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German Pages 136 [137] Year 2003
H. MINSSEN, B. MOLSICH, U. WILKESMANN und U. ANDERSEN
Kontextsteuerung von Hochschulen?
Abhandlungen zu Bildungsforschung und Bildungsrecht Herausgegeben von Frank-Rüdiger Jach und Siegfried Jenkner
Band 12
Kontextsteuerung von Hochschulen? Folgen der indikatorisierten Mittelzuweisung
Von Heiner Minssen, Beate Molsich, Uwe Wilkesmann und Uwe Andersen
Duncker & Humblot . Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1433-0911 ISBN 3-428-11155-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Vorwort Dieses Buch ist das Resultat eines Projektes, das aus drei Leitern und einer Bearbeiterin bestand, sich also einen völlig überdimensionierten Overhead geleistet hat und zudem durch eine krasse, wenngleich (nicht nur) in der Wissenschaft nicht unübliche Ungleichverteilung von Führungspositionen gekennzeichnet war. Dennoch war es - in aller Bescheidenheit - erfolgreich 1 , was nicht unbedingt zu erwarten gewesen war, hatte es sich doch zur Aufgabe gestellt, im Auftrag des nordrhein-westfalischen Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung die Folgen einer Maßnahme, nämlich die Indikatorisierung der Mitte1verteilung zu untersuchen, die durch eben dieses Ministerium veranlasst worden war. In den davon betroffenen Hochschulen ist die Indikatorisierung freilich keineswegs unumstritten gewesen; zudem wurde das Anliegen unserer Untersuchung von vielen als verdeckte Kontrolle der vorgesetzten Dienstbehörde missverstanden. Umso mehr haben wir uns bei unseren zahlreichen Gesprächspartnern zu bedanken, die trotz mancher Bedenken für Interviews und Auskünfte zur Verfügung gestanden haben. Besonderer Dank aber gebührt unseren Förderern im Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung. Ohne ihren Einsatz für unser Vorhaben wäre das Projekt wohl nicht zustande gekommen; ob die Untersuchung die Ergebnisse zutage gefördert hat, die sie sich erhofft, vielleicht sogar erwünscht haben, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Freilich konnten auch sie nicht die Schwierigkeiten verhindern, die aus der an Haushaltsjahre gebundenen Mittelzuweisung für ein Forschungsprojekt entstehen, das sich nicht an Haushaltsjahre halten kann. Ohne die unbürokratische Unterstützung des Haushaltsdezernenten der Ruhr-Universität Bochum, Elmar Vie1haber, wären wir in ernste Schwierigkeiten bei der Projektdurchführung geraten - was aber zugleich noch einmal einen Blick eröffnet hat auf manche Absurditäten der Mittelzuteilung und somit in gewisser Weise zum Gegenstand unserer Untersuchung passte. Zu danken haben wir auch den Studierenden, die an einem zweisemestrigen Seminar im Jahr 2001 zu unserem Thema an der Fakultät für Sozialwissenschaft teilgenommen haben; von den in diesem Seminar angefertigten Hausarbeiten haben wir durchaus profitiert. Barbara Willmann hat unverdrossen für andere kaum leserliche handschriftliche Notizen in eine lesbare Form gebracht und sich dabei auch von dem Eigenwillen eines Computers nicht aus der Ruhe bringen lassen. Feride I Jedenfalls in der Durchführung; ob auch in den Ergebnissen, das mögen die Leserinnen und Leser entscheiden.
6
Vorwort
Yaldizli und Christian Jansen haben aus Zahlen Grafiken gemacht. Auch sie haben uns sehr geholfen. Wir wollen aber auch nicht vergessen, uns selbst zu danken. Statt sich, wie es bei diesem Überangebot an Führungsverantwortung nicht auszuschließen gewesen wäre, aufgrund mangelnder Kompetenzabgrenzung zu Konflikten Zuflucht zu nehmen (oder wenigstens gemeinsam die Bearbeiterin zu drangsalieren), haben alle Projektbeteiligten die Ergebnisse und Befunde diskursiv weiterentwickelt; dass manche(r) sich dabei mit ihrer / seiner Einschätzung auch mal nicht durchsetzen konnte(n), liegt in der Natur der Sache.
Bochum, im Oktober 2002
Reiner Minssen Beate Molsich Uwe Wilkesmann Uwe Andersen
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ................................. . .......... . ............... . ............
13
I. Die Ausgangslage ..............................................................
13
II. Die Forschungsfragen ..........................................................
18
B. Die Hochschule - (k)eine Organisation wie jede andere? ........ . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
I. Organisationen im privaten und öffentlichen Sektor............................
21
II. Die Hochschule als Profibürokratie ............................................
23
C. Steuerung von Hochschulen ........ . ..................... . .......................
30
I. Die Organisationsebene: Kontextsteuerung und Selbststeuerung ................
30
II. Die Akteursebene: Handlungsorientierungen ...................................
35
III. Ein kurzes Zwischenresümee ..................................................
39
D. Annäherungen an ein schwieriges Forschungsfeld - die Empirie................
41
I. Die quantitative Untersuchung.............................. . ............. . ....
41
II. Die qualitative Untersuchung ............... . ...... . ...... . . . ...... . ...... . ....
47
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus der Sicht der Professoren .......
51
I. Folgen der neuen Mittelverteilung an der Hochschule und im Fachbereich. . . . . .
51
II. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung .....................
56
III. Auswirkungen auf die eigene Arbeit ...........................................
65
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus der Sicht der Rektorate .........
71
I. Beginn und Folgen der neuen Mittelverteilung in der Hochschule .......... . ...
71
II. Modalitäten der hochschulinternen Mittelverteilung ........ . ...................
78
8
Inhaltsverzeichnis III. Einführung der neuen Mittelverteilung und Partizipation
81
I. Beteiligung der Rektorate bei der Umstellung im Land. .. ............... . ...
81
2. Beteiligung der Fachbereiche an der hochschulintemen Umsetzung ...... . ..
82
IV. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch die Rektorate
87
V. Auswirkungen auf die Arbeit der Professoren nach Ansicht der Rektorate .. ... .
91
G. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus der Sicht der Dekane ... . ........
94
I. Parameterorientierte Mittelverteilung in der Hochschule und im Fachbereich ...
94
H. Information und Partizipation bei der Einführung der Parameterorientierung
95
III. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch die Dekane
96
IV. Auswirkungen auf den Fachbereich und auf die Professoren nach Ansicht der Dekane . . ... . .... . ...... . ... .. .. .. ..... . ....... . . . . . ... . ... .. ... . ......... . ... . 102 V. Die parameterorientierte Mittelverteilung am Beispiel zweier Dekanate .. .. . . . . 103 I. Die Implementierung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung an einem naturwissenschaftlichen Fachbereich . .. . ....... . .. .. .. .. ... . ....... . . 104 a) Das Finanzmittelverteilungsmodell . ... . ....... . ... . .. . .. . ..... . . . ... . ... 104 b) Einführung der indikatorisierten Mittelverteilung .. .. ..... .. ... . . . .... .. . 106 c) Weiterentwicklung der kriteriengebundenen Finanzmittelzuweisung . .. .. 107 2. Die Nicht-Implementierung an einem geisteswissenschaftlichen Fachbereich
107
a) Grundsätzliche Infragestellung einer indikatorisierten FinanzmitteIzuweisung . . ... . . . ....... . ... . ... .. .. .. . . . . ... . .. .. . . . . . . ... . ... . ... . ... .. .. . .. 108 b) Kritik an den Einzelkriterien .. .... .. ... ... ... ... ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Die Bedeutung von Mehrheitsmeinungen . ... ... . . .. ... . ...... . ... . ..... .. .. 111 H. Weiterentwicklung von Steuerungsinstrumenten ..... . ..... . ....... . .... . ...... . . 114
J. Eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 118 Literaturverzeichnis ......... . .... . . ...... . ........... . ...... . .... . ..... . .... . . . ...... 127
Personenverzeichnis .. . ...... . . .. . . ....... . .. . .. . ... . . . ... . .. . ... .. .. .. . . .... . . . .. . .. . 133
Stichwortverzeichnis . .... . . . . . .. .. .. .. ... . ..... . . . . . . . ... .. .... . ... .. .. .. .. .. ...... .. 135
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Öffentliche und private Organisationen
22
Abbildung 2:
Die Profibürokratie .................................................. . .
25
Abbildung 3:
Grundgesamtheit und Sampie - Dekanate..............................
44
Abbildung 4:
Grundgesamtheit und Sampie - Professoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
Abbildung 5:
Verteilung der Mittel der TG 94 (N = 590) .............................
51
Abbildung 6:
Gründe für Nichteinführung der Parameterorientierung (N = 248; Mehrfachnennungen möglich) ...............................................
52
Abbildung 7:
Verluste der Professoren nach Hochschultyp (in %) .... • ...... . ...... • .
53
Abbildung 8:
Gewinne der Professoren nach Hochschultyp (in %) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
Abbildung 9:
Gewinne I Verluste in Abhängigkeit von einer parameterorientierten Verteilung .............................................................
55
Abbildung 10: Änderung der Finanzmittel und Beurteilung der Indikatorisierung insgesamt durch die Professoren ..........................................
55
Abbildung 11: Änderung der Finanzmittel und Beurteilung der Indikatorisierung für die eigene Professur ...................................................
55
Abbildung 12: Information über Änderung der Mittelverteilung (Zustimmung; N = 403-462) .............................................................
57
Abbildung 13: Partizipation bei der Änderung der Mittelverteilung (Zustimmung; N = 411-442) .............................................................
57
Abbildung 14: Korrelation zwischen Mitwirkungsmöglichkeiten und allgemeiner Einschätzung der forme1gebundenen Finanzrnittelzuweisung ..............
59
Abbildung 15: Herkunft der Parameter nach Ansicht der Professoren (Zustimmung; N=157-271) .........................................................
60
Abbildung 16: Faktorenanalyse: Beurteilung der formelorientierten Finanzrnittelzuweisung durch die Professoren.......................................
61
Abbildung 17: Faktorenanalyse: Gründe des MSWF für die formelorientierte Finanzmittelzuweisung nach Ansicht der Professoren .........................
62
Abbildung 18: Änderung der Finanzrnitte1situation und Änderung der Aufgabenwahrnehmung (N = 323) ....................................................
67
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 19: Konsequenzen aus der veränderten Finanzmitte1zuweisung nach Angaben der Professoren .. .. .. .. .. ... .. . ... . .. . .. . ............ . ... .. .. . . . ...
67
Abbildung 20: Änderung der Ausstattung seit 1993 und Konsequenzen (Mittelwerte) ..
68
Abbildung 21: Auswirkungen von Anfang an bekannt und Partizipation / Information (Mittelwerte) ........ . .... . ... . ...................... . ... . ... .. ........
69
Abbildung 22: Zeitpunkt der Einführung des Parametermodells nach Angaben der Rektorate (N = 20) ... ...... ... . ........ ....... . . ......... .. .. .. ........
72
Abbildung 23: Entwicklung der Finanzmittel für die Fachbereiche durch die Indikatorisierung (Einschätzung der Rektorate; N =20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Abbildung 24: Finanzmittelverteilung der Fachbereiche (Einschätzung der Rektorate; N=20) . ... . ... . ... . ..... . .... . .. .. .. .. .. .. ............. . ... . ........ . .
75
Abbildung 25: Erwartung der Rektorate für die nächsten fünf Jahre (N = 19) . ... ......
77
Abbildung 26: Parameterentwicklung in den Hochschulen (N = 18 - 20) . . .. .. ... . . . . . .
79
Abbildung 27: Information über die formelgebundene Finanzmitte1verteilung in der Hochschule durch die Rektorate (Zustimmung; N = 18 - 20) ... . . ... . ..
82
Abbildung 28: Griinde für die forme1gebundene Mittelzuweisung durch das MSWF nach Ansicht der Rektoren (N = 19) .......... .. ................ .. ......
87
Abbildung 29: Beurteilung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung durch die Rektorate (N = 17 - 20) . ... . ....... .. .. .. . . .. .. .. .. ..... . . . .... ... .. . ..
88
Abbildung 30: Konsequenzen der Professoren nach Ansicht der Rektoren (N = 20) ....
92
Abbildung 31: Finanzmittelverteilung der Dekanate an die Professoren (N = 114) .....
94
Abbildung 32: Information der Fachbereiche nach Ansicht der Dekane (Zustimmung; N = 73 - 75) .. . ... . ... .. .. .. ... . .. .. .. .. ... . ..... .. .. .. ... . .. .. ...... ..
95
Abbildung 33: Mitgestaltung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung durch die Dekane (Zustimmung; N = 71-74) ....... . ................. ... ........
96
Abbildung 34: Übernahme bzw. Entwicklung der Parameter nach Ansicht der Dekane (Zustimmung; N = 66 - 72) . .... ....... . ... . . ... . .. .. .. .. ......... . . . ..
97
Abbildung 35: Korrelationen zwischen Information und Partizipation sowie Einschätzung für Fachbereiche der Parameterverteilung in den Dekanaten ......
98
Abbildung 36: Griinde für die formelgebundene Mittelzuweisung nach Ansicht der Dekane (Zustimmung; N = 98 - 105) ................ .. .. .. .. .. .. .. ...... ..
98
Abbildung 37: Beurteilung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung durch die Dekane (Zustimmung; N = 97 -121) .... ........ . .. ....... . .. . . . .. . ....
99
Abbildung 38: Faktorenanalyse: Beurteilung der formelorientierten Finanzmittelzuweisung durch die Dekane.. .. ........... . ... . . .. .................. . . 100 Abbildung 39: Faktorenanalyse: Griinde des MSWF für die formelorientierte Finanzmittelzuweisung nach Ansicht der Dekane ... .. . . . . . . . ... . . .. ........ . . 101
Abbildungsverzeichnis
11
Abbildung 40: Konsequenzen der Professoren nach Ansicht der Dekane (N = 35 - 36) 102 Abbildung 41 : Auswirkungen der formelgebundenen Finanzrnittelzuweisung auf die Ausstattung von Professoren nach Ansicht der Dekane (N =42 - 74) . . . 103 Abbildung 42: Kriteriengebundene Mittelvergabe TG 94 im Haushaltsplan 2001 des naturwissenschaftlichen Fachbereiches ..... ... . . ... .. ... . ... . . . . . .. . . . . 105
A. Einleitung I. Die Ausgangslage Entgegen anders lautender Vennutungen und Behauptungen: Das deutsche Hochschulsystem unterliegt in den letzten vierzig Jahren einer fortwährenden Entwicklung und befindet sich in einem ständigen Wandel (vgl. nur Turner 2001). Immer wieder ist es Gegenstand verschiedenster Refonnen und Erneuerungen auf Bundes- und Landesebene gewesen, die von unterschiedlichsten planenden, finanzierenden, koordinierenden und evaluierenden Instanzen angestoßen und begleitet wurden. Während nach dem Krieg zunächst die Eigenstaatlichkeit der Bundesländer im Sinne von "Kulturhoheit" als Kompetenz der Länder für den gesamten Bereich des Bildungswesens im Vordergrund stand, wurde durch die Gründung des Wissenschaftsrates im Jahr 1957 ein erster Schritt in Richtung Zusammenarbeit von Bund und Ländern gelegt (vgl. Wissenschaftsrat 2001). Darüber hinaus regelte im Jahr 1964 ein Verwaltungsabkommen die anteilige Finanzierung der Forschungsforderung, des Hochschulausbaus und der Ausbildungsförderung durch den Bund (Peisert/Frarnheim 1997: 7). Durch das Inkrafttreten des Hochschulrahmengesetzes im Jahr 1976 sowie durch die Revisionen in den Jahren 1985 2 und 1998 3 wurde die Zusammenarbeit von Bund und Ländern gesetzlich festgeschrieben. Das Hochschulrahmengesetz schuf einen einheitlichen, länderübergreifenden, gesetzlichen Rahmen für das Hochschulwesen, der die Grundsätze der Hochschulorganisation und -verwaltung, Hochschulzulassung und Studienrefonn, Personal struktur und die Mitwirkung der Hochschulmitglieder in den Gremien der Hochschule regelt. Die Hochschulgesetze der Bundesländer wurden angepasst, ohne den Kompetenzbereich der Länder durch Einzelvorschriften konkret festzulegen (Peisert/Framheim 1997: 10). Die Hochschulen sind in allen Bundesländern staatliche Einrichtungen der einzelnen Bundesländer und Körperschaften des öffentlichen Rechts (bmb+f 1998: § 58, Abs. 1, Satz 1 HRG). Dabei befinden sie sich in einem Dilemma: die Hochschulen sind keine selbstständigen Körperschaften4 , aber sie sind auch keine staatlichen Anstalten, da die eigentliche Tätigkeit außerhalb des staatlichen ZuständigRevision in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 1987 (BGB I. I S. 1170). Änderung durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. August 1998 (BGB I. I S. 2190). 4 In unserer Studie beziehen wir uns nur auf staatliche Hochschulen, private Hochschulen haben wir außen vor gelassen (Statistisches Bundesamt 1954: 93). 2
3
14
A. Einleitung
keitsbereiches liegt. Zudem sind die Hochschulen einerseits staatsfrei (,,Freiheit von Forschung und Lehre"), andererseits sind sie verwaltungsmäßig und insbesondere finanziell staatsabhängig. Sie sind auf die Bereitstellung von Ausstattung (Gebäude, Apparate und laufende Finanzmittel) angewiesen, und im Gegenzug hat der Finanzgeber Interesse an der Kontrolle der gegebenen Mittel (Hödl / Zegelin 1999: 136 f.). Die Anzahl von Hochschulen hat sich in den letzten vierzig Jahren erheblich vergrößert. Als eine Ursache für diese Ausweitung des Hochschulbereichs ist die außerordentlich hohe quantitative Zunahme von Studierenden zu nennen. Von 1952 bis 1999 ist die Zahl der an deutschen Hochschulen Studierenden um mehr als das Vierzehnfache gestiegen: Während es im Jahr 1952 über 125.000 Studierende in Westdeutschland gab 5 , waren in den späten 70er-Jahren 938.141 Studierende (Statistisches Bundesamt 1980: 341), im Jahr 1988 nahezu 1,5 Millionen Studierende (Statistisches Bundesamt 1989: 350 f.) und im Jahr 1999 nahezu 1,8 Millionen im vereinigten Deutschland (Statistisches Bundesamt 2001: 395) immatrikuliert. Diese Studierendenexpansion wurde Ende der 70er-Jahre durch den Öffnungsbeschluss forciert (Fränz / Schulz-Hardt 1988). Mit dem Öffnungsbeschluss entschlossen sich die Regierungschefs von Bund und Ländern, im Einvernehmen mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz im Jahr 1977, den Zugang zu den Hochschulen für die nachwachsenden größeren Jahrgänge der jungen Generation soweit wie möglich zu ermöglichen. In Umsetzung dieses Beschlusses hat die Kultusministerkonferenz Anfang 1978 ein Überlastprogramm im Hochschulbereich beschlossen. In dem Beschluss waren sich die Minister darin einig, dass allen Studienbewerbern ein Studienplatz, wenn auch nicht immer im Fach ihrer Wahl, bereitgestellt werden soll. Dies bedeutete zugleich, dass die Hochschulen in den Stand gesetzt werden mussten, die zu erwartenden zusätzlichen Bewerber aufzunehmen. Mit diesen Beschlüssen wurden die Weichen für die Hochschulpolitik der nachfolgenden zehn Jahre gestellt. Zugleich erhielt die Datenkommission der Kultusministerkonferenz den Auftrag, regelmäßig über Angebot und Nachfrage von Studienplätzen und die "vorübergehende Überlastquote (Notzuschlag)" zu berichten (vgl. Fränz / Schulz-Hardt 1988). An dieser politischen Intention wurde festgehalten - und sie wurde 1989 nochmals bestärkt, obwohl in den 80er- und 90er-Jahren der personelle und räumliche Ausbau der Hochschulen aufgrund von Finanzierungsengpässen stagnierte. Im Jahr 1991 rückte die gesamtdeutsche Rektorenkonferenz von dem Öffnungsbeschluss ab, indem sie auf die negativen Folgen für die Entwicklung von Forschung und Lehre im Hochschulbereich hinwies und für Zulassungsbeschränkungen plädierte. Die Finanzierungslücke wurde in den 90er-Jahren durch den Sanierungs- und Nachholbedarf der Hochschulen in den neuen Bundesländern noch verstärkt, als im Zuge der gesamtdeutschen Vereinigung das 5 Die Studierendenzahl in der ehemaligen DDR war seit den 60er-Jahren auf etwa 130.()()() Studierende festgelegt.
I. Die Ausgangslage
15
Hochschulwesen der neuen Bundesländer den alten Bundesländern angeglichen wurde (Peisert/Frarnheim 1997: 10). Die Expansion der Studierendenzahlen traf bis zu Beginn der 70er-Jahre noch auf ausreichende finanzielle Ressourcen; sie wurde durch einen personellen und räumlichen Ausbau der bestehenden Hochschullandschaft abgefedert. Im personellen Bereich erhöhte sich das wissenschaftliche Personal von knapp 12.000 im Jahr 1952 (Statistisches Bundesamt 1954: 96) auf 165.000 Personen in den 70er-Jahren (Statistisches Bundesamt 1980: 345). Danach reduzierte sich das wissenschaftliche Personal bei weiterhin steigenden Studierendenzahlen auf nahezu 151.000 im Jahr 1988 und stieg dann nochmals leicht auf 157.000 im Jahr 1999 an (Statistisches Bundesamt 2001: 399). Mit anderen Worten: Mit einem Personalbestand, der unter dem der 70er-Jahre liegt, werden an den deutschen Hochschulen mittlerweile Massen von Studierenden bewältigt, deren Anzahl doppelt so hoch ist wie in den 70er-Jahren. Diese Zahlen allein zeigen, dass der in den Medien viel gescholtene "faule Professor" mehr Zerrbild als Realität ist. Viel eher ist davon auszugehen, dass in den letzten drei Dekaden an den Hochschulen zumindest quantitativ ein Produktivitätszuwachs stattgefunden hat, der sich vor den Zuwächsen in den Industriebranchen nicht zu verstecken braucht und in dem Bereich öffentlich erbrachter Dienstleistungen vermutlich seinesgleichen sucht. Gleichwohl tun Hochschulen sich, so eine verbreitete Auffassung, "generell sehr schwer damit, auf neue Herausforderungen zu reagieren" (Weiler 2001: 63). Schimank (2001) hat in diesem Zusammenhang Hochschulen als "erfolgreich scheiternde Organisationen" bezeichnet, und zwar in einem doppelten Sinne: als "überlebenstüchtige Versager" - das Bild, das in der Öffentlichkeit vorherrscht - einerseits, als gescheitert eingestuft trotz erfolgreicher Leistungsbilanz andererseits das Bild, das die Hochschulen von sich haben. Für beide Bilder gibt es gute Gründe; sicherlich sind Hochschulen nicht sehr reformfreudig 6 , was aber weniger mit dem in Hochschulen beschäftigten Personal als mehr mit den schwierigen und komplexen Entscheidungsstrukturen in Hochschulen zu tun hat7 ; zugleich ist aber auch nicht zu bestreiten, dass Hochschulen trotz erheblicher Unterfinanzierung Beachtliches zuwege gebracht haben und auch noch zuwege bringen. Doch unabhängig davon, welche Einschätzung "richtig" ist: seit Beginn der 90erJahre lassen sich vermehrt Analysen und Positionierungen verschiedener Wissenschaftsorganisationen und vor allem Wissenschaftspolitiker registrieren, die angesichts knapper gewordener öffentlichen Mittel ein Reformdefizit im deutschen Hochschulbereich konstatieren (vgl. Hochschulrektorenkonferenz 1993; Bund-LänDoch welche Organisation ist das schon! Vgl. dazu weiter unten. Die Behauptung allerdings, dass der Gestaltungswille an Hochschulen gegeben sei, häufig genug aber getroffene Entscheidungen durch die Politik konterkariert würden (so Eckardstein u. a. 2001: 8), scheint uns, auch wenn es solche Fälle sicherlich gibt, in dieser Eindeutigkeit dann doch etwas vordergründig. 6 7
16
A. Einleitung
der-Arbeitsgruppe 1993; Wissenschaftsrat 1993). Darautbin wurden diverse Projekte und Modelle wie z. B. die Projekte "Qualität der Lehre", "Hochschule und Finanzautonomie", "Funktionalrefonn im Hochschulbereich" entwickelt und an einzelnen Hochschulen erprobt und je nach Gelingen auch etabliert (HRK 1999). Die finanziellen Engpässe des Bundes- und der Länderhaushalte wurden zudem von einem gesellschaftlichen Bewusstseinswandel flankiert, der mit gewachsenen Bürgeransprüchen an Transparenz und Leistungsfähigkeit der öffentlichen Dienstleister einhergeht; auch die Hochschulen haben sich für ihren Ressourcenverbrauch zu legitimieren. Leere öffentliche Kassen, zunehmender Legitimierungsbedarf der Hochschulen bezüglich der Verwendung der zugewiesenen Mittel und gleichzeitige Expansion der Studierendenzahlen - niemand spricht mehr von einer Erweiterung der Hochschullandschaft bei ausreichender finanzieller Ausstattung, sondern vor dem Hintergrund stagnierender oder sogar rückläufiger öffentlicher Finanzierungsmöglichkeiten hat sich die Diskussion auf die Möglichkeit verlagert, durch die Einführung von veränderten Steuerungsmechanismen und modernen Managementstrategien die Leistungserstellung an Hochschulen effizienter zu gestalten. Dies bedeutete zum einen, die Autonomie und Eigenverantwortung der Hochschulen zu steigern und die (Detail-)Steuerung von der staatlich-bürokratischen Ebene auf die Hochschulebene zu verlagern: von der direktiven Steuerung zur Kontextsteuerung. Der Staat zieht sich zunehmend von einer detailgenauen staatlichen Steuerung durch Haushaltsvorgaben, gesetzliche Vorschriften und Genehmigungsvorbehalte für Berufungen, für Studiengänge und für Prüfungsordnungen zurück. Die externe Steuerung von der Hochschule verschiebt sich so von einer input- zu einer outputorientierten Steuerung, wobei sich neuerdings vor allem eine Steuerung qua Zielvereinbarung einer gewissen Beliebtheit erfreut. Zum anderen werden aus dem industriellen Sektor bekannte Steuerungsmechanismen und Managementstrategien zunehmend auch hochschulintern erprobt und angewandt, um die Leistungserstellung trotz knapper finanzieller Ressourcen zu gewährleisten. Marktökonomische Prinzipien gewinnen immer mehr an Bedeutung. Damit verbunden rücken betriebswirtschaftliche Schlagworte wie Effizienz, Kundenorientierung, Leistungsbewertung und -belohnung etc. in den Vordergrund und drängen Kriterien wie Hochschulbildung als öffentliches Gut bzw. öffentliche Aufgabe in den Hintergrunds. Im Zusammenhang mit diesen Refonnbemühungen steht auch die Einführung einer indikatorisierten Finanzmittelzuweisung in der Titelgruppe für Forschung und Lehre. Dabei geht es im Grundsatz darum, die Leistungskriterien festzulegen, "bei denen es sich um besonders wünschenswerte Resultate der Anstrengungen 8 Wir verkennen nicht, dass auch gegenläufige Entwicklungen zu beobachten sind. In der Evaluation von außeruniversitären Forschungsinstituten etwa werden oftmals Kriterien "guter" Wissenschaft in Anschlag gebracht, obwohl gerade diese Institute sich aufgrund ihrer hohen Drittmittelabhängigkeit am Markt beweisen müssen und deswegen immer schon stärker effizienzorientiert als Hochschulen gearbeitet haben.
I. Die Ausgangslage
17
von Hochschulen handelt" (Weiler 2001: 53). Derartige Bemühungen lassen sich in allen Bundesländern beobachten, wenngleich die Ausgestaltung der Zuweisungsmodi sich unterscheidet im Hinblick auf die Einführungszeiträume sowie im Hinblick auf die Finanzvolumina und die ausgewählten Parameter, nach denen die Sachmittel für Forschung und Lehre an den Hochschulen zugewiesen werden (vgl. Hochschul-Informations-System 2(01). In Nordrhein-Westfalen hat das Ministerium für Wissenschaft und Forschung (MSWF) im Jahr 1993 auf Initiative des Landtags damit begonnen, die Finanzmittel für Lehre und Forschung, also Mittel der Titelgruppe 94 (TG 94), mittels der sogenannten formelgebundenen Finanzzuweisung9 an die Hochschulen zu verteilen. Später wurde eine Arbeitsgruppe "Titelgruppe 94 landesweit" aus Vertretern der Landesrektorenkonferenz gebildet, um die Modalitäten, u. a. auch die Zuweisungshöhe des Modells der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium konsensorientiert weiterzuentwickeln (Andersen u. a. 2001: 5). Das Finanzvolumen der parameterorientierten Verteilung wurde sukzessiv erhöht. Zu Beginn der formelgebundenen Finanzmittelverteilung im Jahr 1993 wurden ausschließlich zusätzliche Finanzmittel in der Titelgruppe für Forschung und Lehre kriteriengebunden verteilt. Danach wurde die Verteilung der Finanzmittel von 10 % im darauffolgenden Jahr über 20 % im Jahr 1995 und 35 % im Jahr 1996 bis hin zu 50 % in den Jahren 1997 bis 1999 erhöht. Ab 2000 werden sämtliche Finanzmittel dieser Titelgruppe den Hochschulen formelgebunden zugewiesen. Verteilungskriterium war zu Beginn der veränderten Verteilung, in den Jahren 1993 und 1994, die Absolventenanzahl. Im Jahr 1995 kamen die Kriterien "Drittmittel" und "Promotionen" hinzu. Ab 1996 vervollständigten die Parameter "Stellen des wissenschaftlichen Personals" und "Studierende des ersten bis vierten Semesters" die Verteilungsformel. Zudem wird innerhalb der fünf Parameter nach den Fächergruppen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften gewichtet; so "zählen" beispielsweise Drittrnittel in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften das Siebenfache der Drittmittel in den Ingenieurwissenschaften, während das wissenschaftliche Personal in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften mit dem Faktor 2 und in den Ingenieurwissenschaften mit dem Faktor 5 gewichtet wird (Andersen u. a. 2001: 19 f.)!O. Erklärtes Ziel war die Beschränkung auf möglichst wenige Parameter, um die Formel transparent zu halten 11. 9 In der Debatte um die veränderten Modalitäten der Mittelzuweisung haben sich die Begriffe "formelgebundene", "schlüsselgebundene", "kriteriengebundene", "parametergesteuerte", "leistungsorientierte", "indikatorisierte" etc. Zuweisung eingebürgert; wir verwenden sie synonym. 10 Seit 2002 wird zudem eine Frauenquote, also der Anteil von Frauen am Personal, in die Berechnung einbezogen; zum Zeitpunkt unserer Untersuchung spielte dieses Kriterium noch keine Rolle, so dass wir im Folgenden darauf nicht weiter eingehen. 11 Dies macht sicherlich den Charme der Verteilungsformel aus. Dass die verwendeten Indikatoren nicht unproblematisch sind, dass beispielsweise die Absolventenzahl oder die
2 Minssen et al.
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A. Einleitung
Entwickelt wurden die Kriterien der parametergebundenen Finanzmittelzuweisung vom Wissenschaftsministerium in Kooperation mit der Landesrektorenkonferenz. Das Verteilungsmodell fand qua Mehrheitsbeschluss Zustimmung bei den Hochschulrektoren. Von diesen Aushandlungen der Landesrektorenkonferenz mit dem Wissenschaftsministerium wurden die Modi der Umsetzung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung innerhalb der einzelnen Hochschulen, d. h. der jeweiligen Rektorate und der Fakultäten bzw. Fachbereiche, allerdings nicht tangiert. Das Wissenschaftsministerium hat diesbezüglich keine Handlungsanweisungen vorgegeben, so dass es praktisch im Ermessen der Hochschulen lag, ob bzw. wie sie die formelgebundene Finanzzuweisung auf die Gegebenheiten ihrer Hochschulen herunterbrechen (Andersen u. a. 2001: 5). Hier setzt unsere Studie an. In der oben genannten Vorstudie (Andersen u. a. 2(01) wurden die Gründe für die Einführung einer Parameterorientierung und die damit verbundenen politischen Aushandlungsprozesse innerhalb und zwischen dem Ministerium, der Hochschulrektorenkonferenz und - am Beispiel unserer Heimatuniversität, der Ruhr-Universität Bochum - einem Rektorat und einem Dekanat thematisiert. In der vorliegenden Studie nun geht es um die landesweiten Folgen einer Indikatorisierung der Mittelverteilung.
11. Die Forschungsfragen Bei der Untersuchung der Wirkungen einer parametergebundenen Mittelverteilung müssen hochschulintern drei Ebenen unterschieden werden. Erstens muss die Wirkung auf die Hochschulrektorate, in unserem Fall: die nordrhein-westfalischen Hochschulrektorate, und deren spezifischer Umgang mit der veränderten Mittelzuweisung der TG 94 untersucht werden. Zweitens müssen die Auswirkungen der veränderten Rahmenbedingungen und der Umgang damit auf der Ebene der Dekanate thematisiert werden. Drittens schließlich muss die Wirkung der veränderten Mittelzuweisung auf die Professoren l2 untersucht werden, wobei dies in mancher Hinsicht die eigentlich interessierende Analyseebene ist. Denn auch wenn bei den politischen Entscheidungsträgern die Einführung einer Parameterorientierung in erster Linie mit der Perspektive einer effizienteren Ressourcennutzung (Turner 2001: 209) sowie einer transparenteren und damit letztlich "gerechteren" Mittelverteilung an die Hochschulen verknüpft war (Behrens 2001: 73), so hat doch immer auch mehr oder minder ausgesprochen die Hoffnung auf eine stärkere OrienAnzahl der Promotionen auch durch ein Herunterschrauben der Anforderungen erhöht werden kann, "dass es sich bei den Indikatoren überwiegend nicht um solche der Leistung (handelt), sondern des Erfolgs, von dem auf eine Leistung zurückgeschlossen wird" (Hoffacker 2000: 98), dass zu guter Letzt nur noch das gemacht wird, was sich ,,rechnet" - all das soll hier gar nicht bestritten werden; doch was wäre die Alternative? 12 Dass in diesem Bericht damit immer auch die Professorinnen gemeint sind, dürfte sich von selbst verstehen.
H. Die Forschungsfragen
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tierung der Professoren an den in den Parametern ausgedrückten Leistungskriterien eine Rolle gespielt. Genereller formuliert geht es um die Frage, ob das Setzen neuer Rahmenbedingungen für die Organisation "Hochschule" Wirkung zeigt bis hinunter auf die dezentralen, weitgehend autonomen Einheiten, in denen die Leistung der Organisation produziert wird. Dazu liegen bisher keine Befunde vor, was einigermaßen erstaunlich ist, wird das neue System einer leistungs- und belastungsbezogenen Mittelverteilung von den daran beteiligten Akteuren, in diesem Fall: dem Kanzler einer großen bayerischen Universität doch immerhin als im Vergleich zur bisherigen Steuerung des Ressourceneinsatzes ,,revolutionär" (Kronthaler 2002: 21) bezeichnet. Nun mag diese Verfahrensänderung einem Verwaltungsbeamten in der Tat so bemerkenswert erscheinen, dass er sie mit diesem nicht eben anspruchslosen Adjektiv belegen zu müssen meint; "revolutionäre" Wirkung freilich hätte sie erst, wenn nicht nur die Verfahren der Zuweisung, sondern auch die Leistungserstellung in den dezentralen Einheiten sich geändert hätte. 13 Auf der Ebene der Rektorate ist die Frage von zentralem Interesse, ob und wie die Hochschulrektorate die durch das neue Verteilungsverfahren veränderten Rahmenbedingungen in die bestehenden organisatorischen Strukturen eingebunden und an die nachgeordneten Leitungsebenen der Hochschulen, die Dekanate, weitergegeben haben. Dabei ist vor allem von Bedeutung, ob die Rektorate den Zuweisungsschlüssel des Wissenschaftsministeriums adaptiert oder einen eigenen Kriterienschlüssel bzw. ein eigenes Verteilungsmodell entwickelt haben. Vor dem Hintergrund eines wie auch immer ausgestalteten Mittelzuweisungsschlüssels sind in diesem Zusammenhang die jeweiligen Konsens- bzw. Konfliktkulturen sowie das mikropolitische Durchsetzungsvermögen der Hochschulrektorate ins Blickfeld zu nehmen. Auf der Ebene der Fachbereiche l4 ist zu erforschen, ob und wie die Fachbereiche über die veränderten Modi der Finanzmittelzuweisung von Seiten der Rektorate informiert wurden und welche Mitwirkungsmöglichkeiten sie bei der Ausgestaltung der Finanzmittelverteilung innerhalb der Hochschule hatten. Des Weiteren ist zu analysieren, ob die veränderte Finanzmittelzuweisung des Wissenschaftsministeriums an die Hochschulen bzw. der Rektorate an die Dekanate auch zu veränderten Modi der Finanzmittelzuweisung auf Fachbereichsebene geführt hat. Es wird also untersucht, ob, und falls ja, seit wann die Dekanate die Finanzmittel in der TG 94 parameterorientiert an die Professoren zuweisen. Falls dies der Fall ist, ist zu untersuchen, ob die leistungsorientierte Mittelzuweisung der TG 94 Auswirkungen auf die Leistung der Professoren und die Ausstattung der Professuren hat. 13 Im Heft 3/2002 der vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung herausgegebenen ..Beiträge zur Hochschulforschung" finden sich die Berichte von sechs Hochschulkanzlern über die Implementierung neuer Steuerungs verfahren in ihren jeweiligen Hochschulen; in jedem Fall werden die neuen Verfahren gelobt, in keinem Fall wird nach den Auswirkungen gefragt. 14 Wir sprechen im Folgenden ausschließlich von Fachbereichen und meinen damit natürlich auch Fakultäten.
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A. Einleitung
Falls die Dekanate im Zuge der parametergesteuerten Finanzmittelzuweisung die Mittel der TG 94 nach einem veränderten Kriterienschlüssel an die Professoren zuweisen, ergeben sich weitere Fragen für die professorale Ebene. Vor allem ist zu klären, ob die kriteriengestützte Mittelzuweisung Veränderungen z. B. im Hinblick auf eine andere Leistungsorientierung nach sich gezogen hat, ob sich also eine Neuorientierung nachweisen lässt, mit der mögliche Verschlechterungen bei der Mittelzuweisung aufgefangen werden sollen bzw. der Anteil an den zu verteilenden Mitteln erhöht werden soll. Dabei muss allerdings bedacht werden, dass die Umstellung auf Parameterorientierung noch neueren Datums und zudem aus guten Gründen oftmals nur ein Teil der Mittel einbezogen ist, so dass die Auswirkungen auf dieser Ebene noch nicht in vollem Umfang spürbar sind. Wir werden diesen Fragen in folgender Weise nachgehen: Zunächst einmal müssen wir unseren Untersuchungsgegenstand skizzieren; eine Hochschule ist zwar eine Organisation, doch eine mit spezifischen Merkmalen, die wir im folgenden Kapitel B. herausarbeiten werden. Im Kapitel C. geht es um die Frage, ob, und falls ja, wie solche Organisationen gesteuert werden können. Dabei wird gezeigt, dass Hochschulen trotz ihrer Spezifika anderen Organisationen zumindest insoweit ähneln, dass eine direktive Fremdsteuerung kaum denkbar ist, sondern allenfalls eine Kontextsteuerung; erschwerend freilich - zumindest unter dem Aspekte einer zentralen Steuerung - kommt bei Hochschulen hinzu, dass sie sich im Bereich von Forschung und Lehre im Unterschied zu anderen Organisationen durch eine weit vorangetriebene Dezentralisierung und zudem durch ein ganz spezifisches Personal auszeichnen, so dass eine gelungene Kontextsteuerung auf einer Organisationsebene sich keineswegs auf einer Akteursebene niederschlagen muss 15 • Kapitel D. stellt unseren Einstieg in die Empirie dar; wir skizzieren die empirische Grundlage unserer Befunde und auch die Schwierigkeiten, auf die wir im Verlaufe unserer Untersuchungen gestoßen sind. In den drei dann folgenden Kapiteln präsentieren wir die Befunde unserer Untersuchung, getrennt nach Professoren, Rektoraten und Dekanaten. Kapitel H. gibt einen kurzen Überblick über die Steuerungsinstrumente innerhalb von Hochschulen, auf die wir in Rahmen unserer Untersuchung zusätzlich zur Indikatorisierung gestoßen sind und im letzten Kapitel vielleicht besonders geeignet für den ganz eiligen Leser (und selbstverständlich auch für die ganz eilige Leserin) - fassen wir unsere Befunde kurz zusammen und versuchen einen Ausblick.
15 Was zu Recht die Frage nach sich zieht, ob dann noch von einer "gelungenen" Kontextsteuerung gesprochen werden kann; doch dazu später.
B. Die Hochschule (k)eine Organisation wie jede andere? I. Organisationen im privaten und öffentlichen Sektor Organisationen sind ein Produkt moderner Gesellschaften und geradezu ein Differenzierungsmerkmal gegenüber traditionellen Gesellschaften, so dass von manchen (Perrow 1991) moderne Gesellschaften auch als "Organisationsgesellschaft" bezeichnet werden. Nun bleibe dahin gestellt, ob dies die Merkmale moderner Gesellschaft(en) wirklich trifft, doch unbestreitbar ist, dass alle wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben in der Moderne in Organisationen abgearbeitet werden. Gleich, ob Erziehung, Ausbildung, Bildung, Wirtschaft oder Politik, alle Aufgaben in diesen Bereichen werden organisationsförmig wahrgenommen. Klassischerweise werden Organisationen als soziale Gebilde gefasst, die aus Individuen und Gruppen zusammengesetzt und auf Dauer angelegt sind. Organisationen unterscheiden sich von anderen sozialen Systemen durch die Regeln der Mitgliedschaft (Luhmann 1991); es ist klar bestimmbar und an formale Voraussetzungen geknüpft (beispielsweise einen Arbeitsvertrag), wer dazu gehört und wer nicht. Sie sind auf einen Zweck ausgerichtet, wobei nur einige Individuen an der Zwecksetzung teilhaben können, während andere - die meisten - diese als gegeben vorfinden. Die Ziele der Organisationsmitglieder müssen sich dabei nicht notwendigerweise mit denen der Organisation decken; im Normalfall ist wohl eher von einer Diskrepanz auszugehen. Auch deswegen ist eine geregelte Arbeitsteilung Bestandteil von Organisationen. Individuen haben in Organisationen bestimmte Aufgaben zu erfüllen, die nach einem bestimmten Muster geteilt sind und deswegen koordiniert werden müssen. Diese Muster stellen Erwartungen dar, die umgesetzt sind in Rollenanforderungen und vor allem Stellenbeschreibungen; sie sind die Grundlage der formalen Organisationsstruktur. Die sich darin ausdrückende Arbeitsteilung ist eine notwendige Voraussetzung für die Erreichung bestimmter Zwecke der Organisation. Organisationen dienen also der Koordination von Handlungen zur Erfüllung ihrer Zwecke und greifen dabei zurück auf implizite und explizite Regeln. Die Chancen, an Zielen mitzuwirken, Regeln zu entwerfen, sich ihnen zu unterwerfen oder zu entziehen, sind ungleich verteilt (Schreyögg 1999: 5 ff.), da eine bestimmte Form der organisationsinternen Verknüpfung dominiert, die Hierarchie. Hierarchische, arbeitsteilige Organisationen bieten den Vorteil einer beachtlichen Leistungsfähigkeit, die auf die funktionale Differenzierung und die damit einhergehende Aufspaltung von Problemen zurückzuführen ist (Pellert 1999: 77 f.); dies erst
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B. Die Hochschule - (k)eine Organisation wie jede andere?
erzeugt die Leistungsfähigkeit von Organisationen, die die Summe der Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder um ein Vielfaches übersteigt l6 . Ausgehend von dieser allgemeinen Fassung können Organisationen im öffentlichen und privaten Sektor hinsichtlich ihrer Strukturdeterminanten unterschieden werden, wie es in Abbildung I dargestellt ist. Hochschulen als Teil des öffentliches Sektors unterscheiden sich demzufolge von Organisationen des privaten Sektors u. a. durch das Dienstprinzip, das öffentliche Recht, die kollektive Bedarfsdeckung und vor allem die Art der Leistungserstellung und Leistungsabgabe. öffentlicher Sektor
privater Sektor
Primäres Ziel
Allgemeinbedarf
Gewinnerzielung
Zielbildung
von pluralistischen Zielen determiniert
frei im Rahmen staatlicher Normen
Art der Bedarfsdeckung
kollektive Bedarfsdeckung
individuelle Fremdbedarfsdeckung
Leistungserstellung
in der Regel nicht marktfähige, sondern kollektive Güter
marktfähige Güter
Leistungsabgabe
häufig unentgeltlich, oft keine Abnahmepflicht
Angebot und Nachfrage auf dem Markt bestimmen die Höhe des Entgelts
Finanzierung
Abgaben der Gemeinschaft
Umsatzerlöse durch die Abnehmer erstellter Leistungen
Eigentümer
Öffentlich
privat
Bestandsrisiko
Nein
ja
MarktsteIlung
Teilmarktbetrieb
Vollmarktbetrieb
Marktform
Monopol
Konkurrenz
Steuerungsprinzip
politische Legitimität
marktwirtschaftliche Ordnung
Steuerungsinstrument
Norm
Geld
Handlungsprinzip
Legalität
Produktivität
Handlungsinstrument
öffentliches Recht
privates Recht Erwerbsprinzip
Leistungsprinzip
Dienstprinzip
Leistungsanreiz
Sozial
Monetär
Einkommensjindung
Gesetzgebung
Tarifverhandlung
Rechnungsstil
Kameralistik
Doppik
Kontrolle
Finanzkontrolle
Erfolgskontrolle
Quelle: in Anlehnung an Strunz (1993: 130)
Abbildung 1: Öffentliche und private Organisationen 16 Für eine Organisation ist es, wie man weiB, kein Problem, ein Auto zu produzieren; kein Individuum wäre dazu in der Lage.
11. Die Hochschule als Profibürokratie
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Im Zuge von Veränderungen etwa durch die Einführung ökonomisch basierter Steuerungselemente, die für den privaten Sektor entwickelt sind, müssen in den Hochschulsektor diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen, und vor allem die damit verbundenen unterschiedlichen Logiken berücksichtigt werden (Naschold/ Bogumil 2000: 91). Denn traditionell ist der Hochschulsektor an bedarfswirtschaftlichen Kriterien orientiert, die die Hochschulbildung als öffentliches Gut bzw. öffentliche Aufgabe fassen. Betriebswirtschaftliehe Steuerungskriterien (Hoffacker 2000: 87 -125) sind mit bedarfswirtschaftlichen nicht ohne weiteres kompatibel, sondern müssen auf die Charakteristika der Hochschulen zugeschnitten werden (Hödl/Zegelin 1999: 189-214)17. Vor allem muss bedacht werden, dass Hochschulen von einem über Generationen aufgebauten, kulturell verankerten Rechtssystem bestimmt sind, das aufgrund seiner "Mächtigkeit und Beharrlichkeit" nicht einfach beiseite geschoben werden kann (Laux 1998: 73). Insofern ist von vornherein davon auszugehen, dass die Implementation von stärker ökonomisch basierten Kriterien in Hochschulen zumindest nicht völlig friktionslos vonstatten geht.
11. Die Hochschule als Profibürokratie Die Aufgaben lassen sich in primäre und sekundäre Aufgaben unterteilen. Die primären Aufgaben einer Hochschule bestehen in der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre und Studium (bmb+f 1998: § 2, Abs. 1, Satz 1 HRG). Sie werden durch die Organe der Fachbereiche, insbesondere durch das wissenschaftliche Personal, d. h. durch die Professoren und durch die Gruppe des Mittelbaus l8 in den Fachbereichen und den wissenschaftlichen Einrichtungen erbracht. Mit den sekundären Aufgaben wird die Erfüllung der primären Aufgaben in Steuerung und Leitung, Planung, Verwaltung und Rechtsangelegenheiten unterstützt. Sie werden je nach Hochschulverfassung vom Rektorat bzw. vom Präsidium und den Dienstleistungseinrichtungen der Hochschulver17 Dies zeigen auch die Versuche seit den 80er-Jahren, ein ,,Neues Steuerungsmodell" in der öffentlichen Verwaltung auf Kommunalebene zu etablieren, was gewissermaßen einen Vorläufer zu den Versuchen darstellt, betriebs wirtschaftliche Steuerungskriterien im Hochschulsektor einzuführen. Grundlegender Gedanke dieses "Neuen Steuerungsmodells" ist die Verschiebung von einer inputorientierten zu einer output- bzw. outcomeorientierten Steuerung. Marktrelevante Prinzipien gewinnen an Bedeutung. Damit verbunden rücken betriebswirtschaftliche Elemente wie Marktorientierung und Wettbewerbsgedanken, an Privatunternehmen orientierte Managementkonzepte, Trennung von strategischer und operativer Verantwortung, dezentrale Strukturen sowie Ergebnisbewertung und -belohnung in den Vordergrund (vgl. SchröterlWollmann 1998; Jann 1998; KGSt 1993). Auch hier zeigte sich, dass bedarfswirtschaftliche Kriterien nicht ohne weiteres durch betriebs wirtschaftliche zu ergänzen oder gar zu ersetzen waren. 18 Der wissenschaftliche Mittelbau umfasst wissenschaftliche Hilfskräfte, wissenschaftliche Angestellte, Studienräte im Hochschuldienst, Lektoren, außerplanmäßige Professoren, Assistenten, Oberassistenten, Hochschuldozenten und Akademische Räte.
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B. Die Hochschule - (k)eine Organisation wie jede andere?
waltung als Bestandteil der zentralen Einrichtungen wahrgenommen (Thieme 1996: 830 ff.). Nach dem Hochschulrahmengesetz differenziert sich die Hochschule in die zwei Entscheidungsebenen zentrale Organe und Organe der Fachbereiche (bmb+f 1998: § 61, Abs. 1, Satz 1 HRG), also zentrale und dezentrale Einrichtungen (Thieme 1996: 821). Es handelt sich um eine organisatorische Tiefengliederung, die sich in Rektor und Senat bzw. Präsident und Senat als zentrale Einheiten und Dekan und Fachbereich als dezentralen Einheiten niederschlägt. Die dezentralen Einheiten bestehen formal neben der Fakultät bzw. dem Fachbereich als Zusammenfassung von Fächern aus dem Dekan und dem Fachbereichsrat und dessen Sprecher (bmb+f 1998: § 64 HRG). Darüber hinaus gibt es wissenschaftliche bzw. zentrale Einrichtungen, .die dem Fachbereich sowohl untergeordnet (im Falle von Instituten und Seminaren) als auch nebengeordnet (im Falle von Forschungs- und Serviceeinheiten) sein können (Thieme 1996: 821 ff.). Freilich trifft diese Differenzierung in zwei Ebenen die Realität in Hochschulen nur höchst unzureichend. Man kommt der Sache näher unter Rückgriff auf einen Begriff aus der Organisationswissenschaft, den Begriff der "Profibürokratie". Dies geht zurück auf Mintzberg (1992); er unterscheidet fünf "Teile" einer Organisation: den operativen Kern, die strategische Spitze, die Mittellinie zwischen operativem Kern und strategischer Spitze sowie den Hilfsstab. Im operativen Kern werden die grundlegenden Arbeiten zur Fertigung von Produkten und zur Bereitstellung von Dienstleistungen verrichtet. Von der strategischen Spitze aus werden die Abläufe und Vorgänge im operativen Kern koordiniert. Die Technostruktur steht außerhalb der Hierarchie der Linienführungskräfte und ist vor allem mit einer Standardisierung als Mechanismus zur Koordinierung von Arbeitsabläufen befasst. Im Hilfsstab schließlich sind alle Tatigkeiten zusammengefasst, die den indirekten Dienstleistungen zuzurechnen sind. Die ProfibÜfokratie nun ist darauf ausgerichtet, Standards zu internalisieren, um einerseits den Anforderungen der Klienten zu genügen und die professionelle Arbeit zu koordinieren. Die wesentlichen Gestaltungsparameter sind die Professionalisierung, die horizontale Aufgabenspezialisierung und die vertikale und horizontale Dezentralisation in einer komplexen, stabilen Umwelt (Mintzberg 1992: 256; Thieme 1996; Müller-Böling 1997: 603). Sie zeichnet sich aus durch einen sehr starken operativen Kern (vgl. Abb. 2). Die Technostruktur, unter der in Hochschulen wohl die Bereiche der Planung und der Studienangelegenheiten zu verstehen sind, spielt eine vergleichsweise geringe Rolle, auch im Unterschied zu den Hilfsstäben, deren Funktion vor allem in einer Unterstützung des operativen Kerns liegt; dies ist vor allem die Zentralverwaltung und zentrale Einrichtungen wie Universitätsbibliotheken. Am stärksten besetzt ist der operative Kern, in dem die für eine Hochschule elementaren Funktionen Forschung und Lehre erbracht werden. Er besteht aus der Gruppe der Professoren und der Gruppe des wissenschaftlichen Mittelbaus. Die strategische
11. Die Hochschule als Profibürokratie
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Operativer Kern
Quelle: Darstellung in Anlehnung an Mintzberg 1992: 263
Abbildung 2: Die Profibürokratie
Spitze hingegen ist schwach ausgeprägt. Zu ihr gehören die Hochschulleitung, das Rektorat oder das Präsidialkollegium 19 und die zentralen Selbstverwaltungsgremien. Sie tragen die Gesamtverantwortung für die Hochschule. Die Machtbefugnisse der Hochschulspitze sind im Vergleich zu anderen Organisationstypen begrenzt; sie ist nicht in der Lage, die professionellen Mitarbeiter direkt zu lenken. Dennoch hat sie durchaus Möglichkeiten der indirekten Macht bzw. Steuerung (Mintzberg 1992: 30 ff., 268 ff.). Ihr obliegt die Aufgabe der Gesamtplanung, der Ressourcenallokation und der Überwachung der wissenschaftlichen Standards; ihre Machtressourcen sind Finanzierung, Planung, Regulierung und Evaluation (Becher/Kogan 1992: 50 ff.). Zudem vertritt die zentrale Autorität die Hochschule nach außen, nimmt Außenanforderungen wahr und setzt sie um (Clark 1983: 208; Mintzberg 1992: 270), und gerade die Kontrolle der Informationskanäle zur Umwelt stellt in Organisationen eine wichtige Machtressource dar (Crozier / Friedberg 1979). Doch letztlich sind die Steuerungsmöglichkeiten von Hochschulleitungen gering, da in Expertenorganisationen Leitungsentscheidungen eng mit der fachlichen 19 Mit den Worten von Mintzberg (1992: 268) ist der Rektor der "professionelle Administrator" der Profibürokratie Hochschule. Nun ist der Rektor in deutschen Hochschulen bekanntlich nur ein, wenn auch herausgehobenes Mitglied des Rektorats, zu dem neben den Prorektoren auch der Kanzler gehört. Unter dem Aspekt der Professionalität wäre die in vielen Hochschulverfassungen vorgeschriebene Begrenzung der Amtszeit eines Rektors eigener Überlegungen wert, denn der Kanzler, in der Regel immer noch Lebenszeitbeamter, stellt aufgrund seiner Berufserfahrung in einern personell immer wieder wechselnden Rektorat den eigentlichen "Profi" dar, der über Wissen verfügt, das die anderen Rektoratsmitglieder nicht haben und nicht haben können. Man muss nicht unbedingt auf Lenin zurückgreifen, demzufolge Wissen Macht ist; das kann man auch organisationswissenschaftlich begründen. Unter diesem Aspekt wäre die Frage eigener Überlegungen wert, wer an deutschen Hochschulen eigentlich der "professionelle Administrator" ist: der Rektor oder der Kanzler?
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B. Die Hochschule - (k)eine Organisation wie jede andere?
Arbeit verknüpft sind (Pellert 2000: 46). Die hohe Professionalität der Tätigkeiten im operativen Kern verleiht diesem ein erhebliches Gewicht, das eine Standardisierung der Tätigkeiten und eine daraus folgenden Kontrolle weitgehend verhindert. Zudem zeigen die Überlegungen von Mintzberg, dass eine Differenzierung der Hierarchieebenen in "zentral" und "dezentral" zu kurz greift. Die Verbindung zwischen beiden Ebenen stellt die Mittellinie, also die Dekanate dar, so dass von drei Hierarchieebenen auszugehen ist, ohne dass freilich die eine Ebene der anderen gegenüber anweisungsbefugt wäre. Eine weitere Besonderheit an der Struktur der Hochschule ist, dass sie stärker als andere Organisationen aus lose gekoppelten Systemen besteht (Weick 1976) und zwar aus Systemen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen, die sich aus Professuren zusammensetzen, die durch ein extrem hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit gekennzeichnet sind. Der "operative Kern" ist also keineswegs eine monolithische Größe, sondern besteht selbst wieder aus Einheiten, die weitgehend unabhängig voneinander operieren (können). Diese Organisationsstruktur ist der nahe, die heute von öffentlichen und privaten Unternehmen gefordert wird, um sich durch ständige Wandelfähigkeit erfolgreich am Markt zu positionieren; bereits Mintzberg (1992: 276) hielt die "Profibürokratie" für "eine ausgesprochen zeitgemäße Struktur - und dies aus gutem Grund, zumal sie weitgehend demokratisch strukturiert ist". Nun muss man dieser Bezeichnung nicht folgen wollen - was wäre eine "undemokratische" Organisationsstruktur? -, doch sicherlich vereint der Organisationstypus "Hochschule" Wettbewerb, Auslese, Internationalität und Effizienz durch New Public Management und government by the market (Kern 2000: 26 ff.). Die Disziplinen werden weder zentral gesteuert noch integriert. Es hat sich eine flache Hierarchie mit starken dezentralen Einheiten, einer im Vergleich zu anderen Organisationen eher schwachen Zentralleitung und einer noch schwächeren Leitung auf der Mittellinie, d. h. auf Dekanatsebene herausgebildet; trotz der z. T. erheblichen Größe von Universitäten gibt es im Bereich Forschung und Lehre nur die drei Hierarchieebenen Lehrstuhl, Dekanat und Rektorat, die zudem nicht in einem Verhältnis von Anweisung und Ausführung stehen. Jede Einheit, d. h. jedes Fachgebiet, jedes Institut, letztlich jede Professur unterhält selbstverantwortet Beziehungen zur Außenwelt, zu Studierenden und Interessenten und ist somit innerhalb ihrer Einheit resp. der Hochschule eigenständig handlungsfähig (Brinckmann 1998: 136). Selbst wenn es gewollt wäre, könnten diese Einheiten gar nicht qua Hierarchie, also der in vielen Organisationen üblichen Form der Steuerung koordiniert werden; schon immer findet sich in Hochschulen ein Typ von Koordinierung, eine "diskursive Koordinierung", auf die viele Organisationen insbesondere in industriellen Sektor derzeit mühsam umzustellen versuchen (dazu Minssen 1999). In Hochschulen haben sich mithin, das muss man sich immer wieder vor Augen halten, Organisationsstrukturen und daraus folgend Formen der Steuerung etabliert, die in der Ratgeberliteratur für Manager als modem, Erfolg verspre-
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chend und zukunftsweisend gepriesen werden und die viele Unternehmen seit einigen Jahren in ihrem Bereich zu realisieren trachten, ohne dass es ihnen bisher in einer Reichweite gelungen wäre, wie es an Hochschulen seit jeher gang und gäbe ist. Allerdings haben dezentrale Strukturen die unangenehme Tendenz, ihre je spezifischen, "lokalen" Rationalitäten zu entwickeln. Bei einer hohen Autonomie der dezentralen Einheiten ergibt sich daraus die Kehrseite der Vorteile von Dezentralität, nämlich die mangelnde Steuerungsfähigkeit der Gesamtorganisation; jede dezentrale Struktur erzeugt das Problem einer Koordinierung der dezentralen Einheiten. Dies gilt in besonderer Weise für Hochschulen, in denen sich die Disziplinen und Vertreter einzelner Disziplinen nicht nur eher der Wissenschaftsgemeinschaft verpflichtet fühlen als der Hochschule, an der sie forschen und lehren2o, sondern in denen der unentwickelten Hierarchie entsprechend sich auch eine Formalstruktur kaum ausgebildet hat. Der Rektor ist formal der Vorgesetzte der wissenschaftlichen Mitarbeiter, hat diese Anweisungsbefugnis aber informell an die Professoren übertragen, und deren Dienstvorgesetzter wiederum ist der Minister. Nun ist es ohnehin nicht Rolle der Formalstruktur, "Verhaltensweise direkt zu bestimmen, sondern Verhandlungsspielräume für die Akteure zu strukturieren" (Friedberg 1995: 151), doch für Hochschulen mit ihren kaum entwickelten Formalstrukturen bedeutet dies, dass die Verhandlungsspielräume der Akteure außerordentlich groß sind, jedenfalls größer als in anderen Organisationen. Deswegen sind Entscheidungsprozesse nicht denkbar im Sinne von Anweisung und Ausführung21 , sondern Entscheidungen in Hochschulen basieren auf komplexen Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen (nicht nur) in den dafür vorgesehenen Gremien. Entscheidungen verlangen eine Semantik, in der die Akteure sich über ihre Maßnahmen und Verfahren verständigen (und natürlich auch streiten) können. Diese Semantik ist eine der Rationalität; eine Entscheidung muss sich den Akteuren als rational darstellen und Maßnahmen müssen in Hochschulen wohl stärker noch als in anderen Organisationen als rational vermittelbar sein, damit sie als mögliche Optionen in den Aushandlungsprozess überhaupt eingebracht werden können. Eine Veränderung der Leitlinien von Entscheidungen - und die stärkere Berücksichtigung von betriebswirtschaftlichen Kriterien statt der bisher üblichen bedarfswirtschaftlichen Kriterien stellt sicherlich eine solche Veränderung dar aber impliziert einen Wandel der Semantik, in der über die Veränderung kommuniziert wird; was nun als rational gilt, kann früher durchaus irrational und deswegen noch nicht einmal thematisierungswürdig gewesen sein. Dies besagt auch, dass Rationalität durchaus ausdeutbar ist, dass sich also die Rationalitätssemantiken voneinander unterscheiden je nachdem, auf welche Ziele hin Entscheidungsoptionen als rational kommuniziert werden. Und dies schließt ein, dass dem Beobachter in Wir kommen weiter unten darauf zurück. Wobei dahingestellt bleibe, ob Entscheidungsprozesse in Organisationen überhaupt so denkbar sind. 20
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Unkenntnis der jeweiligen Rationalitätssemantiken die Rationalität verschlossen bleibt, Entscheidungen also als irrational erscheinen. Alle Entscheidungen in Organisationen sind Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse intentional handelnder Akteure und Akteurskoalitionen. Demnach richten Entscheidungsprozesse sich nicht nach Kriterien einer Zweck- oder Sachrationalität aus. Dies bedeutet nicht, dass die Teilnehmer an Entscheidungsprozessen sich irrational verhielten, doch ihre Intentionalität beruht auf einer je spezifischen Rationalität, vor allem der Rationalität ihrer individuellen Interessen, die in Organisationen generell und in Hochschulen erst recht keineswegs deckungsgleich sein müssen mit den Interessen der Organisation insgesamt, sondern eher auf Statusabsicherung, beruflichen Aufstieg und Verfügung über Machtressourcen ausgerichtet sind. Diejenigen, die die fehlende Rationalität in Organisationen je nach Standpunkt feststellen, beklagen oder bestaunen, arbeiten häufig mit einem Begriff von Rationalität, der auf Zweckrationalität im Sinne von Max Weber zurückgeht; unabdingbare Voraussetzung zweckrationalen Wirtschaftens ist formale Rationalität, d. h. die Berechenbarkeit von Vorgängen. Diese fand ihren vollkommensten Ausdruck bekanntlich in Webers Idealtypus der Bürokratie, die gekennzeichnet ist durch die Regelgebundenheit des Handeins, die Aktenmäßigkeit der Abläufe, die feste Kompetenzverteilung etc. In ihrem Gefolge wurden die Formalstrukturen von Organisationen als Ausdruck gleichsam "angewandter" Rationalität interpretiert. Nun kann zu Recht die Frage aufgeworfen werden, warum "man ausgerechnet Organisationen ( ... ) eine besondere, wenngleich problembeladene Nähe zur Rationalität zumutet" (Luhmann 1988a: 165), und dieses Zutrauen in die Rationalität organisierter Sozialsysteme ist denn auch inzwischen einer erheblichen Skepsis gewichen. Schon vor mehr als vierzig Jahren wurde konstatiert, dass Akteure aufgrund ihrer Kapazitäten zur Informationsverarbeitung nur zu "begrenzter Rationalität" (March / Simon 1958) in der Lage sind. Entscheidungsprozesse in Organisationen sind eher nach dem ,,Mülleimermodell" (March 1979)22 als nach einem klar strukturierten Verfahren organisiert, so dass organisatorische Entscheidungsprozesse sich mehr an Kriterien der Handlungsrationalität als an Kriterien der Sachrationalität ausrichten (Brunsson 1982). Insofern haben wir uns nicht die Frage zu stellen, ob eine Entscheidung für die Einführung oder gegen die Einführung einer indikatorisierten Mittelverteilung ra22 Zwar stellen (amerikanische) Hochschulen wohl nicht umsonst die empirische Basis dar für das "garbage can model" von Entscheidungen (Cohen u. a. 1972), demzufolge Entscheidungen eher zufällig aus Verfahren, Beteiligten, Problemen und Lösungen resultieren, so dass es durchaus vorkommen kann, dass Lösungen sich Probleme suchen, die (noch) gar nicht existieren. Doch vennutlich lassen sich Entscheidungen auch in anderen Organisationen als derartige "organisierte Anarchie" beschreiben, zumindest in Organisationen, die sich ähnlich wie Hochschulen durch schlecht definierte Ziele und schlecht durchschaute Wirkungszusammenhänge der Zielerreichung auszeichnen; zu letzterem Schimank 200l.
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tional ist23 ; uns interessieren die Folgen der auf Landesebene getroffenen Entscheidung hinsichtlich der Umsetzung in den Hochschulen. Zwar hat man sich im Ministerium von der Einführung der Parameterorientierung einen Steuerungsimpuls für die Hochschulen erhofft, doch diese Hoffnung konnte sich nur erfüllen, wenn die Indikatorisierung der TG 94 auch hochschulintern als rationale Problemlösung kommunizierbar war. Denn die relative Autonomie der Fakultäten und Fachbereiche sowie der Professoren erschwert es, das System Hochschule als Organisation insgesamt zu steuern - sei es extern durch die Politik bzw. durch das Wissenschaftsministerium oder intern durch das Rektorat bzw. die Dekanate (Hanft 2000: 15). Allerdings ist die Steuerung von Organisationen ohnehin ein schwieriges Geschäft; sie ist jedenfalls nicht möglich in Form einer direkten Intervention.
23 Weiter unten werden wir zwei Fachbereiche beschreiben, die jeweils gegenteilige Entscheidungen getroffen haben.
C. Steuerung von Hochschulen I. Die Organisationsebene: Kontextsteuerung und Selbststeuerung Neue Themen finden nicht ohne weiteres Eingang in interne Entscheidungsprozesse. Gleich, ob Organisationen "als autopoietische Systeme auf der operativen Basis der Kommunikation von Entscheidungen" (Luhmann 1997: 830) oder als ,,reflexive Form der Strukturation" (Ortmann u. a. 1997) charakterisiert werden, ob sie als mikropolitische Arenen (Küpper/Ortmann 1988) oder "als an wiederverwendbaren Regeln orientierte, kontingente Handlungszusammenhänge" (Tacke 1997: 226) interpretiert werden, als soziale Regelsysteme, in denen Regeln von Akteuren in von ihnen interpretierten Situationen angewandt werden (Bums / Flarn 1987), oder ob Organisationen im Rahmen einer "arn subjektiven Wissenschaftsprogramm orientierten Organisationstheorie" (Sandner / Meyer 1994) als Produkt von Verhandlungen der Organisationsmitglieder gefasst werden - in jedem Fall wird darauf verwiesen, dass Organisationen Entscheidungen nach Maßgabe eigener Regeln und nicht in strikter Abhängigkeit von den Anforderungen der Umwelt treffen; ,,Ereignisse, Chancen und Gefährdungen außerhalb ihrer selbst (werden) je nach eigenem Entwicklungsstand nur sehr selektiv" (Wimmer 1991: 377) aufgegriffen und verarbeitet. Insofern gibt es keinen "one best way" der Effektivierung. Organisationsformen sind kontingent; sie können so sein, wie sie sind, aber sie müssen nicht so sein. Nicht "der" Staat "fordert" höhere Absolventenzahlen, kürzere Studiendauer, mehr Anwesenheit von Professoren, sondern hochschulinterne Gremien müssen zu der Auffassung gelangen, dass derartige Anforderungen zu erfüllen sind, bevor sie zu entscheidungsrelevanten Themen werden. Einfache Modelle der Anpassung sind also nicht in der Lage, die Komplexität der Beziehungen zwischen Organisationen und ihrer Umwelt einzufangen (Friedberg 1995: 81). Umwelt stellt für soziale Systeme ein "Rauschen" dar, das erst dann zu Reaktionen führt, wenn dieses Rauschen organisationsinterne Irritationen hervorruft; es muss "auf die Entscheidungszusammenhänge des Systems bezogen werden" (Luhmann 1988a: 173), bevor ein Sachverhalt von der Organisation als Entscheidungsproblem interpretiert wird. Die Umwelt ist keine fixe Größe, sondern Organisationen ,,konstruieren" ihre Umwelt (Klimecki u. a. 1994: 61); als ein relevantes Problem müssen Sachverhalte überhaupt erst einmal definiert werden, und zwar von durchsetzungsmächtigen Akteuren, die in der Lage sind, ihre Sichtweise für die Organisation verbindlich zu machen. Ein mächtiger Akteur bzw. eine mächtige Akteurskonstellation muss zu der Überzeugung gelangen, dass eine indi-
I. Die Organisationsebene: Kontextsteuerung und Selbststeuerung
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katorisierte Mittelzuweisung eine adäquate Problemlösung (für welches Problem auch immer) darstellt, und er muss diese Überzeugung auch verbindlich machen können, und das heißt in Hochschulen, in denen die Möglichkeiten einer Anweisung sehr beschränkt sind: er muss diese Überzeugung argumentativ nachvollziehbar begriinden, um auf diese Weise Zustimmung zu finden. Externe Steuerung von Organisationen generell und damit auch von Hochschulen kann also nicht als Intervention gedacht werden; überhaupt sind die Möglichkeiten staatlicher Steuerung begrenzt. Ungeachtet der unterschiedlichen Reichweiten von Planungstheorien wurde noch in den 70er- und 80er-Jahren die grundsätzliche Steuerbarkeit der Hochschulen nicht in Zweifel gezogen. Der Staat orientierte sich auf eine zentrale Steuerung und Verrechtlichung der Hochschulen durch Festlegung von Verhaltens- und Verfahrensregeln (z. B. Kapazitätsverordnungen, Lehrdeputatsverordnungen, Stellenplanbewirtschaftung, Studien- und Prüfungsordnungen). Derartige Steuerungsversuche haben sich als problematisch herausgestellt, da sie auf staatliche Eingriffsverwaltung und Ordnungspolitik beschränkt sind. Gleichzeitig wird dadurch die Autonomie der Hochschule ausgehöhlt und die eigentlich erhoffte Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Hochschulen kann nicht erzielt werden. Zudem ist die Steuerung durch Macht an hohe Kontrollkosten, geringe Tiefenwirkung und an geringe Elastizität ihres symbolischen Mechanismus der physischen Gewalt gebunden (Hödl/Zegelin 1999: 178 f.). Die Befolgung der meisten Rechtsnormen scheint eher durch Selbstbindung motiviert zu sein und Eigeninitiative und Innovation zu unterdrücken. Die Eigenkomplexität gesellschaftlicher Systeme nimmt mit der Ausdifferenzierung der modemen Gesellschaften in funktionale Teilsysteme erheblich zu. Dadurch wird es immer schwieriger, langfristig vorher zu sagen, welches Steuerungshandeln ein bestimmtes Problem auf Organisationsebene lösen wird. Regulative Programme können zwar graduelle Veränderungen herbei führen, sie sind aber immer weniger geeignet und nehmen an Zahl und Bedeutung ab oder Gesetze und Verordnungen werden offener formuliert; denn Faktoren für Entscheidungen der Einzelnen sind die materiellen Problemlagen und Interessenskonstellationen. Die wachsende Komplexität funktional differenzierter Gesellschaften führt zu einem Bedarf an Integration und Koordination, den das politische System immer weniger leisten kann. Politische Maßnahmen werden gerade in der Hochschulorganisation aufgrund verwurzelter Traditionen oder einflussreicher Interessengruppen bereits in der Implementierungsphase zurückgewiesen. Der Staat kann so trotz ausdifferenzierter bürokratischer Steuerungsmittel nicht bis zum "Wissenschaftsverständnis und damit zu dem, was wissenschaftlich im Einzelnen in der Hochschule geschieht, bestimmend vordringen" (Hödl/Zegelin 1999: 178 f.). Wichtige Überlegungen, die zu einer Abkehr von der früheren Steuerungseuphorie geführt haben, stammen aus der soziologischen Systemtheorie. So hat Luhmann den Begriff der Steuerung reformuliert (Luhmann 1988b: 328). Seiner Auffassung nach erweisen sich soziale Systeme, die selbstreferentiell operieren, als weit-
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c. Steuerung von Hochschulen
gehend resistent gegenüber externen Steuerungsversuchen. Autopoietische Systeme reduzieren Umweltinformation, indem sie die Information in ihren Kommunikationscode übersetzen. Dabei wählen sie die Information selektiv aus und nur das, was in den jeweiligen Code übersetzt wird, ist in der internen Kommunikation anschlussfähig, d. h. wird intern überhaupt wahrgenommen. Daraus erklärt sich die "Steuerungsresistenz" sozialer Systeme. ,,Externe" Information muss an die basale Selbstreferenz der Entscheidung anschlussfähig sein (bzw. gemacht werden). Luhmann beschränkt den Begriff der Steuerung also streng auf systeminterne Vorgänge. Das unterstellt nun selbstverständlich keine Autarkie sozialer Systeme; alle Systeme existieren in einer Umwelt, sind systematisch mit einer Umwelt verbunden. Dies bezeichnet Luhmann als "strukturelle Kopplungen"; sie "beschränken den Bereich möglicher Strukturen, mit denen ein System seine Autopoiesis durchführen kann" (Luhmann 1997: 100). Es handelt sich gewissermaßen um eine Beziehung vorhersehbarer Irritationen. Strukturelle Koppelung bedeutet wechselseitige Beeinflussung und Anpassung über systemimmanente Strukturveränderungen, d. h. jedes Teilsystem "passt seine internen Strukturen den von anderen Teilsystemen erzeugten Umweltereignissen immer wieder im Hinblick darauf an, die Geordnetheit der eigenen Operationen aufrecht zu halten" (Schimank 1996: 191). Entscheidungen beispielsweise in der Politik rufen Irritationen in anderen gesellschaftlichen Teilsystemen hervor, sofern diese mit dem politischen Funktionssystem strukturell gekoppelt sind. Zwar bleibt Luhmann recht vage in seinen Aussagen, wodurch strukturelle Kopplungen konstituiert sind; nicht jede Entscheidung in einem System, etwa dem politischen, erzeugt schließlich Irritationen in einem anderen, etwa dem Wirtschaftssystem oder dem Wissenschaftssystem. Doch klar ist, dass "strukturelle Kopplung" keineswegs "Fremdsteuerung" meint. Denn auch wenn Entscheidungen zu erwartbaren Irritationen in Fremdsystemen führen, müssen diese systernrelativ verarbeitet werden; "externe Einflussnahmen fließen so nur über systeminterne Konstruktionen in die Prozesse und Praktiken der Systeme ein" (Sydow I Windeier 2000: 7), denn "Irritationen sind nicht Folge externer Vorgänge, sondern resultieren aus der internen Enttäuschung systemeigener Erwartungen" (Kneer 2001: 417). Eine Fremdsteuerung des Wissenschaftssystems wie jedes anderen (sozialen) Systems ist Luhmann zufolge also unmöglich. Dies ist eine notwendige Einschränkung des früheren Steuerungsoptimismus, doch diese ,,Einschränkung" steht zumindest in Gefahr, Steuerung für gänzlich unmöglich zu halten. Einen Ausweg aus diesem Steuerungspessimismus bieten Teubner und Willke (1984) an. Willke knüpft dabei an Überlegungen von Luhmann (1985: 619) über die ,,rationale Reflexion" von Systemen an, denen zufolge ein System die Folgen des eigenen Handelns für die Umwelt reflektieren kann. Durch die Unterstützung der rationalen Reflexion, d. h. durch die Selbstthematisierung als Umwelt anderer sozialer Systeme, lässt sich eine indirekte Form der Steuerung etablieren. Das Verhalten des Zielsystems wird durch geeignete Modelle reflektiert, um mit gezielten Irritationen die Selbststeuerung des Zielsystems in die gewünschte Richtung zu lenken. Es
I. Die Organisationsebene: Kontextsteuerung und Selbststeuerung
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können Kontextbedingungen gesetzt werden, damit das zu steuernde System "selbst bei schädlichen Folgen (,negative Externalitäten ') [ ... ] seine Optionen nach dem Gesichtspunkt höchstmöglicher Umweltverträglichkeit und Kompatibilität auswählt" (Willke 1995: 124). Ein direkter und direktiver Systemzugriff sowie eine punktgenaue operative Steuerung komplexer Systeme ist jedoch auch hier nicht möglich und würde der Autonomie des Systems entgegen wirken (Willke 1998: 213). Diese Steuerungsoption durch Gestaltung der Kontextbedingungen nennen Teubner und Willke Kontextsteuerung. Sie ist das von Teubner und Willke favorisierte Modell politischer Steuerung. Die beiden anderen großen Hauptmodelle sozialer Steuerung, d. h. Steuerung als naturwüchsige bzw. marktfönnige Evolution sowie hierarchische Steuerung in und mit bürokratischen, professionellen Organisationen und Institutionen werden als suboptimal oder selbstgefahrdend eingeschätzt (Willke 1997: 78, 133). Kontextsteuerung ist die komplexe Rekombination von autonomer Selbstorganisation gesellschaftlicher Funktionssysteme, die neben Indifferenz und desinteressierter Distanz auch eine Vielfalt gegensätzlicher Logiken produzieren (Willke 1997: 88 ff. )24. Durch Kontextsteuerung wird dem Interventionsmechanismus Hierarchie der Koordinationsmechanismus Verhandlung vorgezogen mit dem Ziel, das Reflexionspotential des anvisierten Systems zu aktivieren (Teubner/Willke 1984: 12 ff.). Kontextvorgaben sehen sich in einer polyzentrisch organisierten Gesellschaft vor dem Problem, dass die Politik ihre Sonderrolle als Instanz der Formulierung und Durchsetzung des gesellschaftlichen Konsenses eingebüßt hat (Willke 1997: 88). 24 Dabei wird zwischen drei Fonnen der Kontextsteuerung differenziert: Die residuale Kontextsteuerung von Politik beschränkt sich darauf, den gesellschaftlichen Teilbereichen die Rahmenbedingungen für ihre Selbstorganisation zu gewährleisten und die Weiterentwicklung autopoietischer Systeme zu ennöglichen. Bei dieser Fonn der Steuerung zielen Politik und Recht auf die Ennöglichung von Selbststeuerung und Weiterentwicklung der Systeme ab (Teubner/Willke 1984: 32). Die direktive Kontextsteuerung versucht in die operative Geschlossenheit der Teilsysteme einzugreifen. Die einzelnen Teilsysteme sind prinzipiell "black boxes", sie sind aber zumindest selektiv füreinander zugänglich; sie verstehen sich in einem gewissen Grade und kommunizieren miteinander. Gelingt dieses Verstehen und Kommunizieren ganzheitlich im Sinne einer analogisierenden Modellbildung, sprechen Teubner und Willke von der therapeutischen Fonn der Steuerung und meinen damit eine Erhöhung der Reflexion des Systems. Gelingt das Verstehen und Kommunizieren im Gegensatz auf nur bestimmte Aspekte und deren isomorphe Modellbildung, dann nennen sie dieses Steuern die technologische Fonn der Steuerung. Diese richtet sich auf eine selektive handlungssteuernde Internalisierung externer, politischer und rechtlicher, Vorgaben wie z. B. auf den Einbau von Strukturvorgaben, Nebenzwecken und Leistungsstandards (Teubner/Willke 1984: 33). Die dezentrale Kontextsteuerung schließlich geht von einer Geschlossenheit komplexer Teilsysteme aus, welche undurchdringbar sind. Durchdringbar sind ausschließlich die Interaktionsbeziehungen der Teile. Auf diese richtet sich die Steuerung in Fonn der Gestaltung von Relationierungsprogramrnen in Verhandlungs systemen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen. Ein Verständnis der Interaktionsmatrix der Teilsysteme reicht aus, um sich gegenseitig aufeinander beziehen zu können. Steuerung erfolgt durch "strukturelle Koppelung" (Teubner/Willke 1984: 32 f.).
3 Min"en et 01.
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C. Steuerung von Hochschulen
Deshalb nehmen zum einen Geld und zum anderen das Recht die Rolle von Steuerungsmedien wahr, die auf die horizontale Koordinationsfähigkeit der Teilsysteme eingestellt sind; die Selbstidentifikationsprozesse der Sozialsysteme werden in Form von prozeduralen Lösungen unterstützt. Denn Kontextsteuerung nimmt an, dass kein einzelnes Funktionssystem für sich, auch nicht die Politik in (polyzentrischen) Gesellschaften die Durchschlagskraft und Kompetenz hat, die erforderlichen Kontextsetzungen vorzugeben (Willke 1997: 142). Statt dessen werden Organisationsformen, Verfahren und Kompetenzen zur Verfügung gestellt und Voraussetzungen für Verhandlungssysteme geschaffen (Teubner / Willke 1984: 19 ff.). Verhandlungssysteme dienen der Abstimmung und der Koordination zwischen über- und untergeordneten Ebenen (vertikale Koordination). Anstatt Entscheidungen einfach hinnehmen zu müssen, erlauben Verhandlungssysteme den betroffenen Akteuren, im Vorfeld von Entscheidungen Kompromisse im diskursiven Prozess zu erwirken sowie die Entscheidungsfindung zu beeinflussen (Willke 1997: 134 f.). Neben die vertikale Koordination tritt der Bedarf an Koordination zwischen gleichrangigen und gleichgeordneten Systemen (horizontale Koordination), da die einzelnen Systeme in modernen Gesellschaften eine hohe Autonomie und Eigendynamik ausgebildet haben (Willke 1997: 136). Während klassische Steuerungskonzepte einen Dualismus von Staat und Gesellschaft unterstellten und damit eine differenztheoretische Auffassung vertraten, orientieren sich neuere Konzepte an einer integrationstheoretischen Perspektive (Kneer 2001: 422). Diese (und andere) Überlegungen haben dazu geführt, dass dem Staat mittlerweile nur noch begrenzte Steuerungsmöglichkeit zugesprochen werden (Lange/Braun 2000: 23). Statt dessen wird betont, dass der Staat kein einheitlich strukturierter und handelnder Akteur ist, sondern sich aus arbeitsteiligen, spezialisierten und pluralistischen Regierungs- und Verwaltungsorganisationen zusammensetzt. Die einzelnen Regierungs- und Verwaltungsorganisationen treten zielspezifisch und in hohem Maße voneinander unabhängig mit den gesellschaftlichen Bereichen ihrer Zuständigkeit in Kontakt, um über Bedarf, Vorbereitung, Ausgestaltung und Implementation von policies zu verhandeln. Das politisch-administrative Funktionssystem ist zudem ein System unter anderen, neben dem Systeme wie Wissenschaft, Religion, Politik, Recht und Wirtschaft existieren; die hierarchische Stellung und Steuerungsposition des Staates verliert an Bedeutung (Hödl/Zegelin 1999: 152). Statt dessen werden dem Staat Funktionen wie Orientierungsfunktion, Organisationsfunktion, Vermittlungsfunktion und Letztentscheidungsfunktion zugesprochen. Ohne dies an dieser Stelle vertiefen zu wollen: die Steuerungsmöglichkeiten des Staates und damit auch die staatlichen Möglichkeiten zur Steuerung von Hochschulen werden mittlerweile im Vergleich zu früheren Überzeugungen eher skeptisch beurteilt; dass Veränderungen in Hochschulen diesen "durch Bildungspolitik und Ministerialbürokratie aufoktroyiert" (Lamnek 2002: 6) seien, ist eine an Hoch-
11. Die Akteursebene: Handlungsorientierungen
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schulen zwar oftmals zu hörende, gleichwohl wissenschaftlich kaum noch zu haltende Auffassung, und zwar sowohl aus einer organisationswissenschaftlichen wie auch aus einer steuerungstheoretischen Perspektive. Den (irrealen) Fall einer vollständigen Steuerung über Erlasse einmal ausgeschlossen, kann der Staat letztlich nur Rahmenbedingungen setzen und über Verhandlungssysteme Kontexte verändern - in der Hoffnung, dadurch im Adressatensystem die gewünschten Wirkungen zu erzielen. Auch die Einführung der Indikatorisierung der Mittel der TG 94 stellt eine solche Form der Kontextsteuerung dar. Es gab ein Verhandlungssystem mit Vertretern der Rektorate und des Ministeriums sowie Leitvorgaben des Ministeriums. Unsere Untersuchung wird zeigen, dass alle Rektorate ihre Finanzmittel in der TG 94 mittlerweile intern nach einem Indikatormodell verteilen, obwohl das Ministerium kein Controlling-Instrument einsetzte oder gar Sanktionen ausgesprochen hätte. Damit haben die Hochschulen intern auf eine andere basale Selbststeuerung umgestellt, ohne dass das Ministerium direktiv und unmittelbar in die Abläufe der jeweiligen Hochschule eingegriffen hätte. Die Rektorate als Vertreter der Hochschule nach innen und außen wurden durch die vom Wissenschaftsministerium gesetzten finanziellen Rahmenbedingungen gelenkt. Allerdings erreicht die politisch-kontextuelle Steuerung des Wissenschaftsministeriums bzw. der Politik die individuellen Akteure auf der Mittellinie und im operativen Kern auf unterschiedliche Weise. Dekane und Professoren von Hochschulen werden neben politischen Kontexten auch von hochschulinternen Handlungslogiken sowie durch die eigene Logik akademischer Karrieren geprägt. Demnach scheinen Handlungs- bzw. Verhaltensorientierungen nur bedingt kontextabhängig bzw. systemabhängig zu sein. Denn individuelle Akteure haben immer auch Handlungsspielräume mit spezifischen Handlungsorientierungen bzw. Einstellungsmustern (Mayntz / Scharpf 1995: 52). Deshalb wollen wir uns nun nach der Organisationsebene den motivationalen Bedingungen von Handeln bzw. Verhalten auf der Akteursebene zuwenden. Hier entscheidet sich auch, ob die Versuche der Kontextsteuerung auf der - für den Lehr- und Forschungsprozess - relevanten Ebene der Handlungen von Professoren ankommt.
11. Die Akteursebene: Handlungsorientierungen Organisationen müssen sicherstellen, dass die individuellen Handlungen ihrer Mitglieder auch mit den organisationalen Zielen übereinstimmen. Mitarbeiter unterwerfen sich zwar qua Arbeitsvertrag den Organisationszielen, aber diese beim Eintritt in die Organisation erfolgte Absichtserklärung muss kontrolliert und erneuert werden. Traditionell wird dies über externe Anreize gemacht. Die Vergabe der Mittel aus der TG 94 nach Leistungskriterien folgt genau dieser Logik. Durch ex3*
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C. Steuerung von Hochschulen
terne Anreize wird versucht, das Handeln der Professoren auf spezifische Ziele von Hochschulen zu lenken (vgl. Wilkesmann 2(01). Dabei haben Hochschulen es aber mit einer ganz spezifischen Klientel zu tun. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, dass Hochschulen sich durch eine extreme Dezentralisierung und eine daraus folgende erhebliche Autonomie der dezentralen Einheiten auszeichnen; diese Einheiten nun bestehen aus Mitgliedern, den Professoren, die sich nicht so sehr ihrer eigenen Organisation als vielmehr ihrem je spezifischen Fach verbunden fühlen. Der Bezugspunkt des wissenschaftlichen Personals ist die (weltweite) scientific community des eigenen Fachs25 , nicht aber die Hochschule, der man angehört. Es ist die scientific community, die fachliche Leistungen belohnt, manchmal auch bestraft, durch die Professoren Reputation erlangen (Pellert 2(00) und die letztlich über Karriere entscheidet; Hochschulleitungen verfügen nicht wie Wirtschaftsunternehmen über derartige Steuerungsmöglichkeiten (Hanft 2000: 15), denn der Wissenschaftler richtet sich "primär am Urteil der Fachgemeinschaft aus und behandelt demgegenüber die Verpflichtungen der lokalen Selbstverwaltung nachrangig" (Paris 2001: 210). Mögliche Sanktionen der Hochschulleitung können demgegenüber nur sekundär bleiben; notfalls bewirbt man sich eben auf andere Professuren, was zudem noch Reputationsgewinn verspricht. Verhaltenssteuerungen von Professoren durch Hochschulleitungen sind also begrenzt; mehr noch als in anderen Organisationen kommt es auf die Motivation des Personals an. Grundsätzlich wird Handeln bzw. Verhalten entweder intrinsisch oder extrinsisch motiviert (Heckhausen 1989: 455). Die individuellen Motive der handelnden Personen werden als Voraussetzung von (Leistungs-)Motivation angesehen. Diese sind entweder angeboren oder erworben (Kleinbeck 1996: 21). Intrinsisches Handeln geschieht um seiner selbst willen bzw. um eng damit zusammenhängender Zielzustände (Heckhausen 1989: 459). Keine sichtbare Belohnung, sondern nur die Aktivität selbst ist für die Person handlungsleitend; es ist kein bloßes Mittel zu einem andersartigen Zweck. Intrinsisches Handeln beschreibt die Übereinstimmung von Mittel (Handlung) und Zweck (Handlungsziel). Die Leistung als Handlungsergebnis muss um seiner selbst willen geschehen und darf nicht Mittel eines leistungsthematischen Zweckes sein. Gleichwohl kann das Leistungshandeln auch ein Zwischenergebnis auf dem Weg zu einem übergeordneten Endergebnis sein (Heckhausen 1989: 459). Die Aktivität oder deren Ziel stellt eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung dar. Die drei wichtigsten Ausformungen der intrinsischen Motivation in Bezug auf die Arbeitswelt sind Freude an der Arbeit, Einhalten von Normen um ihrer selbst willen (z. B. Fairness, ethische Normen und Teamgeist) und das Erreichen selbst gesetzter Ziele (Frey /Osterloh 2000: 24). Extrinsisches Handeln, gleichbedeutend mit exogenem Handeln bzw. exogenen Gründen von Handlungen, geschieht im Unterschied zum intrinsischen Handeln 25 In Deutschland scheint dies besonders ausgeprägt zu sein; im internationalen Vergleich jedenfalls zeigen deutsche Professoren die geringste Verbundenheit mit ihrem Fachbereich und ihrer Hochschule (vgl. Enders/Schimank 2001: 167).
11. Die Akteursebene: Handlungsorientierungen
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nicht um seiner selbst willen und findet dann statt, wenn Mittel (Handeln) und Zweck (Handlungsziel) thematisch nicht übereinstimmen. Der Mittelcharakter ist von außen gesetzt, willkürlich und beliebig herstellbar (Heckhausen 1989: 459). Das extrinsische Handeln erfolgt um einer Belohnung willen (z. B. des Geldes wegen). Traditionell wird in der Universität auf die intrinsische Motivation der Wissenschaftler gesetzt. Da die tägliche Forschungs- und Lehrarbeit nur schwer oder unter sehr hohen Transaktionskosten beobachtbar und damit kontrollierbar ist, werden Wissenschaftler ihrer endogen erzeugten Motivation überlassen 26 . Dies wird auch durch den Karriereweg unterstützt. Die Qualifikationsphasen der Promotion und Habilitation sind lange Strecken des "einsamen" Arbeitens, die in der Regel nur von intrinsisch hoch motivierten Personen durchschritten werden können. In der Arbeitspsychologie konnte der Zusammenhang von hoher intrinsischer Motivation und großen Handlungsspielräumen nachgewiesen werden (Hackman / Oldham 1980). Der große Handlungsspielraum, den Hochschullehrer genießen, unterstützt prinzipiell das Auftreten von intrinsischer Motivation und es sind, wie empirische Studien (vgl. die Zusammenfassung bei Enders/Schimank 2(01) zeigen, gerade diese intrinsisch motivierenden Aspekte der Tätigkeit, die eine wesentliche Quelle der Arbeitszufriedenheit von Professoren darstellen. Ob Akteure ihre Handlungen als intrinsisch oder extrinsisch motiviert wahrnehmen, ist eine Frage der eigenen Attribution. Da auch alle Hochschullehrer 27 für ihre Tätigkeit entlohnt werden, d. h. einen extrinsischen Anreiz bekommen, können sie natürlich ihrer Arbeit auch nur aufgrund dieses Belohnungsanreizes nachgehen. Dieser externe Anreiz soll durch die leistungsorientierte Mittelvergabe der TG 94 gestärkt werden. Ob dies ein zu-sätzliches Motivationspotential für die Professoren darstellt, d. h. ob Professoren dies als solches wahrnehmen, ist eine empirische Frage und wird uns noch beschäftigen. Professoren haben multi-task Aufgaben zu erfüllen. Es sind Tätigkeiten in der Forschung, Lehre und Selbstverwaltung zu erbringen, die jeweils komplexe Aufgabenbündel umfassen (Wilkesmann 2(01). Externe Anreize haben nun prinzipiell das Problem, dass sie immer nur eine Handlung belohnen können. Die Zuweisung der Mittel aus der TG 94 erfolgt u. a. nach der Anzahl der Absolventen. Verhält sich ein Hochschullehrer rational und will seine Belohnung maximieren, dann wird er die gewünschte Handlung zeigen und möglichst viele Absolventen "produzieren"; genau dieses Verhalten ist mit dem externen Anreiz ja auch intendiert. Zwei Probleme können dabei alIerdings auftreten: Der HochschulIehrer könnte alIe an26 "Wissenschaftliches Tun ist, aller Verbetrieblichung und Vernetzung der Funktionen zum Trotz, grundsätzlich Einzelarbeit. Ob in der Lehre vor großem Publikum, nächtens am Schreibtisch oder im aussichtslosen Kampf mit der Sache - in allen Aspekten unserer beruflichen Tätigkeit sind wir in einem existentiellen Sinne allein" (Paris 200 I: 207). 27 Mit Ausnahme u. a. der Honorarprofessoren, die ganz im Gegensatz zu ihrer Bezeichnung gerade kein Honorar erhalten.
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C. Steuerung von Hochschulen
deren Handlungen vernachlässigen, da sie nicht belohnt werden, oder er könnte die Belohnung möglichst "billig" erreichen wollen, indem er z. B. seine Standards senkt und auf diese Weise möglichst viele Absolventen produziert. Bei jedem externen Anreiz ist demnach genau zu analysieren, welches Verhalten "erzeugt" wird. Aus der Motivationsforschung ist bekannt, dass das Verhältnis von intrinsischer und extrinsischer Motivation nicht additiv sein muss. Vorhandene intrinsische Motivation kann durch extrinsische Anreize sogar zerstört werden. Unter bestimmten Umständen kann sie jedoch auch unterstützt werden. Der erste Effekt wird in der Psychologie Verdrängungseffekt, der zweite Verstärkungseffekt genannt (Frey / Osterloh 2000: 29)28. Externe Faktoren in Form von Belohnungen haben immer zwei Aspekte, einen informierenden und einen kontrollierenden Aspekt. Der informierende Aspekt verstärkt die erlebte Kompetenz und somit die internale Kontrollüberzeugung, wohingegen der kontrollierende Aspekt die externe Kontrollüberzeugung bzw. das Gefühl der Fremdsteuerung verstärkt (Frey / Osterloh 2000: 30). Der Verdrängungseffekt tritt also ein, wenn externe Faktoren als kontrollierend empfunden werden. Sie vermindern dann die Selbstbestimmung, Selbsteinschätzung und die Ausdrucksmöglichkeit und die intrinsische Motivation wird in dem kontrollierten Bereich eingeschränkt. Die intrinsische Motivation wird hingegen verstärkt, wenn externe Faktoren als unterstützend empfunden werden. Die Selbstbestimmung wird über die Selbsteinschätzung und einem damit verbundenen größeren Verhaltensspielraum entwickelt (Frey 1997: 24 f.). Wann und ob ein Verdrängungs- oder Verstärkungseffekt bei einem Individuum eintritt, hängt von seinen subjektiven Wahrnehmungen ab. Gleiche exogene Faktoren können bei einem Individuum verstärkend wirken und bei dem anderen verdrängend (Frey 1997: 25). Der Verdrängungseffekt ist bei materiellen Belohnungen größer als bei symbolischen, bei erwarteten Belohnungen größer als bei unerwarteten sowie bei komplizierten Problemen stärker als bei einfachen. Ein Bonus- und Malussystem wie die formelgebundene Finanzmittelzuweisung kann deshalb prin28 Es lassen sich vier psychologische Prozesse ausmachen, die miteinander verknüpft sind und ineinander übergehen (Frey 1997: 23 f.): erstens die eingeschränkte Selbstbestimmung: Die Person fasst den von außen kommenden Eingriff als Einschränkung des Handlungsspielraums auf. Die intrinsische Motivation wird zugunsten der extrinsischen reduziert. Der Kontrollbereich verlagert sich von innen einer Person nach außen, so dass die Person die Verantwortung dem von außen Eingreifenden überlässt. Zweitens die verminderte Selbsteinschätzung: Wenn die externe Motivation der Person zu verstehen gibt, dass die intrinsische Motivation einer Person nicht gewürdigt wird, dann werden die Beweggründe der intrinsischen Motivation missachtet. Aufgrund der Missachtung des Engagements und der Kompetenz vermindert die Person ihren Einsatz. Drittens die Überveranlassung: Die intrinsische Motivation für ein Handeln wird eingeschränkt, wenn ein externer Anreiz gesetzt wird. Die Person würde sich bei Beibehaltung der intrinsischen Motivation übermotiviert fühlen; deshalb reduziert sie die intrinsische Motivation, da sie diese beeinflussen kann. Viertens schließlich die reduzierte Ausdrucksmöglichkeit: Eine intrinsisch handelnde Person kann durch einen externen Eingriff ihre Motivation nicht anderen verdeutlichen, so dass sie ihr Handeln nach extrinsischer Motivation ausrichten wird.
III. Ein kurzes Zwischenresümee
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zipiell motivationssteigernd sein, es kann aber auch bewirken, dass das unmittelbare Ziel (Leistung in Lehre und Forschung) aus den Augen verloren wird (Frey / Osterloh 2000: 29).
III. Ein kurzes ZwischenresÜßlee Hochschulen können - wie soziale Systeme generell - nicht direktiv von außen gesteuert werden; eine Steuerung kann allenfalls in Form einer Kontextsteuerung erfolgen in der Hoffnung, genügend Irritationen zu erzeugen, so dass eine organisationsinterne Reaktion erforderlich und ermöglicht wird, wobei diese Reaktion aber auch wiederum davon abhängt, wie die Irritation intern kommuniziert wird. Wir haben bereits erwähnt, dass in unserem Fall, also dem Versuch einer Steuerung der Hochschulen durch eine Indikatorisierung der Mittel aus der TG 94, die staatliche Kontextsteuerung auf der Organisationsebene durchaus erfolgreich war; auf Landesebene ist ein verändertes Verteilungsmodell eingeführt worden und alle Hochschulen haben dem folgend mittlerweile auch intern auf ein indikatorisiertes Verfahren der Mittelverteilung umgestellt 29 • Davon unabhängig ist aber die Frage nach den Wirkungen der veränderten Mittelverteilung; auch wenn alle Hochschulen die Mittel intern nach Indikatoren zuweisen, muss dies noch keineswegs bedeuten, dass sich an der Leistungserstellung etwas geändert hat. Die Leistungen von Hochschulen werden bekanntlich durch Professoren erbracht: sie sind letztlich verantwortlich für die Absolventenzahlen, für die Anzahl der Promotionen und für die Einwerbung von Drittmitteln, also für die Parameter, an denen sich nach der Indikatorisierung der Erfolg in Forschung und Lehre bemisst. Nun lässt sich nachweisen, dass eine Anreizgestaltung mittels Geld in Hochschulen zumindest problematisch ist; die "aktuellen Pläne, neue Professuren zu befristen, schlechter zu besolden und mit willkürlichen Prämien zu versehen, sind", so Dilger (2001: 145) aus der Sicht der Prinzipal-Agenten-Theorie, "negativ zu werten". Nun haben wir uns nicht mit der Befristung und Besoldung von Professoren zu beschäftigten und die durch eine Indikatorisierung von Mitteln der TG 94 angezielte Prämiierung scheint uns auch nicht willkürlich. Wir haben statt dessen hervorgehoben, dass ein Setzen externer Anreize immer auch in Gefahr steht, intrinsische Motivation zu verringern, also nicht-beabsichtigte Effekte zu erzeugen. Doch wie auch immer begriindet: die einfache Formel "Geld gegen Leistung", in der Hoffnung, dadurch eine bestimmte Leistung zu evozieren, scheint zumindest im Hochschulbereich zu simpel zu sein3o . 29 Dass die dabei verwandten Parameter z. T. von den Kriterien des MSWF abweichen, werden wir weiter unten zeigen. 30 In gleiche Richtung, wenn auch pointierter, Eckardstein u. a. (2001: 7): "Wie zahlreiche Theorien aus dem Personalmanagement zeigen, ist Geld zwar bis zu einer bestimmten Höhe leistungssteigernd, wird aber langfristig als notwendig zur Bedürfnisbefriedigung vorausgesetzt. Motivierende Wirkung erzielen ganz andere Faktoren, insbesondere eine attraktive
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C. Steuerung von Hochschulen
Dadurch kann eine Diskrepanz zwischen Organisationsebene und Akteursebene entstehen. Was sich auf einer Organisationsebene als erfolgreiche Kontextsteuerung darstellt, weil es den hochschulinternen Kommunikationscode geändert hat, mag auf einer Akteursebene völlig folgenlos bleiben oder sogar nicht-intendierte Effekte haben. Auch wenn in Hochschulen intern auf eine Indikatorisierung der Mittelzuteilung umgestellt ist, muss dies keineswegs eine Verhaltensänderung von Professoren implizieren; sie können davon nicht beriihrt sein oder sich sogar zu einem Verhalten veranlasst sehen, dass den Zielen einer Indikatorisierung geradezu widerspricht. Ob dies der Fall ist oder ob die Indikatorisierung dazu geeignet gewesen ist, das erwünschte Verhalten zu verstärken oder gar hervorzurufen, ist eine empirisch zu entscheidende Frage. Wir wollen deswegen jetzt übergehen zu der Präsentation unserer Befunde, müssen zum besseren Verständnis aber noch einige Hinweise zu der Anlage unserer Untersuchung einschieben.
Arbeitsaufgabe oder interessante Forschungsprojekte und insbesondere die Gestaltung des Denkens junger Menschen."
D. Annäherungen an ein schwieriges Forschungsfeld die Empirie Mit der Untersuchung wird, wie gesagt, ein doppeltes Ziel verfolgt; zum einen soll ein Überblick verschafft werden, in welchem Ausmaß Mittel der TG 94 in den Hochschulen von Nordrhein-Westfalen mittlerweile nach Kriterien zugewiesen werden, und falls ja, welche Auswirkungen dies auf die Tätigkeit von Professoren hat. Zum anderen soll untersucht werden, welche hochschulinternen Auswirkungen und Folgen die Umstellung auf eine indikatorisierte Mittelverteilung hatte, in welchem Ausmaß dies mit mikropolitischen Aushandlungsprozessen und möglicherweise auch Konflikten verbunden gewesen ise l . Entsprechend diesen Zielsetzungen haben wir mit einem unterschiedlichen Methodenset gearbeitet, mit quantitativen ebenso wie mit qualitativen. Sie sollen in diesem Kapitel dargestellt werden, wobei wir die Überraschungen, die uns bei der Durchführung der Untersuchung erwarteten, nicht außer Acht lassen wollen.
I. Die quantitative Untersuchung Im quantitativen Teil der Untersuchung haben wir eine schriftliche Befragung durchgeführt, in die alle Rektorate, Dekanate und Professoren in Nordrhein-Westfalen einbezogen wurden. Diese quantitative Vollerhebung sollte Aufschluss darüber geben, ob und wie die Universitäten, die Gesamthochschulen 32 und die Fachhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen auf den drei Ebenen Rektorat, Dekanat und Professur mit den veränderten Modi der Mittelzuweisung in der TG 94 verfahren. Dabei sind für die drei Organisationsebenen der Hochschulen unterschiedliche Instrumente entwickelt worden. Die Fragebögen waren auf die jeweilige Organisationsebene Rektorat, Dekanat oder Professur zugeschnitten und enthielten jeweils die Themenblöcke Finanzmittelzuweisung aus der TG 94, Umgang mit der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung, Auswirkungen der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung und Einschätzung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung mit je spezifischen Fragenbatterien. 31 Dieses vom Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen geförderte Projekt hatte eine Laufzeit von zwei Jahren und wurde in der Zeit von Mai 2000 bis April 2002 durchgeführt. 32 Zum Zeitpunkt unserer Untersuchung gab es diesen Hochschultyp noch in NordrheinWestfalen.
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D. Annäherungen an ein schwieriges Forschungsfeld - die Empirie
Zunächst wurde an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum ein Pre-Test durchgeführt, um die Validität und die Reliabilität der Fragebögen zu überprüfen. Nach inhaltlicher Überarbeitung der Fragebögen wurden anschließend nacheinander die Rektorate aller nordrhein-westfälischen Hochschulen, alle Dekanate und die Professoren aller grundständigen Studiengänge der nordrhein-westfälischen Hochschulen in die Untersuchung einbezogen; Professoren, die Aufbau- und Weiterbildungsstudiengängen, Instituten oder dergleichen angehören, wurden nicht in die Befragung mit aufgenommen. Die Fragebögen für die Rektorate und Dekanate gingen direkt an die Adressaten, während die Professoren über die Dekanate mit der Bitte um Verteilung innerhalb der Fachbereiche angeschrieben wurden. Diese Erhebung fand im letzten Vierteljahr des Jahres 2000 statt. Die Rücklaufquoten waren sehr unterschiedlich. Von den 27 Rektoraten haben zunächst 16 auf den Fragebogen geantwortet. Die Rektorate der Fachhochschulen Rhein-Sieg und Gelsenkirchen wurden herausgenommen, da sich die eine Hochschule noch in Gründung befand und die andere seit ihrer Gründung noch nicht in die formelgebundene Finanzmittelzuweisung einbezogen worden war, so dass letztlich 25 Rektorate befragt werden sollten. Nach einer telefonischen Erinnerungsaktion hat sich der Rücklauf auf 20 erhöht. Die restlichen fünf Rektorate waren trotz mehrmaligem telefonischen Nachfassen nicht zu einer Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens zu bewegen; in einem Fall handelte es sich bizarrerweise um eine Hochschule, die an der Konzeptionierung des Fragebogens bis hin zur Frageformulierung beteiligt war, in der nun aber der Fragebogen, so die Antwort auf unsere Nachfrage, "in die Tonne gekloppt,,33 wurde. Zudem gab es eine ganze Reihe von Nachfragen. Die Nachfragen richteten sich bei den Rektoraten im Großen und Ganzen darauf zu erfahren, wer überhaupt einen Fragebogen erhalten hat und wann dieser abgeschickt wurde. In je einem Fall wurde um telefonische bzw. persönliche Rücksprache zwecks Fragenabstimmung gebeten. In diesen Fällen wurde auf Skepsis gegenüber einer derartigen Befragung hingewiesen und erwähnt, dass der Fragebogen bereits Gegenstand eines informellen Treffens einiger Rektoren gewesen sei. In einem Fall wurde zudem die Befürchtung geäußert, dass man in ein schlechtes Licht geriete, wenn man die Fragen "ehrlich" beantworte, andere Rektorate möglicherweise aber nicht so verführen. Abgesehen von der erstaunlichen Nicht-Souveränität, die sich in solchen Bemerkungen äußert, machte dies auch deutlich, dass das Anliegen des Projektes überhaupt nicht verstanden worden war34 , sondern als Kontrolle des MSWF interpre33 Es handelt sich um ein wörtliches Zitat. Dem Kenner wird sofort klar sein, dass es sich dabei um eine Hochschule im Ruhrgebiet - übrigens nicht unsere Heimatuniversität - handeln muss; den anderen sei gesagt, dass mit dieser Bemerkung eine fundamentale Kritik an unserem Fragebogen zum Ausdruck gebracht werden soll. 34 Wir haben deswegen sofort eine Intemetseite eingerichtet, auf der das Projekt im Detail vorgestellt wurde; alle Nachfrager wurden auch auf diese Seite verwiesen.
I. Die quantitative Untersuchung
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tiert wurde, dem man mit einigem Missbehagen begegnete. Wir kommen gleich darauf zurück. Den Fragebogen für Dekanate haben wir an alle 258 Dekanate der nordrheinwestflilischen Hochschulen verschickt; ausgenommen waren aus den genannten Gründen die Dekanate der Fachhochschulen Rhein-Sieg und Gelsenkirchen. Z. T. nach einer Erinnerung haben insgesamt 121 Dekanate den Fragebogen zurückgeschickt. Das bedeutet eine Rücklaufquote von 47 %, was für eine schriftliche Befragung als außerordentlich hoch angesehen werden kann. Nun wissen wir nichts über die Gründe derer, die nicht geantwortet haben; vermutlich sind es in der Tendenz eher diejenigen, deren Fachbereich mit einer parameterorientierten Mittelzuweisung noch nicht befasst gewesen sind. Insofern haben wir in unserem Sampie wohl einen gewissen Bias zu denjenigen, die in irgendeiner Weise von der Parameterorientierung betroffen sind - durchaus auch in negativer Weise, wie aus manchen uns zusammen mit den Fragebögen überlassenen schriftlichen Kommentaren hervorgeht: "Die formelorientierte Finanzrnittelverteilung ist nur eine Facette in der Palette der Verschiebung von Verantwortung, hier: Mangelwirtschaft",
oder: "Die Hochschulen sind zum Müllabladeplatz gesellschaftspolitischer Fehlentwicklungen in der Industrie, bei der Bildung der Jugend und vieler Hochschulmitglieder geworden."
Die aus der formelorientierten Finanzmittelverteilung resultierenden Konsequenzen gäben vor, eine leistungsgerechtere Finanzmittelverteilung herzustellen. Jedoch mangele es nach Ansicht eines Dekans an nachvollziehbaren Kriterien: "Die formelorientierte Finanzrnittelverteilung macht die Fetten fetter und die Dünnen dünner. Es fehlen quantifizierbare Kriterien zur Leistungsbeurteilung von Studierenden und Hochschullehrern."
Angesichts solcher Kommentare können wir wohl ausschließen, es nur mit Dekanen zu tun zu haben, die der veränderten Finanzmittelzuweisung positiv gegenüberstehen. Die Abbildung 3 zeigt, dass die Dekanate aus den Geisteswissenschaften sowie den Universitäten und Gesamthochschulen etwas unterpräsentiert, die aus den Ingenieurwissenschaften und Fachhochschulen hingegen etwas überrepräsentiert sind, wobei diese Differenzen aber nicht sehr gravierend sind. Auch wenn wir nichts wissen über die Gründe derer, die nicht geantwortet haben - vielleicht waren ja auch schlicht Zeitgründe ausschlaggebend -, so können wir wohl doch davon ausgehen, dass unser Sampie auch angesichts der hohen Rücklaufquote recht genau die Grundgesamtheit der Dekanate an nordrhein-westfälischen Hochschulen widerspiegelt. Anders hingegen sieht es bei den Professoren aus. Nun lassen Professoren, obwohl sie doch selbst Wissenschaft betreiben, sich selbst offenbar höchst ungern untersuchen; jedenfalls wird auch aus anderen Untersuchungen, in denen Professoren schriftlich befragt wurden, von eher ernüchternden Rücklaufquoten von max.
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D. Annäherungen an ein schwieriges Forschungsfeld - die Empirie Grundgesamtheit N
%
Sampie N
%
121
46,9
Gesamt
258 35
Fächerverteilung Geisteswissenschaften
108
41,8
45
37,2
48
18,6
21
17,4
100
38,8
54
44,6
2
0,8
1
0,8
Naturwissenschaften Ingenieurwissenschaften gemischte
Fächergruppen 36
100
Hochschultypen
100
Uni
90
34,9
37
30,6
GH
72
27,9
29
24,0
FH
96
37,2
55
45,4
100
100
Abbildung 3: Grundgesamtheit und Sampie - Dekanate
28 % berichtet (vgl. etwa Enders I Teichler 1995). Wir haben 6101 Fragebögen verschickt und erhielten nur 732 zuriick, was einer Rücklaufquote von gerade einmal 12 % entspricht. Auf ein Nachfassen haben wir verzichtet, weil wir uns nur geringe Chancen auf eine nennenswerte Erhöhung der Rücklaufquote ausrechneten. Denn aus der für eine Befragung dieser Art erstaunlichen Vielzahl der uns zugegangenen, vor allem telefonischen Kommentare musste der Schluss gezogen werden, dass die Nicht-Beantwortung des Fragebogens nicht nur auf Vergesslichkeit, sondern auch auf massiver Ablehnung beruhte. Zwar darf nicht übersehen werden, dass die große Mehrheit der Verweigerer den Fragebogen unkommentiert nicht beantwortet hat, doch aus den uns überlassenen Antworten lassen sich einige Griinde für die Verweigerung herausdestillieren. Zunächst einmal gibt es sicherlich einen hohen Anteil unter den Professoren, der nicht in eigentlichem Sinne zu den Verweigerern zu rechnen ist, sondern der den Fragebogen deswegen nicht ausgefüllt hat, weil ihn die Thematik nicht interessiert, und zwar deswegen, weil der Untersuchungsgegenstand unbekannt war. Wir halten es nach wie vor für einen erstaunlichen Sachverhalt, der aber wohl in Rechnung 35
= verschickte Fragebögen.
36
Vereinen Geisteswissenschaften mit Naturwissenschaften.
I. Die quantitative Untersuchung
45
gestellt werden muss, dass manche Professoren von Veränderungen in den Zuweisungsmodi der TG 94 bisher schlicht noch nichts mitbekommen haben. So wollte ein Professor aus der Chemie nicht nur wissen, was "Kontextsteuerung,,37 ist, sondern auch, was Parameter sind und welche angewendet werden, und ein anderer teilte uns mit: "Ich kann mit dem Fragebogen nichts anfangen, ich weiß nicht, was TG 94 ist, und werfe ihn jetzt in den Papierkorb!"
Überhaupt scheint das Wissen mancherorts arge Lücken aufzuweisen. Der Prodekan eines Architekturfachbereichs etwa ließ uns wissen, dass der Fragebogen nicht ausgefüllt werden könne, da in seinem Fachbereich keine Drittmittelprojekte durchgeführt würden, weil dazu eine Nebentätigkeitsgenehmigung erforderlich sei - offenbar eine bei Architekten vielleicht nicht unübliche Verwechslung von Drittmitteln und Nebeneinkünften. Dann gibt es eine zweite Gruppe, die ebenfalls nicht zu den Verweigerern zu zählen ist, da für sie gewissermaßen stellvertretend verweigert worden ist. So wurde uns vom Rektorat einer Hochschule schriftlich mitgeteilt, dass unsere Befragung ihren Zweck nicht erfüllt und deswegen der Fragebogen an die Professoren nicht weitergeleitet wird: ,,Eine Befragung aJler an der [ ... ] beschäftigten Professoren und Professorinnen ist nach Auffassung des Rektorates nicht geeignet, einen vertieften Überblick über die Auswirkungen der UmsteJlung der landesweiten Verteilung zu erhalten [ ... ]. Insofern wird eine Beantwortung der an die Professoren gerichteten Fragebögen nicht erfolgen."
Nach Erhalt dieses Schreibens konnten wir aus dieser Hochschule dann auch keinen Eingang eines ausgefüllten Fragebogens mehr verbuchen. In einem anderen Fall entschied eine Dekanatssekretärin (!), dass die Professoren den Fragebogen nicht ausfüllen können, da die Mittel vom Rektorat direkt an die Fachbereiche und Professoren verteilt würden 38 ; aus diesem Fachbereich haben wir auch keinen Fragebogen erhalten. Durch die Nutzung der Dekanate als Verteiler - jedes Dekanat hat einen der jeweiligen Anzahl der Professoren entsprechenden Satz von Fragebögen erhalten - waren wir auf deren Unterstützung angewiesen. Möglicherweise hat es manchmal schon hier gehakt; wir haben keine gesicherten Erkenntnisse darüber, können aber eben auch nicht ausschließen, dass der geschilderte Fall kein Einzelfall war, dass bereits in den Dekanaten entschieden wurde, dass die zum Fachbereich gehörenden Professoren den Fragebogen nicht zu beantworten hätten: eine, wenn auch etwas missglückte Ausübung einer Leitungsfunktion, die Dekanate zunehmend wahrnehmen sollen.
37 Wonach im Fragebogen freilich gar nicht gefragt wurde; nur im Projekttitel kam das inkriminierte Wort vor. 38 Was übrigens nach Auskunft des zuständigen Hochschuldezernats eine Fehlinformation war.
46
D. Annäherungen an ein schwieriges Forschungsfeld - die Empirie
Und dann gibt es die Gruppe der tatsächlichen Verweigerer. Einige begründeten die Nichtbeantwortung des Fragebogens damit, dass der Fragebogen nicht methodischen Standards entspricht: "Ich habe den Fragebogen weggeschmissen, weil die Daten nicht verlässlich und zugänglich sind; viele andere meiner Fachkollegen werden dies auch tun."
Andere verwiesen darauf, dass es keine formelgebundene Finanzmittelverteilung gäbe, dass Zeit- und Personalmangel sowie eine Neuberufung oder eine baldige Emeritierung einer Beantwortung entgegen ständen - alles Gründe, die eine Beantwortung des Fragebogens nicht unbedingt hätten verhindern müssen. Deswegen halten wir solche Gründe in gewisser Weise auch für vorgeschoben; letztlich ging es doch um anderes. Denn neben einem Desinteresse an der Thematik muss von einer massiven Befürchtung ausgegangen werden, dass die Beantwortung der Fragen zu einer Offenlegung von Sachverhalten gegenüber dem Ministerium geführt hätte, die tunlichst zu vermeiden ist. Über Geld redet man nicht - das scheint für nordrhein-westfcilische Professoren auch und in besonderer Weise dann zu gelten, wenn der Gesprächspartner der Dienstherr zu sein scheint, der um Auskunft bittet, selbst wenn es sich wie in diesem Fall um eine anonyme Befragung handelt; doch allein die Tatsache, dass das Projekt vom MSWF gefördert wurde, hat offensichtlich Verdacht erregt. Kern (2000) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Reformen von Hochschulen nur in einem Klima des Vertrauens möglich sind. So gesehen scheint es um die Reformfcihigkeit nordrhein-westfcilischer Hochschulen nicht zum Besten bestellt zu sein; statt von einem Klima des Vertrauens muss wohl eher von einer Kultur des Misstrauens ausgegangen werden, die, zu Recht oder nicht, Vorsicht, Zurückhaltung und Distanz nahe legt. Unseren Informationen zufolge ist unser - wie wir immer noch finden: ziemlich harmloser - Fragebogen nicht nur Thema diverser Fachbereichsratssitzungen, sondern in einem Fall sogar eigens Tagesordnungspunkt der Sitzung eines Universitätssenats gewesen. Etwas viel der Ehre, doch Angst vor Kontrolle scheint weit verbreitet zu sein, und die wird selbst dann handlungsleitend, wenn Kontrolle überhaupt nicht beabsichtigt und vor allem auch nicht möglich ist; selbst wenn wir gewollt hätten, wäre es durch die Anlage der Befragung gar nicht möglich gewesen, die Antworten bis zu den einzelnen Professoren zurück zu verfolgen. Wir haben also eine Befragung durchgeführt, die in erheblicher Weise zu Irritationen geführt hat, was von uns nicht beabsichtigt und vor allem auch nicht vorhergesehen war; wir hatten die Brisanz des Themas offensichtlich unterschätzt. Es gab Bestrebungen ganzer Hochschulen, die Befragung zu verweigern, was allerdings nicht gelungen zu sein scheint; es gibt keine Hochschule, die in unserem Professoren-Sample nicht vertreten ist. Doch insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass das Sampie aus Professoren besteht, die sich möglicherweise mehr als ihre Kollegen mit den veränderten Formen der Mittelzuweisung der TG 94 beschäftigt haben; wir haben eine leichte Überrepräsentanz aus Fachbereichen, in de-
11. Die qualitative Untersuchung
47
nen den Aussagen der Dekane zufolge bereits in der einen oder anderen Weise mit einer Parameterorientierung experimentiert wird. Und diese Professoren scheinen dem auch positiver gegenüber zu stehen; den den Fragebögen beigelegten Kommentaren ist jedenfalls zu entnehmen, dass viele, die sich der Mühe einer Beantwortung unterzogen haben 39 , eine leistungsorientierte Mittelvergabe recht positiv beurteilen, auch wenn oftmals Kritik im Detail beispielsweise an den herangezogenen Parametern geübt wird. Diese positive Selbstselektion muss bei der Interpretation der im Folgenden darzulegenden Befunde bedacht werden; den Anspruch einer Repräsentativität können wir in Bezug auf Professoren wohl nicht erheben. Dies bedeutet aber keineswegs, dass wir auf eine Verallgemeinerung unserer Ergebnisse verzichten müssen. Unsere Ergebnisse sind zumindest als "starke" Trendaussagen zu interpretieren, da unser Sampie unter bestimmten Aspekten recht gut die Grundgesamtheit abbildet. Zwar liegen uns keine Informationen vor über das Durchschnittsalter nordrhein-westfalischer Professoren, so dass wir sie nicht mit unseren Daten vergleichen können. Wir können aber sagen (vgl. Abbildung 4), dass "unser" Frauenanteil von 8,6 % recht gut die Grundgesamtheit von 10,9 % trifft, und auch die Besoldungsstufen spiegeln in etwa die Grundgesamtheit wider. Wie die Abbildung 4 zudem zeigt, sind auch andere strukturelle Rahmenbedingungen recht gut abgebildet. Zwar sind in unserem Sampie die Geistes- und Ingenieurwissenschaften etwas über- und die Naturwissenschaften unterrepräsentiert, wobei diese Differenzen aber nicht sehr stark sind; die Differenzierung nach Hochschultypen hingegen ist fast exakt abgebildet. Ungeachtet einer möglichen Repräsentativität - die wir natürlich nicht ausschließen wollen - können wir zumindest den Anspruch erheben, mit unseren Befunden ein der Grundgesamtheit aller nordrhein-westfalischen Professoren entsprechendes Stimmungsbild bzgl. der parameterorientierten Mittelverteilung der TG 94 zeichnen zu können.
11. Die qualitative Untersuchung Auf Grundlage der Ergebnisse der quantitativen Vollerhebung haben wir geklärt, welche Universitäten, Gesamthochschulen und Fachhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen sich für eine qualitative Wirkungsanalyse anbieten. Exemplarisch sollten Universitäten, Gesamthochschulen und Fachhochschulen entweder aufgrund besonderer Modelle der Zuweisungsmodalitäten ausgewählt werden, wegen Schwierigkeiten bei der Implementierung der veränderten Mittelzuweisung der TG 94 oder wegen unschlüssiger resp. interessanter Ergebnisse der Fragebogenerhebung. Zusätzlich sollte jeder Hochschultyp (Universität, Gesamthochschule und Fachhochschule) einbezogen und durch eine angemessene Vertretung "alter" und "neuer" Hochschulen die Hochschullandschaft in Nordrhein-Westfalen abgebildet 39 Selbst von diesen wird übrigens z. T. angemerkt, dass sie durch den Fragebogen erst von einer parameterorientierten Mittelzuweisung erfahren hätten.
48
D. Annäherungen an ein schwieriges Forschungsfeld - die Empirie Grundgesamtheit N
Sampie N
%
732
12,0
%
Gesamt
6101 40
Männer
5817
89,1
615
91,4
Frauen
709
10,9
58
8,6
100
Besoldungsstufen
100
C2
1046
16,0
103
15,4
C3
3182
48,8
294
43,9
C4
2298
35,2
272
40,7
100
Fächerverteilung Geisteswissenschaften
100
2705
44,3
346
47,3
Naturwissenschaften
1492
24,5
133
18,2
Ingenieurwissenschaften
1882
30,8
240
32,8
22
0,4
13
1,8
gemischte Fächergruppen41
100,1
100
Hochschultypen
Uni
2737
44,9
340
46,5
GH
1415
23,2
164
22,4
FH
1949
31,9
228
31,1
100
100
Abbildung 4: Grundgesamtheit und Sampie - Professoren
sein. Schließlich sollten inhaltlich gegensätzliche Positionen vertreten sein, die sich bei der Auswertung der quantitativen Erhebung herauskristallisierten; so interessierten uns u. a. unterschiedliche Erfahrungen mit der formelgebundenen Finanzrnittelzuweisung, Finanzrnittelveränderungen (Gewinne und Verluste), unterschiedliche Verfahren und Intensität von Partizipation und unterschiedliche Beur40 41
=verschickte Fragebögen
Vereinen Geistes- und Naturwissenschaften.
11. Die qualitative Untersuchung
49
teilung der indikatorisierten Finanzmittelzuweisung, gemessen etwa an abweichenden Antworten eines Rektorates bzw. Dekanates von dem Gros der anderen Rektorate bzw. Dekanate. Mit den Expertengesprächen sollten also die Gründe ermittelt werden, die zu verschiedenen Umgangsweisen innerhalb der Hochschulen mit den veränderten Modi der Mittelzuweisung durch das Land geführt haben. Dabei gingen wir von der Überlegung aus, dass den unterschiedlichen Umgangsweisen unterschiedlich ausgeprägte Konsens- bzw. Konfliktkulturen an den jeweiligen Hochschulen zugrunde liegen. Letztlich wählten wir sechs Hochschulen - drei Universitäten, eine Gesamthochschule sowie zwei Fachhochschulen - aus, in denen die Fallstudien durchgeführt werden sollten42 . Der Zugang zu den ausgewählten Gesprächspartnern zunächst Kanzler und Rektor - erfolgte durch Briefkontakt oder per E-Mail sowie über zeitlich versetzte telefonische Nachfragen. Bereits dieses Vorhaben erwies sich zum Teil als äußerst kompliziert, da in einigen Fällen nur mit erheblichen Anstrengungen ein Kontakt zustande kam; zumindest in einem Fall muss von einer Verweigerungsstrategie ausgegangen werden - nach den Erfahrungen aus der Befragung allerdings auch nicht mehr sonderlich überraschend. Zudem wurden wir zweimal auf Verwaltungsmitarbeiter verwiesen, die allerdings ursprünglich gar nicht als Experten befragt werden sollten, denn in unserem Forschungsinteresse ging es in erster Linie um die Entscheidungskompetenzen und Einführungspraktiken der Leitungsebene einer Hochschule. Freilich erwiesen sich die Interviews mit den Verwaltungsmitarbeitern als durchaus ertragreich, da sie die Entscheidungen der Leitungsebene umzusetzen haben und mit haushalts- und steuerungstechnischen Thematiken tagtäglich beschäftigt sind. Der nicht einfache Feldzugang hat dazu geführt, dass wir erhebliche Abstriche an unserem Forschungsprogramm machen mussten; auch in Anbetracht der begrenzten Projektlaufzeit, vor allem aber wegen der Skepsis im Feld waren Fallstudien in einem umfassenden Sinn nicht möglich. Letztlich haben wir uns auf Gespräche mit Hochschulleitungen beschränken müssen. Auf Experteninterviews mit Professoren haben wir verzichtet, da sich bereits während der schriftlichen Befragung gezeigt hatte, dass das Wissen um die fonnelgebundene Finanzmittelzuweisung auf der professoralen Ebene teilweise doch eher rudimentär ist und zudem eine Verweigerungshaltung der Professoren auszumachen war, die nur mit einem erheblichen Zeitaufwand und erheblicher Überzeugungsarbeit hätte überwunden werden können. Die Interviewpartner wurden in ihrer Funktion als Experten im Handlungsfeld Hochschule anhand von problemzentrierten Interviews befragt. Als Gesprächsgrundlage diente ein offen-strukturierter Leitfaden mit vier thematischen Schwer42 Ergänzt wurde dies durch Untersuchungen in unserer eigenen Hochschule im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes.
4 Minssen et 01.
50
D. Annäherungen an ein schwieriges Forschungsfe1d - die Empirie
punkten und zwar allgemeinen Fragen zum indikatorisierten Verteilungsmodell, dem internen Umgang mit der formelgebundenen Finanzmittelverteilung, den Auswirkungen der forme1gebundenen Finanzmittelverteilung auf die Fachbereichsund Professorenebene und der Einschätzung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung. Die Interviews dauerten zwischen einer und zwei Stunden, wurden z. T. auf Tonband aufgezeichnet und anschließend in einem Ergebnisprotokoll festgehalten und ausgewertet. Es gab zwei Erhebungsphasen: Die erste Erhebung fand im Zeitraum von Oktober 2000 bis November 2000 statt, die zweite Erhebungsphase erfolgte von Oktober 2001 bis Januar 2002. Insgesamt haben wir zwölf Experteninterviews in sieben Hochschulen geführt, von denen sechs Interviews auf der Rektorats-, vier auf der Verwaltungsebene sowie zwei Interviews im Rahmen des erwähnten Lehrforschungsprojektes auf der Dekanatsebene geführt wurden. Die Gespräche auf Rektoratsebene wurden teilweise mit mehreren Experten geführt, so dass je nach Gespräch der Rektor und/ oder der Kanzler und ein Prorektor oder mehrere Prorektoren und / oder ein oder mehrere Dezernenten unsere Gesprächspartner waren. Unser geplantes Vorhaben einer vertiefenden Analyse mittels der Durchführung von Fallstudien konnten wir also nicht umsetzen; insofern müssen wir auch auf eine daran orientierte Darstellung verzichten. Statt dessen werden wir unsere durch die Expertengespräche ermittelten Befunde so präsentieren, dass sie die Befragungsergebnisse zu illustrieren, d. h. zu bestätigen bzw. zu korrigieren vermögen. Vor allem ist es uns nicht gelungen, unserer Ausgangsüberlegung nachzugehen, dass unterschiedliche Konsens- bzw. Konfliktkulturen sich auch in der hochschulinternen Implementation neuer Verteilungsmodell niederschlagen; dazu sind Gespräche auf der Ebene von Hochschulleitungen schlicht nicht ausreichend. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass wir mit der Leitung von nahezu jeder vierten Hochschule in Nordrhein-Westfalen gesprochen haben - und dass dabei präsentationsfähige und -würdige Ergebnisse zustande gekommen sind, sollen die folgenden Kapitel zeigen.
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus der Sicht der Professoren I. Folgen der neuen Mittelverteilung an der Hochschule und im Fachbereich Nach Angaben der befragten Professoren erhalten 42 % ihre Finanzmittel nicht nach Parametern, sei es, dass die gesamten Finanzmittel konventionell verteilt oder die Gewinne bzw. Verluste gleichmäßig umgelegt werden. Nur bei 22 % werden die gesamten Finanzmittel der TG 94 nach Parametern verteilt (Abbildung 5). Die parametergestützte Mittelvergabe ist also noch längst nicht bei allen Professoren angekommen, und zwar in einem doppelten Sinn: entweder werden die Mittel weiterhin konventionell zugewiesen oder die Professoren haben von einem veränderten Modus noch nichts mitbekommen; denn den Aussagen der Dekane zufolge werden die Mittel in immerhin zwei von drei Fachbereichen nach einem Schlüssel verteilt. 400;. 35'1c
300!. 25% 200!. 15'1c lOO!. S% I--
r-r--
o
r--
I-r-r-I-I-r--
c--=J.
vollständig nach Parametern
Teile der Finanz· mittel nach Parametern
Teile der
Gewinne!
Verluste nach Parametern
I Teile der
Gewinne!
Verluste gleichmäßig
nicht nach
Parametern
Abbildung 5: Verteilung der Mittel der TG 94 (N =590)
Bei den Angaben der Gründe, warum die Gelder der TG 94 nicht nach Parametern verteilt werden, ist der am häufigsten genannte Grund, dass man sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt habe (Abbildung 6). Die zweithäufigste Nennung ist die konventionelle Verteilung nach Berufungszusagen, durch die die Mittel festgelegt sind, so dass nur wenig Dispositionsmasse besteht, die überhaupt verteilt werden kann. Die Finanzmittelsituation für die Professoren hat sich im letzten Jahrzehnt oftmals nicht geändert; eine starke Gruppe von 42 % gibt an, dass sie in der Ausstat4'
52
E. Die pararneterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
tung der Titelgruppe 94 (TG 94) seit 1993 weder gewonnen noch verloren hätte. Daraus kann einerseits gefolgert werden, dass die Umstellung auf Parametersteuerung in vielen Fachbereichen noch nicht vollzogen ist, und in der Tat entspricht dies ja auch den Angaben von vielen Professoren. Andererseits können diese Angaben von uns natürlich nicht überprüft werden und insofern ist nicht auszuschließen, dass eine solche Angabe auch auf Erinnerungslücken bzw. einem generellen Desinteresse gegenüber finanziellen Dingen beruht. 40'10 35%
-20'10 15% r---
30'10
"'--r--
25%
10'/, 50/0 0
-
r---
r--noch nicht damit beschäftigt
...--
--f
noch keine
Entscheidung
1 I
keine Einigung,
da keine Mehrheit
r---
r---
11
r---
r-r--
r--
r--
keine Einigung, Finanzmittel da ablehnende da der status quo mit BerufungsMinderheit nicht vorgezogen zusagen verteilt überstimmt wurde werden sollte keine Einigung)
Abbildung 6: Gründe für Nichteinführung der Parameterorientierung (N =248; Mehrfachnennungen möglich)
Für zumindest eine starke Minderheit scheint dies auch zuzutreffen. Auf die Frage, ab wann es an ihrer Hochschule ein parametergesteuertes Finanzierungsmodell gibt, geben immerhin 3 % einen Zeitraum von vor 1993 an, also einer Zeit, in der mit Ausnahme weniger Hochschulen43 ein solches oder ähnliches Finanzierungsmodell überhaupt noch nicht existierte, und immerhin 62 % wissen es ihren eigenen Angaben zufolge schlicht nicht - eine für Professoren eher unübliche Selbsteinschätzung, die selbst bei denen noch hoch ist, denen Mittel partiell oder vollständig nach Parametern zugewiesen werden: fast jedem Zweiten von ihnen ist der Umstellungszeitpunkt unbekannt, und sogar fast jeder Zehnte verlegt den Beginn auf die Zeit vor 1993. In beiden Fällen, also in den Fachbereichen mit und in denen ohne Parametersteuerung, ist der Anteil, die sich als Nicht-Informierte zu erkennen gaben, unter denjenigen besonders hoch, die im letzten Jahrzehnt weder Mittel gewonnen noch verloren haben. Man wird also davon ausgehen dürfen, dass das Interesse gegenüber veränderten Formen der Mittelzuweisung zumindest bei einer starken Minderheit, nämlich denjenigen, die ihren Angaben zufolge immer noch mit den gleichen Mitteln wirtschaften können wie vor zehn Jahren, eher gering ausgeprägt ist. Wir haben aber auch Gewinner und Verlierer; nahezu jeder Vierte gibt an, seit 1993 Finanzmittel gewonnen zu haben, und mehr als jeder Dritte hat in diesem 43 Die Professoren, die diese Angabe machen, kommen übrigens nicht aus diesen Hochschulen.
I. Folgen der neuen Mittelverteilung an der Hochschule und im Fachbereich
53
Zeitraum Finanzmittel verloren. Es gibt also eine relative Mehrheit, deren Ausstattungssituation ihren Angaben zufolge sich in den letzten Jahren nicht verändert hat, doch zugleich öffnet sich eine Schere zwischen Gewinnern und Verlierern. Dabei gibt es keine Unterschiede zwischen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften auf der einen und Naturwissenschaften bzw. Ingenieurwissenschaften auf der anderen Seite; zwar geben die Professoren aus dem Bereich der Natur- bzw. Ingenieurwissenschaften häufiger als ihre Kollegen aus den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften an, Finanzmittel verloren zu haben, doch diese Unterschiede sind statistisch nicht signifikant. Und auch der Hochschultyp hat auf Gewinne und Verluste keinen Einfluss: die Abbildung 7 zeigt zwar, dass die Professoren in den Gesamthochschulen und in den Fachhochschulen deutlich mehr Verluste hinzunehmen hatten; immerhin mehr als jeder Dritte gibt Verluste von über 20 % an, während es an den Universitäten gerade einmal jeder Fünfte ist. Auf der anderen Seite sind aber gerade in den Gesamthochschulen und den Fachhochschulen, wie die Abbildung 8 zeigt, auch die Gewinne besonders hoch.
,.., FH n= 53
I
GH n= 49
1
17 22
I I
I
41
I
46
Uni n= 79
I
44
38
11
37
11
I
33
11
21
Obis 10'10 010-20'10 Oüber20'1o
/'
20'10
0'10
40'10
60%
100%
80%
~
FH n= 53 GH n= 49
1 ~
Uni n= 79
I
50 22
I
25
I
52
40
I
20'10
40'10
I
25
11
26
11
I
47
13
J
Obis 10'10 010-20'10 Oüber20'1o
~
0'10
60%
80'10
100'10
Abbildung 8: Gewinne der Professoren nach Hochschultyp (in %)
Dies legt den Schluss nahe, dass Gewinner- bzw. Verlierersituationen weniger von den beispielsweise durch die Hochschultypen bedingten strukturellen Rahmenbedingungen abhängen als vielmehr von spezifischen Einstellungsmustern und einem darauf aufbauenden individuellen Verhandlungs- und vor allem Akquisiti-
54
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
onsgeschick der einzelnen Professoren. In den Kommentaren, die den ausgefüllten Fragebögen häufig beigefügt waren, ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass die durch die Hochschule gewährte Ausstattung ohnehin zu gering ist und nur die Akquisition von Drittmitteln eine Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes ermöglicht. Und offenbar wird genau auf diese Drittmitteleinwerbung abgestellt, wenn die Entwicklung der jeweiligen Finanzsituation in den letzten zehn Jahren beurteilt werden soll; die Einschätzung bezieht sich offenbar nicht so sehr, wie eigentlich gefragt, auf die Folgen der Umstellung auf eine Parametersteuerung der Mittelzuweisung, sondern auf die Finanzmittelentwicklung insgesamt, also inklusive der Drittmittel. Dies wird auch bestätigt durch die Abbildung 9, derzufolge die Entwicklung der Finanzsituation der jeweiligen Professoren weitgehend unabhängig ist von der erfolgten oder nicht erfolgten Einführung einer parametergesteuerten Finanzmittelzuweisung im jeweiligen Fachbereich. Der höchste Anteil, nämlich 42 % der Professoren, die in den letzten zehn Jahren Finanzmitteleinbußen hinzunehmen hatten, findet sich in Fachbereichen, in denen bisher auf parametergesteuerte Finanzmittelzuweisung noch gar nicht umgestellt wurde; andererseits ist die absolute Mehrheit derjenigen, die Gewinne zu verzeichnen haben, in Fachbereichen tätig, in denen die Mittel partiell nach Parametern zugewiesen werden, und in den Fachbereichen, in denen die Mittel vollständig parameterorientiert verteilt werden, ist der Anteil der Gewinner und Verlierer fast gleich groß. Mit anderen Worten: ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem fachbereichsinternen Modus der Mittelzuweisung auf der einen und der Entwicklung der jeweiligen Ausstattung auf der anderen Seite lässt sich nicht nachweisen44 . Wenn sich aus der Abbildung 9 überhaupt eine Tendenz ableiten lässt, dann allenfalls die, dass man von einer parameterorientierten Mittelzuweisung zumal dann, wenn sie nur partiell45 erfolgt, eher zu profitieren scheint als dass man Verluste zu vergegenwärtigen hat. Obwohl also die Mittelsituation an der Professur wenig bis gar nichts mit der Indikatorisierung zu tun hat, ist sie dennoch von hoher Bedeutung für die Bewertung der Parameterorientierung: die "Gewinner" beurteilen die Umstellung auf eine kriteriengestützte Mittelzuweisung insgesamt wie auch in Bezug auf die eigene Professur signifikant positiver (vgl. Abbildung 10 und Abbildung 11). 44 Wir müssen allerdings insofern eine Einschränkung hinzufügen, dass wir aufgrund der Anlage unserer Untersuchung nicht mit Sicherheit den fachbereichsinternen Modus der Mitte1zuteilung kennen, sondern die Angaben der Professoren zu Grunde legen müssen, die allerdings nicht unbedingt verlässlich sind. Zur Absicherung unserer Behauptung eines NichtsZusammenhanges von Verteilungsmodus im Fachbereich und Finanzentwicklung der Professuren haben wir deswegen zusätzlich die Angaben der Dekanate herangezogen, und die Professoren aus den Fachbereichen, in denen den Dekanen zufolge indikatorisiert verteilt wird, mit den Professoren aus jenen Fachbereichen, in denen nach Angaben der Dekanate konventionell zugewiesen wird, in Bezug auf die Finanzmittelentwicklung verglichen; wir haben auch dabei keine Unterschiede feststellen können. 45 Damit ist gemeint, dass entweder Teile der Finanzmittel oder Teile der Gewinne bzw. Verluste des Fachbereichs nach Parametern an die Professoren verteilt werden.
I. Folgen der neuen Mittelverteilung an der Hochschule und im Fachbereich
60'10 50'10
-
40'10
-
r--""'
-
-
Eil Finan2IMtel gewonnen ~ o Finan2IMtel verloren o weder · nocb
t---
-
r-
t---
0'10 überhaupt nicht
n-
-
-
20% 10'10
-1
55
vollständIg
panieIl
Pa ... mete ... teuerung der Mlttelzu""l,ung
Abbildung 9: Gewinne I Verluste in Abhängigkeit von einer parameterorientierten Verteilung 100'10 90% g()'10 70'10 60% 50'10 40'10 30% 20'10 10'10 0'10 gut
teils/teils
scblecbt
Beuneilung der Pararneteronentierung
Abbildung 10: Änderung der Finanzmittel und Beurteilung der Indikatorisierung insgesamt durch die Professoren
-----------1.o
gewonnen verloren
scblecbt Beuneiluog der Parameterorientierung
Abbildung 11: Änderung der Finanzmittel und Beurteilung der Indikatorisierung für die eigene Professur
56
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
Offensichtlich werden die veränderten Modi der Mittelzuweisung nicht unter dem Aspekt der durch sie bewirkten materiellen Veränderungen beurteilt; vielmehr treten hier recht grundsätzliche Einstellungen zu Tage, auf die wir gleich zurückkommen. Wir können aber zunächst einmal festhalten, dass sich die Mittelausstattung in den letzten zehn Jahren bei einem Großteil der befragten Professoren nicht wesentlich geändert hat; bei den anderen, die entweder Gewinne erzielt haben oder Verluste hinzunehmen hatten, ist dieses wiederum weitgehend unabhängig von strukturellen Rahmenbedingungen wie etwa dem Hochschultyp bzw. einer Umstellung der Zuweisungsmodalitäten. Entscheidender als die parameterorientierte Mittelzuweisung ist für die Ausstattungssituation die Fähigkeit, in ausreichender Höhe Drittmittel einzuwerben - zumindest zum Zeitpunkt unserer Erhebung. Denn es darf nicht übersehen werden, dass in nahezu zwei von drei Fachbereichen, die auf Parametersteuerung umgestellt haben, nur Teile der TG 94 einbezogen sind. Insofern ist nicht auszuschließen, dass eine parameterorientierte Zuweisung durchschlagendere Wirkung erzielt, wenn die gesamten Mittel in den Fachbereichen nach einem Schlüssel verteilt werden und dies über einen längern Zeitraum geschieht. Doch selbst dann wird vennutlich der Umfang der eingeworbenen Drittmittel von ausschlaggebenderer Bedeutung für die Ausstattungssituation bleiben; zumal bei sehr drittmittelmächtigen Professoren wird eine Veränderung der Zuweisungsmodi keine nennenswerte Wirkung erzielen. Und diejenigen, die auf die Mittel aus der TG 94 angewiesen sind, fühlen sich bereits jetzt - das ist wenigstens den den Fragebögen beigefügten Kommentaren zu entnehmen - strukturell unterausgestattet; Verluste infolge einer Umstellung auf kriteriengestützte Zuweisung dürfte bei ihnen eher zu einer inneren Emigration statt zu verstärkter Leistung führen. Die gewünschten Effekte sind insofern allenfalls bei denen zu vennuten, die auf die TG 94 angewiesen sind und zugleich von einer Veränderung der Zuweisungsmodi profitieren können. Doch insgesamt ist wohl eine gewisse Skepsis gegenüber der Wirkung der parameterorientierten Mittelzuweisung auf die Professoren angebracht. Handlungsleitend sind vennutlich eher recht stabile Einstellungsmuster, die gegenüber einer Mittelausstattung, die ja nicht das persönliche Einkommen betrifft, ziemlich resistent sind. Dem wollen wir uns nun zuwenden.
11. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung Die parametergestützte Mittelverteilung ist letztendlich nur dann sinnvoll, wenn sie das Verhalten der Professoren beeinflusst. Aus diesem Grunde ist die Wahrnehmung der neuen Mittelverteilung aus der Sicht der Professoren besonders wichtig. Für den Einführungsprozess und die Wahrnehmung der Veränderung in Organisationen sind die Wege der Infonnation und der Mitwirkungsmöglichkeiten von großer Bedeutung. Die These, dass eine Veränderung umso positiver wahrgenommen wird, je größer die Beteiligungsmöglichkeiten sind, gehört zu dem Grund-
11. Die Bewertung der parameterorientierten Mitte1verteilung
57
bestand von Erkenntnissen der Organisationsforschung. Aus diesem Grunde wurde in der Befragung auch nach den Wegen der Information und den Mitwirkungsmöglichkeiten gefragt. Einen ersten Überblick geben die Abbildung 12 und die Abbildung 13. 8~' 70°/.
60°/. 5{)O/. f - - r - - - _
-
30°/. -
40°/.
-
-
100/• -
2001•
akuves
Informieren
-
-
-
00,.
r---
ausführhche Diskussionen an den entsprechenden
Gremien
~ ~ ===i F
ausführliche Informationen durch Dekanlin
Diskussion auch
Mitteilung des
außerhalb der
Beschlusses
entsprechenden Gremien
Im
Zuge der
Berufung von der
formelgebundenen FinanzmItteI-
zuweisung erfahren
Abbildung 12: Information über Änderung der Mittelverteilung (Zustimmung 46 ; N = 403 - 462) ; c---
. ;
500/.
-
-
''.. --
400A, 300
r-r--
200
1001.
-
OO!.
Beteihgung an den hoch-
schuhntcmen
Verhandlungen und Diskus Ionen
Mltwirkungs-
möghchkellen auf
zentraler
Fachhereichsebene
Betelhgung .n fachbereichsmternen Diskussionen und Verhandlungen
Beeinflussung der Entscheidung
de faclo keme Mltwukungs-
möghchkelten
Abbildung 13: Partizipation bei der Änderung der Mittelverteilung (Zustimmung; N = 411- 442)
Es zeigt sich, dass die Mehrheit der befragten Professoren in ihrer Selbsteinschätzung aktiv an dem Prozess der Informationsbeschaffung beteiligt war. 47 Je46 Als "Zustimmung" bezeichnen wir hier und im Folgenden die Antworten I bis 3 auf einer 7-stufigen Skala von I = "stimme voll zu" bis 7 = "stimme überhaupt nicht zu". Als "Ablehnung" gelten uns die Antworten 5 bis 7, 4 ist die Mitte1kategorie "teils I teils". 47 Wir können nicht ausschließen, dass hier eine systematische Verzerrung durch die Stichprobe vorliegt. Die Professoren, die geantwortet haben, waren möglicherweise besonders informiert und in besonderer Weise an dem Entwicklungsprozess der Parameter beteiligt.
58
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
weils mehr als die Hälfte der Befragten haben sich aktiv informiert, berichten von ausführlichen Diskussionen in den entsprechenden Gremien und ausführlichen Informationen durch den Dekan. Ebenso haben sich viele an der Gestaltung und Implementierung der Parameter sowohl innerhalb der Hochschule wie innerhalb des Fachbereichs aktiv beteiligt (Abbildung 13); (fast) jeder Zweite sieht für sich Mitwirkungsmöglichkeiten auf zentraler Fachbereichsebene und ist der Auffassung, letztlich die Entscheidung beeinflusst zu haben. Unter dem Strich lässt sich also ein recht hohes Maß an Information und Partizipation bei der Umstellung auf indikatorisierte Mittelverteilung in den Fachbereichen konstatieren. Das Ausmaß entspricht zwar nicht völlig der Selbsteinschätzung der Rektorate und auch der Dekanate als informativ und partizipationsorientiert (vgl. dazu weiter unten), ist aber im Vergleich zu Entscheidungsprozessen in anderen Organisationen - etwa Unternehmen - auch aus der Sicht der Entscheidungsbetroffenen bemerkenswert hoch. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass diese Sicht nicht unisono vertreten wird; immerhin jeder Dritte ist der Auffassung, dass es de facto keine Mitwirkungsmöglichkeiten gab; trotz Beteiligung wird die Entscheidungshoheit häufig anderen Akteuren zugeschrieben. Die arbeitswissenschaftliche These des Zusammenhangs zwischen Mitwirkungsmöglichkeiten und Wahrnehmung der Veränderung findet sich auch in unserem Fall; die Zusammenhänge sind zwar nicht sehr stark, aber statistisch hochsignifikant (vgl. Abbildung 14). Existierten keine Mitwirkungsmöglichkeiten, oder genauer: sah man für sich solche Möglichkeiten nicht, wird die formelgebundene Finanzmittelzuweisung negativer wahrgenommen. Und ebenso im umgekehrten Fall: meint man, die Entscheidung beeinflusst zu haben, ist die Einschätzung der Parameterorientierung deutlich positiver. Auch die repräsentative und möglicherweise stellvertretende Beeinflussung der Parameter über die entsprechenden Gremien ("Mitwirkungsmöglichkeiten auf zentraler Fachbereichsebene geboten") führt zu einer positiven Korrelation mit der Beurteilung der neuen Parameter. Hier wird die Kontrolle stellvertretend wahrgenommen: Selbst wenn man nicht Mitglied im Fachbereichsrat ist, werden die Kollegen dies dort schon angemessen behandeln und zu einer vernünftigen Entscheidung gelangen, der ich zustimmen kann. Ähnliche Phänomene sind aus der psychologischen Forschung der Kontrollwahrnehmung bekannt. Personen attribuieren Kontrolle dann über eine Handlung, auch wenn sie sie nicht direkt beeinflussen können, wenn sie stellvertretend für sie kontrolliert wird. Ich kann demnach auch dann Kontrolle über ein Ereignis wahrnehmen, wenn ich es selbst nicht beeinflusse. Wird es aber von Akteuren kontrolliert, denen ich Vertrauen schenke, dann attribuiere ich selbst eine Kontrolle über dieses Ereignis. Diese Kontrolle können Repräsentanten (z. B. Kommissionsvertreter) sein, wenn ihnen die entsprechenden Fähigkeiten unterstellt werden (Rothbaum u. a. 1982).
11. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung
59
Beteiligung an hochschulinternen Diskussionen I Verhandlungen
Mitwirkungsmöglichkeiten auf zentraler Fachbereichsebene
Beteiligung an fachbereichsinter nen Diskussionen und Verhandlungen
Entscheidungen beeinflusst
allgemeine Einschätzung der KorrelaIndikatotion nach risierung Pearson
,186
,222
,320
,303
-,341
Signifikanz (2-seitig)
,001
,000
,000
,000
,000
N
293
288
304
293
278
trotz formaler Mitwirkungsmögl. keine Mitwirkungsmögl.
Abbildung 14: Korrelation zwischen Mitwirkungsmöglichkeiten und allgemeiner Einschätzung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung
Die Mehrheit der befragten Professoren gibt an, dass die Parameter in Fachbereichsgremien entwickelt wurden, wobei oft auf Erfahrungen mit älteren Parametern zurückgegriffen wurde. Allerdings ist auch jeder zweite der Auffassung, dass die Parameter vom Rektorat, und nahezu jeder Dritte der Auffassung, dass die Parameter vom MSWF übernommen wurden, und dem entspricht, dass nach den Aussagen einer Mehrheit nicht der gesamte Fachbereich in den Entwicklungsprozess einbezogen worden ist (Abbildung 15). Dies spiegelt insgesamt eine für die Fachbereiche in Hochschulen recht typische Art der Entscheidungsfindung wider: Anreize von außen werden unter Rückgriff auf eigene Erfahrungen und Erkenntnisse in Fachbereichen verarbeitet und zwar in den dafür zuständigen Gremien, was eben auch bedeutet, dass daran, wie bei repräsentativen Formen der Entscheidungsfindung üblich, nicht unbedingt der gesamte Fachbereich beteiligt sein muss48 . Insgesamt 49 % aller befragten Professoren beurteilen die formelgebundene Finanzmittelzuweisung positiv49 ; für diese Bewertung ist, wie gesehen, der Einführungsprozess wichtig, aber er ist nicht ausschlaggebend. Denn im Meinungsspektrum der Professoren existieren signifikante Differenzen, die nicht allein durch Information und Partizipation beim Entscheidungsprozess für die Einführung der Indikatorisierung zu erklären sind. Innerhalb der Professorenschaft existieren nämlich zwei relativ deutlich voneinander abgrenzbare Gruppen. Dies zeigt eine Faktorenanalyse der Variablen, mit denen wir die Beurteilung der Parameterorien48 Dabei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass es in vielen Fachbereichen die sogenannte "Hochschullehrerversarnmlung", ein informelles, in keiner Verfassung vorgesehenes Gremium gibt, in dem Angelegenheiten des Fachbereiches im Kreis der Professoren und Hochschuldozenten abgestimmt und für die Entscheidung im Fachbereichsrat gewissermaßen vorbereitet werden. In diesem Kreis können auch Meinungen zur Sprache gebracht werden, ohne dass man Mitglied im Fachbereichsrat ist. 49 Fast gleiche Ergebnisse finden sich in einer Befragung von Professoren und Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin; vgl. Hübner/Rau 2001.
60
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
tierung im Einzelnen abgefragt haben. Sie ergibt zwei Faktoren, die 50 56 % der Varianz erklären (Abbildung 16). Der erste Faktor lädt hoch auf Items, die Leistung in Forschung, Lehre und Selbstverwaltung sowie Transparenz als Folge der Indikatorisierung betonen. Hier werden also ökonomische Steuerungskriterien hervorgehoben, die nicht im Gegensatz zur Freiheit von Lehre und Forschung gesehen werden. Wir bezeichnen diese Gruppe deswegen als "Ökonomisten". Sie umfasst 33 % der befragten Professoren. 8~/.
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aus älteren Parametern entwickelt
vom MSWF
übemomtrlen
vom Rektorat
übernommen
von FachberelchsgremlC~n
c-ntwickclt
\10m ge~mten
Fachberclch entwickelt
Abbildung 15: Herkunft der Parameter nach Ansicht der Professoren (Zustimmung; N= 157-271)
Der zweite Faktor lädt hoch auf den Items, die Kontrolle der Professoren, Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre sowie die materielle Steuerung des Verhaltens durch die parametergestützte Mittelvergabe in den Vordergrund stellen. In diesem Fall werden also die traditionellen Werte der Selbstregulation der Wissenschaft betont, die im Widerspruch zu einer Indikatorisierung der Mittelvergabe stehen; wir bezeichnen diese Gruppe deswegen als "Traditionalisten,,51. In dieser Gruppe versammeln sich 67 % der Professoren.
Bei einem recht guten KMO-Wert von 0,83. Mit der Differenzierung zwischen "Ökonomisten" und "Traditionalisten" soll keine Präferenz suggeriert werden etwa in dem Sinne: "Traditionalisten" versus "Modernisierer". "Ökonomisten" zeichnen sich dadurch aus, dass sie der Formel "Geld gegen Leistung" auch für den Bereich von Lehre und Forschung einiges abgewinnen können, sie werden dadurch aber nicht schon zu Modernisierern, die allen Veränderungen gegenüber aufgeschlossen gegenüber stehen; und "Traditionalisten" auf der anderen Seite verschließen sich nicht grundsätzlich gegenüber Veränderungen oder gehören gar in besonderer Weise zu den "faulen Professoren", betonen aber die Notwendigkeit, humboldtsche Bildungsideale bei Innovationsprozessen nicht völlig außer Acht zu lassen - eine Auffassung, für die sich durchaus gute Gründe beibringen lassen. - Wir sind uns der Vorläufigkeit unserer Bezeichnung bewusst und verwenden sie deswegen hier und im Folgenden nur mit Anführungszeichen. 50
51
61
11. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung Faktoren Faktor I
Faktor 2
fördert leistungsorientiertes Verhalten in der Forschung
,764
,325
fördert leistungsorientiertes Verhalten in der Lehre
,773
,347
fördert leistungsorientiertes Verhalten in der Selbstverwaltung
,655
,426
fördert Transparenz
,721
,240
fördert nur Verhaltensweisen, die materiell belohnt werden
-,327
,504
finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten ist angesichts der bisher erbrachten Leistungen überflüssig
-,635
,404
finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten ist nicht mit Freiheit von Forschung/Lehre zu vereinbaren
-,602
,580
finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten dient nur zur Kontrolle der Handlungen von Professoren
-,593
,475
es verändert sich nichts
-,492
-,170
Abbildung 16: Faktorenanalyse: Beurteilung der formelorientierten Finanzrnittelzuweisung durch die Professoren
Die Differenzierung in diese beiden Gruppen findet sich auch bei den Antworten auf die Frage, warum das MSWF die Mittel parameterorientiert verteilt. Bei einem KMO-Wert von 0,77 erklären die beiden Faktoren eine Varianz von 51 %. Auch hier finden sich die Gruppen der "Ökonomisten" und der "Traditionalisten" (Abbildung 17); die "Traditionalisten" sehen in der Indikatorisierung in erster Linie den Versuch des MSWF, sich zu entlasten (und, so wird man wohl hinzufügen dürfen: die Lasten auf die Hochschulen abzuwälzen), wobei es unkritisch einer Mode folge, während die "Ökonomisten" die Erzeugung von mehr Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit sowie eine gerechtere Verteilung der Mittel als Motiv für die Umstellung auf Parameterorientierung in den Vordergrund rücken. Wie zu erwarten, haben die "Ökonomisten" eine sehr hohe positive Einschätzung der parameterorientierten Mittelverteilung, während die Mitglieder der Gruppe der "Traditionalisten" sich zu der neuen Mittelvergabe indifferent bis ablehnend verhält. Die Beurteilung der formelgebundenen Mittelzuweisung spaltet die Professoren also in zwei Lager: Eine Gruppe stellt die leistungsorientierte Anreizwirkung heraus, die andere Gruppe sieht dies eher als Bedrohung ihres Handlungsspielraums an. Dies kann nachhaltige Folgen für die Arbeitsmotivation haben. Wenn nämlich unterstellt wird, das Professoren bisher intrinsisch motiviert waren, da keine anderen Anreize existierten52, dann ist bei der Gruppe der "Traditionalisten" keineswegs ein Motivationsschub in Richtung der Kriterien, die durch die Indikatorisierung ein besonderes Gewicht bekommen haben, zu erwarten, sondern ganz im Gegenteil sogar eher ein Abbau ihrer Motivation zu befürchten. Denn werden externe Anreize vergeben, so besteht die Gefahr, dass dadurch die intrinsische Motivation zerstört wird, da die externen Anreize die intrinsische Motivation verdrängen. 52
Was wir in unserer Erhebung aber nicht abgefragt haben.
62
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
Gruppen "Ökonomisten", "Traditionalisten," öffentliche Finanzmittel werden knapper MSWF steht unter Rechtfertigungsdruck MSWF möchte sich entlasten MSWF möchte Verwaltung vereinfachen MSWF möchte über die formelgebundene FinanzmitteIzuweisung den Globalhaushalt einfUhren MSWF folgt in unkritischer Weise einer Mode Wettbewerb zwischen Hochschulen soll gesteigert werden Hochschulen sollen zur Wirtschaftlichkeit angehalten werden Finanzmittel sollen leistungsgerechter zugewiesen werden Finanzmittel sollen belastungsgerechter zugewiesen werden
2,399E-02 3,806E-02 -,324 ,300
,621 ,637 ,710 ,437
,290 -,615 ,720 ,793 ,858 ,740
,542 ,391 ,146 ,165 -7,928E-02 -3,23IE-02
Abbildung 17: Faktorenanalyse: Gründe des MSWF fUr die formelorientierte Finanzmittelzuweisung nach Ansicht der Professoren
Die Diskussion um diesen Verdrängungseffekt ist in der psychologischen Literatur zu einem vorläufigen Abschluss gelangt und lässt sich in folgender Aussage zusammenfassen (vgl. Frey 1997): Externe Eingriffe verdrängen die intrinsische Motivation, wenn das Individuum sie als kontrollierend wahrnimmt. Wenn die externen Anreize jedoch als unterstützend wahrgenommen werden, können sie intrinsische Motivation verstärken. Dies dürfte für die Professoren gelten, die der Gruppe der "Ökonomisten" zuzurechnen und die auch bisher schon hoch intrinsisch motiviertes Verhalten in Forschung, Lehre und Selbstverwaltung gezeigt haben; sie werden die Anreize durch die formelgebundene Mittelvergabe als Unterstützung wahrnehmen und weiterhin entsprechend hoch motiviert sein. Wird also unterstellt, dass die Professoren aus beiden Gruppen bisher intrinsisch motiviert waren, dann hat die neue Mittelverteilung bei der Gruppe der "Ökonomisten" nur wenig Effekte, da sie ohnehin das Verhalten an den Tag gelegt hat, dass durch die Indikatorisierung angestoßen werden soll, und bei der Gruppe der "Traditionalisten" ist sogar ein negativer Effekt zu befürchten, da sie die Indikatorisierung als manifeste Kritik an ihrem bisher gezeigten Verhalten interpretieren. Allenfalls in dem Fall, dass bei einem Mitglied aus der Gruppe der "Ökonomisten" bisher keine intrinsische Motivation vorlag - ein Fall freilich, der empirisch kaum vorfindbar sein dürfte -, kann die neue Mittelvergabe einen Motivationseffekt ausüben. Der motivationale Steuerungseffekt durch parametergestützte Mittelzuweisung ist damit sehr gering, zumal die Gruppe der "Traditionalisten" sehr viel größer ist als die der "Ökonomisten"s3.
53 Selbst in unserem Sampie. In der Grundgesamtheit sind die Unterschiede vermutlich noch viel größer, da wir davon ausgehen müssen, dass viele "Traditionalisten" sich an der Befragung gar nicht erst beteiligt haben.
11. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung
63
Wer verbirgt sich nun hinter den beiden Gruppen der "Ökonomisten" und der "Traditionalisten"? Zu finden sind sie, so der Rektor der Hochschule 2 in jedem Fachbereich, aber in den Geisteswissenschaften seien die "Traditionalisten" ausgeprägter als in anderen Fachbereichen: "Die Geisteswissenschaften sprechen sich gegen die Kornrnerzialisierung der Wissenschaft durch die formelgebundene Finanzmittelverteilung aus; die Natur- und Ingenieurwissenschaften und der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft dagegen befürworten die formelgebundene Finanzmittelverteilung" .
Dies ist eine durchaus nahe liegende Auffassung, die auch durch andere Studien gestützt zu werden scheint, denen zufolge Mitglieder der Geistes- und Sozialwissenschaften einer leistungsbezogenen Mittelverteilung erheblicher skeptischer gegenüberstehen (Hübner I Rau 200 1). Aus unseren Daten jedoch lässt sich dies nicht ablesen: Wir haben keine statistisch nachweisbaren Unterschiede zwischen den Fächern gefunden; "Ökonomisten" wie "Traditionalisten" gibt es gleichermaßen in naturwissenschaftlichen Fachbereichen ebenso wie in ingenieur- oder geisteswissenschaftlichen Fachbereichen. Die Mitglieder beider Gruppen differenzieren sich auch nicht nach Geschlecht oder Besoldungsstufe, nicht nach Hochschultyp auch nicht in Bezug auf die Information zur neuen Mittelvergabe. Lediglich die über 6O-jährigen sind in der Gruppe der "Traditionalisten" etwas überrepräsentiert; doch signifikante Differenzen lassen sich nicht feststellen, so dass die hoffnungsfrohe Erwartung des Kanzlers der Hochschule 1, dass die "Ökonomisten" mit dem Generationenwechsel aussterben werden", wohl etwas verfrüht ist. Kurz und knapp: es existieren keine soziodemographischen Kriterien oder sonstige Differenzmerkmale, die die beiden Gruppen unterscheiden. Aus diesem Grunde liegt die Vermutung nahe, dass die beiden Gruppen in erster Linie Einstellungsmuster repräsentieren. Einstellungen werden nach der klassischen Definition von Rosenberg und Hovland als "predispositions to respond to some class of stimuli with certain classes ofresponse" (Rosenberg/Hovland 1960: 3) bestimmt. Es sind zeitlich relative stabile Muster, die im beruflichen Sozialisationsprozess erlernt werden (Stroebel Jonas 1990). Dies gilt ebenso für wissenschaftliche Sozialisationsprozesse, denn "die Konstruktion der wissenschaftlichen Persönlichkeit geschieht nicht in Einsamkeit und Freiheit, sondern in Auseinandersetzungen mit anderen Wissenschaftierlnnen in einem sozialen Spiel" (Engler 2001: 43), durch das Sichtweisen geprägt werden. Dabei entstehen im Lauf der Zeit verfestigte Einstellungen, die auch die Wahrnehmung von Veränderungen, in unserem Fall: die Veränderungen im Wissenschaftssystem strukturieren. Diejenigen, die immer schon gegen neue Steuerungsformen, zumal gegen eine Steuerung in Form finanzieller Anreize sind und auf die Freiheit von Forschung und Lehre pochen, lehnen auch die parametergestützte Mittelvergabe ab. Diejenigen aber, die dem schon immer positiv gegenüber stehen, befürworten auch die neue Form der Mittelvergabe. Wodurch freilich diese unterschiedlichen Einstellungsmuster erzeugt werden, welche spezifischen "Spiele" und welche spezifischen Erfahrungen dafür ausschlaggebend sind, dazu können wir mit unseren Daten nichts sagen54.
64
E. Die pararneterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
Diese Einstellungsmuster sind handlungsleitend für die Professoren. Gewinne oder Verluste in der TG 94 werden jeweils als Argument für die eigene Einstellung interpretiert und können somit die offenbar sehr stabilen Einstellungsmuster nicht aufbrechen. Daraus erklärt sich auch der Befund, den wir oben (in Kap. 1.) zu Tage gefördert haben, dass nämlich die Indikatorisierung der TG 94 signifikant positiver beurteilt wird von denen, die eine positive Finanzentwicklung an ihrer Professur zu verzeichnen hatten, also den Gewinnern, obwohl die Finanzentwicklung überhaupt nichts mit dem Modus der Mittelzuweisung zu tun hat. Hinter den Gewinnern verbergen sich die "Ökonomisten", die nicht deswegen zu den "Ökonomisten" geworden sind, weil sich ihre Ausstattungssituation positiv entwickelt hat, sondern die zu den Gewinnern gehören, weil sie ihre Aufgaben seit jeher mit der Einstellung von "Ökonomisten" erledigen. Damit wollen wir die Möglichkeit einer Verhaltensänderung durch Indikatorisierung der Mittel über einen längeren Zeitraum hinweg nicht grundsätzlich ausschließen; denn "unabhängig von Einstellungsmustern wird das Finanzmittelvolumen für eine Veränderung von Einstellungsmustern ausschlaggebend sein", so der Kanzler der Hochschule I; auch an der Hochschule "springen alle nach der Wurst" und Liza Minellis Motto "money makes the world go round" könne ebenso auf Hochschulen angewendet werden. Letzteres halten wir durchaus für zutreffend; was die dadurch bewirkten Veränderungen von Einstellungsmustern angeht, sind wir skeptischer - zumal dann, wenn das zu verteilende Mittelvolumen sich in einem Rahmen bewegt, der nachhaltige Effekte kaum erzielt. Ein Steuerungseffekt, der alle Professoren erreicht, stellt die parametergestützte Mittelvergabe in ihrer jetzigen Form also nicht dar. Die "Ökonomisten" fühlen sich bestärkt und gehen ihrer Arbeit nach wie bisher; und diejenigen, auf die der neue Modus der Mittelverteilung vor allem zielte, die "Traditionalisten", werden nicht nur nicht zur Verhaltens änderungen bewegt, weil sie aufgrund ihrer Einstellung durch veränderte Modi der Mittelverteilung gar nicht erreicht werden, bei ihnen sind sogar eher Motivationsverluste zu befürchten: Das Engagement, das zweifellos auch die Traditionalisten zeigen, ,,könnte sehr leicht demotiviert werden, wenn die Professoren mit kontrollierenden und abstrafenden Dekanen, stümperhaften Evaluationen, ruinösem Konkurrenzdruck, Gehaltseinbußen und dem Verlust des Beamtenstatus konfrontiert werden würden" (Enders / Schimank 2001: 175). So weit ist es noch nicht, doch die daraus entstehende Gefahr eines Verdrängungseffekts der intrinsischen Motivation (Frey / Osterloh 2000) und eines daraus resultierenden "Dienst nach Vorschrift" können auch nicht ausgeschlossen werden.
54
Dies ist eine eigene Frage, die noch empirisch untersucht werden müsste.
III. Auswirkungen auf die eigene Arbeit
65
IH. Auswirkungen auf die eigene Arbeit Gut jeder Dritte (36 %)55 gibt an, dass die formelgebundene Finanzmittelzuweisung die eigene Aufgabenwahrnehmung beeinflusst hat. Bei dieser Gruppe handelt es sich vor allem um die "Ökonomisten", die dann freilich gar nicht, obwohl sie es selbst so sehen, ihr Verhalten als Folge der Indikatorisierung verändert haben, sondern mit dieser Selbsteinschätzung ihre generelle Befürwortung einer Parameterorientierung zum Ausdruck bringen. Durch welche Merkmale zeichnet sich diese Gruppe, die für sich Verhaltensänderungen in Anspruch nimmt, zusätzlich aus? Zunächst einmal ist dies unabhängig von strukturellen Bedingungen; wir haben auch hier keinen Unterschied gefunden in Bezug auf Hochschultypen oder Fächerzugehörigkeit, in Bezug auf Alter, Geschlecht oder Besoldungsgruppe. Statt dessen scheinen vor allem die Verfahren von Bedeutung zu sein, in denen der Verteilungsschlüssel implementiert wurde. Denn die Gruppe, die sich ihrer Selbsteinschätzung zufolge in ihrer Aufgabenwahrnehmung hat beeinflussen lassen, unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten von ihren Kollegen: sie gibt zum einen signifikant häufiger an, sich aktiv über die Hintergründe der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung informiert zu haben und zugleich vom Dekanat ausführlich informiert worden zu sein; und diese Gruppe hat sich zum anderen signifikant häufiger an hochschulinternen und fachbereichsinternen Diskussionen und Verhandlungen beteiligt. Es ist also die Gruppe, die sich als aktiv an der Implementation des neuen Verfahrens beteiligt sieht und sich von der Entwicklung nicht überrollt fühlte, die dem Verfahren positiv gegenübersteht und auch die Auswirkungen positiv beurteilt. Information und Partizipation sind offenbar für die Aufgabenwahrnehmung (und nicht nur für die Gesamtbeurteilung) wichtige Einflussfaktoren. Wir hatten bereits in unserer Vorstudie (Andersen u. a. 2(01), in der wir die Implementation der parameterorientierten Mittelzuweisung der TG 94 auf Landesebene untersuchten, auf die hohe Bedeutung einer Konsensorientierung für den Erfolg hingewiesen. Dies bestätigt sich nun auch durch diese Befunde. In Anbetracht der im Vergleich zu bürokratischen Organisationen geringen Durchgriffsmöglichkeiten von Hochschulleitungen auf Fachbereiche und Professuren erzielt die Umstellung des Verteilungsmodus Wirkung durch die Art der Einführung, weniger durch die tatsächlichen Effekte für die Finanzsituation; wer beteiligt war, wer sich informiert fühlte, kurz: wer sich in den Implementationsprozess eingebunden sieht, der lässt sich auch in seiner Aufgabenwahrnehmung beeinflussen. Doch auch wenn gut jeder Dritte eine Veränderung seiner Aufgabenwahrnehmung als Folge der formelgebundenen Mittelzuweisung konstatiert, darf dabei doch nicht übersehen werden, dass dies bei immerhin fast zwei Dritteln aller Professoren nicht der Fall ist, und das sind eben diejenigen, die sich als weniger informiert und beteiligt sehen. 55 Von denen, die in Fachbereichen tätig sind, die bereits partiell oder vollständig die Mittel der TG 49 nach einem Schlüssel verteilen.
5 Minssen et al.
66
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
Es liegt auf der Hand, dass es sich bei dieser Gruppe vor allem um die "Traditionalisten" handelt. Wir müssen also von einem sich selbst verstärkenden Prozess ausgehen. Die Informations- und Partizipationsofferten - wobei dahingestellt bleibe, ob sie ausreichend waren oder nicht - werden aufgrund ihrer Einstellung vor allem von denen, die einer leistungsorientierten Mittelvergabe grundsätzlich positiv gegenüberstehen, also den "Ökonomisten", angenommen, die sich dadurch als informiert und beteiligt sehen, was zu einer zusätzlichen Bestärkung ihrer positiven Beurteilung der Parameterorientierung führt; die "Traditionalisten" hingegen verhalten sich den Informations- und Partizipationsofferten gegenüber in der Tendenz resistent, und bestärken sich so in ihrer Ablehnung oder wenigstens Indifferenz gegenüber einer parameterorientierten Mittelverteilung. Durch Verfahren also kann Legitimation geschaffen werden, auch wenn entsprechende Offerten nicht von allen angenommen werden; diejenigen jedoch, die dadurch erreicht werden, attestieren sich selbst Verhaltensänderungen, auch wenn diese entgegen der Selbsteinschätzung unter Umständen gar nicht auf die Einführungsprozeduren, sondern auf ohnehin vorhandene Einstellungsmuster zurückzuführen sind. Gewinne bzw. Verluste jedoch bewirken keine Verhaltensänderungen. Wie gesagt: Gewinne bzw. Verluste in der TG 94 waren in den letzten zehn Jahren weitgehend unabhängig von einer Parameterorientierung der Mittelzuweisung zu verbuchen; und es dürften wohl in erster Linie die "Ökonomisten" sein, die zu den Gewinnern gehörten, weil sie sich immer schon so verhalten haben, wie es durch eine Indikatorisierung der Mittelverteilung nahe gelegt werden sollte. Wir können nun noch einen Schritt weitergehen und anhand unserer Daten zeigen, dass die Entwicklung der Mittelsituation in den letzten zehn Jahren keinerlei Einfluss auf die Veränderung der Aufgabenwahmehmung hat. Unter denjenigen nämlich, die in den letzten 10 Jahren Finanzmittel verloren haben, ist der Anteil, der sich den eigenen Angaben zufolge in seiner Aufgabenwahmehmung hat beeinflussen lassen, fast exakt so hoch wie unter denjenigen, die dazu gewonnen haben (Abbildung 18). Dies bestätigt noch einmal, dass die Anreizwirkung von Verlusten bzw. Gewinnen bei der Ausstattung begrenzt ist; weder Gewinne noch Verluste führen zu einer Veränderung der Aufgabenwahmehmung. Vor vorschnellen Hoffnungen auf eine Verhaltensänderung bei Professoren durch veränderte Modi der Mittelzuweisung muss also auch in dieser Hinsicht gewarnt werden, zumal dann, wenn die Effekte für die Mittelsituation sich in einem halbwegs erträglichen Rahmen halten, wie es für die nordrhein-westfälischen Hochschulen derzeit sicherlich der Fall ist. Die Konsequenzen, die diejenigen gezogen, die sich in ihrer Aufgabenwahmehmung - ihrer Selbsteinschätzung nach als Folge der veränderten Finanzmittelzuweisung - haben beeinflussen lassen, sind deutlich; 41 % geben an, dass sie ihre Arbeit an Parametern ausrichten 56 , und die Abbildung 19 zeigt die Schwerpunkte. 56 Wobei sich diesbezüglich die C2-Professoren übrigens deutlich engagierter erweisen als ihre C4-Kollegen.
67
III. Auswirkungen auf die eigene Arbeit
Änderung der Aufgabenwahmehmung
Abbildung 18: Änderung der Finanzrnittelsituation und Änderung der Aufgabenwahmehmung (N =323) 80% 70% r--
60%
-
50%
r--
40"10
r--
-
30%
r--
-
20"10
r--
10"/.
r--
-
-
-
-
r--
!---
r---
f---
f---
-
-
-
f---
-
-
-
-
-
r--
0"10 Verbesserung der Qualität meiner Lehre
zunehmende
Beratung von
Studierenden
zunehmende
Beratung von
Diplomanden
zunehmende
Betreuung von
Promovenden
verstärkte Bemühung um
Drittrnittel
vermehne Publizierung
Abbildung 19: Konsequenzen aus der veränderten Finanzrnittelzuweisung nach Angaben der Professoren
Mit Abstand am häufigsten werden Bemühungen um eine verbesserte Qualität der Lehre und Bemühungen um eine verstärkte Akquisition von Drittmitteln genannt, während Bemühungen um einen erhöhten Publikationsausstoß demgegenüber deutlich abfallen. In Anbetracht dessen, dass weder im Zuweisungsschlüssel des Ministeriums und auch nicht in den hochschulintemen Zuweisungsschlüsseln an die Fachbereiche Publikationen eine Rolle spielen, kann also - wenn wir jetzt die 5*
68
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
Möglichkeit nicht mehr steigerungsfähiger Publikationen einmal ausschließen von einer recht genauen Kenntnis der verwendeten Kriterien ausgegangen werden. Zugleich belegt dies, dass die fachbereichsinterne Indikatorisierung der Mittelverteilung noch nicht sehr weit vorangekommen ist, denn unseres Wissens spielt der Publikationsausstoß bei der fachbereichsinternen Zuweisung durchaus eine, wenn auch gegenüber anderen Kriterien nachgeordnete Rolle. Doch in der Mehrzahl aller Fachbereiche, die überhaupt nach Kriterien verteilen, wird nur ein Teil der Mittel der TG 94 nach Parametern verteilt, so dass die Publikationsfleißigkeit sich in nur geringem Maße in der eigenen Ausstattung niederschlägt. Insofern ist es durchaus rational, sich an den Kriterien des Landes bzw. der eigenen Hochschule zu orientieren; um selbst zu profitieren, kommt es zunächst einmal auf eine günstige Ausstattung des eigenen Fachbereichs an, für die Publikationen aber irrelevant sind. Bei dieser Gruppe - um es nochmals zu betonen: es handelt sich ausschließlich um diejenigen, die angeben, ihre Aufgabenwahrnehmung geändert zu haben - findet sich nun auch ein Effekt der Entwicklung der Finanzmittelsituation in den letzten zehn Jahren: Wer Gewinne verbuchen konnte, zeigt sich durchgängig engagierter. trim nicmht_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _-fDFi;.;;;;;;;,;;;;;;;.;;"] zu
7
0 Finanzmittel ponnen
T
6t--------------------~.~Fin~anz~~~ ·tt~el~v~~w~=~
trim
o f-J~'--'.......--'-runehmende 2JJnehmende verstärkte vennehrte der Qualität Beratung von Beratung von Beratung von Berriihungen Publizierung meiner Lehre Studierenden Diplol'TDnden ProTJl)venden um Drittmittel
stark zu Verbesserung zunehmende
Versuch,
Ameit an Parametern aus21.Irichten
Abbildung 20: Änderung der Ausstattung seit 1993 und Konsequenzen (Mittelwerte)
Doch nach allem, was wir wissen, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass ein höheres, an den Kriterien orientiertes Engagement zu Gewinnen in der TG 94 führt, sondern der Umkehrschluss ist richtig: Wer schon in der Vergangenheit zu den Gewinnern gehörte, der zeigt sich auch jetzt - Parameterorientierung hin oder her - engagierter und dies sind, wie wir ebenfalls mittlerweile wissen, in erster Linie die "Ökonornisten". Zugleich belegt dieser Befund freilich nochmals, dass von Verlusten offenbar eine nur geringe Anreizwirkung ausgeht. Die Auswirkungen auf die eigene Professur werden insgesamt recht gelassen beurteilt; eine relative bzw. absolute Mehrheit gibt jeweils an, dass in Bezug auf die Einstellung von Hilfskräften, in Bezug auf Reisen und Exkursionen, in Bezug auf die Anschaffung von Literatur etc. mehr oder minder alles beim Alten geblie-
69
111. Auswirkungen auf die eigene Arbeit
ben ist. Wenn es Veränderungen gegeben hat, dann deuten sie auf Einsparungen hin - mit einer Ausnahme: ein recht hoher Anteil von 38 % gibt als Auswirkung der veränderten Mittelzuweisung an, mehr Geräte angeschafft zu haben, wobei dies besonders häufig angegeben wird von den Professoren aus den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern. Freilich ist auch hier wieder eine gewisse Unkenntnis in Bezug auf die Herkunft der Finanzmittel zu unterstellen. Denn offenbar wird damit abgehoben auf die gerade in diesen Fächern in den letzten Jahren verstärkte Beschaffung von Computern, deren Finanzierung aber keineswegs durch die Auswirkungen der pararnetergesteuerten Mittelzuweisung ermöglicht wurde, sondern durch die diversen Landesprogramme, mit denen die Überlastquote in manchen geistes- und gesellschaftlichen Fächern kompensiert werden sollte. Nicht überraschend ist, dass diejenigen, die in den letzten Jahren Verluste an ihrer Ausstattung hinnehmen mussten, signifikant mehr gespart haben als ihre Kollegen, doch wie gesagt: nach unseren Befunden sind Verluste ebenso wenig wie Gewinne in der Ausstattung der Professuren ein Resultat der parametergesteuerten Mitte1zuweisung. Mehr als zwei Drittel aller befragten Professoren, nämlich 69 %, haben ihren Angaben zufolge von Anfang an gewusst, was auf sie zukommt, wobei dies besonders häufig von Professoren aus naturwissenschaftlichen Fächern geäußert wird. Nun mag daran auch ein nachträglich rationalisiertes Selbstbild zum Ausdruck gebracht werden - eine Vermutung, die durch die nun mehrmals herausgearbeiteten Wissenslücken in Bezug auf die parameterorientierten Finanzmittelzuweisung zumindest nahe gelegt wird. Doch andererseits wird dies, wie die Abbildung 21 zeigt, vor allem von denen zum Ausdruck gebracht, die sich stärker als ihre Kollegen im Einführungsprozess informiert und beteiligt gefühlt haben. trim überhaupt nicht zu 6 +---------------+=:----=:--:-+---1
4t----I
trifft zu
aktives Informieren Entwicklungs· über die schritte in Gremien Hintergründe hochschulinternen diskutiert
Dekan informierte ausfUhrlich
Entwicklungs· schritte auch außerhalb der
Gremien diskutiert
Abbildung 21: Auswirkungen von Anfang an bekannt und Partizipation /Infonnation (Mittelwerte)
70
E. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Professoren
Diese Selbsteinschätzung korrespondiert in der Tendenz mit einer positiveren Beurteilung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung für die eigene Professur: wer sich selbst als nicht überrascht beschreibt, wer also schon vorab gewusst haben will, welche Folgen die Parameterorientierung hat, der sieht die ganze Angelegenheit dann auch positiver. Die hohe Kunst der Implementation besteht also auch darin, den Professoren durch informations- und partizipationsorientierte Verfahren den Aufbau bzw. die Beibehaltung eines solchen Selbstbildes zu ermöglichen. Jedenfalls hat dies größere Auswirkungen auf die Arbeit als die Effekte der Parametersteuerung selbst - und beides wird überlagert durch die Einstellung, in der die Arbeit betrieben wird.
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus der Sicht der Rektorate I. Beginn und Folgen der neuen Mittelverteilung in der Hochschule Wir haben, wie oben erwähnt, in insgesamt sechs Hochschulen in NordrheinWestfalen Experteninterviews durchgeführt. In drei Hochschulen (Hochschule 1, Hochschule 2, Hochschule 6) hat es laut Auskunft der befragten Experten bereits vor der Einführung der fonnelgebundenen Finanzmittelverteilung durch das MSWF im Jahr 1993 ein Verteilungsmodell gegeben, mit dem die Rektorate die Finanzmittel an die Fachbereiche zuwiesen. Die Finanzmittel wurden in diesen drei Hochschulen nach Leistungs- und/ oder Belastungskriterien verteilt. An einer Universität (Hochschule 6) gab es sogar bereits seit Mitte der 70er-Jahre eine indikatorisierte Finanzmittelverteilung; die Finanzmittel wurden zu zwei Dritteln nach Studierenden, ProfessorensteIlen und nach Fächergruppengewichten verteilt. Im Jahr 1988 wurde ein "Hilfskraftmodell" genanntes Verfahren eingeführt, mit dem weiterhin zwei Drittel der Finanzmittel an die Fachbereiche verteilt worden sind; in dieses Modell gingen die ProfessorensteIlen, die Studierenden- und die Absolventenzahlen bis zum 18. Semester ein. Das übrige Drittel der Finanzmittel wurde mit Hilfe von "Prograrnmlinien" verwaltet. Auch an einer Gesamthochschule (Hochschule 2) gab es ein Finanzmittelverteilungsmodell, das die Belastung von Fachbereichen beriicksichtigt hat, nach Aussagen des Rektorates "immer schon". Es wurde ein Belastungskoeffizient gebildet, in den die input- und outputorientierten Kriterien Fachbereichsauslastung und Drittmittelakquisition einbezogen wurden. Und schließlich wies eine Fachhochschule (Hochschule 1) ihre Finanzmittel bereits vor der Umstellung auf fonnelgebundene Mittelverteilung auf Landesebene nach Leistungskriterien zu; in diesem Finanzierungsmodell wurden 100.000 DM aus der TG 94 entnommen, um damit die Drittmitteleinwerbung der Fachbereiche zu gratifizieren. Kriterienorientierte Mittelverteilung war also nicht für alle Hochschulen in Nordrhein-Westfalen ein neues Verfahren. Die anderen führten sehr rasch nach der Umstellung auf fonnelgebundene Finanzmittelverteilung durch das Wissenschaftsministerium im Jahr 1993 auch intern ein Parametennodell ein. Bis zum Jahr 1995 stellten drei Viertel der Rektorate die Finanzmittelverteilung von der herkömmlichen gewachsenen Finanzmittelverteilung auf die parametergebundene Finanzmittelverteilung um. Im Jahr 2000 verteilen die gesamten 20 Rektorate, die auf unseren Fragebogen geantwortet haben, ihre Finanzmittel in der TG 94 nach einem parametergebundenen Finanzierungsmodell (Abbildung 22). Dabei sind die Volu-
72
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
mina, die in die Fonnelverteilung einbezogen sind, sehr unterschiedlich; sie reichen von 60 % bis hin zu 100 % der insgesamt zu verteilenden Mittel. Vier der von uns näher untersuchten sieben Hochschulen (Hochschule I, Hochschule 2, Hochschule 3, Hochschule 6) haben zudem eine Kappungsgrenze für die Finanzmittelverteilung eingeführt, damit finanzielle Härten einiger Fachbereiche nivelliert werden und eine Grundfinanzierung von Geräten auch in Zukunft gewährleistet werden kann.
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2000
Abbildung 22: Zeitpunkt der Einführung des Parametermodells nach Angaben der Rektorate (N =20)57
Durch die indikatorisierte Mittelzuweisung des MSWF fand eine Umschichtung in der TG 94 zwischen den Hochschulen Nordrhein-Westfalens statt. Etwa jeweils die Hälfte der Hochschulen hat Finanzmittel gewonnen (8 Rektorate) bzw. verloren (7 Rektorate), wobei die Gewinne bzw. Verluste zumeist unter 10 % lagen. Nur eine Hochschule macht hier eine Ausnahme; sie konnte Gewinne von mehr als 20 % verbuchen. Doch insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Umstellung auf Parameterorientierung keine grundlegende Umschichtung zwischen den Hochschulen bewirkt hat, wie es von einigen Kritikern befürchtet worden war. 57 Wir möchten nochmals darauf hinweisen, dass wir in unsere Expertengespräche absichtlich auch Hochschulen einbezogen haben, deren Rektorate sich an der schriftlichen Befragung nicht beteiligt hatten. Daraus erklärt sich der auf den ersten Blick etwas merkwürdig anmutende Sachverhalt, dass wir oben von drei Hochschulen sprechen, die bereits vor 1993 Mittel der TG 94 indikatorisiert verteilten, während in dieser Graftk nur eine Hochschule ausgewiesen wird.
I. Beginn und Folgen der neuen Mittelverteilung in der Hochschule
73
Hinsichtlich der Finanzrnittelsituation in den Fachbereichen gehen die Rektorate davon aus, dass die Finanzrnittelverluste die -gewinne überwiegen; sie vermuten, dass die Fachbereiche zu 44 % Verluste und zu 39 % Gewinne verzeichnen (Abbildung 23). Nach Aussage der Dekane allerdings stellt sich die Finanzrnittelveränderung etwas positiver dar; 48 % der Fachbereiche verzeichneten Gewinne, 33 % Verluste. 50·~ /
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Abbildung 23: Entwicklung der Finanzmitte1 für die Fachbereiche durch die Indikatorisierung (Einschätzung der Rektorate; N =20)
Wenn nach Gewinnern und Verlieren gefragt wird, dann ist natürlich nicht nur die Ebene der Hochschule insgesamt relevant, sondern auch die der Fachbereiche. In der Befragung der Professoren hatte sich gezeigt, dass Professoren aus dem natur- bzw. ingenieurwissenschaftlichen Bereich eher als Professoren aus dem geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich Finanzmittel verloren haben, auch wenn die Unterschiede statistisch nicht signifikant waren. Diese bestätigte sich auch in unseren Expertengesprächen: Nach Fächergruppen gegliedert, seien die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche tendenziell Gewinner von Finanzmitteln in der TG 94 und die naturwissenschaftlichen Fachbereiche die Verlierer. Die Finanzrnittelgewinne in den Geisteswissenschaften wurden darauf zurückgeführt, dass die Geisteswissenschaften im Vergleich zu den Naturwissenschaften oftmals neueren Datums sind, die in ihrer Gründungsphase im Vergleich zu älteren Fächern finanziell unterbewertet wurden. Im Zuge der parametergebundenen Verteilung nun konnten sie deshalb aufholen. Von besonderer Bedeutung dafür ist offenbar der Parameter "Studierende": Veränderungen in der Finanzrnittelzuweisung lassen sich nach Auffassung vieler der von uns interviewten Experten zum großen Teil auf die Auslastung zurückführen. Denn zu beobachten sei eine Studierendennachfrage nach eher ,jungen" Fachdisziplinen; es werden zunehmend geisteswis-
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F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
sensehaftliehe und sozialwissenschaftliche Studiengänge nachgefragt. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass, wie ein Rektor anführte, die naturwissenschaftlichen Disziplinen höhere Anforderungen an die Studierenden stellen. Doch aus welchen Gründen auch immer: "Mit der Einführung der forme1gebundenen Finanzmittelverteilung gab es Finanzmittelverschiebungen zwischen den großen Fachbereichen, der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät und der philosophischen Fakultät zugunsten der philosophischen Fakultät58 ; der Grund war die hohe Studierendenzahl in der philosophischen Fakultät" (Hochschule 4). Und: "Die Verlierer unserer Hochschule sind die Naturwissenschaften, weil sie weniger ausgelastet sind" (Hochschule 2).
Nun bleibe dahin gestellt, ob diese Urteile in jedem Fall triftig sind; auch wir haben, wie gesagt, diese Tendenz einer Mittelverschiebung in den geisteswissenschaftlichen Bereich zuungunsten der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachbereiche in unserer Professorenbefragung feststellen können, doch statistisch signifikant ist diese Tendenz nicht. Zu unserer Skepsis sehen wir uns auch veranlasst, weil Rektorate nicht immer im Detail über die Vorgänge in "ihren" Fachbereichen informiert sind, was auch durch einen weiteren Befund gestützt wird: Nach Ansicht der Rektorate geben fast die Hälfte (48 %) der Fachbereiche ihre Finanzmittel parametergebunden an die Professoren weiter, 34 % würden die gesamten Finanzmittel und 14 % einen Teil der Finanzmittel nach Parametern verteilen. Die andere Hälfte teile ihre Finanzmittel traditionell an die Lehrstühle zu oder sei mit der Entwicklung eines Modells befasst (Abbildung 24). Auch dies stimmt nicht mit den Angaben der Dekane überein (vgl. Kap. G.I). Ihnen zufolge weisen immerhin 68 %, also mehr als zwei Drittel der Fachbereiche die Finanzmittel partiell oder vollständig formelgebunden den Lehrstühlen zu. Offensichtlich haben die Hochschulleitungen, das zeigt die schriftliche Befragung, selbst keinen exakten Überblick über die Zuweisungspraktiken innerhalb ihrer eigenen Organisation. Auch in vier der sieben Hochschulen, in denen wir Experteninterviews geführt haben, war den Rektoraten nicht bekannt, wie die Fachbereiche ihre Finanzmittel verteilen. Die Hochschulleitungen zeigen sich also, so muss man wohl konstatieren, zumindest in Bezug auf die Mittelverteilung in den Fachbereichen erstaunlich uninformiert. Welche Gründe hat das? Zunächst einmal sicherlich die weitreichende Autonomie der Fachbereiche. Die meisten Rektorate überließen eine Umstellung der herkömmlichen auf die kriterienorientierte Finanzmittelverteilung dem Ermessen der Fachbereiche. Zwei Rektorate immerhin "erbaten" einen veränderten Modus der Finanzmittelverteilung von den Fachbereichen.
58 An dieser Universität sind die gesamten geisteswissenschaftlichen Studiengänge, mit Ausnahme des Faches Wirtschaftswissenschaft und Rechtswissenschaft, in der philosophischen Fakultät vereint.
1. Beginn und Folgen der neuen Mitte1verteilung in der Hochschule
75
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Abbildung 24: Finanzmittelverteilung der Fachbereiche (Einschätzung der Rektorate; N =20)
Zu letzteren gehört die Hochschule 1. Die Dekane haben jedoch auf ihre eigenständige Verwaltung verwiesen - ein Argument, das vom Kanzler dieser Hochschule auch durchaus unterstützt wird, denn "wenn eine neue Steuerung eingeführt wird, dann sehe ich die Fachbereiche als eigene Profit-Center und dazu gehört ein Berichtswesen und eine Budgetverantwortung, sonst wären wir wieder bei der Kameralistik und den alten Titelgruppen".
Drei von sechs Fachbereichen immerhin haben dennoch eine kriteriengebundene Finanzmitte1verteilung entwickelt, die aber von der Verteilung durch das Rektorat abweicht. Es gibt zwei Weitergabemodelle in den Fachbereichen: In einem Modell behält der Dekan des Fachbereiches die Finanzmittel, so dass die Professoren kein eigenes Budget haben. Im anderen Modell werden die Finanzmittel von den Dekanaten an die Professoren nach bedarfsorientierten, nicht nach leistungsorientierten Kriterien weitergegeben - eine feinsinnige Unterscheidung, die aber sicherlich eine Zustimmung zu dem veränderten Verfahren erleichtert. Ähnlich das Rektorat der Hochschule 3: Der Rektor schlug vor ("Prinzip Hoffnung"), dass die Fakultäten die ihnen zugewiesenen Finanzsachmittel ebenso nach Kriterien an die Lehrstühle zuweisen sollten. Druckmittel bzw. Anreize wurden nicht angewendet, denn um sanktionieren zu können, wären nach Ansicht des Rektors zusätzliche Finanzmittel notwendig, die aber wiederum an anderer Stelle entnommen werden müssten.
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F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
Nur an einer der von uns genauer untersuchten Hochschule, der Hochschule 2, wurden die Fachbereiche massiv aufgefordert, ihre Finanzmittel kriteriengebunden zu verteilen. Deshalb verteilt beispielsweise der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft nach einem detaillierten Schlüssel. Es gibt einen prozentualen Betrag pro Diplomand und Doktorand; außerdem wird die Belastung durch die Lehre berücksichtigt. Ebenso beziehen die Fachbereiche der Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften bei der Finanzmittelverteilung die Diplomanden- und Doktorandenbetreuung ein. Daneben finanzieren die Fachbereiche intern die Grundausstattung ihrer Geräte. Nur der Fachbereich Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften stellte nicht auf eine kriteriengebundenen Finanzmittelverteilung um. Daraufhin hat das Rektorat in dem Fachbereich durchgesetzt, dass die Finanzmittel fonnelorientiert an die Professoren weitergegeben werden. Aufgrund der Struktur von Hochschulen sind die Durchgriffsmöglichkeiten von Rektoraten begrenzt; es bleibt letztlich der Autonomie der Fachbereiche überlassen, ob und wie sie dem Modell einer indikatorisierten Mittelverteilung folgen wollen. In einem Expertengespräch wurde darauf hingewiesen, dass die Fachbereiche sehr unterschiedlich mit den Finanzmitteln verfahren: "Entweder verwaltet der Dekan die Finanzmittel oder die Budgets werden nochmals auf die Lehrstühle heruntergebrochen" (Hochschule 5), und wenn die Fachbereiche Indikatoren bei der Mittelzuweisung anwenden, dann geschieht auch dies in höchst unterschiedlicher Weise, wie wir im folgenden Kapitel zeigen werden. Erstaunlich allerdings ist, dass wir in keiner Hochschule ein Controlling oder wenigstens eine organisierte Berichtserstellung der Fachbereiche in Bezug auf deren Mittelverteilung vorgefunden haben. So ist dem Rektorat der Hochschule 3 nur rudimentär bekannt, welche Fakultäten die zugewiesenen Mittel der TG 94 nach Kriterien an die Lehrstühle weiterverteilen. Die Strukturkommission forderte zwar Berichte darüber an, aber da das Rektorat zuvor kein einheitlich strukturiertes Raster vorgegeben hatte, liegen bisher nur uneinheitliche Berichte über Verteilungs verfahren vor. Doch in dieser Hochschule ist wenigstens der Versuch unternommen worden, Aufschluss über die Modi der Mittelverteilung in den Fachbereichen zu erhalten; in den anderen Hochschulen bestand offenbar nur wenig Interesse an genaueren Infonnationen über die Verfahrens weisen: "Wir kümmern uns nicht darum" (Hochschule 5). Auch an einer anderen Hochschule wird lakonisch Unwissenheit über die fachbereichsinternen Modalitäten der Mittelvergabe geäußert: "Ich vermute, dass die beiden großen Fakultäten ihre Finanzmittel intern auch formelgebunden verteilen, ich weiß es aber nicht genau, nach welchen Modi und mit welchem Volumen" (Hochschule 4).
Die Fachbereiche können "selbst entscheiden, wie sie ihre Finanzmittel verteilen. Einige verteilen fonnelgebunden, andere nicht" (Hochschule 6), und außerdem sei es kein Problem, diese Infonnationen zu bekommen, wenn man sie denn wolle - aber an vielen Hochschulen will man sie offenbar nicht bekommen.
l. Beginn und Folgen der neuen Mittelverteilung in der Hochschule
77
Dieses Nichtwissen schlägt sich auch in den Ergebnissen unserer schriftlichen Befragung nieder. Die Rektorate prognostizieren, dass in den nächsten fünf Jahren 50 % der Fachbereiche die gesamten Finanzmittel und 6 % Gewinne und Verluste formelgebunden an die Professoren weitergeben werden. Demgegenüber würden 44 % der Fachbereiche auch in fünf Jahren ihre Finanzmittel nicht nach einem Parametermodell verteilen (Abbildung 25). Tatsächlich jedoch ist der Anteil der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung in den Fachbereichen zumindest nach Aussage der Dekanate bereits zum Zeitpunkt der Befragung, also im Oktober 2000, höher als die Prognose der Rektorate für die nächsten fünf Jahre. Bereits zu diesem Zeitpunkt weisen nahezu zwei von drei Fachbereichen die Mittel der TG 94 indikatorisiert den Professoren zu (vgl. auch Kap. G.I). 60"/.
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Abbildung 25: Erwartung der Rektorate für die nächsten fünf Jahre (N = 19)
Es ist ein durchaus bemerkenswerter Sachverhalt, dass die Hochschulverwaltungen in Nordrhein-Westfalen nicht genauer informiert sind in einer Angelegenheit, die ja nicht gerade unerheblich ist für die Gütererstellung der von ihnen zu verwaltenden Organisation. Sicherlich ist dies ein Ausdruck der dezentralen Organisationsstruktur von Hochschulen, die einen Überblick der Leitungsorgane erschwert; insofern stellt sich das Problem jeder dezentralisierten Struktur, nämlich eine die Subsysteme übergreifende Steuerung sicherzustellen, auch und gerade in Hochschulen, wobei allerdings nicht übersehen werden sollte, dass Rektorate in Form von Mittelund Stellenzuweisungen durchaus auch Zugriffsmöglichkeiten auf die Fachbereiche haben. Doch es mag gute Griinde geben, diese Möglichkeiten nicht auszureizen, allein schon wegen der dadurch möglicherweise in den Fachbereichen erzeugten Widerständigkeiten. Und sicherlich ist es ein durchaus Erfolg versprechender Weg, auf die normative Kraft des Faktischen zu vertrauen, die auch den Fachbereichen, die
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
78
sich bisher nicht dazu entschließen konnten, in absehbarer Zeit eine Umstellung auf indikatorisierte Mittelzuweisung an die Professoren nahe legen wird. Gleichwohl müsste dies nicht von Versuchen entheben, sich über den Stand der Dinge sachkundig zu machen. Angesichts dessen, dass es keines großen Aufwandes bedürfte, diesen Stand in den Fachbereichen abzufragen, liegt die Vermutung einer Strategie des Nicht-Wissen-Wollens nahe. Über deren Griinde nun kann trefflich spekuliert werden: will man es nicht wissen, weil es nicht interessiert - eine Möglichkeit, die uns aufgrund der intensiven Diskussionen in den Rektoraten und aufgrund des Aufwandes, der hinsichtlich der Kriterienentwicklung getrieben wurde59 eher unwahrscheinlich erscheint -, oder will man es nicht wissen, weil anderenfalls Schritte eingeleitet werden müssten, um einzelne Fachbereiche zu einer Umstellung ihrer Verfahren zu bewegen? In diesem Fall hätten wir es mit einer eher unliebsamen Folge der Konsenskultur zu tun, auf die Hochschulen sich einiges zugute halten. Doch wie gesagt: dies sind nur Spekulationen.
11. Modalitäten der hochschulinternen Mittelverteilung Wie gesagt: in allen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen werden mittlerweile die Mittel der TG 94 nach einem Schlüssel an die Fachbereiche verteilt. Die dabei verwendeten Parameter wurden zumeist vom MSWF übernommen und von einer hochschulinternen Kommission (weiter) entwickelt (Abbildung 26). Offensichtlich war das Parametermodell des MSWF eine Art Blaupause für die hochschulinterne Indikatorisierung, ohne dass freilich dass Modell des MSWF immer im 1:I-Maßstab übernommen wurde; es wurde auf die jeweiligen Bedingungen zugeschnitten und an die - möglicherweise - von den jeweiligen Rektoraten verfolgten Strategien angepasst. Dies hat dazu geführt, dass trotz der allgemein zu beobachtenden Anlehnung an die Landeskriterien in den internen Schlüssel einzelne Indikatoren, insbesondere der Indikator "Anzahl der Studierenden", anders akzentuiert worden sind. So ist der Modus des formelgebundenen Finanzmittelverteilungsschlüssels in der Hochschule 6 mit dem des Ministeriums zwar nahezu identisch; abweichend vom Landesschlüssel60 aber gehen Studierende vom ersten bis zum achten Semester in das Verteilungsmodell ein, damit die gesamte Studienzeit gewichtet wird61 • Ebenso Und nicht zuletzt auch aufgrund der Turbulenzen, die unser Projekt verursacht hat. Im Verteilungsschlüssel des MSWF werden Studierende vom ersten bis zum vierten Semester berücksichtigt (vgl. Andersen u. a. 2(01). 61 Eine andere Abweichung betrifft die Gewichtung der Drittmittel in der TG 99 (DFG und Graduiertenkollegs) und in der TG 98 (Sonderforschungsbereiche). Die Hochschule bewertet das Verhältnis von Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu Naturwissenschaften von 7:5 in der TG 99 und von 1: 1 in der TG 98. Der Prorektor begründete die Gewichtung in der TG 99 mit der Erfahrung ("es ist empirisch gerechtfertigt") und in der TG 98 damit, dass Geistes- und Gesellschaftswissenschaften sowie Naturwissenschaften sich ähnlichen Anfor59
60
11. Modalitäten der hochschulintemen Mittelverteilung
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werden in der Hochschule I Studierende anders berücksichtigt, nämlich vom ersten bis zum siebten Semester; damit soll den Gegebenheiten dieser (Fach)Hochschule, nämlich eine geringe Abbrecherquote und kleine Arbeitsgruppen, Rechnung getragen werden. Zum anderen werden aktuellere Daten für die Berechnung der Finanzmittel verwendet. Während das MSWF zeitlich verzögert drei zurückliegende Jahre in die Berechnung der Finanzmittel einbezieht, gehen in das Verteilungsmodell der Fachhochschule die letzten drei zurückliegenden Jahre ein. 16
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Rektorat deleg.ene Porametcrentwicklung weiter
Abbildung 26: Parameterentwicklung in den Hochschulen (N =18-20)
Eine weitere Gemeinsamkeit aller Hochschulen ist, dass die Umstellung auf Kriterienorientierung - in dieser Hinsicht dem Vorbild des Landes folgend - nicht in einem Schlag, sondern sukzessive erfolgte. So verteilte das Rektorat der Hochschule 2 zunächst nur 50 % der Finanzmittel formelgebunden an die Fachbereiche weiter (übrigens nach dem gleichen Schlüssel wie das Ministerium). In 10 %-Schritten wird das Volumen erhöht, so dass nach fünf Jahren 100 % der TG 94 nach Parametern verteilt werden sollen. Die anderen 50 % werden momentan noch nach einem Fächerschlüssel an die Fachbereiche verteilt, der z. B. die Auslastung des Faches und anfallende Gerätekosten in den Naturwissenschaften berücksichtigt. In der Hochschule 7 wurden zunächst im Jahr 199425 % der Mittel aus der TG 94 in die Verteilung einbezogen; dieses Volumen wurde jährlich um 15 % aufgestockt, so dass seit 1999 die gesamten Mittel indikatorisiert an die Fachbereiche verteilt werden. Auch in der Hochschule 3 begann das leistungsbezogene Kriteriensystem auf Hochschulebene im Jahr 1994 bei 10 % der zur Verfügung stehenden Mittel in der TG 94 und beläuft sich derzeit auf 70 % der Finanzmittel. In der Hochschule 5 wird mittlerweile der Großteil (90 %) der Finanzmittel in der TG 94 nach Parametern verteilt. Der andere Teil (10 %) wird für die derungen gegenüberstehen, wenn es um die Akquisition von Sonderforschungsbereichen geht. Bei der Mittelzuweisung des Landes hingegen werden Drittmittel der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften im Verhältnis von 7:2 zu den Naturwissenschaften gewichtet.
80
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
Grundversorgung der Fachbereiche verwendet. Damit werden besondere Härten einzelner Fachbereiche abgefedert, welche auf vorübergehend geringen Studierendenzahlen basieren. Eine Besonderheit hat die Hochschule 4 aufzuweisen; seit 1998 bekommen zwei Fakultäten 100 % ihrer Finanzmittel formelgebunden zugewiesen, während eine andere Fakultät ihre Finanzmittel seit 2001 nach dem Verteilungsschlüssel erhält. Eine weitere Fakultät hingegen erhält ihre Finanzmittel "traditionell" zugeteilt. All diese Verfahren dienen letztlich dazu, übermäßige Härten zu vermeiden, um mögliche Widerstände gegen eine indikatorisierte Mittelzuweisung so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört auch ein gewisser "Bestandsschutz". So wird in der Hochschule 6 kleinen Fächern unabhängig von Leistungskriterien bzw. formelgebundener Finanzmittelverteilung eine Mindestausstattung zugesichert. In der Hochschule 3 sind die Zentralen Einrichtungen ausgenommen von der parametergebundenen Verteilung, da sie einige der zu gewichtenden Parameter wie Studierende, Drittmittel, Promotionen usw. nicht aufweisen. Und in der Hochschule 2 ist man der Auffassung, dass neben einer Formelfinanzierung die Grundfinanzierung der Fachbereiche garantiert sein müsse. Aufgrund dessen hat dieses Rektorat einen Innovations- und Strukturfonds eingerichtet, damit verhindert wird, dass einzelne Fachbereiche "kaputt gespart" würden62 . Zudem gibt es aus Gründen der Gerechtigkeit einen Verteilungskorridor von einem zum nächsten Jahr: "Die Finanzmittel werden so verteilt, dass die jeweiligen Fächer nicht mehr als 10 % gewinnen bzw. verlieren können" (Hochschule 2).
Und auch in der Hochschule 6 gibt es eine Kappungsgrenze für die verteilten Finanzmittel, d. h. die Fachbereiche können höchstens 10 % gewinnen bzw. höchstens 5 % verlieren. Als Berechnungsgrundlage für die Finanzmittelverteilung wird seit 2001 der Vorjahresbezug herangezogen; davor war es der Drei-Jahres-Durchschnitt. In diesen Hochschulen werden zusätzlich finanzielle Härten abgefedert, indem finanziell unterausgestattete Fachbereiche mittels Gerätespenden, Zuschüssen zu Druckkosten usw. unterstützt werden können. Als Beispiel nannte der Rektor das Fach Kunst, dessen Grundausstattung gewährleistet wird, obwohl das Fach unabhängig vom angewandten Finanzmittelverteilungsmodell Finanzmittel verliert. Insgesamt kann angesichts der hochschulinternen Verteilungsmodalitäten und der dabei zu beobachtenden nur geringen Abweichungen von dem Kriterienschlüssel das Landes wohl von einer relativ großen Akzeptanz der indikatorisierten Verteilung der Mittel aus der TG 94 ausgegangen werden. Alle Hochschulen haben den Schlüssel zumindest im Grundsatz übernommen; kleinere Korrekturen haben 62 Ein derartiger Fonds könne, dessen waren sich unsere Gesprächspartner in dieser Hochschule durchaus bewusst, aber auch problematisch sein, da dieser nach Ermessen verteilt würde und von daher Machtpositionen aufrecht erhalten blieben.
III. Einführung der neuen Mittelverteilung und Partizipation
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nur stattgefunden, um besonderen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Zudem wurde in allen Hochschulen behutsam auf Indikatorisierung umgestellt; allein dadurch haben sich die durch die Indikatorisierung bewirkten Veränderungen in der TG 94 auf einem vertretbaren Niveau gehalten, was potentiellen Kritikern sicherlich den Wind aus den Segeln genommen hat.
111. Einführung der neuen Mittelverteilung und Partizipation 1. Beteiligung der Rektorate bei der Umstellung im Land
Aus der Abbildung 26 ist ersichtlich, dass zehn Rektorate, also exakt die Hälfte unseres Sampies, ihrer eigenen Einschätzung zufolge in Bezug auf die Kriterienentwicklung keinen Einfluss auf das MSWF haben nehmen können. Nun wissen wir aber (vgl. Andersen u. a. 2001), dass die Umstellung aufParameterorientierung keineswegs per Anordnung oder Erlass des Ministeriums eingeführt wurde, sondern dass dem intensive Diskussionen in der Landesrektorenkonferenz vorausgingen und dass der Einführungsprozess von intensiven Diskussionen in diesen Gremien begleitet wurde. Doch in der Selbstwahrnehmung vieler Rektorate wird dies nicht so gesehen; in ihrer Sicht sind ihre Einflusschancen doch eher begrenzt gewesen. Es gibt aber auch anderer Einschätzungen. Die Rektorate zweier Hochschulen (Hochschule 3, Hochschule 7), die hochschulintern seit geraumer Zeit belastungsorientiert bzw. leistungsorientiert verteilen, haben sich ihren Angaben zufolge besonders intensiv an der Entwicklung der indikatorisierten Parameterentwicklung auf Landesebene beteiligt und diese maßgeblich beeinflusst. Einer der Gesprächspartner in der Hochschule 7 auf der Verwaltungsebene einer Hochschule ging sogar davon aus, dass das MSWWF sich an den Parametern seiner Hochschule orientierte, da die Parameter des Landes denen an der Hochschule ähneln. Das Rektorat und die Verwaltungsmitarbeiter der anderen Hochschule konstatierten, dass das Rektorat, insbesondere der damalige Rektor, grundsätzlich keine Einwände gegen die Abschaffung der "willkürlichen und historisch gewachsenen" Finanzzuweisung des Landes an die Hochschulen hatte (Hochschule 3) und insofern der Umstellung der Mittelverteilung auf Indikatorsteuerung grundsätzlich positiv gegenüberstand. Dies allerdings scheint für alle Hochschulen zu gelten; allgemein wird davon ausgegangen, dass der veränderte Modus der Mittelverteilung eine Beseitigung historisch gewachsener Verwerfungen in den Zuweisungen an die Hochschulen bewirkt hat; insofern lässt sich eine relativ große Akzeptanz der Kriterienorientierung in den Rektoraten nachweisen (vgl. dazu weiter unten), so dass aus der doch recht hohen Anzahl der Rektorate, die sich bei der Einführung der veränderten Mittelzuweisung auf Landesebene nicht beteiligt gesehen hat, nicht auf eine grundsätzliche Kritik an der Indikatorsteuerung geschlossen werden darf. 6 Minssen et 01.
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
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2. Beteiligung der Fachbereiche an der hochschulinternen Umsetzung Der Einführungsprozess auf Landesebene war, zumindest nach Auffassung einiger Rektorate, also nicht sehr partizipationsorientiert; ganz anders der hochschulinterne Einführungsprozess. Den Mitgliedern der Hochschulen wurden (vgl. Abbildung 27) ausführliche Infonnationen über die veränderte Finanzmittelverteilung mittels verschiedener Gremien gegeben. Vor allem informierten die Rektorate den Senat, also das Gremium, das für grundsätzliche Angelegenheiten der gesamten Hochschule zuständig ist. Aber auch die Fachbereiche und die Dekane wurden infonniert. Diskutiert wurden die Entwicklungsschritte der fonnelgebundenen Finanzmittelverteilung zudem in den jeweiligen Kommissionen für Planung und Finanzen. Mit anderen Worten: die Rektorate sind ihrer Infonnationsaufgabe bereitwillig und ausführlich nachgekommen - zumindest in ihrer Selbsteinschätzung; auf der Ebene der Dekanate und vor allem der Professoren wird das durchaus kritischer gesehen (vgl. Kap. 6.2 und 8.2). Hier stoßen wir also auf ein Phänomen, das auch aus anderen Organisationsuntersuchungen bekannt ist und vielleicht auch die eher skeptische Einschätzung einiger Rektorate in Bezug auf den Einführungsprozess der Parameterorientierung auf Landesebene verständlich macht: Leitungsebenen beurteilen sich selbst in der Regel als deutlich partizipationsorientierter als die Angehörigen nachgeordneter Hierarchiestufen. 25
10 Zustimmung
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Abbildung 27: Information über die formelgebundene Finanzrnittelverteilung in der Hochschule durch die Rektorate (Zustimmung; N = 18 - 20)
Doch unabhängig von den nach Ebenen differierenden Einschätzungen der Partizipationsmöglichkeiten - die mikropolitischen Strategien zu hochschulinternen Umsetzung der indikatorisierten Mittelverteilung waren, wie sich in unseren Expertengesprächen zeigte, durchaus bemerkenswert. Da Entscheidungen in Hochschulen an die "nonnative Grundvorstellung der argumentativen Legitimierbar-
III. Einführung der neuen Mittelverteilung und Partizipation
83
keit" (Paris 200 1: 201) gebunden sind, ist es nahe liegend, möglichst viele Ebenen in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, und so wurde über die formelgebundene Finanzmittelverteilung in den verschiedensten Hochschul- und Fachbereichsgremien diskutiert63 . An den meisten von uns befragten Hochschulen rührte sich wenig bzw. gar kein Widerstand gegen die Einführung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung. Dieser geringe Widerstand wurde von den Rektoraten als generelle Zustimmung zur formelgebundenen Finanzmittelverteilung gewertet. In einigen Fällen war mikropolitisches Geschick kaum erforderlich; so bedurfte die Einführung an zwei Hochschulen überhaupt keiner besonderen Überredungskünste der Rektorate, da man sich von vornherein einig war. In der Hochschule 7 sprach sich die Mehrheit der Gremienmitglieder schon für eine Formelzuweisung aus, bevor das Wissenschaftsministerium formelgebunden an die Hochschulen verteilte. Ebenso konnten die Dekane an der Hochschule mühelos überzeugt werden, dass Finanzmittel formelgebunden verteilt werden (müssen). In der anderen Hochschule (Hochschule 4) wurde die formelgebundene Finanzmittelverteilung zwar erst im Jahr 1998, im Landesvergleich also relativ spät eingeführt. Doch die Diskussionen verliefen moderat und konsensual; die Gruppenvertreter waren sich darin einig, die formelgebundene Finanzmittelverteilung einzuführen, selbst wenn negative Veränderungen in den Zuweisungen die Folge sein sollten. Auch in Gesprächen des Rektors mit den Dekanen wurden keine nennenswerten Differenzen deutlich; der Rektor konnte vermitteln, dass die veränderte Finanzmittelzuweisung zu akzeptieren sei. Solle es doch Einwände gegeben haben, so zeigte sich der Verweis auf das MSWF als probates Mittel. So hob der Rektor der Hochschule 5 bei der Diskussion in den dafür zuständigen Gremien hervor, dass das MSWF auf die Einführung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung in den Hochschulen dränge; die formelgebundene Finanzmittelverteilung wurde auf diese Weise als zu erfüllende Vorgabe des MSWF ins Gespräch gebracht; nicht mehr das "Ob", sondern allenfalls das "Wie" stand so noch zur Diskussion, und selbst das nicht immer: "Es [das Rektorat] hat die Kriterien vom MSWF durchgereicht" (Hochschule 5). Der Senat wurde informiert, verschiedene Verteilungsmodelle wurden im Senat und in den Dekanedienstkonferenzen diskutiert. Das Finanzierungsmodell ist so diskursiv gewachsen, dass 63 Dies ist allerdings zugleich auch ein Problem der Entscheidungsfindung in Hochschulen; die "hochschulischen Entscheidungsstrukturen bestehen im Kern aus der akademischen Selbstverwaltung. Zu ihr ist zunächst einmal zu konstatieren: Die Gremien tagen regelmäßig. Wenn nötig, werden Sondersitzungen anberaumt. Beschlüsse werden gefasst, mal mit und mal ohne längere Aussprache. Zur Entscheidungsfindung werden auch zahlreiche Kommissionen eingesetzt. Die deutschen Hochschulen sind entscheidungsfähig, ja geradezu entscheidungsfreudig, um nicht zu sagen entscheidungswütig, wenn man sich die Menge an getroffenen Entscheidungen vergegenwärtigt. Das ist freilich bereits ein Grund, warum die meisten Beteiligten über die hochschulische Selbstverwaltung stöhnen. Man muss so entsetzlich viel Zeit aufbringen, weil man überall mitentscheiden darf - besser gesagt: muss" (Schimank 2001: 230).
6·
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F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
"es nicht jeden zufrieden stellen kann, ist klar. Es wurde im positiven Sinne um die Parameter gestritten, und es wurden verschiedene Modellrechnungen für die Fachbereiche erörtert".
Die grundsätzliche Notwendigkeit einer Umstellung auf Indikatorisierung jedoch konnte nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Ähnlich die Hochschulen 2 und 3. Die Rektoren dieser Hochschulen brachten die formelgebundene Finanzmittelverteilung als Anordnung des MSWF in die Hochschulgremien ein. An der Hochschule 3 gab es geringen Widerstand von Seiten einiger Dekane gegen die leistungsbezogene Zuteilung der Mittel an die Fakultäten, da "allen Beteiligten klar war, dass Finanzmittel abgegeben werden mussten", doch diese Einwände hätten mit Verweis auf das Ministerium ausgeräumt werden können. Zudem hätten nur wenige die marginal von der Landesformel abweichende Formel verstanden, nach der vom Rektorat an die Fakultäten zugewiesen wurde, und "die anderen sind Fatalisten". Die breite Akzeptanz führte der Rektor auch darauf zurück, dass es an Alternativen für einen Verteilungsschlüssel mangelte; grundsätzliche Kritik hätte - und das gilt wohl für alle Hochschulen - in der Pflicht gestanden, einen anderen Verteilungsschlüssel mit anderen Kriterien zu entwickeln, was wegen des dazu erforderlichen Arbeitsaufwandes kaum machbar gewesen ist. In der Hochschule 2 schließlich wurde der Verteilungsschlüssel des MSWF auch für die interne Mittelweitergabe verwendet. Der Rektor begründete dies damit, dass die Entscheidung hinsichtlich des anzuwendenden Schlüssels "auf den Schlüssel des Landes externalisiert" wurde, denn eine "Universität kann sich nicht einigen, Entscheidungsfindungen sind schwerlich in der Gruppenuniversität durchzusetzen". Wir wissen aus unserer Vorstudie (Andersen u. a. 2001), dass das Vorhaben des Landes, die Zuweisung der Mittel der TG 94 auf eine Parametersteuerung umzustellen, zwischen den Rektoren seinerzeit zwar ausführlich und durchaus auch kritisch, aber nicht grundsätzlich ablehnend diskutiert wurde. Wenn die Rektoren also den veränderten Modus der Mittelverteilung in ihren Hochschulen in die Diskussion brachten, dürften sie in aller Regel zumindest im Grundsatz Befürworter der Umstellung gewesen sein. Mit dem Verweis auf das Ministerium, mit dem Verweis also auf die Unabänderlichkeit der Umstellung konnten sie sich, wenn nötig, aus der Schusslinie bringen; etwaige Konflikte konnten auf diese Weise im Keim erstickt werden, da die Verantwortung nach außen verlagert wurde. Zwar gaben einige Rektorate im Interview zu verstehen, dass "letztendlich das Rektorat entscheidet" (Hochschule 5) oder, wie ein Prorektor es formulierte: "die Mittelverteilung ist eine Rektoratsentscheidung!" (Hochschule 6). Doch so richtig dies ist, so wenig darf übersehen werden, dass Rektoratsentscheidungen hochschulintern tunlichst vorbereitet sein wollen, wenn Konflikte vermieden werden sollen. Nicht immer hat man den angenehmen Fall wie in der Hochschule 5, in der nach längerer Diskussionszeit das Rektorat von den Dekanen geradezu aufgefordert wurde, die formelgebundene Finanzmittelverteilung endlich einzuführen: "So, Rektor, jetzt hör' mal auf zu diskutieren, jetzt sag' mal, wie es gemacht werden soll!" (Hochschule 5); in
III. Einführung der neuen Mittelverteilung und Partizipation
85
der Regel lassen Dekane sich ja nur ungern sagen, wie es gemacht werden soll. Zwar muss man nicht unbedingt der obigen Aussage des Rektors der Hochschule 2 folgen, dass Entscheidungen in einer Gruppenuniversität "schwerlich" durchzusetzen sind; sie sind aber sicherlich schwieriger durchzusetzen als in einer Organisation mit klaren Hierarchien, und da kann mikropolitisch der Verweis auf übergeordnete Instanzen ein geeignetes Verfahren darstellen, die Entscheidungsfindung zu beschleunigen. Dazu gehört auch die sorgfältige Beteiligung der für Entscheidungen an Hochschulen zuständigen Gremien. Gleich welchen Weg die Rektorate im einzelnen beschritten haben, es wurde stets ein formal korrektes Verfahren der Entscheidungsfindung eingehalten: Die Kommission für Planung und Finanzen erarbeitete einen Entwurf, der Senat wurde informiert, er diskutierte und beriet darüber. Entscheidungen wurden vorbereitet, z. T. durch Gruppen, die eigens für diesen Zweck gebildet wurden. So wurde, um möglichst wenig Widerstände gegen die formeIgebundene Finanzmittelzuweisung zu provozieren, an der Hochschule 6 eine Gruppe gebildet, die sich aus Mitgliedern der Personal- und Finanzkommission sowie weiteren Vertretern aus den Geisteswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Naturwissenschaften zusammensetzte und ein (theoretisches) Verteilungsmodell entwickeln sollte. Erst nachdem die Spielregeln für die FinanzmitteIverteilung, also das Verfahren Zustimmung gefunden hatten, wurde das Modell durchgerechnet, so dass es bei der Einführung keinen Dissens mehr gab, da die Zustimmung zu dem Verfahren nicht rückgängig gemacht werden konnte, wenn die Ergebnisse nicht überzeugten; ist das Verfahren einmal akzeptiert, können Resultate des akzeptierten Verfahrens nur schwerlich kritisiert werden. Darüber hinaus haben wir Fälle gefunden, in denen die Umstellung auf eine Parameterorientierung nicht strittig war, weil sich niemand dafür interessierte. Ein solcher Fall ist die Hochschule I. Das Rektorat versuchte eine Diskussion über die TG 94 in verschiedenen Gremien dieser Fachhochschule zu initiieren, auch um mit Hilfe der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung das Drittmittelaufkommen insgesamt zu vergrößern. Die Fachbereiche jedoch reagierten vor allem wegen des zu geringen Finanzmittelvolumens in der TG 94 mit außerordentlichem Desinteresse auf die indikatorisierte Finanzmittelzuweisung: "Es interessiert sie einfach nicht, ob sie 1.000 DM weniger oder mehr bekommen", so der Kanzler dieser Hochschule. Beispielhaft nennt er den Dekan der Fakultät für Maschinenbau, für den DrittmitteIprojekte einen viel größeren Betrag einbringen als die "Peanuts" der formelgebundenen Finanzmittelverteilung. Ein anderer Grund für das Desinteresse sei das fehlende Verständnis für das Verteilungsmodell. Dementsprechend konnte das Rektorat die formelgebundene Finanzmittelverteilung völlig problemlos etablieren. In den Dekanedienstkonferenzen der Hochschule 3 wollte sich niemand an der Diskussion über bedarfs- und leistungsorientierte Verteilung der Finanzmittel auf Fakultätsebene beteiligen. Dies führten die Verwaltungsexperten der Hochschule 3 auf drei Gründe zurück:
86
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
,,Die formeIgebundene Finanzzuweisung wurde sukzessive eingeführt, viele Dekane durchschauten die Formel nicht und zudem gab es einen hohen Ignoranzfaktor an der Universität".
Als Gründe für die oftmals recht konfliktfreie Einführung der Parameterorientierung werden von "unseren" Experten also das geringe Finanzvolumen der TG 94, ein daraus folgendes stark ausgeprägtes Desinteresse an einer veränderten Finanzmittelverteilung und nicht zuletzt auch ein Unverständnis gegenüber der nicht ganz einfachen Berechungsformel angeführt. Hinzu kommen die unterschiedlichen Einstellungsmuster der "Ökonomisten" und "Traditionalisten". Wir sprachen dieses Ergebnis unserer Befragung in allen Expertengesprächen an und fast alle Rektorate stimmten dieser Typisierung zu; nur der Rektor der Hochschule 6 ließ sich auf diese Typisierung nicht ein, verwies jedoch auf zwei "Akzeptanzmuster" innerhalb der Fakultäten: "Die einen ,pochen' auf Leistungsanerkennung und möchten auch über die in der Hochschule praktizierten Kappungsgrenze hinaus FinanzmitteI gewinnen; die anderen setzen auf soziale Marktwirtschaft bei der Verteilung von Finanzrnitteln".
Freilich scheinen uns diese "Akzeptanzmuster" nicht allzu weit entfernt von unserer Typisierung. Die "Ökonomisten" seien bei der Einführung der Parameterorientierung durchaus hilfreich gewesen. Die breite Akzeptanz vor allem an den Fachhochschulen etwa sei, so der Rektor der Hochschule 5, darauf zurück zu führen, dass die "Ökonomisten" an den Fachhochschulen verbreiteter seien als an Universitäten, obwohl es "sicherlich ,Ökonomisten' und ,Traditionalisten' überall gibt". Dies führte er auf die Praxisnähe und -kontakte zurück und darauf, dass die Professoren der Fachhochschule mindestens fünf Jahre in der "freien" Wirtschaft gearbeitet haben und nicht nur die Verwaltung kennen, "sie mussten sich erst wieder an die Maßstäbe des Beamtenturns gewöhnen".64 Nun wissen wir aus unserer Befragung der Professoren, dass 49 % der Befragten die Indikatorisierung der Mittelverteilung positiv beurteilen, was zugleich bedeutet, dass eine knappe Mehrheit der Professoren dies kritisch beurteilt. Diese Kritiker, die sich vor allem in der Gruppe der "Traditionalisten" finden, haben in den hochschulinternen Diskussionen aber kaum eine Rolle gespielt, was angesichts ihrer Verbreitung erstaunlich ist. Dies ist darauf zurück zu führen, dass die "Traditionalisten" sich aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer Orientierungen gegenüber Aktivitäten in der Selbstverwaltung eher zurückhaltend zeigen, was wiederum zu einem Übergewicht von "Ökonomisten" in den Gremien der Selbstverwaltung führt, zumindest in den Gremien der zentralen Ebene, also im Senat und in den Dekanedienstbesprechungen. Zudem deutet einiges darauf hin, dass Dekane sich aufgrund ihrer Tatigkeit den Auffassungen von "Ökonomisten" nähern (vgl. 64 Unsere beiden Typen ergänzte der Rektor übrigens um den Typ des "Egoisten", der an Hochschulen arn verbreitesten sei.
IV. Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch Rektorate
87
Kap. G.II1.), so dass die Diskussion um die hochschulinterne Einführung und Ausgestaltung einer parametergestützten Mittelverteilung in einem Kreis von Personen geführt wurde, in dem eine grundsätzliche Kritik an dem Vorhaben nur selten vertreten wurde.
IV. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch die Rektorate Die formelgebundene Finanzmittelverteilung bewerten die Rektorate durchweg positiv: sechzehn von zwanzig Rektoraten schätzen die Parameterverteilung als "gut" ein. Wie die Abbildung 28 zeigt, stimmen die Rektorate mit großer Mehrheit den Auffassungen zu, dass die parameterorientierte Mittelzuweisung zu einer gerechteren Verteilung führe und eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit und des Wettbewerbs bedeute; niemand ist der Auffassung, dass das MSWF mit der Umstellung auf Indikatorisierung der Mittel nur einer Mode folge. belastungsorientierte Finanzmittelzuweisung
I
0 Zustimmung
gesicherte Finanzmittelzuweisung Steigerung der Wirtschaftlichkeit Steigerung des Wettbewerbs
I I I I
Modeerscheinung Einf"uhrung des GlobalhaushallS Verwaltungsvereinfachung Entlastung des MSWF öffentlieber Rechtfenigungsdruck
1
J
I
I
I
I
2
4
6
8
Finanzmittel werden knapper 0
10
12
14
16
18
20
Abbildung 28: Grunde für die formelgebundene Mittelzuweisung durch das MSWF nach Ansicht der Rektoren (N = 19)
Ähnlich positiv die Beurteilung, wie sie aus der Abbildung 29 hervorgeht. Mehrheitlich ist man der Auffassung, dass die Parameterorientierung Transparenz sowie leistungsorientiertes Verhalten in der Lehre und in der Forschung fördere und zudem eindeutige Zielwerte vorgebe. In keinem Rektorat wird die Meinung vertreten, dass eine Parameterorientierung nicht mit der Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar sei oder dass eine finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten der Kontrolle der Handlungen von Professoren diene. Allerdings gibt es auch eine freilich sehr kleine kritische Minderheit: jeweils zwei Rektorate sind der Auffassung, dass die finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten angesichts bisheriger Leistungen überflüssig sei und dass sich sowieso nichts ändere.
88
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
I~
Ablehnung • Zustimmung
keine Veränderung
~
dient der Kontrolle
I
Belohnung ist nicht mit Freihelt von Forschung und Lehre vereinbar Belohnung ist angesichts bisheriger Leistungen überflüssig
I
~
I
fOrden Verhalten. welches belohnt wird Belastung wird vemachlässig
fOrden Transparenz Förderung von leistungsorientiertem Verhalten in der Selbslverwaltung
I
Förderung von IClstungsoncn
ticrtem Verhalten
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der Lehr
Förderung von IClstungsonen In der Forschung
lIcrtem Verhalten
I
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2
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6
8
JO
12
14
16
18
Abbildung 29: Beurteilung der formelgebundenen Finanzmiuelzuweisung durch die Rektorate (N = 17 - 20)
Doch von diesen beiden Rektoraten einmal abgesehen: in der weit überwiegenden Zahl der Rektorate nordrhein-westfalischer Hochschulen wird die Umstellung auf eine kriteriengestützte Finanzmittelzuweisung der TG 94 begrüßt. Obwohl also, wie oben dargelegt, der Einführungsprozess auf Landesebene vielleicht nicht so verlaufen ist, wie man es sich in manchen Rektoraten vorgestellt hat, stimmen die Rektorate mit dem Grundanliegen der Umstellung auf Parameterorientierung überein. Diese im Grundsatz sehr günstige Bewertung bestätigte sich auch in unseren Expertengesprächen; die veränderte Finanzmittelverteilung in der TG 94 wird von der Mehrheit der von uns befragten Interviewpartner außerordentlich positiv bewertet und begrüßt. Vor allem werden die mit der formelgebundenen Finanzmittelverteilung verbundenen erhöhten Entscheidungskompetenzen von Hochschulen, verglichen mit anderen Bürokratien, begrüßt (Hochschule 5). Damit einher geht eine verständnisvolle Sichtweise für die Gründe des MSWF, die Finanzmittelzuweisung zu modifizieren; insbesondere das Ziel einer "gerechteren" Finanzmit-
IV. Bewertung der parameterorientierten Mitte!verteilung durch Rektorate
89
telverteilung sowie die Ressourcenknappheit, die ein anderes Verfahren der Mittelzuteilung erforderlich machten, werden hervorgehoben. Damit soll nicht gesagt sein, dass wir nicht auch auf kritische Stimmen gestoßen wären; dabei handelte es sich aber in keinem Fall um eine Kritik, mit der die Indikatorisierung vom Grundsatz her in Zweifel gezogen worden wäre. So wurde in der Hochschule 1 angemerkt, dass die formelgebundene Finanzmittelverteilung mit einem Berichtswesen verbunden werden müsste, damit "überprüft werden kann, wie die Finanzmittel auf Professorenebene ankommen" - was allerdings, wie oben gezeigt, nicht Praxis ist. Es fehle eine Hilfestellung des MSWF bei der Einführung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung, die notwendig wäre, "denn mit der formelgebundenen Finanzmittelverteilung ist relativ viel Aufwand für ein nur geringes Budget verbunden" (Hochschule 5). In den Hochschulen 2 und 3 wurde zudem darauf hingewiesen, dass nicht der gesamte Hochschulhaushalt formelgebunden zugewiesen werden dürfte; denn eine "Verhaltenssteuerung bzw. ein Motivationskoeffizient mittels Kriterien" sei insofern problematisch als die "Kriterien nur die belohnen, die sowieso Leistung erbringen. Die Anderen erreicht die versuchte Steuerung nicht" - eine, wenn man die Ergebnisse unserer Professorenbefragung zugrunde legt, übrigens sehr realistische Einschätzung. Ansonsten wurde die Fehlgewichtung des Parameters "Drittmittel" für den Fall von Gesamthochschulen genannt, denn bei diesem Parameter müsse an Gesamthochschulen zwischen B3- und B4-Professoren bzw. zwischen D 1- und D lI-Studiengängen differenziert werden65 : ein B3-Professor müsse mehr Lehre anbieten als ein B4-Professor, dementsprechend bliebe weniger Zeit für die Akquisition von Drittmitteln. Und schließlich müssten grundsätzlich Übergangszeiten berücksichtigt werden, in denen Professoren emeritiert werden und deshalb in Übergangszeiten weniger Drittmittel akquiriert werden könnten. Und dann haben wir noch die, deren Kritik an der indikatorisierten Mittelzuweisung sich darauf richtet, dass diese zu halbherzig sei. Interviewpartnern in den Hochschulen 1, 5 und 7 auf Rektoratsebene und einem Interviewpartner auf Verwaltungsebene geht die derzeitige formelgebundene Finanzmittelverteilung nicht weit genug. Das Volumen der TG 94, das etwa 5 % bis 10 % eines Hochschulhaushaltes ausmacht, sei zu gering, um damit leistungsorientiert steuern zu können. Nach der Meinung dieser Interviewpartner sollte der gesamte Haushalt einer Hochschule formelgebunden verteilt werden. Im Chor der positiven Äußerungen gibt es also durchaus Akzentuierungen. Fast alle Rektorate aber waren sich einig, dass die Wirkungen der formelgebundenen 6S Die D 1- und D lI-Studiengänge sind Bestandteile eines integrierten gestuften Studienaufbaus an Gesamthochschulen. Erst mit der Anmeldung zum Vordiplom müssen sich die Studierenden entscheiden, ob sie ihr Studium anschließend im stärker praxisorientierten Hauptstudium I (weitere 2-3 Semester) oder im stärker theorieorientierten Hauptstudium 11 (weitere 4-5 Semester) fortsetzen wollen. Das Studium wird jeweils mit der Diplomprüfung abgeschlossen.
90
F. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Rektorate
Finanzmittelverteilung begrenzt sind, denn trotz Umverteilungen innerhalb der Hochschulen sind die Gewinne und die Verluste nicht sonderlich dramatisch ausgefallen. Erstens liege dieser Sachverhalt daran, dass das MSWF die Umverteilungspolitik nicht konsequent durchgehalten habe. Es habe den Hochschulen andere Finanzmittel zur Verfügung gestellt, so dass Verluste entsprechend kompensiert werden konnten: ,,Es gibt an unserer Fachhochschule keine Gewinner und Verlierer in dem eigentlichen Sinn, da die Verluste mittels anderer MSWF-Töpfe kompensiert werden konnten" (Hochschule 1).
Zweitens haben die Rektorate Verluste in einzelnen Fachbereichen in ihrer Hochschule auf ähnliche Art und Weise ausgeglichen wie das MSWF. Ein Verwaltungsmitarbeiter der Hochschule 3 erinnerte sich daran, dass es nur einmal Widerspruch gegen die Gewichtung der Drittmittel von dem Fachbereich für Chemie gab, die aufgrund von neun Neuberufungen nur wenig Drittmittelaufkommen hatte: ,,Für besondere Ausnahmefälle verfügt das Rektorat über Reserven, die sie damals der Fakultät für Chemie zukommen ließ".
Drittens sind Verluste in der TG 94 zu verschmerzen. In der Hochschule 6 klagte ein Fachbereich über eine Unterfinanzierung. Daraufhin hat das Rektorat verschiedene Finanzmittelverteilungsmodelle für den Fachbereich errechnet. Die Modelle zeigten, dass der Fachbereich zu wenig Studierende aufzuweisen hat. Entsprechend wurde der Fachbereich aufgefordert, sich mehr um Studierende zu kümmern, aber "sie haben sich Studierenden nicht geöffnet, denn Geld scheint nicht ganz so wichtig zu sein; sie bleiben lieber arm und edel, wenn trotz Armut Dienstreisen geführt und Arbeitsmittel wie ein PC angeschafft werden können".
Trotz aller kritischen Äußerungen im Detail kann festgehalten werden, dass die indikatorisierte Mittelzuweisung in den Rektoraten im Grundsatz auf Zustimmung stößt, und zwar stärker als bei den Professoren und den Dekanen. Zwei Erklärungsversuche mögen dies begründen. Zum einen hat dies seinen Grund in einer strukturellen Konkurrenz zwischen der Verwaltung und der Professorenschaft. Zum Rektorat zählt bekanntlich auch der Kanzler, der in der Regel bei unseren Gesprächen auch zugegen war wie übrigens ab und an auch Dezernenten, so dass die Verwaltungsspitze von Hochschulen in unsere Gespräche einbezogen war. Wenn über Hochschulen gesprochen wird, wird in der Regel nicht ausreichend gewürdigt, dass diese Organisation aus zwei Subsystemen besteht, die völlig unterschiedlich strukturiert sind: auf der einen Seite der Bereich Forschung und Lehre mit einem hohen Maß an Dezentralisierung und Autonomie der dezentralen Einheiten, die auch die Existenz des viel beschworenen "faulen Professors" ermöglicht, auf der andere Seite eben der "Hilfsstab" (Mintzberg 1992), also die von der Zahl der Beschäftigten keineswegs zu vernachlässigende Verwaltung, die ganz traditionell als MehrLinien-Organisation, im Grunde entsprechend dem klassischen Bürokratiemodell von Max Weber, strukturiert ist. Die kriterienorientierte Mittelzuweisung nun ist immer auch eine Möglichkeit seitens der Verwaltung, die aus der Sicht eines Ver-
V. Auswirkungen auf die Arbeit der Professoren nach Ansicht der Rektorate
91
waltungsbeamten verständlicherweise befremdlich anmutende Autonomie der Professoren wenn nicht zu beschneiden, so doch stärker als zuvor zu regulieren. Es scheint uns kein Zufall zu sein, dass der Anspruch einer stärkeren Leistungsorientierung von Hochschulen sich ausschließlich auf den Bereich Lehre und Forschung richtet, während die Hochschulverwaltungen davon weitgehend ausgespart bleiben; uns sind jedenfalls kaum Bemühungen von Hochschulverwaltungen bekannt, sich etwa an dem "Neuen Steuerungsmodell" auszurichten wie kommunale Verwaltungen oder sich gar, wie diese, einem Leistungsvergleich auszusetzen66 . Auf der anderen Seite vermuten wir, dass die Professoren in Rektoraten, also der Rektor und die Prorektoren, in besonderer Weise unserem Typus des "Ökonomisten" zuzurechnen sind, der der Formel "Geld gegen Leistung" ohnehin aufgeschlossen gegenübersteht. Wer sich als (Pro-)Rektor zur Verfügung stellt, dürfte insofern den mit einer indikatorisierten Mittelverteilung verfolgten Zielen von vornherein offener gegenüberstehen als der "Durchschnittsprofessor", so dass die positive Beurteilung des veränderten Modus der Mittelverteilung auf Einstellungsmustern beruht, die die professoralen Angehörigen der Rektorate gewissermaßen mitgebracht haben.
V. Auswirkungen auf die Arbeit der Professoren nach Ansicht der Rektorate
Trotz der begrenzten Reichweite einer Steuerung über die Vergabe aus Mitteln der TG 94 vermuten vier von fünf Rektoraten, die sich an der schriftlichen Befragung beteiligten, dass die formelgebundene Finanzmittelverteilung eine Verhaltensänderung in Bezug auf Leistungsorientierung bzw. Formelorientierung bei den Professoren bewirkt hat. Sie erwarten, dass 37 % der Professoren sich bemühen, ihre Arbeit an den Parametern auszurichten. Dabei würden sie vor allem danach streben, Drittrnittel zu akquirieren und die Lehre zu verbessern (Abbildung 30). Die Dekane äußern sich im Hinblick auf die Auswirkungen in gleicher Weise, auch wenn nur etwa die Hälfte der Dekane eine Verhaltensveränderung vermutet (vgl. Kap. G.II!.), und dies entspricht im Großen und Ganzen auch der Selbsteinschätzung der Professoren (v gl. Kap. E.III.). 66 Dabei ließen sich durchaus Analogien zu einem interkommunalen Leistungsvergleich herstellen (Adamaschek 1997). Beim interkommunalen Leistungsvergleich haben sich vergleichbare Städte (in Bezug auf Größe, Verwaltungsaufgaben etc.) zusammengeschlossen und einzelne Ämter anhand der vier Kriterien Erfüllung eines spezifischen Leistungsauftrages, kundenorientierte Dienstleistung, Zufriedenheit der Mitarbeiter und wirtschaftlicher Einsatz von Ressourcen verglichen. Dabei werden zuerst bestimmte Leistungen (z. B. Führen einer Einwohnermeldedatei) und dazu notwendige Arbeitsschritte definiert (An- und Abmeldungen) sowie deren Erfassung operationalisiert (durchschnittliche Arbeitszeit, die eine Anmeldung erfordert). Solche Leistungsvergleiche und entsprechende Kundenzufriedenheitsbefragungen wären auch in der universitären Verwaltung denkbar.
F. Die parameterorientierte Mitte1verteilung aus Sicht der Rektorate
92 500;,
r"""'" 30'.
0'10
Verbesserung der Lehre
~
nn zunehmende Studierendenberatung
zunehmende Oiplomandenbetreuung
.........,. zunehmende Promovendenbetreuung
zunehmende Akquise von Onnmilleln
C-
r=L zunehmende PubIizierung
f-
--
Versuch, Arbeit an Parametern auszurichten
Abbildung 30: Konsequenzen der Professoren nach Ansicht der Rektoren (N =20)
Dass die Parameter "Drittmittelakquisition" und "Lehre" hervorgehoben werden, hängt damit zusammen, dass diese Parameter in der Formel für die externe Mittelzuweisung an die Hochschulen wie auch in der hochschulinternen Weitergabe an die Fachbereiche eine prominente Rolle spielen. Zudem stocken Drittmittel das Budget eines Lehrstuhl in nicht unbeträchtlicher Weise auf und sind ein wichtiger Faktor für die professorale Reputation. Diese Einschätzungen der Rektorate machen deutlich, dass man zwar grundsätzlich davon ausgeht, durch finanzielle Anreize Verhaltensänderungen bewirken zu können, doch in unseren Expertengesprächen wurde auch deutlich, dass kein Professor sein Verhalten aufgrund der formelgebundenen Finanzmittelverteilung allein verändert hat. Der Kanzler der Hochschule 1 gab zu bedenken, dass das Volumen der TG 94 zu gering ist, um damit leistungsorientiert zu steuern. Und der Prorektor der Hochschule 5 sah das darin begründet, dass erfolgreiche Akquisition nicht auf die unterste Ebene herunter gebrochen wird: "Wenn ein Professor an der Fachhochschule viel akquiriert, bekommt er dadurch nicht mehr Geld", und das gilt selbstverständlich auch für die Professoren an anderen Hochschultypen. Die formelgebundene Finanzmittelverteilung sei in gewisser Weise vergangenheitsorientiert und müsste deswegen mit zukunftsorientierten Instrumenten zu einem Set von Steuerungsinstrumenten kombiniert werden. Letztlich erreicht und belohnt, so ein Experte der Hochschule 2, eine Verhaltenssteuerung mittels Kriterien, die Leistung und Nicht-Leistung bewerten und abbilden, nur diejenigen, die sowieso Leistung erbringen. Eine an den Kriterien der Mittelverteilung orientierte Verhaltensänderung wird also in den Rektoraten der nordrhein-westfälischen Hochschulen durchaus für
V. Auswirkungen auf die Arbeit der Professoren nach Ansicht der Rektorate
93
wahrscheinlich gehalten, die Reichweite dieser Veränderung freilich wird mit einiger Skepsis betrachtet, solange die Anreize begrenzt sind, oder deutlicher: solange die Professoren nicht auch individuell davon profitieren67 . Beim derzeitigen Stand der Dinge werden nach Ansicht vieler der von uns befragten Experten in den Rektoraten vor allem die erreicht, die ohnehin schon ein Verhalten an den Tag gelegt haben, wie es durch die indikatorisierte Mittelverteilung gefördert werden soll - und das entspricht ziemlich genau unseren Befunden aus der Professorenbefragung.
67 Man wird in der Zukunft sehen, ob diese Einschätzung berechtigt ist, wenn die Auswirkungen der Dienstrechtsreform. vor allem die Auswirkungen der in der Dienstrechtsreform festgelegten Leistungsbestandteile des Gehaltes deutlicher werden.
G. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus der Sicht der Dekane I. Parameterorientierte Mittelverteilung in der Hochschule und im Fachbereich Nach Angaben von 32 % der Dekane erfolgt die Verteilung der Finanzmittel in der TG 94 innerhalb des Fachbereiches nicht fonnelgebunden; 39 % weisen einen Teil der Finanzmittel der TG 94 parametergebunden vom Dekanat an die Professoren zu und 29% geben die gesamten Finanzmittel fonnelgebunden weiter (vgl. Abbildung 31).
o
kClnc Panunetervcnc"ung
•
teilweise Parameterverteilung
o
vollständige ParameterverteiJung
39"10
Abbildung 31: Finanzmittelverteilung der Dekanate an die Professoren (N = 114)
Das heißt, dass zwei Drittel aller antwortenden Dekanate sieben Jahre nach der Einführung der fonnelgebundenen Finanzmittelverteilung durch das MSWF an die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen ihre Finanzmittel zumindest teilweise nach Parametern vergeben. Dass viele Professoren davon noch nichts mitbekommen haben (vgl. Kap. E.I.), sei nur der Vollständigkeit halber nochmals erwähnt, denn bemerkenswerter noch ist ein anderer Sachverhalt: 69 % der Dekane geben an, dass ihre Hochschulen ihrem Fachbereich die Finanzmittel nach einem fonnelorientierten Modell zuweisen, oder anders ausgedrückt: ein knappes Drittel ist der Auffassung, dass sie die Finanzmittel nicht parameterorientiert erhalten. Nun wissen wir aber aus der Befragung der Rektorate, dass alle Hochschulen die Mittel der TG 94 mittlerweile nach Kriterien an die Fachbereiche weiterleiten; fast jedem dritten Dekan ist dies jedoch nicht bekannt, obwohl er doch die Mittel verwaltet. Wir sind durch die Befragung auf viele Unkenntnisse aufmerksam geworden, diese gehört sicherlich zu den herausragenden.
11. Infonnation und Partizipation bei Einführung der Parameterorientierung
95
Doch wie gesagt: in zwei Drittel aller Fachbereiche werden den Professoren die Mittel der TG 94 mittlerweile partiell oder vollständig indikatorisiert zugewiesen. Der Versuch einer externen Steuerung der Hochschulen hat also auch hochschulintern nicht unbeträchtliche Folgen gehabt - zumindest was die Modi der Verteilung angeht; dass dies gleichermaßen nicht auch in Bezug auf eine Verhaltensänderung der Professoren behauptet werden kann, hat uns bereits oben beschäftigt. Auf jeden Fall gelten in der überwiegenden Zahl der Fachbereich mit der Berufung getroffene Zusagen nicht mehr ein gesamtes Professorenleben. Wenn noch keine Parameterverteilung eingeführt wurde, dann liegt das größtenteils daran, dass sich die Fachbereiche in den entsprechenden Gremien nicht auf Parameter einigen konnten, sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben oder kaum Dispositionsmöglichkeiten für Finanzmittelzuweisungen haben, da die Finanzmittel bereits mit den Berufungszusagen vergeben worden sind. In solchen Fällen ist schlicht nicht genügend Masse vorhanden, die verteilt werden könnte, oder in den Worten eines Dekans: "Es gibt nichts, was sich zu verteilen lohnt."
11. Information und Partizipation bei der Einführung der Parameterorientierung Informationen bezüglich der formelgebundenen Finanzmittelverteilung erhielten die meisten Dekane in Form von Beschlüssen von der zentralen Hochschulebene, die dann in den dafür zuständigen Gremien diskutiert wurden (Abbildung 32).
100% 90% 80% 70%
60% t - -
-
50% t - 40% t - 30% 20% 10% 0%
-
-
-
,..t-t--
Rektor infonnierte ausfiihrIich
ausführliche Diskussion in zuständigen Gremien
Beschlüsse von zentraler Ebene mitgeteilt
Abbildung 32: Infonnation der Fachbereiche nach Ansicht der Dekane (Zustimmung; N =73 - 75)
Allerdings verlief die Einführung nicht ganz so partizipativ, wie es von den Rektoraten für sich in Anspruch genommen wird: Zwar stimmen zwei Drittel der Dekane der Auffassung zu, dass der Rektor informierte, aber nur 55 % sind der Auf-
96
G. Die parameterorientierte MittelverteiJung aus Sicht der Dekane
fassung, dass die Entwicklungsschritte in den Gremien diskutiert wurden; hingegen wurden nach Einschätzung von 88 % der Dekanate die Beschlüsse der Zentralebene den Fachbereichen lediglich mitgeteilt. So ist es nicht verwunderlich (vgl. Abbildung 33), dass eine knappe Mehrheit von 51 % der Dekane der Auffassung ist, keine Möglichkeit der hochschulinternen Mitgestaltung gehabt zu haben, obwohl immerhin 73 % der Dekane angeben, sich aktiv informiert zu haben .
.- 50',
.c---
.....--
.f--
oe-200/0of-10%
e-Dekan informierte Diskussion in den sich aktiv zuständigen Gremien
,---
-
auf zentraler Ebene Dekan konnte Mitwirkungshochschulintem möglichkeit mitgestalten
Abbildung 33: Mitgestaltung der fonneigebundenen Finanzrnittelverteilung durch die Dekane (Zustimmung; N =71-74)
Die Parameter wurden offenbar (vgl. Abbildung 34) nicht einfach vom Rektorat oder gar vom MSWF übernommen, sondern jeweils fachbereichsspezifisch zugeschnitten, indem sie aus älteren Parametern weiterentwickelt wurden. Dies geschah insbesondere innerhalb des Fachbereichsrats bzw. innerhalb der Fachbereichskommission für Struktur und Finanzen; und immerhin 40 % der Dekane geben an, dass an der Entwicklung der Parameter der gesamte Fachbereich beteiligt gewesen ist. Dies deutet auf einen recht diskursiven Einführungsprozess innerhalb der Fachbereiche hin. Allerdings gibt es auch das starke Drittel von Dekanen, die für sich in Anspruch nehmen, ihr Parametermodell selbst entwickelt zu haben, wobei dieser "selbstbewusste" Typus von Dekanen besonders selten vertreten ist in den naturwissenschaftlichen Fächern bzw. an Gesamthochschulen.
111. Die Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch die Dekane Trotz der begrenzten Mitwirkung an der Einführung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung wird diese sowohl für den eigenen Fachbereich als auch insgesamt zum größten Teil als gut bis sehr gut eingeschätzt, und das durchgängig von allen Dekanen: von denen, die Erfahrung mit der fachbereichsinternen formel-
III. Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch Dekane
97
gebundenen Finanzmittelzuweisung haben ebenso wie von denen, die keine Erfahrung damit haben. Fast drei von vier Dekanen äußern sich positiv über den neuen Modus der Mittelverteilung. Diese Beurteilung ist zwar nicht in gleichem Maße positiv wie unter den Rektoraten, aber immer noch bemerkenswert hoch. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die formelorientierte Mittelzuweisung an die Fachbereiche durch das Rektorat sich nur in einer Minderheit von Fällen negativ ausgewirkt hat, so dass die Anwendung eines Formelmodells auch innerhalb der Fachbereiche bisher nicht zu deutlichen Härten gegenüber einzelnen Fachbereichsmitgliedern und daraus resultierenden Konflikten geführt hat. 70·
60· 50·
r--
40· 30°/'
-
200/0
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10°/
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-
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-
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00/0 aus äheren vom MSWF Parametern übernommen entwickelt
auf
zentraler
Ebene entwickelt
von zentraler
Kommission (Planung &
Finanzen) entwickelt
von zentraler Kommission (Struictur & Fmanzen) entwickelt
vom vom vom Fachbegesamten Dekanat reichsrat Fachbeentwickelt entwickelt reich entwickelt
Abbildung 34: Übernahme bzw. Entwicklung der Parameter nach Ansicht der Dekane (Zustimmung; N =66-72)
Abhängig ist die Beurteilung im starken Maße von der Einbindung der Dekane in die Entwicklung des Parametermodells; je umfassender Information und Partizipation, desto positiver die Einschätzung. Die formelgebundene Finanzmittelverteilung wird am positivsten eingeschätzt, wenn jeder Entwicklungsschriu in Gremien (hochschulintern) diskutiert wurde und der Rektor informierte. Umgekehrt war die Einschätzung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung für den eigenen Fachbereich umso negativer, je weniger der Dekan die formelgebundene Finanzmittelzuweisung hochschulintern trotz formaler Mitwirkungsmöglichkeiten mitgestalten konnte (Abbildung 35).
7 Minssen et al.
G. Die pararneterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Dekane
98
Korrelation nach Pearson (N)
Signifikon1.
Rektor informierte über formeIgebundene FinanzmitteIzuweisung
jeder Entwicklungsschritt wurde in Gremien diskutiert
,31 (69) ,009
,45 (69) ,000
Einschätzung der formeIgebundenen Finanzmittelzuweisung für den Fachbereich
Mitwirkungsjeder Entwicklungs- möglichkeiten schritt wurde auf der zentrain Gremien len Hochhochschulinschulebene tern diskutiert geboten
,32 (67) ,009
,28 (68) ,022
Dekan konnte die formeIgebundene Finanzmittelzuweisung hochschulintern nicht mitgestalten - ,27 (68) ,024
Abbildung 35: Korrelationen zwischen Information und Partizipation sowie Einschätzung für Fachbereiche der Pararneterverteilung in den Dekanaten
Als Hauptgrund für die Einführung der formelgebundenen Finanzmittelverteilung durch das MSWF nehmen Dekane - wie auch Rektoren - an, dass der Wettbewerb zwischen Hochschulen gesteigert werden soll und dass öffentliche Finanzmittel knapper werden (Abbildung 36). Eine deutliche Mehrheit ist zudem der Auffassung, dass die Parameterorientierung einer belastungsorientierteren und gerechteren Finanzmittelzuweisung und insgesamt einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit innerhalb der Hochschulen und einer Steigerung des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen diene. belastungsorienticrtere Finanzmittclzuweisung
gerechte Finanzminelzuweisung
Steigerung der Winschafllichkeit Steigerung des Wettbewerbs Modeerscheinung Einführung des Globalhaushalts Verwaltungsvereinfachung
Entlastung des MSWF öffentlicher Rechtfertigungsdruck
Finanzminel werden knapper
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Abbildung 36: Grunde für die formelgebundene Mittelzuweisung nach Ansicht der Dekane (Zustimmung; N =98 - 105)
Wir können also festhalten, dass sich auch in diesen Annahmen über die Gründe, weswegen das MSWF auf ein Parametermodell umgeschwenkt ist, positive Einschätzungen zum Ausdruck gebracht werden, dass die kritischen Stimmen
111. Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch Dekane
99
aber deutlich verbreiteter sind als in den Rektoraten. Positive Zusammenhänge zwischen den Gründen für die Einführung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung durch das MSWF und der Einschätzung der Folgen für den Fachbereich generell ergeben sich v. a. in den Fällen, in denen der Leistungsgedanke hervorgehoben wird. Hinsichtlich der Auswirkungen sind 70 % der Dekane der Auffassung, dass die formelgebundene Finanzmittelzuweisung Transparenz fördere, und ein ebenfalls hoher Anteil unter ihnen meint, dass die Parameterorientierung eindeutige Ziel werte vorgäbe und der Förderung von leistungsorientierten Verhalten in Lehre und Forschung dienlich sei (Abbildung 37).
keine Veränderung dient der Kontrolle Belohnung ,st mit Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar Belohnung ist angesichts bisheriger Leistungen überflü ig förden Verhalten. welches materiell belohnt wird
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förden Transparenz
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Förderung von leistungsorientienem Verhalten," der Selbstverwaltung
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Förderung von leistungsorientienem Verhalten," der Forschung eindeutige Zielwene
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Belastung wird vernachlässigt
Förderung von leistungsorientienem Verhalten in der Lehre
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I 30~o
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Abbildung 37: Beurteilung der fonnelgebundenen Finanzmittelzuweisung durch die Dekane (Zustimmung; N =97 -121)
Es gibt aber auch eine nicht geringe Gruppe, die die Sache eher kritisch sieht. Immerhin jeder Dritte ist der Auffassung, dass die Parameterorientierung mit der Freiheit von Forschung und Lehre nicht vereinbar sei und dass die Belohnung angesichts bisheriger Leistungen ohnehin überflüssig sei; jeder Vierte sieht in der Parameterorientierung ein Mittel zur Kontrolle von Professoren und ebenfalls jeder Vierte vermutet, dass sowieso keine Veränderungen stattfinden. Diese Einschätzungen korrelieren miteinander. Wir haben deswegen wie bei den Professoren eine Faktorenanalyse durchgeführt, um mögliche Strukturen zu iden7*
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G. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Dekane
tifizieren. Das Ergebnis dieser Faktorenanalyse findet sich in Abbildung 38; bei einem KMO-Wert von 0,79 wird eine Varianz von 52 % erklärt, was nicht viel ist, für unsere Zwecke aber ausreicht. Faktor I
2
,536 ,761
fördert nur Verhaltensweisen, die materiell belohnt werden
,730 -,373 -,534
,402 ,354 ,259 ,315 ,104 2,519E-02 ,442
finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten ist angesichts der bisher erbrachten Leistungen überflüssig
-,540
,396
finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten ist nicht mit Freiheit von Forschung/Lehre zu vereinbaren
-,506
,674
-,566 -,597
,559 -,241
gibt eindeutige Ziel werte vor fördert leistungsorientiertes Verhalten in der Forschung fördert leistungsorientiertes Verhalten in der Lehre
,822
fördert leistungsorientiertes Verhalten in der Selbstverwaltung
,634
fördert Transparenz Belastung wird vernachlässigt
finanzielle Belohnung bestimmter Aktivitäten dient nur zur Kontrolle der Handlungen von Professoren es verändert sich nichts
Abbildung 38: Faktorenanalyse: Beurteilung der fonnelorientierten Finanzrnittelzuweisung durch die Dekane
Auf dem Faktor I laden die Variablen hoch, die auf Leistungsorientierung, auf eindeutige Ziel werte und auf Transparenz abheben. Es sind, mit anderen Worten, die Auffassungen, in denen sich ein Leistungsanspruch an Hochschulen auch unter wirtschaftlichen Aspekten niederschlägt. Es handelt sich also um die Gruppe der "Ökonomisten", die wir schon von den Professoren kennen. Auf dem Faktor 2 hingegen zeigen die Variablen eine hohe Faktorladung, mit denen auf die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre gegenüber finanziellen Anforderungen verwiesen wird. Hier drückt sich die klassische Sichtweise von Professoren aus, die auf ihre Unabhängigkeit von externen Anforderungen pochen und die wir deswegen die "Traditionalisten" genannt haben. Wir finden diese Gruppen auch wieder in der Frage nach den Griinden, die das MSWF zu einer Umstellung auf die formelorientierte Finanzmittelzuweisung bewogen haben könnte (Abbildung 39). Auch hier lassen sich zwei Faktoren identifizieren, die bei einem KMO-Wert von 0,66 eine Varianz von insgesamt 52 % erklären. Auf dem Faktor I, also in der Gruppe der von uns so bezeichneten "Ökonomisten", laden die Variablen hoch, mit denen auf Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit sowie auf eine gerechtere Verteilung von Leistung und Belastung abgehoben wird. Auf dem Faktor 2, der Gruppe der "Traditionalisten", wird stattdessen auf die Ziele und die externen
III. Bewertung der parameterorientierten Mittelverteilung durch Dekane
101
Eingriffe des MSWF verwiesen, das sich unter dem Druck knapper werdender öffentlicher Mittel befindet. Gruppen "Ökonomisten" öffentliche Finanzmittel werden knapper MSWF steht unter Rechtfertigungsdruck MSWF möchte sich entlasten MSWF möchte Verwaltung vereinfachen MSWF möchte über die fonnelgebundene Finanzmittelzuweisung den Globalhaushalt einführen MSWF folgt in unkritischer Weise einer Mode Wettbewerb zwischen Hochschulen soll gesteigert werden Hochschulen sollen zur Wirtschaftlichkeit angehalten werden Finanzmittel sollen leistungsgerechter zugewiesen werden Finanzmittel sollen belastungsgerechter zugewiesen werden
-,195 -,209 -,476 ,156 ,180 -,700 ,624 ,681 ,890 ,797
"Traditionalisten" ,659 ,486 ,579 ,670 ,619 4,067E-02 ,252 ,345 -3,232E-03 -8,819E-02
Abbildung 39: Faktorenanalyse: Gründe des MSWF für die forrnelorientierte Finanzmittelzuweisung nach Ansicht der Dekane
Wir finden also wie bei den Professoren auch unter den Dekanen eine recht deutliche Gruppenaufteilung in "Ökonomisten" und "Traditionalisten", was freilich nicht sehr überraschend ist - Dekane sind schließlich Professoren. Wie wir wissen, unterscheiden sich die "Ökonomisten" und die "Traditionalisten" recht grundsätzlich in ihren Einstellungen - generell und in Bezug auf die Parameterorientierung. Wenn wir die Einschätzungen unserer Untersuchungsklientel hinsichtlich der indikatorisierten Mittelverteilung miteinander vergleichen, dann zeigt sich, dass sich die höchste Zustimmung in den Rektoraten und die niedrigste bei den Professoren findet; die Zustimmungsquote der Dekane liegt dazwischen. Wir hatten die hohe Zustimmung in den Rektoraten damit erklärt, dass sich dort überproportional viele "Ökonomisten" finden; demzufolge ist anzunehmen, dass auch der Anteil der "Ökonomisten" unter den Dekanen höher ist als unter den Professoren, und in der Tat: während rund zwei Drittel der Professoren den "Traditionalisten" zuzurechnen sind, stellen sie unter den Dekanen eine knappe Minderheit dar. Allerdings kann dieser höhere Anteil von "Ökonomisten" unter den Dekanen nicht wie bei Rektoraten mit Selbstrekrutierung erklärt werden kann. Denn entgegen landläufiger Meinung bewerben Professoren sich nicht um das Amt eines Dekans, sondern werden eher dazu gedrängt. Deswegen ist eher anzunehmen, dass die Ausübung der Dekanefunktion aufgrund der dabei gemachten Erfahrungen Sichtweisen verändert und zwar in eine Richtung, wie sie den "Ökonomisten" eigen ist; wer einen Großteil seiner Tätigkeit mit der Verwaltung und der Verteilung zunehmend knapper werdender Mittel verbringt, kommt gar nicht umhin, sich an Effizienzkriterien, und das heißt vor allem: ökonomischen Effizienzkriterien zu orientieren und sich auf diese Weise den Einstellungen von "Ökonomisten" anzunähern.
102
G. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Dekane
IV. Auswirkungen auf den Fachbereich und auf die Professoren nach Ansicht der Dekane Die Aufgabenwahrnehmung der Fachbereiche wird nach Ansicht von 51 % der Dekane durch die fonnelgebundene Finanzmitte1verteilung beeinflusst. Die Dekane vennuten, dass viele Professoren versuchen, ihre Arbeit entsprechend der Parameter auszurichten. In diesem Kontext wird der Drittmittelakquisition, aber auch den Versuchen, die Qualität der Lehre zu verbessern, eine besondere Bedeutung zugemessen (Abbildung 40).
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Verbesserung zunehmende zunehmende LUnehmende zunehmende StudienbcDlploman- Promovcnden- Akquise von der Lehre Dnttrruttcln f81ung denbctrcuung betreuung
zunehmende Versuch, Arbeit PubliZierung an Parametern
auszurichten
Abbildung 40: Konsequenzen der Professoren nach Ansicht der Dekane (N =35 - 36)
Auf die Ausstattung der Professoren hat die Umstellung auf Indikatoren nach Einschätzung der Dekane größtenteils kaum Auswirkung gehabt (Abbildung 41): Die Zahlen studentischer Hilfskräfte und wissenschaftlicher Hilfskräfte seien unverändert geblieben. Ebenso habe sich nichts bei der Finanzierung von Reisen und Exkursionen sowie von Literatur, Büromaterial und Vervielfältigung geändert. Eine Ausnahme stelle nur die vennehrte Anschaffung von Geräten dar, die aber wohl weniger auf die veränderten Zuweisungsmodi als vielmehr auf die Verfügbarkeit von anderen Ressourcen zurück zu führen ist. Diese Einschätzungen sind offenbar nicht nur Vennutungen; zwar ist nicht davon auszugehen, dass jeder Dekan einen exakten Überblick über die Ausgaben aller Professoren in seinem Fachbereich hat, doch decken sich die Angaben der Dekane, wie wir weiter oben gesehen haben, mit den Angaben der Professoren. Allerdings ist dies auch nicht ganz überraschend, denn im Großen und Ganzen hat sich durch die Umstellung auf Parameterorientierung an der Ausstattung der
V. Die parameterorientierte Mittelverteilung am Beispiel zweier Dekanate
103
Professoren bisher nicht viel geändert - sagen die Dekane und bestätigen die Professoren. 40'10
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Abbildung 41: Auswirkungen der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung auf die Ausstattung von Professoren nach Ansicht der Dekane (N = 42-74)
v. Die parameterorientierte Mittelverteilung am Beispiel zweier Dekanate
In der Hochschule 3 haben wir abgesehen vom Rektorat und einigen Verwaltungsmitarbeitern ebenso mit Vertretern aus zwei Fachbereichen Experteninterviews führen können. Die folgenden Auswertungen basieren auf Experteninterviews in einem naturwissenschaftlichen Fachbereich (Dekanat 1), in dem die formelgebundene Finanzmittelverteilung bereits eingeführt ist, und auf den Aussagen in einem geisteswissenschaftlichen Fachbereich (Dekanat 2), in dem es abgelehnt wird, die formelgebundene Finanzmittelverteilung einzuführen. 68
68 Diese Fachbereiche stehen selbstverständlich nicht stellvertretend für die Bereitschaft zur Einführung einer indikatorisierten Mittelverteilung in den Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften insgesamt. Wir haben in unseren Daten keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen diesen beiden Disziplinen hinsichtlich der Umstellung auf formelgebundene Mittelzuweisung gefunden; zudem gibt es geisteswissenschaftliche Fachbereiche, die sich geradezu als Vorreiter der Indikatorisierung erwiesen haben; vgl. dazu das Beispiel in Andersen u. a. 2001.
104
G. Die parameterorientierte Mittelverteilung aus Sicht der Dekane
1. Die Implementierung der formelgebundenen Finanzmittelzuweisung an einem naturwissenschaftlichen Fachbereich
a) Das Finanzmittelverteilungsmodell
Auf Initiative des Dekans erarbeitete die Struktur- und Finanzkommission im Jahr 2000 zwei Verteilungsmodelle, die als Diskussionsgrundlage für die formelgebundene Finanzmittelverteilung im Fakultätsrat dienen sollten. Das Volumen der Verteilungsmodelle sah zunächst eine Verteilung der zusätzlichen Finanzmittel im Fachbereich vor. Der Dekan stellte die alternativen Verteilungsmodelle im Fakultätsrat vor und bat die Mitglieder des Fakultätsrates um eine Abstimmung für ein Modell. Der Fachbereichsrat entschied sich im September 2000 einstimmig für folgendes Modell: Ein Sockelbetrag wird von der TG 94 abgezogen, der sich am Finanzmittelbudget des Jahres 1993 orientiert und den Grundbedarf eines Lehrstuhls sicherstellen soll. Die Differenz des Sockelbetrages zum Gesamtbetrag der TG 94 wird zu je 50 % linear bzw. kriteriengebunden an die einzelnen Lehrstühle überwiesen. 69 Die Kriterien, nach denen die Finanzmittel gemäß der Beschlussfassung seit Anfang 2001 fakultätsintern verteilt werden, wurden innerhalb der Arbeitsgruppe der Struktur- und Finanzkommission diskutiert und festgelegt. Für das Verteilungsmodell wurden die Kriterien des Rektorats der Hochschule 3 übernommen, aber mit weiteren Kriterien an die fachbereichsspezifischen Bedingungen angepasst. 60 % der zu verteilenden Mittel werden für die Lehre, 25 % für die Forschung und 15 % für die Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung verteilt. Die jeweiligen Kriterien werden zusätzlich untergliedert (Abbildung 42). Am Beispiel des Kriteriums "Lehre" sei die Vorgehensweise erläutert: Dieses Kriterium wird in die Untergruppen "Priifungen" (30 %) und "Examensarbeiten" (30 %) unterteilt. Für jedes Priifungselement wird ein Punkt verteilt. Aus diesen Punkten wird anschließend die Summe aller Priifungen am Lehrstuhl berechnet. "Wenn ein Lehrstuhl 25 % der Prüfungen betreut, erhält dieser Lehrstuhl 25 % der Mittel, die für die Untergruppe ,Prüfungen' verteilt werden. Hierbei erhalten jedoch nur die Hauptprüfer Punkte, die Beisitzer erhalten keine. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn hier werden zuerst die Punkte auf die einzelnen Prüfer aufgeteilt und erst später für den Lehrstuhl zusammengefasst. Das heißt also, dass die Punktzahl dem Prüfungsvolumen entspricht" (Dekanat 1).
69 500 TDM Grundzuweisung erhält die Fakultät laut unseres Interviewpartners, 100 TDM werden indikatorisiert verteilt.
Lehre
Forschung
Selbstverwaltung
1
2
3
Vorsitz Diplom-Prüfungsausschuss
Vorsitz Lehrkommission
Vorsitz Struktur-/ Finanzkommission
Dekan
Promotionen, Habilitationen
Drittmittel (nur am Verteilungsverfahren Beteiligte werden in die I: einbezogen)
Examensarbeiten: a) Diplomarbeit b) Hausarbeit
Prüfungen: a)Diplom b) Lehramt (Klausur, mündliche Prüfung)
Parameter
alle Werte werden als Mittelwert über 3 Jahre bestimmt (1997 -1999)
alle Werte werden als Mittelwert über 3 Jahre bestimmt (1997 -1999)
alle Werte werden als Mittelwert über 3 Jahre bestimmt (1997-1999)
Zeitraum
1,00
0,15
0,05
0,20
0,30
0,30
Gewichtung
Abbildung 42: Kriteriengebundene Mitte1vergabe TG 94 im Haushaltsplan 2001 des naturwissenschaftlichen Fachbereiches
Quelle: Dekanat des naturwissenschaftlichen Fachbereichs der Hochschule 3
Kriterium
Nr.
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