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German Pages 315 [316] Year 1982
Wolfgang Schuller (Hrsg.)
Korruption im Altertum Konstanzer Symposium Oktober 1979
R.Oldenbourg Verlag München Wien 1982
Diese Publikation wurde gefördert durch die großzügige Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Korruption im Altertum: Konstanzer Symposium, Oktober 1979/Wolfgang Schuller (Hrsg.). München; Wien: Oldenbourg, 1982. ISBN 3-486-51161-0 N E : Schuller, Wolfgang [Hrsg.]
© 1982 R.Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege sowie der Speicherung und Auswertung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben auch bei auszugsweiser Verwertung vorbehalten. Werden mit schriftlicher Einwilligung des Verlages einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an den Verlag die nach § 54 Abs. 2 Urh.G. zu zahlende Vergütung zu entrichten, über deren Höhe der Verlag Auskunft gibt. Gesamtherstellung: R.Oldenbourg Graph. Betriebe, Kirchheim ISBN 3-486-51161-0
Inhalt Vorwort Wolfgang Schuller
Hermann Wankel
Hans Martin Kümmel Wolfgang Helck Hellmut Brunner
Leon Mooren
Einleitung Diskussion
7 9 18
Die Korruption in der rednerischen Topik und in der Realität des klassischen Athen . . . Diskussion
29 48
Bestechung im Alten Orient „Korruption" im Alten Ägypten Die religiöse Antwort auf die Korruption in Ägypten Diskussion
55 65 71 78
Korruption in der hellenistischen Führungsschicht Die Amtsmißbräuche im ptolemäischen Ägypten Diskussion
103 118
Einfluß korrupter Praktiken auf das senatorisch-ritterliche Beförderungswesen in der Hohen Kaiserzeit Diskussion
135 152
Die Adäration als Korruptionsproblem in der Spätantike Diskussion
163 174
Immunität und Korruption der Curialen in der Spätantike Diskussion
179 196
Wolfgang Schuller
Prinzipien des spätantiken Beamtentums Diskussion
201 209
Helmut Castritius
Korruption im ostgotischen Italien Diskussion
Willy Peremans
Werner Eck
Frank Kolb
István Hahn
.
. . . .
.
93
215 235
Jakob van Klaveren
Die Entwicklung der Korruption in Ägypten: Von Mohammed Ali Pasha bis zum Khediven Ismael
Verzeichnis der Teilnehmer Namensregister Sachregister Stellenregister
239 267 269 276 310
Vorwort Dieses Buch enthält die Vorträge und die anschließenden Diskussionen des Symposions zur antiken Korruption, das am 9. und 10. Oktober 1979 an der Universität Konstanz stattgefunden hat.' Besonders hingewiesen sei auf den Beitrag von J. van Klaveren, der unvorhergesehenerweise auf dem Symposion nicht gehalten werden konnte und nachgeholt worden ist: Damit ist die Brücke zur Korruptionsforschung der Neuzeit und überhaupt zu den Nachbardisziplinen der Altertumswissenschaft gegeben, ohne die unsere Bemühungen vergeblich wären. Ein Literaturverzeichnis wurde nicht hergestellt, weil die Vorträge nicht als handbuchartige Beiträge abschließenden Charakters gedacht sind. Sie wollen großenteils wirkliche Diskussionsbeiträge sein auf einem Gebiet, dessen wissenschaftliche Bearbeitung sich erst in den Anfängen befindet. Aus demselben Grunde wurde die Diskussion vollständig und (auch typographisch) gleichberechtigt mit abgedruckt, gerade weil sie teilweise auch im Grundsätzlichen kontrovers verlaufen ist. Großer Wert wurde auf die Indices gelegt; der Namensindex mag in seinem modernen Teil das Literaturverzeichnis ersetzen, und der Sachindex dient vielleicht auch dazu, gewissermaßen eine vorläufige Summe der behandelten Probleme zu ziehen. Der Dank, den ich zum Schluß abstatte, geht über die üblichen Dankesworte hinaus. Ich danke nämlich zuerst allen Teilnehmern dafür, daß sie sich in überraschend großer Zahl auf das Wagnis eingelassen hatten, sich mit dem für einige von ihnen ja durchaus überraschenden Thema einzulassen, und daß sie auch in der Folgezeit einen so großen Anteil an der Sache nahmen und weiter nehmen. Ebenso ist der Stiftung Volkswagenwerk und ihren anonymen Gutachtern zu danken, durch deren Hilfe das Symposion stattfinden und das Buch in Druck gehen konnte. Den beiden graduierten Studenten der von der DFG geförderten Konstanzer Korruptions-Dokumentation, Sieglinde Pontow-Casimir und Wolfgang G. Kunkel, danke ich an dieser Stelle sowohl für ihre Hilfe bei der Herstellung dieses Bandes wie auch für ihre tüchtige Arbeit bei der Aufnahme und der Diskussion der vielen antiken Quellenstellen zum Thema Korruption. Schließlich sei Mathilde Bastian für die besonders mühsame Arbeit bei der Herstellung des Manuskripts herzlich gedankt. Konstanz, im Februar 1982
Wolfgang Schuller
' Berichte d a r ü b e r in: K o n s t a n z e r Blätter f ü r H o c h s c h u l f r a g e n Nr. 6 4 / 6 5 , Juni 1980, S. 1 4 3 - 1 5 1 u n d A b h a n d l u n g e n aus der Pädagogischen Hochschule Berlin, Bd. 7, Berlin 1980, S. 2 1 9 - 2 3 2 .
Wolfgang Schuller Einleitung
Zu Beginn der Vorträge steht am besten einer, der sich ganz vorläufig mit dem Korruptionsbegriff und der Korruptionsforschung beschäftigt, um in das Generalthema einzustimmen, und das wiederum geschieht am besten dadurch, daß ich vom bisherigen Stand der Dokumentation berichte - eine unprätentiösere allgemeine Bezeichnung ist mir nicht eingefallen - , die wir am Lehrstuhl für Alte Geschichte mit der dankenswerten Förderung durch die DFG machen 1 . Dabei will ich nicht verschweigen, sondern es an den Anfang meines kleinen Berichts setzen, daß es alle hier gleich aufzuwerfenden Fragen - als Fragen - waren, die mich auf die Idee gebracht hatten, dieses Symposion zu veranstalten, weil wir uns nämlich erhoffen, von Ihnen durch die Vorträge, die Diskussionen und die Gespräche Anregungen und Hilfe zu bekommen. Zunächst das ganz Praktische einer solchen Dokumentation. Im Augenblick wird bei uns an drei Arbeiten aus dem Umkreis der spätantiken Korruption gearbeitet: Es soll eine Dissertation über die Entstehung der Sportein, also der Gebühren, geben, eine weitere über die Gerichtspraxis in der Spätantike, und ich selbst bin mit dem Ämterkauf beschäftigt. Unsere eigenen Arbeiten werden nun, wie ich hoffe, durch die Dokumentation sehr erleichtert werden, die nämlich erreichen wird, daß nicht jeder vor sich hin arbeitet, sondern daß vieles, was wir alle drei brauchen, nur einmal gesichtet werden muß, und daß immer auf den größeren Zusammenhang verwiesen wird. Das bedeutet, daß diese aufgeschlüsselte Quellen-, Problem- und Literaturzusammenstellung natürlich auch weiteren und anderen hilfreich sein wird und soll. Das kann sie nur dann, wenn ein theoretischer Rahmen besteht, und den gewinnt sie nur dann, wenn erstens außer der Spätantike inhaltlich die gesamte Antike, mit Fernziel auch das Alte Ägypten und der Alte Orient, eingeschlossen sind, und wenn zweitens die bisherige Korruptionsforschung mit ' Es sind zwei g e p r ü f t e Hilfskräfte angestellt, die zunächst beide die S p ä t a n t i k e b e a r b e i t e t e n ; seit Mitte 1980 ist eine f ü r die Spätantike, die a n d e r e für das ptolemäische Ägypten zuständig. Es wird so gearbeitet, d a ß teils nach schon existierender Literatur, teils auf G r u n d systematischen Durchsuchens von Quellen Karteikarten angelegt werden, die nach Quellen geordnet werden. Auf j e d e r Karteikarte b e f i n d e n sich eine Sachverhaltsschilderung, die einschlägigen Stichworte, Parallelen u n d Literatur (soweit g e r a d e b e k a n n t ) sowie d e r vollständige Text. Auf G r u n d einer vorläufigen Stichwortsystematik ist d a m i t b e g o n n e n w o r d e n , eine Stichwortkartei anzulegen, die das Arbeiten in g r ö ß e r e m R a h m e n ermöglichen wird.
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Wolfgang Schuller
berücksichtigt wird. Bei ersterem sind wir besonders auf die Mithilfe der altertumswissenschaftlichen Kollegen angewiesen, insbesondere auf die ja ständig neue Quellen aufspürende Papyrologie. Letzteres aber, also die bisherige einschlägige Forschung, würde inhaltlich eine so starke Erweiterung bedeuten, daß das in unserem kleinen Maßstab nicht durchführbar wäre, vielleicht auch überhaupt nicht, so daß im nichtantiken Bereich inhaltlich nicht systematisch gesucht, sondern nur das aufgenommen wird, was uns nebenbei auffällt oder was uns freundliche Helfer von auswärts schicken; das Theoretische aber wollen wir ganz aufnehmen, und auch das ist schon ziemlich viel. Nun ein paar Worte zu den theoretischen Ausgangspositionen, die man haben muß, um über den vorwissenschaftlichen und umgangssprachlichen Bereich hinaus einen Zugriff zu haben. Dazu zunächst die Forschungssituation: Arbeiten zur antiken Korruption insgesamt gibt es bisher nicht. Es gibt einzelne Arbeiten zu Einzelthemen, insbesondere rechtsgeschichtliche Arbeiten über den Ämterkauf in der Spätantike 2 . In der Neueren Geschichte und in Soziologie und Politologie ist schon mehr geleistet worden. In der Neueren Geschichte ist es neben den Artikeln von J . VAN K L A V E R E N 3 vor allem der Ämterkauf in Frankreich und England, in der Soziologie und der Politologie ist vor allem die Korruption in den Vereinigten Staaten von Amerika und in den Entwicklungsländern, einschließlich der Sowjetunion, zu nennen 4 . Wenn nun die bisherige nicht-altertumswissenschaftliche Forschung eine Grundthese haben sollte, dann wäre es die doppelte, daß es zum einen Korruption erst dann geben kann, wenn es eine feste rationale staatliche Organisation mit verbindlichen Normen gibt, gegen die verstoßen wird, wobei diese Verstöße 2
J
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Zuletzt D. LIEBS, Ä m t e r k a u f u n d Ä m t e r p a t r o n a g e in d e r S p ä t a n t i k e , Z R G ( R o m . Abt.) 95 (1978) 158-186; vgl. inzwischen auch W. SCHULLER, Ä m t e r k a u f im römischen Reich, Der Staat 19 (1980) 57-71. D i e historische E r s c h e i n u n g der K o r r u p t i o n , V S W G 44 (1957) 289-324, 45 (1958) 4 3 3 - 5 0 8 ,
46
(1959) 204-231; F i s k a l i s m u s - M e r k a n t i l i s m u s - K o r r u p t i o n . Drei A s p e k t e der Finanz- u n d Wirtschaftspolitik w ä h r e n d des Ancien Régime, V S W G 47 (1960) 3 3 3 - 3 5 3 ; vgl. a u c h seinen Artikel K o r r u p t i o n im H a n d w ö r t e r b u c h zur d e u t s c h e n Rechtsgeschichte Bd. 2, 1978, 1163-1169. Vgl. zu all d e m m e i n e n Übersichtsartikel P r o b l e m e historischer K o r r u p t i o n s f o r s c h u n g , Der Staat 16 (1977) 373-392. N e u h i n z u g e k o m m e n bzw. mir nachträglich b e k a n n t g e w o r d e n (großenteils d u r c h Hinweise ARNOLD HEIDENHEIMERS) sind f ü r die USA G . AMICK, T h e A m e r i c a n Way of G r a f t , 1976; Ν. H. JACOBY/P. NEHEMKIS/R. EELLS, Bribery a n d E x t o r t i o n in W o r l d Business, 1 9 7 7 ; A . S. E I S E N S T A D T / A . H O O G E N B O O M / H . L . TREFOUSSE, B e f o r e W a t e r g a t e , 1 9 7 8 ; G . C . S. BEN-
SON, Political C o r r u p t i o n in A m e r i c a , 1978; D. BOULTON, Die L o c k h e e d - P a p i e r e , 1979; f ü r die U d S S R Η. SMITH, Die Russen, 1976, 117-144; G . GROSSMAN, T h e " S e c o n d " E c o n o m y of the U S S R , P r o b l e m s of C o m m u n i s m 26 (1977), H e f t 5, 2 5 ^ 0 ; A. SINOWJEW, Lichte Z u k u n f t , 1979, 3 6 2 . 3 7 1 f f . 4 0 9 f f . ; M . VOSLENSKI, N o m e n k l a t u r a , 1 9 8 0 , 1 9 8 . 2 2 4 . 2 7 0 . 3 0 0 . 3 0 4 - 3 0 8 ; f ü r d i e
DDR
T. ÖSTERREICH, Gleichheit, Gleichheit ü b e r alles, 1978, 120. 189-195. 200. U n t e r ö k o n o m i s c h e n G e s i c h t s p u n k t e n wird die - v o r n e h m l i c h n u r als Bestechung betrachtete - K o r r u p t i o n b e h a n d e l t bei S. ROSE-ACKERMAN, C o r r u p t i o n . A Study in Political E c o n o m y , 1978, u n d G . NEUGEBAUER, G r u n d z ü g e einer ö k o n o m i s c h e n T h e o r i e d e r K o r r u p t i o n , 1978 ( H i n w e i s von HORST BAIER); vorwiegend als m o r a l i s c h e r N i e d e r g a n g v e r s t a n d e n wird die K o r r u p t i o n bei A. FERGUSON, A n Essay o n the History of Civil Society, 1767/1966, Part VI ( H i n w e i s von ALEXANDER DEMANDT) u n d bei R. PAYNE, T h e C o r r u p t Society. F r o m Ancient G r e e c e to Present - D a y A m e r i c a , 1975. Siehe jetzt a u c h CHR. BRÜNNER (Hrsg.), K o r r u p t i o n u n d K o n t r o l l e 1981.
Einleitung
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der Idee nach nur noch als Kriminalität interessant wären; historisch wird dieser Moment für Westeuropa als mit, durch und nach der Französischen Revolution für gegeben angenommen. Zum anderen gebe es Korruption eben in solchen historischen Situationen, in denen sich über eine stichwortartig als traditional zu kennzeichnende Gesellschaft eine andere, eben rationale Organisationsform gelegt, aber noch nicht durchgesetzt habe: das wäre in den Entwicklungsländern oder den USA oder der UdSSR der Fall. Den Althistoriker - allerdings nur den, der sich mit der Korruption befassen will, die anderen freuen sich darüber - , diesen Althistoriker bekümmert es nun, in diesem Zusammenhang zu hören oder die Meinung zu erahnen, im Altertum habe es mangels so aufgefaßter Staatlichkeit wirkliche und echte Korruption nicht geben können. Darüber möchte ich im folgenden ein wenig sagen, und will versuchen, dabei weder ex cathedra Thesen zu verkünden, noch auf der anderen Seite allzu unverbindlich zu sein, und schließlich will ich möglichst um die Gebiete einen Bogen machen, die heute und morgen hier verhandelt werden. Denn wer auf Vollständigkeit sieht wird schon längst bemerkt haben, daß Wichtigstes an unserem Programm fehlt: die Geschichte der frühen Kirche, die sehr ergiebig ist, der altjüdische Rechtskreis, die mittelbyzantinische Zeit, die römische Republik, und schließlich mit der - allerdings gewichtigen - Ausnahme des Vortrage über Athen das nichthellenistische Griechenland 5 . All das soll nun auch nicht jetzt in diesen wenigen Minuten abgehandelt werden; es sei nur der Hinweis gegeben, daß es vielleicht nicht untypisch ist, daß unsere Vorträge sich größtenteils eben auf diejenigen Epochen der Alten Welt beziehen, in denen wir es mit so etwas wie einem bürokratischen Apparat zu tun hatten. Daher zunächst einige Bemerkungen zur Definition und dann zum republikanischen Rom und zu Griechenland. Was als Korruption zu bezeichnen ist, hängt - von gewissen transkulturellen Kernbereichen abgesehen - wesentlich von den vorherrschenden gesellschaftlichen Organisationsformen und Verhaltensnormen und dem Ausmaß ihrer Akzeptierung ab. Korruption wird nämlich von uns als ein öffentliches Verhalten definiert, das in privatem oder Gruppen-Interesse derartige vorherrschende oder auch nur offiziell vorherrschende Verhaltensnormen verletzt. Unter Korruption fallen daher zunächst nicht nur die Bestechung, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch Vorgänge wie der Kauf öffentlicher Ämter, die Patronage (mit den Bereichen des Nepotismus und des Clientelwesens), die Erpressung und Aussaugung der Bevölkerung durch selbstherrliche staatliche Stellen im Interesse von deren Trägern als Personen. Damit stellt sich zum einen die Frage nach den jeweils herrschenden Verhaltensnormen. Beispielsweise kann nämlich ein Verschaffen von Stellen, das weniger nach dem Leistungsprinzip, sondern nach der verwandtschaftlichen ' Inzwischen hat mir IZA BIEZUÑSKA-MAKOWIST mitgeteilt, d a ß sie eine Doktorarbeit über die Korruption in Athen im 5. u n d 4. J a h r h u n d e r t vergeben habe.
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Wolfgang Schuller
Nähe zum Verschaffenden erfolgt, durchaus im Einklang mit dem allgemeinen Bewußtsein geschehen und ein Verstoß dagegen als Abweichung mit einem Unwerturteil belegt werden, so daß dieses dann allenfalls als Korruption bezeichnet würde. Ebenfalls fließend, eine Grauzone, sind die Grenzen zwischen legitimer Einflußnahme und korruptiver Patronage oder zwischen legitimem Geschenkegeben als Akt der Höflichkeit und korruptiver Bestechung. Zum anderen ist insbesondere das Verhältnis von Gesellschaft und Staat, genauer: von Gesellschaft und rational organisiertem Staat Gegenstand der Korruptionsforschung; davon war schon die Rede. Uns soll es jetzt auf die Fälle ankommen, wo wir nicht so ein deutliches Element der Staatlichkeit wie eine Bürokratie vor uns haben, obwohl auch diese Bürokratie, wie ich morgen zu zeigen versuchen werde, noch viel von unserer trennt. Um gleich medias in res zu gehen: Wenn Moses Finley im Anschluß an Marcel Mauss, in dessen „Essay sur le d o n " von 1924 Griechenland merkwürdigerweise nicht vorkommt, die homerische Gesellschaft eine „gift-giving society" nennt, so will er damit sagen, daß hier das gegenseitige Geschenkegeben für das Funktionieren der Gesellschaft konstitutiv war: Das Sichbeschenken, das von Homer ja ausgiebig in allen Einzelheiten geschildert wird, hatte gewissermaßen die Funktion, sich gegenseitig anzuerkennen, miteinander überhaupt in Verkehr zu treten, und durch Art und Ausmaß der Geschenke auch Art und Ausmaß der gegenseitigen Beziehungen zu bestimmen. Warum ist das keine Korruption? Weil hier das Geschenkegeben, das allerdings den Zweck hatte, Wohlwollen zu erzeugen, nicht in Konkurrenz stand zu anderen Verhaltens- und Umgangsformen, die auf anderen, sagen wir sachlicheren oder Gleichbehandlungskriterien beruhten 6 . Solche Kriterien gab es aber dort schon in einem bestimmten Bereich, dem der Rechtsprechung, und dieser Bereich begleitet uns als der eigentlich am deutlichsten zu bestimmende die ganze Korruptionstypologie hindurch. Aber auch im Mythos kann das Geschenkegeben bzw. das Erweisen von Wohltaten schon so zweckbestimmt sein, daß es in die Nähe der Korruption gerät; man denke daran, daß sich Hera von Aphrodite präparieren ließ, um Zeus durch das Erweisen aphrodisischer Wohltaten vom Eingreifen zugunsten der Trojaner abzuhalten, oder daran, daß in der Vorgeschichte der Sieben gegen Theben Polyneikes der Eriphyle, der Frau des Amphiaraos, ein Halsband offerierte, so daß sie ihn verriet und so den verhängnisvollen Krieg herbeiführte. In der nachhomerischen ausgestalteten Adelswelt ohne Könige ist nun durch die genaue Regelung des öffentlichen Lebens mit Ämtern, Jahresturnus usw. ein Bewußtsein von Öffentlichkeit und von Maximen öffentlichen Handelns zu beobachten, daß hier dann Verstöße möglich waren, die Korruption ' EDOUARD WILL hat mir inzwischen mitgeteilt, d a ß er eine Doktorarbeit über den W a n d e l des legitimen Geschenkegebens in Bestechung im Ü b e r g a n g von der archaischen zur klassischen Zeit vergeben h a b e ; er bringt das, ähnlich wie ich, mit d e r H e r a u s b i l d u n g der P o l i s - N o r m e n in Verbind u n g (vgl. etwas weiter im Text).
Einleitung
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genannt werden können. Damit soll nicht gesagt sein, daß diese Maximen des öffentlichen Handelns an positiven Idealen wie Gemeinwohl oder ähnlichem orientiert waren: Es ging ja um das Funktionieren und die Erhaltung der Adelsmacht als ganzer, d.h. die Verhinderung des Hervortretens Einzelner, aber diese Funktion brachte eben Gleichbehandlungsregeln hervor. Auch hier ist wieder die Rechtsprechung, die ja in der Hand des Adels lag, das Entscheidende: Wenn Hesiod von den δωρόφαγοι βασιλ^ες, den geschenkefressenden Königen spricht, dann ist hier ein Tatbestand gemeint, bei dem der Mißbrauch der öffentlichen Stellung darin liegt, daß die, römisch gesprochen, Rechtsprechungsmagistrate, Geschenke annahmen, wohl sogar forderten, und schiefe Urteile sprachen 7 . Daß das nicht ging, war jedem einsichtig, und zwar als korruptives Verhalten in einer Übergangszeit. Der spartanische Staat, also der die ganze Zeit seiner Existenz über archaisch strukturierte Staat, war in der Alten Welt nicht nur seiner, in vielem ja sehr zweischneidigen, Tugenden wegen berühmt, sondern auch wegen des offenbar ungewöhnlich hohen Grades der Bestechlichkeit. Den Spartiaten war nämlich aus Gründen der inneren Zucht der Besitz von Gold und Silber verboten; es gab nur das berühmte Eisengeld, das nach Plutarch auch noch so präpariert war, daß es sich nicht weiterverarbeiten ließ, und nur die Könige durften Gold haben. In ihrer Auffassung, daß Geld den Charakter verderbe, konnten die Spartaner nun durch die Tatsache bestärkt werden, daß die Könige sich angeblich häufig bestechen ließen. Jedenfalls ist ihnen von den nichtbesitzenden übrigen Spartanern dieser Vorwurf oft genug gemacht worden, und Herodot erzählt darüber manche Geschichte. Auch für Aristoteles waren die höchsten spartanischen Beamten, die Ephoren und Geronten, ganz selbstverständlich bestechlich, und zwar seiner Ansicht nach deshalb, weil man auch arme Leute zu solchen Beamten machen konnte, die der Versuchung wegen dieser ihrer Eigenschaft als Arme nicht widerstehen konnten; hier sind aber wohl athenische Vorstellungen maßgebend gewesen 8 . Im übrigen kommen die Geschichten von den bestechlichen Königen natürlich nur im Zusammenhang von sonst sehr spärlichen Kontakten mit der Außenwelt vor, und die zum Teil sehr dramatischen Berichte von der Geldgier anderer Spartaner spielen in einer Zeit, wo Spartaner durch ihre Herrschaft über Griechenland im 4. Jhdt. ex officio mit Geld in Gestalt von Beute, Tributen oder Bestechungsgeldern zu tun hatten und nun sich eben (auch) bestechen ließen, unterschlagen oder listig ihr Geld verbotenerweise im Ausland deponierten. Hier scheint mir für diese Korruption ursächlich gewesen zu sein eben die starre asketische Regelung, die sich im Fall der Könige durch ihre einzelnen, in den späteren Fällen durch die regelmäßigen Außenkontakte bei
' Werke u n d Tage 38f. Die Schiefheit der Urteile steht nicht ausdrücklich im Text; j e d e n f a l l s aber wird das G e s c h e n k e n e h m e n mißbilligt. H e r o d o t 3, 148; 5,51 ; 6,50; 6,72; 6,82; 8,5; Aristoteles, Politik, 1272a 41 f.; I273a2.
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Wolfgang Schuller
gewecktem Bedürfnis nicht aufrechterhalten ließ und dieses im Rahmen anderer Bedingungen völlig normale Bedürfnis zu Korruption werden ließ. Nun zu Athen, in der Hoffnung, daß ich damit nicht dem Vortrag von Herrn Wankel in die Quere komme, aber ich will auch gar nicht auf die Redner hinaus, sondern nur auf ein paar Stellen im „Staat der Athener" aufmerksam machen, die uns gleichzeitig etwas von der ordinären Bestechung entfernen und auch zu anderen Erscheinungsformen der Korruption führen. Ordinär nenne ich die Bestechung deshalb, weil sie in Kap. 54,2 als schlichte Straftat der passiven Bestechung figuriert, also schön im kriminologischen Sinne rechtstechnisch eingefangen ist; ebenso in 59,3, wo von der Erschleichung des Bürgerrechts durch Bestechung gehandelt wird. Interessanter ist schon 55,5, wo vom Eid der Archonten die Rede ist, in dem sie unter anderem schwören müssen, „keine Geschenke wegen ihrer Amtsstellung anzunehmen (δώρα μή λήψεσθαι της αρχής ένεκα) und, wenn sie das doch täten, ein goldenes Standbild zu weihen". Hier also eine deutliche Abkehr von der Adelswelt zugunsten doch wohl einer Vorstellung von sachlicher Amtserfüllung, und interessant ist das deshalb, weil hier die archaischen Geschenke auftauchen, aber eben mit der Zielrichtung auf die Amtsführung. Schließlich noch eine für den Ämterkauf einschlägige Bestimmung: In 62,1 wird berichtet, daß früher die Ämter der Deinen, der untersten Einheit des athenischen Staates, gesondert in den Demen ausgelost worden seien; als aber die Demen mit diesen Ämtern Handel getrieben hätten, επειδή έπώλουν οί δήμοι, sei die Auslosung auf der nächsthöheren Ebene, der Phyle, vorgenommen worden. Man fragt sich, was an diesen kleinen Ämtern so begehrenswert gewesen ist und kommt vermutungsweise auf irgendwelche Einkünfte 9 ; bemerkenswert dabei ist aber, daß der athenische Staat das, was ja sonst, d. h. bei Priesterämtern, gang und gäbe war, hier als illegitim ansah und verhinderte. Warum? Etwas anderes als allen gegenüber gleichmäßige Erfüllung der öffentlichen Pflichten kann ich mir nicht vorstellen. Das um so mehr, als ja das Verfassungsleben Athens stark verrechtlicht war - der Praxis der Rechtsprechung unerachtet - , was hier nun freilich auch nicht nur und unmittelbar im Interesse eines abstrakten öffentlichen Wohls erfolgte, sondern wegen der Erhaltung und des Funktionierens der Demokratie. Ich erinnere an die minuziösen Regelungen der vielen kleinen Ämter der Verwaltung, die wegen ihrer Genauigkeit gerade die Ausübung auch durch Nichtfachleute sichern sollte, oder an die Institution der Klage wegen Verfassungswidrigkeit, der graphé paranomon 1 0 , und überhaupt an den von den Athenern er- oder besser gefundenen Unterschied zwischen ® Vgl. zu dieser Frage jetzt M. H. HANSEN, Perquisites for Magistrates in F o u r t h - C e n t u r y Athens, C l a s s i c a et M e d i a e v a l i a 3 2 ( 1 9 7 1 / 8 0 ) 10
105-125.
H. ). WOLFF „ N o r m e n k o n t r o l l e " u n d Gesetzesbegriff in der attischen D e m o k r a t i e , 1970; M. H. HANSEN, T h e Sovereignity of the People's C o u r t in Athens in the Fourth Century B. C. a n d the Public Action against Unconstitutional Proposals, 1974, 28-43.
Einleitung
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Verfassung und einfachen Gesetzen bzw. Beschlüssen der Volksversammlung". Hier ist ein wenn auch nicht bürokratischer, so doch hochorganisierter staatlicher Organismus gegeben, mit sachlichen Zwecken, gegen den aus Individualinteresse anzugehen Korruption sein konnte. In Rom sind die Probleme anders und schwieriger gelagert, und das hängt womöglich damit zusammen, daß entwicklungsgeschichtlich Rom in vielem noch in der archaischen Zeit steckte, anders als Athen. Jedem ist die Intensität der institutionellen Ausgestaltung der römischen Republik bekannt, die Mommsen sogar ein römisches Staatsrecht schreiben ließ, und jedem ist bekannt, daß etwa bei den Wahlen der späten Republik gröbste Unregelmäßigkeiten vorkamen, gegen die man vergeblich mit der ambitus-Gesetzgebung anging, oder daß die Aussaugung der Provinzen mit nicht viel größerem Erfolg durch die Repetundengesetze verhindert werden sollte - beides Fälle ausgesprochener Korruption und begrifflich unproblematisch, bei denen interessant nur die Fragen der Ursachen sind. Ich will auf etwas Komplizierteres hinaus. Nach Mommsen ist ja vor allem Matthias Geizer auf die komplementäre Bedeutung des personal strukturierten Clientelsystems gekommen, und nach ihm haben andere diesen Gedanken ausgebaut, daß nämlich der römische Staatsorganismus ohne diese nichtstaatlichen sozialen Bezüge des Bindungswesens niemals funktioniert hätte 12 . Hier wäre ein idealer Fall des Phänomens, daß nichtstaatliche Sozialbeziehungen neben den staatlichen Institutionen existierten, aber anscheinend in Harmonie mit ihnen, ja sogar existentiell für sie. Das Clientelwesen wäre also ein Beispiel dafür, wie diese beiden Organisationsformen der Gesellschaft nicht gegeneinander standen, also keine Korruption bedeuteten. Ich sage das ein bißchen im Potentialis, weil ich mir nicht so ganz sicher bin, ob die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Bildes wirklich stimmen. Aber auch das will ich hier nicht weiter verfolgen, sondern auf die damit zusammenhängende Frage kommen, wo ich mir schon sicherer bin, daß da noch einiges ungelöst ist - und vielleicht auch in der römischen Wirklichkeit ungelöst war. Anders als die Athener hatten die Römer ja keine gewissermaßen totale durchdachte Verfassung, aber ebenfalls im Unterschied zu diesen hatten sie auf einem anderen Gebiet des öffentlichen Handelns genauest durchdachte und - der historischen Weiterentwicklung einmal unerachtet - als unverbrüchlich aufgestellte Regeln, im Zivilrecht. Das römische Recht war ja schon in der Republik ein durchgebildetes Ganzes, das objektive Rechtslagen " M. H. HANSEN, Athenian Nomothesia in the Fourth Century Β. C. and Demosthenes' Speech against Leptines, Classica et Mediaevalia 32 (1971/80) 77-104; ders., N o m o s a n d Psephisma in Fourth-Century Athens, Greek, R o m a n a n d Byzantine Studies 19 (1978) 315-330; ders., Did the Athenian Ecclesia Legislate after 4 0 3 / 2 Β. C.?, ebd. 20 (1979) 27-53. 12 M. GELZER, Die Nobilität der römischen Republik (1912), in: Kleine Schriften, Bd. 1, 1962, 17-135 (68-110); weiter etwa: E. BADIAN, Foreign Clientelae, 1958, 1-14; Ch. MEIER, Res publica amissa, 1980, 2. Aufl., 34-63; H. H. SCULLARD, R o m a n Politics 220-150 Β. C „ 1973, 2. Aufl., 8 - 3 0 ; J. BLEICKEN, Die Verfassung der römischen Republik, 1978, 2. Aufl., 20-40. 242-245.
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W o l f g a n g Schuller
kannte, die ohne Ansehen der Person so und nicht anders gegeben waren. Wenn jemand auf die Frage „Centum mihi dare spondes?" geantwortet hatte „Spondeo", dann schuldete er, gleichgültig, welche gesellschaftliche Stellung er hatte. Auf der anderen Seite gab es, wie wir aus vielen Cicero-Reden wissen, gratia, Einfluß bei Gericht, d.h. den Richtern, und nicht nur hing der umgekehrt genau von der gesellschaftlichen Stellung der betreffenden Partei ab, sondern diese Abhängigkeit war auch allen bewußt und keineswegs als unzulässig, anrüchig, ja eben korrupt verdammt, sondern als legitim akzeptiert. Diese Legitimität hindert uns nun einerseits daran, in schlichter Manier hier wieder einmal das Obsiegen von Macht über Recht zu konstatieren und zu beklagen, auf der anderen Seite aber ist mit ihrer Feststellung noch nicht sehr viel gewonnen, denn die Grundfrage bleibt: Wie verhielt sich konkret die objektive, bewußte, ja vollendet durchgebildete Gleichbehandlung von Gleichem, wie sie das römische Recht darstellte, zur Praxis des Einflusses bei Gericht, der gratia? Denn ein Widerspruch in sich war es, und wenn Cicero (etwa zu Beginn der Rede pro Quinctio) darum bittet, trotz des nicht vornehmen Status seines Clienten und seiner selbst - im Gegensatz zu dem des Herrn Prozeßgegners - die objektive Rechtslage zu ihrem Recht kommen zu lassen, dann zeigt das bei aller Bewußtheit und Akzeptierung der Legitimität von gratia, daß der Widerspruch gesehen wurde. Das wäre ein Sachverhalt, der problematisiert werden müßte 13 , und der vielleicht gerade durch unsere Fragestellung auf Korruption hin deutlicher herausgearbeitet werden konnte. Zugespitzt formuliert: Wenn der Einfluß bei Gericht generell „anrüchig" und als zu bekämpfende Ausnahme anzusehen ist, ist es von diesem Standpunkt aus Korruption; ist es nicht anrüchig, sondern ein legitimes und selbstverständliches, ehrenhaftes Verhalten, ist es etwas anderes: Herrschaftspraxis, personales, traditionales Verhalten oder was immer. Genau aufgehen tut das natürlich nicht, auf das Mischungsverhältnis kommt es an, aber jedenfalls ist diesen Dingen ein Platz in unserer Dokumentation sicher. Zum Schluß ein paar zusammenfassende Stichworte. Wenn wir uns in Konstanz mit Korruption beschäftigen und dazu Quellen, Probleme, Literatur sammeln - um das Wort „Dokumentation" so aufzulösen - , dann haben wir dabei die folgenden Grundannahmen: Wir wollen ihre Formen kennenlernen, ihre Ursachen herausbekommen und uns über ihre Funktion Gedanken machen. Sie ist unserer Meinung nach ein individuelles Verhalten im Bereich des öffentlichen Lebens, das auch ein Gruppenverhalten sein kann, das gegen herrschende oder Herrschaft beanspruchende Normen des öffentlichen Verhaltens gerichtet ist, die einen bestimmten Grad von Rationalität und Zweckhaftigkeit haben; sie wird dann teils als solches, teils aus moralischen Gründen verurteilt. Ihre Formen sind mannigfaltig: Bestechung, Erpressung, " Also über die Bücher von KELLY u n d GARNSEY hinaus (J. M. KELLY, R o m a n Litigation, 1966; P. GARNSEY, Social Status a n d Legal Privilege in the R o m a n Empire, 1970).
Einleitung
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Unterschlagung, Patronage, ungerechte Rechtsprechung, Zwang, Betrug und was immer, je nach Bezugssystem. Sie kann von den Beherrschten und von den Herrschenden eingesetzt werden. Ihre Ursache ist das Nebeneinanderexistieren verschiedener Verhaltenssysteme, von denen die offiziell nicht akzeptierten meist aus einem manchmal sogar existentiellen Bedürfnis resultieren, und sich u.a. in Korruption ausdrücken. Das offizielle Verhaltenssystem, gegen das verstoßen wird, ist in den meisten Fällen ein eher rational-bürokratisches, doch ist die Bürokratie kein Constitutivum, sondern es gibt auch andere Formen der Rationalität, wie die durchgebildete Demokratie in Athen oder das durchgebildete Zivilrecht in Rom zeigen. Historisch tritt die Korruption in Übergangszeiten besonders stark auf, also in Zeiten, in denen sich neue Verhaltensmuster entweder von unten gegen alte bilden, oder sich neue über alte gelegt haben oder gelegt worden sind und sich nicht durchgesetzt haben. Die Funktion der Korruption, bei der sich wegen der Auseinandersetzungslage, in der sie entsteht, immer auch transkulturell moralisch verwerfliche Handlungen mischen, ist so betrachtet die des Schutzes, wenn sie von Beherrschten ausgeht; die der Herrschaftsstabilisierung, wenn sie von den Herrschenden praktiziert wird. Wegen ihrer Verflochtenheit mit der Grundfrage nach dem Verhältnis von Öffentlich-Staatlich und Privat' 4 sind besonders einschlägig auf der nichtstaatlichen Seite deren Verhaltensmuster, bei denen das der Clientel das Verbreitetste und Interessanteste ist; gerade die Clientel ist das deutlichste Beispiel dafür, wie völlig legitimes Verhalten bei veränderten Rahmenbedingungen Korruption werden kann. Die Funktion der Erforschung der Korruption liegt außer in möglichen praktischen Konsequenzen, die besonders in den Entwicklungsländern dringlich sind, wissenschaftlich 15 darin, daß Fragen nach Positivem wie der gesellschaftlichen oder politischen Struktur insgesamt, nach ihren Normen, nach dem Grad ihrer Ausbildung, nach ihren Veränderungen durch den Blickwinkel der sich in Korruption ausdrückenden Gegenkräfte und -bedürfnisse schärfer erfaßt werden können. Wenn ich in meinem Gefühl für die Relevanz unserer Bemühungen noch hätte bestärkt werden müssen, so wäre ich es kürzlich geworden, als ich bei Georg Christoph Lichtenberg folgende Bemerkung las, die zwar von einem beklagenswert engen Korruptionsbegriff zeugt, aber mir sonst doch sehr zuzutreffen scheint: „Die Materie vom Bestechen und Geschenke nehmen praktisch behandelt, verdiente schon einen Doktorhut auf dem politischen Katheder" 16 .
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Dieser Gegensatz ist gedacht bei J. W. v. G o e t h e : „So wie es Pfründen und G n a d e n gibt so ist die Sach verloren" (Artemis-Gedenkausgabe Bd. 2, 561). " It was o n e thing to talk glibly of bribery and corruption ; it was quite another thing actually to do the bribing and corrupting: E. AMBLER, Cause for Alarm, 1978, 58 f. 16 Schriften und Briefe (Hrsg. W. PROMIES), Bd. 2, 1971, 51.
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Rabe Wenn ich recht sehe, spielt der Gegensatz von Öffentlich und Privat eine große Rolle für Ihr Grundverständnis. Meine Frage ist die, ob damit nicht Kategorien und Unterscheidungen an die Antike herangetragen werden, die, soweit ich orientiert bin, vielleicht für Rom gelten, von wo ja auch - mit einigen Einschränkungen - unser modernes Verständnis von Verwaltung, von Öffentlich und Privat, herkommt. Ich frage also, ob das eigentlich außer für Rom auch für die außerrömische antike Welt wirklich gilt, ob hier nicht dadurch, daß Kategorien eingesetzt werden, die eigentlich nicht passen, etwas verfälscht wird. Ich als Neuhistoriker frage deshalb danach, weil für uns in der Frühen Neuzeit genau dieser Vorgang in der Ausbildung von staatlichen Normen so wichtig ist, der Vorgang nämlich, der dieses Ineinander von dem, was man später als Privat und Öffentlich unterscheidet, betrifft. Im Mittelalter und zum Teil auch in der Frühen Neuzeit ist es ja einfach so, daß dieser Gegensatz, der sich dann in der Neueren Geschichte wieder herausgebildet hat, sozusagen fast gar nicht da ist, daß gerade ein wesentliches Element der Entwicklung in der Herausbildung erst des modernen Staates darin liegt, daß Privates und Öffentliches in dieser Weise auseinandertreten. In einer Zeit, in der sie nicht so auseinandergetreten sind, sieht dann auch das Verhältnis von staatlicher Ordnung und Sozialgefüge ganz anders aus. Von diesem Hintergrund her wäre die Frage: Ist das eigentlich nicht nur ein römisches Spezifikum, paßt das für Ägypten, paßt das für den Alten Orient, paßt das auch für die Spätantike? Hahn Ich hätte einige Fragen, und, wenn Sie erlauben, auch einige Anregungen. Zum ersten zum Problem der Korruption in der griechischen Religion. In den religiösen Vorstellungen - bei Herodot ist das ja sehr gut belegt - war es ganz häufig, daß das Orakel von Delphi viele Bestechungen angenommen hat, obwohl es doch eine sehr hohe religiöse Moral vertreten hatte. Es wäre ein sehr interessantes Forschungsthema, inwieweit diese Nachrichten über die Bestechlichkeit der delphischen Priester überhaupt der Wirklichkeit entsprechen, und inwieweit sie in ein religiöses System eingebaut werden kann. Im Zusammenhang damit wäre auch ein sehr brisantes Problem die Korruption der Götterwelt selbst, in der griechischen Mythologie. Mir fällt eine kleine Episode ein. Bei den Wettspielen zu Ehren des Patroklos findet auch ein Wettlauf zwischen Odysseus und dem kleinen Ajax statt, und die Göttin Athene zaubert einen Haufen von Kuhmist auf den Weg des Ajax, der dar-
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über strauchelt: Es siegt Odysseus. Die Götter sind also aktive Teilnehmer an der Korruption, können auf der anderen Seite aber auch deren Opfer werden. Ζ. B. hat der trojanische König Laomedon die Götter Apollon und Poseidon um ihren Lohn für den trojanischen Mauerbau betrogen; sie haben ihn d a n n später bestraft. Ein anderes Problem tritt bei der athenischen Korruption auf, und zwar in zwei interessanten Gesichtspunkten. Wenn wir einerseits die Viten des Plutarch lesen, dann erwähnt er immer mit einer gewissen Bewunderung, daß speziell dieser oder jener Politiker nicht bestechlich war: Wenn ich mich recht erinnere, war die Bestechung nur dem Aristeides und dem Perikles fremd. Andererseits aber war Themistokles bekanntermaßen korrupt. Er hat jedoch einmal gesagt, daß er nur d a f ü r eine Bestechung annehme, was er auch ohne Bestechung im Interesse des Vaterlandes getan hätte. Ich verstehe das so, daß es danach ein Moralsystem gab, in welchem die Bestechung einen organischen Platz hatte. Danach darf in gewissen Bereichen des Lebens aktive und passive Korruption vorkommen, in anderen Bereichen aber ist die Korruption als unmoralisch zu verwerfen. Zu dieser Kategorie gehört die wichtige Charakteristik, die Polybios über die römische politische Moral gegeben hat. Er schreibt anläßlich der Charakterisierung der römischen Gesellschaft, bei den Griechen sei es so, wenn ihnen staatliches Geld anvertraut werde, d a n n gebe es zehn Unterschriften, zwanzig Zeugen und dreißig Eide bei sämtlichen Göttern, und dennoch werde alles Geld unterschlagen. In Rom gebe es nur die fides, das gegebene Wort, und dort werde keinerlei Geld unterschlagen. Es ist ja nicht über jeden Zweifel erhaben, ob Polybios so ganz recht hat, jedenfalls aber charakterisiert er hier zwei Moralsysteme. Das ist deshalb eigentümlich, weil ebendieselbe römische Aristokratie, die Polybios so charakterisiert, ihrerseits in anderen Lebensbereichen sehr korrupt war: Bekannt ist der scharfe Konflikt der Scipionen mit den Volkstribunen wegen der Kriegsbeute des Antiochos III. Auch in ihrem moralischen Weltbild, in ihrem Wertsystem hatte also eine gewisse Spielart der Korruption einen festgefügten organischen Platz. Dahin gehört auch die Tatsache, daß man einerseits vom Feind Kriegsbeute wegnehmen kann, und d a ß diese Kriegsbeute dem Heerführer gehört, daß aber andererseits die Unterschlagung staatlicher Gelder deshalb als Korruption aufgefaßt wird, weil sich das innerhalb des Kreises der aristokratischen Gesellschaft abspielt, also die interne Solidarität verletzt. Es ist auch dies also eine doppelte Moral. Diese Gedanken sollten zeigen, wie vielschichtig das Problem ist, mit dem wir uns hier alle befassen. Kautsky Ich möchte etwas auf das, was Herr Rabe sagte, eingehen. Alle Definitionen der Korruption, die mir bekannt sind, wie z. B. die als Mißbrauch einer öffentlichen Stellung im privaten Interesse, beruhen auf der klaren Trennung
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zwischen Öffentlich und Privat. Eine solche Trennung existiert aber nicht in allen Gesellschaften. Wie Herr Schuller in seinem ausgezeichneten Überblick über Probleme historischer Korruption schon vor zwei Jahren schrieb, müßte die Frage vertieft gestellt werden, ob die Korruption in ihrer vollen begrifflichen Schärfe in der nachantiken Geschichte überhaupt erst mit der Herausbildung des frühmodernen Staates und des neuzeitlichen Staatsbegriffs sich hat ausbilden können; und er hat heute, glaube ich, ähnliches gesagt. Was nun das Altertum anlangt, gab es sicher Gesellschaften, vor allem in Griechenland und in der hellenistischen und römischen Welt, in denen der Handel, die Geldwirtschaft und die Städte so weit entwickelt waren, und genügend Menschen, vor allem Nichtaristokraten, an der Politik teilnahmen, daß man mit Recht zwischen einer öffentlichen und einer privaten Sphäre unterscheiden und daher von Korruption sprechen kann. Aber nicht überall ist das der Fall, im Gegenteil: Die typischen vormodernen Reiche, man sollte sie wahrscheinlich nicht Staaten nennen, beruhen überwiegend auf agrarischen wirtschaftlichen Grundlagen, wenn auch überall der Handel eine kleine Rolle spielt, wie ζ. B. die frühen Reiche in Ägypten und Mesopotamien, Persien, Indien, die europäischen Königreiche des frühen Mittelalters, wie die der Franken, und dann die Reiche der Inka, der Mongolen, der Türken, und bis ins 20. Jahrhundert Abessinien und im 20. Jahrhundert Saudi-Arabien. Von solchen Reichen kann man sagen, daß die Aristokratie sie regiert; aber dem Begriff Regierung müssen viele seiner modernen Anklänge genommen werden, damit er auf Aristokratenreiche zutrifft. Die Regierung repräsentiert oder schützt in keiner Weise die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung; sie kümmert sich weder um ihr Wohlergehen noch um die öffentliche Gesundheit und die Volksbildung. Sie gibt auch gar nicht vor, sich darum zu kümmern. Schließlich sind Aristokratenreiche keine Gesellschaften im modernen Sinne des Wortes. Sie bestehen vielmehr aus vielen selbständigen Gesellschaften, den Bauerndörfern, und der Aristokratie, die mit den Bauern nur durch deren Steuerpflicht verbunden ist. Regierung ist also Regierung der Aristokratie durch die Aristokratie und für die Aristokratie; vielleicht am besten zu verstehen als ein ausbeuterisches Unternehmen wie etwa ein Bergwerk, geschaffen und gehandhabt von der Aristokratie, um sich als Aristokratie aufrechtzuerhalten, nämlich als eine Klasse, oder vielleicht besser gesagt als eine Gesellschaft, die von der Arbeit der Bauern lebt. Wenn man aber nun die Aristokratie von der Regierung praktisch nicht unterscheiden kann, gibt es auch keinen Unterschied zwischen Aristokraten, die sich illegitim bereichern, und Aristokraten, die legitim für die Regierung Geld einnehmen. Gewissermaßen gibt es keine öffentliche Sphäre und kein öffentliches Verhalten; denn die Regierung ist eine Privatangelegenheit der Aristokraten, die für deren Privatprofit geführt wird. So lesen wir ζ. B. in einem Buch über Abessinien noch vor wenigen J a h r e n : „ D i e öffentliche Macht in Äthiopien wurde von allen Betroffenen ganz offen als Privatbesitz angesehen. Der Inhaber ei-
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nes Amtes konnte wechseln, aber das Amt verblieb, und zwar nicht so sehr als eine Reihe von Verpflichtungen, die für den König oder f ü r den Staat oder gar für die Untertanen zu erfüllen gewesen wären, sondern als eine Reihe von Gelegenheiten zur persönlichen Beförderung und Bereicherung. Diese Gelegenheiten, sowohl psychische wie ökonomische, waren sehr beträchtlich." M a x Weber, den ich leider erst vom Englischen ins Deutsche zurückübersetzen muß, schrieb im dritten Band von Wirtschaft und Gesellschaft, daß im Gegensatz zur modernen Bürokratie im europäischen Mittelalter „ d a s Amt als Besitz einer Einkommensquelle angesehen wurde, die man für Renten und Nebeneinnahmen im Austausch für gewisse Dienste ausnützte". Und über Patrimonialstaaten sagt Weber: „ I m Patrimonialamt mangelt es vor allem an der bürokratischen Trennung zwischen der privaten und der offiziellen Sphäre. Auch die politische Verwaltung wird als eine rein persönliche Angelegenheit des Herrschers behandelt, die politische Macht wird als ein Teil seines persönlichen Besitzes betrachtet, den er durch Beiträge und Bezahlungen ausnützen k a n n . . . Das Amt und die Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen dem Herrscher und den Beamten, denen das Amt übergeben wurde, sie dienen nicht unpersönlichen Z w e c k e n . " Nun weist Herr Schuller in seinem schon erwähnten Bericht auf die Tatsache hin, daß im Alten Orient und in Ägypten königliche Dekrete gegen Übergriffe von Beamten, so auch wegen willkürlicher Gebührenfestsetzung, „gang und g ä b e " waren. Handelt es sich dann nicht doch um Korruption? Ich glaube nicht. Denn wir können diese Dinge vielleicht besser verstehen als Manifestation von Konflikten zwischen Aristokraten, in diesen Fällen zwischen Königen und ihren Beamten, die immer um die Steuern, die hauptsächlich von den Bauern gezahlt werden, konkurrieren. Die Könige, denen die Beamten nicht genug G e l d abliefern, sind ebensowenig wie diese Beamten, die ihnen dienen oder dienen sollen, öffentliche Behörden. Sie sind daher ebenso oder ebensowenig korrupt wie die Beamten. Nach modernen Begriffen könnte man freilich die ganze Aristokratie und ihr ausbeuterisches Regierungssystem als korrupt bezeichnen; aber ich glaube, das hat wenig Sinn, und es ist besser, den Begriff Korruption auf rein agrarische Aristokratenreiche gar nicht anzuwenden. Helck Kann ich nur von der Ägyptologie, vom alten Ägypten, auf das, was eben gesagt worden ist, ohne Vorbereitung kurz antworten: Ich habe den Eindruck, daß hier ein Modell aus, meinetwegen, dem Mittelalter oder aus Saudi-Arabien aufgestellt und auf die ganze Zeit vor der französischen Revolution angewendet worden ist. Ich fürchte, dieses Modelldenken ist doch ein bißchen zu einfach, ich bitte um Entschuldigung. Denn gerade etwa bei den alten Ägyptern von einer Aristokratie, und sei es auch nur einer Beamtenaristokratie, zu sprechen, ist nicht möglich. Es ist genau so wenig möglich davon zu sprechen, daß sie nicht den Gedanken gehabt hätten, für das Volk, für die
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ganze Bevölkerung im G r u n d e , zu arbeiten. Dazu k ö n n t e m a n aus den „Lehr e n " von überallher so viele Beispiele bringen, d a ß ich einfach das G e f ü h l h a b e : Wir übersehen, d a ß sich die Geschichte - u n d sei es die Geschichte der Korruption - nicht in einem einfachen Zug entwickelt hat, sondern d a ß die Zeiten vor den Griechen, die ja meistenteils immer abqualifiziert werden, als eine Zeit, wo die Leute noch so halbwegs auf ihren Bäumen gesessen haben, doch bereits eine Entwicklung zeigen f ü r den, der versucht, da hineinzublicken, die zum Teil verteufelt ähnlich aussieht wie die, die wir jetzt selber haben. Ich würde, ohne meinem eigenen Referat vorgreifen zu wollen, doch sagen: Der G e d a n k e , zu sagen, wir sollten Korruption aus dem G r u n d e , wie angeführt, nur f ü r die Zeit nach der französischen Revolution a n w e n d e n , das geht nicht. Liebs Ich möchte auch hierzu Stellung nehmen, zunächst aber a n k n ü p f e n an die Fragestellung von vorhin, ob man bei Korruption wirklich vom Gegensatz öffentlich-privat ausgehen m u ß . Wir müssen, scheint mir, der G e f a h r begegnen, zu viel unter K o r r u p t i o n zu verstehen. Sie u m f a ß t nicht jedes deliktische, strafrechtlich relevante Verhalten, das nicht Mord oder Körperverletzung ist, also nicht auch strafrechtlich Untreue, Betrug, u n d was es d a alles gibt. Eines scheint mir aus dem Eingangsreferat sehr wichtig zu sein: Korruption ist, glaube ich, nicht vorstellbar o h n e den Begriff von Recht; u n d der Begriff von Recht ist nicht vorstellbar ohne den von Gleichheit. Diesem G e d a n k e n nun, d a ß alle Menschen (jedenfalls alle Angehörigen einer G r u p p e zumindest in bestimmten Beziehungen) gleich zu behandeln sind, egal, ob sie vermögend sind oder nicht, wird widersprochen, wenn derjenige, der das Geld hat, f ü r sich die Entscheidung kaufen k a n n , den Richter besticht. Ich würde n u n zu Herrn Kautskys Beitrag sagen: Das Verdienst des Adels der frühen Reiche agrarisch strukturiert, gewiß - war, dem einfachen M a n n Schutz zu bieten, Schutz vor Überfällen, vor äußeren u n d inneren Feinden. Darauf beruhte der Sozialpakt, d a f ü r zahlten die Leute Steuern ; das war in den alten Reichen immer die Begründung f ü r die Steuern. Grenzen wir n u n von diesem Ausgangspunkt aus: Korruption = Verstoß gegen das Recht oder gegen das Gleichheitspostulat, das gilt, seit Recht je gesetzt worden ist - grenzen wir n u n das Feld der Korruption näher ein. Bestimmt ist nicht schon jede Verletzung von Recht Korruption. Bei K o r r u p t i o n setzt sich eine urtümlichere Vorstellung gegenüber der fortschrittlicheren Idee der Gleichheit noch einmal d u r c h ; Korruption ist eine Art K a m p f ums Dasein mit materiellen Mitteln. Davon abzuheben ist die Erpressung, die mit dem noch älteren Mittel der körperlichen Gewalt bzw. D r o h u n g mit körperlichen Übeln wirkt. Bei aller N ä h e des Bestechlichen zum Erpresser, was auch die römischen Repetundengesetze belegen, verwendet jener doch das leisere, zivilisiertere Mittel. Bleibt als Kriterium für K o r r u p t i o n : Mit finanziellen Mitteln wird in privatem Interesse, letztlich also im Interesse einer Ungleichheit, die Gleichheit durchbrochen.
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Koch Ich möchte vehement widersprechen. Es ist ja nicht untypisch, daß ein Jurist eine solche Definition gibt. Überlegen Sie, wo wir hinkommen, wenn wir den Korruptionsbegriff an Recht binden und nicht an Norm. Dann würde ja in vorstaatlichen Gesellschaften - die kein definiertes Recht haben, sondern gewohnheitsrechtliche Ansätze zeigen - von Korruption gar nicht gesprochen werden können. Deswegen lieber „ N o r m " als „Recht". Auch nicht „Gleichheit". Denn es ist ja nicht eine Verletzung der Gleichheit, wenn in geschichteten Gesellschaften, die wir gerade in der Antike sehen können, jemand einen in diesem hierarchischen System übergeordneten Funktionsträger zu korrumpieren versucht. Nicht mal auf der Ebene des horizontalen Vergleichs; das Telos spielt dabei wohl auch eine Rolle, weswegen ich die von Herrn Hahn erwähnte Bestechung der Priesterschaft in Delphi nicht als Korruption empfinde, sondern das ist eine Sorte κειμήλιον an die Götter. Aber nun die Warnung: Wenn wir Korruption so einschränken, können wir uns fast Herrn Kautsky nähern, dem ich widersprechen würde, was die Ausgliederbarkeit der nur agrarischen Gesellschaften aus dem Korruptionsfeld betrifft, dem ich aber darin recht gebe, daß wir mit sehr viel feineren und sehr viel weniger normierten Mechanismen - wie in der Definition von Herrn Helck - an die Korruptionsfrage herangehen müssen, da die Dinge doch etwas komplizierter liegen. Also „Recht" auf keinen Fall als ausschließliche Maßgabe der Entscheidungsfindung, ob korrumpierendes Verhalten vorliegt oder korruptives Verhalten vorgelegen hat. Reinhard Mir kommen etwas Bedenken, was die Brauchbarkeit des Korruptionsbegriffes für unser Anliegen angeht. Denn wenn ich es richtig verstehe als Außenseiter, als Neuhistoriker, dann ist das Problem hier vergleichende Geschichte; sonst bräuchten wir uns ja nicht zusammenzufinden. Und nun frage ich mich: Man müßte entweder von einem sehr engen Korruptionsbegriff ausgehen, wie ihn Herr Liebs definiert hat; und das scheint mir zunächst historisch durchaus vertretbar zu sein, denn auch im Bereich der Frühen Neuzeit, mit dem ich zu tun habe, ist corruptio zunächst wohl im Bereich der Rechtsprechung aufgetreten. Obwohl ich da nun sofort Bedenken bekomme in bezug darauf, was die Bindung an die Gleichheit angeht; denn diese Gleichheit ist ja nicht so ohne weiteres existent. Es gibt ungleiche Strafen für verschiedene Sozialschichten, es gibt die Möglichkeit, Strafen aufzufangen durch Kompositionen, die nur dem Begüterten zur Verfügung stehen, usw. Vor allem aber scheint mir der entscheidende Einwand der zu sein: Mit diesem Korruptionsbegriff verfehlen wir das Ganze, was bei Herrn Schullers einleitendem Referat Grauzone hieß, und mit dem ich mich auch befaßt habe, was ja unzweifelhaft etwas mit diesen Dingen zu tun hat. Damit taucht für mich ein wahrscheinlich als etymologisch zu bezeichnendes Problem auf: nämlich „Korrup-
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tion" ist doch wohl vom Wortsinn her - entschuldigen Sie, wenn ich dillettiere - im philologischen Bereich Verderben von etwas gesundem Bestehendem. Und mir scheint es vor allem im Anschluß an die Ausführungen von Herrn Kautsky doch so zu sein, daß dies, was Herr Schuller als rational, öffentlich usw. angesprochen hat, weltgeschichtlich gesehen doch eher der Ausnahmefall ist. Ergo sprechen wir, wenn wir von Korruption sprechen, die Sprache des Ausnahmefalles, und es ist die Frage, wieweit wir uns da die Erkenntnis des weltgeschichtlichen Normalzustandes verstellen, wenn wir davon ausgehen. Das ist ein Einwand, den ich schon vor einem Jahr gegen Herrn Schuller vorgebracht habe. Ich frage mich, ob wir nicht andere Kategorien finden müssen, obwohl ich keine weiß; die „ K o r r u p t i o n " ist eine sehr handliche Sache, eine sehr attraktive Sache, wie schon die Plakate draußen zeigen. Aber ob man nicht einen viel allgemeineren Begriff finden müßte, oder wenigstens den Korruptionsbegriff mit einem neuen Inhalt füllen? Ich würde dazu neigen, an die von Herrn van Klaveren seinerzeit gebotene Definition anzuknüpfen, freilich nicht so eng wirtschaftlich gefaßt, also nicht Maximierung von Gewinn. Ich frage mich sowieso, wieso der Korruptionsbegriff so stark ans liebe Geld gebunden ist: Also Maximierung auch von anderen, nicht bloß wirtschaftlichen Gütern. Wolff Ich glaube, ich kann mich in einigen Dingen auch an meinen Herrn Vorredner anschließen. Ich frage mich, ob man die Linien überhaupt so scharf ziehen darf, wie es hier in Ihrem Referat und auch in den meisten Diskussionsbeiträgen geschehen ist. Zunächst mal: Soviel ich weiß, existiert zwar der Begriff corruptio nirgends, in keinem Rechtssystem, als ein klar definiertes Delikt. In der Antike gibt es das meines Wissens nicht, und in modernen Systemen, soweit ich davon weiß, jedenfalls auch nicht. Ich weiß auch nicht, wann der Begriff corruptio zum ersten Mal überhaupt auftritt; in antiken Quellen kommt er meines Wissens nicht vor, auch als moralischer Begriff nicht. Es scheint mir doch, es gibt Fälle, Situationen, die im öffentlichen Bewußtsein als korrupt angesehen werden, ohne daß sie irgendwelche strafrechtlichen oder selbst soziale Folgen haben. Es gibt Länder, in denen einem gesagt wird, wenn man eine Bescheinigung oder irgend etwas haben will und zum Amt gehen muß, da geben Sie am besten einen kleinen Schein mit Ihrem Antrag zusammen. Das ist gang und gäbe, jeder weiß, daß es geschieht, jeder tut es. Aber: Jeder ist sich auch dessen bewußt, daß das eigentlich nicht sein sollte. Um historische Beispiele zu nehmen: Herr Hahn hat erwähnt, daß in den griechischen Staaten der hellenistischen Zeit die Beamten gewohnt waren, Bestechungsgelder anzunehmen. Das wußte jeder, und es tat jeder, aber: Das Beispiel von Polybios zeigt ja, daß das eben doch als etwas Anrüchiges empf u n d e n wurde. Oder auch in Rom - das Beispiel, das Herr Schuller aus der Rede Pro Quinctio gebracht hat: Cicero zeigt, daß er es an sich doch nicht für
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richtig hält, daß der vornehme Mann besser behandelt wird von seinem standesgleichen Richter als der kleine Mann. Also das Bewußtsein, daß es so etwas wie Korruption gibt, auch wenn man es nicht so genannt hat, das war j a durchaus vorhanden, auch wenn es juristisch vielleicht keine besonderen Folgen gezeitigt hat. Zur athenischen Rechtsprechung ist folgendes zu sagen. Sie ging nach weniger strengen Gesichtspunkten als - wenigstens theoretisch - die römische, obwohl es ein großer Irrtum ist, sich einzubilden, daß die athenischen Massengerichte nur - um mich berlinisch auszudrücken - frei nach Schnauze geurteilt hätten. Das war keineswegs der Fall, denn die Athener hatten durchaus ihre rechtlichen Begriffe, nur waren sie nicht scharf definiert, und die Griechen waren dem römischen Formalismus abhold. Aber jedenfalls: In Athen war wahrscheinlich gerade die Rechtsprechung nicht korrupt, und zwar einfach darum, weil es die Massengerichte waren; man konnte nicht 200 Richter bestechen, soviel Geld hatte keiner. Da war es schon besser, man zahlte die Strafe. Jedenfalls glaube ich, daß man zwischen dem, was im allgemeinen Bewußtsein immerhin als korrupt empfunden wird, und dem, was rechtlich und vielleicht sogar auch politisch dementsprechend behandelt wird, unterscheiden muß. Rosier Ich möchte zum Thema Delphi eine profane Bemerkung machen. Meines Erachtens kann man hier einen sehr interessanten Übergang feststellen, um es etwas salopp zu formulieren, vom Weihgeschenk zur Korruption. Ein interessanter Übergang insofern, als sich das Weihgeschenk an sich j a pragmatischer Funktionalisierung weitgehend entzieht - es sei denn mittelbar als Medium der Selbstdarstellung vor den Zeitgenossen. Der Appell an die Gottheit, der das Weihgeschenk sein kann (daneben rückblickender Dank), bleibt jedenfalls ohne handlungssteuernde Antwort; erst im faktischen Eintreten bzw. Nichteintreten des Erhofften zeigt sich das Ergebnis. Im Falle Delphis nun stellt sich der Sachverhalt verändert dar: Als Orakel antwortet es (gleich anderen Orakeln) unmittelbar und gibt damit handlungssteuernde Impulse. Zudem wird es (im Unterschied zu anderen Orakeln) schon früh ein eminent wichtiger politischer Faktor: Es wirkt bei Entscheidungen mit, ob Kolonien gegründet oder Kriege geführt werden sollen, ebenso bei der Gesetzgebung bei Entscheidungen also von einer ungeheuren Tragweite für eine große Zahl Betroffener. Durch sein Eingebundensein in laufende Entscheidungsprozesse dieses Gewichts aber, in denen das Votum Delphis oft genug ausschlaggebend ist, läuft das Weihgeschenk Gefahr, eine neue Funktion zu bekommen: die des politischen Mittels, gezielt eingesetzt aus dem Kalkül, eine erwünschte Antwort zu erhalten. Unabhängig von der Frage der tatsächlichen diesbezüglichen Anfälligkeit des Orakels gerät das Weihgeschenk damit tendenziell in die Nähe dessen, was wir hier als Korruption bezeichnen.
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Schmugge Ich bitte um Verzeihung, wenn ich als Fachfremder, als Mediaevist hier einige Fragen stelle: Die Begriffsverwirrung, die noch herrscht über die Vorstellung, was unter Korruption zu verstehen sei - damit wir, wie Herr Reinhard richtig sagte, vergleichend vorgehen können - , will ich noch etwas vermehren. Haben wir die Trennung Öffentlich : Privat vorauszusetzen und können wir nur dann von Korruption sprechen, dann müssen wir allerdings einen Großteil der Gesellschaft vor der französischen Revolution auslassen. Müssen wir zwischen Rechtsbegriff und Norm unterscheiden, wenn wir von Korruption reden? Gibt es, allgemein gesprochen, den Begriff der Gewinnmaximierung, der da irgendwie durchscheinen muß? Für das Mittelalter gilt doch wohl, daß in dieser Epoche ein ähnlicher Begriff, nämlich die Simonie, dazu geführt hat, daß die scharfe Trennung von Öffentlichem und Privatem, von Sakralem und Staatlichem überhaupt sich erst an dem Beispiel des Erwerbs eines geistlichen Amtes hat exemplifizieren können. Als geistliches Amt gilt sowohl die Zugehörigkeit zu einem Kloster wie das Bischofsamt. Wenn wir das mit in den Korruptionsbegriff einbeziehen wollen, dann müssen wir den ganzen religiös-sakralen Bereich doch noch einmal Revue passieren lassen und schauen: Läßt sich tatsächlich hier eine Begriffsbildung finden, die dieses Phänomen der Simonie mit einbezieht oder nicht? Ich wäre gespannt, was Herr Reinhard, der die Dinge nun sehr genau kennt, dazu zu sagen hätte. Ich glaube allerdings, so einfach, wie Herr Kautsky sich das gemacht hat, hier von der agrarischen Ausbeutergesellschaft, den Adelscliquen zu reden, kann man sich das nicht machen, denn wenn man genau hinschaut, ist diese Gesellschaft doch so stark differenziert und strukturiert und sozial geschichtet, daß diese zwar griffige und ja häufig zu lesende Formel zumindest von meiner Warte für das Mittelalter zurückzuweisen wäre. Ich warne davor, sozusagen mit einem ebenfalls pauschalen Begriff zu sagen: Wir können alles, was sich in der Zeit vor der französischen Revolution abgespielt hat, unter dieser Begrifflichkeit überhaupt nicht fassen. Also zusammenfassend noch einmal: Läßt sich ein Korruptionsbegriff erarbeiten, der für die mittelalterliche Forschung hilfreich ist, um das Phänomen der Simonie, das j a die Grundlage des gesamten Investiturstreits gewesen ist, nutzbar zu machen und in die Fragestellung mit einzubeziehen? Reinhard Ich würde vorschlagen, den Begriff Simonie als den Korruptionsbegriff des Mittelalters zu etablieren. Schüller Es ist ja ungeheuer viel gesagt worden; daher nur Stichworte. Zu Herrn Rabe verweise ich nur auf das, was ich morgen sagen werde: Wenn man bei der Struktur des spätantiken Beamtenbegriffs Öffentlich und Privat unterschei-
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den will, daß dann das Private überwiegt, und die Frage ist in der Tat, ob man das überhaupt kann. Ich meine, daß der wie auch immer eines Tages zu definierende Korruptionsbegriff doch die Funktion haben kann, um auf genau solche Fragen zu kommen, also um etwa zu fragen: Wie weit ist es denn mit Öffentlich und Privat da und dort bestellt? Da ist Korruption vielleicht ein Lackmuspapier, was man hineinhält und sagt: Solche Kategorien sind hier unanwendbar oder nur bedingt anwendbar und in welchem Ausmaß. Insofern hätte man von dieser Seite aus dann eine weitere Charakterisierung, ein weiteres Kriterium für bestimmte historische und gesellschaftliche Phänomene. Mit den Bemerkungen von Herrn Hahn bin ich völlig einverstanden. Ich werde manchmal gefragt: Können Sie sich überhaupt eine historische Phase vorstellen, wo es keine Korruption gegeben hat? Da pflege ich zu sagen: die hohe römische Republik innen, nicht außen; Sie haben ja eben auch von dieser doppelten Moral gesprochen. Es scheint doch so, daß in dieser Zeit im Innern ein Gleichgewicht herrschte, wie es etwa Polybios gesehen hat, obwohl Sie ja gefragt haben, ob wohl wirklich die fides alles blendend ausglich. Zu Herrn Kautsky: Im Ergebnis würde ich Ihnen vielleicht sogar recht geben, daß die antike Welt, wenn man die Staatlichkeit usw. so auffaßt wie Sie es tun, herausfällt. Das Interessante ist aber, daß sich in der Antike verschiedene Ansätze der Rationalität gezeigt haben, auf verschiedenen Ebenen sich solche Organisationen, Begriffssysteme, Verhaltenssysteme, gebildet haben, nicht so total allerdings wie heutzutage; daher wurde also auch von mir das römische Recht erwähnt und die athenische demokratische Verfassung, wo man dann doch schon von so etwas sprechen kann. Statistisch würde ich Ihnen auch recht geben und sagen, daß das vielleicht die Ausnahmefälle in der bisherigen Geschichte sind. Aber diese Ausnahmefälle sind nur statistisch, und sind erstens wegen der neueren Entwicklung interessant in puncto auf Vorformen, die gescheitert sind, und dann haben ja nun Ausnahmefälle, Differenzierungen usw. diese schöne heuristische Funktion, daß man mit ihrer Hilfe deutlicher sieht, wo und wie und warum es anders war. Zur Frage des Rechts, da würde ich sagen, daß Recht vielleicht nicht Gleichheit bedeutet, sondern Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle. Nur kommt es darauf an: Was ist gleichgelagert? Natürlich gibt es Unterschiede, bei denen Rechte ungleichmäßig verteilt werden; aber wenn sie dann ungleichmäßig verteilt sind, dann soll auch nach dieser Verteilung gehandelt, beurteilt und geurteilt werden. Es muß nicht das Recht sein, es kann auch die Religion sein. Wenn ein Gott bestochen werden soll, oder, sagen wir: wenn Priester bestochen werden sollen, da wäre es dann nicht das Recht, sondern da wäre es dann der göttliche Gunsterweis, das Wohlwollen, das ja durch Geschenke - da ist also wieder diese Grauzone - hervorgerufen werden soll, und die Frage ist, ob das gegen einen Gedanken von gleichmäßiger Erweisung von Wohlwollen verstößt. Ich meine nicht, denn das Verhalten in der gift-giving society ist keine
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Korruption. Schließlich Ämter: Das ist ja die Umkehrung von gängigen Vorstellungen, daß man politische Macht durch vorherige wirtschaftliche Macht erwerben kann. Korruption zeigt, daß der Vorgang in der Historie oft umgekehrt ist, daß nämlich durch das Erwerben von politischer Macht auf dem Weg über Amtsmißbrauch dann wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht errungen werden kann.
Hermann Wankel
Die Korruption in der rednerischen Topik und in der Realität des klassischen Athen
Die Erzeugnisse der attischen Beredsamkeit sind als historische Quellen für die Zeit des klassischen Athen im 5. und 4. Jh. gleichermaßen wichtig wie problematisch. Wichtig deswegen, weil sie das übrige primäre Material und vor allem die durch den Überlieferungsvorgang empfindlich dezimierte Historiographie des 4. Jh. wesentlich ergänzen. Wir haben ganz bzw. fast ganz erhaltene Reden immerhin aus einem Zeitraum, der sich vom Peloponnesischen Krieg - d.h. etwa von der Zeit bald nach Abschluß des Nikiasfriedens (421) - bis ins Todesjahr Alexanders des Großen (323) erstreckt'. Sie sind als Quellen aber auch problematisch, weil ein Redner andere Ziele verfolgt als ein Geschichtsschreiber, historische Vorgänge in der Regel nur ausschnitthaft aufgreift und der oratorischen Absicht entsprechend beleuchtet. Diese geht in den Gerichtsreden - mit solchen haben wir es vorwiegend zu tun - in erster Linie dahin, die Sache des Kontrahenten und seine Person zu verdächtigen. Dafür hat die rednerische Praxis im klassischen Athen und danach die Lehre der Rhetorik eine ganze Topik entwickelt. Zu ihr gehört auch der Vorwurf der Korruption. In meinem Vortrag möchte ich die Korruptionsvorwürfe im Rahmen dieser Topik untersuchen. Dabei wird sich zwar auch die Frage nach dem Ausmaß der Korruption in der Realität des politischen Lebens in Athen stellen, doch steht im Mittelpunkt meiner Ausführungen das Problem, inwieweit die Korruptionsvorwürfe in der rednerischen Topik als historisches Quellenmaterial für die Erforschung der Korruption im Athen des 5. und 4. Jh. genutzt werden können.
I.
Vorweg haben wir uns kurz die Eigenart der attischen Prozeßrede und den mein Thema betreffenden Teil ihrer Topik zu vergegenwärtigen. Die Ge1
Am A n f a n g stehen die R e d e n A n t i p h o n s , die j e d o c h nicht sicher zu datieren s i n d ; in die Zeit zwischen 422 u n d 413 setzt jetzt die 5. R e d e U. SCHINDEL, N a c h r . d. Ak. d. Wiss. in Göttingen, Phil.hist. Kl. 1979, Nr. 9, 206-208. Den Beschluß bildet d e r E p i t a p h i o s des Hypereides f ü r die Gefallenen des Lamischen Krieges im Winter 3 2 3 / 2 (or. 6), kurz vorher in d a s J a h r 323 (wohl F r ü h j a h r ) gehören die aus d e m K o r r u p t i o n s p r o z e ß der H a r p a l o s a f f ä r e erhaltenen Anklagereden des Hypereides u n d des D e i n a r c h o s : Hyp. or. 1 (in d e r N u m e r i e r u n g von BLASS/JENSEN); Din. orr. 1-3.
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richtsreden stellen, wie gesagt, die Hauptmasse der uns erhaltenen Reden, und in ihnen begegnet uns der Korruptionsvorwurf sehr häufig; dagegen sind die politischen Reden, jedenfalls in ihrer ausgefeilten und publizierten Form, fast frei von persönlicher Invektive 2 . Von den Prozeßreden haben allerdings viele einen politischen Hintergrund oder selbst politischen Charakter, manchmal sogar Reden aus reinen Zivilprozessen, erst recht natürlich die in öffentlichen Strafprozessen gehaltenen; das attische Recht kannte j a eine Reihe von ausgesprochen politischen Delikten. Manche der Verfasser dieser Gerichtsreden waren auch selbst Politiker oder zumindest politisch tätig, so die ältesten Redner, Antiphon und Andokides, dann im 4. J h . Demosthenes und seine Zeitgenossen. Andere waren nur Logographen, wie Lysias, d.h. sie schrieben Prozeßreden für andere; auch Demosthenes hat so angefangen. Mit der Logographie sind wir bereits bei der athenischen Prozeßpraxis 3 . Jeder mußte bekanntlich vor Gericht, abgesehen von der Fürsprache durch Verwandte oder Freunde, seine Sache selbst vertreten; es gab keine Rechtsanwälte. Allerdings konnte er sich sein Plädoyer von einem anderen ausarbeiten lassen, eben von einem Logographen. Auch einen Staatsanwalt gab es nicht, sondern die Popularklage, und auch keine Berufsrichter; denn die Gerichtshöfe bestanden aus Bürgern, aus denselben wie die Volksversammlung. Die Heliaia, das Volksgericht, und die Ekklesie, die Volksversammlung, waren der Idee nach identisch. Die Ekklesie galt gewissermaßen als die Versammlung des ganzen Volkes, wenn mindestens 6000 Bürger anwesend waren 4 , und 6000 wurden jedes Jahr für die Heliaia ausgelost und auf die einzelnen Gerichtshöfe, die Dikasterien, verteilt. Das waren Massengremien, bei den öffentlichen Prozessen waren 501 Richter die Mindestzahl. Jeder Prozeß wurde an dem Tag beendet, an dem er begonnen wurde, wobei aber nur bei den großen Staatsprozessen jeder der beiden Parteien mehrere Stunden zur Verfügung standen, im übrigen sehr viel weniger Zeit. Zudem mußte, da es eine der heutigen Beweisaufnahme vergleichbare Prozeßvorbereitung nicht gab, prak-
W a s schon in der Antike notiert wurde, vgl. Plut. Praecepta ger. reip. 810 C / D . ' Eine knappe, aber gute Skizze davon gibt H. J . WOLFF in seinem Vortrag „ D e m o s t h e n e s als Advok a t " ( = Schriftenreihe der Jurist. G e s . Berlin 30), 1968, 4 - 1 3 ; im übrigen vgl. die Handbücher, vor allem J . H. LIPSIUS, Das attische R e c h t und Rechtsverfahren, drei B ä n d e in vier Teilen (durchpaginiert), Leipzig 1 9 0 5 - 1 9 1 5 ; R. J . BONNER/GERTRUDE SMITH, T h e Administration o f Justice from H o m e r to Aristotle L / I I , C h i c a g o 1 9 3 0 / 1 9 3 8 ; A. R. W. HARRISON, T h e Law o f Athens, besonders II (Procedure), O x f o r d 1971 (hrsg. von D. M. MACDOWELL); dazu jetzt den für weitere Kreise gedachten A b r i ß von D . M. MACDOWELL, T h e Law in Classical Athens, L o n d o n 1978. 2
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Das Quorum von 6 0 0 0 für Abstimmungen έπ' άνδρί ist mehrfach bezeugt, vgl. BUSOLT/SWOBODA, Griechische Staatskunde II (1926), lOOOf.; o b der Ausdruck δήμος πληθύων in der stark fragmentierten Inschrift I G I J 114 sich a u f eine solche „ V o l l v e r s a m m l u n g " bezieht, ist strittig, es ist aber nicht unmöglich, vgl. P. J . RHODES, T h e Athenian Boule, O x f o r d 1972, 197f. (dessen Wiedergabe - S. 197 - der Interpretation von J . SENCIE/W. PEREMANS, L E C 10, 1941, 208 j e d o c h nicht ganz korrekt ist). E i n e Teilnehmerzahl von 6 0 0 0 sieht M. H. HANSEN, G R B S 17, 1976, 1 1 5 - 1 3 4 , für das 4. J h . als Normalfall an, kaum zu Recht. Zur Mindestzahl-Regelung beim Ostrakimos vgl. jetzt G . A . LEHMANN, Z P E 4 1 , 1981, 9 4 - 9 7 .
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tisch das ganze Beweismaterial in der „Hauptverhandlung" vorgelegt werden, und bei ihr gab es auch keinen eigentlichen Dialog der Prozeßparteien. Die ganze Art der Prozeßführung, der stark öffentliche Charakter des Prozesses, der Zeitdruck, die ungenügende Rechts- und Gesetzeskenntnis der Durchschnittsbürger, die da sowohl die Anklage vertraten als auch Recht sprachen, und überhaupt die Tatsache, daß man vor seinesgleichen plädierte, der Bürger vor Bürgern, vor einer Massenversammlung von „Laienrichtern", alles das war dazu angetan, den Reden und der Verhandlung den Charakter eines Überredungsprozesses zu geben. Sachfremde Argumentation kam ins Spiel, und zwar bis zu einem Grad, der uns staunen läßt. Dabei ist es nicht so, daß die Athener das Problem nicht gesehen hätten; man versuchte vielmehr offenbar immer wieder, die Unsitte, extra causam zu sprechen, durch Verbote einzudämmen. So hören wir von Aristoteles, daß wenigstens zu seiner Zeit - die Parteien im Zivilprozeß sich eidlich verpflichteten, „nur zur Sache zu sprechen" 5 , und vor den Blutgerichtshöfen, wie dem Areopag, war es schon früher verboten, sachfremde Dinge vorzubringen (6ξω τοΟ πράγματος λέγειν) 6 . Wir sehen jedoch in den Reden, daß man sich in der Praxis nicht daran hielt 7 . Insbesondere wurde es allgemein als nötig erachtet, mit allen Mitteln bei den Richtern einen guten Eindruck von der eigenen Person hervorzurufen, das Bild eines ehrlichen Mannes und überhaupt eines anständigen Menschen und guten Bürgers zu entwerfen. Man stellte dabei in erster Linie die Leistungen für die Gemeinschaft heraus, so etwa in den schon seit Antiphon in diesem Zusammenhang benutzten drei Bereichen der Choregie, der Trierarchie und der Eisphora, d.h. also, daß man wichtige und kostspielige Liturgien wie die Kosten für Chöre der staatlichen Feste und für Kriegsschiffe übernommen und daß man Vermögenssteuer gezahlt habe (die nur bei Bedarf erhoben wurde) 8 . Aber nicht nur die Normen der Polisethik, das Bild des loyalen Bürgers, des πολίτης άγαθός, Tapferkeit im Krieg u. ä., wurden so vor Gericht genutzt, sondern auch das Verhalten im privaten Bereich, wie die Beziehung zu den Freunden, der Familiensinn, die Ausstattung der Schwestern mit einer Mitgift oder der Loskauf von Kriegsgefangenen 9 . Es ging dabei immer um die menschliche Gesamtqualifikation, auch wenn sie an Einzelzügen exemplifiziert wurde und sich für diese dann feste Topoi herausbildeten. Sehr bezeichnend gibt der Sprecher einer Lysiasrede (der sich übrigens gegen den s
Arist. Ath. 67, I. ' Areopag: Arist. Rh. 1,1.1354 a 22-23 (dazu R. K A S S E L im Testimonienapparat z. St.); Lys. 3, 46; vgl. Lycurg. 12f.; Palladion: Antiphon 6, 9. Einen Eid vor den Blutgerichten analog zu dem von Aristoteles für die Privatprozesse bezeugten (s. vorige Anmerkung) erwähnt Antiphon 5, 11. ' Vgl. Lys. 3, 44f.; 7, 39.41 (beide Reden vor dem Areopag). 8 Der älteste Beleg ist Antiphon 2 β 12 (auf die Verwendung dieses Arguments bezogen ist die Kritik in γ 8), vgl. meinen Kommentar zu Demosthenes' Kranzrede (or. 18), Heidelberg 1976, 1125 f. (zu § 257). ' Vgl. meinen Kommentar zur Kranzrede a.a.O. 1170 f.
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Vorwurf der Bestechung verteidigt), bevor er seine Leistungen für die Polis aufzählt, als Motiv an: „damit ihr wißt, über was für einen Mann ihr bei mir abzustimmen habt" 1 0 . Entsprechend lehrt die Rhetorik, daß der Charakter des Redenden (το ή θ ο ς τοΟ λέγοντος) geradezu Beweiskraft habe; er wird unter die „ B e w e i s e " (πίστεις) gerechnet; denn - sagt Aristoteles in seiner ,Rhetorik' - „anständigen Leuten vertraut man leichter und schneller" 1 1 . Daß man sich von der Aufzählung seiner Liturgien - wie überhaupt von der positiven Zeichnung des eigenen Charakterbildes - Erfolg versprach, kann man schon daran sehen, daß das immer wieder auftaucht, und gelegentlich erklären die Sprecher geradezu, sie hätten j e n e Leistungen erbracht, um besser dazustehen, wenn sie einmal vor Gericht kommen sollten - oder, wie es sogar heißt, um dann dort ihr „volles R e c h t " zu bekommen (απάντων των δικαίων) 1 2 . Die positive Charakterisierung der eigenen Person hat ihr Gegenstück in der negativen des Gegners, in der Diabole, der Verleumdung, Anschwärzung und moralischen Abqualifizierung. Hören wir zu dieser Korrelation einen Redner - es ist wieder Lysias: „Schon manche, die zur Verhandlung vor euch kamen, ihr Richter, und auch schuldig erschienen, haben durch Berufung auf die Leistungen ihrer Vorfahren und ihre eigenen Verdienste eure Verzeihung erlangt. Da ihr es nun Leuten, die sich verteidigen, anrechnet, wenn sie sich offenbar um die Polis verdient gemacht haben, kann ich verlangen, daß ihr auch den Klägern Gehör schenkt, wenn sie nachweisen, daß die Angeklagten schon immer schlecht waren" 1 3 . In diesem Sinn lehrt ein Rhetorikhandbuch aus dem 4. Jh. (Anaximenes): „Sich selbst soll man loben nach den Kriterien, mit denen die Zuhörer von ihrer eigenen Person her am meisten vertraut sind, d.h. daß man ein gutes Verhältnis zu seiner Polis habe (ein ,Freund der Stadt' sei, φιλόπολις), ebenso zu seinen Freunden (φιλέταιρος), sich dankbar erweise, Mitleid empfinde usw.; vom Gegner aber soll man Schlechtes sagen (κακολογεΐν) mit Hilfe dessen, was die Zuhörer in Zorn versetzt, d. h. daß er kein gutes Verhältnis zu seiner Polis habe (ein ,Feind der Stadt' sei, μισόπολις) und auch nicht zu seinen Freunden (μισόφιλος), ein undankbarer Mensch sei, ohne Mitleid usw." 1 4 Schon im 5. Jh. war die Diskreditierung des Prozeßgegners (das διαβάλλειν) von der Rhetorik in die Lehre einbezogen worden 15 . Leider haben wir darüber nur spärliche Nachrichten. Sie muß bei
Lys. 21,1. Arist. Rh. 1,2.1356 a 6 - 7 . 12 Lys. 16, 17; vgl. 25, 13; [Lys.] 20, 3 0 ; dazu Κ. J . DOVER, G r e e k Popular Morality in the T i m e o f Plato and Aristotle, Oxford 1974, 293. " Lys. 30, 1; ähnlich 14, 2 4 ; zur Korrelation zwischen dem G e l t e n d m a c h e n der eigenen έ π ι ε ι κ ή ς δ ό ξ α und der δ ι α β ο λ ή des G e g n e r s vgl. W. Süss, Ethos. Studien zur älteren griechischen Rhetorik, Leipzig/Berlin 1910, vor allem 2 4 3 - 2 4 5 . 10 11
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A n a x i m e n . R h . p . 8 1 , 1 - 6 FUHRMANN.
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Von T h r a s y m a c h o s : RADERMACHER, Artium scriptores ( 1 9 5 1 ) Β I X 6 = DIELS/KRANZ, Die Fragmente der Vorsokratiker, Nr. 85 Β 6 (II p. 325), vgl. S ü s s a.a.O. ( A n m . 13) 16f., 2 4 5 f . , dazu für
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den meisten Technographen einen breiten Raum eingenommen haben, wie man aus der Kritik sieht, die Aristoteles am Anfang seiner eigenen .Rhetorik' an ihnen übt". Wie für das Entwerfen des positiven Bildes der eigenen Person hat sich auch für die Verunglimpfung des Prozeßgegners eine feste Topik entwickelt. Sie läßt sich aus dem Gebrauch, den die Redner davon machen, geradezu listenmäßig erfassen 17 . Standardvorwürfe waren - wie schon soeben bei dem Zitat aus der Anaximenes-Rhetorik zu sehen - Mangel an Loyalität gegenüber der Polis, den Freunden gegenüber, also Mängel im sozialethischen Verhalten. Häufig war aber z.B. auch der Vorwurf nichtgriechischer Abkunft oder daß jemand gar aus dem Sklavenstand komme oder der Vorwurf der Feigheit; auch Sexualia wurden zur Schmähung benutzt. Das hat zum Teil keine Korrelation mehr in der positiven Selbstcharakteristik. Deutlich ist hier die Verwandtschaft mit dem Instrumentarium der Schmähung, wie es die Komödie verwendete 18 . Und von der Komödie haben, wie es scheint, die Redner in diesem Bereich gelernt. Von den beiden Partien, in denen Demosthenes in seiner Rede des Kranzprozesses (330) seinen Gegner Aischines und dessen Eltern beschimpft, erinnert besonders die zweite stark an eine Komödienszene". Hier hat die rednerische Diabole ihren Höhepunkt erreicht und ist zur ausgeführten Invektive geworden. Es ist in der Tat erstaunlich, welche Ungeheuerlichkeiten man in einem attischen Prozeß über seinen Gegner sagen konnte. Schließlich stand man ja nicht auf der Bühne, sondern vor Gericht 20 · Daß es sich in vielen Fällen um reine Beschimpfung ohne substantielle Grundlage für den betreffenden Vorwurf handelt, können wir nachweisen. Aus den erbitterten Kontroversen zwischen Demosthenes und Aischines haben wir von zwei Prozessen jeweils Anklage- und Verteidigungsrede, nämlich vom Gesandtschaftsprozeß (343) und von dem schon erwähnten Kranzprozeß (330). Im Gesandtschaftsprozeß wurde der Vater des Aischines unter anderem als Elementarlehrer, die Mutter wegen ihrer Winkelmysterien verspot-
a n d e r e Theoretiker 56.118-120.200-203. In der Rhetorik u n d bei den R e d n e r n hat δ ι α β ά λ λ ε ι ν (διαβολή) einen weiten B e d e u t u n g s u m f a n g , vgl. W. VOEGELIN, Die Diabole bei Lysias, Diss. Basel 1943, 23-25. Es k a n n sich sowohl um s a c h f r e m d e wie auch - häufiger - u m ü b e r h a u p t lügenh a f t e Anschuldigungen h a n d e l n ; nur im letzteren Sinn v e r w e n d e ich den Begriff Diabole (im Gegensatz zu VOEGELIN). Zu den antiken Theorien über die Invektive vgl. jetzt auch S. KOSTER, Die Invektive in der griech. u n d röm. Literatur ( = Beitr. zur Klass. Philologie 99), 1980, 7-21. 16 Arist. Rh. 1, 1.1354 a 11-18 = RADERMACHER, Artium scriptores A V 41, vgl. C 38. " Vgl. vor allem die Liste d e r rednerischen S c h m ä h t o p i k bei Süss a.a.O. ( A n m . 13) 247-254, mit zehn Punkten. Eine a n d e r e G l i e d e r u n g bietet VOEGELIN a.a.O. ( A n m . 15); auch sein Material ist über Lysias hinaus f ü r alle R e d n e r wichtig. 18 Vgl. Süss a.a.O. ( A n m . 13) 254f.; DOVER a.a.O. (Anm. 12) 30-33. " D. 18, 258-262. Z u r Verschärfung d e r Invektive bei den j ü n g e r e n R e d n e r n vgl. meinen K o m m e n tar zu dieser Rede a.a.O. ( A n m . 8) 689. Im attischen Recht g a b es zwar eine Bußklage wegen Verbalinjurien (δίκη κ α κ η γ ο ρ ί α ς ) , doch waren o f f e n b a r nur einige wenige Beschimpfungen verboten, vgl. die in A n m . 3 g e n a n n t e Literat u r : H . J . W O L F F 2 5 m i t A n m . 2 9 ; LIPSIUS 6 4 6 - 6 5 1 ; M A C D O W E L L 1 2 6 - 1 2 9 ; a u c h THALHEIM, R E
(1919) s.v. Κ α κ η γ ο ρ ί α ς δ ί κ η , Sp. 1524f.
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tet 2 ', im Kranzprozeß ist der Vater überdies zum Sklaven geworden und hat die Mutter eine Vergangenheit als Prostituierte, wozu sogar Stadtviertel und Lokalität angegeben sind, wo sie tätig gewesen sei, eine für derartige Verleumdungen typische Pseudogenauigkeit 2 2 . Auch ohne einen solchen Zufall, wie es die Doppelfassung der Invektive in jenen beiden Prozessen ist, läßt sich die Diabole gelegentlich sicher nachweisen, z. B. im Fall des im Kranzprozeß ständig gegenüber Demosthenes wiederholten Vorwurfs der Feigheit in der Schlacht von Chaironeia 2 3 . Dieser wird durch die Rolle widerlegt, die Demosthenes auch noch nach der Niederlage bei seinen Mitbürgern in Athen spielen konnte. Einen Anhaltspunkt hat dieser Vorwurf nur in der Tatsache, daß der Politiker - wie die übrigen Athener - nach der Niederlage schleunigst nach Athen zurückkehrte, weil ein Nachstoßen der Makedonen auf die Stadt zu befürchten stand. Es ist ein Vorwurf, wie ihn in der Komödie z. B. Aristophanes ständig gegen Kleonymos erhebt, den angeblichen Deserteur („Schildwegwerfer", άσπιδαποβλής) 24 . Dahinter steht bestenfalls auch nur, daß Kleonymos an einer verlorenen Schlacht teilnahm; Delion (424) käme in Frage. Offenbar hatte man sich an derlei Vorwürfe im 4. Jh. auch vor Gericht längst gewöhnt. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, wenn sich Richter so etwas immer wieder anhörten; man kannte doch in vielen Fällen die Leute, die da vor Gericht standen, und konnte wissen, ob sie in der oder jener Schlacht, zu der das Bürgeraufgebot ausgezogen war, davongelaufen waren oder nicht. Und, um noch einmal auf einen anderen der typischen Vorwürfe zurückzukommen: man wußte natürlich auch, daß Aischines' Vater kein Sklave gewesen war. Es ist ein Vorwurf, wie wir ihn ebenfalls in der Komödie finden, und es ist gelegentlich schon vorgekommen, daß erst Ostraka von einem Scherbengericht, auf denen oft der Name des Vaters und der Heimatdemos mitnotiert sind, womit man in Athen Bürger bezeichnete, einen solchen von der Komödie gegen einen Politiker erhobenen Vorwurf der unfreien Abkunft als haltlos erwiesen haben 2 5 . Wie bei der Komödie ist bei der rednerischen Topik äußerste Vorsicht geboten, bevor man eine substantielle Grundlage bei einem dieser Standardvorwürfe annimmt.
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D. 19, 199. 249. 281. D. 18, 129 f. Aesch. 3, 151. 152. 155. 159 u.ö., vgl. meinen K o m m e n t a r zu D e m o s t h e n e s ' K r a n z r e d e a.a.O. ( A n m . 8) 1078 f. Ar. Vesp. 5 9 2 ; die übrigen Stellen bei van Leeuwen im K o m m e n t a r zu Nub. 353. Der Vorwurf, den Schild weggeworfen zu haben, gehörte übrigens zu den Beschimpfungen, mit denen man sich der G e f a h r einer δ ί κ η κακηγορίας aussetzte, vgl. A n m . 20. S o bei K l e o p h o n , vgl. in meinem Vortrag Z P E 15, 1974, 8 9 - 9 2 , dazu B. BALDWIN, Notes on C l e o phon, AClass (Proc. o f the Class. Ass. o f South Africa) 17, 1974, 3 5 - 4 7 ; E. VANDERPOOL, Hesperia 43, 1974, 192 (Nr. 8 - 9 ) .
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II. In dieser Topik finden wir auch den Korruptionsvorwurf 2 6 . Ich zitiere einen Passus, wo er in einem Katalog typischer Beschimpfungen begegnet, in einer Demosthenesrede aus einem politischen Prozeß gegen Androtion (wohl 355). Ihm werden seine brutalen Methoden bei der Eintreibung rückständiger Vermögenssteuer vorgehalten; schlimmer für die Betroffenen sei aber das gewesen, was Androtion ihnen in aller Öffentlichkeit, in der Ekklesie, vorgeworfen habe: „dem einen, daß er ein Sklave gewesen sei und von Sklaven abstamme und daß er deswegen das Sechstel zusammen mit den Metöken zahlen müsse, einem anderen, daß er Kinder von einer Hure habe, dem dritten, daß sein Vater sich prostituiert habe, dem fünften, daß seine Mutter eine Hure gewesen sei, dem sechsten drohte er, eine Liste von dem vorzulegen (άπογράφειν), was er alles seit jeher unterschlagen habe, dem siebten wieder etwas anderes, dem achten alles erdenklich Schlimme und so der Reihe nach allen" 2 7 . Der Vorwurf der Korruption - in diesem Fall der Vorwurf der Unterschlagung öffentlichen Eigentums 2 8 - wird da im Verein mit Standardtopik der Diabole erhoben (Sklavenstand, Prostitution), er gehört selbst dazu. Wenn nun auch im konkreten Einzelfall unsicher ist bzw. jeweils geprüft werden muß, ob an dem betreffenden Vorwurf etwas Wahres daran ist, so ist andererseits natürlich klar, daß diese Diabole, wie Herkunft aus dem Sklavenstand und dergleichen, allgemein einen durchaus realen Hintergrund hat, d. h. es hat in Athen Parvenus aus dem Sklavenstand gegeben oder Leute, die sich das Bürgerrecht erschlichen hatten usw., sonst könnte ein derartiger Vorwurf nicht treffen; und es hat natürlich auch Korruption gegeben. Das allerdings in ausgedehntem Maß, wie auch anders als durch die rednerische Diabole zu belegen ist. Man denke nur an die einschlägigen Gesetze, von denen wir hören. Aktive Bestechung von Richtern und Ratsmitgliedern stand durch Gesetz - vielleicht durch mehrere Gesetze - unter Strafe 2 9 ; dafür war die Todesstrafe möglich,
Bei VOEGELIN a.a.O. (Anm. 15) ist im Kapitel „ D a s Geld in der D i a b o l e " unter den Rubriken c - e , „Veruntreuungen von Staatsmitteln (Unterschlagungen)", „Bestechlichkeit" und „Bestechung e n " , viel Material gesammelt, doch ist es für unser Thema nur teilweise brauchbar, da Voegelin den Begriff der Diabole weiter faßt (s. oben Anm. 15) und die betreffenden Vorwürfe nicht quellenkritisch-historisch untersucht, also die Frage nach dem Wahrheitsgehalt nicht stellt. Sehr ergiebig ist auch G . M. CALHOUN, Athenian Clubs in Politics and Litigation ( = Bull. o f the Univ. o f Texas 262, Humanistic Series 14), 1913, wenn er auch häufig hinter den Dingen zu schnell Hetairien ( „ C l u b s " ) am Werk sieht. 27 D. 22, 61 ; „ D a s Sechstel" ( τ ό ϊ κ τ ο ν μέρος) ist nicht sicher zu erklären, vgl. BUSOLT, Griechische Staatskunde I (1920) 2 9 6 f . in Anm. 2 ; R. THOMSEN, Eisphora ( = Humanitas 3). 1964, 9 8 - 1 0 0 . 224 f. 28 Das liegt in dem Verbum άπογράφειν, d.h. der Vorwurf wurde in Form der Drohung mit einer Apographe erhoben. 2® Die Quellenlage ist nicht eindeutig. Der in der Ersten Rede gegen Stephanos [D.] 46, 26 in den Handschriften eingelegte Text (bzw. Textauszug) eines einschlägigen Gesetzes wird seit E. DRE"
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ebenso offenbar für passive Bestechung von Richtern 30 . Im Rechenschaftsverfahren für Beamte war für passive Bestechung allerdings nach Aristoteles' ,Athenaion Politeia' nur eine zehnfache Buße vorgesehen, wie für Unterschlagung 31 ; für den letzteren Fall sah dagegen Piaton in seinem Gesetzesstaat in den ,Nomoi' für Bürger die Todesstrafe vor (Metöken und Sklaven sollten milder bestraft werden 32 ). Die Todesstrafe für passive Bestechung war aber in Athen auch nach dem Eisangeliegesetz möglich, nach dem eine Reihe von politischen Delikten geahndet werden konnte 33 , und sie wurde auch öfter vollstreckt 34 . Die Archonten hatten in ihrem Amtseid zu schwören, sich nicht bestechen zu lassen (und im Übertretungsfall eine goldene Statue zu weihen) 35 . Auch im Richtereid kam eine entsprechende Verpflichtung vor 36 . In
RUR (in der Untersuchung über die bei den attischen R e d n e r n eingelegten Urkunden), J b . Γ. class. Phil., Suppl. 2 4 , 1898, 3 0 4 f . gewöhnlich für echt gehalten, vgl. zuletzt MACDOWELL a.a.O. ( A n m . 3) 173, doch sind starke Zweifel angebracht. N a c h diesem T e x t wären in demselben Gesetz neben dem Verbot der Beteiligung an aktiver Bestechung ( σ υ ν δ ε κ ά ζ ε ι ν ) von Gerichtshöfen und R a t auch das Verbot politischer K o n s p i r a t i o n zum Z w e c k e des Umsturzes (έπί κ α τ α λ ύ σ ε ι τ ο υ δ ή μ ο υ ) und das Honorarverbot für σ υ ν ή γ ο ρ ο ι enthalten gewesen; LIPSIUS a.a.O. (Anm. 3) 4 0 2 liest fälschlich auch das ausdrückliche Verbot der passiven Bestechnung von Richtern und Ratsmitgliedern heraus (auch ή δ ε χ ό μ ε ν ο ς bezieht sich nur a u f den σ υ ν δ ε κ ά ζ ω ν ) . Der in der M i d i a n a D. 21, 113 erhaltene Textauszug ist dagegen sicher unecht, vgl. DRERUP a.a.O. Das Gesetz, das Demosthenes da verlesen lassen will, führt er ein als τ ο ν περί τ ω ν δ ώ ρ ω ν νόμον (§ 107), und es ging darin o f f e n b a r um aktive Bestechung (vgl. § 104), aber anscheinend nicht speziell von Richtern, so d a ß es sich kaum um das in der Ersten R e d e gegen S t e p h a n o s verlesene Gesetz handeln kann. Den Prozeß wegen Bestechung nach dem Gesetzestext von [D.] 4 6 , 26 instruierten die T h e s m o t h e ten, vor sie kam auch die K l a g e wegen Erschleichung des Bürgerrechts durch Bestechung, vgl. Arist. Ath. 59, 2. J0
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Aesch. I, 87 (aktive und passive Bestechung von Richtern, vgl. die vorige A n m e r k u n g ) ; Isoc. 8, 50 (aktive Bestechung, doch nicht näher bezeichnet). Die Aischinesstelle war mir ursprünglich entgangen und fehlte mir in der Diskussion. Arist. Ath. 54, 2. PI. Lg. 942a l ^ t . Nach dem Eisangeliegesetz, das (jedenfalls in seiner im 4. J h . geltenden Fassung) vor allem durch die Zitate in Hypereides' R e d e gegen E u x e n i p p b e k a n n t ist, stand o f f e n b a r speziell, aber nicht ausschließlich, die passive Bestechung eines Politikers ( ρ ή τ ω ρ ) bzw. j e d e s für eine politische Initiative verantwortlichen Bürgers unter S t r a f e : Hyp. 3, 8. 29. 30. 39. Ζ. Β. an Ergokles ( 3 8 9 ) : Lys. 29, 2 (die Anklage scheint vor allem a u f Unterschlagung während eines militärischen K o m m a n d o s gelautet zu haben, doch war ihm o f f e n b a r auch Bestechung vorgeworfen worden, vgl. Lys. 28, 3. 11 ; 29, 11); an T i m a g o r a s ( 3 6 7 ) : X . H G 7 , 1 , 3 8 ; D . 1 9 , 3 1 . 1 3 7 ; Plut. Pel. 3 0 , 9 ; Art. 2 2 , 1 2 (wegen Bestechung während einer Gesandtschaft zum G r o ß k ö n i g ) ; diese Beispiele sind Nr. 73 (S. 88) und Nr. 82 (S. 9 2 ) der von M. H. HANSEN, Eisangelia ( = O d e n s e Univ. Class. Studies 6), 1975 katalogartig zusammengestellten Eisangelieprozesse. Arist. Ath. 55, 5 ; vgl. den Amtseid in dem Gesetz der delphischen Amphiktyonie I G II 2 1126 ( = Syll. J 145 = Corpus des inscriptions de Delphes, T o m e I : Lois sacrées et règlements religieux, 1977, Nr. 10), 11. D. 24, 150; der in diese R e d e gegen T i m o k r a t e s eingelegte Text des Heliasteneides ist zwar nicht authentisch, a b e r in seinem wesentlichen Inhalt durch Zitate gesichert (s. dazu meinen K o m m e n tar zur Kranzrede a.a.O. - oben A n m . 8 - 1 1 6 ) . Vgl. die entsprechende Verpflichtung in dem Eid in dem soeben (s. vorige A n m e r k u n g ) zitierten amphiktyonischen Gesetz Z. 4—5, sonst z. B. im Eid knidischer Richter bei einer Entscheidung für K a l y m n a : Syll. 3 9 5 3 , 7 - 9 = jetzt in der maßgebenden Edition von M. SEGRE, Tituli Calymnii ( A n n u a r i o della S c u o l a Archeologica di Atene . . . 22/23 = N . S . 6/7, 1944/45, erschienen 1952), Nr. 79 A, Ζ. 3 0 - 3 2 , dazu SEGRE im K o m m e n t a r S. llOf.
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dem Fluch, den der Herold - nach einem Gebet - vor jeder Volksversammlung und jeder Ratssitzung sprach und in dem alle möglichen Verletzungen der Loyalität gegenüber der Polis verflucht wurden, waren auch die genannt, die sich „zum Schaden des Volkes" bestechen ließen". Und weil wir auch noch von Wahlfälschung hören werden, sei hier erwähnt, daß auch dafür die Todesstrafe festgesetzt war, wie wir aus einer in einem Privatprozeß gehaltenen Demosthenesrede erfahren, nämlich für den Fall, daß bei den Wahlen d.h. bei den Erlösungen der Beamten - zweimal ein Täfelchen mit demselben Namen herauskomme, ein Beweis für Manipulation 38 . Diese Gesetze werden aus dem 4. Jh. zitiert oder erwähnt, sind aber zum Teil sicher älter, und wir haben auch Nachrichten genug über Korruptionsfälle im 5. Jh., wenngleich sie oft erst aus späterer Zeit stammen und unzuverlässig sind, so z.B., daß Kimon in dem Prozeß, durch den ihn der „noch junge" Perikles 39 ausschalten wollte, der Bestechung durch den Makedonenkönig angeklagt gewesen sei40 oder daß man Kallias Bestechung durch den Perserkönig vorgeworfen und ihn bestraft habe 41 . In der Alten Komödie kommt der Bestechungsvorwurf häufig vor, ein Paradebeispiel ist Kleon 42 . Es ist kaum etwas Wahres an diesen Vorwürfen, aber auch die Diabole gegen Kleon ist natürlich nur unter der Voraussetzung möglich, daß Bestechung vorkam. Daß man das besonders in den ,Rittern' des Aristophanes karikierte Bild Kleons in Athen richtig verstand, also auch die Bestechungsvorwürfe nicht ernst nahm, sieht man daran, daß einerseits Aristophanes für sein Stück an den Lenäen des Jahres 424 den ersten Preis bekam, andererseits Kleon einige Wochen später wieder in das Strategenkollegium des nächsten Amtsjahres gewählt wurde 43 . Ein ganzer Gerichtshof soll nach Aristoteles' Behauptung in der ,Athenaion Politeia' zum erstenmal von Anytos bestochen worden sein, als dieser im Peloponnesischen Krieg nach einem mißglückten Unternehmen gegen Pylos 409 angeklagt worden war 44 . Daß Richterbestechung in Athen damals zum erstenmal vorgekommen ist, kann kaum richtig sein; denn schon in der
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Ar. T h e s m . 360. 366 (vgl. auch schon Vers 436); Din. 1, 47; 2, 16. D. 39, 12; Einzelheiten über das Amt ( ά ρ χ ή ) , u m das es geht, u n d das Losverfahren sind nicht bekannt. Arist. Ath. 27, 1. Plut. Cim. 14, 3. D. 19, 273; auf die Frage d e r Historizität des Kalliasfriedens, die „ n a c h g e r a d e zur G l a u b e n s f r a g e g e w o r d e n " ist (W. SCHULLER, Die Herrschaft der A t h e n e r im Ersten Attischen Seebund, Berlin 1974, 175, A n m . 116), gehe ich hier nicht ein. Vgl. T. A. DOKEY, A r i s t o p h a n e s and C l e o n , Greece a n d R o m e 3, 1956, 132-139; zum Kleonbild in der K o m ö d i e a u c h MARIA LUISA PALADINI, Considerazioni sulle fonti della storia di Cleone, Historia 7, 1958, 48-73, nach a n d e r e n Gesichtspunkten bei W. R. CONNOR, T h e New Politicians of Fifth C e n t u r y Athens, 1971, passim. Vgl. TH. GELZER, R E S u p p l . X I I ( 1 9 7 0 ) s . v . „ A r i s t o p h a n e s d e r K o m i k e r " , S p . 1 4 3 2 ; K . J. DOVER,
A r i s t o p h a n i c C o m e d y , L o n d o n 1972, 100. Arist. Ath. 27, 5.
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pseudo-xenophontischen ,Athenaion Politeia', die viel früher liegt 4 ', wird offenbar von der Möglichkeit der Richterbestechung gesprochen 4 6 , und kaum zehn Jahre nach 409 wird in einer Gerichtsrede des Isokrates (aus seiner Logographenzeit) ein Helfershelfer des Prozeßgegners charakterisiert als ein Mann, „der die Gesetze verfälscht, die Gerichtshöfe besticht, die Behörden schädigt (beleidigt?) und überhaupt alles mögliche Schlechte tut" 4 7 . Diese pauschale und ausgeweitete Diabole (man beachte den bestimmten Artikel) wäre kaum möglich, wenn die Bestechung von Richtern neu gewesen wäre. Derartige Belege für die Verbreitung der Korruption - es war im wesentlichen von Bestechung die Rede - ließen sich häufen; ich will nur noch einige anführen. Als Ergokles wegen Unterschlagung und Bestechung angeklagt war (389), sollen sich seine Freunde gerühmt haben, 500 Personen - d.h. als potentielle Richter - aus dem Piräus und 1600 aus der Stadt bestochen und dazu 3 Talente für Redner ausgegeben zu haben, die ihn retten sollten 4 8 - übrigens alles vergeblich, denn er wurde hingerichtet 4 9 . Vielleicht waren die Zahlen also übertrieben, aber eine solche Behauptung gibt trotzdem zu denken, denn sie deutet an, was man für möglich hielt. Wie eine solche Massenbestechung von potentiellen Richtern im 4. J h . erfolgreich hätte sein können, ist, jedenfalls für die spätere Zeit, ein völliges Rätsel, wenn man an die Sicherungen denkt, die Aristoteles in der .Athenaion Politeia' beschreibt; die Heliasten erfuhren ζ. B. erst unmittelbar vorher, in welchen Gerichtshof sie kamen 5 0 . Die Verbreitung der Korruption wird auch ganz allgemein durch die Klagen bezeugt, die Politiker und Publizisten anstimmen, so ζ. B. Isokrates in der Friedensrede (355): „Obwohl die Todesstrafe auf aktiver Bestechung steht, wählen wir doch Leute, die das ganz offen betreiben, zu Feldherren" 5 1 . Ungemein häufig ist der Vorwurf der Bereicherung im Amt, in stereotypen Formeln: „aus Bettlern zu reichen Leuten sind sie geworden" (έκ πτωχών πλούσιοι u.ä.) 5 2 . D a ß die Beschuldigung, der oder der (ό δείνα) besitze viel Geld aus seiner Amtsführung (έκ της άρχης), oft leichtfertig erhoben werde, beklagt andererseits der Sprecher einer Lysiasrede. Allerdings argumentiert er damit in seinem eigenen Interesse; denn es geht um sein Vermögen, mit dem er für ein anderes, konfisziertes und dann als zu gering befundenes haften soll. Er belegt mit Beispielen, daß man sich oft bei Politikern über die
Wahrscheinlich gehört sie in die ersten J a h r e des Peloponnesischen Krieges. In frühere Zeit, „in die dreißiger oder sogar vierziger J a h r e " , setzt sie jetzt wieder H. WOLFF, Z P E 3 6 , 1979, 2 8 4 ; er verspricht (in Anm. 7) eine gesonderte Untersuchung darüber. 4 6 [X.] Ath. 3, 7 (mit sicherer E m e n d a t i o n ) . 4 1 lsoc. 18, I I . 4 8 Lys. 29, 6. 12. 4 * Lys. 29, 2, vgl. oben Anm. 34. so Arist. Ath. 66, 1. " lsoc. 8, 50, vgl. oben Anm. 30. " Vgl. meinen K o m m e n t a r zur K r a n z r e d e a.a.O. (Anm. 8) 713 f. 45
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Höhe ihres hinterlassenen Vermögens getäuscht und ihren Gewinn in der Amtsführung übertrieben habe 53 . Ständig in Gefahr, der passiven Bestechung beschuldigt zu werden - oder auch tatsächlich sich bestechen zu lassen - waren ins Ausland geschickte Gesandte, so nach Persien und Makedonien 5 4 , zumal sie dort mit aufwendigem Protokoll empfangen und beschenkt wurden 55 ; Kallias war schon genannt. Ein bekanntes Beispiel sind die Anklagen im Zusammenhang mit den athenischen Friedensgesandtschaften zu Philipp II. im J. 346; Aischines wurde freigesprochen, aber Philokrates wurde - in absentia - zum Tode verurteilt 56 , was übrigens kein Beweis für seine Schuld ist. Es wird ein politisches Urteil gewesen sein, wie das wohl auch zum Teil der Fall war bei den Verurteilungen in der Harpalosaffäre, dem größten Korruptionsprozeß des 4. Jh., aus welchem Verfahren wir mehrere Anklagereden haben 57 ; da spricht nur die eine Prozeßpartei, und wir haben keine Möglichkeit, die Berechtigung der Vorwürfe zu prüfen. Dasselbe gilt für einige Reden des lysianischen Corpus, in denen es um Bestechung und Unterschlagung geht, und wir kennen in der Regel auch den Ausgang des Prozesses nicht; von dem erwähnten Todesurteil gegen Ergokles und dessen Vollstreckung erfahren wir zufällig durch eine in einem Folgeprozeß gehaltene Rede 58 .
" Lys. 19, 49. sa Vgl. S. PERLMAN. On Bribing Athenian A m b a s s a d o r s , G R B S 17, 1976, 223-233. Bestechung von G e s a n d t e n wird fast n u r aus dem diplomatischen Verkehr mit M a k e d o n i e n u n d Persien berichtet, doch geht PERLMANS A n n a h m e , d a ß sie zwischen griechischen Poleis nicht v o r g e k o m m e n sei (S. 226: „ F r e e Greek poleis did not bribe a m b a s s a d o r s w h o c a m e f r o m other Greek states"), gewiß fehl. Sie wird d a wegen der T r a n s p a r e n z d e r politischen Vorgänge u n d wegen der Rechenschaftspflicht für die V e r w e n d u n g öffentlicher G e l d e r (worauf PERLMAN ZU Recht a u f m e r k s a m macht) seltener gewesen sein, doch b r a u c h t e m a n j a f ü r eine Bestechung nicht unbedingt einen Volksbeschluß (zu d e m angeblichen Psephisma von Oreos über Bestechungsgelder bei Aesch. 3, 105 s. unten). Was m a n auch unter rechenschaftspflichtigen D e m o k r a t e n f ü r möglich hielt, zeigt die hübsche Geschichte, d a ß Perikles die f ü r die Bestechung des spartanischen Königs Pleistoanax u n d seines Beraters K l e a n d r i d a s verwendete S u m m e bei d e r A b r e c h n u n g n a c h d e m Feldzug (445) als Ausgabe εις τό δ έ ο ν ( „ f ü r N o t w e n d i g e s " ) deklariert u n d das Volk das stillschweigend akzeptiert habe, o h n e peinliche Fragen zu stellen: Plut. Per. 23, 1; eine Anspielung d a r a u f sah m a n bei Aristophanes N u b . 859, vgl. die Scholien z. St. (a = E p h o r o s F G r H i s t 70 F 193); dieses εις τό δ έ ο ν war später sprichwörtlich, vgl. Z e n o b . 3, 91 (LEUTSCH/SCHNEIDEWIN, C o r p . Paroemiogr. G r . 1 p. 80). Ein Beispiel f ü r einen Bestechungsvorwurf im innergriechischen diplomatischen Verkehr aus dem 4. Jh. ist Aesch. 3, 113 f. : Demosthenes sei als athenischer Pylagore bei d e r Amphiktyonie, also in einer Art G e s a n d t e n m i s s i o n , von Amphissa (von den Amphisseern, „ d . h . ihren f ü h r e n d e n Politikern", wie Aischines sich selbst korrigiert) bestochen worden. " Vgl. D. KIENAST. RE Suppl. X I I I (1973) s. v. „ P r e s b e i a " , Sp. 569f. s
* Zu den literarischen Belegen über seine Anklage durch Hypereides, die Verurteilung in absentia u n d die Konfiskation seines Besitzes (D. 19, 116; Aesch. 2, 6 ; 3, 79; Hyp. 3, 29f. = or. LVIII JENSEN) h i n z u g e k o m m e n ist ein epigraphisches Zeugnis in d e m von B. D. MERITT, Hesperia 5, 1936, 393ff. publizierten F r a g m e n t einer Poletai-Inschrift (zu IG II 2 1582 g e h ö r e n d , vgl. S E G 17, 1960, 40): Nr. 10, Z. 4 5 - 5 0 u n d 110-115 (wodurch auch d e r N a m e des Vaters, Pythodoros, b e k a n n t w u r d e : Z. 46 u n d I I I ) ; dieser Beleg fehlt noch im RE-Artikel (1938) über Philokrates von H. SCHAEFER.
" Vgl. A n m . 1. s " Lys. 29, 2, vgl. oben A n m . 34.
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III. All das ist wertvolles Belegmaterial, um so wertvoller, als die Inschriften der Zeit für Bestechungsfälle nur gelegentlich etwas erbringen 5 9 . Ungleich interessanter für mein Thema, die Korruption in der rednerischen Topik, sind jedoch die Reden aus Prozessen, in denen Bestechung, Unterschlagung oder ähnliches nicht selbst zu den Anklagepunkten gehört, sondern der Korruptionsvorwurf ohne direkte sachliche Beziehung zur Anklage und häufig ohne substantielle Grundlage erhoben wird, eben zur Diabole des Prozeßgegners. An einigen Beispielen dieser Art möchte ich nun illustrieren, daß wir wie bei anderen, vorhin gestreiften Topoi der Diabole auch hier Möglichkeiten haben, die Haltlosigkeit von Korruptionsvorwürfen zu erweisen oder wenigstens wahrscheinlich zu machen. Demosthenes wirft Androtion unter anderem vor, für sich etwas beiseite geschafft zu haben, als er in amtlichem Auftrag (als Kommissar, έπιμελητής) zur Linderung der Finanznot der Stadt goldene Weihgeschenke einschmelzen ließ 6 0 ; dabei habe er, anders als bei der früheren Einziehung rückständiger Steuern, darauf verzichtet, einen Staatssklaven als Kontrolleur hinzuziehen, und Demosthenes fragt: „Ist es nicht klar, warum? Ich denke doch" 6 1 . Diese Suggestivfrage soll, wie oft, den Beweis ersetzen, den der Redner für diese angebliche „Unterschlagung" - dieses Wort fällt auch 62 - gar nicht hat. Aischines erhebt in der Rede gegen Timarchos gegen diesen Korruptionsvorwürfe verschiedener Art. Die Passage 63 wird schon in vielversprechender Weise eingeleitet: „ E r hat nicht nur sein eigenes Vermögen durchgebracht, sondern auch alles Eigentum eurer Stadt, über das er Verfügungsgewalt bek a m ; es gibt nämlich kein Amt, das dieser Mensch . . . nicht bekleidet hat, und keines hat er durch Los oder Wahl bekommen, sondern alle rechtswidrig erkauft." Von dieser rhetorischen Hyperbel her gerät die ganze Serie der folgenden Beschuldigungen - Aischines sagt, er wolle „zwei oder d r e i " Beispiele bringen - von vornherein ins Zwielicht, zumal keine Beweise vorgelegt werden. Als Logist habe Timarchos sich bei den Rechenschaftsablagen der Beamten von denen bestechen lassen, die ihr Amt ungetreu geführt hätten; ein Beweis dafür wird nicht erbracht (und man beachte den generalisierenden Plural). Das Amt eines Archonten auf der Insel Andros, also eines Verwaltungsbeamten des Zweiten Attischen Seebundes, habe er um 30 Minen erkauft, die er sich zu einem Zinsfuß von 16% geliehen habe; man vermißt wies"
IG 110 ( = SyII. 3 l 0 8 = T o d 86 = MEIGGS/LEWIS 85), 39^»7 (vom J . 4 0 9 ) : Antrag, die Bestechung zu untersuchen und zu bestrafen, die im Z u s a m m e n h a n g mit einem Psephisma zugunsten des Apollodoros, eines der für die Ermordung des Oligarchen Phrynichos ( 4 1 1 ) Verantwortlichen, vorgekommen war. "" D. 22, 6 9 - 7 1 (fast wörtlich wiederholt in der Rede gegen T i m o k r a t e s : 24, 1 7 6 - 1 7 9 ) . " 22, 71 ( = 24, 179). *2 κ λ ο π ή 22, 69 ( = 24, 177). " Aesch. I, 1 0 6 - 1 1 3 .
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der den Beweis, und es folgt noch die Behauptung, in Andros habe er sich freien Frauen gegenüber unglaublich benommen; deren Ehemänner habe Aischines nicht als Zeugen laden wollen, um ihnen die Schande zu ersparen, vor einem so zahlreichen Auditorium aussagen zu müssen. Diese Ausrede ist durchsichtig; nun, Andros war weit, und man konnte da vieles behaupten. Aischines beschließt die Geschichte von dem angeblichen Skandalarchontat in Andros mit folgender Pointe: wie gut sei es für Athen gewesen, daß damals kein Käufer für Andros kam - d.h. er hätte die Insel von Timarchos kaufen können. Aber es geht noch weiter. Als Timarchos im Rat saß (361/60), habe er zusammen mit Hegesandros, Hegesipps Bruder, 1000 Drachmen unterschlagen, sei deswegen beschuldigt, in einer ersten Abstimmung vom Rat ausgestoßen, aber in einer zweiten wieder aufgenommen worden. Diese Geschichte ist außerdem boshaft und farbig mit Anspielungen auf Timarchos' homoerotische Neigungen angereichert, die Aischines auch die Handhabe zur Anklage geboten hatten; damit ist geschickt die Tatsache in den Hintergrund geschoben, daß er ja doch vom Rat von dem Vorwurf der Unterschlagung entlastet worden war. Schließlich sei Timarchos einer der Prüfer (έξετασταί) für die Söldner auf Euböa gewesen und habe als einziger zugegeben, bestochen worden zu sein, und deswegen eine geringere Buße zahlen müssen als die anderen, die geleugnet hätten. Auch hier wird kein Beweis erbracht, aber immerhin sieht diese Sache eher als die vorigen so aus, als ob sie stimme. Damit bleibt aus der ganzen langen Passage von den Vorwürfen des Aischines recht wenig Substantielles, sie ist aber ein Paradestück der Diabole. Derselbe Aischines versucht in der Anklage im Kranzprozeß, einen Volksbeschluß aus Oreos zu einem Beweisstück für einen gegen Demosthenes erhobenen Bestechungsvorwurf zu machen 64 . Nachdem er diesen des Ausverkaufs athenischer Rechte in Euböa beschuldigt hat und ihm vorgeworfen, daß er die Stadt um 10 Talente Beiträge (Syntaxeis) von den Bundesgenossen geprellt habe - was übrigens auch nicht stimmt 65 - , behauptet er weiter, dafür habe Demosthenes 3 Talente bekommen, je eines von den Tyrannen Kallias von Chalkis und Kleitarchos von Eretria, das dritte aber von Oreos, einer demokratisch regierten Polis, und deshalb sei in diesem Fall die Bestechung publik geworden; denn in einer Demokratie werde alles durch Volksbeschlüsse entschieden (μετά ψηφίσματος). Kurz darauf läßt Aischines zum Beweis tatsächlich ein Psephisma verlesen (der Text ist in den Handschriften nicht erhalten), aber die vorausgehende Darstellung der Sache zeigt, daß es sich um ein Darlehen des Demosthenes an Oreos gehandelt haben muß. Aischines sagt selbst, die Bürger von Oreos hätten jenen gebeten, ihnen das Talent zu „erlassen" (άφεΐναι); Demosthenes habe jedoch auf Zahlung bestanden, und zwar erfolgte diese in Raten, wie weiter von Aischines erklärt wird. In jenem M
"
Aesch. 3, 103-105. Vgl. meinen K o m m e n t a r zur K r a n z r e d e a.a.O. ( A n m . 8) 454.
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Psephisma werden also Regelungen über die Abzahlung getroffen worden sein 66 . Ein Darlehen dieser Art 67 würde in die politische Landschaft passen; denn Athen hatte seinerzeit (wohl bald nach Abschluß des Bündnisses mit Kallias von Chalkis 341) den Euböern auch Schiffe für den K a m p f gegen Philipp II. von Makedonien zur Verfügung gestellt, für die, wie inschriftlich bezeugt ist, Athener die Bürgschaft übernahmen 6 8 . In Aischines' Anklagerede des Kranzprozesses ist übrigens fast j e d e politische Aktion des Demosthenes mit Bestechung erklärt wie umgekehrt die politische Tätigkeit des Aischines in der Verteidigungsrede des Demosthenes. Mit einer solchen Übertreibung, die für die vor Gericht ausgefochtenen politischen Kämpfe des späteren 4. Jh. weithin charakteristisch ist, widerlegt sich die Diabole letztlich selbst. Nehmen wir lieber noch ein Beispiel aus einer Lysiasrede. Es ist eine am Anfang verstümmelte Anklagerede gegen Euandros 6 9 in einer Dokimasie, also einem Prüfungsverfahren vor Amtsantritt, und zwar vor dem R a t ; Euandros ist offenbar der eponyme Archon von 382/1 7 0 , womit klar ist, daß die Anklage keinen Erfolg hatte, und gleichzeitig die Lysiasrede datiert wird. Der Sprecher bringt die Diabole, die wir da lesen, nicht gegen Euandros selbst vor, sondern gegen dessen Gönner und Fürsprecher Thrasybul, womit natürlich ebenfalls der Angeklagte getroffen werden soll. Es ist ziemlich sicher Thrasybul von Kollytos gemeint. Sein Auftreten für den angeklagten Euandros wird vom Ankläger angekündigt, und dieser erklärt, er könne drei Verbrechen Thrasybuls vorbringen, so schlimm, daß jedes todeswürdig sei. Sehen wir sie uns an 71 . Erstens sei Thrasybul bestochen worden, einen Umsturz in Böotien herbeizuführen, und habe dadurch Athen des Bündnisses mit Böotien beraubt. Gemeint ist offensichtlich der von Sparta nach der Besetzung der Kadmeia unterstützte Umsturz in Theben von 382, nach dem das Bündnis mit Athen gelöst wurde. Der Vorwurf gegen Thrasybul ist jedoch haltlos, denn dieser war nicht lange danach (377) einer der Gesandten Athens nach Theben, wie wir in dem inschriftlich erhaltenen Psephisma des Aristoteles lesen, mit dem zum Eintritt in den Zweiten Attischen Seebund aufgefordert wurde 72 . Zur Diabole genutzt ist in der Lysiasrede anscheinend die Tatsache, daß Thrasybul in Theben gute Verbindungen hatte, was anderweitig bezeugt ist 73 . Der zweite Vorwurf lautet: er habe „die Schiffe verraten" und die Stadt in äußerste Bedrängnis gebracht. Damit ist ein Vorfall gemeint, den Xeno** Ein Volksbeschluß über eine Bestechungssumme ist j a auch nicht d e n k b a r ; vgl. A. SCHÄFER, Demosthenes und seine Zeit II ( Ί 8 8 6 ) 491 f.; P. A. BRUNT. C Q 19, 1969, 2 5 4 f . " Vgl. z. B. das zinslose Darlehen, das Androtion als Archon des Zweiten Attischen Seebundes an die Stadt Arkesine a u f A m o r g o s gegeben hatte; es ist in dem Ehrendekret für ihn ( 3 5 7 / 6 ) erwähnt: I G X I I 7, 5 ( = Syll.' l 9 3 = T o d 152), 6 - 8 . "" Darunter D e m o s t h e n e s : I G II 2 1623 ( = Syll. J 962), 1 6 0 f f . ; 1629, 5 1 6 f f . '» Lys. or. 26. ' " Vgl. zu ihm J . K. DAVIES, Athenian Propertied Families 6 0 0 - 3 0 0 B . C . , Oxford 1971, I 8 7 f . 71 Lys. 26, 23 f. 72 I G II 2 43 ( = SyII.·' 147 = T o d 123 = BENGTSON, Staatsverträge 257), 77. 71 Aesch. 3, 138.
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phon in den ,Hellenika' beschreibt 74 , nämlich daß Thrasybul im J. 387 mit acht Trieren, von Thrakien kommend, in den Hinterhalt eines überlegenen spartanischen Geschwaders unter Antialkidas geriet und seine Schiffe verlor; der Vorwurf des Verrats wird durch Xenophons Darstellung eindeutig widerlegt. Danach begegnet man der dritten Anschuldigung, die mit der zweiten zusammenhängt, mit größter Skepsis. Thrasybul habe, so heißt es, von den Kriegsgefangenen, d.h. seinen bei jenem Gefecht in die Hände der Spartaner gefallenen Leuten, die er doch, wie der Sprecher sich ausdrückt, selbst „ins Unglück gestürzt" habe (άπώλεσεν), 30 Minen erpreßt (έσυκοφάντησεν), indem er erklärte, er werde sie nicht auslösen, wenn sie ihm nicht diese Summe zahlten. Der dieser Diabole zugrunde liegende Sachverhalt dürfte sein, daß er nicht bereit war, die Auslösungssumme selbst zu zahlen, sondern sich die Erklärung der Gefangenen oder ihrer Angehörigen sicherte, ihm die Kosten der Auslösung zu erstatten, eine Forderung, die durchaus angemessen war 75 . Obwohl nur der erste der drei in dieser Lysiasrede gegen Thrasybul erhobenen Vorwürfe mit Korruption zu tun hatte (Bestechung), habe ich ausnahmsweise auch die beiden übrigen (Verrat, Erpressung) mit vorgeführt. Alle drei zusammen bilden nämlich einen typischen Komplex der Diabole, und dieser liefert hier ein gutes Beispiel dafür, wie wir gelegentlich auch bei den Anschuldigungen, die ohne die eher einer späteren Zeit eigene, von vornherein demaskierende Übertreibung vorgetragen werden, mit Hilfe der uns zufällig noch zur Verfügung stehenden historischen Informationen die Diabole durchschauen können. Meistens ging es bei dem Korruptionsvorwurf in der Diabole bisher um Bestechung und Unterschlagung. Ein anderer Topos aus diesem Bereich, nämlich der Vorwurf des Wahlbetrugs, war ebenfalls schon beiläufig aufgetaucht, als Spezialfall der Bestechung (bei Timarchos) und als Manipulation mit den Lostäfelchen (in dem einschlägigen Gesetz, nach dem darauf Todesstrafe stand). Dieser Vorwurf des Wahlbetrugs begegnet uns nicht häufig, aber doch so, daß man auch hier von einem Topos sprechen kann, zumal formelhafte Wendungen gebraucht werden; wenn ich „Wahlbetrug" sage, sind damit natürlich auch und gerade die Losverfahren gemeint, denn die meisten Ämter im Athen des 4. Jh. wurden durch Los besetzt. Auch da war Bestechung noch möglich, wenn man sich das Zurücktreten eines erlosten Kandidaten erkaufte und durch begleitende Manipulation für ein anderes Namenstäfelchen gesorgt wurde 76 . Daß dergleichen öfter vorgekommen ist, steht au-
" X. H G 5, I, 26f. " Vgl. zur Diabole an dieser Stelle als Gegenstück den stolzen Hinweis d a r a u f , d a ß m a n auf Rückzahlung des Lösegeldes verzichtet h a b e : D. 19, 170, dazu meinen K o m m e n t a r zur K r a n z r e d e a.a.O. (Anm. 8) 1170 f. Vgl. den in Anm. 38 a n g e f ü h r t e n Beleg. Über Wahlschiebungen vgl. CALHOUN a.a.O. ( A n m . 26) 126-136 („Elections") u. ö., ferner E. S. STAVELEY, Greek a n d R o m a n Votings and Elections, L o n d o n 1972, 101-117 ( K a p . V: „ M a n i p u l a t i o n and F r a u d " ) .
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ßer Frage; von Aristoteles hören wir z.B., daß die Erlösung bestimmter Beamtengruppen deswegen von den Demen in die Phylen verlegt wurde, weil in den Demen dabei Stellenverkauf eingerissen war 77 . Auch für diesen Topos lege ich ein Beispiel vor, bei dem die Haltlosigkeit des Vorwurfs offensichtlich ist. Aischines wirft im Kranzprozeß Demosthenes vor, er sei seinerzeit 346/5 in den Rat gekommen, „ohne erlost worden zu sein, auch nicht als Ersatzmann erlost", wie es formelhaft heißt (οϋτε λαχών οϋτ' έπιλαχών), „sondern durch Absprache und gegen Bezahlung" 78 . Gewiß mußte Demosthenes ein Interesse daran haben, in dem für die Friedensverhandlungen mit Philipp II. wichtigen Jahr im Rat zu sitzen; das ist der Anhaltspunkt der Diabole. Wenn aber Aischines als Motiv angibt, Demosthenes habe sich den Ratssitz erkauft, „um in allem mit Philokrates zusammenzuarbeiten", d.h. mit dem Mann, mit dessen Namen der Friedensschluß besonders verbunden war, so erinnern wir uns, daß ihm die hier behauptete Wahlmanipulation im Gesandtschaftsprozeß noch nicht eingefallen war, obwohl er auch damals Demosthenes die Zusammenarbeit mit Philokrates vorgehalten hatte 7 '. Es ist wieder ein Fall der Verschärfung der Invektive vom Gesandtschaftsprozeß zum Kranzprozeß, wie ich sie für andere Topoi schon vorhin belegt habe. Ebenfalls seltener, aber doch ein Topos, ist der Korruptionsvorwurf bei einer öffentlichen Schreibertätigkeit; als spezielle Variation führe ich ihn separat an. Der korrupte Schreiber - vielleicht sollte man γραμματεύς eher mit „Sekretär" wiedergeben - ist ein Typus besonders in der Diabole des Demosthenes gegen Aischines, denn dieser war in Schreiberdiensten tätig gewesen; deswegen wird er von Demosthenes oft verspottet (ebenso wegen seiner früheren Schauspielertätigkeit). Der Vorwurf findet sich aber auch schon bei Antiphon 80 und in der Komödie 81 . Dabei ist der Korruptionsvorwurf verbunden mit dem Spott über die Subalternität des Metiers, weshalb oft die Beschimpfung „Unterschreiber" auftaucht (ύπογραμματεύς); „Unterschreiber" war er,
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Arist. Ath. 62, I. Aesch. 3, 62. Zu der Formel ο ϋ τ ε λ α χ ώ ν o ö t ' έ π ι λ α χ ώ ν vgl. [D.] 58, 29, mit demselben T o p o s der Diabole, auch die ähnliche F o r m u l i e r u n g an der schon oben aus Aischines' Rede gegen Timarchos angeführten Stelle: Aesch. 1, 106. " Aesch. 2, 14-20. Für Überlegungen, w o d u r c h eine solche von Aischines b e h a u p t e t e M a n i p u l a t i o n bei den Wahlen zum Rat möglich gewesen sei, vgl. neuerdings STAVELEY a.a.O. ( A n m . 76) 110 ( D e m o s t h e n e s ' D e m o s sei einer der kleinen gewesen) u n d dagegen J. R. ELLIS, Philip II a n d Mac e d o n i a n Imperialism, L o n d o n 1976, 265, A n m . 59 (der D e m o s Paiania habe vielmehr zu den größten gehört); beide glauben bei d e r Wahl des Demosthenes nicht an einen Zufall. ELLIS verweist auf die Listen (Buleuten d e r verschiedenen D e m e n der Phyle Pandionis) bei P. J. BICKNELL, Studies in Athenian Politics a n d G e n e a l o g y ( = Historia Einzelschriften 19), 1972, 8 u n d 25; die Inschriften, auf denen sie basieren, sind jetzt zu benutzen in der Edition von B. D. MERITT/J. S. TRAILL, The Athenian Agora XV. Inscriptions: The Athenian Councillors, Princeton 1974. 80 A n t i p h o n 6, 35. 49. 81 Ar. R a n . 1084. 78
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sagt Demosthenes von Aischines, „und korrupt für zwei oder drei Drachmen (και δυοΐν ή τριών δραχμών πονηρόν οντά) 8 2 . Jetzt können wir, denke ich, ein vorläufiges Ergebnis festhalten. Es hat sich zunächst bestätigt - es ist nicht neu - , daß die attischen Redner umfangreiches Material für eine Untersuchung über die Korruption im Athen des 5. und 4. J h . bieten und daß Korruption in j e n e r Zeit sehr verbreitet gewesen sein muß. Darüber hinaus habe ich versucht, durch die Einordnung des Korruptionsvorwurfs in die Topik der rednerischen Diabole und durch eine Reihe von Beispielen zu zeigen, daß den Korruptionsvorwürfen in diesem literarischen Genos grundsätzlich mit größter Skepsis zu begegnen ist - womit die Tatsache der allgemeinen Verbreitung der Korruption nicht bestritten wird - , und andererseits, daß wir trotz der genosbedingten Schwierigkeiten nicht selten in der Lage sind, in dieser Topik Erfindung und Wahrheit zu scheiden.
IV. In der Topik der rednerischen Diabole können nur Qualitäten, Verhaltensweisen und Eigenarten vorkommen, die standardisierten Moralvorstellungen und Konventionen zuwiderlaufen, denn das macht die Pointe. Die Korruptionsvorwürfe bei den Rednern greifen also nur das auf, was im damaligen Athen als Korruption galt. Wahrscheinlich aber - j a sicher - gab es Formen der privaten Nutzung offizieller oder halboffizieller Funktionen, die wir heute in das breite Spektrum der Korruption einordnen würden, die aber bei den Zeitgenossen nicht als anstößig oder auffällig galten und nicht inkriminiert waren. Auf sie eröffnet sich, wie mir scheint, gelegentlich auch bei den Vorwürfen von der Art, wie wir sie betrachtet haben, eine Perspektive. Diese Vermutung möchte ich abschließend mit einigen Beispielen begründen. Vom Topos der Bereicherung im Amt war vorhin bereits die Rede. D a ß man im Amt in Athen nicht ärmer wurde, sondern im Gegenteil Gewinn daraus schlug, war die allgemeine Ansicht, und Isokrates ζ. B. führt als Grund dafür, daß er sich von aktiver politischer Tätigkeit zurückhielt, unter anderem an, sein Vermögen reiche ihm und er habe keinem anderen den Platz wegnehmen wollen, der es nötig gehabt habe, davon zu leben 8 3 .
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D . 19, 200, vgl. dazu meinen K o m m e n t a r zur Kranzrede a.a.O. ( A n m . 8) 1150 f. Isoc. 15, 152 (vgl. 150); bei dem Wort λήμματα ( „ G e w i n n e " ) ist hier o f f e n b a r an mehr gedacht als nur an Heliasten- und Ekklesiastensold (so in der Friedensrede: 8, 130); vgl. zum G e d a n k e n bei Isokrates auch 7, 2 4 f . und 12, 145. Bezeichnend ist auch Hyp. I, 24, 2 8 - 2 5 , 12: die Athener gestatteten, sagt Hypereides, den Feldherren und Politikern viele persönliche Vorteile, nicht a u f G r u n d gesetzlicher Bestimmungen, sondern aus purer Gutmütigkeit; es sei nur eine einzige Bedingung dabei, nämlich d a ß ihr Gewinn ( τ ο λαμβανόμενον) im Interesse der Stadt und nicht gegen diese verwendet werde.
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Besondere Gewinnmöglichkeiten boten Flottenkommandos, denn die Strategen - oft schon ein Trierarch mit einem einzigen Schiff - machten Jagd auf ergiebige Prisen, oder sie ließen sich den Verzicht auf Kaperei von den Kaufleuten mit Schutzgeldern honorieren. Dabei war es offenbar so, daß die Prisen zwar der Polis zustanden, aber ein beträchtlicher Beuteanteil denen zufiel, die sie aufgebracht hatten. So wird Meidias von Demosthenes vorgehalten, er habe als Zahlmeister (Tamias) der Staatstriere ,Paralos' beim Feldzug nach Euböa (357) eine kyzikenische Prise aufgebracht, was das Verhältnis Athens zu Kyzikos belastete, und er habe die Beute noch dazu für sich behalten 8 4 . 4 0 Talente Schutzgelder von Reedern und Kaufleuten mehr als angegeben erhalten (und nicht abgeliefert) zu haben, wurde Diotimos einmal zu Unrecht beschuldigt, wie wir aus einer Lysiasrede hören (vom J. 3 8 7) 8 5 . In der Rede ,Über die Angelegenheiten in der Chersones' (341), diesmal also einer politischen Rede, nimmt Demosthenes den im Seegebiet des Hellespont und auf der thrakischen Chersones operierenden Strategen Diopeithes gegen derartige Vorwürfe, nämlich bei Prisen und Schutzgeldern zu kräftig zugelangt zu haben, in Schutz; dabei gibt er zu („ich will offen reden", sagt er), daß alle Feldherren Athens von Chios und Erythrai und den anderen Städten an der kleinasiatischen Küste Geld bekämen; diese „ G e w i n n e " (λήμματα) nenne man „Gefälligkeiten" (εϋνοιαι, also benevolences, douceurs) 8 6 . Was wir nun gern wüßten, ist, nach welchen Prinzipien oder welchem Schlüssel etwa Prisen oder Schutzgelder in die Anteile für die Polis - bzw. für die Kosten eines Feldzuges (wie im Fall des Diopeithes) - und die persönlichen Anteile für die Kommandoinhaber aufgeteilt wurden. Aus der soeben erwähnten Lysiasrede erfahren wir nämlich beiläufig, daß die Unterfeldherren in entsprechender Relation beteiligt wurden, denn da wird in einer Argumentation mit dem Gedanken operiert, daß der Oberbefehlshaber (da ist es K o n o n ) „mehr als das Zehnfache" als der Unterfeldherr bekomme 8 7 . Bei diesen Kommandos sind wir offenbar in einem Bereich, in dem für Befriedigung privater Interessen ein weiter Spielraum war und die Polis nur einschritt, wenn sie gar zu kurz kam. Ein anderer Bereich, wo private und öffentliche Interessen zusammentrafen, war die Trierarchie; da waren sie überhaupt schwer zu trennen, denn die Polis stellte den R u m p f und die Ausrüstung des Kriegsschiffes, während der Trierarch für die laufenden Kosten eines Jahres aufzukommen hatte. Wie die Trierarchie gelegentlich für einen privaten Transport genutzt wurde, erfahren wir wieder zufällig aus der Rede gegen Meidias, dem Demosthenes diesen Vorwurf wegen seines Verhaltens bei der Rückfahrt der Flotte von Euböa 348 macht: „Während alle übrigen freiwilligen Trierarchen euch (mit ihren Schif84
D. 21, 173. Lys. 19, 50. " D. 8, 24. " Lys. 19, 35. ,5
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fen) begleiteten, als ihr aus Styra hierher (nach Hause) fuhrt, da fuhr er allein nicht mit, sondern transportierte, ohne sich um euch zu kümmern, Schanzpfähle (vom Lager) und Vieh und Balken für sich und Holz für seine Silbergruben, und so war für diesen Schuft seine Trierarchie keine Liturgie, sondern ein Gewinngeschäft" (χρηματισμός) 88 . Da hat man durchaus den Eindruck, daß der primäre Anstoß das Ausscheren aus dem Flottenverband war, nicht die private Nutzung der Transportkapazität der Triere. Die Trierarchie hatte auch andere Gewinnmöglichkeiten. Ebenfalls aus der Rede gegen Meidias ist uns ein grober Mißbrauch bekannt, den die Leiter der Syntelien, der für eine Trierarchie zusammensteuernden Abteilungen der trierarchischen Steuergruppen (Symmorien) 89 , offenbar häufig mit ihrer Funktion trieben, nämlich dadurch, daß sie die Trierarchie an einen billigen Unternehmer weiterverpachteten - der daraufhin für sie das Kriegsschiff unterhielt - und dabei mit den Zahlungen an diesen nur bis zur Höhe der Beiträge gingen, die sie von den Genossen ihrer Syntelie einzogen (ein Talent ist da angegeben), so daß sie selbst nichts zu zahlen hatten 90 . Das führt Demosthenes nicht etwa an, um die Weitervergabe anzuprangern, sondern um den Kontrast herauszustellen zwischen der früheren Zeit, in der er selbst die Trierarchie zu leisten gehabt habe, nämlich mit hohen Kosten, und der jetzigen Zeit, in der Meidias und Leute wie dieser solche Möglichkeiten hätten, Geld zu sparen, d.h. sich von ihrer finanziellen Verpflichtung der Polis gegenüber zu drücken; von Verpachtung von Trierarchien hören wir auch sonst öfter, von diesem speziellen Mißbrauch der Leitung der Syntelie allerdings nur hier. Sie sehen, daß wir da zumindest an den Rand von Bereichen gekommen sind, die jenseits dessen liegen, was bei der Diabole zu besprechen war. In den letzten Beispielen wurde zwar ebenfalls Kritik an Verhaltensweisen geübt, aber offenbar nur in Extremfällen, während im allgemeinen in diesen Bereichen - Flottenkommandos und Trierarchien dienten als Beispiele - eine Verquickung privater Interessen mit den öffentlich-rechtlichen Erfordernissen in einer Weise akzeptiert worden zu sein scheint, die wir als korrupt bezeichnen würden, die jedoch von den Zeitgenossen nicht so empfunden wurde. Hier freilich können nur systematische Untersuchungen weiterführen, die über die Redner hinaus die anderen Materialkomplexe einbeziehen, wie die Historiographie, die übrige Prosa und die Inschriften. Diese Untersuchungen werden schwieriger sein als bei meinem Thema.
"" D. 21, 167; Demosthenes läßt sich dann den Vorfall von Zeugen bestätigen, aber der in die Rede eingelegte Text des Zeugnisses ist wieder unecht, vgl. DRERUP a.a.O. (Anm. 29) 313 f. 89 Zu den Symmorien (und zu der Stelle der Midiana) vgl. meinen Kommentar zur Kranzrede a.a.O. (Anm. 8) 554-572 (zu §§ 102-104), ferner jetzt E. RUSCHENBUSCH, Die athenischen Symmorien des 4. Jh. v. Chr., ZPE 31, 1978, 275-284, wo die ältere Literatur zu finden ist. D. 2 1 , 155.
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Fusco Sie haben die Meinung geäußert, daß diese Redner umfangreiches Material zur Untersuchung der Korruption bieten. Ich bin aber nicht sicher, ob das Material dazu dienen kann. Ich habe den Eindruck, daß die Tatbestände, die Sie aus diesen Reden isoliert haben, doch Tatbestände sind, die, wie Sie selber gesagt haben, unter z. B. Unterschlagung zu subsumieren sind, worunter ich z. B. Veruntreuung von öffentlichen Geldern verstehe, oder wir haben wie im Fall der Gesandten oder wie im Fall von Thrasybul - Tatbestände von Landesverrat oder die wenigstens an Landesverrat grenzen. Aber die Fälle, in denen man versucht, von den Beamten die Unterlassung einer von seinem Amt gebotenen Handlung, oder die Vornahme einer Handlung zu erzwingen, die habe ich nicht deutlich erkannt. Diese ganzen Beispiele von Diabole scheinen mir mehr darin zu bestehen, daß man versuchte, die, auf italienisch würde man sagen: disonestà der Beamten, d.h. die Unehrenhaftigkeit dieser Beamten zu beweisen, und nicht Korruption. Es ist klar, dieser Begriff von Unehrenhaftigkeit ist sehr weit, und er müßte auch definiert werden. Aber ich sehe diese Beispiele mehr in dieser Richtung als in der der Korruption. Breebaart Sie haben gezeigt, daß es eigentlich drei Sachen gibt: Es gab eine Realität der Korruption (oder was wir unter Korruption verstehen), es gab viele Möglichkeiten zur Korruption, und es gab die Haltlosigkeit der Anschuldigungen in der Diabole. Wenn es eine Diabole gab, dann müssen die Leute doch eigentlich irgendwie zu beeinflussen gewesen sein von diesen Argumenten. Man muß also eine gewisse Angst gehabt haben auch vor Korruption. Oder wollen Sie sagen, daß die Diabole nur eine leere Form war? Ich glaube das nicht. Wenn man aus den Anschuldigungen schließen könnte, daß man vor Korruption Angst gehabt hat, dann kommt es zu einer weiteren Frage: Kann es Angst vor Korruption geben, auch wenn es keine Korruption gibt? Ich erinnere mich, daß in Heidenheimers Buch auch das Problem besprochen wird, daß es auch dann Angst vor Korruption gibt, wenn diese selbst nicht existiert oder jedenfalls nicht in dem vermuteten Ausmaß. Man kann auch fragen, ob die Lage in Athen im 4. Jahrhundert nicht durch verschiedene Umstände schwierig geworden war, so daß man z. B. ein gewisses Mißtrauen gegen den Privatbesitz bekam in dem Sinne, daß man viel öfter dachte, daß die Leute den Privatbesitz gegen den Demos und für eigene Interessen einsetzen. Schließlich ist die Betrachtung des Sozialgefüges insgesamt auch wichtig bei diesen Fragen.
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Liebs Ich möchte bei der Frage der Abgrenzung der Korruption auf zwei Punkte hinweisen. Zunächst auf die Kriegsbeute. Bei den Römern gab es ein regelrechtes Beuterecht. Es besagte, daß die Beute abzuliefern war, aber die am Sieg Beteiligten mußten einen Teil der Beute, abgestuft nach Bedeutung, zurückbekommen. Für Korruption blieb so nur übrig jene Beute, die nicht abgeliefert und nach dem Verteilungsschlüssel verteilt, sondern die insgesamt behalten wurde. Beute nach außen zu machen war aber völkerrechtlich anerkannt, so daß man das nicht unter Korruption bringen kann. Das andere ist das Problem der Bereicherung durch die Inhaber öffentlicher Ämter. Es ist ja bekannt, daß, als Adenauer starb, seine Familie jedenfalls sehr reich war, wenn auch er selber schon nicht mehr so sehr. Ich habe gelesen, daß er in den 20er/30er Jahren mit Glanzstoffaktien Geschäfte gemacht hat. Frage: War das wirklich Korruption? Er hatte ja wohl nur Insider-Informationen ausgenutzt. Ein öffentliches Amt zu erlangen verschlingt, etwa durch Wahlunkosten, große Summen, und irgendwie muß man seine Kosten ja wieder hereinbekommen. Ist das schlichte Ausnutzen von Insider-Informationen schon Korruption? Das wird man heute noch nicht sagen können. Es gibt in Deutschland m. W. nur erst Pläne, es zu verbieten. Deshalb würde ich vorschlagen, die Bereicherung durch die Innehabung eines öffentlichen Amtes nicht pauschal einzubeziehen. Wolff Ich möchte zunächst an das a n k n ü p f e n , was Herr Breebaart eben gesagt hat. Und zwar möchte ich noch das dazufügen : Die Anschuldigungen in der Diabole über A n n a h m e von Bestechungsgeldern, die mögen größtenteils falsch gewesen sein. Aber d a ß die Diabole in den Gerichtsreden so eine Rolle spielte, das ist ja auch schon interessant; ob sie stimmte oder nicht, ist ganz gleichgültig. Dies zeigt doch, daß man mit so was einen Mann sehr in der allgemeinen Schätzung herabsetzen konnte, nach dem Prinzip semper aliquid haeret. Man wird das eben einfach behauptet haben, und die Dikasten werden mindestens doch mißtrauisch geworden sein und sich überlegt haben: Ja, kann man dem Mann dann wirklich noch glauben, wenn alles das von ihm behauptet werden k a n n ? Das war das eine. Das andere ist dies: Für mich war das Interessanteste an Ihrem Vortrag, daß Sie sagten, d a ß die aktive Bestechung wesentlich härter bestraft wurde als die passive Bestechung. Das war mir neu - das ist meine eigene Schuld, daß mir das neu war - , aber deswegen war es mir nicht weniger interessant. Meines Erachtens sieht man daran, d a ß aktive Bestechung gar nicht als Korruption angesehen wurde, sondern ich glaube, das gehörte zu dem Komplex von Tatbeständen, die die Athener als Unterminierung der Demokratie angesehen haben. Durch aktive Bestechung hat man sich politische Freunde verschafft, und die Athener hatten ja immer Angst vor der Tyrannis. Wenn man das genügend energisch betrieb, konnte
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man eventuell solche Macht bekommen, daß man sich schließlich als Tyrann aufmachte. Ich glaube, das ist der Grund, weswegen die aktive Bestechung so hart bestraft wurde. Das ist also von der Korruption zu trennen. Wankel Zu Herrn Fusco zunächst: Es ist die Frage natürlich der Definition. D a ß aber unter den Beispielen Unterschlagung und Bestechung überwogen hat, das hat einen statistischen Grund, denn das ist tatsächlich der häufigste Vorwurf. Immerhin gibt es unter den Vorwürfen gegen Timarchos, wo er als Logist operierte, die erkaufte Unterlassung einer Amtshandlung, nämlich daß er die Leute, die eine Unterschlagung gemacht hatten, im Rechenschaftsverfahren nicht belangt hatte; das ist also ein solches Beispiel von denen, wie Sie sie gesucht haben. Ich würde mich anheischig machen, mehrere dieser Art zu suchen. Im übrigen glaube ich, daß wir überhaupt nicht weiterkommen bei der ganzen Unternehmung, wenn nur das untersucht wird, was jeweils von den Zeitgenossen als Korruption betrachtet wurde; das andere ist vielleicht sogar viel interessanter, als Unterschied. Das Wort gab es natürlich nicht in der Weise, es gab keinen zusammenfassenden Ausdruck etwa für all das, was ich jetzt an Beispielen vorgeführt habe. Es ist sehr häufig von διαφθείρειν die Rede, also was dem corrumpere entspricht, aber es ist ein sehr vager Ausdruck und kann Bestechung bedeuten auch ohne zugesetztes χρήμασι etwa. Was nun Herrn Breebaarts Beitrag betrifft, so würde ich die Angst vor der Korruption bei diesen Dingen doch nicht so sehr in den Vordergrund schieben. Bei den Vorwürfen „sein Vater war ein Sklave" oder „er hat sich das Bürgerrecht erschlichen" könnte man natürlich auch unter Umständen folgern: J a , diese sehr exklusiven athenischen Bürger hatten Angst, daß sie unterwandert würden von Parvenüs und Eindringlingen. Das würde ich aber nicht so sehen, sondern sie haben einfach alle Möglichkeiten zur Beschimpfung des Gegners genutzt. Sonst müßte man j a auch bei den Vorwürfen der Prostitution, die offensichtlich auf derselben Ebene serviert werden, irgend etwas Ähnliches vermuten können, aber das kann man nicht. Ich würde so sagen: Man muß die Korruptionsvorwürfe in der Diabole etwas anders betrachten als Korruptionsvorwürfe ζ. B. bei Anklagepunkten. Ich habe j a angedeutet, daß es Lysiasreden gibt, wo es in Gerichtsverfahren regelrecht um Bestechungs- oder Unterschlagungsvorwürfe geht. Das liefert wohl Belege für Korruption, aber nicht für mein engeres Thema der Diabole. Mir kam es natürlich vor allem darauf an, mit meinem Material etwas für die Suche nach den Kriterien beizutragen, mit dem Material also, das die Historiker ständig nutzen. Wenn etwa von Kallias oder Perikles oder Kleon etwas Einschlägiges gesagt wird, dann besteht die Gefahr, daß das heute zu leicht übernommen wird. Lesen Sie den RE-Artikel über K l e o n ! Ich dagegen bin auf Grund dieser Kriterien davon überzeugt, daß er „reine H ä n d e " hatte - die Vorwürfe sind einfach nur angedichtet. Aber: Wenn es fünf- oder sechsmal in
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einer Komödie vorkommt, in anderen Komödien auch noch, und schließlich bei Plutarch wieder auftaucht, d a n n glaubt man es eben schließlich doch. Man darf es aber, meine ich, nicht glauben; jedenfalls kann man damit nicht einfach so arbeiten: Kleon jedenfalls, nach dem Befund, so wie wir ihn haben, ist keine Bestechung nachzuweisen, wenn das Hauptmaterial aus Aristophanes stammt. Breebaart Es ist offenbar schwer, eine Beziehung aufzuzeigen zwischen allgemeinem Unmut in der athenischen Demokratie gegen Politiker, die das ihnen anvertraute Geld für ihre privaten Zwecke nutzen und konkreten Anklagen wegen solcher Vorgänge. Was mich interessiert, ist gerade diese Verbindung: K a n n man da Genaueres feststellen? Wankel Ich glaube nicht, denn zum Teil sind wir ja von dem Überlieferungsbefund abhängig. Es ist ein reiner Zufall, daß wir etwa bei den Anklagen im Gesandtschaftsprozeß 343 oder bei der Harpalosaffäre wegen der Prominenz der Beteiligten so ausführliches Material haben, im Beispiel des Harpalosprozesses nur die eine Seite. Und, um auf diesen bekanntesten Prozeß noch vielleicht kurz einzugehen: Demosthenes selbst hat ja die ganze Untersuchung des Areopags, die ihm schließlich auch den Hals gebrochen hat, selbst veranlaßt - welche Torheit! Und der Areopag hat ein ganzes halbes Jahr verhandelt und hat keinen ausführlichen Befund herausgegeben, nur N a m e n genannt, und dann haben sich die Ankläger - darunter Hypereides, der längst ein Todfeind des Demosthenes geworden war - die Leute vorgenommen; den Rest kann man sich denken. Und ein Mann wie Aischines hat bei dem ersten Prozeß, aus dem wir eine Rede von ihm haben, sich noch der Zusammenarbeit mit Philokrates gerühmt und hat erklärt: Ich habe den Frieden mit Philokrates zustande gebracht. Als Philokrates von der Bühne war, hat er das alles dem Demosthenes in die Schuhe geschoben. Das heißt also, in diesem Bereich ist wirklich Material, mit dem man kaum mehr arbeiten k a n n ; und die berühmten Feldherrenprozesse, an die Sie vielleicht denken, so aus der Zeit des Bundesgenossenkrieges, da haben wir ja eigentlich kaum direktes Material, nur indirektes. Koch Was bleibt dann aber übrig? Wenn Sie auf diese Weise das halbvolle und das halbleere Glas Wasser verkaufen, bleibt für mich nichts übrig als der Tatbestand, daß es eine sozialethische N o r m „Unbestechlichkeit" gab und darüber viel Gerede, viel wechselweiser Vorwurf, d a ß gegen diese gesündigt werde. Sie unterschätzen, glaube ich, den politischen Effekt bei diesen Dingen. Der Korruptionsvorwurf wird ja als Keule hin- und hergeworfen. Und was bleibt nun f ü r eine Korruptionsforschung materialiter übrig?
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Wankel Ich glaube nicht, daß ich die politische Bedeutung dieser Dinge unterschätze. Ich habe nun vielleicht in diesem Zusammenhang auch noch die Bemerkung von Herrn Wolff aufzugreifen. Ich habe ja nicht geleugnet, daß das Einfluß auf die Richter hatte, im Gegenteil: Ich habe ja ausdrücklich gesagt, daß alles das wohl im Grunde - ohne daß man es auch aussprach - deshalb angewandt wurde, weil man der Überzeugung war, daß semper aliquid haeret. Man hat sich von diesen Dingen Erfolg versprochen und hat sicher auch dann und wann Erfolg gehabt, sonst wäre die Häufigkeit dieser Vorwürfe nicht zu erklären. Die Heliasten haben sich schließlich wohl auch wirklich beeinflussen lassen durch diese Dinge, und die Sprecher aus den Lysiasreden, die ich zitiert habe, machen das ja sehr deutlich. Um ζ. B. auf den Kranzprozeß zu kommen: Das Urteil im Kranzprozeß war ein politisches Urteil; Aischines, der Ankläger, war wahrscheinlich im Recht, und trotzdem wurde Demosthenes praktisch freigesprochen. Hier haben die Dinge offenbar doch gewirkt; es sind also durchaus politische Implikationen, die ich nicht leugne. Natürlich ist es für den Historiker schlimm, wenn ihm ein großer Teil der wichtigsten Quellen verdächtigt wird. Aber andererseits hat es auch keinen Sinn, immer wieder mit Dingen zu arbeiten, mit denen man nicht arbeiten kann. Ich will damit nicht sagen, daß das heute noch weiterhin geschieht. Aber es war eine Generation, die das getan hat, und die hat die Lexika-Artikel geliefert, mit denen heute noch gearbeitet wird. Koch Es ging mir um etwas anderes, nämlich darum, diese doppelte Ebene deutlich zu machen. Es hat offenbar Korruption gegeben, aber wir wissen nicht genau, wo und wann. Hingegen wird in der Diabole der Vorwurf erhoben, dieser oder jener wolle korrumpieren oder sei korrumpiert worden. Das Unerfreuliche daran ist, daß unter dem Strich nichts bleibt, was wir konkret verorten können. Wankel Das würde ich nicht sagen. Ich habe doch versucht zu unterscheiden, und ich habe sehr deutlich gemacht, daß das ganz allgemein Belege für Korruption sind; und etwa die Gesetze, die bei den Rednern zitiert werden, haben natürlich auch einen ganz realen Hintergrund. Wir müssen allerdings bei allen Einzelfällen, das war meine These, von Fall zu Fall prüfen, und wir können einen Korruptionsfall, den ein Redner bringt, nur unter Vorbehalt als historisches Material im konkreten Fall verwenden. Das ist meine Grundthese. Es gibt Fälle, wo ich meine, es ist sicher, daß hier stimmt, was er sagt, und in anderen Fällen - das waren meine Beispiele hauptsächlich - , daß man sagen kann: hier stimmt es sicher nicht oder wahrscheinlich nicht. Vielleicht darf ich noch mit einzelnen Bemerkungen enden. Zur Frage von Herrn Liebs be-
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züglich der Prisen: Natürlich ist mir klar, daß es nicht als Korruption galt, daß man Beute machte. Nur gab es einen großen Spielraum für die Kommandeure. Im Grunde haben sie doch ein Amt benutzt, das Seekommando, sich zu bereichern, und natürlich fragte vielfach in Athen offenbar niemand danach, wenn sie Kaufleute aus Chios oder sonstwo erpreßten und sich dafür bezahlen ließen, daß sie das Schiff nicht kaperten. Diese kamen nach Athen und beschwerten sich, und dann gab es dieses politische Theater, von dem die Demosthenesrede zeugt, aus der ich zitiert habe. Ich habe nun versucht, die zwei Bereiche - die militärischen K o m m a n d o s und die Trierarchie - hervorzuheben als die, wo es noch weitergeht in die Richtung, die nicht mehr erfaßbar ist mit dem, was ich in der Diabole besprochen habe; das ist aber ein Bereich, wo wir unter Umständen von Korruption sprechen würden, die Zeitgenossen es aber o f f e n b a r nicht getan haben, weil sie es nicht als anstößig empfunden haben. Z u Herrn W o l f f : Er hat zwei Dinge genannt: das eine habe ich gerade beantwortet; das zweite, daß die aktive Bestechung von Richtern und Beamten offenbar stärker bestraft wurde als die passive, das möchte ich insofern einschränken, als ich das zum Teil für einen Überlieferungszufall halte. Die zwei Gesetze, die zitiert werden - leider nicht im Wortlaut, sondern nur paraphrasiert - , bei denen es um aktive Bestechung geht, kommen bei den Rednern vor. Andererseits kam aber Todesstrafe für passive Bestechung offenbar nach dem Eisangeliegesetz vor. Ich würde aber nach dem Befund und nach den Zufälligkeiten, mit denen wir rechnen müssen, nicht ausschließen, daß auch tatsächlich passive Bestechung nach einem anderen Gesetz unter Strafe stand, von dem wir zufällig nichts hören. Und denken Sie daran, daß wir etwa im Falle der Unterschlagung zufällig nur aus der Athenaion Politeia von dieser zehnfachen Buße hören. Demgegenüber die Todesstrafe in Piatons Nomoi für die Unterschlagung von Staatsgeldern! Offenbleiben muß allerdings, ob Piaton ein Zeuge für wirkliches Recht ist: Entweder hat Piaton bestehendes Recht verschärft, oder er hat bestehendes übernommen, da es seinem Denken nicht fremd war; ich neige zu letzterem. Schuller Ich danke Ihnen f ü r die Hilfen, die Sie uns Historikern im Faktischen geliefert haben, und auch - das möchte ich besonders betonen - dafür, daß Sie das, was ich Grauzone genannt habe, zum Schluß noch einmal genannt haben: Die Verschiedenheit der Maßstäbe.
Hans Martin Kümmel
Bestechung im Alten Orient*
Die Frage nach Korruption im Alten Orient trifft den Altorientalisten, wenn nicht überraschend und unvorbereitet, so doch schlecht ausgerüstet. Weisen schon die gängigen Nachschlagewerke und Gesamtdarstellungen altorientalischer Kultur in ihren Stichwortverzeichnissen kaum einmal das Stichwort „Korruption" oder „Bestechung" 1 auf, so fehlen Spezialuntersuchungen als Voraussetzung für solidere Aussagen ebenso wie etwa geschichtliche Darstellungen der altorientalischen Staatsformen und ihrer Verwaltungen, die wenigstens in Randkapiteln die Problematik des Korruptionsthemas behandeln. Freilich zeigt sich bei intensiver Beschäftigung damit, daß auch die unmittelbaren Quellen zur Frage etwa des Zugangs zu öffentlichen Ämtern, zur Ernennungspraxis, Laufbahn oder dergleichen sehr spärlich fließen, daß wir kaum direkte Information über den Regelfall haben, von dem sich dann eben der irreguläre, normwidrige Fall abheben müßte und darstellbar würde. Das gilt entsprechend auch zu dem Begriff Bestechung als dem engeren Begriff von Korruption. Freilich wird sich das Quellenmaterial zur Korruption durch aufmerksame Sammelarbeit gewiß über das hier Vorgelegte hinaus vermehren lassen. Umso mehr kann das Folgende nur als ein vorläufiger Versuch verstanden werden, auf philologischem Zugangswege derjenigen Eigenbegriffiichkeit altorientalischer Kultur im Sinne Benno Landsberger 2 näherzukommen, die für unser Denken mit dem Begriff Korruption verbunden wäre. Moderne Begrifflichkeit soll dabei zwar als vorläufige Fragestellung, nicht aber vorschnell als Maßstab angelegt werden. In diesem Sinne ist die Beschränkung auf einen modernen Begriffsbereich als zunächst hypothetisches Zugriffskriterium sicher legitim. In einem der zahlreichen Briefe zu Rechts- und Verwaltungsfragen, die König Hammurapi von Babylon (1728-1686 nach der sog. Kurzchronologie) an seine Beamten und Vertrauensleute in der altbabylonischen Stadt Larsa geschrieben hat, wird der folgende Fall behandelt. Hammurapi referiert zunächst, ein gewisser Summan-lä-ilum habe ihm folgendes berichtet: „In (der
* Überarbeitete u n d d u r c h A n m e r k u n g e n ergänzte Vortragsfassung. ' Hier wäre n u r der k n a p p e Artikel „ B e s t e c h u n g " von M. SAN NICOLÒ, Reallexikon der Assyriologie 2 (Berlin-Leipzig 1938) 19, zu n e n n e n . 2 B. LANDSBERGER, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt, Islamica 2 (1926) 355-372 ( N a c h d r u c k D a r m s t a d t 1965).
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Hans Martin Kümmel
Stadt) Badtibira ist Bestechung vorgekommen, und es gibt Leute, die Bestechungsgeschenke angenommen haben, und Zeugen, die diese Vorgänge kenn e n . " Hammurapi ordnet daraufhin folgendes an: „Ich sende nun besagten Summan-lä-ilum (unter polizeilicher Begleitung) zu Dir. Sobald Du diese Brieftafel siehst, untersuche den Fall, und wenn (wirklich) Bestechung vorgekommen ist, dann versiegele das Silber und alles (sonst), was man als Bestechungsgeschenke angenommen hat, und sende es mir. Die Leute, die Bestechungsgeschenke angenommen haben, und die Zeugen, die die Vorgänge kennen, die Dir besagter Summan-lä-ilum zeigen wird, laß mir vorführen." 3 Der Fall scheint nach der Übersetzung völlig klar: Der Verdacht der Annahme von Bestechungsgeschenken soll mit Hilfe des Anzeigenden, der mit polizeilicher Bedeckung zu diesem Zweck nach Larsa gebracht wird, an Ort und Stelle sofort überprüft werden, bei Bestätigung des Verdachts sollen zunächst die Bestechungsgeschenke beschlagnahmt, versiegelt und mitsamt Beschuldigten, Zeugen und dem Anzeigenden vor den König Hammurapi selbst gebracht werden - zweifelsohne zur gerichtlichen Klärung. So weit, so klar. Freilich unter einer Bedingung: daß nämlich das von uns oben jeweils so eindeutig mit „Bestechung" bzw. „Bestechungsgeschenk" übersetzte Wort zweifelsfrei auf diese präzise enge Bedeutung einzugrenzen sei. Das ist nun aber bei dem akkadischen Wort datum (da'tum, tätum)4 nicht der Fall. Unsere obige Deutung ist nur aus dem sachlichen Kontext begründbar, nicht aus dem allgemeineren Gebrauch des Worts, der im Folgenden zunächst, auch als Beispiel für parallele Begriffe, dargestellt werden soll. Gleichzeitige Briefe und Wirtschaftsurkunden der altbabylonischen Zeit zeigen dätum sonst meist als Terminus für eine bestimmte, durchaus vorhersehbare und einkalkulierte Art von Reisekosten 5 , neben anderen Spesen wie z. B. Eselsmiete, Botenlohn usw. Wenn ausnahmsweise einmal ein Empfänger genannt wird, handelt es sich um höhere Beamte oder Palastfunktionäre. In der Regel bleibt der Empfänger jedoch ungenannt. Es scheint sich bei dätum um eine vielleicht nicht unmittelbar notwendige, aber übliche und auch nicht ganz freiwillige Abgabe, Gebühr oder dergleichen zu handeln. Besser und einheitlicher belegt ist dasselbe Wort in den etwa gleichzeitigen altassyrischen Texten der kappadokischen Handelskolonien 6 . Dort erscheint dätum recht regelmäßig in Abrechnungen über Reisekosten der Handelskarawanen, und zwar offenbar proportional zur Reiseweglänge steigend, bis zu einem Maximum von 10 Prozent des Warenwerts, in dieser Höhe verständlich J
R . F R A N K E N A , A l t b a b y l o n i s c h e B r i e f e in U m s c h r i f t u n d Ü b e r s e t z u n g 2: B r i e f e a u s d e m M u s e u m ( L I H u n d C T 2 - 3 3 ) . L e i d e n 1966, N r . 11 ( S . 8 f . ) ; vgl. V E E N H O F (S. A n m . 4 ) , 221.
4
D e r g r ü n d l i c h e n U n t e r s u c h u n g von dätum d u r c h K . V E E N H O F , A s p e c t s o f O l d A s s y r i a n T r a d e a n d its T e r m i n o l o g y , L e i d e n 1972, 2 1 9 f f . , v e r d a n k t die f o l g e n d e D a r s t e l l u n g d e n g r ö ß t e n T e i l ihres M a t e r i a l s . A u c h die l a u t l i c h e A n s e t z u n g als dätum s c h l i e ß t sich V E E N H O F S A r g u m e n t e n (ibid. 2 2 5 f f . ) an.
5
V E E N H O F , o.e. 2 2 0 f.
6
Vgl. V E E N H O F , o.e. 2 2 8 ff.
British
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wohl nur auf dem Hintergrund hoher G e w i n n s p a n n e n , denen ein beträchtliches Risiko gegenübergestanden haben dürfte. Es wird dabei erkennbar, o h n e d a ß das hier im Einzelnen vorgeführt werden k a n n , d a ß sich unter dem Terminus dätum offensichtlich eine Art ursprünglich freiwillig gewährter Geschenke, Bakschischs oder vergleichbarer Nebenkosten - zunächst wohl gedacht zur Gewährleistung freien u n d ungehinderten Durchzuges durch politisch-militärisch nicht von Assyrien beherrschte Gebiete - später zu einer Art regulärer Abgabe hin weiterentwickelt hatte, die d a n n auch, wie sich belegen läßt, als Forderung der E m p f ä n g e r sogar zwangsweise eingetrieben werden konnte. Ein besonderer u n d o f f e n b a r kleiner Teil solcher als dätum bezeichneter Zahlungen wurde an die zentrale Organisation der altassyrischen Kaufleute in K a p p a d o k i e n , das sogenannte Kärum von Kanesch, geleistet, vermutlich als Beteiligungsabgabe f ü r gemeinsame H a n d e l s u n t e r n e h m u n g e n . Der ursprünglichen, a n z u n e h m e n d e n Bedeutungssphäre desselben Worts dätum, d . h . eine Art Geschenk oder freiwillige Zugabe, stehen die Erwähnungen in den assyrischen Königsinschriften der späteren J a h r h u n d e r t e wohl etwas näher, so, wenn in der Titulatur Tukultl-Ninurtas I. (ca. 1234-1198) der Herrscher als rubû mähir däte-sunu „ d e r Fürst, der ihre (sc. der Unterworfenen) Ergebenheitsgeschenke e m p f ä n g t " 7 bezeichnet wird, in einem Zusammenhang, wo die E r w ä h n u n g von Tributen oder Huldigungsgaben erwartet werden kann. Ebenso wird in den historischen Berichten der assyrischen Herrscher des 7. Jh.s, bei Sanherib u n d Assurbanipal, dätum genannt, wenn ζ. B. berichtet wird, d a ß der König von Elam dätum aus Babylonien e m p f a n gen habe u n d d a r a u f h i n , wie o f f e n b a r erhofft, zu militärischer Hilfeleistung nach Babylonien aufgebrochen sei 8 . Hier zeigt sich j e d o c h die Bedeutungsnuance, die nicht ein zweckfreies Geschenk o h n e erwartete Gegenleistung meinen k a n n , sondern zu einem Begriff wie Bestechung überleiten könnte, ist doch dätum hier o h n e Zweifel gedacht als eine Vorausleistung auf ein dadurch zu motivierendes Tätigwerden des Beschenkten. Solchen präziseren Sinn verrät n u n der G e b r a u c h von dätum in einigen Texten aus der ostassyrischen, stark churritisch beeinflußten Stadt Nuzi des 15. Jh.s v. Chr., denen zufolge der dätum Schenkende o f f e n b a r fest erwarten durfte, d a ß der Beschenkte zu seinen Gunsten in einer Rechtssache tätig werden, einen Prozeß f ü h r e n würde'. Es bleibt allerdings offen, ob es sich bei dieser erwarteten Tätigkeit eher um eine amtsanwaltliche, anwaltliche oder richterliche Funktion handelt. Jedenfalls glaubt der Schenkende, einen An1
E. WEIDNER, Die Inschriften Tukulti-Ninurtas I. und seiner Nachfolger, Graz 1959 ( = Archiv für Orientforschung, Beiheft 12), 5 IV 37; 8f. Z. 37; 28 Z. 85f. " D. D. LUCKENBILL, The Annals of Sennacherib, Chicago 1924 (Oriental Institute Publications 2), 42f. V 30ff., vgl. R. BOROER, Babylonisch-assyrische Lesestücke, Rom 1963, II 76; M. STRECK, Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis zum Untergang Niniveh's. Leipzig 1916 ( = Vorderasiatische Bibliothek 7), Bd.2, 32f. III 136ff. (vgl. auch ibid. 184f. Rs.5ff.). ' J. J. F I N K E L S T E I N , The Middle Assyrian Sulmänu Texts, Journal of the American Oriental Society 72 (1952) 77-80, v. a. 78 f.
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spruch darauf erworben zu haben, wie z. B. das folgende wörtliche Zitat einer Klägerin vor Gericht gegen den Bürgermeister von Nuzi (in anderen Urkunden ähnlich gegen seine Funktionäre) zeigt: „Ich hatte dem P. ein Schaf als dätu gegeben, indem ich sagte: .Führe wegen meiner Felder den Prozeß gegen K.!' Den Prozeß hat er aber nicht geführt. Wegen meines Schafs habe ich ihn angesprochen; da hat er mich geprügelt und hat das Schaf doch behalten" 1 0 . Es galt somit weder das Angebot solcher Geschenke an staatliche Funktionäre, noch ihre A n n a h m e durch letztere in dem eben zitierten Text und seinen Parallelen als Unrecht oder als verwerflich; im Gegenteil wird es sogar als übliche Praxis vorausgesetzt. Die offen ausgesprochene Beschwerde richtet sich lediglich auf das Nichttätigwerden im Interesse des Schenkenden, bzw. auf das Behalten des Geschenks trotz dieser Untätigkeit. Ein Unwertgehalt solcher Schenkung an sich ist also in keiner Weise e m p f u n d e n worden. Ähnliche Praxis scheint es auch im übrigen Assyrien gegeben zu haben, freilich unter etwas anderen Umständen und mit einem parallelen Wort f ü r Geschenk, sulmänu, von dem unten noch die Rede sein soll. Andererseits ist auf einer anderen Überlieferungsebene, in literarischen Texten, sicher bereits im 2. Jt. v. Chr. Bestechung und Bestechlichkeit als moralische Verfehlung eindeutig gekennzeichnet, vor allem beim Richteramt, und hier wiederum am deutlichsten in den Epitheta und Prädikationen des babylonischen Sonnengotts Samas, der ja über Recht und Gerechtigkeit wacht und göttlicher Richter der Götter und des Universums ist. Immer wiederkehrend sind dabei Aussagen wie die folgenden: „Der, dessen Zusage kein Gott ändert, dessen Spruch er (ein Gott) nicht umstoßen k a n n " " , oder „Dein Ausspruch wird nicht geändert, das Wort deines Mundes nicht umgestoßen" 1 2 . Analog werden zwar solche Aussagen gelegentlich auch für andere Götter und irdische Herrscher gebraucht, nur bei Samas als Richter stehen jedoch Aussagen wie etwa: „ D e r Recht und Gerechtigkeit aufrechterhält, der mit sich zu Rate geht ohne Bestechungsgeschenk" 1 3 , oder, in kürzerer Formulierung, „Der Richter ohne Bestechungsgeschenk, der die Menschen recht leitet" 14 . In diesen Aussagen erhält das Wort dätum, ohne über das Urteil im
10
R. H. PFEIFFER, One Hundred New Selected Nuzi Texts, transliterated by R. H. PFEIFFER, with translations and commentary by E. A. SPEISER. New Haven 1936 ( = Annual of the American Schools of Oriental Research 16), No. 8, 28-33 (S. 18. 73), vgl. im selben Text Ζ. 63 ff. und (ohne N e n n u n g des Terminus dätu) N o . 9 (S.9. 74); vgl. FINKELSTEIN, I.E. 11 A. SCHOLLMEYER, Sumerisch-babylonische Hymnen und Gebete an Samas, Paderborn 1912, Nr.9, 4 f f . (S.64ff.), vgl. A. FALKENSTEIN-W. V. SODEN, Sumerische und akkadische H y m n e n und Gebete, Zürich u. Stuttgart 1953, 320. 12 SCHOLLMEYER, o.e. Nr. 13, 5f. (S.71 f.). Weitere analoge Aussagen verzeichnen die akkadischen Wörterbücher unter den Verben enûm, rtakärum und supêlum. " SCHOLLMEYER, o.e. Nr.6, 2 (S.58), vgl. E. EBELING, Revue d'Assyriologie et d'Archéologie orientale 49 (1955) 38, 31. 14
SCHOLLMEYER, o . e . N r . 1 8 , 6 ( S . 9 6 . 9 8 , v g l . FALKENSTEIN - v. SODEN. S . 3 2 1 ) ; 2 8 , 2 ( S . 1 1 3 f.) ; E . EBE-
LING, Quellen zur Kenntnis der babylonischen Religion I, Leipzig 1918 ( = Mitt. der Vorderasiatischen Gesellschaft 23/1), S.35f. Z. 22 f.
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einzelnen mehr zu sagen, in sich bereits unzweifelhaft eine pejorative Wertung. Diese selbe Forderung nach Unbestechlichkeit richtet der große SamasHymnus auch an menschliche Richter und droht sogar mit göttlicher Ungnade und Strafe für den korrupten Richter: „ D e n korrupten R i c h t e r wirst d u d i e F e s s e l n e r l e b e n l a s s e n , d e n , der B e s t e c h u n g s g e s c h e n k e a n n i m m t u n d n i c h t G e r e c h t i g k e i t w e r d e n läßt, wirst d u Strafe tragen l a s s e n ; d e r j e n i g e (aber), der nicht B e s t e c h u n g s g e s c h e n k e a n n i m m t u n d sich d o c h väterlich der S c h w a c h e n a n n i m m t , der ist d e m S a m a s a n g e n e h m , sein L e b e n wird l a n g e w ä h r e n ; der Richter, der mit sich z u R a t e g e h t , der ein g e r e c h t e s Urteil fällt, e i n e n Palast wird er v o l l e n d e n , e i n Fürstensitz w i r d s e i n e W o h n u n g sein." 1 5
Dennoch wird auch hier deutlich, d a ß nicht die A n n a h m e von Bestechung an sich sträflich und verwerflich sein soll, sondern eigentliche Grundlage der Wertung das gerechte Urteil, eben auch ohne Unterstützung durch Geschenke, auch zugunsten von (wirtschaftlich und politisch) Schwachen, sein soll. Das Auftreten von Bestechlichkeit gilt auch als kennzeichnend f ü r Unheilszeiten, wie sie in den Inschriften bestimmter Könige der jetzigen Heilszeit kontrastierend gegenübergestellt beschrieben werden, so bei Asarhaddon (681-669): „ M a n knebelte den Schwachen und schenkte ihn dem Mächtigen. In der Stadt gab es Bedrückung und A n n a h m e von Bestechungsgeschenken. Tag für Tag ohne Unterlaß stahl einer des anderen Eigentum." 1 6 Ähnlich stellt eine stark literarisch beeinflußte Würdigung Nebukadnezars II. (605-662) den Herrscher als König der Gerechtigkeit schlechthin dar, beschreibt aber zunächst den gegensätzlichen Weltzustand: „ D e r Starke tut dem Schwachen Gewalt an, für einen Prozeß ist er ihm nicht gleichwertig; der Reiche ist's, der dem Geringen alles wegnimmt; Statthalter und Fürst treten nicht an der Seite des Behinderten und der Witwe vor den Richter; und treten sie vor den Richter, so führt er nicht ihren Prozeß; der Richter nimmt Bestechungs- und Amtsgeschenke, gibt ihnen aber kein Gehör, sie erhalten nicht seinen Spruch." 1 7 Dem wird d a n n gegenübergestellt, daß der (jetzige) König nunmehr „Bestechungs- und Amtsgeschenke von der Bevölkerung fernhalte." 1 8 Nun ist das Motiv des Schutzes und des gerechten Richterspruchs bei Witwen und Waisen ein traditioneller literarischer Topos bei altorientalischen Königsinschriften seit früher Zeit. Auffälligerweise wird aber Unbestechlichkeit eines Herrschers dennoch sonst nie ausdrücklich genannt, Aus-
" W. G. LAMBERT, Babylonian Wisdom Literature, Oxford 1960, I32f. Ζ. 97-102; das in Z. 97 mit „ k o r r u p t " übersetzte Wort müßte wörtlich eher mit „schief, schräg" wiedergegeben werden. " R. BORGER, Die Inschriften A s a r h a d d o n s Königs von Assyrien, Graz 1956 (Neudruck Osnabrück 1967) ( = Archiv für Orientforschung, Beiheft 9), S. 12: Episode 3, Fassung c 1 , Z.7-13. " W. G. LAMBERT, Nebuchadnezzar King of Justice, Iraq 27 (1965) 1 ff., die zitierte Passage II 3 - 8 dort S . 4 f . 8. " Ibid. III 14 (S.6. 8).
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sagen dieser Art bleiben b e s c h r ä n k t auf d e n Richter. V o m H e r r s c h e r als Richter verlangen allerdings die Texte d e r sog. Weisheitsliteratur e b e n f a l l s ein gerechtes, nicht d u r c h Bestechung gebeugtes Urteil. So wird im sog. Babylonischen F ü r s t e n s p i e g e l " d e m Fürsten militärisches U n h e i l , v o m G o t t e Enlil a u s g e h e n d , vorhergesagt, „ w e n n m a n Bürger von N i p p u r z u m P r o z e ß vor ihn bringt, er ein Bestechungsgeschenk a n n i m m t u n d sie u n g e r e c h t b e h a n d e l t " . 2 0 W e n n hier Bestechlichkeit eines Herrschers n u r d a g e n a n n t ist, w o er richterliche F u n k t i o n e n a u s ü b t , so d ü r f t e die allgemein g e ü b t e Praxis politischer Ges c h e n k e wohl b e w u ß t a u s g e k l a m m e r t w o r d e n sein 2 '. I n n e r h a l b der s o g e n a n n ten Weiheitsliteratur mit ihren m e h r moralisch u n d sozialethisch als rechtlich b e g r ü n d e t e n N o r m e n w e r d e n vergleichbare M a ß s t ä b e freilich nicht n u r a n Richter u n d königliche Richter angelegt, s o n d e r n a u c h a n S t a a t s d i e n e r a u ß e r h a l b der Jurisdiktion. So wird im bereits zitierten sog. B a b y l o n i s c h e n Fürstenspiegel als ein o f f e n b a r t o d e s w ü r d i g e s Fehlverhalten a n g e s e h e n , „ w e n n ein Ratgeber o d e r h o h e r königlicher Beamter Bürger von N i p p u r , S i p p a r o d e r Babylon v e r l e u m d e t u n d Bestechungsgeschenke a n n i m m t " . 2 2 D i e logische F u n k t i o n der im letzten Satz d u r c h S p e r r u n g h e r v o r g e h o b e n e n K o n j u n k t i o n u n d ist allerdings nicht e i n d e u t i g : H a t der B e a m t e v e r l e u m d e t u n d n i m m t d e n n o c h ein Bestechungsgeschenk (von den V e r l e u m d e t e n ? ) an, o d e r n i m m t er es a n , weil er u m g e s t i m m t werden soll, o d e r sind gar V e r l e u m d u n g u n d Bestechlichkeit zwei alternative Vergehen, w ä r e „ u n d " also als „ o d e r " zu übersetzen? Als m ö g l i c h e V e r f e h l u n g eines Staatsdieners wird Bestechung a b e r auch in einer G r u n d s t ü c k s u r k u n d e (sog. K u d u r r u - G r e n z s t e i n ) des 12. Jh.s ν. C h r . g e n a n n t . D e r j e n i g e h o h e S t a a t s r e p r ä s e n t a n t , d e r u n t e r d e m E i n f l u ß von Bestechungsgeschenken u n d ä h n l i c h e n G a b e n einen u n r e c h t m ä ß i g e n Einspruch o d e r Eingriff gegen den r e c h t m ä ß i g e n E i g e n t ü m e r des G r u n d s t ü c k s d u l d e t , wird mit d e m Fluch d e r g r o ß e n G ö t t e r bedroht 2 3 . Direkte Evidenz f ü r ein tatsächlich d u r c h g e f ü h r t e s f ö r m l i c h e s V e r f a h r e n gegen einen d u r c h Bestechung k o r r u m p i e r t e n Richter o d e r B e a m t e n o d e r f ü r seine vollzogene A m t s e n t h e b u n g o d e r B e s t r a f u n g fehlt bisher völlig, u n d es ist auch nicht g a n z sicher, o b m a n § 5 des sog. K o d e x H a m m u r a p i , d e r v o n der A m t s e n t h e b u n g eines Richters h a n d e l t , der sein endgültiges Urteil nach-
" Lambert, Babylonian Wisdom Literature, I lOff. I.e. U f f . (S. 112 f.). Es m a g am R a n d e erwähnt w e r d e n , d a ß z. B. die islamische Rechtstradition zu diesem Problem, soweit sie es nicht ganz a u s k l a m m e r t , die politische F u n k t i o n des Königs bei G e s c h e n k e n b e w u ß t trennt von seiner richterlichen F u n k t i o n . Vgl. F. R o s e n t h a l , Gifts a n d Bribes: T h e Muslim View, Proc. of the American Philosophical Society 108 (1964) 135-144. 22 Lambert, Babylonian Wisdom Literature, S. 114f. Ζ . 4 5 f . ; eine weitere N e n n u n g von Bestechungsgeschenken ( k a d r û . s. u.) ibid. S. 218 f. Rs. IV 9 in einem schwer eindeutig interpretierbaren Sprichwort von einem S y k o p h a n t e n (?), der a m T o r als Gerichtsstätte Bestechungsgeschenke mit beiden H ä n d e n austeilt. 2J L. W. King, Babylonian Boundary-Stones a n d Memorial Tablets in the British M u s e u m , L o n d o n 1912, N o . X I K o l . I I 1 ff. (II 6 dala qïsàti u Sulmona). 20 21
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träglich geändert hat, wirklich hierher stellen darf 24 , da uns die Art der Motivation und inhaltliche Ausprägung der Urkundenänderung nicht bekannt sind. Auch die einmalige Nennung eines Prozesses betreffs (wegen?) eines Bestechungsgelds, der in einer Liste möglicher Ursachen magischer Bedrohung durch einen Eid aufgeführt wird, kann nicht ohne weiteres als Beleg für wirklich durchgeführte Prozesse gegen korrupte Richter oder Beamte verstanden werden, sind doch in solchen Listen sehr oft alle nur möglichen Fälle in angestrebter Vollständigkeit ohne Rücksicht auf Realität und Wahrscheinlichkeit zusammengestellt worden, die Systematik der Kompilation zudem uns nicht immer durchsichtig. In einigen der zuletzt zitierten Textbelege sind, ohne daß ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, neben dätum zwei weitere Wörter im Sinne von Bestechungsgeschenk interpretiert worden. Bleibt die Etymologie von dätum/ da'tum/tätum unsicher 25 , so ist sulmänum gewiß vom semitischen sulmum „Heil, Gesundheit" abzuleiten und ziemlich sicher in seinem primären Bedeutungsfeld auf eine Gabe, die der Gast bei seiner Begrüßung, bei seinem Heilswunsch, überreicht, festzulegen, ein „Begrüßungsgeschenk" also. Dementsprechend ist es auch der häufigste Terminus für die nicht vertraglich festgelegten Abgaben, ζ. B. der syrischen Versallen des assyrischen Reichs, für freiwillige Huldigungsgaben von Nachbarn und Untertanen. Das dritte Wort, akkadisch kadrûm26, wurde dem sumerischen kadra entlehnt. Sein Bedeutungshintergrund ist zunächst wohl ebenfalls eine freiwillige Gabe, die aber auch an Götter gegeben wird. Letzteres ist sehr selten bei sulmänum, für dätum anscheinend im positiven Sinne nie belegt, kadrûm, als Geschenk an Götter durchaus auch als Opfergabe zu verstehen, wird ebenfalls im Sinne eines Bakschisch gebraucht. Bereits in einem der frühen sumerischen Belege, in einer neusumerischen Gerichtsurkunde um 2000 v.Chr., dient es aber auch als Bezeichnung einer Art Gebühr, die ζ. B. an einen Beamten in amtsanwaltlicher oder untersuchungsrichterlicher Funktion entrichtet wird 27 . Daß andererseits solche oder ähnliche Gebühren gerade durch den Mangel fester tariflicher Festlegungen sehr leicht durch Einzelwillkür den Charakter drückender Zwangsforderungen hatten annehmen können, mag man mit Recht aus einer Bestimmung der sog. Reformtexte des altsumerischen Herrschers
14
Vgl. dazu J. G. LAUTNER, Die richterliche E n t s c h e i d u n g u n d die Streitbeendigung im altbabylonischen Prozeßrechte, Leipzig 1922 ( = Leipziger Rechtswissenschaftliche Studien 3), 4 5 f f . ; G . R. DRIVER-J. C. MILES, T h e Babylonian Laws, O x f o r d 1952-1955, I 6 8 f f . ; II 14f. 25 W. v. SODEN, Akkadisches H a n d w ö r t e r b u c h I (Wiesbaden 1965) verweist s.v. da 'tu auf ¡a'tu; bei einem Lautansatz dätum < da tum erscheint andererseits eine Zugehörigkeit zum bei v. Soden o.e. 168 a u f g e f ü h r t e n N o m e n di'atum zur zweikonsonantigen Basis des semitischen Verbums f ü r „wissen, e r k e n n e n " nicht ausgeschlossen. Also dätum = „ E r k e n n t l i c h k e i t " o . ä . ? 26 A. SJÖBERG, Orientalia N S 39 (1970) 81 ; W. v. SODEN, A k k a d . H a n d w ö r t e r b u c h 1 4 1 9 ; T h e Assyrian Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago, Vol. 8 (K), C h i c a g o u. G l ü c k s t a d t 1971, 32 f. 2 ' Α. FALKENSTEIN, Die neusumerischen G e r i c h t s u r k u n d e n I. M ü n c h e n 1956, 54.
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Urukagina 2 8 von Lagas schließen: Sie stellt der bisherigen mißbilligten Praxis, daß nämlich bei einer Ehescheidung der Stadtfürst und sein Wesir nicht unerhebliche Silberbeträge genommen hätten, die neue Regelung (als Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands) ohne Abgabepflicht gegenüber 2 '. Selbst wenn man berücksichtigt, daß diese Reformtexte primär motiviert sein dürften durch den Legitimationszwang des Usurpators Urukagina, der eben durch Wiederherstellung des göttlich gewollten Idealzustands seinen Herrschaftsanspruch ideologisch stabilisieren wollte, so verrät dieser Text doch ganz sicher direkt etwas von der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Realität. Die Erfahrungswelt des einfachen Bürgers im Zusammenhang mit solchen „ G e s c h e n k e n " spiegelt sich auch in einer humoristischen Erzählung, der Geschichte vom „Armen Mann von Nippur" mit dem weit verbreiteten Märchenmotiv des schlecht behandelten kleinen Manns, der sich an dem Beamten rächt. Der Text, überliefert erst im neuassyrischen Sultantepe 3 0 , dürfte nach inhaltlichen Kriterien auf Zustände des frühen 2. Jt.s in Nippur zurückgehen. Hier soll nur die einschlägige Passage vom Anfang der Erzählung referiert werden: Der Held der Geschichte begibt sich mit seiner einzigen, ihm verbliebenen Habe, einer Ziege, zum Bürgermeister von Nippur und wird auch vorgelassen, weil er die Ziege als Präsent mitbringt. Empfangen wird er vom Bürgermeister jedoch gleich mit einer Frage, die auf den Hintergrund schließen läßt: „ W a s ist deine Gewalttat, daß du ein Bestechungsgeschenk mit Dir führst?" 3 1 D . h . wer ein Geschenk mitbringt, der will auch damit ein nicht ganz legales Anliegen unterstützen. Das Geschenk wird ohne Zögern selbstverständlich als Bestechungsgabe interpretiert, wobei unerheblich bleibt, ob es um eine am oder vom Bittsteller verübte Gewalttat geht; in beiden Fällen muß man sich des Wohlwollens der Obrigkeit versichern. Die Doppelbödigkeit der Moral wird dabei durch ein kleines Detail vielleicht noch deutlicher: Der Bittsteller führt die Ziege nämlich, wie ausdrücklich betont wird, mit der linken Hand. Auch nach dem Zeugnis bildlicher Quellen scheint nun bei einer normalen Darbringung das Geschenk mit der rechten Hand übergeben worden zu sein. Den Schlüssel zum Verständnis liefert hier wohl ein sumerisches Sprichwort: „In deiner rechten Hand sei ein Zicklein, in deiner linken sei ein Bestechungsgeschenk!" 3 2 Die beiden Ebenen von Geschenken haben demnach schon in der Gestik, im Protokoll, ihre klaren sichtbaren Entsprechungen, ohne daß es der Worte bedarf. Für den Eingeweihten wäre also der Zweck der G a b e gleich einsichtig gewesen. Geschenke an die wichtigen, die richtigen einflußreichen Leute bei Hofe haben offenbar am assyrischen H o f des 7. Jh.s v.Chr. eine entscheidende 28
" 31
"
Möglicherweise eher Uruinimgina zu lesen. Urukagina, Ovale Platte II 15ff. I I I 1 2 f . ; vgl. S. N. Kramer, T h e Sumerians, C h i c a g o 1 9 6 3 , 3 2 1 . O. R. Gurney, Anatolian Studies 6 ( 1 9 5 6 ) 1 4 5 f f . ; 22 ( 1 9 7 2 ) 149ff. Anatolian Studies 6, 152 Ζ. 40. E. J . Gordon, Bibliotheca Orientalis 17 ( I 9 6 0 ) 140 A n m . 139.
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Rolle gespielt. So klagt ein recht prominenter Arzt, Beschwörer und Astrologe33 in beredten Worten dem König brieflich sein Leid: „Der König, mein Herr, hat nun seine Zuneigung zur Stadt Ninive der Bevölkerung offen gezeigt, als er zu den Familienhäuptern sagte: .Bringt mir eure Söhne, sie sollen vor mir Dienst tun.' Urad-Gula ist mein Sohn; auch er möge stehen vor dem König, meinem Herrn, mit ihnen. Wir möchten uns mit allen Leuten zusammen freuen, tanzen und den König, unsern Herrn, segnen. Die aber im Palast Dienst tun, lieben mich alle nicht. Ein Wohltäter ist nicht unter ihnen, dem ich ein Begrüßungsgeschenk (sulmänu) geben könnte, daß er mich empfinge und sich meiner Sache annähme. Der König, mein Herr, habe Mitleid mit seinem Knecht," usw34. Daß der Usus solcher Geschenke, die als Regelfall vorausgesetzt werden auch in anderen zeitgenössischen Briefen, aber auch sehr mißtrauisch beobachtet wurde von anderer Seite, sei durch folgende drei Briefe belegt: Auf die Nachfrage nach ausstehenden Viehabrechnungen wird angeführt, die Hirten hätten die leitenden Beamten bestochen und seien daher offenbar noch nicht zur Abgabe ihrer Abrechnung gezwungen worden 35 . In einem vermuteten Unterschlagungsfalle wird vor der Befragung eines bestimmten Mannes gewarnt, weil dieser bereits Bestechungsgeschenke vom Hauptbeschuldigten genommen habe 36 . In einem dritten Schreiben werden drei wichtige Personen als unzuverlässig denunziert mit der Behauptung: „Solange die Leute (sc. dieser Stadt) ihnen nicht Bestechungsgeschenke geben, werden die Leute umkommen, und der Befehl des Königs bleibt verheimlicht." 37 Auch wenn die Art des königlichen Befehls ungenannt bleibt, wird doch deutlich, daß die drei Verdächtigten entweder durch Morddrohung „Geschenke" erzwingen oder nur nach „Geschenken" Mordbedrohten ihre Hilfe bieten. Hofämter scheinen nach dem oben zitierten Brief wohl kaum ohne Beziehung zu mächtigen Leuten und ohne finanzielle Nachhilfe erreichbar gewesen zu sein. Andererseits sind Fälle von förmlichem Ämterkauf im Schrifttum nicht faßbar. Der Vollständigkeit wegen sei jedoch ein Fall aus dem altbabylonischen Mari erwähnt. In einer Siedlung mit wohl halbnomadischer Bevölkerung war der bisherige staatliche Repräsentant verstorben, es erscheinen " Z u r Person u n d zum Briefcorpus A d a d - s u m - u s u r s s. K. DELLER, Die Briefe des A d a d - s u m u - u s u r , in: lisän milhurli, Fs. W. v. SODEN, Kevelaer u. Neukirchen-Vluyn 1969 (Alter Orient u n d Altes Testament 1), 45 ff. 14 S. PARPÓLA, Letters f r o m Assyrian Scholars to the Kings E s a r h a d d o n a n d Assurbanipal. Part I: Texts, Kevelaer u. Neukirchen-Vluyn 1970 (Alter Orient u n d Altes T e s t a m e n t 5/1), No. 121 (S. 88-91) rev. 6-20. 35 Ibid. No. 281 (S.230ff.) Z. 14ff. (Z. 20 sulmänu). "" Ibid. No. 315 (S.268f.) o b v . 6 f f . (rev. 9 sulmänu); vgl. ferner R. F. HARPER, Assyrian a n d Babylonian Letters belonging to the K o u y u n j i k Collection of the British M u s e u m , L o n d o n u. C h i c a g o 1892-1914, N o . 8 4 rev. 13; 459 o b v . 8 ' ; 1032 rev. 11. 11 M. DIETRICH, Die Welt des Orients 4 (1968) 226; id., Die A r a m ä e r Siidbabyloniens in der Sargonidenzeit (700-648), Kevelaer u. Neukirchen-Vluyn 1970 ( = Alter Orient u n d Altes Testament 7), Text [63] Vs. 18-20 (S. 162), vgl. ibid. S . 5 2 f .
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Hans Martin Kümmel
daraufhin die Dorfvertreter vor dem örtlichen Statthalter mit folgender Bitte: „Setz den K. als Kommissar über uns ein! Eine Mine Silber als seine Zusage hat er an den Palast bezahlt." Der Statthalter empfiehlt dem assyrischen Vizekönig in Mari demgemäß die Einsetzung des Genannten ins Amt des DorfSchechs 38 . Die nicht unerhebliche Summe von einer Mine Silber muß wohl als Kaufpreis oder eine vergleichbare Vorleistung für das Amt betrachtet werden. Sie entspricht im Kaufwert immerhin etwa 100 Schafen oder fünf bis sechs Sklaven. Die jährlichen Abgabepflichten der Ortschaft, für die der Eingesetzte verantwortlich war, betrug etwa 200-250 Schafe 39 , als jährliche Vergütung erhielt ein Dorfschech jedoch nur 10 Sekel Silber 40 , also ein Sechstel der vorausgezahlten Summe. Hier wird nun aber eine letzte Frage sichtbar, für die wir wohl kaum direkte Antwort aus den Quellen erwarten dürfen, die Frage nach der Attraktivität öffentlicher Ämter, die vermutlich nicht in der Höhe der Entlohnung bestanden hat, sondern abgesehen von persönlicher Macht und politischer Ambition stets mit dem Wissen um zusätzliche Einnahmequellen und deren Zugänglichkeit verbunden gewesen ist. Die stillschweigende Duldung der Praxis privater Zuwendungen für Gefälligkeitshandlungen von Amtsträgern erklärt zu einem guten Teil das bis in die Neuzeit mancherorts erstaunlich niedrige Niveau staatlicher Beamtenvergütungen.
" G . DOSSIN, Archives Royales de Mari V: C o r r e s p o n d a n c e de I a s m a h - A d d u , Paris 1952, N o . 2 4 , 10ff.; ähnlich in teilweise zerstörtem Kontext G . DOSSIN, Archives Royales de Mari I: Corresp o n d a n c e de Samsi-Addu, Paris 1950, No. 119 (S. 198f.); vom „Silber der S c h e c h - W ü r d e " (kasap sugágúli) spricht auch der von J. BOTTÉRO, Revue d'Assyriologie 52 (1958) 164 ff. edierte Text (no.311) Ζ. 16. " M. BIROT, Archives Royales de Mari I X : Archives administratifs de la salle 5 du Palais, Paris 1960, No. 70 (S. 46 f.) u n d 169 (S. 116 f.), vgl. S. 296 No. 83 u n d 298 f. No. 85, 1, auch zur Möglichkeit, d a ß es hier ebenfalls um den Z u g a n g zur sugägülu-Würde geht. J. BOTTÉRO, Archives Royales de Mari V I I : Textes é c o n o m i q u e s et administratifs, Paris 1957, No. 215 (S. 106 f.), vgl. S. 242.
Wolfgang Helck Korruption" im Alten Ägypten
Zu Beginn meines Vortrags muß ich bekennen: Ich bin verunsichert, wie dies bei interdisziplinären Diskussionen erfahrungsgemäß sehr häufig geschieht. Diese Unsicherheit liegt in der Schwierigkeit einer Definition der Begriffe, da diese von den verschiedenen Fachgebieten aus unterschiedlich vorgenommen wird. Erschwerend kommt dann hinzu, wenn der betreffende Begriff gar nicht vorhanden ist, weil juristisch nicht erfaßt, wenn er in einem bestimmten Bereich nicht anwendbar oder wenn in einer betreffenden Kultur für diesen Begriff kein gültiges Wort bekannt ist. Diese Überlegungen gelten auch für den Begriff „Korruption" in der altägyptischen Kultur. Ein Wort, das den für uns mit diesem Begriff verbundenen Sinn gehabt hätte, kennt der alte Ägypter nicht - wenigstens ist es im großen Wörterbuch von Erman-Grapow nicht registriert. Würden wir einem alten Ägypter unsere Vorstellung von „Korruption" erläutern und ihn dann fragen, ob es so etwas bei ihm auch gegeben hätte, so hätte er uns wahrscheinlich erklärt, was wir ihm geschildert hätten, wäre wohl als Abweichen von einem der Zentralbegriffe altägyptischem Weltverständnisses, von der Maat, durch einen „Beamten" oder sonstigen Machtträger anzusehen. Auf die zwangsläufig darauf folgende Frage aber, was nun Maat sei, würden wir sicherlich die gleichen unpräzisen Worte hören, die wir selbst sagen würden, wenn wir nach Recht und Unrecht gefragt würden: Maat sei von Anfang an bestehend, im Anfang der Dinge vom Himmel herabgestiegen und lernbar; wer sich an die von Gott gesetzten und vom König interpretierten Regeln hielte, würde sowohl im Leben wie im Jenseits gut fahren: „110 Jahre leben in der Gnade des Königs". Man würde sich letztlich mit dem ägyptischen Gesprächspartner einigen, daß sich unsere Frage auf Verstöße gegen allgemeine Verhaltensnormen bezöge, im engeren Sinn auf „Machtmißbrauch". Allerdings haben diese Verhaltensnormen, die Maat eben, eine Geschichte. Zu Beginn der altägyptischen Geschichte ist der König „Herr der Maat" 1 , d.h. sein Befehl setzt die Verhaltensnormen: Was er befiehlt, ist „recht". Er verleiht Teile seiner Allmacht an Prinzen, die mit dieser verliehenen Macht Anordnungen geben können. Bei diesen „Beamten" ist aber theoretisch ein Macht- und Amtsmißbrauch nicht möglich, da ja nicht er, sondern der König 1
So lautet noch der Horusname des Königs Snofru zu Beginn der 4. Dynastie.
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Wolfgang Helck
durch sie anordnet. Erst als mit der 4. Dynastie die ewige Sonne als eigentlicher Weltherrscher und somit als „Herr der Maat" erkannt wird und der König nur noch der ist, „der die Maat ausführt", kann es zu individuellen Handlungen und somit auch zu Amtsmißbrauch kommen. Dies läßt sich daran erkennen, daß in dieser Zeit, als der Mensch selbst eine gewisse „Eigenmächtigkeit" erkennt, die Möglichkeit des Handelns nach eigenem Willen und eigener Entscheidung, Protestbehauptungen in den Inschriften der Beamten aufkommen. Dabei steht etwa eine Bemerkung wie die folgende am Anfang: „Nicht habe ich jemals jemand seine Tochter oder seinen Acker weggenommen" 2 . Man erkennt also deutlich, worauf zunächst das Verlangen eines Beamten zielte und wo die Versuchung zum Amtsmißbrauch lag: bei der schönen Tochter des Befehlsabhängigen und bei seinem Besitz. Es zeigt sich aber hierbei, daß dieser Amtsmißbrauch nicht fest und für alle Zeiten abgegrenzt definiert ist, sondern daß er sich im Lauf der Zeit und unter dem Druck sich ändernder Verhältnisse wandelt: Noch das Dekret für den Totentempel des Snofru aus dem Beginn der 6. Dynastie am Ende des Alten Reiches verbietet ausdrücklich, daß die Königin, die Prinzen oder die Beamten, also die Oberschicht, Opferfelder des Totenkultes des Snofru in Besitz nehmen 3 . Diese Felder waren deshalb so begehrt, weil sie - wir würden sagen - steuerfrei waren: Sie gehörten dem toten König und nicht dem König der Gegenwart, standen also außerhalb der Gegenwart. Zudem waren sie auch schwer von der gegenwärtigen Verwaltung zu Auflagen usw. heranzuziehen, oder gar zu beschlagnahmen, da sie eben in die Vergangenheit gehörten. Der letzte König der 6. Dynastie Phiops II. jedoch droht einmal als besonders harte Strafe an, daß er Beamte, die straffällig würden, nicht mit einem Opferfeld an seinem Totentempel belohnen würde 4 . Hier hat also der Zwang der Verhältnisse, in diesem Fall der überwältigende Anspruch der Beamten etwas, was noch kurz vorher als Korruption galt, zur legalen Handlung werden lassen. Die Behauptung der Ägypter also, Maat sei von Anfang an und unwandelbar, ist eine fromme Behauptung. Ein anderer Teilaspekt der Korruption ist das an sich legale Streben, etwas, was man hat, auch gewinnbringend auszuwerten. Jeder Beamte hatte in seinem Bereich die Gerichtsbarkeit, und es lag nahe, die damit verbundene Macht so einzusetzen, daß man selbst nicht zu kurz kam. Sicherlich war dies gegen die Forderungen der Maat - aber oft wird die menschliche Schwäche stärker gewesen sein, und Grenzfälle wird es genug gegeben haben. Daher betont ein Gaufürst zu Beginn des Mittleren Reiches ausdrücklich: „Nicht war ich schroff gegen einen Armen, weil er nicht als ein Bittsteller zu mir kam,
2
1 4
Kairo, Cat. gen. 20001 (übers, bei WOLFGANG SCHENKEL, M e m p h i s , Herakleopolis, T h e b e n , Wiesb a d e n 1965, 57 N r . 3 9 ) ; ähnlich KURT SETHE, U r k u n d e n des Alten Reiches, Leipzig 1932, 77,4. HANS GOEDICKE, Königliche D o k u m e n t e aus d e m Alten Reich, W i e s b a d e n 1967, 56 (VI). GOEDICKE, a . a . O . , 138 ( X I ) .
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„ K o r r u p t i o n " im Alten Ägypten
der Geschenke brachte" (Tfj-jb) s . Aber vielleicht war dies bereits eine Behauptung, die unter die fällt, die der Ägypter selbst als eine „Friedhofsverpflichtung" bezeichnet, d.h. als etwas, was in einen Nachruf gehört, in dem der Mensch als dem höchsten Standard gemäß geschildert wird: De mortuis nil nisi bene. Es ist verständlich, daß gerade in den Grabinschriften das maatgerechte Leben des Verstorbenen in immer höheren Tönen gepriesen wird: So wenn jemand seine Freigebigkeit damit beweisen will, daß er behauptet, er habe sogar aus seiner eigenen Totenstiftung an Bedürftige verschenkt 6 . In die G r u p p e dieser übertriebenen Behauptungen möchte ich auch diese Behauptung des Tfj-jb einordnen, wenn er behauptet, auf Bakschisch verzichtet zu haben. Hier wird höchster Anspruch der Maat und Wirklichkeit immer im Kampf gelegen haben. Daß aber gerade der Machtmißbrauch zur eigenen Bereicherung Haupttriebkraft der Korruption gewesen ist, ergibt sich daraus, daß sich auch die Lehren, und hierbei besonders die Überlegungen der Könige, mit diesem Problem befassen. Eine und wohl auch die erfolgreichste Möglichkeit, diese Art von Korruption und Machtmißbrauch in Schranken zu halten, wird darin gesehen, die anfälligen Beamten so reich wie möglich zu machen, daß die Versuchung geringer wird. So heißt es schon in der Lehre für Merikare 7 um 2000 v.Chr.: „Mache deine Beamten reich, damit sie deine Gesetze ausführen. Denn einer, der in seinem Haushalt reich ist, braucht nicht parteiisch zu sein, denn ein Besitzender ist einer, der keine Not leidet. Ein Armer aber spricht nicht nach der Maat und einer, der ,Ach hätte ich doch' sagt, ist nicht rechtschaffen. Er ist parteiisch gegenüber dem, den er vorzieht, und er neigt dem Herrn der Bestechung zu (nb db 3 )". Diese Vorstellung, d a ß ein reicher Beamter gerechter sei als ein armer, zieht sich durch die gesamte ägyptische Geschichte; noch Haremheb um 1300 v.Chr. sagt in seinem Dekret, wenn er von den Gerichtsbeamten spricht: „Ich wies sie auf den Weg des Lebens, indem ich sie zur Maat leitete und sie belehrte: Gesellt euch nicht zu anderen Menschen! Nehmt nicht Geschenke von anderen an, denn das geht nicht g u t . . . Was aber die Besteuerung in Silber, Gold oder Kupfer angeht, so befahl Meine Majestät, damit aufzuhören, damit nicht Steuerabgaben irgendwelcher Art von Leuten der Gerichtshöfe entgegengenommen werden 8 . ... Ich setzte sie in den beiden großen Städten Ober- und Unterägyptens ein, indem sie ihre Einkünfte in ihnen ohne Ausnahme hatten." 9 Hier kommt also Steuerfreiheit zur Versorgung hinzu. Wie sehr aber gerade das Problem des Machtmißbrauchs in den Überlegungen der alten Ägypter eine Rolle spielte, zeigt die typisch ägyptische Geschichte aus der Rede, die der König traditionsgemäß bei der Einführung eiS
SCHENKEL, a . a . O . ,
6
GARDINER, i n : J E A 4, 1917, 2 8 f f .
'
WOLFGANG HELCK,
•
WOLFGANG HELCK, U r k u n d e n
'
Ebda., 2156, 3-4.
78.
Lehre f ü r Merikare, Wiesbaden 1977, 24f. des N e u e n
Reiches, Berlin
(IV,
7ff.).
1958, 2156, 8 - 1 3 .
17-19.
Wolfgang Helck
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nes neuen Reichsvesirs hielt und in der er den Vezir Achtoes der Residenz Memphis anführte, der seine Verwandten benachteiligte aus Angst, des Machtmißbrauchs beschuldigt zu werden. „Doch das ist mehr als Maat", ist die Stellungnahme des Königs hierzu und zeigt, wie Maat als Mitte zwischen Extremen angesehen wird 10 . Bei der Betrachtung der antiken Geschichte spielt das Problem des Ämterkaufs eine wichtige Rolle und die Frage, wo dabei die Grenzen zwischen Legalität und Korruption liegen. Bei den alten Ägyptern ist - soweit wir es sehen können - der Versuch, ein Amt durch Zahlung zu erlangen, immer als Verstoß gegen die Maat gesehen worden. Ist es doch der König, der als „Besitzer" aller Ämter (geht doch von ihm die Amtsmacht aus) sie nach seinem Willen vergeben kann, wobei er sich allein an die Vorschriften der Maat halten sollte. Dies tut er, indem er sich nach der Qualifikation des Bewerbers richtet: Ein späterer Schatzhausvorsteher erzählt, daß Thutmosis III. die Weihrauchgewinnung neu organisieren will und dazu einen passenden Leiter braucht: „ D a fand man meinen Namen an der Spitze einer Liste und gab mir den Beamtenstab in die Hand" 1 1 . Die Berufung beruht also auf einer Liste, die sicherlich eine Kommission höchster Beamter ad hoc zusammengestellt hat. Am Ende der 19. Dynasie erlangt ein Leiter der Nekropolenarbeiter sein Amt durch Bestechung des Vezirs; als dies bekannt wird, verliert der Vezir seine Stellung 12 . Allerdings liegen uns gerade aus dieser Zeit um 1200 v.Chr. zahlreiche Papyri oder Ostraka vor, die uns ein ganz anderes und viel düstereres Bild der Zukunft erkennen lassen. Nehmen wir etwa den Pap. Salt 124, eine Klageschrift eines Nekropolenhandwerkers gegen seinen Vorgesetzten 13 , der angeblich sein Amt nur dadurch erhalten hat, daß er den Vezir selbst mit ein paar Sklaven bestach, der raubte, mordete, vergewaltigte und sich jeder Art von Amtsmißbrauch zuschulden kommen ließ. Oder wir können den Papyrus des sog. Elephantineskandels 14 vorlegen, in denen jährlich ganze Schiffsladungen Getreide verschwinden, wo Priester ihren Pflichten religiöser Art nicht mehr nachkommen und die Schatzkammern ihrer Tempel plündern. Und endlich ist jener Papyrus aus dem Beginn der Saitenzeit um 700 v.Chr., der als Eingabe des Peteese15 bekannt ist, ein Musterbeispiel, wie die Priester dieser Zeit korrumpiert sind und nur noch danach bestrebt, ihre Macht mit Hilfe ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten auszuweiten und dabei vor Mord, Urkundenfälschung, Terror nicht zurückschrecken. Sicherlich ist überall und zu allen Zeiten der Kampf zwischen ethischem Anspruch und menschlicher Natur vorhanden gewesen und dabei hat sich ,0
KURT SETHE, U r k u n d e n des N e u e n Reiches, Leipzig 1909, 1089, 7-15. " Ebda., 503, 6 ff. 12
CERNÌ, in: J E A
13
Ebda. SIR ALAN GARDINER, Ramesside Administrative D o c u m e n t s , L o n d o n 1948, 73 ff. FRANCIS LL. GRIFFITH, C a t a l o g u e of the D e m o t i c Papyri in the R y l a n d s Library at M a n c h e s t e r I, L o n d o n 1909, 1 ff.
14 15
15, 1 9 2 9 ,
256.
K o r r u p t i o n " im Alten Ägypten
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das Individuum einmal mehr auf diese, das andere Mal mehr auf j e n e Seite geneigt. Für uns ist es dabei von Bedeutung, gerade aus der Geschichte der alten Ägypter abzulesen zu versuchen, was die Gründe für dieses Schwanken gewesen sind, in welcher Zeit und aus welchen Zwängen heraus der Ägypter einmal mehr der Maat gefolgt ist, und warum er ein andermal diese Forderungen nur als zynischen Schleier vor seinen Absichten benutzt hat. Wenn wir davon ausgehen, daß etwa Könige wie Ramses II. in der 19. Dyn. davon überzeugt gewesen sein müssen, daß ihr Staat nur bei Einhaltung der Forderungen der Maat funktionieren konnte, müssen wir die Folgerung ziehen, daß es ihnen mit den damaligen Ägyptern nicht möglich war, selbst mit ihren Machtmitteln die Maat durchzusetzen. Das erkennt man in der Tat daran, daß sie dazu übergehen, den Staat durch asiatische Sklaven, die „Truchsesse", verwalten zu lassen - die Schilderung der Josephsgeschichte ist da ziemlich genau. Denn diese Personen hingen nur von der Gnade des Königs ab und mußten seinen Willen durchführen. Auf die Ägypter hatte der König also keinen Einfluß mehr. Mir scheint, daß der Grund darin liegt, daß mit der Katastrophe der Amarnazeit jede idealistische Begründung für die Führung des Lebens ad absurdum geführt worden war. Hinzu kam, daß durch die wiederholten Säuberungen kaum noch Familien vorhanden waren, die in der Tradition der alten Schreiberklasse aufgezogen worden waren und die stolz waren, dieser anzugehören und damit auch deren ethischen Forderungen als ihrer Gruppe spezifisch aufrecht erhielten. Wer in der beginnenden Ramessidenzeit zu Macht und Ansehen kam, war weitgehend Nachkomme eines asiatischen Soldaten, wie sich an den Namen von Vätern oder Großvätern der uns bekannten hohen Beamten eindeutig nachlesen läßt. Gerade der Beginn der 18. Dyn. dürfte nämlich durch eine bewußte Betonung solcher idealistischen Grundlagen des Lebens bestimmt gewesen sein: In den Beiworten, mit denen damals die einzelnen Personen ihre Stellung in der Gesellschaft umschreiben, kommen immer wieder die Bezeichnungen als „Begleiter seines Herrn auf seinen Feldzüg e n " , „Schützer der Füße des Königs, wenn er auszieht", „dem der König alles sagt, auch wenn es geheim ist" vor. Sie zeigen ein besonders enges Verhältnis zum König und damit ein elitäres Selbstgefühl, das eben zu einer besonderen Lebensführung verpflichtet. Nicht Reichtum und Macht waren damals anscheinend das Hauptziel, sondern Ansehen beim König und eine hervorgehobene Stellung in seiner Begleitung. In dem Augenblick aber, in dem die Maat des Königs, der man sich verpflichtet hatte und der man nachlebte, in der Amarnazeit als verbrecherisch, als Lüge, zeigte, brach jeder Glaube an den König als Vermittler der Maat zusammen, damit auch jede Verpflichtung, irgendeiner Maat nachzufolgen. Was blieb, war allein der Egoismus, und wer nicht seine Macht mißbrauchte, war ein Dummkopf. D a ß man die alten Lehren der Maat propagandistisch zum Erhalt der Gruppenherrschaft weiter propagierte, ist nur zu verständlich.
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Die ethisch so hochstehend erscheinenden Sprüche des Amenemope sind vielleicht doch nichts anderes als Volksverdummung zum Erhalt der Priesterherrschaft. Vielleicht ist ein Vergleich zwischen der 1. Zwischenzeit, in der ja auch der Staat zusammengebrochen war, und der Ramessidenzeit ganz aufschlußreich: Jener Anchtifi von Mo'alla 16 um 2100 v.Chr., der Prototyp des Machtmenschen, der von sich sagt, daß er ein Held ohne gleichen ist, und seinesgleichen hat es nie gegeben und wird es auch nie wieder geben, der ganz offen davon spricht, wie er seine Macht skrupellos eingesetzt habe, betont doch in seinen Inschriften, daß er die Witwen beschützt und die Waisen versorgt habe. Natürlich sind das in dieser Zeit Floskeln, aber die Texte des Anchtifi sind sonst so frei von Konvention, daß man schließen muß, daß selbst er bestimmte Forderungen der Maat einfach deshalb anerkennt, weil er eben ein Held ist, der von allen Bindungen frei ist. Er übernimmt diese Bindungen freiwillig als Zeichen seiner Stellung. In der Ramessidenzeit gibt es keinen Hinweis darauf, daß irgend jemand, und sei es der Hohepriester des Amun persönlich, noch irgendwelche ethischen Gesetze anerkennt - und wenn das zutiefst verunsicherte Volk zu den Göttern flieht und in deren Orakel das Recht sucht, das ihnen der Staat und seine Träger vorenthält, so geraten sie in die Manipulationen einer anderen Gruppe, der Priester, die im Orakelwesen ein neues Instrument der Machtsicherung erkannt haben. Moral und Ethik sind nur noch gut zur Verschleierung der wahren Absichten; man lese die Grabräuberpapyri 1 7 , wie sich etwa der schuldige Beamte mit großen Worten ethischer Entrüstung gegen den anzeigenden Beamten wendet - und wie er sich durchsetzt. Zynismus und Korruption beenden den ägyptischen Staat und besonders dann noch im Süden, wo dies alles unter dem Namen des Gottes Amun vor sich geht. Was wir also vielleicht aus der ägyptischen Geschichte gerade unter dem Stichwort „Korruption" ablesen können, ist die These, daß der Zwang der Gemeinschaft zu bestimmtem Verhalten (äg. Maat) und das natürliche Streben des Einzelnen nach Vergrößerung von Macht und Besitz nur dann in Richtung auf die Maat entschieden wird, wenn emotionale Anreize hinzukommen, elitäre Verhaltensforderungen, Rangerhöhungen in der Umgebung des Königs, alles aber allein unter der Überzeugung, daß diese Dinge es wert sind, erstrebt zu werden. Sie sind sehr empfindlich gegenüber Wertumkehrungen - wie die Amarnazeit zeigt.
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JACQUES VANDIER, M o c a l l a , K a i r o
1950.
" THOMAS E. PEET, The G r e a t T o m b Robberies of the Twentieth Egyptian Dynasty, O x f o r d 1930.
Hellmut Brunner
Die religiöse Antwort auf die Korruption in Ägypten
Die Gefahr, daß bei diesem Symposion ein zu schwarzes Bild der Vergangenheit, ja des Menschen überhaupt gezeichnet wird, ist gewiß allen Teilnehmern bewußt. Redlichkeit und Unredlichkeit, treuer Gebrauch von Macht und ihr Mißbrauch stehen nebeneinander, wohl immer und überall, nur das Verhältnis zwischen beiden wechselt. Herr Helck hat soeben ein anschauliches Bild von den wechselnden Zuständen in Ägypten entworfen. Er hat auch einige der gegen die Korruption wirksamen Kräfte genannt: Ausbildung einer gruppenspezifischen Selbstbeschränkung, die man „Ehre", aber auch Ethik nennen kann, sowie „idealistische" Vorstellungen für ein ganzes Volk, etwa die Lehre, daß allgemeiner Nutzen höherrangig sei als Nutzen eines Individuums oder einer Schicht. Er ist besonders auf den für Ägypten zentralen Begriff der Maat eingegangen und hat die Folgen der Diskreditierung dieses Begriffes durch die Ketzerei von Amarna gezeigt. Damit ist das Gebiet der Religion bereits betreten, denn sie war es, die den Begriff der Maat entwickelt und geschützt hat, indem sie lehrte, daß der Mensch nicht Menschen, sondern - vor allem im Gericht nach dem Tode auch dem Gott werde Rechenschaft ablegen müssen, der über das von ihm den Menschen gegebene Recht wacht. Das Sündenbekenntnis war für alle Ägypter, vom Pharao bis zum Fellachen, verbindlich. In ihm wird auch Korruption, also Amts- oder Machtmißbrauch, vielfach behandelt: „Ich habe nichts ,Krummes' anstelle von Recht getan" muß der Verstorbene seinem Richter versichern können, ebenso, daß er (als Beamter) die ihm anvertrauten Maße und Gewichte nicht verfälscht habe, aber auch wieder, daß er nicht „taub gegen gerechte Rede" gewesen sei usw. Wir können sicher sein, daß in einem gläubigen Volk eine solche metaphysische Verankerung des Rechtes und der Rechtlichkeit eine weite Wirkung gehabt hat, zumal wenn die ewige Seligkeit, in Ägypten das Fortleben nach dem Tode, an die Erfüllung dieser Normen gebunden war. So kann ich leider nicht mit Herrn Helck die Lehre des Amenemope als Beispiel dafür verstehen, daß eine Gruppe ihre Macht stärken oder wenigstens erhalten will dadurch, daß sie Ergebung in Gottes Willen lehrt und somit gegen eine Veränderung der - wie immer unzulänglichen - Gesellschaft arbeitet (wobei mir diese Alternative allein schon nicht einleuchtet: Kann man nicht die Verhältnisse bessern unter Berufung auf Gottes Willen?). Diese
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Hellmut Brunner
Lehre, die aus der Zeit um 1100 bis 1000 v.Chr. stammen dürfte, scheint mir vielmehr gerade ein Beispiel zu sein für eine Selbstbeschränkung des Machtund Gewinnstrebens einer mittleren Beamtenschicht, jedenfalls was die Korruption angeht. Wir hören einen Abschnitt, der sich ausdrücklich mit Machtmißbrauch beschäftigt, mit der Bevorzugung des Reichen im Gericht (Jurisdiktion und Administration waren in Ägypten - selbstverständlich - nicht getrennt). Vorauszuschicken ist, d a ß diese Lehren sämtlich zunächst und dem Wortlaut nach an den oder die Schüler des Weisen, oft seine Söhne, gerichtet waren, aber immer im Blick auf alle jungen Menschen des Landes geschrieben sind - von vornherein haben die Verfasser ihren Gebrauch in der Schule im Auge. Hier der Text dieses Passus des Amenemope: Verdirb nicht einen Mann im Gericht und schiebe den nicht beiseite, der im Recht ist, indem sich dein Blick der reichen Kleidung zuwendet und du den fortjagst, der ärmlich angezogen ist. Nimm keine Bestechung an von einem Reichen und unterdrücke nicht in seinem Interesse den Schwachen. Gerechtigkeit ist eine große Gabe Gottes, er gibt sie dem, den er liebt. Die Kraft dessen, der ihm (Gott) darin gleicht, befreit den Bedrückten von den Schlägen. (Kap. 20).
Eine solche M a h n u n g kann gewiß nicht als Bestätigung herrschender Korruption, als Schwächung jeden Versuchs, die Zustände zu bessern, gewertet werden. Hier wird ein Verzicht geboten, Machtmittel des Amtes zur Bereicherung anzuwenden, obwohl die Möglichkeiten gegeben waren, ja es wird sogar vor Parteilichkeit nur auf G r u n d der Kleidung gewarnt, auch ohne materiellen Vorteil, also vor mehr oder weniger unbewußter Ungerechtigkeit. Begründet wird die Warnung auch hier aus dem Willen Gottes, d.h. letztlich aus der Maat - keinesfalls aus Angst vor Entdeckung und Strafe. Ein solcher ethisch fundierter Verzicht ist also auch noch in der späten Ramessidenzeit, wenn nicht üblich, so doch jedenfalls möglich und wurde als Ideal dem Beamtennachwuchs gelehrt - man verachte solche Ideale auch d a n n nicht, wenn die Wirklichkeit, wie meist in der Welt, dahinter zurückbleibt. Wegweiser sind auch d a n n wichtig, wenn das darauf genannte Ziel nie erreicht wird. Unsere Frage sei nun, wie die armen Leute auf ihre Lage reagiert haben. Sie hatten, gerade in der Blütezeit der Korruption, der späteren Ramessidenzeit, ein unmittelbares, oft ergreifendes Verhältnis zu ihrem Gott, zu einem Gott, den sie in aller Regel selbst für sich als Schützer und Retter erwählt hatten. Das war teilweise, ja vorwiegend einer der großen Götter, Amun in Theben oder Ptah in Memphis, konnte aber auch eine lokale Gottheit sein. An ihn wendet sich der Arme in seiner Not, besonders, wenn das Geschick ihn vor Gericht gebracht hatte. Ein solches Gebet lautet:
Die religiöse Antwort auf die Korruption in Ägypten
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„Amun, neige dein Ohr dem, der allein steht im Gericht, der arm ist, nicht reich. Das Gericht zieht ihm Silber und Gold aus der Tasche für die Schreiber der Matte und Kleider für den Gerichtsdiener. Vielleicht aber verwandelt sich Amun dann in den Wesir, um den Armen freizusprechen; vielleicht wird der Arme gerechtfertigt. Ach, daß doch die Armut den Reichtum aus dem Felde schlüge!" (pAnast. II 8,5-9).
Der Wesir ist oberste Aufsichtsbehörde für das Gerichtswesen und Appellationsinstanz; in unserem Text ist wohl die Hoffnung ausgesprochen, daß Amun in Gestalt des Wesirs unverhofft zu einer Inspektion auftaucht wie der Gerichtsrat Walter im Zerbrochenen Krug. Interessant und wohl für Ägypten bezeichnend ist der Umstand, daß dieser Text in einer Schulhandschrift überliefert ist, also in der Schule gelehrt und gelernt wurde! Nicht einen Appell an die Schüler haben wir vor uns, die unguten, ja schlimmen Verhältnisse zu ändern, wie wir ihn für den persönlichen Bereich aus der Lehre des Amenemope als ersten Teil gehört haben (ein solcher Gedanke wäre einem Armen ohnehin absurd erschienen), sondern eine unverblümte Schilderung der Verhältnisse, aus denen nur eine Gebetserhörung helfen kann, eine recht ungewisse Hoffnung allemal. Dennoch würde ich nicht sagen, daß hier eine herrschende Klasse Ergebenheit in die Zustände lehrt, um sie zu ihren Gunsten zu bewahren - das ist viel zu modern gedacht und „hinterfragt". Es scheint mir undenkbar, daß die bestechliche Schreiberschicht, um ihre Möglichkeiten zu erhalten, die Armen auf den Weg des - in ihren Augen nutzlosen - Gebetes verwiesen hätte. Erstens findet sich dies Gebet in einer Schulhandschrift, also gerade der Schicht der Beamten, und dann besitzen wir zuviele innige Gebete von Beamten selbst, etwa einem Studenten vor dem Examen, als daß wir sie solch zynischer Gottlosigkeit verdächtigen dürften. Auf die Frage nach dem inneren Zusammenhang zwischen der zu dieser Zeit in allen Schichten des ägyptischen Volkes dominierenden Persönlichen Frömmigkeit, in deren Kreis das gehörte Gebet seinen Platz hat, und der gerade damals blühenden Korruption soll später eingegangen werden - einstweilen sei sie nur gestellt. Auch in anderen Texten wird Amun als Helfer im Gericht angerufen, „der allen Armen zum Recht verhilft", so z.B. in einem dem vorigen ähnlichen Gebet: „Amun-Re, der eingreift zugunsten des Armen in der Verzweiflung, könnte er doch bewirken, daß das Gericht einstimmig dem Armen Genugtuung gebe, so daß der Arme den Prozeß gewinnt, und der, der bestochen hat, betrübt wird" 1 . Und noch ein Beispiel aus der Schullektüre: „Amun-Re, der als erster die Königsherrschaft ausgeübt hat (d.h. also der Erstling und das Vorbild des gerechten Herrschers), der Gott der Urzeit, der Wesir des Armen, er nimmt kein Bestechungsgeld des Armen an, er spricht nicht zu dem, der einen (falschen) Zeugen beibringt, er achtet nicht auf den, der Versprechungen
'
POSENER, i n : F S R i c k e 5 9 f .
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macht. Amun erforscht die Erde mit seinen Fingern und äußert sich nach dem Gewissen; er verurteilt den Schuldigen ..." 2 . Das letzte Beispiel für solche Zuflucht des Armen bei der Gottheit, von der er Gerechtigkeit erwartet, sei nochmals ein Gebet an Amun: „Jede Stadt ist voll deiner Liebe, Amun, jedes Land erfüllt von deiner Güte. Du bist Amun, der Wesir, der Wesir, der jedem Armen Recht spricht. Amun hat noch niemals zu einem Armen, der keine Bestechung hat, gesprochen: Geh hinaus aus meinem Gerichtshof! Wende dich dem zu, der deinen Namen ruft, Amun, und sprich Gerechtigkeit aus!" 3 .
Die Situation, die dem Beter vorschwebt, ist die des Zivilprozesses, wo der Kläger, weil er arm ist, abgewiesen wird. Bevor wir diesen ersten Teil des Referates abschließen, sei die vorhin schon angeschnittene Frage nochmals gestellt: Die meisten Nachrichten über Korruption fallen in eine Zeit, in der der Einzelne über den seit alters geübten offiziellen Götterkult hinaus das Bedürfnis fühlte, mit der Gottheit, meist mit einer persönlich erwählten, in enge Verbindung zu treten. Ist das Zufall, eine parallele Entwicklung oder hängt das kausal zusammen etwa in dem Sinne, daß die Hinwendung zu Gott, die Ergebenheit in seine Obhut als Ausweg aus einer herrschenden allgemeinen Korruption gesehen wird? So wie zuletzt gefragt ist es gewiß nicht - dazu spielt die Korruption und besonders das Gerichtswesen denn doch eine zu geringe Rolle im Alltag der meisten Menschen. Aber Zufall ist das Zusammentreffen andererseits auch nicht. Beides, Persönliche Frömmigkeit wie Korruption, hat vielmehr seine Wurzel in der Schwäche der Staatsidee. In der der Ramessidenzeit vorhergehenden Periode der 18. Dynastie mit den großen Königen namens Thutmosis und Amenophis hören wir nichts von Korruption, und erst ganz an ihrem Ende vernehmen wir leise Anzeichen der Persönlichen Frömmigkeit. Beides ändert sich in der Ramessidenzeit, wobei es den Anschein hat - aber die Quellenlage kann täuschen - , daß die persönliche Zuwendung zu Gott etwas früher auftritt als die Verwilderung der Sitten in Verwaltung und Gericht. Herr Helck hat ausgeführt, daß die Korrumpierung der Idee von der Maat die Ursache für den in der Ramessidenzeit einsetzenden Mißbrauch der Amtsgewalt sein kann - dem stimme ich zu. Denselben Grund möchte ich für das Aufkommen der Persönlichen Frömmigkeit annehmen: Der Verlust der Staatsidee (die in Ägypten immer die Idee des Königtums ist) entwertet den von Staats wegen fortdauernd betriebenen Tempelkult. Nicht gegen ihn wendet sich der Einzelne, der bisher im Bewußtsein dieser Staatsfürsorge auf religiösem Gebiet keine weiteren Bedürfnisse religiöser Bindung hatte (von besonderen Notfällen abgesehen), aber er genügt nicht mehr, der Ägypter fühlt sich dort nicht mehr geborgen. Also: Nicht Persönliche Frömmigkeit als 2
ρ Bologna 1094, 2,3-7 u. Varr.
' POSENEK, i n : F S R i c k e 61 f.
D i e r e l i g i ö s e A n t w o r t a u f d i e K o r r u p t i o n in Ä g y p t e n
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Folge der Korruption, nicht als Reaktion darauf, aber doch, parallel zu ihr entstanden, als Hilfe. Das Bewußtsein von Gott als Helfer und Retter bringt nun einmal Trost - auch wenn das dem Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts schwer begreiflich oder lächerlich oder gar verwerflich, weil „herrschaftserhaltend" erscheinen mag. Damit wenden wir uns dem zweiten Teil meines Kurzreferates zu und beginnen wieder nach Philologenbrauch mit Texten. Die vorhin gehörten Passagen vervollständigen das Bild von der Korruption, das wir aus amtlichen Schriftstücken gewinnen können, in wünschenswerter Weise, jedenfalls was die Gerichte angeht. Sie erwecken geradezu den Anschein, als ob es in der Ramessidenzeit für einen Armen, der kein Bestechungsgeld aufbringen kann, ja vielleicht nur ärmlich gekleidet war, unmöglich gewesen sei, sein Recht zu erhalten. Daß dem nicht so war, bezeugen nun aber die in reichem Maße erhaltenen Dokumente aus der Arbeitersiedlung Der el-Medine, die hier freilich nicht vorgeführt werden können. Bei ihr handelt es sich um die Wüstensiedlung der Arbeiter, die beim Bau des Grabes des jeweils regierenden Königs beschäftigt waren. Dort gewinnt man aus der Fülle erhaltener amtlicher wie privater Schriftsätze durchaus den Eindruck, daß Fehlurteile nicht häufiger waren als in anderen Kulturen auch, daß die Richter das Recht mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sorgfältig gesucht haben. Freilich muß, was Korruption angeht, betont werden, daß es sich hier um eine Art Dorfgericht handelt, bei dem zwischen Kläger und Beklagtem von ihresgleichen entschieden wurde, nicht von Berufsrichtern oder dem Dorf fernen Beamten. Auch die streitenden Parteien gehörten in aller Regel etwa der gleichen sozialen Schicht an, so daß es kaum möglich war, daß ein „Reicher" gegen einen Armen durch Bestechung gewinnen konnte. Andererseits mögen in einer so kleinen und eng beieinander wohnenden Gemeinschaft von wenigen hundert Seelen private Interessen und Verwandtschaften oder Feindschaften eine ungute Rolle auch im Rechtswesen gespielt haben - wir wissen das nicht, können es uns aber gut vorstellen. Über das Verfahrensrecht bei diesen Gerichtshöfen hat der zu meiner Freude unter uns weilende Kollege Schafik Allam gründlich und abschließend gearbeitet 4 . Seine Ergebnisse werden hier weitgehend verwendet, wenn auch zum Schluß eine hypothetische Schlußfolgerung etwas anders gewendet werden soll. Es handelt sich darum, daß bei der Rechtsfindung in diesem Ort gelegentlich, keineswegs durchgängig, eine Gottheit eingeschaltet wird. Im weiteren Sinne könnte man von Orakel sprechen, doch empfiehlt sich eine sprachliche Differenzierung: Orakel beziehen sich auf zukünftige Ereignisse oder die Aufdeckung verborgener Verhältnisse, während hier von rechtswirksamen ' M D I K 24, 1969, 10-15 und Das Verfahrensrecht der Arbeitersiedlung von Deir el-Medineh, 1973, VIII. und IX. Abschnitt.
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Urteilen in Prozessen die R e d e ist. A u f die Technik dieser Gottesgerichtsbarkeit kann hier nicht eingegangen werden, zumal noch vieles unklar ist. Tatsache ist, daß ein Gott ein Urteil spricht, sei es durch einfache J a - N e i n - E n t scheidung, sei es aber auch durch einen längeren Wortlaut. Dabei spielen Priester, wenn sie überhaupt anwesend und beteiligt sind, nur eine untergeordnete R o l l e ; den Prozeß bereitet ein Schreiber vor (Entgegennahme der K l a g e , Erheben von Beweisen usw.) und leitet ihn auch. Weitere Mitwirkende sind im übrigen dieselben Bewohner des Ortes, die auch im weltlichen G e richt tagten, meist Honoratioren des Ortes. Wesentlich ist nun die von Allam gewonnene Einsicht, daß der Richtergott an die auch im weltlichen Gericht gültigen Rechtsnormen gebunden ist, also an die Ergebnisse der Beweiserhebung, an königliche Verordnungen (die etwa Gesetzen entsprechen) usw. Es steht, soweit wir sehen, Klägern frei, sich statt an das weltliche Gericht an den Gott zu wenden, wenn auch dessen Zuständigkeitsbereich sich nur auf Zivilprozesse, nicht auf Strafsachen zu erstrecken scheint. A u f die Frage, warum sich Menschen wohl manchmal an den Gott, nicht an das Gerichtskollegium gewendet haben, um ihr Recht zu erhalten, geben die Urkunden keine ausdrückliche Auskunft. Allam versucht eine Antwort dahingehend, daß das Urteil eines Gottes die unterlegene Partei eher zur Erfüllung des Urteils veranlaßt haben könnte - tatsächlich scheint die Vollstreckungsgewalt des weltlichen Gerichts sehr schwach gewesen zu sein. Beweise d a f ü r , daß ein Gottesurteil eher befolgt worden wäre, besitzen wir leider nicht. Ich möchte hier fragen, ob nicht dem Gott eher Unbefangenheit, Objektivität, Unbestechlichkeit zugetraut worden ist, ob also nicht die Wahl des Gottesgerichts anstelle des weltlichen - in Übereinstimmung mit dem Geist der vorhin gehörten Gebete - ein Akt gegen mögliche Korruption gewesen ist. Der Kreis würde sich schließen: Persönliche Frömmigkeit, also Hinwendung zu einem erwählten Gott und ein hingebungsvolles Vertrauensverhältnis zu ihm als Folge der Krise des Vertrauens in den Staat, Korruption als eine weitere Folge derselben Entwicklung, und so auch, Folge von beidem, Vertrauen in den Gott, daß er, unbeeinflußt von arm oder reich, Recht spreche. Wenn wir nun abschließend zusammenfassen, daß die Religion als Antwort auf die Korruption der Ramessidenzeit einerseits Gebetszuwendung an den erwählten Gott mit der Bitte, zugunsten des Rechts einzugreifen, bereithielt, andererseits die Gottesgerichtsbarkeit und, außerhalb des Rechtsverfahrens, das Orakel (worauf wir aus Zeitgründen nicht näher eingehen konnten), so möchte ich vor der vorschnellen Folgerung warnen, man habe den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, indem man an die Stelle von bestechlichen Richtern nicht weniger bestechliche Priester gebracht habe. Bei den persönlichen Gebeten bleiben die Priester ohnedies aus dem Spiel, und bei dem Gottesgericht haben sie keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Und ob bei Stellenbesetzungen der Wille Gottes zu mehr Fehlbesetzungen geführt hat, wissen wir nicht. M a g sein, daß der von Menschen nicht tadelbare Wille
Die religiöse Antwort auf die Korruption in Ägypten
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der Gottheit im Gegenteil dazu gedient hat, solche Anwärter auszuschalten, die auf Unrechte Weise ihre Macht mißbrauchen wollten. Jedenfalls hat die ägyptische Religion nicht nur den für Recht und Unrecht in Verwaltung wie im Gericht maßgebenden Begriff der Maat entwickelt und gestützt (wie ihn die Religion Echnatons dann korrumpiert hat), sie hat auch die Ethik bestimmter verantwortlicher Gruppen geformt und sie hat gelehrt, daß der Mensch nicht nur Menschen verantwortlich ist. Sie hat ferner den Benachteiligten eine Zuflucht und eine Hoffnung im Gebet geboten und schließlich im Alltag die Hinwendung an Gott als den Urheber und Schützer des Rechts, der Maat, geübt.
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Kreißig Ich möchte sehr gern über etwas sprechen, was ich selbst noch gar nicht ganz verstanden habe, weshalb ich fürchte, daß ich mich nicht verständlich mache; ich möchte trotzdem anfangen. Ich möchte an die kleine Auseinandersetzung von heute morgen über die Thesen von Herrn Kautsky anknüpfen. Die drei Vorträge hier, insbesondere die ersten zwei, haben mich eigentlich in dem Verdacht bestätigt, daß seine Ausführungen etwas zu sehr in Bausch und Bogen verdonnert worden sind. Das betrifft vor allem seinen Anknüpfungspunkt, den ich nochmal so kurz zusammenfassen möchte - wenn ich recht verstanden habe - , daß er einen doch tiefgreifenden Unterschied sieht zwischen einmal den aristokratisch beherrschten Gesellschaften, wie sie sich im Alten Orient, im frühen Mittelalter, dazwischen sicher auch noch an anderen Stellen (ich würde denken an Kreta, Mykene etwa, selbst an die Etrusker, aber auch an afrikanische Gesellschaften) konstituiert haben einerseits und jenen antiken, auf der κοινωνία τών πολιτών basierenden Gesellschaften Griechenlands oder auch Roms zumindest in der Republik und im Prinzipat. Herr Kautsky hat darauf hingewiesen, daß in diesen ersteren Gesellschaften eine scharfe Trennung wiederum besteht zwischen Aristokratie einerseits und den produzierenden Bauern und Handwerkern usw. andererseits, die im Grunde die Herrschaft des Adels überhaupt erst ermöglicht. Während im antiken Bereich das Nationalprodukt, wenn ich einmal so sagen darf, durch die Gemeinschaft der Politen mit Hilfe der Sklaven erarbeitet wird, also eine Gemeinschaft da ist, existiert im orientalischen Bereich, ich will es mal so knapp fassen, diese Trennung zwischen Aristokratie und Produzenten. Was den Widerspruch hervorgerufen hat, ist wohl die Tatsache, daß Herr Kautsky das Verhältnis von herrschenden Aristokraten und beherrschten Produzenten zu einseitig nur auf die Abgabe von Tributen oder Abgaben anderer Art, Zwangsarbeit auch einbegriffen, gefaßt hat und nicht deutlich genug gemacht hat, daß auch die herrschende Aristokratie darauf sehen muß und dies ja auch tut, daß die, von denen sie leben, einen Lebensstandard haben müssen, der sie in die Lage versetzt, die Abgaben zu leisten. Deshalb waren einige der Einwände im Grunde gar keine, denn wenn die Aristokratie die Produzenten beschützt, dann tut sie dies ja auch in dem eigenen Interesse, auf das Herr Kautsky zu Recht so großen Wert gelegt hat. Er hat also daraus geschlossen, daß all das, was man jetzt mit unter Korruption fassen kann, also Machtmißbrauch u.ä., was ja doch gewöhnlich von oben nach unten geht (also Wegnahme von Land oder Vieh, wie es vorhin als Beispiel genannt worden ist) keine Korruption ist, weil es etwas im Selbstverständnis der Menschen zu
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sehr Normales sei. Die von Herrn Helck und Herrn Brunner und auch Herrn Kümmel vor allem genannten Beispiele zeigen nun allerdings, daß dieses Selbstverständnis eben doch so eindeutig nicht ist, daß man Übergriffe als etwas Normales angesehen hätte; sondern man hat sich durchaus dagegen gewehrt durch Eingaben, viel mehr konnte man nicht tun. Immerhin hat man aber versucht, solche Übergriffe zu verhindern oder sogar rückgängig zu machen, und das deutet ja darauf hin - und diese Differenzierung hätte Herr Kautsky sicher bringen müssen - daß das privatrechtliche Element, daß das Privateigentum in den orientalischen Gesellschaften ja auch vorhanden ist. Es ist also diese Gegenüberstellung von - wie hatten wir's heute früh genannt? - Öffentlichem und Privatem auch hier im alten Orient vorhanden. Von daher scheint also die Ablehnung von Korruption, weil es keinen privaten Sektor gegeben habe, nicht gerechtfertigt. Worauf ich eigentlich hinaus will ist die Tatsache, daß mir die Beispiele, die von unseren drei Kollegen eben gebracht worden sind, alle darauf hindeuten, daß in diesen orientalischen Gesellschaften Korruption in irgendeiner Form verbunden ist mit Machtausübung und Mißbrauch der Macht, obwohl ich nicht so weit gehen würde wie Herr Helck, Korruption mit Machtmißbrauch direkt zu identifizieren. Aber Machtausübung von einer herrschenden G r u p p e zu einer beherrschten spielt in allen diesen Beispielen eine Rolle und scheint mir typisch zu sein, während wir von Herrn Wankel heute morgen doch letzten Endes als typische Beispiele aus dem antiken Bereich ganz andere gehört haben, Beispiele von Korruption, die irgendwie in Verbindung stehen mit der städtischen Gesellschaft, die das Privateigentum herausgebildet hat, am Boden insbesondere, aber auch an anderen Produktionsmitteln, und wo jetzt Korruption in einem ganz anderen Verhältnis, mit Geldwirtschaft z.B. in Zusammenhang steht. Es sind meistens Korruptionsvergehen, die mit Geld oder durch Geld, indirekt zumindest, verbunden sind, während es in den orientalischen Gesellschaften immer mit Wegnahme von Boden, von Vieh, Teilen aus der Basis im wesentlichen geht. Zumindest als typische Beispiele, und ich glaube, daß wir hier doch sagen müssen, d a ß die zwei unterschiedlichen Gesellschaften, die Herr Kautsky hier dargestellt hat, für unseren Korruptionsbegriff und für die Realität der Korruption auch unterschiedliche Formen hervorgebracht hat. Dieses Ergebnis schien mir doch wert, daß man darauf hingewiesen hat.
Helck Sie haben schlechterdings die Gesellschaften unterschieden, das muß ja sein. Nur, um das letzte Beispiel zu nehmen, wo Sie sagten der Unterschied sei, bei den Ägyptern gehe es um Vieh, Bauernhöfe, Land, und nicht um Geld, da könnte ich Ihnen natürlich sofort ein Beispiel bringen, wo es um Geld geht.
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Kreißig Sicher könnte man auch da Beispiele bringen, wo es um Geld ging. Mir kommt es aber doch auf die typischen Formen an. Helck Das könnte aber auch typisch sein. Man muß natürlich immer wieder mit Schwierigkeiten der Überlieferung rechnen; manches wird in bestimmten Inschriften gesagt, manches wird in Ostraka gesagt, manches wird in Papyri gesagt; die Überlieferung ist da natürlich sehr verschieden. Und wenn man dann in den wenigen Papyri, die wir über diese Dinge haben, eine Unterschlagung von Kupfergefäßen, die als Geld gelten, haben, so ist das also ein Beweis. Und dann würde ich doch bitten, ob wir nicht das Wort Aristokratie oder Adel aus dieser Überlegung herauskriegen, denn das könnte man in Ägypten nur für, ich würde sagen, die zwanzig Jahre in der Zeit Thutmosis I. oder so etwas könnte man sagen, da gab's so etwas wie Ritter, einen Feudaladel. Im Grunde ist der ägyptische Staat ein Beamtenstaat, und daß es eine Unterdrückung gegeben habe, ist grundsätzlich natürlich vorhanden gewesen, aber nicht theoretisch. Theoretisch ist die Lehre die, daß die Beamten für die Bevölkerung da sind, daß sogar der König dafür da ist; ein berühmtes Beispiel aus der Lehre des Merikare ist die Stelle, wo gesagt wird, der Gott habe den König geschaffen, um den Rücken der Schwachen zu stützen. Ein ganz weit vorgeprellter Gedanke bei den Ägyptern, aber er zeigt doch, daß wir mit diesem Schema und besonders mit dem Ausdruck Adlige, die ja ein ganz anderes Selbstverständnis haben als der ägyptische Beamte, doch lieber vorsichtig sein sollten. Schuller Darf ich vielleicht zu dem, was Herr Kautsky gesagt hat und zu der jetzigen Debatte sagen, was ich meine. Herr Kautsky hat es natürlich sehr gerafft gesagt; er hat eine Dichotomie postuliert, die natürlich, wie er auch selber wohl weiß, in der Weise nicht existiert hat. Es wäre allenfalls das, was ich mit Öffentlich und Bürokratisch bezeichnet habe. Das ist ja das für das gesamte Spektrum Bedauerliche, daß wir nur in Herrn Wankeis Vortrag etwas von einem Gesellschaftszustand gehört haben - κοινωνία των πολιτών - , der nicht herrschaftlich organisiert war. Wir werden, glaube ich, alle einig sein, wenn man das andere alles mit herrschaftlich, mit hierarchisch strukturiert, bezeichnet. Es muß nicht Adel oder Aristokratie sein; da hat Herr Helck völlig recht, daß es so etwas in Ägypten nicht gegeben hat. Wenn man es so sagt, dann ist eine Dichotomie vielleicht da, zwischen Athen und in gewisser Weise auch dem republikanischen Rom und den meisten anderen antiken Gesellschaften; diese aber waren doch wohl herrschaftlich und sehr hierarchisch strukturiert: Jeder wußte, von Ihnen haben es ja auch einige anklingen lassen, jeder wußte, wo sein Platz war und kam nicht im geringsten auf die Idee,
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d a ß da nun irgend etwas von sich aus zu ändern gewesen wäre. Worin ich mich von Herrn Kautsky unterscheide ist dieses, daß das, was er in diesen frühen herrschaftlich strukturierten Gesellschaften vermißt, das rational rein technisch zweckhaft Durchorganisierte - von dem muß man wirklich sagen, daß es erstens in Ägypten ganz bestimmt da war, und daß in der vorneuzeitlichen Geschichte diese Elemente großenteils ebenfalls vorhanden waren, daß sie bloß vielleicht nicht so zum Durchbruch gekommen sind, wie es d a n n seit 1789 der Fall gewesen ist. Zum anderen berücksichtigt er zu wenig das Selbstverständnis der Beteiligten und ihre Auffassung vom öffentlichen Leben: Wenn es richtig sein sollte - was ich dahingestellt lassen möchte - , daß überall Ausbeutung herauskommt, dann sind aber doch mindestens die Vorstellungen wichtig, die genau das negativ bewerten. Kautsky Darf ich auf einige Bemerkungen antworten. Erstens wurde ich mehrfach angeklagt, daß ich alles zu sehr vereinfache - und vollkommen mit Recht angeklagt. Ich bedauere das aber nicht, denn ich glaube, es ist der Zweck aller Wissenschaft zu vereinfachen. Zweitens m u ß ich erklären, was ich mit dem Wort Aristokratie meine. Ich würde einen Beamtenadel einschließen, ich würde Priester einschließen; denn ich meine einfach Menschen, die in einer Agrargesellschaft leben, aber nicht selbst Ackerbau betreiben und nicht Handel betreiben, sondern von den Bauern leben. Das schließt also auch Beamte ein, selbst wenn die nicht erblich sind, selbst wenn sie keine Titel haben. Vielleicht ist das Wort Aristokratie nicht das richtige, es hat möglicherweise im Deutschen einen etwas anderen Anklang als ich ihm geben will. Drittens möchte ich sagen, daß Herr Kreißig mich sehr gut verstanden hat und d a ß mich das sehr freut. Sie haben ganz recht, d a ß ich hätte betonen sollen, daß es im Interesse der Aristokraten ist, Bauern zu schützen, das stimmt schon. Ich glaube allerdings, daß es sich um eine Art Schutz handelt, der ähnlich ist wie der, den der Hirt seinem Schaf gibt: Er schützt es vor dem Wolf, um es selbst essen zu können. Und das ist offensichtlich so gegen äußere Gefahren, aber es ist auch, glaube ich, gegen innere Gefahren. Übrigens ist der Unterschied zwischen äußeren und inneren Bedrohungen für den Bauern, glaube ich, kein sehr großer, denn alles, was von außerhalb des Dorfes kommt, ist für ihn ein äußerer Feind. Aber jedenfalls m u ß der Bauer bewahrt werden, um weiter besteuert zu werden, das ist zweifellos richtig - aber er hat keine Wahl, ob er beschützt werden will oder nicht. Also man kann nicht sagen, daß er Steuern zahlt, um beschützt zu werden: Es ist ja kein Austausch da, kein quid pro quo: Er muß beschützt werden, ob er will oder nicht. Koch Ich will nochmal von Korruption reden. Es ist nicht uninteressant festzustellen, d a ß sowohl im Referat von Herrn Kümmel wie auch in dem von Herrn
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Helck Korruption jeweils weit entfernt davon war, was Herr Schuller heute morgen als seine vorläufige Definition gegeben hat, und meines Erachtens mußte das auch so sein. Ich verbinde das mit einer Frage an Herrn K ü m m e l : Ist es nicht so, daß der herkömmliche Korruptionsbegriff, von dem wir alle mehr oder weniger widerstrebend heute den ganzen Tag Gebrauch gemacht haben, auf die Gesellschaft des Alten Orients in dieser Form gar nicht anwendbar ist, weil trotz der schönen Beispiele alles das, was in den Beispielen vorkommt, noch innerhalb einer Norm akzeptierbar erscheint? Herr Helck hat gesagt, man müsse doch davon ausgehen, daß man ein Urteil eines Rechtssachverständigen kaufe. In der Tat ist es im Alten Orient so, daß man den Rat des Richters kauft und daß alle diese Geschenke, für die wir j a ein ganzes Bouquet sehr abgewogener, sublimer philologischer Begriffe haben, etwas ganz anderes bedeuten als Korruption. Sie haben nämlich zur Voraussetzung, daß in einer Gesellschaft, die timokratisch begründete sozialethische Voraussetzungen besitzt, selbstverständlich derjenige, der das größere Geschenk gibt, näher an dem für ihn positiven Urteilskauf ist als der Güter nicht besitzende Arme. Deswegen werden in bestimmten Texten - ob Keret-Mythos oder 72. Psalm oder auch die Ammon-Gebete - utopische Vorstellungen erhoben, ausdrücklich utopische Vorstellungen einer abstrakten Gerechtigkeit, die die Leute in der Realität nie bekommen können, weil sie nicht am Besitz partizipieren. Es gibt also für mich im Alten Orient keine hier heranziehbare Norm, die kontrollierbar wäre in dem Sinne, daß eine Verfehlung justiziabel wäre. Das Ganze geht doch hierarchisch zu und damit auch in einer durch den Begriff Korruption gar nicht greifbaren Weise. Das ist das eine. Das andere, was mich außerordentlich interessiert hat, war die vielleicht als unzeitgemäß empfindbare, aber außerordentlich wichtige Perspektive des verlorengehenden Ethos, des Beamtenethos in Ägypten in der Ramessidenzeit. Offenbar gibt es j a ambivalente Gesichtspunkte - Herr Helck hat es emotionale Gesichtspunkte genannt, ich würde lieber irrationale Gesichtspunkte daraus machen - nach denen Korruption stattfindet oder nicht stattfindet. Ich gebe zu bedenken, daß bereits in dem Beitrag von Herrn Breebaart heute morgen darauf angespielt wurde, daß das 4. Jahrhundert vor Christus möglicherweise eine Zeit ist, deren Gefüge so auseinander ist wie das in der Ramessidenzeit, und vielleicht ist das 3., 4. und 5. nachchristliche Jahrhundert auch so eine Zeit. Und es ist nicht untypisch, daß in dieser Zeit sich Klagen über Korruption hin oder her in bemerkenswerter Weise verstärken. Ich glaube nicht, daß das ein Problem der Quellenquantität und der Quellenstatistik ist, sondern es sind Zeiten, die aus den Fugen sind. Vielleicht ist auch in diesem Punkt die Frage legitim, ob nicht ein akzeptiertes Ethos, etwa das der frühen Kaiserzeit, das quantitativ zu weniger Korruption führte, oder das wie im 5. Jahrhundert in Griechenland eine stärkere Normenanbindung hatte, plötzlich durch äußere Effekte so verändert worden ist, daß eine Veränderung der sozial-ethischen Normen in großem Maße konstatiert werden kann.
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Hahn Ich hätte in erster Linie eine Frage an Herrn Helck und ebenfalls an Herrn Brunner. Ich möchte diese Frage nicht als getarnten Widerspruch aussprechen, sondern nur zur Information. Wir sind nämlich gewohnt, das Zeitalter des Echnaton eben wegen seiner Persönlichkeit mit Sympathie zu bewerten. Wir denken dabei in erster Linie an das goldene Zeitalter der ägyptischen Kunst in Teil el Amarna. Beide Vorträge haben sehr starke Kritik an seinen religiösen Reformen geübt und an ihren verheerenden Folgen: Säuberungen unter Echnaton und nach Echnaton. Die ganze spätere ethische Dekadenz wurde teilweise darauf zurückgeführt. Da möchte ich fragen, ob und inwieweit es zu erweisen ist, daß die Epoche von Teil el Amarna so verheerend war. Ich denke auch daran, daß der Ausdruck Säuberung sehr vielfälig ist. Er kann damit beginnen, daß eine gewisse Schicht oder eine gewisse Gruppe ihres Amtes enthoben wird und endet in der vollkommenen physischen Liquidierung. Ich weiß nicht, ob Echnaton diese zweite Methode angewendet hat, jedenfalls dauerte seine Epoche ja keine zwei Jahrzehnte. Ob das genug war, einen so gründlichen Wandel in der ganzen Standesethik, die jahrhundertelang, ein halbes Jahrtausend, gedauert hat, zu bewirken? Helck Wenn ich gleich darauf antworten darf : Der Beweis für eine Säuberung, und zwar doch in sehr weitgehender Auslegung des Wortes, ergibt sich aus der Tatsache, daß von den ganzen Beamten, die wir sehr gut aus der Zeit des Endes der Regierung des Vaters Amenophis' IV., Amenophis' III. kennen, nur ein einziger mit nach Amarna gegangen ist. Alle anderen verschwinden; zum Teil werden ihre Gräber kaputt gemacht. Am Ende wissen wir es wieder, daß von diesen ganzen Leuten, die noch unter Tutanchamun gegebenenfalls da sind, ein einziger Künstler übrig war - Künstler bleiben immer - ; sogar der Nachfolger, den Eje eingesetzt hat, ist umgekommen. Das also zur Stärke der Säuberungen. Zu Ihrer ersten Frage, warum wir plötzlich jetzt die Zeit Echnatons in negativem Sinne sehen, möchte ich folgendes sagen: Wir alle stehen in unserer eigenen Zeit. Liebs Ich möchte noch einmal zum Korruptionsbegriff zurückkommen und an die Definition von Herrn Helck anknüpfen, Korruption sei Machtmißbrauch. Kann man sich nicht besser auf Amtsmißbrauch verständigen? Macht hat auch der Hordenführer, vor dem Staat, und wie könnte man da von Mißbrauch sprechen? Macht ist sehr subjektiv, Amt läßt sich objektivieren. Im Amt haben wir aber das Öffentliche von Herrn Schuller. Bleibt die Frage, was Mißbrauch ist. Er liegt offenbar dann vor, wenn das Amt nicht mehr zu öffentlichen Zwecken ausgeübt wird. Es sind das nur erst primitive Formen, Herrn Schullers Definition will wahrscheinlich viel mehr einfangen. Das pri-
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mitivste, erste Amt war das Richteramt, vom Heerführer einmal abgesehen. Das Richteramt oder überhaupt die Entstehung von Recht ist aber eine der Urzellen der Entstehung von Staatlichkeit. Ich habe mich auch deshalb gegen die Definition von Herrn Kautsky heute morgen so entschieden gewandt, weil ich das Gefühl habe, als würde die Sache zu mißgünstig dargestellt: Der eine beutet den anderen aus, der Bösewicht den Guten. Aber eine soziale Gemeinschaft wie Staat, jede größere soziale Gruppe kann sich doch wohl nur konstituieren, wenn es eine gemeinsame Grundlage gibt, die beide Seiten akzeptieren können und die über die privaten Interessen der Einzelnen hinausgeht. Die Zeit der Hordenführer, die mal so, mal so handeln, ist damit nicht mehr gemeint. Die griechischen Poleis sind sicherlich Gemeinwesen, in denen es einen Begriff des Öffentlichen gibt, der entstanden ist. Er entsteht eben in dem Augenblick, wo man von Recht sprechen kann, wo ein Richter ohne Ansehen der Person Recht spricht. Die drei Referate haben den Kern dieser Definition genau bestätigt. Martin
Ich habe eine Frage, die der Diskussion vielleicht doch noch eine andere Richtung geben wird und nicht nur das Problem der anerkannten Normen zur Richtschnur macht. Herr Kümmel hat am Schluß seines Referates die Attraktivität der öffentlichen Ämter angesprochen, versuchsweise, und gefragt, ob die denn so groß gewesen sei, und damit hat er angedeutet, daß vielleicht sich nicht, so habe ich es jedenfalls verstanden, genügend Bewerber für diese Ämter gefunden hätten, wenn nicht solche Möglichkeiten der Einnahmen bestanden hätten. Herr Helck hat in seinem Referat ausgeführt, oder hat danach gefragt, wie denn der Umschlag in der Amarnazeit zu erklären sei, und hat dabei abgehoben auf die Tatsache, daß die alte Beamtenschicht durch ein bestimmtes Ethos gekennzeichnet war, das bei der neuen Gruppe nicht mehr vorhanden war. Kann man im Hinblick auf die Hypothese von Herrn Kümmel nicht auch danach fragen, ob diese Beamtenschaft überhaupt die nötige Autorität gehabt hätte, wenn sie nicht Hilfsstützen sich geschaffen hätte, die auch darin liegen könnten, daß, wenn man keine natürliche, keine traditionale Autorität hat, man das, was man bieten kann, möglichst teuer macht? Das ist ein Mittel der Autoritätssteigerung und würde die Sache nicht nur vom Ethos her erklären, sondern auch von den Notwendigkeiten des Funktionierens her. Jetzt komme ich auf meinen Punkt: Ich frage mich, ob nicht die Frage nach der Korruption auch gestellt werden müßte im Hinblick darauf, was jeweils für das Funktionieren eines bestimmten politischen Systems, einer bestimmten politischen Organisation nötig ist und was nicht. Wenn ζ. B. es richtig wäre, wie Herr Kümmel gesagt hat, daß keine Beamten gefunden werden, wenn nicht bestimmte Möglichkeiten der persönlichen Bereicherung da sind, dann muß man fragen, ob ich hier noch unter dem Begriff Korruption an den Tatbestand herangehen kann, wenn bei Fehlen dieses Korruption
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genannten Sachverhalts das gesellschaftliche System auseinanderbricht. Ich kann das an der Diskussion von heute morgen noch einmal zeigen, an der Republik: Wenn die römische Republik in der Spätphase nicht mehr funktioniert hätte ohne ambitus, dann frage ich mich, ob man hier von Korruption sprechen kann. Das gilt auch im Hinblick auf die Provinzen: Wenn die Senatoren das Geld aus den Provinzen für die Finanzierung ihrer politischen Laufbahn brauchen, ist dann die Ausbeutung der Provinzen Korruption? Das ist provozierend gefragt; aber für mich ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt derjenige, nach der Funktion eines Sachverhalts in einem bestimmten Zusammenhang zu fragen. D a muß man sich entscheiden: Fasse ich das nun als Korruption, oder interpretiere ich das funktional auf das System hin? Im letzteren Fall hat meines Erachtens der Begriff wenig Aussagekraft. Demandi M a n kann es noch etwas kürzer fassen. Wir fassen Korruption als ein systemwidriges Verhalten auf. Man kann es genausogut als ein systemstabilisierendes Verhalten auffassen, je nachdem, welchen Systembegriff man zugrunde legt. Schuller Das wollte ich sagen. Und das ist die Fruchtbarkeit des Begriffs Korruption. Es kommt in der Tat auf das System an, das sich darin ausdrückt. Natürlich, für das Funktionieren der Republik, so wie sie faktisch war, war natürlich das, was war, konstitutiv, sonst hätte sie so nicht funktioniert. Im Hinblick aber auf das, wie es im zweiten vorchristlichen Jahrhundert war, war es Korruption; im Hinblick auf das, was dann später war, vielleicht nicht. Es ist also eine neue Entwicklungsstufe, die sich in Relation zu dem, was bisher war, als Korruption äußert. Es ist - möglicherweise - als korrupt zu bezeichnen, wenn einer der Adligen zum Schluß alle Clienten hat. Aber das ist dann das Kaisertum geworden, und da war es dann konstitutiv. Martin Entschuldigen Sie, aber das ist mir zu einfach. Wenn die Clientel (darüber besteht j a wohl Einigkeit) seit dem A n f a n g des zweiten Jahrhunderts praktisch auseinanderbricht, wenn durch das Weltreich neue Notwendigkeiten auf den Adel oder auf die Herrschaftsschicht zukommen, und wenn, als dritte Voraussetzung, das Volk im Vergleich etwa zur griechischen Polis nicht politisiert ist, also nicht die Möglichkeit besteht für so etwas wie einen sachlichen politischen Wahlkampf (das hat es j a in R o m nie gegeben im Hinblick auf das Volk), dann stellt sich die Frage, ob auf bestimmte Formen der Repräsentation, um jetzt auch ambitus zu umschreiben, verzichtet werden kann, um in den Wahlkämpfen durchzukommen. Bringt dann der Begriff Korruption etwas auf der Folie der mittleren oder hohen Republik?
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Schuller Er bringt etwas auf der Folie doch zumindest des Selbstverständnisses; ambitus ist ja bekämpft worden. Demandi Ich meine, die Schwierigkeit für uns liegt ja immer darin, daß wir einerseits Fakten von unserer Seite aus als Korruption bezeichnen, und auf der anderen Seite Fälle aus der Literatur, aus den Quellen vorfinden, die nun ihrerseits Korruption als real betrachten; mir scheint das Kuriose zu sein, daß alle Fälle, die wir von unserem heutigen Verständnis aus als Korruption bezeichnen, unter anderen Prämissen, nicht diese systemverändernde oder systemwidrige Funktion hatten, und daß sie eben dann, wenn sie sich stabilisieren, ihrerseits systemimmanente, systemtragende Faktoren werden. Aber das Merkwürdige ist ja, daß in bestimmten Zeiten abweichende Verhaltensformen tatsächlich als korrupt empfunden werden und bekämpft werden, und insofern, meine ich, haben wir einen relativ festen Gegenstand in der Hand, wenn wir die Fälle einmal isolieren, die von den Quellen selbst als Korruption betrachtet worden sind und uns fragen, wie kommt es zum Phänomen, also zur Erscheinung der Korruption als Bewußtseinsphänomen? Schuller Das eben meine ich. Ich würde aber gerne noch etwas zu den drei Vorträgen sagen im Hinblick auf das, was Herr Koch gesagt hat; das berührt sich dann auch ein bißchen wieder mit der Kautsky-Kontroverse. Ist es wirklich so, daß man sagen kann, das Bewußtsein war so, daß es ausschließlich auf Über- und Unterordnung beruhte, oder daß es den Begriff abweichendes Verhalten, daß es das Gefühl für schiefe Sprüche nicht gegeben hätte, daß keine Meßlatte dafür da war, wie öffentliches Verhalten, das sich im Richterspruch - da muß ich Herrn Liebs ganz entschieden Recht geben - äußert, auszusehen hätte? Doch in Richtung auf Gleichbehandlung; nun nicht im Sinne einer absoluten Gleichmäßigkeit aller Menschen in jeder Beziehung, sondern einer Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle, wobei die Frage, was gleichgelagert ist, abhängig von allen möglichen anderen Faktoren ist. Aber es kommen gleichgelagerte Fakten oder Faktoren heraus, und die Abweichung davon, die beeinflußt werden konnte durch Mittel, die eben nicht in diesem Bezugsrahmen stehen, - das Wort Korruption werde ich übermorgen wahrscheinlich nicht mehr hören können; noch geht es gerade so eben - , diese Abweichung ist als etwas Negatives, Ungerechtes den Menschen auch in seiner Substanz jeweils Treffendes empfunden worden, wie sich aus allen Quellen ergibt. - Sie nicken alle, und das beruhigt mich. Das können die anderen aber nicht sehen, und deshalb sage ich es.
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Koch Darf ich Ihnen noch zart widersprechen? Natürlich hat man das Gefühl für Ungerechtigkeit gehabt. Aber das ist j a doch nicht das, was uns beschäftigt, nach meinem Verständnis, sondern inwiefern wir in einer wie immer angelegten Gesellschaft feststellen können, daß die Gesellschaft mit akzeptierten Verhaltensnormen ein davon abweichendes Verhalten brandmarkt. Wenn eine arme Witwe dem reichen Bauern ihr kleines Feld geben muß, weil der Richter sich hat bestechen lassen durch das gesellschaftliche Ansehen, durch Verwandtschaft, durch Geschenke, dann wird das bestimmt nicht als Abweichung von der Norm gebrandmarkt werden, ist also in dem Sinne nicht als ein Korruptionsdelikt empfunden worden. Sondern es wird im Rahmen der, und jetzt meine ich doch sehr im Rahmen der Gesellschaft, wie sie Herr Kautsky beschrieben hat, als zwar ungerecht von den einen empfunden, aber als gottgegeben von den anderen. Sie können das durchaus auf das Beispiel von Herrn Martin übertragen. Repetundenverfahren sind zwar angestrengt worden, aber wie viele sind nicht durchgekommen, und wieviele Pompeii haben obsiegt, nicht nur wegen ihrer rhetorischen Begabung, sondern weil das gesellschaftliche Verhalten schon im Umbruch zur neuen normativen Setzung der normsetzenden Schicht war - nämlich: daß ein Statthalter in der Provinz nicht mehr amtieren könne, ohne da ein bißchen Geld herauszuholen - hinterher wurden sie j a darum bezahlt, in der Kaiserzeit, entsprechend dem schönen Beispiel, das Herr Helck gebracht hat. Es ist nicht der Punkt, daß Ungerechtigkeit empfunden wird, sondern ob dieses Verhalten in einem normierten, kontrollierbaren Verfahren eine öffentliche Brandmarkung erfährt, oder ob es nur in die utopischen Gebete an den König Keret oder in die Königspsalmen eingeht als abstrakte Vorstellung, als Königsspiegel: „ E r ist gerecht gegenüber Witwen und Waisen". Die Götter nehmen schließlich auch „ O p f e r " für „Entgegenkommen".
Schuller Gottgegeben würde ich Ihnen natürlich nicht so abnehmen, höchstens im Sinne einer resignativen Weise - die Welt ist so, aber sie soll nicht so sein; und das als reine Utopie zu kennzeichnen, dem würde ich widersprechen, weil das doch mancherlei Rechtsvorschriften und Selbstdarstellung von Königen und auch gerade die religiöse Dimension, auf die Herr Brunner so eindringlich hingewiesen hat, außer acht läßt.
Liebs Ich weiß nicht, ob die römischen Repetundenverfahren einmal danach ausgezählt worden sind, wieviele positiv und wieviele negativ ausgingen. Aber man ist doch überrascht, wieviele positiv ausgegangen sind, wieviele Verurteilungen passiert sind. Ebenso Ambitusverurteilungen. Und hinzu kommen die vielen Fälle, wo das gar nicht erst durchgeführt werden mußte. Die Gesetze
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wirkten eben auch abschreckend, und wenn uns berichtet wird, daß es natürlich auch Gesetzesverstöße gab, dann doch voller Empörung nicht nur des Referierenden, sondern der ganzen öffentlichen Meinung, wie Cicero das ja häufig schildert. Akzeptierte Benachteiligung der armen Witwe? Nein. Wenn man sich's ganz klar macht, ist es nie akzeptiert worden. Koch Doch; in den Hordengesellschaften. Darf ich Ihnen gleich dazu sagen: Es gibt in Tübingen eine Dissertation, bei Vogt gemacht, über die Repetundenverfahren, die leider nie gedruckt worden ist: Zählen Sie da die Verfahren und zählen Sie den Broughton. Dann werden Sie auf eine entsetzliche Statistik kommen zuungunsten der wahrscheinlichen Gerechtigkeit durch Repetundenverfahren - einfach durch Zählen. Eine schreckliche Statistik. Liebs Noch ein Wort zu dieser sogenannten systemstabilisierenden Korruption: Sie kann zu irgendeinem Zeitpunkt einmal legalisiert werden, aber eben nur, indem jetzt eine neue Gleichheit geschaffen wird. Die Phase der Korruption ist eine Phase der Ungleichheit, wo es nach der individuellen Höhe der individuellen Zuwendung geht. Beide Seiten werden natürlich dann versuchen, auf diese Weise zu obsiegen; und die Seite, die mehr gibt, hat gewonnen. Ich würde nicht sagen, daß je akzeptiert worden ist, daß Geld den Richterspruch entscheidet. Schuller Resignativ höchstens. Martin Ich meine das einfach anders. Ich meine, wenn ein bestimmter Zusammenhang bestand, nämlich um ein allgemein akzeptiertes Ziel zu erreichen, daß man dann nicht anders handeln konnte als mit bestimmten Mitteleinsätzen, die sozusagen am Rande der Legalität waren oder schon über diesen Rand hinausgingen. Das würde ich allerdings behaupten. Ich glaube nicht, daß es jemanden gab, der das anders sah. Es gibt vielleicht mal einen Cato Uticensis oder irgend jemand, den Sie aber nicht als Norm setzen können, als Norm für das, was jeder sozusagen aufgrund bestimmter moralischer Autorität erreichen kann. Normal war die Notwendigkeit eines bestimmten Aufwandes. Was die Ambitusgesetze angeht, so gab ës sie schon seit 180, das sagt doch auch etwas: Für mich ist einfach die dauernde Wiederholung dieser Ambitusgesetze ein Zeichen dafür, daß die nie gegriffen haben. Wenn man also bestimmte akzeptierte Ziele, hier die Magistratur, nicht anders erreichen kann, als indem man gegen - meinetwegen denn sozusagen Verhaltensnormen, verstößt, dann wird für mich der Begriff Korruption deshalb fragwürdig, weil
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mit dem Begriff Korruption eben sozusagen auf ein persönliches Verschulden hingewiesen wird. Und dies ist dann für mich nicht mehr ganz nachvollziehbar. Lehmbruch Ich frage mich, wieweit man in der Diskussion weiterkäme, wenn man sich überlegt, wo das Problem Korruption in der Entstehung des modernen bürgerlichen Staates auftritt, und zwar an zwei Entwicklungen. Einmal bei der Entstehung der modernen Bürokratie, andererseits der Entstehung des parlamentarischen Regierungssystems. In beiden Fällen laufen die Dinge j a doch wohl so, wenn ich als Politologe auf mein vielleicht spärliches historisches Wissen rekurrieren darf, daß wir zunächst Phänomene haben, wie im Falle der Bürokratie die Käuflichkeit der Ämter, die einen entwicklungsgeschichtlichen Fortschritt in der Entstehung der rationalen Bürokratie darstellen, die dann aber von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr systemstabilisierend, um den Ausdruck aufzunehmen, sondern nun stigmatisierend wirken, als Korruption. Nehmen wir etwa die englische Bürokratiereform im 19. Jahrhundert, oder nehmen wir die Entstehung des parlamentarischen Regierungssystems. Wir wissen aus der Forschung über den englischen Parlamentarismus im 18. Jahrhundert, daß die parlamentarische Mehrheitsregierung entstanden ist durch Korruption. Walpole hat seine Mehrheiten durch Korruption zusammengekriegt, und die Pitts haben ihre Parlamentssitze gekauft. Und dann von einem bestimmten Zeitpunkt an ist das nicht mehr funktional, sondern, im Soziologenjargon, dysfunktional, und wird nunmehr als Korruption stigmatisiert. Was ich mich frage ist, ob diese Verschiebung, daß nun auf einmal das in eine negative Bewertung hereinkommt, ein Phänomen ist, das charakteristisch ist für die Entstehung des modernen Staates oder ob solche Bewertungsverschiebungen etwa auch in der Antike zu beobachten wären oder liegen die Dinge in der Antike sehr viel anders? Demandi Herr Martin hat darauf hingewiesen, daß der Unrechtscharakter von Korruption dann bedenklich wird, wenn diese Korruption notwendige Voraussetzung für akzeptierte Ziele darstellt. Das läuft natürlich auf die pragmatische Bedeutung des Spruches hinaus, daß das Ziel die Mittel heiligt, und mir scheint, daß das natürlich auf die Dauer nicht geht; denn ein Ziel, das an sich akzeptiert ist, aber auf die Dauer inakzeptable Mittel erfordert, das wird auf die Dauer, vermutlich, selbst problematisch, denn ich vermute, daß hier ein Faktor wirksam wird, der gar nicht mal das Ziel selbst betrifft, sondern der eben die erforderlichen Mittel greift und von den Mitteln her das Ziel selbst desavouiert. Das sind j a Dinge, die wir auch aus der Gegenwart allzu gut kennen: Wenn ganz bestimmte Ideale ganz bestimmte Formen der Realisierung zeigen, schlägt das zurück auf die Glaubwürdigkeit dieser Ideale selber. Mir
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scheint, hier kommen wir in eine immens historische Betrachtung der Korruption hinein, die eben in der Tat als Gelenkfunktion im Wandel von historischen Gesellschaftsidealen, wie ich meine, eine wichtige Rolle spielt; und von daher, würde ich meinen, haben wir einen Punkt, der die Korruption eben nicht nur dem Rechtshistoriker, sondern auch dem Allgemeinhistoriker interessant macht. Schuller Das war ja auch einer der Gründe, weshalb ich dieses Symposion gemacht habe. - Es freut mich, daß Herr Lehmbruch auf diese Dinge hingewiesen hat. Ich hatte, damit solche Fragen eingebracht werden, Herrn Birke aus Berlin eingeladen, der über den englischen Parlamentarismus Bescheid weiß, und durch den und dessen Literaturangaben ich z.B. dieses erfahren habe, daß König Georg die Parlamentarier gekauft hat und auf diese Weise seine Mehrheiten gewonnen hat. Auf Ihre Frage, ob in der Antike auch ein solcher Bewertungswandel zu beobachten wäre, ist zu sagen, daß ich beim Ämterkauf so etwas zu erkennen glaube, was sich aber nicht durchgesetzt hat. Liebs Ambitusgesetzgebung ! Koch Beim Übergang aus der vorstaatlichen in die staatliche Sphäre ist das zu postulieren; wir haben es nicht, aber es muß das gegeben haben. Wolff Peisistratos hat auch unlautere Mittel bei der Machtergreifung angewandt. Schuller Ich will noch zur Frage des Systems eine Analogie bringen, die auch in der nichtaltertumswissenschaftlichen korruptologischen Literatur, soweit ich sie kenne, aufgetaucht ist. Aus diesem Grunde hatte ich u.a. Herrn von Beyme eingeladen. Er meint, daß die Korruption der Sowjetunion eine systemstabilisierende Funktion habe. Wenn nämlich gewisse Planmängel nicht hintenherum durch die halblegal oder illegal damit beauftragten Leute wieder wettgemacht würden, durch Leute, die herumreisen in der Union und die fehlenden Dinge gegen planwidrig auf Vorrat produzierte Sachen eintauschen, so daß die Sache dann schließlich im Endergebnis irgendwie hinhaut - dann, wenn das nicht wäre, dann würde das System zusammenbrechen, würde nichts funktionieren. Infolgedessen sagt er, Korruption sei systemstabilisierend. Mir kommt es dabei aber auf die Frage an, was hier das System ist. Wenn es das ist, das sich in der Realität darstellt, dann hat er auch völlig recht, es scheint mir schlüssig zu sein. Diese Aussage läuft aber auf Tautolo-
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gie hinaus. Dieses Verhalten wird aber bekämpft. W a r u m ? Weil die Partei sagt, das System solle nicht irgendwie funktionieren, sondern es solle so funktionieren, wie wir das wollen, und das andere ist Korruption. Ihr habt nach Plan zu arbeiten und ihr habt die Dinge genau so abzuliefern und nicht irgendwelche komischen Leute damit zu beauftragen, wie ihr diese Dinge irgendwie hinbiegt, sondern es soll aus bestimmten Gründen so und so funktionieren. Wenn wir also die realen Verhältnisse als ein System betrachten, wirkt es systemstabilisierend und ist es vielleicht dann gar keine Korruption mehr da hat Herr Martin völlig recht. Es ist bloß die Frage, welches System wir hier haben und ob hier nicht verschiedene Systeme in Konkurrenz zueinander stehen.
Leon Mooren
Korruption in der hellenistischen Führungsschicht
Die letzten Jahre des makedonischen Königs Philippos V., der von 221 bis 179 v.Chr. regierte, wurden durch einen häuslichen Streit um die Thronfolge vergällt. Der vorgesehene Erbe, Perseus, fühlte sich von seinem jüngeren Halbbruder Demetrios, der der Favorit Roms war, bedroht und nahm sich vor, den Konkurrenten zu beseitigen. Seine Intrigen führten zu einer Teilung des Hofes in zwei Parteien. Schließlich gelang es ihm, den König davon zu überzeugen, Demetrios sei ein Verräter und ein Spion Roms. Nach der Ermordung des Demetrios wurde die Verschwörung durch einen gewissen Antigonos aufgedeckt. Von den von Philippos geehrten Freunden war dieser, nach dem Zeugnis des Livius, als einziger incorruptus geblieben'. Der König aber konnte kaum noch etwas unternehmen. Sein Sohn befand sich jetzt in der stärkeren Position. Wir kennen einige der von Perseus korrumpierten Höflinge. Die wichtigsten Männer waren Philokles und Apelles, die bei Philippos eine besondere Vertrauensstellung bekleideten 2 . Sie hatten aus Rom einen gefälschten Brief mitgebracht, der dem Prinzen Demetrios zum Verhängnis wurde. Nach der Aufdeckung des Komplottes wurde Philokles hingerichtet. Apelles konnte fliehen. Der unkorrumpierte Antigonos, den Philippos anscheinend noch für die Nachfolge bestimmt haben sollte, wurde nach dem Tode des Königs sofort von Perseus stumm gemacht. Der neue König ging noch einen Schritt weiter. Er ließ seinen Komplizen Apelles unter großen Versprechungen nach Makedonien zurückkehren und beseitigte ihn dort insgeheim, ohne Zweifel um einen gefährlichen Zeugen loszuwerden 3 .
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Livius X L 54.6: Huius fratris filius Anligonus ex honoratis Philippi amicis units incorruptus permanseroI, eique ea fides nequaquam amicum Persea intmicissimum fecerat. Vgl. L. MOOREN, in Antike D i p l o m a t i e (Wege d e r Forschung, Bd. 462), D a r m s t a d t , 1979, S.285 bis 287 A n m . 87. ' Zu den Ereignissen u m die Verschwörung gegen Demetrios s. Β. NIESE, Geschichte d e r griechischen u n d m a k e d o n i s c h e n Staaten seit d e r Schlacht bei C h a e r o n e a III, G o t h a , 1903, S.31—35; F. W. WALBANK, Philip V of M a c e d ó n , C a m b r i d g e , 1940 (I967 2 ), S . 2 4 4 - 2 5 3 ; P. MELONI, Perseo e la fine della m o n a r c h i a m a c e d o n e , R o m , 1953, S. 1 - 6 0 ; E. WILL, Histoire politique du m o n d e hellénistique II (Annales d e l'Est. M é m o i r e 32), N a n c y , 1967, S.213—215. Zu Antigonos, der ein N e f f e des A n t i g o n o s Doson war, s. J. KAERST, in R e a l - E n c y c l o p ä d i e d e r classischen Altertumswissenschaft [im f o l g e n d e n RE], I (1894), Sp. 2419 Antigonos Nr. 6; zu 2
Apelles,
U . WILCKEN,
RE,
1 (1894),
Sp. 2688 Apelles
Nr. 7; zu
Philokles,
P. SCHOCH,
RE,
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Diese Geschichte veranlaßt uns gleich zu einer Überprüfung des Korruptionsbegriffes. Von W. Schuller wird Korruption definiert als „öffentliches Verhalten, das auf Grund privater Interessen ausdrücklichen oder impliziten Normen für ein solches öffentliches Verhalten entgegenläuft" 4 . Die Antriebskräfte sind nicht auf reinen Geldgewinn beschränkt, können vielmehr auch auf Prestige- und Machtgewinn und ähnliche Vorteile gerichtet sein. Als Spezifikum der Korruption wird das Handeln gegen öffentliche Regeln und Zweckbestimmungen betrachtet 5 . Eine solche breite Definition hat natürlich Konsequenzen, zunächst einmal für die Heuristik. Wenn die engere Begriffsbestimmung, die die Korruption auf Bestechung im aktiven und passiven Sinne reduziert, zurücktreten muß, wird man die Quellen von neuen Gesichtspunkten aus sondieren müssen. Und es geht wohl kaum anders. Wir wissen nicht, wie Perseus die meisten Höflinge auf seine Seite gebracht hat. Daß er dabei auch zur Waffe der Bestechung gegriffen hat, unterliegt wohl keinem Zweifel, obwohl sein Geiz sprichwörtlich war 6 . Aber wie dem auch sei, das Handeln des Perseus und seiner Anhänger ist als „korrupt" zu betrachten, wie Livius es ja indirekt bezeichnet. Ob Leute wie Philokles und Apelles Geld für ihre Dienste bekommen haben oder nicht, ändert nichts am Wesen der Sache. Wir wollen einige vergleichbare Fälle aufführen, die die Probleme der Heuristik weiter erörtern dürften. Archias, der ptolemäische Gouverneur von Zypern, hatte um 158/57 v.Chr. die Absicht, seine Provinz für fünfhundert Talente dem syrischen König Demetrios I. zu verkaufen. Die Sache kam jedoch heraus, und Archias erhängte sich7. Ein Vorgänger des Archias, Ptolemaios Makron, hatte 168 v.Chr. seine Provinz dem syrischen Fürsten Antiochos IV. übergegeben, anscheinend weil er die Chancen der syrischen Armee im Krieg gegen Ägypten höher einschätzte. Später finden wir ihn wieder als (1938), Sp. 2491-2492 Philokles Nr. 5; siehe weiter E. OLSHAUSEN, Prosopographie der hellenistischen Königsgesandten. Teil I: Von Triparadeisos bis Pydna (Studia Hellenistica 19), Löwen, 1974, S. 1 1 8 - 1 1 9 A n t i g o n o s N r . 8 6 , S. 1 1 9 - 1 2 1 A p e l l e s N r . 8 7 , S. 1 3 5 - 1 3 7 P h i l o k l e s N r . 101.
4
5 6
Auf die Bedeutung der Bezeichnung ex honoratis Philippi amicis in Livius XL 54.6 (bestimmt keine Rangstufenbezeichnung) brauche ich hier nicht einzugehen; vgl. etwa E. OLSHAUSEN, a.e.a.O., S. 118-119 und die Diskussion in Antike Diplomatie, a.a.O. (zu Apelles und Philokles). W. SCHÜLLER, Probleme historischer Korruptionsforschung, in Der Staat, 1977, S. 373-392 (Zitat S. 373). Ebenda, S. 388-389. Siehe etwa Livius XLIV 26.12 (pecuniae quam regni melior cusios); vgl. L. MOOREN, a.a.O., S. 289-290 Anm. 119.
' P o l y b i o s X X X I I I 5 ; s. W . PEREMANS - E . VAN 'T DACK - L. MOOREN - W . SWINNEN, P r o s o p o g r a -
phia Ptolemaica VI: La cour, les relations internationales et les possessions extérieures, la vie culturelle (Studia Hellenistica 17), Löwen, 1968 [im folgenden Pros. Ptol. VI], S. 80 Nr. 15037; L. MOOREN, The Aulic Titulature in Ptolemaic Egypt: Introduction and Prosopography (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Künsten van België. Klasse der Letteren XXXVII 78), Brüssel, 1975, S. 188-189 Nr. 0351; Ino MICHAELIDOUNICOLAOU, Prosopography of Ptolemaic Cyprus (Studies in Mediterranean Archaeology 44), Göteborg, 1976, S.46 Nr. A 161; R. S. BAGNALL, The Administration of the Ptolemaic Possessions outside Egypt (Columbia Studies in the Classical Tradition 4), Leiden, 1976, S. 257 Nr. 5.
K o r r u p t i o n in d e r h e l l e n i s t i s c h e n F ü h r u n g s s c h i c h t
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Statthalter von Koilesyrien und Phoinikien. Nach einigen Jahren wurde er von Höflingen bei Antiochos V. angeklagt, wobei er mit seinem früheren Verrat dem ägyptischen König gegenüber konfrontiert wurde. Er verübte Selbstmord 8 . Im Jahre 219 v.Chr. lieferte der ptolemäische Stratege von Koilesyrien und Phoinikien, der Aitoler Theodotos, sein Gebiet dem Antiochos III. von Syrien aus. Er handelte aus Verachtung gegen König Ptolemaios IV. und aus Mißtrauen gegenüber dessen Hof. Der Grund war eigentlich Ranküne. Für seine früheren Verdienste hatte er nicht genügend Dank bekommen, im Gegenteil, es fehlte nicht viel, und er wäre zum Tode verurteilt worden. Der syrische König nahm ihn mit offenen Armen in Dienst 9 . Unseres Erachtens sind diese drei Fälle auf einen Nenner zu bringen. Nur mit Archias liegt ein klarer Fall von Korruption im engeren Sinne vor: sein Verrat wird durch Geldgewinn bestimmt. Aber die beiden anderen sind genauso korrupt gewesen, und dies nicht nur vom Standpunkt des ptolemäischen Hofes aus. Sie haben aus privatem Interesse ihre Stellung mißbraucht, haben Sachen, die ihnen nicht gehörten, verschenkt, um sich eine bessere Zukunft zu sichern. Auch die obengenannten Freunde des Philippos V. haben, so können wir ahnen, weniger an direkte materielle Vorteile als an ihre zukünftige Position gedacht. Die engere Definition des Korruptionsbegriffes berücksichtigt solche Fälle nur kaum, die breitere dagegen, die den Verstoß gegen bestimmte Regeln in den Vordergrund stellt, wird ihnen gerecht. Wenn man sich dahin einigen kann, daß solche und vergleichbare Vorgänge zur Korruptionsforschung gehören, dann wird die Heuristik vor eine ziemlich schwere Aufgabe gestellt. Verrat und Verschwörung in allen Formen hat es immer wieder in der Geschichte - nicht nur in der hellenistischen Geschichte - gegeben und die Quellen informieren uns darüber reichlich. Die besondere Art der vorgeführten Korruptionsfälle ist völlig durch den gesellschaftlichen Kreis bedingt, um den es sich hier handelt. Die mittlere und untere Beamtenschaft werden ihre zusätzlichen Vorteile meistens in Geldgewinn suchen und zu suchen haben. In der Führungsschicht geht es um viel mehr. Hier kommt es in erster Linie auf Macht und Einfluß an, deren Erwerbung von selbst zu Reichtümern führen kann. Wir befinden uns in der Welt der Politik mit ihren andauernden Kämpfen um die besseren Positionen. Dabei wird häufig gegen alle möglichen ausdrücklichen oder impliziten Normen verstoßen. Welches sind aber diese Normen? Und wo liegt der Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Interessen? Es versteht sich von selbst, daß die In!
M a k k a b ä e r I I 1 0 . 1 2 - 1 3 ; s. P r o s . P t o l . V I , S . 9 2 - 9 3 N r . 1 5 0 6 9 ; L . MOOREN, a . e . a . O . , S. 1 8 7 - 1 8 8 N r . 0 3 5 0 ; I n o MICHAELIDOU-NICOLAOU, a . e . a . O . , S . 105 N r . Π 6 5 ; R . S. BAGNALL, a . e . a . O . ,
S.256-257
Nr. 4. ' Polybios V 40.1-3; s. Pros. Ptol. VI, S.84 Nr. 15045; W. Huss, Untersuchungen zur Außenpolitik Ptolemaios' IV. (Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 69), München, 1976, Register S.283 s.v. Theodotos d. Aitoler.
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terpretation wirklicher oder angeblicher Korruptionsvorgänge sich jeweils in einem bestimmten historischen u n d gesellschaftlichen R a h m e n zu bewegen hat. Das soziale Bewußtsein ist keine Konstante, obwohl, wie W. Schuller es in seinem anregenden Aufsatz zu Recht hervorgehoben hat 10 , mit gewissen allgemeingültigen sozialen Standards gerechnet werden darf. Der R a h m e n soll aber noch weiter präzisiert werden. In einer zeitlich u n d örtlich abgegrenzten Gesellschaft k a n n es unterschiedliche Verhaltensnormen geben. Quod licet Jovi, non licet bovi: was dem einen erlaubt ist, das kann dem anderen untersagt sein. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Verhaltensregeln der Oberschichten in den hellenistischen Königreichen. Alexander der G r o ß e hatte in wenigen Jahren ein Weltreich gegründet, das von Griechenland bis zum Indus reichte. Nach seinem Tode im J a h r e 323 v.Chr. lieferten seine Generäle einen erbitterten K a m p f um die Nachfolge. Schließlich entstanden drei Großmächte: Makedonien mit der Dynastie der Antigoniden, Ägypten mit dem Haus der Ptolemäer, u n d Syrien, d . h . Asien, mit den Seleukiden. In 30 v.Chr. wurde Ägypten als letzter dieser Staaten durch Rom a n n e k t i e r t " . Die hellenistischen Könige des Ostens sind absolute M o n a r c h e n . Ihre Herrschaft stützt sich auf die Besetzung eines von f r e m d e n Völkern bewohnten Territoriums. Die Armee, die höhere Beamtenschaft u n d die Hofgesellschaft sind überwiegend aus M a k e d o n e n u n d Griechen zusammengestellt. Der Staat u n d die Staatsinteressen sind eigentlich die π ρ ά γ μ α τ α , die Sachen des Königs. Im Reich der Antigoniden liegen die Verhältnisse anders. Dort ist der König der Führer einer Nation. Staat u n d König sind nicht identisch, obwohl es in der Praxis nur wenige Unterschiede mit den ägyptischen u n d syrischen Herrschern gibt 12 . Die Mitglieder der Führungsschicht sind aufs engste mit der Person des Königs verbunden. Sie werden von ihm gewählt u n d tragen nur ihm gegenüber Verantwortung. Offiziell heißen sie „ F r e u n d e des Königs". Ihre erste Tätigkeit besteht darin, den König in allen Angelegenheiten der Außen- u n d Innenpolitik zu beraten. Sie bilden also eine Art Kronrat. D a n e b e n werden ihnen die wichtigsten Stellen in der Politik, der Verwaltung u n d der Armee 10
A . a . O . [o. A n m . 4], S.376-377. " Zur hellenistischen Geschichte s. H. BENGTSON, Griechische Geschichte von den A n f ä n g e n bis in die römische Kaiserzeit ( H a n d b u c h d e r Altertumswissenschaft, III 4), M ü n c h e n , 1977 s (Vierter Abschnitt: D a s Zeitalter des Hellenismus, S.293-517); E. WILL, Histoire politique du m o n d e hellénistique (Annales de l'Est. M é m o i r e 30 u n d 32), N a n c y , I (1979 2 ) u n d II (1967). 12 Z u r hellenistischen M o n a r c h i e s. A. AYMARD, Etudes d'histoire a n c i e n n e (Publications de la Faculté des Lettres et Sciences h u m a i n e s de Paris-Sorbonne. Série Etudes et M é t h o d e s 16), Paris, 1967, S.73-163, S . 2 3 0 - 2 6 2 ; E. WILL - C l a u d e MossÉ - P. GOUKOWSKY, Le m o n d e grec et l'Orient. T o m e II: Le IV e siècle et l ' é p o q u e hellénistique (Peuples et Civilisations), Paris, 1975, S . 4 1 9 483; Claire PRÉAUX, Le m o n d e hellénistique. La Grèce et l'Orient de la mort d ' A l e x a n d r e à la c o n q u ê t e r o m a i n e d e la Grèce, 323-146 av. J.-C. (Nouvelle Clio 6), I, Paris, 1978, S. 181-294; R. M. ERRINGTON, The N a t u r e of the M a c e d o n i a n State u n d e r the M o n a r c h y , in C h i r o n , 8 (1978), S.77-133.
K o r r u p t i o n in der h e l l e n i s t i s c h e n
Führungsschicht
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anvertraut. Um diesen Kreis u n d um das Königshaus dreht sich das ganze öffentliche Leben in den hellenistischen Staaten 1 · 1 . Wichtig f ü r die Interpretation ist zuerst die Feststellung, d a ß diese Gesellschaft selbst die Regeln bestimmt. Die allgemeinen u n d die besonderen öffentlichen Verhaltensnormen werden von ihr festgelegt. Das k o n n t e schon den Zeitgenossen Schwierigkeiten bereiten. Aus einem ptolemäischen Papyrus des zweiten J a h r h u n d e r t s v.Chr. erfahren wir, d a ß der Hof den Beamten des Landes bestimmte Anweisungen gegeben hatte, die von den letztgenannten anscheinend nicht verstanden wurden. In einem sehr bösen Rundschreiben des Finanzministers wird den Beamten vorgeworfen, sie hätten die Direktiven zu ihrem eigenen Vorteil ausgenützt u n d sich unter a n d e r e m der Erpressung schuldig gemacht 1 4 . Für uns erhebt sich die Frage, ob die Schuld allein bei den Beamten lag. Aber die Hofgesellschaft bestimmt auch ihre eigenen Regeln, was ebenfalls zu Fehlinterpretationen führen kann. Ein samischer Ehrenbeschluß aus der Mitte des dritten J a h r h u n d e r t s v.Chr. erzählt uns, d a ß der G e s a n d t e Boulagoras zuerst nach Ephesos u n d d a n n nach Sardis zog, um mit Antiochos II. über die Rückgabe bestimmter Ländereien in der Anaitis, auf dem Festland, zu verhandeln. Die Aufgabe war schwierig, denn Boulagoras stieß auf den Widerstand der angesehensten „ F r e u n d e " des Königs, die ja diese Gegenden in Besitz g e n o m m e n hatten, nachdem die Anaitis unter die Herrschaft des Antiochos g e k o m m e n war. Der König entschloß sich endlich zur Rückgabe 1 5 . In der Inschrift heißt es, d a ß die Güter der samischen Bürger auf dem Festland αδίκως, auf ungerechte Weise, beschlagnahmt worden waren 1 6 . Die Höflinge des Antiochos sollten also ihre Position dazu mißbraucht haben, sich am Eigentum Anderer zu bereichern, was dem Korruptionsbegriff entsprechen würde. Wir wissen aber, d a ß die hellenistischen Herrscher ihre Hofleute des öfteren mit sogenannten δωρεαί beschenkt haben, d . h . mit Landgütern oder mit Steuereinnahmen 1 1 . D a r a u s konnten sie sich ihre E i n k ü n f t e holen, denn ein festes Gehalt, im m o d e r n e n Sinne, war nicht vorgesehen, übrigens auch nicht f ü r die unteren Beamten 1 8 . Auf diese Weise wurden sie also f ü r ihre Dienste belohnt, auch im Fall eines
,J
Vgl. Chr. HABICHT, Die herrschende Gesellschaft in den hellenistischen Monarchien, in Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 45 (1958), S. 1-16; L. MOOREN, Macht und Nationalität, in: Das ptolemäische Ägypten. Akten des internationalen Symposions 27.-29. September 1976 in Berlin (Deutsches Archäologisches Institut), Mainz, 1978, S.51-57; ders., Die diplomatische Funktion der hellenistischen Königsfreunde, in Antike Diplomatie [zitiert o. Anm. 2], S. 256-290. 14 U. WILCKEN, Urkunden der Ptolemäerzeit I, Berlin-Leipzig, 1927, S . 4 7 3 ^ 9 6 Nr. 110 (mit Übersetzung und Kommentar). 15 J. POUILLOUX, Choix d'inscriptions grecques, Paris, 1960, S.27-32 Nr. 3 ( = Supplementum Epigraphicum Graecum I 366). Zum Datum vgl. Chr. HABICHT, Athenische Mitteilungen, 72 (1957), S. 220. " Siehe Z. 15. " Zum Begriff der δωρεαί vgl. zuletzt M. WÖRRLE, Chiron, 8 (1978), S.207-225. ,s Vgl. Dorothy J. CRAWFORD, in: Das ptolemäische Ägypten [zitiert o. Anm. 13], S.201.
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gelungenen Feldzugs, nach welchem ihnen ein Teil der Kriegsbeute zustand". Es kann als gesichert gelten, daß Antiochos wußte, daß seine „Freunde" die betreffenden Ländereien in Besitz g e n o m m e n hatten und man darf eben annehmen, daß er sie ihnen geschenkt hatte 20 . Die Rückgabe soll aus politischen Gründen erklärt werden. Dies führt uns gleich zum zweiten Aspekt der Interpretation, nämlich zum Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Interessen. Um 170 v.Chr. wurde in Tyros vor dem König Antiochos IV. der jüdische Hohepriester Menelaos von drei Abgesandten der Jerusalemer Gerusia wegen Ausplünderung des Tempels angeklagt 21 . Da die Sache des Menelaos ganz hoffnungslos aussah, versprach dieser dem Statthalter von Koilesyrien und Phoinikien, Ptolemaios, einem der mächtigen Höflinge des Antiochos 2 2 , eine hohe Geldsumme, falls er den König umstimmen könnte. Der Versuch hatte den gewünschten Erfolg und Menelaos wurde freigesprochen, seine drei Ankläger dagegen zum Tode verurteilt 23 . Das Motiv des Ptolemaios ist klar zu erkennen. Wie steht es aber mit dem König, der doch auch gegen die Regeln verstoßen hat? Wir kennen nicht die Argumente, mit denen Ptolemaios den König zu überzeugen wußte. Es liegt jedoch nahe, daß wir sie im politischen Bereich suchen müssen. Wahrscheinlich hat Antiochos es letzten Endes für politisch vernünftiger gehalten, den Hohenpriester zu entlasten und ihn in seinem Amt zu bestätigen 24 . Für die Hofkreise wird die Interpretation immer mit der
" Z u r Kriegsbeute im hellenistischen Zeitalter vgl. etwa Ciaire PRÉAUX, a . a . O . [o. A n m . 12], S. 199-200, S. 297-298, S. 366-370. N a c h einem règlement militaire aus der Regierung Philippos' V. war den „ F r e u n d e n " eine Rolle bei der Verteilung der Kriegsbeute z u g e d a c h t : siehe P. ROUSSEL, Un règlement militaire de l ' é p o q u e m a c é d o n i e n n e , in Revue archéologique, VI 3 (1934), S . 3 9 - 4 7 (s. S.40 Kol. III Ζ. 2 - 4 : — κ ρ [ ί ν ε ι ν ? δέ] τ ο ύ ς φ ί λ ο υ ς τ ο υ β α σ ι λ έ ω ς ; vgl. S.46: „ L e rôle des φ ί λ ο ι το0 β α σ ι λ έ ω ς ne peut q u ' ê t r e conjecturé. Ici il est possible qu'ils aient présidé au partage du b u t i n " ) ; M. FEYEL, Un n o u v e a u f r a g m e n t du règlement militaire trouvé à A m p h i p o l i s , in Revue archéologique, VI 6 (1935), S. 29-68. Vgl. H. BENGTSON, Die Strategie in der hellenistischen Zeit II ( M ü n c h e n e r Beiträge zur P a p y r u s f o r s c h u n g u n d antiken Rechtsgeschichte 32), M ü n c h e n , 1964 2 , S. 333 (mit weiterer Literatur). 20 Vgl. A. WILHELM, Anzeiger der A k a d e m i e der Wissenschaften in Wien, philos.-hist. Klasse, 1924, S. 1 0 8 - 1 0 9
21 22 21
24
( = A.
WILHELM,
Kleine
Schriften
I, 2,
Leipzig,
1974,
S. 1 5 2 - 1 5 3 ) ;
R.
MERKELBACH,
Zeitschrift f ü r Papyrologie u n d E p i g r a p h i k , 24 (1977), S. 217-218; W. ORTH, Königlicher Machta n s p r u c h u n d städtische Freiheit ( M ü n c h e n e r Beiträge zur P a p y r u s f o r s c h u n g u n d antiken Rechtsgeschichte 71), M ü n c h e n , 1977, S. 170. M a k k a b ä e r II 4.43-50. M a k k a b ä e r I 3.38: ά ν ή ρ δ υ ν α τ ό ς τ ώ ν φ ί λ ω ν τοΟ βασιλέως. Η. BENGTSON, a . a . O . [ο. A n m . 19], S. 169 u n d Η. VOLKMANN, RE, 23 (1959), Sp. 1764-1765 Ptolemaios Nr. 49, sind der Meinung, d a ß das Urteil nicht vom König, s o n d e r n von Ptolemaios abgegeben wurde. Dies läßt sich j e d o c h nicht folgern aus M a k k . II 4.46, wo wir n u r lesen, d a ß Ptolem a i o s den König mit nach a u ß e n n a h m unter d e m V o r w a n d , ihm etwas frische Luft zu g ö n n e n . Für die V e r h a n d l u n g w a r wohl d a s königliche Synedrion z u s a m m e n g e t r e t e n (vgl. E. BIKERMAN, Institutions des Séleucides, Paris, 1938, S. 188 u. 189). Menelaos unterstützte die Hellenisierungspolitik der seleukidischen Regierung. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, d a ß A n t i o c h o s später selbst mit Hilfe des Hohenpriesters den T e m p e l von Jerusalem ausgeplündert hat ( M a k k a b ä e r II 5.15ff.). Siehe etwa F. GEYER, R E , 15 (1932), Sp. 831-832 M e n e l a o s Nr. 7; O. MORKHOLM, Antiochus IV of Syria (Classica et Mediaevalia. Disser-
Korruption in der hellenistischen Führungsschicht
99
Staatsräson rechnen müssen. Nachdem Alexander der Große den Philotas, ein vornehmes Mitglied seiner Gefolgschaft, wegen angeblicher Verschwörung von der makedonischen Heeresversammlung zum Tode hatte verurteilen lassen und dann dessen Vater, den berühmten und einflußreichen Feldherrn Parmenion, ohne Prozeß hatte ermorden lassen, wurde ihm vorgeworfen, Philotas habe ein ungerechtes Ende gefunden und der Tod seines Vaters sei noch gesetzwidriger gewesen 25 . Schon früher, unmittelbar nach seiner Thronbesteigung, hat Alexander schwer gegen die Normen verstoßen, wenn er die königliche Familie zum großen Teil ausrottete 26 . Angesichts seines rücksichtslosen Verfahrens hat der Grieche Kallisthenes ihm einmal vorgeworfen, seine Vorgänger hätten nicht (wie er) mit Gewalt, sondern in Übereinstimmung mit der Tradition über die Makedonen regiert 27 . Die Motive Alexanders sind als eine Mischung privater und öffentlicher Interessen zu betrachten. Gewiß war er darauf bedacht, seine eigene Position zu behalten oder zu verstärken. Aber die Anwendung unerlaubter Mittel bis hin zum politischen Mord hatte zugleich mit der Staatsräson zu tun. E. Badian spricht in diesem Zusammenhang von der „Einsamkeit der Macht" 28 . Der Definition nach sollte Alexander eigentlich „korrupt" heißen, aber dann doch wohl mit gewissen Einschränkungen. Ein Ähnliches läßt sich für die Höflinge feststellen. Wir kennen eine Reihe von führenden Politikern der hellenistischen Zeit, deren Karrieren auf dem ersten Blick auf Korruption im weiteren Sinne gebaut waren. Die Quellen erschließen uns ein ganzes Arsenal dunkler Praktiken: Morde, Staatsstreiche, Verschwörungen, Intrigen, Bestechungen, Erpressungen, Fälschungen und Ähnliches. Auch hier jedoch sind die Grenzen zwischen privaten und staatlichen Interessen fließend. Nehmen wir das Beispiel eines berühmten Staatsmannes aus Ägypten, Sosibios, von dem der Historiker Polybios sagt, daß er t a t i o n e s 8), K o p e n h a g e n , 1966, S. 139-146, S. 156-159; M. HENGEL, J u d e n t u m u n d H e l l e n i s m u s . S t u d i e n zu ihrer B e g e g n u n g u n t e r b e s o n d e r e r B e r ü c k s i c h t i g u n g P a l ä s t i n a s bis zur Mitte des 2. J h . v . C h r . ( W i s s e n s c h a f t l i c h e U n t e r s u c h u n g e n zum N e u e n T e s t a m e n t 10), T ü b i n g e n , 1969, S . 5 0 8 - 5 1 5 u n d Register S.671 s.v. M e n e l a o s . " A r r i a n , A n a b a s i s IV 14.2; zu P h i l o t a s u n d P a r m e n i o n s. H. BERVE, D a s A l e x a n d e r r e i c h a u f p r o s o p o g r a p h i s c h e r G r u n d l a g e , M ü n c h e n , 1926, II, S . 3 9 3 - 3 9 7 N r . 802, S . 2 9 8 - 3 0 6 N r . 6 0 6 ; ders., R E , 18.4 (1949), Sp. 1559-1565 P a r m e n i o n N r . 1. 26 Vgl. e t w a S. LAUFFER, A l e x a n d e r d e r G r o ß e ( d t v - W i s s e n s c h a f t l i c h e Reihe), M ü n c h e n , 1978, S. 3 8 - 4 0 . 27
2S
A r r i a n , A n a b a s i s IV 11.6: ο ύ δ έ βίςχ, ά λ λ α ν ό μ ω . Zu diesem Passus s. A. AYMARD, a . a . O . [o. A n m . 12], S. 154—155, d e r ü b e r s e t z t : „ n o n p a r la f o r c e , m a i s p a r la l o i " ; vgl. P. A. BRUNT, A r r i a n . History of A l e x a n d e r a n d I n d i c a ( T h e L o e b Classical Library), I, C a m b r i d g e ( M a s s . ) - L o n d o n , 1976, S.377 ( „ n o t by f o r c e b u t in a c c o r d a n c e with c u s t o m " ) ; zur D i s k u s s i o n vgl. jetzt R. M. ERRINGTON, a . a . O . [o. A n m . 12], S . 8 0 - 8 3 . D i r e k t e r A n l a ß zur f r e c h e n B e m e r k u n g des K a l l i s t h e n e s w a r A l e x a n d e r s V e r s u c h , d i e P r o s k y n e s e e i n z u f ü h r e n ; zur P r o s k y n e s e s. J. SEIBERT, A l e x a n d e r d e r G r o ß e ( E r t r ä g e d e r F o r s c h u n g 10), D a r m s t a d t , 1972, S. 192-204; F. SCHACHERMEYR, A l e x a n d e r d e r G r o ß e . D a s P r o b l e m seiner P e r s ö n l i c h k e i t u n d seines W i r k e n s ( Ö s t e r r e i c h i s c h e A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n , philos.-hist. Klasse, Sitzungsber. 285), W i e n , 1973, S. 3 7 0 - 3 8 5 . E. BADIAN, A l e x a n d e r the G r e a t a n d t h e Loneliness of P o w e r , in seinen S t u d i e s in G r e e k a n d Rom a n History, O x f o r d , 1964, S. 192-205.
100
Leon Mooren
die Kunst beherrschte, einen König nach dem anderen in seiner Hand zu haben 29 . Nach dem Tode des dritten Ptolemäers ließ Sosibios die Mutter, den Oheim und den Bruder des neuen Königs, Ptolemaios IV. Philopator, aus dem Weg räumen. Um die Hofleute für das Attentat auf seine Seite zu bringen, spiegelte er ihnen große Hoffnungen vor. Auch der spartanische König Kleomenes III., der zu dieser Zeit in Alexandrien im Exil lebte, wurde in den Plan eingeweiht und sagte seine Mitwirkung zu, nachdem Sosibios ihm große Versprechungen gemacht hatte. Nach einigen Jahren, im Jahre 219 v.Chr., war Kleomenes selbst an der Reihe. Sosibios bestach einen früheren Bekannten des spartanischen Königs und ließ ihn einen Brief mit Anklagen gegen diesen schreiben. Kleomenes bekam Hausarrest und beging kurze Zeit danach Selbstmord. Im Jahre 204 v.Chr. verstarb Ptolemaios IV. Philopator. Daraufhin ließen Sosibios und sein Kollege Agathokles die Königin, Arsinoe III., umbringen. Dann gaben sie den Tod des Königspaares bekannt, riefen den jungen Ptolemaios V. zum Nachfolger aus und verlasen ein gefälschtes Testament, das sie zu Vormündern des Knaben bestimmte 30 . All dies sind Momente aus einer politischen Karriere. Man hat den Eindruck, einen völlig korrupten Mann vor sich zu haben, dem alle Mittel recht sind. Es kann nicht angezweifelt werden, daß Sosibios immer seine eigene Position im Auge gehabt hat. Es wäre jedoch ungerecht, sein Handeln nur aus diesem Grunde zu erklären. Im Falle des Kleomenes ist dies ganz klar. Sosibios hat in ihm eine mögliche zukünftige Bedrohung für das Ptolemäerreich gesehen und hat ihn deshalb kaltstellen wollen 31 . Mit den politischen Morden nach dem Regierungsantritt des Philopator hat er gewiß auch der Sache des neuen Königs, dessen „Ministerpräsident" er war, gedient. Durch den Mord an Arsinoe und mittels der Testamentsfälschung wollte er sein Regiment verlängern. Aber auch die Staatsräson wird mit im Spiel gewesen sein. Daß die Interpretation jedesmal die Quellenangaben auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen hat, versteht sich von selbst 32 . 2
' Polybios XV 34.4. >° Polybios V 3 5 - 3 9 ; XV 25; weitere Quellen u n d Literatur bei L. MOOREN, a . a . O . [o. A n n . 7], S . 6 3 - 6 6 Nr. 018; zu Agathokles, e b e n d a S.67-69 Nr. 020. Vgl. auch E. OLSHAUSEN, a . a . O . [o. A n m . 3], S . 4 3 ^ 5 Nr. 24; W. H u s s , a . a . O . [o. A n m . 9], S.242-253. J ' Vgl. Polybios V 35. 12 Die antiken A u t o r e n vermitteln u n s m e h r m a l s ein falsches oder doch wenigstens ein einseitiges Bild von diesen Politikern, ob es K ö n i g e oder H ö f l i n g e sind. Für Sosibios k a n n Polybios noch eine gewisse B e w u n d e r u n g a u f b r i n g e n ; dessen Kollege Agathokles dagegen wird in den dunkelsten Farben geschildert (s. XV 34.3-6, wo er die beiden vergleicht; zum polybianischen Bild des Sosibios u n d Agathokles vgl. W. H u s s , a . e . a . O . ) . Ein - vielleicht nicht in den Fakten, s o n d e r n bestimmt in d e r antiken Interpretation - verzeichnetes Bild h a b e n wir z.B. auch von zwei ausländischen Kollegen des Sosibios, namentlich Hermeias in Syrien (zu diesem vgl. u.a. E. WILL, Les premières années du règne d ' A n t i o c h o s I I I : 223-219 av. J . - C , in Revue des Etudes Grecques, 75, 1962, S . 7 2 - 1 2 9 ; weitere Literatur bei L. MOOREN, a . a . O . [O. A n m . 2], S.278 A n m . 26) u n d Apelles in M a k e d o n i e n (zu diesem Apelles, d e r nicht identisch ist mit d e r o. A n m . 3 gen a n n t e n Person, vgl. u.a. R. M. ERRINGTON, Philip V, Aratus, a n d the ' C o n s p i r a c y of Apelles', in Historia, 16, 1967, S. 19-36). Z u m Bild der hellenistischen K ö n i g e vgl. etwa K.-W. WELWEI, Könige u n d K ö n i g t u m im Urteil des Polybios, Diss. Köln, gedr. H e r b e d e , 1963.
K o r r u p t i o n in d e r h e l l e n i s t i s c h e n F ü h r u n g s s c h i c h t
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Die nächste Frage ist dann, wie all das zu bewerten sei. Weil die Interpretation mit bestimmten besonderen Verhaltensnormen in dieser Gesellschaft rechnen muß, sieht die Synthese sich vor der Aufgabe gestellt, das wirkliche Verfahren der Führungsschicht mit der von ihr erhofften Handlungsweise zu konfrontieren. Wo es Monarchen gibt, dort gibt es meistens auch sogenannte Fürstenspiegel. Für die hellenistische Zeit haben wir eine Anzahl von Traktaten „Über das Königtum"", die uns erlauben, zusammen mit den Aussagen anderer antiker Autoren, wie ζ. B. der Historiker 34 , und mit den Angaben der Inschriften und Papyri 35 , das Bild des „idealen" Königs zu rekonstruieren. Auch die erwünschten Qualitäten seiner Mitarbeiter stehen in den literarischen Quellen gelegentlich zur Diskussion 36 . Hier sind wir jedoch vor allem auf die Inschriften und Papyri angewiesen, um uns ein Bild vom „idealen" Beamten machen zu können 37 . Die weitere Aufgabe der Synthese wird darin bestehen, die historischen Parallelen aufzuzeigen. In erster Linie drängt sich wohl der Vergleich mit den Hofgesellschaften der griechischen Tyrannen und der römischen Kaiser auf. Aber auch in der späteren Geschichte wird manches ähnliche vorzufinden sein.
" Siehe u.a. E. R. GOODENOUGH, The Political Philosophy of Hellenistic Kingship, in Yale Classical Studies, 1 (1928), S. 55—102; L. DELATTE, Les traités de la royauté d'Ecphante, Diotogène et Sthénidas (Bibliothèque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l'Université de Liège 97), Lüttich-Paris, 1942; O. MURRAY, Aristeas and Ptolemaic Kingship, in The Journal of Theological Studies, N. S. 18 (1967), S. 337-371; G. J. D. AALDERS, Political Thought in Hellenistic Times, Amsterdam, 1975, S. 17-38. " So z.B. Polybios: dazu das o. Anm. 32 zitierte Werk von K.-W. WELWEI. " Siehe W. SCHUBART, Das hellenistische Königsideal nach Inschriften und Papyri, in Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete, 12 (1937), S. 1-26. M Siehe etwa Aristeas, Epistula ad Philocralem 125, 209, 264, 270, 280, 281 ; Polybios VII 11 ; Diodor XX 107.5. 17 Vgl. W. SCHUBART, a.a.O., S. 18-26; Dorothy J. CRAWFORD, The G o o d Official of Ptolemaic Egypt, in: Das ptolemäische Ägypten [zitiert o. Anm. 13], S. 195-202. Das Bild eines „ i d e a l e n " Höflings finden wir z. B. in den Inschriften für Heliodoros, den Kanzler des Seleukos IV. von Syrien (F. DURRBACH, Choix d' inscriptions de Délos I 1, Paris, 1921, S.94-97 Nr. 71 I und II, Nr. 72). Gelobt werden seine φιλία (Freundschaft), φ ι λ ο σ τ ο ρ γ ί α (Affektion), εϋνοια (Loyalität), άρετή (Tugend) und δ ι κ α ι ο σ ύ ν η (Gerechtigkeit) gegenüber dem König und seinen π ρ ά γ μ α τ α . Seleukos betrachtete ihn als seinen Alterego (προς öv εχει τε κ[αί εξ]ει ώς πρός έ α υ τ ό ν : Nr. 71 II Ζ. 3). Im Jahre 175 ν. Chr. jedoch hat Heliodoros seinen König umgebracht, um selbst die Macht ergreifen zu können. Vgl. W. OTTO, RE, 8 (1913), Sp. 12-15 Heliodoros Nr. 6; O. MORKHOLM, a . a . O . [o. Anm. 24], Register S.208 s. v. Heliodorus; E. WILL, a . a . O . [o. Anm. 3], S. 254-257.
Willy Peremans*
Die Amtsmißbräuche im ptolemäischen Ägypten
Die Mißbräuche der Beamten im Ägypten der Lagiden sind oft untersucht worden, sei es, um eine Bestandsaufnahme zu machen, sei es, um ihre Ursachen zu erforschen 1 . Nach V. Martin liegt die Verantwortung für die Mißbräuche in erster Linie bei der Politik der Ptolemäer, die alle Reichtümer Ägyptens ausschließlich für den Gewinn des Königs ausbeuten. Dieser ordnete im 3.Jhdt. v.Chr. seine Haltung hinsichtlich Ägyptens seinen Zielen in der Ägäis unter. „La politique intérieure contribuait à un but, auquel la population travailleuse d'Egypte restait étrangère: l'impérialisme ptolémaique, que Rostovtzeff limitait à une intention défensive, auquel Wilcken au contraire assignait des visées universelles et dont Jouguet, plus près de la réalité tant psychologique, que politique montrait l'évolution depuis l'intention défensive jusqu'aux visées démesurées." 2 Zu Anfang des 2.Jhdts. v.Chr. bricht das Reich der Lagiden im Ägäischen Meer zusammen, und dem ägyptischen König bleiben nur Zypern und die Cyrenaica, aber die Ausbeutung des Landes zugunsten der königlichen Kasse geht weiter. Mit Beginn der Regierung Philopators geben die Lagiden die Vorstellung einer Politik der Hegemonie in der Ägäis auf. Ihr Ziel ist von nun an, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Ägyptens gegenüber den anderen Staaten zu sichern 3 . * Mir liegt d a r a n , meinem Kollegen von d e r Universität K o n s t a n z , W o l f g a n g Schuller, herzlich f ü r die M ü h e zu d a n k e n , die er sich mit d e r Übersetzung meines Textes g e m a c h t hat. 1 Unter den diesem G e g e n s t a n d gewidmeten Studien gibt es einerseits allgemeine Werke, andererseits Artikel, die sich direkt auf das Problem beziehen. Beispielshalber seien g e n a n n t : M. ROSTOVTZEFF, The Social a n d E c o n o m i c History of the Hellenistic World, 3 Bde., O x f o r d 1941; CLAIRE PRÉAUX, L ' é c o n o m i e royale des Lagides, Bruxelles 1939; V. MARTIN, Les p a p y r u s et l'histoire administrative d e l'Egypte gréco-romaine, in; Papyri u n d Altertumswissenschaft ( M ü n c h e ner Beiträge zur P a p y r u s f o r s c h u n g 19), M ü n c h e n 1934, 102-165; C . KUNDEREWICZ, Evolution historique de la responsabilité des f o n c t i o n n a i r e s d a n s l'Egypte ptolémaique, Eos 4 8 / 2 (1956) 101-115 ( = Symbolae Taubenschlag, Bd. II); DOROTHY J. CRAWFORD, T h e G o o d Official of Ptolemaic Egypt, in: D a s ptolemäische Ägypten. Akten des internationalen S y m p o s i o n s 27.-29. Sept e m b e r 1976 in Berlin, M a i n z 1978, 195-202. Ich erlaube mir, n o c h einen Artikel u n d einige Seiten eines Buches a n z u f ü g e n , die ich vor über vierzig J a h r e n veröffentlicht h a b e : Ptolémée II Philadelphie et les indigènes égyptiens, R B P h H 12 (1933) 1005-1022; Vreemdelingen en Egyptenaren in vroeg-Ptolemaeisch Egypte, Louvain 1937, 75-85. 2
J
CLAIRE PRÉAUX, L ' é c o n o m i e lagide 1933-1958, in: Proceedings IXth International Congress of Papyrology (Oslo 1958), Oslo 1961, 200-232 (217). M . ROSTOVTZEFF, Social a n d E c o n o m i c History II, 707.
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Um ihre Absichten zu verwirklichen sind sie darauf angewiesen, alle Ressourcen Ägyptens zur Verfügung zu haben; sie müssen als absolute Herrscher die Geschicke des Landes lenken können. Sie treffen aber auf zahlreiche Hindernisse: den auswärtigen Feind, die Schwäche bestimmter Könige, die schwierigen Beziehungen innerhalb der königlichen Familie, die zentrifugalen Tendenzen im Süden des Landes, den sein Haupt erhebenden Feudalismus, die Unruhen, die daraus erwachsen und die das normale Leben zerrütten. Sie vertrauen ihre finanziellen Interessen einem Heer von Beamten an, und um diese zu verpflichten, in ihrem Sinne zu handeln, verfügen sie deren persönliche Verantwortlichkeit vor der vorgesetzten Instanz. Diese Verantwortlichkeit ist vor allem finanziell. Die Mißbräuche, die der königlichen Kasse keinen Schaden verursachen, werden nicht so streng bestraft wie die, die Geldverlust bringen. In UPZ 113 4 schreibt der Dioiket Dioskourides an Dorion, den Epimeletes des memphitischen Gaus, daß ihm zahlreiche Mißbräuche gemeldet worden seien, die unter der Verantwortung des Adressaten stattgefunden hätten. Er dringt bei diesem darauf, daß sich diese Dinge nicht wiederholen sollen. Der Text spricht aber nicht von Sanktionen, die den Schuldigen treffen könnten. P. Amherst 33 5 betrifft eine andere Situation. Er erinnert an die Bestimmung eines früher erlassenen Dekrets, wonach Beteiligte an προσοδικαί κρίσεις, Steuerprozessen, sich nicht eines συνήγορος, eines Anwalts, bedienen dürfen; denn vor allem gilt es, die Interessen des Fiskus zu wahren. Es ist darauf hinzuweisen, daß der Beamte mit seinem Geld und sogar mit seiner Person nicht nur für seine eigenen Fehler haftet, sondern auch für die der Steuerpflichtigen. Ein Dioiket schreibt einem Basilikogrammateus: „ W i r lassen keine Entschuldigung gelten, nicht einmal die, daß körperliche Gewalt angewandt worden sei, sondern wir werden von euch den Wert der Ernte bekommen, die ihr euch habt stehlen lassen." 6 Ein anderer Dioiket läßt einen Strategen wissen, der die Getreideernte einbringen sollte: „ W e n n nur eine einzige Artabe fehlt, wirst du sie von deinem eigenen Geld bezahlen." 7 An anderer Stelle ergibt ein in die Regierungszeit des Philadelphos und des Euergetes datierter Text 8 , daß desertierte freie und unfreie (gekennzeichnete) Matrosen der königlichen Flotte nicht wieder eingefangen worden sind, und
4 s 4
' 8
156 v.Chr., s. C. KUNDEREWICZ, a . a . O . 104F. Ca. 157 v.Chr. P. Tebt. 27 (113 v.Chr.) = U. WILCKEN, Chrest. 331, Z. 8 1 - 8 3 (nach der Übersetzung von CLAIRE PRÉAUX, Economie royale, 446). B G U 1760 ( 5 1 / 5 0 v.Chr.), Ζ. 30 (Übersetzung nach CLAIRE PRÉAUX, Economie royale, 447). P. HIBEH II
198, Z.
86-92.
Amtsmißbräuche im ptolemäischen Ägypten
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daß der nachlässige Polizist gezwungen worden ist, selbst den Platz des Deserteurs einzunehmen 9 . Man hat den Eindruck, daß die königliche Politik und die Verantwortlichkeit der Beamten völlig hinreichen, um deren Mißbräuche zu erklären. Gleichwohl hat Dorothy J. Crawford mit guten Gründen noch eine weitere Erklärung hinzugefügt, indem sie einige Besonderheiten des Lebens in Ägypten unterstreicht 10 . Man kennt dort verschiedene Formen des Schutzes des Einzelnen, insbesondere die σκέπη, die πίστις, die άσφάλεια, deren Wirkungen, bisweilen negative, sich bis in die Verwaltung hinein zur Geltung bringen". Unter den zahlreichen und bekannten Beispielen seien der Brief der Hierodulen von Bubastis an Zenon 12 genannt, sowie der des Pächters der Abgaben für Bier und Natron an den Basilikogrammateus von Kerkeosiris 13 . Dorothy Crawford bemerkt ebenfalls, daß in bestimmten Fällen Ernennungen und Beförderungen irregulär sind, daß sie manchmal gekauft werden, daß der Beamte, der sich dafür Geld geliehen hat, sich an den von ihm Verwalteten schadlos hält, und daß diese sich so seine Protektion sichern 14 . Könnte es sein, daß die Mißbräuche manchmal daher rühren, daß wichtige Funktionen sehr häufig Ausländern übertragen worden sind? Diese hätten aus ihrer privilegierten Stellung Nutzen ziehen können, um sich Verstöße gegenüber der besiegten Bevölkerung zu erlauben. Es ist unmöglich, hier das vielfältige Problem der Beziehungen zwischen Griechen und Ägyptern in der ptolemäischen Verwaltung zu erörtern. Es sei nur gesagt, daß die Unterscheidung zwischen Fremden und Einheimischen in bezug auf den Amtsmißbrauch nicht die Bedeutung gehabt hat, die man ihr zuzumessen geneigt wäre. Schließlich muß man gewiß auch die individuelle Haltung jedes einzelnen Beamten in Rechnung setzen, ihre moralische und technische Bildung, die vielleicht manchmal zu wünschen übrig ließ, und das persönliche Verhalten eines jeden von ihnen. Es genügt aber nicht, die Herkunft und die Ursachen dieser Mißbräuche zu erforschen, man muß ebenso versuchen, die Auswirkungen auf das öffentliche Leben abzuschätzen. Es ist gesagt worden, daß „das Treiben der Funk-
® C. K U N D E R E W I C Z , a.a.O. 109. ,0 a.a.O., 199f. " Dies., a.a.O., 200 Anm. 61. 12 PSI 440. "
P . TEBT. 4 0 .
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P. TEBT. 9, Einl. 9-10; 40, 9.
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tionäre die Revolte hervorgerufen hat" 15 , daß „die sozialen Mißbräuche ohne jeden Zweifel die ägyptischen Revolutionen mitverursacht haben" 16 . Wie soll man derartige Behauptungen verstehen? Es ist evident, daß die Amtsmißbräuche, deren politische Bedeutung an sich niemandem entgeht, nicht direkt zu einer bewaffneten Revolte großen Stils geführt haben. Es ist aber unleugbar, daß das Verhalten der Beamten dazu beigetragen hat, das öffentliche Leben zu zerrütten und ein für den Umsturz günstiges Klima zu schaffen. Es genügt, an die Unruhen zu denken, die diese Mißbräuche in den ägyptischen Dörfern hervorrufen, wo es vorkommt, daß Arbeiter oder Bauern langsam arbeiten oder durch die άναχώρησις, die Arbeitsverweigerung, die Produktion einstellen. Die manchmal gewalttätige Reaktion der arbeitenden Klasse zeigt die explosive Schwere der Situation. Man muß sich also fragen, auf welche Weise und in welchem Ausmaß Beamte dahin gelangt sind, sich von der königlichen Autorität loszusagen und ihre Stellung für persönliche Zwecke zu mißbrauchen. Im Laufe einer langen Entwicklung, die wir zu verfolgen versuchen wollen, wurde das System der Verwaltung, das die beiden ersten Ptolemäer geschaffen hatten, vollkommen ruiniert. Es kam der Augenblick, wo der König sich gezwungen sah, die Verteidigung der Steuerpflichtigen gegen die Raubgier der Beamten zu übernehmen 17 . Unter diesem Gesichtspunkt wollen wir den Vorgang der Mißbräuche in der ptolemäischen Verwaltung neu untersuchen, wobei wir zwischen dem 3.Jhdt. v.Chr. und den folgenden Epochen unterscheiden wollen. Tatsächlich zeigen sich unter der Regierung von Ptolemaios IV. Philopator (221-203 v.Chr.) wichtige Änderungen in der Außen- 18 und Innenpolitik 19 der Lagiden, und erst unter Ptolemaios VIII. Euergetes II. (145-116 v.Chr.) erreicht die Entwicklung ihren Höhepunkt. Die Informationen über die Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung werden vor allen Dingen durch die Texte auf Papyrus geliefert. Die Schriftsteller und die Inschriften gehen für die innere Geschichte Ägyptens nie ins Detail, sondern zeigen nur gelegentlich Unruhen und Störungen an 20 .
" CLAIRE PRÉAUX, Esquisse d ' u n e histoire des révolutions égyptiennes sous les Lagides, C E 11 (1936) 522-552 (536). 16 S. meinen Artikel: Les révolutions égyptiennes sous les Lagides, in: Das ptolemäische Ägypten (o. A n m . 1), 3 9 - 5 0 (42). "
V. MARTIN, a . a . O . ,
126f.
" Pol. V 34. W. Huss, U n t e r s u c h u n g e n zur Außenpolitik Ptolemaios' IV. ( M ü n c h e n e r Beiträge zur P a p y r u s f o r s c h u n g , 69), M ü n c h e n 1976. " S. meine Studie Ptolémée IV et les Egyptiens, in: Le M o n d e grec. H o m m a g e s à Claire Préaux, Bruxelles 1975, 393^102. 20
S . CLAIRE PRÉAUX, C E 11 ( 1 9 3 6 ) 5 2 2 - 5 5 2 , d i e S t e l l e n a u s P o l y b i o s , D i o d o r , P l u t a r c h , J u s t i n , H i e -
r o n y m u s u.a. zitiert.
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Durch die epigraphischen Quellen sind königliche Entschließungen erhalten, die auf die Gewährleistung der Rechte der Untertanen gerichtet sind. Sie werden im Lauf unserer Arbeit benutzt. Die papyrologischen Quellen ihrerseits untergliedern sich in verschiedene Kategorien: Neben individuellen Beschwerden gibt es von Gruppen ausgehende Gesuche, Anweisungen hoher Beamter und königliche Dekrete. Die vollständige Liste all dieser Dokumente könnte den Eindruck einer in allen Zweigen der Verwaltung weitverbreiteten Korruption erwecken. Man muß sich jedoch davor hüten, die Perspektiven dadurch zu verzerren, daß man Mißbräuche einzelner Beamter unangemessen generalisiert. Auf der anderen Seite sollte der Wahrheitsgehalt dieser Beschwerden nicht in Zweifel gezogen werden. Zwar sind sie in den meisten Fällen von Personen formuliert, deren Identität und damit deren Glaubwürdigkeit wir nicht kennen. Sie werden aber durch Schreiben der vorgesetzten Behörden bestätigt, die versuchen, die Mißbräuche abzustellen. Die Regierung der drei ersten Ptolemäer folgten in Ruhe und Wohlstand aufeinander. Der Reichtum des Landes wird von Theokrit in seinem Lobgedicht auf Ptolemaios gepriesen 21 : Länder unzählige und von Männern unzählige Völker Bringen zur Reife die Saat mit Hilfe des Regens vom Himmel. Keines läßt aber so viel gedeihn wie das flache Ägypten, Wenn der schwellende Nil die frische Scholle durchfeuchtet. (Verse 77-80) Alle Könige drückt er wohl nieder mit seinem Besitztum. So viel kommt von überall her ins begüterte Haus ihm Jeglichen Tag. Doch in Ruhe besorgen die Leute die Arbeit. (Verse 95-97)
Theokrit bestätigt also, daß der Überfluß an Geldmitteln, über die der König verfügt, ihm erlaubt, nach der Hegemonie in der Ägäis zu streben. Aber um sein Ziel zu erreichen ist der König gezwungen, von jedem Bewohner Ägyptens ein Höchstmaß an Anstrengung zu fordern. Unvermeidlich zeigt sich sehr bald Ermüdung, und die ersten Zeichen von Unzufriedenheit erscheinen schon mitten in der Periode des Wohlstands. Der P. Hibeh II 198", der nach den Herausgebern aus dem Ende der Regierung von Ptolemaios II. und dem Anfang der Regierung Ptolemaios III. stammt, weist auf die Unsicherheit des Landes und den Geist der Revolte bei den Seeleuten hin.
31
12
Übersetzung von E M I L S T A I O E R , in: Theokrit. Die echten G e d i c h t e , Zürich u n d Stuttgart 1970 (Die Bibliothek der Alten Welt), 156. 157. Siehe auch F. T. GRIFFITHS, Theocritus at C o u r t , 1979 ( S u p p l e m e n t M n e m o s y n e , 55). S . o . A n m . 8.
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Auf der anderen Seite hat m a n im Laufe des asiatischen Feldzuges von Ptolemaios III. Euergetes den Eindruck, einem Vorspiel von Revolutionen beizuwohnen, die die folgenden J a h r h u n d e r t e der Geschichte der Lagiden erfüllen sollten. „Ptolémée aurait occupé tout le r o y a u m e de Seleucus s'il n'avait pas été rappelé en Egypte par u n e sédition domestique" 2 3 ; wir kennen aber weder den Charakter noch die Ursachen dieser Unruhen 2 4 . Die Informationen sind derart ungenügend, d a ß es sehr schwierig ist, eine Verbindung zwischen den ersten U n r u h e n u n d den Amtsmißbräuchen im 3.Jhdt. v.Chr. herzustellen. Alles was m a n sagen k a n n ist, d a ß weder die einen noch die anderen die Bedeutung gehabt haben, die sie im Lauf der folgenden J a h r h u n d e r t e b e k o m m e n sollten. Hinsichtlich der Beamtenmißbräuche haben wir schon seinerzeit 25 eine Aufstellung aus den Zenon-Papyri gemacht und dieses Dossier später vervollständigt, indem wir nicht mehr nur die Zenon-Archive, sondern auch andere Papyrussammlungen des 3.Jhdts. v.Chr. benutzten 2 6 . Zu dieser Zeit k n ü p f e n sich diese M i ß b r ä u c h e bisweilen an tief eingewurzelte Gewohnheiten, zum Beispiel an die, dem König u n d den G r o ß e n des Reiches Geschenke, xenia, zu überreichen. „ C e s ξένια sont les présents offerts obligatoirement, aux fonctionnaires et hauts personnages, le plus souvent à l'occasion de leurs tournées (παρουσίαι). Mais ce sont aussi des présents envoyés à Alexandrie par les villes et villages d'Egypte à l'occasion de certaines fêtes, comme les σ τ ε φ α ν η φ ό ρ ι α " 2 7 . Die von uns zusammengestellten Beispiele 28 zeigen, d a ß sich M i ß b r ä u c h e verschiedener Ausprägung in dieser Art, dem Souverän seinen Respekt zu bezeigen, eingeschlichen haben. Von einem bestimmten Augenblick an werden diese ehemals freiwilligen Geschenke obligatorisch, u n d der König legt genau fest, was er beispielsweise am Jubiläumstag seiner K r ö n u n g zu bek o m m e n wünscht. Als Folge davon müssen m a n c h e Tag u n d Nacht arbeiten, um rechtzeitig fertig zu werden 2 9 . Andererseits erheben auch Beamte niederer G r a d e Anspruch auf dieselben Vorrechte. So fordert Ischurias, ein oikonomos, als xenia zwölf Gänse, obwohl die unglücklichen Wächter geltend machen, d a ß ihnen die Lieferung unmöglich ist 30 . " 24
J u s t i n 2 7 , I, 9 ; Ü b e r s e t z u n g v o n CLAIRE PRÉAUX, C E 11 ( 1 9 3 6 ) 5 2 3 f .
W. Huss, Eine Revolte der Ägypter in der Zeit des 3. Syrischen Krieges, Aegyptus 58 (1978) 151-156 (155): „Welchen U m f a n g die Empörung a n g e n o m m e n hat, welche Kreise sie getragen haben, und welche Motive im Spiel gewesen sind, bleibt u n b e k a n n t " . Vgl. AC 50 (1981) 628-636. 25 RBPhH 12 (1933) 1005-1022 (insbesondere 1010-1014). 26 Vreemdelingen en Egyptenaren (o. Anm. I), 75-85. 27 P. JOUGUET, Petit supplément aux archives de Zénon, in: Bibliothèque de l'Ecole des Hautes Etudes 230 (1921) [ = Cinquantenaire de l'Ecole pratique des Hautes Etudes], 215-236 (II, 228). S. auch Vreemdelingen en Egyptenaren, 80. Hinzuzunehmen ist T. C. SKEAT, P. Lond. VII (1974), 2000 Ζ 3; 2141 f. 28 S. Vreemdelingen en Egyptenaren, 80. 2 " PSI 514 (252/1 v.Chr.). Vgl. PSI 537. P. Petrie 32 (a), PZM 58 (248 v.Chr.), Einl.
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Wie bei den xenia bürgern sich Mißbräuche anläßlich der parusiai ein, wenn die Beamten in einem bestimmten Ort auf der Durchreise sind 31 . Nur wichtige Persönlichkeiten nämlich lassen sich legalerweise bei einer solchen Gelegenheit von ihren eigenen Untergebenen versorgen 32 ; die Beamten niederen Grades nehmen sich dasselbe Recht heraus. Beispielsweise befiehlt Phanias, Sekretär der Reitertruppe, der in Philadelphia die neuen Rekruten des Arsinoe-Gaues inspiziert, ihm ein Haus im Dorf zur Verfügung zu stellen 33 . Andere Pflichtgeschenke, die στέφανοι, ähneln den xenia. Im 3.Jhdt. v.Chr. lastet diese Verpflichtung auf der Stadt Halikarnaß 34 , und später, 41 v.Chr., weist das letzte ptolemäische Dekret noch einmal auf die Mißbräuche hin, die man mit diesen „Kränzen" treibt 35 . „Les fonctionnaires qui achetaient leur nomination par des pots-de-vin ou présents obligatoires (στέφανοι), récupéraient leurs déboursés par des exactions" 36 . Erwähnen wir zum Schluß dieses Abrisses der Situation im 3.Jhdt. v.Chr. die Einrichtung der σταθμοδοσία. Da die Kleruchen, die ein Stück Land zugewiesen bekommen hatten, auch eine Wohnung suchten, wandte man sich an den Wohnungsinhaber, der einen Teil seines Hauses dem König abtrat, der ihn seinerseits dem Kleruchen zuteilte. In der Theorie war der σταθμός Eigentum des Königs. Konflikte zwischen den Einwohnern und den Neuankömmlingen waren sozusagen unvermeidlich, und anderswo haben wir einige Zeugnisse über die durch die σταθμοδοσία hervorgerufenen Konflikte gesammelt 37 . Es ist aber klar, daß die Beamten nicht die einzigen Verantwortlichen waren. Eine zweite Periode beginnt nach der Schlacht von Raphia und erstreckt sich über drei Regierungen, die der Ptolemäer Philopator, Epiphanes und Philometor (217-145 v.Chr.). Nach dem Vorgang von M. Rostovtzeff 38 und von Claire Préaux 3 ' legen wir diese Epoche auf die erste Hälfte des 2.Jhdts. v.Chr. fest. Im Laufe dieser Übergangsperiode ist der regelmäßige Lebens" S. Vreemdelingen en E g y p t e n a r e n , 81. H i n z u z u n e h m e n ist f ü r d a s 3. J h d t . V . C h r . : T. C. SKEAT, P. L o n d . VII 2056, Ζ. 4 ; f ü r d a s 2 . J h d t . v . C h r . : U. WILCKEN, Chrest. 409, Z. 13-14 (113 v . C h r . ) ; M.TH. LENGER. C. O r d . Ptol. 51-52, S. 124f. (124-116 v.Chr.). " P. C a i r o Zen. 59096 (257 v.Chr.). " P. Petrie II 14 (1 b), P. C a i r o Zen. 59254. M
P. C a i r o Zen. 59036, Ζ. 27. S. CLAIRE PRÉAUX, E c o n o m i e royale, 41, 294, 394 f. Zuletzt zu diesem T e x t R . S . BAGNALL, T h e P t o l e m a i c T r i e r a r c h s , C E 4 6 ( 1 9 7 1 ) 3 5 6 - 3 6 2 .
J!
M . - T H . LENGER, C. O r d . Ptol. 75-76, Z. 28 (41 v.Chr.). " A. BOUCHÉ-LECLERCQ, Histoire des Lagides I I I , 394. " Vreemdelingen en E g y p t e n a r e n , 232-239. H i n z u z u n e h m e n ist P. L o n d . I 106 (157 o d e r 146 v.Chr.). " In seinem g r o ß e n Werk ü b e r die soziale u n d wirtschaftliche G e s c h i c h t e der hellenistischen Welt n i m m t der A u t o r dieselbe Unterteilung vor (705) u n d b e g r ü n d e t seine Sicht (706); s. e b e n s o ebd., 871. " Die A u t o r i n b e e n d e t ihr letztes Buch, Le m o n d e hellénistique. La G r è c e et l'Orient (323-146 av. J.-C.) u m die Mitte des 2. J a h r h u n d e r t s v . C h r .
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rhythmus zerbrochen, der die Regierungen der ersten drei Ptolemäer auszeichnet, aber die äußerste Unordnung und Verwirrung, die man seit dem Ende des 2. Jhdts. kennenlernt, existiert noch nicht. Es sei auf die militärische Seite hingewiesen: Die Einheimischenrevolte und insbesondere Dionysios Petosarapis, der Verrat der griechischen Generäle, der Abfall der Thebais und der nubische König Hurgonaphor 4 0 , die Belagerung von Lykopolis, der Einfall des Seleukiden. Inzwischen vervielfältigen und intensivieren sich die Mißbräuche. Wie im 3.Jhdt. v.Chr. kennen wir sie auf Grund von individuellen Beschwerden, aber auch, und das ist neu, durch amtliche Schriftstücke hoher Magistrate und selbst des Königs. Beginnen wir unseren Abriß durch eine Aufstellung einiger Einzeltatsachen. Etliche Dokumente ähneln den früheren, wie beispielsweise diejenigen, die auf Schwierigkeiten hinweisen, die durch die σταθμοδοσία hervorgerufen sind 41 . Andererseits hört man zum ersten Mal, zu Beginn des 2. Jhdts. v.Chr. 42 , von Berechtigungsscheinen, von πίστεις. Niemals aber werden die Interessen des königlichen Schatzes geopfert oder vernachlässigt. Es sei an den Text erinnert, in dem der Dioiket Dioskourides dem Hypodioiketen Dorion anzeigt, daß zahlreiche Personen nach Alexandria gekommen sind, um sich über Erpressungen zu beschweren, die von Dorion und seinen Untergebenen begangen worden sind 43 . Hinsichtlich dieses Papyrus haben wir oben die milde Haltung der Behörden unterstrichen, soweit nicht die Interessen des Schatzes berührt sind. Eine solche Aufführung, schreibt Dioskourides, ist mit „der Lebensart" der hohen Beamten unvereinbar, und er warnt den Hypodioiketen, daß neue Anschuldigungen ihm ernste Schwierigkeiten verursachen würden. An anderer Stelle beklagt sich ein Bauer über Onnophris, einen Steuerpächter, dessen Verhalten übertrieben genannt wird, obwohl doch Ptolemaios, Archisomatophylax und Stratege (?) befohlen habe, daß die Bauern weder ungerecht behandelt noch ausgeplündert werden dürften (Z. 3)44. Was die Polizei betrifft, so läßt sich Hippoitas, ein Phylakit, von einem Dieb kaufen, den er in flagranti ertappt hatte 45 , während Sokomenis, ein Wächter, einen Angeklagten ungesetzlich im Gefängnis zurückbehält 46 . In ei40
41 42
41
44 45 46
Vgl. W. CLARYSSE, Hurgonaphor et Chaonnophris, les derniers Pharaons indigènes, CE 53 (1978) 243-253. P. Enteux. 11 (221/0 v.Chr.); P. Tebt. 820 (201 v.Chr.); P. Lond. I 106 (157 oder 146 v.Chr.). P. Tebt. 741 (187/6 v.Chr.). S. CLAIRE PRÉAUX, Economie royale, 543-546. P. Tebt. 895, Z. 38, 117, 124 (ca. 175 v.Chr.); UPZ 124(176/5 oder 165/4 v.Chr.); UPZ 119 (156 v.Chr.); vgl. UPZ I 561-562. UPZ 113 (156 v.Chr.). S.o.Anm. 4. Übersetzung des Textes bei CLAIRE PRÉAUX, Economie royale, 522.
P. Tebt. 773 (Ende 3.Jhdt.). Vgl. CLAIRE PREAUX. Economie royale, 176 Anm. 1. P. Enteux. 28 (217/6 v.Chr.). P. Tebt. 777, Z. 18-19 (Anfang 2.Jhdt.v.Chr.).
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nem anderen Korruptionsfall beläuft sich die gezahlte Summe auf acht Silberdrachmen 47 . In der Dorfverwaltung wird Tesenuphis, ein ehemaliger Komarch, wie der eben erwähnte Onnophris wegen Gesetzesbruchs und Gaunerei angeklagt 48 . Andere Texte schließlich sprechen in allgemeinerer Form von Amtsmißbräuchen 49 . Kommen wir zu den amtlichen Schreiben, die in glücklicher Weise die Liste der individuellen Beschwerden vervollständigen und zugleich deren Glaubwürdigkeit bestätigen. Der P. Tebt. III 703 hat die Instruktionen eines Dioiketen überliefert, die wahrscheinlich an einen Oikonomos gerichtet sind, jedoch ist die Datierung des Textes unsicher. Soll man ihn in die Zeit nach dem syrischen Feldzug von Ptolemaios III. Euergetes legen (246-245 v.Chr.) 50 oder nach die Schlacht von Raphia (217 v.Chr.)? Diese letztere Hypothese scheint uns die wahrscheinlichere zu sein. Die uns in diesem Vortrag interessierenden Passagen sind nicht zahlreich, sie reichen aber aus, um zu zeigen, daß das Verhalten gewisser Beamter die Behörden beunruhigt. So ist in den Zeilen 40 ff. von Differenzen die Rede, die die Pächter des Königlandes gegen die Komarchen und die Komogrammateis aufbringen könnten, und die der Oikonomos nach Möglichkeit beilegen soll51. Handelt es sich aber an dieser Stelle um Unregelmäßigkeiten? Nach der Ansicht des Herausgebers entsprechen diese Zeilen einer anderen Partie des Textes, wo in einer sehr klaren, obwohl allgemeinen Weise von Mißbräuchen gesprochen wird, und wo die Ausdrücke Ungerechtigkeit, Ausplünderung und illegale Eintreibung vorkommen (Zeilen 222 f.). In Zukunft habe niemand mehr das Recht, zu tun was ihm beliebt. Es werde auf die Sicherheit des Landes und auf das Interesse des königlichen Schatzes geachtet werden. Am Schluß seiner Instruktionen ermahnt der Dioiket seinen Briefpartner eindringlich, in vollkommener Aufrichtigkeit die Interessen, deren Erfüllung ihm aufgetragen ist, zu beachten und sich nicht in der Gesellschaft schlechter Kumpane zu kompromittieren (Zeilen 257-280). Tadelnswerte Gewohnheiten haben anscheinend zugenommen, und die Situation muß jetzt bereinigt werden, bevor es zu spät ist. Das Dokument liefert noch wenige konkrete Hinweise auf die Amtsmißbräuche. In seinem Kommentar zu den Zeilen 44-46 erinnert der Herausgeber an eine Reihe paralleler Texte, die die Schäden enthüllen, die 41 41 49 so 51
P. Amh. 40, Z. 18-21 (2.Jhdt.v.Chr.). P. Amh. 33 und 34 (ca. 157 v.Chr.). P. Tebt. 741, Z. 3, 10 (187 v.Chr.); P. Tebt. 788 (ca. 150 v.Chr.). Vgl. C L A I R E P R É A U X , Le monde hellénistique, 391. C L A I R E P R É A U X , Economie royale, 550.
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die Bauern von Seiten bestimmter Beamter haben erleiden müssen 52 . Das sind aber spätere Dokumente, die nach 150 v.Chr. datieren, und die man in einen anderen Kontext als den des P. Tebt. III 703 versetzen muß. Für den Anfang des 2.Jhdts. v.Chr. erwähnen wir den Stein von Rosette 53 , obwohl er Amtsmißbräuche explizit nicht nennt. Er berichtet uns aber von Steuernachlässen und anderen Erleichterungen sowie davon, daß der König diejenigen amnestiert hat, die im Verlauf von Unruhen feindliche Gesinnungen gezeigt haben. Was hat sich genau zugetragen? War die königliche Politik zu streng gewesen oder war sie von den Beamten zu rigoros und unüberlegt angewandt worden, wie es in UPZ 110 der Fall ist, wovon wir sogleich sprechen werden? Die vom König verordneten Maßnahmen haben nicht den erhofften Effekt gehabt, denn die Unruhen dauern an. Man fragt sich, ob „les concessions royales ont été jugées insuffisantes ou, comme il arrive souvent dans l'Egypte lagide, sont restées lettre morte pour les fonctionnaires, chargés de les appliquer" 54 . Zahlreichere Auskünfte werden durch einen Papyrus von 184 v.Chr. geliefert, der „zwei briefliche Anordnungen von Ptolemaios V. Epiphanes enthält, die darauf abzielen, Willkür im Prozeßwesen zu beseitigen, die eine an einen gewissen Neon, die andere an den Epistates των φυλακιτών Synnomos gerichtet" 55 . „Die Kämpfe, die Ägypten seit Regierungsbeginn von Ptolemaios Epiphanes erschüttern, haben sich beruhigt: Die Niederlage der Nubier in der Thebais und die Unterwerfung der einheimischen Rebellen in Unterägypten haben den Frieden gebracht. Und man stellt beim Gesetzgeber den Willen fest, die Gesetzlichkeit wiederherzustellen sowie die Sorge für die Wiedererrichtung der Ordnung, die die königlichen Anordnungen charakterisieren, die nach der Zeit der Unruhe erlassen worden sind" 56 . Ein Teil des Textes (Z. 10f.) wird von M.-Th. Lenger folgendermaßen übersetzt: „Menez les enquêtes conformément aux diagrammala et aux prostagmala décrétés par nous, par notre père et par nos ancêtres. Et ceux qui attraient des gens en justice sans base légale et à la légère, châtiez-les comme il convient; mais ceux qui le font à la faveur de querelles et de chantage, envoyez-les nous sur-le-champ".
Zwanzig Jahre später, 164 v.Chr., zeigt der berühmte UPZ 110, daß die Beamten aus der Handlungsfreiheit Nutzen ziehen, die ihnen aus der Schwäche der Zentralgewalt erwächst, und die Pachtverpflichtung für ein aufgegebenes Stück Land Leuten auferlegen, die sie nicht leisten können. "
P. Tebt. 28 (ca. 114 v . C h r . ) ; 787-789 (138 v . C h r . ; ± 150 v . C h r . ; ± 140 v.Chr.); 791 (116 v . C h r . ) ; 792 (113 v . C h r . ) ; P. A m h . 35 = WILCKEN, Chrest. 68 (132 v . C h r . ) ; P. Oxy. 1465 ( l . J h d t . v . C h r . ) . " O G IS 90. 54
CLAIRE PRÉAUX, C E
"
M . - T H . L E N G E R , C . O r d . P t o l . 3 0 - 3 1 , 7 1 f.
S6
Einf. zum Text.
11 ( 1 9 3 6 ) 5 3 5 .
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Insbesondere aber gibt es den P. Kroll, der ins Jahr 186 oder 163 v.Chr. gehört 57 . Er ist in bezug auf die Amtsmißbräuche der Beamten expliziter als die bisher zitierten Texte und enthält „eine Gesamtheit von Verfügungen, die für die den Erlaß einer Amnestie begleitenden Prostagmata charakteristisch sind" 58 . Die Stellen, die uns besonders interessieren 59 , betreffen die folgenden Delikte: Requirierung von Schiffen zum persönlichen Gebrauch; Verhaftung von Personen wegen privater Schulden oder Delikte; Gefangenhaltung von Freien aus persönlichem Haß, statt sie vorzuführen. Die verschiedenen Beamtenarten, die sich dieser Taten schuldig machen, sind interessant: Strategen, Epistaten, Epimeleten, Eintreiber (von Schulden), Chrematisten. Allerdings sind die Mißbräuche noch nicht so zahlreich wie im P. Tebt. I 5 von 118 v.Chr., von dem wir unten sprechen werden. Mit zunehmendem Zeitablauf vermehren sie sich, und man ist geneigt daran zu denken, daß die Besonderheiten dieses Textes, wie etwa die Art, die Mißbräuche zu benennen, oder die ausdrückliche Erwähnung der Schuldigen und ihre große Anzahl, eher an ein späteres Datum als 163 v.Chr. denken lassen. Mit dieser Hypothese bietet es sich an, den Text mit einem anderen Dokument zu vergleichen, dem UPZ 111 vom 22. September 163 v.Chr., wo Ptolemaios VI. Philometor sagt, er habe „alle die amnestiert, die sich vorsätzlicher oder fahrlässiger Übertretungen bis zum 19. Epeiph schuldig gemacht haben" 60 . Er drängt bei Dionysios, dem Strategen des memphitischen Gaues darauf, darauf zu achten, daß die Befehle des Königs auch ausgeführt werden. Das Schwinden der königlichen Macht wird immer deutlicher. Die sechziger Jahre des 2.Jhdts. v.Chr. waren am unruhigsten, und die Stellen, die wir eben erwähnt haben, kennzeichnen sie nur sehr unvollkommen. „En 163 la révolution est passée, mais le goût de la violence subsiste" 61 . Der betrachtete Zeitabschnitt (217-145 v.Chr.) zeigt die zunehmende Desintegration des Systems der königlichen zentralisierten Wirtschaft, das die ersten Ptolemäer geschaffen hatten. Die Privatinitiative zieht ihren Nutzen daraus 62 , ebenso wie die Beamten, die begonnen haben, sich der Autorität des Königs zu entziehen und für ihren persönlichen Gewinn die Lebenskräfte der Bevölkerung auszubeuten. Im Verlauf der folgenden Periode bricht die königliche Gewalt zusammen.
C. Ord. Ptol. 34, 82-88. Dies., ebd., 83. " Dies., ebd., 88. 40 Dies., ebd., Nr. 35; Übs. nach M . - T H . L E N G E R . 57
51
M . - T H . LENGER,
"
CLAIRE PRÉAUX, C E
62
M.
ROSTOVTZEFF,
11 ( 1 9 3 6 ) ,
541.
Social and Economic History
II,
733.
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Mit Beginn der Regierung von Ptolemaios VIII. Euergetes II. (145-116 v.Chr.) akzentuiert sich die Desorganisation des Reiches, und die Unruhen verschärfen sich. Unter den wichtigsten Ereignissen dieser Zeit sind zu nennen der Krieg zwischen Euergetes II. und Kleopatra II., die Vernichtung Thebens durch Ptolemaios IX., die Ankunft von Rabirius Postumus, den zukünftigen Herrn der Finanzen Ägyptens. Auf dem flachen Lande begegnen uns die ταραχή, die Landstreicherei, die Drohung des Streiks und die Revolten der Dorfbewohner. In dieser Umgebung werden die Amtsmißbräuche begangen, die bisweilen nur schwer von einfacher Räuberei zu unterscheiden sind. So revoltiert das Volk in BGU 176263 und fordert, daß ein gewisser Hermaiskos den Gau verlassen solle, bei dem sich der Herausgeber des Papyrus fragt, ob er ein Beamter oder ein Bandenchef ist. Die Abwesenheit der Zentralgewalt ruft nämlich nicht nur Amtsmißbräuche, sondern auch Banditentum hervor. Beschränken wir uns aber auf die Mißbräuche und stellen zu Beginn fest, daß die individuellen an die Behörden gerichteten Beschwerden denen der vorhergehenden Epochen ähneln. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Beamten manchmal von Gendarmen begleitet sind 64 , daß Freie Gewaltakten unterworfen werden 65 , und daß Beamtenernennungen in irregulärer Weise erfolgen 66 . Allgemeinere Klagen betreffen die schlechte Aufführung, die μοχθηρά άγωγή, der Beamten 67 . Und nun einige Einzeltatsachen aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens. Trotz der Warnungen des Dioiketen fährt der Steuerverwalter Hermias fort, die Einbringung der Ernte zu vernachlässigen. Bei weiterer Weigerung werden ihm strengere Maßnahmen angedroht 68 . In Oxyrhynchos fordert ein Oikonomos von den Königsbauern eine Geldsumme, von der ein Teil bereits bezahlt war 69 . Dieselben Königsbauern von Oxyrhynchos wenden sich an den Strategen und Steuerverwalter Phanias und beschweren sich über einige Beamte 70 , über
" 58. v.Chr. S. den K o m m e n t a r zu diesem Text in M. ROSTOVTZEFF, Social a n d E c o n o m i c History I I , 8 7 7 u n d i n CLAIRE PRÉAUX, C E 44
P. Tebt. 41 (ca. v.Chr.); 121, Z. 65 P. Tebt. 789. Z. II. 897. " P. A m h . 31, Z.
11 ( 1 9 3 6 )
551-552.
I l l v . C h r . ) ; 35, Z. 13 (111 v . C h r . ) ; 105, Z. 2, 12 (103 v.Chr.); 112, Z. 85 (112 58 (94 oder 61 v . C h r . ) ; 251 ( A n f a n g l . J h d t . v . C h r . ) . 15 mit A n m . (ca. 140 v.Chr.). S. M. ROSTOVTZEFF, Social a n d E c o n o m i c History 11 (112 v . C h r . ) ; P. Tebt. 75, Z. 50 u n d 77, Ζ. 1 (111 v . C h r . ) ; 105 Ζ. 2, 12 (103
v . C h r . ) u s w . S. DOROTHY J. CRAWFORD, a. a. O . (o. A n m .
1), 1 9 9 . S . A n m .
14.
"
P. Tebt. 24, Z. 57, 6 0 - 6 6 (117 v.Chr.).
"
P. T e b t . 2 7 ( 1 1 3 v . C h r . ) ; v g l . CLAIRE PRÉAUX, E c o n o m i e r o y a l e , 1 2 6 F . ; C . KUNDEREWICZ, a . a . O . ,
"
105. P. Tebt. 791 (ca. 116 v.Chr.). P. Tebt. 786. Z. 14, 27, 36 (ca. 138 v.Chr.).
,0
Amtsmißbräuche im ptolemäischen Ägypten
115
einen Apollonios, dessen amtliche Funktion unklar ist71, und über einen Beamten, der einen sie betreffenden Befehl des Asklepiades nicht ausgeführt hat 72 . In Tebtynis ist die Ernteüberwachung unregelmäßig, weil die Erntewächter trotz ihres Eides geflohen sind 73 . Die Priester von Soknopaios beklagen sich beim Strategen, weil der Tempelvorsteher sie betrügt 74 . Ein Sekretär niederen Ranges - ein Hypomnematograph, den man nicht mit dem hohen Beamten der alexandrinischen Zentralverwaltung verwechseln darf, der den gleichen Titel trägt - läßt sich für zwölf Silberdrachmen kaufen 75 . Diese wenigen Einzelbeschwerden genügen natürlich nicht, um das Übel zu ermessen, das die Verwaltung aushöhlt. Glücklicherweise verfügen wir auch hier über amtliche Dokumente, insbesondere königliche Dekrete, die unsere Dokumentation vervollständigen. An erster Stelle sei das Gesuch der Isispriester von Abaton und Philae erwähnt, das vom König und der Königin an den Strategen Lochos, ihren „Verwandten" oder „Bruder" übermittelt wird. Die Bittschrift ist folgendermaßen abgefaßt 76 : „Weil die durchreisenden Strategen in Philae, sowie die Epistatai, die Thebarchen, die Basilikogrammateis, die Epistatai τ ω ν φ υ λ α κ ι τ ώ ν , alle anderen Beamten, die sie begleitenden Truppen und der Rest ihres Gefolges uns gegen unseren Willen verpflichten, ihnen π α ρ ο υ σ ί α ς zu gewähren und weil daraus eine Verarmung des Tempels folgt."
Der Mißbrauch mit den παρουσίαι, seit dem 3.Jhdt. v.Chr. festgestellt, nimmt wie man sieht weiter die Aufmerksamkeit des Königs in Anspruch und muß also beträchtlich gewesen sein. Eine bekannte Inschrift, die in griechischer und demotischer Schrift abgefaßt ist, das letzte Dekret der Lagiden, von 41 v.Chr., ist ein „Brief von Kleopatra VII. und Ptolemaios Kaisarion an den Strategen des herakleopolitischen Gaues mit einem Befehl, ein Prostagma der Herrscher zu veröffentlichen und auszuführen, das den aus Alexandria stammenden Bauern ihre Steuerprivilegien gegenüber der Willkür der Beamten garantiert" 77 . Dieses dem außerordentlich umfangreichen Dossier der Klagen von Steuerpflichtigen zuzuweisende Stück beendet die Serie der von den Königen
" P. Tebt. 787, Z. 21 (ca. 138 v.Chr.). 72 P. Tebt. 792 (ca. 113 v.Chr.). 73 P. Tebt. 731 (153/2 oder 142/1 v.Chr.). Vgl. CLAIRE PRÉAUX, Economie royale, 129. 74 P. Amh. 35 = WILCKEN, Chrest. 68 (132 v.Chr.). 75 P. Tebt. 58, Z. 32-34 (III v.Chr.). 76 C. Ord. Ptol. 51-52, 124; Übs. nach M.-TH. LENGER. 77 C. Ord. Ptol. 75-76, 210. S. Anm. 35.
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Willy Peremans
veröffentlichten Anordnungen zur Behebung des Übels 78 . Es ist einer der Texte, auf die wir oben angespielt haben, der zeigt, daß der König sich verpflichtet sieht, die Untertanen gegen die Beamten zu schützen 79 . Die reichhaltigsten Auskünfte aber für die betrachtete Periode werden durch den berühmten Papyrus I 5 von Tebtynis von 121/0-118 v.Chr. geliefert 80 . Die uns interessierenden Passagen wurden von Ciaire Préaux benannt und folgendermaßen resümiert: „Die Vorsteher des Zolls beschlagnahmen illegal die Waren, die nach Alexandria hineinkommen (Z. 25-27). Sie erheben nicht vorgesehene Steuern und eignen sie sich an (Z. 28-36). Bei der Verwaltung heiligen Landes schlagen sie zum königlichen Eigentum die besten den Göttern gehörende Aruren (Z. 54-72). Sie prellen die Königsbauern durch Anwendung zu großer Maße bei der Abmessung der Pachtabgaben an Weizen (Z. 85-92). Sie erheben illegale Einkünfte und nehmen die besten Landstücke (Z. 138-146; 155-167). Sie setzen für ihren eigenen Gebrauch die Leute des Königs ein, Bauern und Monopolarbeiter (Z. 178-187 und 248-254). Sie behalten zum eigenen Gebrauch die für den königlichen Schatz eingenommenen Beträge (Z. 188-192)... (sie) verurteilen und verhaften willkürlich die Untertanen des Königs (Ζ. 235-264)" 81 . Diese Mißbräuche erinnern, wenigstens zum Teil, an frühere Situationen, und viele Beamte sind für sie verantwortlich: Strategen, Epistatai τών φυλακιτων, Chefpolizisten, Oikonomoi, Sitologen und Antigrapheis. Die vorgesehenen Strafen sind gelegentlich äußerst streng: In Zeile 92 liest man, nicht ohne Staunen, daß in einem bestimmten Fall der Schuldige mit dem Tod bestraft werden soll: θαγ[άτωι ζ]ημιοΟσθαι 82 . Am Ende des 2. und im l.Jhdt. v.Chr. wird Ägypten nicht mehr vom König mit der Hilfe ehrenhafter Minister regiert, sondern von einer Clique selbstsüchtiger, raffgieriger und skrupelloser Funktionäre, die eine neue, reiche und einflußreiche Aristokratie bilden. Das ist das harte Urteil, das M. Rostovtzeff 83 über die Zeit fällt, die wir überblickt haben.
S. C. Ord. Ptol., 211. "
S. CLAIRE PRÉAUX. L e m o n d e h e l l é n i s t i q u e , 2 0 1 . S. A n m . 17.
Der Text ist erneut herausgegeben, übersetzt u n d k o m m e n t i e r t w o r d e n von M.-TH. LENGER, C. O r d . Ptol. 53. K o m m e n t a r von M. ROSTOVTZEFF, Social a n d E c o n o m i c History, 878 f., insbes. 893f.; auch CLAIRE PRÉAUX, C E 11 (1936) 545f. 81 CLAIRE PRÉAUX, C E 11 (1936) 546 (frz.); Le m o n d e hellénistique, 397. Ein neues Beispiel willkürlicher V e r h a f t u n g bei P. J. SIJPESTEIJN, Ein ptolemäischer Papyrus aus F r a n k f u r t , Z P E 23 (1976) 201-202. !2 Es handelt sich bei dieser Bestimmung d a r u m , sich strikt an die in j e d e m G a u a u f b e w a h r t e n E i c h m a ß e aus Bronze zu halten. " a. a. Ο. II, 896.
Amtsmißbräuche im ptolemäischen Ägypten
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Es ist Zeit zu schließen u n d sich zu fragen, welches die Auswirkung der Amtsmißbräuche der Beamten auf die Entwicklung der revolutionären Situation im ptolemäischen Ägypten gewesen ist. Diese Wirkung ist mit Präzision schwer zu bestimmen, aber sie bestand trotzdem. Diese M i ß b r ä u c h e versetzten dem Ansehen u n d der Macht des Souveräns einen schweren Schlag. Gleichzeitig schadeten sie dem Wohlergehen der Bevölkerung, die sie entmutigten u n d deren Aktivität sie verlangsamten. Der König, aufgerufen, die Stabilität seiner Herrschaft in einem Vielvölkerstaat zu sichern, u n d gezwungen, den K a m p f an mehreren Fronten zu f ü h r e n , sowohl in Ägypten wie gegen den auswärtigen Feind, m u ß feststellen, d a ß die Beamten sich seinen Anweisungen entziehen, dazu beitragen, seine Politik zu vereiteln, u n d sich schließlich an seine Stelle setzen. Auf dem flachen Lande Ägyptens, wo die Revolution sich unter ihrem sozialen u n d wirtschaftlichen Aspekt zeigt, sehen sich die aktive Bevölkerung u n d die Steuerpflichtigen, die doch das Wohlergehen des Landes sichern sollen, in ihren Interessen geschädigt u n d reagieren m a n c h m a l hart. M a n darf also d a r a n denken, d a ß die A m t s m i ß b r ä u c h e zur Revolte beigetragen haben, obwohl es unmöglich ist, an einer konkreten Situation nachzuweisen, d a ß das Verhalten von Beamten die Ursache von U n r u h e n gewesen ist.
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Wolff Ich möchte einiges zu unserer Generalfrage in diesem Kongreß bemerken. Zunächst zu dem, was Herr Mooren über Sosibios gesagt hat. Ich weiß nicht, ob sich das so ohne weiteres halten läßt. Sosibios war doch offenbar einer der ganz großen Lumpen in der Weltgeschichte, und auf diese Weise, wie Herr Mooren ihn bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt hat, möchte ich sagen, kann man auch Hitler oder Stalin oder Idi Amin oder Khomeini oder ähnliche Figuren rechtfertigen. Wichtiger ist mir aber zweitens die Frage, daß man doch mal hier fragen muß, in welchen Bereichen wir mit dem, was wir Korruption nennen, überhaupt rechnen können. Was Herr Mooren vorgetragen hat, waren Unregelmäßigkeiten oder Verbrechen oder wie man es nennen will, ganz oben, auf der obersten Leiter nicht nur der sozialen Ordnung, sondern eben des Staates. Ich glaube, das ist keine Korruption, das gehört einfach in den Bereich der Politik. Aber wenn wir dann herunterkommen in den eigentlichen Bereich der Landesverwaltung, wo wir Korruption erwarten können, da hat uns Herr Peremans viel gegeben, und dabei ist mir folgendes aufgefallen, wenn ich Herrn Peremans ganz verstanden habe. Die Korruptionsfälle, die er genannt hat, lagen offenbar alle im Bereich des Fiskalischen, in der Steuereintreibung und vielleicht auch in der allgemeinen Landesverwaltung, die aber eben immer auf die Erledigung der Staatsaufgaben durch Liturgien oder durch Steuern gerichtet war. Er hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, keinen Fall z. B. der Korruption in der Rechtsprechung genannt, und da glaube ich tatsächlich, daß weder im ptolemäischen noch im römischen Ägypten viel Korruption vorgekommen ist. Es gibt natürlich Papyri, wo sich Leute über gefällte Urteile beschweren, aber das bedeutet ja keineswegs Korruption: Wer einen Prozeß verliert, schimpft immer auf den Richter, das gehört nun mal dazu, und die Dinge wurden ja oft auch revidiert. Es gab nämlich mindestens im römischen Ägypten offenbar nicht das Prinzip der Rechtskraft. Ein Fall konnte immer wieder aufgeworfen werden, bis sich schließlich mal ein Präfekt bereit fand, so zu entscheiden, wie der Querulant es haben wollte. Aber wenn wir uns gewisse Fälle, die wir wirklich kennen, ganz wenige, mal ansehen, dann ist da einerseits der berühmte Hermiasprozeß, und andererseits, wenn ich hier aufs römische Ägypten kommen darf, der große Prozeß, der in einem Mailänder Papyrus, Nr. 25 der Papyri Milano Vogliano, berichtet wird. Da, glaube ich, kann man sehen, daß die Rechtsprechung sich bemühte, korrekt zu arbeiten. Einfach erstens mal an den Urteilen, an den Tatsachen, die zugrundegelegt wer-
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den, die juristisch durchaus haltbar sind, und an der Art, wie die Richter die Fälle behandelt haben, und auch, wenn man sich die Parteien ansieht. Im Hermiasprozeß handelt es sich um einen Prozeß eines hohen, wir würden heute sagen, pensionierten Offiziers des königlichen Heeres gegen ägyptische Priester. Der Prozeß fand statt vor dem Epistrategen der Thebais, also einem hohen griechischen Beamten, aber gewonnen haben die Ägypter. Da gab es also keine Begünstigung des griechischen Klägers, nur weil er eben Grieche war. Und bei dem anderen Prozeß, aus der Kaiserzeit, aus der Zeit Hadrians, handelte es sich d a r u m : Da klagt ein kleiner Freigelassener gegen den Bruder und Erben seines früheren Herrn, irgendeines großen Herren in Tebtynis und behauptete, er hätte bei diesem Herrn 2000 Drachmen hinterlegt, und die möchte er gerne haben. D a f ü r hat er auch Dokumente, aber die Dokumente passen nicht ganz. Er redet von δάνειον, das Dokument ist auf π α ρ α θ ή κ η gestellt; außerdem wird als Gläubiger in dem Papier ein anderer Mann angegeben, und von dem behauptet er nun, daß der nur pro forma als Gläubiger aufgetreten wäre, ihm d a n n aber den Anspruch abgetreten hätte. Der Beklagte hat einen sehr guten Anwalt, und dieser wendet ein, das sei alles Schwindel, und der Mann habe diese ganzen Papiere überhaupt gefälscht. Nun handelt es sich also um einen Prozeß zwischen einem Herrn der städtischen Oberschicht und einem kleinen Freigelassenen, und wenn die Rechtsprechung sehr einseitig für die Oberschicht gewesen wäre, wäre es für den Richter ein Leichtes gewesen, den Kläger hier einfach abzuschmettern. Das hat er aber nicht getan, sondern er vertagt, so weit geht das Protokoll, die Verhandlung, und macht dem Kläger die Auflage, diesen Mann, der pro forma als Gläubiger aufgetreten sein soll, als Zeugen beizubringen, also eine durchaus sachgemäße und gerechte Behandlung des Falles. Nun habe ich die Dinge nicht genügend im Kopf, um sagen zu können, ob nicht auch Fälle von Korruption innerhalb der Rechtsprechung in Ägypten vorgekommen sind. Aber ich glaube, im Ganzen war die Rechtsprechung tatsächlich intakt, und das scheint mir eben doch von prinzipiellem Interesse zu sein, d a ß man sich mal klar macht, in welchen Bereichen Korruption zu erwarten ist. Das wollte ich sagen. Peremans Ich bin Herrn Kollegen Wolff sehr dankbar für die Intervention. Ich bin aber nicht ganz einverstanden, wenn Sie sagen, es habe keine Korruption in der Rechtsprechung gegeben. Dabei verweisen Sie auf individuelle Beschwerden, die nicht ganz den Tatsachen entsprechen sollen oder übertrieben waren. Wolff Ich will gar nicht sagen, daß sie gelogen waren, sondern d a ß sie aus Verärgerung herrührten, oder vielleicht, d a ß man einfach die Entscheidung nicht versteht. Wer einen Prozeß verliert, ist natürlich der Meinung, d a ß der Richter falsch geurteilt hat.
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Peremans Ich habe mich aber glücklicherweise nicht auf individuelle Beschwerden bezogen, sondern ich habe ein offizielles Zeugnis genannt, nämlich den Papyrus C. Ord. Ptol. 30-31, wo der König sagt: „Ceux qui attraient des gens en justice sans base légale et à la légère, châtiez-les comme il convient." Das ist ein offizielles Zeugnis. Schuller Das ist jetzt also ergänzend hinzugekommen zu der Frage, auf welchen Bereichen sich konkret im ptolemäischen Ägypten, sagen wir jetzt ganz allgemein, Unkorrektheiten feststellen ließen, und das wäre weiter zu verfolgen in Richtung auf die Frage nach dem Schwergewicht der staatlichen Tätigkeiten. Das war ja das, was Herr Peremans zu Anfang gesagt hat, nämlich daß vor allen Dingen das ganze Interesse auf das Fiskalische gerichtet war, und infolgedessen ergibt sich vielleicht statistisch dann auch mehr abus auf diesem Gebiet als auf dem der Prozesse. Aber es gibt doch die Tatsache, daß überhaupt die Möglichkeit eröffnet war, mit dem Fiskus zu prozessieren. Das wäre auch eine bemerkenswerte Sache. Mooren Das von mir geschilderte Bild des Sosibios hat natürlich alles mit den Quellen zu tun. Darum habe ich gesagt, wir sollen jedesmal die Quellen auf ihre Richtigkeit prüfen. Die antiken Autoren berichten uns des öfteren ein falsches oder doch wenigstens ein einseitiges Bild dieser Politiker, ob das Könige oder Hofleute sind. Nun zur anderen Frage, das sei keine Korruption, das sei Politik. Dabei wäre die Meinung interessant, daß es in der Politik keine Korruption geben könne. Ich bin aber ausgegangen von Herrn Schullers Definition, und für diese Definition habe ich die Quellen sondiert und gesehen, was d a n n alles darunterfallen würde. Und ich meine, das sind die Konsequenzen; vielleicht sollten wir die Definition ändern. Schuller Die Frage, ob in der Politik andere Regeln gelten als auf anderen Gebieten, ist natürlich eine kitzlige Frage. Sie ist nach 1945 in Deutschland plötzlich sehr akut geworden: Ist Kriminalrecht einschlägig, oder kann für die Untaten vorher gesagt werden, das sei Politik gewesen und infolgedessen diesem Bereich enthoben? Das ist aber d a n n in der Tat auch für den Korruptionsbegriff wichtig, und das ist ja auch mehrfach angeklungen. Herr Mooren hat es problematisiert, er hat sogar versucht, Sosibios Gerechtigkeit widerfahren zu lassen oder bei ihm eine andere Seite zu sehen. Das ist aber auch eine Frage der Normen, der Regeln, wie ich in meiner einleitenden Definition gesagt habe: Wieweit gab es und in welchen Bereichen Normen, Regeln, gegen die d a n n in dieser geschilderten Weise verstoßen werden konnte? Da wäre es nun in
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der Tat ein Ergebnis, auch das habe ich in meinem einleitenden Vortrag gesagt, daß es möglicherweise Gebiete des öffentlichen Lebens gibt, wo die Definition nicht greift, und damit sind diese Gebiete - teilweise - j a charakterisiert: nicht negativ oder positiv charakterisiert, sondern schlicht nur charakterisiert. Daß, wie Sie auch mit Recht gesagt haben, Verrat, Mord, Gift usw. an Höfen vorkommt, das kommt mutatis mutandis j a heute auch vor, und dann ist das eben ein Zeichen dafür, wie diese Herrschaftsform organisiert war. Deshalb waren j a auch die Vorträge über Ägypten so interessant, weil man hier das pharaonische mit dem ptolemäischen Ägypten vergleichen k a n n : Wenn man annehmen kann, daß in den ersten Perioden des pharaonischen wie des ptolemäischen Ägypten dergleichen Dinge nicht oder weniger passiert sind, um so mehr aber, j e später die Entwicklung ist oder etwa dann an den seleukidischen Höfen, dann ist das doch ein deutliches Zeichen: Wo gilt das Gesetz des Dschungels, wo ist der pure Machtkampf mit allen Mitteln eine normale, eine alltägliche Sache und wo nicht? Eine allgemeine Frage, die mich auch von Anfang an immer beschäftigt hat und die j a auch Herr Mooren angeschnitten hat, ist die, wie es eigentlich ist, wenn der König oder dann in Rom der Kaiser selber so etwas tut? Wir haben vor allen Dingen in der Spätantike eine Menge Fragen, wo man sehen kann, daß an sich bei Dingen, die der Kaiser in Rechtsregeln gießen will, er sich zum Teil auch daran halten will, es aber manchmal nicht tut, also beim schon oft erwähnten Ämterkauf und -verkauf. Der soll an sich nicht sein; der Kaiser tut es aber manchmal selber, verkauft gegen Geld Ämter, und nun ist die Frage, wie darauf reagiert wird. Wird darauf reagiert, indem man sagt, the boss can do no wrong, der Kaiser kann tun und lassen, was er will, oder, das können wir teilweise auch bei Historikern, bei Kirchenschriftstellern lesen, wird es negativ bewertet? Da sind also Kriterien bis nach oben, einschließlich Kaiser. Wenn Gesellschaft und Staat so strukturiert sind, daß es nun wirklich von der puren Entscheidung des Monarchen abhängt, was geschieht oder nicht, dann haben wir die völlige Regellosigkeit, und dann gibt es auch keine Korruption. Ähnlich in der Spätphase der Ptolemäer oder an den seleukidischen Höfen.
Demandi J a , aber, wenn man so sagt, es gibt Regeln und es gibt keine Regeln, dann tut man j a so, als ob die Regeln unabhängig von dem Verhalten der Menschen als existent oder nicht existent feststellbar wären. Und insofern ist das bis zu einem gewissen Grade eine Begriffsspielerei, zu sagen, wo es keine Regeln gebe, könne nicht gegen sie verstoßen werden. Wenn die Menschen sich in einer ganz bestimmten gleichförmigen Weise verhalten, dann sagen wir, es gebe Regeln. Wenn sie dies nicht tun, gibt es da keine Regeln oder verstoßen sie dagegen?
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Schuller Sie müssen ausformuliert sein. Demandi Wenn man von Regeln verlangt, daß sie ausformuliert sein müssen, dann könnte man in der Tat die Theorie aufstellen, daß es im Bereich der Politik nicht im gleichen Sinne eine Korruption gibt wie in der Zwischenwelt der Beamtenschaft. Denn jedem König, der einen Rivalen umbringt, kann man zugute halten, das habe er aus Staatsraison getan, das habe er tun müssen, weil sonst er selber umgebracht worden wäre. Das ist gewissermaßen wieder systemimmanent. Wir leiten es also vom Charakter oder vom Wesen des Systems ab, was man als Mißbrauch oder was man als erhaltend bezeichnet. Interessant wäre, wenn man nun versucht, diese bezeichneten Korruptionsfälle, im weitesten Sinne, in so etwas wie ein historisches Entwicklungsklischee zu bringen. Es sind ja einige Versuche auf diesem Gebiet gemacht worden; und auch wenn sie schiefgegangen sind, darf man in ihrem Gefolge vielleicht interessiert feststellen, daß wir sowohl im pharaonischen Ägypten die schönen Korruptionsfälle gerade am Ende haben als auch, daß es sich auch bei den Ptolemäern gegen Ende offensichtlich häuft. Ich vermute, daß es sich in der römischen Republik und in der römischen Kaiserzeit auch zum Ende hin summiert. Von daher könnte man also fragen, ob nicht so etwas wie eine vergleichbare Entwicklung in diesen Systemen zu beobachten ist, die von einem relativ stabilen Staatswesen am Anfang ausgehen, aus dem heraus oder in dem sich im Laufe der Zeit dann diese merkwürdigen Zwischengewalten bilden, die nun die Autorität gewissermaßen mediatisieren, auf der Höhe einer sich bildenden Aristokratie oder Beamtenschaft oder wie auch immer. Die werden dann natürlich von der Perspektive der alten Staatsgewalt als illegal angesehen, aber faktisch historisch betrachtet stellen sie doch den Übergang zu einer neuen Periode dar, in der diese Zwischengewalten sich selbst legitimieren oder legitimiert werden bzw. von einer dritten starken Gewalt über den Haufen geworfen und ersetzt werden. Brunner Wenn ich einmal auf den Alten Orient zurückblicken darf, so läßt sich auf die Frage, die Herr Schuller jetzt sehr deutlich formuliert hat, ob auch ein Herrscher korrupt sein kann, eine klare Antwort geben. Ich habe gestern abend schon von dem negativen Sündenbekenntnis gesprochen, das jeder Ägypter im Totengericht abzulegen hatte. Dabei gilt bei der Kardinalsünde der Tötung auch die Anstiftung bereits als Verbrechen. Es heißt also, der Ägypter hat zu versichern: „Ich habe nicht getötet und ich habe nicht töten lassen." Was nun den König angeht, so sagte ich schon, daß auch dieser dasselbe Bekenntnis abzulegen hat - mit diesem einen Unterschied, daß es an dieser Stelle nicht heißt, ich habe nicht töten lassen, denn das muß der König
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unter Umständen ex officio, d.h. gegen Verbrecher Todesurteile unterzeichnen. Deshalb wird das für den K ö n i g so modifiziert, daß er sagt: „ I c h habe nicht zu Unrecht, nicht widerrechtlich töten lassen." Das ist ein Zeichen dafür, daß dieses negative Sündenbekenntnis durchaus lebendig und nicht nur formelhaft empfunden worden ist. Hier haben wir also Normen in aufgeschriebener Form. Allerdings möchte ich davor warnen, nun jeden Verstoß gegen dieses Recht gleich als Korruption zu bezeichnen; das ist eine ganz andere Frage. Nicht alles, was von einem Beamten oder von einem K ö n i g widerrechtlich geschieht ist Korruption; ich würde mich sehr scheuen davor, beim K ö n i g von Korruption zu sprechen. G e w i ß , er kann es aus egoistischen Gründen tun, er übt also Machtmißbrauch zu persönlichem Vorteil. Im allgemeinen aber, jedenfalls was das alte Ägypten angeht, ist der K ö n i g so sehr identifiziert mit dem Staat, daß er in jedem Fall als Motiv für sein Handeln eine Staatsraison wird angeben können. Wie ist das mit Tyrannenmord? Was ist mit G r a f Stauffenberg? Kein Mensch würde behaupten wollen, daß ein Attentat auf Hitler korrupt gewesen wäre. Das kann man nun wirklich nicht sagen. Es gibt also durchaus Staatsraison oder höhere Gesichtspunkte, die einen Verstoß gegen die bestehenden Verhaltensnormen rechtfertigen: Teil als klassisches Beispiel. Reinhard Je länger ich als Nicht-Fachmann den Beiträgen lausche, auf der Suche nach Kategorien für vergleichendes Arbeiten, desto unwohler wird mir bei der Geschichte, und zwar habe ich vor allem durch Herrn Schullers Bemerkung inzwischen Zweifel an der Brauchbarkeit des Normenbegriffs bekommen. Inzwischen zeichnet sich die Tendenz dieses Symposions für mich etwa so ab, daß wir uns gelinde von Ihrer Definition der Korruption entfernt haben und im G r u n d e mit folgendem Schema arbeiten: Es gibt jeweils im konkreten historischen Fall Regeln und Normen, und wir suchen die jeweiligen A b w a n d lungen. So weit, so gut. Nur: Was ist nun in dem Fall - er kam mit der Stellung des Kaisers zum Tragen - , wenn es mehrere Regeln und Normencodices gibt, die im Widerspruch stehen? Wenn ich nun ein bißchen aus dem Nähkästchen plaudern darf: Ich habe mich mal mit den Päpsten und ihrem Nepotismus befaßt. Da gibt es nicht weniger als drei konkurrierende Normencodices. Einmal das Kirchenrecht, deswegen komme ich darauf, the pope can do no wrong, der Papst steht über dem Gesetz. Dann das Ethos der Rigoristen, die dem Papst vorschreiben, er soll sich gefälligst an die Beschlüsse des Konzils von Trient halten, auch wenn sie im juristischen Sinn nicht für ihn gelten. Und schließlich und endlich drittens den Normenkodex der italienischen Gesellschaft der Zeit, der einem in Machtrolle befindlichen Papst vorschreibt, seine Verwandten zu bedenken. Ergo, wo ist da die Korruption? Nun gibt es vielleicht eine dreifache Korruption. Es ist dann so, daß das, was in einem Fall normenkorrektes Verhalten ist, im anderen Fall Korruption ist.
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Dann gibt es noch eine völlig andere Sache, die mir vor allem gestern bemerkenswert erschien. Korruption ist ja ein wertender Begriff, und es ist noch mehr, es ist im G r u n d e ein polemischer Begriff. Nun hat irgend j e m a n d gesagt, die wichtigsten historischen Begriffe sind von Haus aus immer polemische Begriffe. Das mag sein. Aber dennoch möchte ich sozusagen den Antrag zur Tagesordnung stellen, ob wir nicht die wertenden Begriffe langsam aber sicher über Bord gehen lassen sollten und uns auf eine, ich will mal sagen Minimaldefinition des Sachverhalts zurückziehen, etwa derart, daß es sich darum handelt, historisch zu ermitteln, in welcher konkreten Weise jeweils Inhaber von Machtrollen einen überproportionalen Anteil an gesellschaftlich knappen Gütern kriegen. In diesem weitesten, zugegebenermaßen äußerst abstrakten Rahmen wäre es doch eher möglich, die konkrete Situation jeweils zu spezifizieren, ohne d a ß wir von vornherein sozusagen dazu verdammt sind, Normen und Regeln zu suchen, die wir von der Quellenlage her, das scheint mir in einigen Fällen deutlich geworden zu sein, manchmal gar nicht so sicher ermitteln können. Wir kennen Fälle, denen wir unterstellen, aufgrund unserer persönlichen Sicht der Dinge, daß das Abweichungen sind, aber den dazugehörigen Normencodex hat man gar nicht so sicher identifizieren können. Also deswegen der Vorschlag zur Güte. Schüller Ich habe irgendwo gesagt, d a ß ich vielleicht von diesem in der Tat immer falsche Assoziationen weckenden Korruptionsbegriff irgendwann mal weg will. Ich weiß nicht, ob es jemals gelingen wird, weil damit ein Wortfeld gegeben ist - das merkt man ja auch an vielen Diskussionsbeiträgen - wo das Strafrechtliche dann gleich da ist. Es muß aber ja keineswegs immer pejorativ sein - obwohl dann natürlich auch der Gegenvorwurf kommt: Damit rechtfertigst du d a n n alles, was man nicht rechtfertigen kann. Schmidt Ich frage mich, ob die Kategorie des Rechtsstaates hier nicht etwas weiterhelfen könnte. Wenn ich mir die Diskussion und die Vorträge anhöre, d a n n scheint es, daß wir es mit zwei Typen von Gesellschaften und Staaten zu tun haben, in denen es einmal so etwas gibt wie ein mehr oder weniger kodifiziertes Recht und Rechtsbewußtsein, von dem aus gesehen Korruption definiert werden kann. Es war mir sehr interessant, daß ζ. B. Herr Liebs als Römischrechtler von einem ganz festen Rechtsstaats-Bewußtsein her selbstverständlich Korruption definieren kann. So etwas ähnliches schien mir mit dem Begriff der Maat auch in Ägypten vorzuliegen. Dann scheint es andere Gesellschaften zu geben, die stärker personalistisch definiert sind, die also keinen auch den Herrscher bindenden Normencodex haben, wie etwa das, was wir über das ptolemäische Ägypten eben gehört haben. Natürlich können wir als moderne Menschen ja gar nicht umhin, von rechtsstaatlichen Kategorien aus-
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zugehen und zu urteilen. Und deshalb ist Hitler für uns schockierender als Sosibios, und deshalb beurteilen die Römer Nero auch anders als Augustus. Mein Plädoyer wäre also, die N o r m , etwa eine rechtsstaatlich zu definierende Norm, wieder etwas stärker als Parameter in die Debatte zu bringen. Wunder Meine Skepsis gegenüber der Ergiebigkeit des Begriffes Korruption ist durch den bisherigen Verlauf dieses Kolloquiums eigentlich nur bestätigt worden, da sich zwei Bestandteile dessen, was man unter Korruption versteht, herausgestellt haben: einmal beinhaltet der Begriff eine Bewertung, und zwar eine negative Bewertung und auf der anderen Seite eine Normverletzung. Auf den ersten Blick scheint dieses Merkmal ein konkreterer und damit ein heuristisch brauchbarer Ansatz zu sein, da es einen Bezug auf eine Normenstruktur enthält. Tatsächlich kann eine Normenverletzung aber, sei es in England, sei es in Rom, einmal stabilisierend, zum anderen wieder disfunktional sein. Umgekehrt könnte man daher folgern, daß die gleiche Funktion einmal von einem Sachverhalt, den wir als Korruption bezeichnen, wahrgenommen wird, dann aber von einem anderen Sachverhalt, der überhaupt nichts mit Korruption zu tun hat. Selbst das was Korruption sein soll, entzieht sich der Fixierung. Herr Schuller hat den Ausweg gefunden, daß Korruption ein Phänomen der Übergangszeit sei, eine anormale Situation, eine der seltenen Situationen, wo in der Gesellschaft eine Veränderung eintritt; aber eine Zeit des Struktur- und Normenwechsels ist über bestimmte Normen nicht faßbar. So bleibt zur Bestimmung von Korruption, das wurde gestern abend deutlich, die Bewertung, ein negatives Urteil über ein Verhalten. Korruption ist dann eigentlich nur noch, wie gesagt wurde, das, was die Leute f ü r Korruption halten. Damit haben wir aber keinen Begriff mehr in der H a n d , mit dem man verschiedene Tatbestände zu verschiedenen Zeiten erfassen und vergleichen kann. Er ist zeitbedingt. Als wissenschaftlicher Begriff also, als Fragestellung, die auf verschiedene Gesellschaften anwendbar ist, ist Korruption nicht brauchbar. Er ist eigentlich nur eine Quellengattung, die zu verschiedenen Zeiten verschiedenes erfaßt; allerdings eine Quellengattung, die aufschlußreich ist für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, aber eben keine Fragestellung. Wankel Nur eine Bemerkung zu dem Vortrag von Herrn Peremans. Sie haben in dieser Periodisierung den Einschnitt bei Raphia gemacht und die erste Periode von den folgenden abgesetzt als eine Periode vor der désintégration progressive, und für die erste Periode Theokrit gewissermaßen als Zeugen angeführt. Ich hätte da gewisse Bedenken. Natürlich ist Theokrit ein wichtiger Zeuge wie andere Vertreter der Literatur jener Zeit für das Selbstverständnis dieser Zeit, aber es ist auch gewissermaßen Hofdichtung. Wenn Sie den Ausdruck calme gebraucht haben, um das Ganze abschließend zu charakterisieren, und
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wenn dabei Theokrit als Beleg zitiert wird, dann kann man vielleicht prononciert sagen: Bei Theokrit ist alles luxe, calme et volupté. Ich meine, das müßte man etwas einschränken.
Peremans Ich möchte zunächst nur auf die Arbeit von Griffiths, Theocritus at Court hinweisen. 1 Beloch hat einmal gesagt, daß die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts vor Christus die schwierigste Periode in der griechischen Geschichte ist. Wir haben überhaupt keine historischen Zeugnisse für die Zeit von 301 bis 264 v.Chr., auch Polybios nicht. Papyri gibt es auch nicht, denn die Papyri beginnen grosso modo erst um 270. Also sind wir schon verpflichtet, um überhaupt ein Zeugnis zu nennen, auf Theokrit zu verweisen. Wenn wir dann versuchen, das Ganze in kleinen Einzelheiten zusammenzutragen, dann sehen wir doch, daß Theokrit zwar übertreibt, aber im Grunde recht hat. Ich habe die Immigration nach Ägypten erwähnt, die viel stärker in der Periode von Ptolemaios I. als nachher war. 2 Man sieht wirklich den Reichtum von Ägypten in dieser Zeit, und ich glaube, Theokrit hat zwar übertrieben, aber in der Sache hat er recht.
Helck Nur noch einen Satz zu dieser Normenfrage. Ich glaube, wir müssen stärker vielleicht, als wir es bisher gemacht haben, die Frage bedenken, was die einzelnen in einer Gesellschaft sich befindenden Personen in der Zeit als Korruption angesehen haben, aber auch, was diejenigen, die zeitgleich leben, aber nicht der Gesellschaft angehören, von außen her als Korruption angesehen haben. Das ist nämlich ganz verschieden. Ich glaube, wir müssen doch davon ausgehen, was ein Ägypter oder ein Chinese aus ich weiß nicht welcher Dynastie sagte, oder was sagen wir im Moment, was nennen wir Korruption? Wahrscheinlich haben wir das vor, sagen wir vorsichtig, hundert Jahren, vielleicht eben das nicht als Korruption angesehen, wenn wir damals gelebt hätten. Wir müssen aber auch sagen, was hat der alte Ägypter, sozusagen ganz wertfrei, in der Zeit Thutmosis' III. bei sich als Korruption angesehen, und was hat der gleichzeitige Hethiter bei den Ägyptern als Korruption angesehen. Da sind nämlich ziemliche Unterschiede, und da würde ich sagen: Zwar ist es doch ein bißchen komplizierter, aber ich glaube doch, wir können einfach etwas, was wir, meinetwegen, mit Korruption in Anführungszeichen bezeichnen, damit definieren: Wo wendet sich der Zeitgenosse mit Grausen?
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F. T. Griffiths, Theocritus at C o u r t , 1979 ( M n e m o s y n e , Supplement 55). Vgl. W. P e r e m a n s / E . Van't D a c k , Les relations extérieures des Lagides, i n : Proceedings o f the X l l t h International Congress o f Papyrology T o r o n t o ( 1 9 7 0 ) (American Studies in Papyrology, vol. V I I ) , 3 9 9 - 4 0 3 .
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Schuller Z u m Begriff will ich das sagen, was ich auch in meinem einleitenden Vortrag gesagt habe, daß ich mich ständig dagegen wenden muß, daß ich erstens nicht die Korruption als Schlüssel f ü r das gesamte Weltgeschehen sehe, und daß ich sie zweitens auch nicht überall wittere, daß ich also nicht ganze Epochen der Weltgeschichte als solche als korrupt bezeichnen will. E s gibt einen Kollegen aus der Spätantike, der sich lebhaft dagegen wehrt, daß ich etwa seine Spätantike als ein korruptes Zeitalter bezeichne. Ich erlebe es als große Schwierigkeit, solche Dinge von mir fernzuhalten. Sowohl die Debatte als auch die Vorträge haben f ü r mich meine Grundeinschätzung vom Einleitungsvortrag bestätigt, daß die Frage, ob so etwas wie Korruption überhaupt sein kann und wieweit es sein kann, mit dem G r a d der Ausbildung von - Herr Liebs würde rechtlich sagen, ich würde lieber eher rational sagen - von rationaler Organisation der Gesellschaft ist. Wenn das inexistent ist, dann kann es auch keine Korruption geben. Es gibt aber da kein Entweder-Oder, sondern eine ungeheure M e n g e von Mischlagen. Ob der Begriff des Öffentlichen faßt, bzw. wieweit er faßt, das ist ein Indikator d a f ü r , wieweit eine Gesellschaft, ein Staat in der Weise organisiert waren. Wenn mir ständig Bereiche vorgehalten werden, in denen verschiedene Normensysteme miteinander konkurrieren, dann habe ich j a selber das Beispiel aus dem republikanischen R o m gebracht, w o zwei solche Systeme zeitweise miteinander übereinstimmten: Der rational organisierte Staat und die Clientel als eine soziale Verhaltensform, die auf ganz anderer Ebene lag, die auch ganz inkommensurabel ist, die sich aber beide zueinander komplementär verhalten haben. Interessant ist es dann, wenn beide in K o n f l i k t miteinander geraten. Das kann dann eine Manifestation von Umbrüchen oder dergleichen sein, wenn es einigermaßen massiert auftritt. Die Bereiche d a n n , in denen wir von so etwas nicht sprechen können bzw. w o der Begriff nicht faßt, werden, und da bin ich eigentlich ganz fröhlich, durch diesen Begriff dann aber deutlicher herausgearbeitet; und gerade dadurch, daß Proteste kommen und sagen, hier stimmt es doch gar nicht, hier geht es gar nicht, hier ist es gegenstandslos, hier ist es eine andere Ebene: Die quittierte ich eigentlich nur damit, daß ich sage, j a gut, eben das ist es, das haben wir dann mit dieser anderen Fragestellung vielleicht deutlicher hervorgehoben.
Kolb Ich komme bei der Diskussion nicht mehr ganz mit, muß ich sagen. J e d e r von uns weiß doch aus dem praktischen Leben, was Korruption ist, jeder von uns würde auch in der L a g e sein, einen konkreten Fall als Korruption zu bezeichnen. Das heißt, diesen Begriff können doch wir aus dem praktischen Leben heraus definieren. Wenn ein Beamter sein A m t mißbraucht, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, reden wir von K o r r u p t i o n ; das ist natür-
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lieh zwar ein wertender B e g r i f f , aber dieser wertende Begriff eignet sich doch offensichtlich zur K l ä r u n g von Sachverhalten, und zwar meines Erachtens auch zur K l ä r u n g von historischen Sachverhalten. Warum sollen wir als Historiker keine wertenden B e g r i f f e verwenden? Wir müssen doch z . B . von Amtsmißbrauch sprechen, oder sollen wir diesen Begriff auch aus der historischen Fachsprache verdrängen, nur weil es ein wertender B e g r i f f ' ist? Ich würde also sagen, ein wertender Begriff wie die Korruption eignet sich durchaus zu einer Analyse historischer Sachverhalte sowohl gegenwärtiger wie vergangener. Herr Helck hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß wir eben unterscheiden müssen zwischen der Beurteilung von Amtsmißbrauch, wie sie in der Antike etwa üblich war, und der Beurteilung von Amtsmißbrauch, wie wir sie heute vornehmen. Das heißt aber doch nicht, daß wir darauf verzichten müssen, diesen Begriff auf die Antike zu übertragen. Wenn Herr Reinhard sagt, daß es im Mittelalter verschiedene konkurrierende Normenbereiche gegeben hat, dann hat j e d e r Angehörige eines jeden Normenbereiches f ü r den betreffenden Fall ein bestimmtes Werturteil gehabt, und das können wir j a berücksichtigen. Das besagt aber noch nicht, daß es den betreffenden Sachverhalt nicht gegeben habe. Reinhard Das Entscheidende dabei ist j a , daß ein und dieselbe Person denselben Bereichen, diesen Drei-Normen-Bereichen angehört, und dann - das kann ich nicht nachvollziehen. D a n n habe ich nämlich praktisch vier Wertmaßstäbe, nämlich den heutigen, und drei historisch immanente. Wie definiere ich dann noch Korruption? Ich kann nur sagen, aus meiner eigenen E r f a h r u n g bin ich immer davon ausgegangen, bestimmte Phänomene zu untersuchen, die ich aus heutiger Sicht als Korruption bezeichnen würde. U n d das Ergebnis war, daß sie, historisch gesehen, sich nicht als Korruption entpuppt haben. G u t , ich gebe Ihnen recht, dann war der Korruptionsbegriff f ü r mich heuristisch fruchtbar, wenn auch ex negativo, das will ich gar nicht bestreiten. N u r bin ich immerhin mit soviel systematischem Öl gesalbt, daß ich dabei eigentlich ganz gerne auch einen tragfähigen Begriff haben würde, der die Sache nun einigermaßen adäquat beschreibt und nicht sozusagen die Anführungszeichen ad infinitum mit herumschleppt. Das ist das Anliegen meiner Intervention gewesen. Demandi D a s Unbehagen, das man gegen den Normenbegriff haben kann, ist j a uralt, und der G r u n d , weswegen dieses Unbehagen verständlich ist, ist ebenso alt: Er liegt eben darin, daß es unterschiedliche Normensysteme gibt, und das Heilmittel gegen dieses Unbehagen ist, soweit ich die R e f l e x i o n über Ethik zurückverfolge, immer dasselbe, nämlich dieses, daß diese Normensysteme nicht nebeneinander, sondern übereinander anzuordnen sind, daß es eine hö-
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here Moral, daß es bessere Gründe und schlechtere Gründe gibt, die gleichwohl alle Gründe sein können für ein bestimmtes Verhalten oder ein bestimmtes Nichtverhalten. Man muß drei Seiten Cicero de officiis lesen, dann weiß man, daß es nicht dasselbe ist, ob ich einem Freund einen Gefallen tue und damit das Staatswohl verletze oder umgekehrt handle, und daß ein Richter etwa private Verpflichtungen hintanstellen muß, wenn ihm die öffentlichen abgerufen werden. Von daher ist noch längst nicht jeder dann entschuldigt, wenn er für das, was er im individuellen Fall tut, nun irgendeine Norm geltend machen kann. Deshalb meine ich, daß man den Normenbegriff in dieser differenzierten Weise durchaus zur Beschreibung von Sachverhalten gebrauchen kann, und wenn jemand meint, die Relativität aller Werte erlaube uns nicht, hier abschließende Urteile fällen zu lassen, dann kann man j a die Probe aufs Exempel machen: Gibt es denn jemanden hier im Raum, der bereit ist, den Harpalos-Fall nicht als Korruption zu bezeichnen? Den möchte ich sehen. Koch Ich muß mich fast dafür entschuldigen, daß ich, glaube ich, der erste war, der gestern von Normen geredet hat, und es war präzise in der Auseinandersetzung mit Herrn Liebs über Rechtssetzung als mögliches Vehikel der Korruptionsdiskussion. Gemeint war aber doch etwas ganz anderes. Zwei Bemerkungen dazu. Ich stimme Herrn Reinhard völlig zu, außer in dem Punkt, wo Sie den letzten historischen interpretatorischen Schritt nicht machen. Die Tatsache, daß es auf eine Person bezogen drei mögliche Konkurrenznormen gibt, besagt lediglich, daß wir in einer Zeit offener sozio-ethischer Normen leben, bei der Korruption zufälligerweise - oder auch nicht zufälligerweise, wie gestern thematisiert nach der Amarnazeit, vielleicht im 4. Jahrhundert v.Chr., und vielleicht in der Spätantike - die Konsequenz einer gewissen Entmoralisierung der Zeit war: Es gibt keine allgemein verbindlichen Normen mehr, sondern konkurierende, und die setzen natürlich Tabus frei. Das ist das eine. Das andere ist der Versuch, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Darum auf Normen zu rekurrieren ist ja nichts anderes als ein Verständigungselement darüber zu finden, daß uns allen, wenn wir den Alten Orient, den ägyptischen Sonderfall und die sonstige klassische Antike betrachten, Definitionen wie „rechtsstaatliche Voraussetzungen" oder auch Herrn Schullers Versuch, die Sache durch Bindung an „Rationalität" offener zu machen, nicht zu greifen scheinen. Es wird doch hier keiner behaupten wollen, daß es im Alten Orient keine Korruption gegeben habe, weil keine „Rationalität" oder keine „Rechtsstaatlichkeit" existierte. Darum die Feststellung, daß die relative „ N o r m " , gesellschaftlich akzeptiert in wie auch immer gearteten Gesellschaften, die Voraussetzung dafür ist, daß Korruption als Verletzung einer allgemein oder beschränkt akzeptierten Norm überhaupt vorkommen kann. Ich sehe anders gar keine Chance, daß wir irgendwie zusammenkommen -
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außer, daß wir uns in verschiedene Kreise aufspalten: Die einen, die den Alten Orient machen, ohne daß die Phänomenologie des Normenverstoßes sich ändert, oder andere, die Spätantike machen und jeweils neue Korruptionsdefinitionen finden - wenn wir diesen kleinsten gemeinsamen Nenner nicht finden, der mir Normverstoß zu sein scheint. Dies mit allem Vorbehalt gegenüber der absoluten Tragfähigkeit einer solchen Methode. A b e r die Beschränktheit der menschlichen Möglichkeiten wird j a nicht ausgerechnet vor diesem Problem Halt machen. Reinhard Ich möchte niemandem vorgreifen, aber es wird einleuchten, daß eine unmittelbare Antwort legitimiert ist. Der entscheidende Punkt ist, daß ich f ü r einen noch kleineren gemeinsamen Nenner plädiere, und das begründe ich u.a. mit einem E i n w a n d gegen Ihre Grundthese, die auch mehrfach von anderen Kollegen schon vertreten wurde, daß Normenkonflikte Symptom f ü r eine gesellschaftliche Krise seien. D a s kann ich eigentlich aus meiner E r f a h r u n g nicht ganz mitvollziehen. Ich würde also sagen, in dem Fall, von dem ich ausgegangen bin, existieren diese Normencodices durchaus, auch in gesellschaftlich ruhigen Zeiten - das ist eine etwas vage Definition, sagen wir: im Normalzustand. Ich gebe zu, der K o n f l i k t wird brisant in dem konkreten Falle einer wirtschaftlichen Krise. A b e r es ist nicht so, daß man sozusagen vom Normalfall und dem Ruhezustand mit einem einzigen N o r m e n c o d e x ausgehen kann und dann die Korruption im G r i f f hat, sondern es ist leider so, daß verschiedene Codices durchaus im Ruhezustand parallel existieren. Deswegen hätte ich da Bedenken. Koch Ich stimme Ihnen völlig zu. Es gibt in „ r u h i g e n " Zeiten korrupte Leute, während sich der Kontext nicht korrupt verhält. Das ist auch eine Charakterfrage. N u r können wir das historisch nicht eingrenzen, und wenn ich d a f ü r plädiere, diesen gemeinsamen Nenner zu nehmen und nicht einen noch kleineren, so darum, weil die Quellenbasis in der Alten Geschichte dann nicht ausreicht für einen Beweis. Kolb Ich wollte nur auf das praktische Problem, das Sie angesprochen haben, antworten. Es bleibt Ihnen j a unbenommen, das so durchzuführen, wie Sie wollen. Sie können Korruption einmal heuristisch verwenden, dann stellen Sie eben fest, es gab in dieser Zeit keine Korruption bzw. es gab in dieser Zeit ein Phänomen, welches wir als Korruption bezeichnen würden, welches damals aber nicht so genannt wurde. A b e r deshalb müssen Sie doch nicht darauf verzichten, alle jene Fälle, die auch von den Zeitgenossen als Korruption verstanden wurden, so auch in Ihre historiographische Arbeit aufzunehmen. Sie
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lassen doch ein wichtiges Element der Historiographie heraus, nämlich, d a ß Sie die Wertung der Ereignisse durch die Zeitgenossen miterfassen, wenn Sie Ihren kleinsten gemeinsamen Nenner anwenden. Liebs Die von Herrn Reinhard angesprochene Schwierigkeit konkurrierender Normensysteme scheint mir dadurch in der Tat nicht lösbar, sondern wirklich nur lösbar, wenn man auf die Rechtsnormen allein abstellt, denn die können sich nicht widersprechen. Das ist nun einmal per definitionem im Recht so, d a ß Widersprüche durch Interpretation aufgelöst werden, so daß man in diesem Fall ein Normensystem hätte. Man muß natürlich erst einmal feststellen, ob es in einer Gesellschaft überhaupt Recht gab, was in vielen asiatischen Gesellschaften durchaus nicht der Fall ist. Sie sind anders strukturiert. In den europäischen antiken Gesellschaften ist sehr häufig der Rechtsbegriff festzustellen, und wenn der da ist, d a n n ist auch sofort die Bewertung da. Dann kann man aber nicht mehr - da würde ich Herrn Kolb voll zustimmen - wertfrei argumentieren. Natürlich darf man nicht von den heutigen Wertbegriffen ausgehen, sondern muß die Rechtsnormen der Zeit erst einmal zu ergründen versuchen, und das sind selbstverständlich nicht nur die geschriebenen Gesetze. Aber wie man ohne diese Normen eine Korruption feststellen kann, ist mir nach dieser Diskussion noch nicht ersichtlich. Wiehn Vielleicht darf ich mir ein paar Bemerkungen von seiten der Soziologie erlauben und begründen, daß mir der Normenbegriff eigentlich doch sehr brauchbar für das Problem erscheint, um das es mir hier zu gehen scheint. Von der öffentlichen Lehrmeinung werden Normen fast nie als Verhaltensnormen aufgefaßt, sondern sie werden bezogen auf das Handeln. Wenn wir Handeln und Verhalten unterscheiden, d a n n ist Handeln bewußtes Verhalten im Unterschied zu Verhalten im weiteren Sinne. N o r m wäre d a n n eine genau formulierte Handlungsvorschrift, auf der eine Sanktion steht, d.h. jede Normverletzung im Sinne der Verletzung einer genauen Verhaltensvorschrift zieht eine Sanktion, also eine Bestrafung nach sich, oder gegebenenfalls eine positive Sanktion, eine Belohnung. Eine Handlungsvorschrift bzw. Norm ist zum Beispiel die gebotene Fahrtrichtung einer Einbahnstraße: In der gegenläufigen Richtung zu fahren kann entsprechend geahndet werden. Alsdann wird unterschieden zwischen Kann-, Soll- und M u ß - N o r m e n , die jeweils unterschiedliche Sanktionen nach sich ziehen. Es gibt Normen mit Kann-Charakter, deren Übertretung nicht sehr stark sanktioniert wird. SollNormen sind etwas stärker, M u ß - N o r m e n ziehen bei der Übertretung die schärfsten Sanktionen nach sich. Schließlich kann man zwei weitere Formen solcher Normen unterscheiden, nämlich gesatzte Normen und nicht gesatzte Normen im Sinne rechtlich formulierter Normen bzw. sozialer Normen. So
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lassen sich verschiedene Normensysteme unterscheiden, wie Herr Demandt vorhin gesagt hat, daß man nämlich Normensysteme unterscheiden kann nach einer vertikalen und nach einer horizontalen Dimension. In diesem Sinne kann man gleichsam Normen-Systeme verstehen als eine Gesamtheit von Normen, die ihrerseits wiederum hierarchisiert sind von höheren bis zu niedrigeren Normen und konkurrierende Normensysteme darstellen können. Man könnte also sagen, hier gibt es zwei Normensysteme oder sogar drei Normensysteme, die innerlich so gegliedert sind, wie ich das eben beschrieben habe, und damit wäre etwa das italienische Beispiel von vorhin erfaßt, also das päpstliche Normensystem, das der italienischen Gesellschaft der damaligen Zeit und das der Rigoristen. Dabei wären auch Interferenzen-Bereiche möglich, hier sogar aller drei Systeme, ansonsten überwiegen sehr starke Abweichungen. Noch ein letzter Aspekt: Vorhin ist der Begriff „Wert" ins Spiel gebracht worden; der ist natürlich vom Begriff „ N o r m " stark unterschieden. Ich will ein Beispiel bringen: Ehrlichkeit wäre ein Wert, und die Norm, die daraus abgeleitet wird, würde heißen: Du sollst nicht stehlen. Man könnte also hier sagen, es mag Werte im Vorfeld von Normen geben, die auch mit der Korruption zu tun haben. Ζ. B. Amtstreue oder so etwas als Wert, der als solcher noch keine Norm darstellt. Aus Werten können sich mit der Zeit Normen entwickeln, aber aus Normen auch wieder Werte. Mit dem Wert Amtstreue waren möglicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt noch keine Normen verknüpft, später aber mögen damit ganz bestimmte Normen entstanden sein. Die Verletzung eines Wertes kann eigentlich nicht sanktioniert werden. In unserer heutigen Gesellschaft z.B. ist der Wert Leben ein ganz ranghoher Wert, aber die Verletzung dieses Wertes, unspezifiziert, kann nicht sanktioniert werden, sondern nur in Form konkreter Normen: Du sollst nicht töten. Nur durch eine Konkretisierung des Wertes in eine Handlungsvorschrift kann bei Übertretung sanktioniert werden. Kurz und gut, ich wollte sagen, daß mir hier eine Begrifflichkeit gefunden zu sein scheint, mit der diese Problematik auch im Vergleich verschiedener Gesellschaften - wir sagen: im interkulturellen Vergleich - sehr gut erfaßt werden kann. Ebenso könnten die Phänomene etwa des Normenwandels als eines Indikators für den Wandel von Gesellschaften hiermit ebenfalls vergleichsweise gut gefaßt werden. Es gäbe dann die Möglichkeit, in diesem Sinne von Korruption als von abweichendem Handeln unterschiedlichen Grades zu sprechen - Kann-, Soll-, Mußvorschriften. Daher möchte ich die von Herrn Wunder kolportierte Definition etwas modifizieren: Korruption wäre dann also nicht ohne weiteres das, was die Leute jeweils für Korruption halten. Vielmehr wäre zunächst zu fragen, welche Leute das sind, Meinungsführer etwa, usw.; die Sache ist also doch etwas komplizierter. Korruption wäre aber jedenfalls das, was diejenigen, die sich korrupt nennen oder genannt werden, tun, wenn sie das betreiben, was für korrupt gehalten wird.
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Schuller Ich glaube, daß dieser Beitrag von jemandem, der sich so bis jetzt außerhalb des Schlachtfeldes aufgehalten hat, ein ganz guter Abschluß dieser Diskussion über Normen gewesen ist, die ja seit eh und je eine Basis meiner Definition gewesen sind.
Werner Eck Einfluß korrupter Praktiken auf das senatorisch-ritterliche Beförderungswesen in der Hohen Kaiserzeit?
In der breiten Literatur über die ritterlichen und senatorischen Laufbahnen der Hohen Kaiserzeit 1 wurde bisher, abgesehen von einer Teilbehandlung durch H.-G. Pflaum 2 , nicht danach gefragt, ob und gegebenenfalls wie weit der cursus honorum bei Rittern oder Senatoren durch Praktiken beeinflußt wurde, die nicht allgemein akzeptiert waren 3 . Dies ist erstaunlich, weil einerseits in der Republik verschiedene Formen der Bestechung der damals noch entscheidenden Wähler bekannt sind 4 , andererseits in der Spätantike das Phänomen des Ämterkaufs eine große Bedeutung gewonnen hat5. Ferner finden sich auch bei kaiserzeitlichen Schriftstellern eine Reihe von Hinweisen, in denen nicht-normgerechte Einflußnahmen konstatiert oder beklagt werden. Man muß freilich zugeben, daß die Aussagen insgesamt gesehen nicht gerade zahlreich bzw. oft nur sehr pauschal und wenig konkret sind, was an-
' Vgl. etwa E. BIRLEY, S e n a t o r s in the E m p e r o r s Service, P r o c e e d i n g s Brit. A c a d . 39, 1954, 197ff.; R. SYME, Tacitus, O x f o r d 1958; J. MORRIS, Leges a n n a l e s u n d e r t h e P r i n c i p a t e : I. Legal a n d C o n s t i t u t i o n a l , Listy filol. 87, 1964, 3 1 6 f f . ; II. Political Effects, ibid. 88, 1965, 2 2 f f . ; W. ECK, B e f ö r d e r u n g s k r i t e r i e n i n n e r h a l b d e r s e n a t o r i s c h e n L a u f b a h n , dargestellt a n d e r Zeit von 69 bis 138 n. C h r . , i n : Aufstieg u n d N i e d e r g a n g d e r r ö m i s c h e n Welt ( = A N R W ) II 1, Berlin 1974, 158ff.; G . ALFÖLDY, K o n s u l a t u n d S e n a t o r e n s t a n d u n t e r d e n A n t o n i n e n . P r o s o p o g r a p h i s c h e U n t e r s u c h u n gen z u r s e n a t o r i s c h e n F ü h r u n g s s c h i c h t , B o n n 1977; H.-G. PFLAUM, Les p r o c u r a t e u r s é q u e s t r e s sous le H a u t - E m p i r e r o m a i n , Paris 1950; ders., A b r é g é d e s p r o c u r a t e u r s équestres, Paris 1974. 2
PFLAUM, P r o c u r a t e u r s
195 ff.
' A l l g e m e i n zu K o r r u p t i o n s p h ä n o m e n e n im I . / 2 . J a h r h u n d e r t η. C h r . G . E. M. DE STE.CROIX, Suff r a g i u m : F r o m Vote to P a t r o n a g e , Brit. J o u r n . Sociol. 5, 1954, 33 ff.; P. R. C. WEAVER, B u r e a u c r a tie S t r u c t u r e a n d t h e P r o b l e m of C o r r u p t i o n in the A d m i n i s t r a t i o n of the Early R o m a n E m p i r e , A u s t r a l i a n Universities a n d Literature A s s o c i a t i o n 12, 1969, 2 7 f f . ; R. MACMULLEN, R o m a n Social R e l a t i o n s , N e w H a v e n 1974, I 1 3 f f . 4 Cie. d e leg. 3 , 3 8 f . ; E. S. STAVELEY, G r e e k a n d R o m a n Voting a n d Elections, I t h a c a 1972; TH. MOMMSEN, R ö m i s c h e s S t r a f r e c h t , Berlin 1899, 8 6 5 f f . ; T. P. WISEMAN, T h e N e w M e n in the Rom a n S e n a t e , 139 B.C.-14 A. D., O x f o r d 1971, I 3 0 f f . ; L. R. TAYLOR, Party Politics in the Age of C a e s a r , Berkeley 1966, 6 2 f f . ; E. S. GRUEN, T h e last G e n e r a t i o n of the R o m a n R e p u b l i c , Berkeley 1974, 21 I f f . 5 A. H. M. JONES, T h e Later R o m a n E m p i r e , O x f o r d 1964, 391 ff., 1 0 5 4 f f . ; CI. COLLOT, La p r a t i q u e et l'institution du s u f f r a g i u m au B a s - E m p i r e , Rev. hist. 43, 1965, 185ff.; W. SCHULLER, G r e n z e n des s p ä t r ö m i s c h e n S t a a t e s : Staatspolizei u n d K o r r u p t i o n , Z P E 16, 1975, 1 ff.; F. DE MARTINO, Storia della costituzione r o m a n a , N e a p e l , I975 2 , V 3 8 5 f f . ; D. LIEBS, Ä m t e r k a u f u n d Ä m t e r p a t r o n a g e in d e r S p ä t a n t i k e , Z R G 95, 1978, 158 ff. Die H a b i l i t a t i o n s s c h r i f t von K. L. NOETHLICHS, Militia u n d S u b r e p t i o . Studien z u m B e a m t e n b e g r i f f u n d zur A m t s p f l i c h t v e r l e t z u n g in d e r S p ä t a n t i k e , ( T H A a c h e n 1980), d e r breit a u f die T h e m a t i k eingeht, ist jetzt als B e a m t e n t u m u n d Dienstvergehen. Z u r S t a a t s v e r w a l t u n g in d e r S p ä t a n t i k e , W i e s b a d e n 1981, e r s c h i e n e n .
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Werner Eck
gesichts des öffentlichkeitsscheuen Phänomens zunächst nicht weiter verwundert. Der Stellenwert, den nicht-normgerechte Einflußnahme auf senatorische und ritterliche Laufbahnen haben konnte, läßt sich natürlicherweise nur im Zusammenhang mit der Normalität im gesamten Beförderungswesen und mit der kaiserzeitlichen Personalpolitik erörtern. Um den Beitrag nicht zu sehr auszudehnen, muß es freilich genügen, hier nur gewisse Grundzüge vorzuführen. Die Republik kannte - von relativ wenigen Ausnahmen abgesehen - nur die Volkswahl als Mittel zur Übertragung von Magistraturen. Entsprechend war vor allem der wahlberechtigte populus bzw. die plebs Ziel von Aktivitäten, die auf eine Beeinflussung des Wählerwillens abzielten. Zahlreiche Gesetze gegen ambitus suchten seit der lex Cornelia-Baebia vom Jahr 181 v.Chr. nicht allgemein gebilligte Praktiken der Kandidaten für die einzelnen Ämter zu unterbinden - nicht selten ohne großen Erfolg 6 . Entscheidender für einen Bewerber war aber die Unterstützung, die er von seiten anderer Senatsmitglieder, wesentlich aus den Reihen der Nobilität erhielt, lateinisch gesprochen die suffragatio. Ohne aristokratischen Patronat war eine Wahl höchstens in Ausnahmefällen zu gewinnen. Die vielfältigen Mittel, um die suffragatio mächtiger, einflußreicher Mitglieder der Führungsschicht zu erhalten, sind bekannt 7 . Wenn diese partiell, d.h. zumeist von den Unterlegenen als korrupt abgelehnt wurden, so erschienen sie denen, die sie erfolgreich anwandten, nur als eine Spielart des Begriffspaares beneficium - officium. Mit der Etablierung der monarchischen Stellung des Augustus wurde zwar weder das Volk noch die Aristokratie bzw. ihre wichtigsten Vertreter unmittelbar aus der Entscheidung über die Vergabe der Magistraturen eliminiert; doch wurde die Bedeutung vor allem des populus Romanus schnell vermindert durch die in der Forschung immer noch nicht zur vollen Klarheit gebrachten Prärogativen einerseits des Kaisers - durch nominatio, commendatio, suffragatio - , andererseits auch durch die Destinations-Zenturien, die den Wahlkomitien seit dem J. 5 n. Chr. eine Liste mit nicht mehr Kandidaten vorlegten, als Magistraturen zu besetzen waren 8 . Seit Tiberius gewann aber 6
Siehe d a z u G . CHAISNE, L ' a m b i t u s et les m o e u r s e l e c t o r a l e s d e s R o m a i n s , 1911 ; G . ROTONDI, Leges p u b l i c a e p o p u l i R o m a n i , M a i l a n d 1912 ( N D . H i l d e s h e i m , 1966), 2 7 7 ; vgl. f e r n e r bei i h m d i e leges A n t o n i a d e c a n d i d a t i s , A u f i d i a , A u r e l i a , C o r n e l i a , C a e c i l i a , Licinia ( d e a m b i t u ? u n d d e sodaliciis), P o m p e i a , T u l l i a .
;
WISEMAN, N e w M e n 9 5 f f . ; TAYLOR 6 2 f f . C H R . MEIER, R e s p u b l i c a a m i s s a , W i e s b a d e n 1 9 6 6 , 1 7 4 f f .
' Z u d e n W a h l e n in d e r Kaiserzeit siehe z. B. G . TIBILETTI, P r i n c i p e e m a g i s t r a t i r e p u b l i c a n i , R o m 1953; M . L. PALADINI, Le v o t a z i o n i del s e n a t o r o m a n o nell'età di T r a i a n o , A t h e n a e u m 37, 1959, I f f . ; R. FREI-STOLBA, U n t e r s u c h u n g e n zu d e n W a h l e n in d e r r ö m i s c h e n K a i s e r z e i t , Z ü r i c h 1967; F. DE MARTINO, Storia della c o s t i t u z i o n e r o m a n a , N e a p e l 1974', IV I, 5 7 7 f f . ; D. FLACH, D e s t i n a n o u n d n o m i n a t i o im f r ü h e n P r i n z i p a t , C h i r o n 6, 1976, 193 ff.; A. H. M . JONES b e t o n t ( i n : S t u d i e s in R o m a n G o v e r n m e n t a n d L a w , O x f o r d 1968, 50), ein N e b e n z w e c k d e r W a h l r e f o r m d e s A u g u stus, wie sie in d e r t a b u l a H e b a n a g e s c h i l d e r t ist, sei a u c h d i e U n t e r b i n d u n g d e r K o r r u p t i o n bei den Wahlen gewesen.
K o r r u p t e P r a k t i k e n in der H o h e n K a i s e r z e i t
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insbesondere der Senat selbst bei der Wahl ein immer größeres Übergewicht, ohne daß sich präzise sagen ließe, wie das Verhältnis von Destinations-Zenturien und Senat bei der Wahl der Magistratsanwärter sich gestaltete. Zumindest eine Zeitlang müssen sie nebeneinander bestanden haben. Daraus resultiert aber, daß immer weniger das Volk nunmehr der Adressat von Handlungen sein konnte, die zum Ziel hatten, einem Kandidaten ein Amt zu sichern, das er bei nicht zusätzlich beeinflußter Konstellation kaum erreicht hätte. Bezeichnend ist vielleicht, daß das letzte Gesetz gegen ambitus im J. 18 v.Chr. erlassen wurde 9 , also unmittelbar nachdem es im vorausgehenden Jahr bei der Bewerbung des Egnatius Rufus um den Konsulat zu massiven Störungen des Wahlverlaufs gekommen war 10 . Die Höchststrafe bestand in einem fünfjährigen Ausschluß von der Bewerbung um weitere Ämter. Nicht im gleichen Maße wie beim Volk ging der Einfluß der senatorischen Aristokratie und speziell ihres konsularen Führungskreises auf die Ämterbesetzung zurück; Empfehlungsbriefe (epistulae commendaticiae), wie sie durch Plinius und Cornelius Fronto in nicht geringer Zahl auf uns gekommen sind", sprechen eine deutliche Sprache. Doch ergibt sich gerade aus ihnen auch die Verschiebung der politischen Struktur. Zwar bittet Plinius allgemein senatorische Kollegen um die Unterstützung bei der Wahl ihm befreundeter oder verpflichteter Kandidaten, ebenso wie er auch selbst Briefe mit gleichlautenden Bitten empfängt 12 . Aber der Hauptadressat solcher Briefe ist doch der Kaiser 13 bzw. sind Personen, die sich beim Kaiser für einen Kandidaten verwenden können 14 . Dieser Zugang beim Kaiser ist freilich kein Monopol der Mitglieder des ordo senatorius, vielmehr ist die Vermittlung grundsätzlich jedem möglich, der in persönlichem Kontakt mit dem Herrscher steht. Je enger dieser sich gestaltet, desto größer sind auch die Chancen für die Durchsetzung der Anliegen, die an den Kaiser herangetragen werden können. Letztlich ist es gleichgültig, welchen soziopolitischen Status der Vermittler einnimmt. Entscheidend ist nur, wie leicht der „Zugang zum Machthaber" (Carl Schmitt) war 15 . So ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Frauen der Kaiser immer wieder als diejenigen genannt werden, die ihren eigenen Kandidaten oder Bewerbern, die ihnen von anderen empfohlen wurden, die gewünschten Stellen verschafften 16 . Und zumeist mit den kaiserlichen Frauen ' Cass. Dio 54, 16,1; Suet. Aug. 34,1: Β. BIONDI, Acta divi Augusti, Rom 1945, 140ff. 10
FREI-STOLBA, W a h l e n 104 f f .
" Plin. ep. 2, 13 ; 3, 2.8 ; 4, 4.15 ; 6, 6 ; 7, 22 ; Fronto ad Marc. Caes. 5, 37 ; ad Ant. Pius 9 ; ad amie. 1, 7; 2, 8. 13 Plin. ep. 6, 9. " Plin. ep. 10, 4.12.26; vgl. auch 10, 85.86 a. 86 b. 87 für Personen nichtsenatorischen Standes. " Plin. ep. 4, 17.24, 4; 8, 23; vgl. auch 10,2. 15 Dazu in aller Breite F. MILLAR, The Emperor in the Roman World, London 1977, passim. Vgl. etwa Suet. Vit. 7, I : Einsatz des T. Vinius für die Ernennung des A. Vitellius zum Statthalter von Germania inferior.; Einfluß Agrippinas auf die Ernennung des Balbillus zum praefectus Aegypti, P. A . BRUNT, J R S 6 5 , 1 9 7 5 , 1 2 4 A n m .
8.
" Suet. Claud. 29; Galba 5; Otho I ; Cass. Dio 60, 17, 8. 18, 2; 67, 14, 3.
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Werner Eck
bzw. kaiserlichen Mätressen, wie Caenis oder Marcia, werden auch servi und liberti Augusti genannt, die in ihren Möglichkeiten viele Angehörige des Senatoren- oder Ritterstandes übertrafen, jedenfalls d a n n , wenn sie Funktionen w a h r n a h m e n , die den ständigen U m g a n g mit dem Herrscher notwendig machten 1 7 . Somit hatte sich der Kreis derer, die bei einer L a u f b a h n im politisch-administrativ-militärischen Bereich f ö r d e r n d bzw. natürlich auch hemm e n d tätig werden k o n n t e n , erheblich erweitert, die fast monopolartige Stellung der Senatsmitglieder während der Republik war verloren zugunsten derjenigen, die trotz sozialer M i n d e r e i n s t u f u n g - nach traditionellen Werten gerechnet - einen unmittelbaren Zugang zum jeweiligen Machtträger hatten. Freilich - deren Stellung war in weitem U m f a n g erheblich prekärer als die der Senatoren u n d Ritter u n d das Ansehen der Kaiser in den meinungsbildenden Schichten beruhte oft nicht unwesentlich d a r a u f , wie sehr seine nichtsenatorisch-ritterliche U m g e b u n g auf ihn Einfluß gewinnen bzw. wenigstens, wie offenkundig dieser Einfluß werden konnte. D e n n kein Kaiser k o n n t e sich ihm ganz entziehen. Mit den vorhergehenden Hinweisen ist natürlich längst der Bereich der republikanischen Magistraturen verlassen, die unter den amtlichen Aufgaben der Kaiserzeit nur mehr einen kleinen Teil u n d - abgesehen vom Gesichtsp u n k t des Prestiges - den gewiß unbedeutenderen einnahmen. A u f b a u e n d auf Ansätzen, die sich schon in der späten Republik finden, wurde der senatorische Cursus durch Aufgaben ausgeweitet, die sich aus den Erfordernissen der Hauptstadt, Italiens u n d der Provinzen ergaben 1 8 . Abgesehen von wenigen Bereichen entschied dabei der Kaiser selbständig über die Besetzung der entsprechenden Ä m t e r ; d. h. ein unmittelbares Einwirken des Senats oder gar der formell noch bestehenden Wahlkomitien ist hier von vorneherein nie vorgesehen gewesen. Die neugeschaffenen Ämter verbanden sich mit den traditionellen republikanischen Magistraturen global zu einer senatorischen Laufb a h n , die sich im Laufe des 1. Jh.s η. Chr. ausgestaltete, mehr u n d mehr feste Formen a n n a h m u n d sich auch nach gewissen Typen differenzierte. Diese Laufbahntypen haben ihre gleichbleibende G r u n d s t r u k t u r aus der Abfolge der republikanischen Ämter bezogen u n d auch im wesentlichen die Regelungen der republikanischen, unter Augustus etwas veränderten leges annales ü b e r n o m m e n , wodurch f ü r eine Reihe von Funktionen (nämlich f ü r Militärtribunal und Vigintivirat, besonders j e d o c h f ü r Quästur, Volkstribunat bzw. 17
Vgl. die Angaben in A n m . 16; ferner Cass. Dio 72, 10, 2.1!, 3 f . 12, 3 f . ; F. MILLAR, E m p e r o r 6 9 f f . ; G. BOULVERT, Esclaves et a f f r a n c h i s impériaux sous le H a u t - E m p i r e r o m a i n , Neapel 1970, 3 7 0 f f . ; J. K. EVANS, T h e Role of s u f f r a g i u m in Imperial Political D e c i s i o n - M a k i n g : A Flavian Example, Historia 27, 1978, 102ff. (freilich in vielen Punkten spekulativ). " Vgl. die oben A n m . I g e n a n n t e Literatur; dazu H.-G. PFLAUM, Les progrès des recherches prosop o g r a p h i q u e s c o n c e r n a n t l ' é p o q u e du H a u t - E m p i r e d u r a n t le dernier quart de siècle (1945-1970), A N R W II I, Berlin 1974, 113FF.; f ü r Italien W. ECK, Die staatliche Organisation Italiens in der H o h e n Kaiserzeit, M ü n c h e n 1979; M. CORBIER, L'aerarium Saturni et l'aerarium militare, Paris 1974.
K o r r u p t e Praktiken in der H o h e n Kaiserzeit
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Ädilität, Prätur u n d Konsulat) ein bestimmtes Mindestalter bzw. auch bestimmte Intervalle festgelegt w a r e n " . Wie sehr diese Regelungen als verpflichtend angesehen wurden, ersieht man daraus, d a ß beispielsweise Augustus Befreiungen von dieser Vorschrift f ü r seine Adoptivsöhne Gaius u n d Lucius bzw. auch f ü r Tiberius u n d G e r m a n i c u s eigens durch den Senat genehmigen ließ 20 , auch wenn der Senatsbeschluß letztlich nur formalen Charakter hatte. Modifikationen innerhalb dieser Vorschriften waren allerdings aufgrund einiger augusteischer Gesetze möglich, wodurch Verheirateten bzw. den Senatoren, die Kinder besaßen, gewisse Vorteile, u . a . Erlaß von sonst nötigen Intervalljahren, gegenüber ihren K o n k u r r e n t e n gewährt wurden 2 1 . Eingebaut in dieses Grundgerüst wurden die neugeschaffenen Ämter, die bis zur traianischen Zeit, wenn man von den curatores viarum absieht, allein f ü r Rom bzw. f ü r die Provinzen eingerichtet wurden. Ursprünglich war eine gewisse Flexibilität gegeben, wann diese Aufgaben innerhalb des vorgegebenen R a h m e n s ü b e r n o m m e n werden konnten, etwa bei der praefectura frumenti dandi, die in augusteisch-tiberischer Zeit auch schon vor der Prätur bekleidet wurde 2 2 , ebenso wie m a n c h e Kaiser der julisch-claudischen Dynastie bereits Quästorier oder auch Ädilizier/Tribunizier zu Legionslegaten ernannten. Später, d . h . wohl seit Vespasian, ist in beiden Fällen die vorherige Bekleid u n g der Prätur absolutes Erfordernis 2 3 . So wie bei diesen exempli gratia gen a n n t e n Ämtern wurde auch bei anderen der Zeitpunkt, an dem sie innerhalb eines cursus h o n o r u m übertragen werden konnten, relativ klar festgelegt 24 . So kam die Oberaufsicht über italische Straßen unmittelbar nach der Prätur, wenn es sich um die viae Aurelia, Clodia, Latina, Salaria u n d Tiburtina handelte, dagegen zumeist erst kurz vor dem Konsulat bei den viae Aemilia, Appia u n d Flaminia 2 5 . Auch einzelne Provinzstatthalterschaften hatten ihren
" J. MORRIS, Listy filol. 87, 1964, 316ff.; ECK, A N R W II I, 172ff. Res gestae 14; Cass. Dio 55, 10, 18.31, 1 ; Suet. Cae. 1,1 ; Cass. Dio 53, 23, 3; Tac. ann. 3, 29. 21 Tac. ann. 2, 51 ; 15, 19; Cass. Dio 53, 13, 2; Suet. Tib. 35; Gell. η. Α. 2, 15; Plin. ep. 7, 16, 2; frag. Vat. 197; Dig. 4, 4, 2. Das Jahr, das Plinius dem Jüngeren bei der Praetur erlassen wurde, war ein nicht auf gesetzliche Bestimmungen rückführbares beneficium des Kaisers, dessen Ursache nicht bekannt ist (Plin. ep. 7, 16, 2). Dieses Beispiel zeigt im übrigen, wie schwer bzw. fast unmöglich es üblicherweise ist, solche Vergünstigungen bei der spezifischen Quellensituation festzustellen. Den Cursusinschriften des jüngeren Plinius wäre jedenfalls hinsichtlich der Prätur nichts zu entnehmen. 22 Vgl. H.-G. PFLAUM, BJ 163, 1963, 224f. Einzelne Aufgabenbereiche erhielten freilich nie einen absolut festen Platz, so ζ. B. die prokonsularen Legationen (dazu W. ECK, Senatoren 38ff.; M. DoDIN, Une anomalie du cursus sénatorial sous l'empire: les légations provinciales préquestoriennes, Latomus 37, 1978, 148 ff.) oder die curae civitatis (vgl. zuletzt R. DUTHOY, Curatores rei publicae en occident durant le principal. Ane. Soc. 10, 1979, 171 ff., bes. 204ff.). " G. ALFOLDY, Die Legionslegaten der römischen Rheinarmeen, Epigraph. Studien 3, Köln-Graz 20
1 9 6 7 , 8 0 ; W . ECK, A N R W II I, 172. 24
25
Siehe beispielsweise zur praefectura aerarli Saturni bzw. militaris M. CORBIER, L'aerarium Saturni et l'aerarium militare 522ff., 596ff.; für die stadtrömischen curae etwa G. ALFÖLDY, Konsulat 2 6 , 189 ff. W. ECK, Die staatliche Organisation Italiens 49f. Ein Fall wie der des Bruttius Praesens, der erst nach einem Legionskommando curator viae Latinae wurde, erregt so notwendigerweise Aufse-
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mehr oder minder fixen Rang innerhalb eines cursus 26 , wobei auch traditionelle Elemente eine wichtige Rolle spielten. So war die Tatsache, daß Syrien ebenso wie Britannien üblicherweise die letzte kaiserliche Statthalterschaft war, in der ein Senator fungieren konnte, wesentlich darin begründet, daß hier lange Zeit die stärksten Legionsverbände stationiert waren 27 . Doch bildete ebenso auch die Tarraconensis den Endpunkt einer Laufbahn 2 8 , abgesehen natürlich von den Prokonsulaten von Africa und Asia, die üblicherweise den Höhepunkt und Abschluß bildeten 29 . Die Tarraconensis hatte zwar seit vespasianischer Zeit nur noch eine Legion als Besatzung, trotzdem veränderte sich an dem Rang innerhalb der Karriere nichts. Was der Grund dafür gewesen sein mag, braucht hier nicht erörtert zu werden. Entscheidend ist nur die weitgehende Fixierung des Stellenwertes. Doch nicht nur das einzelne Amt gewann eine klare Position, sondern ganz bestimmte Aufgaben vertrugen sich üblicherweise nur mit ganz bestimmten Typen einer Laufbahn. Besonders auffallend ist etwa, daß nur recht selten, jedenfalls im 2.Jhd., eine prätorische Statthalterschaft über eine Senatsprovinz in der Karriere eines Senators erscheint, der bevorzugt im Dienst des Kaisers steht, ebenso auch kaum die Funktion eines Legaten unter einem Prokonsul, abgesehen freilich in den Provinzen Asia und Africa 30 . Diese Ausrichtung auf bestimmte Arten der Beförderung war zu einem erheblichen Teil bereits durch die ersten, noch kaum mit Macht ausgestatteten Ämter gegeben, insbesondere durch den sogenannten Vigintivirat mit den vier Abteilungen der IIIviri monetales, der Xviri stlitibus iudicandis, der IVviri viarum curandarum und der 111viri capitales 31 . In der angeführten Reihenfolge sanken die Chancen auf eine schnelle und erfolgreiche Laufbahn - nicht zum wenigsten unter dem Gesichtspunkt des äußeren Prestiges, so weit es vor allem durch die ehemaligen republikanischen Ämter vermittelt wurde. Andere sehr frühe Weichenstellungen ergaben sich etwa durch die Art der Übertragung der Quä-
26
21
hen. Zu d e n v e r s c h i e d e n e n E r k l ä r u n g s v e r s u c h e n vgl. M. TORELLI, E p i g r a p h i c a 24, 1962, 6 2 f f . ; H.-G. PFLAUM, G e r m a n i a 37, 1959, 153 ff.; R. SYME, Historia 18, 1969, 353. F ü r P a n n o n i a i n f e r i o r bzw. alle p r a e t o r i s c h e n Provinzen mit einer Legion vgl. R. SYME, G o v e r n o r s of P a n n o n i a i n f e r i o r , Historia 14, 1965, 342ff. = R. SYME, D a n u b i a n Papers, Bukarest 1971, 255ff.; B. E. THOMASSON, T h e O n e - L e g i o n Provinces of t h e R o m a n E m p i r e d u r i n g t h e P r i n c i p a t e , O p u s e . R o m . 9, 1973, 6 I f f . ; f ü r legionslose P r o v i n z e n : R. SYME, Legates of Cilicia u n d e r T r a j a n , Historia 18, 1969, 352ff. = R o m a n P a p e r s , O x f o r d 1979, I I 774ff.; W. ECK, A N R W I I 1, 197ff. W. ECK, A N R W I I I, 211 f.; G . ALFÖLDY, K o n s u l a t 218f., 2 3 8 f f . ; f e r n e r A . R. BIRLEY, T h e Fasti
of R o m a n Britain, Oxf. 1981, 377 ff. G . ALFÖLDY, Fasti H i s p a n i e n s e s , W i e s b a d e n 1969, 201 ff. ^ B. E. THOMASSON, Die Statthalter d e r r ö m i s c h e n P r o v i n z e n N o r d a f r i k a s von A u g u s t u s bis Dioclet i a n , L u n d 1960; W. ECK, S e n a t o r e n v o n V e s p a s i a n bis H a d r i a n , M ü n c h e n 1970, 7 7 f f . ; G . ALFÖLDY, K o n s u l a t , 100ff.; R. SYME, Z P E 37, 1980, 1 f f . ; U. VOGEL, Die S t a t t h a l t e r v o n Asia u n d A f r i k a in d e n J a h r e n 15 bis 68 n. Chr., Bonn 1982. 30 E. BIRLEY, PBA 39, 1954, 197ff.; W. ECK, A N R W I I 1, 201 f f . ; G . ALFÖLDY, K o n s u l a t , 4 9 f f . ; W. ECK, Z u d e n p r o k o n s u l a r e n L e g a t i o n e n in d e r Kaiserzeit, E p i g r a p h . S t u d . 9, B o n n 1972, 24 ff. " N a c h f r ü h e r e n Hinweisen v o n E. BIRLEY, P B A 39, 1954, 201 f f . ; f e r n e r W. ECK, A N R W I I 1, 173 ff. 28
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stur 32 oder durch den Zeitpunkt, zu dem ein Senator das K o m m a n d o über eine Legion erhielt 33 . Doch auch diese Einweisungen, besonders auf den ersten Stufen, erfolgten nicht voraussetzungslos, sondern waren zumindest zum Teil vorbestimmt durch den sozialen Status, den der einzelne Senator innerhalb seines o r d o einnahm 3 4 . So k o n n t e ein Patrizier davon ausgehen, d a ß er, zumindest seit Vespasian, in der vornehmsten Kategorie der XXviri, bei den Illviri monetales, seine ersten Funktionen versehen konnte 3 5 , während ein h o m o novus kaum damit rechnen durfte. Falls ihm dies allerdings gelang, so war ihm eine glänzende u n d schnelle L a u f b a h n sicher. Das besondere Amt des Vigintivirats ist dabei nur Indiz f ü r ein j e verschiedenes Bündel von Motiven u n d Einf l u ß n a h m e n . Die Personen, die dahinter stehen, sind in den seltensten Fällen f ü r uns erkennbar. Der ordentliche Konsulat gewann immer mehr ein überragendes Prestige, da in der allgemeinen Praxis seit dem 1. Jh. u n d seit dem späten 2. Jh. selbst in der offiziellen Verwendung nur noch die cónsules ordinarii zur Datierung herangezogen wurden. Um so stärker wurde der ordentliche Konsulat zu einer D o m ä n e einer kleinen, fest bestimmten G r u p p e von Senatoren, die fast ausschließlich aus konsularen Familien stammten 3 6 . Fälle, die nicht diesem Prinzip entsprechen, erregen Aufsehen u n d verlangen nach einer besonderen Erklärung, so z. B. im J. 88 n. Chr.; neben Domitian erscheint ein Minucius R u f u s als Konsul am 1. J a n u a r . Ein konsularer Vorfahre ist nicht bekannt. Es ist nicht ausgeschlossen, d a ß es im Z u s a m m e n h a n g mit einer Verschwörung im vorangehenden J a h r zum Ausfall des eigentlichen K a n d i d a t e n u n d zum Nachrücken eines nur zum Suffektkonsulat bestimmten Senators g e k o m m e n ist 37 . Was hier in wenigen G r u n d z ü g e n f ü r die senatorische L a u f b a h n angedeutet wurde, läßt sich im Grundsatz auch f ü r die ritterlichen Karrieren aufgrund vor allem der Forschungen H.-G. Pflaums zeigen, freilich zeitlich mit einer gewissen Phasenverschiebung, indem nämlich erst rund 50 Jahre nach der weitgehenden Fixierung des senatorischen cursus h o n o r u m auch die Ab-
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" " "
M. CEBEILLAC, Les 'quaestores principis et candidati'aux I er et I I t m e siècles de l'empire, Mailand 1972. G. ALFÖLDY, Die Legionslegaten der römischen Rheinarmeen. Epigraph. Stud. 3, 1967; W. ECK, A N R W II 1, 185ff. Siehe z.B. Tac. ann. 11, 21, 2; hist. 3, 86, 1. H.-H. PISTOR, Princeps und Patriziat in der Zeit von Augustus bis C o m m o d u s , Diss. Freiburg 1965, 79ff.; W. ECK, A N R W II 1, 217ff. E. GROAG, Zum Konsulat in der Kaiserzeit, Wiener Studien 47, 1929, 143ff.; W. ECK, Senatoren 55ff.; G. ALFÖLDY, Konsulat 33ff. Vgl. A. DEGRASSI, I fasti consolari dell'Impero R o m a n o , Rom 1952, 27 mit AE 1949, 23; vgl. n u n m e h r auch ein neues Fragment der Fasti Ostienses: F. ZEVI, Akten 6. Internat. Kongr. für Griech. und Lat. Epigraphik, München 1973, 438; W. ECK, Senatoren 58 A. 21.
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folge der ritterlichen Funktionen umfassender „normiert" wurde 38 . Zum anderen ist zu beobachten, daß die „ N o r m i e r u n g " hier nie so weit gegangen ist wie bei den Senatoren, vielmehr die Möglichkeit zu einer stärkeren Variabilität von Seiten des Kaisers immer gegeben war 39 . Das hing u.a. damit zusammen, daß keine aus der Republik überkommenen Regeln in die Ausgestaltung der Beförderungsschemata übernommen werden mußten, die bei den Senatoren ein erhebliches Gewicht behielten. Die stärkere Variabilität war aber auch dadurch bedingt, daß der Zuwachs an neuen Funktionen im prokuratorischen Bereich von einem sehr niederen Niveau unter Augustus sehr kontinuierlich vor sich ging und damit laufend Veränderungen und neue Konstellationen nötig wurden. Immerhin war über die militärische Laufbahn und insbesondere über die Gehaltsstufen der sexagenarii, centenarii, ducenarii und trecenarii ein Gerüst gegeben, worin die einzelnen prokuratorischen Aufgaben und Stellen ihre einigermaßen feste Position erhielten. Wie bei den senatorischen Ämtern erforderte auch in diesem Bereich die Übernahme bestimmter Funktionen üblicherweise die vorherige Absolvierung anderer Posten im kaiserlichen Dienst 40 . Daß diese Regelhaftigkeit bekannt war und auch beachtet wurde und nicht nur ein modernes Konstrukt ist, zeigt wohl ein Brief des Cornelius Fronto an Antoninus Pius, in dem er sich für den kaiserlichen Freigelassenen Aridelus verwendete u n d ihn zur Beförderung auf eine höhere Stelle empfahl. Fronto verweist dabei auf die forma, aufgrund deren Aridelus jetzt seine Beförderung erwarten durfte; unter f o r m a ist dabei wohl das übliche Verhalten des Kaisers und die Beachtung von „Spielregeln" zu verstehen 41 . Wenn dies schon bei einem kaiserlichenFreigelassenen gegolten hat 42 , der weitgehend zur freien Disposition seines kaiserlichen Herrn stand, d a n n traf diese Regelhaftigkeit sicher noch mehr auf den ritterlich-prokurato-
"
PFLAUM, Procurateurs 2 9 f f . ; vgl. die N a c h t r ä g e von H.-G. PFLAUM, A N R W II I, 117ff.; A. DEMAN, Latomus 32, 1973, 135 ff. " Dazu F. MILLAR, J R S 53, 1963, ders., E m p e r o r 126. Die Problematik einer zu g r o ß e n Regelmäßigkeit im prokuratorischen Bereich n u n zu Recht deutlich von R. P. SALLER, P r o m o t i o n u n d Pat r o n a g e in Equestrian Careers, J R S 70, 1980, 44ff. herausgearbeitet. Bei ihm besteht freilich die G e f a h r , d a ß die zu b e o b a c h t e n d e n „ R e g e l n " im wesentlichen ihre Bedeutung verlieren. 40 Vgl. etwa neuerdings B. DOBSON, Die Primipilares, K ö l n - B o n n 1978, 75ff. Z u r größeren Variabilität zahlreiche Beispiele bei F. MILLAR, The E m p e r o r in the R o m a n W o r l d , L o n d o n , 1977, 83 ff. 41 Fronto, ad M. Caes. 5, 37: Petit n u n c p r o c u r a t i o n e m ex f o r m a suo loco ac iusto t e m p o r e ; vgl. dazu auch das Schreiben M a r c Aurels an den Procurator Q. D o m i t i u s Marsianus, A E 1962, 183 u n d H.-G. PFLAUM, U n e lettre de p r o m o t i o n de l'empereur M a r c Aurèle p o u r un p r o c u r a t e u r ducénaire de G a u l e N a r b o n n a i s e , BJ 171, 1971, 349ff. Die Interpretation der Stelle h ä n g t freilich entscheidend von der Herstellung des Wortlautes bei F r o n t o ab, worauf jüngst mit Recht E. CHAMPLIN, Fronto a n d A n t o n i n e R o m e , C a m b r i d g e - L o n d o n 1980, 102 mit A n m . 53, hingewiesen hat. 42 Keineswegs darf m a n freilich d a v o n ausgehen, f ü r kaiserliche Sklaven o d e r Freigelassene hätten in der gleichen Weise verbindliche N o r m e n b e s t a n d e n wie f ü r Senatoren oder auch zumeist f ü r Ritter. Dies betont zu Recht G . P. BURTON, J R S 67, 1977, 163 gegenüber den Thesen BOULVERTS. I m m e r h i n ist es ja a u f f a l l e n d , d a ß Aridelus, obwohl er „zur B e f ö r d e r u n g a n s t e h t " , n o c h das suffragium Frontos benötigt. Eine Erwiderung BOULVERTS auf die E i n w ä n d e BURTONS in Ζ Ρ Ε 43, 1981, 31 ff.
Korrupte Praktiken in der Hohen Kaiserzeit
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rischen Bereich zu. Dagegen spricht nicht, daß gerade bei prokuratorischen Aufgaben immer wieder Fälle zu beobachten sind, in denen unter Umgehung der sonst üblichen Voraussetzungen bereits höhere Funktionen als Eingangsstufe vergeben wurden. Was besagen nun aber diese zumeist aus zahlreichen Einzelzeugnissen gewonnenen Strukturprinzipien im Hinblick auf die hier interessierende Frage, wie weit Korruption einen Einfluß haben konnte auf die Entwicklung der individuellen Laufbahnen bei Senatoren und Rittern und ob unter Umständen wie in der Spätantike die Notwendigkeit besteht, sie als „Strukturprinzip" auffassen zu müssen 43 ? In der Literatur der Hohen Kaiserzeit finden sich einige relevante Aussagen darüber, wo korrupte Mittel im Zusammenhang mit Beförderungen angewandt wurden. Diese sollen hier nach typischen Gruppen zusammengefaßt werden: Zumindest noch unter Augustus hat es Versuche gegeben, die Wähler der einzelnen Tribus nach gut republikanischer Manier zu bestechen. Deshalb ließ Augustus regelmäßig an die Angehörigen der Tribus Scaptia und Fabia, in die er selbst eingeschrieben war, nach Suet. Aug. 40,2 je 1000 HS verteilen, damit diese nicht Bestechungsgelder von einzelnen Kandidaten erwarteten. Auch Aussagen des Cassius Dio sind auf solche Vorgänge zu beziehen 44 . Augustus ließ deshalb in der lex Iulia de ambitu 18 v.Chr. alle Bestimmungen über Wahlbestechungen zusammenfassen und setzte als Höchststrafe einen fünfjährigen Ausschluß von den Ämtern fest 45 . Im Jahre 9 v.Chr. wurde schließlich von den Bewerbern um die stadtrömischen Magistraturen ein finanzielles Depositum gefordert 46 , das wohl ans aerarium Saturni verfiel, falls illegale Praktiken nachgewiesen werden konnten. Solche Hinweise fehlen in der Folgezeit 47 ; denn wenn bei Plin. ep. 6,19,1 berichtet wird, der Senat habe den Kandidaten verboten, Gastmähler abzuhalten, Geschenke zu versenden und Geld zu deponieren, das im Fall eines Erfolgs an die suffragatores gehen sollte, so kann sich dies nicht auf die Wähler in der Volksversammlung beziehen. Vielmehr muß die Zielgruppe, auf die hier Einfluß genommen werden sollte, unter den Senatoren gesucht werden, vor allem den suffragatores, deren Treiben Plinius erbost schildert 48 , zwar nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern aus der speziellen prakti43
44
V g l . w . SCHULLER, Z P E
16, 1 9 7 5 ,
Iff.
Cass. Dio 53, 2 1 , 7 ; 54, 16, I ; 55, 5, 2f. Cass. Dio 54, 16, 1 ; Suet. Aug. 40, 2; Plin. ep. 5, 13, 5 f . ; Dig. 48, 14, I. 4 * Cass. Dio 55, 5, 2 f . Vom a m b i t u s s u f f r a g i o r u m spricht Tac. a n n . 13, 29, 1, bei d e r Wahl d e r praefecti aerarli Saturni unter Augustus. Von der Befreiung von den largitiones u n d den preces s o r d i d a e spricht Tac. a n n . 1, 15, I im Zus a m m e n h a n g der tiberischen M a ß n a h m e n hinsichtlich der Wahlen. Die bei Epict. diss. 4, 10, 20 f. gegebene Schilderung einer Bewerbung um den Konsulat hat starke traditionalistische, auf das republikanische Geschehen weisende Z ü g e u n d k a n n k a u m als authentische Schilderung des Verfahrens am E n d e des I. Jh.s g e n o m m e n werden. 4 " Plin. ep. 3, 20. Nicht auf Wählerbestechung ist Tac. a n n . 11, 21, 2 (largitione a m i c o r u m ) zu beziehen. Vielmehr verschafften die amici Curtius R u f u s wohl die finanzielle Wahlqualifikation. 45
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sehen Ausprägung heraus. Da bis in die Zeit Traians die Abstimmung im Senat nicht geheim war 49 , konnte jeder Kandidat sehen, ob derjenige, der ihm seine Stimme versprochen hatte, auch für ihn stimmte. Je nachdem konnte man die deponierte Summe freigeben oder auch nicht. Eine weitere Personengruppe, auf die sich das Bestreben von Personen richtete, die eine öffentliche Funktion erreichen wollten, waren die Frauen bzw. die Konkubinen der Kaiser sowie auch bedeutende kaiserliche Freigelassene, die zum Teil in einem Atemzug mit den weiblichen „Machtträgern" genannt werden 50 . An Einzelnamen erscheinen etwa Messalina, die Gattin des Claudius, und ihre Freigelassenen, Agrippina, die Mutter Neros, Caenis, die Konkubine Vespasians, der Freigelassene Oleander unter Commodus sowie namentlich nicht genannte Freigelassene Elagabals. Während vom Volk und einzelnen Senatoren durch korrupte Mittel das leichtere Erreichen republikanischer Magistraturen erstrebt wurde, erweitert sich der Zielkatalog in diesem Bereich offensichtlich auf die gesamten Funktionen, die vom Kaiser vergeben wurden. Cass. Dio 60,17,8 nennt στρατείαι, έπιτροπείαι und ήγεμονίαι, worunter militärische Befehlshaberstellen, Prokuratorenposten und Statthalterschaften im senatorischen Bereich zu verstehen sind. Diese wurden nach Dio gegen Geld angeboten ebenso wie das Bürgerrecht. Andererseits soll Messalina denjenigen, die sich an ihrem ausschweifenden Leben beteiligten, τιμαί und άρχαί = Auszeichnungen und Ämter verschafft haben". Ähnliches wird von Caenis berichtet, die Statthalterschaften, Prokuraturen, Kommandostellen beim Heer und die Mitgliedschaft in römischen Priesterschaften verkauft haben soll; wie Dio hinzufügt, vermuteten manche Zeitgenossen, Vespasian habe sie nur als Vermittlerin gebraucht 52 . Bei Cleander schließlich, dem Günstling des Commodus wird der Angebotskatalog nur noch um die Mitgliedschaft im Senatorenstand erweitert 53 - ein Tatbestand, der auch von einzelnen Senatoren berichtet wird. Vespasian selbst soll, noch bevor er Kaiser wurde, einem jungen Mann, obwohl der Vater damit nicht einverstanden war, für 200000 H S den latus clavus beschafft haben. 54 Schließlich werden einzelne Kaiser unmittelbar beschuldigt, an solchen korrupten Praktiken beteiligt gewesen zu sein, wobei wohl letztlich kein großer Unterschied gegenüber der eben geschilderten Gruppe besteht - jedenfalls in der faktischen Durchführung. Bezeichnend ist die von Sueton Vesp. 23,2 angeführte Anekdote, daß einer der Vertrauten Vespasians jemandem, den er als seinen Bruder ausgab, eine Stelle als dispensator verschaffen " Plin. ep. 3, 20; 4, 25; M. L. PALADINI, A t h e n a e u m 37, 1959, lOff. s " Vgl. oben A n m . 16 u. 17. Ferner HA Heliog. 6 ; Herod. 5, 7, 7; C a l p . Sic. 1, 69; (dazu E. CHAMPLIN, J R S 68, 1978, 101 f.). Zu A g r i p p i n a vgl. auch Tac. a n n . 13, 22, 1 ; ferner luv. 7, 86ff. 51 Cass. Dio 60, 18, 2; vgl. 79, 15, 3 u n d H e r o d . 5, 7, 7 f ü r die Zeit Elagabals. 52 Cass. Dio 66, 14, 3. " Cass. Dio 72, 12, 3 ff. 54 Suet. Vesp. 4; Tac. a n n . 14, 50, I : adiciebat Tullius G e m i n u s accusator venditata ab eo (sc. Veientone) m u ñ e r a prineipis et a d i p i s c e n d o r u m h o n o r u m ius.
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wollte. (Daraus ergibt sich im übrigen, daß beide Personen kaiserliche Sklaven bzw. Freigelassene waren.) Vespasian verschob die Entscheidung, ließ den Bewerber selbst kommen und sich die mit dem suffragator vereinbarte Summe auszahlen. Der Bewerber erhielt daraufhin die Stelle. Als der Vertraute bei Vespasian wieder nachfragte, antwortete dieser ihm: „Suche dir einen anderen Bruder. Der, den du für deinen ausgegeben hast, ist meiner." Unter den Kaisern, die sich korrupter oder korrumpierender Methoden bedienten, werden auch Tiberius, Domitian, Commodus und Elagabal genannt; alle gehören auffälligerweise der Kategorie der mali principes an! Dabei zeigt sich etwa bei Tiberius und Domitian in der Überlieferung die Variante, daß nicht die Korruption von den Bewerbern um Ämter ausging, sondern von den Kaisern selbst initiiert wurde, indem sie Verdienste um die eigene Person durch Auszeichnungen oder Ämter belohnten 55 . In der Sprache etwa des Tacitus: die praemia delatorum seien sacerdotia, consulatus und procurationes gewesen 56 . Zwei verschiedene Komplexe sind somit innerhalb der Tatbestände, die von römischen Autoren unter dem Aspekt Korruption erwähnt werden, zu trennen: Einmal die Versuche von Bewerbern um Ämter im senatorisch-ritterlichen Tätigkeitsfeld, die durch unmittelbare materielle Zuwendungen ihren Erfolg, sei es bei durch Wahlen vergebenen Magistraturen, sei es bei unmittelbar vom Kaiser verliehenen Aufgaben sicherstellen wollten. Andererseits die zwangsläufig von allen Kaisern geschaffene Situation, in der politische Verdienste mit einer „Remunerierung" durch die Übertragung insbesondere prestigeträchtiger Funktionen 57 rechnen konnten. Daß speziell der zweite Komplex stark durch Wertungen politischer Gegner beeinflußt worden ist, liegt auf der Hand 58 . Bevor man jedoch diesen Aspekt nochmals näher betrachtet, sind die angeführten antiken Aussagen in Bezug zu setzen zu den Erkenntnissen, die die moderne Forschung bei den senatorischen und ritterlichen Laufbahnen aufgrund statistischer Methoden gewonnen hat. Wie schon ausgeführt, hat sich bereits seit augusteischer Zeit, dann jedoch vor allem in der 2. Hälfte des l.Jh.s n. Chr. zunächst beim senatorischen cursus honorum eine relativ strenge Regelmäßigkeit herausgebildet, die auch bei den ritterlichen Laufbahnen seit traianisch-hadrianischer Zeit in gewissem Umfang stärker zu finden ist. Verschiedene Typen von Laufbahnen werden zur Normalität, wobei soziale Voraussetzungen bei den Senatoren eine entscheidende Rolle gespielt " " " s "
Cass. Dio 58, 4, 8. 19, 2; Tac. hist. I, 2, 3. Tac. hist. I, 2, 3; vgl. ann. 3, 19. Vgl. zuletzt G. ALFÖLDY, Konsulat 95ff. So wenn beispielsweise Suet. Tib. 42 suggeriert (vgl. Sen. de benef. 1,10, 2), Tiberius habe Pomponius Flaccus die Provinz Syria, C. Piso die Stadtpräfektur übertragen, weil sie mit ihm zwei Tage und Nächte ununterbrochen gezecht hätten. Ebenso soll Tiberius einen trinkfesten Bewerber hochadeligen Kandidaten bei der Quästur vorgezogen haben (offensichtlich als quaestor Augusti). Vgl. F. Millar, Emperor 311 mit Anm. 85.
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haben. Bei der starken N o r m i e r u n g sind Unregelmäßigkeiten innerhalb einer L a u f b a h n einigermaßen leicht zu sehen. Beispiele d a f ü r a n z u f ü h r e n , ist relativ einfach 5 9 . Doch sind in zahlreichen Fällen eindeutige G r ü n d e zu finden, die den Verdacht, hier läge eine verborgene Korruption vor, gar nicht aufk o m m e n lassen. So etwa, wenn während der Dakerkriege Traians plötzlich Senatoren als Statthalter von Militärprovinzen erscheinen, die a u f g r u n d ihrer vorhergehenden L a u f b a h n e n nicht die üblicherweise notwendigen Voraussetzungen mitbrachten. Doch ist dieser Tatbestand wohl o h n e Z w a n g d a d u r c h zu erklären, d a ß Traian alle stärker militärisch ausgewiesenen Senatoren als T r u p p e n k o m m a n d e u r e an der D a k e r f r o n t benötigte; in die Provinzen aber, die nicht unmittelbar in die kriegerischen Ereignisse verwickelt waren wie etwa Britannien oder K a p p a d o k i e n , k o n n t e m a n ohne G e f a h r Statthalter senden, die nur im administrativen Bereich erfahren waren 6 0 . N u n könnte m a n freilich einwenden, in unser Material, das immer nur für Einzelpersonen vorliegt, seien auch alle die Fälle eingegangen, in denen korrupte Mittel die L a u f b a h n bestimmt hätten 6 1 . Diese würden d a n n ebenfalls einen Typus ergeben bzw. das Gesamtergebnis beeinflussen u n d letztlich zu einem Zirkelschluß führen. Doch waren die politischen Bedingungen unter den einzelnen Kaisern recht verschieden, die L a u f b a h n t y p e n aber blieben sich im wesentlichen gleich. Damit ist es aber ausgeschlossen, d a ß in größerem Umfang nicht-normgerechte Mittel einen entscheidenden Einfluß auf die Beförderung gehabt haben können. Denn der Handlungsspielraum der einzelnen Kaiser war, zumindest gegenüber den Senatoren, eingeschränkt. Beförderungen gegen die als verbindlich angesehenen Regeln hätten, wenn sie in größerem U m f a n g erfolgt wären, erhebliche politische u n d auch administrative Folgen (etwa hinsichtlich der E r f a h r u n g der Amtsträger) gehabt, die, abgesehen von Einzelfällen, kaum ein Kaiser in Kauf g e n o m m e n hat. Weniger konzis waren die Regeln bei den Prokuratorenstellen, so d a ß die Aussagemöglichkeiten auch erheblich beschränkter sind. W e n n j e d o c h ein Kaiser geglaubt hätte, sich in weiten Bereichen über die als üblich erachteten s
* Auffällig ist so beispielsweise die L a u f b a h n des T. Iunius M o n t a n u s , der zwar n u r eine praetorische Stellung, den Prokonsulat in Sizilien erreichte, trotzdem aber im J a h r e 81 Suffektkonsul w u r d e ( R E Suppl XV 125 Nr. 105). C. Manlius Valens w u r d e mit 90 J a h r e n ordentlicher Konsul 96 n. Chr. (W. ECK, Senatoren 66 f.). Auch die L a u f b a h n des Bruttius Praesens n a h m am E n d e d e r Regierung T r a j a n s u n d unter H a d r i a n einen Verlauf, wie m a n es nach dem langsamen u n d wenig versprechenden Beginn k a u m hätte erwarten d ü r f e n (R. SYME, Historia 9, I960, 374f. = R o m a n Papers II 489ff.). M. C o r n e l i u s F r o n t o ü b e r n a h m als h o m o novus offensichtlich kein prätorisches Amt u n d gelangte doch (als Lehrer M a r c Aurels) zum Konsulat (vgl. G. ALFÖLDY, Konsulat 99f. mit A n m . 10; a n d e r s freilich E. CHAMPLIN, F r o n t o a n d A n t o n i n e R o m e , C a m b r i d g e L o n d o n 1980, 80 f.). Zu a b n o r m e n Intervallen zwischen Konsulat u n d Prokonsulat unter Tiberius vgl. R. SYME, History in Ovid, O x f o r d 1978, 160 f. Vgl. ferner R. SYME, S o m e Arval Brethren, Oxf o r d 1980, 85 f. 60 W. ECK, A N R W II 1, 217. " Vgl. etwa F. MILLAR, E m p e r o r 126: T h e patterns of personal contact a n d influence which might lie behind what we would otherwise see simply as a „ c a r e e r " are b r o u g h t out by Dio in describing the rise of Opellius Macrinus.
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Normen hinwegsetzen zu können, hätte er auch hier mit nicht geringen politischen Konflikten rechnen müssen 62 , da die Erwartungen vieler, die entsprechend der forma honorum eine Beförderung voraussahen, nicht mehr erfüllt werden konnten, es sei denn über eine erhebliche Vermehrung der Stellen. Nur unter einer Regierung, der des Elagabal, laufen Behauptungen literarischer Quellen über korrupte Praktiken und dokumentarisches Material mit zahlreichen Unregelmäßigkeiten zusammen 63 . Wenn aber Tacitus etwa für Domitian die Behauptung aufstellt, Konsulate und Priesterschaften seien ebenso wie Prokuratorenstellen als Belohnung für Delatorentätigkeit vergeben worden 64 , so wird die historische Verifizierung schwierig, und noch mehr die historische Wertung. Eine genauere prosopographische Prüfung aller Konsuln unter seiner Regierungszeit hat aber keine Besonderheiten erbracht 65 . Der soziale Status einer Familie, also ob patrizisch, konsular, senatorisch oder neusenatorisch, hat seine Bedeutung behalten. Ebenso wurden diejenigen, die aufgrund der prätorischen Laufbahn den Konsulat erwarten durften, nicht übergangen. Freilich sind einige Tatbestände auffallend: Sowohl in den Jahren 82-85 als auch im Jahr 90 und dann wieder 9366 sind erheblich größere Zahlen von Konsuln zu finden als sonst, nämlich zwischen jeweils 11-12, während üblicherweise nur 6-8 ernannt wurden. Eine ähnliche Beobachtung findet sich aber auch für die Anfangsjahre Traians; 98 und 100 n. Chr. wurden außer den ordinarli noch jeweils 11 Suffektkonsuln in ihr Amt eingewiesen 67 . Die Zahlen in den Jahren 82-85 sind leicht dadurch zu erklären, daß Domitian die politische Notwendigkeit sah, seine eigenen Anhänger zu fördern, ebenso wie auch Traían. Wollte er dies tun, ohne andere, die aufgrund der Gesamtvoraussetzungen der Laufbahn gerade in diesen Jahren Anspruch auf die fasces hatten, zu verdrängen, so war nur die Möglichkeit gegeben, die Zahl der Suffektkonsuln zu erhöhen. Da der Konsulat numerisch nicht wie die anderen republikanischen Magistraturen festgelegt war, konnte dies ohne stärker fühlbare Eingriffe geschehen 68 . Diese Ernennungen dürfen aber kaum unter dem Stichwort Korruption, und sei es der politischen, gesehen werden, da diese öffentliche Verhaltensweise akzeptiert war, ja sogar hinsichtlich der Behandlung der amici als officium gesehen werden mußte, gerade auch auf Seiten des Kaisers. Anders war die Konstellation aber 62
Vgl. auch K. HOPKINS, in: Studies in Ancient Society, hg. M. I. FINLEY, London 1974, 115. " HA Heliog. 6; Herod. 5, 7, 7; E. CHAMPLIN, J R S 68, 1978, 101 f.; C I L VI 3839 = 31776 = D. 1329; VI 31747; A. STEIN, Der römische Ritterstand, München 1927, 121 ff. Dabei bleibt immer noch unsicher, worin im einzelnen die G r ü n d e für die Unregelmäßigkeiten zu suchen sind. Vgl. dazu jetzt auch M. CÊBEILLAC-GERVASONI, T. Messius Extricatus et les saborrarii, PP 1979, 268 ff. 64 Tac. hist. 1, 2, 3. é! W. ECK, Senatoren 55 ff. 66 Zum J a h r 93 siehe F. ZEVI, Akten des 6. Intern. Kongr. für Griech. und Lat. Epigraphik, München 1973, 438. 67 F. ZEVI, Akten 438; A. DEGRASSI, I fasti consolari 29 f; F. ZEVI, Un f r a m m e n t o dei Fasti Ostienses e i consolati dei primi anni di Traiano, PP 34, 1979, 179 ff. 68 W. ECK, Senatoren 60f.; Z P E 37, 1980, 51 ff.
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sicher in den Jahren 90 und 93, denen jeweils unmittelbar Zeiten der inneren Unruhe, zum Teil mit militärischen Usurpationsversuchen vorausgegangen waren 69 . Hier liegt natürlich der Verdacht nahe, in den zahlreichen Konsulaten die politische Belohnung zu sehen für ein loyales Verhalten im Sinn des regierenden Kaisers. Nach der Ermordung Domitians, und dies gilt ähnlich für vergleichbare Fälle, setzte dann zwangsläufig eine politische Umwertung ein. Vorherige Loyalität wurde zu korruptem Verhalten, ein Nichtberücksichtigtwerden bei Beförderungen aber konnte als Ablehnung politischer Korrumpierung stilisiert werden. Plinius d. J., der wahrlich unter Domitian nicht über eine langsame Laufbahn zu klagen hatte, möchte seinen Lesern suggerieren, er habe lieber einen längeren Weg zu den honores bevorzugt, sobald er erkannt habe, welche kürzeren Wege man einschlagen könne 70 . Die ausdrücklichen oder impliziten Normen für öffentliches Verhalten sind in diesem Bereich so sehr von politisch kurzfristigen Situationen und den spezifischen personellen Konstellationen abhängig, daß es fast sinnvoller erscheint, solche Erscheinungen nicht unter den allgemeinen Begriff der Korruption zu subsumieren 71 . Welch problematische Wertungsdiskussion hier geführt werden müßte, zeigt sich etwa in den Fällen, in denen einzelne senatorische Familien nur durch ständige finanzielle Hilfen der Kaiser, also durch Dauerbeneficia, ihren Sozialstatus erhalten konnten 72 . Denn Publilius Syrus behauptet in einem seiner Sinnsprüche (48): Beneficium accipere libertatem est vendere. Die Folgerung wäre eine Totalkorrumpierung. Damit darf gefragt werden, wo Korruption in einem engeren Sinn, als Einsatz materieller Mittel zur Förderung der Laufbahn einer einzelnen Person unter den Bedingungen der Hohen Kaiserzeit wirksam werden konnte 73 . Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß in den weniger straff durch Laufbahnvorschriften bzw. traditionelle Praxis geregelten Funktionsbereichen eine individuell ausgerichtete Weichenstellung durch entsprechende Einwirkung eher erreichbar war, am stärksten bei den kaiserlichen Sklaven und Freigelassenen, weniger leicht bei den ritterlichen Prokuratorenstellen. Am wenigsten ist der senatorische Cursus beeinflußbar. Möglichkeiten zeigen sich hier dann am ehesten, wenn es um die Aufnahme in den ordo überhaupt geht. Fabricius Veiento wurde unter Nero verurteilt, weil er sich die Vermittlung " A. DEGRASSI, I Fasti consolari 27F.; F. ZEVI, Akten 438. 10 Plin. pan. 95, 3 f: crédite, si cursu q u o d a m provectus ab ilio insidiosissimo principe, a n t e q u a m profiteretur o d i u m b o n o r u m , p o s t q u a m professus est substiti, cum viderem q u a e ad h o n o r e s c o m p e n d i a paterent, longius iter malui. 71 Vgl. zur K o r r u m p i e r u n g durch die politische Machtsituation R. SYME, History in Ovid, O x f o r d 1978, 132. " Tac. a n n . 1, 17, 3 f . ; 2, 3 f . ; 1 2 , 5 2 , 3 ; 13,34, 1; 15,53, 1 f.; Suet. Tib. 47; N e r o 10, 1 ; Sen. d e ben. 2, 7, 2. 8, 1 f.; 3, 27, 2 f . ; Cass. Dio 69, 5, 1 ; F r a n t o ad Ver. 2, 7, 5 f . ; HA H a d r . 7, 9 ; Marci 23, 2 f . ; H. KLOFT, Liberalitas Principis, Köln-Wien 1970, 101 ff.; F. MILLAR, E m p e r o r 297ff. " Z u r Diskussion über Begriff u n d Definition der K o r r u p t i o n W. SCHULLER, in: Der Staat 16, 1977, 373 ff. Sobald m a n diesen engen Begriff verläßt, verlangt j e d e r Einzelfall eine höchst problematische u n d zumeist k a u m entscheidbare Wertungsdiskussion.
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des ius h o n o r u m adipiscendorum hatte bezahlen lassen (Tac. ann. 14,50). Ebenso konnte m a n Versuche u n t e r n e h m e n , sich die Stimmen senatorischer Wähler bei Quästur, Ädilität/Volkstribunat u n d Prätur zu sichern, weil da zumindest f ü r einen kleinen Teil der K a n d i d a t e n die Möglichkeit des Durchfallens bestand 7 4 . Bei 20 Vigintiviri, die sich um 20 Quästuren, 16 Stellen als Ädilen bzw. Volkstribunen sowie 17 bzw. 18 Präturen bewarben, war diese C h a n c e freilich gering. Wozu sollte also ein Einsatz in größerem U m f a n g dien e n ? Eher mochten sich Bestechungsversuche darauf richten, möglichst an vorderer Stelle der jeweiligen K a n d i d a t e n gewählt zu werden, womit also nur aktuelles Prestige erworben bzw. Prestigeverlust vermieden wurde 7 5 . Ein grundsätzlich anderes Ergebnis aber konnte durch korrupte Mittel nicht erzielt werden, zumal ein beachtlicher Teil der Bewerber a u f g r u n d kaiserlicher E m p f e h l u n g ohnehin gewählt werden mußte. Vespasian hat sich allerdings nach Suet. Vesp. 16 nicht gescheut, diese honores an die K a n d i d a t e n zu verkaufen. Sollte damit eine allgemeine Praxis unter ihm gemeint sein, wäre darin nur noch eine s u m m a h o n o r a r i a zu sehen, die ihren spezifischen Charakter als Bestechungsmittel verloren hätte 76 . Bezeichnenderweise haben wir freilich keinerlei konkretere Hinweise auf Korruptionsversuche bei senatorischen u n d ritterlichen Funktionen, die im Dienst des Kaisers in den Provinzen versehen wurden 7 7 . U n d doch müssen gerade hier die Berater des Kaisers mit Hinweisen u n d E m p f e h l u n g e n wirksam geworden sein 78 , da der Herrscher allein nicht mehr in der Lage war, die einigermaßen komplizierte Personalpolitik allein zu gestalten. Denn selbst wenn die verschiedenen Kriterien, nach denen die Auswahl erfolgte, klar waren, mußten sie doch im jeweiligen Einzelfall ausgefüllt werden. Da es kein „ P e r s o n a l d e z e r n a t " in unserem Sinne gegeben hat, mußten die Entscheidungshilfen anderweitig gegeben werden, eben über die Berater bzw. überhaupt durch Personen in der näheren U m g e b u n g des Kaisers. Ihr suffragium war hier sicher von Bedeutung; doch waren sie ebenso wie der Kaiser selbst durch die allgemeinen Bedingungen der L a u f b a h n u n d deren Erfordernisse 74
Siehe z. B. Suet. Vesp. 2, 3; Plin. ep. 2, 9; 6, 6. Zum Prestigegewinn durch einen beschleunigten Konsulat vgl. Tac. ann. 3, 75, 1. Immerhin wird bei Dio 56, 25, 4 darauf hingewiesen, Augustus habe im Jahre 11 insgesamt 16 Prätoren wählen lassen, obwohl damals die Zahl der Stellen offiziell geringer war. Denn er wollte, d a mehr Kandidaten auftraten als Prätorenstellen vorhanden waren, niemanden zurückweisen. Zum Konkurrenzdenken vgl. Sen. de ben. 2, 28, I f. " Suet. Vesp. 2, 3: aedilitatis ac mox praeturae candidatus, illam non sine repulsa sextoque vix adeptus est loco, hanc prima statim petitione et in primis. 76 S u m m a e honoriae im spezifischen Sinn sind freilich nicht bezeugt, wenn man nicht in den Beiträgen zu Spielen solche sehen möchte; vgl. z.B. Tac. ann. 11, 22, 2. 6. Nicht als Bezahlung einer summa honoraria ist es zu betrachten, wenn Caligula von seinem Onkel Claudius für den Eintritt in das neue collegium der sodales des regierenden Kaisers 800000 Sesterzen verlangt (Suet. Cal. 9 )· 77
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Obwohl dies natürlich nicht heißt, d a ß es keine starke Konkurrenz um solche Ämter gegeben hat, vgl. nur Quint, inst. or. 6, 3, 68 . . . Didio Gallo, qui provinciam ambitiosissime petierat. Siehe auch F. MILLAR, Emperor 311. Vgl. zum suffragium H.-G. PFLAUM, Procurateurs 195ff.; F. MILLAR, Emperor 279ff., 300ff.
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festgelegt. So wie ihr suffragium nötig war, so war dieses auch innerhalb der senatorisch-ritterlichen Gesellschaft grundsätzlich akzeptiert, wurde sogar von der politisch-gesellschaftlichen Moral her, jedenfalls gegenüber Freunden, als verpflichtend erachtet. Entscheidend war nur, wer diese Unterstützung gewährte. Unbedenklich dokumentierbar war sie, wenn sie sozio-politisch Gleichstehenden oder niedriger eingestuften Personen gewährt wurde. Nicht wenige Ritter haben ihren senatorischen Gönnern und Patronen aus Dankbarkeit Statuen errichtet und es nicht versäumt, in den Inschriften eigens darauf hinzuweisen, daß der Einfluß ihrer Patrone ihren Aufstieg gefördert habe: suffragio eius promotus, provectus, ornatus 79 . D i e umgekehrte Förderung, kaiserliche Freigelassene 8 0 als suffragatores von Senatoren oder Rittern bzw. generell auch Frauen (mit Ausnahme der virgines Vestales) 81 , führte zu einer moralischen Desavouierung und Verurteilung; u.a. ging man wohl davon aus, das Motiv für deren Engagement könne ausschließlich im Angebot einer (finanziellen) Belohnung gefunden werden 8 2 - sicher höchstens zum Teil mit Berechtigung. Zwischen Cornelius Fronto und Appian wurden Briefe gewechselt wegen zweier Sklaven, die Appian an Fronto als Geschenk gesandt hatte 83 . Fronto wies sie zweimal energisch zurück, das Geschenk war grundsätzlich nicht akzeptabel. Falls dieses d o n u m und seine Zurückweisung mit den dreimaligen Bemühungen Frontos im Zusammenhang stehen sollte,
" C I L V 4332; VI 1532 = D. 1191 ; 1418 = D. 2941 ; 2131 = D. 4929; 2132 = D. 4928; 3839 = D. 1329; 1074 = D. 456; C I L XII 2230 = D. 2313; VIII 217 = D. 2658; zu diesem P h ä n o m e n E. BIRLEY, in: R o m a n Britain a n d the R o m a n A r m y , Kendal 1961, 141 f. Vgl. auch die Bezeichn u n g von Soldaten als c a n d i d a t u s von Befehlshabern: D. 1174; C I L VIII 21056; Eph. epigr. V 1043; A E 1905, 1 ; 1917/18, 50.85 (siehe auch A E 1976, 540); C I L III 10403, dazu J. FITZ, Alba Regia 17, 1979, 349. Allein aus dieser Z u s a m m e n s t e l l u n g ergibt sich, d a ß das übliche s u f f r a g i u m im I . / 2 . Jh. nicht dehonestiert war, wie H.-G. PFLAUM, Procurateurs 197f. a n n i m m t , wo aber offensichtlich Wertungen der S p ä t a n t i k e eingeflossen s i n d ; vgl. STE. CROIX, Brit. J o u r n . Soc. 5, 1954, 33ff. Ein besonders ausführlich geschildertes Beispiel des Versuchs eines s u f f r a g i u m s in: Collectanea Papyrologica, Festschrift Youtie, Bonn 1976, II 409ff. = P. Oxy. 3366. S u f f r a g i u m war selbst i n n e r h a l b von collegia w i r k s a m : C I L VI 10333 = D. 7351, wo freilich gerade der Inschriftensetzer betont, er h a b e solche suffragia gar nicht nötig gehabt. Vgl. allgemeiner SALLER, J R S 70, 1980, 57; „ T h u s , even when the system was working properly, p a t r o n a g e was always an integral part of it." 80
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Plin. p a n . 88, 1: Plerique principes, cum essent civium d o m i n i , libertorum erant servi: h o r u m consiliis, h o r u m nutu r e g e b a n t u r ; per hos a u d i e b a n t , per hos l o q u e b a n t u r ; per hos p r a e t u r a e etiam et sacerdotia et consulatus, i m m o ab his p e t e b a n t u r ; vgl. H A H a d r . 4, 5; Plin. ep. 8, 6, 3. Zu den virgines Vestales siehe etwa C I L VI 2132 = D. 4928; 2131 = D. 4929. Allgemein zur Einf l u ß n a h m e von Frauen auf B e f ö r d e r u n g e n z.B. Suet. Tib. 41 ; 51, I ; O t h o 1 , 1 ; Tac. a n n . 12, 8, 2; Seneca ad Helv. 19, 2; Joseph. Ant. J u d . 20, 6, 3. 11, I. Vgl. MILLAR, E m p e r o r 283. 287; R. SYME, J R S 70, 1980, 77; ders., Tac. II A p p . 7. Bezeichnend d a f ü r die wiederholt bei Tacitus u n d a n d e r e n geäußerte Meinung, d a ß Sklaven oder Freigelassene keinen Teil a n der res publica h a b e n d ü r f t e n ; vgl. z. B. Tac. hist. 1, 76, 9: Crescens N e r o n i s libertus ( n a m et hi malis t e m p o r i b u s partem se rei publicae faciunt) e p u l u m plebi o b laetitiam recentis imperii o b t u l e r a n t ; G e r m . 25, 3 ; Plin. ep. 8, 6, 4. Siehe auch die W e r t u n g eines Amtes, d a s offensichtlich d u r c h Vermittlung von kaiserlichen Freigelassenen erreicht wurde, bei Epict. diss. 3, 7, 31. Z u m E i n f l u ß des Narcissus vgl. J. MELOUX, Stud, class. 17, 1977, 61 ff. F r o n t o ep. G r a e c a 4 u n d 5 (p. 227 ff. VAN DEN HOUT).
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Appian eine kaiserliche Prokuratur von Antoninus Pius zu verschaffen 84 (wie es Pflaum vermutet) 85 , hätten wir ein eindeutiges Zeugnis für die Vorstellung, ein suffragium müsse remuneriert werden, und gleichzeitig auch für die Ablehnung dieser Praxis als dehonestierend - jedenfalls durch Fronto. Soweit es sich aus allgemeinen Überlegungen, aus den strukturellen Gegebenheiten der senatorischen und ritterlichen Laufbahn und den literarischen Zeugnissen ersehen läßt, kann somit von einem größeren Umfang der Korruption im engeren Sinn oder gar von einem beherrschenden Einfluß bei den Beförderungen während der Hohen Kaiserzeit nicht die Rede sein 86 . Die Einflußnahme von Personen, die gezielten Empfehlungen waren notwendig bei der gegebenen, stark personengebundenen politisch-administrativen Struktur des Reiches. Wenn insgesamt gesehen in unseren Quellen Korruption als Einsatz materieller Mittel zur Befriedigung persönlichen Vorwärtskommens im öffentlichen Funktionsbereich so wenig erscheint, so liegt dies nicht allein daran, daß sich das Phänomen insgesamt gerne der Publizität entziehen will, sondern wesentlich auch an der geringen Bedeutung des Phänomens in der damaligen historischen Realität 87 .
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Fronto ad Ant. Pium 9 (p. 161 f. VAN DEN HOUT). Nach F. MILLAR, Emperor 276 war allerdings die Prokuratur Appians lediglich als Auszeichnung und nicht als Ü b e r n a h m e einer tatsächlichen Funktion gedacht. Zur Wechselseitigkeit der beneficia vgl. allgemein L. P. WILKINSON, Rom und die Römer, Bergisch Gladbach 1979, 304. Relativierung des G e d a n k e n s bei Sen. de ben. 6, 19, 1. *s H.-G. PFLAUM, Procurateurs 205. Vgl. E. CHAMPLIN, Fronto a n d Antonine Rome, C a m b r i d g e London 1980, 41 f. " Daß in der Spätantike Bestechung eine größere Rolle spielen konnte (einmal abgesehen davon, d a ß unsere Optik durch die spezielle Quellenlage beeinflußt ist), liegt u.a. daran, d a ß mit öffentlichen Funktionen bzw. mit dem Titel eines Funktionsträgers größere (und normierte) Privilegien verbunden waren, d a ß offensichtlich auch die Laufbahnen durchlässiger waren und die Befehlsstruktur weit weniger monokratisch geregelt war. " Damit ist natürlich nichts gesagt über die Wirksamkeit von Korruption in anderen Bereichen. Die Hinweise darauf in unseren Quellen sind zahlreich.
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Schüller Ihr Vortrag bestätigt ja die allgemeine Meinung, daß es in der Kaiserzeit in diesen Dingen gerader und sauberer zugegangen ist. Castritius Herr Eck, Sie haben deutlich gemacht, daß diese Laufbahnen sehr stark reformiert worden sind durch die Einweisungen in den Vigintivirat. Das hat mir sehr eingeleuchtet, das ist eine sehr wichtige oder entscheidende Fragestellung. Könnte man nicht bei dieser Einweisung in die verschiedenen möglichen Abteilungen des Vigintivirats den Ort ansetzen, wo der Handlungsspielraum für nicht-normgerechtes Verhalten ist, wie Sie das ausdrücken, wo der Handlungsspielraum also von Seiten des Kaisers aus, aber auch von seiten der Betroffenen etwas größer ist als sonst? Während dieser Handlungsspielraum, wenn man die normale Laufbahn angetreten hat, durch die doch mehr oder weniger festgelegten Laufbahntypen in der Tat sehr, sehr gering ist. Eck Ja, größer kann er gewesen sein, nur, er war eben auch dort nicht voraussetzungslos, weil der Sozialstatus, wie ich ja eben gesagt hatte, innerhalb des ordo auch hier eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat, zumindest in bestimmten Bereichen. Aber, das ist klar, einerseits bei der Verleihung des latus clavus, und andererseits beim Vigintivirat könnte eine Einflußnahme wirksam gewesen sein. Es fragt sich eben nur, ob man das als Korruption bezeichnen soll. Daß etwa die Berater des Kaisers die entsprechende Unterstützung gegeben haben, das muß man vom System her eigentlich vermuten, denn der Kaiser kann ja nun nicht alle jungen Senatoren oder solche, die es werden wollten, kennen. Hier brauchte er also Unterstützung. Nur - durch welche Mittel werden diese suffragatores dazu gebracht? Plinius' Briefe, aber auch Frontos Briefe, nicht nur die offiziellen epistulae commendaticiae, sind da ja eine glänzende Quelle. Da gibt es eine Menge Hinweise. Hahn Ich habe über diese sehr harmlose Affäre des Cornelius Fronto mit der Förderung des Appian nachgedacht. Kann sich uns hier nicht eine gewisse Kollision zweier moralischer Systeme darstellen? Wenn ich an den eindrucksvollen Vortrag von Herrn Peremans vor einigen Stunden denke, dann kann ich auch daran denken, daß Appian doch ein echter Alexandriner war und sich vielleicht nach den hellenistischen Normen nicht vorstellen konnte, daß nach
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einer solchen Beförderung ein, sagen wir, Erkenntlichkeitsgeschenk, eine Remuneration, etwa nicht nötig wäre. So ist diese sehr harmlose Affäre vielleicht eine Illustration dazu, daß in derselben Gesellschaft verschiedene Normen miteinander konkurrieren können und in diesem Fall, auf eine sehr harmlose Weise, kollidieren. Koch Ich möchte zunächst sagen, daß mir die Behandlung des Themas und die Lösung eingeleuchtet haben im Sinne der gefundenen Definitionsmöglichkeiten. Kommen wir aber nicht, gerade wenn man die Zusammenfassung abwägt, in ein Stück Grauzone dessen, was wir ja schon in früheren Gesprächen als nicht direkt unter den Korruptionsbegriff fallend, aber auch nicht so ganz frei von Korruptionsverdacht bezeichnet haben? Nach der Normdefinition ist es sicher keine Korruption, wenn der gesellschaftliche Comment einer bestimmten Schicht darin besteht, daß, wie es jetzt noch besonders in mediterranen Gesellschaften üblich ist, eine Sache mit Schulterklopfen und Einem-guten-Freund-einen-Gefallen-Tun erledigt wird. Auf der anderen Seite haben Sie erwähnt, daß die Leute außerhalb dieses Comments - etwa senatorische, traditionalistische Schriftstellerkreise, die dergleichen in der frühen Kaiserzeit sahen (leider haben wir nur wenige Quellen dazu) - dies als korrumpierendes Verhalten oder als Korruption qualifiziert haben können. Ich will ein modernes Beispiel geben: Ein gewaltiger Vorwurf von Korruption traf in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in Spanien das Opus Dei, und zwar deswegen, weil in einer Reihe von Franco-Kabinetten vorwiegend Mitglieder des Opus Dei in führende Staatsämter geholt worden waren. Es ist nach meinem Dafürhalten der gleiche Effekt, wie der, daß eine (auch ideologisch ziemlich gleichgerichtete) Gesellschaftsschicht sich untereinander fördert oder in Schlüsselstellungen schiebt, ohne daß nach der Norm ein Verstoß im Sinne von Korruption konstatiert werden könnte. Gleichwohl ist das Verhalten des Sich-gegenseitig-Pfründen-Zuschiebens, nicht nur im Spanien Francos oder im Rom der Kaiserzeit, sondern in allen stark gegliederten Gesellschaften nicht ganz frei vom Verdacht, daß hier ein Element von Korruption in dem Moment aufzuscheinen beginnt, wo Leute außerhalb dieser Gesellschaftsschicht ein Verhalten als solches qualifizieren. Meine Frage nun an Sie bzw. an Herrn Schuller ist, was man tun kann, um entweder diesen ganzen Komplex auszugliedern atfs der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Korruption oder ob es eine Möglichkeit gibt, ihn in befriedigender Weise zu piazieren. Schuller Der Clientel-Begriff wäre das, nicht wahr? Koch Nein.
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Mehrere O doch, doch. Koch Das wäre d a n n eine sehr weitmaschige Auffassung von Clientel. Reinhard Ich hätte eine Detailfrage zu dem Verkauf von Ämtern unter Vespasian, und zwar wage ich eine solche Frage zu stellen aufgrund der Bemerkung, d a ß der Verkauf durch die Damen in den Quellen, wie Sie sagten, als eine Verschleierung des eigentlichen kaiserlichen Interesses deklariert wurde. Da fällt mir ein Fall aus dem Polen des 17. Jahrhunderts ein, wo auch die Königin Ämter verkauft hat, und da meine ich zu wissen, daß das nicht nur im Interesse der Dame selbst geschah, sondern im Interesse der Staatskasse. Deswegen möchte ich Sie fragen, ob es Indizien gibt, daß diese Aussagen der Quellen uns veranlassen sollte, in diesem Fall das Wort Korruption herauszunehmen, weil das nämlich im Sinne der Schullerschen Definition im Interesse der Staatskasse geschah - falls es so etwas gibt, oder anders gesagt, für die kaiserlichen Finanzen. Eck Die Schilderung ist nur bei Cassius Dio überliefert. Wenn wir die Möglichkeiten, die Caenis, die Konkubine des Kaisers, hatte, betrachten, so ergibt sich daraus, daß Vespasian ihr großen Einfluß gewährte, und sie aus diesem Einfluß erhebliche materielle Vorteile zog. Wenn wir es so nehmen, d a n n wäre nur sie diejenige gewesen, die davon profitierte. In einem Zusatz, in einer für antike Historiker typischen Art, erwähnt d a n n Cassius Dio auch noch die andere Variante, und da wäre es d a n n eben so, d a ß Caenis nur die Vermittlerin wäre. Wir haben keine andere Aussage. Reinhard Man weiß also nicht, wohin das Geld geflossen ist? Eck Nein. Man kann natürlich sagen, in dem Augenblick, in dem Caenis gestorben ist, um 75, hat der Kaiser sie sowieso beerbt. Das wäre dann aber etwas anderes als das Beispiel, in dem von Vespasian erzählt wird, er habe seine Freigelassenen sich durchaus kräftig bereichern lassen, sich mit Geld vollsaugen lassen wie einen Schwamm mit Wasser, wie es heißt; wenn sie voll waren, d a n n habe er sie wieder ausgedrückt. Nun ist Vespasian und Finanzen ohnehin ein schwieriges Problem, weil offensichtlich aus einer reellen Notlage heraus ein ganz starkes Bedürfnis bestanden hatte, die Staatsfinanzen nach der Mißwirtschaft unter Nero und dem nachfolgenden Bürgerkrieg in den Jahren
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68/69 zu sanieren. Vespasian hat danach gesucht, wo überhaupt nur finanzielle Mittel zu bekommen wären. Das war natürlich dann leicht der Kristallisationspunkt, an dem sich alle möglichen Anekdoten bildeten, Ausschmükkungen, und ich sehe eigentlich kein Mittel, um den wirtschaftlichen Hintergrund von dem zu trennen, was man sich im Klatsch am Hof oder in der senatorischen Gesellschaft so erzählt hat. Sie kennen die andere Anekdote mit Titus: non olet. Das hat einen ganz realen Hintergrund: Er hat von den Gerbern dafür Geld erhoben, daß sie diese Tonnen mit dem Urin abtransportieren durften. Aber ich sehe wirklich keine Möglichkeit, das klar zu trennen. Schuller Die systematische Frage bleibt die, ob eine Beförderung, die gegen Geld, und sei es für die Staatskasse, erfolgt ist, innerhalb der öffentlichen Sphäre mit den Erwartungen hätte kollidieren können, die jeder an sich aufgrund der forma haben konnte. Das wäre zwar im Saldo im Interesse des Staates gewesen dadurch, daß die Staatskasse etwas reicher geworden ist, aber das hätte doch kollidiert mit einem anderen Erfordernis, nämlich diese Ämterlaufbahn gleichmäßig - wir haben hier wieder den Begriff der Gleichheit - zu gestalten, und das würde sich politisch dann auf die Erwartungen der eventuellen Kandidaten auswirken. „Staatsmacht als Kreditproblem" ist natürlich eine einschlägige Sache; bloß hier hätten wir in der öffentlichen Sphäre zwei verschieden gelagerte Zwecke, und durch ein und dieselbe Handlung wird der eine Zweck erreicht, der andere aber nicht. Die Frage ist, ob es zweckimmanent ist, die Ämterlaufbahn, das Erreichen von bestimmten Posten nach bestimmten Voraussetzungen in Relation zu setzen zur Fülle der Staatskasse, oder ob das nicht ein eigener Bereich ist, der eine eigene Gesetzlichkeit hat, die erfüllt werden muß. Wenn davon abgewichen wird, dann ist es jedenfalls ein nicht für dieses Teilsystem spezifisches Abweichen von der Norm. Wunder Ich möchte nochmal den Zusammenhang von sozialem Status und Korruption oder genauer den Gedanken der Kriminalisierung von Verhaltensweisen, die dann als Korruption bezeichnet werden, an einem Beispiel aus der frühen Neuzeit, die mir näherliegt, aufgreifen. In der geburtsständischen Gesellschaft wurden die Ämter nach sozialem Status vergeben. Zum Beispiel wurde die Finanzverwaltung in ganz Europa von - ich will nicht sagen, bürgerlichen, sondern von - nichtadeligen Gruppen gehandhabt, während die Positionen der Herrschaftsverwaltung dem Adel vorbehalten waren. Korruption wurde nun, wenn ich recht sehe, in der Sphäre der Finanzen sehr viel früher verfolgt als in der Landesverwaltung. Korruption und Kontrolle des Finanzgebarens setzte schon im Spätmittelalter oder spätestens im 15. Jahrhundert ein. Das hängt nicht damit zusammen, daß man Finanzen einfacher kontrollieren konnte als Sportein und all die Einnahmen, die ein Beamter
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oder Richter oder der Verwalter eines größeren Landstrichs in seiner Hand hatte, auch nicht damit, daß man diese nicht so leicht kontrollieren konnte wie einen Finanzbeamten, denn die Finanzverwaltung war ja auch Verwaltung, und da stellten sich damals grundsätzlich dieselben Probleme. Mir scheint, ausschlaggebend war, daß es Nicht-Adelige waren; da konnte man einen schärferen Begriff von Korruption anwenden als beim Adel. Das Ziel war natürlich, möglichst viel Geld in die Zentralkasse zu bekommen, aber gegenüber Nicht-Adeligen konnte man das durchsetzen, konnte also die Normen verschärfen, die man gegenüber dem Adel erst ein paar Jahrhunderte später so streng anwenden konnte. Schuller Ich meine, das rührt auch an das Problem, das Herr Koch aufgeworfen hat, nämlich wie es einzuordnen sei, daß Leute wegen einer bestimmten Zugehörigkeit mehr werden als andere Leute, die nicht dazugehören, und das rührt d a n n wirklich an das Problem, ob das nun gar keine Korruption mehr ist. Das hängt auch mit der timokratischen Verfassung eines Staates zusammen, nämlich, daß derjenige mit mehr Vermögen zu höheren Ämtern Zutritt hat als der mit weniger: Das ist ja auch eine Frage der Gleichheit. Es bedeutet zwar eine Ungleichheit der gesamten Gesellschaft, aber eine akzeptierte Ungleichheit, weil jeder sagt, daß es sachliche Kriterien seien, daß, wenn einer mehr Geld hat, er dann auch einen größeren Anspruch auf größere Teilhabe habe, besser verwalten könne oder einen höheren Status habe usw. Im Mittelalter oder in der Frühen Neuzeit gab es ja ähnliche Phänomene, daß in den Städten in Mitteleuropa Posten innegehabt worden sind von bestimmten Familien, und daß sich dann irgendwann einmal das Gefühl ausbreitete, d a ß das aber nicht gehe; jetzt wurden neue Maßstäbe angelegt, u n d es wurde gesagt, auch wir anderen haben einen Anspruch darauf. Durch diesen Normenwandel wurde also möglicherweise das bisher Selbstverständliche als eine Art korrupten Verhaltens angesehen, woraus d a n n Widerstand resultierte, weil man jetzt einen Verstoß gegen die Gleichbehandlung e m p f a n d , aber nun eben eine andere Art von Gleichbehandlung.
Wunder Ich möchte nur d a r a u f h i n w e i s e n , daß zur gleichen Zeit eine unterschiedliche Behandlung innerhalb des, wenn man so will, einheitlichen Beamtenapparates nach der sozialen Schichtung stattfindet. Also nicht ein Nacheinander, sondern die gleichzeitige Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe. Schuller Wenn das akzeptiert ist, wenn das nicht Gleichheitsvorstellungen spricht, dann macht es keine Probleme mehr.
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Koch Ich warne davor, mit dem Akzeptieren zu leichtfertig umzugehen. Die römische Unterschicht würde sicher ja auch gerne etwas geworden sein, nur war das eine Machtfrage. Schüller Das weiß ich gar nicht mal. Koch Sind Sie sicher? Schüller Ganz sicher kann man in diesen Dingen nie sein. Koch Das ist eine Akzeptanz, die durch die Machtverhältnisse gar nicht ermöglicht wurde. Schuller Das ist ein leichtes Streiten um des Kaisers Bart. Eck Es ist nicht als möglich erachtet worden und deshalb auch nicht angestrebt worden. Ich glaube, hier war überhaupt kein movens dazu vorhanden. Koch Außer durch die Kanäle, die offenstanden durch eine erkämpfte soziale Mobilität, die gibt es ja. Man konnte ja reich werden, und wieder „timokratisch" absteigen. Eck Aber das Reichwerden allein war ja im Höchstfall nur eine Voraussetzung. Schmitthenner Ich wollte noch auf einen Gesichtspunkt, den Herr Koch schon berührt hat, hinweisen. Herr Eck hat ja mit einer Art von Freispruch für die Aristokratie des frühen Prinzipats geendet. Das war eigentlich kaum anders möglich in einer Sphäre, in der ja seit der Republik das Prinzip der Beziehungen, das ist ja dieser andere Bereich - officium, gratia, beneficium, Patron, Clientel und all diese Dinge - zu einer Art von so selbstverständlicher sozialer Tradition geworden ist, daß alles aufgrund dieses Beziehungsprinzips gewissermaßen ganz von selbst lief. Nur - sind das nun pure Engel gewesen, oder können wir doch noch irgendetwas von Korruption in dieser Gegend finden? Da gibt es
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dann immerhin j a im ersten Jahrhundert die Repetundenprozesse, die doch viel Staub aufgewirbelt und die den Senatoren beträchtliche Schwierigkeiten gemacht haben. Weiß man außerdem etwas von Bestechungsfragen im Gerichtsbereich für diese Zeit? Da müßte man vielleicht dann eher suchen, denn Magistraturen und Ämterbereich - das ist das Schwergewicht einer jahrhundertealten Tradition, daß man überhaupt nur durch Beziehungen in dieser Gesellschaft etwas wird.
Eck Das möchte ich vielleicht doch nochmal betonen: Was ich hier ausführte und vor allem das Urteil am Ende, das ging wirklich nur auf diesen engen Bereich der Beförderung. Da war eben durch Normen, die aus der Republik stammten und sich kaiserzeitlich immer stärker entwickelt haben, Korruption zum größten Teil ausgeschlossen oder auch unnötig geworden. Damit ist überhaupt nichts gesagt über andere Möglichkeiten, die natürlich für Senatoren wie für Ritter wie auch für andere Personen, die in irgendeiner öffentlichen Funktion tätig waren, gegeben waren. Sie wiesen selbst auf Repetundenprozesse hin, und Sie fragten Herrn Liebs wegen irgendwelcher Hinweise bei den Juristen: Es gibt eine ganze Menge Stellen in den Digesten, wo darauf abgehoben wird, daß der Richter sich in irgendeiner Form bestechen läßt, und das Problem der honestiores-humiliores, das j a , zumindest was den Strafprozeß berührt, auf jeden Fall vom 2. Jahrhundert an wirksam wird, ist letztlich mit diesem Gesamtkomplex zu verbinden. Es wäre überhaupt die Frage, ob man nicht vor der endgültigen gesetzlichen Fixierung der humiliores-honestioresDichotomie diesen Komplex einmal auf den Aspekt der Korruption vor Gericht betrachten sollte.
Liebs Das würde ich ablehnen. Diese unterschiedliche Bestrafung, daß etwa Sklaven nur gekreuzigt werden, das galt schon immer.
Eck Es geht nicht allein um Sklaven.
Liebs Nur deshalb nicht nur, weil sich die Schichtung verändert hat: Zu den Sklaven (und Nichtbürgern) kamen die cives humiliores. Was die Richterbestechung betrifft, da gibt's Fallmaterial durchaus. Das müßte man einmal untersuchen, den iudex qui litem suam fecit, wie die Römer sagten, den Richter, der den Rechtsstreit zu dem seinen gemacht hat. Gegen den ist man relativ milde, das Doppelte kann man von ihm fordern. Dann gibt es noch im Repetundengesetz ein paar Vorschriften. Aus den relativ milden Strafen auch hier und der Schilderung als Selbstverständlichkeit in den Juristenschriften wird
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man wohl doch entnehmen k ö n n e n , d a ß es eine g r o ß e Beschwernis für die Gesellschaft nicht gewesen ist. Es kam natürlich vor. G e r a d e wenn Richter Laien sind, kann es gar nicht überraschen. M a n rechnete damit, und deshalb fehlte den Urteilen j a auch die Rechtskraft im heutigen Sinne. M a n kalkulierte von vornherein ein, d a ß die Urteile durch Bestechung zustandegekommen sein können. Bestechlichkeit der Richter ist ein Faktor, den man gewissermaßen hinnimmt, w o g e g e n m a n aber auch seine Mittel hat, auf die man einigermaßen vertraut. Wie h η Ich möchte noch ein paar Bemerkungen machen zu dem Problem, das eben von Herrn W u n d e r n o c h m a l s a u f g e w o r f e n wurde, nämlich zur Schicht-, Standes- oder Klassenspezifik von N o r m e n a b w e i c h u n g , woraus d a n n auch Korruptionsverdacht oder K o r r u p t i o n s a h n d u n g herrühren können. Dieses Problem könnte man wiederum normentheoretisch angehen, etwa unter der Arbeitshypothese, die herrschenden N o r m e n seien die N o r m e n der Herrschenden in dem Sinne, d a ß sie nicht immer auch die der Beherrschten sind, d a ß die Beherrschten nämlich die N o r m e n , die von den Herrschenden aus einem anderen Stand oder einer anderen Schicht erfunden oder zumindest oktroyiert worden sind, zunächst nicht internalisiert haben. D a n n werden sie forciert, und das w ü r d e bedeuten, d a ß gerade untergebene G r u p p e n oder Schichten, oder auch Bedienstete, in besonderer oder in scharfer Weise dara u f kontrolliert werden müßten, ob sie diese N o r m auch einhalten, und d a ß A b w e i c h u n g e n im Sinne etwa von Korruption d a n n natürlich auch viel schärfer und durchschlagender sanktioniert werden müssen. D a s alles geht so lange, bis diese N o r m e n s y s t e m e möglicherweise auch dort internalisiert worden sind, so d a ß sie gleichsam als etwas Eigenes e m p f u n d e n werden. Dies ist ein häufig zu beobachtender Prozeß, der über eine Weile laufen m u ß , bis die Oktroyierung zur Internalisierung w i r d ; die sich aber auch wiederum verflüchtigen kann. Breebaart Eine kleine Frage z u m suffragium. Ich habe immer den E i n d r u c k , d a ß die Autoren dabei mit einer gewissen Kontinuität rechnen zwischen einem suffragium, das nicht korrupt ist, und dem, für das bezahlt wird. D a s ist vielleicht möglich, aber ich habe den scharfen Unterschied nie dokumentiert gesehen. M a n kann das suffragium aber vielleicht als korruptives auch von einer anderen Seite her sehen, nämlich, d a ß E i n f l u ß ausgeübt wird, und d a ß sich bisweilen der Kaiser dem widersetzt. Es gibt eine Stelle in der vita Marci der Historia Augusta, wo steht, suffragatoribus non cito credidit'. A u c h in gewissen Briefen von Fronto hat man den E i n d r u c k , d a ß es oft schwierig ist, das suf' 29,9.
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fragium durchzusetzen. Daher möchte ich fragen, ob es möglich sei, daß ein gewisses M a ß von Normenbewußtsein bei den Kaisern und vielleicht auch bei den anderen höheren Gruppen anzunehmen ist, das da meint, das suffragium wirke sich nicht immer zum Wohle des Staates aus, obwohl es finanzielle Vorteile bringen mag. Eck Vielleicht müßte man da nochmal hinweisen auf das am Schluß ja erwähnte Beispiel von Fronto und Appian. Fronto hat dreimal, in drei aufeinanderfolgenden Jahren, an Antoninus Pius geschrieben, um Appian eine Stelle, ganz offensichtlich als Prokurator, also auf der untersten Ebene, zu verschaffen. Auf den ersten Brief Frontos hat Antoninus Pius allem Anschein nach überhaupt nicht geantwortet. A u f den zweiten Brief hat er geantwortet, wir wissen allerdings nicht genau, was; wir haben aber den Reflex im Brief Frontos. Dabei sagt Fronto, Antoninus Pius habe es deswegen abgelehnt, weil das sonst einen Präzedenzfall geschaffen hätte. Hahn - „scatebra causidicorum" Eck Ja: Appian ist Grieche, ist Advokat in Rom, und Leute solcher Art gibt es eine große Anzahl, und die würden dann alle sozusagen auch gleich einen Antrag stellen, wenn der Herr Appian aus Alexandrien eine Prokuratenstelle bekommen hat. Wenn aber sozusagen seine Verdienste nur in seiner Tätigkeit als Advokat liegen, fragt sich jeder: Warum erhalte ich keine Stelle? Mit dieser Begründung hat Antoninus Pius abgelehnt. Trotzdem wissen wir nicht, mit welcher Begründung er es am Schluß doch gewährt hat. Jedenfalls hat er es gewährt, denn wir wissen, daß Appian Prokurator wurde. Insoweit würde das durchaus in Richtung Ihrer Frage gehen, daß der Kaiser u.a. vielleicht ein in gewisser Hinsicht verschobenes Normenbewußtsein hatte, oder daß er bestimmte andere Normen aus einer globaleren, zusammenfassenden Betrachtung einbrachte, eine Betrachtung, die nun Fronto, zumindest in diesem speziellen Fall, nicht hat gelten lassen. Vielleicht hätte Fronto in anderem Zusammenhang ähnlich gedacht wie der Kaiser, aber hier konkurrierte dann zumindest, wenn er diese Vorstellung hatte, seine Verpflichtung gegenüber seinem Gastfreund Appian. Liebs Ich möchte ganz kurz auf die Frage eingehen, wie sich das suffragium gegen Geld zu dem ohne Geld verhält. Mir scheint da ein ziemlich scharfer Bruch zu bestehen. Man verwendet sich doch auch heute gern manchmal für jemanden. Aber ob Geld dabei im Spiel ist oder nicht, ist etwas ganz Entscheiden-
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des. Nach den Quellen habe ich das Gefühl, daß das entgeltliche suffragium erst im 4. Jahrhundert auftaucht, plötzlich und massiv. Vielleicht ist das eine Folge der Umstrukturierungen gegen Ende des 3. Jahrhunderts. Schuller Wenn im 4. Jahrhundert suffragium ohne Zusatz steht, ist es meistens das unentgeltliche; es muß dazu gesagt sein, wenn es gekauft worden ist. Allerdings kann das pure suffragium auch manchmal ein erkauftes sein, das negativ besetzte, weil bezahlte suffragium kann im Sprachgebrauch auch ohne diesen Zusatz verwendet werden. Liebs Schon in den Gesetzen Konstantins gibt es suffragium ohne Zusatz, das nur gekauft worden sein kann. Schul1er Ja, aber es kommt auch ohne Zusatz vor, wenn es eine schlichte, normale Fürsprache, Einfluß ist. Ζ. B. auch in den Abstimmungen innerhalb der scholae: Wenn da suffragium praktiziert wird, daß eines ihrer Mitglieder aufrükken soll, dann steht da bloß suffragium als ganz neutrale Fürsprache, als Willenskundgebung dieser Gruppe. Das geht aber schon noch durcheinander, glaube ich. Eck Ich verweise auf den Aufsatz von Ste. Croix 2 . Wolff Zu dem nichtgekauften suffragium möchte ich auf einen Papyrus aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. hinweisen, der vor nicht langer Zeit in der Collectanea Papyrologica für Youtie 3 erschienen ist. Da schreibt ein Mann, der Schullehrer in Oxyrhynchos ist, an einen Freund, der irgendwie Einfluß bei Hofe hat, er möchte ihn doch beim Kaiser empfehlen, damit der Kaiser sich dafür einsetzt, daß die Stadt ihm besseres Gehalt bezahlt. Da ist von einer Belohnung, soweit ich mich erinnere, keine Rede.
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G. Ε. M. de Ste. Croix, Suffragium: from Vote to Patronage, The British Journal of Sociology 5, 1954, 33-48. ' Bd. 2, Bonn 1976, Nr. 66, S. 409-446 (herausgegeben und kommentiert von Peter J. Parsons).
Frank Kolb
Die Adäration als Korruptionsproblem in der Spätantike
Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, möchte ich angesichts der bisherigen Diskussion auf diesem Colloquium betonen, daß ich keine Schwierigkeiten sehe, die von mir im folgenden behandelten Delikte als Korruptionsfälle zu identifizieren. Es handelt sich mit einer geringfügigen, noch zu erwähnenden Einschränkung um Abweichungen eines öffentlichen Amtsinhabers von den Pflichten seiner Stellung im privaten Interesse, und zwar zum Zwecke der persönlichen Bereicherung. Ich sehe auch kein Problem darin, das Imperium Romanum der Spätantike als eine feste staatliche Organisation mit verbindlichen Normen für die Ausübung von Ämtern, einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen öffentlich und privat und einer Berufung auf das allgemeine Wohl als ideologischer Grundlage der Staatsverwaltung zu betrachten. In meinem Beitrag geht es daher nicht darum festzustellen, ob überhaupt Korruption vorliegt, sondern in erster Linie um die Frage, welche Auswirkungen Korruption in Verbindung mit der Adäration auf die Funktionsfähigkeit des spätantiken Staates hatte. Die Adäration ist ein terminus technicus des spätantiken Steuer- und Besoldungswesens. Sie bedeutet die Umwandlung von Naturalleistungen, die seit dem 3.Jh.n.Chr. weite Bereiche des Steuer- und Besoldungswesens durchdrungen hatten, in Geldzahlungen. Dieses Verfahren war korruptionsträchtig, weil es aufgrund der Instabilität der spätantiken Agrarproduktion und der Nahrungsmittelpreise den staatlichen - zivilen wie militärischen Funktionären die Möglichkeit zu Spekulationsgeschäften eröffnete. Ferner bot es Gelegenheit zu erpresserischen Forderungen mit Hilfe willkürlich festgesetzter, überhöhter Adärationssätze. Man muß zwischen zwei Arten von Adäration unterscheiden: der Steueradäration, welche unmittelbar den steuerzahlenden Produzenten betraf, und der Verteilungsadäration, welche im Prinzip ein verwaltungsinterner Besoldungsvorgang war'. Ich will zunächst die Steueradäration und ihr Korruptionspotential behandeln. Die mittlerweile klassischen Werke von Gunnar
' Ich bevorzuge diese m. E. e i n f a c h e r e T e r m i n o l o g i e gegenüber den von G . MICKWITZ, Geld u n d Wirtschaft im römischen Reich des 4. Jhs. n. Chr., 1932, 168 (im A n s c h l u ß an A. W. PERSSON) verwendeten Begriffen .Erhebungs- u n d V e r a u s g a b u n g s a d ä r a t i o n ' .
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Frank K o l b
Mickwitz und Santo Mazzarino 2 haben der Steueradäration und sie begleitendem Korruptionsverhalten eine geschichtsträchtige Funktion im Rahmen der spätantiken Staats- und Gesellschaftsordnung zugewiesen. Beide Autoren haben das Steueradärationsproblem ins Zentrum ihrer Interpretation der sozialen Konflikte in der Spätantike gerückt. Mickwitz formulierte folgende These: Bürokratie und Heer bevorzugten angesichts der inflationären Entwicklung, die besonders seit der zweiten Hälfte des 3.Jhs.n.Chr. im Gange war, Naturalleistungen, weil diese inflationsunabhängiger waren. Die steuerzahlenden Grundbesitzer, die possessores, befürworteten hingegen die Adäration, die Umwandlung dieser Naturallieferungen in Geldzahlungen, weil die Geldentwertung ihnen in diesem Fall zugute kam. Die Umwandlung von Natural- in Geldleistungen sei folglich Gegenstand eines Kampfes zwischen Bürokratie und Heer auf der einen sowie den Steuerzahlern auf der anderen Seite gewesen. Der Ausgang des Kampfes - so Mickwitz - habe den Sieg der Steuerzahler, genauer: der mächtigen senatorischen Großgrundbesitzer, über Bürokratie und Heer gebracht, indem seit dem Ende des 4./Beginn des 5. Jhs. die Steuerzahlung in Geld üblich wurde. Dieser Sieg der Großgrundbesitzer war nach Mickwitz mit ausschlaggebend für den Zerfall des Westreiches. Mickwitz stützt seine Auffassung vor allem auf eine bereits von Otto Seeck als wichtigste antike Nachricht über die Adäration herangezogene Stelle in der Biographie des Kaisers Claudius in der nicht vor Ende des 4.Jhs.n.Chr. verfaßten Historia Augusta. In einem angeblichen Brief des Kaisers Valerian an einen gewissen Zosimio, Finanzverwalter von Syrien, heißt es u.a. 3 : „ C l a u d i u s , e i n e n Illyrer, h a b e n w i r z u m T r i b u n e n d e r ü b e r a u s t a p f e r e n u n d e r g e b e n e n f ü n f t e n L e g i o n , n a m e n s M a r t i a , e r n a n n t . . . D i e s e m s o l l s t D u als G e h a l t a u s u n serer privaten K a s s e alljährlich 3 0 0 0 S c h e f f e l W e i z e n , 6 0 0 0 S c h e f f e l Gerste, 2 0 0 0 P f u n d S p e c k , 3 5 0 0 Q u a r t a l t e n W e i n s , 150 Q u a r t g u t e n Ö l s . . . ( u s w . ) g e b e n . ( E s f o l g e n w e i t e r e L e b e n s m i t t e l , F e l l e , Last- u n d R e i t t i e r e , E d e l m e t a l l e , K l e i d u n g s - u n d S c h m u c k s t ü c k e , G e s c h i r r u n d W e r k z e u g , D i e n e r a l l e r A r t , K o n k u b i n e n u s w . ) ; fern e r t ä g l i c h 1 0 0 0 P f u n d H o l z , w e n n g e n ü g e n d v o r h a n d e n ist; w e n n a b e r n i c h t , n u r s o v i e l , w i e v o r r ä t i g ist, u n d w o e s v o r h a n d e n ist; t ä g l i c h v i e r S c h e f f e l H o l z k o h l e , e i n e n B a d e m e i s t e r u n d H o l z z u m B a d e n ; w e n n d i e s n i c h t v o r h a n d e n ist, s o l l er m i t d e m ö f f e n t l i c h e n B a d v o r l i e b n e h m e n . F e r n e r wirst D u i h m d a s ü b r i g e , w e l c h e s w e g e n
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MICKWITZ (zit. in A n m . I). S. MAZZARINO, Aspetti sociali del IV secolo, 1951. M e i n e folgenden A u s f ü h r u n g e n über die verschiedenen Forschungsthesen zur A d ä r a t i o n u n d b e s o n d e r s zu HA, Vita Claudii 14,2-15, schließen sich eng an meinen in d e r Festschrift f ü r F. VITTINGHOFF, 1980, 497 ff. publizierten Aufsatz über . F i n a n z p r o b l e m e u n d soziale Konflikte a u s der Sicht zweier spätantiker Autoren (Scriptores Historiae Augustae u n d A n o n y m u s de rebus bellicis)' a n , wo eine detaillierte A r g u m e n t a t i o n zu f i n d e n ist. S H A , C l a u d . 14,2-15: epistola Valeriani ad Z o s i m i o n e m , p r o c u r a t o r e m Syriae: . G a u d i u m , Illyric i a n a e gentis virum, t r i b u n u m Martiae quintae legioni fortissimae ac devotissime d e d i m u s . . . huic salarium de nostro privato aerario dabis a n n u o s f r u m e n t i m o d i o s tria milia, hordei sex milia, laridi libras d u o milia, vini veteris sextarios tria milia quingentos, olei boni sextarios c e n t u m quinq u a g i n t a . . . . ligni cotidiani p o n d o mille, si est copia, sin minus, q u a n t u m fuerit et ubi fuerit ; coctilium cotidiana vatilla q u a t t u o r . b a l n e a t o r e m u n u m et ad b a l n e a s ligna, sin minus, lavetur in publieo. iam cetera, q u a e p r o p t e r minutias suas scribi n e q u e u n t , p r o m o d e r a t i o n e praestabis, sed ita ut nihil aderet, et si alicubi aliquid defuerit, n o n prestetur nec in n u m m o exigatur.
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seiner Geringfügigkeit hier nicht im einzelnen aufgeführt werden kann, nach Maß gewähren, aber so, daß er nichts adäriert. Und wenn irgendwo etwas fehlt, soll es nicht gewährt und auch nicht eine entsprechende Geldsumme gefordert werden."
Es handelt sich um einen jener relativ zahlreichen fingierten Briefe in der Historia Augusta, welche dem Zweck dienen, Urteile des Verfassers über bestimmte Personen oder Sachverhalte als Meinungsäußerungen angesehener Persönlichkeiten, vor allem vorbildlicher Kaiser, zu formulieren. Valerian lobt hier den Militärtribunen und späteren Kaiser Claudius und weist ihm ein ehrenvolles Gehalt aus seiner privaten Kasse zu. Dieses Salär besteht in erster Linie aus Naturalien. Bedeutsam ist vor allem der Schlußsatz, in dem ein Verbot der Adäration ausgesprochen wird. Offensichtlich gab es aus der Sicht des Kaisers bestimmte Gründe, die gegen eine Adäration sprechen mochten. Mickwitz meint nun, daß der dem späteren Kaiser Claudius wohlgesonnene Autor der Historia Augusta die diesem gewährte besondere Gunst des Kaisers Valerian verdeutlichen wollte. Das Verbot der Adäration seitens des Kaisers zeige, daß Claudius als Offizier die Adäration ablehnte. Dagegen verweist Santo Mazzarino auf den zweiten Teil dieses Schlußsatzes, wo es heißt: „Wenn irgendwo etwas fehlt, soll es nicht gewährt und auch nicht eine entsprechende Geldsumme gefordert werden." Hier wird das Prinzip formuliert, daß die Naturallieferung von den lokalen Gegebenheiten abhängig sein soll. Wo ein bestimmtes Produkt nicht vorhanden ist, wird es für den potentiellen Empfänger gänzlich von der Gehaltsliste gestrichen, da auch die Forderung eines Ersatzes in Form von Geld untersagt ist. Kein Offizier oder Funktionär hätte aber, so Mazzarino zu Recht, bereitwillig auf einen Teil seines Gehalts verzichtet. Es folgt daraus für Mazzarino: Die Historia Augusta nimmt nicht den Standpunkt des Offiziers bzw. staatlichen Funktionärs, sondern einen eigenen bzw. den ihrer eigenen Klasse ein. Die Historia Augusta weise auch sonst eine stark senatorische Tendenz auf, und sie formuliere hier das steuerpolitische Interesse der Steuerzahler, insbesondere der senatorischen Großgrundbesitzer. Diesen sei, ganz im Gegensatz zu Mickwitz' Meinung, grundsätzlich daran gelegen gewesen, Naturalsteuern zu zahlen, da sie von ihren riesigen Gütern ohne weiteres den größten Teil der geforderten Produkte beschaffen konnten und infolge der Streulage ihres Besitzes von guten und schlechten Erntejahren relativ unabhängig waren. Bei ihnen sei die Abneigung gegen eine Lieferung von Naturalien, welche sie nicht selbst produzierten, verständlich; denn in einem solchen Fall mußten sie die Naturalien irgendwo anders kaufen und herantransportieren. Kaufpreis und Transportkosten machten dies zu einer besonders kostspieligen Art der Steuerzahlung. Nicht minder stark sei nun aber auch ihre Aversion gegenüber der Adäration gewesen, da sie bei diesem Verfahren dem Versuch der staatlichen Funktionäre und Offiziere ausgesetzt waren, ein Interpretern, ein Disagio, zu erzielen, d.h. die Naturalsteuern zu einem möglichst hohen Preis zu adärieren und dann mit dem verfügbaren Geld die benötigten Naturalien zu einem mög-
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liehst niedrigen Preis mittels der staatlich veranlaßten coëmptio, des Zwangskaufs, wiederum von den Grundbesitzern zu erhalten. Die Historia Augusta wende sich gegen dieses zu Lasten der Steuerzahler, insbesondere der senatorischen Großgrundbesitzer, gehende Verfahren u n d damit gegen die Interessen vor allem des Militärs. An der Bewertung des Adärationsproblems durch Mickwitz u n d Mazzarino hat nun jüngst A n d r é Cerati 4 Kritik geübt. Zwar sei in der Tat bei einer grundsätzlichen Festlegung der Steuern in Naturalien im Falle einer Adäration die G e f a h r einer überhöhten Steuerzahlung a u f g r u n d erpresserischen Vorgehens der staatlichen Funktionäre gegeben gewesen. Aber der Adäration sei keineswegs eine so prinzipielle Steuer- u n d sozialpolitische Bedeutung zug e k o m m e n , wie Mazzarino meine. Sie sei vielmehr nur ein Teilaspekt einer umfassenden Veränderung des Steuerwesens gewesen, welches sich im Verlauf des 4. Jhs. von den unter Diokletian u n d Konstantin üblichen Naturallieferungen wieder zu einem Geldsteuersystem, b e r u h e n d auf der G o l d w ä h r u n g , zurückentwickelt oder, wenn man will, vorwärtsentwickelt habe. Am Ende des 4 . J h s . n . C h r . erlassene kaiserliche Verbote gegen die Adäration von Naturallieferungen, welche der Versorgung Roms, anderer großer Städte u n d der Grenztruppen dienten, hätten nur noch die Sicherung eines unbedingt notwendigen Restbestandes an Naturalien für anders nicht zu lösende Versorgungsprobleme zum Ziel gehabt. Im R a h m e n der generellen Tendenz einer Rückkehr zur Geldsteuer sei aber insgesamt der Adäration, der U m w a n d lung noch bestehender Natural- in Geldsteuern, nur eine sehr beschränkte Bedeutung beizumessen. Ferner kann Cérati zeigen, d a ß die Adäration nicht notwendig Streitpunkt zwischen verschiedenen sozialen G r u p p e n , sondern des öfteren der freien Wahl der Steuerzahler überlassen war oder gar als von ihnen bevorzugte Form der Steuerzahlung legalisiert wurde. Freilich stand im Prinzip nicht das Interesse der Steuerzahler im Vorderg r u n d , sondern die Entscheidung, ob Steuern in Naturalien oder Geld gezahlt werden sollten, hing von den Bedürfnissen des Staates, insbesondere des Heeres, ab. Die kaiserlichen Gesetze richteten sich ferner nach den jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten, insbesondere nach dem jährlichen Ernteertrag und den Transportbedingungen. Die Steueradäration ist daher als K o r r u p t i o n s p h ä n o m e n in gewisser Hinsicht von problematischem Charakter. D a ß sie zeitweilig bzw. f ü r bestimmte Versorgungsbereiche verboten, zu anderen Zeiten und f ü r a n d e r e Versorgungsbereiche erlaubt war, kann durchaus zu Unsicherheiten sowohl bei den Steuerzahlern als auch bei den Steuereinnehmern geführt haben. Jedenfalls ist ein Verfahren, über dessen Legalität oder Illegalität nur punktuell, nicht aber grundsätzlich entschieden wird, in einer ziemlich schwerfälligen u n d oft unfähigen Bürokratie wie derjenigen des spätantiken Imperium R o m a n u m nicht immer u n d o h n e weiteres als Kor1
Caractère a n n o n a i r e et assiette de l'impôt foncier au Bas-Empire, 1975, bes. S. 153-183.
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ruption einzuordnen. Die kaiserliche Gesetzgebung hat d e n n auch bei ihren diesbezüglichen Verbots- und Strafbestimmungen nicht die Unmoral der Delinquenten, sondern nur den Schaden f ü r das Versorgungssystem im Auge. Die Alternative ,Geld- oder Naturallieferung' wurzelte in dem strukturellen P h ä n o m e n eines N e b e n e i n a n d e r s von Geld- u n d Naturalwirtschaft in der Spätantike. Hieraus resultierte auch letztlich das Korruptionspotential der Steueradäration in F o r m von Spekulationsgeschäften. Die ökonomischen Vorteile, die für die verschiedenen sozialen G r u p p e n - Steuerzahler, Steuereinnehmer - mit der jeweiligen Zahlungsweise verbunden waren, schwankten ebenso wie die Bedürfnisse des Staates. Je n a c h d e m , ob infolge eines guten oder schlechten Erntejahres die Agrarpreise hoch o d e r niedrig waren, ob die Ablieferung der Steuern mit langen oder kurzen Transportwegen verbunden war, mochten die Steuerzahler bzw. die Steuereinnehmer in dem einen J a h r Naturalien, in einem a n d e r e n Geldzahlung bevorzugen. Die Neigung, gegen bestehende gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, etwa in einer Zeit hoher Agrarpreise zum Marktpreis zu adärieren, um auf diese Weise Überschüsse zu erwirtschaften, m u ß groß gewesen sein. Soweit die einschlägigen kaiserlichen Gesetze bekannt waren, lag hier natürlich bei Verstößen der Steuereinnehmer ein korruptes Verhalten vor, welches geeignet war, die Versorgung von Heer, Bürokratie u n d G r o ß s t ä d t e n zu behindern. Von diesem der Steueradäration als solcher i n n e w o h n e n d e n Korruptionspotential ist in der Theorie, weniger in der Praxis, j e n e Form von korruptem Verhalten zu trennen, f ü r welche die Adäration nur einen unter vielen Ansatzpunkten bot, nämlich das mehr oder weniger gewaltsame Herauspressen überhöhter Steuerzahlungen durch willkürliche, d . h . einen staatlich fixierten Satz oder gar den Marktpreis überschreitende Preisfestlegungen. Dieses Phänomen gehört, auch soweit es mit dem Adärationsverfahren verbunden war, in den allgemeinen R a h m e n eines in der Spätantike durchaus üblichen korrupten Verhaltens staatlicher Funktionäre bei der Steuereinziehung, aber das ist nicht Gegenstand meines Vortrags. Will man die der Steueradäration inhärente K o r r u p t i o n in ihren Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung u n d die Lebensbedingungen der Bevölkerung beurteilen, so ist sie in die von Cérati dargestellte Entwicklung des spätantiken Steuersystems von einem überwiegend naturalwirtschaftlichen am Beginn des 4. Jhs. zu einem überwiegend geldwirtschaftlichen am Ende des 4. Jhs. einzuordnen. Vor diesem Hintergrund kann der Steueradäration und ihrem Korruptionspotential nicht j e n e zentrale gesellschaftspolitische Rolle zugewiesen werden, die Mickwitz u n d Mazzarino ihnen beimaßen. Vor allem verbietet es die relative Bedeutungslosigkeit der Steueradäration am Ende des 4. u n d Beginn des 5. J h s . n . C h r . , ihr unter den Ursachen f ü r den Untergang des Westreiches eine maßgebliche Stellung einzuräumen. Bei der zweiten von mir hier zu erörternden A d ä r a t i o n s f o r m , der als Verteilungsadäration bezeichneten U m w a n d l u n g von Natural- in Geldzahlungen
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bei der Entlohnung von Militärs und zivilen Funktionären, vermutet man von vornherein kein wirklich schwerwiegendes Konflikt- und Korruptionspotential. Was konnte es schon ausmachen, ob die Soldaten und Funktionäre sich ihr Gehalt in Naturalien oder in entsprechenden Geldbeträgen auszahlen ließen? Ein Blick in den Codex Theodosianus (VII 4) zeigt jedoch, daß die Gesetze gegen Unregelmäßigkeiten bei der Besoldung einen beträchtlichen Anteil des Titels ,de erogatione militaris annonae' (,Über die Ausgabe des [Natural-] Solds') beanspruchen. Unter ihnen befindet sich ein gutes Dutzend Erlasse zum Problem der Verteilungsadäration, wobei offenkundig längst nicht alle Verfügungen des 4.Jhs. aufgenommen worden sind; einige muß man aus späteren Gesetzen erschließen. Der Titel wird eröffnet und schließt mit Verfügungen über die Verteilungsadäration für hohe Offiziere (VII 4,1 und 36). Am Anfang steht ein striktes Verbot der Verteilungsadäration, am Ende ein Gesetz, welches ihre Legalität voraussetzt und nur noch gewisse Auszahlungsmodalitäten regelt. Liegt hier, wie in anderen spätantiken Korruptionsbereichen, pure Resignation des Gesetzgebers vor? Wir wollen bei unserer Prüfung einschlägiger Zeugnisse zunächst nochmals auf die bereits behandelte Stelle in der Claudius-Biographie der Historia Augusta zurückgreifen. Ich zitiere erneut den ersten Satz und den Schlußsatz: „Diesem (dem Tribunen Claudius) sollst du als Gehalt aus meiner privaten Kasse (de nostro privato aerario) alljährlich 3000 Scheffel Weizen (usw.) geben ..." Schlußsatz: „Ferner wirst du ihm auch das übrige, welches wegen seiner Geringfügigkeit hier nicht im einzelnen aufgeführt werden kann, nach Maß gewähren, aber so, daß er nichts adäriert. Und wenn irgendwo etwas fehlt, soll es nicht gewährt und auch nicht eine entsprechende Geldsumme gefordert werden."
Mickwitz und Mazzarino haben nicht hinreichend beachtet, daß es hier im Prinzip nicht um den Vorgang der Steuererhebung und der Steueradäration, sondern um eine Verteilung von bereits eingezogenen, der staatlichen Verwaltung schon zur Verfügung stehenden Naturalsteuern geht, d.h. um die Verteilungsadäration. Der Kaiser gewährt zu Lasten seines privaten Fonds die Zuteilung in den staatlichen Vorratsspeichern gelagerter Naturalien. Dem Tribunen Claudius wird untersagt, sich von den Verwaltern der staatlichen Vorratshäuser Geld statt der ihm zustehenden Naturalien auszahlen zu lassen. Es handelt sich also nicht um ein Verbot der Steueradäration, sondern um ein Verbot der Verteilungsadäration. Mit diesem Verbot der Verteilungsadäration engstens, ja komplementär verbunden ist die ebenfalls in diesem letzten Satz formulierte Vorschrift, Naturallieferungen und Dienstleistungen sollten stets von den lokalen Gegebenheiten abhängig sein; d.h. auch dann, wenn die betreffenden Waren und Leistungen nicht lieferbar waren, sollte keine monetäre Ersatzzahlung, d.h. keine Adäration, für die nicht vorhandenen Waren stattfinden. Dies bedeutete nun eine möglicherweise radikale Reduzierung dieses Offiziersgehalts, wie sie in der Praxis des römischen Verwaltungssystems nicht
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vorstellbar war. Das Imperium Romanum kannte keine derartigen restriktiven Vorschriften. Wir haben es vielmehr mit einer in den fingierten Brief des Kaisers Valerian eingekleideten Forderung des Verfassers der Historia Augusta zu tun, die meines Wissens bei keinem anderen Autor eine Parallele findet, in ihrer Realitätsfremdheit und Radikalität jedoch ganz in Übereinstimmung steht mit anderen Äußerungen in diesem Werk (ζ. Β. Τ 18, 4-11), in denen sogar das Prinzip formuliert wird, bestimmte Truppengattungen, ζ. B. Reiterei, sollten nur dort stationiert werden, wo entsprechende Bedingungen (ζ. B. reichliches Weideland) gegeben seien - ganz abgesehen von der Vision unseres Autors (Pr. 20, 5f.; 23, 1-3), daß Soldaten und damit Naturalsteuern überhaupt überflüssig werden sollten. Bei aller - wohl eher resignierender Utopie als ernsthaftem Reformwillen zuzuordnenden - Radikalität ihrer Ausführungen spielt die Historia Augusta mit dem in der Biographie des Kaisers Claudius formulierten Verbot der Verteilungsadäration aber tatsächlich auf einen argen Mißstand in der spätrömischen Verwaltung an, auf ein Korruptionsphänomen, welches zunächst eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Heeresversorgungssystems bedeutete oder bedeuten konnte, in seinen weiterreichenden Auswirkungen aber auch eine immense Belastung der Steuerzahler nach sich ziehen mochte. Die Schwere dieses Problems verdeutlichen die oben bereits angesprochenen Rechtsquellen, welche sich seit dem Beginn des 4. Jhs. damit auseinandersetzen und für Vergehen dieser Art sogar die Todesstrafe verhängen. Zunächst ist hier ein Gesetz Konstantins aus dem Jahr 325 n.Chr. zu erwähnen 5 : „Kaiser Konstantin grüßt den von ihm sehr geschätzten Felix (wahrscheinlich ein Prätorianerpräfekt). Die Tribunen und Truppenkommandeure, die unsere Soldaten befehligen, sollen die Naturallieferungen, die ihnen gemäß den Gehaltslisten täglich zustehen, nicht in den öffentlichen Getreidespeichern zurücklassen, so daß die (städtischen) Verwalter, Steuereinnehmer, Steuervorsteher der ländlichen Distrikte oder Vorsteher der Lagerhäuser diese kaufen (müssen). Dies führt nämlich dazu, daß die erwähnten Personen von den Provinzbewohnern nicht Naturalien, sondern Geld fordern, während die Waren selbst in schadhaftem und verdorbenem Zustand in den Vorratshäusern verbleiben. Wir setzen daher fest, die zurückgelassenen Naturalien als Gewinn für den Fiskus einzustreichen, den Untersekretär und den Zahlmeister aber mit dem Tode zu bestrafen. Denn es darf nicht geschehen, daß entweder die Provinzbewohner durch eine nochmalige Steuereinziehung belastet oder den Soldaten verdorbene Waren ausgehändigt werden, nur weil die erwähnten Personen es
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C o d . T h e o d . VII 4, 1: I M P . C O N S T A N T I N V S A. H A V E F E L I X K ( A R I S S I M E ) N ( 0 ) B ( I S ) . T r i b u n o s sive praepositos, qui milites nostros curant, a n n o n a s per dies singulos scribtionis indicio sibi debitas in horréis derelinquere n o n oportet, ut p r o c u r a t o r e s seu susceptores vel praepositi pagorum et h o r r e o r u m earn c o n p a r e n t : hinc enim fit, ut a provincialibus n o n a n n o n a s , sed pecunias postulent memorati ipsis etiam speciebus r e m a n e n t i b u s vitiatis a d q u e corruptis. C o n s t i t u i m u s igitu[r] derelictae a n n o n a e fisco c o n p e n d i u m vindicari, su[b]scribendario et o p t i o n e gladio feriendis, q u o n i a m fieri n o n potest, ut vel provinciales iterata c o n l a t i o n e graventur vel militibus corruptee species d i v i d a n t u r detrectantibus memoratis ad diem s u m e r e a n n o n a s suae congruas dignitati. In q u a culpa si quis fuerit a d p r e h e n s u s , nec personae merito nec h o n o r i s fastigio d e f e n d e n d u s est. D A T . X I I I I KAL. N O V . A Q V I S P A V L I N O E T I V L I A N O C O N S S .
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ablehnen, termingerecht die ihrer Rangstellung zukommenden Naturallieferungen entgegenzunehmen. Wenn jemand bei einem solchen Vergehen ertappt wird, sollen ihn weder persönliche Verdienste noch die Würde eines Amtes schützen."
Dieses Gesetz wendet sich schärfstens gegen Offiziere, welche sich weigern, die ihnen zustehenden Naturalien aus den staatlichen Vorratsspeichern entgegenzunehmen, und sie sich stattdessen adärieren, d.h. eine entsprechende Geldsumme auszahlen lassen. Die Folge sei nämlich, daß die Naturalien in den Speichern verrotteten und entweder in diesem verdorbenen Zustand an die Truppen verteilt oder durch erneute Steuereinnahmen, d.h. entsprechende Naturalien, ersetzt werden müßten 6 . Zwei weitere Gesetze dieser Art sind uns für den 29. und 30. Juli 393 n.Chr. überliefert, erlassen von den Kaisern Valentinian II., Theodosius I. und Arcadius. Das erste ist an die regionalen Truppenkommandeure gerichtet, das zweite an den für die Heeresversorgung zuständigen Prätorianerpräfekten 7 . Entsprechend unterschiedlich nuanciert ist ihr - prinzipiell dasselbe Problem betreffender - Inhalt. Den Militärs gegenüber wird ohne weitere Erläuterungen das Verbot ausgesprochen, statt Naturalien deren monetären Gegenwert zu verlangen, d.h. zu adärieren. Im Falle eines Verstoßes gegen diese Bestimmung sollten sie weder das geforderte Geld noch die abgelehnten Naturalien erhalten. Dem Prätorianerpräfekten Rufinus wird in dem zweiten Gesetz hingegen näher erläutert, auf welchen üblen Trick er vor allem sein Augenmerk zu richten habe: „Keiner Militärperson soll es erlaubt sein, die Annahme der Warenrationen zum Auslieferungszeitpunkt zu verweigern und die Gelegenheit einer Nahrungsmittelknappheit abzuwarten, um statt der in den Provinzen zugewiesenen Naturallieferungen Geldzahlungen zu verlangen. Vielmehr soll derjenige, welcher wegen eines reichen Erntejahres die angebotenen Naturalien verschmäht und später angesichts durch Lebensmittelknappheit verursachter Preissteigerungen die zurückgewiesenen Naturalien in Geld taxiert hat, weder das fordern dürfen, was er gegen dieses Gesetz anstrebt, noch jenes erlangen, was er in Empfang zu nehmen verschmähte."
Es gab also Militärs, welche die ihnen zustehenden Naturalien aus den Vorratslagern in Zeiten reicher Ernteerträge wegen der dann niedrigen Marktpreise nicht entgegennahmen, um stattdessen Mißernten und entsprechende Preissteigerungen abzuwarten und zum günstigsten Zeitpunkt für die 6
Bemerkenswerterweise sollen d e r Unteroffizier u n d der Zahlmeister mit d e m T o d e bestraft werd e n , w ä h r e n d die eigentlichen Übeltäter, die T r i b u n e n u n d sonstigen T r u p p e n k o m m a n d e u r e , keine spezifische Strafe erhalten. Möglicherweise k o n n t e m a n von d e r Beweislage her n u r erstere, a l s o d i e u n t e r g e o r d n e t e n I n s t a n z e n , d i e i h r e U n t e r s c h r i f t u n t e r d i e E m p f a n g s b e s c h e i n i g u n g geleistet h a t t e n , g r e i f e n . V i e l l e i c h t ist a b e r h i e r a u c h ein R a n g p r i v i l e g im S t r a f r e c h t zu f a s s e n .
' C o d . T h e o d . V I I 4, 18 u n d V I I 4, 20: I D E M A A A . R V F I N O P ( R A E F E C T O ) P ( R A E T 0 R I ) 0 . N u l l i m i l i t a r i u m p r o h i s a n n o n i s , q u a e in p r o v i n c i i s d e l e g a n t u r , r e p u d i a t a a d t e m p u s s p e c i e r u m c o p i a et i n o p i a e o c c a s i o n e c a p t a t a p r e t i a liceat, p o s t u l a r e , ita u t , si q u i s p r o p t e r a n n i a b u n d a n t i a m suscipere oblata neglexerit ac postea inpositis p r o neccessitate r e r u m pretiis repudiata taxaverit, n e q u e id, q u o d c o n t r a h a n c legem expetit, sinatur exigere n e q u e illud, q u o d accipere dissimulaverit, c o n s e q u a t u r . D A T . III K A L . A V G . C O N S T ( A N T I N O ) P ( O L I ) T H E O D O S I O A. III E T A B V N D A N T I O V.C. C O N S S .
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nicht abgeholten Naturalien einen monetären Gegenwert auf der Basis der geltenden hohen Marktpreise zu verlangen. Das konstantinische Verbot der zeitlich unmittelbaren Adäration zum festgesetzten Verausgabungstermin ist also in der Folgezeit offensichtlich d a d u r c h unterlaufen worden, d a ß die Offiziere gar nicht erst diesen Termin beachteten, sondern zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ihre Naturalienrationen gar nicht mehr v o r h a n d e n oder verdorben waren, erschienen u n d n u n Geldzahlungen verlangten. Es entspricht wohl nur scheinbar der Entwicklung in anderen spätantiken Korruptionsfällen u n d ist in Wirklichkeit nur eine Folge der z u n e h m e n d e n Steuererhebung in Geld, wenn die Verteilungsadäration allmählich d a n n doch legalisiert wird: 365 schon f ü r die riparienses milites, Grenzsoldaten auf dem Balkan; 396 f ü r alle T r u p p e n des Bewegungsheeres, die comitatenses; 409 f ü r G r e n z t r u p p e n in den Palästinaprovinzen; u n d sie wird in einem anderen Gesetz von 409 als existent vorausgesetzt f ü r die T r u p p e n der Diözesen Oriens u n d Aegyptus. Provinzstatthalter u n d hohe Offiziere (comités, tribuni, praepositi) dürfen offensichtlich wählen zwischen Naturalien u n d A d ä r a t i o n ; so geht es aus Gesetzen der J a h r e 412 u n d 424 hervor 8 . Ähnlich der Steueradäration verlor also die Verteilungsadäration seit E n d e des 4. Jhs. infolge der Rückkehr von einem Natural- zu einem Geldsteuersystem entscheidend an Bedeutung. Ihre Legalisierung war - wenigstens in erster Linie - nicht eine Folge gescheiterter Korruptionsgesetzgebung, sondern Resultat einer allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Ebenso wie die Steueradäration k o n n t e die Verteilungsadäration - zumindest in dieser Intensität - nur zu einer Zeit auftreten, als neben der Geldwirtschaft ein überwiegend naturalwirtschaftliches staatliches Steuer- u n d Versorgungssystem bestand. Ihre Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des spätantiken Verwaltungs- u n d Militärapparates sowie auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung d ü r f t e n zumindest in Einzelfällen bedenklich gewesen sein, d e n n sie k o n n t e zu Versorgungsschwierigkeiten f ü r die einfachen Soldaten u n d insbesondere zu einer Doppelbesteuerung der Provinzbevölkerung führen. Zwar scheinen, nach den kaiserlichen Gesetzen zu urteilen, im wesentlichen nur Offiziere die nötige Macht besessen zu haben, ihre Adärationswünsche durchzusetzen. Aber da ihre Gehälter diejenigen einfacher Soldaten oft um das H u n d e r t f a c h e u n d mehr überstiegen, war ihr Anteil an den Naturallieferungen groß genug, um in solchen Fällen ernsthafte Schwierigkeiten zu erzeugen. G e r a d e die illegale Adäration seitens der hohen Offiziere u n d Funktionäre während des 4. Jhs. gehört zudem in einen größeren gesellschaftspolitischen R a h m e n , der hier nur kurz skizziert werden kann 9 . In der Historia Augusta 8
V I I 4, 14. 22. 30. 31. 32. 36. ' Z u d e n b e t r e f f e n d e n S t e l l e n in d e r H A u n d zu E i n z e l h e i t e n vgl. m e i n e n A n m . 2 z i t i e r t e n A u f s a t z .
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sind die Ablehnung der Adäration und die strikte Befürwortung von Naturalsteuern und -gehältern Bestandteile ihres .Sparprogramms', dessen Verwirklichung sie insbesondere ihrem Idealkaiser Alexander Severus zuschreibt. Dieses Programm sieht vor allem eine restriktive Handhabung der in der Spätantike üblichen Goldzahlungen an hohe Funktionäre und Offiziere vor. Der Aversion der Historia Augusta gegen derartige Goldzahlungen liegt wohl nicht nur die traditionelle antike moralisierende Dekadenztheorie von den goldenen Zeiten, die noch kein Gold kannten, zugrunde, sondern auch ein handfestes gesellschaftliches Problem, welches von dem Rhetor Libanius aus Antiochien in seiner an den Kaiser gerichteten Rede ,Über die Patrozinien' angesprochen wird 10 : Die mächtigen Provinztruppenkommandeure, die duces, ruinieren die städtische Führungsschicht, die curiales, indem sie die Bauern der städtischen Territorien in ihr Patrozinium, ihren Schutz, aufnehmen und die curiales an der Steuereinziehung hindern. Letztere müssen aufgrund des Haftungsprinzips die fehlenden Steuern aus eigener Tasche begleichen und zu diesem Zweck ihren Grundbesitz veräußern. Es sind nun die erwähnten duces, die aufgrund ihres Goldreichtums in der Lage sind, dieses Land, welches die curiales veräußern müssen, aufzukaufen. Einen ähnlichen Schaden konnten Offiziere und zivile Funktionäre den curiales durch die Verteilungsadäration zufügen, denn letztere mußten die im konstantinischen Gesetz von 325 erwähnten Vorsteher der staatlichen Vorratsspeicher stellen. Libanius bietet in einer anderen Rede (LVII 51) eine literarische Ergänzung zu den in den Rechtsquellen angeprangerten Delikten. Er schildert, wie ein Statthalter von Syrien curiales, welche den staatlichen Vorratshäusern vorstanden, zwang, sein Naturaliengehalt zu kaufen, d.h. zu adärieren, was zu deren Verarmung und zu seiner eigenen Bereicherung geführt habe. Selbst wenn man bei Libanius rhetorische Übertreibung einkalkuliert, so ist doch offenkundig, daß mit flüssigem Kapital, vor allem mit Gold, reichlich versehene neureiche Militärs und Funktionäre, die neuen potentes der Spätantike, als potentielle Aufkäufer von Grundbesitz eine ernsthafte Bedrohung der städtischen Führungsschicht darstellten. Die Forderung der Historia Augusta, ihnen ihre Gehälter im wesentlichen in Naturalien auszuzahlen und ihnen die Adäration zu verbieten, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Die Verteilungsadäration als Korruptionsphänomen war somit ein beachtenswerter, wenn auch sicherlich nicht entscheidender Faktor in der Ausdehnung des Großgrundbesitzes auf Kosten der Curialen. Halten wir abschließend folgende Resultate fest: Beide Formen der Adäration, die Steuer- wie die Verteilungsadäration, waren nur möglich aufgrund einer spezifischen Wirtschaftsstruktur, in der neben der Geldwirtschaft ein weitgehend auf Naturalwirtschaft gestütztes staatliches Steuer- und Versor-
10
Vgl. J . - M . CARRIÉ, Bull. C o r r e s p . Hell. 100, 1976, 159 ff.
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gungssystem existierte. Das Korruptionspotential dieser Adärationsverfahren ergab sich aus dem starken Schwanken der Agrarpreise infolge struktureller Schwächen der antiken Landwirtschaft, vor allem aus ihrer großen Anfälligkeit für katastrophale Mißernten. Diese Adärationskorruption führte zu einer Bereicherung von Amtsträgern bzw. Offizieren durch Spekulationsgeschäfte, wie sie auch auf dem privaten Sektor in der Spätantike des öfteren bezeugt sind, wenn etwa Privatleute Getreide horten und eine Nahrungsmittelknappheit abwarten, um es dann zu hohen Preisen zu verkaufen. Amtsträgern war derartiges natürlich untersagt. Die Verteilungsadäration insbesondere hatte im 4.Jh.n.Chr. wohl zumindest in Einzelfällen schwerwiegende Auswirkungen auf das staatliche Versorgungssystem und die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Die Adäration verlor aber ihre Bedeutung mit der weitgehenden Rückkehr zur Geldwirtschaft im staatlichen Versorgungsbereich. Sie bietet insofern ein bemerkenswertes Beispiel für die Legalisierung eines ehemaligen Korruptionsdeliktes infolge ökonomischer Veränderungen. Die mit der Adäration verbundene Korruption ist folglich im Unterschied zu .zeitlosen' Korruptionsdelikten - wie Unterschlagung, Bestechung usw. - kein zu allen Zeiten (jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang) mögliches Korruptionsphänomen, sondern ähnlich wohl dem Ämterkauf - oder gar in noch stärkerem Maße - an bestimmte, zeitlich eingrenzbare historische Bedingungen gebunden.
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Liebs Was bedeutet die Rückkehr zur Geldbesteuerung? Ich hatte bisher immer das Gefühl, als ob die Geldwirtschaft im 3. Jahrhundert endgültig aufgehört hätte, die ganze Wirtschaft zu betreffen, und der Übergang zum Goldstandard Geldwirtschaft nur noch für Luxusgüter, Handel en gros u.ä., aber nicht mehr für Alltagsgeschäfte bedeutet hätte. Kolb Da brauchen Sie nur einen Blick auf die umfangreiche Kupferprägung der Spätantike zu werfen. Liebs Ja schon. Aber die ist ja in den Gesetzen laufend umstritten. Kolb Es gab ferner auch noch umfangreiche Silberprägungen, wie jüngste Forschungen von J.-P. Callu festgestellt haben. Die Silberprägungen hatte man bezüglich der Spätantike bisher unterschätzt. Wir dürfen ohnehin nicht mehr davon ausgehen, daß es im 3. und 4. Jh. im privaten Bereich einen Übergang von einer Geldwirtschaft zu einer Naturalwirtschaft in einem nennenswerten Umfange gegeben habe. Wir können mit eigentlicher Naturalwirtschaft nur im staatlichen Versorgungsbereich rechnen. Das heißt, der Staat zog Steuern, nicht alle Steuern, aber die f ü r die Versorgung von Heer und Funktionären wichtigen Steuern, im wesentlichen in Naturalien ein und zahlte in Naturalien, aber auch nicht nur. Daneben gab es weiterhin Gehalt in Geld, was vom nominellen Geldvolumen her immer noch ziemlich hoch war, allerdings nicht mehr vom Wert des Geldes her gesehen. Liebs Warum dann die Naturalwirtschaft? Das war meine Frage. Kolb Die staatliche Naturalwirtschaft ist zu sehen im Zusammenhang mit der Geldentwertung. Die Kaiser haben im 3. Jh. sich ihr Geld mit einem Bauerntrick zu verschaffen gesucht, indem sie schlichtweg den Metallgehalt der Silbermünzen verschlechtert haben, offensichtlich in der Meinung, sie könnten von derselben Metallquantität eine größere Menge Geld prägen, wenn sie diesem Metall einen ,Zusatz' an Kupfer beigäben. Die Folge war eine inflationäre Entwicklung.
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Liebs Nach der Rückkehr zu einer stabilen Währung nach Diokletian entfiel dieser G r u n d aber. Kolb Nein, gerade unter Diokletian und Konstantin hatte dieses Naturallieferungs-Naturalsteuer-Naturalbesoldungs-System seinen H ö h e p u n k t ; diese beiden Herrscher haben es systematisiert. Erst nach Konstantin ist es d a n n allmählich wieder zu einer Rückkehr zur staatlichen Geldwirtschaft gekommen. Die Stabilisierung der militärischen Situation im 4. Jh. hat wesentlich dazu beigetragen, daß man wieder zu einer Geldwirtschaft zurückkehren konnte. Demandi Einer der wichtigen G r ü n d e für die annona, für die Naturalbesteuerung, liegt ja auch in einer nachvollziehbaren Vereinfachung. Ursprünglich ist es so, d a ß der Bauer zunächst seine Produkte verkaufen muß, dann gibt er dem Staat das Geld, und der Staat nimmt das Geld, um die Brötchen für die Soldaten zu kaufen. Statt dessen wird es in der Spätantike so gehandhabt, d a ß der Bauer die Brötchen direkt an den Soldaten liefert. Und das ist natürlich an sich eine Vereinfachung des Heeresunterhaltes. Deswegen, meine ich, sollte man vorsichtig sein, das als Gehalt zu bezeichnen; denn die Naturallieferungen an die Soldaten waren ja wohl nicht dazu bestimmt, nun wieder weiterverkauft zu werden, sondern dazu, verbraucht zu werden. Kolb Nicht unbedingt, Herr Demandt, wenn ich das anfügen darf. Wir wissen, daß die Soldaten von ihrer Naturalienration zumindest gelegentlich einen Teil verkauft haben. Ich würde Ihnen auch darin nicht zustimmen, daß es hier um eine Vereinfachung im Verwaltungssystem ging. Wir wissen ja aus der Praefatio des diokletianischen Preisedikts, worauf es im wesentlichen ankam. Die Soldaten mußten oft überhöhte Preise zahlen, weil an ihrem jeweiligen Stationierungsort infolge ihrer Anwesenheit eine Teuerung eintrat. Deshalb hat Diokletian das Preisedikt erlassen. Aber derselbe G r u n d ist großenteils d a f ü r verantwortlich, daß die Gehälter vorwiegend in Naturalienform gezahlt wurden. Demandi Es hat keinen Sinn, jetzt hier weiterzudiskutieren. Eine Zusatzfrage aber: Sie sagen, „infolge der Inflation" - als ob die Inflation ein Faktor wäre, von dem man ausgehen könnte. Ist die Inflation nicht ihrerseits gerade erklärungsbedürftig? Weiter möchte ich fragen, inwieweit Sie glauben, daß durch die adaeratio die Ausdehnung des Grundbesitzes gefördert worden sei.
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Kolb Ich habe gesagt, daß es ein Faktor bei der Ausdehnung des Grundbesitzes gewesen sein dürfte. Offensichtlich waren Offiziere und hohe Funktionäre daran interessiert, Geld statt Naturalien in die H a n d zu bekommen, weil sie flüssiges Kapital haben wollten. Dieses konnten sie aber deshalb gut gebrauchen - wir wissen das aus Papyri und literarischen Quellen - weil sie gerne Land aufkauften, denn Land war bekanntlich die wirtschaftliche Basis f ü r soziale und politische Geltung. Die Adäration trug dazu bei, d a ß sie ihr Gehalt nicht in Naturalien, sondern gleich in Gold bekamen, so daß sie das gewünschte flüssige Kapital zur Verfügung hatten. Demandi Das ist in sich logisch. Nur sind ja die Soldaten, also die duces, von denen Sie sprachen, nicht die typischen Großgrundbesitzer. Schuller Herr Kolb hat in seinem Vortrag nun auch nicht seinerseits die Adäration zur Erklärung der gesamten Spätantike herangezogen, wie ich die Korruption nicht zur Erklärung der Weltgeschichte nehme, sondern als einen Faktor, der zwar einen geringeren Rang hat als andere, aber doch da war, wie es ja oft der Fall ist, daß verschiedene Faktoren nebeneinandertreten. Castritius Ich wollte zunächst Herrn Kolb unterstützen. Ich würde sogar noch weitergehen: Es ist so, daß doch wohl der größte Teil des spätrömischen Militärs, und ich würde für den Westen des Imperiums behaupten, bis zum Ende, bis 476, den Sold in Geld empfing. Wir haben also ganz klar wieder eine Rückkehr zu geldwirtschaftlichen Formen auf dem Markt. Das scheint mir unzweifelhaft, das kann man auch nachweisen. Demandi Severinus. Castritius Severinus beispielsweise. Die Zäsur liegt eben bei der Usurpation des Odoaker, der die Soldzahlungen für Ufernoricum einstellte. Interessant wäre ein spezielles Problem, wenn ich das dazwischenschieben darf, daß die Adaerierung des Soldes der Soldaten bei den limitanei anfängt, wie Sie das ja mit dem Gesetz Valens' und Valentinians deutlich gemacht haben. Aber das ist wohl ein Spezialproblem.
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Kolb Es ist richtig, daß das Adärationsverfahren zuerst für gewisse Grenztruppen genehmigt wurde, aber eben nur für ganz bestimmte limitanei auf dem Balkan, bei denen offensichtlich zu jener Zeit Versorgungsschwierigkeiten infolge kriegerischer Verwüstungen des Balkangebietes bestanden. Ihnen wurde wohl als befristete Ausnahme die Adäration erlaubt. Es sind aber dann eigentlich die comitatenses, das Bewegungsheer, für welches zuerst allgemein in allen Provinzen die Adäration als prinzipielles Verfahren genehmigt wurde; die limitanei in einzelnen Provinzen folgen später nach. Castritius Ja, das ist richtig. A b e r vielleicht grundsätzlicher und wichtiger ist das andere Problem, und da, meine ich, haben Sie vielleicht das Korruptionspotential etwas zu niedrig eingeschätzt. Sie sprachen davon, daß sich das ergibt aus dem Schwanken der Agrarpreise. Mir scheint doch das Entscheidende zu sein in dieser ganzen Frage, auf welche Weise sich die Steuerzahler das Geld verschaffen konnten. Das antwortet auch etwas auf die Frage, die Herr Demandi gestellt hat: Die duces hatten einen leichteren Zugang. A b e r es sind j a nicht nur die Großgrundbesitzer, die Senatoren, die Steuern zahlen mußten, und die sich vielleicht sehr viel leichter Geld beschaffen konnten, sondern man muß j a auch an die kleinen Steuerzahler denken. U n d da scheint mir ein größeres Korruptionspotential vorzuliegen. Es gibt Vermutungen - soweit ich weiß, hat das Frau Alföldi geäußert - , daß da sozusagen über staatliche Zwischenstellen Umtauschmöglichkeiten, also Erwerbsmöglichkeiten von Geld gegen Naturalien, mit einem entsprechenden Obolus für die Staatskasse, möglich waren, und dann damit natürlich auch gewisse Formen der Korruption, der Erpressung gegenüber den Steuerzahlern, den kleinen Leuten, die gezwungen waren, ihre Naturalien zu adaerieren, damit sie ihre Steuern zahlen konnten. Da scheint mir ein Korruptionspotential zu liegen. Kolb Mir ist eine derartige Problematik nur bekannt bezüglich des Umtausches von Kupfer- in Goldmünzen, wenn man G o l d für die Steuerzahlung benötigte. Ich glaube, an Kupfermünzen konnte man relativ leicht herankommen durch den Verkauf von Produkten; das dürfte nicht allzu schwierig gewesen sein. Castritius Aber mußte man nicht für bestimmte Steuern die Zahlung in Goldmünzen leisten? Und da war auf jeden Fall dieser Umtausch erforderlich, und damit auch die Möglichkeit für bestimmte Stellen, einen Gewinn herauszuholen.
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Kolb Von den kleinen Steuerzahlern kann man das nicht ohne weiteres annehmen. Wir wissen, daß bestimmte Gruppen, wie die Händler und Handwerker in den Städten, ihre Steuer in Gold leisten mußten (das sog. Chrysargyron). Das war aber auch eine Zahlung, die nur alle fünf Jahre stattfand. So konnte man die Steuerschuld bis zum Wert von Goldmünzen auflaufen lassen, während bei den jährlichen Steuerzahlungen etwa kleinerer Pächter dies kaum möglich war.
István Hahn
Immunität und Korruption der Curialen in der Spätantike
I.
In seiner zweiten Rede gegen den comes Orientis Icarius (Or. 28, 21 ff.) ereifert sich der bekannte antiochenische Redner Libanios, um die verzweifelte Lage der Curialen im Orient überzeugend darstellen zu können und ihre Flucht aus dem Curialenstand verständlich zu machen: Es gibt viele Umstände, die das Leben der Curialen erschweren. Das grausamste aber, was die Curien ausgeleert hat, sind αϊ πληγαί, die fürchterlichen körperlichen Strafen, denen sie ständig ausgesetzt sind, und denen zufolge sie schwerer leiden als der schlimmste Sklave 1 . Deshalb heiraten die meisten außerhalb des Curialenstandes und verheiraten auch ihre Töchter in nicht-curiale Familien 2 . In dieser Lage hört man überall in der Stadt solche oder ähnliche Worte seitens der noch übrig gebliebenen wenigen Curialen: „Lebewohl mein Haus, lebet wohl meine Felder, ich verkaufe sowohl dieses als auch jenes; für den Kaufpreis möge mir aber jemand die Freiheit verschaffen!" 3 Die Worte des antiochenischen Rhetors sind, wie immer, auch hier eindrucksvoll und geeignet, die Flucht der Curialen aus ihrer - materiell und auch rein „körperlich" prekären Lage verständlich zu machen. Libanios selbst kehrt wiederholt zum selben Thema zurück. In seiner auch prinzipiell wichtigen Rede an den Rat von Antiochien berichtet er über einen ganz konkreten Fall: „Voriges Mal ist jemand, der zur Choregie verpflichtet war, entwichen, nachdem er einen Bürgen gestellt hat. U n d wie habt ihr dazu Stellung g e n o m m e n ? D e n Bürger, der selbst unschuldig war - war der d o c h selbst Opfer einer Täuschung - hieltet ihr in Haft, es gab große Entrüstung, furchtbare Drohungen und Schreie: D e n Schuft wollen wir erledigen! Kurz darauf hörten wir die Nachricht über den, der den Bürgen gestellt hatte, d a ß er ein Amt gekauft hat, nachdem er sein väterliches Haus und ein Stück Feld verkauft, und dazu noch eine gewisse S u m m e zusammengebettelt hat, um damit die im Amt stehenden Bösewichte zufriedenzustellen. U n d was tatet ihr, 1
... τοϋτο γάρ, τοΟτο εστίν ô τά βουλευτήρια κεκένωκε μάλιστα, ίσως μεν γάρ τι και άλλο, τουτί δέ διαφερόντως, αί πληγαί, και τό τφ σώματι τοιαΟτα πάσχειν, οία μηδέ τά κακουργότατα τών άνδραπόδων ... ! Or. 48, 30: οίς δέ και θυγατέρες είσί, συνοικίζουσι μέν αύτάς στρατιώταις, μέμφεται δέ υμών ουδείς τούς γάμους, τοις βουλεύουσι δέ τίκτουσι παιδας αί δοΟλαι. είτα έξελήλυ9εν ούσία της βουλής δι' ύμεναίων και 'Ρώμης.... Vgl. P. PETIT, Libanius et la vie municipale à Antioche ..., Paris 1955, 325 ff. ; zum Fall von Kimon, Sohn des Libanios, vgl. ebenda 31 ff. ' Or. 28, 22: ... χαιρέτω μέν οικία, χαιρόντων δέ αγροί, πωλείσΟω μέν ταΟτα, πωλείσδω δέ έκεινα, τή δέ τιμι) τή τούτων ώνείσΟω τις έλευθερίαν. ...
István H a h n
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d i e ihr in e u r e r E m p ö r u n g d e n a r m e n B ü r g e n fast d e m T o d e w i d m e n w o l l t e t ? Ihr habt euren Frieden mit d e m Bösewicht gemacht, d e m ein solch gewaltiger Sprung v o n d e r C u r i e b i s z u m k a i s e r l i c h e n H o f g e l u n g e n ist. S o w u r d e a u c h k e i n e M e l d u n g d a r ü b e r d e m K a i s e r erstattet, a u c h n i c h t d e m S t a t t h a l t e r o d e r j e m a n d e m v o n d e n H e r r s c h e n d e n . Ihr b e n a h m t e u c h s o , a l s o b a l l e s g a n z n a c h e u r e m W u n s c h stattgef u n d e n h ä t t e ; j e m a n d s a g t e s o g a r : , D e r K e r l , d e r h a t d o c h V e r s t a n d ! ' " (Or. 4 8 , 11 f.) 4
Auf Grund der wiederholten allgemeinen Behauptungen und konkreten Darstellungen unseres Rhetors sind wenigstens drei Feststellungen naheliegend, die Libanios aber nicht explizit erwähnt: Erstens: Diese Curialen sind im allgemeinen z.Z. der Abfassung dieser Reden, d.h. unter der Regierung Theodosius' I., noch wohlhabende Leute, haben auch ein gewisses Standesbewußtsein; obwohl vielseitig bedrängt von den staatlichen Behörden, besitzen sie noch wertvolle Immobilien. Zweitens: Sie sind dennoch geneigt, große materielle Opfer zu bringen, um sich aus ihrer Lage zu befreien; die oben erwähnte Choregie war z. B. keineswegs so kostspielig, daß damit die Flucht des dazu verpflichteten Curialen erklärt werden könnte 5 : Es war eher ein konkreter Anlaß, ein Apropos, um für die schweren persönlichen Fragen eine einmalige und endgültige Lösung zu finden. Drittens: Indem die Curialen ihre Häuser und Grundstücke verkaufen, werden sie nicht ipso facto von ihren materiellen und rechtlichen Lasten befreit 6 . Sie müssen sich für das so erworbene - gegebenenfalls „zusammengebettelte" - Geld noch jemanden, einen „mächtigen Bösewicht", finden, der ihnen „die Freiheit verschafft". Obwohl die Curialenpflichten an einen gewissen materiellen Stand, namentlich an ein gewisses Grundeigentum gebunden sind 7 , ist diese Seite des Problems in der Darstellung des Libanios sekundär. Die primäre Aufgabe der „vernünftigen Köpfe" innerhalb der Curialen besteht darin, die zuständigen staatlichen Behörden zu korrumpieren, auf daß sie auch wirklich aus dem Curialenstand entlassen werden. Der Verzicht auf das Vermögen gibt nur die Möglichkeit, sich zu befreien; diese wird aber
4
. . . μ ι κ ρ ό ν δε ύ σ τ ε ρ ο ν τ ό ν έ ξ ε γ γ υ η θ έ ν τ α ή κ ο ύ ο μ ε ν ά ρ χ ή ν π ρ ι ά μ ε ν ο ν της π α τ ρ ώ α ς ο ι κ ί α ς ά γ ρ ό ν α ύ τ ή π ρ ο σ τ ε Ο ε ι κ ό τ α σ υ λ λ έ γ ε ι ν την τιμήν τοίς έπί της ά ρ χ η ς κακοϊς. . . . ή δ η δέ τις α υ τ ό ν και ν ο υ ν ε χ ε ι ν εφησε. In diesem konkreten Fall m u ß H a u s u n d G u t v e r k a u f t werden, um vom „Alb u m " der Curialen gestrichen zu w e r d e n ; das zusätzliche „ z u s a m m e n g e b e t t e l t e " Geld ist f ü r die obligaten Bestechungen nötig, um ein Amt zu erhalten. s Z u r Choregie vgl. P. PETIT a.a.O., 49: dieses m u n u s u m f a ß t e die Finanzierung der Spiele, der theatralischen Vorstellungen u n d die Heizung der öffentlichen Bäder. * D a ß die v o l l k o m m e n e Ü b e r g a b e des Vermögens, die cessio b o n o r u m , in sich selbst keine a u t o m a tische Befreiung von den Curialenlasten mit sich brachte, ist aus C. Th. X. 16,4 a. 385 klar, vgl. P. PETIT a . a . O . ,
161, A n m .
3.
' Als M i n d e s t m a ß werden in einem Reskript (eben aus Antiochien), C. Th. X I I . 1, 33 a. 342, 25 iugera genannt, was u n g e f ä h r der G r ö ß e eines Veteranengrundstückes entspricht, vgl. dazu C. Th. VII. 20,3 a. 320 u. e b e n d a § 8, a. 364; vgl. Α. Η. M. JONES, Later R o m a n Empire, O x f o r d 1964, 737 ff., 752 ff.
I m m u n i t ä t u n d K o r r u p t i o n d e r C u r i a l e n in der S p ä t a n t i k e
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nur durch Korruption realisiert. Insofern hängen Immunität und Korruption der Curialen engstens zusammen. Was in diesem vom antiochenischen Rhetor dargestellten düsteren Bild der östlichen städtischen Gesellschaft des ausgehenden 4. Jh.s in erster Linie auffällt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der er diese Umstände als eigentlich allgemein bekannt betrachtet. Für Geld - offenbar: für sehr viel Geld - kann man sich von den Curialenlasten befreien, und jedermann kennt diese Möglichkeit; das wird nicht als etwas Geheimes, als ein Auswuchs der bestehenden Verhältnisse behandelt. Bedauerlich in den Augen unseres Redners ist nur, daß die Curialen zufolge der sie bedrohenden Mißhandlungen, gerichtlichen Schikanierungen und qualvollen, oft tödlichen körperlichen Strafen 8 dazu gezwungen sind, nicht aber, daß sie - wenn sie es wollen - ihren Wunsch auf diese Weise durchführen können. Libanios selbst rügt jene Curialen, die durch Heiratspraktiken den Bestand der Curien vermindern: Er selbst hat aber ebenfalls vorgezogen, seinen von einer Sklavin geborenen Sohn Kimon eben durch diese außereheliche Verbindung von den Curialenlasten schon im vorhinein zu befreien (und so konnte er auch für seinen Sohn ohne Gefahr Curialengüter aufkaufen, vgl. Or. 32,7)9. Was also Libanios darstellt, ist für die Antiochener ein offenes Geheimnis, oder besser: überhaupt kein Geheimnis. In diesen seinen Betrachtungen steht er aber nicht allein: Was er berichtet, wird durch unsere weiteren rechtlichen und literarischen Urkunden weitgehend bekräftigt. Jetzt wollen wir uns diesen Zeugnissen zuwenden.
II. In der zweiten Hälfte des 4. Jh.s gab es nicht nur in Antiochien, sondern in allen größeren Städten der östlichen und der westlichen Hälfte des römischen Reiches eine breite Schicht wohlhabender Curialen. Libanios' Briefwechsel,
8
Die Frage der körperlichen Strafen und Peinigungen, denen die Curialen ständig ausgesetzt sind, spielt in den Erörterungen Libanios' eine große Rolle, vgl. z. B. Or. 26, 30; 27, 11, 13, 26; 28, I, 4, 24; 29, 10, 24; 33, 4; 46, 7 ff. u. ö.; vgl. J. LIEBESCHUETZ, Antioch. City and imperial Administration in the Later Roman Empire, Oxford 1972, 166 Anm. 4; P. PETIT, a.a.O., 258 ff. - Die kaiserliche Gesetzgebung befaßte sich seit Constantin mit der Prügelstrafe der Curialen, wobei eine ständige Verschlechterung ihrer Lage zu bemerken ist. C. Th. IX. 19, I a. 316 betrachtet noch alle Decurionen frei von der Körperstrafe, ausgenommen den Fall der falsa scriptura, ebenso noch C. Th. XII. 1, 47 a. 359. Aber: ebenda § 75, a. 371 werden nur die principales ausgenommen, ebenso XII. 1, 85 a. 381 ; § 126 a. 392 „principales devoti et nihil debentes". Aber § 117 a. 387 wird im Falle von Unterschlagung und „adscriptiones illicitae" schon die plumbata angewandt, und § 153 a. 397 erlaubt in jedem Fall die ictus plumbatarum den Curialen gegenüber. Das war grausamer als die einfache Todesstrafe, vgl. auch Lib. Or. 46, 7 f.
9
Kimon war aus mehreren G r ü n d e n frei von den Curialenlasten: erstens, weil schon Libanios selbst diese Immunität erhalten hat; zweitens, weil er als Sohn einer Sklavin nicht Curiale werden konnte. Trotzdem wird dem Libanios Mißbrauch des Rechts vorgeworfen, vgl. P. PETIT, a.a.O., 34.
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István Hahn
analysiert von O. Seeck, P. Petit, Α. Pack und J. H. W. G. Liebeschuetz 10 , eingehend ausgewertet auch im monumentalen Werk von Α. H. M. Jones" usw., bezeugt diese Tatsache eindeutig. Und trotzdem muß der Rhetor feststellen, daß von den 600 Curialen, die es noch unter Julian gab, unter Theodosius nur mehr 60, oder noch weniger, übrig blieben 12 . Und diese allgemeine, vielseitig erwiesene Flucht aus dem Curialenstand erfolgte nicht deshalb, weil die Curialen ihre materiellen Verpflichtungen in absolutem Sinne nicht hätten leisten können. Synesius, der vielseitig bekannte Bischof, Philosoph und Staatsmann im nordafrikanischen Kyrene war selber curialer Abstammung und verlor sein Eigentum nur zufolge eines Überfalles der berberischen Auxurianer (Dion 13 = PG 66, 1157); zudem erwies er sich als ein unfähiger Gutsherr, kakos oikonomos (Ep. 133 = ibid. 1521) n . Als Bischof durfte er sich schon jedenfalls den Curialenverpflichtungen entziehen, trotz der diesbezüglichen rechtlichen Restriktionen. Sein Bruder aber, Euoptius, war ausgesprochen reich, und da er es nicht kurzweg erreichen konnte, seinen Namen von der „verdammten Liste der Curialen" entfernen zu lassen, ist er nach Ägypten geflohen; nicht weil er diese Verpflichtungen nicht hätte leisten können, sondern weil er sie nicht leisten wollte 14 . Es gab aber auch solche Curialen, wie ζ. B. Julius aus Kyrene, der durch reiche Geschenke den praefectus Pentapoli Andronicus vollkommen unter seinem Einfluß hielt, als ob derselbe sein Sklave gewesen wäre 15 . Ein Curiale solcher Art sah auch keine Veranlassung, sich von seiner Würde loszusagen. Solche Existenzen gab es auch in Antiochien: Der dortige Curiale Candidus stand in bester Freundschaft mit dem schon öfter erwähnten comes Orientis Icarius, erhielt von ihm die cura annonae und Aufsicht über die Bäcker - eine Curialenaufgabe kat'exochen - , was der schon ohnehin wohlhabende Mann zur weiteren Bereicherung ausnützen konnte (vgl. Or. 29, 27). Weitere konkrete Beispiele - es gibt deren viele! - erübrigen sich aber, da die grundlegenden Tatsachen nicht zu bezweifeln sind. Es sind dies erstens die materiell im allgemeinen noch befriedigende Lage eines großen Teils der Curialen bis zum Ausgang des 4. Jh.s; zweitens trotzdem eine weitgehend bemerkbare Tendenz zur Flucht aus dem Curialenstand sowie drittens die Tatsache, daß diese Flucht vorwiegend und weitgehend durch Bestechung möglich war. Außer den literarischen Zeugnis10
Immer noch grundlegend: O. SEECK, Die Briefe des Libanius zeitlich geordnet, Leipzig, 1906; PETIT, a.a.O.; A. PACK, Curiales in the Correspondence of Libanius, TAPhA 82, 1951, 176ff.;
P.
J . LIEBESCHUETZ, a . a . O .
" A. H. M. JONES, a.a.O., u. derselbe; The Decline of the Ancient World, London 1966, hauptsächlich 282 ff. 12 Lib. Or. 48, 3; 2, 33; 48, 4; 49, 8 - interpretiert von P. PETIT, a.a.O. 323, LIEBESCHUETZ, a.a.O., 174 ff. IJ ... άπό των ϊσων αφορμών έτεροι πλείω τών μετρίων έχουσιν' έγώ δέ κακός οικονόμος, vgl. zu Synesios: CHR. LACOMBRADE, Synesios de Cyrène, hellène et chrétien, Paris 1955; M. V. LEVÍENKO: Pentapol' po pis'mam Sinesia, in: Visantijskij Vremennik 9, 1956, Iff. 14 PG 66, 1345 B. 1457 CD. 15
M . V . L E v è E N K O , a . a . O . 4 1 f.
Immunität und Korruption der Curialen in der Spätantike
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sen ist diese L a g e a u c h a u s den R e c h t s q u e l l e n , n a m e n t l i c h d e m C o d e x T h e o d o s i a n u s , ersichtlich.
III. D e r C o d e x T h e o d o s i a n u s enthält eine stattliche Z a h l v o n R e s k r i p t e n , Edikten, R u n d s c h r e i b e n , V o r s c h r i f t e n , prinzipiellen
E n t s c h e i d u n g e n usw. über
die F l u c h t d e r C u r i a l e n , i n s g e s a m t e t w a 2 0 0 im Z e i t r a u m v o n 3 1 3 bis z u m E n d e des 4 . J h . s . Z w e i B e m e r k u n g e n d r ä n g e n sich a b e r d e m a u f m e r k s a m e n L e s e r dieser kaiserlichen E n t s c h e i d u n g e n auf. E r s t e n s die T a t s a c h e , d a ß diese „ F l u c h t " aus d e m C u r i a l e n s t a n d in d e r M e h r z a h l d e r F ä l l e n a c h o b e n , in eine a u c h rein objektiv günstigere Position erfolgt. I n s g e s a m t 2 5 P a r a g r a p h e n verbieten den Aufstieg in den S e n a t o r e n s t a n d ' 6 ; e t w a dreißig M a l wird die B e f ö r d e r u n g zu v e r s c h i e d e n e n dignitates v e r b o t e n ' 7 ; fünfzehn M a l die Aufn a h m e in v e r s c h i e d e n e K a t e g o r i e n d e r kirchlichen H i e r a r c h i e ' 8 ; elf E n t s c h e i d u n g e n sollen den W e g in die kaiserlichen o f f i c i a u n d die militia P a l a t i n a versperren 1 ''. W e n n alle diese M ö g l i c h k e i t e n - S e n a t o r e n r a n g , dignitates, officia, militia P a l a t i n a , B i s c h o f s a m t , a n d e r e kirchliche W ü r d e n und F u n k t i o n e n - grundsätzlich einen objektiven Aufstieg für die C u r i a l e n b e d e u t e t e n , ist es auffällig, d a ß d a m i t verglichen nur eine m i n d e r e Z a h l d e r kaiserlichen E r lasse sich mit einer e c h t e n „ F l u c h t " - n ä m l i c h in eine tiefer s t e h e n d e gesells c h a f t l i c h - w i r t s c h a f t l i c h e Position - b e f a ß t ' 9 . Lediglich drei V e r b o t e gibt es "
C. TH. X I I . 1 , 1 4 a. 326 (absolutes V e r b o t ) ; § 18 a. 3 2 9 ; § 29 a. 3 4 0 ; § 4 2 a. 3 4 6 ; § 48 a. 361 ; § 57 a. 3 6 4 ; § 58 a. 3 6 4 ; § 65 a. 3 6 5 ; § 69 a. 3 6 5 ; § 73 a. 3 7 3 ; § 74 a. 371 ; § 82 a. 3 8 0 ; § 9 0 a. 3 8 3 ; § 93 a. 3 8 2 ; § 111 a. 3 8 6 ; § 118 a. 3 8 7 ; § 122 a. 3 9 0 ; § 123 a. 391 ; § 129 a. 3 9 2 ; § 130 a. 3 9 3 ; § 159 a. 3 9 8 ; § 160 a. 4 0 4 ; § 180 a. 4 1 6 ; § 182 a. 4 1 6 ; § 183 a. 4 1 8 ; § 187 a. 436. - Diese Verordnungen geben auch eine gewisse Vorstellung über Schwankungen in der diesbezüglichen Politik. Neben strengen und allgemein gültigen Verboten k o m m e n auch Erleichterungen und Ausnahmen vor, namentlich was die schon ( a u f illegale Weise) erreichte Senatorenwürde betrifft; diese wird mehr oder weniger, z. B. im Falle der nachträglichen Erfüllung der Curialenpflichten, oder nach schon erreichter Praetur, praktisch anerkannt, namentlich in der Gesetzgebung von Valentinian und Valens (§§ 58, 69, 73, 74). Theodosius wurde wieder rigoroser, um den Aufstieg der Curialen in den Senat ganz unmöglich zu m a c h e n , vgl. die §§ 9 0 ff. Die strengen Verbote konnten a b e r auch jetzt nicht konsequent durchgesetzt werden, eben wegen des großen Einflusses der interessierten P e r s o n e n ; die strengen Vorschriften von § 159 a. 398 (Arcadius) wurden schon im § 160, a. 4 0 4 teilweise rückgängig gemacht. " C. Th. X I I , 1 , 4 a . 3 1 7 ; 14a. 3 2 6 ; 2 0 a . 331 ; 2 4 a . 3 3 8 ; 2 5 a . 3 3 8 : 2 6 a . 3 3 8 ; 2 7 a . 3 3 9 ; 3 4 a . 3 4 2 ; 3 6 a . 3 4 3 ; 41 a. 3 5 3 ; 42 a. 3 5 4 ; 4 4 a. 3 5 8 ; 65 a. 3 6 5 ; 71 a. 3 7 0 ; 86 a. 381 ; 87 a. 381 ; 9 4 a. 3 8 3 ; 98 a. 3 8 3 ; 106 a. 3 8 4 ; 110 a. 3 8 5 ; 116 a. 3 8 7 ; 118 a. 3 8 7 ; 122 a. 3 9 0 ; 143 a. 3 9 3 ; 150 a. 3 9 5 ; 152 a. 3 9 6 ; 153 a. 3 9 7 ; 187 a. 4 3 6 ; 188 a. 436. N B : Einige Reskripte beziehen sich sowohl a u f den Senat als auch a u f die dignitates. 18
C. Th. X V I . 2, 3 a. 3 2 0 ; 6 a. 3 2 6 ; X I I . 1, 49 a. 361 ; 50 a. 3 6 2 ; 59 a. 3 6 4 ; X V I . 2, 19 a. 3 7 0 ; 21 a. 3 7 1 ; X I I . 1 , 9 9 a. 3 8 3 ; 115 a. 3 8 6 ; 121 a. 3 9 0 ; 123 a. 3 9 1 ; 163 a. 3 9 9 ; I X . 4 5 , 3 a. 3 9 8 ; X I I . 1, 172 a. 410. - Das Schwanken zwischen extremer Strenge und Nachgiebigkeit ist hier ebenso wie bei den profanen Möglichkeiten des Aufstiegs und E n t k o m m e n s aus dem Curialenstand gut zu bemerken.
"
Von unserem Standpunkt werden hier die Verordnungen über den Eintritt der Curialen ins Heer (militia armata) nicht berücksichtigt, da dies kein ausgesprochener Aufstieg, a b e r auch kein gesellschaftlicher Niedergang war; insgesamt befassen sich etwa 30 Verordnungen des C. Th. mit dieser Frage.
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f ü r den Eintritt in die kaiserlichen fabricae, nur zwei nehmen den vollkommenen materiellen Ruin in Form der cessio b o n o r u m in Betracht. Viermal wird der Eintritt in die handwerklichen Kollegien verboten (und demgegenüber f ü n f u n d z w a n z i g Mal der Eintritt in den Senat!), u n d auch der Übertritt in das patrocinium eines größeren Herren wird lediglich viermal als reale Möglichkeit, den Curialenlasten zu entweichen, ins Auge gefaßt 2 0 . Der rechtliche u n d gesellschaftliche Aufstieg aus dem Curialenstand war aber ohne viel Geld nicht zu erreichen. Das desto weniger, weil - u n d das ist unsere zweite Bemerkung - fast alle diesbezüglichen Rechtsentscheidungen diesen Aufstieg bzw. die erstrebte neue dignitas in einer Weise f ü r fiktiv halten - oder wenigstens als unmotiviert, ungerechtfertigt, objektiv unnötig betrachten - als ob das die natürlichste Sache der Welt wäre. Da lesen wir über: vacatio indebita (C. Th. XIII. 1), h o n o r indebitus (ibid. 4), suffragium c o m p a r a t u m egregiatus (ibid. 5), über a d u m b r a t u m nomen dignitatis vel falsi honoris (ibid. 19), empta dignitas et immeritus h o n o r (ibid. 25), über Leute, die indebitae dignitatis ínfulas f o e d a familiaris rei vexatione mercantes honores imaginarios adipiscuntur (ibid. 27): als wenn diese dignitates ausschließlich auf k r u m m e n Wegen zu erreichen gewesen wären bzw. als ob es nur fiktive, nicht aber auch objektiv nötige u n d subjektiv verdiente E r n e n n u n g e n gegeben hätte. Diese Erlasse sprechen nämlich nicht d a r ü b e r , d a ß etwa nur ein Teil dieser dignitates usw. fiktiv oder erkauft wäre, u n d d a ß nur die auf diese Art erworbenen Immunitäten verboten wären. Es wird nirgends eine Untersuchung eingeleitet, um deren Gerechtfertigtheit nachzuprüfen. N e i n : Der Kaiser ist vollkommen überzeugt davon, d a ß diese Immunitäten nur durch K o r r u p t i o n zu erreichen sind. Was Libanios in Antiochien so gut wußte, war auch in Konstantinopel kein Geheimnis; und wenn der fiktive Eintritt in den Senat auch das f ü n f u n d zwanzigste Mal verboten wurde, wußte m a n o f f e n b a r , d a ß die vorangehenden vierundzwanzig strengen Verbote nicht genügend wirksam waren.
IV. Da drängen sich aber einige weitere Beobachtungen auf. Auch die bisherigen Bemerkungen haben gezeigt, d a ß die Curialen in bezug auf ihr Verhältnis zu ihrem Gesellschaftsstand u n d zu ihren d a r a u s resultierenden Pflichten, Bürden u n d Schwierigkeiten in drei große G r u p p e n zu teilen sind: 1. Ein Teil der Curialen - allem Anschein nach eine Minderheit - war mit sei20
Eintritt in die H a n d w e r k e r c o l l e g i e n : C. Th. XII. 1, 37 a. 344; 62 a. 364; 81 a. 380; 162 a. 399. Fabricae: C. Th. XII. 1, 38 a. 344; 81 a. 380; X. 22, 6 a. 412. - P a t r o c i n i u m : C. Th. X I I . I, 33 a. 342; 50 a. 362; 114 a. 386; 146 a. 395. Cessio b o n o r u m : C. Th. XII. 3, I a. 386; 2. a. 423. - Es ist leicht zu b e m e r k e n , d a ß die Erscheinungen des eindeutigen Niedergangs in den letzten J a h r e n des 4. Jh. und am A n f a n g des 5. Jh. häufiger werden.
I m m u n i t ä t u n d K o r r u p t i o n d e r C u r i a l e n in der S p ä t a n t i k e
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ner Lage grundsätzlich zufrieden u n d sah noch darin, alles zusammengerechnet, mehr Vorteile als Nachteile, G e f a h r e n und Schwierigkeiten. Dazu gehören einige schon namentlich erwähnte Personen. Im allgemeinen setzt sich diese „positiv eingestellte" G r u p p e aus den mächtigsten (reichsten u n d vornehmsten, auch einflußreichsten, t o n a n g e b e n d e n ) Curialen der größeren Städte zusammen, den sogenannten principales 2 1 . Diese sind es, die „aus der allgemeinen Verarmung der Curien sogar Nutzen z i e h e n " (vgl. Libanios Or. 26, 16; 48, 15) u n d deshalb bewußt das Z u s a m m e n s c h r u m p f e n der Curien begünstigen: je weniger „principales" im Rate sitzen, desto mehr materielle Vorteile können sie sich verschaffen 2 2 . Ein Teil dieser principales stützt sich auf ihren ererbten Reichtum und den traditionellen Familieneinfluß, ein anderer Teil auf persönliche Eigenschaften, rücksichtslose Ausnutzung aller Möglichkeiten, Inbegriffen die (korrupte) Verbindung mit den Repräsentanten der staatlichen M a c h t ; wenn im Oriens Libanios an der Selbstsucht u n d Gewalttätigkeit einzelner Curialen viel auszusetzen hat; wenn in Africa Synesius ebenfalls einzelne Curialen wegen ihrer Willkür a n p r a n g e r t ; und wenn in Gallien Salvianus eben die Curialen als T y r a n n e n mit den härtesten Worten angreift 2 3 - so ist immer von derselben G r u p p e der principales, der leitenden Persönlichkeiten der größten städtischen Zentren die Rede. 2. Ein weiterer, viel zahlreicherer Teil der Curialen sah sich - namentlich seit Constantin 2 4 bis zum Ausgang des 4. Jh.s - schon dazu genötigt, sich von seinen (nicht vorwiegend materiellen) Belastungen zu befreien, war aber noch dazu fähig, sich diese Flucht „ n a c h o b e n " , in eine gehobenere gesellschaftliche Stellung zu e r k a u f e n : Dazu gehören die „ e i n f a c h e n " , nicht „ l e i t e n d e n " Curialen der größeren Zentren - u n d fast alle in den kleineren, wirtschaftlich
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Zu
den
p r i n c i p a l e s in A n t i o c h i e n
v g l . P. PETIT a . a . O . 8 2 f f . , 3 2 1 f f . ; LIEBESCHUETZ a . a . O .
171 ff.,
181 ff. - Die Differenzierung innerhalb der Curia war ein langer Prozeß, der schon im 3. Jh. den Decemprimat bzw. die Dekaprotie hervorbrachte, vgl. O. SEECK, Klio I, 1901, 147 ff., und im 4.Jh. auch in der Gesetzgebung eine große Rolle gespielt hat, vgl. C. Th. XII. I ; 61, 75, 77, 79 u. ö. Über die Vorzüge der Lage der Prinzipalen, weshalb sie auch die Zahl der Curialen niedrig halten wollen, vgl. Lib. Or. 48, 4; 49, 4 u.ö., J. LIEBESCHUETZ, a.a.O., 184f. In der Rede 48, 40 beschuldigt Libanios die „erstklassigen" Curialen, jene der zweiten und dritten Klasse bewußt zugrunde zu richten; diese letzteren wagen nicht einmal, ihre Stimme im Rate hören zu lassen, vgl. Or. 35 „ C o n t r a dicere nolentes" u. 62 „ad institutionis irrisores". Den bekannten Satz des Salvianus: „Quot curiales tot t y r a n n i " - vgl. dazu Priscianus, Paneg. in Anastasium 193 ff.: Agrícolas miserans dispendio saeva relaxas / Curia perversis nam cessai moribus omnis ... - interpretiert M. ROSTOVTZEFF, Ges. u. W. d. Rom. Kaiserzeit II. 234: „Die Kurialen waren Sklaven der Staatsverwaltung, aber Herren der Bevölkerung der S t a d t . . . " ; über Mißbräuche der Curialen (außer dem antiochenischen Material) vgl. noch (Pseudo-)Prosper, Carmen de Providentia, PL 51, 618 u. 637; in der Gesetzgebung: C. Th. XII. 1, 25 a. 338; XII. 6, 22 a. 386; XIV. 26,1 a . 4 1 2 = C. J. XI. 28,1 : Ut curialibus praedae auferatur occasio ... iubemus eos ad huiusmodi sollicitudinem adfectandam n u m q u a m accedere ... Libanios ist der Meinung, der Niedergang der Curien habe mit Constantin und der G r ü n d u n g der neuen Hauptstadt und ihres Senats begonnen, Or. 49, 2, und habe mit Theodosius den Höhepunkt erreicht, vgl. Or. 49 passim. Seit dem Ausgang des 4. Jh. hat die Möglichkeit nach oben zu flüchten aufgehört.
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stagnierenden oder in Regression befindlichen städtischen Zentren 25 . Libanios spricht mit Wehmut über solche einst bevölkerte Städte, wie z. B. Emesa, die sogar ihren städtischen Rang zufolge des Dahinschwindens ihrer Curie eingebüßt haben 2 6 ; auch Ammianus Marcellinus (27,7,6) bemerkt, daß es im Westen viele Städte mit weniger als drei Ratsherren gibt. 3. Mit dieser Gruppe verglichen gibt es im 4. Jh. nur eine Minderheit solcher Curialen - deren Zahl aber seit Theodosius und namentlich im 4. Jh. schon ständig wächst - , die zufolge ihrer Lasten und der verschiedenen Schikanierungen vollkommen zugrunde gegangen sind und durch Verlust ihres Vermögens als deklassierte Elemente in der physischen Arbeit, als Colonen, collegiali oder fabricenses ihre Zuflucht suchten, oder als Extremfall sich in (fiktive?) Sklaverei verkauften 27 .
V. Diese - versuchsweise vorgetragene und gewiß ganz grobe - Kategorisierung der spätrömischen Curialen weist aber auf einen weiteren Aspekt ihres Verhältnisses zum Phänomen der Korruption hin. Dem Curialenstand mit Würde zu entfliehen benötigte, wie erwiesen, ein gerüttelt Maß an Korruption. Aber auch im Curialenstand zu verbleiben ohne zugrunde gerichtet zu werden, gelang nicht ohne die verschiedenen Methoden der Korruption. Wendige Curialen fanden die Möglichkeit, gleichzeitig als aktive (korrumpierende) und passive (korrumpierte) Faktoren an diesem Prozeß teilzunehmen. Dazu gehörte erstens Vermögen, sodann Einfluß und gute Verbindungen und endlich eine gewisse Tüchtigkeit und Findigkeit. Denn es wäre, um in Antiochien zu bleiben, wo die konkreten Verhältnisse durch Libanios uns am besten bekannt sind, eine grobe Vereinfachung der Lage, wenn alle dortigen Repräsentanten der Staatsmacht, in erster Linie die comités Orientis und dann die consulares Syriae kurzweg als korrupt und bestechlich bezeichnet würden. Dem gehaßten Tisamenos, consularis Syriae, gegen den er eine spezielle Anklageschrift dem Kaiser Theodosius eingereicht hat, gesteht Libanios zu, nicht bestechlich zu sein. Seine diesbezügliche Feststellung ist sehr fein nuanciert: „Vielleicht wird mich j e m a n d fragen, ob dieser Mensch bestechlich ist. Wenn er auch nicht bestechlich ist, mit seinen Untertanen aber auf solche Weise umgegangen 25
26
27
S. MAZZARINO, Aspetti sociali del quarto secolo, Bari 1951, 248 ff., 256, vgl. auch P. PETIT, a.a.O., 313, 337. Or. 27, 42; Ep. 846: "Ετι πρέσβεις "Εμεσα πέμπει και στεφάνους βασιλεΟσιν είδυΐα μέν την εαυτής πενίαν, αίσχυνομένη δέ όμως τοΟ των πόλεων έκπεσειν άριθμοϋ ... Es gibt Städte, wo nur ein einziger Curiale übrig geblieben ist: er treibt die Steuer ein und sorgt für die Heizung der Thermen, vgl. Or. 1, 34; 49, 31 ff. Zu dieser Möglichkeit vgl. C. Th. XII. 1, 92 a. 382 u. 146 a. 395.
Immunität und Korruption der Curialen in der Spätantike
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ist, wie ich es soeben darstellte - kann ein solcher Bösewicht als redlich betrachtet werden, nur weil er nicht dem Gelde zuliebe Böses anrichtete? Ich behaupte also nicht, daß er „ a n n i m m t " - sondern daß andere durch ihn (Bestechung) erhalten . . . und tagtäglich dadurch zu Gewinn kommen . . . Wie denn? Wenn das Gold nicht unmittelbar in seine Hände gerät, sondern in die Hände seiner Beauftragten - wurde so die Gerechtigkeit durch Bestechung weniger zugrunde gerichtet?" (Or. 33,38)
Auch anderen hohen Funktionären wird von unserem Rhetor materielle Integrität eingeräumt. Über den grausamen Icarius sagen nicht einmal seine Feinde, daß er „den Gesetzen zuwider etwas angenommen oder erfordert hätte, oder hübschen Frauen nachgelaufen, oder ein Langschläfer gewesen wäre" (Or. 27,2), um so korrupter sind aber - wie auch im Falle des Tisamenos - seine Mitarbeiter. Im Zusammenhang mit einer mysteriösen Geldaffäre (für die Stadt Seleukeia bestimmte Hilfsgelder wurden „versehentlich" nach Karthago expediert) ruft er in seiner Rede gegen Tisamenos: „ W a s aber den Gewinn jenes Kumpanen betrifft, der angeblich Seleukeia helfen wollte, in der Tat aber Karthago Nutzen gebracht hat - was glaubst du, wissen das die Antiochener nicht, oder kümmern sie sich nicht darum, oder brauchen sie Orakel, um festzustellen, wer alle diese Bestechung eingerafft hat, die dir - um die Wahrheit zu gestehen - außer der Schande nichts sonst eingebracht hat, jenen aber diese unerhörte Summe Geld, welche sie auf unverschämte Weise sich schon immer gewünscht hatten" (Or. 27,20).
Im Schatten des mächtigen Mannes versteckt finden sich auch in diesem Fall die Hintermänner, die sich - von ihm beschützt - durch Bestechungsgelder bereichern können und gegebenenfalls ihrem Gönner auch nicht undankbar sind. Andere Notabilitäten waren weniger zimperlich: Jedenfalls ist für die allgemeine Auffassung und sittliche Lage bezeichnend, daß das Problem der Bestechlichkeit bei jedem Statthalter aufgeworfen wird, und daß j e m a n d , der unbestechlich ist - oder diesen Anschein mehr oder weniger bewahren kann - größeres Aufsehen erregt als der Bestechliche.
VI. Die Korruption ist aber ein viel weiter verzweigtes Phänomen, als daß es nur als handgreifliche Bestechung der Staatsbeamten erschiene: Es gibt viel subtilere Variationen dieser Erscheinung. Das diesbezügliche Zauberwort ist: charts - im klassischen Griechisch: Dank, Dankbarkeit, Gefälligkeit bzw. Liebesdienst, im Wortschatz des Libanios fast eindeutig: illegales Geschenk, Korruptionsgeschenk, Gegenleistung für illegale Begünstigung 2 8 . In einer Rede über eine spezifische Methode der Korruption, nämlich die Aufwartungen
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LIDDELL-SCOTT, Dictionary s. v. charis, S. 1978 f. gibt in peiorativem S i n n : „partiality, f a v o u r " , „ a favour done or r e t u r n e d " , „grant made in legal f o r m " , - bei Libanios bedeutet es a b e r schon etwa „grant made in illegal f o r m " , „ b r i b e r y " u. ä.
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bei den staatlichen Würdenträgern, wobei immer auch Geschenke dargebracht wurden, führt der Rhetor diese Bedeutung des Wortes folgendermaßen aus: „Einige könnten sagen, d a ß es auch solche charités („Gefälligkeiten") gibt, welche überhaupt nicht den Gesetzen widersprechen. - Wenn aber solche „Gefälligkeiten" den Gesetzen entsprechen, m u ß man ihnen einen andern N a m e n als charités geben. Wenn ich nämlich so etwas a n n e h m e , das mir laut den Gesetzen gebührt, wie könnte das als charis bezeichnet werden? Woher stammt überhaupt diese Benennung für diese Handlung? Wer ein „Freundschaftsgeschenk" erhält, m u ß es natürlich auf irgendwelche Weise erwidern; einem Richter aber, der den Gesetzen zu dienen hat, gebührt dafür keine Erwiderung: Er tat nur das, wozu ihn sein Amt verpflichtete." (Or. 51,26)
Der Gedankengang ist nicht ganz überzeugend - aber um so bezeichnender für die dortigen Verhältnisse: Jede „Freundschaftserweisung" wird als Bestechung begriffen, weil die Korruption meist im Gewände von Freundschaftsbzw. Ehrenbezeigung erscheint; deshalb sind alle charités rechtswidrig, χάριτες πονηραί (Or. 51,8). Diese können dem Statthalter und seinem Personal auf mannigfache Weise dargeboten werden: Anläßlich der frühmorgendlichen Aufwartungen, wo Geschenke sogar erwünscht waren; als Erwiderung von persönlichen Einladungen, oder im Gegenteil, als Ergänzung einer Einladung ins eigene Haus 29 ; Geschenke können bei Festgelagen, aber auch in den städtischen Thermen dargebracht werden, gleichzeitig mit dem Einreichen eines Gesuches (vgl. Or. 51,9). Ein sehr beliebter Anlaß für Korruptionsgeschenke waren die öffentlichen Urteilssprüche, wo die Curialen als Assessoren, Sachverständige oder Fürsprecher fungierten und anwesend sein konnten. Die Öffentlichkeit der richterlichen Funktionen war augenscheinlich eines der beliebtesten Felder der Korruption und der Beeinflussung der Richter; die Anwesenheit fremder Personen an den Verhandlungen der Justiz wurde eben deshalb auch öfter gesetzlich verboten 30 . Gesetzverletzungen dieser Art sind auch in den Augen Libanios' die wichtigste Quelle, illegalen Reichtum zu erwerben (vgl. Or. 26,3; ebenda §§ 15 f. usw.). Es gibt auch weitere Methoden. Die Gunst des Icarius der Dame Antipatra gegenüber - der zuliebe er einen Curialen halbtot ausgepeitscht hat - wurde im antiochenischen on-dit als „Gegenleistung für nächtliche Liebesdienste" erklärt; Libanios, der etwas früher demselben Icarius in dieser Hinsicht Unschuld zuerkannte, ist sich dessen auch jetzt nicht gewiß, findet aber die Geschichte glaubhaft (vgl. Or. 28,11). Diese Methode der mittelbaren, mehr oder 29
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Or. 51, „adversus assidentes magistratibus"; Or. 52 „adversus ingredientes domos magistratuum", und Or. 53 „de festorum invitationibus", mit sehr charakteristischen Darstellungen der fast obligatorischen Korruption. Eine wichtige Behauptung Or. 51, 20: Έξεστι γάρ, νή Δία, και παροϋσι και δεομένοις μή διδόναι χάριτας. εξεστι μέν, άλλ' ού ράδιον. μεγάλας γάρ άνάγκας εχουσιν αί δεήσεις ... δια τούτων ηττάται πολλάκις ό δικαστής, διά ταΟτα δίδωσιν ά μή βούλεται. ... C. Th. I. 16, 7 a. 331; 10 a. 365; Il a. 369; 13 a. 377; vgl. P . P E T I T , a.a.O., 259 u. 377.
Immunität u n d Korruption der Curialen in der Spätantike
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weniger getarnten Korruption waren mannigfach. Der comes Orientis Modestus ließ sich schon i.J. 358/359 sein eigenes Haus auf Kosten und teils mit dem Arbeitsaufwand der Curialen bauen. In einem an ihn gerichteten Brief behandelt Libanios die unangenehme Angelegenheit mit leichter Ironie (vgl. Ep. 196): Er beglückwünscht den Statthalter für das prächtige Heim, unterstreicht aber, daß nicht nur Erfolg wichtig ist, sondern auch der dazu führende Weg, wobei man niemandem Unrecht zufügen darf: jetzt aber gebe es solche, die wegen des Hausbaues stöhnen (νΟν γε είσιν οί στένουσιν); die zum Bau nötigen Säulen seien teils als Freundesdienst (charis) erbeten worden, teils als Zwangsarbeit befohlen; die Leute, namentlich die Ratsherren fürchteten nicht wenig, d a ß der sogenannte Freundesdienst (ή νΟν καλούμενη χάρις) in der Zukunft auf G r u n d dieses Beispiels zu einer Fronarbeit werde. Das schlechte Gefühl würde nur d a n n verschwinden, wenn Modestus eindeutig erklären würde, daß diese Freundesdienste freiwillig sind. Der Brief ist charakteristisch für die prekäre Lage eines Repräsentanten der Curialen, einem sonst gutwilligen, ihm auch persönlich befreundeten Statthalter gegenüber, der eben nur „ein wenig" korrupt ist. Einige Jahre später war der comes Orientis Anatolius ebenfalls nicht offen korrupt: Er fordert keine Geschenke, nimmt aber solche spontane Liebenswürdigkeiten gerne an und ist auch für dieselben offensichtlich dankbar (vgl. Ep. 19 u. 333; in Ep. 578 kritisiert der Rhetor den Statthalter ganz offen wegen seiner Heucheleien und seinem Wunsch, für seine korrekte Lebensweise auch noch heuchlerisch belobigt zu werden). Eine weitere Methode bestand darin, durch Mittelsmänner die benötigten materiellen Zuwendungen zu erhalten; eine in dieser Hinsicht bekannte und berüchtigte Person war „ M i x i d e m o s " - wahrscheinlich ein Spitzname - , dessen Wirken in Or. 39 dargestellt wird. Er tritt als Patron der Bauern in den noch freien „großen D ö r f e r n " (μεγάλαι κωμαι) auf, übernimmt die Steuereintreibung, verspricht seinen Klienten Steuererlaß und bereichert sich auf diese Weise; auch übernimmt er den Schutz vor Gericht und hilft seinen Mandanten „nicht darin, daß die gerechte Sache, sondern daß die ihm Nutzen bringende Partei den Sieg erfechten soll" (Or. 39,12); die Bestechungsgelder verschafft er sich teils durch offene Bitten, teils durch Drohungen. Er hat aber zum „ a r c h o n " - einem hier nicht namentlich genannten Repräsentanten der Stadt - solche Verbindungen, d a ß er ihn sogar nachts wecken k a n n ; mit den so erhaltenen Informationen eilt er zum Richterstuhl des Statthalters sein Lohn ist reich: Silber, Gold, Bekleidung, Sklaven, Rosse - was er nur will. Er spielt die verschiedenen Machthaber gegeneinander aus - das Militär gegen die zivilen Richter, die Mächtigeren gegen die niedriger Gestellten, und alles das durch reiche Geschenke: Wildpret, Wein, Geflügel. Jetzt ist er reich geworden, ein wohlhabender Gutsbesitzer: „Dieses Gut aber entstammt, wie ich ahne, solchen und ähnlichen Praktiken; denn was sie alles bei Nacht und Nebel miteinander ausmachen, was er alles gibt und nimmt -
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dessen Ergebnis ist sein Landgut" (Or. 39,14). Ein anderer Typ desselben Schlages war der Curiale Pherenikos; er wurde von Icarius mit dem Überwachen der städtischen Bäcker betreut; wer ihn aber nicht mit vielem Geld bestochen hatte, bei dem fand er immer falsche Maße, wenigstens „ein einziges" allzu kleines Laib Brot - und der Ärmste wurde sogleich ausgepeitscht (Or. 27,11): Ob Icarius selbst mit im Spiel war, läßt Libanios offen. Diese und ähnliche Vorfälle, die wir grundsätzlich für typisch halten können, machen es auch verständlich, daß Libanios - auch aus Vorsicht - konkret keinen einzigen Statthalter wegen Korruption angreift, aber im allgemeinen feststellen muß, daß „man überall Geld fordert, überall annimmt, und nie damit befriedigt ist" (Or. 39,10). Die Korruption ist eine allgemeine Erscheinung. Die Ärzte übernehmen für Geld, eine unbequem gewordene Gattin zu töten (Or. 37,3)" ; die Gefängniswächter geben den Gefangenen nur für Goldstücke zu essen - oder nehmen ihnen sogar den Rock ab (Or. 33,30 ff.), die Offizialen erteilen für Geld Protektionsbriefe für die Rechtsschule von Berytus, wo man (ebenfalls für Geld) die Immunität garantierende juristische Studien treiben kann (vgl. Or. 27,22; 39, 17; 40, 4ff.).
VII. Wie leicht ersichtlich, sind die Curialen teils Opfer, teils aber auch Nutznießer dieser allgemeinen Korruption. Sie müssen den Machthabern reiche Geschenke geben, erhalten aber solche auch selbst von den ihnen ausgelieferten, von ihnen jedenfalls mehr oder weniger abhängigen „einfachen" Bürgern niedrigeren Standes. Ob Libanios, der strenge Sittenrichter, vollkommen frei von diesen Machenschaften war, ist zumindest fraglich. Nach dem Aufstand in Antiochien vom Jahre 387, als auch die Statuen des Kaisers zerstört wurden, mußte eine Gesandtschaft den Kaiser aufsuchen, um seine Verzeihung für die Stadt zu erringen; für die schwierige, kostspielige und gefährliche Aufgabe wurden etliche Curialen ausgewählt; einem von ihnen, Thrasydaios, verschaffte Libanios - mit Berufung auf sein Alter und seine Gichtkrankheit - Befreiung, während Menedemos, ebenso alt und kränklich, der Pflicht nicht enthoben wurde: Er fragte dann ironisch, „für wieviel Geld der Rhetor dieses Zuhausebleiben verkauft habe" πόσου τοίνυν άπεδόμην τήν μονήν (Or. 32,7) - Libanios mußte sich mit einer ganzen Rede reinwaschen (Or. 32). Wenn aber Libanios für solche Dienste Bestechung (in welcher Form immer) angenommen hat, mußte er einen Teil derselben den eigentlichen ausführenden Organen übergeben. Die Curialen waren den Statthaltern und ihrem (offiziellen und illegalen) Personal ebenso ausgeliefert, ohne irgendwelche leJl
Or. 37, 3 ... τούτοις προσέθηκας της μητρός της έκείνου τόν κόσμον, ôv ίατρω τινι δοθηναι μισθόν τοΟ θανάτου της ούσης αύτω γυναικός. ...
I m m u n i t ä t u n d K o r r u p t i o n d e r C u r i a l e n in d e r S p ä t a n t i k e
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gale Kontrolle ausüben zu können (abgesehen von den Hilfegesuchen an noch höhere staatliche Instanzen) - wie auch einzelne Curialen den „einfac h e n " Bürgern (Handwerkern, Händlern, freien Bauern, allen Steuerzahlenden) gegenüber eine ebenso unkontrollierte Macht ausgeübt haben.
VIII. Zur subjektiv als untragbar empfundenen Lage der Curialen gehörte auch ein eigentümlicher, aber unleugbarer Zug der kaiserlichen Verwaltung: Eine zur Schau getragene Sympathie den schwächsten Existenzen gegenüber, eine Parteinahme für die wirtschaftlich schwachen Personen. Die kaiserlichen Edikte und Reskripte heben gerne die spezielle Fürsorge der plebs, der quieta et innocens rusticitas gegenüber hervor (vgl. C. Th. I. 29, 1 ff.). Zu diesem Zweck wurde auch von Valentinian I. das Amt des defensor civitatis begründet 32 . Eine gewisse Aufrichtigkeit der Gründung und Betätigung dieser Institution ist nicht zu leugnen - diese ganze Tendenz aber erschwerte von einer neuen Seite her die Lage der Curialen. Sie gab den Repräsentanten des Staates die Möglichkeit, die Sorge um das „gemeine V o l k " als Mittel für ihre eigene Popularität im Interesse solcher Personen und Gruppen auszunützen, die geeignet schienen, die allgemeine Stimmung zu beeinflussen: Wanderphilosophen, Schauspieler, Mimen, die sogenannte „ C l a q u e " der Theater und Zirkusse usw. Libanios bietet auch dafür einige Beispiele". Ein armer Curiale wurde ausgepeitscht, weil er von einem wohlhabenden Philosophen die Steuer streng eingetrieben hatte (Or. 28,7); der schon öfter apostrophierte Icarius war „gnädig den Sklaven gegenüber", ließ aber einen vornehmen, jedoch verarmten Curialen wegen Vernachlässigung der Heizung im städtischen Bad zu T o d e peitschen (ebenda). Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß solche Schikanierungen der Curialen seitens der Mächtigen eben nur das Ziel hatten, von ihnen Bestechungsgelder und -gesten auf diese Art zu erpressen. Nicht die legalen staatlichen Lasten waren untragbar, sondern die wiederkehrenden kleineren und größeren Schikanen, die nur von den Wohlhabenden (vornehmlich den principales) durch fast ständige Bestechung und „Dienstleistungen" abzuwehren waren: Dann war es aber lohnender, eine einmalige größere Summe zu opfern, um in den Kreis der endgültig und vollkommen immunen, privilegierten Personen zu kommen! Das weithin in das republikanische Zeitalter zurückreichende und mit dem Kaisertum einen neuen Aufschwung erreichende System des patrocinium gab
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J. HOEPFFNER, Un aspect de la lutte de Valentinien I. contre le sénat. La création du defensor piebis. Rev. Hist. 182, 1938, 2 2 5 f f . ; P. PETIT, a.a.O., 7 8 f f .
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J . LIEBESCHUETZ, a . a . O . , 2 7 8 ff.
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dafür hervorragende Möglichkeiten 34 . Die Briefe des Plinius, des Fronto usw. geben für dieses System der wohlwollenden Befürwortungen ein reiches Inventar. Ein großer Teil der Briefe des Libanios befaßt sich ebenfalls mit solchen Fragen, und namentlich in jenem Bereich der gelegentlichen, ephemeren oder ständigen Atelien, Immunitäten, Ernennungen, juristischen Studien, bezüglich deren er im allgemeinen die größten Beschwerden anmeldet 35 . Sein prinzipieller Standpunkt war - auch im Gegensatz zu dem von ihm hoch verehrten Kaiser Julian - , daß nicht die Immunitäten und die Flucht der wohlhabenden Curialen zu bekämpfen seien, sondern jene Zustände, welche eine solche Flucht motivierten. So ist es auch verständlich, daß er gegebenenfalls dem Kaiser Julian auf die taktvollste Art erklärt, daß sein protégé aus mehreren Gründen eine vorübergehende Immunität nicht annehmen könne, sondern nur durch die Ernennung auf einen ständige Freiheit garantierenden Posten zu befriedigen sei36. Jedenfalls: Protektion war für die Ernennung auf welchen Posten immer unumgänglich, ohne Suffragatio kam man schon längst nicht mehr vorwärts, und wenn diese Befürwortung mit Geld bezahlt oder anderweitig erwidert wurde (ungeachtet dessen, ob dieses Honorar ausdrücklich gefordert oder spontan geschenkt wurde) - so riecht das alles stark nach Korruption. Und an solchen fiktiven oder realen Ernennungen waren in erster Linie Curialen interessiert. Die hier nur andeutungsweise aufgezählten Typen der Korruption im Zusammenhang mit der vielseitigen Tätigkeit der am antiochenischen Material dargestellten Curialen erweisen ein breites Spektrum der diesbezüglichen Möglichkeiten und passen in jenes düstere Bild der spätrömischen Gesellschaft, das schon von den großen Moralisten dieser Zeit: Ammianus Marcellinus, Johannes Chrysostomos, Salvianus, Theodoretus Cyrus u.a. umrissen, und dann von O. Seeck, A. Alföldi u.a. systematisch ausgebreitet wurde 37 · Wenn wir von den übrigen bekannten Mißbräuchen, Raub und Unterschlagung staatlicher Gelder, Extorsionen usw. absehen, und den Begriff der Kor14
Die wichtige Rede des Libanios „ D e patrociniis" (Or. 47) behandelt einen speziellen Typ der Korruption, indem die Colonen gegen ihre G r u n d h e r r e n - und im konkreten Fall die jüdischen Pächter des Libanios gegen ihn selbst - die Hilfe des Militärs erkauften. Die bestochenen Soldaten verhinderten das Eintreiben der Pachtzinsen und der Steuer von den Bauern - und bekamen d a f ü r reiche Geschenke; vgl. J. HARMAND, Libanius, Discours sur les patronages, Paris 1955; J. M. CARRIÉ, Patronage et propriété militaire au IV e s., Bull. Corr. Hell. 100, 1976, 159ff. ¡s Die juristischen Studien sind gefährlich, weil sie von der griechischen Kultur, Sprache und Rhetorik abwenden, und weil sie die Möglichkeit einer Laufbahn in den officia und somit Befreiung von den Curialenlasten bieten. Vgl. Ep. 959, wo er für seinen Sohn Kimon eine Advokatenstelle erbittet, um ihn von den Curialenlasten zu befreien. " Or. 14 Ad lulianum pro Aristophane, kommentiert bei P. PETIT, a.a.O., 61 f. Ammianus Marcellinus schildert eigentlich eher die Brutalität und grenzenlose Willkür der Machthaber als ihre K o r r u p t i o n ; für Libanios sind die beiden - Grausamkeit, Brutalität einerseits, Korruption, Bestechlichkeit andererseits - einander gegenseitig stärkende P h ä n o m e n e ; einige grundsätzliche Bemerkungen zu seinen Äußerungen P . P E T I T , a.a.O., 258f.; A . A L F Ö L D I , A conflict of Ideas in the Late R o m a n Empire, Oxford 1951 gibt eine allgemeine Darstellung des Verfalls der Sitten, der die äußerste Strenge Valentinians motivierte.
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ruption im engsten Sinne nur als aktive, unmittelbare oder mittelbare Bestechung verstehen, so sahen wir bei den Curialen einen echten Z w a n g zur permanenten Bestechung, erstens um die Repräsentanten des Staates im allgemeinen bei guter Laune zu halten; zweitens um dieselben in ihren Entscheidungen bzw. Richtersprüchen in günstiger Richtung zu beeinflussen; drittens um selbst nicht vielfältig schikaniert und im Ernstfall zu T o d e geprügelt zu werden; und endlich viertens um sich durch ihre Hilfe eine Atelie, Immunität, womöglich auch einen entsprechenden staatlichen, militärischen oder kirchlichen Posten zu verschaffen und sich dadurch endgültig aus der prekären Lage zu befreien. Sie müssen bezahlen, solange sie Curialen sind, und wiederum zahlen, um nicht Curialen zu bleiben.
IX. Wie kam es aber zu einer solchen Überwucherung der Korruption, namentlich im Zeitalter des sogenannten Dominais? Womit ist der augenfällige Unterschied zum vorangehenden Zeitalter des Prinzipats zu suchen? K ö n n e n und dürfen wir uns mit Kategorien wie allgemeiner Sittenverfall, Tendenz zum Privatisieren oder ähnlichem begnügen? Es mußten auch andere Motive mitwirken, die als Schluß dieses Referates, auch als Antrieb zur Diskussion, noch aufzuzählen sind. Als erstes Motiv könnte die Erscheinung einer sehr intensiven, in den gegebenen sozialen Strukturen nicht verankerten und daher weitgehend unkontrollierten staatlichen (behördlichen) Macht genannt werden. Intensiv bedeutet in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der spätrömische Staat fast alle Bereiche des Lebens beeinflussen wollte und konnte. Die allgemein bekannten Vorschriften engten für breite Kreise der Gesellschaft die freie Wahl und namentlich die Änderung des Berufes und des Wohnsitzes, die Heiratswahl, die Schulung der Kinder usw. ein. Die Besteuerung war drückend schwer, die produzierenden Schichten der Bevölkerung mußten zu ihrer Arbeit gezwungen werden. Die staatlichen Ausführungsorgane - ob höheren oder niedrigeren Ranges - standen im allgemeinen ihrem konkreten Tätigkeitsbereich fremd gegenüber: ein flüchtiger Blick in die spätantike Prosopographie der bekannten Würdenträger bestätigt diese Feststellung. Dieser Umstand enthob sie eines guten Teils der gesellschaftlichen (erst recht institutionellen) Kontrolle. Denn sie sind praktisch unkontrolliert: Es gibt keine traditionellen Institutionen, wie etwa den Senat, die städtischen Curien, die provinzialen Landtage. Bis etwa zum Zeitalter Trajans und Hadrians hatte der Senat noch die Möglichkeit, seine eigenen Mitglieder irgendwie zu kontrollieren, und dadurch so etwas wie einen „esprit de corps" zu entwickeln - die antisenatorische Politik des Septimius Severus ließ diese Möglichkeit bis zum Verschwinden einschrumpfen. Die städtischen Curien hatten ebenfalls jede
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Möglichkeit, als Partner, Berater oder Kritiker der staatlichen Instanzen zu wirken, verloren. Statt der „gesellschaftlichen" - spontanen und bis zu einem Grade auch unabhängigen - Organe der Kontrolle schuf der Dominât eine Binnenaufsicht in Gestalt des Korps der sogenannten agentes in rebus 38 , mit sehr mäßigem Erfolg. Diese Schattenseiten der fast ausschließlich inneren Kontrolle des staatlichen Apparates wurden nur in sehr beschränktem Maß von der Kirche und ihren Repräsentanten, als Instanzen einer höheren Moral aufgewogen. Ansätze dazu sind in der Tätigkeit eines Ambrosius, eines Augustinus, eines Synesius zu finden. Das Anliegen, eine religiös motivierte umfassende moralische Kontrolle zu bilden, scheiterte aber teils an den machtpolitischen Kämpfen der Vertreter der Kirche und teils an der politischen Machtlosigkeit eben der entschiedensten Kämpfer der Moral: Johannes Chrysostomos, die „Kappadokier", Salvianus. Je größer jedoch die Berührungsfläche zwischen den Anliegen der Gesellschaft und dem Wirkungskreis der staatlichen Organe ist; je lebenswichtiger die von diesen Organen kontrollierten (zugelassenen oder verbotenen) Interessen; endlich: je weniger kontrolliert diese staatlichen Organe selbst in ihrer lebenswichtigen Tätigkeit sind: desto stärker ist der Anreiz für die Bürger, ihre eigenen Interessen und Anliegen auch durch Bestechung und vielfältige Korruption zur Geltung zu bringen, und von der Seite der staatlichen Organe her, diese Bestechungen auch anzunehmen. Eine weitere Motivation für die Korruption in diesem Bereich besteht darin, daß das Gleichgewicht zwischen den individuellen Ambitionen für den gesellschaftlichen Aufstieg und den objektiven Möglichkeiten dieses Aufstieges verloren gegangen war. Die Anziehungskraft der privilegierten Gesellschaftsschichten (Senatsaristokratie, staatliche und kirchliche Administration, Militär) namentlich auf die ihnen relativ noch am nächsten stehende Gruppe der Curialen war äußerst stark: Das Interesse der Gesellschaft und des Staates bestand aber eben in der zahlenmäßigen Einschränkung dieser privilegierten Gruppen. Wo aber Anspruch und Möglichkeit, persönliches Anliegen und gesellschaftliches Interesse in krassem Gegensatz stehen, und wo die Berechtigtheit der persönlichen Ansprüche nicht nach mehr oder weniger festgestellten (und deshalb auch kontrollierbaren) Maßstäben, sondern durch das Machtwort der dazu Befähigten entschieden wird - dort besteht immer eine konkrete Gefahr der Korruption. Und bei allem dem darf der existentielle Charakter der diesbezüglichen persönlichen Interessen und Ambitionen nicht außer Acht gelassen werden. Die Darstellungen des Ammianus Marcellinus geben ein ebenso erschreckendes wie überzeugendes Bild der möglichen Willkür der Mächtigen des spätrömischen Reiches. Giftmischerei,
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W. SCHULLER, Grenzen des spätrömischen Staates: Staatspolizei und Korruption, ZPE 16, 1975, I ff.; vgl. jetzt noch insbesondere M. CLAUSS, Der magister officiorum in der Spätantike, München 1981, 23 ff.
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Magie, Astrologie, Majestätsprozesse geben Anlaß zu Dutzenden von Justizmorden. In einer so stark hierarchisierten Gesellschaft, wie es die spätrömische war, konnte die Zugehörigkeit zu einem höheren (privilegierten) oder niederen Status zu einer Frage der nackten materiellen Existenz werden. Und die Curialen - eine Gesellschaftsschicht mit einem teilweise noch erheblichen Wohlstand, aber ohne reale politische Macht - waren die geeignetsten Zielpunkte der Anfeindung „von o b e n " und „von unten". So mußten sie sich ständig - und in stetig steigendem Maße - potentiell gefährdet fühlen. Das Vermeiden der immer akuten (weil möglichen) Gefahren und hauptsächlich der Ausweg aus dieser aktuell noch nicht ruinierten, aber potentiell schwer gefährdeten Situation konnte nur durch das Wohlwollen der zuständigen staatlichen Instanzen erkauft werden: Und das ist j e n e Situation, in welcher die existentiellen Interessen die Schwelle zwischen Moral und Immoralität überschreiten. Für die Curialen war die potentielle Gefährdung, für die staatlich Zuständigen die Versuchung zu groß, die Machtposition zu verführerisch und die staatliche Kontrolle zu weitmaschig, als daß die gegenseitige Korrumpierung als Massenerscheinung zu vermeiden gewesen wäre. So ist es auch verständlich, daß das bloße Annehmen der vielfältigen materiellen (und nicht nur materiellen) Zuwendungen viel häufiger war, als die offene Forderung von Bestechungsgeldern; verständlich auch, daß an diesem Prozeß der Selbstbefreiung eben der wohlhabendere Teil der Curialen teilnehmen konnte und dadurch die Aufmerksamkeit der kaiserlichen Gesetzgebung auf sich zog; der kaiserliche Ämter anstrebende Curiale war auffallender als derjenige, der höchstens in ein Handwerkercollegium oder in ein Colonendorf entschlüpfen konnte. Die höchste Staatsleitung - auch selbst an gewissen Aspekten der Korruption aktiv beteiligt - konnte letzten Endes nicht umhin, die so entstandene Lage halbwegs zur Kenntnis zu nehmen. Letztlich bildete die Korruption sogar ein gewisses Ventil gegen gesellschaftliche Mißstände. Es war noch immer günstiger, wenn die Anliegen gewisser Gesellschaftsschichten erkauft, als wenn sie erkämpft wurden. Seinerzeit hatte Franz Grillparzer die Habsburgermonarchie charakterisiert als einen „Despotismus, gemäßigt durch Schlamperei": Mit ähnlicher Berechtigung könnten wir das spätrömische Reich, namentlich in seiner östlichen, hellenisierten, lebenskräftigeren Hälfte als einen Despotismus bezeichnen - gemildert durch Korruption.
Diskussion
Kolb Herr Hahn, glauben Sie - das meine ich herausgehört zu haben - , daß das numerische Gewicht der Gesetze, die sich gegen ein Aufsteigen von Curialen in den Stand der Clarissimi richten, in der Tat dafür spricht, daß mehr Curialen versucht haben, dorthin zu gelangen, weil die Curialen im wesentlichen noch sehr reich waren? Denn da bin ich etwas skeptisch; ganz einfach deshalb, weil doch sicherlich eine große Anzahl von Curialen eher in ihrem Stand mit dem von Ihnen so drastisch beschriebenen Mißgeschick verharrt ist als die Alternative zu wählen, in den Kolonat einzusteigen, welcher einer der wenigen übriggebliebenen Alternativen gewesen wäre. Denn dieses Los war nun wahrhaftig nicht attraktiv; da ließ man vielleicht doch eher das Schicksal eines Curialen über sich ergehen, so beschwerlich es sein mochte. Insofern mag das numerische Übergewicht jener Zeugnisse, die ein Bemühen um einen Aufstieg in den Senatorenstand andeuten, eigentlich nicht darauf hinweisen, daß ein großer Teil des Curialenstandes noch reich war, sondern nur, daß die vielen, die arm waren, es trotzdem noch verschmähten, diesem Schicksal durch einen noch weiteren gesellschaftlichen Abstieg zu entgehen. Schüller Soll ich das vielleicht gleich beantworten? Herr Hahn hat, glaube ich, nicht gesagt, daß die Zahl der Gesetze dafür spricht, daß sie reich gewesen sind; sondern für die Tatsache, daß der Curialenstand noch wohlhabend war, hat er andere Belege angeführt. Die Zahl der Gesetze hat er nur auf die Intensität des Dranges in den Senatorenstand bezogen. Habe ich das richtig verstanden? Hahn Ja. Ich erlaube mir noch, als Ergänzung ein Zitat aus Libanios vorzulesen: Έπεδείξατο δέ την αύτην πρόνοιαν και περί τάς έν ταίς πόλεσι βουλάς αΐ πάλαι μέν πλήθεσί τε και πλούτοις εθαλλον, έπειτα ήσαν ούδέν μετερρυηκότων πλην ολίγων κομιδή τίνων των μεν εις τα στρατιωτών,των δ' εις το μέγα συνέδριον.* Libanios hat also Julian nach dessen Tod durchaus gelobt dafür, daß er den städtischen Curien gegenüber sein Wohlwollen gezeigt habe, die früher zusammengeschrumpft und zugrundegegangen waren, weil ein Teil der Curialen in die Armee, ein anderer Teil sich in den Senat geflüchtet hatte. Also Libanios selbst, der an sich jedes Interesse hatte, die Lage der * Or. 18, 146.
Diskussion
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Curialen pessimistisch darzustellen, um ihnen gegenüber Verständnis zu erwecken, Libanios selbst hebt diese zwei Möglichkeiten hervor. Das entspricht vollkommen meiner Statistik der Gesetze: Ein Senator mußte doch reich sein, und daher war auch ein genügend großer Teil der Curialen wohlhabend genug, daß, wenn er es gewollt hätte, die Curialenlasten hätte tragen k ö n n e n ; und er hat auch genügend Geld gehabt, die ständige vacatio zu erkaufen. Kolb Man m u ß ja innerhalb des Decurionenstandes unterscheiden zwischen principales und den übrigen: Es sind die principales, die Libanius mit diesem Ihrem Zitat anspricht, d.h. jene, die eine sehr kleine G r u p p e innerhalb der Decurionen der einzelnen Städte gebildet haben und die wirklich reich genug waren, um diese Lasten zu tragen. Wenn die in den Senatorenstand verschwanden, das meint Libanius, d a n n ist nichts mehr übrig, weil die restlichen Decurionen, nämlich die Mehrzahl, nicht genügend mehr zu bieten hatten. Ich glaube daher, daß die größere Zahl von Gesetzen gegen den Aufstieg in den Senatorenstand sich gegen eine kleinere G r u p p e von Curialen, nämlich gegen die Principales, wendet, während die an Zahl geringeren Gesetze sich gegen die größere G r u p p e von Decurionen richtet, die eventuell einmal, aber doch wohl nur sehr zögernd, sich in den Colonenstand flüchten wollten. Hahn Darf ich eine Kompromißlösung vorschlagen? Der größere Teil jener Curialen, die für unsere Tagung maßgeblich sind, weil sie aktiv oder passiv an der Korruption teilgenommen haben, die waren wahrscheinlich wohlhabend. Castritius Mir ist nicht ganz klar, woher dieser erhebliche Wohlstand in der engeren G r u p p e innerhalb des Curialenstandes kommt. Ich meine, die Antwort wird zu einfach sein, wenn man sagt: Die haben einfach den Druck von oben nach unten weitergegeben. Vielleicht können Sie das verdeutlichen: Wo kommt denn dieser anscheinend erhebliche Wohlstand einer kleinen G r u p p e innerhalb des Curialenstandes wirklich her? Hahn Ich habe nicht den Satz des Salvian zitiert, quot curiales, tot tyranni. Also die Curialen, die er da erwähnt, konnten teils den Druck von oben auch nach unten weitergeben. In meinem Vortrag war davon nicht die Rede. Ich glaube, bei Synesius ist ein Soldat erwähnt, der sich für große Gelder einen Curialenrang erworben hat. Also auch das ist vorgekommen im 4. Jahrhundert. Gewisse Emolumente haben doch die Curialen auch durch die Steuereintreibung erhalten; sie haben die städtischen Felder, den städtischen Bodenbesitz
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verwaltet und wahrscheinlich nicht so, d a ß sie eben dadurch zugrunde gegangen wären. Wir haben von einem solchen geschickten Curialen gehört, der den Praefectus Orientis oder Praefectus Cyrenaicae ganz in seiner Tasche gehabt hat. Sie haben auch auf solche Weise durch korruptive oder nichtkorruptive M a ß n a h m e n Wohlstand erworben. Bei Libanios sind sehr viele wohlhabende Curialen persönlich erwähnt. Fusco In dem Zusammenhang der sehr großen Zahl von Curialen, die nach oben drängen, haben Sie von Rescripten gesprochen. Wenn das der Fall ist, d a n n würde ich die Sache allerdings ein bißchen anders sehen. Wenn es nämlich Rescripte sind, würde das heißen, daß nicht 23 Gesetze, also generales constitutiones, innerhalb von 150 Jahren erlassen worden sind und jetzt noch einmal bekräftigt werden sollten, sondern es würde heißen, d a ß der Kaiser in dieser Zeitspanne nur 23 Fälle löst u n d erst durch die A u f n a h m e in diese große Kodifikation des Codex Theodosianus eine allgemeine Geltung ermöglicht hätte. Das würde vielleicht bedeuten, daß das Problem erst im S.Jahrhundert auftaucht. Deswegen war meine Frage, ob das wirklich Rescripte sind. Hahn Es handelt sich um die Paragraphen des Titulus XII. 1 des Codex Theodosianus. Darin sind 23 kaiserliche Vorschriften. Für die staatliche Leitung war es viel interessanter, viel wichtiger, den Aufstieg der Curialen einzudämmen, als ihr Ausweichen in andere Bereiche. Die aufsteigenden Curialen waren viel interessanter als die, sagen wir, die in den staatlichen fabricae untergebracht worden sind. Es ist doch charakteristisch, daß nur zweimal die cessio bonorum verboten wird, nur viermal der Eintritt in die fabricae, aber 30mal in die militia. Und das Libanioszitat erweist, daß auch für ihn, der den Codex Theodosianus noch nicht kannte, auch diese zwei Möglichkeiten vorwiegend waren, nämlich in den Senat oder in die Armee zu gehen. Das war der typische Weg, sich von den Curiallasten zu befreien. Schlumberger Zu der Kontroverse zwischen Herrn Hahn und Herrn Kolb von vorhin möchte ich Herrn Kolb sagen, d a ß sich das durch ein Gesetz Theodosius' II. ziemlich klären läßt. Es ist im Codex Theodosianus ein Gesetz erhalten, das auch in den Justinianus ü b e r n o m m e n wurde, in dem inferiores curiales geschützt werden gegen die oppressio durch potentes curiales.* Der Gesetzgeber selbst also nimmt eine Differenzierung innerhalb des Standes vor. Der Begriff potentes ist dabei ein bewußt negativ wertender Begriff. Er bezeichnet * CTh 12, 1, 173 (410) = CJ 10, 22, 1.
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nicht eine fixe soziale Gruppe, sondern ist ein Werturteil dessen, der ihn gegenüber der Gruppe benutzt, über die er in dem Moment spricht. Wenn etwa der Kaiser eine Gruppe potentes nennt, in dem Falle potentes curiales, sind diese potentes curiales - die ich mit den principales identifizieren würde, also der reichen Oberschicht der Curien - im Auge des Gesetzgebers negative Erscheinungen. Um den Begriff potentes schwebt immer als eine der Möglichkeiten, wie diese potentes ihre Eigeninteressen durchsetzen, der Vorwurf der Korruption, z. B. im Zusammenhang mit der Steuerverteilung innerhalb der Städte: Die potentes curiales haben in der Regel gute Beziehungen zu den Steuerschreibern und Steuereinnehmern der Städte, vorwiegend auch, um mit ihrer Hilfe die Steuerquoten zu manipulieren.
Liebs Noch einmal kurz zu der Frage der Rescripte. Im Codex Theodosianus gibt es keine Rescripte, sondern nur leges generales. Er enthält keine Einzelfallentscheidungen, sondern nur allgemeine Regeln, mag auch der Anlaß konkret gewesen sein. Ich habe noch eine andere Frage: Kann man bei diesen Konstitutionen über den Übertritt in den Senatorenstand eine zeitliche Streuung feststellen? Ist ihre zeitliche Verteilung ganz gleichmäßig, oder gibt es da vielleicht Ballungen? Zunächst war j a der Senat von Konstantinopel zu gründen, weshalb der Senatorenstand zu vermehren war, man brauchte Zustrom. Woher sollte der k o m m e n ? Irgendwann mußte dann gestoppt werden, als es zuviel wurde. Hahn Sie haben vollkommen recht, nur habe ich das nicht vorlesen wollen. Die Rescripte, Vorschriften, Konstitutionen etc. gegen den Aufstieg in den Senatorenrang sind vorwiegend bis Theodosius I. in den 380er Jahren. Diese Vorschriften gegen den Abstieg, die erste Vorschrift gegen fabricae also, erscheint 382. Wir können also sagen, daß durchgehend bis zum Ende der 370er Jahre, sagen wir bis zur Wende, ungefähr 380, die Tendenz nach oben ist, nach vorne vorwiegend; nach 380, z.T. sogar noch im 5.Jahrhundert, ist die Tendenz vorwiegend nach unten.
Wolfgang Schuller
Prinzipien des spätantiken Beamtentums
Mit dem Folgenden ist verschiedenerlei beabsichtigt: Zum einen soll gewissermaßen die normale Folie dessen dargestellt werden, auf deren Hintergrund sich Amtsvergehen abgespielt haben, denn nur so können wir feststellen, ob solche Verletzungen - Korruption - überhaupt vorgelegen haben 1 . Der Akzent wird zweitens darauf liegen, daß eben vieles, was wir unbesehen korrupt nennen würden, aus einer anderen Amtsauffassung resultiert, die ich provisorisch mit dem Stichwort privatistisch kennzeichnen will. Drittens soll überhaupt ein Überblick - freilich mit jenem Akzent - über gewisse Grundprinzipien des spätantiken Beamtentums gegeben werden, die bisher, trotz einiger Ansätze, nicht Gegenstand eigener Forschung gewesen sind. Trotzdem ist das, was jetzt folgt, auch nur aus der bisherigen Literatur zusammengesucht worden, differenziert nicht nach Zweigen der Verwaltung, nicht nach Chronologie und nicht nach den drei Hauptquellen, dem Codex Theodosianus, dem Codex Iustinianus und dem Werk de magistratibus des Johannes Lydus. Es wird aber hoffentlich klarmachen, worauf es ankommt, und die Richtung anzeigen, in der weitergeforscht wird 2 . Ich beginne mit der Kennzeichnung des Verwaltungsapparates als ganzem, denn nur von ihm, nicht von den höheren, den dignitates genannten politischen Posten soll hier die Rede sein. Er ist am besten zu greifen in den officia, den Büros oder Stäben, über die jeder hohe Beamte - etwa der Provinzgouverneur oder der praefectus praetorio, der oberste Zivilbeamte - verfügte. Diese officia waren in sich sowohl vertikal nach Aufgaben wie horizontal 1
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D e r Freundlichkeit des Verfassers habe ich die Einsicht in die A a c h e n e r Habilitationsschrift von KARL LEO NOETHLICHS von 1979 zu v e r d a n k e n , von der ich bei dem Vortrag noch keine K e n n t n i s hatte: Militia u n d subreptio. Studien zum Beamtenbegriff u n d zur Amtspflichtverletzung in d e r S p ä t a n t i k e a n h a n d des C o d e x T h e o d o s i a n u s u n d d e r posttheodosianischen Novellen; sie ist inzwischen erschienen als: Beamtentum u n d Dienstvergehen. Z u r Staatsverwaltung in d e r S p ä t a n tike, Wiesbaden 1981. NOETHLICHS betont die Ähnlichkeiten des spätantiken Beamtentums mit d e m neuzeitlichen, listet, z.T. sogar unter Zitierung des StGB, die an diesem M a ß s t a b festgestellten Amtspflichtverletzungen auf u n d versucht, ihr V o r h a n d e n s e i n mit den ä u ß e r e n Bedingungen u n d d e r inneren Einstellung der Beteiligten zu erklären. Mein hier vorgelegter Ansatz ist, wenn nicht k o n t r ä r , so doch k o m p l e m e n t ä r . Das a n d e r e Extrem stellt der Aufsatz von P. VEYNE, Clientèle et c o r r u p t i o n au service d e l'état. La vénalité des offices d a n s le B a s - E m p i r e r o m a i n , A n n a l e s ( É . S . C . ) 36 (1981) 339-360 d a r , der n u r die Funktionalität des Ä m t e r k a u f s f ü r d a s System gelten lassen will, das d u r c h ihn mit gebildet wird. D a s geschieht im Z u s a m m e n h a n g mit meinen B e m ü h u n g e n um den Ä m t e r k a u f , d e r j a n u r verständlich wird, wenn m a n sich über den Begriff des Amtes klar ist.
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nach Laufbahndienstgraden durchgegliedert, und die Aufhellung dieser organisatorischen Dinge ist das Haupttätigkeitsfeld der Forschung 3 . Ihre Angehörigen, die officiales (bei den Provinzstatthaltern hießen sie cohortales), waren das, was wir heute Berufsbeamte nennen würden. Zwei Merkmale unterschieden sie jedoch grundlegend von unserem heutigen Beamtenbegriff. Zum einen hieß ihr Dienst militia, also Kriegsdienst, sie waren fiktive Angehörige militärischer Einheiten, trugen teilweise auch militärische Kleidung und hatten teilweise militärische Amtsbezeichnungen. Insofern war ihr Dienst gewissermaßen sogar noch eine Potenzierung des uns geläufigen Staatsdienstes, wenn staatlicher Kriegsdienst das Äußerste des Dienstes an der Allgemeinheit darstellt 4 . Auf der anderen Seite aber waren die Beamten in einer Art Zunft organisiert, der schola. Sie entstammten, was nicht unbestritten ist 5 , zum Teil freiberuflichen Zusammenschlüssen von Hilfspersonal, wie den exceptares, den Stenographen, die im Laufe der Zeit zwar in staatliche Dienste übernommen wurden, aber weiterhin genossenschaftlich organisiert waren. Aber auch die Hilfsbeamten der republikanischen Zeit, die apparitores, die eigentlichen Vorläufer der spätantiken Beamtenschaft, waren in solchen collegia oder decuriae 6 organisiert. Diese private Organisationsform war es, die auch den öffentlichen Dienst der Spätantike in den entscheidenden Einzelheiten prägte 7 .
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Als wichtigste n e n n e ich E. STEIN, U n t e r s u c h u n g e n zum Staatsrecht des Bas-Empire, Z R G ( R o m . Abt.) 41 (1920) 195-251 ( = O p e r a m i n o r a selecta, 1968, 71-127); ders., U n t e r s u c h u n g e n über d a s officium der P r ä t o r i a n e r p r ä f e k t u r seit Diokletian, Wien 1922 (korrigierter N D A m s t e r d a m 1962); A . E . R . BOAK, O f f i c i u m , R E 17 ( 1 9 3 7 ) 2 0 4 5 - 2 0 5 6 ; W . G . SINNIGEN, T h e O f f i c i u m o f t h e
Urban
Prefecture D u r i n g the Later R o m a n Empire, R o m 1957; A. CHASTAGNOL, La préfecture u r b a i n e à R o m e sous le Bas-Empire, Paris 1960; M. CLAUSS, Der magister o f f i c i o r u m in der S p ä t a n t i k e (4.-6. J a h r h u n d e r t ) . Das Amt u n d sein Einfluß auf die kaiserliche Politik, M ü n c h e n 1981. - Teils a u f z ä h l e n d e , teils wertende Übersichten über das Beamtenwesen allgemein sind O. SEECK, Geschichte des Untergangs der antiken Welt, Bd. 2, 2. Aufl., Stuttgart 1921, 52-111 ; A. H. M. JONES, T h e R o m a n Civil Service (Clerical a n d Sub-Clerical Grades), J R S 39 (1949) 38-55 ( = Studies in R o m a n G o v e r n m e n t a n d Law, O x f o r d 1960, 153-175. 201-216); ders., T h e Later R o m a n E m p i r e , 3 6 6 - 4 1 0 ; 5 6 3 - 6 0 6 ; R . M A C M U L L E N , R o m a n B u r e a u c r a t e s e , T r a d i t i o 18 ( 1 9 6 2 ) 3 6 4 - 3 7 8 ; d e r s . , S o l -
dier a n d Civilian in the Later R o m a n Empire, 1963, 4 9 - 7 6 ; T. F. CARNEY, Bureaucracy in Traditional Society: R o m a n o - B y z a n t i n e Bureaucracy Viewed f r o m Within, Lawrence, K a n s a s , 1971 ; F. S. PEDERSEN, Late R o m a n Public Professionalism, O d e n s e 1976 (dazu M. CLAUSS, G n o m o n 51 [1979] 501-503). F. DE MARTINO, Storia della costituzione r o m a n a , Bd. 5, 2. Aufl., Neapel 1975, gibt n u r Übersichten über einzelne wichtige Offizien. 4
Im allgemeinen wird diese Bezeichnung als Ergebnis d e r Reichskrise des 3.Jhdts. u n d einer in ihr erfolgten Militarisierung d e r Verwaltung angesehen (vgl. etwa R. MACMULLEN, Soldier a n d Civilian [o. A n m . 3]); die Bezeichnung existiert aber schon im Prinzipat (D. 4,4,3,7; 19,1,52,2; 31,22; 32,11,16; 32,102, 2 f . ; 34,1,18,2), w e n n auch möglicherweise interpoliert. 5 J. KARAYANNOPOULOS, Das Finanzwesen des frühbyzantinischen Staates, M ü n c h e n 1958, 175 F; A. H. M. JONES, T h e R o m a n Civil Service (o. A n m . 3), 213f. Eher wie hier MACMULLEN, Bureaucratese (o. A n m . 3), 365 f. 6 Lex Cornelia de X X quaestoribus, F I R A 10. ' Eingehende Beweise müssen einer späteren Gelegenheit vorbehalten werden. Seltsamerweise gibt es m. W. keine gründliche Bearbeitung d e r O r g a n i s a t i o n s f o r m der schola als solcher; ihre militärische H e r k u n f t , die aber wohl nicht ihre einzige Wurzel ist, bei JONES, Civil Service (o. A n m . 3), 214.
Prinzipien des spätantiken Beamtentums
203
Zunächst den Erwerb des Amtes. An sich war die staatliche Seite des Vorgangs die, daß der Kaiser auf ihm unterbreitete Vorschläge hin eine eigenhändig unterzeichnete Ernennungsurkunde, die sacra probatoria, ausstellte. Die Praxis war aber einerseits die, daß Leute durch politische Beamte auf eigene Kappe eingesetzt wurden, oder daß Ämter gekauft wurden 8 (unterschreiben mußte der Kaiser auch dann, aber daß ihm die Ernennungsurkunde vorgelegt wurde und er sie natürlich unterschrieb, dieser Vorgang resultierte aus Kauf)· Der Ämterkauf der Spätantike hatte meiner Meinung nach 9 zwei Wurzeln. Die eine war die, daß das Verschaffen von meist hohen, also politischen Ämtern oft Gegenstand von manchmal mehr, manchmal weniger offenen Geschäften war, bis einschließlich der Kaiser, daß hier also Protektion vorlag, die eben bei entsprechender Konstellation ihr Geld wert war. Die andere Wurzel kommt aus dem Bereich der niederen Ämter, der decuriae, wo es seit der Republik nicht nur irgendwie üblich, sondern ein aus dem collegia-Charakter der Genossenschaften resultierendes und auch verbrieftes Recht war, seinen Nachfolger oder Stellvertreter zu benennen 10 , und dieses Recht konnte natürlich auch zu Geld gemacht werden. Auf diese Weise war Horaz zu seinem scriba-Posten gekommen". Das war ganz unanrüchig; und wie nun in der Spätantike einerseits die Statthalterämter sich an Zahl vermehrten und dementsprechend an Wertschätzung sanken, andererseits die Verwaltungsstellen wichtiger wurden und nach Sozialprestige bis zu consularischem Rang gelangen konnten, so vermischte sich der bisherige eher anrüchige Kauf der hohen mit dem selbstverständlichen der niederen Ämter, und in dieser undeutlichen Zwischenstellung blieb er. Für unser Generalthema ist nun interessant, wie die Kaiser, die Vertreter also des „Öffentlichen", dazu standen, und auch hier ist keine eindeutige Aussage zu machen. Wenn sie etwas dagegen taten, und sie trafen gelegentlich Maßregeln dagegen, dann vor allem deshalb, weil sie verhindern wollten, daß Personen dadurch Beamte würden, die anderswo, nämlich in den Städten als Decurionen, sehr viel dringender gebraucht wurden. Ein weiteres Motiv war die berechtigte Sorge, daß durch die Höhe des Kaufpreises die Käufer, wenn dann im Amt, mehr oder weniger genötigt sein würden, das Geld durch Erpressungen und Amtsmißbrauch wieder hereinzubekommen, und das sollte im Interesse des Steueraufkommens und doch wohl auch aus sittlicher Mißbilligung vermieden werden. Kaum gab es meinem Eindruck nach das Motiv, daß durch den Kauf das Moment der sachlichen Qualifikation des Amtsinhabers zu kurz käme. Hinzu kommt, wie gesagt, daß die Kaiser durch8
Z u l e t z t : D. LIEBS, Ä m t e r k a u f u n d Ä m t e r p a t r o n a g e in d e r S p ä t a n t i k e . P r o p a g a n d a u n d S a c h z w a n g bei J u l i a n d e m A b t r ü n n i g e n , Z R G ( R o m . Abt.) 95 (1978) 158-186; W. SCHULLER, Ä m t e r k a u f im R ö m i s c h e n Reich, D e r S t a a t 19 (1980) 57-71 ; P. VEYNE, O. A n m . 1.; K . L. NOETHLICHS, O. A n m . I, 70-76. * W. SCHULLER, Ä m t e r k a u f (o. A n m . 8) 6 3 - 6 5 ; a. A. LIEBS, a. a. O., (ebd.). Lex C o r n e l i a (o. A n m . 6) 2 4 - 3 0 . 11 Suet. vit. H ö r . 1.
204
Wolfgang Schuller
aus nicht generell gegen den Ämterkauf einschritten, sondern nur Auswüchse bekämpfen wollten 12 . Eine weitere Art des Erwerbs des Amtes, aus der sich ja u. a. der Ämterkauf entwickelt hat, ist seine Erblichkeit gewesen. Manchmal finden wir sie so aufgefaßt, als ob es sich um eine Zwangserblichkeit handele, wie bei vielen anderen Berufen in der Spätantike auch, die des Steueraufkommens und der Versorgung wegen zwangsweise erblich gemacht worden waren. Bei den Beamten ist der Grund aber ein ganz anderer. Zum einen erhellt das aus der Tatsache, daß man damals in noch viel intensiverer Weise als heute danach drängte, Beamter zu werden, der Staat also Zwang dabei nicht im geringsten nötig hatte, zum anderen aber und vor allem ergibt es sich aus den Quellen: Es war nämlich für bestimmte Beamtengruppen das Recht gegeben, daß die Söhne das Amt des Vaters übernehmen durften bzw. die Väter das Recht hatten, ihre Söhne und z.T. auch ihre Brüder zu Nachfolgern zu machen 13 . Das war nicht in Frage gestellt, bemakelt oder anrüchig, woraus zweifelsfrei erhellt, daß nicht der private Charakter des Amtes oder Bedenken wegen der Qualifikation die Ursachen für das Zwielicht waren, in dem der Ämterkauf stand, sondern die Tatsache des Kaufes und dessen wirtschaftlich-politische Folgen. Drittens konnte man einen Posten ergattern, wenn man vorher auf einer Art Warteliste gestanden hatte, die in sich ähnlich aufgebaut war wie die reguläre matricula; man gehörte dann zu den supernumerarii (im Gegensatz zu den planmäßigen Beamten, den statuti). Supernumerarii wären also eine private Einrichtung par excellence gewesen, wenn nicht ihr Übertritt in den regulären Dienst gesetzlich geregelt worden wäre und wenn sie nicht anscheinend bisweilen schon in der Verwaltung tätig gewesen wären, wenn auch ohne Gehalt und „ n u r " gegen Sporteln' 4 . Wenn man nun Beamter war, wurde man befördert, und zwar in einer Weise, die die heutige Regelbeförderung noch als Muster einer kritischen Siebung erscheinen läßt. Es geschah nämlich matricula decurrente, d.h. automatisch nach Dienstalter, das auf der matricula, der Stammrolle oder Matrikel, verzeichnet war. Im Prinzip durchlief also jeder jeden Dienstgrad; es wurde strikt wiederholt eingeschärft, daß nur nach Dienstalter befördert werden und kein später Eingetretener einem anderen vorgezogen werden dürfe 15 . Als Ursache für diese Regelung wird manchmal, wie ich fürchte in viel zu gutmütiger Weise, angenommen, das sei deshalb geschehen, weil man auf diese Weise das habe vermeiden wollen, was das Thema unseres Zusammenseins ausmacht, nämlich die Korruption 16 . Ich meine eher, daß die Ursache in der 11 IJ 14
15 16
A l l e s d a s n a c h W. SCHULLER, Ä m t e r k a u f (o. A n m . 8). E t w a : C T h 6 , 2 7 , 8 ; 7 , 2 2 , 3 ; 12,1,14. A. H. M. JONES, Civil Service (o. A n m . 3), 169. A u c h d i e supernumerarii v e r d i e n t e n e i n e e i g e n e Untersuchung. Z . B . C T h 8 , 7 , 1 ; weitere N a c h w e i s e bei JONES, Later R o m a n Empire (o. A n m . 3), Bd. 3, 6 0 2 f . So
PEDERSEN (O. A n m .
3) 24 mit A n m .
57.
Prinzipien des spätantiken
Beamtentums
205
genossenschaftlichen Herkunft des Beamtentums liegt, die jedem Mitglied garantieren sollte, auch einmal dranzukommen. Dafür spricht auch die Tatsache, daß für Beförderungen anscheinend manchmal auch die Zustimmung der anderen Mitglieder der schola erforderlich war' 7 . Nun gab es natürlich mehr untere als obere Ränge, so daß an sich die Garantie für jeden, auch einmal ganz oben zu sein, gar nicht bestehen konnte. Dem wurde nun aber teilweise durch einen Kunstgriff abgeholfen. Entweder besetzte man mehrfach, oder, und das war das Normale, die Dienstzeit war unterschiedlich lang. Unten war die zu erbringende Anzahl der Dienstjahre größer, während die oberen Posten schneller geräumt werden mußten, was teils durch eine Höchstdienstzeit (unten gab es Mindestdienstzeiten), teils durch noch frühzeitigere Entfernung von dem Posten geregelt wurde' 8 . Trotzdem ist natürlich doch nicht jeder zur Spitze aufgestiegen", und hierbei war neben der sozialen Herkunft wohl die tatsächliche Befähigung ein Kriterium, das nicht gänzlich außer acht gelassen wurde. Derjenige, der nach Elementen rational arbeitenden Beamtentums sucht, horcht dann auch auf, wenn er des öfteren lesen kann, labor, merita und Studium bestimmten die Beförderung. In einer philologischen Arbeit ist daraus auch sofort der Schluß gezogen worden, es habe im spätantiken Beamtenwesen ein „straffes Leistungsprinzip" geherrscht 20 . Zwar gibt es Vorschriften, in denen Diensteifer der Vorrang gegenüber dem Dienstrang zugebilligt wird 21 , aber die augenblicklich herrschende Meinung unter den Historikern, die in der philologischen Arbeit nicht erwähnt wird, ist die, daß labor und merita nichts anderes als normale Ableistung des Dienstes bedeuten und zu einer ständig gebrauchten Formel geworden sind 22 . Die Wahrheit, so ist mein Eindruck, dürfte irgendwo in der Mitte liegen, vielleicht aber doch eher auf seiten der Historiker sein; freilich ist auch diese Frage nicht wirklich untersucht. Das führt zur Frage der beruflichen Fähigkeiten, die erforderlich waren, aber auch hier wird man enttäuscht, wenn man gehofft hatte, irgendwelche positive, greifbare Erfordernisse zu finden, die sich mit dem modernen Beamtenwesen vergleichen ließen 23 . Eine geregelte Ausbildung gab es nicht, zur Einstellung genügte die sacra probatoria, die an keine formalisierten Voraussetzungen geknüpft war. Praktisch war dazu nötig, wenn man zur Ernennung vorgeschlagen werden wollte, daß man einen einigermaßen respektablen sozialen Hintergrund hatte, bei den officia litterata schreiben, lesen und rechnen konnte, und wenn man literarisch gebildet war, war man besonders gut
11 18
Etwa C T h 1,9,1; 6,27,4; 7,3,1. JONES, Later R o m a n E m p i r e (o. A n m . 3), 379-383.
"
JONES, a . a . O . , 3 8 3 .
20
D. LAU, Der lateinische Begriff L A B O R , M ü n c h e n 1975, 161-167 (161. 166). C T h 7,3,1. JONES, Later R o m a n E m p i r e (o. A n m . 3), Bd. 3, 179 ( u n d PEDERSEN, 63). D a s wird von PEDERSEN (o. A n m . 3) ausgiebig ausgeführt.
31 22 21
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W o l f g a n g Schuller
dran. Der soziale Hintergrund ergab sich außerdem oft dadurch von selbst, daß man ja in der Regel einen Kaufpreis für das Amt zu erlegen hatte; allerdings war das keine unumgängliche Voraussetzung, denn man konnte ja, und das war eben das, was die Kaiser am Ämterkauf störte, einen Kredit aufnehmen und ihn mit den illegalen Einkünften aus dem Amt dann später abbezahlen. Dementsprechend vage sind die gelegentlichen Notizen in den Quellen, in denen von den Beamten industria und fides verlangt wurden, oder daß sie idoneus oder utilis zu sein hätten. Wie sehr der Dienst als Privatsache aufgefaßt werden konnte, zeigen zwei innerdienstliche Phänomene und die staatliche Reaktion darauf : Das Bekleiden mehrerer Posten gleichzeitig und das Fernbleiben vom Dienst. Ersteres, der sogenannte Pluralismus, wurde gelegentlich untersagt, aber keineswegs immer mit der Begründung, daß die sachliche Aufgabenerfüllung darunter leide, sondern weil dadurch anderen Beamten der Verdienst geschmälert werde 24 . Beim Fernbleiben vom Dienst, dem Absentismus, gab es je nach Länge der Absenz Rückstufungen im Dienstalter und sonstige Strafen, und erst wenn man vier (bzw. in einem späteren Gesetz fünf) Jahre kontinuierlich gefehlt hatte, wurde man endgültig entfernt 25 . Auch das kann ich mir nur aus dem privaten korporativen Charakter der einzelnen Beamtenschaften erklären, und die Rolle des Staates bestand in diesen zaghaften Regelungsversuchen. Immerhin gab es diese, und vielleicht ist gerade bei der Regelung der Absenzen das Verhältnis von Privatismus und staatlichem Eingriff typisch. Technisch möglich war das exzessive Fernbleiben vom Dienst deshalb, weil ja schon seit republikanischer Zeit für derlei Tätigkeiten Vertreter bestellt werden konnten, die mit einem Teil der Einkünfte des eigentlich Beschäftigten entlohnt wurden; so erfahren wir aus der Lebensbeschreibung des hl. Hypatius aus dem 4./5.Jhdt., daß ein gewisser Egersios als Mönch weiterhin officialis war, aber jemand anders für sich arbeiten ließ 26 . Damit wären wir bei den Einkünften. Das Gehalt, das zunächst in Naturalien und erst seit dem 5.Jhdt. durchgängig in Geld gezahlt wurde 27 , war so niedrig, daß es zum Lebensunterhalt nicht reichte; Pensionen gab es nicht. Daraus wird gerne der Schluß gezogen, daß den Beamten ja gar nichts anderes Übriggeblieben sei, als sich illegal, durch Bestechung und Erpressung ein Zubrot zu verdienen. Ich glaube, die Sache liegt umgekehrt. Neben ihrem Gehalt bezogen die Beamten nämlich die sogenannten Sportein, d.h. für ihre Amtshandlungen Gebühren von den Begünstigten, und das übrigens auch intern bei Beförderungen. Diese Sportein haben sich wohl zu einem Teil aus Epressungsgeldern entwickelt, die die Beamten, zum großen Zorn etwa Kon-
24
CJ 12,19,10. CTh 7,12,2; CJ 12,7,2,2 f. 26 Callinicus, Vita S. Hypatii 118. " Vgl. den Beitrag von F. KOLB. 25
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207
stantins des Großen, von der Bevölkerung dadurch erpreßten, daß sie sich weigerten, ohne eine solche Zahlung überhaupt erst tätig zu werden. Nach vergeblichem Kampf haben die Kaiser diese Gelder dadurch anerkannt, daß sie sie in festen Tarifen kanalisierten 28 . Das ist aber vielleicht nur die eine Wurzel der Sportein. Die andere kommt wieder aus der ehemals freiberuflichen Tätigkeit der Beamten: hier war es, mangels jeglichen Gehalts wohlgemerkt, nichts anderes als natürlich, daß der Kunde für die Dienste etwa eines Schreibers bezahlte. Wir haben, wenn diese Erklärung tragfähig ist29, also auch hier wieder die Mischung aus privaten und staatlichen Elementen, wobei erstere wieder überwogen. Nicht zuletzt diese Einkünfte der Sportein, d.h. der direkt den Beamten zukommenden Gebühren, machte ja die Ämter verkäuflich, weil nach der Höhe dieser Einkommen der Preis bemessen werden konnte 30 . Schließlich noch etwas zum sonstigen Selbstverständnis der Beamtenschaft. Es war nicht nur allgemein hoch, dünkelhaft, sondern diese Bewertung wurde jedenfalls äußerlich vom Kaiser, d.h. vom Staat, geteilt. Die Beamten hatten erhebliche finanzielle Privilegien, nicht nur via Sportein, sondern in Gestalt von Steuerimmunitäten, sie hatten das Privileg der praescriptio fori, d.h. das Recht, nur von ihresgleichen wegen Vergehen und Verbrechen abgeurteilt zu werden 31 , und schließlich genossen sie ein ungeheures offizielles Sozialprestige: Sie gehörten den obersten Rangklassen der Führungsschicht an, hatten großenteils senatorischen und in ihren höchsten Mitgliedern sogar consularischen Rang. Ein spezifisches Beamtenethos gab es nicht 32 , sondern einmal fühlte man sich als Angehöriger der gesellschaftlichen Führungsschicht und zum anderen, in Johannes Lydus greifbar, hatte man einen nicht selten zum Lachen reizenden Bürokratenstolz, der von sachlichen Leistungen nahezu ganz absah. Ich habe im bisherigen ein eher nüchtern-freundliches Bild der Verwaltung gezeichnet, gewisse Spezifika herausgehoben und historisch zu begründen versucht. Man hätte es auch anders darstellen können, nämlich an dem Bild einer rational und auf das öffentliche Wohl zweckgerichtet arbeitenden Verwaltung messen, die Abweichungen darstellen und sämtlich als Korruption bezeichnen können. Das ist nach meiner Meinung wegen der skizzierten Sachverhalte nicht möglich 33 , aber die Frage ist doch, ob wir recht daran getan haben, implizit alles auf ein lediglich anderes Bewußtsein oder einen anderen gesellschaftlichen Zustand zurückzuführen. Ich will einmal benennen, 18
" !0
Ausführlich dargestellt bei O. SEECK (O. A n m . 3), 102-106, u n d allgemeine Meinung. Eine Dissertation von P. MARMEIN r u diesem T h e m a ist in Arbeit. Auch die Existenz der s u p e r n u m e r a r i i oder das z a g h a f t e Verbot des Pluralismus (o. A n m . 24) wurzelt in der Art u n d H ö h e der E i n k ü n f t e ; ihnen k o m m t eine zentrale Rolle bei dem Beamtenwesen zu, die genau untersucht zu werden verdiente.
31
C A R N E Y (O. A n m . 3 ) ,
î!
Auch hier anders, wohl durch das W o r t f e l d L A B O R v e r f ü h r t , LAU (O. A n m . 20), 161. 163. A n d e r s die Arbeit von NOETHLICHS, O. A n m . 1.
33
2,177.
208
Wolfgang Schuller
was dann auch darunter fiele: Erpressungen aller Art, bewußte parteiische Rechtsprechung, Aussaugung gerade der ärmeren Volksschichten, Bestechungen größten Ausmaßes, Urkundenfälschungen, Steuerdelikte, Nepotismus, Parasitentum, Sinekuren, Ineffizienz. Und das wichtige ist dies: Nicht nur wir messen mit diesen starken Begriffen anachronistisch ein ganz anders zu verstehendes Verhalten, sondern mutatis mutandis taten es die Kaiser und die Literatur oft auch. In diesem Widerspruch drückt sich zweierlei aus: Das eine ist, daß wir es zum Teil mit nun auch von dem legitimen Selbstverständnis der Beamtenschaft nicht mehr gedeckten schon ins transkulturell Kriminelle reichenden Taten zu tun haben, die natürlich moralisch verabscheut wurden. Das andere ist, daß, wenn die Dinge im Rahmen blieben, Kaiser und tadelnde Schriftsteller nicht durchgängig ruhig gesagt haben, daß es sich um historisch zu verstehendes legitimes Verhalten handele, sondern daß hier bisweilen doch versucht wurde, prinzipiell anderen Grundsätzen zum Sieg zu verhelfen, nämlich denen der einfachen Effizienz, Sachgerechtigkeit und der rein dienenden Funktion des Verwaltungsapparats. Daß sich das nicht durchsetzte, das zu erklären kann hier nicht mehr unser Thema sein.
Diskussion
Mooren Meine Frage bezüglich des Ämterkaufs ist die, ob damit immer das gleiche gemeint ist, ob es sich wirklich um einen Kauf bzw. um einen Verkauf handelt oder ob es sich auch um eine Art Passiv, um Haftung handeln kann? Ich denke an einige Papyri aus dem ptolemäischen Ägypten, worin der Kandidat schreibt: Ich habe eine Summe Geld gegeben und habe noch etwas dazugelegt. Man hat so den Eindruck, daß das Dazugelegte die Bestechung für den betreffenden Beamten ist, die Hauptsumme aber eine Art Haftung für das Übernehmen des Amtes ist. Ich möchte fragen, ob es in den anderen Gesellschaften so etwas auch gibt. Schul1er Dieses wüßte ich nicht. Wenn man so rundweg von Kauf spricht, impliziert das, daß es eine rechtliche Sache war, daß es etwa auch eingeklagt werden konnte, indem man sagt, ich habe das Amt gekauft, habe es nicht bekommen, deshalb gehe ich jetzt vor Gericht und bitte den Richter, verschaffe mir dieses Amt oder einen Schadenersatz, das wäre dann Kauf. Und das ist die Frage, das ist ja in bezug auf den Schadenersatz auch Gegenstand kaiserlicher Gesetzgebung gewesen, und da haben die Kaiser geschwankt. Aber eine Summe zu hinterlegen und dann noch etwas dazuzugeben, das wüßte ich nicht aus der römischen Zeit. Liebs Nein, die Summe dazu nicht, aber ein Einstandsgeld zu bezahlen war ja bei manchen Priesterämtern üblich. Fusco Sie haben von der Erblichkeit gesprochen, und wenn ich es richtig behalten habe, haben Sie gesagt, die Söhne durften das gleiche machen wie die Väter. Ich frage mich, ob sie - wenigstens für gewisse Ämter - nicht nur durften, sondern mußten, und das würde dann erklären, daß sie, wenn sie schon mußten, dann bei den niedrigen Gehältern auch sozusagen aufrunden durften. Schul1er Beim letzteren würde ich nicht sagen, daß das niedrige Gehalt das entscheidende ist, sondern daß mit dem Amt eo ipso so etwas wie Sportein verbunden war. Man darf also nicht sagen, daß das Gehalt so gering ist und daß dann
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deshalb irgendwann einmal Sportein hinzukommen, sondern zum Amt gehörten Gehalt und Sportein. Was das Müssen betrifft, so habe ich das in der Literatur des öfteren gelesen, und immer, wenn ich nachgeprüft habe, was für Ämter das waren, dann waren es nicht die staatlichen Ämter, sondern dann waren es die Colonen usw. Dagegen die Ämter in den officia sind Ämter gewesen, wo man nicht mußte, sondern wo man durfte, wo man das Recht hatte, seinen Sohn oder seinen Bruder nachfolgen zu lassen. Wolff Gab es danach noblesse de la robe? Schuller Insofern, als die höheren Chargen dann den consularischen Rang bekamen. Liebs Ich möchte anknüpfen daran, daß man zwischen den verschiedenen Ämtern vielleicht doch stärker differenzieren sollte. Die Höhe der Sportein hätte sich nach diesem schönen Bild, das Sie gezeichnet haben, für den Bürger also fast nicht geändert gegenüber dem Prinzipat in der Spätantike. Aber ist es denn nicht so, daß gerade Konstantin in diesem argen Gesetz auf einmal feststellt, daß der Bürger, um den Provinzpräsidenten, den Richter, auch nur zu sehen, schon an Türsteher und viele andere Gelder zahlen muß? Ist nicht die Zahl der von einem normalen Bürger aufzubringenden Beträge für eine einzige Amtshandlung vervielfacht worden? Schuller Das habe ich nun nicht quantifiziert. Trotzdem würde ich sagen: Wäre es beim alten geblieben, dann wäre die schlichte geregelte Bezahlung der Tätigkeit der genossenschaftlich organisierten Beamten geblieben, und das hätte sich im Rahmen gehalten; aber nun kam doch Zusätzliches hinzu. Wie das nun zu quantifizieren und aufzuteilen ist, das steht noch dahin. Wunder Eine Frage ist in diesem Zusammenhang auch für Nicht-Althistoriker interessant. Ihre Darstellung dieser Beamten mutet eigentlich an wie die Beschreibung einer Adelsschicht, die jetzt in einer gewissen Organisationsform eine Rolle in der Zentralverwaltung spielt. Wesentlich ist dabei die Frage, ob diese Schicht sich selbst rekrutiert. Sie sagten, ein gewisser sozialer Level war für den Eintritt erforderlich - gab es auch andere Aufstiegsmöglichkeiten? Hatte diese mittlere Beamtenschaft auch Möglichkeiten, weiter aufzusteigen, so durch Protektion, in den Ritterstand, in den senatorischen Stand?
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Schuller Es war möglich, wenn er bis ganz oben hingelangte; das nahm dann zu im Laufe der Zeit, so daß immer mehr Leuten der senatorische Rang oder gar konsularischer Rang verliehen wurde. Wunder Und aus welchen Schichten konnten sie im Extremfall sich rekrutieren, wie weit hinunter? Schuller Ich würde sagen, im Extremfall mag es vorgekommen sein, daß auch jemand von ganz unten gekommen ist, aber im Normalfall war es schon eine Angelegenheit der Curialen. Wunder Daher vielleicht auch der Drang der Decurionen nach Eintritt in diese Gruppe, wie Herr Hahn ja mit Recht gesagt hat; es war eine Flucht nach vorn, man wollte in diesen Stand gelangen. Das ist der Stand, von dem ich gesprochen habe. Über das Amt konnte man also aufsteigen. Breebaart Ich bin sehr froh, daß die Frage der Amtsmoral aufgekommen ist, weil ich das Gefühl habe, daß alle diese Tage schon der Hintergrund darin besteht, was eigentlich die Amtsmoral und der Amtsgedanke dabei für eine Rolle spielen. Ich habe das Gefühl, daß für unsere ganze Frage nach der Korruption die Mentalität des Beamten wichtig ist; in der Literatur des Alten Orients gibt es bestimmt mehr darüber, aber für die klassische Antike ist es auch wichtig. Wir sehen also, daß hier die Beamten, die Sie beschrieben haben, einerseits eine militia und straff und genossenschaftlich organisiert sind, andererseits aber auch gewissermaßen an der Ideologie der honores partizipieren. Sie sind Generalisten, sie sind keine Spezialisten; Pedersen hat das herausgearbeitet. Da habe ich doch das Gefühl, daß es noch nicht klar ist, auf welcher Linie wir urteilen müssen. Sie kennen vielleicht den merkwürdigen Schluß eines Dialogs von Lucían, wo er sich gegen einen Griechen verteidigt, der ihn beschuldigte, daß er in den Dienst des Kaisers getreten ist, und da sagt er: „Ja natürlich, man darf im kaiserlichen Dienst sein Geld verdienen, man darf das gerade nicht mit einem ιδιωτικός μισθός vergleichen, den man in einem privaten Arbeitsverband zu erlangen hofft'." Solche Stellen über die Motivation zum Staatsamt (hier vielleicht ein sehr beschränktes) sollte man sammeln.
L u k i a n , A p o l o g i e , 12.
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Schuller Das ist sehr richtig; man muß zur Erkenntnis dessen, was Korruption ist, auch gewissermaßen das Gegenteil, das N o r m a l e betrachten, und dazu gehört gewiß die Beamtenmentalität, die manchmal Beamtenethos sein kann. Dazu haben Sie - Herr Helck hat es j a auch gestern f ü r Ägypten erwähnt - mit Recht gesagt, daß es so etwas im spezifischen Sinne eher im Alten Orient gegeben hat, vor allen Dingen im alten Ägypten.
Liebs Ich frage mich auch im Augenblick, w o man etwas über Beamtenethos finden kann. M a n muß aber wohl unterscheiden zwischen den o f f i c i a und den höheren Beamten. Über die höheren Beamten findet man in der Historia Augusta, glaube ich, eine ganze Menge, aber bezeichnenderweise nichts über die kleineren. Erstaunlicherweise findet man auch nichts in den Juristenschriften D e o f f i c i o proconsulis usw., sondern allenfalls ergänzend in so etwas wie dem A n o n y m u s de rebus bellicis. A b e r vielleicht ist das von außen herangetragen.
Fusco Wir müssen vielleicht unterscheiden zwischen diesen o f f i c i a , bei denen diese soziale Mobilität gewährleistet ist - so kommen die primicerii der notarii zu den consularischen Ehren - , und dagegen den anderen Ämtern, die schon von vornherein als dignitates genannt werden und außerhalb der o f f i c i a liegen und die immer von der Aristokratie bekleidet werden; sie stellen auch räumlich einen Unterschied dar, insofern als sie großstädtische Ämter sind, also in Konstantinopel und R o m .
Schuller Die meinte ich nicht bei dieser ganzen Sache, sondern das Interessante sind hier die anderen.
Fusco Ich weiß aber nicht, ob man die ganz weglassen kann, da die Hauptstädte der beiden Teile des Reiches doch durch die dignitates verwaltet werden.
Brunner Sie haben vorhin die Frage des Ethos angesprochen, das mit Korruption oder Verhinderung der Korruption aufs engste zusammenhängt. Ich frage mich und frage Sie, w o die Beamten ihr Ethos herbezogen haben. Bei den consularischen Ämtern ist es wohl so, daß das in der Familientradition lag und sich das vererbt, da erfährt eben der Sohn vom Vater beim Mittagstisch das Betreffende oder wie immer. Welche Ausbildung haben aber diese kleinen Beamten, die j a auch von einfachen Leuten herkamen, überhaupt gehabt, und w a r mit dieser Ausbildung eine Erziehung verbunden?
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Schuller Keine Ausbildung. Brunner Das ist erstaunlich. Clauss Die normale, die m a n innerhalb einer besseren Schicht hatte. Schuller Keine technische Ausbildung, eine Allgemeinbildung: Schreiben, lesen können, in der Literatur Bescheid wissen, also literarische Ausbildung, wenn man das als Ausbildung n e n n t ; aber keine auf ein Amt bezügliche. Liebs Im Prinzipat hatten die officiales oder Subalternbeamten in der Tat keinerlei Ausbildung, keinerlei Ethos, was ich daraus schließe, d a ß so eine kleine militia frei käuflich war. Breebaart K ö n n e n Sie sagen, d a ß die einseitige literarische Ausbildung schlechte Erfolge f ü r die Amtsausübung gehabt hat? Ich frage das, weil es oft in modernen Publikationen dargestellt wird, d a ß die ganze spätantike Administration nur literarische Exempla gehabt u n d keine technische Kenntnisse besessen habe, u n d d a ß das negativ bewertet wird. Kolb Ramsay MacMullen hat für das 3. J a h r h u n d e r t gezeigt, d a ß in weiten Bereichen die einfachen Beamten nicht einmal ordentlich rechnen konnten, geschweige d e n n spezifische Kenntnisse für ein gewisses Amt hatten. Peremans Für die technische Ausbildung in der Spätantike k a n n ich Ihnen nicht helfen, aber f ü r die technische u n d literarische Ausbildung im ptolemäischen Ägypten hat man einige Hinweise g e f u n d e n , u n d da stellt sich heraus, d a ß die Ausbildung im ptolemäischen Ägypten aus dem pharaonischen Ägypten stammt. Das ist eine Linie vom Alten Orient in das ptolemäische Ägypten. Das ist sehr gut ausgearbeitet worden von Dorothy C r a w f o r d , The G o o d Official 2 . Ich frage mich, ob die Linie nicht nach der Spätantike weitergezogen worden ist? 2
The G o o d Official of Ptolemaic Egypt, in: H. Maehler/V. M. Strocka, Das ptolemäische Ägypten, Mainz 1978, 195-202.
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Diskussion
Schuller Das ist die Frage, wie es ü b e r h a u p t mit dem Verhältnis vom Ptolemäerreich zur Spätantike steht. Ich glaube aber nicht, d a ß hier eine dichte Verbindung besteht, u n d das deshalb, weil die spätantike Beamtenschaft sich z.T. aus den collegia entwickelt hat. Schmidt Vielleicht wäre in diesem Z u s a m m e n h a n g auch die Rhetorenschule zu nennen, die eine Reihe von höheren Beamten besucht hatte, u n d die in ihrer ständigen Repetition u n d Variation historischer Exempla Ansätze zu einem Beamtenethos schaffen konnte. Aurelius Victor ζ. B., der eine solche Ausbildung durchlaufen hatte u n d d a n n bis zu den höchsten Rängen der Verwaltung aufstieg, arbeitet in seinem Geschichtswerk in diesem Sinne mit historischen Exempla. Wolff In der Spätantike gab es j a eine ganz systematisch geordnete u n d ziemlich lange juristische Ausbildung, zunächst mal f ü r die Anwälte. Aber wieweit wurden die Beamten, vielleicht nur die f ü r den Justizdienst, aber auch Verwaltungsbeamte, aus dieser Anwaltschaft g e n o m m e n ? O b die eine wirkliche juristische Ausbildung hatten? Liebs Juristische Ausbildung so gut wie gar nicht. Von 150 zwei. Schuller Es gibt welche, aber das ist nicht spezifisch. Clauss Die Verwaltungsbeamten sind keine Juristen.
Helmut Castritius
Korruption im ostgotischen Italien*
Die Ursache der Korruption im so zweckrational organisiert anmutenden spätrömischen Staat, ihr Ausmaß und die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen hat man damit zu erklären versucht, daß im gesellschaftlich-staatlichen Leben der Spätantike zwei sich widersprechende gesellschaftliche Zustände aufeinanderstießen und sich der Normenkonflikt zwischen traditionalem (privatem) und neuem (rational-öffentlichem) Verhalten in der Korruption, deren durch den Wandel der Standards verursachte Fortentwicklung noch zusätzlich bedacht werden muß, ein Ventil schuf, damit diese Dichotomie nicht zu einem Kollaps der Gesellschaftsordnung führte 1 . Dabei ist in diesem Erklärungsversuch keineswegs außer acht gelassen, daß die Auffassung von der Dichotomie konkurrierender Verhaltensmuster und sozialer Kräfte in der Spätantike ein idealtypisches Modell darstellt, daß vielmehr die gesellschaftliche Wirklichkeit eher durch ein kompliziertes Mischungsverhältnis öffentlicher und privater Normen, durch deren Nebeneinander wie durch Überlagerung und Ineinanderübergehen gekennzeichnet war. Was Italien und seine unmittelbaren Nachbargebiete nach dem Sturz des letzten weströmischen Kaisers Romulus betrifft, so stellen sich dieser Vorgang und die daraus resul-
* Erweiterter u n d mit den wichtigsten Belegen versehener Text eines Vortrags, der am 10.10.1979 im R a h m e n des internationalen S y m p o s i u m s zu Fragen d e r antiken K o r r u p t i o n in K o n s t a n z gehalten wurde. Den an der anschließenden Diskussion beteiligten Kollegen, allen voran H e r r n Kollegen SCHULLER, v e r d a n k e ich wichtige Hinweise u n d A n r e g u n g e n . Ebenso sei den Kollegen CLAUDE, M a r b u r g , u n d LOTTER, G ö t t i n g e n , für f ö r d e r n d e n Rat g e d a n k t . Das T h e m a selbst bedarf eines viel u m f a s s e n d e r e n u n d intensiveren Zugriffs als der vorliegende. Als Erkenntnisziele einer solchen T h e m e n b e a r b e i t u n g , die hiermit in Angriff g e n o m m e n ist, k a n n m a n v o r a b n e n n e n : a) K o m p l e t t i e r u n g der Liste d e r E r s c h e i n u n g s f o r m e n von K o r r u p t i o n im Ostgotenreich; zu d e n k e n wäre hier an alle Vergehen, die im Z u s a m m e n h a n g mit Einrichtungen des Zwangsstaates stand e n , von halbstaatlichen Stellen her ihren Ausgang n a h m e n (also etwa an Wirtschaftsvergehen), an Verstöße bei der coemptio, d e r pignorano u n d a.m. b) bessere Einsichten in die Wirtschaftspolitik Theoderichs c) g e n a u e r e E r k e n n t n i s der Prinzipien des sachlichen Verwaltungshandelns, gen a u e r e Bestimmung d e r F u n k t i o n e n d e r verschiedenen Amtsstellungen u n d deren W a n d e l u n d somit Weiterentwicklung wie K o r r e k t u r der Ergebnisse MOMMSENS u n d ENSSLINS d) Rekonstruktion d e r weniger gut bezeugten Verhältnisse in Verwaltung u n d Wirtschaft des weströmischen Reiches des 5. Jh.s auf d e r G r u n d l a g e unseres breiteren u n d tiefenscharfen Wissens über d a s Ostgotenreich (schönes Beispiel d a f ü r : Die Zuweisung d e r Zuständigkeit f ü r das Siliquaticum an d e n comes sacrarum largitionum durch R. DELMAIRE, in : A r m é e et Fiscalité d a n s le m o n d e antique, Paris 1977, S. 324 f.). 1
W. SCHULLER, Z P E 16, 1975, 1-21 bes. 21 ; ders., Der Staat 17, 1977, 373-392 bes. 391. Die starke B e t o n u n g der Ventil- u n d Stabilisierungsfunktion geht zu Lasten des Vf.
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H e l m u t Castritius
tierenden politischen Verhältnisse auf der Reflexionsebene des historischen Bewußtseins, wie es sich in den Manifestationen und Artikulationen der spätantiken stadtrömischen Senatsaristokratie fassen läßt 2 , anders dar als in der Beurteilung durch die die neue Herrschaft repräsentierenden Kreise und als von der Warte des wertenden und erklärenden Historikers aus. Während die Senatsaristokratie oder zumindest ihre besonders traditionell denkenden Teile an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert zu der Einsicht kamen - und diese auch artikulierten - , daß das Imperium Romanum in seiner westlichen Ausprägung des imperium Hesperium unwiederbringlich untergegangen und eine neue Qualität von Herrschaft und Ordnung an seine Stelle getreten sei, haben die germanischen Herrscher Italiens ein imperiales, letztlich aus dem spätrömischen Staatsrecht abgeleitetes und als spätrömische Institution zu verstehendes Königtum 3 nicht nur propagiert, sondern wohl auch selbst an ein solches geglaubt, und galt ihr ganzes Streben einer vom Kaiser in Konstantinopel anerkannten Herrscherstellung und Königsgewalt. Es hat so einen guten Grund, daß die Forschung - wenn auch unter einer gewissen Hintanstellung schichtenspezifischer Besonderheiten im reflektierten Bewußtsein der Menschen des 5. und 6. Jahrhunderts - das Ostgotenreich als spätantik verfaßt ansieht und einen entscheidenden Verlust an Staatlichkeit erst für die außerhalb Italiens entstandenen Reichsbildungen germanischer Völker wie der Franken und Westgoten konstatiert, deren Entwicklung und Struktur im Unterschied zum Ostgotenreich durch aus indigenen Wurzeln gespeiste Feudalisierungsprozesse bestimmt worden sind. Odoaker und Theoderich - wenn diese Personalisierung der Einfachheit halber einmal erlaubt sei - haben die spätantike Staatsorganisation mit ihrer hochspezialisierten und vielfach differenzierten Bürokratie nahezu bruchlos fortgesetzt und erhalten. Ausdruck und Niederschlag dieses Kontinuitätsbemühens der Machtträger in den völkerwanderungszeitlichen Reichsgründungen auf dem Boden des Imperium Hesperium waren etwa die Transformierung der gentilen Staatsidee in eine territorial bestimmte 4 oder die Imperialisierung des Königtums 5 zur Legitimierung der Herrschaft auch gegenüber den Romani. In den Reichen der Ost- und Westgoten, Burgunder und spani-
2
1
4 s
Vgl. Vf., Das Problem des Epochenbewußtseins am Beispiel der Reaktion auf die Vorgänge des Jahres 476 n.Chr., Mitteil. TU Braunschweig 10, H. 2, 1975, 13-18. Zu den differenzierten Sichtweisen und Auffassungen der stadtrömischen Senatsaristokratie an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert vgl. das leider zu wenig beachtete Buch von M. A. WES, Das Ende des Kaisertums im Westen des Römischen Reiches, 's-Gravenhage 1967. Vgl. H. WOLFRAM, Intitulatio I, G r a z - W i e n - K ö l n 1967; ders., Gotisches Königtum und römisches Kaisertum von Theodosius dem G r o ß e n bis Justinian I., Friihma. Stud. 13, 1979, 1 —28, und TH. S. BURNS, The Ostrogoths. Kingship and Society, Wiesbaden 1980 (Historia-Einzelschriften 36). Zu dieser Problemstellung vgl. D. CLAUDE, Friihma. Stud. 6, 1972, 1-38. Vgl. WOLFRAM (wie o. Anm. 3) und D. CLAUDE, Zur Königserhebung Theoderichs des G r o ß e n , in: Geschichtsschreibung und geistliches Leben im Mittelalter. Festschr. H. LÖWE, hrsg. v. K. HAUCK u. H. MORDEK, K ö l n - W i e n 1978, S. 1-13.
K o r r u p t i o n im ostgotischen Italien
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sehen Sueben ist die dem Westgotenkönig Athaulf von Orosius zugeschriebene Erkenntnis und Absicht weitgehend verwirklicht worden, nicht eine Gotta an die Stelle der Romania zu setzen, sondern - zum eigenen Ruhm, wie es heißt - die Wiederherstellung und Mehrung des Römernamens durch die Kraft der Barbaren zu bewerkstelligen (Oros, adv.pag. VII 43, 4f.). Dabei hatte der Ostgote Theoderich mehr Zeit und auch größere Macht als Odoaker, der spätrömischen Zivilverwaltung eine barbarische, gotische Administration an die Seite zu stellen. In beabsichtigter Konkurrenz zur römischen Beamtenhierarchie schuf der König die comitiva Gothorum, deren Inhaber er dem gotischen Heer entnahm. Herwig Wolfram hat diesbezüglich prägnant formuliert, Theoderich habe „so das von Diokletian etablierte System der Kompetenzüberschneidungen um eine ethnische Komponente bereichert" 6 . Ob man deswegen jedoch von einem dualistischen Staatsaufbau sprechen kann 7 , erscheint mir als sehr fraglich; selbst bezüglich des eher durch ein Nebeneinander als durch ein Miteinander in Staat und Gesellschaft geprägten Vandalenreiches wird die Auffassung von einer dualistischen Struktur heute zunehmend relativiert. Wiederherstellung und Bewahrung der spätrömischen Institutionen und Verwaltungsstrukturen im Ostgotenreich sind ebensowenig Thema dieser Ausführungen wie eine staatsrechtliche Analyse der Stellung des Ostgotenkönigs. Zu beiden Problemkreisen liegen hervorragende Spezialuntersuchungen und diese auswertende, zusammenfassende Darstellungen vor 8 , die jeweils heranzuziehen sind. Kommen wir vielmehr auf unsere Eingangsbemerkung zurück, auf unsere Feststellungen bezüglich des die spätantike politisch-gesellschaftliche O r d n u n g kennzeichnenden Normenkonflikts, und ergänzen sie mit einer hypothetischen Überlegung. Wird man nicht davon ausgehen müssen, daß sich der Konflikt zwischen öffentlichen und privaten Verhaltensformen noch verschärfte, als auf die durch ihn charakterisierbare spätantike Gesellschaft eine ethnisch heterogene und vielfach geschichtete Völkergemeinschaft wie die der Ostgoten mit eigenen und daneben, auf G r u n d der langen Wanderungszeit, auch angepaßten Verhaltensmustern traf? Der nach der Landnahme in Italien von den Ostgotenkönigen bewußt ausgeübte Anpassungsdruck zur Destabilisierung der in weiten Bereichen wohl noch traditionalen Stammesgesellschaft und die Einflüsse der die germanischen Ansiedler umgebenden spätrömischen Gesellschaft Italiens und der unmittelbar un-
'
H. WOLFRAM, Geschichte der Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie, München 1979, S. 362. ' Nach der Auffassung von CLAUDE (wie o. Anm. 4) waren Römer und Goten im Italien Theoderichs sogar weiter voneinander getrennt als im Westgotenreich (ebd. S. 10). 8 TH. MOMMSEN, Ostgothische Studien, Neues Archiv 14, 1889, 225-249 u. 453-544 ( = Ges. Schriften VI 387ff.); w . ENSSLIN, Theoderich der Große, München 2 1959; E. STEIN, Histoire du BasEmpire II, Paris 1949; A. H. M. JONES, The Later R o m a n Empire I—III, Oxford 1964, bes. I S. 253ff.; dazu die schon zitierten Arbeiten von WOLFRAM und BURNS (wie o. Anm. 3).
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ter ostgotischer Botmäßigkeit stehenden Nachbargebiete dürften den genannten, für die Gesellschaftsordnung geradezu konstitutiven Normenkonflikt noch kompliziert haben. Die vielen Fälle von Machtmißbrauch und Übergriffen von seiten der Angehörigen des barbarischen Volkselementes im ostgotischen Herrschaftsbereich mögen vielleicht von dieser zusätzlichen Konfliktsebene her erklärbar sein. Allerdings hat man sich dabei zu fragen, inwieweit sich die Goten bewußt waren, daß sie gegen offizielle Normen verstießen; eine Antwort darauf dürfte schwerfallen. Auch wenn man die Bewußtmachungsversuche von seiten der gotischen Führung in Rechnung stellt, so gibt es kaum Anhaltspunkte und zuverlässige Kriterien, mit Hilfe deren man die Bewußtseinslage der Goten wirklich fassen könnte. Über die ostgotische Administration im allgemeinen und über das konkrete Verwaltungshandeln sind wir verhältnismäßig gut unterrichtet, im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten des weströmischen Reiches sogar besonders gut, besitzen wir doch in den Variae Cassiodors 9 eine in vieler Hinsicht exzeptionelle Überlieferung. Dazu kommen das Edictum Theoderici Regis und das Edikt des Königs Athalarich (in den Variae enthalten) 10 , während die teilweise sogar zeitgenössische literarische und chronikalische Überlieferung nur in seltenen Fällen Erkenntnismöglichkeiten eröffnet. Auf Grund dieser Quellensituation wird man jedenfalls erwarten können, auf die Fragen nach dem Stellenwert der Korruption, nach dem Durchsetzungserfolg rational-öffentlichen Verhaltens gegenüber privatem und nach eventuellen strukturellen Wandlungsprozessen hinreichend gesicherte Antworten zu erhalten. Allerdings würde eine solche Erkenntniszielsetzung die umfassende Aufarbeitung des gesamten zur Verfügung stehenden Quellenmaterials voraussetzen, also der Rechtsquellen, der literarischen und der Überlieferung dokumentarischurkundlichen Charakters (von den Inschriften der Ostgotenzeit sind diesbezügliche Erkenntnisfortschritte allerdings kaum zu erwarten). Ein solcher umfassender Zugriff liegt den folgenden Ausführungen nicht zugrunde, vielmehr soll lediglich der Versuch unternommen werden, die wichtigsten Erscheinungsformen der Korruption gleichsam exemplarisch vorzustellen und dabei den Komplex der Entstehung und Wirkung von Korruption lediglich zu streifen. Aber selbst bei dieser Beschränkung stellt sich die Frage, ob das Phäno'
10
Benutzt w u r d e die Varienausgabe von Λ. J. FRIDH, T u r n h a u t 1973 ( C o r p u s C h r i s t i a n o r u m , series Latina 96, Cassiodori o p e r a pars I), die M o m m s e n s c h e Edition d e r Variae ( M G H Auetores Antiquissimi 12, 1894) w u r d e zusätzlich herangezogen, sie ist nicht zuletzt wegen ihrer Indices unersetzlich. Literatur zu den Varien in der Bibliographie zur Edition der Variae von FRIDH; speziell sei auf A. TH. HEERKLOTZ, Die Variae des C a s s i o d o r u s Senator als kulturgeschichtliche Quelle, Diss. Heidelberg 1926, auf E. SCHWARTZ, ZU C a s s i o d o r u n d P r o k o p , SB Bayer. A k a d . Wiss., phil.-hist. Abt. Jhg. 1939, H. 2 ( M ü n c h e n 1939) u n d auf J. O'DONNEL, Cassiodorus, Berkeley-Los Angeles 1979, verwiesen. Die Frage der Zuweisung des E d i c t u m Theoderici Regis scheint endgültig - u n d zwar zugunsten des Ostgotenreiches - entschieden zu sein (vgl. H. NEHLSEN, Z R G germ. Abt. 86, 1969, 246-260). Das Edictum Theoderici w u r d e in d e r Edition der M G H Abt. Leges V benutzt, d a s Edictum Athalarici Regis in der Varienausgabe von Fridh (Var. IX 18).
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men des A m t s m i ß b r a u c h s durch Geistliche aus der Betrachtung herausgehalten w e r d e n kann o d e r nicht. Im Westgotenreich u n d im merowingerzeitlichen F r a n k e n r e i c h haben die geistlichen W ü r d e n t r ä g e r , v o r allem die B i s c h ö f e , zun e h m e n d staatliche H o h e i t s f u n k t i o n e n ausgeübt, u n d auch im ostgotischen Italien begegnen uns kirchliche A m t s t r ä g e r als quasi-staatliche Autoritäten und in quasi-staatlichen F u n k t i o n e n . Andererseits k o r r e s p o n d i e r t e diese Entw i c k l u n g im westgotischen S p a n i e n und im gallischen F r a n k e n r e i c h mit dem bereits erwähnten Verlust an Staatlichkeit, und erreichte d a d u r c h die Beteiligung der K i r c h e an den hoheitlichen A u f g a b e n eine a n d e r e Qualität als im Ostgotenreich, so daß eine Nichtberücksichtigung dieses Problemkreises vertretbar ist.
I.
Stellen wir einen aus den Quellen z w e i f e l s f r e i b e l e g b a r e n T a t b e s t a n d an den A n f a n g , dessen Z u g e h ö r i g k e i t zum T h e m a K o r r u p t i o n , so w i e wir sie verstehen, z u g e g e b e n e r m a ß e n j e d o c h problematisch ist, sind die feststellbaren Vergehen doch eher als A u s f l ü s s e und A u s w ü c h s e a u f G r u n d einer privilegierten sozialen o d e r f u n k t i o n a l e n Stellung als aus A m t u n d Amtsautorität resultierende, widerrechtlich v e r s c h a f f t e persönliche Vorteile zu werten. Unter dem bereits genannten A s p e k t der A n r e i c h e r u n g und K o m p l i z i e r u n g des f ü r den spätantiken Staat u n d damit w o h l auch f ü r das ostgotische Italien als konstitutiv anzusehenden N o r m e n k o n f l i k t s wird m a n j e d o c h die f o l g e n d e Problematik nicht a u s k l a m m e r n d ü r f e n . W i r meinen die G e w a l t t a t e n und Überg r i f f e der G o t e n - G o t e n nicht im strikt ethnischen S i n n , s o n d e r n alle B e v ö l kerungselemente m i t u m g r e i f e n d , die sich T h e o d e r i c h s Z u g nach Italien angeschlossen hatten und dort angesiedelt w o r d e n w a r e n - g e g e n ü b e r den B e w o h nern Italiens und seiner zum Ostgotenreich g e h ö r e n d e n Grenzgebiete. M a n sollte diesen V e r g e h e n s k o m p l e x auch schon d e s h a l b nicht a u s s p a r e n , weil mit seiner B e h a n d l u n g zugleich eine grundsätzliche Problematik der Ostgotenh e r r s c h a f t in Italien, j a aller v ö l k e r w a n d e r u n g s z e i t l i c h e n Staatsgebilde, gew i s s e r m a ß e n ihr G e b u r t s - und Strukturfehler, berührt w i r d u n d eine zusätzliche K o m p o n e n t e , die wir die ethnische nennen w o l l e n , mit in die Betrachtung h i n e i n k o m m t . E s ist schwieriger, als es a u f den ersten Blick erscheinen m a g , eine e x a k t e T r e n n u n g s l i n i e zwischen den F ä l l e n v o n G e w a l t - und U n t e r d r ü c k u n g s m a ß n a h m e n zu ziehen, f ü r die ein Rechtstitel in w e l c h e r F o r m auch immer der A u s g a n g s p u n k t w a r , u n d denjenigen Ü b e r g r i f f e n , die a u f b l o ß e r W i l l k ü r beruhten. Z u r zweiten K a t e g o r i e u n d damit nicht eigentlich zum T h e m a K o r ruption kann m a n die V o r f ä l l e rechnen, die als A u s f l u ß der sozialen U n g e rechtigkeit und Ungleichheit im Ostgotenreich d e u t b a r sind u n d in denen die ethnische K o m p o n e n t e keine e r k e n n b a r entscheidende R o l l e spielte. E s w a -
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ren dies Gewaltmaßnahmen mächtiger Goten - sagen wir des gotischen oder allgemeiner des barbarischen Adels Italiens - gegenüber der breiten Masse der Goten und Romani gleichermaßen. Man wird sie als Einzelfälle interpretieren müssen. Das berühmteste Beispiel dafür war der Fall des Amalers und späteren Ostgotenkönigs Theodahad, der - wie Prokop sagt (Bell. Goth. I 3,2) - „keinen Nachbarn dulden wollte". In schrankenloser Habgier und Herrschsucht, die Goten und Römer in gleicher Weise trafen, hatte dieser seinen Grundbesitz derart arrondiert, daß später Gregor von Tours von ihm als dem „König von Tuszien" (rex Tusciae) sprechen konnte (Hist. Franc. III 31). Durch zwei königliche Immediatentscheide (Var. IV 39 und V 12) wurde er in die Schranken verwiesen, wobei ihm - wie allen Goten und Römern - der Rechtsweg, die Anrufung des Hofgerichts (comitatus), offenblieb. Wenn wir auch viele Details der Affäre nicht kennen, so ist doch sicher, daß Theodahad nicht von einer Amtsstellung aus, etwa als Provinzialstatthalter oder Unterkönig, sein schlimmes Spiel getrieben und damit diese mißbraucht hätte. Vielmehr dürfte der Amaler seine hohe Abkunft in die Waagschale geworfen und die ihm zur Verfügung stehenden Repressionsmittel, eine Art Privatarmee, skrupellos eingesetzt haben, um Goten wie Römer aus ihren Besitzungen zu vertreiben. Der Fall Theodahad hatte jedenfalls einen hochpolitischen Akzent im Unterschied zu anderen überlieferten Beispielen für Übergriffe Mächtiger. Theodahad als der direkte Nachkomme der halbgöttlichen Amaler Gaut, Amai und Ostrogotha war von Theoderich systematisch kaltgestellt worden, nach dem Tode des Königs hatte er sich jedoch einen Teil der königlichen Erbschaft anzueignen vermocht, indem er das in Tuszien gelegene Patrimonium an sich riß. Wie Prokop (Bell. Goth. I 3,4) glaubhaft berichtet, wollte der Amalersproß im Jahre 533, also noch zu Lebzeiten des Ostgotenkönigs Athalarich, des Nachfolgers Theoderichs, die rechtmäßig erworbenen und die usurpierten Besitzungen an Kaiser Justinian gegen Asyl in Konstantinopel und eine angemessene Rente abtreten, die im folgenden Jahr im Ostgotenreich sich überstürzenden politischen Ereignisse machten diese Absicht jedoch gegenstandslos. Das damalige Verhalten des Theodahad erfüllte jedenfalls den Straftatbestand des Hochverrats; aus politischen Gründen und Zwängen legalisierte jedoch die Theoderichtochter Amalaswintha die Umtriebe ihres Vetters und erhob ihn nach dem Tode des Athalarich (534) zum Mitregenten. Liegen die politischen Implikationen der Affäre Theodahad deutlich genug auf der Hand, so wird für die gut bezeugten Gewalttaten und Übergriffe anderer Mächtiger im Ostgotenreich eine einfachere Erklärung ausreichen, etwa Lust zur Gewalttätigkeit oder Habsucht. Im Edictum Athalarici Regis (Var. IX 18) prangerte der Nachfolger Theoderichs diejenigen an qui praedia urbana vel rustica despecto iuris ordine per se suosque praesumpserint expulso possessore violenter intrare und verschärfte gleichzeitig eine sich auf den Straftatbestand der invasio oder pervasiobeziehende Novelle Valentinian III. (Nov. Val.
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VIII 1,2) aus dem Jahre 440 (die wiederum Bezug nimmt auf Cod.Theod. IV 22,3 vom Jahre 389). Auch die consolatiophilosophiae des Boethius enthält ein langes Register solcher Übergriffe und privater Räubereien (I 4,10-14), wobei namentlich zwei Goten angeprangert werden, die in Beziehung zum Hofe Theoderichs standen bzw. ein Hofamt innehatten". Machtmißbrauch auf der Grundlage privilegierter sozialer Stellung und Amtsvergehen lassen sich in diesem Fall nicht exakt voneinander trennen, wahrscheinlich ist beides hier zusammenzunehmen. Es verwundert allerdings nicht, daß der Aristokrat Boethius, der bis zu den höchsten Amtsstellungen gelangte 12 , den ethnisch-kulturellen Gegensatz zwischen Römern und Barbaren am Ende seines Lebens so stark herausstellte und vor allem die avaritia der letzten verurteilte. - Man kann in diesem Z u s a m m e n h a n g die Vermutung äußern, d a ß mindestens ein Teil der Übergriffe der Goten ohne die stillschweigende Kenntnis und Duldung, wenn nicht Mitwirkung, der lokalen und regionalen Amtsstellen gar nicht möglich gewesen wäre. Die Drohung Athalarichs, seine Gewaltboten, die Sajonen' 3 , einzusetzen, um den Mißständen beizukommen, könnte für diese Auffassung sprechen. So gesehen würden die genannten Beispiele durchaus in den Umkreis des Phänomens Korruption, an seinen Rand, gehören, wenn auch Motive und Auslöser sowie die Durchsetzungsmöglichkeiten und Methoden andere gewesen waren als die üblicherweise mit dem Komplex Korruption verbundenen. Um dem Aspekt Übergriffe und Gewalttaten im Ostgotenreich noch eine andere und u.E. auch wichtige Seite abzugewinnen: Es sind vor allem zwei Bereiche, für die wir solche Vorkommnisse nachweisen können, und beide haben etwas mit der von uns bereits apostrophierten ethnischen Komponente zu tun, einmal die Grundbesitzverhältnisse und zum anderen das Heerwesen und der Militärdienst. Schon bei der Ansiedlung des von Theoderich nach Italien geführten polyethnischen Heeres auf italischem G r u n d und Boden dürften gewaltsame Auseinandersetzungen unvermeidlich gewesen sein. Die Niederlassung der Barbaren war zwar unter das Recht gestellt und nach dem römischen Quartierlastengesetz, der hospitalitas, für den italischen Grundbesitzer prinzipiell durchaus erträglich geregelt worden 1 4 , aber in der Praxis
" M a ß g e b l i c h e Ausgabe der consolano ist die von L. BIELER, T u r n h a u t 1957 ( C o r p u s Christianor u m , series Latina 94, pars I), vgl. den K o m m e n t a r zur consolatio von J. GRUBER, B e r l i n - N e w York 1978 (Texte u n d K o m m e n t a r e 9). Von Boethius, d e consolât, phil. I 4,10 werden n a m e n t l i c h die G o t e n Konigast u n d Trigguilla als Rechtsverletzer g e n a n n t (s. dazu G r u b e r S. 119). 12 Zu Boethius vgl. J. SUNDWALL, A b h a n d l u n g e n zur Geschichte des a u s g e h e n d e n R ö m e r t u m s , Helsingfors 1919, K a p . II S. 101—104; weitere Literatur bei G R U B E R (wie o. A n m . II). 13 Zu den Sajonen vgl. WOLFRAM (wie o. A n m . 6) S. 367 f. 14 Z u r H a n d h a b u n g der L a n d a b t r e t u n g an die G o t e n vgl. SUNDWALL (wie o. A n m . 12) K a p . IV S. 194f., V. B I E R B R A U E R , Z u r ostgotischen Geschichte in Italien, Studi Medievali, ser. III, 14, 1973,10-26, BURNS (wie o. A n m . 3), S. 78-87, u n d allgemein zur hospitalitas, wie sie gegenüber den Föderatenheeren zur A n w e n d u n g k a m , WOLFRAM, Friihma. Stud. 13, 1979, 4 mit A n m . 23 (dort die w e i t e r f ü h r e n d e Lit.); als Theoderich nach Italien zog, war er der A n f ü h r e r eines W a n -
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dürfte es wohl doch ernste Schwierigkeiten gegeben haben. Auch ist zu vermuten, daß es an Versuchen der Bestechung und Erpressung der Mitglieder der Landverteilungskommission nicht gefehlt haben wird, wenn es dafür auch keine Belege gibt. Insgesamt jedoch scheint sich die Ansiedlung der Goten und der anderen Volkssplitter, die mit Theoderich nach Italien gezogen waren, in verhältnismäßig geordneten Bahnen vollzogen zu haben. Unter der Leitung des Prätorianerpräfekten Liberius" wurde sie durch einen Stab von Unterbeamten, den delegatores, in römisch-rechtlichen - man ist versucht zu sagen rechtsstaatlichen - Formen durchgeführt, bei Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen scheint die Zentrale in Ravenna unparteiisch eingegriffen zu haben. Auch die weitere Entwicklung der Besitzverhältnisse in Italien stand unter königlicher Kontrolle, man wollte wohl vor allem verhindern, daß ein ungünstiges Klima zwischen Goten und Römern entstand. Inwieweit Korruption bei der Landnahme und Ansiedlung der Goten in Italien eine Rolle spielte, läßt sich jedenfalls nicht erkennen. Für den Bereich von Heerwesen und Militärdienst kann man einen deutlicheren Sinnzusammenhang mit dem Thema Korruption konstruieren. Es war gewissermaßen das Grundgesetz der ostgotischen Herrschaft in Italien, daß Heerwesen und Kriegsdienst ausschließlich 16 den Barbaren vorbehalten blieb. Cassiodor hat diesen Grundsatz in einem Schreiben an den vir spectabilis Valerianus in die klassische Formel gegossen : Dum belligerat Gothorum exercitus, sii in pace Romanus (Var. XII 5,4). Jeder waffenfähige Gote oder Barbar war gleichzeitig Soldat, und zwar bis zu seiner Dienstunfähigkeit, war sozusagen ein Staatsdiener mit einer spezifischen Funktion. Der exercitus Gothorum war kein gefolgschaftlich strukturiertes Aufgebot mehr oder ein Gewalt- und Räuberhaufe, wie er uns noch im 5. Jahrhundert allenthalben begegnete, sondern eine Berufsarmee nicht unähnlich dem spätrömischen Bewegungsheer mit seinen Eliteformationen; die aktiv Diensttuenden empfingen Verpflegung und Verpflegungsgelder und stellten ihre Mobilität und Einsatzbereitschaft durch ihren jährlichen Marsch nach Ravenna - die einzelnen gotischen Tausendschaften absolvierten diesen anscheinend turnusmäßig unter Beweis, wo sie aus der Hand des Königs ein Donativum von vielleicht 5 Solidi empfingen 17 . Bei den Dislokationen und militärischen Einsätzen der gotisch-barbarischen Truppen ist es aber immer wieder zu Übergriffen und Gewalttaten wie Raub, Plünderung und Selbstverproviantierung und damit zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung des Lebens der Zivilbevölked e r h a u f e n s , in dem die Ostgoten lediglich z a h l e n m ä ß i g u n d bewußtseinsbildend d o m i n i e r t e n (bei E n n o d i u s , Paneg. dictus T h e o d o r i c o Regi 26, ist dieser Z u s t a n d noch e r k e n n b a r ) ; zum W a n del der heterogenen G e f o l g s c h a f t Theoderichs zu einer frühmittelalterlichen gens vor wie nach grundlegend R. WENSKUS, S t a m m e s b i l d u n g u n d Verfassung, K ö l n - W i e n 2 1977, S. 482ff. 15
SUNDWALL ( w i e o. A n m .
12) K a p . II S.
133-136.
" Auf A u s n a h m e n von dieser Regel wird in der einschlägigen Literatur (ENSSLIN, WOLFRAM) passim hingewiesen. "
ENSSLIN ( w i e o . A n m . 8) S. 1 9 0 ; WOLFRAM, F r i i h m a . S t u d . 13, 1979, 15.
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rung gekommen. Die Annahme liegt nahe, daß die Ursache für diese Vorkommnisse neben der immer in Rechnung zu stellenden Raublust und Neigung zur Gewalttätigkeit barbarischer Truppenteile (wie überhaupt jeder Soldateska) das nicht immer funktionierende System der Heeresbelieferung war, die in der Zuständigkeit des Prätorianerpräfekten stand. Solche Übergriffe und Ausschreitungen sind in den Varien mehrfach bezeugt (Var. XII 5 für Lukanien und Bruttium ; V 10 und 11 hinsichtlich der Gepidi ad Gallias destinali), ebenso aber auch das Bemühen der Zentrale in Ravenna, solchen Vorgängen vorzubauen (Var. III 42 bezüglich der possessores Galliaen), mit Schutzversprechen dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nachzukommen (vgl. Var. XI 8, 4. 7 f.) und sogar für angetanes Unrecht Schadensersatz zu leisten. So wies im Jahre 508 Theoderich den Bischof Severus an: Proinde aptam considerantes vestris meritis actionem signiflcamus nos per Montanarium sanctitati vestrae mille quingentos solidos destinasse, quos provincialibus, prout quemque praesenti anno exercitu nostro transeunte dispendium pertulisse cognoveris, habita laesionis aestimatione distribuas, ut nullus a nostra munificentia reddatur alienus, quem sua damna gravaverunt (Var. II 8). Das Schreiben enthält dabei Formulierungen, die die Vermutung als nicht abwegig erscheinen lassen, der König habe deshalb den Bischof eingeschaltet, weil er an der Lauterkeit und Unbestechlichkeit profaner Amtsträger gewisse Zweifel hegte' 9 .
II. Der folgende Katalog von Beispielen und Manifestationen von Korruption läßt sich eindeutig dem Komplex Amtsvergehen und Amtsmißbrauch zuordnen, und zwar im Sinne des erarbeiteten Klassifizierungsschemas dem Grundtyp Korruption nach außen. Den Anfang möge dabei ein spektakuläres Geschehen machen - spektakulär nicht nur nach dem Verständnis des modernen Beobachters, sondern auch für die Zeitgenossen - , die Affäre des höchsten Amtsträgers im Ostgotenreich, des Prätorianerpräfekten der italischen Präfektur Anicius Probus Faustus Iunior Niger 20 . Ihre Behandlung und ihr Ausgang wurden von Theoderich mit Absicht als beispielhaft und vorbildlich herausgestellt, seine diesbezügliche Stellungnahme hatte geradezu programmatischen Charakter, wie die Forschung zu Recht betont. Faustus hatte widerrechtlich den Besitz eines gewissen Castorius usurpiert; auf dessen Beschwerde hin befahl der Ostgotenkönig dem Sajo Triuvila, den Castorius in seinen Besitz zu restituieren (Var. III 20,2). Das Restitutionsgebot schloß da18
Vgl. auch Cassiod. Var. III 38 u n d VII 4,3. " Cassiod. Var. II 8: N o l u m u s enim sub c o n f u s i o n e largiri, q u o d dècet sub ratione distribuì. Faustus Niger war P r ä t o r i a n e r p r ä f e k t d e r italischen Präfektur von 507 bis 512; zu ihm vgl. Sundwall (wie o. A n m . 12) K a p . II S. 117-120 u n d A. CHASTAGNOL, Le sénat romain sous le règne d ' O d o a c r e , Bonn 1966 (Antiquitas R. 3,3), S. 82 f.
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bei mit den ernst gemeinten Ermahnungen: „Hier ein Vorgang, der fürderhin allen Amtsträgern Maß und Richtung gebe: der Prätorianerpräfekt hat nicht die Erlaubnis, sich in der Schädigung eines Niedrigen auszutoben, und dem, vor welchem wir uns zum Gruß erheben, wird die Möglichkeit genommen, armen Leuten Schaden zuzufügen. Daraus mögen alle erkennen, wie wir an der Liebe zu Recht und Billigkeit unseren Gefallen haben, daß wir auch die Macht unserer Beamten zu mindern gewillt sind, insofern wir den Vorteil eines guten Gewissens zu mehren vermögen." 21 Wenden wir uns von den personalisierbaren Korruptionsfällen ab und dem nicht schmalen Spektrum von Vergehen im Amt zu, die wir aus der Reaktion der Regierung in Ravenna, erhalten in den Varien Cassiodors und im Edictum Theoderici, erschließen können. Ein Durchmustern des einschlägigen Quellenmaterials läßt die Auffassung zu, nackte Erpressung und Ausbeutung der Bevölkerung als nicht ganz seltene Delikte einzustufen. Nach § 3 des Edictum Theoderici verlor ein der räuberischen Erpressung gegenüber den Provinzialen überführter iudexn seine dignitas und wurde zur vierfachen Rückerstattung dessen gezwungen, was er erpresserisch an sich gebracht hatte; die Wiedergutmachung ging sogar so weit: et si defunctus fuerit, ab eius heredibus haec poena poscatur. Und § 4 des Edictum Theoderici ordnete ein vergleichbares Vorgehen gegen die Mitglieder des officium cuiuslibet iudicii, d.h. gegen die Angehörigen des Mitarbeiterstabes eines iudex, unter Beibehaltung der durch die Klassenjustiz vorgegebenen feinen Unterschiede zwischen honestiores und humiliores an : in quadruplum sub fustuaria poena cogatur exsolvere iis, quibus inlicite monstrabuntur ablata. Als äußerst drückend und beschwerlich sind anscheinend von der Provinzialbevölkerung die Reisen und Aufenthalte des iudex innerhalb seiner Provinz empfunden worden, da diese häufig mit einer gesetzlich unzulässigen finanziellen Belastung und Ausbeutung der provinciales vel possessores verbunden waren. Zur Abstellung solcher Beamtenwillkür seitens des Statthalters und seines Stabes wie auch seitens gotischer Amtsträger entsandte Theoderich beispielsweise den vir illustris Severinus mit den entsprechenden Direktiven (Var. V 14) in die Provinz Suavia 23 , gleichzeitig wandte sich der König so21
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Cassiod. Var. III 20,4: En factum quod cunetas protinus temperet ac corrigat potestates: praetorii praefectus bacchari non est in humilis laesione permissus et cui a nobis assurgitur, officiendi potestas miseris abrogatur. Hinc omnes intellegant, quo amore delectemur aequitatis, ut et potentiam iudicum nostrorum velimus imminuere, quatinus b o n a e conscientiae possimus augere. Mit dem iudex dürfte in der Regel der Provinzialstatthalter gemeint sein (für den es auch noch verschiedene andere technische und untechnische Bezeichnungen gab), der für die Romani in den Provinzen der ordentliche Richter war. So heißt die Provinz in einigen Varienhandschriften, ebenso in den Getica (273) des Jordanes. F. LOTTER, M I Ö G 76, 1968, 275 ff. hat den Nachweis erbracht, d a ß es sich hierbei nicht um eine Verschreibung von Savia in Suavia handelte, sondern d a ß die ehemalige Savia im pannonischen Savegebiet spätestens seit dem Beginn des 6. Jahrhunderts Suavia hieß, und zwar nach den dort seit längerem ansässigen Suaven (Sueben). Die Cassiod. Var. V 14,6 apostrophierten antiqui barbari, die die Grundsteuer und eventuelle superindiclicia onera zu entrichten hatten, sind wohl mit
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zusagen in einer direkten Ansprache an die possessores der Provinz, in der er seine Auffassung von Rechtsstaatlichkeit unmißverständlich klarmachte und die Provinzialen zur Durchsetzung ihrer berechtigten Forderungen an den Sonderbeauftragten Severinus verwies (Var. V 15). Dabei rief Theoderich in seinem Schreiben an Severinus den römischen Usus in Erinnerung: iudex vero Romanus propter expensas provincialium ... per annum in unumquodque municipium semel accedat und schärfte präzisierend ein, daß der iudex gemäß den gesetzlichen Vorschriften lediglich Anspruch auf Iriduanae annonae hätte (Var. V 14,7 unter Bezug auf Nov. Maior. VII 17 vom Jahre 458). Der König fuhr dann mit der einsichtigen Begründung fort: Maiores enim nostri discursus iudicum non oneri, sed compendio provincialibus esse voluerunt (ebd.). Besonders erpresserisch scheinen sich, ohne daß dies näher spezifiziert ist, die domestici des Gotencomes und die vicedomini gegenüber den leidgeprüften Grundbesitzern der Suavia verhalten zu h a b e n ; . . . aliqua dicunturprovincialibus concinnatis terroribus abstulisse, heißt es Var. V 14,8. Und ebenso sprach wenig später der König Athalarich in einem Brief an den comes patrimonii Villa von domesticorum excessibus, sah aber in einer deutlichen Gehaltserhöhung das probateste Mittel, diesen Auswüchsen wirksam zu begegnen (Var. IX 13,1 f.). Dieses Schreiben enthält darüber hinaus eine Reihe schöner, direkt modern anmutender Grundsätze wie etwa ideo enim a nobis accipit, ne ab aliis quaerat (13,3) oder ut, dum mater criminum nécessitas tollitur, peccandi ambitus auferatur(\3,2). Sein Tenor und auch die durch es eingeleiteten Maßnahmen legen die Vermutung nahe, daß Unterbezahlung der domestici, wohl Verwaltungsbeamten im Stab eines Gotencomes, die Ursache für ihren Amtsmißbrauch war und daß dies der König auch erkannte und Abhilfe schaffen wollte. Auch mag das sich aus dem gewissen Nebeneinander von spätrömischer und gotischer Administration ergebende Kompetenzgerangel - von Kompetenzchaos zu sprechen ginge sicher zu weit - zusätzliche Gelegenheiten zu Verstößen und Übergriffen amtlicherseits eröffnet haben. So mußte derselbe König Athalarich den Gotencomes von Syrakus ausdrücklich ermahnen, die potestas der ordinarli iudices nicht zu behindern (Var. IX 14,8). Die Vielzahl von schichten- und berufsspezifischen Abgaben, die das Ostgotenreich in der Nachfolge des spätrömischen Staates beibehielt und durch einen ausdifferenzierten bürokratischen Verwaltungsapparat einziehen ließ, eröffnete dem Mißbrauch einer amtlichen Stellung ein weites Betätigungsfeld. Das Anstellungsformular für den comes des damaligen Haupthafens von Rom, Portus, läßt deutlich erkennen, daß letztlich zu Lasten der mercatores vel negotiatores von den einlaufenden Schiffen ungerechtfertigt hohe Abgaben eingezogen wurden (Var. VII 9,3); das schon genannte Schreiben Athala-
diesen Sueben gleichzusetzen. A n d e r s J. SA5EL, in: Von der Spätantike zum f r ü h e n Mittelalter, hrsg. v. J. W E R N E R u n d E. Ewio, Sigmaringen 1979. (Vorträge u n d Forschungen 25), S. 133 ( K a r t e ) u n d 135-137.
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richs an den Gotencomes von Syrakus enthüllt den gleichen Mißstand (Var. IX 14,9). Hinter diesen staatlichen Eingriffen standen die berechtigte Sorge um ungehinderten Handel und Warenverkehr und speziell das Bemühen um einen gerechten Preis und um ein ausreichendes Warenangebot auf den Märkten. Schutz des Verbrauchers gegenüber Übervorteilung (vgl. Edict. Theod. § 149) wie des Produzenten und des Vermittlers, d.h. der Reeder und der Kaufleute, war der Zentrale in Ravenna nicht bloßes Lippenbekenntnis, sondern ein echtes Anliegen, wie die diesbezüglichen Verfügungen und die praktizierten Kontrollen unter Beweis stellen 24 . Wie vielfältig die Erpressungsformen und -möglichkeiten waren, geht ebenfalls aus dem bereits mehrfach bemühten Brief an den Gotencomes von Syrakus hervor. So wurde demzufolge eine außerordentliche Umlage pro reparatione murorum von den Provinzialen eingezogen, das Geld verschwand aber in dunklen Kanälen und es tat sich nichts (Var. IX 14,2), so daß der Verdacht naheliegt, die Verantwortlichen hätten das öffentliche Bauvorhaben nur als Vorwand benutzt, um sich persönlich zu bereichern. Ebenso erfahren wir aus dem gleichen Schreiben von überhöhten Forderungen durch die Ladungsbeamten bei Prozessen (14,4f.); auch in diesem Falle griff der König regulierend ein und legte die Sportein fest. Es war ein Spezifikum bereits der spätrömischen Verwaltungspraxis, daß der Privatmann für alle Leistungen der Bürokratie Gebühren zu entrichten hatte, die in die Tasche des tätig gewordenen Beamten flössen und gewissermaßen einen Teil seines Salärs darstellten. Im ostgotischen Italien hatte der Zwang zur Zahlung von Sportein bereits jeden Geruch des Unrechtmäßigen völlig eingebüßt 25 , ein weiterer Beweis dafür, wie untrennbar, verwechselbar und austauschbar spätrömische und ostgotische Staatlichkeit geworden war. Es gehörte zu den ständigen Amtspflichten des Prätorianerpräfekten, sich mit Unregelmäßigkeiten bei der Einziehung öffentlicher Gelder seitens der zuständigen Beamten zu befassen und diese soweit wie möglich abzustellen oder zu bekämpfen. So schärfte Cassiodor den anscheinend zur Überwachung der Kanzleidirektoren in den Provinzen abgestellten Sajonen ein: cogitetur prae omnibus pecuniae publicae fidelis exactio (Var. XII 3,3). Vor allem waren System und Praxis der Erhebung und des Einzugs der direkten Steuern ein Exerzierfeld persönlicher Habgier und Bereicherung, nehmen wir dies einmal als Hauptbeweggrund für die vielen Amtsvergehen auf diesem Sektor an. Die seit den Tagen Diokletians im Prinzip nach wie vor gültige Methode
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Zur Wirtschaftspolitik im Ostgotenreich vgl. die einschlägigen Partien in ENSSLINS TheoderichBuch (wie o. Anm. 8, S. 237ff.) und L. CRACCO RUGGINI, Economia e società nell' »Italia Annonaria«. Rapporti fra agricoltura e commercio dal IV al VI secolo d. C., Milano 1961.
"
Z u m S p o r t e l w e s e n v g l . ENSSLIN ( w i e o. A n m . 8) b e s . S. 162 u. 175.
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von Veranlagung und Erhebung der Grundsteuer, die sog. capitatio-iugatid16, hat Unregelmäßigkeiten der mit ihr Befaßten anscheinend geradezu provoziert und damit zu einer unerträglichen Belastung und Ausbeutung der Steuersubjekte geführt. In den beiden bereits zitierten Schreiben Theoderichs bezüglich der Verhältnisse in der Randprovinz Suavia (Var. V 14 und 15) wird die Not der (römischen?) possessores besonders deutlich, und ebenso ist erkennbar, daß die Zentrale in Ravenna die Beschwerden der Grundbesitzer als berechtigt ansah und nicht nur verbal Abhilfe versprach, sondern auch Taten folgen zu lassen versuchte. In den Direktiven an den eigens dafür bestellten Sonderbevollmächtigten Severinus ist die Rede von willkürlicher, nicht autorisierter und überhöhter Festsetzung der Steuerquoten und deren ungerechtfertigter Umverteilung und Verlagerung wie von nicht ordnungsgemäßer Abführung der eingezogenen Steuern an die übergeordneten Stellen (Var. V 14,3 f.). Zusammen mit seinen Nachforschungen über den Verbleib der veruntreuten Steuergelder hatte Severinus auch zu überprüfen, ob die undichte Stelle nicht vielleicht bei den Instanzen und Kollektiven lag, die unmittelbar bei der Steuereintreibung eingeschaltet waren, bei den defensores civitatis und den Kurialen (14,3). Überhaupt sollte der vir illustris Severinus bei seinem Spezialauftrag 27 keine Rücksichtnahme auf Amtsstellung und Sozialprestige der zu Überprüfenden an den Tag legen (14,5), vielmehr alle Erkenntnisse ungefiltert an die Regierung in Ravenna weitermelden (14,9). Gleichzeitig hatte Theoderich den possessores Suaviae die Beauftragung des Severinus bekanntgegeben und ihnen aequitas, aequalitas tributorum und remedium im Gefolge dieser Mission versprochen (Var. V 15). Die im Edictum Theoderici § 149 verfügten Strafen gegen exactores vel susceptores, Fiskalbeamte, für den Fall, daß diese sich der Verwendung falscher Maße und Gewichte schuldig gemacht hätten, und ebenso die offensichtliche Sorge um die 16
Die Zahl der Forscher, die sich mit dem capitatio-iugatio-System beschäftigt haben, ist Legion, die wichtigsten Arbeiten bei I. HAHN, Acta Antiqua Acad. Scient. Hung. 24, 1976, 407-417; zur Besteuerung der Grundbesitzer in den germanischen Königreichen auf römischem Reichsboden vgl. JONES (wie o. Anm. 8) I S. 248 ff. und speziell zu den Verhältnissen im ostgotischen Italien
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Zum vir illustris Severinus vgl. SUNDWALL (wie o. Anm. 12) Kap. II S. 156 f. Severinus scheint ein Spezialist für die Verhältnisse im Donau-Save-Raum gewesen zu sein, denn er wurde erneut 526/527 vom neuen König Athalarich - zusammen mit dem comes Osuin in diesen R a u m geschickt, um im Z u s a m m e n h a n g mit der Steuererhebung aufgetretene Probleme und Schwierigkeiten zu beheben (Var. IX 9; zu den Briefen an Severinus, vgl. auch BURNS, wie o. Anm. 3, S. 94). Die erhaltenen Quellen enthalten keine Angaben über verwandtschaftliche Verbindungen zur Senatsaristokratie, man kann - als Hypothese - einen familiären Z u s a m m e n h a n g mit dem Konsul von 482, Severinus Iunior, und mit dem Konsul von 461, Flavius Severinus, vermuten. Wenn F. LOTTER, Severinus von Noricum. Legende und historische Wirklichkeit, Stuttgart 1976 (Monographien z. Gesch. d. Mittelalters 12), S. 246-254 mit seiner Vermutung - die lediglich den Charakter einer Hypothese beansprucht und für die Ergebnisse des Buches überhaupt nicht zentral ist recht haben sollte, d a ß der Konsul von 461 mit dem norischen Heiligen gleichzusetzen sei, dann wäre die Vertrautheit des Severinus der Ostgotenzeit mit den Verhältnissen des D o n a u r a u m s geradezu als eine Familientradition anzusehen, der sich die Ostgotenkönige zu ihrem Vorteil zu bedienen wußten.
ENSSLIN ( w i e o. A n m . 8) S. 197 ff. u n d
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Reinheit und Exaktheit der Münzen in bezug auf Metallgehalt und Gewicht sind ebenfalls als Ausweis eines unablässigen Bemühens um Steuergerechtigkeit - soweit eine solche im praktizierten Besteuerungssystem überhaupt möglich war - und um die Schaffung ertragbarer Lebensbedingungen für alle Teile der Gesellschaft im ostgotischen Herrschaftsbereich anzusehen. Auch scheint man in Ravenna der Auffassung gewesen zu sein, daß die steuerliche Belastung, die ohnehin hart und drückend genug war, in Verbindung mit Übergriffen und Erpressungen des Steuerpersonals zu einem Ruin der Mittelschichten, der Kurialen, führen mußte. Traditionell hafteten diese für den Eingang der Steuern, und solche Haftungsfälle scheinen sich auf Kosten der curiales im Ostgotenreich deshalb gehäuft zu haben, weil die ebenfalls der Grundsteuer unterworfenen Goten und Barbaren immer wieder Steuerverweigerung betrieben und damit die Gleichstellung und -behandlung aller Bevölkerungsteile zu hintertreiben versuchten. Die daraus resultierende Mehrbelastung der Kurialen wurde von den Ostgotenkönigen Theoderich und Athalarich kontinuierlich bekämpft, wie überhaupt jene den besonderen Königsschutz genossen 28 . So griff Theoderich zugunsten der beschwerdeführenden Kurialen der civitas Adriana ein und drohte den dort siedelnden Goten im Falle der Fortsetzung der Steuerverweigerung empfindliche Strafen an (Var. I 19,2). Wenn die civitas Adriana mit der Stadt Hadria im Picenum gleichzusetzen ist, so enthalten die Varíen zum gleichen Thema eine weitere Anweisung des Königs, dieses Mal an einen Sajo; Var. IV 14 wurde der Sajo Gesila angewiesen, bei den Goten im Picenum und in Tuszien eine Zwangseintreibung der Steuern vorzunehmen 29 . Enßlin hätte dann übersehen, daß sich beide Schreiben auf den gleichen Vorgang beziehen.
III. Im Zusammenhang von Steuereinzug und Abführung von Steuergeldern an die Zentrale in Ravenna begegnen in den Varien immer wieder Warnungen der ostgotischen Könige und des zuständigen höchsten Beamten, des Prätorianerpräfekten Cassiodor, an die Adresse der Amtsträger in den Provinzen, speziell der iudices und der cancellarli, sich nicht zur Gewährung von Zahlungsfristen und Stundungen bestechen zu lassen. Man hatte dabei in Ravenna die trina illatio im Auge, die von den Steuersubjekten jeweils fristgerecht für einen Zeitraum von 4 Monaten zu zahlen war; die angesprochenen 28
G a n z deutlich ist dieses Schutzbemühen in Cassiod. Var. VII 47: Formula ad praefectum praetorio, ut sub decreto curialium praedia venundentur; danach war der Verkauf des Grundbesitzes der Kurialen erheblichen rechtlichen Behinderungen unterworfen. " Die antiqui barbari der Suavia haben anscheinend ebenfalls Steuerverweigerung betrieben und damit die aequaliias tributi unterlaufen, zu deren Wiederherstellung der vir illustris Severinus (wie o. Anm. 27) in die Provinz geschickt wurde (Cassiod. Var. V 14, 1 u. 6).
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Beamten bis hinauf zu dem comes patrimonii sollten sich jeder venalis protractio (Var. VI 9,5), venalis illa dilatio (XI 7,3), allen venales morae und iniquae dilationes (ΧI 35,3; XII 10,2) enthalten, iussa nostra (sc. Cassiodors) sine studio venalitatis ausführen (XI 6,3) und dafür Sorge tragen, daß die festgesetzten Steuertermine eingehalten würden ita tarnen, ut nullus sub immaturae compulsionis iniuria se ingemiscat exactum nec iterum sub turpi venalitate indutiarum largitas damnosa praebeatur (XII 2,5). Wenn Cassiodor gegenüber den iudices provinciarum lapidar feststellte: maius commodum non quaeritis, quam si nihil venditis (Var. XI 7,6), so ist damit ein für die Varien gleichsam stereotypes Thema angeschlagen: der iudex venalis (\gl. Var. XI 32). Es wäre jedoch eine arge Fehleinschätzung und Verkennung der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Ostgotenreiches und speziell der Verhaltensformen seiner Amtsträger, wenn wir aus der großen Zahl der diesbezüglichen Belege auf eine topische Verwendung des Vorwurfs der Käuflichkeit und Bestechung schließen würden. Nicht ohne G r u n d , sondern in der Absicht, ein Krebsgeschwür der Jurisdiktionspraxis zu entfernen oder doch zumindest am Weiterwuchern zu hindern, sind die beiden ersten Paragraphen des Edictum Theoderici - priore loco, wie der König feststellte - der Bestechlichkeit des iudex gewidmet; darin sind die Delikte der Käuflichkeit des Urteils (§ 1) und der Bestechung zum Zwecke der Prozeßverschleppung (§ 2) angesprochen und mit drakonischen Strafen geahndet. Von dem, der die Bestechung inszenierte, ist hingegen nicht die Rede, er ging anscheinend straflos aus. Es steht dabei außer Zweifel, d a ß das Edictum Theoderici auf die konkreten aktuellen Verhältnisse und Bedürfnisse des Ostgotenreiches zugeschnitten war. Die relative Erfolglosigkeit der königlichen Rechtssetzungen, ablesbar an den vielen Belegen für Warnungen und Ermahnungen wie für Verfehlungen und Verstöße gegen die einschlägigen Bestimmungen, darf nicht zu dem Glauben verleiten, die ostgotischen Herren Italiens hätten gedankenlos aus dem spätrömischen Kaiserrecht zitiert und mit historischen Reminiszenzen an der sie umgebenden Wirklichkeit vorbeigelebt. Mit Bestechung und Bestochenseinwollen haben wir eine wesentliche Erscheinungsform des Grundtyps der Korruption nach innen erörtert, wobei wir nicht einmal annähernd die vielen Möglichkeiten vorführen konnten, in denen sie sich nachweislich verwirklichte. Die venalitas war ein so übliches Phänomen, daß sich jeder, auch wenn sie unspezifisch vorgestellt wurde, eine ungefähre Vorstellung machen konnte, was im Einzelfall konkret gemeint war. Gegen diese dunkle Folie ließ sich d a n n um so glanzvoller das Ideal der Unbestechlichkeit abheben und als positive Verhaltensform zur Beeinflussung der Mentalität und der Einstellungen von Personengruppen, auf deren Mithilfe die Ostgotenkönige angewiesen waren, verwenden. So rühmte Theoderich in einem Schreiben an den Senat die Unbestechlichkeit des neuen comes patrimonii Senarius (Var. IV 4,2), vielleicht auch mit dem Hintergedanken, diesen damit festzulegen und auf eine tadellose Amtsführung zu verpflichten.
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Es waren ganz konkrete E r f a h r u n g e n , auf G r u n d derer sich die Staatsführung in Ravenna genötigt sah, gegenüber nahezu allen Inhabern wichtiger öffentlicher Ämter eine deutliche W a r n u n g vor Bestechung u n d Käuflichkeit auszusprechen. Die formulae enthielten das Postulat der Unbestechlichkeit ebenso wie die direkten Ansprachen etwa der iudices oder anderer Beamter durch den König oder den Prätorianerpräfekten 3 0 . Dem G r u n d t y p der Korruption nach innen ist auch der Vergehenskomplex Veruntreuung öffentlicher Gelder u n d Unterschleif seitens der Beamten zuzuo r d n e n , der auch in G e m e i n s c h a f t mit anderen Delikten vorkam u n d bereits in dieser Mischung begegnet ist (s. o. S. 227). Er läßt sich f ü r verschiedene Bereiche staatlicher Aktivität u n d Hoheit nachweisen, so etwa f ü r das Münzu n d Geldwesen, wie zunächst gezeigt werden soll. Dazu ist es j e d o c h erforderlich, die Grundlinien der Entwicklung der Währungs- u n d damit auch eines sehr wichtigen Teils der Wirtschaftspolitik im ostgotischen Italien in der gebotenen Kürze nachzuzeichnen 3 1 . - Theoderich hatte das voll ausgebildete, d . h . trimetallische Währungssystem des spätrömischen Reiches, das in den letzten Jahrzehnten des 5. J a h r h u n d e r t s aufgegeben worden war, wieder etabliert und in Rom, R a v e n n a , M e d i o l a n u m , Arelate u n d Sirmium durchgehend oder zeitweise Gold-, Silber- und Bronzemünzen bei festen Reinheitsu n d Gewichtsnormen ausprägen lassen. Die vieldiskutierte Frage des respektierten kaiserlichen Goldreservats können wir hier aussparen. Da die G r u n d steuer und auch andere Sachlieferungssteuern weitgehend adäriert waren, sind die Sorge um eine vollwertige Münze u n d das staatliche Vorgehen gegen Münzverfälschung u n d Wertminderung der Zahlungsmittel verständlich u n d im Interesse des Staates u n d seiner Beamten, aber auch der gesamten produktiven Bevölkerung logisch. A n l a ß zu staatlichem Eingreifen gab es in der Tat, wie wir wiederum aus Cassiodor erschließen k ö n n e n . Im Anstellungsformular für den procurator monetae sind die G r u n d s ä t z e f ü r eine o r d n u n g s g e m ä ß e A m t s f ü h r u n g genannt und dahingehend spezifiziert, d a ß der Vorsteher einer Münzstätte strikt auf die Reinheit des Metalls f ü r die jeweilige Münzsorte u n d auf das vorgeschriebene Münzgewicht zu achten habe (Var. VII 32,2f.). Wertminderung durch f r e m d e Metallzusätze u n d Gewichtsreduzierungen sind denn auch nicht selten vorgekommen. So belegt ein Brief Theoderichs 10
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Venalilas im Z u s a m m e n h a n g mit den iudices: Cassiod. Var. III 24,4. V 4,7. IX 19,4. X 28,1, mit einem Sajo: V 19, mit dem praefectus vigilum Romae: VII 7,4, mit dem comes Romae: VII 13,2, mit dem comes Ravennatis: VII 14,2, mit dem Vorsteher einer W a f f e n m a n u f a k t u r : VII 18,2, mit dem defensor civitatis : VII 11,2, mit den custodes der römischen Wasserleitungen: VII 6,6 und mit dem scriba Ravennatis: XII 21,4. Zum ostgotischen Münzwesen vgl. W. HAHN, Von Anastasius I. bis Justinianus I. (491-565). Einschließlich der ostgotischen und vandalischen Prägungen, Veröff. Numism. Kommission Bd. I, hrsg. v. R. GÖBL (Moneta Imperii Byzantini, I. Teil), Österr. Akad. Wiss., phil.-hist. Kl., Denkschr., 109. Bd., Wien 1973, S. 77-91; zum sog. Goldmultiplum von Senigallia (richtig: von Morro d'Alba, Provinz Ancona) und dem damit verbundenen Problem des kaiserlichen Goldreservats vgl. V. BIERBRAUER, Die ostgotischen Schatzfunde in Italien, Spoleto 1975 (Biblioteca degli Studi Medievali 7), S. 292f. und M. R.-ALFÖLDI, KIN 80, 1978, 133-141.
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an den vir illustris und patricius Boethius neben der allgemeinen Sorge des Königs um gerechte Maße und Gewichte auch die Beschwerde der domestici partis equitum et peditum, der Palasttruppen also, vom arcarius praefectorum Goldmünzen nec integri ponderis, demnach untergewichtige Solidi, als Sold empfangen und damit in numero gravia se dispendio erlitten zu haben (Var. I 10,6). Und ebenso deutlich ist, daß Münzverfälschung und Wertminderung als Nutznießer sind die Beamten der Münzstätten und möglicherweise auch die Münzarbeiter anzusehen - für das von Theoderich mitregierte Westgotenreich drängende Probleme gewesen sind. In einem von Cassiodor den Varien eingefügten Schreiben des Königs an seine Beauftragten im Westgotenreich Ampelius und Liuvirit aus den Jahren zwischen 523 und 52632 kennzeichnete der Ostgotenkönig wohl auf der Grundlage genauer Berichte durch Mittelsmänner die Unordnung der inneren Verhältnisse u.a. durch folgende in den Bereich der Korruption fallende Mißstände: Steuereinnehmer bedienten sich falscher Gewichte, königliche Beamte forderten eine gesetzlich unzulässige Zahl von Spanndiensten, Amtsträger täten sich allgemein durch Erpressungen und Unterschlagungen hervor; speziell die Münzarbeiter begingen Unterschleif quos specialiter in usum publicum constat inventos, in privatorum didicimus transisse compendium (Var. V 39,8). Stammt dieses Beispiel auch nicht aus dem italischen Ostgotenreich, so ist es für unseren Zusammenhang doch von einem gewissen Interesse. Man kann davon ausgehen, daß sich die Zentrale in Ravenna nicht nur der wirtschaftlichen Folgen bewußt war, die sich bei einer Versorgung der Bevölkerung mit minderwertigem Geld einzustellen pflegten. Mögliche politische Konsequenzen abzuschätzen, sollte man ihr ebenso zutrauen. Die Beschwerde der Palasttruppen dürfte den König für dieses Problem sensibilisiert haben, und man sollte annehmen, daß man in Ravenna von der politischen Brisanz wußte, die die Ausgabe minderwertigen Geldes an die Bevölkerung vor allem der größeren Städte implizierte. Aus anderen Epochen gibt es Beispiele für Unruhen und Aufstände, die sich aus solchen Manipulationen entwickelten". Die Veruntreuung öffentlicher Gelder durch Amtsträger ist auch für zahlreiche andere Bereiche der Lebenswirklichkeit des ostgotischen Italiens nachweisbar; einige wenige repräsentative Beispiele mögen genügen, Art und Ausmaß dieses Verstoßes gegen die in den Quellen immer wieder apostrophierte utilitas publica zu verdeutlichen. So ist es besonders im Zusammenhang von aus öffentlichen Mitteln finanzierten Bauvorhaben immer wieder zu Unterschleif und Zweckentfremdung von Geld und Baumaterial gekommen. Aus mehreren Briefen Theoderichs an die stadtrömischen Verantwortlichen er" Dazu D. CLAUDE, Geschichte der Westgoten, Stuttgart 1970 (Urban-Tb. 128), S. 55 u. 63. " Zu nennen wäre hier der Aufstand der monetarii, der zu großen Unruhen in Rom führte und wohl auch mit einer Usurpation verbunden war, unter Aurelian im Jahre 271: vgl. D. KIENAST. Chiron 4, 1974, 547 ff. (bes. Anm. 83 u. 84 mit der weiterführenden Lit.).
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hellt, daß der Ostgotenkönig der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der öffentlichen Großbauten in Rom und hier vor allem der Stadtmauer (moenia civitatis) seine besondere Fürsorge zukommen ließ. So hatte er u.a. angeordnet, daß zur Wiederherstellung der Stadtmauer bei dem portus Licini und überhaupt zur Ausbesserung der die verschiedenen Tore verbindenden Mauerzüge jährlich 25000 Ziegel verbaut werden müßten, und hatte dafür auch die entsprechenden Geldmittel zur Verfügung gestellt (Var. I 25,2). Der König sah sich aber bald genötigt, die zuständigen städtischen Behörden an diesen Auftrag zu erinnern (ebd. 25,3). Und aus zwei weiteren Schreiben des Königs wird deutlich, daß es bezüglich der zum Ausbau der Stadt Rom zur Verfügung gestellten öffentlichen Gelder zu Unregelmäßigkeiten, sprich Unterschlagung und Zweckentfremdung, gekommen war, so daß Theoderich eine genaue Rechenschaftsablegung zu fordern sich gezwungen sah (Var. I 21,1 f.) und vom Stadtpräfekten die unnachsichtige Bestrafung derer verlangte, die sich der Veruntreuung sachgebundener Mittel schuldig gemacht hatten (Var. II 34,2). In einem Brief an den Prätorianerpräfekten Abundantius ließ sich der König des weiteren ausführlich darüber aus, wie mit einem gewissen Frontosus, von dem es heißt pecuniae publicae decoxisse non minimam quantitatem (Var. V 34,1), zu verfahren sei, ohne daß aus dem Text erkennbar ist, auf welchem Sektor der Übeltäter öffentliche Mittel veruntreut hatte 34 . Einem letzten Aspekt der Korruption nach innen wollen wir uns abschließend zuwenden, dem des Ämterkaufs und der erkauften Ämterpatronage 3S . In der in den Varíen überlieferten Korrespondenz der ostgotischen Könige und ihres zeitweilig höchsten Beamten Cassiodor ist recht häufig von ambitus, ambitio und suffragium mit durchaus negativer Imprägnation die Rede. Dabei lassen wir den umfangreichen Komplex des suffragium bei kirchlichen Positionen und überhaupt alle Aktivitäten, die unter dem Begriff Simonie subsumiert werden, unberücksichtigt, wozu es eindeutige Verlautbarungen des römischen Senats und des Königs Athalarich gab (Var. IX 15). Athalarich entrüstete sich gerade deshalb über die Simonie, weil im profanen Bereich jeglicher ambitus untersagt wäre (ebd. 15,8). Was allerdings die Einhaltung dieses Gebots betraf, so lehren uns die Texte, daß Anspruch und Wirklichkeit hier weit auseinanderklafften. Mit dem durch das gewaltsame Ende der Amalaswintha herbeigeführten Wechsel an der Spitze des Ostgotenreiches setzte anscheinend ein gewaltiger ,run' auf Staatsstellungen jeder Kategorie ein, bei dem die ambitio inimica semper iustitiae (Var. X 28,2) eine große Rolle spielte. Der neue König Theodahad konnte sich jedoch nicht zu einem umfassenden
14 35
Aus dem leslem (Var. V 34,1) ist dies nicht stringent zu machen. Zu diesem Problemkreis vgl. D. LIEBS, Ä m t e r k a u f u n d Ä m t e r p a t r o n a g e in der Spätantike, Z R G r o m a n . Abt. 95, 1978, 158-186 u n d jetzt W. SCHULLER, Ä m t e r k a u f im römischen Reich, Der Staat 19, 1980, 57-71.
Korruption im ostgotischen Italien
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Revirement verstehen, sondern bestätigte im großen und ganzen die Stellenbesetzungen, die der Prätorianerpräfekt Cassiodor auf der subalternen und mittleren Ebene vorgenommen hatte (Var. X 28,1 f.). Wer in gerechter Amtsführung befunden wurde, sollte sogar in der Weise vor unliebsamer Konkurrenz geschützt sein, daß der König eine hohe Geldstrafe für den Versuch festlegte, über Ämterpatronage in die Stellung eines Beamten zu gelangen, dessen Amtsführung als makellos erkannt worden war (ebd. 28,3; vgl. auch 28,4). Gleichzeitig - und diese Haltung erscheint auf den ersten Blick als inkonsequent - ermöglichte der König den Einkauf in die Ämter, die unbesetzt oder unterbesetzt waren, mit der Aufforderung, den Kaufpreis in einem zumutbaren Rahmen zu halten (ebd. 28,3). Diese Maßnahmen Theodahads entsprachen seiner prekären politischen Situation, die er durch die Ermordung der Theoderichtochter selbst verursacht hatte. Er mußte den Versuch unternehmen, möglichst viele Amtsinhaber des vorherigen Regimes an seiner Seite zu halten, um eine Kontinuität der Herrschaft und Verwaltung zur Stärkung der eigenen kompromittierten Position glaubhaft machen zu können. Andererseits gab es sicher eine Reihe freigewordener Stellen, dadurch daß sich bestimmte Personen ihrerseits nicht durch Kollaboration mit Theodahad kompromittieren wollten, und war der Kauf von Ämtern vor allem der unteren und mittleren Dienststellungen durchaus üblich 36 , so daß Theodahad keinen Grund hatte, den Ämterkauf grundsätzlich zu untersagen. In einen solchen Erklärungsrahmen hineingestellt, erhalten die in dem Schreiben an Cassiodor angeordneten Maßnahmen des neuen Gotenkönigs durchaus einen Sinn. Wenn wir die Aufstiegsmechanismen und die Beförderungsbedingungen und -möglichkeiten für die höchsten Staatsämter in Augenschein nehmen und hier speziell die Präfekturen, so geht dazu aus einem Brief Cassiodors (Var. XII 6) ausreichend deutlich hervor, daß sich die Aspiranten des gesamten Instrumentariums zu bedienen wußten, das sich im Laufe der Zeit zur Erreichung dieses Ziels herausgebildet hatte, daß aber andererseits von staatlicher Seite massiv gegengesteuert wurde, mit welchem Erfolg allerdings, sei dahingestellt. Cassiodor sprach in diesem Zusammenhang von ambitio caeca cupientum (ebd. 6,1), von sceleratae pecuniae, von iniquis fraudibus (ebd. 6,2) und davon, daß die in Amt und Würden Gelangten ihn loben müßten, daß er es bewerkstelligt hätte, daß sie nullo suffragio beschwert ihr Amt ausüben könnten (ebd. 6,3). Man wird aus allen diesen Äußerungen schließen können, daß ein solch reines Gewissen gerade nicht die Regel war, daß vielmehr auf dem Wege über erkaufte Protektion die hohen Staatsstellungen besetzt wurden bzw. daß die Ämterpatronage zumindest eine wichtige Rolle spielte. Das genannte und interpretierte Schreiben Cassiodors universis praefecturae títulos administrantibus stammt aus den Jahren 533-537, es ist also nicht exakt zu datieren; es wäre immerhin interessant und auch wichtig zu wissen, ob es in
V g l . LIEBS ( w i e o . A n m . 3 5 ) S . 1 5 9 u n d
SCHULLER ( w i e o . A n m . 3 5 ) S. 6 9 f.
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H e l m u t Castritius
Kenntnis der 8. Novelle Justinians aus dem Jahre 535 verfaßt worden ist37. Beim Durchmustern und Erläutern von Tatbeständen und Sachverhalten, für die wir eine Beziehung zum Mißbrauch einer öffentlichen Stellung in privatem - individuellem wie gruppenbezogenem - Interesse, wenn wir Korruption einmal so umschreiben dürfen, herstellen konnten, sollte deutlich geworden sein, daß die Korruption im ostgotischen Italien keinen geringen Stellenwert einnahm. Dieses Ergebnis ist eine Bestätigung unserer Eingangsprämisse, daß das Ostgotenreich in Italien und dessen unmittelbaren Nachbargebieten die direkte Fortsetzung der spätrömischen Staatlichkeit war und sich damit qualitativ von anderen germanischen Reichsgründungen auf dem Boden des Imperium Romanum erheblich unterschied. Korruptionsforschung zeigt sich damit in ihrer weitesten Funktion, indem sie den Charakter eines Staates oder einer Gesellschaft zuverlässig bestimmen kann. Demzufolge wird man annähernd die gleiche Antwort wie bezüglich des spätrömischen Staates geben können, wenn man die Frage stellt, weshalb im ostgotischen Italien Korruption in ihren vielfältigen Erscheinungsformen an der Tagesordnung war. Es wäre wiederum auf die eingangs kurz erörterte Dichotomie zu verweisen, die allerdings als Strukturfehler der politisch-gesellschaftlichen Ordnung zu deklarieren allein schon deshalb problematisch ist, weil von einer rein dysfunktionalen Wirkung der Korruption keineswegs die Rede sein kann.
" Dazu
LIEBS
(wie o. Anm. 35) S. 161-167.
Diskussion
Kolb Ich f a n d es eigentlich amüsant, daß der Vorschlag, Gehaltserhöhungen als Mittel gegen Korruption einzusetzen, uns im alten Ägypten begegnet ist und jetzt im Ostgotenreich; dazwischen anscheinend nicht? Zu früh und zu spät! Schmitthenner Zu dieser Frage, die Herr Kolb eben so scherzhaft berührt hat, möchte ich auf einen Gesichtspunkt hinweisen, den ich eigentlich seit gestern so ein bißchen beobachtet habe; erst Herrn Schullers einleitende Bemerkungen, dann hat Herr Hahn in einem Diskussionsbeitrag darauf verwiesen, bei Herrn Wankel ist es kurz begegnet, bei Herrn Mooren heute wieder im Zusammenhang mit der Frage des Fürstenspiegels und etwa eines Beamtenspiegels, oder in der N e n n u n g von Dorothy Crawfords The G o o d official durch Herrn Peremans, und dann jetzt wieder in den Fragen, was eigentlich Beamtenethos sei; oder auch etwa bei Herrn Brunners Beitrag mit diesem negativen Katalog, der ja auch eine Art von negativem Beamtenspiegel ist. Das hängt alles etwas miteinander zusammen und könnte unter Umständen, soweit wir Material d a f ü r haben, seinen Kern in der Frage nach einer jeweils zeitgenössischen Theorie der Korruption haben, zeitgenössischen im Rahmen einer Staatstheorie oder so etwas ähnlichem. Aristoteles ist erwähnt worden, Polybios ist erwähnt, wo das schon gängige Münze geworden ist, nämlich daß die Aristokratie deswegen die beste Staatsform ist, weil die einzelnen Amtsträger vermögend sind und sie daher nicht auf Bestechung angewiesen sind. Und wenn ich mich nicht täusche, ist das ja ein wahrscheinlich bis ins 2. Jahrhundert n.Chr., wenn nicht noch weiterhin, zu verfolgender Topos, und ich möchte ziemlich sicher meinen, d a ß das auch vor Aristoteles zu finden ist. Wenn man so hört, zumindest aus diesem Selbstverständnis der Aristokratie, und die Aristokratie ist ja doch sozusagen die maßgebende Verfassungsform des Altertums, was die Aristokratie von sich und von der Korruption hält, dann ist es eigentlich gerade das Umgekehrte dessen, was Herr Kautsky meinte, der gestern sagte: Eigentlich ist die Korruption nur der Aristokratie zuzuweisen. Es ist eigentlich gerade - zumindest nach dem Selbstverständnis der Aristokratie - so, daß ihr gerade nicht die Korruption zuzuweisen ist. Und d a n n wäre die Frage etwa bei Herrn Wankeis Punkten, ob nicht die antike Demokratie unter Umständen ein anderes Verhältnis zur Eigenkorruption in ihren Reihen hat oder nicht. Diese Frage, ob gewissermaßen der Korruptionsvorwurf an eine bestimmte Verfassungsform gebunden ist, die könnte man ja d a n n wohl bis zu Herrn Kautskys Zeiten durchziehen: „L'incorruptible" ist ja eine Vokabel der Revolution.
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Diskussion
Kolb Problematisch ist nur, daß wir bei ein und demselben antiken Autor gelegentlich zwei verschiedene Theorien Finden. Etwa bei dem im 3. Jahrhundert n.Chr. schreibenden Historiker Herodian haben wir einerseits die Auffassung, daß adlige Geburt, Besitz, Herkunft usw. ein entscheidendes Kriterium d a f ü r ist, daß einer ein guter Mann sei. Wir haben aber bei demselben Autor auch ein Lob für den Kaiser Marc Aurel, d a ß er Leute von unedler Herkunft, weil sie gute Qualitäten besäßen, herangezogen habe. Das heißt, es gibt einerseits die Theorie, d a ß man nur gute Qualitäten haben kann, wenn man Aristokrat ist; und es gibt andererseits die Theorie, daß man nicht auf die Herkunft achten sollte, sondern auf die gute Qualität. Das ist das Problem, glaube ich, vor dem wir stehen. Die erstere Theorie ist die, die an die Praxis angelehnt ist und in der Regel der Realität entsprach, während die letztere eine von der Philosophie, von der Stoa natürlich, erhobene Forderung - oder von ihr in Geltung gebrachte Forderung - ist, die gelegentlich in die Realität umgesetzt wurde. Die Frage ist, was wir nun als Theorie f ü r die Antike akzeptieren, beides oder nur eines davon.
Schüller Wenn ich aus der Spätantike da sagen kann, da scheint es mir - alles im Umkreis Ämterkauf - so zu sein, daß es eine ganz gängige Argumentation ist: Wer arm ist, etwa weil er wenig Gehalt kriegt, der erpreßt usw., und da gibt es als Gegenmittel entweder die Gehaltserhöhung oder das Zulassen von Sportein. Daß mangelndes Vermögen anfällig war, das ist nicht nur bei Aristoteles zu finden, sondern das geht bis in die Spätantike hinein; sogar bis zu unseren heutigen Deutungsversuchen: Er mußte doch erpressen, weil er ein so niedriges Gehalt bekommen hat.
Hahn Herr Schmitthenner hat in dieser sehr fortgeschrittenen Stunde ein sehr wichtiges Problem angeschnitten, wozu ich mir ganz wenige Bemerkungen erlaube. Seit der frühen athenischen Demokratie, schon im 5. Jahrhundert, gab es ja die Vorschrift, daß die Tamiai und die Strategoi nur aus dem ersten Telos stammen dürfen, und Strategoi müssen noch dazu υιοί γνήσιοι haben, wenigstens einen legitimen Sohn, der quasi als Bürge zu Hause bleibt. Das war die eine Vorstellung. Aber ζ. B. am Ausgang der römischen Republik eben seit den Gracchen - hören und lesen wir ζ. B. bei Appian, daß eben die alte Aristokratie die korrupte war, und für Sallustius sind auch die novi homines sympathischer, weil die nicht so verdorben sind, so daß hier selbstverständlich die verschiedenen Gesellschaftsschichten ihre eigene Ideologie haben, um ihre eigene Überlegenheit und Qualifikation zu erörtern.
Diskussion
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Fusco Herr Castritius hat als Hauptquellen einerseits die Variae von Cassiodor, andererseits das Edictum Theoderici angeführt. N u r - was diese letzte Quelle angeht, so handelt es sich um eine Quelle, die gerade auf römisches Material zurückgeht; es handelt sich in Wirklichkeit um übernommene Paraphrasen von römischen Konstitutionen. Daher frage ich mich, ob gerade diese Quelle nützlich ist, um die Korruption im ostgotischen Reich zu zeigen, oder ob die Korruption, von der Theoderich spricht, nicht sozusagen ein Topos ist, der übernommen wurde. Deutlich wird das gerade an diesem Exempel von dem Iudex, das Sie am Anfang angeführt haben. Es gibt nämlich eine Konstitution von Valentinian für den Westen aus dem Jahre 451, d.h. zwanzig Jahre vor dem Fall des Reiches, wo ausdrücklich darüber lamentiert wird, daß infolge von Alarichs Einfällen nach Italien eine ganze Menge von Landstrichen völlig leer von Iudices und Causidici geworden sind; 1 d.h., es gibt kein Personal mehr, das die Justizverwaltung sichern kann. Jetzt frage ich mich, ob sich in der Zwischenzeit diese Situation merklich verändert haben kann angesichts der Ereignisse, die sich gerade in Italien und im Westen überstürzt haben. Wenn also die Gemeinden einen Iudex bezahlen, der umhergeht, um Justiz zu verwalten, d a n n sollten wir uns fragen, ob das vernünftigerweise als Korruption angesehen werden kann, oder ob es eben nicht ein Topos ist, den Theoderich übernommen hat. Castritius Einmal möchte ich die überspitzte, aber ich meine richtige These aufstellen, daß das Ostgotenreich die direkte Fortsetzung des spätrömischen Reiches ist, sicher mit einigen Reduzierungen. Zweitens ist völlig klar, daß in dem Edictum Theoderici so gut wie kaum Volksrecht steht. Aber trotzdem ist es zum unmittelbaren Gebrauch von Iudices und Amtspersonen durch den König erlassen worden. Und das muß man d a n n sehen: Iudex ist im G r u n d e ein unscharfer Begriff, und man wird darunter den Statthalter, der u.a. die jurisdiktionelle Funktion hat, zu verstehen haben. Was Sie da entwickelt haben, sind so idyllische Verhältnisse, daß da irgendein Richter durch die Dörfer zieht; das ist in Wirklichkeit der Statthalter. Und im nächsten Paragraphen des Gesetzes ist ja von seinem officium die Rede. Im G r u n d e eigentlich ein Beweis dafür, daß wir es doch mit einer ausdifferenzierten und teilweise doch noch rational arbeitenden Bürokratie und Jurisdiktion zu tun haben. Von daher ist das kein Topos. Breebaart Ich habe nur eine Bemerkung ganz generell zur Antikorruption. Ich meine, daß die Sache des Nahverhältnisses auch studiert werden muß an Leuten wie ' Nov. Valent. X X X I I 6f.
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Diskussion
Cato dem Jüngeren, welcher eigentlich ein Vorläufer des modernen Beamten war, weil er Stoiker war. Ich glaube nur, im Jahre 59 hatte er sich ein bißchen mit Korruption eingelassen. Ich denke auch an eine Figur wie Kaiser Galba, wie er seine Truppe nicht kaufen wollte und deshalb bei Tacitus als ein dummer Mann beurteilt worden ist. Und ich denke auch vielleicht an den Einfluß, den doch jüdische und christliche Predigten auf die Amtsführung gehabt haben mögen. Ich weiß nicht, ob es, wie Herr Hahn sagte, fast keinen Einfluß gehabt hat; ob nicht doch die christliche Moralität z . B . bei Ambrosius nicht einen gewissen Einfluß auf die Rechtschaffenheit der Beamten gehabt haben kann. Das ist eine noch offene Frage.
Liebs Zum Edictum Theoderici: Ich habe miterlebt, wie die angeführte Untersuchung 2 entstand. Gewiß ist das Edictum Theoderici abhängig von seinen Vorlagen. Aber die Auswahl ist selbständig. Die einzelnen Bestimmungen sind auf die konkreten, aktuellen Verhältnisse zugeschnitten und nicht gedankenlos übernommen worden.
2
Hermann Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter I : Ostgoten, Westgoten, Franken, Langobarden, Göttingen 1972; vgl. auch dens., Rezension (von G i u l i o Vismara, Edictum Theoderici), i n : Zeitschr. der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 86 (1969) 2 4 6 - 2 6 0 .
Jacob van Klaveren Die Entwicklung der Korruption in Ägypten: von Mohammed Ali Pasha bis zum Khediven Ismael
Historisch ist die Korruption, weil der menschlichen Habgier entstammend, auch in der Staatsverfassung eine Regelerscheinung. Der Historiker, der wenn auch unbewußt - von der Annahme der ehrlichen Verwaltung ausgeht, begeht den Fehler mit einem Anachronismus zu arbeiten. Sogar im Europa des 19. Jahrhunderts wirkten die Staatsauffassungen der Aufklärung nicht allumfassend und ließen die Zustände des Ancien Régime ζ. Β. im russischen Zarenreich bis zum Weltkriege fortdauern. Andererseits wurde die ehrliche Verwaltung unter europäischem Einfluß auch in große Kolonialreiche, mehr oder weniger als Fremdpflanze - eingeführt, und nach der Entlassung in die Unabhängigkeit weitgehend wieder ausgejätet. In den unabhängig gebliebenen einheimischen Staatswesen, in China, in der Türkei und in Ägypten blieb die Korruption unangefochten bestehen. Es ist zweifellos stets reizvoll die Korruption und ihre besonderen Formen in diesen Ländern zu untersuchen, wenn auch die Systematik im Grunde von der europäischen des Ancien Régime nicht abweicht. Große Bedeutung erlangt eine solche Betrachtung, wenn sie zur Erhellung wichtiger Ereignisse ζ. B. zur Erklärung des sog. „Opiumkrieges" und der gesamten Chinapolitik Großbritanniens beitragen kann. Im Falle Ägyptens handelt es sich um eine Entwicklung, die zum Staatsbankrott vom Jahre 1876 und zur Einrichtung des britisch-französischen Kondominiums führte. Damit kehrte auch die ehrliche Verwaltung ein, so daß hier der Gegenstand dieses Aufsatzes endet. Derartige Entwicklungen großer politischer Tragweite können jedoch nicht aus der Korruption an und für sich abgeleitet werden, wie sehr diese auch im Ancien Régime systematisiert, also ein Bestandteil der (ungeschriebenen) Verfassung war; denn der rein-korruptive Staat kann nicht existieren, wäre sogar als eine contradictio in terminis zu werten. Staatstragend ist nicht die Korruption, sondern der Fiskalismus, der die Mittel für die Zwecke des Staates bereitstellt. Diese Zwecke wurden im Ancien Régime in der Regel vom absoluten Fürsten bestimmt und verlangten besonders in Kriegszeiten gebieterisch die augenblickliche Bereitstellung von Finanzmitteln. Staatsbildend, aber nur auf lange Sicht, war die dritte Kraft, die des sog. „Merkantilismus", einfacher ausgedrückt: die Wirtschaftspolitik. Sie zielte
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Jacob van Klaveren
darauf ab die Produktivkräfte im Wettbewerb mit anderen Staaten zu entwikkeln, falls nötig und (fiskalisch) möglich unter momentanem Verzicht auf Finanzmittel.
Diese drei eigenständigen, einander entgegenwirkenden Kräfte bestimmten das politische Kräftefeld, in dem sich irgendwo je nach deren wechselnder Intensität ein mit der Zeit wanderndes Gleichgewicht bildete 1 . Doch läßt sich die Lage des Gleichgewichts im jetzt zu beschreibenden F-M-K-System an Hand einiger Regeln enger eingrenzen. Die stärkste Kraft ist in aller Regel der Fiskalismus (F), der den Staat, d.h. den Ast auf dem die Beamten sitzen, am Leben erhält. Außerdem soll man auch die Beamten nicht bloß als gewinnmaximierende Raffer betrachten, sondern als Menschen, die ihrem Staat im Wettbewerb mit anderen Staaten dienten. Im Grunde sicherte dies die Vorherrschaft des Fiskalismus. Die schwächste Kraft ist im sog. „Zeitalter des Merkantilismus" der Merkantilismus (M) selbst gewesen, also die Wirtschaftspolitik. Schließlich wirkte sie nur langfristig und wurde bei dringendem Finanzbedarf den Erfordernissen des Augenblicks geopfert. Die Stellung des Merkantilismus war um so schwächer, als er von den Beamten und nicht von den Begünstigten selbst angewandt werden mußte. Erstere neigten dazu, die augenblicklichen Vorteile über die vorläufig nicht sichtbaren Nachteile wirtschaftlicher Art zu stellen. Es war also die Korruption (K) die zweitstärkste Kraft. Durch die ungleiche Gewichtung dieser Kräfte wich also das Gleichgewicht von der mittleren Lage G ab und befand sich irgendwo im schraffierten Feld. 1
Siehe im allgemeinen meinen A u f s a t z : F i s k a l i s m u s - M e r k a n t i l i s m u s - K o r r u p t i o n ; Drei Aspekte d e r Finanz- u n d Wirtschaftspolitik w ä h r e n d des Ancien Régime, in: Vierteljahrschrift f ü r Sozialu n d Wirtschaftsgeschichte (VSWG), Bd. 47 (Jg. I960), S.333-353. Eine Übersetzung erschien in D. C. COLEMAN (Ed.): Revisions in Mercantilism, L o n d o n 1969. Es k a n n aber nicht ausbleiben, d a ß hier nach so langer Zeit neue G e s i c h t s p u n k t e des Verf. vorgetragen werden. Sie betreffen bes o n d e r s die S o n d e r f o r m des „ K a m e r a l i s m u s " .
Die Entwicklung der Korruption in Ägypten
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Bei Anwendung des Systems auf die orientalischen Despotien im allgemeinen und auf Ägypten im besonderen, sind aber zunächst in bezug auf den Merkantilismus ( M ) einige Bemerkungen angebracht. Wir können dreierlei Merkantilismusarten unterscheiden : M-l
Künstliche Unterstützung und Aktivierung der Untertanen im außenwirtschaftlichen Wettbewerb, um einen größeren Anteil des Enderlöses im internationalen Handel für das eigene Land zu sichern. Dadurch wurde die Zahlungsbilanz aktiviert. M-2 Gründung vom importsubstituierenden Gewerben. Es handelte sich hier um die Frage der sog. „ M a n u f a k t u r e n " des Ancien Regime. Gelingt die Gründung gesunder Unternehmen, so wird die Zahlungsbilanz gegenüber dem Ausland verbessert. M-3 Binnenwirtschaftliche Maßnahmen ohne direkten Bezug zur Außenwirtschaft, z. B. zum Ausbau der Infrastruktur. Sie sind ebenfalls als Beitrag zur Entfaltung der Produktivkräfte zu verstehen und in ihrer Problematik mit den Manufakturen zu vergleichen 2 . Die erste Kategorie betraf die weitsichtige Förderung von Unternehmerkräften, die bereits Initiative entfalteten. Diese Voraussetzung fehlte in den orientalischen Staaten und besonders im rückständigen Ägypten. Der Merkantilismus war also bei diesen Staaten noch schwächer entwickelt als im Europa des Ancien Régime. Die zweite Kategorie spielte in Ägypten bei den Manufakturen des Mohammed Ali eine wenn auch untergeordnete Rolle. Im Zuge der von den Großmächten betriebenen Eröffnung des Außenhandels verschwand sie vollends und damit auch aus dem Kräftefeld der ägyptischen Staatskunst. An deren Stelle trat mit ständig steigendem Gewicht der Ausbau der Infrastrukturen (M-3). Auch in bezug auf den Fiskalismus (F) sind einige einschränkende Bemerkungen zu machen. Bei absolutistischen Staatswesen war der absolute Herrscher die Personifizierung des Fiskalismus. Die Staatskasse war seine Kasse, auch in soweit als es eine Kassentrennung mit der Privatschatulle nicht gab. Es blieb ihm unbenommen im Rahmen des Vorhandenen für jeden Zweck, auch für Privatvergnügen, den von ihm als notwendig erachteten Betrag einzusetzen; eine Korruption des Herrschers war also eo ipso unnötig und unvorstellbar. Ein energischer, ehrgeiziger Fürst wie der Sonnenkönig würde sich selbst beschränken, um ein Maximum an Mitteln für kriegerische Zwecke, d.h. für die G r ö ß e des Staates und den Ruhm der Dynastie - nach 2
Siehe meinen Aufsatz: D i e Manufakturen des Ancien Régime, i n : V S W G 1964, Bd. 51, S. 1 4 5 - 1 9 1 . E b e n f a l l s : Die Problematik der M a n u f a k t u r - E r s c h e i n u n g im Ancien Régime, i n : Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1964 (Bd. 120), S . 3 1 7 - 3 2 8 . Anders als bei M - l kann es bei den letzten zwei F o r m e n zu einer Vermischung besonders von M und Κ (vereinzelt auch von F, M und K ) k o m m e n . Stets wird j e d o c h der M - E f f e k t unter Einfluß der Korruption in seiner Wirkung herabgesetzt.
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J a c o b van Klaveren
seinem politischen T e s t a m e n t das allerhöchste Ziel des G e m e i n w e s e n s - einsetzen zu können. S c h w ä c h e r e bzw. gutmütigere Fürsten dürften eine zivilere Verteilung bestimmen. Bei den Übergangsformen zu den modernen Staatswesen, bei denen der Fürst durch innere Veränderungen die Staatsmacht nicht oder nicht mehr allein vertritt, kann es sehr wohl zu Korruptionserscheinungen an der Spitze k o m m e n . Dies gilt natürlich für das Mutterland des modernen parlamentarischen Systems, also für England in den Zeiten der Auseinandersetzung mit den Stuarts. G e g e n Karl I. ( 1 6 2 5 - 1 6 4 9 ) erkämpfte sich das Parlament die Mittelbewilligung und Mittelzuweisung, also das Budgetrecht. D e m fügte sich auch Karl II. nach der Stuart-Restauration (1660). D e r K ö n i g blieb aber M o nopolist der Exekutive, der die Mittelverwendung bestimmte. Er allein entschied über Krieg und Frieden, war aber für die Fortführung seiner Kriege a u f die Mittelbewilligung des Parlamentes angewiesen. S o k o n n t e es 1674 den ungewollten Krieg des Satelliten-Fürsten a u f der Seite Ludwigs X I V . gegen Holland beenden. Umgekehrt verlor Karl schließlich die Lust an der Fortführung des vom Parlament begehrten zweiten Seekrieges gegen Holland ( 1 6 6 5 - 6 7 ) , da ihm mehr an seinen Luxusneigungen gelegen war. S o verpraßte Karl II. in diesem Krieg Kriegsmittel für sein Privatleben. Als das Parlament trotzdem erneut Mittel für die Kriegsflotte bewilligte, und Karl meinte, d a ß die Republik der Vereinigten Niederlande bereits um Frieden nachsuchte, demobilisierte er die Flotte vorzeitig, um sich des übriggebliebenen G e l d e s bemächtigen zu können. D a traf ihn dann der gewaltige Schlag der niederländischen Flotte vor Chatham3. Auch bei den ägyptischen Herrschern werden wir eine zunehmende Machteinschränkung feststellen, diesmal nicht durch die innere Verfassung des Landes, sondern durch den E i n f l u ß des Sultans und der G r o ß m ä c h t e . Trotz Absolutismus nach innen, entwickelte sich nun an der Spitze die K o r r u p t i o n , beim Dynastiegründer M o h a m m e d Pasha noch k a u m , bei Ismael schließlich in so großem U m f a n g e , d a ß daraus 1876 ein Staatsbankrott entstand, der zur Bildung der britisch-französischen Finanzkontrolle über Ägypten führte.
Mohammed Ali ( 1 8 0 5 - 1 8 4 1 - 1 8 4 9 ) M o h a m m e d Ali, als albanischer Söldnerführer 1798 von der Hohen Pforte angeworben um N a p o l e o n in Ägypten zu b e k ä m p f e n , verfolgte das Ziel, sich des Landes zu bemächtigen und eine Dynastie zu gründen. Dies war nur möglich nach der Entfernung der M a m a l u k k e n - B e y s , mit denen die Türken seit der Eroberung durch Suleiman den G r o ß e n ( 1 5 1 7 ) einen modus vivendi ' Siehe meinen Aufsatz ü b e r : Die historische Erscheinung der K o r r u p t i o n , in ihrem Z u s a m m e n hang mit der Staats- und Gesellschaftsstruktur betrachtet, i n : V S W G ( B d . 44), S . 3 0 3 .
Die Entwicklung der Korruption in Ägypten
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eingegangen waren. Die Franzosen, die die M a m a l u k k e n geschlagen hatten, betrachtete er bald eher als Freunde, womit er sich in Gegensatz zu seinem Herrn begab. N a c h d e m Frankreich jedoch seinen bizarren politischen Ausflug ins Morgenland aufgegeben hatte, wurde es zum natürlichen Verbündeten der siechenden Türkei gegen die d a u e r h a f t e russische G e f a h r . So wurde die Stimme des französischen Botschafters in Constantinopel einflußreich. Auf seine E m p f e h l u n g hin, mittelbar auf E m p f e h l u n g des Mathieu de Lesseps 4 , Generalkonsul in Ägypten, wurde M o h a m m e d Ali, der Unter-Ägypten bereits in der H a n d hatte, offiziell zum G o u v e r n e u r (Pasha) ernannt (1805). Gesetzlich war diese E r n e n n u n g zeitlich begrenzt; die meisten türkischen Gouverneure blieben nur drei Jahre, um d a n n durch neue, geldhungrige Funktionäre ersetzt zu werden. Mit seinen starken Streitkräften war M o h a m med Ali jedoch unversetzbar u n d auch unabsetzbar. Als der Sultan sich „ u n d a n k b a r " zeigte, warf M o h a m m e d Alis französisch gedrillte Armee die Türken bis nach Kleinasien zurück u n d hielt sich dort mehrere Jahre (1831-40). N a c h d e m der Sultan G r o ß b r i t a n n i e n 1838 mit einem großzügigen H a n d e l s a b k o m m e n für sich gewonnen hatte, unterbrach die Navy 1840 die Nachschublinien der Ägypter u n d zwang sie zum Rückzug. Andererseits erwirkte Lord Palmerston 1841 im R a h m e n seiner Gleichgewichtspolitik f ü r M o h a m m e d Ali die erbliche Gouverneurswürde. So wurde dieser auch offiziell zum Lehnsmann des Sultans. Die neue Dynastie war hiermit a n e r k a n n t worden. M o d e r n e Streitkräfte kosteten aber viel Geld. Es ist denn auch selbstverständlich, d a ß der Akzent seiner Politik unbedingt auf dem Fiskalismus ruhte. Die Korruption, die sich aus derselben Geldmasse nährte, wurde wenn auch nicht ausgetilgt - so doch eingeschränkt 5 . Dasselbe galt f ü r seine persönlichen Ansprüche. Zwar gab es keine gesetzliche T r e n n u n g zwischen Staats- u n d Herrscherkasse. Aber die m o d e r n e Finanzverwaltung, die Aufstellung von Haushaltsentwürfen wurde nach französischem Muster eingeführt. Junge Ägypter wurden in Frankreich an Verwaltungsakademien ausgebildet 6 u n d auch das „privy purse", die Privatschatulle in die Planung einbezogen. Die dritte Kraft, der Merkantilismus, war unbedeutend. Trotzdem n a h m das Land schnell an wirtschaftlicher Bedeutung zu. Rasch entfalteten sich die Produktivkräfte, zwar nicht von Unternehmern geleitet, aber vom Staat. Es handelte sich um einen ausgeprägten Kameralismus, dessen Merkmal es j a ist, d a ß der Staat mangels U n t e r n e h m e r k r ä f t e selbst als U n t e r n e h m e r auftritt. Sämtliche Ressourcen, die ganze Bauernbevölkerung u n d fast alles Land standen dem staatlichen Wirtschaftsplan zur Verfügung, besonders nachdem 4
Als F e r d i n a n d de Lesseps Konsul in Ägypten wurde, soll M o h a m m e d Ali zu ihm gesagt h a b e n : „ D e i n Vater hat mich zu dem gemacht, was ich b i n . . . " . Siehe H. HUMMEL, U m Suez u n d P a n a m a ; F e r d i n a n d de Lesseps u n d seine Zeit, D a r m s t a d t 1943, S.49. s So urteilt auch D A V I D L A N D E S , Bankers a n d Pashas, L o n d o n 1958, S.98. ' Siehe H E R B E R T S T A N L E Y D E I O H T O N , Art. Egypt, in: E n c y c l o p a e d i a Britannica, 1965 Bd. 8, S.66.
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1811 die M a m a l u k k e n , von M o h a m m e d Ali in die Zitadelle von Kairo gelockt, dort niedergemetzelt worden waren. Es besteht oft die Meinung, d a ß der Kameralismus als eine S o n d e r f o r m des Merkantilismus zu verstehen sei. Wohl ist der Kameralismus in seinen Auswirkungen auf die Entfaltung der Produktivkräfte dem Merkantilismus ähnlich. Ja, er erzielte - bedingt durch die meist primitive Ausgangslage u n d durch die direkte I n a n g r i f f n a h m e - oft sogar raschere Erfolge. Trotzdem handelt es sich dem Zwecke nach um einen Fiskalismus, der die Abgaben und Fronden einer armen, geldlosen, also naturalwirtschaftlichen Bauernschaft in tropische u n d subtropische Weltwirtschaftsernten f ü r den Markt der gemäßigten Breiten verwandelte u n d so Devisen erbrachte 7 . Das Ziel war deshalb ausschließlich und direkt auf die G e w i n n u n g von Finanzmitteln gerichtet. Eine R ü c k n a h m e solcher „ A u f b a u m a ß n a h m e n " hätte auch kurzfristig kaum etwas f ü r die Staatskasse gespart. Angeregt durch den französischen Experten Louis Jumel 8 richtete sich das Zwangs-Agrikultursystem des M o h a m m e d Ali seit 1822 hauptsächlich auf den Anbau einer besonders feinen Baumwollart, der Mako-Baumwolle, welche der wichtigste Devisenbringer des Landes wurde. Der Bau der Wehren mit kurz oberhalb abzweigenden Bewässerungssystemen, besonders im Delta, sollte für Sommerwasser sorgen u n d der Bau von Deichen das Flutwasser im Herbst und Frühwinter von der Ernte fernhalten. Dies alles leisteten Experten mit Hilfe der Fronden einer duldsamen Bevölkerung. Ein eigener Verkaufsmanager pflegte die Kontakte mit den A n k ä u f e r n alexandrinischer Häuser, kontrollierte sie aber ständig an H a n d europäischer Preisnotierungen u n d versuchte auch fallweise Produkte f ü r eigene Rechnung nach E u r o p a zu verschiffen 9 . Die fast sofortige Belebung Alexandriens unter M o h a m m e d Ali, zunächst durch die gesteigerte A u s f u h r bekannter Produkte wie Zwiebel, Reis, Linsen, Sesamsaat, Leinsaat, Weizen, d a n n sehr verstärkt durch die Baumwolle, wird in den Berichten aller Konsuln lobend vermerkt 1 0 . Alexandrien, noch am 7
Ein europäisches Beispiel für eine solche U m w a n d l u n g hatte bereits Schweden unter G u s t a v Vasa gebracht. Er trat die F r o n d e n u n d N a t u r a l a b g a b e n des B i n n e n l a n d e s a n seine dortigen Bergwerkspächter ab. Diese zahlten d a f ü r in Stockholm mit einem Teil der dorthin geschickten Eisenu n d K u p f e r b a r r e n , die sich wieder in A m s t e r d a m u n d a n d e r e n westeuropäischen M ä r k t e n verkaufen ließen. Siehe H E I N Z G A E S S N E R , Schwedens Volkswirtschaft unter Gustav Vasa, Bd. 1 , Berlin 1929, S.40, 44. 8 Louis Alexis Jumel (1785-1823) kam als Direktor einer der B a u m w o l l m a n u f a k t u r e n des Pashas nach Ägypten. Er f a n d die wildwachsende Baumwollvarietät bereits 1819, pflanzte sie erst im klein e n , d a n n in stets größerem M a ß s t a b a n : 1820 . . . . 3 Ballen; 1821 . . . 2000 Ballen. 1822 w u r d e die Kultur von M o h a m m e d Ali p l a n m ä ß i g a u f g e n o m m e n . . . 150000 Ballen. Siehe E. R. J. O W E N , Cotton and the Egyptian E c o n o m y , 1820-1914, O x f o r d 1969, S.28, 32. " Siehe J. G. NANNINGA, Bronnen tot de geschiedenis van den Levantschen H a n d e l , R j k s Geschiedk u n d i g e Publicatien, Bd. IV, Den H a a g 1964, der hauptsächlich die diplomatische u n d konsularische K o r r e s p o n d e n z von 1765-1826 veröffentlicht hat. Als Verkaufs-Chef wird 1822 d e r A r m e n i e r Boghos de Youssouf g e n a n n t (S. 1150). Eigene Verschiffungen nach G r o ß b r i t a n n i e n u n d Frankreich waren nicht möglich, solange dort die Privilegien der L e v a n t e - K a u f l e u t e noch galten. Amsterdam war liberaler, bot aber auch Schwierigkeiten. Livorno eignete sich am besten.
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Ende des 18. Jahrhunderts unbedeutend und von wenigen, meist französischen Kaufleuten besucht, übernahm die Stapelfunktion von Smyrna und hätte dies auch dann geschafft, wenn Smyrna seine Stapelfunktion 1820 nicht durch Niedermetzelung seiner tragenden griechischen Kaufmannschaft verloren hätte. Die Großmächte haben die Einrichtung des Zwangs-Agrikultur-Systems, als den einzigen Weg die Eingeborenen zu höheren Leistungen zu bewegen, gerne gesehen". Deshalb fanden sich die europäischen Häuser auch längere Zeit mit den merkantilistischen Anwandlungen Mohammed Alis ab, die sich in Form von (Textil-) Manufakturen äußerten. Bisher selbständige Handwerker wurden als abhängige Lohnarbeiter in diese Manufakturen getrieben. Louis Jumel, der die berühmte Mako-Baumwolle entdeckte, war als Direktor einer solchen Manufaktur angeworben worden (siehe Anm. 8). Gutgehende Betriebe entstanden daraus nicht. Um sie zu schützen, wurden konkurrierende ausländische Gewebe mit einem Einfuhrverbot belegt, was erstens den Zollertrag schmälerte und zweitens die Europäer verärgerte. Außerdem zehrte diese Spielart des französischen Merkantilismus mit ihren dauernden Defiziten an den Einnahmen, die die Zwangsagrikultur einbrachte 12 . Nach der Eröffnung des Handels wurden die aufgepäppelten Betriebe 1842 aufgelöst. Das Zwangs-Agrikultursystem hat die Gründung der Dynastie mit, und zwar entscheidend, ermöglicht. 1841 war diese Leistung vollbracht, weitere Ambitionen wurden vorerst zurückgestellt, Mohammed Ali war müde 13 . Es fehlte deshalb auch der Zwang zu politischen Hochleistungen, zur Bereitstellung der dazu benötigten Mittel, also zum ausgeprägten Fiskalismus. Noch 1841, noch zu Lebzeiten des alternden Kämpfers, änderten sich die Bedingungen also gründlich. Die Zeit der Liberalisierung der Wirtschaft, die die Voraussetzung für eine gesteigerte Korruption an der Spitze schuf, begann. 10
Der niederländische Konsul in Alexandrien (die meisten verstanden nur Französisch!) schrieb 1822: der H a f e n sei „rempli de bâtiments de plusieurs n a t i o n s " (NANNINGA, 1070f.), 1823 schrieb er, es hätten sich in Alexandrien bereits drei Seeversicherungsgesellschaften niedergelassen neben einer „infinité d'établissements n o u v e a u x " ( N a n n i n g a , S. 1110). " So auch d e r klassische englische N a t i o n a l ö k o n o m J. R. MCCULLOCH, Dictionary of C o m m e r c e , L o n d o n 1854, 2. Aufl., S. 16, der aus demselben G r u n d e das niederländische Zwangs-Agrikultursystem auf Java ( K a f f e e , Zucker, T a b a k , Indigo) guthieß (S. 141 f.). I! Siehe J. G . NANNINGA. a . a . O . , S.893, 949, sowie E. R. J. OWEN, a . a . O . , S.23, 56, 83. Die schlechten u n d u n v e r k ä u f l i c h e n Erzeugnisse, Baumwollgewebe, a b e r auch Feze, w u r d e n der Bevölker u n g f ü r ihre Frondienste a u f g e d r ä n g t , sowie f ü r die Heeresbekleidung bestimmt. Siehe auch A. E. CROUCHLEY. The e c o n o m i c d e v e l o p m e n t of m o d e r n Egypt, L o n d o n 1938, S. 52, 67 f., 72. Wie zu erwarten war, w u r d e ihre Leistungsfähigkeit auch durch eine korruptive G e s c h ä f t s f ü h r u n g untergraben. Siehe CHARLES ISSAWY, Egypt since 1800; a study in lop-sided d e v e l o p m e n t , in: Journal of E c o n o m i c History, 1961, S. 6. ,J Sein ältester Sohn u n d erfolgreicher H e e r f ü h r e r Ibrahim trat schon frühzeitig, seit Sept. 1848 offiziell als Wali (Regent) auf. Ali war inzwischen altersschwach g e w o r d e n . Als Ibrahim im N o v e m ber 1848 plötzlich starb, fiel die Regentschaft an Abbas, Sohn des zweiten Ali-Sohnes T u s u n . Ismael, der Sohn des Ibrahim w u r d e also übergangen. Er hat 1866 sinnvollerweise die Primogenitur verwirklicht. Bald zeigte sich, d a ß diese als Vorstufe zur E r l a n g u n g der vollen Souveränität dienen sollte. Er trachtete sogar, wie sein Vater u n d G r o ß v a t e r , nach d e m T h r o n in Konstantinopel. Siehe D. A. FARNIE, East a n d West of Suez, O x f o r d 1969, S.81.
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Die Liberalisierung „ D e r Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen." Das war die Haltung des Westens gegenüber M o h a m m e d Alis Zwangssystem. Nachdem die Baumwollkultur unter den Fellahs fest verwurzelt worden war, begehrten die alexandrinischen Häuser den direkten Zugang zum Binnenland, den direkten Einkauf, statt auf die Versteigerungen und Verkäufe durch Regierungsinstanzen angewiesen zu sein. Aufgrund des Handelsabkommens mit dem Sultan (1838) setzten sich die Großmächte über die anfänglichen Widerstände des alten Herrschers hinweg. Das freie System ließ sich leicht einführen. Fast in jedem Nildorf befand sich wohl der Laden eines Griechen, Armeniers oder Kopten 1 4 . Dort kauften die Fellahs was sie brauchten und dort landete in erster Instanz auch ihre Baumwollernte. Über eine mehrgliedrige Kette von Ankäufern gelangte die begehrte Baumwolle - in Zeiten großer Nachfrage auch unter Einsatz von Vorschüssen in baren Sovereigns - in den Besitz der alexandrinischen Häuser. Damit drang auch Geld in die Provinz ein, das von den Fellahs in der Regel vergraben wurde. Es war nun auch für den Fiskus nicht nötig einen umfangreichen Apparat aufzubauen, um Naturalleistungen mühsam in Geld umzuwandeln. Man konnte in einfacher Weise Geldsteuern über Provinzen, Distrikte und Dörfer repartieren und auch in Geld einfordern. Spätestens unter Said sah man ein, d a ß dies billiger und bequemer war, ohne daß dadurch der Fiskus zu Schaden kam. Mit der Freiheit des Einkaufs war es aber nicht getan. Zur Absicherung von Vorschüssen brauchten die Gläubiger auch ein Pfand. Dieses konnte in der Ernte des Fellahs selbst, oder bei Mißernte bzw. Unterschlagung in dessen Landbesitz bestehen. Dazu mußten die Fellahs auf Staatsland aber zu Eigentümern von Privatland gemacht und den Ausländern der Erwerb von Boden ermöglicht werden. Mit Hilfe des Sultans begann diese Gesetzgebung bereits 1838 für das türkische Reich, schließlich auch unter Einschluß Ägyptens' 5 . Als die Baumwollpreise 1864 plötzlich fielen und die Vorschüsse nicht 14
,s
Wie überhaupt im türkischen Reich befand sich der Handel fast ausschließlich in Händen dieser christlichen Minderheiten der sog. „rayas". Die Juden nahmen mehr Aufgaben im Steuerpachtwesen wahr. Siehe im allgemeinen J. G. NANNINGA, a.a.O., passim. Außerdem MCCULLOCH, a . a . O . S. 1215, FERDINAND TREMEL, Die Griechenkolonie in Wien im Zeitalter Maria Theresias; Ein Beitrag zur Geschichte der österreichisch-türkischen Handelsbeziehungen, in: VSWG 1964, S. 108-115, S. 108, 110f., und TRAÍAN STOIANOVICH, The Conquering Balkan Orthodox Merchant, in: Journal of Economic History, New York I960, S. 234, 292, 295. Griechische und koptische Krämer und Kaufleute drangen bis nach dem Sudan vor. Siehe H. E. HURST, The Nile; a general account of the river a n d the utilization of its waters, London 1952, S. 135, 215. Schon seit 1842 konnten die Fellahs ihr Land verkaufen. Siehe E. R. J. OWEN, a . a . O . S.61. In den Jahren 1854 und 1858 wurde den Fellahs eine Art Erbzinsrecht zuerkannt. Europäer konnten diese Rechte in Ägypten 1858, im sonstigen türkischen Reich 1867 übernehmen. Echte Privateigentümer wurden die Fellahs erst unter der englischen Verwaltung nach 1880. Siehe CROUCHLEY, a . a . O . S.50, 126f., 145.
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mehr voll gedeckt waren, zeigten sich die Gläubiger und Banken auf einen umfangreichen Landbesitz nicht erpicht und erhielten lieber durch Zwischenfinanzierung des Staates ihr Geld zurück 16 . Gefährlicher waren da schon die Würdenträger und Prinzen, die den wehrlosen Fellahs das ehemalige Staatsland als Privatland „abkauften". Die Möglichkeit des Landerwerbs regte wiederum den Appetit nach Korruptionseinnahmen an.
Das Prinzenland und das Auseinanderstreben der Herrscherfamilie Es ist selbstverständlich, daß die Familie, die für den Gründer noch eine Einheit bildete, sich - beschleunigt durch die Polygynie - in verschiedene Linien verzweigte. Deren Beziehungen untereinander wurden stets dürftiger; es entwickelte sich Zwietracht und Argwohn. Sofort nach Erlangung der Erblichkeit, also 1841, begann Mohammed Ali seinen Nachkommen Land zu schenken, das sog. Prinzenland. Die darauf sitzenden Fellahs wurden jetzt Pächter der Prinzen; sie bauten weiterhin Baumwolle an, die jedenfalls teilweise in den Besitz des Grundherren geriet und von ihm verkauft wurde. Es ist klar, daß die Prinzen, die bereits Steuerfreiheit genossen, nicht bereit waren die Baumwolle einer staatlichen Behörde billig abzugeben, sondern daß sie den direkten Absatzweg nach Alexandrien suchten. Auch im Falle einer Geldpacht blieb dieser Vorzug für den freien, lohnenderen Verkauf durch die Fellah-Pächter bestehen. Infolgedessen wäre das Zwangsagrikultursystem schon von dieser Seite her beeinträchtigt worden und hätte sich nicht mehr lange halten können. Bei einem freien Absatzsystem konnten sie ihre Pachteinnahmen, ebenso wie die Einnahmen aus der in eigener Regie angebauten Baumwolle steigern. Noch weiter ließen sie sich durch einen billigen Zuerwerb von gutbewässertem Baumwolland steigern. Die Möglichkeit eines Familienzweiges, seinen Grundbesitz zu vermehren, hing nun aber entscheidend mit seiner Stellung im Staate zusammen. Hier muß deshalb auf die Erbfolgeregelung eingegangen werden. In seinem Firman vom Jahre 1841 hatte der Sultan bestimmt, daß die Nachfolge dem ältesten männlichen Sproß der Gesamtfamilie gebührte. Es konnte also kein Herrscher damit rechnen von seinem Sohn nachgefolgt zu werden. Um so größer war der Drang, während seiner vielleicht kurzen Regierungszeit ein Maximum an Staatsmitteln durch Korruption für seine eigenen Nachkommen abzuzweigen. Diese Mittel fielen flüssig an, wurden aber in der Regel nach Möglichkeit dazu benutzt, zusätzliche Ländereien zu erwer-
"
Ismael bezahlte die E u r o p ä e r mit 7%igen Schuldverschreibungen, holte sich das G e l d aber a u f I2%iger Grundlage bei den Fellahs zurück. Siehe DAVID LANDES, Bankers and Pashas, L o n d o n 1958, S . 2 4 0 . Allerdings ist auch 12% unter Orientalen ein niedriger Zinsfuß.
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ben. Selbstverständlich steigerte sich dieser Drang im amerikanischen Bürgerkrieg, als die Baumwollpreise ungeheuer stiegen 17 . Die Erhebung zur Dynastie, die Liberalisierung, die „Bauernbefreiung" wirkten sich also, wie wir nun an Hand der Fälle der nachfolgenden Herrscher zeigen wollen, korruptionssteigernd aus.
Abbas Pasha (1849-1854) Der Europäerhasser Abbas, Enkel des Mohammed Ali, fand bei seiner Regentschaft, dann bei seiner Nachfolge relativ gut geordnete Verhältnisse vor. Dann aber fing er an, ausschließlich im Interesse seiner eigenen Nachkommen zu wirtschaften. Die Beamten erhielten ebenfalls größeren Spielraum für die Korruption. Sie versuchten die Einnahmen ihrer Ämter zu maximieren, als seien diese ein Erwerbsbetrieb 18 . Diese Einnahmen stammten teilweise aus der Erpressung, besonders der ausländischen Kaufleute, die jedesmal wenn sie auf eine Amtshandlung angewiesen waren, erst bedient wurden nachdem sie die betreffenden Beamten „geschmiert" hatten". Andererseits trat der übliche Kassendiebstahl, sowohl an der Einnahmen- als auch an der Ausgabenseite der Staatskasse auf, die um einen erheblichen Prozentsatz verringert, bzw. vergrößert wurden. Natürlich war ein direkter Griff in die Kasse nicht möglich. Der Diebstahl mußte auf Umwegen verübt werden; z.B. durch unvollständige Abführung von Zöllen und andererseits durch Aufblähen der Einkaufspreise mit nachträglicher Beteiligung an der Differenz 20 . Das letztere
" Amerikanische Baumwollpreise in „ p e n c e per 1b" nach B. R. MICHELL & PHYLLIS DEANE, Abstract of British Historical Statistics, C a m b r i d g e , U. P. 1962, S.490: 1861 = 8 , 5 6 ; 1 8 6 2 = 17,25; 1863 = 23,25; 1864 = 27,50; 1865 = 19,00. Es werden hier Jahresdurchschnittspreise gegeben. D e r plötzliche Fall am E n d e des Jahres 1864 wird d e s h a l b besser vom Jahresdurchschnittspreis 1865 wiedergegeben u n d betrug rechnerisch fast 31%. In dem M o m e n t w a r d e r Fall gegenüber d e m Preis zur Zeit der V o r s c h u ß g e w ä h r u n g noch beträchtlich größer. Die Preise f ü r ägyptische Baumwolle bewegten sich k o n f o r m auf einem höheren Niveau. " Dies ist die G r u n d l a g e der B e a m t e n k o r r u p t i o n , wie ich sie a u c h in m e i n e m ersten K o r r u p t i o n s aufsatz hervorgehoben h a b e (s. A n m . 3). Der Beamte verhielt sich als „ m a x i m i z i n g u n i t " . DAVID LANDES, a . a . O . S.97 drückt es so aus: „ P u b l i c offices were . . . private properties exploited by their holders for whatever they would yield". " DAVID LANDES, a . a . O . S.98. Dies ist auch heute noch eine in überseeischen L ä n d e r n übliche Erscheinung. In einigen L ä n d e r n E u r o p a s w a r es allerdings nicht anders. Schon die Fugger-Bediensteten in M a d r i d schrieben ihrem Prinzipal: „ m a n c h m a l will die K a r r e nit gehen, m a n schmirbt sie d e n n " . Siehe KONRAD HXBLER, Die Geschichte d e r Fuggerschen H a n d l u n g in S p a n i e n , Weim a r 1897, S.70. N o c h u m 1850 w a r es in Spanien nicht viel anders. J. R. MCCULLOCH, a . a . O . S. 209 bestätigt dies f ü r die Zollabfertigung. Aber, so fügt er hinzu, die K o r r u p t i o n beschränkt sich nicht auf Zoll- u n d Steuerbeamten, s o n d e r n . . . „ p e r v a d e s all classes f r o m the highest to the lowest". 20 M a n spricht von „ p a d d e d a c c o u n t s " (gepolsterte Rechnungen). N a c h d e m diese von der Staatskasse bezahlt w o r d e n w a r e n , b e k a m d e r beteiligte Beamte seinen Anteil am ü b e r h ö h t e n Betrage ausgezahlt. D a s Wort „ k i c k - b a c k " ist hier eine t r e f f e n d e Bezeichnung. Siehe ARNOLD HEIDENHEIMER (Ed.), Political C o r r u p t i o n ; Readings in C o m p a r a t i v e Analysis, New York 1970, passim. Die
D i e E n t w i c k l u n g der K o r r u p t i o n in Ä g y p t e n
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war natürlich nur möglich, wenn der betreffende Beamte entscheidenden Einfluß auf das Zustandekommen des Geschäftes und auf die Anweisung der überhöhten Rechnungen hatte. Besonders bei größeren Aufträgen entschied der Pasha selbst. Auch Abbas Pasha hatte keinen direkten Zugriff zur Staatskasse. Zwar gab es noch keine offizielle Zivilliste, also keine gesetzliche Trennung zwischen „privy purse" und Staatskasse, aber die aus Frankreich übernommene Haushaltsordnung wurde weitergeführt, und er hatte sich in Anbetracht unbequemer Beobachter in der Großfamilie, im konsularischen Corps und in Constantinopel, an den Haushalt zu halten. Die Folge war, daß auch Abbas die bei den gewöhnlichen Beamten üblichen Korruptionsumwege beschreiten mußte. Man kann sagen, daß er und seine Nachfolger fast ausschließlich auf der Ausgabenseite der Staatskasse operierten, ihnen also an einer ausreichenden Auffüllung der Staatskasse gelegen war. Dies hat zweifellos als eine Bremse für die Beamten der Einnahmeseite gewirkt. Die Steuererhebung sah so aus, daß ein fester von der Staatskasse benötigter Betrag über Provinzen, Distrikte und Dörfer repartiert wurde, so daß dieser Betrag auf alle Fälle abgeführt werden mußte. Allerdings fehlte die Grundlage zur richtigen Aufschlüsselung der Steuersumme. Es gab noch keine kadastrale Vermessung, so daß individuelle Veranlagungen nicht möglich waren. Es konnten also Dörfer zu hart oder zu geringfügig veranlagt worden sein. So blieb es dem Dorfschulzen 2 ' überlassen, die auferlegte Summe an Hand seiner örtlichen Kenntnisse unter den Fellahs zu repartieren. Da er selbst aufgrund der Kollektivhaft des Dorfes körperlich gezüchtigt werden konnte, gab er den Druck lieber an seine Dörfler weiter22. Zahlungsrückständige Fellahs wurden dann von Peitschen schwingenden Schergen, die den Steuerschreiber 23 begleiteten, so lange gezüchtigt, bis der Simulant das Geld ausgegraben hatte oder bis man doch meinte, es mit einem aufrichtigen Zahlungsunfähigen zu tun zu haben. So bildete sich hauptsächlich aus der Grundsteuer die Substanz für die Ausgaben des Staates. An der Ausgabenseite zeichnete sich Ägypten durch eine großzügige Entwicklung der Infrastruktur aus. Wohl gehörten hierzu auch die Deich- und Bewässerungsbauten des Mohammed Ali für den Baumwollanbau. Doch R e c h n u n g e n f ü r E i n k ä u f e des Staates w u r d e n regelrecht „ a u f g e b l a s e n " . Dervieu, ein versierter G e s c h ä f t s m a n n und Bankier, schrieb 1863 n a c h F r a n k r e i c h : Die M e n s c h e n hier m u n k e l n s c h o n , d a ß ich mich mit N u b a r Bey, Minister f ü r ö f f e n t l i c h e W e r k e , z u s a m m e n g e t a n h a b e „ t o b l o w u p the bills". Siehe DAVID LANDES, a . a . O . S.275. Bei g r ö ß e r e n D ö r f e r n „ O m d a h " g e h e i ß e n ; bei kleineren D ö r f e r n u n d Weilern „ S h e i k h " . Siehe HURST, a . a . O . , 15. " Nicht a n d e r s war es bei d e n N i e d e r l ä n d e r n auf J a v a , bis die körperliche Z ü c h t i g u n g 1865 abges c h a f f t wurde. Siehe JACOB VAN KLAVEREN, T h e Dutch C o l o n i a l System in the East Indies, Rotterd a m 1953, S. 121. Der S ' a r r a f , der meistens K o p t e war, also a u c h einer M i n d e r h e i t a n g e h ö r t e . Siehe OWEN, a . a . O . , S.5. Als Peitsche diente der „ K u r b a t s c h " aus N i l p f e r d l e d e r . Auch im F i n a n z d i w a n in K a i r o ü b e r w o g e n die koptischen R e c h n u n g s f ü h r e r . Siehe LANDES, S. 106 A n m .
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J a c o b van K l a v e r e n
wurden diese hauptsächlich mit anderweitig nicht verwertbaren Frondiensten ausgeführt, so daß diese Verwertung als ein naturalwirtschaftlich gearteter Fiskalismus zu betrachten ist. Diese öffentlichen Werke waren budgetmäßig für die Ausgabenseite unerheblich. Es geht uns also hauptsächlich um Geldund sogar Dëvisenausgaben bei der Herstellung einer landesfremden, westlichen Grundausstattung. Es muß hier betont werden, daß der Anstoß dazu zunächst aus England kam, das die Verbindung mit Indien im Umsteigeverfahren, den sog. „overland mail" beschleunigen wollte; und auch, daß sowohl Mohammed Ali als auch Abbas sich diesen Wünschen widersetzten. Sie fühlten sich dadurch in ihrer Freiheit und Unabhängigkeit bedroht 24 . Mohammed Ali verweigerte 1839 den Bau einer Eisenbahnlinie von Kairo nach Suez. Später betrieb er selbst einen einträglichen Dienst zur Beförderung und Unterbringung von Passagieren bis nach Suez. Von der Eisenbahn Alexandrien-Kairo war wohl die Rede, doch war dort immerhin bereits der Wassertransport möglich. 1841 verbot er der P&O-Linie den Einsatz von Flußdampfern, mußte aber in seinen alten Tagen nachgeben 25 . Auch der Europäerhasser Abbas, der sogar die französischen Berater seines Vaters entließ, verhielt sich ablehnend. Erst nach dreijährigem Drängen Lord Palmerstons genehmigte Abbas am 12. Juli 1851 den Bau der Eisenbahn von Kairo nach Alexandrien, und zwar als Staatsbahnbau, für die er zu bezahlen hatte und für die er auch die zwangsverpflichteten Fellahs einsetzte. Die Bahn wurde von Robert Stephenson gebaut, aber erst unter Said am 1. Januar 1856 eröffnet 26 . Wenn auch zunächst gegen seinen Willen begonnen wurde, so muß doch betont werden, daß es sich um Staatsbauten handelte, die beachtliche Gelder beanspruchten, und daß sich hier gleichwohl bei Vertragsabschlüssen und Beschaffungen für Strecke und rollendes Material manche Gelegenheit des Kassendiebstahls ergab 27 . Hierüber wird kaum geschrieben. Aber offensichtlich betrachtete Prinz El-Hami, Sohn des Abbas diesen Eisenbahnbau als eine Art 24
M o h a m m e d Ali ließ sich 1839 sogar einen optischen Telegraphen von Suez nach Kairo bauen, um schnell über einen möglichen englischen Angriff unterrichtet zu werden. Siehe D. A. F A R N I E , East and West of Suez, Oxford 1969, S. 13, 16. Allerdings schickten sich die Briten damals an, seine weit in die Türkei vorgedrungenen Truppen zum Rückzug zu zwingen. " Die Peninsular & Oriental Steam Navigation C o m p a n y , eine der größten britischen Reedereien hatte ihre Verbindungen allmählich von der Iberischen Halbinsel über Malta bis nach Alexandrien ausgedehnt. Sie sollte jetzt auch die indischen Verbindungen bis Suez von der East-India C o m p a n y übernehmen. Die Beschleunigung des Umsteigeverfahrens war deshalb ein verständliches Anliegen. 1847 wurden die Nildampfer vom ägyptischen Staate aufgekauft. Auch die Strecke von Cairo nach Suez mit Fuhrwerken, fünf Raststätten und Hotel in Suez, war vorher von Engländern organisiert worden. Siehe D. A. FARNIE, S. 12, 18, 24, 57. 2 " Siehe FARNIE, a.a.O., S.28, 38. Fast sofort reiste der neue General-Gouverneur von Indien, George Canning am 26. J a n u a r 1856 auf diesem Wege nach Indien. 71 Es wurde bald auch die Fernmeldelinie Alexandrien-Kairo in Auftrag gegeben und der verstopfte Mahmoudiah Kanal nach Alexandrien mit modernen Baggern wieder auf Tiefe gebracht. D . LANDES, S . 8 3 , 8 5 ,
260.
D i e E n t w i c k l u n g der K o r r u p t i o n in Ä g y p t e n
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Privatunternehmen, als er an Said, der die Eisenbahn nun weiterbaute, finanzielle Forderungen stellte28. Es wird allgemein als feststehend bezeugt, daß Abbas die Staatskasse plünderte 29 . Jedenfalls wurde der Prinz El-Hami - und das war nur einer seiner Nachkommen - auf 80 Millionen Ffr bewegliches Vermögen geschätzt. Dazu kam noch viel Land bis zu einem geschätzten Gesamtvermögen von ungefähr 200 Millionen Ffr 30 . Zweifellos wurde dieses Geschehen von der eigenen Großfamilie kritisch verfolgt 3 '. Die Zerrissenheit der Herrscherfamilie geht daraus hervor, daß sich Abbas von seinem Onkel Said, dem mutmaßlichen Nachfolger, ständig bedroht fühlte 32 . Zufällig fiel er frühzeitig in seinem Palast den Kugeln eines Attentäters zum Opfer. Sein Nachfolger war der „dicke Said", der vierte Sohn Mohammed Alis, zwar Onkel des Abbas aber doch später geboren, bekannt als Jünger und Verehrer Ferdinand de Lesseps.
Said Pasha (1854-1863) Während Mohammed Ali seine Geschäfte am Ende seiner Regierung noch geordnet übergeben hatte, war die Staatskasse vollständig leer, als Said das Regiment von seinem Neffen Abbas übernahm. Er selbst machte es nicht besser. Im Gegenteil; jetzt nahm die Korruption bereits die Ausmaße einer Flutwelle an. Nie vergaß Said, daß seine Söhne ihm nicht nachfolgen würden 33 . Auch das wichtigste Vehikel der Bereicherung, die Durchführung großer Infrastrukturwerke, verschmähte Said nicht. Weit davon entfernt sich gegen sie zu sträuben, verehrte er, anders als Abbas, die westliche Zivilisation. Said hat trotz großer Schwierigkeiten dem Suez-Kanal-Plan zur Durchführung verholfen, in der Absicht, sein Land mit einem großen Zivilisationswerk auszuzeichnen. Hier ist von Geldgewinn keine Rede. Dies schon deshalb nicht, weil es von Fremden, nicht von Ägyptern gebaut werden sollte. Bei Staatsbauten ließen sich die zwei Absichten der Landeserschließung und der Bereicherung mühelos miteinander verbinden. Trotzdem muß dabei der Bereicherung, d.h. der Korruption größere Kraft zuerkannt werden; die Korruption verteuerte diese technischen Vorhaben beträchtlich, so daß ohne Korruption mehr Eisenbahnen, mehr Fernmeldelinien hätten gebaut werden können. 2
" LANDES, a.a.O., S.97 Anm.
"
CROUCHLEY, a . a . O . , S. 108.
M
CROUCHLEY, S. 1 0 8 ; LANDES, S. 112
"
Daß die Großfamilie eine Aufsicht ausübte, beweist ein Vorfall, der allerdings mit der Korruption nichts zu tun hat. Als Said am 5. J a n u a r 1856 seinen zweiten Konzessionsvertrag mit Lesseps abgeschlossen hatte, protestierte die ganze Familie in der Person des mutmaßlichen Nachfolgers Ismael gegen einen Ausverkauf ägyptischer Interessen. Siehe FARNIE, a . a . O . , S.40. PERCY ECKSTEIN, Ferdinand de Lesseps, Wien 1947, S. 15.
12
"
DAVIS LANDES, S . 9 8 A n m .
99.
Anm.
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Jacob van Klaveren
Obwohl er seinem väterlichen Freund Ferdinand de Lesseps die Konzession zum Suez-Kanalbau bereits erteilt hatte, genehmigte er im Mai 1855 den Bau der Eisenbahn Kairo-Suez. Dies war sieben Monate vor Eröffnung der ersten afrikanischen Eisenbahn Alexandrien-Kairo 3 4 . Es kam Said zustatten, daß bereits vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges Angst-Aufkäufe von Baumwolle stattfanden und der Preis nach dessen Ausbruch stark stieg35. In dieser Zeit verdienten auch die Fellahs so viel Geld, daß sie sich einigen Luxus leisten konnten. Größere Beträge wurden aber zweifellos vergraben. Diese Horte sicherten dann, auch nachdem die Baumwollpreise wieder gefallen waren, hohe Steuereinnahmen 36 . Die hohen Steuereinnahmen vergrößerten wieder den Spielraum für die Bereicherung des Pashas. Er wurde noch weiter vergrößert, da es seit Said gelang, Anleihen von Ausländern aufzunehmen. In seinem Lehnsbrief für Mohammed Ali vom Jahre 1841 hatte der Sultan die Aufnahme ausländischer Anleihen ohne seine Genehmigung verboten 37 . Für den alten Herrscher mag dies nicht beschwerlich gewesen sein. Bei einigermaßen sorgfältiger Staatsführung reichten die Einnahmen aus. Dem Andrang der auf private Bereicherung bedachten Nachfolger hielten aber auch die guten Einnahmequellen nicht stand. Schon 1855 fing Said an, (ausländische) Lieferanten mit „bons" des Schatzamtes zu bezahlen. Eine neue Anleiheform waren ab August 1860 die dreijährigen 10%igen Schatzanweisungen (treasury bonds), zu deren Ausgabe Ferdinand de Lesseps geraten hatte 38 , als er Said bewog, alle bei der Pariser Emission liegengebliebenen Suez-KanalAktien zu übernehmen 39 . Der Sultan, der wohl verstand, daß er hierbei, diesem Lieblingsprojekt der Kaiserin Eugénie, ein Auge zudrücken mußte, ließ Said gewähren. Diese Schatzanweisungen wurden ständig erneuert und sogar vermehrt, so daß davon 1861 £ 7 Millionen (1859 = £ 2 Millionen) in Umlauf waren 40 . Damit wurde zunächst die Anzahlung auf die Aktien geleistet 4 ', dann aber wurden auch allgemeine Ausgaben so gedeckt. ' 4 FARNIE, a.A.O., S.38. Die erste B a h n S u e z - K a i r o w u r d e 1868 a b g e w r a c k t . D a f ü r b a u t e Ismael e i n e n e u e E i s e n b a h n v e r b i n d u n g von K a i r o ü b e r Ismailiah n a c h Suez. Sie w u r d e a m 8. S e p t e m b e r 1869 e r ö f f n e t . Siehe FARNIE, S.76. 35 Siehe die P r e i s n o t i e r u n g e n u n t e r A n m . 17. Dies bezeugte n o c h 1 8 6 6 d e r g u t i n f o r m i e r t e B a n k i e r u n d Lobbyist Dervieu. Siehe L A N D E S , a . a . O . , S.286. " Siehe u . a . CROUCHLEY, a . a . O . , S. 115. Siehe z.B. FARNIE. S.59. M a n soll sich v e r g e g e n w ä r t i g e n , d a ß 10% f ü r asiatische Verhältnisse nicht viel war. Kein Ä g y p t e r w ü r d e sein G e l d f ü r 10% h i e r f ü r h e r g e b e n . F ü r d a s e u r o p ä i s c h e K a pital w a r dies j e d o c h - z u m a l bei d e r Sicherheit, die d u r c h die G r o ß m ä c h t e g e w ä h r t schien - e i n e gute Rendite. A u c h diese auf d e m ä g y p t i s c h e n G e l d m a r k t a u s g e g e b e n e n Schuldtitel stellten deshalb Schulden an Ausländer dar. " Von d e n 4 0 0 0 0 0 Aktien zu 500 F f r w a r e n 113642 liegengeblieben. F ü r die G r ü n d u n g v e r l a n g t e d a s f r a n z ö s i s c h e Aktiengesetz die v o l l s t ä n d i g e Placierung.