 Pfauteropoulos, wie ihn seine Freunde nannten, hatte Griechenland schon während der Besatzungszeit kennengelernt. Am 1. Juli 1941 war er von einer Zweigstelle des Reichswirtschafts­ ministeriums nach Athen delegiert worden, wo er als „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“ zunächst beim Wirtschaftsstab des deutschen Bevollmächtigten für den Südosten an die Gesandtschaft attachiert und mit der griechischen Energieversorgung und dem zivilen Transportwesen betraut wurde. Seitdem pflegte er Kontakte insbesondere zu konservativ-­liberalen Kreisen der Athener High Society, so etwa zu Giannis Giorgakis, damals Sekretär des Erzbischofs und späteren Vizekönigs Damaskinos. 1945 übernahm er im Abschlussbericht des deutschen Wirtschaftsstabs das Kapitel über seinen Aufgabenbereich während der Besatzungszeit. (Interview Vf. mit Pfauter und Einblick in sein Restarchiv, 1990; vgl. PAAA, R 27320).

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höchst turbulenten Wahlkampf verstrickt worden, dessen Ausgang und weitere Folgen sehr unliebsam, wenn nicht katastrophal geworden wären.2

In ähnlicher Tonlage waren die zeitgleichen Berichte von Botschafter Oskar Schlitter verfasst. Was am 20./21. April geschehen ist, war sicherlich eine Verletzung der Legalität, und dies teilweise unter recht unschönen Aspekten. (…) Andererseits lässt sich nicht verkennen, dass der Versuch einer Ausschaltung der kommunistischen Gefahr, ob imminent oder latent, im Prinzip im Inte­ resse der westlichen Allianz und auch unserer spezifischen deutschen Interessen lag. Hinzu kommt, dass auch die engere „Junta“ sicherlich nicht als faschistisch oder nazistisch anzusprechen, sondern weit eher von nationalen und zugleich religiös bestimmten sozialen Ideen beeinflusst war.

Außerdem verweist der Botschafter in seiner langen Lageanalyse auf die Sackgasse, in ­welche die bis dahin Verantwortlichen, das heißt die „bürgerlich-­demokratischen“, jeweils einer Führungsfigur verpflichteten Parteien, das Land manövriert hatten. Offensichtlich ­seien diese Parteien nicht in der Lage gewesen, mit der sich abzeichnenden Gefahr einer Volksfront aus Kommunisten und sonstigen linken Kräften im Umkreis von Andreas Papandreou fertigzuwerden. Zugegebenermaßen, so der Botschafter, könnte die bedauerliche Zäsur des 21. April die politische Glaubwürdigkeit und den Zusammenhalt der NATO in Mitleidenschaft ziehen, vor allem für den Fall, dass dieser Zustand andauern sollte. Doch er selbst sehe „jedenfalls bis zur Stunde, keinen konkreten Anlass, an den Zusagen zu zweifeln“, die das Regime sowie der König für eine nachjustierte Verfassung und ein entsprechendes Votum der Bevölkerung gemacht hätten, oder ihnen zu unterstellen, sie wollten nur „ein Zerrbild einer Demokratie“ installieren. Komplikationen auf dem geplanten Weg in die Normalität könnten sich Schlitter zufolge aber einstellen, wenn „die Regierung oder zumindest ihre militärischen Mitglieder durch innere Schwierigkeiten oder zu starken und voreiligen ausländischen Druck in die Radikalisierung gedrängt“ würden. Der Botschafter empfahl daher der Bundesregierung, „beharrlich auf einen Abbau der derzeitigen Ausnahmesituation in Etappen hinzuwirken und jede sich hierzu bietende Möglichkeit wahrzunehmen [zu] versuchen“, möglichst in Form von „freundschaftlichen Ratschlägen“ für die in Athen 2 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (im Folgenden: PAAA) Berlin, Neues Amt/6315, Deutsche Botschaft Athen, 3. Mai und 15. Juni 1967. Peinlich sind die Übereinstimmungen mit dem Memorandum des griechischen Botschafters Alexis Kyrou, in dem dieser das AA und das Kanzleramt darüber „aufklärte“, dass die „Revolution“ (das heißt der Putsch) „in der 12. Stunde einem drohenden Bürgerkrieg vorbeugen wollte, einem blutigen Bürgerkrieg, der katastrophale Folgen für das Land, für die Nordatlantische Allianz und für die ganze westliche Welt gehabt hätte“. BArch (Bundesarchiv Koblenz), Β 136/3629, 25. Mai 1967.

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Regierenden. Man möge jedoch alles „vermeiden, was den Anschein von Pressionsversuchen erwecken könnte“. Damit riskiere man nämlich „nationalbolschewistische“ Kurzschlussreaktionen der radikaleren Kreise im Regime zu Lasten des Königs und der ihm nahestehenden „moderaten“ Kräfte.3 Im Klartext hieß das: Bereits einen Monat nach dem Putsch vom 21. April 1967 skizzierte der deutsche Botschafter in Athen die Richtlinien, denen in den nächsten Jahren seine Nachfolger Peter Limbourg und Dirk Oncken sowie größtenteils auch das Auswärtige Amt folgen sollten: Appeasement mit Abstufungen. Dabei zeigte aus nachvollziehbaren Gründen politischer Opportunität die Botschaft für das diktatorische Regime häufig mehr Verständnis als ihr weit entfernter Bonner Dienstherr. Das Auswärtige Amt (AA) wiederum arbeitete sich ununterbrochen an der Frage ab, wie das Verhältnis der BRD „zu Griechenland“, das heißt zur Junta, „praktisch zu gestalten“ sei und ob man eventuell zu den neuen Machthabern „nunmehr deutlicher Abstand halten“ solle. Die Antworten führten in eine Zwickmühle mit Schräglage: Einerseits sei das Regime undemokratisch und beschädige das Ansehen des westlichen Bündnisses, andererseits habe es versprochen, „zu gegebener Zeit“ eine Demokratisierung in die Wege zu leiten, wobei es außenpolitisch seinen Bündnis- und Vertragspflichten nachkommen würde. Jede härtere Haltung des Westens gegenüber den Militärs stelle zwar demokratische Ideale unter Beweis, verärgere aber die Obristen und kränke sie in ihrer „patriotischen Selbstachtung“!4 Dann aber habe ein möglicher Austritt Griechen­ lands aus der NATO, vermutlich in das Lager der blockfreien Neutralisten Nasserscher 5 Prägung, unabsehbare, ja fatale Folgen für den verwundbaren Unterleib der Allianz. Gerade angesichts der unruhigen Lage in Nahost und der verdichteten Präsenz der Sowjetmarine im östlichen Mittelmeer würde so das Bündnis beschädigt, ohne der griechischen Bevölkerung die ersehnten demokratischen Freiheiten zu verschaffen. Abgesehen davon laufe die wiederholt vorgeschlagene harte Linie den speziellen deutschen Interessen zuwider, da sie wirtschaftliche Einbußen und generell einen Rückgang an Einflussnahme für die Bundesrepublik bewirke. All diese Gesichtspunkte ­seien auch im Hinblick auf die bilateralen Kulturbeziehungen zu berücksichtigen.6 3 PAAA, Β 26/414, Deutsche Botschaft Athen an Staatsminister AA, 26. Mai 1967: „Lageanalyse nach dem Militärputsch am 20./21. April“; ebd., Botschaft Athen an AA, 8. September 1967, VS -NfD. Ganz allgemein zeigt der Botschafter, wohl auch aufgrund seiner Vita (seit 1934 Mitglied der NSDAP und 1936 – 1939 an der Londoner Botschaft Mitarbeiter ­Ribbentrops) keinerlei Berührungsängste gegenüber nationalistischen Regimes. 4 Vgl. PAAA, B 26/101426, 6. Oktober 1973. 5 Analog dazu bezeichnete man s­ päter, nach dem Putsch des Obristen-­Hardliners Ioannidis, die Köpfe der „zweiten Junta“ häufig als „Gaddafisten“. So z. B.: PAAA, B 26/101422, Deutsche Botschaft Athen, 14. Dezember 1973; Β 26/101423, Deutsche Botschaft Athen, 19. Februar 1974. 6 PAAA, Β 26/415, 20, Auswärtiges Amt, Aufzeichnung, 19. Juli 1967 und 24. August 1967. Diese Argumentation wurde jahrelang wiedergekäut.

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Der konzeptionell unlösbare Zwiespalt z­ wischen unvereinbaren ethischen und praktischen Prioritäten in Verbindung mit nicht immer eindeutigen Weisungen eröffnete den Bonner Diplomaten in der kulturpolitischen Arena erhebliche Handlungs-, aber auch Stagnationsspielräume. Dabei hielten sie es für die wichtigste Aufgabe, die oft beschworenen „traditionellen“, geistig-­kulturellen Beziehungen aufrechtzuerhalten, deren Pflege sogar unter den herrschenden Verhältnissen tragfähige Ergebnisse verspreche.7 Dennoch wusste das AA sehr wohl, dass die griechische „Intelligenz“ eine zunehmend ablehnende Haltung gegenüber dem Regime einnahm. Dies hatte auch mit den vielschichtigen Repressalien der Diktatur zu tun, so etwa Zensur, Verhaftungen, Entlassungen aus dem Beamtenverhältnis. Für das Dilemma der deutschen Ministerialbürokratie schien jedenfalls keine Lösung in Sicht: Einerseits war man nicht bereit, die langjährige Tradition kultureller Beziehungen aufs Spiel zu setzen, sondern wollte diese „in vertretbarem Ausmaß“ pflegen. Damit könne man außer der „beachtlich großen Intelligenzschicht Griechenlands“ 8 auch ein breiteres Publikum unterstützen, das verzweifelt Verbindungen „nach draußen“ und Auswege aus der Zwangsisolation suche. Auf der anderen Seite müsse die deutsche Politik berücksichtigen, dass die Empörung an den landeseigenen Hochschulen über die brutale Knebelung der akademischen Welt 9 ihrerseits empörte Reaktionen bei den hierfür Verantwortlichen ausgelöst hatte. Tatsächlich erhoben Vertreter des Regimes „mit ungewohnter Schärfe“ Protest gegen „die feindliche Haltung deutscher Hochschulkreise“ und deren Einfluss auf die öffentliche Meinung ihres Landes, die eine Einmischung in innergriechische Verhältnisse darstellten; dies ziehe für die bilateralen Beziehungen unvermeidbare Konsequenzen nach sich.10 Folglich befürchtete Bonn „Repressalien“, und tatsächlich rächte sich die Junta für die angebliche Diffamierung durch die Deutsche Welle (DW ), indem sie deutsche Institutionen in Griechenland mit bürokratischen Prozeduren schikanierte oder deutschsprachige Radioprogramme strich. Die größte Wirkung jedoch hinterließen immer mehr in Kino und Fernsehen gezeigte antideutsche Kriegsfilme, angefangen bei Dokumentarfilmen bis hin zum patriotisch-­rührseligen Kassenschlager „Oberleutnant Natascha“ mit dem Massenidol Aliki Vougiouklaki in der Hauptrolle (1970).11 Zum Arsenal der Junta gehörte außer der Peitsche aber auch das Zuckerbrot, 7 PAAA, Β 97/365, Kulturpolitischer Jahresbericht 1967 und Kulturpolitischer Jahresbericht 1968. 8 PAAA, B 97/365, 26. Februar 1970, Kulturpolitischer Jahresbericht 1969, S. 3. 9 PAAA, B 97/458, Auswärtiges Amt, Αufzeichnung August 1969. Diese Knebelung wurde ab und zu deutlich demonstriert – durch Verhaftungen und weitere Einschränkungen bekannter Hochschullehrer (G. A. Mangakis, Dimitris Maronitis u. a.). 10 PAAA, Β 97/458, Deutsche Botschaft Athen an AA, 26. August 1969. 11 PAAA, B 97/458: August 1969; B 26/420, Auswärtiges Amt, 13. November 1969.

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Letzteres natürlich nur bei nachweislichem Wohlverhalten. So wurde etwa in Aussicht gestellt, Deutsch als Wahlpflichtfach – fakultativ zum Französischen – in der schulischen Sekundarstufe einzuführen und den in der letzten Vorkriegsphase installierten Germanistiklehrstuhl an der Athener Universität 12 aufzuwerten. Daneben stellte man zahlreiche wirtschaftlich vielversprechende Kooperationen in Aussicht, so etwa die Wahl des deutschen PAL -Systems für das Farbfernsehen.13 Zu einer anderen Kategorie von Ködern gehörte das Versprechen, in den staatlich kontrollierten Medien „heikle ­Themen aus der deutsch-­griechischen Vergangenheit, z. B. das Blutbad von Kalavryta“ 14 auszusparen.

Hochschule und Philhellenen Bei der institutionalisierten „philhellenischen“ Intelligenz war die Solidarität mit dem organisierten Widerstand gegen das Regime keineswegs flächendeckend. So agierten etwa in der Vereinigung der Deutsch-­Griechischen Gesellschaften lokale Vorstandsvorsitzende 15 unverhohlen als Propagandisten der „Nationalen Revolution“ des 21. April 1967. In ähnlicher Weise, wenn auch verhaltener, verfuhren der griechischstämmige Journalist und Schriftsteller Johannes Gaitanides sowie der neue Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen Ulf Jantzen. Letzterer, bekannt auch für seine NS-freundliche Einstellung und Vorgehensweise während der Besatzungszeit, war das genaue Gegenteil seines Vorgängers Emil Kunze; ­diesem wurde wegen seiner juntakritischen Haltung zeitweise sogar die Einreise nach Griechenland untersagt.16 Auch an manchen Universitäten hielten sich die Sympathien je nach Status die Waage; alles in allem stand eine knappe Mehrheit der Lehrenden einer überwiegenden Mehrzahl der Studenten gegenüber. Bezeichnend dafür ist etwa die 150-Jahresfeier der Universität Bonn, zu der u. a. die als Junta-­nah geltenden Rektoren der Universitäten Athen und Thessaloniki geladen waren. Dies löste einen Proteststurm aus, der sich am 12 Inhaber war der Philhellene Rudolf Fahrner, Freund und schließlich Mitverschwörer der Brüder Stauffenberg: Hagen Fleischer, Europas Rückkehr nach Griechenland. Kulturpolitik der Großmächte in einem Staat der Peripherie, in: Harald Heppner, Olga Katsiardi-­Hering (Hg.), Die Griechen und Europa, Wien: Böhlau, 1998, S. 125 – 191, hier: S. 153. 13 Vgl. z. B. PAAA, Β 26/437, Deutsche Botschaft Athen an AA, 69/71, 26. Januar 1971, u. v. a. 14 PAAA, Β 26/437, Deutsche Botschaft Athen an AA, 15. Februar 1972. 15 Dies gilt vor allem für die Vorstände in Berlin, Aristides Bolotas, und Hannover, Chlodwig Plehn, sowie, etwas dezenter, für den wendigen Vorstandsvorsitzenden der Deutsch-­Griechischen Gesellschaft Stuttgart, Marbod Meissner. 16 PAAA , Β 97/365, Kulturpolitischer Jahresbericht 1969, S. 12; Bernd Sösemann, Annäherungen an Hellas, Bd. 2, Berlin: Eos [1994], insbes. S. 498, S. 505 ff.; ebenso persönliche Erfahrungen des Verfassers.

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Abend des 10. Juli 1968 entlud. Einem Bericht des AA zufolge verurteilte der Hausherr Wilhelm Schneemelcher, Rektor und bekannter Theologe, „die üblen Ausschreitungen der demonstrierenden Studentenhorde“ und entschuldigte sich beim rechtsextremen Botschafter Alexis Kyrou. Er habe, wie er eigens betonte, sich „immer um eine gerechte Beurteilung der Vorgänge in Griechenland [bemüht] – unabhängig von der Hetze der Exilgriechen“ und der studentischen Linken.17 Vorausgreifend sei hier der Fall D ­ imitris Tsatsos erwähnt: Der Rechtswissenschaftler war am 28. März 1973 in Griechenland verhaftet worden, wohin er allen Warnungen zum Trotz gereist war. Da Tsatsos bereits seit sieben Jahren an der Bonner Universität lehrte, schickte der Dekan der Juristischen Fakultät zwei Kollegen nach Athen mit dem Auftrag, seine Haftentlassung auszuhandeln. Die beiden Abgesandten räumten bei einem Vorgespräch im Auswärtigen Amt ein, sie hätten ihre Mission angesichts „voraussichtlicher Nutzlosigkeit“ nur halbherzig und ohne Illusionen übernommen. Doch glaube der Dekan, es „nicht länger verantworten zu können, den eskalierenden Forderungen der studentischen Vertreter in Senat und Fakultätsrat in ­diesem Punkt nicht nachzukommen“.18 Auch anderswo hegte man verstärkt Befürchtungen, linke Demonstranten könnten die Besuche von Vertretern des „offiziellen Griechenlands“ zum Anlass für „Rabatz“ und Ausschreitungen nehmen. So schlug man etwa im Vorfeld eines bilateralen Kulturtreffens in München vor, die griechische Delegation „in weitem Bogen um Historiker, Politologen u. ä.“ herumzuführen. Dagegen bestünde keinerlei Gefahr „für den Bereich Kindergarten, Sekundarschulen und medizinische Fakultät“.19 Unverkennbar ist der Kausalzusammenhang solcher Vorfälle mit den Mahnungen des Auswärtigen Amts – sogar unter Minister Willy Brandt – an die Friedrich-­Ebert-­ Stiftung, sie dürfe nicht vergessen, dass die aus Bundesmitteln mitfinanzierten Stipendien für griechische Studenten „nicht unter dem Gesichtspunkt der Förderungen gesellschaftspolitischer Bestrebungen“ bewilligt worden ­seien. Die Stiftung solle daher „auf ihre Stipendiaten einwirken, dass sie ihre politischen Aktivitäten einschränken und sich intensiver um einen Abschluss ihrer Studien bemühen“.20 Derartige Aufforderungen gingen in der Regel auf Proteste und Erpressungsversuche seitens des griechischen Regimes zurück, wiederholt auch auf „vorauseilenden Gehorsam“.

17 PAAA, Β 97/282, Griechische Botschaft Bonn an Auswärtiges Amt, Aide Mémoire, 8. August 1968, Universität Bonn, 27. August 1968, Auswärtiges Amt, 29. August 1968. Der damalige Rektor ging sogar in die Geschichte als Quelle dafür ein, dass ein paar zerbrochene Fensterscheiben bis heute von Wikipedia für erwähnenswert gehalten werden: https://de.wikipedia. org/wiki/Wilhelm_Schneemelcher (letzter Zugriff 4. 11. 2019). 18 PAAA, Β 26/101425, Auswärtiges Amt, 27. April 1973. 19 PAAA, B 97/550, Auswärtiges Amt, Information für Schlagintweit, 20. September 1971. 20 PAAA, B 97/550, 20. September 1971. Das Auswärtige Amt nennt hier die Namen „ewiger“ griechischer Studenten.

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Im Jahresbericht 1968 zu kulturpolitischen ­Themen beschrieb Botschafter Schlitter zahlreiche Aspekte der zunehmenden geistigen Verarmung unter der Knute des Regimes, angefangen bei den Universitäten über die ehemals sehr rege Kongressszene bis hin zum Athener Festival, dessen dürftiges Programm „eines der auffälligsten Kennzeichen“ für die Isolierung des Regimes sei. Viele Geladene aus allen Sparten sagten unmittelbar oder erst im letzten Moment ihre Teilnahme ab und solidarisierten sich so mit den demokratischen Kulturakteuren. Die meisten namhaften Wissenschaftler boykottierten bereits Anfragen zu Vorträgen und Kongressen. Bei der Prüfung einer Einladung durch das AA kam es häufig zu einer Pattsituation z­ wischen der Lobby der einladenden Seite und dem Einfluss der möglicherweise dagegen protestierenden Personen und Institutionen, so dass sich die Appelle für oder gegen eine Teilnahme gegenseitig neutralisierten. Als das „bis zuletzt“ angekündigte Gastspiel der Berliner Philharmoniker schließlich doch nicht stattfand, blieb ungeklärt, wer hierfür den Ausschlag gegeben hatte und inwieweit die Botschaft involviert gewesen war.21 In d­ iesem Klima blieben auch die Bonner Bemühungen lange erfolglos, einen Nachfolger für die unbesetzte Professur der Athener Germanistik zu finden. Im Juni 1969 zeigte die bekannte FU-Wissenschaftlerin Katherina Mommsen Interesse an der Aufgabe, doch ruderte sie nach heftigen Protesten von Studenten und Kollegen einschließlich des Rektors innerhalb zweier Wochen zurück.22 Zudem war gerade bekannt geworden, dass in Athen der angesehene Wirtschaftswissenschaftler Sakis Karagiorgas nach der vorzeitigen Explosion einer selbstgebauten Protestbombe schwer verletzt festgenommen und dann in der Haft fürchterlich gefoltert worden war. Unterdessen führten die Athener Machthaber unbeirrt ihre Gegenattacke zum partiellen Kultur- und Tourismusboykott fort. Hauptwaffe war demonstrative Freigiebigkeit gegenüber deutschen Funktionsträgern und Prominenten, die eine kaum verhohlene Korrumpierung in allen Bereichen mit sich brachte. Hochbezahlte PR-Agenturen und -Experten luden Industrielle, Politiker,23 Journalisten und Verleger zu mehrtägigen, 21 PAAA, Β 97/365, Kulturpolitischer Jahresbericht 1968 (28. Februar 1969). 22 PAAA, B 94/2032, Auswärtiges Amt an Botschaft Athen, 30. Juni und 14. Juli 1969; PAAA, Β 97-ΕΑ/218, Auswärtiges Amt, Vermerk, 4. August 1969. 23 Ab Herbst 1967 kamen Bundestagsabgeordnete von CDU, FDP und insbesondere der CSU auf Einladung zu derart günstigen Bedingungen nach Griechenland. Typisch für das dadurch erzeugte Klima ist das Lob von F. J. Strauß, dem emblematischen Parteichef der CSU und damaligen Bundeswirtschaftsminister, die Drachme sei „die heute stabilste Währung der Welt“; vgl. z. B. „Dummes Salz“, in: Der Spiegel, 33/1968, 12. August 1968. Allgemein versprachen die Bayern dem Regime im Oktober 1969 eine „unabhängige“, das heißt wohlwollendere Politik als die des AA. Dementsprechend hielten die hochrangigen Besucher aus München oft nicht einmal die Deutsche Botschaft auf dem Laufenden. PAAA, B 26/421, Auswärtiges Amt, Vermerk, 20. August 1969; ebenfalls in „Krücke für Chrike“, in: Der Spiegel, 39/1976, 20. September 1976.

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luxuriösen „Informationsreisen“ ein, Gattinnen und Sprösslinge inbegriffen. Wohlbegründet ging man davon aus, dass diese Investition in Imagepflege reichlich Früchte tragen werde. Mit anderen Worten: Regimefreundliche Berichterstattung sollte mit „griechischer Gastfreundschaft“ honoriert werden.24 Mit der gleichen Generosität kümmerte sich das Regime auch um den Kulturbereich, indem man Versuche unterstützte, weite Teile der geisteswissenschaftlichen und kulturellen Szene auf die sanfte Tour zu erodieren. Sogar ein deutscher Doktorand, der es geschafft hatte, Zugang zu Archivalien der Besatzungszeit zu erhalten, wurde Adressat einer spendablen Offerte: Man könne ihn bei seiner Forschung unterstützen, ihr auch die gebührende Publizität verschaffen – sofern er sich verpflichte, bei der Niederschrift mit dem Leiter der Abteilung, einem Brigadegeneral (und ehemaligen Offizier der kollaborierenden Sicherheitsbataillone) sowie dessen nachgeordnetem „Sachverständigen der Abteilung für Militärgeschichte zu kooperieren“.25 Im Jahresbericht 1969, der nicht wenige kritische Bemerkungen enthielt, betonte die deutsche Botschaft, dass die griechische Regierung keine Kosten (scheut), die Hauptstadt zur gastfreundlichen Metropole für Wissenschaft und Kunst zu machen. Sie ließ den rund 45 Kongressen jedwede materielle Hilfe zuteilwerden, richtete die gesellschaftlichen Rahmenveranstaltungen aufs großzügigste aus und gewährte für die Festspiele erstmalig den ausländischen Ensembles außer ungewöhnlich hohen Honoraren freie Reisen und Aufenthalt.26

Angesichts solch verlockender Angebote ließen nicht wenige deutsche Künstler und Wissenschaftler eventuell noch vorhandene demokratische Skrupel außer Acht. Mehr Integrität oder auch Fingerspitzengefühl bewiesen die meisten Geisteswissenschaftler, vor allem aktive Hochschullehrer; nur wenige erlagen den Versuchungen, darunter auch viele außeruniversitäre Wissenschaftler und Emeriti, die nicht (mehr) befürchten mussten, von der Studentenschaft unter Druck gesetzt zu werden. Dennoch fühlte sich die Westdeutsche Rektorenkonferenz zu einer Intervention veranlasst: Am dritten Jahrestag des Putsches verschickte sie ein Rundschreiben, in dem Hochschullehrer und

24 Ebd.; vgl. auch: P. Miroschnikoff, Im Dschungel von Athen. Deutsch-­griechische Beziehungen hinter den Kulissen, in: Politische Studien 20 (1969), S. 36 – 4 4. In den Akten des griechischen Rechnungshofs liegen die Namen und die Artikel derjenigen deutschen Journalisten vor, die Zahlungen von der Junta erhalten hatten, s. Der Spiegel , 39/1976, 20. September 1976. 25 Persönliche Erfahrung des Verfassers. 26 PAAA, Β 97/365, Kulturpolitischer Jahresbericht 1969 (26. Februar 1970), S. 6. Im selben Jahr sammelte das Regime international Pluspunkte für die erfolgreiche Ausrichtung der Leichtathletik-­Europameisterschaft.

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Wissenschaftler aufgefordert wurden, „bis zur Freilassung der verurteilten griechischen Gelehrten und Studenten“ Kongresse in Griechenland zu boykottieren. Andernfalls böten sie der Militärregierung die begehrte Chance, sich als Möchtegern-­Schirmherr von Wissenschaft und Kultur in Positur zu werfen. Zahlreiche Hochschulen und politische Studentengruppierungen hielten sich daran, doch Botschafter Limbourg monierte die Kunde und deren Effekt. Tatsächlich gingen die Zusagen abrupt zurück. Ein beeindruckender Fall ist der internationale Südostkongress, an dem im Mai 1970 de facto nur zehn der 37 angemeldeten Deutschen teilnahmen. 1971 waren es sogar noch weniger,27 während erst ab 1972 wieder ein Anstieg zu verzeichnen war. Das Auf und Ab des akademischen Betriebs hatte einerseits mit den innergriechischen Entwicklungen, andererseits mit der europäischen Szenerie insgesamt zu tun.

Das Goethe-Institut und die Rede von Günther Grass In der Regel war es der Botschaft lieber, wenn unpolitische Wissenschaftler eingeladen wurden, und sie war besorgt, dass womöglich unbequeme Vertreter des deutschen Kulturlebens bei den Machthabern Verstimmungen auslösen könnten. Solche Befürchtungen betrafen vor allem die nur partiell kontrollierbaren Verbindungen des Goethe-­Instituts, das als quasi-­exterritorialer Raum eine Oase in der kulturellen Steppe der Militärdiktatur und einen der wenigen Zufluchtsorte für freie Meinungsäußerung darstellte. Dies galt insbesondere für die demokratisch engagierte Intelligenz in Wissen­schaft und Kunst, deren Vertretern umstandslos der Stempel des aktuellen oder potentiellen Stören­frieds aufgedrückt wurde. Aufmerksame Beobachter aus der Botschaft notierten sorgenvoll, dass bei thematisch passenden Veranstaltungen griechische Teilnehmer nicht selten den Versuch unternahmen, die Diskussion von kulturellen auf politische Aspekte zu verlagern, was automatisch das gefährliche Interesse des Sicherheitsdienstes, der „Asfaleia“, weckte.28 So wurde gleich im ersten Jahr der Diktatur eine Ausstellung avantgardistischer Literatur „einstweilen“ verschoben, da es der Botschaft „untunlich erschien, amtliche Stellen durch provokatorische Th ­ emen zu irritieren“.29 Doch trotz schwierigster Bedingungen schaffte es der damalige Programmchef Johannes Weissert in der Regel, ein vielfältiges und attraktives Veranstaltungsangebot auf die Beine zu stellen, sogar mit Tendenzen, die dem kulturellen Credo des Regimes diametral zuwiderliefen; dadurch schuf Weissert einen korrespondierenden Kreis aus alten und neuen Freunden der deutschen Kultur. 27 PAAA , B 90/610, Deutsche Botschaft Athen an AA , Kulturpolitische Berichte 6. Mai, 29. August 1968; B 94/1986, 6. Oktober 1969, 26. Mai 1970; Β 97/429, 10. März 1971. 28 PAAA, Β 97/365, 26. Februar 1970, Kulturpolitischer Jahresbericht 1969, S. 16, u. a. 29 PAAA, Β 97/365, Kulturpolitischer Jahresbericht 1967, S. 12.

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Auch bot er dem griechischen Publikum Fortbildungsveranstaltungen zur demokratischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland an, indem er etwa Vertreter des VDS (Verband Deutscher Studentenschaften) einlud; dessen griechische Partnerorganisation, die Nationale Studentenunion Griechenlands (Εθνική Φοιτητική Ένωση Ελλάδας, EFEE) war von den Obristen zerschlagen worden.30 Die Lesung von Hans Magnus Enzensberger im Institut hatte sogar eine Fortsetzung: Ein Text von ihm wurde neben einem Beitrag Wolf Biermanns in die oppositionelle Anthologie Νέα Κείμενα (Neue Texte) übernommen. Als ein deutscher Diplomat ­Theofilos D. Frangopoulos, den Mitherausgeber der Ausgabe, verblüfft darauf ansprach, wie er denn „ausgerechnet auf Enzensberger“ gekommen sei, der seinerzeit in Deutschland der entscheidende intellektuell-­literarische Exponent einer SDS-Kultur war, erklärte dieser, er habe „ihn im Athener Goethe-­Institut kennen und schätzen gelernt“! Limbourg gab diese Antwort nach Bonn weiter – ohne Kommentar, und somit umso vielsagender.31 Weissert war im Vorfeld auch in die weithin beachtete Athener Rede von Günther Grass involviert, den die Gesellschaft zum Studium griechischer Probleme (Εταιρεία Μελέτης Ελληνικών Προβλημάτων, EMEP ) zu einem Vortrag im März 1972 eingeladen hatte. Kaum war vier Monate vor ­diesem Termin die Nachricht von der Einladung durchgesickert, bemühte man sich in Bonn nahezu einhellig, vom AA bis zum Auslandsreferat beim SPD-Bundesvorstand, den Autor von dieser Reise abzuhalten, „um eine Belastung des deutsch-­griechischen Verhältnisses zu vermeiden“. In ­diesem Sinne übte auch Limbourg Druck auf den Vorsitzenden der EMEP Ioannis ( Jangos) Pesmazoglou aus, die Einladung zurückzunehmen und die Veranstaltung abzusagen.32 Grass ließ sich jedoch nicht davon abbringen, ja er äußerte sogar den Wunsch, nach dem Vortrag im ALFA-Theater eine Pressekonferenz in den Räumen des Goethe-­Instituts abzuhalten, wobei er klarstellte, er würde dort als Privatperson auftreten. Dessen ungeachtet stellte sich Limbourg erneut quer und schlug seinem Dienstherrn sogar vor, das politische Einspruchsrecht wahrzunehmen. Doch das Auswärtige Amt befürchtete einen Skandal und wiegelte ab: „Da man davon ausgehe, dass Herr Grass Vernunftgründen zugänglich sei, werde es der Einlegung eines formellen Vetos (…) wohl kaum bedürfen.“ 33 Den Misstönen zum Trotz war die Veranstaltung am 20. März 34 in einem mit fast 1000 Personen brechend vollen Saal ein Riesenerfolg. Der zweisprachige Vortrag mit 30 S. z. B. Eberhard Rondholz, Nεκρολογία για τον Johannes Weissert (Nachruf auf Johannes Weissert), Anti, 867, 21. April 2006. 31 PAAA, Β 26/434, Deutsche Botschaft Athen an AA, 23. März 1971. 32 Informationen aus den Kreisen der EMEP sowie von Pesmazoglous Sohn Stefanos an den Verfasser. 33 PAAA, Β 26/437, verschiedene Akten des Auswärtigen Amts mit Datum 20. März 1972. 34 Ebd., sowie: Martin Kölbel (Hg.), Willy Brandt und Günter Grass: Der Briefwechsel, Göttingen: Steidl, 2013, S. 953 f.

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dem Titel „Gegen die Gewöhnung“ lag bereits in gedruckter Form vor. Thema war „Die

NATO, Europa und die Demokratie“. Frenetischer Beifall wurde jedes Mal laut, wenn

Grass auf das allgemeine Menschenrecht des freien Meinungs- und Ideenaustausches und auf die Solidaritätsverpflichtung der demokratischen Staaten zu sprechen kam. Der Botschafter und sein Stellvertreter hatten nach Lektüre der Druckfassung ihr Kommen abgelehnt und waren auch nicht der Einladung zum anschließenden Essen gefolgt.35 Den verärgerten Regimevertretern gegenüber strich der Botschafter den „rein privaten“ Charakter des Auftritts heraus und erwähnte, dass die Bundesregierung „die Auffassungen von Grass in wesentlichen Punkten nicht teile“, ohne zu erläutern, um ­welche „Punkte“ es sich handelte.36 Zurück in Deutschland, bezeichnete Grass bei einer Presse­ konferenz die Haltung Limbourgs als armselig und erbärmlich.37 Im Folgejahr unterschlug der Kulturpolitische Jahresbericht der Botschaft für 1972 den Grass-­Vortrag vollständig, obwohl dieser bis heute im öffentlichen Gedächtnis der Griechen als Sternstunde deutscher kulturpolitischer Solidarität gegen die Juntaherrschaft gilt, ja als „eine moderne perikleische ‚Grabrede‘, die eigentlich Schullektüre sein müsste“.38 In der Zwischenzeit hatte Limbourg am 19. April 1972 Griechenland als Persona non grata verlassen müssen, zu der er als „Fluchthelfer“ bei Georgios Alexandros ­Mangakis’ heimlicher Ausreise erklärt worden war. Als sei die hegelsche „List der Geschichte“ auf den Plan gerufen, warf die Junta ausgerechnet jenen Diplomaten aus dem Land, der stets de facto für eine „großzügige“ Kooperation mit dem Regime plädiert hatte.39 Merkwürdig genug, dass selbst Willy Brandt als Bundeskanzler und SPD-Parteichef „klare Vorbehalte“ gegen den „demokratischen Interventionalismus“ von Grass äußerte und dessen Absicht missbilligte, vollendete Tatsachen zu schaffen, da es „niemandem gestattet ist, die Politik der Bundesregierung vorwegzunehmen oder zu übergehen“.40

35 Dem Boykott schlossen sich auch die geladenen Botschafter der anderen NATO-Staaten sowie der deutschsprachigen neutralen Länder Österreich und Schweiz an. 36 PAAA, Β 26/437, mehrfach. In einem anderen Schriftstück wird der Distanzierung des offiziellen Deutschlands durch eine einschränkende Vokabel ein wenig die Spitze genommen: „… teile nicht unbedingt die Auffassungen von Grass“. 37 Kölbel, Briefwechsel, S. 956 – 958. Zum Engagementwandel von Grass nach der Griechenlandreise vgl. Chryssoula Kambas, Schriftsteller gegen die Junta in Griechenland (1967 – 1974). Max Frisch, Günter Grass, Heinrich Böll, Günter Wallraff, in: Euphorion, Heft 2, 2018, S. 222 – 224. 38 Κostas Kalfopoulos, Γκύντερ Γκρας, Η συνείδηση του έθνους (Günter Grass, das Gewissen der Nation), in: I Kathimerini, 15. April 2015. 39 Bald nach Limbourgs Abberufung wurde die EMEP verboten; Pesmazoglou und weitere führende Vertreter wurden ins Exil geschickt. Der neue Botschafter Oncken trat am 1. September 1972 seinen Dienst in Athen an. 4 0 Kostas Kalfopoulos, Οι επιστολές δύο ιερών τεράτων (Der Briefwechsel zweier Titanen), in: I Kathimerini, 28. Juli 2013; vgl. auch Kölbel, Briefwechsel, S. 956 – 957, S. 1132.

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Nach seinem triumphalen Wahlsieg im Herbst desselben Jahres war Brandt weniger zurückhaltend, da ihm nun ein viel größerer Handlungsspielraum zur Verfügung stand, den er allerdings nicht ganz ausschöpfte. In der Zwischenzeit war Weissert von Athen nach London versetzt worden, wobei aus Sicht seiner Vorgesetzten drei Beweggründe auf der Hand lagen: Durch die Entfernung des Störenfrieds sollten der Positionierung des Instituts gegen die Junta der Zahn gezogen, die Dienststellen des Regimes beschwichtigt, aber auch Weissert selbst in Sicherheit gebracht werden, da seine Kontakte zum Widerstand den Spitzeln nicht verborgen geblieben waren. Eine Verhaftung seiner Person hätte unvermeidlich eine diplomatische Affäre von erheblichen Dimensionen ausgelöst. Und doch hielt auch nach der Entfernung Weisserts das Institut im Großen und Ganzen an seiner regimekritischen Linie fest. Im Oktober 1972 wurde Heinrich Böll während eines Privatbesuchs in Athen 41 benachrichtigt, dass ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden war. Daraufhin stellte sich der frischgebackene Preisträger ad hoc einer Pressekonferenz, bei der seine Äußerungen auf eine unverhohlen oppositionelle Rede hinausliefen. Dabei sprach er sich ablehnend zum Vorhaben des Außenministers Walter Scheel aus, Athen einen offiziellen Besuch abzustatten. Der neue Botschafter Oncken unternahm daraufhin einen teilweise erfolgreichen Versuch, Bölls „Meinung zu ändern“, da jener wohl von Kreisen des Instituts „einseitig informiert“ worden sei.42 Sogar noch im Januar 1974 kam es zum Skandal anlässlich einer Ausstellung mit Werken von George Grosz. Partner und Ausstellungsort war die Nationalpinakothek, da das Goethe-­Institut noch nicht über ein eigenes Gebäude verfügte, sondern in Apartments eines unansehnlichen Wohnkomplexes in der Phidiou-­Straße untergebracht war. Der damalige Direktor der Pinakothek entfernte auf Anweisung griechischer Behörden von den ursprünglich 77 Exponaten der Ausstellung fast die Hälfte (33) als „subversiv“ und fuhr erst auf scharfe Proteste der Institutsleitung hin diese Zahl auf 13 zurück.43

41 Böll war nach Athen gekommen, um seine Nichte Marie-­Therese Valassidis zu besuchen, die dort mit einem griechischen Journalisten verheiratet war. Auch s­ päter sollte Frau Valassidis den Sicherheitsbehörden auffallen, als ihr Schwager, der investigative Schriftsteller Günter Wallraff, sich am 10. Mai 1974 aus Protest an einem Strommast am Syntagma-­Platz ankettete und daraufhin zu 14 Monaten Haft verurteilt wurde. Nach dem Zusammenbruch der Junta wurde er Ende Juli freigelassen. Einer seiner ersten Besuche führte Wallraff zu Panagiotis Kanellopoulos, in dessen Büro in der Akadimias-­Straße der Vf. ihn persönlich kennenlernte. 42 PAAA, B 97/550, Deutsche Botschaft Athen an AA, 23. Oktober 1972; Gespräch des Verfassers mit dem Ehepaar Valassidis. 43 Persönliche Informationen des Verfassers; s. auch den Beitrag von Gerhard Blümlein, Sprachlicher Zwischenfall: „Extrem linke Sprache“, in: Goethe-­Institut, 50 χρόνια στην Ελλάδα (50 Jahre in Griechenland), 1952 – 2002, Athen, 2002, S. 71.

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Deutsche Welle Im August 1969 verschob Bonn die längst überfällige Sitzung der deutsch-­griechischen Kulturkommission, um in der laufenden Vorwahlphase eine politische Instrumentalisierung durch deutsche Medien zu vermeiden.44 Zu den unter ­diesem Aspekt ‚gefährlichen‘ Medien zählten insbesondere die griechischen Programme des Bayerischen Rundfunks und der Deutschen Welle; immer wieder wurde von der Junta und dem State Department 45 aber auch vom Auswärtigen Amt die „einseitige Polemik“ der „exilgriechischen“ Mitarbeiter moniert.46 Eine Zäsur bildete im Februar 1971 der scharfe Protest des Junta-­Ministers Makarezos gegen die „verbrecherisch-­böswillige Kampagne“ der beiden Sender. Botschafter Limbourg stellte sich in seinem Bericht an Bonn weitgehend hinter diese Sicht der Dinge und kritisierte die „einseitig-­negativen“ Sendungen von begrenztem Wert und Wahrheitsgehalt, die zudem das bilaterale Klima „vergifteten“. Weiter warnte er vor der „Gefahr eines fortschreitenden Verlusts der deutschen Einflussnahme auf bzw. Beteiligung an der stürmischen Entwicklung“ Griechenlands, ­welche der fest etablierten Regierung zu verdanken sei. Bereits stünden in den Startlöchern andere Mächte, namentlich Franzosen und Briten, um „den von Deutschland aufgegebenen Platz in dieser geostrategisch so wichtigen Region“ einzunehmen. Ausdrücklich stellte er die bis dahin „strenge“ deutsche Griechenlandpolitik in Frage, die „das gewünschte Ergebnis der Re-­Demokratisierung nicht zur Folge hatte“.47. Bonn ging auf Limbourgs Vorschlag einer totalen Kehrtwendung nicht ein, auch wenn der Botschafter immer wieder darauf zurückkam. So veranlasste er unter anderem eine Recherche zum Vergleich mit griechischen Programmen anderer großer westlicher Sender. Schließlich wurde konstatiert, dass es freundliche, gelegentlich kritische Kommentierungen bei der Voice of America und dem französischen ORTF gab, während die BBC, die nach der Deutschen Welle als kritischster westlicher Sender galt, dank der strengen Kontrolle durch das Foreign Office „ohne schmähende Verlautbarungen und Propaganda“ 48 auskomme. 4 4 PAAA , B 97/458, Auswärtiges Amt, Abteilung  ΙV an den Minister, 22. August 1969. Zur Deutschen Welle vgl. ergänzend den Beitrag von Eberhard Rondholz, Deutsche Botschaft gegen Deutsche Welle … Ein fast vergessenes Kapitel deutsch-­griechischer Mediengeschichte, in: Exantas, Heft 5 (2007), S. 40 – 4 4. 45 Z. B. PAAA, Β 26/437, Deutsche Botschaft Athen an AA, 18. Mai 1971 und Auswärtiges Amt, Politische Abteilung 3 an den Minister, Juni 1971. 4 6 Hier ­seien einige Namen herausgegriffen: Alexandros Schinas, Kostas Nikolaou, Karolos Papoulias, Pavlos Bakogiannis, Eleni Torossi. 47 PAAA , B 26/437, Deutsche Botschaft Athen an AA , 25. Februar 1971 VS -Vertr. und Auswärtiges Amt, 1. März 1971. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Limbourgs Sohn Peter 2013 die Intendanz der Deutschen Welle übernahm. 48 PAAA, B 26/437, Deutsche Botschaft Athen an AA, 10. Mai 1971.

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Genau darum ging es auch im weiteren Fortgang der Angelegenheit. Walter Steigner, Intendant der Deutschen Welle, benutzte den 5. Jahrestag des Militärputsches (21. April 1972), um das Gebaren des Regimes seinem Sender gegenüber scharf zu kommentieren.49 Daraufhin folgten Proteste und Pressionen von interessierter Seite, woraufhin Steigner einknickte und eine Einladung seines bisherigen griechischen Gegenspielers, des Regierungssprechers Vyron Stamatopoulos, zu einem Arbeitsbesuch (12. – 15. Juli 1972) akzeptierte. Viele griechische Regimegegner verurteilten das als „Purzelbaum“; Eberhard Rondholz, einer der besten Kenner der deutsch-­griechischen Szene, spricht gar vom „Gang nach Canossa“.50 Aber auch Konrad von Schubert, Pressereferent und Geschäftsträger für den seit der Mangakis-­Affäre bei der Junta in Ungnade gefallenen Limbourg, beurteilte die Reise des SPD -Mitglieds Steigner äußerst kritisch: Angesichts der Umstände könne sie „nur als zu viel des Guten bewertet werden. Sie muss griechischerseits den Eindruck eines allgemeinen Kurswechsels erwecken. (…) Ob es bei der hiesigen Mentalität auch angebracht war, sich einladen zu lassen, dürfte zumindest strittig sein.“ 51 Immerhin hatte Steigner der verlockenden Einladung einer zweiwöchigen Erholungsreise mit Gattin widerstanden, wobei er seinen hochrangigen Gesprächspartnern ohne Umschweife erklärte, „die generelle Linie der Deutschen Welle“ gegenüber den Machthabern bleibe „unvermeidbar ablehnend, solange Griechenland nicht zu einem demokratischen Staatswesen zurückfände“. Mit einer „Versachlichung“ der Sendungsinhalte war er jedenfalls beim dreitägigen Arbeitsgespräch einverstanden. Anzulasten wäre ihm, dass er versäumt hatte, auch maßgebliche Politiker der Opposition zu treffen, sieht man von einem Arbeitsfrühstück mit drei oppositionellen Journalisten und drei deutschen Korrespondenten ab. Im Zusammenhang mit der intendierten „Versachlichung“ übernahm am 1. Oktober 1972 Dr. Georg Walther Heyer, ein Deutscher mit Griechischkenntnissen, die Leitung der Griechenlandredaktion der Deutschen Welle. Der neue Chef hatte ausdrückliche Weisung, mehr rein deutsche ­Themen in den Vordergrund zu stellen; die griechischen Redakteure „sollten erneut angehalten werden, sich eines angemessenen Tons zu befleißigen“ sowie eine „neutrale Sprache“ ohne abschätzige Formulierungen zu verwenden. Das Auswärtige Amt und die deutsche Leitung hatten schon früher die Nutzung „herabsetzender Begriffe“ moniert und deren Streichung gefordert; zu diesen 49 S. Text in: PAAA, Β 26/437, DW, Norbert Matern an Auswärtiges Amt, 28. April 1972. Matern war bis auf Weiteres zum Nachfolger von Kostas Nikolaou ernannt worden, der als Leiter der Griechenlandredaktion zurückgetreten war. 50 Vgl. Anm. 44. 51 PAAA, Β 26/437, Deutsche Botschaft Athen an AA, 18. Juli 1972. Schubert war vorläufig für Limbourg eingesprungen, der, wie erwähnt, Mangakis in ein deutsches Militärflugzeug gesetzt hatte und anschließend als Repressalie des Landes verwiesen worden war.

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gehörten Vokabeln wie Junta, Tyrannis, Obristen, Putschisten, Regime – ohne oder mit aggressivem Beiwort (faschistisch, diktatorisch, verhasst usw.).52 Sieht man einmal von einer gewissen lexikalischen Anpassung ab, gelang es den beiden griechischen Programmen, ihren oppositionellen Standpunkt beizubehalten. Dafür sprechen auch die fortgesetzten Proteste der Vertreter des Regimes in Athen und Bonn. Exemplarisch s­ eien hier die Proteste des Botschafters (und Exministers) ­Nikitas Sioris genannt, die sich an seinen Amtskollegen Oncken richteten; der warf jedoch den Ball zurück und verwies auf neue Sendungen des griechischen Fernsehens über die Nazi-­Gräuel sowie auf die unausgesetzten persönlichen Attacken gegen Willy Brandt und den ebenfalls sozialdemokratischen Bundespräsidenten Gustav Heinemann in der Zeitung Estia.53 Im Oktober 1973 beschwerte sich Vizepräsident Odysseas Angelis, ehemals Oberkommandierender der griechischen Streitkräfte, bei Oncken über den „unerhörten Fall, dass ein Land (oder seine Massenmedien) sich auf diese Art und Weise in die internen Angelegenheiten eines verbündeten Staats einmischt“.54 Im darauffolgenden Monat, kurz nach der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstands im Athener Polytechnikum, legte der deutsche Botschafter den griechischsprachigen Programmen der Deutschen Welle und des Bayerischen Rundfunks zur Last, sie würden angesichts innenpolitischer Turbulenzen „Öl ins Feuer gießen“.55 Die „zweite Junta“ von Dimitrios Ioannidis bemühte sich dann bis kurz vor ihrem Zusammenbruch, lästige Sendungen der beiden Rundfunkanstalten zu unterbinden. Dafür setzte sie Störsender ein oder brachte schriftlich oder auch persönlich Proteste bei der Deutschen Botschaft vor.56

Nachtrag Diese Erläuterungen stellen einen Versuch dar, die deutsche Kulturdiplomatie während der siebenjährigen Militärdiktatur anhand der amtlichen Korrespondenz auszuwerten und zu bewerten. Aus ­diesem zugegebenermaßen einseitigen Blickwinkel erscheint das Bild trüber, als es der gelebten und erinnerten Wirklichkeit entspricht. Tatsächlich aber haben zahllose individuelle und zivilgesellschaftliche Initiativen korrigierend 52 Zuweilen war die Sprachregelung seitens deutscher Behörden mehr als euphemistisch. So bezeichnet etwa Dr. Weno, Bereichsleiter Inspektion des Goethe-­Instituts, in einem vertraulichen Bericht den Putsch vom April 1967 als „Regierungswechsel“! (PAAA, Β 97/550, Auswärtiges Amt an Deutsche Botschaft Athen, 14. Juni 1972). 53 PAAA, B 26/101428, Deutsche Botschaft Athen an AA, 17. Juli 1973. 54 PAAA, Β 26/101426, Deutsche Botschaft Athen an AA, 6. Oktober 1973. 55 PAAA, Β 26/101424, Deutsche Botschaft Athen (Oncken) an AA, 19. November 1973. 56 PAAA, Β 26/101423, Deutsche Botschaft Athen, 25. Januar 1974; Β 26/101426, Deutsche Botschaft Athen, 5. Juli 1974; Β 26/101429, Deutsche Botschaft Athen, 14. Mai 1974, sämtlich an AA.

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in die diplomatische Nüchternheit der propagierten Äquidistanz beziehungsweise „Ausgewogenheit“ eingegriffen: Griechische Wissenschaftler, die ganz oben auf der schwarzen Liste des Regimes standen, fanden in der Bundesrepublik Deutschland gastfreundliches Asyl; verfolgten Studenten oder Doktoranden wurden sichere Studien- und Laborplätze, oft auch Stipendien zur Verfügung gestellt, nicht zu vergessen der vielbegehrte Fremdenpass. Nicht alle, aber viele deutsche Behörden verhinderten oder drosselten die Versuche des Regimes, griechische Staatsbürger zu verfolgen, einzuschüchtern, zu unterwandern oder gar zu rekrutieren. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens,57 Insti­tutionen und Komitees trugen vielfältig zu Solidaritätsveranstaltungen bei, die dem offiziellen Deutschland ein ständiger Dorn im Auge waren.58 Viele deutsche Presseorgane,59 Rundfunksender und das öffentlich-­rechtliche Fernsehen 60 hielten an ihrer Unabhängigkeit fest und zeichneten sich durch sachliche Berichterstattung aus. Die Gewerkschaften übernahmen vom ersten Moment an die politische und kulturelle Betreuung der mit dem deutsch-­griechischen Anwerbe-­Abkommen von 1960 ins Land gekommenen Gastarbeiter.61 Sogar das Auswärtige Amt, das übrigens nach dem Zusammenbruch der Junta keinerlei Anlass für Selbstkritik sah,62 blockierte die 57 Hier sei an den solidarischen Hungerstreik von Gunnar Hering an der Universität Freiburg erinnert. 58 S. z. B.: PAAA, Β 26/437, Deutsche Botschaft an AA, 18. Mai 1971, bezüglich des geplanten Konzerts von Mikis Theodorakis in Frankfurt. Eine persönliche Erinnerung betrifft z. B. Maria Farantouri, wie sie in einer berstend vollen Berliner evangelischen K ­ irche das Lied „Το γελαστό παιδί“ (Das lachende Kind) vortrug. 59 Der Verfasser möchte die Haltung der einzigen Berliner Mittagszeitung „Der Abend“ hervorheben, für die er ­zwischen 1968 und 1974 unter dem Pseudonym Christian Krüger Beiträge geschrieben hat. 60 Hier s­ eien beispielsweise auf die zwei Sendetermine des Dokumentarfilms „Der Fall Eleni Voulgari“ im ZDF verwiesen, die trotz massiver Proteste der griechischen Botschaft eingehalten wurden (PAAA, Β 26/435, Deutsche Botschaft Athen an AA, 24. August 1971; AA an Deutsche Botschaft Athen, 25. November 1971; Auswärtiges Amt, Vermerk, 2. Dezember 1971; Auswärtiges Amt, Vermerke, 24. und 31. August 1973. 61 National Archives and Records Administration, Washington, Rg 59, Pol 23 – 9: US-Botschaft Bonn an State Department, 8. Mai 1967. – Herauszugreifen ist hier die wertvolle Informationsarbeit, insbesondere der mehrmals monatlich erscheinende IG-Metall-­Pressespiegel für griechische Kollegen (Δελτίον Τύπου. Ανασκόπηση του διεθνούς τύπου για την Ελλάδα), der von November 1967 bis zur Erfüllung seines Auftrags im August 1974 eine wichtige „Chronik der Diktatur“ in 315 Ausgaben darstellt. 62 PAAA, Β 97/550: Aide-­Mémoire des Auswärtigen Amts, 8. August 1974 und Β 97/686, Auswärtiges Amt, 5. September 1974. Rückblickend spricht das Auswärtige Amt dem Botschafter Dirk Oncken explizit seine Anerkennung aus und klopft sich dabei indirekt selbst auf die Schulter: „Die Botschaft Athen hatte in den Jahren der Militärherrschaft in Griechenland, insbesondere in ihrer Schlussphase eine besonders schwierige Aufgabe zu erfüllen. Unter der Leitung von Botschafter Dr. Oncken ist es ihr gelungen, mit großer Umsicht, mit Mut und

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Infiltrationsversuche des Regimes an griechischen Schulen auf deutschem Boden und schützte die Kulturzeitschrift Hellenika gegen die wütenden Attacken der Athener Machthaber und deren Organe auf deutschem Boden. Freilich legte man der Redakteurin Isidora Rosenthal-­Kamarinea nahe, mehr „Zurückhaltung“ zu üben, besser noch: politische Neutralität zu wahren.63 Weitere Beispiele erübrigen sich wohl. Die Crux des offiziellen Deutschlands lag im vergeblichen Versuch, die Brücken zu keinem Lager abzubrechen, weder zu den Machthabern noch zu deren Opfern. Doch häufig musste Bonn feststellen, dass beide griechischen Lager über die deutschen Arrangements mit der jeweils anderen Seite erbost waren. Selbstverständlich behielt das Regime ununterbrochen die Haltung des offiziellen Deutschlands im Auge und war daher fast immer hervorragend informiert;64 dies galt aber auch für die Opposition, sogar für ihren in Haft einsitzenden Teil.65 Kein Wunder, dass manchen deutschen Diplomaten zumute war, als s­ eien sie „zwischen Skylla und Charybdis der griechischen Innenpolitik“ eingeklemmt.66 Allerdings suchten sie die Gründe dafür nicht in den oft peinlichen Schwenkungen und faulen Kompromissen der ambivalenten deutschen Politik, sondern in der – nicht zu leugnenden – unbedachten Redseligkeit vieler Griechen, namentlich im demokratischen Lager.67 Der linke Flügel

Intelligenz den offiziellen Stellen gegenüber die deutschen Interessen wahrzunehmen, den Kontakt mit demokratischen Oppositionspolitikern zu pflegen und humanitären Gesichtspunkten mit großem Erfolg zur Geltung zu verhelfen.“ (PAAA, B 26/101428, 10. Oktober 1974). 63 Vgl. PAAA, Β 26/435, Auswärtiges Amt, Vermerk, 19. Mai 1970; Bundespresseamt an Auswärtiges Amt, 27. Oktober 1971; Sösemann, Annäherungen, S. 495 f.; mehrmalige Gespräche des Verfassers mit Isidora. 6 4 Vgl. PAAA, Β 97/458, Deutsche Botschaft Athen an AA, 26. August 1969. 65 PAAA, Β 26/435, Deutsche Botschaft Athen an AA, 3. Mai 1972. 66 Ebd. 67 So verallgemeinert etwa Oncken die einschlägige Erzählung eines Botschafterkollegen aus einem „uns befreundeten Land“ als induktiven Beleg für die „Unvorsichtigkeit […], mit der hier Telefongespräche geführt“ und an Dritte weitergegeben werden: „Auf der anderen Seite zeigt die Angelegenheit, wie wenig man im Verkehr mit Griechen – ich mache hier keinen Unterschied – auf Diskretion rechnen kann. Fahrlässige oder bewusst gezielte Indiskretionen, auf jeden Fall aber eine über das normale Maß hinausgehende Mitteilsamkeit sind hier unvermeidliche Begleiterscheinungen des politischen Lebens und sind, so im vorliegenden Fall, geeignet, unsere hiesige amtliche Arbeit nicht gerade zu erleichtern. Ich wäre dankbar, wenn bei Kontakten mit Professor Tsatsos und auch anderen Exilgriechen die Möglichkeit des von mir geschilderten Verhaltens in Rechnung gestellt würde.“ (PAAA , Β 26/101426, Deutsche Botschaft Athen an AA , 19. Februar 1973). Im retrospektiven Abschlussbericht nach dem Zusammenbruch des Regimes erwähnt das Auswärtige Amt allerdings die griechische Opposition nicht mehr als Hemmfaktor seiner Politik, sondern verweist lediglich auf die „Halsstarrigkeit des Regimes“ und die „kritischen Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit“ (PAAA, Β 97/550, Auswärtiges Amt, Vermerk, 8. August 1974).

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der Ένωση Κέντρου (Zentrumsunion) wurde sogar beschuldigt, zum Teil berechtigt, ganz bewusst Kontroversen z­ wischen Bonn und Athen angeheizt zu haben,68 um eine Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zu provozieren und so die Junta international zu isolieren. Unabhängig jedoch von den diversen Schwachstellen griechischer Akteure liegt der Kern des Problems im Beharren Bonns, einen goldenen Mittelweg z­ wischen unvereinbaren Positionen zu finden. Dieser berüchtigte Mittelweg erwies sich häufig schlicht als Opportunismus, als Weg des geringsten Widerstandes, der es letztlich keiner Seite recht gemacht hat. Dennoch sollte man sich in Nachsicht üben. Die Quadratur des Kreises, sogar mit der eigentlich unerlaubten Hilfe von Lineal und Zirkel, war selbst für Archimedes eine Strapaze …

Literatur Brandt, Willy und Grass, Günter, Der Briefwechsel, hg. von Martin Kölbel, Göttingen: Steidl, 2013. Fleischer, Hagen, Europas Rückkehr nach Griechenland. Kulturpolitik der Großmächte in einem Staat der Peripherie, in: Harald Heppner; Olga Katsiardi-­Hering (Hg.), Die Griechen und Europa, Wien: Böhlau, 1998, S. 125 – 191. Goethe-­Institut, 50 χρόνια στην Ελλάδα (50 Jahre in Griechenland), 1952 – 2002, Athen, 2002. Kambas, Chryssoula, Schriftsteller gegen die Junta in Griechenland (1967 – 1974). Max Frisch, Günter Grass, Heinrich Böll, Günter Wallraff, in: Euphorion, Heft 2, 2018, S. 201 – 236. Miroschnikoff, Peter, Im Dschungel von Athen. Deutsch-­griechische Beziehungen hinter den Kulissen, in: Politische Studien 20 (1969), S. 36 – 4 4. Rondholz, Eberhard, Nεκρολογία για τον Johannes Weissert (Nachruf auf Johannes Weissert), in: Anti, 867, 21. April 2006. Rondholz, Eberhard, Deutsche Botschaft gegen Deutsche Welle … Ein fast vergessenes Kapitel deutsch-­griechischer Mediengeschichte, in: Exantas 5 (2007), S. 40 – 4 4. Sösemann, Bernd, Annäherungen an Hellas, Bd. 2, Berlin: Eos, 1994.

68 Der Verdacht, es gehe um eine „Provokation“, wurde im Hinblick auf die Aktivitäten bestimmter Mitarbeiter in der Griechenlandredaktion der Deutschen Welle häufig geäußert; sogar Hans-­ Eberhard Dingels, Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen beim SPD-Parteivorstand, spielte im Fall von Dimitris Tsatsos darauf an. Dieser hatte nämlich vor seiner schicksalshaften Reise nach Athen einem deutschen Kollegen anvertraut, eine „Verhaftung in Athen wäre das Beste, was mir passieren könnte“. Tatsächlich wurde er verhaftet! (PAAA, Zwischenarchiv, Β 26/101425, Auswärtiges Amt, Vermerk, 29. März 1973 und Deutsche Botschaft an AA , 26. Juli 1973).

Das deutsch-griechische Dreieck Instrumentalisierte Erinnerung in den deutschen Staaten und Griechenland Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 besiegelte den Zusammenbruch des NS -Staats. Deutschland existierte nur noch als geografischer Begriff, und der zwiespältige Blick zurück in die Geschichte oszillierte z­ wischen Goebbels und ­Goethe. Während in den ersten Nachkriegsjahren weder deutsche Diplomaten noch Pressevertreter in Athen Präsenz zeigten, registrierten die öffentliche Meinung und deren Strippenzieher 1 beidseits der deutsch-­deutschen Grenze das Drama des griechischen Bürgerkriegs als erste heiße Phase im dritten, zunächst noch kalten Globalkonflikt. In der sowjetisch besetzten Zone ließ man verlauten, dass die wackeren griechischen Demokraten ihren Kampf aus der Besatzungszeit so gut wie nahtlos fortsetzten; jetzt aber richte er sich gegen die camouflierten einheimischen „Monarchofaschisten“ und deren angloamerikanischen Patrone. Diese Version schuf im Mainstream der „Ostzone“ 2 die angenehme Gewissheit, im richtigen Lager zu stehen: Die Antagonisten im Westen bestünden, so hieß es, aus der imperialistischen Komponente des einstigen Anti-­Hitler-­Zweckbündnisses, die nunmehr das „zweite Andartiko“, die Fortsetzer der Weltkriegspartisanen in Griechenland bekämpfe – mit Napalm und NS-Methoden! Erst 1949, im Gefolge des sich verschärfenden Kalten Kriegs, wurden die antagonistischen deutschen Staatsgebilde aus der Taufe gehoben. Sie standen unter Kuratel der jeweiligen Besatzungsmacht, und das galt nicht nur für die Republik im Osten. Ebenfalls 1949, als das Herkunftsland der abgelösten Besatzer geteilt wurde, endete die letzte Phase des griechischen Bürgerkriegs nach langen blutigen Kämpfen mit der nahezu totalen Nieder­lage des linken Lagers. Nun ergriff die Bundesrepublik die Gelegenheit, verlorenes Terrain wiederzugewinnen, und distanzierte sich, zumindest auf offizieller 1 Dies betraf nicht nur die sowjetische Besatzungszone, vgl. den Bericht des zweiten Mannes der Athener US-Botschaft nach einer Informationsreise durch Westeuropa: „The Germans are, of course, far too preoccupied with their own problems to be greatly interested in Greece, and opinion even in politically-­minded German circles friendly to the West seems to be badly misinformed on Greek matters and still under the influence of the disastrous, pro-­E AM, press reporting from Greece of the 1944 – 45 period. (…) With regard to Germany in particular, (…) the influence exercised over German press by United States occupation authorities (…) offers an opportunity for an intensified informational campaign regarding the Greek problem and American policy in Greece.“ National Archives and Record Administration (NARA), College Park, Maryland, USA: Rg 84, American Embassy Athens, Classified, 2 December 1947/800 Conf/123 Cromie Conf. 2 Für ­dieses Pejorativum „revanchierte“ sich die DDR mit dem Terminus „Westzonenstaat“.

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Ebene, von der Szenerie des Jahres 1945. Als Folge von dreieinhalb Jahren einer brutalen Okkupation, gezeichnet von Hunger, Unterdrückung und Gewalt, wurzelte der Hass gegen die Deutschen tief. Nirgends wurde dies deutlicher als im Verdikt des handgeschriebenen, von den 300 überlebenden griechischen Insassen des KZ Dachau herausgegebenen Blatts. Darin schloss die Redaktion die ehemaligen Unterdrücker explizit aus dem Beziehungsnetz der freien Völker aus: Unsere Pflicht ist eine: Rache. Angesichts der deutschen Verbrechen kann es weder Verzeihung noch Mitleid geben. Den deutschen Henkern, allen Deutschen insgesamt gebührt nichts anderes als Ausrottung mit allen Mitteln. Verflucht sei d­ ieses barbarische Volk, unauslöschlich die Erinnerung an unsere geliebten Toten!3

War diese pauschale Verdammung bei den Überlebenden von Dachau verständlich, so schockierte sie wenig s­ päter in einem dienstlichen Schreiben des Innenministers der ersten Nachkriegsregierung: Konstantinos Tsatsos, der während seiner Studienzeit in den 1920er Jahren „getränkt von deutschem Geiste“ auf den Spuren Goethes, S­ chillers, Bachs und Luthers gepilgert war,4 befürwortete darin eine Forderung missgünstiger Nachbarn, die letzten Nachkommen der ein Jahrhundert zuvor unter König Otto nach Attika eingewanderten „Bajuwaren“ zu vertreiben, die dort einst das Dorf Arakli (heute der Athener Stadtteil Alt-­Heraklion) gegründet hatten, denn, so Tsatsos, auch sie gehörten der „verfluchten Rasse“ der deutschen „Kannibalen“ an!5 Doch bald modifizierte der eisiger werdende Kalte Krieg die außenpolitischen Erfordernisse für den Westen, namentlich für die „Bizone“ und ­später – nach dem Beitritt auch der zögernden französischen Besatzungsmacht – „Trizone“ Deutschlands. Trizonesien, wie es in einem erfolgreichen Karnevalsschlager getauft und sogar von Bundeskanzler Adenauer in einer Pressekonferenz zitiert wurde, entwickelte sich zu einem staatsähnlichen Protektorat, das stufenweise aufhörte, eine Bedrohung darzustellen. Die neue Rolle von (West-)Deutschland als zentralem Außenposten der „Freien Welt“ an der Grenze zum Ostblock wurde den kleinen Partnerländern von den USA mit unterschiedlichem Nachdruck vermittelt. So entschied im März 1948 der Politische Ausschuss der griechischen Regierung, die eigene Haltung gegenüber dem in der Genese befindlichen Staat zu modifizieren. Der präsidierende Staatssekretär des Äußeren Panagiotis Pipinelis dozierte, die neuen Gegebenheiten hätten die internationale 3 Η Ελευθέρα Δωδεκάνησος. Εφημερίς των εν Ντάχαου Ελλήνων (Freier Dodekanes. Zeitung der Griechen in Dachau), 3. Juni 1945. 4 Konstantinos Tsatsos, Λογοδοσία μιας ζωής (Rechenschaft über ein Leben), Athen: Oi ekdoseis ton filon, 2000, S. 152, S. 176, passim. 5 10. 8. 1945. zit. in: Hagen Fleischer, Οι πόλεμοι της Μνήμης (Die Kriege der Erinnerung), Athen: Nefeli, 2008, S. 509.

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Lage von Grund auf verändert. Somit müsse sich auch das Konzept Griechenlands für den Umgang mit den deutschen „Nachbarn“ ändern. Es handele sich nicht mehr um eine „Beziehung Siegerstaat gegenüber Besiegten“, sondern es müsse im Interesse Gesamteuropas sowie Griechenlands im Besonderen (…) Deutschland wiederhergestellt werden – also eben jenes Land, das gegenüber unserer Heimat verbrecherisch gefrevelt hat. (…) Und in unserem Interesse ist es, zu ­diesem Restaurationsprozess im Rahmen unserer Möglichkeiten beizutragen.6

Dementsprechend nutzte der westdeutsche Staat seine Positionierung im gleichen geostrategischen Schützengraben wie die angloamerikanischen Besatzer. Wegweisend war im Oktober 1950 der erste Besuch eines griechischen Politikers in Bonn: Vizepremier Giorgos Papandreou hatte Politische Wissenschaften in Berlin studiert und dort als eloquenter Sprecher der griechischen Studenten seinen Premier Eleftherios Venizelos bei dessen erstem Deutschlandbesuch im Januar 1914 begrüßt, dem er ­später als Mitarbeiter und Minister dienen sollte. Nun plädierte er in Bonn als Vizepremier seines Landes für die beschleunigte Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen. Sein Hauptanliegen war die Reduktion der deutschen Importzölle auf Griechenlands Hauptexportartikel Tabak. Bundespräsident Heuss nutzte die griechische Notlage, indem er zugleich die „dringende Empfehlung“ aussprach, einen Strich unter die Kriegsvergangenheit zu ziehen. Sein Besucher stimmte zu.7 In keiner anderen alliierten Hauptstadt kam es vor, dass Spitzenpolitiker des Landes die Wehrmacht als „beste Armee der Welt“ rühmten. Doch Marschall Papagos und andere Exponenten des legalen politischen Spektrums verwiesen wiederholt auf die „soldatischen Tugenden“ der Deutschen und deren Erfahrungen im Krieg gegen die Sowjetunion, die angesichts des sich abzeichnenden neuen Globalkonflikts nicht brachliegen dürften. Folglich war Athen der einzige Ort, an dem es die Vertreter Bonns wagten, ehemalige Partisanen als „Banditen“ abzuqualifizieren. Aufschluss- und folgenreich sind die durchgehaltenen Wertungen der Besatzungsvergangenheit, die dem „kommunistischen“ Widerstand „loyale“ Kollaborateure vergleichend entgegenhalten, etwa seitens des deutschen Geschäftsträgers Karl Hermann Knoke. Er beeinflusste, gewissermaßen dank ererbter 8 Beziehungen zu Königin Friederike, die deutsche 6 Fleischer, Die Kriege der Erinnerung, S. 527 – 528. 7 Hagen Fleischer, Der lange Schatten der Vergangenheit und die griechischen Kalenden der deutschen Diplomatie, in: Chryssoula Kambas; Marilisa Mitsou (Hg.), Hellas verstehen. Deutsch-­griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert, Köln: Böhlau, 2010, S. 205 – 240, hier: S. 215. 8 Als Sohn des Geheimrats Paul Knoke, 1915 – 1948 Verwaltungschef beim Herzog zu Braunschweig und Lüneburg (dem Vater Friederikes), bediente er sich auch als Diplomat in Athen

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­ riechenlandpolitik maßgeblich, zunächst als Vertreter des Botschafters Werner von G Grundherr (zu ­Altenthann und Weiherhaus), der mit bürokratischen Folgequerelen seiner verspätet aufgedeckten Nazivergangenheit beschäftigt war und schließlich vorzeitig pensioniert wurde. Später wurde Knoke sogar Leiter des auch für Griechenland zuständigen Referats 304 im Auswärtigen Amt. Auf ihn geht auch das sprichwörtlich gewordene Fazit von 1951 zurück, dass „die Erinnerungen an die Untaten der SS [!]“ dank der „ebenso verwerflichen Untaten der kommunistischen Banditen (…) jetzt in Griechenland etwas verblasst sind“. In den Folgejahren verwässerte die offizielle Sprachregelung stufenweise die Taten der Besatzungsmacht; unangenehme Attribute wurden abgeschwächt oder ganz gestrichen und die deutsche Schuld anonymisiert. Diese Handhabung gipfelte in der einweisenden These für Theodor Heuss aus einer Konferenzmappe des AA für seinen vielbeachteten Griechenlandbesuch 1956: „Glücklicherweise sind die Begebenheiten zur Zeit der deutschen Besetzung durch die Grausamkeiten des griechischen Bürgerkriegs überdeckt worden.“ 9

Spätlasten der Besatzung Ende 1951 erinnerte das griechische Außenministerium den Justizminister daran, dass „erhebliche Wirtschaftsinteressen des Landes“ sowie die „versöhnlichen Richtlinien unserer Außenpolitik“ die Begnadigung des letzten von griechischen Gerichten verurteilten Wehrmachtsangehörigen und ersten Kommandanten der „Festung Kreta“ General Alexander Andrae erforderten. Bereits am 17. Januar 1952 wurde Andrae in die Freiheit entlassen. Somit schien trotz weiterhin schwebender Untersuchungen gegen einige einst subaltern in Griechenland tätige Veteranen das schwierigste Kapitel in den bilateralen Beziehungen nahezu abgeschlossen.10 Tatsächlich aber köchelte das Problem auf kleiner Flamme weiter. Zur allgemeinen Überraschung ließ dann im April 1957 der eigenwillige Generalstaatsanwalt Andreas Tousis, Chef des Nationalen Hellenischen Büros für Kriegsverbrechen, einen Westberliner Rechtsanwalt während eines Privatbesuchs in Athen verhaften: Dr. Max Merten, ehemaliger Leiter der Militär­verwaltung beim Befehlshaber Saloniki-­Ägäis, war wegen seiner administrativen Beteiligung an den Judendeportationen bereits von der United Nations War Crimes Commission zur Fahndung ausgeschrieben. Doch wurde sein Name Ende der 1940er der familiären Vertrauensposition und hatte direkten Zugang zum griechischen Königshaus. 9 Vgl. PAAA, B 11/1375, Botschaft der BRD, Athen, 805/51, 21. 8. 1951; B 11/1378, AA, Ref. 304, 14. 4. 1955; B 26/17, Ref. 412, Aufzeichnung 25. 4. 1956, u. a. (Hervorhebungen durch Vf.). 10 AYE, 1952/193, gr. Vizeaußenminister, 15. 12. 1951. Zu Andrae und seinen am 20. Mai 1947 als Kriegsverbrecher erschossenen Nachfolgern Bräuer und Müller siehe im vorliegenden Band „Geostrategische Pläne für ein germanisches Nachkriegs-­Kreta“.

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Jahre aus den griechischen Suchlisten gelöscht, vermutlich dank seiner Kontakte zu alten Mitarbeitern aus Kollaborateurskreisen. Danach hatte er sogar die Dreistigkeit besessen, sich als ‚Landeskenner‘ für den Posten eines Konsuls bzw. Generalkonsuls in Griechenland zu bewerben. Bonn reagierte empört auf die Verhaftung eines deutschen Staatsbürgers, und die Ressorts diskutierten das Pro und Kontra von „Repressalien“ (!) als Druckmittel, etwa einen De-­facto-­Appell zum touristischen Boykott Griechenlands. Binnen weniger Monate hatte die Merten-­Affäre das Klima ­zwischen Bonn und Athen in ungekanntem Ausmaß vergiftet. Selbst positive Entwicklungen wie die Fortschritte in der Wiedergutmachungs-­ Diskussion, eine deutsche 200-Millionen-­D M-Anleihe für Athen und die griechische Assoziierung zur EWG erhielten einen anrüchigen Beigeschmack, wodurch auch der Ruf des zuvor unangefochten regierenden Ministerpräsidenten Konstantinos ­Karamanlis nicht unbeschädigt blieb. Durch den reaktivierten Vergangenheitsdiskurs geriet die deutsche Seite in Zugzwang; doch auch Athen war dreifacher Pression ausgesetzt: seitens der Westmächte, der öffentlichen Meinung sowie des übermächtigen Partners, der seine Wirtschaftskraft als Druckmittel benutzte. Widerstrebend erkannte Bonn, dass die Bereinigung der leidigen Kriegsverbrecherfrage nur möglich war, wenn man zumindest den aus „typisch nationalsozialistischen“ (insbesondere rassischen) Gründen verfolgten Griechen Entschädigung gewähre. Diese wurde 1960 nach monatelangem Feilschen und Adenauers persönlicher Intervention auf 115 Millionen DM festgelegt.11 Als Gegenleistung hatte Griechenland bereits einige Monate zuvor – unter Mitwirkung des Vertrauensanwalts der Deutschen Botschaft! – zwei maßgeschneiderte Sondergesetze zur Aussetzung jeglicher Strafverfolgung von mutmaßlichen deutschen Kriegsverbrechern verabschiedet. So wurde der wenige Monate zuvor, nämlich am 5. März 1959, zu 25 Jahren Kerker verurteilte Merten aus der Haft entlassen und in einer Nacht-­und-­Nebel-­Aktion mit einer gecharterten Lufthansamaschine nach Deutschland überstellt, wo er eine generöse Haftentschädigung erhielt! Dessen ungeachtet begann der notorische Lügner,12 aus innenpolitischen Motiven von renommierten deutschen Zeitungen unterstützt, einen privaten „Rachefeldzug“ 13 mit doppelter Stoßrichtung: gegen die Regierung Karamanlis sowie bestimmte Bonner Kreise. Von diesen habe er während seiner Athener Haft angeblich keine hinreichende Unterstützung erhalten, obschon man „weit über 200.000  DM “ aus dem Bundesetat als „Rechtshilfekosten“ für ihn aufgebracht hatte. Die Ironie der Geschichte lag darin, dass beide Regierungen, die im anrüchigen Zusammenspiel für 11 Vgl. im vorliegenden Band „‚Wiedergutmachung‘ in Griechenland“. 12 Viele seiner Behauptungen spotten jeder Fantasie. Der Vf. ist im Besitz eines Aktenordners mit einschlägiger Korrespondenz Mertens. 13 AdR, BMAA , II . Pol: Österreichische Botschaft Athen, Zl. 27-POL  60, 1. 10. 1960: „Die Rache des Max Merten“.

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Merten die Grenze des juristisch und ethisch Erlaubten wiederholt überschritten hatten, nun dessen giftigen Dank zu spüren bekamen. Unterdessen hielt sich die Bundesrepublik nicht an ihre Zusage, Hunderte von „abgeschlossenen Ermittlungsverfahren“ weiterzuverfolgen; diese wanderten, wie schon zuvor 48 Zentner (!) von den Griechen übergebenes, oft handschriftliches Beweismaterial, unter fadenscheinigen Begründungen „z. d. A.“ (zu den Akten),14 oft auch direkt in den Reißwolf. Während die Bonner und Athener Regierungen 15 einer störenden Bereinigung ihrer Vergangenheit auszuweichen versuchten, demonstrierte die DDR stolz ihre „antifaschistische“ Un-­Schuld. Mit einer gewissen Verzögerung entstand in der letzten Bürgerkriegsphase auf Initiative der „Massenorganisationen“ und der Sozialistischen Einheitspartei SED am 9. November 1948 ein „Hilfskomitee für das demokratische Griechenland“ 16 als ­­Zeichen für den weitergehenden Widerstand gegen den neuen Feind: den angloamerikanischen Imperialismus und dessen griechische Lakaien, die ein gemeinsames Terrorregime installiert hätten. 1949/50 nahm die DDR 1128 Kinder aus kommunistischen Familien auf,17 nicht aber politische Flüchtlinge im Erwachsenenalter, um unerfreuliche Begegnungen ­zwischen ehemaligen Besatzern und Partisanen in Fabriken und Gaststätten des „Arbeiter- und Bauernstaats“ auszuschließen. Zugleich grenzte sich die DDR demonstrativ vom Demokratieverständnis der Bundesrepublik ab, indem ihre Justiz drei ehemalige Wehrmachtsangehörige wegen minderer Delikte im besetzten Griechenland aburteilte. Während ostdeutsche Medien und Organisationen 14 Zur weiteren Problematik vgl. Hagen Fleischer, Schuld ohne Sühne: Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Wolfram Wette; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, S. 208 – 221, sowie Hagen Fleischer „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474 – 534. 15 Die Indifferenz bzw. Befangenheit griechischer Staatsdiener in hohen Positionen manifestierte sich erneut 1975, als nach dem Bankrott der Junta der in die Regierungsverantwortung zurückgekehrte Karamanlis über seinen Justizminister Stefanakis anordnete, das umfangreiche Archiv des Kriegsverbrecherbüros einzustampfen. Der Befehl für diesen zumindest aus geschichtswissenschaftlicher Sicht verbrecherischen Akt wurde vom Vf. zum Beginn unseres Jahrtausends entdeckt und aufgedeckt, vgl. Fleischer, Die Kriege der Erinnerung, S. 533 f.; Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage, passim. Erst daraufhin konnten mit einem halben Jahrhundert Verspätung die beiden skandalösen de facto-­Amnestiegesetze von 1959 annuliert werden! (Regierungsanzeiger ΦΕΚ 80/26. 5. 2010, A’). 16 Bundesarchiv, Berlin (BArch): ZPA, I 2/3/111: SED, Personalpolitik Schi/Kg. 226/12. 11. 1948. 17 Emilia Rofousou, Οι πολιτιστικές και επιστημονικές σχέσεις ανάμεσα στην Ελλάδα και τη Γερμανική Λαοκρατική Δημοκρατία στην περίοδο 1949 – 1989 (Die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen ­zwischen Griechenland und der DDR, 1949 – 1989), Diss., Universität Athen/Saripoleio-­Stiftung, 2010, S. 161 f.

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die KZ-Insel Makronissos als „griechisches Dachau“ anprangerten, diente diese Bonn und Athen als Paradebeispiel für „humane Umerziehung“ von Kommunisten.18 Wie unterschiedlich die deutschen Staaten in ihrer Darstellung der „Kriegsereignisse“ agierten, wird aus ihren Publikationen zur griechischen Zeitgeschichte ersichtlich, die staatlich subventioniert wurden. In der Bundesrepublik finanzierte und lancierte das Auswärtige Amt die (nahezu unverkäufliche) Übersetzung der Erinnerungen von Ministerpräsident Alexandros Papagos 19 zum Krieg 1940/41. Unter der deutschen Besatzung war Papagos im Juni 1943 „vorbeugend“ verhaftet worden und blieb bis Kriegsende in Deutschland interniert, wenn auch „privilegiert“ behandelt in den für Prominente aus allen besetzten Ländern vorgesehenen Sonderlagern. In der Nachkriegszeit wurde er als Kämpfer gegen (braunen und roten) Totalitarismus gerühmt und war Premier einer eindeutig westlich orientierten Regierung. So war Papagos der wohl beliebteste ehemalige KZ -Häftling in Bonn,20 wo die „Liquidierung des Krieges und der damit zusammenhängenden Erinnerungen“ als Ziel der westdeutschen Griechenlandpolitik angestrebt wurde.21 Die DDR hatte entgegengesetzte Prioritäten, wie sich etwa bei der ideologischen Auslese zeigte, mit der KKE 22 und Ostberliner Akademie der Wissenschaften Ü ­ bersetzungen 18 Hagen Fleischer, Μακρόνησος 1950: Πρότυπο για τη Γερμανία του Ψυχρού Πολέμου; Αμερικανικοί προβληματισμοί και συνταγές για τη δημοκρατική ‚Αναμόρφωση‘ (Makronisos 1950. Modell für das Deutschland des Kalten Kriegs? US-amerikanische Überlegungen und Konzepte für demokratische ‚Umerziehung‘), in: Stratis Bournazos; Tasos ­Sakellaropoulos (Hg.), Ιστορικό Τοπίο και Μνήμη. Το παράδειγμα της Μακρονήσου (Geschichtsort und Erinnerung. Das Beispiel Makronissos), Athen: Philistor, 2000, S. 199 – 224; Hagen Fleischer, Post-­war relations between Greece and the German states: A Reevaluation in the Light of German Unification, in: The Southeast European Yearbook 1991 (1992), S. 163 – 178, hier: S. 164. 19 Alexandros Papagos, Griechenland im Kriege, 1940 – 1941, Bonn: Schimmelbusch & Co., 1954. 20 Vgl. Hagen Fleischer, KZ -Häftling und Partner. Einige Anmerkungen zu den wechselvollen Beziehungen des Generals Papagos zu Deutschland 1935 – 1955, in: Hellenika. Jahrbuch für Freunde Griechenlands, 1988, S. 95 – 105. Papagos wurde bei seinem sechstägigen Besuch in Deutschland – in Erwiderung einer Visite Adenauers drei Monate zuvor – in der vom französischen Botschafter nicht ohne Argwohn verfolgten deutschen Presse als „Widerstandskämpfer gegen totalitäre Aggressoren“ (Nazis und Kommunisten) gerühmt (Archives du Ministère des Affaires Etrangères (AMAE), Paris: Europe 1944 – 1960, vol. 138: Ambassade de France en Grèce, 16. 7. 1954). Auch die griechische Presse verfolgte aufmerksam die deutschen Verlautbarungen zur Kooperation „gegen den gemeinsamen Feind“ (Kathimerini, 2./4. Juli 1954, Ethnos, 30. Juni–6. Juli 1954). 21 Zit.: Fleischer, Der lange Schatten des Krieges, S. 218 und passim. 22 Anna Matthaiou; Popi Polemi, Η εκδοτική περιπέτεια των Ελλήνων κομμουνιστών. Από το Βουνό στην Υπερορία 1947 – 1968 (Das editorische Abenteuer der griechischen Kommunisten. Von den Bergen ins Exil 1947 – 1968), Athen: Vivliorama, 2003.

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ins Deutsche sowie Publikationen zur Besatzungszeit genehmigten und förderten. Spitzenwerte erhielten der Bericht von Stefanos Sarafis über den ELAS,23 der Bestseller „Leben auf Widerruf “ über das KZ Chaidari von Themis Kornaros,24 aber auch die von Elly Alexiou besorgte Anthologie zum Widerstand,25 in deren einführendem Text die Entscheidung der Akademie würdigend erwähnt ist. Mittels der Übersetzung und zweisprachigen Verbreitung solcher Werke wollte die DDR-Führung der eigenen wie auch der griechischen Bevölkerung die schrecklichen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in Erinnerung rufen, entsprechende Kontinuitäten in der „militaristischen und revanchistischen“ Entwicklung in Westdeutschland aufzeigen und zugleich den eigenen Staat als „besseres Deutschland“ präsentieren. Ähnliches hatten auch jene griechischen Genossen im Sinn, die belastende Details über die „westdeutsche Wirklichkeit“ nach Ostberlin weitergaben, gelegentlich etwas an der Wahrheit vorbei. So wurde Hans Speidel, Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte in Mitteleuropa, beschuldigt, an schweren Kriegsverbrechen im besetzten Griechenland beteiligt gewesen zu sein. Diese Behauptung beruhte auf der wohl willentlichen Verwechslung mit seinem Bruder Wilhelm, der tatsächlich Militärbefehlshaber Südgriechenland war, ab Herbst 1943 sogar mit auf ganz Griechenland ausgeweitetem Befehlsbereich. Als Gegenleistung verlangte die KKE wiederholt Angaben von der SED dazu, ­welche „wichtigen Persönlichkeiten Westdeutschlands“ während der Besatzungszeit in Unterdrückungsmaßnahmen involviert waren. Aber auch Vertreter der DDR-Wirtschaft (Handelskammer, Internationale Messe Thessaloniki etc.) ließen keine Gelegenheit ungenutzt, an NS-Verbrechen zu erinnern. So verwiesen sie etwa auf Jahrestage von Massakern und besuchten – was westdeutsche Diplomaten lange systematisch unterließen – Dörfer, die brutalen „Sühnemaßnahmen“ zum Opfer gefallen waren, namentlich Distomo und Chortiatis.26 Häufig erhielten oppositionelle Abgeordnete der Vereinigten Demokratischen Linken (Ενιαία Δημοκρατική Αριστερά, EDA) oder der Zentrumsunion (Ένωση Κέντρου), aber auch Exponenten des Widerstands eine Einladung nach Ostberlin, um dort ausgezeichnet zu werden.27 Ehemalige Wehrmachtssoldaten, die 1943/44 aus den „Strafbataillonen 999“ zu den ELAS-Andarten übergelaufen waren, wurden in der DDR herausgestellt. Prominente 23 Stefanis Sarafis, In den Bergen von Hellas, Berlin: Deutscher Militärverlag, 1964. 24 Themis Kornaros, Leben auf Widerruf, Berlin: Volk und Welt, 1964. 25 Elli Alexiou, Ανθολογία ελληνικής αντιστασιακής λογοτεχνίας 1941 – 1944 (Anthologie griechischer Widerstandsliteratur 1941 – 1944), Athen: Iridanos, 1965/1971 (dt. Das Mädchen mit dem Mond in der Hand. Neugriechische Erzählungen, hg. von Marika Mineemi, Berlin: Reclam 1965); vgl. auch die diesbezügliche Empfehlung des ZK der KKE an das ZK der SED (BArch, DY/30/IV A2/20, Bd. 498, 22. 8. 1962). 26 Fleischer, Post-­war Relations between Greece and the two German States, S. 173. 27 I Avgi, 15. 9. 1964/PAAA, B 26/254: 961/12. 10. 1964, u. a.; vgl. auch PAAA, MfAA, A 12492, 1960 passim.

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Fälle waren Dr. Falk Harnack und Gerhard Reinhardt 28, die Gründer des Antifaschistischen Komitees Freies Deutschland (AKFD) im Schoße von EAM/ELAS. Falk, der jüngere Bruder des 1942 exekutierten Arvid Harnack 29, entwickelte sich nach dem Krieg zu einem der talentiertesten Regisseure, zunächst in der DDR und – nach dem Verbot des Films „Das Beil von Wandsbek“, der aus der Sicht ostdeutscher Zensoren nicht ausreichend dem politischen Schwarz-­Weiß-­Schema entsprach – ab 1952 in Westberlin. Dort „outete“ er sich aber nicht zu seinem Lebensabschnitt als Deserteur in den Reihen des ELAS, da eine ­solche Enthüllung – jahrzehntelang – in krassem Widerspruch zum bundesrepublikanischen „Zeitgeist“ gestanden wäre. Erst im September 1987 erklärte sich Harnack bereit im Athener Goethe-­Institut die Ausstellung und Veranstaltungsreihe „Deutscher Widerstand im besetzten Griechenland“ 30 zu eröffnen, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht persönlich teilnehmen, kam jedoch einige Monate ­später zur analogen Veranstaltung am Institut in Saloniki. Die griechische Presse berichtete mit über 100 Artikeln weitgehend positiv über diese Initiative. Das Thema fand große Aufmerksamkeit, denn sowohl die Protagonisten – neben Harnack auch der sozialdemokratische Überläufer Ludwig Gehm und griechische Widerstandsveteranen – als auch die Themenstellung insgesamt passten nicht ins Deutschlandbild, das in Griechenland herrschte. Im Gegensatz zu Bonn versuchte die DDR, die düsteren Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus im griechischen Gedächtnis wachzuhalten. So prangerte Ostberlin den oft rüden Umgang mit griechischen Gastarbeitern in Westdeutschland an, nicht 28 Gerhard Reinhardt, Hellas stand auf wider die Barbaren, in: Neues Deutschland, 25. September 1966. – Reinhardt trat nach dem Krieg jahrzehntelang als Repräsentant der DDR international in Erscheinung, sogar als 1. Sekretär des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer und während der Militärdiktatur als Mitglied des „Komitees der Solidarität mit griechischen Patrioten“. Er starb im August 1989, wenige Wochen vor dem Fall der Berliner Mauer. 29 Einer der Hauptakteure des (von der Gestapo so benannten) losen Widerstandsnetzwerkes „Rote Kapelle“. 30 Die Ausstellung „Deutscher Widerstand im besetzten Griechenland“, 1987 an mehreren Orten Griechenlands als notwendige Ergänzung der allgemeinen Informationsausstellung „Deutscher Widerstand 1933 – 1945“ (Stuttgart: Institut für Auslandsbeziehungen, 1985) gezeigt, enthält Material u. a. aus dem Privatarchiv von Harnack, vgl. den gesonderten Katalog „Deutscher Widerstand im besetzten Griechenland“, hg. von Hagen Fleischer, Athen: Goethe-­Institut 1987; Grigoris Psallidas, Die Rezeption des deutschen Widerstands gegen Hitler in Griechenland, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.), Der deutsche Widerstand gegen Hitler, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002, S. 80 – 91; Eberhard Rondholz, Konstellation Kalter Krieg. Forschung und Geschichtspolitik zur deutschen Besatzung Griechenlands in der DDR, in: Kambas; Mitsou (Hg.), Die Okkupation Griechenlands, S. 187 – 197; Andrea Schellinger, Erinnerungskultur und institutionelle Kulturmittler. Paralipomena zur Rezeption von Besatzung und Widerstand im Athener Goethe-­Institut, ebd., S. 211 – 230.

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ohne die Anmerkung, dass der Verantwortliche für deren Anwerbung bereits 1941, unter Okkupationsbedingungen, die g­ leiche Funktion innegehabt hatte, nur dass damals der Euphemismus ‚Gastarbeiter‘ noch unbekannt war. Tatsächlich war Bonn in Sorge, die griechische Linke könnte in Verbindung mit preiswerten, aber publikumswirksamen Gesten der DDR weitere Kreise beeinflussen, und beschleunigte daher das ins Stocken geratene Thema individueller Entschädigungszahlungen.

Entschädigungen Das am 27. Februar 1953 nach langen Beratungen in London unterzeichnete „Abkommen über deutsche Auslandsschulden“ verwendete in Artikel 5, Absatz 2, eine bewusst schwammige Formulierung zur „Prüfung der während des Zweiten Weltkriegs entstandenen Forderungen“: Bis zur zeitlich unbestimmt belassenen „endgültigen Regelung der Reparationsfrage“ sollte die Prüfung „zurückgestellt“ werden.31 Die meisten Funktionsträger, Deutsche und ehemalige „Feindstaatler“, interpretierten diese orakelhafte Aussage als Hinweis auf eine eventuelle Wiedervereinigung, denn bekanntlich habe das ganze Deutschland den Krieg provoziert und nicht das halbe… Doch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges war es nur Phantasten möglich, sich Deutschland ungeteilt zu denken. Die Aussage wiederum, das Londoner Schuldenabkommen befasse sich nicht mit dem Thema der Reparationen, ignorierte dass genau diese Einstellung ein Maximum an Intervention bedeutete, da mit dem LSA eine von der Bundesrepublik und den USA unerwünschte Lösung blockiert wurde bis zum Sankt-­Nimmerleins-­Tag oder, wie es in Deutschland intern hoffnungsfroh kursierte, „ad calendas graecas“.32 Jahrzehntelang bediente sich Deutschland dieser den USA zu verdankenden „Rechtswohltat“,33 wie deutsche Diplomaten das Abkommen priesen. Lediglich bei einer Kategorie individueller Forderungen im Rahmen einer Initiative aller Weststaaten begann Bonn Ende der 1950er Jahre einzulenken. So gingen nach harten Verhandlungen 115 Millionen DM als „Wiedergutmachung“ für Opfer „nationalsozialistischer Verfolgungen“ an Griechen, die „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ verfolgt worden waren. Damit lag Griechenland immerhin an dritter Stelle der zwölf westeuropäischen Staaten – nach Frankreich mit 400 Mio. und den Niederlanden mit 125 Millionen DM –, mit denen Bonn ­zwischen 1959 und 1964 bilaterale „Global­abkommen“ in einer Gesamthöhe von 971 Millionen DM abschloss. An vierter Stelle folgte mit 95 Millionen DM ausgerechnet der ehemalige österreichische „Bruderstaat“– trotz 31 Bundesgesetzblatt, Jg. 1953, II, 27. 8. 1953, hier: S. 340. 32 Vgl. Kapitel „Wiedergutmachung“ in ­diesem Band. 33 PAAA , Ref. 507/1253, Deutsche Botschaft Luxemburg 269/9. 4. 1969 und zustimmende Antwort des AA-Reparationsexperten Dr. Rumpf.

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erheblicher Widerstände bis hinauf zu Bundeskanzler Adenauer; von d­ iesem wird die wohl authentische Äußerung kolportiert, die Österreicher könnten als Reparation höchstens „Adolfs Gebeine“ beanspruchen. Aber auch der ehemalige Achsenpartner Italien erhielt immerhin 40 Millionen DM.34 In beiden deutschen Staaten war die Erinnerungspolitik zur Besatzungsvergangenheit von jeweils internen Prioritäten geprägt. Einigkeit herrschte nur über den geostrategischen Aspekt, dass nämlich Griechenland das schwächste Glied in der westlichen Verteidigungskette war; doch die Schlussfolgerungen unterschieden sich: Der Bundesrepublik ging es um Unterstützung der im Westen eingebundenen Regierung Karamanlis, der DDR dagegen um deren Unterminierung.35

Die Mauer Das offizielle Athen ignorierte die ostdeutschen Sirenengesänge. Eine konstante Größe bildete der Widerwille konservativer Regierungen gegenüber dem dortigen System; er saß so tief, dass er sich nicht allein mit der ideologischen Kluft erklären lässt. Offensichtlich handelte es sich um ein Amalgam antikommunistischer und deutschfeindlicher Relikte. Doch unabhängig von spezifischen Sympathien oder Antipathien zerbröckelte mit Errichtung der „Schandmauer“ am 13. August 1961 jeglicher Nimbus des zweiten deutschen Staats. Im Folgejahr flüchtete Johannes Rehn, der hochqualifizierte zweite Mann der Athener DDR-Handelsvertretung, in den Westen.36 Die Mauer stand weiterhin symbolisch für die Isolation der Bürger, die hinter ihr lebten, und prägte nach wie vor die Außenwahrnehmung der DDR. Während der k­ urzen Regierungsphase der Zentrumsunion von 1963 bis 1965 änderte sich wenig. Doch der Obristenputsch im April 1967 bewirkte eine Zäsur. Davon betroffen war auch ein Joint-­Venture-­Projekt der Genossen in West und Ost für ein Dokudrama zum Merten-­Skandal, aus dem die Kumpanei westdeutscher und griechischer Rechtskreise erkenntlich würde. Den Handelsbeziehungen war die Diktatur nur zu Beginn abträglich, denn Ostberlin erkannte bald, dass die Bruderstaaten unter Missachtung des vereinbarten sozialistischen Embargos bereits dabei waren, mit der Junta gute Geschäfte zu machen. So kam es im Gefolge der Helsinki-­Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE ) sogar zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Doch erst 1974, nach dem Sturz der Junta, wurden Botschafter im jeweils 34 Vgl. Kapitel „Wiedergutmachung“ in ­diesem Band. 35 Ebd.; Vgl. auch Fleischer, Post-­war Relations between Greece and the two German States, S. 163 – 178; Hagen Fleischer, Vom Kalten Krieg zur ‚Neuen Ordnung‘ – Der Faktor Griechen­land in der deutschen Außenpolitik, in: Institute for Balkan Studies (Hg.), Die Balkanländer im Europa der Gegenwart, Thessaloniki: IMXA, 1994, S. 62 – 82. 36 Rofousou, Beziehungen, S. 178 f.

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anderen Land akkreditiert, und 1981 war Konstantinos Mitsotakis der erste griechische Minister, der Ostberlin einen Besuch abstattete. Informativ ist der streng geheime Rückblick „zur Vorlage für das Politbüro des ZK der SED zum Bericht über den Besuch A. ­Papandreous“ vom 23. Januar 1988: Die bilateralen Beziehungen ­zwischen der DDR und der Griechischen Republik haben sich seit 1981 spürbar belebt. In d­ iesem Zeitraum wurden wichtige Voraussetzungen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung stabiler Beziehungen der friedlichen Koexistenz, insbesondere die Fortführung des politischen Dialogs auf höchster Ebene, geschaffen. Eine positive Wirkung hat die Tatsache, dass sich alle im griechischen Parlament vertretenen Kräfte für die Entwicklung der Beziehungen zur DDR  – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – einsetzen. Höhepunkte in den politischen Beziehungen waren der erste offizielle Besuch eines griechischen Ministerpräsidenten 1984 in der DDR , der 1985 auf Einladung des griechischen Staatspräsidenten Sartzetakis erfolgte Staatsbesuch des Genossen Erich Honecker in Griechen­ land und die dabei mit Andreas Papandreou geführten Gespräche (in beiden Fällen erstmalig mit einem NATO -Land gemeinsame Kommuniqués vereinbart) sowie der Staatsbesuch von Präsident Sartzetakis 1986 in der DDR (erster offizieller Besuch des Staatsoberhauptes eines NATO -Staates). Weitere wichtige Aktivitäten waren die Begegnungen der Parlamentspräsidenten 1982 und 1983, regelmäßige Zusammenkünfte der Außenminister (…) sowie Gespräche Andreas Papandreous in Athen u. a. mit mehreren Mitgliedern des Politbüros des ZK der SED , zuletzt im Mai 1987 mit Hermann Axen. Im Jahre 1986 fanden in Athen Konsultationen ­zwischen den für UNO - und KSZE -Fragen zuständigen Abteilungen der beiden Außenministerien statt (im April bzw. im Oktober), die in Bezug auf die Zusammenarbeit in der UNO im Juni 1987 fortgesetzt wurden. Die operativen diplomatischen Beziehungen konnten durch die Akkreditierung eines Militärattachés (1985) der DDR in Griechenland ausgebaut werden.37

Bei dieser Besuchsdiplomatie geschah vieles erstmalig; beeindruckend war auch die Häufigkeit der Kontakte, z. B. ­zwischen Andreas Papandreou und Erich Honecker. Dem griechischen Ministerpräsidenten ging es darum, sich der gelegentlich erdrückenden Abhängigkeit vom westdeutschen Partner zu entwinden, während Honecker darauf spekulierte, im Westen des geteilten Europas einen Außenposten aufzubauen. Die neue Balancestrategie der PASOK wirkte mitunter irritierend auf die alten Partner; so verweigerte 1982 der griechische Parlamentspräsident Giannis Alevras bei einem Besuch der Bundesrepublik die von seinen Gastgebern programmierte Besichtigung der Berliner Mauer, um seine neuen Freunde auf deren anderer Seite nicht zu brüskieren. Parallel liefen Verhandlungen Ostberlins und Athens zum gesamten Spektrum 37 MfAA, ZR 5159/90, S. 18, eingesehen vom Vf. im Sommer 1990 im Zimmerchen für offizielle Besucher (mit drei Stühlen) neben dem „Panzerschrank-­Archiv“, nun wohl im PAAA, Berlin.

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der gegenseitigen Beziehungen. Am wenigsten erfolgreich waren die Gespräche zum Thema Reparationen aus dem Zweiten (und dem ­Ersten!) Weltkrieg, während die Entschädigungsforderungen für griechisches Vorkriegsvermögen auf ostdeutschem Territorium, das nach dem Krieg in „volkseigenen“ Besitz übergegangen war, in verschiedene Kategorien aufgeschlüsselt und z. T. befriedigt wurden.38 Positive Ergebnisse lieferte die Fortführung der kulturellen Beziehungen mit Mittlerpersonen wie dem Komponisten Mikis Theodorakis – sofern er sich nicht gerade mit den abgespaltenen „Revisionisten“ der „Inlands-­K P “ (KKE εσωτερικού) verbrüderte – oder dem in über 30 Sprachen übersetzten Schriftsteller Antonis Samarakis, der mit über einer Million in der DDR verkauften Exemplaren ein absoluter Bestsellerautor war.39 Schwieriger waren Kompromisse in der „Erbe“-Rezeption, etwa bei den Klassikern Schiller und Goethe, aber selbst bei Heinrich Schliemann.40 Dagegen fanden die Propagandisten einer sozialistisch geprägten deutschen Sonderkultur nicht einmal bei den griechischen Genossen Gehör. Die guten Beziehungen z­ wischen den Regierungsparteien SED und PASOK spielten eine entscheidende Rolle bei den Verhandlungen über die Lieferung von Telekommunikationstechnik im Wert von 7 Milliarden Drachmen an die staatliche Telefon­g esellschaft OTE zumindest bis 1989 über die Firma Intracom des langjährigen griechischen Vertrauensmannes der DDR (und der Stasi!) Sokratis Kokkalis.41 In Griechenland stieß das Angebot der DDR jedoch auf „den Widerstand der ausländischen Konzerne, vor allem Siemens“, aber auch bei Teilen der Nea Demokratia, der größten Oppositionspartei; er wurde nicht nur über die Presse, sondern erstmals auch im Parlament laut. Infolge der „direkten Intervention von Ministerpräsident Papandreou zu unseren Gunsten“ konnten jedoch alle Widerstände überwunden werden, wie Botschafter Brie konkludierte. Allerdings hatte Brie bereits in den Vormonaten gewarnt, „für die Folgejahre (seien) Aufträge in gleichem Umfang mit unserer gegenwärtigen Technik unwahrscheinlich“, zumal eben erst ein griechischer Großauftrag für 38 Vgl. Der Bundesbeauftragte für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehem. DDR , Zentralstelle Berlin (BStU), Rechtsstelle, Bd. 144; dort auch die ab 1981 als Antwort auf die griechischen Forderungen vorgebrachte Gegenforderung auf Schadenersatz für jahrzehntelange „Missachtung der Völkerrechtssubjektivität der DDR“, d. h. einer griechischen Komplizenschaft bei der Hallstein-­Doktrin. 39 Zur weiteren Thematik vgl. Rofousou, Beziehungen. 4 0 Bries neostalinistischer Vorgänger Ernst Kube legte 1979 einen Kranz an Schliemanns Grab nieder, um „öffentlich zu bekunden, dass dieser Humanist uns gehört, und ihn nicht der BRD zu überlassen“ (MfAA, ZR 1472/85, 6. 11. 1979). 41 Sohn des bekannten Chirurgen Petros Kokkalis, im Bürgerkrieg Minister für Gesundheit und Bildung in der kommunistischen Gegenregierung und ab 1957 Professor an der Humboldt-­ Universität. Über seine Tätigkeit als Informant der Stasi enthalten die Akten des Bundesbeauftragten aufschlussreiches Material.

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die Lieferung von Elektromotoren aus ostdeutscher Produktion mit einem doppelten Fiasko geendet hatte. Die neugelieferten Motoren mussten „100 %ig“ mit einem vorläufigen Verlust von 23 Millionen Mark (MDN ) ausgetauscht werden, wobei ein Teil „durch ernste Qualitätsprobleme erneut“ ausfiel. Die zunehmenden Probleme der DDR anstelle der erhofften „technologischen Weiterentwicklung“ hatten nicht nur verheerende volkswirtschaftliche Folgen, sondern waren auch dem „Ruf der DDR abträglich“. Da halfen selbst die „guten Beziehungen“ zur Regierungspartei PASOK höchstens, ein paar Aufträge an Land ziehen, nicht aber die Misere zu beheben. Für den jüdischen Kommunisten Brie blieb erneut nur die undankbare Rolle des Rufers in der Wüste.42

Dreieck im Dreieck Enge Beziehungen unterhielt die DDR zur KKE , die als linientreueste Bruderpartei im Westen galt. Beide waren sich einig in der Ablehnung der „opportunistischen Abweichung“ des Eurokommunismus, beide applaudierten dem „brüderlichen“ Einmarsch in die Tschechoslowakei im August 1968, die dem „Prager Frühling“ ein jähes Ende setzte. Zumeist kam die KKE den Wünschen ihrer höheren Kader nach, junge Verwandte mit Stipendien für Studien in der DDR auszustatten, aber auch Fortbildungsseminare für die Führungsebene bis hin zu Kursen über „marxistisch-­leninistische Ästhetik“ zu veranstalten. Nur selten kam bei den deutschen Genossen angesichts des übermäßigen ideologischen Eifers der Griechen Skepsis auf, etwa als der KKE Abgeordnete Stratis Korakas den Vorschlag unterbreitete, griechische Freiwillige in den Afghanistankrieg zu ­schicken, um so die dortige linkssozialistische Regierung und die Ende 1979 einmarschierten sowjetischen Truppen im Kampf gegen islamistische Mudschahedin zu unterstützen. Ein weiteres Beispiel von „Orthodoxie“, welches sogar die SED schockierte, betraf die Kommunistische Jugend Griechenlands (KNE ), die einen griechischen Auftritt zweier ostdeutscher Rockbands erbittert ablehnte, da in ihrem Weltbild Chimären wie „sozialistischer Rock“ nicht vorkamen. Nachhaltiger war die Verärgerung der KKE über die knallharte Realpolitik der Genossen aus dem Norden und deren Präferenz für ein pragmatisch motiviertes Verhältnis zur Regierungspartei PASOK .43 42 Vgl. Bries Warnungen an das MfAA, so etwa 24.2., 18.6. und 18. 11. 1987, alle in ZR 1755/88. Zu Brie, seiner Flucht vor den Nazis nach Prag, dem Exil in Großbritannien und der schwierigen Rückkehr nach Deutschland vgl. seine mitreißend geschriebenen Erinnerungen: Davids Odyssee. Eine deutsche Kindheit – eine jüdische Jugend, Berlin: Edition Ost, 1997; vgl. auch Anm. 47. 43 Fleischer, Post-­war Relations between Greece and the two German States, S. 169.

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Was die Anerkennung der Résistance und den Rückblick auf die Besatzungszeit anging, so stimmte das „linke Dreieck“ (KKE, PASOK, DDR) hinsichtlich des Endziels der anzustrebenden historischen Rechtfertigung und Rehabilitierung in vielen Punkten überein, wohingegen das heterogene westdeutsche Lager stärkere Differenzen aufwies. Als 1984 auf Initiative des Verfassers unter dem Vorsitz des unvergessenen Nikos Svoronos 44 erstmals auf griechischem Boden ein fünftägiger wissenschaftlicher Kongress über Metaxas-­Diktatur, Krieg und Widerstand stattfand, erging eine Einladung an beide deutsche Botschafter. Seitens der westdeutschen Vertretung erschien lediglich der Kulturreferent Löschner, und zwar nur zur schlagzeilenträchtigen Eröffnung mit Kulturministerin Melina Mercouri und anderen hochrangigen Besuchern. Neben einigen Merkwürdigkeiten, die es kaum verdienen, der Nachwelt überliefert zu werden, verhehlte Löschner nicht sein Unbehagen über unsere Thematik und Herangehensweise. Dagegen verfolgte Horst Brie, Veteran des antinazistischen Widerstands und DDR-Botschafter in Athen ( Juli 1983–März 1990), die Beiträge der meisten Teilnehmer mit überraschendem Interesse.45 Als undogmatischer Kopf hatte er auch in den Folgejahren keine Bedenken, neben dem neuen Botschafter der Bundesrepublik Rüdiger von Pachelbel bei gemeinsamen Aktivitäten aufzutreten. Dieser wiederum war im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger und manchen seiner Nachfolger kein Anhänger bequemen Vergessens. So zeigten beide Botschafter gemeinsam Präsenz bei den Jahrestagen des Massakers in Kalavryta. Zudem machte sich Pachelbel den Vorschlag des Verfassers zu eigen, Bundespräsident Weizsäcker möge bei seinem Staatsbesuch in Griechenland 1987 aller Besatzungsopfer am blutgetränkten Exekutionsplatz von Kaisariani gedenken.46 44 Der Vf. war stellvertretender Vorsitzender, Sekretäre waren Prokopis Papastratis und ­Giannis Roubatis. Vgl. Hagen Fleischer; Nikos Svoronos (Hg.), Η Ελλάδα 1936 – 1944. Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση. Πρακτικά Α΄ Διεθνούς Συνεδρίου Σύγχρονης Ιστορίας (Griechenland 1936 – 1944. Diktatur – Besatzung – Widerstand. Beiträge zum 1. Internationalen Kongress für Zeitgeschichte), Athen: Morfotiko Institouto ATE, 1989. 45 Bei den Recherchen zu ihrer vom Vf. betreuten Dissertation stieß Emilia Rofousou im Archiv der Akademie der Wissenschaften auf die Berichte der beiden Referenten aus der DDR, ­Johannes Irmscher und Dietrich Eichholtz, verfasst nach deren Rückkehr von unserem Kongress; vgl. auch Emilia Rofousou, Σοσιαλιστικές εκτιμήσεις για την καπιταλιστική Ελλάδα. Ο θεσμός των Reisekader της Γερμανικής Λαοκρατικής Δημοκρατίας (Sozialistische Einschätzungen des kapitalistischen Griechenlands. Die Institution der Reisekader in der Deutschen Demokratischen Republik), Archeiotaxio, Heft 8, Mai 2006, S. 160 – 172. 4 6 Beide Diplomaten „respektierten einander und suchten auch, ungeachtet (ihrer) unterschiedlichen Auffassungen, gemeinsame Gespräche: In Fragen, wo es um das Ansehen Deutschlands in Griechenland ging, bemühten wir uns gemeinsam zu handeln“. Auch nach der Pensionierung und bis zu ihrem Tod (2011 bzw. 2014) standen sie untereinander, aber auch mit dem Vf. in Verbindung. Vgl. Horst Brie, Erinnerungen eines linken Weltbürgers, Berlin: Dietz, 2006, S. 180, vgl. auch S. 151.

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Erneut: Entschädigungen Auf dem Hintergrund rasanter Entwicklungen in Leipzig und Berlin lief im Oktober 1989 das ambitionierte Athener Veranstaltungsprogramm zum 40-jährigen Bestehen der DDR ins Leere, nicht ohne eine goldfarbene griechische Gedenkmedaille zu hinterlassen. Auf den anschließenden Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung reagierte man in Griechenland positiver als in jedem anderen Land des Westbündnisses, will man dem Eurobarometer glauben. Doch schnell zeichnete sich ab, dass unerwartete Entwicklungen die seit der Londoner Konferenz 1953 „schlafenden“ Entschädigungsansprüche reaktivieren könnten. Allerdings verschanzten sich die Regierungen Kohl-­Schröder-­Merkel hinter dem unredlichen Argument, Entschädigungsansprüche ­seien nach einem halben Jahrhundert friedlicher Koexistenz anachronistisch. Dabei wurde verdrängt, dass die deutschen Vorgängerregierungen jeglichen Bereinigungsmöglichkeiten vorgebaut hatten; dies betraf auch den sogar von den NS-Behörden als „Reichsverschuldung“ bezeichneten Besatzungskredit. Die Haltung Berlins, sich weiterhin jedem Dialog darüber zu verweigern, stützt sich ausschließlich auf das Recht des Stärkeren. Aber das ist eine andere Geschichte, von der wir noch nicht wissen, inwieweit sie schon Geschichte geworden ist.

Literatur Alexiou, Elli, Ανθολογία ελληνικής αντιστασιακής λογοτεχνίας 1941 – 1944 (Anthologie griechischer Widerstandsliteratur 1941 – 1944), Athen: Iridanos, 1965/1971; dt. Das Mädchen mit dem Mond in der Hand. Neugriechische Erzählungen, hg. von Marika Mineemi, Berlin: Reclam 1965. Brie, Horst, Davids Odyssee. Eine deutsche Kindheit – eine jüdische Jugend, Berlin: Edition Ost, 1997. Brie, Horst, Erinnerungen eines linken Weltbürgers, Berlin: Dietz, 2006. Fleischer, Hagen (Hg.), Deutscher Widerstand im besetzten Griechenland, Athen: Goethe-­ Institut, 1987. Fleischer, Hagen, KZ-Häftling und Partner. Einige Anmerkungen zu den wechselvollen Beziehungen des Generals Papagos zu Deutschland 1935 – 1955, in: Hellenika. Jahrbuch für Freunde Griechenlands, 1988, S. 95 – 105. Fleischer, Hagen; Svoronos, Nikos (Hg.), Η Ελλάδα 1936 – 1944. Δικτατορία – Κατοχή – Αντίσταση. Πρακτικά Α΄ Διεθνούς Συνεδρίου Σύγχρονης Ιστορίας (Griechenland 1936 – 1944. Diktatur – Besatzung – Widerstand. Beiträge zum 1. Internationalen Kongress für Zeit­geschichte), Athen: Morfotiko Institouto ATE, 1989. Fleischer, Hagen, Post-­war relations between Greece and the two German states: A Reevaluation in the Light of German Unification, in: The Southeast European Yearbook 1991 (1992), S. 163 – 178. Fleischer, Hagen, Vom Kalten Krieg zur ‚Neuen Ordnung‘ – Der Faktor Griechenland in der deutschen Außenpolitik, in: Institute for Balkan Studies (Hg.), Die Balkanländer im Europa der Gegenwart, Thessaloniki: IMXA, 1994, S. 62 – 82. Fleischer, Hagen, Μακρόνησος 1950: Πρότυπο για τη Γερμανία του Ψυχρού Πολέμου; Αμερικανικοί προβληματισμοί και συνταγές για τη δημοκρατική ‚Αναμόρφωση‘ (Makronisos 1950. Modell

Das deutsch-griechische Dreieck | 289 für das Deutschland des Kalten Kriegs? US-amerikanische Überlegungen und Konzepte für demokratische ‚Umerziehung‘), in: Ιστορικό Τοπίο και Μνήμη. Το παράδειγμα της Μακρονήσου (Geschichtsort und Erinnerung. Das Beispiel Makronissos), hg. von Stratis Bournaros und Tasos Sakellaropoulos, Athen: Philistor, 2000, S. 199 – 224. Fleischer, Hagen, Schuld ohne Sühne: Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Wolfram Wette; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt: WBG, 2001, S. 208 – 221. Fleischer, Hagen, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474 – 534. Fleischer, Hagen; Konstantinakou, Despina, Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in: Hans Günter Hockerts et al. (Hg.), Grenzen der Wieder­ gutmachung: die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa, Göttingen: ­Wallstein, 2006, S. 375 – 457. Fleischer, Hagen, Οι πόλεμοι της Μνήμης (Die Kriege der Erinnerung), Athen: Nefeli, 2008. Fleischer, Hagen, Der lange Schatten der Vergangenheit und die griechischen Kalenden der deutschen Diplomatie, in: Chryssoula Kambas; Marilisa Mitsou (Hg.), Hellas verstehen. Deutsch-­griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert, Köln: Böhlau, 2010, S. 205 – 240. Kambas, Chryssoula; Mitsou, Marilisa (Hg.), Die Okkupation Griechenlands im Zweiten Weltkrieg. Griechische und deutsche Erinnerungskultur, Köln: Böhlau, 2015. Kornaros, Themis, Leben auf Widerruf, Berlin: Volk und Welt, 1964. Matthaiou, Anna; Polemi, Popi, Η εκδοτική περιπέτεια των Ελλήνων κομμουνιστών. Από το Βουνό στην Υπερορία 1947 – 1968 (Das editorische Abenteuer der griechischen Kommunisten. Von den Bergen ins Exil 1947 – 1968), Athen: Vivliorama, 2003. Papagos, Alexandros, Griechenland im Kriege, 1940 – 1941, Bonn: Schimmelbusch & Co., 1954. Psallidas, Grigoris, Die Rezeption des deutschen Widerstands gegen Hitler in Griechenland, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.), Der deutsche Widerstand gegen Hitler, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002, S. 80 – 91. Rofousou, Emilia, Σοσιαλιστικές εκτιμήσεις για την καπιταλιστική Ελλάδα. Ο θεσμός των Reise­kader της Γερμανικής Λαοκρατικής Δημοκρατίας (Sozialistische Einschätzungen des kapitalistischen Griechenlands. Die Institution der Reisekader in der Deutschen Demokratischen Republik), Archeiotaxio, Heft 8, Mai 2006, S. 160 – 172. Rofousou, Emilia, Οι πολιτιστικές και επιστημονικές σχέσεις ανάμεσα στην Ελλάδα και τη Γερμανική Λαοκρατική Δημοκρατία στην περίοδο 1949 – 1989 (Die kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen ­zwischen Griechenland und der DDR 1949 – 1989), Diss., Universität Athen/ Saripoleio-­Stiftung, 2010. Rondholz, Eberhard, Konstellation Kalter Krieg. Forschung und Geschichtspolitik zur deutschen Besatzung Griechenlands in der DDR, in: Die Okkupation Griechenlands, hg. von C. Kambas und M. Mitsou, Köln: Böhlau, 2015, S. 187 – 197. Sarafis, Stefanos, In den Bergen von Hellas, Berlin: Deutscher Militärverlag, 1964. Schellinger, Andrea, Erinnerungskultur und institutionelle Kulturmittler. Paralipomena zur Rezeption von Besatzung und Widerstand, in: Die Okkupation Griechenlands, hg. von C. Kambas und M. Mitsou, Köln: Böhlau, 2015, S. 211 – 230. Tsatsos, Konstantinos, Λογοδοσία μιας ζωής (Rechenschaft über ein Leben), Athen: Oi ekdoseis ton filon, 2000.

„Wiedergutmachung“ in Griechenland Ansprüche und erste Verhandlungen Die Bilanz der deutschen Okkupation Griechenlands (1941 – 1944/45) war blutiger als in allen anderen nichtslawischen Gebieten; zugleich zählte der – weitgehend von der Linken dominierte – griechische Widerstand zu den umfassendsten und schlagkräftigsten Bewegungen im besetzten Europa.1 Dennoch unterschied sich die Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit in Hellas fundamental von der Entwicklung in allen anderen ehemals okkupierten Ländern; der Grund hierfür lag im Bürgerkrieg, der phasenweise bereits während der Besatzungszeit ausgebrochen war, von 1946 bis 1949 das ganze Land erfasste und mit der militärischen Niederlage sowie der politisch-­sozialen Ausgrenzung nicht nur der Kommunisten, sondern der weiteren Linken endete. Der den Griechen auf der Pariser Reparationskonferenz vom Januar 1946 zugesprochene Anteil bewegte sich im niedrigen Promillebereich der angemeldeten Forderungen, so dass Athen das Abkommen erst ein Jahrzehnt s­ päter ratifizierte. Die geringen über die IARA (Inter-­Allied Reparation Agency) in den nächsten Jahren erhaltenen Leistungen verwendeten die wechselnden griechischen Regierungen nicht für individuelle Entschädigungen, sondern für den partiellen Wiederaufbau des zerstörten Landes. Die Opferverbände waren zudem eine schwache Lobby, da sie zumeist links ausgerichtet waren und somit am Rande der Legalität operierten. So gab es kein landeseigenes Gesetz, das explizit die Entschädigung von Besatzungsopfern vorsah – ein Grund mehr für die seit Gründung der Bundesrepublik konti­ nuierliche Zunahme der Forderungen griechischer Geschädigter an Bonn oder direkt an Kanzler Adenauer. Die Antworten kamen aus der vom Bundesfinanzministerium vorgegebenen brüsken Schablone mit kosmetischen Korrekturen des Auswärtigen Amts: „Auch in Deutschland [sind] die schweren Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges keineswegs beseitigt.“ Zudem bringe die Bundesrepublik ungeheure Summen für die Verteidigung der Freien Welt auf. Diese gewaltigen finanziellen Opfer kämen „indirekt allen freien Völkern zugute und dürften somit im Endeffekt wertvoller sein als die Finanzierung von Einzelmaßnahmen zur Wiedergutmachung 1 Fleischer, Im Kreuzschatten, vgl. Anm. 5, S. 7. – Das Aktenmaterial aus deutschen, griechischen und anderen Archiven, das von mir bzw. einer studentischen Mitarbeiterin und späteren Doktorandin in der vorliegenden Studie ausgewertet wurde, findet sich detailliert dokumentiert in: Hagen Fleischer, Despina Konstantinakou, Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in: Hans-­Günter Hockerts u. a. (Hg.), ­Grenzen der Wieder­g utmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa, 1945 – 2000, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 375 – 457.

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geschehenen Unrechts“.2 Im Übrigen verpflichte das Pariser Abkommen jedes Land, seine Anspruchsberechtigten aus dem eigenen Reparationsanteil zu entschädigen, während das Londoner Schuldenabkommen (LSA ) von 1953 even­tuelle weitere deutsche Leistungen „bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage“ zurückstelle.3 Das Bundesfinanzministerium zeigte sogar Interesse an einer restitutio reversa: Als die Presse meldete, in Griechenland werde nach einem Schatz gesucht, den marodierende Wehrmachtsoffiziere vor dem deutschen Abzug 1944 für bessere Zeiten vergraben hätten, bat das Bundesfinanzministerium das Auswärtige Amt, eruieren zu lassen, „ob es sich bei den vergrabenen Goldmünzen um deutsches Reichsvermögen handelt und in welcher Weise d­ ieses nachgewiesen werden kann“!4 Ganz allgemein profitierte die Bundesrepublik nach Wiederaufnahme der Beziehungen nicht nur von der traditionellen deutschen Position als wichtigster Markt für den griechischen Export, sondern auch von der radikalen Verschiebung des Feindbildes.5 Als „Frontstaat“ befand sie sich mittlerweile im gleichen Lager wie die Sieger des griechischen Bürgerkriegs, mit denen sich die neue Waffenbrüderschaft gegen den Weltkommunismus beschwören ließ. Die innenpolitisch motivierte Behauptung König Pauls, der zufolge der „Bandenkrieg“ gegen die linken Partisanen mehr Opfer verursacht habe als die Besatzungszeit, gehörte bald zu den Lieblingszitaten bundesdeutscher Diplomaten. So kennt der Verfasser nur zwei Fälle Bonner ‚Wiedergutmachung‘ in den Fünfzigerjahren: Ein zumindest zeitweise verschollener 50.000-DM-Scheck Adenauers an Königin Friederike bei seinem Staatsbesuch 1954, bestimmt für Kalavryta, wo 1943 das quantitativ schlimmste deutsche Massaker gegen Griechen stattfand. Ferner zweimal 4000 DM für die deutsche Edition der Kriegsmemoiren 1940/41 (also ohne die Okkupationszeit) des Nachkriegspremiers Feldmarschall Alexandros Papagos, von 1943

2 Siehe Hagen Fleischer, Der Neubeginn in den deutsch-­griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit, in: Institute for Balkan Studies (Hg.): Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, Thessaloniki: IMXA, 1991, S. 81 – 108; erw. Fassung in: Thetis, Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie Griechenlands und Zyperns 10, 2003, S. 191 – 204. 3 Das LSA war ein zentrales Ereignis der bundesdeutschen Geschichte, umso merkwürdiger ist es, dass über ein halbes Jahrhundert verging, bis die erste Monografie dazu erschien: Ursula Rombeck-­Jaschinski, Das Londoner Schuldenabkommen. Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg. München: Oldenbourg, 2005. Auch der Vf. plant weiterhin, seine umfangreichen Recherchen an westalliierten und deutschen Archiven zu reparationsrelevanten Aspekten des LSA für eine ergänzende Studie zu ­nutzen. 4 General-­Anzeiger, Bonn, 28./29. November 1953; BMF 19. 12. 1953: PAAA, B 86/700. 5 Hagen Fleischer, Die „Viehmenschen“ und das „Sauvolk“. Feindbilder einer dreifachen Okkupation: Der Fall Griechenland, in: Wolfgang Benz u. a. (Hg.), Kultur – Propaganda – Öffentlichkeit. Intentionen deutscher Besatzungspolitik und Reaktionen auf die Okkupation, Berlin: Metropol, 1998, S. 135 – 169.

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bis 1945 KZ-Häftling in der Prominentensektion: Diese Art von „Wiedergutmachung“ war billiger, ohne präjudizielles Risiko und versprach weit bessere Rendite als Zahlungen an entlegene Bergdörfer, die im Zuge der „Bandenbekämpfung“ zerstört worden waren und daher bei den Athener Regierenden a priori im Verdacht aufrührerischer und linker Gesinnung standen. Unter solchen Vorzeichen beteiligte sich Athen 1956 nur zögernd an der bahnbrechenden Démarche der acht Westmächte, die auf Entschädigungszahlungen für NS -Unrecht drängten. Bereits wenige Monate ­später machte der Leiter des Nationalen Hellenischen Büros zur Verfolgung der Kriegsverbrechen, Andreas Tousis, den ersten Schritt zur Umwandlung der Wiedergutmachungsfrage von einem multilateralen in ein bilaterales Verhandlungsthema. Nach Übergabe einer zweiten Tranche von Verfahrensakten gegen 641 mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher an die mäßig, sofern überhaupt interessierte deutsche Justiz versuchte er, Bonn zu einer Gegenleistung für die griechischen Opfer zu bewegen – mit dem denkwürdigen Argument, die Bundesrepublik werde allein schon durch das Nichtstattfinden aufwendiger Kriegsverbrecherprozesse Millionen einsparen. Die deutsche Seite ignorierte jedoch den Vorschlag und mokierte sich, dass die „händlerischen“ Griechen für die von ihnen verlangte Sekundanz bei einer geräuschlosen „Endlösung“ [sic] des „sogenannten Kriegsverbrecherproblems“ 6 „Gegenvorteile“ herausschlagen wollten. Als dann auf Tousis’ Veranlassung im April 1957 der inkriminierte Westberliner Rechtsanwalt Dr. Max Merten bei einer Visite an seinem früheren Wirkungsort als Kriegsverbrecher verhaftetet wurde, folgerten Bonns Bürokraten in vertrauter Denkweise, bei anhaltender griechischer Unbotmäßigkeit „dürfte es notwendig sein, gegenüber Griechenland Repressalien vorzunehmen“.7 Erst zwei Jahre ­später kam es zur ersten Runde der Bonner Wiedergutmachungsverhandlungen, in einer „nicht immer freundschaftlichen Atmosphäre“, wie von deutscher Seite pikiert angemerkt wurde.8 Tatsächlich empörte sich die griechische Delegation wiederholt zu Recht, etwa als die Existenz zahlreicher Konzentrationslager in ihrem besetzten Land von den Gastgebern wiederholt in Abrede gestellt wurde. Letztere bemängelten die ungenügend dokumentierten Opferzahlen, woraufhin die Gäste aus

6 Hagen Fleischer, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474 – 534, insbesondere S. 498. 7 Hagen Fleischer, Kriegsverbrechen in Griechenland: Schuld ohne Sühne, in: Wolfram Wette; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, S. 208 – 221, hier: S. 216. 8 Vgl. Niederschrift über die deutsch-­griechischen Verhandlungen in der Wiedergutmachungsfrage vom 4. bis 6. Mai 1959: PAAA, B 81/203.

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Athen bedauerten, dass es in ihrem Land „keine Archive“ gebe – zweifelsohne eine Übertreibung, zugleich aber ein Defizit, das jahrzehntelang die Forschung beeinträchtigte. Der Abbruch der Verhandlungen provozierte erbitterte Reaktionen seitens der griechischen Opfervereine und der zahlreichen Märtyrerorte wie Kalavryta und Distomo.9 Die deutsche Botschaft in Athen registrierte das Anbranden einer neuen antideutschen Welle – auch im Zusammenhang mit Mertens eben erfolgter Verurteilung zu 25 Jahren Zuchthaushaft. Zudem entrüsteten sich immer mehr Griechen über die Bonner Vermeidungsstrategie mittels der rabulistischen Definition von „typischem NS-Unrecht“, die den deutschen Besatzungsterror größtenteils in den nicht zu entschädigenden Bereich der „Kriegsführung“ abschrieb. Dabei zeigt eine vergleichende Aufschlüsselung der Besatzungsverluste an Leib und Leben, dass die sogenannten Sühnemaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung in Griechenland quantitativ und „qualitativ“ weit höher war als in allen anderen betroffenen „West-­Staaten“. Hunderte von „bandenverdächtigen“ Ortschaften waren zerstört und die meisten der dort vorgefundenen Männer massakriert worden, wiederholt auch Frauen und Kinder. So gab es heftigen Widerspruch, als im Oktober 1959 die Regierung Karamanlis auf massiven deutschen Druck ein Gesetz zur Überstellung aller Kriegsverbrecherverfahren an die Bundesrepublik durchsetzte. Aber auch der deutsche Botschafter Gebhard Seelos 10 drängte, als Gegenleistung für das erzwungene griechische Entgegenkommen zunächst die Entschädigungsfrage zu lösen, andernfalls werde diese auf alle anstehenden bilateralen ­Themen ihren düsteren Schatten werfen (deutsches Vorkriegsvermögen; Kriegsgräberabkommen, Kultur etc.). Alarmierend für Bonn wirkten auch Meldungen, Ostberlin sei „grundsätzlich“ bereit zu Entschädigungen an Griechenland, vorherige diplomatische Anerkennung vorausgesetzt. Schützenhilfe erhielt die DDR zudem von der linksextremen EDA-Partei, die bei den griechischen Wahlen von 1958 sensationell mit 25 Prozent zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen war. In allen westlichen Hauptstädten fürchtete man daher eine ideologische „Aufweichung“ der NATO-Südostflanke, wobei der Frust Athens über die Haltung der NATO im Zypernkonflikt mitspielte: Eben deshalb sollte der innenpolitisch „labilen“ Regierung Karamanlis mit einem außenpolitischen Erfolg der Rücken gestärkt werden, 9 Vgl. die Beiträge in: Loukia Droulia; Hagen Fleischer (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, ­Berlin: Metropol, 1999; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003; Hermann Frank Meyer, Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jäger-­Division durch Serbien und Griechenland. Mannheim/Möhnesee: Bibliopolis, 2002. 10 Der katholisch-­konservative Seelos war im Gegensatz zu seinen unmittelbaren Nachfolgern Melchers und Schlitter nie NSDAP -Mitglied, hatte vielmehr wegen seiner Kontakte zum Widerstand mehrmalige Karrierebrüche erlitten. Nach seiner Rehabilitierung 1945 sowie seiner Wahl 1949 in den Bundestag mit der Bayernpartei kehrte er erst 1953 in den diplomatischen Dienst zurück.

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denn „schon eine Neutralität Griechenlands würde zu einer strategischen Isolierung der Türkei führen und das gesamte Verteidigungssystem des Westens im Mittelmeerraum (…) erheblich schwächen“. In Ostberlin hingegen sah man ebenfalls Griechenland als schwächstes Glied der gegnerischen Allianz, doch so fest eingebunden, dass ein Herausbrechen höchstens mittelfristig erreichbar schien. Im Rahmen der diesbezüglichen Strategie instrumentalisierte die DDR die jüngste Vergangenheit: So gab das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten die Direktive aus, „ausgehend von den Erfahrungen des griechischen Volkes mit dem deutschen Faschismus die militaristische Entwicklung in Westdeutschland zu entlarven“. Als Hebelpunkte dienten die Opfergemeinden, derer sich offizielle bundesdeutsche Stellen zuvor höchst selten erinnert hatten, insbesondere mit dem Rat an Touristen, nicht hinzufahren. Nun stießen DDR-Vertreter in die Bresche: fast ohne Devisen, doch mit Kranzniederlegungen, Ordensverleihungen, symbolischen Geschenken, Antikriegspathos und Seitenhieben gegen den westdeutschen Staat und manche seiner führenden Politiker mit braunen Flecken in ihrer Vita. Bald registrierte das AA erbost, die Rivalen im Osten wühlten gezielt Erinnerungen an „Nazi-­Grausamkeiten“ auf, um Bonn zu schaden – sekundiert von den griechischen Kommunisten, die auf diese Weise von „eigenen Schandtaten“ ablenken wollten.11 Tatsächlich hatten bei der Rollenverteilung innerhalb des Warschauer Paktes Bukarest und Sofia die Aufgabe erhalten, die griechische Öffentlichkeit psychologisch mit Friedensinitiativen, wie der atomwaffenfreien Zone auf dem Balkan, zu beschäftigen, während die DDR den bundesdeutschen Einfluss auf allen Ebenen schmälern sollte.12 Währenddessen diskutierte man in Bonn auf Krisensitzungen und mit Strategiepapieren Methoden einer effektiven Gegenpropaganda. Neben einem günstigen Bescheid im anstehenden Entschädigungs-­Abkommen wurden für die nicht berücksichtigten „kriegsgeschädigten“ Ortschaften besondere Hilfsmaßnahmen vorgeschlagen, so etwa Sammelaktionen alter Kleider, Übersendung von Weihnachtspaketen, „Spiel- und Turngerät“ sowie Priorität bei der laufenden Anwerbung von Gastarbeitern. Allerdings plädierten einige einsichtige Amtsträger dafür, die schlimmsten Massaker in die Entschädigung einzubeziehen, da es sich hier eben nicht um militärische Maßnahmen gehandelt habe. Vielmehr sei es im Interesse der Bundesrepublik, wenn jene „barbarischen, mit keinem

11 Zum Obigen: Hagen Fleischer, Post War Relations between Greece and the two German States: A Reevaluation in the Light of German Unification. German Unification. In: The Southeast European Yearbook 1991, Athen: ELIAMEP, 1992, S. 163 – 178; ders., Vom Kalten Krieg zur ‚Neuen Ordnung‘ – Der Faktor Griechenland in der deutschen Außenpolitik, in: Institute for Balkan Studies (Hg.), Die Balkanländer im Europa der Gegenwart, Thessa­ loniki: IMXA, 1994, S. 63 – 82, insbesondere S. 71 – 73; Fleischer/­Konstantinakou, Ad calendas graecas?, S. 411 ff. 12 SED , Büro für internationale Zusammenarbeit Abt. Information, Panzerschranksache 10. 12. 1959 (Fleischer, Vom Kalten Krieg, S. 70).

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Kriegsrecht zu vereinbarenden Metzeleien“ als „ausgesprochen nationalsozialistisches Unrecht“ angesehen würden, was sie ja auch gewesen ­seien. Diese Vorschläge fanden aber bei den verantwortlichen Stellen kein Gehör: Lieber griff man erneut zum Holzhammer wirtschaftspolitischer Erpressung. So wurde dem griechischen und aktiv deutschfreundlichen Vizepremier Panagiotis Kanellopoulos sogar „vertraulich“ bedeutet, die griechischen Ambitionen auf Assoziierung mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) „nicht durch übermäßige Wiedergutmachungsansprüche zu erschweren“.13

Der Durchbruch Doch diesmal gab die griechische Seite trotz zunehmender Pressionen nicht nach. Als die Verhandlungen im Februar 1960 wieder aufgenommen wurden, wies der griechische Delegationsleiter Botschafter Konstantinos Tranos das auf 60 Millionen DM eingefrorene deutsche Angebot erneut zurück: Das Bekanntwerden derart inadäquater Offerten müsste die Beziehungen „in katastrophaler Weise“ beeinträchtigen, zumal sich angesichts der immensen Besatzungsschäden die Erwartungen der griechischen Öffentlichkeit in weit höheren Dimensionen bewegten. Er habe Weisung, das Limit von 120 Millionen keinesfalls zu unterschreiten, persönlich aber hoffe er, „seine Regierung zu einem Nachgeben auf 115 Mio. zu bewegen“. Auch deutsche Diplomaten vertraten die Ansicht, eine allzu geringe Entschädigung könne das Verhältnis der beiden Länder schwer belasten und zugleich in Griechenland die Position der Bundesrepublik und des Westens allgemein zugunsten des Ostblocks unterminieren. Auch Karamanlis, der im westlichen Bündnis wie auch in der Deutschlandfrage stets eine loyale Haltung bewiesen habe, benötige ein positives Verhandlungsergebnis, das der zu erwartenden Kritik der Opposition keine Angriffsflächen biete. Für den Ausgang des innergriechischen Tauziehens um die außenpolitische Orientierung, zum Westen oder zu einem trügerischen Neutralitätskurs hin, sei der „psychologische Erfolg oder Misserfolg der deutschen Wiedergutmachung von nicht hoch genug zu schätzender Bedeutung“. Aber auch die darauf erfolgende Erhöhung der deutschen Offerte auf 100 Millionen DM wurde von Athen zurückgewiesen. Während bereits der Abbruch der Verhandlungen erwogen wurde, erwirkte der griechische Botschafter ­Thomas Ypsilantis als „letzten Versuch“ eine Audienz beim Kanzler und in deren Folge eine Sondersitzung des Kabinetts unter Teilnahme Adenauers – eine seiner seltenen Interventionen in einer ihn ansonsten nicht übermäßig interessierenden Sache. Nach „eingehender Diskussion“ wurde beschlossen, auf der Basis eines Betrags von 100 Millionen

13 Aufzeichnung für Besuch Kanellopoulos, 8./9. 1. 1960, PAAA, B 26/66; ebenso Interview Vf. mit Kanellopoulos, 1985.

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DM weiterzuverhandeln; nur falls die Griechen auf ihren höheren Forderungen bestün-

den, sei ihnen bis zum äußersten Limit von 115 Millionen entgegenzukommen.14 So kam es zur in der Geschichte der Globalabkommen einmaligen Verdoppelung des deutschen Angebots binnen eines Monats, trotz erbitterten Widerstands des Bundes­ finanzministeriums. Erst dann erklärte sich Athen bereit, Maßnahmen zu ergreifen bzw. zu beschleunigen, um die nach 1945 in Griechenland beschlagnahmten deutschen Vermögenswerte freizugeben. Am 18. März 1960 unterzeichneten Staatssekretär Albert Hilger van Scherpenberg und Ypsilantis den Vertrag über deutsche Zahlungen in Höhe von 115 Millionen DM „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen griechischen Staatsangehörigen, die (…) Freiheitsschäden oder Gesundheitsschäden erlitten haben, sowie (…) zugunsten der Hinterbliebenen der im Rahmen dieser Verfolgungsmaßnahmen“ Ermordeten.15 Wunschgemäß konnte die Regierung Karamanlis die in vier Tranchen zu überweisende Entschädigung nach eigenem Ermessen verteilen. Der Vertrag wurde durch einen Briefwechsel z­ wischen Scherpenberg und Ypsilantis ergänzt. Der Staatssekretär brachte dabei die Erwartung der Bundesregierung zum Ausdruck, die griechische Regierung werde künftig keine weiteren Ansprüche erheben. Auffällig ist die Auslassung in seinem Schreiben der ansonsten überstrapazierten Einschränkung „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung“ – als ­seien mit der Pauschale sämtliche Entschädigungsfragen geregelt. Die Griechen ließen sich jedoch nicht übertölpeln, und in seiner Replik stellte Ypsilantis klar, dass seine Regierung sich weiterhin vorbehalte, mit dem Verlangen nach Regelung weiterer Forderungen, die aus nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen während Kriegs- und Besatzungszeit herrühren, bei einer allgemeinen Prüfung gemäß Artikel 5 Abs. 2 des Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 27. ­Februar 1953 heranzutreten.16

In den westlichen Hauptstädten wurde das Abkommen als günstig für Griechenland angesehen.17 Dennoch war die ausgehandelte Pauschale niedrig, berücksichtigt man

14 Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, hg. für das Bundesarchiv von Hartmut Weber, Bd. 13, München: Oldenbourg, 2003, S. 128 f. 15 Gesetz zu dem Vertrag vom 18. März 1960 ­zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind. In. Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1961, Teil II, 21. 9. 1961, S. 1596 – 1598. 16 Ypsilantis an van Scherpenberg, 18. 3. 1960, Bundesgesetzblatt, 1961 II, S. 49. 17 Vgl. Französische Botschaft Athen an Couve de Murville, 31. 3. 1960, AMAE , EU  44 – 70, Allemagne, vol. 1233.

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das Ausmaß des Besatzungsterrors in Griechenland, auch wenn nur die von deutscher Seite vorgegebenen Opferkategorien für Entschädigung in Betracht gezogen werden. Ganz allgemein wogen das politische Gewicht des jeweiligen Verhandlungspartners sowie die aktuelle strategische Notwendigkeit weit schwerer als die Zahlenspielereien und Kopfquoten der deutschen Ministerialbürokratie, w ­ elche die Gläubigerstaaten gegeneinander auszuspielen hoffte. Der „politische Zuschlag“ für Griechenland war jedenfalls weit höher, als für ein nicht sonderlich geschätztes Land der Peripherie zu erwarten gewesen wäre. Doch im März 1960 hatten bilaterale wie bündnispolitische Erwägungen den Ausschlag für die Verdoppelung zu zwölfter Stunde gegeben.

Gesetzliche Regelung in Griechenland Am 25. Juli 1961 ratifizierte das griechische Parlament das umstrittene Gesetz.18 Die Regierung Karamanlis betonte, die deutschen Leistungen erfolgten in „Ausführung einer Sonderpflicht“, hätten keinen Reparationscharakter und deckten nicht die sonstigen zahl- und umfangreichen Forderungen Griechenlands. Deswegen verfolge man „kontinuierlich die Entwicklung der internationalen Lage“, um gegebenenfalls weitere Ansprüche „rechtzeitig zu stellen“. Laut Gesetz wurde die Entschädigung für gewaltsamen Tod auf 35.000 Drachmen (1  DM  = 7,5 Dr.) festgesetzt, jene für Invalidität gestaffelt weniger. Den ehemals in Konzentrationslager außer Landes Verschleppten wurde eine Entschädigung von 1000 Drachmen pro Haftmonat zugesagt, den in Griechenland Inhaftierten die Hälfte, sofern die Haft sechs Monate überschritten hatte. Für vor Inkrafttreten des Gesetzes verstorbene Häftlinge erlosch der Anspruch und war nicht übertragbar. Bei mehreren Ansprüchen derselben Person durfte die Gesamtentschädigung 70.000 Drachmen nicht übersteigen. Nach einem bemerkenswerten Wettlauf gegen die Zeit und Widerstände in beiden Ländern gelang es, die Ratifikation vor der saisonbedingten Auflösung der Parlamente in Bonn und Athen „durchzubringen“. Am 20. Oktober 1961 trat der Vertrag in Kraft. Bald zeigte sich, dass die Regierung Karamanlis bei Festlegung der Quoten die Zahl der Berechtigten viel zu niedrig eingeschätzt hatte. Angesichts einer Dunkelziffer noch schwebender nachgereichter Anträge, namentlich von im Ausland wohnenden Juden, erhielten die anerkannten Aspiranten „vorerst“ 55 Prozent der vorgesehenen Beträge. Erneut protestierten Oppositionsparteien, Opferverbände sowie Gemeinderäte und Lokalpresse der Märtyrerorte. Namentlich die von Bonn durchgesetzte Differenzierung ­zwischen begünstigten und exkludierten Opferkategorien fand weder begrifflich noch moralisch Verständnis. Allerdings betrieb Athen unter der Hand eine Umverteilung, 18 N. D. 4178/21. 8. 1961, in: Efimeris tis Kyverniseos tou Vasileiou tis Ellados, 24. August 1961/I, Nr. 133.

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unter Nutzung des vertraglich zugestandenen Ermessensspielraums. Nach deutschem Verständnis zumindest gab es in Griechenland kaum Verfolgte aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen, zumal die Kommunisten weitgehend ignoriert wurden. Die Entschädigungen hätten sich somit vor allem auf die wenigen Tausend überlebenden griechischen Juden beschränkt. Diese waren aus wahlarithmetischen Gründen für die Regierung nur von sekundärem Interesse, doch da Bonn eben dieser mit dem Abkommen Hilfestellung leisten wollte, wurden die vorgebrachten jüdischen Proteste nur begrenzt aufgegriffen. Probleme gab es namentlich mit jenen Verfolgten, ­welche die griechische Staatsangehörigkeit nie besessen hatten oder nicht mehr besaßen. Athen versuchte, Bonn für den eigenen Standpunkt zu gewinnen, indem es den bewährten kommunistischen Pferdefuß ins Spiel brachte: Bei Aufhebung der Ausschlussklausel sei zu befürchten, dass „Tausende von Kommunisten“, die infolge des Bürgerkriegs ihre griechische Staatsbürgerschaft eingebüßt hatten, „Ansprüche aus der Besatzungszeit“ anmeldeten. Bonn zeigte Verständnis, mahnte jedoch vorsichtig, die ­gleiche Logik nicht gegenüber den Juden der während der Verfolgungszeit italienischen Dodekanes oder gegenüber den Ausgewanderten anzuwenden, die ihre griechische Staatsbürgerschaft hatten aufgeben müssen. Tatsächlich aber waren die jüdischen (und viele andere) Gravamina nur zum Teil berechtigt. Dem Verfasser war es nach mehrmonatiger Suche gelungen, das verschollene Verzeichnis der insgesamt 96.880 bewilligten Antragsteller ausfindig zu machen. Eine kursorische Überprüfung der Listen ergab, dass kaum vier Prozent den Entschädigungs-­ Höchstbetrag (ca. 5500 DM) erhalten hatten, der zwei ermordeten Verwandten ersten Grades entsprach. Diese Entschädigungs-„Aristokratie“ rekrutierte sich aber nicht aus der Klientel der Regierungspartei, wie oft behauptet wurde, sondern zu annähernd 90 Prozent aus sephardischen Juden, wie eine Durchsicht der Namen ergab.19 Die nichtjüdischen Empfänger waren klar in der Mehrzahl, doch die meisten von ihnen erhielten nur Summen bis zu 15 Prozent der Maximalentschädigung. Von den Nichtjuden, denen der Höchstbetrag als Entschädigung zugebilligt wurde, stammte ein beträcht­ licher Prozentsatz aus den wohlbekannten Massakerorten, die im Rahmen von „Kriegshandlungen“ zerstört und entvölkert wurden. Dieses Prozedere lief freilich den von der Bonner Bürokratie festgelegten Bestimmungen zuwider, war aber im griechischen Kontext unabdingbar. Im Normalfall wurden nur „zivile“ Opfer entschädigt, denn das Verteilungsgesetz exkludierte explizit jene, die infolge ihrer Teilnahme am bewaffneten Widerstand zu Schaden gekommen waren. Ohnehin waren sich Bonn und Athen 19 Der jüdische Anteil unter den Entschädigten ist in Wirklichkeit noch höher, da die Roma­ nioten – die Juden aus den graecophonen Gemeinden, deren Anfänge auf die Antike zurückgehen – nicht aufgrund ihrer Namen identifiziert werden können. Diese Minderheit der Minder­heit hatte allerdings weit geringere Verlustquoten zu beklagen, da sie weit besser assimiliert war und sich fast nur durch die Religion von der Mehrheitsbevölkerung unterschied.

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unausgesprochen in der weitgehenden Ignorierung jener Opfer einig, die dem Milieu des kommunistisch-­dominierten Widerstands entstammten; das fiel leicht bei den Zehntausenden, die in die Volksdemokratien geflüchtet waren, sowie bei jenen, die von der griechischen Bürgerkriegsjustiz zum Tode oder zu Kerker verurteilt waren. So war es für den Verfasser eine erfreuliche Überraschung, als er bei seiner vergleichenden Überprüfung von Hunderten, namentlich bekannten, in den letzten Besatzungsmonaten bei Razzien in den „roten“ Vororten der griechischen Hauptstadt Festgenommenen und nach Deutschland zur Zwangsarbeit Entführten, relativ viele in den Listen der 96.880 anerkannten Entschädigungsberechtigten wiederentdeckte. Auf Grund des Verteilungsgesetzes vom August 1961 hatten zahlreiche Geschädigte wiederholt die Restsumme von 45 Prozent gefordert. Doch erst ab 1977 zahlte die Athener Regierung – wieder unter Karamanlis – allen Berechtigten aus dem verbliebenen Restbetrag und dessen Zinsen einen Zuschlag von nominell vier Prozent der gesetzlich zugesagten Entschädigung. Die deutsche Diplomatie, angesprochen auf die verbleibenden 41 Prozent sowie die vielen weiterhin unberücksichtigten Schäden, verwies auf die Zuständigkeit Athens und auf das Londoner Schuldenabkommen. Tatsächlich machten die Vertreter der Bonner Republik von der „Rechtswohltat“ des LSA Gebrauch, sooft es galt, Forderungen ehemaliger Feindstaaten abzublocken. Dementsprechend entstand Unruhe, wenn in Entspannungsphasen das Gespenst einer europäischen Sicherheits- und Friedenskonferenz zu geistern begann. Von bemerkenswerter Offenheit war der Brandbrief eines deutschen Botschafters im April 1969 an das Auswärtige Amt, der dringend vor der „Begehrlichkeit unserer jetzigen Partner“ warnte. Bislang sei es zwar gelungen, „dank des Entgegenkommens unserer amerikanischen Freunde, die gewaltigen Reparationsforderungen (…) bis zum Abschluss eines Friedensvertrages zurückzustellen, d. h. unsere Gegner des letzten Weltkrieges ad calendas Graecas [sic] zu vertrösten“. Jede Diskussion einer friedensvertragsähnlichen Vereinbarung, die „gewissermaßen den Abschluss des Zweiten Weltkrieges und der durch ihn in Europa aufgekommenen Probleme darstelle“, gefährde aber eine in Jahrzehnten bewährte Strategie: Eigentlich müsste es doch unser Interesse sein, diesen Zwischenzustand des Nichtzustandekommens eines Friedensvertrages so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, um diese Forderungen unserer einstigen Gegner durch Zeitablauf einer Verwirkung oder Verjährung zuzuführen. Anders ausgedrückt: Man sollte schlafende Hunde nicht wecken.

Auf die besorgte Frage des Botschafters, „wie das Auswärtige Amt zu d­ iesem Fragenkomplex“ stehe, beruhigte ihn der führende Bonner Experte für (die Abwehr von) Reparationsforderungen Helmut Rumpf, man teile dort seine Auffassungen „vollauf “.20 20 Vgl. hierzu Hagen Fleischer, Das griechische Memorandum zur Washingtoner „Conference on Holocaust-­Era Assets“: Vor- und Nachbemerkungen, in: Thetis, Mannheimer Beiträge zur

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Nachspiel Zwanzig Jahre ­später, nach der unverhofften deutschen Vereinigung erwachten zahlreiche „schlafenden Hunde“, da die exkludierten Ansprüche reaktiviert schienen. In ­diesem Zusammenhang ist eine weitverbreitete Fehlinformation zu korrigieren. Das LSA hatte keineswegs einen formellen Friedensvertrag als Voraussetzung für die Deblockierung der Reparationsfrage verlangt. Die Westmächte definierten das hypothetische Auslöseereignis intern als „peace treaty or similar arrangement“, als „peace settlement“ oder, noch simpler, „the event of German unity being attained“. Selbst der mit allen Wassern gewaschene deutsche Chefunterhändler Hermann Abs resümierte 1953 zufrieden, das Reparationsproblem sei „nicht Gegenstand der Schuldenkonferenz, sondern des Friedensvertrages oder ähnlicher [sic] Abkommen“.21 Jede der obigen Definitionen passt auf die famose Konstruktion des Zwei-­plus-­vier-­Abkommens. Zwar gewann die Regierung Kohl die vier Hauptalliierten und namentlich die – mit Integrationshilfen für eine halbe Million aus der DDR abziehende Soldaten und Angehörige – „geschmierten“ Sowjets für den angeblich reparationsverhindernden Verzicht auf einen formellen Friedensvertrag und den damit verbundenen „Verrat“ an den kleinen Alliierten; doch dieser Erfolg hatte realpolitische und weniger völkerrechtliche Bedeutung. Die Bundes­ republik musste daher ihre diesbezügliche Mauertaktik aufgeben, sobald die Pressionen einer mächtigen Lobby die Schmerzgrenze überschritten, wie bei der ebenfalls jahrelang abgelehnten Entschädigung für Zwangsarbeiter. Hingegen wiesen alle Regierungen die diversen Vorstöße von griechischer Seite schroff ab – mit anfechtbarer oder eindeutig falscher Argumentation. So führten die 1995 einsetzenden juristischen Initiativen des für Distomo administrativ zuständigen Präfekten (Nomarchen) von Böotien Giannis Stamoulis zu mehreren Teilerfolgen. Hervorzuheben sind 1997 die auf griechischem Territorium rechtskräftige Verurteilung Deutschlands durch das Landgericht von Livadia zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von umgerechnet 55 Millionen Mark sowie die Einleitung von Maßnahmen zur Pfändung (zunächst) des Athener Goethe-­Instituts im Sommer 2000 und 2001, die Klassischen Archäologie Griechenlands und Zyperns 7, 2000, S. 363 – 365, 370 – 372. – Bemerkenswert ist, dass Rumpf im Gefolge der vierteiligen amerikanischen TV-Serie „Holocaust“ die anderen Referate des AA sowie das Finanzministerium warnt, „dass durch die geplante Wiedererweckung der furchtbaren Erinnerungen zumindest indirekt auch ein Druck auf die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland zu weitergehenden Wiedergutmachungszahlungen erzeugt wird. In weiterer Folge würden auch Wiedergutmachungsforderungen der osteuropäischen Völker neu belebt werden.“ Aus ­diesem Grund hält er es für „höchst bedenklich“ dem Vorschlag der Deutschen Botschaft in Washington zu folgen „und die geplante Kampagne auch noch mit aus deutschen Quellen bezogenem Material zu unterstützen.“ (PAAA, B 86/1482, Rumpf, 13. 7. 1977) 21 Fleischer, Das griechische Memorandum.

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einen Aufruhr in deutschen, griechischen und internationalen Medien verursachte.22 In dieser bislang schwersten Nachkriegskrise z­ wischen den beiden Staaten verhinderte Ministerpräsident Kostas Simitis mit seinem persönlichen Einlenken den Bruch, die Beschlagnahmung der deutschen Kulturinstitute; doch das Thema des unbewältigten Kriegserbes schwelt weiter. Auch im April 2019 stimmten die im griechischen Parlament vertretenen Fraktionen, mit einigen Enthaltungen aus innenpolitischen Gründen, für den Antrag auf offizielle Einklagung der auf 290 Milliarden Euro „errechneten“ Reparationen für die durch die deutschen Besatzer erlittenen materiellen Schäden. Doch fehlt es auch in Griechenland nicht an Stimmen, die vor „patriotischen Pflichtübungen“ warnen, zumal im Fall eines Nachgebens der Bundesregierung Letztere mit einem „Tsunami“ weltweiter Nachfolgeforderungen rechnen müsste, und zwar nicht nur aus Polen, Belarus (Weißrussland) und anderen ehemals besetzten Staaten mit um ein Vielfaches höheren Verlusten, sondern selbst aus Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, wo die Völker der Nama und Herero im von den Deutschen lange vergessenen und erst 2016 vom AA anerkannten frühesten Genozid des 20. Jahrhunderts (1904 – 1908) nahezu ausgerottet wurden. Angesichts dieser Gegebenheiten hätte ein Eingehen der Bundesregierung auf die historisch gerechtfertigten Forderungen vieler Griechen und die Schaffung einer supranationalen Präzedenzfall-­Lawine katastrophale Folgen nicht nur für die überbordende deutsche Wirtschaft, sondern auch für die Zukunft Europas – was ebenfalls von vielen Griechen anerkannt wird. Der Verfasser hat daher bereits seit den 90er-­Jahren, lange vor der Zuspitzung der diesbezüglichen Kontroverse, öffentlich, aber auch als zeitweises Mitglied zweier Entschädigungskommissionen des griechischen Staates gegenüber deutschen Botschaftern und griechischen Ministern für einen offiziellen Reparationsverzicht plädiert. Erste Voraussetzung sei allerdings, dass Deutschland in essentielle Gespräche einwilligt zur Begleichung des vieldiskutierten „Kredits“, der den Griechen von 1942 bis 1944 in Monatsraten abgepresst wurde. In d­ iesem Zusammenhang ein kurzer historischer Rekurs zum besseren Verständnis der Materie: Im März 1942 mussten die Besatzer ihre nach der Besetzung des Landes initiierte kontraproduktive „Kahlfraß“-Strategie etwas modifizieren. Dabei kümmerte es sie wenig, dass die Griechenland abgepressten Beträge sowie deren Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit des Landes in unvereinbarem Widerspruch zu den einschränkenden Artikeln der Haager Landkriegsordnung (HLKO) standen, sondern dass der finale Kollaps der 22 Vgl. etwa Christiane Schlötzer, „Goethe und der Gerichtsvollzieher. Weil sie keine Entschädigung bekommen, wollen griechische Nazi-­Opfer deutsches Staatseigentum pfänden lassen“, sowie Stefan Ulrich, „Die Macht der Opfer. Ein Sieg der griechischen Kläger könnte die Grundlagen des Völkerrechts ins Wanken bringen.“ Beide in: Süddeutsche Zeitung, 4. September 2001.

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griechischen Währung und Wirtschaft ihren eigenen mittelfristigen Zielen zuwiderlief. Zudem machte die Athener Kollaborationsregierung ihr Verbleiben im Amt von einer spürbaren Reduzierung der Besatzungskosten abhängig: Tatsächlich hätte ihr Rücktritt für die neuen Herren immense Mehraufgaben bewirkt. Daraufhin beschlossen jene, die von der griechischen Zentralbank allmonatlich eingeforderten Leistungen aufzuteilen: einerseits ein Fixum extensiver (doch von der HLKO theoretisch gerechtfertigter) „gewöhnlicher“ Besatzungskosten zur „Aufrechterhaltung der Ruhe und Sicherheit“ im besetzten Gebiet, andererseits die „außerordentlichen“ Bedürfnisse der Wehrmacht. ­Hierunter fielen namentlich die horrenden Aufwendungen für die deutsche Kriegsführung im östlichen Mittelmeerraum, auch außerhalb der griechischen Grenzen. So wurden Lebensmittel aus dem hungernden Griechenland für Rommels Afrikakorps abgezogen, und im Juni 1942, als die nordafrikanische Kampagne dem Zenit zusteuerte, verschlang hierfür allein die Kriegsmarine über zwei Drittel der Griechenland angelasteten Kosten! Aus dem gleichen Etat wurden zahlreiche Wehrmachtsbetriebe verschiedenster Art finanziert sowie die Errichtung kostspieliger monumentaler Befestigungsanlagen zur Abwehr alliierter Landungen im weichen Unterleib von „Hitlers Europa“, aber auch fragwürdige technische Entwicklungen wie der Bau nicht seetüchtiger „Betonschiffe“. Alle diese Sonderkosten hatten implizit und explizit Kreditcharakter, da sie auf Anforderung des Sonderbevollmächtigten des Auswärtigen Amtes (!) durch die Athener Kollaborationsregierung über die Bank von Griechenland als Anleihe der Wehrmachtzentralkasse zur Verfügung gestellt und auf neu eröffneten Konten dem Reich als „politische Schulden gegenüber der griechischen Regierung“ angelastet wurden: In zahlreichen zeitgenössischen Dokumenten wurde diese „Anlastung“ Deutschlands folgerichtig als „Guthaben Griechenlands“ bezeichnet. Und regelmäßig informierte der Sonderbevollmächtigte Hermann Neubacher das AA , andere thematisch involvierte Ministerien sowie die Reichsbank und das OKW über die Höhe der sprunghaft steigenden „Reichsverschuldung gegenüber Griechenland“.23 Blieben zwischenzeitlich Teilbeträge der „deutschen Anlastungen“ unverbraucht, wurden diese auf ein anderes Sonderkonto „zur Entlastung“ zurückgezahlt – damit sie nicht durch Brachliegen Inflationsverluste erlitten, aber auch das Kollaborationsregime zu weiteren Zahlungen an die Besatzungsmacht ermutigt wurde. Die Einmaligkeit der Zwangsanleihe, im Gegensatz zu anderen den okkupierten Ländern auferlegten Kontributionen oder Clearingmanipulationen, lag demnach in der Anerkennung ihres kreditären Charakters durch die Besatzungsmacht – nicht nur verbal, sondern auch in der Praxis durch Zahlung von Tilgungsraten! Die letzte Bedienung der „Restschuld“ erfolgte sechs Tage vor dem deutschen Abzug aus Athen mit der Zahlung 23 Vgl. das Faksimile eines charakteristischen Dokuments vom 26. März 1944 in: Hagen ­Fleischer, „Schuld-­und Schulden – Der Fall Griechenland ‚final geklärt‘?“, Südosteuropa Mitteilungen, 55. Jg., 2/2015, S. 47 – 63.

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von 300 Billionen Drachmen. Aber noch Anfang 1945, in der wirren Schlussphase des sterbenden Imperiums, mühten sich Experten des Wirtschaftsstabes der ehemaligen Athener Gesandtschaft wochenlang, unter Heranziehung aller zugänglichen Unterlagen die Gesamthöhe der nicht getilgten Anlastungen zu berechnen. Dieses infolge der okkupationsbedingten griechischen Hyperinflation komplizierte Unterfangen ergab eine zweifellos untertreibende „Reichsverschuldung gegenüber Griechenland“ in Höhe von 476 Millionen Reichsmark, nach heutiger Kaufkraft über 10 Milliarden Euro.24 Allein schon die damalige Initiative ist ein klarer Beweis gegen die gebetsmühlenartig wiederholte axiomatische Behauptung sämtlicher Bundesregierungen, der Kredit sei unter „sonstigen Besatzungsschäden“, also den von Deutschland nicht anerkannten Reparationen abzuhaken und bedürfe somit keiner Rückzahlung. Die „Rechtsnachfolger“ des Reichs vergessen oder unterschlagen dabei den simplen Umstand, dass sich die Spitzenexperten des zusammenbrechenden „Tausendjährigen Reichs“ nicht die Mühe gemacht hätten, die Höhe von nach der Niederlage zu bezahlenden Reparationen zu berechnen, um sich eines – zum Zeitpunkt der Ausarbeitung – todeswürdigen „Defaitismus“ schuldig zu machen! Wie auch die Westalliierten schon bei der Londoner Schuldenkonferenz anerkannten, hat also die aus dem Besatzungskredit entstehende deutsche Verpflichtung keinen reparationsähnlichen Charakter und fällt nicht unter die aus bundesdeutscher Sicht entschädigungshemmende „Rechtswohltat“ des notorischen „Artikels 5,2“ des LSA. Andererseits aber hätte eine Begleichung dieser vergleichsweise geringen deutschen Schuld, für die es trotz gegenteiliger Behauptungen keine echte Analogie in anderen besetzten Ländern gab, keinen – von Berlin gefürchteten – Präzedenzfall geschaffen. Bereits vor Jahren hatte der Verfasser die Gründung beziehungsweise Erweiterung einer Stiftung zur Aufarbeitung der gemeinsamen Kriegsvergangenheit vorgeschlagen – aber auch die

24 Der Vf. erhielt als Doktorand 1971 vom zuständigen Archivar Dr. Klaus Oldenhage freund­ licherweise die Erlaubnis, aus den USA „repatriierte“, noch unsignierte Aktenbündel im Keller des Bundesarchivs, unter der vorläufigen „Magazin-­Nr. 213d“, einzusehen. Unter anderem entdeckte er dort auch einen voluminösen „Tätigkeitsbericht der Wirtschaftsverwaltung in Griechenland unter deutscher Besatzung“, den er zwar vermutlich als erster Nachkriegsdeutscher regelrecht „verschlang“, der aber für das Thema seiner Dissertation keine Bedeutung hatte (vgl. zum Obigen: Fleischer, Kreuzschatten, S. 12 und S. 740). Eine s­ olche erhielt diese immer noch unbekannte Quelle, nach zwischenzeitlichem „Umzug“ ins Archiv des Auswärtigen Amtes (PAAA) unter der endgültigen und in die Schlagzeilen der Weltpresse eingegangenen Signatur R 27320. Erst im Frühjahr 2019 erschien im Verlag der Universität Kreta eine sorgfältig übersetzte und kommentierte griechische Edition des Tätigkeitsberichts: Vasilis G. Manousakis (Hg.), „Στο νότιο προπύργιο του Ράιχ.“ Ο απολογιστικός φάκελος του γερμανικού οικονομικού επιτελείου για την Ελλάδα της Κατοχής („Am südlichen Vorposten des Reichs“. Das apologetische Aktenbündel des deutschen Wirtschaftsstabes im besetzten Griechen­land), Heraklion: PEK, 2019.

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Finanzierung oder zumindest Förderung eines infrastrukturell angebundenen Projekts von symbolischer Bedeutung. Zu beiderseitigem Nutzen sollte zumindest ein solches Pilotprojekt ausgearbeitet und gefördert werden: mit dem Ziel eines Entwicklungsschubs für die auch als Folge der 1943/44 systematisch praktizierten Strategie „verbrannter Erde“ in den bis heute weitgehend retardierten „Bandengebieten“ des „Freien Griechenlands“ . Zugleich würde die deutsche Bereitschaft zu Gesprächen über den Besatzungs­ kredit im Rahmen einer historischen Flurbereinigung dem absurden Zustand ein Ende setzen, dass diese „Reichsschuld gegenüber Griechenland“, durch Vertreter des verbrecherischen Naziregimes anerkannt, von den demokratisch gewählten Regierungen der Bundesrepublik, der Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches, weiterhin als Verhandlungsposten ignoriert wird. Seit Ausbruch der deutsch-­griechischen Krise, in unheilvoller Verbindung mit oft penetranter deutscher Selbstgerechtigkeit und Häme, wucherten auch bei den „Pleite-­ Griechen“ historisch motivierte Stereotype, namentlich jenes des unbußfertigen und arroganten Deutschen, der mit seiner geballten Wirtschaftskraft die europäische Hegemonie anstrebt, die seinen Vorfahren mit Waffengewalt in zwei Weltkriegen verwehrt geblieben war. Zahlreichen Meinungsumfragen zufolge assoziier(t)en immer noch viele Griechen den Begriff Deutschland mit Nazis, Krieg, Ausplünderung, Genozid und „Viertem Reich“.25 Die von Joachim Gauck ausgesendeten Signale, insbesondere seine nie zuvor von einem hohen deutschen Würdenträger geäußerte Bitte um Verzeihung der ersten wie auch der „zweiten Schuld“ (Ralph Giordano) – also der Verdrängung und Verleugnung der ersten unter den Vorzeichen des Nachkriegs – prägten bei vielen Griechen trotz verbliebener Skepsis ein positiveres Deutschlandbild. Gleiches gilt für die auf Gaucks Anstöße zurückgehenden ermutigenden Initiativen wie der noch auszubauende „Zukunftsfonds“ mit der mittlerweile bereits weit fortgeschrittenen Schaffung eines Zeitzeugenarchivs 26. Im Jahr darauf hatte der damalige Präsident einen weiteren Schritt gewagt: In einem Interview bekundete er sein Interesse für die anhaltende „Diskussion über unterschiedliche Vorschläge, dem Bedürfnis vieler Griechen nach einer Art Wiedergutmachung gerecht zu werden“. Denn es sei „richtig, wenn ein geschichtsbewusstes Land wie unseres auslotet, ­welche Möglichkeiten von Wiedergutmachung es geben könnte“.27 Doch die erhoffte Fortsetzung blieb aus. 25 Vgl. Fleischer, Hagen, Skepsis gegenüber ,Europa‘: Das Beispiel Griechenland. In: Benz, Wolfgang (Hg.) Ressentiment und Konflikt. Vorurteile und Feindbilder im Wandel. (Bad Schwalbach: Wochenschau-­Verlag, 2014, S. 20 – 31.) 26 https://www.morgenpost.de/politik/article209438609/Gegen-­das-­Vergessen.html (letzter Zugriff 8. 10. 2019), https://www.deutschlandfunk.de/zeitzeugen-­archiv-­in-­griechenland-­ schmerzliche-­erinnerungen.691.de.html?dram:article_id=416339 (letzter Zugriff 8. 10. 2019). 27 Süddeutsche Zeitung, 1. Mai 2015.

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Hier sei angemerkt, dass Differenzen z­ wischen Partnern mit konträren Rechtsauffassungen sich nicht einseitig mit einer Verweigerung des Stärkeren „klären“ lassen, sondern nur am Verhandlungstisch unter Heranziehung der Expertise von Juristen, Historikern und Ökonomen. Hierfür müsste sich die Haltung der Bundesregierung in einer Weise ändern, die ihren ständigen Beteuerungen zu NS-relevanten ­Jahrestagen – „Wir Deutsche haben aus der Geschichte gelernt“ – mehr Substanz verleiht. Der psychologische Gewinn wäre unermesslich. Aktualisierender Nachtrag: Der vorläufige Endpunkt der Kontroverse wurde am 3. September 2019 erreicht, als das oberste italienische Gericht in Zivilsachen (Suprema Corte di Cassazione) eine deutsche Rechtsbeschwerde wegen „Verletzung der Staatenimmunität“ ablehnte und das Recht von 295 Klägern aus Distomo auf Entschädigung für das Massaker vom 10. Juni 1944 aus deutschem Vermögen in Italien anerkannte, konkret 25 Millionen Euro aus den Erlösen der italienischen Eisenbahnen, die sich zu einem beträchtlichen Teil im Besitz der Deutschen Bahn befinden. Es wird sich zeigen, wie das offizielle Deutschland, aber auch die unzureichend informierte „öffentliche Meinung“ auf den zunehmenden Druck von „außen“, im Extremfall bis hin zur angekündigten Zwangsvollstreckung und (erneuten) Pfändung deutschen Eigentums reagieren wird. Vielleicht kann immer noch eine einvernehmliche Lösung gefunden werden.

Literatur Droulia, Loukia; Fleischer, Hagen (Hg.), Von Lidice bis Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin: Metropol, 1999. Fleischer, Hagen, Post War Relations between Greece and the two German States: A Reevaluation in the Light of German Unification. German Unification, in: The Southeast European Yearbook 1991, Athen: ELIAMEP, 1992, S. 163 – 178. Fleischer, Hagen, Vom Kalten Krieg zur ‚Neuen Ordnung‘ – Der Faktor Griechenland in der deutschen Außenpolitik, in: Institute for Balkan Studies, Die Balkanländer im Europa der Gegenwart, Thessaloniki: IMXA, 1994, S. 63 – 82, insbesondere S. 71 – 73. Fleischer, Hagen; Konstantinakou, Despina, Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in: Hans-­Günter Hockerts u. a. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa, 1945 – 2000, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 375 – 457. Fleischer, Hagen, Der Neubeginn in den deutsch-­griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit, in: Institute for Balkan Studies (Hg.), Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, Thessaloniki: IMXA, 1991, S. 81 – 108; erw. Fassung in: Thetis, Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie Griechenlands und Zyperns 10, 2003, S. 191 – 204. Fleischer, Hagen, Die „Viehmenschen“ und das „Sauvolk“. Feindbilder einer dreifachen Okkupation: Der Fall Griechenland, in: Wolfgang Benz et al. (Hg.), Kultur – Propaganda – Öffentlichkeit.

„Wiedergutmachung“ in Griechenland | 307 Intentionen deutscher Besatzungspolitik und Reaktionen auf die Okkupation, Berlin: Metropol, 1998, S. 135 – 169. Fleischer, Hagen, Das griechische Memorandum zur Washingtoner „Conference on Holocaust-­ Era Assets“: Vor- und Nachbemerkungen, in: Thetis, Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie Griechenlands und Zyperns 7, 2000, S. 363 – 372. Fleischer, Hagen, „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474 – 534. Fleischer, Hagen, Kriegsverbrechen in Griechenland: Schuld ohne Sühne, in: Wolfram Wette; Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, S. 208 – 221. Fleischer, Hagen, Skepsis gegenüber ‚Europa‘: Das Beispiel Griechenland, in: Wolfgang Benz (Hg.) Ressentiment und Konflikt. Vorurteile und Feindbilder im Wandel. Schwalbach: Wochenschau-­Verlag, 2014. Fleischer, Hagen, „Schuld und Schulden – Der Fall Griechenland ‚final geklärt‘?“, Südosteuropa Mitteilungen, 55. Jg., 2/2015, S. 47 – 63. Manolopoulou, Kaiti, Juni ohne Ernte (Distomo 1944). Athen: Verlag der Griechenlandzeitung, 2016. Manousakis, Vasilis G. (Hg.), „Στο νότιο προπύργιο του Ράιχ.“ Ο απολογιστικός φάκελος του γερμανικού οικονομικού επιτελείου για την Ελλάδα της Κατοχής („Am südlichen Vorposten des Reichs.“ Das apologetische Aktenbündel des deutschen Wirtschaftsstabes im besetzten Griechen­ land), Heraklion: PEK, 2019. Meyer, Hermann Frank, Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jäger-­Division durch Serbien und Griechenland. Mannheim/Möhnesee: Bibliopolis, 2002. Rombeck-­Jaschinski, Ursula, Das Londoner Schuldenabkommen. Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg. München: Oldenbourg, 2005. Ueberschär, Gerd R. (Hg.), Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2003. Weber, Hartmut (Hg.), Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, hg. für das Bundesarchiv von Hartmut Weber, Bd. 13, München: Oldenbourg, 2003. Wette, Wolfram; Ueberschär, Gerd R. (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001.

III Autobiografisches

Erinnerungen an die „Causa Waldheim“ Mit gemischten Gefühlen las ich die Nachricht von Kurt Waldheims Ableben, nachdem mich dreieinhalb Jahrzehnte eine Beziehung sui generis mit dem Verstorbenen verbunden hatte. Bereits 1971/72, bei meinen ersten Quellenstudien im Freiburger Militärarchiv zu Griechenland unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg, begegnete ich auf zahlreichen Aktenstücken seinem ominösen Kürzel „W“, manchmal auch ausgeschrieben. Der Name Waldheim war damals schlagzeilenträchtig infolge von W.’s Aktivitäten und Ambitionen auf österreichischem und internationalem Parkett. Bei supplementären Befragungen von Zeitzeugen, mit seitenlangen Fragenkatalogen in anderem Zusammenhang, bestätigten mir 1972 zwei hohe Stabsoffiziere (Bruno Willers, Gebhard von Lenthe) en passant W.’s Identität. Von Willers erhielt ich dann auch das von ihm im Athener Nobelhotel Grande Bretagne aufgenommene Gruppenfoto, auf dem W. 1943 mit dem deutschen Verbindungsstab zum italienischen Oberkommando posiert. Bis heute ist es das einzig bekannte Foto von W. in Griechenland. Ich erwog damals, einen Hintergrundartikel über die Balkanvergangenheit des neuen UN-Generalsekretärs zu schreiben, doch mein Doktorvater an der FU Berlin, H. D. Loock, riet mir nachdrücklichst, mich auf meine Dissertation zu konzentrieren und mich nicht mit „nebensächlichem Zeug“ zu verzetteln. Lebhaft erinnere ich mich an mein Widerstreben, das aber wohl weniger intuitiv bedingt war, sondern eher aus meinem subjektiven Ärger über die entgangene erste wissenschaftliche Veröffentlichung resultierte. Grummelnd gab ich nach, zumal „der Fall W.“ zwar schlagzeilenträchtig war, aber keine wichtigen historischen Erkenntnisse versprach. Denn W. war in Griechenland zwar stets in unmittelbarer Nähe der jeweiligen Kommandozentrale postiert; er verfasste und unterzeichnete „für die Richtigkeit“ Hunderte Lageberichte. In Thessaloniki informierte er sogar nahezu täglich seinen Oberbefehlshaber (OB) und österreichischen Landsmann Alexander Löhr über die „Feindlage“, das heißt ex officio musste er besser informiert sein als der OB; exekutive Vollmachten besaß er jedoch keine. Damals wusste ich noch nicht, dass W. in allen autobiografischen Stellungnahmen, Lebensläufen sowie publizierten Erinnerungen seinen Kriegsdienst wahrheitswidrig mit seiner Verwundung an der Ostfront 1941 enden ließ, die Balkanjahre also systematisch verschwieg. Dieses Verschweigen war der fatale Fehler, mit dem der bis dahin stets reüssierende „stromlinienförmige“ 1 Opportunist sich selbst ein Bein gestellt hatte. Kaum angreifbar wäre eine Erklärung folgender Art gewesen:

1 So bezeichnete ihn 1986 ein Stabskamerad aus Thessaloniki bei der Befragung durch die Histo­rikerkommission.

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Ich war frontuntauglich, arbeitete an meiner Dissertation, so halste man mir im Hauptquartier einen Haufen Schreibtischarbeit auf; zudem war ich als Dolmetscher und Verbindungsoffizier zu unseren italienischen Verbündeten tätig. So erfuhr ich zwangsläufig vom Besatzungsterror gegen die jugoslawische 2 und griechische Zivilbevölkerung. Erschüttert beschloss ich, nach Kriegsende meinen Teil zur Völkerverständigung beizutragen: daher auch meine Kandidatur als UN-Generalsekretär.

Wenige hätten etwas auszusetzen gehabt, denn von Diplomaten und Politikern, zumal solchen in spe, erwartet man kaum, dass sie aktiven Widerstand gegen mörderische Regime wie das der Nazis leisten. Anderthalb Jahrzehnte ­später, als in Wien die Gerüchte um W. zu wuchern begannen, machte mich der Reuters-­Korrespondent an meinem neuen Wohnsitz in Athen ausfindig. Auf seine Fragen stellte ich zunächst zwei Dinge klar: mangels Befehlsgewalt habe W. – „selbst wenn er gewollt hätte“ – die ihm zugeschriebenen Kriegsverbrechen nicht anordnen können; doch immerhin war er unzweifelhaft „einer der bestinformierten deutschen Offiziere auf dem Balkan“. Sein penetrant behauptetes Nicht-­Wissen aller verbrecherischen Besatzungsakte spreche also dem gesunden Menschenverstand Hohn. Auf der gleichen Linie, obschon mit mehr Details, argumentierte bald darauf mein Artikel in der Sonntagsausgabe der renommierten Zeitung To Vima, der über alle Agenturen lief, da er erstmals, zumal mit Foto, W.’s Einsatz in Athen dokumentierte.3 Beide politischen Lager zitierten allerdings aus meinen Feststellungen zumeist nur die ihnen passende Hälfte; den Vogel schoss W.’s offizielle Wahlbroschüre ab: „Der bekannte Militärhistoriker Prof. Fleischer von der Universität Kreta sagt, Waldheim sei unschuldig.“ 4 Wieder riefen zahlreiche Journalisten an und forderten Aufklärung, wenige nur brachten in extenso meine Richtigstellung, jener Satz enthalte trotz seiner Kürze drei Falschmeldungen: „1) Ich war nie Militär-­Historiker; 2) außerhalb Griechenlands bin ich nur den wenigen Griechenlandspezialisten bekannt; und 3) unschuldig würde ich – unter Personen der Geschichte – nicht einmal die Jungfrau von Orléans nennen.“ Ein bekanntes Politmagazin verkürzte deftig: „Fleischer zum Spiegel : Das ist eine 2 Zu seinem manche Fragen offenlassenden Einsatz in Bosnien, vgl. International C ­ ommission of Historians, The Waldheim Report (submitted February 8, 1988 to Federal Chancellor Dr. Franz Vranitzky), Copenhagen: Museum Tusculanum Press, 1993, S. 129 – 178. 3 Der Artikel erschien am 13. April 1986. Der langjährige Direktor des Office of Special Investigations (OSI ) im US -Justizministerium Rosenbaum komprimierte Jahre s­ päter in seiner Studie: „Fleischer had identified yet another phase of the cover-­up“. Eli M. Rosenbaum; W. Hoffer, Betrayal. The untold story of the Kurt Waldheim investigation and the cover-­up, New York: St. Martin’s Press, 1993, S. 209 ff. 4 Extra-­Ausgabe, Die Verleumdungskampagne: So wollten sie Kurt Waldheim fertigmachen! S. 5.

„Wiedergutmachung“ in Griechenland | 313

Schweinerei!” So zog ich mir unverdient die Ermahnungen einiger Freunde zu, ich solle mich künftig trotz berechtigten Ärgers gewählter ausdrücken. Das Ergebnis der österreichischen Präsidentenwahl vom 8. Juni 1986 betrübte mich doppelt: als Neugriechen und als gebürtigen Wiener, zumal es klar war, dass W. nicht trotz, sondern eben wegen seiner Vergangenheit gewählt wurde. Die millionenfache vervielfältigte Parole seiner Unterstützer lautete: „Jetzt erst recht!“ Hier sei rekapituliert, dass sich die meisten diplomatischen Nachkriegsvertreter der Alpenrepublik im Sinne W.’s verhalten hatten, zumal sie sich bei Bedarf auf die Moskauer Deklaration der alliierten Außenminister vom 30. Oktober 1943 berufen konnten, die Österreich den begehrten Status des „ersten freien Landes, das der Hitlerischen Aggression zum Opfer gefallen ist“ 5 zuerkannt hatte. Nach ersten Kontakten 1946 hatte Wien bereits im Juni 1947 eine Vertretung in Athen eingerichtet, vier Jahre bevor die westdeutsche folgen konnte. Der Gesandte Clemens Wildner protestierte mit Erfolg gegen die Benachteiligung Österreichs als ehemaligen Feindstaat, setzte sogar die Meistbegünstigungsklausel und bald auch die Rückgabe beschlagnahmten österreichischen Vermögens durch. Als Außenminister ­Konstantinos Tsaldaris „auch das Problem der griechischen Reparationsforderungen gegenüber Österreich streifte“, entgegnete Wildner kategorisch, „ohne auf diese Frage weiter einzugehen, Griechenland [werde] von uns nicht einen Pfennig [!] bekommen“! Mehr Zivilcourage als seine Vorgesetzten bewies „ein junger Referent im Außenamt“, der es wagte, ­Wildner daran zu erinnern, „Österreich sei am Kriege mitverantwortlich, österreichische Truppen hätten in Griechenland gekämpft und Schaden verursacht und Österreich müsse auch die Folgen tragen“.6 Er hätte weiter erwähnen können, dass im Besatzungsapparat etwa der Oberbefehlshaber Südost Alexander Löhr sowie der „Höhere SS- und Polizei-­Führer Griechenland“ Walter Schimana Österreicher waren und dass die beiden Wehrmachtsdivisionen mit der blutigsten Besatzungsbilanz – die 1. Gebirgsdivision sowie die 117. Jägerdivision – einen überdurchschnittlich hohen Anteil an gebirgserprobten „Ostmärkern“ aufwiesen. So aber berichtet der Gesandte stolz nach Wien: „Was ich dem jungen Herren sagte, war von guten Eltern, so dass er wie ein begossener Pudel abzog!“ Zugleich beschwerte 5 Zumeist vergessen wurde und wird jedoch beim Zitieren dieser „Magna Charta“ die bedeutsame Einschränkung, Österreich trage „wegen der Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-­ Deutschlands eine Verantwortung, der es sich nicht entziehen kann“. – „Bei der endgültigen Regelung [sollte] sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung unweigerlich in Betracht gezogen werden.“ Zitiert nach: Robert H. Keyserlingk, 1. November 1943. Die Moskauer Deklaration. Die Alliierten, Österreich und der Zweite Weltkrieg, in: Rolf Steininger; Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Bd. 2, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 1997, S. 34 ff. 6 AdR (Archiv der Republik), Wien, BM fAA , II -Pol, Wildner 8/Pol/16. 3. 1948 V-112.143, 50/P/11. 10. 1948 – 117.840.

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sich Wildner u. a. beim griechischen Premier Sofoulis wegen besagter „Taktlosigkeiten“ – mit Erfolg, dass dem Denunzierten „ganz gewaltig der Kopf gewaschen“ wurde. Zudem erhielt der Gesandte von seinen hellenischen Gesprächspartnern die – auf Pressionen der unter Bürgerkriegsbedingungen allmächtigen Amerikaner zurückgehende – Zusiche­rung, die „These vom Feindstaat Österreich“ sei erledigt. Dank dieser Formel blieb es felix Austria erspart, die Kriegsvergangenheit als Faktor der eigenen Griechenlandpolitik berücksichtigen zu müssen. Hilfreich waren auch naiv versöhnliche Initiativen wie jene des Bundes griechischer Veteranen, die 1962 auf einer Exkursion nach Wien das heile Stereotyp vom „menschlichen und zivilisierten Benehmen des österreichischen Soldaten“ auffrischen wollten. Als 1968 der Jüdische Zentralrat von Griechenland zur Gedenkfeier für die 25 Jahre zuvor vernichtete Gemeinde von Thessaloniki einlud, schickte Botschafter Steiner nach Rückfrage in Wien lediglich einen „zugeteilten Diplomaten“ – wie die meisten anderen geladenen Staaten. Von den Missionschefs hatte nur der deutsche seine Teilnahme zugesagt; die „politische Problematik“ eines gemeinsamen Auftretens mit jenem sollte vermieden werden, um keine österreichische Mitschuld am Holocaust zu implizieren.7 Erst im Gefolge der Causa W. wird vielen Österreichern dieser verdrängte Teil ihrer Geschichte bewusst werden. Dann aber eskalierte die Diskussion. Auf den von W. geäußerten Wunsch nach einer „unabhängigen“ Untersuchung beschloss der „schwarz-­rote“ (ÖVP-SPÖ) Ministerrat am 18. Mai 1987, eine Kommission zur „neuerlichen Prüfung und Evaluierung des gesamten Materials im Lichte der gegen den Herrn Bundespräsidenten erhobenen Vorwürfe“ zu bilden. Die Finanzierung übernahm das BMfAA (unter ÖVP-Obmann Alois Mock), das am 4. Juli nicht zufällig obiges Mandat einschränkender formulierte: Zu prüfen sei lediglich, „ob ein persönliches schuldhaftes Verhalten von Dr. Kurt ­Waldheim während seiner Kriegsdienstzeit vorliegt“. Auf diese amputierte Version stützten sich spätere Vorwürfe Waldheims und seiner Lobby, die Kommission habe „ihr Mandat überschritten“. Eine noch engere Definition gab ÖVP- Generalsekretär Michael Graff: schuldhaftes Verhalten von W. läge nicht vor, „solange nicht erwiesen ist, dass er eigenhändig sechs [!] Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem“. Der daraufhin losbrechende „Sturm der Empörung“ zwingt den wortgewaltigen Generalsekretär binnen drei Tagen zum Rücktritt.8 7 H. Fleischer, „… noch nicht ganz vergessen“: Die Okkupation Griechenlands und ihre diplo­ matische Bewältigung durch die Nachfolgestaaten des (Groß-)Deutschen Reichs, in: Maria M. Stassinopoulou; Ioannis Zelepos (Hg.), Griechische Kultur in Südosteuropa in der Neuzeit: Beiträge zum Symposium in memoriam Gunnar Hering (Wien, 16. – 18. Dezember 2004), Wien: Verl. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2008, S. 305 – 318. 8 Arbeiter-­Zeitung, Wien, 17. – 19. November 1987 (Hervorhebung durch den Vf.); vgl. Nachruf zu Graff, Der Standard, 8. August 2008.

„Wiedergutmachung“ in Griechenland | 315

Als Präsidenten der sechsköpfigen Kommission einigte man sich auf den Schweizer Pensionär Prof. Hans Rudolf Kurz, in Bern jahrzehntelang Berater diverser Verteidigungsminister. Vertraut mit der gestellten Thematik war allein Prof. Manfred Messerschmidt, als leitender Historiker des Freiburger Militärischen Forschungsamtes der beste Kenner des riesigen Fundus der in der gleichen Stadt gelagerten Wehrmachtsakten. Die anderen Mitglieder, mit einer Ausnahme ebenfalls Militärhistoriker, wurden primär nach Proporzerwägungen gewählt.9 Wohl deswegen beschloss die Kommission bei ihrer konstituierenden Sitzung (1. – 3. September 1987) im Allgemeinen Verwaltungsarchiv in der Wiener Wallnerstraße, zwei Experten aus den am stärksten betroffenen Ländern hinzuzuziehen. Die Belgrader Regierung reagierte nie auf die Anfrage, aus nur mit einiger Sicherheit zu vermutenden Gründen; in Griechenland wurde keine offizielle Stelle kontaktiert, sondern unmittelbar der Schreiber dieser Zeilen, der mit erheblichen Bedenken akzeptierte. Mittlerweile jagten sich nämlich auf beiden Seiten des Atlantiks die Gerüchte, ein „Persilschein-­ Gremium“ sei geplant.10 Den Ausschlag für meine Entscheidung gaben mehrere Faktoren. Zunächst hatte eben mein Sabbatical begonnen, was mich von der allwöchentlichen Verpflichtung zu See- oder Flugreisen nach Kreta befreite. Zudem hatten internationale Proteste die von der ÖVP geforderte paritätische Zusammensetzung der Kommission aus Österreichern und „Fremden“ verhindert, ebenso Wallachs Veto die Teilnahme des bekannten österreichischen Militärhistorikers Manfried Rauchensteiner, der bereits an W.-freundlichen Stellungnahmen mitgewirkt hatte. Drittens und zu guter Letzt sicherte mir die angebotene Position des schließlich einzigen permanent special expert Unabhängigkeit; sie würde mir im Fall von Pressionen den Rücktritt erleichtern. Ab der zweiten Sitzungsperiode im Oktober begann unsere eigentliche Arbeit, nachdem thematische Zuständigkeiten endgültig abgegrenzt worden waren. Der Belagerungsring der Medienvertreter wurde dichter. Sie waren kaum an Zwischentönen interessiert, sondern jagten schlagzeilenträchtige ‚smoking guns‘, eine Anspielung auf den Pulverqualm, der bei Kapitalverbrechen im Idealfall unmittelbar danach aus der Tatwaffe aufsteigt. Solche „qualmenden“ Beweise erwartete man allerdings vergebens vom vierstündigen zähen Hearing unserer Kommission mit W. am 28. Januar 1988. Dem Befragten sekundierten sein sichtlich mitgenommener Sohn und zwei Diplomaten. Der offensichtlich erfahrenere Botschafter Helmut 9 Brigadegeneral James L. Collins (USA), Dr. Jean Vanwelkenhuyzen (Belgien), Prof. Dr. Jehuda Wallach (Israel), Emeritus Reader Gerald Fleming (UK). Letzterer 1927 in Baden-­Baden geboren und 1935 zu Studien in England emigriert, ein Germanist, hatte sich insbesondere nach seiner Pensionierung einen Namen als Holocaust-­Forscher gemacht („Hitler and the Final Solution“, 1984). 10 So meine zweite Antwort an H. R. Kurz, 8. 10. 1987.

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Türk 11 protokollierte stichwortartig, nachdem Fleischers Vorschlag einer dokumentarischen Tonbandaufzeichnung vom Präsidenten abgelehnt worden war und auch beim Kommissionsleiter Kurz nur halbherzige Unterstützung gefunden hatte. Dann hätten sich nämlich W.’s sprichwörtlich gewordene „Teflon-­Psyche“, an der „nichts hängen bleibt“, und die Hohlheit seiner Antworten noch deutlicher gezeigt; jedoch selbst in dieser entschärften Form wollten der Betroffene und sein Famulus Mock die von uns geforderte Offenlegung der türkschen Notizen nicht gestatten. ( Jehuda Wallach spottete noch am gleichen Abend über „getürkte“ Notizen!) Einmal nur verlor W. die Fassung und wurde laut. Von Wallach befragt, hatte er erneut behauptet, erst Jahrzehnte nach Kriegsende vom Schicksal der 50.000 Juden Salonikis erfahren zu haben, woraufhin ihm Fleischer einen großen Stadtplan von 1943 unter die Nase hielt – im Zentrum der riesige, 450 Jahre alte Jüdische Friedhof mit jeweils 400.000 Grabstätten für Erwachsene und für Kinder, der die Stadt buchstäblich in zwei Hälften geteilt hatte. Während W.’s Studienurlaub war die riesige Nekropole eingeebnet worden, was ihm bei seiner Rückkehr im März 1943 sofort ins Auge hätte fallen müssen, ebenso wie die Scharen der Grabräuber, die im neugeschaffenen Trümmerfeld nach Verwertbarem suchten: Begehrt waren auch die massiven Grabsteine als Baumaterial. Anzumerken ist hier, dass W. auf seinem Weg vom Hauptquartier der Heeresgruppe E im Nobelvorort Arsakli zu den übrigen deutschen Dienststellen in Saloniki das Friedhofsareal zwangsläufig berührte. Der Zeitdruck auf die Kommission verschärfte sich, da ihre schwarz-­roten Auftraggeber die Geschichte so oder so abschließen wollten, bevor sich anlässlich des im März anstehenden 50-jährigen Jahrestags des „Anschlusses“ die geballte Aufmerksamkeit der Welt erneut auf Österreich richten würde. Bitten um Fristverlängerung wurden daher von Vizekanzler Mock schroff abgelehnt. Unter den sechs Mitgliedern der Kommission gab es indessen zwei Strömungen. Die „Falken“ Wallach und Fleming, geführt von ­Messerschmidt, dem Verfasser der meisten Kapitel; sowie die „Tauben“ ­Vanvelkenhuyzen und Collins. Präsident Kurz stand Letzteren näher, zumal er bei aller persönlichen Liebenswürdigkeit nicht frei war von Eifersucht gegenüber dem redegewandten und kompetenteren Messerschmidt. Hinzu kamen, wie bei General Collins, latente Sympathien des Offiziers (Kurz war Oberst) für den Kampf der regulären Truppe (Wehrmacht) gegen irreguläre Partisanen. Der präsidiale Beitrag zum Schlussreport bestand namentlich im Vorentwurf des Kapitels IX: „Zusammenfassende Schlussbetrachtungen“. Ich 11 Ein gutes Jahrzehnt ­später, im Dezember 1998, würde ich Türk wiedersehen: im Plenarsaal des State Departments in seiner Eigenschaft als Leiter der österreichischen Delegation bei der Washington Conference on Holocaust-­era assets. Dieser Terminus war in Vorbesprechungen gewählt worden, da er auch Entschädigungsansprüche über das vielzitierte „Nazi-­Gold“ hinaus einschloss: Kunstschätze, „erbenlose“ (heirless) Versicherungspolicen und vieles andere mehr. Ich war damals als beratender Historiker Mitglied der griechischen Delegation.

„Wiedergutmachung“ in Griechenland | 317

besitze das Original, da ich als weitaus Jüngster mich bereit erklärt hatte, es am ‚freien‘ Wiener Wochenende auf sachliche und sprachliche Probleme abzuklopfen und eine neue Reinschrift anzufertigen. Mein Eifer war nicht ganz selbstlos. Wiederholt nutzte ich die Gelegenheit, mein internes Mandat zu überschreiten, indem ich „aus stilistischen Gründen“ diverse Passagen wegstrich, andere „zur Klarstellung“ einfügte, und manche von Kurz im Prinzip gebilligte, aber (als zu gewagt) gestrichene versuchsweise restituierte, wie die von W.’s „moralischer Mitschuld“. Ersatzlos strich ich folgende Passage, die Musik in den Ohren des Präsidentenlagers gewesen wäre: Die unmenschliche Härte dieser Kriegsführung der Partisanen, die, solange sie nicht militärisch organisiert waren, von außerhalb des Kriegsrechts stehenden Banden geführt wurde, musste sich auch auf die Abwehrmethoden der erobernden Mächte auswirken. Diese waren nicht bereit, sich mit den vom Gegner angewendeten brutalen Kampfmethoden abzufinden, und versuchten mit hartem Zugreifen mit dem Gegner Schritt zu halten und ihn zu einer gewissen Mäßigung zu veranlassen.

In fast allen Fällen gelang es mir, nicht nur die Falken, sondern auch Kurz zu überzeugen. Das schaffte ich auch mit dem von mir geprägten und vom Präsidentenlager ­später wütend attackierten Begriff konsultative Unterstützung, mit dem ich die Grauzone im Fall W. zu definieren suchte: Denn W. war zwar kein Kriegsverbrecher, aber auch nicht „bloß ein Lügner“, der im Nachhinein sein privilegiertes Wissen ableugnete. Wenn er etwa nach Auswertung der auf seinem Schreibtisch zusammenlaufenden Quellen (Meldungen nachgeordneter Einheiten, Verhöre Gefangener etc.) im „Feindlagebericht“ das Know-­how für Repressalien gegen „Bandenzentren“ und die dortige Zivilbevölkerung lieferte, so war das m. E. ein Fall konsultativer Mitwirkung und Mitverantwortung. Zudem hatte er sich mit den praktischen Konsequenzen aktiv solidarisiert, da er etwa allzu sorglos formulierte „Erfolgsmeldungen“ nachgeordneter Einheiten politisch korrekt nachgebessert hatte, indem er vor deren Weiterleitung die darin erwähnten massakrierten „Zivilisten“ posthum zu „Bandenverdächtigen“ oder direkt zu Banditen ernannte und deren Tötung somit juristisch abzusichern versuchte. Latente Differenzen brachen am letzten Tag durch, ausgelöst durch exogene Faktoren. Ausgerechnet am Morgen des 8. Februars, als die Kommission letzte Hand an ihren Report anlegen wollte, hatte Thomas Klestil, Generalsekretär im Außenministerium und späterer Bundespräsident, Kurz zu sich zitiert und ihn gedrängt (was der ÖVP-Mann ­später leugnete), die unser Mandat überschreitende Feststellung „moralischer Mitschuld“ zu streichen und stattdessen die Mock’sche Floskel vom Fehlen persönlicher Schuld zu interpolieren. Auf die erstaunte Frage von Kurz, woher er denn unseren Text kenne – die uns vom AA zugeordnete sympathische Sekretärin Augustine Kutzenberger schloss allabendlich die Diskette mit dem Ertrag unserer Diskussionen

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in einen Safe –, erklärte Klestil, das AA habe „aus Sicherheitsgründen“ eine (uns verheimlichte) Kopie anfertigen lassen. Als der ansonsten fast immer konziliante Kurz uns mit – aktenkundig gewordenem – „hochrotem Kopf “ von dieser Intervention in Kenntnis setzte, hatten wir bereits aus absolut sicherer Quelle erfahren, dass tags zuvor ein noch massiverer Versuch erfolgt war: Der Präsident persönlich hatte Kanzler Vranitzky aufgesucht und ihn gewarnt, eine Entgegennahme unseres Reports werde eine Verfassungskrise und wohl auch den Bruch der Koalition auslösen und das Land unregierbar machen. Einziger Ausweg sei die Verweigerung der Annahme wegen „Überschreitung unseres Mandats“; ohnehin sei der Report parteiisch, da sich Österreich eine Kommission mit „drei Juden“ habe aufdrängen lassen! Sofort begann das Rätselraten: Zwei jüdische Mitglieder waren bekannt (Wallach, Fleming), das dritte glaubten manche im Balkanexperten ausfindig gemacht zu haben.12 Nur vermuten kann ich, ob es neben Klestils erwähntem Vorstoß andere Versuche in der gleichen Absicht gab. Fest steht lediglich, dass in der Abwesenheit von Kurz der belgische sowie der amerikanische Kollege – beide konnten der meist auf deutsch geführten Kommissionsarbeit nur summarisch folgen – erklärten, sie hätten in der Nacht zuvor die umstrittenen Konklusionen mit dem Lexikon studiert und s­ eien nicht mehr zur Unterschrift bereit. Der Report und wir als Verfasser hätten nämlich den Aufgabenbereich des Historikers überschritten, der Urteil über moralische Schuld nicht einschließe. Eine Kampfabstimmung schien unvermeidlich, wobei die Haltung von Kurz unklar war. Zwar waren die 3 + 1-„Falken“ mit oder ohne ihn in der Überzahl, doch würde die Stimme des ständigen Experten wohl von der W.-Fraktion angezweifelt werden, obschon die Kommission seine „Gleichstellung in jeder Hinsicht“ beschlossen hatte. Aber auch mit seiner Stimme würde der Report als bloßes Mehrheitsvotum (4:3 oder 5:2) an Überzeugungskraft einbüßen. So verfasste Messerschmidt, mit einem Zusatz von Fleischer, eine Neuformulierung des letzten Absatzes: ebenfalls W.-kritisch, jedoch ohne die beanstandete Formel von moralischer Mitschuld: Waldheims Darstellung seiner militärischen Vergangenheit steht in vielen Punkten nicht in Einklang mit den Ergebnissen der Kommissionsarbeit. Er war bemüht, seine militärische Vergangenheit in Vergessenheit geraten zu lassen und, sobald das nicht mehr möglich war, zu

12 Sogleich nach meiner Rückkehr nach Griechenland riefen – jeweils nach Mitternacht Ortszeit – zwei Vertreter großer amerikanischer Zeitungen an, die nahezu gleichlautend sofort zur Sache gingen: „Prof. Fleischer? Just a question, are you Jewish?“ Meine Verneinung, der eine von mir als überflüssig zurückgewiesene Entschuldigung folgte, ergänzte ich mit dem Hinweis, der Familienname könne tatsächlich einen jüdischen Träger anzeigen. Mich störe also nicht der „Verdacht“, sondern die dahinter versteckte Denkweise, die wieder einmal „jüdische Verschwörungen“ witterte. Allein schon das rechtfertige die Forderung nach W.’s Rücktritt!

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verharmlosen. Dieses Vergessen ist nach Auffassung der Kommission so grundsätzlich, dass sie keine klärenden Hinweise für ihre Arbeit von Waldheim erhalten konnte.13

Damit war sichergestellt, dass am Abend der voluminöse Report mit allen sieben Unterschriften dem Kanzler übergeben werden konnte. Schlagartig wurde die latente Polemik des Präsidentenlagers schrill und schreckte im Zuge der Eskalierung auch nicht vor grell antisemitischen Dissonanzen zurück. So kolportierte das bei Weitem auflagenstärkste Massenblatt „Krone“ (Kronen-­Zeitung) dümmlich-­infam, unsere Kommission hätte für ihr Abschiedsessen verzweifelt ein koscheres Restaurant gesucht. In Wahrheit aber waren „unsere beiden Juden“ auch in puncto Gastronomie liberal-­progressiv. Ex-­Außenminister Karl Gruber, Hauptautor einer Pro-­W.-Dokumentation, sekundierte erneut seinem Präsidenten, als er der Kommissionsmehrheit Voreingenommenheit als Geburtsfehler ankreidete: als „Beweis“ diente auch ihm die rassistisch motivierte Lüge von der Judentroika. Der vierte „Falke“ ­(Messerschmidt), der noch bei der Wehrmacht gedient hatte, passte nicht in diese Schablone und wurde daher lediglich als „Sozialist“ abqualifiziert (Wallach als jüdischer Sozialist hätte demnach eigentlich doppelt zählen müssen!). Gruber zufolge richtete sich unser Verdikt in der „Causa W.“ im Grunde gegen die Republik Österreich, und er war nicht der Einzige. Bei meiner Rückkehr nach Athen erwartete mich das längste Telegramm meines Lebens: Vranitzkys Kollektiventschuldigung, die ich bis heute im verstaubten Reliquienschrank meiner Ego-­Dokumente aufbewahre. Doch die böse Saat hatte bereits böse Früchte getragen. Vor meinem Heimflug hatte mich der Starjournalist des ORF Johannes Fischer in seinen „Inlandsreport“ geladen; während der einstündigen Sendezeit des Interviews wurden etwa tausend Anrufe verzeichnet. Viele der negativen Stimmen drückten ihren Ärger aus, dass „man“ vergessen habe, mich zu vergasen… Die These jüdischer Fernsteuerung war umso absurder, da der Jüdische Weltkongress uns zuvor monatelang attackiert hatte, mit Attributen wie „Weißwasch-­Kommission“ und „Alibi-­Instrument“. Als sich diese Vorwürfe als unhaltbar erwiesen, schwenkte der WJC auf eine Linie abwartender Neutralität um und übermittelte uns sogar zahlreiche Dokumentenkopien aus dem Militärarchiv Freiburg, die uns aber, soweit relevant, allesamt bereits bekannt waren. Tröstlicherweise fehlte es jedoch in meiner Geburtsstadt nicht an dezidiert positiven Reaktionen. Wiederholt, insbesondere nach meinem Fernsehauftritt, wurde ich beim Bummeln im 1. Bezirk oder beim Verzehr köstlicher Mehlspeisen angesprochen, gelegentlich auch schief angeschaut oder betuschelt, aber nie offen angepöbelt. Im Café Central, wo bereits Sigmund Freud und Leo Trotski (leider auch Hitler und Stalin) ihren K ­ affee genossen hatten, wurde ich sogar gefragt, ob ich „den W. nicht auf den ihm so wohlbekannten Balkan mitnehmen“

13 Original im Besitz H. F., dessen Einschub hier hervorgehoben.

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könne. Auch mit Botschafter Strasser, dem österreichischen Vertreter in Athen, blieb die Beziehung freundschaftlich. Zwiespältig blieb Vranitzkys Haltung. Der Kanzler hatte mit Annahme unseres Reports den Koalitionsbruch riskiert, steckte dann aber gegenüber seinem Partner zurück und brach zu dessen Gunsten sein Versprechen, unseren Report schnell einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In Wirklichkeit wurden lediglich auf Anfrage die über 200 maschinenschriftlichen Seiten des Hauptteiles ohne Anhänge – schlecht kopiert und falsch geheftet – den Interessenten zugesendet. Angesichts dieser Lage war die unautorisierte Publizierung in einem Sonderheft des Politmagazins ­Profil nützlich, minderte jedoch zugleich das Interesse deutschsprachiger Verlage, zumal die Urheberrechte strittig schienen. Anfragen wegen einer Edition seitens des Wiener Europa-­Verlags und der 5:2-Mehrheit der Kommission, einschließlich des Präsidenten, wurden von der schwarz-­roten Regierung ausweichend oder gar nicht beantwortet. Die Edition des Originaltextes ­dieses Schlüsseldokuments österreichischer Zeitgeschichte bleibt somit auch nach über 30 Jahren ein Desiderat.14

Literatur

Fleischer, Hagen, „…noch nicht ganz vergessen“: Die Okkupation Griechenlands und ihre diplomatische Bewältigung durch die Nachfolgestaaten des (Groß)Deutschen Reiches, in: ­Stassinopoulou, Maria M.; Zelepos, Ioannis (Hg.), Griechische Kultur in Südosteuropa in der Neuzeit: Beiträge zum Symposium in memoriam Gunnar Hering (Wien, 16. – 18. Dezember 2004), Wien: Verl. der Österreichischen Akademie der Wiss., 2008, S. 305 – 318. International Commission of Historians, The Waldheim Report (submitted February 8, 1988 to Federal Chancellor Dr. Franz Vranitzky), Copenhagen: Museum Tusculanum Press, 1993. Keyserlingk, Robert H., 1. November 1943. Die Moskauer Deklaration. Die Alliierten, Österreich und der Zweite Weltkrieg, in: Rolf Steininger; Michael Gehler (Hg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Bd. 2, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 1997, S. 9 – 37. Rosenbaum, Eli M.; Hoffer, William, Betrayal. The untold story of the Kurt Waldheim investigation and the cover-­up, New York: St. Martin’s Press, 1993.

14 Dank persönlicher Verbindungen zur Universität Kopenhagen liegt zumindest eine von mir bearbeitete englischsprachige Buchausgabe vor, mit einer wichtigen Einführung von dem heute 93-jährigen Manfred Messerschmidt anstelle der ursprünglich vorgesehenen von Kurz, der 1990 verstarb. Informativ ist auch der „Appendix“ des Leiters der Alliierten Militärmission im besetzten bzw. freien Griechenland, C. M. Woodhouse.

„Am Anfang war der Krieg“ Eine deutsche Nachkriegskindheit und Jugend Die folgende Kostprobe autobiografischer Mikrogeschichte, Fragment eines alternativen Curriculum meiner ersten Lebensjahrzehnte, basiert auf einem (mit Diskussion) abendfüllenden Vortrag bei der Gesellschaft zum Studium des Neuen Griechentums (EMNE) sowie auf meinem Schlusswort des, zumindest für mich, unvergesslichen dreitägigen Kongresses über die „1940er Jahre und ihren langen Schatten“ (8. – 10. November 2012)1. Die beschriebenen Wegstrecken und Erfahrungen zeigten sich in weitreichende Entwicklungen eingebunden, und so hoffe ich, sie mögen sich stimmig in den vorliegenden Band einfügen. Die vorliegende Fassung hält sich bei ihrer zeitlichen Eingrenzung an den thematischen Gesichtspunkt der im Ausmaß schwankenden Verdrängung einer „schuldbehafteten Vergangenheit“.2 Dies betrifft die besiegte deutsche Gesellschaft von und nach 1945 so gut oder auch so angreifbar wie ihre alten und neuen Eliten. Zugleich versuche ich einige der wichtigsten Stationen auf dem steinigen Weg zu einer ehrlicheren Heran­gehensweise an das verhängnisvolle Gestern festzuhalten, um Grundlagen für ein friedliches Miteinander innerhalb und außerhalb der jeweiligen Landesgrenzen auszumachen, dessen Aufbau noch in der Schwebe ist. Die späteren Phasen dieser Entwicklung werden sich als eine meist düstere Fallstudie griechisch-­deutscher Beziehungen unter dem weiterhin lastenden Schatten des Krieges herausstellen, in die der Autor, von einem bestimmten Punkt an nolens volens, verwickelt war und ist. Umso mehr, da er medial zunehmend als Deutschgrieche oder gar als „Grieche deutscher Abstammung“ wahrgenommen wurde. Bei Kriegsende war ich noch keine anderthalb Jahre alt, dementsprechend ist der erste Teil dieser ‚Erinnerungen‘ ein Produkt meiner Umwelt. Zwangsläufig stammen sie aus zweiter Hand: allgemeine Erfahrungen, Erzählungen von Verwandten und Bekannten, spätere Wahrnehmungen, die auf eine frühere Zeitebene zurückprojiziert wurden: Bombardierte graue Städte mit grauen Menschen, trostlose Ruinenlandschaften, halbleere Geschäfte, belagert von Schlangen hungriger und – schlimmer – hungernder Menschen. 1 S. K. Gardika; A.-M. Droumbouki; V. Karamanolakis; K. Raptis (Hg.), Η μακρά σκιά της δεκαετίας του ‘40. Πόλεμος – Κατοχή – Αντίσταση – Εμφύλιος (Der lange Schatten der 1940er. Krieg, Besatzung, Widerstand, Bürgerkrieg). Festschrift für Hagen Fleischer, Athen: Alexandria, 2015. 2 Zur „Vergangenheitsbewältigung“ bzw. „Aufarbeitung der Vergangenheit“ vgl. Hagen ­Fleischer, Οι πόλεμοι της μνήμης (Die Kriege der Erinnerung), Athen: Nefeli, 2008, S. 65 ff.

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In dieser Gemengelage knüpfen die ersten authentischen Erinnerungsfetzen – auch jenseits unerfüllter Bedürfnisse und Phänomene wie Hunger, Kälte, Angst – an vielschichtige Verhaltensformen an, die weit über das Begriffsvermögen meines damaligen Alters hinausgingen: Neid, Lüge, Denunziantentum, Heuchelei, Auswüchse eines gescheiterten Chauvinismus, Gewissenswäsche, degenerierte Hybris. Jene, die brennende Scham empfanden, taten es selten wegen eigener oder kollektiv begangener Verbrechen, sondern infolge kollektiven Scheiterns, nach einem Jahrzehnt des Mitmachens oder systematischen Wegsehens. Mittlerweile quoll die Büchse der Pandora von Unrat über. Lediglich ganz unten, nahezu unerreichbar, lagen verschüttet Wahrheit und Hoffnung, unter den Endmoränen von Selbstmitleid und Selbstbetrug. Zudem war die öffentliche und ‚allgemeine‘ Erinnerung stark selektiv, konzentriert auf Tod und Leid ausschließlich der Deutschen: etwa in Stalingrad, ohne Gedanken an Vorgeschichte und Ursachen zu verschwenden. Über den deutschen Hungerwinter 1946/47 mit seinen arktischen Temperaturen, als Leichen zu Tausenden tiefgefroren in improvisierten Lagerräumen gestapelt wurden, bis es die gestiegenen Temperaturen erlaubten, Gräber auszuheben, berichtete selbst das britische Foreign Office nur intern. Und selten fehlte die Anspielung auf die rächende Nemesis, die Göttin der ausgleichenden Gerechtigkeit. In Deutschland sprach kaum jemand davon, dass nur wenige Jahre zuvor epidemische Hungersnöte viele Teile Europas heimgesucht hatten – und auf wessen Schuldkonto sie gingen. Um nur drei extreme Beispiele zu nennen: den apokalyptischen ersten Besatzungswinter 1941/42 in Griechenland, den letzten Besatzungswinter in Holland 1944/45, der im übrigen Europa kaum bekannt ist, und die 872 Tage der Belagerung Leningrads, eine fast schon genozidale Aushungerung.3 Ich gehöre zur allerersten Nachkriegsgeneration, einer genügsamen Generation, ohne Ansprüche und zufrieden mit den kleinen Freuden des Lebens. Der Krieg hatte uns geprägt, auch wenn wir nicht ihn, sondern nur die Entbehrungen der ersten Nachkriegszeit bei vollem Bewusstsein erlebt hatten, von der viele fürchteten, sie sei in Wahrheit nur eine neue Zwischenkriegszeit. Wir legten uns Eigenarten zu, die heute als Marotten oder Schlimmeres angesehen werden. So konnte ich, wie viele meiner Generation, nie etwas „Nutzloses“ einfach wegwerfen, war doch jedes Ding potentiell nutzbar. Der Hang, die Pflicht, zum Aufbewahren war uns in Fleisch und Blut übergegangen. Nach zwei Weltkriegen und Seeblockaden seitens der gegnerischen Allianz, zuvörderst der Seemacht Großbritannien, blieb den Deutschen in einem Land mit knappen Ressourcen nichts anderes übrig, als sich im systematischen Sammeln und Wiederverwenden von knappen – und das heißt nahezu allen – Gegenständen hervorzutun, beziehungsweise Ersatzstoffe sich erst einmal auszudenken. Sogar vielen Griechen der 3 Siehe hierzu die bahnbrechende komparative Studie von Jason Chandrinos, Πόλεις σε πόλεμο 1939 – 1945 (Städte im Krieg 1939 – 1945), Athen: O mov skiouros, 2018, S. 50; S. 143; S. 211 ff. u. a.

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nachfolgenden Generation, die also die Besatzung nicht selbst erlebt hatten, blieb diese deutsche Eigenart, Schrulle noch präsent – die, wie mir tröstend gesagt wurde, als eine der harmlosesten noch durchgehen könne. Was als „Ersatz“ galt, wurde nicht nur bereits in der Kriegsführung eingesetzt, etwa bei der Verflüssigung von reichlich verfügbarer Kohle zu nicht vorhandenem Kraftstoff,4 sondern auch im zivilen Alltagsleben. Um zur eigenen Erinnerung zurückzukehren, verweise ich beispielsweise auf den Kunsthonig, einen Honigersatz, gewonnen aus einheimischen Zuckerrüben – nicht zu verwechseln mit Threpsin, dem legendären griechischen Sirup aus Trauben oder Feigen. Oder auf dehydriertes Eipulver und Trockenmilch, ein undefinierbares, oft gepantschtes gelbes bzw. weißes Pulver. Und, last but not least, auf den aromalosen Ersatzkaffee, von Nationalstolzen „deutscher K ­ affee“ genannt, während der große Rest spöttisch „Muckefuck“ sagte. Das Rezept enthielt eine Mischung aus Gerste und Roggen zusammen mit der Wurzel der Gemeinen Wegwarte, w ­ elche die Bitterstoffe liefert (Cichorium intybus, Zichorie, Chicorée), sowie Eicheln oder andere in der Natur verfügbare Bestandteile, angefangen bei Traubenkernen bis hin zu gerösteten Karotten und Hagebutten. Später, als wirtschaftliche Not und Mangel einigermaßen überwunden waren, tarnten wir unsere altmodischen Angewohnheiten als Laune oder frühreifen ökologischen Sachverstand und bewahrten weiterhin alte Schnüre, Packpapier, Metall- oder Holzschächtelchen usw. auf, die uns womöglich irgendwann einmal von Nutzen sein könnten. Natürlich gab es auch in unserer Generation Renegaten, die sich verführt vom Wirtschaftswunder der Verschwendungssucht und seiner trügerischen Fülle überließen. Wir sind die erste Generation des 20. Jahrhunderts, die keinen Krieg innerhalb Europas erlebt hat, obschon wir lange in Furcht vor einem solchen lebten; gespeist wurde diese Angst von einschlägigen Nachrichten, Gerüchten und Szenarien. In zumindest einem mir bekannten Science-­Fiction-­Film begann der Dritte Weltkrieg realitätsnah mit einem bewaffneten Zusammenstoß im geteilten Berlin, wo ich die letzten zwölf Jahre vor meiner Auswanderung lebte. Geboren bin ich in Wien. Das zumindest war eine gute Entscheidung! Zum E ­ rsten ist es eine faszinierende Stadt, zum anderen wecken Österreich und seine Metropole zeitübergreifend und weltweit freundliche Stereotype aller Art – angefangen bei Mozart und den gleichnamigen Kugeln über die ätherische Sisi bis hin zum leckeren Strudel. Die Trugbilder der felix Austria öffneten mir s­ päter klemmende Türen, etwa für Interviews zur Besatzungszeit mit zögerlichen griechischen Zeitzeugen: „Die Österreicher waren zumeist in Ordnung, nicht wie diese germanarades, die deutschen Ungeheuer!“ Der unsterbliche Mythos des guten Österreichers legte sich als schützender Schatten über äußerst problematische Landsleute namens Hitler, Eichmann, Schimana oder Löhr. Anzumerken ist hier die führende Rolle der beiden Letztgenannten, weniger Bekannten, 4 Von Friedrich Bergius 1913, also vor mehr als einem Jahrhundert entwickelt und als Patent angemeldet.

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bei SS und Wehrmacht im okkupierten Griechenland. Und nur wenigen Griechen ist bekannt, dass es ausgerechnet die Gebirgsdivisionen mit ihrem anheimelnden Lokalkolorit (selbst der Kommandeur gelegentlich in Lederhose!) waren, die in den Bergen von Hellas die blutigsten Spuren hinterlassen haben. Diese Divisionen bestanden naturgemäß nicht aus „Preußen“ des Flachlands, sondern aus bergerprobten Bayern und „Ostmärkern“ – oft willig ausführende Organe bei den Massakern auf Kreta, in Kommeno, Lyngiades und Kalavryta, um nur einige der schlimmsten herauszugreifen. Für Austria felix, mit dem es die Chronisten immer schon gut meinten, steht jener in Wirklichkeit gar nicht existente Österreicher, der im Dezember 1943 nach der Exekution der männlichen Bevölkerung Kalavrytas die Frauen und Kinder aus der brennenden Schule gerettet haben soll. Allen Dementis der Historiker zum Trotz führt er bis heute sein Geisterleben fort. Nebenbei bemerkt, ich bin an einem Samstag geboren. Einst glaubte ich mich deshalb vom Pech verfolgt. Verbreiteter Auffassung nach sind „Sonntagskinder“ vom Schicksal skandalös begünstigt. Sie besitzen einen Schutzengel, nicht nur im Schlaf, sie gewinnen im Lotto, ohne je gespielt zu haben, und sie finden die charmantesten, zärtlichsten und zugleich treuesten Partner. Wer hingegen samstags geboren ist, verliert all diese Privilegien ipso facto, denn er ist vorzeitig auf die Welt gekommen und gilt als Frühgeburt infolge von Dummheit, Hast oder Missgeschick. Es verging viel Zeit, bis ich begriff, wie man ­dieses Pech ganz einfach umpolen kann, indem man in ein Land mit anderem Kalenderdogma auswandert, wo die Σαββατογεννημένοι ­(Samstagskinder) als Glückskinder gelten. Und tatsächlich folgte bald der vorläufige Schlussstrich des Weltkriegs, die unrühmliche, bedingungslose Kapitulation des „Tausendjährigen Reichs“, das gottlob 988 Jahre vor seinem prognostizierten Ende unterging. Diesem Ende folgte auch für unsere Familie der abenteuerliche „Neuanfang“, das heißt meine und meiner 23-jährigen ­Mutter zögerliche Übersiedlung ins bereits sowjetisch beherrschte Budapest, ihre Geburtsstadt. Hier gab es den einzigen familiären Rückhalt, auch wenn Großvater – ein führender Kopf der dortigen deutschen Minderheit, aber wohl kein (zumindest kein überzeugter) Nazi – von den neuen Machthabern verschleppt worden war. Er tauchte nie wieder auf. Vater war weit weg, irgendwo als Kriegsgefangener. Der Umzug der zweiköpfigen Restfamilie – Kleinkind und M ­ utter – erwies sich als abenteuerlich: Wir landeten im Gefängnis des politisch gewendeten ungarischen Sicherheitsdienstes. Nach einigen Monaten kamen wir unter Auflagen frei, indem ­Mutter die richtigen Leute großzügig „schmierte“. Schließlich gelang uns die tagelange Flucht in einem offenen Kohlewaggon durch den Eisernen Vorhang, der damals noch Schlupflöcher für Gelenkige und Spendable aufwies. Allerdings ging dabei auch der Rest des Familienschmucks drauf. Mittlerweile schaffte ich es, mich aus der Beißzange der Diphtherie zu winden, und das sogar ohne Penicillin. Erste Station war wiederum Wien, jetzt mit einer Vierfachbesatzung. Noch heute, wenn immer sich eine Gelegenheit bietet, genieße ich das

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klassische Meisterwerk „Der dritte Mann“ mit dem unvergleichlichen Orson Welles. In späteren Jahren beschäftigte mich in ­diesem Zusammenhang ein genealogisches ­Problem, komplizierter als das längst gelöste von Karajan: Hatte der Wiener Filmmusiker Anton Karas, der, aus einfachsten Verhältnissen, mit seinem auf der Zither gespielten und über 40 Millionen Mal verkauften „Harry-­Lime-­Thema“ weltberühmt wurde, griechische Vorfahren? Sein Name legt die Vermutung nahe, doch in den mir vorliegenden biografischen Skizzen fehlt jeder diesbezügliche Hinweis. Wir zogen nach Deutschland, das bis 1949 als Staat nicht existierte – im Gegensatz zur eben „befreiten“ Ostmark, die nun wieder Österreich hieß. Hier hatte man längst den eigenen, zumeist spontanen Jubel beim „Anschluss“ an Hitlers Reich 1938 vergessen oder verdrängt. Gestützt auf den opportunen Mythos von „Hitlers erstem Opfer“ konnte die wiedererstandene Alpenrepublik sogar die diplomatischen Beziehungen zum Rest der Welt wiederaufnehmen, Griechenland eingeschlossen. Zum Stichwort „Deutschland“ hingegen vermerkten die Enzyklopädien damals: „Geographische Region in Mitteleuropa, ehemals Staat“. In ­diesem alptraumhaft aufgeladenen Vakuum ließen wir uns nieder, und zwar künftig in vier weiteren Städten an der Donau, zusammen mit den „K. und k.“-Metropolen Wien und Budapest, die ich bereits hinter mir gelassen hatte, also insgesamt sechs: wie Perlen am Rosenkranz oder an einer Komboloi-­Kette aufgereiht. Zumindest während meiner ersten vierzehn Lebensjahre blieb ich also im Bannkreis der Donau. In ihrem Wasser lernte ich schwimmen, fing meinen ersten Fisch und erhielt auch, wenn ich mich recht entsinne, meinen ersten Kuss an ihrem Ufer. Vom grauen Hintergrund der frühen Nachkriegszeit dürfte als eine der ersten angenehmen Erinnerungen der Empfang des CARE-Pakets abstechen, das alle Jahre wieder zu Weihnachten eintraf, von einer US-amerikanischen Quäkerfamilie geschickt, die einst aus Deutschland ausgewandert war. Cooperative for American Remittances to Europe, CARE, verweist als Kurzform ganz bewusst auf die lebenswichtige Bedeutung von Fürsorge und Obhut, beides Desiderata jener Epoche. Folglich wurde ich mit der Abfassung der jeweiligen Dankesbriefe beauftragt, noch bevor ich in die Schule kam. Schreiben hatte mir ­Mutter beigebracht, und ich schrieb mit Vergnügen und mit Ehrfurcht – betört von der Prosperität der mildtätigen transatlantischen Gesellschaft. Das rotglänzende hölzerne Jojo-­Spielzeug, das in einem der Pakete zu mir kam und dessen Technik ich bald meisterhaft beherrschte, sehe ich vor mir, als sei es gestern gewesen. Ebenso die unzerbrechlichen Behälter mit der verführerischen Erdnussbutter. Welch gelobtes Land, in dem Kinder sich von Ambrosia ernähren! Es vergingen 30 Jahre, bis ich die Sehnsucht danach einigermaßen abschütteln konnte: nämlich bis Ende 1978 bei meiner ersten Reise in die USA. Ich flog nach Washington D. C. natürlich nicht allein der crunchy peanut butter wegen, sondern um am Kongress „Greece in the 40’s“ teilzunehmen: ein „Greenhorn“ zusammen mit den Großen des Fachs, Svoronos, Woodhouse, Iatridis und anderen. Dennoch, auch die Erfüllung eines Kindertraums fällt ins Gewicht. Doch nach ­diesem Abstecher in eine bessere Zukunft nun wieder „zurück“.

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Mein Mikrokosmos besaß einen einzigen dramatischen Höhepunkt in seiner grauen Monotonie. Der erste und einzige Spielplatz, der sich mir tief in die Erinnerung eingeprägt hat, war eine ausgebombte Fabrik am Stadtrand. Diese Ruine war für uns etwas wie heute ein Abenteuerspielplatz, ideal zum Verstecken. Betreten war natürlich strengstens verboten, und eben deswegen war der Ort für uns Kinder von abenteuerlicher Attraktivität. Eines Tages stand ich infolge irgendeiner Unartigkeit unter Arrest und durfte nicht raus zum Spielen. So war ich weit weg, als der Krieg uns leibhaftig heimsuchte. Von Weitem hörte ich den Knall der Bombe, die unter Trümmerschutt vergraben vier oder fünf Jahre gelauert hatte. Vage erinnere ich mich an das Begräbnis eines Jungen, der vielleicht einen Kopf größer gewesen war als ich: Gesprächsfetzen, Wehklagen, Schluchzen. Und immerzu das mysteriöse Schlüsselwort Krieg, der „uns Deutschen“ immer noch den Frieden missgönnte, ein Ungeheuer, das weiterhin nach Blut dürstete. Erstmals in meinem Leben empfand ich brennenden Hass. Krieg – niemand erklärte mir Natur und Herkunft d­ ieses Ungeheuers. Ich wusste nur, dass Er meinen Spielkameraden verschlungen hatte. Er war schuld an Bomben und Ruinen, am Hunger, an der Kälte, den Vermissten und Versehrten, selbst an den Läusen, derentwegen viele von uns die Köpfe kahl scheren mussten, oft sogar die Mädchen. Wie der Krieg aussah, wusste ich: ein Menschenfresser, ein Zyklop. Seine widerliche Fratze kannte ich aus meinem Bilderbuch mit antiken griechischen Sagen, das mir eine nette Nachbarin weinend aus dem Nachlass ihres irgendwo gefallenen Sohnes geschenkt hatte. Kurioserweise eines der wenigen Bücher, das ich fortan in meinem geliebten kleinen Pappkarton, der ersten ‚Bibliothek‘ meines Lebens, wie einen Schatz aufbewahrte. Vermutlich lernte ich auch den Namen Griechenland erstmals in ­diesem Zusammenhang. Damals glaubte ich, das einäugige Scheusal sei aus weiter Ferne in unser Land eingebrochen. Ich ahnte nicht, dass wir es gewesen waren, die es gegen alle unsere Anrainer und weit darüber hinaus in Marsch gesetzt hatten. Ein schleichender, kaum verhohlener innerdeutscher Rassismus grassierte. Von Juden weit und breit keine Spur. Wehrloses Ziel waren stattdessen die „Migranten“ jener Zeit, die Flüchtlinge und Vertriebenen aus den verlorenen Ostgebieten, die mittlerweile direkt oder indirekt unter sowjetischer Kontrolle standen, angefangen beim Sudetenland bis zu Bulkes. Vom ehemals volksdeutschen Marktflecken Bulkes in der multiethnischen serbischen Provinz Vojvodina erfuhr ich erst viel ­später. Tito hatte 1945 den Ort den in den „Dekemvriana“ (Dezemberkämpfen) besiegten und exilierten griechischen Kommunisten als Ausbildungslager überlassen. Andreas Tzimas, der ehemalige Beauftragte des Politbüros der Kommunistischen Partei für den Partisanenkampf, erzählte mir 1970, beim Einrücken der Griechen in Bulkes ­seien „alle Deutschen bereits auf die eine oder andere Weise verschwunden“ gewesen – an den Wänden ihrer Häuser hätten aber noch die Kuckucksuhren getickt! Im ehemals deutschen Herrschaftsbereich waren die vertriebenen ‚Volksdeutschen‘ schon aus geografischen Gründen die ­Ersten gewesen, die die Rechnung des gemeinsam

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verlorenen Kriegs bezahlen mussten und verzweifelt nach einem Anteil an verbliebener Nahrung und „Lebensraum“ suchten. Ein paar Jahre zuvor waren die Deutschen, Heerführer und Soldaten, bis hin zur Krim und weiter hinaus auf der Suche nach ­diesem fantasierten Lebensraum, und jetzt verloren sie sogar alte und berühmte deutsche Städte wie Stettin, Breslau, Danzig, Königsberg. Sic transit gloria (et hybris) mundi. Schockierend und unverständlich für ein Kind war das oft abstoßende Verhalten vieler ‚Reichsdeutscher‘, die nach den armseligen Vorgaben jener Zeit ihre, obschon abgemagerten, Schäfchen im Trockenen hatten und mit brutaler Verleugnung den entwurzelten Ankömmlingen aus den verlorenen Ostgebieten begegneten. Geradezu hasserfüllt waren die Schimpftiraden gegen die „Polacken“, die unerwünschten neuen Mitbürger, deren Deutschtum angezweifelt wurde. (Auch in Griechenland gab es nach der Kleinasiatischen Katastrophe 1922 und der vertreibungsbedingten Ankunft von mindestens einer Million Flüchtlinge auf griechischem Staatsgebiet nicht wenige Einheimische, die jene als Türkenbrut [τουρκόσποροι] verunglimpften und ihnen mit vergleichbarem Binnenrassismus begegneten.) Eingeschult wurde ich in Höchstädt, einer netten mittelalterlichen Kleinstadt mit einem beeindruckenden Schloss aus der Spätrenaissance, ebenfalls an der Donau gelegen. Der innerdeutsche Rassismus zeigte sich unverhohlen vor dem Hintergrund religiöser Intoleranz, namentlich in den nach Gegenreformation und Dreißigjährigem Krieg katholisch geprägten Gebieten mit Monokonfessionalität. Viele von denen, die unfreiwillig als „Migranten“ eintrafen, erwiesen sich obendrein als andersgläubig, denn es waren in der großen Mehrzahl Protestanten, also nach über 300 Jahren die ersten „Ketzer“! Und wieder kriechen unangenehme Erinnerungen hoch, an Mitschüler in Höchstädt, aber auch an manche Lehrer sowie deren unleugbare Verantwortung dafür, was sie taten und insbesondere was sie nicht taten. Doch auch im protestantischen Norden ‚Restdeutschlands‘ gab es für die Flüchtlinge aus den Ostgebieten keine „Heim-­ins-­ Reich-­Willkommenskultur“. Bereits in der Grundschule erfuhr ich erstmals von einer weltgeschichtlich wichtigen Schlacht. Natürlich war es nicht die von Stalingrad, noch nicht einmal die von El Alamein. Auch geschah es nicht im Geschichtsunterricht, sondern im Fach Heimatkunde. Bei einem Ausflug führte man uns zum nahegelegenen Blindheim, dem Ort einer blutigen Auseinandersetzung, die zweieinhalb Jahrhunderte zuvor nicht nur den Ausgang des Spanischen Erbfolgekrieges, sondern auch den Lauf der europäischen Geschichte verändert hatte. Diese Ansicht teilte unser Lehrer immerhin mit einer überragenden Persönlichkeit namens Winston Churchill, und das nicht nur, weil einer von dessen Vorfahren daraus als Sieger hervorgegangen war. In der Schlacht von Höchstädt-­ Blindheim zertrümmerte Anno Domini 1704 ein alliiertes Heer aus Engländern und Habsburgern – unter dem Befehl von John Churchill, dem First Duke of Marlborough, und „unserem“ Prinzen Eugen von Savoyen – den Nimbus der Unbesiegbarkeit, der

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den französischen Truppen von Ludwig XIV. anhing. Kennzeichnend für den Spross des supranationalen europäischen Adels war seine dreisprachige Unterschrift: Eugenio (italienisch) von (deutsch) Savoy(e) (französisch). Höchstädt-­Blindheim ist in England aussprachebedingt als Blenheim bekannt, nach dem auch der prächtige Blenheim Palace in Woodstock, Oxfordshire, benannt ist. Das Gut hatten die Königin und die „dankbare Nation“ dem Duke of Marlborough als Belohnung für den Sieg über den damaligen französischen Erbfeind geschenkt. In ­diesem Schloss wurde Winston Churchill als Nachfahre und jüngerer Bruder des 8. Duke geboren. Der Ausgang der Schlacht beendete zugleich ein für alle Mal die Großmachtträume des mit Frankreich verbündeten Bayern, mit schweren Verlusten für Letzteres. Unser Lehrer verhehlte nicht seine Bekümmernis über die Niederlage Bayerns, versäumte aber nicht, zugleich entrüstet darauf hinzuweisen, dass die Franzosen am Ende desselben 18. Jahrhunderts an die Stelle ihrer Demütigung zurückkehrten und sich auf niederträchtige und abscheuliche Weise rächten, indem sie sämtliche Bierfässer der Stadt zerstörten! Solche ‚delikaten‘ historischen Details blieben bei uns Schülern natürlich hängen: Mon dieu! Einfach furchtbar! Es war das erste und auf Jahre einzige „Kriegsverbrechen“, von dem ich während meiner bewegten Schulzeit im frühen Nachkriegsdeutschland, gewiss in Einklang mit den Lehrplänen, Kenntnis erhielt. Der antifranzösische Seitenhieb kann kaum überraschen, denn damals war unser westlicher Nachbar aus der Sicht der breiten Bevölkerungsmehrheit die rigoroseste und daher unangenehmste der westlichen Besatzungsmächte. Man sollte dabei allerdings nicht vergessen, dass weder Briten noch Amerikaner jemals eine deutsche Besatzung erlebt hatten und uns daher nichts „heimzahlen“ mussten. – Ein andermal führte man uns ins städtische Museum, in dem anhand von nahezu 10.000 handbemalten Zinnsoldaten in zwei riesigen Dioramen die Schlacht von 1704 rekonstruiert war. Seitdem fand ich Gefallen an Geschichte. Nach Blindheim wurden sämtliche Klassen in disziplinierten Reihen geführt, so preußisch diszipliniert, dass sogar die Wehrmacht neidisch geworden wäre. Keine Erinnerung mehr habe ich daran, wann und von wem mir zum ersten Mal erklärt wurde, was jenes Hammerwort genau bedeutet. Doch ich hatte es sofort als Synonym für etwas Wichtiges, Hervorragendes, Unnachgiebiges und Starkes verstanden. Insbesondere wir Kinder, aber nicht nur, benutzten es im täglichen Gespräch als Vergleichsmaßstab, als Nonplusultra. „Das läuft ja geschmiert, wie bei der Wehrmacht“, „Der Kerl hat Mumm wie die Wehrmacht“, „Der verzeiht nicht, ganz wie die Wehrmacht“. Ab und zu ließ sich auch eine Prise Ironie heraushören. Ein fast vergessener Vorfall bei einem schulischen Besuch im Schlossmuseum entstieg erst kürzlich meinem Gedächtnis: Unerwartet fand eine ­Schulexkursion nach Jahrzehnten ihre professionelle Erfüllung, als ich 2011 zufällig an einer Zeitungsmeldung ‚Vermischtes‘ hängen blieb. Mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor, es muss 1952 gewesen sein, hatte uns in der Volkskundeabteilung eine außergewöhnliche Sammlung kunstvoll

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bemalter echter und hölzerner Ostereier imponiert. Ein Junge aus den höheren Klassen geriet in Versuchung und stibitzte ein Ei, wurde aber auf frischer Tat ertappt und nach seiner Rückkehr in die Schule mit 10 oder 25 Stockhieben aufs Gesäß oder die rechte Hand bestraft. Nach jedem Schlag krächzte er auf Befehl: „Ich soll nicht stehlen!“ So weit, so gut – zumindest in Einklang mit den damals üblichen ‚Sühnetarifen‘ der Grundschule. Zu jener Zeit wusste jedoch niemand, dass der bestrafte Übeltäter sich ­später schlicht als Räuber geraubten Gutes erwies! Daran erinnerte ich mich bei der Nachricht, die tatsächlich nur eine Fußnote der Zeitgeschichte war: 2011 übergab Bundesaußenminister Westerwelle seinem ukrainischen Amtskollegen feierlich 210 Pysanky, die während der deutschen Besatzung entwendet worden und schließlich im Schlossmuseum von Höchstädt gelandet waren. Wie ein Blitzschlag traf mich beim Weiterlesen die Information, dass diese Pysanki, meisterlich angefertigte Ostereier, ein bedeutender Bestandteil der ukrainischen Volkskunst schon seit der vorchristlichen Zeit sind, als man ihnen magische Kräfte zuschrieb. Daraufhin machte ich mich an die Recherche. Diese ergab, dass der erste Dieb Professor Hans Reinerth hieß, Leiter des Sonderstabes Vorgeschichte im berüchtigten „Sonderkommando Rosenberg“ der SS. Er beabsichtigte in Höchstädt ein „Institut für teutonisch-­germanische Vorgeschichte Osteuropas“ zu gründen und ließ zu d­ iesem Zweck im Frühjahr 1944 vierzehn Eisenbahnwaggons mit staatlichem Diebesgut aus der Ukraine sowie vier Waggons aus B ­ elarus dorthin überstellen. Nach dem Krieg machte man diese ausfindig, so dass 1947 über die amerikanischen Besatzungsbehörden insgesamt „2704 Objekte“ zurückgegeben wurden, wobei aber die Pysanki jahrzehntelang ‚vergessen‘ wurden. Mit der Kindheit war vorzeitig Schluss. Die Zeit verging – wie bei Wilhelm Busch – „im Sauseschritt“, insbesondere in jenen Familien, in denen die Väter als kraftspendende Identifikationsfigur fehlten. Damit sind nicht nur jene gemeint, die auf dem vielfach missbrauchten „Feld der Ehre“ geblieben waren. Auch die erste Nachkriegsphase forderte nicht wenige Opfer. Ich entsinne mich an einen jungen ‚Veteranen‘, den wir glühend bewunderten, obschon wir ihn hinter seinem Rücken Krüppel nannten. Nach Kriegsende hatte er sich darauf spezialisiert, auf Transportzüge der US-Intendantur zu springen, und zwar an strategisch günstigen Stellen, wenn beim Anstieg die Geschwindigkeit gedrosselt werden musste. Zu d­ iesem Zweck beging er auch kleine Sabotageakte, indem er sperrige Äste, Steine oder Ähnliches auf die Gleise legte. Sodann expropriierte er Dosen und oft ganze Kisten mit Cornedbeef, Zigaretten, Kohle und weitere begehrte Güter und warf diese seinen Gefährten zu, die in der Dunkelheit auf der Lauer lagen. Bis ihn schließlich die Military Police schnappte. Sie schoss ihn an, verprügelte ihn mitleidslos und warf ihn am Ende vom mittlerweile beschleunigten Zug. In jener Nacht verlor er seinen Arm. Der „Einarmige“ war mein erster Held. Viel s­ päter, in Griechenland, erfuhr ich, was der Begriff „saltadoroi“ bedeutet, nämlich Jugendliche, die zum „Organisieren“ auf Jeeps oder Züge der Besatzungsmacht sprangen.

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Und so kam es, dass auch wir Jungs zum Familienetat beitragen wollten, obschon weniger spektakulär. Wir sammelten alles, Flaschen, Metallgegenstände, Papier, verschlissene Kleidung, die man nicht mehr stopfen konnte, und trugen es in die Sammelstellen für Altmaterial oder zum hausierenden Lumpensammler. Oft bezahlte man uns in Ware, denn noch florierte der Tauschhandel. An die genauen Tarife, das heißt für wie viele Kilogramm Altpapier man zwei, drei Schulhefte erwerben konnte, kann ich mich nicht entsinnen, zumal ich damals nur auf die Schiefertafel schrieb. Früchte zu ernten oder aufzusammeln, die es in der Natur auch in diesen kargen Zeiten zu finden gab, bedeutete einen wichtigen Beitrag zum Lebensunterhalt – „ohne zu säen“, ganz wie die sprichwörtlichen Vögel in der Bibel. Auch Tannenzapfen und trockene Äste, um in den endlosen, damals eiskalten Wintern Brennmaterial zum Heizen und Kochen zu haben. Brennnesseln dienten als Ausgangsmaterial für leckere Suppen, oder auch mit Bruchreis als Spinatersatz. Jahrzehnte ­später in Griechenland begegnete ich dieser Speise unter dem Namen Tsouknidorizo wieder und aß sie gern und innerlich berührt, trotz anfänglicher Skepsis meiner Frau. Jede mögliche Beerenart, Wild- und Heilkräuter, Pilze, ja sogar Weinbergschnecken sammelten wir. Letztere kamen mir während meiner zehnjährigen Lehrtätigkeit auf Kreta wieder in den Sinn. Aber auch Rosskastanien und Eicheln sammelten wir, hauptsächlich als Schweinefutter, das wir an Interessierte verkauften. Immerhin, aus Eicheln ließ sich notfalls auch Muckefuck brauen. Später zogen wir in die Nähe von Ulm, wo die Donau, der Fluss meiner Jugend, schiffbar wird. Ulm war Festung und eine der ältesten freien Reichsstädte, seit 1184. Wiederholt war Ulm belagert worden, von französischen und bayerischen Truppen, sogar vom K ­ aiser persönlich. Aus Ulm stammte übrigens ein geheimnisumwitterter Vorfahr von mir, der, einer Familiensaga zufolge, jahrelang die oft beschwerlichen Schiffspassagen auf der „Einbahnstraße“ Donau organisierte. Fest steht jedenfalls, dass er auf einer Reise flussabwärts strandete, nicht erst am Schwarzen Meer, sondern schon in Budapest, und zwar in den Armen einer bildhübschen Nausikaa, meiner Urururgroßmutter, die der deutschen Minderheit Budapests angehörte. Ich erinnere mich an das Foto eines alten Ölgemäldes, das in den Kriegswirren in Budapest zurückgeblieben, das heißt verloren war. Ulmer Wahrzeichen ist das gotische Münster, protestantisch seit 1520 (!), an dem über ein halbes Jahrtausend gebaut worden war. Glücklicherweise hatten die alliierten Bombenangriffe keine ernsthaften Schäden hinterlassen, zumal die Stadt mit 162 Metern den höchsten Kirchturm der Welt besitzt. Mit so einem Aufstiegstraining im Hintergrund gab ich dann für Jahrzehnte der Treppe den Vorzug vor dem Lift. In Ulm besuchte ich die ersten Klassen des Humanistischen Humboldt-­Gymnasiums, „Hum-­Hum“ im internen Slang der Schule. In Latein war ich ein Ass, im Altgriechischen kam ich nur mit Ach und Krach über die Runden. Noch ahnte ich nicht, wohin mich die perfide List des Schicksals einmal führen würde. Andernfalls hätte

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ich Xenophons Anabasis und den Zug der Zehntausend gründlich im Original studiert und nicht nur die als „Spickhilfe“ dienende Übersetzung „von einem Schulmann“ im praktischen Kleinstformat. Kaum präsent war das ehemals „starke Geschlecht“. Die meisten Männer – Väter, Ehemänner und große Brüder – waren tot, invalide, vermisst oder in Kriegsgefangenschaft. Und allesamt waren sie Besiegte. An ihrer Stelle wurde die s­ päter idealisierte „Trümmerfrau“ Stütze der Gesellschaft und Wahrzeichen der „neuen Zeit“: aufrecht in den Ruinen! Wie eine moderne M ­ utter Courage rettete sie mit ungewöhnlich harter körperlicher Arbeit auch den letzten, selbst hälftigen Backstein aus dem Schutt für den erhofften Wiederaufbau. An die Trümmerfrauen erinnerten mich ­später deren ebenfalls im Nachhinein heroisierte Geschlechtsgenossinnen aus dem nordgriechischen Pindos-­Gebirge, die im Winter 1940/41 während des griechisch-­italienischen Krieges in unwegsamstem Gelände schwerste Lasten schleppen mussten – wie Maulesel, und sogar noch dort, wo selbst die Maulesel versagten! Unter normalen Voraussetzungen hätten wohl viele Frauen, Deutsche wie Griechinnen, liebend gerne auf ihren Heldinnenstatus verzichtet. Doch durch wessen Hand wurden die Ruinen zu Ruinen? Wer warf den ersten Stein, die erste Bombe? Welche Kriegspartei begann mit Bombardements ungeschützter Städte und ziviler Bevölkerung? Soweit ich mich entsinne, hörte ich während meiner deutschen Schulzeit nie etwas von Guernica (1937), von Warschau (1939), Coventry (1940), Rotterdam (1940), Belgrad und Kreta (1941), und erst recht nicht von den zahllosen anonymen polnischen und russischen Städten und Siedlungen, die unserer glorreichen Luftwaffe als Ziel gedient hatten. Sehr wohl aber erinnere ich mich an die historischen Atlanten mit vergleichenden Schaubildern und Zahlen zur Zerstörung deutscher Städte, wohlgemerkt nur deutscher Städte. Zu 48, 64, 72, 80 Prozent zerbombt und noch höher. Arme Deutsche, sie sind dazu verurteilt, immer einsam an der Spitze zu stehen! Wenn nicht bei den Siegen, so doch zumindest beim Leiden und bei erlittenen Verlustquoten. Die Prozentzahlen repräsentierten die klägliche Gegenwart, die es um des physischen und psychischen Überlebens willen zu „reparieren“ galt. Der Grundstein für den Wieder­aufbau, die nationale Pflicht einer Rückkehr zur Normalität, ließen keinen Raum für retardierende Blicke zurück in eine sündige, lästige Vergangenheit, die endlich vergehen sollte. Denn das westdeutsche ‚korrekte‘ Gedächtnis kultivierte eine diametral entgegengesetzte Version beziehungsweise Komponente eben derselben Vergangenheit, der zufolge uns Deutschen unverhältnismäßiges Unrecht widerfahren war. Jeder Schüler konnte das im Historischen Schul-­Atlas zur Neueren Geschichte nachprüfen mit den – wiederum eindimensional – anschaulichen statistischen Landkarten, in denen Pfeile unterschiedlicher Dicke Zahl und Herkunft der deutschen Vertriebenen, und zwar nur der Deutschen, markierten: aus Ostpreußen, Schlesien, Danzig, Memelland, Pommern, Banat, Sudetenland sowie zahlreichen anderen Regionen. Von

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überall dort kamen die 1945 mit notdürftigstem Gepäck oder gar mit leeren Händen Vertriebenen und mussten sich in ein Restdeutschland einfinden, das viele von ihnen nie betreten hatten. Tatsächlich aber waren sie die letzten Opfer Hitlers, obschon nicht wenige von ihnen zuvor an den NS-Verbrechen teilgehabt oder zumindest von ihnen profitiert hatten. Auch hier kein suchender Blick, wer denn eigentlich den schauerlichen Totentanz ethnischer Säuberungen ausgelöst und geführt hatte. Mittlerweile waren die Flüchtlinge in Verbänden organisiert und hatten ihre eigene Partei, den BHE gegründet, den „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“. Diese Partei, unverhüllt revanchistisch bereits im Namen, war in den 1950er Jahren Bestandteil der erweiterten bürgerlichen Regierungskoalition. Doch allmählich liefen Spitzenkader und Wähler des „Blocks“ zur Hauptfraktion der Regierung über, den Christdemokraten, deren Programm auf diese Weise eine konservativere Schlagseite erhielt. Davon zeugt die Spannbreite der damals landesweit errichteten Mahnmale zum Gedenken an deutsche Opfer, uniformierte wie auch zivile. Auch wir, ganze Schulklassen, gedachten der Kriegstoten jedes Jahr im verhangenen nasskalten November am „Volkstrauertag“, sechs Sonntage vor Weihnachten. Obwohl wir uns dabei oft eine hartnäckige Erkältung einfingen, empfanden die meisten von uns diese Gedenkveranstaltungen nicht als lästige Verpflichtung. Die Töne der Blaskapelle „Ich hatt’ einen Kameraden“, die klassische Hymne auf Treue und Kameradschaft über den Tod hinaus, berührte auch uns Heranwachsende, denn alle hatten wir verlorene oder vermisste Verwandte, „Kameraden“. Der Text war 1809 während der Napoleonischen Kriege von Ludwig Uhland geschrieben und 1825 von Friedrich Silcher vertont worden. Um diese „heimliche deutsche Hymne“ wurde jahrzehntelang ein Streit geführt, inwieweit insbesondere deren mittlerweile kaum noch gespielte dritte Strophe kriegsverherrlichend und somit kriegsverlängernd gewirkt hätte. Sogar Bundespräsident Richard von Weizsäcker ließ 1993 sicherheitshalber beim Freiburger Volksliedarchiv anfragen, woher Text und Melodie des Liedes stammten und ­welche „Aufführungs­ tradition“ es habe. Die Antwort der Archivare gab politische Entwarnung. Mitentscheidend war wohl der Umstand, dass sogar die Franzosen die silchersche Melodie von 1825 am 14. Juli, ihrem Nationalfeiertag, am Grabmal des Unbekannten Soldaten spielen. Diese ermutigende Entwicklung ist auch bei den Gedenkveranstaltungen mit supranationaler und überkonfessioneller Ausrichtung auf dem deutschen Soldatenfriedhof Dionysos-­Rapendoza bei Athen zu beobachten, so wieder 2018, mit dem mittlerweile leider in anderer Position tätigen Botschafter Jens Plötner, der in Hellas sehr viele neue Sympathien für Deutschland und die Deutschen erworben hat. – Anzumerken ist hier¸ dass ich in den späten 1980er Jahren bei der Gedenkveranstaltung aus dem gleichen Anlass einen Vertreter der Österreichischen Botschaft sah, wie er einen Lorbeerkranz mit rot-­weiß-­roter Schleife niederlegte. Erst bei genauem Hinsehen merkte ich mit Grausen, dass die Ehrung explizit den Österreichern jener 117. Jäger-­Division gewidmet

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war, die in Kalavryta und zahllosen anderen Orten Griechenlands und Jugoslawiens ihre blutige Spur zurückgelassen hatte. Eine ­solche separate Widmung hätte, wäre sie bekannt geworden, in der griechischen Öffentlichkeit verheerend gewirkt, da nicht die Weltkriegsgefallenen in toto geehrt wurden, sondern expressis verbis die Toten jener Einheit, die laut Divisionsbericht Hunderte von griechischen Zivilisten „nicht nur aus Pflichterfüllung, sondern aus voller Überzeugung“ ermordet hatten. Wie ich s­ päter erfuhr, war diese provokative Ehrung auf einen Antrag des interessierten Veteranenverbands zurückgegangen. Von den zumeist geschichtsunkundigen Botschaftsangehörigen war hoffentlich niemand involviert gewesen. Bei meiner Einladung nach Wien zur Teilnahme als ständiger Experte in der Internationalen Historikerkommission zur Klärung der militärischen Vergangenheit des umstrittenen Staatspräsidenten, Dr. Kurt Waldheim,5 lernte ich den kurz zuvor eingetroffenen, verständnisvollen Botschafter Dr. Hellmuth Strasser kennen und führte mit ihm ein offenes Gespräch. Dank seiner Intervention wurde eine Wiederholung dieser fatalen Initiative verhütet. Der Kalte Krieg hatte schon früh die Prioritäten einer konservativen Realpolitik durchgesetzt. Davon zeugte etwa Adenauers charakteristische Sentenz: „Man schüttet kein dreckiges Wasser weg, wenn man kein reines hat!“ In der Bundesrepublik, wie auch in Österreich, galt es zumindest die unteren und mittleren Ebenen der NS-Funktionsträger gesellschaftlich wieder einzubinden, nicht zu vergessen die lokalen Handlanger bis hin zum Blockwart. Bei der Kommentierung unpopulärer Ereignisse war oft zu hören: „Unter Adolf wäre sowas nicht passiert“, oder in revanchistisch-­drohender Nuance: „Bald kommen auch wieder andere Zeiten…“ Bei einer Umfrage im Jahr 1951 gaben 40 Prozent der Befragten zur Antwort, „die Dinge“ s­ eien im NS-Reich generell oder zumindest partiell besser gewesen. (Das erinnert an analoge Umfragen nach 1974 in Griechenland, die ebenfalls beunruhigend hohe Zustimmungswerte im Hinblick auf die Militärjunta ergaben, doch wurden diese von den Medien nur sehr zurückhaltend kommuniziert.) Die Gleichschaltung im besonders unterminierten Bildungssektor während der NS-Jahre verdient gleichfalls Erwähnung. Was jedoch die Debatte über die in den 1950er und 1960er Jahren geführte „Kollektivschuld“ betrifft: Millionen Deutsche und Österreicher waren keine eingeschworenen, keine hartgesottenen Nazis, sondern Mitläufer und Zuträger aus Opportunismus. Doch lässt sich streiten, welcher Typ gefährlicher ist. Nur einige wenige ehemalige Opfer des Nationalsozialismus sowie Emigranten, Linksintellektuelle und sonstige „Nonkonformisten“ versuchten gegen den Konsens der Restauration zu verstoßen. Der Mainstream der institutionalisierten Öffentlichkeit, die frühe public history und das akademische Umfeld ignorierten das Milleniumsverbrechen an den Juden nach Kräften, solange sich nicht aktuelles Zeitgeschehen geltend machte,

5 Vgl. „Erinnerungen an die ‚Causa Waldheim‘“ im vorliegenden Band.

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das zumindest kurzfristig am Wall der internen Verdrängung rüttelte. Vom Ausland her geschah dies etwa über die Entführung Eichmanns, dessen anschließenden Prozess und seine Hinrichtung 1961 in Jerusalem.6 Doch im Zusammenhang mit dem Holocaust, der Shoah waren weiterhin bizarre Verschwörungstheorien, Gerüchte und sogar widerliche Witze im Umlauf. Bis dahin war ich noch keinem Juden begegnet, jedenfalls nicht bewusst. Ich entsinne mich wie befremdet man mich ansah, als ich den Wunsch äußerte, „zumindest einen Juden möchte ich kennenlernen, mit ihm reden, ihn fragen“. Ein anderes Mal erhielt ich auf einen ähnlichen Wunsch hin von einer ‚seriösen‘ Person folgende Warnung: „Wozu denn das? Der tischt dir bloß einen Haufen Lügen auf. Die Juden sind doch alle gleich. Schau nur, was sie mit den armen Arabern treiben!“ Damals war die „Arabophilie“ auf ihrem Höhepunkt und lieferte ein bequemes Alibi für Antisemitismus. Für viele Deutsche bildete die Sueskrise eine optimale Gelegenheit zu aktiver Schadenfreude gegenüber Franzosen und Briten, die von Nasser eine schwere politische Schlappe hatten einstecken müssen. Eine gewisse Besserung setzte 1958 ein, als die wiederholten Skandale um den „Stammtischantisemitismus“ die versumpfenden Gewässer bundesrepublikanischer Geschichtskultur und insbesondere die Außendarstellung des westlichen Teilstaats aufwühlten. Im Gefolge der schlagzeilenträchtigen Verhaftung und Verurteilung von Dr. Max Merten, der grauen Eminenz im deutsch besetzten Thessaloniki, erfuhren zumindest manche Deutsche oder erinnerten sich daran, dass Griechenland ebenfalls unter deutscher Besatzung gestanden hatte. Im besagten Jahr wurde in Ludwigsburg, einst Sitz des württembergischen Königs, die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen eingerichtet. Die Presse nahm davon eher nebenbei Notiz. Immerhin erließen die Kultusminister der Länder nun strengere Richtlinien für den Geschichtsunterricht. Auch wurde das Gesetz zur Volksverhetzung verabschiedet und damit das Aufstacheln zum Hass gegen Gruppierungen oder Einzelne, insbesondere aus „Gründen der Rasse“, zum Straftatbestand erklärt. Zögernd entstanden erste Mahnmale auch für Opfer des NS-Terrors und der NS-Verfolgungen, allerdings nur für ­solche bestimmter Kategorien. Verwirrt verfolgte ich die Entwicklungen und sah mich dem Kollektivschweigen oder den halben, unwillig erteilten Antworten gegenüber, zumal viele von uns nicht einmal wussten, was und wie sie eigentlich fragen sollten. „Papa, was hast du im Krieg gemacht?“ Ziemlich abgegriffen! Als frage man, was der jeweilige „Papa“ an seiner 6 Großen Einfluss hatte ­später die US-amerikanische TV-Seifenoper Holocaust (1978/79). Hierzu vgl. Hagen Fleischer; Anna Maria Droumbouki, Κλειώ και Κλισέ. Η Γερμανία αντιμέτωπη με το „τηλεοπτικό Ολοκαύτωμα“ (Clio und Cliché: Deutschland und der TV-Holocaust), in: Anna Machaira; Lida Papastefanaki (Hg.), Εβραϊκές κοινότητες ανάμεσα σε Ανατολή και Δύση ( Jüdische Gemeinden z­ wischen Ost und West), Ioannina: Isnafi, 2016, S. 326 – 344.

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Arbeitsstelle oder während der Ferien macht. Und wieso überhaupt nur Papa? Wie viele Väter haben auf s­ olche immer drängenderen Fragen überhaupt Antwort geben können und wollen? Meine vage Überlegung, Geschichte zu studieren wurde damals zum konkret definierten Wunsch: nämlich zeitgenössische Geschichte, vor allem die des Zweiten Weltkriegs, aus beiden Perspektiven, jener der Täter und jener der Opfer. Schrittweise sahen sich die herrschenden Eliten gezwungen, in irgendeiner Form auf die hartnäckigen, oft aggressiven Fragen der jungen Generation zu ihren Aktivitäten unter dem NS -Regime zu antworten. Ab 1961, als die „Fischer-­Kontroverse“, ausgelöst durch die bahnbrechende Studie Griff nach der Weltmacht des Hamburger Historikers Fritz Fischer zur deutschen Verantwortung auch für den E ­ rsten Weltkrieg hohe Wellen schlug, war die studentische Jugend schon sensibilisiert. Andere, darunter ich, wurden durch den zeitgleich in Jerusalem stattfindenden Eichmann-­Prozess stärker aufgerüttelt. Doch im selben Jahr zog die DDR-Führung ihre Mauer in Berlin hoch, was vielen Westdeutschen die willkommene Gelegenheit lieferte, den Begriff KZ nicht auf die ehemaligen Konzentrationslager des „Dritten Reiches“ anzuwenden, sondern auf den konkurrierenden zweiten deutschen Staat, aber auch den gesamten Ostblock. Das zeigte sich auch bei der Berichterstattung zum ersten von insgesamt sieben Auschwitzprozessen, der 1963 in Frankfurt begann. Dicht daran waren nicht nur die Medien, sondern erstmals auch ganze Schulklassen oder Studentengruppen. In d­ iesem Zusammenhang wurde ich gedrängt, einen Besuch des KZ Dachau mit einer Busladung von nahezu 30 griechischen „Gastarbeitern“ zu organisieren. Damals lebte ich in der südbayerischen Stadt Kaufbeuren, erstmals nicht an der Donau, und hatte über meine Brotarbeit Kontakt zur lokalen griechischen Bevölkerungsgruppe gefunden. Dass sich Xenophons Sprache, zumal „erasmisch“ ausgesprochen, von dem in Griechenland gängigen Idiom und gar der in Kilkis, Kastoria, Drama oder Pikrolimni gesprochenen nordgriechischen Mundarten unterscheidet, wurde mir bald endgültig klar. Es dauerte einige Monate, bis ich diese sprachliche Kluft einigermaßen überbrücken konnte, indem ich als unbezahltes, aber geschätztes Mädchen für alles in der griechischen Kolonie wirkte – als Dragoman, also Dolmetscher und Übersetzer, als Sozialarbeiter und Mittels­mann bei deutschen Behörden, ja sogar zeitweise als Berater für binationale Idylle, was sich aber als gefährlich erwies. Insgesamt aber gefielen mir s­ olche Aufgaben mit erheblicher Bandbreite. Wir mieteten einen Bus für sonntägliche Ausflüge in die weitere Umgebung, von der Benediktinerabtei Ottobeuren bis zur Bodenseeinsel Mainau, darunter der erwähnte Besuch in Dachau, dessen museale Umgestaltung zur offiziellen Gedenkstätte noch nicht einmal in der Planung abgeschlossen war.7 An diesen meinen ersten Besuch musste ich oft denken, als ich 2010, unterstützt vom DAAD, mit 7 Dazu Anna Maria Droumpouki, Μνημεία της λήθης. Ίχνη του Β’ Παγκοσμίου Πολέμου στην Ελλάδα και στην Ευρώπη (Monumente des Vergessens. Spuren des Zweiten Weltkrieges in Griechenland und Europa), Athen: Polis, 2014, S. 257 ff.

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17 jungen Historikerinnen und Historikern der Universität Athen eine zweiwöchige Studienreise an zentrale Erinnerungsorte des NS -Terrors unternahm, darunter auch drei Konzentrationslager. Auf unserer Reise begleitete uns der befreundete Regisseur Ilias Giannakakis mit seiner Kamera. Aus fast 80 Stunden Filmmaterial entstand eine einstündige filmische Dokumentation, die mehrmals vom griechischen Staatssender ERT ausgestrahlt wurde, unter dem – nicht von mir gewählten – Titel Hagen Fleischer und die Kriege der Erinnerung. Doch am Ende hatte ich aus unterschiedlichen Gründen Kaufbeuren und das Bundes­land Bayern hinter mir gelassen, um auf Umwegen in Berlin anzukommen. Sogar zu Zeiten der Teilung und des Niedergangs hatte die ehemalige deutsche Hauptstadt einen Großteil ihres alten Glanzes bewahrt. Dieses Flair übte eine merkwürdige, fast schon morbide Faszination aus, die mit dem Kalten Krieg zu tun hatte, aber auch einen handfesten Vorteil aufwies: Wegen des weiterhin geltenden Besatzungsstatus konnte man sich hier dem Wehrdienst legal entziehen. 1965, im Jahr meiner Übersiedlung nach Berlin, brach die zwischenzeitlich verdrängte Erinnerung an den Krieg plötzlich allgemein durch. 20 Jahre nach dessen Ende hatten nicht Wenige darauf spekuliert, dass NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit dann endgültig verjährt s­ eien. Doch es kam zu gewalttätigen Protesten, auch im Ausland, und zu einer heftig geführten öffentlichen Debatte, so dass schließlich die Verjährung durch ein neues Gesetz verhindert werden musste. Zugleich eskalierte der Generationenkonflikt, und das Thema einer deutschen Identität wurde an die Oberfläche gespült. Daneben beschäftigte mich auch der Gedanke an meine eigene künftige berufliche Identität. Voraussetzung für alles Weitere war allerdings die „Matura“, wie man in Österreich sagt. Um diese nachzuholen, meldete ich mich für die zweimal im Jahr mögliche Aufnahmeprüfung am staatlichen Berliner Abendgymnasium für Berufstätige an. Zuvor allerdings verbrachte ich drei faszinierende Monate in Dänemark und Finnland – als „freelance“ Gastlehrer im Deutschunterricht! In beiden Ländern stieß ich aber auch auf Spuren einstiger Besatzungsaktivitäten meiner Landsleute, wobei mich namentlich der zweite Fall erstaunte: Schon meine ersten finnischen Kontakte waren für mich jungen Saksalainen [Deutschen] durchweg positiv verlaufen, und Suomi war mir bis dahin nur als einstiger „Waffenbruder“ der Wehrmacht bekannt. Hingegen hatte ich nie etwas gehört von den im Herbst 1944 flächendeckenden Verwüstungen in Finnisch-­Lappland und seiner Hauptstadt Rovaniemi durch eben diese Wehrmacht als Folge sowjetischer Pressionen und fataler deutscher „Ungeschicklichkeiten“. Und eben ­solche (sowie andere) bislang ungehörten und unerhörten ‚Neuigkeiten‘ interpretierte ich als Anstoß für künftige Aufgaben. Zunächst drängte aber eine andere, nicht aufschiebbare Verpflichtung. In einer knappen Woche hatte ich meinen Prüfungstermin in Berlin und musste zuvor die drei skandinavischen Länder durchqueren – per Anhalter. Schließlich schaffte ich es buchstäblich in letzter Minute.

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Ab September 1965 war ich also am ältesten deutschen Abendgymnasium eingeschrieben, im April 1966 erhielt ich dann die Sondererlaubnis zur Immatrikulation an der Freien Universität (FU ) – vorerst mit „Kleiner Matrikel“. So gelang es mir, verlorene Zeit zurückzugewinnen. Ich studierte Geschichte und Publizistik, aber auch Skandinavistik – eine Kombination, die mir gefiel, aber kein Staatsexamen ermöglichte. Immerhin verminderte sich mit der Ende Mai 1967 bestandenen Reifeprüfung die Dreifachbelastung aus Schule, Studium und (nächtlicher) Brotarbeit spürbar. So fand ich Zeit, mich thematisch interessierende Seminare auch an der von der radikalen studentischen Opposition im November 1967 gegründeten „Kritischen Universität“ (KU) zu belegen, die in besetzten Räumen der FU betrieben wurde. Doch bald war ich ernüchtert, als ich feststellte, dass Lehrende und Lernende der KU sich deutlich stärker für den Vietnamkrieg und den „Kampf gegen das System“ interessierten als für „unseren“ Zweiten Weltkrieg. Worin die Prioritäten der sogenannten 68er-­Generation lagen, offenbarte sich in oft eindimensionalen Enthüllungen im Anklageton, ­welche die unaufgearbeitete NS- und Kriegszeit insgesamt als Rammbock gegen die verhasste Macht der Väter-­Täter-­Herrscher instrumentalisierte. Meist nahm man bei solchen Aktionen mit dem Megaphon oder dem nach heutigen Maßstäben ‚antiken‘ Matrizendrucker vorlieb, während historische Forschung im Archiv als „trocken“ oder gar als eine „Masche bürgerlicher Objektivität“ galt. Natürlich verwies man auf Beispiele „reaktionärer“ Wissenschaftler an der FU und anderswo, zum Teil mit NS-Vergangenheit belastete Professoren. Dabei wurde in der KU übersehen, dass zur Schau getragene wissenschaftliche ‚Fortschrittlichkeit‘ trügen konnte. Extremfall war der Aachener Hochschullehrer Hans E. Schneider, ehemals mit dem Ruf eines progressiven Reformers: Schließlich wurde er 1995 als ehemaliger Mitarbeiter von Himmler entlarvt, der sogar auf der Fahndungsliste gestanden und es dennoch geschafft hatte, ein halbes Jahrhundert unter falschem Namen (Hans Schwerte) Karriere zu machen.8 Angesichts der Tatsache, dass das Institut für Publizistik, damals in der Hagenstraße (sic), im Ruf eines linken Bollwerks stand, hatte ich nun das übliche Problem der meisten Bigamisten: Vor meinen Kommilitonen in beiden räumlich weit getrennten Instituten hielt ich mein jeweils anderes Leben nach Möglichkeit geheim. Denn hätten sie von meiner Doppelbeziehung Wind bekommen, hätte ich bei den ‚fortschrittlichen‘ Publizisten, Studenten wie Dozenten, als Dinosaurier gegolten, andererseits bei manchen Historikern als eine Art Tupamaro. Letzteres war nicht ganz abwegig, da auch Ulrike Meinhof eine Zeit lang Lehrveranstaltungen zum Journalismus im Institut für Publizistik durchführte. Eines Tages erschien sie nicht zu ihrem Seminar, da sie wenige Stunden zuvor in den palästinensischen Untergrund abgetaucht war: Sie hatte nämlich die gewaltsame Befreiung von Andreas Baader organisiert, der damals unter anderem

8 Fleischer, Kriege der Erinnerung, S. 98 – 99.

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wegen zweier Kaufhausbrandstiftungen inhaftiert war. Jener 14. Mai 1970 gilt seitdem als die Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion. Unterdessen hatte in der Bundesrepublik ein allgemeiner politischer Umschwung stattgefunden. Nach der Bundestagswahl vom 28. September 1969 und der daraufhin gebildeten sozialliberalen Regierung war nunmehr Willy Brandt, zu NS -Zeiten Widerstandskämpfer und Emigrant, neuer Bundeskanzler. Er trieb einen aufrichtigeren Umgang mit der belasteten Vergangenheit voran. Viele setzten Hoffnungen in ihn, gerade weil „die tiefschwarze Reaktion“ gegen jenen Politiker wetterte, der den „Ausverkauf deutscher Interessen“ betreibe und dazu noch ein „Bastard“ sei! Sein historischer Kniefall am 7. Dezember 1970 an der Stelle, an der einst das Warschauer Ghetto lag, war ein Meilenstein, eine Geste stummen Aufschreis – an einem Ort, an dem die Sprache versagt. Deutschland reagierte gespalten. Laut Spiegel -­Umfrage hielten damals 48 Prozent diese Geste für – mindestens – überzogen, 41 Prozent befürworteten sie, der Rest hatte „keine Meinung“. Gleichermaßen gespalten, aus anderen Gründen, in ihren Reaktionen waren Juden und Polen.9 Doch die Zäsur war Fakt. Ich selbst hatte mittlerweile meine Kontakte nach Dänemark vertieft, hatte fließend Dänisch gelernt. Zum Baden in der Nordsee deponierten wir unsere Klamotten in einem ehemaligen Bunker, einem von insgesamt 7500 aus der Besatzungszeit. Meine Freunde witzelten: „Deine Landsleute haben ihn gebaut, Du hast also ältere Rechte und darfst dich als Erster umziehen.“ Doch bald wurden wir ernst. Bei längeren Gesprächen kam über kurz oder lang die damals noch „jüngste“ Vergangenheit zur Sprache. In den meisten Fällen bemühten sich meine Gesprächspartner, wie auch ­später in Griechenland, um exemplarischen Takt, und einige versuchten wohl, zunächst die eventuell camouflierte Einstellung des „Aggressoren-­Abkömmlings“ auszuloten. Ich las Texte aus der Okkupationszeit, verfasst vom jütländischen Theologen und Dichter Kaj Munk. Das vielfach ausgezeichnete Filmdrama „Ordet“ („Das Wort“) von Carl Theodor Dreyer geht auf eine Bearbeitung des gleichnamigen Theaterstücks von Munk zurück. Die Premiere fand am 11. Jahrestag von Munks Beerdigung statt. Obwohl dieser in den frühen 1930ern gewisse Sympathien für die großgermanischen Modelle der NSDAP gehegt hatte, wichen jene bald einer schweren Ernüchterung. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen am 9. April 1940 forderte er seine Landsleute auf, Kollaboration zu verweigern und sich jeder Verfolgung aus rassischen Gründen zu widersetzen. Tatsächlich überlebten fast alle dänischen Juden, die zumeist über den Öresund ins nahe Schweden flüchteten. Doch ein SS -Kommando entführte Munk, ermordete ihn und warf seine Leiche in den nächsten Straßengraben. Obwohl Ort und Zeit der Beerdigung nicht bekannt gegeben wurden, entwickelte sie sich zu einer

9 Ebd., S. 71.

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spontanen Massenkundgebung, bei der ihm 4000 Nachbarn ein beeindruckendes letztes Geleit gaben. Der Kalender schrieb damals den 8. Januar 1944, den Tag meiner Geburt. Ich hielt das für ein ­­Zeichen und empfand eine moralische Verpflichtung, nach Abschluss meines Studiums eine Dissertation über „unsere“ Besatzungszeit in Dänemark folgen zu lassen. Doch die deprimierenden Nachrichten aus Griechenland, der Putsch einer brutalen, geistlosen und faschistoiden Junta lösten einen Konflikt mit meiner geografischen Orientierung an Dänemark aus. Durch meine jahrelangen Kontakte mit der humanistischen Bildung, so unvollkommen und oft auch ermüdend sie gewesen waren, blieb mir eine allgemeine Zuneigung für das klassische Griechenland erhalten. Unerträglich der Gedanke, dass das „demokratische“ Westeuropa – sah man von den diktatorischen Fossilen der Iberischen Halbinsel ab – nun von einem dritten faschistoiden Regime verseucht war! Und zwar ausgerechnet im Land meines gewaltigen ‚Kollegen‘ ­Thukydides, welches ich unbedingt kennenlernen wollte. Auch an die neu erworbenen Freunde dort musste ich denken. Nach vielen langen, zumeist abratenden Gesprächen fuhr ich mit der Eisenbahn im Oktober 1968 vom Bahnhof Zoo im damaligen Westberlin mit einem kleinen Stipendium auf eine Forschungsreise nach Athen, eine Reise mit ungewissem Ausgang, unter dem schwer lastenden Schatten der Diktatur. Fast gleichzeitig mit meiner Ankunft in Athen wurde der dreimalige Premier ­Georgios Papandreou – bei den letzten Parlamentswahlen im Februar 1964 hatte seine Partei, die Zentrumsunion, 53 Prozent der Stimmen erhalten – überraschend ins Evangelismos-­Krankenhaus eingeliefert, in dem er eine Woche ­später am 1. November starb. Die Stadt wimmelte plötzlich von Polizisten: solchen in Uniform, aber mindestens ebenso vielen geheimen in Zivil. Die Junta fürchtete nämlich Unruhen anlässlich der anstehenden Beerdigung des populären Politikers; das Regime hatte aus d­ iesem Anlass nolens volens sein seit dem Putsch vom 21. April 1967 bestehendes Versammlungsverbot aussetzen müssen. Unvergesslich blieb mir die Beerdigung des „Alten“, wie er allgemein genannt wurde, am 3. November 1968. Eleni, meine spätere Frau, und ich folgten seinem Sarg bis zum Hauptfriedhof. Sie hatte ich wenige Monate zuvor in den Berliner FUKreisen der Juntagegner kennengelernt. Ich war tief beeindruckt von der Atmosphäre, die Ergriffenheit und Widerstand vereinte. Einem Menschenmeer (λαοθάλασσα) von Hunderttausenden entstiegen regimefeindliche Parolen, insbesondere der Ruf „Ε-λευ-­ θε-­ρία!“, Eleftheria, Freiheit, und: „Σήμερα ψηφίζουμε!“, Simera psifizoume, Heute stimmen wir ab! Dies in Anspielung auf das gefälschte ‚Plebiszit‘ des Regimes wenige Wochen zuvor am 29. September 1968 zur Annahme einer maßgeschneiderten Verfassung, mit dem diese angeblich von 92,21 Prozent der abgegebenen Stimmen bestätigt worden sei. – Ein derartiges Gänsehauterlebnis war mir bis dahin unbekannt geblieben. Im selben Monat erlebte ich einen anderen Protagonisten der griechischen Zeitgeschichte, den nur knapp gescheiterten und dann brutal gefolterten

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Papadopoulos-­Attentäter Alekos Panagoulis, nur wenige Meter entfernt – lebendig, aber unerreichbar – im Saal des Sondermilitärgerichts, Akadimias-­Straße 11. Am gleichen Abend ging ein Bericht von mir unter Pseudonym an eine Zeitung, die nicht zum Berlin nahezu total beherrschenden Springerkonzern gehörte.10 Zuvor hatte ich einen Artikel über P ­ apandreous Beerdigung an „Die Welt“ geschickt. Publiziert wurde er dort allerdings nicht, da man ihn für voreingenommen, das heißt „einseitig gegen die griechische Regierung gerichtet“ hielt. Einige Wochen s­ päter, als vor einem Fußballländerspiel der Bundesrepublik gegen Zypern ein umfassender Streik die Berichterstattung verhinderte, erhielt ich plötzlich einen Anruf ausgerechnet von der „Welt“-Redaktion, ob ich helfen könnte. Meine Reaktion war nicht sehr höflich. – Dennoch folgten weitere Artikel insbesondere in der einzigen Mittagszeitung „Der Abend“, mit der es mir gelang, eine kontinuierliche Verbindung zu knüpfen. Ohne die heutigen technischen Annehmlichkeiten wie E-Mail oder wenigstens Fax war es mühselig, mit der – zudem zensierten – Aktualität Schritt zu halten. Doch konnte ich mir Zugang zum Verteilerzentrum der griechischen Post in der Konstantinoupoleos-­Straße verschaffen, jeweils kurz bevor der Sack mit der Luftpost sowie dem Expressbeutel nach Deutschland verschlossen wurde. Zwei, drei Angestellte zeigten Sympathie für den „jungen Deutschen“ (Γερμανάκι) – ein diminutiver Beiname, der mir natürlich lieber war als das seit der Okkupationszeit verbreitete und diachron kaum zu übersetzende Schimpfwort „Germanaras“ (Γερμαναράς). Entgegen allen Vorschriften ließ man mich hinter die Absperrung, wo ich meinen Umschlag eigenhändig in den Versandbeutel stecken durfte, auf dass er den Zubringer zum Flughafen und den Nachtflug nach Deutschland noch erreichte. Parallel versuchte ich im „low level-­Widerstand“ auch anderweitig aktiv zu werden. In dieser Phase lernte ich den damals letzten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten kennen, der mich sehr beeindruckte: Panagiotis Kanellopoulos, der darüber hinaus auch ein exzellenter Geisteswissenschaftler war. Viel ­später würde er eines der drei Protagonistenvorworte zu meiner Dissertation schreiben, zum Thema Griechenland im Zweiten Weltkrieg. So lebte ich mein persönliches „’68“ fokussiert auf Griechenland. Es war etwas ganz anderes als die in Berlin ansonsten gelebte Aktionsphase der Studentenbewegung, vor allem ohne deren zeitliche Verdichtung, de facto bis zum Zusammenbruch der Militärdiktatur 1974. Statt mich in die unter Kommilitonen so beliebten lautstarken Demos für Mao und „Ho-­Ho-­Ho-­Chi-­Minh“ einzureihen, bevorzugte ich die, wenn auch nicht ganz ungefährlichen Protestmärsche zur griechischen Militärmission, Räuberhöhle des Regimes und seiner Spitzel. 1969 heirateten Eleni und ich. Sie blieb skeptisch gegenüber meiner beabsichtigten wissenschaftlichen Liaison. Denn aus ihr hätte sich die Notwendigkeit ergeben, in 10 „Der Prozess von Athen. Zwielicht im Gerichtssaal (Bericht über das Verfahren gegen ­Panagoulis)“, in: Spandauer Volksblatt, 26. November 1968.

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regelmäßigen Abständen nach Dänemark zu fahren, um dort in Archiven und Bibliotheken zu arbeiten, aber auch Interviews mit Zeitzeugen zu führen. Zudem kannte sie den Norden fast nur aus den, wie sie meinte, weitgehend „düsteren“ Werken von Carl Theodor Dreyer, Ibsen, Strindberg und Bergman. So begann ich, vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen in Griechenland und unter sanftem ehelichem Einfluss neue Zukunftsvorstellungen zu entwickeln und mich auch wissenschaftlich mit Griechen­ land zu befassen, nunmehr als Hauptthema. Folglich bat ich den designierten Betreuer meiner begonnenen Doktorarbeit zu Dänemark im Zweiten Weltkrieg, Prof. Hans Dietrich Loock, um ein Gespräch. Loock war ausgewiesener Fachmann für skandinavische Geschichte, dessen Habilitationsschrift zu Norwegen im Zweiten Weltkrieg kurz vor dem Erscheinen stand.11 Und nun informierte ich ihn, ich wolle infolge meiner zwischenzeitlichen Heirat das Dissertationsthema von Dänemark „etwas weiter nach Süden“ verlegen. Als ich diese „Verlegung“ präzisierte, wurde mein in der Regel sanftmütiger Doktorvater erstmals laut: „Besatzung in Griechenland?“ Ich dürfe nicht meine – und seine – Energie auf eine ­solche „Fußnote in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ verschwenden! Er riet mir, einen anderen Doktorvater zu suchen – sofern ich einen fände, was er bezweifle. Er selbst habe nicht die geringste Ahnung von griechischer Geschichte der Neuzeit und interessiere sich auch nicht dafür. Ich erwiderte ihm, falls dies stimme, falls es auch in der deutschen Geschichtswissenschaft generell so gesehen werde, habe er mir eben einen triftigen zusätzlichen Grund geliefert, genau ­dieses Thema zu bearbeiten. Zu guter Letzt gab er mürrisch nach. Ohnehin war kein anderes Mitglied des Lehrkörpers in Sicht, das mehr vom Thema verstanden hätte. Doch, so meinte er, müsse ich meine „absurde Idee“ in seinem Doktorandenseminar strukturiert darlegen und rechtfertigen. Dort wunderten sich meine Kommilitonen lauthals. Ein Satz, ein Aufschrei bleibt mir unvergesslich: „Griechenland? Ach, dort waren wir auch?“ Die Warnungen Loocks waren nicht ganz unbegründet, wie die nächsten Jahre zeigten. Meine Recherchen erwiesen sich als äußerst mühsam: unzugängliche, geplünderte, verwüstete, verfälschte, spurlos verschwundene Archive. Alle griechischen Bibliotheken waren von den Obristen nach den Kriterien ihrer sogenannten „Revolution des 21. April“ gesäubert. Viele der bekannten Persönlichkeiten, die ich als lebende Quellen hätte befragen können, waren incommunicado – im Gefängnis, auf abgelegenen Verbannungsinseln oder im ‚sozialistischen‘ Ausland – von Bulgarien bis Taschkent, wo die griechischen Kommunisten eine starke Kolonie besaßen. So suchte ich neue Quellen mittels der oral history. Insgesamt führte ich weit über 200 Gespräche oder schriftliche Interviews mit namhaften Protagonisten, aber auch mit kaum hervorgetretenen Zeitzeugen: Griechen, 11 Hans Dietrich Loock, Quisling, Rosenberg und Terboven: zur Vorgeschichte und Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen, Stuttgart: Deutsche Verlags-­Anstalt, 1970.

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Deutschen, Österreichern und Briten, mit Vertretern des Zentrums, der gespaltenen Rechten und vor allem mit solchen der Linken jeglicher Couleur. Lebhaft gegenwärtig sind mir insbesondere die Dutzende von Begegnungen mit Panagiotis Kanellopoulos, aber auch die unglaublich intensiven 60 Stunden – über drei Tage und Nächte mit dem mich faszinierenden Andreas Tzimas und seiner Frau Louiza in ihrem Prager Exil. Am Ende des letzten Tages musste ich leider die Stadt an der Moldau verlassen, zusammen mit allen anderen Besuchern aus ‚kapitalistischen‘ Ländern, denn es begann die große Konferenz aller ‚sozialistischen Bruderstaaten‘. So vereinbarten wir ein neues Treffen für Ende 1972. Doch am 2. Dezember erhielt ich ein Telegramm von Louiza, in dem sie mich „mit unerträglichem Schmerz“ informierte, dass Andreas tags zuvor gestorben war. Das Telegramm besitze ich heute noch. Im selben Jahr wurde das riesige Archiv des Foreign Office für die Zeit des Zweiten Weltkriegs mit Ausnahme der noch auf Jahre bzw. Jahrzehnte zurückgehaltenen Verschlusssachen zugänglich, so dass ich drei volle Monate lang sechsmal die Woche ins Nationalarchiv, seinerzeit das „Public Record Office“, pilgerte. Übereifrig den Öffnungszeiten zuvorkommend, wartete ich tagtäglich vor dem noch verschlossenen Eingang, damals in der Chancery Lane im aristokratischen Londoner Zentrum, um keine einzige kostbare, devisenzehrende Minute zu verpassen. Abends und sonntags lernte ich interessante Griechen kennen, Historiker meiner Generation, aber auch bekannte und anonyme Veteranen des Widerstands. Die meisten der Älteren waren sozusagen noch immer im Widerstand, einst gegen die Okkupation und nunmehr als Gegner der Militärdiktatur. An einem Sonntag sah ich erneut den Film „Z“ von Kostas Gavras über den Mord an der Widerstandsikone Grigoris Lambrakis und verfolgte die anschließende öffentliche Diskussion mit Lady Amalia Fleming, der ihrer griechischen Staatsbürgerschaft beraubten Witwe des Penicillin-­Entdeckers, der konservativen „Presse-­Zarin“ Eleni Vlachou und vielen anderen. Allerdings kamen auch Besucher, die in der Junta das „kleinere Übel“ sahen, im Vergleich mit der „allgegenwärtigen kommunistischen Gefahr“. Es kamen auch ­solche, die in der Rolle des ‚Brückenbauers‘ eine politische Karriere im Sinn hatten. In d­ iesem Zusammenhang kommt mir der Freund und Kollege Gianis Gianoulopoulos in den Sinn, der mich vor einem im Publikum lauernden und eifrig notierenden „Spitzelchen“ [χαφιεδάκος] warnte. Der Ausdruck im Diminutiv gefiel mir, der solchermaßen Klassifizierte weniger – was diesen nicht daran hinderte, s­ päter Karriere zu machen. In eine andere Gewichtsklasse fielen meine stundenlangen Gespräche mit den beiden Führern der Britischen beziehungsweise Alliierten Militärmission bei den griechischen Andarten, „Eddie“ Myers in der englischen Provinz sowie mit dem konservativen Abgeordneten für Oxford (1959 – 1966 und 1970 – 1974) „Chris“ Woodhouse in seinem Büro. Diese Gespräche hätten eine ausführlichere Darstellung verdient, doch zumindest würdigte ich sie in zahlreichen Fußnoten meines „Kreuzschatten“, aber auch im vorliegenden Band.

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1973 griff ich auf meine ‚skandinavische Vergangenheit‘ zurück und forschte als Erster in den recht objektiven, da ohne eigene Großmachtinteressen, Archivbeständen Dänemarks und Schwedens über Griechenland in der Kriegszeit. Ohne Erfolg blieb hingegen meine erste Anfrage beim Zentralarchiv der DDR in Potsdam, in dem ein nicht unwesentlicher Teil des NS -Archiverbes lag – auch zu Griechenland. In der sehr verspäteten Antwort schlug man mir „Zugang gegen Informationsaustausch“ vor, sozusagen ein Gentleman’s Agreement. Die Versuchung war groß, denn ich war überzeugt, bei vorsichtig klugem Vorgehen Einblick in relevantes und unbekanntes Material zu erhalten, ohne mich zu kompromittieren. Denn ­welche bedeutsamen Informationen oder „Erkenntnisse über die Bundesrepublik“ könnte ich kleiner Doktorand im Gegenzug an Ostberlin verraten? Mein Wissensstand zur Bundesrepublik ging ja wohl kaum über das hinaus, was in guten Zeitungen nachzulesen war. Ich diskutierte also die überraschende Offerte nur mit Eleni und Prof. Loock, der ja immerhin nominell mein Doktorvater war. Beide waren aber strikt gegen einen solchen Pakt: Dem Teufel dürfe man bekanntlich nicht einmal den kleinen Finger reichen. Nur halbwegs überzeugt gab ich nach. Viel ­später, im geschichtsträchtigen Frühling 1990, war ich wieder in Berlin, um in den dortigen Bibliotheken bibliografische Lücken zu schließen. Zugleich wagte ich einen Handstreich, bis dato unzugängliches archivalisches Neuland zu erobern. Ich besuchte das sich auf seine Auflösung vorbereitende Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA ) der DDR , dessen lange, fast leere Flure einen kafkaesken Eindruck hinterließen. Man sah mich merkwürdig an, als ich meinen vorgefertigten Benutzerantrag und die beiden Empfehlungsbriefe abgab – der eine war von Horst Brie, dem letzten regulären DDR -Botschafter in Athen, einstigem Widerstandskämpfer und Emigranten.12 Aufgrund überbordender Chuzpe meinerseits sowie der progressiv dahinschmelzenden Sicherheitsbestimmungen des Ostberliner Regimes erhielt ich die Erlaubnis, in den Tagen bis zu meinem Rückflug nach Athen MfAA -Akten zu Griechenland einzusehen, mit selbstverständlicher Ausnahme einiger delikater Themenbereiche, Personalakten, Militärbündnisse etc. Natürlich konnte ich in den wenigen Tagen bis zu meinem Rückflug ohnehin nur einen kleinen, aber gehaltvollen Bruchteil des vorhandenen Aktenmaterials auswählen und einsehen. Doch hoffte ich, dass der übergroße „Rest“ nach vollzogener Einigung der beiden deutschen Staaten zugänglich würde – was nur partiell der Fall war. Wäre es möglich gewesen, die tatsächliche Entwicklung vorauszusehen, hätte ich mein Ticket verfallen lassen. Insgesamt kostete mich das Unternehmen Dissertation sieben volle Jahre und endete erst 1977, als ich die insgesamt 1001 maschinenschriftlichen Seiten Herrn Loock übergab und im Jahr darauf die beiden Bände auch den deutschen Bibliotheken zumindest

12 Vgl. in d­ iesem Band „Das deutsch-­griechische Dreieck“.

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über Fernleihe zugänglich machte. Weitere Jahre vergingen, bis die deutsche sowie die griechische Buchausgabe erschienen. Die als Metapolitevsi (Regimewechsel) bezeichnete Phase nach der Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland machte einen Umzug dorthin möglich. 1977 ­wagten Eleni und ich schließlich diesen Schritt. Und wieder war es schwierig. Ich betätigte mich als Korrespondent für deutsche Zeitungen, erneut mittels meines privilegierten Zugangs zum Postsack in der Konstantinoupoleos-­Straße. Oft erhielt ich Telefonanrufe und musste auf ­diesem Weg eilige Texte, so zumindest das Kriterium der Auftraggeber, in den Hörer diktieren. 1978 übernahm ich, wieder dank der Vermittlung meines Mentors Panagiotis Kanellopoulos, einen Forschungsauftrag der Athener Akademie mit dem Ziel, Intentionen und Aktivitäten der deutschen Besatzer zu rekonstruieren – auf der Basis von Mikrofilmen der in Griechenland eingesetzten militärischen Einheiten und Dienststellen, deren Akten 1945 beschlagnahmt und s­ päter in den USA fotografiert worden waren. 2006 kaufte übrigens auch das griechische Amt für Militärgeschichte die selben Filmrollen von den NARA (National Archives and Records Administration), ohne dass man von Regierungsseite diese schwer lesbaren, z. T. auch handschriftlichen Materialien im Einzelnen ausgewertet hätte. Erst im März 2015 verkündete ein Regierungsmitglied dem Parlament und der staunenden griechischen Öffentlichkeit, man habe „kürzlich“ 400.000 Dokumente der Wehrmacht erworben – und damit eine wertvolle Waffe, um Ansprüche auf Reparationszahlungen für Griechenland geltend zu machen und durchzusetzen – und das fast 40 Jahre nach dem ersten Erwerb dieser Quellen durch eine griechische Institution! Zwar hatte die Akademie diese maßgeblichen Primärquellen auf meine Anregung hin 1978 erworben, um nach dem Vorbild mittelalterlicher Quelleneditionen Regesten, heute würde man wohl sagen summaries, der wichtigsten Aktendokumente zu verfassen. Doch zog ich mich am Ende zurück, da ich nicht gewillt war, diese wichtige wissenschaftliche Arbeit im Sinne der Karamanlis-­Regierung zensieren zu lassen. Zur gleichen Zeit hatten nämlich der Ex-­Staatspräsident Konstantinos Tsatsos und die anderen antikommunistischen Hardliner in der Akademie darauf bestanden, dass für ein geplantes Sonderheft zur Rolle Griechenlands der angesehenen Revue d’histoire de la 2ème Guerre Mondiale et des conflits contemporains die vier teilnehmenden Historiker zuvor Proben ihrer Arbeit abliefern müssten. Allen war klar, dass diese Direktive sich insbesondere gegen mich richtete, da ich die umstrittenste Thematik übernommen hatte, die Geschichte und Bewertung der griechischen Résistance. Hier sei erneut daran erinnert, dass die größte und wichtigste Widerstandsorganisation EAM/ELAS weitgehend von Kommunisten gegründet und kontrolliert worden war und daher von den konservativen Regierungen der Nachkriegszeit als „schlimmer als der deutsche Teufel“ eingestuft wurde. So hatte meine Schlussfolgerung für Aufruhr gesorgt, endlich müssten die Maßstäbe zurechtgerückt und die Linke in ihrer historischen Rolle als bedeutendes Widerstandszentrum während der Okkupationszeit vom griechischen Staat

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offiziell anerkannt werden. In meiner ‚Verteidigung‘ betonte ich, gerade das Studium der deutschen Akten habe diesen historischen Tatbestand unwiderlegbar bewiesen, wohingegen der bisherige Favorit der offiziellen griechischen Historiografie, General Napoleon Zervas und seine Organisation EDES jahrelang im Zwielicht ­zwischen Briten, Deutschen und inländischer Reaktion oder gar Kollaboration laviert hatten.13 Der Ausgang d­ ieses meines „Outings“ war vorauszusehen. Die konservative Mehrheit der historischen Kommission der Akademie war von meinem Votum schockiert, die liberale und mit meinen Ansichten sympathisierende Minderheit, namentlich P ­ anagiotis Kanellopoulos und Prof. Angelos Angelopoulos, trat zurück und bewirkte damit die De-­facto-­Auflösung der Kommission zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Zugleich verzichtete ich auf eine Fortsetzung meines Arbeitsvertrags mit der Akademie und gab dabei provokativ die ‚Vermutung‘ zu Protokoll, vielleicht sei sogar die Wehrmacht von Kryptokommunisten unterwandert gewesen. Denn wie sei es sonst zu erklären, dass sie in all ihren internen Berichten darauf bestanden habe, der Widerstand gehe in erster Linie von EAM/ELAS aus und nicht von Zervas und dessen „nationalistischen Banden“. So konnte ich zwar einen moralischen Sieg verbuchen, doch in besagter Angelegenheit und insgesamt hatten sich die Hardliner um den ehemaligen Staatspräsidenten durchgesetzt. Dessen rühmt sich jedenfalls Tsatsos in seinen Memoiren.14 1979 hielt ich erstmals Lehrveranstaltungen an einer griechischen Hochschule, zunächst mit einem Zweijahresvertrag als DAAD-Gastprofessor an der Nationalen Kapodistrias-­ Universität Athen. Es folgte 1981 ein Semester parallel zu meiner Lehre in Athen an der Universität Kreta, an der es weit liberaler zuging. Dort hatte ich auch das Glück, meinem zweiten Mentor Prof. Nikos Svoronos erneut (nach dem Kongress in Washington) und diesmal länger zu begegnen. Ein Jahrzehnt danach kehrte ich an die Athener Universität zurück. An beiden Küsten der Ägäis, auf Kreta und in Athen, hielten mich viele Studenten für einen Exoten: Ausgerechnet ein Deutscher offerierte bis dahin tabuisierte Themenbereiche in der Lehre, zu Faschismus, Krieg, Besatzung, Holocaust, Widerstand und so weiter. Diese Konstellation klang für sie wie eine Kapriole der für die Geschichte zuständigen Muse Clio. Vielleicht hatten sie Recht. Mein Arbeitspensum wuchs indessen ständig. Nicht mehr ich jagte neuen Aufgaben und Verpflichtungen hinter­her, sondern jene mir – so jedenfalls meine Wahrnehmung. In ­diesem Zusammenhang sei eine ansonsten unerhebliche Episode erwähnt: 1982 lud mich das 13 Vgl. das Kapitel „Kontakte ­zwischen deutschen Besatzern und griechischem Widerstand: ‚Solide Taktik‘ oder Kollaboration?“ im vorliegenden Band. 14 Konstantinos Tsatsos: Λογοδοσία μιας ζωής (Rechenschaft über ein Leben), Athen: I ekdoseis ton filon, 2000, S. 523 – 527. Vgl. Fleischer, Kriege der Erinnerung, S. 505 ff. – Das Regesten­projekt an der Akademie führte nach jahrelanger Unterbrechung Dimitris Apostolopoulos weiter, ein ehemaliger Student und Doktorand von mir.

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Erste Programm des Staatsfernsehens ERT zu einer Paneldiskussion über Sinn und Inhalt der historisch aufgeladenen Veranstaltungen zum 28. Oktober, dem Nationalfeiertag zum Gedenken an Metaxas Zurückweisung von Mussolinis Ultimatum 1940. Ich hatte diese Debatte längst vergessen, stieß aber nach Ablauf der 30-jährigen Sperrfrist im Berliner Archiv des Auswärtigen Amtes auf den leicht irritierten Bericht des damaligen Botschafters, dass der „junge Gastprofessor“ in seinem Diskussionsbeitrag über „deutsche“ Besatzung sprach, anstatt das politisch korrekte Attribut national­ sozialistisch zu gebrauchen. 1984 veranstalteten mein väterlicher Freund Nikos Svoronos und ich den ersten wissen­schaftlichen Kongress zur Metaxas-­Diktatur (1936 – 1941) und der anschließenden Besatzung Griechenlands durch Deutschland und dessen Trabanten. Neben ­Svoronos (Präsident) und mir (Vizepräsident) gehörten als Mitglieder zum Organisationskomitee die Sekretäre Prokopis Papastratis und Giannis Roubatis sowie fünf weitere Kollegen. Mein Versuch, auch den Bürgerkrieg in die zu behandelnde Thematik miteinzubeziehen, lief ins Leere – hierfür sei es zu früh, die innenpolitische Situation noch nicht genügend gefestigt für die öffentliche Diskussion eines so brisanten Themas, wie mir Exponenten der politischen Szene klarmachten. Von diesen hing zudem auch die Finanzierung ab – keine Kleinigkeit bei einer fünftägigen internationalen Konferenz mit Teilnehmern aus 13 Staaten und Simultanübersetzung. Im Jahr 1995, ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, waren die Umstände günstiger, und die erste Konferenz über die drei aufeinanderfolgenden Phasen politischer Anomalie fand endlich statt. Ausgewählte Beiträge wurden schließlich 2003 publiziert 15, mehrere Auflagen folgten. Bereits 1985 war ich auch griechischer Staatsbürger geworden. Ein paar Monate nach meiner Einbürgerung vertrat ich meine nunmehr auch offizielle zweite Heimat in der internationalen Historikerkommission, die zur Untersuchung einberufen worden war, die ungeklärte Vergangenheit des österreichischen Staatspräsidenten Waldheim während des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien und Griechenland zu eruieren. Bei der ersten Sitzung lud mich die aus sechs Wissenschaftlern bestehende Kommission als (einzigen) „permanent special expert“ zur einschlägigen Thematik dazu. Später kam die Satirezeitschrift Pontiki darauf gleich zweimal zurück, wieso ausgerechnet Griechenland als seinen Vertreter den „ansonsten sympathischen“ Deutschen Fleischer ausgewählt habe und nicht einen von „Tausenden“ als Historiker qualifizierten gebürtigen Griechen. So lernte ich die sozialpatriotische Variante des ius sanguinis kennen. Es sollte nicht das letzte Mal sein. 1987 gelang es mir, den damaligen Botschafter der Bundesrepublik davon zu überzeugen, dass Bundespräsident Weizsäcker bei seinem Staatsbesuch in Griechenland der 15 Vgl. Hagen Fleischer (Hg.), Η Ελλάδα ’36–’49. Από τη Δικτατορία στον Εμφύλιο, τομές και συνέχειες (Griechenland 1936 – 1949. Von der Diktatur zum Bürgerkrieg, Zäsuren und Kontinuitäten), Athen: Kastaniotis, 2003. – Fleischer, Kriege der Erinnerung, S. 11 ff.

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Besatzungsopfer an der ehemaligen Exekutionsstätte in Kaisariani ehrend gedenken möge. Rüdiger von Pachelbel war übrigens der erste und bis vor Kurzem einzige deutsche Botschafter, der von der unduldsamen griechischen Presse als „charmant“ bezeichnet worden war. Und weitaus wichtiger: er war wohl der Erste, der die NS-Vergangenheit nicht verdrängte oder ihr auswich, sondern sie aktiv aufzuarbeiten versuchte. Zum eben genannten Vorschlag gab es Proteste von vielen Seiten, vor allem vom damals noch in Bonn residierenden Auswärtigen Amt, aber auch innerhalb Griechenlands. Der Präsi­ dentenbesuch von Johannes Rau im April 2000 verband Positives, so seine Visite in Kalavryta, mit unbegreiflicher Ignoranz, als er es in Thessaloniki unterließ, der 1943 nahezu 50.000 ermordeten Juden der Stadt zu gedenken. Einen großen Schritt in der erhofften Richtung wagte im März 2014 Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Staatsbesuch in Griechenland, dem ein Expertengespräch im Schloss Bellevue zu drei „zentralen“ Themenbereichen vorausgegangen war: 1) „Anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise in Griechenland“, 2) „Die Verbrechen der Wehrmacht“ und 3) „Griechenlands Rolle in Europa“. Meinen Thesen zum zweiten Thema zeigte sich der Präsident zunehmend aufgeschlossener, namentlich im anschließenden ­kurzen Vieraugengespräch. Eine gute Woche ­später, beim Staatsbankett in Athen und tags darauf im westgriechischen Jannina, Geburtsort des griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias, fand das seinen Niederschlag. Gemeinsam mit d­ iesem ehrte er die jüdischen Opfer in der Synagoge, am selben Tag auch jene im benachbarten Bergdorf Lyngiades, wo die deutschen Besatzer am 3. Oktober 1943 alle greifbaren Einwohner ermordet hatten, zumeist Frauen, Greise und Kinder. Gauck bat als erster Spitzenrepräsentant Deutschlands um Verzeihung für die Besatzungsverbrechen. Die entscheidenden Sätze der Aufsehen erregenden Rede am Denkmal für die Opfer und seine vorgeschlagenen Initiativen setzten ermutigende ­­Zeichen.16

16 „Wir Nachgeborenen tragen persönlich keine Schuld. Und doch fühle ich an Orten wie ­diesem tiefes Erschrecken und eine doppelte Scham. Ich schäme mich, dass Menschen, die einst in deutscher Kultur aufgewachsen sind, zu Mördern wurden. Und ich schäme mich, dass das demokratische Deutschland, selbst als es Schritt für Schritt die Vergangenheit aufarbeitete, so wenig über deutsche Schuld gegenüber den Griechen wusste und lernte. (…) Es sind die nicht gesagten Sätze und die nicht vorhandenen Kenntnisse, die eine zweite Schuld begründen, da sie die Opfer sogar noch aus der Erinnerung verbannen. Und so möchte ich heute aussprechen, was Täter und viele politisch Verantwortliche der Nachkriegszeit nicht aussprechen konnten oder wollten: Das, was geschehen ist, war brutales Unrecht. Mit Scham und mit Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung. Ich verneige mich vor den Opfern der ungeheuren Verbrechen, die hier und an vielen anderen Orten zu beklagen sind. (…) Die schrecklichen Ereignisse, derer wir gedenken, erlegen uns auch eine große Verpflichtung auf. Die Verpflichtung nämlich, alles in unserer Macht Stehende zu tun, dass nicht in Vergessenheit gerät, was nie hätte geschehen dürfen.“

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Nach ­diesem vorgreifenden Einschub komme ich zum Ende der thematisch vorgegebenen „Jugend“. Wann endet diese eigentlich? 1972, als Kostas Varnalis, Veteran der kämpferischen Feder und des Widerstandes, mich – wohl als Erster – einen „Deutschgriechen“ nannte, freute ich mich. Doch meine erste Heimat, mein Geburtsland habe ich nie verleugnet. Ich setze mich lediglich dafür ein, dass Deutschland moralisch und historisch nicht in der Schuld meiner zweiten Heimat steht, die ich bewusst als meinen Lebensmittelpunkt gewählt habe. Natürlich birgt eine ­solche Intention das Risiko, dass insbesondere in Krisenphasen der nicht immer demütige „historische Schiedsrichter“ ins Kreuzfeuer beider Seiten gerät. Doch das ist eine weitere Geschichte.

Literatur Chandrinos, Jason, Πόλεις σε πόλεμο 1939 – 1945 (Städte im Krieg 1939 – 1945), Athen: O mov skiouros, 2018. Droumpouki, Anna Maria, Μνημεία της λήθης. Ίχνη του Β’ Παγκοσμίου Πολέμου στην Ελλάδα και στην Ευρώπη (Monumente des Vergessens. Spuren des Zweiten Weltkrieges in Griechenland und Europa), Athen: Polis, 2014. Fleischer, Hagen; Droumbouki, Anna Maria, Κλειώ και Κλισέ. Η Γερμανία αντιμέτωπη με το „τηλεοπτικό Ολοκαύτωμα“ (Clio und Cliché: Deutschland und der TV-Holocaust), in: Anna Machaira; Lida Papastefanaki (Hg.), Εβραϊκές κοινότητες ανάμεσα σε Ανατολή και Δύση ( Jüdische Gemeinden ­zwischen Ost und West), Ioannina: Isnafi, 2016, S. 326 – 344. Fleischer, Hagen, Οι πόλεμοι της μνήμης. Ο Β’ παγκόσμιος πόλεμος στη δημόσια ιστορία (Die Kriege der Erinnerung. Der Zweite Weltkrieg in der Public History), Athen: Nefeli, 2008. Fleischer, Hagen, Η Ελλάδα ’36–’49. Από τη Δικτατορία στον Εμφύλιο, τομές και συνέχες (Griechen­ land 1936 – 1949. Von der Diktatur zum Bürgerkrieg, Zäsuren und Kontinuitäten), Athen: ­Kastaniotis, 2003. Gardika, Katerina; Droumbouki, Anna Maria; Karamanolakis, Vangelis; Raptis, Konstantinos (Hg.): Η μακρά σκιά της δεκαετίας του ‘40. Πόλεμος – Κατοχή – Αντίσταση – Εμφύλιος (Der lange Schatten der 1940er. Krieg – Besatzung – Widerstand – Bürgerkrieg). Festschrift für Hagen Fleischer, Athen: Alexandria, 2015. Loock, Hans Dietrich, Quisling, Rosenberg und Terboven: zur Vorgeschichte und Geschichte der nationalsozialistischen Revolution in Norwegen, Stuttgart: Deutsche Verlags-­Anstalt, 1970. Tsatsos, Konstantinos, Λογοδοσία μιας ζωής (Rechenschaft über ein Leben), Athen: I ekdoseis ton filon, 2000.

IV Anhang

Werkeverzeichnis der deutschsprachigen und englischen Schriften des Autors Die auf Griechisch erschienenen Schriften Hagen Fleischers finden sich nachgewiesen in: Η μακρά σκιά της δεκαετίας του ‘40. Πόλεμος – Κατοχή – Αντίσταση – Εμφύλιος (Der lange Schatten der 1940er. Krieg – Besatzung – Widerstand – Bürgerkrieg. Festschrift für Hagen Fleischer, hg. von Katerina Gardika, Anna Maria Droumbouki, Vangelis Karamanolakis und Kostas Raptis, Athen: Alexandria, 2015, S. 447 – 454.

Bücher Monografien, Herausgaben, Gemeinschaftswerke

Griechenland 1941 – 1944. Kampf gegen Stahlhelm und Krone. Diss. phil., Freie Universität: Berlin, 1978. Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland, 1941 – 1944. Okkupation – Kollaboration – Resistance, 2 Bde., Frankfurt/Bern/New York: Peter Lang, 1986. Deutscher Widerstand im besetzten Griechenland. Γερμανική αντίσταση στην κατεχόμενη Ελλάδα; Katalog einer Ausstellung im Goethe-­Institut Athen und Thessaloniki. Κατάλογος έκθεσης στο Ινστιτούτο Γκαίτε Αθήνας και Θεσσαλονίκης (mit Material aus dem Archiv Hagen Fleischer), Athen: Goethe-­Institut, 1987. Der Bericht der internationalen Historikerkommission. Wien: Profil-­Dokumente, 1988. The Waldheim Report, Kopenhagen: Museum Tusculanum Press, 1993. Von Lidice bis Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin: Metropol, 1999 (hg. zus. mit Loukia Droulia). Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 – 1944. Ausstellungskatalog, hg. vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg: Hamburger Ed., 2002.

Aufsätze

Greece under Axis Occupation: A Bibliographical Survey, part 1 & 2, in: Modern Greek Society: A Social Science Newsletter, Bd. V/1, Dezember 1977, S. 4 – 47; Bd. VI/1, Dezember 1978, S. 13 – 4 0. „Anomalies“ in the Greek Middle East Forces, 1941 – 1944, in: Journal of the Hellenic Diaspora, Bd. V, Heft 3, Herbst 1978, S. 5 – 36. The Don Stott Affair: Overtures for an Anglo-­German Local Peace in Greece, in: Mario S­ arafis (Hg.), Greece: From Resistance to Civil War, Nottingham: Spokesman, 1980, S. 91 – 107. Greece under the Axis Occupation. A Bibliographical Survey, in: John O. Iatrides (Hg.), Greece in the 1940s. A Bibliographic Companion, Hanover, N. H./London: University Press of New England, 1981, S. 1 – 79. Streiflichter zur faschistischen Okkupation Griechenlands und ihren Nachwirkungen, in: Evangelische Akademie Berlin (Hg.), Deutsch-­Griechische Beziehungen. Rückblick und Ausblick, Berlin: Evangelisches Bildungswerk, 1981, S. 20 – 48.

352 | Anhang Contacts between German Occupation Authorities and the Major Greek Resistance Organizations. Sound Tactics or Collaboration?, in: John O. Iatrides (Hg.), Greece in the 1940s. A Nation in Crisis, Hanover, N. H./London: University Press of New England, 1981, S. 48 – 60, S. 347 – 353. The Last Round of the Civil War: Developments and Stagnation in Historiography Concerning Axis-­Occupied Greece, 1941 – 1944, in: A. Lily Macrakis; Nikiforos Diamandouros (Hg.), New Trends in Modern Greek Historiography, Hanover, N. H.: Modern Greek Studies Association, 1982, S. 151 – 166. Griechischer Widerstand, in: Comité international des sciences historiques (Hg.), ΧVI Congrès international, Bd. III, Actes, Stuttgart 1986, S. 54 – 55. The „Third Factor“. The Struggle for an Independent Socialist Policy during the Greek Civil War, in: Lars Baerentzen; John O. Iatrides; Ole L. Smith (Hg.), Studies in the History of the Greek Civil War, 1945 – 1949, Kopenhagen: Museum Tusculanum Press, 1987, S. 189 – 212. The Aegean Crisis in the Spring of 1914, as Seen by Neutral Observers, in: Journal of the Hellenic Diaspora, Bd. XIV, Heft 3/4, Herbst/Winter 1987, S. 5 – 24. Siegfried in Hellas: Das nationalsozialistische Griechenlandbild und die Behandlung der griechischen Zivilbevölkerung seitens der deutschen Besatzungsbehörden, 1941 – 1944, in: Armin Kerker (Hg.), Griechenland – Entfernungen in die Wirklichkeit. Ein Lesebuch, Hamburg: Argument-­Verlag, 1988, S. 26 – 48. KZ-Häftling und Partner: Einige Anmerkungen zu den wechselvollen Beziehungen des Generals Alexandros Papagos zu Deutschland, 1935 – 1955, in: Hellenika, Jg. 1988, S. 95 – 105. Das Beispiel Griechenland, in: Norbert Frei; Hermann Kling (Hg.), Der nationalsozialistische Krieg, Frankfurt/New York: Campus, 1990, S. 205 – 219. Der Neubeginn in den deutsch-­griechischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die „Bewältigung“ der jüngsten Vergangenheit, in: ΙΜΧΑ (Hg.), Griechenland und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen Nachkriegseuropas, Thessaloniki: IMXA, 1991, S. 81 – 108. Erw. Fassung in Thetis, Bd. 10, 2003. Griechenland, in: Wolfgang Benz (Hg.), Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, München: Oldenbourg, 1991, S. 241 – 274. Wiederveröffentlichung München: dtv, 1996. Griechenland im Zweiten Weltkrieg. Ein Literaturbericht, in: Jahresbibliographie der Bibliothek für Zeitgeschichte, Essen: Klartext, 1991, S. 383 – 391. The Question of Waldheim’s Wartime Guilt in the Balkans, in: Journal of Modern Hellenism, Bd. 8, 1991, S. 131 – 141. Post-­war Relations between Greece and the German States: Α Reevaluation in the Light of German Unification, in: The Southeast European Yearbook 1991, 1992, S. 163 – 178. Searching for the „Fruits of Victory“. The Activities of the German ‚Sonderkommandos‘ Following the Wehrmacht in the Νewly Occupied Greek Territories, in: Institute for Balkan Studies (Hg.), Greece and the War in the Balkans (1940 – 41), Thessaloniki: IMXA, 1992, S. 101 – 111. Post Bellum. Das deutsche Venizelos-­Bild nach dem ­Ersten Weltkrieg, in: Gunnar Hering (Hg.), Dimensionen griechischer Literatur und Geschichte. Festschrift für Pavlos Tzermias zum 65. Geburtstag, Frankfurt a. M. u. a.; Peter Lang, 1993, S. 209 – 249. Kollaboration und deutsche Politik im besetzten Griechenland, in: Werner Roehr (Hg.) u. a., Okkupation und Kollaboration (1938 – 1945). Bundesarchiv, Berlin/Heidelberg: Hüthig, 1994, S. 377 – 396.

Werkeverzeichnis der Schriften von Hagen Fleischer | 353 Vom Kalten Krieg zur „Neuen Ordnung“. Der Faktor Griechenland in der deutschen Außenpolitik, in: Ιnstitute for Balkan Studies (Hg.), Die Balkanländer im Europa der Gegenwart, Thessaloniki: IMXA, 1994, S. 63 – 82. Erw. in Thetis, Bd. 3, 1996. Schwert und Olive. Besatzungsalltag in der „Festung Kreta“, 1941 – 1945. Eine Dokumentation, in: Festschrift für Klaus Betzen, hg. von Willi Benning, Parousia, Sonderband 33, Athen: Universität Athen, 1995, S. 81 – 178. The National Liberation Front (EAM), 1941 – 1947. A Reassessment, in: John O. Iatrides; Linda Wrigley (Hg.), Greece at the Crossroads. The Civil War and its Legacy, University Park, Pennsylvania: The Pennsylvania State Univ. Press 1995, S. 48 – 89. Fünfzig Jahre danach, in: Oistros, Bd. 11, München, 1995, S. 7 – 13. Die deutschsprachige Presse in Griechenland, Athener Zeitung, 20. Oktober–22. Dezember 1995. Greek Jewry and Nazi Germany: The Holocaust and its Antecedents, in: Efi Abdela; Odette Varon-­Vasar (Hg.), Οι Εβραίοι στον Ελληνηκό χώρο/Les Juifs en Grèce: Questions d’Histoire dans la Longue Durée, Athen: Gavrielidis, 1995, S. 185 – 208. Besatzungsalltag auf Kreta 1943 – 1944, in: Dietrich Eichholtz (Hg.) unter Mitarbeit von Hagen Fleischer, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939 – 1945, Bd. III, Berlin: Akademie-­ Verlag, 1996, S. 360 – 391. Wiederveröffentlichung München: K. G. Saur, 1999. Nationalsozialistische Besatzungsherrschaft im Vergleich. Versuch einer Synopse, in: Wolfgang Benz u. a. (Hg.), Anpassung – Kollaboration – Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation, Berlin: Metropol, 1996, S. 257 – 302. Kulturpolitik der Großmächte an der „Peripherie“. Fallstudie Griechenland, in: Erich Trapp (Hg.), 3000 Jahre griechische Kultur, St. Augustin: Gardez!-Verlag, 1997, S. 189 – 220. Griechenland – Der Krieg geht weiter, in: Ulrich Herbert; Axel Schildt (Hg.), Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsordnung, 1944 – 1948, Essen: Klartext, 1998, S. 168 – 206. Die deutsche Militärverwaltung in Griechenland, in: W. Benz u. a. (Hg.), Die Bürokratie der Okkupation. Strukturen der Herrschaft und Verwaltung im besetzten Europa, Berlin: M ­ etropol, 1998, S. 63 – 92. Die „Viehmenschen“ und das „Sauvolk“. Feindbilder einer dreifachen Okkupation: Der Fall Griechenland, in: Wolfgang Benz u. a. (Hg.), Kultur – Propaganda – Öffentlichkeit. Intentionen deutscher Besatzungspolitik und Reaktionen auf die Okkupation, Berlin: Metropol, 1998, S. 135 – 169. Europas Rückkehr nach Griechenland. Kulturpolitik der Großmächte in einem Staat der Peripherie, in: Harald Heppner; Olga Katsiardi-­Hering (Hg.), Die Griechen und Europa: Außenund Innensichten im Wandel der Zeit, Wien: Böhlau, 1998, S. 125 – 191. Zwischen Goebbels und Goethe. 100 Jahre deutsche kulturelle Präsenz in Thessaloniki und Mazedonien, in: Thetis, Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie und Geschichte Griechen­ lands und Zyperns, Heft 5/6, 1999, S. 321 – 339. Abstumpfung und verminderte Entschlußfreudigkeit. Deutsche Administration im besetzten Griechen­land, in: Johannes Th. M. Houwink ten Cate; Gerhard Otto (Hg.), Das organisierte Chaos. „Ämterdarwinismus“ und „Gesinnungsethik“: Determinanten nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft, Berlin: Metropol, 1999, S. 77 – 92. Deutsche „Ordnung“ in Griechenland 1941 – 1944, in: Loukia Droulia; Hagen Fleischer, Von Lidice bis Kalavryta: Widerstand und Besatzungsterror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin: Metropol, 1999, S. 151 – 223.

354 | Anhang Das griechische Memorandum zur Washingtoner „Conference on Holocaust-­Era Assets“: Vor- und Nachbemerkungen, in: Thetis, Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie Griechenlands und Zyperns, Jg. 7, 2000, S. 363 – 372 (zus. mit G. Etmektzoglou). Griechenland. Das bestrittene Phänomen, in: Hermann Graml; Angelika Königseder; Juliane Wetzel (Hg.), Vorurteil und Rassenhaß. Antisemitismus in den faschistischen Bewegungen Europas, Berlin: Metropol, 2001, S. 207 – 226. Kriegsverbrechen in Griechenland: Schuld ohne Sühne, in: Wolfram Wette; Gerd R. ­Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, S. 208 – 221. Deutsche kulturelle Präsenz in Griechenland: Rückblick und Ausblick, in: Horst J. Deinwallner (Hg.), 50 Jahre Goethe-­Institut Athen, Athen: Goethe-­Institut, 2002, S. 36 – 39. The Past Beneath the Present. The Resurgence of World War II Public History After the Collapse of Communism: A Stroll through the International Press, in: Historein, Heft 4 2004, S. 45 – 130. Deutsche „Wiedergutmachung“ in Griechenland, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Band 56, Heft 5/6, 2005, S. 308 – 315. Authoritarian Rule in Greece (1936 – 1974) and its Heritage, in: Jerzy W. Borejsza; Klaus ­Ziemer (Hg.), Totalitarian and Authoritarian Regimes in Europe. Legacies and Lessons from the Twentieth Century, New York/Oxford: Berghahn, 2006, S. 237 – 275. Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Wiedergutmachung, in: Hans-­Günter Hockerts u. a. (Hg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS -Verfolgte in West- und Osteuropa, 1945 – 2000, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 375 – 457 (zus. mit D. Konstantinakou). „Endlösung“ der Kriegsverbrecherfrage. Die verhinderte Ahndung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland, in: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen: Wallstein, 2006, S. 474 – 534. Der Ehrenbalkanier, in: Mona Körte; Marion Neiss (Hg.), Von Schöpfern und Schurken (Festschrift für Wolfgang Benz), Berlin: Metropol, 2006, S. 220 – 222. Was wäre wenn… Die „Bewältigung“ der kommunistischen Niederlage im griechischen Bürgerkrieg nach Wiederherstellung der Demokratie (1974 – 2006), in: Ulf Brunnbauer; Stefan Troebst (Hg.), Zwischen Amnesie und Nostalgie. Die Erinnerung an den Kommunismus in Südosteuropa, Köln/Weimar/Wien: Böhlau, 2007, S. 27 – 45. „… noch nicht ganz vergessen“: Die Okkupation Griechenlands und ihre diplomatische Bewältigung durch die Nachfolgestaaten des (Groß-)Deutschen Reichs, in: Maria A. Stassinopoulou; Ioannis Zelepos (Hg.), Griechische Kultur in Südosteuropa in der Neuzeit (Beiträge zum Symposium in memoriam Gunnar Hering), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2008, S. 305 – 318. Griechenland, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, München: K. G. Saur, 2008, S. 122 – 127. Erinnerungen an die „Causa W.“, in: Brigitte Lehmann u. a. (Hg.), Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986, Wien: Locker Verlag, 2009, S. 32 – 4 0. Der lange Schatten des Krieges und die griechischen Kalenden der deutschen Diplomatie, in: ­Chryssoula Kambas; Marilisa Mitsou (Hg.), Hellas verstehen. Deutsch-­griechischer Kulturtransfer im 20. Jahrhundert, Köln: Böhlau, 2010, S. 205 – 240.

Werkeverzeichnis der Schriften von Hagen Fleischer | 355 Hitler’s Europe: Aspects of National Socialist Occupation Policy, 1930 – 1945, in: Hu Dekun (Hg.), The Experience of Occupation, 1931 – 1949, Wuhan: Wuhan University Press, 2010, S. 216 – 223. Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen für Griechenland, in: Εvangelos Chryssos; Wolfgang Schultheiss (Hg.), Meilensteine deutsch-­griechischer Beziehungen, Athen: Idryma tis Voulis ton Ellinon, 2010, S. 217 – 224 (gleichfalls erschienen Berlin: LIT, 2010). Griechenland: Das Land der „Versklavten Sieger“, in: Gerd R. Ueberschär; Peter Steinkamp (Hg.), Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945, Berlin/New York: de Gruyter, 2011, S. 299 – 308. The Scramble for Cultural Supremacy in Greece. Great Power Campaigns on Neutral Grounds, 1936 – 1940, in: I. G. Gálves; O. O. Sáenz (Hg.), Tolmiros skapaneas (Homenaje al ­profesor Kostas A. Dimadis), Vitoria-­Gasteiz: Sociedad Hispanica de Estudios Neogriegos, 2012 (= Estudios Neogriegos, Revista cientifica de la Sociedad Hispanica de Estudios Neogriegos, Bd. 14, 2011 – 2012), S. 167 – 180. Les Fleurs du mal. The Need to confront Holocaust Distortion, in: H. G. van der Wilt; J. ­Vervliet; G. K. Sluiter; J. Th. M. Houwink ten Cate (Hg.), The Genocide Convention, The Legacy of 60 Years, Den Haag: Martinus Nijhoff Publishers, 2012, S. 159 – 170. „Wenn ihr euch erinnert, können wir vergessen“, Deutsche Besatzungszeit, Dossier Deutsch-­ griechische Beziehungen, 17. 3. 2014, Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), in: http:// www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/griechenland/177895/deutsche-­besatzungszeit (letzter Zugriff 10. 6. 2019). Skepsis gegenüber „Europa“: Das Beispiel Griechenland, in: Wolfgang Benz (Hg.), Ressentiment und Konflikt. Vorurteile und Feindbilder im Wandel, Bad Schwalbach i. Taunus: Wochenschau-­ Verlag, 2014, S. 20 – 31. Anti-­Semitism in Greece: One Hundred Years of Facts and Fiction, in: E. Dmitrów u. a. (Hg.), Wiek nienawiści (A Century of Hate), (Festschrift für J. W. Borejsza), Warschau: Historisches Institut der Akademie der Wissenschaften 2014, S. 151 – 165. Vergangenheitspolitik und Erinnerung: Die deutsche Okkupation Griechenlands im Gedächtnis beider Länder, in: Chryssoula Kambas; Marilisa Mitsou (Hg.), Die Okkupation Griechenlands im Zweiten Weltkrieg. Griechische und deutsche Erinnerungskultur, Köln: Böhlau, 2015, S. 31 – 54. Schuld und Schulden: Der Fall Griechenland – final geklärt?, Südosteuropa Mitteilungen, Bd. 55, 2015, S. 46 – 63. Die Opfer und nicht die Täter sollen in der Bringschuld sein? Zur Medienkampagne gegen die griechischen Reparationsansprüche aus dem Zweiten Weltkrieg. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 64. Jg, (2016), S. 379 – 388 (zusammen mit Karl Heinz Roth und Christoph Schminck-­Gustavus). Kultur, Kraft und Ordnung: Ein Triptychon deutschen Selbstverständnisses (nicht nur) im ­besetzten Griechenland, in: Nikolas Pissis; Dimitris Karydas (Hg.), Die „Neue Ordnung“ in Griechen­ land 1941 – 1944. Berlin: Edition Romiosini, 2020.

Drucknachweise 1. Κατοχή και Αντίσταση, 1941 – 1944 (Besatzung und Widerstand, 1941 – 1944), in: Ιστορία του Ελληνικού Έθνους (Geschichte der griechischen Nation), Bd. 16: Von 1941 bis zum Ende des Jahrhunderts, Athen: Ekdotiki Athinon, 2000, S. 8 – 57. 2. Contacts between German Occupation Authorities and the Major Greek Resistance Organizations. Sound Tactics or Collaboration? Greece in the 1940s. A Nation in Crisis. Ed. by John O. Iatrides, Hanover/N. H./London: Univ. Press of New England, 1981, S. 48 – 60/S. 347 – 353. 3. Γεωστρατηγικά σχέδια της ναζιστικής Γερμανίας για τη μεταπολεμική Κρήτη (Geostrategische Pläne Nazi-­Deutschlands für Kreta nach dem Kriege). In: Ta Istorika, Bd. 16 (1992), S. 135 – 158. 4. Greek Jewry and Nazi Germany: The Holocaust and its Antecedents, in: Les Juifs en Grèce: Questions d’Histoire dans la Longue Durée, hg. von Efi Avdela und Odette Varon, Athen: Gavrielidis, 1995, S. 185 – 208. 5. Post Bellum. Das deutsche Venizelos-­Bild nach dem ­Ersten Weltkrieg, in: Gunnar Hering (Hg.), Dimensionen griechischer Literatur und Geschichte. Festschrift für Pavlos Tzermias zum 65. Geburtstag, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang, 1993, S. 209 – 249. 6 Δάφνες, πολιτική και μνήμες: Γερμανικά στεφάνια σε ελληνική γη (Lorbeer, Politik und Erinnerung: Deutsche Kränze auf griechischer Erde), in: Diethnis Epitheorisi, Heft 22 (Dez. 1994), S. 71 – 76. 7. Όψεις της (Δυτικο-)Γερμανικής πολιτιστικής πολιτικής απέναντι στην Ελλάδα των συνταγματαρχών: Ο τετραγωνισμός του κύκλου (Aspekte der (west)deutschen Kulturpolitik in Griechenland unter der Obristenherrschaft: Die Quadratur des Kreises), in: Pavlos Sourlas; Anna ­Karapanou (Hg.), Πρακτικά συνεδρίου: Η δικτατορία των συνταγματαρχών και η αποκατάσταση της δημοκρατίας (Kongressakten. Die Obristendiktatur und die Wiederherstellung der Demokratie, November 2014) Athen: Stiftung des griechischen Parlaments, 2016, S. 359 – 377. 8. Το γερμανοελληνικό… τρίγωνο, 1949 – 1989: Πολιτικές σκοπιμότητες και στρατευμένες μνήμες των δύο γερμανικών κρατών και της Ελλάδας (Das Deutsch-­Griechische Dreieck 1949 – 1989. Politische Opportunität und instrumentalisierte Erinnerung in beiden deutschen Staaten und Griechenland), in: Kyriakos D. Kentrotis (Hg.): Μετά το „τέλος“ της Ιστορίας (Nach dem „Ende“ der Geschichte), Athen: Sideris, 2012, S. 67 – 79. 9. Deutsche „Wiedergutmachung“ in Griechenland, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 56, Heft 5/6, Mai/Juni 2005, S. 308 – 315. 10. Erinnerungen an die „Causa W.“, in: Brigitte Lehmann u. a. (Hg.), Von der Kunst der Nestbeschmutzung. Dokumente gegen Ressentiment und Rassismus seit 1986, Wien: Locker Verlag, 2009, S. 32 – 4 0. 11. Stark erweiterte Fassung von: Αντί επιλόγου (Anstelle eines Nachworts), in: Η μακρά σκιά της δεκαετίας του ’40. Πόλεμος – Κατοχή – Αντίσταση – Εμφύλιος. Τόμος αφιερωμένος στον Χάγκεν Φλάισερ (Der lange Schatten der 1940er. Krieg – Besatzung – Widerstand – Bürgerkrieg. Festschrift für Hagen Fleischer), hg. von Katerina Gardika; Anna Maria Droumbouki; Vangelis Karamanolakis; Kostas Raptis, Athen: Alexandria, 2015, S. 421 – 4 40.

Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1 (S. 27), 2 (S. 28), 8 (S. 109) Privatarchiv Jason Chandrinos, Athen. Abbildung 3 (S. 80), 10 (S. 244) Privatarchiv Hagen Fleischer, Kapandriti Attika. Abbildung Titelbild, 4 (S. 89), 5 (S. 89), 6 (S. 93), 7 (S. 93) Archiv Spyros Meletzis, Athen. Abbildung 9 (S. 117) Archiv PEAEA, Athen.

Personenregister A Abendroth, Wolfgang  117 Abs, Hermann J.  301 Adenauer, Konrad  245, 247, 274, 277, 279, 283, 291 f., 296, 333 Alevras, Giannis  284 Alexandris, Apostolos  207 Alexiou, Elly  280 Altenburg, Günther  26, 36, 63, 96 f., 106, 123, 135, 160, 162 f., 232 Altenburg, Sabine  106 Andrae, Alexander  29, 123, 154 f., 161 – 164, 169, 276 Angelis, Odysseas  269 Angelopoulos, Angelos  86, 92, 345 Apostolou, Lefteris  40 Aris (Velouchiotis)  51 – 53, 56, 78, 81, 83, 87, 132, 136 Askoutsis, Nikos  86, 92 Axen, Hermann  284 B Baader, Andreas  337 Badoglio, Pietro  63, 195 Bakirtzis, Evripidis  44, 85 f., 92 Bakogiannis, Pavlos  267 Balbo, Italo  149 Baligand,Albert von  213 Baltatzis,Georgios  209 f. Bandouvas, Manolis  123 – 125 Barzilai, Elias  195 Benthack, Georg  170 Bergman, Ingmar  341 Bickel, Hans  131 Bill von Bredow, Leopold  250 Blücher, Gebhard Leberecht Graf von  111 Blücher, Hans-Joachim von  111 Blücher, Leberecht von  111 Blücher, Wolfgang von  111 Böll, Heinrich  266 Bolotas, Aristidis  259 Bouboulina  s. Pinoçi Brandt, Willy  260, 265 f., 269, 338

Bräuer, Bruno  161 f., 164 f., 167, 276 Bräutigam, Otto  247 f. Breker, Arno  152 Breker, Dimitra (Mimi)  152 Brie, Horst  249, 251, 285 – 287, 343 C Chambrun, Charles de  215 f. Chandrinos, Jason  21 Chatzibeis, Stamatis  86 „Chris“  (s. Woodhouse, C. M.) Chrysanthos, Erzbischof  34 Chrysochόou, Athanasios  71, 127, 129, 139 Churchill, Winston  53, 64 f., 75, 91 f., 115 f., 133, 156, 169, 197, 327 f. Ciano, Galeazzo  30, 96, 151, 153 Clemenceau, Georges  208 Collins, James L.  315 f. Cougno-Löwi, Hella  188 D Damaskinos (Papandreou), Erzbischof  62, 196, 255 Danova, Nadia  194 Dertilis, Georgios  80, 236 Demertzis, Konstantinos  185, 231 Diel, Jakob  182 f. Dingels, Hans-Eberhard  272 Dölger, Franz  32 Dönitz, Karl  117, 153, 168 – 170 Dörpfeld, Wilhelm  180 Doxiadis, Konstantinos  112 Dreyer, Carl Theodor  338, 341 E Easterman, Alexander L.  198 Eckert, Georg  118 „Eddie“  (s. Myers, E.C.W.) Eichholtz, Dietrich  287 Eichmann, Adolf  192, 323, 334 f. Eisenlohr, Ernst  181, 224 f., 227 – 230, 234 Elisaf, Moisis  198 Enzensberger, Hans Magnus  264

362 | Anhang

Erbach-Schönberg, Viktor Prinz zu  26 Evans, Arthur  170 Evert, Angelos  103, 196 F Fabricius, (Konsul)  179, 209 Fahrner, Rudolf  259 Farantouri, Maria  270 Felmy, Hellmuth  27, 110, 137 Fischer, Johannes  319 Fleischer, Hagen  15 – 21, 96, 101, 111, 121 f., 132 f., 135 – 140, 152, 154 f., 251, 262, 266, 270, 278, 284, 287, 292, 299 f., 302, 304, 312 – 320 f. – 348 Fleming, Amalia  342 Fleming, Gerald  315 f., 318 Frangopoulos, Theofilos  264 Friederike, Königin  162, 275, 292 Frizis, Mordechai  188 G Gaitanides, Johannes  259 Gauck, Joachim  16, 20, 81, 250, 305, 347 Gavriilidis, Kostas  85 f. Gehm, Ludwig  281 Geloso, Carlo  29, 62 Georg I (Glücksburg)  214 Georg II (Glücksburg)  32 f., 41.  42, 80, 90, 126, 162, 205, 228, 230, 233 – 235 Georgatos, Angelos  243 Georgiou, Konstantinos  130 Giordano, Ralph  305 Giorgakis, Giannis  255 Glezos, Manolis  35 Goebbels, Joseph  35, 180, 186, 273 Gonatas, Stylianos  41, 44, 114, 212, 236 Gotzamanis, Sotirios  98 Gounaris, Dimitrios  179, 208 – 211, 214 Graff, Michael  314 Grass, Günther  263 – 265 Grazzi, Emanuele  33 Grivas, Georgios  48, 123 Grosz, George  266 Gruber, Karl  319 Grundherr, Werner von  276

H Habermas, Jürgen  117 Harnack, Arvid  281 Harnack, Falk  281 Havard, André  178 Heinemann, Gustav  269 Heisenberg, August  205 Hering, Gunnar  270 Heuss, Theodor  245, 275 f. Heyer, Georg Walther  268 Himmler, Heinrich  12, 99, 102, 105, 110, 114, 126, 147, 160, 192, 237, 337 Hirsch, Moritz von (Maurice de)  176 Hitler, Adolf  17, 25 – 27, 29 f., 32, 63 – 65, 68, 96 f., 99 – 101, 105 – 107, 114 – 116, 123, 126, 134, 137, 145 – 156, 158 – 160, 164, 168 – 170, 180 – 183, 186, 189 – 191, 225, 227 – 229, 249, 313, 319, 323, 325, 332 Hoffmann-Loos, Herbert  252 Höhler, Gerd  249 Honecker, Erich  284 I Iatrides, John O.  121 Illmer, Werner  108 Infante, Adolfo  64 Ioannidis, Dimitrios  257, 269 Irmscher, Johannes  287 J Jantzen, Ulf  259 K Kafantaris, Georgios  42, 114, 220, 230 Kanakaris-Rouphos, Loukas  229 Kanellopoulos, Panagiotis  41 f., 45, 54, 266, 296, 340, 342, 344 f. Kapetzonis, Georgios  87 Karagianni, Lela  45 Karagiorgis (Gyftodimos), Kostas  51, 89 Karamanlis, Konstantinos  19, 277 f., 283, 294, 296 – 298, 300, 344 Kardorff, Radolf von  219, 224 Karo, Georg  180, 207, 209 Karrer, Loukas  197 Kartalis, Georgios  46, 59, 83 f., 86, 122

Personenregister | 363

Kielmeyer, Otto  31, 160 Kinkel, Klaus  249 f. Klaras, Athanasios  (s. Aris Velouchiotis) Knoke, Karl Hermann  238, 247, 275 Kohl, Helmut  252, 288, 301, 323 Kokkalis, Petros  86, 285 Kokkalis, Sokratis  285 Kondylis, Georgios  184, 227, 229 Konstantin (Glücksburg), König  41, 205 f., Korakas, Stratis  286 Kordt, Theodor  230 – 233 Koretz, Zvi (Hirsch)  185, 188, 193, 195, 198 Kornaros, Themis  280 Korte, Hans  124 Kostopoulos,Georgios  55 – 57 Kotzias, Alexander  185 Koutsogiannopoulos, Charalambos  44 Krancke, Theodor  158 Kreipe, Heinrich  107 Krenzski, Curt von  27 Kube, Ernst  285 Kunze, Emil  259 Kurz, Hans Rudolf  315 – 318, 320 Kyrou, Alexis  256, 260 L Lanz, Hubert  79 f., 131, 133 Laval, Pierre  94 Leeper , Reginald Sir  70 Lefterias, Tassos (i.e. Papadakis, Vangelis)  56, 135 Lenthe, Gebhard von  132 f., 141, 311 LeSuire, Karl von  107 Liman von Sanders, Otto  214 Limbourg, Peter  257, 263 – 265, 267 f. Lindley, Francis Oswald  211 List, Wilhelm  26, 95, 132, 150 Logothetopoulos, Konstantinos  98 f. Löhr, Alexander  61, 99, 101, 104, 311, 313, 323 Loock, Hans Dietrich  311, 341, 343 Loos, Roman  137 – 139 Loraine, Percy Sir  218 Louvaris, Nikolaos  185 Löwinger, Joseph  188, 197 Ludwig XIV  328 Lüth, A.  197

M Macmillan, Harold  136 MacVeagh, Lincoln  234 Makarezos, Nikolaos  267 Mangakis, Georgios Alexandros  258, 265, 268 Maniadakis, Konstantinos  38, 185 Mann, Thomas  161 Manousakis, Manousos  238 f. Mantakas, Emmanouil  85 f. Mantzoufa-Metaxa,Loukia 45 Maronitis, Dimitris  258 Mascherpa, Luigi  67 Matern, Norbert  268 Meinhof, Ulrike  337 Meissner, Marbod  259 Melchers, Wilhelm  238 f., 248 f., 294 Meletzis, Spyros  4, 89, 93, 359 Mendelssohn-Bartholdy, Jakob Ludwig Felix  177, 252 Merkel, Angela  288 Merkouris, Georgios  99 Merten, Max  97, 161, 192, 276 – 278, 283, 293 f., 334 Messerschmidt, Manfred  315 f., 318 – 320 Metaxas, Ioannis  32 f., 38 f., 43, 87 f., 98, 103, 124 – 126, 188, 200, 213 – 215, 287, 346 Michalakopoulos, Andreas  220 Michos, Dimitris  138 Mitsotakis, Konstantinos  137 f., 252, 284 Mock, Alois  314, 316 f. Moran, Lord  115 Mosley, Oswald  118 Müller, Friedrich-Wilhelm  125, 161 – 163, 276 Munk, Kaj  338 Mussolini, Benito  32, 63, 77, 95 f., 147 – 149, 151 – 153, 155, 183, 188, 215, 221, 227, 246, 346 Myers, Edmund Charles Wolf („Eddie“)  52 – 59, 77, 342 N Neubacher, Hermann  63, 101, 106, 110, 114, 137, 163, 236 f., 303 Nikolaou, Kostas  267 f.

364 | Anhang

O Oldenhage, Klaus  304 Oncken, Dirk  257, 265 f., 269 – 271 Otto, König von Griechenland  107, 154, 225, 274 P Pacifico, David (Don)  175 Panagoulis, Alekos  339 Pangalos, Theodoros  44, 215, 236, 250 Papadakis, Vangelis (Lefterias, Tassos)  56, 135 Papadongonas, Dionysios  71 f., 125 f., 139 Papadopoulos, Alekos  339, 82 Papagos, Alexandros  73 f., 275, 279, 292 Papandreou, Andreas  236, 256, 284 f. Papandreou, Georgios  42, 90 – 92, 136, 169, 237, 275, 339 f. Papoulias, Karolos  267, 347 Parini, Piero  29 f. Partsalidis, Dimitris  137 Perrikos, Kostas  45 f. Pesah, Moshe  195 Peschew, Dimiter  194 Pesmazoglou, Ioannis (Giangos)  264 f. Pétain, Philippe  94 Pfauter, Karl  160, 255 Pinoçi Laskarina („Bouboulina“)  61 Planck, Max  161 Plastiras, Nikolaos  42 f., 55, 162, 212, 225, 235 Plehn, Chlodwig  259 Plötner, Jens  332 Pohl, Johannes  190 Politis, Nikolaos  210 Polkas, Panos  249 Popov, Grigori  91, 127 Porphyrogenis, Miltiades  39 Poulos, Georgios  102, 129, 236 Protopapadakis, Petros  208 Psarros, Dimitrios  44, 46 f., 50, 55, 59, 86 f., 122 Pyromaglou, Komninos  43, 57, 78, 83, 132 f., 140 Q Quisling, Vidkun  49, 95, 130

R Raeder, Erich  150 f., 153, 158, 168 Ramcke, Hermann-Bernhard  248 Rangavis-Rizos, Alexandros  225 Rauchensteiner, Manfried  315 Rehn, Johannes  283 Reinerth, Hans  329 Reinhardt, Gerhard  281 Rekanati, Ino (Isaak)  196 Renner, Martin  215 – 218, 220, 223 Ribbentrop, Joachim von  30 f., 38, 96, 145, 160, 257 Ringel, Julius  162 Rofousou, Emilia  287 Rondholz, Eberhard  20, 251, 268 Romain, Alfred  31 Rommel, Erwin  53, 68, 156, 303 Rosenberg,Alfred  187, 190, 329 Rosenthal-Kamarinea, Isidora  271 Rumpf, Helmut  300 f. S Saalwächter, Alfred  169 Salminger, Josef  131 Samarakis, Antonis  285 Samariniotis, Vasilis  s. Tzimas, Andreas Santas, Apostolos  35 Sarafis, Stefanos  55 – 57, 137, 280, 351 Sarantis, Theodoros  132 f. Sartzetakis, Christos  284 Scherpenberg, Albert Hilger van  297 Schimana, Walter  100, 102, 105 f., 313, 323 Schinas, Alexandros  267 Schliemann, Heinrich  285 Schlitter, Oskar  256, 261, 294 Schmeling, Max  186 Schmitt, Eberhard  251 Schneemelcher, Wilhelm  260 Schneider, Hans E. (alias Hans Schwerte)  337 Schoen, Hans von  210, 213 Schramm, Percy Ernst  124 Schramm von Thadden, Ehrengard  123 Schreiber, Gerhard  66, 315 Schröder,Gerhard 288 Schubert, Konrad von  268

Personenregister | 365

Seelos, Gebhard  294 Siantos, Giorgos  51, 75, 78, 85 f., 135 Sigmund, August  178, 319 Sigrist, Helmut  249 f. Sioris, Nikitas  269 Sofoulis, Themistoklis  114, 230, 237, 314 Sophie, Königin  205 Spee, Ludwig Graf von  209 Speidel, Wilhelm  28, 104 – 106, 280 Stalin, Joseph  49, 91, 319 Stamatopoulos, Vyron  268 Stavroulakis, Nikos  252 Stefanakis, Konstantinos  278 Steigner, Walter  268 Sterodimos, Spyros  46 Strasser, Hellmuth  320, 333 Stratis, Dimitris  92 Strauß, Franz Josef  261 Stresemann, Gustav  220 Strindberg, August  341 Stroop, Jürgen  102, 105 Svolos, Alexandros  75, 85 – 87, 90 – 93 T Tentzos, Christos  97 Theodorakis, Mikis  270, 285 Theotokas, Giorgos  67, 205 Theotokis, Ioannis  184, 229 Torossi, Eleni  267 Tousis, Andreas  276, 293 Tranos, Konstantinos  296 Tsaldaris, Konstantinos  41, 313 Tsaldaris, Panagis  181 – 185, 224 – 226, 228 Tsaparas, Panos  249 Tsatsos, Dimitris  260, 271 f. Tsatsos, Konstantinos  274, 344 f. Tsatsos, Themistoklis  73 Tsigantes, Ioannis  54 f. Tsipouras, Nikolaos  73 Tsirimokos, Ilias  40, 85 f., 92, 197 Tsolakoglou, Georgios  34, 41, 71, 73.  95 – 100, 127, 235 Tsouderos, Emmanuel  33, 81, 84 Türk, Helmut  316 Tzima, Louiza  342

Tzimas, Andreas  51, 56, 58 f., 78, 135 f., 326, 342 U Ülkümen, Selahattin  197 Uziel, Benzion  179 V Valassidis, Marie-Therese  266 Vanwelkenhuyzen, Jean  315 Varnalis, Kostas  347 Vecchiarelli, Carlo  69 Velics, Laszlo  197 Vellidis, Konstantinos  182 Velouchiotis, Aris (Klaras, Athanasios)  51, 132, 136 Venizelos, Eleftherios  18, 41, 69, 178 – 180, 182 f., 205 – 239, 275 Venizelos, Sophoklis  124, 237 Ventiris, Konstantinos  48 Viktor Emmanuel, König  63 Vlachou, Eleni  342 Vrettakos, Tilemachos  71 f., 125 f., 130 Vukmanovic, Svetozar „Tempo“  75 W Waldheim, Kurt  192, 311 f., 314, 318 f., 333, 346 Wallach, Jehuda  316, 318 f. Waterlow, Sir Sydney  232 Weichs, Maximilian von  104, 168 Weissert, Johannes  263 f., 266 Weizsäcker, Richard von  16, 250 f., 287, 332, 346 Westerwelle, Guido  329 Wildner, Clemens  313 f. Willers, Bruno  311 Wilson, Sir Henry („Jumbo“)  136 Wimmer, Lothar  229, 232 f. Wisliceny, Dieter  192, 196 Woodhouse, Christopher Montague (“Chris”)  44, 54, 57, 77, 81, 83, 86, 129, 133, 140, 320, 325, 342 Y Ypsilantis, Thomas  296 f.

366 | Anhang

Z Zachariadis, Nikos  38, 51, 75 Zamboni, Guelfo  195 Zervas, Napoleon  42 – 44, 48, 53 – 59, 77 – 83, 112, 130 – 135, 139 f., 345