Kompendium für das Studium der Philosophie 9783787328048, 9783787328031

»Wir dürfen nicht an allem festhalten, was wir gehört und gelesen haben, sondern müssen aufs genaueste die Auffassungen

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Philosophische Bibliothek

Roger Bacon Kompendium für das Studium der Philosophie

Meiner

ROGER BACON

Kompendium für das Studium der Philosophie Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von

nikolaus egel

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 683

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2803-1 ISBN eBook: 978-3-7873-2804-8

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2015. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: ­ Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruck­ papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

I N H A LT

Einleitung. Von Nikolaus Egel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

vii

1. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

vii

2. Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

xiv

3. Bacons Gesamtkonzept einer systematischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxxii a) Die Reform der Wissenschaften  xxxiv





b) Der Nutzen der Wissenschaften  xliii c) Die offendicula sapientiae (Hindernisse gegenüber der Weisheit)  xlviii d) Roger Bacon und die Übersetzungen seiner Zeit  liii

4. Das Compendium studii philosophiae . . . . . . . . . . . . . . a) Ziel und Programm des Compendium studii

lvii

philosophiae  lix b) Die Sprachen der Weisheit  lxxii

5. Zu dieser Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxxviii Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxxx

ROGER BACON Kompendium für das Studium der Philosophie [Inhaltsübersicht des Compendium studii philosophiae] . .

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

3

I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

vi

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

inhalt

VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 XI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 XII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

EI N LEIT U NG

1. Stand der Forschung »Es wird eine Zeit kommen, in der das, was nun verborgen ist, der Tag und die Sorgfalt einer weiter entfernten Zeit ans Licht bringen wird. […] Vieles von dem, was uns noch unbekannt ist, werden die Menschen eines späteren Zeitalters wissen. Es wird eine Zeit kommen, in der sich unsere Nachfolger darüber wundern werden, dass wir so offensichtliche Dinge nicht wussten.«1 So die Worte Roger Bacons über die Wissenschaft seiner Zeit, die mit dieser Übersetzung des Compendium studii philosophiae nun erstmals in deutscher Sprache vorliegen. Diese Bemerkung beschreibt nicht nur eine für Bacon typische Kritik am damaligen Wissenschaftsbetrieb und zugleich ein für ihn ebenso typisches Vertrauen in die Möglichkeiten der Vernunft, sondern lässt sich auch auf die Baconforschung selbst anwenden. Denn die Bedeutung des Franziskaners Roger Bacon (1214/1220–1292/1294) für die Wissenschaftskultur des 13. Jahrhunderts wurde erst verhältnismäßig spät erkannt. Auch wenn er zu seiner Zeit so anerkannt war, dass Papst Clemens IV. um die Übersendung seiner Werke bat, blieben seine Texte doch bis ins 18. Jahrhundert weitestgehend ungedruckt.2 Davor war Bacon eher in magischen und alchemistischen Zirkeln bekannt, die das Bild seiner wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen 1 

§ 95 in dieser Übersetzung. Vgl. Amanda Power, »A Mirror for Every Age: The Reputation of Roger Bacon«, in: English Historical Review 212, 2006, S. 657–692; dies., »Seeking Remedies for great Danger: Contemporary Appraisals of Roger Bacon’s Expertise«, in: Knowledge, Discipline and Power in the Middle Ages, hg. v. Joseph Canning u. a., Leiden/Boston 2011, S. 63–78. 2 

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Reformideen sehr verzerrten. 3 Erst durch die (wenn auch mitunter unvollständigen) Editionen der Werke Bacons durch Samuel Jebb 4 , John S. Brewer5 , Francis A. Gasquet 6 , John H. Bridges7, Pierre Duhem8 , Andrew G. Little9, Robert Steele10 und Eugenio Massa11 wurde eine seriösere Beschäftigung mit Bacon möglich, die jedoch oft neue Mythen an die Stelle der alten setzte. Dementsprechend wurde Bacon im 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert als »Wissenschaftler vor seiner Zeit« wahrgenommen, der mit seiner scientia experimentalis die Gedanken Francis Bacons vorweggenommen hätte.12 Nur wenig spä 3 

Vgl. Amanda Power, »A Mirror for Every Age: The Reputation of Roger Bacon«, a. a. O., S. 659–667.  4  Vgl. Roger Bacon, Opus maius ad Clementem IV., Pontificem Romanum, hg. v. Samuel Jebb, London 1733.  5  Vgl. Roger Bacon, Opera quaedam hactenus inedita, hg. v. John S. Brewer, London 1859. – Darin sind enthalten: Opus tertium (S. 3–310); Opus minus (S. 313–389); Compendium studii philosophiae (S. 393–519); De secretis operibus artis et naturae et de nullitate magiae (S. 523–551).  6  Vgl. Roger Bacon, »An Unpublished Fragment of a Work by Roger Bacon«, hg. v. Francis A. Gasquet, in: English Historical Review 12, 1897, S. 494–517. – Enthält einen Brief an Papst Clemens IV. mit einer Zusammenfassung des Opus maius.  7  Vgl. Roger Bacon, Opus maius, 3 Bde., hg. v. John H. Bridges, Oxford 1897–1900.  8  Vgl. Roger Bacon, Un fragment inédit de l’Opus tertium précédé d’une ètude sur ce fragment, hg. v. Pierre Duhem, Quarrachi 1909.  9  Vgl. Roger Bacon, Part of the Opus Tertium of Roger Bacon Including a Fragment Now Printed for the First Time, hg. v. Andrew G. Little, Aberdeen 1912. 10  Vgl. Roger Bacon, Opera hactenus inedita Rogeri Baconi, hg. v. Robert Steele, Ferdinand M. Delormé u. a., 16 Bde., Oxford 1905–1941. 11  Vgl. Roger Bacon, Moralis Philosophia, hg. v. Eugenio Massa, Turin 1953. – Enthält eine Edition mit hervorragender Einleitung von Teil VII des Opus maius. 12  So zum Beispiel bei: John H. Bridges, The Life and Work of Roger Bacon. An Introduction to the Opus maius, London 1912; Andrew G.



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ter wurde jedoch auch dieser Zugang einer entgegengesetzten Revision unterzogen und der Beitrag Bacons zur Entwicklung der Wissenschaften sehr kritisch gesehen13 . So unterschiedlich diese Ansätze sind, haben sie doch gemeinsam, dass sie anachronistische Urteile über die Rolle Bacons in der Wissenschaftsgeschichte fällen, ohne dem historischen und soziokulturellen Kontext, vor dem Bacon und sein Werk gesehen werden müssen, die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. In der jüngeren Forschung ist man hier vorsichtiger und aufmerksamer geworden: Gerade im englischsprachigen Raum haben Autoren wie Stewart Easton in seiner nach wie vor grundlegenden Biographie14 , Theodore Crowley15 , David C. Lindberg16 und Jeremiah Hackett17 zu einer deutlich differenzierteren Sicht Little, Roger Bacon. Essays, hg. v. Andrew G. Little, Oxford 1914; Raoul Carton, L’expérience physique chez Roger Bacon, Paris 1924. – Ein Bild, das mitunter noch immer evoziert wird, etwa bei: Hans Bauer, Der wunderbare Mönch. Leben und Kampf Roger Bacons, Leipzig 1963; Brian Clegg, The first scientist. A life of Roger Bacon, London 2003. 13  Siehe zur Mathematik: Moritz Cantor, Vorlesungen über die Geschichte der Mathematik, zweiter Band: 1200–1668, Leipzig 1892, S. 87.  – Zur scientia experimentalis siehe: Lynn Thorndike, »Roger Bacon and Experimental Method in the Middle Ages«, in: Philosophical Review 23, 1914, S. 271–298; ders., »Roger Bacon«, in: A History of Magic and Experimental Science, Bd. 2, New York, S. 617–691, S. 618–678. 14  Vgl. Stewart C. Easton, Roger Bacon and his Search for a Universal Science, Oxford 1952. 15  Vgl. Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, Louvain 1950. 16  Vgl. Roger Bacon, Roger Bacon’s Philosophy of Nature: A Critical Edition, with English Translation, Introduction, and Notes, of De multiplicatione specierum and De speculis comburentibus, hg. v. David C. Lindberg, Oxford 1983; ders., Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages: A Critical Edition and English Translation of Roger Bacon’s Perspectiva, Oxford 1996. 17  Vgl. Jeremiah Hackett (Hrsg.), Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays, Leiden/New York/Köln 1996.

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auf Bacons wissenschaftliche Leistungen im Kontext seiner eigenen Zeit beigetragen. Lassen wir David C. Lindberg zu Wort kommen, weil er sowohl einen Blick auf die sich verändernde Forschungsperspektive in der neueren Forschung als auch auf Roger Bacons Interessen und wissenschaftliche Schwerpunkte erlaubt: »A more balanced picture has now begun to emerge, and it has become apparent (as we should have guessed) that Bacon was fully a man of the thirteenth century – a significant, perhaps brilliant, certainly influential representative of many of its intellectual currents. He wrote on grammar, logic, astronomy, astrology, alchemy, medicine, moral philosophy, metaphysics, perception, the relationship between philosophy and theology, and a variety of physical topics. He praised the study of foreign languages and the pursuit of mathematical and experimental science. He was a pioneer in the assimilation of the philosophical and scientific works newly translated from Greek and Arabic, and a major disseminator of Greek and Arabic natural philosophy and mathematical science. He was, in many respects, a microcosm of thirteenth-century science and natural philosophy.«18

Die aktuellen Diskussionen zeichnen sich diesen Worten entsprechend zwar durch eine historisch genauer kontextualisierte Darstellung des Beitrages Bacons zu bestimmten im obigen Zitat erwähnten Einzeldisziplinen in den Wissenschaften aus (etwa Bacons Leistungen in der Optik19, der Alchemie20 , der Semio18 

In: Roger Bacon, Roger Bacon’s Philosophy of Nature: A Critical Edition, with English Translation, Introduction, and Notes, of De multiplicatione specierum and De speculis comburentibus, a. a. O., S. vii. 19  Vgl. David C. Lindberg, »Roger Bacon’s Theory of the Rainbow: Progress or Regress?«, in: Isis 57, 1966, S. 235–248; ders., »Lines of Influence in Thirteenth-Century Optics: Bacon, Witelo and Pecham«, in: Speculum 46, 1971, S. 66–83. 20  Vgl. William R. Newman, »The Alchemy of Roger Bacon and



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tik 21, der Geographie 22), lassen jedoch Bacons eigenen, mehr unter philosophie- und wissenschaftshistorischen Aspekten zu betrachtenden Anspruch an sein Wissenschaftssystem als organisch ganzes und miteinander verbundenes Reformprogramm des Studienwesens und der Gesellschaft des 13. Jahrhunderts weitestgehend unberücksichtigt. Diesen meines Erachtens ganz zentralen Aspekt im Werk ­Bacons haben vor allem Philosophiehistoriker hervorgehoben, die aber in der angelsächsischen – mehr wissenschaftstheo­ retisch orientierten – Debatte zu großen Teilen vernachlässigt werden. Zu nennen sind hier die Studien von Eugenio Massa 23 , Franco Alessio24 und Camille Bérubé25 . the Tres Epistolae attributed to him«, in: Comprendre et maitriser la nature au Moyen Age, hg. v. Beaujouan, Genf 1994, S. 462–479; ders., »The Philosopher’s Egg: Theory and Practice in the Alchemy of Roger Bacon«, in: Micrologus 3, 1995, S. 75–101; ders., »An Overview of Roger Bacon’s Alchemy«, in: Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays, a. a. O., S. 317–336. 21  Vgl. Thomas S. Maloney, »The Extreme Realism of Roger Bacon«, in: The Review of Metaphysics 38, 1985, S. 807–837; ders., »Roger Bacon on the Divisions of Statements into Single/Multiple and Simple/Composed«, in: The Review of Metaphysics 56, 2002, S. 297–321. 22  Vgl. David Woodward, »Roger Bacon’s Terrestrial Coordinate System«, in: Annals of the Association of American Geographers 80, 1990, S. 109–122; ders., »Roger Bacon on Geography and Cartography«, in: Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays, a. a. O., S. 199–222; Patrick Gautier-Dalché, »Vers une perfecta locorum doctrina: Lieu et espace géographique selon Roger Bacon«, in: Répresentations et conceptions de l’espace dans la culture médiévale, hg. v. Tiziana Suarez-Nani u. Martin Rohde, Fribourg 2009, S. 9–43. 23  Vgl. Eugenio Massa, Ruggero Bacone. Etica e Poetica nella Storia dell’»Opus maius«, Rom 1955. 24  Vgl. Franco Alessio, Mito e scienza in Ruggero Bacone, Mailand 1957; ders., Introduzione a Ruggero Bacone, Bari 1985. 25  Vgl. Camille Bérubé, De la philosophie à la sagesse chez Saint Bonaventure e Roger Bacon, Rom 1976.

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Auch die eschatologisch-joachimitischen Aspekte im Denken Bacons, die nicht nur die Gründe für seinen Eintritt in den Franziskanerorden bilden könnten, sondern die für ein Gesamtbild seiner Konzeption der Wissenschaften auch unerlässlich sind, müssten noch stärker akzentuiert werden. Bis auf die Monographie von Davide Bigalli 26 und die aktuellste und unbedingt lesenswerte Monographie von Amanda Power27 liegt hier noch nichts vor. Die Bezüge zur Spiritualenbewegung im Franzis­ kanerorden und zu millenialistischen Vorstellungen, die in Bacons Werk stets präsent sind, deutlicher herauszuarbeiten, bleibt ­daher ein wichtiges Desiderat der Baconforschung, da sie den religiösen und metaphysischen Hintergrund bilden, vor dem die Reformpläne Bacons erst verständlich werden. Im deutschsprachigen Raum ist Roger Bacon jedoch im Vergleich zu anderen Autoren in fast jedem Bereich noch immer unterrepräsentiert. Zwar hatte schon Leonhard Schneider in seiner Monographie Roger Bacon 1873 beklagt, dass »Roger Bacon in Deutschland wenig oder gar nicht bekannt [sei]«28 , aber seine Klage blieb weitestgehend ungehört. Die einzigen nennenswerten Veröffentlichungen sind die nach wie vor lesenwerte Monographie über Roger Bacons Naturphilosophie von Clemens Baeumker29, die sehr luzide, aber aufgrund ihrer Kürze nur einführende Monographie »Roger Bacon« von Günther Mensching 30 sowie der von Florian Uhl herausgegebene Sammelband »Roger Bacon 26 

Vgl. Davide Bigalli, I Tartari e l’Apocalisse. Ricerche sull’esca­to­ logia in Adamo Marsh e Ruggero Bacone, Florenz 1971. 27  Vgl. Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, Cambridge 2013. 28  Vgl. Leonhard Schneider, Roger Bacon, Augsburg 1873, Vorrede o. S. 29  Vgl. Clemens Baeumker, Roger Bacons Naturphilosophie. Insbesondere seine Lehren von Materie und Form, Individuation und Universalität, Münster 1916. 30  Vgl. Günther Mensching, Roger Bacon, Münster 2009.



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in der Diskussion«31, der in zwei Bänden einige der wichtigsten Beiträge der letzten fünfzig Jahre zur Baconforschung in deutscher Übersetzung versammelt (u. a. Massa, Bérubé, Hackett). Diese Vernachlässigung mag darin begründet sein, dass die Editionslage der Werke Bacons nach wie vor nur desolat zu nennen ist: Bis auf das Compendium studii theologiae32 , die Traktate De multiplicatione specierum und De speculis comburentibus33, der Perspectiva34 und den Summulae dialectices35 fehlen von allen Werken Bacons vollständige moderne kritische Editionen. Noch offensichtlicher wird dieser Mangel, wenn man sich die Editionslage des Opus maius von Roger Bacon anschaut: Man muss sechs verschiedene Bücher und zwei Artikel zur Hand nehmen, um das gesamte Opus maius lesen zu können. 36 Zudem ist die einzige englische Gesamtübersetzung des Opus maius nicht verlässlich. 37 So bleibt auch Pia Antolic-Piper, die mit ihrem Auszug aus dem siebenten Teil des Opus maius (der »Moralphiloso31 

Vgl. Florian Uhl, Roger Bacon in der Diskussion, 2 Bde., hg. v. Florian Uhl, Frankfurt/Main u. a. 2001/2. 32  Vgl. Roger Bacon, Compendium of the Study of Theology, hg. u. übers. v. Thomas S. Maloney, Leiden 1988. 33  Vgl. Roger Bacon, Roger Bacon’s Philosophy of Nature: A Critical Edition, with English Translation, Introduction, and Notes, of De multiplicatione specierum and De speculis comburentibus, a. a. O. 34  Vgl. Roger Bacon, Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages: A Critical Edition and English Translation of Roger Bacon’s Perspectiva, a. a. O. 35  Vgl. Roger Bacon, »Les Summulae dialectices de Roger Bacon«, »I-II De termino, De Enuntiatione«; »III De argumentatione«, hg. v. Alain de Libera, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 53, 1986, S. 139–289; 54, 1987, S. 171–278. 36  Vgl. Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 11 f. 37  Vgl. Roger Bacon, The Opus Majus of Roger Bacon, hg. u. übers. v. Robert Belle Burke, 2 Bde., Philadelphia 1928. – Siehe zu dieser Übersetzung: Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 12.

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phie«) bis jetzt die einzige deutsche Übersetzung vorgelegt hat, in ihrem Vorwort nur zu bemerken, dass »etliche Schriften noch ihrer kritischen Edition [harren]«38 . Mit dieser Übersetzung hoffe ich daher, einen kleinen und einleitenden Beitrag für eine breitere Baconrezeption zu leisten, der sich nicht nur an Spezialisten, sondern an eine interessierte Öffentlichkeit richtet, da – um diese kurze Einführung in den Forschungsstand mit Roger Bacons eigenen Worten über die zeitlose Anziehungskraft der Weisheit zu schließen – die »Weisheit von Natur aus eine unaussprechliche Schönheit an sich [hat], die unsere Seelen gewinnt und emporhebt.«39

2. Biographie Es ist erstaunlich, dass Roger Bacon ein im deutschsprachigen Raum nur wenig bekannter Autor ist, weil er zugleich eine der facettenreichsten und merkwürdigsten Figuren des 13. Jahrhunderts war, die sich in keine Kategorie so recht einfügen will. In vorigen Jahrhunderten hat man ihn als Okkultisten und Magier gesehen, der ähnlich wie der legendäre Dr. Faustus Astrologie, Alchemie und Dämonologie betrieben und z. B. einen Messingkopf konstruiert hätte, durch den er mit dem Teufel selbst reden konnte. Auch wenn diese Geschichte (wahrscheinlich) nicht wahr ist, spielt sie ebenso wie unzählige weitere Fabeln40 in folk­ loristischer Verzerrung doch auf Bacons Interesse für Mathematik und seine scientia experimentalis an, die zweifellos einen wichtigen Aspekt seines wissenschaftlichen Werkes ausmachen. 38 

Roger Bacon, Opus majus. Eine moralphilosophische Auswahl, lat./dt., hg. u. übers. v. Pia A. Antolic-Piper, Freiburg/Basel/Wien 2008, S. 9. 39  § 8 in dieser Übersetzung. 40  Siehe für weitere solcher Geschichten: Amanda Power, »A Mirror for Every Age: The Reputation of Roger Bacon«, a. a. O., S. 659–667.



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Später wurde Bacon aufgrund sich verändernder Rezeptions­ interessen als Vorgänger seines Namensvetters Francis Bacon gesehen, der im ansonsten dunklen und rückschrittlichen Mittelalter dessen methodisch-wissenschaftliche Überlegungen schon vorweggenommen hätte. So wurde er zu einem empirischen Naturforscher avant la lettre, der das Schießpulver und die Brille erfunden hätte und der von Flugzeugen und Unterseebooten träumte. Doch die moderne Forschung hat gezeigt, dass diese Verzerrungen bestenfalls einen kleinen und anachronistischen Ausschnitt aus Bacons Oeuvre darstellen. Aber wenn er das alles nicht war, wer war er dann? Obschon in Oxford und Paris Magister, war er doch kein typischer Vertreter der Scholastik wie etwa Thomas von Aquin oder Albertus Magnus. Im Gegenteil hat er sich immer in Abgrenzung vom universitären Lehrbetrieb gesehen, den er zeit seines Lebens reformieren wollte. Sein letztes Werk ist zwar ein Handbuch zum Studium der Theologie, dennoch war er kein Theologe. Er wird die Theologie nie in extenso studiert haben, auch wenn sie in seinem Gesamtkonzept einer vereinheitlichten Wissenschaft die Herrin aller anderen Disziplinen ist. Entsprechend hat Bacon auch keine Sentenzkommentare oder andere im damaligen Sinne üblichen theologischen Lehrschriften verfasst. Er hat sich zwar zeit seines Lebens immer für eine breite Anwendung der Mathematik und der Experimentalwissenschaft in seinem Wissenschaftskonzept eingesetzt und in der Tat über Brennspiegel und verschiedene mechanische Instrumente geschrieben, allerdings verbunden mit metaphysischen und traditionellen Implikationen, die seine Einordnung als Vorreiter der wissenschaftlichen Revolution schlichtweg unmöglich ma­chen. In der Mitte seines Lebens hat er sich dafür entschieden, in den Franziskanerorden einzutreten; die Gründe dafür sind jedoch unklar. Er selbst äußert sich nie darüber – wir wissen nur, dass ihm das damit verbundene Armuts- und Gehorsamsideal

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nicht besonders behagte. Ein »richtiger« Franziskaner wird er nie gewesen sein, da er immer große Schwierigkeiten mit Autoritäten und Hierarchien hatte. Seine Probleme mit den Ordensgenerälen Bonaventura und Hieronymus von Ascoli legen dafür ebenso Zeugnis ab wie Bacons eigene Schriften. Jenseits von Anekdoten und Mythenbildung wissen wir leider nur sehr wenig über Roger Bacon. Schon bezüglich seines Geburtsdatums herrscht Unsicherheit, weil der einzige Anhaltspunkt eine Äußerung von Roger Bacon selbst in seinem Opus ter­ tium ist, in der es heißt: »In den Wissenschaften und in den Sprachen habe ich viel gearbeitet, und ich habe schon vierzig Jahre darauf verwendet, seit ich zuerst das Alphabet lernte; und ich war immer fleißig, und außer zweien von diesen vierzig Jahren habe ich immer studiert.«41 Abhängig davon, ob Bacon mit der Aussage »seit ich zuerst das Alphabet lernte« buchstäblich den Beginn seiner Schulbildung oder (im übertragenen Sinn) den Beginn seines Eintritts in die Universität (»ich habe seitdem immer studiert«) meint, ergeben sich andere Geburtsdaten. Die meisten Biographen haben die Bemerkung im übertragenen Sinn gedeutet und dementsprechend die Chronologie zurückberechnet: Da er das Opus tertium im Jahre 1267 geschrieben hat42 , muss er um 1227 in die Universität eingetreten und daher um 1214 geboren worden sein43 . Nimmt man diese Bemerkung jedoch wörtlich, 41 

Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 65 (Übers. N. E.). Auch dies können wir einer Bemerkung Bacons im Opus tertium entnehmen: »Und so wie es dieses Jahr 1267 geschieht, so wird es auch in dem folgenden Jahr passieren.« Ebd., S. 290 (Übers. N. E.); vgl. auch ebd., S. 278. 43  Im Mittelalter lag das Eintrittsalter in die Universität ungefähr bei 13 Jahren. – Der Ansicht, dass Bacon 1214 geboren wurde, sind etwa: Andrew G. Little, »Introduction on Roger Bacon’s Life and Works«, in: Roger Bacon Essays, a. a. O., S. 1; Thomas S. Maloney, »Introduction«, in: ders. Compendium of the Study of Theology, a. a. O., S. 2; Jeremiah Hackett, »Roger Bacon, his Life, Carreer and Works«, in: Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 9–11. 42 



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wird Bacon um 1227 seine Schulausbildung begonnen haben und daher gegen 1220 geboren worden sein.44 Auch bezüglich seines Geburtsortes lässt sich nichts mit Gewissheit sagen. Vielleicht ist er in Ilchester in Somerset oder in Bisley in Gloucestershire geboren worden.45 Er muss in eine adelige und auch relativ wohlhabende Familie h ­ ineingeboren worden sein, da es ihm möglich war, mehr als 2000 Pfund für Bücher, Instrumente und andere für seine Arbeit wichtige Dinge auszugeben.46 Allerdings wird Bacons Familie in den politischen Wirren der Zeit Heinrichs III. von England die für ihr persönliches Wohlergehen falsche Seite gewählt haben, da ihre Unterstützung des Königs gegen die Opposition der Barone unter Simon von Montfort ihr den finanziellen Ruin und die Verbannung eingebracht zu haben scheint, weshalb Bacon im Jahr 1266 bei seinem Bruder vergeblich um weitere finanzielle Unterstützung für seine Studien gebeten hatte.47 44 

Dieser Ansicht sind z. B. Stewart C. Easton, Roger Bacon and his Search for a Universal Science, a. a. O., S. 10 f.; David C. Lindberg, »Introduction: Roger Bacon’s Life and Works«, in: ders., Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xv. 45  Vgl. John S. Brewer, »Life of Roger Bacon«, in: Opera quaedam hactenus inedita, a. a. O., S. lxxxv, Anm. 1. 46  So berichtet uns Bacon: »Denn in den zwanzig Jahren, da ich vor allem an der Fakultät der philosophischen Wissenschaften arbeitete, ohne mich um die Meinung der Öffentlichkeit zu kümmern, habe ich mehr als zweitausend Pfund aufgewendet für geheime Bücher, verschiedene Versuche, Sprachenstudium, Instrumente, [mathematische und astronomische] Tafeln und anderes; […].« Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 59 (Übers. N. E.). 47  »So sandte ich Nachricht an meinen wohlhabenden Bruder in meiner Heimat, der aber, auf der Seite des Königs stehend, mitsamt seiner Mutter, den Brüdern und der ganzen Familie die Heimat verlassen und sich, als er mehrmals von den Feinden ergriffen worden war, mit Geld loskaufen musste. Und so konnte er mir, zugrundegerichtet und verarmt, nicht helfen, und ich habe auch bis heute keine Antwort von ihm.« Ebd., S. 16 (Übers. N. E.). – Vgl. auch: Theodore Crowley,

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Auch der weitere Lebensweg Bacons ist nicht in allen Einzelheiten gesichert. Bacon selbst erwähnt in seinen Schriften immer wieder Oxforder und Pariser Magister, bei denen er studiert bzw. die er in Vorlesungen gehört hat. Damit sind auch bereits die beiden Zentren seines Wirkens angesprochen, die nicht nur seinen Lebensmittelpunkt bilden sollten, sondern die im 13. Jahrhundert auch – mit jeweils anderen curricularen Schwerpunkten – die universitären Zentren Europas waren. Bacon wird sich zuerst in Oxford immatrikuliert und um 124048 seinen Magister Artium in Oxford oder Paris gemacht haben. Da Bacon schreibt, Alexander von Hales gesehen zu haben, der 1245 in Paris gestorben ist, liegt die Annahme nahe, dass Bacon zu Beginn der 1240er Jahre in Paris gewesen ist. 49 Auf jeden Fall hat er irgendwann in den 1240er Jahren an der artes-Fakultät in Paris begonnen, über die libri naturales des Aristoteles zu lesen. Einige seiner Vorlesungen sind uns – wie es im Mittelalter auch bei anderen Autoren der Scholastik üblich war – durch Nachschriften (repor­ tationes) überliefert. Sie müssen mit Sicherheit Aristoteles’ Me­ tapyhsik, dessen Physik und De sensu et sensato enthalten haben. Sehr wahrscheinlich hat er zudem über De generatione et corrup­ tione, De animalibus, De anima, De caelo et mundo und über die pseudo-aristotelischen Texte Liber de causis und De plantis gelesen. 50 Bemerkenswert an diesen Nachschriften ist weniger ihre Roger Bacon. The Problem of the Soul in his Philosophical Commentaries, a. a. O., S. 19. 48  Wie David C. Lindberg – der Roger Bacons Biographie sehr konzise und mit großer Klarheit beschreibt – zu diesem Datum jedoch sehr richtig sagt: »The evidence for this date is simply that a scholar typically earned the M.A. at age 20 or a little later.« (David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xvii, Anm. 11.) 49  Vgl. Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, a. a. O., S. 25. 50  Siehe hierzu Ferdinand M. Delorme, »Introduction«, in: Roger Bacon, Opera hactenus inedita, Bd. XIII, hg. v. Robert Steele u. Ferdinand M. Delorme, Oxford 1935, S. xxvii–xxxi. – Einige Kommentare



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Form (die damals typische Quästionenform, die Bacon in den 60er Jahren zugunsten einer freieren und mitunter fast essayistischen Form aufgeben sollte), als vielmehr die Tatsache, dass Bacon damit einer der ersten Magister in Paris war, der über die Naturphilosophie des Aristoteles doziert hat. Zwischen 1247 und 1250 wird er wahrscheinlich wieder nach Oxford zurückgekehrt sein. 51 Roger Bacon berichtet zumindest, dass er Adam Marsh getroffen hat, den er bewunderte und mit dem er auch in persönlichem Kontakt stand. 52 Da Adam Marsh von 1247 bis 1250 in Oxford an der theologischen Fakultät tätig war, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Bacons Bekanntschaft mit ihm in diese Zeit fällt. 53 Ebenso geht aus Bacons Bemerkungen hervor, dass er Thomas von Wales persönlich gehört hat, der von 1240 bis 1247 Lektor bei den Franziskanern in Oxford war, bevor er 1247 ein Bischofsamt in Wales angenommen hatte. 54 Vielleicht hat er in diesen Jahren auch Robert Grosseteste sind in den Bänden VII–VIII und X–XIII der Opera hactenus inedita veröffentlicht worden. – Siehe zu den als sicher geltenden Anhaltspunkten dafür, dass er seine Vorlesungen in Paris gehalten hat: David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xvii; dort auch weiterführende Literatur zu dieser Frage. 51  Siehe David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xviii. – Gegen die Ansicht, dass Bacon in dieser Zeit in Oxford war, jedoch: Jeremiah Hackett, »Roger Bacon: His Life, Career and Work«, in: Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 9–24, S. 15. 52  Vgl. die Bemerkungen Bacons in: Opus tertium, a. a. O., S. 75, S. 186. 53  Vgl. Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, a. a. O., S.27 f.; David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xviii. – Sehr plausibel gegen diese Ansicht jedoch: Jeremiah Hackett, »Scientia Experimentalis: From Robert Grosseteste to Roger Bacon«, in: Robert Grosseteste: New Perspectives on his Thought and Scholarship, hg. v. James McEvoy, Turnhout 1995, S. 89–119, S. 95–102. 54  David C. Lindberg und Theodore Crowley gehen davon aus, dass sich die beiden Männer in Oxford getroffen haben, die Evidenzen scheinen mir dafür aber nicht sehr aussagekräftig zu sein. –

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getroffen, auch wenn dies freilich eher unwahrscheinlich ist, da Grosseteste bereits 1235 Bischof von Lincoln geworden war, ein Amt, das er bis zu seinem Tod im Jahr 1253 innehatte, was ihn aufgrund der zahlreichen mit solch einem Amt einhergehenden Verpflichtungen weitestgehend von Oxford (und – falls Bacon doch während dieser Zeit in Paris geblieben ist – erst recht von Paris) ferngehalten haben wird. 55 Dass Robert Grosseteste persönlich oder (wahrscheinlicher) spätestens durch seine ­Bibliothek, die er den Franziskanern nach seinem Tod vermacht hatte56 , einen großen Einfluss auf Roger Bacons Denken gehabt hat, steht jedoch außer Frage, da Bacon ihn häufig und immer mit dem größten Respekt erwähnt. 57 Letztendlich können wir jedoch über die Jahre zwischen seiner Zeit als Pariser Magister und seiVgl.  ­Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 88; Opus tertium, a. a. O., S. 86; vgl. David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xviii; Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, a. a. O., S. 28–29. 55  Die m. E. nach wie vor beste Einführung in Grossetestes Biographie ist: James McEvoy, »A Portrait of Robert Grosseteste«, in: ders., The Philosophy of Robert Grosseteste, Oxford 1982, S. 3–50; um einen Eindruck von Robert Grossetestes Denken zu bekommen, das auch für Bacon und weitere Generationen in Oxford wichtig sein wird, nach wie vor grundlegend, wenn auch ein wenig zu stark akzentuiert: Alistair C. Crombie, Robert Grosseteste and the Origins of Experimental Science 1100–1700, Oxford 1953. 56  Vgl. Richard W. Hunt, »The Library of Robert Grosseteste«, in: Robert Grosseteste, Scholar and Bishop, hg. v. Daniel A. Callus, Oxford 1955, S. 121–145, S. 130–132; Anna C. Dionisotti, »On the Greek Studies of Robert Grosseteste«, in: The Uses of Greek and Latin: Historical Essays, hg. v. Anna C. Dionisotti u. a., London 1988, S. 19–39, S. 31–32; dies., »Robert Grosseteste and the Greek Encyclopedia«, in: Rencontres de cultures dans la philosophie médiévale: traductions et traducteurs de l’antiquité tardive au XIV siècle, hg. v. Jacqueline Hamesse u. Marta Fattori, Louvain-la-Neuve 1990, S. 337–353, S. 348. 57  Die Äußerungen Bacons sind bei weitem zu zahlreich, um sie alle anzuführen. Siehe nur in dieser Übersetzung §§ 74; 80; 84; 163; 170.



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nem Zusammentreffen in den 60er Jahren mit Guy de Foulques, dem späteren Papst Clemens IV., nur spekulieren. Doch ob in Oxford oder Paris, auf jeden Fall suchte sich Roger Bacon in dieser Zeit eigene Wege des Denkens. Bis zu diesem Zeitpunkt war seine Laufbahn in keiner Weise außergewöhnlich. Er hat die notwendigen akademischen Grade bis zum Magister erhalten, ist nach Paris gegangen, hat dort unterrichtet und einige seiner Vorlesungen verschriftlicht. In den vierziger Jahren hat er sich – wie es scheint – jedoch aus dem universitären Leben zurückgezogen und mehr seine eigenen Studien verfolgt, die mit dem allgemeinen universitären Lehrbetrieb nicht viel zu tun gehabt haben können. Nun begann die Zeit, in der er »ohne [s]ich um die Meinung der Öffentlichkeit zu kümmern, […] mehr als zweitausend Pfund […] für geheime Bücher, verschiedene Versuche, Sprachenstudium, Instrumente, [mathematische und astronomische] Tafeln und anderes«58 aufgewendet hatte, eine so intensive Phase des Lernens, dass »sich die Menschen [wunderten], dass ich das Übermaß an Arbeit überhaupt durchhielt«59. Diese intensive Studienzeit hat es ihm nach Bacons eigenen Worten ermöglicht, durch die Anwendung seiner eigenen Lehrmethode alles, was er in den letzten vierzig Jahren gelernt habe, einen Schüler in wenigen Monaten lehren zu können, wenn er nur erst das richtige Lehrbuch verfasst habe. 60 58 

Vgl. Anm. 46. Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 65. 60  »Und trotzdem bin ich sicher, dass ich selbst einem regen und ehrgeizigen Menschen in weniger als einem Vierteljahr oder einem halben Jahr alles das beibringen könnte, was immer ich von diesen Sprachen und Wissenschaften weiß, wenn ich nur erst ein Lehrbuch geschrieben habe. Es ist aber bekannt, dass niemand in so vielen Wissenschaften und Sprachen so viel gearbeitet hat. Als ich noch in dem anderen Status war, wunderten sich die Menschen, dass ich das Übermaß an Arbeit überhaupt durchhielt.« (Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 65 [Übers. N. E.].) 59 

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Er muss in dieser Zeit auch angefangen haben, Griechisch und Hebräisch zu lernen61, für ihn die grundlegenden Sprachen, da »Sprachkenntnis der allererste Weg zur Weisheit [ist], vor allem für die Lateiner, die keine anderen theologischen und philosophischen Texte besitzen als solche, die in einer fremden Sprache verfasst sind.« 62 Und er wird auch in dieser Zeit »die Freundschaft mit allen Weisen unter den Lateinern gesucht«63 haben. Einer von diesen war zum Beispiel Peter von Maricourt, ein Magister, der eine von der Universität unabhängige Gelehrtenlaufbahn eingeschlagen hatte. Unter anderem hat er über Astronomie, Astrolabien und Brennspiegel geschrieben; wir haben von ihm zudem einen der ersten lateinischsprachigen Texte über den Magnetismus überliefert. 64 Lassen wir kurz Roger Bacon selbst zu Wort kommen, weil die Beschreibung Peter von Maricourts zum einen einen Typus von Wissenschaftler programmatisch vorstellt, den man im 13. Jahrhundert nicht unbedingt erwartet, und zum anderen einen deutlichen Eindruck davon zu geben vermag, wo in dieser Zeit Roger Bacons eigene Interessen lagen: »Denn ich kenne nur einen [Peter von Maricourt], der in den Arbeiten dieser Wissenschaft [der Erfahrungswissenschaft] rühmend genannt werden kann; geht es ihm doch nicht um schönes Gerede und Wortgefechte, sondern er geht den Werken der Weisheit nach und findet darin Befriedigung. Was andere nur blind 61 

Roger Bacon hat eine griechische und wahrscheinlich auch eine hebräische Grammatik geschrieben. – Vgl. Roger Bacon, The Greek Grammar of Roger Bacon and a Fragment of his Hebrew Grammar, hg. v. Edmond Nolan u. S. A. Hirsch, Cambridge 1902. 62  Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 102. 63  Ebd., S. 58 (Übers. N. E.). 64  Vgl. A. Radl, Art. ›Petrus Peregrinus‹, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977-1999, Bd. 6, Sp. 1980; Erhard Schlund O. F. M., »Petrus Peregrinus von Maricourt: sein Leben und seine Schriften (ein Beitrag zur Roger Baco-Forschung)«, in: Archivum Franciscanum historicum 4, 1911, S. 436–455; Petrus Peregrinus de Maricourt, Opera, hg. v. Loris Sturlese u. Ron B. Thomson, Pisa 1995.



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zu sehen vermögen, wie die Fledermäuse im Zwielicht, ergreift er in vollem Licht, weil er der Meister des Experimentes ist; durch die Erfahrung erhält er Wissen über die Dinge der Natur, über medizinische und alchemische Dinge und über alle Phänomene im Himmel und auf der Erde; daher schämt er sich, wenn Laien oder alten Weiblein oder Soldaten oder Bauern Dinge bekannt sind, die er nicht weiß. Deshalb hat er sich alle diejenigen Werke, die sich mit den Metallen, mit Gold und Silber und anderen Metallen und Mineralien beschäftigen, ganz genau angeschaut; er weiß alles, was mit der Kriegskunst, mit Waffen und mit der Jagd zu tun hat. Er hat sich eingehend mit der Landwirtschaft, mit der Vermessung und der Arbeit der Bauern beschäftigt; sogar über die Erfahrungen der alten Weiblein und der Wahrsagerei, ihrer und der Magier Zaubersprüche hat er sorgfältig nachgedacht, ebenso wie über die Täuschungen und Tricks der Spaßmacher, damit ihm nichts, was man wissen könnte, entgeht und damit er fähig ist, die Falschheiten der Magier zu entlarven. Daher ist es ohne ihn unmöglich, die Philosophie zu vollenden und sie auf nützliche und sichere Weise zu gebrauchen.«65

Bacon beschreibt hier einen unabhängigen Forscher, der sich von der »leeren Meinung der Menge« (so Bacons häufige Bezeichnungen des damaligen universitären Lehrbetriebs) abgewandt hat und durch praktische Erfahrung und experimentelle Überprüfung in den Wissenschaften Fortschritte zu machen suchte. Ähnlich wie Bacon selbst, der sich mit den nun übersetzten verfügbaren Texten über Mathematik, Optik und seine berühmte scientia experimentalis beschäftigte und so in dieser Zeit die Gedanken vorbereitete, die er in seinen Hauptwerken wenig später formulieren sollte. Hierbei ließ sich Bacon nicht nur von theo­ retischen naturphilosophischen Überlegungen leiten, sondern versuchte, die Wissenschaften auch durch experimentelle Methoden voranzutreiben. Ob die Legende, dass er in Oxford einen Turm gehabt habe, in dem er Experimente mit v­ erschiedenen 65 

Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 46 f. (Übers. N. E.).

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Geräten und chemischen Substanzen anstellte 66 , nun stimmt oder nicht, klar ist jedenfalls, dass Bacon seinen eigenen Worten zufolge »die jungen Leute in den Sprachen, den geometrischen Figuren, Zahlen, Tabellen, Instrumenten und in vielen anderen notwendigen Dingen [unterrichtete]. [Und] ich prüfte alles, was hierzu nötig ist, und weiß, wie und mit welchen Hilfsmitteln vorzugehen ist und welches die Hindernisse sind.«67 Roger Bacon muss in dieser Zeit klar geworden sein, dass selbst dann, »wenn die Grundsteine [für die vollkommene Weisheit] noch nicht gelegt sind, doch bereits das Holz und die Steine da [sind], nämlich die Kraft der Wissenschaften und der Sprachen; und auch die anderen Dinge, die zum Aufbau der Weisheit notwendig sind«68 – an diesem Ideal einer sapientia perfecta, einer vollkommen Weisheit, die seinem Wissenschaftsmodell zugrunde liegt und in der alle Einzeldisziplinen vereint werden können, wird er bis zu seinem Lebensende arbeiten. In diese Zeit fällt vielleicht auch seine Lektüre des zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert wahrscheinlich im arabischsprachigen Raum verfassten pseudo-aristotelischen Fürstenspiegels Secre­t um secretorum, in welchem Aristoteles Alexander dem Großen angeblich Ratschläge für eine richtige Regierung gibt. Dieser Text enthält jedoch weit mehr als politische Hinweise: auch die Kraft der Astrologie, der Physiologie, der Medizin, die Rolle von Talismanen und okkulter Magie werden darin ausführlich besprochen. 69 Das Secretum secretorum wird einen großen Einfluss auf Bacon haben – dieser Text war ihm so wichtig, dass er sogar eine Edition mit Kommentar dazu herausgegeben hat.70 66 

Vgl. Hans Bauer, Der wunderbare Mönch, Leipzig 1963, S. 127 f. Roger Bacon, Opus Tertium, a. a. O., S. 58 f. (Übers. N. E.). 68  Ebd., S. 8 (Übers. N. E.). 69  Vgl. Steven J. Williams, The Secret of Secrets: The Scholarly Career of a Pseudo-Aristotelian Text in the Latin Middle Ages, Ann Arbor 2003, S. 7–30. 70  Vgl. Roger Bacon, »Secretum secretorum cum glossis et notu67 



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In diesen Jahren war Roger Bacon wahrscheinlich noch kein Mitglied des Franziskanerordens. Sein Eintritt in den Orden lässt sich nicht genau datieren. In der Regel wird in der Sekundärliteratur ein Datum in den 50er Jahren favorisiert (zwischen 1255 und 1257).71 Auch seine Gründe für den Eintritt in den Orden sind unbekannt.72 Da David Lindberg sich viele Jahre lang mit Bacon beschäftigt hat, möchte ich ihn statt meiner über die Gründe spekulieren lassen: »In view of Bacon’s future difficulties in the Order, including possible imprisonment, it would be interesting to know why he decided to join it; however, he offers not a hint. We may speculate that he was looking for relief from the burden of teaching, so that he might continue his scholarly labours without interruption; that he was impressed by the scholarly achievements of other friars and convinced that the Franciscans, owing to Grosseteste’s influence, would be favourably inclined towards his studies of mathematical science, and perhaps even bestow on him the status he had not achieved as a secular; or that the Franciscan ideal of holiness offered a path to the perfection of life that Bacon considered indispensable for proper philosophizing. Bacon’s true reasons may have been all of these or none of these; all we can lis«, in: Opera hactenus inedita V, hg. v. Robert Steele, Oxford 1920. – Der Abfassungszeitraum ist jedoch unklar. Siehe am aktuellsten: ­Steven J. Williams, »Roger Bacon and the Secret of Secrets«, in: Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 365–393. 71  Vgl. zum Beispiel: Theodore Crowley, Roger Bacon and the Problem of the soul, a. a. O., S. 32; auch bei Lindberg, Roger Bacons Philosophy of Nature, a. a. O., S. xx; vorsichtiger hier aber schon: Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 52. – Die Passagen, die zu den Spekulationen bezüglich der Zeit des Ordenseintritts Bacons herangezogen werden können, sind: Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 7; ebd., S. 13. 72  Amanda Power beschäftigt sich sehr ausführlich mit Bacons Gründen für den Eintritt in den Orden. – Siehe: Amanda Power, ­Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O.

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conclude with reasonable certainty is that Bacon was persuaded that, in some way, membership in the Order would promote his studies and his grand designs for the reform of Christendom.« 73

Ein weiterer Grund mag auch Bacons Nähe zu den eschatologischen Vorstellungen des Joachim von Fiore sein, die zur Zeit seines Ordensbeitritts im Franziskanerorden verbreitet waren und die von dem damaligen Ordensgeneral Bonaventura bekämpft wurden. Hier mag auch einer der Gründe für Bacons Schwierigkeiten im Orden zu suchen sein. Dass Bacons Gedanken zu einer erneuerten Kirche und Gesellschaft – trotz einiger Abweichungen – stark millenialistische Züge tragen, lässt sich nicht bezweifeln. So schreibt Bacon: »So hat Gott schon auf vielfältige Weise und zu verschiedenen Zeiten seine Kirche ergriffen und zurechtgewiesen. Aber jetzt, da die Bosheit der Menschen ihr Höchstmaß erreicht hat, muss sie durch den besten Papst und den besten Fürsten mit dem weltlichen und dem geistlichen Schwert gleichermaßen gesäubert werden. Sonst geschieht dies durch den Antichrist oder eine andere Bedrängnis, wie zum Beispiel durch die Zwietracht der christlichen Fürsten oder durch die Tataren, die Sarazenen und andere orientalische Könige, von denen verschiedene Schriften und Propheten reden. Es besteht nämlich kein Zweifel bei den Weisen, dass die Kirche rasch gesäubert werden muss.«74

Wie dem auch sei, wir finden Roger Bacon auf jeden Fall vor dem Jahr 1265 in Paris75 , wo der philosophisch und wissenschaftlich 73 

David C. Lindberg, Roger Bacons Philosophy of Nature, a. a. O.,

S. xx. 74  § 29 in dieser Übersetzung. – Siehe zu der eschatologischen Dimension von Roger Bacons Werken: Davide Bigalli, I Tartari e l’Apocalisse. Ricerche sull’escatologia in Adamo Marsh e Ruggero Bacone, a. a. O.; Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O. 75  Dass er zu dieser Zeit in Paris war, wird anhand des Opus tertium klar. – Siehe: Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 13, 15, 16.



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wichtigste Lebensabschnitt für Bacon begann: Denn in einem enorm kurzen Zeitraum, zwischen 1266 und 1268, verfasste Roger Bacon mit dem Opus maius, dem Opus minus und dem Opus tertium seine drei Hauptwerke. Die Vorgeschichte dieses Ereignisses ist ebenso erstaunlich wie das Ereignis selbst: Im Jahr 1264 muss es dem Kleriker Raimund von Laon gelungen sein, das Interesse des Kardinals Guy de Foulques am Werk Roger Bacons zu wecken, der daher eine Abschrift erbitten ließ.76 Der Wunsch blieb jedoch vorerst vergeblich, das Werk kam nie an – einfach deshalb, weil es zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte. Roger Bacon wird nicht motiviert genug gewesen sein, seine Reformvorschläge des abendländischen Universitäts- und Bildungswesens einem Mann zu unterbreiten, dessen Bedeutung er noch nicht absehen konnte. Dies änderte sich jedoch schnell, als er erfuhr, dass Guy de Foulques am 5. Februar 1265 als Clemens IV. zum Papst gewählt worden war. Nun nahm Bacon den Kontakt – vermittelt durch den Ritter William Bonecor77 – wieder auf und war erfolgreich: Auf den 22. Juni 1265 ist ein Brief des Papstes Clemens IV. an Roger Bacon datiert 78 , in dem er Bacon bittet »uns jenes Werk […], ungeachtet der gegenteiligen Vorschrift irgendeines Vorgesetzten oder irgendeiner Bestimmung deines Ordens […], so schnell wie möglich zu übersenden«79. 76 

Vgl. Charles B. Vanderwalle, »Roger Bacon dans l’histoire de la philologie«, in: France franciscaine 12, 1929, S. 77–90, S. 82. 77  Vgl. Eugenio Massa, »Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium«, a. a. O., S. 14. 78  Siehe zum Verhältnis Bacon und Guy de Foulques: Theodore Crowley, Roger Bacon and the Problem of the soul, a. a. O., S. 34–42; Stewart C. Easton, Roger Bacon and his Search for a Universal Science, a. a. O., S. 144–166; Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 63–73. 79  Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 1.

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Mit diesem kleinen Brief initiierte Clemens IV. eines der ­bemerkenswertesten Projekte des Hohen Mittelalters, denn ­Bacon begann daraufhin, ermutigt durch die Worte des Papstes und ungeachtet aller Widerstände80 , seine wichtigsten Werke zu ­schreiben. Innerhalb von nur zwei Jahren verfasste er ein Textkorpus, das in den verfügbaren Editionen mehr als 1500 Seiten umfasst. Schon seit mehr als vierzig Jahren hatte Bacon dieses Werk vorbereitet, alle seine beträchtlichen finanziellen Mittel verbraucht 81 und soviel gearbeitet, dass diejenigen, die ihn kannten, sich wunderten »dass ich das Übermaß an Arbeit überhaupt durchhielt«82 . Bacons Traum, dessen Verwirklichung er sich im Jahr 1267 nahe fühlte, war nichts weniger als die Reform des Studien­wesens und der Gesellschaft des 13. Jahrhunderts mit den Mitteln der Weisheit und der Wissenschaft. Dieser Traum sollte sich nicht erfüllen. Am 29. Februar 1268 starb Papst Clemens IV. in Viterbo; und damit schwand auch jede Möglichkeit für Roger Bacon, unmittelbar auf die intellektuellen und politischen Entwicklungen seiner Zeit Einfluss nehmen zu können. Entsprechend desillusioniert und frustriert muss Roger Bacon gewesen sein. Zumindest fällt an seinem Compendium studii philosophiae von 1272, über das noch ausführlicher zu sprechen sein wird, ein zunehmend polemischer Ton auf. Dennoch hat sich auch hier an seinem reformatorischen Grundanliegen nichts geändert. In den nächsten fünfundzwanzig Jahren wird es wieder still um Roger Bacon. Wir wissen nichts über seine Aktivitäten in diesen Jahren bis zu seinem Tod. Wahrscheinlich fallen in diese fünfundzwanzig Jahre seine Schriften Communia naturalium 80  Vgl.

ebd., S. 15–17; Eugenio Massa, »Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium«, a. a. O., S. 15–21. 81  Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 59. 82  Ebd., S. 65.



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und die Communia mathematica, die vor allem Bacons naturphilosophische Überlegungen enthalten. 83 Die einzige Nachricht über Bacons letzten Lebensabschnitt ist eine Mitteilung in einer Chronik der Franziskaner, die etwa hundert Jahre später (um 1370) verfasst wurde und in der es heißt: »Hier verwarf und verurteilte der Ordensgeneral Hieronymus [von Ascoli] auf Beschluß vieler Brüder die Lehre des englischen Bruders Roger Bacon, Magister der heiligen Theologie, da sie einige verdächtige Neuerungen enthalte, aufgrund deren jener Roger zu Kerkerhaft verurteilt wurde, wobei für alle Brüder die Vorschrift gilt, daß niemand sich an diese Lehre halten dürfe, sondern sie vielmehr zu meiden habe, da sie vom Orden verworfen ist.«84

Ob diese Bemerkung den Tatsachen entspricht, ist nicht klar. Bacons eigene offene Kritik am Franziskanerorden und seine Schwierigkeiten mit den Ordensoberen lassen diese Erzählung als glaubwürdig erscheinen. Möglich ist auch, dass Bonaventura einige Partien seiner Collationes in Hexaemeron gegen Roger Bacon gerichtet hat. Er erwähnt ihn zwar nicht namentlich, aber viele seiner Bemerkungen gegen die Sünde der curiositas treffen durchaus auch auf Roger Bacon zu. 85 Zudem hat diese Erzählung 83  Vgl.

David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xxv. 84  Chronica XXIV Generalium Ordinis Minorum, in: Analecta franciscana III, 360. Zitiert nach: Camille Bérubé, Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 67–136, S. 74, Anm. 13. – Vgl. ausführlich zu diesem Thema: Theodore Crowley, Roger Bacon and the Problem of the soul, a. a. O., S. 67–72; Stewart C. Easton, Roger Bacon and his Search for a Universal Science, a. a. O., S. 186–205; Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 64–69. 85  Camille Bérubé, Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 67–136. – Camille Bérubé deutet die Auseinandersetzung zwischen Bonaventura und Roger Bacon – und das macht m. E. die Faszination ihres Beitrages

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der erzwungenen Kerkerhaft in ihrer Tragik etwas Verführerisches: Jener Mann, der die Kirche und seine Zeit durch Reformen verbessern wollte, wurde durch eben jene Institutionen und Personen mundtot gemacht, an die er sich mit seinen Vorschlägen gewandt hatte. Sie würde auch erklären, warum wir bis zum Jahr 1292 nichts mehr von Roger Bacon hören. Denn in diesem Jahr unternimmt es Bacon ein letztes Mal, mit einer Publikation, dem Compendium studii theologiae, an die Öffentlichkeit treten zu wollen. Kurz nach dem Jahr 1292 wird Roger Bacon gestorben sein, ohne sein »Handbuch für das Studium der Theologie« vollendet zu haben. Doch trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten hat Bacon auch kurz vor seinem Tode noch nichts von seinem Vertrauen in die Möglichkeiten der menschlichen Vernunft für die Gestaltung einer besseren Gesellschaft verloren: »Ein besonderer Grund treibt mich voran, nämlich den Leser dazu zu ermuntern, nach Büchern von würdigen Autoren zu suchen, in denen die Herrlichkeit und die Schönheit der Weisheit gefunden aus –, als den Widerstreit zweier verschiedener und entgegengesetzter Möglichkeiten, mit den Diversifizierungstendenzen des 13. Jahrhunderts umzugehen: »Als erste allgemeine Feststellung muß vorausgeschickt werden, daß die Persönlichkeiten von Roger Bacon und Bonaventura in menschlicher und wissenschaftlicher Hinsicht und in ihrem Erfolg bei den Zeitgenossen im vollkommenen Gegensatz stehen, obwohl allen beiden das Bewußtsein gemeinsam ist, daß sie eine Sendung zum Wohl der Kirche zu erfüllen hätten und sich mit allem Nachdruck dafür einsetzen. Für uns hier aber ist von Belang, daß dieser Gegensatz zu einem offenen Konflikt wird über die Rolle der Wissenschaften in der Kirche, im Franziskanerorden und im Unterricht der Theologie. Es ist dies einer der Aspekte des Zusammenpralls des alten, von Augustinus überkommenen Ideals der christlichen Wissenschaft mit dem neuen wissenschaftlichen Geist, wie er aus der Schule des Aristotelismus und aus der arabischen Wissenschaft erwachsen war, aber auch ein Aspekt der Geschichte der Studien im Franzis­ kaner­orden.« (Ebd., S. 75 f.)



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werden kann. Doch diese Bücher sind heutzutage der Mehrzahl der Studenten und Lehrer fast vollständig unbekannt.«86

Vielleicht ist Roger Bacon auch nach mehr als siebenhundert Jahren selber einer von diesen Autoren, die einiges über die »Schönheit und die Herrlichkeit der Weisheit« zu sagen hatten und die dennoch für uns durch die Jahrhunderte hindurch fast vollständig unbekannt geblieben sind. Doch trotzdem: Hinter Bacons Konzeption der Wissenschaften und ihrer Rolle für eine bessere Gesellschaft steht die grundlegende und immer aktuelle Frage nach dem Staunen als Anfang der Philosophie oder – hier scheinbar abgeschwächt zu einer Besorgnis – die Frage des Sokrates, die auch Bacon stellt: »[…] daß ich schwanke, ist wohl nichts Wunderbares, und jeder Ungelehrte [schwankt]; wenn aber auch ihr schwanken wollt, ihr Weisen, dann ist das ein großes Unglück auch für uns, wenn wir nicht einmal bei euch zur Ruhe kommen können von unserem Schwanken.«87 Zugleich jedoch auch die Hoffnung auf den emanzipatorischen Impetus der Vernunft und damit darauf, dass »eine Zeit kommen [wird], in der das, was nun verborgen ist, der Tag und die Sorgfalt einer weiter entfernten Zeit ans Licht bringen wird.« Auf die Frage nach der Aktualität Roger Bacons jenseits von bestimmten, mittlerweile größtenteils zwangsläufig überholten Erkenntnissen in einzelwissenschaftlichen Disziplinen möchte ich in diesem Sinne mit Günther Mensching antworten: »Über das Problem der Genese der Naturwissenschaft hinaus ist Roger Bacon aktuell, weil er seine Hauptwerke im Bewußtsein seiner geschichtlichen Zeit geschrieben hat. Seine Epoche stellte sich ihm – anachronistisch ausgedrückt – als ein clash of cultures dar, der geradezu apokalyptische Perspektiven hatte. Das politi86  Roger

Bacon, Compendium of the Study of Theology, a. a. O., S. 32 (Übers. N. E.). 87  Platon, Hippias minor oder der Falsche Wahre, übers. v. Friedrich Schleiermacher u. komm. v. Jörg Jantzen, Berlin 1989, S. 24 f.

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sche Interesse an einer Befriedung der Welt durch Entfaltung der Vernunft und der Wissenschaft über die Grenzen der Religionen hinweg war damals ein Desiderat und ist es heute wieder.«88

Im Folgenden stelle ich nicht einzelne Aspekte bestimmter Disziplinen dar, zu denen Roger Bacon zweifellos einen wichtigen Beitrag geleistet hat (etwa in der Optik, Erfahrungswissenschaft, Alchemie, Geographie usw.), sondern versuche vielmehr, einführend und überblicksweise das grundsätzliche Anliegen seiner Schriften philosophisch begreifbar zu machen.

3. Bacons Gesamtkonzept einer systematischen Wissenschaft Roger Bacons Bedeutung besteht weniger in seinen Beiträgen zu einzelnen wissenschaftlichen Fächern, als vielmehr in der grundlegenden Entwicklung eines methodischen Gesamtkon­ zepts einer vereinheitlichten und systematischen Wissenschaft, die er in den Dienst der Reformation seiner Zeit mit dem Ziel stellt, ein vernünftiges und friedlich geregeltes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen. In einer Zeit der zunehmenden Ausdifferenzierung der verschiedenen Wissenschaften 89 un88 

Günther Mensching, Roger Bacon, a. a. O., S. 10. Diese Ausdifferenzierung lässt sich nachvollziehen, indem man die Wissenschaftseinteilungen des 12. und 13. Jahrhunderts zum Beispiel mit den Etymologiae Isidors von Sevilla (dem »Brockhaus« des Mittelalters) aus dem 7. Jahrhundert vergleicht: Bei Isidor werden in den Büchern 1–3 noch die klassischen septem artes liberales (die »sieben freien Künste«) in ihrer Einteilung in Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und Quadrivium (Mathematik, Geometrie, Musik und Astronomie) vorgestellt. Bereits im Didascalion (Studienbuch) Hugos von St.-Viktor aus dem 12. Jahrhundert werden 21 (!) verschiedene Wissenschaften (darunter auch die artes mechanicae, wie etwa die Tuchherstellung, die Jagd und die Handelsschifffahrt) vorgestellt und gegenüber den Etymologiae deutlich anders systematisiert. Die weitere Komplexitätssteigerung der wissenschaftlichen Einzeldiszi89 



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ternimmt es Bacon, sie in ein System zu integrieren, an dessen Spitze die Theologie steht, die ihrerseits ohne die übrigen Wissenschaften nicht verstanden werden kann. Ich möchte im Folgenden auf einige Aspekte seines Denkens eingehen, die ich für das Verständnis der Grundintention, die hinter den Schriften Bacons steht, für zentral halte und die bis jetzt aufgrund des hochgradig spezialisierten Charakters der Forschungsliteratur weitestgehend unberücksichtigt geblieben sind: Dies ist zum einen der emanzipatorische Impetus, den Bacon den Wissenschaften innerhalb seines Reformplanes zuweist, sowie ihr praktisch orientierter Nutzen für die Gesellschaft. Zum anderen die Radikalität, mit der sich Bacon in dem ihm gesetzten intellektuellen und wissenschaftlichen Rahmen des 13. Jahrhunderts dafür ausplinen, die sich daraufhin im 13. Jahrhundert durch die Übersetzung arabischer und aristotelischer Texte ergibt, lässt sich an der »Einteilung der Philosophie« des Dominicus Gundissalinus deutlich erkennen: Hier werden Wissenschaften wie die Poetik, die Optik und – erstmalig auch – die »Wissenschaft von den Gewichten« erwähnt. In diesem Zusammenhang müssen auch Roger Bacons Systematisierungsversuche der einzelnen Wissenschaften gesehen werden: Man begann im 13. Jahrhundert, einen neuen Bildungskanon aufzubauen, der noch nicht klar konturiert war. Hundert Jahre später wird dies anders sein, weil sich im 14. Jahrhundert die aristotelische Einteilung der Wissenschaften (verbunden mit dessen Texten) durchgesetzt hatte. Dies jedoch noch nicht im 13. Jahrhundert. – Vgl. Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX, hg. v. Wallace M. Lindsay, 2 Bde., Oxford 1911 (Deutsche Übersetzung: ders., Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. v. Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008); Hugo von Sankt Viktor, Didascalion de studio legendi. Studienbuch, lat.-dt., übers. u. eingel. v. Thilo Offergeld, Freiburg u. a. 1997; Dominicus Gundissalinus, De divisione philosophiae. Über die Einteilung der Philosophie, lat.-dt., hg., übers., eingel. u. mit Anm. versehen v. Alexander Fidora u. Dorothée Werner, Freiburg u. a. 2007. – Vgl. zu Roger Bacons Verhältnis zu den verschiedenen »freien Künsten«: Brigitte Englisch, »Artes und Weltsicht bei Roger Bacon«, in: Artes im Mittelalter, hg. v. Ursula Schaefer, Berlin 1999, S. 53–67.

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spricht, in Unabhängigkeit und in manchmal provokativer Abgrenzung von den Autoritäten eine selbstständige Neuordnung des Wissens vorzunehmen.

a) Die Reform der Wissenschaften Der gemeinsame Punkt, der alle Schriften Bacons miteinander verbindet, ist der Gedanke einer Reform der Wissenschaften, des Studienwesens und der Gesellschaft mit dem Ziel, das »Wissen in Weisheit« (so die Formulierung Camille Bérubés90) zurückzugewinnen, welches Gott den Propheten des Altertums geoffenbart hatte. Ein grundlegender Gedanke Bacons ist der, dass die Weisheit einem Menschengeschlecht von einem Gott zu einem Ziel geoffenbart worden sei, nämlich dem diesseitigen und jenseitigen Nutzen für den Menschen, der durch eine Reform der Theologie und der ihr dienenden Wissenschaften wiederherzustellen sei.91 Hinter diesem Reformprogramm Bacons stehen im 13. Jahrhundert drängende Fragen der Ausdifferenzierung und der Legitimität der Wissenschaften, die sich durch die nun ins Lateinische übersetzten, neu zugänglichen Texte arabischer und griechischer Wissenschaft seit dem 12. Jahrhundert unmittelbar aufdrängten.92 Die Denker des 13. Jahrhunderts lebten in einem intellektuellen Spannungsfeld, das durch die Institutionalisie90 

Vgl. Camille Bérubé, De la philosophie à la sagesse chez Saint Bonaventure e Roger Bacon, a. a. O. 91  »Denn das gesamte Wissen in Weisheit ist von einem Gott einer Welt zu einem Ziel gegeben. Daher kommt diesem Wissen aus jener dreifachen Beziehung die Einheit zu. Auch ist der Weg des Heils nur einer, wenn auch in vielen Stufen. Aber das Wissen in Weisheit ist der Weg zum Heil«. Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 3, S. 36, zitiert nach: Camille Bérubé, »Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon«, a. a. O., S. 94, Anm. 46. 92 Vgl. James A. Weisheipl, »Classification of the Sciences in ­Medie­val Thought«, in: Medieval Studies 27, 1965, S. 54–90.



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rung der Universitäten in dieser Zeit noch forciert wurde und das ein enormes kritisches Potenzial freisetzte.93 Die Verurteilungen des Jahres 1277 an der Pariser Universität durch den damaligen Pariser Bischof Étienne Tempier können uns von den damaligen Kontroversen im Zuge der Vermittlung antiker und arabischer Wissenschaftstraditionen einen schwachen Eindruck vermitteln, in denen auch Bacon eine wichtige Rolle spielte.94 Exemplarisch sei hier nochmals daran erinnert, dass Roger Bacon einer der ersten Magister an der artes-Fakultät in Paris war, der um 1240 über die libri naturales des Aristoteles Vorlesungen hielt, zu einer Zeit, in der die Verbote von 1210 und 1215 bezüglich der Lektüre der neuzugänglichen naturphilosophischen Bücher des Aristoteles an der Universität in Paris im Jahr 1231 zwar durch Papst Gregor IX. gelockert, aber durchaus nicht aufgehoben worden waren.95 Wir befinden uns hier mit Ro93 

Vgl. Michael H. Shank, »Schools and Universities in Medieval Latin Science«, in: The Cambridge History of Science, Bd. 2: Medieval Science, hg. v. David C. Lindberg u. Michael Shank, Cambridge 2013, S. 207–239; Walter Rüegg (Hrsg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993. 94  Vgl. Robert Steele, »Roger Bacon and the State of Science in the Thirteenth Century«, in: Studies in the History and Method of Science, Bd. 2, hg. v. Charles Singer, Oxford 1921, S. 121–150; Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, Mainz 1989 (neben den verurteilten Thesen ist vor allem die Einführung Kurt Flaschs lesenswert). – Speziell zum Aristotelismus in diesem Kontext siehe: Fernand van Steenberghen, Aristotle in the West. The Origins of Latin Aristotelianism, Louvain 1955; Edward Grant, »The Condemnation of 1277, God’s Absolute Power, and Physical Thought in the Late Middle Ages«, in: Viator 10, 1979, S. 211–244. – Zum Zusammenhang zwischen der Verurteilung und Roger Bacons Ansichten: Paul L. Sidelko, »The Condemnation of Roger Bacon«, in: Journal of Medieval History 22, 1996, S. 69–81; Jeremiah Hackett, »Roger Bacon, Aristotle, and the Parisian Condemnations of 1270, 1277«, in: Vivarium 35, 1997, S. 283–314. 95  Vgl. Stephen Brown, »The intellectual context of later medieval philosophy: universities, Aristotle, arts, theology«, in: Medieval Phil­

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ger Bacon direkt am Beginn einer Aristotelesrezeption, von der noch nicht offensichtlich war, welche Richtung sie nehmen sollte. Und Aristoteles war zwar mit Sicherheit der wichtigste, aber bei weitem nicht der einzige Autor, der nun durch die Übersetzungen seit dem 12. Jahrhundert wieder rezipiert werden konnte. In seiner Auslegung der libri naturales benutzte Bacon neben Augustinus ebenso Autoren wie Averroes, Avicenna, Avicebron und Algazel, die in den überlieferten Lehrplänen der mittel­ alter­lichen Schulen vor dem 13. Jahrhundert nicht aufgeführt sind.96 Man lernte in kurzer Zeit neue Ansichten kennen, von denen man bis dahin nur weniges oder gar nichts gehört hatte. Das Abendland hatte nun neben anderen vorchristlichen und arabischen Philosophen nahezu den gesamten Aristoteles und damit ein zwar vorchristliches, aber in sich äußerst stringentes Wissenschaftssystem wieder zur Verfügung, das den traditionellen Lehr- und Wissensrahmen erheblich erweiterte97 und das den philosophischen Wissenschaften gegenüber der Theologie eine ganz neue Gewichtung ermöglichte. Es lässt sich durchaus von einem Rationalisierungsschub im 13. Jahrhundert sprechen, der durch die Übersetzung des Aristoteles und anderer paganer Philosophen ausgelöst worden war (der radikale Aristotelismus eines Siger von Brabant oder Boetius von Dacien seien hier osophy, hg. v. John Marenbon, London/New York 1998, S. 188–203, S. 191; Fernand van Steenberghen, Aristotle in the West. The Origins of Latin Aristotelianism, Louvain 1955, S. 109–113; James A. Weisheipl, »Science in the Thirteenth Century«, in: The History of the University of Oxford, Bd. 1: The Early Oxford Schools, hg. v. J. I. Catto, Oxford 1984, S. 435–470, S. 454. 96  Siehe einleitend: Howard R. Turner, Science in Medieval Islam. An illustrated Introduction, Austin 1995, S. 209–216; ausführlicher: Montgomery W. Watt, The Influence of Islam on Medieval Europe, Edinburgh 1972. 97  Vgl. David C. Lindberg, Die Anfänge des abendländischen Wissens, München 2000, S. 49–72.



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genannt98). Diese Entwicklung stellte die theologischen Fakultäten gegenüber den artes-Fakultäten unter erheblichen Legitimationsdruck, dem man mit den wiederholten Lehrverboten der aristotelischen Bücher an der Pariser Universität bis hin zur Verurteilung von 1277 zu begegnen suchte. Allerdings war das neue Wissen zu nützlich, um darauf verzichten zu können – es mussten daher Wege gefunden werden, es zu integrieren, anstatt es zu unterdrücken. Es stellte sich in diesem Zusammenhang mit großer Brisanz die Frage nach einer Neuordnung des Wissens sowie nach dem Platz, den die neuen Texte und Wissenschaften im universitären Lehrplan einnehmen sollten.99 Diesem zentralen Problemkreis sind die Werke des Magisters Roger Bacon gewidmet. Mit dem Ziel der Integration und der Nutzbarmachung eines bestimmten Zweiges des neuen Wissens spricht er sich für eine Neuordnung des Studiums aus, in der den mathematischen Wissenschaften ein einzigartiger methodischer Vorrang eingeräumt wird. Denn die Mathematik ist für Bacon, ganz platonisch gedacht, »das Tor und der Schlüssel zu allen anderen Wissenschaften«100 , die zu98  Vgl.

Sten Ebbesen, »The Paris Arts Faculty: Siger of Brabant, Boethius of Dacia, Radulphus Brito«, in: Medieval Philosophy, hg. v. John Marenbon, London/New York 1998, S. 269–290. 99  Auf eine Darstellung der artes an den mittelalterlichen Universitäten muss hier verzichtet werden, die Forschungsliteratur zu diesem Thema ist umfangreich. – Vgl. einführend: Artes liberales. Von der antiken Bildung zur Wissenschaft des Mittelalters, hg. v. Josef Koch, Leiden/Köln 1959; Arts libéraux et philosophie au moyen age. Actes du quatrième congrès international et philosophie médiévale, Montreal/Paris 1969; Pierre Glorieux, La Faculté des Arts et ses maitres au XIIIe siècle, Paris 1971; Josef Dolch, Lehrplan des Abendlandes, Ratingen u. a. 1973; The Seven Liberal Arts in the Middle Ages, hg. v. David L. Wagner, Bloomington 1983; Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter, 2 Bde., hg. v. Ingrid Craemer-Ruegenberg u. Andreas Speer, Berlin/New York 1993–1994. 100  Vgl. Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 97.

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sammen mit den Sprachwissenschaften101, der Perspekti­v ik102 , der scientia experimentalis103 und der Moralphilosophie104 das Fundament aller Erkenntnis bilden und dementsprechend auch im Lehrplan den unbedingten Vorrang vor allen anderen Disziplinen haben müssen. In einer Zeit der Ausdifferenzierung und Zersplitterung des Wissens sowie der Unsicherheit seiner metaphysischen Einbettung versucht Bacon, ein umfassendes und harmonisches System zu etablieren, das den neuen Wissenschaften einen teleologisch zwar untergeordneten, methodisch jedoch vorrangigen Platz gegenüber der Theologie einräumt. Denn die profanen Wissenschaften sind zwar auf die Theologie hingeordnet, die Theologie ihrerseits ist jedoch auf diese Wissenschaften methodisch angewiesen, da »die Darlegung der göttlichen Wahrheit durch jene Wissenschaften [geschieht], mit denen ihr die Erklärung gleichsam in die offene Hand gelegt wird, während sie doch die gesamte Weisheit von sich selbst aus in der Faust zusammenschließt«105 . Bacons Anliegen war es, das neue Wissen nutzbringend in einen methodischen Rahmen zu integrieren, der auch den philosophischen Wissenschaften ihr Recht zuspricht.106 Roger Bacon 101 

Vgl. Dean P. Lockwood, »Roger Bacon’s Vision of the Study of Greek«, in: The Classical Weekly 12, 1919, S. 123–125; Richard Lemay, »Roger Bacon’s Attitude Toward the Latin Translations of the Twelfth and Thirteenth Centuries«, in: Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 25–84. 102  Vgl. David C. Lindberg, Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages, a. a. O., S. xvii–cxi. 103  Vgl. Jeremiah Hackett, »Ego expertus sum. Roger Bacon’s Science and the Origins of Empiricism«, in: Expertus sum. L’Expérience par les sens dans la philosophie naturelle médiévale, hg. v. Thomas Bénatouil u. Isabelle Draelants, Florenz 2011, S. 145–173. 104  Vgl. Jeremiah Hackett, »Roger Bacon’s Moral Science«, in: ­Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 405–409. 105  Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 36. 106  Eben dies ist nicht nur bei Bacon, sondern auch bei vielen sei-



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war trotz seiner rhetorischen Angriffslust ein Mann, der statt Unterdrückung anderer Ansichten (wofür die Verurteilung von 1277 nur ein Beispiel ist) den Ausgleich zugunsten der »unaussprechlichen Schönheit der Weisheit«107 gesucht hat und dem offensichtlich war, dass das, »was durch rohe weltliche Gewalt groß wird, nur dem Zufall Erfolg verdankt«108 . Diese Weisheit hat er in der Vergangenheit verortet.109 Sie galt es, mit Hilfe der ner Zeitgenossen eine Akzentverschiebung in der Rolle der philosophischen Wissenschaften, die nicht genug betont werden kann, weil sie den Moment des Bacon’schen Wissenschaftsmodells ausmacht, der eindeutig in die Moderne weist. Camille Bérubé weist in diesem Zusammenhang auf das bekannte Schreiben Gregors IX. hin, in welchem das eigentlich verbindliche Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie (den weltlichen Wissenschaften) festgelegt worden war, das Roger Bacon in seinen Schriften stark modifiziert: »Die damals geltende kanonische Gesetzgebung bestand immer noch in dem berühmten Schreiben Gregors IX. vom 7. Juli 1228. Hier ist die Theologie als Königin der Wissenschaften dargestellt. Es ist ihr erlaubt, sich der Philosophie zu ihrem Schmuck zu bedienen, nicht aber, um dabei selbst ihre Würde preiszugeben, indem sich der intellectus theologicus in einen intellectus philosophicus wandelt. Die Theologie muß gemäß den von den Kirchenvätern gebilligten Traditionen dargelegt werden, nicht nach den Lehren der Philosophen, denn es hieße den Schwanz an die Stelle des Kopfes setzen und die Königin zwingen, ihren Mägden zu dienen, wenn man sich mehr als notwendig der Wissenschaft der Philosophen widmen wollte« (in: Camille Bérubé, »Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon«, a. a. O., S. 77 f.). 107  Vgl. Anm. 86. 108  § 14 in dieser Übersetzung. 109  »Und dies kann zuletzt dadurch bestätigt werden, daß denselben Persönlichkeiten die Fülle der Philosophie gegeben wurde, denen auch das Gesetz Gottes, die Lex Dei, geschenkt worden ist, d. h. den heiligen Patriarchen und Propheten von Anbeginn der Welt. Und dies ist nicht als notwendig festzustellen wegen des Punktes, der hier erörtert wird, sondern um für die ganze Sache des echten Wissens (sapientia) die Beglaubigung zu erbringen. Denn es war für den Menschen unmöglich, von sich aus zum Höchsten in den Wissenschaften und Künsten zu gelangen, sondern er bedurfte der Offenbarung, bei

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neuen Wissenschaften (die in seiner Sicht nur längst vergessene ursprüngliche Wissenschaften waren) zurück zu gewinnen, um »die Faust der Weisheit zum Nutzen für den Menschen wieder zu öffnen«. Roger Bacon kehrt damit das berühmte Diktum des Albertus Magnus »[…] kommt mir nicht mit Gottes Wundern, wenn ich Naturwissenschaft betreibe«110 gewissermaßen um: Betreibt Naturwissenschaft, um Gottes Wunder kennen zu lernen. Seine Intention ist jedoch dieselbe, da den Naturwissenschaften bei Bacon durch diese Begründung eine Bedeutung zukommt, die ungeheures emanzipatorisches Potential freisetzt: Denn ohne das Studium der Naturwissenschaften ist die Erkenntnis der Wunder Gottes nicht möglich. deren Nachweis nichts von den bei Autoritäten gefundenen geheimen Erkenntnissen von uns bezweifelt werden darf, obgleich wir in diesen keine Erfahrung besaßen […]. Ich behaupte also, daß denselben Persönlichkeiten, denen die Heilige Schrift geschenkt wurde, d. h. den Heiligen von Anfang an, von Gott auch die Geistesmacht der Philosophie gegeben wurde, damit auf diese Weise deutlich werde, daß für die Menschen ein einziges vollständiges Wissen notwendig ist. Denn allein die Patriarchen und Propheten waren echte Philosophen, die alles wußten, nämlich nicht nur die Theologie, die Lex Dei, sondern auch alle Bereiche der Philosophie […]. Denn mit einem einzigen Hauch erleuchtete sie der Heilige Geist und lehrte sie die ganze Mächtigkeit der Natur in den Metallen und übrigen Mineralien. Aber Salomon war weiser als alle vor und nach ihm, nach dem Zeugnis der Schrift erhielt er die volle Geistesmacht der Philosophie […]. Gott schenkte ihnen eine Lebenszeit von sechshundert Jahren wegen der herrlichen Bereiche der Philosophie, deren Erforschung sie sich widmeten, und damit sie in einem langen Leben in Erfahrung ergründen könnten, was ihnen Gott enthüllt hatte. Hinzu kommt, daß Noah und seine Söhne die Chaldäer über die Bereiche der Philosophie belehrten und daß Abraham nach Ägypten kam und den Ägyptern sein Wissen vermittelte […]« Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 3, S. 53–54, zitiert nach: Camille Bérubé, »Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon«, a. a. O., S. 90, Anm. 40. 110  Vgl. Albertus Magnus, De generatione et corruptione, hg. v. Paul Hoßfeld, Münster: Aschendorf 1980 (= Opera omnia V, 2), I, i, 22.



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Wenn Bacon mit dieser Schwerpunktsetzung auch vielen seiner Ordensoberen unbequem gewesen sein mag, die diesen emanzipatorischen Anspruch an die neuen Wissenschaften nicht teilten bzw. kein Verständnis für Bacons Sicht von ihrer Rolle in seinem Reformprogramm hatten (wofür die Verurteilung wegen »verdächtiger Neuheiten« seiner Lehre zwischen 1277 und 1279 spricht, die mit Hausarrest geahndet wurde111), war er mit dieser Haltung doch nicht allein. Bacon selbst nennt uns seine Vorbilder unter seinen Zeitgenossen, zu denen bekanntere wie Robert Grosseteste und Adam Marsh, aber auch vollkommen vernachlässigte Intellektuelle wie der schon genannte »Meister des Experiments« Peter von Maricourt zählen, der nicht nur mit Magneten experimentierte und in seiner Abhandlung De magnete112 deren Polarität beschrieb, sondern der auch – folgen wir Bacon – als von der Universität unabhängiger Gelehrter anzusehen ist, der Zoologie, Alchemie und Optik auf experimenteller Grundlage betrieben hat. Hinter Bacons Wissenschaftsprogramm steht das Ringen um die Vermittlung und Integration einer neuen wis­ senschaftlichen Methodik und deren Rolle, das nahezu alle Intellektuellen im 13. Jahrhundert beschäftigte.113 Es ist schon vieles über die Autoritätsgläubigkeit der mittel­ alterlichen Gelehrten geschrieben worden, auch darüber, dass sie 111 

Vgl. Thomas Ricklin, »Seneca der Minderbruder. Die Réécriture einer moralischen Herausforderung durch Roger Bacon und Johannes von Wales und ihr frühhumanistischer Epilog«, in: Ethik – Wissenschaft oder Lebenskunst? Modelle der Normenbegründung von der Antike bis zur Frühen Neuzeit, hrsg. von Sabrina Ebbersmeyer und Eckhard Keßler, Münster 2007, S. 51–74, S. 66; Pietro Maranesi, »Littera et spiritus. Die zwei exegetischen Prinzipien von Bonaventura da Bagnoregio«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 140–180. 112  Vgl. Anm. 64. 113  Vgl. Steven J. Williams, »Roger Bacon in Context: Empiricism in the High Middle Ages«, in: Expertus sum. L’Expérience par les sens dans la philosophie naturelle médiévale, a. a. O., S. 123–144.

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nur ein sehr theoretisches Interesse an der Welt gehabt hätten.114 Dies mag zu großen Teilen stimmen, ist aber nur ein Teil der Geschichte. Auch wenn sich die Intellektuellen des Mittelalters nur als »Zwerge auf den Schultern von Riesen«115 verstanden haben mögen, war ihnen doch zugleich klar, dass sie dadurch weiter zu sehen vermochten als ihre Vorgänger. Und sie konnten gut und sehr genau hinschauen, denn – um mit Albertus Magnus zu sprechen, der trotz der gegenteiligen Bemerkungen Bacons116 114 

Vgl. etwa David C. Lindberg, Science in the Middle Ages, Chicago 1978, S. xii. 115  So die Worte Johannes von Salisburys: Johannes von Salisbury, Metalogicon, hg. v. Clemens C. J. Webb, Oxford 1929, IV, 3, S. 136. 116  Abschätzige Bemerkungen über Albertus Magnus und Thomas von Aquin finden sich häufig in Bacons Schriften. Sie sind oft ungerechtfertigt, aber wesentlich sind die Gründe, aus denen sie von Bacon kritisiert werden. Bacon stilisiert Thomas und Albert als die Personifikationen aller jener Verfehlungen, die seines Erachtens das Studienwesen seiner Zeit heimsuchen: »Der dritte Mißstand ist, daß in jenen vier Wissenschaften, die von den Theologen benützt werden, diese gar nicht richtig Bescheid wissen. So nehmen sie aus diesen Wissenschaften eine Unmenge Falsches und Unnützes auf, halten Zweifelhaftes für wissenschaftlich gesichert, Unklares für klar, sie lassen es hingehen, daß Belangloses gebracht wird, während das Wichtigste fehlt. Auf diese Weise entstellen sie die Theologie durch eine Unzahl von Fehlern, die aus reiner Unwissenheit hervorgehen. Das wird vor allem aus folgendem deutlich; denn da sie die fremden Sprachen nicht können, aus denen die gesamte Philosophie wie Theologie uns überkommen ist, kennen sie natürlich die Philosophie nicht, wie sich zur Genüge aus meiner Abhandlung über die Sprachen ergibt. Sie können ja den Text nicht verstehen und verderben ihn, und sie können die Erklärungen der Autoren nicht erfassen, darin ja überall Griechisch, Hebräisch und Arabisch vorkommt […]. Es ist aber notwendig, daß dies gelehrt wird, weil zu der gesamten so unheilvollen Fehlentwicklung in den Studien diese zwei Persönlichkeiten [Albertus Magnus u. Thomas v. Aquin] den Anlaß gegeben haben, wenngleich sie entschuldbar sind, da andere sich durch sie, die die Lebensumstände dieser anderen nicht kennen, beeinflussen lassen […]. Aber Gott ist mein Zeuge,



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eine Person war, die das Grundanliegen des englischen Magisters teilte – »Naturwissenschaft heißt nicht einfach nur das Berichtete anzunehmen, sondern im Wesen der Natur nach den Ur­ sachen zu fragen«.117

b) Der Nutzen der Wissenschaften Roger Bacons Reformprogramm hat zudem eine gesellschafts­ politische und ethische Funktion, deren normativer Grundzug Beachtung verdient, weil er deutlich macht, dass die damaligen Diskussionen nicht in einem wissenschaftlichen und universitären Elfenbeinturm stattgefunden haben, sondern auf lebensweltliche Bedürfnisse zurückbezogen waren. Denn fragen wir nach dem Zweck, den die Wissenschaften in Bacons Überlegungen zu erfüllen haben, gibt Bacon in allen seinen Werken eine klare Antwort: Die Wissenschaften haben nicht für sich selbst Bedeutung, sondern nur »zum Nutzen und Heil der Menschheit«118 . Dieser Nutzen besteht konkret darin, der Kirche zu dienen, das Gemeinwesen der Gläubigen zu stützen und die Ungläubigen »mehr durch die Werke der Weisheit als durch Kriegshandlungen«119 zu überzeugen. Ohne diesen lebenspraktischen Hintergrund daß ich die Unwissenheit dieser Männer nur dargelegt habe um der Wahrhaftigkeit des Studiums willen. Denn die Leute glauben, daß diese Männer alles wissen, und bekunden ihnen eine Anhängerschaft, als wären sie Engel, werden sie doch bei Disputationen und Vorlesungen wie Autoritäten zitiert. […] Niemals noch herrschte auf der Welt solcher Mißbrauch«. (Roger Bacon, Opus minus, a. a. O., S. 325, zitiert nach: Camille Bérubé, »Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon«, a. a. O., S. 102, Anm. 57.) 117  Albertus Magnus, Mineralia, hg. v. Auguste Borgnet, Paris 1890 (= Opera omnia V), S. 30. 118  Vgl. Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 2, S. 209. 119  Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 20.

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sind die Wissenschaften, wie Florian Uhl120 überzeugend zeigen konnte, für Bacon wertlos. Dieser bewusst intendierte Bezug auf den gesellschaftlichen Kontext, in dem Wissenschaft betrieben wird, kennzeichnet auch die Baconsche Rangordnung der philosophischen Wissenschaften. Denn die Sprachwissenschaften, die mathematischen Wissenschaften, die Perspectiva und die sci­ entia experimentalis (in dieser Reihenfolge) sind ihrerseits auf die Moralphilosophie hingeordnet, »die besser und ehrwürdiger ist als die zuvor genannten Wissenschaften«121, weil sie »vom Heil des Menschen [handelt], das durch Tugend und Glückseligkeit zu vollenden ist«122 . Die anderen, vorhergehenden Wissenschaften beweisen die Prinzipien der Moralphilosophie, »weil sie sie gleichsam wie für ihre Herrin vorbereitet haben«123 . Die Ergebnisse der übrigen Wissenschaften werden in der Konzeption Bacons in der Moralphilosophie aufgehoben und so ihrem eigentlichen Ziel, dem Nutzen für die Menschheit, zugeführt. Die Moralphilosophie nutzt ihrerseits wiederum der Theologie, da sie uns zur Erkenntnis richtigen Verhaltens führt, das für die jenseitige Glückseligkeit notwendig ist.124 Alle Wissenschaften sind in ihrem Nutzen also auf die Theologie, auf die »Wissenschaft von Gott«, hingeordnet. Doch ist diese Baconsche Wissenschaft von Gott als Kulminationspunkt aller anderen Wissenschaften keineswegs identisch mit der herrschenden Theologie125 , die Ba120 

Vgl. Florian Uhl, »Roger Bacon: Die Wissenschaften als Weg zu Nutzen und Heil. Über Grammatik, Scientia experimentalis und Moralphilosophie«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 257–277. 121  Roger Bacon, Opus majus. Eine moralphilosophische Auswahl, a. a. O., S. 81. 122 Ebd. 123  Ebd., S. 85. 124  Vgl. ebd., S. 22. 125  Bacon nennt seine Kritikpunkte an der »herrschenden Theologie« in seinem Opus minus unter dem Stichwort der »sieben Sünden« der Theologie seiner Zeit. Diese sieben Sünden sind für Bacon: 1. Die



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con in seinen Schriften heftig kritisiert.126 Sie ist es deshalb nicht, weil die herrschende Theologie in der Sicht Bacons die von ihrer Bedeutung her zwar untergeordneten (Sprachwissenschaften, Mathematik usw.), methodisch jedoch vorgeordneten Wissenschaften nicht in ihr Lehrprogramm aufnimmt. Die vorherrschende Theologie ist in Bacons Sicht unnütz, weil es ihr nicht gelingt, die philosophischen Wissenschaften zu integrieren und in ein umfassendes hierarchisches Ordnungssystem einzufügen. Es ist eines der Hauptmerkmale des Baconschen Werkes, Ordnung, d. h. eine begründete Rangfolge in die Wissenschaften zu bringen, die durch die verschiedenen Ausdifferenzierungsprozesse im 13. Jahrhundert verloren zu gehen drohte. Bacons Anliegen war es, eine Einheit des Wissens wiederherzustellen. Daher drehen sich alle Hauptwerke Bacons (das Opus maius, das Opus minus, das Opus tertium, das Compendium studii philosophiae und das Compendium studii theologiae) im Kern darum, alle Wissenschaften »in ihrer Gesamtheit in Form eines allumfassenden Handbuches«127 darzustellen, da nach Bacons Überzeugung Vorrangstellung der Philosophie gegenüber der Theologie. 2. Unkenntnis der Wissenschaften, die der Theologie aber die beste Hilfe leisten können (die alten Sprachen Hebräisch und Griechisch, Mathematik, Optik, Ethik, scientia experimentalis, Alchemie). 3. Die Theologen kennen nicht einmal in zureichender Weise die vier Wissenschaften, die sie benutzen (ausführliche Kritik an Alexander von Hales u. Albertus Magnus). 4. Der Text der Sentenzen des Petrus Lombardus wird im Theologiestudium der Bibel vorgezogen. 5. Der in Paris gebräuchliche Bibeltext ist entstellt. 6. Aus Unkenntnis der alten Sprachen (Hebräisch, Griechisch) gibt es in der Bibel unzählige falsche Wörter, die den Literalsinn der Bibel entstellen. 7. Unkenntnis des Literal- und Spiritualsinns der Bibel aus Unkenntnis der Eigenschaften der Dinge. – Vgl. Roger Bacon, Opus minus, a. a. O., S. 322–359. 126  Vgl. Martin A. Schmidt, »Roger Bacons Verteidigung der ›biblischen‹ gegen die ›systematische‹ Lehrweise in der Theologie«, in: Theologische Zeitschrift 28, 1972, S. 32–42. 127  Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 19.

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»alle Wissenschaften […] miteinander verbunden [sind] und [sich] gegenseitig Hilfe leisten, wie die Teile eines Ganzen«128 . Dieser organische Ordnungsgedanke der Wissenschaften war Bacons Traum, den er verwirklichen wollte. Dies war freilich ein unmöglich durchzuführendes Unterfangen. Sein »grundlegendes Werk«, sein opus principale, hat Roger Bacon nie geschrieben. Was von ihm vorliegt, hat Bacon selbst als »persuasiones«, als vorläufige Überzeugungsschriften129, formuliert, die er an den Papst senden konnte – freilich ohne jemals eine Rückmeldung zu erhalten. Um dieses grundsätzliche Anliegen konkret zu verdeutlichen: Bacon ging davon aus, dass das »Wissen in Weisheit« am Anbeginn der Welt von Gott den Propheten und Heiligen der Vorzeit geoffenbart worden sei. In seiner Vorstellung ist die Geschichte in jeder Hinsicht eine Verfallsgeschichte: Das Wissen war bereits da, die Menschheit hat es vergessen. Es gilt nun, dieses bereits vorhandene Wissen wieder in Erinnerung zurückzurufen, damit der Zustand eines glückseligen Lebens wieder erreicht werden kann. Wie nun kann dies geschehen? Hier greift Bacons Wissenschaftsprogramm: Man muss zuerst die Sprachen lernen (He­ brä­isch, Griechisch, Arabisch), weil das »Wissen in Weisheit« in diesen Sprachen überliefert worden ist. Da die Übersetzungen, die im 13. Jahrhundert aus diesen Sprachen im Lateinischen vorlagen, für Bacon mangelhaft waren, muss man diese Sprachen nach Bacons Vorstellung selbst lernen. So werden diese Sprachen (und dies ist für das 13. Jahrhundert äußerst ungewöhnlich) in den Rang einer propädeutischen Wissenschaft erhoben, die das Fundament des Studiums bilden müsse. 128 

Vgl. ebd., S. 18. So beginnt sein Opus maius mit den Worten: »Pars prima hujus persuasonis […].« (»Erster Teil dieser Überzeugungsschrift […].«) Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 1 (Übers. N. E.). 129 



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Wenn man diese Sprachen kennt, kann man die Texte lesen, welche in diesen Sprachen überliefert sind, und so die Wissenschaften selbst kennenlernen. Die höchste Wissenschaft ist die Theologie, zu der man jedoch nur gelangen könne, wenn man die Mathematik, die Optik, die Erfahrungswissenschaft und die Moralphilosophie beherrscht. Denn in Bacons Augen liegt sämtliches Wissen in den von Gott geoffenbarten Schriften (dem Alten und dem Neuen Testament, den Kommentaren der Heiligen) bereits vor, wir können es nur nicht »sehen«. Um dieses bereits existierende Wissen wieder sichtbar zu machen, brauchen wir die »profanen Wissenschaften«. Bacon war ein extremer Realist130 , d. h. die Wissenschaften spiegeln in seiner Vorstellung nicht unsere Konzeptionen der Wirklichkeit wider, sondern decken die Wirklichkeit selbst auf: Um den Spiritualsinn (den übertragenen Sinn) zum Beispiel der Bibel verstehen zu können, müssen wir die Wirklichkeit verstehen, die sich in der Bibel sozusagen »versteckt« bereits findet. Dafür brauchen wir die Mathematik, die Geometrie, die Optik und – zur Überprüfung unserer theoretischen Annahmen durch den Augenschein – die Experimentalwissenschaft, die immer an die Wirklichkeit zurückgebunden sind. Erst durch diese Prozesse können die Worte in der Bibel aufgeschlossen und die Menschheit zu einem verlorengegangenen Zustand der Glückseligkeit zurückgeführt werden.131 Eben dies ist der Nutzen der Sprachen und der profanen Wissenschaften – das »Wissen in Weisheit« für die Lateiner wieder verfügbar zu machen. Und diese Weisheit darf nicht theo130 

Vgl. Thomas M. Maloney, »The Extreme Realism of Roger ­Bacon«, in: The Review of Metaphysics 38, 1985, S. 807–837. 131  Florian Uhl zeigt diese hierarchische Wissenschaftsordnung auch sehr klar am Beispiel der Grammatik, der Erfahrungswissenschaft und der Moralphilosophie, vgl. Florian Uhl, »Roger Bacon: Die Wissenschaften als Weg zu Nutzen und Heil. Über Grammatik, Scientia experimentalis und Moralphilosophie«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 260–277.

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retisch bleiben, sondern sie muss praktisch werden: »So hängt der gesamte Nutzen für die Welt vom Studium der Weisheit ab und von dem Schaden ihres Gegenteils wird die ganze Welt in tiefste Unordnung gestürzt. Denn ebenso wie der Mensch sich im Studium verhält, so auch im Leben«.132 So ist der Nutzen der Wissenschaften der Leitbegriff des Baconschen Wissenschaftsmodells, das in seiner Hinordnung auf das jenseitige Glück in der Form der Theologie zwar »traditionell« zu nennen sein mag, durch die Einbeziehung in ein diesseitiges Glück und durch den methodologischen Vorrang der »profanen Wissenschaften« für das Menschengeschlecht jedoch schon beinahe protohumanistische Züge erhält.133

c) Die offendicula sapientiae (Hindernisse gegenüber der Weisheit) Dem Baconschen Reformprogramm stehen jedoch erkenntnistheoretische und ideologische Hindernisse entgegen, die ausgeräumt werden müssen, damit eine erfolgreiche Wissenschaftsund Gesellschaftsreform möglich sein kann. Dieser Punkt ist Roger Bacon so wichtig, dass er sein Opus maius mit dem Kapitel über diese vier Hindernisse beginnt. Dort heißt es: »Es bestehen in der Tat vier ganz große Hindernisse, die Wahrheit zu erfassen, welche sich jedem entgegenstellen, mag er noch so weise sein, sodass es kaum jemandem möglich ist, den wahren 132 

Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 11. Vgl. Sabrina Ebbersmeyer, u. a. (Hrsg.), Ethik des Nützlichen. Texte zur Moralphilosophie im italienischen Humanismus, München 2007, S. 12–19; exemplarisch am Beispiel der Verwendung Senecas durch Roger Bacon und Johannes von Wales zeigt dies auch: Thomas Ricklin, »Seneca der Minderbruder. Die Réécriture einer moralischen Herausforderung durch Roger Bacon und Johannes von Wales und ihr frühhumanistischer Epilog«, a. a. O., S. 51–74. 133 



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Titel der Weisheit führen zu können. Diese vier Hindernisse sind: das Beispiel einer brüchigen und der Würde entbehrenden Autorität, die alltägliche Gewohnheit, die Haltung der unwissenden Menge und die Verheimlichung der eigenen Unwissenheit durch Herausstellen des Anscheins von Weisheit. Jeder Mensch ist in diese Übel verstrickt, jeder Stand davon betroffen. Denn jeder benutzt bei einzelnen Handlungen im Leben, im Studium und in jeder anderen Beschäftigung die drei schlechtesten Argumente und kommt zu immer demselben Schluss: Dies ist durch das Beispiel der Älteren belegt, das entspricht der Gewohnheit, dies ist weit verbreitet; also muss man sich daran halten.«134

Worauf diese Bemerkungen Bacons hinauslaufen, ist – wie Florian Uhl überzeugend gezeigt hat135 – eine grundsätzliche Kritik an dem blinden Glauben gegenüber Autoritäten, deren Wahrheitsgehalt nicht ausreichend überprüft worden ist. Ob Bacon mit dieser Ideologiekritik zu Recht als Vorgänger Francis Bacons bezeichnet werden kann136 , ist hier weniger entscheidend als die Anerkennung der Forderung Bacons nach einer rationalen und selbstbestimmten Rechtfertigung unserer Annahmen. Dies heißt keineswegs, dass für Bacon das Wissen älterer Generationen per se wertlos ist, aber »[wir] dürfen nicht an allem festhalten, was wir gehört und gelesen haben, sondern müssen aufs Genaueste die Auffassungen der früheren Generationen prüfen, um hinzuzufügen, was bei ihnen fehlte, und um zu berichtigen, wo Irr134 

Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 2 (Übers. N. E.). Vgl. Florian Uhl, »Hindernisse auf dem Weg zum Wissen. Roger Bacons Kritik der Autoritäten«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 219–235. 136  So etwa bei: Fernando Sanford, »Francis and Roger Bacon and Modern Science«, in: The Scientific Monthly 44, 1937, S. 440–452; Herbert Hochberg, »The Empirical Philosophy of Roger and Francis Bacon«, in: Philosophy of Science 20, 1953, S. 313–326; Joseph Kupfers, »The Father of Empiricism: Roger not Francis«, in: Vivarium 12, 1974, S. 52–62. 135 

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tümer unterlaufen waren«137. Bacon wollte eine grundsätzliche Offenheit für Kritik schaffen, die sowohl darin besteht, selbst Kritik zu üben, als auch darin, kritisiert werden zu können und sich dabei nicht den Anschein von Autorität zu geben, wo keine vorhanden ist. Die offendicula sapientiae dürfen hier jedoch nicht unabhängig voneinander gedacht werden: Weil wir auf fragile Autoritäten hören, werden uns deren unbegründete Annahmen zu Gewohnheiten, die sich noch weiter verfestigen und den Charakter einer anerkannten Tatsache annehmen, denn »[niemand] irrt für sich allein, sondern ist Ursache und Urheber des Irrtums beim Mitmenschen, und so treibt mit uns der Irrtum, der von Hand zu Hand weitergegeben wird, sein Spiel, und wir gehen am Beispiel der anderen zugrunde«138 . Sobald bestimmte falsche Ansichten durch die Gewohnheit verfestigt worden sind, werden sie von der Menge immer wieder hervorgebracht, denn in »ihren Handlungen und auch den meisten anderen Dingen folgt die Tochter der Mutter, der Sohn dem Vater, der Sklave dem Herrn, der Untertan dem König, der Untergeordnete dem Übergeordneten, der Schüler dem Lehrer.«139 Und falls man doch einmal zu der Erkenntnis gelangen sollte, etwas nicht zu wissen, erwacht im Menschen die Eitelkeit, die ihn daran hindert, die eigenen Fehler einzugestehen. Mit Cicero bemerkt Bacon hierzu: »Einige schließen sich irgendeinem Freund an, oder sie lassen sich fangen durch eine Rede eines beliebigen Menschen, unter dessen Zuhörer sie zuerst geraten sind: dann entscheiden sie über Dinge, die sie nicht erkannt haben. Und gegen welche Lehre auch immer sie wie von einem Sturm getrieben worden sind, daran klammern sie sich fest wie an einen Felsen. Aber meistens ziehen 137 

Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 3, S. 1, zitiert nach: Florian Uhl, Hindernisse auf dem Weg zum Wissen. Roger Bacons Kritik der Autoritäten, a. a. O., S. 222. 138  Ebd., S. 226 (Übers. N. E.). 139  Ebd., Bd. 1, S. 7 (Übers. N. E.).



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sie es vor, in die Irre zu gehen und die Auffassung, die sie einmal lieb gewonnen haben, zu verteidigen, statt dass sie ohne Rechthaberei untersuchen, welche Aussage am meisten gefestigt ist.«140

In sehr beredten Worten weist Roger Bacon auf die zerstörerischen Konsequenzen dieser vier Irrtümer hin, die den Menschen an jeder theoretischen und praktischen Erkenntnis hindern: »Von diesen tödlichen Plagen her kommen alle Schlechtigkeiten des menschlichen Geschlechts; denn die nützlichsten, größten und schönsten Lehren der Weisheit sowie alle Geheimnisse der Wissenschaften und Künste bleiben hierdurch unbekannt; noch schlimmer ist, dass die Menschen ihre eigene Unkenntnis nicht einsehen können, weil sie durch diese vier Gründe [für den Irrtum] in der Dunkelheit gefangen sind. Im Gegenteil verdecken und verteidigen sie mit aller Sorgfalt ihre Unkenntnis, sodass sie kein Heilmittel dagegen finden können. Doch am Schlimmsten ist, dass sie von sich glauben, sie seien im hellsten Licht der Wahrheit, obwohl sie doch in der dichtesten Dunkelheit gefangen sind. Daher denken sie, dass die wahrsten Dinge an der äußersten Grenze des Falschen liegen, dass das Beste keinen Wert hat und dass die größten Errungenschaften weder Gewicht noch Bedeutung haben. Dagegen feiern sie das Falscheste, loben das Schlechteste und preisen das Gemeinste. Sie sind blind gegenüber dem Glanz der Weisheit und rennen nur zu den Dingen hin, die sie am leichtesten erreichen können.«141

Bacon plädiert dafür, selbständig zu denken und unabhängig seinen eigenen Kopf zu gebrauchen. Mit dieser Autoritätskritik war Bacon jedoch nicht allein. Er fasst zusammen und systematisiert, was andere vor ihm gesagt haben. Seine Gewährsmänner im ersten Teil des Opus maius sind pagane Autoren wie Aristoteles, 140 

Ebd., S. 5 (Übers. N. E.) – Die Stelle bei Cicero: Marcus Tullius Cicero, Lucullus. Akademische Abhandlungen, lat.-dt., hg. v. Christoph Schäublin u. a., Hamburg 1998, S. 13. 141  Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 3 (Übers. N. E.).

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Cicero und Seneca ebenso wie Texte der Bibel, von Avicenna und Averroes. Und auch zeitgenössische Autoren wie etwa Adelard von Bath, der sich zu unserem blinden Vertrauen in brüchige Autoritäten in seinen Quaestiones naturales bereits im 12. Jahrhundert folgendermaßen geäußert hat und der von Bacon zitiert wird: »Was ist Autorität dieser Art denn anderes als ein Halfter? Denn ebenso wie die wilden Tiere am Halfter geführt werden und nicht wissen, wohin oder weshalb, so werden auch einige von uns, welche durch die tierische Grausamkeit der Autorität gefangen sind, ins Verderben geführt.«142

Die Tradition zu kennen, ist zwar notwendig, sie muss jedoch stets einer kritischen Prüfung unterzogen werden, die am Ende auf der eigenen Expertise beruht. Bacon war mit diesem Anspruch also keine exzeptionelle Figur des Mittelalters. Ähnliches hatte neben Adelard von Bath bereits Anselm von Canterbury formuliert, als er um 1100 schrieb, dass die Vernunft das Wesentliche am Menschen sei und Richterin sein müsse über alles, was im Menschen ist.143 Auch Abaelard hatte diesem Thema mit seinem Werk sic et non bereits ein ganzes Buch gewidmet, aus dem ein Satz des Prologes wegen seiner Eindringlichkeit zitiert sei: »Durch den Zweifel gelangen wir zur Befragung. Durch die Befragung erreichen wir die Wahrheit.«144 Roger Bacon fasst eine Geisteshaltung zusammen, die ich gern eine skeptische nennen 142 

Ebd., S. 5 f. (Übers. N. E.). – Die Stelle bei Adelard von Bath findet sich in: Adelard von Bath, Quaestiones naturales, in: Adelard of Bath, Conversations with his nephew. On the Same and the Different, Questions on Natural Science and On Birds, lat.-engl., hg. u. übers. v. Charles Burnett, Cambridge 1998, VI, S. 102. 143  Vgl. Anselm von Canterbury, Epistola de incarnatione verbi, hg. v. Franciscus S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt (= Opera omnia II, S. 1–35), S. 1–2. 144  Petrus Abaelardus, Sic et non. A critical Edition, hg. v. Blanche B. Boyer u. Richard McKeon, Chicago/London 1977, S. 103.



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würde und die untergründig auch im Mittelalter schon lange Zeit präsent war.145 Viele andere Vertreter ließen sich hier nennen, von denen Maimonides, Averroes, Albertus Magnus und Thomas von Aquin nur die bekannteren sind.146 Wenn es demnach stimmt, dass es – wie Kurt Flasch mit überzeugenden Argumenten postuliert hat147 – eine Aufklärung im Mittelalter gab, dann wäre Roger Bacon einer ihrer wichtigsten Vertreter. Anhand von Roger Bacon lässt sich exemplarisch ersehen, dass es auch ein kritisches und aufklärerisches Mittelalter jenseits der »großen Denkkathedralen«148 der Scholastik gab, das wir in unseren historischen Rekonstruktionen stärker berücksichtigen müssen.

d) Roger Bacon und die Übersetzungen seiner Zeit Noch ein weiterer Gedanke ist in diesem Zusammenhang wichtig. Wir haben nun schon des Öfteren von Roger Bacons Kritik an den Übersetzungen (aus dem Griechischen und Arabischen) des 12. und 13. Jahrhunderts gesprochen. Nehmen wir ein Beispiel aus der vorliegenden Übersetzung, in dem Bacon einige Übersetzer seiner Zeit auf sehr polemische Art angreift und Namen nennt, die auch heute noch jedem, der sich ein wenig mit dem 12. und 13. Jahrhundert beschäftigt hat, bekannt sind:

145 

Vgl. Dominik Perler, Zweifel und Gewissheit. Skeptische Debatten im Mittelalter, Frankfurt/Main 22012. 146  Vgl. die verschiedenen Aufsätze in: Kurt Flasch u. Udo Reinhold Jeck (Hrsg.), Das Licht der Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter, München 1997. 147  Vgl. ebd. u. die weitere Publikation von Kurt Flasch: Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, a. a. O. 148  So die Formulierung Loris Sturleses in: Loris Sturlese, Philosophie im Mittelalter. Von Boethius bis Cusanus, München 2013, S. 7 f.

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»Aber einen viel schwerwiegenderen Fehler gibt es in der übersetzten Philosophie. Denn wenn sich schon die Heiligen in ihren Übersetzungen geirrt haben, wie sehr gilt dies dann erst für andere, die wenig oder nichts von Heiligkeit haben. Aus diesem Grund haben uns Gerhard von Cremona, Michael Scotus, Alfred von Sarashel, Hermann der Deutsche und Wilhelm von Moerbeke zwar eine große Menge an Übersetzungen von allen Wissenschaften gegeben. Jedoch gibt es viele Fehler in ihren Werken, die alle doch so sehr bewundern. Denn damit eine Übersetzung die Wahrheit der Vorlage trifft, muss der Übersetzer die Sprache kennen, aus der er übersetzt. Zudem muss er die Sprache kennen, in die er übersetzt. Und er muss etwas von der Wissenschaft verstehen, die er übersetzen will. Man zeige uns diesen Mann, wir würden ihn loben! Denn er hätte Wunder während seiner Lebenszeit vollbracht.«149

Anhand dieser offenen und wiederholt auftretenden Kritik von Bacons Seite ist häufig die Frage aufgeworfen worden, ob die nur zu oft sehr harschen Worte Bacons berechtigt seien.150 Jüngst hat sich auch Richard Lemay dieser Frage angenommen und ist zu dem Schluss gekommen, dass Roger Bacons Kritik an den Übersetzungen (gerade denen der aristotelischen Schriften) nicht gerechtfertigt sei.151

149 

§ 167 in dieser Übersetzung. So etwa Lynn Thorndike und Sybil D. Wingate. Beide sind zu dem Schluss gekommen, dass Bacons eigene Äußerungen über die alten Sprachen voller Fehler und Irrtümer seien, dass Bacon also seine eigene Rhetorik in keiner Weise einholen könne. – Vgl. Lynn Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, a. a. O., Bd. 2, S. 630–649; Sybil D. Wingate, The Medieval Latin Versions of the Aristotelian Scientific Corpus, with special Reference to the Biological Works, London 1931, S. 112–119. 151  Richard Lemay, »Roger Bacon’s Attitude towards the Latin Translations of the twelfth and thirteenth Centuries«, in: Roger ­Bacon and the sciences, a. a. O., S. 25–47. 150 



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Ich denke, diesem Urteil ist nur teilweise zuzustimmen. Roger Bacons Kritik ist zweifellos »ungerecht«. Dennoch waren die Übersetzungen häufig in der Tat nicht gut und konnten es auch nicht sein, da das philosophische Vokabular für viele Schriften im Lateinischen zu dieser Zeit überhaupt nicht existierte. Ein Problem, vor dem wir immer noch stehen: Jeder, der heutzutage versucht, aristotelische Begriffe wie »ousia« zu übersetzen, wird auf ähnliche Schwierigkeiten stoßen wie die Übersetzer im 12. und 13. Jahrhundert – und wir können heutzutage auf eine lange philologische Tradition zurückblicken (mit den entsprechenden fachspezifischen Büchern, Nachschlagewerken, Grammatiken usw.), um die man im 13. Jahrhundert noch begrifflich ringen musste. Insofern muss man sagen, dass Bacon mit seiner Kritik an den schlechten Übersetzungen seiner Zeit Recht hatte – dass er selbst es nicht besser konnte, ist m. E. nicht kritikwürdig, weil auch er selbst mit den Hilfsmitteln seiner Zeit auskommen musste und zumindest – gerade im Compendium studii philosophiae – äußerst innovative Vorschläge zu einer Verbesserung und Institutionalisierung des Sprachenunterrichts macht. Man sollte ihm daher vielleicht das Verdienst lassen, auf bestimmte Probleme hingewiesen zu haben, deren Lösung auf die Zukunft verschoben werden musste. Kritik kann auch dann produktiv sein, wenn man keine besseren Alternativen anbieten kann. Die eigentliche Bedeutung dieser Debatte liegt m. E. jedoch darin, dass man sich seit dem 12. Jahrhundert verstärkt darum bemühte, alte und im Abendland längst vergessene Texte wiederherzustellen und lesbar zu machen.152 Dies ist ein Anliegen, das schon seit der karolingischen Renaissance verfolgt wurde (man 152 

Vgl. für einen tabellarischen Überblick über die übersetzten Werke im Mittelalter: »Appendix B: Medieval Translations«, zus. v. Michele Trizio u. a., in: The Cambridge History of Medieval Philosophy, Bd. 2, hg. v. Robert Pasnau, Cambridge 2009, S. 792–832.

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denke nur an Alkuin oder Johannes Scottus Eriugena). Die Liebe zur Weisheit zeigt sich nicht nur bei Roger Bacon, sondern wir finden in diesen Jahrhunderten – verbunden mit Diskussionen über die Qualität von Übersetzungen –, das Bemühen, sich Wissen anzueignen und zu neuen Erkenntnissen aus alten Texten zu gelangen. Und noch ein weiterer Punkt: Die Handschriften sind nicht von allein nach Toledo, Paris oder Oxford gelangt. Man musste zu den Orten, an denen man Manuskripte finden konnte, hingehen, die entsprechenden Sprachen mit viel Mühe, Kosten (Bacon vermittelt uns davon einen Eindruck) und Entbehrungen lernen, man musste Schreiber und Helfer finden usw. Die Entfernungen waren schwieriger zu überwinden als heute, die Wege gefährlicher, die Nächte dunkler, die jeweils persönliche Zukunft unberechenbarer und unsicherer. Nehmen wir als Beispiel Adelard von Bath, der sich in seinen bereits zitierten Quaes­ tiones naturales darum bemüht, seinem Neffen die Wissenschaft der Araber näher zu bringen: Vor diesem Gespräch war er sieben Jahre lang auf Reisen, seine Stationen waren Sizilien, Kilikien, Syrien, Palästina und Spanien. Warum all die Mühe? Er sagt es uns ebendort: »Um der Studien willen.«153 Um der Studien willen hat Adelard von Bath ebenso nach Texten gesucht und viele Entbehrungen auf sich genommen wie Wilhelm von Moerbeke, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Roger Bacon und unzählige andere, deren Namen uns nicht mehr überliefert sind. So zeigt uns auch diese kurze Diskussion, dass das Mittelalter keine »dunkle« und »autoritätsgläubige« Zeit war, sondern eine Zeit des Aufbruchs, der Neuheiten, der Spannungen und vor allem eines unglaublichen intellektuellen Bemühens und der Suche.

153  Adelard

N. E.).

von Bath, Quaestiones naturales, a. a. O., 82 (Übers.



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4. Das Compendium studii philosophiae Im Zusammenhang mit dem skizzierten Reformprogramm Roger Bacons steht auch das Kompendium für das Studium der Philo­ sophie, das um 1271/1272 geschrieben worden ist.154 Der Titel des Werkes, das nur als Fragment in einer einzigen Handschrift155 aus dem 14. Jahrhundert erhalten ist, stammt nicht von Roger Bacon selbst, sondern geht vermutlich auf einen unbekannten Abschreiber zurück. Daher evoziert der Titel »Kompendium für das Studium der Philosophie« ein falsches Bild, von dem der Leser sich nicht täuschen lassen darf, da es Bacon in diesem Werk nicht nur um die Philosophie, sondern weiter gefasst um das Studium der Weisheit (sapientia) geht. Der Abschreiber hat sich sicherlich bei der Titelgebung des Textes von Bacons einleitenden Bemerkungen inspirieren lassen. Dort heißt es: »Man muss bezüglich der Weisheit [sapientia] vier Überlegungen anstellen, die ich jetzt einführend in der Form eines Handbuchs [in summa et sub compendio quasi introductionis] behandeln möchte, damit man die äußerst wichtige Möglichkeit an die Hand bekommt, die einzelnen Dinge in ihrer Besonderheit und in der ihnen eigenen Disziplin zu erklären.«156

Das Compendium hat mit der Weisheit also ein Thema »in der Form eines Handbuchs« zum Gegenstand, das gewissermaßen alles umfassen soll: Sowohl die Dinge selbst, als auch die akademischen Disziplinen, welche die Dinge behandeln. Bleiben wir kurz bei diesem Zitat, um die Textgattung und das Ziel des Compendium zu verdeutlichen. In der Sekundärliteratur ist seit 154 

Das Datum lässt sich nur aus dem Text selbst gewinnen. – Vgl. zu den Details der Abfassungszeit: Roger Bacon, Opera quaedam hactenus inedita, a. a. O., S. liv. 155  MS. Tiberius C.V. im British Museum, London. 156  Roger Bacon, Compendium studii philosophiae, § 1, S. 15 (die Seitenangaben beziehen sich im Folgenden auf unsere Ausgabe).

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der lateinischen Edition des Compendiums durch John S. Brewer157 im Jahr 1859 wiederholt die Meinung vertreten worden, es handele sich bei diesem Fragment um die Einleitung in Roger Bacons von ihm immer wieder angesprochenes scriptum princi­ pale158, eines von Bacon ins Auge gefassten grundlegenden und umfassenden Werkes, für welches selbst sein Opus maius nur eine Vorform (eine persuasio für Papst Clemens IV. in der Hoffnung, weitere Unterstützung und Finanzierung seines geplanten eigentlichen Werkes zu erhalten) bilden sollte.159 Für diese Annahme gibt es im Compendium jedoch keinen Anhaltspunkt. Zumindest wird sein scriptum principale hier nicht erwähnt. Bacon spricht vielmehr davon, dass mit dem Compendium studii philosophiae (in diesem Punkt scheint der anonyme Abschreiber den Kern der Sache getroffen zu haben) ein einführendes Handbuch vorliege, eine Literaturgattung160 157  Vgl.

Roger Bacon, Opera quaedam hactenus inedita, a. a. O., S. xlviii; ausführlicher Andrew G. Little, »Roger Bacon’s Works, with References the MSS and Printed Editions«, in: Roger Bacon. Essays, a. a. O., S. 373–425, S. 402. 158  Vgl. etwa Roger Bacon, Opus minus, a. a. O., S. 315; Opus tertium a. a. O., S. 23. 159  Roger Bacon nennt uns seine Vorstellung eines solchen erweiterten und grundlegenden Werkes in seinen communia naturalium. Das Werk hätte vier Bücher und sechs Themengebiete umfassen sollen: Buch i) Grammatik und Logik, Buch ii) Mathematik, Buch iii) Physik (Naturphilosophie), Buch iv) Metaphysik und Moralphilosophie. – Vgl. Roger Bacon, Communia naturalium, in: Opera hactenus inedita Rogeri Baconi, hg. v. Robert Steele, Bd. 2, Oxford o. J., S. 1. 160 Das Compendium studii philosophiae lässt sich somit in die Gattung der mittelalterlichen Kompendienliteratur einordnen, die seit dem 13. Jahrhundert – entsprechend der zunehmenden Ausdifferenzierung des Wissens – verstärkt aufkam. Ziel dieser Literaturgattung war es nicht, ein einzelnes Thema erschöpfend zu behandeln, sondern einen knappen und kurzen Überblick über ein Themengebiet zu geben. Schon der Begriff »compendium«, was im Deutschen so viel heißt wie »Ersparnis« oder »Abkürzung«, macht dies deutlich.



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also, die ihn zur Kürze zwinge161, nicht ein Werk von der Dimension seines scriptum principale, das in seiner Tiefe und seinem Umfang weit über das Opus maius hätte hinaus gehen müssen. Es ist zwar durchaus möglich, dass Roger Bacon hier einen weiteren Anlauf unternommen hat, sein grundlegendes Werk zu schreiben, anhand seiner Bemerkungen über den einführenden und überblickhaften Charakter dieser Schrift ist dies jedoch eher unwahrscheinlich. a) Ziel und Programm des »Compendium studii philosophiae« Das in seiner fragmentarischen Form erhaltene Compendium stellt in seiner Konzeption einen einleitenden Überblick für das Studium der Weisheit dar. Laut Roger Bacon muss ein solcher Überblick Folgendes leisten: Er muss erstens die Gründe für die Notwendigkeit der Beschäftigung mit der Weisheit angeben, zweitens muss er zeigen, aus welchen Disziplinen sich die Weisheit zusammensetzt, drit­ tens muss die richtige Methode für den Wissenserwerb aufgezeigt werden und viertens müssen die Hindernisse ausgeräumt werden, welche der Weisheit entgegenstehen.162 Dies ist das Programm, das Roger Bacon sich in dieser Schrift abzuhandeln vorgenommen hat. Da der Text bei § 261 mit der Darstellung gewisser griechischer Abkürzungen unvermittelt abbricht, können wir nicht sagen, inwieweit Bacon dieses von ihm allgemein formulierte Programm wirklich einhalten konnte. Zumindest gibt er uns einen Eindruck davon (§ 82), welche Wissenschaften er in dieser Schrift behandeln wollte: die Sprachen der Weisheit (Griechisch und Hebräisch), die Mathematik, die Perspektivik, die Alchemie und die Erfahrungswissenschaft. 161  162 

Vgl. §§ 50, 54 und 171. Vgl. §§ 2–6.

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In der jetzigen Form (die Kapiteleinteilung, der auch ich in dieser Übersetzung folge, stammt nicht von Roger Bacon, sondern geht auf John S. Brewers Edition zurück) lässt sich der Text grob in vier Teile einteilen: 1. Teil (§§ 1–18): Allgemeine, einführende Bemerkungen. Bacon beginnt mit einer laudatio der Weisheit und stellt ihren Nutzen für die Lenkung der Kirche, der Gesellschaft und der Bekehrung Andersgläubiger heraus. Unterteilung der Weisheit in die verschiedenen spekulativen und praktischen Wissenschaften. Zudem formuliert er das Ziel dieser Schrift: Die Reform des Studiums und der Kirche. 2. Teil (§§ 19–30): Kritik der Gesellschaft und der Kirche seiner Zeit: Kritik an der römischen Kurie, den kirchlichen Prälaten, den Juristen, den Orden und am gesamten Klerus. Bacon konstatiert einen Verfallszustand, der behoben werden muss. Dieser Zustand resultiert für Bacon aus bestimmten Hindernissen, die beseitigt werden müssen, damit die Kirche und die Gesellschaft seiner Zeit reformiert werden können. Dies leitet über zum 3. Teil (§§ 31–80): Darstellung der Hindernisse gegenüber der Weisheit. Diese sind erstens die natürliche Erbsünde und in deren Folge die verschiedenen Todsünden (§§ 31–49). Zweitens Roger Bacons vier bekannte Gründe für den Irrtum (§§ 50–56). Drit­ tens der Missbrauch des zivilen Rechts, wodurch auch die Kleriker gezwungen werden, Gesetzen zu folgen, die ihrem Stand und ihrer Würde nicht entsprechen (§§ 57–68), und viertens die Mitwirkung der neuen Bettelorden (Franziskaner und Dominikaner) an den Universitäten, die lehren dürfen, obwohl ihnen die propädeutische Ausbildung in den artes fehlt, und die dadurch die säkularen Magister an den Universitäten verdrängen (§§ 69–80). 4. Teil (§§ 81–261): Bacons Grammatik. Beinhaltet in erster Linie die verschiedenen Gründe dafür, dass die Lateiner Hebräisch und Griechisch lernen müssen (§§ 83–206). Daraufhin beginnt Bacon mit der eigentlichen griechischen Grammatik; kurz darauf bricht der Text ab (§§ 207–261).



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Das Compendium ist auch in der modernen Baconforschung bisher kaum beachtet worden. Wenn sich überhaupt einmal Referenzen auf dieses Werk finden, sind sie meistens negativer Art. Die weitläufigste Würdigung des Compendium studii philoso­ phiae finden wir noch bei Stewart Easton, der in seiner Baconbiographie aus dem Jahr 1952 sehr kritisch schreibt: »It is our contention that he ruined his chances of fulfilling his ambitions by not choosing the one academic study that he believed could have brought him into real prominence; and that the substitute he chose, however strongly he advertised its value, did not bring him the fame he sought. This, more than all the difficulties he had from his poverty and neglect and possible persecution within the Franciscan Order, made him the embittered man he was in 1272 when he wrote the Compendium studii philosophiae, which should have been the masterpiece of his life, but is in its present form nothing but a scurrilous and unfair attack upon his contemporaries in every rank of society.«163

Ich halte dieses Urteil für ungerechtfertigt. Problematisch an diesem Urteil ist, dass Eastons Biographie ein Standardwerk zu Roger Bacon darstellt, das jeder an Bacon interessierte Leser gelesen haben wird: Es ist schlichtweg das erste Buch, zu dem man greift, wenn man Bacons Lebens- und Zeithintergrund kennenlernen möchte. Diese Tatsache mag eine vertiefende Beschäftigung mit dem Compendium bisher behindert haben. Auch dass es nur als Fragment existiert, mag zum bisher mangelnden Rezeptionsinteresse beigetragen haben. Es ist richtig, dass das Compendium zu großen Teilen einen sehr polemischen Ton anschlägt, der vielleicht auch in Bacons enttäuschten Hoffnungen zu suchen sein wird. In den Jahren 1271/72 war Roger Bacon ein gescheiterter Mann: Ihm muss klar gewesen sein, dass sich sein großer Traum, die Reform des Bil163 

Stewart C. Easton, Roger Bacon and his search for a universal science, a. a. O., S. 69.

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dungswesens und der Wissenschaften, aufgrund des frühen Todes des Papstes Clemens IV., nicht erfüllen sollte. Roger Bacon hatte nichts mehr zu hoffen und nichts mehr zu verlieren. Genau dies macht meines Erachtens jedoch die Anziehungs­ kraft dieses Textes aus. Seine anderen Werke waren an eine gesellschaftlich höher stehende Persönlichkeit gerichtete Überzeugungsschriften, die entsprechend der Absicht ein hohes Maß an Rhetorik und Dissimulation erforderten. Das Compendium hingegen hat keinen bestimmten Adressaten; Bacon kann unverblümt schreiben, was er denkt. In der Tat war Roger Bacon – wie Easton schreibt – »pöbelhaft« und häufig unfair. Man kann aber auch sagen: unangepasst und offen. Ein outsider im 13. Jahrhundert, der Thesen formuliert hat, die vielen unbequem gewesen sind – entsprechend sind seine Werke auch wenig rezipiert und seine Ansichten durch zensierende und physisch direkt seine Person betreffende Maßnahmen unterdrückt worden. Gerade in dem sehr polemischen Tonfall des Compendium ist, denke ich, auch der Grund zu suchen, aus dem das Compendium nur in einer Handschrift vorliegt, es also niemanden gab, der es vervielfältigt und verbreitet hat. Man muss sich vor Augen halten, dass Bacon diesen Text verfasst hat, als er bereits seit vielen Jahren im Franziskanerorden war. Er betont bereits im Opus ter­ tium mehrfach, dass er den Ordensoberen aufgrund seiner Kritik an der Kirche und an den neuen Orden (Franziskaner u. Dominikaner) unbequem war und dass er innerhalb des Ordens mit vielen Schwierigkeiten während des Verfassens seiner Schriften zu kämpfen hatte.164 In keinem anderen Text wird diese Kritik 164 

»Aber dennoch kam die eingetretene Verzögerung zwangsläufig und gegen meinen Willen zustande, und ich bedauerte dies sehr und bedauere es noch. Denn als ihr letztes Mal geschrieben habt, war das, was ihr verlangtet, nicht verfasst, wenngleich ihr dies glaubtet. In meinem anderen [weltlichen] Stand habe ich nämlich keinerlei Buch über Philosophie verfasst, und auch nicht in dem, in dem ich jetzt bin. Ich wurde darüber von meinem Ordensoberen befragt. Denn es wurde



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jedoch so deutlich formuliert wie im Compendium studii phi­ losophiae: Hier wird auf leidenschaftliche Art und Weise Kritik an der Kirche, den beiden neuen Bettelorden und anderen der wichtigsten Institutionen des 13. Jahrhunderts geübt. Solch einen Text zu verbreiten, wird infolge der durch Bonaventura bereits 1260 eingeführten Zensur im Orden nicht möglich gewesen sein. Um die Kritik Bacons und damit zugleich das intellektuelle Spannungsfeld, in dem sich Bacon bewegte, beispielhaft zu verdeutlichen, möchte ich auf einige Passagen des Compendium im Folgenden näher eingehen. Der erste Teil des Compendium zeichnet ein wissenschaft­ liches und gesellschaftliches Idealbild, welches die Folie der Kirchen- und Gesellschaftskritik bildet, die Roger Bacon wenige dagegen eine schwerwiegende Konstitution erlassen mit Vorschrift und Strafandrohung des Buchverlustes und mehrtätigen Fastens bei Wasser und Brot, wenn irgendeine bei uns entstandene Schrift anderen Leuten mitgeteilt würde. Aber in schöner Schrift geschrieben werden könnte es nur von Schreibern, die nicht unserem Stand angehören, und diese würden dann für sich übertragen oder für andere, ohne dass man Einfluss darauf hätte, so wie sehr oft in Paris Schriften durch den Betrug der Schreiber verbreitet werden. Und gewiss hätte ich, wenn ich frei hätte veröffentlichen können, für meinen Bruder, der studiert, und für andere sehr liebe Freunde von mir, vieles geschrieben. Aber als ich die Hoffnung verlor, veröffentlichen zu können, habe ich das Schreiben aufgegeben.« Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 13 (Übers. N. E.). – Die Konstitution, auf die sich Roger Bacon hier bezieht, ist jene des Generalkapitels zu Narbonne von 1260, das Bonaventura einberufen hatte. Der Text besagt: »Auch verbieten wir, daß in Hinkunft irgendeine neue Schrift außerhalb des Ordens publiziert wird, wenn sie nicht zuvor sorgfältig vom Generalminister oder vom Provinzial und den Definitores im Provinzialkapitel geprüft wurde. Und wer immer dagegen verstößt, soll drei Tage bei Wasser und Brot fasten und der Schrift verlustig gehen.« In: Eugenio Massa, »Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium«, a. a. O., S. 16. Dort auch weiterführende Angaben.

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Seiten später übt. Das Ideal ist ebenso visionär wie einfach: Die Menschen müssten die Weisheit studieren, da »alles, was dem Menschen natürlich ist, alles, was ihn schmückt, alles, was ihm nützlich ist, alles, was herrlich ist, sei es in dieser Materie oder in einer anderen, alles das […] durch die Weisheit erreicht werden [kann]«165 . Auch die Anwendungsgebiete, der praktische Nutzen eines richtigen Studiums der Weisheit wird skizziert: 1. Die Weisheit ist Gegenstand des Studiums, eine richtige Methodik ihrer Verfolgung ist für das Studium selbst wichtig, 2. ebenso für die Lenkung der Kirche 3. und der Gesellschaft, 4. für die Bekehrung der Ungläubigen und 5. für den Sieg über die Feinde der Christenheit. Für Bacon hängt also alles von einem richtigen Studium der Weisheit ab. Dies sei zu seiner Zeit aber nicht gegeben. Vielmehr befinde sich das Studium seit mehr als vierzig Jahren in einem Zustand absoluter Verdorbenheit, die alle gesellschaftlichen Stände korrumpiert habe: »Und diese Verdorbenheit tritt in so vielen Facetten auf, dass es so scheint, als verwalte sie der Teufel selbst. Aber wenn die Menschen im Studium verdorben werden, werden sie es notwendigerweise auch im Leben sein. Sie verlassen [das Studium] und übernehmen Ämter in der Kirche und den Königtümern, sie beraten dann die Fürsten, die Übergeordneten, die Prälaten und das gesamte Laienvolk. Daher ist es offensichtlich, dass der Mensch sich genauso im Leben wie beim Studium der Weisheit verhält.«166

Bacon schildert uns im Compendium ausführlich die negativen Konsequenzen dieses Zustandes. Die römische Kurie ist durch Laiengesetze und die Maßlosigkeit der Prälaten korrumpiert, 165  166 

Roger Bacon, Compendium studii philosophiae, § 8, S. 16. Ebd. § 26, S. 25 f.



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die Sitten haben sich völlig verkehrt.167 Und wenn es schon bei dem Haupt so ist, wie dann erst bei den Gliedern: Die Kleriker vernachlässigen ihre seelorgerischen Pflichten und rennen dem Geld und dem Vergnügen hinterher. Die Ordensleute – und hier nimmt Bacon keinen aus – sind schrecklich herabgekommen und raffgierig. Die Fürsten bekriegen sich gegenseitig und unterdrücken das Volk. Die Kaufleute lügen und betrügen, wo sie nur können. Alles ist furchtbar verdorben.168 So schlimm ist dieser Zustand, dass die Zeit des Antichrist nahe zu sein scheint, wenn nicht bald ein Papst oder vollkommener Fürst erscheint, um die Welt wieder auf den rechten Weg zu führen.169 Doch worin besteht denn nun eigentlich die Verdorbenheit und damit der Grund für die vollständige Verwahrlosung seiner Zeit? »Das zweite Hindernis, das der Grund für den heutigen Irrtum beim Studium der Weisheit ist, besteht darin, dass vor ungefähr vierzig Jahren gewisse Männer an den Universitäten aufgekommen sind, die sich selbst zu Magistern und Doktoren der Theologie und der Philosophie gemacht haben, obwohl sie nie etwas von Wert gelernt haben. Und sie wollen und können gemäß ihrer Position auch nichts lernen, wie ich auf den folgenden Seiten ausführlich zeigen werde. Auch wenn es mich sehr grämt und auch wenn ich diese Männer sehr bedaure, siegt doch die Wahrheit über alles. Daher werde ich hier zumindest einige der Dinge darlegen, die in aller Öffentlichkeit getan werden und die allen Menschen bekannt sind, auch wenn nur wenige den Mut haben, diese und andere nützliche Dinge zu bedenken und anzusprechen. Sie unterlassen dies aber wegen der Gründe des Irrtums, denen ich hier nachspüre und die fast alle Menschen schmählich blind machen. Das sind unerfahrene Jungen, die von sich selbst und der Welt nichts wissen, genauso wenig wie von den Sprachen der Weisheit – Griechisch und Hebräisch –, die für das Studium 167 

Vgl. § 19, S. 21 f. Vgl. §§ 20–22, S. 22 f. 169  Vgl. § 29, S. 27 f. 168 

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notwendig sind, wie ich weiter unten zeigen werde. Sie kennen auch die Teile und Wissenschaften der Philosophie und der Weisheit nicht, wenn sie über das Studium der Theologie bloße Mutmaßungen anstellen. Dabei braucht man gerade für das Studium der Theologie alle menschliche Weisheit, wie die Heiligen lehren und wie auch alle Weisen wissen. Denn wenn die Wahrheit irgendwo gefunden werden kann, dann hier; hier, wenn irgendwo, wird der Irrtum verurteilt, wie es Augustinus in seinem Buch Über die christliche Bildung sagt. Das sind Jungen aus den beiden Studentenorden, wie Albert[us Magnus] und Thomas [von Aquin] und andere, die in vielen Fällen mit zwanzig Jahren oder noch darunter in die Orden eintreten.«170

Der Grund liegt für Roger Bacon offensichtlich darin, dass Männer in akademische Machtpositionen gelangt seien, die von den Wissenschaften und der Philosophie nichts verstünden und die daher ohne das nötige Fachwissen an die höchste Wissenschaft, die Theologie, herangingen. Um die Weisheit jedoch auf richtige Weise zu studieren, bedürfte es eigentlich »propädeutisch« der philosophischen Wissenschaften, die mit der Theologie eine Ein­ heit bilden müssten. Dieser Einheitsgedanke ist äußerst wichtig, weil die Grundlage der Bacon’schen Kritik darin besteht, dass die Einheit zwischen Philosophie und Theologie (eine Einheit, die den Propheten von Gott selbst zu Beginn der Welt geoffenbart worden sei) verlorengegangen sei. Roger Bacons Denken ist zwiespältig und zugleich rückwärts und vorwärts gerichtet: Das Ziel ist eine Widerherstellung eines vergangenen idealen Zustandes, die Mittel (und das ist das emanzipatorische Moment in Roger Bacons Denken), sind die philosophischen Wissenschaften: die Sprachen der Weisheit (Griechisch und Hebräisch), die Mathematik, die Perspektivik, die Alchemie und die Erfahrungswissenschaft.171 170 

171 

Ebd., §§ 69–70, S. 53 f. Vgl. § 82, S. 62 f.



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Bacons Kritik im Compendium besteht also darin, dass weder die Kirche, noch die Universitäten, noch die Könige und Fürsten und die neuen Orden diesen Einheitsgedanken einer – wie ich es nennen möchte – christlichen Philosophie mit den richtigen Mitteln und der notwendigen Konsequenz verfolgen würden. Im Compendium zeigt sich der quasi-religiöse »wissenschaft­ liche Messianismus« Roger Bacons sehr deutlich. Es handelt sich um einen Messianismus, wo die »herrlichen« Wissenschaften, deren »Wiederauffindung« durch die Berührung mit der arabischen Kultur vermittelt worden waren, zum Werkzeug einer Erneuerung der theologischen Studien werden sollten: und damit eines religiösen und sittlichen Neuerstarkens der gesamten christlichen Welt. Aus diesem Gedanken heraus wird auch die für uns krasse und eigentlich nur ungerecht anmutende Kritik an Albertus Magnus und Thomas von Aquin verständlich, die Bacon in obigem Zitat äußert. Diese beiden – die schon zu ihrer Zeit Autoritäten waren, deren Ansichten auch bei den Zeitgenossen Verbindlichkeit hatten172 –, stehen für eine Bildungsidee, deren Ziel dem Bacons zwar sehr ähnlich war, deren Mittel jedoch in einem gewissen Gegensatz zu Roger Bacons eigenem Studienplan standen. Albertus Magnus hatte den gesamten Aristoteles kommentiert, Thomas von Aquin hatte zeit seines Lebens an einer Integration der aristotelischen Schriften in einen christlichen und ursprünglich neuplatonisch geprägten Kontext gearbeitet. Damit hatten sie – wie auch viele andere Intellektuelle im 13. Jahrhundert – auf eine sich zunehmend verändernde Situation reagiert: Bis zum 12. Jahrhundert waren die septem artes liberales, also sozusagen die philosophische Grundausbildung der Studenten, bevor sie sich den höheren Fakultäten der Theologie, des Rechts oder der Medizin zuwandten, klar umgrenzt. Autoritäten wie 172  Thomas

­Magnus 1931.

von Aquin wurde 1332 heiliggesprochen, Albertus

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Boethius173 , Cassiodor174 , Martianus Capella175 und Isidor von Sevilla176 hatten in der Spätantike einen Kanon formuliert, an den man sich für die nächsten Jahrhunderte hielt. Es gab auch eine überschaubare Menge an Texten, die man während des Studiums heranziehen konnte. Als gegen Ende des 12. Jahrhunderts neue Texte bekannt wurden, genügte dieses System nicht mehr. Die artes-Fakultät erhielt eine neue und anspruchsvollere Funktion: Man lehrte dort nicht mehr nur Grammatik, Dialektik und Rhetorik, sondern auch Naturphilosophie, Ethik und Politik. An dieser erheblichen Erweiterung des Studienplanes hatten die Schriften des Aristoteles einen wesentlichen Anteil: Bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts hatte sich der Aristotelismus trotz der wiederholten Verbote institutionell durchgesetzt177 und bestimmte den universitären Lehrplan für die nächsten Jahrhun173 

Auf Boethius gehen die Übersetzungen der Logikschriften des Aristoteles zurück, die bis ins 12. Jahrhundert als »logica vetus« bekannt waren. Zudem soll Boethius auch Lehrbücher über alle sieben freien Künste verfasst haben, von denen aber nur seine Bücher über Musik und Arithmetik erhalten sind, die auch im Mittelalter benutzt wurden. – Vgl. den jüngst erschienenen Aufsatzband: A Companion to Boethius in the Middle Ages, hg. v. Noel Harold Kaylor u. Philip Edward Phillips, Leiden 2012. 174  Vgl. Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus, Institutiones divinarum et saecularium litterarum, lat.-dt., 2 Bde., hg. u. übers. v. Wolfgang Bürsgens, Freiburg u. a. 2003. 175  Vgl. Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii, hg. v. James Willis, Leipzig 1983; deutsche Übersetzung: Martianus Capella, Die Hochzeit der Philologia mit Merkur. De nuptiis Philologiae et Mercurii, hg. u. übers. v. Hans Günter Zekl, Würzburg 2005. 176  Vgl. Anm. 89. 177  Bereits 1252 schrieben die Statuten des englischen Teils der Pariser Artistenfakultät vor, dass Kandidaten für eine Dozentur das Buch Über die Seele von Aristoteles gehört haben müssen. Am 19. März 1255 geboten die Statuten der Pariser Artistenfakultät, die Schriften des Aristoteles zu erklären. – Vgl. Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilungen von 1277, a. a. O., S. 29 f.



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derte derart, dass noch Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert abschätzig schrieb, dass der Aristotelismus und die Universität dasselbe seien.178 Die Stärke der aristotelischen Schriften war ihr allumfassender und systematischer Charakter, der eine Integration in den universitären Lehrplan – nachdem sie von einigen heterodoxen Ansichten gereinigt worden waren – erforderlich und effektiv machte. Die Schriften des Aristoteles kamen einem Wissensund Wertekonzept entgegen, das sich (wenn auch freilich nicht ohne Widersprüche) für die nächsten Jahrhunderte durchsetzen sollte: Jeder Student, der im 14. Jahrhundert die artes studierte, tat dies automatisch in einem aristotelischen Rahmen, weil nun fast ausschließlich aristotelische Schriften den Inhalt des Studiums bildeten. Wenn man mit 13 oder 14 Jahren an die Universität kam, lernte man zuerst die lateinische Grammatik (sofern man dies vorher nicht bereits getan hatte). Dann fing man in der artesFakultät mit Aristoteles an. In den theoretischen Wissenschaften begann man in der Regel (absteigend vom edelsten zum geringsten Erkenntnisgegenstand) mit der Metaphysik, dann kam die Physik, daraufhin dessen Schrift Über den Himmel, dann Über die Seele, bis hin zu Über die Tiere, Über die Pflanzen und Über die Gesteine.179 Gestützt wurde man durch die logischen 178 

»Was jetzt Universität genannt wird, ist eine Verbindung und Vereinigung vieler öffentlicher Schulen in ein und derselben kleineren oder großen Stadt unter einer Verwaltung. In ihr waren die wichtigsten Schulen für die drei gelehrten Berufe bestimmt, nämlich die römische Religion, das römische Recht und die Wissenschaft der Medizin. Und für das Studium der Philosophie hatten sie keinen anderen Platz als den einer Dienstmagd der römischen Religion. Und da dort nur die Autorität des Aristoteles allgemein anerkannt wird, ist dieses Studium nicht eigentlich Philosophie (deren Natur nicht von Autoren abhängt), sondern Aristotelie.« (In: Thomas Hobbes, Leviathan, vierter Teil: Vom Königreich der Finsternis, Kap. XLVI, übers. v. Jutta Schlösser, hg. v. Hermann Klenner, Hamburg 1996, S. 563.) 179  Diese Einteilung der Naturphilosophie wurde bereits um 1245

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Schriften des Aristoteles. Wollte man etwas über die dahinter stehende Wissenschaftstheorie lernen, griff man zur Zweiten Analytik. Bei den praktischen Wissenschaften fing man mit der Nikomachischen Ethik an, kämpfte sich zur Ökonomie durch und gelangte so zur Politik. Egal also, um welchen Gegenstand, um welche Wissenschaft es ging – Aristoteles hatte dazu ein Buch geschrieben, das sich in sein System kohärent einfügte. Roger Bacon war nun sicherlich kein Anti-Aristoteliker180 , wollte aber dennoch eine deutlich anders akzentuierte Gestalt des Studiums durchsetzen, dessen Grundlage die mathematischen Wissenschaften bildeten: die Mathematik, die Geome­trie, von einem anonymen Magister der Pariser Artistenfakultät in dessen Einführungsschrift philosophica disciplina vorgestellt. Dort wird die Philosophia naturalis gemäß den Schriften des Aristoteles geordnet: Physica, De caelo, De generatione et corruptione, Meteorologica, De anima, De sensu et sensibili, De vegetalibus, De plantis und De animalibus. – Der Traktat ist abgedruckt in: Claude Lafleur, Quatre introductions à la philosophie au 13e siècle: Textes critiques et études historiques, Paris/Montreal 1988, S. 257–292. – Vgl. auch: Daniel A. Di Liscia, »Agostinismo e Aristotelismo«, in: Storia della Scienza, hg. v. John North u. Robert Halleux, Bd. 4: Medioevo, Rinascimento, Rom 2001, S. 293–308, S. 298; einen generellen, ausgezeichneten Überblick gibt auch: Claude Lafleur, »Les textes didascaliques (introductions à la philosophie et guides de l’étudiant) de la Faculté des arts de Paris au 13e siècle: notabilia et status questionis«, in: L’enseignement des disciplines à la Faculté des arts (Paris et Oxford, 13e et 14e siècles), hg. v. Olga Weijers u. Louis Holtz, Turnhout 1997, S. 345–372. 180  Wir erinnern uns, dass er als einer der ersten Magister an der artes-Fakultät in Paris über die libri naturales des Aristoteles gelesen hat. Robert Grosseteste, den er sehr bewunderte, hatte nicht nur die Zweite Analytik und die Physik des Aristoteles kommentiert, sondern auch die Nikomachische Ethik aus dem Griechischen übersetzt. – Vgl. Alistair C. Crombie, Robert Grosseteste and the Origins of Experimental Science 1100–1700, a. a. O., S. 44–60; Paul Mercken (Hrsg.), The Greek Commentaries on the Nicomachean Ethics of Aristotle in the Latin translation of Robert Grosseteste, Bishop of Lincoln, Bd. 1, Leiden 1973, S. 33–38.



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die Optik, die Erfahrungswissenschaft. Hierin ist auch seine Abhängigkeit von Oxford, von Robert Grosseteste und Adam Marsh zu sehen, die mit ihrer »Lichtmetaphysik« (um den Begriff Baurs181 zu benutzen) davon ausgegangen waren, dass sich die Wirklichkeit durch die Mathematik und die Geometrie aufschließen lasse. Man kann dies durchaus als einen »platonischen« Ansatz verstehen. Diese Ansicht kann ein Aristoteliker jedoch nicht teilen, da die Welt für ihn nach qualitativen, nicht nach quantitativen Prinzipien funktioniert, die sich nicht mathematisieren lassen. Mit seinem Alternativprogramm ist Roger Bacon gescheitert. Daraus erklärt sich auch seine immer wieder geäußerte Abneigung gegen Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Das waren für ihn (wohlgemerkt: aus seiner Sicht) sozusagen Vertreter des establishments, die es im Gegensatz zu ihm »geschafft« hatten, ihre Vorstellungen einer Neuordnung des Studiums durchzusetzen. Diese Verbitterung, diese Kritik bildet den Inhalt des ersten Teils des Compendium studii philosophiae, die er in keinem anderen seiner Werke so deutlich äußert wie hier. Man muss hier häufig zwischen den Zeilen lesen können, was ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfordert. Gelingt dies, schließt sich dem Leser jedoch eine der bemerkenswertesten Personen des 13. Jahrhunderts auf, die in einer Zeit des intellektuellen Aufbruchs gelebt und Alternativen erdacht hat, die erst im 17. Jahrhundert – freilich in einem ganz anderen historischen Kontext und auch mit anderen Zielsetzungen – durch die wissenschaftliche Revolution wieder eingeholt werden sollten. Das »Wissen in Weisheit« war sein Ziel, die mathematischen »neuen« Wissenschaften waren die heuristischen Mittel.

181  Vgl.

Ludwig Baur, Die Philosophie des Robert Grosseteste, ­ ischofs von Lincoln, Münster 1917, insbes. § 9, S. 76–84. B

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Hier im Compendium lesen wir im Weiteren leider nur von der ersten dieser »neuen Wissenschaften«, den Sprachen der Weisheit. b) Die Sprachen der Weisheit Im Compendium studii philosophiae finden wir die detaillierteste182 Behandlung der »Sprachen der Weisheit«, die jeder Weisheitssuchende nach Bacons Meinung kennen muss. Diese Sprachen sind Hebräisch, Chaldäisch, Griechisch und Arabisch.183 Die »Wissenschaft von den Sprachen der Weisheit« stellt für ihn die Grundlage jedes Studiums dar, da ohne ihre Kenntnis in den anderen Wissenschaften nichts erreicht werden könne. Der Grund hierfür liegt in Bacons genealogischem Sprachverständnis: Gott hatte den Propheten zu Anbeginn der Welt sämtliches Wissen offenbart, die Propheten haben es in ihren Sprachen (dem Hebräischen und Chaldäischen) aufgezeichnet. Dieses Wissen ist durch die Griechen an die Araber weitergegeben worden, weswegen sich die Lateiner nun darum bemühen müssten, diese Sprachen zu lernen, um das »Wissen in Weisheit« zurückzugewinnen.184 182  Weitere

Stellen im Werk Bacons zu den Sprachen: Summa Grammatica (= Opera hactenus inedita Rogeri Baconis, a. a. O., Bd. 15); Opus maius, a. a. O., Teil III, S. 66–96; Opus tertium, a. a. O., S. 88–102. 183  Vgl. § 83, S. 63. 184  Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 32: »So hat Gott seinen Heiligen die Philosophie zuerst geoffenbart, denen er auch sein Gesetz gegeben hat; denn die Philosophie ist dem Gesetz Gottes äußerst nützlich: Sowohl, um es zu verstehen, als auch, um es voranzubringen, es zu beweisen, zu verteidigen und auch auf viele andere Arten, wie es in den Werken, die ich schreibe, offensichtlich ist. Zuerst ist die Philosophie grundlegend und vollständig in hebräischer Sprache überliefert worden. Dann ist sie grundsätzlich von Aristoteles in griechischer Sprache erneuert worden und darauf von Avicenna auf Arabisch. Auf Lateinisch wurde sie jedoch nie abgefasst, sondern nur



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Bacon ist der Meinung, dass das Erlernen dieser Sprachen eigentlich nicht schwer sei, wenn man die Unterschiede zwischen den drei wesentlichen Stufen des Spracherwerbs beachte: Die erste Stufe besteht im Erlernen einer Sprache auf Muttersprachniveau, die zweiter Stufe in einer so profunden Kenntnis, dass man einen Text einer fremden Sprache in die eigene Sprache übersetzen kann, die dritte darin, dass man den Sinn eines Textes in einer fremden Sprache versteht. Laut Bacon würde das Erlernen der dritten Stufe für den Gebrauch der Lateiner vollkommen ausreichen, und diese Stufe sei auch leicht zu erreichen.185 Zumindest mache der Nutzen einer solchen Kenntnis die Mühen bei weitem wieder wett, zumal da in Europa eigentlich Lehrer für das Hebräische und Griechische vorhanden seien, die man nur um Unterricht bitten müsse.186 Bacon nennt im Compen­ dium dreizehn Gründe, die eine Kenntnis der »alten Sprachen der Weisheit« notwendig machen: 1. Alle Autoritäten und Weisen des Altertums haben in diesen Sprachen geschrieben, weshalb wir diese Sprachen kennen müssen, wenn wir sie als deren Nachfolger nachahmen wollen (§ 86). 2. Auch Bücher, die nicht in diesen Sprache verfasst sind, beziehen sich doch auf Texte in diesen Sprachen (§ 87). 3. In den lateinischsprachigen Büchern sind nicht alle fremdsprachigen Begriffe erklärt, weil die Autoren dachten, dass die Leser diese Sprachen beherrschen würden (§ 92). 4. Es ist die Aufgabe der Lateiner, Fehler in den Texten der Alten zu verbessern, wofür die Sprachenkenntnis der alten Sprachen notwendig ist (§ 94). aus anderen Sprachen übersetzt, wobei die wertvolleren Dinge nicht übersetzt worden sind. Und von den Wissenschaften, die übersetzt sind, ist nichts vollkommen.« (Übers. N. E.). 185  Vgl. § 83, S. 63. 186  Vgl. § 84, S. 64.

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 5. Auch das Lateinische ist aus den Wörtern der älteren Sprachen zusammengesetzt. Daher muss man diese Sprachen kennen, um auch die eigene Sprache zu verstehen (§ 98).  6. Dasselbe gilt für die Grammatik des Lateinischen ( §155).  7. Alle Texte der Theologie und der Philosophie sind in den alten Sprachen geschrieben worden, die Lateiner haben keine eigenen Texte geschrieben. Um die Weisheit der Vergangenheit kennenzulernen, muss man daher die Sprachen kennen, in denen sie überliefert worden ist (§§ 156–157).  8. Sprachen sind letztendlich nicht übersetzbar. Will man einen Text richtig verstehen, muss man ihn in der Originalsprache lesen (§ 158).  9. In den Wissenschaften sind die Wörter der jeweiligen Originalsprache erhalten geblieben. Jede Wissenschaft arbeitet mit bestimmten Begriffen, deren Bedeutung man nur kennen kann, wenn man die Begriffe in den jeweiligen Fremdsprachen kennt, aus denen sie entlehnt sind (§ 159). 10. Mitunter haben sich in die Wissenschaften jedoch auch zeitgenössische Wörter eingeschlichen. Um diese nicht falsch zu erklären, muss man sie von dem Vokabular der alten Sprachen unterscheiden können (§ 160). 11. Es gibt zahllose Fehler in den Übersetzungen der theologischen und philosophischen Werke, welche verbessert und berichtigt werden müssten (§ 161 ff.). 12. Die Übersetzungen, welche den Lateinern vorliegen, bilden nur einen Bruchteil der alten Texte. Weitere Übersetzungen wären daher dringend erforderlich. Für diese muss man aber die Sprachen kennen (§ 168). 13. Die Unkenntnis der Sprachen hat dazu geführt, dass die ganze Bibel verdorben ist. Dadurch ist der grundlegende Text für die Christenheit verfälscht worden. Für eine korrekte Wiederherstellung der Bibel und für eine richtige Bibelexegese ist eine Kenntnis der alten Sprachen (Griechisch und Hebräisch) notwendig (§ 171).



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Roger Bacon bleibt im Compendium jedoch nicht dabei stehen, die Gründe für das Studium der alten Sprachen zu nennen. Er versucht auch, dem Leser praktische Anweisungen zu geben, wie eine korrekte Ableitung von Wörtern aus dem Hebräischen und Griechischen möglich sein kann und welche Wörter im lateinischen Sprachgebrauch einen Ursprung in diesen beiden »älteren« Sprachen haben. Dafür erstellt er eine Liste von griechischen und hebräischen Wörtern, die zu lateinischen geworden sind, damit sie als solche identifiziert und ihre Bedeutung korrekt abgeleitet werden kann (§§ 99–121). Zudem gibt er auch allgemeine Regeln für eine korrekte Ableitung der fremdsprachigen Wörter an. Will man die Bedeutung dessen verstehen, muss man sich klar machen, dass man im Mittelalter eine deutlich andere Vorstellung von Sprache hatte als heutzutage. Es ist bspw. kein Zufall, dass die wichtigste Enzyklopädie des Mittelalters, diejenige des Isidor von Sevilla, den Titel Etymologiae sive origines trägt. Will man eine Sache verstehen – so der Gedanke – muss man die Be­ deutung des Wortes und seine Ableitung (Etymologie) kennen, welches diese Sache bezeichnet. Die Sprache ist sozusagen ein direktes Abbild der Wirklichkeit. Das geht soweit, dass man der Ansicht war, dass Sprache nicht nur abbildet, sondern – wählt man die richtigen Worte – auch die Wirklichkeit selbst verän­ dern kann (dies war auch eine Grundüberzeugung Bacons).187 Eine der wichtigsten Überzeugungen mittelalterlicher Lexikographen war es, die Bedeutung eines Wortes durch seine Form erklären zu können, was zu für unsere Begriffe teilweise äußerst bizarren und absurden Erklärungen führte.188 Roger Bacon nun schlägt einige Prinzipien vor, die von der damals gängigen Praxis deutlich abweichen: 187 

Vgl. Irène Rosier-Catach, »Roger Bacon und die Grammatik«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 101–142, S. 113–115. 188  Roger Bacon nennt in den §§ 123–152 zahlreiche solcher bizarren Etymologien.

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1. Eine frühere Sprache darf nicht durch eine spätere erklärt werden. Bacon verdeutlicht dies etwa an der fehlerhaften Ableitung des Wortes ›amen‹ durch die griechischen Morpheme ›a‹ [der griechische Verneinungspartikel] und ›mene‹ [Mangel, Fehler] durch Hugutio von Pisa. Diese Ableitung sei deshalb falsch, weil ›amen‹ kein griechisches, sondern ein hebräisches Wort sei, dass daher aus dem Hebräischen und nicht aus dem Griechischen erklärt werden müsse (§ 124). 2. Nicht allen lateinischen Wörtern darf eine Etymologie gegeben werden. Einige Wörter sind lateinischen Ursprungs, weshalb es falsch ist, sie von anderen Sprachen abzuleiten. Bacon verdeutlicht dies am Beispiel des lateinischen Wortes ›coelum‹ [Himmel], das nicht aus dem Griechischen von ›casa helios‹ [Haus Sonne] abgeleitet sei, da es sich hier um ein Wort lateinischen Ursprungs handele (§ 130). 3. Ableitungen müssen eine gewisse semantische Nähe zueinander aufweisen und dürfen nicht willkürlich aus den einzelnen Wortpartikeln geschlossen werden. Bacon exemplifiziert dies anhand des Beispiels des Namens ›Israel’, das durch Zerlegung der einzelnen Silben ›is‹ + ›ra‹ + ›el‹ als ›Mann, der Gott sieht‹ abgeleitet wurde. Dies ist jedoch falsch, was Bacon analog im Lateinischen durch das Wort ›Dominus‹ [Herr] verdeutlicht, dessen Silben ›Do‹ + ›minus‹ [ich gebe weniger] etwas ganz anderes bedeuten, als wenn das Wort zusammengeschrieben wird (§ 88). 4. Bei der Etymologie muss man auf die ursprüngliche Schreibweise eines Wortes achten und berücksichtigen, dass sich Schreibweisen mit der Zeit ändern (gerade zu Zeiten, in denen jeder Text per Hand von teilweise unfähigen Schreibern kopiert wurde, passierte so etwas ständig). Bacon nennt als Beispiel etwa die Verwechslung der griechischen Wörter ›kenon‹ [leer] und ›kainon‹ [neu], die in der Schreibweise ›cenon‹ fälschlich zusammengefasst wurden (§ 142).



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Der ganze zweite Teil des Compendium besteht in dem Versuch Bacons, Fehler zu korrigieren, die sich aus falschen Interpreta­ tionen von Wörtern aus dem Griechischen und Hebräischen ergeben. Dies tut er, indem er auf Betonungsfehler verschiedener Wörter hinweist, indem er semantische Ambiguitäten aufklärt und syntaktisch richtige Lesarten vorschlägt. In ihrer Länge haben diese Ausführungen Bacons vielleicht mitunter etwas Ermüdendes, man sollte aber versuchen, sich vor Augen zu führen, dass das Mittelalter in noch weit stärkerem Maße eine Buchkultur war als unsere Zeit: Wollte man etwas wissen, musste man sich auf Texte stützen, die nur durch Abschreiben reproduziert werden konnten. Bacon versucht hier, eine Methode der Text­ kritik zu entwickeln, welche die Grundlage für Bacons Reformprogramm der Wissenschaften bilden und die Standards für korrekte Übersetzungen bereitstellen sollte. Dies war in seiner Zeit in der Tat ein drängendes Anliegen, da fehlerhafte Übersetzungen auch nur zu häufig zu Fehlern in der Sache führten. Denn die Texte, die ins Abendland gelangt waren, hatten mitunter schon einen weiten Weg hinter sich: In der Spätantike waren sie aus dem Griechischen ins Syrische übersetzt worden, dann aus dem Syrischen ins Arabische, aus dem Arabischen in Südspanien in die dortige spanische Umgangssprache und erst dann ins Lateinische.189 Wenn man sich das vor Augen hält, ist es klar, dass der Text, der am Ende dieses langes Rezeptionsprozesses in Paris oder Oxford ankam, nicht mehr der Text sein konnte, der ursprünglich geschrieben worden war. Bacons Bemühen – 189 

Ein schönes Beispiel hierfür ist Dominicus Gundissalinus: Er hat in Toledo etwa 20 Übersetzungen mit Hilfe mozarabischer Gelehrter angefertigt, die des Arabischen mächtig waren. Diese haben aus dem Arabischen ins Kastilische übersetzt. Die kastilische Übersetzung hat Gundissalinus dann ins Lateinische gebracht. Oft waren die Texte aber ursprünglich auf Griechisch geschrieben worden. – Vgl. Dominicus Gundissalinus, De divisione philosophiae. Über die Einteilung der Philosophie, a. a. O., S. 10.

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ebenso wie das vieler seiner Zeitgenossen – ging daher dahin, diese Texte durch neue philologische Standards überhaupt wieder verstehbar zu machen.

5. Zu dieser Übersetzung Da das Compendium studii philosophiae nur in einer Handschrift aus dem 14. Jahrhundert überliefert ist und der lateinische Text in den Opera quaedam hactenus inedita in der Ausgabe John S. Brewers aus dem Jahr 1859 vorliegt, beschränkt sich diese Ausgabe auf die deutsche Übersetzung. Der lateinische Text des Compendium studii philosophiae ist in der Ausgabe Brewers digitalisiert und frei im Internet zugänglich. Die Übersetzung ist in Paragraphen [ ] eingeteilt.190 Um den Vergleich zwischen dem lateinischen Text und dieser Übersetzung zu erleichtern, habe ich jedoch die Kapiteleinteilung von Brewers Edition beibehalten. Die Seitenzahlen der lateinischen Edition werden im Kolumnentitel mitgeführt, Seitenübergänge sind mit senkrechten Trennstrichen | in der Übersetzung gekennzeichnet. Ich habe mich um eine freie und gut verständliche Übersetzung bemüht, in der ich für das Textverständnis wesentliche lateinische Begriffe häufig beibehalten habe. Ergänzungen von mir, die den Charakter von Verständnishilfen haben, stehen in eckigen Klammern. Da sich das Compendium über weite Strecken jedoch auf Eigenheiten des Griechischen und natürlich des Lateinischen bezieht, die in der Übersetzung nicht immer beibehalten werden können, empfehle ich dem Leser dieser Übersetzung, immer auch einen Blick auf den lateinischen Originaltext zu werfen. Dies dient zum einen der Korrektur möglicher Feh190 

In der Paragrapheneinteilung folge ich der lateinischen Bearbeitung von Thomas Maloney, die er mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Eine Neuedition des lateinischen Textes von Thomas Maloney mit einer englischen Übersetzung wird in Kürze erscheinen.



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ler, die einem Übersetzer (das wusste auch schon Roger Bacon) immer unterlaufen können, zum anderen auch dem besseren Nachvollzug der von Roger Bacon behandelten sprachlichen und grammatikalischen Probleme und Ausführungen. Ich möchte hier auch darauf hinweisen, dass die auf Griechisch geschriebenen Worte in der Übersetzung Interpolationen des Herausgebers John S. Brewer sind, die sich (bis auf zwei Ausnahmen, die ich angemerkt habe) nicht in der Handschrift finden. Da ich mich jedoch nach Brewers Ausgabe gerichtet habe, habe ich die Interpolationen beibehalten. Die Anmerkungen in der Übersetzung beschränken sich im Wesentlichen auf Nachweise der von Bacon benutzten Quellen, ich habe mich dabei jedoch auch bemüht, die entsprechenden Referenzen nicht nur anzugeben, sondern sowohl im Original als auch in einer deutschen Übersetzung zu zitieren. Wo möglich, habe ich mich auf bereits vorhandene deutsche Übersetzungen gestützt, wo es keine gab, habe ich sie selbst übersetzt. Bei den Anmerkungen, die Bibelzitate nachweisen, habe ich für den lateinischen Text die von Robert Weber besorgte Vulgatafassung191 und für die deutsche Übersetzung die revidierte Fassung der L ­ utherbibel von 1984192 verwendet. Der deutschen Übersetzung ist eine Inhaltsangabe vorangestellt, die den Inhalt der einzelnen Paragraphen kurz darstellt, um das Zurechtfinden innerhalb des Textes zu erleichtern.

191 

Vgl. Biblia Sacra. Iuxta vulgatam versionem, hg. v. Robert ­Weber, Stuttgart 41994. 192  Vgl. Die Bibel. (Lutherbibel – Standardausgabe). Revidierte Fassung 1984, hg. v. der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart 1985.

DA N KSAGU NG

Am Schluss bleibt all jenen Personen zu danken, die diese Übersetzung begleitet und unterstützt haben. Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Thomas Ricklin, der mich auf Roger Bacon aufmerksam gemacht hat und der mir auch seine französische Übersetzung des Compendium studii philoso­ phiae zur Verfügung gestellt hat, die mir für die deutsche Übersetzung eine große Hilfe war. Ebenso herzlich möchte ich auch Delphine Carron-Faivre danken, die ebenfalls an der französischen Übersetzung von Prof. Ricklin beteiligt war und die schon viele Anmerkungen eingefügt hatte, die mir bei der Erstellung meiner Anmerkungen sehr geholfen haben. Auch Dr. Heinrich C. Kuhn sei ganz herzlich gedankt, der mir stets mit Rat und Hilfe bei Übersetzungsfragen zur Seite gestanden hat. Ebenso wie Leonhard Maier, mit dem ich gemeinsam ein Seminar zu Roger Bacon geben konnte, was meinen Blick auf das Compendium erheblich erweitert hat. Zudem gilt mein Dank auch Dr. Christian Kaiser, der mir durch seine profunde Kenntnis der mittelalterlichen sowie der frühneuzeitlichen Philosophie nicht nur in Bezug auf Roger Bacon, sondern auch darüber hinaus stets eine große Hilfe war. Prof. Jeremiah Hackett und Prof. Thomas Maloney haben diese Übersetzung mit ihrer Unterstützung begleitet, wofür ihnen ganz herzlich gedankt sei. Insbesondere Prof. Maloney hat sich stets die freundliche Mühe gemacht, mich auf Ungenauigkeiten und Verbesserungswürdiges hinzuweisen, was mir eine große Hilfe war. Ebenso herzlich gedankt sei auch Prof. Kärin Nickelsen und allen Mitarbeitern des Historischen Seminars für Wissenschaftsgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, namentlich Dr. Fabian Krämer, Dr. Christian Joas und Dana von Suffrin, die mir in zahlreichen Gesprächen wertvolle



danksagung

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Hinweise für diese Übersetzung gegeben und mir immer wieder Mut zugesprochen haben. Ebenso wichtig für meine Arbeit waren auch die Gespräche und die zahlreichen Literaturhinweise von Dr. Daniel Di Liscia und Caterina Schürch, denen ich für ihre Geduld und Groß­ zügigkeit ganz besonders danken möchte. Schließlich möchte ich dem Meiner Verlag und seinem Lektor Marcel Simon-Gadhof dafür danken, dass sie diese kleine Schrift in das Programm des Verlages aufgenommen haben. Ebenso meinen Eltern, die mich mit ihrer Liebe stets auf meinem bisherigen Lebensweg begleitet haben und von denen ich weiß, dass ich mich immer auf sie verlassen kann, solange es die Zeit erlaubt. München, im September 2015



ROGER BACON

Kompendium für das Studium der Philosophie

Inhaltsübersicht des Compendium studii philosophi a e K apitel I, §§ 1–30 § 1 § 2

Vier Überlegungen bezüglich der Weisheit 1. Überlegung: Gründe für die Notwendigkeit, sich mit der Weisheit zu beschäftigen § 3 2. Überlegung: Was für die Vollständigkeit der Weisheit gebraucht wird § 4 3. Überlegung: Mit welcher Methode kann man die Weisheit erreichen? § 5 4. Überlegung: Welche Hindernisse stehen der Weisheit entgegen? § 6 Die Menschen unterlassen es, über diese vier Punkte nachzudenken § 7 Weitere Einteilung der ersten Überlegung in 4 weitere Unterarten §§ 8–9 Lob der Weisheit § 10 Schönheit und Nützlichkeit der Weisheit zeigt sich in fünf ­Bereichen: 1. im Studium § 11 2. In der Lenkung der Kirche § 12 3. Für die Gesellschaft § 13 4. Bekehrung der Ungläubigen § 14 5. Vernichtung derer, die nicht bekehrt werden wollen § 15 Verhältnis der Bereiche untereinander § 16 Unterteilung der Weisheit in praktische und spekulative Wissenschaften; Spekulativ: Grammatik, Logik, Naturphilosophie, Metaphysik, die fünf mathematischen Wissenschaften und viele weitere [Wissenschaften]. Praktisch: die vier mathematischen Wissenschaften, die im Ganzen [mit den ihnen untergeordneten Wissenschaften] neun sind, Alchemie, Medizin, Moralphilosophie, das weltliche Recht, die Theologie mit dem Kirchenrecht und viele andere [Wissenschaften] § 17 Richtige Methode für das Studium: Das Kleine vor dem Großen. Drei Arten des Wissenserwerbs: Autorität, Vernunft und Erfahrung; die Erfahrung spielt die wichtigste Rolle

4

Inhaltsübersicht

§ 18

Ein vierter Bereich muss erörtert werden: die Hindernisse gegenüber der Weisheit; Klage über die große Unwissenheit und das bloße Scheinen der Weisheit zu seiner Zeit. Ziel: Reformierung des Studiums, damit die jungen Menschen etwas lernen können § 19 Allgemeine Verschlechterung, Römische Kurie: Habsucht und Neid regieren, es gibt zur Zeit keinen Papst § 20 Kritik an Prälaten und falschen Rechtsgelehrten § 21 Kritik an den Orden § 22 Kritik am ganzen Klerus: Hochmut, Genusssucht, Geiz; Prinzen und Barone unterdrücken sich gegenseitig, das Volk ist in Aufruhr §§ 23–24 Weitere Auswirkung der Verdorbenheit: Das Sakrament wird nicht mehr beachtet, der Glaube geht verloren § 25 Dritte Auswirkung der Verdorbenheit zeigt sich im Vergleich mit den antiken Philosophen, die wir wegen mangelnder Sittlichkeit nicht verstehen können § 26 Seit vierzig Jahren gibt es diese Verschlechterung; Schuld daran ist die schlechte Organisation des Studiums § 27 Chiliastische Züge: Die Prophezeiungen und alle Weisen sind der Meinung, dass das Ende der Welt nahe ist §§ 28–30 Die Strafe Gottes wird kommen (Beispiel der Israeliten). Die Kirche und der weltliche Adel muss rasch geläutert und gesäubert werden, entweder durch einen herausragenden Papst oder einen weltlichen Fürsten, denn die Zeit des Antichrist ist nahe K apitel II, §§ 31–49 § 31 § 32

Aufgrund der zahlreichen Irrtümer müssen die Hindernisse gegenüber der Weisheit im Detail betrachtet werden Es gibt natürliche und künstliche Hindernisse; von Geburt an ist der Mensch voller Irrtümer und Fehler, die durch eine richtige Erziehung ausgeglichen werden müssen; doch wegen der langen Gewöhnung an den Irrtum widersetzen wir uns der Weisheit; dafür verantwortlich ist die Erbsünde als natürliches Hindernis



Inhaltsübersicht

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§ 33

Wir müssen über dieses natürliche Hindernis voller Gram sein, weil es uns von der richtigen Vernunfterkenntnis abhält § 34 Daneben gibt es noch viele individuelle Sünden, die uns von unserem richtigen Zustand abbringen § 35 Drei Seelenteile: Vernunft, Wille, zornmütiges Vermögen. Alle diese Vermögen sind in Bacons Zeit durch den Irrtum entstellt und können nicht mehr ihre eigentlichen Tätigkeiten ausführen § 36 Es ist nur Gottes Barmherzigkeit zu verdanken, dass wir nicht alle durch die Hölle verschlungen werden. Ziel muss die Läuterung der Seele sein, vorher ist ein Fortschritt in den Wissenschaften nicht möglich § 37 Darstellung der einzelnen Sünden: 1. Hochmut §§ 38–39 2. Zorn § 40 3. Geiz § 41 4. Faulheit §§ 42–45 5. Genusssucht § 46 Die Genusssucht ist die schlimmste Sünde, aus der alle anderen Sünden resultieren § 47 In vorgerücktem Alter, wenn die Genusssucht nachlässt, erblühen die geistigen Sünden: Ehrsucht, Begierde, Geiz §§ 48–49 Diese Sünden schädigen das zornmütige Vermögen, weshalb niemand zu Bacons Zeit in der Weisheit Fortschritte machen kann K apitel III, §§ 50–56 In dem die vier verderblichen Ursachen für den menschlichen Irrtum betrachtet werden § 50

Neben der Erbsünde und den individuellen Sünden gibt es vier Gründe für den Irrtum: 1. die unwürdigen und brüchigen Vorbilder der Autorität, 2. die Sinne der unerfahrenen Menge, 3. die lange Dauer der Gewohnheit; 4. den Starrsinn der menschlichen Seele, die alles zurückweist, was sie nicht kennt, um sich über ihre eigene Unwissenheit zu trösten

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§ 51 Kritik an der Gewohnheit § 52 Kritik an der Meinung der Menge §§ 53–54 Diese drei Gründe hindern uns mehr als alles andere am Erfassen der Weisheit § 55 Kritik am vierten Grund: Vortäuschung von Weisheit, wo keine ist § 56 Wegen dieser vier Gründe sind alle unwissend K apitel IV, §§ 57–68 In dem zwei weitere Hindernisse betrachtet werden § 57

Bacon möchte nun die Gründe anführen, die diesen Irrtümern seit vierzig Jahren zugrunde liegen. Erstens: Missbrauch des zivilen Rechts in Italien § 58 Die falschen Juristen ziehen die gesamten Geldmittel ab, sodass die Philosophie und die Theologie nicht mehr gefördert werden § 59 Vermischung zwischen Klerikern und Laien; auch die Kleriker üben das Zivilrecht aus, auch wenn dies nicht ihre Aufgabe sein sollte § 60 Vielfalt der verschiedenen Gesetze; jedes Königreich hat seine eigenen, woraus Verwirrung und Unübersichtlichkeit resultieren § 61 Kleriker sollten nicht das italienische Recht ausüben, da es eine bloß mechanische Kunst ist § 62 Die Kleriker hätten sich auf die Philosophie und die Gesetze der Philosophen konzentrieren sollen § 63 Die Gesetze richten sich auch nach den Planetenkonstellationen §§ 64–67 Man muss auf Aristoteles hören, da er zur Gesetzgebung alles gesagt hat; und dies ist auch im Einklang mit dem christlichen Glauben § 68 Die philosophischen Gesetze entsprechen den Klerikern, nicht die weltliche Gesetzgebung



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K apitel V, §§ 69–80 In dem das zweite der beiden Hindernisse betrachtet wird, von denen zu Beginn des vierten Kapitels gesprochen worden ist § 69

Das zweite Hindernis sind die neuen Bettelorden (Franziskaner und Dominikaner) an den Universitäten §§ 70–71 Sie haben nicht die nötige Ausbildung, da sie jung in den Orden eintreten; sie beherrschen weder die Grundlagen (die artes) noch die Sprachen (Griechisch und Hebräisch), Beispiele: Albertus Magnus und Thomas von Aquin; sie sind überall zu finden und beherrschen den Studienbetrieb § 72 Problem: Die Orden haben einen Anschein von Heiligkeit und predigen § 73 Die Orden übernehmen Aufgaben, deren Verteilung eigentlich der Kirche und ihren Vertetern zukommt § 74 Die weltlichen Lehrer haben seit vierzig Jahren die Studien vernachlässigt und so den Orden an den Universitäten das Feld überlassen. Ausnahmen: Robert Grosseteste, Thomas von Wales, Adam Marsh, Wilhelm der Wolf, Wilhelm von Sherwood § 75 Streit an den Universitäten; Konflikt zwischen weltlichen Magistern und Vertretern der Orden § 76 Kritik an den weltlichen Lehrern der Universität § 77 Zweifache Vollkommenheit: Die eine besteht in der Ausübung der Herrschaft, die andere ist geistiger Natur; die Prälaten haben zwar die erste Vollkommenheit, aber wahrscheinlich nicht die zweite. §§ 78–79 Die Kleriker sind im Gegensatz zur oströmischen Kirche eigentlich an Gelübde gebunden, die sie aber nicht beachten § 80 Es gibt Ausnahmen: Beispiel Robert Grosseteste; aber im Allgemeinen sind die Zustände so vedorben, dass die Theologie nicht richtig gelernt werden kann

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K apitel VI, §§ 81–120 In dem die einzelnen und inneren Hindernisse für das Studium behandelt werden § 81

Nun werden die Irrtümer in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen besprochen; Roger Bacon möchte sie anhand von fünf ausgewählten Wissenschaften verdeut­ lichen, die im Studium vernachlässigt werden § 82 Diesen Wissenschaften sind: Die Sprachen der Weisheit, die Mathematik, die Perspektivik, die Alchemie und die Erfahrungswissenschaft; ohne diese vernachlässigten Wissenschaften läßt sich im Studium nichts erreichen; diese Wissenschaften bilden Bacons Reformprogramm § 83 Bacon beginnt mit der ersten Wissenschaft: Die Sprachen der Weisheit: Hebräisch, Griechisch, Chaldäisch, Arabisch; Es gibt drei Stufen der Sprachbeherrschung: 1. Sprach­ beherrschung wie unsere Muttersprache; 2. So gut, dass man von einer Sprache in eine andere übersetzen kann; 3. Sinn verstehen § 84 Es gibt genügend Hebräer und Griechen in Europa, die diese Sprachen lehren könnten, doch die Lateiner haben kein Interesse; Ausnahme: Robert Grosseteste § 85 Gründe für die Notwendigkeit des Spracherwerbs: Ohne diese Sprachen kann man in der Weisheit keine Fortschritte machen; Bacon wird nun spezifischere Gründe nennen § 86 Erster Grund: Alle Heiligen und Philosophen kannten diese Sprachen und haben mit ihnen gearbeitet; die Lateiner als deren Nachfahren müssen sie nachahmen § 87 Zweiter Grund: Wenn wir ihr Wissen kennen lernen wollen, müssen wir die Sprachen lernen, in denen dieses Wissen überliefert ist §§ 88–90 Erstes Beispiel: ›Vir videns Deum‹ aus dem Hebräischen bei Hieronymus und Flavius Josephus § 91 Zweites Beispiel: Der Name des Tiers aus dem dreizehnten Kapitel der Apokalypse bei Beda aus dem Griechischen §§ 92–93 Dritter Grund: In den überlieferten Texten sind nicht alle Begriffe erklärt, weil die Alten dachten, dass auch ihre

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Nachfolger die Sprachen verstehen würden; Beispiel: Hie­ ronymus, Prolog zu Daniel, Verwechslung von Jeremias und den Klageliedern, weil der Unterschied zwischen Hebrä­isch und Chaldäisch nicht bekannt ist § 94 Vierter Grund: Mitunter müssen die alten Autoritäten auch berichtigt werden, was nur möglich ist, wenn man diese Sprachen beherrscht § 95 Beispiele Hieronymus und Augustinus; Bemerkungen von Seneca und Aristoteles; Bacons Ansicht, dass das Wissen der Antike noch verbessert werden kann §§ 96–97 Weiteres Beispiel: Gregor der Große und ›cornus tibii‹; allgemeine Bemerkung, dass die Schriften der Alten durch das Sprachenstudium noch verbessert werden könnten § 98 Ein weiterer [fünfter] Grund für das Sprachenstudium: Latein ist aus hebräischen und griechischen Wörtern zusammengesetzt; im Folgenden listet Bacon einige Wörter aus dem Griechischen auf, die im Lateinischen gebräuchlich waren §§ 99–119 Auflistung griechischer Wörter in der lateinischen »Alltagssprache« § 120 Auflistung griechischer Wörter in der lateinischen Wissenschaftssprache K apitel VII, §§ 121–152 § 121

Vorstellung einiger hebräischer Wörter, die in der Bibel vorkommen § 122 Arabische und chaldäische Wörter lässt Bacon aus; Irr­ tümer in den Etymologien, Gründe: Erstens: Verwechslung der Wörter in verschiedenen Sprachen; Zweitens: Falsche Etymologien; Drittens: Falsche Aussprache und Schreibweise der Wörter; Kritik an den damals bekanntesten Etymologisten: Papias, Hugutio [von Pisa] und Briton §§ 123–129 Kritik an Papias, Hugutio und Briton: Sie bilden falsche Etymologien, weil sie weder Griechisch noch Hebräisch konnten; zudem irren sie sich darin, dass sie das Lateini-

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sche für die Etymologie für sicherer halten als das Griechische und das Hebräische, da sie nicht beachten, dass eine spätere Sprache (Latein) von den früheren Sprachen (Hebräisch und Griechisch) abgeleitet werden muss, nicht umgekehrt; zahlreiche Beispiele werden angeführt § 130 Dieselben Fehler passieren den genannten Autoren mitunter auch bei rein lateinischen Wörtern, von denen sie irrtümlich annehmen, sie würden aus anderen Sprachen abgeleitet werden §§ 131–133 Weitere Beispiele für falsche Etymologien § 134 Mitunter bleiben die ursprünglichen Bedeutungen zwar erhalten, dennoch werden die Wörter des Griechischen und Hebräischen falsch geschrieben § 135 Beispiel: ›Orichalchum‹-›auricalcum‹ [Messing] § 136–141 Beispiel: ›Ptisana‹ [Graupensuppe] §§ 142–143 Weitere Beispiele: ›Cenobium‹ [Kloster], ›cenodoxia‹ [wertloser Ruhm], ›encaenia‹ [Widmung, Einweihung], ›cinomia‹ [Fliege], ›scenophagia‹ [Laubhüttenfest] §§ 144–147 Weitere Beispiele: ›nummus‹ [Münze] und ›nomisma‹ [Geldstück] § 148 Weiteres Beispiel: ›idiota‹ [Unwissender, Laie]; scharfe Kritik an Hugutio und Briton § 149 Weitere Fehler bei Hugutio und Briton bei den Ableitungen von Steinen und Stoffen §§ 150–152 Weitere falsche Ableitungen und falsche Betonungen durch Hugutio und Briton, weil sie Latein mit dem Griechischen verwechseln K apitel VIII, §§ 153–206 § 153

§ 154

Nachdem Bacon sich länger bei dem fünften Grund [Latein ist aus griechischen und hebräischen Wörtern zusammengesetzt] für die Notwendigkeit des Sprachenstudiums aufgehalten hat, möchte er nun weitere Gründe anführen Bacon nennt noch einmal die schon unter §§ 86–94 angeführten weiteren vier Gründe für das Sprachenstudium



§ 155

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Sechster Grund: Die lateinische Grammatik beruht auf den Grammatiken der älteren Sprachen §§ 156–157 Siebenter Grund: Alle wichtigen Texte in der Philosophie und in der Theologie sind auf Griechisch oder Hebräisch geschrieben worden, weshalb die Lateiner diese Sprachen lernen müssen, um die alten Texte zu verstehen § 158 Achter Grund: Die Unübersetzbarkeit der Sprachen; wenn man einen Text in seiner Schönheit kennenlernen und verstehen will, muss man ihn in der Originalsprache lesen § 159 Neunter Grund: Auch in den lateinischen Texten sämt­ licher Wissenschaften sind noch die Wörter [Fachtermini etc.] aus den älteren Sprachen erhalten geblieben; man kann keine Wissenschaft betreiben, wenn man die Begriffe nicht versteht, die in ihr vorkommen § 160 Persönliches Beispiel von Bacon: In einer Vorlesung über Aristoteles Buch Über die Pflanzen hat er eine Passage über das Bilsenkraut vorgelesen, woraufhin die spanischen Schüler ihn ausgelacht haben, weil das Wort in der Übersetzung spanisch war § 161–165 Kritik an den lateinischen Übersetzungen der Werke des Aristoteles: Sie seien alle nichts wert, weil die Übersetzer die Sprachen zu schlecht verstünden § 166 Auch die Weisen des Altertums haben sich mitunter bei den Übersetzungen geirrt (Beispiel Hieronymus), es ist die Aufgabe der Zeitgenossen, sie zu verbessern § 167 Viele Fehler treten auch in den Übersetzungen philosophischer Werke auf; Kritik an Gerhard von Cremona, Michael Scotus, Alfred von Sarashel, Hermann dem Deutschen und Wilhelm von Moerbeke, da sie die Anforderungen eines guten Übersetzers nicht erfüllen. Dieser muss die Sprache kennen, aus der er übersetzt, die Sprache, in die er übersetzt und das Fachgebiet, von dem ein Text handelt; die einzigen Ausnahmen: Boethius und Robert Grosseteste § 168 Beispiel des Mondregenbogens aus der Meteorologia des Aristoteles

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§ 169

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Gute Übersetzungen wären jedoch notwendig, da bei den Lateinern ein Mangel an philosophischen Werken herrscht (Beispiel auch hier wieder Aristoteles) § 170 Auch Bücher der Bibel und Werke vieler Kirchenväter fehlen zu großen Teilen § 171 Dreizehnter Grund: Die Unkenntnis der Sprachen hat mit der Zeit dazu geführt, dass die ganze Bibel verdorben und fehlerhaft ist § 172 Ebenso sind die alten Sprachen für die korrekte Bibel­ exegese notwendig: § 173 Erstens: Für die richtige Betonung und Aussprache der Wörter § 174 Zweitens: Mehrdeutigkeit bestimmter Wörter in der lateinischen Übersetzung (hier muss man auf die jeweiligen Originalsprachen zurückgehen) § 175 Drittens: Die verschiedenen Funktionen der Satzteile (also Mehrdeutigkeiten bei ganzen Sätzen) § 176 Viertens: Einzelne Wörter können auch ganze Sätze bilden, auch hier können Mehrdeutigkeiten auftreten, bei denen man auf die Originalsprachen rekurrieren muss § 177 Fünftens: Man kann bei vielen Wörtern in der Bibel nicht wissen, ob sie so im Original standen oder ob es sich um spätere Interpolationen von Interpreten handelt §§ 178–179 Sechstens: Unterteilung von Sätzen durch Interpunk­ tionszeichen § 180 Siebentens: Eigennamen §§ 181–187 Erstes Beispiel: ›chirogrillus‹ [Klippschiefer] §§ 188–191 Zweites Beispiel: ›nycticorax‹ [Nachtrabe] §§ 192–193 Drittes Beispiel: ›onocrotalus‹ [Pelikan] §§ 194–206 Viertes Beispiel: Die hebräischen Monatsnamen in der Bibel



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K apitel IX, §§ 207–226 § 207

§ 208 §§ 209–216 § 217 § 218 § 219 §§ 220–221 §§ 222–223 §§ 224–226

Bacon beginnt nachdem er die allgemeinen Gründe dafür genannt hat, aus denen man Hebräisch, Griechisch und Arabisch können sollte, mit dem griechischen Alphabet Buchstabe ›Y‹ Beschreibung der griechischen Vokale Beschreibung der griechischen Konsonanten Die Lateiner haben 19 Buchstaben, die Griechen 18 Beschreibung der lateinischen Halbvokale Beschreibung der griechischen Halbvokale Beschreibung der griechischen schwachen Buchstaben Beschreibung der Aussprache von bestimmten Buchstabenfolgen im Griechischen K apitel X, §§ 227–231

§§ 227–231 Beschreibung der griechischen Diphtonge K apitel XI, §§ 232–259 §§ 232–233 Bacon geht nun zur griechischen Silbenbildung über §§ 234–259 Beschreibung der griechischen Akzente und der Aussprache im Griechischen K apitel XII, §§ 260–261 §§ 260–261 Beschreibung der Abkürzungen beim Schreiben des Griechischen – [ hier bricht der Text ab ]

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Kapitel I [1]

Man muss bezüglich der Weisheit vier Überlegungen anstellen, die ich jetzt einführend in der Form eines Handbuchs behandeln möchte, damit man die äußerst wichtige Möglichkeit an die Hand bekommt, die einzelnen Dinge in ihrer Besonderheit und in der ihnen eigenen Disziplin zu erklären. [2] Die erste [Überlegung] in der Reihenfolge neben den drei anderen besteht in der Betrachtung der Ursachen und Gründe dafür, dass sich jeder Mensch – und dies zu tun ist eine Notwendigkeit für ihn – für die Weisheit frei machen muss. Das betrifft sowohl die [theoretische] Betrachtung [der Weisheit] als auch die praktische Umsetzung und den Gebrauch derselben, um sich selbst und die anderen [Menschen] zu leiten. [3] Die zweite [Überlegung] besteht darin, dass der Weisheits­suchende wissen muss, was für ihre Vollständigkeit und für ihre Reinheit notwendig ist, damit er nicht durch oberflächliche Eitelkeit verwirrt wird, die ihn vom Körper der Weisheit trennt und ermatten lässt. [4] Die dritte [Überlegung] besteht darin, dass derjenige, der mit der Weisheit handelt, die Arten und Wege kennenlerne, auf denen er sie in der praktischen Ausführung und in der Wissenschaft suchen, [in ihr] fortschreiten und [sich in ihr] vollenden kann. Denn es gibt [bei der Behandlung] von allen Dingen eine bestimmte Methode; und wer [diese Methode] nicht kennt, kann niemals an das Ziel gelangen, das irgendeiner Sache gemäß ist. [5] Die vierte [Überlegung] besteht darin, dass man klug auf die Hindernisse achtet, die der Weisheit entgegenstehen und dass man [diese Hindernisse] durch ausgesuchte Heilmittel wirkungsvoll vermeidet. |

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Menschen unterlassen es jedoch, diese vier Überlegungen anzustellen und wollen [lieber] ohne sie die Wege der Weisheit voranschreiten. Sie glauben nämlich irrtümlich, die großen Werke [der Weisheit] zu entdecken, ohne sich über diese vier Punkte durch Worte oder Bücher belehren lassen zu müssen, weswegen fast kein Mensch zu irgendeiner Würdigkeit in der Weisheit gelangt. Daher müssen wir mit der Betrachtung dieser vier Überlegungen beginnen. [7] Die Ursachen und [Vernunft-]Gründe der ersten der vier [Überlegungen] werden in ihrer Gesamtheit durch vier [Unterscheidungen] klar, da es einen fortdauernden natürlichen Hang des Menschen zur Weisheit gibt. Denn alle Menschen »streben von Natur aus nach Wissen«, wie Aristoteles zu Beginn seiner Meta­ physik1 sagt. Dieses [Streben] unterscheidet den Menschen von den Tieren durch einen natürlichen Unterschied. [8] Die Weisheit hat von Natur aus eine unaussprechliche Schönheit an sich, die unsere Seelen gewinnt und emporhebt. Ihre Nützlichkeit und ihre unbeschreibliche Natur drängen uns zu ihrer Liebe. Ihre Herrlichkeit und ihre Würde treiben uns durch eine unendliche Kraft dazu, ihren Spuren zu folgen, so wie im Gegenteil die Unkenntnis [der Weisheit] den vernünftigen Lebewesen, d. h. den Menschen, nicht natürlich ist, weil alle Unkenntnis von der Vernunft abirrt und weil die Hässlichkeit des Irrtums des­wegen abscheulich ist. Ihre [durch uns verschuldete] Unfruchtbarkeit ist für uns unnütz, schädlich und verwickelt uns in viele Gefahren. Zudem rauben ihre Geringschätzung und ihre Erniedrigung den Menschen alle Kraft und Ehre. Sie zerstören die Würde des menschlichen Geschlechts insgesamt. Denn alles, was dem Menschen natürlich ist, alles, was ihn schmückt, alles, was ihm nützlich ist, alles, was herrlich ist, sei es in dieser Materie oder in einer anderen, alles das kann durch die Weisheit erreicht werden. Wer ihre Lehren nicht befolgt, ist von den Wegen der Weisheit äußerst wirksam und mit aller Macht ausge­ schlossen.

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Kapitel I

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Weiterhin hat die Weisheit eine so große Kraft an sich, dass die törichten Menschen und diejenigen, die ein unverständiges Herz haben, wenn sie danach streben, die vier obengenannten Gaben der Weisheit auf Wegen zu erlangen, die ihr eigentlich entgegengesetzt sind, dennoch unter ihrem Anschein, ihrem Vorwand  | und ihrer Erscheinung voranschreiten. Sie verbergen nämlich unter dem Schatten und der Gestalt [der Weisheit] alles, dem sie [eigentlich] folgen, weil sie zumindest so scheinen und vorgeben wollen, weise zu handeln. [10] Die Schönheit, die Nützlichkeit und die Herrlichkeit [der Weisheit] erstrahlen vor allem in fünf [Bereichen]. [Erstens] in dem Ausmaß, in dem man sich im Studium austauscht, durch die nützliche und großartige Beschäftigung mit den Studien der Lehrer und durch die Lektüre und die Diskussionen an jeder Fakultät und überhaupt durch alle Übungen an den Schulen. [11] Zweitens [erstrahlen sie] in der Art und Weise, in der die Weisheit an der Kirche Gottes Anteil hat, sie ordnet, vorantreibt und sie zu allen geistlichen Zielen lenkt, damit die Gläubigen den Lohn der zukünftigen Glückseligkeit erhalten. [12] Drittens [erstrahlen sie darin], dass die Gemeinschaft der Gläubigen mit allen zeitlichen Gütern versorgt ist und dass alle nützlichen Dinge für die Einzelnen und für die Gesamtheit bereitgestellt werden. Das betrifft sowohl die Dinge, welche die Gesundheit des Körpers betreffen, als auch die Dinge, die für die wundersame Verlängerung des Lebens sorgen. Ebenso wie die sonstigen Güter des Glückes, der [guten] Sitten, der Besonnenheit, des Friedens und der Gerechtigkeit; und dass das Gegenteil [dieser Güter] mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen wird. [13] Viertens [erstrahlen sie darin], dass alle Länder der Ungläubigen, die zum ewigen Leben vorherbestimmt sind, durch die große Wirksamkeit und den Ruhm des christlichen Glaubens bekehrt werden können. [14] Fünftens [erstrahlen sie darin], dass diejenigen, die nicht bekehrt werden können und die für die Hölle vorherbestimmt sind,

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viel eher durch die Wege und die Werke der Weisheit zurückgedrängt werden als durch weltliche Kriegshandlungen. Denn an allen Kriegen, die sowohl jenseits wie auch diesseits des Meeres [geführt werden], können wir sehen, dass alles, was durch die Rohheit der Laien aufgebläht wird, höchstens durch Zufall eine Wirkung hat. Die Werke der Weisheit dagegen sind durch ein sicheres Gesetz geschützt und werden [immer] wirksam ihrem zweckmäßigen Ziel zugelenkt. Deshalb haben auch die Herrscher der Antike [die Weisheit] durch die weisen Philosophen umsetzen lassen. Denn wir lesen, dass Alexander der Große durch den Rat und die Weisheit des Aristoteles während der ersten zwei Expeditionen gegen die Könige des Orients 1.000.000 Mann nicht nur geschlagen, sondern vollständig vernichtet hat, obwohl er in seinem Heer nicht mehr als 33.000 Fußsoldaten und 4500 Berittene hatte. | Er hatte also nur einen Mann gegen sechsundzwanzig. Dennoch verlor er nicht mehr als 409 seiner Soldaten, wie man aus der Lektüre von Pompeius Trogus2 , Titus Livius3 , Justinus 4 und Orosius in dessen Buch, das Augustinus gewidmet ist 5, entnehmen kann. Doch mehr dazu an seinem angemessenen Platz. [15] Aber ebenso, wie in diesen fünf Bereichen unendlich viele Gründe und Ursachen liegen, durch die das menschliche Herz zur vollkommenen Liebe zur Weisheit hingezogen wird, wie zu Beginn gesagt worden ist; genauso besteht die Weisheit in der Vollständigkeit dieser Bereiche selbst, da sie alle in ihrer Gesamtheit für die Vervollständigung der Weisheit benötigt werden. Denn entweder betrachten wir den Glanz der Weisheit im Studium oder wir erfahren ihre Stärken in den Handlungen, indem wir sie für die Kirche und in den drei anderen Bereichen anwenden. Doch die vollkommene Aneignung der Weisheit im Studium übertrifft natürlicherweise die Erfahrung ihrer Nützlichkeit in der Verwaltung der Kirche und in den anderen drei [Bereichen]. Darüber hinaus wird jedoch der vorhergehende Erwerb der Weisheit durch die Übungen des Studiums noch durch die praktische Anwendung ihrer Nützlichkeit in den Werken der Kirche und den an-

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deren drei Bereichen vergrößert und verfeinert. Wer sich daher vollkommen und absolut der Weisheit widmen will, muss sie in diesen fünf Bereichen aufspüren. Zu bedenken ist hierbei aber dennoch, dass die größte Kraft der Weisheit sich vor allem im Studium zeigt. Dies ist folgendermaßen gemeint: Auch wenn in der Kirche und den anderen [Bereichen] die nützlichen Dinge [aus der Weisheit] entstehen, wird doch erst durch das Studium gewusst und gelernt, wie und auf welche Weise sie entstehen [können]. [16] Daher hat das Studium der Weisheit zwei Seiten: Die eine Seite ist spekulativ, die andere Seite ist praktisch und ausführend. Die erste behandelt diejenigen Wissenschaften, die ausschließlich in der Betrachtung der Wahrheit bestehen. Die andere Seite behandelt diejenigen Wissenschaften, welche ihre Wurzeln in den Handlungen haben. Die Grammatik, die Logik, die Naturphilosophie, die allgemein bekannte Metaphysik, die fünf mathematischen Wissenschaften und viele weitere [Wissenschaften] sind spekulativ, da ihre Wahrheiten sich nicht auf Handlungen erstrecken. Demgegenüber sind die vier mathematischen Wissenschaften, die im Ganzen [mit den ihnen untergeordneten Wissenschaften] neun sind, die Alchemie, die Medizin, die Moralphilosophie, zu der ich auch das weltliche Recht zähle, die Theologie mit dem Kirchenrecht und viele andere [Wissenschaften] Teil der praktischen | Philosophie, weil sie ausführend und auf die Handlungen bezogen sind. Sie beschäftigen sich mit den nützlichen Werken für die Kirche, für die öffentliche Gemeinschaft und für die gesamte Welt; daher werden sie ganz von sich aus praktische Wissenschaften genannt. Diejenigen Wissenschaften, welche die Werke der Tugend und der Sünde, der Strafe und des Ruhmes betrachten, sind die Theologie mit dem Kirchenrecht und die Moralphilosophie mit dem weltlichen Recht. Alle anderen werden im Vergleich mit ihnen als spekulative Wissenschaften bezeichnet, denn die wichtigsten Handlungen für die Menschen sind solche, die sie zum ewigen Leben führen und die sie von der Hölle fernhalten.

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Doch für alles Wissen muss man die beste Methode kennen. Denn Aristoteles will im zweiten Buch seiner Metaphysik6 , dass die richtige Methode des Wissenserwerbs gesucht wird, bevor der Mensch das Wissen [ohne die richtige Methode] lernt oder es für sich allein befragt. Denn er sagt [dort], es sei schlecht, gleichzeitig nach einer Wissenschaft und nach der Methode des Wissens zu fragen, da man zuerst nach der [richtigen] Methode fragen muss, um dann mit Erfolg zur Wissenschaft zu schreiten.7 Wenn man nicht so verfährt, gleicht man demjenigen, der die Kranken heilen will, ohne vorher den Weg zur Heilung zu kennen, wie auch Averroes, der Kommentator des Aristoteles, sehr elegant betont. Denn die [richtige] Methode besteht offensichtlich darin, in der Unterweisung die ersten Dinge vor den folgenden kennenzulernen; die leichteren vor den schwierigeren; die allgemeinen vor den besonderen; und die kleineren vor den größeren. Darüber hinaus sollte man sich beim Lernen mit ausgewählten und nützlichen [Gebieten] beschäftigen, weil das Leben kurz ist. Und die Weisheit muss mit Sicherheit und ohne Zweifel, klar und ohne Verdunkelung weitergegeben werden, was ohne Erfahrung unmöglich zu erreichen ist. Wir wissen nämlich auf drei Arten: durch die Autorität, durch die Vernunft und durch die Erfahrung. Doch die Autorität weiß nichts über die Vernunft, wenn sie ihr [vorher] nicht gegeben worden ist, und sie gibt einem keine Einsicht, sondern einen Glauben: Denn wir glauben zwar an eine Autorität, aber wir gelangen durch sie nicht zum Verstehen. Zudem kann die Vernunft allein nicht wissen, ob dieser Schluss oder jene Beweisführung [wahr sind], wenn wir sie nicht durch tätige Erfahrung überprüfen, wie ich weiter unten anhand der Erfahrungswissenschaften zeigen werde. 8 Denn diese Methode nützt dem Studium der Weisheit [ohne die Erfahrung] nichts, außer vielleicht sehr Weniges | und Unwürdiges, wie weiter unten gezeigt werden wird. Aus diesem Grund sind die Wunder und Geheimnisse der Weisheit in dieser Zeit auch der breiten Masse der Studierenden vollkommen unbekannt.

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Da der Mensch jedoch eigentlich für die Wunder der Weisheit geboren worden ist, sollte es ihm leicht möglich sein, seine Kenntnisse auf alle Bereiche der Weisheit auszudehnen, wenn er die richtige Methode kennt und die Hindernisse vermeidet. Daher muss man noch einen vierten Bereich erörtern, d. h. man muss über die Hindernisse gegenüber der Weisheit sowohl in ihrem Wesen als auch in der Methode sprechen, damit allen, die jung und vielleicht noch unverständig sind, die Heilmittel leichter offenkundig werden. So können sie wirksam gemäß den fünf bereits genannten Bereichen zur Vollendung der Weisheit gelangen. Da wir aber diese Hindernisse von Jugend an nicht bedenken, sondern sie allesamt vernachlässigen, fallen wir in unzählige Fehler und können den Nutzen der Weisheit weder in der Kirche noch in den anderen bereits genannten drei Bereichen erfahren. Denn diese Hindernisse bringen es mit sich, dass es den Menschen so scheint, als stünden sie in der höchsten Gnade der Weisheit, sodass es seit den letzten vierzig Jahren niemals einen so großen Anschein der Weisheit gab noch eine so große Betriebsamkeit in den Studien in allen Bereichen und in allen Regionen wie heutzutage. Denn seit ungefähr vierzig Jahren sind die Doktoren, besonders die Doktoren der Theologie, überall verstreut, man findet sie in jeder Stadt, in jeder Burg und in jeder Gemeinde, besonders bei den zwei Studentenorden 9. Niemals zuvor gab es eine so große Unwissenheit und so viele Irrtümer, wie ich später in dieser Abhandlung zeigen werde und wie es schon jetzt anhand der Tatsachen ersichtlich ist. Denn es regieren mehr Sünden in unserer Zeit als in irgendeinem vorhergehenden Zeitalter. Aber die Sünde kann nicht mit der Weisheit einhergehen. [19] Wenn wir auf den Zustand der Welt schauen und sorgfältig über ihn nachdenken, sehen wir überall eine unendliche Verschlechterung, die sich ganz besonders bei ihrem Haupt zeigt. Denn die römische Kurie, die einst durch die Weisheit Gottes regiert worden ist und die immer durch sie regiert werden sollte, ist nun durch die Verfassungen der weltlichen Herrscher und

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deren Gesetze, die doch eigentlich für die Regierung über die Laien geschaffen worden sind, verdorben worden. | Der Heilige Stuhl ist durch die Falschheit und den Betrug der Ungerechten zerschlissen. Die Gerechtigkeit geht zugrunde, aller Frieden ist gänzlich zerstört, unzählige Skandale werden erregt. Dort [an der Kurie] herrschen die verdorbensten Sitten, es regiert der Hochmut, es lodert die Habgier, der Neid zerfrisst die Einzelnen, die Verschwendungssucht bringt die ganze Kurie in Verruf, die Genusssucht beherrscht alles. Doch diese Missstände sind noch nicht das Schlimmste, da dem Stellvertreter Gottes seine Kirche durch Nachlässigkeit verwehrt wird. So ist die Welt nun schon seit vielen Jahren ohne ihren Beschützer, weil in den letzten Jahren der Heilige Stuhl leer geblieben ist.10 Schuld daran sind Neid, Eifersucht und die Gier nach Ruhm, durch welche die Kurie versklavt wird und auf die sie sich doch derzeit stützt, um ihre Mitglieder zu leiten. Dies kann jeder wissen, der an der Wahrheit interessiert ist. Doch wenn das schon beim Haupt so ist, wie ist es dann erst bei den Gliedern? [20] Betrachten wir die Prälaten, wie sie sich um Geld bemühen und die Seelsorge vernachlässigen, wie sie ihre Verwandten und Freunde bevorzugen; und schauen wir auch auf die falschen Rechtsgelehrten, deren Ratschläge alles zerstören. Sie verachten die Studenten der Philosophie und der Theologie und hindern die beiden Orden daran, frei zu leben und sich um das Heil der Seelen zu kümmern, weil sie [die Orden] dem Herrn ohne Bezahlung dienen.11 [21] Betrachten wir auch die Orden, von denen ich keinen ausschließe. Wir sehen, wie weit jeder von ihnen vom richtigen Zustand abgefallen ist. Und auch die neuen Orden12 sind bereits schrecklich weit von ihrer ehemaligen Würde entfernt. [22] Der ganze Klerus gibt sich dem Hochmut, der Genusssucht und dem Geiz hin. Überall, wo Kleriker zusammenkommen, ob in Paris oder in Oxford, überall stören sie die Laien mit ihren Kleinkriegen, ihren Streitereien und ihren anderen Sünden. Fürsten,

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Barone und Soldaten unterdrücken sich gegenseitig und rauben sich aus. Sie bedrücken ihre Untergebenen mit unzähligen Kriegen und Abgaben, durch die alle dahin getrieben werden, das Gut des anderen zu rauben. Das gilt sogar für ganze Fürstentümer und Königreiche, wie wir in diesen Zeiten deutlich sehen. Denn wie bekannt ist, hat der König von Frankreich jenes große Gebiet dem König von England auf höchst ungerechte Weise geraubt.13 Und Karl [von Anjou] hat erst jüngst die Erben von Friedrich II. mit großem Aufwand vernichtet.14 Man kümmert sich nicht darum, was oder durch welche Mittel es geschieht, ob durch Recht oder Unrecht, solange nur jeder seinen eigenen Willen durchsetzen kann. Dennoch werden sie durch ihr Streben nach Lust zu Sklaven der Genusssucht, der Überheblichkeit und anderer | schlimmer Sünden. Das Volk, das durch die Fürsten vollkommen verwirrt ist, hasst sie und bringt ihnen kein Vertrauen entgegen. Durch ihre schlechten Vorbilder verdorben unterdrücken sie sich gegenseitig und umgeben sich mit Betrug und List, wie wir es überall vor Augen haben. Sie schwelgen in Genusssucht und Überheblichkeit und sind in solch einem Maße verkommen, dass man es gar nicht erzählen kann. Von den Händlern und Künstlern brauchen wir hier gar nicht zu sprechen, weil Betrug, Täuschung und Falschheit über alle Maßen in ihren Worten und ihren Taten herrschen. [23] Es gibt noch eine weitere Auswirkung dieser Verdorbenheit. Denn der christliche Glaube ist der Welt geoffenbart und bereits durch unzählige Heilige bestätigt worden. Dieser Glaube und die Heiligen lehren uns, das Leben der zukünftigen Zeiten zu begehren und Gott durch die Heiligkeit des eigenen Lebens mit aller Verehrung und Ehrfurcht anzuhängen, wie es uns ohne Unterlass der Gottesdienst zeigt, den wir Tag und Nacht ausüben. Wir haben unseren Herren Jesus Christus im Sakrament des Altars; überall und täglich verlangen wir es gemäß seines Gebots: »Tut dies zu meinem Gedächtnis.«15 Wir bieten ihn überall und jeden Tag für unsere Sünden dar. Wir essen ihn, trinken und wan-

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deln uns in ihn, damit wir Götter und Christus werden. Denn dieses himmlische Brot wird nicht in uns gewandelt, sondern wir in ihn, damit wir sind, was wir nicht waren, und damit wir vergöttlicht und zu Christus werden. Dieses Sakrament ist aufgrund seiner weltlichen und göttlichen Würde nicht nur durch die Vernunft einer unendlichen Verehrung, Andacht und Schau wert, sondern auch aufgrund der Art und Weise, in der es erscheint und existiert. Denn sein Nutzen ist dreifach unendlich, wie man wissen würde, wenn man danach suchte. Dennoch ist es sicher, dass die Menge der Menschen dies zu wenig versteht, sowohl was die Verehrung einer so großen Würde als auch die Devotion eines so großen Heils und die Schau einer so großen Wahrheit angeht. Wenn man dies jedoch weiß, weiß man alles; und wenn man dies besitzt, besitzt man alles. Doch das können nur diejenigen erfahren, die dieses rühmliche Sakrament mit | der Wirkung, die ihm angemessen und würdig ist, anstreben. [24] Sicher wären die Menschen nicht so durch Fehler, Sünden und Schlechtigkeit verdorben, wenn sie an dieses Sakrament mit der Ehrerbietung und der Hingabe glauben würden, wie sie es müssten und wie es dieses Sakrament eigentlich verlangt. Im Gegenteil würden sie alle Weisheit und alle Wahrheit kennen, die ihnen in diesem Leben für das [ewige] Heil nützlich wären. Da sie sich jedoch wie Esel benehmen, die schwach und kraftlos sind und die viel schlafen (um die Worte des Apostels zu gebrauchen16), sind sie auch in der Weisheit schwach und kraftlos. Sie schlafen den Traum des Todes und benehmen sich wie Esel jenseits aller normalen Vorstellungskraft. Denn dieses [Sakrament] ist die Vollendung allen Ruhmes, aller Güte und aller Schönheit der Weisheit; und es enthält sicherere Gewissheiten als alle anderen Wahrheiten. Niemand ist von dieser Missachtung entschuldigt, denn beinahe alle zeigen sie täglich. Sie erweisen weder der Würde des Sakramentes die geschuldete Achtung noch der Gnade einer solch großen Wahrheit, weshalb sie einer gläubigen Betrachtung der wirklichen Weisheit und der Wahrheit nicht fähig sind.

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Wenn wir jedoch die wären, die wir sein müssten, dann dürften wir nichts anderes in diesem Leben erwarten als das Manna des Himmels. Die Zahl der erwählten Heiligen wäre sofort vollständig und wir würden in den Himmel aufgenommen werden, wo wir die ewige und glückselige Schau jenes göttlichen Leibes genießen würden. Nachdem deutlich geworden ist, dass wir wenige Dinge mit solcher Gewissheit und Sicherheit wissen [wie dieses], ist es offensichtlich, dass sich auch jede andere nützliche Weisheit unbeschreiblich weit von uns entfernt. [25] Die dritte Auswirkung der Verdorbenheit, die wir betrachten wollen, besteht in dem Vergleich unseres Zustandes mit dem der [paganen] Philosophen. Denn auch wenn [diese Philosophen] ohne die göttliche Gnade gelebt haben, die den Menschen zum ewigen Leben führt und zu der wir durch die Taufe gelangen, war ihr Leben doch gegenüber unserem weitaus besser: und zwar sowohl in der Aufrichtigkeit ihrer Lebensführung als auch in der Verachtung der Welt mit all ihren Freuden, Reichtümern und Ehrungen. Dies kann jeder in den Büchern von Aristoteles, Seneca, Cicero, Avicenna, Al-Farabi, Platon, Sokrates und der anderen [Philosophen] lesen. Deshalb sind sie auch zu den Geheimnissen der Weisheit gelangt und haben alle Wissenschaften erfunden. Aber wir Christen erfinden nichts Brauchbares und können die Weisheit der Philosophen nicht verstehen, weil wir nicht | über ihre Sittlichkeit verfügen. Denn die Weisheit kann unmöglich neben der Sünde existieren. Im Gegenteil benötigt sie vollkommene Tugend, wie ich weiter unten zeigen werde. Wenn die Weisheit wirklich in dem Maße bei uns existieren würde, wie es [den Menschen] scheint, dann gäbe es nicht so viele Missstände in der Welt. [26] Sicher ist jedenfalls, dass sich das gesamte Studium seit vierzig Jahren im äußersten Zustand der Verdorbenheit befindet. Und diese Verdorbenheit tritt in so vielen Facetten auf, dass es so scheint, als verwalte sie der Teufel selbst. Aber wenn die Menschen im Studium verdorben werden, werden sie es notwendigerweise auch im Leben sein. Sie verlassen [das Studium]

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und übernehmen Ämter in der Kirche und den Königtümern, sie beraten dann die Fürsten, die Übergeordneten, die Prälaten und das gesamte Laienvolk. Daher ist es offensichtlich, dass der Mensch sich genauso im Leben wie beim Studium der Weisheit verhält. Die richtig erkannte Wahrheit muss man lieben, denn ihre Schönheit zieht uns zu ihr, ihre Nützlichkeit ergreift uns und ihre Herrlichkeit spornt uns an: Der Beweis der Liebe ist ihre Zurschaustellung durch unser Handeln, wie Gregor [der Große]17 sagt. Da wir überall, ganz besonders aber bei den Klerikern, eine solch große Verdorbenheit im Leben sehen, sind auch ihre Studien verdorben. [27] Viele weise Männer, die dies bedenken und die zur göttlichen Weisheit zurückkehren, die Wissenschaften der Heiligen, die Wahrheiten der geschichtlichen Darstellungen und die nicht nur heiligen, sondern auch gesunden Prophezeiungen wie die der Sybillen, Merlins, Aquilas, Festons und anderer weiser Männer deuten ganz klar darauf hin, dass die Tage des Antichrist in unserer Zeit kurz bevorstehen. Daher muss die Schlechtigkeit beseitigt werden, damit die Auserwählten Gottes erscheinen können. Oder es möge ein seliger Papst kommen, der die Verdorbenheiten vom Studium, von der Kirche und von allem übrigen beseitigen wird. Die Welt wird durch ihn erneuert werden, alle heidnischen Völker werden in die Kirche eintreten und der Rest Israels wird zum Glauben bekehrt werden. Denn der Apostel [Paulus] hat die Zeit der Bekehrung der Juden mit der Zeit der Bekehrung aller Heiden gleichgesetzt, wenn er zu den Römern sagt: »Wenn die Gesamtheit der Heiden [in die Kirche] eintreten wird, wird der Rest Israels gerettet werden.«18 Und auch wenn der Apostel gesagt hat, wie es geschrieben steht: »In alle Welt ist ihr Schall ausgegangen«19 usw., | ist dies sicherlich noch nicht erfüllt. Denn da der Apostel dies prophetisch geschrieben hat, muss es auch als Prophezeiung aufgefasst werden. Auch wenn dies also gemäß der Vorhersage des Apostels geschehen wird, ist es doch nicht bereits zu seiner Zeit eingetreten. Denn wir wissen, dass es nicht

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nur weit entfernt von uns, sondern auch ganz nahe von uns Völker am Meer gibt, die immer noch in reinem Heidentum leben und denen noch nie gepredigt worden ist. Sie haben noch nicht das Gesetz Gottes empfangen. Dies gilt etwa für die Ponteni, die Lecewini und für viele andere Völker jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches. Der Beginn dieser Gebiete ist nicht weiter von uns entfernt als Paris von Rom, und ihre Herrschaftsgebiete sind größer als das Deutsche Reich, Frankreich und Spanien, wie wir von glaubwürdigen Menschen sicher wissen. [28] Aufgrund seiner unendlichen Güte und des Langmutes seiner Weisheit straft Gott das Menschengeschlecht nicht sofort, sondern er schiebt die Vergeltung auf, bis die Ungerechtigkeit ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie nicht mehr aufrechterhal­ ten werden kann. Im Buch Genesis lesen wir, dass Gott den Patriarchen das versprochene Land nicht geben wollte, weil die Ungerechtigkeit der Amoriten noch nicht voll war; als sie aber voll war, strafte er die Ungläubigen und Unwürdigen durch den Auszug der Söhne Israels aus Ägypten.20 Er vertrieb die sündigen Söhne Israels zwar nicht sofort, auch wenn er sie oft gerügt hatte, doch letztendlich vertrieb er sie von dem Land, das er ihnen gegeben hatte, und sie gerieten in die Babylonische Gefangenschaft. Als sie genug gestraft worden waren, brachte er sie bis zur erneuten Bestätigung ihrer Sünden von neuem in sein Land. Daraufhin erschien der Herr Jesus Christus, damit er die alte Sünde zerstöre und gegen die neuen Sünden ein Heilmittel gebe. Und nachdem vierzig Jahre der Nachsicht vergangen waren, verwarf er die treulosen Juden von neuem durch Titus Vespasian, weil die Ungerechtigkeit der Juden wiederum vollständig war. [29] So hat Gott schon auf vielfältige Weise und zu verschiedenen Zeiten seine Kirche ergriffen und zurechtgewiesen. Aber jetzt, da die Bosheit der Menschen ihr Höchstmaß erreicht hat, muss sie durch den besten Papst und den besten Fürsten mit dem weltlichen und dem geistlichen Schwert gleichermaßen gesäubert werden. Sonst geschieht dies durch den Antichrist oder eine

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andere Bedrängnis, wie zum Beispiel durch die Zwietracht der christlichen Fürsten | oder durch die Tataren, die Sarazenen und andere orientalische Könige, von denen verschiedene Schriften und Propheten reden. [30] Es besteht nämlich kein Zweifel bei den Weisen, dass die Kirche rasch gesäubert werden muss. Doch darüber, ob dies auf die erste, die zweite oder die dritte Art geschehen wird, sind die Meinungen geschieden, weil dies bisher noch nicht klar bestimmt worden ist. Dabei ist dies doch eine äußerst bedenkenswerte Angelegenheit, weil anhand der [richtigen] Auslegung der verschiedenen Ansichten hierzu [eigentlich] das klar werden müsste, was wahr ist, oder doch zumindest das, was wahrscheinlich ist. Doch im Moment ist es nicht meine Absicht, mich damit zu beschäftigen. Ich möchte vielmehr auf die vier am Anfang [dieser Abhandlung] erwähnten Überlegungen zurückkommen – und damit prinzipiell zugleich auf die Hindernisse, die dem Studium der Weisheit entgegenstehen. Dies ist nicht nur anhand der Gründe notwendig, die ich eingangs bereits genannt habe, sondern auch im Hinblick auf die Gefahren, die in naher Zukunft kommen werden.

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Da alles durch die Hindernisse, die der Weisheit entgegenstehen, zugrunde gerichtet wird, halte ich es für äußerst wichtig und notwendig, [diese Hindernisse] im Detail zu betrachten. Damit wir nicht, während wir nach einer Linderung suchen, durch Irrtümer in den fünf oben genannten Bereichen der Weisheit beraubt werden und dadurch in alle die Gefahren geraten, welche die Unkenntnis der Weisheit mit sich bringen. Denn für alle denkenden Menschen ist es sicher, dass [derzeit] unzählige Irrtümer herrschen, und auch wenn die Weisheit [heutzutage] unendlich zu sein scheint, ist das Gift des Irrtums doch darunter verborgen. Deswegen wollen die Menschen das Gegenteil ihrer Mei-

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nungen nicht hören, sondern halten es für verrückt, wenn einer von den gewohnten Irrtümern abweicht. Aus diesem Grund sind die Wahrheit und die Herrlichkeit der Weisheit ausgeschlossen und ihre Nützlichkeit wird von allen vollkommen verachtet. Dies geschieht aber aufgrund der Unkenntnis der Hindernisse gegenüber der Weisheit in unserer Zeit. [32] Einige Hindernisse sind natürlich, andere künstlich geschaffen und wieder andere weit verbreitet. Sie alle fügen dem Menschengeschlecht jedoch großen Schaden zu, weshalb man sie alle angemessen unterscheiden muss. Auch wenn der Mensch es durch seine ganz bemerkenswerte Blindheit zu verbergen sucht und übersieht, weiß doch jeder sowohl durch die eigene Erfahrung als auch durch das Beispiel der anderen, dass der Mensch von Geburt an voller Unwissenheit und | Irrtümer ist. Selbst wenn er das urteilsfähige Alter erreicht hat und eigentlich seine Vernunft gebrauchen können und in allen Dingen gemäß seiner ihm eigenen Kräften leben müsste, weist er die Vernunft zurück wie ein vernunftloses Tier. Aus diesem Grund würden wir die Weisheit überhaupt nicht suchen, wenn nicht die Eltern, die Lehrer und die übrigen Höhergestellten uns zumindest zu einigen ihrer Wege führen würden. Doch auch [deren Ratschlägen] widersetzen wir uns, sodass wir während der ersten dreißig Jahre gar nicht oder doch nur sehr wenig vorankommen. Wegen der langen Gewöhnung an den Irrtum und an die Unwissenheit verachten die Menschen das, was ihnen eigentlich am meisten gelten müsste, und begnügen sich stattdessen mit der Asche und den Ausscheidungen der Weisheit, mit fleischlichen Vergnügungen und Reichtümern. Dieses Hindernis ist durch den Sündenfall verursacht worden, durch den wir lasterhaft und verdorben geworden sind, wie jeder [anhand der Tatsachen] glauben muss. [33] Da dieses Hindernis natürlich und allen gemeinsam ist, da wir damit geboren wurden und aufgewachsen sind, übersehen wir es und suchen nicht nach einem Heilmittel, wie es [in diesem Lebensabschnitt] eigentlich notwendig wäre. Wir müssten da-

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rüber mit den alten Philosophen voller Gram und Traurigkeit sein, die sagen, dass die Natur des Menschen auf vielerlei Weise sklavisch und elend ist, wie auch Aristoteles im ersten Buch seiner Metaphysik21 geschrieben hat. Und zu Beginn des zweiten [Buches]22 sagt er, dass sich der Intellekt des Menschen gegenüber den Dingen, die seiner Natur am meisten entsprechen, genauso verhält wie das Auge der Fledermaus gegenüber dem Sonnenlicht. Zudem fügt er im siebenten Buch [der Metaphysik] hinzu 23 , dass dasjenige, was für die Erkenntnis als solche am wichtigsten ist, zugleich dasjenige ist, was bei uns am wenigsten zählt. Und ebenso anders herum. Avicenna sagt im neunten Buch seines Kommentars der Metaphysik24 , dass sich unser Intellekt gegenüber dem, was am sichersten gewusst werden kann, als da sind: Gott selbst, die Engel, die glückseligen Seelen, das ewige Leben, die Tugenden, die Gnade und die Weisheit, die Dämonen, die verdammten Seelen, die Hölle, das Purgatorium, die Sünden der Unwissenheit und die Irrtümer, genauso verhält wie der von Geburt an Taubstumme gegenüber dem Wohlklang. Dies sind auch unsere Güter und Übel. Auch wenn diese Dinge sehr bedenkenswert und vollkommen klar sind, kann der Mensch sie aufgrund seiner Schwäche schlimmerweise nicht erfassen. | Die anderen Dinge, die ihnen aufgrund der Würde ihrer Natur am ähnlichsten sind, sind die himmlischen Dinge. Diese sind daher edler als die anderen Dinge. Doch je edler etwas seiner Natur nach ist, desto weniger wird es von uns verstanden, wie jeder erfahren kann. [34] Auf diese Weise verdirbt uns die Erbsünde. Doch ein noch größeres Hindernis [gegenüber der Weisheit] sind die individuellen Sünden jedes Einzelnen. Denn wenn schon eine von außen kommende Sünde den Intellekt des Menschen blind macht, dann tut dies die individuelle Sünde in noch viel größerem Maße; da jedoch fast niemand darüber nachdenkt, herrscht eine so große Blindheit in der Welt. Denn jede Todsünde ist eine unermessliche Entstellung, weil sie die göttliche Würde beleidigt, die ebenso unermesslich ist. Da sie ebenso die unendliche göttli-

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che Weisheit und Güte beleidigt, ist es ganz sicher, dass sie den Menschen durch eine grenzenlose Krankheit verunstaltet. Das gilt vor allem für die Seele, in der die Sünde entsteht und in der sie sich in verdammenswerter Weise ausruht. Der Beweis für die Größe ihres Schadens zeigt sich darin, dass eine Sünde das ganze Menschengeschlecht verdirbt, das sich von Natur aus beliebig fortpflanzen kann. Damit zwingt sie dem Menschen die Schmerzen der Hölle auf, die unermesslich lang und so intensiv sind, wie es sich irgendein Wesen nur vorstellen kann. Doch am offensichtlichsten wird die Entstellung der Sünde, wenn man bedenkt, dass keine endliche Kraft, d. h. keine geschaffene Kreatur, wie schuldlos sie auch immer gewesen sein mag, sich der Sünde selbst entledigen konnte. Daher geschah es, dass der Sohn Gottes, dessen Macht unendlich ist, weil er selber Gott ist, Gottvater Buße leisten musste. [35] Es ist bekannt, dass die Seele drei Teile hat, die auch Kräfte oder Vermögen genannt werden, wie der Philosoph sagt 25 , d. h. ein [Vermögen], das die Wahrheit betrachtet und Vernunft genannt wird, ein Vermögen, das die Wahrheit liebt und begehrt und das der Wille genannt wird, und ein drittes Vermögen, das gemäß den Vorschriften der Wahrheit zum Handeln antreibt und das zornmütiges Vermögen 26 genannt wird (freilich eine schlechte Bezeichnung dieses Vermögens in seinem natürlichen Zustand, aber eine außerordentlich gute Bezeichnung im Zustand der Entstellung, da der Zorn mehr als alle anderen Sünden den Menschen vom richtigen Vernunftgebrauch entfernt). Doch diese drei Vermögen der Seele sind [heute] durch jede beliebige Todsünde verunstaltet. Die Vernunft | ist völlig erblindet, sodass sie nichts von der Weisheit sehen kann, sondern denkt, die Torheit sei Weisheit. Der Wille ist so degeneriert, dass er den Irrtum der Torheit schätzt und ersehnt und die Weisheit hasst. Das zornmütige Vermögen ist soweit geschwächt, dass es nicht zu Handlungen anleiten kann, die der Weisheit folgen, sondern in jede Torheit gerät. Gäbe es nicht die Barmherzigkeit Gottes, der die

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Entstellungen dieses Lebens lindert, wie es ihm gefällt, wann es ihm gefällt und wem gegenüber es ihm gefällt, wären alle Dinge, die wir vollenden wollen, zur Hölle verdammt. [36] Es liegt an der Barmherzigkeit Gottes, dass wir nicht durch die Hölle verschlungen werden, nachdem wir auf solche Art gesündigt haben. Denn die gerechte Strafe für die Sünde ist die ewige Verdammnis. Wenn daher irgendjemand seit seiner Jugend viele Todsünden begeht, wird seiner Seele neben dem, was die Erbsünde angerichtet hat, neuer Schaden zugefügt. Deshalb findet er in sich viele Ursachen für unbegrenzte Verderbtheiten, sodass er das Licht der Weisheit nicht sieht und auch nicht zu sehen wünscht. Er könnte es auch nur durch die Gnade Gottes sehen, die jedoch nicht jedem Beliebigen gegeben wird, sondern nur gemäß dem Wohlgefallen des göttlichen Willens. Darum heißt es in der Schrift: »Denn die Weisheit kommt nicht in eine arglistige Seele und wohnt nicht in einem Leibe, der der Sünde verfallen ist.«27 Darunter ist nicht nur die göttliche Weisheit zu verstehen, sondern Weisheit jeder Art. Auch Algazel sagt in seiner Logik28 , dass eine durch die Sünde verunstaltete Seele wie ein alter verrosteter und schmutziger Spiegel ist, in dem die Abbilder der Dinge nicht erscheinen können. Ebenso verhält es sich mit solch einer Seele, in der kein Abbild irgendeiner Sache entstehen kann. Und er fügt hinzu, dass eine durch die Tugend verzierte Seele wie ein reiner und neuer Spiegel ist, in dem das Bild der Dinge auf die beste Weise erscheint, weshalb in solch einer Seele der Glanz der Weisheit wieder heller erstrahlt. Daher antwortete auch Sokrates, der Vater der Philosophen, als man ihn fragte, warum er nicht zuerst die spekulativen Wissenschaften studiert hätte, sondern stattdessen nur die moralischen, dass er nicht das Licht der Weisheit wahrnehmen könnte, wenn seine Seele nicht vorher durch die Tugend veredelt werden würde. | Doch von diesem Moment an würde er Gott selbst sehen und die Ursachen und Gründe der Dinge und der Wissenschaften in sich wahrhaftig betrachten können. So sagt es auch der se-

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lige Augustinus im achten Buch seines Gottesstaates29 und viele ­a ndere nach ihm. [37] Jede Todsünde ist durch ihre besondere Eigenschaft der Weisheit entgegengesetzt. Denn der Hochmütige hält es nicht für notwendig, sich seine eigene Unwissenheit einzugestehen oder sich vor den anderen zu erniedrigen, wie man es als Schüler tun sollte. Da er immer der Erste sein will, wird er von allen gehasst und von den anderen nicht freundlich aufgenommen. Aber der Mensch kann alleine von seiner Jugend an keine Fortschritte machen und daher auch im Studium nicht vorankommen, wenn er den anderen missfällt. Der Hochmut hindert einen ganz besonders, weil der Hochmütige sowohl die anderen als auch deren Wissen verachtet und alles Unbekannte zurückweist. Auch der Neidische, der die anderen hasst und der unter der Nützlichkeit der anderen leidet, ist notwendigerweise ebenso auch den anderen verhasst. Aus diesem Grund redet er nicht mit den anderen und die anderen nicht mit ihm. So kann er auch keine Fortschritte machen, weil der Neid die Seele ermatten und hinsiechen lässt. Dadurch verfault sie geistig und verfällt in sich selbst, weshalb eine neidische Seele keine Kraft hat und in die schwierige Arbeit der Weisheit nicht eindringen kann. Auf dieselbe Art, auf die dem Hochmütigen fremde gute Eigenschaften missfallen – denn er schmälert und tadelt sie, wo immer er kann, wie würdig sie auch sein mögen –, auf dieselbe Art verachtet auch der Neidische die Weisheit der anderen und lässt sie nicht gelten. So hindert ihn seine eigene Schlechtigkeit daran, das Licht der Weisheit zu schauen, weil er alles verspottet, was er nicht kennt. [38] Der Zorn der Wütenden ist zwar kurz, wie der Dichter sagt 30 , aber er tritt oft auf und verwandelt sich in Raserei, die sich unwiderstehlich aufdrängt. Dadurch wird dieses schlimme Leiden, das jeder Vernunft entgegengesetzt ist, in der Seele immer wieder vermehrt. Aus diesem Grund war es eine Vorschrift Platons, dass der Zornige kein Schüler der Weisheit werden darf und sich nicht dem Studium widmen soll: Denn er kann darin nicht vor-

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ankommen, weil er eine Seele hat, die ständig in Aufruhr ist und die daher nichts wirklich prüfen kann. | Im Gegenteil glaubt er aufgrund seiner Ungeduld irrtümlich, die Schlussfolgerung zu kennen, bevor er über die Prämissen geurteilt hat. Diese Sentenz Platons wird in dem Buch Proportionen und Proportionalitäten31 vorgetragen. Aristoteles sagt hierzu im siebenten Buch seiner Physik32 , dass die Seele nicht klug und weise werden kann, wenn sich nicht vorher ihre Leidenschaften gelegt haben. Daher wird der Zornige durch ständige schlechte Leidenschaften hin- und hergezerrt. [39] Weiterhin sind solche durch den Zorn verunstalteten Menschen streitsüchtig und zänkisch. Sie stören dadurch jede Suche nach der Wahrheit. Aber schlecht ist der Gefährte, der das gemeinsame Werk stört, wie schon Aristoteles sagte 33 . Und da in der Heiligen Schrift steht, dass »der Zorn im Herzen des Narren ruht«34 , muss sich der Zornige der Torheit ergeben und der Weisheit zuwiderhandeln. [40] Der Geiz, abgesehen davon, dass er allen verhasst ist, unterstützt den Menschen nicht und lässt ihn nicht für die Mittel Geld ausgeben, die für das Studium der Weisheit notwendig sind. Ebenso wenig kann der Geizige sein Herz zur Liebe der Weisheit hinwenden, weil er immer das Geld begehrt und ständig danach trachtet, Reichtümer anzuhäufen. Wenn der Geizige überhaupt einmal viele Bücher sammelt, dann sicher nicht deshalb, weil er sie als Mittel zur Weisheit benutzen möchte, sondern als einen Schatz, wie wir es bei allen geizigen Klerikern dieser Welt deutlich sehen können. [41] Die Faulheit steht ihrer Natur nach wegen der Trägheit und dem Ekel vor der Anstrengung des Studiums der Weisheit entgegen. Denn die Vervollkommnung der Weisheit kostet vor allem aufgrund der Hindernisse, von denen ich hier schreibe, große Mühen. Dies bestätigt auch Seneca in seinen Naturwissenschaft­ lichen Untersuchungen35 , wenn er sagt, dass selbst dann, wenn die Älteren so viel lehrten, wie sie nur könnten, und wenn die

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Jüngeren soviel lernten, wie sie nur könnten, sie kaum in die Tiefe gelangen könnten, in der die Wahrheit verborgen liegt. Deswegen meint auch Boethius im zweiten Buch seines Kommentars zu Peri Hermeneias36 des Aristoteles: »Die Arbeit veredelt das Menschengeschlecht und führt es zur Vollendung durch die selig machenden Früchte des schöpferischen Verstandes. Wo aber die Faulheit die Geister erschlaffen lässt, schreckt der übersättigte Geist beständig vor den fruchtbaren Samen zurück. Wer aber, der an die Mühe gewöhnt ist, würde irgendwann einmal von der  | Mühe abrücken? Aus diesem Grund muss man die Kraft des Geistes stets anspannen, denn den Geist zu entspannen heißt in Wahrheit, ihn zu verlieren.« Aus diesem Grund fügt er auch in dem Buch De Disciplina Scholarium37 hinzu, dass »die Stiefmutter der Lehre und der Unterweisung die Gleichgültigkeit ist«. Aber diese geistigen Sünden schwächen die Weisheit, da sie selber vollkommen geistig ist. Weshalb auch gesagt wird, dass »in eine arglistige Seele die Weisheit nicht einkehrt«; und wegen der Maßlosigkeit und Genusssucht wird hinzugefügt: »und sie wohnt nicht in einem Leibe, der der Sünde verfallen ist«. 38 [42] Die fleischlichen Sünden stoßen aufgrund ihrer Abscheulichkeit und ihrer Wertlosigkeit die Erhabenheit der Weisheit ebenso wie die Würde der vernünftigen Seele des Menschen am stärksten ab. Bereits Cicero sagte in seinem Buch Über das Alter 39: »Auch wenn Gott dem Menschen nichts Besseres gegeben hat als den Geist, gibt es nichts, was diesem göttlichen Geschenk feindlicher gesonnen ist als die Lust.« Denn die Lust, die Feindin der Vernunft, hindert am Nachdenken und trübt die Augen des Geistes. Cicero berichtet ebendort weiterhin40 , dass selbst der große Pythagoreer Archytas Tarentinus, der Lehrer Platons, der Ansicht war, es könne keinen Zweifel geben, dass der Mensch im Zustand dieses Genusses weder klar denken noch vernünftig sein, noch ein Vorbild nachahmen könne. Wenn die Lust nämlich größer und ausgedehnter ist, löscht sie das gesamte Licht der Seele. ­Cicero hat auch sehr treffend im vierten Buch der Gespräche in

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Tusculum41 gesagt, dass die Quelle aller Leidenschaften die Maßlosigkeit der Lust sei, die einen vollständigen geistigen Abfall von der rechten Vernunft bedeute. Ebenso stellt auch Averroes im siebenten Buch seines Kommentars zur Physik des Aristoteles sehr richtig fest, dass zwar alle Tugenden für die Weisheits­ suche notwendig seien, die Keuschheit aber in ganz besonderem Maße.42 [43] Ihr Gegenteil, die Genusssucht, stößt die Weisheit mehr als alle anderen Laster auf eine zutiefst geistige Art ab. Deshalb lehrt auch Aristoteles in seinen Problemata 43 , dass der Mensch ganz besonders wegen der Freude an diesen Sünden getadelt werden müsse und | dass diese Sünden der Würde des Menschen besonders entgegengesetzt seien. Er sagt an demselben Ort auch, dass diese Genüsse den vernunftlosen Tieren eigen seien, da die Tiere keine anderen Genüsse als den Geschmack und das Tasten suchen. Wenn sie etwas sehen, riechen oder hören, haben sie daran keine andere Freude als in Bezug auf den Geschmacks- und Tastsinn. Wenn das Tier eine Pflanze sieht und riecht, dann nur in Bezug auf den Geschmack. Wenn es ein Weibchen sieht und hört, eilt es zu ihm aufgrund seines natürlichen Geschlechtstriebs. Da der Mensch sich jedoch von Natur aus von den Tieren unterscheidet, so schließt der herausragende Philosoph [Aristoteles], handelt er, wenn er wie sie handelt, vollkommen gegen seine Natur und ist ganz besonders zu tadeln, wenn er sich diesen tierischen Genüssen beugt. Weil der Mensch sich also durch seine Weisheit von den Tieren abgrenzt, verabscheut die Weisheit die Genüsse der Lust. [44] Als Zeichen dafür gibt er an, dass die Jugendlichen sich schämen, nachdem sie sich das erste Mal der Genusssucht hingegeben haben. Das würde aber nicht passieren, wenn die Ausschweifung nicht gegen die natürliche Würde des Menschen verstoßen würde. Aus diesem Grund werden die sexuellen Glieder des Körpers auch zu Recht Schamteile genannt, weil die Menschen diese Sünde mehr zu verstecken suchen als jede andere und sich

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am meisten schämen, sie zu gestehen. Deshalb kann man die­ jeni­gen, die sich natürlicherweise für diese Sünde schämen, erst nachdem sie alle anderen Sünden gestanden haben – und auch dann nur mit großer Mühe – dazu bringen, auch die Sünde der Genusssucht zu gestehen, gleichsam als ob diese Sünde für jeden unwürdiger sei als irgendeine andere Sünde. Sicherlich sind die Älteren am meisten für diese Sünde zu tadeln. Sie erröten auch natürlicherweise am meisten, wenn man sie wegen dieser Sünde tadelt, und wollen sie fast nicht gestehen, ja sie haben sie meist viele Jahre lang nicht gestanden, weil die Genusssucht bei den Alten noch unwürdiger ist als bei den Jugendlichen. Bereits Seneca [der Ältere] sagte im dritten Buch von Über die Rede 44 , dass der genusssüchtige Jugendliche sündige, der genusssüchtige Alte jedoch verrückt sei, weil er damit die Schicklichkeit des Alters verliere. Die Jugendlichen mache die Genusssucht jedoch unverschämt, wie Cicero die Worte Senecas in seinem Buch Von den Pflichten 45 | sehr schön erklärt. [45] Aus all dem wissen wir, dass menschliche Genusssucht die Welt gegen ihre natürliche Würde regiert. Und daher wird der Mensch [durch sie] ein wildes Tier und sogar noch schlimmer als dieses, weil die meisten Tiere für die natürliche Vereinigung bestimmte Zeiten einhalten und sich so nach dem Brauch der Natur richten. Die Menschen hingegen beachten keine bestimmte Zeit und verletzen dadurch die natürlichen Gesetze. Es ist daher unvermeidlich, dass der Mensch durch diese Sünde seine natürliche Eigenschaft verliert, die ihn von den Tieren unterscheidet. Und [diese Eigenschaft] ist die Würde der Weisheit. [46] Es könnte darüber noch vieles geschrieben werden, doch ich gehe hier darüber hinweg und stütze mich auf das Wissen der Heiligen, der Philosophen und aller Weisen sowie auf unzählige weitere Beispiele, um zu wissen, dass ein der Sünde verfallender Mensch in der Weisheit nicht voranschreiten kann. Da die jungen Leute sich jedoch der Sünde der Wollust und der Genusssucht hingeben, woraus der Zorn, der Neid, der Hochmut

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und die Faulheit folgen, können sie im Studium nichts Brauchbares schaffen. Auch wenn sie älter werden, rücken sie von ihren schlechten Gewohnheiten nicht ab, wie es bei Salomon heißt46 . Im Gegenteil werden sie bis auf einige, denen Gott seine besondere Gnade schenkt, noch fester in ihren Sünden; immer mehr werden sie durch die Wollust blind gemacht, wie es sich dieses Jahr gezeigt hat, als viele Theologen in Paris und andere, welche die Theologie gelehrt haben, aus der Stadt Paris und aus dem Königreich Frankreich für viele Jahre verbannt und öffentlich wegen schändlicher sodomitischer Vorfälle verurteilt worden sind. [47] Und wenn einige in vorgerücktem Alter, wenn sie mit etwa dreißig Jahren die Jugend überschritten haben, durch die Gnade Gottes von der Wollust abrücken, erblühen in ihnen die geistigen Sünden, die noch schlimmer sind. Denn dann reißen die Ehrsucht, die Begierde und der Geiz alles an sich. Da sie die Ehren und Reichtümer in dieser Zeit ohne den Neid der anderen aber nicht erreichen können, weil jeder gerne das hätte, was der andere hat, erhebt sich in ihren Herzen | Neid, Hass, Groll und Zorn. Es entstehen gegenseitige Verfolgungen, Zwist, Zank, Streit, Betrug und Arglist. Wenn dann doch einer zu Würden und Reichtum gekommen ist, führt das zum Hochmut. Aus diesem wird die Trägheit geboren, die für den Verdruss an den geistigen Gütern sorgt. Diese [Sünden] beleidigen Gott also durch die Unterlassung aller guten Dinge. [48] So haben die Sünden den Vorrang, die notwendigerweise die Seelen blind machen und den Willen schwächen, sodass er die Wege der Weisheit gering schätzt und sogar verachtet, was zur Folge hat, dass die Fähigkeit des zornmütigen Vermögens nicht gemäß seiner eigentlichen Würde ausgeführt werden kann. [49] Und es kommt dann auch nicht mehr darauf an, dass [solche Menschen] viel und ständig studieren, lesen, disputieren oder predigen und dass sie sogar berühmt sind, da sie durch ihre langen Studien viele Worte im Gedächtnis haben und sie ihre Erinnerung, wenn sie wollen, durch Bücher immer wieder auffrischen

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können. Aber sie geben bloß die Worte von anderen wieder, ohne sie wirklich zu verstehen. [Darin sind sie] wie der Papagei und die Elster, die menschliche Laute nachahmen, die ihnen eigentlich unbekannt sind. Ihr Verstand ruht niemals im Licht der Wahrheit, was nicht nur an den Ursachen deutlich wird, nämlich dass die Sünden den Intellekt von der Weisheit entleeren, wie gezeigt worden ist, sondern auch an der Wirkung. Denn das Licht der Weisheit wird notwendigerweise geliebt, wenn es einmal erkannt worden ist, wie weiter oben gesagt wurde. Die Liebe aber erzeugt ein Werk, das der Weisheit angemessen ist, und das Leben, das damit einhergeht. Da [diese Menschen] jedoch entgegen den Gesetzen der Weisheit leben, können sie [die Weisheit] nicht verstehen, auch wenn sie ständig großartige Worte wiederkäuen; so wie auch die Kinder den Psalter herunterleiern, den sie gelernt haben, und wie auch die Dorfkleriker und die Dorfprediger die Messe lesen, von der sie genauso wie die Tiere wenig oder nichts verstehen. So haben wir mit Sicherheit gezeigt, dass diese Menschen beim Studium der Weisheit zu keinem Wissen gelangen und nichts Brauchbares schreiben können, sondern dass sie [nur] die Arbeiten anderer missbrauchen. |

K apitel III In dem die vier verderblichen Ursachen für den ­menschlichen Irrtum betrachtet werden [50]

Nachdem ich weiter oben über zwei Hindernisse gegenüber der Weisheit gesprochen habe, d. h. über die natürliche Erbsünde und über die von uns verursachte und in jedem einzelnen wirksame Sünde, werde ich mich nun vier weiteren Gründen für die Irrtümer zuwenden, die uns verderben und die alles Gute vom Beginn der Welt bis heute verhindern. Dies wird auch bis zum Ende der Welt bei der Mehrzahl der Menschen so bleiben, weil nur wenige sehr weise und sehr vereinzelte Menschen diese ver-

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derblichen menschlichen Irrtümer möglicherweise zumindest ein wenig werden vermeiden können. Die vier Gründe bestehen in den unwürdigen und brüchigen Vorbildern der Autorität, in den Sinnen der unerfahrenen Menge, in der langen Dauer der Gewohnheit und in dem Starrsinn der menschlichen Seele, die alles zurückweist, was sie nicht kennt, um sich über ihre eigene Unwissenheit zu trösten. Diese vier Gründe verwirft die Schrift mehr als alle anderen [Gründe], die Heiligen verurteilen sie, das Kirchenrecht untersagt sie und die Philosophie – wobei hier auch das Zivilrecht einbezogen sei – verachtet sie. Daher habe ich unter der Herrschaft Clemens IV., des Vorgängers des jetzigen Papstes, in einer eigenen Abhandlung ausgewählte Sätze der Heiligen Schrift und der Heiligen, des Kirchenrechtes und der Philosophie gesammelt und sie allen Büchern vorangestellt, die ich geschickt habe, damit die verderblichen Gründe für unsere Irrtümer beseitigt werden können, sodass die Wahrheit uns womöglich leichter überzeugen kann. 47 Hier werde ich sie jedoch kürzer fassen, weil dies der Form eines Handbuchs angemessener ist. [Ich werde] gegen die ersten drei Gründe Seneca anführen, der sie in dem zweiten Buch seiner Briefe [an Lucilius] sammelt und zurückweist, indem er sagt: »Eine der Ursachen unseres Ungemachs ist die, dass wir uns in unserer Lebensweise nach dem Beispiel anderer richten und uns nicht durch die Vernunft leiten lassen, sondern der Gewohnheit als Führerin folgen. Wären es nur wenige, die dies täten, | dann würden wir nicht geneigt sein, es ihnen nachzumachen; aber wenn die Mehrzahl sich dazu bereit findet, als wäre es anständiger, weil es überwiegend geschieht, so schließen auch wir uns an. So gelangt an die Stelle des gesunden Urteils der Irrtum zur Herrschaft, sobald er sich der öffentlichen Meinung bemächtigt hat.«48 Und wir wissen durch eigene Erfahrung, als auch anhand [der Erfahrung mit] anderen, dass diese drei [Ursachen] uns mehr als alle anderen in Irrtümer und Ungemach stürzen. Auch wenn sie gelegentlich gut sein mögen, sind sie in ihrer Gesamtheit dennoch unvollkommen, weil

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das Beispiel der Unvollkommenheit nur sehr selten auf die Gewohnheit oder auf die Wahrheit des Lebens oder der Wissenschaft zurückgeführt werden kann. [51] Die schwache Menge erreicht niemals etwas Vollkommenes, noch kann sie in irgendeinem Zustand die Vollkommenheiten [der Weisheit] erfassen. Der Menge reicht es schon, wenn sie sich nicht irrt, damit sie sich [wenigstens] nicht in den Dingen irren möge, die für sie notwendig sind. Denn wir sehen das Menschengeschlecht in nahezu allem irren, nicht nur in der heiligen Wissenschaft, sondern auch in der Philosophie, wie dem Weisen leicht ersichtlich ist. Die Tochter folgt dem Beispiel der Mutter, der Sohn dem des Vaters, der Sklave dem des Herren, der Untergeordnete dem des Übergeordneten, der Schüler dem des Lehrers. Doch wir können von Jugend an nicht unterscheiden, ob die Vorbilder der Älteren nachgeahmt werden sollen oder nicht. Im Gegenteil werden uns von allen Seiten alle Dinge so präsentiert, als ob sie Heil bringend wären, wobei sie jedoch meistens und größtenteils verderblich sind – und zwar sowohl für das Studium als auch für das Leben. Cicero sagt im Hortensius: »Einige schließen sich irgendeinem Freund an, oder sie lassen sich fangen durch eine einzige Rede eines beliebigen Menschen, unter dessen Zuhörer sie zuerst geraten sind: dann entscheiden sie über Dinge, die sie nicht erkannt haben. Und gegen welche Lehre auch immer sie wie von einem Sturm getrieben worden sind, daran klammern sie sich fest wie an einen Felsen. […] Aber meistens ziehen sie es vor, in die Irre zu gehen und die Auffassung, die sie einmal lieb gewonnen haben, höchst kämpferisch zu verteidigen, statt dass sie ohne Rechthaberei untersuchen, welche Aussage am meisten in sich gefestigt ist.«49 Denn wie auch Aristoteles in seinen Pro­ blemata50 schreibt, ist die Gewohnheit eine zweite Natur. Aus diesem Grund sagt auch Jeremias im dreizehnten Kapitel: »Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken? So wenig könnt auch ihr Gutes tun, die ihr ans Böse gewöhnt seid.«51 Auch | Averroes äußert sich dazu gegen Ende des

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zweiten Buches seines Kommentars zur Physik des Aristoteles: Wenn jemand an schädliches Verhalten gewöhnt ist, fällt es ihm leicht. Und daher hält er es für nützlich. Und ebenso, wie er es seit seiner Jugend gewohnt war, falschen Reden zu glauben, wird jene Gewohnheit der Grund dafür sein, die Wahrheit auch weiterhin zu verweigern; genauso wie es bei denjenigen ist, die daran gewöhnt sind, Gift zu essen, sodass es ihre Nahrung geworden ist. [52] Aber die Meinung der Menge ist am schädlichsten. Denn schon seit dem Beginn der Welt war die [Meinung der] Menge von der Meinung der Heiligen, der Philosophen und der anderen Weisen geschieden und alle Weisen haben die Wege der Menge schon immer verachtet. Sie haben ihr nie die Geheimnisse der Weisheit mitgeteilt, weil die Menge sie nicht verstehen kann, sondern sich nur über sie lustig machen und die Mühe und Anstrengung der Weisen für ihren eigenen Nutzen missbrauchen würde. Denn die Perlen der Weisheit dürfen nicht vor die Schweine geworfen werden, wie auch das Evangelium bezeugt. 52 Außerdem ist es töricht, dem Esel Kopfsalat zu geben, wenn ihm auch Disteln reichen, wie in diesem Sinne Aulus Gellius in seinen Attischen Nächten schreibt. 53 Denn derjenige, der das Verborgene allgemein bekannt macht, setzt die Würde der Dinge herab, weil sie nicht geheim bleiben, wenn die Menge von ihnen weiß, wie auch im Liber de gemmis 54 gelehrt wird. Aus diesem Grund schreibt auch Aristoteles im Buch der Geheimnisse 55 , dass es das himmlische Siegel zerbrechen hieße, wenn man die Geheimnisse der Weisheit öffentlich machte. [53] Doch auch wenn es sich offensichtlich so verhält, sind wir trotzdem immer in diese drei Irrtümer verstrickt, denn bei jeder Verteidigung unserer Fehler benutzen wir diese drei äußerst schlechten Argumente: Dies ist durch Beispiele belegt, dies ist allgemein bekannt, dies ist die Gewohnheit. Es bleibt aber festzuhalten, dass aus den Prämissen eigentlich genau das Gegenteil dieser Feststellung folgt.

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würde sehr gerne noch weiter auf diese drei [Gründe des Irrtums] eingehen und sie durch verschiedene Sätze der Heiligen und Weisen aus der Theologie und der Philosophie näher erläutern, wenn mir die Zeit dafür bliebe. Da die Form dieses Handbuchs jedoch verlangt, sich kurz zu fassen, muss ich hier innehalten, weil es besser ist, viele Abschnitte der Weisen | mit einer kurzen Erklärung wiederzugeben, als den einen oder anderen sehr ausführlich aufzugreifen und andere dafür wegzulassen. Die Menschen, die von ihrer Jugend an in den Gründen des Irrtums und den Hindernissen der Weisheit, wie ich sie hier und weiter oben beschrieben habe, bestärkt worden sind, können die Wunder der Weisheit nicht sehen, noch können sie sich um sie kümmern, sondern sie verurteilen sie und weisen sie zurück. [55] Aus dem bisher Gesagten wird ersichtlich, dass der stärkste und vollständigste Grund des Irrtums in [fast] allen Menschen entsteht. Nur ganz wenige sehr weise Menschen bilden hier eine Ausnahme. Weil die Unwissenheit jedoch hässlich, das Wissen aber schön ist, missbilligen die Menschen alles, was sie nicht kennen, um sich über ihre Unerfahrenheit zu trösten, damit es nicht so scheint, als ob sie etwas Wissenswertes nicht kennen würden. Was sie wissen bzw. was sie zu wissen glauben, das kehren sie hervor und verherrlichen und rühmen es über die Maßen. Sie scheren sich gar nicht darum, was sie wirklich wissen oder nicht wissen, sondern nur darum, vor der törichten Menge als Wissende zu erscheinen, damit man nicht am Ende glauben könnte, sie würden etwas nicht wissen. Da der Richter jedoch den Grund, den er nicht kennt, auch nicht aufklären kann und da die Unkenntnis nicht den Platz des Urteils einnehmen kann, ist es ein vollkommener Irrtum, wenn irgendjemand denkt, er könnte irgendetwas zurückweisen, weil er es nicht kennt. Vor den Prälaten, den Fürsten und der Menge schämen sich die teuflischen Menschen jedoch [trotzdem] nicht, jede Weisheit zu verdammen, die ihnen unbekannt und unsichtbar ist; doch diesen Satz hält Seneca im vierten Buch seiner Tugenden solchen Menschen ent-

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gegen: »Eine Aussage hat keine Geltung, wenn der, welcher zu verurteilen wäre, selbst verurteilt.«56 [56] Diejenigen, die aufgrund des Irrtums und des Dunkels der Unwissenheit gleichsam zum tiefsten Kerker verurteilt sind, haben de jure nichts, was sie dazu berechtigen könnte, das Licht der Weisheit zu verurteilen, da sie selber wie blinde Maulwürfe und triefäugige Fledermäuse sind, die den Glanz der Weisheit nicht vertragen, und wie schmutzige Schweine, die in den widerlichen Matsch der Unwissenheit gedrängt werden. Da sie, wie Archimedes sagt, es nicht wagen, etwas wirklich zu wissen, sondern vielmehr daran arbeiten, etwas nicht zu wissen, sind sie wie diejenigen, die in einen Teich schauen wollen, der ihnen ihre Gesichter umsonst zeigt, weil sie ihre unklugen Augen abwenden. Über [solche Menschen] schreibt auch der selige Apostel Judas [Thaddäus] sehr elegant in | seinem Brief: »Diese aber lästern alles, wovon sie nichts verstehen; was sie aber von Natur aus kennen wie die unvernünftigen Tiere, daran verderben sie. […] Sie sind Wolken ohne Wasser, vom Wind umhergetrieben, kahle, unfruchtbare Bäume, zweimal abgestorben und entwurzelt, wilde Wellen des Meeres, die ihre eigene Schande ausschäumen, umherirrende Sterne; deren Los ist die dunkelste Finsternis in Ewigkeit.«57 Es ist zwar nicht erstaunlich, dass die Dunkelheit des Irrtums ihnen in diesem Leben Freude bringt; in dem anderen Leben werden sie dafür aber auch verdientermaßen ihren Ort in der Dunkelheit erhalten. Gott verachtet sie, deren Zahl groß ist. Und deswegen herrscht in dieser Zeit die gesamte Fülle der Unkenntnis.

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Kapitel IV In dem zwei weitere Hindernisse betrachtet werden [57]

Aber da wir nun zu unserer Zeit kommen, möchte ich die Dinge anführen, die den Gründen des Irrtums und den Hindernissen der Weisheit vorangehen und zugrunde liegen. Diese Dinge vermehren sich seit ungefähr vierzig Jahren ständig, sodass es offensichtlich sein müsste, wie viele große Irrtümer in der Kirche Gottes herrschen. Es ist nun nötig, dass der Antichrist oder eine andere schwere Zerstörung kommt oder dass ein äußerst heiliger Pontifex durch die Gnade Gottes die Gründe für die Irrtümer vertreibt und den angemessen Zustand der Welt wieder herstellt. Denn es gibt momentan zwei Hauptgründe für diesen schlimmen Zustand in den letzten vierzig Jahren. Einer von ihnen ist der Missbrauch des bürgerlichen Rechts in Italien, der nicht nur das Studium der Weisheit, sondern auch die Kirche Gottes und alle Königtümer vernichtet. Durch diesen Missbrauch werden alle fünf vorher genannten Bereiche der Weisheit zerstört und die ganze Welt ins Übel gestürzt. [58] Denn es ist ganz deutlich, dass vor allem die schurkischen Juristen das Studium der Weisheit zerstören. Schon früher haben sie durch List und Betrug die Prälaten und Fürsten derart in Beschlag genommen, dass sie jetzt beinahe alles Geld und jedes Geschenk von ihnen bekommen. Daher | haben diejenigen, die theologische und philosophische Studien betreiben, nichts, wovon sie leben können, und nichts, wovon sie Bücher kaufen oder wovon sie nach den Geheimnissen der Weisheit forschen können. Genauso ergeht es auch den Juristen, die sich mit dem Kirchenrecht befassen. Denn sie haben nicht einmal Geld zum Studieren, wenn sie sich nicht vorher das zivile Recht angeeignet haben. Aus diesem Grund kümmert man sich nicht um jene, die philosophische und theologische Studien betreiben, wenn sie sich im Zivilrecht keinen Namen gemacht haben, ein Missbrauch, durch den

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die heiligen Kanones entstellt werden. Zudem wechselt jeder, der ausgezeichnet und für die theologischen und philosophischen Studien befähigt ist, zum Zivilrecht über, weil er sieht, dass die Juristen von allen Prälaten und Fürsten Geld und Ehren erhalten. Daher bleiben wenige übrig, die den notwendigen Respekt für die Studien hätten, weil die zivilrechtliche Fakultät die meisten Kleriker an sich zieht. [59] Doch das Zivilrecht [ius civile Italicum] zerstört das Studium der Weisheit nicht nur durch das Abziehen von Geldmitteln und nützlichen Personen, sondern auch durch seine Verschwägerung mit den Laien, die so auf sehr unwürdige Art mit den Klerikern vermischt werden. Denn diese Rechtsform auszuüben, ist eigentlich Aufgabe der Laien, nicht der Kleriker. Das ist ganz deutlich, wenn wir bedenken, dass dieses Recht von weltlichen Fürsten für die Führung der Laien festgesetzt worden ist. Und die Herren des Rechts in Bologna und in ganz Italien wollen sich heute Magister und Kleriker nennen, obwohl sie nicht die Tonsur wie die Kleriker haben. Denn sie haben Ehefrauen, herrschen über ihre Familie wie die Laien und sind der Gemeinschaft und den Gewohnheiten der Laien unterworfen. Deswegen steht es fest, dass sie sowohl durch ihre Tätigkeit als auch durch ihren Status von den Klerikern verschieden sind; und derjenige, der zu solchen Plumpheiten neigt, zeigt damit, dass er ein Laie ist. [60] Weiterhin besitzt jedes Königreich sein eigenes Recht, durch das die Laien regiert werden. So ist [das Recht] in England und in Frankreich genauso [verschieden] wie in den anderen Königreichen mit ihrer jeweils eigenen Rechtsprechung, ebenso wie Italien die seine hat. Deshalb trifft das englische Recht ebenso wenig auf den Klerikerstand zu wie das französische, spanische, deutsche oder italienische Recht. Wenn die | Kleriker [wenigstens] die Gesetze ihres Heimatlandes benutzen müssten, wäre es weniger unpassend für die englischen Kleriker, die englischen Gesetze, und für die französischen Kleriker, die französischen Gesetze zu benutzen. Und so auch bei den anderen, als dass die

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englischen und französischen Kleriker sich nach den italienischen Gesetzen richten müssten. Es herrscht eine sehr große Verwirrung bei den Klerikern, weil sie derartig vor den verschiedenen weltlichen Verfassungen katzbuckeln müssen. Als die italienischen Gesetze nach England gebracht worden sind, hat ein gewisser englischer König namens Stephan 58 durch ein öffentliches Edikt verboten, dass sie von irgendjemandem benutzt werden. Wenn also sogar ein weltlicher Fürst die Gesetze anderer weltlicher Fürsten zurückweist, sollte der gesamte Klerus dies in noch viel stärkerem Maße tun. Ich muss zudem noch hinzu­ fügen, dass sich das französische und englische Recht aufgrund der Nähe dieser beiden Königreiche zueinander und aufgrund des regen Austausches ihrer Bevölkerungen viel ähnlicher sind als das italienische und das der genannten anderen beiden Königreiche. Daher müssten die englischen Kleriker eher dem französischen Recht unterworfen sein als dem lombardischen. [61] Auch wenn wir weiter in der Betrachtung der Verbindung zwischen der Würde des Klerikers und der Weisheit voranschreiten, sehen wir, dass es höchst unschicklich ist, dass die Kleriker, denen der Anspruch auf Weisheit gegeben worden ist, das italienische Recht gewerbsmäßig ausüben. Denn wir müssen wissen, dass alle von Laien ausgeübten Künste gegenüber der Philosophie mechanische Künste sind. Die Baukunst zum Beispiel ist der mechanische Teil der Geometrie und kein Teil der Philosophie; die Kunst der Goldherstellung ist eine mechanische Kunst gegenüber der Alchimie. So verhält es sich mit allen Künsten, die bei den Laien in Gebrauch sind. Deswegen ist auch die Zivilrechtswissenschaft der Laien gegenüber der philosophischen Rechtswissenschaft eine mechanische Kunst und kein Teil der Philosophie. Aristoteles lehrt im ersten Buch der Metaphysik 59 den Unterschied zwischen den mechanischen Künsten und den philosophischen Wissenschaften. Er sagt dort, dass die mechanischen Künste ohne Kenntnis der Ursachen und Prinzipien wirken, ebenso wie bei den Tieren und den unbeseelten Dingen oder

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wie beim Feuer, das etwas verbrennt. Denn wenn das Feuer etwas in Brand setzt, | kennt es nicht die Ursachen und Gründe der Verbrennung. Auch die Tiere kennen nicht die Gründe für ihre Handlungen, sondern führen sie aus einem natürlichen Instinkt heraus aus, wie Aristoteles im zweiten Buch der Physik60 lehrt. Da alle mechanischen Künste nach Aristoteles ebenso wie bei den Tieren und den unbeseelten Dingen ohne die Kenntnis der Ursachen und Gründe wirken und voranschreiten, steht es fest, dass die Juristen des weltlichen Zivilrechtes, da sie im Vergleich mit den Philosophen bloße Mechaniker sind, gegenüber diesen wie Tiere und unbeseelte Gegenstände sind, weil sie die Gründe und Ursachen für die Gesetze nicht kennen, die sie anwenden. Weil sich unsere Kleriker auch auf diese mechanische Rechtskunst stürzen, sind sie gegenüber dem Zustand der Weisheit wie Tiere und unbeseelte Dinge. Sie verlieren dadurch mehr, als man sagen kann. [62] Dies hätte den Juristen klar werden können, wenn sie die Bücher der Philosophen gelesen und verstanden hätten. Damit sind etwa die »Gesetze« von Platon und Aristoteles und [Bücher] von anderen gemeint, in denen [die Philosophen] gemäß der Kraft der Weisheit nicht von den Plumpheiten der weltlichen Gesetze, sondern von den Ursprüngen, den Ursachen und den Gründen [der Dinge] ausgehen wollen. Denn in seinem Buch Gesetze beginnt Aristoteles damit, die letzten Ziele der Gesetze und der Lehrsätze darzustellen und die möglichen Gesetze und Lehrsätze in dieser Welt zu betrachten. Er lehrt, dass es nicht mehr als sechs einfache Lehrsätze geben kann, weil es nur so viele Ziele gibt. Denn gemäß der Verschiedenheit der Ziele richtet sich auch die Verschiedenheit der Gesetze. Nun ist aber die zukünftige Glückseligkeit das Ziel [aller Dinge], wie es das christliche Gesetz ganz eindeutig lehrt. Ähnlich ist es auch in den weltlichen Gesetzen des Aristoteles und der anderen, die richtig zu philosophieren verstehen, auch wenn das Gesetz der Philosophen nicht dieselbe Vollkommenheit und dieselbe Würde hat wie das christliche

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Gesetz: Denn dann wäre das Ziel nur ein zeitliches Gut. Dieses [alleinige Ziel] wird heute geändert, weil das Ziel bei uns ent­ weder die Lust ist oder der Reichtum oder die Herrschaft oder die Macht, über alles und viele Gebiete zu herrschen, oder das Streben nach Ruhm. Und diesen Gesetzen gemäß ändern sich auch die Menschen. [63] Diese Gesetze erkennt man auch, wenn man auf die Konstellationen | der Planeten achtet, denn die himmlischen [Körper] führen die menschlichen Herzen gemäß der Verschiedenheit der menschlichen Mischungen, die sich durch die himmlischen Körper verändern, zu verschiedenen Dingen. Denn auch wenn der freie Wille nicht gezwungen werden kann, wird er doch durch die Mischungen des Körpers und [durch den Einfluss] des Himmels stark affiziert. Deswegen sehen wir, dass die Einwohner verschiedener Orte unter dem Himmel auf der ganzen Welt verschiedene Sitten, Gewohnheiten und Beschäftigungen haben: So [gibt es zum Beispiel] die Schotten, die Engländer, die Gallier, die Spanier, die Römer, die Griechen, die Äthiopier und die Araber. Dies sehen wir [auch] durch die Erfahrung an uns selbst und anderen, weil alle Menschen freiwillig den Neigungen ihrer Mischungen folgen, sei es in den Sünden, sei es in den Tugenden, sodass sogar die vollkommensten Menschen [den Einfluss] der ersten Bewegungen [der Planeten] nicht vermeiden können. Der Choleriker ist jähzornig und dreist; der Melancholiker schüchtern und traurig; der Sanguiniker ist ausschweifend und fröhlich; der Phlegmatiker ist ungeschickt und träge gegenüber allem; und so ist es auch bei den anderen einzelnen Mischungen. Der Wille wird durch diese Mischungen also geführt, wenn auch nicht gezwungen. Der Ursprung der grundlegenden Mischung [einer Person] ist in der Planetenkonstellation während der Empfängnis und während der Geburt zu suchen. Ebenso wird auch die vorübergehende Mischung durch die Vielzahl der Himmelsstellungen bestimmt, da verschiedene Planeten und Fixsterne zu verschiedenen Stunden unsere Körper dominieren.

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Daher lehrt Aristoteles, auf welche Weise die verschiedenen Gesetze in der Welt entstehen, welche von ihnen schlecht sind und die Städte und Königtümer verderben, und auf welche Weise sie vermieden und zerstört werden müssen, damit es am Ende eine vollkommene Gesetzgebung gibt, die den Wegen der Philosophie gemäß ist und die den Städten und Gebieten Frieden und Gerechtigkeit bringt. Er lehrt darüber hinaus auch, welches die edlen Eigenschaften dieses Gesetzes sind und wie Verschlechterungen dieses Gesetzes vermieden werden können. Sicherlich gibt es in den wenigen Kapiteln, die Aristoteles hierzu geschrieben hat, mehr richtige Überlegungen als im gesamten Korpus des italienischen Rechts. Denn Aristoteles und seine Nachfolger lehren, dass dieses Recht von Gott geoffenbart worden ist und von uns angenommen werden müsse. [Sie lehren auch] wer der Gesetzgeber sein wird und auf welche Weise gezeigt werden könne, dass das Gesetz von Gott empfangen wird, damit es von allen geglaubt wird. Ebenso lehren sie, wie dieses Gesetz öffentlich bekannt gemacht werden müsse | und auf welche Weise seine Nachfolge geregelt werden muss, damit nicht irgendeinmal der höchste Priester aufgrund von Macht oder Geld oder anderer schlechter Dinge eingesetzt wird. Sie erklären auch, wie dieses Gesetz verteidigt werden müsste und wie man es in der gesamten Welt bekannt machen könnte. [65] Zu Beginn hat Aristoteles den Grundsatz aufgestellt, dass alle Menschen gemäß der Tugend leben sollen. Er hat [seine Grundsätze] in zehn Büchern festgehalten, die die Bücher der Ethiken genannt werden, mit denen er die Bücher der Politik verbunden hat. 61 In ihnen hat er zuerst den göttlichen Kult festgesetzt, der darin besteht, dass ein dreieiniger Gott in den Eigenschaften der geschaffenen Dinge verehrt wird. Denn er hat in allen geschaffenen Dingen eine Dreiheit gefunden, die man zuerst im Schöpfer wiederfindet. Daher gibt es in jeder Sache einen Anfang, ein Mittleres und ein Ende; im Schöpfer aber den Vater, den väterlichen Geist und die Liebe zwischen den beiden, eine Substanz,

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eine Gottheit, im Wesen ungeschieden, aber drei in den Personen, wie er es von seinem Lehrer Platon gelernt hatte, aber noch besser von den Büchern der Hebräer und von den Hebräern seiner Zeit selbst, bei denen das Gesetz Gottes an Kraft gewonnen hatte und von denen er seine ganze Weisheit hatte, wie er selber in dem Buch Über die Herrschaft über die Fürstentümer62 ganz klar erklärt. Weiterhin hat er drei Opfer und drei Gebete zu Ehren der drei Personen festgesetzt und weitere Dinge, welche die Verehrung Gottes betreffen und die dem gemäß sind, was die Philosophie lehren konnte. Danach hat er die Gesetze für die Städte und Fürstentümer sowie die rhetorischen und rednerischen Grundsätze, nach denen Gerichtsverhandlungen ohne die Verwirrungen von Streitigkeiten gelöst werden, beschrieben. Auf diese Weise hat er alles zusammengefügt, was für das menschliche Geschlecht in Übereinstimmung mit der Kraft der Philosophie notwendig ist. Schließlich hat er die Menschen gelehrt, das zukünftige Glück zu erwarten und alles Vergängliche zu verachten. [66] Das alles hat [Aristoteles] nicht nur in seinen klaren Schriften [theoretisch] ausgeführt, sondern der Lehrer hat es auch durch sein Handeln und sein Vorbild mit seinen Schülern, sehr herausragenden und weisen Menschen, auf vollkommene Weise verwirklicht. Denn in der Verachtung der Welt und ihrer Reichtümer, Genüsse und Ehren ging er mit seinen Gefährten in ein andauerndes Exil, ohne jemals zu dem zurückzukehren, was ihm einst gehört hatte. Denn er hatte sich klar gemacht, dass dieses einsame Leben dem Leben Gottes und der Engel sehr viel ähnlicher ist als das gemeinsame Leben der Menschen | und dass er sich in dieser Lebensform der Weisheit und der Betrachtung des zukünftigen Glückes besser widmen konnte, wie nicht nur seine Bücher belegen, sondern auch die anderen Philosophen – und zwar nicht nur griechische, sondern auch lateinische. Daher erzählt auch Cicero im fünften Buch seiner Gespräche in Tuscu­ lum63 und im fünften Buch seiner Akademischen Abhandlun­ gen64 schon von diesem genannten Zeugnis der Wahrheit.

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Über die bemerkenswerten Angelegenheiten der Wissenschaft des bürgerlichen Zusammenlebens hat Aristoteles ein großartiges und äußerst würdiges Buch geschrieben, das mit den christlichen Gesetzen vollkommen übereinstimmt. Denn das Gesetz von Aristoteles und das christliche Gesetz handeln von denselben Dingen, wenn natürlich dem christlichen Gesetz auch vieles hinzugefügt worden ist, was jede menschliche Wissenschaft um ein Unendliches übertrifft. Denn das christliche Gesetz übernimmt alles das, was in dem philosophischen weltlichen Gesetz wertvoll ist, weil Gott den Philosophen bereits alle Wahrheit gegeben hatte, wie die Heiligen und vor allem Augustinus im zweiten Buch seines Werkes Über die christliche Bildung lehren. Augustinus fordert dort die Christen dazu auf, das Gold der Weisheit und das Silber der Beredsamkeit den Philosophen gleichsam als unberechtigten Eigentümern wegzunehmen und es den Christen zu eigen zu machen65 . O wie viele würdige Sätze haben die Philosophen über Gott, über die selige Dreieinigkeit, über die Fleischwerdung des Gottessohnes, über Christus und die selige Jungfrau, über die Engel und die Dämonen, über das Jüngste Gericht, über den Ruhm des Himmels, über die höllische Strafe und über die Zurückweisung schlechter Gesetze geschrieben! Und welche ausgezeichneten Sätze haben sie darüber formuliert, welches Gesetz am besten ist, wie man es prüfen muss, was seine Bedingungen und seine Teile sind, wie man dem Gesetz dienen muss und wie man es verteidigen und voranbringen muss! Ebenso haben sie auch über den Gesetzgeber und seinen Nachfolger geschrieben, wie ich schon gesagt habe. Alle diese und noch viele weitere Dinge habe ich in der Form einer Zusammenfassung gesammelt und an Papst Clemens [IV.] zur Erinnerung geschickt, weil ich dadurch selbst vieles äußerst wirksam und klar gelernt hatte. 66 Doch dies werde ich weiter unten an seinem Ort darlegen. [68] Diese philosophischen Gesetze entsprechen den Klerikern – und nicht die Plumpheiten der Laien in Italien, die man heutzutage

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mit dem Stand der Kleriker vermengt. Daher ziemt es sich genauso wenig | für die Kleriker, dieses mechanische Gesetz zu benutzen wie die anderen mechanischen Künste. Und es müsste unwiderruflich angeordnet werden, dass jeder Kleriker, der sich dieses weltliche Gesetz Italiens oder andere mechanische Künste aneignet, ein Zimmermann, ein Schuster oder ein Gerber wird, der von der Gemeinschaft der Kleriker ausgeschlossen ist.

Kapitel V In dem das zweite der beiden Hindernisse betrachtet wird, von denen zu Beginn des vierten Kapitels gesprochen ­worden ist [69]

Das zweite wichtigste Hindernis, das der Grund für den heutigen Irrtum beim Studium der Weisheit ist, besteht darin, dass vor ungefähr vierzig Jahren gewisse Männer an den Universitäten aufgekommen sind, die sich selbst zu Magistern und Doktoren der Theologie und der Philosophie gemacht haben, obwohl sie nie etwas von Wert gelernt haben. Und sie wollen und können gemäß ihrer Position auch nichts lernen, wie ich in den folgenden Seiten ausführlich zeigen werde. Auch wenn es mich sehr grämt und auch wenn ich diese Männer sehr bedaure, siegt doch die Wahrheit über alles. Daher werde ich hier zumindest einige der Dinge darlegen, die in aller Öffentlichkeit getan werden und die allen Menschen bekannt sind, auch wenn nur wenige den Mut haben, diese und andere nützliche Dinge zu bedenken und anzusprechen. Sie unterlassen dies aber wegen der Gründe des Irrtums, denen ich hier nachspüre und die fast alle Menschen schmählich blind machen. [70] Das sind unerfahrene Jungen, die von sich selbst und der Welt nichts wissen, genauso wenig wie von den Sprachen der Weisheit – Griechisch und Hebräisch –, die für das Studium notwendig sind, wie ich weiter unten zeigen werde. 67 Sie kennen auch

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die Teile und Wissenschaften der Philosophie und der Weisheit nicht, wenn sie sich an das Studium der Theologie heranwagen. Dabei braucht man gerade für das Studium der Theologie alle menschliche Weisheit, wie die Heiligen lehren und wie auch alle Weisen wissen. Denn wenn die Wahrheit irgendwo gefunden werden kann, dann hier; hier, wenn irgendwo, wird der Irrtum verurteilt, | wie es Augustinus in seinem Buch De doctrina chris­ tiana 68 sagt. Das sind Jungen aus den beiden Studentenorden, wie Albert[us Magnus]69 und Thomas [von Aquin] und andere, die oft mit zwanzig Jahren oder sogar noch jünger in die Orden eintreten. [71] Das ist üblich vom englischen Meer bis zu den Rändern der Christenheit, vor allem jenseits der französischen Grenze. In Aquitanien, der Provence, Spanien, Italien, Deutschland, Ungarn, Dänemark70 und auch sonst überall werden sie in die Orden aufgenommen, obwohl sie gerade einmal zwischen zehn und zwanzig Jahren alt sind. Aufgrund ihrer Jugend können sie noch nicht viel von Wert wissen, sogar wenn sie noch nicht von den bereits genannten Gründen des menschlichen Irrtums eingenommen wären; daher wissen sie, wenn sie in den Orden eintreten, nichts, was für die Theologie wertvoll wäre. So treten viele tausende Mönche in die Orden ein, die nicht einmal den Psalter oder Donat71 lesen können. Dennoch werden sie, sobald sie das Mönchsgelübde abgelegt haben, sofort zum Studium der Theologie zugelassen. Seit dem Beginn des Ordens, das heißt seit der Zeit, in der die Studientätigkeit in den Orden zuerst begonnen hatte, war es mit den ersten Studenten genauso, wie es jetzt mit den folgenden ist. Und diese Leute betreiben dann das Studium der Theologie, das eigentlich alle menschliche Weisheit braucht. Es ist klar, dass sie nicht vom Studium profitieren können, vor allem, weil sie seit ihrem Eintritt in den Orden keinen Unterricht von anderen in der Philosophie hatten. Sie haben sich in den Orden angemaßt, die Philosophie nur für sich ohne Lehrer zu lernen, und sind Magister der Theologie und der Philosophie

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geworden, bevor sie selber Schüler waren. Deshalb herrscht bei ihnen ein unendlicher Irrtum, auch wenn die Gründe dafür oft nicht klar aufscheinen, da Gott es zulässt und der Teufel [diese Missstände] vorantreibt. [72] Ein Grund für dieses Phänomen liegt darin, dass die Orden den Anschein von großer Heiligkeit haben, weswegen es aller Welt als wahrscheinlich erscheint, dass Menschen, die sich in solch einem heiligen Status befinden, nicht vorgeben könnten, etwas zu können, wozu sie eigentlich gar nicht im Stande sind. Und dennoch sehen wir, dass die Verhältnisse derzeit überall vollkommen verdorben sind, | wie ich weiter oben ausführlich beschrieben habe. Dabei sind doch viele das menschliche Heil betreffende Dinge im Grunde genommen ganz einfach. Nehmen wir etwa das Verstehen der Tugenden und Sünden, des himmlischen Ruhms und der Qualen des Fegefeuers und der Hölle: Davon wissen nicht nur diejenigen etwas, die einen religiösen Stand wie die Theologen innehaben, sondern auch alle Kleriker und alle Laien, ja sogar die alten Weiblein. Denn jeder Mensch hat in seinem Herzen ein großes Buch von Sünden, die er seit der Jugendzeit begangen hat und die er auch in anderen Menschen sieht. Genauso hat auch jeder durch das Gegenteil einen recht genauen Begriff von den Tugenden, denn schon Aristoteles72 sagt, dass ein und dieselbe Wissenschaft von Gegensätzen handelt. So kennt man durch das Gerade das Krumme, durch die Gesundheit die Krankheit, durch das Wahre das Falsche und durch das Gute das Schlechte, weil das Fehlen [von etwas] durch das Haben erkannt wird. Daher wissen auch Bauern und alte Frauen nicht nur bei den Christen, sondern auch bei den Sarazenen und bei den anderen Ungläubigen, wie man jemanden von den Tugenden und Sünden und von der Qual und dem himmlischen Ruhm überzeugt. Darüber hinaus haben alle Christen aufgrund ihres regelmäßigen Umganges mit der Lehre der Kirche eine sehr klare Kenntnis von den Dingen, die sie zum Heil führen können. Es ist daher für diese Studienorden keine große Sache, dem Volk von den Tugenden und

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Sünden, der Strafe und dem Heil zu erzählen, weil in der Heiligen Schrift und in den Büchern der Heiligen viele absolut eindeutige Dinge stehen, die jedem lesenden Menschen sogleich klar sind. Von diesen Schriften ausgehend ist es jedem Laien möglich, Autoritäten gegen die Sünde und die Strafe und für die Tugenden und das Heil und andere für die Errettung notwendige Dinge anzuführen. [73] Für alles Weitere ist die Kirche zuständig. Denn die Aufgabe der Prälaten ist es, dem Volk die Artikel des Glaubens und der Sitten zu erklären. Davon weiß die Kirche auch ohne das Studium der Theologie, da sie deren Ursprünge bereits von der Lehre der Apostel überliefert erhalten hat. Die Theologen haben überhaupt nicht die Autorität zu predigen, wenn sie ihnen nicht von den Prälaten gegeben wird. Deswegen ist das Predigen auch nicht die Aufgabe der Theologen, sondern der Prälaten, die diese Aufgabe denen so übertragen, wie es ihnen gefällt. Denn wir wissen ganz sicher und sehen es auch überall, dass ein einfacher Bruder, der niemals Hunderte von Vorlesungen in der Theologie gehört hat und der, wenn er sie denn doch gehört haben sollte, sich darum nicht bekümmert, unvergleichlich besser | predigt als die größten Magister der Theologie. Daher ist es offensichtlich, dass die Predigt nicht vom Studium der Theologie abhängt, sondern von der Lehre der Kirche, die jedem bekannt ist. Ebenso haben alle einen Begriff von den Sünden und den Tugenden, von der Strafe und dem Heil und von allen der Erlösung dienlichen Dingen, weil sie durch den Ritus der Kirche in die Herzen eingeschrieben sind. Aus diesem Grund übertrifft die Predigt das Studium der Theologie, auch wenn nicht zu verneinen sein dürfte, dass ein guter Theologe eigentlich besser predigen müsste, obwohl wir – wie gesagt – überall das Gegenteil sehen. Dies ist ein wichtiges Argument dafür, dass das Studium der Theologie verdorben ist, weil wir täglich mit eigenen Augen sehen können, dass diejenigen, welche mehr Autorität haben, häufig schlechter predigen.73

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Der dritte Grund dieser eigentümlichen Erscheinung in den Orden besteht darin, dass die weltlichen [Lehrer] das richtige und angemessene Studium der Theologie und der Philosophie seit vierzig Jahren vernachlässigt haben, weil sie von der Begierde nach Vergnügungen, Reichtümern und Ehren ebenso abgelenkt waren wie durch die schon genannten Gründe der Unkenntnis. Deswegen haben sie die Wege der Weisen aus der Vorzeit verlassen, auch wenn wir in unseren Zeiten noch einige sehen mögen [die diesen Wegen folgen], etwa den Herrn Robert74 , früher Bischof von Lincoln, in seliger Erinnerung, den Herrn Thomas75 , Bischof von Sankt David in Wales, den Bruder Adam Marsh76 , die Magister Wilhelm Lupus77, Wilhelm von Sherwood78 und einige andere, die ihnen gleichen. Die heutigen [Gelehrten] haben deren Spuren jedoch vollkommen aus dem Blick verloren, wie weiter unten an seinem Ort ausführlicher dargelegt werden wird. Deswegen haben sie seit vierzig Jahren keinen einzigen brauchbaren Traktat in der Theologie verfassen können und glauben seit zehn Jahren oder mehr, nichts wissen zu können, wenn sie nicht auf die Jungen der beiden Orden hören. Weder lesen sie die Sentenzen noch beginnen sie mit der | Theologie, noch mit einer Vorlesung, noch mit einer Disputation, noch mit einer Predigt, wenn sie nicht dabei die Hilfe aus den Heftchen der Jungen aus den genannten Orden haben, wie es für alle an der Universität in Paris und auch überall sonst offenkundig ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die [Mitglieder der] Orden an der Universität mit erhobenem Kopf einherstolzieren und außergewöhnlich bewundernswert erscheinen. Und doch ist es ganz sicher die Wahrheit, dass sie nichts Nützliches wissen, wenn sie sich ans Studium der Theologie machen, und auch nichts Weiteres lernen wollen, weil sie alles für sich allein studieren: Es ist aber unmöglich, dass ein Mensch alle schwierigen Wissenschaften für sich selbst lernt. Denn noch nie ist irgendeine Wissenschaft in einem einzigen Zeitalter erfunden worden, sondern sie ist seit Beginn der Welt bis heute langsam gewachsen. Auch in diesem

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Leben ist sie noch nicht vollendet. Weil [die Jungen aus den Orden] vorgeben, lehren zu können, bevor sie gelernt haben, ist ein unglaublicher Hochmut in die Orden eingedrungen. Daraus folgt von selbst, dass ihre Lehre der äußerste Verfall ist. [75] Doch wird dies nicht allein anhand der schon genannten Gründe deutlich, sondern auch aus einem letzten Grund und seiner Wirkung, die wir aus der Erfahrung der letzten zwanzig Jahre anhand der Skandale aller Nationen [an der Universität] kennen. Denn bereits seit zwanzig Jahren geht es an der Universität so her, dass ein unsäglicher Streit zwischen den Mitgliedern der Orden entstanden ist. Die weltlichen Lehrer erheben sich gegen die Orden und anders herum. Sie behaupten gegenseitig von sich, dass sie Häretiker und Schüler des Antichrists seien und bekräftigen diese Behauptungen durch Vorlesungen, Dispute, Predigten und Pamphlete. Sogar die römische Kurie ist mittlerweile in diese Streitereien involviert. Der ganze Klerus ist verwirrt, ebenso wie die Prälaten, die Fürsten und das Laienvolk. Bis jetzt hören sie damit nicht auf: Im Gegenteil versuchen sie ständig, den Konflikt zu vergrößern. Sie werden niemals damit aufhören, bis der Antichrist sich erhebt oder bis ein wirklich hervorragender Papst dies durch ein allgemeines Konzil beenden wird. Dieser Streit ist vor allem deshalb ungeheuerlich, weil die weltlichen Lehrer, die in einem untergeordneten Stand sind, die Ordensmitglieder [an der Universität] verdammen, die in einem höheren Stand sind. Die Schüler verdammen ihre Lehrer, weil die weltlichen [Magister] in den letzten vierzig Jahren außer von den Orden nichts [selber] gelernt haben, wie ich schon gesagt habe. Ich habe schon häufig aufmerksam | zugehört und selber gelehrt. Ich sage und schreibe [daher] die Wahrheit über die Brüder dieser Orden, damit sie mir auf dieses Argument antworten mögen: Eure Schüler sind Häretiker und Vorläufer des Antichrist, wie ihr zu Recht sagt; daher seid aber auch ihr Häretiker und Schüler des Antichrist. Ich finde niemanden, der dieses Argument auflösen kann, auch wenn alle den Schlusssatz bestreiten. Es ist jedoch sicher, dass

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der Schlusssatz aus den Prämissen folgt, auch wenn der heilige Zustand und die Unschuld der Jungen, die in den Orden eintreten, sie davor bewahren könnten, als Häretiker und Schüler des Antichrist bezeichnet zu werden. [76] Daher sind [die Lehrer an der Universität] sicherlich nicht immun gegen den derzeitigen verderbten Zustand des Studiums der Weisheit, von der sie zwar vorgeben, etwas zu wissen, aber eigentlich nichts von Wert wissen. Aus diesem Grund hat ihnen Gott eine gerechte Strafe zugefügt, indem er es zugelassen hat, dass sie für ihre gewohnten Studien von den Schülern getadelt werden, und zwar durch dieselben Wege und scholastischen Übungen [in denen sie selbst tätig sind], nämlich durch die Vorlesung, das Disputieren, das Predigen und das Schreiben, damit sie schließlich durch diese Strafe wieder von diesen Irrtümern im Studium abrücken. So sind auch die Söhne Israels, die durch den Irrtum vom Gesetz Gottes abgefallen waren, durch äußerst schlechte Menschen gestraft und verbessert worden, welche Gott letztendlich zerstört hat. Auf diese Weise wird Gott auch jene weltlichen [Magister] zerstören, welche die Gnade Gottes beschmutzen, die den Ordensmitgliedern gegeben worden ist, da es ja die gesamte Kirche bis jetzt so gehalten hat, dass der Ordensstand vollkommener ist als der Stand der Weltlichen. Aber die Magister in Paris lehren klarerweise das Gegenteil und stützen [ihre falsche Lehre] durch viele Scheinargumente. Sie haben ihre Meinung in unseren Tagen auch bereits soweit ausgeschmückt, dass die Vernichtung dieser Häresie kaum möglich zu sein scheint, bis der Antichrist dies beenden wird, der seinerseits mit seinen Anhängern vom Herrn Jesus Christus vernichtet werden wird. Dann werden die Erwählten Gottes erscheinen und die Wahrheit wird in dieser Welt wieder aufleuchten. Aber [die Magister] haben ihre Ansichten ungeschickt und böswillig verschleiert, indem sie vorgeben, nur den Stand der Prälaten, des Papstes und der Bischöfe verteidigen zu wollen. Sie behaupten nämlich, dass die Prälaten in dem Glauben, dem sie angehören,

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eine höhere kirchliche Vollkommenheit innehaben als deren Untergebene, | so wie die Apostel und deren Nachfolger. Wie auch immer man das nun eigentlich verstehen soll: Klar ist doch, dass die Prälaten ihre Vorteile und ihre eigene Ehre aufrechterhalten und die weltlichen Doktoren begünstigen werden. Es sei denn, es gäbe [eines Tages] jemanden, der wahrhaft gläubig wäre oder der den Glauben betreffend mit den Orden übereinstimmen würde. [77] Wir können nicht bestreiten, dass es eine zweifache Vollkommenheit gibt: Die eine besteht in der Ausübung der Herrschaft und der Autorität, die andere ist eine geistliche Vollkommenheit. Sicher ist, dass die heutigen Prälaten wie auch sonst immer schon die Herrschaftsgewalt innehaben; ob sie aber auch mit Recht die zweite Vollkommenheit haben, müssen die entscheiden, die mehr gelobt werden, wenn sie in den Ordensstand eintreten und von allen Christen anerkannt werden. [78] Denn die Prälaten haben nur ein Keuschheitsgelübde gemäß der Konstitution der abendländischen Kirche abgelegt, ein Gelübde, durch das sie in der Urkirche nicht gebunden waren. Bis auf den heutigen Tag sind die Griechen und alle Orientalen nicht durch die Kirche an dieses Gelübde gebunden. Sie scheinen ein lockeres Gehorsamsgelübde zu haben, weil die dortigen Bischöfe einen generellen Gehorsam nur den Erzbischöfen und dem Papst schuldig sind und hingehen können, wohin sie wollen und alles frei machen können. Die Mitglieder der Orden [bei uns] können jedoch keinen Fuß irgendwohin setzen oder irgendetwas ohne die ausdrückliche Erlaubnis eines Prälaten tun. Was das Armutsgelübde betrifft, ist es klar, dass die Ordensleute nichts besitzen dürfen; die Prälaten hingegen können aufgrund ihres Standes ­a lles haben, was in ihrer Macht steht. [79] Vieles wird von den weltlichen Magistern der Theologie gegen diese [Argumente] gesagt. Aber es ist sicher, dass sie vergiftete Worte sprechen und dass sie vergeblich von dem Pfad der Wahrheit abweichen. Wenn man sein Leben im Reichtum und dem Pomp der Welt verbringt, widerspricht diese [Lebensführung]

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klarerweise dem Ordensstand. Nur sind [diese Gepflogenheiten] bei den Prälaten eher tolerierbar bzw. entschuldbar. [80] Ich spreche hier immer von »Ständen«, auch wenn es sicherlich stimmt, dass es hier und dort Unterschiede zwischen den einzelnen Personen geben kann. Denn Judas schien zwar dem höchsten Stand anzugehören und war doch der Unvollkommenste von allen, ja er war sogar vollkommen schlecht. So gibt es umgekehrt auch bei den weltlichen Prälaten viele, die gut und sogar heilig sind. Und manchmal findet man sogar jemanden bei ihnen, dessen Heiligkeit man bei den anderen [Menschen] dieser Zeit nicht findet. | Wenn wir wollen, können wir als Beispiel in seligem Gedächtnis Robert [Grosseteste], den Bischof von Lincoln, anführen, an den ich weiter oben bereits erinnert hatte.79 Doch dessen Leben ahmen nur wenige Würdenträger der Kirche nach. Und seine Lehre ist von den Studentenorden und den weltlichen Lehrern vollkommen vernachlässigt worden. Da das Ziel des Studiums der Theologen sehr schlecht ist, wie wir durch die Wirkung seit nunmehr zwanzig Jahren sehen, und da – wie die Logiker sagen – das, was ein sehr schlechtes Ziel hat, in sich sehr schlecht ist, ist auch das Studium der Theologen seit vierzig Jahren sehr schlecht. Der Irrtum ist aber desto besser verborgen, je größer der Anschein der Weisheit ist. Denn noch nie gab es so viele Studenten und Doktoren wie heutzutage. In jeder Region lehren sie; in jeder Stadt und in jedem guten Dorf, überall predigen sie. Und doch herrscht wegen der schlechten Theologen ein unbeschreiblicher Irrtum beim Studium der Theologie und daher auch der Philosophie, wie ich folgend im Einzelnen und für jede Disziplin deutlich machen will.

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Kapitel VI In dem die einzelnen und inneren Hindernisse für das Studium behandelt werden [81]

Aus den vorher genannten Gründen des [allgemeinen] Verfalls muss man auf den Verfall der Studien schließen. Diese [Gründe] waren von allgemeiner und äußerlicher Art. Nun möchte ich zu den einzelnen und inneren Hindernissen kommen, damit wir ohne Widerspruch sehen, welche unglaubliche Torheit beim gesamten Studium der Theologie und der Philosophie herrscht. Das möchte ich anhand der Unkenntnis von fünf oder sechs Wissenschaften verdeutlichen, die für die Theologie und die Philosophie benötigt werden und ohne die es unmöglich ist, dass die Menschen (und vor allem die lateinischsprachigen Menschen) irgendetwas von Wert wissen. Um bei der Wahrheit zu bleiben, muss man sagen, dass diese fünf Wissenschaften von allen Heiligen | und Weisen der Vorzeit, von denen wir nur noch einige sehen können, hochgeschätzt worden sind. Aber bis auf wenige Ausnahmen verachten unsere Zeitgenossen diese Wissenschaften und folgen ihnen umsonst. Das gilt vor allem für diese neuen Theologen, die Jungen aus den beiden Orden. Sie haben dafür keinen anderen Trost als ihre Unerfahrenheit und zeigen ihre törichten Eitelkeiten der ganzen Welt. In ihren Vorlesungen, Predigten und Ratschlägen lehren sie immer gegen diese Wissenschaften und bringen den Geist der Studenten weit von diesen Wissenschaften fort. So irren sie sich mit allen anderen sowohl im Wesen der Studien als auch in ihrer Methode. Dadurch geht die erste Stufe der Weisheit verloren, nämlich soweit sie im Studium behandelt wird. Und dadurch werden auch alle anderen Stufen zerstört, wie ich weiter unten ins helle Licht stellen werde. [82] Diese [vernachlässigten] Wissenschaften sind: die Wissenschaft von den Sprachen der Weisheit 80 , die Mathematik81, die Per­

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spektivik82 , die Alchemie 83 und die Erfahrungswissenschaft 84 . Die Lehre dieser Wissenschaften ist viel einfacher und nützlicher als alle anderen Teile der Philosophie, auch wenn unsere Zeitgenossen sie nicht verstehen wollen und lieber die Schwierigkeiten aller anderen Wissenschaften ebenso wie den Irrtum übernehmen. Aber diese Wissenschaften zu kennen bedeutet nicht, ein Gewicht schwerer zu machen, sondern im Gegenteil: Es wird leichter. [Denn diese Wissenschaften sind] ebenso wie das Gefieder eines Vogels, der sich nicht in die Luft schwingen kann, wenn man es ihm ausreißt, oder wie ein Wagen, der es dem Pferd erlaubt, viel mehr zu tragen, als es ihm auf dem bloßen Rücken möglich wäre. Ebenso können die Menschen, die diese Wissenschaften kennen, alles viel leichter wissen und viel schneller in kurzer Zeit in den anderen Wissenschaften voranschreiten, als es ihnen ohne diese Wissenschaften möglich wäre. [83] Die erste Wissenschaft behandelt die Sprachen der Weisheit, aus denen durch Übersetzung den Lateinern alle Weisheit überliefert ist. Diese Sprachen sind Griechisch, Hebräisch, Arabisch und Chaldäisch. Ich stelle mir hierbei jedoch nicht vor, dass jeder diese Sprachen so gut kennt wie seine Muttersprache, mit der er geboren ist, wie wir etwa Englisch, Französisch und Latein sprechen. Auch nicht, dass wir diese Sprachen so gut kennen, dass jeder ein Übersetzer werden und diese Sprachen in seine Muttersprache Latein bringen kann. Man muss hier vielmehr ein drittes Niveau wählen, das viel einfacher zu lehren ist: Wir müssen diese Sprachen so gut kennen, wie es nötig ist, | um den Sinn auch in Latein zu verstehen und wiedergeben zu können. Der Sinn hierbei besteht darin, dass jeder Mensch Griechisch, Hebräisch usw. lesen kann und dass man, gemäß dem Modell von Donat, die Modifikationen der Satzteile [in diesen Sprachen] kennt. Denn wenn das bekannt ist, ist sowohl der Aufbau als auch das Verstehen der Wörter in diesen Sprachen, soweit es für diejenigen notwendig ist, die Latein sprechen, auf die Art und Weise sehr einfach, die ich weiter unten erklären werde. Aber die

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törichten und unkundigen Menschen denken, dass sie die erste und zweite Stufe der Sprachaneignung lernen müssen, wenn sie jemanden von der Wissenschaft dieser Sprachen sprechen hören. Deshalb verzweifeln sie und verachten die dritte Stufe, die jedoch am leichtesten ist. Wenn sie nur besser darüber nachdenken würden und von Jugend an achtsam wären, könnten sie nach dreißig Jahren alle oder doch wenigstens die zweite und dritte Stufe beherrschen. Denn die Hauptschwierigkeit besteht im Erlernen der ersten Stufe, wie wir, die wir uns intensiv damit beschäftigen, selber erfahren haben. [84] Lehrer [für diese Sprachen] aber fehlen nicht, denn überall gibt es Hebräer, deren Sprache im Wesentlichen dem Arabischen und Chaldäischen sehr ähnlich ist, auch wenn sie in der Art vonein­ ander abweichen. Darüber hinaus gibt es Menschen in Paris ebenso wie in ganz Frankreich und auch sonst überall, die über diese Sprachen alles wissen, was für den Spracherwerb notwendig wäre. Auch das Griechische ist dem Lateinischen sehr ähnlich. Und es gibt viele in England und in Frankreich, die darin ausreichend unterwiesen sind. Zudem wäre es anhand der Nützlichkeit [dieser Sprachen] kaum zuviel verlangt, nach Italien zu gehen, wo sowohl die Kleriker als auch die Bevölkerung in vielen Gebieten Griechen sind. Und ein Bischof oder Erzbischof ebenso wie reiche und ältere Männer können sowohl Bücher als auch eine oder mehrere griechischsprachige Personen von dort kommen lassen. So hat es auch Robert [Grosseteste] gemacht, der heilige Bischof von Lincoln. Einige [von denen, die Robert Grosse­ teste geholt hatte] sind sogar bis jetzt in England geblieben. [85] Es gibt genug gute und vernünftige Gründe dafür, dass jeder lateinischsprachige Gelehrte die Dinge kennen sollte, welche die dritte Stufe [des Spracherwerbs] ausmachen, weil er sonst weder in der göttlichen noch in der menschlichen Weisheit in irgendeiner Weise Fortschritte machen kann. Neben diesen allgemeinen Gründen und Überlegungen gibt es zahllose weitere einzelne Gründe [die für den Spracherwerb sprechen] und der Ansporn,

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sich diesen zu nähern, | lässt sich aus den allgemeinen Gründen mit aller Klarheit ableiten. [86] Der erste Grund besteht darin, dass alle Heiligen, Doktoren, Philosophen und Dichter ebenso wie alle Autoritäten auf dem Gebiet der Grammatik und alle lateinischsprachigen Weisen mit diesen Sprachen gearbeitet haben, weil sie für die göttliche und menschliche Weisheit notwendig sind. Wir aber sind die Söhne und Nachfolger der vorher Genannten. Wir müssen sie nach­ ahmen, weil sie äußerst weise waren und sich derartig der Liebe zur Weisheit gewidmet haben. Andernfalls müssten wir uns zu Recht unendlicher Dummheit beschuldigen lassen. [87] Der zweite Grund besteht darin, dass es, ob wir wollen oder nicht, notwendig ist, diese Sprachen zu erlernen, wenn wir das Wissen der Weisen kennenlernen wollen. Denn alle ihre Bücher sind voll von diesen Sprachen, wie jedem bekannt ist, der sich mit der Weisheit beschäftigt. Ohne ihre Erklärungen können wir in der Weisheit nicht vorankommen. Wir sind daher auf das mit diesen Sprachen verbundene Wissen angewiesen, oder wir werden wie Esel sein und jeder Weisheit und Lehre entbehren. [88] Zum Beleg führe ich zwei Beispiele von tausenden an. Der selige Hieronymus weist in seinen Hebräischen Fragen85 die Interpretation des Namens ›Israel‹, welcher der Name des Patriarchen Jakob war, für den man sagt: ›Mann, der Gott sieht‹, zurück und nimmt an, dass die richtige Interpretation [dieses Namens] ›Fürst mit Gott‹ ist. Viele vor ihm, die das Hebräische nicht gut genug beherrscht haben, haben den Namen [falsch] interpretiert, denn wenn man das Wort in seine drei Bestandteile ›is‹, ›ra‹, ›el‹ zerlegt, hört sich das so an wie ›Mann, der Gott sieht‹. ›Is‹ heißt nämlich ›Mann‹, ›ra‹ heißt ›sehend‹ und ›el‹ bedeutet ›Gott‹. Denn wie auch ›respublica‹ gleich lautend klingt, wenn es zusammen und getrennt geschrieben wird, so haben sie es auch hier eingeschätzt. Aber es verhält sich nicht mit allen Bezeichnungen auf diese Weise: Zum Beispiel haben das Wort ›Dominus‹ [Herr] als einzelnes Wort und ›Do‹ ›minus‹ [ich gebe weniger] getrennt

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geschrieben nicht dieselbe Bedeutung. Ebenso hat auch das Wort ›Israel‹ im Hebräischen nicht immer dieselbe Bedeutung. Wenn es zusammengeschrieben wird, bedeutet es den Namen des Pa­ triarchen Jakob, wenn es jedoch getrennt geschrieben wird, muss man es nach der Einteilung der drei Silben übersetzen. Das ergibt sich aus vier Gründen. Denn es sind acht hebräische Buchstaben in dem Wort dieser drei Silben [›Is‹-,ra‹-,el‹], aber nur fünf im Namen des Patriarchen. Zudem sind einige [Buchstaben] anders und nicht in der gleichen Weise angeordnet. Der Name des Patriarchen hat im Hebräischen vier | Silben, das geteilte Wort nur drei. Die fünf Buchstaben, aus denen der Name des Patriarchen besteht, sind: jod, sin, resh, aleph, lameth. Aber in der ersten Silbe ›is‹ sind drei Buchstaben: aleph, jod, sin; in der zweiten: resh, aleph, he; in der dritten: aleph, lameth, was acht Buchstaben macht, wenn man sie zählt. Diese vier Gründe sind, wenn man sie zusammennimmt und mit den hebräischen Buchstaben in Verbindung bringt, in der Tat erstaunlich. Sie werden aber nicht verständlich, wenn man die Orthographie des Hebräischen nicht kennt, weil man diesen Unterschied in der Zusammen- und Getrenntschreibung in keinem lateinischen Wort finden kann. Das wird jedem klar, der über diese Ausführungen und die lateinischen Wörter wie ›respublica‹, ›dominus‹ und andere Wörter dieser Art nachdenkt. [89] Weiterhin kann man das anhand fünf weiterer Überlegungen zeigen, etwa anhand der Ableitung des Namens durch [Flavius] Joseph[us] im ersten Buch der Altertümer86 im Griechischen, im Hebräischen und selbst im Lateinischen. Denn alle diese fünf [Interpretationen] weichen von der Interpretation: »Vir videns Deum« [Mann, der Gott sieht] ab, und nichts klingt daran verständlich, außer herrschen mit Gott oder etwas in der Art. Im Hebräischen heißt es »Du wirst Israel heißen«, denn da du ja nun die Macht hast, mit Gott, oder gegen Gott, in jenem Ringkampf von Geist erfüllter Rede, wie er sie mit Gott in der Gestalt eines Engels hatte, wirst du über die Menschen herrschen, das heißt

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über Esau, deinen Bruder. Daher wird auch im Lateinischen gesagt, »Rex tu« (Genesis Kap. 32)87: »Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.« Denn ›gegen Gott‹, ›stark sein‹ und ›gewinnen werden‹ sind in der Sache dasselbe. Der Grund für den Namen ist nämlich nicht die Schau Gottes, sondern ›herrschen‹ oder ›stark sein‹ oder ›gegen Gott gewinnen‹, was ich hier im übertragenen Sinn verstehe. Was die Namensableitung betrifft, stimmen das Griechische und Josephus überein. [90] Aber wegen der gebotenen Kürze übergehe ich dies, da die Erklärung dieser Schwierigkeit eine so große Kenntnis des Hebräischen verlangt, dass ich sie hier weder erklären muss noch kann. Die modernen Theologen, die das Hebräische nicht kennen, berufen sich in diesem Fall also auf eine wertlose gängige Interpretation, | obwohl doch schon Hieronymus diese Diskussion in seine Erklärung [der oben genannten] Passage miteinbezogen hatte. Sie sagen [aber trotzdem] von sich, dass sie Hieronymus in allem folgen, was die Buchstaben und den Literalsinn betrifft, weil er schon alle Fehler der Vorgänger korrigiert hatte. Und die Kirche hat ihm die Autorität über alles gegeben, weil er mehr über die Sprachen als alle anderen lateinischsprachigen Menschen wusste, wie allen Gelehrten bekannt ist. [91] Ich nehme als ein weiteres Beispiel aus dem Griechischen noch den Namen des Tieres aus dem dreizehnten Kapitel der Apokalypse, in dem gesagt wird, dass die Zahl des Namens des Tiers 666 ist. Das erklärt Beda [Venerabilis]88 , indem er sagt: »Da dieses Buch auf griechisch geschrieben worden ist, gebührt es sich, die Zahlen in den griechischen Buchstaben zu suchen, die gemäß den Buchstaben des griechischen Alphabets gezählt werden.« Beda errechnet den Zahlenwert aus vier Namen des Tiers. Einer ist ›antemos‹, was ›Gegner‹ bedeutet, weil es Christus feindlich gegenüber stehen wird. Dieses Wort besteht aus den Buchstaben alpha, nu, thau, epente, mi, omicron und sima. Alpha zählt 1, nu 50, thau 300, epente 5, mi 40, omicron 70, sima 200. Das

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macht zusammen 666. Ein anderer Name, den er anführt, ist ›Arnoume‹. Das bedeutet ›Ich verneine‹, weil das Tier Christus verneinen wird. Alpha bezeichnet 1, ro 100, nu 50, omicron 70, ypsilon 400, mi 40, epsilon 5. Ein drittes griechisches Wort wird mit einem Diphtong geschrieben. Es heißt τειτὰν 89, das heißt ›Sonne‹ oder ›Gigant‹. Eigentlich bezieht sich dieses Wort auf Jesus Christus, aber der Antichrist eignet sich diesen Namen widerrechtlich an. Die zwei thau in diesem Namen ergeben 600, nu 50, iota 10, und alpha 1. Der vierte Name ist »Dic lux« [»Sage Licht!«], weil [das Tier] von sich selbst sagt, dass es das Licht der Welt sei. Da das Wort lateinisch ist, ist die Auslegung hier nicht schwierig: D zählt 500, I 1, C hundert, L 50, V 5 und X 10. Doch es gibt keinen Theologen, der das versteht, auch wenn seine [Bedas] Erklärung im Text zu finden ist. Wenn die Theologen diese Passage lesen, sagen sie darüber nichts | Wahres, weil sie die griechische Sprache nicht beherrschen. Alle Bücher sind hier vollkommen falsch, wie jeder ganz leicht [selbst] in Erfahrung bringen kann. [92] Der dritte Grund für die Notwendigkeit der Kenntnis der Grammatik anderer Sprachen liegt darin, dass die Heiligen vieles darüber geschrieben haben, ohne alles zu erklären, weil sie voraussetzten, dass ihre Nachfolger die Sprachen ebenso kennen müssen wie sie selbst. Daher haben sie nicht alle Schwierigkeiten erläutert, sondern vieles uns überlassen. Ich führe hier als Beispiel etwas aus dem Prolog zu Daniel an, in welchem der selige Hieronymus sagt, dass ein Abschnitt aus Jeremias zwar auf Chaldäisch geschrieben, aber dennoch in hebräischen Buchstaben notiert ist.90 Alle Theologen verstehen [diese Passage so], dass Hieronymus hier auf die Klagelieder anspielt, und so erklären sie auch jenen Prolog, getäuscht durch die absolut wertlose und täuschende Autorität Britons91, durch dessen Kommentar zu den Prologen der Bibel alle getäuscht werden. Deshalb hilft den Gelehrten keine Autorität dabei, zu sagen, dass griechisch ›Perikope‹ [Abschnitt] auf Latein ein ›kleiner Teil‹ heißt und dass die

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Klagelieder ein kleines Werk im Hinblick auf das größere Buch des Jeremias ist. Dieser Fehler ist untragbar. Denn alle Hebräer wissen, dass die Klagelieder ebenso in hebräischen Buchstaben wie in hebräischer Sprache geschrieben worden sind. Wer die Prinzipien der hebräischen Sprache kennt, kann das mit Sicherheit wissen und es in hellem Licht sehen. [93] Wie [also] alle Hebräer den Lateinern bezeugen können, finden wir diesen Teil im zehnten Kapitel des großen Buches des Jeremias, wo in Latein gesagt wird: »So sagt nun zu ihnen: Die Götter, die Himmel und Erde nicht gemacht haben, müssen vertilgt werden von der Erde und unter dem Himmel.«92 Allen Hebräern ist bekannt, dass dieser kleine Vers jener von Hieronymus angeführte Abschnitt ist, weil er ohne Zweifel in Hebräisch geschrieben ist. Die Sprache ist jedoch Chaldäisch. Hebräisch und Chaldäisch unterscheiden sich voneinander wie die Mundarten einer Sprache, so wie etwa das Pikardische und das Normannische, das Burgundische, der Pariser Dialekt und das Gallische [sich unterscheiden]. Sie sind alle eine Sprache – in diesem Fall das Gallische – aber in den verschiedenen Gebieten weichen sie zufällig voneinander ab. | Diese Vielfalt schafft zwar verschiedene Mundarten, nicht jedoch verschiedene Sprachen. Denn das griechische Wort ›idion‹ bedeutet auf Latein soviel wie ›proprium‹ [eigen], wovon das Wort ›idioma‹ abgeleitet wird, also die eigene Art eines jeden, in seiner Sprache zu sprechen. So gibt es in der einen Sprache Gallisch viele verschiedene Idiome, wie etwa das Pikardische, das Normannische, das Burgundische, den Pariser Dialekt usw., gemäß der Vielzahl der Regionen. Auf dieselbe Art sagt auch der Hebräer ›Elohim‹ für ›Gott‹ und für ›Götter‹ und ›lo‹ für ›nicht‹ und ›Samaim‹ für ›Himmel‹. Aber der Chaldäer sagt ›Eloha‹ für ›Gott‹ und für ›Götter‹ und ›lo‹ für ›nicht‹, und ›sanaba‹ für ›Himmel‹. Ebenso verhält es sich auch bei den anderen Wörtern. Mit solch einer zufälligen Vielfalt und unter solch einer Vielfalt oder auch Eigenheit des Chaldäischen ist auch dieser einzelne Vers bei Jeremias geschrieben worden.

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Der vierte Grund, den ich in diesem Teil der Schrift ansprechen möchte, besteht in der Verbesserung einiger von den Weisen des Altertums unvorsichtigerweise vorgebrachten Äußerungen. Denn viele haben selbst ihre Schriften verbessert und überarbeitet, wie etwa Augustinus in seinem Buch Überarbeitungen93 und ähnlich Hieronymus und viele andere. Wenn sie noch bis heute gelebt hätten, hätten sie auch viele weitere [ihrer Schriften] überarbeitet. Mit aller Ehrfurcht und ohne Vorurteil gegenüber den Heiligen und Weisen des Altertums, mit aller Dankbarkeit muss man von ihren Ansichten sprechen. Denn wenn sie nicht gewesen wären, wüssten wir nichts; und doch könnten viele Dinge in unserer heutigen Zeit mit ihrer Erlaubnis geändert werden. Denn auch sie waren nur Menschen und die Gebrechlichkeit des menschlichen Geistes hat auch sie mitunter ergriffen, weshalb auch sie nicht alle Dinge in aller Vollständigkeit erkennen konnten. [95] Schließlich hat bereits Priscian 94 gesagt, dass man nichts Vollkommenes in den menschlichen Hervorbringungen findet. Die Wahrheit verbirgt sich in der Höhe und ruht in der Tiefe, wie sich bereits Seneca im siebenten Buch seines Werkes Über Wohl­ taten95 und im vierten Kapitel seiner Naturwissenschaftlichen Untersuchungen ausdrückte96 . Des Weiteren wird die Wahrheit von unzähligen Trugschlüssen umgeben. Aristoteles sagt in seiner Ethik, dass jedem das Wahre und das Gute in einer Weise erscheint; aber das Falsche und das Schlechte | sind mit unzähligen Unterschieden unterlegt97. Es sei leicht, meint er, von einem Ziel abzuweichen, schwer jedoch, ein Ziel zu finden, wie es anhand der Speerwerfer und der Bogenschützen klar werde, die ihre Geschosse und Pfeile auf ein vorherbestimmtes Ziel lenken. Aus diesem Grund merkt auch Seneca in seinen Naturwissenschaft­ lichen Untersuchungen, Buch vier, sehr elegant an: »Es wird eine Zeit kommen, in der der Tag und die Sorgfalt einer weiter entfernten Zeit das, was nun verborgen ist, ans Licht bringen werden.«98 In der Tat reicht ein Zeitalter nicht aus, um die immense Menge der Dinge zu entdecken. Vieles von dem, was uns noch

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unbekannt ist, werden die Menschen eines späteren Zeitalters wissen. Es wird eine Zeit kommen, in der sich unsere Nachfolger darüber wundern werden, dass wir so offensichtliche Dinge nicht wussten. [96] Als der selige Gregor am Ende seines Kommentars zum Buch Hiob 99 von dessen dritter Tochter gesprochen hatte, musste er auch [die Worte] ›Cornus tibii‹ auslegen. Auch wenn es ihm schien, dass ›cornus‹ genauso wenig wie ›tibium‹ Latein war, obwohl er es in seinem Exemplar so vorgefunden hatte, getraute er sich aufgrund seiner Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Textes und seiner sehr großen Demut doch nicht, es zu ändern. In unseren Tagen könnten diejenigen, die sich um die Wahrheit des Textes Gottes sorgen und die Griechisch und Hebräisch kennen, widerspruchsfrei erklären, dass das Exemplar des seligen Gregor korrupt oder auf altertümliche Weise falsch notiert war, indem der erste Buchstabe des Wortes ›stibium‹, also der Buchstabe s, an das Ende von ›cornu‹ gesetzt wurde, sodass ›cornus tibii‹ anstelle von ›cornu stibii‹ [Füllhorn mit Stibnit] gesagt worden ist, wie es eigentlich richtig wäre. Es gibt bis heute viele alte Texte, die häufig eine derartig falsche Schreibweise aufweisen. Der Heilige [Gregor], der wahrscheinlich sehr beschäftigt war, hatte für die Durchsicht mehrerer Exemplare nicht die Zeit, erst recht [konnte er nicht nachlesen], was auf Griechisch oder Hebräisch geschrieben worden war. Denn im Hebräischen heißt es ›cornu stibii‹, was gemäß der hebräischen Auslegung ›cornu plenum stibio‹ [ein Gefäß voll mit Stibnit] heißt, so wie wir »ein Topf mit Wasser« sagen, das einfach »voller Wasser« bedeutet. Denn man findet hier dasselbe Wort für ›stibium‹ wie im vierten Buch des Buches der Könige, neuntes Kapitel, wo geschrieben steht, dass Jezabel ihre Augen mit Stibnit gefärbt hat.100 Stibnit ist eine weiße Mixtur, mit der die Frauen | ihre Gesichter weißen. Heute ist sie unter dem Namen ›cerusa‹ [Bleiweiß] bekannt. Im Griechischen heißt es ähnlich, weil es mit dem Hebräischen übereinstimmt. Aber da die Menge der heutigen Theologen nichts davon

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versteht, wenn sie [von dieser Stelle] spricht, strengt sie sich an, die Erklärung des seligen Gregor zu retten; und um die Scylla zu vermeiden, stürzt sie in die Charybdis. [97] So gibt es in den Schriften der Alten unzählige Passagen, die durch das Griechische und das Hebräische auf viele Arten verbessert werden müssten: sei es aufgrund ihrer Falschheit, sei es aufgrund ungenügender Erklärungen oder sei es aufgrund eines kleinen Zweifels. Es gibt dafür ganz verschiedene Gründe, die man zu seiner Zeit kennen lernen könnte. [98] Anschließend müssen wir auf die Gründe zu sprechen kommen, aus denen alle Heiligen und Weisen des Altertums Griechisch und Hebräisch gelernt haben. Der erste Grund liegt in der lateinischen Sprache. Denn auch wenn die heute gebräuchliche Sprache zwar Latein genannt werden kann, ist sie doch aus griechischen und hebräischen Vokabeln zusammengesetzt, welche diejenigen, die [heute] Latein sprechen, weder schreiben noch aussprechen, noch auslegen, noch deklinieren können. Wie man sehen wird, wissen sie nicht einmal, welche Wörter lateinische oder griechische oder hebräische Wörter sind, sondern sie sagen darüber unzählige Unsinnigkeiten. Ich werde als erstes die Wörter [aus diesen Sprachen] anführen. Darauf werde ich betreffs der Fehler, mit denen ich die Zeit habe, mich hier zu beschäftigen, auf die Gattungen der Wörter in der lateinischen Sprache eingehen. Ich werde sowohl Wörter behandeln, die wir im alltäglichen Gespräch gebrauchen, als auch solche, die wir im kirchlichen und wissenschaftlichen Diskurs benutzen und in denen sich alle gelehrten Kleriker ausdrücken. Ich werde jedoch nicht über die Fachausdrücke der einzelnen Wissenschaften sprechen, sondern [nur] über die einzelnen Wörter jener Wissenschaften, die wie der Wind im Munde aller Welt sind. [99] Von den Wörtern, die wie der Wind in allen Gesprächen sind, nehme ich einige Beispiele aus dem Griechischen: ›Abyssus‹ [Abgrund], ›adamas‹ [Stahl], ›adamantius‹ [aus Stahl], ›aer‹ [Luft] ›age et agete‹ [Wohlan!], Adverbien der Aufforderung; »unde aya,

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age, rumpe moras« 101 [Auf denn, ohne Verzug!], ›agrius‹ [wild], ›agon‹ [Wettkampf], das heißt Kampf oder Streit; ›agonia‹ [Agonie], ›aget‹ [Nur zu!], ›alabastrum‹ [Alabaster], ›Alexander‹ [Alexander], ›ametistus‹ [Amethyst], ›amygdalum‹ [Mandel], ›amomum‹ [Amomum], das ist | ein Baum; ›aromatica‹ [aromatisch], ›ambo‹ [die beiden], ›amphora‹ [Amphore], ›anaglypha‹ [Anaglypha], eine ziselierte Schrift; ›anetum‹ [Dill], ein gewisses Gewürz; ›anchora‹ [Anker], ›antidotum‹ [Gegengift], ›dagegen gegeben‹, als Heilmittel gegen eine Krankheit; ›apochryphum‹ [Apokryphe], ›absconditum‹ [verborgen], ›apotheca‹ [Speicher], ›architectus‹ [Architekt] und ›architector‹ [ich baue] und ›architriclinus‹ [Hofmarschall], ›Arepoagus‹ [Areopag], ›aroma‹ [Aroma]. [100] ›Balista‹ [Balliste], ›balistarius‹ [Soldat an der Balliste], ›basis‹ [Basis], ›bombyx‹ [Seidenraupe], ›bombycinus, -na; -num‹ [aus Seide], ›bos‹ [Rind], ›botrus‹ [Weintraube], ›branchia‹ [Kieme], das ist der Hals des Fisches; ›bravium‹ [Trophäe], ›brucus‹ [Grashüpfer], ›bubalus‹ [Gazelle], ›butyrum‹ [Butter], ›buxus‹ [Buchsbaum], ›byssus‹ [Batist], ›byssinus‹ [aus Batist]. [101] ›Cadus‹ [Krug], ›calamus‹ [(Schreib-)rohr], ›calix‹ [Kelch], ›camelus‹ [Kamel], ›camera‹ [Zimmer], ›chaos‹ [Chaos], ›Cappadocia‹ [Kappadozien], ›character‹ [Charakter], ›cardiaca‹ [herzkrank], ein Leiden, welches das Herz betrifft; ›cassis‹ [Helm], ›castor‹ [Biber], ›cataclysmus‹ [Überschwemmung], ›cataplasma‹ [Breiumschlag], ›cataracta‹ [Wasserfall], ›cauma‹ [Hitze], ›coenobium‹ [Kloster], ›cete grandia‹ [große Walfische] und ›cetus‹ [Wal], wie bei Jonas im Bauch des Wals; ›cinnamomum‹ [Zimt], ›clibanus‹ [Ofen], ›clypeus‹ [Rundschild], ›coma‹ [Haar, Laub], ›crocodillus‹ [Krokodil], mit r in der ersten Silbe; ›cophinus‹ [Korb], ›colaphus‹ [Faustschlag], ›collyrida‹ [Brötchen], ›coma‹ [Haar], wobei es sich hier um das Haupthaar handelt; ›consedia‹ [Bank], ›coriandrum‹ [Koriander], ›crapula‹ [Rausch], ›crater‹ [Krater], ›crisis‹ [Krisis], ›crocus‹ [Safran], ›crypta‹ [Gewölbe], ›chrystallus‹ [Kristall], ›ciathus‹ [Hüfte], ›cyclus‹ [Zyklus], ›cignus‹ [Schwan], ›ciminum‹ [Kreuzkümmel], ›cipressus‹ [Zypresse], ›calameon‹ [Chamäleon],

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›corta‹ [Partizip von coriri = auftreten, erscheinen], ›clibanus‹ [Ofen], ›corus‹ [Nordwestwind]. [102] ›Decacordon‹102 , ›diadema‹ [Diadem], ›discus‹ [Scheibe], ›dogma‹ [Dogma], ›dolus‹ [List], ›draco‹ [Drachen], ›dragma‹ [Drachme], ›dromedarius‹ [Dromedar], ›discolus‹ [ungeschickt], ›dissenteria‹ [Ruhr]. [103] ›Ex‹, eine griechische Präposition: ›eclipsis‹ [Sonnenfinsternis], ›echo‹ [Echo], mit einem c, ein Ton, der von Hindernissen zurückgeworfen wird; ›electrum‹ [Bernstein, Silbergold] ›elephas‹ [Elephant], ›emoreissa‹, eine Frau, die an einem Blutfluss leidet; ›enchiridion‹, ein Handbuch; ›Ephebe‹, ein schöner junger Mann; ›epar‹ [Leber], ›epicrius‹ [Milbe], ›ergastulum‹ [Kerker], ›ethnicus‹ [ethnisch], bedeutet, wer zu einem bestimmten Volk gehört; ›euge‹ [Bravo!], ›extasis‹, das ist die Ekstase. [104] ›Fantasma‹ [Trugbild], ›fantasia‹ [Vorstellungskraft], ›fero‹ [ich trage], ›fornix lupanar‹ [Bordell], ›frenesis‹ [Leidenschaft], ›fronesis‹ [Klugheit]. [105] ›Gallia‹ [Gallien], ›Gallicus‹ [Gallier], ›gazophilacum‹ [Schatzkasten], ›geo‹, die Erde; ›grabatus‹, das Bett; ›grips, gripis‹ [Greif], das ist ein wilder und vierbeiniger Vogel; ›gyrus‹ [Kreis]. [106] ›Hebdomas‹ [Woche], ›hebenus‹ [Ebenholz], ›heremus‹ [Wüste], ›Herodion‹ [Reiher], ›hilaris‹ [heiter], ›historia‹ [Geschichte], ­›hyacinthus‹ [Hyazinthe], ›Hyaden‹103 , ›hydropicus‹ [wassersüchtig], ›Ysop‹ [eine Heil- und Gewürzpflanze], immer in der Mitte betont. [107] ›Idea‹ [Idee], ›idioma‹ [Idiom], ›idiota‹ [Unwissender], ›imber‹ [bartlos], ›iris‹ [Iris]. [108] ›Laganum‹ [Eierkuchen], ›latomus‹ [Steinmetz], ›lebes‹ [Metallbecken], ›lechytus‹, ein Gefäß mit Öl; ›Legion‹, | enthält 666; ›leo‹ [Löwe], ›lena‹ [Kupplerin], ›leopardus‹ [Leopard], ›Libanus‹ [Libanon], ein Berg in Syrien; ›lympha‹ [Lymphe], ›lyra cithara‹ [Laute], ›lira sulcus‹ [Furche]. [109] ›Malagma‹ [Umschlag], ein Übel für den Baum;, ›mandragora‹ [Alraune], ›margarita‹ [Perle], ›marsypium‹ [Geldbeutel], ›mater‹

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[Mutter], ›moechor‹, Ehebruch begehen; ›moechus‹, ›moecha‹, Ehebrecher, Ehebrecherin; ›mel‹ [Honig], ›mensis‹ [Monat], ›metrum‹ [Metrum], ›metreta‹ [Ölgefäß], ›mina‹ [Aussehen], eine Art von Gabe; ›morus‹ [Maulbeerbaum], ›mulus‹ [Maulesel], ›murena‹ [Muräne]. [110] ›Nardus‹ [Narde], ›navis‹ [Schiff], ›nauclerus‹ [Kapitän], ›nauta‹ [Matrose], ›naulum‹ [Schiffsladung], ›nausea‹ [Übelkeit], ›numisma‹ [Münze], ›nicticorax‹ [Nachtrabe], ›nympha‹ [Nymphe]. [111] ›Ogdo‹ [Acht], ›olea‹ [Olivenbaum], ›oleum‹ [Öl], ›olivum‹ [Olive], ›olon‹, bedeutet ›alles‹; ›Olimphas‹, der fünfte Teil des Jahres, ›omelia‹ [Predigt], ›onager‹ [Wildesel], ›onix‹ [Onyx], ›onichius lapis‹ [der Stein Onyx], ›orichalcum‹, korrupte Form von ›auricalcum‹ [Messing]; ›orphanus‹ [Waise], ›ostrea‹ [Auster]. [112] ›Pan‹, bedeutet ›alles‹, ›papyrus‹ [Papyrus], ›pardus‹ [Panther], ›parabola‹ [Gleichnis], ›paralysis‹ [Lähmung], ›pater‹ [Vater], ›paedagogus‹ [Erzieher], ›pelicanus‹ [Pelikan], ›perdix‹ [Rebhuhn], ›pericope‹ [Abschnitt], ›peripsima‹ [unreine Sache], ›periodus‹ [Periode], ›perizoma‹ [Gürtel], ›pygmeus‹ [Pygmäe], das ist ein kleiner Mensch, sozusagen ein Zwerg; ›plaga‹ [Wunde], ›planeta‹ [Planet], ›plasma‹ [Geschöpf], ›platea‹ [Straße], ›Pleiades‹ [Plejaden], ›poema‹ [Gedicht], ›polis‹ ›viel und viele Dinge‹, ›polis‹ [viel], ›polis‹ [die Stadt]. ›Presbyter‹ [Priester], ›prohemium‹ [Einleitung], ›prologus‹ [Vorrede], ›propheta‹ [Prophet]; ›pseudo‹, bedeutet ›falsch‹; ›pyramis‹ [Pyramide], ›pyrata‹ [Pirat], ›pixis‹ [Pech (Teer)], ›phalanx‹ [Schlachtreihe], ›pharetra‹ [Köcher], ›phoenix‹ [Phönix], ›ptisana‹ [Gerstengrütze]. [113] ›Quercus‹ [Eiche], ›quernum‹ [aus Eiche], ›quercinum‹ [aus Eiche]. [114] ›Rampnus‹ [Hagedorn], ›rhinoceros‹ [Nashorn], ›unicornus‹ [Einhorn], ›rumphea‹ [zweischneidiges Schwert], ›rhythmus‹ [Rhythmus]. [115] ›Saccum‹ [Sack], ›sagma‹ [Packsattel], ›sardonix‹ [Sardonyx], ein wertvoller Stein; ›scaba‹ [rau], ›scandalum‹ [Stolperstein], ›sceptrum‹ [Zepter], ›sciniphes‹ [Wanze], ›schisma‹ [Schisma], aber korrupt ›scisma‹; ›schola‹ [Schule], ›sinapis‹ [Senf], ›sinapum‹

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[aus Senf], ›sindon‹ [Musselin], ›sirena‹ [Sirene], ›smaragdus‹ [Smaragd], ›sophia‹ [Weisheit], ›spata‹ [Schlagholz], ›spatulae‹, Blätter der Palme. ›Sphaera‹ [Kugel], ›stadium‹ [Stadion, Maßeinheit], ›stater‹ [Waage], ›stibium‹ [Antimon], ›sagma‹ [Packsattel], ›stola‹, [Stola]› ›stylus‹ [Schreibgriffel], ›sycomorus‹ [Maulbeerfeige]. [116] ›Tapete‹ [Wandbehang], auch ›tapetum‹ im Neutrum;, ›telum‹ [Geschoss], ›teloneum‹ [Zollstelle], ›terebintus‹ [Therebinte, Eiche], ›tetrarcha‹ [Tetrarch; Regent], ›tigris‹ [Tiger, auch: Der Fluss Tigris], ›tertaum‹ [?], ›theca‹ [Büchse], ›titulus‹ [Titel], ›toxicum‹ [Gift], ›tribulus‹ [Distel], ›triclinum‹ [Speisezimmer], ›tristega‹ [dritter Stock], ›triumphus‹ [Triumph], ›triumphum trophaeum‹ [Siegestrophäe], ›tympanum‹ [Tympanon], ›typus‹ [Figur], ›tilo‹ [Kellerassel], ›thalamus‹ [Schlafgemach], ›theatrum‹ [Theater], ›thema‹ [Thema], ›thesis‹ [These], ›thorax‹ [Brustharnisch]. [117] ›Xenia‹ [Geschenk] und nicht ›exenia‹. [118] ›Zelo‹ [Ich liebe], ›zelor‹ [ich liebe eifersüchtig], ›zelor‹ [Eifersucht], ›zelotypus‹ [eifersüchtig], ›zelotes‹ [Zelot], ›zizania‹ [Unkraut], ›zona‹ [(Geld-)Gürtel] [119] Wörter aus dem kirchlichen Bereich sind: ›agios‹, das heißt ›heilig‹; ›anachorita‹ [Anachoret], ›anathema‹ [Bann], ›angelus‹ [Engel], ›archangelus‹ [Erzengel], ›archiepiscopus‹ [Erzbischof],  | ›Antichristus‹ [Antichrist], ›apostata‹ [Abtrünniger], ›apostasia‹ [Apostasie], ›apostolus‹ [Apostel], ›athanatos‹, bedeutet ›unsterblich‹. ›Baptizo‹ [Ich taufe], ›baptisma‹ [Taufe], ›baptismus‹ [Taufe], ›balista‹ [Balliste], ›blasphemo‹ [ich lästere], ›blasphemus‹ [lästernd]. ›Canon‹, das Geheimnis der Messe, das Dekret und die Regel; ›canonicum‹ [kanonisch], ›catechuminus‹, heißt ›unterwiesen‹; ›catholicus‹ [allgemein; katholisch], ›encaenium‹, ein Fest zur Einweihung einer Kirche oder eines ähnlichen Gebäudes. ›Charisma‹, eine Gnadengabe; ›chorus‹, eine Versammlung derer, welche die Psalmen singen. ›Chrisma‹ [Salböl], ›Christus‹ [Christus], ›Chrysostomus‹ [Goldmund]. ›Deus‹ [Gott], ›diabolus‹ [Teufel], ›diaconus‹ [Diakon]. ›Ecclesia‹ [Kirche], ›eleyson‹

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[Erbarme dich!], ›elementa‹ [Anfangsgründe], ›episcopus‹ [Bischof], ›epiphania‹, [Erscheinung] das Licht des Tempels. ›Gregorius‹ [Gregor], ›heremita‹ [Eremit], ›haeresis‹ [Häresie], ›hymnus‹ [Hymne], ›hypocrisis‹ [Heuchelei], ›hypocrita‹ [Heuchler]. ›Imas -antos‹ [griech.: Riemen], ›idolum‹ [Götzenbild], ›idolatria‹ [Götzenverehrung], ›idolaticum‹ [Götzenverehrer], ›ierithia‹ [Hieratismus], ›ierithicos‹ [hieratisch]. ›Kalenda‹ [Kalenden, der erste Tag des Monats], ›kalendarium‹ [Schuldbuch, Kalender]. ›Laicus‹ [Laie]. ›Martyr‹ [Märtyrer], ›martyrium‹ [Martyrium], ›mausoleum‹ [Mausoleum], ›melos‹ [Lied], ›melodia‹ [Melodie], ›metropolis‹ [Hauptstadt], ›monachus‹ [Mönch], ›mysterium‹ [Geheimnis], ›mysticum‹ [geheimnisvoll]. ›Nicholaus‹ [Nikolaus]. ›Omelia‹ [Homilie], ›orthodoxus‹ [rechtgläubig]. ›Paradisus‹ [Paradies], ›parasceve‹ [Karfreitag], ›patriarcha‹ [Patriarch], ›pentecostes‹ [Pfingsten], ›psalmus‹ [Psalm], ›psalmodia‹ [Psalmodie], ›psallere‹ [singen]. ›Sacrophagus‹ [falsche Schreibung für: Sarkophag], ›symbolum‹ [Glaubensbekenntnis], ›symphonia‹ [Harmonie, Einklang], ›synagoga‹ [Synagoge]. ›Tyara‹, die Papstkrone; ›theos‹ [Gott], ›thymiama‹ [Tymian], das ist Räucherwerk. Es gibt noch unzählige weitere Wörter, aber diese mögen hier als Beispiele genügen. [120] Ähnlich haben auch Beispiele aus der Wissenschaftssprache Eingang in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden, wie z. B. ›grammatica‹ [Grammatik], ›alphabetum‹ [Alphabet], ›syllaba‹ [Silbe], ›ortographia‹ [Orthographie], ›diasynthetica‹ [Diasynthetik], ›prosodia‹ [Prosodie], ›etymologia‹ [Etymologie], ›soloecismus‹ [Solözismus, sprachlicher Fehler in der Syntax], ›antithesis‹ [Antithese], ›zeugma‹ [Zeugma], ›syntaxis‹ [Syntax], welche sie zerstören, ›tropus‹ [Tropus]. In der Grammatik gibt es unzählige Wörter [aus dem Griechischen]. Ähnlich auch ›logica‹ [Logik], ›syllogismus‹ [Syllogismus], ›enthymema‹ [Enthymem], ›perlogismus‹ [Perlogismus, ein Trugschluss], ›elenchus‹ [Zurückweisung], ›problema‹ [Problem], ›perihermeneias‹104 , steht im Genitiv, weshalb sie fälschlicherweise ›periarmeneias‹ sagen;

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›topica‹ [Topik], ›analytica‹ [Analytik], ›falsigraphus‹ [falsche Schreibweise] und viele andere. Ähnlich auch ›mathematica‹ [Mathematik], ›geometrica‹ [Geometrie], ›arithmetica‹ [Arithmetik], ›astronomia‹ [Astronomie], ›astrologia‹ [Astrologie], ›musica‹ [Musik], ›physica‹ [Physik], ›metaphysica‹ [Metaphysik], ›ethica‹ [Ethik], ›politica‹ [Politik], ›theologia‹ [Theologie], ›Genesis‹ [Schöpfung, 1. Buch Mose], ›Exodus‹ [Auszug, 2. Buch Mose], ›Levitikus‹ [3. Buch Mose], ›Deuteronomium‹ [»zweites Gesetz«, 5. Buch Mose], ›Paralipomenon‹ [Paralipomena], ›Psalterium‹ [Psalter], ›Evangelium‹ [frohe Botschaft], ›Apocalypsis‹ [Apokalypse]. In den einzelnen Wissenschaften gibt es fast unendlich viele [griechische Wörter]. |

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Nachdem ich vieles über das Griechische gesagt habe, möchte ich nun kurz zum Hebräischen übergehen, damit meine Absicht deutlich wird. Es gibt unzählige [hebräische Wörter], weshalb es leichter ist. Wie bereits im letzten Kapitel werde ich sie auch jetzt in drei Klassen einteilen. ›Abba‹, ›Vater‹ oder auch ›ab‹, gemäß dem Hebräischen, denn ›Abba‹ ist syrisch; aber die Sprache ist im Wesen die gleiche, auch wenn die Idiome verschieden sind. ›Abel‹ ist bekanntlich der Name eines Mannes, auch wenn er anderswo für die Bezeichnung einer Stadt105 und für einen Stein106 benutzt wird. ›Adonay‹ bedeutet ›Herr‹, ob es nun Gott oder ein Mensch sei. Doch es gibt noch ein weiteres unaussprechliches Wort für ›Gott‹, das Tetragramm genannt wird, weil es mit vier Buchstaben geschrieben wird, und zwar mit yod, hé, vau, hé. [Dieses Tetragramm] liest der Hebräer jedoch nicht, auch wenn er es schreibt. Aber er sagt am richtigen Ort dennoch ›Adonay‹. ›Alaph‹ ist der erste Buchstabe des Alphabets. ›Allelu‹ ist ein eigenständiges Wort und ›ja‹ ein weiteres, denn ›Allelu‹ bedeutet ›Lobet!‹ und ›ja‹ ist der Name Gottes. ›Alma‹ heißt ›verborgen‹,

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wie es einer Jungfrau eigen ist. ›Amen‹, bedeutet ›wahrhaftig‹, ›dauerhaft‹ oder auch ›es werde‹. ›Barabas‹ steht für ›Dieb‹. ›Batus‹ ist ein Maß von drei Scheffeln bei den Hebräern. ›Bethsabee‹ ist die Mutter Salomons; sie heißt jedoch nicht ›Barsabee‹, denn das ist eine Stadt im Süden von Judäa. ›Cubus‹ bedeutet ›Maß‹. ›Casius‹ schreibt man mit einem s, auch wenn man es heutzutage fälschlich mit zwei s liest und schreibt, wie man weiter unten sehen wird. ›Cherub‹ im Singular, ›cherubim‹ im Plural mit dem Buchstaben m. ›Dalila‹, die Samson übel mitgespielt hat, sie schreibt sich mit einem l am Ende wie am Anfang, nicht mit d. Daher wird von der Menge ›Dalida‹ falsch gesagt. ›Erabon‹ ist ein Pfand. [Das Wort] ist hebräisch, auch wenn im Griechischen diese Bezeichnung ebenso benutzt wird. Aber man betont sie ein wenig anders, nämlich ›arrabon‹, mit a als erstem Buchstaben und mit einem doppelten r, was auf Latein nachgeahmt wird. ›Gehenna‹ ist hebräisch. Die Hebräer heißen so von ›Heber‹ und nicht von ›Abraham‹. | ›Hieremias‹, ›Hierico‹, ›Hierusalem‹, ›Hie­ ronymus‹ und andere ähnliche Wörter müssen am Anfang behaucht werden. ›Jesus‹ ist vom Ursprung her hebräisch, aber ganz hebräisch ist ›Josue‹ und auf Griechisch sagt man ›Yesus‹, mit drei Silben. Auf Latein sagt man ›Jesus‹. ›Jubeleus‹ bedeutet ›Jahr‹, in der zweiten Silbe steht ein e und kein i, und [das Wort] kommt nicht von ›jubilo‹, wie wir weiter unten sehen werden. ›Justus‹ ist ein auf hebräisch und lateinisch gleichlautender Name, wie in der Apos­telgeschichte 1107 und in Kolosser 4108 . ›Magdalena‹, ›Maria‹, ›machina‹ sind ursprünglich hebräische Wörter. ›Mamona‹ bedeutet ›Reichtümer‹. ›Man‹ heißt ›was‹, woher der Name ›mana‹ kommt, das die Söhne Israels in der Wüste genossen haben. Da sie es nämlich vom Himmel fallen gesehen haben, fragten sie: »Was ist das?«, auf hebräisch ›manhu‹: Denn ›man‹ ist ›was‹, ›hu‹ ›das‹. ›Nabulum‹ ist hebräisch, ›Psalterium‹ griechisch und auf Latein ›laudatorium‹ [von denen, die loben]. ›Niger‹ ist gleich lautend im Hebräischen und im Lateinischen. Man liest davon in der Apostelgeschichte 13, wo gesagt wird: ­»Simon, genannt Niger.«109

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›Osanna‹ bedeutet ›ich bitte Dich, erlöse mich‹. ›Pascha‹, ›Pharao‹ ist nicht der Name eines bestimmten Königs, sondern eine Bezeichnung für die königliche Würde, so wie ›Caesar‹ bei den Römern. ›Sabbatum‹ ist bekannt; man benutzt die Bezeichnung für ein Fest, für den siebenten Tag und für die Woche. ›Saphirus‹ ist ein Stein aus dem Paradies und hebräisch. ›Saraballa‹ ist vor allem chaldäisch und bezeichnet Hosen oder Schuhe. ›Sathan‹, ›Gegenspieler‹. ›Seraphim‹ mit m ist der Plural, ›Seraph‹ der Singular. ›Sicera‹ bedeutet ›jedes Getränk, das zur Trunkenheit führt‹, gemäß Hieronymus‹ Kommentar zu Jesaiah110 . [122] Ebenso gibt es unzählige chaldäische und arabische Wörter. Aber da sie für uns fremder sind und ich mich kurz halten will, übergehe ich sie hier. Wir müssen uns stattdessen der Frage nach den schon genannten Wörtern noch einmal zuwenden. Die lateinischsprachige Menge irrt sich [in diesem Bereich] gemeinsam mit ihren Autoritäten auf vielfältige Weise: Erstens, weil sie denkt, dass die Wörter | lateinisch, griechisch oder hebräisch sind, obwohl das gar nicht der Fall ist, und umgekehrt. Zweitens, weil sie falsche Ableitungen, Interpretationen und Etymologien für diese Sprachen konstruiert. Drittens, weil sie die Wörter falsch ausspricht und schreibt. Und gerade diejenigen, die immer die ersten in der Erklärung der lateinischen Wörter sind, wie z. B. Papias, Hugutio [von Pisa] und Briton, sind die größten Lügner, durch deren Lügen die lateinischsprachige Menge ständig in die Irre geführt wird. [123] Hugutio [von Pisa] muss wegen einer großen Lüge zu Anfang seines Dekretes getadelt werden, wo er im Apparat sagt111, dass die lateinischen Handschriften besser seien als die griechischen und die griechischen besser als die hebräischen. Er spricht hierbei von den Handschriften, die vom Hebräischen ins Griechische und vom Hebräischen und Griechischen ins Lateinische übersetzt worden sind und macht eine Bemerkung dazu, wie das möglich sein kann. Er führt das auf Hieronymus zurück, was absolut absurd ist, und sogar gegen das, was Hieronymus selbst im Prolog

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zum Pentateuch112 sagt. Denn wenn man etwas aus einer vorangehenden Sprache in eine folgende Sprache übersetzt, dann kann etwas Richtiges nur dann übersetzt werden, wenn es sich bereits im Original und in der Quelle [aus der übersetzt wird] befunden hat. Daher ist es offensichtlich, dass Hebräisch sicherer ist als Griechisch und dieses wiederum sicherer als Latein, zumindest in Bezug auf die Sachverhalte, die von der vorhergehenden in die jeweils nachfolgende Sprache übersetzt worden sind. Dies sagt auch Hieronymus ohne jeden Zweifel. Daher hat Hugutio in diesem Fall Hieronymus nicht verstanden. Daraus wird ersichtlich, dass er sich irrt, wenn er in seinem Buch Über die Wörter 113 sagt, dass ›dogma‹ von ›doceo‹ [ich lehre] kommt: Denn ›doceo‹ ist lateinisch, ›dogma‹ jedoch griechisch. [124] Dabei weiß doch jeder sehr gut, dass eine vorhergehende Sprache nicht von der folgenden bestätigt oder aus ihr abgeleitet wird. Dies sagt Hieronymus auch ausdrücklich in seinen Hebräischen Fragen114 . Auch Servius ist in seinem Kommentar zum zweiten Buch der Georgica115 [dieser Ansicht]. Er zitiert dort Donatus, der sagt, dass der Name ›Bacchus‹, der auf Griechisch ›Lenaeus‹ heißt, von ›lenio/lenis‹ [mild, sanft] abgeleitet wird. Servius bestreitet jedoch, dass ›Lenaeus‹ griechisch ist und akzeptiert die lateinische Interpretation aus diesem Grund nicht. | Denn das Wort kommt von ›potu lenu‹ [griechisch], das heißt von ›lacus‹ [See, Wasserbecken]. Wer also sagt, dass ›dogma‹ von ›doceo‹ abgeleitet ist, denkt, dass ›dogma‹ lateinisch sei; und er irrt sich in dieser Einschätzung ebenso, wie er sich in der Ableitung des Wortes geirrt hat. Ähnlich wird auch [von Hugutio] gesagt, dass ›Amen‹ von a, was soviel wie ›sine‹ [ohne] bedeutet, und ›mene‹, was ›defectus‹ [Mangel] heißt, komme.116 Aber ›Amen‹ ist ein hebräisches Wort, denn man findet es im Alten Testament und es ist dort auf Hebräisch geschrieben. Und ›a‹, was ›ohne‹ bedeutet, ist griechisch, genauso wie ›mene‹. Diese Interpretation ist deshalb falsch, weil Hebräisch nicht aus dem Griechischen hervorgehen kann.

82 [125] Zudem

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sagen Hugutio und Papias, dass ›parasceue‹ [Vorbereitung für den Sabbat, Karfreitag] ›praeparatio coenae‹ [Vorbereitung des Mahls] heißen soll, weil es aus ›paro‹ [ich bereite vor] und ›coena‹ [Essen] zusammengesetzt ist.117 Aber die Bezeichnung ist griechisch, und daher hat sie – hier bin ich mit Hieronymus und Servius einig – keine lateinische Ableitung, wie ich bereits gesagt habe. So irren sich diejenigen, die Latein sprechen, bei unzähligen Wörtern. Der Fehler ist sogar zweifach, weil sie Etymologien für die vorhergehende [Sprache] aus der nachfolgenden [Sprache] bilden und gleichzeitg glauben, dass die Wörter einer Sprache auch die einer anderen sind, was bis ins Innerste falsch und absurd ist. Briton murmelt zwar einiges gegen diese Irrtümer von Hugutio und Papias, macht aber trotzdem dieselben [Fehler], weil er nicht weiß, was er sagt. So nimmt er zum Beispiel an, dass ›Deus‹ [Gott] seine Etymologie von ›dans aeternam vitam suis‹ [den Seinigen das ewige Leben gebend] und ›solus‹ [allein] hat.118 Nun ist ›Deus‹ jedoch [ursprünglich] griechisch. Denn Priscian zufolge wird ein lautloser verwandter [Buchstabe] in diesem Fall durch einen anderen ersetzt: Denn t und d (so auch hier Priscian) sind verwandt, sodass man den einen oft für den anderen benutzt. Der Grieche sagt daher ›Theos‹, und th ändert sich [bei uns] in d, also zu ›Deos‹.119 Außerdem erhalten die griechischen Wörter, die auf -os enden, die Endung -us, wenn sie im Lateinischen benutzt werden120 ; zum Beispiel wird ›Christos‹, zu ›Christus‹. Oder [sie erhalten die Endung] -er, wie bei ›agros‹, und ›ager‹ [Feld]. Dies sagt zumindest Priscian. Da ›Deus‹ griechisch ist, kann es keine lateinische Etymologie haben, wenn der Sinn sich aus der Etymologie ergibt. Ich sage das, weil Hieronymus in seinem erinnerungswürdigen Buch über die Genesis121 der Ansicht ist, dass ›Sara‹ nicht eine griechische, sondern eine hebräische Ableitung haben muss. [Dennoch] nehmen diese [oben genannten Autoren] irgendeinen Namen122 | aus einer Sprache und leiten seine Etymologie von einer anderen her. Servius sagt [dagegen jedoch] an dem schon genannten Ort123

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und auch bei anderen Gelegenheiten, dass ein griechisches Wort keine lateinische Etymologie haben kann. Also leitet Briton die Etymologien falsch ab und fällt in dieselbe Sünde wie Hugutio und Papias, denn die Etymologie ist der Ausdruck bzw. die Vernunft der Wahrheit. Die Wahrheit des Griechischen hängt jedoch nicht vom Latein ab, ebenso wenig wie das Vorhergehende vom Nachfolgenden abhängt. Deshalb sollte man auf keinen Fall irgendeine Etymologie des Griechischen mit lateinischen Wörtern bilden. [126] So irrt er [Briton] sich auch in der grundsätzlichen Erklärung des Wortes ›Deus‹ genauso wie bei ›Theos‹, wenn er sagt, dass dieses Wort ›metus‹ [Furcht] bedeutet.124 Derselben Ansicht sind auch Hugutio125, Papias126 und, wie ich mit Bedauern sagen muss, Isidor127 im siebenten Buch [seiner Enzyklopädie]. Alle die Genannten sprechen aber doch Latein und können ihre Ansichten nicht mit einem bloßen Gefühl belegen, sondern müssen sie entweder durch Autoritäten oder irgendeine Art von Überlegung stützen. Da sie weder das eine noch das andere tun, können ihre Ansichten – so Hieronymus – ebenso leicht zurückgewiesen wie gutgeheißen werden. Denn bei allen Zweifeln und verborgenen Unsicherheiten, die vom menschlichen Verstand behandelt werden können, muss man, um mit den Worten aus Hieronymus’ Kommentar zu Matthäus128 zu sprechen, eine Autorität oder Vernunftgründe heranziehen. Deshalb kann man diesen Lateinern gerade in diesem Fall überhaupt nicht zustimmen, da ja bereits der Grieche Johannes von Damaskus, der sichere und glaubwürdige Interpretationen liefert, uns das in diesem Fall versichert.129 Er sagt nämlich im ersten Buch, dass ›Deus‹ oder ›Theos‹ von ›thein‹ hergeleitet wird, was soviel bedeutet wie ›laufen‹ oder ›pflegen‹ bzw. (nach einer anderen Übersetzung) ›umgeben‹: Denn Gott umgibt und pflegt alle Dinge. Es wird auch gesagt, dass das Wort von ›ethin‹ herstammt, was ›brennen‹ bedeutet. Denn Gott ist das Feuer, das die Schlechtigkeit verbrennt. Das Wort kann auch von ›theaste‹ kommen, was ›bedenken‹ und

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›vollenden‹ bedeutet, weil Gott alles bedenkt und bereits bedacht hat, bevor er die Geschöpfe geschaffen hat. Diese [Etymologien] muss man beibehalten, weil der Autor ein Grieche ist und griechische Interpretationen vorgeschlagen hat, wie es sich gehört. | [127] Briton hingegen ist als Autorität äußerst unwürdig, weil er in dieselben Sünden fällt, die er Hugutio und Papias vorwirft. Er sagt zum Beispiel, dass ›Gehenna‹ von ›ge‹, was ›Erde‹ heißt, und ›ennos‹, was ›tief‹ bedeutet, komme.130 Damit lehrt er, dass ein hebräisches Wort seinen Ursprung im Griechischen hat, denn ›ge‹ für ›Erde‹ ist griechisch und ›gehenna‹ ist hebräisch. Dieses Wort hat der Erlöser jedoch zuerst für die höllischen Strafen eingeführt, wie Isidor über Matthäus131 sagt. Nun steht es aber fest, dass der Erlöser Hebräisch gesprochen hat. Das ist offensichtlich, wenn man von der Ableitung des Wortes ausgeht, wie bereits Hieronymus132 gezeigt hat. Hieronymus sagt nämlich, dass ›Gehenna‹ von ›Gehennon‹ abgeleitet wird, dem Tal der Söhne Ennons, das bei Jerusalem gelegen ist und in welchem die Juden ihre Götzenbilder verehrt hatten. Auch hier irrt sich demnach Hugutio gemeinsam mit Briton, denn er hat ›ge‹ mit ›Erde‹ übersetzt, als wenn die Ableitung aus dem Griechischen käme. Sie irren sich aber nicht nur darin, dass sie das hebräische Wort durch eine griechische Ableitung bestimmen, sondern sie irren sich in der gesamten Interpretation, weil ›ge‹ nicht Griechisch, sondern Hebräisch ist. Auf Griechisch heißt ›ge‹ zwar ›Erde‹, auf Hebräisch jedoch ›Tal‹. Daher ist ›Gehennon‹ das ›Tal von Gehennon oder der Söhne von Ennon‹. Also wird ›Gehenna‹ eindeutig von ›ge‹, ›das Tal‹, abgeleitet. Wenn Briton nun einen Gräzismus benutzend sagt, dass ›ennos‹ ›tief‹ bedeuten soll, dann sagt er damit überhaupt nichts von dem Namen [Ennon], weil er ihm vollkommen entgangen ist. ›Gehenna‹ kommt also aufgrund der Ähnlichkeit von Klang und Bedeutung von ›Gehennon‹, wie auch Hieronymus lehrt. Denn Gott hatte versprochen, die Menge der jüdischen Götzenanbeter in dem Tal der Söhne Ennons zu töten und ebenso die Sünder in der Gehenna [Hölle] zugrunde zu richten.

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Ähnlich sagen Briton, Hugutio und all die anderen Stümper, die keine Ahnung von Grammatik haben, dass ›arrabon‹ [Pfand] soviel heißt wie ›arra bona‹ [gute Anzahlung], denn es sei ›eine Sache, die zur Hochzeit gegeben wird oder für eine gute Sache und nicht für eine schlechte‹. Das ist aber absoluter Unsinn. Denn ›arrabon‹ ist hebräisch, wie es im Buch Genesis 38133 zu lesen steht. Wie bereits gezeigt worden ist, wird Hebräisch nicht vom Lateinischen abgeleitet und | kann seine Etymologie nicht [aus dem Lateinischen] haben. Wenn sie sagen, dass es ›für eine gute Sache, nicht für eine schlechte gegeben‹ heißt, ist das also falsch. Denn Judas, der Sohn Jakobs, hat einen Pfand für die Unzucht gegeben, wie jeder im schon genannten Kapitel des Buches Ge­ nesis lesen kann. Und wenn sie weiter sagen, dass dies von ›arra‹ [Anzahlung] komme, dann ist sogar das falsch, denn bekanntlich ist eine Anzahlung der erste Teil eines Preises, der zu Beginn dem Verkäufer gegeben wird und den der Käufer nicht zurückverlangt. ›Arrabon‹ hingegen ist ein Pfand, der für eine gewisse Zeit für den versprochenen Preis eingetauscht und wiedererlangt wird, sobald der Preis bezahlt ist. Das wird auch anhand der Passage in der Genesis klar, denn Judas verspricht einen Ziegenbock als Preis für den Beischlaf. Da er jedoch keinen Ziegenbock bei sich hat, Thamar jedoch einen Preis verlangt, gibt er ihr als Pfand ein Armband und einen Stab. Dieser Preis wird dort ›arrabon‹ genannt, wie jedem offensichtlich ist, der den Text liest. Und derjenige, der Hebräisch kann, kann dies durch alle Hebräer und durch das Griechische prüfen. Denn auch das Griechische benutzt diesen Begriff für ›Pfand‹. In Paulus’ Brief an die Epheser134 und an vielen anderen Stellen, an denen bei uns ›Pfand‹ geschrieben wird, steht im Griechischen [das Wort] ›arrabon‹. [129] Zu bedenken ist weiterhin, dass auch einige des Griechischen mächtige Lateiner der Meinung waren, dass ›arrabon‹ griechisch sei. Und in ihren Erklärungen des Griechischen haben sie dieses Wort unter den griechischen Wörtern angeführt, weil man es im griechischen Text findet. Es ist jedoch nicht griechischen Ur-

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sprungs, sondern kommt aus dem Hebräischen; und man findet es an dem bereits genannten Ort ebenso wie an anderen. Aber manche hebräische Wörter sind ebenso im griechischen Sprachgebrauch, wie auch griechische und hebräische Wörter im lateinischen Sprachgebrauch sind, da eine spätere von einer früheren Sprache viele Wörter aufnimmt, wie an den oben genannten Wörtern deutlich geworden ist. [130] Jene [genannten] Autoren und diejenigen, die ihnen folgen, irren sich jedoch nicht nur, wenn sie meinen, dass Hebräisch und Griechisch Latein seien, und daher bestimmten Wörtern eine lateinische Ableitung zuschreiben, sondern dasselbe passiert ihnen auch bei reinen lateinischen Wörtern. Denn einige Wörter kommen aus dem Lateinischen, wie zum Beispiel ›coelum‹ [Himmel], von dem sie sagen, es komme von ›casa helios‹, was (zumindest ihrem Verständnis nach) ›Haus der Sonne‹ bedeuten soll, weil das griechische Wort ἥλιος mit ›sol‹ [Sonne] auf Latein übersetzt wird. Da ›coelum‹ jedoch ein | rein lateinisches Wort ist, wird es von ›coelo, coelas‹ [schmücken] abgeleitet. Das sagen jedenfalls sowohl Varro135 , der nun wirklich außerordentlich gut Latein konnte, als auch Plinius136 und Servius. Indem sie diesen Fehler machen, zeigen sie, was für Esel sie sind, wenn sie sagen, dass ›coelum‹ von ›casa helios‹ herkomme, denn ›helios‹ steht im Nominativ; das Wort ἡλίου hingegen ist der Genitiv. Sie müssten also ›casa ἡλίου‹ und nicht ›helios‹ sagen. Denn ›casa helios‹ bedeutet gar nichts, ebenso wenig wie ›casa sol‹ [Haus Sonne], weil es falsches Latein ist. [131] Hugutio137 macht noch einen weiteren offensichtlichen Fehler, den Briton138 gemäß seiner Vorstellung aufnimmt, wenn er sagt, dass ›tus, turis‹ [Weihrauch] von ›Θεὸς‹, was ›Gott‹ heißt, abgeleitet werden muss. Denn schon Servius hat diesen Fehler in seinem Kommentar zu den Georgica139 ausgeräumt. Servius sagt dort, dass ›tus‹ von ›tunendo‹ [zerkleinern] herkomme, da es von den Bäumen auf die Erde fließt und dort auf dem Boden zu Klumpen gerinnt. Die so entstandenen Klumpen werden dann zerklei-

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nert und daraus wird ›tus‹ [Weihrauch] gewonnen. Deshalb muss man [das Wort] ohne Aspiration schreiben, wie Servius eben dort sagt. Aber gemäß dem Fehler von Hugutio und einer falschen Vorstellung von Briton müsste das Wort hier behaucht werden, weil das Wort ›Θεὸς‹, von dem sie fälschlicherweise annehmen, ›tus‹ werde davon abgeleitet, behaucht wird. [132] Ebenso denkt die Menge, dass ›ave‹ von ›a‹, was ›ohne‹ heißt, und ›ve‹, was ›oder‹ bedeutet, hergeleitet werde. Das ist aber falsch, weil ›ave‹ reines Latein ist und daher nicht aus dem Griechischen abgeleitet wird. [133] Im Griechischen sagt man zudem χαῖρε für ›ave‹ und es gibt kein griechisches Wort, das in der Aussprache gleichlautend mit ›ave‹ wäre. Dies muss bei Ableitungen immer beachtet werden, weil sie zu Beginn mit dem Wort übereinstimmen, von dem sie herstammen, auch wenn sie sich später unterscheiden. [134] Weiterhin können wir die Fehler dieser Leute bei den griechischen und hebräischen Wörtern deutlich sehen, wo sie die griechischen und hebräischen Bedeutungen zwar erhalten, aber häufig stark verfälscht haben, da die Wörter [bei ihnen] durch falsche Schreibweise und Aussprache ihres Sinnes und ihrer Bedeutung weitestgehend beraubt worden sind. Dennoch sind ihre Ableitungen soweit in Gebrauch, dass alle Menschen viele falsche Dinge glauben, wodurch die ganze Menge verdorben wird und wodurch die | authentischen und alten Schriften verfälscht werden. [135] Zum Beispiel steht in allen sehr alten Bibeln, den Büchern der Heiligen, allen alten Bücher Priscians, den Büchern von Plinius, den Medizinbüchern und in vielen anderen [Büchern] bei jeder Gelegenheit das Wort ›orichalco‹ [Erz, Messing]. Doch bei diesen [genannten] Autoren, das heißt bei Papias140 , Hugutio141 und Briton142 , wird [orichalcum] zu ›auricalcum‹ verballhornt. Doch die richtige Schreibweise wird nicht nur durch die alten [bereits angeführten] Texte bei jeder Gelegenheit bestätigt, sondern auch durch die neuen und alten Bücher der Poeten, bei denen auf-

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grund der Richtigkeit des Metrums geschlossen werden muss, dass man nicht ›auricalcum‹, sondern ›orichalcum‹ sagen muss. So etwa Horaz: »Tibia non ut nunc orichalco iuncta tubaeque.«143 [»Die Flöte, war ehedem nicht, wie jetzt, ein vielgliedriges Erz­ gefüge und nicht auf die Trompete eifersüchtig.«]



Wenn hier ›auricalcum‹ stehen würde, wäre der Vers unentschuldbar verdorben. Ähnlich sagt auch Vergil im zwölften Buch der Aeneis: »Ipse dehinc auro squalentem alboque orichalco.« 144 [»Turnus selbst passt nun um die Schultern den Panzer, der strotzt von / Gold und schimmerndem Bergerz.«]



Auch Magister Johannes de Garlandia hat sie alle getadelt, wie ich selbst aus seinem Mund gehört habe. Denn sie täuschen sich sowohl in der Bedeutung als auch in der Interpretation. Wenn sie nämlich von dem Wort sagen, es werde von ›aurum‹ [Gold] abgeleitet, dann ist das unmöglich, da das Wort nicht ›auricalcum‹, sondern ›orichalcum‹ heißt. Da sie sich in der Aussprache täuschen, täuschen sie sich hier auch in der Ableitung. Hugutio145 möchte, dass das Wort [orichalcum] von ›calcos‹ kommen soll, was soviel wie ›schlecht‹ bedeutet, also sozusagen ›schlechtes Gold‹, weil es nicht die Farbe von Gold habe. Das ist jedoch falsch. Denn gemäß den Griechen kommt das Wort von χαλκὸς, was ›Erz‹ bedeutet: Also ist es ›prächtiges Erz‹. Teilweise begeht auch Isidor den Fehler dieser alten Erklärungen, denn er meint, das Wort sei aus ›aurum‹ [Gold] und ›calcos‹, was Erz heißt, zusammengesetzt.146 Der zweite Teil dieser Erklärung stimmt zwar, aber der erste ist unhaltbar. Briton und seine schon genannten Gefolgsleute sagen entweder falsche Dinge oder sie legen sich die Dinge so zurecht, wie sie sie gerne hätten. Oder sie schwächeln in der notwendigen | Erklärung und begehen [doch] gleichzeitig alle diese Fehler.

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›Ptisana‹ [Graupensuppe; Gerstengrütze] ist ein weit verbreitetes Heilmittel bei den Kranken. Es handelt sich dabei um den Saft der Gerste, die in Wasser aufgekocht wird, oder besser gesagt um das Wasser, in dem die Gerste gekocht wird. Der Trank wird Fieberkranken gegeben. Das Wort wird mit p und einem folgenden t am Anfang geschrieben, wie auch bei ›Ptolemäus‹ und vielen anderen griechischen Wörtern. Dass es so geschrieben wird, wird an den griechischen Büchern, in denen es so geschrieben wird, den alten Bibeln und an vielen anderen Büchern deutlich. Es hat eine kurze Silbe in der Mitte. Denn Macer sagt in seinem Buch Über die Pflanzen: »Cum ptisana succum porri sorbere iuvabit« 147; [»Den Lauchsaft zusammen mit dem Trank der Gerstengrütze herunterschlucken wird helfen.«]



und Horaz schreibt: »Tu cessas, agedum, sume hoc ptisanarium oryzae.« 148 [»Du zögerst noch? Nimm diese Graupensuppe hier.«]



Dieser Vers muss so ausgesprochen werden, dass die letzte Silbe des Wortes ›ptisanarium‹ gemäß der dichterischen Regel richtig abgetrennt wird, sodass man ihn ›ptisanari oryzae‹ ausspricht. Daraus folgt, dass die ersten beiden Silben ebenso wie auch die Silbe sa gekürzt werden müssen, weshalb sie auch in dem Wort ›ptisana‹ kurz ausgesprochen werden müssen. [137] Briton149 irrt sich jedoch in jedem der beiden genannten Fälle. Denn er gibt seiner Ansicht Ausdruck, dass das Wort mit t beginne und dass der Buchstabe i folge. Danach komme ein p, sodass man ›tipsana‹ sagen müsse. Zudem macht er aus der mittleren Silbe eine lange Silbe. Er beweist dies aber nur dadurch, dass er Alexander Neckham als Gewährsmann anführt, weil dieser dabei einen ähnlichen Fehler gemacht hat wie er selbst, wenn dieser sagt:

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»Cortice nudato tipsanas ordea dicas.« 150 [»Wenn die Hülle abgezogen ist, nenne es Trank aus Gerstengrütze.«]



Von diesem Fehler Alexanders ausgehend irrt er sich selbst ohne jede Vernunft und ohne Autorität. Bei einer weiteren Gelegenheit macht er einen noch größeren Fehler. Er sagt nämlich, der Vers des Horaz müsse | mit einer Ablösung der letzten beiden Silben ausgesprochen werden, also: ›tipsanaroryze‹, damit der Ausdruck eine lange mittlere Silbe habe, nämlich die Silbe sa. Aber dieser Fehler ist absolut sinnlos und gegen alle Autoren. [138] Zuerst ist diese Ansicht von Macer angegriffen worden, wie ich bereits oben geschrieben habe.151 Weiterhin ist dieser Fehler von einer Regel Priscians im vierten Buch angegriffen worden, denn dort heißt es, dass a vor r bei Ableitungen gedehnt wird, wie in ›popularis‹ [volkstümlich], ›singularis‹ [einzeln], ›familiaris‹ [vertraut], ›avarus‹ [habgierig], ›contrarium‹ [Gegenteil], ›armarium‹ [Schrank] und in anderen derartigen Wörtern.152 Also muss auch ›Ptisanarium‹ ein langes a vor dem r haben. Das wird durch die dichterische Regel der Versbetonung noch deutlicher; denn kein Dichter würde jemals irgendeine Silbe zuviel abtrennen, wie bei allen christlichen und paganen Dichtern gezeigt werden kann. Als Beispiel führe ich Horaz an: »Non aliam ob causam, nisi quod virtus in utroque est«; 153 [»Nichts andres war der Grund, als daß sie beide höchste Tapferkeit beseelte.«]



hier wird nur die Silbe am in dem Wort ›aliam‹ abgetrennt. Wenn hier nämlich zwei [Silben] abgetrennt würden, also i und am, sodass nichts bliebe als [die Silbe] al, würde man sagen ›Non al ob causam‹ usw. Dann wäre der Vers falsch, weil al kurz ist und von einem Vokal gefolgt wird, obwohl doch [die Silbe] im Gegenteil beim Aussprechen gerade verlängert wird. So auch bei Lukan:

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»Italiam, extremo sedeat quod littore magnus.« 154 [»obwohl er ganz Italien besessen hatte, […] und obwohl dieser an der äußersten Küste lagerte.«]



Wenn hier zwei Silben beim Aussprechen abgetrennt werden würden, wenn es also hieße ›Ital extremo‹ usw., wäre der Vers falsch, weil al kurz ist, weswegen auch bei Vergil ›Italiam fato‹ usw. steht. Aber in unserem Fall [›Ital extremo‹] würde der Silbe ein Vokal folgen, was auch bei Vergil nicht möglich ist: »Multum ille et terris, iactatus et alto«; 155 [»Küsten, viel über Lande geworfen und wogendes Meer.«]



Dieser Vers muss so betont werden: »Multum ille« usw., damit keine Silbe zuviel abgetrennt wird. Daher findet man [die vorher genannte falsche Aussprache] niemals bei den Dichtern, die vor Christus gelebt haben. [139] Genauso wenig | findet man so etwas bei den christlichen Dichtern, oder, um es besser zu sagen, bei den äußerst gelehrten Autoren. Mit diesen meine ich etwa Sedulius, Prosper, Arator, Juvencus und alle die anderen, die von der Kirche gebilligt werden, ebenso wie die Päpste, in deren Prologen zu ihren Büchern nichts Derartiges zu finden ist, ebenso wenig wie bei Hieronymus, Beda [Venerabilis] und allen Weisen des Altertums. [140] Juvencus, welcher der erste [der christlichen Dichter] war und welcher das Matthäusevangelium156 in Verse gebracht hat, sagt folgendes: »Officio amissamque levant promissa loquelam.« 157 [»Das Amt ist beendet und die Verheißungen erleichtern das verlorene Wort.«]



Hier wird die letzte Silbe [bei der Aussprache] abgetrennt, also das o, folglich [spricht man] »Offici amissam« usw. Mehr darf hier nicht abgetrennt werden, ohne den Vers falsch zu machen. Sedulius:

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»Principium et finem hunc Alpha viderier.« 158 [»Der Beginn und das Ende, das erscheint wie das Alpha.«]



Priscian sagt, dass die Autoren ›farier‹ für ›fari‹ [sagen] benutzen und ›viderier‹ für ›videri‹ [scheinen] und weiteres in der Art.159 Dies sage ich, um den Sinn des Verses zu verdeutlichen. Er wird so ausgesprochen: »Principi et finem« usw., sodass nur die letzte Silbe abgetrennt wird. Denn wenn zwei [Silben] abgetrennt werden würden, würde man den Vers so aussprechen: »Princip et finem« usw., und der Vers wäre falsch, weil die Silbe kurz ist und von einem Vokal gefolgt wird. Ähnlich sagt auch Prosper: »Iudicium humanum quod falli saepe necesse est.«160 [»Es ist notwendig, dass sich das menschliche Urteil oft täuscht.«]



Hier ist offensichtlich dieselbe Überlegung das Wort ›judicium‹ betreffend angebracht wie in dem anderen Vers betreffs des Wortes ›principium‹. Und wiederum Prosper: »Una trium de hoc, quod una deitas una est esse ab uno.«161 [»Einer aus dreien, weil eine Gottheit ausgehend von einem Seienden eine ist.«]



In diesem Vers kann in der Aussprache des zweiten ›una‹ nur die zweite Silbe abgetrennt werden, ebenso wie bei der Ausspache von ›esse‹, | denn sonst wäre der Vers verdorben. Und Arator: »Divinum concepit iter hinc sacra Maria est«162; [»Das Göttliche hat es so eingerichtet, dass sein Weg zu uns die Heilige Maria ist.«]



Die letzte Silbe des Wortes ›Maria‹ kann abgetrennt werden; mehr jedoch nicht, weil sonst das Versmaß zerstört werden würde. [141] Es ist [anhand all dieser Beispiele] also offensichtlich, dass man bei der Aussprache des Wortes ›ptisanarium‹ keine außer der letzten Silbe abtrennen darf. Man spricht [den Vers] aus diesem Grund demnach so: ›Ptisanari oryze‹, genauso wie ›Principi et

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finem‹ in dem Vers des Sedulius und wie ›Judici humanum‹ in dem Vers von Prosper. Hier irrt sich demnach Briton mit seinem Alexander Neckham. Alexander hat zwar zu vielen Themengebieten wahre und nützliche Dinge geschrieben, aber man kann und darf ihn dennoch nicht mit angebrachtem Titel zu den Autoritäten zählen. [142] Ebenso werden viele Albernheiten über die folgenden Wörter ­gesagt: ›Cenobium‹ [Kloster], ›cenodoxia‹ [wertloser Ruhm], ›encaenia‹ [Widmung, Einweihung], ›cinomia‹ [Fliege], ›scenophagia‹ [Laubhüttenfest] und andere Wörter dieser Art. Der Fehler findet sich in den einfachen Wörtern ebenso wie in den zusammengesetzten Wörtern. Die Unkenntnis ist hier ganz schaurig. Man muss an dieser Stelle sehr aufmerksam darüber nachdenken, dass zwar mehrere dieser Wörter vom griechischen κενῷ [leer] kommen, aber nicht alle. Und man muss wissen, dass das Wort ›cenon‹, welches bei uns auf eine bestimmte Weise ausgesprochen wird, bei den Griechen auf drei Arten geschrieben wird. Erstens mit einem kurzen e, wie bei ›kenon‹, und das heißt ›leer‹ oder auch ›leerer Raum‹. Daher kommt auch ›cenodoxia‹, was ›wertloser Ruhm‹ bedeutet; denn ›doxa‹ ist gemäß dem, was im Kommentar zum siebenten Buch des Deuteronomium163steht, der ›Ruhm‹. In der zweiten Weise wird das Wort mit dem Diphtong ›alpha-iota‹ geschrieben, also ›kainon‹. Dann hat es die Bedeutung von ›neu‹, woher auch ›encoenia‹ kommt, was soviel heißen will wie ›Neuerung‹ oder ›Einweihung‹ oder auch ›die neuen Feste‹ und die ›Einweihung von Kirchen‹. Daher sagt man auch ›encoeniare‹, was ›einweihen, widmen‹ bedeutet, wie Augustinus in seinem Kommentar des Johannesevangeliums schreibt164 . Auf die dritte Weise schreibt man es mit dem Diphtong ›omicroniota‹, folglich ›koinos‹ [gemeinsam], und im Griechischen erklingt dafür ein y, | daher sagen sie ›oimon‹. Nach Priscian, zweites Buch165 , benutzen die Lateiner aber den Diphtong oe für e, sie sprechen ihn jedoch wie e aus. Daher sagen sie ›cenon‹, woher ›epicenon‹, ›den Arten gemeinsam‹, kommt, ebenso wie ›cena‹,

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was die ›Gemeinschaft der Essenden‹ ist, weil man im Altertum die Angewohnheit hatte, sich unter dem freien Himmel zu ernähren und gemeinsam zu essen, damit die Einsamkeit nicht zu Genusssucht und Völlerei führt. Aufgrund der Wörter ›cenon‹, was ›gemeinsam‹ bedeutet, und ›bios‹, was das ›Leben‹ ist, wird auch ›cenobium‹ und ›cenobitae‹ gesagt, was den Sinn von ›in der Gemeinschaft lebend‹ hat. Aber ›renon‹166 [xenon] schreibt man mit einem r [x], genauso wie ›pepop‹167 [xenos]. Das bedeutet soviel wie ›fremd‹, von woher ›remum‹ kommt, was ›zu weit außerhalb‹ bedeutet. Es heißt hier aber nicht ›eremum‹ [Wüste] mit dem Buchstaben e am Anfang, wenn es auch Hugutio168 , Briton und andere fehlerhaft so wollen. Denn in allen alten Bibeln, Geschichtsbüchern und anderen [Büchern] beginnt [dieses Wort ›remum‹] mit dem Buchstaben r, so wie es auch im Griechischen ist. ›Cinomia‹ [gemeine Stechfliege] kommt von ›cenon‹, was ›gemein‹ bedeutet und von ›mia‹, der ›Stechfliege‹. Man schreibt es mit dem Diphtong oi auf Griechisch so: κοινομία; gemäß dem allgemeinen Sprachgebrauch der Lateiner gegenüber anderen Vokabeln dieser Art müsste man den Diphtong eigentlich wie ›coenomia‹ aussprechen, wie an dem schon Gesagten ersichtlich wird. Dennoch hat sich der Gebrauch des antiken Lateins hier erhalten, sodass ›cinomia‹ hier mit i, nicht mit e ausgesprochen wird. Dieser [Gebrauch] wird vor allem deshalb akzeptiert, weil schon Hieronymus in seiner Übersetzung, die sehr nahe an der hebräischen Wahrheit ist, [das Wort κοινομία] mit ›alle Arten von Stechfliegen‹ [›omne genus muscarum‹] in dem oben genannten Sinn übersetzt. So ist es auch im Text von Exodus 8, in dem ›alle Arten von Stechfliegen‹ steht169. Hier wie dort wird die ›Stechfliege‹ [musca] auf allgemeine Weise genommen. Die Übersetzer der Septuaginta haben die Stelle aus dem Hebräischen ins Griechische dieses Mal mit ›allerhand Arten von Stechfliegen‹ [omnimodam muscam] übertragen, so wie es auch in dem griechischen Text erscheint, und die Glossa [ordinaria] sagt dasselbe. Aus diesen Gründen muss man mit allem Nach-

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druck hervorheben, dass diese Plage in Ägypten alle Arten von Stechfliegen umfasste und nicht nur eine Art, also nicht nur die ›Hundsfliege‹, von der nun zu reden sein wird. | [143] Denn diese wird im Griechischen κυνόμυια geschrieben. Man muss dieses Wort [aber im Gegensatz zur allgemeinen Stechfliege, der ›cinomia‹] mit einem griechischen y, oder170 Ypsilon, schreiben. Das Wort kommt von ›cynes‹, was ›Hund‹ bedeutet, und von ›mia‹, der ›Fliege‹. [Diese Fliege] hat die Gewohnheit, im Sommer die Hunde zu infizieren, indem sie sich in deren Ohren einnistet. Aus all diesen Gründen ergibt sich, dass die ägyptische Fliegenplage nicht nur aus Hundsfliegen [›cynomia‹], sondern aus allen Arten von Stechfliegen [›cinomia‹] bestanden haben muss. Sie schätzen die ägyptische Fliegenplage also falsch ein, und zwar auch im Psalter171. Ebenso wird es auch in einer Magistralglosse zu Exodus 8172 falsch gesagt, da dort ›cinomia‹ fälschlicherweise eine Hundsfliege [musca canina] ist, genau so wie auch in unzähligen anderen Kommentaren zur Bibel, die nicht von den Heiligen, sondern von Gelehrten geschrieben worden sind, die davon in dieser Sache nicht genug verstanden haben. Weil Briton173 nur einen Sinn des Textes erfasst und Papias174 einen anderen und die anderen wieder andere, unterscheiden sie nicht die vielen verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten der Bibel, noch erklären sie, was an einer bestimmten Stelle wahr und was falsch ist. Es ist daher absolut offensichtlich, dass [ihre Auslegungen] vollkommen verdorben sind. Ebenso verhält es sich auch in den anderen oben genannten Fällen über die verschiedenen Bedeutungen von ›cenon‹ und seinen Ableitungen. [144] Bezüglich der Wörter ›nummus‹ [Münze] und ›nomisma‹ [Geldstück] enthalten die Erörterungen von Briton und den anderen viele Albernheiten und Falschheiten, von denen sie keine belegen. Denn es ist sicher, dass ›nummus‹ von den lateinischen Autoren mit zwei m geschrieben wird und dass es ein lateinisches Wort ist. Das Wort ›nomisma‹ ist hingegen griechisch und wird mit einem o in der ersten und mit einem m in der zweiten Silbe

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geschrieben. Es steht [in diesem Wort] also weder ein u noch ein m in der ersten Silbe. Denn im Griechischen schreibt man es mit m und o in der ersten Silbe, wie es bei Matthäus 22 ersichtlich wird, wo der Herr sagt: »Zeigt mir die Steuermünze«.175 An dieser Stelle steht das griechische Wort ›nomisma‹, wie es in Latein ausgesprochen wird; daher ist es durch und durch Griechisch. Aus diesem Grund täuschen sich Briton und die anderen, wenn sie meinen, dass es ein u in der ersten Silbe habe, wie auch immer es sich mit dem m verhalten möge. [145] Deshalb irren sich ferner auch diejenigen, die sagen, dass es von ›nummo‹ herkomme. Sie werden getäuscht, weil sie glauben, dass das Wort ein u in der ersten Silbe habe. Doch auch aus einem weiteren Grund wird klar, dass sie etwas Falsches und Absurdes sagen, denn Griechisch wird nicht vom Lateinischen abgeleitet. Der dritte Grund für eine Ableitung aus dem Griechischen besteht darin, dass dieses Wort von dem griechischen Wort νομίζω herkommt, was soviel bedeutet wie ›eine Münze prägen‹ [facere νόμισμα]. Zudem ist νόμισμα kurz in der ersten Silbe, | wohingegen ›nummus‹ in der ersten Silbe lang ist, sodass ein großer Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern besteht, wie wir auch bei Juvencus sehen, der im dritten Buch seines Matthäus­ kommentars schreibt: »Inspicite in nummum sculptique nomismatis aera.«176 [»Seht euch eine Münze und das Erz eines verzierten Geldstücks an.«]



Und Sedulius schreibt im fünften Buch: »Tam diri sceleris ter dena nomismata sumis.« 177 [»Du nimmst dreißig Geldstücke für ein so schweres Verbrechen.«]



Und Horaz im fünften Buch der Briefe: »Retulit acceptos regale nomisma Philippos.«178 [»Er erhielt viele Philippi, königliches Geld.«]

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[das Wort] hier von ›nummo‹ abgeleitet worden wäre, müsste es wahrscheinlich eine lange Silbe haben, ebenso wie ›nummus‹. Es gibt hier nur eine kleine Ähnlichkeit [zwischen den beiden], weshalb das Argument gilt, dass [›nomisma‹] nicht auf [›nummo‹] zurückgeführt werden kann, und auch nicht von Briton179 [von ›nummo‹] abgeleitet werden darf. [147] Manchmal nimmt man ›nomisma‹ [Geldstück] auch für ›denario‹ [Denar], wie es bei dem Vers von Sedulius klar wird, wo er von Judas erzählt, dieser habe dreißig Geldstücke, d. h. Denare, für den Verkauf des Herrn erhalten. Manchmal wird [das Wort ›nomisma‹] auch für den Verkauf oder die Verzierung von Münzen gebraucht, wie bei Juvencus; wobei es bei einer Münze eigentlich richtiger ›Inschrift‹ heißen müsste. So steht es auch im Evangelium, weshalb man sich nicht wundern muss, dass Briton zumindest dies nicht entgangen ist. [148] Überdies irren sich Hugutio180 und Briton 181 ganz fürchterlich bei dem Wort ›idiota‹ [Laie, Unwissender]. Denn sie sagen, [idiota] käme entweder von ›idus‹, was ›Teilung‹ bedeutet, und ›iota‹, einem Buchstaben des Alphabets, also ›getrennt von den Buchstaben‹ und ›ungebildet‹. Oder von ›idus‹ und ›ota‹, was ›Ohr‹ heißt, also ›getrennt vom Gehör‹, denn derjenige, der etwas hört, versteht es nicht. Oder sie meinen, ›idiota‹ käme von ›othis‹, was soviel bedeutet wie ›Sitte‹, und ›idos‹, auf Latein ›eigen‹, was dann ungefähr hieße:‹. ›In Unkenntnis der eigenen Erde und des eigenen Volkes‹. Aber alle diese Erklärungen sind lächerlich und falsch. Denn ›idion‹ heißt ›eigen‹, woher ›idioma‹, also die ›Eigenheit des Sprechens‹ und ›idiotes‹ ›der, welcher mit seinem natürlichen Sinn und seiner eigenen Sprache zufrieden ist‹, kommen, ebenso wie ›idiota‹, wie es auch in Bedas Kommentar zur Apostelgeschichte, Buch vier182 , zu lesen ist. Deswegen wird ›idiota‹ in seinem lateinischen Sprachgebrauch | von dem griechischen Wort ›idiotes‹ abgeleitet und wird nicht aus den genannten falschen Ableitungen zusammengesetzt, ebenso wie ›prophetia‹ und ›prophetes‹. Und so ist es auch bei vielen anderen Wörtern.

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Denn diese Ableitungen sind nicht nur falsch, sondern vollkommen unsinnig, vor allem die dritte Wortbildung, nach der ›idiota‹ von ›die Sitten des eigenen Volkes nicht kennen‹ herstammen soll. Denn das würde gemäß Beda und den Griechen bedeuten, dass einer nichts wissen würde, wenn er nicht die Sitten und die Sprache seines eigenen Volkes kennen würde. Außerdem heißt ›eigen‹ auf Griechisch nicht ›idios‹, sondern ›idion‹. Es wäre weniger sinnlos, sich in die Erklärungen von Briton und Hugutio zu schicken, wenn das Wort aus ›idus‹ und ›ethis‹ zusammengesetzt werden würde als aus ›idion‹, weil es dann wenigstens auf irgendeine Weise wie ›getrennt von den Sitten eines Volkes oder unwissend‹ klingen würde. [149] Es gibt keine Grenze bei den Fehlern, die von ihnen gemacht werden, und es ist nicht möglich, sich jeden einzelnen vorzunehmen. Trotzdem werde ich noch einen weiteren Fehler aus den Erörterungen von Hugutio und Briton behandeln. Denn die beiden rasen förmlich gegen die Wahrheit. Vor allem Briton, der sich hierbei fast in ein Delirium hineintobt. Sie streiten sich nämlich über die Wörter, die von Steinen und Stoffen abgeleitet werden, wie ›adamantinus‹ [aus Stahl], ›amethystinus‹ [aus Amethyst], ›crystallinus‹ [aus Kristall], ›hyacinthinus‹ [von der Hyazinthe], ›onychinus‹ [aus Onyx], ›smaragdinus‹ [aus Smaragd], ›bombycinus‹ [aus Seide], ›byssinus‹ [aus Batist] und alle Wörter dieser Art, die in der vorletzten Silbe gekürzt werden. Denn alle Autoren kürzen diesen Vokal und verlängern ihn niemals. Es gibt [für diese falsche Silbenverlängerung] auch keine dichterische Freiheit. Denn eine dichterische Freiheit existiert nur dann, wenn sich aufgrund des Metrums die Notwendigkeit ergibt, eine Silbe zu kürzen oder zu verlängern. [Eine andere Möglichkeit] kann man weder bei demselben Autor noch bei verschiedenen Autoren finden. Daher sagt auch Juvenal: »Causidici vendunt amethystina convenit illis.«183 [»Den Anwalt empfehlen amethystfarbene Kleider, es bringt ihm Vorteil.«]

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Und ebenso: »Grandia tolluntur crystallina maxima rursus.«184 [»Dann bringt man starkes Kristall, die größten Stücke, herbei.«]



Und auch: »Quarum delicias pannus bombycinus urit.«185 [»Die in ihrer Empfindlichkeit ein Seidenfähnchen versengt.«]



Und Persius [schreibt]: »Hic aliquis cui circum humeros hyacinthina laena est.«186 [»Dort ist einer, die Schultern umgeben mit einem hyazinth­ farbenen Mantel.«] |



Und Prudentius [sagt]: »Sardonycem pingunt amethystina; pingit, iaspis / has inter species smaragdina gramine verno.«187 [»Die Lichtreflexe des Amethysten lassen den Sardonyx funkeln, ein Jaspis und ein schöner Topaz schmücken den Smaragd daneben.«]

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So ist es bei allen Autoren. Man findet niemals den gegenteiligen Fall, weshalb es sich hier nicht um dichterische Freiheit handelt, sondern um eine von allen anerkannte Wahrheit. Und aus diesem Grund lügen Hugutio, der Lügner, und der noch größere Lügner Briton, weil sie alle diese Autoren mit der dichterischen Freiheit entschuldigen wollen. [151] Weiterhin haben die Lateiner ihre Grammatik von den Griechen übernommen, weshalb man in Fragen nach den griechischen Wörtern vor allem den Griechen folgen sollte. Deshalb sagt auch Servius in seinem Kommentar über das erste Buch der Aeneis, dass dann, wenn uns ein griechisches Wort überliefert ist, es auch mit seinem [richtigen] Akzent betont werden muss188 und aus demselben Grund auch mit dem richtigen Zeitmaß. Dies sehen wir in allen Werken der Autoren. Aus diesem Grund müs-

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sen diese Wörter in der vorletzten Silbe verkürzt werden. Wenn Briton189 dagegen einwendet, dass diese Ansicht gegen die Meinung Priscians sei, der in seiner Abhandlung Über die Posses­ siva190 schreibt, dass bis auf wenige Ausnahmen bei jedem auf -nus endenden Possessiv die vorletzte Silbe lang sein sollte, also z. B. ›masculinus‹, ›foemininus‹ und eine unzählige Menge an anderen Wörtern dieser Art, dann ist dazu zu sagen, dass diese dortige Regel auf die lateinischen Ausdrücke angewendet werden muss und nicht auf die griechischen. Das ist bei Prisican daran ersichtlich, dass er selbst sagt, die Form auf -nis ebenso wie viele andere Formen seien nicht aus dem Griechischen abgeleitet, sondern fänden sich ausschließlich im Lateinischen. Denn wie Priscian eben dort weiter lehrt, enden die griechischen Formen des Possessivs nicht auf -nis, sondern auf -cos und -os, wie bei ›grammaticos‹ [zur Grammatik gehörend] und ›spondeos‹ [des Trankopfers], Formen, die wir – wie Priscian selbst sagt – von den Griechen bekommen haben. Im Lateinischen benutzen wir diese Formen jedoch nicht sehr oft, sondern andere, von denen -nis eine ist, wie Priscian veranschaulichend erklärt. In diesen Beispielen geht er jedoch niemals auf Ableitungen von Wörtern ein, die Steine oder Stoffe bezeichnen, und hat diese daher gar nicht in Betracht gezogen. Da Briton die Logik des Griechischen ebenso wenig gekannt hat wie Hugutio, haben sie Priscian nicht verstanden. [152] Außerdem weiß Priscian durchaus, dass die Dichter | diese Wörter oft verdorben haben, da er sie nach seinem eigenen Maßstab gutheißt oder kritisiert. Denn er hat die Dichter angeführt, um sie zu verteidigen oder zu entschuldigen. So hat er es in einigen Fällen gemacht, in denen von den Dichtern einige [eigentlich falsche] lange oder kurze Silben wegen der dichterischen Notwendigkeit benutzt worden sind. Denn hat Priscian [in dem Kapitel] über die Diminutive191 nicht Juvenal in Schutz genommen, der die drittletzte Silbe des Wortes ›cuticula‹ [Häutchen] verlängert hatte? [Juvenal] sagt:

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»Cum libet aestivum cuticula solem.«192 [»So wie die Sommersonne unserer Haut gut tut.«]



Dieses Wort [›cuticula‹] besteht aus vier kurzen Silben, aber wegen der Notwendigkeit des Metrums hat er die drittletzte Silbe verlängert. Nun bemängelt Briton jedoch, dass er auch das Wort ›leoninus‹ zu seinen Beispielen zählt193 , das ein griechisches Wort zu sein scheint, da ›leon‹, was ›Löwe‹ bedeutet, doch ein griechisches Wort ist. Hierzu muss man sagen, dass das Wort nicht von ›leon, leontos‹ abgeleitet wird. Denn [›leon‹] ist in der Tat griechisch und muss gemäß der griechischen Gewohnheit dekliniert werden. Allerdings wird es hier von ›leo, -nis, -ni‹ abgeleitet, das gemäß der lateinischen [Grammatik] dekliniert und der lateinischen Gewohnheit gemäß behandelt wird. Daran hat man -nus angehängt und so wurde es zu ›leoninus‹, weshalb das Wort ›leoninus‹ dem lateinischen Gebrauch folgt. Ähnlich bringt [Briton] auch Einwände gegen das Wort ›mustelinus‹ vor, das sich auch dort [bei Priscian] findet. Hierzu ist zu sagen, dass ›mustela‹ [Wiesel] kein griechisches Wort ist. Denn was bei uns ›mustela‹ heißt, wird bei den Griechen als ›gale‹ bezeichnet. Und wenn ›mustela‹ griechisch wäre, wäre es dennoch in den lateinischen Gebrauch aufgenommen worden und würde gemäß dem Lateinischen dekliniert werden, und zwar in dem Maße, in dem ›mustelinus‹ von ihm abgeleitet werden würde. Das gleiche gilt auch für andere Wörter dieser Art, wie etwa ›metropolitanus‹ [aus der Stadt], ›Neapolitanus‹ [aus Neapel] und für andere Possessiva, bei welchen die vorletzte Silbe lang betont wird. Denn auch wenn ›metropolis‹ und ›Neapolites‹ griechisch sind, muss man sagen, dass sie nicht in einer griechischen Form stehen, sondern von einem nichtrömischen Wort abgeleitet werden, das auf -tes endet und das so ins Lateinische übernommen wurde. Denn Priscian sagt, dass ›metropolitanus‹ von dem Wort ›metropolites‹ herstammt, wobei das -es sich zu -as verändert hat.194 Ebenso ist es bei ›Neapolitanus‹ und ›Neapolites‹. Auch wenn das Wort

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ursprünglich griechisch gewesen sein mag, befolgen seine Ableitungen dennoch die lateinischen Regeln und den lateinischen Gebrauch. Von den anderen Wörtern, die Briton zurückweist, wie etwa ›decardianus‹, ›eous‹, ›herous‹ und | ähnliche, wusste er überhaupt nicht, aus welchem Grund er sie zurückgewiesen hat, da sie gar nicht auf -nus enden und ins Lateinische von urtümlichen Wörtern abgeleitet wurden. Und zwar nicht auf dieselbe Art, wie es für Stoffe und Steine gilt.

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Da ich mich nun länger bei dem fünften Grund aufgehalten habe, aus dem die Lateiner die Grammatik anderer Sprachen (vor allem des Griechischen und des Hebräischen) kennen sollten, möchte ich nun auf die restlichen Gründe für das Sprachenstudium eingehen, von denen einige ganz offensichtlich sind, andere jedoch große Schwierigkeiten mit sich bringen, über die ich [daher] nur einführend sprechen werde. [154] Der erste Grund für das Studium der alten Sprachen war das Beispiel der Heiligen, der Philosophen, der Dichter und aller lateinischsprachigen Weisen, welche alle die Sprachen der Weisheit studiert haben. Der zweite Grund bestand darin, dass sich alle in ihren Schriften mit diesen Sprachen beschäftigt haben, sodass es auch für uns notwendig ist, diese Sprachen zu benutzen, wenn wir uns an der Weisheit der Alten erfreuen wollen. Ansonsten wären wir auch verrückt, da wir nichts von uns, sondern alles von ihnen haben. Der dritte Grund war der, dass sie vieles nicht erklärt haben, weil sie glaubten, ihre Nachfolger würden sich mit dem Studium der Sprachen ebenso beschäftigen wie sie selbst, weshalb [sie davon ausgegangen sind, dass ihre Nachfolger] die dafür notwendigen Studien sicherlich betreiben würden. Viertens haben sie auch vieles aufgrund der menschlichen Schwäche nicht sehr gut erklären können, weshalb wir zu den ursprüng­

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lichen Sprachen zurückkehren müssen. Und der fünfte [Grund] bestand darin, dass die lateinische Sprache aus anderen Sprachen zusammengesetzt ist. [155] Da es sich mit diesen Gründen so wie bereits gezeigt verhält, möchte ich nun auf weitere fundamentale und gemeinsame Gründe eingehen. Der sechste Grund nämlich [für das Studium der alten Sprachen] liegt in der lateinischen Grammatik. Denn sie ist die Mutter aller Wissenschaften, deren Macht zu den einzelnen Wissenschaften herabsteigt. Die Grammatik wurde durch Priscian und Donatus’ großes Werk195 ebenso überliefert wie durch die Dichter und die anderen antiken Autoren. Dies geschah aber sowohl ihrem Wesen als auch ihrer Methodik nach aus dem Griechischen. | Denn Priscian sagt, dass er die Griechen in allem nachgeahmt hat und fügt in seine Schriften griechische Buchstaben in großer Menge ein. Er führt ständig griechische Schriftsteller und Autoritäten an, weil er der Ansicht war, dass man die Grammatik der Lateiner nicht kennen könne, wenn man nicht auch eine profunde Kenntnis des Griechischen hätte. Ich könnte hier unzählige Beispiele und ganz bestimmte Gründe dafür anführen, bei denen allen sich die Menge der Lateiner irrt, und zwar nicht nur in dem Sinn und der Auslegung, sondern auch in der Ableitung, der Aussprache und der Schreibweise. Da wir aber schleunigst zu wichtigeren Dingen kommen wollen und weil es jedem Studenten leicht möglich ist, sich die Bücher von Priscian, Donatus’ großes Werk, [die Bücher von] Servius und [die Schriften] der anderen selbst anzuschauen, übergehe ich dies hier für den Moment. [156] Der siebente Grund ist der, dass die Lateiner keinen einzigen Text verfasst haben, und zwar weder in der Theologie, noch in der Philosophie. Alle Texte sind zuerst auf Hebräisch abgefasst worden, dann das zweite und dritte Mal auf Griechisch, das vierte Mal auf Arabisch. Ich streite hiermit jedoch keinesfalls ab, dass die Lateiner das Kirchenrecht und das Zivilrecht verfasst haben. Doch das sind keine Lehrtexte, sondern Richtlinien

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für Prälaten und Fürsten. Zudem weiß man, dass sich das Kirchenrecht aus den Erklärungen der Theologie zusammensetzt, also aus den Aussprüchen der heiligen Kirchenlehrer und aus den Autoren des Neuen und des Alten Testaments. Erstens ist das Kirchenrecht demnach kein eigenständiger Text, sondern ein Konglomerat aus Glossen und Erläuterungen der Heiligen, und zweitens ist es nichts anderes als ein Text Gottes. Denn darin ist keine andere Weisheit enthalten als die der heiligen Schriften, weil es nur eine Weisheit gibt, welche die Kirche Gottes leiten muss. Diese befindet sich aber vollständig in der Heiligen Schrift und wird in einigen Artikeln des Kirchenrechts erläutert. Das Zivilrecht Italiens kann überhaupt kein [richtiger] Text sein, sondern nur eine mechanische und weltliche Kunst im Vergleich zur Moralphilosophie, wie weiter oben196 gezeigt worden ist. [157] Jeder Text der Weisheit ist in anderen Sprachen geschrieben worden. Und ebenso, wie es viel angenehmer ist, aus einer frischen Quelle als aus unruhigen Flüssen zu trinken, und wie der Wein reiner, | gesünder und schmackhafter ist, wenn man ihn aus seinem ersten Gefäß trinkt, als wenn man ihn erst umgießt, so muss auch den Lateinern die Notwendigkeit klar sein, wenn sie die Flüssigkeit der reinen, gesunden und wirksamen Weisheit trinken wollen, sie aus den Quellen der hebräischen, griechischen und arabischen Sprache herausschöpfen zu lernen, gleichsam wie aus den ältesten und ursprünglichsten Gefäßen. Denn sie werden weder jemals über die Würde der Weisheit in ihrer reinen Form und Gestalt noch in der ihr eigenen Zierde nachdenken können, wenn sie sie nicht in den Sprachen erblicken, in der sie zuerst dargestellt worden ist. Wie sehr erfreut der Geschmack der Weisheit diejenigen, die so von ihrer Quelle gekostet haben und trunken von ihrer Fülle sind! Doch diejenigen, die dies nicht kennengelernt haben, fühlen den Genuß der Weisheit ebenso wenig, wie der Gelähmte über die Süße der Nahrung urteilen kann. Da ihr Gefühl durch diese Lähmung abgestumpft geworden ist, geht es ihrem Verstand hier wie es dem von Geburt an Tauben mit dem

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Genuss der Harmonien ergeht. Daher leiden sie nicht unter diesem schweren Verlust der Weisheit, auch wenn er ohne Zweifel unendlich groß ist. [158] Der achte Grund ist mit dem siebenten verbunden. Denn es gibt nicht nur eine Übereinstimmung darin, dass die Lateiner die Sprachen wegen der Überlieferung der [alten] Texte kennen sollten, sondern es ist darüber hinaus unmöglich, dass sie die Wahrheit verstehen, wenn sie nicht vorher in anderen Sprachen unterrichtet worden sind. So sagt auch der Heilige Hieronymus in seinem Buch Über die beste Art der Auslegung 197, dass die Schönheit der ursprünglichen Sprache [bei der Übersetzung] in eine folgende Sprache nicht erhalten werden kann. Denn Hieronymus sagt, dass du bald das Lächerliche daran siehst, wenn du Homer in deine Muttersprache übersetzen willst: Selbst der beredteste Dichter wird dadurch zu kaum mehr als einem Schwätzer. Das kann jeder selbst erfahren, wenn er die Logik oder Grammatik oder irgendetwas anderes, was er in der lateinischen Sprache gelernt hat, in seine Muttersprache übersetzen will. Denn die Besonderheiten einer Sprache stimmen nicht mit denen einer anderen Sprache überein. Was ausgezeichnet in der einen Sprache klingt, wirkt schlecht oder überhaupt nicht in der anderen, wie alle wissen, die sowohl Latein als auch ihre Muttersprachen kennen und die sich in diesem Bereich geübt haben. | So sehen wir auch, dass es in derselben Sprache verschiedene Mundarten gibt, d. h. verschiedene Arten und Eigenheiten des Sprechens, wie in England bei den Menschen im Norden, im Süden, im Osten und im Westen. In Frankreich gibt es [die Mundarten] der Pikarden, der Normannen, der reinen Gallier, der Burgunder und andere weitere. Was bei den einen gut und angemessen klingt, klingt bei den anderen schlecht und verkehrt. Dieser Missklang tritt bei vollkommen unterschied­l ichen Sprachen jedoch noch viel früher auf. Daher ist es unmöglich, dass etwas, was in einer Sprache gemäß der ihr eigenen Eigenschaften gemacht worden ist, in einer anderen richtig und wahrhaftig

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erklärt wird. Dies gilt vor allem in den Wissenschaften, die ja bekanntlich schon für sich selbst genommen äußerst schwierig sind. [159] Der neunte Grund besteht darin, dass in allen überlieferten Wissenschaften unzählige Wörter aus den früheren Sprachen erhalten geblieben sind, zum Beispiel im Text Gottes. Ähnlich ist es auch in der Medizin, den Naturwissenschaften, in der ganzen Mathematik und in allen anderen [Wissenschaften]. Es kann auch gar nicht anders sein, weil die Übersetzer in der lateinischen Sprache keine adäquaten Wörter für die Fremdsprachen gefunden haben und auch keine neuen Wörter erfinden konnten. Daher ist es notwendigerweise so, dass die überlieferten Wissenschaften denen unbekannt sind, die keine anderen Sprachen gelernt haben. Es ist zum Beispiel eine Tatsache, dass die Mediziner in ihren Rezepten fast sämtliche Namen von Heilkräutern, Pflanzengattungen und anderen medizinischen Dingen aus anderen Sprachen übernommen finden oder doch zumindest zu einem großen Teil. Daher können sie nicht verstehen, was ihnen die Bücher sagen, noch der medizinischen Kunst entsprechend handeln. Das gilt für alle Wissenschaften und ganz besonders für die Heilige Schrift, in der alle Wörter für Personen, Orte und unzählige andere Dinge auf Griechisch, Arabisch oder Hebräisch stehen. So findet man es auch in der Astronomie, der Alchimie und in allen nützlichen und großartigen Wissenschaften. [160] Zudem gibt es zahlreiche weitere Wörter der lombardischen, der spanischen und anderer Sprachen, die in die übersetzten Bücher eingefügt worden sind. Ein Beispiel dafür ist das Buch Über die Pflanzen198 von Aristoteles, in dem auch das ›belenum‹ [Bilsenkraut] behandelt wird, das in Persien zwar äußerst schädlich, wenn es jedoch in Jerusalem gepflanzt wird, genießbar ist. Als ich diese Passage in meinem Unterricht vorgelesen hatte und | seine richtige Interpretation nicht kannte, haben mich meine spanischen Schüler ausgelacht. Danach habe ich von ihnen gelernt, dass das Wort [›belenum‹] entgegen der Meinung aller

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Doktoren kein arabisches, sondern ein spanisches Wort ist. Und es bezeichnet dasselbe wie ›semen cassilaginis‹ [Bilsenkraut] [auf Latein], wie der Übersetzer Hermann mir gesagt hat. So verhält es sich auch mit unzähligen anderen Wörtern, welche die lateinischen Doktoren nicht kennen und sich auch nicht einmal dafür schämen, dass ihnen die Auslegungen [dieser Wörter] unbekannt sind. Sie glauben, dieses Wort sei arabisch oder griechisch und denken, sie könnten sich für ihre Unkenntnis der Sprachen damit rechtfertigen, dass sie doch so weit verbreitet und allen gemeinsam sei. [161] Das ist auch der Grund für die vielen Fehler in den Übersetzungen, vor allem in den Büchern des Aristoteles und seiner Wissenschaften, die doch die Grundlage für jedes Studium der Weisheit bilden. Daher arbeitet derjenige, der die Arbeiten des Aristoteles nicht kennt, vergeblich und pflügt nur Sand um und kann niemals in den anderen Wissenschaften Fortschritte machen. Auch die anderen allgemein bekannten Wissenschaften wie die Logik, die Naturphilosophie und die Mathematik sind so übersetzt, dass kein Sterblicher irgendetwas Würdiges von ihnen verstehen kann, wie ich es selber erlebt habe. Denn ich habe vielen [Magistern] sehr aufmerksam zugehört und mehr gelesen als jeder andere, wie alle wissen, die [wie ich] durch die Studien genährt sind. Schon die Weisen [des Altertums] haben für gewöhnlich gesagt, dass die Werke des Aristoteles wie ein Freudenmädchen sind, das sich jedem Beliebigen zur Verfügung stellen muss. Dadurch sind sie in allem umgekehrt worden und keiner kann sie mehr in ihrer eigentlichen Form genießen. So entgeht der Anspruch des Aristoteles der ganzen Welt, wie der ungreifbare Aal, der den Händen, die versuchen, ihn zu fangen, immer wieder entschlüpft. [162] Der offenbare Beweis dafür ist die Vielzahl der Meinungen. Denn auch wenn die Zahl derer, die das Studium betreiben und die nach der Wahrheit der Wissenschaft begierig sind, sehr groß ist, so stimmt doch keiner mit dem anderen überein. In einer Passage sagt einer dieses, ein anderer das Gegenteil, ein dritter etwas,

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was zu diesen in Widerspruch steht, und ein vierter wieder etwas ganz anderes, und die übrigen sagen irgendetwas, was ihnen durch den Sinn geht. Das liegt unter anderem daran, dass man heute unvergleichlich weniger über die Philosophie des Aristoteles weiß als im Altertum. [163] Deshalb sieht man heutzutage sowohl in der abstoßendsten Spitzfindigkeit | als auch in irgendeiner ganz simplen Frage nur Rivalität zwischen allen. Daher bin ich sicher, dass es für die Lateiner weit besser wäre, wenn die Weisheit des Aristoteles überhaupt nicht überliefert worden wäre, als in dieser Verkehrtheit und Dunkelheit, wie sie uns in den letzten dreißig oder vierzig Jahren vorgesetzt worden ist. Je mehr sie arbeiten, desto weniger wissen sie, wie ich es selbst bei allen, die den Büchern des Aristoteles gefolgt sind, gesehen habe. Aus diesem Grund hat der Herr Robert [Grosseteste], der Bischof von Lincoln in seligem Gedächtnis, alle Bücher von Aristoteles und die Wege, die aus ihnen folgen, bewusst nicht beachtet. Stattdessen ist er durch seine eigene Erfahrung, durch andere Autoren und durch andere Wissenschaften zur Weisheit des Aristoteles vorgedrungen. Und dabei hat er dennoch über die Dinge, über welche die Bücher des Aristoteles berichten, hunderttausend mal besser Bescheid gewusst und geschrieben, als durch die falschen Übersetzungen [der Werke des Aristoteles] verstanden werden kann, wie seine Abhandlungen Über den Regenbogen199, Über Kometen200 und andere Schriften von ihm bezeugen. [164] So lassen alle, die irgendetwas wissen, die schlechten Übersetzungen des Aristoteles außer Acht und suchen Heilmittel dagegen, wo immer sie nur können. Das ist die Wahrheit, die diejenigen nicht sehen wollen, die bei der Suche nach der Weisheit auf Abwege gekommen sind. Stattdessen suchen sie wie die Tiere einen Trost für ihre Unkenntnis. Wenn ich Macht über die Bücher des Aristoteles hätte, würde ich sie alle verbrennen, denn in ihnen zu lesen ist nur Zeitverschwendung, Anlass zu Irrtümern und eine Vervielfältigung des Unwissens über jedes erdenkbare

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Maß. Und da die Arbeiten des Aristoteles die Grundlage aller Weisheit sind, kann niemand einschätzen, ein wie großer Schaden den Lateinern durch die schlechten Übersetzungen des Philosophen [Aristoteles] zugefügt wird. Aus diesem Grund gibt es für diesen Zustand auch nirgendwo Abhilfe. [165] Wer auch immer in der Wissenschaft des Aristoteles zu Ansehen kommen will, muss sie also in dessen Muttersprache lernen, weil es überall falsche Übersetzungen gibt, sowohl in der Theologie als auch in der Philosophie. Denn alle Übersetzer vor dem seligen Hieronymus haben sich fürchterlich geirrt, wie er selber immer wieder äußert. Aber da er allein und den Gewohnheiten des Altertums entgegengesetzt war, wie er selbst in seinem Prolog | zum Buch Ecclesiastes sagt, der mit »Ich erinnere mich an die Zeit vor fünf Jahren« beginnt201, hat er sich [der Übersetzung des] Theodotios angepasst. Hieronymus hat sich auch anderen Personen angepasst, die mit dem Hebräischen nicht übereinstimmten, wie an einer Passage von Hieronymus selbst in seinem Kommen­ tar zu Jesaja202 über eine Stelle bei Jesaja [17, 11] ersichtlich wird: »Am Tage des Vermächtnisses, an dem der Vater der Menschen seine Erbschaft seinen Söhnen gibt«.203 Hieronymus sagt darüber an demselben Ort noch mehr [22, 3]: »›Alle deine Hauptleute sind gewichen etc.‹: An dieser Stelle sind wir der Übersetzung der Septuaginta gefolgt, weil sie dem Sinn nach nicht sehr vom Hebräischen abweicht.«204 So sagt es Hieronymus. Manchmal ist er Aquila gefolgt, andere Male Symmachus und oft auch der Septuaginta. Jedoch nur an Stellen, die dem Hebräischen nicht widersprochen haben. Er wurde Verfälscher und Verschlechterer der Schrift genannt, weil er versucht hatte, den Ohren der Lateiner eine neue Übersetzung nahezubringen. Deshalb hat er viele falsche Dinge stehen lassen, um den Frieden zwischen den Kirchenvätern nicht zu stören. So ist es etwa im vierten Kapitel, wo geschrieben steht, dass unechte Schößlinge keine tiefen Wurzeln haben.205 Der Heilige Augustinus hat die Falschheit dieser Stelle im zweiten Buch der christlichen Bildung 206 gezeigt, ebenso wie

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die Fehlerhaftigkeit fast unzähliger anderer Passagen, wie alle wissen, die in diesem Gebiet bewandert sind. [166] Doch sogar dieser heilige Mann [Hieronymus], der dennoch vom Menschlichen bedrückt worden ist, hat freimütig zugegeben, dass er sich aufgrund der Schnelligkeit des Diktierens mitunter geirrt hat. Denn im neunzehnten Kapitel des fünften Buches seines Kommentars über Jesaja sagt er: »Bei dem, was wir mit ›incurvantem‹ [gekrümmt] und ›lascivientem‹ [ausgelassen] übersetzt haben […] haben wir für das hebräische Wort ›agmon‹, da wir die Vorlage schnell übersetzt haben und durch die Mehrdeutigkeit [des Wortes] getäuscht worden sind, ›refraenantem‹ [gemäßigt] gesagt.«207 Und in demselben Buch, dasselbe Kapitel, sagt er von einer anderen Stelle, dass er sie schlecht übersetzt habe: »Ich halte es für besser, den eigenen Fehler zu tadeln, als bei dem Fehler zu bleiben, weil man sich schämt, einen Mangel an Wissen einzugestehen. Um die Wahrheit zu sagen, an der Stelle, die ich mit ›und es wird ein Fest sein in dem Lande Juda in Ägypten‹ übersetzt habe, liest man im Hebräischen ›agga‹, das durchaus mit ›Fest‹ übersetzt werden kann. Daher | habe ich das Wort ›aggeus‹ mit ›Fest‹ übersetzt. Das Wort kann aber auch mit ›timor‹ [Furcht] übersetzt werden, wie es Aquila signifikanterweise für ›gyrosim‹ gemacht hat, denn jemand, der ängstlich und erschreckt ist, rollt mit den Augen und erschauert bei der Ankunft des Feindes. Wenn wir die Erzählung also im Guten nehmen wollen, dass die Erinnerung an Juda die Freude Ägyptens ist, ist das Wort ›Fest‹ hier richtig gewählt. Wenn es jedoch das Gegenteil bedeuten soll – und dies ist meine Ansicht – müssen wir ›festivitas‹ mit ›timor‹ [Furcht] übersetzen, weil wir das Erschrecken und die Furcht damit zum Ausdruck bringen wollen.«208 So hat er vieles widerrufen, was er übersetzt hatte; und andere nach ihm haben weitere Stellen gefunden, die er eigentlich hätte berichtigen müssen. Und je mehr die Nachwelt sich dem Studium widmen wird, desto mehr wird sie [Passagen] finden, die zum Besseren hin berichtigt werden müssen.

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Aber einen viel schwerwiegenderen Fehler gibt es in der übersetzten Philosophie. Denn wenn sich schon die Heiligen in ihren Übersetzungen geirrt haben, wie sehr gilt dies dann erst für andere, die wenig oder nichts von Heiligkeit hatten. Aus diesem Grund haben uns Gerhard von Cremona 209, Michael Scotus210 , Alfred von Sarashel 211, Hermann der Deutsche212 und Wilhelm von Moerbeke213 zwar eine große Menge an Übersetzungen von allen Wissenschaften gegeben. Jedoch gibt es viele Fehler in ihren Werken, die niemand bewundern kann. Denn damit eine Übersetzung die Wahrheit der Vorlage trifft, muss der Übersetzer die Sprache kennen, aus der er übersetzt. Zudem muss er die Sprache kennen, in die er übersetzt. Und er muss etwas von der Wissenschaft verstehen, die er übersetzen will. Doch wen gibt es hier, damit wir ihn loben werden? Denn er hätte Wunder während seiner Lebenszeit vollbracht. Mit Sicherheit wusste niemand der gerade Genannten etwas Würdiges über die Sprachen und Wissenschaften, wie nicht nur anhand ihrer Übersetzungen, sondern auch anhand ihrer persönlichen Lebensumstände offensichtlich ist. Denn alle die Genannten lebten in unserer Zeit und einige von denen, die damals jung waren, sind sogar Zeitgenossen Gerhards von Cremona gewesen, welcher der Älteste von ihnen war. Hermann der Deutsche war ihm sehr nahe: Er lebt noch und ist Bischof. Dieser sagte mir mit erstaunlicher Ungezwungenheit, als ich mich einmal bei ihm bezüglich der Bücher über die Logik erkundigt hatte, die er auf arabisch gelesen hatte, dass er von Logik nichts verstünde und sich daher nicht getraut hätte, sie zu übersetzen. Doch wenn er nichts über Logik wusste, konnte er auch die anderen Wissenschaften nicht in dem Maße kennen, wie es sich eigentlich gehört. | Außerdem hatte er auch keine gute Kenntnis des Arabischen, wie er selber zugegeben hat, da er eher Hilfsübersetzer als Übersetzer war. Daher hatte er in Spanien einige Sarazenen bei sich, die seine eigentlichen Übersetzer waren. Auch Michael Scotus sind viele Übersetzungen zugeschrieben worden. Auch hier ist jedoch sicher, dass ein gewis-

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ser Jude namens Andreas daran mehr gearbeitet hat als er. Denn Michael kannte weder die Wissenschaften noch die Sprachen, wie Hermann berichtet hat. Und so war es auch bei den anderen. Am meisten gilt dies für Wilhelm von Moerbeke, der auch jetzt noch lebt. Denn es ist allen Gelehrten in Paris bekannt, dass er keine Wissenschaft auf Griechisch kannte, auch wenn er dies vorgibt. Aus diesem Grund ist alles von ihm Übersetzte falsch und verderblich für die Weisheit der Lateiner. Denn Boethius war der Einzige, der wirklich alle Sprachen ausreichend kannte. Neben Boethius gab es nur noch den Herrn Robert [Grosseteste], der wegen seines langen Lebens und der wunderbaren Wege, die er benutzt hat, mehr als die anderen Menschen über die Wissenschaften wusste; und auch er wusste zwar nicht genug über die Sprachen Griechisch und Hebräisch, um sie alleine übersetzen zu können, aber er hatte viele Helfer. Alle anderen kannten die Sprachen und die Wissenschaften nicht, am allerwenigsten Wilhelm von Moerbeke, der nichts Würdiges über die Wissenschaften und die Sprachen wusste, auch wenn er versprochen hat, alle bestehenden Übersetzungen zu verändern und viele Neuheiten einzuführen. Wir haben seine Übersetzungen jedoch gesehen und wissen, dass sie alle falsch sind und vermieden werden müssen. [168] Da in diesen Zeiten die Feinde der Christen, wie die Griechen, die Araber und die Hebräer, die Wissenschaften in dem Besitz ihrer Sprachen haben, überlassen sie den Christen keine wahrhaftigen Bücher, sondern sie verändern und verschlechtern alle. [Das tun sie aber] vor allem deshalb, weil sie sehen, dass in den Sprachen und Wissenschaften ungebildete Menschen vorgeben, Übersetzungen anzufertigen. Man kann hier gar nicht alle Beispiele dafür anführen, weil es einfach zu viele sind. Dennoch möchte ich ein Beispiel aus meinem Gedächtnis wiedergeben: Die ganze Welt weiß, dass die Passage im dritten Kapitel der Meteorolo­ gie 214 , in der gesagt wird, dass der Mondregenbogen nur | alle zwei Mal in fünfzig Jahren auftritt, vollkommen falsch ist. Denn er kann jeden Monat bei Vollmond auftreten, wenn der Dunst

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vor dem Mond dicht genug ist und wenn der Mond hell genug scheint. Weiter unten werde ich noch weitere Beispiele anführen, übergehe sie jedoch an dieser Stelle und komme zum zwölften Grund für die Notwendigkeit der Sprachkenntnis. [169] Wir haben wenige nützliche Bücher der Philosophie auf Latein. Denn wie wir in seiner Lebensbeschreibung 215 lesen, hat Aristoteles tausend Bücher geschrieben. Wir haben jedoch nur drei davon, die erwähnenswert sind: Bücher über die Logik, die Naturphilosophie und die Metaphysik. Bis auf ein paar weitere Abhandlungen und Büchlein, welche die anderen Wissenschaften behandeln, die aber aufgrund ihrer kleinen Zahl fast nicht erwähnenswert sind, fehlen uns alle anderen von ihm begründeten Wissenschaften. Auch in der Logik gibt es zwei Bücher von ihm, die wir nicht haben, obwohl Hermann sie von den Arabern bekommen hatte: Er hat sich aber nicht getraut, sie zu übersetzen. Eines davon hat er zwar übersetzt – oder, besser gesagt, übersetzen lassen –, aber so schlecht, dass die Übersetzung wertlos ist und von den Logikern nicht benutzt wird. [Aristoteles] hat auch fünfzig berühmte Bücher über die Tiere geschrieben, die Plinius im achten Buch der Naturgeschichte 216 erwähnt und die ich auf Griechisch gesehen habe. Aber die Lateiner haben davon nicht mehr als neunzehn schlechte und unvollkommene Büchlein. Über die Metaphysik lesen die Lateiner nur, was sie in zehn Büchlein finden können, obwohl es noch viele weitere gibt. Und von diesen zehn fehlen in der lateinischen Übersetzung viele Kapitel und nahezu unzählige Zeilen. Die Lateiner haben demnach nichts von Wert, weshalb es notwendig ist, dass sie die Sprachen kennen, damit sie die notwendigen Werke, die sie nicht haben, übersetzen können. Mit Sicherheit haben sie von den Büchern nicht genug, die von den geheimen Wissenschaften und den Wundern der Natur handeln. Und was sie darüber besitzen, ist hier und da verstreut und reicht kaum aus, die Neugierde der Weisen so weit zu wecken, dass sie die Wunder der Weisheit, nach denen sie sich sehnen, selbst studieren, durch Experimente

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aufdecken und ihnen nachforschen würden. Aber die Mehrzahl der Studenten hat mit ihren Lehrern nichts, was sie zu | irgendetwas von Wert anregen könnte. Daher ermattet und vereselt sie aufgrund der schlechten Übersetzungen und verschwendet Mühe, Zeit und Geld. Denn für die Mehrzahl zählt nur der Schein: Sie bekümmert sich nicht darum, was sie wirklich weiß, sondern nur darum, vor der unvernünftigen Menge als wissend zu scheinen. [170] Ähnlich fehlen auch unzählige Bücher, in denen die Weisheit Gottes überliefert ist. Viele Bücher der Heiligen Schrift sind nicht übersetzt worden, zum Beispiel zwei Bücher der Makka­ bäer, von denen ich weiß, dass es sie auf Griechisch gibt. Das gilt auch für viele andere Bücher von zahlreichen Propheten, von denen man im Buch der Könige und im Paralipomenon [Chronik] lesen kann. Auch Flavius Josephus irrt sich in seinen Jüdischen Altertümern bezüglich der Zeitberechnung, ohne die man über die Geschichte der Heiligen Schrift nichts wissen kann. Wenn diese nicht durch eine neue Übersetzung reformiert wird, ist sie wertlos, was zur Folge hat, dass die heilige Geschichte vergeht. Auch unzählige erklärende Darlegungen der Griechen und Hebräer fehlen den Lateinern: Etwa Werke von Origines, Basilius, Gregor von Nazianz, Johannes Damascenos, Dionysios, Chrysostomos und von vielen anderen äußerst berühmten Lehrern, und zwar sowohl auf Hebräisch, als auch auf Griechisch. Die Kirche, die hier nichts tut und seit siebzig Jahren nichts getan hat, schläft. Die einzige Ausnahme ist der Herr Robert [Grosse­teste], Bischof von Lincoln in heiligem Gedächtnis, der den Lateinern manche Bücher von Dionysios, Johannes Damascenos und einigen anderen Heiligen Lehrern überliefert hat. Man muss sich über die Gleichgültigkeit der Kirche wundern; denn seit der Zeit des Papstes Damasius217 gab es bis auf den oben genannten berühmten Herrn Bischof keinen Papst oder irgendeine darunter stehende Person, die sich um den Fortgang der Kirche durch Übersetzungen gekümmert hat.

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Der dreizehnte Grund dafür, dass es für die lateinisch sprechenden Studenten notwendig ist, die Sprachen zu kennen, ist die Verschlechterung des Studiums, die in der heutigen Zeit wegen der Unkenntnis der Sprachen der Weisheit auftritt. Dies macht die Fehler und selbstverschuldete Unwissenheit der Lateiner vollständig. Denn sogar die Bücher menschlicher und göttlicher Weisheit, die gut übersetzt und erklärt worden sind, sind heutzutage doch sämtlich dadurch verdorben, dass bei den Lateinern nicht der Gebrauch der Weisheitssprachen vorgeschrieben ist. Diese Verschlechterung der Bibel kann man einführend | in der Form dieses Handbuches und zugleich umfassend anhand der bereits genannten Beispiele sehen. Wer dabei [weiter] ins Detail gehen wollte, würde keinen Satz finden, der wegen der Uneinigkeit der Korrektoren nicht voller Fehler oder zumindest großer Unsicherheiten ist. Dieser Zweifel befällt jeden Weisen, so wie das ›Furcht‹ genannt wird, was bei einem standhaften Mann auftritt. Da jedoch überall Fehler sind, kommt der Zweifel zwangsläufig auf. Und müssten diese ganzen falschen und zweifelhaften Passagen nicht gestrichen werden, sodass die Bibel nur noch halb so umfangreich wäre, wenn wir eine sichere Methode des Beweises einführten, wie es die Vernunft des richtigen Korrigierens verlangen würde? Daher benutzen alle Theologen heutzutage beim Lesen und Predigen falsche Autoritäten und wissen nicht, wie sie voranschreiten können. Aus diesem Grund können sie nichts von Wert verstehen oder lehren. [172] Nun haben wir einen Teil des dreizehnten Grundes dafür erwiesen, weshalb den Lateinern Sprachen zu kennen sich gebühren würde. Ich möchte jetzt einen zweiten Teil [dieses Grundes] ansprechen, der die Auslegung des Textes [der Bibel] betrifft, selbst wenn dort kein Fehler zu finden wäre. Aber große Eile zwingt mich zur Kürze, gerade weil ich bereits mehr geschrieben habe, als ich zu Beginn gedacht hatte. Ich werde daher einige Artikel mit den dafür notwendigen Beispielen ansprechen, damit zumindest eine vorläufige Überzeugung entsteht und

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damit die Mehrzahl der klugen Menschen soweit wie möglich zum Weiterdenken angeregt wird. Denn auch wenn jeder Buchstabe vollkommen wahr und korrekt wäre, ist dennoch die größte Sprachbeherrschung für seine Erklärung notwendig. Das sagt Augustinus im zweiten Buch der christlichen Bildung 218 ; und Hieronymus und alle anderen lehren und bekennen es fest. [173] Ein Fall betrifft die richtige Betonung und die Länge bzw. Kürze der vorletzten Silbe. Denn auch wenn die Buchstaben richtig sein mögen, kennen sich doch die meisten hiermit nicht aus. Sie können [die Betonungen] der griechischen und hebräischen Namen auch nicht kennen, wenn ihnen die Grammatik dieser Sprachen unbekannt ist. Zum Beispiel hat ›Maria Magdalene‹ [Maria Magdalena] eine vorletzte lange Silbe, die betont werden muss, weil sie im Griechischen mit ›eta‹, also mit einem langen e geschrieben wird. Im letzten Kapitel des Markusevangeliums219 und an anderen Stellen ist dieses Wort auf Griechisch geschrieben, was niemand wissen kann, | wenn er nicht Griechisch versteht. Deshalb täuschen uns die Erläuterungen der Grammatiker hier. Ähnlich hat auch das Wort ›pellicanus‹ [Pelikan] eine vorletzte Silbe, die lang und scharf betont wird. Denn der Grieche sagt ›pellican, pellicanos‹, wobei der Vokal a im Griechischen lang betont wird, wie anhand des griechischen Psalters klar wird. Keine Silbe wird lang ausgesprochen, wenn sie nicht von Natur aus lang ist: Das wird sowohl anhand der griechischen als auch anhand der lateinischen Regeln der Betonung deutlich. Aus diesem Grund wird die Silbe ka in dem Wort ›pellicanus‹ lang ausgesprochen. Aber Hugutio möchte gerne, dass [diese Silbe] gekürzt wird 220 . Denn er sagt, dass sie von dem ägyptischen Wort ›canopus‹ abgeleitet werde, das einen ägyptischen Vogel bezeichnet. Auch Briton irrt sich hier sehr, wenn er schreibt, dass das Wort von ›pelle‹ [Haut] und ›canus, cana, canum‹ [weißgrau] kommt, da der Pelikan eine weißgraue Haut habe und daher die vorletzte Silbe lang betont werden müsse. Er irrt sich schmählich, da ›pellicanus‹ griechisch

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ist und daher nicht aus dem Latein zusammengesetzt – und da es abgleitet ist, ist es überhaupt kein [lateinisches] Kompositum. Ähnlich wird auch ›tristega‹ [dritter Stock] in der Genesis221 nach Beda [Venerabilis] in der Mitte kurz gesprochen.222 Der Grund hierfür besteht darin, dass es im Griechischen mit einem kurzen e geschrieben wird und aus ›tris‹, was ›drei‹ bedeutet und ›stegi‹, also ›gerade, direkt‹, zusammengesetzt ist. Es wird von ›stego‹ abgeleitet, das ein kurzes e hat. Daher wird auch in der Apos­ telgeschichte an der Stelle, bei der es darum geht, dass Euthicus aus dem dritten Stock gefallen ist, im griechischen ›tristegum‹ mit einem kurzen e geschrieben.223 Da Briton und die anderen jedoch der Meinung sind, es müsse lang gesprochen werden, irren sie sich aufgrund ihrer Unkenntnis des Griechischen. Und wenn sie diesen Irrtum beweisen wollen, indem sie sagen, es sei gemäß der Regel von der Vergangenheitsform des Verbes ›tego, is, texi‹, [bedecken] dessen erste Silbe lang sei, abgeleitet, dann bestätigen sie mit einer neuen Lüge den ersten Fehler. Denn da es ein griechisches Wort ist, kann man es nicht aus lateinischen Wörtern zusammensetzen oder ableiten. Genauso muss auch das Wort ›idolothitum‹, was ›Götzenopfer‹ bedeutet, eine verkürzte vorletzte Silbe haben. Es wird so von ›thyo‹, das ›Opfer‹, ausgeprochen. Das Wort hat eine kurze vorletzte Silbe, auch wenn man fehlerhaft die mittlere Silbe lang betont. Für die Lateiner hat das Wort ›Barabbas‹, | ein Name im Evangelium, eine lange mittlere Silbe. Daher muss man hier bezüglich der Betonung Juvencus und Sedulius glauben, die beide sichere und würdige Gewährsmänner sind. Juvencus sagt: »Pilatus donat plebi legique Barabban.«224 [»Pilatus übergibt Barrabas der Menge und dem Gesetz.«]



Bei dem Wort ›Anaglypha‹ im ersten Buch der Könige wird die vorletzte Silbe lang gesprochen, weil es aus ›ana‹, ›über‹ und ›glyphe‹, ›Skulptur, Relief‹ zusammengesetzt ist. Das bedeutet so etwas wie ›ganz oben an der Skulptur‹ oder auch ›die Erhabenheit

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der Skulptur‹. In dem Wort ›glyphe‹ ist die erste Silbe lang und diese Silbe wird deswegen auch in dem Wort ›anaglypha‹ lang betont. Wenn Briton 225 diese Silbe verkürzt, irrt er sich und bestätigt seine Äußerung mit einer doppelten Fehldeutung. Zum einen führt er das Doctrinale [des Alexander de Villa Dei] als Beleg an.226 Das ist ein großer Missgriff, da [der Autor des Doc­ trinale] niemals eine würdige Autorität war, auch wenn er selbst sagt, dass es für Kinder mitunter nützlich sein kann: »Scribere clericulis paro doctrinale novellis.« 227 [»Ich bereite mich darauf vor, ein Doctrinale für junge Kleriker zu schreiben.«]



Er täuscht sich jedoch noch mehr darin, dass er behauptet, dass im Doctrinale stünde, man solle die letzte Silbe kurz betonen, auch wenn das falsch ist. Denn er sagt, ein y vor einem f sei lang.228 Er sagt außerdem, dass auch die zusammengesetzten Wörter – wie etwa ›trifidus‹ [dreizackig] – bis auf das zusammengesetzte Wort ›cifus‹ kurz betont werden müssen. Deshalb muss ›glypha‹, da es ein unzusammengesetztes Wort ist, in der ersten Silbe lang betont werden. Und wenn [diese Silbe] auch von Natur aus lang ist, wird dies in zusammengesetzten Wörtern nicht übernommen. Ich kann nicht im Detail auf die unzähligen Fälle eingehen, in denen die Lateiner die griechischen und he­brä­ ischen Wörter schlecht betonen. [174] Der zweite Fall betrifft die Mehrdeutigkeit der Sprechweise, für die Augustinus in seinem Buch Über die christliche Bildung ein Beispiel anführt, um zu zeigen, dass das Sprachenstudium für die Lateiner notwendig ist. Er sagt bezüglich der Stelle: »Es war dir mein Gebein nicht verborgen, da du mich im Verborgenen gemacht hast«229, dass es bei diesem Beispiel nicht möglich ist, zu wissen, ob hiermit ›os, oris‹ [Gesicht] oder ›os, ossis‹ [Knochen] gemeint ist, wenn man nicht die vorhergehenden Sprachen kennt. Denn im Griechischen und Hebräischen steht es für ›osse‹ [Knochen], nicht für ›ore‹ [Gesicht].230

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Der dritte Fall betrifft die verschiedenen Funktionen der Wortarten. Hier führt Augustinus im zweiten Buch der christlichen Bildung 231 | ein Beispiel aus dem dritten Kapitel des ersten Brie­ fes an die Thessaloniker an: »Da sind wir, Brüder, getröstet worden an euch.«232 Hier besteht der Zweifel darin, ob es ›o fratres‹ [O Brüder!] oder ›hos fratres‹ [die Brüder] heißen muss. Augustinus löst dieses Problem, indem er feststellt, dass die griechische Sprache den Fall ›hos‹ nicht hat und dass es sich aufgrund dieser Beobachtung hier um den Vokativ ›O fratres‹ handeln muss. Aber im zweiten Kapitel des Briefes an die Epheser heißt es: »Wir sind sein Werk.«233 In der Übersetzung des Augustinus steht: »Wir sind sein Abbild.« Und im Griechischen heißt es: »Wir sind sein Werk.« Deshalb kann das Wort nicht im Ablativ stehen, sondern [steht] im Nominativ. Aber [Augustinus] hat das Griechische nicht gekannt. Ähnlich liest man im Brief an die Römer, Kapitel 6: »Die Gabe Gottes ist das ewige Leben.«234 Die ›Gabe‹ ist gemäß dem Griechischen ein Nominativ und kann daher kein Ablativ sein, auch wenn sich die Kommentatoren hier irren. Im Brief an die Kolosser, Kapitel 1, steht: »Für seinen Leib, welcher ist die Kirche, deren Diener ich geworden bin.«235 Hier bezieht sich das Relativpronomen ›cujus‹ weder auf den Leib noch auf das Evangelium, das ihm vorausgeht, sondern auf die Kirche. Das kann man im Lateinischen nicht erkennen, weil sich das Pronomen ›cujus‹ auf alle Geschlechter anwenden lässt. Das ist im Griechischen jedoch anders, weil sich die Pronomen mit dem Geschlecht ändern. Und im Judasbrief steht: »wilde Wellen des Meeres«236 . Hier steht ›feri‹ im Nominativ und nicht im Genitiv, wie im Griechischen ganz klar ist, im Lateinischen aber nicht erkannt werden kann. Und in Matthäus, Kapitel 2, liest man: »Wir sind gekommen, ihn anzubeten.«237 Im Griechischen wird ersichtlich, dass diese Passage in der Vergangenheitsform stehen muss. In Ecclesiastes 38 steht geschrieben: »Die Weisheit des Schreibers [kommt] in der Zeit der Muße.«238 Im Griechischen ist es ganz sicher, dass ›scribae‹ [des Schreibers] im Genitiv

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steht und kein Verb ist. Aber im Lateinischen kann man das nicht herausfinden, weshalb sie ›sapientiam‹ entgegen der Wahrheit in den Akkusativ stellen.239 [176] Der vierte Fall liegt vor, wenn ein lateinisches gesprochenes Wort in einer oder in mehreren Lesarten auftreten kann, wie etwa ­›alleluya‹. Hier handelt es sich um zwei Worte, denn ›allelu‹ heißt ›lobet‹ und ›ya‹ ist ›Gott‹, wie Hieronymus in seinem Brief Über die zehn Namen Gottes240 schreibt. Dies wird auch anhand des Hebräischen klar, | denn wo wir im Psalter ›lobet den Herren‹ lesen, steht im Hebräischen ›alleluya‹. So auch in Hiob 36: »Er bedeckt seine Hände mit Blitzen«241, wo man nicht weiß, ob es sich hier um zwei Aussprüche handelt, weil die Präposition mit ihrem Fall [›in manibus‹] im Lateinischen nicht vom Dativ des Wortes ›inmanis‹ [monströs] unterschieden werden kann. Daher erörtert der selige Gregor beide Fälle, obgleich es im Griechischen und Hebräischen zwei verschiedene Ausdrücke sind.242 Ähnlich auch in Hezekiel 21: »Zückt das Schwert! [›Mucro evaginate]«243 Man kann im Latein den wahren Sinn nicht verstehen: Im Hebräischen wird jedoch klar, dass es sich um Vokative handelt. Wenn man aber nur auf die Aussprache hört, kann man es auch wie ›luna te‹ verstehen, wobei ›luna‹ das eigentliche Wort wäre und ›te‹ das Pronomen. Das gilt ähnlich auch für ein anderes bekanntes Beispiel: Denn unabhängig von der Aussprache ist der Sinn in Ecclesiasticus 46244 entweder ›viri inmolati‹ [geopferte Männer] oder ›viri inviolati‹ [unversehrte Männer], da man wegen der verbreiteten Schrift der Schreiber nicht leicht unterscheiden kann, ob es nun ›viri immolati‹ oder ›viri inviolati‹ heißt, weil in dem Buchstaben m drei Linien sind, ebenso wie in v und i [wenn sie zusammengeschrieben werden]. Hier irren sich viele. Aber man kann sich im Griechischen vergewissern, dass man v und i [und nicht m] schreiben muss. Ebenso steht in demselben Buch, Kapitel 28 »mulieres viratas«245 [mannhafte Frauen], und zwar sowohl gemäß dem Griechischen als auch gemäß der Wahrheit. Denn im Griechischen heißt es ›andreas‹, das von ›aner, andros‹, der

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›Mann‹ kommt. Trotzdem verstehen die Zeitgenossen hier ›juratas‹ [versprochen, verschworen]. Sie werden dadurch getäuscht, dass alle Buchstaben gemäß der heute gebräuchlichen Schrift in ›juratas‹ genauso sind, wie in ›viratas‹. Deshalb kann es hier bezüglich des Sinnes keine Sicherheit geben, wenn man nicht auf das Griechische zurückgeht, da dieser Fehler sich in den alten Bibeln ebenso findet wie in den neuen. Mängel dieser Art gibt es in dem Text unzählige, wodurch die Theologen zu Irrtümern geführt werden. [177] Fünftens kann man von vielen Wörtern nicht wissen, ob sie von der hebräischen Wahrheit herkommen oder ob sie spätere Interpolationen von Interpreten sind, | was bei vielen Fragen jedoch absolut notwendig ist. So steht in Genesis 25 »voller Tage«246 , wobei jedoch gesagt wird, dass ›Tage‹ ein Zusatz eines Interpreten ist. Ähnliches findet man auch in Nahum 3: »Wer wird Mitleid mit dir haben?«247 An dieser Stelle hat Hieronymus ›caput‹ [Kopf] hinzugefügt, was im Hebräischen nicht steht, um den Sinn klarer zu machen. Auf diese Art ist es auch in Deuteronomium 12, wo gesagt wird: »Ob er nun unrein sei«.248 Hier hat ein Interpret der Erklärung halber eingefügt: »befleckt und schwach«. Bei der folgenden Stelle »oder rein«, hat er »rein und ohne Makel« hinzugefügt. Ähnlich hat der Interpret allen hebräischen Namen eine Erklärung hinzugefügt, um den Sinn zu erhellen, etwa in Genesis 32 ›Manaim‹249, d. h. ›Lager‹; und in [Genesis] 35 ›Benoni‹250 , d. h. ›Sohn meines Schmerzes‹. So ist es auch an ganz vielen anderen Stellen, die gleichsam unzählbar sind und die man im Lateinischen nicht greifen kann. Daher muss man an diesen Stellen zum griechischen und hebräischen Text zurückgehen. [178] Der sechste Fall betrifft die Unterteilung eines Textes251 durch Punkte [›cola‹]252 , Kommata [›comata‹]253 und Strichpunkte [›periodos‹]254 . Alles dies muss man kennen, damit man weiß, wo Sinnabschnitte, Unterteilungen und die Endpunkte [der Verse eines Textes] sind. Die Unkenntnis [dieser Zeichen] ist nicht nur unschön, sondern auch gefährlich, denn sie verleitet heutzutage

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zu Irrtümern bezüglich des Sinnes in fast allen Teilen der Bibel. So sagt der Herr zu Beginn in Matthäus 8 zum Beispiel zu dem Leprakranken: »Ich will es tun, sei gereinigt.«255 Dies sind zwei Verse und eine Periode. Denn der eine [Vers] muss durch das Wort ›volo‹ [Ich will] gebildet werden, der andere durch das Wort ›mundare‹ [sei gereinigt]. Denn ›mundare‹ ist hier kein Infinitiv [reinigen], sondern ein Imperativ, d. h. der Form nach ›esto vel sis mundatus‹ [sei gereinigt!]. So erklärt es Hieronymus und im Griechischen wird das ganz klar. Deshalb sind dies zwei Verse, nicht nur einer. Ähnlich wird auch in Lukas 13 von einem Sklaven berichtet, der zum Herrn über einen Baum ohne Früchte spricht und sagt: »Ob er wolle Frucht bringen, wo nicht, so haue ihn danach ab«.256 Es müssen hier zwei Verse sein, wobei der erste Vers mit dem Wort ›fructum‹ [Frucht] endet. Dennoch ist die Rede [an dieser Stelle] unterbrochen, damit man die Andeutung richtig versteht: Der Baum wird nicht gefällt oder etwas in der Art. Im Griechischen scheint die Erklärung dieser Passage deutlicher [als im Lateinischen] zu sein. Und in Genesis 2 steht kurz nach dem Beginn: »So sind Himmel und | Erde geworden, als sie geschaffen wurden. Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Himmel und Erde machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen.«257 Man sieht sich hier einer großen Schwierigkeit gegenüber: Muss man diese Passage als einen Vers oder als mehrere Verse verstehen? Im Hebräischen ist deutlich, dass es gemäß den Eigenschaften der Unterteilung und Satzbildung des Hebräischen zwei Verse sind. Denn im Hebräischen beginnt ein neuer Vers an der Stelle ›und alle die Sträucher auf dem Felde‹ [et omne virgultum agri], was buchstäblich meint, dass es noch keine Feldsträucher auf der Erde gab und dass in den Gebieten der Erde noch keine Pflanzen wuchsen, weil zu Beginn Himmel und Erde geschaffen worden sind. Denn es wird gesagt: »Zu Beginn erschuf Gott Himmel und Erde.« Denn weder waren die Sträucher, noch die Pflanzen der Erde zu dieser Zeit erschaffen worden,

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sondern erst am dritten Tag. Wenn es im Lateinischen hier eine Verneinung wie im Hebräischen gäbe, sodass unser Text hier so wäre, wie ich es im Hebräischen erklärt habe, könnte man einen neuen Vers auch auf Latein an der Stelle ›et omne virgultum agri‹ beginnen. Aber es gibt hier keine Verneinung, auch wenn den Wertigkeiten der Adverbien – nämlich ›antequam‹ [bevor] und ›priusquam‹ [bevor] – Verneinungen unter ihrer bejahenden Gattung auferlegt werden. Diese Adverbien können jedoch ihrem Gebrauch nach keinen [neuen] Vers einleiten. Vielmehr ist es nötig, dass man sich [durch sie] auf einen vorigen Vers bezieht und dass die Aussage der vorangehenden Rede in einem [durch diese Adverbien verbundenen] Vers enthalten ist. Daher muss das Adverb ›antequam‹ [bevor] der Satzkonstruktion vorangestellt werden und ›omne virgultum‹ muss im Nominativ stehen. Der Sinn des Textes ist daher dieser: Diese sind Erzeugungen des Himmels und der Erde usw., als sie geschaffen wurden an dem Tag, an dem der Herr Himmel und Erde geschaffen hatte, und zwar bevor alle Feldsträucher auf der Erde gewachsen waren, da ihnen die Erde vorausging usw., und bevor alle Pflanzen gesprossen waren. Wenn in diesem Satz ›omnis herba‹ im Nominativ stünde, wäre der Literalsinn klarer. Doch man kann den Nominativ hier hinzufügen, also: ›Die Erde, die hervorbringe‹ [terra quae germinet], so wie auch in der Genesis für den dritten Tag gesagt wird: »Es lasse die Erde hervorbringen Gras und Kraut«.258 Man darf das hier nicht so verstehen, dass Gott, so wie er Himmel und Erde zu Beginn geschaffen hat, auch das Gesträuch und die Pflanzen geschaffen hätte, | weil das falsch ist. Daher ist es nötig, dass ›alle Sträucher‹ [omne virgultum] im Nominativ steht und dass ihm eine adverbiale Bestimmung in der Satzkonstruktion vorausgeht, wie ich bereits gesagt habe, auch wenn sie dem Versteil ›alle Sträucher‹ in der Satzordnung folgen mag. Denn was in der Reihenfolge der Rede gesetzt wird, muss nicht immer auch so in der Reihenfolge in der Satzkonstruktion gesetzt werden, wie an unzähligen Beispielen deutlich wird, nicht nur in beliebigen Tex-

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ten, sondern auch in der normalen Rede. In unserem Fall wäre der Text klarer, wenn ›herba‹ [Kraut] im Nominativ stünde. Wie vorher erklärt worden ist, kann aber trotzdem aufrechterhalten werden, dass das Wort im Akkusativ steht. Dennoch hat ein gewisser Andreas259, der die Bibel ad litteram erklärt hat, das Wort ›herba‹ in den Nominativ gesetzt und den Text so wiederholt, als wäre es der unsere, nämlich mit einer doppelten Negation. Doch er legt den lateinischen Text so aus, wie er im Hebräischen ad litteram konstruiert wird und wie ich es oben beschrieben habe. Aber das ist nicht unsere [lateinische] Übersetzung. Daher weiß ich auch nicht, warum er diese Stelle so in seine Erklärung eingefügt hat, denn er müsste ja eigentlich unseren Text erläutern und nicht einen anderen, der überhaupt keine Übersetzung ist, sondern nur eine buchstäbliche Konstruktion im Hebräischen. [179] Ich habe dies hier wegen vieler Personen gesagt, die Andreas eine Autorität zuschreiben, die er in keinem Fall haben kann: Denn gemäß Beda [Venerabilis] hat die Kirche niemandem die Erklärungsautorität für die Heilige Schrift gegeben, wie auch anhand der Dekrete ersichtlich wird, von denen man feststellen muss, dass Andreas [in ihnen] nicht erwähnt worden ist. Auch wenn er ein gebildeter Mensch gewesen sein mag, der womöglich gar Hebräisch konnte, darf man ihm dennoch nicht glauben, weil er solch einer Autorität nicht würdig ist, sondern man muss in Fragen der Bibelauslegung auf das Hebräische zurückgehen, von dem er spricht. Und wenn er [Andreas] etwas Wahres sagt, muss man dem Hebräischen glauben, nicht ihm. Wenn er uns jedoch – wie in unserem Beispiel – in etwas Falsches oder doch wenigstens nicht besonders Gutes in einem Text, der nicht der unsere ist, verwickelt, muss man dem, was er sagt, widersprechen. Aber in diesem Fall ist es ja auch gar nicht so, sondern es ist vielmehr ein Text, der das Hebräische ad litteram rekonstruiert, wie ich oben bereits gesagt habe. Man muss Andreas aber dafür ausgesprochen gutheißen, dass er uns, wenn auch nicht immer, so

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doch häufig, zu bestimmten Zweifeln an unserer Übersetzung anregt. Und er führt uns zum Hebräischen, damit wir die Erklärungen | mit mehr Sicherheit an ihrem Ursprung suchen. Denn in der Tat würden wenige Menschen sich auf die Suche nach der richtigen Erklärung dieser Stelle und vieler weiterer Stellen machen, wenn sie in diesen Fällen nicht Andreas beachten würden. [180] Der siebente Fall betrifft die Eigennamen von Menschen, Ortsnamen sowie die Namen von Tieren und Pflanzen und von allen anderen Dingen, die in der Heiligen Schrift stehen. Denn im Lateinischen kann man die Wahrheit [über diese Dinge] weder dem Sinn nach noch in der Auslegung erkennen. Daher ist es notwendig, dass wir sehr oft zu den alten Sprachen zurückgehen, weil sonst die Wahrheit nicht aufscheinen kann. Ich möchte jetzt zumindest drei Beispiele vorstellen, zu denen es verschiedene Meinungen gibt, unter denen wegen der Unkenntnis des Griechischen und Hebräischen auch schwerwiegende Falschheiten und Dummheiten sind. [181] In Levitikus 11 260 und in Deuteronomium 14261 werden die Tiere aufgelistet, die dem Gesetz nach rein und unrein sind. Unter den unreinen Tieren findet man auch das ›chirogrillus‹262 . Zuerst müssen wir uns kurz einen Begriff davon machen, wie man das Wort richtig ausspricht. Im Griechischen und in den alten lateinischen Handschriften wird es mit fünf Silben und einem behauchten ch zu Beginn geschrieben. Aber die Menge der Theologen sagt aus Unkenntnis der griechischen Sprache fälschlicherweise ›cirogrillum‹ mit vier Silben. Da es ein Tier ist, muss man [um das Folgende zu verstehen] wissen, dass die Hebräer an den genannten Stellen ›Kaninchen‹ [cuniculum] dafür sagen und dass gemäß dem Griechischen ›chirogrillus‹ ein Kaninchen [cuniculus] ist.263 [182] Da es im Altertum eine Zeit gab, in der das Griechische in vielen lateinischen Provinzen weit verbreitet war und da unsere Sprache zu großen Teilen auf dem Griechischen beruht und alle Wissenschaften aus [dieser Sprache] überliefert worden sind, wie

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weiter oben erläutert worden ist, sind an vielen Orten zahlreiche griechische Wörter erhalten geblieben. Aus diesem Grund sagt die Menge der Kleriker in Pictavia 264 , in Aquitanien und in den Regionen rund um Toulouse, also in der Provence, nach wie vor ›chirogrillum‹ für Kaninchen, wenn sie es auch auf gewisse Weise nicht mehr richtig aussprechen, wie ich gesagt habe. [183] Darüber hinaus sagt Hieronymus in Über die hebräischen Na­ men an einer Stelle über die Wörter, die in Jeremias vorkommen, dass das Wort ›saphan‹ im Hebräischen ›Hase‹, ›hericium‹ oder auch ›herinacium‹ [Igel] | und ›chirogrillus‹ bedeutet.265 Und in dem Brief über die Korrektur der Psalmen schreibt er, dass sich das Wort ›saphan‹ auf ein Tier bezieht, das einem Bär und einer Maus ähnlich ist und das in Palästina zahlreich vorhanden ist. Es wird ›artomys‹ genannt, von ›artos‹, das ist der ›Bär‹, und von ›mys‹, die ›Maus‹.266 [184] Da also ›chirogrillus‹ gegen drei andere Wörter abgegrenzt wird, bedeutet es nicht ›Hase‹, ebenso wenig wie ›Igel‹ und ›artomys‹. Da es sich so verhält, [kann das Wort ›chirogrillus‹] nicht ›Igel‹ [bedeuten], auch wenn es so in den Interlinearglossen 267 und den Magistralglossen zu lesen ist und Briton 268 es träumt. Da außerdem das Kaninchen kein raubgieriges und tödliches Tier ist, ist es auch das ›chirogrillus‹ nicht, obschon die genannten Glossen und Briton das glauben. Es ist auch kein Tier mit Stacheln, das größer wäre als der Igel, auch wenn die Interlinearglosse269 des Levitikus das nahelegt. [185] Denn das Tier mit Stacheln, das größer ist als der Igel, [ist nicht der chirogrillus/das Kaninchen], sondern die ›strix‹, die man allgemein auch ›das Stachelschwein‹ nennt. Das ist ein Tier von mittlerer Größe, das relativ lange Stacheln hat, die es bei Gefahr abschießen kann, um den feindlich gesonnenen Menschen zu verletzen. Da aber das Kaninchen kein solches Tier ist, wird es auch der ›chirogrillus‹ nicht sein. Es gibt auch Magistralpostillen, in denen gesagt wird, dass es ein Tier sei, welches dem Bär und der Maus ähnlich sei. Doch diese Ansicht ist aufgrund der

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Doppeldeutigkeit des Namens ›saphan‹ bereits entkräftet worden. Dagegen spricht auch, dass in den Sprüchen 30 geschrieben steht: »die Häschen, ein schwaches Volk«.270 Hier steht im Griechischen ›chirogrillum‹.271 Dass es sich bei ›chirogrillum‹ um ein Tier handelt, ist aufgrund der Doppeldeutigkeit des Wortes klar. Das ›chirogrillum‹ ist in den Sprüchen ebenso wie im Levitikus und im Deuteronomium aufgezählt worden. Dort werden der ›chirogrillus‹ und der Hase jedoch in den genannten Kapiteln als zwei verschiedene Tiere angeführt. Denn der Hase hat sein Nest nicht in den Steinen, sondern an weichen Orten, wie auf Feldern und in Wäldern zwischen Pflanzen und Gras. [186] Deshalb muss man verstehen, dass die alte Übersetzung der Sprüche ebenso wie die gesamte Bibel an vielen Stellen verdorben worden ist. An dieser Stelle ist sie deshalb verdorben worden, weil ›saphan‹ [dort] ›Hase‹ bedeutet und sie nicht darüber nachgedacht haben, dass es auch etwas anderes bedeuten könnte. Denn Hieronymus sagt in der Korrektur zum Buch der Psalmen, dass alle Übersetzer aus dem Griechischen wie er aus dem He­ brä­ischen das Wort ›saphanim‹ mit dem gleichen Wort übersetzt haben, und zwar wegen der Übersetzung in | der Septuaginta, in der dafür ›Hasen‹ steht.272 Dennoch hat der lateinische Übersetzer dafür fälschlich ›Igel‹ übersetzt, ebenso wie in der Septua­ ginta irrtümlicherweise ›Hase‹ steht. Denn Hieronymus sagt in seiner Korrektur zum Buch der Psalmen, dass es ein Tier ist, das dem Bären und der Maus ähnelt, weil es in Höhlen zwischen Steinen wohnt, genauso wie das Kaninchen, das in Löchern im Boden wohnt.273 Aus diesem Grund bedeutet ›chirogrillon‹ in den Sprü­ chen 30 [26] ›Kaninchen‹, auch wenn es die alte lateinische Übersetzung hier irrtümlicherweise mit ›Hasen‹ übersetzt hat, was der selige Hieronymus ebenso wie in [seiner Übersetzung der] Psalmen bei dem Wort ›Igel‹274 in seiner Übersetzung [des Sprü­ che] stehengelassen hat. So hat er es auch in unzähligen anderen Fällen gehalten, um die Kirche nicht durch zu viele Neuheiten in Verwirrung zu bringen. Weil er nämlich aufgrund der Fehler,

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die er an der Vulgata getadelt hat, »Verfälscher der Schriften« genannt worden ist, hat er – wie er selber sagt – vieles belassen, wie es war. Denn er wollte seine Korrekturen nicht auf jede Kleinigkeit ausweiten, wie im Psalter ganz klar wird, wo er in der Verbesserung lehrt, dass dieses Tier dem Bären und der Maus ähnlich ist, auch wenn er in seiner Übersetzung ›Igel‹ geschrieben hatte, wie es der Brauch der Kirche seit der vorigen Übersetzung war. [187] Wir können diese Stelle auch erklären, indem wir mit Plinius’ achtem Buch [der Naturgeschichte 275] feststellen, dass die Bezeichnung ›Hase‹ in der Antike ein allgemeiner Überbegriff war, der verschiedene Unterarten hatte, von dem das ›Kaninchen‹ eine war. Denn gemäß der Wahrheit sind der Hase und das Kaninchen sehr ähnliche Tiere: Sie gleichen sich in der Farbe, in der Größe, in ihrer [äußeren] Erscheinung und in ihrer Natur, denn sie sind beide sehr scheue Tiere, die viele gemeinsame natürliche Eigenschaften haben; deshalb wurden sie in der Antike unter dem gleichen Namen ›Hase‹ zusammengefasst. So kann der Begriff ›Kaninchen‹ in den Sprüchen 30 auch als [der Unterbegriff zu] ›Hase‹ verstanden werden, auch wenn im Griechischen die richtige Bezeichnung ›chirogrillon‹ ist. [188] Bei dem Wort ›nycticorax‹ [Nachtrabe] ist die Schwierigkeit noch größer. Briton der Lügner bestätigt seine Meinung, dass das Wort ›Eule‹ [noctua] bedeutet, mit Isidor.276 | Hieronymus scheint auch zu dieser Ansicht zu tendieren, denn er sagt in seinem Brief über die Korrektur der Psalmen an dieser Stelle: »Ich habe es gemacht wie der nycticorax in seinem Heim«, weil er der Übersetzung von Aquila, der Septuaginta, von Theodotios und der fünften Auflage folgt. Symmachus übersetzt das Wort mit ›Wiedehopf‹ [upupa]. Die sechste Auflage mit ›Eule‹, der wir am meisten folgen, wie er sagt. Schließlich fügt er hinzu, dass man bei uns und bei den Griechen liest: »Ich habe es gemacht wie der nycticorax«, wo bei den Hebräern gesagt wird: »Ich habe es gemacht wie die Eule.« 277 Hierzu muss man aber sagen, dass ein ›nycticorax‹ ohne Zweifel keine Eule ist, denn wo in Deuteronomium 14 die durch

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das Gesetz verbotenen Tiere aufgezählt werden, werden sowohl die ›Eule‹ als auch der ›nycticorax‹ erwähnt.278 Da festzuhalten bleibt, dass dasselbe Tier nicht an demselben Ort zweimal verboten werden kann, kann der ›nycticorax‹ keine Eule sein. Auch im elften Kapitel des Levitikus, wo dieselben Tiere verboten werden, steht im Griechischen ›nycticorax‹ und ›Eule‹, deshalb können sie nicht dasselbe Tier sein.279 [189] Dass der [›nycticorax‹] daher ein ›Uhu‹ [bubo] sein muss, wird im Levitikus gezeigt. Denn wo wir ›Uhu‹ haben, steht im Griechischen ›nycticorax‹. Weiterhin hat Plinius, der sich sehr um die Aufzählung und Beschreibung von Tieren bemüht hat, im zehnten Buch seiner Naturgeschichte 280 die bekannten Vögel untersucht; er erwähnt dort niemals den ›nycticorax‹ unter seiner griechischen Bezeichnung, sondern spricht dort immer von dem ›Uhu‹ und der ›Eule‹ wenn er alle Nachtvögel beschreibt. Plinius unterscheidet also den Uhu von der Eule. Und da wir einen so großen Autor nicht als mangelhaft empfinden können, weil er von allen anderen Autoren nachgeahmt worden ist und alles genauer betrachtet hat als irgendwer anders, halte ich es für sicher, dass der ›Uhu‹ und der ›nycticorax‹ ein- und dasselbe Tier sind. Das sagt auch Isidor, wobei man eingestehen muss, dass er dies mehr als Meinung, denn als verbindliche Ansicht gesagt hat.281 Denn er spricht an vielen Orten über allgemeine Dinge, wo er nicht immer mit der Wahrheit im Einklang ist. Obwohl Hieronymus am bereits genannten Ort | mehr zur Übersetzung der sechsten als der fünften Auflage tendiert, die ganz offensichtlich falsch ist, kann man daraus nicht schließen, dass Hieronymus es als feststehende Ansicht nehmen wollte, dass der ›nycticorax‹ eine Eule sei. Vielmehr schien es ihm weitaus wahrscheinlicher zu sein und es gefiel ihm weit besser, als das Tier mit ›Wiedehopf‹ zu übersetzen, das man so in keiner Weise stehen lassen kann. [190] Weiterhin ist das, was er von den Hebräern folgert, die dieses Wort im Hebräischen mit ›Eule‹ übersetzt und erläutert haben, nicht überzeugend. Denn auch wenn es stimmt, dass einige He-

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bräer das Wort so herleiten, sagen doch weitaus mehr ›Uhu‹ [für nycticorax]. Zudem führt er bestärkend die Sentenz »Ich habe es gemacht wie die Eule« an, um zu betonen, dass für dieses hebräische Wort die meisten dennoch der Meinung sind, dass es ›Uhu‹ bedeutet. Daher entscheidet Hieronymus hier nichts mit letztgültiger Sicherheit, sondern bleibt im Zweifel; allerdings versichert er uns, dass die meisten Hebräer der Meinung seien, es handele sich hier um einen Uhu und in diesem Teil überein­ stimmen. [191] Man muss auch hinzufügen, dass die Bezeichnungen in jeder Sprache mehrdeutig sind, wie wir auf unzählige Arten sehen. Das gilt nicht nur für verschiedene Regionen, sondern auch für ein und dieselbe Region. Aus diesem Grund können wir sagen, wenn wir den Text des Psalters und des Gesetzes und aller Autoren zugleich bewahren wollen, dass das Wort ›nycticorax‹ mehrdeutig ist und sowohl ›Eule‹ als auch ›Uhu‹ und alles, was den Nachtvögeln gemeinsam ist, bedeuten kann. So können auch Isidor, Hieronymus, das Gesetz und der Psalter in Wahrheit auf ganz verschiedene Weise verstanden werden. Ich denke jedoch, dass die erste Interpretation die beste ist. [192] Ähnlich ist es auch mit den Worten ›Pelikan‹, ›Porphyrion‹282 und ›Onocrotalus‹283 . Hier herrscht großer Zweifel, was diese Worte bezeichnen und man kann die Wahrheit nur durch das Hebräische und das Griechische erkennen. Briton der Lügner sagt, dass dort, wo wir im Deuteronomium 14 ›Porphyrion‹ haben, 284 in der Septuaginta ›Pelikan‹ steht.285 Ohne Zweifel unterstützen auch die Magistralglossen fälschlicherweise diese Meinung. Wer aber Griechisch kann, der kann im Griechischen ebendort lernen, dass der ›Pelikan‹ und der ›Porphyrion‹ gleichzeitig in dem Text auftreten. Daher können sie nicht dasselbe Tier sein, sondern [sie sind] verschiedene Tiere, weil ein- und dasselbe Tier nicht zweimal zugleich aufgezählt wird. Aus diesem Grund bleibt festzuhalten, dass der ›Porphyrion‹ und der ›Pelikan‹ verschiedene Tiere sind; ferner, dass der ›Pelikan‹ und der ›Onocrotalus‹

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dasselbe Tier sind. Denn wo | in der Septuaginta ›Pelikan‹ steht, steht in unserer Übersetzung ›Porphyrion‹ und ›Onocrotalus‹. Daher ist der ›Pelikan‹ dasselbe wie der ›Onocrotalus‹. [193] Deshalb hat auch der äußerst gewissenhafte Tierbeobachter Plinius nirgends im zehnten Buch seiner Naturgeschichte, das von den Vögeln handelt, den Pelikan unter diesem Namen erwähnt, sondern ihn ›Onocrotalus‹ und ›Porphyrion‹ genannt. Da man diesen Autor nicht der Unzulänglichkeit verdächtigen kann, muss der Pelikan sich von diesen unterscheiden. Doch aus dem vorher Gesagten ist offensichtlich, dass er nicht ein ›Porphyrion‹ [Purpurhuhn] ist, weshalb er ein ›Onocrotalus‹ [Pelikan] sein muss. [Der Pelikan] ist nach Plinius, aus dem alle anderen lateinischen Schriftsteller geschöpft haben, in der Farbe dem Schwan sehr ähnlich und unterscheidet sich in nichts von ihm, außer dass in seinem Schlund eine andere Art von Magen ist. Denn er ist ein unersättliches Tier und man ist der Meinung, dass er ein unvorstellbares Fassungsvermögen in seinem Rachen hat. Bald nachdem er seine Beute verdaut hat, holt er die Nahrung wie ein Widerkäuer aus seinem Bauch in den Mund zurück.286 Das ›Porphyrion‹ [Purpurhuhn] aber trinkt seine Nahrung durch sein Gebiss, wie Plinius berichtet, indem es seine Nahrung anfeuchtet und dann mit der Klaue wie mit einer Hand zum Mund führt.287 Von der Menge wird über den Pelikan verbreitet, dass er seine Jungen tötet und sie drei Tage so lässt. Danach verletzt er sich mit seinem Schnabel und belebt seine Jungen durch das Bespritzen mit seinem Blut wieder.288 So sieht man es auch auf einigen Skulpturen und das steht den hier genannten Ansichten nicht entgegen und muss daher nicht verworfen werden. Aber diese Ansicht muss auch nicht zwangsläufig angenommen werden, da weder Plinius noch die anderen Autoren sie erwähnen, außer Isidor, der gemäß der verbreiteten Meinung davon spricht. 289 [194] Der letzte Fall, den wir anführen wollen, zieht sich durch die gesamte Bibel. Und selbst wenn alle anderen Fälle dafür ausgeschlossen würden, aus denen Erklärungen aus dem Griechischen

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und Hebräischen notwendig wären, bliebe dennoch dieser Fall, der sich überall verstreut findet und für den es unzählige Beispiele gibt, von denen ich jetzt nur einige berühren werde – denn ich habe an anderer Stelle ausführlich von ihnen gesprochen –, die das Griechische und das Hebräische betreffen. [195] Das erste Beispiel, das ich anführen werde, reicht schon aus, um alle Theologen und alle anderen, | die meinen, es sei nicht notwendig, Griechisch und Hebräisch zu lernen, in Verlegenheit zu bringen. Im Buch Genesis 7 wird gesagt, dass sich im zweiten Monat des sechshundertsten Lebensjahres von Noah die Abgründe auftaten und die Sintflut begann.290 Die Interlinearglosse sagt hier, dass der zweite Monat der Monat Mai war, der im Hebräischen ›Nisan‹ genannt wird. Und der Meister der Scholastischen Geschichte [Petrus Comestor] meint, dass die Hebräer ›Ysan‹ [für diesen Monat] sagen, die Lateiner ›Maius‹ und die Mazedonier oder die Griechen ›Dios‹.291 Des Weiteren [sagt Petrus Comestor], dass Moses in den Gesetzen den Monat ›Nisan‹, d. h. den Monat April, als den ersten der Monate bestimmt hat, wie Flavius Josephus berichtet.292 Das sind die Worte des Magisters [Petrus Comestor] gegen Ende des Kapitels über den Eintritt Noahs in die Arche, und alle Theologen folgen hier dem Magister und der Glosse. Und wiederum verstehen sie es nach einer anderen Glosse und der Berechnung des Magisters so, dass er die Arche im zweiten Monat des darauffolgenden Jahres verlassen hatte, also im Mai. [196] Aber diese Ansichten beinhalten mehrere ganz offensichtliche Fehler, die wegen der mangelnden Kenntnis des Griechischen und Hebräischen auftreten. Denn wenn der Magister [Petrus Comestor] in der Scholastischen Geschichte sagt, dass der Monat ›Ysan‹ für die Hebräer der zweite Monat ist, ist das falsch, weil man bei den Hebräern keinen Monat findet, der ›Ysan‹ genannt wird. Das wird nicht nur anhand der Juden offensichtlich, die heute leben und derer, die in der Vergangenheit gelebt haben, sondern auch anhand des Buches Von der Berechnung der Zeit

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des Beda [Venerabilis], wo er die hebräischen Monate unterscheidet 293 , sowie durch alle, die ein bißchen Hebräisch verstehen. Eine zweite Täuschung ist, dass der Monat, in dem die Sintflut stattgefunden hatte, im lateinischen ›Mai‹ genannt wird. Das ist falsch, weil [die Sintflut] im November war, wie gezeigt werden wird. Daraus folgt, dass sie sich auch in Bezug auf das Verlassen Noahs aus der Arche täuschen; und das gilt auch für die einführenden Glossen zu diesem Thema. Denn die Glosse, die bestätigt, dass der Monat Mai ›Nisan‹ heißt, ist falsch, weil ›Nisan‹ der April ist, wie Beda ebenso wie alle Hebräer lehren. Das ist also eine Sicherheit für diejenigen, welche die Heilige Schrift verstehen. Denn in der Tat wird dieser Monat an vielen Stellen ›April‹ genannt. Drittens irrt sich der Magister der Scholasti­ schen Geschichte [Petrus Comestor], wenn er bekräftigt, dass der Monat Mai bei den | Mazedoniern ›Dios‹ genannt wird.294 Denn ›Dios‹ ist der Monat November, wie Beda schreibt 295 und wie es die Griechen lehren und wie alle wissen, welche die Philosophie, die Heilige Schrift und die Geschichtsbücher verstehen, in denen die griechischen Namen für die Monate oft aufgezählt werden. Viertens irrt er sich, wenn er Flavius Josephus zitiert, um seine Behauptungen zu stützen, weil Josephus [seinen Behauptungen] in allem widerspricht. Denn dies sind die Worte von Flavius Josephus: »Dieses Ereignis begab sich im sechshundertsten Lebensjahre von Noah, während des zweiten Monats, der von den Mazedoniern ›Dios‹ und von den Hebräern ›Maresuan‹ genannt wird. Denn so wurde in Ägypten das Jahr eingeteilt; und Moses hat sein Volk während des Monats ›Nisan‹, im April, aus Ägypten geführt. Dieser war für ihn sehr reich an allen göttlichen Geschenken. Mit den Verkäufen, den Freikäufen und anderen Regierungsakten hat er die Verordnungen vergangener Zeiten erhalten.«296 Dies nämlich sagt Josephus. Da ›Dios‹ bei den Mazedoniern mit dem Monat November korrespondiert und ›Maresuan‹ bei den Hebräern den gleichen Monat bezeichnet, wie Beda lehrt und die Hebräer wissen, ist es offensichtlich,

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dass der Magister nicht nur Falsches bezüglich der Datierung der Sintflut gesagt hat, sondern dass er auch Josephus nicht verstanden hat und ihm falsche Dinge untergeschoben hat, sei es auch fälschlicherweise und aufgrund seines eigenen Irrtums, weil er die griechischen und hebräischen Monatsnamen nicht kannte. [197] Aber nicht nur in diesen Dingen irrt er [Petrus Comestor] sich, sondern auch darin, dass er denkt, dass der Monat, in dem die Sintflut begonnen hatte, der Monat Mai war. Deswegen täuscht er sich auch bezüglich des Monats, in dem Noah die Arche wieder verlassen hat. Darin irrt die Glosse ebenso wie die Theologen, von denen niemand diese Fehler herausgefunden hat, wie groß sie auch sind. Und dies liegt an der Unkenntnis des Griechischen und Hebräischen. Durch Cuprus [?] kann man nachweisen, dass die Sintflut im Monat November begonnen hat und dass Noah die Arche auch während dieses Monats wieder verlassen hat. Denn es ist sicher, dass Noah die Arche in demselben Monat verlassen hat, in dem er sie betreten hat. [198] Doch der Monat selbst ist fraglich. Dass es der Monat November gewesen sein muss, ist zuerst anhand des Zeugnisses von Flavius Josephus klar, dem alle eine heilige Autorität in der Schriftauslegung zusprechen. In der Tat ist der Monat ›Dios‹ bei den | Griechen äquivalent zum Monat ›Maresuan‹ bei den Hebräern. Daher ist es sicher, dass nicht der Mai, sondern der November ›Dios‹ und ›Maresuan‹ genannt wird. Denn der Mai heißt bei den Griechen ›Artemisios‹ und bei den Hebräern ›Ear‹, wie es Beda lehrt297 und wie jeder Hebräer weiß. Daher hat die Sintflut gemäß Flavius Josephus im November stattgefunden. Weiterhin lehrt Josephus, dass Moses bei der Festlegung der Feierlichkeiten den Monat ›Nisan‹, d. h. den April, als den ersten Monat festgelegt hat, an dem Ostern gefeiert wird. Danach kommen die anderen Festlichkeiten, wie Pfingsten und die übrigen. Dennoch hat er, soweit es den natürlichen Zeitverlauf, den Verkauf und den Kauf und die übrigen menschlichen Zeitberechnungen betrifft, die Erlasse der vorigen Jahrhunderte erhalten. Deshalb ist der erste

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Monat des Jahres der Oktober, der zweite der November usw., wie wir es vorhin gemäß dem Verständnis von Flavius Josephus erläutert haben. Wenn der November der zweite Monat ist, muss der Oktober aber der erste Monat sein. Da ich schon erläutert habe, dass nach dem Verständnis von Flavius Josephus, das uns durch Beda überliefert ist, der November der zweite Monat ist, ist der Oktober der erste, und zwar auch gemäß den Erlassen der vorhergehenden Jahrhunderte und gemäß dem natürlichen Ablauf der Zeiten, den die Hebräer seit Beginn der Welt beachtet haben. Aus diesem Grund nennen die Hebräer bis heute den Oktober ›Rosana‹, was soviel bedeutet wie ›Haupt‹ oder auch ›Beginn des Jahres‹. Dies wird durch viele Autoritäten und durch das Gesetz bestätigt. Und auch Hieronymus sagt zu Beginn des Buches Hesekiel bezüglich des vierten Monats, dass der vierte Monat der Januar ist, daher ist der Oktober der erste Monat und der November der zweite. Ebenso schreibt Hieronymus in seinem Brief über die Feste der Hebräer: »Bei den Hebräern ist es durch das Gesetz vorgeschrieben, dass sie gegen Ende des Sonnenjahres, wenn sie ihre Früchte in den Kornspeichern sammeln, drei Feste feiern: Am ersten Tag das Fest der Trompeten, am zehnten Tag das Sühnefest und ab dem fünfzehnten Tag sieben Tage lang das Fest des Tabernakels.«298 | Doch diese drei Feste werden in der Mondumlaufzeit des Oktobers gefeiert, die bekanntlich im September beginnt. Also ist der September das Ende des Jahres und der Oktober der Beginn des neuen Jahres. [199] Dies wird durch die Bibel auf viele Weisen bestätigt. Denn in Exodus 23 wird gesagt: »Du sollst das Fest der Lese am Ende des Jahres halten, wenn du den Ertrag deines Feldes eingebracht hast.«299 Und ebenso in Exodus 34: »Du sollst das Fest halten, wenn um die Wende des Jahres alles eingesammelt wird.«300 Die Bibel spricht hier vom Laubhüttenfest oder vom Fest des Tabernakels. Und im ersten Kapitel des Buches Nehemia [1]: »Und es geschah im Monat Casleu des zweiten Jahres301.«302 Im zweiten Kapitel steht: »Es geschah im Monat Nisan des zwanzigsten Jah-

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res des Königs Artaxerxes.«303 Der Monat ›Nisan‹ ist der April und der Monat ›Casleu‹ ist der Dezember bei den Hebräern. Wenn der Monat ›Nisan‹ der erste Monat gemäß der natürlichen Ordnung der Berechnung des Jahres wäre, würde man nicht ›des zwanzigsten Jahres‹, sondern ›des einundzwanzigsten Jahres‹ sagen, da zuvor bereits ›Casleu des zwanzigsten Jahres‹ genannt worden ist und danach in demselben Jahr der Monat ›Nisan‹. [200] Das wird auch durch das Gesetz bestätigt. Denn wenn man im September oder Oktober des sechsten Jahres etwas aussähen würde und das Jahr im April beginnen würde, müsste es auch dort enden. Man könnte dann während des sechsten Jahres also nicht ernten und die Ernte könnte nicht eingebracht werden. Später könnte sie jedoch ebenso wenig eingebracht werden, denn dann würde sie während des siebenten Jahres eingebracht werden müssen, was falsch ist, da das siebente Jahr dem Gesetz nach ein Ruhejahr ist. Daher würde die Ernte des sechsten Jahres zugrunde gehen, was absurd ist, da die Ernte, die man am Ende des sechsten Jahres erntet, auch für das siebente und achte Jahr reichen muss. [201] Gegen diese wunderbaren Vernunftgründe gibt es nichts, was man gemäß der Wahrheit anführen könnte. Aber man könnte hier vielleicht dennoch dem Anschein nach einwenden, dass im Buch Exodus gesagt wird, »dass dieser Monat für euch der erste Monat des Jahres sei. 304« Und hier spricht man vom April, also muss der Mai der zweite Monat sein und die Sintflut muss sich im Mai ereignet haben. Dennoch wird aus der Unterscheidung, die Flavius Josephus gemacht hat, der Grund hierfür offensichtlich. Denn der erste Monat wird auf eine Art gemäß der natürlichen Ordnung der Zeit und aufgrund der Vereinbarungen bezüglich des Verkaufes und | des Kaufes, der Berechungen der Jahre und der Geschichten und nach allen Handlungen und menschlichen Überlegungen bestimmt. Daher muss der Oktober der erste Monat und der Beginn des Jahres sein. Zudem haben Moses und die Juden diese Zeitordnung seit Beginn der Welt bis jetzt beachtet.

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Der erste Monat kann auf eine andere Art jedoch auch aufgrund der Festlichkeiten bestimmt werden. Dieser Festlegung zufolge ist der April der erste Monat, weil in ihm das erste Fest begangen wird, nämlich Pascha [Ostern], und nach weiteren fünfzig Tagen Pentecoste [Pfingsten] und so weiter. Auf diese Weise bestimmt man den ersten Monat nicht in Bezug auf den natürlichen Zeitverlauf, sondern nach dem Gesetz [des Moses]. Aber diese Dinge sind ja schon aufgrund der Autorität von Flavius Josephus deutlich geworden, weshalb hier genug darüber gesagt sei. [202] Alle Fehler der Theologen, der Magistralglossen und des Magisters der Scholastischen Geschichte kommen daher, dass sie Josephus nicht richtig verstehen, weil sie die griechischen und hebräischen Monate nicht kennen, die in der Heiligen Schrift benutzt werden und deren Kenntnis für eine klare und echte Erläuterung gebraucht wird. Doch daraus folgen noch weitaus größere Dinge. Denn wenn der Beginn des Jahres zur Mondumlaufzeit im Oktober war, dann war auch der Beginn der Welt in dieser Zeit. Und dies stimmt mit der Heiligen Schrift überein; denn in der Genesis sind die Hervorbringungen der Erde in ihrer Vollkommenheit geschaffen worden; wie die Bäume mit ihren Äpfeln und den anderen Früchten, die Saatfelder und alle Dinge in ihrer Vollkommenheit und vollendeter Reife, wie es die Heilige Schrift uns sehen lässt und wie alle glauben. Dies ist deshalb notwendig, weil die Werke Gottes vollkommen sind. Und Adam und Eva mussten die Früchte sofort verzehren, woraus folgt, dass sie bereits reif waren. Doch die Zeit der Reife und der Ernte der Früchte ist weder im April noch im März, sondern Ende September und zu Beginn des Oktobers. Das gilt gemäß der Schrift auch für die Gebiete jenseits des Meeres. Daher war zu dieser Zeit der Anfang der Welt. Und es gilt hier nicht zu sagen, dass Gott die reifen Früchte zu Beginn jederzeit hätte hervorbringen können, wenn er gewollt hätte – und zwar genauso gut im April wie im Oktober und September. Denn darauf muss man antworten, dass Gott alles gemäß seinem Willen hervorgebracht und

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erschaffen hat, und dieser folgt der richtigen Vernunft und der natürlichen Ordnung, auch wenn die unendliche Macht Gottes nicht begrenzt werden kann. | Daher hat er zu Beginn der Welt die reifen Früchte zur richtigen Zeit hervorgebracht, weil man es später gemäß der zeitlichen Abfolge bei der Entstehung der Früchte so beobachtet hat. Wir sehen nun aber, dass dies nicht im März oder April geschieht, sondern alle Früchte sind etwa gegen Ende September in ihrem vollkommenen Reifezustand, und niemals im März oder im April. So ist es auch im Heiligen Land, wie die Schrift bezeugt. Die Pilger, die dort gewesen sind, bezeugen dies. Aus diesem Grund beginnt das natürliche Jahr wie auch der Beginn der Welt gegen Ende September. Und das ist vernünftig, da die Kunst und die Natur übereinstimmen. Denn die Saatzeit ist eine natürliche Zeit und die Kunst des Menschen folgt ihr, denn dies ist der Beginn der Hervorbringung neuer Früchte der Erde, um das Leben der Menschen zu erhalten. Doch da, wo der Beginn der Natur und der Kunst ist, dort muss auch der Beginn der Zeit sein, gemäß dem, was die Tätigkeiten der Natur und der Kunst gesetzt haben. Daher ist der Beginn der natürlichen Zeit und des Jahres gegen Ende September. [203] Deswegen setzen auch die Orientalen und die Menschen des Südens den Beginn der Zeit im September und Oktober an, ebenso wie die Astronomen und alle Weisen. Denn da die Astronomen die Zeit auf vernünftige Weise bedenken, weil es vor allem ihre Aufgabe ist, die Zeiten und Zyklen zu betrachten, die vom Himmel ausgehen, ist es ganz klar, dass der Beginn der Zeit natür­ licherweise gegen Oktober angesetzt werden muss und nicht gegen März oder April. [204] Dennoch geben viele Lateiner das Gegenteil vor, wenn sie die Meinung bekräftigen, dass die Erschaffung der Welt im März oder im Frühling stattgefunden habe. Aber diese Behauptung hat keinerlei Rückhalt in der Schrift oder in den alten Wissenschaften. Sie widerspricht sogar der Schrift, ebenso wie Josephus und Hieronymus, wie weiter oben erläutert worden ist. Man darf

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daher nicht ihre Position vertreten, die den Beginn der Welt im März oder im April ansetzt. [205] Daraus folgt eine dritte Konsequenz: Seit dem Beginn der Welt müssen alle Berechnungen der Jahre, die sich in der Schrift finden, und in Folge dessen auch alle Jahre und Jahrhunderte seit Christus, ab Oktober berechnet werden. Andernfalls | gäbe es eine Verkürzung der Berechnungen in Bezug auf die Hälfte des Jahres oder sogar noch mehr, was eine Sünde ist, die mit aller Vorsicht vermieden werden muss. Diese Irrtümer sind die Folge der Unkenntnis der griechischen und hebräischen Monate, ihrer Namen sowie der Erdteile. Aufgrund der Unkenntnis dieser Sprachen nehmen sie bezüglich der gesamten Schrift falsche und gefährliche Positionen ein und feiern sie als Wahrheit, die eigentlich würdigen und wahrhaftigen Erklärungen außer Acht lassend. [206] Aber wir müssen das im Moment aufschieben, weil wir zu anderen Dingen übergehen wollen. Ich habe diesen Teil meiner Abhandlung dennoch lang gehalten und über vieles gesprochen, denn hier verbirgt sich wirklich eine große Unkenntnis und der Irrtum der Lateiner ist sehr gefährlich und schändlich. Denn sie wissen weder, wie man schreibt, noch wie man die Worte betont, noch wie man die Wörter auslegt, noch können sie die Philosophie und die Theologie vernünftig erklären, weil bei ihnen eine unendliche Unkenntnis herrscht.

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Nachdem ich die [allgemeineren] Gründe für die Notwendigkeit behandelt habe, dass die Lateiner gut genug die Grammatik anderer Sprachen kennen, wenigstens die Grammatik von drei Sprachen, also des Griechischen, des Hebräischen und des Arabischen, möchte ich nun mit der griechischen Grammatik beginnen, weil sie am einfachsten und dem Lateinischen am nächs-

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ten ist. Zunächst benutzt jede Sprache ein Alphabet, in dem die Buchstaben auf eine bestimmte Art angeordnet sind. Nach Priscian 305 besteht ein Buchstabe aus einem Namen [proprie], einem Schriftzeichen [figura] und einem Lautwert für die Aussprache [elementum]. Wir benutzen das eine für das andere ohne Unterschied. Ich werde also die griechischen Buchstaben mit ihren Schriftzeichen und ihren Namen beschreiben. Zudem werde ich die großen und die kleinen Schriftzeichen desselben Buchstabens aufzeigen. Darunter werde ich die Schriftzeichen der lateinischen Buchstaben schreiben, damit man weiß, welchen Klang und welche Eigenschaften die griechischen Buchstaben haben, damit wir leicht anhand unserer Buchstaben sehen, welche und wie viele Vokale und Konsonanten es gibt und welche stumm 306 [mutae] und welche flüssig307 [liquidae] sind. Außerdem werde ich, da die Griechen die Buchstaben des Alphabets auch als Zählzeichen benutzt haben, | drei Zeichen hinzufügen, welche keine Buchstabennotierungen sind, sondern allein Zeichen zum Rechnen. Daher werde ich sie zwischen die Buchstaben des Alphabets setzen und die lateinischen Zahlen darüber schreiben, die mit den einzelnen Schriftzeichen korrespondieren. Alles das werde ich in einem Alphabet zugleich zeigen, um Verwirrung durch Weitschweifigkeit zu vermeiden. 308 [208] Das υ wird bei den Lateinern ›dünn‹309 [tenue] genannt, weil es einen schwachen Klang hat und deshalb zu Beginn eines Wortes immer behaucht wird. Die Lateiner haben eine Figur für das ›Ypsilon‹, nämlich y, wie weiter unten ersichtlich werden wird. Die Lateiner nennen dieses Zeichen ›griechisches y‹, aber es handelt sich dabei eigentlich nicht um ein griechisches Zeichen und wird nicht zum griechischen Alphabet hinzugezählt. Denn es wird ›griechisches y‹ genannt, weil die Lateiner mit diesem Zeichen nur die griechischen Namen schreiben. Denn Priscian sagt dazu, dass die Lateiner mit diesem Zeichen keine lateinischen Wörter schreiben dürfen und auch keine anderen, wenn es sich nicht um griechische Wörter handelt. 310 Und wenn auch der Grieche

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[ Roger Bacons Darstellung des griechischen Alphabeths mit Zahl­ werten. Faksimile aus dem MS Tiberius C.V., British Museum, London.]

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Pythagoras, der ein Philosoph Italiens war, dieses Zeichen erfunden haben soll, wie die Historien und Aristoteles311 berichten, hat Pythagoras dies doch nur metaphorisch gemeint. Aus diesem Grund ist dieses Zeichen den Italienern und den Lateinern vor allem für die griechischen Wörter gegeben worden. [209] Außerdem haben die Griechen ein zweifaches ω ; ο, also kurz, wie das ›omicron‹ [o], und lang. Das ist also das griechische Alphabet, das so von ›alpha‹ genannt wird, weil es der erste Buchstabe des Alphabets ist. Daher ist die Bezeichnung ›Alphabet‹ bei den Lateinern griechischen Ursprungs und nicht Latein. Und wie die Zahlen über 900 zunehmen, wird man an seinem Ort wissen. [210] Man muss auch wissen, dass vita und mi in der Schreibweise voneinander abweichen. Denn in vita steigt die rechte Linie nicht unter die Horizontale herab, und diese geht nicht über jene Linie hinaus, die wieder hochgeht. Beides gilt jedoch für mi, wie an den Schriftzeichen deutlich wird. Ähnlich hat auch der Buchstabe gamma nur einen Winkel, ›cal…‹312 jedoch zwei. Denn die obige Linie geht über die absteigende Linie hinaus. [211] Die Buchstaben unterscheiden sich in der Länge, der Kürze und der Behauchung. Daher muss man sich erinnern, dass die Länge eines Buchstabens nichts anderes ist als die Ausdehnung des Buchstabens zwischen der längsten und der kürzesten Aussprache. Denn ein langer Buchstabe bleibt | während des Aussprechens länger bestehen, ein kurzer Buchstabe bleibt kürzer bestehen. Die Behauchung streckt den Klang des Buchstabens und ist zweifach: Die eine ist stark, die andere ist schwach, so wie ›hamus‹ [Haken] zu Beginn eine starke und das Verb ›amo, amas‹ [lieben] zu Beginn eine schwache Behauchung hat. Daher kann man festhalten, dass die Länge und die Kürze einen Buchstaben in der Länge ausdehnen, während die Behauchung einen Buchstaben in der Breite erweitert. [212] Ein Vokal ist ein Buchstabe, der für sich allein klingt. Es gibt von Natur aus in keiner Sprache mehr als fünf mögliche Vokale, die je nach Art verschiedene Klänge haben, also a, e, i, o, u. Doch

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der Klang jedes Buchstabens kann in der Kürze und in der Länge variieren und kann länger oder kürzer ausgedehnt vorgetragen werden. Der Konsonant ist ein Buchstabe, der für sich keinen Klang hat, und das sind alle Buchstaben außer den fünf Vokalen. Sie beginnen oder enden immer mit einem Vokal, wie für jeden einzelnen [Buchstaben] klar ist: b endet mit dem Vokal e und s beginnt mit dem Vokal e, und so auch bei den anderen [Konsonanten]. Aber man muss trotzdem wissen, dass der Konsonant nicht von sich aus den Klang eines bestimmten Vokals hat, weil man sagen kann ba, be, bi, bo, bu. Aber es hat den Lateinern gefallen, einen Konsonanten zuerst mit dem Klang des Vokals e zu bilden, auch wenn man es mit den anderen Vokalen bei allen Konsonanten ähnlich machen könnte. [213] Man bezeichnet im Lateinischen die Buchstaben nach dem Klang, sodass im Namen [des Buchstabens] nicht mehr enthalten ist als in der Klangeigenschaft. Aber die Griechen nennen wenige ihrer Buchstaben nach ihrem Klang, außer dem fünften, e, und dem fünfzehnten, omicron, und dem zwanzigsten, ypsilon, der ein dünnes [tenue] y ist, und dem letzten, der omega genannt wird. In den Namen der anderen fügen sie mehr hinzu als nur deren Klangeigenschaften; dennoch beginnen alle mit ihrem Klang. Für jeden Buchstaben gibt es also drei Aspekte: Den Klang, der seine wesenhafte und substanzielle oder hauptsächlichste Eigenschaft genannt wird, den Namen und das Schriftzeichen. [214] Die Namen der Buchstaben sind sowohl bei den Griechen als auch bei den Lateinern undeklinierbar und im Neutrum, wie Priscian sagt 313 . Dem Klang nach stimmen alle Sprachen in den Buchstaben überein, durch die sie mitgeteilt werden, aber sie unterscheiden sich dem Namen und dem Zeichen nach, wie an fast allen Buchstaben deutlich wird, | welche die Griechen und Lateiner gemeinsam haben. In einigen Fällen ähneln sie sich in den Namen, wie bei e und den beiden o und Ypsilon, aber im Zeichen haben sie außer bei e und iota keine Ähnlichkeit. In einigen anderen Fällen ähneln sie sich auch auf gewisse Weise in einigen

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Zeichen, wie alpha, vita, delta, kappa, mi, ni und tau314 . Das ist aus dem Alphabet offensichtlich. Ebenso unterscheiden sich die Buchstaben in der Länge, der Kürze, der Behauchung und auf einige andere Arten, von denen wir an dem dafür angemessenen Ort sprechen werden. [215] Der hauptsächlichste und wesentliche Unterschied zwischen den Buchstaben tritt vor allem im Klang auf. Denn der Klang bestimmt den Buchstaben. Die akzidentielle Vielfalt [der Buchstaben] zeigt sich bei den Zeichen, den Namen, der Länge, der Kürze und der Behauchung. Etwa so, wie sich auch der Mensch durch seine Vernunft von dem Esel wesenhaft und substanziell unterscheidet. Aber akzidentiell unterscheidet sich ein Mensch von einem anderen durch den Namen, durch die Figur, durch die Farbe und durch andere Arten von Akzidenzien. [216] So haben auch die Vokale in allen Sprachen Unterschiede in den Längen und Kürzen. Dennoch hat die lateinische Sprache nicht die Zeichen und speziellen Namen für diese Unterschiede wie die griechische. Bei den Griechen gibt es zum Beispiel drei i. Eines ist lang, man nennt es ita, und es hat ein mannigfaches Zeichen. Und sie haben zwei i, die im Hinblick auf Länge und Kürze vonein­ ander unterschieden werden. Eines ist wie unser i, also iota, das bei den Griechen immer ein Vokal und niemals ein Konsonant ist. Aber das andere [i], das man Ypsilon nennt, hat einen schwachen Klang, weswegen die Griechen es immer mit einer starken Behauchung zu Beginn sprechen, um seinen Klang zu stärken. In der Tat bedeutet ›Ypsili‹ soviel wie ›schwach, gedämpft‹. Das i geht in ein o über und wird ›Ypsilo‹ genannt, wie es den Griechen gefallen hat. Die Lateiner haben ein Zeichen für Ypsilo, welches von dem eigentlichen Zeichen des Ypsilons abweicht, wie anhand des weiter unten Gesagten ersichtlich wird: Nämlich y, welches sie das griechische y nennen. Aber hierbei handelt es sich nicht eigentlich um ein griechisches Zeichen und es darf nicht zum griechischen Alphabet hinzugezählt werden. | Denn man nennt es das griechische y, weil die Lateiner nur griechische Namen da-

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mit schreiben. Priscian sagt dazu, dass die Lateiner mit diesem Buchstaben weder lateinische noch andere Wörter schreiben dürfen, sofern es keine griechischen Wörter sind. 315 Und auch wenn Pythagoras diesen Buchstaben erfunden hat, war er doch ein italienischer Philosoph, wie die Historien sagen und wie es auch Aristoteles im ersten Buch der Metaphysik bestätigt, weshalb dieser Buchstabe den Italikern und den Lateinern für deren griechische Wörter gegeben worden ist. Zudem haben die Griechen ein zweifaches o, d. h. ein kurzes, nämlich omicron, und ein langes, nämlich omega. Darüber hinaus drücken die Lateiner ita immer mit e aus und sprechen es wie ein langes e, wie es anhand des Alphabets deutlich ist. Denn der Grieche sagt für Pfingsten tisbi, der Lateiner dagegen sagt tisbe. Aus diesem Grund meinen die Lateiner, dass das ita ursprünglich ein langes e bei den Griechen war. Das bestätigen sie dadurch, dass die Griechen zu Beginn nur das e als fünften Buchstaben hatten, wobei es keine Rolle gespielt hat, ob es ein langes oder kurzes e war. Danach haben sie den Buchstaben ita erfunden und der fünfte Buchstabe ist seitdem immer kurz geblieben. Das wird zumindest so bei Prisician in seinem ersten Buch berichtet 316 . Doch auch wenn es bei den Griechen so gewesen sein mag, hatten sie doch nie ein langes e, nachdem ihr e kurz geblieben war, sondern dieser Buchstabe war immer ita, also ein langer Buchstabe, wie man es in allen griechischen Schriften findet. Der Buchstabe Alpha hingegen ist unbestimmt. Die Griechen haben den Zeichen nach also sieben Vokale, doch nur vier in Bezug auf die prinzipiellen Grundformen, und zwar a, e, i, o, ein dreifaches i für die akzidentiellen Laute, wie ich gesagt habe, und ein zweifaches o – das macht sieben. Da sie den fünften Vokal u nicht als Zeichen im Alphabet haben, setzen sie ihn auch nicht in ihr Alphabet. Aber sie verbinden ypsilon und omikron, also ου 317, und haben daher dem Klang nach den Vokal u. [217] Die Konsonanten der Griechen unterscheiden sich von den Konsonanten der Lateiner ebenso wie die Vokale. Sie haben nicht

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den Klang des Buchstabens v, außer in einigen wenigen Fällen und auch dann nicht durch den Buchstaben vita, sondern durch pi, welches von einem mi oder ni gefolgt wird, wie an seinem Ort weiter ausgeführt wird. Da vita immer wie der Konsonant v klingt, | wurde in den alten Zeiten der Lateiner das b für den Konsonanten v benutzt, wie Priscian in seinem ersten Buch lehrt 318 . Außerdem haben sie auch nicht den Konsonanten q. Und die Lateiner haben nicht den Buchstaben psi oder einen vergleichbaren Buchstaben, sondern die benutzen ps in den griechischen Wörtern, wie etwa in ›psittacus‹ [Papagei] und ›psalmus‹ [Psalm] und so auch im Lateinischen, wie etwa bei ›lapsus‹ [Fehltritt] und ›scripsi‹ [Ich habe geschrieben]. Denn der erste Buchstabe der letzten Silbe ist der Buchstabe p, wie Priscian lehrt 319. Manchmal benutzen die Lateiner jedoch auch b und s, wie in ›coelebs, coelebis‹ [zölibatär], ›urbs, urbis‹ [Stadt], wenn der Genitiv auf -bis endet. Außerdem haben die Lateiner an keiner Stelle den Buchstaben zitae, weil die Lateiner im Gegensatz zu den Griechen nicht mit z schreiben, wie Priscian sagt 320 . Daher ist das z eigentlich kein lateinischer, sondern dem Klang nach ein griechischer Buchstabe, auch wenn er dem Zeichen und dem Namen nach durchaus lateinisch sein mag. Obwohl die Griechen kein q und c in den Zeichen und Namen haben, haben sie diese Buchstaben doch dem Klang nach; denn Priscian sagt, dass k, q, und c gleich klingen 321. Ebenso unterscheiden sich auch titha, chi und phi höchstens akzidentiell von den Buchstaben taf 322 , kappa und pi. An deren Stelle benutzen die Lateiner t, z, k und p. Deshalb fehlen diese Buchstaben in ihrer Klangsubstanz nicht in den rein lateinischen Wörtern. Und in den lateinischen Wörtern, die aus dem Griechischen übernommen sind, wie ›fama‹ [Ruhm], ›fuga‹ [Flucht], ›furfero‹323 , ›fenestra‹ [Fenster], benutzen wir den Buchstaben f dort, wo die Griechen phi benutzen. Dennoch hat das f in den genuin lateinischen Wörtern einen lateinischen Klang, wie in ›filius‹ [Sohn], der sie mehr von dem Buchstaben phi unterscheidet, als in den Wörtern, die aus dem Griechischen über-

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nommen sind. Daher akzeptiert man in solchen Fällen meistens f anstelle von phi, da f quasi den gleichen Klang hat, aber mit der Einschränkung, dass man f nicht wie phi mit festen Lippen aussprechen darf, wie Priscian sagt 324 . Denn in der Tat trennt sie nichts anderes. Aber phi und pi unterscheiden sich nur akzidentiell, d. h. in der Behauchung, und auch p und f unterscheiden sich nur akzidentiell. [218] Daraus wird klar, dass die Lateiner vom Klang her | neunzehn verschiedene Buchstaben haben: a, b, c, d, e, f, g, den Buchstaben i als Vokal und i als Konsonant und l, m, n, o, p, q, r, s, t, u, x. Die Griechen hingegen haben achtzehn [Buchstaben]: alpha, vita und gamma, delta, f, zita, iota, kappa, labda, mi, ni, xi, omicron, ro, sima, psi. Denn die anderen [Buchstaben], die es im Griechischen darüber hinaus zu geben scheint, unterscheiden sich nur akzidentiell von den bereits genannten ähnlich wie bei den Lateinern, wie bereits gesagt worden ist. H ist kein Buchstabe, sondern ein Behauchungszeichen. Von den Konsonanten i und v gilt, dass sie vom Klang her von den Vokalen v und i verschieden sind. Denn ein Vokal und ein Konsonant haben verschiedene Klänge und daher gibt es keine Ähnlichkeit zwischen den vorher genannten. [219] Einige Konsonanten werden Halbvokale 325 [semivocales] genannt, einige stumm [mutae]. Halbvokale heißen nicht so, weil sie den halben Klang eines Vokales hätten, sondern weil sie nicht voll klingen; so wie auch ein ›Halbmann‹ [Kentaure, Eunuch] nicht so genannt wird, weil er ein halber Mann ist, sondern weil er nicht alles das hat, was einen Mann ausmacht. Bei den Dichtern hatte man auch die Gewohnheit ›Halbgott‹ zu sagen, weil es kein vollkommener Gott war. Ebenso sagt man auch ›Halbvokale‹, weil sie nicht ganz wie Vokale klingen, wie dies bei den Lateinern für l, m, n, r, s und x gilt. Die stummen Laute werden nicht so genannt, weil sie von Klang her vollkommen stumm werden, sondern weil sie im Hinblick auf die Halbvokale einen schwachen Klang haben, so wie es auch für die Halbvokale den

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Vokalen gegenüber gilt. [Die stummen Laute bei den Lateinern sind] b, c, d, f, g, k, p, q und t. Die Halbvokale werden allgemein mit einem Vokal eröffnet und die Stummen außer f enden in einem, weil f wahrheitsgemäß eigentlich stumm ist, wie Priscian lehrt 326 . [220] Die Griechen haben acht Halbvokale, nämlich zita, labda, mi, ni, xi, ro, sima, phi. Aber drei von diesen sind doppelt, nämlich zita, xi und phi. Xi schließt im Griechischen mit i, doch bei den Lateinern hat diese Stellung gewechselt und man sagt bei ihnen ›ix‹, wie Priscian sagt 327. Da die Völker einiger Länder gemäß der ihnen eigenen Gewohnheiten und Gebräuchen ›ex‹ sagen, trat im lateinischen Gebrauch vielleicht ein Fehler auf, weil sie zuerst ›ix‹ gesagt haben und weil alle lateinischsprachigen Nationen bis heute ›ix‹ sagen. Sowohl bei den | Lateinern als auch bei den Griechen ist ›ix‹ ein doppelter Konsonant. Diese Dopplung zeigt sich am Genitiv, weil dieser manchmal den gleichen Wert hat wie die Buchstaben g und s, wie bei ›grex, gregis‹ [Herde] und bei den Griechen [σάλπιξ, σάλπιγγος]328 , was auf Latein ›salpix, salpingos‹, also ›Hirtenhorn‹ bedeutet. Denn im Genitiv bleiben g und s in der letzten Silbe erhalten. Manchmal ist [der Genitiv] auch aus k, o, c und s zusammengesetzt, wie bei ›dux, ducis‹ [Führer]. Bei den Griechen aus kappa und s, wie bei [ὄνυξ, ὄνυχος]329, also lateinisch ›onyx, onychos‹, ein wertvoller Edelstein aus Onyx. Manchmal schiebt man auch zwischen das c und das s ein t ein, wie in ›nox, noctis‹ [Nacht]. Ebenso ist phi aus vita und sima zusammengesetzt, zum Beispiel in [Αραψ, Αραβος]330 , was ›Arabs, Arabos‹ [Araber] heißt, oder aus pi und sima, wie in [Αιθιοψ, Αιθιοπος]331, das heißt ›Aethiops; Aethiopos‹ [Äthiopier]. Manchmal auch aus phi und sima, wie in [κύνυψ, κύνυφος]332 , das in gutem Latein mit k geschrieben wird, man sagt also ›kynuphs, kynyphos‹. Aber im lateinischen Sprachgebrauch sagt man ›scinyphs, scynyphis‹. Das Wort bezeichnet eine kleine Mücke, die mit ihrem Rüssel im Sommer die menschliche Haut auf sehr unangenehme Weise durchdringt. Es wimmelt von diesen Insekten

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an feuchten Orten. Um sich gegen sie zu schützen, stellt man sehr feinmaschige Netze her, die über die Köpfe der Schlafenden gehängt werden. Und zita ist aus einem doppelten sima oder aus einem delta plus sima zusammengesetzt, so wie auch das z bei uns aus einem doppelten s. Oder aus d und s, wie es die Menschen der Vorzeit geschrieben haben, so wie sie zum Beispiel das Verb patrizo wie patrisso [dem Vater nachgeraten] geschrieben haben. Die Lateiner benutzen häufig in ihren Worten den Buchstaben ix, denn er ist bei ihnen ebenso allgemein üblich wie bei den Griechen. Den Buchstaben z hingegen benutzt man bei den Lateinern nicht, sondern nur bei den Griechen, weshalb er dem Klang nach ein griechischer Buchstabe ist. Denn auch wenn die Lateiner in ihrer Redeweise seinen Klang benutzen, der phi ist, haben sie dafür bis jetzt doch kein bestimmtes Zeichen, weshalb er auch kein Buchstabe des lateinischen Alphabets ist. Denn nichts wird ein Buchstabe genannt – und dies gilt für die Lateiner wie für die Griechen – was kein Zeichen und keinen Namen hat. Doch auch ein Zeichen und ein Name allein machen noch keinen Buchstaben aus, sondern erst, wenn sie mit einem Klang zusammenfallen. Denn in der Tat ist der Klang das Hauptsächlichste an einem Buchstaben. [221] Manchmal | werden die Halbvokale bei den Griechen und bei den Lateinern auch Liquide [Fließlaute] genannt. Sie werden deshalb Liquide genannt – wie Priscian 333 sagt –, weil sie leicht verlängert und verkürzt werden können, je nachdem, mit welchen anderen Buchstaben sie verbunden werden. Daher sagt man, dass sie flüssig sind und fließen und dass sie von ihrer Natur aus instabil sind. Man nennt sie auch Liquide, weil sie leicht ihre Eigenschaften und ihren Charakter ändern, wenn sie in einem anderen Metrum stehen, wie wir noch erläutern werden. Bei den Lateinern gibt es vier Liquide, nämlich l, m, n und r, wie Priscian sagt 334 . Weitere Liquide gibt es nicht. Manchmal ist sicherlich auch das r flüssig, zum Beispiel an der Stelle, an der in der Alex­ andreis gesagt wird:

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»Cum patris interitu.«335 [»Bei der Ermordung des Vaters.«]



Denn man dehnt die erste Silbe des Wortes ›patris‹ [des Vaters] hier nicht. So geschieht es aber bei Theodolus, wo gesagt wird: »Patrem sequitur sua proles.«336 [»Die Nachkommenschaft folgt dem Vater.«]



Dasselbe zeigt sich auch anhand des l im Buch Tobit 337: »Replet agenda sacra«



Und ebendort: »Sacra agenda replet.«338



Ebenso wird auch das m flüssig. Vergil schreibt im zehnten Buch der Aeneis: »Nec Clytio genitore minor nec fratre [Menestheo].«339 [»Stark wie Klytios, der ihn erzeugt, und sein Bruder Menes­ theus.«]



Denn hier wird die letzte Silbe des Wortes ›fratre‹ [Bruder] verkürzt. Und es ist bekannt, dass die andere Silbe verlängert wird. Genauso ist auch das n flüssig, wie im vierten Buch von Ovids Metamorphosen: »Picosamque Gnidon.«340 [Das fischreiche Cnidos.«]



Dass das n hier flüssig sein muss, ist jedem klar. Das s wird ähnlich auch zu Beginn eines Wortes flüssig, wie etwa bei Horaz in dessen Gesprächen: »Ridentes praemia scribae.«341 [»Es belustigte der Prunk des Schreibers.«] |

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Hier bleibt der letzte Vokal von ›prima‹342 kurz, obwohl drei Konsonanten folgen. Daher ist es auch am Ende des Wortes stärker. Weshalb es auch bei dem Dichter Ennius heißt: »Qua perire solet genus pennis condecoratum.«343 [»Die mit Federn geschmückte Gattung, die es gewohnt ist, Eier zu legen.«]



Hier bleibt die letzte Silbe von ›genus‹ [Gattung] kurz und aus diesem Grund wird das s flüssig oder es wäre kurz. Wie Vergil in der Aeneis: »Inter se coiisse viros decernere ferro.«344 [»[Männer], nun zum Kampfe getroffen und nun mit dem Schwerte entscheiden.«]



Manchmal wird sie jedoch auch flüssig, wie bei Juvenal: »Saepe stillandis ocelli.«345 [»Das stets triefende Äuglein.«]

[222]

Die stummen Buchstaben [mutae] sind neun an der Zahl, nämlich vita, gamma, delta, thita, kappa, pi, taf, phi und chi. Von ihnen werden drei leicht und schwach ausgeprochen, weshalb sie ›sanft‹ [lenis] genannt werden, und zwar pi, kappa und taf. Drei andere klingen kräftig und deshalb sagt man, dass sie rauh [asper] behaucht werden: Das gilt für phi, chi und thita. Drei werden in der Mitte haltend zwischen den anderen ausgesprochen, und zwar vita, gamma und delta. Von dreien sagt man, dass sie verwandt seien, nämlich pi, vita und phi, weil sie zwischen den Lippen gebildet werden und weil sie einen gemeinsamen Klang haben, auch wenn sie bezüglich der Leichtigkeit, der Kräftigkeit und der Behauchung unterschiedlich sein können. Daher ist vita zwischen phi und pi; deshalb ändert sich der eine regelmäßig in den anderen und wird an dessen Stelle gesetzt. Ebenso sind auch kappa, gamma und chi verwandt und werden im Mund gebildet. Auch Taf, delta und thita sind verwandt und werden in der Kehle gebildet.

152 [223] Man

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muss auch wissen, dass phi notwendigerweise stumm ist, und zwar wegen seiner verwandten Buchstaben, die auch stumm sind. Er unterscheidet sich nur durch die Behauchung von pi. Aber die Behauchung ändert nicht das Wesen eines Buchstabens. Da man bei den Lateinern den Buchstaben f in den lateinischen Wörtern findet, wie phi bei den Griechen, muss auch f stumm sein. Dies ist auch die Ansicht von Priscian, die ich weiter oben beschrieben habe346 , | auch wenn [ f ]347 mit einem Vokal beginnt, ebenso wie die Halbvokale. Aus den vorgebrachten Gründen ist es sehr offenkundig, dass [ f ] ein stummer Laut ist. [224] Jedesmal, wenn pi den Buchstaben mi und ni folgt, klingt es wie b, etwa wie in [λαμπάς]348 . Denn bei den Griechen sagt man dafür ›lambas‹. Und hier folgt pi dem Buchstaben mi. Ebenso, wenn er ni folgt, wie in [τήν πεντηκοστήν]349. Denn im Griechischen klingt das wie ›tinbentecostin‹, wobei ›tin‹ der Artikel ist und ›Pentecostin‹ der Akkusativ des Wortes ›Pentecostis‹. [225] Gamma vor einem anderem gamma oder vor einem kappa klingt [wie n]. Denn der Grieche sagt [άγγελος]350 für ›angelos‹ [Bote] und ein gamma steht hier vor einem anderen gamma. Ähnlich auch, wenn es einem kappa vorangeht, wie in [εισενεγκης]351; denn der Grieche sagt ›isenengis‹ und ändert das gamma in ein ni, weil ein kappa folgt. Das Wort bedeutet ›introducas‹ [du führest ein] auf Latein. Ebenso verliert kappa in demselben Beispiel seinen Klang und wandelt sich zu gamma. Denn jedes Mal, wenn ein kappa einem gamma folgt, hat es den Klang von gamma und daher klingt das kappa in der letzten Silbe bei den Griechen nun wie gamma. Ähnlich klingt gamma auch nach ni, wie man zum Beispiel [συγκοπη]352 schreibt und ›singopi‹ spricht. Denn nicht nur ändert sich der Klang von kappa in den Klang von gamma, sondern der Klang von gamma desselben Beispiels ändert sich zu ni gemäß der oben genannten Regel, denn ihren Klängen nach müsste man das Wort eigentlich wie ›sigkopi‹ aussprechen. Aber der Lateiner sagt ›sincope‹ in der griechischen Deklination und ›sincopa, sincope‹ [Synkope] in der lateinischen Deklination.

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[226] Und

nach mi und ni hat taf den Klang von delta, sodass man [παντός]353 [alles] schreibt, es aber wie ›pandos‹ mit delta spricht und nicht wie ›pantos‹ mit taf.

Kapitel X [227] Nachdem

wir die Klänge einzelner und einfacher Buchstaben behandelt haben, ist es nun an der Zeit, über Klänge zu sprechen, die sich bei einer Verbindung von Buchstaben ergeben, wie sie bei den | Diphtongen entstehen. Ein Diphtong ist bei den Griechen eine Verbindung von zwei Vokalen, die den Klang eines einzelnen Vokales oder eines Vokales und eines Konsonanten haben. Die letzten Buchstaben eines Diphtonges sind im Griechischen iota und ypsilon. Ypsilon kann einem alpha folgen, also [αυ]354 . Dieser Diphtong klingt wie a mit dem Konsonanten v und hat einen Klang, der so ähnlich ist wie a mit f, und daher sagen wir im Allgemeinen, dass er wie af klingt. Er kann auch dem e folgen, also [ευ]355 , was dann wie der Vokal e mit dem Konsonanten v klingt, also wie ef, so wie es auch bereits von alpha und ypsilon gesagt worden ist. Es kann aber auch so gesagt werden, dass das ypsilon dem Buchstaben ita folgt, also [ιυ]356 . Das klingt dann wie if, wie es ja bereits an den anderen Beispielen ersichtlich geworden ist. Wenn das ypsilon einem omicron [ου]357 folgt, klingt das wie der Vokal u. Und nur hierdurch haben die Griechen den Klang des Vokals u. Wenn iota nun alpha folgt, also [αι]358 , dann klingt dieser Diphtong wie e; wenn es ein e ist, also [aε]359, dann klingt es wie i für iota; wenn es ein o ist, also [αο]360 , dann erklingt iota für ypsilon. Und diese acht Diphtonge werden ›eigentliche Diphtonge‹ genannt. [228] Es gibt aber noch drei weitere, die als ›uneigentliche Diphtonge‹ bezeichnet werden. Sie werden gebildet, indem man den Buchstaben iota unter alpha, ita und omega schreibt, also [ᾳ, ῃ, ῳ]361. Manchmal setzt man das iota unter einen Buchstaben hinter

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dem [eigentlichen] Buchstaben, wie in anderen Diphtongen, also … [Leerstelle]. Doch in diesen ändert sich der Ton niemals, sondern behält den Klang des ersten Buchstabens bei, also den Klang des Buchstabens, unter den das iota geschrieben ist. Wenn man es unter alpha schreibt, klingt es wie … [Leerstelle]. Aber wenn es unter ita steht, dann … [Leerstelle]. Wenn es aber unter ω mega geschrieben wird, klingt es nur wie omega. Diese drei Diphtonge benutzen die Griechen immer im Dativ der ersten und zweiten Deklination. [229] Wissen muss man auch, dass iota und ypsilon, wenn sie mit einem Vokal verbunden werden, manchmal keinen Diphtong bilden, sondern dass der eine und der andere Vokal ihren Klang behalten. Um das durch die Notation deutlich zu machen, setzt man zwei Punkte über das iota und das ypsilon, also [οϊ, οϋ]362 . Wenn es sich wirklich um einen Diphtong handelt, setzt man die beiden Punkte nicht. [230] Außerdem muss man wissen, dass dann, wenn nach dem Diphtong aus alpha und ypsilon oder aus ita und ypsilon ein Vokal folgt, a, e und ita eine Silbe für sich bilden, sodass … [Leerstelle] und der Klang des Konsonanten v, | der hier entsteht, wird an den Vokal angehängt, der folgt, also an das a selbst. Daher muss der Vokal u im lateinischen Gebrauch mit dem Buchstaben a in einer Silbe verbunden werden, nicht mit dem e. Ebenso, wenn nach ypsilon labda oder ro folgen, verbinden die Griechen den vorausgehenden Vokal damit, wie … [Leerstelle] In der Tat ist in diesem Wort e eine Silbe für sich und der Konsonant v wird mit lambda und o zu einer Silbe verbunden. Und ebenso, wenn ro folgt, dann … [Leerstelle]. [231] Aber der Lateiner sagt gemäß dem lateinischen Sprachgebrauch ›aura‹ [Hauch] zu einem Diphtong. Denn ›aura‹ ist ein griechisches Wort, das die Lateiner mit derselben Bedeutung wie die Griechen benutzen, auch wenn sie es anders aussprechen. Die Lateiner haben nicht so viele Diphtonge. Denn im lateinischen Sprachgebrauch gibt es vier: ae, oe, au und eu. Wenn e dem a

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hinzugefügt wird, klingt dies wie e, so wie ›caelum‹ [Himmel] wie ›celum‹ klingt. Wenn das e dem o hinzugefügt wird, klingt es auch wie e, so wie ›coepit‹ [er beginnt] wie ›cepit‹ klingt. Der Grieche fügt iota zu alpha und zu o hinzu; und der Lateiner in den lateinischen Wörtern e zu a und zu o. Wenn man iota zu al­ pha im Griechischen hinzufügt oder e zu a im Lateinischen, hat man den gleichen Klang, denn beides klingt wie e. Dies verhält sich jedoch nicht so, wenn man im Griechischen i zu o hinzufügt und e zu o in Latein, denn im Griechischen erhält man dann den Klang des griechischen y, im Lateinischen e. Bei den zwei anderen lateinischen Diphtongen, also bei au und eu, ergibt sich nicht der Klang eines einzelnen Vokals, sondern der Klang der Verbindung aus den beiden, sodass man au und eu sagt. Doch das Griechische nimmt für ganz ähnliche Diphtonge v als Konsonanten und nicht als Vokal, dessen Ton also in der Hinzufügung von ypsilon zu a und zu e besteht. Daher klingen diese Diphtonge wie ein Vokal verbunden mit einem Konsonanten, wie af oder ef oder if, so wie es bereits gesagt worden ist.

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Man könnte noch länger über die Silben und die Art der Silbenbildung sprechen, aber ich übergehe das ein bisschen schneller, weil die Verbindung der Buchstaben zu Silben dank Priscian | nicht nur für das Lateinische, sondern auch für das Griechische bereits sehr klar ist. Denn die Erklärungen von Priscian 363 gelten auch weitestgehend für die Silbenbildung im Griechischen. Das Wort ›Syllabe‹ ist zusammengesetzt aus der griechischen Präposition ›syn‹, die soviel bedeutet wie ›mit‹, und ›labo‹, was soviel bedeutet wie ›ich nehme an‹. Daher bedeutet ›Syllabe‹ ›Vereinigung‹, nämlich die Vereinigung mehrerer Buchstaben in einem. Nicht, weil jede Silbe immer mehrere Buchstaben hat, sondern weil es meistens so ist.

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Ein Konsonant wird mit einem anderen Konsonanten sowohl bei uns als auch bei den Griechen auf viele Arten verbunden. Dazu kann hier im Moment keine Regel aufgestellt werden, außer dass man vor vita, pi, phi und mi immer mi und nicht ni schreiben muss, wie in ›Symbolum‹ [Symbol], ›lampas‹ [Fackel], ›amnos‹ [Lamm], ›arena‹ [Arena], ›ampho‹ [alle beide]; und mi geht einem ni voraus, wie in ›romnos‹, ›hymnos‹ und ›omnes‹, was bei den Griechen ein spezieller Ausdruck ist. Denn Kallimachus, der bei den Griechen als Autorität gilt und der daher auch von Priscian 364 als Autorität geltend gemacht wird, sagt, dass ›omnes‹ kurz gesprochen wird, weil hier das o kurz und nur eine Silbe ist. Und wenn ni hinter mi steht oder mi vor ni, ist es flüssig, wie in dem Beispiel ›omnis‹ [jeder] und deshalb ist es durch ihre Position nicht kurz. Insgesamt gibt es sechsundvierzig verschiedene Arten der Silbenbildung. [234] Die Silbe ist der Gegenstand der Prosodie, was die Lateiner den Akzent nennen. Dieser zeigt sich erst richtig in dem gesprochenen Wort und braucht aufgrund der Silbenstruktur irgendeinen Vokal, weshalb er ursprünglich von einem Vokal abhängt. Sein zugrundeliegendes Wesen hängt jedoch von der Silbe akzidentiell ab, so wie die Farbe von der Oberfläche abhängt. Denn in den verschiedenen Silben ist der Akzent unterschiedlich; und verschiedene Dinge zeigen sich besser, wenn sie miteinander verbunden sind. Aus diesem Grund zeigt sich der Akzent vor allem beim Sprechen, wo es eine Vielzahl von Silben gibt. [235] ›Prosodie‹ kommt von ›prosodin‹, was soviel heißt wie ›singen‹; denn ›pros‹ ist dieselbe Präposition wie unser ›ad‹ [hin, zu] und ›odo‹ bedeutet ›cantus‹ [Gesang]. Daher sagt man, dass Prosodie gleichsam ›accantus‹ [singen nach] bedeutet, weshalb man auch ›accentus‹ [Akzent] sagt, das von ›accino, accinis‹ [anstimmen] kommt und das aus ›ad‹ und ›cano, -is‹ [singen] zusammengesetzt ist. Daher sagt man auch, dass ›accentus‹ [Akzent] gleichsam ›accantus‹ [singen nach] bedeutet, denn die Silben werden eine nach der anderen gesungen. Auch wenn das Wort ›cale­facio‹

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[erwärmen, erregen] fünf Silben hat, liegt die Hauptbetonung doch auf einer einzigen, | nämlich auf der drittletzten, mit der alle anderen Silben klingen und mit der die anderen Silben gesungen werden. [236] Es gibt zehn Akzente [prosodiae]. Die ersten beiden sind ›macra‹ und ›brachia‹, das heißt lang und kurz. Sie werden bei den Griechen ›Zeiten‹ [tempora] genannt, nämlich eine lange und eine kurze ›Zeit‹. Sie werden in das erste Versmaß eingegliedert, wie bereits weiter oben gesagt worden ist. Und man muss über diese beiden Akzente wissen, dass [der lange Akzent] ›macra‹ durch eine über die Silbe gesetzte waagerechte Linie gekennzeichnet wird, also (–). Der Akzent ›brachia‹ wird durch den unteren Teil eines Kreises bezeichnet, also (˘). [237] Zwei weitere Akzente sind ›dasia‹ und ›psili‹. Man nennt sie bei den Griechen ›pneumata‹ und bei uns ›Hauch‹ oder ›Behauchungen‹. Sie werden in das zweite Versmaß eingegliedert, wie bereits gesagt worden ist. Ihre Zeichen sind weiter oben bereits behandelt worden, weshalb ich sie hier übergehe. [238] Man muss auch wissen, dass jeder Vokal bei den Griechen behaucht werden kann. Der Buchstabe ›ypsilon‹ wird aufgrund der Schwachheit seines Klanges immer behaucht, wenn er zu Beginn eines Wortes auftritt. Weiterhin hat jedes Wort, das mit einem Vokal beginnt, ein Behauchungszeichen. Ein Vokal wird immer zu Beginn behaucht, wie Priscian sagt 365, denn jeder Klang klingt stärker, wenn er vorangesetzt wird, als wenn er nachgestellt wird. Aus diesem Grund darf die Behauchung nicht nachgesetzt werden, damit sie den Klang des Vokals nicht noch mehr verstärkt, der schon genug von sich aus betont wird, sondern sie ist dem Vokal vorangestellt. [239] Aber dem Konsonanten ist sie nachgestellt, damit sein Ton verstärkt wird, weil der Konsonant von sich aus gegenüber dem Vokal einen zu geringen Klang hat. Daher wird eine Behauchung öfter mit Konsonanten verbunden als mit den Vokalen. Denn bei den Konsonanten geht die Behauchung in das Wesen ihres Klan-

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ges ein, wie Priscian sagt366 . Das gilt am meisten für die stummen [mutis] Konsonanten, weil sie einen unvollkommenen Klang haben, weshalb ihr Klang häufig von Natur aus danach strebt, sich mehr zu verstärken, als bei den anderen Buchstaben. Denn die Sache, die am unvollkommensten ist, verlangt am meisten nach der Vollkommenheit. [240] Aber die stummen Konsonanten haben bei allen Menschen den unvollkommensten Klang. Und die einzigen Konsonanten, die bei den Griechen eine starke Behauchung haben, welche man ›dasia‹ nennt, | sind kappa, pi, ro und taf. Weil die Behauchung eng mit den stummen Konsonanten verbunden ist, haben die Griechen dafür ein eigenes Zeichen erfunden, in dem die Behauchung gleich in den Buchstaben eingebunden ist. [Der Buchstabe] Ro wird nämlich behaucht, wenn er am Beginn des gesprochenen Wortes gesetzt wird, wie in ›rhima‹, das ›Wort‹, und wenn er am Beginn des Wortes verdoppelt wird, wie in ›Pyrrhus‹. Ansonsten jedoch nicht, wie in ›sphaera‹ [Kugel] und ›hora‹ [Stunde]. Und es gibt kein gesprochenes Wort im Lateinischen, bei dem ein Konsonant behaucht wird, sondern [das gibt es nur] im Griechischen und bei lateinischen [Wörtern], die im Sprachgebrauch des Griechischen sind, wie zum Beispiel ›Rhoma‹ [Rom]. Aber im lateinischen Sprachgebrauch wird die erste Silbe nicht behaucht. [241] Doch auch wenn gesagt worden ist, dass es nach einem Vokal keine Behauchung gibt, ist das nicht der Fall in Ausrufen der Empörung der Art ›vah!‹, ›ah!‹, wie Priscian sagt 367. Denn hier findet eine Apokope [Wegfall eines Sprachlautes] für den letzten Vokal statt, für den eine Behauchung hinzugefügt wird, sodass der Klang vollkommen ist, also ›vah[a]‹ und ›aha‹. Sie werden jedoch unvollkommen hervorgebracht, weil es natürlich ist, solche Ausrufe mit verdunkelter und unvollkommener Stimme hervorzubringen. Denn wir erzeugen diese Laute nur in einem intensiven Zustand der Freude oder der Furcht oder der Empörung oder Bewunderung oder während irgendwelcher derartiger Zustände des Leidens und der Affektation der Seele. Doch wenn

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wir so stark fühlen und affiziert werden, vermögen wir aufgrund der Intensität der Freude oder anderer Empfindungen kaum zu sprechen und deshalb bringen wir unvollkommene Laute hervor. Unsere Ausrufe müssen dieser Art sein und drücken [unsere Gefühle] aus, und daher haben sie verdunkelte und unvollkommene Klänge. So sind diese Klänge bei den Syrern, den Ägyptern, den Hebräern und allen anderen Völkern, die den Griechen und Lateinern fremd sind, in den Ausrufen gleich, sowohl gemäß Priscian368 als auch gemäß der Wahrheit, weil die Vokale [bei solchen Ausrufen] am Ende behaucht werden. [242] Wie ich gesagt habe, gibt es kein lateinisches Wort, das einen behauchten Konsonanten hat, weil dies auch bei den Wörtern ›nichil‹ [nichts] und ›michi‹ [für mich] nicht der Fall ist. Denn sie dürfen eigentlich nicht mit einem c geschrieben werden, sondern ohne c, also ›nihil‹ und ›mihi‹. Da in diesen beiden Wörtern die zwei i kurz sind, fallen sie wegen der Kürze in einem langen Vokal besser zusammen, sodass gesagt wird ›nil‹, ›mi‹. Sie müssen also ohne Behauchung geschrieben werden, wenn der Vokal nicht zu Beginn des Wortes behaucht wird. Hier gibt es nur wenige Ausnahmen, wie etwa bei ›vehemens‹, denn hier wird ein Vokal in der zweiten Silbe behaucht. | Daher sind Wörter dieser Art [nil, mi] keine Gegenbeispiele, denn es ist ein moderner Missbrauch, der ein c in diese Art von Worten gesetzt hat. [243] Drei weitere Akzente werden bei den Griechen ›oxia‹ [der Akut], ›baria‹ [der Gravis] und ›perispomeni‹ [der Zirkumflex] genannt, d. h. ›scharf‹, ›schwer‹ und ›lang‹. Man nennt diese drei Akzente ›oxia‹, ›baria‹ und ›perispomeni‹ auf Griechisch auch ›toni‹ [tonische Akzente]. Nur diese Akzente werden bei uns ›Akzente‹ [accentus] [im eigentlichen Sinn] genannt, weil der Ton bei diesen deutlicher und die Klangfülle bei ihnen größer ist als bei den anderen. Aus diesem Grund sind sie auch dem dritten Versmaß hinzugefügt, das die Natur der Versmaße vollendet. Denn diese Art von Akzenten bestimmt die Spannung des Klanges und man nennt sie auch ›haltend‹ [tenores], weil sie den Klang in der Höhe,

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der Tiefe oder in einer Mittellage halten. Der ›oxia‹ oder auch der ›scharfe Akzent‹ [der Akut] beginnt unten und streckt sich nach oben, wie scharf aufgerichtete Lanzen, wie es die Griechen erklären. Sein Zeichen wird über die Silbe gesetzt und sieht folgendermaßen aus: ( / ). Der Akzent ›baris‹ [der Gravis] oder auch ›schwer‹ und ›drückend‹ beginnt oben und zieht sich nach unten, wie eine schwere und drückende Sache. Dieser Akzent fällt wie ein gerader Strich von oben nach unten ab, also: ( \ ) und wird manchmal über eine Silbe gesetzt. Der Akzent ›perispomeni‹ [der Zirkumflex] besteht aus einem scharfen und einem schweren Akzent. Er beginnt unten, zieht sich dann nach oben und fällt dann wieder ab. Dieses Zeichen besteht gleichsam aus einem scharfen und einem schweren Akzentzeichen und bildet das Zeichen des oberen Teils eines Kreises, also: (ˆ). [244] Diese sieben Akzente werden von den Griechen die ›eigentlichen Akzente‹ genannt und ihre Zeichen werden ausgehend von drei Buchstaben gebildet, nämlich ›labda‹, ›thita‹ und ›ita‹. Denn das Zeichen Λ 369, welches das Zeichen für ›labda‹ ist, besteht aus den Zeichen für den scharfen [acut] und den schweren [gravis] Akzent, denn seine linke Hälfte ist das Zeichen für den scharfen, seine rechte Hälfte für den schweren Akzent. Das andere Schriftzeichen, das der Buchstabe ›thita‹ ist, kann man in seinen oberen Bereich für den gebogenen Akzent [circumflex] auflösen, in seinen unteren Bereich für ein kurzes Zeichen und in seinen mittleren Bereich für ein langes Zeichen. Und die Figur (Η), die man ›ita‹ nennt, kann man auf der linken Seite in das Zeichen für ›dasiae‹ und auf der rechten Seite in das Zeichen für ›psili‹ auflösen, wie oben bereits gesagt worden ist. Doch bei den Griechen setzt man das Zeichen für einen schweren Akzent [den Gravis] nur in den Fällen, in denen eine Silbe scharf ausgeprochen wird, | wie in ›theos‹, ›longon‹. Denn -os, die letzte Silbe des Wortes ›theos‹, ist von Natur aus scharf und wird wegen der ersten Silbe des folgenden Wortes, das eine scharfe Betonung hat, in einen schweren Laut umgewandelt. Für gewöhnlich ist die Regel der Akzentset-

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zung, dass eine Silbe schwer betont wird und die darauf folgende Silbe scharf, sei es in einem Wort, sei es in mehreren. Diese Weise der Akzentuierung gilt meistens, außer wenn manchmal zwei von Natur aus lange Silben vereinigt sind, wie in ›natura‹ [Natur]. Da die erste Silbe sich aufgrund des Satzes und des Wohlklanges zur folgenden Silbe erstreckt und dort nicht aufhört, muss man die Silbe -os schwer betonen. Deshalb muss man hier ein Zeichen einfügen, weil man es sonst nicht wissen könnte. Doch wenn die Silbe von Natur aus schwer ist, wird kein Zeichen gesetzt, weil in diesem Fall das Weglassen des Zeichens selbst Zeichen genug ist. Aus diesem Grund werden scharfe [›acuta‹] und lange [›circumflexa‹] Silben immer mit einem Zeichen angezeigt. Eine schwere [›gravis‹] Silbe muss man jedoch nicht anzeigen, weil das von selbst durch das Weglassen eines Zeichens deutlich wird, im Gegensatz zu den scharfen und langen Silben. Nachdem also die scharfen und langen Silben entsprechend gekennzeichnet werden, ist es offenkundig, dass jede andere Silbe, an der sich kein Zeichen findet, eine schwere Silbe ist. Daher muss sie nicht extra ausgewiesen werden. Hier verhält es sich ebenso wie bei einem Bauern, der drei Schafe hat und der, wenn er zwei Schafe markiert hat, bei dem dritten keine Markierung setzen muss, weil er das dritte Schaf an der Abwesenheit eines Zeichens ebenso gut, ja sogar besser, erkennt, als wenn es ein eigenes Zeichen hätte. [245] Jedes einsilbige Wort wird entweder scharf oder lang akzentuiert, wenn man es für sich nimmt und es außerhalb eines Satzgefüges betrachtet. Doch wird es nicht lang gesprochen, wenn es nicht von Natur aus lang ist. Und alle von Natur aus langen Silben werden nicht extra lang betont. Wenn ein einsilbiges Wort vor eine schwere Silbe gesetzt wird, verändert es im Satz dennoch nicht seinen natürlichen Akzent. Wenn dem Wort nichts folgt, sondern wenn es sich am Ende einer Rede befindet, verändert es sich nicht zu einem schweren Akzent, außer bei enklitischen Wortbildungen, wie etwa ›dedokas mi‹, was soviel heißt wie ›Du hast mir gegeben‹. So ist es auch bei uns mit ›-que‹ [und], ›-ne‹

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[Fragepartikel] und ›-ve‹ [oder], die, auch wenn sie für sich scharf akzentuiert werden, dennoch in der Rede schwer werden, weil es ihrer Natur entspricht, den Akzent des vorhergehenden Wortes anzunehmen. Aus diesem Grund nennt man sie auch ›enklitisch‹; bei den Griechen ist das ähnlich. Denn das Pronomen ›mi‹ ist enklitisch. | [246] Wenn jedoch ein scharfes einsilbiges Wort vor eine scharfe Silbe gesetzt wird, wird es aufgrund der Wortfolge schwer, sei das einsilbige scharfe Wort nun deklinierbar oder undeklinierbar. So machen es die Lateiner nach dem, was Priscian in seinem Buch über die Deklination der ersten zwölf Verse des Vergil sagt 370 , außer wenn das Wort von Natur aus lang ausgesprochen wird. Daher will er in seinem Hauptwerk auch, dass nicht nur die undeklinierbaren Wörter mit scharfem Akzent zu schweren Akzenten werden, wenn sie vorangestellt werden, sondern auch die deklinierbaren Wörter, die von sich aus einen scharfen Akzent haben. Außerdem sagt er, dass auch das Relativpronomen ›qui‹ in einem Satz und im Vortrag schwer wird, wenn eine scharfe Silbe folgt, auch wenn es eigentlich von sich aus scharf ist, wie in ›qui ait‹ [wer spricht]371. Es werden nicht nur die einsilbigen Wörter, die von Natur aus scharf sind, in der Rede schwer [ausgeprochen], wenn eine scharfe Silbe folgt, sondern aufgrund der Wortfolge ebenso auch die letzten Silben von zweisilbigen und mehrsilbigen Wörtern, wie ich bereits erklärt habe. [247] Umgekehrt wird ein schwerer Akzent zu einem scharfen Akzent, wie etwa in ›dedokas mi‹, wie ich bereits gesagt habe: Die letzte Silbe dieses Wortes würde eigentlich von Natur aus schwer werden, wird aber aufgrund der enklitischen Wortfolge scharf. Dies gilt nicht nur für die enklitischen Wörter, sondern auch für die anderen folgenden Wörter, deren erste Silbe schwer ist. In diesem Fall wird die letzte Silbe des vorhergehenden Wortes nämlich aufgrund der Wortfolge scharf betont, weil sich in dem vorhergehend Wort der Akzent in sein Gegenteil ändert. Das liegt daran, dass der Satz nicht bei diesem Wort aufhört, sondern gleichsam

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als deren Vollendung und als Ende der Abhängigkeit fortgeführt wird: Denn das Ende legt den Dingen, die auf das Ende zustreben, seine Notwendigkeit auf, wie Aristoteles im zweiten Buch der Physik sagt. So wird auch wegen der Notwendigkeit des folgenden Wortes das vorangehende geändert, außer es handelt sich um ein lang betontes Wort. [248] Ebenso kann der schwere Akzent in jeder Silbe auftreten, der scharfe Akzent jedoch nicht. [Der scharfe Alzent] tritt nur an drei Orten, nämlich der drittletzten, | der vorletzten und der letzten Silbe auf. Die lange Betonung [tritt nur an] zwei Orten auf, nämlich an der vorletzten und der letzten Silbe. Wenn die letzte Silbe aber von Natur aus lang ist, bleibt der scharfe Akzent nicht auf der drittletzten Silbe, sondern auf der vorletzten: Denn wenn ich άγγελος [Bote, Engel] im griechischen Nominativ sage, fällt der scharfe Akzent auf die drittletzte Silbe, weil die letzte Silbe kurz ist. Ebenso auch bei uns, wenn wir ›angelus‹ sagen. Wenn man ›angeli‹ [des Engels] im Genitiv sagt, wird die vorletzte Silbe scharf betont, weil die letzte Silbe von Natur aus lang ist. Weiterhin wechselt der scharfe Akzent von einer Silbe zu einer anderen bei einer Satzbildung mit einem schiefen Fall [Kasus obliquus], der von Natur aus lang betont wird. Doch die Wörter, die eine kurze letzte Silbe haben, werden in den Nominativ aufgenommen, so wie άγγελον im Akkusativ immer einen scharfen Akzent auf der [dritt-]vorletzten Silbe hat. Ebenso ändert sich auch die lange Betonung in schiefen Fällen in einen anderen Akzent. Denn wenn ich ›rhima‹ (ῥῆμα) sage, was das Gleiche wie ›verbum‹ [Wort] auf Latein ist, dann ist die erste Silbe lang, doch im Genitiv, der ›rhimatos‹ (ῥῆματος) lautet, bleibt [diese Betonung] dort nicht, weil hier die drittletzte Silbe nicht lang betont sein kann. Daher wandelt sich die lange Betonung in eine scharfe, die erste Silbe wird im Genitiv scharf und die lange Betonung verschwindet. [249] Ich gehe nun zu drei anderen Akzenten über, die ›uneigentliche Akzente‹ genannt werden; sie werden auch ›Passionen‹ genannt.

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Denn die Akzente werden im Griechischen in eigentliche, tonische und passionische Akzente eingeteilt. [250] Der erste dieser passionischen Akzente wird bei den Griechen ›apostrofos‹ genannt. Der Lateiner sagt dazu ›apostrophus‹ oder ›apostrophe‹ [Apostroph]. Dieser Akzent zeigt an, dass in einem vorhergehenden Wort der letzte Buchstabe e fehlt. Sein Zeichen ist gleichsam die rechte Seite eines Kreises ( ) ), weshalb es dem Zeichen ›psili‹ ähnlich ist, das eine leichte Behauchung anzeigt. Wenn die [Präposition] ›epi‹ (ἐπὶ), die soviel bedeutet wie ›über‹ und [das Personalpronomen] ›himas‹ (ἡμᾶς), was das gleiche wie ›wir‹ bedeutet, im Akkusativ zusammen auftreten, also ›epi himas‹, d. h. ›über uns‹, schreibt und spricht man dies wie ein einzelnes Wort, also ›ephimas‹ (εφ’ ἡμᾶς). Es ist aber nicht ein Wort, sondern vielmehr zwei, und durch den Apostroph schneidet man den letzten Vokal der Präposition ›epi‹ (ἐπὶ) ab. Das Zeichen hierfür ist die rechte Seite eines Kreises, der den Konsonanten pi ersetzt, | an dem [eigentlich] der nun fehlende Vokal liegt. Weil die erste Silbe des Wortes ›himas‹ (ῆμας) behaucht wird, wird das pi in phi gewandelt und man sagt ›ephimas‹ (εφ’ ῆμας). [251] Der Apostroph entfernt nicht nur den Vokal iota, sondern auch drei andere, nämlich alpha, e und omicron, wie die Autoren der griechischen Grammatik sagen. Im Griechischen finden wir eine Abtrennung dieser vier Buchstaben; zum Beispiel bei ›alla‹ (αλλά), was ›aber‹ bedeutet, und bei ›ou‹ (οὐ), also ›nicht‹. Wenn man sie zusammengeschrieben findet, werden diese Wörter in der Regel mit Apostroph geschrieben, als wenn sie ein Wort wären, also (αλλ’ου). Denn um diese Zusammensetzung abzukürzen, schneiden die Griechen den letzten Vokal des Wortes ›alla‹ ab, was sie durch den rechten Teil eines neben den Konsonanten labda geschriebenen Kreises anzeigen, nachdem der Vokal entfernt worden ist. Und ›de‹ (δὲ) ist bei ihnen dasselbe wie ›nun‹ und ›aber‹ bei uns; ›opos‹ bedeutet ›auf diese Weise‹. Gemäß ihrem Sprachgebrauch setzen sie ›de‹ vor ›opos‹, auch wenn wir umgedreht ›quemadmodum‹ vorangestellt sagen. Doch

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sie sagen es andersherum. Um [diese Zusammensetzung] abzukürzen, sagen sie mit Apostroph ›topos‹ (δ’όπως) und fügen das entsprechende Zeichen [für eine Apostrophierung] hinzu, wie man bei den Galliern ›d’Orliens‹ für ›de Orliensi‹ [aus Orléans] sagt. Die Präposition ›ypo‹ (ὑπὸ) bedeutet das Gleiche wie ›unter‹. ›Heauto‹ (ἑαυτὸ) ist das Pronomen ›selbst‹, doch für ›ypo heauto‹ (ὑπὸ ἑαυτῷ) schreiben sie ›ypheauto‹ (ὑφ’ ἑαυτῷ), indem sie über den Buchstaben pi ein Apostrophzeichen setzen. Weil der erste Buchstabe des Pronomens behaucht wird, schreiben sie phi anstelle von pi und sagen ›ypheauto‹ (ὑφ’ ἑαυτῷ). Dies finden wir auch im Lateinischen bei den antiken Autoren, wenn sie den letzten Vokal abtrennen, wie z. B. in: »Tanton’ me crimine dignum?« [Bin ich eines so großen Verbrechens fähig?] für ›tantone‹. 372 [252] Solch eine Abtrennung tritt nicht nur in einer Apposition von Wörtern auf, die als verschiedene Wörter verstanden werden, wie wir bereits erklärt haben, sondern ähnlich auch in einem zusammengesetzten Wort. In solch einem Fall wird der Vokal des vorhergehenden Wortes ebenfalls abgetrennt, wenn er in der Zusammensetzung durch einen anderen Vokal ersetzt wird. Daher besteht das Wort | ›catholicus‹ [katholisch, allgemein] aus zwei veränderten Wörtern, nämlich ›cata‹ (κατὰ) und ›holon‹ (ὅλον), was soviel bedeutet wie ›das Ganze‹. Der letzte Vokal der Präposition ›cata‹ wird hier abgeschnitten und der Buchstabe taf wird [nicht] zu thita, weil ›holon‹ behaucht wird. Auch bei dem Wort ›ephimera‹ (ἐφήμερα) wird ein Vokal entfernt. Denn das Wort besteht eigentlich aus ›epi‹ und ›himera‹, was soviel bedeutet wie ›Tag‹. Das Ganze besagt also ungefähr soviel wie ›Sache des Tages oder eines Tages‹. In einem speziellen Sinn bezeichnet das Wort das ›Eintagesfieber‹, weil es ziemlich oft vorkommt. Daher wird hier der letzte Vokal der Präposition abgetrennt und das pi wird in phi umgewandelt, weil die erste Silbe des Wortes ›himera‹ behaucht wird. [253] Ebenso verhält es sich auch bei den anderen beiden Vokalen o und e. Es wird gesagt, dass in derartigen zusammengesetzten

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Wörtern auch ebenso wie in einer Apposition ein Apostroph vorkommt. Aber das passiert eigentlich und prinzipiell im Falle einer Apposition, bei der ohne Zweifel ein Zeichen dafür notwendig ist, das nach dem Konsonanten gesetzt wird, wenn der Vokal fehlen sollte, damit nicht zwei Wörter als eines scheinen. Bei zusammengesetzten Wörtern ist diese Apostrophierung jedoch nicht notwendig, weil aus einer Zusammensetzung ein Wort folgt, das auch ein Wort sein muss. Daher muss man festhalten, dass in einer Zusammensetzung ein eigentlicher Apostroph nicht vorkommt. Doch es wird nicht nur deshalb [hier kein Apostroph gesetzt], sondern auch deshalb, weil zusammengesetzte Wörter aus einem gekürzten und einem vollständigen oder aus zwei gleichzeitig gekürzten Teilen bestehen. Aus diesem Grund wird in zusammengesetzten Wörtern oft ein Vokal oder ein Vokal und ein Konsonant oder andere Vokale als die vier bereits genannten oder sogar eine ganze Silbe abgetrennt. Da anstelle der abgetrennten Konsonanten, der abgetrennten Vokale und der abgetrennten Silben jedoch kein Apostroph oder ein anderes Zeichen gesetzt wird, kann es so scheinen, dass ein Apostrophzeichen bei zusammengesetzten Wörtern ebenso wie in einer Apposition notwendig sein könnte, wenn die vier bereits genannten Vokale wie in der Apposition abgeschnitten werden. Doch auch wenn dies von vielen behauptet wird, wird es doch [in diesem Fall] nicht angemessen sein, weshalb Apostrophzeichen hier aufgrund der bereits genannten Gründe nicht notwendig sind. [254] Der zweite der uneigentlichen 373 Akzente wird ›hiphen‹ genannt. Sein Zeichen verbindet die Wörter, die anonsten getrennt scheinen könnten. | Sein Zeichen ist gleichsam wie der untere Teil eines Kreises (˘), den man unter das setzt, was verbunden werden soll. Um ein lateinisches Beispiel anzuführen, lässt sich ›antetulisti‹ [du hast es vorangetragen] anführen: ›ante‹ und ›tulisti‹ könnten wie zwei Wörter erscheinen, aber durch das ›Hiphen‹Zeichen zeigt man an, dass sie ein Wort sind. Ähnlich werden auch ›quis-putas‹ [Was denkst du], ›paulo-minus‹ [ein bisschen

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weniger] und ›hujus-modi‹ [dieser Art] geschrieben. Aber die Lateiner benutzen dieses Zeichen nicht, weshalb sie auch oft getäuscht werden. Die Griechen haben jedoch ein solches Zeichen, um Fehler zu vermeiden. Sie setzen es unter die Wörter, die als ein einzelnes Wort verbunden werden sollen. Wenn sie der Wahrheit nach getrennt werden sollen, setzen sie dieses Verbindungszeichen nicht. Daher haben die Wörter ›quanto magis‹ [umso mehr], ›tanto magis‹ [desto mehr], ›multo magis‹ [viel mehr] und ›quo minus‹ [damit nicht] im Griechischen mehr Teile und sind nicht durch den Akzent ›hiphen‹ verbunden. Aber viele Lateiner irren sich hierin häufig und verbinden zu einem Wort, was auf keinen Fall verbunden werden darf. Und so irren sie sich auch in vielen anderen Fällen. [255] Der dritte Akzent der uneigentlichen Akzente wird ›ypodiastile‹ genannt. Er ist das Gegenteil des ›hiphen‹, denn er trennt eine Verbindung, die falsch hergestellt worden ist, durch ein Zeichen, das gleichsam den rechten Teil eines Kreises ( ) ) darstellt. Er wird unter den Teil eines Wortes geschrieben, der vom Rest abgetrennt werden soll, oder er wird gleichsam zwischen diese Teile gesetzt. [256] Auch bei uns wäre es bei vielen Wörtern wirklich notwendig, solch ein Trennungszeichen zu haben. Denn wenn wir zum Beispiel ›ab eo‹ sagen, wäre es in dem Fall, in dem es sich um zwei Wörter handelt – nämlich wenn es sich um eine Präposition mit dem entsprechenden Fall handelt [also: ab eo] – wichtig, dies deutlich anzuzeigen [damit es nicht zu Missverständnissen kommt], indem man klar macht, dass der Buchstabe b von e getrennt sein muss. Wenn es jedoch wirklich ein Wort ist, würde man wissen, dass ein Verb [abeo] bezeichnet wird, in dem der Buchstabe b von a in der Art getrennt ist, dass a eine Silbe für sich wäre, während b mit e verbunden wäre. [257] Wenn zum Beispiel gesagt wird [Vergil, Aeneis, VIII, 83]: »Viridique in littore conspicitur sus:«374 [»Und am grünenden Ufer wurde gesehen ein Schwein«],

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wäre es nützlich, wenn man deutlich machte, dass der Buchstabe r von dem Buchstaben s getrennt werden müsste. [Man müsste anzeigen], dass es sich nicht nur um eine andere Silbe, sondern um einen Teil eines anderen Wortes handelt, damit hier nicht [fälschlich] ›conspicit ursus‹ verstanden werden könnte. Das gilt auch für den Fall, in dem man anzeigen müsste, dass der Buchstabe e von c getrennt und kein Teil derselben Silbe ist. Denn es muss hier ›conspicitur sus‹ und nicht ›conspicit | ursus‹ heißen, weil der Sinn des Satzes hier der ist, dass ein Schwein oder eine Sau am Ufer gesehen wird, und nicht, dass ein Bär etwas erblickt oder sieht. [258] Wenn der Grieche also schreibt … [Leerstelle], setzt er darunter zwischen ni und a ein ›ypodiastile‹, damit die Teile der verschiedenen Wörter untereinander getrennt werden. Man könnte sie in dem Text nämlich von beiden Seiten lesen, wenn es ein solches Zeichen nicht gäbe. [259] Weil die Lateiner solch ein Zeichen aber nicht haben, irren sie sich oft sehr schwerwiegend, wenn sie alte Texte lesen. Das wird an dem bekannten Beispiel am Ende des Buches Hiob besonders deutlich, wo für ›cornus tibii‹ ›cornu stibii‹ gesagt wird. 375 Denn man schließt hier den Buchstaben s nach der antiken Schreibweise in der Art der Griechen an den letzten Vokal der vorigen Silbe an. Stattdessen sollte man jedoch aus dem Buchstaben s und dem t des folgenden Wortes eine eigene Silbe machen. In diesem wie auch in anderen ähnlichen Fällen ist das ›ypodiastile‹ als Zeichen für die Lateiner genauso notwendig wie für die Griechen: Denn an dieser Stelle sind schon unglaublich viele Fehler gemacht worden, weil es dieses Zeichen bei uns nicht gibt. Deshalb haben sie das Wort ›cornus‹ schon auf sehr viele falsche Arten zu erklären versucht, weil sie die Wörter ›cornus‹ und ›tibii‹ erhalten wollten, auch wenn es [diese Wörter] weder im Lateinischen noch in irgendeiner anderen Sprache gibt. Das Hebräische, das Griechische und die Autoritäten beweisen, dass es hier ›cornu stibii‹ heißen muss. ›Stibium‹ ist eine Art von Kos-

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metik, mit der die Frauen ihr Gesicht schminken, um es weißer zu machen. Es ist also Bleiweiß oder etwas in der Art und fängt mit dem Buchstaben s an. Da ein solches Produkt in der Regel in einem Gefäß aufbewahrt wird, wie in einem Horn oder etwas ähnlichem, sagt man an dieser Stelle ›cornu stibii‹, weil weder ›cornus‹ noch ›tibii‹ hier etwas bedeuten.

K apitel XII [260] Nachdem

diese [Elemente der griechischen Sprache] erläutert worden sind, bleibt nun, die Abkürzungen und die Unterschiede in der Schreibweise der Wörter, der Silben und der Buchstaben zu betrachten, weil diese bei den Griechen sehr vielfältig sind. Weil diese Vielfalt in der Schreibweise auf unzählige Arten je nach dem Willen des Schreibers auftritt, kann man keine vernünftige Technik für jede Schreibweise angeben. Ich werde daher nur einige Schreibweisen anführen, die ich bis jetzt gefunden habe. [261] Man muss wissen, dass die bekannten, gebräuchlichen und angemessenen Abkürzungen dieser Art sind: Die erste Abkürzung kann als das Zeichen benannt werden, das bei den Griechen für das doppelte ›sima‹ erfunden worden ist, also dieses … [Leer­ stelle], das sie in der Linie eines doppelten ›sima‹ schreiben. Und anstelle eines Vokals mit n oder mit sima gibt es viele Zeichen. Denn es gibt acht oder neun für den Vokal … [ Hier bricht der Text ab. ]

A N M ER K U NGEN

1  Aristoteles,

Metaphysica. Recensio et translatio Guillelmi de Moerbeka I, 1, , hg. v. Gudrun Vuillemin-Diem, Leiden 1976 (= Aristoteles latinus 25/2), 980a 21: »Omnes homines natura scire desiderant.« (»Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.«) (In: Aristoteles, Metaphysik, übers. u. hrsg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970, S. 17). 2  Pompeius Trogus war im Mittelalter durch die Auszüge Justins bekannt. Siehe Anm. 4. 3  Titus Livius, Römische Geschichte, lat.-dt., hrsg. von Hans J. Hillen u. Josef Feix, Darmstadt 1974–2000. – Dort keine Belegstelle. 4  Marcus Iunianus Iustinus, Epitoma Historiarum Philippicarum Pompei Trogi, hg. v. Otto Seel, Stuttgart 1972; Weltgeschichte von den Anfängen bis Augustus. Im Auszug des Justin, eingel., übers. u. erl. v. Otto Seel, Zürich 1972. 5  Paulus Orosius, Historiarum adversum paganos libri VII , III , XVI, 827–828, in: Pauli Orosii Opera Omnia (= PL 31), Turnhout 1846 [Nachdruck 1968]: »Inde profecturus ad Persicum bellum, omnes cognatos ac proximos suos interfecit. In exercitu ejus fuere peditum triginta et duo millia, equitum quatuor mille ducenti, et naves centum et octoginta. Hac tam parva manu universum terrarum orbem, utrum admirabilius sit quod vicerit, an quod aggredi ausus fuerit, incertum est. Primo ejus cum Dario rege congressu, sexcenta millia Persarum in acie fuere, quae non minus arte Alexandri superata, quam virtute Macedonum, terga verterunt. Magna igitur caedes Persarum fuit. In exercitu autem Alexandri, centum et viginti equites, et novem tantum pedites, defuere.« (»Im Begriff, zum Perserkrieg aufzubrechen, tötete er [Alexander] dann alle seine Verwandten und Nächststehenden. In seinem Heer befanden sich 32 000 Fußsoldaten, 4500 Reiter, 180 Schiffe. Es bleibt ungewiß, ob es mehr zu bewundern ist, daß er mit einem so kleinen Heer den ganzen Erdkreis besiegte oder daß er es wagte, ihn anzugreifen. Bei seinem ersten Zusammenstoß mit König

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anmerkungen

Dareios bestand dessen Heer aus 600 000 Persern. Diese wandten sich zur Flucht, überwunden nicht weniger durch die Kunst Alexanders als durch die Tüchtigkeit der Makedonen. Es fand also ein großes Morden unter den Persern statt. Im Heer Alexanders fielen 120 Reiter und nur neun Fußsoldaten.« In: Paulus Orosius, Die antike Weltgeschichte in christlicher Sicht, übers. u. erl. v. Adolf Lippold, eingel. v. Carl An­ dresen, 2 Bde., Bd. 1, Zürich/München 1985, S. 175). – Widmung an Augustinus: Praefatio, in: Opera Omnia, 663–668; Vorwort, in: Die antike Weltgeschichte, S. 59–62.  6  Aristoteles, Metaphysica, II , 1 u. 3, a. a. O.  7  Ebd., 995 a: »Propter quod oportet erudiri quomodo singula sunt recipienda, et absurdum est simul querere scientiam et modum scientie; est autem alterum non facile accipere.« (»Daher muß man unterwiesen sein, wie jede Untersuchung zu verstehen ist, da es doch unsinnig wäre, zugleich die Wissenschaft und die Behandlung der Wissenschaft zu untersuchen; keines von beiden ist leicht zu erfassen.« In: Aristoteles, Metaphysik, a. a. O, S. 57.)  8  Wird von Bacon im Compendium nicht weiter ausgeführt. – Siehe Roger Bacon, Opus maius, Teil 6: Scientia Experimentalis, hg. v. John H. Bridges, 2. Bde, Oxford 1897, Bd. 2, S. 167­–222; ders., Opus tertium, in: Opera quaedam hactenus inedita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 43–48. – Siehe zur Diskussion über die Rolle der Erfahrungswissenschaft bei Roger Bacon auch: Lynn Thorndike, »Roger Bacon and Experimental Method in the Middle Ages«, in: The Philosophical Review 23, 1914, S. 271–198; Jeremiah Hackett, Scientia Experimentalis: »Von Robert Grosseteste zu Roger Bacon«, in: Roger Bacon in der Diskussion, 2 Bde., hg. v. Florian Uhl, Bd. 2, Frankfurt/Main u. a. 2002, S. 195–228; N. W. Fisher u. Sabetai Unguru, »Experimental Science and Mathematics in Roger Bacon«, in: Traditio 27, 1971, S. 353–378; zum Kontext einleitend: Steven J. Williams, »Roger Bacon in context: Empiricism in the High Middle Ages«, in: Expertus sum. L’expérience par les sens dans la philosophie naturelle médiévale, hg. v. Thomas Bénatouil u. Isabelle Draelants, Florenz 2011, S. 123–144.  9  Gemeint sind die Dominikaner und die Franziskaner. 10  Bacon bezieht sich hier auf die Sedisvakanz zwischen 1268 (Clemens IV.) und 1271 (Gregor X.) – Siehe: Andreas Fischer, Kardinäle im



anmerkungen

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Konklave: Die lange Sedisvakanz der Jahre 1268 bis 1271, Tübingen 2008. 11 Sehr ähnlich äußert sich auch Robert Grosseteste, dessen Schriften Bacon mit großer Wahrscheinlichkeit bekannt waren, da Grosseteste seine Bibliothek dem Franziskanerkonvent vermacht hatte. – Siehe: »Robert Grosseteste at the Papal Curia, Lyons 1250: Edition of the Documents«, hg. v. S. Gieben, in: Collectanea Franciscana 41, 1971, S. 340–393, S. 355; zur Bibliothek Grossetestes: Anna C. Dionisotti, »On the Greek Studies of Robert Grosseteste«, in: The Uses of Greek and Latin: Historical Essays, hg. v. Anna C. Dionisotti u. a., London 1988, S. 19–39, S. 31–32; dies., »Robert Grosseteste and the Greek Encyclopedia«, in: Rencontres de cultures dans la philosophie médiévale: traductions et traducteurs de l’antiquité tardive au XIV siècle, hg. v. Jacqueline Hamesse u. Marta Fattori, Louvain-laNeuve 1990, S. 337–353, S. 348; Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, Cambridge 2013, S. 75 f. 12  Dominikaner und Franziskaner. 13  Bacon bezieht sich hier auf den Vertrag von Paris 1258 resp. 1259. 14  In mehreren Schlachten hatte Karl I. von Anjou die Erben Friedrichs II. geschlagen und den letzten Nachfahren Friedrichs, Konrad III . (Konradin), 1268 hinrichten lassen. In alle Vorfälle waren die Päpste (Urban IV. und Clemens IV.) involviert, worauf Bacon hier kritisch Bezug nimmt. – Siehe: P. Herde, Artikel ›Karl I. v. Anjou, Kg. v. Sizilien‹, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977–1999, Bd. 5, Sp. 983–985; siehe auch: Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 77. 15  Lukas 22, 19: »Et accepto pane gratias egit et fregit et dedit eis dicens hoc est corpus meum quod pro vobis datur hoc facite in meam commemorationem.« (»Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächt­n is!«) 16  I Korinther 11, 30: »ideo inter vos multi infirmes et inbecilles et dormiunt multi.« (»Darum sind auch viele Schwache und Kranke unter euch, und nicht wenige sind entschlafen.«) 17  Gregor der Große, Homiliarum xl. in evangelia, in: Sancti Gre-

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gorii Papaei cognomento Magni, Opera omnia (=PL 76), Turnhout o. J., II, 30, 1, 1220: »Probatio ergo dilectionis, exhibitio est operis«. 18  Römer 11, 25: »Nolo enim vos ignorare fratres mysterium hoc ut non sitis vobis ipsis sapientes quia caecitas ex parte contigit in Israhel donec plenitudo gentium intraret.« (»Damit ihr euch nicht auf eigene Einsicht verlasst, Brüder, sollt ihr dieses Geheimnis wissen: Verstockung liegt auf einem Teil Israels, bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben.«) 19  Römer 10, 18: »Sed dico numquid non audierunt et quidem in omnem terram exiit sonus eorum et in fines orbis terrae verba eorum.« (»Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja ›in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt‹ [Psalm 19,5].«) 20  Genesis 15, 16: »Generatione autem quarta revertentur huc necdum enim completae sunt iniquitates Amorreorum usque ad praesens tempus«. (»Sie aber sollen nach vier Mannesaltern wieder hierher kommen; denn die Missetat der Amoriter ist noch nicht voll.«) 21  Aristoteles, Metaphysica I, 2, a. a. O., 982b 30: »Ex quo et iuste non humana existimata est ipsius possessio; multiplex enim natura ancilla hominum est, quare secundum Simonidem ›deus utique solus hoc habet senium‹, virum autem non dignum est non querere secundum se ipsum scientiam.« (»Daher könnte man mit Recht annehmen, ihr [der Metaphysik] Besitz gehe über menschliche Kraft hinaus. Vielfach nämlich ist die Natur des Menschen gebunden, so daß, wie Simonides sagt: ›Gott allein wohl dieses Vorrecht genießt‹, daß es aber des Menschen unwürdig sei, nicht nach der ihm zukommenden Wissenschaft zu suchen.«) (In: Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., S. 22). 22  Aristoteles, Metaphysica, II , 1, a. a. O., 993b 10: »sicut enim nicticoracum oculi ad lucem diei se habent, sic et anime nostre intellectus ad que omnium natura manifestissima.« (»Denn wie sich die Augen der Fledermäuse dem Tageslicht gegenüber verhalten, so auch die Vernunft in unserer Seele den Dingen gegenüber, die von allen der Natur nach die offenkundigsten sind.« (In: Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., S. 52). 23  Aristoteles, Metaphysica, VII , 3, a. a. O., 1029b 3: »PRE OPERE ENIM ad transeundum ad quod notius est. Disciplina enim ita fit



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omnibus per minus nota NATURE ad nota magis. Et hoc opus est: QUEMADMODUM in actibus facere ex UNICUIQUE bonis totaliter bona UNICUIQUE bona, sit EX IPSI notioribus que NATURE quidem nota IPSI nota. QUE AUTEM singulis nota et prima multotiens [DEBILITER nota], et parum aut nichil entis habent. At tamen ex male QUIDEM NOSCIBILIBUS IPSI AUTEM NOSCIBILIBUS QUE omnino NOSCIBILIA noscere TEMTANDUM, PROCEDENTES , sicut dictum est, per hec IPSA .« (»Es ist nämlich zweckmäßig, zum Erkennbaren überzugehen. Denn das Lernen geht bei allen so vor sich, daß sie durch das der Natur nach weniger Erkennbare zum mehr Erkennbaren fortschreiten. Und wie es bei den Handlungen darauf ankommt, von dem für jeden einzelnen Guten ausgehend, das allgemein Gute für jeden einzelnen gut zu machen, so kommt es beim Lernen darauf an, von dem für den einzelnen mehr Erkennbaren ausgehend, das von Natur Erkennbare für den einzelnen erkennbar zu machen. Doch das, was für jeden einzelnen erkennbar und Erstes ist, ist oft recht wenig erkennbar und verfügt über wenig oder nichts vom Seienden; und trotzdem muß man versuchen, von dem zwar wenig Erkennbaren, aber für den einzelnen Erkennbaren, das allgemein Erkennbare zu erkennen, indem man, wie gesagt, durch jenes selbst zu diesem übergeht.« (In: Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., S. 168). 24  Avicenna, Liber de philosophia prima sicut de scientia divina, IX, 7, hg. v. Simone van Riet, 3 Bde., Bd. 2, Leiden 1980, S. 509, Z. 46: »Nostra igitur dispositio erga illa est sicut dispositio surdi qui numquam audivit in sua privatione imaginandi delectationem harmoniatam cum ipse sit certus de amoenitate eius«. (»Wir verhalten uns zu jenem Genusse [dem geistigen Erkennen] wie der Taube, der seit seiner Geburt nicht hören und sich den Genuß von Melodieen [sic] daher nicht vorstellen kann. Er ist jedoch überzeugt davon, daß mit dieser Empfindung ein Genuß verbunden ist.«) (In: Avicenna, Die Metaphysik. Enthaltend die Metaphysik, Theologie, Kosmologie und Ethik, übers. u. erl. v. M. Horten, Halle/New York 1907, S. 636). 25  Gemeint ist Aristoteles. 26  Der platonische Seelenteil mit der Bezeichnung thymoeides wird im Lateinischen mit irascibilis (zornmütig) wiedergegeben. Gemeint ist damit, dass die Seele des Menschen dazu in der Lage ist, sich

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anmerkungen

zu ereifern, also ihre ganze Kraft dafür einzusetzen, ein Ziel zu erreichen. – Vgl. auch: Thomas von Aquin, Summa Theologiae. Summe der Theologie, I, q. 81, a. 2, in: Die Deutsche Thomasausgabe, lat.-dt., hg. v. Katholischer Akademikerverband, Bd. 6, Salzburg/Leipzig 1937, S. 207 f. 27  Weisheit 1, 4: »quoniam in malivolam animam non intrabit sapientia nec habitabit in corpore subdito peccatis«. 28  Algazel, Logica et philosophia, Kap. 2, hg. v. Walter A. Koch, Hildesheim u. a. 2001, a 2: »Sicut est speculum cui non est perfectio nisi appareat in eo forma pulchra secundum quod ipsa est sine deformitate et permutatione: quid non fit nisi sit omnino tersum a sorde et rubigine: et postea apponant ei formae pulchrae nisi in rectitudine. Anima ergo speculum est: nam et depingunt in ea forma totius esse cum munda et tersa fuerit a sordidis moribus: nec potest ipsa discernere vere inter mores honestos et inhonestos nisi per scientiam.« (»Sie ist wie ein Spiegel, der unvollkommen ist, wenn in ihm nicht eine schöne Form ohne Verunstaltung und Veränderung aufscheint: was nur geschehen kann, wenn er von allem Schmutz und Rost gereinigt ist. Danach sind die schönen Formen in ihm nur sichtbar, wenn sie gerade vor ihm stehen. Die Seele ist solch ein Spiegel: Denn in ihr zeigen sich die schönen Formen von allem nur dann, wenn sie von dem Schmutz [der schlechten] Sitten gereinigt worden ist. Die Seele aber kann nur durch die Wissenschaft zwischen ehrwürdigen und ehr­ losen Sitten unterscheiden.« [Übers. N. E.]). 29  Augustinus, De civitate Dei, VIII , 3, hg. v. Bernhard Dombart u. Alfons Kalb, Turnhout (CCSL) 47–48, 1955: »Socrates ergo, primus universam philosophiam ad corrigendos componendos que mores flexisse memoratur, cum ante illum omnes magis physicis, id est naturalibus, rebus perscrutandis operam maximam inpenderent. Non mihi autem videtur posse ad liquidem colligi, utrum socrates, ut hoc faceret, taedio rerum obscurarum et incertarum ad aliquid apertum et certum reperiendum animum intenderit, quod esset beatae vitae necessarium, propter quam unam omnium philosophorum invigilasse ac laborasse videtur industria, an vero, sicut de illo quidam benevolentius suspicantur, nolebat inmundos terrenis cupiditatibus animos se extendere in divina conari. Quando quidem ab eis causas



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rerum videbat inquiri, quas primas atque summas non nisi in unius ac summi dei voluntate esse credebat; unde non eas putabat nisi mundata mente posse comprehendi; et ideo purgandae bonis moribus vitae censebant instandum, ut deprimentibus libidinibus exoneratus animus naturali vigore in aeterna se adtolleret naturam que incorporei et incommutabilis luminis, ubi causae omnium factarum naturarum stabiliter vivunt, intelligentiae puritate conspiceret.« (»Von Sokrates wird berichtet, daß er als erster der ganzen Philosophie die Richtung auf Besserung und Regelung der Sitten gegeben habe, während seine sämtlichen Vorgänger ihre Mühe vor allem der Erforschung der physischen, das ist der natürlichen Dinge, zuwandten. Wie mir scheint, ist nicht sicher auszumachen, ob Sokrates hierzu veranlaßt wurde, weil er, überdrüssig des Dunklen und Ungewissen, sein Streben darauf richtete, etwas Klares und Sicheres ausfindig zu machen, wovon seines Erachtens das glückselige Leben abhing, dem letzten Endes allein das Sinnen und Trachten aller Philosophen gilt, oder ob er, wie jemand vermutet hat und was noch mehr zu seinen Gunsten sprechen würde, nicht wollte, daß von irdischen Lüsten befleckte Gemüter den Versuch machten, sich zum Göttlichen aufzuschwingen. Denn er sah, daß solche Leute die Ursachen der Dinge zu erforschen suchten, und zwar im letzten und höchsten, die, wie er glaubte, allein im Willen des einen und höchsten Gottes begründet sind und darum nur mit gereinigtem Geiste erfaßt werden können. So urteilte er, man müsse mit Macht auf Säuberung des Lebens durch gute Sitten dringen, auf daß der von herabziehenden Begierden befreite Geist sich durch seine natürliche Schwungkraft zum Ewigen erhebe und das wesenhaft unkörperliche und unwandelbare Licht, in dem die Ursachen aller geschaffenen Wesen beständig leben, in reinem Erkennen schaue.« In: Augustinus, Vom Gottestaat, übers. v. Wilhelm Thimme, eingel. u. komm. v. Carl Andresen, München 2007, S. 374 f.). 30  Vergil, Aeneis, lat.-dt., hrsg. u. übers. v. Johannes Götte, München/Zürich 61983, II, 314: »arma amens capio; nec sat rationis in armis, / sed glomerare manum bello et concurrere in arcem / cum sociis ardent animi; furor iraque mentem / praecipitat, pulchrumque mori succurrit in armis.« (»sinnlos ergreif ich die Waffen, weiß Rat aber nicht mit den Waffen, / sondern es brennt mir das Herz, zum Kampf

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eine Schar mir zu sammeln / und mit den Kriegern zu stürmen die Burg: ein rasender Zorn reißt / jäh mich davon; schön dünkt es mich jetzt, zu sterben in Waffen.« In: ebd., S. 67). 31  Pseudo-Platon [Ibn Yusuf], De proportionibus et proportionalitatibus, BNF ms. Lat. 9335, f. 64v. – Siehe auch: Charles Burnett, »Dialectic and Mathematics according to Ahmad Ibn Yusuf«, in: Langage, sciences, philosophie au XIIe siècle, hg. v. Joel Biard, Paris 1999, S. 83–92. 32  Aristoteles, Physica, Translatio vetus, hg. v. Fernand Bossier u. Jozef Brams, Leiden 1990 (=Aristoteles Latinus VII, 1.2), VII, 3, 247b 25–31: »Sicut igitur neque cum dormiens surgat aliquis aut ebrius pauset aut infirmans ordinetur, factus est sciens; et etiam prius non poterat uti et secundum scientiam agere, sed mutata perturbatione et in statum veniente intellectu inerat potentia ad scientie congruitatem. Huiusmodi igitur aliquid fit et quod est ex principio in scientie existentia; turbationis enim quies quedam est et restitutio.« (»Es ist hier nicht anders, als wie wenn ein Mensch aus dem Schlaf aufgewacht ist, einen Rauschzustand überwunden hat oder aus einer Krankheit wieder zu sich gekommen ist: er hat dann doch nicht einen Prozeß hinter sich, der ihn zu einem Erkennenden gemacht hätte. Und dabei hat er doch im vorausgegangenen Zustand über sein Wissen wirklich nicht verfügen und ihm gemäß handeln können; als dann die Verwirrung wich und das Bewußtsein seine Ruhe und seinen Stillstand wieder fand, trat das Vermögen auf, das sich auf den Gebrauch des Wissens bezieht. Und so geschieht es denn auch beim ursprünglichen Auftreten des Erkennens; denn dieses ist ja eine Form des Zurruhekommens und des Zumstillstandkommens der Verworrenheit.« In: Aristoteles, Physikvorlesung, übers. v. Hans Wagner, in: Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. v. Ernst Grumach, hrsg. v. Hellmut Flashar, Bd. 11, Berlin 51995, S. 203 f. [zweite Fassung].) 33  Aristoteles, Topica, translatio Boethii, hg. v. Laurentius MinioPaluello u. Bernardo G. Dod, Brüssel/Paris 1969 (= Aristoteles Latinus V, 1–3), VIII, 11, 161a 37–38: »Pravus socius est qui impedit comune opus, palam quoniam et in oratione«. (»Da nun der ein schlechter Mitarbeiter ist, der das gemeinsame Werk behindert, so (ist) klar: (das



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gilt) auch für die herleitende Rede.« In: Aristoteles, Topik, gr.-dt., hg., übers. u. eingel. v. Hans Günter Zekl, Hamburg 1997, S. 427.) 34  Ecclesiastes 7,9: »Ne velox sis ad irascendum quia ira in sinu stulti requiescit.« (Prediger 7, 9: »Sei nicht schnell, dich zu ärgern; denn Ärger ruht im Herzen des Toren«). 35  Lucius Annaeus Seneca, Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen, lat.-dt., hg. u. übers. v. M. F. A. Brok, Darmstadt 1995, 7, 32, 4: »At mehercule, si hoc totis membris premeremus, si in hoc iuventus sobria incumberet, hoc maiores docerent, hoc minores addiscerent, vix ad fundum veniretur in quo veritas posita est, quam nunc in summa terra et levi manu quaerimus«. (»Beim Herkules, selbst wenn wir uns mit unserer ganzen Körperkraft dafür einsetzen, wenn eine enthaltsame Jugend sich dafür anstrengte, wenn die Älteren ihren Unterricht darauf abzielten und die Jüngeren sich ihre Lehren aneigneten, gelänge es kaum, die Tiefe zu erreichen, wo die Wahrheit aufbewahrt ist. Und wir suchen sie an der Oberfläche, ohne einen Finger zu rühren.« In: ebd., S. 467.) 36  Anicius Manlius Severinus Boethius, In librum Aristotelis Peri hermeneias commentarii, II, 3, hg. v. Karl Meiser, Leipzig 1880: »In quantum labor humanum genus excolit et beatissimis ingenii fructibus complet, si tantum cura exercendae mentis insisteret, non tam raris hominum virtutibus uteremur: sed ubi desidia demittit animos, continuo feralibus seminariis animi uber horrescit. Nec hoc cognitione laboris evenire concesserim, sed potius ignorantia. Quis enim laborandi peritus umquam labore discessit? Quare intendenda vis mentis est verum que est amitti animum, si remittitur«. (»Wenn der Mensch genauso viel Mühe auf die Ausübung seiner geistigen Gaben verwenden würde, wie auf (physische) Arbeit, welche das Menschengeschlecht veredelt und mit den reichen Früchten der menschlichen Anlagen erfüllt, dann würden wir nicht so wenige tugendhafte Menschen kennenlernen. Wo aber die Faulheit die Geister erschlaffen lässt, schreckt der übersättigte Geist beständig vor den fruchtbaren Samen [des Geistes] zurück. Ich denke jedoch nicht, dass sich das aus Unkenntnis so verhält und nicht deswegen, weil uns die Schwierigkeit der Aufgabe bekannt wäre. Wer aber, der an die Mühe gewöhnt ist, würde irgendwann einmal von ihr abrücken? Aus diesem Grund

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muss man die Kraft des Geistes stets anspannen, denn den Geist zu entspannen heißt in Wahrheit, ihn zu verlieren.« [Übers. N. E.].) 37  Pseudo-Boethius, De Disciplina Scholarium, hg. u. eingel. v. Olga Weijers, Leiden 1976, VI, 9, 15–17: »Non necgligens quoniam sicut in unoquoque opere mater invenitur constancia, ita universe doctrine et discipline noverca est necgligencia.« (»Man muss beachten, dass die Mutter jeden Werkes die Beharrlichkeit ist, die Stiefmutter jeder Lehre und jeder Unterweisung [jedoch] ist die Gleichgültigkeit.« [Übers. N. E.]). 38  Weisheit I, 4: »quoniam in malivolam animam non intrabit sapientia nec habitabit in corpore subdito peccatis«. (»Denn die Weisheit kommt nicht in eine arglistige Seele und wohnt nicht in einem Leibe, der der Sünde verfallen ist.«). 39  Marcus Tullius Cicero, Cato maior de Senectute, lat.-dt., hg. u. übers. v. Harald Merklin, Stuttgart 1998, XII, 40: »stupra vero et adulteria et omne tale flagitium nullis excitari aliis inlecebris nisi voluptatis, cumque homini sive natura sive quis deus nihil mente praestabilus dedisset, huic divino muneri ac dono nihil tam esse inimicum quam voluptatem«. (»Doch Unzucht, Ehebruch und jede Schandtat solcher Art werde durch keine andere Verlockung hervorgerufen als durch die der Lust, und da dem Menschen, sei es von der Natur, sei es von Gott, nichts Besseres verliehen worden sei als der Geist, sei dieser Gottesgabe nichts so feindlich wie die Lust.« In: ebd., S. 61). 40 Ebd., XII , 41: »nemini censebat fore dubium, quin tam diu, dum ita gauderet, nihil agitare mente, nihil ratione, nihil cogitatione consequi posset. quocirca nihil esse tam detestabile quam voluptatem, siquidem ea, cum major esset atque longior, omne animi lumen exstingueret«. (»[…]; da werde es [im Zustand der Lust], so meinte er, für niemand zweifelhaft sein, daß der Betreffende, solange er eine solche Freude genieße, zu keiner geistigen Betätigung imstande sei und nichts durch vernünftiges Denken erreichen könne. Deswegen sei nichts so abscheulich wie die Lust, sofern sie jedenfalls dann, wenn sie stärker sei und länger dauere, das ganze Licht des Geistes auslösche.« In: ebd., S. 61.) 41  Marcus Tullius Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, lat.-dt., hg. v. Olof Gigon, München 21970, IV, 22: »Om-



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nium autem perturbationum fontem esse dicunt intemperantiam, quae est a tota mente [a recta ratione] defectio sic aversa a praescriptione rationis, ut nullo modo adpetitiones animi nec regi nec contineri queant«. (»Die Quelle aller Leidenschaften nennen sie die Maßlosigkeit, die ein vollständiger Abfall vom Geiste ist und zwar ein solches Abweichen von der Vorschrift der Vernunft, daß die Strebungen der Seele weder regiert noch zurückgehalten werden können.« In: ebd., S. 262 f.) 42  Averroes, Physicorum libri, Aristotelis De Physico audito libri octo cum Averrois Cordubensis, in: Aristotelis Opera cum Averrois Commentariis, Bd. 4, Venetiis 1562, Nachdruck Frankfurt/Main 1962, VII, 3, 323r: »Exercitium largitur naturae hominis praeparationem quae in ea non erat ante. Et non est remotum ut virtus scilicet moralis operetur in hoc, et maxime castitas.« (»Durch die beständige Übung wird der Natur des Menschen eine Vorbereitung [für die Wissenschaften] geschenkt, die vorher nicht in ihr enthalten war. Es ist überdies naheliegend, dass hierfür die moralische Tugend gebraucht wird, vor allem die Keuschheit.« [Übers. N. E.].) 43  Pseudo-Aristoteles, Problemata secundum Bartholomaeus de Messana translator Pseudo-Aristotelis, XXVIII, 2, 949 b6–12 (Aristoteles Latinus 22/2), Turnhout 2011: »Propter quod secundum duos solos sensus scilicet tactum et gustum incontinentes dicimus? Aut propter delectationes factas ab his nobis et aliis animalibus non est ergo sicut communes existentes inhonorabilissimi sunt: propter quod et maxime autem soli obprobriosi sunt: quare eos qui ab his uincuntur uituperamus: et incontinentes et luxuriosos esse dicimus: quia a pessimis delectationibus uincuntur.« (»Warum bezeichnen wir die Menschen nur im Hinblick auf zwei Sinne als unbeherrscht, nämlich Berührung und Geschmack? Doch wohl wegen der Lüste, die uns und den anderen Lebewesen aus diesen Sinnen erwachsen. Da sie nun (­a llen Lebewesen) gemeinsam sind, stehen sie am wenigsten in Ehre; deshalb sind am meisten oder allein sie schimpflich. So tadeln wir einen Menschen, der diesen Sinnen unterlegen ist und bezeichnen ihn als unbeherrscht und zügellos, weil er den niedrigsten Lüsten unterlegen ist.« In: Aristoteles, Problemata Physica, übers. v. Hellmut Flashar, Darmstadt 1962, S. 239 f.)

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Seneca der Ältere, Controversiae, II, 6, 4, in: L. Annaeus Seneca Maior, Oratorum et Rhetorum Sententiae, Divisiones, Colores, hg. v. Lennart Hakanson, Leipzig 1989: »luxuriosus adulescens peccat, at senex luxuriosus insanit.« (»Ein verschwenderischer Jüngling sündigt, ein verschwenderischer Greis aber ist verrückt.« In: Lucius Annaeus Seneca der Ältere, Sentenzen, Einteilungen, Färbungen von Rednern und Redelehrern, übers. u. hg. v. Otto u. Eva Schönberger, Würzburg 2004, S. 107.) 45  Marcus Tullius Cicero, De officiis, I, XXXIV, 123, hg. v. C. Atzert, Leipzig 1963: »sin autem etiam libidinum intemperantia accessit, duplex malum est, quod et ipsa senectus dedecus concipit et facit adu­ lescentium impudentiorem intemperantiam.« (»Wenn aber noch Unbeherrschtheit in den Begierden hinzutritt, dann ist der Schaden doppelt: einerseits nimmt das Alter selber Unschicklichkeit auf sich, andererseits macht es die Unbeherrschtheit der Jugendlichen schamloser.« In: Marcus Tullius Cicero, De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln, lat.-dt., übers., komm. u. hg. v. Heinz Gunermann, Stuttgart 1976, S. 109.) 46  Sprüche 22, 6: »proverbium est adulescens iuxta viam suam etiam cum senuerit non recedet ab ea.« (»Gewöhne einen Knaben an seinen Weg, so lässt er auch nicht davon, wenn er alt wird.«) 47  Vgl. Roger Bacon, Pars prima: Causae erroris, in: ders., Opus maius, hg. v. John H. Bridges, 3 Bde., Oxford 1897–1900, Bd. 1, S. 1–32; deutsche Übersetzung im Internet: https://www.academia.edu/ 6882141. 48  Lucius Annaus Seneca, Briefe an Lucilius, 123, 6: »Multa quam superuacua essent, non intelleximus nisi deesse coeperunt: utebamur enim illis, non quia debebamus, sed quia habebamus. Quam multa autem paramus, quia alii paraverunt, quia apud plerosque sunt. Inter causas malorum nostrorum est, quod vivimus ad exempla nec ratione conponimur, sed consuetudine abducimur. Quod, si pauci facerent, nollemus imitari, cum plures facere coeperunt, quasi honestius sit, quia frequentius, sequimur. Et recti apud nos locum tenet error, ubi publicus factus est. Omnes iam sic peregrinantur, ut illos numidarum praecurrat equitatus, ut agmen cursorum antecedat: turpe est nullos esse, qui occurrentis via deiciant, aut qui honestum hominem venire



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magno pulvere ostendant. Omnes iam multos habent, qui crustallina et murrina et caelata magnorum artificium manu portent: turpe est videri eas te habere sarcinas totas, quae e toto concuti possint«. (»Wie viele Dinge überflüssig sind, erkennen wir nur, wenn sie zu fehlen begonnen haben: wir benutzen sie nämlich nicht, weil wir sie brauchten, sondern weil wir sie hatten. Wie viele Dinge aber beschaffen wir uns, weil andere es getan haben, weil die meisten sie besitzen! Zu den Ursachen unseres Unglücks gehört, daß wir nach Vorbildern leben und uns nicht nach der Vernunft richten, sondern von der Gewohnheit verleiten lassen. Was wir nachzuahmen ablehnten, wenn wenige es tun, machen wir uns zu eigen, sobald mehr Menschen es zu tun begonnen haben, als ob es sittlicher wäre, weil häufiger; und den Platz des Richtigen nimmt bei uns der Irrtum ein, sobald er allgemein geworden ist.« In: Seneca, Philosophische Schriften, lat.-dt., 5 Bde, übers. eingel. u. mit Anmerk. versehen v. Manfred Rosenbach, Darmstadt 22011, Bd. 4, S. 836 f.) 49  Marcus Tullius Cicero, Akademische Abhandlungen. Lucullus, lat.-dt., Text u. Übers. v. Christoph Schäublin, eingel. v. Andreas Graeser u. Christoph Schäublin, Anm. v. Andreas Bächli u. Andreas Gräser, Hamburg 1995, III, 8, 10, S. 12: »Nam ceteri primum ante tenentur adstricti quam quid esset optimum iudicare potuerunt; deinde infirmissimo tempore aetatis aut obsecuti amico cuidam aut una aliquius quem primum audierunt oratione capti de rebus incognitis iudicant et ad quamcumque sunt disciplinam quasi tempestate delati ad eam tamquam ad saxum adhaerescunt…« (»Die anderen nämlich sind erstens gebunden und sitzen fest, bevor sie auch nur in die Lage gekommen sind zu entscheiden, was das Beste sei; zweitens schließen sie sich in einem Lebensalter, dem die erforderliche Selbstständigkeit am meisten fehlt, entweder an irgendeinen Freund an, oder sie lassen sich fangen durch eine einzige Rede eines beliebigen Menschen, unter dessen Zuhörer sie als erstes geraten sind: dann entscheiden sie über Dinge, die sie nicht erkannt haben; und gegen welche Lehre auch immer sie wie von einem Sturm getrieben worden sind, daran klammerns sie sich fest wie an einen Felsen.« In: ebd., S. 13); 9, 19, S. 12: »([sed ut potuerint] omnibus rebus auditis, cognitis etiam reliquorum sententiis). iudicaverunt, aut re semel audita ad unius se auctoritatem

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contulerunt; sed nescio quo modo plerique errare malunt eam que sententiam quam adamaverunt pugnacissime defendere quam sine pertinacia quid constantissime dicatur exquirere«. (»Entschieden aber haben sie, nachdem sie sich eine Sache ein einziges Mal angehört hatten, und sie haben sich gleich der Autorität eines einzigen anvertraut. Aber irgendwie ziehen es die meisten eben vor, in die Irre zu gehen und die Auffassung, die sie einmal liebgewonnen haben, höchst kämpferisch zu verteidigen, statt daß sie ohne Rechthaberei untersuchen, welche Aussage am meisten in sich gefestigt ist.« In: ebd., S. 13). 50  Vgl. Aristoteles, Problemata physica, a. a. O., IV, 26, 879b 36; ebd., XXVIII, 1, 949a 27–28. 51  Jeremias 13, 23. 52  Matthäus 7, 6: »Nolite dare sanctum canibus neque mittatis margaritas vestras ante porcos ne forte conculcent eas pedibus suis et conversi disrumpant vos.« (»Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.«) 53 Vgl. Aulus Gellius, Die attischen Nächte, 2 Bde., hg. v. Georg Fritz Weiß, Darmstadt 1981 [Nachdruck der Ausgabe von 1875]. 54  Marbod von Rennes, Liber de gemmis, in: Marbodi redonensis episcopi, ipsius Hildeberti supparis opuscula, hg. v. Jean J. Bourassé, Paris 1854 (=PL 171), 1738 A: »Qui mihi praecipue, paucisque pateret amicis; / Nam majestatem minuit qui mystica vulgat, / Nec secreta manent, quorum fit conscia turba.« (»[Dieses Buch] ist vor allem für die wenigen Freunde, die mir nahestehen / Denn es verringert die Herrlichkeit [der Dinge], wer die Geheimnisse verbreitet / und sie bleiben nicht geheim, wenn die Menge von ihnen weiß.« [Übers. N. E.]). 55  Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum: »Scias igitur quod qui occulta detegit et archana revelat indignis, ipsum in proximo infortunia secuntur, unde securus esse non poterit a contingentibus et malis futuris«. (Robert Steele, Opera hactenus inedita Rogeri Baconi V, Oxford 1920, S. 41) (»Wisse also, dass derjenige, welcher das Verborgene aufdeckt und diese Geheimnisse den Unwürdigen bekannt macht, bald von vielen Unglücken befallen wird, sodass er vor den



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zukünftigen Zufällen und Missgeschicken nicht sicher sein wird.« [Übers. N. E.].) 56  Pseudo-Seneca, Ad Gallionem. De remediis fortuitorum liber, in: L. Annaei Senecae opera quae supersunt, hg. v. Fridericus Haase, Leipzig 1853, Bd. 3, VII, 1, S. 450: »Non potest ullam auctoritatem habere sententia, ubi qui damnandus est, damnat.« 57 Judasbrief 10–13: »hii autem quaecumque quidem ignorant blasphemant quaecumque autem naturaliter tamquam muta animalia norunt in his corrumpuntur […] [hii sunt] nubes sine aqua quae a ventis circumferuntur arbores autumnales infructuosae bis mortuae eradicatae fluctus feri maris despumantes suas confusiones sidera errantia.« 58  Stephan von Blois (1135–1154). – Siehe: K. Schnith, Artikel ›Stephan, 1. S. v. Blois, Kg. v. England‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 8, Sp. 111–112. 59  Aristoteles, Metaphysica I, 1, a. a. O., 981b 24–982a 13: »sed tamen scire et obviare magis arte quam experimento esse arbitramur, et artifices expertibus sapientiores esse opinamur, tamquam magis sit scire sapientiam omnia sequentem; hoc autem est quod hii quidem causam sciunt illi vero non. Expertes enim ipsum sciunt quia, sed propter quid nesciunt; hii autem propter quid et causam cognoscunt. Unde architectonicas circa quodlibet nobiliores et magis manu artificibus scire denominamus et sapientiores, quia factorum causas sciunt (illos vero, sicut quedam inanimatorum faciunt quidem, sed que faciunt incognita faciunt, ut cum ignis exurit; inanimata igitur quidem natura quadam horum unumquodque faciunt, sed manu artifices per consuetudinem), tamquam non secundum practicos esse sapientiores sint sed secundum quod rationem habent et causas cognoscunt. Et omnino scientis signum est et posse docere, et ob hoc artem magis experimento scientiam esse concipimus; possunt enim hii, hii autem docere non possunt. Amplius autem sensuum neque unum sapientiam esse ponimus; et etiam hiis singulorum cognitiones magis proprie sunt; sed propter quid de nullo dicunt, ut propter quid ignis calidus, sed quia solum calidus sit.« (»Trotzdem meinen wir, daß das Wissen und Verstehen mehr der Kunst zuzurechnen ist als der Erfahrung, und halten die Künstler für weiser als die Erfahrenen, als

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folge bei allen die Weisheit in höherem Grade nach Maßgabe des Wissens. Doch das ist deshalb so, weil die einen die Ursache kennen, die anderen aber nicht. Die Erfahrenen wissen zwar das ›Daß‹, doch das ›Weshalb‹ wissen sie nicht; jene hingegen kennen das ›Weshalb‹ und die Ursache. Daher schätzen wir auch die leitenden Künstler in jeder Hinsicht höher ein und glauben, daß sie mehr wissen und weiser sind als die Handwerker, weil sie die Ursachen dessen, was hervorgebracht wird, kennen. (Die Handwerker dagegen gleichen manchen unbelebten Dingen, die zwar etwas hervorbringen, aber nicht wissen, was sie hervorbringen – wie etwa das Feuer brennt –; wie nun die unbelebten Dinge zufolge ihrer bestimmten Natur das Einzelne hervorbringen, so die Handwerker zufolge der Gewohnheit.) Und wir glauben, daß sie nicht im Hinblick auf ihre Fähigkeit zum Handeln weiser sind, sondern weil sie über den Begriff verfügen und die Ursachen kennen. Überhaupt ist das Vermögen zu lehren ein Zeichen des Wissenden gegenüber dem Nicht-Wissenden, weshalb wir auch meinen, daß die Kunst mehr Wissenschaft sei als die Erfahrung. Denn die Künstler vermögen zu lehren, die Erfahrenen aber nicht. Weiter meinen wir, daß keine von den Sinneswahrnehmungen eine Weisheit sei, obgleich diese hauptsächlich die Kenntnisse der Einzelfälle liefern. Doch sie sagen nichts über das ›Weshalb‹ eines Dinges aus, zum Beispiel nicht, weshalb das Feuer warm ist, sondern lediglich, daß es warm ist.« In: Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., S. 18 f.). 60  Aristoteles, Physica, Translatio vetus, a. a. O., II , 8, 199a 21–25: »Maxime autem manifestum est in animalibus aliis, que neque arte neque quesitura neque deliberatura faciunt; unde dubitant quidam utrum intellectu aut quodam alio operentur araneeque et formice et huiusmodi.« (»Am augenfälligsten ist das (die Naturfinalität) bei den nicht-menschlichen Lebewesen, deren Leistungen weder auf gelerntem Können noch auf Ausprobieren noch auf Überlegung beruhen. Aus diesem Grund gibt es ja auch die Streitfrage, ob die Spinnen, die Ameisen und dergleichen ihre Leistungen einem Verstand oder sonst etwas anderem verdanken.« In: Aristoteles, Physikvorlesung, a. a. O., S. 53). 61  Gemeint ist die Nikomachische Ethik. 62  Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O. – Siehe auch:



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Charles B. Schmitt u. Dilwyn Knox, Pseudo-Aristoteles Latinus. A guide to latin works falsely attributed to Aristotle before 1500, London 1985, S. 54. 63  Das ganze fünfte Buch handelt von der Bedürfnislosigkeit des Weisen und der Selbstgenügsamkeit der Tugend. Bacon mag sich hier auf die Passage V, 106 f. beziehen; Marcus Tullius Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O., V, 106 f.: »Contempto igitur honore, contempta etiam pecunia, quid relinquitur quod extimescendum sit? Exilium, credo, quod in maxumis malis ducitur. id si propter alienam et offensam populi voluntatem malum est, quam sit ea contemnenda, [sicut a] paulo ante dictum est. sin abesse patria miserum est, plenae miserorum provinciae sunt, ex quibus admodum pauci in patriam revertuntur. ›At multantur bonis exules.« quid tum? parumne multa de toleranda paupertate dicuntur? iam vero exilium, si rerum naturam, non ignominiam nominis quaerimus, quantum tandem a perpetua peregrinatione differt? in qua aetates suas philosophi nobilissimi consumpserunt, Xenocrates, Crantor, Arcesilas, Lacydes, Aristoteles, Theophrastus, Zeno, Cleanthes, Chrysippus, Antipater, Carneades, Clitomachus, Philo, Antiochus, Panaetius, Posidonius, innumerabiles alii, qui semel egressi numquam domum reverterunt. ›at enim sine ignominia‹. [an potest exilium ignominia] adficere sapientem? de sapiente enim haec omnis oratio est, cui iure id accidere non possit; nam iure exulantem consolari non oportet.« (»Wenn man nun die Ehre und auch das Geld verachtet, was bleibt dann noch, was man fürchten müßte? Ich denke, die Verbannung, die man zu den größten Unglücken rechnet. Wenn diese ein Übel ist, weil einem der Wille des Volkes feindlich und beleidigt ist, so ist schon soeben gesagt worden, wie sehr man das verachten muß. Wenn es aber unselig ist, fern vom Vaterland zu sein, so sind die Provinzen voll von nseligen, da ja von dort nur wenige in ihr Vaterland zurückkehren. ›Aber es werden die Verbannten ihres Vermögens beraubt.‹ Und nun? Ist immer noch nicht genug über das Aushalten der Armut gesagt worden? Und die Verbannung selbst, wenn wir auf die Sache als solche und nicht die Schande des Namens achten, wie weit ist sie zu guter Letzt von einer dauernden Reise verschieden? In solchen Reisen haben die vornehmsten Philosophen ihr Leben zugebracht, Xenokrates, Krantor,

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Arkesilas, Lakydes, Aristoteles, Theophrast, Zenon, Kleanthes, Chrysippos, Antipater, Karneades, Kleitomachos, Philon, Antiochos, Panaitios, Poseidonios und unzählige andere, die, einmal ausgewandert, niemals mehr nach Hause zurückgekehrt sind. ›Aber das war ohne Schande.‹ Aber kann die Verbannung dem Weisen Schande bereiten? Denn vom Weisen ist hier die ganze Zeit die Rede, dem von Rechts wegen so etwas gar nicht geschehen kann. Wer dagegen mit Recht in der Verbannung ist, den soll man auch nicht trösten.« In: ebd., S. 395–397). 64  Marcus Tullius Cicero, De Finibus Bonorum et Malorum. Das höchste Gut und das schlimmste Übel, lat.-dt., hg. v. Alexander Kabza, München 1960, V, 4: »Cum autem tertia pars bene vivendi praecepta quaereret, ea quoque est ab isdem non solum ad privatae vitae rationem, sed etiam ad rerum publicarum rectionem relata. Omnium fere civitatum non Graeciae solum, sed etiam barbariae ab Aristoteles mores, instituta, disciplinas, a Theophrasto leges etiam cognovimus. Cumque uterque eorum docuisset, qualem in re publica principem esse conveniret, pluribus praeterea conscripsisset, qui esset optimus rei publicae status […]. Vitae autem degendae ratio maxime quidem illis placuit quieta, in contemplatione et cognitione posita rerum, quae quia deorum erat vitae simillima, sapiente visa est dignissima. Atque his de rebus et splendida est eorum et illustris oratio.« (»Den dritten Teil aber, der den Regeln für ein tugendhaftes Leben nachgeht, haben sie nicht nur auf die Lebensumstände des Privatmannes eingestellt, sondern auch auf die Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten. Von Aristoteles haben wir die Sitten, Einrichtungen und Verfassungen ungefähr aller Staaten nicht nur Griechenlands, sondern auch des Auslandes kennengelernt, von Theophrast sogar deren Gesetze. Beide haben gezeigt, welche Eigenschaften der Leiter eines Staates haben müßte. In mehreren Schriften haben sie sie beste Form der Staatsverfassung beschrieben. […] Was nun die Bewertung der Lebensführung betrifft, so gefiel ihnen am besten eine ruhige, beschauliche und der sachlichen Forschung zugewandte. Weil diese dem Leben der Götter sehr ähnlich war, schien sie ihnen die des Weisen würdigste zu sein. Ihre Ausführungen hierüber sind glänzend und anschaulich.« In: ebd., S. 345 f.). 65  Augustinus, De doctrina christiana, hg. v. Joseph Martin, Turn-



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hout 1962 (= CCSL 32), II, 40, 60, 144: »philosophi autem qui uocantur si qua forte uera et fidei nostrae accommodata dixerunt, maxime Platonici, non solum formidanda non sunt, sed ab eis etiam tamquam ab iniustis possessoribus in usum nostrum uindicanda. Sicut enim Aegyptii non tantum idola habebant et onera grauia, quae populus Israhel detestaretur et fugeret, sed etiam uasa atque ornamenta de auro et argento et uestem, quae ille populus exiens de Aegypto sibi potius tamquam ab usum meliorem clanculo uindicauit, non auctoritate propria, sed praecepto dei ipsis Aegyptiis nescienter commodantibus ea, quibus non bene utebantur, sic doctrinae omnes gentilium non solum simulata et superstitiosa figmenta grauesque sarcinas superuacanei laboris habent, quae unusquisque nostrum duce Christo de societate gentilium exiens debet abominari atque uitare, sed etiam liberales disciplinas usui ueritatis aptiores et quaedam morum praecepta utilissima continent deque ipso uno deo colendo nonnulla uera inueniuntur apud eos, quod eorum tamquam aurum et argentum, quod non ipsi instituerunt, sed de quibusdam quasi metallis diuinae prouidentiae, quae ubique infusa est, eruerunt et, quo peruerse atque iniuriose ad obsequia daemonum abutuntur, cum ab eorum misera societate sese animo separat, debet ab eis auferre christianus ad usum iustum praedicandi euangelii. uestem quoque illorum, id est, hominum quidem instituta, sed tamen accommodata humanae societati, qua in hac uita carere non possumus, accipere atque habere licuerit in usum conuertenda christianum.« (»Wenn aber diejenigen, die Philosophen genannt werden, zufällig etwas Wahres und zu unserem Glauben Passendes gesagt haben, wie besonders die Platoniker, dann darf dies nicht nur nicht gefürchtet, sondern muß sogar von diesen wie von ungerechten Besitzern für unseren Gebrauch eingefordert werden. Ebenso hatten nämlich die Ägypter nicht nur Götzenbilder und schwere Lasten, welche das Volk Israel verabscheute und floh, sondern auch Gefäße und Kostbarkeiten von Gold und Silber sowie Kleider, welche jenes Volk bei seinem Auszug aus Ägypten gleichsam für einen besseren Nutzen heimlich für sich beansprucht hat, nicht durch eigene Autorität, sondern nach dem Auftrag Gottes, während die Ägypter selbst ihnen in ihrer Unwissenheit dies überließen, was sie selbst nicht gut gebrauchten. So bestehen alle Wissenschaften der

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Heiden nicht nur aus vorgetäuschten und abergläubigen Erdichtungen und schweren Bürden von überflüssiger Mühe, die jeder einzelne von uns unter Führung Christi bei seinem Auszug aus der Gemeinschaft der Heiden verwünschen und meiden muß, sondern sie enthalten auch die sogenannten freien Künste, die für den Nutzen der Wahrheit recht geeignet sind, und einige sehr nützliche Vorschriften zur praktischen Lebensführung. Selbst über die Verehrung des einzigen Gottes findet sich bei ihnen einiges Wahre. Dies muß ein Christ, während er sich geistig von deren elenden Gesellschaft trennt, von ihnen zum gerechten Gebrauch der Verkündigung des Evangeliums wegtragen, gleichsam wie ihr Gold und Silber, das die Heiden nicht selbst eingerichtet haben, sondern sozusagen aus den Minen der alles durchdringenden göttlichen Vorsehung ans Tageslicht gebracht und auf verquere und unrechte Weise mißbraucht haben, um Dämonen zu willfahren. Auch deren Kleidung darf man annehmen und besitzen, um sie für einen christlichen Nutzen umzuwandeln, da es sich dabei zwar um etwas handelt, was wohl von Menschen eingerichtet, aber trotzdem der menschlichen Gemeinschaft angepaßt ist, ohne die wir in diesem Leben nicht auskommen können.« In: Augustinus, Die christliche Bildung, übers., komment. u. mit einem Nachwort vers. v. Karla Pollmann, Stuttgart 2002, S. 97 f.). 66  Vgl. Roger Bacon, Opus maius, a. a. O.; ders., Opus minus, in: Opera quaedam hactenus inedita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 311–390; ders., Opus tertium, in: ebd., S. 3–310. – Siehe zur Entstehungsgeschichte dieser drei Werke Bacons: Eugenio Massa, »Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium«, in: Roger Bacon in der Diskussion, hg. v. Florian Uhl, 2 Bde., Frankfurt/Main 2001/2002, Bd. 2, S. 13–100. 67  Siehe §§ 83 ff. 68  Augustinus, De doctrina christiana, a. a. O., II , XLII , 63: »Quantum autem minor est auri, argenti uestisque copia, quam de Aegypto secum ille popukus abstulit, in comparatione diuitiarum quas postea Hierosolymae consecutus est, quae maxime in salomone rege ostenduntur, tanta fit cuncta scientia, quae quidem est utilis collecta de libris gentium, si diuinarum scripturarum scientiae comparetur. Nam quic-



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quid homo extra didicerit, si noxium est, ibi damnatur; si utile est, ibi inuenitur.« (»Diese Menge an Gold, Silber und Kleidung, die jenes Volk von Ägypten mit sich weggetragen hat, ist recht unbedeutend im Vergleich zu den Reichtümern, die es später in Jerusalem erlangt hat, was sich besonders unter König Salomo zeigte. In gleichem Maße wird das gesamte Wissen, welches freilich nutzbringend den Büchern der Heiden entnommen wird, in seiner Bedeutung relativiert, wenn es mit der Kenntnis der Hl. Schrift verglichen wird. Denn was auch immer der Mensch außerhalb der Bibel gelernt hat, wird, wenn es schädlich ist, in der Bibel verurteilt, wenn es aber nützlich ist, in der Bibel gefunden.« In: Augustinus, Die christliche Bildung, a. a. O., S. 100). 69  Zum Verhältnis zwischen Roger Bacon und Albertus Magnus siehe: Jeremiah Hackett, »The Attitude of Roger Bacon to the scientia of Albertus Magnus«, in: Albertus Magnus and the Sciences, hg. v. James A. Weisheipl, Toronto 1980, S. 52–73; Franco Alessio, Introduzzione a Ruggero Bacone, Bari 1985, S. 18–22. 70  »Dacia« ist der lateinische Name der römischen Provinz Dakien im heutigen Rumänien, im Mittelalter war damit jedoch Dänemark gemeint. 71  Donat bezieht sich hier auf die grammatischen Lehrbücher von Aelius Donatus aus dem vierten Jahrhundert nach Christus, die im Mittelalter für die lateinische Grundausbildung benutzt worden sind. Es ist hier zwischen der Ars minor (Grundlagen) und Ars maior (für Fortgeschrittene) zu unterscheiden. Beide Texte liegen ediert und übersetzt vor: Axel Schönberger, Die Ars minor des Aelius Donatus: lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung einer antiken Elementargrammatik aus dem 4. Jahrhundert nach Christus, Frankfurt 2008; ders., Die Ars maior des Aelius Donatus: lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung einer antiken Lateingrammatik des 4. Jahrhunderts für den fortgeschrittenen Anfängeruntericht, Frankfurt 2009. 72  Aristoteles, Metaphysica, IX, 2, a. a. O., 1046b 7–15: »Causa vero quia ratio est scientia, et ratio eadem ostendit rem et privationem, non tamen similiter, et est amborum, est autem quasi existentis magis, quare necesse tales scientias esse quidem contrariorum, esse vero huius quidem secundum se illius vero non secundum se; et enim ra-

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tio huius quidem secundum se illius vero modo quodam secundum accidens; nam negatione et ablatione ostendit contrarium; et enim privatio prima contrarium, et ea est ablatio alterius.« (»Die Ursache davon aber liegt darin, daß die Wissenschaft Begriff ist; doch derselbe Begriff erklärt die Sache und ihre Privation, nur nicht auf dieselbe Art und Weise; so daß er in gewisser Hinsicht beiden zukommt, in gewisser Hinsicht aber mehr dem wirklich Bestehenden. Demnach ergibt sich die Notwendigkeit, daß derartige Wissenschaften Wissenschaften von Gegenteilen sind, aber doch Wissenschaften des einen Gegenteils an sich und Wissenschaften des anderen Gegenteiles nicht an sich; denn auch der Begriff ist Begriff des einen an sich, Begriff des anderen aber gewissermaßen in akzidentellem Sinne. Nur durch Verneinung und Wegnahme erklärt der Begriff das Gegenteil. Die erste Privation nämlich ist das Gegenteil, diese aber ist eine Wegnahme dessen, dessen Gegenteil sie ist.« In: Aristoteles, Metaphysik, a. a. O. S. 222 f.).  – Aristoteles, De anima, Translatio Iacobi (= Aristoteles latinus 12/1), hg. v. Josef Brams u. a., Turnhout o. J. (AL Database) 3, 427b5–8: »Eadem est scientia contrariorum«. (»[…]; dieser Satz ist entgegengesetzt dem von der Erkenntnis des Gleichen mit dem Gleichen; aber der Irrtum scheint sich wie das Wissen gleichmäßig auf die Gegensätze zu erstrecken – nun, daß Wahrnehmen und Begreifen nicht dasselbe sind, leuchtet ein.« In: Aristoteles, Über die Seele, übers. v. Willy Theiler, in: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, a. a. O., Bd. 13, Darmstadt 61983, S. 54). 73  Zur Kritik Bacons an der Predigttätigkeit des Franziskanerordens siehe: Timothy J. Johnson, »Roger Bacon’s Critique of Franciscan Preaching«, in: Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, hg. v. Franz J. Felten u. a., Köln 2009, S. 541– 548; ders., »Preaching precedes Theology: Roger Bacon on the failure of mendicant education«, in: Franciscan Studies 68, 2010, S. 83–95. 74 Robert Grosseteste (1170–1253). – Siehe: J.  McEvoy, Artikel ›Robert Grosseteste‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 7, Sp. 905–907. 75  Thomas Wallensis (gest. 1255). – Siehe: Mary Bateson, Art. ›Tho­ mas Wallensis (d. 1255)‹, rev. Marios Costambeys, in: Oxford Dictionary of National Biography, Oxford 2004; Miss Bateson, Art. ›Wallen-



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sis, Thomas‹, in: Dictionary of National Biography, Bd. 59 WakemanWatkins, hg. v. Sidney Lee, London 1899, S.121. 76  Adam v. Marsh (Ende 12. Jh.–1259). – Siehe: L. Ott, Artikel ›Adam v. Marsh‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 1, Sp. 109. 77  William Lupus (erwähnt 1245–1255). – Siehe: Lupus, William, in: Biographischer Index des Mittelalters, bearb. v. Berend Wispelwy, Bd. 2, München 2008, S. 728. 78  Wilhelm von Sherwood (zw. 1200 u. 1210–zw. 1266 u. 1272). – Siehe: J.P. Beckmann, Artikel ›Wilhelm v. Sherwood‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 9, Sp. 189. 79  Siehe § 74. 80  Vgl. Roger Bacon, Opus maius, hg. v. John H. Bridges, a. a. O., Teil III, Bd. 1, S. 66–96. – Weiterführende Literatur: S. A. Hirsch, »Roger Bacon and Philology«, in: Roger Bacon Essays, hg. v. Andrew G. Little, Oxford 1914, S. 101–152; Camille Bérubé, »Der ›Dialog‹ S. Bonaventura – Roger Bacon, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 67–136; Irene Rosier-Catach, »Roger Bacon und die Grammatik«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 101–142. 81 Vgl. Roger Bacon, ebd.,Teil IV, Bd.  1, S. 97–404. – Weiterführende Literatur: David E. Smith, »The Place of Roger Bacon in the History of Mathematics«, in: Roger Bacon Essays, a. a. O., S. 153–184; David C. Lindberg, »On the Applicability of Mathematics to Nature: Roger Bacon and his Predecessors«, in: The British Journal for the Histoy of Science 15, 1982, S. 3–25; George Molland, »Roger Bacons Mathematik-Kenntnisse«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 43–66. 82  Teil V des Opus maius. Eine sehr gute Edition und Übersetzung liegt vor: Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages. A Critical Edition and English Translation of Bacon’s Perspectiva with Introduction and Notes, hg. u. übers. v. David C. Lindberg, Oxford 1996 – Dort auch eine hervorragende Einführung zur Perspek­t ivik bei Bacon mit weiterführender Literatur. 83  Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., Kap. XII , S. 39–43; Roger Bacon, »De erroribus medicorum«, in: ders., De retardatione de accidentibus senectutis. Cum aliis opusculis de rebus medicinalibus, hg. v. Andrew G Little u. E. Withington, Oxford 1928, S. 150–180;

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[Pseudo?-]Roger Bacon, »Epistola Fratris Rogerii Baconis de secretis operibus artis et naturae, et de nullitate magiae«, in: ders., Opera quaedam hactenus inedita, a. a. O., S. 521–551. – Vgl. zur Rolle der Alchemie bei Bacon: William R. Newman, »The Alchemy of Roger Bacon and the tres epistolae attributed to him, in: Comprendre et maitriser la nature au Moyen Age, Genf 1994, S. 461–479; ders.; »The Philosopher’s Egg: Theory and Practice in the Alchemy of Roger Bacon«, in: Micrologus 3, 1995, S. 75–101; ders., »An Overview of Roger Bacon’s Alchemy«, in: Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays, hg. v. Jeremiah Hackett, Leiden/New York/Köln 1997, S. 317–336. – Es ist auffällig, dass Bacon hier die Alchemie gesondert anführt, da sie in seinem Hauptwerk (Opus maius) nur kurz als Teil der Erfahrungswissenschaft (scientia experimentalis) erwähnt wird (vgl. Opus maius, a. a. O., VI, 12, Bd. 2, S. 214 f.). Im Opus maius bildet die Moralphilosophie (moralis philosophia) die siebente Wissenschaft (Vgl. Opus maius, a. a. O., VII, S. 223–404). 84  Vgl. Roger Bacon, Opus maius, hg. v. John H. Bridges, a. a. O., Teil VI, Bd. 2, S. 167–222. 85 Sophronius Eusebius Hieronymus, Hebraice quaestiones in Libro Geneseos, hg. v. Paul de Lagarde, Turnhout 1959 (= CCSL 72), 32, 29: »Quomodo enim ego princeps sum, sic et tu, qui mecum luctari potuisti, princeps uocaberis. Si autem mecum, qui deus sum siue angelus (quoniam plerique uarie interpretantur) pugnare potuisti, quanto magis cum hominibus, hoc est cum Esau, quem formidare non debes. Illud autem, quod in libro nominum interpretatur Israhel uir uidens deum siue mens uidens deum, omnium paene sermone detritum, non tam uere quam uiolenter mihi interpretatum uidetur. Hic enim Israhel per has literas scribitur, iod sin res aleph lamed, quod interpretatur princeps dei siue directus dei, hoc est ἐυϑύτατος ϑεοὖ. Vir uero uidens deum his literis scribitur, ut uir ex tribus literis scribatur, aleph iod sin, ut dicatur eis, uidens ex tribus, res aleph he, et dicatur raha. Porro el ex duabus, aleph et lamed, et interpretetur deus siue fortis. Quamuis igitur grandis auctoritatis sint et eloquentiae ipsorum umbra nos opprimat, qui Israhel uirum siue mentem uidentem deum transtulerunt, nos magis scripturae et angeli uel dei, qui Israhel ipsum uocauit, auctoritate ducimur, quam cuiuslibet elo-



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quentiae saecularis«. (»Da ich ein Fürst bin, sollst auch du, der du mit mir kämpfen konntest, ein Fürst genannt werden. Denn da du mit mir, der ich Gott oder ein Engel bin (dies wird von vielen Menschen unterschiedlich interpretiert) kämpfen konntest, wie viel mehr dann erst mit einem Menschen wie Esau, den du nicht fürchten darfst? Die Äußerung im Buch der Namen, die den Namen ›Israhel‹ als ›Mann, der Gott sieht‹ oder als ›Geist, der Gott sieht‹ erklärt, scheint mir nicht der Wahrheit zu entsprechen, sondern nur eine sehr gezwungene Erläuterung zu sein, auch wenn sie freilich in aller Munde ist. Denn ›Israhel‹ wird an dieser Stelle mit den Buchstaben iod, sin, res, aleph und lamed geschrieben, was eigentlich ›Fürst Gottes‹ oder ›gerichtet auf Gott‹ bedeutet, also ἐυϑύτατος ϑεοὖ. Doch ›Mann, der Gott sieht‹ wird mit diesen Buchstaben geschrieben: ›Mann‹ wird mit den drei Buchstaben aleph, iod und sin geschrieben (daher wird es eis ausgesprochen). Und ›sehend‹ mit den drei Buchstaben res, aleph und he. Es wird daher raha ausgesprochen. Die letzte Silbe el wird mit zwei Buchstaben, aleph und lamed, geschrieben und bedeutet ›Gott‹ oder auch ›stark‹. Auch wenn uns das Gewicht jener Männer, die ›Israhel‹ mit ›Mann, der Gott sieht‹ oder mit ›Geist, der Gott sieht‹ übersetzen, aufgrund ihrer großen Autorität und Beredsamkeit bedrücken mag, lassen wir uns doch lieber durch die Autorität der Schrift, der Engel und Gottes führen als durch irgendeine weltliche Beredsamkeit.« [Übers. N. E.]). 86  Flavius Josephus, Antiquitatum Iudicarum Libri I–V, in: Flavii Iosephi Opera, Bd. 1, hg. u. komm. v. Benedikt Niese, Berlin 1887, I, 20, 2: »Ταῦτα συνθεὶς διὰ πάσης τῆς ἡμέρας νυκτὸς ἐπιγενομένης ἐκίνει τοὺς σὺν αὑτῷ: καὶ χειμάρρουν τινὰ Ἰάβακχον λεγόμενον διαβεβηκότων Ἰάκωβος ὑπολελειμμένος φαντάσματι συντυχὼν διεπάλαιεν ἐκείνου προκατάρχοντος τῆς μάχης ἐκράτει τε τοῦ φαντάσματος, ὃ δὴ καὶ φωνῇ χρῆται καὶ λόγοις πρὸς αὐτὸν χαίρειν τε τοῖς γεγενημένοις παραινοῦν καὶ μὴ μικρὸν κρατεῖν ὑπολαμβάνειν, ἀλλὰ θεῖον ἄγγελον νενικηκέναι καὶ σημεῖον ἡγεῖσθαι τοῦτο μεγάλων ἀγαθῶν ἐσομένων καὶ τοῦ μηδέποτε τὸ γένος ἐκλείψειν αὐτοῦ, μηδὲ ὑπέρτερον ἀνθρώπων τινὰ τῆς ἰσχύος ἔσεσθαι τῆς ἐκείνου. ἐκέλευσέ τε καλεῖν αὐτὸν Ἰσραῆλον, σημαίνει δὲ τοῦτο κατὰ τὴν Ἑβραίων γλῶτταν τὸν ἀντιστάτην ἀγγέλῳ θεοῦ.« (»Nachdem unter diesen Anordnungen der Tag verstrichen,

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setzte sich gegen die Nacht hin der Zug in Bewegung. Als aber die Leute den Gießbach Jabakchus überschritten hatten, blieb Jakob etwas zurück und stieß auf ein Gesicht, gegen welches er ankämpfte und Sieger blieb. Dieses redete ihn darauf an und ermahnte ihn, er solle nicht glauben, gegen etwas Kleines gekämpft zu haben, sondern er habe einen Engel Gottes besiegt. Das sei ihm ein Vorzeichen großen Glückes, und sein Geschlecht werde nicht erlöschen, noch ein Sterb­ licher es überwinden. Auch befahl ihm der Engel, er solle sich von jetzt an Israel nennen, das heißt in hebräischer Sprache ›Bekämpfer des Engels Gottes.‹« In: Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, übers. u. eingel. v. Heinrich Clementz, Wiesbaden 32011, I, 20, 2). 87  Genesis 32, 28: »at ille nequaquam inquit Iacob appellabitur nomen tuum sed Israhel quoniam si contra Deum fortis fuisti quanto magis contra homines praevalebis.« 88  Beda Venerabilis, Explanatio apocalypsis, in: Opera Omnia (= PL 93), Paris 1862, XIII, 172: »Hic numerus apud Graecos in nomine Titanis, id est, gigantis, dicitur inveniri, hoc modo. T enim CCC, E V, I X, T CCC, A I, N L . Et hoc sibi nomen Antichristus, quasi omnibus potentia antecellat, usurpatum ire putatur, et ipsum se esse jactans de quo scriptum est: Exsultavit ut gigas ad currendam viam, a summo caelo egressio ejus, etc. (Psal. XVIII). Ponit autem Primasius et aliud nomen, eumdem numerum complectens, A I, N L, T CCC, E V, M XL, O LXX, Σ CC , quod significat honori contrarium. Sed et verbum A I, P C, N L, O LXX, Υ CCCC, M XL, E V, id est, nego.« (»Es wird gesagt, dass man diese Zahl bei den Griechen im Namen des ›Titan‹ finden kann, was soviel bedeutet wie ›Gigant‹, und zwar auf die folgende Weise: T 300, E fünf, I zehn, T 300, A eins, N 50. Man glaubt, dass der Antichrist diesen Namen annehmen wird, so als würde er alle an Macht übertreffen. Und er wird damit prahlen, dass er der sei, von dem geschrieben steht:‹. ›Er frohlockt wie ein Held und läuft seine Bahn. Am einen Ende des Himmels geht er auf‹ [Psalmen IXX] usw. Primasius erwähnt noch einen anderen Namen, der dieselbe Zahl enthält: A eins, N 50, T 300, E fünf, M 40, O 70, Σ 200. Das bedeutet ›der Ehre entgegengesetzt‹. Daneben gibt es noch ein weiteres Wort, A eins, P 100, N 50, O 70, Y 400, M 40, E fünf. Das bedeutet ›ich verneine‹. [Übers. N. E.]). 89  An dieser Stelle ist das Wort τειτὰν auch im Manuskript in grie-



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chischen Buchstaben geschrieben. – Für diesen Hinweis danke ich Herrn Thomas Maloney. 90  Hieronymus, Prologus hieronymi in Danihele propheta, in: Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, a. a. O., S. 1341: »Sciendum quippe Danihelem maxime et Ezram hebraicis quidem litteris, sed chaldaico sermone conscriptos, et unam Hieremiae pericopen, Iob quoque cum arabica lingua habere plurimam societatem«. (»Freilich muss man wissen, dass vor allem Daniel, aber auch das Buch Esra, zwar in hebräischen Buchstaben bekannt sind, doch sie sind in chaldäischer Sprache abgefasst worden. Und ein Abschnitt aus Jeremias und Hiob haben eine große Ähnlichkeit mit der arabischen Sprache.« [Übers. N. E.]). 91  Wilhelmus Briton OFM , mlat. Autor aus dem Frankreich des 13. Jahrhunderts, bekannt durch sein umfangreiches Glossar, die »Expositiones vocabulorum bibliae«, in dem ungefähr 2500 Wörter der Bibel glossiert wurden. Dieser Text, der in 130 Handschriften überliefert ist, ist auch unter dem Titel »Summa Britonis« bekannt. – Vgl. A.  Grondeux, Art. ›Wilhelmus Brito‹, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977–1999, Bd. 9, Sp. 201–202. 92  Jeremias 10, 11: »sic ergo dicetis eis dii qui caelos et terram non fecerunt pereant de terra et de his quae sub caelis sunt.« 93  Augustinus, Retractationum libri II, hg. v. Almut Mutzenbecher, Turnhout 1984 (= CCSL 57), I, 1, S. 5: »Iam diu est ut facere cogito atque dispono, quod nunc adiuuante domino adgredior, quia differendum esse non arbitror, ut opuscula mea, siue in libris siue in epistulis siue in tractatibus, cum quadam iudiciaria seueritate recenseam, et quod me offendit uelut censorio stilo denotem.« (»Lange schon habe ich den Plan überlegt, den ich nun mit der Hilfe des Herrn in Angriff nehme, da ich meine, ihn nicht länger aufschieben zu dürfen: Ich will meine Werke, Bücher, Briefe und Abhandlungen mit einer Art richterlicher Strenge durchsehen und, woran ich Anstoß nehme, gleichsam mit dem Griffel eines Zensors anmerken.« In: Augustinus, Die Retractationen in zwei Büchern, lat.-dt., hg. u. übers. v. Carl Johann Perl, Paderborn 1976, S. 3). 94  Priscian, Institutionum grammaticarum, hg. v. Martin Hertzius, Hildesheim/New York 1981 [Nachruck Leipzig 1855], Prooemium,

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3: »Nihil enim ex omni parte perfectum in humanis inventionibus esse posse credo.« (»Denn ich denke nicht, dass es in den menschlichen Hervorbringungen etwas absolut vollkommenes geben kann.« [Übers. N. E.]). – Siehe auch: Sedulius Scotus, In Priscianum, in: Grammatici hibernici Carolini aevi, Pars III, 2, hg. v. Bengt Löfstedt, Turnhout 1977 (= CCCM XL C), S. 62, Z. 53 ff.: »Possumus tamen exemplum intelligere illam orationem, quam ipse consequenter subinfert dicens: NIHIL ENIM EX OMNI PARTE PERFECTUM IN HUMANIS INVENTIONIBUS ESSE POSSE .« (»Wir können dennoch das Beispiel aus jener Rede anführen, in der er es selbst näher ausführt, indem er sagt: »In den menschlichen Hervorbringungen kann es nichts absolut vollkommenes geben.« [Übers. N. E.]). 95  Seneca, De Beneficiis. Über die Wohltaten, in: ders., Philosophische Schriften, a. a. O., Bd. 5, VII, I, 5: »non multum tibi nocebit transisse, quae nec licet scire nec prodest. Inuoluta veritas in alto latet.« (»Nicht viel wird es Dir schaden, an dem vorbeigegangen zu sein, was zu wissen weder möglich ist noch nützt. In Dunkel gehüllt, ist die Wahrheit in der Tiefe verborgen.« In: ebd., S. 527). 96  Siehe Anm. 35. 97  Aristoteles, Ethica Nicomachea. Translatio Roberti Grosseteste Lincolniensis, hg. v. Renatus Antonius Gauthier, Leiden 1973 (Aristoteles Latinus 26/1–3), II, 6, 06b 29–06b 36: »Adhuc peccare quidem multis modis dicitur. Malum enim infiniti, ut Pytagorici existimaverunt, bonum autem finiti, dirigere autem uno modo. Ideoque hoc quidem facile, hoc autem difficile; facile quidem non contingere signum, difficile autem contingere. Et propter hoc malicie quidem superhabundancia et defectus, virtutis autem medietas. Boni quidem enim sempliciter, multifarie autem mali.« (»Weiter: fehlen kann man auf vielfache Weise, gehört doch das Schlechte, wie schon die Pythagoreer vermuteten, auf die Seite des Unbegrenzten, das Gute auf die des Begrenzten – das Richtige dagegen kann man nur auf eine einzige Weise treffen, weshalb denn auch das eine leicht, das andere schwer ist: leicht ist es, das Ziel zu verfehlen, schwer, es zu treffen. Auch aus diesem Grunde ist also das Zuviel und das Zuwenig der sittlichen Minderwertigkeit, dagegen die Mitte der sittlichen Tüchtigkeit zugeordnet. ›Edle sind einfacher Art, hundertfach schillert das Böse‹.« In:



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Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. u. komment. v. Franz Dirlmeier, in: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, begr. v. Ernst Grumach, hrsg. v. Hellmut Flashar, Bd. 6, Berlin 91991, 1106b, S. 36 f.). 98  Seneca, Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen, a. a. O., 7, 25, 3–5: »Nondum sunt anni mille quingenti ex quo Graecia ›stellis numeros et nomina fecit‹; multaeque hodie sunt gentes quae tantum noverunt caelum, quae nondum sciunt cur luna deficiat, quare obumbretur. Haec apud nos quoque nuper ratio ad certum perduxit. Veniet tempus quo istae quae nunc latent in lucem dies extrahat et longioris aevi diligentia. Ad inquisitionem tantorum aetas una non sufficit, ut tota caelo vacet; quid quod tam paucos annos inter studia ac vitia non aequa portione dividimus? Itaque per successiones ista longa longas explicabuntur. Veniet tempus quo posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur.« (»Es sind noch keine 1500 Jahre her, seit Griechendland ›die Sterne zählte und ihnen Namen gab‹. Auch heutzutage gibt es noch manche Völker, die den Himmel nur kennen, soweit sie ihn sehen, die noch nicht wissen, warum der Mond sich verfinstert und in Schatten gehüllt wird. Auch bei uns hat die Wissenschaft erst vor kurzem Gewißheit darüber verschafft. Dennoch wird eine Zeit kommen, da nach gewissenhafter, jahrhundertelanger Forschung eines Tages das jetzt Verborgene ans Licht gezogen wird. Ein Menschenleben reicht nicht zu einem so umfangreichen Unternehmen aus, selbst nicht, wenn man sich ausschließlich dem Studium des Himmels widmen würde. In Wirklichkeit verteilen wir die wenigen Jahre, die uns gegeben sind, nicht einmal zu gleichen Teilen zwischen Studium und Zeitverschwendung. Daher werden diese Probleme erst nach einer langen Folge von Generationen gelöst werden. Es kommt aber der Tag, an dem unsere Nachkommen sich wundern werden, daß wir so handgreifliche Tatsachen nicht gewußt haben.« In: ebd., S. 454 f.). 99  Gregor der Große, Moralia in Job Libri XXIII–XXXV, hg. v. Marcus Adriaen, Turnhout 1985 (= CCSL 143 B), 35, 17, 43: »Haec nomina, pro eo quod a uirtutibus sumpta sunt, apte curauit interpres non ea sicut in arabico sermone inuenta sunt ponere, sed in latinum eloquium uersa apertius demonstrare. Quis enim nesciat diem uel casiam latina esse uocabula? At uero in cornustibii, – quamuis non

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cornus, sed cornu dicitur, nec cantantium fistula tibium, sed tibia uocatur; – in latina tamen lingua sermonis genere minime custodito, rem, credo, prodere maluit, atque in eius linguae de qua transferebat proprietate perdurare. Vel quia per cornu et tibiam unum uerbum ex utroque composuit, utrumque uerbum per unam orationis partem in latina lingua transfusum quo uoluit genere licite uocauit. Quid est ergo quod prima filia beati iob dies dicitur, secunda casia, tertia uero cornustibii uocata memoratur, nisi quia uniuersum genus humanum, quod benignitate conditoris atque eiusdem misericordia redemptoris eligitur, istis nominibus designatur?«. (»Weil diese Bezeichnungen von Tugenden abgeleitet werden, hat sich der Übersetzer sehr richtig darum bemüht, sie nicht in der arabischen Sprache einzufügen, sondern ihre Bedeutung viel zugänglicher zu zeigen, indem er sie in die lateinische Sprache übersetzt hat. Denn wer weiß nicht, dass ›dies‹ [Tag] und ›casia‹ [Zimt] lateinische Wörter sind? Doch im Fall von ›cornustibii‹ – auch wenn es nicht ›cornus‹, sondern ›cornu‹ heißen muss und auch wenn die Flöte nicht ›tibium‹ sondern ›tibia‹ genannt wird – denke ich, dass [der Übersetzer] es vorgezogen hat, das richtige Geschlecht im Lateinischen zu ignorieren und dafür die Eigenheiten der Sprache, aus der er übersetzt hat, beizubehalten. Vielleicht [hat der Übersetzer es hier auch deshalb so gemacht], weil er ein Wort aus diesen beiden (›cornu‹ und ›tibia‹) zusammengesetzt hat. Dabei [hat er sich vielleicht] die Freiheit genommen, die beiden Wörter in einem Geschlecht zu übernehmen, das ihm gefallen hat, weil sie in der lateinischen Übersetzung einen zusammenhängenden Teil des Satzes bilden.« [Übers. N. E.]). 100  2. Könige 9, 30: »venit Hieu Hiezrahel porro Hiezabel introitu eius audito depinxit oculos suos stibio et ornavit caput suum et respexit per fenestram.« (»Und als Jehu nach Jesreel kam und Isebel das erfuhr, schminkte sie ihr Angesicht und schmückte ihr Haupt und schaute zum Fenster hinaus.«) 101  Vergil, Aeneis, a. a. O., IV, Z. 569 f.: »›heia age, rumpe moras! Varium et mutabile semper / femina.‹ sic fatus nocti se inmiscuit atrae.« (»›Auf denn, ohne Verzug! Ein buntveränderlich Etwas / bleibt das Weib!‹ So sprach er und tauchte in nächtliches Dunkel.« In: ebd., S. 165).



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Ein Instrument mit zehn Saiten. In der Mythologie die Töchter des Atlas und die Schwestern der Plejaden; sieben, das Haupt des Stiers bildende Sterne. 104  Das Buch Lehre vom Satz von Aristoteles. – Siehe: Aristoteles, De interpretatione vel peri ermenias. Translatio Boethii, specimina translationum recentiorum, translatio Guillelmi de Moerbeka (= Aristoteles Latinus, Bd. II.1–2), hg. v Lorenzo Minio-Paluello und Gérard Verbeke, Paris 1965; Lehre vom Satz (Peri hermeneias), in: Philosophische Schriften, 5. Bde., Hamburg 1995, Bd. 1, 16a–24b. 105  Vgl. Richter 11, 33. 106  Vgl. 2 Könige 15, 29. 107  Apostelgeschichte 1, 23: »et statuerunt duos Ioseph qui vocabatur Barsabban qui cognominatus est Iustus et Matthiam.« (»Und sie stellten zwei auf: Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias«). 108  Kolosser 4, 11: »et Iesus qui dicitur Iustus qui sunt ex circumcisione hii soli sunt adiutores in regno Dei qui mihi fuerunt solacio.« (»und Jesus mit dem Beinamen Justus. Von den Juden sind diese allein meine Mitarbeiter am Reich Gottes, und sie sind mir ein Trost geworden.«). 109  Apostelgeschichte, 13, 1: »erant autem in ecclesia quae erat Antiochiae prophetae et doctores in quibus Barnabas et Symeon qui vocabatur Niger et Lucius Cyrenensis et Manaen qui erat Herodis tetrarchae conlactaneus et Saulus.« (»Es waren aber in Antiochia in der Gemeinde Propheten und Lehrer, nämlich Barnabas und Simeon, genannt Niger, und Luzius von Kyrene und Manaën, der mit dem Landesfürsten Herodes erzogen worden war, und Saulus.«) 110  Hieronymus, Commentariorum in Esaiam Libri, hg. v. Marcus Adriaen, (= CCSL 73), Turnhout 1963, S. 71: »Vae qui consurgitis mane ad ebrietatem sectandam et potandum usque ad uesperam, ut uino aestuetis. Cithara et lyra, tympanum et tibia, uinum in conuiuiis uestris; et opus Domini non respicitis, nec opera manuum eius consideratis. Pro ebrietate, quam Aquila est interpretatus et Symmachus, LXX ipsum Hebraicum posuerunt siceram quod omnem significat potionem, quae inebriare potest et statum mentis euertere.« (»›Weh denen, die des Morgens früh auf sind, des Saufens sich zu fleißigen, 103 

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und sitzen bis in die Nacht, daß sie der Wein erhitzt, und haben Harfen, Psalter, Pauken, Pfeifen und Wein in ihrem Wohlleben und sehen nicht auf das Werk des HERRN und schauen nicht auf das Geschäft seiner Hände.‹ [Jes. 5, 11–12] Für das Wort ›Trunkenheit‹, das Aquila und Symmachus so übersetzt haben, haben die siebzig hebräischen Übersetzer das Wort ›sicera‹ gewählt, das jede Art von Getränk beschreibt, welches betrunken machen und den Zustand des Geistes verändern kann.« [Übers. N. E.]) 111  Hugutio von Pisa (Huguccio), Summa Decretorum, hg. v. Oldrich Prerovsky, Vatikan 2006, D. VIIII, c. 6, Z. 16 ff. (S. 149): »Hic innuetur quod correctiora sint exemplaria greca et hebrea quam latina, cum hic dicatur esse recurrendum ad ea, si in latinis aliquod mendacium reperiatur. Set Ieronymus in secundo prologo bibliothece uidetur contrarium dicere. Ait enim: ›emendatiora sunt exemplaria latina quam greca et greca quam hebraica‹. Sed Augustinus respicit ad primitiua tempora ecclesie, quando exemplaria greca et hebrea erant incorrupta. Set procedente tempore cum populus christianus multum esset auctus et hereses multe essent facte inter Grecos inuidia christianorum, Iudei et Greci sua exemplaria corruperunt et sic factum est quod exemplaria illorum magis corrupta sunt quam latinorum; ad quod tempus respicit Ieronymus. Vel Ieronymus respicit ad latina exemplaria translata a fidelibus interpretibus, Augustinus uero respicit ad latina exemplaria translata ab interpretibus infidelibus et falsatoribus in quibus, si quid falsitatis uideatur, dicit eundum esse ad originalia. Vel dico quod in hoc magis credendum est Ieronymo quam Augustino, nam inter istos tres, scilicet Augustinum, Ieronymum, Gregorium, preponitur Augustinus in disputationibus, Ieronymus in historicis et translationibus, Gregorius in moralibus.« (»Dies will heißen, dass man – wie gesagt – auf die griechischen und hebräischen Handschriften zurückgehen sollte, wenn diese richtiger sind als die lateinischen, falls man in den lateinischen Handschriften irgendeine Lüge finden sollte. Doch es scheint so, als würde Hieronymus im zweiten Prolog zur Bibel etwas anderes sagen. Er sagt nämlich: ›Die lateinischen Handschriften sind richtiger als die griechischen und die griechischen Handschriften sind richtiger als die hebräischen.‹ Augustinus schaut eher auf die frühe Zeit der Kirche, als die grie-



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chischen und hebräischen Handschriften noch korrekt waren. Doch in den folgenden Zeiten vergrößerte sich die christliche Bevölkerung und bei den Griechen traten aus Neid auf die Christen viele Irrlehren auf. Daher haben die Griechen und die Hebräer ihre Handschriften zusehends verschlechtert, weshalb ihre Exemplare mittlerweile schlechter waren als die der Lateiner. Und auf diese Zeit bezieht sich Hieronymus. Oder Hieronymus bezieht sich hier auf die lateinischen Handschriften, die von gläubigen Übersetzern angefertigt worden sind, wogegen Augustinus eher auf die lateinischen Handschriften schaut, die von ungläubigen Übersetzern und Verfälschern angefertigt worden sind. Daher meint Augustinus, dass man auf die Originale zurückgehen muss, wenn einem etwas [an der Übersetzung] falsch zu sein scheint. Doch ich sage, dass man eher Hieronymus als Augustinus glauben muss, denn bei den dreien – also bei Augustinus, Hieronymus und Gregor [dem Großen] – zeichnet sich Augustinus in der Erörterung besonders aus, Hieronymus in der Geschichtsschreibung und den Übersetzungen, Gregor [der Große] hingegen in den moralischen Fragen.« [Übers. N. E.]). 112  Hieronymus, Prologus in Pentateucho, in: Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, hg. v. Robert Weber, Stuttgart 52007, S. 3, 42– 45: »Quid livore torqueris? Quid inperitorum animos contra me concitas? Sicubi tibi in translatione videor errare, interroga Hebraeos, diversarum urbium magistros consule: quod illi habent de Christo, tui codices non habent. Aliud est, si contra se postea ab Apostolis usurpata testimonia probaverunt, et emendatiora sunt exemplaria latina quam graeca quam hebraea!«. (»Warum wirst du von solcher Missgunst getrieben? Warum stachelst du einen Haufen unerfahrener Menschen gegen mich an? Wenn ich dir irgendwo bei meiner Übersetzung zu irren scheine, frag die Hebräer, erkundige dich bei ihren Lehrern in den verschiedenen Städten! Denn was bei ihnen über Christus geschrieben steht, wird sich in deinen Handschriften nicht finden. Es ist doch etwas ganz anderes, wenn danach die gegen sie gerichteten Zeugnisse, welche die Apostel gutgeheißen hatten, geändert worden sind, und nun die lateinischen Exemplare richtiger sind als die griechischen, und die griechischen als die hebräischen!« [Übers. N. E.]).

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Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, hg. v. Enzo Cecchini u. a., Florenz 2004, D 78, 3: »Item a doceo hoc dogma -tis, idest doctrina, vel iteratio doctrine, vel placitum, vel consensio, vel consolatio […].« (»Von doceo [ich lehre] kommt auch das Wort ›dogma -tis‹ [Lehrsatz], das heißt ›Lehre‹ oder ›die lehrhafte Wiederholung‹ oder ›Lehrsätze‹ oder ›Einverständnis‹ oder auch ›Trost‹ […].« [Übers. N. E.]. 114 Hieronymus, Liber quaestionum hebraicarum in Genesim, a. a.O, 17, 15: »nemo autem in altera lingua quempiam uocans, ἐτυμολογίαν uocabuli sumit ex altera.« (»Denn niemand, der ein Wort in irgendeiner Sprache benutzt, leitet die Etymologie [dieses Wortes] aus einer anderen ab.« [Übers. N. E.]). 115  Maurus Servius Honoratius, In Vergilii carmina commentarii, in: Vergilii Georgicon libros commentarius, in: Servii Grammatici qui feruntur In Vergilii Bucolica et Georgica Comentarii, hg. v. Georg Thilo, Leipzig 1887, II, 4.: »Lenaeus autem ἀπὸ τῆς ληνοῦ dicitur, id est a lacu: nam quod Donatus dicit ab eo, quod mentem deleniat, non procedit; nec enim potest Graecum nomen Latinam etymologiam recipere.« (»Lenaeus [Bacchus] wird von ἀπὸ τῆς ληνοῦ her so genannt, das heißt von [dem Wort] ›See‹: Denn wenn Donatus sagt, es käme von ›das Gemüt besänftigen‹, führt das nicht sehr weit, da ein griechischer Name keine lateinische Etymologie haben kann.« [Übers. N. E.]). 116 Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, a. a. O., A 160: »AMEN idest vere, vel fideliter, vel sic fiat et est compositum ab a, quod est sine, et mene, quod est defectio; et est hebreum.« (»AMEN bedeutet ›wahrhaftig‹ oder ›treu‹ oder ›so geschehe es‹. Es wird zusammengesetzt aus a, was ›ohne‹ bedeutet und mene, was soviel heißt wie ›Mangel‹. Es ist ein hebräisches Wort.« [Übers. N. E.]). 117  Ebd., P 19, 25: »et cum cena, et dicitur parasceve, idest preparatio cene […].« (»Es kommt von ›Essen« und wird ›parasceve‹ genannt, also die ›Vorbereitung des Essens‹«. [Übers. N. E.]) Papias, Papias vocabulista, [Elementarium doctrinae erudimentum], hg. v. B. Mombricio, Venedig 1496 [Neudruck Turin 1966], S. 246: »Parasceue graece coena pura idest praeparatio quae sit in sabbato.« (»›Parasceue‹, griechisch. Bedeutet ›reines Essen‹, also die Vorbereitung am Sabbat.« [Übers. N. E.]). 118  Guillelmus Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis ex-



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positiones vocabulorum Biblie, 2 Bde., hg. v. Lloyd W. Daly u. Bernardine A. Daly, Padua 1975, Bd. 1, S. 191: »DEUS ethimologizatur quasi dans eternam vitam suis vel solus. Et dicitur a theos grece, quod significat metum, et inde, mutata o in u et d posita pro th, dicitur deus quia metuendus est omnibus.« (»DEUS wird abgeleitet von ›den Seinen das ewige Leben gebend‹ oder von ›allein‹. Es kommt von dem griechischen Wort ›theos‹, welches die ›Furcht‹ bezeichnet. Daher wird er, nachdem sich das o in u und das th in d umgewandelt hat, ›deus‹ genannt, weil alle ihn fürchten müssen.« [Übers. N. E.]). 119  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., I, 26: »Inter c sine aspiratione et cum aspiratione est g, inter t quoque et th est d et inter p et ph sive f est b. sunt igitur hae tres, hoc est b g d, mediae, quae nec penitus carent aspiratione nec eam plenam possident. hoc autem ostendit etiam ipsius palati pulsus et linguae vel labrorum consimilis quidem in ternis, in p et ph vel f et b et rursus in c et ch et g, similiter in t et th et d. […] tanta autem est cognatio earum, quod invicem inveniuntur pro se positae in quibusdam dictionibus, ut ›ambo‹ pro ›ἄμφω‹, ›buxus‹ pro ›πύξος‹ et ›publicus‹ pro ›puplicus‹, ›triumphus‹ pro ›θρίαμβος‹, ›gubernator‹ ›κυβερνήτης‹, ›gobio‹ ›κωβιός‹, ›Caere‹ ἀπὸ τοῦ ›χαῖρε‹, ›puniceus‹ ›φοινίκεος‹, ›deus‹ ›θεός‹, ›purpureum‹ ›πορφύρεον‹«. (»Zwischen dem c ohne Aspiration und mit Aspiration ist [der Buchstabe] g, ebenso ist zwischen t und th [der Buchstabe] d und zwischen p und ph oder f ist b. Diese drei Buchstaben b, g und d sind also mittlere [Verschlusslaute], die weder jeder Behauchung entbehren, noch sie vollkommen besitzen. Dies zeigt sich daran, dass alle drei in ähnlicher Weise durch den Gaumen, die Zunge oder die Lippen gebildet werden, also bei p und ph oder f und b und so auch bei c und ch und g und bei t und th und d. […] Ihre Verwandschaft ist so groß, dass man sie in einigen Wörtern füreinander ausgetauscht hat, so sagt man zum Beispiel ›ambo‹ [beide zusammen] für ›ἄμφω‹, ›buxus‹ [Buchsbaum] für ›πύξος‹ und ›publicus‹ [öffentlich] für ›puplicus‹, ›triumphus‹ [Triumph] für ›θρίαμβος‹, ›gubernator‹ [Steuermann] für ›κυβερνήτης‹, ›gobio‹ [Gründling] für ›κωβιός‹, ›Caere‹ [Stadt in Etrurien] für ἀπὸ τοῦ ›χαῖρε‹, ›puniceus‹ [punisch] für ›φοινίκεος‹, ›deus‹ [Gott] für ›θεός‹ und ›purpureum‹ [purpurn] für ›πορφύρεον‹.« [Übers. N. E.]).

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Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O.,I, 35: »et pleraque, quae apud Graecos nominativum in ος terminant, o in u convertunt apud nos, ut ›Κυρος Cyrus‹, ›σπονδεῖος spondeus‹, ›Κύπρος Cyprus‹, ›πέλαγος pelagus‹«. (»Und bei den meisten [Wörtern], die bei den Griechen im Nominativ auf -ος enden, wird bei uns das o in ein u umgewandelt, wie zum Beispiel bei ›Κυρος Cyrus‹, ›σπονδεῖος spondeus‹, ›Κύπρος Cyprus‹, ›πέλαγος pelagus‹«.) 121  Hieronymus, Liber quaestionum hebraicarum in Genesim, a. a. O., 17, 15: »Et dixit deus ad Abraham: Sarai uxorem tuam non uocabis eam Sarai, sed Sara erit nomen eius. Errant qui putant primum Saram per unum R scriptam fuisse et postea ei alterum R additum et, quia R apud Graecos centenarius numerus est, multas super nomine eius ineptias suspicantur: cum utique, utcumque uolunt ei vocabulum commutatum, non graecam, sed hebream debeat habere rationem, cum ipsum nomen hebraicum sit«. (»Und Gott sprach zu Abraham: Du sollst dein Weib Sarai nicht mehr Sarai heißen, sondern Sara soll ihr Name sein. Hier irren sich diejenigen, die glauben, dass der Name ›Sara‹ zuerst mit einem R geschrieben worden sei, zu dem danach ein weiteres R hinzugefügt worden sei. Und weil R bei den Griechen die Zahl einhundert repräsentiert, vermuten sie viele absurde Dinge über ihren Namen. Aber es tut nichts zur Sache, in welcher Weise [solche Leute] behaupten, dass ihr Name verändert worden sei, weil [der Name] eine hebräische und keine griechische Erklärung haben muss, da der Name schließlich hebräisch ist.« [Übers. N. E.]). 122  Ich habe hier ›nomen‹ für ›nemo‹ gesetzt, weil ›nemo‹ (so bei Brewer) keinen Sinn ergibt. 123  Servius, In Vergilii Georgicon libros commentaris, a. a. O., II , 4 (Siehe Anm. 115). 124  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O.,Bd. 1, S. 191 (siehe Anm. 118). 125  Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, a. a. O., T 72, 1: »THEOS grece, latine dicitur deus: theos tamen apud Graecos timor dicitur, unde Deus dicitur theos, quia timor sit omnibus colentibus eum.« (»THEOS ist griechisch, auf Latein sagt man ›deus‹ [Gott]. Theos kommt bei den Griechen von ›Furcht‹, daher sagt man ›deus‹



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für ›theos‹, weil er von allen, die ihn verehren, gefürchtet werden muss.« [Übers. N. E.]). 126  Papias vocabulista, a. a. O., S. 91: »Deus hebraice. latine dicitur timor quia ab omnibus timeatur. graece theos. […].« (»›Deus‹ ist hebräisch. Das heißt auf Latein ›Furcht‹, weil er von allen gefürchtet wird. Auf Griechisch ›theos‹.« [Übers. N. E.]). 127  Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive Originum libri, hg. v. Wallace M. Lindsay, 2 Bde., Oxford 1911, VII, 1, 5: »Tertium [hebräisches Wort] Eloe, quod utrumque in Latinum Deus dicitur. Est autem nomen in Latinum ex Graeca appellatione translatum. Nam Deus Graece Θεός dicitur, quasi δεός, id est, timor; unde tractum est nomen Deus, quod eum colentibus sit timori.« (»[…] der dritte [Name] Eloe, was beides lateinisch deus (Gott) bedeutet. Dieser Name ist aber ins Lateinische vom griechischen Begriff her übertragen worden. Denn deus kommt vom Griechischen δεος, was ϕοβος, [also] timor (Furcht) bedeutet, was [wiederum] Gott bedeutet, weil die, welche ihn verehren, Furcht haben.« In: Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, übers. u. mit Anm. vers. v. Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008, S. 241). 128 Hieronymus, Commentariorum in Matheum, hg. v. David Hurst u. Marcus Adriaen (= CCSL 77), Turnhout 1969, IV, 23, 35, S. 220, Z. 304–305: »Hoc quia de scripturis non habet auctoritatem eadem facilitate contemnitur qua probatur«. (»Da [diese Ansicht] nicht die Autorität der [heiligen] Schriften hat, kann sie mit derselben Leichtigkeit zurückgewiesen und bestätigt werden.« [Übers. N. E.]). 129  Johannes von Damaskus, De Sancta Trinitate, hg. v. Michael Lequien, (= PG 95), Turnhout 1860 [Nachdruck 1976], I, 5, 13: »Quaest. Unde dicitur vox Θεὸς, id est Deus. Resp. a θῶ, quod est, compono et efficio, quia omnium est effector et compositionis omnium auctor. Vel a θέο, quod significat curro. Deus enim ubique adest. Vel Θεὸς a θεᾶσθαι, hoc est videre: ἐθεάσατο, hoc est, vidit enim omnia antequam facta essent.« (»Frage: Woher kommt das Wort ›Θεὸς‹, also ›Deus‹? Antwort: Von ›θῶ‹, das bedeutet ›zusammenstellen‹ oder auch ›hervorbringen‹, weil er von allem der Schöpfer und von jedem Werk der Urheber ist. Oder auch von ›θέο‹, was ›ich renne‹ bedeutet. Denn Gott ist überall. Oder ›Θεὸς‹ kommt von ›θεᾶσθαι‹, was ›sehen‹ heißt. Denn er sieht alles, bevor es geschehen ist.« [Übers. N. E.]).

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Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 1, S. 297–298: »Dicitur autem Gehenna a ge, quod est terra, et enos, quod est profundum, quia est in profundo terre.« (»›Gehenna‹ kommt von ›ge‹, der ›Erde‹ und von ›Enos‹, der ›Tiefe‹, weil es in der Tiefe der Erde ist.« [Übers. N. E.]) 131  Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive Originum libri, a. a. O., XIV, 9, 9: »Gehenna est locus ignis, et sulphuris, quem appellari putant a valle idolis consecrata, quae est juxta murum Hierusalem, repleta olim cadaveribus mortuorum. Ibi enim Hebraei filios suos immolabant daemonibus, et appellabatur locus ipse Gehennon. Futuri ergo supplicii locus ubi peccatores cruciandi sunt, hujus loci vocabulo designatur. Duplicem autem esse Gehennam, et ignis, et frigoris (in Job legimus).« (»Gehenna ist der Ort des Feuers und des Schwefels, von welchem man glaubt, dass er benannt ist nach einem Tal, das den Götzen geweiht ist, welches vor den Mauern Jerusalems liegt, einst gefüllt mit den Leichnamen von Toten. Dort nämlich opferten die Hebräer ihre Söhne den Dämonen, und dieser Platz wurde Gehennon genannt. Der Ort künftigen Opfers, wo die Sünder gefoltert werden, wird mit dem Namen dieses Ortes bezeichnet. Zweifach aber soll die Gehenna sein, nämlich Feuer und Kälte.« In: Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., S. 143 f.). 132  Hieronymus, Commentariorum in Matheum, a. a. O., I, 10, 28, S. 71, 1707–1717: »Nomen gehennae in ueteribus libris non inuenitur sed primum a Saluatore ponitur. Quaeramus ergo quae sit sermonis huius occasio. Idolum Baal fuisse iuxta Hierusalem ad radices montis Moriae in quibus Siloa fluit non semel legimus. Haec uallis et parua campi planities inrigua erat et nemorosa plenaque deliciis et lucus in ea idolo consecratus. In tantam autem populus Israhel dementiam uenerat ut deserta templi uicinia ibi hostias immolaret et rigorem religionis deliciae uincerent filiosque suos incenderent daemoni uel initiarent, et appellabatur locus ipse gehennon, id est uallis filiorum Ennon«. (»Die Bezeichnung ›Gehenna‹ findet man nicht in den alten Büchern, sondern sie wurde zuerst vom Erlöser benutzt. Suchen wir also nach dem Ursprung dieses Wortes. Wir lesen öfters, dass das Götzenbild von Baal in der Nähe von Jerusalem am Fuß des Berges Moriah [Tempelberg] aufgestellt worden war, und zwar an der Stelle,



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an der auch der Fluß Siloah geflossen ist. Dieses Tal und seine Niederung waren sehr gut bewässert, überzogen mit grünem Blattwerk und voller Freuden. [In diesem Tal] gab es auch einen heiligen Hain, der dem Götzenbild gewidmet war. Doch das Volk von Israel ist in solch einen Wahnsinn abgefallen, dass es die Gegend um den Tempel zerstörte und dort Opfer darbrachte. Die Lust hatte über die Strenge der Religion gesiegt und sie verbrannten – oder besser gesagt sie initiierten – [dort] ihre Kinder dem Dämon. Dieser Ort wurde ›Gehennon‹ genannt, das heißt, das Tal der Söhne von Ennon.« [Übers. N. E.]) 133  Genesis 38, 17: »dixit mittam tibi hedum de gregibus rursum illa dicente patiar quod vis si dederis mihi arrabonem donec mittas quod polliceris.« (»Er sprach: Ich will dir einen Ziegenbock von der Herde senden. Sie antwortete: So gib mir ein Pfand, bis du ihn mir sendest.«) 134  Epheser 1, 14: »Qui est pignus hereditatis nostrae in redemptionem adquisitionis in laudem gloriae ipsius«. (»welcher ist das Unterpfand unsres Erbes, zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.«) 135  Marcus Terentius Varro, De lingua latina, lat.-engl., hg. u. übers. v. Roland G. Kent, London/Cambridge (Mass.), 1938, V, 3, 17–18,: »sic caelum et pars eius, summum ubi stellae, et id quod Pacuvius cum demonstrat dicit: ›hoc vide circum supraque quod complexu continet terram.‹ Cui subiungit: ›Id quod nostri caelum memorant.‹ A qua bipertita divisione Lucilius suorum unius et viginti librorum initium fecit hoc: ›Aetheris et terrae genitabile querere tempus.‹ Caelum dictum scribit Aelius, quod est celatum aut contrario nomine, celatum quod apertum est; non male, quod positor multo potius a celo quam caelum a celando«. (»Der Himmel ist sowohl ein Teil seiner selbst, also die Höhe, in der sich die Sterne befinden, als auch jenes, worauf Pacuvius hinweist, indem er sagt: ›Siehe dies um dich herum und über dir, das die Erde umschließt.‹ Und er fügt hinzu: ›Das, was die Unseren Himmel nennen.‹ Von dieser Zweiteilung ausgehend beginnt auch Lucilius seine einundzwanzig Bücher mit den Worten: ›Die Zeit suchend als der Äther und die Erde geschaffen worden sind.‹ Aelius schreibt, dass der Himmel ›caelum‹ genannt worden ist, weil [dieses Wort] von ›caelatum‹ [über die Oberfläche ge-

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spannt] oder von seinem Gegenteil ›verborgen‹ herrühren könne, weil es offen ist. Die Bemerkung ist auch nicht schlecht, dass derjenige, der die Bezeichnung eingeführt hat, sehr viel eher ›caelare‹ von ›caelum‹ abgeleitet hat, als ›caelum‹ von ›caelare‹.« [Übers. N. E.]). 136  Gaius Plinius Secundus Maior, Naturalis historia, lat.-dt., hg. u. übers. v. Gerahrd Winkler u. Roderich König, Düsseldorf/Zürich 21997, Bd. 2, II, III, 8: »equidem et consensu gentium moveor; namque et Graeci nomine ornamenti appellavere eum et nos a perfecta absoluta que elegantia mundum. caelum quidem haut dubie caelati argumento diximus, ut interpretatur M. Varro«. (»Ich jedenfalls werde auch durch die Übereinstimmung der Völker zu dieser Auffassung geführt. Denn was die Griechen mit ihrem Worte für Schmuck ›kosmos‹ benannt haben, das bezeichnen wir nach ihrer vollkommenen und vollendeten Schönheit als mundus. Caelum haben wir zweifellos aufgrund der getriebenen Arbeit (caelatum) genannt, wie M. Varro es deutet.« In: ebd., S. 21). 137  Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, a. a. O., T 72, 3: »Vel tus dicitur a tunendo, quia tunditur vel quia habile est ad tunendum, et secundum hoc caret aspiratione; hoc et libanum dicitur a monte Libano ubi colligitur.« (»Oder tus [Weihrauch] kommt von dem Wort ›zerkleinern‹, weil es zerkleinert wird, bzw. weil es zum Zerkleinern tauglich ist. Aus diesem Grund wird [das Wort] nicht aspiriert. Es wird auch ›libanum‹ genannt, weil es auf dem Berg Libanon gesammelt wird.« [Übers. N. E.]). 138  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 2, S. 811: »Et nota secundum Huguitionem (s. v. Theos) quid thus dicitur a theos, quod est deus, quia in sacrificiis deorum adoletur et sacrificatur.‹ Et secundum hoc habet aspirationem.« (»Gemäß Hugutio ist bekannt, dass ›thus‹ von ›theos‹ abgeleitet wird, was ›Gott‹ bedeutet, weil es bei Götteropfern verbrannt und benutzt wird. Deshalb wird es auch behaucht.« [Übers. N. E.]). 139  Servius, In Vergilii Georgicon libros commentarius, a. a. O., I, 57: »Tura enim a tundendo dicta esse voluerunt, a glebis tunsis, cum quibus dicitur fluens de arboribus coalescere«. (»Sie haben gewollt, dass ›tura‹ [Plural von Weihrauch] von ›zerkleinern‹ abgeleitet wird, von den zerkleinerten Klumpen, die entstehen, nachdem [der



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Weihrauch] von den Bäumen geflossen und geronnen ist.« [Übers. N. E.]). 140  Papias vocabulista, a. a. O., S. 36: »Auricalcum dictum quia similitudinem auri & aeris habeat. […].« (»Man sagt ›auricalcum‹, weil es eine Ähnlichkeit mit Gold und Bronze hat.« [Übers. N. E.]). 141  Hugutio von Pisa, Derivationes, a. a. O., A 17, 13: »[…] et fit auricalcum, quoddam genus metalli ex diversis metallis conflatum, sic dictum quia habet similitudinem auri et eris: auri in splendore, eris in duritia; vel componitur a calcos, quod est fex, quasi auri fex; […].« (»[…] und es wird ›auricalcum‹, eine gewisse Art von Metall, das aus verschiedenen Metallen zusammengeschmolzen wird. Es wird so genannt, weil es eine Ähnlichkeit mit Gold und mit Bronze hat: Golden im Glanz, wie Bronze in der Härte; oder es kommt von ›calcos‹, was ›schlecht‹ bedeutet, also gleichsam ›schlechtes Gold.« [Übers. N. E.]). 142  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 1, S. 74: »AURICALCUM, sicut ait Ysidorus Ethimologiarum xvi (20, 3), ›dictum est quod et splendorem auri et duritiam eris possideat‹. […] Huguitio (s. v. Calcos?) dicit quod dicitur ab aurum et cacos, quod est malum, quasi malum aurum quia solum auri colorem habet et non valorem.« (»AURICALCUM, wie Isidor im sechzehnten Buch seiner Enzyklopädie hierzu meint: ›Es wird gesagt, dass es den Glanz des Goldes und die Härte von Bronze besitze‹. […] Hugutios sagt, dass es von ›Gold‹ und ›cacos‹ (was ›schlecht‹ heißt) abgeleitet sei, also gleichsam ›schlechtes Gold‹, weil es nur die Farbe aber nicht den Wert von Gold hat.« [Übers. N. E.]). 143  Horaz, Epistolae, Ad Pisonem (De arte poetica liber), in: Horaz, Sämtliche Werke, lat.-dt., hg. v. Max Färber, München 1967, S. 242, V. 202: »Tibia non ut nunc orichalco vincta tubaeque/aemula« (Übers. in: ebd., S. 243). 144  Vergil, Aeneis, a. a. O., XII , 87: »Ipse dehinc auro squalentem alboque orichalco / Circumdat loricam umeris, simul aptat habendo.« (Übers. in: ebd., S. 511). 145  Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, a. a. O., C 10, 3: »et auricalcum dicitur a calcos, quod superius iam diximus [vel a calcos, quod est malum, quia malum aurum esse censemus].« (»Und ›auricalcum‹ kommt von ›calcos‹, wie wir weiter oben schon gesagt haben

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[oder von ›calcos‹, was ›schlecht‹ bedeutet, weil wir es als schlechtes Gold einschätzen].« [Übers. N. E.]). 146  Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive Originum libri, a. a. O., XVI, 20, 3: »Aurichalcum dictum quod et splendorem auri et duritiam aeris possideat. Est autem nomen compositum ex lingua Latina et Graeca; aes enim sermone Graecorum χαλκος vocatur. Fit autem ex aere et igne multo, ac medicaminibus perducitur ad aureum colorem.« (»Aurichalcum (Messing) wird so genannt, weil es sowohl den Glanz des Goldes als auch die Härte der Bronze besitzt. Es ist aber ein zusammengesetzter Name aus der griechischen und der lateinischen Sprache. Bronze heißt nämlich in der Sprache der Griechen χαλκος (Kupfer, Bronze, Metall). Es wird aber aus Bronze und viel Feuer gemacht und mit Mitteln bis zum goldenen Glanz gebracht.« In: Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., S. 5099). 147  Odo Magdunensis, De herbarum virtutibus, Basel 1559, Kap. 13 »De porro«, 40: »Cum ptisana succum porri sorbere iuvabit.« (»Und tropft der böse Körpersaft vom Haupt herab und schadet Lungen, Brust und Singstimme, und entsteht so ein Husten, der die Herzgegend schädigt, dann hilft es, wenn man Lauchsaft mit Ptisané (das ist Gerstengrütztrank) schlürft; / doch auch für sich allein bringt er in allen diesen Fällen Nutzen.« In: Kräuterbuch der Klostermedizin. Der Macer Floridus, hg. v. Johannes Gottfried Mayer u. Konrad Goehl, Leipzig 2013, S. 138, Z. 521–526). 148  Horaz, Sermones (Saturae), in: a. a. O., II , 3, 155: »Tu cessas? agedum sume hoc tisanarium orizae.« (Übers. in: ebd., S. 91). 149  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 2, S. 786: »Et dicitur tipsana a tipso, quod est percutere, quia percutitur in pila quando decorticatur.« (»Es wird ›tipsana‹ [Gerstengrütze] von ›tipso‹ genannt, was ›zerstoßen‹ bedeutet, weil [die Gerste] in einem Mörser zerstoßen wird, nachdem sie geschält worden ist.« [Übers. N. E.]). 150  Alexander Neckham, Versio metrica Corrogationum Promethei, Cod. Bodleianus, Digby, 56, f. 113 v, 2 (Hinweis von Delphine Caronne); zitiert durch Briton: Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., S. 786. 151  Vgl. § 136.



anmerkungen 152  Priscian,

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Institutionum grammaticarum, a. a. O., IV, 27: »fiunt autem a genetivo nominum sive a positione verborum sic: quaecumque litera sive literae sequantur l vel aliam consonantem, ex qua postrema incipiat syllaba genetivi, transeunt in a longam et assumunt ›ris‹ vel, si a vocali incipiat, ipsa extrema mutatur in a longam, et assumunt ›ris’: ›populus populi popularis‹, ›singulus singuli singularis‹, ›Apollo Apollinis Apollinaris‹, ›consul consulis consularis‹, ›miles militis militaris‹, ›schola scholae scholaris‹, ›Latium Latii Latiaris‹, ›familia familiae familiaris‹, ›peculium peculii peculiaris‹, ›molo molis‹ vel ›mola molae molaris‹«. (»Bei der Genitivbildung der Nomen und bei der Wortstellung geschieht folgendes: Jeder Buchstabe bzw. alle Buchstaben, die einem l oder einem anderen Konsonanten folgen und denen die Genitivsilbe folgt, gehen in ein langes a über und nehmen die Endung -ris an. Wenn die [Silbe] aber mit einem Vokal beginnt, wird sie in ein langes a umgewandelt und es wird die Endung -ris hinzugefügt: ›populus populi popularis‹ [Volk], ›singulus singuli singularis‹ [einzeln], ›Apollo Apollinis Apollinaris‹ [Apoll], ›consul consulis consularis‹ [Konsul], ›miles militis militaris‹ [Soldat], ›schola scholae scholaris‹ [Schule], ›Latium Latii Latiaris‹ [Latium], ›familia familiae familiaris‹ [Familie], ›peculium peculii peculiaris‹ [Eigentum], ›molo molis‹ [ich mahle] vel ›mola molae molaris‹ [Mühlstein].« [Übers. N. E.]). 153  Horaz, Sermones (Saturae), in: a. a. O., I, 7, 14: »non aliam ob causam, nisi quod virtus in utroque / summa fuit.« (Übers. in: ebd., S. 53). 154 Marcus Annaeus Lucanus, Pharsalia. Bürgerkrieg, lat.-dt., eingel., übers. u. komm. v. Detlev Hoffmann, Christoph Schliebitz u. Hermann Stocker, Darmstadt 2011, II, 659: »sed Caesar in omnia praeceps, / nil actum credens cum quid superesset agendum, / instat atrox et adhuc, quamvis possederit omnem Italiam, extremo sedeat quod litore Magnus, / communem tamen esse dolet; […]«. (»Aber Caesar – in allem eine Länge voraus – meinte, nichts sei erledigt, wenn noch etwas zu erledigen übrig sei; er rückte unerbittlich vor, und obwohl er bis zu diesem Zeitpunkt schon ganz Italien in der Hand hatte, Magnus dagegen am äußersten Rand der Küste saß, ärgerte er sich darüber, dass er es immer noch mit ihm teilte.« In: ebd., S. 91).

214 155 

anmerkungen

Vergil, Aeneis, a. a. O., I, 3: »[litora], multum ille et terris iactatus et alto.« (Übers. in: ebd., S. 7). 156  Lukasevangelium und nicht das Matthäusevangelium. – Siehe Lukas 1, 23–25: »Et factum est ut impleti sunt dies officii eius abiit in donum suam / post hos autem dies concepit Elisabeth uxor eius et occultabat se mensibus quinque dicens / quia sic mihi fecit Dominus in diebus quibus respexit auferre obprobrium meum inter homines«. (»Und es begab sich, als die Zeit seines Dienstes um war, da ging er heim in sein Haus. Nach diesen Tagen wurde seine Frau Elisabeth schwanger und hielt sich fünf Monate verborgen und sprach: So hat der Herr an mir getan in den Tagen, als er mich angesehen hat, um meine Schmach unter den Menschen von mir zu nehmen.«) 157  Gaius Vettius Aquilinus Juvencus, Evangeliorum libri iv, hg. v. Johannes Huemer (= CSEL 24), Prag/Wien 1891, I, 48: »Progressus trepide numen uidisse supernum / Nutibus edocuit, miserae et dispendia uocis. / Inde domum remeat conpleto ex ordine uates / Officio, amissam que leuant promissa loquellam; / Nec dilata diu uenerunt munera prolis. / Anxia sed uentris celabat gaudia coniux, / Donec quinque cauam conplerent lumina lunam.« (»Er kam aufgeregt aus seinem Haus und zeigte ihnen durch Nicken an, dass er ein göttliches Zeichen gesehen hatte, und dass er Elender seine Stimme verloren habe. Nachdem seine Pflicht getan war, kehrte er nach Hause zurück und die Verheißungen machten den Verlust seiner Stimme erträglich. Doch das Geschenk [der Empfängnis] eines Kindes trat für eine lange Zeit nicht ein. Aber seine besorgte Frau hielt die Freuden ihres Leibes geheim, bis fünf Tage vergangen waren und bis der Mond voll war.« [Übers. N. E.]). 158  Sedulius, Carmen Paschale, hg. v. Johannes Huemer (= CSEL 10), Prag/Wien 1885 [Nachdruck Wien 2007], III, 287–288: »Ut maior sit nostra fides: hunc esse per orbem / Principium ac finem, hunc α viderier, hunc ω.« (»Damit unser Glaube erhöhet werde: dies sei für den Erdkreis / für den Anfang und das Ende, dies scheint wie das α, dies wie das ω.« [Übers. N. E.]). 159  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., XVII , 8: »Elementum est quando in duo dividitur modo syllabico, id est contemplatione temporum, ut ›fieri‹ pro ›firi‹, longa enim vocalis in duas breves



anmerkungen

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divisa est; similiter ›admittier‹ pro ›admitti‹, ›farier‹ pro ›fari‹.« (»Es kommt vor, daß ein Laut auf silbische Weise in zwei zerteilt wird, das heißt unter Beachtung der Moren, wie fieri [werden, entstehen] anstelle von firi, denn ein Langvokal ist in zwei kurze geteilt worden; ähnlich admittier für admitti [ich lasse zu, ich gestatte], farier für fari [ich spreche, ich rede].« In: Axel Schönberger, Priscians Darstellung der lateinischen Syntax (I). Lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung des 17. Buches der Institutiones Grammaticae, Frankfurt/Main 2010, S. 51 f.). 160  Prosper von Aquitanien, Epigrammatum ex sententiis S. Augustini, Paris 1846 (= PL 51), XCIX [XCVI], De judiciis Dei, Sp. 529: »Judicium humanum, quod falli saepe necesse est, / Non semper recipit regula justitiae«. (»Das menschliche Urteil, das sich notwendigerweise oft täuscht / richtet sich nicht immer nach dem Maßstab der Gerechtigkeit.« [Übers. N. E.]). 161  Prosper von Aquitanien, ebd., vielleicht LV, De essentia Deitatis, S. 515: »Una eademque trium quoniam est essentia, quae se / Numquam vel major, vel minor esse potest«; oder vielleicht CV [CII], De confitendo uno Deo, S. 532: »Una trium Deitas, una est essentia [Alii: esse ab uno] cunctis.« (»Einer und drei zugleich, weil es sein Wesen ist, das niemals größer, niemals kleiner sein kann.« [Übers. N. E.]; »Ein Gott aus dreien, denn eines ist das Wesen [andere: das Sein von einem] von allem.« [Übers. N. E.]). 162  Arator, De Actibus Apostolorum, hg. v. Artur P. Mc Kinlay (=  CSEL 72), Prag/Wien 1951, II, 298: »Divinum concepit iter; hinc sacra Maria est.« 163  Glossa ordinaria, editio princeps, Strassburg 1480/81, 4 Bde., eingel. v. Kalfried Froehlich u. Margaret T. Gibson, Nachdruck Turnhout 1992, pars I – Theologica, Lib. Deut. cap. VII, Vers. 1: »De cenodoxia, contentiones, hereses, iactantia, et praesumptio novitatum.« (»Über den wertlosen Ruhm, Rechthabereien, Irrlehren, Prahlerei, Vermessenheit der Neuheiten.« [Übers. N. E.]). 164  Augustinus, In Iohannis Evangelium tractatus CXXIV, hg. v. D. Radbodus Willems O. S. B., Turnhout 1954 (= CCSL 36), Tractatus X ­ –VIII, 2: »Evangelium intendite: Facta sunt autem Encaenia in Ierosolymis. Encaenia festivitas erat dedicationis templi. Graece enim

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anmerkungen

καινόν dicitur nouum. Quandocumque nouum aliquid fuerit dedicatum, Encaenia vocantur.« (»Gebt acht auf das Evangelium: ›Als aber das Fest der Tempelweihe in Jerusalem begangen wurde‹. Encaenia ist das Fest der Tempelweihe. Im Griechischen heißt nämlich καινόν neu. Wann immer etwas Neues eingeweiht wurde, nannte man es encaenia.‹« In: Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Vorträge über das Evangelium des hl. Johannes, übers. und mit einer Einl. vers. v. Thomas Specht [Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften Bde. 4–6, Bd. 5], Kempten/München 1913–1914, 48. Vortrag, 2, S. 701). 165  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., II , 2: »saepe inveniuntur pro duabus vocalibus iunctis, hoc est pro diphthongo, singulae vocales positae, ut ›plostrum‹ pro ›plaustrum‹ et ›inquiro‹ pro ›inquaero‹ et ubique pro ei diphthongo e producta vel i, sicut supra dictum est; pro ου autem u in Graecis dictionibus ponimus, ut ›σπονδεῖος spondeus‹, ›Νεῖλος Nilus‹, ›μοῦσα musa‹«. (»Häufig werden für zwei zusammengefügte Vokale – also für einen Diphtong – einzelne Vokale gesetzt, wie in ›plostrum‹ [Wagen] für ›plaustrum‹ und wie in ›inquiro‹ [ich untersuche] für ›inquaero‹. Und für den Diphtong ei wird immer ein langes e oder ein langes i gesetzt, wie weiter oben bereits gesagt worden ist. Für ou in griechischen Worten setzen wir ein u, wie in ›σπονδεῖος spondeus‹ [»Trankopfer«, aus zwei Silben bestehender Versfuß], ›Νεῖλος Nilus‹ [Nil], ›μοῦσα musa‹ [Muse].« [Übers. N. E.]). 166  So im Manuskript für ξένον [Brewer, S. 458, Anm. 3]. 167  So im Manuskript für ξένοs [Brewer, S. 458, Anm. 4]. 168  Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, a. a. O., X 4, 1: »XENOS, idest peregrinum; et xenos idest sensus; a xenos quod est peregrinum, hoc xenium, munus parvum et quodcumque munus mittitur alicui, quod vulgo dicitur presentatiorum, et componitur hoc exenium pro eodem.« (»Xenos, das heißt ›fremd‹; und xenos, das heißt ›Gefühl‹. Von xenos in der Bedeutung von ›fremd‹ kommt auch xenium, ein kleines Geschenk, das von irgendjemandem einem anderen gegeben wird und das im Allgemeinen auch ›Darbringung‹ genannt wird. Für dasselbe [Wort] wird auch ›exenium‹ [Geschenk] gesagt.« [Übers. N. E.]).



anmerkungen 169 

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Exodus 8, 21: »Quod si non dimiseris eum ecce ego inmittam in te et in servos tuos et in populum tuum et in domos tuas omne genus muscarum.« (Exodus 8, 17: »wenn nicht, siehe, so will ich Stechfliegen kommen lassen über dich, deine Großen, dein Volk und dein Haus, dass die Häuser der Ägypter und das Land, auf dem sie wohnen, voller Stechfliegen werden sollen.«) 170  Bei Brewer steht falsch »sine«. Es muss hier jedoch »sive« heißen. – Vgl. Brewer, S. 459. 171  Psalter 104, 31: »dixit et venit cynomia et scinifes in omnibus finibus eorum« (Psalter 105, 31: »Er gebot, da kam Ungeziefer, Stechmücken in all ihr Gebiet.«) – Der Begriff ›Hundsfliege‹ ist auf Hebräisch ‫‘[ ערב‬ârôb]. Allerdings ist die Übersetzung – worauf auch Roger Bacon hier hinauswill – unklar. In der revidierten Lutherbibel wird er allgemein mit ›Ungeziefer‹ wiedergegeben. In der Elberfelder Bibel wurde der Psalm genauer übersetzt: » Er sprach, und es kamen Hundsfliegen, Stechmücken in ihr ganzes Gebiet.« 172  Glossa ordinaria, a. a. O., Kap. VIII , V. 21, S. 126: »LXX : cynomyian, id est, muscam caninam, posuerunt: per quam canini mores significantur, in quibus humanae mentis voluptas, et libido carnis arguitur.« (»Die siebzig Interpreten haben ›cynomyian‹ mit ›Hundsfliege‹ übersetzt. Dadurch werden die hündischen Sitten bezeichnet, in welchen sich die Lust und die fleischliche Begierde des menschlichen Geistes zeigen.« [Übers. N. E.]). 173  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 1, S. 129: »CINOMIA grece, musca canina latine. Ita dicit Ysidorus Ethimologiarum xii (8, 12). Et est musca venenosa et dicitur a cinos, quod est canis. Papias aliter exponit dicens, cynomia non musca canina, ut quidam putant, in Psalmo (77, 45) accipienda est, sed musca omni modo, et ideo non per y grecum litteram sed per diptongon oi scribi debet. Secundum hoc semper produceret hanc sillabam mi, contrarium tamen tenet communis usus ecclesie. Tamen quia nothum nomen est potest produci et corripi.« (»CINOMIA auf griechisch, auf lateinisch ›Hundsfliege‹. So sagt es Isidor in seiner Enzyklopädie xii (8, 12). Dies ist eine giftige Stechfliege, die so von dem Wort ›cinos‹ genannt wird, was ›Hund‹ bedeutet. Papias erklärt dies anders, indem er sagt, dass die ›cynomia‹ im Psalm

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anmerkungen

(77, 45) gemäß der Meinung einiger nicht als ›Hundsfliege‹ angenommen werden darf, sondern als ›jede Art von Stechfliege‹. Daher dürfe sie nicht mit einem griechischen Y geschrieben werden, sondern mit dem Diphtong oi. Demgemäß müsste die Silbe ›mi‹ immer lang betont werden, der allgemeine Gebrauch in der Kirche ist dem jedoch entgegengesetzt. Da der Name jedoch bekannt ist, kann man [diese Silbe] sowohl lang, als auch kurz aussprechen.« [Übers. N. E.]). 174  Papias Vocabulista, a. a. O., S. 64: »Cynomia graece musca canina venenosa. cynon graece canis dicitur.« (»Cynomia, griechisch, eine giftige ›Hundsfliege‹. Kommt von dem griechischen Wort ›cynon‹, auf Latein ›canis‹ [Hund].« [Übers. N. E.]). 175  Matthäus 22, 18–19: »Cognita autem Iesus nequitia eorum ait quid me temptatis hypocritae, ostendite mihi nomisma census at illi obtulerunt ei denarium.« (»Als nun Jesus ihre Bosheit merkte, sprach er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich? Zeigt mir die Steuermünze! Und sie reichten ihm einen Silbergroschen.«) 176  Juvencus, Evangeliorum libri iv, a. a. O., IV, 10: »Inspicite in nummum sculpti que nomismatis aera […].« 177  Sedulius, Carmen paschale, a. a. O., V, 43: »Tantundem sceleris ter dena nomismata sumens.« 178  Horaz, Epistulae, a. a. O., II , 1, V. 233 f.: »gratus Alexandro regi magno fuit ille Choerilus, incultis qui versibus et male natis / rettulit acceptos, regale nomisma, Philippos«. (»Beliebt bei Alexander, dem großen Könige, war Meister Chörilus, der für formlose, mißgeschaffene Verse als Entgeld die Königswährung, die goldgeprägten Philippsmünzen einstrich.« (In: ebd., S. 215). 179  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 2, S. 483: »NUMMISMA ›proprie est inscriptio in nummo, que et moneta dicitur, per quam nummi discernuntur, et ponitur pro ipso nummo. Unde dicitur Matthei xxii, ›Ostendite mihi nummisma census‹, id est nummum qui pro censu capitis datur. Ita exponitur in Historiis (1605). Ysidorus autem in xvi (18, 9) Ethimologiarum ubi agit de auro dicit quod ›nummisma est solidus aureus vel argenteus sive ereus qui ideo nummisma dicitur quia nominibus principum effigieque signatur‹. Vide supra proximo ubi dicitur quod nummus a nomine nuncupatur.« (NUMMISMA [Münze],



anmerkungen

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bezeichnet eigentlich die Inschrift einer Münze. Sie wird von der Prägung her so genannt, durch welche die Münzen unterschieden werden und [das Wort] wird für die Münze selbst benutzt. Daher heißt es auch bei Matthäus 22: ›Weiset mir die Zinsmünze!‹, also die Münze, die für die Kopfsteuer entrichtet wird. Dies wird auch in den Historien (1605) erklärt. Isidor spricht darüber im sechzehnten Buch (16, 18, 9) seiner Enzyklopädie, wo das Gold behandelt wird, indem er sagt: ›nummisma‹ [Münze] ist ein ›solidus‹ [eigentl. Goldmünze] aus Gold oder Silber oder Bronze, welche deswegen ›nummisma‹ genannt wird, weil sie mit Namen [Nomen] und Gesicht des Fürsten gezeichnet ist.‹ Siehe auch weiter oben, wo gesagt wird, dass ›nummus‹ von ›Namen‹ abgeleitet wird.« [Übers. N. E.]). 180  Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, a. a. O., I 31, 4: »Item ab idus et iota, quod est littera, dicitur hic et hec idiota -e, idest illitteralis vel illitteratus, quasi divisus a litteris, idest indoctus, insipiens. Vel componitur ab idus et ota, quod est auris, inde idiota, quasi divisus ab aure, quasi qui quod audit non intelligit. Vel idiota ab ydios, quod est proprium, et ethis, quod est mos, qui proprium morem sue terre ignorat.« (»Idiota-e kommt von ›idus‹ (Teilung) und ›iota‹, einem Buchstaben. Es bedeutet also ungebildet oder ungelehrt, gleichsam getrennt von den Buchstaben, also ungelehrt und unverständig. Oder es wird aus ›idus‹ und ›ota‹ zusammengesetzt. ›Ota‹ heißt ›Ohr‹, also ist der Idiot gleichsam vom Gehör getrennt, einer, der etwas hört, es aber nicht versteht. Oder Idiot kommt von ›ydios‹, was ›eigen‹ heißt und ›ethis‹, ›die Sitte‹, also einer, der die Sitten seines Landes nicht kennt.« [Übers. N. E.]). 181  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 1, S. 321: »Et dicitur idiota ab idus, quod est divisio, et iota, quod est quedam littera graeca, quasi illiteratus et divisus a litteris. Vel componitur ab idus et ota, quod est auris, quasi divisus ab aure, id est intelligentia, quia non intelligit que audit. Vel dicitur ab idos, quod est proprium, et ethis, quod est mos, quia proprium morem sue terre ignorat.« (»Das Wort ›Idiot‹ kommt von ›idus‹, der ›Teilung‹ und ›ota‹, dem ›Ohr‹, also getrennt vom Gehör, das heißt vom Verstand, weil er [der Idiot] nicht versteht, was er hört. Oder es kommt von ›idos‹, was das ›Eigene‹ ist und von ›ethis‹, der

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anmerkungen

›Sitte‹, weil er sie Sitten seines eigenen Landes nicht kennt.« [Übers. N. E.]). 182  Beda Venerabilis, Expositio Actuum Apostolorum, hg. v. Max L. W. Laistner, Turnhout 1983 (= CCSL 121), IV, 13, Z. 40: »Idiotae enim dicebantur qui propria tantum lingua naturalique scientia contenti litterarum studia nesciebant, siquidem Graeci proprium ἴδιον ­uocant«. (»Idioten nannte man diejenigen, die keine Sprachen studieren wollten, weil sie mit der eigenen Sprache und Wissenschaft zufrieden waren, da ja die Griechen das ›Eigene‹ ›ἴδιον‹ nennen.« [Übers. N. E.]). 183  Juvenal, Saturae, lat.-dt., hg., übers. u. komm. v. Joachim Adamietz, München/Zürich 1993, VII, 136: »causidicum vendunt amethystina; convenit illi / et strepitu et facie maioris vivere census, / sed finem inpensae non servat prodiga Roma.« (»Den Anwalt empfehlen amethystfarbene Kleider, es bringt ihm Vorteil, / geräuschvoll und mit dem Anschein eines größeren Vermögens zu leben, / aber das verschwenderische Rom wahrt nicht die Grenze beim Aufwand.« In: ebd., S. 157). 184  Juvenal, ebd., VI , 155: »grandia tolluntur crystallina, maxima rursus / murrina, deinde adamas notissimus et Beronices / in digito factus pretiosor.« (»[…] werden mächtige Gefäße aus Bergkristall angeschafft, dann wieder / riesige Vasen aus Flußspat, weiter ein hochberühmter Diamant, / der noch wertvoller wurde, weil ihn Beronice am Finger trug.« In: ebd., S. 101). 185  Juvenal, ebd., VI , 260: »hae sunt quae tenui sudant in cyclade, quarum / delicias et panniculus bombycinus urit.« (»Diese sind es, die schon im dünnen Florkleid schwitzen, und die / in ihrer Empfindlichkeit ein Seidenfähnchen versenkt.« In: ebd., S. 109). 186  Aules Persius Flaccus, Satiren, lat.-dt., hg., übers. u. komm. v. Walter Kißel I, 32: »Hic aliquis, cui circa umeros hyacinthina laena est«. 187  Aurelius Prudentius Clemens, Psychomachia, in: Carmina, hg. v. Mauricius P. Cunningham, Turnhout 1966, (= CCSL 126), 860, S. 179 f.: »Sardonycem pingunt amethystina; pingit iaspis / Sardium iuxta adpositum pulcherque topazon. / Has inter species smaragdina gramine uerno / prata uirent uoluitque uagos lux herbida fluctus.«



anmerkungen

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(»Amethyste bemalen einen Sardonyx, ein Jaspis / und ein schöner Topas bemalen daneben den Sarder. / Zwischen der Herrlichkeit grünen mit Frühlingsgras Wiesen / aus Smaragden und grasgrünes Licht wälzt wiegende Wogen.« In: Prudentius, Das Gesamtwerk, eingel., übers. u. komm. v. Wolfgang Fels, Stuttgart 2011, S. 151). 188  Servius, Aeneidos librorum commentarii, in: Servii Grammatici qui feruntur In Vergilii Carmina Commentarii, hg. v. Georg Thilo, Bd. 1, Leipzig 1881, I, 100: »SIMOIS nomen hoc integrum ad nos transiit, unde suo est accentu proferendum.« (»SIMOIS , Name, der uns so unverändert überliefert ist, sein Akzent muss daher beibehalten werden.« [Übers. N. E.]) 189  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 1, S. 318–319: »IACINCTINUS, na, num dicitur a iacincto flore vel lapide, et est iacinctinus color purpureus sive ceruleus vel aereus prout requirunt nomina a quibus dicitur. Et producit penultimam, sicut dicit Huguitio, et bene quamvis poetica licentia quandoque corripiatur. […] Vide regulas Prisciani (II, 58) supra ubi exponitur bissus.« (»Hyazintus, -na, -num, kommt von der Hyazinthblume oder dem Stein. Der Hyazinth ist dunkelrot, dunkelblau oder kupferfarben, je nach dem Exemplar, von dem der Name herstammt. Nach Hugutio wird die vorletzte Silbe betont, auch wenn sie manchmal aufgrund der dichterischen Freiheit verkürzt wird. […] Siehe dazu auch die Regeln Priscians (II, 58) und [in diesem Wörterbuch] weiter vorne [unter dem Eintrag] ›bissus‹ [Leinen].« [Übers. N. E.]). 190  Vgl. Priscian, Institutionem grammaticarum, a. a. O., II , 43–44 u. 58. 191  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., III, 31: »et cum omnia huiuscemodi diminutiva tam paenultimam quam antepaenultimam corripiunt, ›cuticula‹ i antepaenultimam producit. Iuvenalis: Combibet aestivum contracta cuticula solem, quod eum facere metri necessitas compulit.« (»Und auch wenn in allen derartigen Diminu­ tiven die vorletzte oder die drittletzte Silbe verkürzt wird, wird in dem Wort ›cuticula‹ doch das i der drittletzten Silbe verlängert. So Juvenal: ›Unsere runzlige Haut soll die Sommersonne trinken.‹ Aufgrund des Versmaßes wurde er gedrängt, es so zu machen.« [Übers. N. E.]).

222 192 

anmerkungen

Juvenal, Saturae, a. a. O., XI, 203: »Nostra bibat vernum contracta cuticula solem / effugiatque togam.« (»unsere runzlige Haut soll die Frühlingssonne trinken und / der Toga entfliehen.« In: ebd., S. 245). 193  Vgl. Priscian, Institionum grammaticarum, a. a. O., II , 59. 194  Vgl. ebd, II , 63. 195  Gemeint ist hier die Ars maior des Grammatikers Aelius Donatus aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. – Vgl. Axel Schönberger, Die Ars maior des Aelius Donatus: lateinischer Text und kommentierte deutsche Übersetzung einer antiken Lateingrammatik des 4. Jahrhunderts für den fortgeschrittenen Anfängerunterricht, Frankfurt/Main 2009. 196  Siehe § 61. 197  Hieronymus, Epistula 57, in: ders., Epistulae, hg. v. Isidor Hilberg, Wien/Leipzig 1910 (= CSEL 54), 5, S. 510: »Et post multa, quae nunc persequi otiosum est, etiam hoc addidi: quodsi cui non videtur linguae gratiam interpretatione mutari, Homerum ad uerbum exprimat in Latinum – plus aliquid dicam –, eundem sua in lingua prosae uerbis interpretetur: videbit ordinem ridiculum et poetam eloquentissimum uic loquentem.« (»Nach weiteren Ausführungen, die hier nicht interessieren, fügte ich noch hinzu: ›Wenn jemand behauptet, daß die Anmut der Sprache unter der Übersetzung nicht leidet, dann möge er einmal Homer wörtlich ins Lateinische übertragen, ja noch mehr, er gebe ihn doch in seiner Sprache in Prosa wieder! Das Ganze wird zu einer lächerlichen Komödie, und der größte Dichter wird zum Stotterer herabgewürdigt.‹« In: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe, übers. v. Ludwig Schade, 2. Briefband, München 1937, 5, S. 272); Hieronymus, Vorwort zu Eusebius, in: Eusebius Werke, Die Chronik des Hieronymus, hg. v. Rudolf Helm, Berlin 1956, S. 4, Z. 4–14: »Quae omnia exametris et pentametris uersibus, ut iosephus et origines scribunt, aput suos composita decurrunt. Haec cum graece legimus, aliud quiddam sonant, cum latine, penitus non haerent. Quodsi cui non uidetur linguae gratiam interpretatione mutari, homerum ad uerbum exprimat in latinum, – plus aliquid dicam – eundem in sua lingua prosae uerbis interpretetur: uidebit ordinem ridiculum et poetam eloquentissimum uix loquentem«. (»Alle diese Werke zirkulieren in Hexametern und in Pentametern



anmerkungen

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bei ihnen, wie Josephus und Origines schreiben. Wenn wir sie auf Griechisch lesen, klingen sie wie etwas anderes. Lesen wir sie jedoch auf Latein, sind sie kaum verständlich. Wenn jemand der Meinung sein sollte, dass die Anmut einer Sprache sich durch die Übersetzung nicht verändert, dann soll er nur Homer Wort für Wort ins Lateinische übersetzen – oder, um noch mehr zu sagen –, lass es ihn in seiner Sprache in Prosa formulieren: Er wird merken, dass die Wortordnung lächerlich geworden ist und dass dieser beredteste aller Dichter kaum noch sprechen kann.« [Übers. N. E.]). 198  Pseudo-Aristoteles, De Plantis, in: Nicolai Damasceni De Plantis libri duo, Aristoteli vulgo adscripti, hg. v. Ernst H. F. Meyer, Leipzig 1841, S. 23 f.: »Belenum quoque perniciosum natum in Persia transmutatur et transplantatum in Aegyptum et in Syriam factum est comestibile.« (»Das Bilsenkraut ist in seinem Ursprungsland Persien zwar sehr gefährlich, es wird jedoch essbar, wenn es nach Ägypten und Syrien verpflanzt wird.« [Übers. N. E.]). 199  Robert Grosseteste, De iride, in: ders., Die philosophischen Werke des Robert Grosseteste, hg. v. Ludwig Baur, Münster 1912, S. 72–77. 200  Robert Grosseteste, De cometis, in: ebd., S. 36–40. 201  Hieronymus, Commentarius in Ecclesiasten, hg. v. Marcus Adriaen, Turnhout 1959 (= CCSL 72), Praefatio, S. 249: »Memini me ante hoc ferme quinquennium, cum adhuc Romae essem et Ecclesiastem sanctae Blesillae legerem, ut eam ad contemptum istius saeculi prouocarem, et omne quod in mundo cerneret, putaret esse pro nihilo, rogatum ab ea, ut in morem commentarioli obscura quaeque dissererem, ut absque me posset intellegere quae legebat«. (»Ich erinnere mich an die Zeit vor fünf Jahren, als ich in Rom war und der Heiligen Blesilla aus dem Buch Prediger vorgelesen habe, um sie zur Verachtung dieser Welt anzuspornen und sie in der Ansicht zu bestärken, dass alles, was sie in ihr sehen kann, nichts wert ist. Ich wurde von ihr darum gebeten, in einem kleinen Kommentar über einige unklare Passagen zu schreiben, damit sie auch ohne mich verstehen könne, was sie da lese.« [Übers. N. E.]). 202  Hieronymus, Commentariorum in Esaiam Libri, a. a. O., 7, 17, 11: »Si autem mane seminaueris, florebit in messem in die hereditatis,

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anmerkungen

quando sicut pater hominis dat hereditatem filiis suis. Pro eo quod nos iuxta aquilam et symmachum et lxx interpretati sumus: in die hereditatis, quod hebraice dicitur biom nehela, legi potest in hebraico: in die pessima. Et pro eo quod aquila et theodotio interpretati sunt: et dolebit homo, nos docti ab hebraeis, pro ›homine‹ qui lingua eorum dicitur enos, interpretati sumus anus, id est: grauiter«. (»›Wenn du aber morgens säest, wird es zur Zeit der Ernte erblühen, wenn der Menschenvater seinen Söhnen sein Vermächtnis geben wird‹. An der Stelle ›am Tag des Vermächtnisses‹ haben wir ähnlich übersetzt wie Aquila, Symmachus und die siebzig Interpreten. Im Hebräischen heißt es aber biom nehela, wofür man im Hebräischen lesen kann: Am schlechtesten Tage. Und für die Stelle, welche von Aquila und Theodotios mit ›Und der Mensch wird leiden‹ übersetzt wird, haben wir für ›Mensch‹ – da wir von den Hebräern unterrichtet worden sind, bei denen das Wort ›enos‹ heißt – ›anus‹ übersetzt, was ›schwer‹ bedeutet.« [Übers. N. E.]). 203  Jesaja 17, 11. »In die plantationis tuae labrusca et mane semen tuum florebit ablata est messis in die hereditatis et dolebit graviter.« (»Auch wenn du sie hochbringst am Tag, da du sie pflanzt, und sie zum Sprießen bringst an dem Morgen, da du sie säst, – hin ist die Ernte, wenn du die Garben einbringen willst, und du wirst Schmerzen haben, die niemand heilt.«) 204  Jesaja 22, 3: »cuncti principes tui fugerunt simul dureque ligati sunt omnes qui inventi sunt vincti sunt pariter procul fugerunt.« (»Alle deine Hauptleute sind gewichen, in die Ferne geflohen. Alle, die man von dir gefunden hat, wurden gefangen, ohne Bogen gefangen.«); Hieronymus, Commentariorum in Esaiam Libri, a. a. O., 22, 3.: »Cuncti principes tui fugerunt simul, dureque ligati sunt. In hoc loco septuaginta interpretationem secuti sumus, quia non multum ab hebraico distat in sensu.« 205  Weisheit 4, 3: »multigena autem impiorum multitudo non erit utilis et spuria vitulamina non dabunt radices altas nec stabile firmamentum conlocabunt.« (»Aber die kinderreiche Menge der Gottlosen ist nichts nütze und weil sie aus unechten Schösslingen hervorgegangen ist, kann sie nicht tief wurzeln und keinen festen Grund gewinnen.«). 206 Augustinus, De doctrina christiana, II , a. a. O., II , XII , 18,



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42: »Hinc est etiam illud, quoniam μόσχος graece uitulus dicitur, μοσχεύματα quidam non intellexerunt esse plantationes et uitulamina interpretati sunt: qui error tam multos codices praeoccupauit, ut uix inueniatur aliter scriptum; et tamen sententia manifestissima est, quia clarescit consequentibus uerbis: namque adulterinae plantationes non dabunt radices altas conuenientius dicitur quam uitulamina quae pedibus in terram gradiuntur, non haerent radicibus. hanc translationem in eo loco etiam cetera contexta custodiunt«. (»Anderes schließlich ist nicht dunkel, sondern falsch. Hierfür gibt es eine andere Bedingung. Es muß nämlich eher die Regel werden, solche Handschriften nicht zu verstehen, sondern zu emendieren. Hierher gehört auch jenes: Weil Kalb griechisch moschos genannt wird, erkennen manche nicht, daß griechisch moscheumata auf lateinisch plantationes [Wurzelsprößlinge] sind, und übersetzen es statt dessen mit vitulamina [Kälbchen] [Weish. 4, 3]. Dieser Irrtum ist in so viele Handschriften eingedrungen, daß man es kaum anders geschrieben vorfindet. Und trotzdem ist die Bedeutung absolut offensichtlich, weil sie durch die folgenden Worte klar wird, denn ›verfälschte Pflanzen werden keine tiefen Wurzeln schlagen‹ sagt man sinnvoller als ›vitulamina [Kälbchen] werden keine tiefen Wurzeln schlagen‹, welche mit ihren Füßen auf der Erde umhergehen und nicht mit Wurzeln im Boden festgehalten werden. Erstere Übersetzung an dieser Stelle wird auch durch den umgebenden Kontext bestätigt.« In: Augustinus, Die christliche Bildung, a. a. O., S. 60). 207 Hieronymus, Commentariorum in Esaiam Libri, a. a. O., 5, 19, 14. 15: »in eo quoque quod nos transtulimus incuruantem et refrenantem, possumus dicere: incuruum et lasciuientem, ut intellegamus senem et puerum. nos autem uerbum hebraicum agmon, dum celeriter quae scripta sunt uertimus ambiguitate decepti, refrenantem diximus, quod significantius aquila transtulit στρεβλοῦντα, id est: qui nihil recte agit, sed omne peruersum […].« (»Für die Stelle, die wir mit ›incuruantem‹ [gekrümmt] und ›refrenantem‹ [gemäßigt] übersetzt haben, können wir auch sagen: ›incuruum‹ [gekrümmt] und ›lasciuientem‹ [ausgelassen], wenn wir darunter den Greis und den Jungen verstehen. Wir haben aber das hebräische Wort ›agmon‹ mit ›refrenantem‹ [gemäßigt] übersetzt, weil wir durch die Mehrdeutig-

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keit des Wortes aufgrund der Eile bei unserer Übersetzung getäuscht worden sind. Aquila hat [diese Stelle] deutlicher übersetzt, indem er dafür ›streblounta‹ geschrieben hat, das heißt: Der nichts richtig, sondern alles verkehrt macht.« [Übers. N. E.]). 208  Hieronymus, Commentariorum in Esaiam Libri, a. a. O., 5, 19, 14: »Melius reor proprium errorem reprehendere, quam dum erubesco imperitiam confiteri, in errore persistere. In eo quod transtuli et ›erit terra Iuda Aegypto in festivitatem,‹ in Hebraico legitur agga, quod interpretari potest festivitas (unde aggeus in festivum vertitur) et timor, quod significantius Aquila transtulit γύρωσιν, cum aliquis pavidus, et timens circumfert oculos, et advenientem formidat inimicum. Ergo si volumus in bonam partem accipere, quod recordatio Iudae Aegypto sit gaudii, recte festivitas dicitur. Sin autem, ut arbitror, in timorem pro festivitate vertitur, intelligamus formidinem vel pavorem.« 209  Gerhard von Cremona (ca. 1114–87). – Siehe: E. Meyer, Artikel ›Gerhard v. Cremona‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 4, Sp. 1317–1318. 210  Michael Scotus (geb. vor 1200, gest. um 1235). – Siehe: S. Ackermann, Artikel ›Michael Scotus‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 6, Sp. 606–607. 211  Alfredus Anglicus (Lebensdaten ungewiss, zwischen 1170 u. 1250). – Siehe: M. Bauer, Artikel ›Alfredus Anglicus‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 1, Sp. 410. 212  Hermannus Alemannus (gest. 10. Nov. 1272). – Siehe: C.H. Lohr, Artikel ›Hermannus Alemannus‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 4, Sp. 2170–2171. 213  Wilhelm von Moerbeke (ca. 1215–1286). – Siehe: M.-A.  Aris, Artikel ›Wilhelm v. Moerbeke‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 9, Sp. 175–176. 214  Aristoteles, Meteorologica, translatio Guillelmi de Morbeka, hg. v. Gudrun Vuillemin-Diem (= Aristoteles Latinus X, 2.2), Turnhout 2008, III, 2, 372a 21: »Et per diem quidem iris fit, nocte autem a luna, ut quidem antiqui putabant, non fiebat; hoc autem patiebantur propter rarietatem: latebat enim ipsos. Fit tamen, raro autem fit. Causa autem: et quod in tenebris latent colores et alia multa oportet concidere, et omnia hec in die una mensis. In plenilunio enim fieri necesse



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si debeat fore, et tunc oriente aut occumbente; propter quod quidem in annis quinquaginta bis comperimus solum.« (»Ein Regenbogen wird tagsüber sichtbar; an sein Auftreten bei Nacht, vom Mondlicht her, glaubten die Alten nicht. Dieser ihr Eindruck beruhte auf der Seltenheit des Phänomens, das ihnen deswegen verborgen blieb. Es kommt schon vor, aber nicht häufig. Die Ursache ist, daß in der Dunkelheit die Farben nicht zu sehen sind und außerdem noch viele Bedingungen des Entstehens zusammentreffen müssen – und zwar sämtlich an einem einzigen Tag im Monat: ausschließlich bei Vollmond ist ein Mond­ regenbogen zu erwarten, und auch dann nur, wenn der Mond aufoder untergeht. Darum haben wir ihn innerhalb von mehr als fünfzig Jahren nur zweimal erlebt.« In: Aristoteles, Meteorologie, übers. v. Hans Strohm, in: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, hg. v. Ernst Grumach u. Hellmut Flashar, Bd. 12, Darmstadt 1970, S. 77). 215  Anonymus, Vita Aristotelis, in: Aristotelis qui ferebantur librorum fragmenta, hg. v. Valentin Rose, Leipzig 1884, S. 442–450, S. 450: »Dimisit autem filium Nicomachum et filiam Pithaida, proprios autem discipulos Theofrastum, Phaniam, Eudimium, Clitum, Aristoxenum et Dicearchum , tractatus autem mille numero.« (»Er hinterließ aber seinem Sohn Nikomachus, seiner Tochter Pythia und seinen Schülern Theophrast, Phainias, Eudemos, Klytus, Aristoxenos und Dikaiarchos tausend Abhandlungen.« [Übers. N. E.]). 216  Plinius, Naturalis historia, a. a. O., VIII , XVII , 44: »Alexandro Magno rege inflammato cupidine animalium naturas noscendi delegata que hac commentatione Aristoteli, summo in omni doctrina viro, aliquot milia hominum in totius Asiae Graeciae que tractu parere iussa, omnium quos venatus, aucupia piscatus que alebant quibusque vivaria, armenta, alvaria, piscinae, aviaria in cura erant, ne quid usquam genitum ignoraretur ab eo. Quos percunctando quinquaginta ferme volumina illa praeclara de animalibus condidit; quae a me collecta in artum cum iis, quae ignoraverat, quaeso ut legentes boni consulant, in universis rerum naturae operibus medioque clarissimi regum omnium desiderio cura nostra breviter peregrinantes«. (»König Alexander, von der Begierde entflammt, die Natur der Tiere kennen zu lernen, beauftragte Aristoteles, den in jedem Fach ausge-

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zeichneten Gelehrten, mit diesen Forschungen und einige tausend Personen in ganz Asien und Griechenland, die sich alle durch Jagd, Vogelfang und Fischerei ernährten und Tiergärten, Herden, Bienenstöcke, Fischteiche und Vogelhäuser zu besorgen hatten, erhielten den Befehl, seinen Wünschen zu entsprechen, damit ihm kein Lebewesen unbekannt bleibe. Nach ihren Berichten verfaßte Aristoteles nahezu fünfzig berühmte Bücher über die Tiere; diese habe ich mit dem, was ihm unbekannt war, gedrängt zusammengefaßt und bitte dafür nun die Leser um wohlwollende Aufnahme, wenn sie die gesamten Werke der Natur und mitten darin das, was dem Verlangen des berühmtesten aller Könige entsprach, unter meiner Führung kurz durchwandern.« In: ebd., S. 44 f.). 217  Damasius I. war von 366 bis 384 Papst. 218  Vgl. die Erläuterungen des Augustinus: De doctrina christiana, II, IX, 14–II, XVI, 26. 219  Markus 16, 1: »et cum transisset sabbatum Maria Magdalene et Maria Iacobi et Salome emerunt aromata ut venientes unguerent eum.« (»Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben.«) 220  Hugutio von Pisa (Huguccio), Derivationes, a. a. O., C 37, 3: »Item a canopus hic pellicanus avis egiptia in solitudine Nili habitans et, secundum hoc, corripit penultimam, vel componitur a pelle et canus, quia habeat pellem canam, et secundum hoc penultima producitur.« (»Von ›Canopus‹ kommt auch die Bezeichnung des Pelikans, eines ägyptischen Vogels, der in der Einsamkeit der Nilgegend lebt. Daher wird die vorletzte Silbe kurz betont. Oder ›Pelikan‹ wird zusammengesetzt aus ›Haut‹ (pelle) und ›grau‹ (canus), weil er eine graue Haut hat und auch daher wird die vorletzte Silbe betont.« [Übers. N. E.]) 221  Genesis 6, 16: »fenestram in arca facies et in cubito consummabis summitatem ostium autem arcae pones ex latere deorsum cenacula et tristega facies in ea.« (»Ein Fenster sollst du daran machen obenan, eine Elle groß. Die Tür sollst du mitten in seine Seite setzen. Und er soll drei Stockwerke haben, eines unten, das zweite in der Mitte, das dritte oben.«)



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Beda Venerabilis, Libri quatuor in principium Genesis usque ad nativitatem Isaac et eiectionem Ismahelis adnotationum, hg. v. Charles W. Jones, Turnhout 1967 (= CCSL 118). 223  Apostelgeschichte 20, 9: »sedens autem quidam adulescens nomine Eutychus super fenestram cum mergeretur somno gravi disputante diu Paulo eductus somno cecidit de tertio cenaculo deorsum et sublatus est mortuus.« (»Es saß aber ein junger Mann mit Namen Eutychus in einem Fenster und sank in einen tiefen Schlaf, weil Paulus so lange redete; und vom Schlaf überwältigt fiel er hinunter vom dritten Stock und wurde tot aufgehoben.«) 224  Juvencus, Evangeliorum libri IV, a. a. O., 624: »Hoc magis inclamant: ›Nos, nos cruor iste sequatur, / Et genus in nostrum scelus hoc et culpa redundet‹. / Pilatus donat plebi legi que Barabban.« (»Vielmehr rufen sie: ›Sein Blut soll uns folgen und sein Verbrechen und seine Schuld sollen auf unser Volk zurückfallen.‹ Und Pilatus übergibt Barrabas der Menge und dem Gesetz.« [Übers. N. E.]) 225  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 1, S. 36–37: »ANAGLIPHA, orum dicuntur supereminentes picture, sicut solent fieri in frontibus quarundam ecclesiarum. […] Et semper corripitur penultima sillaba in anaglipha et anagliphus, sive ultima sillaba scribatur per f secundum Latinos sive per ph secundum Grecos. Unde in Doctrinali (2073) ubi agitur de mediis sillabis datur regula talis de qua nichil excipitur, ›i super f ponis raro sed eam breviabis.‹ (»ANAGLIPHA, -orum: Nennt man Buchstaben, die über einem Bild stehen, wie man es für gewöhnlich an den Vorderseiten einiger Kirchen sieht. […] In den Worten ›anaglipha‹ und ›anagliphus‹ wird die vorletzte Silbe immer kurz betont, sowohl wenn die letzte Silbe im Lateinischen mit f geschrieben wird als auch wenn sie wie bei den Griechen mit ph geschrieben wird. Daher wird im Doktrinale an der Stelle, die von den mittleren Silben handelt, auch eine Regel aufgestellt, von der es keine Ausnahme gibt: ›Setze selten ein i vor ein f und verkürze [die Silbe] .‹« [Übers. N. E.].). 226  Alexander de Villa Dei, Doctrinale, hg. v. Dietrich Reichling, Berlin 1893. 227  Alexander de Villa Dei, Doctrinale, ebd., Z. 1. 228  Alexander de Villa Dei, Doctrinale, ebd., Z. 2073: »i super f po-

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nis raro, sed eam breviabis.« (»Setze selten ein i vor ein f und verkürze [die Silbe].« [Übers. N. E.]) 229  Psalter 138, 15: »non sunt operta ossa mea a te quibus factus sum in abscondito imaginatus sum in novissimis terrae.« (Psalter 139, 15: »Es war dir mein Gebein nicht verborgen, / als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.«) 230  Augustinus, De doctrina christiana, a. a. O., III , 3, 7: »Est etiam ambiguitas in sono dubio syllabarum et haec utique ad pronuntiationem pertinens. Nam quod scriptum est: Non est absconditum a te os meum, quod fecisti in abscondito, non elucet legenti, utrum correpta littera ›os‹ pronuntiet an producta. Si enim corripiat, ab eo quod sunt ossa; si autem producat, ab eo quod sunt ora, intellegitur numerus singularis.« (»Es kann auch eine Doppeldeutigkeit bei der zweifelhaften Länge von Wortsilben geben, und dies bezieht sich in jedem Fall auf die Aussprache. Denn wenn geschrieben steht: ›Mein os ist nicht vor dir verborgen, das du im Verborgenen gemacht hast‹, wird dem Leser nicht deutlich, ob die Silbe os kurz oder lang ausgesprochen wird. Wenn man sie nämlich kurz ausspricht, bedeutet os ›Knochen‹, mit dem Plural ossa, wenn man sie aber lang ausspricht, bedeutet os ›Mund‹, mit dem Plural ora.« In: Augustinus, Die christliche Bildung, a. a. O., S. 106). 231  Augustinus, De doctrina christiana, a. a. O., III , IV, 8: »Non solum autem istae, sed etiam illae ambiguitates, quae non ad distinctionem uel ad pronuntiationem pertinent, similiter considerandae sunt, qualis illa est ad Thessalonicienses Propterea consolati sumus, fratres, in uobis. Dubium est enim utrum ›O fratres‹ an ›Hos fratres‹; neutrum autem horum est contra fidem; sed graeca lingua hos casus pares non habet et ideo illa inspecta renuntiatur uocatiuus, id est ›O fratres‹. Quod si uoluisset interpres dicere ›propterea consolationem habuimus, fratres, in uobis‹ minus seruitum esset uerbis, sed minus de sententia dubitaretur, aut certe adderetur ›nostri‹; nemo enim fere ambigeret uocatiuum casum esse, cum audieret: Propterea concolati sumus, fratres nostri in uobis. Sed iam hoc periculosis permittitur.« (»Aber nicht nur diese, sondern auch jene Doppeldeutigkeiten, welche sich nicht auf die Interpunktion oder die Aussprache beziehen, müssen ähnlich betrachtet werden, wie z. B. jene im Brief an die Thessa-



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lonicher: ›Deswegen sind wir an euch, fratres, getröstet‹ [1 Thess 3, 7]. Es ist nämlich zweifelhaft, ob fratres als Vokativ ›o Brüder‹ bedeutet oder als Akkusativ ›diese Brüder‹: keine der beiden Möglichkeiten ist gegen den Glauben. Aber die griechische Sprache hat für diese beiden Kasus nicht dieselben Formen, und daher wird, nachdem das griechische Original eingesehen wurde, der Vokativ artikuliert, d. h. ›o Brüder‹. Wenn aber der Übersetzer hätte sagen wollen: ›Deswegen haben wir an euch, Brüder, Trost gehabt‹, wäre er weniger genau dem originalen Wortlaut gefolgt, aber die Aussage wäre weniger zweifelhaft. Oder man könnte zu ›Brüder‹ ›unsere‹ hinzufügen. Niemand nämlich würde etwa unschlüssig sein, daß es sich um einen Vokativ handelt, wenn er hörte: ›Deswegen sind wir an euch getröstet, unsere Brüder‹. Aber es ist ziemlich gefährlich, solche Änderungen zuzulassen.« In: Augustinus, Die christliche Bildung, a. a. O., S. 107 f.) 232  1 Thessalonicher 3, 7: »ideo consolati sumus fratres in vobis in omni necessitate et tribulatione nostra per vestram fidem.« (»Dadurch sind wir, liebe Brüder, euretwegen getröstet worden in aller unsrer Not und Bedrängnis durch euren Glauben.«) 233  Epheser 2, 10: »ipsius enim sumus factura creati in Christo Iesu in operibus bonis quae praeparavit Deus ut in illis ambulemus.« (»Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.«) 234  Römer 6, 23: »stipendia enim peccati mors gratia autem Dei vita aeterna in Christo Iesu Domino nostro.« (»Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.«) 235  Kolosser 1, 23–25: »si tamen permanetis in fide fundati et stabiles et inmobiles ab spe evangelii quod audistis quod praedicatum est in universa creatura quae sub caelo est cuius factus sum ego Paulus minister / qui nunc gaudeo in passionibus pro vobis et adimpleo ea quae desunt passionum Christi in carne mea pro corpore eius quod est ecclesia / cuius factus sum ego minister secundum dispensationem Dei quae data est mihi in vos ut impleam verbum Dei.« (»Wenn ihr nur bleibt im Glauben, gegründet und fest, und nicht weicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt und das gepredigt ist allen Geschöpfen unter dem Himmel. Sein Diener bin ich, Paulus,

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geworden. / Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt, für seinen Leib, das ist die Gemeinde. / Ihr Diener bin ich geworden durch das Amt, das Gott mir gegeben hat, dass ich euch sein Wort reichlich predigen soll.«) 236  Judasbrief, 13: »Fluctus feri maris.« 237  Matthäus 2, 2: »dicentes ubi est qui natus est rex Iudaeorum vidimus enim stellam eius in oriente et venimus adorare eum.« (»Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.«) 238  Ecclesiastes 38, 25: »Sapientia scribae in tempore vacuitatis.« 239  Also: »Schreibe die Weisheit in der Zeit der Muße«. 240  Hieronymus, Epistula 26, Ad Marcellam, in: Sancti Eusebii Hiero­nymi Epistulae, hg. v. Isidor Hillberg, Wien/Leipzig 1910 (= CSEL 54), Bd.1, Ep. 26, 3, S. 221: »Igitur alleluia exprimitur ›laudate dominum‹; ia quippe apud hebraeos unum de decem dei nominibus est. et in illo psalmo, in quo legimus: laudate dominum, quoniam bonus est psalmus, apud hebraeos legitur: ›alleluia chi tob zammer‹.« (»Alleluja wird mit ›lobet den Herrn‹ ausgedrückt; ›ia‹ ist nämlich bei den Hebräern einer der zehn Namen Gottes. Und in jenem Psalm, in welchem wir lesen: ›Lobet den Herrn, denn ein Psalm ist gut‹, wird bei den Hebräern gelesen: ›alleluia chi tob zammer.‹« [Übers. N. E.]) 241  Hiob 36, 32: »in manibus abscondit lucem et praecipit ei ut rursus adveniat.« (»Er bedeckt seine Hände mit Blitzen und bietet sie auf gegen den, der ihn angreift.«) 242  Gregor der Große, Moralia in Job, a. a. O., 27, 14, 27: »Si autem in manibus, nequaquam per datiuum casum unum nomen, sed duas partes orationis accipimus; potest intellegi, quia in manibus lux absconditur, cum apud rectum iudicem iniqui quique in suis operibus caecantur.« (»Wenn wir jedoch ›in manibus‹ nicht als ein Nomen im Dativ nehmen, sondern als zwei verschiedene Teile einer Rede, dann kann man [diese Stelle] auch so verstehen, dass das Licht in den Händen verborgen ist, wenn die Ungerechten bei ihren eigenen Werken durch den gerechten Richter blind gemacht werden.« [Übers. N. E.]) 243  Im Manuskript steht (nach Brewer, S. 479, Anm. 1): »evaginate lunate«. – Vgl. Hezekiel 21, 28: »et tu fili hominis propheta et dic haec



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dicit Dominus Deus ad filios Ammon et ad obprobrium eorum et dices mucro mucro evaginate ad occidendum limate ut interficias et fulgeas.« (»Hezekiel 21, 33: »Und du, Menschenkind, weissage und sprich: So spricht Gott der Herr über die Ammoniter und über ihr Schmähen: Du sollst sagen: Das Schwert, das Schwert ist gezückt, dass es schlachten soll; es ist gefegt, dass es töten soll, und soll blinken.«) 244  Ecclesiastes [Jesus Sirach] 46, 19: »et invocavit Deum potentem in obpugnando hostes circumstantes undique in oblatione viri inviolati«. (»Und er rief den mächtigen Gott an, als die Feinde von allen Seiten auf sie eindrangen, indem er unversehrte Männer opferte.« [Übers. N. E.]) 245  Ecclesiastes [Jesus Sirach] 28, 19: »lingua tertia mulieres viritas eiecit et privavit illas laboribus suis«. (»Ein Schandmaul verstößt redliche Frauen und raubt ihnen, was sie sauer erwarben.«) 246  Genesis 25, 8: »et deficiens mortuus est in senectute bona provectaeque aetatis et plenus dierum congregatusque est ad populum suum.« (»Und Abraham verschied und starb in einem guten Alter, als er alt und lebenssatt war, und wurde zu seinen Vätern versammelt.«) 247  Nahum 3, 7: »et erit omnis qui viderit te resiliet a te et dicet vastata est Nineve quis commovebit super te caput unde quaeram consolatorem tibi.« (»dass alle, die dich sehen, vor dir fliehen und sagen sollen: Ninive ist verwüstet; wer will Mitleid mit dir haben? Und wo soll ich dir Tröster suchen?«) 248  Deuteronomium 12, 15: »sin autem comedere volueris et te esus carnium delectarit occide et comede iuxta benedictionem Domini Dei tui quam dedit tibi in urbibus tuis sive inmundum fuerit hoc est maculatum et debile sive mundum hoc est integrum et sine macula quod offerri licet sicut capream et cervum comedes.« (»Doch darfst du in allen deinen Städten ganz nach Herzenslust schlachten und Fleisch essen nach dem Segen des Herrn, deines Gottes, den er dir gegeben hat. Der Reine wie der Unreine dürfen davon essen, so wie man Reh oder Hirsch isst.«) 249  Genesis 32, 2: »quos cum vidisset ait castra Dei sunt haec et appellavit nomen loci illius Manaim id est Castra.« (»Und als er sie sah, sprach er: Hier ist Gottes Heerlager, und nannte diese Stätte Mahanajim.«)

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Genesis 35, 18: »egrediente autem anima prae dolore et inminente iam morte vocavit nomen filii sui Benoni id est filius doloris mei pater vero appellavit eum Beniamin id est filius dexterae.« (»Als ihr aber das Leben entwich und sie sterben musste, nannte sie ihn BenOni, aber sein Vater nannte ihn Ben-Jamin.«) 251  Im Folgenden spricht Bacon über die damals gebräuchlichen Satzzeichen zur Unterteilung eines Textes. Diese weichen stark von den heutigen ab. Um dem Leser einen einführenden Überblick zu geben, sei der Abschnitt aus Isidor von Sevillas Etymologiae zitiert (in der deutschen Übersetzung von Lenelotte Müller): »Die Satzzeichen sind Gebilde zur Trennung der Sinneinheiten durch cola (Punkte), commata und periodi (Strichpunkt), welche, solange sie nach der rechten Ordnung gesetzt werden, uns den Sinn des Geschriebenen eröffnen. Sie werden aber positura genannt, weil sie durch gesetzte (positi) Punkte geschrieben werden oder weil hier die Stimme durch eine Pause der [gedanklichen] Trennung gesenkt wird (deponere). […] Das erste Satzzeichen wird subdistinctio oder Komma genannt. Das mittlere heißt sequens oder Punkt (colon); das letzte Trennzeichen, das den ganzen Satz abschließt heißt Strichpunkt (periodus); dessen Teile sind, wie wir gesagt haben, Punkt und Komma; deren Unterschiedlichkeit wird dadurch angezeigt, dass die Zeichen an verschiedenen Stellen gesetzt werden. Wo nämlich am Anfang des Vortrages noch nicht der ganze Sinn der Aussage enthalten ist, und dennoch bereits Luft geholt werden muss, wird ein Komma gesetzt, das ist der Sinnteiler; und das Zeichen wird unten (subtus) an den Buchstaben gesetzt, und es [wird] subdistinctio genannt, weil das Zeichen seinen Ansatz unten am Buchstaben nimmt. Wo aber im Verlauf bereits der Sinn des Satzes dasteht, aber noch etwas zur Vollständigkeit des Satzes zu sagen bleibt, wird ein Punkt gesetzt, und zwar an die Mitte des Buchstabens […]. Wo wir aber beim Vortrag der einzelnen Schritte eine vollständige Sinneinheit abschließen, wird ein Strichpunkt gemacht, und man setzt das Zeichen an die Spitze des Buchstabens. […] So jedenfalls bei den Rednern. Bei den Dichtern, wo im Vers nach zwei Versfüßen eine Silbe übrig bleibt, steht ein Komma, weil dort nach einer Steigung (scansio) eine Senkung (praecisio) folgt. Wo jedoch nach zwei Versfüßen keine Silbe mehr bleibt, steht ein Punkt. Der ganze



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Vers aber ist [in der Regel] ein Satz.« (In: Isidor von Sevilla, Enzyklopädie, a. a. O., I, 20, S. 42 f.). 252  Hier ist natürlich Vorsicht angebracht, da die mittelalterliche Zeichensetzung von der heutigen abweicht. Ein ›Colon‹ zeigte für den Lesenden eine längere Pause und ein Absenken der Stimme an, läßt sich also am ehesten mit dem heutigen Punkt vergleichen. 253  Das ›Coma‹ wurde nach einem unvollständigen Teilsatz gesetzt, um anzuzeigen, wo beim Vortrag Luft geholt werden kann. 254  Die ›Periode‹ wurde gesetzt, um anzuzeigen, dass ein Sinn­ abschnitt beendet ist und bezeichnete quasi die größte Sinneinheit eines Satzgefüges. – Vgl. ausführlich zu den unterschiedlichen Defini­ tionen von Kolon, Komma und Periode die entsprechenden Artikel in: Gert Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, 11 Bde., Tübingen 1992–2014. 255  Matthäus 8, 3: »et extendens manum tetigit eum Iesus dicens volo mundare et confestim mundata est lepra eius« (»Und Jesus streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will’s tun; sei rein! Und sogleich wurde er von seinem Aussatz rein.«) 256  Lukas 13, 9: »et si quidem fecerit fructum sin autem in futurum succides.« (»ob er wolle Frucht bringen, wo nicht, so haue ihn darnach ab.«) 257  Genesis 2, 4–5: »istae generationes caeli et terrae quando creatae sunt in die quo fecit Dominus Deus caelum et terram. et omne virgultum agri antequam oreretur in terra omnemque herbam regionis priusquam germinaret non enim pluerat Dominus Deus super terram et homo non erat qui operaretur terram.« (»So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden. Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute.«) 258  Genesis 1, 11: »et ait germinet terra herbam virentem et facientem semen et lignum pomiferum faciens fructum iuxta genus suum cuius semen in semet ipso sit super terram et factum est ita.« (»Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen

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bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so.«) 259  Andreas von St.-Viktor, Schüler von Hugo von St.-Viktor und Magister der Theologie (gest. 1175 in Wigmore). – Vgl. G. Ruppert, Art. »Andreas v. St.-Victor«, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 1, Sp. 610–611; vgl. auch: William McKane, Selected Christian Hebraists, Cambridge 1989, S. 42 ff. 260  Levitikus 11, 5: »chyrogryllius qui ruminat ungulamque non dividit inmundus est. (»den Klippdachs, denn er ist zwar ein Wiederkäuer, hat aber keine durchgespaltenen Klauen; darum soll er euch unrein sein.«) 261  Deuteronomium 14, 7: »De his autem quae ruminant et ungulam non findunt haec comedere non debetis / camelum leporem choerogyllium quia ruminant et non dividunt ungulam / inmunda erunt vobis.« (»Diese Tiere aber sollt ihr nicht essen unter denen, die wiederkäuen und die gespaltene Klauen haben: das Kamel, den Hasen und den Klippdachs, die wiederkäuen, deren Klauen aber nicht ganz durchgespalten sind; darum sollen sie euch unrein sein.«) 262  Es handelt sich bei diesem Tier um ein Tier des hebräischen Namens shafan sela, die zoologische Bezeichnung hierfür ist Hyrax Syriacus. Dieses Tier gehört zur Gattung der Schliefer (kaninchengroße Säugetiere, die vor allem in Afrika und im Südwesten Asiens leben. Der Klippschliefer (um den es hier zu gehen scheint) lebt auch im Libanon). Über dieses Tier herrschte jedoch seit seiner Erwähnung im Alten Testament Verwirrung. – Siehe: Peter France, An Encyclopedia of Bible Animals, Tel Aviv 1986, S. 42–43; Ilya Dines, The textual and pictorial metamorphoses of the animal called Chyrogrillus, in: Science translated. Latin and vernacular translations of scientific treatises in medieval Europe, hg. v. Michèle Goyens u. a., Löwen 2008, S. 73–90. – Die ganze folgende Diskussion über die Übersetzung des Wortes ›chirogrillus‹ ist bei Bacon verwirrend, weil er selber nicht genau wissen kann, wie es zu übersetzen ist. 263  Die Übersetzung des griechischen Neologismus χοιρογρύλλιον, das man in der Septuaginta für das hebräische Wort shāpān benutzt hat, ist nach wie vor ungeklärt. So wird es in der neuesten deutschen Übersetzung der Septuaginta im Levitikus folgendermaßen wieder-



anmerkungen

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gegeben (Lev. 11, 6): »[und] das Kaninchen [χοιρογρύλλιον]; denn dieses käut wieder, aber zweiteilt die Klaue nicht; dieser ist unrein für euch;« – Im Kommentar zu dieser Stelle finden wir hier keine Anmerkungen. In der Übersetzung des Buches Deuteronomium steht jedoch für dasselbe Wort χοιρογρύλλιον (Deut. 14, 7): »Aber diese dürft ihr nicht essen von den Wiederkäuern und von den Paarhufern mit gespaltenen Hufnägeln: das Kamel und den Hasen und das Stachelschwein [χοιρογρύλλιον] […].« Hier die Anmerkung zu dieser Passage: »Stachelschwein: Viele Forscher favorisieren für den griech. Neologismus χοιρογρύλλιον in Entsprechung zum MT eine Übs. Als ›Hase‹ oder ›Kaninchen‹ […]. Die griechische Vokabel verweist aufgrund ihrer Bestandteile (χοιρος ›Schwein‹, γρύλλιζω ›grunzen‹) aber eher auf ein Tier der Gattung Schwein; unsere Übs. folgt daher REHKOPF, 311.« – Auch hier wird noch dieselbe Unsicherheit deutlich, die auch schon Bacon und die mittelalterlichen Glossatoren geplagt hatte. – Vgl. Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, hg. v. Alfred Rahlfs, Stuttgart 1935, S. 174 (Lev. 11, 6) und S. 313 (Deut. 14, 7); Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg. v. Wolfgang Kraus u. Martin Karrer, Stuttgart 2009, S. 109 (Lev. 11, 6) und 192 (Deut. 14, 7); Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, hg. v. Martin Karrer u. Wolfgang Kraus, 2 Bde., Stuttgart 2011, Bd. 1, S. 565. 264  Teil des heutigen Schottland. 265  Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum, hg. v. Paul de Lagarde, Turnhout 1959 (= CCSL 72), S. 128, Z. 20: »Safan chirogryllius lepus uel ericius siue labium eorum.« (»Safan: Chirogrillus, Hase oder Igel oder auch die Lippen [von diesen Tieren].« [Übers. N. E.]) 266  Hieronymus, Epistula 106, in: Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae, Bd. 2, hg. v. Isidor Hilberg, Wien/Leipzig 1918 (= CSEL 55), § 65, S. 285: »in eodem: petra refugium ericiis [Ps. 103, 18]. pro quo in hebraeo positum est ›sphannim‹ et omnes τοις χοιρογρυλλιος uoce simili transtulerunt exceptis septuaginta, qui ›lepores‹ interpretati sunt. Sciendum autem animal esse non maius ericio, habens similitudinem muris et ursi, unde et in palaestina αρκομυς dicitur.« (Ebenso: ›Die

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anmerkungen

Felsen sind eine Zuflucht für Igel‹ [Ps. 103, 18]. Hierfür steht im Hebräischen [das Wort] ›sphannim‹, das alle mit ›chirogrillus‹ übersetzt haben, außer die Septuaginta, die das Wort ›Hasen‹ [lepores] benutzt. Man muss auch wissen, dass dieses Tier nicht größer als ein Igel ist und dass es der Maus und dem Bären ähnlich ist. In Palästina wird es ›arkomys‹ genannt.« [Übers. N. E.]) 267  So etwa in der glossa interlinearis des Anselm von Laon, Levitici XI, 5: »Chirogyllus est animal spinosum maius herinatio.« (»Der Chyrogrillus ist ein stacheliges Tier, das größer ist, als der Igel.«) (In: Biblia latina cum glossa ordinaria Walafridi Strabonis aliorumque. Et interlineari Anselmi Laudunensis. Et cum postillis ac moralitatibus Nicolai de Lyra. Et expositionibus Guillelmi Britonis in omnes prologos S. Hieronymi et additionibus Pauli Burgensis replicisque Matthiae Doering, hg. v. Sebastian Brant, Basel 1498, Bd. 1, f. 470.) 268 Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 1, S. 132: »CIROGRILLUS idem est quod erinacius. Unde dicit glosa Levitici xi (5) introducens illud Psalmi (103, 18), ›petra refugium erinaciis sive cyrogrillis‹ et dicit eadem glosa quod est animale debile, rapax et mortiferum. Interlinearis autem xi Levitici dicit quod est animal spinosum, minus ericio. De hoc quere inferius ubi exponitur ericius et erinacius.« (»›Cirogrillus‹ ist dasselbe wie der ›Igel‹. Dies steht auch in der Glosse zu Levitikus xi (5), wo der Psalm (103, 18) angeführt wird: ›Die Felsen sind eine Zuflucht für die Igel oder auch die cyrogrillis‹. In derselben Glosse steht auch, dass dies ein schwaches, räuberisches und tödliches Tier sei. In der Interlinearglosse zu Levitikus xi steht, dass es ein stacheliges Tier sei, wenn auch weniger [stachelig] als der Igel. Schaue dazu näher weiter unten, wo ›Igel‹ erklärt wird.« [Übers. N. E.]). 269  Siehe Anm. 267. 270  Sprüche 30, 26: »lepusculus plebs invalida quae conlocat in petra cubile suum.« (»die Klippdachse – ein schwaches Volk, dennoch bauen sie ihr Haus in den Felsen«). Hier gibt die revidierte Luther­ übersetzung ›Klippdachs‹ für ›lepusculus‹ an, was jedoch nicht korrekt ist, da ›lepusculus‹ ›Häschen‹ bedeutet – eben gegen diese Übersetzung von ›chirogrillus‹ als ›Hase‹ wendet sich Bacon an dieser Stelle.



anmerkungen 271 

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Also in der Septuaginta. – Vgl. zu dem gesamten Problem den Artikel: Ilya Dines, The textual and pictorial metamorphoses of the animal called Chyrogrillus, in: Science translated. Latin and vernacular translations of scientific treatises in medieval Europe, a. a. O., S. 73–90; siehe insbesondere die Tabelle dort im Anhang, in welcher die Passagen im hebräischen Original, den griechischen SeptugintaFassungen und der lateinischen Vulgata-Fassung des Hieronymus aufgelistet sind (ebd., S. 89). 272  Vgl. Anm. 263. 273  Vgl. Anm 266. 274  Psalter 103, 18: »montes excelsi cervis petra refugium erinaciis« (»Die Felsen sind eine Zuflucht für Igel« [Übers. N. E.]) 275  Plinius, Naturalis historia, a. a. O., VIII , 217: »Et leporum plura sunt genera. In Alpibus candidi, quibus hibernis mensibus pro cibatu nivem credunt esse; certe liquescente ea rutilescunt annis omnibus; et est alioqui animal intolerandi rigoris alumnum. Leporum generis sunt et quos Hispania cuniculos appellat, fecunditatis innumerae famenque Baliarum insulis populatis messibus adferentes.« (»Auch von den Hasen gibt es mehrere Arten. In den Alpen leben die weißen, und man glaubt, in den Wintermonaten diene ihnen Schnee als zur Nahrung; gewiß ist, daß sie alljährlich bei der Schneeschmelze ein rötliches Fell bekommen; und es ist überhaupt dieses Tier ein Sprößling unterträglicher Kälte. Zum Hasengeschlecht gehören auch die Tiere, welche man in Spanien Kaninchen [cuniculi] nennt; ihre Fruchbarkeit geht ins Unendliche und sie verursachen auf den Balearischen Inseln durch Vernichtung der Ernten Hungersnot.« In: ebd., S. 158 f.) 276  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie , Bd. 2, S. 475: »NICTICORAX, acis dicitur a nictos, quod est nox, et corax, quod est corvus, quasi corvus noctis quia de nocte volat vel quia de nocte vigilat. De qua dicitur Ysidorus Ethimologiarum xii (7, 41), ›Nicticorax ipsa est noctua quia noctem amat. Est enim lucifuga et solem videre non patitur‹. […].« (»NICTICORAX, acis kommt von ›nictos‹, was ›Nacht‹ bedeutet und ›corax‹, was ein Rabe ist. Also ein Nachtrabe, der nachts fliegt oder auch der nachts wacht. Von diesem sagt Isidor in seiner Enzyklopädie xii (7, 41): ›Nycticorax ist selbst eine Nachteule, weil er die Nacht liebt‹.« [Übers. N. E.])

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anmerkungen

Hieronymus, Epistula 106, in: Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae, Bd. 2, a. a. O., § 63, S. 279, 8: »in eodem: factus sum sicut nυκτικόραξ in domicilio. quod similiter habetur in graeco; et quaeritis, quid significet nυκτικόραξ apud latinos. In hebraeo pro nycticorace uerbum ›bos‹ scriptum est, quod aquila et septuaginta et theodotio et quinta editio ›nycticoracem‹ interpretati sunt, symmachus ›upupam‹, sexta editio ›noctuam‹, quod et nos magis sequimur. denique, ubi apud nostros et graecos legitur: factus sum sum sicut nυκτικόραξ in domicilio, apud hebraeos dicitur: factus sum sicut noctua in ruinosis.« (»An derselben Stelle: ›Ich habe es gemacht wie der nycticorax in seinem Heim‹. Ähnlich steht es auch im Griechischen. Ihr werdet sicher fragen, was nυκτικόραξ bei den Lateinern bedeuten mag. Im Hebräischen steht für nυκτικόραξ das Wort ›bos‹, welches Aquila, die Septuaginta, Theodotios und die fünfte Spalte mit ›nycticoracem‹ übersetzt haben. Symmachus hat es mit ›upupam‹ [Wiedehopf] übersetzt, in der sechsten Auflage steht hierfür ›noctuam‹ [Eule] und dieser Interpretation wollen wir auch am meisten folgen. Schließlich wird bei den Hebräern für die Stelle, an der bei uns und bei den Griechen gelesen werden kann: ›Ich habe es gemacht wie der nycticorax in seinem Heim‹ gesagt: Ich habe es gemacht wie die Eule in den Ruinen.« [Übers. N. E.]) 278  Deuteronomium 14, 12–18: »Immundas ne comedatis: aquilam scilicet, et gryphem et haliaeetum, ixion et vulturem ac milvum iuxta genus suum; et omne corvini generis; struthionem, ac noctuam, et larum, atque accipitrem iuxta genus suum; herodium ac cycnum, et ibin, ac mergulum, porphirionem, et nycticoracem, onocrotalum, et charadrium, singula in genere suo; upupam quoque et vespertilionem.« – Ich verzichte hier auf eine Übersetzung, weil diese in jeder deutschen Bibelübersetzung wechselt. Wichtig ist hier nur, dass in der Vulgata sowohl die Eule [noctuam] als auch der nycticorax erwähnt werden. 279  Levitikus 11, 13–19: »Haec sunt quae de avibus comedere non debetis, et vitanda sunt vobis: aquilam, et gryphem, et hlieetum, et milvum vulturem juxta genus suum, et omne corvini generis in similitudinnem suam, struthionem et noctuam et larum et accipitrem iuxta genus suum, / bubonem et mergulum et ibin, / et cygnum, et onocrotalum, et porphyrionem, herodionem et charadrion juxta ge-



anmerkungen

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nus suum, upupam quoque, et vespertilioem.« – Auch hier verzichte ich aus denselben Gründen wie in der vorigen Anmerkung auf eine Übersetzung. Bacons Bemerkung, dass im Griechischen an der Stelle, die in der Vulgata mit »bubo« übersetzt worden ist, im Griechischen ›νυκτικορακα‹ steht, ist richtig. – Vgl. Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, hg. v. Alfred Rahlfs, Stuttgart 1935, S. 174 (Lev. 11, 11). 280  Plinius, Naturalis historia, a. a. O., X, 16–138. 281  Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive Originum libri, a. a. O., XII, 7, 40 f.: »Noctua autem non est bubo; nam bubo maior est. Nycticorax ipsa est noctua, quia noctem amat. Est enim auis lucifuga, et solem uidere non patitur«. (»Die Nachteule ist aber kein Uhu, denn der Uhu ist größer. Nycticorax (Nachtrabe) ist selbst eine Nachteule, weil er die Nacht liebt. Er ist aber ein lichtscheuer Vogel und erträgt es nicht, die Sonne zu sehen.« In: Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., S. 483.) 282  ›Porphyrion‹ ist der ›Purpurvogel‹ eine Art Wasserhuhn. – Vgl. Karl Ernst Georges, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, 2 Bde., Tübingen 1951, Bd. 2, Sp. 1785. 283  ›Onocrotalus‹ ist im Lateinischen die ›Kropfgans‹. – Vgl. ebd., Sp. 1349. 284  Siehe Anm. 278. 285  Briton, Summa Britonis sive Guillelmi Britonis expositiones vocabulorum Biblie, a. a. O., Bd. 2, S. 578: »PORPHIRIO pro quo lxx interpretes pellicanum transtulerunt avis quedam est que in lege comedi prohibetur. […].« (»PORPHIRIO, den die siebzig Interpreten mit ›Pelikan‹ übersetzt haben. Das ist ein Vogel, dessen Verzehr im Gesetz verboten wird.« [Übers. N. E.]) 286  Plinius, Naturalis historia, a. a. O., X, 131: »Olorum similitudinem onocrotali habent, nec distare existimarentur omnino, nisi faucibus ipsis inesset alterius uteri genus. Huc omnia inexplebile animal congerit, mira ut sit capacitas. Mox perfecta rapina sensim inde in os reddita in veram alvum ruminantis modo refert. Gallia hos septentrionalis proxima Oceano mittit.« (»Die Pelikane haben Ähnlichkeit mit den Schwänen, und man würde überhaupt keinen Unterschied finden, wenn sie nicht in ihrem Schlunde eine Art von zweitem Magen

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anmerkungen

hätten. Darin sammelt das unersättliche Tier alles an, wobei das Fassungsvermögen erstaunlich ist. Dann, nach vollendetem Raub, kehrt dieses Futter allmählich in den Schnabel zurück und gelangt nach Art der Wiederkäuer in den eigentlichen Magen. Nordgallien nahe dem Ozean liefert diese [Vögel].« In: ebd., S. 93.) 287  Plinius, Naturalis historia, a. a. O., X, 129: »Porphyrio solus morsu bibit; idem est proprio genere, omnem cibum aqua subinde tinguens, deinde pede ad rostrum veluti manu adferens. Laudatissimi in Commagene; rostra his et praelonga crura rubent.« (»Das Purpurhuhn allein trinkt durch Schnappen; es hat auch die Eigenart, jede Speise mehrmals ins Wasser zu tauchen und dann mit einem Fuß, wie mit einer Hand, zum Schnabel zu führen. Am meisten werden die Purpurhühner von Kommagene gelobt; ihre Schnäbel und ihre langen Beine sind rot.« In: ebd., S. 93.) 288  Gängige Meinung im Mittelalter. Siehe etwa den Physiologus: »Schön spricht David [Ps. 101, 7]: ›Ich bin gleich einem Pelikan in der Wüste‹. Der Physiologus sagte vom Pelikan, er liebe seine Kinder über alle Maßen. Hat er nämlich die Jungen ausgebrütet und sind sie ein wenig gewachsen, hacken sie ihren Eltern ins Gesicht; die Eltern aber hacken zurück auf die Jungen und töten sie. Später aber tut es den Eltern der Kinder leid, und sie betrauern die Jungen, die sie haben, drei Tage lang. Am dritten Tag nun reißt sich ihre Mutter die Seiten auf, und ihr Blut, das auf den toten Körper der Jungen herabtropft, erweckt diese wieder zum Leben.« (In: Anonymus, Physiologus, gr.-dt., hg. u. übers. v. Otto Schönberger, Stuttgart 2001, S. 11). 289  Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri, a. a. O., XII, 7, 26: »Pelicanus auis Aegyptia habitans in solitudine Nili fluminis, unde et nomen sumpsit; nam Canopos Aegyptus dicitur. Fertur, si uerum sit, eam occidere natos suos, eos que per triduum lugere, deinde se ipsam uulnerare et aspersione sui sanguinis uiuificare filios.« (»Der Pelikan ist ein Vogel, der in Ägypten wohnt in der Einsamkeit des Nilflusses, woher er auch den Namen hat, denn Canopos heißt Ägypten. Mann [sic] berichtet, wenn es wahr ist, dass er seine eigenen Jungen töte und drei Tage betrauere, dann aber sich selbst verwunde und durch das Vergießen seines Blutes seine Kinder wiederbelebe.« In: Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., S. 481.)



anmerkungen 290 

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Genesis 7, 6: »eratque sescentorum annorum quando diluvii aquae inundaverunt super terram« (»Er war aber sechshundert Jahre alt, als die Sintflut auf Erden kam.«) 291  Petrus Comestor, Historia Scholastica, Kap. 33, in: Patrologia Latina 198, Paris 1855 (= PL 198), 1084 B: »Sexcentesimo anno vitae suae ingressus est Noe in arcam cum omnibus, quae dixerat ei Dominus, quae et nutu divino, et angelorum ministerio adducta sunt, mense secundo die decima septima qui ab Hebraeis Nisan dicitur, a Latinis Maius, a Macedonibus Dion. Moyses autem in legitimis Nisan, id est Aprilem, primum mensem constituit, secundum Josephum.« (»In seinem sechshundertsten Lebensjahr ist Noah mit allem in die Arche eingetreten, so wie es der Herr ihm mit seinem göttlichen Wink geheißen und ihm die Hilfe seiner Engel beigegeben hatte. Dies geschah am siebzehnten Tag des zweiten Monats, der von den Hebaräern ›Nisan‹ genannt wird. Von den Lateinern wird er ›Mai‹ genannt, von den Makedoniern ›Dion‹. Moses hat aber gemäß dem Zeugnis Josephus‹ in den Gesetzen den Monat ›Nisan‹, das ist der April, als ersten Monat festgelegt.« [Übers. N. E.]) 292  Flavius Josephus, Antiquitatum Iudicarum Libri I–V, a. a. O., I, 3, 3: Συνέβη δὲ τοῦτο τὸ πάθος κατὰ τὸ ἑξακοσιοστὸν ἔτος ἤδη Νώχου τῆς ἀρχῆς, ἐν μηνὶ δευτέρῳ Δίῳ μὲν ὑπὸ Μακεδόνων λεγομένῳ, Μαρσουάνῃ δ᾽ ὑπὸ Ἑβραίων: οὕτω γὰρ ἐν Αἰγύπτῳ τὸν ἐνιαυτὸν ἦσαν διατεταχότες. Μωυσῆς δὲ τὸν Νισᾶν, ὅς ἐστι Ξανθικός, μῆνα πρῶτον ἐπὶ ταῖς ἑορταῖς ὥρισε κατὰ τοῦτον ἐξ Αἰγύπτου τοὺς Ἑβραίους προαγαγών: οὗτος δ᾽ αὐτῷ καὶ πρὸς ἁπάσας τὰς εἰς τὸ θεῖον τιμὰς ἦρχεν, ἐπὶ μέντοι γε πράσεις καὶ ὠνὰς καὶ τὴν ἄλλην διοίκησιν τὸν πρῶτον κόσμον διεφύλαξε: τὴν δ᾽ ἐπομβρίαν ἄρξασθαί φησιν ἑβδόμῃ τοῦ προειρημένου μηνὸς καὶ εἰκάδι. (»Die Überschwemmung ereignete sich im sechshundertsten Lebensjahre Noes, im zweiten Monat, der von den Makedoniern Dios, von den Hebräern aber Marsuane genannt wird; denn so wurde in Ägypten das Jahr eingeteilt. Moyses aber setzte für die Einrichtung der Festtage als ersten Monat den Nisan oder Xanthikos fest, weil er in diesem die Hebräer aus Ägypten geführt hatte. Auch bei allem auf den Gottesdienst Bezüglichen nahm er diesen Monat als Ausgangspunkt, wogegen er für Käufe und Verkäufe sowie die übrigen die frühere Ordnung beibehielt. Nach Moyses begann die Überflutung

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anmerkungen

am siebenundzwanzigsten des vorgenannten Monats.« In: Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, a. a. O., I, 3, 3.) 293  Beda Venerabilis, De temporum ratione liber, in: Bedae Venerabilis Opera, Pars VI, 2, hg. v. Charles W. Johnes, Turnhout 1977 (=  CCSL 123b), XI, 7, S. 313 f.: »Antiqui enim menses suos non a solis sed a lunae cursu computare solebant; unde quoties in Scriptura sacra, sive in lege, seu ante legem quota die mensis quid factum dictumve sit indicatur, non aliud quam lunae aetas significatur, a qua semper Hebraei, quibus credita sunt eloquia Dei, antiquo patrum more, menses observare non cessant. Primum mensem novorum, qui Paschae ceremoniis sacratus est, Nisan appellantes, qui propter multivagum lunae discursum, nunc in Martium mensem, nunc incidit in Aprilem, nunc aliquot dies Maii mensis occupat. Sed rectius Aprili deputatur, quia semper in ipso vel incipit vel desinit, vel totus includitur […]. Secundus eorum mensis Jar Maio, tertius Sivan Junio, quartus Thamul Julio, quintus Aab Augusto, sextus Elul Septembri, septimus Theseri Octobri, quem propter collectionem frugum et celeberrimas in ipso festivitates, novum annum appellant, octavus Maresuan Novembri, nonus Casseu Decembri, decimus Tebet Januario, undecimus Sabat Februario, duodecimus Adar Martio, simili ratione, comparatur.« (»Die Menschen des Altertums haben ihre Monate für gewöhnlich nicht nach dem Verlauf der Sonne, sondern nach dem Verlauf des Mondes berechnet. Wann auch immer die Heilige Schrift (sowohl vor der Zeit des Gesetzes als auch in der Zeit des Gesetzes) also von einem Tag in einem Monat spricht, an dem etwas gesagt oder getan worden ist, bedeutet [diese Zeitangabe] nichts anderes als das Mond­a lter. Die Hebräer, denen die Aussprüche Gottes gelten, haben niemals aufgehört, die Einteilung der Monate gemäß ihrer Vorfahren zu beachten. Sie nennen den ersten Monat der neuen Früchte, der den Zeremonien des Passahfestes gewidmet ist, [den Monat] Nisan. Wegen des sich ändernden Verlaufs des Mondes fällt es manchmal in den März, manchmal in den April und manchmal erstreckt es sich sogar bis in die ersten Tage des Monats Mai. Aber eigentlich fällt es in den April und beginnt, endet oder ist sogar vollständig im April enthalten […]. Durch eine ähnliche Berechnung entspricht ihr zweiter Monat ›Jar‹ dem Monat Mai, der dritte Monat ›Sivan‹ dem Juni, der vierte Monat



anmerkungen

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›Thamul‹ dem Juli, der fünfte Monat ›Aab‹ dem August, der sechste Monat ›Elul‹ dem September, der siebente Monat ›Theseri‹ dem Oktober, mit dem sie wegen der Sammlung der Früchte und der vielen äußerst feierungswürdigen Feste das neue Jahr beginnen, der achte Monat ›Meresuan‹ dem November, der neunte Monat ›Casseu‹ dem Dezember, der zehnte Monat ›Tebet‹ dem Januar, der elfte Monat ›Sabat‹ dem Februar, der zwölfte Monat ›Adar‹ dem März.« [Übers. N. E.]) 294  Siehe Anm. 291. 295  Siehe Anm. 293. 296  Flavius Josephus, Antiquitatum Iudicarum Libri I–V, a. a. O., I, 3, 3. 297  Siehe Anm. 293. 298  Hieronymus, Epistula 149, in: Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae, Bd. 3, hg. v. Isidor Hilberg, Wien/Leipzig 1918 (= CSEL 56), § 5, S. 361: »De scenopegia et in fine anni solaris. apud Hebraeos item VIIo mense, quando congregantur fructus in horrea siue in cellaria, tunc sollempnia celebrare lege praeceptum est, id est primo die tubarum, Xa die expiationum celebrare debere sabbata et a quinta decima die per dies VII, usquedum finiantur, VIIIuo tabernaculorum feriae esse praecipiuntur.« 299  Exodus 23, 16: »Et sollemnitatem messis primitivorum operis tui quaecumque serueris in agro sollemnitatem quoque in exitu anni quando congregaveris omnes fruges tuas de agro.«(»Und das Fest der Ernte, der Erstlinge deiner Früchte, die du auf dem Felde gesät hast, und das Fest der Lese am Ausgang des Jahres, wenn du den Ertrag deiner Arbeit eingesammelt hast vom Felde.«) 300  Exodus 34, 22: »sollemnitatem ebdomadarum facies tibi in primitiis frugum messis tuae triticeae et sollemnitatem quando redeunte anni tempore cuncta conduntur.« (»Das Wochenfest sollst du halten mit den Erstlingen der Weizenernte und das Fest der Lese, wenn das Jahr um ist.«) 301  Eigentlich des zwanzigsten Jahres. 302  Nehemia 1, 1: »verba Neemiae filii Echliae et factum est in mense casleu anno vicesimo et ego eram in Susis castro« (»Dies ist die Geschichte Nehemias, des Sohnes Hachaljas. Es geschah im Monat Kislew des zwanzigsten Jahres, als ich in der Festung Susa war,«)

246 303 

anmerkungen

Nehemia 2,1: »factum est autem in mense nisan anno vicesimo Artarxersis regis et vinum erat ante eum et levavi vinum et dedi regi et non eram quasi languidus ante faciem eius.« (»Im Monat Nisan des zwanzigsten Jahres des Königs Artahsasta, als Wein vor ihm stand, nahm ich den Wein und gab ihn dem König, und ich stand traurig vor ihm.«) 304  Exodus 12, 2: »mensis iste vobis principium mensuum primus erit in mensibus anni.« (»Dieser Monat soll bei euch der erste Monat sein, und von ihm an sollt ihr die Monate des Jahres zählen.«) 305  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., I, 3–8. 306  ›Mutae‹ sind phonetisch sog. ›stumme Verschlußlaute‹, zu diesen zählen: p, t, c, q. – Vgl. Hermann Throm, Lateinische Grammatik, Berlin 171995, S. 9. 307  ›Liquidae‹ sind phonetisch andauernde ›Fließlaute‹, zu diesen zählen: l, r. – Vgl. ebd., S. 9. 308  Siehe die Tabelle auf S 141. 309  Bei dem ›Tenuis‹ handelt es sich um einen stimmlosen Verschlusslaut. – Vgl. Hermann Throm, Lateinische Grammatik, a. a. O., S. 9. 310  Priscian, Institutionum grammaticarum, I, 8: »utimur etiam y Graecorum causa || nominum.« (»Wir benutzen das y nur bei [Eigen] namen.« [Übers. N. E.]) 311  Aristoteles, Metaphysica, a. a. O., I, 5. – Dort werden die »Pitagorici« (987a 15) auch »Ytalicos« (987a 10) genannt. 312  Anm. Brewer: taf – gemeint ist hier und im Weiteren der Buchstaben tau [Anm. N. E.]. 313  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O.,I, 7: »Accidit igitur literae nomen, figura, potestas: Nomen, velut a, b. et sunt indeclinabilia tam apud Graecos elementorum nomina quam apud Latinos […].« (»Ein Buchstabe besteht also aus dem Namen, dem Zeichen, und dem phonetischen Wert. Der Name ist wie ›a‹, ›b‹. Die Namen der Buchstaben sind undeklinierbar, sowohl bei den Griechen als auch bei den Lateinern.« [Über. N. E.]). 314  Anm. Brewer: cal im Manuskript. 315  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., I, 8. 316  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., I, 10: »Vocales



anmerkungen

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apud Latinos omnes sunt ancipites vel liquidae, hoc est quae facile modo produci modo corripi possunt, sicut etiam apud antiquissimos erant Graecorum ante inventionem η et ω, quibus inventis ε et ο, quae ante ancipites erant, remanserunt perpetuo breves […].« (»Alle Vokale sind bei den Lateinern schwankend oder fließend. Das bedeutet, dass sie leicht verlängert oder verkürzt werden können, wie es auch in ganz alten Zeiten bei den Griechen war, bevor sie η und ω eingeführt hatten. Die Buchstaben ε und ο, die vorher schwankend waren, blieben dann immer kurz […].« [Übers. N. E.]) 317  Diese Buchstaben sind auch in der Handschrift auf Griechisch geschrieben. 318  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O.,I, 23: »apud nos quoque est invenire, quod pro u consonante b ponitur, ut ›caelebs‹, caelestium vitam ducens, per b scribitur, quod u consonans ante consonantem poni non potest.« (»Bei uns ist auch eingeführt worden, dass für den Konsonanten v ein b gesetzt wird, wie ›caelebs‹ [unverheiratet], ›ein himmlisches Leben führend‹ mit b geschrieben wird, weil man den Konsonanten v nicht vor einen anderen Konsonanten setzen kann.« [Übers. N. E.]) 319  Ebd., I, 58: »hoc tamen sciendum, quod principium syllabae omni modo pro ψ ps debet habere, ut ›psittacus‹, ›pseudulus‹, ›ipse‹; ›nubo‹ quoque ›nupsi‹, ›scribo‹ ›scripsi‹ faciunt, quamvis analogia per b cogit scribere, sed euphonia superat, quae etiam ›nuptam‹, non ›nubtam‹, et ›scriptum‹, non ›scribtum‹, compellit per p, non per b, dicere et scribere.« (»Man muss aber wissen, dass zu Beginn einer Silbe für ψ immer ›ps‹ geschrieben werden muss, wie in ›psittacus‹ [Papagei], ›pseudulus‹ [Lügenmaul], ›ipse‹ [selbst]; ›nubo‹ [ich heirate], auch ›nupsi‹, ›scribo‹ [ich schreibe] ›scripsi‹ [ich habe geschrieben]. Obwohl man denken mag, dass dasselbe in Analogie auch für b gilt, erhält hier doch der Wohlklang das Übergewicht. Daher schreibt und spricht man ›nuptam‹ [Braut] und nicht ›nubtam‹ und ›scriptum‹ [Schriftstück] und nicht ›scribtum‹.« [Übers. N. E.]) 320  Ebd., I, 9: »z quoque utimur in Graecis dictionibus.« (»z benutzen wir auch in griechischen Wörtern.« [Übers. N. E.]) 321  Ebd., I, 14: »K enim et q, quamvis figura et nomine | videantur aliquam habere differentiam, cum c tamen eandem tam in sono vo-

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anmerkungen

cum quam in metro potestatem continent.« (»Denn k und q scheinen zwar dem Namen und dem Zeichen nach von c abzuweichen, klingen aber in der Aussprache und in der Betonung gleich.« [Übers. N. E.]) 322  Gemeint ist hier und im Weiteren der Buchstabe tau. 323  Existiert nicht im Lateinischen. Vorschlag von Brewer: ›furfur‹ [Hülse]. Möglich auch: ›fur‹ [Dieb] und ›fero‹ [ich trage]. 324  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O. I, 14: »hoc tamen scire debemus, quod non fixis labris est pronuntianda f, quomodo ph, atque hoc solum interest.« (»Wir müssen aber wissen, dass f im Gegensatz zu ph nicht mit festen Lippen ausgesprochen werden darf. Dies ist jedoch der einzige Unterschied.« [Übers. N. E.]) 325  Ich übersetze ›Semivocalis‹ hier und im Weiteren immer mit ›Halbvokal‹, damit ist jedoch gemeint (und dies hier nur, um Mißverständnisse zu vermeiden), dass es sich dabei um ›halbtönende‹ Buchstaben handelt. 326  Ebd., I, 9: »Semivocales sunt, ut plerisque Latinorum placuit, septem: f l m n r s x; sed f multis modis ostenditur muta magis, de qua post docebimus.«; ebd., I, 46: »F multis modis muta magis ostenditur, cum pro p et aspiratione, quae similiter muta est, accipitur, de quo sufficienter superius diximus, […].« (»Die Halbvokale sind – darin sind sich die meisten bei den Lateinern einig – sieben: f, l, m, n, r, s, x; doch f ist in vielen Fällen eher ein stummer Laut, worüber wir noch weiteres lehren werden.« [Übers. N. E.]); (»Der Buchstabe f zeigt sich in vielen Fällen als stummer Laut, weil er für p und eine Behauchung, die ähnlich stumm ist, gesetzt wird, worüber wir weiter oben schon gesprochen haben […].« [Übers. N. E.]) 327  Ebd., I, 7: »Vocales igitur, ut dictum est, per se prolatae nomen suum ostendunt, semivocales vero ab e incipientes et in se terminantes, absque x, quae ab i incipit per anastrophen Graeci nominis ξῖ, quia necesse fuit, cum sit semivocalis, a vocali incipere et in se terminare, […].« (»Die Vokale werden also, wie bereits gesagt worden ist, mit ihrem eigenen Namen ausgesprochen. Die Halbvokale beginnen mit einem e und enden in ihrem Klang, außer x, das mit i beginnt, weil der griechische Name xi umgestellt wird. Dies war notwendig, weil x als Halbvokal mit einem Vokal beginnen und mit dem eigenen Klang enden muss […].« [Übers. N. E.])



anmerkungen 328–332 

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Leerstellen im Manuskript. Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., I, 10: »Vocales apud Latinos omnes sunt ancipites vel liquidae, hoc est quae facile modo produci modo corripi possunt, sicut etiam apud antiquissimos erant Graecorum ante inventionem η et ω […].« (»Einige Vokale sind bei den Lateinern schwankend oder auch fließend. Das bedeutet, dass sie leicht verlängert oder verkürzt werden können, wie es auch in ganz alten Zeiten bei den Griechen war, bevor sie η und ω eingeführt hatten […].« [Übers. N. E.]) 334  Ebd., I, 11: »sunt similiter ancipites vel liquidae, ut l r, quae modo longam modo brevem post mutas positae in eadem syllaba faciunt syllabam. his quidam addunt non irrationabiliter m et n, quia || ipsae quoque communes faciunt syllabas post mutas positae, quod diversorum confirmatur auctoritate tam Graecorum quam Latinorum.« (»Ähnlich schwankend und fließend sind auch l und r, die lang und kurz betont werden, je nachdem, an welcher Stelle sie in einer Silbe stehen. Zu diesen fügen sie nicht unvernünftiger Weise auch m und n hinzu, weil sie auch gemeinsam Silben bilden, wenn sie nach stummen Lauten gesetzt werden, wie durch die Autorität vieler verschiedener Autoren bei den Griechen und bei den Lateinern belegt ist.« [Übers. N. E.]) 335  Walter von Chatillon, Alexandreis, hg. v. Marvin L. Colker, Padua 1978, I, Z. 502: »Occultum hoc uestris inpertiar auribus unum: / Cum patris interitu nutaret Grecia merens /Pausaniasque scelus et et cedem cede piasset, / Nocte fere media, sompnum suadentibus astris, / Puluinar regale premens penetralibus altis / Solus eram.« (»Dieses eine Geheimnis, euch allen will ich’s enthüllen: / Als der griechische Staat, des Vaters Ermordung betrauernd, / Wankte, jedoch mit Pausanias‹ Blut die Untat gesühnt war, / Weilte ich mitternachts einst, indes die Sterne zum Schlafe / Rieten, einsam im Innern der Burg und lag auf des Königs / Heiligem Pfühle.« In: Walter von Chatillon, Alexandreis. Das Lied von Alexander dem Großen, übers., komment. und m. Einl. versehen v. Gerhard Streckenbach, Heidelberg 1990, S. 45). 336  Theodolus, Ecloga, lat.-it., hg. v. Francesco Mosetti Casaretto, Florenz 1997, Z. 108: »rapitur, qui cornibus haeret / In dumies, aries; sequitur patrem sua proles«. (»Ein Widder, der mit seinen Hörnern in 333 

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anmerkungen

ein Gebüsch verstrickt ist, wird gefangen. Seine Nachkommenschaft folgt dem Vater.« [Übers. N. E.]) 337  Apokryphes Buch des Alten Testaments. 338  In der Vulgatafassung des Buchs Tobit keine Belegstelle für dieses Zitat. Eine sehr ähnliche Stelle jedoch in der Paraphrasis metrica in librum Tobiae des Matthaeus von Vendôme: »Patrat amore Patris superi, quae dictat honestas / Legis, se Domino sacrat, agenda replet. Replet agenda, sacrat Domino se, legis honestas / Dictat quae, superi patris amore patrat.« (In: Mathei Vindocinensis, Paraphrasis metrica in librum Tobiae, in: ders., Opera, Bd. 2: Piramus et Tisbe, Milo, Epistule, Tobias, hg. v. Franco Munari, Rom 1982, S. 169, Z. 201–204; auch in: Patrologia Latina 205, Paris 1855, Sp. 938 A). 339  Vergil, Aeneis, a. a. O., X, V. 127–129: »fert ingens toto conixus corpore saxum, / haud partem exiguam montis, Lyrnesius Acmon / nec Clytio genitore minor nec fratre Menestheo«. (»Riesigen Felsblock schleppt, eines Berges gewaltigen Brocken, / wuchtend mit ganzem Leib der lyrnessische Acmon, so stark, wie Clytius war, sein Vater, so stark wie sein Bruder Menestheus.« In: ebd., S. 411.) 340  Ovid (Publius Ovidius Naso), Metamorphosen, lat.-dt., übers. u. hg. v. Michael von Albrecht, Stuttgart 2013, X, 530: »Capta viri forma non iam Cythereia curat / litora, non alto repetit Paphon aequore cinctam / piscosamque Cnidon gravidamque Amathunta metallis; / abstinet et caelo: caelo praefertur Adonis.« (»Gebannt von der Schönheit des Mannes, kümmert sie sich nicht mehr um die Küsten von Cythera, vernachlässigt das meerumschlossene Paphos, das fischreiche Cnidos und mathus mit seinen reichen Erzgruben; ja, auch vom Himmel hält sie sich fern: Sogar dem Himmel zieht sie Adonis vor.« In: ebd., S. 559). 341  Horaz, Sermones (Saturae), a. a. O., I, V, 35: »Fundos Aufidio Lusco praetore libenter / linquimus, insani ridentes praemia scribae.« (»Nächster Ort Fundi; Stadtgewaltiger Aufidius Luscus. Wir schieden gern wieder, doch belustigte uns der verstiegene Kanzleibeamte und seine Prunkentfaltung.« In: ebd., S. 39). – Im Manuskript steht jedoch (nach Brewer): »Rudentes prima scribe«. – Vgl. Roger Bacon, Compendium studii philosophiae, a. a. O., S. 503, Anm. 2. 342  Siehe Anm. 341.



anmerkungen 343 

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Quintus Ennius, Annalium fragmenta, hg. v. Otto Skutsch, Oxford 1985, I, 8: »Ova parire solet genus pennis condecoratum«. 344  Vergil, Aeneis, a. a. O., XII , 709: »Stupet ipse Latinus / ingentis, genitos diversis partibus orbis, / inter se coiisse viros et cernere ferro.« (»Da staunt Fürst Latinus, / wie sich die Recken, vom Westland der eine, der andre vom Ostland, nun zum Kampfe getroffen und nun mit dem Schwerte entscheiden.« In: ebd., S. 545.) 345  Juvenal, Saturae, a. a. O., VI , 109: »gibbus et acre malum semper stillantis ocelli.« (»und sein hartnäckiges Leiden, das stets triefende Äuglein.« In: ebd., S. 97.) 346  Siehe § 219. 347  Nicht ›a‹ wie bei Brewer. 348–362  Leerstellen im Manuskript. 363  Priscian, Institutionum grammaticarum, II , 1–13. 364  Priscian, Institutionum grammaticarum, I, 11, 30; II , 12. 365  Priscian, Institutionum grammaticarum, I, 24: »Aspiratio ante vocales omnes poni potest, post consonantes autem quattuor tantummodo more antiquo Graecorum: c t p r, ut ›habeo‹, ›Herennius‹, ›heros‹, ›hiems‹, ›homo‹, ›humus‹, ›Hylas‹, ›Chremes‹, ›Thraso‹, ›Philippus‹, ›Pyrrhus‹.« (»Eine Behauchung kann vor allen Vokalen gesetzt werden, jedoch gemäß der alten Sitte der Griechen nur nach vier Konsonanten: c, t, p, r, wie in ›habeo‹ [ich habe], ›Herennius‹ , ›heros‹ [Held], ›hiems‹ [Winter], ›homo‹ [Mensch], ›humus‹ [Erde], ›Hylas‹, ›Chremes‹, ›Thraso‹, ›Philippus‹, ›Pyrrhus‹.« [Übers. N. E.]) 366  Ebd., I, 24: »[aspiratio] ideo autem extrinsecus ascribitur vocalibus, ut minimum sonet, consonantibus autem intrinsecus, ut plurimum: omnis || enim litera sive vox plus sonat ipsa sese, cum postponitur, quam cum anteponitur, quod vocalibus accidens esse videtur […].« (»Die Behauchung wird bei den Vokalen daher von außen zugefügt, sodass nur ganz wenig zu hören ist, bei den Konsonanten dagegen von innen, damit man sie mehr hört: Denn jeder Buchstabe oder Klang klingt stärker für sich, wenn die Behauchung nachgestellt wird, als wenn sie vorgestellt wird, sodass sie bei den Vokalen nur unwesentlich zu sein scheint […].« [Übers. N. E.]) 367  Ebd, I, 25: »(Quaeritur, cur in ›vah‹, ›ah‹ post vocales ponitur aspiratio, et dicimus, quod apocopa facta est extremae vocalis, cui prae-

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anmerkungen

ponebatur aspiratio; nam perfecta ›vaha‹, ›aha‹ sunt.« (»Es wird gefragt, ob in ›vah‹ und ›ah‹ nach den Vokalen eine Behauchung gesetzt wird und wir sagen, dass hier ein Wegfall des letzten Vokals stattgefunden hat, welcher der Behauchung vorgesetzt war; denn vollkommen sind in diesem Fall [eigentlich] ›vaha‹ und ›aha‹.« [Übers. N. E.]) 368  Ebd., I, 25: »nec mirum, cum in Syrorum Aegyptiorum que dictionibus soleant etiam in fine aspirari vocales, – interiectionum autem pleraeque communes sunt naturaliter omnium gentium voces.« (»Und ich wundere mich nicht, dass auch bei den Ausrufen der Syrer und der Ägypter die Vokale am Ende für gewöhnlich behaucht werden, da solche Ausrufe bei den meisten Völkern von Natur aus dem Klang nach ähnlich sind.« [Übers. N. E.]) 369  Hier steht Λ auf Griechisch geschrieben im Manuskript. 370  Priscian, Partitiones duodecim versuum Aeneidos principalium, in: Grammatici Latini, hg. v. Heinrich Keil, Bd. 3: Prisciani opera minora, Leipzig 1859, IV, 90: »Iam quae pars orationis est? Adverbium. Quid est adverbium? Pars orationis quae adiecta verbo significationem eius explanat atque implet. Quot accidunt adverbio? Tria. Quae? Species significatio figura. Cuius est speciei? Primitivae, significationis temporalis, figurae simplicis. Quem habet accentum? Gravem, ut omnia fere monosyllaba praepositiva, nisi differentiae ratio prohibeat, ut ne, quando μή significat, gravatur.« (»Um welche Wortart handelt es sich? Um ein Adverb. Was ist ein Adverb? Ein Wort, das einem Verb angehängt wird und das dessen Bedeutung erklärt und vervollständigt. Welche Eigenschaften hat ein Adverb? Drei. Welche? Gattung, Bedeutung, Zeichen. Von welcher Art ist die Gattung? Einfach, zeitliche Bedeutung, einfaches Zeichen. Welchen Akzent hat es? Schwer, wie fast alle vorangesetzten einsilbigen Wörter, wenn nicht ein Grund für einen Unterschied dies verhindert, so wie etwa ›ne‹, wenn es ›μή‹ bedeutet, schwer betont wird.« [Übers. N. E.]) 371  Priscian, Institutionum grammaticarum, a. a. O., XIII , 14: »sciendum autem, quod ›qui‹, quando pro interrogativo vel infinito, id est pro ›quis‹ ponitur, circumflectitur, quando autem pro relativo, acuitur per se, in lectione vero gravatur.« (»Man muss auch wissen, dass ›qui‹, wenn es für ein Interrogativpronomen oder für einen Infinitiv, also für ›quis‹ gesetzt wird, lang ausgesprochen wird. Wenn es jedoch für



anmerkungen

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ein Relativpronomen steht und eigentlich scharf ausgesprochen wird, wird es beim Lesen schwer ausgesprochen.« [Übers. N. E.]) 372  Vergil, Aeneis, a. a. O., X, 668: »›omnipotens genitor, tanton me crimine dignum / duxisti et talis voluisti expendere poenas?‹« ) (»›Hieltest, allmächtiger Vater, du mich solch schweren Vergehens für / schuldig und wolltest, ich sollte so bitter büßen?‹« In: ebd., S. 441.) 373  »impropriis«, bei Brewer jedoch: »in propriis«. – Anm. v. Delphine Caronne. 374  Vergil, Aeneis, a. a. O., VIII , 83: »Ecce autem subitum atque oculis mirabile monstrum, / candida per silvam cum fetu concolor albo / procubuit viridi que in litore conspicitur sus.« (»Siehe, da bietet sich jäh den Augen ein wunderbar Zeichen, / schimmernd durch den Wald, weißfarben wie ihre Jungen, / lagert und wird am grünen Strand gesehen die Wildsau.« In: ebd., S. 323.) 375  Siehe § 96.

SIGLEN V ER Z EIC H N IS

CCCM Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis, Turnhout 1966 ff. CCSL Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout 1953 ff. CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866 ff. PG Patrologiae cursus completus. Series Graeca, hg. v. Jaques Paul Migne, Paris 1857 ff. PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, hg. v. Jaques Paul Migne, Paris 1844 ff.

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NA M EN R EGIST ER

Abel 78 Abraham (Stammvater Israels) 79 Adam 137 Albertus Magnus 7, 54 Alexander der Große 18 Alexander de Villa Dei 118 Alfarabi (Abu Nasr Muhammad al-Farabi) 25 Alfred von Sarashel (Alfredus Anglicus) 11, 111 Algazel (Muhammad al-Gazzali) 32 Andreas (jüd. Hilfsübersetzer des Michael Scotus) 112 Andreas von St.-Viktor 124 Aquila (Bibelübersetzer) 26, 109 f., 128 Arator 91 f. Archimedes 44 Archytas von Tarent 35 Aristoteles 6, 9, 11 f., 16, 18, 20, 25, 30 f., 34 ff., 41 f., 47 f., 50 ff., 55, 70, 106 ff., 113, 142, 145, 163 Artaxerxes I. (pers. Großkönig) 136 Augustinus, Aurelius 9, 18, 33, 52, 54, 70, 93, 109, 116, 118 f. Averroes (Mohammed ibn Ruschd) 20, 36, 41 Avicenna (Ibn Sina) 25, 30

Barrabas (Name im Evangelium) 117 Basilius von Caesarea 114 Beda (Venerabilis) 8, 67 f., 91, 97 f., 117, 124, 132 ff. Bethsabee (Bathseba; Mutter Salomos) 79 Boethius (Anicius Manlius Severinus Boethius) 11, 35, 112 Briton, Wilhelmus (Guilelmus Brito) 9 f., 68, 80, 82 ff., 93 ff., 116 ff., 126, 128, 130 Christus, Jesus s.: Jesus Christus Cicero (Marcus Tullius) 25, 35, 37, 41, 51 Clemens IV. (Guy de Foulques, Papst) 40, 52 Cuprus 134 Dalila (Delila) 79 Damasius (Papst) 114 Daniel (Prophet) 9, 68 Dionysios von Alexandria 114 Donat (Aelius Donatus) 54, 63, 81, 103 Ennius (Quintus Ennius) 151 Esau 67

282

Namenregister

Euthicus (Apostelgeschichte) 117 Eva 137 Feston (Prophet) 26 Friedrich II. (röm.-dt. Kaiser) 23 Gellius, Aulus 42 Gerhard von Cremona 11, 111 Gregor der Große (Papst) 9, 26, 71 f., 120 Gregor von Nazianz 114 Grosseteste, Robert (Bischof von Lincoln) 8, 11, 57, 61, 64, 108, 112, 114 Guy de Foulques s.: Clemens IV. (Papst) Heber (Vorfahre Abrahams) 79 Hermann der Deutsche (Hermannus Alemannus) 11, 107, 111 ff. Hieronymus (Sophronius Eusebius Hieronymus) 8 f., 11, 65, 67 ff., 79 ff., 91, 94, 105, 109 f., 116, 120 ff., 126 ff., 135, 138 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 88 ff., 96, 150 Hortensius (Quintus Hortensius Hortalus) 41 Homer 105 Huguccio s.: Hugutio von Pisa Hugutio von Pisa (Huguccio) 9 f., 80 ff., 94, 97 ff., 116

Isidor von Sevilla 83 f., 88, 129 ff. Jakob (Patriarch) 65 ff., 85 Jeremias (Prophet) 9, 41, 68 f. Jesus Christus 23 f., 27, 52, 59, 67 f., 79, 82, 91, 139 Jezabel (Altes Testament) 71 Johannes Chrysostomos (Johannes von Antiochia) 114 Johannes de Garlandia (Johannes Anglicus) 88 Johannes von Damaskus 83, 114 Josephus, Flavius 8, 66 f., 114, 133 ff. Judas (vierter Sohn von Jakob) 85 Judas Ischariot (Apostel) 61, 97 Judas Thaddäus (Apostel) 44 Justinus (der Märtyrer) 18 Juvenal (Decimus Iunius Iuvenalis) 98, 100, 151 Juvencus (Gaius Vettius Aqui­ linus Juvencus) 91, 96 f., 117 Kallimachus 156 Karl I. (von Anjou, König von Sizilien) 23 Klytios 150 Livius (Titus Livius) 18 Lukan (Marcus Annaeus Lucanus) 90 Macer (Odo Magdunensis) 89 f. Maria Magdalena 116



Namenregister

Marsh, Adam 7, 57 Matthäus (Evangelist) 84 Menestheus 150 Merlin (Prophet) 26 Moses 132 ff., 136 Neckham, Alexander 89 f., 93 Noah 132 ff. Odo Magdunensis s.: Macer Origines (griech. Kirchenvater) 114 Orosius, Paulus 18 Ovid (Publius Ovidius Naso) 150 Papias (Vocabulista) 9, 80, 82 ff., 87, 95 Paulus (von Tarsus, Apostel) 24, 26, 85 Persius (Aulus Persius Flaccus) 99 Petrus Comestor 132 ff. Platon 25, 33 ff., 48, 51 Plinius (Gaius Plinius Secundus Maior; Plinius der Ältere) 86 f., 113, 128 f., 131 Pontius Pilatus 117 Priscian (Priscianus Caesariensis) 70, 82, 87, 90, 92 f., 100 f., 103, 140, 143, 145 ff., 152, 155, 156 ff., 162 Prosper von Aquitanien 91 ff. Prudentius (Aurelius Prudentius Clemens) 99

283

Ptolemäus 89 Pythagoras 142, 145 Salomon (König von Israel) 38 Samson (Buch der Richter) 79 Sara (Frau Abrahms) 82 Scotus, Michael 11, 111 f. Sedulius 91, 93, 96 f., 117 Seneca (Lucius Annaeus, der Jüngere) 9, 25, 34, 40, 70 Seneca (Pseudo-) 43 Seneca (Lucius Annaeus, der Ältere) 37 Servius (Maurus Servius Honoratius) 81 f., 86 f., 99, 103 Simon (Prophet in der Apostelgeschichte) 79 Sokrates 25, 32 Stephan von Blois (König von England) 47 Sybillen (griechische Prophetinnen) 26 Symmachus (der Ebionit, Bibelübersetzer) 109, 128 Thamar (Tamar, Schwiegertochter Judas) 85 Theodolus 150 Theodotios 109, 128 Thomas von Aquin 7, 54 Thomas von Wales (Thomas Wallensis) 7, 54, 57 Trogus, Pompeius 18

284

Namenregister

Varro (Marcus Terentius Varro) 86 Vergil (Publius Vergilius Maro) 33, 88, 91, 150 f., 167 Vespasian (Titus Flavius Vespasianus, röm. Kaiser) 27

Wilhelm der Wolf (William Lupus) 7, 57 Wilhelm von Moerbeke 11, 111 f. Wilhelm von Sherwood 7, 57