Kooperation unter Unsicherheit: Institutionelle Reformen und kommunale Wassernutzung im Nordwesten Namibias 9783839440483

Institutional Blueprints and Local Cooperation: The Rural Water Supply in Namibia.

173 7 2MB

German Pages 256 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
1. Natürliche Ressourcen, Institutionen und Kooperation
2. Kommunale Farmgebiete im südlichen Kunene
3. Empirische Grundlagen
4. Kraale, Feuer- und Wasserstellen: die kommunalen Farmen
5. „Zusammenarbeit“: Merkmale und Muster sozialer Beziehungen
6. Schnittstelle Wasser: die Implementierung von CBWM
7. Die Nutzung & Organisation von Wasser: „Zusammenarbeit“ und Verhandlungen
8. Kooperation in einem „semi-autonomen sozialen Feld“
Anhang
Literatur
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Kooperation unter Unsicherheit: Institutionelle Reformen und kommunale Wassernutzung im Nordwesten Namibias
 9783839440483

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Theresa Linke Kooperation unter Unsicherheit

Kultur und soziale Praxis

Theresa Linke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie der Universität Hamburg. Im Rahmen des DFG-finanzierten, vergleichenden Langfristprojekts LINGS forschte sie eineinhalb Jahre zu institutionellem Wandel und kommunaler Wassernutzung im ländlichen Namibia.

Theresa Linke

Kooperation unter Unsicherheit Institutionelle Reformen und kommunale Wassernutzung im Nordwesten Namibias

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Wasserstelle in Kunene, von Elefanten beschädigt (Foto: Theresa Linke) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4048-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4048-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 9 1.

Natürliche Ressourcen, Institutionen und Kooperation | 11

Ein-Blick: Wasserstellen und Weiden | 14 Zur Problematisierung von Kollektivgütern und Kooperation | 19 Institutionen als Lösung: „Common-Pool Resource“-Theorie | 21 Kritischer Institutionalismus | 25 Ressourcennutzung operationalisieren | 30 Plurale Regeln und Normen | 31 Soziale Beziehungen und multiplexe Verflechtungen | 34 Fragestellung und Aufbau | 37 2.

Kommunale Farmgebiete im südlichen Kunene | 41 Regionale Einführung | 42 Koloniale Mächte, Apartheid und Brunnenbohrungen | 47 Entstehungsgeschichte der Farmen | 52 Nach der Unabhängigkeit: Reform der Wasserinfrastruktur | 56

3.

Empirische Grundlagen | 59 Das LINGS-Projekt | 59 Leben und interagieren auf den Farmen | 61 Datenerhebung und Schlüsselereignisse | 64 Datenaufbereitung | 73

4.

Kraale, Feuer- und Wasserstellen: die kommunalen Farmen | 77

Heterogenität und Vernetzung: soziale Grundlagen | 82 Demographische Muster | 84 Haushalte | 89 Knappheit und Ungleichheit: wirtschaftliche Grundlagen | 96 Viehbesitz | 96 Diversifizierung und Stratifikation | 100 Die kommunalen Farmen | 104 Wasserkonsum | 104 Grootvlakte, Brakwater und Kleinrivier | 108

5.

„Zusammenarbeit“: Merkmale und Muster sozialer Beziehungen | 113

Tauschen und Teilen verorten | 114 Soziale Beziehungen, Unsicherheit und Knappheit | 117 Multiplexität | 122 Reziprozität, Vertrauen und Konflikte | 124 Soziale Rollen: Verwandtschaft und Gemeinschaft | 127 Soziale Netzwerke | 130 Dichte, Verbundenheit und die Rolle zentraler Akteure | 134 6.

Schnittstelle Wasser: die Implementierung von CBWM | 143 Grundlagen: Demokratisierung und Kostendeckung | 145 Richtlinien zur Implementierung | 146 Legalisieren, Institutionalisieren, Organisieren? | 150 Das Einstellen von Sparbeiträgen | 153 Zugang, Nutzung, Ausschluss: die Wassernutzergemeinschaft | 157 Politisch-ökologische Entwicklungen | 160 Naturschutz und Dezentralisierung – Konflikte an der Wasserstelle | 162 Staat und Gemeinde: der Appell zur „Selbstständigkeit“ | 168

7.

Die Nutzung & Organisation von Wasser: „Zusammenarbeit“ und Verhandlungen | 173

Operative Ebene: Herausforderungen bewältigen, Wasser bereitstellen | 177 Offener Zugang, eingeschränkte Kontrolle | 177 Instandhaltung und Reparaturen: Wasserknappheit verhindern | 186 Beiträge: nichts haben, dennoch geben? | 190 Kollektive Ebene: Organisieren und Argumentieren | 200 Die Rolle zentraler Akteure | 200 Organisationsstrukturen erklären | 206 Konflikte | 209 Entscheidungen und Verhandlungen | 214 8.

Kooperation in einem „semi-autonomen sozialen Feld“ | 221

Die flexiblen kooperativen Praktiken der Farmbewohner | 224 Institutionen und Kooperation in der Ressourcennutzung | 229 Anhang | 233

Glossar | 233 Abkürzungsverzeichnis | 235 Überblick über die Datenerhebung (Kapitel 3) | 236 Gesetzestexte zu CBWM (Kapitel 6) | 238 Schäden an den Wasserstellen im Überblick (Kapitel 7) | 239 Literatur | 243

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Empirische Grundlagen | 65 Tabelle 2: Leitfadeninterviews in der qualitativen Vertiefungsphase (n=30) | 72 Tabelle 3: Populationsgruppen auf den Farmen | 86 Tabelle 4: Altersverteilung im Vergleich | 87 Tabelle 5: Schulausbildung und erreichter Abschluss (n=153) | 88 Tabelle 6: Altersklassen der Vorstände (n=35) | 91 Tabelle 7: Soziale Beziehungen zum Vorstand | 92 Tabelle 8: Alter der auf der Farm ansässigen Vorstände (n=26) und Einkommensklassen | 103 Tabelle 9: Wasserkonsum im Vergleich, LKT* (alle Haushalte ohne Wasseranschluss) | 107 Tabelle 10: Viehbesitz der Gemeinden im Vergleich | 110 Tabelle 11: Soziale Rollenverteilung im Vergleich (n=102 soziale Beziehungen) | 129 Tabelle 12: Vergleich der Gesamtnetzwerke | 136 Tabelle 13: „Design principles“ nach Ostrom (1990) und CBWM | 149 Tabelle 14: Auszug Management-Plan Kleinrivier | 152 Tabelle 15: Analyserahmen, schematische Darstellung | 174 Tabelle 16: Pumpstunden der Gemeinden im Vergleich | 180 Tabelle 17: Wasserbedarf der Gemeinden im Vergleich | 181 Tabelle 18: Dieselbeiträge zwischen den Gemeinden | 184 Tabelle 19: Zentrale Akteure im Informationsnetzwerk der Wassernutzung | 202 Tabelle 20: Vergleich der Akteurs-Zentralitäten im SUN* und im IKW** | 207 Tabelle 21: Zentrale Akteure im IKW und soziale Einbettung | 213 * siehe Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die kommunalen Farmen Grootvlakte, Brakwater und Kleinrivier | 15 Abbildung 2: Farmhaus & Herde | 16 Abbildung 3: Kunene-Region in Namibia | 43 Abbildung 4: Niederschläge Farmgebiet, mm/Jahr | 44 Abbildung 5: Blick auf die Farm Kleinrivier | 47 Abbildung 6: Bildungsabschluss anwesende (n=92) und meist abwesende (n=204) Personen | 89 Abbildung 7: Anzahl Haushalte (n=35) pro Viehklasse | 97 Abbildung 8: Durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen der Haushalte | 102 Abbildung 9: Soziales Unterstützungsnetzwerk in Grootvlakte | 137 Abbildung 10: Soziales Unterstützungsnetzwerk in Kleinrivier | 138 Abbildung 11: Soziales Unterstützungsnetzwerk in Brakwater | 139 Abbildung 12: Versammlung in Grootvlakte | 168 Abbildung 13: Wasserstelle in Brakwater | 178 Abbildung 14: Wasserverbrauch in Grootvlakte und Kleinrivier | 193 Abbildung 15: Wasserverbrauch und Beiträge in Grootvlakte | 196 Abbildung 16: Wasserverbrauch und Beiträge in Kleinrivier | 197

D ANKSAGUNG Diese Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie der Universität Hamburg und wurde im November 2015 als Dissertation an der Fakultät für Geisteswissenschaften angenommen. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Langfristprojektes „Local Institutions in Globalized Societies“ (LINGS) führte ich eine 18-monatige Feldforschung im Nordwesten Namibias durch. An dieser Stelle möchte ich den Menschen danken, die dieses Projekt auf ganz unterschiedliche Weise unterstützt haben. Sie alle tragen einen Anteil an der vorliegenden Veröffentlichung. Ein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Michael Schnegg, der diese Arbeit von Beginn an begleitet hat. Sowohl in konzeptionellen als auch in methodischen Fragen konnte ich sehr von seiner Unterstützung profitieren und er hat diesem Projekt viel Zeit zur gemeinsamen Reflexion gewidmet. Des Weiteren möchte ich Prof. Dr. Michael Bollig danken, dessen detaillierte Hinweise den Prozess des Schreibens bereichert haben. Weiterführend für die Forschung waren ferner die Arbeiten von und Gespräche mit Prof. Dr. Julia Pauli. Inspiriert haben mich zudem die Monographien von Carol Stack, Jeffrey Cohen und John Friedman. Seit Beginn meines Studiums hat mich Prof. Dr. Hartmut Lang darin bestärkt, Zusammenhänge „verstehen zu wollen“ und dafür etwas Geduld mitzubringen. Ausgesprochen dankbar bin ich den Bewohnern der kommunalen Farmen im Nordwesten Namibias. Sie haben mir ihr Wissen, ihre Erfahrungen, ihre Zeit und ihre Hilfe zur Verfügung gestellt und auf diese Weise die Grundlage des vorliegenden Buches geschaffen. Ein besonderer Dank gilt Alexia Ortner, die mich während der gesamten Forschung in meinem Vorhaben bestärkte und deren Erklärungen an vielen Stellen Eingang in diese Arbeit gefunden haben. Ferner danke ich Melitta Ortner für ihre tagtägliche Unterstützung sowie Eddie Oaseb und Pandeni Ihuhua für ihre Hilfe bei den strukturierten Erhebungen und ihr gewissenhaftes Nachfragen. Verbunden bin ich außerdem Marta Ihuhua, Selma Ihuhua und Piet Tjikongo, die mir geholfen haben, in „ihren“ Gemeinden zu leben. Ein großer Dank gilt meinen Mitstreitern aus dem LINGS-Projekt, hier vor allem Thekla Kelbert, Diego Menestrey, Kathrin Gradt und Erwin Schweitzer. Der fortlaufende Austausch und die gemeinsamen Diskussionen gaben mir wichtige Impulse. Bei der Eingabe der Daten und der Transkription der Interviews waren Fanny Weidehaas und Frances Matros eine große Hilfe. Eine großartige Unterstützung und zeitweise mit im Feld waren Lalima Grote und Lisa Spottke sowie meine Mutter Heike Linke. Lalima Grote hat darüber hinaus an der Datenerhebung im Sommer 2012 mitgewirkt. Mein innigster Dank gilt meinem Partner Ron Piterman, der mir über die Phase des Schreibens den Rücken freihielt und mit seinen präzisen Fragen dazu beitrug, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Gewidmet ist diese Arbeit unseren Kindern Amira und Alon. Kritisch gelesen und kommentiert haben Teile dieser Arbeit Ron Piterman, Kathrin Gradt und Diego Menestrey; abschließend gelesen und korrigiert haben Hartmut Lang, Roland Mischung und Nikolaus Stenitzer. Theresa Linke Hamburg, im Mai 2017

1. Natürliche Ressourcen, Institutionen und Kooperation „Wenn wir gut ‚zusammenarbeiten‘, dann werden wir für alles eine Lösung finden.“ REGINA AMPORO, Farmerin aus Grootvlakte am 06.11.2011 über samewerking in der Gemeinde, übersetzt aus dem Afrikaans

In den ländlichen Regionen Namibias hat sich die Wasserversorgung seit der Unabhängigkeit im Jahr 1990 grundlegend verändert. Institutionelle Reformen und die Einführung von community-based management sollen eine nachhaltige und demokratische Entwicklung in den häufig marginalisierten Gebieten fördern. Der Staat transferiert Eigentumsrechte von der nationalen auf die lokale Ebene und übergibt die gemeinschaftlich genutzten Bohrlöcher und Pumpsysteme schrittweise der ruralen Bevölkerung. Gleichzeitig werden „neue“ Institutionen der kommunalen Wasserverwaltung eingeführt, die sich an international anerkannten Bedingungen zur nachhaltigen Ressourcennutzung orientieren. Das vorliegende Buch beschreibt diesen zum Zeitpunkt der Forschung andauernden Prozess und fokussiert dabei auf drei pastorale Siedlungen in der ariden nordwestlichen Kunene-Region. Es untersucht, mit welchen grundlegenden Unsicherheiten und Herausforderungen der institutionelle Wandel für die Gemeinden einhergeht. Anschließend wird detailliert dargelegt, welche Strategien die Bewohner1 entwickelt haben, um sich und ihre Herden mit ausreichend Grundwasser zu versorgen. Der theoretische Fokus liegt dabei auf der Frage, wie Kooperation unter hoher institutioneller Unsicherheit zu erklären ist. Die Analysen zeigen, dass die vielschichtigen sozialen Beziehungen und Verflechtungen zwischen den Bewohnern einen wichtigen Ausgangspunkt bilden, um die kommunale Nutzung der Ressource zu verstehen.

1

Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit verwendet dieses Buch das generische Maskulinum; die Nennung der männlichen Form bezieht gleichermaßen Personen aller Geschlechter ein.

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In Namibia, dem trockensten Land südlich der Sahara, ist die Bevölkerung weitgehend von Grundwasser abhängig,2 und Bohrlöcher sichern vielerorts den Zugang zur lebenswichtigen Ressource. In der ariden Kunene-Region lassen sich beispielsweise über 900 dieser gebohrten Brunnen zählen (Hossain & Helao 2008: 203), welche die Wasserversorgung von Haushalten und Vieh gewährleisten. Auch die untersuchten Gemeinden gruppieren sich jeweils um ein oder zwei Bohrlöcher und sind von kommunal genutzten Weideflächen umgeben. Hier betreiben die Bewohner der etwa 10 bis 17 Haushalte subsistenzorientierte, extensive Weidewirtschaft und halten Kleinvieh und teilweise Rinder. Bis zur Unabhängigkeit gehörten die kommunalen Gebiete im südlichen Teil der Kunene-Region, in der sich auch die drei untersuchten Siedlungen befinden, zum „Homeland Damaraland“. Die südafrikanische Kolonialherrschaft errichtete die Reservate auf extrem unwirtlichem Gebiet, das kaum eine Existenzgrundlage bot, während sich privates Farmland ausschließlich in den Händen europäischer Siedler, einer kleinen Minderheit, befand (vgl. Werner 2004; Wallace 2015; Kapitel 2). Die Gründung der „Homelands“ ging mit umfangreichen Bohrungen einher, die nötig waren, um Grundwasserressourcen zu erschließen (Bollig 2009: 157 f.). Das Apartheidregime institutionalisierte die Wasserinfrastruktur, bestehend aus Bohrlöchern und Pumpsystemen, als staatliches Eigentum. Etwa Mitte der 1990er Jahre begann der nun unabhängige Staat, Wasserstellen zu modernisieren und den Transfer der Eigentumsrechte einzuleiten. Seit dem Beginn der Reformen sind die Kosten für Wasser in den ländlichen Regionen fortlaufend gestiegen. Die Bewohner müssen nun selbst für Ausgaben wie Diesel sowie nach und nach auch für Reparatur- und Instandsetzungsmaßnahmen aufkommen (vgl. Falk, Bock & Kirk 2009; Kapitel 7). Zum Zeitpunkt der Forschung lassen sich die kommunalen Wasserstellen als Orte alltäglicher Begegnungen und kollektiver Aushandlungsprozesse charakterisieren: Hier versorgen die Bewohner ihre Haushalte und Herden mit Wasser, reparieren die Infrastruktur, machen auf Versammlungen Rechte geltend oder schlichten Konflikte. Ebenso werden die Gemeinden an diesen Orten mit institutionellen Veränderungen konfrontiert. Im Rahmen von Verhandlungen mit staatlichen Vertretern werden neue Regeln eingeführt und andere außer Kraft gesetzt. Dabei können die Bewohner die grundlegenden Bedingungen der Wassernutzung, etwa die Beschaffenheit der Eigentumsrechte oder der Infrastruktur, nur begrenzt gestalten und kontrollieren (vgl. Moore 1972; 2000). Durch den staatlich gelenkten Übergabeprozess wird Wasser zu einer Schnittstelle, an der überlokale Einflüsse auf die Praktiken und Lebensumstände der Farmbewohner treffen. Im Zuge dieser tiefgreifenden Veränderungen sind die Gemeinden mit verschiedenen Formen von Unsicherheit konfrontiert. Besonders für wirtschaftlich schwache Haushalte stellen die Kosten für Wasser eine hohe Bürde dar. Weitere politisch-ökologische Entwicklungen, insbesondere die Zunahme der Elefantenpopulation, führen in der Region zu unvorhergesehenen Problematiken an den Wasserstellen. Vor diesem Hintergrund versteht das vorliegende Buch die kommunale Ressourcennutzung als

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Grundsätzlich werden etwa 45 % des gesamten namibischen Wasserverbrauchs über Grundwasser gedeckt, 33 % über permanente und 22 % über ephemere Oberflächengewässer (Christelis & Struckmeier 2001: 12; vgl. auch Lange 1998: 303).

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Herausforderung auf verschiedenen Handlungsebenen und zeigt, wie es den Bewohnern gelingt, Wassern zu sichern. Dabei untersucht es sowohl die alltägliche kooperative Praxis als auch die mit der Bereitstellung und Nutzung von Wasser3 verbundenen Aushandlungsprozesse. Kooperation in der kommunalen Ressourcennutzung ist aus einer theoretischen Perspektive unmittelbar mit Institutionen4 verbunden. Ausgehend von den einflussreichen Arbeiten Elinor Ostroms besteht ein enger Zusammenhang zwischen einem spezifischen institutionellen Design (im Sinne einer Regelstruktur) und den kooperativen Praktiken der Ressourcennutzer (Ostrom 1990; Poteete, Janssen & Ostrom 2010; Cox, Arnold & Villamayor-Tomás 2010). Dieser Zusammenhang ist durch den Vergleich verschiedener Fallstudien empirisch belegt (Ostrom 1990, 2007, 2009). Dabei hat sich gezeigt, wie auf die natürliche Ressource bezogene Regeln klare Verantwortungen unter den Nutzern schaffen und ihre Handlungen strukturieren. Monitoring und Sanktionen bilden einen essentiellen Baustein dieser institutionellen Struktur und sichern und erklären Kooperation in der common-pool-resource-Theorie (CPR). Wie im Verlauf dieses Buches deutlich werden wird, lässt sich die Nutzung von Wasser auf den Farmen nicht anhand einer bestimmten Regelstruktur beschreiben. Vielmehr zeigen sich Institutionen flexibel beziehungsweise mehrdeutig, werden von den Bewohnern unterschiedlich genutzt und situationsspezifisch ausgelegt. Regeln und soziale Normen bilden eine plurale Struktur, die in sich nicht kohärent ist und Unsicherheiten und mitunter auch Widersprüche erzeugt. So stehen etwa staatlich eingeführte Regeln, die das Beitragssystem für Diesel betreffen, emischen Konzepten von „Zusammenarbeit“ gegenüber, die das Geben und Nehmen vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Unsicherheit flexibel gestalten. Die Verantwortung für Reparaturen wird in einer institutionellen Grauzone zwischen Mitarbeitern staatlicher Behörden und den Farmbewohnern austariert. Im Hinblick auf dieses Spannungsfeld stellen die Gemeinden keinen Einzelfall dar: Es gibt eine Reihe von Arbeiten, die Institutionen der Ressourcennutzung als plural, widersprüchlich und verhandelbar begreifen (Mehta et al. 1999; Mosse 2005; Roth 2009; Cleaver 2002, 2012; Cleaver & de Koning 2015). Gleichzeitig werden diese pluralen Strukturen sowie das Nicht-Umsetzen von Sanktionen (vgl. Schnegg & Linke 2015) aus dem theoretischen Blickwinkel der CPRTheorie als ein Hindernis für Kooperation begriffen. Die Beobachtung, dass die Bewohner die Bereitstellung von Wasser in den Gemeinden sichern, obwohl institutionelle Strukturen als plural, fluide und unsicher zu beschreiben sind, bildet den Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Kooperation. Besonderes Augenmerk liegt auf der Frage, wie die Bewohner die Organisation und Regulation der Ressource Wasser aufrechterhalten. Hier leistet das Konzept der sozialen Einbettung einen wichtigen Erklärungsbeitrag.

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4

In dieser Monographie stehen vor allem Fragen nach der Nutzung und Organisation von Grundwasser als Gemeinschaftsressource im Vordergrund. Für einen Einblick in unterschiedliche Wahrnehmungen der Ressource Wasser und die damit verbundenen kulturspezifischen Erfahrungen und symbolischen Zuschreibungen siehe (Hahn 2012). Zentrale Begriffe wie Institution, Kooperation und soziale Merkmale und Muster werden im Verlauf dieser Einleitung näher erläutert.

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Soziale Beziehungen auf den Farmen lassen sich dadurch charakterisieren, dass sie über Wasser hinausgehend das Tauschen und Teilen ganz unterschiedlicher Ressourcen umfassen (vgl. Schnegg 2015). „Wassernutzer“ sind häufig verwandt, leben seit Jahren in Nachbarschaft oder in einer Gemeinde zusammen und sind über wechselseitige und vielschichtige Unterstützungsbeziehungen miteinander verbunden. Diese Eigenschaften werden unter dem Begriff Multiplexität (Gluckman 1955: 19 f.) als zentrales Merkmal sozialer Beziehungen auf den Farmen zusammengefasst. Multiplexität bezieht sich auf die Überschneidung sowohl von Rollen als auch von Handlungsbereichen innerhalb einer Beziehung (Schnegg & Lang 2002: 28). Aus den vielschichtigen sozialen Interaktionen der Bewohner ergeben sich wiederum bestimmte „soziale Muster“ (Schweizer 1996, 1992) in Form von Netzwerken. Diese „Merkmale und Muster“ stellen einen wichtigen Analyserahmen dar, um die soziale Einbettung der Ressourcennutzung zu untersuchen.

E IN -B LICK : W ASSERSTELLEN

UND

W EIDEN

Dieses Buch beruht auf einer 15-monatigen Feldforschung, die in das ethnologische Langfristprojekt LINGS (Local INstitutions in Globalized Societies) eingebunden ist (vgl. Kapitel 3). Die Forschung fand von September 2010 bis Dezember 2011 in der Nähe der größeren Gemeinde Fransfontein im südlichen Kunene statt. Die hier ansässige Swartbooi Traditional Authority verwaltet das umliegende kommunale Weideland. Von Fransfontein aus führen kleine, sandige Wege in die einzelnen Siedlungen, welche die Bewohner auf Afrikaans als gemeenskap (Gemeinde) oder auch einfach nur als plaas (Farm) bezeichnen.5 In den untersuchten Orten leben zwischen 40 und 70 Bewohner. Sie nutzen, ebenso wie die meisten umliegenden Siedlungen, Dieselmaschinen, um Grundwasser aus den Bohrlöchern zu pumpen.6 Dieselmaschinen gehen mit höheren laufenden Kosten einher als Wind- oder Solarsysteme; gleichzeitig gelten sie in den Gemeinden als sicherste Technik, um Wasser zu pumpen. Unter den ariden Bedingungen sind die Bewohner der kommunalen Farmen selbst in guten Regenjahren auf Grundwasser angewiesen. In der Trockenzeit läuft die Dieselmaschine regelmäßig und pumpt aus den etwa 29 bis 55 Meter tiefen Bohrlöchern7 Wasser in ein offenes Reservoir aus Zement, das ca. 30.000 bis 40.000 Liter umfasst. Von hier aus führen Leitungen zu Tränken, an denen in der Trockenzeit schon in den Morgenstunden das Vieh auf Wasser wartet.

5 6 7

Um die gemeinschaftlich genutzten Weidegebiete von privaten Farmen zu unterscheiden, verwendet das vorliegende Buch an zentralen Stellen den Begriff „kommunale Farmen“. Angaben zur Größe der Siedlungen sowie zu den Pumpsystemen beruhen auf eigenen Erhebungen im Jahr 2011 (vgl. Kapitel 3 Daten und Methoden). Angaben zur Tiefe der Bohrlöcher stammen aus der Datenbank der regionalen Wasserbehörde DWSSC in Khorixas und können von den Bewohnern der kommunalen Farmen bestätigt werden. Diese wissen in der Regel, wie viele Stahlrohre innerhalb des Bohrloches hängen (zwischen 9 und 18 Rohre, die Rohre sind ungefähr drei Meter lang).

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Diese überirdischen Teile des Pumpsystems weisen meist deutlich sichtbare Schäden auf. Leitungen sind defekt und aus Lecks rinnt Wasser, große Trinkwassertanks sind umgekippt und haben Löcher, und die Zäune, welche die Infrastruktur schützen und das Tränken der Tiere erleichtern sollen, liegen umgeknickt auf dem Boden. Dieser triste Zustand der Wasserstellen ist nicht auf die unzureichende Wartung und Instandhaltung der Gemeinden zurückzuführen. Vielmehr werden die Schäden von Elefantenherden verursacht, die in der Trockenzeit auf der Suche nach Wasser und Weide durch die Region migrieren, Leitungen ausgraben und Löcher in Tanks stechen, damit auch die Elefantenjungen, die das Reservoir noch nicht erreichen können, Wasser bekommen. Abbildung 1: Die kommunalen Farmen Grootvlakte, Brakwater und Kleinrivier

Karte erstellt von Antje Hecheltjen

Gerade angesichts dieser Schäden ist die Frage, wem die Wasserinfrastruktur „gehört“, nicht unerheblich. Die schrittweise Übergabe der Wasserstellen an die Gemeinden wird seit den 1990er Jahren mit der Einführung von community-based water management (CBWM) verbunden. Gut 15 Jahre nach den ersten Implementierungsschritten durch die regionalen Behörden, im November 2010, begann ich meine Feldforschung auf den drei Farmen Grootvlakte, Kleinrivier und Brakwater8 (vgl. Abbildung 1). Zu diesem Zeitpunkt ist der Übergabeprozess in keiner der drei Gemeinden abgeschlossen. Zwar sind diese für die Bereitstellung von Diesel und für kleine Reparaturen zu-

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In dieser Monographie sind sowohl Ortsangaben als auch Personennamen geändert. Dabei wird auf in der Region übliche Bezeichnungen zurückgegriffen.

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ständig, aber auch der Staat trägt für größere Instandsetzungen weiterhin Verantwortung. Tatsächlich zeigen sich jedoch gerade im Hinblick auf Reparaturen deutliche Differenzen zwischen rechtlichen Grundlagen und der tatsächlichen Praxis, die von Fall zu Fall neu ausgehandelt werden. Wer sind nun die Gemeinden, die vor dem Hintergrund politischer Wandlungsprozesse mit der kommunalen Bewirtschaftung einer Ressource konfrontiert werden, auf die sie zum Überleben angewiesen sind? Um einen Eindruck vom Leben auf den kommunalen Farmen zu bekommen, soll hier zunächst der Haushalt von Regina Amporo vorgestellt werden, einer 47-jährigen alleinstehenden Farmerin. Regina wird auch im weiteren Verlauf des Buches eine wichtige Rolle spielen, denn sie ist maßgeblich in die Organisation von Wasser in der Gemeinde Grootvlakte involviert. Zusammen mit ihrer Tochter sowie drei Enkelkindern wohnt sie in zwei kleinen Häusern ohne Strom und fließendes Wasser. Sie kocht im Freien über einer Feuerstelle, durch ein geflicktes Schattennetz mehr oder weniger vor der Sonne geschützt. Ihr Hausstand umfasst nicht viel mehr als ein paar Kochutensilien, Kleidung, zwei Betten und einen Eselskarren. Darüber hinaus hält Regina etwa 40 Ziegen, 20 Rinder und ein paar Schafe. Obwohl Regina durch den Besitz ihrer Tiere als wohlhabend gilt und es nur einen Haushalt in Grootvlakte gibt, der noch mehr Vieh besitzt, kann sie allein von der Viehwirtschaft nicht leben. Da sie noch keine staatlich finanzierte Altersrente bezieht, ist sie auf die monatlichen Geldsendungen ihres Sohnes angewiesen, der im über 1.000 Kilometer entfernten Katima Mulilo im Straßenbau arbeitet. Ihm gehören etwa zwei Drittel der Ziegenherde. Wenn möglich, schickt er am Monatsende Geld, das vor allem für Nahrungsmittel wie Maismehl, Speiseöl und Zucker ausgegeben wird. Wie das Leben vieler Menschen auf den Farmen ist auch der Haushalt Reginas von wirtschaftlichen Engpässen und Lebensmittelknappheit betroffen, etwa dann, wenn die monatlichen Geldsendungen ihres Sohnes überraschend ausbleiben. Dennoch verkauft Regina in der Regel nur ein- bis zweimal pro Jahr Vieh, etwa zu besonderen sozialen Anlässen oder um größere Ausgaben zu bewältigen. Abbildung 2: Farmhaus & Herde

Aufnahme: T. Linke, Oktober 2011

Regina gilt auf den Farmen als erfolgreiche Viehzüchterin. Es gibt eine Reihe von Haushalten, die nur eine Handvoll Ziegen ihr Eigen nennen und die weitaus stärker von wirtschaftlicher Unsicherheit betroffen sind. Ihre häufig prekäre Lage beschreiben

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die Bewohner mit dem Verb sukkle (Afrikaans9 für „sich abmühen“ oder „sich durchkämpfen“). Weitreichende Unterschiede bestehen zwischen diesen von wirtschaftlicher Unsicherheit betroffenen Farmhaushalten und solchen, deren Vorstände die meiste Zeit über in den urbanen Zentren Namibias leben und arbeiten. Auch sie sind in der Regel über verwandtschaftliche Beziehungen und/oder Unterstützungsbeziehungen mit den permanent ansässigen Bewohnern verbunden. Sie verorten zwar nicht ihren physischen, aber ihren sozialen Lebensmittelpunkt auf den Farmen. Einige verfügen über Haushalte und eigene Kraale. Hier halten sie nicht selten große Rinderherden, und wie die Analyse der Zensusdaten zeigt, gehört den meist abwesenden Vorständen, die etwa 25 % aller Haushalte ausmachen, mehr als die Hälfte des gesamten Viehbestandes. Bewohner, die permanent auf den Farmen leben, überbrücken wirtschaftliche Engpässe und Unsicherheiten durch Praktiken des Tauschens und Teilens. Dies betrifft beispielsweise Ressourcen wie Arbeitskraft, Werkzeuge aller Art, grundlegende Lebensmittel wie Zucker und Milch sowie seltene wie Fleisch, Güter wie Eselskarren oder – zu besonderen Anlässen beziehungsweise Notfällen – die Gabe von Vieh. Das Geben und Nehmen von Ressourcen in diversen Beziehungen ist ein zentraler Bestandteil der sozialen Lebenswelt. Hilfeleistungen bereitzustellen und zu erhalten ist ein grundlegendes Ziel von samewerking und folgt dem Prinzip der generalisierten Reziprozität. „Zusammenarbeit“ kann sich sowohl auf Beziehungen zwischen zwei Akteuren (Personen, Haushalte und auch Gemeinden) als auch auf kollektives Handeln wie das gemeinschaftliche Säubern des Wasserreservoirs beziehen. Über die wirtschaftliche Absicherung hinaus geht das Geben und Teilen von Ressourcen mit Anerkennung und Prestige einher und verleiht sozialen Interaktionen eine grundlegende Sinnhaftigkeit. Die Gemeinde Grootvlakte umfasst neun Haushalte, von denen sechs durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden sind. So leben neben dem Sohn von Reginas Schwester (ZS) die Geschwister von Reginas Mutter (MZ, MB) ebenso wie einer von deren Söhnen (MZS) als Haushaltsvorstände in der Gemeinde, außerdem eine weibliche, affinale Verwandte (MMBW), deren Mann verstorben ist. Aber auch zu den Haushalten, mit denen Regina nicht verwandt ist, bestehen seit mehreren Jahren soziale Beziehungen, die sich unter der Kategorie „Nachbarschaft“ oder „Gemeinschaft“ zusammenfassen lassen. So kennt Regina ihren Nachbarn Willem seit ungefähr 20 Jahren, sie tauscht und teilt nahezu täglich Ressourcen mit ihm und weiß, wie viele Tiere er hält und wann er zuletzt Tiere verkauft hat. Da die Bereitstellung und Nutzung der Ressource Wasser eine weitere Beziehungsdimension zwischen den Bewohnern eröffnet, sind alle sozialen Beziehungen in der einen oder anderen Form durch Multiplexität gekennzeichnet (vgl. Gluckman 1955). Durch ihre häufigen und vielschichtigen Interaktionen haben die Bewohner einen guten Kenntnisstand über die Lebensgrundlagen der anderen Haushalte und über die Eingebundenheit einzelner Akteure in ihr verwandtschaftliches und gemeinschaftliches Umfeld. 9

Die hier untersuchten Gemeinden sind multiethnisch, und die Mehrheit der Bewohner spricht neben Khoekhoegowab (Damara-Nama) oder Otjiherero auch Afrikaans. Da ich Afrikaans schon vor der Forschung in Namibia weitgehend beherrschte, wurde dies die Sprache meiner Verständigung (vgl. Kapitel 3 und 4). Entsprechend werden die meisten emischen Begriffe und Interviewzitate aus dem Afrikaans übersetzt beziehungsweise übernommen.

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Flexible Kooperation Dieses Buch befasst sich mit der Frage, wie sich die flexiblen kooperativen Praktiken der Ressourcennutzung gestalten und erklären lassen. Hierzu stellen die folgenden Teilkapitel zwei zentrale Ansätze vor, die sich mit dem Einfluss von Institutionen10 auseinandersetzen. Anknüpfend an die weitreichende Arbeit von Elinor Ostrom „Governing the commons“ (1990) erläutert der erste Teil zunächst den Zusammenhang zwischen spezifischen Regelwerken und erfolgreicher Kooperation. Anschließend wird eine theoretische Perspektive dargelegt, die sich kritisch mit der Beschaffenheit von Institutionen in der kommunalen Ressourcennutzung auseinandersetzt und bestrebt ist, dieses Konzept deutlich zu erweitern. Der Fokus der theoretischen Darstellung liegt vornehmlich auf der Frage nach der Wirkung von Regeln, Normen und sozialen Prinzipien, und nicht auf jener nach deren Entstehung. Damit reduziert sich das Zusammenspiel zwischen Strukturen und Handlungen auf einen für diese Untersuchung wesentlichen Aspekt: den Einfluss von Institutionen auf kooperative Praktiken.11 Ein zweiter Schwerpunkt arbeitet heraus, wie die soziale Welt der Ressourcennutzer in den jeweiligen Theorien konzipiert wird. Dabei zeigt sich, dass soziale Strukturen (als „soziale Beziehungen“, „Netzwerke“ oder auch „soziales Kapital“ bezeichnet) gerade in der CPR-Theorie institutionellen Strukturen untergeordnet beziehungsweise nicht explizit operationalisiert werden. Aus diesem Grund soll differenziert erfasst werden, wie die vielschichtigen Beziehungsdimensionen und die Verflechtungen zwischen „Nutzern“ die Verwaltung der Ressource Wasser prägen. Im Hinblick auf die Fragestellung skizziert dieses Buch abschließend zwei weitere Perspektiven, die des Rechtspluralismus und die der Netzwerkanalyse, und arbeitet „plurale Regeln und Normen“ sowie „soziale Merkmale und Muster“ als zentrale Erklärungsfaktoren12 heraus.

10 Der Begriff Institution zählt vor allem in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu den grundlegenden theoretischen Konzepten (vgl. Scott 2008; North 1991; Knight 1992) und wird hier nur in Bezug auf zwei theoretische Perspektiven verwendet. Für eine weitere Auseinandersetzung mit Institutionen im Bereich der Ressourcennutzung siehe (Acheson 1989, 2006, 2015; Ensminger 1996; Laube 2007; Eguavoen 2007; Haller & Merten 2008). 11 Siehe (Coleman 1994) und (Schweizer 1996) für theoretische Überlegungen, die auch den Einfluss von rational handelnden Akteuren auf Strukturen berücksichtigen, sowie (Sewell, Jr. 1992) für einen theoretischen Ansatz, der die Dualität und Vielfalt von Strukturen sowie die agency der Akteure erfasst. 12 Grundlegende Bedingungen der Ressourcennutzung wie die klimatischen Einflüsse (vgl. Kapitel 2), die Beschaffenheit der Infrastruktur oder auch die Prinzipien der CBWM-Strategie (vgl. Kapitel 6) werden gesondert aufgegriffen und bilden eine wichtige Grundlage für die in Kapitel 7 folgenden Analysen.

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Die common-pool-resource-Theorie (CPR) wird von Ostrom (1990) im Kontext einer bestimmten Problematik entwickelt. Diese zeigt sich in einem Widerspruch zwischen individueller und kollektiver Rationalität, der das Handeln nutzenmaximierender Akteure in Bezug auf Kollektivgüter kennzeichnet. Die folgenden Ausführungen erläutern zunächst diesen Gegensatz, bevor auf die Lösung in Form eines spezifischen institutionellen Designs eingegangen wird. Die gemeinschaftliche Nutzung natürlicher Ressourcen wie Weideland, einem Wald- oder auch einem Fischfanggebiet kann durch den uneingeschränkten Zugang und die unkontrollierte Entnahme von Ressourceneinheiten zu einer Tragödie werden. Bereits 1968 veröffentlichte Garrett Hardin einen Artikel in „Science“, der dieses Szenario beschreibt. Vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Weltbevölkerung scheint die Nutzung von Gemeinschaftsressourcen (siehe unten) zum Scheitern verurteilt. Da die rationale Handlungsstrategie des Individuums dem Kollektiv schade, führe die Summe dieser Strategien langfristig zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Dieses Argument kann einfach an Hardins häufig zitiertem Weidebeispiel veranschaulicht werden. Auf einer kollektiv genutzten Weidefläche ist es für den einzelnen Nutzer rational, auch dann noch mehr Tiere auf die Weide zu stellen, wenn die Gesamtzahl der Tiere bereits die Verknappung der Ressource zur Folge hat. Denn der Gewinn kommt dem Viehbesitzer allein zugute, während die Kosten auf das Kollektiv verteilt werden (Hardin 1968: 1244). Als Lösung für dieses Problem schlägt Hardin die Privatisierung der kommunalen Ressourcen beziehungsweise externe (staatliche) Kontrolle und damit einhergehende Nutzungsbeschränkung vor (1968: 1245). In Hardins Beispiel ist die natürliche Ressource, die Weide, eine Gemeinschaftsressource (common-pool-resource); sie ist nicht exkludierbar und gleichzeitig rivalisierend (Lang 2010: 128 f.). Viehbesitzer können weder verhindern, dass noch mehr Personen die Weide nutzen, noch dass die bisherigen Nutzer mehr Kühe auf die Weide stellen. Rivalisierend heißt, dass durch den Gebrauch einer Ressource andere weniger davon haben (ebd.). Davon zu unterscheiden sind öffentliche Güter (public goods) Sie sind ebenfalls nicht exkludierbar, jedoch auch nicht rivalisierend; hier wirkt sich der Gebrauch nicht auf die grundsätzliche Verfügbarkeit für andere aus. In Bezug auf die Fallstudien im Nordwesten Namibias ist es sinnvoll, in Anlehnung an Ostrom zwischen dem Ressourcensystem sowie den Ressourceneinheiten zu unterscheiden (1990: 30). Die Wasserinfrastruktur, das Pumpsystem, ist ein öffentliches Gut. Eine Reparatur kommt allen Nutzern zugute. Die Entnahme von Wasser hingegen verläuft rivalisierend. Wenn das Reservoir vollgepumpt ist, dann steht nur eine bestimmte Menge an Wasser zur Verfügung, ehe die Bewohner wieder Grundwasser pumpen und Diesel investieren müssen. Im Hinblick auf die Nutzung von Kollektivgütern (sowohl Gemeinschaftsressourcen als auch öffentliche Güter) besteht die Problematik zwischen individueller und kollektiver Rationalität darin, dass einzelne Akteure versuchen, kurzfristig von der Ressource zu profitieren, anstatt langfristig eine optimale Strategie für die gesamte Gruppe zu erreichen. In einer Gruppe, in der einige kooperieren und andere verweigern, werden Letztere als free rider bezeichnet. Die Versuchung, „Trittbrett zu fahren“,

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steht im Fokus der Auseinandersetzung um das Management kollektiv genutzter natürlicher Ressourcen. Es gibt unterschiedliche Wege, die aus der hier skizzierten Kooperationsproblematik führen.13 In Bezug auf Nutzergemeinschaften basiert das gängigste Lösungsmodell auf der Annahme, dass die einzelnen Akteure in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, zu interagieren und verbindliche Regeln (Institutionen) aufzustellen. In seinem 1989 erschienenen Beitrag verweist James M. Acheson auf solche Institutionen, die den Zugang und/oder die Nutzung natürlicher Ressourcen in vielen Gemeinschaften regulieren (1989: 358). Die von Hardin konzipierte Open Access-Situation sei somit nur eine – noch dazu seltene – Möglichkeit der Ressourcennutzung. Kommunale Eigentumsrechte seien eine wichtige Voraussetzung, um die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen zu gewährleisten (Acheson 1989: 347 f.). Der amerikanische Ethnologe Robert McC. Netting beschreibt eine solche regulierte Ressourcennutzung in seiner Veröffentlichung „Balancing on an Alp“ (1981), einer Ethnographie des Schweizer Bergdorfs Törbel, die im Folgenden kurz skizziert wird. Für Törbel erfasst McC. Netting verschiedene Institutionen, die den kommunalen Besitz der Gemeinde, sprich die Berge, die Sommerweide und den Wald betreffen.14 Ein Bündel von Regeln schränkt den Zugang zu den kommunalen Gebieten ein und spezifiziert die Praxis der Nutzung. Einige dieser Regeln reichen bis in das 15. Jahrhundert zurück. Nur „Bürger“ von Törbel haben das Recht, die Sommerweiden und den Wald zu nutzen; eine Person, die Land in Törbel kauft, ist nicht automatisch ein Bürger. Jeder Bürger darf nur so viele Kühe auf die Alm schicken, wie er durch das Heu seiner privaten Weiden überwintern kann. Es ist demnach nicht möglich, eine hohe Anzahl von Kühen auf die Sommeralm zu schicken und vor dem Winter zu verkaufen (McC. Netting 1981: 61). Auch das Schlagen von Holz im kommunalen Wald ist limitiert. Das Einhalten der Regeln wird kontrolliert, und das Missachten hat Konsequenzen zur Folge; so muss pro Tier, das zusätzlich auf die Alm gebracht wird, eine Strafe bezahlt werden. Die Hälfte dieser Strafe geht an den jährlich gewählten „Gewalthaber“, der die Anzahl der Tiere überprüft. Es sind solche spezifischen Merkmale wie klare Grenzen, Zugangs-, Nutzungs- und Verhandlungsrechte, die Ostrom in ihrer Veröffentlichung „Governing the Commons“ als institutionelle Prinzipien herausarbeitet, wobei der Fall Törbel als ein Fallbeispiel für erfolgreiche Ressourcenverwaltung herangezogen wird (Ostrom 1990: 61 f.).

13 In seiner Veröffentlichung „The evolution of cooperation“ (1984) präsentiert Axelrod eine Lösungsstrategie und legt dabei das spieltheoretische Modell des Gefangenendilemmas zugrunde. Hier müssen zwei Gefangene unabhängig voneinander die Entscheidung treffen, zu kooperieren, indem sie schweigen, oder Kooperation zu verweigern, indem sie einander verraten. Axelrod schlussfolgert, dass allein die Möglichkeit zukünftiger Interaktionen die Bereitschaft zur Kooperation erhöhe, wobei sich die Strategie „tit for tat“ („Wie du mir, so ich dir“) als erfolgreichste erweise (1984: 13 f.). Seine Ergebnisse werden von Spieltheoretikern jedoch grundlegend hinterfragt (vgl. Binmore 1998). 14 Alle weiteren Ländereien wie Wiesen, Obstgärten, Äcker und Weinanbauflächen sind in privatem Besitz (McC. Netting 1972: 143).

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I NSTITUTIONEN ALS L ÖSUNG : „C OMMON -P OOL R ESOURCE “-T HEORIE Die Fälle, die Ostrom für ihren Vergleich zugrunde legt, umfassen Gruppen zwischen 50 und 15.000 Nutzern. Diese bewirtschaften knappe, rivalisierende und erneuerbare Gemeinschaftsressourcen, von denen sie wirtschaftlich abhängig sind (Ostrom 1990: 26). Die Nutzergemeinschaften sind als weitgehend homogen zu charakterisieren; die einzelnen Akteure unterscheiden sich in Bezug auf Faktoren wie Eigentum, Wissen oder auch Ethnizität nicht grundlegend voneinander (Ostrom 1990: 88, 89). Unter bestimmten Bedingungen gelingt es diesen Nutzergemeinschaften von kommunalen Weiden, Wäldern und Bewässerungssystemen, spezifische Institutionen zu entwickeln, die den Zugang, die Bereitstellung und die Nutzung der Ressourcen regulieren, ähnlich wie dies bereits im Fall von Törbel beschrieben wurde. In Ostroms Fallbeispielen, die für eine erfolgreiche und nachhaltige Nutzung stehen, ist die jüngste Institution bereits mehr als 100 Jahre alt (Ostrom 1990: 58). Grundsätzlich werden Institutionen als Konzept herangezogen, um empirisch beobachtbare Regelmäßigkeiten von Handlungen durch geteilte Regeln, Normen und Strategien zu erklären (Crawford & Ostrom 1995: 582). Ostrom definiert Institutionen als „sets of working rules“ (1990: 51), welche die Ressourcennutzung auf unterschiedlichen Ebenen strukturieren. Sie unterscheidet dabei zwischen a) der operativen, b) der kollektiven und c) der konstitutionellen Ebene. Diese Ebenen umfassen a) alltägliche Nutzungsregeln, b) Vorgaben, um operative Regeln zu entwickeln und zu ändern und c) grundsätzliche Zugangs- und Ermächtigungsregeln wie etwa den Status des „Bürgers“ in Törbel (Ostrom 1990: 52 f.). Institutionen regulieren nicht nur, wieviel Wasser ein Nutzer entnehmen darf und was er dafür tun muss, sondern auch, wie Nutzer über diese Regeln verhandeln und wer an den entsprechenden Verhandlungen teilnehmen darf. Um zu verstehen, wie Regeln in der CPR-Theorie wirken, sind folgende Prinzipien der institutionellen Struktur von Bedeutung: Es muss einfach zugängliche Mechanismen zur Überwachung der Regeln geben (Monitoring, Prinzip 4), sowie die Möglichkeit, bei Regelverstößen abgestufte Sanktionen zu verhängen (Graduated sanctions, Prinzip 5). Es ist demnach nicht allein ausreichend, dass Nutzer die Regeln als sinnvoll erachten und über diese mitentscheiden können, sondern es ist auch nötig, dass deren Einhaltung kontrolliert wird. Über „Monitoring“ und „Sanktionen“ erhält der einzelne Akteur Informationen über die Handlungen anderer und sieht, dass das Brechen von Regeln mit Konsequenzen verbunden ist. Er gerät nicht in Gefahr, einer der wenigen Kooperierenden zu sein, während die Mehrheit der anderen kurzfristig profitiert. Wenn Sanktionen verhängt werden, gilt es, die Schwere des Regelbruches sowie den jeweiligen Kontext zu berücksichtigen; so kann es vorkommen, dass jemand systematisch und wiederholt die Regeln bricht, oder aber dass Regeln aus einer Not heraus verletzt werden, wie beispielsweise in Dürreperioden (Ostrom 1990: 44).

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Darüber hinaus definiert Ostrom weitere Bedingungen, die eine Kooperation langfristig ermöglichen (vgl. auch Ostrom 2009; Cox, Arnold & Villamayor-Tomás 2010). Sowohl die Zugehörigkeit zu einer Nutzergemeinschaft als auch die Grenzen der natürlichen Ressourcen müssen klar definiert sein (Prinzip 1). Die spezifischen Nutzungsregeln, welche die Aneignung und Bereitstellung der Ressourcen betreffen, sind dem lokalen Kontext anzupassen und können entsprechend variieren; wichtig ist, dass Nutzen und Kosten in einem proportionalen Verhältnis zueinanderstehen (Prinzip 2). Die Nutzer sind berechtigt, die Regeln, von denen sie betroffen sind, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens zu ändern oder anzupassen; zudem muss es leicht zugängliche Verfahren der Konfliktlösung geben (Prinzip 3 und 6). Weiterhin ist es wichtig, dass das Recht der Nutzer auf Selbstbestimmung durch den Staat nicht in Frage gestellt wird (Prinzip 7) (Ostrom 1990: 90 f.). Institutionen sind demnach langfristig bindende Regelwerke, die dem Problem des „Trittbrettfahrens“ und der unkontrollierten Aneignung von Ressourceneinheiten entgegenwirken. Institutionen schaffen Handlungssicherheit für den einzelnen Nutzer, da Kooperation in der Regel keine Verluste nach sich zieht (weil andere Trittbrett fahren), sondern langfristig Erfolge verspricht. In diesem institutionellen Design ist der Zusammenhang zwischen Struktur und Handlung spezifisch und vorhersehbar und stellt eine grundlegende Bedingung für erfolgreiches Ressourcenmanagement dar. Wie Institutionen in der CPR-Theorie beschaffen und konzipiert sind, sollte nun in ersten Ansätzen deutlich geworden sein. Auf die Frage, wie verbindliche Regeln und kollektives Handeln entstehen, gibt es keine einfache Antwort. Grundlegend ist zunächst das Vorhandensein einer CPR-Situation, das heißt eines Settings, in dem gemeinschaftlich genutzte Ressourcen knapp sind und Kooperation einen Nutzen bringt; Wade fasst dies in seiner Ethnographie „Village republics“ (1988) wie folgt zusammen: „ […] corporate organization is found only in villages where commons situations have become commons dilemmas“ (Wade 1988: 184).15 Diese Situation allein kann das Entstehen von spezifischen Regelwerken jedoch nicht erklären. So gibt es Gemeinden mit knappen Ressourcen, die trotzdem keine Institutionen entwickeln, worauf auch Wade hinweist (1988: 188 f.). Über die CPR-Situation hinaus (Knappheit, kooperativer Nutzen) existiert eine Reihe struktureller Faktoren wie Gruppengröße, Heterogenität oder Beschaffenheit der Ressource, die kollektives Handeln positiv oder negativ beeinflussen (Wade 1988; Agrawal 2001; Acheson 2006; Ostrom 2007). Diese bedingen sich teilweise gegenseitig, sodass es kaum möglich ist, alle Zusammenhänge innerhalb einer empirischen Studie zu berücksichtigen (Agrawal 2001: 1660 f.). Die Kontextualisierung der Faktoren und ihr Zusammenspiel sind somit häufig entscheidender als die einzelne Bedingung an sich. So kommt Olson (1965) zu dem Schluss, dass allenfalls kleine Gruppen kollektiv handeln, während neuere Arbeiten zeigen, dass im Falle nicht rivalisierender Güter die Größe der Gruppe positiv mit kollektivem Handeln verknüpft sein kann (Agrawal 2001: 1657; Ostrom 2007: 188 f.; Poteete, Janssen & Ostrom 2010: 52 f.). Neben den zuvor genannten Faktoren spielen auch soziale Normen – vor allem in der aktuellen theoretischen Entwicklung – eine wichtige Rolle, um die Entstehung von kollektivem Handeln zu erklären. 15 Für eine aktuelle Auseinandersetzung mit der Entstehung unterschiedlicher Eigentumsrechte (private property, common property, open access) und deren Wandel etwa durch Faktoren wie Bevölkerungswachstum und zunehmende Verknappung siehe (Acheson 2015).

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Ostrom geht davon aus, dass Nutzer, die gemeinsam von einer Ressource leben, auch grundlegende Normen teilen und diese in ihren alltäglichen Interaktionen festigen (Ostrom 1990: 206). Normen können sowohl einen positiven Einfluss auf die Entstehung von Institutionen haben als auch bestehende Institutionen unterstützen. Das gemeinsame Festlegen und Umsetzen von Regeln ist einfacher, wenn eine Gruppe über geteilte Wertvorstellungen von angemessenem Verhalten verfügt, wie dies beispielsweise in den Studien von Trawick (2001a, 2001b) beschrieben wird. Trawick analysiert unter dem Stichwort Moral Economy Bewässerungssysteme in den peruanischen Anden und zeigt am Beispiel der Gemeinde Hauynacotas, wie sich Werte von Gleichheit und Fairness in einem spezifisch auf die Wasserorganisation bezogenen Regelwerk widerspiegeln (2001a). Normen können demnach reziprokes Verhalten und Vertrauen zwischen den Nutzern stärken und kollektives Handeln in Form von „sozialem Kapital“ erleichtern (Ostrom 1990: 211). Zudem können sie als soziales Kapital die Kosten für Monitoring und Sanktionen gering halten, da sie beispielsweise das Befolgen von Regeln und das Halten von Versprechen positiv institutionalisieren (Ostrom 1990: 35, 36). Geteilte Normen sind jedoch nach Ostrom allein nicht ausreichend, um opportunistisches Verhalten zu unterbinden (Ostrom 1990: 36). Auf den Unterschied zwischen Regeln und Normen gehen Crawford und Ostrom in ihrem Artikel „A Grammar of Institutions“ (1995) ein. Um Institutionen vergleichend zu erfassen, werden diese in Form von Aussagen mithilfe einer Syntax modelliert; die Syntax umfasst unterschiedliche Komponenten. Grundsätzlich umfassen Regeln, Normen und Strategien (etwa tit for tat) drei Komponenten, die Auskunft darüber geben, wer unter welchen Bedingungen welches Ziel erreichen möchte (Crawford & Ostrom 1995: 584). Zusätzlich teilen Normen und Regeln eine weitere Komponente, die eine Handlung erlaubt, vorschreibt oder verbietet (deontischer Operator, ebd.). Im Gegensatz zu Normen müssen Regeln darüber hinaus durch eine zusätzliche Komponente spezifiziert werden (or else), welche die Konsequenz benennt, die ein Regelbruch zur Folge hat. Der Unterschied zwischen Normen und Regeln ist demnach das Vorhandensein einer konkret verknüpften Sanktion. In späteren Publikationen spezifizieren Ostrom und andere den Einfluss von sozialen Normen besonders im Hinblick auf die Entstehung von Institutionen und messen diesem eine größere Bedeutung zu (Ostrom 2007, 2000; Ahn & Ostrom 2008; Poteete, Janssen & Ostrom 2010). Ausgehend von Ergebnissen spieltheoretischer Studien plädiert Ostrom dafür, die gängigen Erklärungen für wirtschaftliches Handeln zu erweitern (2000: 141 f. ). Neben nutzenmaximierenden Akteuren sind dann sogenannte „conditional cooperators“ und „willing punishers“ (Ostrom 2000: 142) vorzufinden, die sich von internalisierten Normen und Wertvorstellungen leiten lassen. Ein conditional cooperator kann Kooperation initiieren, wenn er davon ausgeht, dass diese Strategie erwidert werden wird, und verhält sich so lange kooperativ, wie es auch ausreichend andere Akteure ihm gleichtun. Besonders wenn noch keine institutionellen Strukturen vorhanden sind, kann ein solches Verhalten die Entstehung kollektiven Handelns erklären. Langfristig sind Institutionen jedoch notwendig, um die Kooperation zu sichern. Ostrom sieht Normen im Sinne individueller Präferenzen als einen zentralen Baustein einer „revised theory of collective action“ (Ostrom 2000: 138; Ahn & Ostrom 2008).

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Auf die Rolle sozialer Beziehungen gehen Ostrom und Ahn unter dem Stichwort „soziales Kapital“ ein. Sie unterscheiden soziales Kapital im Hinblick auf a) Vertrauenswürdigkeit, b) Institutionen und c) Netzwerke (Ahn & Ostrom 2008: 73). Alle drei Bausteine können dazu beitragen, Vertrauen zwischen den Akteuren zu stärken. Vertrauen wird definiert als eine kognitive Erwartungshaltung, der zufolge andere sich entsprechend reziprok verhalten werden. Handlungen, die aus Vertrauen resultieren, können als kooperativ oder Kooperation bezeichnet werden (Ahn & Ostrom 2008: 80). Der Punkt a) Vertrauenswürdigkeit ist eine Eigenschaft von Akteuren im Sinne einer individuellen Präferenz, Kooperation zu erwidern (Ahn & Ostrom 2008: 75). Wenn ein Akteur keine Informationen durch Institutionen oder Netzwerke über die Anreizstrukturen seines Gegenübers hat, so ist seine Einschätzung von der Vertrauenswürdigkeit des anderen ausschlaggebend (die Erwartung, dass der andere Kooperation erwidert und sich reziprok verhält). Institutionen stärken Vertrauen, indem sie das Verhalten anderer durch Regeln vorhersehbar machen, und Netzwerke, indem sie Akteure in langfristige Beziehungen einbinden und Informationen darüber liefern, wie sich andere verhalten. Die folgenden Punkte fassen die hier dargestellten Faktoren im Hinblick auf ihre Relevanz für kollektives Handeln und nachhaltiges Ressourcenmanagement zusammen: •

• •

Institutionen in der CPR-Theorie sind spezifische Regelwerke, die Handeln unmittelbar regulieren; Regeln unterscheiden sich von Normen dadurch, dass sie mit konkreten Sanktionen verknüpft sind und Kooperation langfristig ermöglichen. Normen können Institutionen positiv beeinflussen, indem sie regelkonformes Verhalten durch geteilte Wertvorstellungen stärken. Normen können in Form individueller Präferenzen die Entwicklung von kollektivem Handeln (und damit die Entstehung von Institutionen) erklären; Individuen, welche die Norm der Reziprozität internalisiert haben, werden als vertrauenswürdig bezeichnet.

Fallbezug I: Perspektivenwechsel „But it seems that in focusing upon the locality and the importance of local factors, the current scholarship on the commons has tended to ignore how what is local is often created in conjunction with the external and the nonlocal environment.“ (Agrawal 2001: 1656 f.)

In der CPR-Theorie beruht Kooperation auf einer spezifisch lokalen, institutionellen Struktur. Auf den kommunalen Farmen ist die institutionelle Situation in vielerlei Hinsicht gegensätzlich. Institutionen der Ressourcennutzung haben sich nicht über Jahrhunderte entwickelt, sondern sind in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum in Form eines bestehenden Konzeptes (CBWM) durch staatliche Akteure implementiert worden. Die Übertragung von Eigentumsrechten ist mit Schwierigkeiten verbunden und verläuft nicht stringent (vgl. Kapitel 6), weswegen Institutionen in den Gemeinden häufig Gegenstand von Verhandlungen sind. Gleichzeitig lässt sich eine grundlegende Übereinstimmung zwischen den staatlichen CBWM-Vorlagen und dem Design Ost-

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roms belegen (vgl. Kapitel 6). Eine Auseinandersetzung mit Ostroms empirisch fundierten institutionellen Prinzipien ist somit wichtig, um den Prozess der „gelenkten Institutionalisierung“ in den Gemeinden zu verstehen. Kooperation auf den Farmen stellt eine Möglichkeit dar, mit unterschiedlichen Herausforderungen in der Wasserorganisation umzugehen, die größtenteils eine Folge externer Faktoren sind. Was in der CPR-Theorie als soziales Dilemma bezeichnet wird (rationales Handeln der einzelnen Akteure schadet dem Kollektiv), beschreibt nur einen Teil der „Probleme“, mit denen die Bewohner durch die Übergabe der Wasserstellen konfrontiert werden. Darüber hinaus sind Institutionen auf den Farmen durch unterschiedliche, zum Teil divergierende Regeln und Normen gekennzeichnet, die sich nicht allein auf Wasser beziehen. „Ressourcennutzer“ sind auch Gemeindebewohner, Nachbarn und Verwandte und durch unterschiedliche Beziehungen miteinander verbundene Personen. Grundlegend geht die CPR-Theorie von individuellen Ressourcennutzern, ihren Interessen und normativen Präferenzen aus, jedoch nicht von sozial interagierenden Akteuren. Das soziale Leben und die tatsächlichen Beziehungen und Verflechtungen der Ressourcennutzer sind empirisch kaum greifbar. Wie in diesem Buch deutlich wird, lässt sich die Nutzung von Wasser jedoch häufig nur unter Berücksichtigung des sozialen Beziehungskontextes erklären.

K RITISCHER I NSTITUTIONALISMUS Es gibt eine Reihe von Studien, die sich aus einem kritischen Blickwinkel mit der Beschaffenheit von Institutionen in der kommunalen Ressourcennutzung auseinandersetzen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie den spezifischen Fokus der CPR-Theorie in Frage stellen, der – vereinfacht formuliert – innerhalb eines definierten Handlungsbereiches (Ressourcennutzung) ein Problem erfasst (Trittbrett fahren) und hierfür eine Lösung in Form eines bestimmten institutionellen Designs vorschlägt. Im Gegensatz dazu rückt die Komplexität und Eingebundenheit von Institutionen in den Vordergrund; diese entwickeln sich in einem ökologischen und sozialen Setting, das wiederum in Wechselwirkung mit übergeordneten historischen und politischen Entwicklungen steht (vgl. Mosse 2005); Institutionen verfolgen nicht mehr einen bestimmten Zweck, sondern sind multifunktional und überlappend (Cleaver 2002: 15, 21); sie haben einen chaotischen Charakter, sind Gegenstand fortlaufender Auseinandersetzungen und lassen Spielräume für unterschiedliche Interpretationen zu (Mehta et al. 1999: 16); Institutionen sind im Zuge von Wandel durch ein Ringen um Macht, Legitimität und Autorität charakterisiert (Roth 2009: 215) beziehungsweise können bestehende Machtverhältnisse und soziale Ungleichheiten reproduzieren (Mosse 1997; Cleaver 2012). In seiner Ethnographie „The rule of water“ gibt David Mosse einen fundierten Einblick in die vielschichtigen Entwicklungen, welche die Wassernutzung im südöstlichen Indien (Tamil Nadu) prägen. Ausgangspunkt der Untersuchung ist ein etwa 800 Jahre altes Bewässerungssystem, das aus über 10.000 miteinander verbundenen Tanks (Reservoiren) besteht, in denen das Wasser der Monsunregenfälle gespeichert und zur Bewässerung der Reisfelder in der Trockenzeit genutzt wird. Die Verteilung und Rationierung der Ressource, die Instandhaltung der Infrastruktur ebenso wie Prozesse der Verhandlung und Streitschlichtung erfordern Kooperation innerhalb und zwischen den Gemeinden (Mosse 2005: 28 f.). In diesem Kontext vergleicht der Autor Institutionen

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der Wassernutzung und rückt deren historische Genese, gekennzeichnet durch das Zusammenspiel von ökologischen Bedingungen, politischen Entwicklungen und sozialen Beziehungen in den Vordergrund. „The connections and interdependencies of hydrology interweave with those of caste-class and kinship, business and politics, and generate distinctive patterns of co-operation and conflict.“ (Mosse 2005: 4) Ein Survey von 79 Dörfern im Flusseinzugsgebiet des Sarugani zeigt, dass etwa 72 % der Dörfer, die sich alle im oberen sandigen Flusseinzugsgebiet befinden, über Institutionen verfügen, die Wasser regulieren, während die restlichen „nicht-kooperativen“ Dörfer im unteren Flusseinzugsgebiet mit Schwarzerde liegen (vgl. auch Mosse 2008). Interessant ist, dass sich die regionalen Unterschiede, ähnlich wie in der Studie von Wade (1988), mit ökologischen Variationen decken; hier kann ebenfalls argumentiert werden, dass dort, wo der materielle Nutzen von Kooperation aufgrund von Knappheit und Unsicherheit der natürlichen Ressource hoch ist, Institutionen entstehen (Mosse 2005: 86). Der Autor weist jedoch darauf hin, dass die spezifische Gestaltung von Institutionen und Kooperation sich durch diesen Ansatz nicht erklären lasse; erst die jeweilige soziale Kontextualisierung verdeutliche, wie Institutionen beschaffen sind und welchen Zweck sie neben der Wasserregulation haben. Das regulierte Bewässerungssystem im südlichen Indien ist eine kulturelle, öffentliche Institution, durch die in Form von Regeln, sozialen Rollen und Transaktionen Macht und Autorität legitimiert und reproduziert wird. Wasserkontrolle ist verknüpft mit den Privilegien der höheren Kasten, die ihre Stellung wiederum durch religiöse Gaben und Rechte an Tempeln untermauern. Diese Tempel liegen an der Schnittstelle unterschiedlicher Gemeinden und dienen als „storehouses of prestige, honour, and symbols of legitimate power“ (Mosse 2005: 5); Wasser ist eine materielle wie auch symbolische Ressource (Cless & Hahn 2012: 9). Zudem weist Mosse darauf hin, dass die kooperativen Strategien der Wassernutzung nicht auf einem spezifischen Regelwerk beruhen, sondern in sozial-religiöse Verhaltensnormen (official codes) eingebunden sind (Mosse 2008: 702 f.). Im Gegensatz dazu spiegelt sich in den „nicht-kooperativen“ Dörfern die soziale und religiöse Macht der Kasten nicht in der Wasserorganisation wider. Macht drückt sich in diesen Dörfern über Patronage-Netzwerke und unterschiedliche Allianzen aus. Wasser wird über einzelne voneinander unabhängige Regelungen, Lohnarbeit und öffentliche Auktionen organisiert. In diesen Gemeinden, die über fruchtbarere Böden (Schwarzerde) verfügen, vollzog sich, angestoßen durch Migrationsprozesse im späten 18. Jahrhundert, ein sozialer und wirtschaftlicher Wandel. Die staatlich initiierte Privatisierung von Landrechten und der Anbau von cash-crops eröffneten im 19. Jahrhundert neue Möglichkeiten, Wohlstand zu akkumulieren: „Traditionelle“ soziale und religiöse Machtstrukturen verloren zunehmend an Einfluss (Mosse 2008: 704, 705). Die ethnographischen Analysen von Mosse zeigen, wie Wasser als Ressource genutzt wird, um soziale Ordnung und Autorität aufrechtzuerhalten. Kooperation ist hier nicht eine Folge spezifischer Regeln der Ressourcennutzung, sondern Ausdruck sozialer Hierarchien. Gleichzeitig spielen ökologische Faktoren, ihre regionale Variation und die damit verbundenen politischen Entwicklungen eine Rolle, um regional-spezifische Systeme der Wassernutzung zu verstehen. Die komplexe Einbettung der Ressourcennutzung ist ein Grundgedanke des sogenannten kritischen Institutionalismus; ein Begriff, der von Frances Cleaver vornehmlich in ihrer Veröffentlichung „Development through Bricolage“ (2012) begründet wurde (vgl. auch Cleaver 2002).

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Cleaver begreift Institutionen als wandelbare und häufig ad hoc entstehende, eingebettete „Mechanismen“ der Ressourcennutzung; ihr Bricolage-Konzept (siehe unten) dient dazu, die Entwicklung von „neuen“ Institutionen sowie deren Verknüpfung mit bestehenden Strukturen zu veranschaulichen. Institutionen sind Antworten auf sich ändernde Bedingungen und gleichzeitig nicht losgelöst von bereits bestehenden Handlungsmustern. Entsprechend befasst sich auch das Gros der aktuellen Arbeiten mit Situationen des Wandels, in denen Ressourcenmanagement durch Interventionen staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen geprägt ist (oder wurde), oder stellt Prozesse der Dezentralisierung in den Mittelpunkt der Untersuchung (Cleaver & de Koning 2015: 2; Jones 2015; Verzijl & Dominguez 2015). Cleaver charakterisiert Institutionen als „arrangements between people which are reproduced and regularized across time and space and which are subject to constant processes of evolution and change“ (Cleaver 2012: 8). Institutionen bilden eine dynamische Schnittstelle zwischen sozial eingebundenen Akteuren, natürlichen Ressourcen und der Gesellschaft. Eine wichtige These in Cleavers theoretischen Überlegungen ist, dass Individuen auf sich ändernde Bedingungen mit einem Rückbezug auf bestehende oder vergangene Arrangements reagieren. Institutionen sind Mischformen zwischen Innovation und Reproduktion. In Bezug auf Mary Douglas (1991) führt Cleaver das Bricolage-Konzept ein, um zu veranschaulichen, wie institutioneller Wandel sowohl durch die Kreativität der Akteure als auch durch strukturelle Zwänge bestimmt wird. Cleaver versieht Individuen mit komplexen sozialen Identitäten; ihnen ist es nur partiell möglich, Institutionen aktiv zu gestalten (oder zu designen). Bricolage beschreibt einen Prozess, in dem diese Akteure bewusst und unbewusst unter Rückbezug auf bestehende soziale und kognitive Strukturen Institutionen zusammenfügen; auf diese Weise entstehen „neue“ institutionelle Hybride. Der Bricolage-Prozess ist eingebettet und wird geprägt durch „styles of thinking, models of cause and effect, social norms and sanctioned social roles and relationships“ (Cleaver 2012: 45). Institutionen sind nicht an ein spezifisches Design gebunden, sondern entwickeln sich aus alltäglichen, routinierten und improvisierten Handlungen und nehmen vielfältige Formen an. So kann der Zugang zu einer natürlichen Ressource durch eine Reihe von Arrangements, etwa durch „formelle“ Komitees oder Nutzergruppen, durch „informelle“ verwandtschaftliche oder soziale Netzwerke, durch Klientelismus, durch soziale Prinzipien wie Reziprozität oder internalisierte Normen und Praktiken reguliert werden (Cleaver 2012: 14). Im Gegensatz zur CPR-Theorie werden Institutionen nicht als rechtliche Struktur, sondern als sozial eingebettete Handlungsabläufe im Bereich der Ressourcennutzung konzipiert. Der Begriff kann legale Aspekte ebenso einschließen wie Organisationen oder bestimmte Strategien im Umgang mit der Infrastruktur (Cleaver 2012: 105). Institutionen sind die Prozesse oder „Mechanismen“, durch die vorhandene Ressourcen zugänglich gemacht, genutzt und verteilt werden (Cleaver 2012: 40 f.). Cleavers theoretische Überlegungen betonen die Komplexität und Eingebundenheit von Institutionen. Zwei grundlegende Annahmen ihrer kritischen Perspektive sind, dass Akteure mit multiplen sozialen Identitäten bewusst und unbewusst handeln und Institutionen über soziale Interaktionen gestalten. Daraus ergeben sich bestimmte Charakteristika von Institutionen, die als a) dynamisch und multifunktional beschrieben werden und b) Ausdruck von Machtverhältnissen sind.

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Dynamisch sind Institutionen, da sie als soziale Interaktionen per se variieren und im Hinblick auf sich ändernde Bedingungen entstehen. Multifunktional sind Institutionen, da sie durch den Bricolage-Prozess Elemente (routinierte Handlungsmuster, Normen, Regeln) anderer Arrangements enthalten beziehungsweise daran angepasst werden (Cleaver 2002: 21; Cleaver 2012: 87 f. ). Ferner spielen Machtverhältnisse im kritischen Institutionalismus eine wichtige Rolle (Cleaver 2012: 49 f.). Zum einen wird Macht an Akteure und ihre sozialen Positionen gebunden und geht mit Ressourcen wie Status, Reputation oder materiellem Vermögen einher. Diese Akteure haben mehr Möglichkeiten und einen größeren Einfluss auf institutionelle Entwicklungen als solche, die ihre knappen Ressourcen vor allem nutzen, um ihr Überleben zu sichern. Häufig werden auf diese Weise bestehende soziale Ungleichheiten in „neuen“ institutionellen Arrangements reproduziert. Dies ist etwa der Fall, wenn neu gegründete waterpoint-committees aus denselben Mitgliedern bestehen, die auch in einer Reihe anderer Organisationen sozial einflussreiche Positionen besetzen und zur lokalen Elite zählen (Cleaver 2012: xii). Macht findet sich aber auch in dem, was Cleaver als übergeordnete Strukturen versteht, in den kognitiven Modellen, Weltanschauungen und Beziehungsmustern, die eine bestimmte Sicht auf die Dinge und „taken-for-granted-ways“ (Cleaver 2012: 46) legitimieren. In Anlehnung an Douglas wird somit auf die Analogie von Autoritätsverhältnissen in unterschiedlichen institutionellen Arrangements verwiesen (Cleaver 2012: 43 f.), wie dies auch in den Beschreibungen von Mosse (2005) deutlich wird. Vor dem Hintergrund dieser institutionellen Merkmale wird Kooperation ebenfalls anders konzeptualisiert. In der CPR-Theorie ist Kooperation ein „Produkt“ bestimmter Regeln; in der kritischen Perspektive wird Kooperation selbst als sozial eingebettete Institution begriffen (Cleaver 2002: 15). Macht, Autorität und Regulation können dabei über eine sozial legitimierte Ordnung wirken. So beschreibt Cleaver etwa anhand ihrer Forschungen in Simbabwe, dass Kooperation als sozial angemessen gilt und plötzlicher Tod oder Unglück als Folge sozialer Konflikte interpretiert werden. Solidarität ist moralisch wünschenswert und notwendig, um eine friedvolle Ordnung aufrechtzuerhalten. Kooperation spielt eine Schlüsselrolle in den sozialen und religiösen Konzeptionen der Bewohner und ist mit natürlichen Phänomenen wie Niederschlägen und Fruchtbarkeit der Böden verknüpft (Cleaver 2012: 70). Der Einfluss von sozialen Beziehungen und Strukturen auf die Nutzung und Organisation natürlicher Ressourcen ist ein zentraler Untersuchungsgegenstand des kritischen Institutionalismus. Beide hier exemplarisch zitierten Autoren kritisieren das Konzept des Sozialkapitals. So bemerkt Cleaver, dass die klassische Institutionentheorie soziale und kulturelle Strukturen als Mittel zum Zweck betrachtet, welche die Entwicklung von Regeln erleichtern, anstatt davon auszugehen, dass Institutionen genau in diesen Strukturen entstehen (Cleaver 2002: 15). Mosse kritisiert die stark vereinfachten Zusammenhänge und die Zirkularität, die zwischen Sozialkapital und kollektivem Handeln durch internationale Akteure wie der Weltbank hergestellt werden (vgl. auch Harriss & Renzio 1997). Der Begriff sei unzureichend, um die Vielfalt sozialer Einbettung und die unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten zu fassen (vgl. auch Wutich 2011); so kann Kooperation in der Wassernutzung in Tamil Nadu nicht durch Unterschiede in Bezug auf Vertrauen oder soziales Engagement begründet werden, sondern ist eingebunden in eine religiös legitimierte soziale Ordnung.

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Sowohl bei Mosse als auch bei Cleaver steht das Konzept „multipler sozialer Identitäten“ im Vordergrund, um die soziale Einbettung der Ressourcennutzung zu begreifen. Die Nutzung natürlicher Ressourcen kann nicht als ein unabhängiges organisatorisches Feld betrachtet werden, und die Beziehung zwischen „Nutzer“ und „Ressource“ ist nicht von der zwischen „Nutzer“ und „Nutzer“ zu trennen. Individuen handeln nicht nur in Bezug auf die Ressource rational, sondern auch in Bezug auf eine Reihe anderer Ziele und sozialer Verpflichtungen (Mosse 2005: 21). Auch Cleaver weist darauf hin, dass der eindimensionale Fokus der CPR-Theorie die komplexen Motivationen der Akteure verkennt. Zudem seien soziale Identitäten dynamisch und deren Bedürfnisse, Vorstellungen und Ziele wandelten sich über den Lebensverlauf hinweg. Multiple und sich verändernde soziale Identitäten generieren demnach komplexe Normen, welche die Ressourcennutzung strukturieren (Cleaver 2002: 18; Cleaver 2012: 97 f.). Das Verständnis von Institutionen aus einer kritischen Perspektive kann wie folgt zusammengefasst werden: •





Institutionen sind komplexe, gesellschaftlich eingebundene Arrangements der Ressourcennutzung und können nicht allein in Form von Regeln abstrahiert werden; auch Kooperation ist nicht abhängig von spezifischen Regelstrukturen. Institutionen sind verknüpft mit weiteren Strukturen; dies kann sich auf überlokale politische und historische Entwicklungen beziehen (Mosse) oder auch auf grundsätzliche kognitive, normative und soziale Strukturen, in welche die Ressourcennutzer ihr Handeln bewusst und unbewusst einbetten (Cleaver). Akteure verfügen über multiple soziale Identitäten, interagieren in unterschiedlichen normativen Kontexten und verfolgen ebenso divergierende Ziele; ihre Handlungen in der Ressourcennutzung sind in komplexe soziale Zusammenhänge eingebettet.

Fallbezug II: Einbetten ja – aber wie genau? Der kritische Institutionalismus untersucht eine Reihe von Faktoren und Zusammenhängen, welche die kommunale Ressourcennutzung beeinflussen und prägen. Vor allem der Einbezug überlokaler Entwicklungen und auch der Fokus auf die soziale Einbettung bilden grundlegende Anknüpfungspunkte für das vorliegende Buch; und sowohl die Arbeiten von Mosse (1997; 2005; 2008) als auch die von Cleaver (2002; 2012) gaben bei der Analyse der Daten wichtige Impulse. Die kritische Theorie birgt jedoch durch das Hervorheben institutioneller Komplexität auch Nachteile. Durch die Vielzahl von Einflussfaktoren, die Ausweitung des Institutionenbegriffes und den Einbezug unterschiedlicher Analyseebenen bleibt sie in ihren Erklärungen weitgehend offen und wenig greifbar. Auch Cleaver und de Koning merken an „ […] – if institutions encapsulate multiple scales, overlap, evolve over time and operate partially and intermittently then they are very tricky phenomena to study.“ (2015: 6) Um die Analyse zu vereinfachen, werden Einflussebenen und -faktoren in der vorliegenden Studie stärker voneinander abgegrenzt beziehungsweise zusammengefasst. Zum einen wird zwischen lokalen und überlokalen Strukturen und Entwicklungen unterschieden, die ein gemeinsames Feld an Herausforderungen in der kommunalen Ressourcennutzung schaffen. Zum anderen wird der Institutionenbegriff auf rechtliche Strukturen begrenzt und die soziale Einbettung der Ressourcennutzung als eigenständiges Feld analysiert. Spontane und ad hoc entstehende Lösungen für Probleme an der

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Wasserstelle werden nicht mit Institutionen gleichgesetzt. Im Hinblick auf die soziale Einbettung wird untersucht, wie samewerking („Zusammenarbeit“) als grundlegendes normatives Prinzip die sozialen Beziehungen und Verflechtungen der Bewohner prägt, welche Strukturen sich daraus ergeben und inwiefern sich diese mit Handlungsabläufen in der Ressourcennutzung überlappen. Während das Konzept „multipler Identitäten“ auf einzelne Akteure bezogen bleibt, rücken hier die relationalen Strukturen und damit die Beziehungsebene stärker in den Vordergrund.

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OPERATIONALISIEREN

Dem kritischen Institutionalismus folgend wird die Nutzung und Organisation von Wasser auf den kommunalen Farmen durch vielschichtige Entwicklungen bestimmt. Um die komplexen Rahmenbedingungen der Wassernutzung und die damit einhergehenden Herausforderungen für die Farmbewohner zu greifen, habe ich den Begriff der Unsicherheit gewählt. Der Begriff wird damit sowohl verwendet, um 1) die Situation der Ressourcennutzung grundlegend zu charakterisieren, als auch um 2) auf einer theoretischen Ebene die institutionellen Voraussetzungen für Kooperation von denen der CPR-Theorie zu unterscheiden (vgl. Teilkapitel „Institutionen als Lösung“). Gerade in pastoralen Gesellschaften bezieht sich Unsicherheit im Sinne einer grundlegenden Lebensbedingung auf die Unvorhersehbarkeit verhängnisvoller Ereignisse (Risiken) wie etwa Dürre (Bollig 2006: 9, 10). Der Begriff kann aber ebenso mit politischen Repressionen oder Maßnahmen verknüpft sein, die nicht der Kontrolle der davon Betroffenen unterliegen (Mehta et al. 1999: 8 f.). Wutich und Brewis zeigen, wie Nahrungsunsicherheit auf Gemeindeebene durch eine Reihe komplexer Faktoren (staatliche Interventionen, marktwirtschaftliche Dynamiken, Institutionen) ausgelöst werden kann und untersuchen, inwieweit sich diese Zusammenhänge auch auf Wasser beziehen lassen (2014: 452 f.). Auf den kommunalen Farmen ist Unsicherheit konstitutiv für eine Reihe von Lebensbereichen. CBWM, weitere politische Entwicklungen im Bereich des Naturschutzes, die Zunahme der Elefantenpopulation und die Variabilität der Niederschläge gehen mit unvorhergesehenen Entwicklungen in den Gemeinden einher (vgl. Kapitel 6). Die Bewohner können weder den Zustand der Infrastruktur, noch den Zugang zu ihren Wasserstellen und den damit verbundenen Konsum kontrollieren; so kann etwa der Ausfall einer Pumpe in einer benachbarten Gemeinde zu einem plötzlichen Anstieg des Wasserverbrauchs führen. Nicht zuletzt spiegelt sich Unsicherheit auch in der wirtschaftlichen Situation vieler Haushalte wider, deren monatliche Einnahmen gering und schwankend sind. Infolge von CBWM wird Wasser zu einem ökonomischen Gut, sodass nicht die Ressource per se, sondern vielmehr die Mittel, um sie zu bezahlen, als knapp zu beschreiben sind. Diese unterschiedlichen Facetten von Unsicherheit führen zu grundlegenden Herausforderungen in der kommunalen Ressourcennutzung. Die Frage, wie die Bewohner mit diesen umgehen, wird angesichts ihrer Abhängigkeit von Grundwasserressourcen zu einem wichtigen Forschungsthema. Wie etwa sichert sich ein Haushalt, der nicht für Wasser zahlen kann, den Zugang zur Ressource? Was passiert, wenn Elefanten die Infrastruktur so beschädigen, dass kein Wasser mehr gepumpt werden kann? Woher

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bekommen die Bewohner kostspielige Ersatzteile, und wen bitten sie bei schwierigen Reparaturen um Hilfe? Die Interaktionen der Farmbewohner an der Wasserstelle finden innerhalb sozialer Beziehungen statt, die sich an geteilten Normen, Werten und Richtlinien orientieren. Die institutionellen Vorgaben der Wassernutzung treffen somit auf ein bereits bestehendes sozial-normatives Gefüge (vgl. Cleaver 2012; Mosse 2005). Um die Beschaffenheit von Institutionen auf den Farmen zu fassen, stellt der folgende Abschnitt den Ansatz des Rechtspluralismus vor. Der deutlichste Unterschied zur CPR-Theorie besteht darin, dass nicht spezifische Regeln, sondern unterschiedliche, zum Teil miteinander rivalisierende „Regeln“ im weiteren Sinne das Handeln der Nutzer beeinflussen. Um die soziale Dimension der Ressourcennutzung zu begreifen, geht ein weiterer Abschnitt auf den Begriff der Multiplexität sowie die theoretischen Grundgedanken und das methodische Verfahren der Netzwerkanalyse ein. Institutionen werden demnach als plurale und partielle Regelstrukturen begriffen und durch weitere Einflussfaktoren ergänzt. Die folgenden Seiten führen diese Perspektive weiter aus und verdeutlichen, inwiefern sie gerade im Vergleich mit dem Bricolage-Konzept dazu beiträgt, den vorliegenden Fall zu verstehen. Plurale Regeln und Normen Der Begriff des Rechtspluralismus wird in der Ethnologie seit den frühen 1970er Jahren herangezogen, um komplexe normative Ordnungen zu beschreiben (Benda-Beckmann 1994, 2012). Vor allem die „Entdeckung des Staates“ und die Frage, wie staatliches Recht bestehende nicht-staatliche Rechtsvorstellungen beeinflusst, trugen zur Entwicklung der pluralen Perspektive bei (Moore 1972; Benda-Beckmann 2012: 199). Rechtspluralismus wird definiert als die Koexistenz mehrerer rechtlicher Systeme, die sich auf ein soziales Feld beziehen so „[…], daß Familienverhältnisse ein und derselben Individuen oder Gruppen gleichzeitig auf unterschiedliche Weise normativ geregelt sein können.“ (Benda-Beckmann 1994: 6) Den Arbeiten im Bereich des Rechtspluralismus ist gemeinsam, dass sie einen Fokus auf die Rolle von Rechten in sozialen Interaktionen und Prozessen legen und zwischen einer abstrakten Form von Recht und der tatsächlichen Praxis unterscheiden. Die in den 1970er Jahren beginnenden Forschungen von Franz und Keebet von Benda-Beckmann in West Sumatra liefern umfangreiche Erkenntnisse zur Pluralität und Wandelbarkeit rechtlicher Ordnungen im Bereich der Streitschlichtung, des Vermögens- und Erbrechts (Benda-Beckmann & Benda-Beckmann 2014; Benda-Beckmann 1994). Auch in Bezug auf die Nutzung und Organisation von Wasser, besonders im Bereich von Bewässerungsinstitutionen, wird das Konzept des Rechtspluralismus angewendet (Spiertz, H.L. Joep 2000; Bruns & Meinzen-Dick 2000; Meinzen-Dick & Bakker 2001; Meinzen-Dick & Pradhan 2002; Meinzen-Dick & Nkonya 2007; Eguavoen 2007; Laube 2007). Grundsätzlich werden Wasserrechte in pluralen Settings als Ergebnisse von Verhandlungen begriffen, die jedoch keine Fixpunkte darstellen, sondern sich fortwährend entwickeln und verändern (Meinzen-Dick & Bruns 2000: 27). So verweist etwa Spiertz darauf, dass Pluralität sich auf die Koexistenz mehrerer normativer Ordnungen, aber auch auf unterschiedliche Interpretationen, Auslegungen und Umsetzungen einzelner Regeln oder Institutionen (etwa der „traditionellen“ Bewässerungs-Institution subak)

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beziehen kann (Spiertz, H.L. Joep 2000: 183). Soziale Beziehungen und Machtverhältnisse beeinflussen diesen Aushandlungsprozess und die Frage, wer welchen Rechtsanspruch geltend machen kann (Meinzen-Dick & Pradhan 2002: 5). Diese Unbestimmtheit legaler Systeme führt dazu, dass die Handlungsfreiheit der Akteure betont wird, was sich beispielsweise in dem Konzept des „forum shopping“ niederschlägt (BendaBeckmann 1994: 7). Hier „bedienen“ sich Akteure je nach Interessenlage unterschiedlicher Normen und Regeln, um beispielsweise ihren Anspruch auf Wasser zu untermauern. Im vorliegenden Fall stellen Rechte und normative Strukturen nicht „nur“ Verhandlungsoptionen, sondern auch einen handlungsrelevanten Bezugsrahmen dar. Gerade im Hinblick auf das operative Wassermanagement geht es nicht allein um das Durchsetzen unterschiedlicher Ansprüche, sondern auch um das gemeinsame Lösen eines Problems. Plurale rechtliche Ordnungen wirken demnach unterschiedlich beziehungsweise werden unterschiedlich genutzt – ein Aspekt, der unter anderem von Sally Falk Moore aufgegriffen wird. Grundsätzlich verweist auch sie auf den zentralen Moment der Unbestimmtheit („indeterminacies in culture“), der alle sozialen Situationen durchzieht (Moore 2000: 32, 48 f.). Regeln sind somit niemals einfach bindende Strukturen; sie sind vielmehr in sich unvollständig, temporär und zum Teil auch widersprüchlich (Moore 2000: 49). Im Gegensatz zu den neueren Arbeiten im Bereich des Rechtspluralismus unterscheidet Moore jedoch zwischen zwei Prozessen mit fließenden Übergängen: Das Verhandeln und das Anpassen von Regeln sowie das Erzeugen von Unbestimmtheit und das Durchsetzen kurzfristiger Ziele beschreibt sie als „processes of situational adjustment“. Das Suchen nach und das Generieren von Ordnung und Regelhaftigkeiten sowie das Überwinden von Unbestimmtheit wird als „processes of regularization“ bezeichnet (Moore 2000: 50). In ihrem 1973 erschienenen Artikel, der später in das Buch „Law as Process“ (2000) aufgenommen wurde, befasst Sally Falk Moore sich mit der Frage, auf welche Weise neue, staatlich legitimierte Rechte in einen bestimmten sozialen Kontext einfließen. Die damit einhergehenden, häufig unerwarteten Entwicklungen stellt sie am Beispiel der Chagga in Tansania dar (Moore 2000: 65 f.). Hier hat die Abschaffung von privatem Landbesitz durch den sozialistischen Staat Anfang der 1960er Jahre erstaunlich geringe Auswirkungen auf die tatsächliche Praxis. Der Kauf und Verkauf von Land wird weiterhin im Sinne von Nutzungs- statt Eigentumsrechten getätigt. Verwandtschaftliche und nachbarschaftliche Beziehungen gewinnen an Bedeutung und regulieren den Zugang zu Land über soziale (nicht-staatlich legitimierte) Prinzipien, bei denen etwa Brüder ein Vorkaufsrecht besitzen. Moore weist darauf hin, dass soziale Beziehungen sich trotz erheblicher rechtlicher Änderungen als erstaunlich beständig erweisen, was durch ein rapides Bevölkerungswachstum und eine zunehmende Verknappung von Land beeinflusst wird. Um die unbestimmte Wirkung extern eingeführter, rechtlicher Innovationen zu fassen, entwickelt Moore das Konzept des „semiautonomous social field“ (Moore 2000: 54 f.). Ein solches soziales Feld ist zum einen dadurch charakterisiert, dass es autonom Regeln entwickeln und deren Einhaltung kontrollieren kann. In Moores Fallbeispiel setzt sich das soziale Feld aus nachbarschaftlich zusammenlebenden, verwandtschaftlich verknüpften Haushalten zusammen. Diese sind zum anderen nicht losgelöst von weiteren (rechtlichen) Entwicklungen, die zu kontextabhängigen und sozial eingebetteten Rechtspraxen führen. In ihren eigenen Worten:

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„The approach proposed here is that the small field observable to an anthropologist be chosen and studied in terms of its semi-autonomy – the fact that it can generate rules and customs and symbols internally, but that it is also vulnerable to rules and decisions and other forces emanating from the larger world by which it is surrounded.“ (Moore 2000: 55)

Auch die kommunale Wassernutzung auf den Farmen kann als ein soziales Feld beschrieben werden; sie ist autonom in dem Sinne, dass geteilte normative Konzepte und soziale Beziehungsgeflechte die Nutzung und Organisation von Wasser prägen. Gleichzeitig ist die Übergabe der Wasserstellen Ausdruck einer rechtlichen Bestimmung, die von den Bewohnern nur partiell kontrolliert werden kann. Auch hier wird versucht, Eigentumsrechte umzuwandeln und die neue Situation durch spezifische Regeln zu kontrollieren. Der Vergleich von Rechtspluralismus und Bricolage-Konzept ergibt zwei zentrale Unterschiede: Zum einen besteht eine Differenz zwischen „Vermischung“ und „Pluralität“; der Bricolage-Prozess geht grundlegend von einer Überschneidung oder Überlappung von Institutionen aus, die an der Schnittstelle zwischen bestehenden Strukturen und sich ändernden Bedingungen entstehen. Auch im Rechtspluralismus wird die Hybridisierung von Institutionen in Betracht gezogen16. Ebenso besteht jedoch die Möglichkeit des Neben- und Gegeneinanders von normativen Ordnungen. Das Nebeneinander von Rechten muss auf der Interaktions- und Beziehungsebene nicht unbedingt zum Konflikt führen, wie Franz von Benda-Beckmann argumentiert (1994: 7). Im Gegenteil können Akteure je nach Situation dieselben Ansprüche über unterschiedliche normative Ordnungen legitimieren. Konflikte und Spannungen können aus pluralen Kontexten resultieren, wenn Regeln und/oder deren jeweilige Legitimationsgrundlage sowie die damit einhergehenden Praktiken im Widerspruch zueinanderstehen (Meinzen-Dick & Bruns 2000: 25 f.). Auch im vorliegenden Fall führen die staatlichen Interventionen eher zu einem Spannungsfeld zwischen Regeln, Sanktionen und sozialen Normen als zu einer greifbaren Hybridisierung und Vermischung von Institutionen. So begreift CBWM Wasser als ein „ökonomisches Gut“, für das die Gemeinden entsprechend zahlen sollen, während der Fluss von Ressourcen in anderen sozialen Beziehungen durch flexible, reziproke Prinzipien bestimmt wird. Um zu verstehen, wie normative Prinzipien und Regeln die Wassernutzung prägen, ist demnach eine plurale Perspektive, welche die Möglichkeiten des In-, Mit- und Gegeneinanders umfasst, von Vorteil. Die zweite wesentliche Differenz besteht in einer Unterscheidung zwischen abstrakten normativen Rahmenbedingungen und den mehr oder weniger entsprechenden sozialen Handlungen. So geht der pluralistische Ansatz davon aus, dass Akteure normative Ordnungen auf sehr unterschiedliche Weise nutzen können. Sowohl Cleaver als auch Ostrom vollziehen eine solche Unterscheidung nur eingeschränkt. In der CPRTheorie weisen häufig auftretende Diskrepanzen zwischen Regeln und tatsächlicher Ressourcennutzung auf institutionelles Scheitern hin; Cleaver geht davon aus, dass

16 So untersucht etwa Lund, wie nicht-staatliche Institutionen sich staatlicher Autorität bedienen (2007). Am Beispiel lokaler politischer Prozesse und der Verhandlung von Landrechten in Ghana demonstriert er, wie Institutionen in einem Spannungsfeld zwischen öffentlich und privat, Staat und Gesellschaft operieren (Lund 2006, 2008).

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Institutionen mehr oder weniger spontan durch soziale Interaktionen entstehen. Im Gegensatz dazu argumentiert Spiertz: „Legal facts are not the substantive descriptions of social practices they are often taken for; they are metaphorical or hypothetical only. […] As such legal rules and institutions are part of the structural properties of society. But whether or why society’s descriptive/normative repertoires and actual people’s behavior may correspond, remains a very different matter.“ (Spiertz, H.L. Joep 2000: 176)

Die Unterscheidung zwischen pluralen Strukturen auf der einen und Handlungsprozessen auf der anderen Seite impliziert, dass die situative Praxis mit ihren jeweiligen normativen und rechtlichen Bezügen in den Vordergrund der Betrachtung rückt. Diese Bezüge können, nach Moore, einen Orientierungsrahmen bieten und zur Herstellung von Stabilität dienen oder als Ressource genutzt werden, um Unsicherheiten zu verstärken. Auch auf den kommunalen Farmen schlagen sich manche Regeln kaum in Handlungen nieder (etwa Sanktionen). Dennoch wäre es unzureichend, sie einfach als „wirkungslos“ zu charakterisieren. Gerade Sanktionen, die im Zuge des Übergabeprozesses festgeschrieben, in den Gemeinden jedoch nicht umgesetzt werden, können in Versammlungen und Diskussionen dazu dienen, Positionen zu untermauern oder in Frage zu stellen; häufig wird dabei auf mögliche Konsequenzen seitens des Staates verwiesen. Sie sind demnach nicht wirkungslos, sondern Bestandteil des rechtlichen Repertoires der Farmbewohner. Um zwischen den Aspekten dieser pluralen Struktur zu unterscheiden, nutzt dieses Buch den Begriff „Regel“ für staatlich eingeführte Vorgaben, die zumindest in schriftlicher Form mit Sanktionen verknüpft sind. Als „Normen“ werden hingegen soziale Regeln und Prinzipien bezeichnet, deren Verbreitung und Einhaltung nicht vom Staat abhängt (Posner & Rasmusen 1999: 369). Darüber hinaus ist der Gedanke einer partiellen Struktur hilfreich. Plurale rechtliche Ordnungen entfalten sich in Interaktionen und werden daher durch den sozialen Beziehungskontext beeinflusst. Der folgende Abschnitt geht auf die soziale Welt der „Nutzer“ ein, die sich in spezifischen Merkmalen und Handlungsmustern ausdrückt. Soziale Beziehungen und multiplexe Verflechtungen Wechselseitige Unterstützung prägt und strukturiert den Alltag der Farmbewohner. Die flexiblen, kooperativen Praktiken in der Wassernutzung stellen dabei nur einen unter vielen Bereichen dar, in denen „Zusammenarbeit“ eine Rolle spielt. Kooperation kann als ein grundlegendes kulturelles Prinzip begriffen werden, das in sozialen Interaktionen reproduziert wird. Vergleichbare Beschreibungen finden sich etwa in der Ethnographie von Jeffrey Cohen über die mexikanische Gemeinde Santa Ana del Valle (1999). Kooperation wird hier als komplexer normativer Deutungsrahmen gefasst, vor dem wirtschaftliche Veränderungen evaluiert und soziale Beziehungen neu organisiert werden. Auch Klocke-Daffa begreift in ihrer Monographie „Wenn du hast, musst du geben“ (2001) Kooperation als normatives Strukturmerkmal. Ähnlich wie in den Beschreibungen von Klocke-Daffa ergibt sich die Relevanz kooperativer Beziehungen auf den Farmen auch dadurch, dass diese wirtschaftliche Unsicherheiten reduzieren und den Bewohnern der Farmen ein Mindestmaß an Versorgung mit grundlegenden

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Ressourcen wie Nahrung und Wasser garantieren (Stack 1975; Scott 1976; Wiessner 1982; Wutich 2011).17 Auf die Bedeutung sowie die kulturelle Einbindung sozialer Beziehungen wird in Kapitel 5 näher eingegangen. Hier steht zunächst die Frage im Vordergrund, wie der Einfluss dieser komplexen sozialen Verflechtungen auf die kommunale Ressourcennutzung operationalisiert werden kann. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass soziale Normen und Beziehungen nicht nur einen Beitrag leisten können, um spezifische Institutionen der Ressourcennutzung zu entwickeln (im Sinne der CPR-Theorie), sondern dass diese sozialen „Strukturen“ selbst den Kontext darstellen, in den die Ressourcennutzung eingebettet ist (vgl. Cleaver 2012). Der vorangegangene Abschnitt hat bereits darauf hingewiesen, dass normative Ordnungen mit einer grundsätzlichen Unbestimmtheit behaftet sind. Alle drei Gemeinden teilen das normative Konzept von samewerking. Gleichzeitig zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede in Bezug auf ihre kooperativen Praktiken und Verflechtungen. Das methodische Verfahren der Netzwerkanalyse ermöglicht es, die tatsächlichen Beziehungen und Interaktionen der Bewohner zu erfassen. Die Daten geben Aufschluss darüber, wie sich die Praktiken wechselseitiger Unterstützung konkret gestalten. Sie ermöglichen in einem zweiten Schritt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Gemeinden herauszuarbeiten und diese dann auf die Ressourcennutzung zu beziehen. Die Netzwerkanalyse ist eine interdisziplinäre Methode, die Beziehungen zwischen miteinander interagierenden Akteuren (etwa Individuen, Gemeinden, Organisationen) erfasst und Analyseverfahren für diese relationalen Daten zur Verfügung stellt (Wasserman & Faust 1994; Schweizer 1996; Schnegg & Lang 2002). Die Netzwerkanalyse beruht auf der theoretischen Grundannahme, dass soziale Strukturen aus Beziehungen und Interaktionen entstehen. Akteure handeln nicht unabhängig voneinander, und ihre Verflechtungen ermöglichen einen bestimmten Fluss von Ressourcen, etwa materiellen Gütern oder Informationen (Wasserman & Faust 1994: 4). Schweizer erklärt dies wie folgt: „Die Netzwerkanalyse begreift soziale Systeme nicht als Ansammlung isolierter Akteure mit gewissen Eigenschaften und sucht nicht primär Regelhaftigkeiten zwischen diesen Eigenschaften […]. Vielmehr richtet sie ihr Augenmerk unmittelbar auf die Verflechtung der Akteure in einem sozialen System und versucht dieses Muster zu beschreiben (‚die Sozialstruktur‘) und aus dem Muster der Verflechtungen Auskunft über die Handlungen der Akteure zu gewinnen.“ (Schweizer 1996: 113)

Freeman (2004) setzt sich ausführlich mit der Entstehungsgeschichte der sozialen Netzwerkanalyse auseinander. Er beschreibt, wie eine Gruppe britischer Ethnologen, unter anderem beeinflusst durch die strukturelle Perspektive Gluckmans, die Weiterentwicklung des Paradigmas seit dem Beginn der 1950er Jahre entscheidend beeinflusste. Unter ihnen etwa J. A. Barnes (1954) oder J. Clyde Mitchell (1969), die sich 17 Eine klassische Arbeit, die diesen Sicherungsaspekt betont, ist die Analyse zur Subsistenzethik kleinbäuerlicher Gesellschaften im Südosten Asiens von Scott. Die Existenzsicherung jedes einzelnen – „safety first“ (Scott 1976: 5) – hat hier oberste Priorität und geht mit reziproken Verpflichtungen, einer moralisch erzwungenen Großzügigkeit, dem Teilen von Arbeitskraft und Patron-Klient-Beziehungen einher.

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mit sozialen Beziehungen auch außerhalb verwandtschaftlicher Ordnungsmuster befassten (Freeman 2004: 105; Schweizer 1996: 16). Das Konzept wurde nachfolgend in weiteren wissenschaftlichen Kontexten aufgegriffen und etablierte sich in den 1970er Jahren als interdisziplinär und international ausgerichtete Methode (Wasserman & Faust 1994: 10 f.; Schweizer 1996: 17; Freeman 2004: 121 f.). Eine Einführung, die einen Schwerpunkt auf die methodische Anwendung der Netzwerkanalyse in der Sozialethnologie legt, findet sich bei Schnegg und Lang (2002). Grundsätzlich kann zwischen „Gesamtnetzwerken“ und „persönlichen Netzwerken“ unterschieden werden; die erste Methode befasst sich mit den sozialen Mustern ganzer Gruppen von Akteuren und erfasst alle Beziehungen innerhalb der Gruppe; die zweite Methode fragt nach der sozialen Einbettung einzelner Akteure, indem sie deren Beziehungen in unterschiedlichen Kontexten erfasst (Schnegg & Lang 2002: 7). Im Rahmen des LINGS-Projektes haben wir18 in allen Untersuchungsregionen persönliche Netzwerke zu sozialen Unterstützungsbeziehungen erfasst. Da jedoch alle Haushaltsvorstände einer Gemeinde befragt wurden, lassen sich die Daten auch als Gesamtnetzwerk analysieren (Schnegg & Lang 2002: 22). Hierzu wurden die Beziehungen zwischen Bewohnern innerhalb einer Gemeinde auf Haushaltsebene zusammengefasst. Mit Hilfe der Netzwerkanalyse kann untersucht werden, wie soziale Interaktionen zu bestimmten Ordnungsmustern auf Gemeindeebene führen. Die Analyse von Gesamtnetzwerken ermöglicht in einem ersten Schritt einen Vergleich der drei Gemeinden hinsichtlich zentraler Konzepte wie Dichte, Verbundenheit und Zentralität (vgl. Kapitel 5). In einem zweiten Schritt wird das Konzept der sozialen Einbettung empirisch greifbar. Für die vorliegende Studie erhoben wir im Rahmen des LINGSProjektes in allen drei Siedlungen Netzwerkdaten, die sich auf unterschiedliche Dimensionen von samewerking beziehen (vgl. Kapitel 3). Darüber hinaus konzipierten wir Fragen zu sozialen Beziehungen und zum Fluss von Informationen im Bereich der Wassernutzung. Basierend auf dieser Datengrundlage ist es möglich, die Netzwerke sozialer Unterstützung mit den Informationsnetzwerken der Wassernutzung innerhalb der Gemeinden zu vergleichen. Übereinstimmungen und Unterschiede beziehen sich dabei auf die Positionen zentraler Akteure, die in einem oder beiden Netzwerken in Erscheinung treten. In Bezug auf die Beschaffenheit sozialer Beziehungen unterscheiden persönliche Netzwerke zwischen uniplexen und multiplexen Relationen. Multiplex sind Beziehungen dann, wenn sie in unterschiedlichen Kontexten von Bedeutung sind. Wie schon zu Beginn des Kapitels skizziert, geht das Konzept auf Max Gluckman zurück (Schnegg & Lang 2002: 28). Gluckman analysiert die Rechtsprechung der Barotse und verweist auf die unterschiedlichen Rollen, in die eine Beziehung zwischen zwei Akteuren eingebettet sein kann: „There nearly every social relationship serves many interests.“ (1955: 18); wobei sich in diesem Fall verwandtschaftliche, politische und rechtliche Interessen vermischen (Gluckman 1955: 19). Neben der Vielschichtigkeit von Rollen ist eine Beziehung auch dann multiplex, wenn sie verschiedene Handlungskontexte wie beispielsweise emotionale und wirtschaftliche Unterstützung umfasst (Schnegg & Lang 2002: 28).

18 Kapitel 3 stellt das LINGS-Projekt und die Forschergruppe vor.

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Auch die vorliegenden Daten ermöglichen es, die Multiplexität von sozialen Unterstützungsbeziehungen in unterschiedlichen Handlungskontexte zu erfassen. Die Ergebnisse zeigen, dass innerhalb einer Beziehung eine Anzahl verschiedener Ressourcen getauscht und geteilt wird (vgl. Schnegg & Linke 2015).19 Neben Multiplexität sind weitere gemeinsame Merkmale sozialer Beziehungen ihre Langfristigkeit und die Möglichkeit von Akteuren, ihre Beziehungspartner in unterschiedlichen sozialen Netzwerken zu verorten. Diese soziale Eingebundenheit ist geographisch nicht beschränkt; auch die abwesenden Haushaltsvorstände werden als sozial zugehörig betrachtet und verfügen über diverse, meist verwandtschaftliche Beziehungen in ihren Gemeinden. Im Gegensatz zum Konzept multipler Identitäten (vgl. Cleaver 2012; Mosse 2005) geht es hier nicht um Merkmale oder Ressourcen des einzelnen Akteurs, sondern um die Eigenschaften seiner Beziehungen. Eine zentrale Annahme ist, dass die Multiplexität von Beziehungen eine potentiell sanktionierende Wirkung hat. Da soziale Unterstützungsbeziehungen unterschiedliche Handlungsbereiche umfassen, kann „stellvertretend“ gegeben werden; das bedeutet, ein Akteur kann seine Bereitschaft zu kooperieren und reziproken Verpflichtungen zu entsprechen auf unterschiedlichen Wegen ausdrücken. Gleichzeitig kann auch „stellvertretend“ genommen werden; bei der Verweigerung von Kooperation geht es nicht nur um eine Ressource (wie Wasser), sondern um eine Reihe unterschiedlicher, auch nicht-materieller Ressourcen. Über die Multiplexität der Beziehungen potenziert sich somit auch die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Bewohnern. Fragestellung und Aufbau In der Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich Kooperation in der kommunalen Ressourcennutzung gestaltet, rücken bisherige theoretische Ansätze Institutionen als zentrale erklärende Variable in den Vordergrund. Während in der CPR-Theorie die Schaffung von Handlungssicherheit durch Regeln im Vordergrund steht, erhalten Institutionen in der kritischen Perspektive eine komplexe gesellschaftliche Dimension und umfassen Regelstrukturen und Handlungsabläufe gleichermaßen. Die vorliegende Studie unterscheidet zwischen Praktiken der Ressourcennutzung und strukturierenden Einflussfaktoren und versteht Kooperation als komplexes, sozial eingebettetes Phänomen. Die zwei zentralen Fragen lauten daher: Wie gestaltet sich Kooperation in der Ressourcennutzung unter unsicheren institutionellen Bedingungen? Wie lassen sich die kooperativen Praktiken der Farmbewohner erklären? Ausgehend von dem zuvor skizzierten theoretischen Rahmen und den Beobachtungen im Feld wird der Einfluss von drei erklärenden Faktoren untersucht. Diese sind im Folgenden als untergeordnete Fragen formuliert:

19 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die sozialen Rollen der Bewohner vielschichtig sind, da sie sich meist nicht nur als Wassernutzer, sondern auch als Verwandte oder Nachbarn begegnen. Während der Erhebung sollten die Bewohner jedoch nur die Rolle spezifizieren, die sie als zentral für die genannte Beziehung betrachten (vgl. Kapitel 5).

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a) Wie beeinflussen plurale Regeln und Normen die kommunale Ressourcennutzung? Diese Studie geht davon aus, dass Institutionen der Ressourcennutzung ein rechtlichnormatives Spannungsfeld darstellen, geprägt durch staatlich legitimierte Regeln sowie durch soziale Normen, die das Tauschen und Teilen von Ressourcen auch über Wasser hinaus gestalten. In Anlehnung an Moore (2000: 50) wird überprüft, inwiefern Regeln und Normen genutzt werden, um auf der einen Seite Prozesse der Ressourcennutzung zu regulieren und auf der anderen Seite Unbestimmtheit und Unsicherheit zu erzeugen. b) Wie beeinflussen soziale Beziehungen die kommunale Ressourcennutzung? Anknüpfend an die Beobachtung, dass das wechselseitige Tauschen und Teilen von Ressourcen von grundlegender Bedeutung auf den Farmen ist, rücken die sozialen Beziehungen und Verflechtungen der Bewohner in den Fokus der Untersuchung. Dabei erörtert sie, inwiefern die Merkmale sozialer Beziehungen (Multiplexität, Langfristigkeit und soziale Eingebundenheit) einen regulierenden und kontrollierenden Effekt auf die kommunale Ressourcennutzung haben. c) Wie beeinflussen soziale Netzwerke die kommunale Ressourcennutzung? Die soziale Netzwerkanalyse eröffnet die Möglichkeit, soziale Strukturen zu begreifen, die aus Interaktionen und Beziehungen entstehen. Dabei überprüfen die Analysen, wie sich die Netzwerke sozialer Unterstützung in den Gemeinden gestalten, inwiefern sie mit den Informationsnetzwerken der Wassernutzung überlappen und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten hier vorliegen. Der Aufbau dieses Buches folgt der komplexen Einbindung von Wasser in lokale (Kapitel 4 und 5) und überlokale Strukturen (Kapitel 6). Kapitel 7 analysiert, wie die Bewohner innerhalb dieser Bedingungen die Ressource Wasser nutzen und organisieren. Zunächst folgt im anschließenden Kapitel 2 die Einführung in das Forschungssetting. Das Kapitel skizziert die Entstehung und historische Entwicklung der Gemeinden sowie den Wandel in der ruralen Wasserpolitik, der mit der Unabhängigkeit Namibias Anfang der 1990er Jahre einsetzte. Anschließend beschreibt Kapitel 3 die übergeordnete Zielsetzung des Projektes, den Verlauf der Forschung und die Datengrundlage. Kapitel 4 und 5 widmen sich aus einer ethnographischen Perspektive den demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen auf den kommunalen Farmen. Kapitel 4 analysiert, basierend auf den Zensusdaten, die demographischen Strukturen der Gemeinden, die Zusammensetzung der Haushalte sowie ihre Vernetzung in die urbanen Zentren (vgl. zur Land-Stadt Migration Greiner 2008, 2011). Daran anschließend stehen die wirtschaftlichen Grundlagen der Haushalte, der Besitz von Vieh und die ökonomische Stratifizierung im Mittelpunkt der Betrachtung. Dieses Kapitel stellt zunächst die Gemeinsamkeiten der Gemeinden dar, bevor es auf Unterschiede wie etwa den Viehbesitz eingeht. Kapitel 5 befasst sich mit dem Thema der sozialen Beziehungen. Das auf reziproken Normen basierende Konzept der „Zusammenarbeit“ wird erläutert, die Multiplexität von Beziehungen und die Praktiken des Tauschens und Teilens beschrieben. Darauf aufbauend fasst es die Auswertung der sozialen Netzwerke zusammen und vergleicht die Ergebnisse sowohl innerhalb der als auch zwischen den Gemeinden.

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Kapitel 6 setzt sich mit dem Prozess der „gelenkten Institutionalisierung“ auseinander und begreift die rurale Wassernutzung als eine Schnittstelle, an der unterschiedliche Einflussfaktoren zusammentreffen. Die institutionellen und organisatorischen Vorgaben von CBWM werden beschrieben und es wird skizziert, warum sich bestimmte Maßnahmen nicht dauerhaft in den Gemeinden etablieren konnten. Ein Blick auf die Wasserinfrastruktur und die damit einhergehenden Probleme in den Gemeinden veranschaulicht, wie politische Interventionen, ökologische Veränderungen und Eigentumsrechte in einem Zusammenhang stehen. Eine Folge dieser zum Teil unerwarteten Wechselwirkungen ist eine „institutionelle Grauzone“, innerhalb derer Rechte und Pflichten zwischen Gemeinden und Mitarbeitern staatlicher Behörden neu ausgehandelt werden. Das abschließende Kapitel 7 richtet den Blick zurück auf die sozialen Interaktionen in den Gemeinden. Aus den Kapiteln 4 bis 6 ergeben sich grundlegende Rahmenbedingungen der kommunalen Wassernutzung, die dieses Buch unter dem Begriff der Unsicherheit subsumiert. Das Kapitel 7 beschreibt, wie die Gemeinden mit den aus Unsicherheit resultierenden Herausforderungen umgehen und analysiert die flexiblen, kooperativen Praktiken der Farmbewohner. Als zentrale Erklärungsfaktoren werden plurale Regeln und Normen sowie Merkmale und Muster sozialer Beziehungen zu Grunde gelegt. Situationsbeschreibungen, Fallanalysen, Daten zu Pumpvorgängen sowie Unterlagen zu den Beitragszahlungen seit Mitte der 1990er Jahre ermöglichen es, die Nutzung und Organisation von Wasser über einen längeren Zeitraum nachzuvollziehen und detailliert darzustellen. Die zentralen Ergebnisse werden in Kapitel 8 zusammengefasst.

2. Kommunale Farmgebiete im südlichen Kunene

Dieses Kapitel skizziert die zentralen Rahmenbedingungen und den historischen Kontext des Forschungsgebietes. Das Leben der Farmbewohner ist in ein durch grundlegende Unsicherheiten charakterisiertes Setting eingebettet. Diese Unsicherheiten ergeben sich • • •

ökologisch aus einer extremen Variabilität und Knappheit von Niederschlägen sowie einer spezifischen Beschaffenheit von Grundwasserressourcen, historisch aus einer während der Kolonialherrschaft verfestigten Marginalisierung der Region und politisch und institutionell aus massiven Umbrüchen und staatlichen Interventionen.

Die folgenden Ausführungen gehen ausführlicher auf die oben genannten Bereiche ein und beziehen sich dabei vor allem auf die Entwicklungen in der südlichen KuneneRegion. Im Gegensatz zur nördlichen Kunene-Region wurde der Süden wie auch das gesamte Süd- und Zentralnamibia stark von kolonialen Herrschaftsstrukturen durchdrungen, die in unzähligen blutigen Konflikten und einer umfassenden Marginalisierung der afrikanischen Bevölkerung resultierten. Der Alltag der kommunalen Farmer ist noch deutlich durch die Konsequenzen dieser gewaltvollen Geschichte gekennzeichnet, was etwa ein Blick auf die Landbesitzstrukturen in der südlichen KuneneRegion verdeutlicht. Die historische Darstellung in diesem Kapitel fokussiert auf die Entstehung der drei kommunalen Farmen sowie der größeren Gemeinde Fransfontein. Sie wird durch Informationen über die Erschließung von Grundwasserressourcen ergänzt. Weitere historische Beschreibungen mit Blick auf die Fransfonteiner Bevölkerung finden sich bei Pauli (2009a: 75 f.) und Schnegg (2007) sowie für die Farmregion bei Greiner (2008: 83 f.), für die als „Damara“1 klassifizierten Gruppen in Zentralnamibia bei

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Die kommunalen Farmen sind multiethnische Gebiete. Einige während der Zensuserhebung befragte Bewohner gaben an, sich keiner abgrenzbaren ethnischen Identität zuordnen zu können und zu wollen. Ethnische Zuschreibungen sind sensible, historisch geprägte Konstrukte, die auch nach der Unabhängigkeit die politische und gesellschaftliche Landschaft Namibias

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Fuller (1993) und für „Herero“ bei Gewald (1999). Eine allgemeine Aufarbeitung historischer Quellen zur gesamten Geschichte Namibias bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1990 findet sich bei Wallace (2015). Die folgenden Beschreibungen geben einen ersten Einblick in die Bedingungen der Ressourcennutzung, der dann mit Bezug auf die drei Untersuchungsorte weiter vertieft wird (vgl. Kapitel 4 und 5). Im Kontext dieser regionalen Auseinandersetzung wird auch auf weitere ethnographische Arbeiten verwiesen, die das Fransfonteiner Gebiet im speziellen sowie Kunene im weiteren Sinne als Ausgangspunkt ihrer Untersuchung wählen, und die sich sowohl mit historischen als auch mit aktuellen Entwicklungen befassen (Bollig 1998, 2006, 2009; Friedman 2005, 2011; Fuller 1993; Greiner 2008, 2010; Miescher 2006; Pauli 2009a, 2011; Schnegg 2007; Schnegg & Welle 2007; Schnegg, Pauli & Greiner 2013).

R EGIONALE E INFÜHRUNG Seit Namibia im Jahr 1990 seine politische Unabhängigkeit erlangte, ist das kommunale Farmgebiet in der Kunene-Region zu verorten, die den Nordwesten des Landes umfasst und im Osten an den Atlantik grenzt (vgl. Abbildung 3). Die Region verdankt ihre Bezeichnung dem gleichnamigen Fluss, der im Norden die Grenze zu Angola bildet und im Gegensatz zu den ephemeren Trockenflüssen innerhalb Namibias ganzjährig Wasser führt. Laut den offiziellen Ergebnissen der namibischen Zensuserhebung im Jahr 20112 leben 74 % der Bevölkerung Kunenes in ruralen Gebieten. Die Region ist spärlich besiedelt (0,8 Menschen pro Quadratkilometer) und durch ihr arides Klima gekennzeichnet. Den ökologischen Bedingungen entsprechend ist Pastoralismus die zentrale landwirtschaftliche Aktivität, wobei der Süden Kunenes im Gegensatz zum Norden stärker ökonomisch diversifiziert ist. In Haushalten wird überwiegend Otjiherero und Khoekhoegowab gesprochen, letztere wird auch als Damara/Nama bezeichnet und ist eine Khoisan-Sprache (Barnard 1992: 28; Haacke & Eiseb 2002). Zu den größeren Städten zählen Outjo und Khorixas im Süden sowie die regionale Hauptstadt Opuwo im Norden, die rund 7.700 Einwohner zählt. Physiogeographisch liegen die Farmen im zentralen Hochland Namibias, das durch den steilen Gebirgszug der Großen Randstufe von der Namib-Wüste getrennt ist (Wallace 2015: 2). Die Namib gilt als eines der trockensten Gebiete der Erde und erstreckt sich über die gesamte Küstenregion im Westen und Süden Namibias (Christelis & Struckmeier 2001: 22). Das östlich anschließende Binnenhochland ist hügelig, von Bergketten und Felsen durchzogen und wird als Savanne bezeichnet. Die Böden verfügen über eine geringe Wasserspeicherkapazität und werden durch anstehendes Gestein unter der Erdoberfläche begrenzt. Der Nordwesten zeichnet sich besonders durch das Vorkommen von Mopane-Bäumen beziehungsweise -Sträuchern aus (Colophospermum mopane) (Okitsu 2005: 37 und 38; Sullivan 1999). Das Holz der vereinzelt

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prägen. Die hier verwendeten Bezeichnungen basieren auf den Selbstzuschreibungen der Bewohner (vgl. Kapitel 4). Die nachfolgenden Informationen zur Kunene-Region sind dem Population and Housing Census Main Report entnommen (Namibia Statistics Agency 2011: 7 und 14).

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stehenden Mopanes stellt eine wichtige Ressource für die Bewohner der kommunalen Farmen dar (Greiner 2008: 97). Es gilt als bevorzugtes Feuerholz und bildet gerade wegen seiner Härte die Grundlage für den „traditionellen“ Hausbau, bei dem MopaneZweige miteinander verflochten und dann mit einer Mischung aus Kuhdung und lehmiger Erde verputzt werden. Die Blätter des Mopane sind die zentrale Nahrungsgrundlage für die eiweißhaltige Mopane-Raupe, die in den Sommermonaten für den Eigenbedarf, aber auch für den Verkauf gesammelt und entweder getrocknet oder geröstet wird. Abbildung 3: Kunene-Region in Namibia

Quelle: mapsof.net

Niederschläge und Grundwasser Niederschläge in ariden Regionen können zeitlich, räumlich und in ihrer Intensität voneinander abweichen (Lang 2010: 95). Im Nordwesten Namibias fällt der Regen unregelmäßig in den heißen Sommermonaten zwischen November und April. Nach heftigen Regenfällen können die Trockenflüsse (Riviere, af.) zu reißenden Gewässern anschwellen und das kommunale Farmgebiet unpassierbar machen. In der Kunene-Region variiert der Regenfall zwischen weniger als 50 mm/Jahr im extrem trockenen Westen bis hin zu etwas mehr als 300 mm/Jahr im Osten (Christelis & Struckmeier 2001: 72). Aufgrund der spärlichen Niederschläge und der hohen Verdunstungsverluste in den heißen Sommermonaten stellen die Grenzflüsse im Norden und Süden die einzigen, permanent zugänglichen Oberflächengewässer im gesamten Namibia dar (Christelis & Struckmeier 2001: 12 ). Bohrlöcher sichern daher, wie auch im kommunalen Farmgebiet, vielerorts gerade in der Trockenzeit den Zugang zur lebenswichtigen Ressource. Satelliten-basierte Messungen3 der Niederschläge in der Fransfonteiner Region zeigen, welche Schwankungen das Klima-Regime durchläuft: So fiel im 3

Diese Daten wurden dem LINGS-Projekt vom Fachbereich Umweltfernerkundung und Geoinformatik der Universität Trier zur Verfügung gestellt und von Herrn David Frantz aufgearbeitet. Der ARC2 (Africa Rainfall Climatology) ist ein auf Satellitendaten basiertes

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Jahr 2011, zum Zeitpunkt der Feldforschung, überdurchschnittlich viel Regen, während 2012 und 2013 erneut Dürre4 herrschte, wie in der folgenden Abbildung deutlich wird. Abbildung 4: Niederschläge Farmgebiet, mm/Jahr

Karte erstellt von David Frantz

Auf der Suche nach Grundwasser wurden seit Beginn des 20. Jahrhunderts schätzungsweise über 100.000 Bohrungen in Namibia durchgeführt (vgl. folgendes Teilkapitel), von denen etwa 50.000 Bohrlöcher heute produktiv sind (Christelis & Struckmeier 2001: 11). Die Bewohner der kommunalen Farmen beziehen auch ihren Eigenbedarf an Wasser größtenteils aus diesen Brunnen und sind im Gegensatz zur Gemeinde Fransfontein nicht an das staatliche Trink-Wasserversorgungssystem angeschlossen. Sie holen entweder zu Fuß, mit dem Eselskarren oder auf anderem Wege Wasser, das sie in Kanistern und Tonnen am Haus aufbewahren. In allen drei Untersuchungsorten ist das Wasser aus den Brunnen jedoch brackig und ungenießbar. Der Salzgehalt nimmt dabei von Osten nach Westen zu und ist in der Gemeinde Kleinrivier am stärksten. Die Bewohner klagen hier vor allem über Magenbeschwerden, die durch den Konsum des salzigen Wassers ausgelöst werden. Wenn sie die Möglichkeit haben, beziehen sie ihr Trinkwasser daher aus der Quelle in Fransfontein, die von Kleinrivier mit dem Eselskarren etwa zwei Stunden entfernt ist.

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Messverfahren und eine Weiterentwicklung des im Jahr 2004 entwickelten ARC1 (vgl. Novella & Thiaw 2013). Basierend auf den von den Satellitendaten abgeleiteten Wolkentemperaturen werden mit dem ARC2 räumliche Niederschlagsfelder geschätzt. Des Weiteren herrschte Anfang der 1980er Jahre eine schwere Dürre in ganz Namibia, ebenso wie 1992 und 1999 (vgl. Botha 1999; Devereux & Næraa 1996; Bollig 2006). Zur Bestimmung von Dürreperioden siehe (Botha 1999: 5).

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Das Grundwasserpotential der Kunene-Region ist grundsätzlich gering und wenig erforscht (Christelis & Struckmeier 2001: 73 f.). Grundwasserleiter (Aquifer) unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Speicherkapazitäten und ihre Durchlässigkeit. Beide Faktoren sind abhängig von den unterirdischen Gesteinstypen und ihren spezifischen Formationen. Im Gegensatz zu porösen Sedimenten wie Sand ist die KuneneRegion durch zerklüftete Grundwasserleiter gekennzeichnet. Wasser findet sich hier nur in Fissuren, Spalten oder Bruchstellen ansonsten solider Gesteinsmassen; entsprechend sind Speicherkapazitäten und Durchlässigkeit gering. Vor allem im Norden Kunenes dominieren kristalline Gesteine, in denen nur sehr geringe Mengen an Wasser angesammelt werden können. Die Quelle in Fransfontein speist sich dagegen aus einem schmalen Band von Kalk- und Dolomitgestein, das sich unterhalb des EtoshaNationalparks vom östlich gelegenen Otavi bis nach Fransfontein erstreckt. In diesen Gesteinen führen chemische Prozesse zu größeren Frakturen, in denen mittlere Mengen an Grundwasser gespeichert werden können. Bohrlöcher in zerklüfteten Grundwasserleitern müssen eine solche Fraktur treffen, um langfristig Wasser zu fördern; ansonsten werden nur sehr geringe Mengen oder auch kein Grundwasser gepumpt (Christelis & Struckmeier 2001: 32, 37 & 73 f.). Eine Anreicherung der Grundwasserressourcen erfolgt hauptsächlich durch Niederschläge. Dennoch ist die Frage, wie sich Nutzung und Nachfluss in einzelnen Bohrlöchern verhalten, besonders im Hinblick auf zerklüftete Grundwasserleiter schwer zu beantworten. Denn die gleiche Menge an Regen kann je nach Porosität und Durchlässigkeit des Aquifers, aber auch in Abhängigkeit von der Oberflächentopographie, der Vegetation und der Landnutzung zu unterschiedlich hohen Anreicherungen führen (Christelis & Struckmeier 2001: 36). Da für die Kunene-Region bisher keine Studien zur Nachhaltigkeit5 kommunaler Brunnennutzung vorliegen, stützten wir uns im Rahmen des LINGS-Projektes auf die Erfahrung und das Wissen der Farmbewohner. Diese berichteten, dass bei ausbleibendem Regen nicht das Wasser der Brunnen der limitierende Faktor war, sondern die fehlenden Weiden zu hohen Verlusten führten. Noch heute können einige Farmer eindrücklich beschreiben, wie ihre Rinder in der großen Dürre Anfang der 1980er Jahre vor Hunger zusammenbrachen und starben. Viele verloren damals nahezu ihren gesamten Viehbestand (Botha 1999; Bollig 2006: 116), wie das folgende Zitat veranschaulicht: „1982 blieben mir schließlich nur noch zwei Rinder. Es waren nur noch zwei. Eins wurden von einem wilden Tier gerissen. Ein Letztes blieb mir. Dann habe ich wieder von vorn begonnen; ich habe meinen Kopf benutzt und wieder neu begonnen.“ REGINA AMPORO, 06.11.2011, übersetzt aus dem Afrikaans

Übereinstimmend gaben die Bewohner der drei Untersuchungsgemeinden an, dass die von Vieh intensiv genutzten Brunnen auch in extremen Dürreperioden nicht trocken

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Nachhaltigkeit im Sinne des sogenannten Brundtland-Berichtes bedeutet, dass eine natürliche Ressource so genutzt wird, dass sie auch für die folgenden Generationen erhalten bleibt (Hauff 2014: 2); Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Kriterium für institutionellen Erfolg in der CPR-Theorie. Das Konzept würde übertragen auf die Brunnen bedeuten, dass langfristig gesehen nicht mehr Wasser entnommen wird, als nachfließt.

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fielen. Ausbleibende Niederschläge gefährden daher in erster Linie die Nahrungsgrundlage der Viehherden. Im Gegensatz zu ephemeren Flüssen und anderen temporären Oberflächengewässern ist Grundwasser eine vergleichsweise sichere Ressource. Ein Weg zu den kommunalen Farmen Der Weg in das kommunale Farmgebiet führt von Windhoek aus zunächst nach Norden in die Stadt Outjo. Von hier verläuft eine Straße Richtung Westen durch privates Farmgebiet. Einige Kilometer vor Khorixas gehen die privaten Farmen, die zur Rinderzucht genutzt oder als Jagd- oder Gästefarmen stärker auf den Tourismus ausgerichtet sind, in kommunales Gebiet über. Die Vegetation ist mit einem Mal weniger üppig, die Gebiete nicht mehr durch Zäune begrenzt, und häufig sind Rinder- oder Ziegenherden auf der Suche nach Wasser und Weide am Straßenrand zu beobachten. Hier und da stehen kleine, aus Lehmerde und Kuhdung gefertigte Häuser, die sich in der Nähe von Wasserstellen befinden. Viele Menschen sind zu Fuß oder mit dem Eselskarren unterwegs. Namibier, die sich auf ihre europäische Herkunft berufen, leben hier nicht. Etwa fünf Kilometer vor der Stadt Khorixas biegt eine Schotterpiste nordwärts ab und führt nach 23 Kilometern in die Gemeinde Fransfontein und ihr umliegendes kommunales Weidegebiet. Bis zur Unabhängigkeit bildete Khorixas unter südafrikanischer Herrschaft die Verwaltungshauptstadt des „Homeland Damaraland“. Die Konsequenzen der deutschen Herrschaft sowie der südafrikanischen Segregationspolitik sind noch heute deutlich sichtbar. Nach wie vor sind ländliche, aber auch städtische Siedlungsstrukturen ethnisch differenziert, und gerade die abgelegenen, kleinen Farmsiedlungen sind infrastrukturell marginalisiert. Die meisten Siedlungen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, es gibt keine sanitären Anlagen, keinen Strom und keinen öffentlichen Transport, der Kinder in die nächste weiterführende Schule in Khorixas bringen könnte. Arbeitsmöglichkeiten in der Fransfonteiner Region beschränken sich auf sehr wenige staatlich finanzierte Stellen, wie beispielsweise die Arbeit als Lehrer in der ansässigen Grundschule, als Krankenschwester oder als Mitglied der traditionellen Autorität. Viele Haushalte auf den Farmen besitzen nur wenig Vieh und sind abhängig von Remittances6 oder der staatlich garantierten Altersrente, die alle Personen ab 60 Jahren beziehen, und die zum Zeitpunkt der Forschung 500 NAD, etwas über 50 Euro7, umfasste. Im „Namibia Poverty Mapping“ von 2011 zählte Kunene im nationalen Vergleich zu den fünf ärmsten Regionen; knapp 39 % der Bevölkerung wurden als „arm“8 klassifiziert. Im Jahr 1996 lag die Zahl der als „arm“ 6

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Geld- und Lebensmittelsendungen von den Städten auf die Farmen und umgekehrt werden in Anlehnung an Greiner (2008: 208) als Remittances bezeichnet. Ursprünglich bezog sich der Begriff auf Geldsendungen, die von internationalen Migranten in ihre jeweiligen Herkunftsländer geschickt werden (Greiner 2008: 209). Zum Forschungszeitpunkt entsprachen 9,74 NAD einem Euro. In dem 2011 erschienenen Bericht wird absolute Armut als die Unmöglichkeit eines Haushaltes gesehen, sich mit lebensnotwendigen Gütern zu versorgen. Gemessen wird Armut anhand eines minimalen Einkommens, das nötig ist, um sich ausreichend Nahrung zu kaufen. Für die relative Armutsgrenze wird neben Nahrung noch der Preis einer Reihe weiterer Güter berechnet, die im Vergleich zur restlichen Gesellschaft als minimaler Standard gelten. Im Jahr 1996 wurde Armut nach dem Anteil berechnet, den ein durchschnittlicher Haushalt im Monat für Nahrung ausgibt (60 % oder mehr).

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eingestuften Haushalte noch bei 52 % (Republic of Namibia 1996: xix). Weiter werden in dem auf die Kunene-Region bezogenen Bericht mangelnde Bildung, mangelnde Wasserversorgung, Arbeitslosigkeit, Dürre und karge Weiden als die zentralen Probleme der Bevölkerung ausgewiesen (Republic of Namibia 1996: xxii). Abbildung 5: Blick auf die Farm Kleinrivier

Aufnahme: T. Linke, September 2011

K OLONIALE M ÄCHTE , A PARTHEID B RUNNENBOHRUNGEN

UND

Die folgenden Beschreibungen skizzieren die historische Entwicklung der kommunalen Farmen. Seit der Unabhängigkeit Namibias ist die rurale Wasserversorgung durch umfangreiche Reformen geprägt. Diese institutionelle Umstrukturierung bestimmt die gegenwärtige Situation und wird detailliert in Kapitel 6 dargelegt. Der folgende historische Überblick befasst sich daher mit der Zeit vor der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990. Der Beginn der Brunnenbohrungen Anfang des 20. Jahrhunderts sowie die Gründung des Fransfonteiner Reservats unter der deutschen Kolonialmacht bieten einen Einstieg in die unruhige und gewaltvolle Geschichte, die das heutige Namibia geprägt hat. Dabei kann der folgende zusammenfassende Überblick nicht vermitteln, was diese Umbrüche konkret für einzelne Haushalte und Individuen bedeuteten. Vielmehr soll eine Grundlage geschaffen werden, um die materiellen Strukturen, vor allem die kommunalen Brunnen und das dazugehörige Weideland als „Produkte“ einer historischen und politischen Entwicklung zu begreifen. Diese Entwicklung ist in Süd- und Zentralnamibia durch eine systematische koloniale Inbesitznahme der natürlichen Lebensgrundlagen – Land und Wasser – geprägt, sowie durch den Versuch einer auf rassistischen Parametern gegründeten gesellschaftlichen Neuordnung. Während der Apartheid wurden der afrikanischen Bevölkerung territorial klar begrenzte und unwirtliche „Homelands“ zugeteilt, auf denen meist neu gebohrte Brunnen die Wasserversorgung sichern sollten und die heute als kommunale Gebiete bezeichnet werden.

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Die Vorläufe der Kolonialisierung und die Besiedlung von Fransfontein Schon vor Beginn der deutschen Herrschaft Ende des 19. Jahrhunderts vollzog sich im heutigen Süd- und Zentralnamibia ein umfangreicher politischer, wirtschaftlicher und sozialer Wandel. Zuvor waren die ariden Weiten von mobil lebenden und verwandtschaftlich vernetzten Khoisan und Otjiherero sprechenden Gruppen bewohnt, die Vieh hielten, jagten und sammelten. Die zunehmende Einbindung in die Wirtschaft der südafrikanischen Kapregion, damit verknüpfte Migrationsbewegungen und das Vorstoßen christlicher Missionare führten zu tiefgreifenden Veränderungen (Wallace 2015: 72 f.). Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es zum Aufstieg politischer Autoritäten, die ihre Macht durch den Besitz großer Viehherden und die Kontrolle über Handelsnetze untermauerten. Die Ausbildung der Afrikaner-Oorlam-Identität sowie der politische Aufstieg von Jonker Afrikaner sind hierfür ein Beispiel (Wallace 2015: 80; Kößler 2007: 396). Ab dem Jahr 1842 weitete sich zudem mit der Ankunft der Rheinischen Missionsgesellschaft RMG die Missionierung erheblich aus. Die RMG verknüpfte die Forderung nach Sesshaftigkeit mit materiellen Vorteilen und bot in kriegerischen Auseinandersetzungen Zuflucht und Ausstattung (Kößler 2007: 396; Gewald 1999: 18). Dem Niedergang der Afrikaner-Herrschaft folgte der Aufstieg des Otjiherero sprechenden Anführers Maharero in den 1860er Jahren. Ende des 19. Jahrhunderts wurde Hendrik Witbooi als Kaptein der Nama zu einer bedeutenden politischen Figur, die sich dem Herrschaftsanspruch der Deutschen zunächst erfolgreich widersetzte (Wallace 2015: 103, 177 f.). Pastorale Gruppen waren im trockenen zentral- und südnamibischen Hochland auf Grundwasser aus Quellen sowie handgegrabenen Brunnen angewiesen. Es wird davon ausgegangen, dass Otjiherero sprechende Pastoralisten bis zu zehn Meter tiefe Brunnen (ondjombo, Otjiherero) in Flussbetten gruben, um sich und ihre Herden in der Trockenzeit mit Wasser zu versorgen (Stern & Lau 1990: 4 f.). Das Vorhandensein einer Quelle ermöglichte auch die Gründung der Gemeinde Fransfontein durch eine Gruppe Swartbooi-Nama etwa um 1880. Die Entstehungsgeschichte der Gemeinde Fransfontein wird detailliert von Schnegg (2007) beschrieben, der sich auf mündlicher Überlieferung sowie auf schriftliche Quellen unter anderem des Missionars Riechmann und des deutschen Verwalters Leutwein stützt. Die Swartbooi waren eine der ersten Gruppen, die unter Einfluss der Rheinischen Mission in Rehoboth sesshaft wurden. Aufgrund eines bewaffneten Konflikts mit Jonker Afrikaner im Jahr 1864 und aus Furcht vor einem Vergeltungsschlag verließen sie Rehoboth und migrierten nordwärts, wo sie sich unter anderem im heutigen Fransfontein niederließen. Ein Grund für die Wahl dieses Ortes war, den mündlichen Überlieferungen zufolge, das frisch schmeckende, salzfreie Wasser der Quelle. Einem Gesuch der Swartbooi folgend erreichte der Missionar Riechmann im Dezember 1891 die Gemeinde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Quelle in der trockenen Region schon zuvor von anderen mobil lebenden Jägern, Sammlern und Pastoralisten, vor allem von Damara-Gruppen, genutzt wurde (Schnegg 2007: 248–251).

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Beginn der deutschen Herrschaft und Gründung des Fransfonteiner Reservats Im Jahr 1883 begann ein Händler mit dem Namen Lüderitz im südlichen Namibia Land in seinen Besitz zu bringen; er legte auf diese Weise den Grundstein für die Errichtung von Deutsch-Südwestafrika. In den folgenden drei Jahrzehnten eigneten sich die kolonialen Machthaber die Kontrolle über grundlegende natürliche Ressourcen an. Dabei konzentrierten sie sich auf die sogenannte Polizeizone, die Süd- und Zentralnamibia umfasste und zum ersten Mal im Jahr 1907 definiert wurde, während das Gebiet nördlich der Grenze kaum von der deutschen Herrschaft durchdrungen wurde (Bollig 1998: 508). Auch die Erschließung von Grundwasserressourcen durch Bohrungen mit schwerem Gerät setzte mit der deutschen Herrschaft ein. Im Jahr 1903 wurde die erste Bohrmaschine geliefert. Mithilfe der neuen Technik wurde Grundwasser aus deutlich tieferen Erdschichten zugänglich, was den Ausbau von Siedlerfarmen vereinfachte (Christelis & Struckmeier 2001: 10). Die Landnahme durch deutsche Siedler sowie die große Rinderpest im Jahr 1897 vernichteten die Existenzgrundlagen der meisten Pastoralisten, deren Lage sich dramatisch verschlechterte (Gewald 1999: 110). Die anschließenden deutsch-namibischen Kriege zwischen 1904 und 1908 sind ein Zeugnis der schonungslosen Brutalität und Gewalt in der Zeit der kolonialen Besatzung. Unter der Führung des Kommandeurs von Trotha führten die deutschen Streitkräfte einen gezielten Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung der Herero und internierten die Überlebenden in Lagern, wo die meisten an Entkräftung oder Seuchen starben. Gewald schreibt dazu: „The HereroGerman war, […] led to the destruction of Herero society in all its facets as it had existed prior to the war.“ (Gewald 1999: 8) Auch die Nama-Gruppen im südlichen Namibia blieben von der Gewalt der deutschen Streitkräfte nicht verschont (Wallace 2015: 245 f.) und große Teile der Bevölkerung wurden ausgelöscht (Werner 2004: 294). In der folgenden Dekade deutscher Herrschaft wurde ein rigides Pass- und Kontrollsystem, ein Verbot der Großviehhaltung für afrikanische Pastoralisten sowie die Arbeitspflicht eingeführt (Kößler 2007: 400; Greiner 2008: 85). Außerdem konnten afrikanische Namibier nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung des Gouverneurs Land erhalten, die bis 1912 kein einziges Mal erteilt wurde (Werner 2004: 294). Auch die Gemeinde Fransfontein wurde in kriegerische Auseinandersetzungen mit den deutschen Machthabern verwickelt, die im Kampf gegen die Rinderpest einen Posten in Fransfontein errichtet hatten (Schnegg 2007: 253). Schnegg analysiert den Verlauf der Kampfhandlungen, die vergleichsweise spärlich dokumentiert sind. Im Jahr 1898 kämpften die Swartbooi mit Unterstützung von Otjiherero sprechenden Gruppen gegen die deutschen Streitkräfte und ihre Schutzbefohlenen. Nach ihrer Niederlage wurde ein Großteil der Fransfonteiner Bevölkerung, darunter Frauen und Kinder, in Windhoek in einem Lager interniert sowie ihr Vieh beschlagnahmt. Im Jahr 1905 wurde Fransfontein als eines der sechs ersten Reservate durch die deutsche Kolonialmacht etabliert und umfasste eine Fläche von etwa 10.000 Hektar (Werner 2004: 295). Etwa in diesem Zeitraum begannen die europäischen Siedler auch die besten Weidegebiete zwischen Fransfontein und Outjo im Osten sowie Kamanjab im Norden in Besitz zu nehmen (Schnegg 2007: 255 f.). In einem Bericht des Kaiserlichen Gouvernements wurden unter anderen folgende Verfügungen festgehalten, die zeigen, welche Dimensionen die Enteignung durch koloniale Mächte hatte:

50 | K OOPERATION UNTER U NSICHERHEIT 1. „Das Land der Zwartboois in Franzfontein wird mit Inkrafttreten der Einziehung Eigentum der deutschen Regierung. Solange es die Regierung gestattet, können die Zwartboois in Franzfontein wohnen bleiben […].“ 3. „Das Halten von Großvieh ist […] fernerhin nicht mehr gestattet. Das vorhandene Großvieh wird abgeschätzt und von der Regierung zum Schätzwert angenommen […]. Ausnahmsweise wird den bei Ausbruch des Aufstandes treu gebliebenen […] gestattet, ihr Großvieh in der zurzeit bestehenden Anzahl zu behalten, solange sie leben […].“ (Abschrift des Berichts Nr. 1013 des Kaiserlichen Gouvernements, Outjo, 6. Juni 1906)

Südafrikanische Herrschaft und Apartheid In den Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges verlor die deutsche Kolonialmacht ihr Herrschaftsgebiet an südafrikanische Streitkräfte. Ab dem Jahr 1921 konnte Südafrika das heutige Namibia, basierend auf einem Mandat des Völkerbundes, regieren. In den Wirren der kriegerischen Auseinandersetzungen ergaben sich für einige mittellose Pastoralisten zunächst Möglichkeiten, ihren Viehbestand erneut aufzustocken. Arbeiter verließen die Farmen der Deutschen, eigneten sich Vieh an und nutzen Landflächen in der Polizeizone, die zwar von den Deutschen schon vermessen, aber noch nicht in Besitz genommen waren (Wallace 2015: 335; Werner 2004: 295). Doch die neue zivile Regierung zögerte nicht lange, um die so gewonnenen Verfügungsrechte rückgängig zu machen, und etablierte in den folgenden Jahrzehnten eine tiefgreifende Politik der „Rassentrennung“. Sie führte ein umfassendes Siedlungsprogramm für mittellose Farmer europäischer Herkunft aus Südafrika ein. Bis 1926 waren bereits 880 neue Farmen für 1.006 Siedler registriert, die 7,5 Millionen Hektar Land umfassten (Werner 2004: 297). Um den Bedarf an Arbeitskräften zu sichern, erweiterte Südafrika bestehende Reservate und errichtete neue. Die meisten Reservate verfügten über eine unzureichende Wasserversorgung und waren zu klein, um die Bewohner zu ernähren. Ihr Zweck war es, die Mobilität der afrikanischen Bevölkerung zu kontrollieren, die Viehwirtschaft mittels neu eingeführter Weidegebühren zu limitieren und möglichst viele Lohnarbeiter zu gewinnen (Wallace 2015: 345; Werner 2004). Mit dem Sieg der National Party in Südafrika wurde Namibia immer stärker in die Regierungsstrukturen von Südafrika eingegliedert und de facto annektiert. Bereits im Jahr 1946 lehnte die internationale Gemeinschaft ein Gesuch der Südafrikanischen Union auf die Integration Namibias ab (Greiner 2008: 89). Dennoch vertiefte und systematisierte die neue Regierung der Nationalisten auch in Namibia die Diskriminierung und Marginalisierung der nicht-weißen Bevölkerung (Wallace 2015: 397). Ethnizität wurde politisch instrumentalisiert und als Mittel zum Zweck der getrennten Entwicklung eingesetzt. Das rigide und auch international nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gebilligte Vorgehen der Nationalisten führte zu Widerständen, die sich in den späten 1950er Jahren zu einer organisierten nationalistischen Bewegung, der SWPO, formierte (Wallace 2015: 389–395). Die Etablierung des Apartheid-Systems wurde maßgeblich durch den OdendaalBericht im Jahr 1964 geprägt. Dieser führte auch in Namibia zur Errichtung von „Homelands“, durch die im Sinne der vollständigen Segregation eine räumliche Trennung ethnischer Gruppen vollzogen werden sollte. Reservate, die bisher zur Kontrolle billiger Arbeitskraft gedient hatten, sollten nun politisch unabhängig werden. Gleichzeitig sah die Odendaal-Strategie eine Modernisierung der „Homelands“ vor, um zumindest einen minimalen Standard an wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung zu

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ermöglichen und der internationalen Kritik entgegenzuwirken. Doch auch wenn in das Gesundheits- und Bildungswesen investiert wurde, waren diese Investitionen nach rassistischen Parametern strukturiert und benachteiligten die afrikanische Bevölkerung systematisch (Wallace 2015: 411 f.). Obwohl das Gros der Bevölkerung in den Reservaten zunehmend verarmte, bildete sich im Zuge dieser Entwicklung eine kleine afrikanische Mittelschicht oder lokale Elite heraus. Die Einsetzung einer politischen Selbstverwaltung führte zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zu einem Fluss von Geldern und vielerorts zur Entwicklung eines Patronage-Systems (Pauli 2009a: 89 f.). Die südafrikanische Regierung hoffte, über die Etablierung einer lokalen Verwaltungselite der nationalen Befreiungsbewegung entgegenzuwirken. Die zentralen Möglichkeiten, sich außerhalb der Viehwirtschaft zu etablieren, gingen mit Tätigkeiten als Politiker oder Verwaltungsbeamter, als Lehrer oder Krankenschwester einher (Pauli 2009a: 90). Ab den 1970er Jahren zwangen verschiedene Entwicklungen die südafrikanische Regierung dazu, ihre rigide Apartheidpolitik zu lockern, und mündeten schließlich nach Jahren des bewaffneten und zivilen Freiheitskampfes in der Unabhängigkeit. Die nationalen und internationalen politischen Prozesse, welche die Entkolonialisierung Namibias prägen, sind komplex, noch unzureichend erforscht und können hier nicht im Einzelnen beleuchtet werden (Wallace 2015: 434 f.). Zu den wichtigsten politischen Entwicklungen dieser Zeit gehören wachsender internationaler Druck9, der Zusammenbruch der Kolonialregierung im benachbarten Angola und die Öffnung der Grenze, die steigende Popularität der nationalen Befreiungsbewegung und die internationale Unterstützung der SWAPO, die zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen im Norden Namibias sowie eine in den späten 1970er Jahren einsetzende wirtschaftliche Rezession und ein zunehmend kostspieliger Staatsapparat, der nicht zuletzt durch die Politik der doppelten Verwaltung entstanden war (vgl. auch Greiner 2008; Melber & Saunders 2007). Wie im Folgenden deutlich werden wird, ist die Entstehung der kommunalen Farmen wesentlich durch die erste Hälfte der südafrikanischen Herrschaft sowie durch die Implementierung der Apartheid geprägt. Wie Pauli (2009a; 2009b (b); 2011) zeigt, kommt es in der Gemeinde Fransfontein vor allem im Zuge der Selbstverwaltung zu einer sozialen und wirtschaftlichen Stratifikation. Die militärischen Auseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahre prägten vor allem die nördlichen Gebiete Namibias und nur einige Bewohner der Fransfonteiner Region waren in den Freiheitskampf involviert oder begaben sich ins Exil (Pauli 2009a: 78).

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Anfang der 1970er Jahre erklärte der Internationale Gerichtshof die Annexion Namibias für rechtswidrig, im Jahr 1976 akzeptierte der UN-Sicherheitsrat die SWAPO als rechtmäßige Vertretung des namibischen Volkes und im Jahr 1978 erließ er die Resolution 435, welche den Rückzug der südafrikanischen Verwaltung und die Etablierung eines unabhängigen Namibias vorsah (Melber & Saunders 2007: 75 f.).

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Entstehungsgeschichte der Farmen In der Fransfonteiner Region setzte etwa ab dem Jahr 1905 eine beständige Landinbesitznahme ein. Mitte des Jahrhunderts und übereinstimmend mit der Strategie der deutschen und südafrikanischen Herrschaft war das Gebiet bereits umgeben von kommerziellen Farmen, deren Besitzer europäischer Herkunft waren und das Ziel verfolgten, ihre großflächigen Weidegebiete einzuzäunen (Schnegg 2007: 256). Zwar gelang es dem Vorsteher des Reservats, Petrus Swartbooi, in den 1930er Jahren die Grenzen des Gebietes noch einmal zu erweitern, sodass es nun eine Fläche von 36.188 Hektar umfasste, doch die Weideflächen verfügten nicht über ausreichend Wasserzugänge (Werner 2004: 297). Auch dieses Reservat sollte vor allem als ein Arbeitskräftepool dienen, auf den gerade die neuen Siedlerfarmen angewiesen waren (Werner 2004: 295 f.). Im Jahr 1922 wurde das Reservat gemäß der geplanten ethnischen Umstrukturierung durch die südafrikanische Regierung als Gebiet für Nama und Damara klassifiziert (Greiner 2008: 98). Entgegen der staatlichen Planung entwickelte sich Fransfontein in den Folgejahren jedoch zu einem zunehmend multiethnischen Gebiet, was vor allem durch eine Migrationswelle aus dem etwa 100 Kilometer entfernten Reservat Otjoruu (Otjeru)10 ausgelöst wurde (Miescher 2006; Greiner 2008). Aus diesem Kontext entstanden Brakwater und Kleinrivier, zwei der drei hier untersuchten Farmen. Im Jahr 1938 immigrierten mehrere Otjiherero-sprachige Familien, die seit 1908 in dem von der deutschen Kolonialmacht zugeteilten Reservat Otjoruu Viehzucht betrieben hatten, nach Fransfontein. Die Familien waren vor allem seit der Machtübernahme durch Südafrika zunehmend unter Druck geraten. Zwar war der legale Status des Reservates im Jahr 1918 zunächst bestätigt worden, aber in den Folgejahren wurden den Bewohnern schrittweise ihre Landrechte entzogen. Den Recherchen Mieschers zufolge wurde die Mehrheit der Haushalte in Otjoruu im Jahr 1910 in Polizeiregistern als Ovambo klassifiziert (Miescher 2006: 7). Es ist anzunehmen, dass einige Haushaltsvorstände bereits im späten 19. Jahrhundert und damit vor der großen Hungersnot im Jahr 1915 aus dem Nordosten nach Zentralnamibia migrierten (Miescher 2006: 20; Gewald 1999: 223). Andere wiederum konstruierten den mündlichen Überlieferungen folgend eine Ovambo-Identität, um sich entsprechend in die Struktur des Reservats einzugliedern. Die Tatsache, dass die meisten Bewohner Otjiherero sprachen, weist auf den multiethnischen Kontext Otjoruus hin (Miescher 2006: 7 f.). Ähnlich wie in Fransfontein kann argumentiert werden, dass es nicht in erster Linie Ethnizität, sondern vielmehr das Teilen einer pastoralen Identität sowie der zunehmend schwierigen Lebensbedingungen war, die diese Gemeinschaften auszeichnete. Den Viehbesitzern in Otjoruus gelang es trotz der Restriktionen unter deutscher Herrschaft, rentable Herden aufzubauen. Das Reservat war somit in vielerlei Hinsicht privilegiert, da deren Bewohner Großvieh halten durften und darüber hinaus über gute Weidegründe verfügten. Hierfür werden zwei Gründe genannt: Zum einen hatten sich die Familien während der deutsch-namibischen Kriege gegenüber der Kolonialmacht als loyal erwiesen und die letzten Kriegsmonate gemeinsam mit deutschen Siedlern auf einer Farm in der Nähe Outjos verbracht. Zum anderen sollte Otjoruu im Sinne 10 Beide Schreibweisen finden sich in der Literatur; Greiner (2008: 98) verweist darauf, dass Otjoruu als Schreibweise von den ehemaligen Bewohnern des Reservates genutzt wird.

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eines Exempels weitere Immigration aus dem Nordosten nach sich ziehen, da die deutsche Kolonialmacht an Arbeitskräften aus der dicht besiedelten Region interessiert war (Miescher 2006: 5 f.). Auch wenn die erfolgreichen Farmer aus Otjoruu ab den 1920er Jahren zunehmenden Restriktionen ausgesetzt waren, waren sie zum Zeitpunkt ihrer Immigration im Jahr 1938 noch vergleichsweise wohlhabend. Während sich die Bevölkerung im Fransfonteiner Reservat zwischen 1936 und 1938 verdoppelte, verfünffachte sich der Viehbestand (Miescher 2006: 19). Zudem kam es auch zu weiterer Immigration wie etwa jener der Damara-Familie !Ganeb, die schätzungsweise in den 1940er Jahren die kommunale Farm „Tsaurob“ gründete (Schnegg 2007: 259). Die Otjoruu-Familien siedelten sich zunächst in der Nähe des heutigen Khorixas auf einer Farm mit dem Namen „Witvlei“ an, da es hier genügend Wasser gab (Greiner 2008: 103 und HELMUT ILONGA, 20.10.2011). Wenig überraschend wurden sie auch von den dortigen Weiden durch Siedler vertrieben und gründeten daraufhin die Gemeinde Brakwater. Die Besiedlung muss etwa ab Mitte der 1940er Jahre erfolgt sein. Da es in Brakwater keine Quelle gibt, gruben die Bewohner von Hand einen Brunnen. Noch heute können einige von ihnen beschreiben, wie arbeitsaufwendig das Tränken der Herden war, da das Wasser mit einem Eimer aus dem ondjombo geschöpft werden musste. Es war der Sohn einer Gründerfamilie aus Otjoruu, der von Brakwater aus die Gemeinde Kleinrivier erschloss. Er gibt als Grund das gute Weidegebiet und das Vorhandensein einer Quelle an, die das Tränken der Tiere erleichterte (HELMUT ILONGA, 20.10.2011). Die Besiedlung dieser Gemeinde erfolgte schätzungsweise etwa Anfang der 1950er Jahre. In den nun folgenden Jahren waren es die Maßnahmen der Apartheid-Politik, welche die Infrastruktur der Farmen und auch die Gründung der letzten Gemeinde Gootvlakte prägten. Im Jahr 1970 wurde das Fransfonteiner Reservat in das „Homeland Damaraland“ eingegliedert. Das „Homeland“ umfasste mehrere bereits existierende Reservatsgebiete und integrierte auch Farmland, das europäischen Siedlern abgekauft wurde (insgesamt sollten 223 „weiße“ Farmen veräußert werden) (Wallace 2015: 414). Dennoch lag etwa 87 % des neuen „Homelands“ in einer Wüsten- oder Halbwüstenregion (Werner 2004: 300). Während zuvor 8.500 Hektar Weide als eine minimale Voraussetzung für die Errichtung einer Farm in diesem Gebiet vorgesehen waren, mussten die Familien in „Damaraland“ nach Abzug der nicht nutzbaren Flächen mit etwa 250 Hektar auskommen (Rohde 1997: 259; Pauli 2009a: 90). Wie die Entwicklung Fransfonteins schon andeutet, konnte die geplante ethnische Homogenisierung des Gebiets nie vollständig umgesetzt werden (Rohde 1997: 259; Wallace 2015). Trotz einiger Zwangsumsiedlungen lebte ein Großteil der als Damara klassifizierten Bevölkerung nie in diesem Reservat, und die Nama aus Fransfontein widersetzen sich erfolgreich einer geplanten Umsiedlung in den Süden. Drei Entwicklungen veränderten dennoch die Struktur der Farmen erheblich: zum einen die Etablierung einer lokalen Führungselite, zum zweiten die mit der Lockerung der Apartheidgesetze einhergehenden Mobilitäts- und Ausbildungsmöglichkeiten und zum dritten die infrastrukturelle Entwicklung der Farmgebiete. Vor allem der im Jahr 1980 mit breiter Mehrheit gewählte Damara-Council, unter dem Fransfontein und die kommunalen Farmen fortan als ward nine verwaltet wurden, leitete eine wirtschaftlich-politische Stratifizierung in der Region ein (Pauli 2009a: 91; vgl. auch Sullivan 1996; Fuller 1993). Der Damara-Council wurde als eine politische

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Partei Anfang der 1970er Jahre gegründet. Obwohl er sich in das von Südafrika eingeführte zweistufige Verwaltungssystem eingliederte, befürworteten seine Mitglieder ursprünglich die nationalistische Bewegung. Dadurch konnte die Partei während der Wahlen viele SWAPO-Anhänger mobilisieren (Fuller 1993: 186 f.). Ein wichtiger Grund für die politische Formation des councils waren die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die dieses Verwaltungssystem mit sich brachte. Tatsächlich konnte der council weitgehend unabhängig über den Fluss von Geldern verfügen. Zudem stellten Arbeitsplätze in der Verwaltung eine der wenigen Einkommensquellen in der wirtschaftlich marginalisierten Region dar. Aus diesem zweistufigen Verwaltungssystem heraus entwickelte sich auf lokaler Ebene ein Patronage-Netzwerk, in dem politische Autoritäten Geld und vor allem Zugang zu Arbeitsplätzen im Austausch für Loyalität, zur Festigung verwandtschaftlicher Netzwerke oder im Rahmen sexueller Beziehungen vergaben (Pauli 2009a: 95 f.). Arbeitsplätze außerhalb der Verwaltung entstanden im Zuge infrastruktureller Entwicklungen auch in Schulen und Hostels, in Krankenhäusern und gesundheitlichen Versorgungsstationen. Auch in Fransfontein eröffnete im Jahr 1981 eine health station, und ein Jahr zuvor war das Hostel neu gebaut und erweitert worden (Pauli 2009a: 95). Parallel zu diesen Entwicklungen gelang es einzelnen Akteuren mit der Lockerung der Apartheidrestriktionen ab den 1970er Jahren, einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben und einen Beruf zu erlernen. Dies trifft auf die meisten der abwesenden wohlhabenden Farmer zu, die heute Haushalten in den Gemeinden vorstehen und die mehrheitlich in den 1950er- und 1960er Jahren geboren wurden. Sie besuchten das Augustineum in Windhoek, durchliefen eine Ausbildung als Lehrer oder ließen sich im Katutura-Krankenhaus als Pfleger ausbilden. Die Gruppe der abwesenden Viehbesitzer ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Möglichkeiten räumlicher Expansion nutzen, jedoch den Bezug zu den Farmen im Sinne räumlicher und sozialer Verortung nicht verloren (vgl. Kößler 2007). Die Struktur der Farmsiedlungen wurde vor allem durch umfangreiche Brunnenbohrungen verändert. Diese sollten der Modernisierungsstrategie des Odendaal-Berichts entsprechend eine begrenzte wirtschaftliche Entwicklung in den Reservaten ermöglichen. So etwa analysiert Bollig (2009), wie die Erschließung von Grundwasserressourcen zwischen 1950 und 1980 die Institutionen des Weidemanagements im als „Kaokoveld“ klassifizierten „Homeland“ im äußersten Nordwesten Namibias veränderten. Auch die Bohrungen der hier untersuchten kommunalen Farmen in der südlichen Kunene-Region setzen ab den 1950er Jahren ein. Der genaue Zeitpunkt der Bohrungen auf den drei Farmen konnte jedoch weder aus Oral History-Interviews noch durch Archivrecherchen einwandfrei bestimmt werden. Zwar finden sich in den Archiven des Ministry of Water, Agriculture and Forestry von der kolonialen Administration verfasste Berichte über Bohrungen; die Beschreibungen der Orte sind jedoch in den ersten Jahren vage und können nicht eindeutig zugeordnet werden. Einem Bericht zufolge wurde am 18.9.1948 in der Nähe Fransfonteins eine Bohrung durchgeführt, bei der es sich um Brakwater handeln könnte. Laut den Angaben der Bewohner erhielt die Siedlung als eine der ersten einen gebohrten Brunnen, und es sind keine früheren Aktivitäten in dieser Region dokumentiert. Die zweite Bohrung in Brakwater erfolgte im Jahr 1967 und findet sich unter dem Namen der Gemeinde. Die erste Bohrung in Kleinrivier, die etwa Mitte bis Ende der 1950er Jahre stattfand, lässt sich wiederum nicht eindeutig mit einem der archivierten

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Dokumente verknüpfen. Ein am 9.2.1959 ausgestellter Bericht verweist auf eine Bohrung, die in diesem Gebiet in der Nähe einer Quelle „by some native huts“ stattfand und bei der es sich um Kleinrivier handeln könnte. Die Neuinstallation eines Solarsystems im Jahr 1992 findet sich dagegen unter der entsprechenden Bezeichnung „Kleinrivier“ in den Archiven. Die dritte Siedlung Grootvlakte wurde auf Gesuch eines zu diesem Zeitpunkt im Damara-Council politisch aktiven headman gegründet. Er gehört einer Otjiherero-sprachige Familie an, die wahrscheinlich kurz nach der Gründung Fransfonteins in den 1880er Jahren immigriert war (Greiner 2008: 103). Aufgrund einer zunehmenden Verknappung von Weiden in der unmittelbaren Nähe Fransfonteins stellte er einen Antrag, um im heutigen Grootvlakte einen Brunnen zu bohren, was von den kolonialen Behörden genehmigt wurde. Laut den Archivberichten fand diese Bohrung ebenfalls im Jahr 1967 statt; im Jahr 1969 zog die Familie nach Grootvlakte um (Interview, 04.10.2011). In den Folgejahren siedelten sich hier weitere, meist über verwandtschaftliche Beziehungen verknüpfte Familien an. Die Bewohner erinnern sich in Oral History-Interviews, dass ihnen der Staat vor der Unabhängigkeit eine Tonne Diesel (etwa 240 Liter) für einen Zeitraum von drei Monaten für die Wasserversorgung zur Verfügung stellte. Da die Gemeinde Grootvlakte sowohl eine Wind- als auch eine Dieselpumpe nutzen konnte, kam sie mit dem Diesel jedoch für einen längeren Zeitraum von etwa sechs Monaten aus. Auch die Farmer aus den anderen beiden Gemeinden geben an, dass sie damals keinen zusätzlichen Diesel kaufen mussten. Laut den Berichten wurden auch Reparaturen von der Kolonialregierung übernommen. Tatsächlich zeichnen alle Befragten, die sich vergleichend zur Wasserverwaltung vor und nach der Unabhängigkeit äußern, ein ähnlich unkompliziertes Bild: der Staat habe für das Wasser gesorgt und die anfallenden Reparaturen zeitnah ausgeführt. Einige weisen darauf hin, dass sie bei größeren Instandsetzungsmaßnahmen gelegentlich eine Ziege oder ein Schaf geschlachtet hätten, um den Arbeitern an der Wasserstelle etwas anbieten zu können. Vermutlich erscheint die Vergangenheit gerade im Vergleich mit der aktuellen Problematik an den Wasserstellen vielen Bewohnern als deutlich einfacher (vgl. Kapitel 3 zu den Oral History-Interviews). Nicht nur die Ressource Wasser, auch der Viehbestand der kommunalen Farmer wurde durch die Kolonialregierung verwaltet und entsprechend kontrolliert. Zwar mussten die Farmbewohner keine Beiträge für das Wasser zahlen, es wurde jedoch eine jährliche Abgabe pro Vieh-Einheit entrichtet (KAREL ILONGA, 20.10.2011; HELMUT ILONGA, 20.10.2011). Das Vieh wurde von Beamten gezählt, die Tiere bekamen ein Brandzeichen und wurden geimpft (REGINA AMPORO, 23.10.2011). Die Entstehungsgeschichte der Farmen zeigt, dass diese zunächst Zufluchtsorte in einer Umwelt darstellten, in welcher der afrikanischen Bevölkerung zunehmend ihr Recht auf Land und ein pastorales Leben entzogen wurde. Mit der Etablierung des Apartheidsystems wurden die Gemeinden mit einem minimalen Standard an Wasser und Weide „versorgt“, der ihnen jedoch keine Existenz als Farmer ermöglichte. Immigration, soziale Vernetzung und die gemeinsame Suche nach einer Überlebens-Strategie waren Ausgangspunkte der hier entstehenden Gemeinschaften. Die folgenden Kapitel gehen detaillierter auf die sozialen Beziehungsgeflechte ein und verdeutlichen, dass die Farmen heute noch Knotenpunkte darstellen, an denen sich auch weit entfernt lebende Familienmitglieder sozial verorten. Die großen Häuser auf den Farmen bieten Rückzugsmöglichkeiten, die Akteure beispielsweise im Fall von

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plötzlicher Arbeitslosigkeit oder Krankheit nutzen. Viele in den Städten lebende Viehbesitzer geben an, im Alter auf die Farm ziehen zu wollen. Doch nicht nur soziale Eingebundenheit, sondern auch der Wunsch nach einem selbstbestimmten und wirtschaftlich unabhängigen Leben prägen die kommunalen Viehbesitzer. So sind sich gerade wohlhabende Farmer der begrenzten Weidemöglichkeiten bewusst; gleichzeitig kann sich die Mehrheit eine private Farm nicht leisten (vgl. Kapitel 4). Einige, meist politisch etablierte Akteure greifen in diesem Kontext auf illegale Möglichkeiten zurück und umzäunen „private“ Farmen in kommunalen Gebieten. Nach der Unabhängigkeit: Reform der Wasserinfrastruktur „Zur Zeit der Unabhängigkeit Namibias 1990 war die Landwirtschafts- und Landbesitzstruktur denn auch durch einen ausgeprägten Dualismus gekennzeichnet. Etwa 43 Prozent der gesamten Landfläche befanden sich als freier Grundbesitz und kommerzieller Farmsektor in den Händen von vornehmlich weißen Farmern, während 42 Prozent, die ehemaligen Reservate, als kommunales Land eingestuft wurden. Etwas mehr als 4 000 weiße Landbesitzer beschäftigten auf ihren kommerziellen Farmen rund 36 000 Arbeiter (mit insgesamt 220 000 von ihnen abhängigen Personen), während 160 000 ländliche Haushalte in den kommunalen Gebieten ein mühsames Leben zumeist als Kleinfarmer fristeten.“ (Werner 2004: 300)

Diese von Werner zusammengefasste strukturelle Ungleichheit bestimmt noch heute die Ausgangssituation der meisten ruralen Haushalte. Tatsächlich gelang es mit der Unabhängigkeit nur wenigen Akteuren aus dem Fransfonteiner Gebiet, sich den Traum einer eigenen Farm zu verwirklichen. Dazu gehören etwa die ehemalige stellvertretende Premierministerin Namibias, Libertina Amathila, die sich nach ihrer Pensionierung eine eigene Farm kaufte11, oder der Kaptein der Swartbooi Traditional Authority Daniël Luiperd, der eine kommerzielle Farm im Süden Namibias besitzt. Auf den drei kommunalen Farmen gibt es insgesamt nur einen Haushalt, der eine zusätzliche resettlement-farm12 nutzt. Während der Zugang zu Land nach wie vor stark durch die Restriktionen der Apartheid gekennzeichnet ist, wird der rurale Wassersektor seit der Unabhängigkeit grundlegend reformiert. Die kommunalen Brunnen, zur Zeit der Apartheid im Besitz des Staates, werden in das Eigentum der Farmgemeinden überführt. Hierzu findet seit Mitte der 1990er Jahre im Rahmen von community-based water management (CBWM) ein dreistufiger Übergabeprozess statt, der zum Zeitpunkt der Forschung nicht abgeschlossen ist. Mit CBWM wird ein Modell über die Gemeinden gestülpt, das deutliche Parallelen zu den von Ostrom (1990) aufgestellten institutionellen Prinzipien aufweist (vgl. Kapitel 6). Ostrom belegt, dass Gemeinschaften in der Lage sind, natürliche Ressourcen 11 Diese Information stammt aus ihrem im Jahr 2012 erschienenen, autobiographischen Buch „Making a difference“. 12 Resettlement-farms, die im Rahmen des Farm-Unit-Resettlement-Schemes basierend auf einer Reihe unterschiedlicher Kriterien vergeben werden, sollen small-scale commercial farming für vormals benachteiligte Namibier ermöglichen. Hierzu kauft die namibische Regierung kommerzielles Farmgelände auf und unterteilt es in kleinere Einheiten. In Süd- und Zentralnamibia darf eine solche Farmeinheit nicht weniger als 3.000 Hektar umfassen (Werner & Odendaal 2010: 25, 37).

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durch selbst entwickelte, spezifisch gestaltete Regelwerke zu bewirtschaften (vgl. Kapitel 1). Diese „Eigenständigkeit“ wird nun auch im CBWM-Prozess aufgegriffen und als wünschenswertes Ziel formuliert. Dabei wird jedoch übersehen, dass die kommunalen Farmen ein Produkt historischer Ausgrenzung sind und die Bewohner, im Gegensatz zu Ostroms Fallbeispielen, nicht von den ihnen zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen leben können. Koloniale Strukturen haben die Familien abhängig von Lohnarbeit, Migration und staatlicher Altersversorgung gemacht und den meisten die Möglichkeit einer pastoralen Existenz genommen. Dementsprechend sind auch heute die „Farmer“ erfolgreich und wohlhabend, die ein solides und sicheres Einkommen aus Lohnarbeit beziehen (Fuller 1993: 309 f.). Eine wichtige Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass die Siedlungen Bezugspunkte für sozial weiträumig vernetzte, ethnisch heterogene Familienmitglieder bilden, und dass ein Großteil der Viehbesitzer nicht auf den Farmen lebt (vgl. Schnegg, Pauli & Greiner 2013; Kapitel 4). Aus einer ökonomischen Perspektive führt die Implementierung von CBWM vor allem in der Trockenzeit zu einer höheren finanziellen Belastung für Farmhaushalte. Eigene Analysen zeigen, dass die Farmen in der Trockenzeit in etwa zwei Monaten zwischen 78 Liter und 160 Liter Diesel brauchen, die entsprechend zwischen 570 NAD und 1.184 NAD kosten.13 Diese breite Spanne weist bereits darauf hin, dass die Gemeinden unterschiedlich viel Wasser pumpen müssen. Der Wasserbedarf leitet sich dabei nicht aus der Summe Vieh pro Gemeinde ab, sondern wird durch externe Faktoren (Migration von Viehherden, Wildtierpopulationen, Wasserausfall in anderen Gemeinden) bestimmt (vgl. Kapitel 7). Zusammenfassung Der Zugang zu natürlichen Lebensgrundlagen in der südlichen Kunene-Region ist noch heute sichtbar durch koloniale Machtpolitiken gekennzeichnet, die mit einer umfangreichen Ausbeutung und Marginalisierung der afrikanischen Bevölkerung einhergingen. Dem Rassismus der Apartheid und dem Konzept der getrennten Entwicklung folgend, sollten sogenannte „Homelands“ ethnisch homogenen Gruppen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen begrenzten Zugang zu Land und Wasser, häufig in unwirtlichen Regionen, gewähren. Während die von der südafrikanischen Kolonialmacht forcierte ethnische Umstrukturierung nur teilweise umgesetzt wurde, ist die extrem ungleiche und unverhältnismäßige Zuteilung von Land eine Konsequenz, die nach wie vor das Leben vieler Farmbewohner prägt. Grundsätzlich formuliert reichen die Weiden nicht aus, um von der Viehwirtschaft zu leben, während es gleichzeitig kaum andere Einkommensquellen in der Region gibt. Während das nationale Programm für small-scale commercial farming eine minimale Größe von 3.000 Hektar pro Einheit im ariden Süden und Westen Namibias vorsieht, umfassen die meisten kommerziellen Farmen um Outjo herum im Jahr 2006 durchschnittlich etwa 4.400 Hektar Land (Werner & Odendaal 2010: 25; Dieckmann 2013: 259). Das kommunale Gebiet entspricht auch heute mit 36.188 Hektar den erweiterten Reservats-Grenzen von Fransfontein, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgehandelt wurden und könnte demnach etwa zwölf resettlement-farms oder etwas mehr als acht 13 Diese Angaben beruhen auf einem Pump-Monitoring, das zwischen dem 24.08.2011 und dem 30.10. 2011 in allen drei Gemeinden durchgeführt wurde (vgl. Kapitel 3). Ein Liter Diesel kostete in diesem Zeitraum im Schnitt 7,4 NAD.

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kommerziellen Farmen Weidefläche bieten. Pauli und Schnegg zählten in ihrer Zensuserhebung im Jahr 2004 knapp 300 Haushalte in Fransfontein und den kommunalen Gebieten (Pauli 2011: 155). Es ist demnach nicht erstaunlich, dass neben den Pensionen die soziale Vernetzung mit Verwandten in den urbanen Zentren einen essentiellen Beitrag zur wirtschaftlichen Sicherung der Haushalte leistet, wie in Kapitel 4 deutlich werden wird (vgl. auch Greiner 2008, 2010, 2011). Die Erschließung von Grundwasserressourcen mit schwerem Gerät setzte mit der deutschen Kolonialherrschaft ein, und die Brunnenbohrungen wurden unter dem südafrikanischen Regime systematisch ausgeweitet. Seit der Unabhängigkeit Namibias führen umfangreiche politische Reformen dazu, dass die Wasserinfrastruktur schrittweise in das Eigentum der „Gemeinden“ überführt wird. Diese sollen nun ihr Recht auf Selbstverwaltung wahrnehmen und staatliche Subventionen werden zunehmend abgebaut. Dabei wird in Diskursen zwischen staatlichen Vertretern und Bewohnern häufig übersehen, dass der Appell zur Unabhängigkeit auf eine extrem ungleiche Verteilung natürlicher Ressourcen trifft.

3. Empirische Grundlagen

In diesem Kapitel wird ein Überblick über die empirischen Grundlagen der vorliegenden Studie gegeben und der Prozess der Datenerhebung beschrieben.1 Das methodische Vorgehen während der 15-monatigen Feldforschung war grundlegend durch die Einbindung in das LINGS-Projekt geprägt. Die übergeordnete Zielsetzung des Projektes ist es, die Entstehung und die Entwicklungen von Institutionen des Wassermanagements im Nordwesten Namibias über einen Zeitraum von neun Jahren nachzuvollziehen. Zu diesem Zweck wurden in der ersten Projektphase drei stationäre Feldforschungen zeitgleich in der Kunene-Region durchgeführt und eine Reihe vergleichender Daten erhoben. Das folgende Teilkapitel skizziert zunächst das vergleichende Forschungsdesign des LINGS-Projektes. Anschließend gehen die Beschreibungen ausführlicher auf den Prozess der Datenerhebung in den drei Untersuchungsgemeinden ein und greifen dabei auf eine chronologische Darstellungsform zurück. Bestimmte Schlüsselsituationen, die den weiteren Forschungsverlauf beeinflussten, werden hier kurz umrissen und später bei der Analyse in Form von Fallbeispielen ausgeführt. Während des Feldaufenthaltes fanden kontinuierlich Projekttreffen mit den beiden anderen Feldforschern, Kathrin Gradt und Diego Menestrey, sowie auch mit den Projektleitern statt. Diese enge Zusammenarbeit sowie die Möglichkeit zur reflektierenden Auseinandersetzung gaben mir im Hinblick auf die Datenerhebung als auch auf die Aufarbeitung der Daten wichtige Impulse.

D AS LINGS-P ROJEKT Der Name LINGS steht für Local Institutions in Globalized Societies und deutet bereits an, dass es innerhalb des Projektes sowohl um den Vergleich von lokalen Entwicklungen als auch um deren Verknüpfung mit übergeordneten politischen Prozessen geht. Das Projekt baut auf umfangreichen Forschungen der Projektleiter Prof. Dr. Michael Schnegg (Universität Hamburg) und Prof. Dr. Michael Bollig (Universität zu Köln) auf und wird seit April 2010 von der DFG finanziert.2

1 2

Ich danke Kathrin Gradt für ihre hilfreichen Hinweise zu diesem Kapitel. Bollig arbeitet seit 1994 im Norden des Kunene-Gebietes (Kaokoland), Schnegg ist gemeinsam mit Prof. Dr. Julia Pauli seit 2003 in der südlichen Kunene-Region (Fransfontein) tätig.

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Während der ersten Projektphase wurden vergleichende Forschungen in der KuneneRegion nördlich von Opuwo bei Okangwati (Diego Menestrey), im Südwesten von Opuwo (Kathrin Gradt) sowie im Süden Kunenes in der Nähe Fransfonteins durchgeführt (vorliegende Studie). Die Feldforscher arbeiteten und lebten über einen Zeitraum von 15 Monaten in insgesamt sieben Gemeinden. Zusätzlich befasst sich eine von Thekla Kelbert durchgeführte Studie mit der Frage, in welchen politischen Kontexten die Strategie von community-based water management entwickelt wurde und über welche Aushandlungs- und Übersetzungsprozesse sie in die Gemeinde gelangte. Über die einzelnen Fallstudien hinaus führten die Feldforscher im Jahr 2012 einen regionalen Vergleich durch3, der die Ergebnisse und Hypothesen der stationären Feldaufenthalte an einem Sample von insgesamt 56 Gemeinden überprüfte (Schnegg 2014: 64 f.). Die Ergebnisse dieser Studie beziehen sich allein auf die Daten, die ich auf den kommunalen Farmen in der Nähe Fransfonteins von September 2010 bis Dezember 2011 erhob; sie erörtern Entwicklungen in der südlichen Kunene-Region und ermöglichen einen Vergleich der kommunalen Wasserbewirtschaftung in drei benachbarten Gemeinden. Erkenntnisse, die sich aus dem übergreifenden regionalen Vergleich ergeben, werden gesondert analysiert (Bollig & Menestrey-Schwieger 2014; Schnegg 2016; Schnegg, Bollig & Linke 2016). Operationalisierung und methodisches Design Für die drei ethnographischen Feldforschungen erarbeiteten wir4 im Vorfeld ein vergleichendes methodisches Design, das über den Verlauf der Feldphase in gemeinsamen Projekttreffen angepasst und modifiziert wurde. Das methodische Vorgehen war dabei grundsätzlich durch eine Kombination qualitativer und quantitativer Methoden geprägt. Auf diese Weise können Situationen, Zusammenhänge oder Hypothesen mittels unterschiedlicher Daten beschrieben und überprüft werden (Munck & Sobo 1998: 32 f.; Bernard 2006: 24 f.). Axinn und Pearce sprechen von einer mixed-method strategy in dem Sinne, dass unterschiedliche Methoden wie teilnehmende Beobachtung, strukturierte Interviews oder die Recherche in Archiven den Prozess der Datenaufnahme bestimmen (Axinn & Pearce 2006: 10). Zwei strukturierte Erhebungen, der ethnographische Zensus und die Netzwerkanalyse stellten die zentralen Methoden dar, um die Rahmenbedingungen in den jeweiligen Forschungsgebieten vergleichend zu erheben. Beide Fragebögen wurden gemeinsam nach einer ersten explorativen Phase im Feld erarbeitet. Darüber hinaus einigten wir uns auf semi-strukturierte Leitfäden, um Informationen zur Wasserinfrastruktur (Pumpsystem, weitere natürliche Wasserquellen, Wasserqualität sowie Abgleich mit weiteren umliegenden Gemeinden) sowie Informationen zur politischen Einbindung des Wassermanagements zu erfassen. Die Datenerhebungsverfahren, um institutionelle Entwicklungen und deren Konsequenzen zu erfassen, konzipierten wir stärker induktiv, wobei wir uns an gemeinsam festgelegten Erhebungsbereichen und Konzepten 3

4

Im Rahmen dieser Erhebungen (Upscaling) besuchten die Feldforscher gemeinsam mit weiteren Mitarbeitern zwischen 16 und 20 Gemeinden in der Nähe ihrer ursprünglichen Forschungsorte und erhoben grundlegende Informationen zur Wasserversorgung und zum Management in den jeweiligen Siedlungen. Hier und auf den folgenden Seiten bezieht sich „wir“ auf das gesamte LINGS-Projekt (Schnegg & Bollig sowie Gradt, Kelbert, Linke und Menestrey).

E MPIRISCHE G RUNDLAGEN

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orientierten. Diese vergleichende Ausrichtung umfasste Fragen zu bestimmten Bereichen der Wassernutzung und Organisation, ein einheitliches historisches Raster zur Aufarbeitung von Veränderungen im Wassersektor sowie die qualitative Aufarbeitung bestimmter zentraler Konzepte wie Erfolg, Nachhaltigkeit und Gemeinde. Zu den zentralen Erhebungsverfahren zählten qualitative Methoden wie teilnehmende Beobachtung und deren Verschriftlichung in Form von Feldnotizen, systematische Beobachtungen und Protokollierung der Aktivitäten am kommunalen Brunnen, dichte Fallbeschreibungen von Gemeindeversammlungen und der damit zusammenhängenden Konflikte. Zudem wurden semi-strukturierte Befragungen mit unterschiedlichen Akteursgruppen geführt. Die Umsetzung von Regeln und damit einhergehende Konflikte dokumentierten wir in Form von Fallstudien. Dabei sollte in Anlehnung an die Extended-Case-Method sowohl die Entwicklung des Konfliktes – beispielsweise in aufeinanderfolgenden Situationen – verfolgt als auch die Perspektiven und Positionen der Beteiligten aufgenommen werden (vgl. Rössler 2008; Gluckman 1955). Ähnlich sollte, soweit möglich, mit Aushandlungsprozessen verfahren werden. Auch hier gestalteten sich die Fälle in den jeweiligen Forschungssettings sehr unterschiedlich, die grundlegende Herangehensweise und übergeordnete Zielsetzung gab jedoch einen vergleichenden Rahmen vor. Erst nach Abschluss der Feldforschungen wurde dieser Datenkorpus aus den unterschiedlichen Settings genutzt, um ein standardisiertes, regional vergleichendes Erhebungsinstrument, das Upscaling, zu erarbeiten. Die qualitativen Daten zur institutionellen Entwicklung und Veränderung bilden somit die spezifischen Grundlagen der einzelnen Dissertationen, die über die jeweiligen Untersuchungsorte verfasst werden.

L EBEN

UND INTERAGIEREN AUF DEN

F ARMEN

Bevor ich Ende Oktober mit meiner Forschung in der südlichen Kunene-Region begann, hatten wir bereits mehrere Wochen in Windhoek verbracht. Diese Zeit war vor allem durch logistische Aufgaben wie die Beschaffung von Equipment und Projektfahrzeugen sowie durch das Beantragen eines Forschungsvisums geprägt. Zudem belegten wir in Windhoek Sprachkurse. Da die Bewohner in Fransfontein überwiegend Khoekhoegowab sprechen, entschied ich mich, Grundzüge dieser Sprache zu erlernen. Dr. Levi Namaseb von der University of Namibia erklärte sich bereit, mir in etwa vier Wochen einen ersten Einblick in die Sprache zu geben, die durch vier unterschiedliche Klick-Laute sowie vier unterschiedliche Tonhöhen der Vokale bestimmt ist (Haacke & Eiseb 2002). Tatsächlich lebte und forschte ich später auf drei Farmen, die stärker multilingual geprägt sind und wo neben Khoekhoegowab vor allem Otjiherero und auch Afrikaans gesprochen wird. Da ich Afrikaans aufgrund meiner Feldforschungen in Südafrika schon in Grundzügen beherrschte, wurde dies die Sprache meiner Verständigung. Bis auf wenige Ausnahmen sprechen alle Bewohner der drei Gemeinden auch Afrikaans, sodass ich relativ schnell ohne Übersetzer arbeiten konnte. Der Sprachkurs in Khoekhoegowab hatte mir die Möglichkeit verschafft, um zumindest grob die Inhalte einer Kommunikation zuordnen zu können. Dies war gerade auf Versammlungen in den Gemeinden vom Vorteil, da hier meist eine Mischung aus den drei unterschiedlichen Sprachen gesprochen wird.

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Ende Oktober fuhr ich nach Fransfontein und besuchte von dort aus unterschiedliche kommunale Farmen, um eine erste Forschungsgemeinde auszuwählen. Drei Kriterien waren dabei von Bedeutung: Die Gemeinde sollte etwa zehn Haushalte umfassen (einige kommunale Farmen sind deutlich kleiner), mit einer Dieselmaschine Wasser pumpen, und es musste eine Unterbringungsmöglichkeit für mich geben. Diese Bedingungen erfüllten sich schließlich in Grootvlakte. Hier lebte Regina A., ein weiblicher Vorstand, gemeinsam mit ihrer Tochter und einigen Enkeln. Regina ist in der Gemeinde unter anderem durch ihren Besitz von etwa 20 Rindern eine anerkannte Person. Etwa 100 Meter entfernt von ihrem Haushalt stand ein weiteres Häuschen, das in „traditioneller“ Weise aus mopane-Stöcken gebaut war und in den folgenden Monaten den Ausgangspunkt meiner Forschung bilden sollte. Auch wenn mir das Haus während der unterschiedlichen Witterungsbedingungen (Hitze, Kälte, starker Regen) häufig nur unzureichend Schutz bot und ich meine Entscheidungen etwa in Momenten von „Überschwemmungen“ anzweifelte, gewährte mir diese Konstellation einen wertvollen Einstieg in das soziale Leben auf den Farmen. Regina begleitete mich auch über die Forschung hinaus mit ihren wertvollen Anmerkungen und Hinweisen, und ich bin nach wie vor fasziniert von ihrer standhaften Unerschütterlichkeit. Vieles, das mich während der Forschung in tiefe Besorgnis stürzte, konnte sie relativieren, und über die Monate hinweg baute ich eine enge Beziehung zu ihr auf. Auch Reginas Tochter, die ebenfalls auf den Farmen lebte, stand mir während der gesamten Forschung zur Seite. Die 22-jährige Maria spricht sowohl Otjiherero als auch Khoekhoegowab und Afrikaans fließend und konnte in unterschiedlichen Situationen für mich übersetzen. Sie kennt das Farmgebiet, verfügt in nahezu allen Gemeinden über Kontakte und war mir gerade bei der Vorbereitung und Durchführung der standardisierten Erhebungen eine große Hilfe. Die ersten Wochen auf den Farmen waren vor allem durch Kontaktaufnahme geprägt. Gemeinsam mit Maria besuchte ich die einzelnen Haushalte in Grootvlakte in regelmäßigen Abständen, stellte mein Anliegen vor und begann, auch Kontakt zu den Bewohnern in der zweiten Untersuchungsgemeinde Brakwater aufzunehmen. Brakwater ist der Nachbarort von Grootvlakte und mit dem Auto in etwa 15 Minuten zu erreichen. Die Siedlung ist mit 17 Haushalten vergleichsweise groß und verfügt ebenfalls über eine Dieselmaschine. Zudem ist Brakwater durch einen hohen Anteil abwesender Farmhaushalte gekennzeichnet und bildete so einen interessanten Kontrast zu Grootvlakte. „Weiß“ und „wohlhabend“, Reziprozität und Teilen Auch wenn mir die Anbindung an den Haushalt von Regina einen ersten sozialen Anknüpfungspunkt bot, waren die ersten Wochen im Feld durch Phasen körperlicher Erschöpfung und emotionalen Stress geprägt. Ich kämpfte mit den rudimentären Lebensbedingungen, den aus meiner Perspektive fehlenden sanitären Anlagen, dem Staub, der Notwendigkeit, Holz zu holen, Feuer zu machen und Wasser zu schleppen. Zudem fühlte ich mich zutiefst einsam, umgeben von Menschen, deren Leben nicht allein, sondern eingebunden in eine Familie und Gemeinschaft stattfindet. Meine europäische Herkunft und mein Status als alleinstehende junge und vergleichsweise wohlhabende Frau waren Merkmale, die mich von den Bewohnern der Farmen unterschieden. Die ersten Kontaktaufnahmen seitens der Bewohner aus Grootvlakte, die sich meist darum drehten, dass sie ein Werkzeug aus dem gut bestückten Werkzeugkasten

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des Projektfahrzeuges leihen, ihr Handy über das Solarpanel laden oder auch wissen wollten, wann ich das nächste Mal nach Fransfontein fahre, trugen zunächst nicht dazu bei, dass ich mich besser fühlte. Im Gegenteil, gerade in den ersten Monaten konnte ich mit dem Anspruch zu geben und zu teilen oft nicht umgehen: Ich fühlte mich eingeengt und beständig kontrolliert. Immer wieder musste ich die Farmen für ein paar Tage verlassen, um abseits des allgemeinen Blickfeldes ein bisschen Ruhe zu tanken und soziale Situationen zu vermeiden, die mich überforderten. Es brauchte etwas Zeit, bis ich erkannte, dass die Haushalte aus Grootvlakte auch untereinander fortwährend Ressourcen tauschen und teilen. Ich begann zu verstehen, dass wechselseitige Unterstützung ein Ausdruck sozialer Nähe und damit ein wichtiger Bestandteil einer sozialen Beziehung ist. Auch wurde zunehmend deutlich, dass ökonomische Stratifizierung ein grundlegendes Merkmal der sozialen Interaktionen auf den Farmen ist und keineswegs nur meine Rolle prägte. Viele der abwesenden Vorstände, die über einen Haushalt und Vieh auf den kommunalen Farmen verfügen, aber in den urbanen Zentren arbeiten und auch wohnen, gehören zu den wohlhabenden Akteuren und bringen dies auch deutlich zum Ausdruck. In diesem Kontext war meine Rolle durch typische Zuschreibungen (weiß und wohlhabend) aber auch durch untypische Brüche, wie etwa den Umstand, dass ich allein auf den Farmen in einem mis-huis lebte, gekennzeichnet. Es waren vor allem die Konsequenzen dieser Brüche, die mir eine schrittweise soziale Integration auf den Farmen ermöglichten. Da ich alleinstehend war und mich die alltäglichen Anforderungen des Farmlebens überforderten, war ich in vielen Lebenslagen auf die Unterstützung der Bewohner angewiesen. Zu Beginn meines Farmdaseins konnte ich weder allein Feuerholz sammeln, da ich die Holzarten nicht unterscheiden konnte, noch Wasser holen, da ich die Pumpe nicht anwerfen konnte und ich kam auch nicht allein zu anderen Gemeinden, da ich die Wege nicht kannte. Die erste intensive Unterstützungsbeziehung baute ich zum Haushalt von Regina auf. Wir begannen, Gegenstände des täglichen Bedarfs sowie Arbeitskraft zu tauschen. Ich schickte immer etwas von meinem gekochten Essen zu ihrem Haushalt und erhielt morgens etwas frische Milch. Sie und ihre Familie halfen mir beim Holen von Wasser und Holz und ich kaufte in der Stadt ein, was in ihrem Haushalt fehlte (Kerzen, Waschmittel, Zucker oder etwa Mehl). Regina wurde zu der Person, die ich im Hinblick auf sozial angemessenes Verhalten um Rat fragen konnte. Sie „gab“ mir auf diese Weise etwas, wofür ich ihr bis heute sehr dankbar bin: Anhand einfacher Beispiele vermittelte sie mir Einsichten über die soziale Beziehungswelt auf den Farmen. Über sie gewann ich Sicherheit in sozialen Interaktionen und begann auch, zu anderen Haushalten in Grootvlakte soziale Unterstützungsbeziehungen aufzubauen. Obwohl ich immer mehr in das Farmleben eintauchte, war meine Rolle als Forscherin und Beobachterin klar ersichtlich und schuf eine Grenze, die meine sozialen Interaktionen prägte.

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Umzug nach Kleinrivier Im August 2011 zog ich mit einem Teil meiner Ausrüstung nach Kleinrivier um und begann, zwischen den kommunalen Farmen zu pendeln. Ich hatte bereits einige Monate nach einer dritten Forschungsgemeinde gesucht. Die Farmen, wo es eine Unterkunft für mich gab, lagen jedoch vergleichsweise weit entfernt von Grootvlakte und Brakwater. In diesen Gemeinden wollte ich den Anschluss jedoch nicht verpassen, da mittlerweile die Trockenzeit eingesetzt hatte und das Wassermanagement verstärkt eine Rolle spielte. Die Möglichkeit, in Brakwater zu leben, konnte letztendlich aufgrund eines sozialen Konfliktes in der Gemeinde nicht realisiert werden. Die Bewohner in Grootvlakte dagegen waren durch meine Suche irritiert und legten mir wiederholt nahe, in der Gemeinde, zu der ich nun gehörte, auch wohnen zu bleiben. Kleinrivier bot sich dann als eine gute Zwischenlösung an: Der Ort lag nahe an Brakwater und Grootvlakte, und erfüllte auch alle anderen Bedingungen. So pumpte die Gemeinde mit einer Dieselmaschine Wasser und umfasste etwa zehn Haushalte. Zudem lebte in Kleinrivier die pensionierte Farmerin Liza I., die mir gegenüber aufgeschlossen war und über ein relativ großes Steinhaus verfügte. Sie willigte ein, mir ein Zimmer zur Verfügung zu stellen, und somit konnte ich einen Teil der Ausrüstung in meinem Haus in Grootvlakte lassen. Neben meiner Zeit in Kleinrivier verbachte ich meist ein bis zwei Tage in der Woche in Grootvlakte, um auch hier die Entwicklungen weiter zu verfolgen. Auf meinem Weg fuhr ich direkt an der Wasserstelle von Brakwater vorbei, sodass ich bei Ereignissen wie Reparaturen oder Versammlungen in der Regel teilnehmend beobachten konnte. Mittlerweile kannte ich die Farmgegend so gut, dass ich mich allein bewegen konnte. Liza I. verfügte über ein breites verwandtschaftliches Netzwerk in Kleinrivier. Sie hatte als Krankenschwester jahrelang in Windhoek gearbeitet und war als pensionierte Farmerin nun in die Gemeinde zurückgekehrt. Sie war nicht verheiratet und hatte sechs Kinder, von denen zwei studiert hatten. Durch sie, die selbst lange Zeit zu den „abwesenden Vorständen“ gehört hatte, bekam ich noch einmal eine andere Perspektive auf das Farmleben. Insgesamt lebte ich vier Monate, bis zu meiner Abreise Ende November, im Haushalt von Liza.

D ATENERHEBUNG

UND

S CHLÜSSELEREIGNISSE

Die folgenden Beschreibungen gliedern den Verlauf der Forschung in eine Annäherungs- sowie eine Vertiefungsphase, die sich von November bis Mai beziehungsweise von Juni bis Dezember erstreckte. Während der Annäherungsphase erhob ich qualitative und quantitative Daten, um mich mit unterschiedlichen Themen im Feld vertraut zu machen und um die standardisierten vergleichenden Erhebungen im Rahmen des LINGS-Projektes vorzubereiten. Ich begann meine Feldforschung, indem ich informelle Gespräche und unstrukturierte Interviews zur kommunalen Bewirtschaftung von Wasser mit unterschiedlichen Akteuren wie den Bewohnern der Farmen, den abwesenden Vorständen, traditionellen Autoritäten und Mitarbeitern der regionalen Wasserbehörde führte. Eine erste strukturierte Erhebung in 21 Gemeinden verschaffte mir einen Überblick über die Bedingungen der Wassernutzung in der Region und erleichterte die Auswahl weiterer Forschungsorte. Weiter erhoben wir systematisch Daten zur Nutzung von Wasser in 20 Haushalten in Grootvlakte und Brakwater, um Aussagen über die Verwaltung und den

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Verbrauch der Ressource treffen zu können. Einige der Daten wurden mit dem ethnographischen Zensus während der Trockenheit nochmals erfasst; dadurch wird ersichtlich, wie die Abhängigkeit der Bewohner von den Brunnen saisonal variiert. Als weiteren Schritt begann ich für die erste Untersuchungsgemeinde Grootvlakte einen Oral History-Leitfaden zu entwerfen. Eingebunden in Lebensgeschichten und angeregt durch die individuelle Teilhabe der Befragten an CBWM rekonstruierte ich die institutionelle Entwicklung der Wasserverwaltung. Von Juni bis November folgte eine qualitative und quantitative Vertiefungsphase. Hier setzte die Trockenzeit ein, und die Möglichkeiten, Daten der Wasserbewirtschaftung über teilnehmende Beobachtungen zu gewinnen, häuften sich. Ab Juli arbeitete ich zudem in insgesamt drei Untersuchungsgemeinden. In diesem Zeitraum setzte ich gemeinsam mit weiteren Interviewern die vergleichenden Erhebungen im Rahmen des LINGS-Projektes um. Zudem führte ich semistrukturierte Interviews zu zentralen kognitiven Konzepten wie Kooperation und Vertrauen sowie biographische Interviews mit einigen Personen, die ich im Rahmen der Wasserbewirtschaftung als zentral identifiziert hatte. Gemeinsam mit meiner Kollegin Thekla Kelbert befragte ich außerdem die Mitarbeiter der regionalen Wasser- und Naturschutzbehörde. In der folgenden Tabelle 1 sind die durchgeführten Erhebungen überblicksartig zusammengefasst. Tabelle 1: Empirische Grundlagen Qualitative Daten Insg. (n= 64) aufgezeichnete und transkribierte Interviews • • • •





Teilnehmende Beobachtung Informelle Gespräche Systematische Beobachtungen an kommunalen Brunnen Offene Interviews mit unterschiedlichen Akteuren zu Wassermanagement, Verwandtschaft und Haushalten n=12 Oral History, Leitfaden-Interviews zu Entstehung und Entwicklung von Institutionen n=22 Semistrukturierte, vertiefende Interviews (vgl. Tabelle 2) n=30

Quantitative Daten Insg. (n=100) Fragbögen •







Erste Fakten über kommunales Wassermanagement n=21 Gemeinden Wassernutzung und Konsummuster n=20 Haushalte in Grootvlakte und Brakwater Ethnographischer Zensus n=35 Haushalte in Grootvlakte, Brakwater und Kleinrivier Soziale Netzwerke n=24 Haushalte in Grootvlakte, Brakwater und Kleinrivier (ausgenommen abwesende Haushaltsvorstände)

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Thematische Annäherung: November 2010 bis Mai 2011 Die explorative Phase zeichnete sich durch eine erste intensive Auseinandersetzung mit der Rolle von Institutionen in der kommunalen Selbstverwaltung aus. Über meinen Untersuchungsort hinaus zeigte sich ein ähnliches Bild: Wenn Regeln benannt wurden, so handelte es sich eher um grobe Richtlinien als um eindeutige Vorgaben. Auf die Frage nach Beiträgen antworteten die Befragten beispielsweise „Wer Geld hat, der kann etwas geben“. „Fehlende“ organisatorische Strukturen wurden häufig mit dem Hinweis begründet, dass „das Komitee verstorben sei“. Institutionelle Unsicherheit ist der Überbegriff, der den Verlauf meiner Feldforschung prägte und zu einer Veränderung meines Blickwinkels auf das Thema Ressourcenmanagement führte. Im Folgenden gebe ich grundlegende Informationen zu den Erhebungen der qualitativen und quantitativen Daten. Ein Überblick über den chronologischen Verlauf der Forschung in Form einer Tabelle findet sich im Anhang. Schlüsselsituationen In den ersten Monaten des Jahres 2011 konnte ich, eher zufällig, an zwei zentralen sozialen Ereignissen teilnehmen. Im Januar wohnte ich einer Beerdigungszeremonie auf einer benachbarten kommunalen Farm bei. Die Familie des Verstorbenen gehörte zur regionalen politischen Elite, sodass sich zahlreiche glänzende bakkies5 ihren Weg über die staubigen Farmen bahnten. Der Verstorbene hatte zuletzt nicht mehr auf den Farmen gelebt, war jedoch dort geboren und aufgewachsen. Die Beerdigung fand im großen Haus6 seiner Familie statt. Grundlegende Konzepte, die ich im Rahmen der offiziellen Zeremonie kennenlernte, finden auch Eingang in dieses Buch. Während ich die kommunalen Farmen bis dahin vor allem als abgeschieden und karg erlebt hatte, erschloss sich mir hier ihr sozialer, ökonomischer und symbolischer Wert. Ich bekam einen Eindruck von der Dimension multilokaler Vernetzungen und der Bedeutung von samewerking (reziproke Unterstützung). Darüber hinaus begann ich mich verstärkt mit Themen wie Verwandtschaft und Zugehörigkeit, mit wirtschaftlicher Ungleichheit und der Rolle der abwesenden Farmer zu befassen (vgl. Kapitel 4). Ein weiteres Ereignis fand im Februar statt, als ich eines Morgens die Geländewagen der regionalen Wasserbehörde in der Nähe der Wasserstelle in Grootvlakte erblickte. Zwei Mitarbeiter des DWSSC kündigten eine Versammlung an, um die Wasserinfrastruktur offiziell in das zweite Stadium der Übergabe (operation and maintainance) zu überführen. Da auf diesem Treffen Afrikaans gesprochen wurde, konnte ich der Diskussion in allen Einzelheiten folgen (vgl. Kapitel 6). Die Auseinandersetzung war geprägt durch den Widerstand der Bewohner, die ihre Zustimmung zur Übergabe in Form einer Unterschrift verweigerten und die Wasserstelle so nicht „haben wollten“. Ich war erstaunt über diesen Protest, da sich praktisch nicht viel für die Bewohner aus Grootvlakte geändert hätte: Die Gemeinde trug, was Reparaturen und Dieselkäufe anging, ohnehin schon weit mehr Verantwortung, als ihr offiziell in der ersten Phase obliegen sollte. Dennoch nutzten die Bewohner die Situation, um ihren Unmut 5 6

Afrikaans für Geländewagen, Pick-up. Der Begriff ist aus dem Afrikaans übersetzt und bezieht sich auf einen Farmhaushalt im Sinne einer sozial vernetzten Einheit. Der Ort auf den Farmen geht mit Vorstellungen von Sicherheit einher und ermöglicht den Zugang zu den grundlegenden Ressourcen Land und Vieh (vgl. Kapitel 4).

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über die von Elefantenherden zerstörten Wasserinfrastruktur und die unklaren Vorgaben der regionalen Wasser- und Naturschutzbehörden zu äußern. Ausgehend von diesem Treffen befasse ich mich in Kapitel 6 auch mit externen Einflüssen und Entwicklungen, die den Übergabeprozess in den Gemeinden prägen. Pumpprotokoll und Erhebung zu Wassernutzung Ein weiterer prägender Faktor in dieser Zeit waren die klimatischen Bedingungen. Das Jahr meiner Feldforschung war durch eine außergewöhnlich gute Regenzeit gekennzeichnet, und obwohl ich nur die letzten Wochen der Trockenzeit erlebt hatte, nahm ich mit dem einsetzenden Regen die Erleichterung der Farmbewohner wahr. Es liegt auf der Hand, dass Trocken- und Regenzeit einen grundlegenden Einfluss auf die Praktiken des Wassermanagements haben. Je trockener es ist, umso mehr Wasser müssen die Bewohner pumpen, und umso knapper wird die Weide. Die finanzielle Belastung der Haushalte steigt zunehmend. Die Regenzeit ist in dieser Hinsicht eine Periode der Entspannung, und Konflikte im Wassermanagement sind so gut wie nicht vorhanden. Um zu dokumentieren, wie sehr die Abhängigkeit der Bewohner von den Brunnen schwankt, führten wir7 ein Pumpprotokoll sowie eine standardisierte Erhebung durch. Die Pumpprotokolle überreichten wir jeweils zwei Haushalten in den Gemeinden, wobei in einem der Haushalte der Wasserwart lebte. Die Bewohner sollten festhalten, wann und wie lange gepumpt wurde. Zudem führten wir eine erste Haushaltserhebung durch, um den Wasserkonsum von 20 Haushalten retrospektiv zu erfassen. Im Zuge dieser Aufnahme erhoben wir erste Informationen zur Anzahl der Mitglieder in den jeweiligen Haushalten. Wir fragten nach den Speicherkapazitäten für Wasser an den Häusern und hielten sowohl die Menge als auch die Art des vorhandenen Wassers fest (Regen-, Brunnen- oder Quellwasser). Zudem befragten wir die Bewohner retrospektiv zu Konsumpraktiken am vorangegangenen Tag. Da die Bewohner alle Wasser schöpfen und bis auf eine Ausnahme über keine Leitungen verfügen, entnehmen sie Wasser aus Speicherbehältern mit bestimmten Gefäßen (meist gibt es pro Haushalt nur ein bis zwei dieser Schöpfgefäße). Wir nahmen die Größe dieser Gefäße auf und fragten, wie oft sie am Tag zuvor für bestimmte Aktivitäten Wasser geschöpft hatten (Waschen, Kochen etc.), und ob sich diese Menge von der, die sie üblicherweise nutzten, unterscheide. Auf diese Weise konnten Konsummuster in groben Zügen erfasst werden und wir konnten überprüfen, ob sich die Nutzung von Wasser hinsichtlich der Art (Regen, Brunnen- oder Quellwasser) unterscheidet (vgl. Kapitel 4). In der Trockenzeit baten wir die Haushalte erneut, die Pumpvorgänge zu protokollieren. Zu diesem Zeitpunkt stand auch schon die dritte Untersuchungsgemeinde Kleinrivier fest und die Protokolle konnten auch hier durchgeführt werden. Zudem erhoben wir im Zensusfragebogen, der während der Trockenzeit durchgeführt wurde, bestimmte Informationen erneut, wie die Menge und Quelle des am Haus vorhandenen Wassers. Zwar konnten wir aus Zeitgründen keine Konsummuster mehr erfassen, befragten die Bewohner jedoch retrospektiv darüber, wie oft und wie viel Wasser sie in 7

Die Pumpprotokolle sowie die standardisierten Erhebungen führte ich mithilfe weiterer Personen durch und spreche daher in diesem Kontext von „wir“. Maria unterstützte mich bei allen Erhebungen und für den Zensus und die Netzwerkanalyse erhielten wir zusätzlich Hilfe von zwei weiteren Interviewern aus Grootvlakte und Kleinrivier (vgl. Durchführung des Zensus und der Netzwerkanalyse).

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den letzten zwei Wochen geholt hatten, und konnten so einen Schätzwert des Wasserverbrauchs von Haushalten errechnen. Konzeption und Durchführung der Oral History-Interviews Die Veränderungen, die mit dem Beginn der CBWM-Implementierung Anfang beziehungsweise Mitte der 1990er Jahre einsetzten, wurden gemeinsam mit den Bewohnern der kommunalen Farmen in Form von Oral History-Interviews beschrieben und analysiert. Insgesamt wurden 22 Tiefeninterviews in den drei Untersuchungsgemeinden aufgezeichnet und transkribiert. Der Begriff Oral History ist nicht eindeutig definiert und bezieht sich sowohl auf die Methode als auch auf das Interview-Transkript als eine historische Quelle (Yow 1994: 3 f.). Der Fokus auf historische Prozesse und deren Einbettung in Lebensgeschichten ist das charakteristische dieser Interviewtechnik (Yow 1994: 37). Darüber hinaus ist das Vorgehen vergleichbar mit anderen Formen qualitativer ethnographischer Interviews, wie sie etwa unter den Stichworten themenzentriert oder halbstrukturiert (Schlehe 2008: 126 f.) beziehungsweise unstructured oder semistructured (Bernard 2006: 211 f.) beschrieben werden. Alle Interviews wurden so konzipiert, dass sie die Entwicklung der Wasserverwaltung von dem Zeitpunkt an verfolgten, an dem der Zeitzeuge in die Gemeinde immigriert war. Zudem wurden grundlegende biographische Informationen zu den Interviewten aufgenommen. Teilweise werden mit der Befragung Prozesse nach der Unabhängigkeit beleuchtet, der größere Teil der Befragten lebte aber schon vor der Unabhängigkeit Namibias auf den Farmen. Während sich die Interviewten ausgiebig zu Ereignissen im Rahmen der CBWMImplementierung, aber auch zu Veränderungen oder Schäden an der Wasserinfrastruktur äußerten und diese auch diskutierten, waren die Informationen zur Wasserbewirtschaftung während der südafrikanischen Besatzung vergleichsweise wenig kontrovers; es scheint, als ob Wasser zu dieser Zeit eine deutlich geringere Rolle im Leben der Bewohner gespielt hatte und die meisten verwiesen auf die Verantwortung des Staates. Eine mögliche Erklärung ist, dass die rezenten und tiefgreifenden institutionellen Umbrüche, die durch CBWM auf den Farmen ausgelöst wurden, die Herausforderungen zu Zeiten der südafrikanischen Kolonialverwaltung in den Hintergrund drängten. Hinzu kam, dass mir für diesen Zeitraum keine schriftlichen Quellen mit Hinweisen zu Ereignissen in den Untersuchungsgemeinden vorlagen. Mit der CBWMImplementierung wurde vom Directorate of Rural Water Supply (DRWS) eine Datenbank angelegt, die Informationen zur Installation von Pumpsystemen, zu ManagementPlänen sowie zur Einführung von Komitees aber zu Problemen wie Wasserknappheit enthielt. Diese Informationen dienten während der Befragung als Impulse und ermöglichten ein deutlich gezielteres Nachfragen. Das wohl größte Problem bei dieser Form der historischen Rekonstruktion stellt die Fragilität der menschlichen Erinnerung und die je nach persönlicher Erfahrung unterschiedliche Gewichtung und Einschätzung von Ereignissen dar. Auf Basis der vorliegenden Daten können bestimmte Fakten wie etwa genaue Zeitpunkte (erste Gründung eines Komitees) oder die genaue Zusammensetzung der verwaltenden Einheit nur partiell rekonstruiert werden. Dafür geben die Daten einen Einblick in die Wahrnehmung von CBWM durch die Bewohner der kommunalen Farmen und in ihre Schwerpunktsetzungen bei der Einschätzung dieses Prozesses. Wie Yow anmerkt, ist auch jede andere historische Quelle durch den jeweiligen Verfasser, seine Position und

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sein Ziel geprägt (Yow 1994: 18). Des Weiteren können persönliche Erinnerungen auch wichtige Lücken in anderen Quellen schließen: So ging beispielsweise aus den Angaben der DRWS-Datenbank nicht hervor, dass in zwei der drei Untersuchungsgemeinden die Bewohner selbst einen Antrag für eine Dieselmaschine eingereicht hatten, sondern es wurde lediglich das Datum angegeben, an dem DRWS-Mitarbeiter die Maschine im Rahmen der allgemeinen Modernisierung der Wasserstellen installierten. Thematische Vertiefung: Juni bis November 2011 In diesen Monaten begann eine arbeitsintensive Zeit im Feld. Ich verfolgte nun die Entwicklungen in drei Gemeinden und pendelte über Brakwater zwischen Kleinrivier und Grootvlakte hin und her. Gemeinsam mit einem Interviewer-Team führten wir den ethnographischen Zensus und die Netzwerkanalyse durch. Im Zuge der zunehmenden Trockenheit intensivierte sich die Nutzung der Brunnen. Die Bewohner begannen, ihre Tiere regelmäßig an der Wasserstelle zu tränken, über Dieselbeiträge zu verhandeln und Reparaturen durchzuführen. Verstärkt boten sich Möglichkeiten, lokale Kooperationsstrategien zu verfolgen, die sich nicht nur auf Interaktionen innerhalb, sondern auch zwischen den Gemeinden bezogen. Darüber hinaus nutze ich die letzten Monate meiner Forschung, um semi-strukturierte Leitfadeninterviews zu unterschiedlichen Themen und Konzepte mit zentralen Akteuren der drei Untersuchungsgemeinden zu führen. Schlüsselsituationen In diesem Zeitraum ergaben sich eine Reihe konkreter Situationen, die meine Auseinandersetzung mit dem Thema „Kooperation“ und „Konflikt“ im Wassermanagement vertieften (vgl. Kapitel 7). So hatte ich die Möglichkeit, an mehreren Gemeindeversammlungen teilzunehmen, die sich vorrangig mit den Beitragszahlungen befassten. Auf diesen Versammlungen wurde deutlich, wie im Zuge der Implementierung von CBWM ein Spannungsfeld zwischen Regeln, sozialen Normen und sozialen Beziehungen entsteht, und wie einzelne Akteure staatliche Vorschriften als Vorlage nutzen, um bestimmte Ziele durchzusetzen. Zudem ergibt sich ein zentraler Konflikt daraus, dass sich die Beitragsformen in CBWM auf zwei zentrale Ressourcen beschränken (Geld für Wasser), während in den meisten sozialen Beziehungen der Austausch über multiple Ressourcen stattfindet (vgl. Kapitel 7). Ein weiterer Fall, der zu einer massiven Belastung von Farmhaushalten führte, war ein Wasserausfall in Brakwater, der sich über mehrere Wochen hinzog (vgl. Kapitel 7). Gerade die Bewohner aus Grootvlakte mussten durch den Notstand ihrer Nachbarn nicht nur deutlich mehr Wasser pumpen, sondern hatten auch viel mehr Arbeit mit dem Tränken der Tiere, da unzählige Rinder aus Brakwater ebenfalls am Bohrloch warteten. Auch hier wurden Beiträge der Viehbesitzer aus Brakwater nicht durch fixe Regeln erwirkt, sondern waren in einen flexiblen, kooperativen Rahmen eingebettet. Darüber hinaus konnte ich beobachten, wie in allen drei Gemeinden Reparaturen und Erneuerungen an der Wasserinfrastruktur durchgeführt wurden, wobei einige Akteure überdurchschnittlich viel in den Erhalt der kommunalen Ressource investierten. Neben diesen sozialen Dynamiken innerhalb der und zwischen den Untersuchungsgemeinden waren meine letzten Monate im Feld vor allem durch Eindrücke von der namibischen Tierwelt geprägt. Während ich darüber nachdachte, wie die Wasserbewirtschaftung in lokalen Strukturen eingebettet ist, begannen Elefantenherden durch

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die Region zu ziehen. In wenigen Stunden zerstörten sie große Teile der Wasserinfrastruktur in Grootvlakte und Brakwater und ließen die Gemeinden mit kaputten Leitungen, zerstochenen Tanks und verbogenen Pumpen zurück. Die Tiere einmal in unmittelbarer Nähe und außerhalb eines Nationalparks zu erleben, weckt Verständnis für die Überzeugung, dass man „einem Elefanten nichts entgegenstellt“. Ich werde diese Problematik und ihren Einfluss auf den Übergabeprozess in Kapitel 6 aufgreifen. Ausarbeitung und Durchführung des ethnographischen Zensus Die Durchführung des ethnographischen Zensus bedeutete einen zentralen Meilenstein für das LINGS-Projekt, und entsprechend grundlegend war es hier, einen für alle Forschungssettings passenden Fragenkatalog zu entwickeln. Dabei wussten wir zwar, welche Kategorien Bestandteil des ethnographischen Zensus sein sollten, die Formulierung und Ausrichtung der Fragen fiel jedoch je nach Forschungsgebiet unterschiedlich aus. Beispielsweise trägt in der nördlichen Kunene-Region die pastorale Produktion deutlich mehr zur Subsistenz der Haushalte bei als im Süden; hier besitzen die meisten Haushalte nur wenig Vieh und sind deutlich stärker von Remittances, Lohnarbeit und staatlichen Pensionen abhängig. Während im Nord-Kunene Gehöfte (onganda, Otjiherero) aus mehreren Häusern bestehen und damit über soziale und wirtschaftliche Subeinheiten verfügen, sind Haushalte im Süden kleiner und bilden eine wirtschaftliche Einheit. Haushaltszugehörigkeit ist in allen drei Settings ein komplexes Thema und umfasst aus emischer Perspektive einen deutlich größeren Personenkreis als diejenigen, die mehr oder weniger dauerhaft in den Häusern leben. Der Zensusfragebogen gliederte sich in drei Abschnitte: Im ersten Teil erfassten wir die Merkmale der einzelnen Mitglieder wie Alter, Geschlecht oder auch ethnische und religiöse Zugehörigkeit sowie ihre soziale Beziehung zum Vorstand. Im zweiten Abschnitt standen die ökonomischen Strategien und die Größe der Viehherden im Mittelpunkt, während es im letzten Teil um den Konsum von Wasser ging. Hier erfassten wir, ob und welche Speichermöglichkeiten die Haushalte für Wasser besitzen, wie häufig und auf welche Weise ihre Mitglieder Wasser holen, welche Quellen sie nutzen und wie viel Wasser sie im Durchschnitt entnehmen. In der vorliegenden Studie nutze ich diese umfassenden Daten, um demographische Merkmale der Siedlungen, die Zusammensetzung der Haushalte und die ökonomischen Unterschiede in und zwischen den Gemeinden herauszuarbeiten. Wir führten den relativ umfangreichen ethnographischen Zensus in einem Team durch, das aus vier Interviewern bestand. In einem gemeinsamen mehrtägigen Workshop bereiteten wir uns auf die Interviews vor und übersetzten den Zensus in die jeweiligen lokalen Sprachen. Bis auf einen abwesenden und schwerkranken weiblichen Vorstand aus Kleinrivier konnten wir alle Haushalte in den drei Untersuchungsorten befragen. Die Befragungen dauerten etwa ein bis zwei Stunden, wurden mit dem Vorstand oder dessen Partner durchgeführt, und bei etwa der Hälfte der Interviews mussten aufgrund fehlender Informationen Fragen nacherhoben werden. Das Gros der Interviews fand in den Haushalten auf den kommunalen Farmen statt; zwei Interviews führte ich mit abwesenden Farmern in Windhoek.

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Netzwerkanalyse Die Durchführung der Netzwerkanalyse gestaltet sich wesentlich schneller als die des ethnographischen Zensus. Das Interviewer-Team war bereits eingespielt, der Fragebogen war erheblich kürzer und die Fragen leichter zu beantworten; im Gegensatz zum Zensus ermittelten wir nicht Geburtsdaten, genaue Herdengröße oder schätzten monatliche Einnahmen, sondern erkundigten uns nach sozialen Unterstützungsbeziehungen und den damit verbundenen Personen (Alteri). Wir hatten uns im LINGS-Projekt darauf geeinigt, persönliche Netzwerke zu erheben. Aufgrund der zusätzlichen Angaben, die zu den Alteri erhoben werden müssen, können solche Erhebungen zeitaufwendig sein. Da wir jedoch mit unseren Fragen hauptsächlich auf Beziehungen zwischen Mitgliedern von Haushalten innerhalb der Gemeinden abzielten, konnten wir die nötigen Informationen zu den Alteris meist aus dem Zensus ergänzen. In der Regel dauerte die Befragung etwa 30 Minuten, und alle von uns kontaktierten Vorstände willigten ein, am Interview teilzunehmen. In Kleinrivier und Grootvlakte interviewten wir alle Haushalte, zu denen wir auch Zensusdaten erhoben hatten. In Brakwater hingegen befragten wir nur die anwesenden Vorstände; da wir alltägliche Unterstützungsbeziehungen erfassten, hätten die „fehlenden“ Beziehungen der abwesenden Vorstände zu einer Verzerrung der Daten geführt. Der Fragebogen erhielt einen Fragenkorpus von insgesamt sieben Namensgeneratoren, die im Rahmen des LINGS-Projektes standardisiert sind. Die Daten sind jedoch auch für dieses Buch von grundlegender Bedeutung, da sie elementare Formen sozialer Unterstützung erfassen. So erkundigten wir uns, bei wem sich die befragte Person im Haushalt fehlende Güter leihe, wen sie üblicherweise besuche und wem sie Geld anvertrauen würde. Gleichzeitig versuchten wir auch herauszufiltern, welche Beziehungen der Interviewte aktiv pflegt, indem wir beispielsweise fragten, mit welchem Haushalt die Person gezielt Fleisch teilen würde. Zusätzlich zum Themenbereich der sozialen Unterstützung ergänzte ich vier Namensgeneratoren, die sich mit Informationsnetzwerken in Bezug auf das Wassermanagement befassten. Wir fragten, wen die Bewohner in ihrer Gemeinde ansprechen würden, wenn es ein Problem mit der Wasserversorgung gebe, und wen sie in den anderen beiden Untersuchungsgemeinden kontaktieren würden. Darüber hinaus erkundigten wir uns nach der Person, die im Falle eines Problems mit den staatlichen Behörden interagieren würde. Da das Gros der Beziehungen, die über die Netzwerkerhebung erfasst wurden, zwischen Mitgliedern von unterschiedlichen Haushalten innerhalb der Untersuchungsgemeinden besteht, kann ein Teil der Daten in Form von Gesamtnetzwerken analysiert werden. Hierzu wurden die Daten auf Haushaltsebene zusammengefasst und nur soziale Beziehungen zwischen befragten Akteuren berücksichtigt. Die Auswertung von Gesamtnetzwerken bietet die Möglichkeit, über Zentralitätsmaße die Positionen wichtiger Akteure im Netzwerk zu bestimmen. So können zentrale Akteure sowohl im sozialen Unterstützungsnetzwerk als auch im Informationsnetzwerk der Ressourcenbewirtschaftung identifiziert und ihre Positionen miteinander verglichen werden. Die sozialen Muster, die ich in den Kapiteln 4 und 8 darlege, beziehen sich auf die sozialen Konstellationen zum Zeitpunkt der Forschung und sollten als grundlegend wandelbar begriffen werden. Um einen Eindruck von der Dynamik sozialer Beziehungen zu erhalten, beschreibe ich anhand qualitativer Daten den Verlauf einzelner Konflikte und gehe auf die Frage ein, wie Vertrauen in Beziehungen entsteht beziehungsweise in Frage gestellt wird.

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Qualitative Vertiefungsphase In den letzten Wochen der Feldforschung führte ich eine Reihe semi-strukturierter Leitfaden-Interviews durch, die auf unterschiedliche Personengruppen und thematische Schwerpunkte abzielten. Zum einen ging es mir darum, diejenigen, die ich als zentrale Akteure im Wassermanagement bezeichne, zu ihrem Handeln zu befragen und mit ihnen gemeinsam die Hintergründe dieser Rolle zu reflektieren. Ich bettete diese Interviews in einen biographischen Rahmen ein, der sich mit familiären Ausgangsbedingungen, grundlegenden Lebensstationen und der Rolle der Viehwirtschaft im Leben der Befragten befasste. Zudem befragte ich auch alle drei Wasserwarte zu ihrer Rolle und Position in den Gemeinden. In diesen Interviews erhob ich nur grundlegende biographische Daten und fokussierte mehr auf Fragen, die das technische Wissen und die Handfertigkeit der Personen ergründeten und diese in ihrem Lebenslauf verankerten. Tabelle 2: Leitfadeninterviews in der qualitativen Vertiefungsphase (n=30) Semi-strukturierte Leitfadeninterviews

Anzahl

m

w

Mitarbeiter staatlicher Behörden (DWSSC und MET) sowie traditionelle Autoritäten

9

7

2

Zentrale Akteure, anwesend

3

-

3

Wasserwart, anwesend

3

3

-

Haushaltsvorstände, anwesend

5

2

3

Haushaltsvorstände, abwesend

10

7

3

Neben diesen akteurzentrierten Interviews verfolgte ich zwei thematische Schwerpunkte: Diese befassten sich zum einen mit grundlegenden Konzepten wie samewerking, Vertrauen, Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit sowie in Anlehnung an das LINGS-Projekt mit emischen Erklärungen für Erfolg und Nachhaltigkeit. Ich befragte hier sowohl die eben erwähnten zentralen Akteure als auch eine Reihe an- und abwesender Vorstände. Zum anderen ging es um den Einfluss staatlicher Akteure und die Implementierung von CBWM in den Gemeinden. In den regionalen Wasser- und Naturschutzbehörden in Khorixas und Outjo konnten Thekla Kelbert und ich mit den Personen sprechen, die diese Prozesse unter anderem in den drei Untersuchungsgemeinden angestoßen und zum Teil auch über einen längeren Zeitraum verfolgt hatten.

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Datenaufbereitung „As I see it, among other things, ethnography aims to reduce puzzlement – of the ethnographer as well as the reader.“ (van Maanen 2011: 172)

Anschaulich beschreibt van Maanen in seinem Buch, welche unterschiedlichen Narrative den ethnographischen Schreibprozess strukturieren und welche kulturellen Perspektiven dadurch vermittelt werden. Abseits der Frage, ob ethnographische Texte sich kulturellen Realitäten annähern können oder diese ausschließlich konstruieren, bleibt das Ziel bestehen, eine möglichst schlüssige Abhandlung zu verfassen; so jedenfalls verstehe ich das oben angeführte Zitat. Hartmut Lang fasst dies in knappe Worte, wenn er schreibt: „Wissenschaft ist dazu da, Erkenntnisse zu produzieren“ (Lang 1994: 1). Da ein wichtiges Ziel dieses Buches ist, Erklärungen und Zusammenhänge aufzuzeigen und diese anhand von empirischen Daten zu belegen sowie eine Grundlage für den regionalen Vergleich zu schaffen, ist es im Bereich der analytischen Ethnologie zu verorten (Lang 1994; Schweizer 1993). Gleichzeitig „lebt“ diese Monographie davon, dass sie auf persönlichen Erfahrungen und Interaktionen sowie deren Interpretationen aufbaut. „Mein“ Blick auf das Feld sowie das, was ich von den Bewohnern der kommunalen Farmen gehört habe und glaube, verstanden zu haben, und nicht zuletzt die wertvollen Hinweise meiner Betreuer und Kollegen legten einen Grundstein für den Prozess des Schreibens. Die vorliegende Studie versucht, diese Perspektiven aufzugreifen, sie explizit zu machen und, soweit möglich, anhand unterschiedlicher Daten zu überprüfen. Durch die Zeit im Feld, durch Schlüsselereignisse und den fortlaufenden Analyseprozess hat sich mein Fokus zunehmend weg von Institutionen hin zu sozialen Situationen des Ressourcenmanagements verschoben, die sowohl durch Kooperation als auch durch Konflikte geprägt sind. Diese zu erklären und einzubetten ist das puzzlement oder der Ausgangspunkt, der mein Schreiben prägt. Aus diesem Kontext ist ein Buch entstanden, das fragt, welche Rolle soziale Beziehungen und Verflechtungen in der kommunalen Selbstverwaltung der natürlichen Ressource Wasser spielen. Qualitative Daten in Form von Feldnotizen sowie Audioaufnahmen von Gemeindeversammlungen und deren Transkripte bilden einen wichtigen empirischen Grundstock dieser Studie. In Kapitel 7 setze ich mich ausführlich mit unterschiedlichen Formen von Kooperation und Konflikt auseinander, indem ich eine Reihe von Beobachtungen und Schlüsselsituationen analysiere. Die Auswertung der Zensusdaten nutze ich, um die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf den Farmen zu beschreiben und darüber auch die Bedeutung sozialer Beziehungen zu veranschaulichen. Wirtschaftliche Knappheit und Ungleichheit sind zentrale Kategorien, die sich aus diesen Daten ableiten lassen. Mithilfe der Netzwerkdaten ist es mir möglich, die Akteure, die ich aus teilnehmender Beobachtung heraus als zentrale Personen in den Gemeinden erkannt habe, auch in den sozialen Interaktionsmustern zu identifizieren und deren Rolle zu verstehen. Die Interviewtranskripte zur institutionellen Entwicklung dienen als Grundlage, um zu zeigen, mit welchen Unsicherheiten die Bewohner durch die Implementierung von CBWM konfrontiert sind. Zudem helfen mir gerade die Verschriftlichungen der vertiefenden Interviews in Kombination mit den Daten aus teilnehmender Beobachtung, Unterschiede zwischen dem normativen Rahmen sozialer Unterstützung und den tatsächlichen Handlungsmustern zu identifizieren.

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Auswertungsschritte Das erste halbe Jahr nach der Rückkehr aus dem Feld im Dezember 2011 war durch die Aufbereitung und Eingabe der erhobenen Daten geprägt, wobei hier ein Fokus auf die institutionellen Bedingungen des Ressourcenmanagements gelegt wurde. Die vorläufigen Ergebnisse nutzten wir für die Vorbereitung der letzten standardisierten Erhebung im Rahmen des LINGS-Projektes, den regionalen Vergleich, den ich gemeinsam mit Lalima Grote im Juli und August 2012 durchführte. Die zweite Jahreshälfte war durch die Analyse der Feldnotizen sowie der Zensusdaten, eine erste inhaltliche Konzeption des vorliegenden Buches und das Verfassen erster Kapitel geprägt. Bei der Transkription der qualitativen Interviews sowie bei der Eingabe der strukturierten Fragebögen wurde ich durch Frances Matros und Fanny Weidehaas unterstützt, die mir beide eine außerordentlich große Hilfe waren. Die Informationen der vergleichenden standardisierten Erhebungen wurden in eine eigens für das LINGS-Projekt entwickelte Datenbank eingepflegt. Ich hatte bereits im Feld begonnen, die Transkripte der Oral History-Interviews zu analysieren. Dafür kodierte ich die jeweiligen Interviews in einem ersten Schritt sowohl im Hinblick auf ein zeitliches als auch auf ein thematisches Raster. Der zeitliche Rahmen bezog sich zunächst grob auf die Periode vor und nach der Unabhängigkeit und wurde dann im Hinblick auf weitere zeitliche Marker wie etwa Dürreperioden oder Ausfälle der Wasserinfrastruktur präzisiert. Des Weiteren vergab ich thematische Codes, die sich auf die Beschaffenheit und Veränderung der Infrastruktur und auf die Bewirtschaftung von Wasser bezogen. In einem zweiten Schritt ging ich die codierten Informationen im Hinblick auf Übereinstimmungen und Unterschiede durch, um dann in darauffolgenden Interviews gezielter nachzufragen. Nach zehn Interviews in Grootvlakte wiederholten sich die Erzählungen und Informationen so weit, dass die orale Rekonstruktion der institutionellen Entwicklung erfolgreich abgeschlossen werden konnte. In den anderen beiden Gemeinden ging ich in den folgenden Monaten auf die gleiche Weise vor. Einen weiteren wichtigen Schritt im Prozess der Datenauswertung stellte die Codierung meiner etwa 230 Seiten umfassenden Feldnotizen mithilfe des qualitativen Analyseprogramms atlas.ti dar. Das Lehrbuch von Susanne Friese, das sowohl technische als auch inhaltliche Aspekte des Codierens anschaulich beschreibt, bildete die Basis meines Vorgehens (Friese 2012). Ich vergab die meisten Codes deduktiv im Hinblick auf die Fragestellung oder auf zentrale analytische Kategorien. Ein Teil der Codes, besonders die, die sich auf Erklärungen über und Hinweise auf soziale Unterstützungsbeziehungen bezogen, vergab ich induktiv beziehungsweise zunächst durch sogenannte In-vivo-Codes, wobei das Textsegment selbst als Code-Bezeichnung dient (Friese 2012: 73; Anslem & Corbin 1998: 105). Diese qualitative Analyse bildete den Grundstein für ein erstes schriftliches Abstract und eine inhaltliche Gliederung des Buches. Darauf aufbauend begann ich mit der Analyse der Zensusdaten, die ich in SPSS vornahm; im Anschluss verschriftlichte ich die Ergebnisse. Einen letzten Meilenstein bildete die Analyse der Netzwerkdaten mithilfe des Analyseprogramms UCINET (Borgatti, Everett & Freeman 2002). Die Arbeit mit UNCINET erfordert eine präzise Aufbereitung der Daten und produziert relativ schnell eine Reihe von unterschiedlichen Output-Dateien (vgl. Steinbrink, Schmidt & Aufenvenne 2013). Mein Doktorvater Michael Schnegg war mir bei der Aufbereitung, Eingabe und Analyse der Daten eine große Hilfe und vermittelte mir

E MPIRISCHE G RUNDLAGEN

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grundlegende Kenntnisse über den Umgang mit UCINET. Die Gesamtnetzwerke der drei Gemeinden analysierte ich im Hinblick auf zentrale Größen wie Dichte und Verbundenheit sowie im Hinblick auf Reziprozität und Zentralitätsmaße (vgl. Wasserman & Faust 1994; Schweizer 1996; Jansen 2006).

4. Kraale, Feuer- und Wasserstellen: die kommunalen Farmen T. 31 Jahre, w.: „Wie ist das Leben auf der Farm?“ M. 23 Jahre, w: „Still. Einfach still.“ W. 71 Jahre, m: „(Lacht) Das Leben hier ist Arbeit, jeden Tag Arbeit!“ R. 48 Jahre, w: „Es ist ein gutes Leben. Du musst nicht für alles bezahlen. Holz kaufe ich nicht. Milch kaufe ich nicht. Fleisch kaufe ich nicht.“ J. 59 Jahre, w: „Wir schlagen uns durch. Schwer wird es, wenn du keinen Zucker oder kein Maismehl mehr hast.“ Feldnotizen November 2010, übersetzt aus dem Afrikaans

Die obigen Zitate vermitteln einen ersten Eindruck von den unterschiedlichen Aspekten des Farmlebens, die dieses Kapitel ausführlicher beleuchtet. Das Leben auf der Farm ist abgeschieden und gleichzeitig zeichnen sich die Haushalte durch eine weiträumige soziale Vernetzung aus. Ein Großteil der Viehherden gehört nicht den auf den Farmen lebenden Bewohnern, sondern aufgrund von rural-urbanen Migrationsbewegungen physisch abwesenden, aber sozial zugehörigen Personen. Das Leben auf der Farm ist mühsam, mit Anstrengung verbunden und in vielen Haushalten durch wirtschaftliche Knappheit gekennzeichnet. Auf der anderen Seite ist die kommunale Farm ein Ort, der vor allem durch den Zugang zu Land und den Besitz von Vieh mit Sicherheit und der Möglichkeit zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit verbunden wird. Dieses Kapitel untersucht die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen auf den Farmen. Dabei bestimmen die Begriffe soziale Vernetzung, Knappheit und Ungleichheit den analytischen Blickwinkel. Eine kurze Einleitung skizziert die Bedeutung dieser Begriffe näher und legt anhand der obigen Zitate zentrale Charakteristika des Farmlebens dar. Darauf aufbauend ist dieses Kapitel in drei Teile gegliedert: Das erste Teilkapitel befasst sich mit demographischen Merkmalen und mit Themen wie Ethnizität und Bildung. Daran anknüpfend wird die Einheit Haushalt beschrieben, die auf den Farmen durch die jeweils zugehörige Feuerstelle symbolisiert wird. Im zweiten Teil steht die wirtschaftliche Analyse im Vordergrund, wobei die Untersuchung der Haushalte vertieft wird. Da neben der Viehwirtschaft weitere Einkommensquellen von Bedeutung sind, greift die Auswertung die unterschiedlichen

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Strategien und Einkommens-Kombinationen der Haushalte auf. Basierend auf den sozialen und wirtschaftlichen Analysen stellt das dritte Teilkapitel die einzelnen Farmgemeinden vor und arbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Aspekte des Farmlebens In den drei Farmsiedlungen Grootvlakte, Brakwater und Kleinrivier spielt sich der Alltag der Bewohner in der Nähe der einzelnen Häuser oder der Wasserstellen ab. In den frühen Morgenstunden wird ein Feuer entzündet, um Wasser für Tee und später Maisbrei aufzusetzen. Im Laufe des Vormittags wird das Vieh im Kraal, der sich unweit der Häuser befindet, gemolken, dann zur Wasserstelle und anschließend, vereinzelt in Begleitung von Hirten, ins veld1 getrieben. Daraufhin werden weitere Arbeiten wie beispielsweise Wasser holen, Holz sammeln oder auch Waschen erledigt, bevor sich am Nachmittag der ein oder andere Besucher einfindet, dem, wenn möglich, ein gezuckerter Tee oder Kaffee mit Milch und eventuell auch etwas zu essen angeboten wird. Am späten Nachmittag kehren die Mutterkühe und auch das Kleinvieh aus dem veld zurück und werden wieder in den Kraal getrieben. Mit Einbruch der Dunkelheit begeben sich die meisten Bewohner zu ihren Häusern. Da die Gemeinden nicht an das Stromnetz angeschlossen sind, gibt es neben batteriebetriebenen Radios kaum andere Medien. Viel Abwechslung bietet das Leben auf den Farmen nicht, und die Frage nach Neuigkeiten wird meist knapp in zwei Wörtern beantwortet: „Nur Stille“. Einfache, aus Mopane-Stöcken (vgl. Kapitel 2) und Kuhdung gefertigte Hütten mit Dächern aus Wellblech prägen die Farmsiedlungen. Die Unterkünfte bieten häufig nur geringen Schutz gegen Kälte und Sandstürme im Winter sowie gegen Hitze und erratische Regenfälle im Sommer. Besonders in den heißen Monaten klagen viele Bewohner über Erschöpfung. Typische Arbeitsabläufe, wie etwa das Melken und Zusammentreiben der Tiere, fallen Tag für Tag an und werden zu einer besonderen körperlichen Belastung. Auch der alleinstehende Willem, der sich im zweiten Zitat zu Beginn äußert, ist mit seinen 71 Jahren von morgens bis abends auf den Beinen; er versorgt eine relativ große Rinder- und Ziegenherde, die sowohl seine eigenen Tiere als auch die zweier wohlhabender Verwandter, die in Windhoek leben, umfasst. Auch wenn das Leben auf der Farm durch die extremen klimatischen Bedingungen, die wirtschaftliche Unsicherheit und die grundlegende Abgeschiedenheit nicht einfach ist, wird es auf der anderen Seite mit einem sicheren Ort und einem erstrebenswerten Ziel, der Viehwirtschaft, in Verbindung gebracht. Auf der Farm gibt es eine Reihe großer Häuser (groot huis, af.), ein Ausdruck, der vor allem die soziale Verbundenheit einzelner Personen mit den Farmhaushalten beschreibt. Das Haus auf der Farm stellt ein Zuhause und einen Zufluchtsort dar, an den auch „Abwesende“ jederzeit zurückkehren können. Die Farm ist ein Ort, „wo man nicht für alles bezahlen muss“, wie es eine der befragten Frauen im oben zitierten Gespräch mit Blick auf das Leben in der Stadt ausdrückt. Gerade wenn der Haushalt etwas mehr Vieh besitzt, wird die Möglichkeit betont, sich selbst zu versorgen. Häuser auf den Farmen sind demnach, um den einleitenden Worten von Carsten und Hugh-Jones zu folgen, weit mehr als physische Strukturen (Carsten & Hugh-Jones 1995b: 1). Sie symbolisieren den Zugang zu einem Ort, der mit Vorstellungen von 1

Veld ist ein Sammelbegriff für die nicht besiedelte, natürliche Umgebung und kann mit Weide(land) oder Vegetation übersetzt werden und auch eine weite Landschaft bezeichnen.

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Sicherheit und grundlegenden Ressourcen verknüpft ist. Ein Blick auf die historische Entwicklung des Farmgebietes macht diese Zuschreibungen greifbar (vgl. Kapitel 2). Vor der Unabhängigkeit befanden sich die Farmen auf dem Gebiet von „Damaraland“. Die während der Apartheid geschaffenen „Homelands“ waren Ausdruck von Segregation und Marginalisierung; gleichzeitig wurden die Gebiete zu Orten, an denen der afrikanischen Bevölkerung die Möglichkeit zum Bleiben eingeräumt sowie der Zugang zu Land gewährt wurde. Die Mobilität vieler Personen ist noch heute dadurch geprägt, dass sie sich dort sozial verorten und Vieh halten, wo das Land zum Leben nicht reicht, und dort arbeiten, wo sie langfristig nicht leben können oder wollen. Soziale Beziehungen bilden eine essentielle Brücke in das Farmgebiet und sichern den Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Land und Vieh. Häufig sind es die „Kinder“2 und „Enkelkinder“ des Vorstandes, die nach ihrer Migration die Verbindung zum großen Haus aufrechterhalten. Hochzeiten aber auch Beerdigungen finden vorzugsweise hier statt und im Fall von Arbeitslosigkeit oder Krankheit kehren sie auf die Farmen zurück. In diesem Sinne repräsentiert die Bezeichnung großes Haus die soziale Verbundenheit einzelner an- und abwesender Personen zu einem räumlichen Bezugspunkt, dem Farmhaushalt. Dabei gehen auch die Beziehungen abwesender, meist verwandter Personen mit wechselseitiger Unterstützung einher. Die häufig in der Stadt lebenden Abwesenden profitieren von Produkten wie Milch und Fleisch, und viele von ihnen besitzen Vieh auf den Farmen, während sie wiederum die Farmhaushalte mit Lebensmitteln und Geldsendungen unterstützen (Greiner 2008, 2010). Es ist zudem üblich, dass Verwandte ihre Kinder, meist bis zum schulfähigen Alter, in die Obhut der Farmhaushalte geben. Wie in diesem Kapitel noch deutlich wird, ist die Frage von An- und Abwesenheit grundlegend, um die Farmpopulation im Sinne einer sozialen Einheit zu erfassen und gleichzeitig deren inhärente demographische Unterschiede aufzuzeigen (vgl. folgendes Teilkapitel). Das große Haus bietet damit einem Kreis an sozial vernetzten Personen den Zugang zu grundlegenden und gleichzeitig knappen Ressourcen. Diese werden jedoch wie im Fall von Land und Wasser kommunal genutzt beziehungsweise im Fall von Vieh individuell besessen. Damit unterscheiden sich die als groß bezeichneten Häuser von anderen „Häusern“ in sogenannten „Hausgesellschaften“, wie sie von Lévi-Strauss konzipiert wurden (Lévi-Strauss 1982: 163 f.). Hier stellen die Häuser selbst eine Art „Körperschaft“ oder „legale Einheit“ dar, an die Rechte, Pflichten und Reichtümer gebunden sind (Lévi-Strauss 1982: 174; Hardenberg 2007: 161; vgl. auch Carsten & Hugh-Jones 1995a).3 In Häusern auf den Farmen kann sich der Viehbesitz unterschiedlicher Personen akkumulieren, die ihre Verbundenheit zu dem Ort über soziale Beziehungen ausdrücken. 2

3

Wie in diesem Kapitel noch deutlich werden wird, gestalten sich verwandtschaftliche Beziehungen flexibel und können sowohl über genealogische Verbindungen als auch über gemeinsame Erfahrungen und das Teilen von Ressourcen konstruiert werden (Pauli 2009a: 130 f.). Lévi-Strauss begreift Häuser als zentrale Strukturmerkmale in hierarchisch organisierten Gesellschaften, in denen gegensätzliche Regeln im Bereich Verwandtschaft (Deszendenz, Heirat) kombiniert und je nach Nutzen flexibel ausgelegt werden (undifferenzierte Gesellschaften vgl. Hardenberg 2007: 158 f.) Siehe (Hardenberg 2007) und (Carsten & Hugh-Jones 1995a) für eine ausführliche Zusammenfassung und Weiterentwicklung des Konzeptes.

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Das Leben in einem Farmhaushalt wird, wie schon zuvor skizziert, mit Vorstellungen von Subsistenz und Sicherheit verknüpft, die vor allem durch den Zugang zu Land und dem möglichen Besitz von Vieh entstehen. Diese historisch geprägten Zuschreibungen sind jedoch als Ideal zu verstehen und entsprechen der ökonomischen Realität der meisten Haushalte nicht. Tatsächlich besitzen viele kaum Vieh und sind auf die beitragsfreien staatlichen Alterspensionen, auf Gelegenheitsarbeit oder auf Geldsendungen von Verwandten aus den urbanen Zentren angewiesen. Auch die Haushalte, die über viel Vieh verfügen, beziehen alle ein weiteres non-farm-Einkommen4, wie in diesem Kapitel noch deutlich werden wird. Diversifizierung ist eine häufig aus der Not geborene Strategie armer Haushalte, doch auch finanziell konsolidierte Haushalte nutzen diese Möglichkeit, um ihren Wohlstand auszubauen. Einige Haushalte auf den Farmen sind besonders deutlich von wirtschaftlicher Knappheit betroffen. Ihnen fehlt es vor allem am Ende des Monats an Grundnahrungsmitteln, aber auch an anderen Utensilien wie Kerzen, Waschmittel oder Seife. Die Bewohner greifen dann auf ein Netz sozialer Unterstützung zurück, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. So ist es auch für Johanna, die ebenfalls zu Beginn des Kapitels zu Wort gekommen ist, und die mit 59 Jahren noch keine staatliche Altersrente bezieht. Gemeinsam mit sieben weiteren Personen lebt sie von der Rente ihres Mannes sowie von unregelmäßiger Gelegenheitsarbeit. Wie für viele Farmbewohner stellt das Ende des Monats auch für Johanna eine große Erleichterung dar. Dann werden die Löhne und kurz darauf auch die Altersrenten ausgezahlt. Die Farmbewohner können wichtige Lebensmittel wie Maismehl, Zucker, Tee, Kaffee und, wenn das Budget es hergibt, auch Instantsuppen, Nudeln und Reis sowie Obst und Gemüse erwerben. Nach den Zahltagen ist die Stimmung häufig ausgelassen, es wird gekocht, die Kleinkinder bekommen lekkers, und einige konsumieren Alkohol, der entweder gekauft oder selbst zubereitet wird. Alltägliche Unsicherheit, Knappheit und Ungleichheit Das Leben auf den Farmen ist gerade für Haushalte, die wenig Vieh besitzen, durch den Mangel an alternativen Einkommensmöglichkeiten gekennzeichnet. Anknüpfend an diese Faktoren wird Knappheit, im Sinne eines Mangels an grundlegenden Ressourcen und Möglichkeiten, als eine Lebensbedingung auf den Farmen beschrieben. Dabei ist Einkommen nicht nur knapp, sondern auch unsicher. Wohlhabende Haushalte verfügen in der Regel mindestens über ein geregeltes non-farm-Einkommen, während wirtschaftlich marginalisierte Haushalte mit dem Wenigen, mit dem sie auskommen müssen, nicht sicher rechnen können.

4

Dies bezieht sich auf die Klassifizierung von Ellis, der in Bezug auf die Diversifizierungsstrategien ruraler Haushalte zwischen „off-farm“- und „non-farm“-Einkommen unterscheidet (Ellis 2001: 11 f.); ersteres bezieht sich auf Arbeit im landwirtschaftlichen Sektor (etwa Lohnarbeit auf anderen Farmen), letzteres auf Einnahmen aus dem nicht-landwirtschaftlichen Sektor, wie etwa Lohnarbeit oder auch Renten und Remittances (vgl. Abschnitt „Diversifizierung und Stratifikation“).

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Knappheit führt für viele Bewohner zu einer grundlegenden Unplanbarkeit und alltäglichen Unsicherheit. So fehlt es den meisten an Transportmöglichkeiten, eine Fahrt zum Arzt in die Stadt oder der Verkauf von Vieh auf einer Auktion wird zur organisatorischen Herausforderung und ist mit hohen Kosten verbunden. Knappheit tritt auch zutage, wenn die Dieselpumpe ausfällt, die nötigen Werkzeuge fehlen und es kein Wasser gibt, oder wenn der Reifen eines Eselskarrens Luft verliert und keine funktionsfähige Pumpe zur Hand ist. Selbst routinierte Handlungsabläufe wie das Holen von Wasser sind mit Unsicherheiten behaftet. Je nach Entfernung zur Wasserstelle setzt dies entsprechende Transportmittel, das Vorhandensein der Ressource Wasser oder auch Ressourcen, um Wasser zu pumpen, voraus. Mit all dem kann nicht per se gerechnet werden, und das Auffüllen der Wasservorräte kann unerwartet viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Konzepte Knappheit und Unsicherheit haben in der vorliegenden Studie eine charakterisierende und beschreibende Funktion. Es geht um das Erfassen von Lebenswirklichkeiten in einer Reihe von Farmhaushalten, in denen es an bestimmten Gütern und Optionen fehlt. In diesem Kontext verweist Spittler auf verschiedene, kulturell bedingte Bedürfnisstrukturen und ihre Konsequenzen (Spittler 2001, 1991). Was aus einer etischen Perspektive als ein „Fehlen“ oder ein „Mangel“ beschrieben wird, muss der emischen Perspektive nicht entsprechen. Auf den Farmen wird Wohlstand vor allem (aber nicht nur) mit dem Besitz von Vieh in Verbindung gebracht; darüber hinaus gelten aber auch materielle Besitztümer wie ein größeres Steinhaus und ein bakkie als Zeichen von Wohlstand. Dennoch würde ein Haushalt, der in vergleichsweise einfachen Verhältnissen lebt und eine Reihe von Rindern besitzt, nicht als arm klassifiziert werden. Die Möglichkeit, Armut durch Viehwirtschaft zu überwinden bleibt jedoch für viele Farmbewohner ein Ideal, oder wie Pauli es ausdrückt, eine Vision (Pauli 2009a: 72 f.) Auch aus der emischen Perspektive beschreiben viele Bewohner Knappheit als einschränkende Lebensbedingung.5 Der alltägliche Diskurs auf den Farmen ist gespickt mit Verweisen auf Knappheit und auf das, was an Nahrung, Gütern, Vieh und Geld in einzelnen Haushalten fehlt. Hunger zu leiden wird als Not beschrieben und einem solchen Haushalt sollte durch Gaben von Lebensmitteln geholfen werden. Knappheit ist somit auch aus der emischen Perspektive Bestandteil der lokalen Lebensrealität und grundlegend, um soziale Beziehungen und den Umgang mit (natürlichen) Ressourcen und Gemeinschaftsgütern zu verstehen (vgl. Kapitel 5). Wie schon erwähnt, sind nicht alle Haushalte gleichermaßen von Knappheit betroffen. Viele wohlhabende Vorstände arbeiten in Städten wie Otjiwarongo, Swakopmund oder auch Windhoek und verfügen dort über einen zweiten Wohnsitz. Haben sie eine feste Stelle inne, beispielsweise in einer staatlichen Behörde aber auch in der Wirtschaft, so ist das monatliche Einkommen mit dem der auf der Farm ansässigen Haushalte kaum zu vergleichen. Auch auf nationaler Ebene ist Ungleichheit ein Thema und stellt ein soziales Problem dar. Namibia wird von der Weltbank als ein Land mit

5

Dies wird auch in den ethnographischen Arbeiten von Pauli (2009a: 73 f.) und Klocke-Daffa (2001: 53 f.) für das rurale West- und Südnamibia sowie in Pendletons Monographie zu Katutura deutlich (1996: 157 f.).

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einem mittleren bis hohen Einkommenslevel6 eingestuft, weist jedoch weltweit eine der höchsten Ungleichheiten in der Einkommensverteilung auf (Gini-Koeffizient).7 Im nationalen Kontext betrachtet würde es zu weit führen, die Gruppe der abwesenden Farmer als Elite zu bezeichnen, im lokalen Kontext sind die Einkommensunterschiede jedoch drastisch. Diese lokale Elite zeichnet sich auf den Farmen durch das Paradox einer „abwesenden Anwesenheit“ aus. Wie im Laufe der Beschreibungen deutlich werden wird, ist die lokale Elite über soziale (meist verwandtschaftliche) Beziehungen eng mit den Farmhaushalten vernetzt und zeigt durch ihren Viehbesitz sowie durch ihre Häuser stellvertretende Präsenz auf den Farmen. Häufig sind die Abwesenden in lokale Aushandlungsprozesse, beispielsweise um Wasser, verwickelt und stehen mit ihren Verwandten über Handy-Kommunikation in engem Kontakt. Gleichzeitig legt diese lokale Elite bei Anwesenheit Wert auf Unterscheidungsmerkmale. Akteure betonen in Gesprächen, dass sie eigentlich nicht auf den Farmen leben. Neben dem Besitz von 4x4s und großen Häusern äußert sich der Ausdruck von Unterschieden auch im Tragen sauberer Kleidung und häufig abgetönter Brillen sowie in den Möglichkeiten, soziale Feste wie Hochzeiten und Beerdigungen mit einer entsprechenden Ausstattung begehen zu können (vgl. Pauli 2011, 2009a).

H ETEROGENITÄT

UND

V ERNETZUNG :

SOZIALE

G RUNDLAGEN

Grundsätzlich kann das Fransfonteiner Gebiet seit seiner Entstehung im späten 19. Jahrhundert als multiethnisch bezeichnet werden, was auch den Beschreibungen der meisten Bewohner entspricht (Dawids et al. 2007).8 Sie verweisen auf ethnische Pluralität und Vielfalt sowie auf die Verschmelzung verschiedener kultureller Praktiken, was die Daten der Zensuserhebung widerspiegeln (siehe unten). Obwohl ethnische Unterschiede im Alltag kaum Konfliktauslöser darstellen, ist Ethnizität in politischen Prozessen Gegenstand von Auseinandersetzung und wird genutzt, um Ansprüche auf Ressourcen geltend zu machen. Gerade Traditionelle Autoritäten legitimieren, wie schon der Name zeigt, ihre Macht durch meist territorial verankerte Bezüge auf Ethnizität und Kultur. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass dies in den ethnisch heterogenen Gebieten, wie auch in Fransfontein, zu Konflikten führt, da unterschiedliche Gruppen um dieselben Ressourcen konkurrieren. Aussagen wie „Die [Name] haben ihre Geschichte auf der Straße aufgelesen“, die in Fransfontein zu hören sind, weisen darauf hin, wie die historischen Narrative der jeweils anderen Gruppe diskreditiert werden. Friedman, der einen Konflikt zwischen zwei traditionellen Autoritäten in Nordkunene im Hinblick auf ihre historische Entwicklung seit Anfang des 19. Jahrhunderts rekonstruiert, schreibt in diesem Zusamnmenhang „The Kaokoland case challenges us to

6 7 8

Vgl. http://data.worldbank.org/country/namibia, zuletzt abgerufen 02.09.2015. Vgl. unter anderem http://www.laenderdaten.de/wirtschaft/gini-index.aspx, zuletzt abgerufen 02.09.2015. Das Buchprojekt „Living together“ wurde von den Ethnologen Julia Pauli und Michael Schnegg im Zuge ihrer Feldforschung in Fransfontein angestoßen; es beschreibt aus unterschiedlichen emischen Perspektiven das Zusammenleben und Teilen kultureller Praktiken in einer multiethnischen Gemeinde.

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consider the political work that ‚history‘ and ‚tradition‘ do in the service of power“ (Friedman 2011: 180). Diese politische Instrumentalisierung von Ethnizität ist kein rezentes Phänomen. So bildete Ethnizität in der Etablierung kolonialer Herrschaft eine zentrale Größe, um die Vormachtstellung europäischer Siedler zu untermauern, die afrikanische Bevölkerung zu kontrollieren und an bestimmte Territorien zu binden. Ethnische Klassifizierungen erfolgten zwar nicht nur, aber entscheidend durch Kolonialbeamte und Missionare (Wallace 2015: 16). Was heute als „Damara“-, „Nama“- oder „Herero“-Identität bezeichnet wird, ist ein historisch-politisches Konstrukt, welches weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen hat und auch im unabhängigen Namibia politische und soziale Dynamiken prägt (Friedman 2005, 2011; Gewald 1999; Fuller 1993). Die drei in diesem Buch untersuchten Gemeinden werden häufig als Otjihererosprachige Farmen bezeichnet. Diese Klassifizierung ist auf einen Migrationsprozess Anfang des 20. Jahrhunderts zurückzuführen (vgl. Kapitel 2), in dessen Folge die Farmen Brakwater und Kleinrivier von Otjiherero-sprachigen Familien gegründet wurden. Wie das gesamte Fransfonteiner Gebiet sind jedoch auch die drei Untersuchungsorte multiethnisch. Von den 144 befragten Haushaltsmitgliedern geben 29 % „Herero“ als ethnische Zugehörigkeit an, gefolgt von 24 % „Damara“ und 18 % „Ovambo“. Weitere 22 % wollen sich nicht für eine Kategorie entscheiden und bezeichnen ihre ethnische Identität als „gemischt“. Diese Vielfalt macht sich auch sprachlich bemerkbar: 82 % der Haushaltsmitglieder sind bilingual, die Mehrheit der Bewohner spricht sogar mehr als zwei Sprachen fließend. Etwas mehr als 50 % der Befragten antworten, Khoekhoegowab am besten zu sprechen, gefolgt von Otjiherero (36 %) und Afrikaans (17,4). Hier zeigt sich, dass auch Sprache und Ethnizität in einem flexiblen Zusammenhang stehen; 45 % aller Befragten, die „Herero“ als ethnische Zugehörigkeit angeben, wählen Khoekhoegowab als die Sprache aus, die sie am besten beherrschen. Wie bereits angedeutet, ist Ethnizität im alltäglichen Leben der Bewohner durch Toleranz und Relativierung gekennzeichnet. So befragten wir einige Informanten mit unterschiedlichem ethnischem Hintergrund zur kulturellen Bedeutung und Nutzung von Wasser, beispielsweise bei Geburten, Hochzeiten oder Beerdigungen. Wenn die Befragten spezifische Praktiken beschreiben konnten, fügten sie meist hinzu, dass sie diese „hier in der Gegend“ – im Gegensatz beispielsweise zu den Otjiherero-sprachigen Gemeinden im äußersten Nordwesten Namibias – nicht mehr praktizieren würden; hier hätten sie eine „gemischte Kultur“. Gleichzeitig verdeutlicht die Zusammensetzung der Haushalte auf den drei untersuchten Farmen, dass Ethnizität bei der Wahl des Partners nicht ausschlaggebend zu sein scheint. Ebenso zeigt Pauli in ihrer Studie zu Heirat und Wandel in der Fransfonteiner Region, dass 44 % aller im Zensus verzeichneten Geburten (n=398) multiethnisch sind, sowie 40 % aller Hochzeiten (n=209) zwischen Partnern aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen stattfinden (Pauli 2009a: 124). Auch wenn Ethnizität durch Vielfalt und Flexibilität gekennzeichnet ist, bleibt ethnische Zugehörigkeit eine sinnstiftende Kategorie, die besonders in wichtigen sozialen Ereignissen ihren jeweiligen Ausdruck findet. Dabei steht weniger die Abgrenzung voneinander als die Verbindung unterschiedlicher Gruppen und die damit einhergehende Verschmelzung kultureller Praktiken im Vordergrund.

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Demographische Muster Ähnlich komplex wie die Kategorie Ethnizität ist auch die Frage, wer auf den Farmen lebt beziehungsweise wer zu den untersuchten Haushalten gehört (vgl. folgender Abschnitt). Im Kontext von rural-urbanen Migrationsbewegungen wird die Frage der Zugehörigkeit vor allem über soziale Beziehungen konstruiert. Verwandtschaft und reziproke Unterstützungen kennzeichnen die zwischen Migranten und Bewohnern bestehenden Verflechtungen (Greiner 2008, 2012). Die Bedeutung sozialer Vernetzung verdeutlichte sich mir besonders in einem ersten Zensus-Probeinterview, das wir im Haushalt der bereits pensionierten Liza durchführten. Auf die Frage hin, wer denn zu ihrem Haushalt gehöre, zählte sie uns insgesamt acht Personen auf. Es stellte sich jedoch relativ schnell heraus, dass diese Aufzählung ihre sechs außerhalb der Farm lebenden Kinder beinhaltete. Liza legte eine De-jure-Definition9 von Haushaltszugehörigkeit zugrunde (Lang & Pauli 2002: 6) und erklärte, dass ihre Kinder zwar in anderen Haushalten lebten, aber dies häufig nur vorübergehend sei. Wenn einer ihrer unverheirateten Söhne seine Anstellung verliere, kehre er auf die Farm und zum großen Haus zurück. Außerdem besäßen alle ihre Kinder Vieh im Kraal des Haushaltes – ob wir denn nicht wissen wollten, wem was gehöre? Um die wirtschaftlichen, materiellen und sozialen Strukturen auf den Farmen zu verstehen, ist demnach der Einbezug sozial zugehöriger, aber meist abwesender Personen ein wichtiges Kriterium. Gleichzeitig ist für diese Studie die physisch-geographische Verortung nicht nur der Farmpopulation, sondern auch der Haushaltsmitglieder von Bedeutung. Diese Personengruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihren physischen Lebensmittelpunkt auf den Farmen hat und sich an typischen Aktivitäten wie der Betreuung von Vieh und der Bereitstellung von Wasser beteiligt. Diese „Anwesenden“ prägen das alltägliche Management auf den Farmen, verwalten den Besitz der Abwesenden und sind durch eine bestimmte Form tagtäglicher sozialer Unterstützung im Sinne von Nachbarschaft und Gemeinschaft miteinander verbunden. Die demographische Analyse stützt sich daher auf drei Personengruppen. In einem ersten Schritt fasst sie eine „erweiterte“ De-facto-Population zusammen, die ausgehend vom Lebensmittelpunkt der Befragten geographisch begrenzt ist. Als erweitert wird die Gesamtheit bezeichnet, da sie auch zum Zensuszeitpunkt kurzfristig abwesende Personen einbezieht, die sich zum Beispiel auf einer Beerdigung befanden oder in einem Projekt arbeiteten, ihren physischen Lebensmittelpunkt aber normalerweise auf den Farmen haben. In einem zweiten Schritt gruppiert die Auswertung alle Personen, die zu den sogenannten „meist abwesenden Haushalten“ gehören, das heißt deren Vorstände in den urbanen Zentren arbeiten und gemeinsam mit anderen Haushaltsmitgliedern auch dort leben. Diese Gruppe ist ökonomisch relativ klar abgrenzbar und wird besonders bei der Analyse der wirtschaftlichen Strategien relevant. Da die Personen eigene Haushalte auf den Farmen führen und viele (aber nicht alle) in relativ engem Kontakt zu den jeweiligen Gemeinden stehen, werden sie je nach Frage in die erweiterte De-facto9

Im Gegensatz zum klassischen Zensus geht die Bedeutung der Begriffe „de facto“ und „de jure“ in ethnographischen Erhebungen über das Residenzkriterium hinaus und schließt die Frage sozialer oder kultureller Zugehörigkeit ein, wie Lang und Pauli verdeutlichen (2002: 6).

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Population miteinbezogen beziehungsweise in anderen Fällen ausgeschlossen. Auf diese Weise wird versucht, ihrer flexiblen Stellung auf den Farmen Rechnung zu tragen. Die dritte Kategorie umfasst mit den anwesenden Farmhaushalten durch soziale Beziehungen, Viehbesitz und/oder Geld- und Lebensmittelsendungen vernetzte Personen. Zu ihnen wurden ebenfalls demographische Grundinformationen aufgenommen, und gemeinsam mit den Haushaltsmitgliedern bilden sie die De-jure-Population, die sich weitgehend mit dem emischen Verständnis von sozialer Zugehörigkeit und dem Konzept des großen Hauses deckt. Darüber hinaus gibt es auf den Farmen eine weitere Gruppe von anwesenden Personen, die als Viehwächter tätig sind. Sie gehören zur De-facto-Population, bilden jedoch eine eigene soziale und ökonomische Einheit und sind meist sehr mobil. Der größte Teil der Viehhirten lebt seit weniger als einem Jahr auf den Farmen. Es handelt sich häufig um junge Männer aus Nord-Kunene oder dem Nordosten des Landes, die alleine oder mit Frau und häufig noch kleinen Kindern auf der Suche nach Arbeit migrieren und unter prekären Umständen ihr Geld verdienen. Sie wurden als Untereinheiten von Farmhaushalten aufgenommen, jedoch von den weiteren demographischen und wirtschaftlichen Analysen ausgeschlossen. Dies war unter anderem durch die Schwierigkeit begründet, dass einige dieser „Wanderarbeiter“ keine der lokalen Sprachen so weit beherrschten, um ein entsprechendes Interview durchzuführen. Neben diesen oft sehr isolierten und von Unsicherheiten betroffenen Akteuren gibt es einige Arbeiter, die schon lange in der Region leben, eine der lokalen Sprache gelernt haben und entsprechend auch in die Zensusaufnahme integriert wurden. Einige ehemalige Arbeiter haben einen Haushalt gegründet sowie ihre eigenen Viehherden aufgebaut; andere haben sogar geheiratet. Sie gelten als sozial zugehörig und zählen hier als präsente Gemeindemitglieder zur De-facto-Population. Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass es sich sowohl bei der erweiterten Defacto- als auch bei der De-jure-Population um für die Analyse konstruierte Einheiten handelt. Wie in den folgenden Ausführungen deutlich wird, können diese Gruppen durch bestimmte demographische, soziale oder wirtschaftliche Merkmale charakterisiert werden. Ohne eine analytische Abgrenzung wäre es nicht möglich, diese Merkmale zu beschreiben oder Beziehungen zwischen den Personengruppen herauszuarbeiten. Dennoch sollte berücksichtigt werden, dass Akteure relativ schnell zwischen den genannten Kategorien wechseln können; besonders hoch ist dabei die Mobilität der Personen im erwerbsfähigen Alter.

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Tabelle 3: Populationsgruppen auf den Farmen Zensus 10/2011

Eingeschlossen

Ausgeschlossen

Erweiterte Defacto-Population n=92

Alle Personen, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung ihren physischen Lebensmittelpunkt permanent auf einer der drei Farmen haben (auch Personen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme kurzfristig abwesend sind) n=92

1. Alle Personen, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung außerhalb der Farmen in einem Haushalt leben, jedoch über Viehbesitz und durch weitere Kooperationsbeziehungen mit dem Haushalt vernetzt sind n=153 2. Viehhirten bzw. „Wander“-Arbeiter, die keine der lokalen Sprachen sprechen n=23

Mitglieder aus meist abwesenden Haushalte (n=51)

Personen aus meist abwesenden Haushalten, die einen ihrer physischen Lebensmittelpunkte auf den Farmen haben

De-jurePopulation (n=296)

Alle Personen, die auf den Farmen leben beziehungsweise zeitweise dort leben (Mitglieder abwesender Haushalte) oder mit den Farmhaushalten über Kooperationsbeziehungen vernetzt sind und als sozial zugehörig betrachtet werden

Die folgenden Beschreibungen arbeiten einige Charakteristika dieser unterschiedlichen Populationsgruppen heraus. Zunächst wird die Altersverteilung der De-factoFarmpopulation betrachtet, wobei hier die Mitglieder meist abwesender Haushalte ausgeschlossen sind, und mit der De-jure-Population sowie den Ergebnissen des staatlichen Zensus im Hinblick auf die Gesamtpopulation Namibias verglichen (Namibia Statistics Agency 2011: 28). Hier zeigt sich, dass bei den permanent ansässigen Bewohnern sowohl kleine Kinder (null bis vier Jahre) als auch Personen ab 60 Jahren deutlich überrepräsentiert sind. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Greiner (2008: 131) sowie Pauli (2009a: 106). Viele der in der Stadt lebenden Verwandten schicken ihre Kleinkinder, teilweise sogar schon ihre Babys auf die Farm. Dort wachsen sie bei den Großeltern oder auch bei anderen Verwandten als grootmaakkinder auf (vgl. Klocke-Daffa 2001: 231 f.). Mit dem Eintritt in das schulfähige Alter verlassen

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viele Kinder die Farm. Zwar gibt es in Fransfontein eine Grundschule, deren Ruf ist jedoch nicht besonders gut. Viele Haushalte versuchen daher, ihre Kinder in Outjo, Otjiwarongo oder auch Windhoek zur Schule zu schicken. Die Schulkinder, die in anderen Haushalten leben und nicht durch einen der Farmhaushalte unterstützt werden (beispielsweise durch das Schicken von Lebensmitteln oder Geld), wurden auch innerhalb der De-jure-Population nicht erfasst. Tabelle 4: Altersverteilung im Vergleich Nam. Zensus (2011)

Ethnographischer Zensus de facto n=92

Ethnographischer Zensus de jure n=269*

0-4 Jahre

13,5 %

17,4 %

8,6 %

5-14 Jahre

23,0 %

15,2 %

15,6 %

15-59 Jahre

56,5 %

45,7 %

66,5 %

ab 60 Jahren

7,1 %

21,7 %

9,3 %

* von 27 Personen der De-jure-Bevölkerung konnte kein genaues Alter ermittelt werden

Der hohe Anteil der über 60-Jährigen erklärt sich dadurch, dass Personen dieser Bevölkerungsgruppe nicht mehr in die Arbeitsmigration eingebunden sind, sondern sich um die Farmhaushalte und gegebenenfalls um ihre Enkelkinder beziehungsweise die Kinder weiterer Verwandter kümmern. Arbeitsmigration erklärt wiederum den niedrigeren Anteil der 15- bis 59-jährigen De-facto-Bevölkerung im Vergleich mit dem namibischen Zensus. Im Gegensatz dazu ist die De-jure-Bevölkerung jedoch hier mit knapp 67 % vergleichsweise stark vertreten. Dabei zeigt eine Aufschlüsselung in weitere Altersgruppen sehr deutlich, dass vor allem Personen zwischen 30 und 59 Jahren mit den Farmhaushalten vernetzt sind (über 50 %). In diesen Altersklassen sind weit mehr Personen berufstätig als beispielsweise in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen.10 Erstere können die Farmhaushalte daher leichter unterstützen und gegebenenfalls beginnen, in den Ausbau einer eigenen oder größeren Viehherde zu investieren. Ab dem Rentenalter nimmt die Vernetzung zur Farm deutlich ab, was den bisherigen Ergebnissen entspricht. Mobilität und Flexibilität sind in der abgelegenen Farmregion wichtige Voraussetzungen für eine solide Schulausbildung. Weniger wohlhabenden Haushalten entstehen dadurch oft Nachteile. Zwar sind Schulgebühren, zumindest in der primary school, gesetzlich verboten, aber dennoch fallen zusätzliche Kosten für Schuluniformen, Bücher sowie eventuell Unterkunft und Verpflegung der Kinder an. Die Schulausbildung in Namibia erstreckt sich über zwölf Jahre, wobei die Grundschule sieben Jahre und die weiterführende Schule fünf Jahre dauert. Innerhalb der weiterführenden Schule werden Grade 11 sowie 12 als senior secondary bezeichnet. Matrik, der erfolgreiche

10 So gaben 14,5 % der 20- bis 29-Jährigen, 33,3 % der 30- bis 39-Jährigen und 31,8 % der 40bis 49-Jährigen an, berufstätig zu sein (n=153).

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Abschluss von Grade 12, berechtigt zum Besuch der Universität, wobei es zwei öffentliche Universitäten in Namibia gibt, die beide in Windhoek angesiedelt sind.11 Betrachtet man alle Personen der De-jure-Population, zu denen Angaben über ihre Ausbildung vorliegen und die nicht mehr zur Schule gehen (n=153), so haben 8,5 % gar keine oder nur eine sehr geringe Schuldbildung (Grade 1) erhalten. Ihr Altersdurchschnitt ist mit 60 Jahren sehr hoch und sinkt dann für Personen, welche die primary und secondary school besucht oder abgeschlossen haben, auf 35 beziehungsweise 33 Jahre. Dies deckt sich mit den Ergebnissen zur Bildung in Fransfontein von Pauli, bei der jüngere Generationen über einen höheren Bildungsabschluss verfügen (2009a: 108). Tabelle 5: Schulausbildung und erreichter Abschluss (n=153) Bildungsstufe

Anzahl

Abbruch

Abgeschlossen

Keine oder Grd 1

8,5 %

8,5 %

-

Primary; Grd 7

30,7 %

23,5 %

7,2 %

Junior Secondary; Grd 10

25,5 %

13,7

11,8 %

Senior Secondary; Grd 12

18,3 %

3,9 %

14,4 %

University/College

17,0 %

0,0 %

17,0 %

Total

100 %

49,6 %

50,4 %

Auf der anderen Seite zeigt sich, dass ein relativ hoher Anteil die Schule noch vor Grade 7 beziehungsweise noch vor Grade 10 abgebrochen hat (vgl. Tabelle 5). Personen, welche die senior secondary oder auch die Universität oder ein College besucht haben, schließen dagegen ihre Ausbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit ab. Auch die Ergebnisse des namibischen Zensus zeigen, dass knapp 24 % die Grundschule (Grade 7) nicht beenden (Namibia Statistics Agency 2011: 51). Dies kann unter anderem mit den bereits angesprochenen indirekten Schulkosten zusammenhängen, die besonders für ärmere Haushalte, die ihren Lebensmittelpunkt auf den Farmen haben, ins Gewicht fallen. Betrachtet man die Personengruppe, welche die senior secondary besucht hat, so ist der Anteil an Männern mit 25 % gegenüber Frauen mit 10 % deutlich höher. Bereits in der junior secondary überwiegt der Anteil an Männern, in der primary school jedoch der Anteil an Frauen mit 44 % gegenüber Männern mit 19 %. Frauen haben damit eine höhere Eintrittsrate, verfügen aber in der Regel über eine niedrigere Ausbildung als Männer, was mit ungeplanten Schwangerschaften und mit der Rolle der Frauen im Haushalt zusammenhängen kann. Gerade Frauen aus älteren oder mittleren Generationen berichteten mir, dass sie die Schule frühzeitig abbrechen mussten,

11 Vgl. den von Fischer im Auftrag der Friederich-Ebert-Stiftung in Windhoek verfassten Bericht zum Ausbildungssystem in Namibia: http://www.fesnam.org/pdf/2010/theNamibianEducationalSystem.pdf, zuletzt abgerufen 24.06.2015.

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weil eine bettlägerige Person oder kleine Kinder auf der Farm versorgt werden mussten. Weiteres fällt mit Blick auf die Tabelle 5 auf, dass 17 % aller Befragten einen Universitäts- oder Collegeabschluss vorweisen können. Dies ist gerade im Vergleich mit dem nationalen Durchschnitt (5,8 %) sehr hoch (ebd.). Die Verteilung der unterschiedlichen Populationsgruppen in Bezug auf Bildung in Abbildung 6 zeigt, dass sowohl die Senior Secondary School als auch die Universität von Personen absolviert wurde, die nicht permanent auf den Farmen leben; dies schließt sowohl mit dem Haushalt vernetzte Personen als auch Mitglieder meist abwesender Haushalte mit ein. Abwesende verfügen im Vergleich mit den Farmbewohnern über einen deutlich höheren Bildungsstandard. Dieser ermöglicht ihnen auch weitaus bessere Chancen auf eine sichere und gut bezahlte Arbeit. So verfügen 50 % aller Personen, die über 5.000 NAD12 verdienen, und 80 % aller Personen, die über 10.000 NAD verdienen, über einen Universitäts- oder Collegeabschluss. Abbildung 6: Bildungsabschluss anwesende (n=92) und meist abwesende (n=204) Personen

Haushalte Das wohl charakteristischste Merkmal eines Farmhaushaltes ist seine Feuerstelle. Meist handelt es sich um eine kleine, häufig unscheinbare Plattform aus Zement, die gegebenenfalls überdacht ist, um Schutz vor Regen, aber auch vor Sonne zu bieten. Häufig stehen in der Nähe ein oder zwei potjies, gusseiserne, dreibeinige Töpfe, in

12 Die Gehaltsklassen werden im folgenden Teilkapitel näher beschrieben. Das genaue Einkommen wurde nur von Haushaltsmitgliedern, insgesamt von 143 Personen erhoben.

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denen die Mahlzeiten zubereitet werden. „Wo ein Feuer brennt, da sind auch Menschen“, pflegen die Farmbewohner zu erklären. Die erste Aktivität eines Haushaltes in den Morgenstunden ist es, ein Feuer zu entfachen und Wasser für Tee oder Kaffee aufzusetzen. Über den Tag glimmt das Feuer weiter, und Holz wird meist nur zum Kochen aufgelegt. Am späten Nachmittag, bevor die Sonne untergeht, muss das Feuer erneut entfacht werden. Selbst bei abwesenden Haushalten entzünden die Bewohner, meist die der benachbarten Häuser, jeden Abend ein Feuer. Da die Farmen nicht elektrifiziert sind, sitzen die Bewohner in der Dämmerung oder Dunkelheit um die Feuerstellen, unterhalten sich über die Geschehnisse des Tages oder lauschen dem Radio. Außerdem bietet das Feuer Schutz vor wilden Tieren und ist an den frostigen Winterabenden die einzige Wärmequelle. Die Feuerstelle ist auch der Ort, an dem sich Besucher für gewöhnlich ankündigen, und wo ihnen eine Sitzgelegenheit angeboten wird; nur sehr eng mit dem Haushalt vertraute Personen betreten auch das Innere der Häuser. Das Vorhandensein einer Feuerstelle konstituiert aus emischer Perspektive den Haushalt als materielle Struktur und symbolisiert ein Ort des sozialen Miteinanders. Die Infrastruktur der Haushalte besteht aus einem oder mehreren Häusern oder Hütten, die sich um die Feuerstelle gruppieren. Besitzt der Haushalt Vieh, befindet sich ein Kleinvieh- und/oder ein Rinderkraal in der Nähe; manchmal ist das gesamte Anwesen abgezäunt. Die wirtschaftlichen Aktivitäten, die den Lebensunterhalt der Mitglieder sichern, schließen die Geld- und Lebensmittelsendungen abwesender, meist verwandter Personen mit ein. Die Zusammensetzung der Haushalte fluktuiert, wobei es auch hier Personen gibt, die als langfristige Garanten eines Haushaltes gelten. Trotz der ausgeprägten sozialen und wirtschaftlichen Vernetzung und der damit einhergehenden Mobilität von Personen bezieht sich das Konzept Haushalt hier auf eine lokal abgrenzbare Einheit. Dabei folge ich der Argumentation von Greiner (2012: 204 f.), der sich im Kontext seiner Arbeiten zu rural-urbanen Migrationsprozessen gegen die Verwendung eines „multi-lokalen“ Haushaltskonzeptes ausspricht. Eine solche Definition würde soziale Zugehörigkeit und wirtschaftliche Vernetzung in den Vordergrund stellen und mehrere Orte der Residenz umfassen. Dadurch ist es zum einen nicht mehr möglich, zwischen den an- und abwesenden Personengruppen und ihren Rollen zu unterscheiden (vgl. voriges Teilkapitel). Zum anderen sind die Bewohner der Farmen mit einer Reihe von Personen vernetzt, die wiederum in unterschiedlichen urbanen Haushalten leben, sodass die Frage, wo ein solcher multilokaler Haushalt beginnt und wo er endet, nicht eindeutig zu beantworten ist (Greiner 2012: 205 f.). Nach Netting, Wilk und Arnould lassen sich unterschiedliche Dimensionen von Haushalten unterscheiden, die sich auf Struktur und Zusammensetzung (Morphologie), Aktivitäten und Aufgaben der im Haushalt lebenden Personen sowie auf den Haushalt als konzeptuelle Einheit beziehen (McC. Netting, Wilk & Arnould 1984: xxix). Den bisherigen Ausführungen folgend setzt die Mitgliedschaft in Haushalten physische Präsenz voraus; das heißt, dass die Bewohner zumindest einen ihrer Lebensmittelpunkte auf den Farmen verorten und zur erweiterten De-facto-Population gehören. Sozial zugehörige, aber abwesende Personen werden nicht als Mitglieder, sondern als sozial vernetzte Akteure begriffen. Ausgehend von der Bedeutung der Feuerstelle umfassen die Aktivitäten und Aufgaben der Haushaltsmitglieder das Zubereiten von Nahrung (meist Maisbrei) und die damit verbundenen Aufgaben wie Holz sammeln und Wasser holen, ferner das Aufziehen von (Klein-)kindern und als zentrale Funktion

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das Versorgen der Viehherden (Wilk & McC. Netting 1984: 5 f.; Lang & Pauli 2002: 12). Grundlegende Merkmale der Haushalte Zum Zeitpunkt der Zensusaufnahme erfassten wir 143 Personen, die sich auf 35 Haushalte verteilen; die durchschnittliche Haushaltsgröße beträgt somit vier Personen. Da die Gemeinden mit 9 bis 17 Haushalten eine sehr überschaubare Größe haben, konnten wir im Jahr 2011 eine Gesamterhebung durchführen. Betrachtet man das Alter der Haushaltsvorstände, so zeigt sich, dass 49 % über 60 Jahre alt sind, der jüngste Vorstand zählt 35 Jahre. Haushaltsgründungen auf den Farmen finden somit relativ spät statt. Tabelle 6: Altersklassen der Vorstände (n=35) Altersklassen Vorstände

Häufigkeiten %

30-40 Jahre

11,4 %

40-50 Jahre

20,0 %

50-60 Jahre

20,0 %

über 60 Jahre

48,6 %

Dies hängt sicher damit zusammen, dass gerade jüngere Menschen (hier 20- bis 40Jährige) in die urbanen Zentren migrieren oder zumindest auf eine passende Gelegenheit dazu warten. Vor allem junge Paare sind von ökonomischem Druck betroffen. Häufig wohnt entweder die Mutter mit den Kindern bei Verwandten auf der Farm, oder die Kinder bleiben in der Obhut von Verwandten auf der Farm und beide Elternteile migrieren in die Städte. Betrachtet man die soziale Zusammensetzung der Haushalte in der folgenden Tabelle 7 anhand der verwandtschaftlichen Beziehungen der Mitglieder zum Vorstand, so zeigt sich ein den bisherigen Ergebnissen entsprechendes Bild. Knapp 35 % aller verwandtschaftlichen Beziehungen entfallen auf die Kinder des Vorstandes beziehungsweise die Kinder der Ehefrau oder Partnerin, gefolgt von Enkelkindern und/oder Urenkeln (26 %). Ferner bilden Geschwisterkinder sowie deren Nachkommen einen größeren Prozentsatz an Haushaltsmitgliedern. Nur knapp 3 % aller Mitglieder sind nicht mit dem Vorstand verwandt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass viele mit dem Haushalt vernetzte Personen ihre Kinder besonders im Vorschulalter auf die Farmen schicken. Anhand der verwandtschaftlichen Aufschlüsselung der Haushaltsmitglieder zeigt sich, dass es sich dabei meist um Enkel-, aber auch um Geschwisterkinder und deren Nachkommen handelt, die immerhin 40 % aller im Haushalt lebenden Personen ausmachen. Gerade Geschwisterkinder werden auch als „eigene Kinder“ klassifiziert; so etwa erklärte mir ein weiblicher Vorstand: „Das ist das Kind meiner Schwester, also ist es auch mein Kind.“ Die in Zensusinterviews verwendeten klassifikatorischen Bezeichnungen entsprechen zu großen Teilen der von Barnard beschriebenen „Damara“- und „Hai//om“-Verwandtschaftsterminologie (Barnard 1992: 208; vgl. auch Pauli 2009a: 132 f.). Die Kinder von Egos gleichgeschlechtlichen Geschwistern

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werden als eigene Kinder kategorisiert, Parallelcousinen bezeichnen sich als Geschwister. Das Kind von Egos verschiedengeschlechtlichen Geschwistern betiteln die Bewohner in den auf Afrikaans geführten Interviews als neef/niggie (Neffe/Nichte). Tabelle 7: Soziale Beziehungen zum Vorstand Genealogische Beziehungen, en. (W)D; (W)S (W)D or (W)S: -S/D; -DS/D; -SD/S; DD/S; -SD/S W (W): -BD/S; -ZD/S; BDD/S; BSD/S; -ZDD/S; ZSD/S (W): B; Z; M; MBD/S; MZSD/S D/S „Boy/Girlfriend“ nicht verwandt

Terminologische Bezeichnung, af. „Kind“ „(Klein-) Kind“ „Grootmaakkind“ „Vrou“ „(Klein-)Kind“ (MZor FB-children) „Neef/Niggie“ (MBor FZ-children) „Grootmaakkind“ nicht spezifiziert

Häufigkeiten

Kumulative

34,6 %

34,6 %

26,2 %

60,7 %

17,8 %

78,5 %

14,0 %

92,5 %

4,7 %

97,2 %

2,8 %

100,0 %

Ein weiterer Ausdruck für die im Haushalt lebenden, nicht leiblichen Kinder des Vorstandes lautet grootmaakkinder (Großmachkinder)13; „das ist auch mein Kind; ich habe es großgezogen“, wurde mir häufig im Rahmen der Zensusaufnahme erklärt. Großmachkinder können Geschwisterkinder oder Enkel sein, der Begriff kann aber auch – aus einer genealogischen Perspektive – nicht miteinander verwandte Personen einschließen. Das gemeinsame Erleben und Praktizieren einer bestimmten Beziehungsform ist der Ausgangspunkt, um verwandtschaftliche Verbindungen mit den entsprechenden Rechten und Pflichten einzugehen. Dies entspricht dem Konzept einer „neueren Verwandtschaftsethnologie“, die dem klassischen, durch Abstammung und Heirat geprägten Verwandtschaftsbegriff gegenübergestellt wird (Schnegg & Pauli 2010: 305). Verwandtschaftliche Zugehörigkeit wird hier über gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse konstruiert. Carsten führte in diesem Zusammenhang den Begriff relatedness ein und plädiert für eine kulturspezifische Erforschung von „Verwandtschaft“. Relatedness umfasst keine fixen, sondern wandelbare Beziehungen, die im Falle der Malays Prozesse wie die Zeugung, das Stillen eines Babys oder das Teilen von Nahrung einschließen (Carsten 1995: 236).

13 Diese Übersetzung wurde von Klocke-Daffa übernommen (2001: 232).

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Heterogenität von Haushalten Wie die demographischen Beschreibungen zu Beginn dieses Kapitels vermuten ließen, finden sich deutliche Unterschiede zwischen den permanent anwesenden und den meist abwesenden Haushalten auf den Farmen. Insgesamt verfügen 26 % aller Haushalte über einen weiteren Wohnsitz in den urbanen Zentren. Anhand zweier ethnographischer Fallbeispiele soll ein Eindruck von den unterschiedlichen Haushaltstypen vermittelt werden. Fallbeispiel meist abwesender Haushalt Daniel Tjavara wurde 1958 als eines von insgesamt 13 Geschwistern in Brakwater geboren. Er wuchs auf der Farm bei seinen Eltern auf, ging jedoch nicht in Fransfontein zur Schule, sondern in der römisch-katholischen Mission St. Michael, die etwa 70 Kilometer von Outjo entfernt liegt. Nach einigen Jahren begann er in den Schulferien bei der Mission zu arbeiten und finanzierte sich so den Besuch der weiterführenden Schule in Döbra in der Nähe von Windhoek. Hier schloß er auch seine Ausbildung als Grundschullehrer ab. Während seiner Schul- und Ausbildungszeit konnte er nur selten auf die Farm zurückkommen; dennoch besuchte er seine Familie zumindest einmal im Jahr in Brakwater. Kurz vor der Unabhängigkeit wechselte Daniel seinen Beruf und arbeitet seitdem als Versicherungsvertreter. Er zog nach Okahandja, etwa 70 Kilometer von Windhoek entfernt, wo er auch seine Frau Miriam kennenlernte. Die beiden heirateten und bekamen zwei Kinder. Etwa Mitte der 1990er Jahre beschloß Daniel, seinen eigenen Farmhaushalt zu gründen, um „ernsthaft“ mit der Viehwirtschaft zu beginnen (vgl. folgendes Teilkapitel). Er ließ sich von seinem Bruder, der ebenfalls auf der Farm lebt, ein solides Steinhaus mit zwei Zimmern errichten. Das Haus verfügt über Fenster aus Glas, einen aus Zement gegossenen Fußboden und neben einer Außenküche mit Feuerstelle auch über einen Gasherd. Außerdem ließ Daniel sich zwei weitere kleinere Häuser bauen. In dem einen lagert er heute Futter, in dem anderen wohnen seine beiden Arbeiter, die sich um die Ziegen und Rinder kümmern. Daniels Haushalt entspricht in seiner Zusammensetzung der Kernfamilie und umfasst vier Personen: zwei Erwachsene und zwei Kinder. Die Familie lebt die meiste Zeit über in Okahandja, wo seine Frau ebenfalls berufstätig ist und das ältere Kind die Schule besucht. Daniel fährt jedoch mindestens einmal im Monat etwa 450 Kilometer auf die Farm; die Familie verbringt in der Regel die Ferien und Weihnachtszeit dort. Wenn Daniel auf der Farm ist, kümmert er sich in der Regel um seine Herde; er zählt das Vieh und organisiert Aktivitäten, wie zum Beispiel das Kastrieren oder Markieren der Tiere. Außerdem bezahlt er die Arbeiter, bringt ihnen Lebensmittel und holt Wasser. Hierzu benutzt er seinen 4x4 bakkie mit offener Ladefläche, auf die er mehrere 210-Liter-Tonnen Wasser lädt. Da das Wasser aus dem Bohrloch in Brakwater sehr brackig ist, fährt er hierzu nach Fransfontein zur Quelle. Diese Fallbeispiele verdeutlichen, wie umfassend die abwesenden Vorstände mit den weiteren Bewohnern der Gemeinden vernetzt sind. Knapp 78 % aller abwesenden Vorstände sind auf den Farmen aufgewachsen, und nur ein geringer Teil ist zugezogen; betrachtet man dagegen die permanent ansässigen Haushalte, so ist hier die Mehrheit, insgesamt 85 %, zugezogen. Bei den abwesenden Vorständen in Brakwater handelt es

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sich meist um die zweite Generation der aus dem Reservat Otjoruu immigrierten Familien. Wie auch der Fall von Daniel zeigt, handelt es sich dabei um große verwandtschaftliche Verbände; alle von Daniels zwölf Geschwistern besitzen Vieh auf den Farmen; drei von ihnen leben, genauso wie seine Eltern, permanent dort. Abwesende sind also, auch wenn sie als soziale Schicht eindeutig abgrenzbar sind, keineswegs „Fremde“ auf den Farmen. Sie betonen im Gegenteil ihre Zugehörigkeit sowohl über das dortige „Aufgewachsen-Sein“ als auch über die damit einhergehenden familiären Verflechtungen sowie den Besitz ihrer Tiere. Auf die Frage, wann er denn auf die Farm zurückgekehrt sei, erwiderte ein zuvor meist abwesender Vorstand: „Ich war nie wirklich weg, mein Haus, meine Tiere waren die ganze Zeit hier“ (STEVEN AMJERA., 02.11.2011, übersetzt aus dem Afrikaans). Fallbeispiel anwesender Haushalt Andries Amporo wurde 1948 als eines von elf Geschwistern in Outjo geboren. Er ging in Otjiwarongo zur Grundschule, die er jedoch frühzeitig verließ, um auf den Farmen „weißer“ Siedler zu arbeiten, wo er praktisch aufgewachsen sei. Heute bezieht er eine Alterspension von 500 NAD, die jedoch kaum ausreicht, um den Haushalt mit acht Mitgliedern zu versorgen. Auf den umliegenden Farmen ist er als Mechaniker bekannt. Vor seinen Lehmhäusern stehen einige alte Autowracks, außerdem fertigt er Geschirre für Eselskarren an und ist auch im Hausbau tätig. In der Gemeinde wurde er im Zuge der CBWM-Implementierung als Pumper ausgebildet, verrichtet diese Arbeit zum Zeitpunkt der Feldforschung jedoch nicht mehr. Mitte der 1980er Jahre beschloss er, Outjo zu verlassen und auf die Farm zu migrieren; zu diesem Zeitpunkt lebten bereits seine Schwester (MZD) und weitere Verwandte in Grootvlakte; er wollte mit der Viehwirtschaft beginnen und erwarb einige Ziegen; seine Schwester überließ ihm außerdem ein Rind aus ihrer Herde. Andries heiratete seine Frau Anfang der 1990er Jahre standesamtlich. Damals hatten beide nicht die Mittel, um eine kirchliche Hochzeit auszurichten. Diese kann erste viele Jahre später stattfinden. Seine Frau brachte drei Kinder mit in die Ehe; auch Andries hatte bereits eigene Kinder. Alle Kinder sind bereits erwachsen, und zum Zeitpunkt der Zensusaufnahme ist der achtköpfige Haushalt vor allem durch Geschwisterkinder erweitert. Nicanur ist mit Andries über dessen Schwester verwandt (ZDS) und lebt mit seiner Frau, seinem Sohn und seinem jüngeren Bruder im Haushalt. Seine Mutter ist früh verstorben und er ist bei Andries aufgewachsen; Nicanur hat in Outjo die weiterführende Schule abgeschlossen, kehrte jedoch nach einigen Jahren Gelegenheitsarbeit in unterschiedlichen Städten und privaten Farmen wieder nach Grootvlakte zurück. Auch er und sein Bruder haben keine feste Arbeit und sind als Handwerker tätig. Außerdem leben noch Johannas alleinstehender älterer Bruder sowie ein weiteres grootmaakkind im Vorschulalter (BDS) mit im Haushalt. Das Anwesen von Andries besteht aus mehreren „traditionellen“ Häusern. Die Fenster der Häuser werden mit Draht oder Pappe geschlossen. Die Familie besitzt einen Gasherd, der jedoch nicht mehr funktioniert, und Johanna kocht die meiste Zeit draußen über dem Feuer. Obwohl Johanna und Andries eine Reihe leiblicher Kinder haben, empfangen sie nur relativ unregelmäßig Geld- und Lebensmittelsendungen von ihnen; keines ist in einem festen Arbeitsverhältnis tä-

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tig. Nur ein grootmaakkind von Johanna arbeitet als Reinigungskraft und unterstützt den Haushalt regelmäßig. Wenn die Vorräte des achtköpfigen Haushalts zur Neige gehen und kein Geld vorhanden ist, geht Johanna zum Shop und erwirbt ein paar Kilo braunen Zucker sowie weitere Zutaten um Jambula, das lokale Bier aufzusetzen. Damit läuft sie dann nach Fransfontein und verkauft ein Glas Jambula für 1 NAD. Eigentlich könne sie den Verkauf von Alkohol nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, so Johanna, die gläubige Katholikin ist. Aber was solle sie machen, wenn wieder kein Geld da sei? Wasser holen die jungen Männer des Haushaltes entweder mit dem Eselskarren oder mit der Schubkarre. Auch das Wasser in Grootvlakte ist brackig; dennoch konsumiert der Haushalt hauptsächlich das Bohrloch-Wasser und holt nur ab und zu einen fünf- oder zehn-Liter-Kanister Quellwasser aus Fransfontein. Wie aus den Beschreibungen der Häuser sowie aus den wirtschaftlichen Aktivitäten der Haushaltsvorstände hervorgeht, lassen sich eindeutige Unterschiede zwischen Anund meist Abwesenden aufzeigen. Letztere verfügen in der Regel über eine feste Anstellung und ökonomische Sicherheit; Haushalte auf den Farmen bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Diversifizierung und die Kombination verschiedener, meist unsicherer Einkommensquellen (vgl. folgendes Teilkapitel). Meist abwesende Haushalte sind dementsprechend auch nicht auf Unterstützung durch weitere Verwandte angewiesen und empfangen keine Remittances. Da sie im Gegensatz zu den Farmhaushalten keine permanenten Bezugspunkte für in der Stadt lebende Verwandte darstellen, ist davon auszugehen, dass die Haushaltszusammensetzung weitaus weniger fluide ist. 89 % aller Abwesenden beschäftigen mindestens einen Arbeiter für ihr Vieh und machen sich selbst „nur ab und zu die Hände schmutzig“, wie einige Farmbewohner mit einem Augenzwinkern bemerken. Dagegen haben nur knapp 35 % aller ansässigen Haushalte einen Arbeiter angestellt. Um Aktivitäten wie Holz holen oder melken kümmern sich die Abwesenden in der Regel nicht; auch nutzen sie fast immer ihre 4x4 bakkies, um Wasser zu holen. Ihrem vergleichsweise elitären Status entsprechend sind 78 % aller Abwesenden verheiratet (in einem Fall verwitwet); bei den Farmhaushalten sind es nur 30 % (in drei Fällen verwitwet). Auch bei der Zusammensetzung der Haushalte lassen sich Unterschiede aufzeigen: Verwandtschaftliche Beziehungen in meist abwesenden Haushalten bestehen überwiegend zu Mitgliedern der Nuklearfamilie (74 %); bei Anwesenden sind es insgesamt nur 39 %. Abwesende verfügen über einen deutlich höheren sozialen Status als das Gros der Farmhaushalte, was durch ihr städtisches Leben, ihre Bildung und ihre Einkommensverhältnisse bedingt ist.

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K NAPPHEIT

UND U NGLEICHHEIT : WIRTSCHAFTLICHE G RUNDLAGEN Viehwirtschaft und das Leben auf den kommunalen Farmen sind unmittelbar miteinander verknüpft. Besonders der Besitz von Rindern geht mit Vorstellungen von Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit einher. Der ethnographische Zensus zeigt jedoch, dass über die Hälfte aller Haushalte (57 %) keine oder kaum Rinder (