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German Pages 268 Year 1978
Linguistische Arbeiten
65
Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Bernd Ulrich Biere
Kommunikation unter Kindern Methodische Reflexion und exemplarische Beschreibung
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1978
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Biere, Bernd Ulrich: Kommunikation unter Kindern : method. Reflexion u. exemplar. Beschreibungen / Bernd Ulrich Biere. - Tübingen : Niemeyer, 1978. (Linguistische Arbeiten ; 65) ISBN 3484-10313-2
ISBN 3-484-10313-2 ISSN 0344-6727
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1978 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany
Für Sebastian und Benjamin
VORWORT
Die erste Fassung dieser Arbeit wurde im Februar 1978 von Fachbereich Neuphilolcgie der Universität Tübingen als Dissertation angenoimen. Gutachter waren die Professoren Hans-Jürgen Heringer, Erich Straßner, David A. Reibel und Hermann Bausinger. Ihnen danke ich für die Anregungen, die sie in ihren Gutachten gegeben haben. Insbesondere danke ich Hans-Jürgen Heringer, der die Arbeit betreute und mir in vielen Gesprächen weiterhalf. Für eine kritische Kotmentierung der ersten Fassung danke ich Professor Hans Glinz. Ebenso danke ich meinen Freunden in Heidelberg, die die Arbeit mit hilfreicher Kritik begleiteten.
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
VII
0.
EINLEITUNG
1
0.1
Aufbau
1
0.2
Ziele
3
0.3
Interdisziplinäre Aspekte
5
0.4
Forschungszusaranenhang
8
1.
THEORETISCH-METHODISCHE VORUBERLEGUNGEN
12
1.1.
Linguistik und Sozialwissenschaften
12
1.2.
"Daten" in den Sozialwissenschaften und in der Linguistik
18
1.3.
Beschreiben und Verstehen
23
1.4.
Teilnehmende Beobachtung und Verstehen
33
2.
KOMMUNIKATION UNTER KINDERN
46
2.1.
Kinder verstehen
46
2.2.
Teilnehmende Beobachtung von Kommunikationen unter Kindern
52
2.3.
Beispiel Streiten
6O
2.3.1. Reflexion auf den Sprachgebrauch
62
2.3.2. Streiten in der Kcnmunikation unter Kindern
68
3.
EXEMPLARISCHE BESCHREIBUNG
82
3.1.
Zum Prinzip der exemplarischen Beschreibung
82
3.2.
Zur Charakterisierung der Kcntnunikationsbeispiele
85
3.3.
Verstehende Analysen von Kommunikationen unter Kindern
88
3.3.1. Streiten um einen Spielgegenstand 1
88
3.3.2. 'Tauschen - ein Lösungsmuster für Besitzkonflikte?
114
3.3.3. Schenken 3.3.4. Streiten und Kooperieren
139 153
χ 4.
ERGEBNISSE
192
LITERATUR
196
ANHAN3 I: Bildmaterial
203
ΑΝΗΑΝΞ II:
2O7
Texte
0.
EINLEITE«
0.1.
Aufbau
In der vorliegenden Arbeit unternehme ich den Versuch, (i) Ausschnitte aus Tonbandaufzeichnungen von Konmunikation unter Kindern exanplarisch zu beschreiben und (ii) für solche Beschreibungen einen theoretischen und methodischen Rahmen zu entwickeln. Obwohl man, wenn man die Gliederung der Arbeit betrachtet, mit einigem Recht behaupten könnte, die Entwicklung des theoretisch-methodischen Rahmens sei der exemplarischen Beschreibung vorgeordnet, kann man natürlich nicht behaupten, (i) und (ii) seien voneinander unabhängige Teile. Es besteht vielmehr zwischen (i) und (ii) ein enger Zusammenhang, der nicht nur in der Auffassung begründet ist, daß die Wahl des jeweiligen theoretischmethodischen Rahmens abhängig ist von der Art des zu beschreibenden Gegenstands oder Gegenstandsbereichs, sondern vor allem auch darin, daß der Zusammenhang von Theorie, Methode und Analyse hier in einer Weise aufgefaßt wird, die es notwendig erscheinen läßt, bestimmte theoretische und methodische Annahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Analyse empirischen Materials zu explizieren und zu begründen. Die Betonung einer ständigen Wechselwirkung zwischen theoretischen Annahmen, methodischen Verfahren und exemplarischen Beschreibungen charakterisiert eine Richtung linguistischen Forschens, die einerseits großes Gewicht auf die "Empirie" legt, die andererseits aber auf die Explikation bestimmter theoretischer Grundannahmen und der daraus resultierenden methodischen Verfahren, sowie auf die Reflexion auf die Ziele ihres Forschens angewiesen
ist.
Vgl. auch Ramge 1976: 21, der in ähnlicher Weise den "ständigen Wechselbezug zwischen empirischer Beobachtung und Theoriebildung" betont.
Das bedeutet, daß sich die vorliegende Arbeit hinsichtlich ihrer Ziele und Verfahren einerseits unterscheidet von einer bloßen linguistischen Korpusanalyse, daß sie sich andererseits aber auch unterscheidet von den Ansätzen einer vorwiegend theoretisch orientierten Linguistik, die den Gegenstand ihrer Forschung auf dem Wege der Introspektion bzw. der Reflexion auf die eigene Sprachkompetenz theoretisch zu rekonstruieren versucht. An die Stelle einer Korpusanalyse tritt in dieser Arbeit das Prinzip der exemplarisehen Beschreibung; an die Stelle einer introspektiv-theoretischen Linguistik tritt eine an der Möglichkeit einer exenplarischen Methode orientierte Auffassung von linguistischer Theoriebildung. Die von den exenplarischen Beschreibungen relativ abgelöst erscheinende Diskussion möglicher methodischer Ansätze, etwa hinsichtlich der Erhebungsund Beschreibungsmöglichkeiten des sprachlichen Materials, bedeutet nicht, daß methodische Probleme auf Fragen der Forschungs"technik" (verschiedene Feld"techniken", Skalierungs"techniken" etc.) reduziert werden sollten. Vielmehr werden gerade Argumente dafür vorgetragen, daß die Entscheidung für ein bestimmtes methodisches Vorgehen bei der Analyse einerseits von bestimmten theoretischen Grundannahmen, z.B. solchen über die Art des Gegenstandsbereichs, andererseits aber auch von dem spezifischen Charakter der jeweils zu beschreibenden Kommunikation, sowie von den Zielen der Beschreibung abhängt. Auf diesem Hintergrund wird verständlich, daß die Aufteilung der Arbeit in einen theoretisch-methodischen und einen Beschreibungsteil in dieser Form nicht den Ablauf des Forschungsprozesses dokumentiert, sondern daß damit von der Möglichkeit einer systematischen Darstellungsweise Gebrauch gemacht wird. Daß ich diese oder jene Annahmen für sinnvoller halte als andere, ist zunächst im Hinblick auf die Art des Materials begründet; die Form, die die Explikation dieser Annahmen angenortmen hat, ist jedoch auch abhängig von einem bestürmten Forschungskontext, von der Entwicklung der Linguistik in eine bestimmte Richtung. Ich habe diese Darstellungsweise hier aus Gründen der Übersichtlichkeit und im Hinblick auf bestimmte Lesegewohnheiten einer von der exemplarischen Zielsetzung her sicher konsequenteren Integration der Überlegungen zu Theorie und Methode in den Beschreibungsteil vorgezogen. Siehe dazu Abschnitt O . 4 .
Dadurch, daß im ersten Teil der Arbeit schon eine Reihe theoretischer und methodischer Vorentscheidungen getroffen und im Vorgriff auf bestimmte Probleme der Analyse begründet werden, kann ich mich bei den exemplarischen Beschreibungen in Kap. 3 in der Regel auf die Diskussion der spezifischen, bei der Beschreibung eines bestimmten Typs von Beispiel auftauchenden Probleme beschränken, kann aber gleichzeitig auf den allgemeinen theoretischen Rahmen verweisen, innerhalb dessen bestimmte Einzelprobleme ihren Stellenwert erhalten. Aufgrund der vielfältigen Bezugsmöglichkeiten zwischen theoretischen und empirischen Teilen und der bewußten Thematisierung gerade dieses Zusammenhangs habe ich daraus resultierende Überschneidungen nicht nur in Kauf genonmen, sondern beabsichtigt, um deutlich zu machen, wie verschiedene Aspekte eines Problems unter verschiedenen Gesichtspunkten oder von verschiedenen Ausgangspunkten her diskutiert werden können. 0.2.
Ziele Man mag sich fragen, warum ich Probleme der Beschreibung von Kommunikatio-
nen ausgerechnet am Beispiel von Kommunikationen unter Kindern darstellen will. - Die Wahl gerade dieses Beschreibungsbereichs hat mindestens zwei Arten von Gründen, wenn man so will, praktische Gründe und theoretische. Ein praktischer Grund ist der, daß ich glaube, mit der Beschreibung von Komnunikationen unter Kindern einen m.E. relevanten Anwendungsbereich linguistischer Forschung aufzeigen zu können. Kommunikationen unter Kindern adäquat beschreiben zu können, kann für alle diejenigen wichtig werden, die etwa als Erzieher und Lehrer auf Kinder täglich Einfluß nehmen und bis zu einem gewissen Grad mit ihnen zusammenleben, die mit ihnen kommunizieren, die bestürmte Handlungsweisen bewerten, neue lehren oder alte verändern wollen. Hier soll mit dem Versuch, Komnunikationen unter Kindern exemplarisch zu beschreiben, eine theoretisch reflektierte Methode erarbeitet werden, die zu solchen, als Deutungs- und Interpretationsleistungen verstandenen Beschreibungen anleitet. Dabei scheint es mir, wie die exemplarischen Beschreibungen zeigen werden, zunächst viel wichtiger, auf alternative Interpretationsmöglichkeiten von bestimmten Zusammenhängen aufmerksam zu machen als zu behaupten, eine der diskutierten Interpretationsmöglichkeiten sei die einzig vertretbare. Wenn man bedenkt, welche u.U. erheblichen Konsequenzen die "Beobachtungen" von Erziehern und Lehrern für die betroffenen Kinder haben können, scheint es notwendig, auf den interpretativen Charakter jeder Beobachtung und Beschreibung hinzuweisen und dazu anzuleiten, diesen interpretativen Charakter einer jeden "Diagnose" vor allem im Bereich des sprachlichen
und sozialen Handelns kritisch zu reflektieren und, in dieser Weise sensibilisiert, alternative Interpretationsmöglichkeiten abzuwägen. Zum anderen geht es an dieser Stelle ja insbesondere um sprachliches Handeln, so daß gerade auch diejenigen angesprochen sein sollten, die es etwa als Deutschlehrer mit Fragen des Erwerbs der sprachlichen Handlungskompetenz zu tun haben und die sich vor das Problem gestellt sehen, welche sprachlichen Fähigkeiten Kinder auf welcher Altersstufe erwerben können, welche sie in ihrer natürlichen Unweit (etwa bei Eintritt ins Schulalter) schon erworben haben, welche sie (etwa unter den institutionellen Bedingungen schulischen Lernens) planvoll erwerben können und sollten usw. Es ist bei Versuchen, solche Fragen zu beantworten, vielfach übersehen worden, daß die Frage nach den Lernzielen und nach einer sinnvollen Abfolge von Lernschritten schon davon ausgeht, daß man wisse, welchen Grad der sprachlichen Entwicklung man jeweils voraussetzen könne. Dies ist jedoch m.E. gerade im Bereich des sprachlichen 4 und sozialen Handelns nicht der Fall. Deshalb geht es mir zunächst nicht um eine Theorie der Entwicklung des sprachlichen Handelns, sondern vielmehr erst einmal um die Voraussetzungen einer solchen Theorie, die darin bestehen, daß wir überhaupt sinnvoll beschreiben können, wie Kinder (auf einer bestürmten Altersstufe) in bestimmten sozialen Zusammenhängen sprachlich handeln (können) , was sie tun, wenn sie miteinander konmunizieren und interagieren. Ein theoretischer Grund für die Wahl gerade dieses Beschreibungsbereichs ist der, daß ich glaube, daß sich die von mir in dieser Arbeit zentral gesehene Problematik einer verstehenden Analyse gerade am Beispiel von Komnunikationen unter Kindern einleuchtend darstellen läßt. Das stets Problematische des Verstehens sprachlicher Handlungen in Konmunikationen und Interaktionen tritt hier besonders deutlich zutage, weil der Schluß von unserer eigenen Sprachkompetenz auf die Kompetenz der beobachteten kindlichen Konmunikationspartner nicht in der gleichen Weise möglich ist wie bei der Beschreibung von Konmunikationen unter Erwachsenen. Es läßt sich hier einleuchtend zeigen, wie die Beschreibung von Konmunikationen irtmer Interpretation ist und vor allem, wie die Interpretation eines "Beobachters" sich dem Verstehen der 4
So scheint es beispielsweise noch relativ ungeklärt zu sein, welche Arten von Fähigkeiten überhaupt unter diesen Begriff subsumierbar sind. Vgl. über den engeren Bereich der Linguistik hinaus etwa den Versuch der Klärung des Begriffs der "social competency" bei Anderson, Messick 1974.
5
Vgl. Speier 1971: 189: "It is my firm belief that no investigation of acquisition processes can effectively get underway until the concrete features of interactional competence are analyzed as topics in their own right."
Partner untereinander immer nur annähern kann, inrner nur Hypothese sein kann. Ich behaupte allerdings - und auch in diesem Sinn sind die Beschreibungen als exemplarisch anzusehen - daß bei jeder Art von Komminikationsbeschreibung prinzipiell ähnlich strukturierte Probleme auftauchen und demzufolge ähnliche theoretische und methodische Entscheidungen getroffen werden müßten. 0.3.
Interdisziplinäre Aspekte Ich halte es für notwendig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die
hier vorgelegten linguistischen Beschreibungen nicht den Anspruch erheben, das soziale Handeln von Kindern unter allen möglichen Aspekten zu beschreiben. Die von sprachlichen Äußerungen ausgehende Beschreibung des sprachlichen Handelns von Kindern ist die Beschreibung
e i n e s , allerdings eines, wie ich
meine, zentralen Aspekts ihres sozialen Handelns. Die Frage nach dem interdisziplinären Aspekt dieser Arbeit kann deshalb m.E. nicht so verstanden werden, als könne man unabhängig von der Beschreibung des sprachlichen Handelns andere Aspekte des sozialen Handelns auf der Grundlage beliebiger anderer, etwa psychologischer oder soziologischer Theorien beschreiben. Ich möchte die Beschreibung des sprachlichen Handelns als eine Art Grundlage oder als einen Ausgangspunkt für weitergehende, andere Aspekte thematisierende Beschreibungsansätze verstehen. Solche Aspekte können in anderen Sozialwissenschaften thematisierbar, u.U. aber auch in einen relevanten linguistischen Ansatz integrierbar sein.
Die hier diskutierten theo-
retischen und methodischen Fragestellungen sollten also auch für eine Beschreibung von anderen Aspekten des sozialen Handelns fruchtbar gemacht werden können; insbesondere sollte der hier aufgezeigte interpretative Charakter von Beschreibungen und der daraus resultierende, auf das Verstehen bezogene Charakter der methodischen Annahmen Konsequenzen haben für jede Art von bedeutsamer Beschreibung im Bereich des sozialen Handelns. Diese "Verstehensdiskrepanz" sowie die theoretischen und methodischen Probleme des "Beobachtens" von Kommunikationen und Interaktionen überhaupt bilden einen Schwerpunkt der methodologischen Diskussion in dieser Arbeit. Siehe bes. 1.3., 1.4. sowie Kap. 2. Es liegt hier also nicht die Auffassung zugrunde, das System der Wissenschaft sei so, daß die Gegenstände der jeweiligen Wissenschaft vorgegeben wären. So sollte man sich auch nicht darauf einlassen, sich die Grenzen seines wissenschaftlichen Handelns von außen oder von anderen Wissenschaften bzw. Wissenschaftlern setzen zu lassen.
Die "linguistische" Beschreibung des sprachlichen Handelns von Kindern in ihren Kcnmunikationen und Interaktionen scheint jedoch oft selbst schon eine Reihe im Grunde interdisziplinär zu behandelnder Aspekte einzubeziehen. So gelangen unsere Interpretationen dessen, was die Kinder tun, unter der Frage, warum sie dies so und so tun und auch warum sie dies überhaupt tun (vorausgesetzt, wir wissen,
was
sie tun), leicht an eine Grenze, an der unsere Aus-
ssagen einen psychologisierenden Charakter anzunehmen scheinen. An solchen Stellen wird mancher vielleicht die explizite Einbeziehung psychologischer Theorieansätze vermissen und die von mir vorgeschlagenen Interpretationen als psychologisch naiv oder dillettantisch bezeichnen wollen. Dagegen möchte ich folgendes zu bedenken geben: Natürlich verfüge ich, wenn ich das Handeln von Menschen so oder so interpretiere, imner auch über eine Theorie, in dem Sinn, daß ich bestimmte Annahmen darüber machen kann, warum Menschen in bestimmten Zusammenhängen so und so handeln könnten oder warum diese Menschen in eben diesen Zusairmerihängen so und nicht anders gehandelt haben. Welche Art von Antwort auf die Frage nach dem "Warum" erwarten wir denn von psychologischen Theorien? In welchem Sinn können sie uns Erklärungen anbieten? Soll die Antwort vielleicht die Form einer Gesetzeshypothese haben und soll dies vielleicht das Kriterium für die "Wissenschaftlichkeit" einer Erklärung sein? Ich werde den Begriff des Erklärens gerade nicht in
d i e -
Q
s e m Sinn einer "wissenschaftlichen Erklärung" verwenden und ich werde deshalb keine theoretisch-psychologischen Erklärungen anbieten, weil ich meine, daß die alltagssprachliche Verwendung von Erklären und die Art von Antwort, die wir in unserem Leben auf Fragen nach dem "Warum" im allgemeinen geben, eine auch für wissenschaftliche Bemühungen im Bereich der Sozialwissenschaften adäquate Auffassung von Erklären ist, adäquater vielleicht als die wissenschaftliche Erklärung im Sinne des allgemeinen Gesetzesschemas. Eine Erklärung des Handelns hat den praktischen Sinn, die Handlungen der Partner O
verständlicher zu machen und trotz aller psychologischen Bemühungen besteht 8
Insbesondere nicht im Sinne der "scientific explanation" von Hempel und Oppenheim. Vgl. dazu etwa Apel 1965; 1973: 47 ff.
9
Unter diesem Gesichtspunkt ließe sich auch gegen die Dichotomisierung von Erklären und Verstehen argumentieren. Dies macht beispielsweise auch der von M.Weber geprägte Begriff des "motivationsmäßigen" oder "erklärenden Verstehens" deutlich: "'Erklären' bedeutet also für eine mit dem Sinn des Handelns befaßte Wissenschaft soviel wie: Erfassung des Sinnzusammenhangs, in den, seinem subjektiv gemeinten Sinn nach, ein aktuell verständliches Handeln hineingehört £..J ." (Max Weber'1921: 3 f.)
das Erklären menschlichen Handelns, wie Louch bemerkt, immer noch "in the ad hoc pronouncements which we make with confidence about the motives and intentions, desires and anxieties, the anticipated pleasures and the felt pain which account for this or that human action" (Louch 1966; 1972: 38) . Ein anderer wird vielleicht einen Rekurs auf soziologische bzw. sozialpsychologische Handlungstheorien vermissen oder eine Berücksichtigung verschiedener soziologischer Variablen, wie etwa der Schichtzugehörigkeit der Kinder, für wünschenswert halten. Auch in diese Richtung werden mögliche interdisziplinäre Erwartungen nicht erfüllt werden können, denn die übernähme bestürmter soziologischer Iheorien als eine Art Rahmentheorie für die hier intendierte Art von linguistischer Beschreibung halte ich aufgrund der methodischen Implikationen solcher Theorien für problematisch. Ein Verständnis von Linguistik als Sozialwissenschaft impliziert nicht ein additives Verhältnis, sondern eine dem Gegenstand linguistischer Beschreibungen angemessene Auffassung von Sozialwissenschaft, die es in unserem Zusammenhang besonders im Hinblick auf deren methodische Implikationen zu entwickeln gilt. Wie schon gesagt, ist dabei durchaus daran gedacht, daß die für eine Analyse sprachlichen Handelns exemplarisch entwickelten methodischen Ansätze auch im Rahmen anderer sozialwissenschaftlicher Theorieansätze fruchtbar gemacht werden sollten, daß es sich hier also in der Tat um einen alternativen, mit anderen sozialwissenschaftlichen Ansätzen konkurrierenden Ansatz handelt.10 Ich kann jedoch im Rahmen der praktischen Zielsetzungen dieser Arbeit nicht im einzelnen auf die in entsprechenden wissenschaftstheoretischen Zusammenhängen geführten Diskussionen und Kontroversen eingehen. In der Explikation meiner eigenen theoretischen Position und meines methodischen Vorgehens werde ich mich zwar von bestimmten anderen Positionen abgrenzen, werde jedoch in der Regel allenfalls einen exponierten Vertreter dieser oder jener Richtung exemplarisch in den Grundzügen seiner theoretischen Position diskutieren können. So mag an einigen Stellen der Eindruck einer allzu pauschalen Beurteilung der einen oder anderen Position entstehen. Auch kann ich kaum auf die Traditionsstränge der von mir vertretenen hermeneutisch orientierten Position oder deren Verhältnis zum sprachanalytischen
10
Schließlich hat dieser Ansatz auch eine spezifisch soziologische Tradition in den Vertretern der "verstehenden Soziologie". Siehe dazu etwa Schütz 1932; 1974 und Weber 1968. Eine Auswahl wichtiger Texte zur "verstehenden Soziologie" findet sich bei Bühl 1972.
Ansatz näher eingehen. Das Ziel meiner Arbeit war also, kurz gesagt, weder ein wissenschaftstheoretisches noch ein wissenschaftsgeschichtliches, so daß wissenschaftstheoretische Entscheidungen (und darunter verstehe ich auch methodische, Entscheidungen) zwar dort begründet werden, wo sie im Hinblick auf die diskutierten Probleme der exemplarischen Beschreibung relevant werden, nicht aber ein wissenschaftstheoretisches Problem unabhängig von konkreten Problemen der Beschreibung unter allen möglichen Aspekten diskutiert werden wird. 0.4. Forschungszusammenhang Vom Thema der Arbeit her dürfte man zunächst einen Zusammenhang mit der Tradition der sog. Kindersprachforschung erwarten. In der Tat läßt sich die vorliegende Arbeit nicht zuletzt als ein Beitrag zur Kindersprachforschung verstehen. Es geht mir jedoch nicht darum, im einzelnen die Traditionen dieser Forschungsrichtung nachzuzeichnen 12 und es bereitet wohl auch einige Schwierigkeiten, den Stellenwert der vorliegenden Arbeit im Rahmen einer solchen Tradition zu beurteilen, weil sich meine Zielsetzungen einerseits zwar mit dieser Tradition berühren, andererseits jedoch auch einen im Rahmen einer bestürmten Entwicklung der Linguistik zu sehenden Hintergrund haben. So sind die Beschreibungen nicht zuletzt auch in dem Sinn exemplarisch, daß an ihnen die Anwendung von Methoden exemplifiziert wird, die über diesen speziellen Beschreibungsbereich hinaus Gültigkeit beanspruchen. 13 Trotzdem dürften die einzelnen Beschreibungen von Kommunikationen unter Kindern auch für diejenigen interessant sein, die sich Aufschluß darüber erhoffen, in welcher Weise Kinder untereinander kommunizieren und, was die thematische Auswahl der Kommunikationen angeht, in welcher Weise Kinder miteinander kooperieren und streiten, und in welcher Weise sie bestimmte Arten von Konflikten bewälti-
11
Siehe zur ersten Orientierung etwa Gadamer, Boehm 1976, bes. den Text von Schleiermacher, der bereits das Gebiet der Hermeneutik über philologische und theologische Studien hinaus auf den "unmittelbaren Verkehr mit Menschen" ( 1 3 ) ausdehnen möchte. Eine konsistente sprachanalytische Position versucht Tugendhat 1976 zu entwickeln; einen philosophiegeschichtlichen Abriß gibt Passmore 1957.
12
Siehe dazu etwa den Literaturbericht bei Wagner 1974, 67-1O2.
13
Weitere Erläuterungen zum Sinn des Prinzips der exemplarischen Beschreibung finden sich in der Einführung zum Beschreibungsteil ( 3 . 1 . ) .
gen.
14
Auf die E n t w i c k l u n g der sprachlichen Handlungskompetenz wie auch auf den jeweiligen Stand der Entwicklung der Handlungskcmpetenz wird nicht im einzelnen reflektiert werden können. Vor allem wird - aus guten Gründen, wie ich meine - vermieden, generalisierende Aussagen in diesem Bereich
zu machen. Wer den Sinn von Wissenschaft allein im Aufstellen von
Gesetzeshypothesen sieht, wird sich deshalb vielleicht veranlaßt sehen, sein Paradigma von "Wissenschaft" bzw. "Wissenschaftlichkeit" neu zu überdenken. Mir geht es in diesem Zusanmenhang weniger darun, ob etwa die "Datenbasis" zu schmal ist,
um generalisierende Aussagen machen zu können, sondern
ich möchte vielmehr den Sinn von generalisierenden Aussagen in diesem Bereich überhaupt ernsthaft in Frage stellen.
Die Rede von "Datenbasis" und die
Forderung nach Generalisierbarkeit von Aussagen und nach Prognostizierbarkeit von Ereignissen (Handlungen!) impliziert m.E. die Forderung nach Meßbarkeit in einem quantitativen Sinn. Solche Forderungen haben ihren systematischen Ort in einer an den methodischen Idealen der Naturwissenschaften orientierten Auffassung von Wissenschaft überhaupt, einer Auffassung, die in den Sozialwissenschaften unter dem Postulat einer Einheitswissenschaft vertreten 17 worden ist. Einem solchen Wissenschaftsideal will ich mich hier nicht anschließen. Über die Methodendiskussion hinaus steht die vorliegende Arbeit natürlich auch in einem spezifischeren theoretischen Zusammenhang, der im Laufe der Arbeit explizit gemacht wird. Ich will an dieser Stelle den theoretischlinguistischen Ansatz nur andeuten. Im wesentlichen beziehe ich mich auf die 14
Meine ursprüngliche Absicht, im Zusammenhang mit den exemplarischen Beschreibungen Ansätze einer "Theorie der kommunikativen Bewältigung von Konflikten" zu entwickeln, ist allerdings hinter 'die Diskussion der allgemeinen Beschreibungsproblematik zurückgetreten. Ich muß es so weitgehend dem Leser überlassen, aus den einzelnen Beschreibungen kindlichen Streitens weitere, im Rahmen seiner spezifischen Interessen relevante Schlüsse zu ziehen.
15
Auf dem Hintergrund der Pragmatikdiskussion in der Linguistik sind inzwischen erste Ansätze einer pragmatisch orientierten Alternative zur bisherigen Spracherwerbsforschung entwickelt worden. Siehe etwa Dore 1974 im Anschluß an Searle sowie Ramge 1976 im Anschluß an das Konzept des symbolischen Interaktionismus' (Mead).
16
Vgl. dazu vor allem Louch 1966.
17
2 Zum Postulat der Einheitswissenschaft siehe etwa Albert 1967; zur Diskussion des wissenschaftstheoretischen Kontexts dieser Position vgl. etwa Apel 1965.
10
von der sprachanalytischen Philosophie (in der Regel unter Berufung auf Wittgenstein) und von den Ansätzen der analytischen Handlungstheorie ausgegangenen Anregungen, wie sie beispielsweise H.-J. Heringer für die Linguistik fruchtbar zu machen versucht hat. 18 Heringer skizziert einen theoretischen Rahmen und Elemente einer Beschreibungssprache, die es schließlich - dies ist ein wesentlicher Aspekt der praktischen Zielsetzung - den Partnern in der Kommunikation ermöglichen sollen, koitittunikative Probleme zu beschreiben und so kcnnunikative Konflikte kcmrunikativ zu bewältigen. Im Rahmen eines solchen Zusammenhangs von theoretischen und methodischen Vorschlägen und deren Anwendung durch die Betroffenen in der kommunikativen Praxis, kommt eine Auffassung von "Beschreiben" zum Tragen, wie ich sie in der vorliegenden Arbeit zugrundelege und im Zusammenhang mit dem Prinzip der exemplarischen Beschreibung weiterzuentwiekeln versuche. Einerseits stellt sich die Frage nach den Zielen von Beschreibungen des sprachlichen Handelns und von Konrnunikationen und Interaktionen, andererseits stellt sich die Frage nach diesen Zielen angemessenen Beschreibungsmitteln. Fragen wie diese werden sowohl im theoretischen Teil wie auch im Beschreibungsteil dieser Arbeit unter verschiedenen Gesichtspunkten angesprochen. So wird versucht, sowohl den Zusammenhang von Theorie und Praxis (im obigen Sinn), als auch insbesondere den Zusammenhang von Theorie und Empirie in der Theoriebildung angemessen zu berücksichtigen. Während in der praktischen Semantik versucht wird, den Aufbau der Handlungskompetenz theoretisch zu rekonstruieren und grundlegende Relationen zwischen Handlungsmustern zu formulieren, gehe ich in dieser Arbeit eher den umgekehrten Weg, indem ich versuche, mögliche Zusammenhänge zwischen Handlungsmustern ausgehend von sprachlichen Äußerungen von Konmunikationspartnern aufzuzeigen bzw. in der Analyse soweit zu rekonstruieren, wie es für ein adäquates Verstehen und eine adäquate Beschreibung der betreffenden Äußerung in ihren kommunikativen Zusammenhängen notwendig erscheint. Damit ist der Versuch unternommen, das Konzept der praktischen Semantik im Bereich der Beschreibung von Kommunikationen zu erproben und aufgrund der Probleme, die sich aus diesem Versuch ergeben, ggf. zu modifizieren und weiterzuentwickeln. So ergeben sich beispielsweise aus der Frage nach einem angemessenen methodischen Vorgehen interessante As18
Insbesondere in Heringer 1974 a. Eine Textauswahl zur analytischen Handlungstheorie liegt vor in White 1968, sowie neuerdings in Meggle 1977. Zur "ordinary language philosophy" und einer Diskussion der Positionen einiger ihrer bedeutendsten Vertreter siehe etwa v. Savigny 1974.
11
pekte auch für die theoretische Weiterentwicklung eines Verstehensbegriffs, 19 der in der praktischen Semantik im Zusaimenhang mit dem Regelbegriff eine zentrale Rolle spielt, über den engeren Rahmen dieses linguistischen Forschungszusammenhangs hinaus wird die Verstehensproblematik in der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit den Problemen und Implikationen der teilnehmenden Beobachtung und mit solchen Forschungsansätzen gesehen, in denen diese Problematik thematisiert worden ist.
Die Rolle des Verstehens wird in
diesen, im allgemeinen ethnologisch oder ethnomethodologisch orientierten Forschungsansätzen im Hinblick auf die Entwicklung eines adäquaten methodischen Zugangs, etwa zu den Sozialstrukturen oder Handlungszusammenhängen fremder Kulturen in einer Dimension diskutiert, deren theoretische Implikationen m.E. auch für die Beschreibung uns vertraut scheinenden sozialen Handelns und besonders für die Beschreibung des sprachlich-sozialen Handelns unter Kindern, das in gewissem Sinn dem Handeln uns fremder Gesellschaften und Kulturen vergleichbar zu sein scheint, von einiger Bedeutung sind. Gegenüber solchen grundlegenden Fragestellungen vernachlässige ich Transkriptionsprobleme im engeren Sinn, und damit die speziellen Probleme der Beschreibung "gesprochener Sprache" (die sich möglicherweise ohnehin 21 als Scheinprobleme erweisen könnten). Von einigem theoretischen Interesse scheint mir dagegen in diesem Zusairmenhang die Frage, inwieweit schon die grafische Repräsentation mündlicher Kommunikationen Beschreibungen und Normierungen einführt, die in jedem Fall als Interpretationsleistungen (wenn 22 auch oft gerade impliziter Art) anzusehen sind.
19
Siehe zum Regelbegriff auch die Arbeiten in Heringer (Hg.)
1974.
20
Ich werde mich hier vor allem auf die Arbeiten von A.Cicourel und P.Winch beziehen, wobei vor allem Winch auch die (sprach)philosophische Dimension des Problems aufzeigt (Cicourel 1964; Cicourel 1973; Winch 1972). Zur Ethnologie bzw. Ethnomethodologie siehe etwa Garfinkel 1967 (bes. C h . l ) Turner (Hgi 1972; Eglin 1976; ferner den Versuch von Kalimeyer, Schütze 1976, derartige Ansätze für eine "Konversationsanalyse" fruchtbar zu machen. Von einiger Relevanz ist hier natürlich wiederum die Tradition der "verstehenden Soziologie". So bezieht sich etwa Cicourel 1964 in entscheidenden Punkten auf Schütz.
21
Zum Bereich "gesprochene Sprache" siehe etwa Schank, Schoenthal 1976. Einen Überblick über Transkriptionssysteme geben Ehlich, Switalla 1976.
22
Siehe vor allem Kap. 1.3., sowie die Beschreibungen im Kap. 3. Vgl. auch Biere 1976 a.
12
1.
1.1.
THEORETISCH-METHODISCHE VORÜBERLEGUNGEN
Linguistik und Sozialwissenschaften Der bloße Hinweis, Linguistik sei als eine Sozialwissenschaft zu verstehen, der zwar im Rahmen der Diskussion um die Legitimation linguistischen Arbeitens eine gewisse Rolle gespielt haben mag, vermag uns keinen Aufschluß über das Verhältnis der Linguistik zu den anderen Sozialwissenschaften, etwa in methodischer Hinsicht, zu geben. Wie in der Einleitung schon angedeutet, geht es hier nicht um eine schlichte Übernahme "allgemein anerkannter" sozialwissenschaftlicher Fragestellungen, Iheorien und Methoden in den Bereich linguistischer Forschung. Ich werde bei der Entwicklung einer eigenen theoretischen Position und eines entsprechenden methodischen Ansatzes deshalb von einer skizzenhaften Diskussion des Zusammenhangs von Linguistik und Sozialwissenschaft ausgehen. Unter dem Etikett "Sozialwissenschaft" wird eine Reihe sehr heterogener, in ihrem theoretischen Anspruch sowie in ihren praktischen Fragestellungen divergierender Theorien zusantnengefaßt, und es ist fraglich, in welcher Weise linguistische Fragestellungen und ForschungsInteressen überhaupt mit bestimmten Theorien traditionell sozialwissenschaftlicher Provenienz in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden können. Letzteres bleibt zunindest solange problematisch, wie man sich mit der Forderung nach einer sozialwissenschaftlichen Orientierung der Linguistik weder auf bestürmte nicht-linguistische sozialwissenschaftliche Ansätze bezieht, noch einen von solchen Bezügen unabhängigen genuin linguistischen Rahmen angibt, innerhalb dessen von Linguistik als Sozialwissenschaft sinnvoll die Rede sein kann. Auf jeden Fall scheint es notwendig, den möglichen Zusammenhang linguistischer Theorien mit anderen sozialwissenschaftlichen Iheorien nicht nur global zu postulieren, sondern im Einzelfall so zu diskutieren, Haß deutlich wird, welcher Art der angenoinnene Zusammenhang ist, worin er begründet ist und welche Konsequenzen sowohl für die eine wie auch für die andere Theorie absehbar sind. Interdisziplinäre Ansätze in der Linguistik sollten auch nicht so verstanden werden, als sei es nur die Lingui-
13 stik, die um sozialwissenschaftliche
"Hilfestellung" bäte, vielmehr scheinen
gerade die übrigen Sozialwissenschaften einen Nachholbedarf an linguistischer bzw. (sprach)philosophischer Reflexion zu haben. Ob eine solche Reflexion eine hermeneutische, die Subjekt-Cbjekt-Trennung aufhebende, sein muß, ist genau der strittige Punkt zwischen einer (neo)positivistisch orientierten und einer hermeneutisch orientierten Sozialwissenschaft . Im Zusamnenhang dieser wissenschaftstheoretischen
Diskussion hat etwa
Albert die Frage nach einer "einheitlichen Soziologie" vom einheitlichen Objektbereich her gestellt. Wenn sich alle sozialwissenschaftlichen
Aussagen auf den gleichen Ob-
jektbereich beziehen, gibt es - so Alberts Argumentation - "keinen theoretischen Grund, die terminologischen Verschiedenheiten Q.. ."J aufrechtzuerhalten, wo die logische Grammatik des Vokabulars eine Integration ohne weiteres gestattet" (Albert 21967: 6O) . Dagegen will ich hier eine Auffassung stellen, die die Form der Beschreibung im Zusattmenhang mit dem jeweiligen Zweck der Beschreibung sieht. Dies tangiert das Problem des einheitlichen Objektsbereich und der von Albert ebenfalls angenommenen einheitlichen Problemstellung insofern, als zumindest die Einheitlichkeit der Problemstellung nur durch Abstraktion von den jeweils spezifischen Zwecken einer spezifischen Fragestellung postuliert werden kann. Ein weiteres Problem, die Frage nach einer einheitlichen Methode, hängt nach der Auffassung Alberts ausschließlich am "methodologischen Autonomieanspruch der geisteswissenschaftlich orientierten Sozialwissen— schaften" (Albert
1967: 6O), dessen Unbegründetheit er nachzuweisen ver-
sucht. Es wird dabei allerdings deutlich, daß sich seine Kritik gegen einen anderen Verstehensbegriff als den hier vorzustellenden richtet. Albert setzt den Verstehensbegriff gleich mit "Intuitionismus" und "Wesensschau" und weist ihn als "ontologisch", als "späte Frucht der Philosophen des deutschen Idealismus und der Romantik (Albert
1967: 38) zurück. 'Verstehen" betreffe 2 allenfalls die Frage, "wie man zu einer Hypothese gelangt" (Albert 1967: 2 39), gehöre also in die Psychologie der Forschung. 2 Siehe Albert 1967: 59. ("Schließlich befassen sich ja alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen mit sozialen Beziehungen zwischen Menschen, d . h . mit gegenseitigem menschlichem Verhalten, so daß die Frage nach ihrer möglichen Einheit vom Objektbereich her gerechtfertigt erscheint.") 2 Ähnlich argumentiert König 1967: 111, der jedoch den Weberschen Verstehensbegriff vom Diltheyschen unterscheiden möchte.
14
Mit der Entscheidung für eine verstehensorientierte Auffassung von Sozialwissenschaft muß natürlich nicht, wie Albert argwöhnt, ein methodologischer Autonomieanspruch gestellt werden, aber es sollte deutlich werden, daß es sich hier in der Tat um ein alternatives theoretisches und methodisches Konzept handeln wird, das beansprucht, bedeutsamere Beschreibungen des sprachlichen und sozialen Handelns zu liefern als auf Kausalerklärungen abzielende Theorieansätze. (Sine die Dichotomie von Verstehen und Erklären, deren Status ohnehin zweifelhaft ist,
hier näher zu diskutieren, will ich in diesem Zusammen-
hang zwei allgemeine Ziele empirischer Theorien kurz erläutern: Voraussage und Erklären/Verstehen. In einer Einführung in die Sozialpsychologie wird "Verstehen" ("understanding") und 'Voraussage" ("prediction") angesehen als "representing different degrees of scientific achievement" (Jones, Gerard 1967: 37) . Dabei wird 'Verstehen" im "wissenschaftlichen Sinn" im Zusaitinenhang mit "Voraussagen" so verwendet, daß man sagen kann, Verstehen müsse letztlich immer auf expliziter oder impliziter Voraussage beruhen, "because science attempts to establish validity of explanations and successfull prediction serves to validate the understanding that gave rise to the prediction" (Jones, Gerard 1967: 38). Der Grad des Verstehens hänge dabei ab von "ttie fullness and precision of a given predictive account (Jones, Gerard
1967: 38). Wissenschaftliches Verstehen, offenbar im Gegensatz zu alltäglichem Verstehen, wird hier also als Prädiktabilität von sozialem Handeln gesehen, das womöglich experimentell kontrollierbar sein sollte. Der experimentellen Kontrolle wird schließlich auch der Vorzug gegeben gegenüber einer korrelationalen Methode, bei der die Kovarianz zwischen zwei oder mehreren Variablen zu untersuchen wäre. Aufgrund der Feststellung einer Kovarianz zwischen Variablen könne keine Ursache-Wirkung-Relation abgeleitet werden, die erst eine entsprechende Voraussage ermögliche. Eine "echte" Voraussage sei nur möglich, wenn eine unabhängige Variable als vorgegebener Stimulus und möglicher verursachender Faktor isoliert und eine abhängige Variable als bewirkter Response angesetzt werden könne. Genau sei dies im Experiment der Fall, wo der Forscher die unabhängige Variable in der Versuchsanordnung entsprechend seinen Forschungszielen definieren und manipulieren kann. In einem solchen Zusaitmenhang stellt sich dann Vgl. etwa v. Wright 1971; 1974: 124, der es für "irreführend" hält "zu sagen, daß Verstehen versus Erklären den Unterschied zwischen zwei Typen wissenschaftlicher Erkenntnis kennzeichnet."
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das Ziel von Wissenschaft überhaupt bei Jones,Gerard wie folgt dar: "To summarize, the goal of science is to understand causal relations among events or variables. Scientific understanding must be more than intuitive or retrospective however; it must lead to testable predictions. Successful prediction validates understanding, but the level and precision of understanding depends on the degree to which we can control and manipulate antecedent events in a cause-effect-sequence. Such control and manipulation are the primacy virtues of the experimental method, virtues that distinguish experimentation from correlational studies." (Jones, Gerard 1967: 41)
Eine solche Auffassimg von Sozialwissenschaft wird sich als nicht vereinbar mit der im folgenden vorgetragenen Auffassung von sozialem Handeln erweisen, nach der soziales Handeln sich nicht als "event" in einer "cause-effectseguence" beschreiben läßt, sondern als intentionaler Akt verantwortlich handelnder Subjekte. Die Parallele zwischen naturwissenschaftlichen Gesetzesaussagen, die Kausalrelationen zwischen Ereignissen beschreiben und den bei Jones,Gerard behaupteten Zielen von Wissenschaft schlechthin und mithin auch der Sozialwissenschaften ist augenfällig. Der Kausalitätsbegriff ist jedoch nach unserer Auffassung unvereinbar mit einem Handlungsbegriff, der durch die konstitutiven Merkmale der Intentionalitat und der Verstehbarkeit charakterisiert ist, die hier in engem Zusammenhang mit dem Regelbegriff gesehen werden. Das regelgeleitete Handeln wird aufgrund eines solchen Regelbegriffs gerade unterschieden werden können von kausal affiziertem Verhalten und von Ereignis4
sen, so daß der Regelbegriff in Opposition zum Gesetzesbegriff steht. Aufgrund der Opposition dieser beiden Begriffe, bzw. aufgrund der Opposition von Regelbeschreibung und Naturgesetzen läßt sich die Unterscheidung von Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften theoretisch und methodologisch begründen, und es kann gezeigt werden, daß es sich hierbei um eine andere Unterscheidung als die zwischen Natur- und Sozialwissenschaften auf der einen und Geisteswissenschaften auf der anderen Seite handelt. Auch wenn man dieser prinzipiellen Unterscheidung zustimmt und davon ausgeht, daß Handlungen nicht im Sinn eines physikalischen Determinismus kausal bedingt sind, sondern intentional von verantwortlich Handelnden ausgeSiehe zu dieser Auffassung etwa öhlschläger 1974. Vgl. auch Heringer 1974 b, 76 f, zur Unterscheidung von kausalen und sozialen Folgen von Handlungen bzw. deren Ergebnissen. Es wird hier auch nicht bestritten, daß der Kausalitätsbegriff bei der Erklärung von Folgen von Handlungen eine Rolle spielen könnte; dann ist aber von Ereignissen und nicht von Handlungen die Rede.
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führt werden, könnte man weiterhin eine Art von Kausalerklärung für soziales Handeln für möglich halten. Man könnte annehmen, daß Erklärungen von Handlungen eine Unterart von Kausalerklärungen seien und daß hier der Zusammenhang zwischen der Intention oder dem Grund einer Handlung und (dan Ausführen) der Handlung kausal erklärt werden könnte. Die Annahme, daß "unsere gewöhnlichen Erklärungen logisch von Kausalerklärungen nicht verschieden (sind), sondern vielmehr eine Unterart davon (darstellen) oder in Kausalerklärungen übersetzbar (sind)" (Röche 1973; 1975: 159) , scheint mir jedoch ebenfalls problematisch. Ich werde mich dagegen der von Autoren wie Anscombe (1957; 1963) und Winch (1958; 1966) vertretenen Auffassung anschließen, daß die Erklärungen, "die wir normalerweise für unsere eigenen Handlungen und die Handlungen anderer angeben, logisch von einem anderen Typ (sind) als Kausalerklärungen und nicht in diese übersetzbar" (Röche 1973; 1975: 159). Da der Begriff der Intention für den Begriff der Handlung als konstitutiv angesehen wird und Handlungen und Intentionen somit nicht als diskrete physikalische Ereignisse beschrieben werden können, ist eine Erklärung im Sinne einer Ursache-Wirkung-Relation nicht möglich, denn eine solche Erklärung würde genau die Isolierbarkeit zweier Ereignisse (hier: von Intention und Handlung) voraussetzen. Außerdem müßte man, wenn man sich einmal auf Kausalerklärungen einläßt, schließlich "auch eine kausale Erklärung von jenen Intentionen £·3 liefern, die sie zu Wirkungen einer anderen vorhergehenden Ereignisfolge machen würde" (Röche 1973; 1975: 161). Gerade auch im Zusammenhang mit dem Regelbegriff scheint uns eine Kausalerklärung in Schwierigkeiten zu bringen: "Da mit der indem-Relation eine interne Struktur einer Regel gegeben ist und demgemäß eine Handlung nach dieser Regel eben nur eine einzige Handlung ist, kann hier nicht ein Ursache-Folge-Verhältnis vorliegen, das ja irreflexiv ist: kann nicht die Ursache (oder Folge) von sein. Deshalb muß die indem-Relation ferngehalten werden von den Fällen, wo eine andere zweite Handlung Folge oder Ergebnis einer Handlung ist" (Heringer 1974 b: 7 3 ) .
Die Auffassung Heringers impliziert ebenfalls, daß Intentionen nicht als von Handlungen diskrete Ereignisse beschrieben werden können, denn die Beschreibung der Regel, deren interne Struktur die einer indem-Relation ist,
ist ge-
nau auch die Beschreibung der sich intersubjektiv manifestierenden Intentionen, so daß wir die Relation in umgekehrter Richtung als Um-zu-Relation intentionalistisch bzw. teleologisch interpretieren können. Auf diese Weise wird Siehe zu dieser Auffassung auch Davidson 1963.
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auch die Unterscheidung von Beschreiben und Erklären mit dem Begriff der Regel in einen neuen Zusanrnenhang gestellt. Der Zusammenhang zwischen den Handlungsmustern 'Beschreiben1 und "Erklären1 erweist sich selbst als ein Indem-Zusammenhang: Wir erklären jemandem eine Handlung, indem wir die Regel bzw. bestimmte Aspekte der Regel beschreiben, nach der jemand gehandelt hat.6 Heringer wendet sich allerdings gleichzeitig gegen den Intentionsbegriff im Sinne Anscombes, insofern als er Wollen und Meinen unterscheiden möchte. .Für die Beurteilung einer Handlung ist nämlich nicht (nur) das (subjektive) Wollen oder die Absicht des Agenten entscheidend, sondern das Meinen, dessen Pendant das Verstehen ist.
Das Meinen wird als intentional im
Sinne von "intendieren als" und aufgrund des intersubjektiven Status von Regeln als konventionell gebunden angesehen. Wenn wir uns in unserem Zusammenhang auf Beschreibungen/Erklärungen stützen wollten, die die Kinder selbst von ihrem Handeln geben, müßten wir jedoch in der Tat mit Beschreibungen rechnen, die sich mehr auf das Wollen als auf das Meinen beziehen. Gewiß ist es, wie Heringer bemerkt, "komisch, wenn C seinen Arm hebt und auf meine Frage Warum hast du das gemacht? antwortet ich wollte meinen Arm heben" (Heringer 1974 b: 8O). Solche Antworten scheinen bei Kindern aber durchaus nicht unüblich zu sein und wir können obwohl wir als Erwachsene solche "Antworten" oft als trotzige Verweigerung einer Antwort verstehen - nicht sicher sein, inwieweit Kinder solche Erklärungen tatsächlich komisch finden. Wenn wir unsererseits solche Erklärungen als Begründungen zurückweisen, lehren wir damit, was in unserem Lebenszusanmenhang allgemein als Begründung akzeptiert wird und was nicht, und wir lehren auch, daß für uns das Verstehen einer Handlung nicht nur davon abhängt, daß wir verstehen, daß der Partner so handeln wollte wie er gehandelt hat oder daß er anders handeln wollte als er gehandelt hat, sondern davon, daß wir verstehen, wie er seine Handlung gemeint hat. Bevor ich auf die Problematik des Verstehens und Beschreibens von sprachlichen Handlungen näher eingehe, will ich anhand der Diskussion des Begriffs der "Daten" zu klären versuchen, inwieweit soziales Handeln und insbesondere sprachliche Handlungen bzw. Äußerungen als der empirische Ge6
Einen ähnlichen Zusammenhang scheint der den Verstehens" zu implizieren, der nach zusammenhang" fragt, sich also auf Teile die links von indem stehen. (Siehe Weber
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Vgl. Heringer 1974 b: Abschnitt
III.
Webersche Begriff des "erklärendem (motivationsmäßigen) "Sinnvon Regelbeschreibungen bezieht, 1921; 1968: 285).
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genstand der hier intendierten Art von linguistischer Beschreibung angesehen werden können. 1.2.
"Daten" in den Sozialwissenschaften und in der Linguistik Die Frage, mit welcher Art von Daten es die Sozialwissenschaften als empirische Wissenschaften zu tun haben, setzt voraus, daß wir darüber verständigt sind, was wir überhaupt "Daten" nennen. Der Begriff scheint uns vertraut nicht nur aus wissenschaftlichen Untersuchungen sondern auch aus Verwendungen in unserem Alltagsleben. Wir scheinen zu wissen, was wir meinen, wenn wir von Daten reden. Wo die Rede von der elektronischen Datenverarbeitung uns vertraut geworden sind, ahnen wir schon'die Gefahren zentraler Datenspeicherung und hören von den Problemen des Datenschutzes. Unsere "persönlichen Daten" schreiben wir in Formulare, Bewerbungen u.a., geben sie an vor Behörden, Gerichten und anderen Institutionen. Wir wissen, welche unserer "Daten" uns in bestürmten, in der Regel bürokratisch organisierten Zusairmenhängen abverlangt werden (können) und haben gelernt, hier freimütig Auskunft zu geben. Welches diese, in solchen Zusanmenhängen als relevant erachteten Daten sind, hängt ab von den Formen der Organisation der jeweiligen Gesellschaft, von einer Lebensform, die die Kriterien dafür liefert, welche "Daten" eine Rolle spielen und welche nicht. Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort, Beruf, Familienstand, Religionszugehörigkeit, Einkommen usw. sind beispielsweise im Sinne unserer sozialen Organisation relevante Daten. Wann ich meine Frau das erste Mal oder wann das letzte Mal geküßt habe, ist für unsere bürokratische Organisationsform kein relevantes Ereignis, das als Datum zu speichern sich lohnen .würde. Vermutlich wären wir nicht einmal geneigt, solche Ereignisse überhaupt als Daten zu bezeichnen, wobei wir uns natürlich genau die Kriterien der bürokratischen Organisation zu eigen machen würden. Was in dem einen Zusammenhang als Daten gilt oder relevant ist, gilt in einem anderen Zusammenhang nicht als Daten oder als relevant, und was in einer Lebensform jeweils als Daten gilt, ist bestimmt durch die Bedingungen der sozialen bzw. bürokratischen Organisation der betreffenden Gesellschaft. Was wir Daten nennen, liegt in einer Form vor, die wir im allgemeinen mit dem Begriff der Daten identifizieren. In standardisierten Formen geben wir Auskunft über unsere Person, nennen unsere "persönlichen Daten", die, in diesen Formen quantifizierbar, vergleichbar werden mit den Daten anderer Personen.
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Versuchen wir, diese Art von Daten weiter zu charakterisieren im Hinblick auf das Interesse, das der Sozialwissenschaftler daran haben könnte. Diese Art von Daten ist dem Sozialwissenschaftler, beispielsweise dem Soziologen, in einer bereits organisierten Form zugänglich, es handelt sich hier in der Regel um quantitative bzw. in quantitative Form gebrachte Daten. Die relativ leichte Zugänglichkeit dieser Art von Daten scheint dazu zu verführen, sie sozusagen als "objektiv" gegeben anzusehen, obwohl natürlich, wie A. Cicourel hervorhebt, "das signifikante Interesse des Soziologen nicht bloß dahin (geht), welche Korrelationen oder allgemeinen Beziehungen unter den 'objektiven'
Daten existieren, sondern wie das bürokratische Personal
sie interpretierte und auf sie einwirkte" (Cicourel 1964; 197O: 6O). Die so "gegebenen" Daten sind also nicht in irgendeiner natürlichen Weise gegeben, sondern sind als Ergebnis "vielfältiger Perzeptionen und Interpretationen" zu verstehen: "Die meisten Daten, die die Soziologen als 'gegeben' erachten, sind daher weitgehend das Produkt bürokratisch organisierter Aktivitäten, zum Beispiel von Volkszählungsämtern, Standesämtern, Straforganen, Wohlfahrtsstellen und Gewerbeaufsichtsämtern. Die vielfältigen Perzeptionen und Interpretationen, die in die Zusammenstellung dieser Daten eingingen, kann der Leser oder Benutzer solchen Materials nie mehr herauslösen. Die quantitativen Merkmale müssen autoritativ akzeptiert werden" (Cicourel 1964; 197O: 6O).8
Die Beschreibung der genannten Art von Daten zielt ab auf eine Beschreibung von sozialen Strukturen oder institutionalisierten Normen. Sie wird in der Regel als Beschreibung "sozialer Fakten" in statischen Termini zu leisten versucht. Der Beschreibung sozialer Fakten kann nach Cicourel die Beschreibung sozialen Handelns gegenübergestellt werden, denn "die Soziologen unterscheiden gewöhnlich zwischen Struktur gegenüber Prozeß, sozialer Struktur gegenüber sozialem Handelns, institutionalisierten Normen gegenüber sich verändernden Definitionen der Situation und dergleichen" (Cicourel 1964; 197O:
50). Derartige Unterscheidungen setzen allerdings eine statische Auffassung sozialer Fakten voraus, die dem Soziologen "Attribute wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Geburten, Todesfälle, Einkonroen, Ausbildung ... als 'handgreiflicher1 und leicht analysierbar" (Cicourel 1964; 1970: 5O) erscheinen läßt. Solche Attribute müßten aber im Grunde, so Cicourels Einwand, handlungsbezo2 Solche nicht durch "direkte Beobachtung" (König 1967) gewonnenen Daten werden als sogenannte Sekundärdaten im allgemeinen in den Begriff der Feldforschung miteinbezogen. Siehe dazu etwa Nowotny, Knorr 1975.
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gen betrachtet werden, nämlich als Attribuierungen, d.h. als Zuschreibung bestinmter Attribute. In diesem Fall wären die "Daten" oder Attribute dem Soziologen nicht mehr in der gleichen quantitativen Form zugänglich wie die "als Produkt bürokratischer Aktivitäten" "gegebenen" Daten. Er müßte seine Daten vielmehr im Kontakt mit handelnden Subjekten erst gewinnen und in einer im Rahmen seines Forschungsinteresses sinnvollen Form repräsentieren. Dies gilt erst recht, wenn sich die zu erhebenden und zu beschreibenden Daten nicht mehr im Bereich sozialer Fakten oder der Zuschreibung von Attributen bewegen (wobei nicht das soziale Handeln selbst, sondern die Ergebnisse sozialen Handelns, die zugeschriebenen Attribute nämlich, im Mittelpunkt des ForschungsInteresses stehen) , sondern wenn das soziale Handeln selbst bzw. die Struktur dieses Handelns zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Beschreibungen gemacht wird. Auch in bezug auf die Beschreibung dieser Art von Gegenständen, in einer beschreibungsfähigen Form repräsentiert, ist im allgemeinen von "Daten" die Rede. Der Prozeßcharakter dieser Art von Daten unterscheidet diese jedoch grundsätzlich von den sog. sozialen Fakten, wenngleich diese, wie wir gesehen haben, M Zusammenhang mit Handlungen konstituiert werden und auch die von den Bürokraten verfügbar gemachten Daten durch Handeln von Agenten eben dieser Bürokratien und der betroffenen Subjekte gewonnen sind. Das Santneln und Verfügbarmachen von Daten ist also selbst eine Art von Handeln. Die Ergebnisse dieses Handelns sind das, was wir im allgemeinen Daten nennen, wobei von Fall zu Fall entschieden werden muß, welche Daten oder welche Arten von Daten jeweils forschungsrelevant sind bzw. was überhaupt als Daten gelten soll. Innerhalb einer als Sozialwissenschaft verstandenen Linguistik stellt sich auf diesem Hintergrund die Frage, in welchem Sinne sich Linguistik als empirische Wissenschaft, linguistische Theorie als empirische Theorie charakterisieren läßt. Anders gefragt: Welches ist die "empirische Basis" linguistischer Theorien und Beschreibungen? Mit welcher Art von Daten haben wir es zu tun? Wie sind diese Daten "zugänglich" oder "gegeben"? Welcher theoretische Status kommt den Daten in der Theoriebildung zu? - Fragen dieser Art zu beantworten heißt auch: den Sinn der Rede von der Linguistik als einer Sczialwissenschaft klären. Zu einer solchen Klärung will ich hier nicht auf abstrakt-theoretischem Wege katmen, sondern im Zusantnenhang mit den praktischen Problemen bei der exemplarischen Beschreibung von Kommunikationen unter Kindern. An dieser Stelle will ich deshalb zunächst nur einige grundsätzliche
21 Q
Überlegungen vorstellen. Es geht zunächst darum, im Rahmen der Diskussion des Begriffs der Daten diesen für die Linguistik zu charakterisieren und zu spezifizieren. Eine vorläufige Spezifizierung wäre mit dem Begriff der "sprachlichen Daten" gegeben. Aber: was ist das, was wir sprachliche Daten nennen? Worin unterscheiden sich solche Daten von anderen Arten von Daten in den Sozialwissenschaften? Ich will hier sprachliche Daten als ein Ergebnis sprachlichen Handelns auffassen. Allerdings muß betont werden, daß eine solche Art von Ergebnis, die nicht das Ergebnis bestimmter Arten von sprachlichen Handlungen meint, sondern als Ergebnis aller Arten von sprachlichen Handlungen vorkommt, im allgemeinen nicht die Art von Ergebnissen sprachlicher Handlungen ist/ auf die es in der Kommunikation ankommt. Insofern ist die Redeweise, jemand bringe sprachliche Daten vor, indan er kommuniziere, zumindest eigenartig, denn es kann damit nichts über den Sinn des Kommunizierens oder gar über den Sinn einer bestimmten Kommunikation gesagt werden. Außerdem ist zu bedenken, daß die so hervorgebrachten "Daten", wie schon betont, erst unter einem bestimmten Forschungsinteresse als relevante Daten konstituiert werden, daß es sich also in diesem Sinne zunächst einmal gar nicht um "Daten" handelt. Ich will für unsere Zwecke folgende Redeweise vorschlagen: Anstelle von sprachlichen Daten rede ich im allgemeinen von dem Äußern von Sätzen oder sprachlichen Ausdrücken, dessen Ergebnis sprachliche Äußerungen sind. Sprachliche Äußerungen sind, wenn man so will, die "empirische Basis" der Linguistik, über die ich unter verschiedenen Aspekten Theorien aufstellen kann. Nun besteht der Sinn unseres Komnunizierens aber nicht darin, sprachliche Daten für irgendeinen Wissenschaftler zu produzieren, also Äußerungshandlungen um ihrer selbst willen zu machen. Wir machen vielmehr andere sprachliche Handlungen, i n d e m wir etwas äußern. Eine empirische linguistische Analyse geht zwar von Äußerungen aus, fragt aber immer auch nach den 9
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Die mit obigen Fragen angesprochenen Problemkreise werden von verschiedenen Punkten der Arbeit aus immer wieder in die Diskussion einbezogen werden und dort entsprechend dem Gewicht der praktischen Schwierigkeiten ihren Stellenwert erhalten. Ich beziehe mich hier nicht auf einen syntaktisch wohldefinierten Satzbeg r i f f , sondern verwende Satz in der Regel im Sinn von "sprachlicher Ausdruck" und unter Bezug auf eine vage Definition des Satzes als kleinste kommunikative Einheit. Auf die Bedeutung linguistischer Theorien als Theorien der sprachlichen Kompetenz und auf die "Introspektion" als Verfahren der Datengewinnung will ich hier nicht weiter eingehen. Jedenfalls sollten wir nicht von einem engen Empiriebegriff ausgehen.
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sprachlichen Handlungen, die die Partner damit gemacht haben oder gemacht haben könnten. In diesem Zusammenhang ist also die Frage zu stellen, inwieweit nicht nur Äußerungen, sondern auch und gerade die sprachlichen Handlungen, die die Partner noch machen, indem sie etwas äußern, als Gegenstand linguistischer Beschreibung anzusehen sind. Ein wichtiger Unterschied zwischen Äußerungshandlungen und anderen sprachlichen Handlungen besteht darin, rlaR erstere in der Regel inner zusammen mit anderen bzw. als andere Handlungen vorkanten und daß umgekehrt, sprachliche Handlungen anderer Art nur vollziehbar sind, indem man Äußerungshandlungen macht. Äußerungen kann man u.U. akustisch mißverstehen; solche Mißverständnisse lassen sich jedoch nicht in gleicher Weise behandeln wie Mißverständnisse, die den Sinn einer Äußerung betreffen, d.h. die Frage, als welche Handlung eine Äußerung intendiert ist. Äußerungen scheinen uns demzufolge "objektiver", sie sind in anderer Weise "gegeben" als die betreffenden erzeugenden sprachliehen Handlungen, 12 deren Sinn oder Verständnis sich oft erst in der weiteren gemeinsamen Praxis bzw. deren deutender Beschreibung erschließt. Cfo eine Unterscheidung zwischen Äußerungshandlungen und anderen sprachlichen Handlungen unter Bezug auf unterschiedliche Verstehensbegriffe begründbar ist, bleibt jedoch fraglich. Denn auch beim Verstehen bzw. Mißverstehen von Äußerungen als Äußerungen spielen in der Regel komplexe Wahrnehmungsstrategien eine Rolle, die von dem Verstehen der Äußerungshandlung als anderer Handlung geleitet sind. Wie gut wir eine Äußerung akustisch verstehen, hängt oft nicht nur von den phonetischen Eigenschaften der Äußerung ab, sondern auch von unseren Erwartungen, unseren psychischen und sozialen Dispositionen usw. Wir verstehen das, was wir verstehen wollen und dies offenbar schon auf der Ebene von Äußerungen, die wir eben immer schon als die damit gemeinten sprachlichen Handlungen verstehen. Demgegenüber können wir allerdings manchmal auch verstehen, welche 12
Von "erzeugten" und "erzeugenden" Handlungen bzw. Handlungsmustern rede ich hier und im folgenden im Sinne der indem-Relation in der praktischen Semantik. Siehe zur Einführung des Begriffs der Erzeugung, sowie des komplementären Begriffs der Zerlegung von Handlungsmustern Heringer 1974 a: Kap. 2.21: "(11) HA^HB. Das lesen wir: HA erzeugt HB. (11) nennen wir auch eine Erzeugung." ( 4 4 ) . Dementsprechend heißt das Muster links vom Pfeil erzeugendes, das Muster rechts vom Pfeil erzeugtes Muster.
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Möglicherweise läßt sich der Unterschied zwischen Äußerungshandlungen und anderen Arten von sprachlichen Handlungen in Beziehung setzen zu dem von Schwemmer (1975: 56 f . ) gemachten Unterschied zwischen "Beobachtungsbeschreibungen" und "Deutungsbeschreibungen". (Schwemmer unterscheidet "Beobachtung" und "Deutung" und nennt beides "Beschreibung").
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sprachliche Handlung der Partner gemacht hat, daß er z.B. eine Frage gestellt hat, ohne die Äußerung akustisch (vollständig) verstanden zu haben. Wir können in einem solchen Fall bei der Rückfrage also schon die sprachliche Handlung bzw. ffog Handlungsmuster bezeichnen und beispielsweise nach dem fragen, was der Partner uns gefragt hat. 14 Es bleibt auch unbestritten, daß wir mündliche Äußerungen, wenn wir sie in Schriftform repräsentieren, über das Verstehen als Äußerung hinaus iraner auch, wenn auch zunächst intuitiv, als möglicherweise die und die Handlung verstehen, und daß die Art dieses Verständnisses bereits abhängig ist von unserem spezifischen Erkenntnis interesse, unserer Beschreibungsintention. Wir achten bereits auf genau die Aspekte der Handlung bzw. der Regel, die für unsere Beschreibungsintention wichtig sind. Obwohl der Begriff des rein akustischen Verstehens so in gewissem Sinn trivial bleibt, scheint die Unterscheidung zwischen Äußerungshandlungen auf der einen und allen anderen sprachlichen Handlungen auf der anderen Seite praktikabel und nützlich im Rahmen eines Forschungsprozesses, bei dem wir es auf der Ebene der Konstitution der "empirischen Basis" zunächst mit mündlichen Äußerungen zu tun haben, wobei die Frage nach dem Sinn der betreffender Äußerungen erst auf der Ebene der expliziten linguistischen Beschreibung thematisiert sind. 1.3.
Beschreiben und Verstehen Derjenige, der eine Kcmnunikation zwischen Partnern "beobachtet", kann mehr oder weniger gut verstehen, was die Partner tun, er kann ihr Handeln auch mißverstehen oder überhaupt nicht verstehen. Er kann jedoch versuchen, sein Verständnis zu verbessern und wird dabei vermutlich auf ganz bestimmte Mittel oder Methoden rekurrieren. Eine meiner Thesen ist, daß der Versuch der Beschreibung der Handlungen der Partner das Verstehen ihrer Handlungen fördert. Dies gilt auch für die an der Kcmnunikation unmittelbar beteiligten Partner selbst; sie werden in ihrer Kommunikation eine Handlung dann beschreiben, wenn es ein Mißverständnis gegeben hat und sie bemüht sind, dieses Mißverständnis auszuräumen. 14
15
Vergleiche: Was hast du gesagt? als Frage nach einer Äußerung und Was hast du gefragt? als Frage nach dem "propositionalen Gehalt" einer bestimmten sprachlichen Handlung. Ich will damit allerdings nicht behaupten, daß man mit einer Äußerung wie Was hast du gesagt? nicht auch nach dem Sinn einer Äußerung fragen könnte, seiner Entrüstung Ausdruck geben könnte u . a . m . Wie Ryle (1949; 1969: Kap. 2, Abschnitt 9) betont, ist das Verstehen im Unterschied zum Wissen wie das Können graduierbar, d.h. wir können uns gut oder weniger gut verstehen und ein Mißverständnis kann ein mehr oder weniger falsches Verstehen sein.
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Cbwchl Beschreibungen auf diese Weise dem Verstehen dienen/ ist ein Verstehen immer schon Voraussetzung für das Beschreiben. Ein "Beobachter" beschreibt die Handlungen der Partner so, wie er sie versteht, er expliziert in der Beschreibung sein Verständnis, aber seine Beschreibung kann als reflektierter Interpretationsprozeß natürlich auch dazu anleiten, ein modifiziertes Verständnis der beschriebenen Handlungen zu gewinnen. Stellen wir uns zwei Partner (A und B) vor: Wenn B beschreibt, was der Partner A in der Kommunikation getan hat, expliziert er damit genau sein Verstehen der Handlung (en) von A. A könnte demgegenüber in der Beschreibung seiner eigenen Handlung(en) explizieren, was er mit der und der Äußerung gemeint hat und dabei auf ein mögliches Mißverstehen seiner Handlung durch B eingehen. Die Art des Mißverstehens seiner Handlung durch den Partner B wäre dem Partner A in einem solchen Fall zugänglich über die Beschreibung seiner Handlung durch den Partner B, der darin sein Verstehen (das, wie sich herausstellen kann, ein Mißverstehen sein kann) expliziert.
Dann könnten beide Partner schließlich im Vergleich ihrer Be-
schreibungen die Art ihres Mißverständnisses analysieren. Der Versuch der Klärung von Mißverständnissen über Beschreibungen kann aber auch dazu führen, daß von den Partner konkurrierende Beschreibungen gegeben werden, daß A etwa bestreitet, das gemeint zu haben, was B verstanden hat, B jedoch sein Verständnis nicht revidieren will, weil er, wie er meint, gute Gründe für sein So-und-So-Verstehen hat oder weil er Gründe dafür hat anzunehmen, daß A vielleicht nachträglich seine Handlung "uminterpretiert", weil er vielleicht die Folgen der Handlung nicht abgesehen hat usw. - An diesem Gedankenspiel wird deutlich, daß der eine Partner offenbar mit einer Äußerung nicht Beliebiges meinen kann, daß aber auch der andere Partner nicht Beliebiges verstehen kann. Wollte man hier weiter theoretisch auf den Zusammenhang 17 von Meinen und Verstehen sowie auf den von Bedeutung und Meinung reflektieren, könnten dazu Fragen anleiten wie: Warum konnte B die Handlung von A anders verstehen als A sie gemeint hatte? Kann A ohne weiteres annehmen, daß er "richtig" gemeint hat, B aber in jedem Fall "falsch" verstanden hat? Welches sind die Kriterien für "richtiges" Meinen? Welches ist der Zusammenhang von Bedeutung und Meinung? 16
Ich behaupte natürlich nicht, daß dies die übliche Art des Kommunizierens ist. Unser Verstehen "zeigt sich" normalerweise in der gemeinsamen Praxis
17
Siehe zum Verhältnis von Bedeutung und Meinung Öhlschläger 1976.
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Ich will hier solche Fragen nicht weiter behandeln, sondern einen ändern Gesichtspunkt hervorheben: Hinsichtlich der Rolle des Verstehens für Hag Beschreiben scheint es bei Beschreibungen, die sich die unmittelbar miteinander interagierenden und kommunizierenden Partner geben bzw. geben können, ähnliche Probleme zu geben wie bei Beschreibungen, die ein nicht unmittelbar mit den Partnern interagieren1p der und kommunizierender "Beobachter" gibt bzw. geben kann. Vielleicht wird ein solcher "Beobachter" ein anderes Beschreibungsinteresse haben (z.B. ein therapeutisches) als die jeweiligen Partner, es dürfte jedoch auch dort um das Verstehen oder Verständlichmachen von Handlungen über Beschreibungen gehen. Die Beschreibung ist jedoch nicht konstitutiv für das Verstehen. Umgekehrt ist jedoch das Verstehen (oder e i n Verstehen) konstitutiv für die Möglichkeit von bedeutsamen Beschreibungen von Handlungen überhaupt, so wie das Verstehen auch Voraussetzung dafür ist, daß wir überhaupt miteinander interagieren und kcttmunizieren können. Diese Formulierung ist freilich nicht unproblematisch, denn ob sich zwei Partner verstehen, kann man nur feststellen, indem man miteinander ins Gespräch kommt; dort "zeigt sich", inwieweit zwei Partner den gleichen Regeln folgen bzw. ob die Verschiedenheit der Regeln so ist, daß man nicht lernen könnte, den Partner zu verstehen, indem man geeignete Hypothesen über seine Regeln macht. Es ist nun zu fragen, inwieweit zwischen dem Verstehen der Partner untereinander und dem Verstehen der Handlungen der Partner durch einen "Beobachter" überhaupt ein prinzipieller Unterschied zu machen ist, inwieweit etwa der "Beobachter" als Fachmann (als Linguist beispielsweise) einen ausgezeichneten (beispielsweise methodisch reflektierten) Zugang zum Verstehen der Handlungen der Partner hat usw. Ich will diese Fragen hier zunächst zurückstellen und noch einige allgemeinere Überlegungen zur Rolle des Verstehens bei Beschreibungen des sprachlichen und sozialen Handelns anstellen. Dabei versuche ich zunächst den Verstehensbegriff zu präzisieren und diskutiere anschließend den Status der hier vorgestellten Beschreibungsbeispiele gegenüber durch Introspektion bzw. Reflexion auf die eigene Sprachkompetenz gewonnenen Beispielen. 18
Ich apostrophiere hier den Begriff des Beobachters, solange ich nicht die Kategorie der Beobachtung im Rahmen einer sozialwissenschaftlich-linguistischen Analyse geklärt habe. Es sei jedoch schon darauf hingewiesen, daß hier nicht auf die Etablierung einer neutral-objektiven Beobachterrolle abgezielt wird, insbesondere dann nicht, wenn "Beobachtung" als teilnehmende Beobachtung verstanden wird.
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Wenn ich bisher davon geredet habe, daß wir die sprachlichen Handlungen eines Partners in der Kommunikation verstehen, habe ich so getan, als sei e unproblematisch, was hier unter verstehen zu verstehen sei. Wir kennen umgangssprachliche Verwendungsweisen von verstehen und wir kennen wissenschaftstheoretische und wissenschaftsgeschichtliehe Zusammenhänge, in denen von verstehen die Rede ist. Um zu klären, in welcher Weise in dan hier angesprochenen Zusammenhang von Beschreiben und Verstehen der Ausdruck verstehen verwendet wird, will ich, ohne im einzelnen auf verstehenstheoretische Literatur oder auch auf die wissenschaftstheoretische Diskussion um Erklären und Verstehen einzugehen, einige Verwendungsweisen von verstehen kurz diskutieren.19 Was meinen wir, wenn wir davon reden, daß wir jemanden verstehen? Und was heißt es, jemand verstehe sein Handwerk? Im ersten Fall denken wir vielleicht auch an einen Ausdruck wie Verständnis haben oder an eine Art einfühlendes oder mitfühlendes Verstehen. Was aber ist in einen solchen Fall denn der Gegenstand unseres Verstehens, was verstehen wir, wenn wir jananden verstehen? Ich meine, daß es in erster Linie die Handlungen sind, die wir verstehen. Aufgrund dessen, was jemand tut (d.h. auch, was er sagt) können wir uns ein Bild von ihm, von seiner Persönlichkeit machen, indem wir nach und nach die Zusammenhänge seiner Handlungen, seiner Motive und Absichten kennen- bzw. verstehen lernen. In diesem Sinne scheint verstehen soviel zu heißen wie 'akzeptieren1 . Wenn ich jemanden in diesem Sinne "verstehe", so weiß ich, warum er so und so handelt und kann vielleicht ein Handeln akzeptieren, das ich normalerweise nicht billigen würde. 20 Es scheint mir jedoch, daß wir mit dieser Auffassung von Verstehen nicht weiterkommen. Wenn wir dagegen der Argumentation G. Ryles folgen, ist "die Taten und Worte einer Person verstehen L.3 kein wie immer geartetes problematisches Erraten okkulter Vorgänge. Denn ein solches Erraten kommt nicht vor und kann nicht vorkommen; Verstehen dagegen kommt vor" (Ryle 1949; 1969: 66). Im zweiten Fall (sein Handwerk verstehen) werden wir dazu neigen, hier eine ganz andere Art von Verstehen zu sehen, die mit der zunächst diskutierten Verwendungsweise nichts zu tun hat. Diese Verwendungsweise macht jedoch 19 20
Siehe hierzu auch entsprechende Erörterungen unseres Sprachgebrauchs bei Keller 1976: 2 f. Ich kann mich natürlich trotzdem von einer bestimmten Handlung distanzieren: "Ich verstehe ihn zwar, würde aber selbst nie so handeln". Zwischen 'Verstehen' und 'Akzeptieren' unterscheiden auch Schank,Schoenthal 1976: 66. Vgl. auch Rehbein,Ehlich 1975: 18 f f . , die darauf hinweisen, "daß die alltagssprachliche Verwendung des Wortes Verstehen vergleichsweise undifferenziert vorgeht."
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m.E. auf ein in unserem Zusammenhang wichtiges Merkmal des Verstehens aufmerksam, nämlich darauf, daß "Verstehen eine Art des Könnens" ist, und "das Können, das zum Verstehen intelligenter Handlungen einer bestimmten Art nötig ist, ist ein gewisser Grad von Kompetenz für Handlungen dieser Art" (Ryle 1949; 1969: 66 f f . ) . Wenn Verstehen als ein Können anzusehen ist, so muß es wie das Können, im Unterschied zum Wissen, * graduierbar sein; zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen gibt es Mißverstehen und mehr oder weniger gutes Verstehen, und es gibt die Möglichkeit, unser Verstehen zu verbessern als die Möglichkeit, unsere Kompetenz zu erweitern, ebenso wie es die Möglichkeit von "Mißdeutungen" gibt, die wir gerade bei der Beschreibung von Kcmnunikationen unter Kindern wohl nie ganz ausschließen können. Wir sollten uns deshalb auf keinen Fall vorschnell auf eine Interpretation festlegen. 22 Eine - möglicherweise in unserem Zusammenhang triviale - Verwendung von verstehen habe ich schon bei der Unterscheidung von Äußerungen und anderen sprachlichen Handlungen herangezogen, indem ich vom akustischen Verstehen von Äußerungen geredet habe. Ein solches Verstehen wäre nicht als Pendant zum Meinen, sondern als Pendant zum Sagen aufzufassen, wobei es jedoch in einer sinnvollen linguistischen Beschreibung gerade auf den Zusammenhang von Sagen und Meinen bzw. von Verstehen, was jemand gesagt hat und Verstehen, was jemand gemeint hat, ankommen dürfte. Trivial scheint der Begriff des akustischen Verstehens deshalb, weil er offenbar identisch ist mit dem Begriff des Hörens. 23 Wenn wir jedoch von dem Verstehen sprachlicher Äußerungen reden, so meinen wir damit offenbar nicht die bloße Wahrnehmung akustischer Phänomene, sondern meinen auch, daß jemand eine Sprache spricht und daß wir verstehen, daß das, was er sagt, eben mögliche Äußerungen in dieser Sprache sind. Wenn es aber Äußerungen nur in einer Sprache gibt, setzt das Verstehen von Äuße21
"Wissen" und "Können" werden in der deutschen Übersetzung (1969) für "knowing that" und "knowing how" verwendet. Das Wortspiel ließe sich vielleicht treffender wiedergeben mit "Kennen" und "Können", ich schließe mich hier jedoch der dtsch. Übersetzung an.
22
vgl. Ryle 1949; 1969: 75. "Die Fehlauslegung des Beobachters kann (dann) sehr wohl scharfsinnig und wohlbegründet sein. Sie ist nur deswegen unachtsam, weil sie vorschnell ist."
23
Ähnlich auch Ryle 1949; 1969: 63: "Was ist der Unterschied zwischen Hören, was jemand sagt und Begreifen, was man ihn sagen hört?" Vgl. auch den B e g r i f f des "Hörverstehens" bei Urban 1977, der sich jedoch nicht auf akustisches Verstehen beschränkt, sondern eine Hierarchie von Verstehensebenen postuliert, die jedoch m . E . eine inadäquate Bedeutungs- bzw. Kompetenzauffassung impliziert.
28
rungen die Kenntnis eben dieser Sprache voraus, ist also nicht mehr auf akustische Phänomene reduzierbar. Daß wir hören, was einer sagt, ist nicht irgendeine besondere Art des Verstehens, sondern eine conditio sine qua non für das Verstehen sprachlicher Handlungen. Nur wenn ich weiß, was jemand geäußert hat, kann ich sinnvoll fragen, was er damit gemeint haben könnte, da ich sonst gar nicht angeben könnte, worauf ich denn mit damit referieren wollte. Eine Referenzmöglichkeit ist natürlich auch gegeben im Fall von "verstümmelten" Äußerungen, wonit ich nicht irgendwie abweichende oder grammatisch unvollständige Äußerungen meine, sondern Äußerungen, deren Wortlaut ich nicht vollständig "gehört" habe. Ich nehme jedoch dabei immer an, daß es sich um Äußerungen in einer bestimmten, mir verständlichen Sprache handelt, so daß etwa eine Rückfrage oder eine Bitte um Wiederholung nicht deshalb gestellt wird, weil ich an den Lautformen einzelner Wörter interessiert wäre, sondern deshalb, weil ich verstehen möchte, was der Partner mit seiner Äußerung meint, denn nur, wenn ich ihn - in diesem nicht-trivialen Sinn - verstehe, kann unsere Kotmunikation einen Sinn bekamen. Fragen nach dem, was der Partner g e s a g t hat, sind also, wenn wir den Sinn solcher Fragen betrachten, im allgemeinen immer auch Fragen nach dem, was der Partner g e m e i n t hat, aber es ist nicht so, daß wir mit der Beantwortung der Frage nach dem Wortlaut einer Äußerung sozusagen automatisch mitbeantwortet bekämen, was denn mit der betreffenden Äußerung gemeint sei, denn wir hätten ja auch explizit nach dem fragen können, was ein Partner mit einer Äußerung gemeint hat. Wenn man unterscheiden will zwischen Fragen nach dem Wortlaut einer Äußerung und Fragen nach dem Sinn einer 24
Eine Kommunikation darüber, was jemand mit einer Äußerung gemeint hat, muß sicher nicht so verlaufen, wie die zwischen Alice, dem Schnapphasen und dem Hutmacher, L. Caroll zeigt mit dieser "aberwitzigen" Kommunikation jedoch genau die Problematik des Zusammenhangs von Sagen und Meinen a u f : " ' N a , jetzt wird es schon lustiger 1 , dachte Alice, "jetzt kommen Rätsel an die Reihe! - Ich glaube, das bringe ich heraus 1 , sagte sie laut. 'Du meinst, du wirst es erraten?' fragte der Schnapphase. 'Genau das', sagte Alice. 'Dann solltest du auch sagen, was du meinst", fuhr der Schnapphase fort. 'Das tu ich j a ' , widersprach Alice rasch; 'wenigstens - wenigstens meine ich, was ich sage - und das kommt ja wohl aufs gleiche heraus!' 'Ganz und gar nicht', sagte der Hutmacher. 'Mit demselben Recht könntest du ja sagen: 'Ich sehe, was ich esse' ist das gleiche wie 'Ich esse, was ich sehe!' Q . J ." (Caroll 1974: 71) .
29
Äußerung, was wir in unserer kommunikativen Praxis ja tun,
so scheint mir
in unserem Zusammenhang die Frage interessant, inwieweit es sich hierbei auch um eine Unterscheidung von verschiedenen Teilen unserer Fragekompetenz handeln könnte und ob bzw. wie Kinder solche unterschiedlichen Fragearten verwenden. Ich will an einigen Beispielen aus den aufgezeichneten Kommunikationen unter Kindern wenigstens das Problem illustrieren. Rückfragen nach dem Wortlaut einer Äußerung oder eines bestimmten Äußerungsteils scheinen etwa bei den 4-6jährigen Kindern in Text V relativ häufig vorzukamen, ob es sich aber tatsächlich "nur" um Fragen nach dem Wortlaut handelt, muß erst eine Analyse der betreffenden Konnunikationsausschnitte zeigen. Wenn es richtig wäre, daß Kinder eines bestimmten Alters relativ selten Fragen nach dem Sinn einer Äußerung stellen, sollte man deshalb allerdings nicht annehmen, daß Mißverständnisse hinsichtlich des Sinns von Äußerungen in ihren Kommunikationen keine Rolle spielen, vielleicht spielen sie nur eine andere Rolle als etwa in problematischen Kommunikationen unter Erwachsenen. Text V, 2 (1) Sebastian
ich muß aber mit dir spielen
(zu G)
( 2 ) Georg
was?
(3) Sebastian
ich muß mit dir spielen
(4) Georg
ja
(5) Sebastian
ja / weil der Felix ja die Cowboys will
Das einfache Fragewort was scheint sich hier auf die ganze Äußerung (1) von S(ebastian) zu beziehen. S wiederholt als Antwort die Äußerung ohne aber, dessen Funktion eingehender zu analysieren wäre. Mit (4) gibt G(eorg) zu verstehen, daß er mit dem, was S mit dem Äußern von (3) bzw. (1) behauptet hat, einverstanden ist, was voraussetzt, daß er die betreffende Äußerung von S jetzt verstanden hat. Mit (5) bekräftigt S noch einmal das Gesagte, indem er das ja von G wieder aufninmt und gleichzeitig noch eine Begründung anbietet, mit dem begründenden Satz vielleicht aber auch einen Spielvorschlag spezifiziert. Aber könnte G mit dem Äußern von was nicht auch eine Frage ge25
Mir sind beispielsweise Zusammenhänge geläufig, in denen der Partner auf unsere Behauptung, wir hätten das nicht verstanden, frustriert reagiert, weil er meint, einen Gedanken besonders klar ausgedrückt zu haben, dann aber sogleich beruhigt ist, wenn wir ihm erklären, wir hätten seine Äußerung "rein akustisch" nicht verstanden, z . B . weil gerade ein Lastwagen vorbeigefahren sei.
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stellt haben wie Was meinst du damit, du mußt aber mit mir spielen? Text V, 2 (1) Sebastian
du ich sag dir mal was / der hat außerdem keine Pistole
(2) Felix
was hat der?
( 3 ) Sebastian
keine Waffe / dem geb ich n Messer
Hier fragt F(elix) mit der Äußerung (2) nach einem Teil der Äußerung (1) von S. Da F nicht fragt, was hat der nicht? könnte man annehmen, daß er die ganze Akkusativ-Ergänzung, also einschließlich des Attributs, nicht "verstanden" hat. Mit (3) wiederholt S nicht wie im ersten Beispiel den ganzen Satz, sondern genau die syntaktische Position nach der F gefragt hat, wobei er die Leerstelle allerdings mit einem anderen Lexem füllt (Waffe
statt Pistole) .
Dies könnten wir so verstehen, daß S annimmt, das Mißverstehen von F beruhe möglicherweise darauf, daß F nicht wisse, was er mit Pistole meine. S kann allerdings nicht sicher sein, daß F Waffe
besser versteht als Pistole, zu-
mindest aber könnte F die Verwendungsweise von Waffe
aufgrund des zweiten
Teils von (3) erschließen und somit den Gebrauch dieses Wortes durch S, einen kleinen Teil der Sprache (des "Idiolekts") von S lernen. Die beiden Beispiele zeigen schon, daß auch praktisch die Unterscheidung von Fragen nach dem Wortlaut einer Äußerung und Fragen nach dem Sinn einer Äußerung nicht streng durchzuhalten ist.
Auch auf folgendes Beispiel läßt
sich diese Unterscheidung m.E. kaun anwenden: Text V, 4 (1) F
des is schli/können denn Cowboys springen?
(2) S
rennen?
(3) F
nee springen
Könnte S mit dem Äußern von (2) nicht auch eine Frage gestellt haben wie: Wieso fragst du das, ob Cowboys rennen können?
An diesem Beispiel läßt sich außerdem zeigen, (i) daß das Verstehen oder Mißverstehen der Partner untereinander (sowohl bezogen auf das Sagen wie auf ffag Meinen) nicht unbedingt dem Verstehen des "Beobachters" und Beschreibenden entsprechen muß und (ii) daß dort, wo von den Partnern selbst Mißverständnisse thematisiert werden, dem Beobachter ein Anhaltspunkt für die Art des Verstehens der Kinder untereinander und damit ein Kriterium für die Adäquatheit seines Verstehens und seiner Beschreibung gegeben
ist.
31
Im Fall (i) könnte die Transkription dieses Beispiels folgendermaßen rekonstruiert werden: Entweder hat der Transkribent schon bei (1) springen verstanden, dann ist für sein Verstehen (2) und (3) gewissermaßen redundant. Oder er hat in (1) auch rennen verstanden (oder noch etwas anderes) und versteht auch erst aufgrund von (3), daß F springen gesagt hat und ersetzt daraufhin in (1) rennen \ (seine ursprüngliche Transkription) durch springen. Aber was wäre, wenn F springen gesagt hätte und 'rennen' gemeint hätte? Es wird hier außerdem schon deutlich, daß schon bei der Transkription nicht nur isolierte Äußerungen der Partner betrachtet werden können, sondern daß ein adäquates Verstehen und damit eine adäquate Beschreibung nur erreicht werden kann, wenn wir die Zusammenhänge der Äußerungen und Handlungen berücksichtigen und alternative Interpretationsmöglichkeiten bedenken. Transkriptionsprobleme tauchen natürlich nicht auf, wenn ich meine Beispiele introspektiv gewonnen habe. Trotzdem kann eine Beschreibung in beiden Fällen u.U. die gleiche Form haben und sie kann auch teilweise den gleichen Zielen dienen, z.B. dem, bestimmte theoretische Annahmen zu illustrieren. Unterschiede finden wir dort, wo wir konkrete Vorgehensweisen ("Forschungsstrategien") und die besondere Rolle des Verstehens betrachten. Wenn wir selbst ein Beispiel einer Kcnrnunikation konstruieren, können wir nicht mehr unterscheiden zwischen dem möglichen Verstehen der Partner ?fi in diesem Beispiel und unserem Verstehen der Handlungen der Partner. Das Verstehen der Partner untereinander ist genauso fiktiv wie die Partner selbst und unsere Beobachterrolle in bezug auf das konstruierte Beispiel. Im Fall der Beschreibung einer "beobachteten" und aufgezeichneten Kcmnunikation könnte diese Unterscheidung allerdings bedeutsam werden. So könnte das Verstehen der Partner untereinander, wie schon angedeutet, ein wie auch immer handhabbares Kriterium für die "Kontrolle" des Verstehens des "Beobachters" abgeben. In einem konstruierten Beispiel ist selbst ein dort vorkommendes Mißverständnis der Partner untereinander für den Beschreibenden bereits ein verstandenes, denn er hat dieses Beispiel und dieses Mißverständnis ja bei der Konstruktion des Beispiels gerade so intendiert, etwa um die Struktur einer bestimmten Art von Mißverständnissen beschreiben zu können. Die Interpretation eines konstruierten Beispiels kann also nicht als ein Problem des "Fremdverstehens" (Schütz 1932) betrachtet werden. Trotzdem ist ein solches Verfahren natürlich grundsätzlich legitim im Rahmen bestimmter ForschungsInteressen, beispielsweise, um bestimmte theore26
Vgl. Schank,Schoenthal 1976: 66, die zwischen "textinternem" und "textexternem" Verstehen unterscheiden.
32
tische Überlegungen zu illustrieren. Soweit ich sehe, ist der quasi-empirische Charakter dieser Art von Beispielen jedoch kann prcblematisiert worden, so daß auch die Problematik des Verstehensbegriffs in dieser Hinsicht nicht diskutiert worden
ist.
Ich will der mit konstruierten Beispiele arbeitenden "Beispiellinguistik" auch keine "Korpuslinguistik" als Paradigma empirischen Arbeitens in der Linguistik gegenüberstellen, vielmehr vertrete ich hier die Auffassung, daß eine mit "empirischen" Beispielen arbeitende Art von "Beispiellinguistik" im Hinblick auf bestimmte Forschungsziele sowohl der mit "konstruierten" Beispielen arbeitenden "Beispiellinguistik" als auch einer reinen Korpuslingustik vorzuziehen ist. Einem Korpus kommt im Grund (von Repräsentativitätsüberlegungen einmal abgesehen) kein anderer Status zu als einer unter thematischen Gesichtspunkten durchgeführten Auswahl von Beispielen, die im 28 Zusammenhang des jeweiligen Forschungsinteresses von Bedeutung sind. Es geht mir also nicht um eine Korpuslinguistik, die die Grenzen des jeweiligen Korpus in der Regel nach quantitativen Gesichtspunkten bestimmen dürfte. Ich sehe mich deshalb auch nicht vor die Frage gestellt, an welchem Punkt eine Beispielsammlung zu einem Korpus wird, wie ein Korpus zu segmentieren sei, was Beschreibungen einer "Makrostruktur" und einer "Mikrostruktur" eines Korpus seien, oder, warum etwa die Beispiele, die der Linguist aufgrund
sei-
ner Sprachkompetenz konstruiert, nicht auch als Prozeß der Korpusbildung formuliert werden sollten. Die Frage, die die Segmentierung eines Korpus aufwirft, welches etwa die Analyseeinheit einer Beschreibung des sprachlichen Handelns sein soll, kann m.E. nicht durch irgendein Segmentierungsverfahren geklärt werden, das vor jedem Verstehen ein Korpus in Analyseeinheiten segmentiert, sondern es muß vielmehr an den zu analysierenden Teilen von Kanmunikationen aufgrund des fortschreitenden Verstehens dieser Teile von Fall zu Fall entschieden werden, wo die Grenzen zu ziehen sind. In unserem Zusammenhang interessiert allerdings auch die Frage, wie der Linguist zu seinen "empirischen" Beispielen gelangt. Dies scheint auf den ersten Blick unproblematisch, besonders dann, wenn er sich auf schriftliches Material stützen will. Daß die Beschreibung schriftlicher Texte unproblema27
Siehe zu dieser Tendenz etwa Wagner 1975: 7 f .
28
Dies sieht auch Wagner 1975: 8; der Umfang seines Korpus und der in Wagner 1974 erhobene Anspruch, dieses unter kommunikativen Gesichtspunkten zu analysieren, unterscheidet sich jedoch von dem hier vorgeschlagenen Verfahren zur Auswahl relevanter Beispiele. Vgl. auch die Kritik bei Biere 1976 b.
33
tischer erscheint als die Beschreibung mündlicher Kcnmunikationen, liegt m.E. nicht nur daran, daß wir es dort bereits mit einem sekundären Zeichensystem zu tun haben, in dem die zu beschreibenden Äußerungen bereits in einer beschreibungsfähigen Form (ähnlich wie die sog. Sekundärdaten) vorliegen, sondern wohl auch daran, daß man oft angenommen hat, das Problem des Verstehens sprachlicher Handlungen stelle sich in diesem Fall nicht. Verstehen sei hier überhaupt mehr eine philologische Angelegenheit, wobei man vermutlich an einen traditionell-hermeneutischen Verstehensbegriff denken wird. Eine solche Einschätzung des Charakters von schriftlichen Texten mag nicht zuletzt durch den Begriff des "Sprech"akts unterstützt worden sein, der gelegentlich mit "Sprechen" im Gegensatz zu "Schreiben" in Ver29 bindung gebracht wurde. Wie kennen wir also zu beschreibungsfähigen Beispielen von mündlichen Komnunikationen; wie, so würde der empirische Sozialforscher fragen, erheben wir unsere (sprachlichen) 1.4.
"Daten"?
Teilnehmende Beobachtung und Verstehen In keinen Handbuch der empirischen Sozialforschung fehlen Kapitel über
"Feldforschung", "Beobachtung" und andere "Erhebungstechniken".
Die Feld-
forschung wird als "aufs engste mit dem Begriff der empirischen Sozialforsahung verknüpft" angesehen, "die als systematische Analyse konkreter Daten zu verstehen ist"
(Nowotny, Knorr 1975: 82).
Feldforschung als Methode der Datenerhebung soll Informationen aus einen bestürmten, als das betreffende "Feld" definierten Bereich der sozialen Wirklichkeit liefern. Die hier implizierte Trennung einer Phase der "Datenerhebung" von einer Phase der "Datenauswertung" oder -analyse deutet auch darauf hin, daß sozialwissenschaftliche Theoriebildung getrennt blieb von dem "nur" von bestimmten Methoden oder Techniken geleiteten Prozeß der Datenerhebung. Daß diese Trennung zwischen "Beobachtung und Erklärung" wie sie der Positivismus der 3Oer Jahre vertrat, heute nicht mehr aufrecht gehalten werden kann, hat nicht zuletzt die wissenschaftstheoretische Diskussion in den Sozialwissenschaften selbst gezeigt. 29
30
Um einem solchen Mißverständnis vorzubeugen, schlägt Glinz (1977: 63 u. 159) den Ausdruck Performanzakt vor. Im übrigen geht gerade Glinz von einem einheitlichen Textbegriff aus, der mündliche und schriftliche Äußerungen umfaßt. 2 Siehe beispielsweise König 1967; Koolwijk, Wieken-Mayser 1974/75; 2 Friedrichs, Lüdtke 1973 zur teilnehmenden Beobachtung.
34
Zunehmend ist auch der Begriff der Beobachtung problematisiert worden, insbesondere im Zusammenhang mit den vielfältigen Problemen der Beziehung zwischen Beobachter (Feldforscher) und Beobachteten und der daraus resultierenden Frage nach den "Bedingungen gültiger Datenerhebung": "Dem Versuch, ausschließlich über die Weiterentwicklung und Standardisierung der Beobachtungstechniken zu einer Neutralisierung des Erhebungsvorgangs zu gelangen JT . ] steht der Versuch entgegen, die Verhaltensmechanismen des täglichen Lebens und somit die Struktur sozialer Wechselbeziehungen als die Basis der Datenerhebung anzusehen und dementsprechend mit zu berücksichtigen [..."]" (Nowotny, Knorr 1975: 83}.
Letztgenannter Versuch wird u.a. von Cicourel, auf den ich mich im wesentlichen beziehen werde, unternommen. Cicourel geht von der Kritik eines technisch-methodologischen, in der Regel auf die Verfeinerung bestimmter Meßoperationen bzw. Meßinstrumente ausgerichteten Interesses aus und entwikkelt Ansätze einer theoretisch-methodologischen Gegenposition,31 die sich in wesentlichen Punkten auch auf die Problematik der Entwicklung einer empirisch-linguistischen Methode beziehen lassen. Von den in der empirischen Sozialforschung üblichen Methoden der Datenerhebung diskutiert Cicourel neben der teilnehmenden Beobachtung das Interview, Auswahlfragebogen, die demographische Methode, Inhaltsanalyse und experimentelle Modelle. In einem Kapitel über "Sprache und Bedeutung" geht er schließlich auch auf mögliche linguistische Beiträge zu einer soziologischen Analyse ein. Cfcwohl für bestimmte linguistische ForschungsInteressen Interviews, Fragebögen und auch experimentelle Modelle geeignete Instrumentarien der Erhebung sog. sprachlicher Daten sein mögen, will ich hier nur die im Rahmen unseres spezifischen ForschungsInteresses in Frage körnenden Methoden und die sich daraus für die linguistische Beschreibung ergebenden Probleme diskutieren. Für die Wahl eines adäquaten methodischen Vorgehens sind folgende Punkte zu bedenken. (i) unsere "Daten" sind mündliche sprachliche Äußerungen; (ii) die "Produzenten" der zu beschreibenden Äußerungen sind Kinder im Vorschulalter; (iii) die Äußerungen sollen im Zusamnenhang von "natürlichen" direkten Konmunikationen und Interaktionen unter Kindern als bestimmte Arten des sprachlichen Handelns beschrieben werden 31
Vor allem in Cicourel 1964.
35
Aufgrund von (iii) scheiden experimentelle Modelle, ebenso wie das Interview als Methoden der Datenerhebungen aus. Gegen Auswahlfragebögen spricht neben (iii) vor allem noch (i), so daß wir offensichtlich darauf angewiesen sind, unsere "Daten" durch Beobachtung zu gewinnen. Die Begründung dafür, daß die Art der Beobachtung in unserem Zusammenhang nur teilnehmende Beobachtung sein kann, hängt vor allem mit (ii) zusanrnen, ergibt sich aber im Grunde ebenso aus unserer Diskussion des Verstehensbegriffs. Die praktische Notwendigkeit teilnehmender Beobachtung erweist sich auch in der empirischen Arbeit, so daß sich die theoretische Diskussion des Verstehensbegrif f auf der Ebene der Datengewinnung als methodisch relevant erweist. Cicourel diskutiert die Problematik der teilnehmenden Beobachtung (am Beispiel anthropologischer bzw. ethnologischer Forschung) in einer wesentlich theoretischen Dimension, die in entscheidenden Punkten genau auf den hier diskutierten Zusanmenhang von Beschreiben und Verstehen abzuzielen scheint. Ein solcher Zusanmenhang wird als methodisches Problem reflektiert in der Ihematisierung der problematischen Rolle des Beobachters im Feld und schließlich in der Frage nach der "Validität" oder "Reliabilität" der durch teilnehmende Beobachtung gesammelten Daten. Dabei wird das Verstehensproblem gerade an der von Cicourel betonten "Differenz zwischen der Arbeit in der eigenen Gesellschaft und der in einer fremden" deutlich. Diese Differenz liefert nach Cicourel "einen grundlegenden Ausgangspunkt für die Bedingungen, innerhalb derer die Wahrnehmungen und Interpretationen des Beobachters Bedeutung annehmen" (Cicourel 1964; 197O: 64). Eine vergleichbare Differenz scheint zwischen der Arbeit mit Kommunikationen unter Kindern und der Arbeit mit Kommunikationen unter Erwachsenen zu bestehen. Im Grunde ist diese Differenz als Differenz zwischen den "Bedeutungs- und Relevanzstrukturen" (Cicourel 1964) des Beobachters und den tatsächlichen Bedeutungs- und Relevanzstrukturen der im Feld beobachteten Handelnden praktisch bei der Untersuchung beliebiger sozialer Gruppen innerhalb einer scheinbar homogenen, d.h. auf einem bestimmten Abstraktionsniveau homogen scheinenden Gesellschaft gege32
Mir scheint allerdings, daß die teilnehmende Beobachtung nicht zuletzt in einigen Versuchen, sie für die linguistische Datengewinnung fruchtbar zu machen, weitgehend ihrer substantiellen theoretischen Implikationen beraubt worden ist, indem dort gerade dem Begriff des Verstehens nicht in theoretisch angemessener Weise Rechnung getragen wird. Siehe Heidelberger Forschungsprojekt "Pidgin-Deutsch" 1975; Leodolter 1975; Martens 1974.
36
ben.33 Im Fall der Annahme einer relativ homogenen Gesellschaft kann sich auch der Forscher ohne weiteres -als Teil einer solchen betrachten und damit bei allen folgenden methodischen Entscheidungen eine Reihe impliziter Übereinstimmungen voraussetzen: "1. zwischen den Indikatoren, durch die der Mann auf der Straße bedeutsame Objekte identifiziert und den Indikatoren, die vom Sozialwissenschaftler zur Identifizierung bedeutsamer Objekte und Ereignisse verwandt werden; 2. zwischen dem Standpunkt der handelnden Person - der Sprache und den Bedeutungskategorien, die der Handelnde benutzt, um Beobachtungen und Erfahrungen zu beschreiben und zu subsumieren - und dem Standpunkt des Beobachters - der Sprache und den Bedeutungskategorien, die der Beobachter benutzt, um Beobachtungen, Antworten und Dokumente über die soziale Szene zu beschreiben und zu subsumieren; 3. zwischen den normativen Regeln, die beim Handelnden Wahrnehmung und Interpretation seiner Umgebung bestimmen und den theoretischen und methodologischen Regeln, die beim Beobachter Wahrnehmung und Interpretation der gleichen Objektwelt bestimmen" (Cicourel 1964; 1970: 36 f . ) .
Gerade die Nicht-Ubereinstimnung zwischen Beobachter und Beobachteten in diesen Punkten bildet jedoch die eigentliche Problematik empirischen Arbeitens und kann als charakteristisch für die Arbeit "im Feld" angesehen werden. 34 Um der Annahme vorzubeugen, Kommunikationen unter Erwachsenen und Kommunikationen unter Kindern seien Performanzen nach den gleichen homogenen Regeln, gehe ich zunächst davon aus, daß Konntunikationen unter Kindern den Beobachter (und Beschreibenden) grundsätzlich vor die gleichen Probleme stellen wie Konntunikationen und Interaktionen von Mitgliedern einer fremden Gesellschaft oder Kultur, wobei jedoch zusätzlich auf den spezifischen Zusam33
So ist die Homogenitätsannahme Chomskys (1965; 1969: 13 f.) zu verstehen im Zusammenhang mit der Annahme eines als methodologische Abstraktion gemeinten idealen Sprecher-Hörers. Interessanterweise scheinen auch die soziolinguistischen Ansätze Bernsteins, wie etwa Stetter argumentiert, eine sprachtheoretische Konzeption zu verlangen, "die in ihrem aufbau vollständig derjenigen Chomskys gleicht. Sein {Bernsteins, B.U.BTj zugrundeliegendes 'zeichenrepertoire' ist tatsächlich systematisch analog der idealisierten kompetenz Chomskys konstruiert." (Stetter 1976: 1 3 2 ) .
34
Vgl. Schütz 1932, der gegen Weber (dieser setze "die Welt überhaupt und somit auch die sinnhaften Phänomene der sozialen Welt naiv als intersubjektiv konform" voraus) argumentiert: "Die soziale Welt ist eben keineswegs homogen, sondern mannigfaltig gegliedert, und der 'Andere', der Partner, ist dem sozial Handelnden und beide wiederum dem Beobachter jeweils in verschiedenen Graden der Anonymität, der Erlebnisnähe und Inhaltsfülle gegeben" (Schütz 1932; 1974: 16).
37
menhang zwischen meiner Lebensform als Erwachsener und den Mustern oder Regeln, nach denen Kinder kommunizieren und interagieren, reflektiert werden muß. Indem ich eine solche grundsätzliche Differenz annehme, problematisiere ich gerade für meinen Beschreibungsbereich den Begriff der Beobachtung; da die beschriebenen Arten von Differenzen sich letztlich auf die diskutierte Verstehensproblematik zurückführen lassen, wird die forschungspraktische Kategorie der Beobachtung im Zusammenhang mit dem theoretischen Konzept eines Verstehensbegriffs gesehen. Dies bedeutet wiederum, daß in dem Zusammenhang von Beschreiben und Verstehen die "Datenerhebung" durch teilnehmende Beobachtung als methodisches Pendant einzubeziehen ist, insofern als die Auswahl beobachtungsrelevanter Handlungen bzw. Äußerungen und deren Repräsentation als "Daten" bereits von Interpretationsprozessen geleitet ist wie sie i.a. erst auf der Ebene der expliziten linguistischen Analyse thematisiert werden. Die unter diesen Voraussetzungen faktisch ablaufenden Interpretationsprozesse lassen sich als eine stufenweise Reformulierung, Spezifizierung und Modifizierung unseres Verstehens auf der jeweils fortgeschritteneren Ebene der Analyse charakterisieren. Die Reforntulierung des Verstehens scheint in einer gewissen Analogie zu stehen zu der "retrospektiven Beobachtung". Mit diesem Begriff nehmen Schwartz und Schwartz Bezug auf die Zeitdifferenz zwischen Beobachtung und endgültiger Aufzeichnung, d.h. der Repräsentation als "Daten". Besonders bei einer sehr aktiven Partizipation ist eine unmittelbare Aufzeichnung der Beobachtungen im Feld selbst oft nicht möglich, so daß die Feldsituation und die Aufzeichnungssituation zeitlich getrennt sind: "In retrospective observation the investigator re-creates, or attempts to re-create, the social field in his imagination, in all its dimensions, on a perceptual and feeling level" (Schwartz, Schwartz 1955: 345) .
Als eine Art "Neuerschaffung" des sozialen Felds kann auch die sog. Datenaufbereitung verstanden werden, falls die Aufzeichnung der Daten schon im Feld vorgenommen worden ist. Denn diese Aufzeichnungen (in unserem Fall durch Bandaufnahme und Protokoll) spiegeln die Feldsituation nicht in allen Dimensionen wider , so daß eine Rekonstruktion und Reformulierung des Verstehens auch im 35
Siehe Schwartz, Schwartz 1955: 344: "Since not all aspects of an event are observed simultaneously, the 'filling-out' or bringing into awareness of the components of the event, as well as the field within it took place, becomes unavoidably a retrospective process."
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Fall der Aufzeichnung der Daten durch ein technisches Medium notwendig wird. Das Auftauchen neuer Aspekte, die uns aufgrund der fortschreitenden Beschreibung zu einer Reformulierung des Verstehens, d.h. zu einer Modifizierung einer Interpretation veranlassen, wird auch für die retrospektive Beobachtung beschrieben: "Was geschieht, ist eine Art von Neuschaffung der Darbietung des anfänglich beobachteten Phänomens Q . 7J . In dieser Neuschaffung können die vorhergehenden Daten unverändert aufrechterhalten werden; sie können ergänzt oder verändert werden; signifikante Aspekte .des Ereignisses können zum Vorschein kommen, die vorher übergangen wurden; und Verbindungen zwischen Segmenten des Ereignisses und zwischen diesem Ereignis und anderen können sichtbar werden, die vorher nicht erkannt wurden" (Cicourel 1964; 1970: 7 2 ) .
Die jeweils fortgeschrittenere Stufe der Beschreibung ist dadurch gekennzeichnet, Haß entsprechend der zunehmenden Explizitheit der Analyse neue Kriterien gewonnen werden können, die unser jeweiliges Verstehen begründen bzw. begründet modifizieren. Solchen Stufen der Beschreibung und des Verstehens scheinen die üblicherweise unterschiedenen Phasen der Datensammlung, der Datenaufbereitung und der Datenbeschreibung zu entsprechen.
Es gilt jedoch m.E. zu betonen, daß
die Forschungsaktivitäten 'Daten sammeln1, "Daten aufbereiten' und 'Daten beschreiben/interpretieren1 nicht isolierte sukzessive Handlungen sind, sondern sich gegenseitig bedingen und modifizieren, und zwar deshalb, weil auf allen drei Ebenen die Verstehensproblematik - mehr oder weniger explizit relevant wird. Inwieweit 'Beobachten1 (als Aktivität im Forschungsprozeß) immer schon Verstehen impliziert 37 und in welcher Weise das jeweilige Verstehen selektiv 36 37
Vgl. auch Schwartz, Schwartz 1955: 344, die teilnehmende Beobachtung beschreiben als "a process of registering, interpreting, and recording." 2 "Verstehen" und "Beobachtung" werden dagegen bei König 1967 nicht in einem solchen Zusammenhang gesehen, sondern so, als sei "Verstehen" eine Beobachtungsart neben anderen. Zwar wird zugestanden, daß "das Verstehen sicher eine beträchtliche Bedeutung mindestens im Explorationsstadium einer Untersuchung, ferner auch bei Auswertung des Materials (gewinnt)", oder auch zu "einer reichen Quelle von Hypothesen" werde ( H O ) , insgesamt kommt König jedoch zu dem Schluß, "daß das Verstehen für sich allein genommen von allen Arten der Beobachtung zweifellos die kurzsichtigste ist" (111). Diese Argumentation möchte König jedoch im wesentlichen auf den Diltheyschen Verstehensbegriff beschränken und davon etwa den Weberschen abgrenzen, der auf einer Kontrolle des Verstehens durch Methoden "kausaler Zurechnung" bestehe.
39
wirkt auf das, was wir überhaupt als Daten ansehen bzw. durch die Aufzeichnung und Repräsentation als Daten konstituieren, läßt sich einleuchtend zeigen am Beispiel des Zusanmenhangs zwischen dem Beobachten und Aufzeichnen OQ
sprachlicher und nicht-sprachlicher Handlungen.
Während mit dem Tonband-
gerät die sprachlichen Äußerungen relativ vollständig aufgezeichnet werden (die Selektion ist hier eine technisch bedingte, die die lautsprachlichen Teile von Äußerungen selegiert, etwa im Gegensatz zu einer Stunmfilmaufnähme, die die Artikulationsbewegungen und körperlichen Aspekte von Äußerungen selegieren würde), müssen die nicht-sprachlichen Äußerungen bzw. Handlungen in irgendeiner Weise vom beobachtenden Subjekt "aufgezeichnet" werden. Es ist unmittelbar einsichtig, daß der Beobachter bei der "Aufzeichnung" nicht-sprachlicher Handlungen stark selektiv verfahren muß, da es schon technisch unmöglich ist, alle nicht-sprachlichen Handlungen und Begleitumstände von sprachlichen Handlungen vollständig "aufzuzeichnen". Welches sind aber die Kriterien, nach denen der Beobachter bei der "Aufzeichnung" der nicht-sprachlichen Handlungen selektiv verfährt? Soll er sich auf rein äußerliche Merkmale beschränken, also z.B. in bestimmten Zeitabständen nichtsprachliche Handlungen aufzeichnen? Man könnte sich auch vorstellen, daß man einen Katalog von Handlungsmustern vorgibt und den Beobachter arweist, diejenigen nicht-sprachlichen Handlungen aufzuzeichnen, die nach einem der im Katalog aufgeführten Muster sind. Damit wäre auch definiert, was als beobachtungsrelevantes Ereignis im Sinne des Forschungsziels zu gelten hat. Aufgrund einer so konzipierten Datenaufzeichnung könnte man, so möchte man meinen, schließlich auch zu quantitativen Aussagen gelangen, man könnte etwa zählen, wie oft bei welchen Partnern bestürmte nicht-sprachliche Handlungen vorkamen usw. Nun setzt eine solche quantitative Analyse allerdings eine qualitative Analyse voraus und diese basiert genau auf der Möglichkeit des Verstehens einer sprachlichen oder nicht-sprachlichen Handlung als einer bestirrmten Art von Handlung. Oder anders ausgedrückt: auf der Möglichkeit der Zuordnung einer Handlung zu einem im Katalog aufgeführten Muster. 39 Eine solche Zuordnung ist eben kein natürlicher Vorgang, sondern Ausdruck eines aufgrund 38
Vgl. zu der hier vertretenen Auffassung der verstehensabhängigen Selektion bzw. Reduktion relevanter "Daten" auch Switalla 1977: 186 f .
39
Bei einem solchen Verfahren müßte man beispielsweise auch Unterlassungen unberücksichtigt lassen, denn welchen Mustern sollte man sie zuordnen bzw. wie sollte man sie in einen Katalog aufnehmen? (Ob etwas eine Unterlassung ist, kann man eben nur im Handlungszusammenhang beurteilen.)
40
einer bestürmten Deutung gewonnenen Verständnisses der betreffenden Handlung und sonit selbst das Ergebnis einer Handlung. Stellen wir uns eine andere Möglichkeit vor: Der Beobachter selegiert die aufzuzeichnenden nicht-sprachlichen Handlungen aufgrund folgender Kriterien: (i) Relevanz der "beobachteten" Handlungen im Sinn des Forschungsziels; (ii) Relevanz der Handlung im Zusamnenhang der beobachteten Kommunikation. In einem solchen Fall wären zwei unterschiedliche Relevanzkriterien gleichzeitig zu berücksichtigen und die aufzuzeichnenden nicht-sprachlichen Handlungen müßten gemäß diesen Kriterien beurteilt werden. Bei diesem Verfahren, das mir trotz seiner Komplexität noch am ehesten zu beschreibungsrelevanten Aufzeichnungen zu führen scheint, sind eine Reihe von Interpretationsprozessen involviert, die u.U. schon so komplex sein können, daß ihre Explikation und theoretische Reflexion eine eigene Untersuchung wert wäre. Die Qualität des Verstehens und der darauf basierenden Aufzeichnungen wird sich in ihrer Brauchbarkeit für die explizite Analyse zeigen. Das in diesen "Aufzeichnungen" nicht-sprachlicher Handlungen zugrundeliegende Verstehen selegiert bereits bestürmte Möglichkeiten der Analyse der in diesem Kontext stehenden sprachlichen Äußerungen. Das Verstehen nicht-sprachlicher und das Verstehen sprachlicher Äußerungen bedingen sich jedoch nicht einseitig sondern gegenseitig, insofern als das Verständnis der nicht-sprachlichen Handlungen bei der Aufzeichnung natürlich auch schon abhängt von dem Verstehen bestimmter sprachlicher Äußerungen und ihres Zusammenhangs mit bestimmten nicht-sprachlichen Äußerungen. Aufgrund dieser Erörterungen wird auch deutlich, daß die Rede vom "Aufzeichnen" von Daten in diesem Fall nicht angemessen ist. Handlungen können nicht aufgezeichnet werden, so wie mit dem Tonbandgerät sprachliche Äußerungen aufgezeichnet werden können oder mit dem Videogerät die äußerlichen Korrelate von körperlichen Handlungen. Was ich das Aufzeichnen von nichtsprachlichen Handlungen genannt habe, ist vielmehr notwendigerweise ein Beschreiben von nicht-sprachlichen Handlungen, d.h. eine Explikation meines Verständnisses der betreffenden nicht-sprachlichen Handlungen unter Bezug auf eine Regel, nach der ich die Handlung so verstanden und beschrieben habe Bei der Aufzeichnung sprachlicher Äußerungen finden zwar keine Verstehensprozesse bei dem technischen Medium statt, wohl aber bei dem an der aufzuzeichnenden Konmunikation teilnehmenden Beobachter. Dieser hat bei der spontanen Beschreibung als relevant erachteter nicht-sprachlicher Handlungen
41
im Begleitprotokoll sein Verstehen von Fall zu Fall expliziert und dies zumindest implizit auch schon im Zusammenhang mit dan Verständnis bestimmter sprachlicher Äußerungen als bestimmte Arten von Handlungen begründet. Er hat sicher auch versucht, die hiervon nicht berührten sprachlichen Äußerungen der Partner zu verstehen, hat vielleicht schon bestimmte Sequenzen für die explizite Analyse vorganerkt, hat bestimmte Hypothesen gemacht usw. 4O Dieses spontane Verstehen als Teilnehmer an der beobachteten Kommunikation leitet nun die immer noch größtenteils implizite Interpretation der abgehörten Bandaufnahme und liefert so erste Hinweise für die Verschriftlichung der mündlichen Äußerungen, die in der Regel parallel mit einer ersten Kommentierung läuft. Bei der Verschriftlichung des Bandmaterials ist vor allen eine Koordinierung der aufgezeichneten sprachlichen Äußerungen und der im Begleitprotokoll beschriebenen nicht-sprachlichen Handlungen sowie der nicht-sprachlichen Zusammenhänge zwischen Äußerungen zu leisten (Wer spricht zu wem? Worüber wird gesprochen?). Diese Koordinierung ist genau eine Koordinierung des spontanen Verstehens von sprachlichen Äußerungen und Handlungen sowie nicht-sprachlicher Handlungen in der teilnehmenden Beobachtung mit dem zu reformulierenden Verstehen nach Abhören der Bandaufnahme und nach Rekapitulation der Beschreibungen nicht-sprachlicher Handlungen im Protokoll. Aus einem solchen Koordinationsversuch 41 ergeben sich in der Regel erste Modifikationen des ursprünglichen spontanen Verstehens. Kriterien für solche Modifizierungen oder Spezifizierungen des Verstehens werden von bestiititvben, oft erst durch die Analyse offenzulegenden Merkmalen der aufgezeichneten sprachlichen Äußerungen oder durch eine Modifikation der Beschreibung der nicht-sprachlichen Handlungen aufgrund zunächst übersehener oder spontan nicht erfaßbarer Zusammenhänge mit bestimmten sprachlichen Äußerungen, sowie durch weitere kontextuelle Merkmale geliefert. Koordination setzt den Versuch der Rekonstruktion unseres ursprünglichen Verstehens voraus, so daß ein auf der Ebene der teilnehmenden Beobachtung spontan gewonnenes Verstehen in der Verschriftlichung mit einem reflektierten Verstehen koordiniert werden kann. Daß es sinnvoll ist, hens zu reden, ist,
von Modifikationen und Spezifizierungen des Verste-
wie ich weiter eben gezeigt habe, in dem Merkmal der Gra-
duierbarkeit des Verstehens begründet. Das Ziel der linguistischen Beschrei40
41
Spontanes Verstehen verwende ich nicht im Sinne des Weberschen Begriffs des "aktuellen Verstehens" im Unterschied zum Begriff des "motivationsmäßigen Verstehens" (Vgl. Weber 1921; 1968: 284-286). Vgl. hierzu wiederum den Begriff der "retrospektiven Beobachtung" bei Schwartz, Schwartz 1955.
42
bung von Kommunikation unter Kindern ist deshalb auch nicht, das sprachliche Handeln von Kindern überhaupt irgendwie zu verstehen, sondern das Ziel ist, ihr sprachliches Handeln "besser" zu verstehen, unser (Vor)Verständnis zu modifizieren und unser "besseres" Verstehen begründen zu können, in dem Sinne, daß wir (i) Kriterien dafür angeben können, was es in diesem Zusairrnenhang heißt, jemanden "besser" zu verstehen (oder: jemanden "richtig" zu verstehen) und daß wir (ii) Kriterien für die Modifikation unseres Verstehens und damit für die Modifikation unserer Beschreibung angeben können. In dem Maße, wie wir die unseren Beschreibungen zugrundeliegenden Kriterien der in (i) und (ii) genannten Art explizieren können, wird es uns gelingen, begründete, intersubjektiv nachvollziehbare Beschreibungen des sprachlichen Handelns (von Kindern) zu geben. 42 Dabei wird ein Kriterium der Art (i) theoretisch aus dem diskutierten Zusammenhang von Beschreiben und Verstehen und insbesondere dem von Partnerbeschreibungen und Beobachterbeschreibungen hergeleitet werden können. Kriterien der Art (ii) werden dagegen im Wechselspiel von theoretisch begründeten Annahmen über den Charakter von Handlungszusanmenhängen und der fortschreitenden Analyse empirischer sprachlicher Äußerungen gewonnen werden müssen. Aufgrund solcher Art von Kriterien gewonnene Beschreibungen können nicht Allgemeingültigkeit im Sinne von Gesetzeshypothesen beanspruchen, sondern Ad-hoc-Erklärungen des sprachlichen Handelns werden als sinnvolle Beschreibungen und Erklärungen zulässig sein müssen. Eine solche auf ad hoc gewonnenen Kriterien basierende Beschreibung wird zwar einen anderen Charakter haben als etwa eine Kausalerklärung, sie wird jedoch begründet und somit verstehbar und nachvollziehbar sein. Dadurch, daß wir eine Handlung unter eine generalisierende Gesetzeshypothese subsumieren können, wird die Handlung zwar im Sinne der "wissenschaftlichen Erklärung" erklärt, diese Art von Erklärung ist jedoch nicht unbedingt bedeutsamer als eine Erklärung im alltagssprachlichen Sinn, es scheint vielmehr,
42
Die Nachvollziehbarkeit einer Interpretation und des Zusammenhangs der Argumente, die der Beobachter und Beschreibende für eben diese Interpretation vorbringen kann, bedeutet nicht, daß der Leser mit dieser Interpretation übereinstimmen müßte, daß es keine alternativen Interpretations- und Verstehensmöglichkeiten gebe. (Im übrigen bin ich mir dessen bewußt, daß gerade die Frage, was jeweils als ein Kriterium in dem beschriebenen Sinn anzusehen ist, die Frage der Anwendbarkeit eines Kriteriums also, kontrovers sein kann. Siehe dazu weiter unten.)
43
daß Gesetzeserklärungen in gewissem Sinne trivial sind 43 und daß damit im Grund andere Ziele von Wissenschaft bzw. von Sozialwissenschaft angenommen werden, von denen aus auch ganz bestimmte Kriterien dafür, was wir "Wissenschaftlichkeit" nennen, abgeleitet sein dürften. Möglicherweise ist sogar der prognostische Wert von Ad-hoc-Beschreibungen nicht einmal geringer als der von Gesetzeshypothesen, da auch dort in jedem Fall mit einem Wahrscheinlichkeitsoperator gearbeitet werden müßte. Aus den gleichen Gründen, aus denen wir Handlungsbeschreibungen in Form von Kausalrelationen abgelehnt haben, müssen wir auch generalisierende Gesetzeshypothesen ablehnen, denn der Begriff des Gesetzes ist nach unserer Auffassung unvereinbar mit dem Begriff der Regel. Über Regeln können wir keine 44 Gesetzeshypothesen aufstellen. Sicher ist es - etwa im Zusammenhang mit Partnereinschätzungen und der Konstitution bestimmter Erwartungshaltungen - auch kommunikativ wichtig, begründete Annahmen darüber machen zu können, wie der Partner unter welchen Umständen handeln wird. 45 Aber solche Annahmen, die in der Regel auf bestimmten konitiunikativen Erfahrungen beruhen, haben natürlich nicht den Status von Gesetzeshypothesen, und es kann nicht der Sinn von Partnereinschätzungen sein, das Handeln des Partners unter eine Gesetzeshypothese zu subsumieren und im Sinn einer wissenschaftlichen Prognose vorauszusagen. Ebensowenig kann sich m.E. das Ziel von Wissenschaft darin erschöpfen, "Verhalten" bzw. auf Verhalten reduziertes Handeln vorherzusagen und möglicherweise unter experimentellen Bedingungen reproduzierbar bzw. kontrollierbar 43
Vgl. Louch 19S6, bes. Ch. 2. Nach der Diskussion von Homans Theorie der sozialen Gruppe spricht Louch dort die Verfeinerung von Techniken der Datenerhebung an ("Theory without observation has an exceedingly bad reputation, of course" (Louch 1966; 1972: 18) und stellt fest: "We shall see in due course that the apparent triviality of this research is real indeed, in the sense that our indentification of social facts takes place in a way to which these precise methods have no relevance" (Louch 1966; 1972: 18). Louch betont hier also gerade die fehlende Übereinstimmung zwischen "normativen Regeln, die beim Handelnden Wahrnehmung und Interpretation seiner Umgebung bestimmen, und den theoretischen und methodologischen Regeln, die beim Beobachter Wahrnehmung und Interpretation der gleichen Objektwelt bestimmen" (Cicourel 1964; 197O: 3 7 ) . Siehe zu dieser Diskussion weiter unten.
44
Vgl. Öhlschläger 1974.
45
Solche Annahmen über das erwartbare Handeln des Partners spielen beispielsweise eine wichtige Rolle bei sog. Koordinationsproblemen. Siehe dazu Lewis 1969: Ch.I.
44 , 46 zu machen.
Die "Objektivität" 47 unserer, auf der Basis teilnehmender Beobachtung gewonnenen Beschreibungen und Erklärungen des sprachlichen Handelns besteht also nicht darin, daß die Art des beschriebenen Handelns experimentell erzeugt werden könnte, sondern darin, daß die Beschreibung als Explikation unseres Verstehens auf begründete Kriterien für gerade diese Art der Beschreibung und des Verstehens zurückgeht, in der Weise, daß unsere Beschreibung verstanden werden kann, wenn man die explizierten Kriterien (oder genauer: die Annahme, daß bestimmte Phänomene in dem intendierten Sinn als Kriteriun anzusehen sind) und die daraus abgeleiteten Begründungen nachvollziehen kann. Ich kann den Argumenten, die das Verstehen des Beobachters und Beschreibenden begründen, folgen, aber ich muß sie nicht akzeptieren, ich kann andere Kriterien finden, die ein anderes Verstehen und eine andere Beschreibung begründen würden, aber beliebige subjektive Freiheit habe ich in meinem Verstehen nicht. Meine Kriterien und Begründungen müssen in dem Sinn intersubjektiv sein, daß andere Partner in der betreffenden (wissenschaftlichen) Konmunikationsganeinschaft
die Begründungen
prinzipiell verstehen und in ihren Beschreibungen ähnliche Kriterien verwenden können müssen. Der Begriff der Ähnlichkeit der Kriterien ist vage, denn unsere Kriterien sind gerade nicht von der Art, daß wir immer genau angeben könnten, wo das eine Kriterium aufhört und ein anderes anfängt, oder wo etwas aufhört, überhaupt ein Kriterium zu sein; Kriterien werden angewendet in einem Rahmen, wie er etwa gegeben ist für das Handeln nach einer Regel. Wir müssen also unterscheiden zwischen einem Kriterium und der Anwendung eines Kriteriuns in einem konkreten Fall, wobei wir bei der Anwendung eines Kriteriums stets einen Spielraum haben, der es uns auch 46
Vgl. zur experimentellen Kontrolle Jones, Gerard 1967. Siehe zur weiteren Diskussion auch Kap. 1.1. in der vorliegenden Arbeit.
47
Vgl. zur Objektivitätsprobleraatik in der Linguistik Andresen 1976.
48
Die Frage nach der Kommunikationsgemeinschaft hat gerade für den teilnehmenden Beobachter mindestens zwei Ebenen. Die eine, die der beobachteten Handelnden, haben wir hier thematisiert. Ebenso problematisch ist jedoch die Frage nach der anderen, nämlich der, auf der sich das "Sprachspiel der Wissenschaft" abspielt und auf der es die Ergebnisse in einem bestimmten Forschungskontext in der jeweils für adäquat gehaltenen Wissenschaftsspräche zu formulieren gilt. Vgl. zu diesem Problemkreis auch Weidmann 1974: 22-24.
45
ermöglicht, neue Kriterien zu gewinnen, so wie wir auch innovatorisch von Regeln abweichen bzw. nach neuen Regeln handeln können.
46 2.
KQWIUNIKATION UNTER KINDERN
Nach der Diskussion der allgemeinen theoretischen Implikationen des Verfahrens teilnehmender Beobachtung und der Problematisierung des Zusammenhangs von Beschreiben und Verstehen will ich in diesem Kapitel die besonderen Probleme der Beobachtung, des Verstehens und Beschreibens von Komnunikationen unter Kindern diskutieren. Diese Probleme sind einerseits wieder theoretischer Natur und betreffen die Frage, wie wir zu adäquaten Beschreibungen (und das heißt zunächst zu einem adäquaten Verstehen) der beobachteten Kotmunikationen unter Kindern gelangen können, welche Intensität der Teilnahme möglich und welche wünschenswert ist,
inwieweit die beobachteten Kommunikationen unter Kindern durch die
Anwesenheit des Beobachters "verzerrt" werden, wie weit der Beobachter als Partner integriert ist usw. Sie sind andererseits aber zu einem gewissen Teil auch technischer Natur und betreffen die Frage, wie wir zu brauchbaren Aufzeichnungen von sprachlichen Äußerungen und zu Beschreibungen nicht-sprachlicher Handlungen gelangen können und welche Art von Teilnahme durch die technischen Bedingungen begünstigt wird. Ich will im ersten Abschnitt die theoretischen Probleme des Verstehens von Kommunikationen unter Kindern aufzeigen und davon ausgehend im zweiten Abschnitt meine Entscheidungen für das praktische Vorgehen bei der "Datengewinnung" durch teilnehmende Beobachtung in dem jeweiligen theoretischen Zusammenhang zu begründen versuchen. 2.1.
Kinder verstehen Ich will an dieser Stelle ansatzweise die Probleme des Verstehens im
Hinblick auf die uns interessierenden Beschreibungen von Kommunikationen unter Kindern aufzuzeigen versuchen. Dabei geht es hier zunächst um den Versuch einer theoretischen Vorklärung dessen, was im Bereich der empirischen Analyse als problematisch anzusehen ist, inwieweit nämlich unser Verstehen und unsere dieses Verstehen explizierenden Beschreibungen überhaupt bedeutsam sein können im Hinblick auf die von den Kindern selbst als relevant angesehenen Merkmale und Zusammenhänge ihres sprachlichen Handelns.
47
Gegenüber der Beschreibimg von Kommunikationen unter Erwachsenen stellt sich die Verstehensproblematik bei der Beschreibung von Kotmunikationen unter Kindern in ungleich stärkerem Maß. Zunächst einmal sind wir, wenn wir Kommunikationen unter Kindern beschreiben wollen, notwendig auf das Arbeiten mit "empirischen" Beispielen angewiesen. Wollten wir als Erwachsene Beispiele von Kottnunikationen unter Kindern aufgrund unserer Sprachkompetenz konstruieren, so hätte dieses Unterfangen nicht nur etwas Künstliches, sondern würde uns vor allem verpflichten, darüber Rechenschaft abzulegen, warum dieses oder jene Beispiel ein Beispiel für Konmunikation unter Kindern sein solle. Der Rekurs auf unsere eigene Sprachkompetenz wäre hier nur sinnvoll, wenn wir die Annahme begründen könnten, daß wir aufgrund unserer Sprachkompetenz Zusammenhänge von sprachlichen Handlungsmustern von Kindern und Kommunikationen unter Kindern rekonstruieren oder simulieren könnten. Der Versuch einer solchen Begründung könnte etwa darauf hinauslaufen, daß wir als Argument anführten, wir als Erwachsene könnten doch mit den Kindern kommunizieren, wir könnten die Kinder verstehen und die Kinder uns und gerade die Teilnahme an unseren Konmunikationen sei für die Kinder unabdingbare Voraussetzung für die Erweiterung ihrer Sprachkompetenz, denn die Kinder würden schließlich unsere Sprache lernen. Dabei würden sie in unsere Lebensform eingeübt, so daß sie nicht nur unsere Grammatik im engeren Sinne erwerben würden, sondern auch unsere sozialen Normen und Konventionen, Einstellungen und eben die Pegeln, nach denen wir sprachlich handeln. Das ist wohl im großen und ganzen richtig. Aber wann können wir annehmen, daß dieser Prozeß des sprachlich-sozialen Lernens abgeschlossen ist, oder anders gefragt: Können wir überhaupt einen Abschluß feststellen, wo wir sagen können, jetzt ist das Kind in unsere Lebensform eingeübt, jetzt spricht es unsere Sprache, seine Sprachkompetenz ist voll ausgebildet? Erweitern wir nicht vielmehr ständig unsere Sprachkompetenz, lernen Handlungen nach neuen Regeln verstehen und selbst nach neuen Regeln handeln? Kann man dann überhaupt einen prinzipiellen Unterschied zwischen der Kompetenzerweiterung des Kindes und unserer eigenen Kompetenzerweiterung annehmen? Und schließlich: Erweitern wir nicht auch unsere Kompetenz, wenn wir lernen/ die Handlungen der Kinder zu verstehen? iton könnte folgendermaßen weiter argumentieren: Wenn wir Konmunikationen unter Kindern beschreiben, beschreiben wir sprachliche Handlungsmuster, die die Kinder auf einer bestimmten Altersstufe aufgrund der Entwicklung ihrer Kompetenz verwenden (können). Da solche
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Entwicklungsstufen als "Vorstufen" der Erwachsenenkompetenz anzusehen seien, könnten sie als solche natürlich auch von der weiter entwickelten Erwachsenenkompetenz aus beschrieben werden. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Entwicklungsstufen und gegenüber der Erwachsenenkonpetenz seien quantitativer Art, und es sei doch einleuchtend, daß man, vereinfacht ausgedrückt, ohne Schwierigkeiten bis 10, 2O oder 30 zählen könne, wenn man schon bis 100 oder 1000 zählen könne. Sollte diese Vorstellung von der Sprache und vom kindlichen Spracherwerb richtig sein, müßte es folglich einfacher sein, die Kompetenz von Kin-» dem zu beschreiben als die von Erwachsenen. Daß dies jedoch nicht der Fall ist,
zeigt sich nicht nur in der empirischen Arbeit, sondern auch in
einigen grundlegenden theoretischen Schwierigkeiten. So müßte man z.B. zeigen können, welche Teile der kindlichen Kompetenz als Vorstufen von welchen Teilen der Erwachsenenkompetenz anzusehen sind. Wie können wir uns überhaupt 'Vorstufen" von sprachlichen Handlungsmustern vorstellen? Der entscheidende Einwand gegen eine solche "Vorstufen"-Argumentation liegt m.E. darin, daß wir damit keinen Zugang finden zu dem Verstehen der Kinder untereinander, das Voraussetzung ist für ihre Kommunikation und Interaktion. So gibt es jedenfalls zunächst keinen Grund zu der Annahme, daß die Kinder sich untereinander nicht verstehen, wenn WÖJT als Beobachter den Zusammenhang ihrer Handlungen nicht verstehen, weil wir in unserem "Vorstuf en"-Denken befangen sind. Andererseits gibt es vielleicht auch keine (eindeutigen) Indikatoren dafür, daß sich die Kinder verstehen und dafür, wie sie sich verstehen, dafür ob Partner A den Partner B "richtig" versteht, d.h. so, wie B seine Handlung gemeint hat bzw. aufgrund der Regeln meinen konnte. Ferner würde eine Beschreibung der kindlichen Kompetenz als "Vorstufe" der Erwachsenenkompetenz, wie gesagt, eine vollständige oder zumindest in bestimmten Teilbereichen vollständige Beschreibung der Erwachsenenkompetenz voraussetzen. Solange eine solche Beschreibung nicht vorliegt, kann eine Beschreibung der kindlichen Kompetenz auch nicht darauf abgebildet werden. Weiter wird in der "Vorstufen"-Argumentation vorausgesetzt, daß es eine homogene kindliche oder eine homogene Erwachsenenkcmpetenz gibt oder daß jeweils entscheidbar ist, welche der verschiedenen Individualkompetenzen verschiedener Erwachsener das Kind als Individualkompetenz jeweils erwirbt. Ist es die
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Kompetenz der mit ihm kcmmunizierenden und interagierenden erwachsenen Partner? Sind dann aber die Kompetenzen verschiedener Partner inner so ähnlich, daß es gleichgültig ist, welche dieser Individualkonpetenzen man als "Maßstab" an die Beschreibungen der kindlichen Kompetenz heranträgt? Wollten wir unsere Beschreibungen an einer Art idealisierter Kompetenz ausrichten, müßten wir über einen Katalog von Handlungsmustern verfügen, dem die Muster eines anderen Katalogs zugeordnet werden könnten. Selbst wenn solche Kataloge vorlägen,
wäre dies vermutlich keine adäquate Form der Darstellung
des Aufbaus der Handlungskompetenz. Trotz der gegen die "Vorstufen"-Theorie vorgebrachten Einwände will ich natürlich nicht annehmen, daß es keine Beziehungen zwischen kindlicher Kompetenz und Erwachsenenkompetenz gibt oder daß diese Beziehungen für die Beschreibung von Konmunikationen unter Kindern oder mit Erwachsenen nicht relevant wären. Kommunikationen unter Kindern werden auf den ersten Blick vieles gemeinsam haben mit Komnunikationen unter Erwachsenen; jedenfalls wird eine Beschreibung, die wir geben können, in der Regel von der Annahme solcher Gemeinsairkeiten ausgehen. Ich will also nicht annehmen, wir könnten über Kommunikationen unter Kindern überhaupt nichts aussagen oder bestenfalls äußerliche, nicht auf Verstehen beruhende Beschreibungen machen. Was ich betonen will, ist folgendes: Wir können nicht sicher sein, was die Kinder tun, wenn sie sprachlich handeln und daß die Regeln, nach denen wir selbst handeln, ohne weiteres zum Maßstab eines adäquaten Verstehens von kindlichen Konmunikationen gemacht werden können. Wir verstehen die Kinder zunächst so, wie wir sie aufgrund unserer Kompetenz verstehen können, aber wir müssen nach (methodischen) Möglichkeiten suchen, die Beschreibung von Konmunikationen unter Kindern soweit voranzutreiben, daß wir zeigen können, wie unser Verstehen zu verbessern ist, indem wir uns fragen, ob und wie sich die Kinder untereinander in ihren Konmunikationen verstehen. Welcher Art hier methodische Verstehenshilfen sein können, wird im empirischen Teil jeweils an konkreten Verstehensproblemen deutlich gemacht werden. An dieser Stelle will ich noch das implizit angesprochene Problem der Eigenständigkeit der Regeln skizzieren. Im Rahmen einer didaktischen Zielsetzung sind solche Kataloge vorgeschlagen in Heringer, Wimmer 1974; siehe Lehrerband: 19 ff. Sie sind allerdings nicht, wie betont wird, "Ergebnis einer sprachanalytischen Beschreibung, die allen möglichen wissenschaftlichen Anforderungen genügen soll" ( 2 O ) .
50 Wenn Erwachsene mit Kinder kcnmunizieren, handeln sie oft in einer anderen Weise als in ihrem normalen Leben unter Erwachsenen und so werden Kinder sich fragen müssen, welches die Regeln sind, nach denen die Erwachsenen ernsthaft handeln, mit Hilfe welcher "Interpretationsverfahren" sol2 ehe Widerspriichlichkeiten aufgelöst werden können. Trotzdem lernen die Kinder natürlich früher oder später so zu handeln, wie auch Erwachsene handeln und wie diese es von ihnen erwarten, spätestens dann, wenn Erwachsene sie in der Weise ernstzunehmen beginnen, daß sie etwa die mit einer bestimmten sprachlichen Handlung überncnmenen Verpflichtungen einzuklagen beginnen. Aber ob die Regeln, nach denen die Kinder handeln, tatsächlich die gleichen sind wie die, denen die Erwachsenen in ihrem Handeln folgen, wissen wir natürlich nicht. Es wäre schließlich auch vorstellbar, daß eine Gruppe von Kindern ab einem bestimmten Punkt ihre Regeln nicht mehr an die der Erwachsenen "anpaßt" und so eine mit ihr lebende Gruppe von Erwachsenen veranlassen könnte, schließlich die Regeln der Kindergruppe zu übernehmen und in der Kommunikation mit ihnen danach zu handeln.
Wir sollten jedoch auch dann, wenn
die Ähnlichkeit gewisser Regeln, nach denen die Kinder zu handeln scheinen, mit den Regeln, nach denen wir normalerweise handeln, sehr groß ist,
nicht
unvorsichtig schließen, daß die Annahme der Eigenständigkeit der Regeln damit hinfällig geworden sei. Was tun wir, wenn wir eine solche Ähnlichkeit feststellen? Wir machen eine Hypothese über die Regel, nach der die Kinder in diesem oder jenem Fall gehandelt haben. Was wir auf Ähnlichkeit hin überhaupt prüfen können, sind ja nicht die Regeln selbst, sondern Beschreibungen möglicher Regeln, nach denen jemand, der so und so handelt, gehandelt haben könnte bzw. .dessen Handeln wir als eine bestimmte Art von Handlung "Interpretationsverfahren" bezeichnet Cicourel (1968; 1975: 17) als "konstitutiv für den Sinn, den ein Gesellschaftsmitglied der sozialen Struktur oder Organisation zuordnet". Über die kindliche Aneignung solcher Interpretationsverfahren gebe es jedoch "wenig oder gar keine solide empirische Information" (Cicourel 1968; 1975: 2 8 ) . Das Kind sei jedenfalls im Fall von Scherzen oder Widersprüchlichkeiten "gezwungen, sein Vertrauen in bestimmte Erscheinungen zu suspendieren, z.B. wenn ihm gesagt wird, daß etwas, das wie eine Süßigkeit aussieht, giftig sei" ( 2 8 ) . Bis zu welchem Grad Kinder ihr Handeln selbständig und unabhängig von den Normen der Erwachsenenwelt in einer von ihnen selbst herausgebildeten Lebensform organisieren können, zeigt etwa das Beispiel Bemposta. Siehe dazu Möbius 1973.
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verstehen konnten, weil wir in unserem Verstehen auf eine Regel zurückgegan4 gen sind. Ob diese Hypothese als Beschreibung adäquat ist, müßten wir erst in einer gemeinsamen Praxis mit den Kindern überprüfen und dabei könnten wir sehr schnell auf Widersprüche stoßen. Außerdem sei noch einmal im Hinblick auf den Begriff der "Interpretationsverfahren" darauf hingewiesen, daß Kinder offenbar auch über eine Reihe solcher Verfahren verfügen, die, wie Cicourel betont, "eigene kindliche Sozialstrukturen (erzeugen), in denen es möglich ist,
sich vor ausgestopften Ausstellungstieren in einem Museum zu
fürchten, von Hexen in der Nacht verschleppt zu werden und an die Existenz von Batman und Robin zu glauben" (Cicourel 1968; 1975: 26 f . ) . Es ist m.E. allerdings nicht abzuschätzen, inwieweit nicht gerade die Art, wie Erwachsene mit Kindern interagieren und komnunizieren, für die "Erzeugung" der als typisch angesehenen kindlichen Sozialstrukturen verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich ist. Für unsere theoretisch und praktisch begründete Annahme, es sei bei der Beschreibung von Komnunikationen unter Kindern von der prinzipiellen Eigenständigkeit der Regeln, nach denen sie (sprachlich) handeln, auszugehen, erweist sich Cicourels Annahme der Ausbildung eigener kindlicher Sozialstrukturen durch "initiale Interpretationsverfahren" jedenfalls als ein interessanter theoretischer (soziologischer oder ethnomethodologischer) Bezugspunkt. So läßt sich auf dem hier diskutierten verstehenstheoretischen Hintergrund der Forderung Cicourels zustürmen: "Das kindliche Begreifen der sozialen Welt sollte nicht mit Hilfe von bis jetzt ungeklärten Begriffen normaler Sozialstrukturen untersucht werden" (Cicourel 1968; 1975: 2 6 ) . 5
Die nun interessierende Frage ist die, welche Konsequenzen die Annahme der Eigenständigkeit der Regeln, nach denen Kinder in kommunikativen Zusammenhängen handeln, im Rahman des diskutierten Zusammenhangs von Beschreiben und Verstehen für die Entwicklung einer adäquaten (verstehenden) Methode haben sollte. Vgl. zur Unterscheidung von "Regel" und "Regelbeschreibung" auch Quine 1970 und die dort geführte Diskussion um "guiding rules" und "fitting rules", wobei letztere in gewissem Sinne dem Begriff der Regelbeschreibung entsprechen. Nicht nur im Rahmen der Aneignung der Sozialstruktur, sondern auch in bezug auf die Beschreibung grammatischer Strukturen ist die Eigenständigkeit der kindlichen Sprache bereits betont worden (z.B. MC Neill 1966).
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2.2.
Teilnehmende Beobachtung von Kotttnunikationen unter Kindern Ich habe die Notwendigkeit empirischen Arbeiters bei der Beschreibung
von Kcrmtunikationen unter Kindern damit begründet, daß ich gezeigt habe, daß die Regeln, nach denen Kinder sprachlich handeln, uns nicht in der gleichen Weise zugänglich sind wie die Regeln, nach denen Erwachsene sprachlich handeln, und habe gleichzeitig dafür plädiert, daß wir uns als Forscher in der Welt der Kinder zunächst einmal so vorsichtig vortasten sollten wie in einer fremden Welt, um so der impliziten Annahme einer homogenen Sprachgemeinschaft bzw. der Annahme einer "Vorstufen"-Theorie vorzubeugen. Diese Gedanken will ich hier, bezogen auf die methodischen Probleme der teilnehmenden Beobachtung, vertiefen und damit die Entscheidung für Has gewählte Verfahren der teilnehmenden Beobachtung im Rahmen meiner spezifischen Zielsetzung theoretisch und forschungspraktisch begründen. Schwartz, Schwartz geben folgende Definition der teilnehmenden Beobachtung:
"Für unsere Zwecke definieren wir teilnehmende Beobachtung als einen Prozeß, in dem die Anwesenheit des Beobachters in einer sozialen Situation zum Zwecke wissenschaftlicher Erhebung unterhalten wird. Der Beobachter steht in unmittelbarer persönlicher Beziehung zu den Beobachteten, und indem er mit ihnen an ihrem natürlichen Lebensbereich partizipiert, sammelt er Daten. So ist der Beobachter Teil des unter Beobachtung stehenden Kontextes, und er modifiziert nicht nur diesen Kontext, sondern wird auch von ihm beeinflußt" (Schwartz, Schwartz 1955: 344; dt. nach Cicourel 197O: 6 6 ) .
Eine Reihe der hier genannten Elemente der teilnehmenden Beobachtung lassen sich auch in meinem Vorgehen aufzeigen. Um dies zu verdeutlichen, will ich kurz die Becbachtungssituation beschreiben: Die zu beobachtende Gruppe besteht in der Regel aus zwei oder drei Kindern, die in unserer Wohnung miteinander spielen. Die Kinder sind mit diesen Räumlichkeiten relativ vertraut, insbesondere natürlich mein Sohn Sebastian; der Raum ist entweder das Kinderzinmer oder das von allen Familienmitgliedern (einschließlich Sebastian) als regelmäßiger Aufenthaltsraum benutzte Wohnzimmer, wo meine Anwesenheit sozusagen natürlich ist.
Diese Anwesenheit wird jedoch im Beobachtungszeiträum
"zum Zwecke wissenschaftlicher Beobachtung unterhalten", in meiner Rolle als Vater von Sebastian bin ich jedoch auch relativ häufig in Situationen mit ihm und den anderen Kindern zusanmen gewesen, die nicht als Beobachtungssituationen verstanden werden können. Cfo angenonmen werden kann, daß sich die
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Beobachtungssituationen für die Kinder subjektiv nicht von anderen sozialen Situationen unterschieden, ist nicht leicht zu beurteilen, die hier festzustellende Ähnlichkeit der Situationen bezieht sich lediglich darauf, daß die gleiche erwachsene Person anwesend ist,
im einen Fall jedoch seine Rolle
mehr als Beobachter und im anderen Fall mehr als Vater definiert. Unentschieden bleibt zunächst, welche Art von Ähnlichkeit angenommen werden kann zwischen Situationen mit Anwesenheit des Vaters/Beobachters und solchen Situationen, in denen kein Erwachsener anwesend ist,, oder solchen, in denen (noch) andere Erwachsene als der Vater anwesend sind. Während es im Hinblick auf das Forschungsziel wünschenswert schien, Kcrnnunikationen unter Kindern (im Gegensatz zu Karmunikationen zwischen Kindern und Erwachsenen) ohne irgendwelche aktive oder passive Einflußnahme von Erwachsenen zu untersuchen, ergaben sich andererseits von der theoretischen Entwicklung des Verstehensbegriffs her Bedenken gegen eine bloße Tonbandaufzeichnung, so daß schließlich sprachliche Äußerungen unter gleichzeitiger teilnehmender Beobachtung in einer Verbindung von einer (für linguistische Analysen m.E. unumgänglichen) "wörtlichen" Aufzeichnung der Äußerungen auf Band und der Erstellung eines informellen Begleitprotokolls für die Beschreibung nicht-sprachlicher Handlungen sowie für verschiedenartige Kommentare zu den Äußerungen aufgezeichnet wurden. Wenn wir unser Verstehen und Beschreiben der sprachlichen Handlungen der Kinder und deren Zusammenhang mit nicht-sprachlichen Handlungen als problematisch angesehen haben, so stellt sich im Zusammenhang mit bestimmten Merkmalen der teilnehmenden Beobachtung dieser Problematik unter einem neuen Aspekt, insofern als hier die Differenz zwischen den Regeln des Beobachters und der beobachteten Handelnden, die Intensität der Teilnahme, die Ähnlichkeit der Lebensformen, usw. schon auf der Ebene der "Datenerhebung", spätestens aber auf der Ebene der "Datenaufbereitung" zum forschungspraktischen Problem wird. Welche Probleme bei dem Versuch der expliziten Beschreibung des so "gesammelten" Materials auftauchen werden, hängt größtenteils damit zusammen, Obwohl auch Aufzeichnungen ohne unmittelbare Anwesenheit eines Erwachsenen gemacht worden sind, habe ich einen systematischen Vergleich im Rahmen dieser Arbeit nicht durchgeführt. Das "Protokoll" kann, wie schon erwähnt, keinen dokumentarisch-objektiven Charakter haben, sondern enthält bereits Beschreibungen, in denen das Verstehen des Beobachters expliziert wird.
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in welcher Weise auf der Ebene der Beobachtung diese Probleme schon in den Blick kommen und inwieweit die Art der Beobachtung sich bereits an dem Versuch der Bewältigung der auf den Beobachter und Beschreibenden zukommenden Verstehens- und Beschreibungsprobleme orientiert hat. Ich will im Hinblick auf die Problone der expliziten Beschreibung von Kommunikationen unter Kindern hier folgende Probleme der teilnehmenden Beobachtung differenzierter diskutieren: (i) (ii) (iii)
die Rolle des Beobachters im Feld; die Intensität der Teilnahme; die Wahrnehmung und Interpretation sprachlicher und nicht-sprachlicher Handlungen durch den teilnehmenden Beobachter und durch die beobachteten handelnden Kinder. o
Zu (i): Da meine Rolle als Beobachter von den Kindern vermutlich nicht als Beobachterrolle, sondern aufgrund vorhergegangener gemeinsamer Komnunikationen und Interaktionen mit mir in Eltern-Kinder-Situationen eher als Vater- oder Elternrolle wahrgenommen werden dürfte, ergeben sich die in der Literatur diskutierten Probleme der Einführung in die zu beobachtende Gruppe (Probleme der Kontaktaufnahme usw.) nicht. Auch für die anderen Kinder, für die ich eine Art stellvertretende Vater-Rolle innehaben könnte, ist eine Einführung des Beobachters nicht problematisch. Zunächst wird wohl die besondere Rollenbeziehung zwischen mir als Beobachter/Vater und meinem Sohn von den anderen Kindern wahrgenommen werden und von ihrer Beziehung zu mir unterschieden werden können, jedoch braucht die Beziehung zu mir nicht in jeder Feldsituation neu definiert zu werden, da die Rollenzuschreibung, die sich in vergangenen gemeinsamen Konntunikationen und Interaktionen mit den Kindern herausgebildet hat, in der Beobachtungssituation konstant bleiben kann. Welcher Art die mir als Beobachter/Vater von den Kindern tatsächlich zugeschriebene Rolle ist,
ist für mich schwer zu entscheiden, weil meine
Interpretation der Wahrnehmung meiner Rolle durch die Kinder natürlich auch beeinflußt wird, etwa von meinen Wünschen in bezug auf die Art, wie ich selbst meine Rolle definieren möchte usw. Ein weiteres Problem, rias es bei den einzelnen Beschreibungen zu berücksichtigen gilt, liegt in der Frage, ob sich durch meine Teilnahme an den Kom8
Die Rede von "der Rolle" des Beobachters wird i.a. als "grob vereinfachende Redeweise" verstanden (Weidmann 1974: 1 2 ) . Eine Unterscheidung verschiedener Beobachterrollen kann beispielsweise nach dem Grad der Teilnahme vorgenommen werden. Siehe dazu weiter unten.
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munikationen und Interaktionen der Kinder die Beziehungen der Kinder untereinander verändern, ob durch die Einführung einer weiteren Rolle (die des Beobachters/Vaters) die Kinder ihre gegenseitigen Rollenzuschreibungen verändern. Schließlich ist auch zu fragen, ob mein Becbachtungsinteresse nicht vielleicht mehr auf das eigene Kind bezogen ist als auf das Zusammenhandeln der Gruppe und ob ein solches Interesse nicht die Beschreibungen systematisch verzerren könnte. Eine Beschreibung, in der mein Sohn etwa eine Szene dominiert, braucht aber nicht deshalb falsch zu sein, weil ich vielleicht ein solches Dominieren wünschen könnte. Das Dominieren einer Szene durch Sebastian mag tatsächlich bestimmend sein für den Verlauf einer Kommunikation, nur - und hier wird wohl ein Grundproblem der teilnehmenden Beobachtung angesprochen - kann das Dominieren der Szene durch Sebastian doch indirekt auf die Anwesenheit des Vaters zurückzuführen sein, z.B. weil Sebastian meint, daß ich ein dominierendes Handeln wünschte oder weil er meint, ich würde zu seinen Gunsten in die Kommunikation eingreifen, wenn die anderen Kinder sein dominierendes Handeln negativ sanktionieren würden, usw. Die praktische Schwierigkeit besteht darin, in der Beschreibung auf solche möglichen Auswirkungen der Teilnahme stets zu reflektieren und die Probleme der Beschreibung nicht mit denen der Beobachtung zu vermischen. Obwohl sich das Verstehen auf den verschiedenen Ebenen gegenseitig bedingt, sollte es grundsätzlich differenzierbar bleiben, da sonst eine Kontrolle und Revision des Verstehens von der jeweils fortgeschritteneren Analyseebene aus nicht mehr möglich wäre. Die Probleme, die durch den Einfluß des Beobachters auf den beobachteten sozialen Zusammenhang und umgekehrt durch den Einfluß dieses Zusammenhangs auf den Beobachter entstehen, können bei der teilnehmenden Beobachtung auch im Fall einer relativ konstanten Rollenbeziehung zwischen Vater und Sohn nicht ausgeschaltet werden. Es kommt m.E. vor allem darauf an, diese Probleme bewußt zu machen und bei der Beobachtung und bei jedem einzelnen Beschreibungsversuch bewußt zu halten, d.h. gerade auf die durch die Beobachter-/Vater-Rolle konstituierten spezifischen Bedingungen und Merkmale der beobachteten und beschriebenen Kommunikation zu reflektieren. Ein solchermaßen theoretisch problematisiertes Wissen stellt eine der Bedingungen für ein adäquates Verstehen und Beschreiben des sprachlichen Handelns von Kindern dar. Zu (ii): Eine Möglichkeit, die gegenseitige Beeinflussung von Beobachter und Beobachteten möglichst gering zu halten, wird in der Literatur darin gesehen, die Intensität der aktuellen Teilnahme möglichst gering zu halten,
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also in einer mehr passiven als aktiven Teilnahme. Bei dieser, auf die Definition der Beobachterrolle zu beziehenden Unterscheidung handelt es sich jedoch eher um die Endpunkte eines Kontinuums als um alternative Verfahren der teilnehmenden Beobachtung. Cicourel erläutert diese Unterscheidung in Anlehnung an Schwartz,Schwartz: "Schwartz und Schwartz charakterisieren den 'passiven 1 teilnehmenden Beobachter als jemandem ähnlich, der hinter einem Schirm beobachtet. Gedacht ist dabei an so wenig Interaktion mit den Eingeborenen wie möglich, in der Annahme, daß solches Verhalten die Gruppenaktivitäten in geringem Maß beeinflussen und eine natürlichere Beschreibung der Ereignisse liefern wird. Der 'aktive' teilnehmende Beobachter dagegen schließt sich im wesentlichen der Gruppe, die er untersucht, bis zu dem Ausmaß an, daß sie ihn nach seinem Empfinden als Gruppenangehörigen akzeptiert" (Cicourel 1964; 197O: 6 8 ) .
Die "passive" teilnehmende Beobachtung scheint jedoch im Hinblick auf die diskutierten Verstehensprobleme weniger geeignet zu sein als die "aktive" teilnehmende Beobachtung. Denn welche sprachliche Handlung jemand gemacht hat, kann man ja nicht einfach beobachten, man muß vielmehr verstehen, nach welcher Regel jemand gehandelt hat oder handeln wollte. Und die Regeln, nach denen die Mitglieder der beobachteten Gruppe handeln, können eben andere sein als die, nach denen der Beobachter im allgemeinen handelt. Um nun herauszubekommen, nach welchen Regeln die Kinder ihre Handlungen machen und verstehen, müßj:e man sich vermutlich auf eine längere "aktive" Teilnahme an ihren Aktivitäten einlassen. Obwohl eine vollständige Integration in die Kindergruppe vermutlich kaum erreichbar sein dürfte, könnte der "Beobachter" so doch allmählich verstehen.lernen, nach welchen Regeln die Kinder handeln. Eine vollständige Teilnahme anzustreben, würde jedoch schließlich das Auf9 geben der Forscherperspektive bedeuten. Um zu verdeutlichen, daß das theoretische Problem des Verstehens nicht auf das Problem des "going native" zu reduzieren ist,
führt Winch in bezug auf das Verstehen einer primitiven Ge-
sellschaft aus: In der Literatur wird in diesem Zusammenhang auf die Gefahr des "over rapport" hingewiesen. Siehe etwa Nowotny, Knorr 1975: 98: "Sowohl die Arbeitsbeziehungen zu den Untersuchungspersonen als auch die Teilnahme an ihren Aktivitäten weisen auf die Gefahr einer Überidentifizierung (Miller 1952) des Forschers mit den Befragten bzw. Beobachteten hin, die dem analytischen Erkenntnisinteresse entgegenwirkt und durch das 'going native' mehrerer Anthropologen drastisch belegt ist £ . 71". Siehe zum Problem des "going native" und zur Rollenproblematik im Feld auch Friedrichs, Lüdtke 2 1973: 172-194. Vgl. auch Fichte 1976: 22 über P.: "P. glaubt nicht an die Wahrsagekunst der Priester des Candomble. - Wenn ich daran glauben würde, könnte ich Dummheiten machen. Q . Tj Vor 28 Jahren kam er als Fotograf nach Bahia."
57 "Wir streben keineswegs einen Zustand an, in dem die Dinge uns genauso erscheinen wie den Angehörigen von S; wahrscheinlich ist ein solcher Zustand auch gar nicht erreichbar. Was wir aber tatsächlich suchen, ist eine neue Betrachtungsweise der Dinge, die unsere frühere in dem Sinne übersteigt, daß sie in der einen oder anderen Form die Betrachtungsweise der Angehörigen von S mitberücksichtigt und in die eigene einbaut. Eine fremde Lebensweise ernsthaft zu studieren, heißt notwendigerweise, unsere eigene zu erweitern trachten, und nicht einfach die fremde Lebensweise in die bereits bestehenden Grenzen unserer eigenen zu integrieren" (Winch 1972; 1975: 8 4 ) .
In unserem Fall liegt die Schwierigkeit jedoch gar nicht so sehr darin, daß die Regeln der Kinder offensichtlich verschieden sind von denen des erwachsenen teilnehmenden Beobachters, sondern eher darin, daß der Beobachter geneigt ist, viele Regeln, nach denen er das Handeln der Kinder verstehen kann, als seinen eigenen Regeln zumindest sehr ähnlich oder aber als in seine .Regeln integrierbar aufzufassen, also von der diskutierten Homogenitätsannahme her eine Ubereinstiitmung des Verstehens zwischen Beobachter und Beobachteten vorauszusetzen. Ich habe in meinem Zusammenhang das Dilatma von "Involvierung" einerseits und "Distanz" andererseits folgendermaßen zu bewältigen versucht: In den alltäglichen Situationen und Aktivitäten, bei denen ich mit den Kindern zusammen war, habe ich versucht, von den Kindern zu lernen, indem ich versucht habe, ihre Handlungen zu verstehen, Hypothesen zu machen über die Art ihres Handelns oder mich zumindest in diese Richtung zu sensibilisieren: ich war "Teilnehmer-als-Beobachter",
d.h. mehr Teilnehmer als Beobachter. In den Situa-
tionen dagegen,.in denen ich Tonbandaufzeichnungen und Begleitprotokolle erstellt habe, habe ich soweit wie möglich versucht, meine Rolle als "Beobachter-als-Teilnehmer" zu definieren.
Einem Einbezogenwerden in die Aktivitä-
ten der Kindergruppe bin ich, wenn eben möglich, ausgewichen. Trotzdem kann natürlich angencnmen werden, daß allein die prinzipielle Möglichkeit des Einbezogenwerdens die Art der Kommunikation der Kinder untereinander beeinflußt haben kann. Selbst in dem Fall, wo ich eine Bandaufnahme gemacht habe, ohne als Beobachter anwesend zu sein, war ich zumindest potentieller Teilnehmer, 10
Siehe zur weiteren Diskussion Cicourel 1964; 197O: 68-71, und die dort angegebene Literatur.
11
Dieses Verfahren scheint eher umgekehrt wie im Rahmen der üblichen Feldstudien, bei den "der Beobachter häufig bei wachsender Vertrautheit vom anfänglichen observer-as-participant immer mehr zum participant-as-observer wird ( . (Weidmann 1974: 1 5 ) . Richtig ist allerdings wohl auch, daß es schwierig ist, hier überhaupt eine Abgrenzung vorzunehmen "und es gibt wohl kaum Studien, in denen eindeutig bestimmbar wäre, ob der Forscher den einen oder den anderen Weg gegangen ist" (Weidmann 1974: 14 f . ) -
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der aus einem anderen Zimmer herbeigeholt werden konnte. Dabei habe ich
ein-
mal bewußt auf meine Einbeziehbarkeit unter einer Bedingung, die die Kinder selbst jederzeit als erfüllt hinstellen konnten, hingewiesen, indem ich sinngemäß geäußert habe: "Wenn ihr nicht mehr wißt, was ihr spielen sollt, können wir was zusammen machen." Nach einer halben Stunde wurde ich aufge12 fordert teilzunehmen und sogar die Art der Gruppenaktivitäten zu bestimmen oder jedenfalls akzeptierbare Vorschläge zu machen. Wäre ich an dieser Stelle nicht einbezogen worden bzw. hätte ich nicht einbezogen werden können, wäre die Kommunikation und Interaktion der Kinder notwendigerweise anders weitergelaufen. Dieses Beispiel und die Art, wie ich in meiner Rolle als Vater von Sebastian mit den Kindern reden kann, zeigt schon eine gewisse Distanz zwischen dem Erwachsenen und den Kindern, die sich auch durch noch so aktive Teilnahme kaum aufheben lassen würde, was, wie gesagt, wohl 13 auch gar nicht sinnvoll wäre. Wenn man die Kommunikation der Kinder vor meiner Teilnahme mit der Konmunikation der Kinder während meiner Teilnahme vergleicht, fällt - von meiner in diesem Fall dominierenden Rolle und den Gründen dafür einmal ganz abgesehen - sofort auf, daß die Kinder nicht mehr untereinander kommunizieren, sondern über mich vermittelt miteinander, die Kommunikation ist weniger spontan, weniger kreativ (was allerdings auch an der stärkeren Strukturierung durch eine Spielvorgabe liegen kann). Eine derart starke Beeinflussung der Kommunikations- und Interaktionsweisen läßt sich dagegen bei den Aufnahmen, die ich als mehr "passiv" Beobachtender gemacht habe, nicht feststellen, so daß angenommen werden kann, daß die Tatsache meiner Anwesenheit als Beobachter/Vater nur relativ geringe Auswirkungen auf die Art der Kcnrnunikation der Kinder untereinander gehabt haben dürfte und daß wir deshalb auch im Fall der teilnehmenden Beobachtung davon reden können, daß wir Kommunikationen unter Kindern in ihrer vertrauten Umgebung "beobachtet", aufgezeichnet und unter bestimmten Aspekten beschrieben haben. Zu (iii): Für welche Art von Teilnahme wir uns auch entscheiden: das Verstehensproblem ist damit nicht aus der Welt. Wenn wir die Regeln beschreiben, nach denen Kinder (sprachlich) handeln, dann ist eine solche Beschreibung iitmer auch geleitet von den Regeln unseres eigenen Handelns, von unseren Sinngebungen, Interpretationsmustern und unseren Rationalitätsmaßstäben. 12
Siehe die entsprechende Stelle in Text V, 17 und 18.
13
Diese Distanz scheint nicht zuletzt bedingt zu sein durch eine zunehmende Entwicklung des Selbstbewußtseins der Kinder in diesem Alter. Siehe dazu etwa Ames 1952, die die Beziehung von Kindern zu anderen Kindern in der Gruppe relativ zur Stärke des Bezugs auf den Lehrer beschreibt.
59
Auch wenn wir den Sinn bestiimrter, uns zunächst seltsam, komisch, widersprüchlich oder unlogisch erscheinender Handlungen aufgrund intensiverer Teilnahme allmählich besser verstehen lernen, so werden wir uns in der Regel schwertun, unsere Sinn- und Rationalitätskriterien aufzugeben oder zu relativieren, wir werden sie vielmehr implizit als einen Maßstab für unsere Bewertungen der Korttnunikationen unter Kindern annehmen und unsere Beschreibungen "selbstverständlich" in unserer Sprache oder jedenfalls in 14 einer unseren Rationalitätskriterien genügenden Sprache formulieren. Wir müssen deshalb in der teilnehmenden Beobachtung bewußt den Versuch unternehmen, unsere Sinnzuschreibungen und die Sinnzuschreibungen, die die Beobachteten machen, auseinanderzuhalten und wir müssen uns darüber klarwerden, ob und in welcher Weise beide Sinnzuschreibungen kompatibel sein können, inwieweit also unser Verstehen der Handlungen der Kinder dem Verstehen der Handlungen durch die Kinder selbst entspricht. Um beide Bereiche der Sinnzuschreibung und des Verstehens überhaupt auseinanderhalten zu können und um Veränderungen unseres Verstehens nicht mit Veränderungen im Feld zu verwechseln, müssen wir auf die von uns verwendeten Kategorien reflektieren und diese in Bezug zu setzen versuchen zum Sprachgebrauch der beobachteten kindlichen Partner. Unser Interesse beschränkt sich also nicht auf die zu beschreibenden Äußerungen, sondern zielt darüber hinaus auf die Möglichkeit der Explikation von Kategorien, in denen die Partner selbst ihre Kommunikationen interpretieren würden. Solche Kategorien werden zugänglich durch eine Analyse ihrer Verwendungsweisen durch die betreffenden Partner, aber auch dadurch, daß sich implizit im Verlauf einer Kommunikation "zeigt", wie die Partner gegenseitig ihr Handeln interpretieren. Insofern ist in der verstehenden Analyse eines Kommunikationsausschnitts prinzipiell die Möglichkeit gegeben, den geforderten Bezug zwischen den eigenen Maßstäben und denen der Partner herzustellen bzw. deren Differenz aufzuzeigen, wenn sowohl auf den Zusammenhang der Äußerungen der Partner als auch auf die eigenen interpretativen Kategorien und deren theoretische Zusammenhänge reflektiert wird. Was dies für die Beschreibung von Kommunikation unter Kindern heißen könnte und wie eine entsprechende Analyse angegangen werden könnte, will ich im folgenden ansatzweise zu zeigen versuchen für einen Bereich, wo es m.E. die größten Diskrepanzen zwischen dem Verstehen der Kinder untereinander und 14
Siehe zu dieser Problematik Winch 1972. Außerdem spielt hier das Problem der Vermittlung der Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung im Kontext der "Kommunikationsgemeinschaft der Forscher" eine Rolle, das sich u . U . als "Übersetzungsproblem" darstellt.
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dan Verstehen des (erwachsenen) Beobachters geben dürfte, bei solchen Kommunikationen nämlich, die die einen vielleicht als "Streiten", die anderen vielleicht als "Kooperieren" interpretieren würden. Weiter wird zu fragen sein, welche Konsequenzen die eine oder die andere Einschätzung für den weiteren Verlauf der Kommunikation haben könnte, unter welchen Bedingungen die einen bereit sind, (weiter ) zu kooperieren und die anderen nicht mehr usw. Da sich die für die exemplarischen Beschreibungen getroffene Auswahl von relevanten Kormiunikationsbeispielen ebenfalls an diesem exemplarischrelevanten Bereich orientiert, wird die Sprachreflexion unmittelbar in den exemplarischen Beschreibungen bedeutsam. (Schließlich sind gerade solche Konmunikationen, die offensichtlich nicht optimal verlaufen, ein relevanter Beschreibungsbereich, denn dort erhoffen wir uns von entsprechenden Beschrei·* bungen praktische Hilfen bei der Bewältigung konrnunikativer Probleme.) 2.3. Beispiel Streiten Mancher wird sich vielleicht fragen, warum ich an dieser Stelle nicht den Begriff des Konflikts als Kategorie der wissenschaftlichen Analyse einführe. Aus zwei wesentlichen Gründen will ich den Konfliktbegriff hier nur unter Vorbehalt bzw. in einem spezifischen Sinn verwenden: Die Verwendung des Konfliktbegriffs in der sozialwissenschaftlichen Forschung ist sehr heterogen, so daß man in jedem Fall den Begriff für bestimmte Zwecke spezifizieren müßte. Verschiedene Leser werden jedoch aufgrund ihres unterschiedlichen Erfahrungshintergrunds jeweils andere Konfliktbegriffe mit ins Spiel bringen. Außerdem - und damit ist bereits die Richtung einer Spezifizierung des Begriffs angedeutet - ist es nicht primär meine Absicht, den Konflikt als solchen, sondern vielmehr kommunikative Muster oder Strategien der Konfliktbewältigung zu beschreiben. Allerdings besteht zwischen der Art des Konflikts und der Art einer möglichen Bewältigung vermutlich ein Zusammenhang, den es in der Beschreibung zu berücksichtigen gilt. Die Verwendung des Konfliktbegriffs scheint mir jedoch vor allem problematisch im Hinblick 15
Ich will hier weder eine generelle Bestandsaufnahme der Konfliktforschung vorlegen (siehe dazu etwa Senghaas 1969; Bernard 1965; Krysmanski 1971), noch will ich spezifische Ausprägungen der Konflikttheorie (beispielsweise unter Heranziehung der mathematischen Spieltheorie als Beschreibungsmodell) explizit diskutieren. Als Zugang zu möglichen Konzepten der Konfliktforschung siehe etwa Shubik 1965; Dornette, Pulkowski 1974; insbesondere Luce, R a i f f a 1957 und Schelling I960.
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auf die Beschreibung von Konmunikationen unter Kindern. Vermutlich werden Kinder im Vorschulalter nicht davon reden, daß sie einen Konflikt miteinander hätten und nun in bestimmter Weise handelten, um diesen Konflikt zu bewältigen. Es fragt sich also im Anschluß an die Diskussion in 2.1. und 2.2., ob die konflikthaften Erfahrungen, die Kinder in ihren Interaktionen und Kommunikationen machen, sich für die Kinder so darstellen, wie wir sie aufgrund irgendeines Konfliktbegriffs interpretieren könnten. Indem wir schon durch die Wahl unserer Begriffe unsere Wahrnehmung bzw. unser Verständnis dessen, was die Kinder tun, in eine bestimmte Richtung lenken, verstellen wir uns möglicherweise den Weg zu einer in bezug auf das Verstehen der Kinder unteinander, auf die von ihnen verwendeten "Interpretationsverfahren" adäquaten Beschreibung. Ich werde mich deshalb an einem umgangssprachlichen Ausdruck orientieren, den auch Kinder verwenden (können) und im folgenden davon reden, daß Kinder miteinander streiten. Als einen möglichen Grund für dieses Streiten kann ich dann einen (manifesten oder latenten) Konflikt annehmen. Streiten stellt in diesem Sinn für mich (und vielleicht auch für die Kinder) eine Art der Konfliktbewältigung dar.
Als ein wichtiges Moment der Konfliktbewäl-
tigung kann es angesehen werden, im Streiten die Gründe für den Streit, den Konflikt also, zu thematisieren und so die Struktur des Konflikts überhaupt erst deutlich zu machen und damit die Voraussetzung zu schaffen für eine 17 kommunikative Bewältigung des Konflikts. Die Art und Weise, wie Kinder sich die Struktur eines Konflikts bewußt machen, wird im empirischen Teil zu untersuchen sein. Wie können wir aber entscheiden, was im Sinne der beteiligten Kinder als 18 Streiten anzusehen ist? Eine solche Entscheidung setzt zunächst voraus, 16
4 vgl. auch Siramel 1958; 1973: 65: "Tatsächlich sind das eigentlich Dissoziierende die Ursachen des Kampfes, Haß und Neid, Not und Begier. Ist auf sie hin der Kampf erst ausgebrochen, so ist er eigentlich die Abhilfsbewegung gegen den auseinanderführenden Dualismus, und ein Weg, um zu irgendeiner Art von Einheit, wenn auch durch Vernichtung der einen Partei, zu gelangen."
17
Vgl. Rapoport 1966; 1973: 289, wo er eine dritte Konfliktauffassung vorstellt, die sich auf die Analyse von Konflikten konzentriert ("Analyse der Streitfragen als Lösung").
18
Ich behaupte natürlich nicht, daß die beteiligten Kinder, sozusagen als Kinder, unter "Streiten" in jedem Fall das Gleiche verstehen müßten. Folglich kann auch ihre Interpretation von bestimmten Handlungssequenzen unter diesem Begriff unterschiedlich sein.
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daß wir Streiten von anderen Arten von Kommunikationen unterscheiden können, also z.B. vom Kooperieren. Eine Unterscheidung zwischen Streiten und Kooperieren kann jedoch nicht nur theoretisch getroffen werden, sondern muß jeweils im Zusammenhang der betreffenden Kommunikation bzw. der betreffenden Beschreibung sich als sinnvoll erweisen. Das bedeutet nicht, daß wir diese Unterscheidung nicht als theoretische Unterscheidung für die Beschreibung des Aufbaus der Handlungskompetenz einführen könnten, es bedeutet aber, daß wir unsere Beschreibungen oder unseren Beschreibungsbereich nicht auf einen theoretisch definierten Begriff des Streitens beschränken können und daß empirisch entschieden werden muß, wo eine Grenze zu kooperativen Kommunikationen gezogen werden kann, so daß Übergänge zwischen Kooperation und Streit auf jeden Fall mibeinzubeziehen sind. 19 Zur Klärung der eigenen Analysekategorien könnte es sich als heuristisch nützlich erweisen, wenn wir über ein Teilmodell der Handlungskompetenz verfügen, in dem die Zusammenhänge grundlegender Interaktions- und Handlungsmuster beschrieben werden. Erst aufgrund der Explikation unseres Verständnisses solcher Zusammenhänge können wir uns auch die mögliche Differenz zwischen unserem Verstehen und dem der Kinder untereinander überhaupt bewußt machen. Ich werde deshalb versuchen, mögliche Zusammenhänge von 'Streiten' in einem Modell des Aufbaus der Handlungskompetenz zu diskutieren und dabei auf meine eigene Sprachkompetenz und den allgemeinen Sprachgebrauch reflektieren. 2.3.1. Reflexion auf den Sprachgebrauch Was tun zwei Partner, die miteinander streiten? - Partner, die miteinander streiten, interagieren miteinander.
O/"^
Sie haben irgendwann aus irgend-
einem Grund zu streiten begonnen und bevor sie begonnen haben zu streiten, 19
Ob die Unterscheidung zwischen Streiten und Kooperieren, die ich hier von einem theoretischen Standpunkt aus vorschlage, überhaupt eine der Beschreibungen kindlicher Kommunikationen angemessene Kategorisierung sein kann, wird sich ebenfalls in den empirischen Beschreibungen zeigen. Gegen die Unterscheidung spricht wohl nicht, daß das Streiten immer auch kooperative Elemente enthält, z . B . insofern, als sich die Partner dabei offensichtlich auch nach bestimmten Regeln richten. Dies wird noch deutlicher beim Kompetitionsbegriff. Zu der Unterscheidung "Kooperieren" und "Kompetitieren" vgl. Heringer 1974a: 69.
20
V g l . auch Simmel 4 1958; 1972: 65, der "Kampf" als eine "Vergesellschaftungsform" ansieht: "Wenn jede Wechselwirkung unter Menschen eine Vergesellschaftung ist, so muß der Kampf, der doch eine der lebhaftesten Wechselwirkungen ist, der in der Beschränkung auf ein einzelnes Element logisch unmöglich ist, durchaus als Vergesellschaftung gelten".
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haben sie im allgemeinen in irgendeiner anderen Weise miteinander interagiert, also nicht gestritten, sondern z.B. kooperiert. Während der Kooperation könnte irgendetwas vorgefallen sein, das den Partnern ein weiteres Kooperieren nicht mehr möglich erscheinen ließ, so daß in einem Streit etwa die Bedingungen einer weiteren Kooperation (soweit sie für beide Partner wünschenswert ist)
geklärt werden müßten.
Der Übergang vom Kooperieren zum Streiten könnte sich in der Beschreibung der betreffenden Interaktion darin zeigen, daß die Partner an einen be21 stimmten Punkt unter dieser Beschreibung unverträgliche Handlungen gemacht 22 haben. Beispiele: P. hat nach HX gehandelt und P. nach irgendeinem anderen Muster, wo nur ein gemeinsames Handeln von P. und P. nach HX zum gemeinsamen Ziel geführt hätte; oder: P. hat nach HX gehandelt und P. ebenfalls, wo das Erreichen des gemeinsamen Ziels für P. ein Handeln nach HY erfordert hätte; oder P. und P . wollten gleichzeitig nach HX handeln, wo ein Handeln nach HX nur für jeweils einen Partner möglich gewesen wäre. In solchen Beschreibungsformen wird die Struktur eines möglichen Konflikts zwischen zwei Partnern beschrieben, den diese durch Streiten zu bewältigen versuchen könnten. Die Beschreibung des Konflikts ist also zu unterscheiden von der Beschreibung des Streitens, das auf eine Bewältigung des Konflikts ausgerichtet ist.
Zu unterscheiden sind auch der Weg zur Lösung
und die Bewältigung oder Lösung selbst. Mit den in der Konflikttheorie üblichen Unterscheidungen zwischen dem (interpersonalen) Konflikt und der Lösung (Regelung, Bewältigung) des Konflikts bleibt eine Beschreibung spezifischer Wege zur Lösung im allgemeinen ausgeklammert. Verschiedene solcher Wege im Bereich der kommunikativen Bewältigung von Konflikten will ich weiter unten linguistisch zu beschreiben versuchen. Nun drängt sich bei der Verwendung des Ausdrucks streiten für die Handlungen, die zwei Partner machen können, an einen interpersonalen Konflikt zu bewältigen (nicht: um den Streit zu beenden), die Vermutung auf, es handele sich hier um ganz bestimmte Arten der Konfliktbewältigung, nämlich um solche, bei denen es in der Regel recht unsanft zugehe und bei denen keine "rationale" 21
Vgl. zu der Formulierung "unter dieser Beschreibung" Anscombe 1957; 1963: 12 zur Beschreibung von "intentional actions": "So to say that a man knows he is doing X is to give a description of what he is doing under which he knows it."
22
"HX", "HY" usw. sind Variablen für Handlungsmuster,· sie werden eingef ü h r t in Heringer 1974a: Kap. 2 . 2 .
64
Lösung angestrebt werde. 23 Demgegenüber verwende ich hier den Ausdruck streiten so, daß darunter alle verbalen und nicht-verbalen Interaktionsmuster bzw. Folgen von Handlungsmustern verstanden werden, die in irgendeiner Form auf Konfliktbewältigung abzielen, d.h. auf eine potentielle Fortsetzung der Interaktion zwischen P. und P. nach solchen Handlungsmustern, die nicht dem Interaktionsmuster 'Streiten' zuzurechnen sind und auch verschieden sind von den (unverträglichen) Mustern, deren Befolgung durch P. und P. zum Konflikt zwischen den Partnern geführt hat. Nach diesen Überlegungen müßte 'Streiten1 wchl auf jeden Fall als ein Interagieren angesehen werden. Es wäre jedoch 'dann zu klären, wie sich 'Streiten' zu einem Muster wie 'Kooperieren' verhält. Die Frage nach der Abgrenzung verwandter Handlungsmuster kann, wie schon betont, freilich nicht nur theoretisch entschieden werden. Erst die Untersuchung einzelner Handlungsmuster und ihrer Zusammenhänge in Kommunikationen und Interaktionen in Verbindung mit der theoretischen Analyse möglicher Erzeugungszusanmenhänge, Untermuster und Spezifizierungen wird es ermöglichen, einzelne Zweige im Aufbau der Handlungskompetenz zu rekonstruieren und so verwandte Handlungsmuster voneinander abzugrenzen. Eine solche Analyse ist zu leisten als Analyse unseres Sprachgebrauchs, d.h. als Analyse der Bedingungen, unter denen wir Ausdrücke wie streiten, kooperieren usw. in unserer Sprache verwenden. Da wir solche Ausdrücke zur Bezeichnung von Handlungsmustern verwenden, kann die Analyse des Zusammenhangs von bestimmten Handlungsmustern genau als Analyse der Verwendungsbedingungen der entsprechenden, die Muster bezeichnenden sprachlichen Ausdrükke verstanden werden. Wie kann ich bei einer solchen Analyse methodisch vorgehen? Wie kann ich Beispiele meines Sprachgebrauchs anführen? Wäre es sinnvoll, ein Korpus von Äußerungen zusammenzustellen, in denen ich die zur Diskussion stehenden Ausdrücke tatsächlich verwendet habe, und zu versuchen, auf induktivem Wege zu Aussagen über die (meine!) Gebrauchsbedingungen für solche Ausdrücke zu gelangen? - Hier bietet es sich m.E. vielmehr an, in einem introspektiven Ver23
Eine mögliche Kategorisierung von unterschiedlichen Arten der Konfliktaustragung als drei "intellektuelle" Bezugsrahmen schlägt Rapoport 196o mit den Begriffen "fights", "games", "debates" vor, wobei deutlich eine ansteigende "Rationalität" hin zu den Formen argumentativer Auseinandersetzungen ("debates") impliziert ist. Siehe dazu die schematische Darstellung bei Krysmanki 1971: 17. "Streiten" läßt sich dabei jedoch nicht eindeutig auf eine dieser Kategorien beziehen.
65
fahren auf die eigene Sprachkompetenz zu reflektieren und die in dieser Reflexion gewonnenen "Bedingungen" für die Verwendung bestimmter sprachlicher Ausdrücke zu explizieren, um so die angesprochene "Verstehensdiskrepanz" zwischen dem Beobachter und den miteinander interagierenden Kindern tatsächlich explizit auf eine Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung in den von den jeweiligen Partnern jeweils für relevant gehaltenen Bedingungen zurückführen zu können. Ist es aber sinnvoll, an dieser Stelle rein theoretisch auf solche Bedingungen zu reflektieren? Wenn wir nämlich Formulierungen für solche Bedingungen suchen, wird die Schwierigkeit deutlich, auf komplexe Zusammenhänge zu reflektieren, in denen jeweils die eine oder die andere Bedingung für relevant gehalten wird. Beispielhaft könnte sich ein unterschiedlicher Sprachgebrauch in einem Interpretationskonflikt zeigen, in dem etwa der eine Partner eine Interpretation unter dem Begriff 'Streiten1, der andere Partner eine Interpretation unter dem Begriff "Kooperieren1 vorschlägt. Gehen die Partner nun der Frage nach, wie unterschiedlich oder gar unverträglich ihre Interpretationen tatsächlich sind, so werden sie zwangsläufig auf ihren Sprachgebrauch reflektieren müssen, d.h. sie werden Bedingungen formulieren müssen, unter denen sie das eine oder das andere Prädikat anwenden und sie werden begründen müssen, warum diese Bedingungen im vorliegenden Fall nach ihrer Meinung "erfüllt" sind, so daß eine entsprechende Interpretation gerechtfertigt erscheint. Diese Überlegungen zeigen, daß die Analyse des Sprachgebrauchs, auch im Hinblick auf die Verwendungsweise einzelner Ausdrücke, im Grunde nicht vorgängig und in irgendeinem Sinn vollständig geleistet werden kann, sondern wiederum nur in exemplarischen Beschreibungszusammenhängen, wo die Wahl des einen oder des anderen Prädikats und die Subsumtion eines Kommunikationsausschnitts unter eben dieses (interpretative) Prädikat kritisch reflektiert und begründet werden muß. Ich will deshalb hier zunächst nur auf einen, mir wichtig scheinenden Punkt hinweisen, eine Art Idiosynkrasie in meiner Verwendung von streiten. Es wird auffallen, daß ich streiten in einem relativ positiven Sinn verwende, nämlich im Sinne eines Bewältigens von Konflikten.
24
An dieser Stelle wird auch deutlich, wie Korpusanalyse und Introspektion notwendigerweise miteinander verwoben sind.
66
Ich glaube, daß ich diese Verwendungsweise in den Jahren, in denen ich mich mit dieser Arbeit beschäftigt habe, gelernt habe und daß ich mich damit der Bedeutung des Streitens für Kinder angenähert habe. 25 Dies scheint mir eine Erweiterung des allgemeinen Sprachgebrauchs zu sein, wo m.E. streiten nicht für argumentative Formen der Auseinandersetzung verwendet wird. Daß ich entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch eine Erweiterung für meine Zielsetzungen für notwendig und sinnvoll halte, ist darin begründet, daß die Formen kindlicher Auseinandersetzungen als Konfliktlösungsversuche nicht in der Weise kategorial voneinander abgrenzbar sind, wie es für entsprechende Auseinandersetzungen unter Erwachsenen möglich zu sein scheint, wo es beispielsweise auch institutionalisierte Formen der Konfliktaustragung gibt, die nicht zuletzt dadurch charakterisiert sind, daß jeweils nur bestimmte Formen der Auseinandersetzung zugelassen sind, wie etwa in einem Rechtss t r e i t , in einem S t r e i t gespräch, in einem Verfassungs s t r e i t usw.26 Mit einer Erweiterung der Verwendungsweise von streiten ist allerdings nicht der Anspruch aufgegeben, zwischen verschiedenen Arten des Streitens zu unterscheiden - wo diese Unterschiede jeweils liegen, wird empirisch zu analysieren sein -, obwohl in der Tat darauf verzichtet worden ist, mit dem Ausdruck streiten bereits auf ganz bestimmte Formen der Auseinandersetzung referieren zu können. Hier liegt ein Grund dafür, daß die auf dieser Ebene anzugebenden Bedingungen nur sehr allgemein sein können. Ein wesentliches Element einer solchen allgemeinen Bedingung liegt für mich darin, daß jeder der Partner bei einem gegebenen Konflikt durch eine Art von Handeln eine Lösung des Konflikts herbeizuführen versucht, das zu dem Handeln des jeweils anderen Partners und der von diesem angestrebten Lösung in einer Art Unverträglichkeitsrelation steht. Die Unverträglichkeit der Handlungen ist dabei natürlich Ausdruck unterschiedlicher Interessen oder Zielle der Partner 27 und im Streiten wird sich zeigen, ob und wie die Partner 25
Dies mag man nicht zuletzt als Beispiel dafür ansehen, wie unsere wissenschaftliche Praxis Konsequenzen auch ganz persönlicher Art für unsere alltägliche Praxis haben kann.
26
Es ist a u f f ä l l i g , daß hier zwar von Streit, nicht aber von streiten die Rede ist. Auch in Verbalphrasen wird Streit verwendet: jemandem den Streit verkünden, womit man weitere Personen in einen Rechtsstreit einbeziehen kann.
27
Die Analyse setzt aber in jedem Fall - dies sollte man ausdrücklich betonen - bei den Handlungen an, denn wie wären uns die Interessen und Ziele der Partner anders zugänglich als über eine Analyse ihrer Handlungen?
67
trotzdem zu einer Lösung kommen können. Wenn man es mit der Spielmetapher umschreibt, kann das Ergebnis des Spiels entweder für den einen bzw. für den anderen Partner ein "Siegen" bzw. ein "Verlieren" sein oder beide Partner erzielen einen relativen Sieg in einem "Unentschieden", was natürlich auch eine Art von Entscheidung sein kann. "Siegen" bzw. 'Verlieren" würde heißen, daß der Partner seine Ziele ohne Einschränkung erreicht bzw. nicht erreicht, "Unentschieden" würde heißen, daß ein Konpromiß gefunden worden ist, der bis zu einem gewissen Grad den Interessen und Zielen beider Partner gerecht wird. Ich will den Analyseversuch an dieser Stelle nicht weiterführen, sondern die weitere Reflexion auf die Möglichkeit der Anwendung bestimmter Prädikate, wie gesagt, im Zusammenhang mit den entsprechenden exemplarischen Beschreibungen zu leisten versuchen. Damit versuche ich zugleich deutlich zu machen, wie methodische Reflexion zum integrativen Bestandteil jedes Beschreibungsversuchs wird bzw. werden sollte. Bei dem Versuch der Einordnung des Musters 'Streiten1 in ein Modell des Aufbaus der Handlungskcnpetenz wird deutlich, daß es sich bei diesem Muster nicht um ein monologisches Handlungsmuster handeln kann, da wir es als Interagieren und nicht als monologisches Handeln angesehen haben. Es scheint sich auf dieser Ebene der Abstraktion überhaupt weniger um einzelne Muster zu handeln, nach denen jeweils ein Partner eine einzelne Handlung machen könnte, sondern vielmehr um Bezeichnungen von bestimmten Arten von komplexeren Kommunikationen und Interaktionen, also Folgen von Handlungsmustern. Solche Folgen von Handlungsmustern nenne ich Interaktionsmuster. Interaktionsmuster können im Modell der Handlungskompetenz in der Regel wie einfache Handlungsmuster behandelt werden. Empirische Beschreibungen von Interaktionsmustern müßten jedoch das komplexe, mit einem einfachen sprachlichen Ausdruck bezeichnete Interaktionsmuster derart aufschlüsseln, daß sie zeigen, welche Folgen von Handlungsmustern bzw. welche Zusammenhänge zwischen Handlungsmustern jeweils möglich bzw. notwendig sind zur "Erfüllung" der entsprechenden Bedingungen des jeweiligen Interaktionsmusters. Dabei wird die Notwendigkeit empirischen Arbeitens, also ein Beschreibungsansatz von Performanzen her, umso größer, je komplexer das Interaktionsmuster bzw. Interaktionen und Kommunikationen nach diesem Mu•JO
28
Ich unterscheide nicht zwischen "Handlungsfolge" und "Handlungssequenz" wie Ehlich, Rehbein 1975, die außerdem auch Begriffe wie "Handlungsmuster", "Interaktionsmuster", "Handlungseinheit", "Handlungselement" verwenden. Folgen von Handlungsmustern oder Interaktionsmuster sind eher den "Produktmustern" im Sinne Heringers (1974a: 67 f f . ) verwandt.
68
ster sind. Diese Überlegung erinnert uns noch einmal daran, daß Beispiele von Interaktionen und Kcmnunikationen zunehmenden Kcnplexitätsgrads sich kaum nehr als konstruierte, introspektiv gewonnene Beispiele präsentieren lassen, daß jedoch ein reflektierter Beschreibungsansatz inner auch auf Introspektion als Reflexion auf den eigenen Sprachgebrauch angewiesen
ist.
2.3.2. Streiten in der Konmunikation unter Kindern Nachdem ich die Wahl des Ausdrucks streiten u.a. mit dem Hinweis auf die besonderen Eigenschaften von Kcmnunikationen unter Kindern begründet habe, scheint es mir notwendig, noch einige spezielle Annahmen über die Rolle des Streitens in Kommunikationen unter Kindern zu erörtern. . Zunächst will ich die Wahl des Ausdrucks streiten noch unter einem empirischen Aspekt begründen. In einer den traditionellen Bildbeschreibungen vergleichbaren Form habe ich zwei Kindern im Alter von drei und dreieinhalb Jahren die Bilder bzw. Bildfolgen (1) - (4) (Anhang I) vorgelegt. Es zeigte sich dabei, daß die Kinder zwar eher dazu neigten, einzelne Handlungen zu beschreiben, aber etwa bei (4) für die Beschreibung des ersten Bildes der Folge auch den Ausdruck streiten zur Beschreibung einer komplexen Handlungsfolge verwendeten: Vater
Da sind ne ganze Menge Bilder
Christine
ja
V
vier Stück hintereinander // mit dem an
C
fangen wir mal
ja
V
was isn
da?
C
die streiten jetzt
V
die streiten?
C
ja // was machen die Frauen denn?
Dagegen beschrieben die Kinder Bild (2) so: C
kuck mal hier / da is der Junge und das Mädchen und da is die Puppe xxx der mag die haben und der mag Mädchen haben
V
ja das ist das erste Bild
C
ja
V
erzählst du mal / Sebastian / der Christine / was die Kinder da machen
69
S
die / die machen / der macht so / der freut sich da wa / weil der die Puppe magen will / darum reißt der die den Arm raus
V
wer will die Puppe haben?
S
der // weil der mitn / Arm raus reißt / da / dann
V
hm? das Mädchen reißt ...
S
... den Arm raus
V
und der Junge nich?
S
nein
V
was meinst n du / Christine?
C
ich?
V
ja / stimmt das / was der Sebastian erzählt?
C
jaa /
(S nimmt das nächste Blatt) S (laut)
{= Bild ( 3 ) )
hier hat das Mädchen doch den Arm rausgerissen/...
Ähnlich die Beschreibung des Bildes ( 1 ) : V
kuck mal / das is des nächste Bild // was machen denn die Kinder da?
C
des xxx eins / draufhauen / und des / der Junge haut eins drauf / der Junge
V
hm / und auf dem anderen Bild?
S
xxx das Mädchen xxx da den Bub
V
was macht des?
S
sag mir des
C
macht aua
///
Wie die Beispiele zeigen, sind die Kinder in der Lage, sowohl einzelne
Hand-
lungen als auch ganze Interaktionsmuster zu benennen. Daß bei Bild (4) nicht einzelne Handlungen, wie bei (1) und ( 2 ) , sondern ein Interaktionsmuster beschrieben wird, mag daran liegen, daß die Art des auf dem Bild dargestellten Streitens (linkes Bild der Bildfolge) offensichtlich nicht gut geeignet
ist,
disparate Handlungen der Partner wahrzunehmen, wie es im Fall von (1) geschehen ist, wo die Interaktion des Sich-Schlagens aufgelöst wurde in (1a) schlägt B' und (1b) 'B schlägt A ' . Bei (4) ist außerdem ein mögliches Streitobjekt (Lastwagen) deutlich erkennbar; dies war allerdings auch bei (2) der Fall, wo der Ausdruck streiten nicht verwendet wurde. Möglicherweise hängt dies auch mit der Art der jeweiligen Fragestellung zusannen: Bei Bild (1) und (2) habe ich ähnliche Formulierungen verwendet was die Kinder da machen und was machen denn die Rinder
70
da, bei (4) habe ich dagegen allgemeiner gefragt: was is n da? S ninmt bei Bild (1) das machen aus meiner Frage auf, hat dann aber Schwierigkeiten, in dem so begonnenen syntaktischen Muster fortzufahren. Die Verwendung von machen könnte also möglicherweise von den Kindern so verstanden worden sein, daß sie jetzt einzelne Handlungen aufzählen, bei der Verwendung von ist dagegen ein Interaktionsmuster nennen sollten. Diese Beispiele illustrieren hier lediglich ein Motiv für die Wahl des Ausdrucks streiten. 29 'Streiten' umfaßt jedoch auch für die Kinder sicherlich eine größere Anzahl von generellen Handlungsmöglichkeiten sowie von Handlungsalternativen für die betreffenden Partner in einem konkreten Interaktions- und KcrrmunikationsZusammenhang. Welche Handlungsweisen und welche speziellen Handlungsalternativen in einem Streit - und das bedeutet als Mittel zur Konfliktbewältigung - jeweils gewählt werden, hängt, wenn wir ein reflektiertes Handeln voraussetzen, ab von Art und Struktur des Konflikts einerseits und von der Art der angestrebten "Lösung" andererseits. Umgekehrt können wir auch sagen, daß bestürmte im Verlauf des Streitens gewählte Handlungsalternativen bestimmte Arten von Lösungen erschweren, wenn nicht ausschließen. So könnte beispielsweise eine sehr aggressive Form des Streitens einen Partner so verletzen, daß er sich zu keiner weiteren Kooperation mehr bereitfindet, daß er also den Streit beendet, ohne daß der Konflikt bewältigt wäre. 30 Er kann dies z.B. tun, indem er einfach weggeht. 31 Schon diese Überlegungen implizieren eine Bewertung verschiedener Handlungsweisen im Hinblick auf den dadurch evtl. präjudizierten Verlauf des Streits, auf die Möglichkeiten einer Beendigung des Streits bzw. auf eine mögliche Konfliktlösung. Ich habe mit dem Ausdruck eine sehr aggressive Form des Streitens nämlich eine Art von Handlungsweise charakterisiert, die ich 29
Ich berücksichtige hier allerdings nicht, wie die Kinder mit Ausdrücken wie sich kabbeln, zanken, kämpfen, häkeln, balgen, handeln, raufen usw. auf unterschiedliche Arten des Streitens Bezug nehmen.
30
An diesen Überlegungen wird auch der Unterschied deutlich zwischen "Beendigung des Streits" und "Lösung/Bewältigung des Konflikts".
31
Vgl. Hülsmann 1971: 96; der als dritte Kategorie neben "Kooperation" und "Konflikt" "Indifferenz" stellt. Sicher ist dies eine empirisch bedeutsame Kategorie, sie kann jedoch nicht im gleichen Sinn wie die ersten beiden Kategorien als Handlungsmuster interpretiert werden. Inwieweit " I n d i f f e r e n z " einer linguistischen Beschreibung des sprachlichen Handelns zugänglich ist, kann ich hier nicht diskutieren. Ob etwa Unterlassungen als "Indifferenz" zu verstehen sind, müßte im Zusammenhang relevanter empirischer Beispiele diskutiert werden.
71
offenbar als eine für mein Empfinden unangemessene Form der Konfliktaustragung ansehe. Es ist offensichtlich/ daß wir solche, nicht zuletzt kulturell bedingte Bewertungsmaßstäbe auch an Handlungen von Kindern herantragen und angesichts solcher Maßstäbe nicht erwünschte Handlungen entsprechend negativ sanktionieren. Dies läßt sich auf jedem Spielplatz beobachten, wo Erwachsene das Spiel ihrer Kinder "beobachten" und kontrollieren, indem sie es implizit oder explizit bewerten und sanktionieren. Erwachsene reagieren in der Regel "empfindlich" auf jede Art von Konflikt oder Streit zwischen den Kindern, bzw. auf das, was sie in ihrem Sinn von 'Konflikt1 und 'Streit1 dafür halten, d.h. welche Art von Handeln sie unter diese Kategorien subsumieren oder als subsumierbar interpretieren. Dabei wird jedoch gerade der Zusammenhang zwischen Streiten und Konfliktbewältigung übersehen, also die Tatsache, daß Streiten immerhin eine Form des Interagierens ist und daß das Streiten nicht mit dem Konflikt selbst verwechselt werden darf, sondern eben bereits die "Abhilfbewegung" ist
(Simmel 41958; 1973: 65).
Bevor wir als Erwachsene ausgerechnet in das soziale Feld wertend (und sanktionierend) eingreifen, in dem die Kinder grundlegende Formen und Probleme des Zusammenlebens selbst erfahren und ausprobieren können, in dem sie die Erfahrung von Kooperation und Konflikt, von Konflikt und Solidarität machen können, sollten wir versuchen, die Handlungen der Kinder so zu verstehen, wie sie die Kinder selbst verstehen und den Handlungen nicht Folgen unterstellen, die sie für die Kinder vielleicht gar nicht haben. Ein einfaches Beispiel: Ein Kind A schüttet einem Kind B Sand auf den Kopf. B ist darüber offenbar nicht böse. Die Mutter von B beobachtet das, eilt herbei, greift A am Arm und schüttelt diesen heftig. Dann säubert sie den Kopf von B, während sie über das Handeln von A "schimpft". Daraufhin fängt B an zu schreien. Was ist passiert? - Gab es zwischen A und B einen Konflikt oder einen Streit? Das Eingreifen der Mutter von B, das Ausdruck ihres Ver32 ständnisses der Handlung von A ist, zeigt dem B erst, wie "man" die Handlung von A auch als unfreundliche oder "aggressive" verstehen kann. Erst aufgrund der Übernahme des Interpretationsmusters der Mutter entsteht für das Kind B ein Konflikt, der in diesem Fall nicht zuletzt ein Verstehenskonflikt ist. 32
(B könnte sich fragen:
Ich sehe hier davon ab, daß das Eingreifen bei den hygienischen Verhältnissen in den Sandkästen auf öffentlichen Spielplätzen sicher eine gewisse Berechtigung haben könnte.
72
"Muß ich As Handlung so wie die Mutter verstehen?") Obwohl die Mütter hier möglicherweise selbst einen Konflikt schafft, würde sie es vermutlich nicht zulassen, daß die Kinder diesen Konflikt nun Im Streiten zu bewältigen versuchten. Ein anderes Beispiel ist sehr anschaulich in der Bildfolge (4) dargestellt. Der Streit zwischen den Kindern wird von den Müttern offenbar so verstanden, daß sie glauben, das jeweils eigene Kind vor dem "bösen" anderen in Schutz nehmen zu müssen, um die Interessen ihres Kindes zu verteidigen, und um sich so gleichzeitig selbst von einer möglichen negativen Bewertung ihres Erziehungskonzepts oder ihres Erziehungserfolgs distanzieren zu können ("Mein Kind würde nie einen Streit anfangen!") Die Bildfolge illustriert ein, wie mir scheint, im allgemeinen zutreffendes Verständnis des Streitens unter Kindern. Für die Kinder sind 'sich streiten1 und 'zusammen spielen' offenbar nicht unbedingt unverträgliche Handlungen bzw. Handlungsmuster, wohingegen man sich gut vorstellen könnte, daß die Mütter nach einem Streit (etwa wie auf dem Bild) nichts mehr miteinander zu tun haben wollten. 34 Ich behaupte also, daß Streiten unter Kindern oder das, was wir "agressive" Formen des Streitens zu nennen geneigt sind, in der Regel nicht die gleichen Konsequenzen für die Art der weiteren sozialen Beziehung der Kinder zueinander hat wie ein vergleichbarer Streit unter Erwachsenen für die Beziehung der Erwachsenen haben würde. Ich behaupte weiter, daß eine mögliche Bewertungsskala für alternative Handlungsmöglichkeiten in einem Streit zwischen Erwachsenen nicht übereinstimmen würde mit einer entsprechenden Bewertungsskala, die Kinder haben könnten. (Eine Angleichung der Bewertungsmaßstäbe wird natürlich früher oder später dadurch erreicht, daß Kinder mit Erwachsenen interagieren und so nur in begrenztem ttnfang eine eigene Lebensform herausbilden können, bzw. eigene Bewertungsmaßstäbe auf die Dauer aufrechterhalten können.) Eine erste Annäherung daran, welche Rolle das Streiten unter Kindern spielt und wie auf welchen Altersstufen worum gestritten wird, bieten einige relativ frühe Arbeiten, in denen über eine Art teilnehmende Beobachtung be33
Siehe Anhang I.
34
Als ich diese Bildfolge einem dreijährigen Mädchen vorlegte, wurde das erste Bild der Folge mit die streiten beschrieben, während die Reaktion der Frauen für das Kind offenbar unverständlich war (Was machen die Frauen denn?) Zum letzten Bild der Bildfolge äußerte das Kind: Da kuck mal da // da spielen die wieder.
35
Vor allem Dawe 1934,
Green 1933 a, Green 1933 b.
73
richtet wird (im Gegensatz etwa zu der späteren Fixierung auf experimentelle Konfliktspiele), bei der unter relativ einfachen Beobachtungskategorien Handlungen und Äußerungen von Kindern in Vorschulgruppen "aufgezeichnet" und analysiert wurden. Zwar werden die theoretischen und methodischen Prämissen in diesen empirischen Untersuchungen ebensowenig thematisiert, wie auf die hier besprochenen Verstehensprobleme und auf die Problematik der Wahl adäquater Beobachtungsund Beschreibungskategorien näher eingegangen wird. Unabhängig von dieser Kritik, die ich hier nicht im einzelnen begründen will, scheint es jedoch lohnend, die in diesen Arbeiten "dokumentierten" Beobachtungen auf dem Hintergrund des hier explizierten BeschreibungsrahTnens zu reflektieren. Ich will dies unter folgenden Gesichtspunkten tun: (i) Bedeutung des Streitens für die soziale Beziehung zwischen den am Streit beteiligten Kindern; (ii) Arten oder Typen des Konflikts und des Streitens und möglicherweise altersbedingte Formen des Streitens. Nach den Beobachtungen von H. Dawe und E.H. Green hat ein Streit, wie ich oben schon zu bedenken gegeben habe, offenbar kaum die Art von negativen Konsequenzen, die wir für einen vergleichbaren Streit unter Erwachsenen annehmen würden. Vielmehr kann Green aus ihren Beobachtungen schließen: "quarelling is a part of friendly social intercourse at these ages." Allerdings sollte man die weitergehende Folgerung: "Mutual friends are more quarrelsome, and mutual quarrelers are more friendly than the average" (Green 1933 a: 251) nicht überbewerten und daraus vielleicht gar die Forderung nach einer "streitfördernden" Erziehung ableiten wollen. Denn aufgrund der nicht explizierten Interpretationsprozesse und der fehlenden Reflexion auf die Adäquatheit der verwendeten beschreibenden Ausdrücke, bleibt letzten Endes unklar, was die Autorin unter "friendly intercourse" versteht, auf welche Fälle kindlicher Kcmnunikationen und Interaktionen dieser Ausdruck anwendbar ist bzw. faktisch angewendet wird, d.h. welche Arten von Kcmnunikationen und Interaktionen als "friendly intercourse" verstanden werden und inwieweit solches Verstehen adäquat ist im Hinblick auf das Verstehen solcher Kaimunikationen und Interaktionen durch die beteiligten Kinder selbst. Theoretisch wäre dabei als Extremfall möglich, daß 36
Mit dem Ausdruck recording ist in der Regel ein schriftliches Aufzeichnen durch den Beobachter gemeint; dagegen: tape recording für Bandaufnahmen.
74
die Verhältnisse von den Kindern genau umgekehrt wie von der Autorin wahrgenommen werden, daß also das, was sie als "quarreling" bezeichnet, von den Kindern als "friendly intercourse" verstanden wird und umgekehrt. Praktisch werden die Beschreibungen im allgemeinen weniger stark differieren und implizit scheint sich die Autorin auch die Relativität ihres Verstehens bewußt zu machen, denn sonst könnte sie das, was wir normalerweise als Streiten bezeichnen, nicht im Sinne der Kinder als "a part of friendly intercourse" interpretieren. Damit erweitert sie auch die Verwendungsweise des Ausdrucks quarreling, insofern als sie diesen Ausdruck nun auch im Sinne von "freundlicher" oder "freundschaftlicher" Interaktion und Kommunikation verstehen und verwenden kann.
Für den Leser ist eine ähnliche Erweiterung seiner Sprachkonpe-
tenz und danit schließlich auch eine Erweiterung seiner Lebensform denkbar. Eine andere Möglichkeit wäre, die unsere Kriterien für "quarreling" erfüllende Art des "friendly intercourse" nicht mehr quarreling zu nennen. Dagegen würde sprechen, daß die Kinder selbst den Ausdruck quarreling in solchen Zusammenhängen verwenden, nur offenbar etwas anders als wir. In der Arbeit von Green wird m.E. außerdem nicht deutlich, ob das Streiten selbst "friendly intercourse" ist,
oder ob vielleicht nur die implizite
Bewertung des Streitens von der auf das Streiten etwa folgende Kooperation aus, den Schluß nahelegt, das Streiten selbst sei kooperativ gewesen. So formuliert Dawe das Ergebnis ihrer Beobachtungen vorsichtiger: "Evidently the children recover from their quarrels very quickly for they are cheerful more often than resentful after quarreling" (Dawe 1934: 153 f . ) .
Dafür, daß befreundete Kinder häufiger miteinander streiten, bietet sich als simple Erklärung an, daß diese Kinder natürlich mehr sozialen Kontakt miteinander haben und damit auch häufiger überhaupt die Möglichkeit zu einem Streit gegeben ist.
Leute, die nichts miteinander zu tun haben, werden kaum Gelegen-
heit haben, miteinander in Streit zu geraten. Ähnlich läßt sich die im Hinblick auf die Forderung nach kommunikativer Bewältigung von Konflikten paradox klingende Behauptung, die Möglichkeit zur Kommunikation erhöhe die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts, Kommunikation sei also u.U. konfliktfördernd, erklären. Ihrer Struktur nach läßt sich eine solche Behauptung in der Tat auf unsere triviale Aussage reduzieren, wer nichts miteinander zu tun habe, habe auch keine Möglichkeit zu einem gemeinsamen Streit. Deshalb wäre es nicht 37
Es könnte hier freilich auch ein Übersetzungsproblem hinsichtlich der adäquaten Übersetzung von quarreling vorliegen.
75 sinnvoll, Konflikte dadurch reduzieren zu wollen, daß man Kcmtiunikationsmöglichkeiten reduziert oder daß man kurzschlüssig die Bedeutung von Kommunikationsmöglichkeiten bzw. tatsächlich stattfindenden Kommunikationen als negativ für die Bewältigung von Konflikten ansieht. Hier gilt es wieder, den Konflikt und die Strategien der Konfliktbewältigung auseinanderzuhalten. Die Bedeutung des Streitens für Kinder läßt sich m.E. noch aus einem anderen Grund schwer einschätzen. Wenn wir nämlich einen Zusammenhang zwischen bestimmten Formen des Streitens und bestimmten Arten von Konflikten annehmen, die es im Streit zu bewältigen gilt, so könnte uns gerade das Verstehen der Art dieses Zusammenhangs Schwierigkeiten bereiten. Wir könnten nämlich die "Angemessenheit" bestimmter Formen des Streitens genau deshalb bezweifeln, weil wir die Art des zugrundeliegenden Konflikts anders verstehen als die Kinder, während von den beteiligten Kindern gerade diese Formen des Streitens unter den gegebenen Umständen als angemessen angesehen werden könnten, weil sie eben eine andere Einschätzung des Konflikts haben oder weil sie andere Kriterien für das haben, was wir "angemessen" nennen. Für uns als Erwachsene wird es schwierig sein zu beurteilen, ob in einem konkreten Fall eine verbale oder eine nicht-verbale Form des Streitens im Sinne der Kinder "angemessen" ist. Unsere Beurteilung (Bewertung) bestimmter Formen des Streitens hat im Rahmen unserer erzieherischen Absichten allerdings durchaus eine Berechtigung, weil wir die Kinder schließlich auf die Bewältigung einer Art von Konflikten vorbereiten müssen, wie sie im Leben der erwachsenen Mitglieder der betreffenden Gesellschaft eine Rolle spielen, wo bestiitmte Formen des Streitens so und so bewertet bzw. entsprechend sanktioniert werden. Andererseits sollten wir aber auch dazu bereit sein, unseren Standpunkt ggf. zu relativieren und unseOQ
re Kompetenz zu erweitern. Um welche Art von Konflikten könnte es im Streiten der Kinder gehen? Dawe (1934: 143) unterscheidet bei ihren Beobachtungen vier Kategorien: (i) (.ii) (iii) (iv)
possessions physical violence interference with activity social adjustment,
38 Vgl. zu diesem Gedanken Winch 1972.
76
die m.E. zu heterogene Gesichtspunkte umfassen. Unmittelbar einsichtig scheint die Kategorie "possessions", die etwa im Streit um den Besitz besonders attraktiver Gegenstände bedeutsam ist. Ein solcher Streit könnte verbal oder nicht-verbal verlaufen mit den entsprechenden Mischformen. 39 Die Kategorie (ii) vermischt möglicherweise die Begriffe "Konflikt" und "Streit". Zwar kann ein körperlicher Angriff, der etwa als unbegründet oder ungerechtfertigt angesehen wird, Anlaß zu einem Streit bieten, ebenso kann der körperliche Angriff jedoch schon eine "Abhilfbewe4 gung" (Siitmel 1958; 1973) sein, eine Reaktion auf einen akuten Konflikt, den der Beobachter nicht einmal wahrgenommen zu haben braucht. Die Kategorie (iii) läßt sich nicht immer klar von (i) abgrenzen, insofern als in den Handlungen der Kinder in der Regel auch Gegenstände im Sinn von "possessions" eine Rolle spielen dürften. Kategorie (iii) scheint mir allerdings wichtig für die Be- · Schreibung des Zusammenhangs von Kooperation und Konflikt, insofern als eine solche "interference" im kooperativen Handeln der Kinder auftreten kann. Kategorie (iv) dürfte vor allem in Kindergruppen von mehr als zwei Kindern von Bedeutung sein. Auch zu unserer zweiten Frage nach möglichen, für Kinder einer bestimmten Altersstufe relevanten Formen des Streitens bieten die Arbeiten von Dawe, Green und auch von Ames (1952) einige interessante Beobachtungen. Bevor wir uns den Formen des Streitens zuwenden, will ich jedoch eine in den genannten Arbeiten gemachte Beobachtung über die Häufigkeit des Streitens erwähnen. Green, die zwei- bis fünfjährige Kinder beobachtete, konnte für ihr sample feststellen: "In 25 per cent of observations, in which group play occurred, a quarrel arose" (Green 1936b: 3O3). Sie bezieht sich dabei mit Recht nur auf die Spielsituationen, die sie als "group play" im Gegensatz zu "solitary play" versteht, denn nur in solchen Situationen können sich interpersonale Konflikte manifestieren, die dann im Streiten ausgetragen werden. Wann man annimmt, daß Kommunikation die Möglichkeit zum Konflikt erhöhe, könnte man vermuten, daß mit einer Zunahme des Anteils des Gruppenspiels mit zunehmendem Alter auch die Häufigkeit von Konflikten bzw. des Streitens zunehme. Dies trifft nach den Beobachtungen von Green jedoch offensichtlich nicht zu. Denn einerseits läßt sich feststellen: "the amount of group play increases regulary with age" (Green 1933b: 303), was sich komplementär in einer entsprechenden Abnahme der Zeit des Einzelspiels zeigt, die bei 2-Jährigen noch 39
Siehe Kap. 3.3.1. "Streiten um einen Spielgegenstand"
77
61,5% der gesamten Beobachtungszeit beträgt, bei 3-Jährigen 52%, bei 4-Jährigen 35% und bei 5-Jährigen schließlich nur noch 30,3%. Gleichzeitig erhöht sich auch die Anzahl der Partner in den Spielgruppen, so daß man erst recht mit einer Zunahme der Häufigkeit von Konflikten rechnen müßte. Demgegenüber kann Green jedoch "an increase of quarrels with age up to 3 years followed fay a steady decrease" (Green 1933 b: 304) konstatieren. Gerade zu dem Zeitpunkt, wo Gruppenaktivitäten für das Kind stark in den Vordergrund treten, ndjnmt die Häufigkeit des Streitens ab: "the 3-year-old group starts the most quarrels, the 2-year-old group is more passive than the older groups, and the 4-year-old groups are the most retaliative" (Green 1933 b: 3O4). Es hat also den Anschein, daß die Fähigkeit zur Kooperation in Gruppensituationen im Alter zwischen 3 und 4 Jahren entscheidend erweitert wird, so daß etwa auch Piagets Annahme, daß nicht-egozentrische oder nicht-kollektivmonologische Konntunikationen und Interaktionen praktisch erst im Grundschulalter festzustellen seien, fragwürdig erscheint. 40 Dawe unterscheidet weiter folgende "types of behavior exhibited by quarrelers": "non-participator", "precipitator", "agressive behavior", "retaliative behavior", "objecting behavior", "undirected energy" und "passive behavior" (Dawe 1934: 143), trennt dabei jedoch nicht generell zwischen nicht-verbalen und verbalen Formen des Streitens; überhaupt scheint verbalen Formen im frühen Kindesalter wenig Bedeutung beiganessen zu werden, und an so etwas wie "Strategien" scheint kaum gedacht zu werden, zunal die Dauer des Streitens in den von Dawe untersuchten Fällen so kurz ist, daß eine komplexere verbale Strategie kaum zur Entfaltung käme. 41 So weist Dawe (1934: 152) lediglich undifferenziert auf "lautliche Aktivitäten" wahrend des Streitens hin und zählt nach prozentualer Häufigkeit bei 200 untersuchten Fällen auf: non vocal (15%) (bei 77,5% wenigstens ein Partner keine lautlichen Aktivitäten) crying (29,5% einziges Verhalten) forbidding and cotmandig (43%) making factual coiments (16%) 40
Siehe Piaget 1972. Vgl. demgegenüber unsere Beschreibungen in 3.3. In ähnlicher Weise tragen Garnica 1976, Keenan 1974 und Keenan,Klein 1975 empirische Indizien gegen Piagets Egozentrismusthese vor.
41
Siehe Dawe 1934: 146: "Of the 2OO quarrels only 13 are a minute or over in durations". Die durchschnittliche Dauer betrug nur 23 Sekunden.
78
threatening (7,5%) condoling (1,5) calling names (2%) Die hier als "lautliche Aktivitäten" ("vocal activities") zusammengefaßten Kategorien weisen einmal mehr auf den Zusanmenhang von sprachlichem und nichtsprachlichem Handeln hin. So scheint mir beispielsweise interessant, daß bei 77,5% der Fälle wenigstens ein Partner nicht sprachlich handelte, dabei jedoch nur in 15% der Fälle der Streit insgesamt nicht-sprachlich verlief. Dies deutet möglicherweise auf die sprachliche Überlegenheit eines Teils der Kinder hin, wenn man annimnt, daß es größtenteils immer wieder die gleichen Kinder sein dürften, die in der nicht-sprachlichen Rolle bleiben. Über solche möglichen Zusammenhänge gibt die Arbeit von Dawe jedoch keinen weiteren Aufschluß. Unklar bleibt etwa auch die Kategorie "crying" im Hinblick auf die Frage, inwieweit es hierbei um sprachliches Handeln geht. Für Dawe stellt sich dieses Problem nicht, da der englische Ausdruck vocal activity nicht in unserem Sinn auf sprachliches Handeln zielt, sondern vielmehr jede Art von Lautäußerungen als "vocal" angesehen werden kann. Die übrigen Kategorien will ich hier undiskutiert lassen, weil sich verständlicherweise die Frage aufdrängt, welcher Art eine sprachliche Äußerung sein muß, damit sie als dieser oder jener Kategorie zugehörig angesehen werden kann. Darüber gibt Dawe in ihrem Bericht keine Auskunft. Es scheint jedoch, daß Quantifizierungen im Bereich des sprachlichen Handelns auch hier von einem unproblematischen Verständnis des Zusammenhangs von Äußerungen und bestimmten Arten von sprachlichen Handlungen ausgehen. Quantifizierungen setzen hier jedoch in jedem Fall eine 42 (zumindest implizite) Analyse der indem-Struktur bestimmter Regeln voraus. Über die Verteilung der einzelnen sprachlichen Aktivitäten auf verschiedene Altersstufen macht Dawe keine näheren Angaben, sie stellt lediglich fest, daß bei den älteren Kindern Anfänge argumentativen Handelns beobachtbar sei43 en. Die Zunahme argunentativer Formen des Streitens impliziert eine Zunahme verbaler Formen überhaupt und läßt eine entsprechende Abnahme körperlicher 42
Siehe zur Diskussion und Kritik quantifizierender Ansätze exemplarisch Biere 1976 b.
43
Siehe Dawe 1934, 153. Dawe spricht dort von einem "argumentative type of quarrel", verwendet also auch auf dieser Ebene der Konfliktbewältigung, ähnlich wie wir f ü r - s t r e i t e n vorgeschlagen haben, den Ausdruck guarrel.
79
Auseinandersetzungen erwarten. So stellt auch Green hinsichtlich ihrer Beobachtungskategorien "verbal", "physical", "spatial" fest: "The upper two age [4- und 5-Jährige, B . U . B . J are more likely to employ verbal behavior in their quarrels, the two younger groups are more inclined to employ physical behavior" (Green 1933 b: 3O5)
Wenn Kinder lernen, sich argumentativ auseinanderzusetzen, so muß es einen Grund dafür geben, warum sie eine solche Form der Auseinandersetzung nicht nur verstehen lernen, sondern auch selbst nach solchen Mustern zu handeln versuchen, und daß sie schließlich offenbar ein Handeln nach verbalen Mustern einem Handeln nach nicht-verbalen vorziehen. Mir scheint hier folgendes wichtig: Einerseits könnte diese Art von Lernen als Konditionierungsprozeß angesehen werden, etwa wenn wir an die verschiedenen Sanktionen denken, mit denen Erwachsene die Kinder von ihren Formen körperlicher Auseinandersetzung abbringen wollen. Andererseits kann man in solchem Handeln der Kinder auch das aktive Moment eines Sprachlernprozesses sehen. Man kann annehmen, daß die Kinder ihr Verständnis der Sprache bzw. des sprachlichen Handelns dadurch zu verbessern suchen, daß sie selbst ausprobieren, so zu handeln, wie sie das Handeln der Erwachsenen verstehen und an den Reaktionen überprüfen,
inwieweit ihre Hypothesen richtig waren oder
verändert werden müssen. Sie erweitern so ihre Kompetenz, indem sie nach neuen Regeln zu interagieren und zu kcmmunizieren versuchen. Darüberhinaus könnte man auch annehmen, daß die Kinder zunehmend die Einsicht gewinnen, daß mit ihren sich verändernden (d.h. im großen und ganzen mit den sich den gesellschaftlichen Definitionen "legitimer" Bedürfnisse anpassenden) sozialen Bedürfnissen auch eine Veränderung der Formen sozialen Zusammenlebens, und das bedeutet eben auch der Formen des Streitens, angestrebt werden muß. Trotz des relativ großen Anteils von Anpassungslernen braucht dies jedoch nicht zu bedeuten, daß die Kinder etwa unsere Formen des Argumentierens schlicht übernehmen, ebensowenig wie sie unsere Adäquatheitskriterien übernehmen brauchen. So kann etwa die Frage, was im konkreten Fall als Argument oder als Begründung anzusehen ist,
von den Kindern in ihrer kcmmunikati-
ven Praxis durchaus anders beantwortet werden, als es den Maßstäben von Er44 wachsenen entsprechen würde. Und ebenso unterschiedlich kann die Frage be44
Illustrativ sind hier etwa die Antworten, die Kinder in einem Warum-Spiel als Begründungen akzeptieren, ebenso wie die Antworten, die sie nicht als Begründung akzeptieren. Versuche mit Fragespielen sind von der Arbeitsgrup pe Kommunikativer Unterricht (AKU) durchgeführt worden. Siehe auch Kap. 14 ("Das Warum-Spiel") in Heringer, u.a. 1977: 275-295.
80
antwortet werden, unter welchen Bedingungen verbales Streiten angemessener sei als nicht-verbales Streiten. 45 Wenn man also in der Zunahme verbaler Formen des Streitens schlicht eine "Anpassung" an die Erwachsenenkanpetenz sehen wollte, wäre dies vermutlich zu kurz gegriffen. Es ist zwar einsichtig, daß es sich hier nicht zuletzt um ein Ergebnis der Sozialisation, handelt, was jedoch nicht impliziert, daß allein schon deshalb eine Hcmcgenität von sog. Kindersprache und sog. Erwachsenensprache angenotmen werden müßte. Die referierten empirischen Untersuchungen deuten insgesamt darauf hin/ daß entsprechend der Entwicklung der Sprachkonpetenz des Kindes etwa im Alter von 4-5 Jahren das Interaktionsmuster 'Streiten* zunehmend durch das Handeln nach sprachlichen Handlungsmustern realisiert wird. Wir wollen hier jedoch über solche allgemeine Feststellungen hinaus danach fragen, welche Arten von sprachlichen Handlungen Kinder innerhalb eines Interaktionsmusters wie 'Streiten' machen (können) und wie die sprachlichen Handlungen der Kinder innerhalb der betreffenden Kontrunikatlonszusaninenhänge aufeinander bezogen sind, d.h. nach welchen komplexen Regeln Kinder ihre Konflikte kommunikativ bewältigen (können). Aufgrund des zu erwartenden Zusammenhangs von kooperativen und nichtkooperativen Handlungen in Kormunikationen ist die Beschreibung von kooperativen Handlungsmustern ggf. miteinzubeziehen. Es scheint auch, daß gerade die Handlungen, die wir den kommunikativen Formen des Streitens zurechnen, selbst ein relativ hohes Maß an Kooperationsbereitschaft erfordern. Obwohl bei allen Formen des Streitens ininer auch bestimmte Nonnen für das Handeln in solchen Zusammenhängen im Spiel sein dürften, scheint die normative Regulierung bei kooperativeren Mustern größer als etwa bei einer physischen Kraftprobe. Es ist nun allerdings im Sinne unserer Diskussion des Verstehensbegriffs zu fragen, ob die nach unserer Meinung und nach unseren BewertungsnaßstSben als das Gegenstück zu kooperativer und kommunikativer Konfliktbewältigung anzusehende Art des Streitens, der Kampf mit den Fäusten, für die Kinder wirklich eine (in moralischen Kategorien gedacht) verwerfliche Alternative zu jeder verbalen Form der Konfliktbewältigung darstellt. Ebenso fraglich wie die Art der moralischen Bewertung dieser Alternativen durch die Kinder dürfte die 45
"Beantwortung" bezieht sich hier natürlich nicht auf eine Testsituation oder Interviewform. Die Art der Beantwortung "zeigt sich" vielmehr im sprachlichen Handeln.
46
Man denke auf einer anderen gesellschaftlichen Ebene etwa an die Formen der Regulierung sog. Tarifkonflikte, zu denen ja auch der sog. Arbeitskampf (Streik/Aussperrung) gehört.
81
Art ihrer "strategischen" Bewertung dieser Alternativen sein. Ist also der Übergang von verbaler zu körperlicher Auseinandersetzung und umgekehrt für die Kinder ein Übergang zu einer qualitativ anderen Art von Handeln oder ist es einfach "die Fortsetzung des Streits mit anderen Mitteln"? Und wixd ein solcher Übergang unter strategischen Gesichtspunkten, d.h. im Hinblick auf die jeweils angestrebte Art von Konfliktlösung vollzogen? Und welche Art von sprachlichen Handlungen begünstigt umgekehrt den Übergang von verbalen zu nicht-verbalen Formen des Streitens? Mit solchen Überlegungen soll nicht behauptet werden, daß es ein erstrebenswertes Erziehungsziel sein könnte, Konflikte vornehmlich durch nicht-verbales Streiten zu lösen. Über die aus den hier vorgestellten Beschreibungen sich evtl. ergebenden didaktischen Konsequenzen habe ich noch wenig gesagt, sie zielen jedoch eher in die umgekehrte Richtung: auf einen Abbau körperlicher Auseinandersetzungen zugunsten fter Einübung in verbale Muster der Konfliktbewältigung. Obwohl in unseren gesellschaftlichen Rahmen die Einstellung zu körperlichen Auseinandersetzungen und physischen Kraftproben in den hier diskutierten Zusammenhängen im allganeinen negativ zu sein scheint, scheinen diese doch in bestininten "subkulturellen" Zusamnenhängen (z.B. peer groups, Burschenschaften) eine große Rolle zu spielen. 47 Was im kindlichen Streiten eigentlich vor sich geht, läßt sich m.E. nicht mithilfe spekulativer Agressionstheorien klären, zumindest solange nicht, wie wir nicht ernsthaft versucht haben, auf die mögliche Interpretation des betreffenden Zusammenhangs durch die Beteiligten selbst (hier: die Kinder) zu reflektieren. Und gerade für ein Interaktionsmuster wie 'Streiten' kann - wie auch die exemplarischen Beschreibungen zeigen werden - nicht von vornherein angenonmen werden, daß die Sinngebungen (Interpretationen) im Bereich der beobachteten Handelnden den Kategorien entsprechen, die die Wahrnehmung und Tnterpretation des wissenschaftlichen Beobachters leiten. 47
Man kann wohl auch nicht behaupten, daß unsere Gesellschaft eine pazifistische sei oder daß alle Leute ihre Kinder zu Pazifisten erziehen wollten. Es scheint hier eine durchaus ambivalente Einstellung vorzuliegen, innerhalb derer man gewisse Widersprüche in Kauf zu nehmen bereit ist. Vielleicht sind es nicht zuletzt unsere eigenen Agressionen, die wir in der Maßregelung der streitenden Kinder zu unterdrücken versuchen.
82 3.
EXEMPLARISCHE BESCHREIBUNG
3.1.
Zum Prinzip der exemplarischen Beschreibung An verschiedenen Stellen der vorausgegangenen Überlegungen habe ich die in
diesem Kapitel vorzustellenden linguistischen Beschreibungen von Kommunikationen unter Kindern bzw. von Teilen solcher Kannunikationen als exemplarische charakterisiert. Einerseits sind die Beschreibungen insofern exemplarisch, als an ihnen verdeutlicht wird, in welcher Weise die auf der theoretischen Ebene diskutierten Probleme auf der Ebene empirischer Beschreibungen tatsächlich relevant werden und wie sie dort "gelöst" werden können. Das Ziel unserer Beschreibungen besteht jedoch nicht eigentlich darin, eine illustrative Bestätigung für vorgängige theoretische und methodische Entscheidungen zu liefern, so als sei die Entwicklung einer Methode unabhängig von den Zielen einer bestimmten Art von Beschreibung oder überhaupt unabhängig von irgendeiner Anwendungsmöglichkeit in sich schon gerechtfertigt. Vielmehr ist das Ziel der exemplarischen Beschreibung in erster Linie ein praktisches. In einem solchen praktischen Sinn sind die Beschreibungen insofern exemplarisch, als sie als Vorschläge zu verstehen sind, mit welchen Mitteln, welchen Verfahren und Methoden und unter welchen Voraussetzungen kommunikative Probleme zwischen zwei oder mehr Konminikationspartnern beschrieben werden können. Es handelt sich also, wenn man so will, um eine Anleitung, wie mögliche Koimunikationspartner in ihren Kormunikationen auftauchende Probleme, insbesondere bestimmte Arten von Mißverständnissen klären können, indem sie bestimmte Aspekte ihrer sprachlichen Handlungen und deren Zusammenhänge in ihrer Kommunikation beschreiben. Im Rahmen einer solchen Zielsetzung gilt es, die Fähigkeit des einzelnen Partners zur Analyse von katmunikativen Problemen weiter auszubilden und so schließlich "das Modell der Provokation von Reflexionsprozessen (T. !J auf die Gesellschaft im ganzen anzuwenden", "denn die Gesellschaft kann sich auch nicht Zur Diskussion des Begriffs des Exemplarischen in der Pädagogik vgl. etwa Scheuerl 1958.
83
emanzipieren, ohne die Emanzipation aller einzelnen" (Apel 1970; 1973: 144). Die Auswahl der zu beschreibenden Kommunikationen orientiert sich an den genannten praktischen Beschreibungszielen, d.h. vor allem daran, welche Kommunikationsausschnitte durch die Beschreibung besser verstehbar werden, wo also die praktische Relevanz der Beschreibung möglichst unmittelbar einleuchtend ist.
Dies ist auch ein Grund für die Festlegung auf den Bereich "Strei-
1
ten , denn gerade diese Art von Relevanz scheint mir hier gegeben. (Zudem ließen sich anhand dieses Bereiches relevante theoretische Fragen wie die der Verstehensdiskrepanz problematisieren.) - Forschungspraktisch gesehen vollzieht sich die Beispielauswahl in zwei Schritten: einmal wurden aus dem gesamten Material die zu verschriftlichenden Teile ausgewählt und zum ändern wurden aus den verschriftlichten Teilen die exemplarisch zu beschreibenden Kommunikationsausschnitte ausgewählt. Die Abhängigkeit der Handhabung der Auswahlkriterien von unserem Verstehen der betreffenden Koimunikationen bzw. der daraus verschriftlichten Teile habe ich bereits in den theoretischen Teilen eingehend diskutiert. Ich kann mich deshalb an dieser Stelle auf einen kurzen Hinweis beschränken. Wenn wir einen Teil einer Kommunikation als relevant ansehen im Sinne unserer Beschreibungsintention, so bedingt die Anwendung einer solchen Art von Relevanzkriterium die Vernachlässigung von in einem möglichen anderen Sinn relevanten Teilen der betreffen Kommunikation. Darin ist jedoch kein prinzipieller Nachteil eines solchen Auswahlverfahrens zu sehen, denn jede Beschreibung ist notwendigerweise selektiv, d.h. eine Beschreibung unter einem bestimmten, in dem entsprechenden thematischen Zusammenhang interessierenden Aspekt und unter einem bestimmten (Vor)Verständnis der zu beschreibenden Kcmmunikation. Eine Gefahr sehe ich lediglich darin, daß natürlich nicht auszuschließen ist,
daß möglicherweise relevante Teile von Kcmmunikationen der expliziten
Analyse gar nicht erst zugänglich gemacht werden, weil sie im ersten Auswahlschritt nicht für relevant gehalten und somit rächt verschriftlicht werden. Qn solche Fehleinschätzungen des Charakters bestimmter aufgezeichneter Kommunikationen möglichst zu vermeiden, habe ich zunächst den überwiegenden Teil des aufgezeichneten Materials verschriftlicht, jedoch darauf verzichtet, sämtliche verschriftlichten Teile im Anhang dieser Arbeit zu dokunentieren. Die Gefahr der Nichtberücksichtigung relevanter Teile besteht jedoch ebenso hinsichtlich des zweiten Auswahlschritts. Denn im Grunde setzt die Entscheidung, was im Sinne der Beschreibungsintention als relevant anzusehen ist, erst zu erstellen gilt.
eine explizite Analyse voraus, die es ja
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In einem solchen Dilemma könnte man geneigt sein, schließlich doch verstehensunabhängige Kriterien heranzuziehen. Solche anscheinend "objektiveren" Kriterien führen jedoch in keinem Fall zu einer problemorientierten Auswahl von relevanten Beispielen, sondern lediglich zu einem, günstigenfalls bestimmten Repräsentativ!tätskriterien genügenden, wie inner sonst gearteten "Kor2 pus". Daß sich das Problem der Auswahl in der skizzierten Weise stellt, begründet m.E. nicht die Forderung nach "objektiveren" Kriterien, denn die Konsequenzen eines Verzichts auf einen Verstehensbegriff bestünden im wesentlichen im Verzicht auf problemorientierte und damit exemplarische, wenn nicht auf bedeutsame Beschreibungen überhaupt. Auf der anderen Seite begründen die genannten Auswahlschwierigkeiten gerade die Notwendigkeit einer expliziten linguistischen Analyse, die ja dem besseren Verständnis auch dessen dienen soll, was an einer Kommunikation das jeweils Bedeutsame bzw. Problematische ist. Mit den beschriebenen Auswahlschritten wird jeweils ein Vorgriff auf ein letztlich erst in der expliziten Analyse begründbares Verstehen unternommen. Könnten solche "Vorgriffe" den Grad des durch die explizite Beschreibung zu erzielenden Verständnisses erreichen, wäre der Sinn einer solchen Beschreibung nicht mehr einsehbar. Wie sehr sich unser Verständnis einer Konttunikation aufgrund des Versuchs einer expliziten Beschreibung ändern kann, wird besonders dadurch deutlich, daß wir es hier ja gerade nicht mit unproblematisch verlaufenden Kommunikationen zu tun haben, wir haben unser Augenmerk vielmehr von Anfang an auf solche Konmunikationen gerichtet, die uns - freilich aufgrund einer Vorstellung von Normalität - problematisch schienen und von denen wir annehmen können, daß die Anwendung der vorgeschlagenen Analyseverfahren für das Verständnis der betreffenden Kotmunikation durch den Beschreibenden wie auch durch die betroffenen Partner bedeutsam sein kann. Die schließlich für die exemplarische Analyse ausgewählten Teile von Kommunikationen unter Kindern werden immer noch komplex genug sein, im über die thematische Zentrierung auf das Interaktionsmuster 'Streiten1 hinaus die BeSo nimmt etwa Wagner 1974 die Zeiteinheit eines Tages als "natürliches" Kriterium für die Begrenzung eines Korpus an. Die Wahl einer solchen Art von verstehensunabhängigem Kriterium ist jedoch nicht angezeigt, wenn es darum geht, im Sinne eines spezifischen Problems relevante Beschreibungen von Teilen des so gewonnenen Korpus zu geben.
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rücksichtigung weiterer Beschreibungsaspekte nahezulegen. So werde ich, um den ausgewählten Korrttunikationsbeispielen einigermaßen gerecht werden zu können, interessante Aspekte der Beschreibung nicht deshalb ausklarrmern, weil sie nicht in einen eng gefaßten theoretischen oder thematischen Rahmen passen. Die Grenzen eines solchen thematischen Bereichs sind ohnehin fließend. So habe ich beispielsweise schon auf den vielschichtigen Zusammenhang von Streiten und Kooperieren hingewiesen und zu zeigen versucht, daß es auch theoretisch sinnvoll ist, gerade die problematischen Grenzbereiche und Übergänge zwischen verschiedenen Interactions- und Kcmmunikationsformen in die Analyse einzubeziehen. 3.2.
Zur Charakterisierung der Kcnmunikationsbeispiele Die für die explizite linguistische Beschreibung ausgewählten Teile von Kaimunikationen staunen aus verschiedenen Kannunikationen unter Kindern, die Im Anhang in versehr if t lichter Form wiedergegeben sind. Die Kommunikationen ähneln sich insofern, als es sich in jedem Fall um eine Art "Spielsituation" handelt und in jedem Fall mein Sohn Sebastian einer der beteiligten Partner ist. Die Kcmnunikationen unterscheiden sich aufgrund von Merkmalen wie (i) Anzahl der Kanrnunikationspartner (ii) Alter der Kinder (iii) Altersrelation der Kinder zueinander (iv) Vertrautheit der Kinder untereinander (v) Vertrautheit der Kinder mit der Ungebung, dem Beobachter usw. Ich will diese Merkmale nicht im Sinne von unabhängigen Variablen und das sprachliche Handeln der Kinder als davon abhängige Variablen betrachten, wie Jjn Fall einer experimentellen Versuchsanordnung, also auch keine Hypothesen aufstellen, wie etwa die, daß sich die Art des sprachlichen Handelns von vierjährigen Kindern "signifikant" unterscheidet von der Art des sprachlichen Handelns von fünfjährigen Kindern. Solche Art von "Signifikanz" wird im allgemeinen nur im Zusatinenhang mit bestimmten statistisch formulierbaren, also quantitativen Korrelationen bzw. Kovarianzen festgestellt, die in den Rahmen unserer nicht von Repräsentätivitätsüberlegungen ausgehenden Position kann integrierbar sind. Ich habe in den theoretisch-methodischen Vorüberlegungen dargelegt, warum sich die in dieser Arbeit entwickelte Problemstellung m.E. nicht Im Rahmen der von Signifikanz- und Repräsentätivitätsüberlegungen Implizierten methodischen Entscheidungen behandeln läßt und habe anstatt von signifikanten Korrelationen zwischen Variablen von "bedeutsamen Beschreibungen" geredet. In dieser Redeweise ist "bedeutsam" gerade nicht im Sinne von
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"Signifikanz" verwendet, sondern bezogen auf eine qualitative, auf Verstehen begründete Form von Beschreibung, die im Einzelfall unter Berücksichtigung der spezifischen Sinn- und Relevanzkriterien der jeweiligen Kcnmunikationspartner argumentativ begründbar sein muß. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die genannten Merkmale unwesentlich wären für den Verlauf der betreffenden Konnunikation und nicht ggf. in den Beschreibungen berücksichtigt werden müßten; es sollte lediglich betont werden, daß diese Merkmale nicht als Basis generalisierender Aussagen im Sinne von Korrelationen zwischen Variablen anzusehen sind. Um die Orientierung über das Material zu erleichtern, will ich die genannten Gesichtspunkte für die einzelnen Kaimunikationen kurz erläutern. (i) In zwei Komtunikationen sind jeweils drei Kinder beteiligt (Sebastian und zwei weitere Kinder), in den übrigen drei Kotmunikationen jeweils zwei Kinder (Sebastian und ein weiteres Kind). Obwohl die Annahme nicht unberechtigt scheint, die Häufigkeit von Konflikten bzw. deren Manifestation im Streiten nehme mit der Zahl der Partner zu, glaube ich, daß eine solche Annahme wenig beiträgt zu der hier angestrebten qualitativen Art von Beschreibung. Die Frage, w i e Konflikte im Streiten bewältigt werden, scheint eher etwas mit dem Alter der Kinder zu tun zu haben. (ii) zielt damit wohl auf Fragen nach der Entwicklung der sprachlichen Handlungskcmpetenz ab, die ich im Rahmen meiner Zielsetzung nicht explizit behandeln kann. Generalisierende Aussagen sollten hier tunlichst vermieden werden, denn im Grunde ist ein Merkmal wie 'Alter' in der Beschreibung der Kcrtmunikationen gar nicht isolierbar, d.h. es ist nicht geklärt, warum bestimmte Eigenarten einer Karmunikation auf das Alter der Kinder und nicht auf irgendein anderes Merkmal zurückführbar sein sollen. Das Alter der Kinder liegt in den Kormunikationsbeispielen zwischen drei und sechs Jahren, abgesehen von Text I mit Ragana, zehn Jahre alt. (iii) Möglicherweise spielt neben dan absoluten Alter der Kinder die Altersrelation der Kinder eine zumindest ebenso wichtige Rolle.
Bis auf die
Komiunikation I beträgt der Altersunterschied der an einer Kcnrounikation beteiligten Kinder nicht mehr als ein Jahr. Die Beschreibung von Teilen der Koimunikation I wird auch deutlich machen, welche Rolle das um fast sieben Jahre ältere Mädchen für die Art der Katmunikation zwischen Sebastian und Carmen (den jüngeren Kindern) spielt. Auch dieser Aspekt der Beschreibung Vgl. etwa die auffälligen Unterschiede zwischen den Texten I und V.
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kann jedoch nicht als generalisierende Aussage verstanden werden, sondern bleibt eine Beobachtung an einem ganz spezifischen Beispiel. (iv) Die Vertrautheit der Kinder untereinander scheint mir ein weniger äußerlicher Aspekt zu sein, insofern als sich der Vertrautheitsgrad der Kinder für den Beobachter nicht unabhängig von der Art der Katmunikationen, aus denen er auf einen bestimmten Grad der Vertrautheit schließt, bestinmen läßt. Aber wir können nicht sicher sein, in welchen Formen sich "Vertrautheit" unter Kindern, sprachlich oder nicht-sprachlich, manifestiert. Ein rein äußerliches Vertrautheitskriterium (z.B. Häufigkeit des Kontaktes) scheint mir jedenfalls unzureichend. Vorab läßt sich nur so viel sagen, daß alle Kinder sich relativ gut kennen; Sebastian kennt Carmen und Ragana seit etwa anderthalb Jahren, hauptsächlich von Kontakten auf dem benachbarten Spielplatz, Carmen und Ragana kennen sich seit etwa 3 Jahren und haben regelmäßigen Kontakt (R "betreut" die jüngere C). Felix und Georg kennt Sebastian seit etwa einem Jahr, mit ihnen hat er zur Zeit der Aufnahme regelmäßigen Kontakt. Sebastian kam vor einem Jahr in die Kindergartengruppe, in der Felix und Georg schon ein Jahr lang zusammen waren. Beide hatten auch einen relativ engen familiären Kontakt. Der Kontakt Sebastians zu Joscha war mehr zufällig; Joscha war im gleichen Kindergarten wie Sebastian, jedoch in einer anderen Gruppe. (v) Die Vertrautheit der einzelnen Kinder mit mir und den Räumlichkeiten läßt sich schwer beurteilen. Alle Kinder (außer Joscha) waren vor der Aufnahme mehr oder weniger häufig in unserer Wohnung, wo ich mich auch an ihrem Spiel beteiligt habe. Die Reihenfolge der Texte im Anhang richtet sich nach dem Datum der Aufnahme bzw. nach dem Alter von Sebastian ( 3 - 6 Jahre). Die Beschreibung der Kcrtmunikationsausschnitte hält sich jedoch nicht an diese Reihenfolge, sondern verfährt, wie gesagt, nach bestinmten Relevanzkriterien. Ich beginne die exemplarische Beschreibung mit einem Beispiel, in dem nach unserem gängigen Verständnis offensichtlich "gestritten" wird und gelange von dieser Folie aus schließlich zu Fällen, wo der Zusammenhang zwischen Streiten und Kooperieren besonders deutlich wird.
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3.3.
Verstehende Analysen von Koimunikationen unter Kindern
3.3.1
Streiten um einen Spielgegenstand
Text I 15/164 (1) Carmen
xxx gut Nacht xxx
(2) Sebastian
nee
(3) Ragana
des Ding brauchen wir für die Babys / weißte / weil die krank sind
(4) S
nee / will des für des Hau / will des für den Tunnel
(5) R+C
nein
(6) R
da / da kann die Carmen des dann nimmer / sie für ihre Puppi braucht / weißte
(7) C
wenn / da xxx noch ein ...
(8) S
... no
(9) R
doch / du kanns ja auch so ein Tunnel machen
(10) S
nee
(11) R
des is für den Krankenhaus / siehste / und des kannste ...
(12) S
... nee / da kann die aber da hin legen
(13) R
nein / die will aber nich
(14) C
paar xxx noch zudecken
(15) R
ach / Sebastian
(16) S
gehört aber mir
(17) C
kumal / will auch eins
(18) S
jetzt reichts mir aber / jetzt reichte mir aber
(C deckt ihre Puppe mit einem Schaumstoffteil zu, S nimmt es ihr weg, C will es wieder nehmen)
(S ergreift wieder das Schaumstoffteil)
(C nimmt das umstrittene Schaumstoffteil) (S nimmt das umstrittene Schaumstoffteil)
Geg.enüber dem Text im Anhang II habe ich hier zunächst die Spalte "Köm (Aus)" weggelassen, Auch die Beschreibungen in der Spalte "Bemerkungen" haben natürlich vorläufigen Charakter, da sie erst in der expliziten Beschreibung begründbar sind.
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(19) R
dann kriegt die Carmen auch eins / ja?
(20) S
ich hab noch welche
(21) R
naja
(22) S
denn ich habe noch welche
(S läuft ins Kinderzimmer)
Was sich hier zwischen Carmen und Sebastian bzw. zwischen Ragana und Sebastian abspielt, scheint der Versuch zu sein, mit einem Problem fertig zu werden, das uns einigermaßen vertraut scheint, wenn wir einige Zeit lang mit Kindern zu tun hatten. Wenn wir das Problem, das die beiden haben, zu beschreiben versuchen, müssen wir in diesem Fall offensichtlich zunächst nicht-sprachliche Handlungen beschreiben bzw. wir haben bereits in der Verschriftlichung der Kotitjunikation Beschreibungen von nicht-sprachlichen Handlungen in der rechten Spalte gegeben. Ein Teil einer solchen Beschreibung könnte sein: C deckt mit einem größeren Schaumstoffteil eine Puppe zu. Aber auch: C legt ihre Puppe schlafen.
Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Beschreibungen verschiedener Handlungen; C macht e i n e Handlung, die wir in Form einer indem-Relation beschreiben können: C legt ihre Puppe schlafen, indem sie sie mit einem Schaumstoffteil zudeckt.
Eine solche Beschreibung der Handlung als indem-Relation ist nach rechts und links offen, d.h. es handelt sich um die Beschreibung eines bestürmten Teils oder Aspekts der Regel, nach der C gehandelt haben könnte. Daß wir gerade diesen Teil einer möglichen Regel beschreiben, ist nun jedoch nicht beliebig, sondern abhängig von unserm Verstehen der Handlung, das hier offenbar erleichtert wird durch eine gleichzeitige sprachliche Handlung von C, die sie macht, indem sie CD gut Nacht äußert. Diese sprachliche Handlung, die wir beschreiben könnten als C wünscht ihrer Puppe eine gute Nacht, indem sie äußert gut Nacht ist nicht ein Teil der Erzeugung der nicht-sprachlichen Handlung; es gibt offenbar auch kein nicht-sprachliches Korrelat, obwohl es natürlich alternative Äußerungsmuster gibt (z.B. schlaf gut)3 die als "eine gute Nacht wünschen" zählen können.
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Daß wir zunächst versucht haben, die nicht-sprachliche Handlung Cs zu beschreiben, hat seinen Grund darin, daß wir bereits aufgrund eines (Vor)Verständnisses des weiteren Verlaufs der Interaktion und Kommunikation wenigstens so viel verstanden zu haben meinen, daß das Schaumstoffteil und die Tatsache, daß C das Teil in der beschriebenen Weise verwenden möchte, hier von einiger Bedeutung ist. Die Handlung von C wäre als solche aber gar nicht weiter interessant, wenn sie nicht in einem spezifischen Zusammenhang einen spezifischen Sinn hätte. Und das Zudecken als solches wäre nicht interessant, wenn es nicht mit dem betreffenden Schaumstoffteil geschähe. Wir haben also wohl auch schon einen möglichen Zusammenhang zwischen Cs Handlung und der folgenden Handlung von S verstanden: S nimmt C das Schaumstoffteil weg.
Eine solche Beschreibung ist für sich gesehen wieder nicht besonders interessant. Allerdings haben wir bereits eine Formulierung gewählt, die zeigt, daß wir auch Ss Handlung in einer bestimmten Weise verstanden haben, nämlich als "Wegnehmen" eines Gegenstandes, mit dem C spielen möchte. An dieser Stelle stellt sich m.E. schon die Frage nach der Adäquatheit einer solchen Beschreibung. Wir haben nämlich bereits unterstellt, daß die Art des Handelns von S tatsächlich ein Wegnehmen ist, und wir haben dabei vielleicht implizit sogar schon die Frage nach dem "Schuldigen", nach dem "Agressor", beantwortet, indem wir den Zusammenhang zwischen der Handlung von C und der Handlung von S in dieser Weise verstanden und beschrieben haben. Wenn wir uns dies, auf die Art unserer Beschreibungs-Kategorien reflektierend, bewußt machen, könnten wir die implizite Bewertung nun explizit formulieren oder aber einen alternativen Interpretationsversuch machen. Wie können wir dabei verfahren? Wir können uns zunächst fragen, ob das, was mit einem Ausdruck wie wegnehmen impliziert ist, in diesem Fall tatsächlich zutrifft. Nehmen wir in dieser Verwendung von wegnehmen beispielsweise an, daß derjenige, der jemandem etwas wegntamt, der Angreifer und derjenige, dem etwas weggenommen wird, der Angegriffene ist? Dies könnte in unserem Fall zutreffen, es könnte aber auch sein, daß wir unser Verstehen aufgrund einer alternativen Beschreibung revidieren müssen, wenn wir einen Teil der Vorgeschichte der betreffenden Interaktion und Kommunikation sowie die folgenden Handlungen analysieren. In den folgenden Handlungen könnten wir u.U. Anhaltspunkte dafür finden, daß die Partner oder ein Partner die zur Diskussion stehende Handlung anders versteht, als wir es "unter dieser Beschreibung" getan haben oder daß es für die Partner vielleicht sogar eine sinnlose Frage ist, wer wem etwas "weggenottnen" hat.
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Auch in der Analyse der vorausgegangenen Handlung könnte sich u.U. zeigen, daß wir zu einem falschen Verständnis gelangt sind, z.B. weil wir den zu beschreibenden Komunikationsausschnitt falsch gewählt haben. Vfenn es beispielsweise zuträfe, daß Carmen das umstrittene Schaumstoffteil Sebastian irgendwann vorher "weggenanonen" hat, könnte man zwar auch sagen, S nähme C das Teil weg, wir würden jedoch in einen solchen Zusammenhang vermutlich andere Bedingungen als im ersten Fall für relevant halten. Beziehen wir nun einen Teil der Vorgeschichte in unsere Analyse mit ein, zeigt sich, daß S offenbar schon mit dem Schaumstoffteil bzw. mit zwei solchen Teilen gespielt hat, bevor C auf die Idee kam, eines davon für ihr Spiel mit den Puppen, das sich bisher weitgehend zwischen C und R abgespielt hat, zu verwenden. Das Spiel von S und das Spiel von C liefen nebeneinander her, obwohl S bereits den Versuch unternotmen hatte, C für sein Spiel zu interessieren, um so vielleicht die Konstellation der Spielpartner (C + R; S) zu verändern zu (C + S; R) (o kuck mal; zeig ich dir- ( 1 , 1 4 ) ) . Offenbar ist C auf diese "Werbung" von S jedoch nicht explizit eingegangen. Ob die Äußerung von C wir solin jetzt spielen an R oder an S gerichtet ist,
vermag ich jedenfalls
nicht eindeutig zu entscheiden. Möglicherweise ist sie an S gerichtet, denn die Äußerung von R, die mit der Anrede Carmen beginnt, erweckt den Anschein als wolle R ein "Überlaufen" von C zu Sebastians Spiel verhindern. Unter dieser Perspektive ließe sich das Zubettbringen der Puppe durch C dann sogar als der Versuch interpretieren, das Spiel mit R und der Puppe zu beenden und so einen vor R vertretbaren Ausstieg zu finden. Dann müßte der Streit um das Schaumstoffteil für C ziafllich unverständlich bleiben, weil sie so ihren Versuch, sich dem Spiel von S zuzuwenden, schön scheitern sieht, bevor sie ihn eigentlich ausgeführt hat. Auf der Grundlage einer solchen weiter ausgreifenden Interpretation gelangen wir zu einem kritisch reflektierten Verstehen, sowie zu einer darauf beruhenden modifizierten Beschreibung der Regel, nach der ein Partner gehandelt hat bzw. gehandelt haben könnte. Die Beschreibung der Regel erweist sich somit in der Tat als eine Explikation unseres aufgrund eines reflektierten Interpretationsprozesses erreichten Verstehens. Dabei müssen wir jedoch auch die Frage im Auge behalten, inwieweit uns ein solches reflektiertes Verstehen tatsächlich vor Mißverständnissen schützt. Zumindest scheint es uns die Grenzen unseres Verstehens und damit auch die Bedingungen,die für eine Optimierung des Verstehens erfüllt sein müßten, bewußt zu machen. In der beschriebenen Interaktion und Koimunikation scheint eine solche Bedingung und damit ein Kriterium für die Anwendung eines Prädikats wie nimmt weg darin zu bestehen, daß wir wissen, in wessen Besitz sich das betreffende
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Schaumstottteil ursprünglich befand. Was heißt aber in wessen Besitz? Oder anders gefragt: Welche kulturellen Zusammenhänge, welche Lebensformen ermöglichen es uns, in sinnvoller Weise ein solches Prädikat auf Fälle anzuwenden, in denen um einen Gegenstand gestritten wird? Welche Bedeutung kann die Anwendung eines solchen Prädikats für die Beschreibung eines Konflikts zwischen Kindern haben? In welcher Weise verwenden Kinder ein solches Prädikat bzw. würden es auf einen Konflikt wie den hier zur Diskussion stehenden anwenden? Wie eine Antwort auf solche Fragen gegeben werden kann, will ich in der weiteren Beschreibung einiger Aspekte der Kotmunikation und Interaktion zwischen Carmen, Sebastian und Ragana zu zeigen versuchen. Nach der nicht-sprachlichen Handlungsfolge des gegenseitigen Wegnehmens des von beiden Partnern offensichtlich dringend benötigten Schaumstoffteils protestiert S auch verbal dagegen, daß C das Teil an sich nimmt, indem er nee äußert. Das Äußern von nee kann in dem vorliegenden Zusammenhang jedoch kaum als Antwort auf eine Frage oder als ablehnende Reaktion auf eine Bitte Cs verstanden werden. Eine Beschreibung wie S antwortet C, indem er äußert nee
wäre also wohl kaum adäquat, da C offensichtlich keine Frage gestellt hat, sondern das Schaumstoffteil auf nicht-verbale Art wieder an sich bringen wollte, eben auf die gleiche Art, wie es S zuvor an sich gebracht hat. Die Struktur des Konflikts scheint uns ebenso klar wie die Struktur des Lösungsversuchs, den S und C unternehmen. Wir sind geneigt, eine solche Art von Konfliktlösungsversuch (Streiten) als "nicht rational" anzusehen, insofern als die Art der Lösung auf die Frage nach dem körperlich Stärkeren reduziert zu werden scheint. Inwieweit können wir aber aufgrund einer solchen Annahme überhaupt eine adäquate Beschreibung dieses Teils der Interaktion und Kottnunikation zwischen Carmen, Sebastian und Ragana geben? Eine solche Frage zielt nicht auf die Ablehnung einer "bewertenden" Beschreibung und die Unterscheidung von deskriptiven und normativen oder bewertenden Prädikaten und ich nehme nicht an, daß eine gute Beschreibung eine möglichst "neutrale" oder "objektive", mit "rein deskriptiven" Prädikaten arbeitende sein müßte. Eine Reduktion des Verstehens von Handlungen auf das "Beobachten" von Kausalzusammenhängen von Ereignisfolgen kann ja gerade nicht zu einer adäquaten Beschreibung führen,
die den Sinn- und Relevanzkriterien der
handelnden Subjekte Rechnung tragen könnte. Der Zugang zu solchen, von den Kriterien des Beschreibenden oft verschiedenen Sinnkriterien würde im Fall unseres Beispiels durch die Anwendung eines
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Prädikats wie rational genau dann verstellt, wenn dessen Implikationen nicht reflektiert würden, und wenn wir von vornherein die Handlungen der Kinder nur unter dieser vorgängigen Annahme verstehen würden. Unsere Interpretationskriterien, die auf dem Hintergrund einer sich als "rational" handelnd verstehenden Gesellschaft herausgebildet worden sind, werden in der kritischen Reflexion auf unser Verstehen jedoch nicht schlicht als gegeben vorausgesetzt, sondern selbst problematisiert. So eröffnet diese Art von Reflexion als Voraussetzung für die Relativierung der eigenen kulturellen Werte grundsätzlich eine Möglichkeit des Verstehens von Handlungszusaninenhängen in uns fremden Kulturen oder bestirnten subkulturellen Bereichen. Nun haben wir es allerdings - dies sei noch einmal betont - bei unseren Beispielen von Kannunikationen unter Kindern nicht in dieser Weise mit einer fremden Kultur zu tun; es ist unumstritten richtig, daß die sog. Welt des Kindes durch die primäre Sozialisation im Elternhaus in spezifischer Weise zusammenhängt mit der Lebensform der betreffenden Erwachsenen, wir sollten sie deshalb jedoch nicht als bloßes Abbild dieser Lebensform verstehen. Es könnte also sein, daß wir mit einer Unterscheidung von rationalen und nicht-rationalen Handlungen der Kinder zu einer Klassifizierung ihrer Handlungen gelangten, die ihrem eigenen und gegenseitigen Verständnis dessen, was sie tun, wenn sie etwa auf die beschriebene Weise un ein Schaumstoffteil streiten, gar nicht mehr gerecht werden könnte. Rekapitulieren wir noch einmal den Verlauf der Interaktion: C
deckt mit einem Schaumstoffteil ihre Puppe zu
S
nimmt das Schaumstoffteil von C
C
nimmt das Schaumstoffteil von S
S
hält das Schaumstoffteil fest und protestiert gegen das Wegnehmen, indem er nee äußert
Gehen wir nun nicht von einer Rational-Nicht-rational-Dichotomie aus, ergibt sich eine andere Interpretationsmöglichkeit dieser Sequenz. Die besprochene, 5
Vgl. wiederum die reflektierte Arbeit von Winch 1972, insbesondere zu dem Versuch einer Relativierung des Rationalitätskriteriums.
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größtenteils nicht-verbale Handlungsfolge wäre dann nicht als abgeschlossener Konfliktlösungsversuch zu verstehen, sondern als eine bestimmte Phase im Rahmen einer komplexen Konfliktlösungs"Strategie", als zwei oder drei Züge in einer Partie eines Spiels. Allerdings scheint es unter Kindern auch relativ häufig vorzukommen, daß ein solches Spiel nach einigen Zügen der beschriebenen Art von einem der Partner beendet wird, es sich also dem Beobachter als nicht-verbales Streiten, als bloße körperliche Auseinandersetzung darstellt, als eine Form des Streitens, die er selbst in der Regel nicht für angemessen halten dürfte. Das muß aber nicht bedeuten, daß verbales und nicht-verbales Streiten auch von den Kindern als kategorial verschiedene Formen der Konfliktbewältigung angesehen werden. So wie nicht-sprachliches und sprachliches Handeln generell in einem engen Zusammenhang zu sehen sind, sind auch sprachliche und nichtsprachliche Formen des Streitens in einem engen Zusammenhang zu sehen, wie sich an dem hier diskutierten Beispiel weiter zeigen lassen wird. Betrachten wir die Handlungen eines Partners, so stellt sich dieser Zusammenhang als der von Gleichzeitighandlungen dar. Auf der Ebene von Interaktionen ist es ein Zusammenhang von Handlungen zweier Partner, wobei der eine Partner auf eine sprachliche Handlung des ändern mit einer nicht-sprachlichen Handlung reagieren kann und umgekehrt, sowie ein Zusammenhang von ganzen nichtsprachlichen und sprachlichen Interaktions- bzw. Kcnmunikationssequenzen, so daß eine Interaktion etwa mit einer nicht-sprachlichen Sequenz beginnt, an die sich eine sprachliche Sequenz anschließen kann. An eine nicht-verbale Sequenz zwischen Carmen und Sebastian, bei der Sebastian schließlich seine Weigerung, das betreffende Schaumstoffteil herzugeben, gleichzeitig auch verbal ausdrückt, schließt sich in unserem Beispiel in der Tat eine längere sprachliche Sequenz an, die allerdings von der älteren Ragana eingeleitet wird und hauptsächlich zwischen ihr und Sebastian abläuft, wobei Ragana und Carmen offenbar gegen Sebastian eine Art Koalition bilden. Es ist offensichtlich, daß zwischen der nicht-verbalen und der verbalen Sequenz ein Zusammenhang besteht, der sich vor allem darin zeigt, daß weiterhin um den gleichen Gegenstand gestritten wird. In welcher Weise dies in der verbalen Sequenz in unserem Beispiel geschieht, werde ich weiter unten eingehender analysieren. Dort wird auch die Frage nach der Bedeutung der nicht-verbalen Züge für den Verlauf des Spiels zu beantworten sein. Zuvor scheint mir jedoch eine genauere Analyse dessen, was S tut, indem er nee äußert, sinnvoll, nicht nur, weil sich hieran der Fall von Gleichzei-
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tighandlungen demonstrieren läßt, sondern auch, weil im Grunde erst eine solche Analyse eine Beschreibung wie S hält das Schaurastoffteil fest und wehrt sich verbal (protestiert) gegen das Wegnehmen, indem er nee äußert
begründen oder entsprechend revidieren kann. Was meint S, wenn er in dem beschriebenen Zusammenhang nee äußert? Weigert er sich, dem Anspruch Cs auf das Schaumstoffteil nachzugeben? Will er zum Ausdruck bringen, daß er den Anspruch nicht anerkennt? (Welcher Art ist dieser Anspruch?) Will er C auffordern, von dem Schaumstoffteil abzulassen? Will er C verbieten, das Schaumstoffteil zu nehmen? Will er zum Ausdruck, bringen, daß C es nicht schaffen kann, gegen seinen Willen das Schaumstoffteil an sich zu bringen? In einer Kommunikation zwischen zwei Partner könnte das Äußern von nee in einem ähnlichen Zusammenhang natürlich auch einen abschließenden Zug in ' einem Spiel ausmachen, bei dem die sprachlich zum Ausdruck gebrachte Weigerung, etwas herzugeben, vom anderen Partner akzeptiert wird, womit dieser auf den Gegenstand verzichtet. Es würde allerdings als Reaktion auf eine Bitte wohl ziemlich barsch wirken, und man würde wohl eine Begründung für die Ablehnung erwarten. P.:
Gibst du mir bitte ein Stück Schokolade?
P : Nee.
dagegen: P :
Gibst du mir bitte ein Stück Schokolade?
P :
Nee, das ist
nicht gut für deine Zähne.
(Man könnte sich P„ als Erwachsenen, P1 als Kind denken, das vor dem Schlafengehen noch ein Stück Schokolade möchte). Als Reaktion auf einen Befehl, den man als unberechtigt empfindet, könnte ein barsches nee dagegen durchaus angemessen sein. Natürlich kann aber auch der betreffende Partner den Versuch des anderen Partners, auf diese Weise die Kcnmunikation nach zwei Zügen zu beenden, zurückweisen und sich mit einer einfachen Ablehnung nicht zufriedengeben, sondern etwa eine Begründung verlangen für die Ablehnung oder selbst seine Bitte begründen, um auf diese Weise den Partner zu bewegen, seine Ablehnung noch einmal zu bedenken und evtl. rückgängig zu machen. (Etwas ähnliches scheint im weiteren Verlauf unseres Beispiels zu passieren). Auf dem Hintergrund einer sprachlichen Handlungssequenz wie der beschriebenen wird die Art, wie die Kinder in unserem Beispiel interagieren, deutlicher.
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Während "normalerweise" eine sprachliche Handlung, wie man sie machen könnte, indem man nee äußert, ausreichen dürfte, um eine Bitte, eine Aufforderung usw. abzulehnen bzw. zurückzuweisen, scheint in der Kotmunikation zwischen Sebastian und Carmen dies für Sebastian nicht möglich oder aufgrund des bisherigen Verlaufs der Interaktion nicht mehr möglich zu sein. Allein das Äußern von nee scheint (für S) keine Garantie zu bieten, daß C die von ihm nicht gewünschte Handlung unterläßt bzw. von dem Versuch, diese Handlung auszuführen abläßt. Für Begründungen oder Fragen nach Begründungen scheint keine Zeit zu bleiben, der Erfolg der sprachlichen Handlung kann nur durch die gleichzeitige körperliche Handlung des Festhaltens des umstrittenen Gegenstands sichergestellt werden. Umgekehrt könnte man bei der Beschreibung natürlich auch die körperliche Handlung in den Mittelpunkt stellen und das Äußern von nee lediglich als eine Art Selbstbekräftigung o.a. interpretieren. Ob eine solche Interpretation dem Verstehen der Kinder untereinander näherkommt, läßt sich kaum entscheiden, jedenfalls sollten wir bei gleichzeitigen sprachlichen und relevanten körperlichen Handlungen darauf bedacht sein, die eine Handlung nicht pauschal als die "eigentliche" und die andere als lediglich funktional für diese eigentliche Handlung anzusehen. Wenn wir gleichzeitige Handlungen beschreiben, werden wir in der Analyse die jeweils relevanten Relationen zwischen diesen Handlungen herausarbeiten müssen (z.B. Redundanz, Verstärkung usw.) Unter unseren zwei grundsätzlichen Interpretationsmöglichkeiten der Rolle des nee lassen sich nun gegenüber dem ersten Beschreibungsversuch zwei Alternativen spezifizieren: (i)
(ii)
S verweigert die Herausgabe des Schaumstoffteils, indem er äußert nee und bekräftigt diese Weigerung, indem er Cs Versuch, das Teil an sich zu bringen, durch Festhalten des Teils zu unterbinden versucht. S versucht durch Festhalten des Schaumstoffteils zu verhindern, daß C das Teil wieder an sich bringt, und bestärkt sich selbst in dieser Handlungsweise, indem er emphatisch nee äußert.
Eine dritte Interpretationsmöglichkeit des nee könnte diesem eine interpretative Funktion in Bezug auf die entsprechende körperliche Handlung zuschreiben. Das berührt nicht die Frage, wie ich unter verschiedenen Aspekten verschiedene Beschreibungsteile unterschiedlich gewichte, daß ich also etwa in dieser Arbeit mein Augenmerk hauptsächlich auf die sprachlichen Handlungsbzw. Interaktionsmuster richte.
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Man kann einen generellen Zusammenhang zwischen sprachlichen und körperlichen Handlungen nämlich darin sehen, daß wir durch sprachliche Handlungen körperliche Handlungen interpretieren. Erst durch die sprachliche Interpretation oder prinzipielle Interpretationsmöglichkeit gewinnen die körperlichen Handlungen eine intersubjektive Sinndiitiension, in der sie grundsätzlich auch dem Verstehbarkeitspostulat unterliegen und sonit auch wieder interpretiert werden können bzw. müssen. Im Fall unseres Beispiels könnte man annehmen, daß S seine körperliche Handlung des Festhaltens mit dem gleichzeitigen Äußern von nee so interpretiert, daß C das Festhalten als Weigerung von S verstehen kann, ihrem Anspruch auf das Streitobjekt nachzugeben. Aus der Sicht dieser Interpretationsmöglichkeit des nee läßt sich nun auch die These weiter begründen, die beschriebene nicht-verbale Sequenz zwischen C und S sei nicht als in sich abgeschlossener Konfliktlösungsversuch zu verstehen, sondern als eine Phase des Streitens um ein von zwei Partnern gleichzeitig begehrtes Objekt. Wann das Äußern von nee hier tatsächlich als der Versuch einer Verständigung über den Sinn der betreffenden körperlichen Handlung von S gemeint ist, so liegt der Gedanke nahe, daß die vorhergehenden Handlungen von S und C auch als eine Art Verständigung, nämlich über die Art des Konflikts, der zwischen ihnen aufgetaucht ist, angesehen werden könnten. Das würde bedeuten, daß umgekehrt auch körperliche Handlungen interpretative Funktionen in Bezug auf sprachliche Äußerungen haben können. Dies kann jedoch nur gelten, wenn sie selbst interpretierbar und verstehbar sind, wozu sie grundsätzlich verbal kcnmentiert werden können müssen. An dieser Stelle läßt sich das Problem von Gleichzeitighandlungen so formulieren: Welche Handlung ist als interpretativ für die jeweils andere anzusehen? In dieser Formulierung wird deutlich, daß es sich hierbei um eine Frage der Beschreibungsintention und der jeweils problematischen Aspekte einer Regel handelt, so daß die Frage in dieser allgemeinen Form nicht sinnvoll beantwortet werden kann. Wenn ich das gegenseitige Wegnehmen des Schaumstoffteils als den Versuch einer Klärung der Art des Konflikts ansehen möchte, könnte man einwenden, daß es sich dabei doch um den Konflikt selbst handele, der Konflikt tauche genau in dem Monent auf, als C mit dem Schaumstoffteil ihre Puppe zudeckt oder als S ihr das Teil wegninmt. Gerade eine solche Verwendung des Konfliktbegriffs verdeckt jedoch m.E. die Unterscheidung von Konflikt und Konfliktlösungsstrategien, auf die ich
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weiter eben hingewiesen habe. Das Wegnehmen des Schaumstoffteils durch C macht genausowenig den Konflikt aus, wie das Wegnehmen des Teils durch S. Erst durch das gegenseitige Wegnehmen wird für die Partner klar, daß beide ein Interesse an diesem Teil haben und einen noch nicht näher spezifizierten Anspruch darauf erheben. In diesem Sinn lassen sich die nicht-verbalen Handlungen bzw. die beschriebene Sequenz als interpretativ im Hinblick auf die Klärung der Art des Konflikts ansehen. Wach den gleichen Handlungsmustern könnte natürlich auch gehandelt werden, um den Konflikt schon auf dieser Stufe zu "lösen". Eine solche Lösung könnte jedoch nur erreicht werden, wenn sich einer der Partner schon in dieser Phase als der Stärkere erwiese und der andere Partner zumindest implizit den Anspruch des Stärkeren anerkennen würde, d.h. keine weiteren Versuche unternähme, den Streit auf der Ebene der körperlichen Auseinandersetzung fortzusetzen. Auch darüber, ob der Streit auf einer anderen (z.B. argumentativen) Ebene fortgesetzt werden soll, kann der so Unterlegene nicht mehr entscheiden; der Stärkere braucht sich überhaupt auf keine Argumentation mehr einzulassen. Es fragt sich allerdings, ob wir in einem solchen Fall überhaupt annehmen sollten, daß ein "Konflikt" vorgelegen hat, da die Lösung sozusagen durch bestimmte körperliche Dispositionen der Partner bereits "vorprogrammiert" gewesen wäre. Da sich in unserem Beispiel jedoch eine Art Gleichgewicht der Kräfte eingestellt zu haben scheint, kann der Konflikt offenbar nicht so gelöst werden, wie es jeder der Partner vielleicht intendiert hatte. Wenn aber keines der von den Partnern jeweils gewünschten Ergebnisse erreicht werden kann, so kann dieser erste Konfliktlösungsversuch uminterpretiert werden (vom Beobachter und wohl auch von den beteiligten Partnern) als erste Phase einer Konfliktlösungsstrategie, in der es darum ging, die Art des Konflikts deutlich zu machen, in der die unverträglichen Ansprüche von jedem der Partner körperlich vertreten wurden und in der für beide Partner deutlich werden mußte, daß man sich auf der Ebene gleichberechtigter (hier: gleichstarker) Partner gegenübertreten müßte, wenn eine Bewältigung des Konflikts möglich werden sollte. Ob Carmen und Sebastian den aufgrund einer derartigen Analyse als notwendig anzusehenden Übergang zu anderen Formen des Streitens von sich aus vollzogen hätten oder hätten vollziehen können, sei dahingestellt. Das Eingreifen der älteren Ragana (1O Jahre) bietet ihnen jedoch die Möglichkeit, die Bedingungen eines solchen Übergangs prinzipiell mitzuvollziehen und somit ihr nichtverbales Streiten tatsächlich als eine Klärung des Konflikts im beschriebenen Sinn verstehen zu lernen.
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Im folgenden will ich nun die sprachlichen Formen des Streitens, zu denen Ragana jetzt überleitet und auf die sich zumindest Sebastian auch explizit einläßt, näher untersuchen. R äußert (3) das Ding brauchen wir für die Babys / weißte / weil die krank sind
Zunächst fällt auf, daß R hier wir verwendet, obwohl ja in die vorausgegangene Streitphase offensichtlich nur C und S involviert waren. Sie kann mit wir berechtigterweise auf C und sich selbst referieren, weil das Spiel mit den Puppen, wozu das Schaumstoffteil ja von C benötigt wird, ein Spiel zwischen ihr und C war. Da durch den Streit zwischen C und S ihr Spielpartner C für
ihr
ganeinsames Spiel praktisch ausfällt, dürfte sie selbst ein Interesse an einer Bewältigung des Konflikts haben, so daß sie aufgrund dieses Interesses den Versuch einer Vermittlung, einer Art Schlichtung unternehmen könnte. Nun zeigt ihre Argumentation allerdings sofort, daß sie keinen für beide Partner unmittelbar akzeptablen Kcmpromißvorschlag macht, sondern ganz im Interesse von C und damit wohl auch in ihren eigenen Interesse argumentiert. (Gründe hierfür könnten auch in der über die momentane Spielkonstellation hinausgehende intensivere Beziehung zwischen R und C und evtl. auch in Rs Einschätzung des Streits zwischen C und S liegen, bei dem R den S als "Agressor" ansehen und nun für den Schwächeren Partei ergreifen könnte). R kann mit des Ding in dieser Situation eindeutig auf den Streitgegenstand referieren, um dann das besondere Interesse von C und, wie erst jetzt klar wird, auch ihr Interesse (wir) an dem Streitgegenstand zu begründen, um damit ihren Anspruch darauf für S so einsichtig zu machen, daß er auf seinen Anspruch (jedenfalls vorläufig) verzichtet. Eine Begründung kann akzeptiert werden oder nicht, denn der Struktur nach handelt es sich um eine Behauptung. Dies gilt hier sowohl für die Aussage, daß C und R "des Ding" für die Babys brauchen, wie auch für die mit einem weil-Satz angeführte Begründung für diese Aussage. Ein Partner begründet etwas (z.B. einen Anspruch), indem er mitbehauptet, daß zwischen dem, was er behauptet und dem zu begründenden Anspruch ein Zusammenhang derart besteht, daß genau das, was er mit der entsprechenden Äußerung behauptet, eine Begründung für diesen Anspruch darstellt bzw. von dem Partner als Begründung akzeptiert werden kann. Äußerlich suggeriert die Verwendung von weil dem Partner, daß der mitbehauptete Zusammenhang tatsächlich besteht und daß er das Behauptete als Begründung akzeptieren müsse. In diesem kommunikativen Sinn von Begründen ist also zu unterscheiden zwischen dem, was ein Partner als Begründung behaupten
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kann und dan, was ein anderer Partner als Begründung akzeptiert. Der Begriff des Akzeptierens ist nicht identisch mit dem des Verstehens. Man kann durchaus verstehen, daß der Partner das, was er behauptet, als Begründung etwa für ein bestimntes Handeln m e i n t und auch so verstanden wissen will. Aber man kann trotzdem bezweifeln, daß der von dem Partner mitbehauptete Zusanmenhang von 'Begründen' und 'Behaupten' tatsächlich besteht. Was als Begründung gilt, muß in einem konnunikativen Zusammenhang, d.h. gemeinsam von den beteiligten Partnern entschieden werden und ist nicht von vornherein (z.B. durch die "Regeln" der Logik) festgelegt. In unseren Beispiel scheint Ragana davon auszugehen, daß die mit dem Äussern des ersten Teils von (3) gemachte Behauptung als Begründung für Sebastian vielleicht nicht unbedingt einsichtig sein wird und fügt wohl deshalb noch eine explizite Begründung der Begründung an, indem sie von den Babys (Puppen) behauptet, daß diese krank seien, wobei sie Sebastian den Schluß überläßt, daß sie deshalb zugedeckt werden müßten und zwar mit dem umstrittenen Schaumstoff teil. Dieser Schluß wird S dadurch nahegelegt, daß durch die ueil-Verbindung bereits vorausgesetzt wird, daß aus der Tatsache, daß jemand krank ist, folgt, daß er zugedeckt werden muß. Wenn S diese Präsupposition nicht akzeptiert, braucht er auch Rs Äußerung nicht als Begründung für ihren Anspruch auf das Schaumstoffteil zu akzeptieren. Das eingeschobene weißte könnte deshalb so verstanden werden, da R damit versucht, S zur Annahme ihrer Präsupposition zu bewegen. Dabei könnte weißte aufgrund des Altersunterschieds zwischen R und S durchaus auch einen belehrenden Charakter haben. Eine Funktion solcher Wendungen scheint es zu sein, sich dessen zu versichern, daß man die gleichen Präsuppositionen teilt, ohne darüber in eine explizite Argumentation mit dem Partner eintreten zu müssen. Wie reagiert nun Sebastian auf diesen Versuch Raganas, ihr bzw. Carmens Interesse argumentativ zu begründen? Zunächst läßt sich feststellen, daß er offensichtlich bereit ist, den Streit auf der verbalen Ebene fortzusetzen. Fraglich bleibt, wie sich für S das Eingreifen von R darstellt. Sieht er darin einen Vermittlungsversuch oder vielleicht lediglich eine Stärkung der Position Cs? Wie reagiert er auf die offensichtliche Koalition gegen ihn, bzw. nimmt er sie überhaupt als solche wahr? Wann er sie wahrnimmt, was ihm gut möglich wäre, da die vorausgegangene Interaktion und Konmunikation zwischen R und C eine solche Koalition für S sozusagen voraussehbar gemacht haben müßte, fragt man sich, warum er die dann vielleicht eher als unerwünschte Einmischung denn als Vermittlung verstandene Intervention Rs nicht zurückweist oder die Koalitionsverhältnisse thematisiert und angreift.
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Es wäre m.E. eine sehr weitgehende Interpretation, sein Äußern von nee in (4) in diesem Sinn verstehen zu wollen, obwohl natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, daß S die Intervention Rs zurückweist, indem er nee äußert, was dann etwa so gemeint gewesen wäre bzw. von R so hätte verstanden werden sollen, als hätte S einen Satz geäußert wie: Du hast damit gar nichts zu tun. oder: Misch dich da nicht ein.
Verstehen wir das Äußern von nee aber im Zusammenhang mit dem Äußern des Rests von (4), wird diese Interpretation unwahrscheinlich, zumindest dann, wenn wir davon ausgehen, daß es im Prinzip unverträgliche Handlungen sind, die Intervention eines Dritten zurückzuweisen, sich dann aber auf dessen Argumentation einzulassen und wenn wir annehmen, daß man es normalerweise vermeidet, unverträgliche Handlungen zu machen. Eine solche Art von Annahme entspräche einer Art Handlungsmaxime, die explizit zu machen, uns in der Regel überflüssig scheint. Nur müßte darüberhinaus geklärt werden, unter welchen Bedingungen welche Handlungen als unverträglich anzusehen sind und darüber können die Partner natürlich verschiedener Ansicht sein. Welche Handlung macht S, indem er im ersten Teil von (4) nee äußert? Worauf bezieht sich das nee? Wenn es sich nicht um eine Zurückweisung der Intervention Rs handelt, bleiben noch eine Reihe (sich nicht unbedingt ausschliessender) Interpretationsmöglichkeiten offen, die ich durch drei Paraphrasierungsmöglichkeiten charakterisieren will: (i) (ii) (iii)
Nein, es stimmt nicht, daß ihr das Teil braucht bzw. daß die Babys krank sind. Nein, das kann ich nicht als Argument akzeptieren, Nein, ich gebe das Teil nicht her, weil
...
Mir scheint die durch (iii) und auf einer anderen Ebene wohl auch durch (ii) angedeutete Interpretationsmöglichkeit im Zusammenhang mit dem folgenden will des für ... am naheliegendsten. Von der Interpretation des nee im Sinn von (iii) her, müßte die Äußerung (3) von R dann als Aufforderung an S verstanden worden sein, den Streitgegenstand herauszugeben und dies könnte in der Tat mit dieser Äußerung Rs intendiert gewesen sein. Nach der Ablehnung der in Rs Argumentation implizierten Aufforderung, den Streitgegenstand herauszugeben, bringt S nun seinerseits ein der Struktur nach ähnliches Argument dafür vor, wanm er den Streitgegenstand nicht herausgeben will. Während R jedoch ihren Anspruch
102 gewissermaßen als "objektiv" berechtigt darzustellen versucht (brauchen wir...} weil), bringt S sein subjektives Wollen ins Spiel und begründet dieses, strukturell gesehen, in gleicher Weise wie R durch Hinzufügen einer finalen Angabe (R: ... für die Babys; S: ... für den Tunnel). Nur scheint es einen Unterschied zu machen, ob etwas für den Bau eines Tunnels oder zum Zudecken von Babys gebraucht/gewollt wird. Da die Puppen für die Kinder im Spiel offenbar tatsächlich zu Babys werden, kann R ganz innerhalb dieser Spielwelt argumentieren und ihr Interesse an den Spiel als das Interesse der Babys hinstellen, die eben krank sind und die sie in der Rolle als Krankenschwester entsprechend zu versorgen hat. Wenn sich S auf diese von R und C aufgebaute Spielwelt einließe, könnte Rs Argumentation als eine Art Mitleidstrategie Erfolg haben. Doch offensichtlich ist für S der zu bauende Tunnel ebenso wichtig wie für R und C die Puppen/Babys, nur kann sein Argument eben nicht so gewendet werden, als sei es der Tunnel, der das Schaumstoffteil brauche. Es zeigt sich im Vergleich mit den eingangs beschriebenen körperlichen Handlungen, daß durch die jetzt erfolgte gegenseitige verbale Klärung und ansatzweise Begründung des jeweiligen Anspruches auf den bzw. des spezifischen Interesses an dem Streitgegenstand vielleicht die Struktur des Konflikts noch deutlicher geworden ist,
die gegensätzlichen Standpunkte vielleicht dem je-
weils ändern Partner verständlicher geworden sind, daß aber eine Beendigung des Streits auch in dieser Phase nur dann eine Bewältigung des Konflikts bedeuten könnte, wenn der eine Partner in irgendeiner Waise nachgeben oder der andere sich in irgendeiner Form durchsetzen würde. Was jetzt im Idealfall geschehen müßte, um den Streit im positiven Sinn voranzutreiben, kann von den hier beteiligten Kindern vielleicht nicht geleistet werden; es müßten nämlich von den Partnern Bewertungshandlungen gemacht werden, und dabei käme es für die Bewältigung des Konflikts wohl vor allen darauf an, sich die eigenen Bewertungsmaßstäbe und die des Partners bewußt zu machen und über die in dieson Fall anzulegenden Bewertungsmaßstäbe schließlich eine Verständigung herbeizuführen. Im Grunde haben beide Parteien ihre Züge in dieser Spielphase abgeschlossen, ohne daß sie die Ausgangssituation dadurch wesentlich verändert hätten. Dies dürfte auch den Beteiligten selbst einsichtig sein, jedenfalls scheint Sebastian der "Kraft des Arguments" nicht zu vertrauen, denn er versucht noch einmal, mithilfe einer körperlichen Handlung den Streitgegenstand endgültig an sich zu bringen, im so den Konflikt in seinen Sinn zu "lösen" bzw. den Streit in seinem Sinn zu beenden.
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Darauf jedoch reagieren Ragana und Carmen mit einstimmigem Protest, wobei das Äußern von nein hier als Aufforderung an Sebastian verstanden werden kann, das Schaunstoffteil nicht zu nehmen (Verbot) oder aber auch als Weigerung, den Streit wieder auf der Ebene körperlicher Auseinandersetzung fortzuführen oder wie im Fall von Ss nee als Zurückweisung eines Arguments. Die durchaus als "schreien" zu beschreibende Lautstärke der Äußerung macht m.E. jedoch die erste Interpretation plausibler, etwa wenn man dieses nein hinsichtlich der Lautstärke mit dem nee von S in (2) oder (4) vergleicht. Die Interpretation des nein, das R und C "wie im Chor" äußern, als Aufforderung, eine Handlung zu unterlassen, scheint mir auch deshalb sinnvoll, weil hier R und C gemeinsam (gleichzeitig) handeln; da C sich bisher gar nicht an der Argumentation beteiligt hat, ist es unwahrscheinlich, daß sie sich jetzt mit dem Äußern von nein etwa auf das Argument von S bezieht. Sie dürfte sich wohl eher auf die körperliche Handlung von S beziehen. Auch für R könnte man annehmen, daß sie sich mit nee auf die unmittelbar vorhergehende körperliche Handlung von S bezieht und nicht auf den Argumentationszusarmienhang. Möglich wäre allerdings auch die Annahme, R und C meinten jeweils etwas Verschiedenes, indem sie nein äußerten, so daß die Gleichzeitigkeit ihrer Äußerungen nicht bedeuten müßte, daß es sich um eine gemeinsame Handlung von zwei Partnern handelt: das Äußern von nein könnte im Fall von R nach einer anderen Regel sein als im Fall von C; z.B. für R:
. . . , indem HA, indem HB, indem AUS (nein)
und für C : . . . , indem HC, indem HB, indem AUS (nein)
Links könnten dabei weitere erzeugende Muster angesetzt werden und die Regeln brauchten sich erst in einem sehr weit links stehenden Muster unterscheiden. Wenn wir nun die folgende Äußerung von R in unsere Analyse miteinbeziehen, so müssen wir auch einen möglichen Zusammenhang zwischen Rs Äußern von nein in (5) und der jetzt zu beschreibenden folgenden Handlung Rs berücksichtigen. Die Beschreibung eines solchen möglichen Zusammenhangs könnte wiedenm auch Konsequenzen haben für unsere oben vorgeschlagene Interpretation des nein, so daß diese u.U. zu modifizieren wäre. Sehen wir einmal davon ab, daß auch C 6a
Vgl. Weeks 1971: 1121, die "loudness" als sog. "speech register" a n f ü h r t : "Speech which was judged to be of the loudness register was well above normal volume - not shouting, but approaching it." Die Interpretationsproblematik verschwindet bei Weeks allerdings hinter einer an den Matrixen der "phonetic features" orientierten Matrixschreibweise.
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nein geäußert hat, so ist die Strukur der Argumentation Rs, in die sie mit dem Äußern von (6) da / da kann die Carmen des dann nimmer / sie ihre Puppi braucht / weißte
für
wieder eintritt, der Struktur der Argumentation von S in (4) nee / will des für des Hau / will des für den Tunnel
sehr ähnlich, wenn man das nein aus (5) auch als Teil von (6) ansieht und liest: (5/6) nein / da / da kann die Carmen ...
Von dieser Feststellung aus ließe sich eine andere Interpretation des nein, nämlich die, R beziehe sich damit auf das von S vorgebrachte Argument, begründen. Dann müßten natürlich auch die entsprechenden Interpretationsmöglichkeiten erwogen werden wie im Fall des nee von S. Ich will darauf hier im einzelnen nicht mehr eingehen. Für das Verstehen dessen, was R tut, indem sie (6) äußert, ist nun vor allem auch die Stellung dieser Äußerung im Zusammenhang der Interaktion und Kcnmunikation zwischen Ragana, Carmen und Sebastian von Bedeutung. Im Rahmen der Spielmetapher ausgedrückt: Zu den Bedingungen, unter denen R diesen Zug macht, gehört, daß die und die eigenen Züge und die und die Züge des Partners vorausgegangen sind. Eine Reflexion auf diese Art von Bedingungen kann - unter spielstrategischen Gesichtspunkten - als Teil des impliziten Entscheidungsprozesses, in dem sich der Partner, der seinen nächsten Zug plant, befindet, angesehen werden.7 R kann aufgrund des Spielverlaufs wissen, daß S ihr erstes Argument nicht akzeptiert hat, daß er zwar einerseits auch bereit ist, zu argumentieren, daß er aber auch weiterhin bereit ist, sein Interesse gegebenenfalls mithilfe körperlicher Handlungen durchzusetzen. Sie müßte also strategisch ihr Handeln einerseits so planen, daß S nicht wieder durch das einfache Vfegnehmen des Streitobjekts sozusagen vollendete Tatsachen schafft, sondern sich auf die argumentative Strategie einläßt, und andererseits müßte sie einzuschätzen ver7
In einem Spielbaum sind diese Entscheidungspunkte als Knoten dargestellt, von denen jeweils mindestens zwei Verzweigungen als Handlungsalternativen ausgehen.
105 suchen, welche Art von Argument für S am einsichtigsten sein könnte, so daß er es akzeptieren und auf das Streitobjekt verzichten würde. Wenn man Rs Äußerung (3) mit der Äußerung (6) vergleicht, fällt auf, daß sie nicht mehr Cs Interesse mit ihrem eigenen identifiziert (wir), sondern explizit für C argumentiert, sozusagen als Anwalt von C auftritt (die Carmen, sie)j vielleicht in der Annahme, auch S habe ein gewisses Interesse daran, daß C ihr Spiel mit den Puppen so spielen kann, wie sie es möchte. R führt nun als Begründung nicht mehr eine Behauptung wie in (3) an, mit der sie das Streitobjekt als eine Bedingung ihres Spiels ausgegeben hat, sondern zeigt, indem sie äußert (6) da / da kann die Carmen des dann nimmer / ... die Konsequenzen auf, die ein Nicht-Verfügen über das Streitobjekt haben würden. Die Struktur ihrer Argunente ist also explizit dargestellt: (i)
R behauptet, daß sie und C X brauchen, weil die Babys krank sind und deshalb mit X zugedeckt werden müssen
(ii)
R behauptet, daß C die Babys nicht zudecken kann, wenn C nicht X hat.
Entsprechend formuliert, wäre das Argument von S: (iii)
S behauptet, daß er X haben will, damit er einen Tunnel bauen kann.
Parallel zu (ii) könnte S als Argument anführen: (iv)
S behauptet, daß er keinen Tunnel bauen kann, wenn er X nicht hat.
Gerade die Tatsache, daß S einen Zug wie den in (iv) beschriebenen noch nicht gemacht hat, können R und C nun für die weitere Argumentation ausnutzen. Cs folgende Äußerung (7) ist leider teilweise unverständlich, wir können aber aufgrund der darauf folgenden Konriunikation zwischen R und S vermuten, daß C versuchen wollte, ihr Interesse gegenüber dem Interesse von S abzuwägen bzw. dies tatsächlich getan hat, indem sie ein zweites Schaunstoffteil ins Spiel bringt, über das S bereits verfügt: (7) wenn / da xxx noch ein ... Ob die kleine Pause nach wenn als eine Selbstunterbrechung oder Selbstkorrektur zu verstehen ist, oder ob die ganze Äußerung als der Versuch zu verstehen ist,
eine Wenn-dann-Strukur zu realisieren, ist schwer zu entscheiden. Der für
C vielleicht ungewohnte Versuch, einen Wenn-dann-Satz zu äußern, könnte durch-
106 aus eine stoßartige Sprechweise, die ohnehin sowohl bei C als auch bei S in dieser Aufnahme an mehreren Stellen zu beobachten ist, begünstigen. Da C von S mit dessen Äußern von (8) ...
nö
unterbrochen wird, könnte man weiter annehmen, daß ohne diese Unterbrechung C ihren Wenn-Satz im Sinn einer Wenn-dann-Struktur weitergeführt hätte. Cs Argument ließe sich dann rekonstruieren als: (v) C behauptet, daß S ein Schaumstoffteil abgeben muß, wenn er zwei davon hat,
wobei C als Normsatz präsupponiert, daß es richtig oder gerecht bzw. gerechter ist, daß ein Partner, der von einem Objekt zwei Exemplare hat, eines davon abgibt, wenn ein anderer Partner ein begründetes Interesse an dem Objekt äußert. Die Wenn-dann-Relation ist hier also auf keinen Fall eine Kausalrelation im deterministischen Sinn, so daß S nicht umhin könnte, das Argument zu akzeptieren und sozusagen gezwungen wäre, das Schaumstoffteil herauszugeben. Die Art einer Wenn-dann-Relation, bezogen auf das Handeln eines Partners,
ist
vielmehr so, daß mit ihr nicht eine Voraussage gemacht wird, daß der eine Partner so handeln wird (wie der andere es möchte), sondern daß damit der Partner aufgefordert wird, so und so zu handeln bzw. den von Partner präsupponierten Normsatz zu akzeptieren und sein Handeln danach einzurichten. Sebastian kann also den präsupponierten Normsatz akzeptieren oder er kann ihn zurückweisen. Nur wenn er ihn akzeptierte, müßte er sein Handeln dementsprechend einrichten. Die Interpretation des nö, mit dem Sebastian Carmen unterbricht, dürfte ähnlich mehrdeutige Bezugsmöglichkeiten aufzeigen wie im Fall von nee in (3). Zudem wird jeder Interpretationsversuch hier dadurch erschwert, daß wir nicht sicher sein können, wie weit Sebastian Carmen überhaupt verstanden hat, als er sie unterbricht. Nehmen wir einmal an, S habe Cs Äußerung so verstanden, wie wir sie oben als Wenn-dann-Satz beschrieben haben. Dann könnte er C unterbrechen, um ihr zu zeigen, daß er schon verstanden hat, worauf ihr Argument hinauslauft und ihr gleichzeitig zu verstellen geben, daß er sich auch auf diese Art von Argumentation nicht einlassen wird. Die Mehrdeutigkeit des Bezugs des nö könnte dabei durchaus intendiert sein, so daß eine Interpretation zwar die verschiedenen Bezugsmöglichkeiten aufzeigen müßte, nicht aber zwischen konkurrierenden Interpretationsmöglichkeiten eine Entscheidung treffen brauchte. (Verschiedene Interpretationsmöglichkeiten aufzuzeigen, ohne sich unbedingt auf eine Alternative festzulegen, scheint mir überhaupt ein
107 sinnvolles Verfahren im Rahmen einer exemplarischen Analyse, denn es geht dabei ja weniger damn, dem Leser eine bestürmte Interpretation zu empfehlen, sondern eher darum, ihm ein Interpretationsverfahren vorzuführen und seine Aufmerksamkeit dabei gerade auf alternative Interpretationsmöglichkeiten zu lenken. Dies ist überhaupt Voraussetzung für jedes hermeneutisch reflektierte Verfahren, das aufgrund seines reflexiven Charakters immer offen bleiben muß für weitere Interpretationsmöglichkeiten. 'Lassen wir also auch hier bewußt offen, ob S, indem er no äußert, die Präsupposition Cs zurückweist, ob er einfach trotzig auf seinem Anspruch besteht, oder ob er Cs Argumentationsansatz vielleicht gar nicht wahrgenoimen hat und sich mit nö noch auf (6) von R bezieht. Interessant scheint mir nun wieder, wie Ragana auf der Seite von Carmen agiert. Sie bestreitet mit dem Äußern von (9) doch / du kanns ja auch so ein Tunnel machen.
daß S nur mit zwei Teilen einen Tunnel bauen könnte (was S dann ihrer Meinung nach behauptet haben müßte, indem er nö geäußert hat) oder daß S das betreffende Teil nicht an C abgeben könne, weil er es unbedingt dazu brauche, einen o
Tunnel zu bauen. Die Verwendung von doch
zeigt, daß es sich um ein Insistie-
ren auf einer von Partner bereits bestrittenen Behauptung handelt, wobei es keine Rolle spielt, ob die entsprechenden sprachlichen Handlungen von einem Partner gemacht werden oder wie hier auf zwei koalierende Partner verteilt sind. C behauptet, daß wenn p, dann q, indem sie äußert wenn ... S bestreitet, daß wenn p, dann q, indem er äußert nö. R insistiert darauf, daß wenn p, dann q, indem sie äußert doch.
R begründet jedoch auch ihr Insistieren auf Cs Behauptung damit, daß sie behauptet, S könne auch mit einem Teil einen Tunnel bauen, indem sie äußert (9) du kanns ja auch so ein Tunnel machen.
Aufgrund des unverständlichen Teils in Cs Äußerung läßt sich nicht entscheiden, ob R mit dem Äußern von (9) genau die gleiche Behauptung macht wie C. S bestreitet jedenfalls auch die so begründete Behauptung, indem er äußert 01O) nee.
Eine spielerisch auf die Spitze getriebene nein-doch-Kommunikation findet sich am Anfang von Text II.
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Die Entscheidung darüber, ob es richtig ist,
daß er mit einem Schaumstoffteil
einen Tunnel bauen kann, kann im Grunde nur von Sebastian selbst getroffen werden; vielleicht kann Ragana es, vielleicht auch Sebastian. Wenn Sebastian aber einen Tunnel mit zwei Teilen bauen will, dann kann er diesen Tunnel eben nur mit zwei Teilen und nicht mit einem bauen. Dashalb kann er die von Carmen und Ragana gemachten Behauptungen, er könne auch mit einem Teil einen Tunnel bauen zwar als Vorschlag verstehen, anstatt des geplanten Tunnels mit zwei Teilen einen mit einem Teil zu bauen, aber einen Vorschlag kann er akzeptieren oder ablehnen, und er kann für sich ein ähnlich strukturiertes Argument geltend machen, daß nämlich Carmen ihre Puppen auch mit etwas anderem als mit dem umstrittenen Schaumstoffteil zudecken könnte. Einen solchen Vorschlag macht S tatsächlich, indem er ( 1 2 ) da kann die aber dahin legen
äußert, worauf R nun ihrerseits ebenso ablehnend reagiert, wie S vorher auf ihren Vorschlag, indem sie äußert (13) nein / die will aber nich,
wobei sie in dem "begründenden" Teil der Äußerung genau den Zusammenhang zwischen Können und Wollen deutlich macht, wie wir es oben in der Beschreibung der Reaktion von S versucht haben. Gewiß könnte C ihre Puppe irgendwo anders hinlegen oder mit etwas anderem zudecken, ebenso wie S mit e i n e m Schaumstoff teil einen Tunnel bauen könnte, aber auch C will hier offenbar (zumindest nach der Interpretation Rs) nicht nachgeben, ebensowenig wie S sich bereiterklären wollte, mit nur einem Schaumstoffteil einen Tunnel zu bauen. Sind die Partner trotzdem einer Bewältigung ihres Konflikts näher gekommen? Ich meine: nein. Es ist kein Kcmproniß gefunden worden, keiner der Partner hat auf seinen Anspruch verzichtet oder ihn auch nur modifiziert. Woran liegt das? Ich will diese Frage nicht auf der psychologischen Ebene betrachten oder das Handeln der Partner irgendwie moralisch bewerten. Ich glaube vielmehr, daß die Art der Argumentation der Partner ein wesentlicher Grund dafür ist,
daß es zu keiner Einigung gekommen
ist.
Beide Partner (R und S, wenn ich von Cs Äußerungen absehe) verfahren nämlich im Grunde nach der gleichen Strategie, so daß der strategische Wert eines* Zuges durch den korrespondierenden Zug des Partners wieder neutralisiert wird. Keinen der Partner gelingt es scmit eine strategische Position zu erreichen, von der aus er den Partner argumentativ überzeugen könnte. Es ist dabei auch
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möglich, daß S während des Spiels sukzessiv die Strategie Rs erlernt und sogleich auch anwendet. Auffallend scheint mir für den bisher beschriebenen Katmunikationsausschnitt die häufige Verwendung von nein (einschließlich der lautlichen Varianten: nee und nö), was jedoch noch nicht bedeutet/ daß es sich jeweils um die gleichen Verwendungsweisen handelt. Für die Beurteilung der Art der Argumentation ist es beispielsweise bedeutsam, ob nein ohne eine anschließende Begründung oder mit anschließender Begründung verwendet wird. Bei einigen vordergründig als Begründung anzusehenden Äußerungen im Anschluß an nein, nee, nö zeigt sich darüberhinaus, daß wir sie nur schwer als Begründungen akzeptleren können, wie z.B. (13) nein / die will aber nich.
Es scheint mir aber nicht selbstverständlich, daß auch die Kinder solche A'usserungen nur als schwache Begründungen ansehen, wie es überhaupt zweifelhaft ±st, was von einem kindlichen Partner (wie übrigens auch von einem beliebigen anderen Partner) jeweils als Begründung angesehen wird. Außerdem scheinen beide Partner in dieser Streitphase wenig Bereitschaft zu zeigen, aufeinander einzugehen. Besteht aber eine solche Bereitschaft nicht, ist auch die Chance gering, überhaupt argumentativ etwas ausrichten zu können. So unternimmt nun Carmen ihrerseits wieder einen Versuch, das umstrittene Schaumstoffteil an sich zu bringen, indem sie es ergreift und kotmentiert, welche Bedeutung es in ihrem Spiel hat: (14) paar xxx noch zudecken. Offenbar geht es nun nicht mehr ausschließlich um das Zubettbringen der Babys (gut Nacht), sondern das Zudecken könnte auch wieder in das Krankenhausspiel eingebettet sein, auf das Rs Begründungsstrategie mit weil die krank sind vermutlich abzielt. Dabei hätte sie Cs Handlung des Zubettbringens und Zudeckens auf dem Hintergrund des Krankenhausspiels interpretiert, was ihr gleichzeitig die Möglichkeit geben könnte, C wieder enger an dieses, von ihr initiierte Spiel zu binden und so den eingangs von C möglicherweise unternommenen Versuch, sich von diesem Spiel abzusetzen, scheitern zu lassen. Auf Cs körperliche Handlung des Wegnehmens, wenngleich verbal kcntnentiert, reagiert S, wie zu erwarten, mit einer Handlung der gleichen Art, indem er seinerseits das Schaumstoffteil wieder an sich nimmt. Damit wird deutlich, daß die Versuche, den jeweiligen Anspruch auf das Streitobjekt zu begründen, weder zu einem von beiden Partnern akzeptierbaren, noch zu dem von jeweils einem
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der Partner angestrebten Ergebnis geführt haben, der Konflikt besteht fort. Ist an diesem Punkt des Streitverlaufs der Rekurs auf körperliche Handlungen für die Partner immer noch der sicherste Weg, zu dem gewünschten Ergebnis zu können? Ich sehe für die körperliche Handlung, die C genau an dieser Stelle des Streits macht, auch eine andere Interpretationsmöglichkeit, wenn man annimmt, C nehme an, der Streit sei soweit zu ihren Gunsten entschieden, daß sie nun berechtigterweise das Schaumstoffteil nehmen könne. C könnte nach den Zügen, die R und S inzwischen gemacht haben/ zu der Auffassung gekarmen sein, daß mit dem letzten Zug Rs, mit dem diese sich weigert, den Vorschlag von S zu akzeptieren, der Streit beendet und der Konflikt zu ihren Gunsten entschieden ist, weil S nicht sofort auf diese Weigerung von R reagiert. Cs Äußerung (14) brauchte auch nicht unbedingt als kommentierende sprachliche Handlung verstanden werden, sondern könnte auch als Zustinmung zu Rs Behauptung, C wolle die Puppen nicht woanders hinlegen, gemeint sein, da C das von R mit dem Äußern von die will aber nich vorgebrachte "Argument" weiterführt, indem sie expliziert, was sie will, nämlich die Puppen mit dem Schaumstoffteil zudecken. Dann wäre die Struktur dieser Begründung zusammen mit der von R der Struktur von (3) vergleichbar: brauchen wir für die Babys (...)
weil die krank sind und die will aber nicht (weil) paar xxx noch zu-
decken (zugedeckt werden müssen?). Daß Carmen und auch Ragana den Streit für beendet halten oder halten möchten, macht wohl auch die Reaktion von R auf den erneuten Rekurs auf körperliche Handlungen deutlich. Obwohl sowohl Carmen als auch Sebastian beide eine körperliche Handlung gemacht haben, zeigt sie sich lediglich enttäuscht oder entrüstet darüber, daß Sebastian immer noch nicht akzeptiert, daß Carmens Anspruch auf das Streitobjekt gegenüber seinen Anspruch verständlicher, berechtigter o.a. sei. Auch R könnte also der Ansicht gewesen sein, mit den letzten drei Zügen (11)-(13) sei der Streit beendet, denn S müsse nun ihre Argumente akzeptiert haben. So ließe sich die Äußerung (15) ach / Sebastian,
nachdem dieser das Schaumstoffteil C wieder weggenommen hat, in der Tat als Ausdruck der Enttäuschung verstehen, entweder darüber, daß ihre Argumente S nicht überzeugt haben, oder auch darüber, daß S die Regeln nicht befolgt, nach denen ihrer Meinung nach ein solches Spiel gespielt, d.h. argumentativ gestritten wird. Erst jetzt bringt S eine Art von Argument vor, die man vielleicht schon früher erwartet hätte, indem er nämlich eine Kategorie wie 'Besitz1 ins Spiel
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bringt. Ich habe weiter oben die Frage gestellt, inwieweit eine Interpretation des Konflikts als Besitzkonflikt, d.h. die Anwendung einer Kategorie wie 'Besitz' auf den vorliegenden Konflikt, adäquat sein kann und die Beantwortung mit davon abhängig gemacht, ob die Kinder selbst über diese oder eine vergleichbare Kategorie verfügen. Indem S äußert (16) gehört aber mir,
behauptet er nach unserem Verständnis von "gehören", daß der Streitgegenstand zu ihm in einem Besitz-Besitzer-Verhältnis steht. Dieses Verhältnis könnte allerdings durch Handlungen nach Mustern wie 'Tauschen1, 'Schenken', 'Teilen1, 'Verkaufen' u.a. verändert werden, durch Handlungen nach dem Muster 'Verleihen' oder 'Vermieten1 würde das Besitz-Besitzer-Verhältnis sich dagegen nicht verändern. Solche Handlungen hat S jedoch offensichtlich im Laufe des Streits nicht gemacht. Die Frage bleibt jedoch, inwieweit unser Verständnis von "gehören" dem Verständnis von S entspricht, inwieweit also S den Ausdruck gehört mir so verwendet, wie wir ihn normalerweise verwenden würden. Im juristischen Sinn kann S wohl nicht als der Besitzer des betreffenden Schaumstoffteils gelten, und er wird in diesem Streit auch kein juristisches Argument vorbringen wollen. Für uns als Erwachsene hat der Begriff
'Besitz'
jedoch in der Regel irgendwelche juristischen Implikationen, so daß schon von daher keine völlige Übereinstimmung in der Anwendung einer solchen Kategorie angenarmen werden kann. Soweit ich sehe, scheint S Ausdrücke wie Besitz, Besitzer, Eigentum überhaupt nicht zu verwenden. Dagegen scheint ihm der Aus9 druck gehören geläufig zu sein. Für die Beendigung des Streits könnte das Gehört-Mir-Argument dann entscheidend sein, wenn die Partner die mit einem solchen Argument präsupponierten Normsätze akzeptieren, also etwa Sätze wie über das,
was einem gehört, kann man frei verfügen
oder was einem gehört, braucht man nicht abzugeben, zu teilen usw.
Man könnte allerdings auch vermuten, daß gehören bei einem solchen Streiten so verwendet wird, daß es einfach das Ergebnis derjenigen körperlichen Handweiche Schlüsse aus einer solchen Feststellung für die Entwicklung der Sprachkompetenz von S gezogen werden könnten, will ich hier nicht diskutieren.
112
lung bezeichnet, mit der man das Streitobjekt an sich gebracht hat, so daß ein Gegenstand einmal diesan, ein anderes Mal jenem Partner "gehören" könnte. gehört aber mir könnte soviel heißen wie so jetzt hab ich 1 s und jetz gehört's mir.
Im Rahmen einer solchen Interpretation wäre das Äußern von (16) dann allerdings nicht als Vorbringen eines Arguments zu verstehen. Wenn wir den weiteren Verlauf der Kcmnunikation betrachten, so lassen sich einige Indizien dafür finden, cteß R das Gehört-Mir-Argument akzeptiert, oder wenigstens ihre folgende sprachliche Handlung darauf abstinmt. Mit dem Äussern von (19) dann kriegt die Carmen auch eins / ja?,
das sich im Ton als "freundlich" beschreiben läßt, um auf den etwa gegenüber (3) oder (9) deutlich veränderten Ton aufmerksam zu machen, könnte R zwar noch einmal ein Argument der Struktur "Wenn du zwei hast, gib eins ab" vorzubringen versuchen, wobei man dann als die den zweiten Teil einer wenn-dannStruktur einleitende Konjunktion ansehen könnte. Sie scheint aber zu wissen, bzw. aus den bisherigen Reaktionen von S auf ihre Argumente gelernt zu haben, daß die "Kraft des Arguments" S nicht "zwingen" kann und vertraut so nicht allein auf das bessere Argument, sondern bittet S nun, C ein Schaumstoffteil abzugeben. Ähnlich wie sie in (3) mit dan Äußern von weißte auf S eingegangen ist, äußert sie nun ein die Erfüllung der Bitte suggerierendes, fragendes ja. Auf diesen Wechsel des Tons läßt sich S offenbar sofort ein und reagiert mit einem Vermittlungsvorschlag, was nach dem heftig geäußerten, vielleicht auch etwas gespielten Ärger,'den er mit (18)
jetzt reichte mir aber / jetzt reichte mir aber
noch zum Ausdruck gebracht hatte, erstaunlich ist.
Der Ton, mit dem C
(17) kumal / will auch eins
geäußert hat, macht seinen Ärger vielleicht verständlich. So heftig S seinen Zorn zum Ausdruck bringt, so schnell ist er offensichtlich auch bereit, sich auf einen freundlicheren Umgangston einzustellen, von dem die ganze folgende lO
Zu der Art von Zwang, die ein Argument ausüben oder nicht ausüben kann, vgl. Strecker 1974: 114 f.
113
Passage geprägt ist
(etwa bis ja // hob ich Kaugummi).
Der nun freundliche-
re Ton muß freilich nicht unbedingt als eine Verbesserung der konnunikativen Beziehung zwischen Ragana, Carmen und Sebastian gewertet werden. So wie ich den beschreibenden Ausdruck "freundlich" verwendet habe, bezog er sich hauptsächlich auf den Tonfall der Äußerungen der Partner. Dieser kann jedoch auch äußerlich bleiben oder nur Teil einer raffinierteren Strategie zur Erreichung eines bestimmten Ziels sein. Wenn letztere Annahme zutrifft, scheint das strategische Handeln Raganas äußerst erfolgreich zu sein: Sebastian holt für Carmen als Ersatz für das Schaumstoffteil Bretter, er gibt Carmen ein Kaugummi. Eine solche "Höflichkeits-" oder "Freundlichkeitsstrategie" sollte m.E. jedoch nicht als eine optimale Form der Konfliktbewältigung bzw. des Streitens gewertet werden. Mir scheint, daß sich R, C und S in den ersten Zügen der beschriebenen Partie als gleichberechtigte Partner gegenübergetreten sind. Dies scheint sich nach Vorbringen des Besitz-Arguments geändert zu haben, vermutlich auch aufgrund meiner Anwesenheit, denn R tritt S nun als Bittende gegenüber, wobei sie nicht nur generell seinen Besitzanspruch akzeptiert, sondern auch die Präsupposition teilt, ein Verweis auf diesen Anspruch sei in dem zur Diskussion stehenden Zusammenhang ein sinnvoller Zug. Ich will, bevor ich die Analyse hier abbreche, noch zu bedenken geben, daß ich bei meinen Beschreibungen von einer möglichen Beeinflussung der Kcmmunikation und Interaktion durch meine Anwesenheit (in der Rolle als Vater von S und als Beobachter) zunächst einmal ganz abgesehen habe. Es ist durchaus möglich, daß Raganas Einlenken durch meine Anwesenheit beeinflußt ist. Gerade für die Beurteilung ihres Handelns sollte man diesen Faktor nicht unterschätzen,
für die jüngeren Kinder, scheint mir dieses Problem der teilnehmenden
Beobachtung weniger gravierend. Auf dieses generelle Problem der teilnehmenden Beobachtung, das sog. Beobachterparadoxon, sei hier lediglich noch einmal hingewiesen. Für unsere exemplarische Zielsetzung scheint es mir vertretbar, diese Problematik größtenteils außer acht zu lassen, obwohl sicherlich auch der Einfluß des Beobachters bzw. die Veränderung der beobachteten Gegenstände (Handlungen) unter der Beobachtung eine exemplarische Untersuchung wert wären. 11
Siehe Anhang II:
1,16.
114
3.3.2.
'Tauschen1 - ein Lösungsmuster für Besitzkonflikte?
Text 11,1
Sebastian und Joscha spielen im Wohnzimmer auf dem Boden mit zerlegbaren Plastikautos. (1) Joscha
o wir solln mal die / di e Scheiben tauschen
(2) Sebastian
nein
(3) J
doch doch
(schnell)
mm
(4) S
(5) J
(schnell)
doch doch
(6) S
du wolltest ...
(7) J
... zu welcher / Scheibe gehört denn das
(8) V
man könnte sagen / daß die rote Scheibe zum roten Auto gehört / hm?
(9) J
und die weiße / Scheibe zum weißen
(10)
S
... ja / wolln wir tauschen?
(12) S
nein
(13)
doch doch
(14) S
du has ja meins eben mir geschenkt
(15)
da / da / aber / ehern / die Scheibe geht besser / da kann man / da kann man besser durchschauen
J
(wendet sich an V)
oh ...
(H) J
J (schnell)
(verneinend)
Obwohl sich die Kcmmunikation zwischen Joscha und Sebastian auch um einen bestimmten Spielgegenstand bzw. um bestimmte Spielgegenstände dreht, sind die Scheiben der Plastikautos, um die es hier geht, doch nicht in der gleichen Weise Gegenstand eines Streits, wie im Fall des umstrittenen Schaumstoffteils im ersten Beispiel. Zwar sind hier zwei Scheiben im Spiel, so wie im ersten Beispiel zwei Schaumstoffteile, die Struktur des Konflikts und die Art des Streitens scheint mir jedoch eine andere zu sein. Der Konflikt manifestiert sich hier in einem Paar sprachlicher Handlungen und nicht etwa in körperlichen Handlungen des Wegnehmens. Eine Beschreibung der Handlung, die Joscha macht, indem er (1) o wir solin mal die / die Scheiben tauschen äußert, kann den Unterschied deutlich machen.
115
Ohne den Zusammenhang dieser Äußerung in der Kcnmunikation zu berücksichtigen, läßt sich aufgrund der von J gemachten Präsuppositionen rekonstruieren, daß es zumindest zwei Scheiben gibt und daß diese Scheiben sich irgendwie unterscheiden, so daß Joscha ein Interesse daran haben kann, anstatt der Scheibe, die er hat, eine andere, nämlich die, die Sebastian hat, zu bekamen. Daß es sich freilich um die Windschutzscheiben von zwei teilweise zerlegbaren Plastikautos handelt, worauf J also mit die Saheiben eigentlich referiert, wissen wir aufgrund der teilnehmenden Beobachtung, aufgrund derer wir eine Beschreibung wie S und J spielen im Wohnzimmer auf dem Boden mit zerlegbaren Plastikautos
geben konnten, Im Kontrast zu einer möglichen Beschreibung der Ausgangssituation in unserem ersten Beispiel wie etwa C (und R) spielen mit Puppen, während S mit einen Tunnel baut
Schaumstoffteilen
zeigt sich, daß die Spielkonstellationen unterschiedlich sind. Es sind nur zwei Kinder, die miteinander spielen; es gibt also keine Koalitionsmöglichkeiten (es sei denn mit einem Erwachsenen), das Spiel von S und J ist, wie ich im Vorgriff auf eine weitere Analyse glaube sagen zu können, grundsätzlich kooperativ
(vergleichbar etwa dem Spiel von C mit R); auch sind keine unterschiedli-
chen Spielinteressen, aufgrund derer die Partner miteinander streiten, erkennbar. Was J tut, indem er (1) äußert, scheint das gemeinsame Spiel nicht grundsätzlich zu gefährden, es könnte sogar als Teil des Spiels angesehen werden, in dem die Zerlegbarkeit der Plastikautos als Spielmöglichkeit ein Austauschen verschiedener Teile nahelegt. Daß diese Möglichkeit besteht, kann auch von J, der zum ersten Mal mit diesen Autos spielt, ohne weiteres bemerkt werden, denn am roten Auto befindet sich zu Beginn des Spiels die weiße Scheibe und am weissen Auto die rote Scheibe. Es wäre allerdings zu fragen, warum J nicht annehmen sollte, das rote Auto habe eine weiße Scheibe und umgekehrt. Js Frage an mich (V), zu welcher Scheibe, das rote Auto gehöre, (7)
... zu welcher / Scheibe gehört denn das
scheint jedoch eine Frage danach zu sein, ob seine Hypothese, daß Autos in der Regel keine von der jeweiligen Karosseriefarbe abweichende Farbe der Scheibenrahmen haben, richtig ist bzw. von mir geteilt wird. (Im Zusammenhang der Kommunikation mit S wird diese an mich gerichtete Äußerung jedoch noch unter einem anderen Aspekt zu beschreiben sein).
116
Bleiben wir jedoch zunächst bei der Frage, was Joscha tut, indem er (1) äußert und wie Sebastian darauf reagiert. Verglichen mit der oben beschriebenen Interaktion zwischen Sebastian und Carmen fällt uns der Ausdruck tauschen auf, und wir haben schon angedeutet, daß eine Handlung nach einem Muster wie 'Tauschen' eine wichtige Rolle spielen könnte bei der Bewältigung von Konflikten, die auf eine Kategorie wie 'Besitz' zurückfUhrbar sind. Nun ist es aber offensichtlich nicht so, daß ein Partner in einem so gelagerten Konflikt unvermittelt etwas tauschen könnte und damit eine Lösung herbeigeführt hätte. Dies ist auch dann nicht möglich, wenn es zwei Gegenstände gibt, die einem Partner als Tauschobjekte geeignet scheinen, denn es muß ja von beiden Partnern eine gewisse Gleichwertigkeit der zu tauschenden Gegenstände angenatmen werden, was grundsätzlich problematisch sein dürfte, da dabei iitmer Bewertungen im Spiel sind und die Partner oft unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe haben dürften. Bevor man also überhaupt etwas tauschen kann, muß man sich mit dem Partner auf eine bestimmte Tauschhandlung (mit bestürmten Tauschobjekten) geeinigt haben. Eine Tauschhandlung kann also nicht einfach darin bestehen, daß P.. dem P_ etwas wegnirtmt und ihm dafür etwas anderes gibt, sondern es müssen dazu eine Reihe von Bedingungen erfüllt werden. Eine solche Handlungsweise würde zumindest P« wohl kaum beschreiben wollen als (i)
P. hat mit P
X gegen
getauscht.
Obwohl der Tauschakt selbst, also das Austauschen der Tauschobjekte beschrieben werden könnte als eine körperliche Interaktion, also etwa als
(ii)
P I gibt
P 2 gibt
scheint eine solche Beschreibung, in der auf relativ neutrale Handlungsmuster wie 'Geben' Bezug genaimen wird, die eigentlich relevanten Merkmale in dem, was PI und P„ tun, nicht zu erfassen. Eine Beschreibung wie (ii) könnte auch die Beschreibung von Handlungen sein, die mit Tauschen gar nichts zu tun haben brauchten. Man könnte, wenn dies als Einwand zu sehen ist, dagegen argumentieren, daß man die Beschreibung (ii) dadurch zu einer Beschreibung einer Tauschaktion macht, daß man Bedingungen angibt, unter denen die beschriebenen Handlungen von P. und P_ als Tauschen zu verstehen sind. Dagegen wiederum ist
117
zu fragen, warum denn tauschen nicht als Prädikat in der Beschreibung auftauchen solle, wenn wir doch das, was P.. und P» tun, tauschen nennen und natürlich auch wissen, was wir damit meinen. Wenn wir von 'Tauschen' ausgehen, gehen wir von einem Interaktionsmuster aus, was aber nicht bedeuten muß, daß es unbedingt sinnvoll ist, ein solches Interaktionsmuster auf jeden Fall weiter zu zerlegen. Ob eine weitere Zerlegung sinnvoll ist, hängt vielmehr davon ab, ob wir die Handlungen der Partner besser verstehen, wenn wir sie in der Beschreibung weiter zerlegen. Wenn eine weitere Zerlegung lediglich dazu führt, nicht mehr "dem 'subjektiv gemeinten Sinn1 des in Rede stehenden Verhaltens Rechnung zu tragen" (Winch 1958; 1966: 151), handelt es sich dann um eine "objektive" Betrachtungsweise? Es handelt sich wohl lediglich um eine äußerliche Betrachtungsweise, die "einem deutenden Verstehen der Situation" nicht mehr angemessen ist (Winch 1958; 1966: 15O).12 Da wir bei der Analyse von Kommunikationsbeispielen nicht mit der Beschreibung isolierter Handlungsinuster oder Sprechakte befaßt sind, sondern mit der Beschreibung kamrunikativer Zusammenhänge, können wir uns auch nicht auf den Tauschakt beschränken. Wir können vielmehr in der Beschreibung der Art der Verständigung zwischen zwei Partnern über einen potentiellen Tauschakt genau die Frage klären, unter welchen Bedingungen etwas als Tauschen gemeint und verstanden werden kann und welche sprachlichen Handlungen die Partner machen, um einen Tauschakt vorzubereiten. Wir kommen damit zurück zu der Beschreibung der mit dem Äußern von (1) gemachten sprachlichen Handlung. Da 'Tauschen' offensichtlich kein sprachliches Handlungsmuster ist, kann die Verwendung des Ausdrucks tauschen durch J nicht bedeuten, daß er etwas tauscht, indem er (1) äußert. Aber natürlich hat seine Äußerung etwas mit dem Tauschen zu tun. In seiner Äußerung ist das Muster 'Tauschen' bereits zweifach spezifiziert und zwar hinsichtlich der Tauschobjekte und hinsichtlich der Tauschpartner. J referiert nun auf dieses spezifizierte Muster und schlägt vor oder fordert S auf, gemeinsam mit ihm nach die12
Vgl. auch das von Winch referierte Beispiel Max Webers: "Statt davon zu sprechen, daß die Arbeiter in der betreffenden Fabrik entlohnt werden und Geld ausgeben, sagt er, es würden ihnen Metallstücke ausgehändigt, sie händigten diese Metallstücke ändern Leuten aus und erhielten andere Objekte von ihnen" (Winch 1958; 1966: 151).
118
sau Muster zu handeln. Da es sich, wie gesagt, bei "Tauschen1 um ein Interaktionsmuster handelt, muß er klären, ob sein Partner in der gleichen Weise zu handeln gewillt ist,
er muß also durch eine entsprechende sprachliche
Handlung dem Partner zu verstehen geben, welchen Tauschakt er durchführen möchte und gleichzeitig den Partner auffordern, bitten oder ihm vorschlagen, sich auf diesen Tausch einzulassen und die entsprechenden Handlungen auszuführen, damit der Tausch tatsächlich zustande könnt. In diesem Sinne möchte ich die Verständigung der Partner über einen potentiellen Tauschakt als Beispiel für die Planung kooperativer Handlungen bzw. Interaktionen und Kommunikationen ansehen. Eine solche Planung kooperativer Handlungen kann von einem der Partner, wie hier von Joscha, initiiert werden, indem er dem anderen Partner vorschlägt, in diese oder jene kooperative Interaktion mit ihm einzutreten. Wird ein solcher Vorschlag von einem der Partner (evtl. mit starkem Aufforderungscharakter) gemacht, so bedeutet das nicht, daß damit die kooperative Interaktion auch tatsächlich zustande kamt, denn wie wir im Fall des Äußern von (2) durch S sehen, kann der Partner den Vorschlag ablehnen bzw. die Aufforderung zurückweisen. Das Interesse des die kooperative Handlung vorschlagenden Partners besteht in der Regel natürlich nicht an der Kooperation als solcher, sondern vielmehr an dem von ihm gewünschten Ergebnis der betreffenden kooperativen Interaktion. Die Ablehnung eines Kooperationsvorschlags muß also nicht bedeuten, daß der Partner generell kein Interesse an Kooperation hat, sondern wird wohl eher so zu verstehen sein, daß er kein Interesse an dem vom Partner intendierten Ergebnis der vorgeschlagenen Art von kooperativen Handlungen hat. Es ist ja auch nicht so, daß Sebastian und Joscha in unserem Beispiel nicht kooperieren, nur ist Sebastian offensichtlich nicht bereit, den von Joscha vorgeschlagenen Tausch der roten Scheibe gegen die weiße (kooperativ) durchzuführen. Wir können also sagen: S lehnt den Tauschvorschlag von J ab, indem er äußert nein.
Wenn wir angenanmen haben, daß Streiten irrmer auch Elemente von Kooperation enthält, so zeigt sich hier, daß Kooperieren offenbar auch Elemente von Streiten enthält, insofern als zunächst die kommunikative Planung von kooperativen Interaktionen konflikthaft verlaufen kann und die kooperative Interaktion selbst auch wieder im Streiten in Frage gestellt werden kann, etwa wenn ein Partner seine Interessen nicht mehr in dam von ihm gewünschten Umfang realisieren kann, wenn das Ergebnis einer kooperativen Interaktion nicht zufrie-
119
denstellend ist,
wenn die Bedingungen, unter denen man sich auf eine Koope-
ration eingelassen hat, nicht mehr gegeben sind, usw. Mit der Beschreibung der Äußerungen (1) und (2) ist gleichzeitig die Struktur des Konflikts angedeutet, ähnlich wie die körperlichen Handlungen in unserem ersten Beispiel (bzw. dessen Beschreibung) die Struktur des Konflikts zwischen Carmen und Sebastian verdeutlicht haben. In gewisser Weise läßt sich auch der Konflikt zwischen Sebastian und Joscha als "Besitzkonflikt" interpretieren, insofern als J einen Gegenstand haben will, den S "besitzt". Er versucht sein Interesse an diesem Gegenstand, dem potentiellen Streitobjekt, jedoch auf andere Vfeise zu realisieren als etwa C und S ihr jeweiliges Interesse an dem Schaumstoffteil. J kann diese "Strategie" deshalb wählen, weil er S ein Tauschangebot machen und dabei annehmen kann, daß S auf dieses Angebot eingehen wird, wenn die Farbe der Scheiben für ihn keine große Rolle spielt oder, - und diese Bedingung scheint beim Tauschen in der Regel relevanter zu sein - wenn der vorgeschlagene Tausch dem Partner ebenfalls vorteilhaft erscheint. Deshalb ist J möglicherweise erstaunt über die ablehnende Haltung von S. Die Art und Weise, wie er mit dem Äußern von (3) doch doch
darauf reagiert, scheint von Standpunkt des Erwachsenen zumindest ungewöhnlich. Vor allem Intonation und Sprechtempo (die in der Transkription nicht berücksichtigt sind) lassen darauf schließen, daß J zunächst nicht in eine ernsthafte Argumentation über den "Tauschwert" der von ihm zum Tausch vorgeschlagenen Gegenstände eintreten möchte, vielleicht weil seine Bevorzugung der weißen Scheibe nur schwer begründbar ist. Bei einer solchen Interpretation scheint mir jedoch wiederum Vorsicht geboten. Was heißt denn ernsthafte Argumentation? Oder genauer: Was heißt ernsthaft für uns und was kann es für die Kinder heißen? Möglicherweise versucht J durchaus "ernsthaft" seinen Vorschlag bzw. seine Aufforderung zu bekräftigen, und der spielerische Ton ist Teil einer Strategie, S zum Tauschen der Scheiben zu bewegen. Dies läßt sich schwer beurteilen. S beharrt jedoch auf seiner Ablehnung des Tauschvorschlags, indem er (4) mm
äußert, worauf J (5) doch doch
120
äußert im gleichen Ton wie (3). Sowohl der Ton, in dem J doch doch, als auch der Ton, in dem S nein und mm äußert, ist, wenn wir die Konmunikation bis hierher betrachten, ein anderer als zwischen S und C bzw. zwischen S und R im ersten Beispiel: der Ton ist spielerischer, im ganzen freundlicher, während zwischen S, R und C eine für mein Gefühl eher angespannte "Stiimiung" herrschte bis Äußerung (8), was ich so interpretiere, daß dort die Partner fürchten mußten, daß der jeweils andere das Schaumstoffteil schließlich doch mit körperlicher Gewalt an sich zu bringen versuchen würde, während hier ein Vorschlag gemacht wird, den der Partner durchaus ablehnen kann. Natürlich kann der eine Partner weiter versuchen, den anderen dazu zu bewegen, seinen Vorschlag zu akzeptieren. Er könnte schließlich auch diese Ebene der Kommunikation verlassen und nach mißlungenen Überredungs- und Überzeugungsversuchen einfach eine entsprechende körperliche Handlung machen, mit der er den gewünschten Gegenstand an sich zu bringen versuchen könnte. Eine solche Handlung könnte allerdings, selbst wenn dem betroffenen Partner ein Ersatzgegenstand angeboten würde, nicht mehr als Tauschen verstanden werden. Trotz dieser Unterschiede im "Ton" ist die Kommunikation zwischen S und J der körperlichen Auseinandersetzung zwischen S und C in anderer Hinsicht vergleichbar. Sie verdeutlicht den Partnern nämlich ihr jeweiliges Interesse und damit auch die Struktur des Konflikts ebenso wie wir dies für die körperlichen Handlungen des Wegnehmens im Fall von S und C annehmen konnten. In den folgenden Äußerungen von Sebastian und Joscha sehe ich sowohl bei Joscha als auch bei Sebastian den Versuch, ihren Tauschvorschlag bzw. dessen Ablehnung zu begründen. Dabei scheint S jedoch zunächst nicht zum Zuge zu kcmmen: er wird zweimal von J unterbrochen, als er möglicherweise einen Einwand vorbringen will, indem er äußert (6) du wolltest...
und, nach meiner Einbeziehung, als er äußert (lo) oh ... Im Fall von unterbrochenen Äußerungen stehen wir vor ähnlichen Interpretationsschwierigkeiten wie im Fall von unverständlichen Äußerungen, wenn wir zu rekonstruieren versuchen, nach welchem Muster der Partner gehandelt hat. Folgendes gilt es zu bedenken: Bei einer unverständlichen Äußerung muß angencmmen werden, daß der Partner in der Konmunikation die Äußerung u.U. verstanden hat und die Unverständlichkeit nur ein Problem des Beobachters bzw. Transkribenten ist. Der Versuch einer Rekonstruktion wäre dann auf jeden Fall sinnvoll, um zu einer möglichst adäquaten Beschreibung des betreffenden Kon-
121
munikationsausschnitts zu gelangen, d.h. um dem Verständnis der Partner untereinander gerecht zu werden. Bei einer durch den anderen Kcmnunikationspartner unterbrochenen Äußerung scheint der Sinn einer Rekonstruktion, d.h. einer Interpretation der Äußerung, so als sei sie nicht unterbrochen worden, dagegen zunächst fraglich, denn man muß ja annehmen, daß der unterbrochene Partner auch nicht mehr als den transkribierten Teil der Äußerung gehört hat und sein Verstehen der Handlung(en) des Partners auch nur auf dem basieren kann, was der Partner tatsächlich geäußert hat. Wenn wir bei der Beschreibung einer unterbrochenen Äußerung so tun, als habe der Partner eine "A/ollständige" Äußerung
gemacht, so beschrei-
ben wir, wie wir es oben getan haben, nicht die Handlung (en), die der Partner tatsächlich gemacht hat, sondern wir beschreiben, was der Partner nach unserem Eindruck tun w o l l t e , seinen Versuch, so und so zu handeln. Um uns darüber klar zu werden, was der Partner tun wollte, müssen wir in der Tat eine mögliche Äußerungsform rekonstruieren, mit der er so und so hätte handeln können. Von daher ließen sich dann bestürmte Annahmen über den möglichen Sinn des tatsächlich geäußerten Äußerungsfragrnents begründen. Für die Beschreibung einer Kotmunikation kann die Analyse von Unterbrechungen auch unter einem anderen Gesichtspunkt interessant sein. In Argumentationen und Diskussionen kann es eine Reihe von Gründen geben, den Partner zu unterbrechen und wir selbst haben dies sicher schon getan, sei es, um dem Partner zu zeigen, daß er nun lange genug geredet hat, sei es, um an einem wichtigen Punkt unmittelbar Einspruch zu erheben, sei es, um dem Partner ein Argument "aus dem Mund zu nehmen", sei es schließlich, um etwa in Diskussionen mit Öffentlichkeitscharakter zu verhindern, daß der Partner einen bestürmten Gedanken für die Zuhörer plausibel ausführen und diese damit überzeugen kann usw. Auch in Kcnnrunikationen unter Kindern könnte es u.U. sinnvoll sein, nach solchen Gründen für das Unterbrechen des Partners zu fragen, denn möglicherweise ist das geschickte Unterbrechen Teil bestimmter Arten des Streitens und bestürmter "Strategien", einen Streit zu "gewinnen". Bei der Interpretation von unterbrochenen Äußerungen sollte man also zwei Fragestellungen im Auge behalten: 13
Auf die Problematik des Vollständigkeitsbegriffs will ich hier nicht näher eingehen. Der Begriff wird jedoch im Zusammenhang mit den Intentionen des Partners gesehen werden müssen.
122 (i)
(ii)
Welche sprachliche Handlung wollte P machen / hätte P. gemacht, wenn er nicht unterbrochen worden wäre? Warum unterbricht P
den P ?
Beide Fragestellungen hängen eng miteinander zusammen, denn die Gründe, die P„ haben kann, um P. zu unterbrechen, dürften nicht zuletzt in der Beantwortung von (i) durch P„ liegen. Der Sinn der Beschreibung einer unterbrochenen Äußerung aufgrund der Fragestellung (i) dürfte sich dann ebenfalls aus dem Zusammenhang mit der Fragestellung (ii) ergeben, so daß eine Rekonstruktion des möglichen Sinns einer unterbrochenen Äußerung nicht nur eine theoretische Rekonstruktion des Beobachters/Beschreibenden bliebe, sondern auch als Rekonstruktion des Verstehens der Äußerung durch den unterbrechenden Partner anzusehen wäre. Dieser würde gewissermaßen antizipieren, welche Handlung der Partner machen würde, wenn er seine Äußerung zu Ende bringen könnte, und der Grund der Unterbrechung läge dann genau darin, daß P_ verhindern möchte, daß P. die intendierte Handlung ausführt. Wenn wir eine solche Deutung unterstellen, so läßt sich (ii) spezifizieren: (iii) (iv)
Warum will P verhindern, daß P intendierte Handlung ausführt?
die von ihm
Welche Konsequenzen würde es für P bzw. für den Verlauf der Kommunikation zwischen P und P haben, wenn P die intendierte Handlung ausführte?
Mir scheint, daß man von der Beantwortung der Frage (iv) her auch eine Antwort auf die Frage (iii) geben könnte. Dann müßte man allerdings zeigen können, warum diese Konsequenzen, deren Eintreten P„ verhindern möchte, für ihn irgendwie negativ wären. Die Struktur möglicher Antworten auf diese Frage läßt sich im Rahmen der Spielmetapher illustrieren: Ich will annehmen, in dem Spiel, das S und J spielen, geht es darum, ein bestimmtes Spielziel zu erreichen. Die Regeln des betreffenden Spiels lassen es zu, dieses Ziel auf verschiedene Weise, d.h. durch Ausführen verschiedener Züge zu erreichen. Diese Zugmöglichkeiten gibt es grundsätzlich sowohl für P. wie auch für P-; welche Züge ein Partner jeweils machen kann, hängt jedoch auch davon ab, welche Züge der andere Partner bisher gemacht hat, so daß es bei einer bestimmten Strategie u.U. sinnvoll sein kann, den Partner daran zu hindern, einen bestimmten Zug zu machen, um selbst nicht in eine Art Zugzwang zu geraten. Im Hinblick auf das angestrebte Ziel lassen sich die meisten Züge durch einen entsprechenden Gegenzug "neutralisieren", so daß es oft darauf ankönnt,
123
einen Zug zu machen, von dem man anniimvt, daß der Partner darauf nicht mit einem neutralisierenden Gegenzug reagieren kann. Wenn man so will, geht es also darum, eine Schwäche des Partners strategisch auszunutzen. Bestehen die Züge nun in bestimmten sprachlichen Handlungen der Partner, so ist ein solches "Sprachspiel" natürlich ungleich komplexer als irgendeine denkbare Art von Gesellschaftsspiel. Ich will deshalb auch nur den hier zur Diskussion stehenden Fall des Unterbrechens behandeln, an dem gerade auch die Grenzen der Spielmetapher deutlich werden. Man stellt sich nämlich im allgemeinen keine Spiele vor, bei denen man den Partner an der Ausführung eines bestimmten Zuges hindern kann und dies von den Regeln des Spiels als mögliche Spielhandlung zugelassen wäre. Das Behindern des Partners muß aber nicht unbedingt das Spiel sprengen. Ein Regelverstoß bedeutet noch nicht, daß ein anderes Spiel gespielt wird. Es gibt vielmehr bestürmte Grenzen, innerhalb derer Regelverstöße "zugelassen" sind, was natürlich nicht heißt, daß sie nicht negativ sanktioniert würden. Aber man kann nicht immer gegen die Regeln verstoßen, sonst spielt man ein anderes Spiel und wird von diesem Spiel bzw. von dieser Partie ausgeschlossen, so wie der Fußballer, der nach dem dritten Foul Platzverweis erhält. Auch das Unterbrechen der Äußerung eines Partners in der Kcnmunikation scheint bis zu einem gewissen Grad tolerierbar zu sein. Das Unterbrechen ist eine Möglichkeit, den Partner an der Ausführung einer bestimmten sprachlichen Handlung zu hindern. Was man verhindern will, ist gewöhnlich etwas, das, wenn es einträte, kein angenehmes Ereignis wäre. Unsere Frage war nun: Warum wäre es für Joscha nicht angenehm, wenn Sebastian die betreffende sprachliche Handlung ausführen würde? Warum hätte das Ausführen dieser Handlung durch Sebastian für ihn negative Konsequenzen? In der Beschreibung der Situation im Rahmen der Spielmetapher habe ich von Zielen geredet. Das Ziel, das J verfolgt, ebenso wie das Ziel, das S verfolgt, wird gerade in dem betreffenden Karmunikationsausschnitt expliziert, und der Konflikt wird gerade dadurch charakterisiert, daß diese Ziele offensichtlich nicht kompatibel sind. Ein "Gewinnen" in diesem Spiel bestünde für J darin, daß er S dazu bringt, seinen Tauschvorschlag zu akzeptieren und den entsprechenden Tausch durchzuführen. Wenn er sich nun mit S auf eine Argumentation einließe und sich "gezwungen" sähe, dessen Argumente gegen den vorgeschlagenen Tausch einzusehen, könnte er nicht mehr auf seinem eigenen Vorschlag beharren. Wenn diese Annahme richtig ist, könnte man die Unterbrechung der Äußerung von S durch J also als den Versuch verstehen, einer argumentativen Auseinander-
124
setzung aus dem Wog zu gehen oder aber - und dies habe ich oben angedeutet in einer möglichen argumentativen Auseinandersetzung sich nicht in "Zugzwang" bringen zu lassen, sondern selbst den ersten Zug zu machen und damit auch die Art des Spiels (zumindest tendenziell) festzulegen. Möglicherweise hatte sich J schon eine bestimmte "Strategie" zurechtgelegt, bei der er davon ausgegangen sein könnte, daß S seinerseits keinen Argumentationsversuch machen würde. Als S nun doch einen solchen zu unternehmen scheint (du wolltest ...), unterbricht ihn J, um an seiner geplanten Strategie festzuhalten, wozu er aber selbst den ersten Zug in dem neuen Spiel machen müßte. Nun mag eine solche Interpretation des Unterbrechens vielleicht sehr spitzfindig scheinen, sie muß deshalb natürlich nicht richtig sein. Es könnte alles viel einfacher sein: z.B. könnte man annehmen, daß J und S fast gleichzeitig mit dem Äußern von (6) bzw. (7) begonnen haben und S seine Äußerung selbst abbricht, um J zuhören zu können. Dann könnte man den in unserem Zusammenhang ohnehin problematischen Strategiebegriff evtl. ganz aus dem Spiel lassen. Sind unsere zwei Interpretationsvorschläge aber wirklich so verschieden? Ob wir sagen, S breche seine Äußerung ab, weil er J zuhören wolle oder: J unterbreche S, weil er nicht wolle, daß S diese Äußerung macht, oder: J unterbreche S, weil er zur gleichen Zeit selbst eine Äußerung machen wollte, macht zwar einen erheblichen Unterschied, jedoch kann die erste Version nicht so verstanden werden, als breche S seine Äußerung sozusagen freiwillig ab, wie wir es im Fall von Selbstkorrekturen finden, sondern das Abbrechen seiner Äusserung hängt doch damit zusammen, r^p j zur gleichen Zeit redet. Dann wäre es aber unerheblich, ob wir S als den Abbrechenden oder J als den Unterbrechenden ansehen, denn in jedem Fall bleibt das, was S äußert, ein Äußerungsfragment. Auch in unserem zweiten Interpretationsvorschlag müßte man, wie ich meine, auf eine Art Strategiebegriff rekurrieren, denn schließlich hätte auch J seine Äußerung wieder abbrechen können, um S zu Wort können zu lassen. Daß er dies nicht tut, läßt es mir angemessen erscheinen, hier von einer Art Strategie zu reden, jedoch nicht, wie schon weiter oben betont, im strengen spieltheoretischen Sinn. Wenn wir von Strategien reden, meinen wir vielmehr die allgemeine konnunikative Fähigkeit zu strategischem Handeln. Die Vorstellung, daß wir eine Anzahl von Handlungsplänen "auswendig" gelernt hätten, nach denen wir dann handeln könnten, scheint mir dagegen völlig inadäquat. Für die Anwendung dieses weiten Strategiebegriffs genügt es, feststellen zu können, daß der betreffenden (als strategisch bezeichneten) Handlung eine gewisse Zweckmäßigkeit im Hinblick auf die Erreichung des intendierten Ziels zugeschrieben werden kann.
125
Ob die Handlung, die Joscha macht, indem er (7)
... zu welcher / Scheibe gehört denn das?
äußert, in diesen Sinn als strategisch bzw. zweckmäßig anzusehen ist,
muß die
Analyse zeigen. Daß Joscha sich mit dieser Äußerung an mich, einen Erwachsenen also, wendet, und nicht an S und auch nicht zu sich selber spricht, läßt sich daraus ersehen, daß ich auf diese Frage geantwortet habe, mich also offenbar angesprochen fühlte. Außerdem gibt uns die teilnehmende Beobachtung hier weitere Indizien, die es für mich als Beobachter und Teilnehmer in dieser Situation offensichtlich machten, daß Joscha sich an mich wendete. Ich bin als Teilnehmer an dieser Kotmunikation iimter davon ausgegangen, daß ich für Joscha und Sebastian ein potentieller Kotmunikationspartner bin und kann deshalb unmittelbar verstehen, daß auch an mich eine Frage gerichtet werden kann. Ich stehe nicht hinter einer Glasscheibe und die Kinder, die ich beobachte sind nicht meine Untersuchungs"objekte". Ich habe vielmehr unmittelbar etwas mit ihnen zu tun, sie können handelnd auf mich einwirken, so wie ich auf sie einwirken kann; sie können mich in ihre Kcmtnunikation einbeziehen, mir Fragen stellen, Vorschläge machen usw. Ich konnte mich hier der Beantwortung der Frage von J kaum entziehen, es sei denn, ich hätte meine Rolle als teilnehmender Beobachter ganz im Sinne eines "observer-as-participant" definieren wollen. In dem Fall, daß ich meine eigenen sprachlichen Handlungen in der Konnunikation mit den zu beobachtenden Partnern beschreibe, erhalten die Beschreibungen den Charakter einer Selbstreflexion. Ich glaube deshalb, daß die Beschreibung meiner Äußerung (8) durch mich selbst eine andere Art von Beschreibung ist.
Eine Art von Beschreibung,
die einige Gemeinsamkeiten aufweist mit solchen Beschreibungen, bei denen ein Partner in der Kcmmunikation seine eigenen Handlungen beschreibt, um dem anderen Partner zu erklären, wie er diese Handlung bzw. was er mit seiner Hand14 lung gemeint hat. Es entspricht dem Sinn teilnehmender Beobachtung, daß der Teilnehmer und Beobachter zum Verständnis und zur Beschreibung der Handlungen der Partner gerade auch die nicht-objektivierbaren informellen Informationen heranzieht, die ihm als Teilnehmer verfügbar geworden sind. Dazu gehört es m.E. auch, daß
14
Vgl. auch die Kritik Alfred Schütz 1 an Max Weber, Weber mache keinen Unterschied "zwischen dem Sinn eigenen und fremden Handelns bzw. eigener und fremder Erlebnisse, zwischen Selbstverstehen und Freradverstehen" (Schütz 1932; 1974: 15).
126
er sein spontanes Situationsverständnis zur Zeit der Aufzeichnung mit einbringt in die Beschreibung des schriftlich fixierten Materials. Daß ich oben, trotz einiger Bedenken, von Strategien geredet habe, hängt vielleicht auch damit zusammen, daß ich bei der Äußerung, mit der sich J an mich wendet, spontan eine Art Strategie dahinter gesehen habe und im Grunde mit meiner Antwort, wenn auch etwas zögernd, dieser Strategie aufgesessen bin Als ich gesagt habe, was J offensichtlich von mir hören wollte, zieht er sogleich den für die Begründung seines Tauschansinnens wichtigen Schluß, daß Autofarbe und Farbe der Scheiben zusaitmenpassen müßten (weiß zu weiß, rot zu
rot). Ich will Js Äußerung, meine Reaktion darauf
und Js Reaktion auf meine
Reaktion etwas eingehender analysieren, weil mir die Sequenz ein Beispiel dafür zu sein scheint, in welcher Weise Erwachsene in Kommunikationen unter Kindern partiell einbezogen werden können, und weil mir die Rolle, die hier der Erwachsene spielt, sehr verwandt scheint mit der Rolle bestürmter Leute oder auch Institutionen in unserer Gesellschaft, woraus sich eine oft eigenartige Argumentationsstruktur ergibt. (7)
J
... zu welcher / Scheibe gehört denn das?
(8) V man könnte sagen / daß die rote Scheibe zum roten Auto gehört / hm? (9) J
und die weiße / Scheibe zum weißen
Offensichtlich handelt es sich bei (7) und (8) um eine Frage-Antwort-Sequenz: J stellt eine Frage und V gibt eine Antwort. Interessant scheint mir nun, was J fragt und was er eigentlich macht, indem er diese Frage stellt, d.h. wozu er diese Frage stellt. Um nach einem bestürmten links von 'Fragen1 stehenden (erzeugenden) Muster handeln zu können, muß offenbar 'Fragen in bestimmter Weise spezifiziert sein. J fragt also V, zu welcher Scheibe das rote Auto gehört, indem er äußert (7)
... zu welcher / Scheibe gehört denn das?
Die Referenz von das ist in der Situation klar. Was tut J, indem er so fragt? Als Antwort auf eine solche Frage suchen wir ein erzeugendes oder alternative erzeugende Muster von 'Fragen'. 15 Ich habe im theoretisch-methodischen Teil in diesem Zusammenhang von einer Reformulierung des Verstehens bzw. mit Schwartz und Schwartz 1955 von "retrospektiver Beobachtung" geredet.
127
FRAG
>
AUS ( 7 ) 1 6
Üblicherweise scheint 'Fragen* von einem Muster wie 'etwas von jemandem herausbekoimen' erzeugt zu werden, dieses Muster kann jedoch selbst auch wieder ein erzeugtes sein. 17 Will J herausbekcntnen, zu welchem Auto welche Scheibe gehört? Ich glaube nicht. Ich habe hier vielmehr den Eindruck, daß J zumindest eine Bestätigung für seine Annahme bekamen möchte, das rote Auto gehöre zur roten Scheibe und das weiße Auto zur weißen Scheibe. Warum expliziert er dann diese Annahme nicht gegenüber S in einem Satz wie die weiße Scheibe gehört zum weißen Auto,
um zu begründen, warum er die weiße Scheibe des roten Autos von S gegen die rote Scheibe seines weißen Autos tauschen möchte? Warum wendet er sich an einen Erwachsenen mit einer Frage, die, oberflächlich betrachtet, von 'etwas von jemandem herausbekamen1 erzeugt zu sein scheint, obwohl man annehmen kann, daß J die Antwort kennt? Ich will die Äußerung von J als Teil einer Begründungsstrategie ansehen, in der die Möglichkeiten des Partners, eine Behauptung nicht als Begründung zu akzeptieren faktisch eingeschränkt werden sollen durch Bezugnahme auf Behauptungen von sog. Autoritäten wie z.B. "kompetente" Fachleute, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Vertretern von Institutionen usw. J stellt nun aber nicht von sich aus eine Behauptung auf, die er dann unter Verweis auf eine Autorität als wohlbegründet ausgeben könnte, sondern die Antwort, die er von der befragten Autorität (hier: dem Erwachsenen) erhält, ist genau die Behauptung, die er gegenüber S hätte machen können. Sie ist aber nicht seine Behauptung, sondern die eines Erwachsenen. Einerseits mag Joscha annehmen, daß eine Behauptung des Erwachsenen (hier des Vaters von S), Sebastian eher dazu bewegen könnte, seinen Tauschvorschlag 16
Ich verwende diese Darstellungsform hier lediglich zur Verdeutlichung ternativer Erzeugungen: " " bzw. " —^ " stehen für "indem".
17
Siehe Haefele 1974: 173.
al-
128
zu akzeptieren, andererseits kann er durch diese Art "Stellvertreterargumentation", deren Stellvertreterfunktion hier ja nicht explizit gemacht wird, wie etwa im ersten Beispiel, wo es für Sebastian ohne weiteres klar werden konnte, daß Ragana stellvertretend für Carmen argumentierte( sich soweit zurückziehen, daß sein Interesse an dem vorgeschlagenen Tauscj-i gar keine Rolle mehr zu spielen scheint. Nun ist die Antwort, die ich J auf seine Frage gegeben habe, bewußt vorsichtig formuliert, weil mir, wie ich meine, die mögliche Strategie von J, die ich hier zu rekonstruieren versucht habe, ziemlich klar war. Allerdings frage ich mich jetzt, warum ich nicht mit einem Satz wie das ist ganz egal
geantwortet habe. Ich habe dagegen wohl versucht, me^jie Behauptung zu relativieren, so daß ich Immer noch hätte behaupten können, daß ein rotes Auto sehr wohl eine weiße Scheibe haben kann und umgekehrt. Ausdrücke wie man könnte sagen scheinen die Funktion zu haben, eine Behauptung einerseits zu relativieren, um sich selbst ggf. davon distanzieren zu können, andererseits lassen sie dem Partner alternative Entscheidungsmöglichkeiten offen. In der Kcmmunikation mit Joscha geht es diesem aber offensichtlich nicht un eine alternative Entscheidung, sondern genau um die von mir vorgeschlagene, die er für die Begründung seines Tauschvorschlags für wichtig hält. In diesem Sinne läßt sich m.E. der von J eilig gezogene Schluß verstehen, daß die weiße Scheibe (folglich) zum weißen Auto gehören müsse, wenn die rote zum roten gehöre. Mit diesem Schluß interpretiert er implizit meine vorsichtige Behauptung genau in seinem Sinn, d.h. im. Sinn peiner Begründungsstrategie. ich will mit diesen Überlegungen nicht behaupten, daß J sich explizit einen Plan zurechtgelegt hätte, nach dem er nun strategisch handelte. Das Bewußtheitsprablem spielt bei unserer Verwendung des Strategiebegriffs (im nicht-spieltheoretischen Sinn) für die Begründung der (Adäquatheit der) Beschreibung eine untergeordnete Rolle, denn wir beschreiben keine Bewußtseinszustände, sondern sprachliche Handlungen; wir nehmen auch nicht an, daß letztere als kausale Reflexe solcher Bewußtseinszustände beschrieben werden könnten oder sollten. Auch komplexere Regeln, wie die sogenannten strategischen Regeln, befolgen wir Im allgemeinen, ohne auf diese Regeln zu reflektieren, ohne sie uns bewußt zu machen, bevor wir nach ihnen handeln. Die Beschreibung solcher Regeln geht, in der Art wie wir es hier illustriert haben, aus von Regelbefolgungen, und wir verstehen das Handeln der Kinder als ebenso regelgeleitet, auch im Hinblick auf strategische Regeln relativ hohen Kcmplexitäts-
129
grads, wie das Handeln der Erwachsenen, wir nehmen aber nicht an, daß die Kinder die gleichen Regeln befolgen und auch nicht, daß wir mit ihnen immer darüber einig wären, was als Befolgung welcher Regeln zählt. Ebensowenig nehmen wir an, daß die Kinder sich die Regeln, nach denen sie faktisch handeln, bewußt machen oder auf diese reflektieren. Sie handeln nach ihnen mehr oder we18 niger erfolgreich und verstehen sich mehr oder weniger gut. Rekonstruieren wir noch einmal die Tauschsituation bzw. Tauschargumentation: J schlägt vor, die Scheiben zu tauschen und zwar die rote gegen die weiße. Er begründet dies damit, daß er implizit behauptet, die weiße Scheibe, die S hat, "gehöre" (eigentlich) zum weißen Auto, das er hat.
Wie S auf diese Strategie reagiert oder reagieren möchte, bleibt noch unklar mit dan Äußern von
(10) oh ..., nach dem J ihn offenbar unterbricht, um seinen Tauschvorschlag noch einmal zu wiederholen. J formuliert seinen Vorschlag jetzt jedoch in einer modifizierten Form, für die der Wechsel von wir sollen zu wollen wir charakteristisch
ist.
Daß Joscha gerade an dieser Stelle seinen Tauschvorschlag wiederholt, kann im Zusammenhang mit der vorangegangenen Konnunikation verstanden werden. Er könnte annehmen, daß er durch seine über das Ansprechen von V laufende Begründungsstrategie, für Sebastian ein Argument vorgebracht hat, das diesen zu dem vorgeschlagenen Tausch bewegen könnte. Eine solche Annahme kann er nun dadurch überprüfen, daß er seinen Tauschvorschlag noch einmal explizit wiederholt und Sebastians Reaktion "beobachtet". Für mich als Beobachter und Beschreibenden ergibt sich von dem erneuten Tauschvorschlag her eine gewisse Evidenz für meine Beschreibung der vorangegangenen Konnunikation unter einem Strategiebegriff. Man muß, um das Interpretationsverfahren tatsächlich offenzulegen, jedoch noch einen Schritt weitergehen: Daß ich die vorangegangene Kommunikation so interpretiert habe, beruht natürlich auf einem Vorverständnis, daß ich nicht zuletzt auch unter Berücksich18
Die Beschreibungskompetenz im Hinblick auf die Beschreibung von Regeln zu erweitern, könnte sich allerdings als ein im Rahmen solcher Überlegungen begründbares Lernziel erweisen, Die Fähigkeit, Regelbeschreibungen zu machen, scheint aber weniger für das Handeln nach den Regeln oder für das Erlernen von Regeln bedeutsam zu sein, als vielmehr im Fall von Mißverständnissen oder problematisierten Verständigungsnonnen.
130
tigung nachfolgender Züge in der Kommunikation gewonnen habe. Daß ich also den betreffenden Ausschnitt unter einem Strategiebegriff interpretiert habe, ist kein Zufall, sondern die generelle Annahme, daß dies überhaupt sinnvoll sein könnte, basierte bereits auf einem über den betreffenden Ausschnitt hinausgehenden bestirnten Vorverständnis. Wenn man so will, zeigt sich hier sehr deutlich die Zirkelhaftigkeit des hermeneutischen Verfahrens. In die Wahl meiner Hypothese geht bereits als Vorverständnis genau das ein, was ich dann im nachhinein als Begründung für diese Hypothese explizit anführe. Aber auch eine solche Begründung hat wiederum hypothetischen Charakter, und sie kann nur als Begründung herangezogen werden aufgrund der Tatsache, daß wir die vorangegangene Kommunikation so und so interpretiert haben. Das bedeutet, daß wir kein aus dem Verstehenszusammenhang herauslösbares, von diesem unabhängiges Kriterium haben, anhand dessen die "Richtigkeit" unserer Interpretation überprüft werden könnte. Was aber in der Tat innerhalb dieses Verstehenszusammenhangs überprüft werden kann, ist etwas, das ich die Stimmigkeit der Interpre19 tation nennen möchte. Daß ich eine nachfolgende Äußerung so verstehen kann, daß sie in den hypostasierten Interpretationszusanmenhang "paßt", daß ich sie also in diesem Sinne als Begründung für die betreffende Hypothese ansehen kann, läßt die Interpretation bis hierher als "stimmig" erscheinen; für weitere, nachfolgende Äußerungen oder Handlungsfolgen ist jedoch prinzipiell wieder das gleiche Überprüfungsverfahren hinsichtlich der Stimmigkeit anzuwendeny und es läßt sich wohl nicht theoretisch, sondern nur empirisch entscheiden, wie hier eine Grenze zu ziehen ist,
wo also das Stiimigkeitspostu-
lat in dem Sinne überzogen wäre, daß Beschreibungen von Teilen von Kommunikation auf Stinmigkeit geprüft würden, die aus völlig unterschiedlichen Verstehens- und Interpretationszusammenhängen ihren möglichen Sinn bezögen. Empirisch entschieden werden muß also vor allem die Frage, was sinnvollerweise jeweils als Beschreibungseinheit angesehen werden kann, welche Teile von Kommunikationen jeweils in einem Zusammenhang zu sehen sind, wo eine Unterteilung der Kommunikation in Abschnitte sinnvoll ist, usw. Da solche möglichen "Abschnitte" erst aufgrund der exemplarischen Beschreibung konstituiert werden können, ist das Material auch nicht vorgängig in solche Abschnitte eingeteilt worden. Unser jeweiliges Vorverständnis, das nicht 19
Das gängige wissenschaftstheoretische Postulat der Widerspruchsfreiheit scheint mir auf Interpretationen nur begrenzt anwendbar, insofern als eine Interpretation auch dann "stimmig" sein kann, wenn sie Handlungen eines Partners als widersprüchliche Handlungen beschreibt. Vgl. auch Frey 1970: 31, der vom "Zusammenstimmen der Deutungen" spricht.
131 zuletzt von den im ersten Teil der Arbeit diskutierten theoretischen Entscheidung geleitet ist,
spielt zwar eine wichtige Rolle für die Auswahl eines be-
stürmten Teils einer Karmunikation für die Beschreibung, es kann aber nicht das entscheidende Kriterium etwa für die Bestirrmung des Anfangs und des Endes des zu beschreibenden Teils sein, denn hierfür wird erst die eigentliche linguistische Analyse Kriterien liefern können. So ist es durchaus denkbar, daß ich aufgrund eines bestirmvten Vorverständnisses eine bestinmte Handlungssequenz für die Beschreibung ausgewählt habe, daß mir aber die fortschreitende Analyse sehr bald deutlich macht, daß ich auch bestimmte Äußerungen und Handlungen der Partner berücksichtigen muß, die entweder vor dem Teil liegen, an dem ich mit meiner Beschreibung ansetze, oder die auf diesen Teil (vielleicht erst nach irgendwelchen "Zwischenspielen") folgen. Ich will diese Problematik an dem hier zu beschreibenden Beispiel aus Text II noch einmal exemplarisch verdeutlichen: Ich habe mit der Beschreibung dort begonnen, wo die Aufnahme beginnt. In diesem Fall kann ich meine Beschreibung nicht auf Handlungen ausdehnen, die die Partner vorher gemacht haben, weil mir die entsprechenden Äußerungen, nicht verfügbar sind. Die Begründung dafür, mit der Beschreibung beim Einsatz der Bandaufnahme bzw. der Transkription zu beginnen, kann natürlich nicht darin liegen, daß dies eben der Anfang sei, denn dieser ist ja in gewisser Weise willkürlich. Daß ich genau an dieser Stelle mit der Beschreibung beginne, muß also andere Gründe haben. Der Grund liegt darin, daß ich an dieser Stelle zunächst mit Blick auf die ersten fünf Äußerungen eine einfache Strukturierung eines Konflikts zwischen zwei Partnern aufzeigen zu können glaubte und zwar in besonderem Maße unter Betonung des offensichtlichen Kontrasts zur Strukturierung eines Konflikts im ersten Beispiel zwischen Sebastian und Carmen. Warum konnte ich annehmen, dies an diesem Textausschnitt zeigen zu können? Hatte ich plötzlich die Idee, mit der Beschreibung dieses Textes zu beginnen, weil man schließlich irgendwo beginnen müsse, dann werde man schon weiter sehen? Um solche Fragen zu beantworten,
müssen wir uns über das klar werden,
was wir Vorverständnis genannt haben. An dieser Stelle können nun einige unse2O
Fragen übrigens, die man sich gewöhnlich v o r dem Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit stellt, die aber in solchen Arbeiten selbst interessanterweise gar nicht mehr auftauchen, so daß das Begründungsproblem bei der Wahl von Analysebeispielen und den entsprechenden Kategorien der Analyse verschwindet hinter einer Praxis, deren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit sich gerade im Verschweigen solcher Fragestellungen zu konstituieren scheint.
132 rer theoretisch-methodischen Überlegungen hilfreich werden. Ich habe bisher den Ausdruck Vorverständnis weitgehend vermieden, weil dieser Ausdruck suggeriert, nach dem "Vor"verständnis konine so etwas wie das eigentliche Verständnis, das in Wirklichkeit doch den gleichen Status einer, wenn auch begründeten, Hypothese hat. Dafür habe ich von "Stufen" des Verstehens geredet und gezeigt, daß etwa die Transkription der Kcnmunikation größtenteils aufgrund von Verstehensprozessen organisiert ist und daß der Transkribent hierbei eine Art Rekonstruktion seines Verstehens in der Beobachtungssituation, im Feld, leistet. Das sog. Vorverständnis erweist sich unter diesen Gesichtspunkten als ein Prozeß des Verstehens, etwa als der Versuch, auf der jeweils fortgeschritteneren Stufe der Beschreibung zu einem modifizierten und kritisch reflektierten Verstehen zu gelangen. Daß ich an entsprechenden Teilen einer Kotnunikation bestimmte Probleme aufzeigen zu können glaube, hängt also, grob gesagt, damit zusammen, daß ich Hiich mit dan Material schon auf verschiedenen Ebenen oder in verschiedenen Phasen meiner Arbeit verstehend auseinandergesetzt habe und daß sich durch diese Arbeit zusammen mit den in diese Arbeit eingebrachten generellen theoretischen Annahmen über das, was Konmunizieren und Interagieren heißt, in welchen Formen so etwas Üblicherweise stattfindet, was in welchen Situationen als angemessen gelten könnte und was nicht usw., das konstituiert, was man allgemein "Vorverständnis" nennt. Auf diesem Hintergrund beginne ich also eine Analyse des Zusammenhangs der ersten fünf Äußerungen in Text II. Nach diesen fünf Äußerungen läßt sich ein gewisser Einschnitt begründen, der sich nicht zuletzt auch aus beschreibungsökoncmischen Gründen als notwendig erweist, denn für eine auf das Verstehen reflektierende Beschreibung ist ein solcher "Abschnitt" schon komplex genug, um noch einigermaßen übersichtlich und nachvollziehbar konnunikative Zusammenhänge systematisch zu beschreiben. Überfliegt man die nächsten zehn Äußerungen und die Notizen, die man im Beobachtungsprotokoll dazu gemacht hat, so fällt auf, daß der von Joscha eingebrachte Tauschvorschlag offensichtlich auch in der weiteren Kotmunikation zwischen J und S eine Rolle spielt. Auffällig ist beispielsweise die Wiederholung des Tauschvorschlags, indem J (11) äußert. Von daher fragt man sich (auf den hierbei implizierten hermeneutischen Zirkel habe ich oben hingewiesen) , was denn S und J bzw. J und V eigentlich tun, indem sie (6), (7), (8) bzw. (9) äußern. So kann man sich einen, in der Analyse dann weiter begründbaren Beschreibungsabschnitt vorstellen, der die Äußerungen (6) bis (9) umfaßt, so daß die Äußerung (11) erst anschließend daran in die Analyse einbe-
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zogen wird. Gerade die Stellung der Äußerung (11) im Zusammenhang der Kcmnunikation verdeutlicht jedoch auch die Problematik von solchen Einteilungen, jedenfalls dann, wenn man ihre Grenzen nicht als fließend bzw. nicht als abhängig von den Zwecken der Beschreibung ansieht. Man könnte im Fall von (11) diese Äußerung nämlich aus guten Gründen sowohl als letzte Äußerung der Sequenz (6)-(11), wie auch als erste Äußerung einer möglichen Sequenz (11)-(15) ansehen, und es gibt keinen Grund, sich für das eine oder das andere zu entscheiden. Vielmehr kann (11) gleichtzeitig als letzte Äußerung der Sequenz (6)-(11) und als erste Äußerung von (11)-(15) angesehen werden, was hier m.E. gerade auch die Rolle dieser Äußerung in der Konnunikation angemessen wiedergibt. Betrachten wir nun die angesprochene, mit dem Äußern von (11) beginnende Sequenz. Es fallt auf, daß J und S mit (11) J
...
ja / wolln wir tauschen?
(12) S
nein
(13) J
doch doch
offensichtlich nach dem gleichen Muster kormunizieren wie mit (1) J
o wir solln mal die / die Scheibe tauschen
(2) S
nein
(3) J
doch doch,
daß S also auf Js Variation des von 'Vorschlagen' erzeugten Äußerungsmusters nicht in der von diesem gewünschten Weise reagiert, also offensichtlich keinen Anlaß sieht, auf (11) anders zu reagieren als auf (1). Auf das Handlungspaar 'einen Tauschvorschlag machen' und 'den Tauschvorschlag ablehnen' reagiert J mit (13) nun seinerseits wie schon in der Sequenz (l)-(3), indem er seinen Tauschvorschlag bekräftigt und zwar in dem gleichen schnellen und spielerischen Ton wie im Fall von (3) (und auch ( 5 ) ) . Unsere Rekonstruktion einer möglichen Äußerung von S aufgrund des Äußerungsfragments in (6) S du wolltest . . . könnte implizit von einem Äußerungsmuster wie dan, nach dem (14) S du has ja meins eben mir geschenkt
geäußert wird, ausgegangen sein. Die Interpretation, daß Sebastian mit (14) lehnung des Tauschvorschlags vorbringt, das er vorbringen wollte, scheint mir interessant für te" von kindlichen Strategien. S hat sich zwar
genau sein Argument für die Abmit dem Äußern von (6) schon die Beurteilung der "Reichweinicht unmittelbar gegen die
134
Unterbrechung durch J gewehrt, bringt nun aber sein Argument an. Das bedeutet, daß er seine "geplante" Argumentation zwar augenblicklich zurückstellt, sich jedoch nicht von seiner Argumentationsstrategie abbringen läßt durch irgendwelche momentane Störungen. Warum lehnt S erneut den Tauschvorschlag ab, den J ihm macht? Welches Interesse hat er daran, die rote Scheibe nicht gegen die weiße zu tauschen? Betrachten wir die Äußerung (14) von S genauer. S behauptet damit, J habe ihm das Auto, mit den er jetzt spielt, eben geschenkt. Vfenn dies ein Argument dafür sein soll, nun nicht die Scheiben zu tauschen, muß S annehnen, daß man etwas, das man jemanden geschenkt hat, nicht kurzfristig (auch nicht in einem Tausch) wieder zurückverlangt. Aber J will ja nicht die Autos, sondern nur deren Scheiben tauschen. Mir scheint es deshalb auch nicht ganz klar zu sein, ob S mit meine auf ein Auto oder auf eine Scheibe referiert, denn umgangssprachlich scheint es mir durchaus möglich, daß er mit meins auf die Scheibe seines Autos referiert ("mein Ding"). Ich kann dies hier nicht entscheiden, da ich hierzu auch keine Notizen im Begleitprotokoll finde. Die mögliche Mehrfachreferenz von meins scheint mir hier jedoch kein schwerwiegendes Problem zu sein. (Ich will hier nicht diskutieren, ob es "korrekt" deins anstatt meins heißen müßte). Interessant scheint mir dagegen die Verwendungsweise von schenken. Kann S wirklich behaupten, J habe ihm das Auto geschenkt? Welchen Zusammenhang gibt es für S (und J) zwischen den Handlungsmuster 'schenken' und 'tauschen1? Solche Fragen zu stellen, bedeutet eine Problematisierung unseres Verständnisses der Handlungen der Kinder, denn wir nehmen dabei eine mögliche Differenz zwischen ihren und unseren Regeln an. Die Äußerung (14) von S macht uns dann auf eine in unseren Zusammenhang interessante Verwendungsweise von schenken aufmerksam, wenn wir davon ausgehen, daß ja alle Autos, die J und S zum Spielen zur Verfügung stehen, S "gehören". Nach unserem Verständnis des Schenkens könnte also lediglich S dem J etwas schenken und nicht umgekehrt. Wir müssen deshalb annehmen, daß S den Ausdruck schenken hier anders verwendet, möglicherweise im Sinne von "tausehen oder im Sinne von "geben". 21 Ich rekonstruiere eine mögliche Interaktion zwischen S und J, die vor dem Zeitpunkt der Aufnahme lag und uns Ss Verwendung von schenken verdeutlichen könnte: 21
Einen Hinweis darauf, daß eine solche Verwendungsweise bei Kindern zumindest nicht unüblich sein dürfte, gibt auch Ramge 1976: 213. Siehe etwa die Äußerung von Peter: n elefant/ ich hab n elefant geschenkt!
135
S spielt rait dan weißen Auto mit roter Scheibe, J mit dem roten Auto mit weißer Scheibe. Irgendwie kamt ein Tausch oder etwas ähnliches zustande mit dem Ergebnis, daß S von J das rote Auto erhält und J dafür das weiße. Auf eine solche Art von Interaktion könnte sich S mit dem Prädikat geschenkt beziehen. Er hat von J etwas bekamen und versteht dies bzw. bezeichnet dies als etwas geschenkt bekommen. Nun ist aber nicht klar, ob er J dafür im Tausch tatsächlich sein Auto gegeben hat oder ob die Ausgangssituation nicht doch anders strukturiert war, so daß z.B. J mit beiden Autos gespielt hat und eines davon an S abgetreten hat. Dann müßte man annehmen, daß S wohl zwischen tauschen und schenken unterscheidet, aber unter etwas anderen Bedingungen von schenken redet als wir es normalerweise tun. Für ihn würde schenken dann nicht in der Weise mit einer Kategorie wie 'Besitz' zusammenhängen wie für uns. In unserem ersten Beispiel (Text I, 14/15) verwendete S zwar den Ausdruck gehört aber mir, es konnte daraus jedoch nicht zweifelsfrei geschlossen werden, daß er einen solchen Ausdruck Im Sinne unserer Kategorie 'Besitz' verwendet. 22 Ich kann all diese Fragen hier nicht abschließend beantworten, es dürfte aber deutlich geworden sein, welcher Art Interpretationsprobleme grundsätzlich sein können. Ebenso dürfte deutlich geworden sein, daß solche Probleme genau dann auftreten, wenn wir nicht mehr von der Annahme einer einheitlichen, d.h. für alle Sprecher einer Sprache gleichermaßen gegebenen Kompetenz, wie sie in der Idee der homogenen Sprachgemeinschaft impliziert ist, sondern grundsätzlich von der Möglichkeit unterschiedlicher Verwendungsweisen bestimmter sprachlicher Ausdrücke ausgehen, also annehmen, daß die Kompetenzen verschiedener Partner grundsätzlich verschieden sind und daß der Grad des Verstehens bzw. die Entscheidbarkeit oder Zuverlässigkeit unserer Interpretationen von Grad der Verschiedenheit bzw. der Ähnlichkeit der Regeln der Partner bzw. der Partner und des Beobachters abhängig ist. Es geht mir im Rahmen meiner exemplarischen Zielsetzung weniger darum, ein Entscheidungsverfahren für die Auswahl bestimmter Interpretationen anzubieten, als vielmehr zunächst einmal eine verstehenskritische Einstellung und ein daraus resultierendes argumentatives 22
Ich habe mit Sebastian im Alter von 6;5 ein Gespräch über Tauschen, Schenken und Besitzen g e f ü h r t , wobei sich zeigte, daß er diese Handlungsmuster und einige wichtige unterscheidende Bedingungen ziemlich adäquat beschreiben konnte. Tauschen verstand er als eine Art gegenseitiges Schenken, weshalb er es einem schlechten Tausch vorziehen würde, den betreffenden Gegenstand dem Partner zu leihen, denn dann bekomme er ihn ja zurück.
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Verfahren zu entwickeln und dem Leser zu vermitteln, die es uns erst ermöglichen, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten überhaupt zu formulieren. Nur unter der Annahme, daß zunächst eirmal alternative, begründete Vorschläge zur Interpretation einer Karmunikation und Interaktion entwickelt worden sind, kann überhaupt sinnvoll von Entscheidungen geredet werden. Mein wesentliches Anliegen ist es deshalb, für die Interpretationsproblematik im allgemeinen und für die Entwicklung alternativer Interpretationsmöglichkeiten von bestiimiten Kannunikationen unter Kindern im besonderen, eine Art Sensibilisierungsprozeß zu initiieren, auf den es wie ich meine, gerade bei denjenigen entscheidend ankamt, die täglich mit der praktischen Beobachtung von Kindern zu tun haben und aus den vermeintlich sicheren oder "objektiven" Ergebnissen ihrer Beobachtungen quasi-therapeutische Konsequenzen ziehen oder jedenfalls ihr pädagogisches Handeln darauf in bestimmter Vfeise ausrichten. In Joschas Reaktion auf Sebastians Äußerung (14) finden sich keine Anzeichen dafür, daß er nicht verstanden hat, was Sebastian gemeint hat. Er scheint sich kaum um das von S vorgebrachte Argument zu kümmern, bestreitet aber auch nicht, was S mit dem Äußern von (14) behauptet hat. Sein etwas hastiges Sprechen könnte so gedeutet werden, daß er sich in einer seiner Meinung nach für eine Realisierung seines Tauschvorschlags wichtigen Situation befindet, daß es ihm andererseits aber auch unangenehm sein könnte, daß sich gerade diese Situation oder Spielkonstellation für ihn ergeben hat. Diese Interpretation würde auch zu der Interpretation des Unterbrechens von S durch J passen. Als S nun mit dem Äußern von (14) offenbar tatsächlich ein Argument gegen Js Tauschvorschlag vorbringen kann, sieht sich J genau in dem Zugzwang, in den zu kamen er jedenfalls nach obiger Interpretation gerade vermeiden wollte. Wenn wir die Äußerung (15) J
da / da / aber / ehern / die Scheibe geht besser / da kann man / da kann man besser durchschauen
von J weiter analysieren, fällt uns auch auf, daß es offensichtlich doch nicht so ist, daß J sich nicht um das von S mit dem Äußern von (14) vorgebrachte Argument kümmert. Richtig ist wohl, daß er nicht explizit die Behauptung von S bestreitet und auch nicht explizit zu erkennen gibt, daß er diese Behauptung nicht als Begründung für Ss Ablehnung des Tauschvorschlags akzeptieren könnte. Mit dem adversativen aber stellt er jedoch einen Bezug zur Äußerung des Partners her. Wieder bieten sich eine Reihe von Interpretationsmöglichkeiten an, die ich durch verschiedene Paraphrasierungen der Äußerung von J illustrieren will. Zunächst wäre noch eine prinzipielle Alternative festzuhalten:
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Versucht J zunächst eine sprachliche Handlung zu machen, die er dann aber nicht vollständig ausführt, indem er äußert da / da / aber? Für eine abgebrochene Handlung spricht das folgende ehern, das man als Orientierung auf eine alternative Handlungsmöglichkeit deuten könnte, die dann mit dem Äußern von die Scheibe geht besser ... realisiert wird. Oder setzt J mit einem einleitenden aber die Begründung, die er mit dem Äußern von die Saheibe ... gibt, in eine bestimmte Relation zu der Begründung, die S mit dem Äußern von (14) gegeben hat. Handelt J, indem er (15) äußert nach einem oder nach zwei Handlungsmustern, die nicht in einer indem-Relation stehen? ... aber ... die Scheibe geht besser oder: ... aber ... und
... die Scheibe geht besser.
Ich will einige Interpretationsmöglichkeiten unter der Annahme, es handele sich um e i n e Handlung andeuten: (i) Es stimmt zwar, was du behauptest, aber das ist kein Argument dafür, die Scheiben nicht zu tauschen. (ii) Dein Argument stimmt zwar, aber ich habe auch meine Gründe, nämlich ...
Darüberhinaus scheint mir eine weitere Möglichkeit in Betracht zu können, die dann deutlich wird, wenn wir fragen, auf welche der beiden Scheiben Joscha denn eigentlich mit dem Äußern von die Scheibe referiert. Er äußert nicht die Scheibe und macht auch keine referenzklärende Zeigehandlung, so daß sich auch unter Berücksichtigung möglicher nicht-verbaler Handlungen keine Klärung ergibt. Kann er mit die Scheibe überhaupt sinnvoll auf-die Scheibe an seinem Auto, diejenige also, die er gegen die von Sebastian tauschen möchte, referieren? Ich glaube ja. Wenn er dies tatsächlich tut, so ist das kein ungeschickter Zug in einem Tauschhandel. Man hebt die Vorzüge des zum Tausch angebotenen Gegenstandes hervor, um für den Partner den Tausch attraktiv zu machen, d.h. um dem Partner eine Bewertung nahezulegen, bei der gilt: X ist besser als Y, wenn X der zun 23 Tausch angebotene Gegenstand ist. 23
Eine solche Strategie spielt natürlich nicht nur in einem Tauschhandel eine Rolle, sondern auch die Produktwerbung scheint mit dem Anpreisen einer Ware zu arbeiten, bei dem die (angeblichen) Vorzüge herausgestellt werden. Eine solche Werbestrategie ist jedoch vergleichsweise simpel gegenüber subtileren Methoden der Beeinflussung des Konsumentenverhaltens.
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Aufgrund einer solchen Bewertung könnte der Partner unter Annahme bestimmter Normsätze schließen: Wenn X besser ist als und es dir angeboten wird, gegen X zu tauschen, so nimm das Tauschangebot an und tausche!
Für beide Partner wäre ein Tausch dann vorteilhaft, wenn sie sozusagen komplementäre Bewertungen der Tauschgegenstände hätte, wenn also für P.. gilt: X ist besser als und für P„: ist besser als X, wobei X dem P« gehört und dem P^ Wenn Joscha mit die Scheibe dagegen auf die Scheibe referiert, die er durch den Tausch erhalten möchte, so zeigt er mit seiner Behauptung gewiß offen, daß er Interesse an dem von ihm vorgeschlagenen Tausch hat; dies könnte den Partner aber gerade davon abhalten, auf den Tausch einzugehen, denn Sebastian müßte sich doch fragen, warum er denn seine Scheibe, durch die man angeblich "besser durchschauen" kann, gegen Joschas Scheibe, durch die man offenbar nicht so gut durchschauen kann, tauschen soll. Wenn wir Joscha, wie wir es oben getan haben, die Fähigkeit zu "strategischem Handeln" zusprechen, so könnte man durchaus annehmen, er beherrsche auch die hier beschriebene Strategie des Anpreisens. Andererseits weiß ich nicht, ob man von einem viereinhalbjährigen Kind nicht vielleicht annehmen sollte, es äußere (auch wenn es "strategisch" vielleicht nicht "klug" ist) durchaus offen seine Interessen und Bedürfnisse. Und wäre ein solches Offenlegen des eigenen Interesses denn unbedingt strategisch falsch? Wir haben ja bei dieser Diskussion immer so argumentiert, als seien wir als Erwachsene diejenigen, die entscheiden müßten, was "strategisch klug" und was "unklug" sei und so getan, als müßte der Partner, an dessen möglichen Reaktionen sich doch erst zeigen könnte, ob "strategisch falsch" oder "strategisch richtig" argumentiert worden ist, in der gleichen Weise auf bestimmte Strategien reagieren wie wir als Erwachsene es vielleicht tun würden. Es müßte also, wenn wir von Strategien reden und diese bewerten wollen, djimer die Frage nach der Adäquatheit der Partnereinschätzung gestellt werden, denn eine Strategie ist "gut" oder "schlecht" immer nur im Hinblick auf einen bestimmten Partner. Wie wir selbst auf die eine oder die andere Strategie reagiert hätten, ist ein heuristischer Ausgangspunkt, aber nicht entscheidend für die Bewertung der Adäquatheit einer Strategie bzw. deren Beschreibung. Ich glaube, daß sich mit solchen Überlegungen die Bedeutung des Verstehens für die Beschreibung von Komtunikationen (unter Kindern) einleuchtend illustrieren läßt, denn wir sind uns fast selbst in eine Falle gegangen, als wir nicht
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mehr auf die Differenz zwischen unserer Kompetenz und der Kompetenz der Kinder bzw. zwischen unserem Verstehen als teilnehmender Beobachter und dem möglichen Verstehen der Kinder untereinander reflektiert haben und uns auf diese Weise wohl auch teilweise mit einem Partner in der Kotmunikation identifiziert ha-
ben. Erst eine unsere Selbstverständlichkeiten und unser Selbstverständnis hinterfragende Problemstellung konnte uns bewußt machen, daß wir unsere größtenteils nach ökonomischen Gesichtspunkten ausgerichteten Rationalitätskriterien offensichtlich unreflektiert auf andere gesellschaftliche Gruppen und andere Kulturen anzuwenden geneigt sind, anstatt darauf aus zu sein zu lernen, unsere eigene Kompetenz zu erweitern, indem wir uns "neue Welten" verstehend anzueig24 nen versuchen. 3.3.3. Schenken Ein mit 'Tauschen1 eng verwandtes Handlungsmuster scheint 'Schenken1 zu sein. "Schenken1 ist wie 'Tauschen1 offensichtlich kein sprachliches Handlungsmuster, es scheint auch nicht in der gleichen Weise wie "Tauschen1 eine sprachliche Verständigung vorauszusetzen. 'Schenken" scheint auch nicht in dem Maß wie "Tauschen" "konfliktträchtig" zu sein, weil es doch offensichtlich Freiwilligkeit impliziert und man niemanden dazu zwingen kann (jedenfalls nicht im üblichen Sinne von "zwingen"), einem etwas zu schenken. Mich interessiert hier ein Konflikt bzw. ein Streitverlauf, der ausgeht von der Aufforderung des Partners, ihm einen bestimmten Gegenstand zu schenken. In dieser Hinsicht ist der Anfang des folgenden Kcmmunikationsausschnitts ganz ähnlich strukturiert wie im Fall des Tauschvorschlags in Text 11,1: Text II, 10/11
24
( 1 ) Joscha
... du / schenkst mir den Wagen?
(2) Sebastian
was?
(3) J
ob du mir den Wagen schenkst
(4) S
mm
(5) J
was schenkste mir dann? / welchen Wagen?
(verneinend)
Vgl. Winch 1972: 84. Freilich ist ein solcher Versuch in anderen Bereichen nicht immer ganz ungefährlich; siehe etwa Castaneda 197O; 1973: 42. "Peyote hatte in mir als Nachwirkung eine seltsame Art körperlichen Unbehagens verursacht. Q . f f Und dieser Zustand gefiel mir in keiner Weise. Don Juan lachte und sagte: 'Du beginnst zu lernen! 1 'Diese Art Lernen ist nichts für mich. Ich bin dafür nicht gemacht, Don J u a n . ' "
140 (6) S
kein Wagen
(7) J
was schenkste mir danne?
(8) S (leise)
(8a)
weiß ich dann //
(8b)
soll ich dem Joscha was schenken? (wendent sich an V) bitte?
(9) V
(10)
S
(U)
V
///
dem Joscha was schenken
(Ha)
willst dem Joscha was schenken?
(lib)
ja sicher
/
(12)
J
was magst du mir denn schenken?
(13)
S
weiß nich xxxxx
(Störung)
(14)
J
du has aber zwei von denen/ und eins von diesen beiden (schenken)
(Bauklötze)
(15)
S
ich / brauch aber zwei die beiden / brauch die beiden
(16)
J
welche beiden?
(17)
S
die bei / den / die beiden
(18)
J
aber ich mag eins von diesen geschenkt haben
(19)
S
aber ich hab / ich kuckmal / vielleicht hab ich noch ein alten Baustein
(20)
J
(21)
S
vielleicht / vielleicht find ich ein alten
(S läuft ins Kinderzimmer)
(22)
J
has du noch so ein oder was?
(S kommt zurück)
(23)
S
n neuen
(24)
J
welchen neuen?
(25)
S
den
(freudig)
(zeigt auf zwei Klötze)
so ein
xxxxx
(J und S ins Kinderzimmer)
Unvermittelt aus dem Spiel mit verschiedenen Autos heraus unterbricht Joscha die Äußerung von Sebastian und fragt ihn, ob er ihm "den Wagen" schenkt. Wenn wir die vorliegende Kommunikation mit der Tauschkatmunikation vergleichen, können wir feststellen, daß die Ähnlichkeit zwischen Joschas Tauschvorschlag (11,1, (D) und der mit dem Äußern von (1) ... du / schenkst mir den Wagen? in II,1O gemachten sprachlichen Handlung sich offenbar nur auf ziemlich weit
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rechts anzusetzende Muster bezieht, also in diesen Sinne "oberflächlich" ist. Mit der Äußerung du / schenkst mir den Wagen? könnte zwar wie mit (...) die Scheiben tauschen? eine Frage gestellt worden sein, jedoch könnte es sich im letzten Fall auch um einen Vorschlag und im ersten Fall dagegen auch um eine Bitte handeln. Man kann nach unseren Verständnis wohl nur in ganz bestürmten Zusammenhängen jemanden vorschlagen, daß man etwas, oder was man geschenkt haben möchte, z.B. wenn man dazu aufgefordert worden ist, seine Wünsche zu spezifizieren. Die unvermittelte Bitte oder Aufforderung an den Partner zu richten, daß er einen etwas Bestimmtes schenken soll, scheint uns also zunindest ungewöhnlich. 25 Wenn ich in Aussagen dieser Art anstatt des Prädikats ist einen Ausdruck wie scheint uns verwende, so ist dies als Hinweis aufzufassen, daß ich hier eine Aussage aufgrund einer Reflexion auf meine eigene Sprachkcmpetenz und evtl. auf die des "normalen" erwachsenen Sprachteilhabers treffe, daß ich also eine Erwartung expliziere, die ich aufgrund bestimmter normativer Einstellung habe, wenn ich mit der Analyse einer Koitnunikation beginne. Damit mache ich mir zugleich den Hypothesencharakter meiner Aussage und die Annahmen, unter denen ich eine bestimmte Hypothese aufstelle, bewußt und halte mich sozusagen offen für alternative Annahmen, unter denen ich zur Formulierung alternativer Hypothesen gelangen könnte. Eine Hypothese über bestimmte Regeln, nach denen Kinder in ihren Kommunikationen handeln, hat natürlich immer Deutungscharakter, d.h. sie expliziert mein Verstehen dessen, was die Kinter tun. Welcher Art eine bestimmte interpretative Hypothese sein wird, hängt jedoch vor allem damit zusammen, welche vorgängigen Annahmen ich aufgrund meines Erfahrungshorizontes und meiner Sprachkcmpetenz überhaupt habe machen können, welche mir, alltagssprachlich ausgedrückt, überhaupt in den Sinn kennen konnten und welche nicht. Daß ich es also für ungewöhnlich halte, jemanden zum Schenken aufzufordern, muß nicht bedeuten, daß so etwas für die Kinder, deren Handlungen ich zu verstehen und zu beschreiben versuche, ungewöhnlich ist. Ich halte mir also mit einer Formulierung wie scheint uns ... ungewöhnlich eine alternative, u.U. adäquatere Beschreibungsmöglichkeit offen, inden ich prinzipiell nicht von einer (idealen oder faktischen) Gleichheit unserer Regeln ausgehe, sondern 25
Ich sehe hier von Zusammenhängen ab, in denen es uns zwar unangenehm ist, aber doch grundsätzlich akzeptiert wird, daß jemand uns zum Schenken auffordert. Ich meine solche Zusammenhänge, in denen wir nicht schenken sondern spenden verwenden.
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zunächst einmal unterstelle, daß die Kinder nach anderen Regeln handeln (könnten) , daß die Zusammenhänge ihrer Regeln oder Handlungsmuster nicht identisch sind mit meinen bzw. denen der Erwachsenen. Ich will im Rahmen meiner Zielsetzung nach der Struktur eines Konflikts und nach spezifischen Formen des Streitens fragen/ die im Zusammenhang mit der beschriebenen Aufforderung, dem Partner einen bestimmten Gegenstand zu "schenken" eine Rolle spielen. Wie reagiert Sebastian nun auf die beschriebene sprachliche Handlung Joschas, indem er äußert (2) was?
Die Intonation und die Art wie Joscha seinerseits darauf reagiert, macht eine Interpretation des was als Frage nach der ganzen Äußerung wahrscheinlich. So jedenfalls müßte J die mit dem Äußern von was gestellte Frage verstanden haben, wenn die "Wiederholung" seiner Frage sinnvoll sein soll. Was hast du gesagt? oder Was hast du gefragt?
wären mögliche Paraphrasen, die unser und Js Verständnis explizieren könnten. J antwortet auf die mit dem Äußern von was gestellte Frage, indem er mit dem Äußern von (3) ob du mir den Wagen schenkst
"wiederholt", was er gefragt hat. Diese "Wiederholung" ist allerdings, darauf sollte man aufmerksam machen, offenbar nicht die Wiederholung der Äußerung und vielleicht auch nicht die Wiederholung der Fragehandlung. Es handelt sich allerdings auch nicht um die Beschreibung der Proposition im sprechakttheoretischen Sinn, denn wir haben es hier natürlich auch mit einem Äußerungsmuster zu tun und nehmen nicht an, daß sich Js Beschreibung auf eine Art "Tiefenstruktur" bezieht, die seiner Fragehandlung und der damit ausgedrückten Proposition unterlag und die er nun expliziert. 26 Die einleitende Konjunktion ob macht deutlich, um welche Art von sprachlicher Handlung es geht. Ob J diese Handlung beschreibt und ob er damit doch eine Fragehandlung macht, 26
Vgl. etwa Searle 1969: 3O f . : "In the deep structure we can often identify those elements that "correspond to the indicator of illocutionary force g^iite separately from those that correspond to the indicator of propositional content [ . . . ] " .
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braucht hier allerdings nicht entschieden werden, da die mit (1) gestellte Frage für die Kaimunikation in jeden Fall relevant bleibt. Nach welcher Regel (Erzeugung) J jeweils handeln kann, hängt ab von dem Zusammenhang der Konnunikation. So werden wir mit einem Äußerungsmuster wie dem, nach dem J (3) äußert, dann eine Fragehandlung machen, wenn der Partner etwa eine Rückfrage gestellt hat, wenn er zu erkennen gegeben hat, daß er uns nicht verstanden hat usw. Daß wir es hier sowohl mit 'Fragen1 als auch mit 'Beschreiben1 zu tun haben, wird auch durch die nachfolgende Äußerung von S deutlich, der ja mit dem Äußern von mm so reagiert, wie man auf eine Frage reagiert, wenn man diese verneinen will, oder auf eine Bitte, wenn man diese nicht erfüllen will. Wir wissen nicht, ob S mit dem Äußern von was? zunächst versucht hat, der Frage nur auszuweichen. Ich halte dies für unwahrscheinlich, wenn man das gerade in dieser Kamiunikation mit J sehr häufig von S geäußerte fragende was in der Regel in Zusammenhängen findet, in denen eine Interpretation im Sinne einer Verzögerungstaktik, eines Sich-Dunm-Stellens m.E. nicht möglich ist. Beispielsweise in Text II, 7 (oben) Joscha meins is n / Jeep / n Jeep is meins / deiner auch? Sebastian was? Joscha ob deins auch n Jeep is Sebastian mm Joscha aber meiner is n Jeep oder in:
Text II, 7 (unten) Joscha
... schau mal was der Wagen jetzt bringt
Sebastian
was?
Joscha
schau was der Wagen jetzt bringt / Möbel
Sebastian
was?
Joscha
der Wagen bringt jetzt Möbel
Gewiß gibt es auch hier verschiedene Interpretationsmöglichkeiten dessen, was S tut oder wonach S fragt, indem er was äußert. Im letzten Beispiel etwa könnte S mit was durchaus nach dem gefragt haben, was der Wagen denn bringe, also eine Ergänzungsfrage nach der von was vertretenen Akkusativ-Ergänzung gestellt haben. Jedenfalls brauche ich in diesen Zusammenhängen was nicht im Sinn einer
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"Verzögerungs-" oder "Ausweichtaktik" verstehen. In unserem Beispiel lehnt Sebastian Joschas Bitte, ihm "den Wagen" zu schenken, dadurch ab, daß er dessen Frage, ob er ihm den Wagen schenke, verneint, indem er mm äußert. Wie auch in unseren ersten Beispielen (I, 14/15; 11,1) dürfte die Struktur des Konflikts mit dieser Handlungssequenz für die Partner deutlich geworden sein. Wie versuchen sie, diesen Konflikt zu bewältigen? J akzeptiert Implizit die Ablehnung seines Wunsches, einen bestürmten Wagen geschenkt zu bekamen, zeigt sich gewissermaßen zu einem Konproniß bereit. Die Art, wie er dies tut, mag uns ebenso befremden wie seine Aufforderung an den Partner, ihm etwas zu schenken. Wir sind offensichtlich auch nicht gewohnt, über Geschenke zu "verhandeln". Wenn J aber nicht darauf beharrt, gerade diesen einen Wagen geschenkt zu bekcnmen, so akzeptiert er damit jedoch implizit das von uns eingangs diskutierte Merkmal der Freiwilligkeit, das beim Schenken eine wesentliche Rolle spielt; er akzeptiert, daß S das Recht hat, seine Bitte abzulehnen. 27 Ich betone dies deshalb, weil es durchaus hätte sein können, daß J den Konflikt, der durch die Ablehnung seines als Bitte oder Wunsch ausgedrückten Interesses an dem betreffenden Gegenstand entstanden ist, auch hätte zu lösen versuchen können, indem er etwa S den gewünschten Wagen einfach weggenommen hätte, wie wir es zwischen S und C im ersten Beispiel beschrieben haben. Daß J nicht so handelt, mag daran liegen, daß meine Anwesenheit S möglicherweise vor einer Eskalation schützt, weil J für einen solchen Fall etwa mit meinem Eingreifen zugunsten von S rechnen müßte. Ich will solche Überlegungen hier einmal außer acht lassen. Was tut Joscha, indem er äußert (5) was schenkste mir dann?
Ich will wiederum einige Paraphrasen anbieten, die unser Verständnis charakterisieren können. Wichtig scheint mir vor allem das von J geäußerte dann, auf dessen Explikation sich die folgende Paraphrase bezieht: Was schenkst du m i r , wenn du mir diesen Wagen nicht schenkst bzw. nicht schenken willst?
Die implizite Argumentationsstruktur ist also die einer wenn (nicht) - dann Relation. 27
Von daher läßt sich auch die Beschreibung der Äußerung (1) als Bitte und nicht etwa als Befehl begründen.
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Es fragt sich nun, inwieweit J anniumt, daß für S aus der Ablehnung seines Wunsches eine Art Verpflichtung resultiert, ihm etwas anderes zu schenken, inwieweit er also versucht, mit seiner Argumentation S irgendwie unter Druck zu setzen. Aufgrund der teilnehmenden Beobachtung läßt sich hierzu folgendes sagen: Ich hatte zur Zeit der Aufnahme den Eindruck, daß es in den Kindergruppen, die ich relativ gut kannte aus eigener Mitarbeit in dem betreffenden Kindergarten, üblich war, sich bei gegenseitigen Besuchen etwas zu schenken und zwar nicht so, wie es unter Erwachsenen allgemein gehandhabt wird, daß der "Gast" dem "Gastgeber" ein kleines Geschenk mitbringt, sondern so, daß der "Gast" von "Gastgeber" zum "Abschied" etwas geschenkt bekannt. Die Auswahl des Geschenks treffen "Gast" (Beschenkter) und "Gastgeber" (Schenkender) gemeinsam aus den Spielzeugbeständen des "Gastgebers". Dabei bleibt dem "Gastgeber" das Recht vorbehalten, bestimmte Gegenstände nicht zu verschenken, z.B. solche, die er selbst geschenkt bekennen hat, an denen er besonders hängt usw. Im Rahmen eines solchen Zusammenhangs, hat es nun offenbar keinen Sinn von Druck zu reden, den J hier ausüben wollte, er könnte sich ggf. auf die beschriebenen "Spielregeln" berufen, was für S natürlich nicht die Möglichkeit ausschließen würde, nicht nach diesen Regeln zu handeln, aus dan Spiel auszusteigen usw. Letzteres könnte jedoch u.U. unerwünschte soziale Folgen für S haben, zumindest solange für ihn keine alternative, gleichermaßen attraktive Partnerbeziehung erreichbar ist. Nun läßt sich S in unserem Beispiel offensichtlich auf das "Spiel" ein. J versucht mit dem Äußern von welchen Vagen jedoch noch, den Bereich der möglichen Geschenke (den Bereich des "Was") einzuschränken auf Autos, so daß man nun paraphrasieren könnte: Wenn du mir nicht diesen Wagen schenkst, welchen Wagen schenkst du mir dann,
wobei J annehmen würde, daß S akzeptiert: Wenn du mir nicht diesen Wagen schenkst, bist du "verpflichtet", mir einen anderen Wagen zu schenken.
S weist jedoch die mit dem Äußern von welchen Wagen von J gemachte Einschränkung des Bereichs der möglichen Geschenke auf Autos explizit zurück, indem er äußert (6) keinen Wagen.
Dabei bestreitet er jedoch nicht den "Anspruch" Js auf irgendein Geschenk, so daß J seine Bitte um ein Geschenk ohne die vorher genachte Einschränkung sinnvoll wiederholen kann. Es scheint hier also tatsächlich nach den oben vermuteten Regeln für das "Geschenke-Machen-Spiel" zwischen "Gast" und "Gastgeber" gespielt zu wer"
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Anscheinend kennt S nun doch etwas in Verlegenheit. Was könnte er J anstelle eines Autos anbieten? Sein Äußern von (8a) weiß ich dann nach einer längeren Pause, läßt sich als eine Art Uberlegungsphase deuten; wenn man anninmt, daß S mehrere Alternativen sieht, so steht er offenbar vor einen Entscheidungsproblem. In diesem Entscheidungskonflikt wendet er sich an mich. Interessanterweise jedoch nicht mit einer Frage nach der Auswahl der Geschenke, sondern mit einer Frage, mit der er die Spielregeln in Frage stellt bzw. mich um Hilfe bei der Einschätzung der .Spielregeln bittet, indem er äußert: (8b) soll ich dem Joscha was schenken? Läßt sich die Deutung des weiß iah dann trotzdem rechtfertigen? Man kann annehmen, daß sich der Entscheidungskonflikt auf zwei Arten von Alternativen bezieht, nämlich (i) auf die Frage, ob S dem Joscha was schenken soll oder nicht und (ii) auf die Frage, was S dem Joscha schenken soll. Wenn man unterstellt, daß S den Zusammenhang zwischen (i) und (ii) intuitiv kennt, könnte man seine an mich gerichtete Frage als den ersten Zug einer ökonomischen Fragestrategie ansehen. Die erste Art von Alternativen läßt sich als Entscheidungsfrage formulieren, so daß es zwei mögliche Antworten, "ja" und "nein" gibt. Um die Frage nach der zweiten Art von Alternativen sinnvoll stellen zu können, muß die Antwort auf (i) "ja" sein, da mit (ii) präsupponiert wird, d a ß S dem J etwas schenken soll: E-FRAG 28 ANTW (neg)
ANTW (pos) W-FRAG ANTW(a 1 )
28
ANTW(a 2 )
" -FRAG" steht für Entscheidungsfragen, "W-FRAG" für
...ANTW(a ) n Ergänzungsfragen
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Ich kann natürlich nicht sicher sein, ob S nach dieser Fragestrategie
tat-
sächlich vorgeht. Mir scheint es aber wichtig, auf den Zusammenhang der zwei Arten von Alternativen hinzuweisen, denn auch in den folgenden Handlungen von V und J wird m.E. mit den Präsuppositionen von Ergänzungsfragen taktiert. Meine Reaktion als teilnehmender Beobachter, der hier unmittelbar als Teilnehmer in die beobachtete Kommunikation und Interaktion einbezogen wird, scheint auf den ersten Blick eigenartig. Ich habe nachträglich den Eindruck, daß es sich um ein bewußtes Mißverstehen meinerseits handelt; daß also auch meine Rückfrage
(bitte?) eher Verwunderung über die Frage als Nicht-Verste-
hen ausdrücken könnte. Da S in der als Antwort auf meine Frage zu verstehenden Äußerung (dem Joscha was schenken?) nicht mehr das soll ich aus (8b) wiederholt, kann ich bei meiner Reaktion ohne weiteres davon absehen, daß S in der ersten Frage, die ich verstanden haben kann oder nicht, danach gefragt hat, was er soll bzw. darf. Unabhängig davon könnte man auch argumentieren, daß ich aufgrund meiner Beobachtung der Kotmunikation zwischen J und S zu diesem Zeitpunkt vermutlich davon überzeugt war, daß es zwischen S und J nicht strittig war, ob S dem J überhaupt etwas schenken sollte und daß ich deshalb mit dem Äußern von (l l a) willst dem Joscha was schenken?
in Form einer rhetorischen Frage, auf die ich unmittelbar anschließend selbst antworte, S unterstellt habe, daß er J etwas schenken wolle. Mit dem Äußern von ( l i b ) ja sicher
scheine ich jedoch mein willst oder das soll ich von S als Bitte um Erlaubnis im Sinne von darf ich zu interpretieren. Ich hätte etwa auch äußern können ja sicher, das darfst du.
Aus meiner Sicht müßte ich die Kommunikation etwa wie folgt rekonstruiert ha-
ben: S will dem J etwas schenken. S fragt V, ob er dem J etwas schenken d a r f . V bestärkt t; in der Absicht, die er ihm unterstellt. V erteilt S die Erlaubnis, dem J etwas zu schenken.
Es ist vielleicht nicht untypisch, daß ich als Erwachsener Ss Frage als Frage nach Erlaubnis habe interpretieren können; ich habe dies offensichtlich tun können aus dem Rollenverständnis dessen heraus, den man in bestürmten Ange-
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legenheiten um Erlaubnis fragt bzw. fragen muß. Das bedeutet in diesem Fall eine prinzipielle Einschränkung von Ss Verfügungsgewalt über seine Spielsachen, die er entweder schon akzeptiert hat (wenn er seine Frage tatsächlich so meint, wie ich sie verstanden habe) oder die ich ihm mit meiner Interpretation seiner Äußerung zu akzeptieren nahelege. Die Strategie wäre also die, durch die Interpretation der Äußerung des Partners auf der Folie eines vorgängigen Rollenverständnisses diesem die Übernahme eben dieses Verständnisses nahezulegen. J kann nun weiter davon ausgehen, daß S akzeptiert, daß er ihm, wenn auch nicht das betreffende Auto, so doch irgendetwas anderes schenken wolle oder müsse, daß S also das beschriebene Spiel des Schenkens zwischen Gast und Gastgeber nach den gleichen oder nach ähnlichen Regeln spielt wie J. Indem Joscha äußert (12) was magst du mir denn schenken?
fragt er, was Sebastian ihm schenken mag, und präsupponiert damit gleichzeitig, daß er ihm etwas schenken will. Sebastian kann sich jedoch offensichtlich irritier noch nicht entscheiden, entweder ob er J etwas schenken soll oder was er J schenken soll: (13) weiß nich.
Nach (13) bricht die Aufnahme aufgrund einer technischen Störung ab. 29 Als die Aufnahme wieder einsetzt, scheint das Verhandeln über die Auswahl des zu schenkenden Gegenstandes in vollem Gang zu sein. Nachdem S vermutlich keine eindeutige Entscheidung oder keine für J akzeptierbare Entscheidung über die Wahl des Geschenks hat treffen können, hat J offenbar seinerseits wieder einen Vorschlag gemacht, was S ihm schenken könne. Als ich meine Aufmerksamkeit wieder den beiden zuwenden kann, bemerke ich, daß nicht mehr über Autos geredet wird. Das bedeutet, daß J die Weigerung von S, ihm einen "Wagen" zu schenken, akzeptiert hat und jedenfalls momentan nicht mehr darauf aus ist, eines von den Autos geschenkt zu bekommen. S hat aber auch den auf "Bauklötze" bezogenen Wunsch offensichtlich abgelehnt, so daß J nun mit dem Äußern von (14) einen argumentativen Versuch unternehmen kann, S davon zu überzeugen, daß ein Baustein für S durchaus entbehrlich wäre. 29
Während ich den Mikrophonanschluß wieder hergestellt habe, habe ich keine Protokollnotizen gemacht, so daß ich die Interaktion und Kommunikation während dieses Zeitraums (etwa 3 Minuten) nicht rekonstruieren kann.
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Die Äußerung von Joscha (14) du has aber zwei von denen / und eins von diesen beiden (schenken) braucht allerdings nicht unbedingt in diesem strategischen Sinn verstanden werden. Möglicherweise ist es für J tatsächlich unverständlich, warum S ihm nicht einen der beiden Bauklötze schenken will, denn dann bliebe S immer noch ein Bauklotz übrig. Wenn es nur darum ginge, daß Joscha mit dan betreffenden Klotz spielen wollte, hätten wir es mit einer ganz ähnlichen Konstellation wie in unseren ersten Beispiel zwischen Sebastian und Carmen zu tun, wo der Streit um ein Schaumstoffteil ging und es ebenfalls zwei Exemplare dieses Teils gab. Es dürfte aber wohl auch für die Kinder einen erheblichen Unterschied machen, ob jemand von zwei Exemplaren eines Spielgegenstands eines für die Dauer eines bestimmten Spiels an den Partner abgibt, es ihm "leiht", oder ob jemand dan Partner ein Exemplar des Spielgegenstandes schenkt. Die Argumentationsstruktur in den betreffenden Komtunikationen könnte jedoch vergleichbar sein. In der Argumentation über das Schenken wird als Argument angeführt, daß der Partner über zwei Exemplare des als Geschenk gewünschten Gegenstands verfügt. Das Gegenargument, das S vorbringt, indan er äußert (15) ich / brauch aber zwei die beiden / brauch die beiden
kann von J als Begründung dafür verstanden werden, daß S seinen Wunsch ablehnt, wobei die Ablehnung selbst hier gar nicht explizit gemacht wird (allenfalls andeutungsweise durch aber). Die Äußerung (15) von S kann als Zug in diesem Spiel gleichzeitig als Ablehnung und als Begründung der Ablehnung verstanden werden. In der Konnunikation zwischen S und C bzw. R gab S dagegen zunächst keine explizite Begründung, sondern wies das Argument, das C mit dem Äußern von (7) wenn / da noch ein
(1,15)
vorgebracht hatte, einfach zurück, indem er nö äußerte. Nun scheint aber die Interpretation, S weise mit dem Äußern von (15) implizit das Argument von J zurück bzw. weigere sich, die Behauptung von J als Argument zu akzeptieren, nicht ganz stimmig. Denn es ist offensichtlich etwas anderes, ob jemand ein Gegenargument vorbringt oder das von Partner vorgebrachte Argument einfach ablehnt. Das Vorbringen eines Gegenarguments impliziert m.E. nicht unbedingt das Zurückweisen des Arguments des Partners, es kann auch als Aufforderung
150 verstanden werden, Argument und Gegenargument gegeneinander abzuwägen, zu bewerten und so kooperativ zu einer gemeinsam getragenen Entscheidung zu kon-
men. Die Frage, welche Interpretation in unseren Fall die adäquatere sei, lassen wir auch hier offen. Wie verläuft die Kcmnunikation nach der beschriebenen Argument-Gegenargument-Sequenz weiter? Mit den Äußern von (16) welche beiden?
könnte sich J einfach eine Uberlegungspause verschaffen vollen, er könnte aber auch eine Argumentation vorbereiten, mit der er S zeigen könnte, daß das Gegenargument sich nicht genau auf sein Argument bezogen hat und daß es mithin gar kein stichhaltiges Gegenargument war. Um zu verdeutlichen, wie ich dazu körne, eine solche Interpretationsmöglichkeit in Betracht zu ziehen, muß ich die Spielsituation hinsichtlich der Spielgegenstände näher charakterisieren. Neben den zwei Plastikautos (rot und weiß), um die es bei dem Vorschlag, die Scheiben zu tauschen, ging, gibt es ein drittes gleichgebautes grünes Plastikauto, zu dan es jedoch keine Scheibe mehr gibt und an dem eine Achse fehlt. Darüberhinaus liegen verschiedenartige Bauklötze und zwei Miniaturautos aus Metall auf dem Boden. Indem J nun äußert (16) welche beiden?
fragt er danach, worauf S mit die beiden in (15) referiert hat. Er scheint also auf die Möglichkeit zu spekulieren, daß S mit die beiden in (15) nicht auf die gleichen Bauklötze referiert, auf die er, Joscha, mit von denen und von diesen beiden referiert hat, so daß S ihm also doch einen von den Bauklötzen, die er, Joscha, meint, schenken könnte, wenn dies gar nicht die beiden sind, von denen Sebastian angeblich keinen entbehren kann. (Auch wenn ich oben nicht die Spielgegenstände beschrieben hätte, könnte man aus Joschas referenzklärender Frage schließen, daß es zumindest mehr als zwei Bauklötze oder jedenfalls mehr als zwei mögliche Geschenke gibt, denn nur dann kann die Referenz von die beiden überhaupt zweifelhaft sein). Es wäre natürlich auch möglich, daß J den S mit seiner Frage verunsichern will und vielleicht hofft, daß sich S daraufhin in Widersprüche verwickeln würde, die J dann für seine eigene Argumentation ausnützen könnte. Aufgrund des Altersunterschieds von fast einem Jahr wäre es durchaus denkbar, daß J sich hier überlegen fühlt und deshalb eine solche Strategie für aussichtsreich hält. Sollte er eine solche Strategie geplant haben, so müßte ihm nach
151
der zusanmen mit den entsprechenden Zeigehandlungen referenzklärenden Antwort, die S auf seine Frage gibt, indem er betont äußert (17) die bei / den / die beiden
3O
und dabei zuerst auf den einen (während er bei äußert) und dann auf den anderen (während der den äußert) zeigt, klargeworden sein, daß er auf diesem Wege wohl doch nichts ausrichten kann. So verstehe ich Joschas folgende Äußerung (18) aber ich mag eins von diesen geschenkt haben
als einen Verzicht auf eine weitere argumentative Auseinandersetzung. Indem er (18) äußert, insistiert J einfach auf seinen Wunsch, einen der Bauklötze geschenkt zu bekamen. Allerdings haben wir es auch hier wieder mit einer möglicherweise unklaren Referenz zu tun, die sich auch nicht durch Rekurs auf das Begleitprotokoll, das an dieser Stelle keine nicht-verbalen Handlungen beschreibt, auflösen läßt. Worauf bezieht sich J mit dem Äußern von von diesen? Entweder bezieht er sich auf die beiden Bauklötze, von denen S keinen abgeben will, oder aber er bezieht sich auf alle Bauklötze, die auf dem Boden liegen. Im letzten Fall würde er mit seiner Äußerung nicht einfach auf der Erfüllung seines Geschenkwunsches beharren, sondern den Bereich der möglichen als Geschenk in Betracht könnenden Gegenstände erweitern. Dies wäre tendenziell ein Kcmpronißvorschlag. Ich möchte annehmen, daß auch S die Äußerung (18) von J in diesem Sinne verstanden hat, wenn er nun seinerseits seine prinzipielle Schenkbereitschaft betont. Dabei versucht er jedoch gleichzeitig den Bereich der möglichen Geschenke auf die momentan zur Diskussion stehenden Bauklötze zu beschränken bzw. ganz im Sinne seiner Äußerung (6) (kein Wagen), mit der er insbesondere die Autos aus dem Bereich der Geschenke ausgeschlossen hat, implizit auch noch einmal anzudeuten, daß für ihn die Autos nicht als Geschenk in Frage kcmmen. Die Betonung von alten in (19) aber ich hab / ich kuckmal / vielleicht hab ich noch ein alten Baustein
zeigt, daß S sogar den Bereich der Bauklötze auf den der alten Bauklötze einschränken möchte. 3O
Im Sinne von Weeks 1971 dürfte es sich um die Kategorie "clarification" handeln.
152
Ein alter Baustein ist jedoch offensichtlich nicht in Reichweite, sondern nur neue, von denen Sebastian anscheinend keine verschenken will. Wie Joscha dieses Angebot aufnimmt, läßt sich aufgrund seiner Äußerung (19) so ein
nicht leicht entscheiden. Ich habe vor allem aufgrund der Intonation und der Tonlage die Äußerung als "freudig" beschrieben. Eine solche Beschreibung beruht auf einer bestürmten Deutung der Äußerung von J, wobei eben nicht nur prosodische Merkmale eine Rolle spielen, sondern auch das Verständnis im Zusammenhang der Kcntnunikation entscheidend ist. Eine Beschreibung der Stimmführung, die über die Angabe distinktiver "phonetic features", wie sie etwa auf der Grundlage eines Spektrcgrattms in der experimentellen Phonetik gewonnen werden können, hinausgeht, basiert in jedem Fall auf Verstehensleistungen und kann nicht als "objektiv" im Sinne der sog. exakten Wissenschaften angesehen werden. Damit wird noch einmal deutlich, daß Verstehen und Deuten von Äußerungen zwar auf verschiedenen Analyseebenen stattfindet, daß sich aber diese Analyseebenen nur dann gegenseitig erhellen, wenn auf jeder dieser Ebenen kritisch auf die ihr spezifischen Deutungsprozesse reflektiert wird. Wenn ich also die Äußerung von so ein als freudige Äußerung verstanden habe, dann vermutlich deshalb, weil ich angencrtmen habe, daß die Äußerung im Zusartmenhang der Kaimunikation so zu verstehen sei, daß J sich erstaunt und erfreut zeigt, daß S ihm einen so schönen Bauklotz als Geschenk anbietet. Meine Wahrnehmung der Intonation dürfte also zumindest nicht unabhängig von einem bestürmten Verständnis der betreffenden Äußerung gewesen sein. Ich habe nun, während ich dies schreibe, die betreffende Bandstelle nochmals mehrere Male angehört, und kotme nun zu dem Schluß, daß ich an der Intonation gar nichts Auffälliges mehr entdecken kann. Jedenfalls glaube ich, daß sich aufgrund einer Beschreibung der Intonation in diesem Fall keine eindeutigen Indikatoren dafür finden lassen, wie J diese Äußerung gemeint haben könnte. Mindestens zwei alternative Interpretationen scheinen mir sinnvoll. Ich will sie wieder durch zwei Paraphrasierungen andeuten: (i) (ii)
Wenn du mir einen alten Baustein schenken willst, dann suche bitte ein altes Exemplar von diesen hier; wenn du mir schon nur einen Baustein (und kein Auto) schenken willst, dann bitte keinen alten sondern diesen hier.
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Betrachten wir die folgenden Äußerungen von Sebastian und Joscha und ihre nicht-sprachlichen Handlungen, scheint mir die Alternative (i) wahrscheinlicher. Sebastian geht ins Kinderzinmer, um noch einen "alten Baustein" zu suchen, kamt dann aber mit einem neuen zurück. Joschas Äußerung (22) hast du noch so ein oder was?
verstehe ich in diesan Zusammenhang so, daß er akzeptiert hat, daß S ihm nur dann "so einen" Baustein schenkt, wenn er noch einen davon hat. Was weiter mit den Bauklötzen passiert, muß hier offen bleiben, da J und S den Raum gemeinsam verlassen und ins Kinderzinmer laufen, wo es offenbar weiter um die Auswahl eines für beide Partner akzeptablen Geschenks geht. 3.3.4. Streiten und Kooperieren Während wir es in den letzten beiden Beispielen mit Kommunikationen zu tun hatten, in denen aus einem im wesentlichen kooperativen Spiel heraus dadurch ein Konflikt auftauchte, daß ein Partner eine bestürmte sprachliche Handlung machte, die bzw. deren Konsequenzen für sein Handeln der andere Partner nicht akzeptieren konnte bzw. wollte, so daß in einen Streit eine Entscheidung gesucht werden mußte, wollen wir uns in diesem Abschnitt mit einer Kcnmunikation beschäftigen, bei der das kooperative Spiel (was inmer wir darunter im einzelnen verstehen wollen) nicht der Ausgangspunkt eines Konflikts und eines Streits ist,
sondern bei der mit Hilfe bestimmter verbaler Formen des Strei-
tens überhaupt erst eine Entscheidung hinsichtlich der Art eines möglichen kooperativen Spiels, das die Partner spielen wollen, herbeigeführt werden soll. Die Partner, die ein kooperatives Spiel anstreben, müssen sich zumindest darüber einig werden, welcher Art das Spiel sein soll, bei dem sie kooperieren wollen bzw. bei dem sie auf Kooperation mit einem Partner angewiesen sind. Der Versuch, eine solche Einigung herbeizuführen, ist natürlich selbst schon eine kooperative Initiative, weshalb es hier noch einmal hervorzuheben gilt, daß Streiten in gewissem Sinne irrmer auch als eine Form des Kooperierens anzusehen ist, Insofern als die Partner dabei miteinander interagieren und kcmmunizieren. Dieses "positive" Element jeglichen Streitens tritt besonders deutlich hervor, wenn das Ziel des Streitens darin liegt, die Möglichkeiten und Bedingungen des Kooperierens kormunikativ zu klären. Auch in den bisher behandelten Beispielen ist deutlich geworden, daß das Streiten dort von den Partnern eigentlich nicht als Unterbrechung eines kooperativen Spiels aufgefaßt wurde, sondern daß Streiten vielmehr als eine Art des Kooperierens angesehen werden konnte, bei der es in der Regel um das Herbeiführen eines Konsens hinsichtlich
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bestimmter von den Partnern jeweils auszuführender oder zu unterlassender (sprachlicher) Handlungen ging. Anders als beim Kooperieren verfolgten die Partner bedm Streiten allerdings bis zu einem gewissen Grad unverträgliche Ziele. Der Unterschied zu dem in diesem Abschnitt zu behandelnden Kormunikationsbeispiel ist wohl weniger prinzipieller, als vielmehr gradueller Natur. Insofern entbehrt es auch nicht einer gewissen Willkür, gerade diesen Unterschied zur Begründung einer bestinmten abschnittweisen Strukturierung unserer Arbeit heranzuziehen. Im einen Fall müßte man annehmen, daß die Partner miteinander kooperieren, dann aufgrund eines Dissens an einem bestimmten Punkt kooperierend streiten, um eine Entscheidung herbeizuführen über die prinzipiellen Möglichkeiten oder die spezifischen Formen des weiteren Kooperierens. Im anderen Fall müßte man annehmen, daß die Partner (noch) nicht miteinander kooperieren, sondern ihre Interaktion und Kotmunikation mit einem kooperierenden Streiten beginnen, um einen mit dem ersten Fall durchaus vergleichbaren Konsens herbeizuführen. Als Beispiel einer Kottnunikation, in der im kooperierenden Streiten versucht wird, eine Entscheidung darüber herbeizuführen, was man eigentlich zusammen spielen will, was man eigentlich in dieser Situation, die sich durch das Hinzukamen eines Partners als potentielle Kotmunikation- und Kooperationssituation konstituiert, miteinander anfangen will, wähle ich den Beginn der in Text III verschriftlichten Kartmunikation zwischen Sebastian und Carmen. Da ich mich dabei auf einen größeren Kormunikationsausschnitt als in den vorangegangenen Beispielen beziehe, werde ich einige Teile dieses Ausschnitts stärker gewichten als andere. Der entscheidende thematische Aspekt der Diskussion des folgenden Beispiels ist der des Vorbereitetes eines kooperativen Spiels bzw. des Herbeiführens einer Entscheidung über ein geneinsam zu spielendes Spiel.31 31
Carmen und Sebastian sind hier ungefähr 4 Jahre alt. Interessant schiene mir der Vergleich mit Text V, wo 5-6jährige Kinder ein ähnliches Kooperationsproblem zu lösen versuchen. Aus Platzgründen kann ich diesen Vergleich hier nicht explizit durchführen, die Unterschiede sind jedoch offensichtlich.
155
Text III, 1-4
Carmen kormvt gerade zu Sebastian zu Besuch. Sebastian spielt mit Bauklötzen. (1) Sebastian
wars du aufm Spielplatz
(2) Carmen
ja
(3)
aber ich hab dich / als du
S
(4) C
jetzt mach ich hier nochn Spielplatz
(5) S
( 5 a ) ich brauch kein Spielplatz / (5b) ich bin schon Vater geworden // (5c) he du alter Babypapa
(6) C
xxx kaputtmachen?
(7)
nee
S
(8) C (schnell)
doch
(9) S
hab ich dir gemacht
(10) C
mir?
(11) S
ja
(12) C
xxx machen
(13) S
war so schön ich des dir
(14) C
...
(15) S+C
oh weh
(16) S
hab ich doch nich gemacht
(1.7) C
du
(18) S
oh Pferdchen
(19) C
ja
(20) S
(20a) oh zwei Pferde // is eins mitn Wagen
(21) C
hm?
(22) S
des nehm ich mir mit
(23) C
was?
(24) S
is mein Freund
(25) C
des is mein Pferd und des is deins / ja?
(26) S
nee ich hab ...
(27) C
...
(28) S
ich hab zwei Pferde gehabt
(29) C
xxx
(30) S
die Pferde harn (sich gefreut / sich n Freund)
komm ich mach dir
(Bauklötze f a l len um) ...
noch ein / xxx
(2Ob) oh des
doch
xxxxx
(S ahmt Pferdewiehern nach)
156 (31) c
ich mach mit n / mit n xxx Musik
(32) S
he / das kann ich nich hörn / kan ich nich hörn
(33) C
hol dir doch auch eine
(mit einer Ratsche)
(S hat 2 Ratschen)
(34) S kann ich nich hörn dringlich) (C nimmt ein Papprohr als Flöte)
(35) C
aber des is unser Musik xxx tatitatidi ...
(36) S
... o ja / tütütü
(S nimmt einen längeren Bauklotz als Flöte)
(37) C
kuck / so eine Mauer / so eine muß ...
(C baut wieder)
(38) S
... tütütü ...
(39) C
... tütü
(40) S
hab ne schönere
(41) C
noch n schönere hier / so eine mach ich mir / tatitatita
(42) S
tati / ladi
(43) C
(auf einmal) hätt ich n ganz großes Haus gemacht / ja / des is dein das große xxx
(44) S
tütütütü
(45) C
(großer) ich komm rein hab aber xxx gemacht
(46) S
ich mach jetzt Musik / sik tütütü
(47) C
ich hab ein ganz großes Haus gemacht
(48) S
(48a) da will ich tanzen / (48b) oh / hab ja kaputt gemacht / bin ja blöd
(49) C
xxx gleich und schreit
(50) S
ich / ich hab das doch nicht absichtlich gemacht // ich hab das das nicht absichtlich gemacht
(51) C
(Sebastian) da rein
(52) S
aber ich brauch Türe / so eine Türe brauch ich / da is meine Türe /// hihi / kann jetzt rein / tipto / von hier oben bin ich hochgeklettert / tip
(C und S machen gemeinsam Musik)
(S und C singen)
(C baut)
(S stößt an Cs Haus aus Klötzen)
(C hat einen trepähnlichen Turm gebaut)
157 (53) C
ein Kletterturm
(54) S
tip tip
(55) C
na
(56) S
will klettern / tip / tip
(57) C
mach dir noch einen // dir n ganz großen
(58) S
jup / aber ich brauch eine Türe
(59) C
da kann man auch hupfen
(60) S
von dem ja
(61) C
und so ein große Masten
(62) S
ach so
(63) C
das is ein schöne / Spielplatz
(64) S
(64a) nee / ich brauch kein Spielplatz // (64b) ich bin schon ein Vati
(mit Fingern)
ich mach
Die Äußerungen (1) - (3) (1) S (2) C
wars du aufm Spielplatz ja
(3) S
aber ich hab dich / als du
sind für mich Im wesentlichen deshalb verstehbar, weil ich weiß, daß Sebastian vor Beginn der Aufnahme auf dem Spielplatz war, wohl in der Hoffnung, dort Carmen zu treffen, was ich daraus schließe, daß er sehr bald mit der Begründung zurückkam, dort seien keine Kinder. Ich will den Beginn der Kcmmunikation hier nicht weiter analysieren, obwohl (1)-(3) vermutlich für den Beginn eines Gespräches recht typische Strukturen aufweisen dürften. Jedenfalls scheint es für Sebastian erfreulich zu sein, daß Carmen nun zu ihm kamt, nachdem er gerade etwas
"frustriert" von Spielplatz zurückgekehrt ist. Car-
men greift nun in ihrer Äußerung (4) in einer Weise, die wir assoziativ nennen könnten, das Thema "Spielplatz" auf. Das "Machen" eines Spielplatzes bezieht sich hier offenbar auf ein Bauen mit Klötzen, mit denen Sebastian beschäftigt war, als Carmen hereinkam. Was er mit den Klötzen gerade spielte, war .für Carmen jedoch vermutlich nicht ersichtlich. Ich möchte die Äußerung (4) von Carmen so auffassen, daß sie, indem sie äußert (4) jetzt mach ich hier nochn Spielplatz
implizit einen Vorschlag für ein gemeinsames Spiel mit den Bauklötzen macht, indem sie ankündigt, was sie selbst jetzt spielen wird bzw. spielen möchte.
158
Wenn es richtig ist, daß C auf diese Weise einen solchen Vorschlag macht, bedeutet das offenbar auch, daß sie S auffordert, an dem von ihr vorgeschlagenen Spiel teilzunehmen. Da dies jedoch in der Äußerung (4) nicht explizit gemacht wird, sondern C explizit lediglich etwas über ihre eigenen Intentionen sagt, eine Handlung oder eine Handlungsfolge nach einem Muster ankündigt, nach dem sie, wie es den Anschein hat, (auch) allein, d.h. ohne in eine Interaktion und Kommunikation mit S eintreten zu müssen, handeln könnte, müssen wir uns fragen, was dann unsere Annahme rechtfertigt, daß c / indem sie (4) äußert, S implizit auffordert, an ihrem Spiel teilzunehmen? Ich glaube, daß es wichtig ist zu fragen, ob wir normalerweise die Vorbereitung einer nichtverbalen Handlungsfolge verbal kommentieren. Wenn die Antwort "nein" ist, fragen wir weiter, ob wir das bei Kindern auch ohne weiteres annehmen sollten. Eine Antwort könnte etwa im Rahmen der Piagetschen Sprachentwicklungstheorie darauf abzielen, daß eine solche Kcrmentierung nicht-verbaler Handlungen oder auch eine Verbalisierung der entsprechenden Handlungsleistungen bei Kindern wohl unter den Kategorien 'Monolog' oder 'kollektiver Monolog1 zu beschreiben sei. Wenn man die Ausführungen Piagets heranzieht, scheinen die verschiedenen Formen des handlungsbegleitenden und handlungsstimulierenden Monologs selbst noch im Alter zwischen 6 und 7 Jahren "eine große Bedeutung" (Piaget 1923; 1972: 26) zu haben. Demgegenüber ging unser Verständnis der Äußerung (4) von C als implizite Aufforderung an S zur Teilnahme an einem gemeinsamen Spiel eher in eine umgekehrte Richtung, nämlich die Äußerung nicht nur als "begleitende" monologische Handlung, sondern wenigstens tendenziell als eine auf eine dialogische Karcnunikation oder gemeinsame Interaktion mit dem Partner abzielende sprachliche Handlung zu deuten. Dies scheint gegenüber der Piagetschen Betonung der Bedeutung des (kollektiven) Monologs umso erstaunlicher, als es sich in unserem Fall um vierjährige Kinder handelt. In Piagets Arbeit über "Sprechen und Denken des Kindes" werden zwar teilweise an sprechakttheoretische Kategorien erinnernde Analysekategorien verwendet, es wird jedoch (wie übrigens auch bei den meisten Vertretern der 32
Siehe Piaget 1923; 1972: 26 und vgl. die dort wiedergegebene Äußerung Levs jetzt will ich was anderes machen
33
Zu einer ähnlichen Relativierung der Piagetschen Auffassung gelangen aufgrund von empirischen Analysen Garnica 1976, Keenan 1974 und Keenan/Klein 1975: "We provide evidence that the capacity of young children to engage in social interaction exceed that suggested by Piaget" (Keenan/Klein 1975: 65) .
159
Sprechakttheorie) nicht auf komunikative Strukturen abgehoben, sondern es werden lediglich Kategorisierungen einzelner Äußerungen eines Partners vorgeschlagen. Selbst dort, wo Piaget eine Kotmunikation dokumentiert,34 kategorisiert er lediglich die Äußerungen eines Kindes, in diesem Fall Levs, dessen Äußerungen als "aufeinander folgende" bezeichnet werden, obwohl tatsächlich die Äußerungen jeweils verschiedener Partner aufeinander folgen. Unsere Behauptung, Cs Äußerung sei nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich als monologische Handlung zu verstehen, beruht demgegenüber gerade auf einem Vorgriff auf eine kotmunikative, die Reaktion des Partners miteinbeziehende Analyse. Wie reagiert Sebastian auf Carmens Äußerung (4)? Oder, ohne bereits vorauszusetzen, daß S mit dem Äußern von (5) überhaupt in irgendeiner Weise auf die Äußerung (4) von C reagiert, gefragt: Welche sprachliche Handlung macht Sebastian, indem er äußert (5a) Ich brauch kein Spielplatz / ...
?
Als kollektiver Monolog interpretiert, müßte man diese Äußerung so verstehen, daß S, während er mit den Bauklötzen irgendetwas baut, darüber spricht, was er gerade nicht baut bzw. nicht braucht. Eine Begründung dafür, daß S gerade betont, daß er keinen Spielplatz braucht, dürfte jedoch im Rahmen dieser Interpretation schwer zu geben sein. Denkbar wäre allenfalls eine Erklärung in Kategorien wie 'Imitation' oder 'Assoziation'. Ich möchte dagegen behaupten, daß S sich in einer Weise auf die vorangegangene Äußerung von C bezieht, die eine Interpretation der Äußerung (4) von C als kollektiver Monolog zumindest von Verständnis dieser Äußerung durch S her, das sich in seiner Reaktion "zeigt", weniger adäquat erscheinen läßt. Wenn S behauptet, er brauche keinen Spielplatz, weil er "schon Vater geworden" sei, bezieht er sich offensichtlich auf ein Angebot oder einen Vorschlag, das bzw. den C ihm nach seinem Verständnis mit ihrer Äußerung gemacht haben könnte, so als hätte sie einen Satz geäußert wie jetzt mach ich für dich hier nochn Spielplatz.
34
Siehe Piaget 1923; 1972: 358-262 ("Fünfzig aufeinander folgende Äußerungen von Lev").
35
In ähnlicher Weise richtet auch Wagner 1974 sein Interesse auf die Merkmale der Sprache e i n e s Kindes aus, obwohl er in der Tat Kommunikationen dokumentiert. Dagegen hebt Ramge 1976 bereits mehr auf eine Beschreibung von "Interaktionszusammenhängen" ab. Eine sprechakttheoretische Kategorisierung von Äußerungen in Kommunikationen unter Kindern versuchen Zaefferer,Frenz 1977.
160
Eine solche Äußerung würde man vermutlich eher als partnerbezogen anzusehen geneigt sein als die Äußerung (4) von C. Weiter unten wird dann auch in genau dieser Weise auf den Partner Bezug gencnmen mit dem Personalpronomen dir. Es wäre von daher sogar denkbar, daß schon hier in (4) als "dir" gemeint war und daß S als Reaktion einen Satz äußert, den man sehr gut als Reaktion auf einen Satz mit dir anstatt hier verstehen könnte. Jedenfalls muß man annehmen, daß er Cs Äußerung in einer Weise verstanden hat, die es ihm sinnvoll oder sogar notwendig erscheinen läßt, etwas darüber zu sagen, was er nicht "braucht". Nach unserem Verständnis dieser Äußerung als Ablehnung eines Spielangebots, wäre die Äußerung (5) von S dann sinnvoll, wenn S die Äußerung (4) von C als ein solches Angebot verstanden hat. Oder wie ich als Beobachter und Beschreibender vorsichtiger formulieren sollte: wenn er sie als ein solches Angebot verstanden haben könnte, wenn C also, wie oben beschrieben, ihre Äußerung als ein solches Angebot gemeint haben könnte. Ich glaube aufgrund meiner Sprachkompetenz, daß ein solches Verständnis bzw. eine solche Meinung möglich und wahrscheinlich ist, ich kann jedoch nicht sicher sein, daß von C und S die beschriebenen Äußerungen tatsächlich so gemeint bzw. verstanden worden sind und daß sie den Zusammenhang zwischen ihren Äußerungen als den wahrnehmen, den ich in meinem Interpretationsversuch herausgearbeitet habe. Man könnte aufgrund dieser in ihrem Geltungsanspruch stark relativierten Interpretation fragen, ob dann nicht doch die Kategorisierung der betreffenden Äußerung als "kollektiver Monolog" zuverlässiger sei, denn ich hätte zwar eine alternative Interpretationsmöglichkeit aufgezeigt, es sei mir aber nicht gelungen, deutlich zu machen, inwieweit meine Beschreibung adäquater sei als die mithilfe der diskutierten Kategorie Piagets. - Gehen wir einmal davon aus, daß ich in der Tat eine alternative Interpretationsmöglichkeit aufgezeigt habe, so könnte allein dies ein wesentlicher Schritt zu einem möglicherweise adäquateren Verständnis und einer adäquateren Beschreibung der betreffenden Handlungen sein. Was heißt aber eine alternative Interpretationsmöglichkeit aufzeigen? Ich verstehe unter aufzeigen soviel wie 'einsehbar machen1, was m.E. nur dann gelingen kann, wenn ich Gründe angebe, warum diese oder jene Beschreibung überhaupt eine Interpretationsmöglichkeit sein kann. Ich glaube, 35a Mit solchen Redeweisen scheint man allerdings auch oft zu meinen, daß der betreffende Autor, der diese oder jene Interpretation gibt, diese oder jene Kategorisierung vorschlägt, "zuverlässiger" sei als ein anderer. Auf eine Diskussion der wissenschaftspolitischen Implikationen der Kriterien für eine solche behauptete "Zuverlässigkeit" muß ich an dieser Stelle verzichten.
161
daß ich dies in der vorgeschlagenen Analyse wenigstens ansatzweise getan habe und daß ich "gezeigt" habe, daß eine Interpretation unter der Kategorie "kollektiver Monolog" offenbar den Zusammenhang der Handlungen der Partner nicht oder zumindest nicht explizit berücksichtigt und insofern auf einen Mißverständnis beruht. Da unsere Interpretation gerade von diesem Zusammenhang ausgeht, ist sie zumindest von daher einer Interpretation der Äußerungen als kollektiver Monolog überlegen, weil sie relevante Aspekte einbezieht, die im anderen Fall gar nicht berücksichtigt werden können. Daß ich anschließend diese Interpretation relativiert habe in Bezug auf das möglicherweise von meinen Verständnis abweichende Verständnis der Kinder untereinander, ist auf dan Hintergrund unserer theoretischen Überlegungen natürlich nicht so zu verstehen, als gelte eine solche Relativierung nur im Hinblick auf diese spezielle Interpretation, sie würde ebenso für die Interpretation unter einer Kategorie wie "kollektiver Monolog" anzunehmen bzw. zu fordern sein. Es ist also nicht so, daß die eine Interpretation "besser" sei, weil in ihr das Verständnis des Interpreten nicht relativiert wird in Bezug auf das mögliche Verständnis der Interagierenden und komiunizierenden Partner untereinander. Es handelt sich in jeden Fall zunächst um konkurrierende (möglicherweise auch nur partiell konkurrierende, evtl. auch kcmplenentäre) interpretative Hypothesen, die eine Explikation des Verständnisses des teilnehmenden Beobachters und Beschreibenden darstellen. Dieses Verständnis ist jedoch grundsätzlich als problematisch und als nicht-identisch mit dem möglichen Verständnis der unmittelbar interagierenden und kormunizierenden Partner untereinander anzusehen. Auf diese Differenz muß Im Einzelfall stets reflektiert werden, was den Versuch impliziert, einen methodischen Zugang zu finden zu dan, was ich das Verständnis der Partner untereinander genannt habe. Der entscheidende Punkt, an den ich eine Möglichkeit zu einen solchen Zugang sehe, ist der Zusammenhang der Äußerungen der Partner. Obwohl ich mich hier prinzipiell vor das gleiche Problen gestellt sehe, ob nämlich der Zusammenhang zwischen den Äußerungen bzw. Handlungen von den Partnern in der gleichen Weise wahrgenommen wird wie von mir, scheint es je nach der Reichweite des Zusammenhangs mit fortschreitender Einbeziehung folgender oder vorangegangener Äußerungen in die explizite Beschreibung, wahrscheinlicher zu sein, daß ich mich dabei den Verständnis der Partner annähere, als daß ich mich weiter davon entferne, da die Möglichkeit des Auftretens von Widersprüchen zwischen verschiedenen interpretativen Hypothesen über verschiedene Teile des betreffenden Zusammenhangs bei einen solchen Verfahren zuniitmt, ist auch die Wahr-
162
scheinlichkeit größer, daß ich mich aufgrund eines Widerspruchs "gezwungen" sehe, bestürmte Teile meiner Beschreibungen zu verändern. Allerdings kann ich auch auf diese Weise keine letzte Gewißheit erlangen, daß meine Beschreibung dem Verständnis der Partner untereinander adäquat ist, denn es ist ja nicht ausgeschlossen, daß meine Interpretation zwar nicht zu Widersprüchen führt, also in sich konsistent oder, wie wir gesagt haben, "stimmig" ist, daß aber die Kinder trotzdem nach anderen Regeln gehandelt haben. Alle diese Aussagen, dies sei noch einmal betont, betreffen nicht eine spezielle Interpretation, sondern formulieren die grundsätzliche Problematik jeder Beschreibung von Interaktionen und Kotmunikationen. Ich gehe also zunächst davon aus, daß der Zusammenhang zwischen (4) und (5) so beschrieben werden kann oder aus den Gründen, die ich diskutiert habe, so beschrieben werden sollte, wie ich es oben getan habe. Dann kann unsere nächste Frage sein, welcher Art der Zusammenhang zwischen dem ersten Teil der Äußerung (5) und dem zweiten Teil dieser Äußerung (5b) ich bin schon Vater geworden
ist. Ich verstehe diese Äußerung als Begründung dafür, warum S keinen Spielplatz braucht. Gleichzeitig gibt er jedoch zu verstehen, daß er ein Spiel spielt, in dem er die Rolle des Vaters oder eines Erwachsenen übernommen hat. In dieser Hinsicht begründet er mit dem Äußern von (5b) nicht nur, warum er keinen Spielplatz braucht, sondern auch, warum er den Spielvorschlag Cs, der wohl auf irgendeine Art von Spielplatzspiel hinausgelaufen wäre, im Moment nicht akzeptieren kann. Ist die Ablehnung nicht vielleicht zugleich ein Angebot an Carmen, an seinem Spiel teilzunehmen? Versucht Sebastian vielleicht mit dem Äußern von (5c)
he du alter Babypapa
für Carmen deutlich zu machen, welcher Art das Spiel ist, das er spielt oder evtl. mit C spielen möchte? 36
Zu dieser Art von "Zwang" siehe im Hinblick auf den "Zwang", den ein Argument ausüben kann, auch Strecker 1974: 114. "Ein gutes Argument, und ich sehe mich gezwungen, Pläne zu ändern, Ansichten zu teilen, Konsequenzen zu ziehen"; aber auch: "Ein korrektes Argument ist zwingend für jeden, der bereit ist zu argumentieren" (Strecker 1974: 1 2 O ) .
37
Unsere Regelbeschreibungen wären zwar passend als "fitting rules", entsprächen jedoch nicht den "guiding rules" der Handelnden. Siehe dazu Quine 197O; 1972: 386. Vgl. auch die Diskussion bei Bayer 1974: 67 f.
163
S hatte mit einan Teil der Bauklötze etwas gebaut, von dan es mir nicht möglich war zu sagen, um welche Art von Bauwerk es sich handelte bzw. in welcher Art von Spiel dieses Bauwerk welche-Rolle spielen sollte. Möglicherweise hatte aber Carmen eine Vorstellung davon, worum es in Sebastians Spiel gehen könnte. Sie könnte dieses Bauwerk als Wohnhaus interpretiert haben und hätte dann mit dem Äußern von (4) vielleicht gar kein neues Spiel initiieren wollen, sondern hätte versucht, an den von ihr so und so verstandenen Spiel von S durch Übernahme einer bestirnten Rolle teilzunehmen. In diesen Sinne ließe sich das nochn in nochn Spielplatz verstehen, bei dan die Betonung nicht auf noahn sondern auf Spielplatz lag, so daß wir nicht annehmen können, C hätte das Bauwerk von S als Spielplatz gedeutet und schlüge nun vor, noch einen zweiten Spielplatz zu bauen. Nochn Spielplatz läßt sich also so verstehen als hätte C behauptet, zu einan (Wohn)haus gehöre noch ein Spielplatz und deshalb werde sie jetzt eben einen bauen. Daraufhin bestreitet S mit dem Äußern von (5) zwar nicht, daß zu einan Haus ein Spielplatz gehört, er weist aber darauf hin, daß für sein Spiel, bei den er einen Bewohner des Hauses spielen könnte (einen Vater?), ein Spielplatz nicht von Bedeutung ist und anscheinend ist er wohl auch nicht geneigt, sein Spiel im Hinblick auf Cs Vorschlag zu modifizieren. Wenn S im Zusammenhang mit dan "Haus", das er gebaut hat, jananden spielen will, der Vater geworden ist, bestätigt er sich sozusagen selbst in dieser Rolle, indan er (5c) äußert. Im Hinblick auf C könnte diese Äußerung aber durchaus als Angebot an C gemeint sein, eine konplanentäre Rolle zu übernehmen, etwa die der Mutter oder die des Babys (Babaypapa). 38 Eine solche, gewiß sehr weitgehende Interpretation wäre m.E. im Zusammenhang mit unseren Interpretationen der Äußerungen (4) und (5a/b) und deren Zusammenhängen nicht unwahrscheinlicher als irgendeine andere. Ich kann jedoch nicht behaupten, daß ich mir in diesem Fall sicher wäre, daß die vorgeschlagenen Interpretationen mein Verständnis der Handlungen der Kinder nicht auch in eine falsche Richtung gelenkt haben könnten, und zwar deshalb, weil ich diesen Text unter der Vorannahme für die exanplarische Beschreibung ausgewählt habe, daß er sich vermutlich als relevantes Beispiel 38
Auch hier wäre man im Rahmen der Piagetschen Kategorien wohl eher geneigt, diese Äußerung als handlungsbegleitenden kollektiven Monolog anzusehen. Ich muß an dieser Stelle jedoch darauf verzichten, diese Sehweise als alternative Interpretationsmöglichkeit im einzelnen durchzuspielen.
164
für ein das kooperative Spielen vorbereitendes Streiten erweisen könnte. Unter dieser Vorannahme bin ich natürlich geneigt, das ausgewählte Kaimunikationsbeispiel genau im Sinne meiner Vorannahme zu beschreiben. Ohne solche Vorannahmen freilich, die sich in der Regel in der Beobachtungs- und Verschriftlichungsphase auf dem Hintergrund entsprechender Verstehensprozesse herausgebildet haben, wäre eine Auswahl relevanter Beispiele überhaupt nicht möglich. Das schon weiter oben diskutierte Problem einer inmer schon auf Verstehen angewiesenen Auswahl relevanter Beispiele aus einer umfangreicheren Materialsamnlung ist vergleichbar dem Problem der Anwendung einer Regel oder eines Kriteriums. Wenn ich in einem bestimmten theoretischen Rahmen eine Fragestellung formuliert habe oder eine bestimmte Art von Beispielen als relevant erachtet habe, so besteht das praktische Problem der Auswahl der betreffenden Beispiele immer noch darin, wie ich herausfinden kann, welche Karmunikationsausschnitte in diesem Sinne relevante Beispiele sein können, denn inwieweit ein Beispiel tatsächlich relevant sein kann, zeigt eben erst die explizite Analyse des betreffenden Beispiels. So muß sich die Auswahl, die vor einer expliziten linguistischen Analyse getroffen werden muß, auf Kriterien berufen, die zwar theoretisch formuliert sind, deren Anwendbarkeit auf eine konkrete Komiunikation jedoch aufgrund unseres Vorverständnisses nur vermutet werden kann. Das so praktizierte hermeneutische Verfahren besteht also, wie wir im theoretischen Teil schon hervorgehoben haben, in einer schrittweisen Rekonstruktion des möglichen Sinns von Kommunikationen und Interaktionen, wobei die ersten Schritte einen weitaus tentativeren Charakter haben als etwa die explizite linguistische Analyse, in der einerseits noch einmal das Verstehen von der Ebene der teilnehmenden Beobachtung über die Ebene der Verschriftlichung und der Beschreibung nicht-sprachlicher Handlungen bis zu den verschiedenen Auswahlebenen kritisch rekonstruiert wird, in der andererseits aber auch methodisch reflektiert wird auf alternative Interpretationen, soweit deren Begründung anhand einer linguistischen Analyse der sprachlichen Äußerungen bzw. Handlungen und ihrer Zusammenhänge in der Kommunikation prinzipiell überprüft werden kann. Vfenn ich mein Vorgehen in dieser Weise transparent gemacht habe, kann ich meine Interpretation etwa der hier diskutierten Äußerungen (4)-(5c) nicht mehr der Kritik entziehen, sondern sie wird aufgrund der so hergestellten Transparenz des Verfahrens, der Vorannahmen, der Analyseebenen usw. genau in dem Sinne kritisierbar, daß ihre Konsistenz sozusagen historisch überprüfbar wird und daß die für die Betonung bestürmter Aspekte der Interpretation angeführten Argumente, bezogen auf diese spezifi-
165
sehen Aspekte, für die sie als Argumente reklamiert werden, diskutiert werden können und daß begründete alternative Interpretationsvorschläge so nicht nur pauschal, sondern auch für jeweils spezifische Teile und Aspekte der Interpretation gemacht werden können. Aber es ist auch einleuchtend, daß auf die Beschreibung des eigenen wissenschaftlichen Handelns, wenn sie sich als kritische (d.h. letzten Endes immer auch sprachkritische) Reflexion auf die Bedingungen und prinzipiellen Möglichkeiten unseres So-und-so-Handelns versteht, im Grunde ein stärkeres Gewicht gelegt wird als auf die ebenfalls zum Gegenstand der Reflexion gemachte Beschreibung und deren Gegenstand, die beschriebene oder zu beschreibende Konmunikation und Interaktion. Diese Tendenz verdeutlicht wiederum, in welchem Sinne unsere Beschreibungen als exemplarische aufzufassen sind und zeigt auch die praktische Notwendigkeit des exemplarischen Prinzips für jede auf Verstehen angewiesene, notwendig selektiv verfahrende qualitative Beschreibung. Ein Beschreiben von Koimunikationen, das als kritisch-reflexives hermeneutisches Verfahren ständig auch auf die Bedingung seiner Möglichkeit reflektieren und diese ggf. auch in Frage stellen können muß, ist ein zeitraubendes Geschäft, in dem der Konflikt hinsichtlich der Gewichtung der "eigentlichen" Beschreibung und des reflektorischen Impetus ständig neu entschieden werden muß, wenn von Fall zu Fall zu begründen ist,
inwieweit es sich gerade an dieser oder jener Stelle
"lohnt", in die beschriebene Art von Reflexion einzusteigen oder inwieweit diese oder jene Beschreibung vorläufig als unproblematisch angesehen werden sollte oder inwieweit die Reflexion oder die Beschreibung, die ja selbst auch Reflexion ist, an diesem oder jenem Punkt abgebrochen werden sollte usf. Auch die Reflexion ist in diesem Sinne eine exemplarische, insofern als sie nicht in jedem Fall und nicht immer in gleicher Weise vorgeführt wird, sondern eben nur dort, wo sich eine Beschreibung/Interpretation als problematisch erweist; sie erfüllt also ebensowenig wie die Beschreibung einen Selbstzweck, sondern dient beispielsweise der Begründung und damit letztlich der Verbesserung unseres Verstehens und unserer Beschreibungen. Die Frage der Gewichtung reflektorischer Prozesse müßte im Grunde natürlich im Hinblick auf den jeweiligen Partner bzw. Adressaten eines Buches beantwortet werden, denn das Verfahren exemplarischen Beschreibens ist nicht zuletzt ein didaktisches Verfahren, so wie die Kcmrainlkation zwischen einem Beschreibenden und den den kamunikativen Sinn seiner Beschreibungen "erfüllenden" Partnern die didaktische Frage impliziert, wie die Intentionen, die etwa mit einer Beschreibung verfolgt werden könnten, überhaupt kcmnunikativ einlösbar sind.
166
Wenn man von der Partnerbezogenheit auch wissenschaftlicher Beschreibungen ausgeht, scheint sich das Problem der Adäquatheit der Beschreibungssprache nicht nur hinsichtlich der beschriebenen Gegenstände, also hier hinsichtlich einer adäquaten Auffassung sprachlichen Handelns und hinsichtlich der Kategorien, innerhalb derer die Handelnden selbst ihr Handeln verstehen und gegenseitig interpretieren, zu stellen, sondern auch hinsichtlich der Partner in der Korrnunikation über solche Beschreibungen, hinsichtlich derer also, für die Beschreibungen des Wissenschaftlers irgendeinen praktischen Sinn haben sollen. Daß sich hier die Unterscheidung zweier Ebenen der Adäquatheit anzubieten scheint, hat seinen Grund jedoch vor allem darin, daß wir Kamunikationen unter Kindern beschreiben wollen und offenbar annehmen, für die Kinder selbst seien unsere Beschreibungen ohnehin nicht direkt relevant und wir könnten unsere Beschreibungen schließlich nicht so einrichten, daß sie für die Kinder verständlich seien. Diese Annahme hat eine gewisse Plausibilität, zumindest wenn wir es mit sehr kleinen Kindern zu tun haben, sie geht aber auch davon aus, daß wir in den Kindern sozusagen keine kompetenten Partner uns gegenüber sehen, sondern, überspitzt formuliert, die Objekte unseres erzieherischen Handelns. Sicher ist diese Annahme nicht falsch, und ich will nicht argumentieren, daß wir unsere erzieherischen Ambitionen aufgeben müßten. Allerdings müssen wir die Kinder schon relativ früh als Partner akzeptieren, die eigene Interessen und Bedürfnisse artikulieren, die in ihrer Lebensform eine Berechtigung haben. Der praktische Sinn unserer exemplarischen Beschreibungen, dte wir im Rahmen einer solchen Arbeit vorschlagen können, liegt aber - auch wenn wir die angeführten Einwände ernstnehmen - in der Tat mehr auf einer Ebene, wo die Adressaten nicht dieselben Individuen sind wie die, deren Handeln wir beschrieben haben, also beispielsweise darin, daß wir dem Erzieher zeigen möchten, auf welche Art und Weise man Kottnunikationen unter Kindern verstehen und beschreiben kann, und welche didaktischen Konsequenzen man daraus ziehen kann. Für den Erzieher leitet sich daraus das Postulat ab, die Interessen und Bedürfnisse der Kinder, ihre Lebensform ernstzunehmen und seine didaktischen Zielsetzungen den Kindern relativ früh bewußt zu machen und gegebenenfalls den Widerspruch zwischen den Bedürfnissen der Kinder und den Anforderungen, die die Gesellschaft, als deren Mitglieder die Kinder sich verstehen lernen sollen, an sie stellt, zu artikulieren. Wenden wir uns nach diesen Überlegungen wieder der weiteren Analyse der Kotmunikation zwischen Sebastian und Carmen zu. Wir erwarten von der Analyse der auf die beschriebene Sequenz (4)-(5c) folgenden Äußerungen, daß sie ent-
167
weder einen Zusammenhang mit den vorangegangenen Äußerungen deutlich macht oder daß sie einen Hinweis liefert auf eine alternative Interpretation der Sequenz (4)-(5c). Umgekehrt leitet unser bis jetzt gewonnenes Verständnis natürlich auch die Interpretation der folgenden Äußerungen, so daß es zirkelhaft scheint, wenn die letztere nun als mögliches "Falsifikationskriterium" für die erstere herangezogen werden soll. Aber ist nicht diese Redeweise hier unangemessen? Von generellen Falsifikationsmöglichkeiten (etwa im Sinne Poppers) habe ich bisher jedenfalls nicht geredet, sondern ich habe jeweils im einzelnen zu zeigen versucht, wie die Einbeziehung weiterer Äußerungen eine vorangegangene Interpretation weiter erhellen kann oder wie es zu Widersprüchen kennen kann, durch die bestimmte Annahmen in Frage gestellt werden usw. Dieses argumentativ verstandene Verfahren ist freilich kein Falsifikationsverfahren im kritisch-rationalistischen Sinne. Anstatt von einer Wahr-FalschDichotomie auszugehen, habe ich davon geredet, daß unsere Interpretationen mehr oder weniger angemessen seien; ich habe hier also analog zur Graduierbarkeit des Verstehensbegriffs eine Stufung des Begriffs der Angemessenheit vorgeschlagen. Das Bewerten alternativer Interpretationsvorschläge hinsichtlich ihrer Adäquatheit ist allerdings nicht zuletzt ein argumentatives Verfahren, das prinzipiell immer auch die Partner, deren Kommunikation beschrieben wurde, in den Bewertungsprozeß miteinbezieht. (6) C
xxx kaputtmachen
(7) S
nee
(8) C (schnell) doch (9) S
hab ich dir gemacht
(1O) C
mir?
(U) S
ja
(Bauklötze f a l l e n um) (12) C
xxx machen
(13) S
war so schön ich des dir
(14) C
... komm ich mach dir noch ein / xxx
...
Für einen Außenstehenden mag es ziemlich schwierig scheinen, den Sinn dieses Kamunikationsausschnitts zu verstehen. Dies scheint vor allem daran zu liegen, daß wir nicht wissen, auf welche Gegenstände die Partner jeweils referieren. Um uns hier Klarheit zu verschaffen, benötigen wir jedoch nicht unbedingt eine Beschreibung relevanter nicht-sprachlicher Handlungen, wie sie der teil-
168
nehmende Beobachter hätte geben können. Interessanterweise habe ich zu dieser Sequenz Im Begleitprotokoll keine Notizen zur Referenz gemacht. Ich möchte dies so deuten, daß ich es mir entweder nicht bewußt gemacht habe, daß vom schriftlichen Text her die Referenz nicht mehr ohne weiteres rekonstruierbar sein würde oder daß ich es nicht für notwendig hielt, an dieser Stelle noch einmal das "Bauwerk", das Sebastian gebaut hatte, und über das Carmen und Sebastian hier offensichtlich reden, zu beschreiben 39 bzw. als Referenzobjekt ausdrücklich anzuführen. Wenn ersteres zutrifft, so wird daran m.E. deutlich, wie sehr die urmittelbare Teilnahme an der aufzuzeichnenden Kommunikation es erschwert, die "multisensuelle" Wahrnehmung einer stets "multisensuellen" Konmunikation4O bereits in der Beobachtungssituation hypothetisch auf die in der Tonbandaufzeichnung repräsentierbaren Faktoren zu reduzieren, da dies einerseits eine ständige Abstraktion von der Beobachtungssituation erfordert, in der andererseits gerade eine relativ intensive Teilnahme geboten scheint. 41 Andererseits scheint mir das Weglassen eines referenzklärenden Hinweises im "Beobachtungsprotokoll" ein Indiz dafür zu sein, daß ich beim spontanen Verstehen des Zusammenhangs der Handlungen der Partner in der Beobachtungssituation offenbar davon ausgegangen bin, daß zwischen (3)-(5c) und der jetzt zu beschreibenden mit der Äußerung (6) beginnenden Sequenz offensichtlich ein Zusammenhang zumindest derart besteht, daß es in beiden Sequenzen um die gleichen Referenzobjekte geht, nämlich einerseits um den Spielplatz, den C bauen möchte und andererseits um das Bauwerk, das S aus Bauklötzen errichtet hat. Dieser Zusartmenhang ist m.E. auch aus den zu beschreibenden Äußerungen von S und C rekonstruierbar, wenn man die weiter oben gegebene Information über das von S errichtete Bauwerk hinzuzieht. Was tut C, indem sie äußert (6) xxx kaputtmachen
(wobei gerade der Teil der Äußerung, mit dem sie möglicherweise sogar explizit auf einen bestimmten Gegenstand referiert hat, nicht verständlich war)? 39
Wie ich es beispielsweise oben getan habe, um den möglichen Sinn von nochn Spielplatz zu verstehen.
40
Zur Bedeutung des "multisensuellen" Aspekts von Kommunikationen ("crossmodal communication") siehe Cicourel 1972 a.
41
Auf den Konflikt zwischen möglichst passiver Teilnahme und dem Aufzeichnen relevanter Daten haben verschiedene Forscher hingewiesen. Siehe dazu die Diskussion in 1.4.
169
Wir können diese Frage beantworten, wenn wir die folgende Äußerung von S mit in die Analyse einbeziehen. S äußert als Reaktion auf (6) (7) nee/
was uns die Frage nach der Handlung, die C macht, indem sie (6) äußert, umformulieren läßt: Auf welche Arten von Handlungen kann man sinnvoll mit dem Äußern von nee reagieren? Einige Arten von Handlungen bzw. Paare von Handlungsmustern, die hier in Frage können dürften, sind z.B. 'Behaupten1 - 'Betreiten1, 'Fragen1 'Antworten' aber auch 'einen Vorschlag machen' - 'einen Vorschlag ablehnen1, 'Befehlen' - 'einen Befehl verweigern". Erinnern wir uns an die ersten Beispiele, die wir beschrieben haben, so können wir feststellen, daß wir es dort mit ähnlichen Sequenzen zu tun hatten, wo der eine Partner auf eine Forderung oder einen Vorschlag ebenso ablehnend reagiert hat. Ein solcher Vergleich legt die Annahme nahe, daß Carmen mit dem,Äußern von (6) Sebastian fragen könnte, ob sie sein Bauwerk "kaputtmachen" soll, vielleicht auch, ob sie es gemeinsam "kaputtmachen" sollen. Ein Äußerungsmuster wie soll ich H-en?
wäre hier möglicherweise zugrundezulegen. Ein solches Äußerungsntuster findet sich allerdings gerade nicht in Text III, aus dem wir hier einen Ausschnitt analysieren, dagegen relativ häufig in Text II (vor allem bei J), z.B. (J) soll ich dich umrennen? (11,2) (J) soll ich das machen?
(11,2)
(J) soll Ichs auf deins machen? (11,2) (S) soll ich dem Joscha was schenken? (11,9)
42
Indem ein Partner so fragt, tut er in der Regel damit noch etwas anderes, d.h. 'Fragen' wäre hier also als von anderen Mustern erzeugt anzusehen. 43 So könnte C etwa vorschlagen, das Bauwerk (gemeinsam) zu zerstören, indem sie S fragt, 42
Vgl. dagegen aber auch eine Äußerung wie und jetzt / komm / jetzt kicken wir es um (11,2).
43
Problematisch ist allerdings, ob dann überhaupt eine Erzeugung mit 'Fragen' angenommen werden sollte und warum man nicht die entsprechenden Äusserungsmuster als direkt von 'Vorschlagen' erzeugt ansehen sollte. (Hier steckt offenbar die Idee der sog. indirekten Sprechakte dahinter).
170
ob sie das Bauwerk kaputtmachen soll; und sie könnte S zum gemeinsamen Spiel auffordern, indem sie dies vorschlägt usw. Nun scheint es auf den ersten Blick verwunderlich, daß solche Regelbeschreibungen Beschreibungen der Regeln sein sollen, nach denen C handeln könnte, indem sie kaputtmaahen äußert, es scheint widersprüchlich, daß jemand, der dem Partner offenbar etwas zerstören will, diesen auf diese Weise zu einem gemeinsamen Spiel aufforden könnte. Für uns Erwachsene ist dies zunächst in der Tat eine absurde Vorstellung. Warum habe ich trotzdem eine Regelbeschreibung gegeben, die zeigt, daß ich Cs Handeln anders interpretiert habe? Wie bin ich überhaupt auf eine solche Beschreibungsmöglichkeit gekcmien? Ich glaube, daß ich eine solche Beschreibung geben konnte aufgrund meiner teilnehmenden Beobachtung und einer daraus resultierenden Einschätzung der "Gesamtsituation". Das bedeutet wiederum auch einen Vorgriff auf den weiteren Verlauf der Kommunikation. Ich glaube beispielsweise in der Äußerung (14) von C eine "Grundstintnung" erkennen zu können, die implizit schon die vorausgegangene Sequenz geprägt hat. Andererseits halte ich meine Interpretation des Sinns des Äußerns von xxx kaputtmaohen auch im Zusammenhang mit meiner Interpretation der Äußerungen (4) und (5) für sinnvoll, d.h. wenn die Partner ihre Äußerungen (4) und (5) tatsächlich so gemeint haben, wie ich sie aufgrund meiner Interpretation verstehen konnte, ist es zumindest nicht unwahrscheinlich, daß C mit dem Äußern von (6) ihren Versuch, mit S zu einem (gemeinsanen) Spiel zu kennen, weiterverfolgt. Ich halte es also für möglich - und dies ist sicher eine legitime Möglichkeit der Interpretation - daß das Zustandekommen eines kooperativen Spiels unter Kindern auch durch Handlungen gefördert werden kann, die nach unserem gängigen Verständnis eher zu einer "destruktiven" Form des Streitens zu rechnen sind. Das bedeutet allerdings nicht, daß ich hier eine generalisierende Aussage über den "allgemeinen" Sinn von Äußerungen wie die Äußerung (6) von C machen wollte oder könnte. Ich kann solche Arten von Äußerungen bzw. solche Formen des Streitens zunächst nur in dem spezifischen Zusaimienhang, in dem sie hier stehen, so deuten, wie ich es getan habe. Die Argumente für eben diese Interpretation leiten sich genau aus diesem Zusammenhang her und beziehen ihre Gültigkeit nicht aus einer hypothetisch-de44 duktiven Ableitung oder der Subsumtion unter ein allgemeines Gesetz. Sie sind verständlich innerhalb einer bestürmten theoretischen und methodischen 44
Was natürlich nicht bedeutet, daß wir hier ein rein induktives Verfahren vorschlagen.
171
Konzeption hinsichtlich der Beschreibung von Karmunikationen unter Kindern und im Rahmen der jeweils spezifischen das Verstehen leitenden Merkmale des betreffenden zu beschreibenden kcrrmunikativen Zusammenhangs, in den diese als Begründungen für eine bestimmte Interpetation angesehen werden können. Wie kann Carmen denn mit dem Vorschlag, etwas kaputtzumachen, ein gemeinsames Spiel initiieren? Zum einen könnte das gemeinsame "Kaputtmachen" selbst das angestrebte Spiel sein, zum anderen könnte dadurch aber auch eine Art Ausgangsbedingung für ein gemeinsames Spiel bzw. dessen Planung hergestellt werden. Wenn es Carmen nicht gelungen ist,
mit ihrem Vorschlag, einen Spiel-
platz zu machen, sich dem Spiel anzuschließen, das Sebastian offenbar im Zusammenhang mit seinem Bauwerk aus Bauklötzen spielte, und S daraufhin seinerseits versucht hat, implizit eine mögliche Rolle für C in seinem Spiel zu beschreiben (Babypapa),
C dies aber entweder nicht verstanden hat oder aber
diese Rolle nicht spielen wollte, könnte sie sich überlegt haben, wie sie sich mit S doch noch auf ein gemeinsamere Spiel bzw. eine bestimmte Rollenverteilung einigen könnte. Durch die Zerstörung des offensichtlich als eine Art Spielrequisit fungierenden Bauwerks aus Bauklötzen könnten völlig neue, nicht an dieses Requisit gebundene Spielmöglichkeiten diskutiert werden, weil sich S dadurch vielleicht genötigt sähe, sein Spiel aufzugeben. Nach unserer Interpretation des Außerns von kaputtmachen würde C freilich nach einer riskanten Strategie spielen, denn sie kann ja nicht sicher sein, daß S nach der Zerstörung seines Bauwerks überhaupt noch an einen gemeinsamen Spiel mit ihr interessiert ist. Von Standpunkt des Erwachsenen aus gesehen wäre es, wie schon gesagt, zumindest unwahrscheinlich, daß jemand auf diese Art und Weise zu einem kooperativen Spiel bewegt werden könnte, weil die Beziehungen zwischen Partnern durch solches Handeln in der Tat nachhaltig gestört werden könnten. Aber würden wir denn überhaupt eine solche Frage stellen, wie Carmen es mit dem Äußern von (6) getan hat? Würden wir den Partner fragen, ob wir ihm etwas kaputtmachen sollen? Welchen Sinn könnte eine solche Frage haben? - Gerade die Tatsache, daß C ihre Intentionen in dieser Form explizit macht, scheint mir ein Argument dafür zu sein, daß es hier nicht um eine Konfrontation geht, sondern daß es sich um eine prinzipiell freundschaftliche Kannunikation handelt. Wir können uns gut vorstellen, daß C das Bauwerk von S einfach zerstört hätte, ohne irgendetwas dazu zu sagen oder diese Handlung anzukündigen. Daß sie mit dan Partner über ihre zukünftige, S betreffende Handlung kommuniziert, zeigt m.E., daß es nicht nur un das Kaputtmachen gehen kann. Es hat den Anschein, als würde C hier auch versuchen, mögliche Konse-
172 quenzen ihres Handelns abzuschätzen, also sich eine hypothetische Antwort zu geben auf eine Frage wie Wie würde der Partner auf mein
-en reagieren?
Dies liefe auf eine teilweise alternative Interpretation hinaus, bei der das Kaputtmachen-Wbllen im Vordergrund stehen würde und C lediglich noch zögerte, diese Handlung auszuführen, solange ihr die Einschätzung der möglichen Reaktionen von S nicht möglich schien. In jedem Fall müßte die Äußerung (7) von Sebastian jedoch so verstanden werden, daß er nicht damit einverstanden ist,
daß sein Bauwerk zerstört wird.
Carmen beharrt jedoch auf ihrem Vorschlag oder ihrem Wjnsch, das Bauwerk kaputtzumachen, indem sie äußert (8) doch.
45
Sebastian wiederholt nun seinerseits nicht einfach seine Ablehnung, sondern versucht, diese zu begründen, indem er äußert (9) hab ich dir gemacht.
Inwieweit kann dies ein Argument gegen die Zerstörung des Bauwerks sein? Wenn S das Bauwerk für C gemacht hat, so kann ich das so verstehen, daß S möchte, daß C Freude an diesem Bauwerk hat, daß sie seine Baukunst bewundert, ihn dafür lobt o.a., aber auch daß S und C vielleicht gemeinsam mit diesem Bauwerk spielen könnten. Die Intention, die S beim Bauen gehabt hat, ist also u.U. gar nicht so verschieden von der Intention, die C mit dem Kaputtmachen verfolgt, nänlich letztlich doch eine Einigung über ein gemeinsam zu spielendes Spiel herbeizuführen. Strittig ist dabei zwischen C und S - und darum dreht sich m.E. implizit die Korniunütation - allerdings die Frage, welches Spiel gemeinsam gespielt werden könnte. S versucht mit dem Äußern von (9) hab ich dir gemacht
vielleicht noch einmal, C in sein Spiel einzubeziehen, wie er es wohl schon mit dem Äußern von (5c) versucht hat. Eigenartigerweise ist er jedoch vorher mit dem Äußern von t5a) nicht auf C eingegangen und hat sich eher abweisend verhalten. Deshalb überrascht es auch, daß er jetzt sein Bauen in Bezug auf C 45
Der Ton dieses kurzen, schnellen doch scheint mir vergleichbar mit dem doch doch in der Kommunikation zwischen J und S (.T 11,1).
173
als -ein Bauen für C (dir· gemacht) sieht. Ist dies vielleicht nur ein "taktisches" Argument, um zu verhindern, daß C sein Bauwerk kaputtmacht? Denn offensichtlich nimmt S doch an, wenn er (9) als Argument meint, daß C das Bauwerk vielleicht nicht mehr zerstören will, wenn sie weiß, daß er es für sie gebaut
hat. Carmen scheint mir darauf in der Tat zunächst mit Erstaunen zu reagieren. Ich glaube, daß die Frage, die sie stellt, indem sie (lo) mir? äußert, als Ausdruck ihres Erstaunens zu deuten ist, etwa so als hätte sie einen Satz geäußert wie das hast du wirklich mir gemacht?
Vermutlich wird ihr auch nicht ganz klar, wie sie Sebastians Äußerung (9) verstehen soll. So könnte das erstaunte Äußern von mir auch so verstanden werden, daß C damit im Grunde nach dem Sinn der Äußerung (9) von S fragt, wie sie es etwa mit dem Äußern eines Satzes wie wie soll ich das verstehen: "mir"?
hätte tun können. S hat die Äußerung (10) von C aber offenbar als "echte" Frage verstanden, die er mit dem Äußern von CUJ Ja
beantwortet. Das Geräusch der zusammenstürzenden Bauklötze übertönt die Äusserung (]2) von C, von der ich nur den letzten Teil machen verstehen konnte. C hatte einen Bauklotz auf das Bauwerk von S gestellt, worauf dieses dann zusammenstürzte. Sollen wir in der Beschreibung dieser nicht-sprachlichen Handlung und ihrer Folge (n) annehmen, daß das Haus "nicht absichtlich" von C zum Zusammenstürzen gebracht worden ist, obwohl sie dies doch offensichtlich vorhatte (kaputtmaahen) ? Hat sie den Bauklotz auf das Haus gesetzt, um dieses damit zum Einstürzen zu bringen? Hat sie mit dem gleichzeitigen Äußern von (12) vielleicht wieder von "Kaputtmachen" geredet? Wir müssen diese Fragen offenlassen, die Antwort kann also sehr wohl auch negativ ausfallen, denn Carmen könnte mit dan Aufsetzen des Bausteins durchaus im Sinne unserer bisherigen Interpretation nun versuchen, sich in einer anderen Weise an Sebastians Spiel zu beteiligen (kooperatives Weiterbauen}. Daß dabei das Haus ganz einstürzt, ist ihr jedenfalls offensichtlich unangenehm, obwohl sie ursprünglich das Haus doch kaputtmachen wollte. Wir müßten also
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annehmen, daß sie ihren Plan aufgrund der ablehnenden Haltung von S und aufgrund seines Arguments aufgegeben hatte oder zumindest nicht durchführt und nun doch, sich auf das von S gebaute Haus beziehend, eine Möglichkeit für ein gemeinsames Spiel zu erproben versucht hat, so daß sie auf Sebastians Äußerung (13) war so schön ich des dir ...,
mit der dieser bedauerte, daß das Haus nun kaputt sei, gerade weil er es für C gemacht habe, mit dem Äußern von (14) reagieren kann. Was tut C, indem sie äußert (14) ... komm ich mach dir noch eins / xxx?
Tröstet sie S, indem sie ankündigt, das Haus wieder aufzubauen? Wenn S ein Haus für C gebaut hatte, so bietet C nun ihrerseits an, ein Haus für S zu bauen. Auf dem Hintergrund dieser Äußerung hatte ich schon die Äußerung (4) so aufgefaßt, daß Carmen den Spielplatz für Sebastian oder jedenfalls im Hinblick auf Sebastians Spiel bauen wollte. Bei dem Versuch, das Haus wieder aufzubauen, scheint jedoch wiederum irgendetwas kaputt zu gehen. Um was es sich dabei handelte, konnte ich auch in der Beobachtungssituation nicht feststellen, so daß ich in der Analyse der folgenden drei Äußerungen (15)-(17) nicht klären kann, was S nicht gemacht haben will. Beiden Partnern scheint es jedenfalls unangenehm zu sein, so daß sie die Verantwortung dafür dem jeweils anderen Partner zuschieben möchten; S, indem er äußert (16) hab ich doch nicht gemacht,
wonit er sich präventiv gegen einen Vorwurf verteidigt, den C ihm machen könnte; C behauptet daraufhin, wohl auch um ihrerseits die Verantwortung abzulehnen, daß S etwas kaputtgemacht habe, indem sie äußert (17) du,
wonit sie genau den Vorwurf erhebt, gegen den S sich mit dem Äußern von (16) soeben schon verteidigt hat. Mit dem Äußern von (18) lenkt S von dieser Argumentation dann offenbar ab und führt unvermittelt einen neuen Gegenstand ins Gespräch ein. Im Sinne unserer Interpretation des Streitens als eines Versuchs, sich auf ein gemeinsames Spiel zu einigen, könnte man Sebastians Äußerung (18) oh Pferdchen
so verstehen, daß er Carmens Aufmerksamkeit auf "Pferdchen" lenkt, um im Zu-
175 sammenhang mit diesen Pferdchen (es handelt sich um ein Holzpferdchen mit Wagen (Fuhrwerk) und ein einzelnes Pferd aus Plastik) ein gemeinsames Spiel vorzuschlagen, jedoch wiederum nicht explizit. Carmen bestätigt wohl, daß sie die Pferdchen sieht, zeigt aber offenbar kein großes Interesse an einem Spiel mit den Pferdchen. Ihr Äußern von
(19) ja klingt bei weitem nicht so begeistert wie Sebastians Äußern von oh Pferdchen und das folgende Äußern von (2Oa) oh zwei Pferde.
Hier scheint S auf eine entsprechende Reaktion von C zu warten. Nachdem diese ausbleibt, versucht er mit einer weiteren "Steigerung" C an den Pferden und einem möglichen Spiel zu interessieren, indem er äußert (2Ob) oh des is eins mitn Wagen. Cs Äußern von
(21) hm?,
das ich als Frage verstehen kann im Sinne von "was hast du gesagt?" oder "ich habe dich nicht verstanden", deutet m.E. auch auf eine gewisse Gleichgültigkeit oder auf Desinteresse an dem von S intiierten Spiel hin. C scheint (in Gedanken) mit irgendetwas anderem beschäftigt zu sein, scheint kaum hinzuhören,
was S sagt. Mit dem Äußern von (23) was?
scheint jedoch ihr Interesse zu erwachen, nachdem S mit dem Äußern von ( 2 2 ) des nehm ich mir mit
offenbar schon mit der Verteilung der Spielgegenstände und der damit möglicherweise verbundenen Folien begonnen hat. Als er dann, ohne auf die Rückfrage, die C mit dem Äußern von (21) hm? und
(23) was? gestellt hat, eingegangen zu sein, mit dem Äußern von ( 2 4 ) is mein Freund
eines der beiden Pferde zu seinem Freund erklärt und sich offensichtlich in die Rolle eines Pferdes zu versetzen versucht (Pferdewiehern), sieht C, daß sie sich jetzt an der Rollenverteilung beteiligen muß, wenn sie ihre Vorstellungen überhaupt noch einbringen will.
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C macht nun den ersten im Sinne unserer Frage nach der Organisation eines gemeinsamen Spiels expliziten Vorschlag zur Verteilung der Rollen im Spiel mit den Pferden, indem sie äußert (25) des is mein Pferd und des is deins / ja?
Mit den Äußern von ja? versucht sie die Zustimmung von S zu dieser Verteilung der Spielgegenstände bzw. der entsprechenden Rollen zu gewinnen. Mein Verständnis von ja? läßt sich explizieren als: C fragt S, ob er mit ihrem Vorschlag einverstanden
ist.
Das Einverständnis wird mit dieser Form des nachgestellten fragenden ja dem Partner jedoch fast schon unterstellt. Man fragt nicht nur, ob der Partner einverstanden ist, sondern man legt dan Partner die Antwort auf eine solche mögliche Frage "in den Mund", indem man die gewünschte Antwort (in diesem Fall: "ja") als Frage äußert und damit fragt, ob die Antwort "ja" sein wird, aber damit auch zu verstehen gibt, daß einem an einer positiven Antwort sehr gelegen ist. Trotzdem reagiert Sebastian ablehnend. Er verweigert seine Zustimmung, indem er Carmens Frage verneint, indem er äußert (26) nee ich hab ...,
wobei er offensichtlich noch eine Begründung für seine Ablehnung geben will, von der ich annehme, daß es sich dabei um die Begründung gehandelt hätte, die er dann mit dem Äußern von (28) ich hab zwei Pferde gehabt gibt. Beim Äußern von (26) unterbricht ihn C, indem sie (27) ... doch äußert, womit sie auf ihren Vorschlag, bzw. auf eine positive Antwort von S besteht. Die Äußerung (29) von C ist nicht verständlich, ebenso läßt sich nicht sagen, wie C auf das Äußern von (3O) von S reagiert. Nach (3O) äußert sowohl C als auch S noch irgendetwas Unverständliches. Deshalb muß ich hier auf eine nähere Beschreibung verzichten. 46
Daß ich hier sinnvoll trotzdem verwenden kann, setzt voraus, daß S die Äußerung (25) von C im Sinne meiner Interpretation verstanden hat.
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Es läßt sich aus meinen Protokollnotizen so viel rekonstruieren, daß es Carmen offenbar nicht gelingt, an Sebastians Spiel mit den Pferden teilzunehmen, so daß im Grunde auch der Tenor unserer bisherigen Interpretation fraglich wird, daß nämlich auch S ein gemeinsames Spiel mit C anstrebt. Wenn sich wie hier eine auch für C akzeptable Möglichkeit dazu ergibt, verhält S sich offensichtlich abweisend, was für C einigermaßen frustrierend sein dürfte.
Vielleicht kann das folgende "Musikmachen" mit einer Ratsche für C so etwas wie eine Entlastungsfunktion haben. Die Äußerung (31)
ich mach mit n / mit n xxx Musik,
die C gleichzeitig macht, mag im Sinne Piagets wieder als "kollektiver Monolog"
angesehen werden, der die Entlastungsfunktion der nicht-sprachlichen
Handlung unterstützt. Die Äußerung impliziert m.E. jedoch ebenso den Versuch Cs, S an ihrem Spiel zu interessieren oder ihm vielleicht auch zu zeigen, daß sie nicht auf ein gemeinsamens Spiel angewiesen ist,
zumindest nicht auf eine
Teilnahme an dem von S initiierten Pferdchen-Spiel. Freilich kann das "Musikmachen" mit der Ratsche auch so gemeint sein, wie S es wohl auffaßt, wenn er mit dem Äußern von (32) he / das kann ich nich hörn / kann ich nich hörn
dagegen protestiert, nämlich als Störung seines Spiels. Eine solche Störung wäre auch als Konsequenz der oben vermuteten Frustration Cs verständlich. Den Vorschlag, gemeinsam auf diese Weise "Musik" zu machen, den C dann aber macht, indem sie äußert (33) hol dir doch auch eine,
kann ich nicht bloß als Störung des Spiels von S verstehen; es handelt sich wohl gleichzeitig um den nunmehr expliziten Versuch Cs, S zum gemeinsamen "Musizieren" zu bewegen. Da es in der Tat zwei Ratschen gibt, referiert Carmen mit eine in (33) wohl eindeutig auf die zweite Ratsche. Die Äußerung (33) verstehe ich, auf Sebastians Protest bezogen, allerdings auch als eine Art Gegenargument oder auch als eine Art Ratschlag, dessen Befolgung nach Cs Meinung den Protest von S überflüssig machen würde. Das Muster ist uns vertraut: Wenn uns der Nachbar mit zu lauter Musik stört, machen wir ebenfalls Musik und zwar so laut, daß wir die als störend empfundene Musik des Nachbarn nicht mehr hören, ün Fall unserer Katmunikation hat der Partner allerdings explizit gegen die von ihm als störend empfundene "Musik" protestiert (he) und dafür auch eine Begründung (kann iah nich hörn) zu geben
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versucht. C dürfte diese Begründung allerdings nicht so verstanden haben wie S sie, nach der Bekräftigung seines Protests mit dem Äußern von (34) zu urteilen, offenbar doch gemeint hat, nämlich so, daß er sich ernsthaft gestört fühlt durch diese Art von "Musik". Der Ratschlag Cs, auf die gleiche Weise "Musik" zu machen, um so die Störung nicht mehr als solche zu empfinden, könnte vielleicht als ironisch oder sogar als zynisch
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verstanden werden, denn
wen das Geräusch e i n e r Ratsche schon stört, den müßte das Geräusch z w e i e r Ratschen doch noch mehr stören, es sei denn, er wäre an der Erzeugung dieser Geräusche selbst beteiligt. Da letztere Bedingung zutreffen würde, wenn S den Ratschlag Cs befolgte, wäre das Problem des Störens auf diese Weise wohl tatsächlich zu lösen. Die eindringliche Wiederholung seines Protests, die ich als Beteuerung verstehe, daß er es ernst meine, daß er diese Art von Musik tatsächlich nicht hören könne, scheint dann aber Carmen doch zu beeindrucken. Sie interpretiert Sebastians Protest jedoch nicht als generelle Ablehnung jeglicher Art von Musik, sondern als eine Ablehnung eben dieser Art von "Musik", so daß sie eine andere Art des gemeinsamen Musizierens (genauer: des gemeinsamen Spielens des Musizierens) vorschlagen kann, worauf S dann offensichtlich spontan eingeht, indem er in Cs Flötenspiel (tatitatiti) einfällt mit tütütü. Dies zeigt, daß Cs Interpretation des Protestes von S gegen ihre "Ratschermusik" offenbar richtig war. Es ist ihr auf diese Weise gelungen, Sebastian in ein gemeinsames Spiel einzubeziehen, in dem beide "im Duett" Flöte oder irgendeine Art von Blasinstrument zu spielen vorgeben. Das "Musizieren", das beide Partner, wie mir scheint, in echte Begeisterung versetzt, bleibt jedoch nicht lange die einzige Aktivität der Kinder. Die "Musik" scheint zur Begleitung anderer Spiele zu werden bzw. in andere Spiele integriert zu werden. Dies könnte auf den Versuch hinauslaufen,
die
gelungene Kooperation im Musizieren auszunutzen für weitere Kooperationsversuche in anderen möglichen Bereichen des gemeinsamen Spiels. Etwa beginnend mit der Äußerung (35) von C und (36) von S ist das Spiel der Kinder "lockerer" geworden, das anfängliche "Tauziehen", um bestimmte Positionen gegenüber dem 47
Ob S allerdings über Kategorien wie 'Ironie' oder "Zynismus" verfügt, muß bezweifelt werden. Insofern kann sein Verständnis der betreffenden Äußerung natürlich auch derart sein, daß es für ihn nicht unter den genannten Kategorien verstehbar bzw. interpretierbar ist.
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Partner aufzubauen oder zu verteidigen, löst sich in einen ungezwungenen, spontanen von Übermut und Ausgelassenheit getragenen Spiel. Ich will es hier bei einer pauschalen Beschreibung dieses Kotmunikationsausschnitts, der etwa bis zur Äußerung (46) reicht, belassen. Je allgemeiner eine solche pauschale Beschreibung von größeren Ausschnitten von Kortnunikationen gehalten ist, desto mehr muß auf spezifische Begründungen von einzelnen interpretativen Annahmen und deren Auswirkungen auf weitere Interpretationsschritte verzichtet werden. Die Interpretation eines Kcmnunikationsausschnitts wird so inner mehr unter einen allgmeinen Begriff subsumiert, der das zentrale Problem des betreffenden Ausschnitts charakterisieren soll. Ein solcher durch Abstraktionen gewonnener Begriff sollte allerdings nicht verdecken, daß die Subsumtion einer Kaimunikation oder eines Textes unter eben diesen Begriff das Ergebnis eines interpretativen Prozesses ist. dieses Prozesses nicht mehr transparent ist,
Da im Begriff der Verlauf
die Interpretationsschritte und
rteg Abwägen alternativer Interpretationen nicht mehr dokumentiert sind, verliert die unter einen allgemeinen Begriff subsumierte Interpretation ihren tendenziell offenen Charakter und tritt mit dem normativen Anspruch auf, aufgrund welcher Bewertungsprozeduren auch immer, sich gegenüber alternativen, unter alternativen Begriffen zu subsumierenden Interpretationen irgendwie ausgezeichnet zu haben. Will man umfangreichere zusammenhängende Teile von Kommunikation analysieren, wie ich es hier am Beispiel des Beginns der Kaimunikation zwischen Carmen und Sebastian vorgeführt habe, so ist man in der Regel darauf angewiesen, auch bestimmte Teile unter relativ allgoneine Begriffe zu subsumieren, so wie auch der gesamte beschriebene bzw. zu beschreibende Teil einer Kcmnunikation unter einen hypothetischen, die Interpretation leitenden Begriff gestellt wird Der Verzicht auf Begründungen für die Wahl dieser oder jener Begriffe (d.h eben dieser oder jener Interpretation) darf, so sehr er streckenweise aus arbeitsökoncmischen oder analysespezifischen Gründen notwendig sein mag, allerdings keinen generellen Begründungsverzicht bedeuten. Ich glaube aber, daß generell im Hinblick auf die Exenplarität unserer Beschreibungen durchaus ein Wechsel zwischen der Dokumentation des Prozeßcharakters des Interpretierens und der begrifflichen Repräsentation größerer Interpretationsabschnitte angezeigt ist.
Die oben gegebene "pauschale" Beschreibung der Äußerungen (36) bis
etwa (46) oder (47) will ich deshalb hier nicht weiter begründen. Während das Musikmachen für Sebastian imrier mehr an Bedeutung gewonnen zu haben scheint und auch noch zum Zeitpunkt seiner Äußerung (46) wohl seine
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einzige Aktivität sein dürfte, wendet sich Carmen offensichtlich immer mehr dem Bauen mit Bauklötzen zu, so daß es für den Beobachter den Anschein hat, als würde die gerade erst gefundene gemeinsame Spielmöglichkeit des Musizierens nicht genügend wahrgenatmen und als würde sich das Spiel der Partner wieder weiter voneinander entfernen. Wenn S äußert (46)
ich mach jetzt Musik / sik tütütü
und C unmittelbar darauf äußert (47)
ich hab ein ganz großes Haus gemacht,
fragt man sich in der Tat, wie diese beiden Äußerungen miteinander zusannenhängen könnten bzw. ob sie überhaupt als miteinander zusanmenhängend angesehen werden sollten. Es läßt sich zunächst feststellen, daß sie wohl kann in der Art miteinander zusanmenhängen wie etwa eine Behauptung und eine Bestreitung oder eine Frage und eine Antwort; es gibt keine formalen und, soweit ich sehe, auch keine im engeren Sinn semantischen Relationen zwischen den geäusserten Sätzen. Dies muß jedoch nicht bedeuten, daß die Äußerungen (46) und (47) als Isolierte monologische oder kollektiv monologische Handlungen verstanden werden müßten. Ich will versuchen, eine Interpretation der betreffenden Äußerungen zu geben, die es mir ermöglicht, die Äußerungen in einem kommunikativen Zusammenhang zu sehen. Mit einer Beschreibung von (46) wie S macht Musik und verbalisiert seine Tätigkeit in einer begleitenden sprachlichen Handlung
scheinen mir wesentliche Aspekte der Äußerung nicht erfaßt. Z.B. ist nicht geklärt, was ich mit einem Ausdruck wie verbalisiert seine Tätigkeit meinen könnte, was eine "begleitende" sprachliche Handlung ist und welche sprachliche Handlung es denn ist, die hier als begleitende angesprochen wird. Die genannte Beschreibung ist also offenbar gar keine Beschreibung der sprachlichen Handlung, die S mit dem Äußern von (46) machen könnte, sondern eine Beschreibung der nicht-sprachlichen Handlung des Musikmachens. Was wie eine Beschreibung des sprachlichen Handelns aussieht ... und verbalisiert seine Tätigkeit in einer begleitenden sprachlichen Handlung,
48
Unter einer semantischen Relation zwischen Sätzen verstehe ich hier sowohl eine Relation wie die Frage-Antwort-Relation hinsichtlich des "propositionalen Gehalts" von Frage bzw. Antwort als auch Relationen wie Implikation, Negation, Unverträglichkeit usw.
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ist im Grunde wenig informativ, solange nicht deutlich wird, auf welche Art von sprachlicher Handlung denn mit der Bezeichnung 'Verbalisieren einer Tätigkeit1 eigentlich referiert wird. Möglicherweise wäre bei obiger Beschreibung aber ein anderer Fehler unterlaufen, nänlich die Umkehrung der implizit enthaltenen Indent-Relation. Wenn wir für verbalis-ieren äußern einsetzen, ergibt sich eine Beschreibung wie: und äußert dazu etwas (über seine Tätigkeit), indem er eine sprachliche Handlung macht.
Hierbei handelt es sich nicht um eine Indem-Relation, sondern um eine Um-zuRelation: und äußert dazu etwas, um eine sprachliche Handlung zu machen.
Bei dieser Relation würde uns eine Vertauschung der Argumentstellen sofort auffallen: und macht eine sprachliche Handlung, um dazu etwas zu äußern.
Die richtige Reihenfolge der Argumente der Indem-Relation wird auch deutlich, wenn wir indem ersetzen durch dadurch, daß: und macht eine sprachliche Handlung, dadurch, daß er etwas äußert. 49
Um auf einen kottnunikativen Zusammenhang zwischen den Äußerungen der Partner abzuheben, muß ich gegenüber der oben diskutierten Beschreibung gerade die Frage zu klären versuchen, um welche Art von sprachlicher Handlung es sich bei den Äußerungen handelt, was nicht bedeutet, ^aß ich den Zusammenhang zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Handlungen hier für irrelevant hielte. Es ist richtig, wie in dem obigen Beschreibungsversuch geschehen, darauf aufmersan zu machen, daß sich sowohl die Äußerung (46) von S, als auch die Äußerung (47) von C in bestimmter Waise auf nicht-sprachliche Handlungen von S bzw. C beziehen: S bezieht sich auf eine gleichzeitige oder zukünftige Handlung des Musikmachens, C bezieht sich auf eine vorausgegangene Handlung des Hausbauens. Doch demit ist die Analyse keineswegs erschöpft. Was tut Sebastian, indem er (46) äußert? Was tut Carmen, indem sie (47) äußert? Ich glaube, beide Partner tun etwas sehr Ähnliches. S beschreibt C sein (zukünftiges) Handeln, bzw. was er mit einer bestimmten Handlung meint, 49
Ich muß hier auf eine ausführlichere Diskussion solcher Konjunktionen wie indem, dadurch, daß, damit usw. verzichten. Siehe dazu vor allem Austin 1962: Lecture X (in saying; by saying).
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in welchen Zusammenhang etwa die Handlung des In-ein-Papprohr-Blasens und das TUtütü-Machen eine sinnvolle Handlung ist. C beschreibt S ihr vorausgegangenes Handeln, bzw. als was das Ergebnis ihres Handelns gelten soll (als ein "ganz großes Haus"). So geben sich S und C offenbar gegenseitig Deutungen ihres Handelns bzw. der Ergebnisse ihres Handelns, dadurch daß sie ihre Handlungen bzw. deren Ergebnisse beschreiben, indem sie (46) bzw. (47) äußern. (Im Rahmen einer solchen Interpretation erweist sich die Beschreibung, es handele sich in welchem Sinn auch irritier um "begleitende" sprachliche Handlungen, als oberflächlich gerade auch, was den Zusammenhang zwischen sprachlichen und nicht-sprachlichen Handlungen angeht, der damit anscheinend doch betont werden sollte. Von einer Analyse der sprachlichen Handlungen her, erschloß sich gerade ein relevanter Zusanmenhang zwischen den sprachlichen und den nichtsprachlichen Handlungen, auf die in den Äußerungen der Partner Bezug genommen wurde.) Auch damit ist die Analyse noch nicht erschöpft, denn es fragt sich beispielsweise, in welchen Zusammenhängen es sinnvoll ist, dem Partner bestimmte Interpretationen des eigenen Handelns nahezubringen; anders gefragt: Welche sprachlichen Handlungsmuster können denn Muster wie 'seine Handlung deuten1 erzeugen? Oder: Was tun die Partner, indem sie ihre Handlungen deuten? Die Beantwortung dieser Frage zielt m.E. genau auf den kormunikativen Zusanmenhang der Äußerungen (46) und (47). Könnte Carmen annehmen, daß Sebastian sich mit dem Äußern von (47) von ihrem Spiel ("Hausbauen") 50 in irgendeiner Weise abzusetzen versucht? Könnte Sebastian annehmen, Carmen habe kein Interess.6 mehr an dem gemeinsamen Musikmachen? Letztere Annahme scheint auf den ersten Blick plausibel. Man könnte dann die Äußerung (46) von S in ähnlichem Sinn interpretieren wie die Äußerung (31) von C. Dann könnte die Äußerung (47) von C entsprechend als Anregung zu einem alternativen Spiel verstanden werden, was bedeuten würde, daß sich Cs Interesse an einem gemeinsamen Spiel inzwischen von Musikmachen aufs Hausbauen verlagert hätte. Ich halte diese Interpretation allerdings nicht für die einzig mögliche. So naheliegend sie uns zunächst vielleicht scheint, so sehr ist sie doch fraglich, wenn wir wiederum unser vom Standpunkt des beobachtenden und beschreibenden Erwachsenen aus gewonnenes Verständnis zu relativieren versuchen Im Hinblick auf das Verstehen der Kinder untereinander. Wir haben bisher offensichtlich unter der Annahme argumentiert, daß 5O
Siehe dazu auch die hier nicht explizit in die Interpretation einbezogenen Äußerungen (43) und (45) von C.
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ein gemeinsames Spiel nur dann vorliegt, wenn die Partner unmittelbar aufeinander bezogene Spielhandlungen machen und mußten aufgrund einer solchen Annahme die Äußerungen (46) und (47) als alternative Anregungen zu unterschiedlichen Arten von möglichen kooperativen Spielen verstehen. Aber warum sollen "Musikmachen" und "Hausbauen" für die Kinder nicht Spielhandlungen in einem gemeinsamen Spiel sein? Zumindest hat es nicht den Anschein, daß S und C die Spielhandlungen, auf die sie sich mit den Äußerungen (36)-(45) jeweils beziehen und in denen es auch schon um "Musikmachen" einerseits (S) und um "Hausbauen" andererseits (C) ging, als unverträgliche oder auch nur konkurrierende Handlungen verstehen. Ich möchte deshalb annehmen, daß es sich nicht um konkurrierende Spielhandlungen handeln muß, sondern daß es für C und S in den Äusserungen (46) und (47) auch um die Verdeutlichung unterschiedlicher Rollen in einem gemeinsamen Spiel gehen könnte. Die Behauptung, daß solches Handeln bzw. Interagieren von S und C regelgeleitet sei, darf allerdings nicht so verstanden werden, als garantiere die Befolgung von Regeln einen streng strukturierten Ablauf einer Interaktion und Kcmmunikation. Die Art solcher, besonders aus der Sicht des Erwachsenen wenig strukturiert erscheinenden "Spiele", wie sie m.E. unter Kindern recht häufig gespielt werden, (wobei die Erwachsenen allerdings oft meinen, es handele sich dabei gar nicht um ein gemeinsames Spiel) charakterisiert Wittgenstein im § 83 der Philosophischen Untersuchungen: "Steckt uns da nicht die Analogie der Sprache mit dem Spiel ein Licht auf? Wir können uns doch sehr wohl denken, daß sich Menschen auf einer Wiese damit unterhielten, mit einem Ball zu spielen, so zwar, daß sie verschiedene bestehende Spiele anfingen, manche nicht zu Ende spielten, dazwischen den Ball planlos in die Höhe w ü r f e n , einander im Scherz mit dem Ball nachjagen und bewerfen, etc. Und nun sagt Einer: Die ganze Zeit hindurch spielen die Leute ein Ballspiel, und richten sich daher bei jedem Wurf nach bestimmten Regeln. Und gibt es nicht auch den Fall, wo wir spielen und - 'make up the rules as we go along 1 ? Ja auch den, in welchem wir sie abändern as we go along" (Wittgenstein 1967: 57 (§ 8 3 ) )
Die Regeln, denen die Kinder hier folgen, sind also u.U. komplexer
als die
Regeln, nach denen Erwachsene in vergleichbaren Zusammenhängen handeln, die Kairrunikationen und Interaktionen der Kinder sind also nicht weniger struktu51
In diesem Sinn sollte auch der Strategiebegriff verstanden werden.
51
Die Frage ist natürlich, was hier mit komplexer eigentlich gemeint sein kann, in welcher Hinsicht die einen Regeln oder Zusammenhänge komplexer sind als andere. Ich beziehe mich hier jedenfalls nicht auf einen syntaktisch definierten Komplexitätsmaßstab, sondern auf komplexe Zusammenhänge zwischen Äußerungen in Kommunikationen.
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riert als die von Erwachsenen. Eine solche Auffassung, für die ich im Zusammenhang mit dan hier beschriebenen Beispiel ansatzweise eine Begründung entwickelt habe, steht im Widerspruch zu der gängigen Annahme, Kannunikationen unter Kindern seien in ihren Zusantnenhängen weniger konplex als Katmunikationen unter Erwachsenen und mithin auch leichter beschreibbar. Hier wird m.E. auch der Sinn unserer Annahme deutlich, daß sich die Unterschiede zwischen der Sprachkcmpetenz von Erwachsenen und der Sprachkompetenz von Kindern weniger auf der Ebene von Katalogen von Handlungsmustern als vielmehr auf der Ebene der Zusammenhänge von Handlungsmustern, sowohl im Sinne der Indem-Struktur einer Regel als auch besonders im Sinne von komplexen kormunikativen Zusammenhängen abzeichnen dürften. Der Beginn des Tanzes, den Sebastian mit dem Äußern von (48a) da will ich tanzen
kormentiert, bezieht sich wohl einerseits auf seine Musik, zu der er tanzen will, andererseits stellt er damit aber auch eine Verbindung her zu dem Haus, das Carmen gebaut hat, indem er mit da offenbar auf das in Carmens Äußerung angesprochene Haus als den möglichen Ort des Tanzens referiert. Daß er schon bei den ersten Tanzbewegungen an das von C gebaute Haus stößt, so daß dieses teilweise zusammenstürzt, ist sicher ein Mißgeschick, es könnte das Ende des gemeinsamen Spiels bedeuten, wenn C eine Entschuldigung o.a. nicht akzeptieren würde. Der mißglückte Tanzversuch scheint jedoch für das Spiel zwischen S und C zunächst eirmal die Konsequenz zu haben, daß S das Musikmachen aufgibt und eine andere Rolle im Spiel mit Cs Haus zu übernehmen versucht. Welche Rolle dies sein könnte und auch welche Rolle C eigentlich spielt, bleibt jedoch auch im folgenden unklar. Ich will zwar nicht behaupten, daß das, was C und S tun, als Rollenspiel im üblichen Sinne zu bezeichnen sei, die Art jedoch wie C und S miteinander kortnunizieren zeigt besonders von der Tonlage und Stimmführung her, daß das Handeln der Partner in der Regel ein Rollenhandeln ist. Was es uns schwer macht, dieses Rollenhandeln in den Kategorien des Rollenspiels zu beschreiben, ist die Tatsache, daß wir bis auf die Äußerung (64b) ich bin schon ein Vati
keine explizite Rollenzuschreibung finden und daß die Rollen offensichtlich sehr flexibel sind. Ich will die Kcmmunikation zwischen C und S unter dem Aspekt des "Rollenspiels", sowie unter unserer leitenden Frage, wie die Partner ein gemeinsames Spiel vorbereiten und hier besonders, wie ein solches Spiel dann auch tatsächlich gespielt wird, weiter zu beschreiben versuchen. Ich beziehe mich dabei auf den Kotmunikationsausschnitt, dessen Beschreibung ich mit den Äußerungen (46) und (47) begonnen habe und den ich bis einschließlich der Äußerung (64) von S ansetze.
185 Ein Kannunikationsausschnitt, der etwa zwanzig Äußerungen umfaßt, läßt sich noch so weit überblicken, daß wir von einen "Gesamteindruck" ausgehend die Analyse einzelner Teile nicht vernachlässigen müssen. Was ich hier "Gesamteindruck" nenne, ist eine vorläufige interpretative Hypothese, die ich größtenteils aus der teilnehmenden Beobachtung gewonnen habe und die eine Art Vorverständnis konstituiert, mit dan ich an die explizite Analyse herangehe. Dieses Vorverständnis ist geprägt von der genannten leitenden Frage nach der Organisation eines gemeinsamen Spiels und der diesen Ausschnitt betreffenden Hypothese, daß S und C hier zu einen gemeinsamen, wenn auch nicht klar umrissenen Spiel finden. Obwohl ich auf der Grundlage dieser Annahme auch die Wahl gerade dieses Ausschnitts begründet habe, bedeutet dies keine generelle rigide Aufteilung der zu beschreibenden Komtunikation in Abschnitte, die jeweils isoliert beschreibbar wären. Daß ich den hier zu beschreibenden Ausschnitt gerade bis zur Äußerung (64) annehme, hat einen Grund beispielsweise auch darin, daß mit dieser Äußerung von S bzw. mit dan Zusammenhang der Äußerungen (63) und (64) sich ein HandlungsZusammenhang wiederholt, der, was die Analyse im einzelnen zeigen muß, dem Handlungszusamnenhang der Äußerungen (4) und (5) zumindest hinsichtlich der Äußerungsmuster sehr ähnlich ist. Mit dieser Feststellung verbinde ich gleichzeitig die Behauptung, daß sich die Kommunikation zwischen Sebastian und Carmen über gut sechzig Äußerungen hinweg im Grunde um das gleiche Problem nämlich die Organisation eines gemeinsamen Spiels, gedreht hat. Das Erstaunliche daran scheint mir der geringe Grad von Explizitheit der Kotmunikation. Daß die Kinder hier trotzdem
rela-
tiv schnell zu einer Übereinstimmung in ihren Zielen und damit zu einan gemeinsamen Spiel gelangen, scheint mir ebenfalls erstaunlich.
53
Die Verwendung des Ausdrucks trotzdem impliziert hier natürlich eine bestimmte Auffassung über den Zusammenhang zwischen dem Grad der Explizitheit einer Kommunikation und der für das Erreichen eines bestimmten Ziels benötigten Zeit, ferner Maximen wie: "Erreiche deine kommunikativen Ziele auf dem schnellsten Weg! (Handele ökonomisch!)" und "Sei explizit!" sowie die Verknüpfung dieser Maximen: "Je expliziter du kommunizierst, desto schneller erreichst du dein Ziel". Linguistisch zu klären bliebe dabei jedoch gerade die Frage, was es denn heißt, "explizit" zu kommunizieren. Ich möchte dazu nur anmerken, daß ich mich damit nicht im sprechakttheoretischen Sinne auf die Explizierung der "illocutionary force" in einem Äusserungsmuster wie ich frage dich, ob du mitkommst oder auf explizit performative Wendungen wie hiermit taufe ich Dich auf den Namen... beziehe. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die sog. indirekten Sprechakte. Sind diese denn nicht "explizit"?
186
Wenn ich die einen relativ großen Korimunikations Zusammenhang umklammernden Äußerungspaare (4) und (5) einerseits und (63) und (64) andererseits betrachte, liegt die Annahme nahe, daß das "Thema" der dazwischen liegenden Kommunikation, von "Abschweifungen" abgesehen, der in (4) und (5) und (63) und (64) sich deutlich abzeichnende Konflikt sein dürfte. Der Versuch, die Frage nach der Rollenverteilung in einem möglichen gemeinsamen Spiel zu klären, manifestiert sich in einer verschiedene Arten des Streitens umfassenden Korenunikation, die ich ohne den Anspruch der Generaiisierbarkeit, im einzelnen zu analysieren versucht habe. Wenn nun S und C mit den Äußerungen von (63) bzw. (64) zeigen, daß sie offenbar noch den gleichen Konflikt miteinander haben, der mit dem Äußern von (4) und (5) zum Ausdruck kam, so fragt man sich in der Tat, was S und C denn eigentlich zwischendurch getan haben. Haben sie sich "ernsthaft" um die Lösung des Konflikts bemüht? Haben sie den Konflikt vergessen und war dieser nur noch latent vorhanden? War der Grund ihres Streitens überhaupt dieser Konflikt? Haben sie überhaupt gestritten? Haben sie nur gestritten? Was haben sie getan, wenn sie nicht gestritten haben? - Ich glaube nicht, daß es sinnvoll ist,
all diese Fragen zu beantworten, es sind in gewissem Sinne rhetorische
Fragen, die uns ein Problem bewußt machen sollen. Nämlich dies: Sind das überhaupt angemessene Kategorien, mit denen wir die Konmunikation beschreiben zu können glauben? Ist die kategoriale Unterscheidung zwischen Streiten und Kooperieren Überhaupt in der Weise auf Kommunikationen anwendbar, daß wir solche Fragen wie oben sinnvoll stellen können? Sind Kooperieren und Streiten nicht vielmehr in einer Weise miteinander verwoben, die uns die Anwendung einer Unterscheidung von zwei qualitativ verschiedenen Arten des Kormunizierens als empirisch unmöglich oder zumindest als inadäquat erscheinen läßt. Um dieser prinzipiellen Problematik Rechnung zu tragen, habe ich in den Beschreibungen selbst bisher wenig von Streiten oder Kooperieren geredet, ich habe auch vermieden, größere Teile der betreffenden Kommunikationen unter jeweils einen dieser Begriffe zu subsumieren, weil die Anwendung eines solchen Begriffs eben eine Subsumtion unter eine pauschale Interpretation bedeutet, die ein differenziertes Argumentieren oft erschwert, es sei denn, wir würden eine solche Interpretation aus einer differenzierten Argumentation ableiten. Um nun die behauptete Verwobenheit von allgemeinen Interaktionsmustern wie "Streiten1 und 'Kooperieren' am Beispiel weiter zu verdeutlichen, will ich wie angekündigt prüfen, inwieweit sich der Zusammenhang der Äußerungen (46)-(62) als kooperativer HandlungsZusammenhang beschreiben läßt, der ja von unserer
187
vorläufigen Beschreibung der Äußerungen (63) und (64) her gesehen innerhalb eines als Streiten beschriebenen Zusammenhangs placiert zu sein scheint. Die Äußerung (64) von Sebastian ist noch aus einem anderen Grund interessant, weil sie uns nämlich Aufschluß geben kann über die Rolle, die er in dem zu beschreibenden Spiel mit Carmen zu übernehmen versucht haben könnte. Mit dem Äußern von (64b) ich bin schon ein Vati
macht er eine explizite Behauptung über die Rolle, die er übernatmen hat und fordert Carmen damit wohl implizit auf, ihr Rollenhandeln so einzurichten, daß es mit seinem Handeln in der Rolle eines Vaters verträglich ist. Wir können von dieser expliziten Rollenzuschreibung am Ende des zu beschreibenden Kommunikationsausschnitts her die Koimunikation zwischen S und C jedoch nicht eindeutig als ein Spiel mit einer festgelegten Rollenverteilung beschreiben. Abgesehen davon, daß C ihre Rolle nirgends explizit "definiert", können wir natürlich auch nicht sicher sein, daß S während der ganzen Sequenz die Rolle spielt, die er sich mit dem Äußern von (64) zuschreibt. Es wäre denkbar und nach meinen Eindrücken aus der teilnehmenden Beobachtung nicht einmal unwahrscheinlich, daß die Partner zwischendurch andere Rollen übernehmen, eine Weile diese, dann wieder jene Rolle spielen. 54 Dies könnte für das Spielen unter Kindern sogar charakteristisch sein. Die Komplexität von Koimunikationen unter Kindern scheint mir ebenso wie auf Strategienwechsel auch auf diese Art von Rollenwechsel zurückzuführen zu sein. "Komplex" wird die Kommunikation dadurch, daß die Übernahme der neuen Rolle (i) nicht explizit angekündigt wird und (ii) die alte Rolle dabei nicht unbedingt aufgegeben wird, sondern als latente Spielmöglichkeit, auf die man sich ggf. wieder zurückziehen kann, weiterhin vorhanden ist. Von daher können wir also aufgrund der Äußerung (64) von S zwar eine Hypothese wagen über die Rolle, die er in dem betreffenden Kommunikationsausschnitt spielt bzw. spielen möchte, wir können diese Äußerung jedoch nicht uneingeschränkt als Selbstinterpretation von S hinsichtlich des Sinnes aller seiner Handlungen, die er mit den entsprechenden Äußerungen in diesem Kcnmunikationsausschnitt macht, ansehen. Daß auch Carmen eine Rolle überncmmen hat und nicht einfach etwas aus Bauklötzen baut, wird m.E. deutlich an der Art, wie sie auf das Zusammenstürzen ihres Hauses reagiert.
54
VgL. hierzu wiederum Wittgenstein 1967: § 83.
188
Ich habe weiter oben schon den Äußerungsteil (48a) beschrieben. Was macht Sebastian nun, indem er äußert (48b) oh / hab ja kaputt gemacht / bin ja blöd?
Und wie hängt Cs Reaktion mit ihrem Verständnis dieser sprachlichen Handlung von S zusammen? Und wie hängen die sprachliche Handlung, die C macht, indem sie (49) äußert, wie auch die sprachliche Handlung, die S mit dem Äußern von (48b) macht, zusammen mit der nicht-sprachlichen Handlung des Tanzens bzw. dem Umstürzen des Bauklotzhauses? S zeigt sich mit dem Äußern von (48b) offenbar erstaunt, daß er beim Tanzen das Haus von C "kaputt gemacht" hat. Er gibt, so meine ich, damit zu verstehen, daß es für ihn unerwartet und unerwünscht ist, daß rfos Umstürzen des Hauses durch eine Handlung von ihm verursacht worden sein soll, er erkennt damit aber auch gleichzeitig an, daß er das Haus kaputtgemacht hat. Auch dafür, wie das passieren konnte, hat S eine Erklärung, nämlich die, daß er "blöd" sei, womit er sich vermutlich auf die Handlung des Umstoßens oder auf sein ungeschicktes Tanzen bezieht. Eine solche Verwendung von Ausdrücken wie bin ja blöd
scheint mir auch als Erwachsenem vertraut; wir verwenden sie in der Regel so, daß wir uns damit für ein Mißgeschick entschuldigen oder auch nur einem Ärger über unsere Ungeschicklichkeit "Luft machen". Der Partner muß eine solche Äusserung natürlich nicht unbedingt als Entschuldigung verstehen, es gibt Zusammenhänge, in denen man sich so sicher nicht entschuldigen kann, was heißt, daß eine solche Äußerung in diesen Zusammenhängen eben nicht als Entschuldigung gelten würde. Man entzieht sich auf diese Weise auch nicht unbedingt einem Tadel oder gar jeglicher Kritik. Dies dürften die Kinder im Laufe ihrer Sozialisation schon erfahren haben, wenn Erwachsene sie für eine ungeschickte Handlung bzw. für das ungeschickte Ausführen einer Handlung, aufgrund dessen ein Mißgeschick passierte, tadelten. Dieser Tadel wird vermutlich in solchen Fonnen geäußert worden sein, die wir als 'Schimpfen1 beschreiben könnten. Deshalb erinnert mich die Äußerung (49) von C auch an das Handeln von Erwachsenen gegenüber Kindern in solchen Situationen, das C hier vielleicht nachahmt, bzw. in einer Erwachsenenrolle spielt: (49) xxx gleich und schreit.
189
Obwohl der Anfang der Äußerung (49) nicht verständlich ist,
läßt sich mit
einiger Wahrscheinlichkeit soviel sagen, daß an der unverständlichen Stelle wohl der Name einer Person oder eine Rollenbezeichnung eingesetzt werden müßte, so daß mit diesem Teil der Äußerung auf denjenigen, der "schreit" referiert worden sein dürfte. Aufgrund des gleich nehme ich an, daß das Schreien nicht hier und jetzt tatsächlich stattfindet (C schreit ja nicht, sondern äußert ( 4 9 ) ) , sondern als Handlung angekündigt wird, die stattfinden wird, wenn eine bestimmte Person "gleich" kommt und schreit. Ich habe also noch einen weiteren, einen verbalen Teil der Äußerung (49) von C erschlossen, da die Konjunktion und vor dem Prädikat schreit impliziert, daß schreit mit einem anderen Prädikat verbunden ist. Aufgrund eines mir geläufigen Äußerungsmusters glaube ich mit einiger Sicherheit von einer Äußerung wie P kommt gleich und schreit
ausgehen zu können. Da es nicht C selbst sein kann, die kamt und schreit, und da ich auch keinen Grund zu der Annahme habe, C würde auf mich (V) referieren, muß ich annehmen, daß C auf eine Rolle referiert, in der sie selbst gleich kamen und schreien könnte. Das bedeutet, daß C diese Rolle entweder schon spielt und sich selbst in dieser Rolle in der dritten Person anspricht, wie wir es aus der Kamunikation zwischen Erwachsenen und Kindern kennen (z,B. Ei, was hat die Gönnen denn da) oder daß sie die Übernahme dieser Rolle ankündigt. Letzteres könnte durchaus als Drohung gemeint sein, weil dann die der angekündigten Rolle entsprechenden Handlungen (z.B. schreien, schimpfen) ausgeführt werden müßten, die für S unangenehm sein könnten. Mit dem Bezug auf eine (mögliche) Rolle kann Carmen offenbar auch den Einsturz ihres Hauses bewältigen, und sie braucht auf diese Weise nicht so auf Sebastians Handlung zu reagieren, wie sie es "als sie selbst" vielleicht hätte tun müssen. So kann sie, wenn auch unter gleichzeitigem Drohen auf der betreffenden Rollenebene, die Entschuldigung von S akzeptieren und braucht nicht das gemeinsame Spiel durch die Eskalation des latenten Konflikts zu gefährden. S geht mit dem Äußern von (5O) ich / ich hab das doch nicht absichtlich gemacht // ich hab das nicht absichtlich gemacht
(dem Ton nach zu urteilen) weiter auf das "Rollenspiel" ein. Er bringt eine weitere Entschuldigung vor, indem er mit dem Äußern von (5O) behauptet, er
190
habe das nicht absichtlich gemacht. Damit reagiert er auf die Drohung Cs, die er offenbar als Vorwurf versteht, so daß er sich mit dem Äußern von (50) auch gegen einen Vorwurf verteidigen könnte. In diesem Sinne verstehe ich das Äussern von doch in (50) ich hab das doch nicht absichtlich gemacht.
Gleichzeitig könnte er seine Äußerung, falls er das Äußern von (49) als Drohung verstanden hat, natürlich auch als eine Bitte meinen, die angedrohte mögliche Sanktion ("schreien") nicht anzuwenden, indem er nämlich eine Begründung dafür angibt, warum seine Handlung nicht negativ sanktioniert werden sollte; er tut dies, indem er behauptet, er habe die betreffende Handlung "nicht absichtlich" gemacht, habe also gar nicht so handeln wollen, sei gewissermaßen nicht verantwortlich zu machen. Wir sehen hier am Beispiel zweier Interpretationsalternativen deutlich, was es heißt, von einem Äußerungsmuster bzw. einer empirischen Äußerung ausgehend, alternative Erzeugungsmuster zu beschreiben, alternative Regeln, nach denen der Partner gehandelt haben könnte, indem er diese oder jene Äußerung gemacht hat. Wenn wir die Relation zwischen Äußerungsmustern und anderen sprachlichen Handlungsmustern in einem Erzeugungszusammenhang als mehrdeutige Relation verstanden haben, so haben wir es im Fall des empirischen Arbeiters doch lediglich mit einem Aspekt dieser mehrdeutigen Relation zu tun. Die Tatsache, daß wir die gleiche Handlung machen können, indem wir verschiedene Äußerungen machen, spielt in unserem Fall nur eine begrenzte Rolle, etwa dann, wenn wir theoretisch alternative Äußerungsmuster konstruieren, um so durch eine Art Kcmmutationsprobe den möglichen Bereich der betreffenden empirischen Äußerung abzugrenzen; die Tatsache jedoch, daß mit ein und demselben Äußerungsmuster verschiedene Handlungen gemacht werden können (nach verschiedenen Regeln gehandelt werden kann), stellt dagegen ein zentrales Problem für das Verstehen und Beschreiben der betreffenden Äußerung als die und die Handlung dar. Wir sehen auch, daß sich eine alternative Interpretationsmöglichkeit erst ergibt, wenn wir bestirnte Aspekte der Regeln beschreiben, nach denen S gehandelt haben könnte. Unter bestimmten Aspekten sind die Regeln, nach denen S Im einen und im anderen Fall gehandelt haben könnte, gleich. Die Interpretationsalternative wird also erst dann sichtbar, wenn wir die mögliche Erzeugungskette im Sinne einer Um-zu-Relation weiter nach links verfolgen, also Aspekte der Regel beschreiben, die uns dem gemeinten Sinn der Handlung näher bringen können.
191
Welche Alternative wir im Fall unseres Beispiels wählen, bzw. auf welche Alternativen wir überhaupt stoßen, hängt wesentlich davon ab, wie wir die vorhergehende Äußerung, auf die die betreffende Äußerung eine Reaktion ist, verstehen, bzw. welche Annahmen wir darüber machen können, wie der Partner die Äusserung verstanden hat. Das schließt nicht aus, daß auch die Art der Reaktion Aufschluß gibt über das Verstehen der vorhergehenden Handlung. Hinsichtlich dieser oder jener Art von Reaktion ergeben sich jedoch wiederum Interpretationsalternativen, die korrelierbar sein müssen mit differenzierteren Alternativen hinsichtlich des Verstehens der vorhergehenden Äußerung(en). So könnte man daraus, daß S sich offenbar irgendwie entschuldigt, schließen, daß seine vorhergehende Handlung von C so verstanden worden ist, daß eine Entschuldigung sinnvoll scheint. Analysiert man jedoch die Regeln, nach denen S hätte handeln können, indem er sich entschuldigt, wird man über die Beschreibungsalternativen von (49) (als Drohung oder als Vorwurf) auch zu differenzierten alternativen Beschreibungsmöglichkeiten der Äußerung (5O) von S gelangen.
192 4.
ERGEBNISSE
Dem theoretischen und methodischen Ansatz der Arbeit entsprechend, wird sich die Art der Formulierung von "Ergebnissen" unterscheiden von der Art, in der üblicherweise Ergebnisse sog. empirischer Untersuchungen formuliert werden. Deshalb scheint es mir zunächst auch schwierig, "Ergebnisse" an dieser Stelle so zu formulieren, daß dabei einerseits dem in der Arbeit m.E. erreichten Stand der methodischen Reflexion Rechnung getragen werden kann und daß andererseits die Relevanz dieser Art von "Ergebnissen" gerade denjenigen einsichtig gemacht werden kann, die sich an bestinmte Paradigmen von Wissenschaft oder Wissenschaftlichkeit gewöhnt haben. Zudem überschneiden sich aufgrund des exemplarischen Charakters der Beschreibungen Ergebnisse hinsichtlich der Frage nach einer adäquaten Methode der Beschreibung von Kannunikationen (unter Kindern) und Ergebnisse hinsichtlich des thematischen Bereichs der Beschreibungen ("Streiten und Kooperieren" (unter Kindern)) . Ich will aus Gründen der Übersichtlichkeit versuchen, diese beiden Ebenen - in einem gewissen Widerspruch zu den Intentionen der Arbeit - bei der Formulierung von Ergebnissen auseinanderzuhalten ((i) - (iv); (v) - (ix)). (i) Die exemplarische Entwicklung einer Methode der Beschreibung von Konmunikationen (unter Kindern) hat m.E. deutlich gemacht, daß eine adäquate Beschreibung dessen, was Kinder tun, wenn sie miteinander kommunizieren und interagieren, unter Verzicht auf den Begriff des Verstehens, d.h. auf eine Explikation dessen, was es heißt, (sprachliche) Handlungen, Interaktionen und Kointunikationen zu verstehen, nicht denkbar ist. Jedenfalls dann nicht, wenn wir als praktisches Ziel des Beschreibens von Konrnunikationen eine Verbesserung unseres Verstehens bzw. des Verstehens der Partner untereinander ansehen. (ii) Eine solche, einerseits auf Verstehen ausgerichtete, andererseits aber auch schon auf Verstehen basierende Beschreibung kann methodisch nur als Ergebnis eines Interpretationsprozesses verstanden werden. In der ständigen Konfrontation von begründbaren Interpretationsalternativen entsprechender
193
Komiunikationsausschnitte konnte der inner nur vorläufige Charakter jeder Interpretation als hypothetische Beschreibung der dem Handeln der Partner zugrundeliegenden Regeln einsichtig gemacht werden. Dabei konnte ein Verfahren erarbeitet werden, das, ausgehend von der Annahme einer prinzipiellen Differenz zwischen dem eigenen Sprachgebrauch und dem der "beobachteten" Partner, als Anleitung zur methodischen Reflexion auf unseren Sprachgebrauch sowie auf hermeneutische Prozesse verstanden werden kann. Ein solches Verfahren konnte im theoretischen Teil nur im Hinblick auf einige aus Überlegungen zur Art des Beschreibungsbereichs resultierende Eigenschaften befragt werden, wäiirend die Frage der Explikation eines adäquaten methodischen Ansatzes nur exemplarisch sinnvoll beantwortbar schien. Im Beschreibungsteil konnte also nicht eine vorgängig entwickelte Methodologie (Methodenlehre) "angewendet" werden, vielmehr erwies es sich als notwendig, eine Methode in der exemplarischen Beschreibung selbst zu entwickeln. Hieraus sind auch Konsequenzen zu ziehen für die Lehrbarkeit einer solchen Methode. Da das Verstehen bzw. die Begriffe, in denen wir das als Ergebnis eines Interpretationsprozesses gewonnene Verständnis artikulieren, abhängig sind vom Sprachgebrauch des Beschreibenden und da für unterschiedliche Beschreibungen unterschiedliche Begründungen gegeben werden können, kann die Lehrbarkeit einer solchen Methode nicht darin bestehen, daß wir ein Inventar von Beschreibungskategorien zur Verfügung stellen, denn die Frage der Anwendbarkeit bestürmter Kategorien auf bestürmte Teile von Kotmunikationen unterliegt selbst wiederum dem Postulat einer hermeneutischen Reflexion, so daß wir im Grunde die Ausbildung der Fähigkeit auf hermeneutische Prozesse sowie auf den eigenen Sprachgebrauch zu reflektieren, in den Mittelpunkt stellen müssen. (In diesem Sinne ist in der Arbeit von einer Sensibilisierung für alternative Interpretationen die Rede gewesen). Lehrbarkeit kann demnach nur heißen - und darin sind wir durchaus dem didaktischen Prinzip des exemplarischen Lernens verpflichtet - an Beispielen zu zeigen, wie alternative Interpretationen gewonnen und begründet werden können und wie eine kritische Reflexion auf den eigenen Sprachgebrauch sowie auf die grundsätzliche Differenz zu dem möglichen Sprachgebrauch der Partner, deren Kcmnunikationen und Interaktionen zum Gegenstand der Analyse gemacht werden, möglich ist. (iv) Es soll hier nochmals betont werden, daß es bei einem solchen Ansatz nicht danxn gehen kann, daß sich eine Interpretation letztlich als die einzig "richtige" behaupten kann, sondern daß unsere Beschreibungsvorschläge gerade
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deutlich gemacht haben, daß in der Regel verschiedene interpretative Hypothesen mehr oder weniger plausibel erscheinen, daß der Bereich der möglichen Hypothesen zwar in der fortschreitenden expliziten Analyse eingeschränkt werden kann, daß damit jedoch der Interpretationsprozeß nur zu einem vorläufigen Abschluß gekcnmen sein kann und daß das so gewonnene Verständnis eben auch immer nur ein vorläufiges (mithin revidierbares) sein kann. (v) Was den thematischen Bereich der ausgewählten Kormunikationsbeispiele anbetrifft, konnte in den exemplarischen Beschreibungen m.E. die Annahme der Eigenständigkeit der Regeln, nach denen Kinder (sprachlich) handeln, erhärtet werden. Es konnte in der methodischen Reflexion gezeigt werden, daß bestimmte Sequenzen in der Tat nur unter der Annahme von Regelzusammenhängen verstehbar bzw. interpretierbar waren, die teilweise sehr verschieden von den Zusammenhängen des Beschreibenden waren. (vi) Als ein zentrales Moment der Konfliktbewältigung sowohl durch körperliches als auch durch verbales Streiten konnte an verschiedenen Beispielen der Versuch der Klärung der Art des jeweiligen Konflikts herausgearbeitet werden. (vii) Sowohl bei solchen Versuchen als auch im weiteren Verlauf des jeweiligen "Streits" zeigte sich in der Beschreibung stets ein enger Zusammenhang zwischen sprachlichen und körperlichen Handlungen, zwischen denen es stets fließende Übergänge zu geben schien, die aber auch unter bestürmten strategischen Hypothesen bis zu einem gewissen Grad in Zusammenhang mit den jeweils angestrebten Arten der Konfliktbewältigung zu sehen waren. Jedenfalls kann m.E. aus den exemplarischen Beschreibungen der Schluß gezogen werden, daß für die beobachteten Kinder zum Zeitpunkt der jeweiligen Aufnahme offensichtlich keine kategoriale Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten des Streitens anzunehmen war. (viii) An größeren Kommunikationsausschnitten ließ sich zeigen, in welchem Sinne die Struktur kindlicher Kommunikationen als komplex anzusehen ist, nämlich insbesondere insofern, als über längere Zeit hinweg unterbrochene Züge oder ganze Strategien wieder aufgenommen werden und insofern, als offensichtlich "Regeln" verschiedener "Spiele" ineinandergreifen. (ix) Bei der Analyse solcher komplexer kommunikativer Zusammenhänge gelang es m.E. auch, empirische Argumente gegen einige Annahmen Piagets vorzubringen, indem etwa gezeigt werden konnte, daß an Stellen, wo nach Piaget von monologischem oder kollektiv monologischem Handeln auszugehen gewesen wäre, eine
195
Interpretation unter der Annahme eines kottnunikativen Zusammenhangs zwischen bestimmten Äußerungen zu einem adäquateren Verständnis kindlicher Kommunikationen gelangte. (x) Die genannten "Ergebnisse" spiegeln freilich nur einen Teilaspekt der Arbeit wieder, und so mag die Länge der Arbeit als unproportional im Hinblick auf die sog. Ergebnisse angesehen werden. Demgegenüber will ich abschließend noch einmal betonen, daß ein interpretatives Verfahren der vorgeschlagenen Art inner auch ein argumentatives Verfahren sein muß, das eben auch argumentativ entwickelt und in das argumentativ eingeführt werden muß. Insofern dokumentiert eine solche Arbeit immer auch den Prozeß ihres eigenen Entstehens, die Suche nach Wegen, von denen sich einige als gangbar erwiesen haben.
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203
ANHANG I: Bildmaterial1
Bild (1)
l
Aus: Schüttler-Janikulla 1972, Arbeitsmappe l
204
Bild (2)
205
Bild (3)
206
Bild (4)
207
II:
Texte
Im Anhang II sind größere zusammenhängende Teile aus fünf Konmunikationen unter Kindern in verschriftlicher Form wiedergegeben. Die Verschriftlichung der mündlichen Konmunikationen orientiert sich vor allem an dem Kriterium der Lesbarkeit. Dies betrifft sowohl die Wahl des Transkriptionssystems (soweit man hier überhaupt von einem "System" reden kann), als auch die Verwendung besonderer Notationen. Wenn man der Einteilung von Ehlich/Switalla
folgen will, die zwischen "phonetisch/phonologischen" und
"diskursanalytisch orientierten" Transkriptionssystemen unterscheiden, so wäre die hier gewählte Form der Verschriftlichung in jedem Fall dem letztgenannten Typus zuzuordnen. Die Art der Transkription ist wohl als standardsprachlich und konventionell-orthographisch zu bezeichnen, berücksichtigt jedoch mündliche Sprachformen wie VerSchleifungen, Zusanmenziehungen u.a. Welche zusätzlichen "Daten" in den transkribierten Texten Berücksichtigung finden, ist aus den folgenden Erläuterungen zum Aufbau der Transkripte und der verwendeten Sonderzeichen zu ersehen: Jeder Kcnruinikationsausschnitt (Text) beginnt mit einem "Kopf", der Angaben enthält über Name und Alter der Katmunikationspartner (oben links) und über Ort und Zeit der Aufzeichnung (oben rechts). In einem folgenden, in der Regel mehrzelligen Block wird eine knappe "Situationsbeschreibung" gegeben, die Angaben enthält über die Art der Aktivitäten der Partner, über relevante Rollenkonstellationen usw. Sie hat selbstverständlich interpretativen Charakter. Darunter beginnt der Transkriptionsteil; die Seitenzählung innerhalb eines Textes findet sich am rechten Rand (z.B. 11,3 = dritte Seite des Textes II). 1
Zur Problematik der Auswahl und Anordnung der Kommunikationen, sowie zum Charakter der Verschriftlichung siehe Kap. 3.1. und 3 . 2 . , sowie 1.3.
2
Siehe Ehlich,SwitalLa 1976: 78.
208
Der Transkriptionsteil ist in "Spalten" aufgeteilt, die verschiedene Arten von Informationen enthalten. Die Spalten sind durch entsprechende Abkürzungen über der Kopfleiste gekennzeichnet: In der Spalte "P" wird die Sigle des jeweils sprechenden Kormunikationspartners angegeben (der Anfangsbuchstabe seines Vornamens, der im Kopf oben links angegeben ist). Bei nicht eindeutig identifizierbaren Partnern schreiben wir entweder "?" oder zwei Siglen durch "/" getrennt (z.B. G/F). In der Spalte "Kern(AIS)" wird die Art der in der folgenden Spalte "Aus" transkribierten Äußerungen hinsichtlich auffälliger Intonation, Lautstärke, Rhythmisierung u.a. kotmentiert. Von dieser Art von "Kotmentar", die ja eine Deutung der betreffenden Äußerungen impliziert, habe ich nur sehr sparsam Gebrauch gemacht, weitere Charakterisierungen sind ggf. bei den exemplarisch beschriebenen Teilen aufgencnmen. Die mittlere Spalte enthält die transkribierten Äußerungen. Als zusätzliche Notationen sind dabei verwendet: / //
Pausen unterschiedlicher Länge (subjektive Einschätzung)
///
(Unterstreichungen) für besonders betonte Äußerungsteile ?
zur Kennzeichnung der Frageintonation (nicht zur Kennzeichnung einer Fragehandlung)
xxx
unverständlicher Äußerungsteil eines Partners
xxxxx
unverständliche Äußerungsteile mindestens zweier Partner
... am Ende einer Äußerung ·> , - , , .. „ Won Partner unterbrochene Äußerungen am Anfang der folgenden Äußerung] ^ eingeklammerter Äußerungsteil: nicht mit Sicherheit akustisch identifizierbar zwei durch "/" getrennte eingeklammerte Äußerungsteile: alternative Lesarten (akustisch nicht entscheidbar). Sprecherwechsel ist in dieser Spalte durch einen größeren Zeilenabstand gekennzeichnet. Als Äußerung eines Partners zählt alles, was der Partner ohne Unterbrechung durch einen anderen Partner äußert. Aufgrund der Erfordernisse der Analyse sind im Beschreibungsteil Teile von Äußerungen in diesem Sinn gelegentlich als Äußerungen angesprochen und eigens numeriert (z.B. (8a), (8b)) Auf eine fortlaufende Numerierung der Äußerungen ist verzichtet worden. Die exemplarisch beschriebenen Teile sind getrennt numeriert. Die Spalte "Bemerkungen" enthält unsystematisch intuitive Beschreibungen nicht-sprachlicher Handlungen, sowie referenzklärende Angaben, evtl. Angaben
209
über den Adressaten einer Äußerung. Außerdem werden die Art des jeweiligen Spiels sowie der involvierten Spielgegenstände näher charakterisiert. Die Relevanz der hier aufgeführten Beschreibungen und Angaben kann nur für die exemplarisch beschriebenen Teile näher begründet werden. Sämtliche Angaben in den Spalten "Kon(Aus)" und "Bern." sind in runde Klanmern gesetzt.
210
Text I Ragana (1O;1) Carmen ( 3;7) Sebastian (3;4)
Heidelberg, 7.1.1974 Wohnung (Wohnzimmer)
C urd S spielen mit einem alten Telefon und versuchen ein Rollenspiel (Krankenschwester-Patient) zu initiieren. Die Rolle von R bleibt zunächst unklar. P
Kern (Aus)
Aus
S
Carmen ich bin nich krank
R
nee ich bin der Krankenwächter'// hallo? bin auch der Krankenwächter geh weg / ich muß telefonieren
C S C
Bern.
1,1
(telefoniert) (C läßt S nicht ans Telefon)
bin auch die / ich bin der Bub von dem Baby C
(leise)
S C S
(laut)
C C S C
(schreit)
R C R S
R
(kicherrxä)
S
(deutlich)
R S C S
ja ich xxx von Baby ein Bub / Baby ja // kommen wir mal zu uns? nein auf wiedersehen xxxxx (muß ich schnell telefonieren) nee ich / jetzt komm ich / ich muß der Onkel Dokdok anrufen ich will auch / ku mal och Carmen / du has doch telefoniert doch mit ändern xxx komm mal her Carmen hallo? / Onkel Dokdok / des Baby is krank // bin nich krank / nur des Baby / xxx wieder gut xxx wie die Rappeikit/te was has du gesagt / Rappelkiwe Rappelkit/te Rappelkiste ja / so heißt des nämlich ich / ich mach Kaffee xxx
(am Telefon)
(wendet sich an R)
211
P
Aus
Korn (Aus)
R S
ha? (in Garten gehn)
R
xxx
S
kein Garten mehr xxx Garten bin nich krank
R
(bei uns) is das Baby krank / der muß im Bett
C
ruf der Dokdok
R
ja
S
Bern.
1,2
///
ich bin nich krank / geh in mei / geh in mein Haus
R
oa oa / so
S
komm bei mir // xxx Vtohnung
R
(verneinend)
C S C
mm /// höi / krank / wir spielen Krankenhaus / geh mal weg / oder xxx
wir mache doch / wir mache doch wat? wir mache doch Kaspar/ater // (leise)
ja?
R
(leise)
nö
C
(kurz)
nö / Dokdok? Dokdok? Dokdok?
S
ich spiel Kaspartheater
R
bin nich hier
C
(ruft)
(C wählt am Telefon)
komm mal
S
das is des Katerlieschen und der Frieder
C
auf wiedersehn
S
les mir des mal vor
V
nö
S
doch
V
ihr könnt doch jetzt zusammen spielen / ich möcht jetzt nicht vorlesen
C
muß ich noch was ...
S
... hab Bauklötze
C
(hol ma ma)
V
(spielt mit Puppe im Puppenbettchen)
dahinten sind deine Bauklötze /
Sebastian
(nimmt ein Bilderbuch und geht damit zu V) (wendet sich an V)
212
P
Aus
Ran (Aus)
ich hab mein Haus kaputt gemacht / Haus // so / ah ein / Stück meine Bauklötze wohl / meine // bau ein Haus nämlich so // hier / liege liege S
bau / ich bau / ich bau eine Schule
R S S
eine Schule? ja für die Kinder / ne Schule // ich
(leise)
Ban.
(legt Puppe ins Puppenbettchen (C telefoniert) (aus Bauklötzen)
bau ganz xxx Schule / bau ich
C R
du muß auch was sage wenn ich telefonier aber ich / du / ich bin jetzt in ein Krankenhaus und des Baby xxx / xxx ich kontn zu dir (na raus) xxx / xxx wird geschoben / im Krankenhaus
C
hallo hallo?
R
hallo ich bin hier / isses dein Baby? // des war dein Baby / gel ja ich hab / ich hab mein Baby xxx is noch krank weißte / sie muß noch im Bett liegen / komm mal mit son kleinen Puppenwagen ja da muß ich die abhole / ja?
C S R
(leise)
S C R
dein Baby kannsche net abhole // Carmen / ...
C R C R C R
... wenn ... ... des Baby is krank wenns gesund is na ja / holst se ab Onkel Dokdok? / Krankenschwester? bin nich hier // des is noch dein Baby / Carmen ja ja? Krankenschwester?
C R C R
(betont)
(scharf)
hier / dein Baby
1,3
(zu R)
213
P
AUS
Kran (Aus)
c
ja
R
xxx machtsch schön Krankenschwester?
C R
(gekünstelt)
ja? kann mal
(mit tiefer Stimme)
ich koirme // was isn? / soll ich des Baby umziehn / vielleicht?
C R
1,4
is krank is krank / gel? xxx // Carmenkomm mal her
C R
hallo? dein Baby is krank / geworden / siehste / kucke mal // ha? kuckste? /// des is angezogen aber is krank (müßte) du muß dich auf n Bauch legen / wie? // laß den da stehn / (weißte / siehste)
C R
C R
warum?
C
des will / will aber zu mir
R
nee des is / des muß jetzt im Krankenhaus bleiben erster wenns gesund ist
C R
Ben.
(Babypappe schreit)
Carmen das muß da stehn / die darf nich so Inner hin und her geschoben / werden
(laut) (gedehnt)
ja / wenn se gesund is / is / dann kommt se / heim
C R
xxx jetzt hol ich mal der Doktor ha / den Doktor? wie machse den das?
S R S
ne große Schule (o ne / große) Schule war so weit)
R
xxx
C R
Dokdok? ja?
C R
komm mal ich hab doch keine Zeit / ich muß doch ein Baby anziehen welches?
(telefoniert) (C telefoniert weiter)
(C telefoniert; Bauklötze fallen um)
214
P Kam (Aus)
AUS
R
deins
C
XXX
R
so o ja / auf wiedersehen auf wiedersehn
C
Bern.
1,5
(R zieht Puppe an)
C
dein Kleidchen / s o ... . . . wir solln Kaspar (sinke) /// Dokdok?
R
ja?
C
konm mal zu uns Wasn des nun wieder? / dein Baby mußte (mit Puppen benoch mitnehmen / kuck mal / dein Baby schäftigt / sitzt da / des braucht seine . . . . . , auf wiedersehn kumal das Baby is jetzt wieder gesund (R gibt C das "geaber des andre // da sunde" Puppenbaby) nein des des andre is nich gesund / des da is schon gesund // tschüs / warte mal xxx tschüs und schlaf schön / das an(R schiebt Bettdere wird sicher in einer Köche wiechen zur Seite) der gesund sein
R
R
C R C R
C
XXX
S
des Baby schlaf wenn des schreit denn muß wieder rausnehmen
R S
/f-i
J_ -^ T
A-C_«
£
- J_ \
(S schreit wie ein Baby)
R
ja?
C R C R C R C R C
is es jetzt gesund? nee auf wiedersehn wiedersehn es is noch nich gesund kannsch schon früher zum Besuch komme was? zum Besuch kannst du kommen Ja / ich will mein Kind mitnehme // is es noch net gesund?
(stönt)
(C schiebt Puppenbettchen weg) (R hält Bett fest)
215
P
R (affektiert) C
AUS
Kon (Aas)
nö / nee / kanns aber zu mir Besuch kamen // nö? // im Krankenhaus is es aber viel schöner / gel siehste / da sind so Sachelchen (des wDlln) wir (anders) mache 0
Bern.
1,6
(C schüttelt den Köpf)
ich machs anders
R
C
siehste / das Baby // so / da is noch eine Puppchen da zu Spielen / so / komm // siehste kann / komm aufstehen / deine Mamni is da / siehste? / die kann noch nicht richtig stehen ja / ich tu sie tragen nS / die muß noch im Bett liegen / darf noch nich mit // die darf / die geht n bißchen spazieren / gel? ja / stintnt doch // guck / ich mach so na / des Baby geht doch raus spazieren / weißte mitn / in den Bett drin / s darf net so rumlaufe xxx nehm mein Kind mit des da muß ein Mantel anziehen / siehste / und dann wird se so / zugeknöpft mein Kind kriegt net laufen
R
ach so / warte mal
C R
C
weils krank is warte mal // hier / ihre Mütze hat se noch vergessen // wie? den Hampelmann? dies is ein Hampelmann dies is ja net n Hampelmann / nee // nee des is net n Hampelmann / nee // mit ihrer Mütze / wenn se rausgehen will und es draußen regnet und ihr xxx machen wir so schön / siehste da / und da // da ihre Mütze Carmen / so siehste / so und dann zudecken ich tu se in anders / anders
R
xxx
S
die (Jäger/Keger) kommt gleich und kucken da rein was böse Leuten / kucken die (Jäger/Neger)
C R C R C R
C R
(mit Puppe) (mit Puppe)
(S mit Negerhandpuppe mit grünem Kleid)
216
P
Ron (Aus)
AIS
Bern.
1,7
Jcuckste / jetzt is des kleine Wägele da drinne / so jetzt kann / des kann jetzt spazieren gehn ha?
C R
kann spazieren gehn / mit dem Wagen / siehste / des wird so geschoben
S
da muß der nie mehr im Krankenhaus
R
doch sie muß noch / sie is noch nich gesund // siehste so geht sie spazieren / Carmen so / zieht se den Mantel an / oder wenn se einschläft legt se sich bloß hin // du willst den Mantel nicht / nu / dann zieh n doch halt aus (zur Puppe) so / gehst mit meinem Kind (spazieren)?
C
warte mal / warte mal / des Kind / warte mal / gehört doch auch dir /' warte mal warte mal / ich deck dich mal aleich TU xxx bau aber anders Haus siehst / jetzt setzt se sich darei / darein und wieder so zu gedeckt / so /ja xxx gib mir xxx
R
S R
C R
nö // siehste / so geht se jetzt spazieren
C
kann xxx mit dem xxx / gib mir xxx
R
wieso denn? /die is in Krankenhaus und die darf ... ... was / ich ruf den Onkel Dokdok an // gibts doch net da nuß die inner Tussamag kriegen ///
S R
C R
(laut)
die is krank / so jetzt wird sie nach n paar Tagen / dann wird se gesund // korni spazieren Spritz / Spritz
C
was? Spritz
R
was / Spritz?
C
Spritz gebe wir harn keine ... ... Spritz? / nö /// kannst du mal her? / dein Kind is des / öh / gesund
S R
(ins Puppenbettchen)
217
P
Ban.
Kon (Aus)
S
muß (ich erst noch) die Krankenschwester anrufen dein Kind is gesund / muß doch mitkönne komm also / siehste / em da muß man Kind daheim ... ... kuckste / siehste / des kann xxx nicht hinsehen // weißte / des muß noch laufen /die kann noch nicht laufen ich rutsche aus // Mensch / die kann noch nich laufen / is noch klein / muß da leider noch n paar Tagen im Krankenhaus bleiben / n Tagen und dann darf se wieder heim / komm mei sieben Negerlein / mei sieben Negerlein / kucken was böse Leute sind // so / der Neger ... zeig mal jetzt brechen wir aber xxx
C
xxx s Dach
s
nee des xxx / muß dahin
C
und des muß dahin
R
R
so legst dich wieder hin kontn ich / machs na / hier krieg / oder / is es net so schnell fertig ja / ich kanns (net so schnell) fertig machen was? kann net schnell fertig machen / ich so / kanns ruhig schlafen
C
XXX
R
des is net / die is krank / die muß im Bett liegen auf wiedersehen so du muß Kaffee machen
C R C R C R
C R
C
C
C S
C R C
(laut)
1,8
(mit Handpuppe)
(S und C bauen mit großen Schaumstoffteilen)
(zur Puppe) (Bau aus Schaumstoffteilen)
(zu C)
(zu S?)
218
P Kom(ÄJs)
C S C
(leise) (lauter)
S C
R C R S
AIS
könnt rein in mein Haus // da muß du wieder ein Tunnel machen / daraus // unser Haus /// wir nehm das weg xxx Krankenschwester erster weg Krankenschwester // du bist die Krankenschwester / gel? ja / nee nee / nee nee // bin der Bub / von ... ... och Mensch / dann is es auch net schö / Krankenschwester? / Krankenschwester // Krankenschwester? ja? komm mal zu uns nee / wir brauchen n Stuhl / nee
C
ja xxxxx kuck mal ich kann n ja? ja xxx der kann / der kann stehn Carmen hol mal / gib mal noch des kranken Kindes ja muß noch eine Spritze kriegen ja / w o is die Spritze denn? is jetzt mein Kind gesund?
R
jetzt noch nich / des wird aber ...
C
... des da des da? / ja / komm xxx ausn» Bett so will doch kei Mutz so jetzt müssen wir anfangen / ja wegmachen / wie ich muß auch ncche was zum Esse konm // so die muß auch noch was esse
S C
R S R S R S
R C R C R C R C
(gedehnt)
Bern.
1,9
(Schaumstoff)
(C telefoniert) (zu S)
(C telefoniert)
(spielt mit Stehaufmännchen)
219
P Korn (Aas) R C R C R C R C R C R C R C R
C R C R C R C S R
(gewichtig)
AUS
,
wer? s Kind ich nich / nö des Kind is nich zum laufe is aber krank roeins? nee / des da // ja is des auch noch dein Kind / oder? is des gesund? des da meins du / welches du has / ja ja aber des da is nich gesund / des da muß noch ... ... des muß noch im Krankenhaus sein ha ja ja so / des Baby is nicht zugedeckt // so / laß mich xxx xxx xxx dir weiterschlafen / kumal / des gehört / is noch dein Baby krank? was? is des Baby krank? hat keine Unnerhos an dann musch du doch in Krankenhaus könne / weil / wenn des dann krank is / wenn die keine Unnerhosen hat xxx ich korm der kann stehn / der // der kann (Stehaufmännchen) nich ... ... der Sa / das Sandmännchen is
R
nich krank der kann stehn / des Sandmännchen / gel? hm?
C
XXX
S
gel / kann stehn xxxxx
S
Ben.
22O
P Kom(Äus)
Aus
S
kumal das Sandm .... . . . kann stehn intner
R
n
C
XXX
R
na du sitzt schön hier / g