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German Pages [196] Year 2022
Wolfgang Schindler Gerhard Spangler (Hg.)
Kollegiale Beratung Online und offline im Heilsbronner Modell
Wolfgang Schindler/Gerhard Spangler (Hg.)
Kollegiale Beratung Online und offline im Heilsbronner Modell
3., vollständig überarbeitete Auflage
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 16 Abbildungen und einer Tabelle Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Julien Eichinger/Adobe Stock Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-63415-4
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Kollegiale Beratung 1 Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick . . . . . . . . . 17 Wolfgang Schindler 2 Das Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Gerhard Spangler 3 Kollegiale Beratung – Intervision: Psychoanalytisch fundierte Begleitung beruflicher Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Martin Schimkus 4 Peer-to-Peer – Professionalisierung des Beratungskonzepts . . . . . . . . 81 Wolfgang Schindler 5 Gut beraten ohne Berater: Peer-to-Peer-Consulting . . . . . . . . . . . . . . . 87 Axel Gloger 6 Warum Kollegiale Beratung erfolgreich ist und wie sie in Unternehmen etabliert werden kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Stephan Scholer
Beratung Online 7 Wirksamkeit von Onlineberatung – grundlegende Befunde der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Patricia Arnold
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Inhalt
8 Reden ist Silber, Schreiben ist Gold: Wie Supervision textbasiert und zeitversetzt gelingt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Brigitte Koch 9 Beratung online: textbasiert und asynchron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Wolfgang Schindler 10 Kollegiale Beratung online – nachhaltig wirksam . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Beate Kamp 11 Synchron oder asynchron? Kollegiale Beratung online . . . . . . . . . . . . . 177 Natalie Huttenlocher-Drachsler 12 Kollegiale Beratung online als entlastende Ressource in der Transkulturellen Traumapädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Kornelia Schlegel Autor:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
Vorwort
Wie gelingt es, ein anspruchsvolles Berufsleben durchzuhalten? Auf diese zunächst so verständlich klingende Frage gibt es vermutlich verschiedene Antworten. Ganz wesentlich wird in diesem Zusammenhang eine qualifizierte Aus-, Fort- und Weiterbildung sein. Überall dort, wo Menschen mit Menschen und für Menschen arbeiten, gehört in diesen Kontext aber auch die Unterstützung der Person und Persönlichkeit, der jeweiligen Mitarbeiter:innen. Unabdingbar für die Arbeit mit Menschen ist, dass sich die Mitarbeitenden als Personen und Persönlichkeiten geachtet, gefördert und begleitet wissen. Aufgabe von Arbeitgeber:innen und Personalentwickler:innen ist es daher, Formen und Angebote zu entwickeln, die dies garantieren und zum Ausdruck bringen. Unter der Leitung von Prof. (emer.) Dr. Karl Foitzik, an der früheren Evangelischen Fachhochschule für Religionspädagogik und kirchlichen Bildungsarbeit in München, wurde das bereits ab 1985 erkannt und es wurden Angebote für Studierende zu den Themen Kollegiale Beratung und Supervision entwickelt und eingeführt. Im Bereich der Fort- und Weiterbildung im Religionspädagogischen Zentrum Heilsbronn (RPZ) wurden Kollegiale Beratung und Supervision ab etwa 1992 im Rahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung integriert. Aus der Verbindung mit der staatlichen Lehrer:innenfortbildung haben sich diese Angebote zunächst bayernweit, dann auch weit über diese Grenzen hinaus verbreitet und sind heute unter dem Begriff »Heilsbronner Modell« in sehr vielen Arbeitsbereichen und Ländern sowie anderen Aus-, Fort und Weiterbildungskontexten angekommen. Im Zusammenhang mit verantwortlicher und qualitativ hochwertiger Fort- und Weiterbildung darf auch das RPZ Heilsbronn als Katalysator dieser Entwicklung gelten. In verschiedenen Formaten (z. B. Seelsorge, als Teil verschiedener Fort- und Weiterbildungsangebote, als eigenständiges Angebot für verschiedene Arbeitsbereiche, wie etwa Lehrerkollegien) spielt die Kollegiale Beratung seither einen wichtigen Part. Vielen Mitarbeiter:innen erleichtert das,
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Vorwort
ihre Aufgaben zu erfüllen und die persönliche Berufszufriedenheit zu steigern. Das wirkt sich nicht nur auf den beruflichen Bereich aus. Das RPZ Heilsbronn war daher auch an der Gründung des heutigen »Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung« beteiligt. Weitere Fortbildungsanbieter gehörten zu dieser Gründungs- und Entwicklungsphase, wie das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal, das Amt für evangelische Jugendarbeit in Nürnberg und das Centrum Mission EineWelt in Neuendettelsau. Auch diese Einrichtungen stellten personelle und finanzielle Projektmittel zur Verfügung – ein genuines Start-up aus der Zusammenarbeit großer kirchlicher Anbieter auf bayerischer und Bundesebene. Gerhard Spangler (RPZ) und Wolfgang Schindler (Studienzentrum Josefstal) propagierten die ersten Ideen und sind die treibenden Kräfte der anhaltenden Entwicklung – von der Projektphase bis zur Ausgründung als eigenständiges Institut. In der dritten – überarbeiteten und umfangreich erweiterten – Auflage der Kollegialen Beratung nach dem Heilsbronner Modell wird jetzt das breite Spektrum der Entwicklung deutlich und erfährt die Arbeit des Instituts für Kollegiale Beratung und Onlineberatung ihre Würdigung. Ich freue mich, dass das Institut seinen Sitz im RPZ Heilsbronn hat und so das RPZ auch unter der neuen Leitung durch Direktor Dr. Jürgen Belz anhaltend seinen Beitrag zur Professionalisierung der Arbeit mit dem Heilsbronner Modell und zur Digitalisierung kirchlicher Angebote leistet. Klaus Buhl Pfarrer i. R.; von 2001 bis 2021 Direktor des RPZ Heilsbronn
Zur Einführung
Nach einer gut zwanzigjährigen Inkubationszeit betrat zu Beginn des neuen Jahrtausends eine neue Mitbewerberin den Marktplatz publizierter Beratungsmodelle, die als Peer-to-Peer-Beratung konzipierte Kollegiale Beratung. Der Erfolg dieses Konzeptes mit Wurzeln in emanzipatorischen Aufbrüchen der 1980er Jahre spiegelt sich in der seither gewachsenen Verbreitung in der Personal- und Qualitätsentwicklung des Bildungsbereichs, der Sozialen Arbeit, der Pflege und im Gesundheitswesen. Und, wie immer, hat der Erfolg viele Väter, in diesem Fall aber auch mehrere durchaus verschiedene und unterscheidbare Kinder und Mütter: Gemeinsames und Trennendes benennt daher der erste Beitrag hier im Buch: »Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick«. Skizziert wird die Abstammungsgeschichte einer gewachsenen Familie von Beratungsmodellen, die, zunächst überraschend, seit langem auch weit über den Non-Profit-Bereich hinaus Fuß gefasst hat. Exemplarisch schildert dies Axel Gloger in »Gut beraten ohne Berater: Peer-to-Peer-Consulting« – ein Plädoyer aus betriebswirtschaftlicher Management-Perspektive. Dieser Titel benennt, warum Expert:innen mit therapeutischer und beraterischer, professionell und kostspielig erworbener Kompetenz in der Kollegialen Beratung für sich bestenfalls erst ansatzweise ein Geschäftsmodell entdecken. Solange sie nach einem freien Platz im Stuhlkreis der Kollegialen Beratungsgruppe suchen und überlegen, wie dieser »professioneller« gestaltet werden könne, finden sie nicht den Ort, an dem ihre Professionalität dringend für die Implementierung dieses partizipativen Beratungsmodells gebraucht wird: in den Institutionen. Der Beitrag »Peer-to-Peer – Professionalisierung des Beratungskonzepts« will dabei Platzanweiser für beide Seiten sein: Expert:innen und Personalverantwortliche in Institutionen. Er lädt damit zugleich zum Fachdiskurs ein, zur professionellen Weiter- und Zusammenarbeit am Beratungsmodell im Rahmen des 2008 begründeten »Instituts für Kollegiale Beratung und Onlineberatung«, das sich der Weiterentwicklung des Heilsbronner Modells verbunden weiß.
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Zur Einführung
Welche Konzepte beim Einzug in die Institutionen längst praktiziert werden, aber auch, welche Stolpersteine dabei umgangen werden sollten, schildert Stefan Scholer. Er berichtet über erfolgreiche, nicht immer mühelose Wege zur Implementation Kollegialer Beratung auf Leitungsebene in der Personalentwicklung der bayerischen Landeshauptstadt München: »Warum Kollegiale Beratung erfolgreich ist und wie sie in Unternehmen etabliert werden kann«. Sein dem zugrundeliegendes, kurz umrissenes systemisches Konzept muss dabei die gleichen Hürden überwinden wie das hier im Buch schwerpunktmäßig entfaltete »Heilsbronner Modell«. Dieses Modell hat seine Wurzeln im Konzept der sogenannten Balintgruppen, ein psychoanalytisch fundiertes Verfahren, das zunächst in der Aus- und Fortbildung von Ärzt:innen entwickelt wurde. Balintgruppen bieten längst auch anderen Berufsgruppen Wege zum Verstehen und Gestalten des Miteinanders von Kolleg:innen und Klient:innen. Die Grundlagen solch psychoanalytisch fundierter Beratung beruflicher Praxis skizziert Martin Schimkus in »Kollegiale Beratung – Intervision: Psychoanalytisch fundierte Begleitung beruflicher Praxis« und beschreibt damit zugleich eine unverzichtbare Wurzel des Heilsbronner Modells der Kollegialen Beratung. Es basiert auf Michael Balints Grundannahme, dass die Schilderung eines Falles in der Gegenwart der Fallberatungsgruppe zur Reinszenierung der emotionalen Situation im berichteten Fall führt, sich im aktuellen Erleben von Fallgeber:in wie Berater:innen spiegelt, in Worte gefasst präsent und damit der Bearbeitung und dem Verstehen in der Gruppe zugänglich wird. Ist eine Selbsterfahrung dieser Art nur unter Leitung eines:einer ausgebildeten Therapeut:in möglich? Gerhard Spangler identifiziert solche Selbsterfahrung als eine der »Säulen« des Heilsbronner Modells. Er benennt aber auch die Grenzen dieser Arbeit in der Peer-to-Peer-Gruppe, in der anstelle eines:einer Therapeut:in eine Moderator:in die Gruppe gleichberechtigter Kolleg:innen anhand eines Leitfadens durch die zehn Schritte des Prozesses der Kollegialen Beratung führt. Nahezu unverändert sind diese, den Prozess präzise strukturierenden Schritte des Leitfadens auch in der zweiten und nun dritten Auflage des gleichnamigen Buches (2012 und 2022) benannt und begründet. Die hier entfaltete Beschreibung und Anleitung zur Praxis »Das Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung« hilft, zu verstehen, dass die Begrenzung auf die freie Aussprache als einzige Methode gerade auch dort einen maximalen Freiraum für den Wechsel der Perspektive auf einen Fall eröffnet, wo das eigentliche Ziel der Suche noch im Ungewissen verborgen ist. Bereits vor der zweite Auflage 2012 wurde das Handlungsmodell in den virtuellen Raum hinein erweitert: Als »Kollegiale Beratung online« verloren
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die limitierenden Faktoren »Ort« und »Zeit« an Bedeutung. Textbasiert und asynchron konnten nun Beratungsprozesse mit weiterhin praxisrelevanten, als unterstützend erlebten Resultaten stattfinden – zum Erstaunen vieler damals oft noch internet-skeptischer Praktiker:innen. Die Konzeption und die Gestaltung des dafür ab 2005 eröffneten Online-Beratungs- und Tagungshauses »www. kokom.net« erläutert der Beitrag »Beratung online: textbasiert und asynchron«. Deutlich wird auch, dass die – hier einzigartig vorhandene – Unterstützung des Beratungsprozesses durch die Onlineplattform vor allem dann die (in der Evaluation berichteten) hohen Zufriedenheitswerte der Beteiligten ermöglicht, wenn die im Detail vorgestellten »Tools« verstanden und angemessen genutzt werden. Ob online oder offline: Die Beratungsqualität steigt mit einer qualifizierenden Einführung und Einarbeitung. »Grundlegende Befunde der Forschung zur Wirksamkeit von Onlineberatung« referiert aus wissenschaftlicher Perspektive Patricia Arnolds Beitrag und umreißt, um was es bei dem weiten Begriff »Onlineberatung« eigentlich geht, welche Formen man unterscheiden kann und vor allem welche Ergebnisse Evaluationen und andere Studien zur Wirkung von Onlineberatung ergeben haben. Ihr differenzierender Blick zeigt, dass die spezifischen Eigenarten computervermittelter Kommunikation möglichst optimal in das jeweilige Onlineberatungssetting eingebunden werden sollten. Das gilt für asynchrone, textbasierte Kommunikation ebenso wie für die aktuell, unter Pandemiebedingungen dominierenden Praxen mit synchroner, videobasierter Onlinekommunikation. »Reden ist Silber, schreiben ist Gold: Wie Supervision textbasiert und zeitversetzt gelingt« illustriert und analysiert der Beitrag von Brigitte Koch auf Basis ihrer langjährigen Online-Supervisions- und -Coachingpraxis. Von dem dominanten Modell regelmäßiger Termine vor Ort und dazwischenliegendem Alltag unterscheidet diese sich bemerkenswert und wird zugleich Bestandteil dieses Alltags, mit wesentlichen Konsequenzen für die professionelle Praxis von Supervisor:innen. Die Autorin erzählt von einem Lern- und Entwicklungsprozess, einem Weg von der Erfahrung zum Lernen aus Erfahrung, der durch Verschriftlichung nachvollziehbar wird. Dieser Prozess hat seine eigene Zeit und seinen ganz eigenen, ungewöhnlich verlangsamten und entschleunigten Rhythmus. Ihre Erfahrungen aus Online-Supervision und Online-Coaching passen fast nahtlos zur textbasierten, asynchronen Kollegialen Beratung online auf kokom. net; dort stehen außerdem auch Onlineräume für Coaching und Supervision zur Verfügung und ersparen Berater:innen den erheblichen technischen Aufwand, den eine vertrauliche, datensichere Onlineberatung erfordert. »Synchron oder asynchron? Kollegiale Beratung online.« Wie bewerten Studierende Kollegiale Beratung als Online-Prozess im Rahmen einer Videokonfe-
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rerenz? Natalie Huttenlocher-Drachsler hat nach einer erstmaligen textbasierten Beratung mit fünf Kolleginnen einen weiteren Fall beraten, diesmal synchron via Zoom. Ihre Erfahrungen und vergleichenden Einschätzungen dieser für alle Beteiligten unvertrauten Fallberatungsprozesse diskutiert sie in einem ZoomMeeting, publiziert sie als überarbeiteten Film im Netz und verschriftlicht sie hier im Buch. Diese Reflexion verdeutlicht, dass Beratung via Zoom nicht identisch mit dem Setting analog vor Ort ist und dass medienspezifische Eigenarten Beachtung und Gestaltung verlangen, wie sie für die gut erforschte textbasierte Onlinekommunikation schon lange selbstverständlich sind. Was bleibt, wenn eine Kollegiale Beratung abgeschlossen ist, wenn es keine Möglichkeit gibt, diese Beratungsform als regelmäßige berufliche Hygienemaßnahme zu etablieren? Nur ein »Gut, dass wir darüber gesprochen haben«, wie bisweilen von Fachfremden gemutmaßt wird? Beate Kamps »Dokumentation eines Fallberatungsprozesses« gibt Einblick in eine Fallberatung, die sie als Fallgeberin riskierte und von der sie unter Wahrung der Vertraulichkeit berichtet. Der Blick auf diesen Prozess, fünf Jahre später, bestätigt mit ihrer damaligen Einsicht, dass die Lösung in der ratsuchenden Person selbst liegt, ein Beratungsergebnis mit nachhaltiger Wirkung: »So suche ich selbst stets nach den Lösungen, die die Menschen, mit denen ich im Berufsalltag spreche, bereits mitbringen.« Kollegiale Beratung, wie Gerhard Spangler postuliert, lehrt das Zuhören Schritt für Schritt und den Respekt für das Gegenüber, das dies als Wertschätzung erfährt. Kornelia Schlegel identifiziert »Kollegiale Beratung online als entlastende Ressource in der Transkulturellen Traumapädagogik« und schildert damit die von ihr sorgfältig geplante und implementierte Praxis, mit der Mitarbeitende in diesem Handlungsfeld unterstützt und begleitet werden. Ihr Beitrag illustriert anschaulich die Bedeutung einer didaktisch gestalteten, reflektierten Einbindung der auf kokom.net verfügbaren Optionen für die Kollegiale Beratung online im Heilsbronner Modell. Sie zeigt, wie hier den Nutzer:innen der Beratungsplattform ein hohes Maß an Selbstbestimmung im Umgang mit Beratung bereitgestellt wird und so als Mittel zum Empowerment gewertet werden kann – bedeutsam bei der Entwicklung einer traumasensiblen Organisationskultur, die Prozesse unterstützen will, die »zur Selbstbemächtigung der Kolleg:innen beitragen«. Deutlich wird auch in diesem Beitrag, wie sehr solche Prozesse einen gestalteten, stabilen und unterstützenden Rahmen brauchen, damit sich das Potenzial Kollegialer Beratung entfalten kann. Inspirierend für uns als Herausgeber war die Fülle an Handlungsfeldern, in denen das gelingt, analog im klassischen Setting vor Ort, face-to-face und eben auch als ebenbürtiger Onlineprozess, dessen Potenzial im asynchronen Setting gut erforscht ist – eine Aufgabe, die für die synchrone Variante noch entwickelt und evaluiert werden muss.
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Als professionelle Methode der Peer-to-Peer-Beratung für Mitarbeitende und Leitungskräfte gleichermaßen ist Kollegiale Beratung unschlagbar kostengünstig, wenngleich nicht kostenlos. Einführung und Begleitung als Instrumente der Personalentwicklung brauchen unter den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen fachlich qualifizierte Berater:innen, die auch in der Rolle als Facilitator:innen und Manager:innen von Institutionen benötigt und engagiert werden können. Wie bisher bietet das Buch auch in seiner dritten, vollständig überarbeiteten Auflage weiterhin das notwendige Wissen für alle, die in Studium und Beruf das Potenzial Kollegialer Beratung und Unterstützung für sich und andere professionell nutzen wollen. Denn Kollegiale Beratung ist nur auf den ersten Blick ganz einfach. Für alle, die genauer schauen wollen und können, haben wir im Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung unsere bisherigen Texte für die neue Auflage gründlich überarbeitet und konnten eine Vielzahl von Autor:innen neu dazugewinnen, deren Beiträge die Anwendung, Fundierung und Vertiefung der Kollegialen Beratung mit dem Heilsbronner Modell bereichern – online und offline.
Danksagung Natürlich sind auch wir zu Dank verpflichtet oder, besser gesagt, Dank ist uns ein Anliegen, denn nicht nur wir als Herausgeber sind Beteiligte an der vorliegenden dritten Auflage der »Kollegialen Beratung«. Sie ist das Resultat aus der Mitarbeit, den Anregungen, der Kritik und der Unterstützung, die wir in all den Jahren bekommen, verstanden und aufgenommen haben. Besonderer Dank gilt den hier im Band beteiligten Autor:innen mit ihren Beiträgen aus unterschiedenen Perspektiven. Wir sind mit ihnen in vielfältiger Weise seit längerem im Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung, aber auch darüber hinaus verbunden – eine unverzichtbare Bereicherung dieser Arbeit. An der Entwicklung und Durchführung von Fortbildungen, Trainings und Einführungen ins Heilsbronner Modell haben von Anfang an mitgewirkt: Günter Höcht (Training, Organisation, Beratung) sowie Bernhard Eckmann als Communitymanager der einstigen Online-Plattform von »Jugend ans Netz«, aus der wir kokom.net weiterentwickelt haben, Michael Seitz mit seiner Verbindung zur weltweiten Partnerschaftsarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern – MissionEineWelt, unsere weiteren Kolleg:innen im kokom.net-Team Stephan D. Richter, Steffi Schilling, Gisela Prechtl, Bernd Baran und der leider viel zu früh verstorbene Uwe Morgenroth sowie Gaby Bruhns als Personalreferentin
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im Amt für Jugendarbeit und Martin Schmitz sowie alle Kolleg:innen, die mit uns das Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung gegründet haben. Zu danken ist auch Johannes Opp, Klaus Buhl und Dr. Jürgen Belz, den Direktoren des Religionspädagogischen Zentrums Heilsbronn, den Kolleg:innen mit ihren speziellen Arbeitsbereichen, Melanie Eschenbacher, deren Assistenz nicht minder wichtig war, dem Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal als Projektpartner mit seinem damals einzigartigen Arbeitsschwerpunkt Computermedienpädagogik, der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und Ottokar Schulz von der Arbeitsgemeinschaft der Evang. Jugend in Deutschland für die Anschubfinanzierung und langjährige finanzielle Förderung. Förderer:innen und an der Umsetzung beteiligt waren Prof. Dr. Karl Foitzik an der FH für Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit sowie die Kolleginnen Regine Räder (Supervisorin), Evelyn Drechsel (Supervisorin) und Karin Spangler (Psychodramaleiterin) und die Studierenden als wichtige Ratgeber:innen und Tester:innen; Stephan D. Richter setzt diese Arbeit an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg (EVHN) fort und Kolleg:innen in der Interessengemeinschaft Supervision bereicherten Austausch und Erprobung; Martin Backhouse ermöglichte im mabase-Verlag das erste Buch zum Heilsbronner Modell. An der Hochschule München integrierte Prof. Dr. Patricia Arnold Kollegiale Beratung online in den berufsbegleitenden Studiengang BASAonline; die Studierenden stellen Jahr für Jahr differenzierte Rückmeldungen und Evaluationsdaten zur Verfügung. Tim Lück programmierte für uns mit Postnuke die Plattform-Version 1.0, Thomas Schindler gelang die Neuprogrammierung mit dem oOS-CMS, Carsten Dittmann der grundlegende Relaunch und die Mobilversion 4.0; Christine Wittig, Mathias Zunterer und Nicki Messerschmidt von der LINK-M sorg(t)en von Beginn an für das sichere Webhosting. Dass dieses Online-Beratungs-und Tagungshaus dauerhaft seine Betriebskosten bezahlen kann, verdankt es denjenigen User:innen und Institutionen, die für ihre kokom.net-Accounts und -Etagen im Haus bezahlen, Mitglied im Trägerverein sind oder spenden. Besonderer Dank gebührt unseren Ehefrauen Karin Spangler und Lisa Braun-Schindler für nachhaltige Begleitung, aufrichtiges Lob, Text- und Designkritik, Duldung und Unterstützung. Ebenso danken wir den beiden Lektorinnen von Vandenhoeck & Ruprecht, Jana Harle und Merle Tiaden, für die zahlreichen Präzisierungen und die sorgfältigen und anregenden Korrekturvorschläge. Gerhard Spangler und Wolfgang Schindler, Heilsbronn und Josefstal, im August 2022
KOLLEGIALE BERATUNG
1 Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick1 Wolfgang Schindler
Synonyme: Kollegiale Fallberatung, Intervision, Kollegiale Supervision Englisch: Peer-to-Peer Counseling Kollegiale Beratung ist eine niederschwellig konzipierte, lösungsorientierte Methode der Personal- und Qualitätsentwicklung für beruflich Handelnde in der Bildungsarbeit, Sozialen Arbeit und im Gesundheitswesen, aber auch in Unternehmen. Der Beratungsprozess zielt auf Wege zur Lösung eines dargestellten Falles im Rahmen einer kleinen Gruppe von gleichberechtigten Kolleg:innen. Er verläuft nach einer mit den Gruppenmitgliedern vereinbarten Struktur, oft Leitfaden genannt, interaktiv in verteilten Rollen: Fallgeber:in, Moderator:in und Berater:innen. Auf externe professionelle Beratungsexpertise wird verzichtet. Kollegiale Beratung wird einerseits als bewährtes Verfahren in der Qualitätsund Personalentwicklung, im Profit- wie auch im Non-Profit-Bereich, vielfach empfohlen, scheint andererseits aber dennoch mit dem Image einer weniger professionellen Methode behaftet. Ursachen dürften die vergleichsweise geringen Kosten sein, die eine Minderwertigkeit suggerieren und so nur für wenig- oder nichtbezahlte Gruppen von Mitarbeitenden und in der Ausbildung als adäquat erscheinen könnten. Aus Sicht teuer erworbener Beratungsexpertise wie Coaching oder Supervision scheint Kollegiale Beratung als Peer-to-Peer-Konzept kein relevantes Erwerbsfeld. Zugleich verbergen sich, wie nachfolgend aufgezeigt wird, hinter der »Kollegialen Beratung« und den gemeinsamen Merkmalen aller Konzepte unterschiedliche methodische Empfehlungen, die aus verschiedenen Theoriebezügen (vor allem psychoanalytisch bzw. systemisch) resultieren. Diese werden aber in 1
Dieser überarbeitete Beitrag wurde erstmals publiziert als: Schindler, W. (2020): Kollegiale Beratung – Grundlagen, Modelle, Perspektiven. www.socialnet.de/lexikon/Kollegiale-Beratung (Zugriff am 26.07.2022).
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den zahlreichen Leitfäden und Praxisanleitungen kaum benannt oder reflektiert; dieser Beitrag vergleicht sie anschaulich. Für Praktiker:innen liegt es auch nahe, die Unterschiede der Leitfäden als willkürlich zu interpretieren und modifiziert umzusetzen. Konsens besteht in der Fokussierung auf die Lösung beruflicher Problemlagen und den Grenzen der Indikation unter institutionellen wie therapeutischen Aspekten. Als Perspektiven werden sowohl die Bedeutung einer institutionellen Einbindung erläutert wie auch das Angebot, das notwendige Management solcher Beratung als Facilitating (engl. faciliate = erleichtern/fördern) zu honorieren. Seit 2005 ist Kollegiale Beratung auch als spezielle Variante der Onlineberatung möglich, realisiert durch textbasierte, asynchrone Kommunikation, die – trotz der seit 2020 immer stärker genutzten Videokonferenzplattformen (wie Skype und Zoom) – aus kommunikationstheoretischen Gründen weiterhin bevorzugt angeboten wird.
Bedeutung und Entwicklung des Begriffs Kollegiale Beratung ist zunächst ein alltagssprachlicher Begriff für informelle unterstützende Gespräche im beruflichen Kontext, in Arbeitspausen, dialogisch oder in Kleingruppen. Das Potenzial solcher Peer-to-Peer-Beratungen lässt sich systematisch nutzen, wenn sie in einem organisierten Rahmen mit definierten Regeln, Orten und Zeiten und in einer Gruppe, die kollegiale Fachlichkeit zusammenbringt, stattfinden und dabei auf eine:n – kostspielige:n – externe:n Berater:in verzichten (siehe »Gemeinsame konzeptionelle Merkmale«). Das wurde in unternehmerischen Kontexten schon Ende der 1960er Jahre in den USA praktiziert, sogar als profitables Geschäftsmodell: In der gemanagten Peer-to-Peer-Gruppe (kurz: P2P) ist jeder mal »Kund:in«, mal »Berater:in«. »Weil niemand in der Wertschöpfungskette steht […] [,] ist P2P günstig« (Gloger 2013, S. 76), aber nicht kostenlos, denn Arbeitszeit und Reisespesen bleiben zu finanzieren. Im Unterschied zur selbstorganisierten Selbsthilfegruppe muss zusätzlich auch das Beratungsunternehmen für dessen Managementleistung bezahlt werden – eine Win-win-Situation zu Ungunsten der eingesparten professionellen Expertise. In einer Managementzeitschrift konstatiert Bergel (2003) unter dem Titel »Coaching durch Kollegen«, Kollegiale Beratung erlebe »zurzeit so was wie eine Renaissance […] [,] statt der angestrengten Suche nach neuesten Ideen und Werkzeugen zur Problemlösung [erfolge] also eine Rückbesinnung auf die Ressource Mitarbeiter.«
Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick
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Aus der Perspektive einer Personalentwicklungsabteilung in einer großstädtischen Behörde sieht deren Leiter Kollegiale Beratung als »Zukunftsformat«, das »die Kompetenzen der Verwaltungsmitarbeiter in mehrfacher Hinsicht fördert« und das – zumindest im Vergleich zum Coaching – zu Unrecht ein Nischendasein führe; von einem Marktdurchbruch könne nicht gesprochen werden (Scholer 2013, S. 504). Nischendasein, kleine Schwester der Supervision? Dieses Image haftet dem Konzept hartnäckig an, obwohl es im Bildungs- und Sozialwesen u. a. vielfach Eingang in die Ausbildungs- und Fort- und Weiterbildungspraxis gefunden hat. Zum einen dürfte das ökonomische Gründe haben: Supervisor:innen und Coach:innen praktizieren und liquidieren für ihre Expertise im Kontext berufsständischer Organisationen, haben dort ihre Zertifikate für spezifische Beratungsmethoden selbst meist kostspielig erworben und sind dadurch profiliert. Ein Berufsprofil »Kollegiale Berater:in« hat aber in einem P2P-Konzept logischerweise keinen Platz und scheint daher auch als Geschäftsmodell untauglich und unattraktiv zu sein (mehr dazu im Abschnitt »Perspektiven«). Zum anderen gibt es deswegen keine – mit der Therapie- und Beratungsszene vergleichbare – Professionalisierung, ebenso wenig wie einen eigenständigen wissenschaftlichen Theoriediskurs über Kollegialen Beratung: Als Praxistheorie etwa bezeichnet Foitzik, Professor an der damaligen Fachhochschule für Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit, das später so genannte »Heilsbronner Modell zur kollegialen Beratung« (Foitzik 2005). Spangler, der Autor dieses Modells, charakterisiert die Kollegiale Beratung als ein »leicht umsetzbares Instrument« der Personalentwicklung, es sei »geprägt von Erfahrungen […] eigener Supervisionspraxis, mit Balintgruppen und ähnlichen Formen der Reflexion beruflicher Tätigkeit« (Spangler 2005, S. 32). Auch das »als Praxisanleitung konzipiert[e]« Handbuch von Tietze (2010a, S. 7) verzichtet auf eine theoretische Fundierung; er konstatiert in seiner Dissertation über »Wirkungen kollegialer Beratung« nüchtern: »Das theoretische Fundament ist bisher schmal« (Tietze 2010b, S. 11). Kollegialer Beratung zugrunde liegende psychologische und soziale Prozesse untersucht er so unter dem Titel »einfach aus der Ferne, komplex aus der Nähe« (Tietze 2019). Aus systemischer Perspektive definieren Schmid et al. (2010, S. 13 bzw. S. 66) Kollegiale Beratung schlicht als nutzenreiche »Lern- und Arbeitsform« mit deutlich benannten Theoriebezügen.
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Wurzeln in unterschiedlichen Beratungskonzepten Mit sogenannten Balintgruppen ist eine der psychoanalytischen Wurzeln der Kollegialen Beratung benannt: In einer kleinen Gruppe von Ärzt:innen, unter Leitung eines:einer Analytiker:in, werden Fälle aus deren Praxis besprochen und das Beziehungsgeschehen zwischen Fallgeber:in und dessen bzw. deren Klient:innen untersucht. Die dabei entstehende Dynamik der Beratungsgruppe wird als Spiegelung der berichteten Beziehung, als Übertragungsgeschehen und als szenische Neuauflage des Berichteten verstanden, das dadurch der Analyse in der Gegenwart der Beratungsgruppe zur Verfügung steht und der Fall geber:in hilft, unbewusste Anteile in der Ärzt:in-Patient:in-Beziehung zu verstehen (Balint 1975). Auf »gegenseitige Supervision und Beratung« zielte der von Gudjons publizierte »Leitfaden« in der »praxisnahen Lehrerfortbildung«. Unter Begleitung von Psycholog:innen berichten und reflektieren Lehrer:innen in Ausbildung und Praxis schwierige Fälle in ihrer Praxis (Gudjons 1977). Denn damals »wuchsen […] die Belastungen im Alltag: Die Gesellschaft erwartete von Lehrkräften[, auszubügeln,] was die Familie nicht mehr leistete« (Gudjons 2020, S. 21). »Kollegiale Supervision« wurde von »informellen Lehrergruppen mit Erfolg durchgeführt […] und in den letzten Jahren auch in der studentischen Ausbildung für (Sozial-)Pädagogen und Psychologen«. Mit der Entwicklung eines in sechs »Schritte« gegliederten Leitfadens für die Moderation der Gruppen durch ein Gruppenmitglied anstelle eines:einer Leiter:in will sie »einen innovativen Akzent« innerhalb der beruflichen Fortbildung setzen (Rotering-Steinberg 1990, S. 430). Im Begriff der »kollegialen Supervision«, wie Rotering-Steinberg das von ihr entwickelte Modell nennt (oder auch »Praxisberatung«), wird mit Supervision als berufsbezogenem Beratungsverfahren eine weitere Wurzel der Kollegialen Beratung sichtbar, insbesondere als Gruppen- oder als Teamsupervision, die ihrerseits wiederum auf unterschiedlichen therapeutischen und pädagogischen Konzepten basiert, wie psychoanalytische Gruppentherapie, Konstruktivismus, Themenzentrierte Interaktion oder Systemische Beratung. Es liegt nahe, hier einen entscheidenden Impuls für die spätere Praxis Kollegialer Beratung zu sehen.
Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick
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Gemeinsame konzeptionelle Merkmale Trotz aller Unterschiedlichkeit der in der Folge entwickelten Leitfäden und Modelle verbinden diese gemeinsame Merkmale: Beratung wird für berufliche Zwecke organisiert und ist lösungsorientiert. Sie findet immer in der Gruppe statt, die den Prozess hält und als Resonanzkörper und Quelle fachlichen, kollegialen Wissens dient. Es gibt drei klare Rollen, die in jedem Prozess neu übernommen werden können: Leitung/Moderation, Fallgeber:in und Berater:innen, jedoch keine externe Beratungsexpertise mit Leitungsaufgabe. Vertraut wird auf die versammelte Kompetenz der Kolleg:innen und deren Bereitschaft, aktiv und ohne zu bewerten zuzuhören. Die Beratungsgruppe bietet einen geschützten vertraulichen Raum, der von gegenseitiger Wertschätzung und Kollegialität geprägt ist. Spangler widmet diesem Aspekt der Gruppenkultur sogar einen explizit definierten zehnten Schritt im Leitfaden (Spangler 2012, S. 59). Kollegiale Beratung ist für Fallgeber:in wie Berater:innen immer auch Selbsterfahrung: Differenziertere Wahrnehmung des eigenen Verhaltens, eigener und fremder Gefühle, Impulse, Reaktionen, Phantasien und unbewusster Anteile in einer Problemsituation, verborgene Erwartungen, Ziele und Motive können bewusst werden. Denn eine realitätsgerechtere Einschätzung des eigenen Verhaltens und der eigenen Möglichkeiten im beruflichen Kontext ist Voraussetzung für die Entwicklung eines umfangreichen Verhaltensrepertoires zur Lösung schwieriger Fälle im beruflichen Handeln. Für Fallgeber:in, aber auch Berater:innen werde ein Wechsel der Perspektive in der Fallwahrnehmung sichtbar (Scholer 2014), was zu einer oft unerwarteten Veränderung in vermeintlich aussichtslosen Fällen führen kann. Westphal erklärt diesen Perspektivenwechsel und die damit zugänglich werdenden alternativen Handlungsoptionen als Ergebnis eines konstruktivistisch verstandenen Prozesses (2016, S. 39). Prozesse Kollegialer Beratung finden immer in der Gruppe statt. Sie dienen vorrangig der Klärung eines vorgestellten Falles aus der beruflichen Arbeit mit dem Ziel der Bewältigung und Veränderung des Alltagslebens in einer Institution. Dazu können psychologische, soziologische und pädagogische Ansätze in die Analyse und zur Bearbeitung aufgenommen werden. Im Verlauf der Beratung leisten die Gruppenmitglieder im Rahmen ihrer Fachlichkeit dazu ihre Beiträge als Kollegiale Berater:innen. Der Beratungsprozess wird von einem Gruppenmitglied moderiert, auf Grundlage eines Leitfadens, der den Beratungsprozess in einzelnen, allen in der Gruppe vorab bekannten Schritten steuert. Die Moderation ist somit Wächterin für dessen
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Einhaltung, interveniert bedarfsweise und sorgt dafür, dass jedes Gruppenmitglied angemessenen Raum hat. Die Einsatzszenarien für Kollegiale Beratung reichen von informellen, selbstorganisierten Gruppen über curricular verankerte Bausteine in Ausbildung und Fortbildung bis hin zur Integration in Personal- und Qualitätsentwicklungsprogramme großer Arbeitgeber:innen im Profit- und Non-Profit-Bereich, die sich dem Ideal einer lernenden Organisation und nachhaltigem Lernen verpflichtet fühlen. »Organisationen, die auf reflektierte Führungskräfte setzen, haben damit eine äußerst wirksame Methode in der Hand. […] Konsequent angewandt und von einer hinreichenden Zahl von Führungskräften praktiziert, kann sie daher auch eine neue Lern-, Führungs- und Unterstützungskultur im Unternehmen einleiten.« (Scholer 2014, S. 4)
Unterschiedliche Leitfäden – ein Vergleich Auf dem Markt publizierter Konzeptionen Kollegialer Beratung finden sich zumindest vier häufig zitierte Autor:innen, deren Konzepte sich, neben den benannten Gemeinsamkeiten, in der Gestaltung der vorgelegten Leitfäden deutlich unterscheiden – was aus den dahinterstehenden Theoriebezügen resultiert. Eine vergleichende Darstellung und Diskussion fehlen. Praktiker:innen dürften wohl am ehesten anhand ohnehin favorisierter Beratungssubkulturen (systemisch, analytisch etc.) ihre Auswahl treffen, falls das Modell nicht bereits institutionell vorgegeben ist. Westphal konstatiert beim Vergleich verschiedener Modelle, »dass in Veröffentlichungen zu Kollegialer Beratung das Funktionieren der jeweils vorgestellten Ablaufstruktur grundsätzlich aus der Erfahrung heraus und vor dem Hintergrund der gewählten Theoriebezüge begründet wird. Es handelt sich dabei um eine Begründung ›in sich‹.« (Westphal 2016, S. 33) Äußerlich unterscheiden sich die Leitfäden in der Anzahl der zu absolvierenden Schritte (6, 7, 8, 10), weniger dagegen in der aufzuwendenden Zeit für eine Gruppensitzung (mindestens 60, maximal 90 Minuten), wie der folgende tabellarische Überblick verbreiteter Leitfäden zeigt.
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Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick
Tab. 1: Tabellarischer Überblick verbreiteter Leitfäden der Kollegialen Fallberatung (Akteur:innen im jeweiligen Schritt: alle Beteiligten, Fallgeber:in, Moderator:in, Berater:innen, Interviewer:in) Schritt Nr. 1
Tietze (2003) Aufgabe
wer
3
4
Casting
a
Spontan bericht & Rück fragen
F
Schlüsselfrage
a
Methoden wahl
a, M
10
Aufgabe
Aufgabe
5
Beratung
B, M
Rollen verteilen
a
Fall schildern
F
Nachfragen
B
8 9
10
Min.
Abschluss, Rückmel dung
F 15
10
10
Einfälle, Assoziatio nen
B
Scholer (2014) wer
Aufgabe
Min. Rollen und Zeit
a
Anliegen schildern
F
Interview
I
5
Min
10
Fall schildern
F
Befragung
a
20 I, B
10
Rück meldung
F
Priorisieren
F
Lösungsvorschläge
B
5
15 5
F
Austausch, Planung
a
Hypo thesen bildung
B
Stellung nahme dazu
F
Lösungsop tionen
B
Abschluss runde, Sharing
B, M
Rückblickfeedback
a
Brain storming
B
Bewertung
F
10 10
20 5
25
5 10
5
15
10 Rückmel dung
wer
5
Hypo thesen bilden
10 7
wer Min.
15
5
6
Schmid et al. (2010)
Min.
5/ 45 2
Spangler (2005)
Lösungs feedback
F
Austausch
a
15
10
10 Prozess reflexion
10
a 5
6 Schritte
10 Schritte
8 Schritte
7 Schritte
60/75
85
85
90
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Teilweise werden optional zusätzliche Rollen wie Beobachter:in und Protokollant:in genannt. Den formalen Abweichungen entsprechen konzeptionelle Unterschiede, die erhebliche Auswirkung auf den Prozess der Gruppe und dessen Moderation haben: Tietze etwa stellt der Gruppe im vierten Schritt die Aufgabe, selbst die Wahl der passenden Beratungsmethode vorzunehmen und dann auch umzusetzen. Dies verhelfe »dem Beratungsprozess zu mehr Lebendigkeit, Kreativität und Abwechslung« (Tietze 2003, S. 91). Dazu bietet er zum Einstieg bereits zehn verschiedene Basismethoden wie Brainstorming, gute Ratschläge, Resonanzrunden, Sharing und Schlüsselfragen erfinden, die vielleicht »aus anderen Zusammenhängen bekannt« seien, sodass kaum Schwierigkeiten bei ihrer Anwendung zu erwarten wären, an (Tietze 2003, S. 116). Von Spangler wird, in analytischer Tradition, die freie Aussprache als einzige Methode benannt und vorgegeben. Eine Entscheidungsfindung in der Gruppe ist daher nicht erforderlich. Die Moderation nach dieser feststehenden Methodenvorgabe wird dadurch erleichtert. Auch alle weiteren Schritte sind festgelegt, die Beratung beginnt »erst, wenn wirklich alle mit der Entwicklung einverstanden sind« (Spangler 2005, S. 48). Scholer und Schmid, beide dem systemischen Ansatz verbunden, empfehlen für Interview und Befragung der Fallgeber:in im dritten Schritt intervenierendes »systemisches Fragen«, eine Technik aus diesem Beratungskonzept, die ggf. erst erlernt werden muss, wodurch sich das methodische Anforderungsniveau an die Beratenden erhöht. Schmid listet als Anregung neun solcher Frageoptionen auf, die sich im systemischen Setting kollegialer Beratung bewährt haben, z. B. zirkuläre Fragen oder Skalierungsfragen (Schmid et al. 2010, S. 59 ff.). Scholer widmet dem systemischen Fragen in der Kollegialen Beratung sein 2018 erschienenes Buch. Dem psychoanalytischen Theoriebezug nach Balint folgend motiviert Spangler in Schritt vier zum freien Assoziieren, zum (Mit-)Teilen von spontanen Einfällen; Schmidt und Scholer sehen hier »Hypothesenbildung« vor. Nach Tietze wird im vierten Schritt der:die Fallgeber:in zur Formulierung einer möglichst präzisen Schlüsselfrage aufgefordert. Das verengt den Raum möglicher Lösungen, die aus dem Prozess der Beratung entstehen könnten. Es kann aber auch helfen, die Komplexität zu reduzieren, was als entlastend empfunden werden kann. Spangler dagegen konstatiert, dass sich bereits durch den Fallbericht – im Sinne einer szenischen Neuauflage des Falles – die Stimmung in der Gruppe verändert und diversifiziert. In seinem Schritt vier wird dem Raum gegeben, zum Verbalisieren aufgefordert, auch wenn der Zusammenhang zur Fallschilderung nicht gesehen wird. Denn darin könnten sich zunächst unbewusste Aspekte der Beziehungsdynamik im berichteten Fall ausdrücken. Die gesuchte Lösung könne
Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick
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daher eine ganz andere werden als eingangs genannt. Metaphorisch formuliert: Die Suche nach einem nachts verlorenen Schlüssel kann erfolglos bleiben, wenn nur dort gesucht wird, wo die Straßenlaterne Licht spendet. Fazit: Die Anzahl der Schritte und der jeweils zu leistenden Aufgaben in den Leitfäden ist keineswegs willkürlich und sollte nicht willkürlich verkürzt, erweitert oder vermischt werden, da sie der aufs praktische Handeln heruntergebrochene Ausdruck dahinterstehender Theoriekonzepte sind.
Grenzen der Indikation Konsens besteht in allen genannten Modellen darüber, dass Kollegiale Beratung zur Bearbeitung gruppeninterner Spannungen und Probleme nicht möglich ist. Im Profit-Bereich muss ausgeschlossen werden, dass »Konkurrenten an einem Tisch« (Gloger 2013, S. 76) sitzen – selbst wenn dieser ein Stuhlkreis wäre. Ob Teilnehmende aus unterschiedlichen Hierarchieebenen einer Institution gemeinsam in einer Fallberatungsgruppe arbeiten können, muss, wenn überhaupt, zu Beginn bzw. institutionell abgeklärt werden. Gruppen, die sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Teams, aus zunächst Fremden oder aus Einzelkämpfer:innen zusammensetzen, können unbeschwerter arbeiten als Kolleg:innen aus dem gleichen Team, die sich bemühen, bei der Fallarbeit etwaige Beziehungs- oder Machtfragen auszuklammern. Der Fokus aller Kollegialen Beratung zielt allein auf die Lösung beruflicher Problemstellungen. Weder die Dynamik der Beratungsgruppe an sich wird thematisiert, noch werden aufscheinende psychische Problemstellungen und zwischenmenschliche Konflikte vertieft, geschweige denn therapeutisch aufgegriffen. Freilich kann die Gruppenerfahrung ein Impuls sein, solche Fragestellungen mit geeigneter Fachexpertise in Supervision, Coaching oder Therapie in Angriff zu nehmen.
Perspektiven Beratung in einem Peer-to-Peer-Konzept wie die Kollegiale Beratung, explizit ohne externe professionelle Expertise, kann dazu verleiten, diese als weniger professionell zu bewerten. So sinniert beispielsweise eine Bildungsmanagerin, »das Potential der kollegialen Beratung [werde] immer noch unterschätzt. Vielleicht gelingt die Aufwertung, wenn wir es professioneller machen. Zum Beispiel mit Fragetechniken aus der systemischen Beratung« (Wagenpfeil 2019).
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Die Formulierung lässt vermuten, dass das Empowerment-Potenzial dieses Peer-to-Peer-Konzepts nicht gesehen wird. Prinzipiell sind alle Kolleg:innen, die von der Fallgeber:in ausgewählt wurden, als Berater:innen geeignet, sogar wenn diese »nur« Feldkompetenz aufweisen. Häufig wird in Rückmeldungen als entlastend und ermutigend beschrieben, dass keine besonders qualifizierten Fragetechniken gefordert waren und dennoch überraschend gute Beratungserfolge erzielt wurden (Schindler 2020). Sind in dem oben genannten »Wir« (bei Wagenpfeil) die Coaches gemeint, denen ein Weg in einen neuen Markt geöffnet werden soll? Das wäre ein Holzweg, denn Kollegiale Beratung, in all ihren vielfältigen Varianten, ist professionell. Ein Marktpotenzial für Beratungsprofis liegt aber in der Gestaltung von Einführungskursen, im Kontext des jeweiligen Modells und ggf. auch im »Facilitating«, dem Unterstützen und Managen von Kollegialer Beratung als Personalentwicklungspraxis in Institutionen. Dieses Potenzial scheint aber erst ansatzweise im Blick der Vertreter:innen vermeintlich professionellerer Verfahren zu sein. Institutionalisierte Unterstützung, so der Befund einer empirischen Untersuchung des – belegten – Nutzens von Kollegialer Beratung für Leiter:innen von Kindestagesstätten, »muss durch mindestens eine Person vorangetrieben werden. Diese stellt die Möglichkeit der Kollegialen Beratung im Kollegium nicht nur vor, sondern ist auch Ansprechpartner für etwaige Fragen. Für das Personal muss während der Arbeitszeit die Möglichkeit bestehen, das Angebot regelmäßig nutzen zu können.« (Brehm 2020) Damit ist ein »Schritt Null« benannt, um den alle Leitfäden zu erweitern wären, solange diese nicht nur privat organisierte Selbsthilfegruppen adressieren.
Kollegiale Beratung online Digitale Technologien sind, schon lange vor der durch die Coronapandemie erzwungenen Digitalisierung der Kommunikation, in allen gesellschaftlichen Lebenswelten präsent. Auch die Wirksamkeit der Onlineberatung wird nur noch vereinzelt infrage gestellt. Arnold und Schindler (2018, S. 303) konstatieren: »[A]ls offensichtliche Vorteile von Onlineberatungsangeboten werden generell die zeitlich und örtlich flexible Verfügbarkeit der Beratung, der niederschwellige Zugang und die Möglichkeit, als Ratsuchende:r anonym zu blei-
Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick
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ben, gesehen. […] Defizite durch Kanalreduktion […] sind häufig gar keine Defizite, sondern verbessern im Gegenteil die Kommunikationssituation, da z. B. die Konzentration auf den Inhalt steigt und Kommunikation, reduziert auf die Textbotschaften, auch hierarchiefreier und gleichberechtigter ablaufen kann.« Richter und Schindler (2018) verweisen zudem darauf, dass textbasierte, asynchrone Beratung schon lange vor der Onlinekommunikation als »Briefseelsorge« erfolgreich praktiziert wurde. So überrascht es – zumindest rückblickend – nicht, dass das Heilsbronner Modell auf einer (DSGVO-konformen) Online-Plattform (www.kollegialeberatung.online) implementiert werden konnte, da es als methodische Grundlage einzig die »freie Aussprache« in schriftlicher Form verwendet – mit überzeugenden Evaluationsergebnissen, die seit 2011 jährlich erhoben werden (IKOB 2021). Eine – anonymisierte – Prozessanalyse dokumentiert exemplarisch solch eine online realisierte Fallberatung in der Sozialen Arbeit (siehe Kamp in Kap. 10). Joardaan et al. (2016) stellen ein als »blended-coaching« charakterisiertes Konzept Kollegialer Beratung online vor, das ebenfalls textbasierte Onlinekommunikation verwendet. Zielgruppe sind explizit Lehrer:innen im Schulkontext. Auch hier wird ein Ablaufschema benannt, das in drei Phasen mit neun Schritten gegliedert ist. Schritt zehn ist dann die Archivierung der Beratungskommunikation. Damit wird ein weiteres Merkmal textbasierter, asynchroner Onlineberatung sichtbar: Der Beratungsverlauf, die Beiträge der Beteiligten sowie die eigene Fallbeschreibung und Auswahl akzeptabler Lösungswege sind jederzeit nachlesbar – ein Anliegen, das in der analogen Variante durch Installierung von Protokollant:innen bzw. die Bestellung von Prozessbeobachter:innen (Schmid 2010, S. 36) realisiert werden kann. Diese Aufzeichnungen, die im Onlinesetting ohne zusätzlichen Aufwand ohnehin vorliegen, können auch Jahre später erneut die fachlich-emotionale Entwicklung fördern, wie es Kamp (siehe Kap. 10) an einer sieben Jahre zurückliegenden Fallarbeit zeigt. Als hinderlich für die Onlineberatung in institutionellen Kontexten erweisen sich Verwaltungsrichtlinien, die solche Beratungsdialoge auf Plattformen, die nicht der Kontrolle der eigenen IT-Verantwortlichen unterliegen, erschweren oder verunmöglichen, während die Inanspruchnahme von Beratung bei externen, nicht weisungsgebunden Coaches oder Supervisor:innen – am sogenannten »Dritten Ort« – in der Regel möglich ist, ja sogar gefördert wird. Hier sind noch Adaptionsprozesse nötig, um Widersprüche zwischen analog und digital realisierter Beratung zu überwinden.
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Literatur Arnold, Patricia/Schindler, Wolfgang (2018): Kollegiale Beratung online als Brücke zwischen Studium und Praxis der Sozialen Arbeit. In: Patricia Arnold/Cornelia Füssenhäuser/Hedwig Rosa Griesehop (Hg): Profilierung Sozialer Arbeit online: Innovative Studienformate und Qualifizierungswege (S. 301–321). Wiesbaden. Balint, Michael (1975): Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Stuttgart. Bergel, Stefanie (2004): Kollegiale Beratung: Coaching durch Kollegen. In: managerSeminare,15 (81), S. 38–46. Verfügbar unter: https://www.managerseminare.de/ms_Artikel/Kollegiale-BeratungCoaching-durch-Kollegen,145016 (Zugriff am 22.07.2020). Brehm, Daniela (2020): Kollegiale Fallberatung Online in der Praxis von Kindertagesstättenleiterinnen. https://www.kokom.net/page_509.html#Praxis (Zugriff am 05.08.2020). Foitzik, Karl (2005): Vorwort. In: Gerhard Spangler (Hg): Kollegiale Beratung (S. 12). Nürnberg. Gloger, Axel (2013): Gut beraten ohne Berater: Peer-to-peer consulting. In: managerSeminare, 24 (182), S. 74–78. Verfügbar unter: https://www.managerseminare.de/ms_Artikel/Peer-toPeer-Consulting-Gut-beraten-ohne-Berater,226697 (Zugriff am 22.07.2020). Und hier im Buch, S. 87–93. Gudjons, Herbert (1977): Fallbesprechungen in Lehrergruppen. Westermanns Pädagogische Beiträge, 29 (9), S. 373–379. Gudjons, Herbert (2020): Vom Halbtagsjobber zum Schulreformer. didacta, 27 (2), S. 20–22. Institut für kollegiale Beratung und Onlineberatung (IKOB) (2021): Kollegiale Beratung Online. Evaluation. https://www.kokom.net/page_461.html (Zugriff am 06.07.2022). Joardaan, Laura/Eckert, Marcus/Tarnowski, Torsten (2016): Kollegiale Beratung als blended-coaching Instrument. e-Beratungsjournal. Fachzeitschrift für Onlineberatung und computervermittelte Kommunikation. 12 (1), S. 1–13. Verfügbar unter: https://www.e-beratungsjournal. net/ausgabe_0116/jordaan_eckert_tarnowski.pdf (Zugriff am 06.07.2022). Patrzek, Andreas/Scholer, Stefan (2018): Systemisches Fragen in der kollegialen Beratung. Weinheim. Richter, Stephan/Schindler, Wolfgang (2018): Schreiben befreit: Asynchrones textbasiertes Onlinecoaching. In: Jutta Heller/Claas Triebel/Bernhard Hauser/Axel Koch (Hg.): Digitale Medien im Coaching (S. 49–60). Heidelberg. Rotering-Steinberg, Sigrid (1990): Ein Modell kollegialer Supervision. In: Harald Pühl (Hg.): Handbuch der Supervision (S. 428–440). Berlin. Schmid, Bernd/Veith, Thorsten/Weidner, Ingeborg (2019): Einführung in die kollegiale Beratung. Heidelberg. Scholer, Stefan (2013): Neues Lernen durch Kollegiale Beratung – Selbstorganisation statt Fortbildungskonsum. In: Miriam Landes/Eberhard Steiner (Hg.): Psychologie der Wirtschaft (S. 481–504). Wiesbaden. Scholer, Stefan (2014): Kollegiale Beratung: Nachhaltig lernen und dabei die Perspektiven wechseln. Wirtschaftspsychologie aktuell, 21 (3), S. 30–36. Scholer, Stefan (2017): Kollegiale Beratung – Ein innovatives Personalentwicklungsinstrument für Verwaltungen. https://www.questicon.de/wp-content/uploads/2017/12/Artikel_Scholer_KollegialeBeratung.pdf (Zugriff am 12.06.2022). Spangler, Gerhard (2005). Kollegiale Beratung. Nürnberg. Spangler, Gerhard (2012): Kollegiale Beratung (2. Aufl.). Nürnberg. Tietze, Kim-Oliver (2010a): Kollegiale Beratung. Problemlösungen gemeinsam entwickeln (4. Aufl.). Reinbek bei Hamburg. Tietze, Kim-Oliver (2010b): Wirkprozesse und personenbezogene Wirkungen von kollegialer Beratung: Theoretische Entwürfe und empirische Forschung. Wiesbaden.
Kollegiale Beratung: Peer-to-Peer-Konzepte im Überblick
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Tietze, Kim-Oliver (2019): Kollegiale Beratung – einfach aus der Ferne, komplex aus der Nähe. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 26 (4), S. 439–454. Wagenpfeil, Anne (2019): Buchtipp: Systemisches Fragen in der kollegialen Beratung – Patrzek/ Scholer. https://www.bildungsmanagement.guru/2019/06/26/buchtipp-systemisches-fragenin-der-kollegialen-beratung-patrzek-scholer/ (Zugriff am 12.06.2022). Westphal, Silke (2016): Gemeinsam lernen ohne Lehrplan. Kollegiale Beratung als Maßnahme der beruflichen Bildung. [Masterarbeit]. Hagen: Fernuniversität Hagen. https://ub-deposit. fernuni-hagen.de/rsc/viewer/mir_derivate_00000991/MA_Westphal_Gemeinsam_2016.pdf (Zugriff am 12.06.2022).
2 Das Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung Gerhard Spangler
Sind Sie, liebe:r Leser:in, als Lehrer:in auch schon einmal über den Pausenhof der Schule gegangen und haben gehört, wie ein Kollege im dritten Stock die Klasse niederbrüllt? Vorhin hatte er noch erklärt, dass er mit seiner Klasse keine Probleme habe. »Was willst du eigentlich mit deinem Religionsunterricht? Das ist doch sowieso mehr Ethik und dann noch ein kleines Anhängsel Religion.« So etwa sagte es der Rektor einer Schule zu einer Kollegin, nicht ohne sie für ihre Anwesenheit grundsätzlich noch zu loben. In solchen Situationen passiert es, dass einzelne Schüler:innen oder einzelne Lehrkräfte an Bedeutung verlieren. Rückzug, Frust, Wut und Ängste sind Beispiele für Verhaltensweisen und Gefühle, die dadurch entstehen. Mit solchen Erlebnissen müssen Lehrkräfte womöglich ein ganzes Berufsleben und Schüler:innen ihre ganze Schulzeit zurechtkommen. Derartige Szenarien finden sich aber längst nicht nur in der Schule. Sie gehören zum Alltag in vielen Bereichen menschlicher Arbeit und Zusammenarbeit. Der Angestellte im Büro hat damit Erfahrungen, die Polizistin, der Erzieher und die Krankenpflegerin. Der Raum, in dem all dies stattfindet, ist meist auch noch öffentlich, wie es Schulen oder andere öffentliche Einrichtungen oder Tätigkeiten eben sind. Medialer Druck kommt oft hinzu. Vor diesem Hintergrund wurde Anfang der 1980er Jahre ein Peer-to-PeerBeratungsmodell entwickelt. Geleitet und inspiriert von der – psychoanalytisch fundierten – Gruppenarbeit nach Michael Balint. Sie lernen es im Folgenden kennen.
Von Langstreckenläufer:innen lernen Viele erleben sich in solchen wie oben geschilderten Situationen als alleingelassen. Das wundert nicht, denn Einsamkeit entsteht schon dadurch, dass man in vielen Berufen häufig allein arbeiten muss. Man bereitet allein vor, man
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steht allein vor seinen Endabnehmer:innen und man bereitet allein nach. Feedback, Lob oder ein Zeichen der Wertschätzung – auch dafür muss man vielleicht noch selbst sorgen. Die Gefahr, dass die Motivation erlischt, ist dabei womöglich größer als die Gefahr, dass wir fachlich nicht gut sind und den Anforderungen nicht standhalten könnten. Ein ganzes Berufsleben lang muss man mit solchen und ähnlichen Anforderungen und Anspannungen umgehen können. Dies ist eine große Herausforderung. Wie schwer sie zu bewältigen ist, zeigen auch viele Burn-Out-Fälle, Frühpensionierungen und ähnliche Entwicklungen. Kaum jemand hat so viel Kraft und Ausdauer gespeichert, um diese Anforderungen aus sich heraus bewältigen zu können. Manche finden in solchen Situationen entlastende Aktivitäten ganz anderer Art, auf die es sich lohnt, zu schauen. Dazu gehört z. B. das Laufen, von dem sich für unsere Thematik lernen lässt. Bei einem regelmäßigen Lauftraining oder etwa einem Halbmarathon wird man mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die uns im alltäglichen (Berufs-)Leben ebenso begegnen können: Ȥ Ich bin mit anderen unterwegs und doch auf mich gestellt und konzentriert. Ȥ Ich muss mit mir, meiner Vorbereitung und meinem aktuellen Leistungsvermögen zurechtkommen. Ȥ Speziellen oder plötzlich auftretenden Veränderungen muss ich mich anpassen. Ȥ Ich will meine Ziele verfolgen und, wenn es darauf ankommt, muss ich meine Ziele in kurzer Zeit völlig neu definieren. Ȥ Ich muss lernen, mit Verletzungen umzugehen und auf meine Tagesform zu achten, nachlassende Kräfte akzeptieren und unter Umständen sogar einmal eine längere Pause in Kauf nehmen. Ȥ Ich bewege mich meist unter vielen oder sogar sehr vielen Gleichgesinnten, erlebe dabei aber auch gleichzeitig Einsamkeit und Alleinsein. Ȥ Nur ich selbst kann mich ins Ziel bringen – trotz aller Unterstützung, die ich vielleicht am Rande erhalte. Langstreckenläufer:innen müssen lernen, mit diesen und anderen Herausforderungen umzugehen, und sie bewältigen. Ihr Lohn sind dankbar empfundene Glücksgefühle. Wenn wir die Beobachtungen zur beruflichen Situation mit dem Leben als Langstreckenläufer:in vergleichen, wird deutlich, dass ein Berufsleben etwas von dieser Ausdauer benötigt. Ob wir dabei einsam werden, hängt von uns ab. Jede:r kennt im Berufsleben Phasen, die zur Resignation führen, in denen die Ideen ausgehen und die Probleme sich häufen. Genau wie beim Laufen, gehören zum Berufsleben aber hoffentlich auch die erfreulichen Zeiten. Phasen, in denen es
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läuft. Dazu können z. B. Phasen der Projekt- und Teamarbeit gehören oder ähnliche Arbeitsformen, die soziale Beziehungen fördern und Lernen umfassend ermöglichen. Schön, wenn sich dies dann noch mit positiven, eventuell auch berufsgruppenübergreifenden Erfahrungen verbinden lässt. Kollegiale Beratung bietet die Möglichkeit, sich diesen beruflichen Eindrücken, Erlebnissen und Beobachtungen zu widmen, sich mit anderen darüber auszutauschen. Sie wird dann eine Unterstützung für die eigene berufliche Entwicklung. Viele profitieren dabei auch in Bezug auf das private Umfeld. Wie beim Laufen ein Lauftreff Hilfe bieten kann, braucht auch das Berufsleben derartige Szenetreffs. Zum Auftanken und um sich in einer kollegialen Gruppe den Herausforderungen des Berufsalltages zu stellen. Um Anregungen und neue Kräfte zu gewinnen. Und sicher ist es erlaubt, dadurch in eine gute Stimmung zu kommen. So lässt sich ein Berufsleben durchhalten und der Umgang mit positiven und negativen Herausforderungen leichter umsetzen.
Kollegiale Beratung als Personalentwicklung Personalentwicklung umfasst alle Maßnahmen zur Gewinnung und Auswahl, zur Ausbildung, zum Einsatz und zur Begleitung und Förderung der Mitarbeitenden, die im Hinblick auf den augenblicklichen Zustand und die zukünftige Entwicklung einer Organisation oder eines speziellen Handlungsfeldes eine wichtige Bedeutung haben. Ausbildung, Einsatz, Begleitung und Förderung sind wichtige Stichworte in meiner Beschreibung von Personalentwicklung, die sich mit Kollegialer Beratung eng verbinden lassen. Wer ausbildet und in die Ausbildung von Anfang an Kollegiale Beratung integriert, stützt und fördert das Miteinander und schafft dadurch auch eine Perspektive für Kollegialität im späteren beruflichen Alltag. Kollegialität wird dann als ein Teil der Arbeitskultur verstanden. Es kommt zum Ausdruck, dass Kollegialität eine Haltung im gesamten Arbeitsbereich darstellt. Der Einsatz der Mitarbeitenden wird nicht einzig und allein am ökonomischen Erfolg orientiert sein können. Allerdings wird die Möglichkeit, ökonomisch erfolgreich zu sein, durch die Integration der Kollegialen Beratung unterstützt. Kollegiale Beratung ist daher im besten Fall ein selbstverständlicher Bestandteil der Begleitung und Förderung der Mitarbeitenden im Kontext einer systematischen Personalentwicklung. Aus der Sicht der Arbeitgebenden lohnt sich ein Angebot zur regelmäßigen Kollegialen Beratung, wenn es darum geht, die Interessen und Eignungspotenziale der Mitarbeitenden zu erkennen, zu erhalten und zu fördern.
Das Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung
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Kollegiale Beratung als Persönlichkeitsentwicklung Natürlich wäre es gut, wenn Kollegiale Beratung in den Arbeitsalltag möglichst vieler Menschen integriert wäre. Der Gewinn, der daraus gezogen werden könnte, wäre für alle Beteiligten entsprechend groß und für den einzelnen Mitarbeitenden sogar unmittelbar zu spüren. Drei kleine Szenen: Ȥ Eine Lehrerin ist bei ihrer Vorbereitung auf ein ganz spezielles Problem in ihrer Klasse eingegangen. Sie ist total gespannt, ob und wie sie mit ihrer Vorarbeit in der Klasse ankommt. Die geplante Gruppenarbeit läuft prima. Endlich gelingt einmal die Zusammenarbeit innerhalb der Klasse. Durch aufmerksames Beobachten merkt sie aber, dass eine Schülerin nicht mitmacht. Sie ist in ihrer Gruppe immer noch deutlich isoliert. Genau sie aber sollte stärker einbezogen werden. Was ist los? Ȥ Jeder Lehrer, der nach einer Unterrichtsstunde die Klasse verlässt und die Türe hinter sich schließt, um gleich in die nächste Klasse zu gehen, nimmt das Feedback unmittelbar auf diesen Weg mit. Niemand geht ohne Feedback mittags aus der Schule nach Hause. Ȥ Ein langer Arbeitstag ist zu Ende. Sie sitzen im Zug und fahren nach Hause. Sie sind todmüde und freuen sich trotzdem. Bei der Besprechung heute sind Sie gut vorangekommen. Für Sie hat sich die intensive Vorbereitung in den letzten Tagen gelohnt. Schön, wenn es so läuft, wie im letzten Beispiel. Oft produziert man jedoch für andere, ist als Person gefordert – körperlich, seelisch und geistig. Häufig riskiert man etwas, indem man Dinge ausprobiert, nicht wissend, ob und wie man damit ankommen wird. Trotz fachlicher Fundierung bleibt das Handeln doch immer wieder ein Experiment. Für viele stellt sich der Berufsalltag als ein solches Experiment dar. Die Chance, zu gewinnen, ist dabei groß. Die Möglichkeit, zu scheitern, liegt aber auch ganz nahe. Nicht selten ist dies sehr anstrengend und führt immer wieder den schmalen Grat vor Augen, auf dem wir uns manchmal bewegen. Es macht aber auch deutlich, wo wir beginnen können, zu lernen. Ebenso sensibilisiert es für das, was fehlt. Der erste Satz eines Supervisanden war einmal: »Ich habe Hunger nach Dank!« Ich finde es interessant, wenn jemand dies so prägnant ausspricht. Ein Mensch vermisst etwas, weil er sich schon ganz lange mit seiner ganzen Persönlichkeit eingebracht hat, aber Wertschätzung und Dank nicht vorgesehen sind. Dieses ganze Spektrum von Erleben und Empfinden setzt sich in uns fest. Wir
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speichern es ab und lernen, damit zu leben, mal mehr, mal weniger gut. Manchmal müssen wir sogar in unserer Freizeit noch schnell etwas von diesen Eindrücken loswerden. Die Ehefrau oder der Freund soll dann zuhören. In der Arbeit muntern uns die Worte von Kolleg:innen bei einer Tasse Kaffee oder Tee auf und sind für den ersten Augenblick schon Unterstützung genug. Welche Entlastung, selbstverständlich und keineswegs zuletzt auch für den privaten Bereich, steckt dann in der regelmäßigen Gewissheit einer vertrauten Gruppe Gleichgesinnter, in der Kollegiale Beratung stattfindet! Von einer Kollegialen Beratung profitieren Sie persönlich: Ȥ Sie erleben Unterstützung und Förderung Ihrer Persönlichkeit. Dafür halten sich alle bereit. Ȥ Sie profitieren von den fachlichen Qualitäten aller. Ȥ In einer Kollegialen Beratungsgruppe können Sie sich immer wieder riskieren! Ȥ Mitten im Berufsalltag haben Sie eine Gruppe, die sich für Sie interessiert! Ȥ Ihre Person und Persönlichkeit wird in dieser Gruppe geachtet und respektiert. Ȥ Sie sind wichtig und werden wichtig genommen. Ȥ Es geht um Sie und Ihre Sache, nicht um eine Sache. Von dieser Gruppe profitieren alle Beteiligten gemeinsam und jedes einzelne Gruppenmitglied für sich. In der Gruppe entstehen Erlebnisse, die Erfahrungen ermöglichen, welche die Persönlichkeit jedes Gruppenmitgliedes stabilisieren.
Kollegiale Beratung in Teams und Gruppen Häufig wird gerade im Hinblick auf kontinuierlich zusammenarbeitende Teams die Frage gestellt, ob die Kollegiale Beratung etwas zu diesen Situationen beitragen kann. Um Probleme innerhalb kontinuierlich zusammenarbeitender Teams zu lösen, ist die Kollegiale Beratung für mich nicht vorstellbar. Dafür bietet sich eher an, eine auf die spezielle Situation abgestimmte Begleitung von außen in Betracht zu ziehen. Der Prozess und die Entwicklung eines Teams brauchen die professionelle Begleitung, den professionellen Blick von außen. Daher sind z. B. Supervision oder Coaching in diesen Fällen angemessener als Kollegiale Beratung. Gegenüber einer Kollegialen Beratung in kontinuierlich zusammenarbeitenden Teams in eigener Regie und Verantwortung bleibe ich daher skeptisch, denn Teammitglieder und auch die Leitung von Teams würden womöglich in unnötige Rollen- und Hierarchiekonflikte und gruppendynamische Ver-
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wicklungen geraten. Ausschließen möchte ich es jedoch nicht gänzlich. In diesem Fall wäre sicher auch ein externer Blickwinkel von Nutzen, der hilft, diese Frage/Herausforderung zu klären. Dabei wird auch die jeweilige Vorstellung eines Teams eine Rolle spielen müssen. Womöglich wird auch die Notwendigkeit einer punktuellen externen Begleitung zu klären sein und es hängt natürlich auch stark von den tatsächlichen individuellen Gegebenheiten ab. Aber selbstverständlich können Mitglieder von Teams und Gruppen von Kollegialer Beratung profitieren, die sie ergänzend zu ihrer Team- und Gruppenarbeit, an anderer Stelle und mit anderen Teilnehmer:innen erleben und erfahren. Eine solche Kollegiale Beratung ermöglicht Menschen, die in Teams und Gruppen arbeiten, wertvolle Einsichten, die sich auch auf die Zusammenarbeit in den Teams und Gruppen auswirken. Wer Achtsamkeit und Aufmerksamkeit in der Kollegialen Beratung kennengelernt und praktiziert hat, der wird auch den eigenen Kolleg:innen im beruflichen Alltag mehr Aufmerksamkeit schenken können. Wer in der Kollegialen Beratung an einem Prozess der selbstgesteuerten Professionalisierung mitgewirkt hat, wird dadurch einen Profit im Bereich der Eigenverantwortlichkeit für das persönliche und berufliche Alltagsgeschäft erlangen. Kollegiale Beratung ist ein teilnehmer:innen- und ebenso auch themenorientierter Dialog, der durch seine strukturierte Vorgehensweise bei der gegenseitigen Beratung zur Professionalisierung der Teilnehmenden beiträgt. Dies stärkt die Dialogfähigkeit und Dialogbereitschaft an sich. Drei Beispiele, welchen Profit Teams und Gruppen von Kollegialer Beratung haben können, an denen ihre Mitglieder teilnehmen, verdeutlichen dies: Ȥ Das Erleben eines teilnehmer:innen- und themenorientierten Dialogs in der Kollegialen Beratung findet seine Fortsetzung in der Teambesprechung oder im Gruppenmeeting. Erlebnisse und Erfahrungen der Selbststeuerung in der Kollegialen Beratung stärken die Eigeninitiative im Berufsalltag und bauen gleichzeitig Konkurrenz ab. Letztlich hilft die Kollegiale Beratung, eine stabilere Balance zwischen persönlichem Engagement und Regeneration zu finden. Von Kollegialer Beratung profitiert die gesamte Organisation und Einrichtung. Ȥ Mit vielen Tätigkeiten sind spezielle persönliche Aufgaben verbunden und manche Aufgaben sind an spezielle Funktionen gekoppelt. Darüber hinaus und oft ergänzend zu diesen Aufgaben kommen aber noch Tätigkeiten hinzu, die nur mit anderen zusammen zu bewältigen sind. Deswegen sitzen wir auch in verschiedensten Arbeitsgruppen. Wir sind in Qualitätszirkeln und Projektteams engagiert, haben Konferenzen und bewegen uns in Gruppen und Kreisen, auf die wir uns vorbereitet haben. Vielfältige Verflechtungen,
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bei denen die Kollegiale Beratung immer wieder hilft, zu reflektieren und auszubalancieren. Ȥ Die nächsten Monate oder das nächste Jahr werden geplant und Strategien entwickelt, wie Zielgruppen besser erreicht werden können. All dies muss in der Regel fachlich fundiert sein und die Themen Geld bzw. Finanzierung sind heutzutage fester Bestandteil jeder Planung. Eine breite Palette an Stichworten im Rahmen dieses Planungsvorhabens. Alle haben gegebenenfalls Platz in der Kollegialen Beratung. Solche und ähnliche Formen und Bedingungen der Zusammenarbeit gibt es viele. Sie finden sich in Ausbildungsstätten, in Schulen, in Kindergärten, in der Verwaltung, in Krankenhäusern, Firmen usw. Selbstverständlich ist dies Alltag. Und dann stellt sich die Frage nach dem »Danach«: Wir haben geplant, etwas umgesetzt, ein Projekt abgeschlossen. Manchmal haben wir eine Aktivität kaum abgeschlossen, da liegen schon zwei oder drei neue Vorhaben auf dem Tisch. Oder wir kommen nicht weiter, weil wir durch eine Sache aufgehalten werden, die uns querkommt. Wenn alles gut geht, haben wir Zeit genug, um zu reflektieren, was war, wie es verlief, wo die Stärken und Schwächen waren usw. Sogar gefeiert wird manches und manchmal. Diese Beobachtungen und Beschreibungen fassen einen Alltag zusammen, der in ganz vielen Arbeitsbereichen täglich abläuft. Geprägt ist dieser zusätzlich von den unterschiedlichsten Facetten und Nuancen einzelner Persönlichkeiten, die das Geschehen bestimmen und individuell prägen. Kollegiale Beratung passt mitten in diesen Alltag und all seine Abläufe, Aufgaben und Herausforderungen. Sie darf nicht aufgesetzt oder als etwas Spezielles und Besonderes verstanden werden, sondern sollte etwas Selbstverständliches sein, das grundsätzlich dazugehört und kontinuierlich den Mitarbeitenden zur Verfügung steht. Dort, wo Kollegiale Beratung in unseren Einrichtungen, an unserem Arbeitsplatz, in die Arbeitsaufgaben eingefügt, integriert ist, profitieren einzelne Mitarbeiter:innen und natürlich auch die vielfältigen Gruppen, Verflechtungen und Beziehungen. Hierarchien werden entlastet. Leitung ist leichter und zielgenauer wahrzunehmen. Reibungsverluste werden vermieden oder ausgeglichen. Entlastung wird spürbar und wirkt sich bis in die private Sphäre hinein aus. Als ertragreich wird sie auch dort für Einrichtungen und Organisationen zu erleben sein, wo sich Menschen mit unterschiedlicher Ausbildung und mit unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen kollegial beraten. Auf einen einfachen Nenner gebracht, lässt sich zusammenfassend sagen: Regelmäßige Kollegiale Beratung nimmt auf das Klima und die Kultur am
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Arbeitsplatz, in einem Arbeitsbereich oder einer gesamten Einrichtung positiv Einfluss. Das Vertrauen und die solidarische Atmosphäre, die in einer Kollegialen Beratung entstehen, werden im gesamten System der Einrichtung spürbar werden.
Nicht zu allem passt Kollegiale Beratung Am Arbeitsplatz finden immer wieder Gespräche statt, die sich im weitesten Sinne auch um den privaten Bereich der Beteiligten drehen. Das geschieht in einer Kaffeepause, einem kurzen Gespräch zwischen Tür und Angel, am Freitagnachmittag bei einem informellen Treffen am Ende einer Arbeitswoche, bevor alle nach Hause gehen. Sie ergeben sich auch bei entsprechenden Festivitäten. Vielleicht ist man gerade bei einem Betriebsausflug und hat auf einer langen Busfahrt Gelegenheit, einmal auf ganz andere Art und Weise ins Gespräch zu kommen. Man tauscht sich über die Familie, über die Kinder, über Fragen oder Probleme mit der eigenen Gesundheit sowie über Ernährung und Ähnliches aus. Mit Sicherheit gibt es viele und sehr unterschiedliche Möglichkeiten, sich bei anderen Rat zu holen oder Probleme zu besprechen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Möglichkeiten hoch zu schätzen sind. Hier wird oftmals eine gänzlich andere Form von kollegialer Beratung geleistet, deren Bedeutung man für den Arbeitsplatz und den gemeinsamen Erfolg, den wir mit unserer Arbeit haben wollen, nicht unterschätzen sollte. Wenn diese Formen kollegialer Beratung existieren, wird man dies am Klima im Arbeitsumfeld spüren und auch der wirtschaftliche Erfolg einer Einrichtung wird davon profitieren. Hier bringt sich jede:r selbstständig und eigenverantwortlich ein. Niemand ist dazu verpflichtet. In der angeleiteten »Kollegialen Beratung«, wie wir sie hier verstehen, haben die eben angedeuteten Themen allerdings keinen Platz. Wer etwa aus Gründen, die vielleicht auch mit der eigenen Arbeit zusammenhängen, Ehe- oder Partnerschaftsprobleme hat, sollte sie in einer Ehe- oder Partnerschaftsberatung besprechen. Ein anderes beliebtes Thema ist die Kindererziehung. Für Eltern, die Beruf, Partnerschaft, Arbeit und Familie unter einen Hut bringen sollen, ist dies wahrlich nicht einfach. Also gibt es einen hohen Gesprächsbedarf. Man tauscht sich gern mit genauso betroffenen Eltern über die persönlichen Erfahrungen aus und teilt so mit ihnen persönliches Erleben. Nehmen Sie Ihre Kinder aber bitte nicht mit in die Kollegiale Beratung. Dieses Thema gehört ggf. in eine Erziehungsberatungsstelle. Ihr Fokus in der Kollegialen Beratung ist Ihr Arbeitsplatz!
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Mit diesen zwei Beratungsbereichen will ich Sie ermuntern und anregen, genau darauf zu achten, dass Sie in der Kollegialen Beratung ausschließlich Themen bearbeiten, die ihren Sitz im Leben in der Arbeit der Gruppenmitglieder haben. Es ist auch wichtig, dies zu Beginn jeder Sitzung im Blick zu haben.
Heilsbronner Modell – mehr als ein Ortsname 1985 begann an der Evangelischen Fachhochschule für Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit in München die Integration von Kollegialer Beratung und Supervision in das Studium. Seither sind Kollegiale Beratung und Supervision ein fester Bestandteil der Ausbildung von Religionspädagog:innen. Jahre später haben die Erfahrungen mit dem immer weiterentwickelten Modell, das unter dem Begriff »Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung« (ca. 1992) inzwischen einen großen Bekanntheitsgrad erreicht hat, Eingang in ein erstes Buch (2005) gefunden. In den letzten Jahren hat sich die Arbeit mit dem Heilsbronner Modell auf Fortbildungen, Trainings und andere Gelegenheiten ausgeweitet. Weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus findet es Verwendung, der Leitfaden dazu ist derzeit auch auf Englisch und Russisch verfügbar (Downloadlink am Ende des Beitrags). Damit werden auch immer wieder die Grenzen seiner Herkunft (Schule, Soziale Arbeit etc.) überschritten. Erfreulich ist, dass deutlich wird, wie dieses Modell in vielen anderen Bereichen (z. B. bei der Führungskräfteentwicklung, in der Hochschularbeit und in Verwaltungen und Unternehmen) Verwendung findet (vgl. Gloger in Kap. 5). Insbesondere aus dem Hochschulbereich liegen bereits animierende Evaluationsergebnisse vor (vgl. Schindler in Kap. 9). Die Internetplattform www.kollegiale-beratung.net hat sich zu einem beachtlichen Angebot entwickelt. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal dieser Plattform ist nach wie vor die Kollegiale Beratung online, die Wolfgang Schindler in Kapitel 9 vorstellt. Viele haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, das Heilsbronner Modell zu verbreiten, und durch ihre Rückmeldungen für wichtige und bestätigende Impulse zum Umgang mit diesem Instrument der Personаlentwicklung gesorgt. Dazu gehören auch alle Kolleg:innen im Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung e. V., das 2008 gegründet wurde. Wie immer spielt die Frage der Finanzierung bei allen Aktivitäten eine Rolle. Deshalb sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und das Religionspädagogische Zentrum Heilsbronn das gesamte Pro-
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jekt seit vielen Jahren im Kontext seiner Arbeit im schulischen- und gemeindepädagogischen Bereich, der Kollegialen Beratung, Supervision, des Coachings und auch der Organisations- und Schulentwicklung sowie Schulseelsorge großzügig unterstützen. Das Heilsbronner Modell hat sich so über viele Jahre zu einer Marke entwickelt – online und offline –, sodass man sagen kann: Since 1985. Der Begriff »Heilsbronner Modell« bezeichnet jedoch nicht nur den geografischen Ort, eine Kleinstadt in Mittelfranken, von dem die Arbeit mit diesem Modell ausging. In den sehr schön erhaltenen Gebäuden des ehemaligen Zisterzienserklosters finden sich noch die Räume der ehemaligen Äbte, die in ganz besonderer Weise für die Kollegiale Beratung anregend sind. Ihr Arbeitszimmer weist nicht nur eine schöne alte Decke und Vertäfelungen aus dem frühen 16. Jahrhundert auf, sondern hat eine an allen Wänden umlaufende Sitzbank. Der Raum entspricht der Vorstellung von einer mittelalterlichen Studierstube. Hier kann man mit etwas Phantasie spüren, was es bedeutet haben mag, in einer Gruppe zu sitzen, sich um ein Thema zu versammeln und sich zu beraten. Einfachheit ist ein klösterliches Merkmal und ein Kennzeichen des zisterziensischen Lebensstils und bis heute in vielen Bereichen menschlicher Arbeit ein Merkmal, das beeindruckt, nachhaltig wirkt, unterstützt und anregt, weil es einen meist unausgesprochenen Gegentrend zu Alltagshektik und verdichteten Arbeitsprozessen formulieren. Das Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung ist ein Angebot für unterschiedlichste Arbeitsfelder. Seine Herkunft, Entwicklung und Verortung prägen dies mit. Es ermöglicht erfolgreich die Reflexion des beruflichen Handelns, in dem die Zusammenarbeit von Menschen bedeutsam und der:die Einzelne als Person wichtig ist. Einfach und doch sehr wirksam und nachhaltig dient es der persönlichen und beruflichen Entwicklung. Regelmäßig praktizierte Kollegiale Beratung würdigt die Arbeit der Mitarbeitenden, sie erleben Wertschätzung für ihre Leistungen. Damit wird ihrem gesamten Arbeitsumfeld eine Unterstützung zuteil, die auch die nachhaltige Entwicklung ihres konkreten Arbeitsplatzes fördert. Dabei geht es aus der Sicht der Mitarbeitenden immer um deren persönliche Arbeit, Fragen und Problemstellungen, die sie mit anderen teilen, um dabei kollegial und gemeinsam Lösungen zu finden.
Die vier Säulen des Heilsbronner Modells Das Heilsbronner Modell basiert auf vier Säulen: Der Berufsbezug (1), der persönliche Fall (2) und die Gruppe als Spiegel der Situation (3) haben eine wichtige Funktion. Sie werden durch den Aspekt der Selbsterfahrung (4) ergänzt.
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In der Abfolge seiner zehn Schritte des Beratungsprozesses und in einem wohlüberlegten zeitlichen Rahmen verbunden mit den Kompetenzen der Teilnehmer:innen werden die vier Säulen als tragende Kräfte spürbar. Vom Modell geht eine Haltung aus, die gegenseitigen Respekt und gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck bringt und dadurch allen Beteiligten ermöglicht, diese Haltung einzunehmen und einzuüben. Die Klarheit des Modells, das die Anliegen dieser vier Säulen entfaltet, hat dabei die Teilnehmenden im Blick. Unaufdringlich trägt es dazu bei, dass sie wichtig sind, dass ihnen geholfen wird und sie von deren Kollegialität profitieren. Die Stetigkeit und der gemeinsame Prozess sind Garanten für eine erfolgreiche Beratungsarbeit, die nicht immer nur den augenblicklichen Erfolg oder die sofortige schnelle Lösung sucht. Kollegiale Beratung ist schwerpunktmäßig berufsbezogen Wie bereits angesprochen, liefern die beruflichen Alltagsprobleme der Gruppenmitglieder die Themen für die Arbeit in der Kollegialen Beratungsgruppe. Ich betone dies nochmals, weil es wichtig ist, darauf zu achten und sich darauf zu verständigen. Alle berufsbezogenen Interaktionsprobleme können Themen der Kollegialen Beratung sein. Dazu zählen Themen, die die Zusammenarbeit betreffen und die im Arbeitsalltag entstanden sind. Hierzu gehören Erlebnisse mit Vorgesetzten genauso wie mit anderen Mitarbeitenden. Selbstverständlich aber auch Situationen, die mit Schüler:innen, Kund:innen oder anderen Personen entstehen. Vermutlich wird Ihr Berufsfeld darüber hinaus auch von Persönlichkeitsproblemen beeinflusst, die Ihnen in der täglichen Arbeit immer wieder begegnen. Besucher:innen, Schüler:innen oder andere Mitarbeitende sind z. B. aufbrausend oder verhalten sich sehr schnell aggressiv. Dies muss nicht unbedingt Ihnen gegenüber so sein, aber es beeinflusst auch Ihren Arbeitsplatz. Vielleicht beobachten Sie dies auch in Ihrem. Es könnte jedoch auch sein, dass Sie sich selbst manchmal als aufbrausend oder abweisend erleben und damit unzufrieden sind. Häufig ergeben sich aus derartigen Beobachtungen und Erlebnissen nicht nur Anfragen und Unsicherheiten, wie man im Kolleg:innenkreis damit umgehen sollte, sondern die eigene Person wird ebenso infrage gestellt. Habe ich genügend Rückgrat, Standvermögen und Selbstsicherheit, um solche Prozesse durchzustehen? Hier ist die ganze Persönlichkeit angefragt, wenn es darum geht, das persönliche Verhalten zu steuern. Immer wieder entstehen dadurch erhebliche emotionale Belastungen. Daher ist es gut, dass derartige Aspekte in der Kol-
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legialen Beratung Platz haben, damit der berufliche Alltag nicht von der Verschleppung solcher Probleme gekennzeichnet ist. Ebenso können organisatorische und strukturelle Mängel Probleme in der Interaktion am Arbeitsplatz nach sich ziehen. Strukturell bedingte Reibungsverluste (schlechte Arbeitsverteilung, wenig durchdachte Zuordnung) erschweren dann das berufliche Geschäft. Sie müssen nicht ausgegliedert werden, sondern haben in der Kollegialen Beratung einen Platz. Zusammengefasst lässt sich also sagen: Themen der Kollegialen Beratung nach dem Heilsbronner Modell können alle berufsbezogenen Interaktionsprobleme sein, welche die Arbeitsbeziehungen, die eigene Persönlichkeit und die Institution betreffen, in der Menschen zusammenarbeiten. In der Kollegialen Beratung wird immer ein Fall besprochen Schon zu Beginn jeder Kollegialen Beratung findet eine Konzentration statt, wenn vereinbart wird, worum es gehen soll. Jede Sitzung nimmt von der subjektiven Betroffenheit eines Mitgliedes ihren Ausgang. Nicht irgendein Thema wird besprochen, sondern eine spezielle Situation aus dem beruflichen Alltagsgeschehen eines Mitgliedes wird Thema und Interaktionsgeschehen der Gruppe bestimmen. Dazu wird zu Beginn ein Fallbericht von einem:einer Teilnehmenden eingebracht. Somit ist gewährleistet, dass die berufsbezogenen Probleme nicht als ein für alle Teilnehmenden gleich formuliertes Thema besprochen und bearbeitet werden, sondern der subjektive Bericht einer Person besprochen wird. Von einem eingebrachten Fall profitieren immer alle Gruppenmitglieder, auch dann, wenn sie den Fall nicht selbst eingebracht haben. Kollegiale Beratung geschieht in der Gruppe Wie schon erwähnt, müssen Mitarbeitende in vielen Arbeitsfeldern häufig allein arbeiten und sind immer unmittelbar adressat:innenbezogen tätig. Die Endverbraucher:innen sind im Blick und meistens stehen oder sitzen die Endabnehmer:innen auch direkt gegenüber. Wenn Sie so arbeiten müssen und sich vielleicht sogar überwiegend als Einzelkämpfer:in erleben, dürfen Sie sich über eine Gruppe, die mit Ihnen zusammen Anliegen der Arbeit reflektiert, freuen, denn: Ȥ Für Ihre Probleme, Fragen oder Beobachtungen haben Sie eine Gruppe, die sich regelmäßig auch Ihnen zuwendet. Ȥ Es hören Ihnen immer mehrere Teilnehmende zu und Sie erhalten von mehreren Kolleg:innen Aufmerksamkeit.
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Ȥ Mehrere Menschen zeigen an Ihnen und Ihrem Fall Interesse. Ȥ In der Gruppe erleben Sie Rückhalt. Ȥ Solidarität wird durch die gemeinsame Betroffenheit sichtbar und spürbar. In der Gruppe verstärken sich die bei den einzelnen Mitgliedern vorhandenen Kompetenzen und Sie dürfen davon profitieren. Die Weite und Breite an Erfahrungen und Erlebtem nimmt in der Gruppe zu. Wichtig für eine Gruppe ist, dass sie sich regelmäßig trifft und die Abstände nicht zu groß sind. In der Gruppe muss sich Vertrauen entwickeln und die Verschwiegenheit muss gewährleistet sein. Darauf sollten sich alle verlassen können, sonst sind die oben beschriebenen Möglichkeiten nicht zu erreichen. Eine Gruppe braucht Zeit, um sich zu finden und um eine Arbeitshaltung zu entwickeln. Nachdem keine Leitung von außen vorhanden ist, wird die entsprechende Unterstützung durch das Modell und seine klaren Schritte und Regeln gegeben. Auch das Vertrauen zu diesen Vorgaben muss sich entwickeln und kann in der Gruppe wachsen, weil ihr mit dem Modell ein zuverlässiges, vielfach erprobtes und bewährtes Angebot vorliegt. Die Gruppe (5–7 Mitglieder) wird ferner ein stabiles Gebilde sein, was die Kontinuität und Zuverlässigkeit betrifft. Selbst wenn ein oder manchmal vielleicht sogar zwei Mitglieder nicht dabei sein können, kann ein Treffen stattfinden. Das gehört zum Alltag von Gruppen. Unabhängig davon lebt die Gruppe aber sehr stark von der Verbindlichkeit, die ihr die einzelnen Mitglieder geben. Diese sollte sehr hoch sein, sodass die Abwesenheit einzelner Mitglieder die Ausnahme darstellt. Kollegiale Beratung ermöglicht Selbsterfahrung Selbsterfahrung (im Sinne eines persönlichen Erkenntnisgewinns) findet zunächst einmal bei der persönlichen Betroffenheit der Teilnehmenden statt, welche einen Fall vortragen. Es geht z. B. nicht um »Problemschüler:innen an sich«, sondern um »Problemschüler:innen für mich«. Zum anderen meint Selbsterfahrung auch die Art und Weise, in der ein Fall in der Gruppe bearbeitet wird. Wobei der von den Vortragenden ausgelöste Gruppeninteraktionsprozess das zentrale Erfahrungsfeld sein wird. Jede:r lernt also auch durch die Art und Weise, wie er:sie in der Gruppe agiert und wahrgenommen wird und wie die übrigen Teilnehmenden mit ihm:ihr und untereinander agieren, etwas über sich selbst (bezogen auf das eingebrachte Problem). Die Kollegiale Beratung in der Gruppe soll der Bewältigung und evtl. Veränderung des beruflichen Alltagslebens dienen. Dazu müssen psychologische,
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soziologische und pädagogische Ansätze in die Analyse und zur Bearbeitung aufgenommen werden. Menschen in sozialen Berufen sind diese Hintergründe und Zusammenhänge in der Regel vertraut und sie sind es gewohnt, Problemstellungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. In einer Gruppe geschieht dies verteilt und nicht jede:r muss in allen Bereichen kompetent sein. Sich ergänzend ist die Gruppe zur Herstellung eines breiten Spektrums in der Lage. Ein einseitiger Blickwinkel ist daher in der Regel fast ausgeschlossen. So vermeidet Kollegiale Beratung auch, Problemstellungen etwa einseitig psychologisch, also z. B. als Resultat einer biografischen Entwicklung, zu sehen, obwohl die Herkunft einer Konfliktursache damit zusammenhängen und dies natürlich im Gesamtbild eine Rolle spielen kann. Diese vielfältigen Möglichkeiten innerhalb einer Gruppe schließen aus, dass in einer Kollegialen Beratung etwa nur die persönlichen Unzulänglichkeiten einer Lehrkraft wahrgenommen und herausgearbeitet werden. Dazu ein Beispiel: »Eine Klasse, die den Unterricht einer neuen Lehrerin sabotiert, die Vorschläge der Lehrerin ablehnt und mit Disziplinlosigkeit beantwortet, nimmt die Neue zunächst primär als Rollenträgerin und damit auch als institutionalisierte Autorität wahr. Diese Wahrnehmung ist an Vorerfahrungen der Schüler gebunden, sie drückt eine Beziehungsdefinition aus, deren latent konflikthafter Charakter u. U. mit der bisherigen Sozialisation durch die Institution Schule zusammenhängt. Wenn nun die Lehrerin dieses Schülerverhalten nur als persönliche Kränkung und Bedrohung erlebt und ausschließlich auf dem Hintergrund ihrer persönlichkeitsspezifischen Defizite deutet (Ich kann mich eben nicht durchsetzen), so werden damit die komplexen Bedingungsebenen in der Entstehung von Konflikten, Störungen und Schwierigkeiten bedenklich reduziert.« (Gudjons 1995, S. 39 f.) An diesem Beispiel wird deutlich, welche Vorteile eine Gruppe bieten kann, wenn es darum gehen soll, die komplexen Bedingungsebenen von Konflikten, Störungen und Schwierigkeiten in den Blick zu nehmen und in die Lösung eines Problems zu integrieren. Durch die Gruppe und eine klare Schrittfolge des Vorgehens ist dies möglich. An dieser Stelle sei aber trotzdem schon einmal erwähnt, dass auch die Kollegiale Beratung, die ohne Leitung von außen arbeitet, zu bestimmten Zeiten von einer externen Reflexion und Begleitung des Gruppenprozesses profitieren kann. Dies sollte dann z. B. auch von einem:einer Supervisor:in erfolgen. So lässt sich zusammenfassend festhalten:
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Ȥ Das Heilsbronner Modell unterstützt Sie bei der differenzierteren Wahrnehmung Ihres Verhaltens und Ihrer Gefühle. Impulse, Reaktionen, Phantasien von Ihnen und den beteiligten Gruppenmitgliedern helfen, auch zunächst verborgene Anteile in einer beruflichen Problemsituation zu erkennen und für die eigene Entscheidung und Entwicklung zu nutzen. Ȥ Dadurch werden eigene eventuell verborgene Erwartungen, Ziele und Beweggründe bewusst. Ȥ Durch eine realitätsgerechtere Einschätzung des eigenen Verhaltens und der eigenen Möglichkeiten erweitert sich das persönliche Verhaltensrepertoire, das dann einer Problemlösung in unterschiedlichen Fällen dient und angemessen ist. Motive/Ziele der Kollegialen Beratung
Zehn Motive bzw. Ziele nenne ich als Beispiele aus einem Katalog, der immer von denen gefüllt wird, die sich zur Kollegialen Beratung treffen: Ȥ Lösungen für berufliche Probleme finden. Ȥ Erweiterung personaler und instrumenteller Handlungskompetenzen. Ȥ Verbesserung der Professionalisierung eigenen Handelns. Ȥ Orientierung und Sicherheit durch die kollegiale Unterstützung finden. Ȥ Verbesserung der Selbstwahrnehmung und der Selbstreflexion. Ȥ In der Gruppe alternative Lösungsansätze entdecken, die eigenen Ansätze darin spiegeln und somit eigene Perspektiven erweitern. Ȥ Die Gruppe als Spiegel der eigenen Situation nutzen lernen und damit vom Expert:innenwissen der anderen profitieren. Ȥ Lernen, Ressourcen und Potenziale, die die einzelnen Teilnehmenden einbringen, in der Gruppe teilen. Ȥ Lernen, die eigenen Stärken und Schwächen besser kennenzulernen und einen förderlichen Umgang damit zu entwickeln. Ȥ Personale Stärke und Autorität hinzugewinnen, um im Laufe der Zeit besser in der Lage zu sein, persönliche Potenziale zu entfalten und eigene Stärken und Ressourcen besser zu nutzen. Damit erweisen sich eingespielte Kollegiale Beratungsgruppen als eine Unterstützung, die Ihre Kompetenzerweiterung im besten Falle sogar weit über das unmittelbare berufliche Handeln hinaus fördert. Anlässe für Kollegiale Beratung
Mit der Kollegialen Beratung nach dem Heilsbronner Modell erleben und praktizieren Sie einen teilnehmer:innen- und themenzentrierten Dialog. Anlässe,
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diesen Dialog für sich und die eigene Arbeit zu suchen, können sehr unterschiedlich und auch sehr vielfältig sein. Die Anlässe, die ich im Folgenden beschreibe, sind daher aus einer ganzen Palette ausgewählt. Die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da die Anlässe sehr mit den Motiven der Teilnehmenden bzw. einer Gruppe zusammenhängen. Eine Gruppe arbeitet umso besser zusammen, je näher die Gründe der Teilnehmenden, sich an der Gruppe zu beteiligen, beieinander liegen bzw. zueinander passen. Die staatliche Akademie für Lehrerfortbildung in Bayern nennt einige Anlässe für die Kollegiale Beratung in Gruppen, die ich gern zitiere. Es werden Mitarbeitende angesprochen, die in den unterschiedlichsten Phasen ihrer beruflichen Entwicklung stehen. Dies ist verständlich, denn Kollegiale Beratung ist natürlich auch ein Instrument, das berufliche Biografien nachhaltig begleiten kann: Ȥ »Fach- und Erfahrungswissen sowie Sicherheit in Führungsfragen gewinnen – insbesondere für Schulleitungen oder Fachbereichsleitung. Ȥ Wirksamkeit des eigenen Unterrichts und Handelns prüfen und steigern. Ȥ Neue berufsbiographische Entwicklungsschritte wie Berufseinstieg oder Neuorientierung stehen an – insbesondere für Junglehrer:innen. Ȥ Berufliche Erfahrungen mit Kollegen (Kollegen als Experten und critical friends) austauschen. Ȥ Neue Unterrichtsformen ausprobieren, unterrichtsthematische Einheiten gemeinsam gestalten und im Team reflektieren. Ȥ Neue Projekte und Schulentwicklungsprozesse durchführen.« (Lehrerfortbildung 2004, S. 249 f.) Hinter diesen Anlässen für Kollegiale Beratung stehen konkrete berufliche Entwicklungen und Herausforderungen. Durch die Beschreibung dieser und anderer Anlässe wird deutlich, dass Kollegiale Beratung selbstverständlich auch erfolgsorientiert, veränderungsorientiert und wissensorientiert ist. Andere Anlässe für Kollegiale Beratung liegen deutlich auf der Teilnehmer:innenseite. Kolleg:innen sehen persönliche Anlässe und Wünsche, um Kollegiale Beratungsgruppen zu besuchen, Ȥ weil sie sich als Einzelkämpfer:innen erleben und dies überwinden wollen; Ȥ weil sie wissen, dass in der Gruppe ein großes Potenzial an Unterstützung für die persönliche Arbeit liegt; Ȥ weil Wertschätzung, wie sie eine kollegiale Beratungsgruppe ausstrahlt, beflügelt und der Alltag nicht unbedingt davon gekennzeichnet ist; Ȥ weil sie der Resignation vorbeugen wollen;
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Ȥ weil sie von der Kollegialen Beratung für die Arbeit in diversen Projekten und in Teams profitieren wollen; Ȥ weil Kollegiale Beratung die Beziehungsfähigkeit stärkt. Beide Blickwinkel verdeutlichen, wie sich Kollegiale Beratung in die Anliegen der Personalentwicklung einfügen lässt. Schaut man die Anlässe an, die aus dem Arbeitgeberinteresse formuliert sind, kann man erkennen, wie ansprechend sie für Arbeitnehmer:innen sein können und wie sich die Interessen der einen in den Anliegen der anderen Seite finden können. Kollegiale Beratung ist also ein qualifiziertes Instrument der Personalförderung, das die Interessen aller Beteiligten verbinden kann. Denn Kollegiale Beratung Ȥ fördert Kollegialität, Ȥ schafft Solidarität, Ȥ verhindert Einsamkeit, Ȥ bringt Entlastung, Ȥ klärt Probleme, Ȥ stützt und fördert vorhandene Kompetenzen, Ȥ fordert und fördert den fachlichen Diskurs. Das sind Aussichten, die eine kollegial orientierte Arbeitskultur unterstützen und mit zum Klingen bringen, vor allem dann, wenn auch Dienstvorgesetzte sie praktizieren und darin erfahren sind. Der Profit einer Einrichtung oder eines Arbeitsbereiches wird sich in verschiedener Hinsicht vergrößern. Damit meine ich nicht nur den geldwerten Vorteil, der daraus zu ziehen ist, wobei dieser auch existiert. So ist es verständlich, dass die Kollegiale Beratung während der Treffen von Leitungsgruppen häufig sogar an erster Stelle steht und dann weitere Punkte einer Tagesordnung bearbeitet werden. Themen der Kollegialen Beratung
Wer sich Motive, Anlässe und Ziele für die Kollegiale Beratung vor Augen führt, wird rasch entsprechende Themen für Beratungsgruppen erkennen. Immer wird es dabei um Inhalte gehen, die ein Mitglied der Gruppe ganz speziell betreffen. Als Beispiele für Beratungsthemen lassen sich z. B. folgende Aussagen nennen: Ȥ Ich habe ein Thema, das die Zusammenarbeit zwischen mir und meinem Chef betrifft. Ȥ Ich habe einen Kollegen, mit dem ich in Besprechungen immer wieder aneinandergerate, und davon würde ich gern einmal in der Gruppe erzählen.
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Ȥ Ich habe in meiner Klasse eine Schülerin, die extrem zurückgezogen ist und mir Sorge bereitet. Ȥ Ich bin an der Vorbereitung eines wichtigen Projektes beteiligt und merke, dass die Arbeit nicht in Gang kommt, weiß aber nicht, woran das liegen könnte. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen und erweitern. Deutlich wird, dass es sich um Themen aus der Arbeit der Gruppenmitglieder handelt. Es geht nicht um ein Thema, sondern um ihr:sein Thema. Neben dem Fokus »Arbeit« gibt es in der Kollegialen Beratung also einen zweiten Mittelpunkt, nämlich jedes einzelne Gruppenmitglied. Jede Person steht mit ihrem Anliegen abwechselnd im Fokus der Gruppe und darf von ihrer Kollegialität profitieren.
Die zehn Schritte im Prozess der Kollegialen Beratung Der Leitfaden definiert die zehn Schritte des Heilsbronner Modells zur Kollegialen Beratung. Er steht online und auch als handlicher Flyer für alle Mitglieder einer Beratungsgruppe zum Download, als Kontraktvorlage und Anleitung für Ihre Beratungsgruppe unter www.kollegiale-beratung.net zur Verfügung. Die anschließenden Empfehlungen und Impulse zur Durchführung unterstützen Ihre Praxis im Beratungsprozess. 1. Schritt: Festlegen von Leitung und Fall (5–10 Minuten)
Die Beratungsgruppe arbeitet ohne eine:n von außen kommende:n Leiter:in (Moderation). Alle bekommen zu Anfang kurz Zeit, mit ein paar Sätzen als Person in ihrem Alltag, in der Gruppe anzukommen. Zu Beginn der Kollegialen Beratung wird vereinbart, wer die Gruppe leitet. Die Leitung hat die Aufgabe, die zehn Schritte zu moderieren (Anfang und Ende einläuten, Zeit strukturieren, Übergänge schaffen), und beteiligt sich als Berater:in. Ebenfalls wird zu Beginn entschieden, wessen Fall bearbeitet werden soll (Fallgeber:in). Dafür muss am Anfang genügend Zeit berücksichtigt werden. Teilen Sie der Gruppe mit, dass Sie sich auf die getroffenen Vereinbarungen und die Schrittfolge des Leitfadens einlassen wollen und können. Regel: Die Leitung wechselt nach jedem besprochenen Fall.
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2. Schritt: Vortragen der Problemsituation (10 Minuten)
Der:Die Fallgeber:in stellt das Problem dar und versucht, so gut wie möglich zu fokussieren. Regel: Der:Die Fallgeber:in spricht allein und wird nicht unterbrochen. Die Berater:innen folgen aufmerksam und konzentriert, achten auf Stimme, Haltung, Tonfall, Körpersprache, die Reihenfolge der Informationen und eigenen Empfindungen. 3. Schritt: Nachfragen (5 Minuten)
Die Teilnehmer:innen können Informations- und Verständnisfragen an den:die Fallgeber:in stellen. Regel: Es sind nur Informations- und Verständnisfragen erlaubt. Der:Die Fallgeber:in beantwortet die Fragen. Keine Diskussion! 4. Schritt: Sammeln von Einfällen (10 Minuten)
Die Gruppe sammelt Assoziationen, Empfindungen, Phantasien oder Metaphern, die die Falldarstellung bei ihr ausgelöst hat. Hilfreich ist es, eigenen Einfällen Raum zu geben. Mit wem identifiziere ich mich am meisten? Warum? Was hat die Art und Weise, wie der Fall vorgestellt wurde, bei mir hervorgerufen? Noch keine Lösungsvorschläge einbringen! Regel: Der:Die Fallgeber:in hält sich während dieser Phase ganz zurück, auch wenn es schwerfällt, nicht sofort etwas »richtigstellen« zu können. Er:Sie soll sich darauf konzentrieren, alles aufzunehmen, was der Gruppe zu seiner:ihrer Situation einfällt. 5. Schritt: Rückmeldung des Fallgebers:der Fallgeberin (5 Minuten)
Der:Die Fallgeber:in sagt der Gruppe, was er:sie von den vorgebrachten Ideen und Einfällen für sich verwenden kann und was nicht brauchbar ist. Regel: Die Gruppe hört still zu. 6. Schritt: Sammeln von Lösungsvorschlägen (10 Minuten)
Die Gruppe trägt aus ihren eigenen Erfahrungen Lösungsmöglichkeiten zusammen. Regel: Der:Die Fallgeber:in hält sich während dieser Phase ganz zurück, auch wenn es schwerfällt, nicht sofort darauf reagieren zu können. Er:Sie soll sich darauf konzentrieren, alles aufzunehmen, was der Gruppe zur Situation einfällt.
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7. Schritt: Rückmeldung des Fallgebers:der Fallgeberin (5 Minuten)
Der:Die Fallgeber:in sortiert das Gehörte und sagt der Gruppe, was er:sie von den vorgebrachten Ideen und Lösungsvorschlägen für sich verwenden kann und was für ihn:sie nicht brauchbar ist. Regel: Die Gruppe hört still zu. 8. Schritt: Vertiefendes Gespräch (10 Minuten)
Gemeinsames Gespräch und Austausch über Dinge, die z. B. unklar geblieben sind. Eventuell können hier ergänzende und vertiefende Lösungsvorschläge diskutiert und möglicherweise auch Planungen erster Schritte zu einer Veränderung der Problemsituation angedacht werden. Dies hängt aber wesentlich von den Bedürfnissen und Wünschen des Fallgebers:der Fallgeberin ab. 9. Schritt: Abschlussrunde – Sharing (5–10 Minuten)
Reihum nennt jedes Gruppenmitglied eine Situation, in der es ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Diese Runde entlastet und verbindet die Gruppe. 10. Schritt: Feedback (10 Minuten)
Ȥ für die Leitung und von der Leitung der Sitzung, Ȥ des Fallgebers:der Fallgeberin, Ȥ innerhalb der Gruppe – Absprachen für die nächste Sitzung (ggf.).
Der Leitfaden in der Praxis: Empfehlungen Wer jetzt mit der Kollegialen Beratung nach dem Heilsbronner Modell beginnen möchte, kann es mit dieser Übersicht tun. Wenn Sie ein wenig Erfahrung mit Beratung haben und die Schritte Ihnen verständlich sind, ist dies möglich. Es empfiehlt sich, dass sich die Gruppe die zehn Schritte verdeutlicht, bevor die Kollegiale Beratung beginnt. Dafür brauchen Sie eine erste Sitzung der Gruppe vor der ersten Fallberatung, um miteinander und mit dem Ablauf, vor allem aber auch mit den Zielsetzungen des jeweiligen Beratungsschrittes und der darauf hinzielenden Regel vertraut zu werden. Es gibt dazu nur einen Ratschlag: Halten Sie die Vorgaben der zehn Schritte unverändert ein!
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Zum 1. Schritt: Festlegung von Leitung und Fall (5–10 Minuten) Wie schon erwähnt, arbeitet die Beratungsgruppe ohne eine:n externe:n Berater:in oder Moderator:in. Dies macht es notwendig, am Anfang eine Leitung für die jeweilige Sitzung zu bestimmen. Diese Leitung soll in der Gruppe der Reihe nach durchwechseln. Zu Beginn des Treffens bekommt jede:r kurz Zeit, mit ein paar kurzen (!) Sätzen als Person in der Gruppe anzukommen, sich selbst im Kreis zu hören und gehört zu werden. Natürlich kann niemand die Leitung einnehmen, wenn er:sie einen Fall vorstellen will. Dies ist zu Beginn zu berücksichtigen. Die Rollen der anderen Gruppenmitglieder ergeben sich danach. Die Leitung hat schwerpunktmäßig Moderationsaufgaben: Ȥ Sie benennt den Anfang und das Ende der jeweiligen Schritte. Ȥ Sie achtet auf die Zeit. Ȥ Sie leitet bei den Schritten vom einen zum nächsten Schritt über. Ȥ Sie macht gegebenenfalls auf die Aufgaben bei den einzelnen Schritten aufmerksam und führt, wenn nötig, noch einmal die zugehörigen Regeln ein. Ȥ Sie achtet darauf, dass das Thema aus dem beruflichen Bereich kommt und thematisiert dies, wenn nötig, in der Gruppe. Nachdem alle den Ablauf kennen und sich darauf verständigt und eingelassen haben, ist nicht davon auszugehen, dass die Leitung problematisch werden könnte. Durch den klaren Aufbau und die verständliche Abfolge der Schritte muss niemand diszipliniert werden, wenn sich die Gruppe insgesamt auf den vorgegebenen Ablauf verständigt hat und sich daran hält. Das entlastet die Funktion der Leitung. Eine stark dirigistische Ausübung der Leitung würde dem ganzen Charakter dieser Form der Kollegialen Beratung widersprechen. An verschiedenen Stellen der Kollegialen Beratung ist es erwünscht, vielfältige Assoziationen, Beobachtungen und Anregungen zusammenzutragen. Jede rigide Einschränkung durch die Leitung wäre fehl am Platz. Am Anfang einer Gruppensitzung verständigt sich die Gruppe, wessen Fall besprochen werden soll. Es gehört zu den Aufgaben der Leitung, diese Klärung herbeizuführen. Zu Beginn kann dies durch eine Nachfrage initiiert werden. Dazu ist es nötig, ein wenig Zeit einzuplanen, aber das verursacht in der Regel keine Probleme. Eine Sorge ist manchmal, ob überhaupt ein Themenvorschlag kommt. Darauf lässt sich zweierlei antworten: Ȥ Die Gruppe verbindet der Wunsch, Themen der Arbeit miteinander zu besprechen.
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Ȥ Sie können davon ausgehen, dass die Gruppenmitglieder im Verlauf der gesamten Kollegialen Beratung auch zwischen den Sitzungen immer wieder die Gruppe im Blick haben, wenn im Alltag Probleme auftauchen. In der Gruppe haben Sie schließlich einen sicheren Ort, um derartige Erlebnisse anzusprechen. Das Material einer Gruppe wird also nicht ausgehen, sondern reichert sich bereits wieder zwischen den Sitzungen an. Eine andere, manchmal geäußerte Sorge: Was passiert, wenn mehrere Themen anstehen? Dann hat die Gruppe ein kleines Problem und es ist die Aufgabe der Leitung, dies in Absprache mit den anderen Gruppenmitgliedern zu klären. Zur Abklärung des zu bearbeitenden Falles sollte, wie gesagt, am Anfang der Gruppe Zeit sein, damit jede:r kurz vorstellen kann, was er:sie einbringen möchte. So können sich alle ein Bild davon machen, was zur Entscheidung ansteht. Zunächst einmal sind dabei diejenigen gefragt, die etwas einbringen wollen. Manchmal ergibt es sich, dass Themen nahe beieinander liegen und daher eine der vorstellenden Personen für diese Sitzung sein:ihr Thema zurückziehen kann. In der Gruppe werden auch alle ein Gespür dafür entwickeln, was sie miteinander bearbeiten wollen und können und was für die Gruppe interessant ist, weil es z. B. an ein Thema der letzten Sitzung anschließt. Dadurch, dass jede:r immer auch für sich von den Themen profitieren wird, die die anderen einbringen, wird diese Themenfindungsphase keinen Stress in der Gruppe mit sich bringen. Natürlich spielt sich das über mehrere Sitzungen hinweg ein und die Gruppe entwickelt eine Haltung, damit umzugehen. Sollten einmal wirklich zwei Themen übrig bleiben, so empfiehlt es sich z. B., einem:einer von beiden eine Garantie für die nächste Sitzung einzuräumen. Nach diesen Klärungen zum Thema und zur Leitung, die sehr schnell auch routiniert bewältigt werden können, wenn die Gruppe einige Zeit zusammengearbeitet hat, sind die Rollen nun klar: Ȥ Leitung, Ȥ Vortragende:r eines Falles (Fallgeber:in), Ȥ Berater:innen. Durch diese Aufgaben kann es sein, dass die Leitung ihre Rolle als Berater:in etwas zurückgenommen ausübt. Die Leitung muss sich also nicht auf diese Rolle beschränken, sondern kann auch beratend agieren. Starten Sie erst, wenn wirklich alle mit der Entwicklung einverstanden sind. Regel: Die Leitung wechselt nach jedem besprochenen Fall.
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Zum 2. Schritt: Vortragen der Problemsituation (10 Minuten) Ein Gruppenmitglied stellt sein:ihr Problem vor und versucht, dies so gut wie möglich zu fokussieren. Es geht darum, das Thema/Problem auf den Punkt zu bringen, besser gesagt – aus Sicht des:der Vortragenden auf den Punkt zu bringen. Die beteiligten Berater:innen und die Leitung hören interessiert zu und achten z. B. darauf: Ȥ Wie erzählt jemand? Ȥ Schweift jemand ab? Ȥ Erfolgt der Bericht zögerlich? Ȥ Verbeißt sich jemand in scheinbar Unwesentliches? Ȥ Hastet jemand durch das Problem hindurch? Ȥ Wie ist jemand an dem Geschehen beteiligt? Ȥ Zeigt die:der Berichtende Gefühle? Für die Zuhörer:innen ist es wichtig, davon auszugehen, dass es nichts gibt, was nicht von Bedeutung sein und eine Bedeutung im weiteren Verlauf der Kollegialen Beratung erhalten könnte. Daher: Alles ist wichtig! Nichts gehört nicht dazu! Daher sollte dem:der Vortragenden Aufmerksamkeit geschenkt und mit all den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zugehört werden. Ich sehe, wie der:die andere agiert, und spüre, wie es ihm oder ihr geht. Das Zuhören hat neben der Aufmerksamkeit für die Berichtenden aber noch eine zweite Dimension. Gleichzeitig geht es auch darum, auf mich als Zuhörende:n zu achten, z. B.: Ȥ Wie geht es mir mit dem Gehörten und Beobachteten? Ȥ Wo hake ich in Gedanken ein? Ȥ Wo schweife ich in Gedanken ab? Ȥ Was freut mich oder was macht mir Angst? Ȥ Wo bin ich Feuer und Flamme? Aufmerksamkeit sollte also nicht nur den Vortragenden, sondern auch mir, dem:der Zuhörer:in, zuteilwerden. Wie bei einem Pendel bewege ich mich immer wieder zwischen den Vortragenden und mir hin und her. Ich verweile einmal mehr da oder dort und versuche, dadurch einen Zugang zu der vorgetragenen Problemsituation zu finden. Für viele ist dies sicherlich nicht unbekannt, weil dieses Hin- und Hergehen, Mitschwingen, oder wie immer man es nennen mag, auch in anderen Gesprächen – etwa in der Seelsorge, bei Personalgesprächen, bei Elterngesprächen – wichtig ist und praktiziert wird. Es geht immer darum, einem Gegen-
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über zuzuhören, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn auch ich mich dabei wahrnehme, kann ich leichter bei den Berichtenden bleiben und werde meine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen besser erkennen und sie gegebenenfalls heraushalten können. Dies zu üben, kann auch überall dort von Nutzen sein, wo z. B. in einer Besprechung am Arbeitsplatz etwas vorgestellt wird und unsere Aufmerksamkeit gefordert ist. Das macht erneut deutlich, dass wir von der Kollegialen Beratung auch für andere Gesprächssituationen profitieren können. Ebenso zeigt sich, dass Sie bereits häufig das für die Kollegiale Beratung nötige Handwerkszeug haben und an anderer Stelle bereits nutzen. Jetzt können Sie auch in der Kollegialen Beratung davon profitieren. Selbst wenn es Berater:innen gibt, für die das eine oder andere noch nicht so vertraut ist, haben diese in der Gruppe und durch die Gruppe die Möglichkeit, sich angemessen einzufinden. Der Vorsprung von einigen wird in der Gruppe immer zur Lernchance für andere. Auch dies ist ein profitabler Vorteil, welcher die Gruppenmitglieder verbinden und die Kollegiale Beratung attraktiv machen kann. Regel: Der:Die Vortragende spricht allein und wird nicht unterbrochen. Die Teilnehmenden folgen aufmerksam und konzentriert, achten auf Körpersprache, Stimme, Haltung, Tonfall, die Reihenfolge der Informationen und eigene Empfindungen. Zum 3. Schritt: Nachfragen (5 Minuten) Vermeiden Sie im Augenblick alles, was zu einer Diskussion führt! Nehmen Sie sich kurz Zeit, nachzufragen. Vielleicht haben Sie eine Zahl nicht verstanden oder nicht mehr genau in Erinnerung. Fragen Sie nach, wenn Sie nicht mehr wissen, wann etwas war, und fragen Sie nach, wenn Ihnen etwas aus irgendeinem Grund wichtig erscheint. Diskutieren Sie aber nicht die Nachfragen und begründen Sie nicht, warum Sie etwas jetzt fragen. Es geht bei diesem Schritt darum, Informations- und Verständnisfragen zu stellen, die den Fall verdeutlichen. Sie werden dabei merken, dass dies nicht nur eine Verdeutlichung für Sie als Fragende:n sein kann. Immer wieder sind die gestellten Fragen auch für die Vortragenden wichtig. Was gefragt wird, ist ja bereits eine Reaktion auf das Gehörte und hat damit zu tun, wie es verstanden wurde. So gesehen sind diese fünf Minuten nicht zu unterschätzen, sondern ein wichtiger Schritt zum Verständnis und ein wichtiger Schritt für spätere Lösungsmöglichkeiten. Jede:r kann erleben, wie eine scheinbar unwichtige Kleinigkeit interessante Anregungen bieten kann. Dabei ist es erst einmal gar nicht wichtig, diese Schätze schon jetzt zu heben.
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Regel: Es sind nur Informations- und Verständnisfragen erlaubt. Der:Die Fallgeber:in beantwortet die Fragen. Keine Diskussion! Zum 4. Schritt: Sammeln von Einfällen (10 Minuten) Die bisherigen Schritte haben die Gruppe mit einem Fallbericht, entsprechenden Informationen dazu und dem persönlichen Erleben der einzelnen Gruppenmitglieder angereichert. Wer bis hierher aufmerksam gefolgt ist, wird bemerkt haben, wie sich die Stimmung in der Gruppe durch den Fallbericht entwickelt hat. Vielleicht nahm der Fall eine andere Wendung, als zu Beginn vermutet. Vielleicht war die eigene Phantasie zu Beginn eine ganz andere, als sie sich jetzt darstellt. So macht sich bei den Berater:innen z. B. Betroffenheit oder auch Erleichterung als Stimmung breit und Sie können dies erleben. Oder ein Teil der Kollegialen Beratungsgruppe ist ganz gut drauf und Sie fühlen sich ziemlich niedergeschlagen. Dies alles ist jetzt wichtig! Die Berater:innen sammeln jetzt Einfälle. Es geht um Assoziationen, Empfindungen und Phantasien, die die Situation in der Gruppe ausgelöst hat. Damit wird deutlich, dass nicht nur der Fallbericht etwas ausgelöst hat und wichtig ist, sondern die bis hierher schon stattgefundene gemeinsame Arbeit am Fall genauso. Jede:r Einzelne und die Gruppe insgesamt haben bis hierher schon viel miteinander erlebt. Nun ist es hilfreich, den eigenen Einfällen Raum zu geben: Bleiben Sie bei sich und Ihren Empfindungen und Beobachtungen. Selbst wenn Sie z. B. die:der Einzige in der Gruppe sind, der:die die Heiterkeit der anderen nicht teilt. Lassen Sie sich davon nicht irritieren. Gerade darin könnte die Chance für Ihre Kolleg:in liegen, der:die den Fall eingebracht hat. Jetzt kann und soll die Vielfalt der Berater:innen zum Tragen kommen. Dazu gehören Fragen wie: Mit wem identifiziere ich mich am meisten? Warum? Was hat die Art und Weise, wie der Fall vorgetragen wurde, bei mir ausgelöst? Bitte bringen Sie an dieser Stelle noch keine Lösungsvorschläge ein! Diese wären jetzt noch nicht passend, weil sie das einschränken würden, was sich an Vielfalt und Potenzial in der Gruppe entwickeln kann. Manchmal tauchen jetzt Gefühle oder Gedanken auf, die sich etwa so beschreiben lassen: »Das habe ich auch schon erlebt« – »Das kenne ich« o. ä. Es geht jetzt nicht darum, Ihnen derartige Gedanken zu verbieten oder an dieser Stelle zu unterdrücken, sondern darum, sie an dieser Stelle im Beratungsprozess aus dem Fall Ihres:Ihrer Kolleg:in herauszuhalten. Manche können sich solche Assoziationen merken, andere machen sich eventuelle eine Notiz, damit sie nicht verloren gehen. Das kann hilfreich sein, denn in dem Moment, wo ich jetzt einem anderen sagen
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würde, dass ich sein Problem schon hatte oder auch daran leide, bin ich nicht mehr beim Problem des anderen. Diesem wollen Sie sich aber widmen, ihr:ihm wollen Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken. Die Einfälle, die die Beratenden dem:der Fallanbieter:in zur Verfügung stellen, sind ein Angebot, aus dem er:sie auswählen kann. Deshalb hört er:sie jetzt zu und kann sich mit dem beschenken lassen, was in der Gruppe vorhanden ist. Aufmerksam wird auch er:sie jetzt verfolgen, was die anderen zu sagen haben. Dabei kann es vorkommen, dass ein:e Berater:in an dieser Stelle nichts einzubringen hat. Dann sollte dies gesagt werden. Insgesamt intensiviert sich mit dem Wechseln des Zuhörens und Redens ein Vorgang in der Gruppe, der den Gruppenprozess steuernd und unterstützend fördert. Durch diese Gegenseitigkeit ergibt sich zwar wenig Gelegenheit zum Verschnaufen, während ein Fall bearbeitet wird. Es ist aber auch immer gewährleistet, dass alle Beteiligten einbezogen sind. Selbst dann, wenn jemand wenig mit dem Fall anfangen kann. Auch dies kann im Verlauf wichtig sein. Regel: Der:Die Vortragende hält sich ganz zurück, auch wenn es schwerfällt, nicht sofort etwas »richtigstellen« zu können. Er:Sie sollte sich darauf konzentrieren, alles aufzunehmen, was der Gruppe zu seiner:ihrer Situation einfällt. Zum 5. Schritt: Rückmeldung des Fallgebers:der Fallgeberin (5 Minuten) Jetzt ist die:der Vortragende wieder an der Reihe. Für die Berater:innen ist dies spannend, weil jetzt zum Ausdruck kommt, was von ihren Aussagen ankam und in welcher Form. Der:Die Fallgeber:in beschreibt und benennt der Gruppe, was er:sie von den Ideen und Einfällen verwenden kann und was aus seiner:ihrer Sicht nicht (vielleicht auch nur zur Zeit nicht) brauchbar ist. Dabei geht es nie um eine Bewertung der Aussagen und Überlegungen! Darauf will ich an dieser Stelle noch einmal besonders aufmerksam machen. Häufig bringt der berufliche und private Alltag es mit sich, dass Bewertungen häufig und schnell im Spiel sind und für Irritationen und Unruhe sorgen. Bei der Kollegialen Beratung nach dem Heilsbronner Modell dürfen Sie unterschiedliche Erfahrungen machen. Das Interessante an Kollegialer Beratung ist also auch, dass es bei ihr nicht darauf ankommt, Einfälle, Anregungen und Vorstellungen, die andere äußern, zu bewerten. Wenn der:die Vortragende in diesem fünften Schritt eine Auswahl trifft, so ist das seine:ihre subjektive Auswahl, die keiner Bewertung unterliegt. Er:Sie soll dies so tun können, wie es für ihn:sie im Augenblick stimmig ist. Keinesfalls braucht dabei das verloren gehen, was sozusagen auf der Strecke blieb. Im
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Verlauf der Sitzung kann dies noch einmal Bedeutung bekommen. Und selbst wenn nicht, haben die Beteiligten Anregungen erhalten, die über die Sitzung hinaus noch greifen könnten. Deshalb ist die Nicht-Bewertung eine Entlastung für die Gruppe und ihre Dynamik und auch eine Entlastung für die einzelnen Mitglieder. Regel: Die Gruppe hört still zu. Zum 6. Schritt: Sammeln von Lösungsvorschlägen (10 Minuten) Wer erwartet, dass alle Beteiligten jetzt die Lösung diskutieren, muss sich noch ein wenig gedulden. Dies hieße nämlich, die Potenziale der Gruppe nicht auszuschöpfen. Zuletzt haben die Gruppenmitglieder der vortragenden Person zugehört. Nun ist es wieder umgekehrt. Auf den fünften Schritt folgt durch die Berater:innen eine Weiterarbeit am bisherigen Material. Welche Lösungsvorschläge lassen sich jetzt nach all dem bisher Gehörten, Gesagten und Empfundenen machen? Es ist – oder bleibt – spannend: Ȥ Werden viele Lösungsvorschläge gemacht? Ȥ Zeichnet sich in der Gruppe eine Tendenz ab? Ȥ Ist die Gruppe zu einem Lösungsansatz fähig? Ȥ Fällt es der Gruppe schwer, Lösungen anzubieten? Dies alles ist für den Fortgang des Gespräches wichtig und von Bedeutung. Regel: Die:Der Vortragende hält sich während dieser Phase zurück, auch wenn es schwerfällt, nicht sofort etwas »richtigstellen« zu können. Er:Sie soll sich darauf konzentrieren, alles aufzunehmen, was der Gruppe zur Situation einfällt. Zum 7. Schritt: Rückmeldung des Fallgebers:der Fallgeberin (5 Minuten) Nun steht ein Bündel an Anregungen zur Verfügung. Es ist die Aufgabe des:der Vortragenden, das Gehörte zu sortieren und auf die Ideen und Anregungen hin zu überprüfen, die er:sie für sich verwenden kann und will. Für die Berater:innen ist dies häufig aufregend, da sich jetzt herausstellt, wie sich der:die Betroffene in diesem Moment entscheidet. Das kann unter Umständen auch mit Freude und Enttäuschung bei den anderen verbunden sein, wenn er:sie sich für die eine oder andere Idee nicht erwärmen kann. Es geht allerdings auch in dieser Phase nicht um die endgültige(n) Lösung(en) für das vorgebrachte Problem! Dies ist wichtig, denn dadurch bleiben alle Vor-
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schläge und Anregungen im Rennen. Keine Idee ist bisher nutzlos gewesen, selbst wenn mit ihr nicht unmittelbar weitergearbeitet wurde. Das kann so weit gehen, dass manches für die fallgebende Person erst Wochen später wieder relevant wird und sie auch dann noch von den Anregungen ihrer Berater:innen eine Stärkung im beruflichen Alltag erfährt. So gesehen darf sich in dieser Phase jede:r davon entlasten, für den eigenen Lösungsvorschlag kämpfen zu müssen. Die Gründe, warum ein Vorschlag im Moment nicht bevorzugt wird, können im Verlauf der Sitzung noch zur Sprache kommen. In dieser Phase steckt auch für die vortragenden Person eine Chance, durch die Anregungen der anderen z. B. auf persönliche Grenzen aufmerksam zu werden. Bei manchen Anregungen konnte er:sie nicht mitgehen, weil sie vielleicht Unsicherheiten und Ängste bei ihr:ihm auslösen. Andere machen ihn:sie zögerlich, weil vielleicht eine lange Auseinandersetzung befürchtet wird, der er:sie sich womöglich zur Zeit nicht gewachsen fühlt. Das alles sind Beweggründe, die es zu akzeptieren gilt. Aber gleichzeitig bieten diese Ideen und Vorschläge die Möglichkeit, eigene Grenzen hinauszuschieben. In einer vertrauten Runde hat die fallgebende Person dafür auch in Zukunft den nötigen Rückhalt und kann vielleicht leichter experimentieren, wenn sie weiß, dass sie ihre Probleme hier wieder einbringen kann. In den Rückmeldungen aus der Kollegialen Beratung können auch Hinweise stecken, die es den jeweils Betroffenen erlauben, andere Formen der Beratung über die Gruppe hinaus zu suchen. In einer Einzelsupervision etwa können Probleme weiter bearbeitet werden, die durch die Kollegiale Beratung einfach zurzeit noch nicht zu lösen sind. Auch dies ist ein Vorteil der Kollegialen Beratungsgruppe, die niemand nötigen wird und in der niemand schlecht bewertet wird, wenn er:sie einen Vorschlag nicht verwenden kann. Es ist überzeugend, dass dies erst den Freiraum ermöglicht, sogar später noch einmal mit den Anregungen umzugehen und Aktivitäten zu entwickeln, die zur Zeit der Bearbeitung in der Gruppe einfach noch nicht an der Reihe waren. Regel: Die Gruppe hört still zu. Zum 8. Schritt: Vertiefendes Gespräch (10 Minuten) Mit diesem Schritt öffnet sich das Verfahren der Kollegialen Beratung zum Gespräch bzw. zur Diskussion. Damit ist nun die Gelegenheit geboten, sich über Dinge auszutauschen, die unklar geblieben sind. Es besteht die Möglichkeit, einmal bei dem:der Nachbar:in nachzufragen, warum diese:r gerade einen bestimmten Vorschlag gemacht hat. Der:Die Vortragende kann durch diesen Schritt Beweggründe kennenlernen, die dann doch noch Einfluss auf eigene
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Entscheidungen ausüben können. Umgekehrt lässt sich aus Sicht der Gruppenmitglieder an dieser Stelle gut nachfragen, warum der:die Vortragende bei den Rückmeldungen einen Vorschlag, der vielleicht vielen sehr plausibel erschien, nicht erwähnt hat. So kann das eine oder andere noch einmal diskutiert werden. Dabei ist es jetzt erlaubt, für ein Anliegen Partei zu ergreifen. Ein kurzer Meinungsaustausch macht manche Perspektive sichtbar, die unter Umständen bisher noch gar nicht bestanden hat. Dies alles wird möglich, weil bisher Bewertungen der Entscheidungen vermieden wurden. Darum geht es auch hier nicht. Niemand wird aus der Kollegialen Beratung hinausgehen und sich Vorwürfe machen müssen, dass er:sie sich so und nicht anders entschieden hat. Was schon in den bisherigen Schritten angesprochen wurde, gilt auch hier. Sie haben später im beruflichen Alltag die Möglichkeit, auf Lösungsideen zurückzugreifen. Dies können Sie, obwohl Sie sich in der Gruppe anders entschieden hatten. Aus der Kollegialen Beratung nehmen Sie also in der Regel immer ein Paket an Anregungen und fast sicher eine für Sie im Augenblick stimmige Idee zur Lösung Ihres Problems mit. Darüber hinaus ist dieser Schritt wichtig, weil dadurch an diesem Punkt der Kollegialen Beratung noch Zeit zur Verfügung steht, um vertiefende Lösungsvorschläge zu besprechen und eine Planung für erste Schritte zur Veränderung einer Problemsituation vorzunehmen. Wer freut sich jetzt nicht über ganz konkrete Anregungen? Daher ist dies auch eine Zeit, in der sich die Kompetenzen der Teilnehmenden noch einmal bündeln und ganz dem:der Vortragenden zur Verfügung stehen. Zum 9. Schritt: Abschlussrunde – Sharing (5–10 Minuten) Am Ende der Kollegialen Beratung besteht nun die Möglichkeit, eigene Erlebnisse und Erfahrungen mitzuteilen und an dieser Stelle mit den anderen zu teilen. Ohne diesen Schritt in Aussicht wäre es vermutlich bisher schwer gewesen, das eigene Erleben und die eigene Erfahrung nicht mit dem vorgestellten Fall zu vermischen. Daher ist dieser Schritt dringend nötig, denn jede:r in der Gruppe erhält dadurch die Möglichkeit und Chance, sich mit dem eigenen Erlebten im zurückliegenden Beratungsprozess zurückzuhalten. Nun aber können die Berater:innen reihum eine Situation nennen, in der sie ähnliche Erfahrungen wie die fallgebende Person gemacht haben. Wäre dies alles schon im Verlauf des Prozesses zum Ausdruck gekommen, hätte die Gruppe vermutlich stark am Problem vorbei gearbeitet und für den:die Vortragende:n wäre nur wenig oder schlimmstenfalls gar nichts herausgekommen.
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Was kann für die Problembearbeitung eines Menschen auch enttäuschender sein, als wenn ihm viele sagen, dass sie dieses Problem auch schon hinter sich haben. In dem Moment scheint das eigene Problem nicht mehr wichtig zu sein und erhält nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit. Seine Originalität geht verloren. Das muss jedoch keinesfalls bedeuten, dass man im Verlauf der Kollegialen Beratung immer krampfhaft verdrängt, dass man so etwas Ähnliches schon einmal selbst erlebt zu haben glaubt. Eigene Vorschläge und Beiträge sind sicher und ohne Absicht davon geprägt und das ist auch gut so. In der Abschlussrunde kann das formuliert werden. Es macht aber einen Unterschied, ob ich mein Erleben zurückhalte und dem:der anderen dadurch Raum gebe, oder ob ich mein Thema in das des:der anderen mit einbaue, indem ich es ihm:ihr sage. Dadurch, dass es zum Ende der Kollegialen Beratung hin noch möglich ist, eigene Erlebnisse anzusprechen, erfährt der:die Vortragende, dass er:sie mit dem Problem nicht allein ist. Dies entlastet ihn:sie und die Gruppe. Gleichzeitig verbindet es die Gruppenmitglieder aber auch. Es kann das für die Gruppe wichtige Gefühl entstehen, dass keine:r mit ihrem:seinem Problem allein ist. Darin steckt viel Motivation für die Arbeit in einer Kollegialen Beratungsgruppe und ein Anreiz, beim nächsten Mal wieder dabei zu sein. Zum 10. Schritt: Feedback (10 Minuten) Zwei Gruppenmitglieder hatten besondere Aufgaben. Dies bedarf am Ende auch noch der Aufmerksamkeit. Die Leitung der Kollegialen Beratung darf zu Recht ein Feedback erwarten. In erster Linie geht es darum, den Dank für die Gesprächsleitung auszusprechen. Durch diese Rolle war es der Gesprächsleitung nicht in aller Breite möglich, sich am Beratungsgeschehen zu beteiligen. Gleichzeitig benötigt aber die Gruppe noch einmal eine Gelegenheit, auf empfundene Unebenheiten im Ablauf zu achten. Daher haben alle Beteiligten jetzt noch einmal die Chance, zu benennen, was ihnen auffiel, z. B.: Ȥ Wie funktionierte die Zeiteinteilung? Ȥ Waren die Übergänge zu den jeweiligen Schritten heute gut nachvollziehbar? Ȥ Kamen alle zu Wort? Keine Sitzung sollte ohne ein vielleicht auch nur kurzes Feedback des:der Vortragenden enden. Ihm:Ihr gebührt das Schlusswort. Alle haben sich auf sein:ihr Problem konzentriert, eigene Belange hintangestellt. Dafür gebührt auch ihnen Dank und ein Stück Anerkennung. Zum anderen tut es aber auch gut, wenn
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man aus einer Gruppe herausgeht und noch einmal hört, dass es einem anderen jetzt besser geht. Damit müssen noch nicht alle Probleme, die gerade anstanden, gelöst sein. Beide Feedbacks verbinden die Gruppe und machen Lust auf mehr, denn immer ist die Gruppe der Spiegel für die Situation, die jemand einbringt. Von ihr, durch sie und mit ihr lebt die Bearbeitung eines Falles.
Impulse für die Durchführung Bevor Sie mit dem Leitfaden der zehn Schritte im Beratungsprozess loslegen, haben Sie sich schon mit dem Konzept, dem Wie und Warum vertraut gemacht. Mit diesem Wissen wollen Sie nun endlich praktisch starten, in Ihrem Arbeitsfeld, mit den dort tätigen Kolleg:innen und Vorgesetzten. Damit der Start in eine für alle bereichernde Praxis mündet, lohnt es sich vorab, das Setting der Kollegialen Beratung anzusehen und zu gestalten. Fähigkeiten Fähigkeiten, die Sie und Ihre Kolleg:innen bei der Kollegialen Beratung brauchen? Sie sind so willkommen, wie Sie sind: Sie sind phantasievoll, Sie wollen zuhören. Sie können auch einmal schweigen. Sie achten auf sich selbst und haben ein Interesse an anderen Menschen und ihrem Wohlergehen. Sie wollen Arbeitsprozesse optimieren und das kollegiale Miteinander am Arbeitsplatz verbessern. Sie glauben, von anderen profitieren zu können, und sind eigenverantwortliches Handeln gewöhnt. Diese Aussagen machen deutlich, dass in der Kollegialen Beratung ganz normale Fähigkeiten benötigt werden. Sie brauchen nicht ausgewiesene:r Fachmann:Fachfrau für Psychologie, Soziologie oder Gruppendynamik zu sein. Die Fachleute hierfür finden Sie in anderen Beratungsformen. In der Kollegialen Beratung nach dem Heilsbronner Modell werden all die Fähigkeiten von Ihnen benötigt, die Sie im täglichen beruflichen Alltag und im privaten Bereich auch einzubringen versuchen. Nicht mehr und nicht weniger. Dazu zählen Ihr Wissen und Ihre persönlichen Kompetenzen. In sozialen Berufen gehören auch z. B. Kenntnisse der Pädagogik, Psychologie und oft auch Beratungskompetenz dazu. In der Kollegialen Beratung haben Sie die Möglichkeit, das eine oder andere davon zu schulen, weiterzuentwickeln und hinzuzugewinnen.
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Eine Gruppe finden Irgendjemand aus dem beruflichen Umfeld muss eine Kollegiale Beratungsgruppe anregen. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten: Ein:e Kolleg:in kennt die Kollegiale Beratung nach dem Heilsbronner Modell und sucht nach Mitgliedern für eine Gruppe. Das ist eine sehr sinnvolle Herangehensweise, da sich die Beteiligten kennen und vielleicht schon eine gewisse Nähe zueinander empfinden. Zu klären ist dabei die Frage, ob die Kollegiale Beratung in der Arbeitszeit stattfinden kann oder ob es eine selbst organisierte Gruppe ist, die sich in der Freizeit der Mitarbeitenden trifft. Letzteres halte ich nicht für so sinnvoll, manchmal geht es aber nicht anders. Sinnvoll ist es, dass eine Beratungsgruppe in Kooperation mit Dienstvorgesetzten gebildet oder sogar von der Leitung initiiert wird. Dadurch ist die Leitung in das Anliegen von vorneherein eingebunden und kann die Kollegiale Beratung so unterstützen. Natürlich ist dabei Fingerspitzengefühl notwendig, denn Mitarbeitende wollen sich die Idee zur Kollegialen Beratung nicht aufs Auge drücken lassen. Kollegiale Beratung, die von oben verordnet wird, kann nicht funktionieren. Aber eine Leitung, die Freiräume für dieses Anliegen schafft und aktiv unterstützt, dass die Mitarbeitenden Kollegiale Beratung ausüben können, wird als hilfreich empfunden. In den bisher genannten Fällen ist eine Kooperation zwischen Leitung und Mitarbeitenden zu suchen. In den seltensten Fällen wird Kollegiale Beratung daher im Verborgenen stattfinden. Dies würde auch dem Charakter der Kollegialen Beratung überhaupt nicht entsprechen. Auch deswegen halte ich die Kollegiale Beratung für ein selbstverständliches Angebot, das keinesfalls ein Nischendasein fristen sollte. Es gibt auch Angebote zur Kollegialen Beratung, die von Fortbildungsträgern ausgeschrieben sind. Dies kann ein Angebot sein, zu dem aus den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen Menschen kommen, die Gruppen bilden und einige Zeit Kollegiale Beratung miteinander praktizieren. Es kann aber auch z. B. Kollegiale Beratung als Angebot im Rahmen einer Fort- oder Weiterbildungswoche sein. Gruppe(n) bilden Auch hier wird die Initiative wieder von einer:einem Kolleg:in ausgehen. Sie werden sich umhören, ob noch andere Interesse haben. Dabei ist es für die folgende Gruppenbildung wichtig, dass wirklich alle Interessierten informiert sind und sich treffen. Diese Wichtigkeit möchte ich am Beispiel eines Kollegiums von Lehrer:innen kurz erläutern:
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Manche haben vielleicht noch nie von dem Wunsch nach Kollegialer Beratung gehört, obwohl schon informell darüber gesprochen wurde. Sie würden gern mitmachen und durch ihre Beteiligung könnten sich vielleicht sogar mehrere Gruppen bilden. Auch die Möglichkeit z. B. jahrgangsstufenorientierte oder jahrgangsübergreifende Gruppen zu bilden, ist dann unter Umständen gegeben. Sehr hilfreich hat sich in einer solchen Phase die Einladung an eine Person von außen erwiesen, die in der Lage ist, diesen Gruppenbildungsprozess zu unterstützen. Manchmal gibt es auch Kolleg:innen, die schon viel Erfahrung mit Kollegialer Beratung und Rückhalt in einem Kollegium haben und dadurch einen solchen Prozess der Einführung eigenständig ermöglichen können. Ein »Pädagogischer Tag« an einer Schule ist hierfür geeignet. An diesem Tag kann das ganze Kollegium ausprobieren, wie die Arbeit mit dem Heilsbronner Modell geht, und sich hinterher entscheiden, ob und wie es die Kollegiale Beratung fortsetzen möchte. Wenn Sie Gruppen bilden, dann sollte sich die Gruppengröße bei fünf bis sieben Personen einpendeln. Das ermöglicht einen sinnvollen Austausch und hilft auch, die Abwesenheit einer Person zu verkraften. Die Gruppe sollte während des vereinbarten Prozesses konstant bleiben. Wechseln Sie die Personen nach Möglichkeit nicht während eines vereinbarten Prozesses (z. B. zehn Sitzungen). Arbeiten Sie lieber mit einer kleineren Gruppe zu Ende, falls einmal jemand ausfallen sollte. Wird nach Ablauf des vereinbarten Zeitraums über eine neue Runde nachgedacht, dann ist es sinnvoll, alle potenziellen Teilnehmenden vom Fortgang der Kollegialen Beratung zu informieren. Denn unter Umständen ergibt es Sinn, Mitglieder zu tauschen oder neue Gruppen zu bilden. Das wird verständlich, wenn Sie bedenken, dass innerhalb eines Kollegiums mehrere Mitarbeiter:innen existieren können, die an einer zurückliegenden Runde der Kollegialen Beratung aus persönlichen Gründen nicht teilnehmen konnten. Nach Abschluss der vereinbarten Termine aber haben auch sie wieder Interesse. Stellenteiler, wie sie zum Beispiel im Pfarrberuf zu finden sind, betrifft dies besonders. Wenn neue Prozesse immer wieder in der gesamten Gruppe angeboten werden, können in wechselnder Besetzung doch insgesamt alle teilnehmen. Über mehrere Durchgänge Kollegialer Beratung profitieren so sehr viele. Alle teilen dann unter Umständen eine gemeinsame Erfahrung. Grundsätzlich ist die Kollegiale Beratung ohne verbindliche Absprachen nicht sinnvoll. Daher sind die folgenden Anregungen einige Punkte, die abgesprochen und vereinbart sein sollten.
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Verschwiegenheit Die Teilnehmenden verpflichten sich zur Verschwiegenheit über die in der Gruppe besprochenen Themen und Inhalte! Verschwiegenheit in der Kollegialen Beratung nach dem Heilsbronner Modell ist eine Grundvoraussetzung, damit die Gruppe eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickeln kann und die Beratungsarbeit gelingt. Verschwiegenheit betrifft alle Inhalte und Vorgänge der Gruppenarbeit. Die Arbeit in der Gruppe ist geschützt und für Außenstehende tabu. Mit dieser klaren Regelung leistet die Kollegiale Beratung einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Kommunikation ganzer Einrichtungen oder z. B. auch im Rahmen eines Kollegiums. Probleme bleiben in der Gruppe und werden nicht hintenherum breitgetreten. In der Kollegialen Beratung gibt es einen Ort und Menschen, die mithelfen, einen vernünftigen Umgang mit Problemen zu finden. Das entlastet und schafft insgesamt und ohne besondere zusätzliche Bemühungen eine offenere Atmosphäre im gesamten Arbeitsbereich der Teilnehmenden. Selbstverständlich gibt es auch im kollegialen Umfeld ein Interesse und hoffentlich auch Neugierde, wenn ein oder mehrere Kolleg:innen an einer Beratung teilnehmen. Aber die vereinbarte Verschwiegenheit und die positiven Erfahrungen mit Kollegialer Beratung in einer Einrichtung halten das Bedürfnis anderer Mitarbeiter:innen in Grenzen, etwas über die in der Beratung verhandelten Themen erfahren zu wollen. Wenn möglichst viele Mitarbeitende in einer Dienststelle von Kollegialer Beratung profitieren, ist dies am deutlichsten spürbar. Genauso verständlich ist es, dass Mitarbeitende in Leitungsfunktion ein Interesse daran haben, etwas über die Kollegiale Beratung zu erfahren. Aber auch sie wissen von der vereinbarten Verschwiegenheit. Selbstverständlich gehört das Gespräch über die Kollegiale Beratung aber z. B. in ein Jahresgespräch für Mitarbeiter:innen. Da darf es den Dienstvorgesetzten allerdings nie darum gehen, jemanden über die Themen und Inhalte einer Gruppe auszuquetschen. Vielmehr steht dabei die Frage im Vordergrund, wie sich die Arbeit in der Kollegialen Beratungsgruppe, im Tätigkeitsbereich der Mitarbeitenden bemerkbar macht, beispielsweise durch einen Gewinn an Kompetenz und/oder eine spürbare Entspannung durch die Teilnahme. Fällt der Umgang mit Problemsituationen jetzt leichter? Erhöht sich die Berufszufriedenheit? Motiv solcher Fragen kann also nur sein, herauszufinden, ob Mitarbeiter:innen genügend Unterstützung in der Kollegialen Beratung gefunden haben oder
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noch eine andere Unterstützung nötig ist, die vielleicht andere Beratungsbereiche abdeckt. Insgesamt gilt hier, dass eine Haltung der Offenheit und eine vertrauensvolle Atmosphäre Verschwiegenheit erleichtern und Geheimniskrämerei vermeiden. Wer bereit ist, Vertrauen zu investieren, wird viel Gewinn daraus ziehen können. Rahmenbedingungen Zeitlicher Rahmen
Es ist wichtig, dass die Gruppe sich regelmäßig trifft. Die Zeitabstände hierfür sind zu vereinbaren. Das gilt sowohl für nachfolgend beschriebene Präsenztreffen als auch für die Kollegiale Beratung online – Einzelheiten zu dieser Beratungspraxis erläutert Wolfgang Schindler hier im Buch. Klassisch ist aus meiner Erfahrung ein Treffen im Abstand von zwei bis drei Wochen. Dadurch ist es gut möglich, eine vertrauliche Zusammenarbeit zu entwickeln. Das Material für die Arbeit in der Gruppe liegt nicht zu lange auf Halde und die im Arbeitsalltag entstandenen Probleme können in der Regel zeitnah angesprochen werden. Ferner ist zwischen den Terminen genügend Zeit und Gelegenheit, Anregungen aus der Gruppe auszuprobieren. Eine Rückmeldung an die Gruppe ist für die anderen Gruppenmitglieder immer interessant, da dadurch erlebbar wird, wie sich das, was diskutiert wurde, umsetzen ließ. Dies ist natürlich umso schneller möglich, je enger der zeitliche Abstand der Treffen ist. Regelmäßige Treffen können aber auch in einem anderen Abstand stattfinden. Im Rahmen der Ausbildung kann Kollegiale Beratung auch in größeren Abständen stattfinden. Wichtig ist dabei, dass sie immer einen fest ausgewiesenen Platz im Rahmen eines Konzeptes für eine Ausbildung hat. Findet Kollegiale Beratung in größeren Abständen statt, ist es einer Überlegung wert, sie zeitlich auszudehnen und z. B. zwei Durchgänge an einem Tag durchzuführen. Wenn die Teilnehmenden eine längere Anfahrt zum Treffen einplanen müssen, kann es hilfreich sein, ebenfalls zwei Durchgänge zu machen und dafür einen ganzen Vormittag oder mehr einzuplanen. Dafür trifft man sich eventuell nur alle vier bis fünf Wochen. Es gibt auch Arbeitssituationen, in denen Menschen innerhalb einer Woche sehr nah miteinander arbeiten (z. B. in einer Beratungs- oder Vermittlungsarbeit) und sich am Ende oder auch mitten in der Woche sehr wünschen, einen Austausch mit anderen zu haben. Warum also nicht auch wöchentlich eine Runde Kollegialer Beratung? Diese eng getaktete Form kann sehr hilfreich sein, wieder motiviert in den Rest der Woche zu gehen. Und es kann sich entspannend aus-
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wirken, wenn eine Kollegiale Beratung am Ende einer Woche das anstehende Wochenende, an dem Sie sicher nicht alle Themen der vergangenen Woche mit sich herumschleppen wollen, entlastet. Wer bereits Erfahrung mit Kollegialer Beratung hat, kann das Modell auch punktuell nutzen. Egal, was Sie vereinbaren, ohne die Sicherheit einer regelmäßigen Teilnahme wird alles nicht funktionieren. Nur wenn alle verbindlich teilnehmen, wird die Gruppe erfolgreich sein. Das bedeutet nicht, dass man nicht einmal fehlen kann. Es sollte aber die Ausnahme sein. Kontinuierliche Anwesenheit ist auch eine Wertschätzung für die Gruppe und verbindet. Kosten
Kollegiale Beratung ist nicht kostenlos, sondern kostengünstig! Beim Thema Kosten kann leicht der falsche Eindruck entstehen, dass Kollegiale Beratung im Vergleich zu anderen Beratungsangeboten kostenlos sei. Kollegiale Beratung kostet die Arbeitszeit der Mitarbeitenden und kann sich unter Umständen noch durch Fahrtzeiten erweitern. Dies ist ein Argument für die arbeitsplatznahe Implementierung von Kollegialer Beratung. Kostengünstig wird sie dann, wenn dafür keine Räumlichkeiten angemietet werden müssen. In der Regel entstehen auch keine Kosten für Material. Die ausschlaggebende Kostenersparnis der Kollegialen Beratung im Vergleich zu anderen Beratungsformen liegt aber in erster Linie darin begründet, dass in der Regel keine externe Beratungskraft während der Sitzungen hinzugezogen werden muss. Im Gruppenprozess kann es allerdings Entwicklungen geben, durch die es doch sinnvoll wird, eine:n externe:n Berater:in kurzzeitig hinzuzunehmen. Dies ist selten nötig, sollte aber mit im Blick sein, denn dann entstehen zusätzliche Kosten. Zur Kostenfrage ist auch ein weiterer Aspekt nicht zu vernachlässigen: Kollegiale Beratung ist ein niederschwelliges Angebot und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Beratungserfahrung zu sammeln. Mitarbeitende, die Kollegiale Beratung erlebt haben, werden es auch als weniger problematisch empfinden, bei anderen Themen professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen. Kollegiale Beratung hat also eine entlastende Funktion und kann hilfreich sein, wenn es darum geht, Probleme nicht auf die lange Bank zu schieben. Denn auch dadurch können Kosten entstehen, die durch eine frühzeitige Problembearbeitung reduzierbar sind. So ist es nicht ungewöhnlich, wenn jemand während eines Kollegialen Beratungsprozesses auch Supervision oder Coaching für sich nutzt.
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Ort und Raum
Die Gruppe trifft sich an einem Ort, der so liegen sollte, dass Sie ungestört in der Zeit, die Sie vereinbart haben, zusammenarbeiten können. Der Raum sollte eine Atmosphäre bieten, die zur Beratung einlädt. Das gilt auch für die Auswahl von Internetplattformen für Kollegiale Beratung. Kontrakt
Bisher wurde schon deutlich, dass Kollegiale Beratung nicht von selbst läuft. Sie brauchen Vereinbarungen, die Ihre Zusammenarbeit stützen. Zusammenfassend will ich an dieser Stelle an die wesentlichen Vereinbarungen erinnern und Ihnen eine Anregung geben, wie Sie damit in einem Kontrakt umgehen können. Eine erste Vereinbarung ist, dass Sie nach festen Regeln, wie mit dem Heilsbronner Modell, arbeiten. Damit sind Sie frei und müssen nichts Eigenes entwickeln. Sie können sich auf bewährte Vorgaben verlassen. Zu diesen Vorgaben gehören auch die im Leitfaden genannten Zeitangaben für jeden einzelnen Schritt, z. B. »zehn Minuten«. Damit ist die Zeitdauer begrenzt, alle Beteiligten können sich bei ihren Wortbeiträgen darauf einrichten; bisweilen kann eine Intervention der Moderation nötig werden. »Zehn Minuten« bedeutet, dass der Beratungsschritt nach Ablauf dieser Zeitspanne endet. Sollte also schon vorher »alles gesagt« worden sein, bleibt die restliche Zeit dem Nachgehen individueller Gedanken verfügbar. Oft fällt dann noch etwas ein, was zunächst ungesagt blieb; aber auch Schweigen ist oft produktiv und fördert eventuell doch noch einen wichtigen Aspekt zutage. Aufgabe der Moderation ist es also auch, den Zeitrahmen dafür offen zu halten. Im Kontrakt sollte ferner vereinbart werden: Ȥ wie lange ein Treffen dauert, Ȥ die Abfolge der Sitzungen, Ȥ wann Sie starten und wie viele Sitzungen Sie machen, Ȥ der Ort und der Raum, an dem und in dem Sie arbeiten, Ȥ dass es ausschließlich um Themen aus Ihrer Arbeit geht, Ȥ dass (wie im Modell festgelegt) die Sitzungsleitung wechselt und Ȥ dass Verschwiegenheit verbindlich ist. Natürlich steht es Ihnen frei, dies schriftlich als Kontrakt festzuhalten und sich gegenseitig per Unterschrift zuzusichern. Sie müssen selbst entscheiden, ob dies zu Ihrer Gruppe passt oder ob Sie auch ohne derartige schriftliche Formalitäten gut auskommen können. Falls Sie eine Gruppe sind, deren Mitglieder aus ganz unterschiedlichen Arbeitsbereichen kommen, kann es hilfreich sein, solche Vereinbarungen schriftlich festzuhalten.
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Protokoll
Ein Sitzungsprotokoll ist innerhalb der Kollegialen Beratung meiner Erfahrung nach nicht notwendig. Die Konzentration sollte voll und ganz dem eingebrachten Fall gehören. Er ist wichtig und sollte möglichst von allen mit gleichmäßiger Aufmerksamkeit bearbeitet werden können. Für jedes einzelne Gruppenmitglied aber bietet sich die Möglichkeit, im Anschluss persönliche Notizen über den Beratungsprozess und die eigenen Eindrücke anzufertigen. Dies kann zur eigenen Nacharbeit und für die Vorbereitung der nächsten Sitzung eine wertvolle Hilfe sein. Falls Sie sich für eine textbasierte, asynchrone Onlineberatung auf www. kokom.net entschieden haben, steht Ihnen der schriftliche Verlauf bereits vollzogener Beratungsschritte allerdings ohne weiteren Aufwand zur Verfügung. Schwierigkeiten im Gruppenprozess Manchmal machen sich in einer Gruppe Unstimmigkeiten breit. Einzelne zeigen sich im Verlauf vielleicht anders, als dies von Anfang an erwartet werden durfte. Missverständnisse kommen auf und anderes mehr. Der Leitfaden des Heilsbronner Modells bietet hierfür durch seine klare Struktur eine Entlastung, sodass mögliches Konfliktpotenzial dadurch schon verringert wird. Denn es gibt weniger als in anderen Modellen Kollegialer Beratung auszuhandeln, es müssen keine Entscheidungen getroffen werden, welche Methode am besten zur Fallberatung passt und ob auch alle Beteiligten die jeweilige Methode beherrschen. Die freie Aussprache als einzige Methode ist nicht nur hinreichend, sondern auch völlig ausreichend. Wenn es nun aber doch einmal zu scheinbar unüberwindbaren Problemen kommt, gibt es aus meiner Sicht zwei Anregungen: Treffen Sie sich als Gruppe einmal außerhalb der regelmäßig vereinbarten Termine oder nutzen Sie einen vereinbarten Termin speziell dafür, das Problem zu klären. Wenn Sie damit nicht erfolgreich sind, kann eine zweite Anregung weiterbringen. Holen Sie sich eine:n kompetente:n Gesprächspartner:in von außen dazu und klären Sie mit ihm:ihr zusammen das Problem. Externe Begleitung
Selbstverantwortete Gruppenprozesse brauchen unter bestimmten Umständen eine Begleitung durch Externe. Das ist nicht ungewöhnlich. Wie schon erwähnt, braucht es bei der Gruppenbildung eine intern wirkende Person, die der Motor für das Geschehen ist. Bietet sich hierfür keine an, kann eine externe Unterstützung hilfreich sein. Auch am Ende eines kollegialen
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Beratungs- und Gruppenprozesses kann die externe Begleitung wieder nützlich sein. Die Reflexion der zurückgelegten Wegstrecke steht an. Zur Auswertung gehört die Frage, ob sich die Gruppe weiter treffen möchte und wie gegebenenfalls hierzu die nächsten Schritte aussehen könnten. Weitere oder neue Vereinbarungen kann die Gruppe mit oder ohne externe Beratung treffen, abhängig von der erarbeiteten Beratungserfahrung. Die Arbeitsbedingungen haben sich verdichtet und beschleunigt. Konsequenzen daraus, insbesondere auch für den Einsatz externer Expertise und die Rolle beraterisch qualifizierter Fachkräfte im Kontext eines Peer-to-Peer-Konzeptes, werden im Beitrag von W. Schindler hier im Buch diskutiert (siehe Kap. 4). Kollegiale Beratung für Leitende Das Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung lässt sich auch als eine Anleitung und Hilfe verstehen, die Führungskräften und Mitarbeitenden mit Leitungsfunktionen als Grundlage für Kollegiale Beratung zur Verfügung steht. Gerade diese Personen stehen oft vor dem Problem, dass sie sich um die Angebote für Mitarbeitende kümmern, aber mit ihren eigenen Problemen allein bleiben und so selbst in der Gefahr stehen, zu kurz zu kommen. Einige denken dabei gar nicht mehr an sich. Da es nicht – wie schon erläutert – generell vorstellbar ist, dass Führungskräfte an der Kollegialen Beratung ihrer Mitarbeitenden teilnehmen, und es gute Gründe dafür gibt, hier sehr genau zu arbeiten, braucht es spezielle Angebote für Führungskräfte. Das Heilsbronner Modell ist ein Angebot, das sich auch in speziellen Gruppen von Führungskräften verwenden lässt. Mit dem Modell können spezifisch dort auftretende Fragen sehr gut bearbeitet werden. Interessant ist dabei die Tatsache, dass Führungskräfte und Mitarbeitende mit dem gleichen Instrument arbeiten können. So entsteht eine gemeinsame Erfahrung, die verbindet. Dies hat sich auch als förderlich bei der Verbreitung und Akzeptanz des Heilsbronner Modells erwiesen. Vorgesetzte empfehlen es gern ihren Mitarbeitenden und nutzen es gleichzeitig für sich selbst. Zertifikat Es ist sinnvoll, sich die Teilnahme an einer Kollegialen Beratung bestätigen zu lassen. Die Bildung Kollegialer Beratungsgruppen kann auf recht unterschiedliche Weise geschehen. Dabei reicht das Spektrum von der Gruppe, die durch die Initiative eines Kollegen zustande kam und die außerhalb der Arbeitszeit statt-
Das Heilsbronner Modell zur Kollegialen Beratung
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findet, bis hin zur Gruppe, die im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen existiert. Am leichtesten ist es, eine Bestätigung zu erhalten, wenn die Kollegiale Beratung im Rahmen des Angebotes eines Fortbildungsträgers stattgefunden hat. Aber auch wenn Kollegiale Beratung als Angebot der Personalförderung gewünscht und genehmigt wurde, lassen sich im Vorfeld Wege abklären, um die Teilnahme bestätigt zu bekommen. Nach Absprache können Sie sich natürlich auch die Beratungsarbeit gegenseitig bestätigen, zumal dies dem Prinzip der Kollegialität sehr entspricht. Wenn Sie das im Vorfeld mit Ihren Dienststellenleitungen/Arbeitgeber:innen klären, ist dies so praktizierbar. Wichtig ist eine Bestätigung aus meiner Sicht, weil Sie damit in Gesprächen, die der Förderung und Entwicklung eines:einer Mitarbeitenden dienen (z. B. Jahresgespräch), eine Bestätigung haben, dass die Kollegiale Beratung stattgefunden hat. Wenn mit Ihnen im letzten Jahresgespräch vereinbart wurde, dass Sie an einer Kollegialen Beratungsgruppe teilnehmen sollen, dann kann dies im darauffolgenden Jahr gleich besprochen und reflektiert werden. Eine Bestätigung ist auch dort sinnvoll, wo die Kollegiale Beratung zu den in einer Arbeitsplatz- und Aufgabenbeschreibung notierten Aufgaben der Mitarbeitenden zählt. Sie nehmen dann an dieser Aufgabe teil und es gehört auch selbstverständlich zu den Leitungsaufgaben, diese Aufgabe mit Ihnen zu reflektieren. Es passt gut zur wertschätzenden Haltung in einer Kollegialen Beratungsgruppe, wenn Sie sich die gemeinsame Arbeit bestätigen. Diese Variante ist aus meiner Sicht erstrebenswert. Besser machen Am Heilsbronner Modell besticht alles erst einmal, oberflächlich betrachtet, durch Einfachheit; der darunterliegende, lange Entwicklungsprozess und das konzeptionelle Fundament sind im Leitfaden der zehn Schritte nicht sofort sichtbar. Andere Leitfäden sind auf Basis anderer Konzepte Kollegialer Beratung entwickelt worden; sich daraus einen Best-of-Mix anzurühren, schnell mal »Verbesserungen« vornehmen zu wollen, vermeintlich Unwichtiges wegzulassen und anzupassen oder gar »professioneller« oder »agiler« machen zu wollen, ist für manche:n verlockend. Meine Empfehlung ist hier eindeutig, sich erst einmal mit persönlichen Interpretationen, Veränderungswünschen etc. zurückzuhalten, sich Zeit für die Erprobung zu gönnen, das Vorhandene zu üben und auch zu internalisieren. Das kann zu einem Geschenk werden, dass Ihnen ein Stück mehr Berufszufriedenheit gibt – wahrscheinlich nicht gleich nach der punktuellen Erprobung während eines Studiums oder nach dem Kennenlernen in einer Fortbildung. Es ist
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ein wenig wie beim Meditieren oder beim Langstreckenlauf: Die Übung machts und nicht der schnelle Mal-zwischendurch-Genuss. Sie üben eine neue Haltung! Das Vergnügen daran wächst mit der Zeit. Aber die Zeiten ändern sich, bringen neue Erfahrungen und Notwendigkeiten. Die Reflexion darüber und Schritte zur Weiterentwicklung sind unverzichtbar. Wir verstehen das 2008 gegründete Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung als den geeigneten Ort dafür und laden ein, sich hier an der Weiterentwicklung in einem transparenten, verbindlichen Rahmen zu beteiligen. Der Leitfaden der zehn Schritte und die Kurzbeschreibung im begleitenden Prospekt sind daher unter einer CreativeCommons-Lizenz (CC BY-ND 4.0. https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de) publiziert, um einfach genutzt und weiter verbreitet werden zu können: https://www.kokom.net/ Leitfaden10Schritte Unverändert, unter angemessenen Urheber:innen- und Rechteangaben frei nutzbar, auch kommerziell. Aber eben deswegen auch: nicht beliebig.
Literatur Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung, Dillingen 2004, Fortbildungsprogramm Nr. 68, S. 249 f. Download-URL des Leitfadens für Kollegiale Beratung nach dem Heilsbronner Modell (Deutsch/ Englisch/Russisch): https://www.kokom.net/Leitfaden10Schritte (Zugriff am 12.07.2022). Gudjons, Herbert (1995): Spielebuch Interaktionserziehung (6. Aufl.). Bad Heilbrunn.
3 Kollegiale Beratung – Intervision: Psychoanalytisch fundierte Begleitung beruflicher Praxis Martin Schimkus
Unter Kollegialer Beratung nach dem »Heilsbronner Modell« versteht man die Anwendung von Balintgruppen der Fachärzt:innenausbildung für die Ausbildung und berufliche Praxis im sozialpädagogischen Feld. Das Modell wurde von Gerhard Spangler als Kollegiale Beratung ohne feste Leitung entwickelt, diese Leitung wird durch eine:n ad hoc gewählte:n »Timekeeper« und »Regelmanager:in« ersetzt, wobei diese Rolle nach einer entsprechenden Einweisung von jedem Gruppenmitglied übernommen werden kann. Hier werden mithilfe des vor dreißig Jahren ganz neuen Formats Beratungs- und Therapieelemente in die Bildungs- und Beratungsarbeit mit demokratischem, kollegialem Anspruch hineintragen (RPZ o. J.). Die Effekte sind – nach den inzwischen vorliegenden Evaluationsergebnissen – durchweg positiv: Die fallgebenden Teilnehmer:innen fühlen sich ernst genommen, da ihnen konzentriert zugehört wird und sie ihr Problem unwidersprochen schildern können. Kolleg:innen können ihre Sachkompetenz als Berater:innen (endlich einmal?) einbringen. Der »Timekeeper« kann, aus dem Team heraus jeweils neu bestimmt, (vielleicht erstmals?) Leitungsfunktion übernehmen. Dieser Rollentausch fördert die Gruppenkohäsion, Konzentration und Kreativität. Es geht seit mittlerweile zehn Jahren um eine damals erfolgreich implementierte, praxisorientierte Zusammenschau von Erwachsenenbildung, Beratung und Therapie (vgl. Göring 2010). Der folgende Beitrag kommt aus der Sichtweise eines Erwachsenenpädagogen und praktizierenden Einzel- und Gruppen-Psychoanalytikers mit Lehrerfahrung in der Ausbildung von Psychologischen Psychotherapeut:innen und in der Weiterbildung von Fachärzt:innen für Psychosomatik und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie und Zusatztitel Psychotherapie an verschiedenen Ausbildungsinstituten. Der Beitrag entsteht aus einem Vortrag des Autors am Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung e. V. anlässlich der Fachtagung »Perspektiven entwickeln und Qualität sichern« zum zehnjährigen Jubiläum des Instituts am 27. Juni 2018 in Heilsbronn.
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Die erste Perspektive, um die es mir hier geht, ist eine historische. Sie führt zurück auf Michael Balint und den Kontext, aus dem er seine erfolgreiche Methode der »Balintgruppe« in der Ausbildung für Ärzt:innen als die Personen entwickelt hat, die mit ihrem Tun Heilungsprozesse erheblich unterstützen können und sollen. Er sprach in den Fünfzigerjahren von der »Droge Arzt«, die verabreicht werden solle (E. Balint 1976, S. 105–124). Die zweite Perspektive wendet sich den Implikationen der Schulung der Ärzt:innen in den Balintgruppen zu: Wie werden sie zur »Droge Arzt« geschult? Gewiss mit einer neuen Methode – der Balint-Gruppenmethode –, aber auch mit einer sogenannten und inzwischen viel beforschten »Haltung des Arztes dem Patienten gegenüber«, die die Heilung mitbefördern soll (M. Balint 1965, S 255–271). Hier erweisen sich die Einstellungen Balints und seiner gruppentherapeutischen Kollegen aus dem Tavistock Institut in London wie Foulkes, Bion und Elias als sehr modern (M. Balint 1950/1966) und dienten als Grundlage der heutigen, aktuell vorherrschenden Strömung der interaktionellen und mentalisierungsbasierten Psychotherapie, die auch in London durch Fonagy erstmals formuliert wurde (Fonagy et al. 1996). Die dritte Perspektive wendet sich der Praxis der Balitgruppenarbeit am Beispiel der Ausbildung und Weiterbildung von Psycholog:innen und Ärzt:innen am Psychodynamischen Institut in Nürnberg zu und versucht, eine Anregung für die Qualitätssicherung des »Heilsbronner Modells« zu geben.
Erste, historische Perspektive Für Freud war die Psychoanalyse zunächst eine wissenschaftliche Methode, der:die Patient:in sollte im Sinne seiner eigenen Theorie »durchsichtig« werden. Der:Die Patient:in konnte dann durch Deutungen aufgeklärt werden. Das war sein Stand von 1906, dem Jahr, als er C. G. Jung kennenlernte. Der Begriff der Gegenübertragung taucht bei Freud erstmals 1909 in einem Antwortbrief an C. G. Jung im Zusammenhang mit dessen Verhältnis zu Sabina Spielrein auf (Freud/Jung 1909, S. 255). In seinem Briefwechsel mit C. G. Jung entwickelte Freud den Begriff der ursprünglich als hinderlich empfundenen (damals erotischen) Gegenübertragung als innerpsychische Reaktion des Therapeuten auf den Patienten. Als störend empfunden, sollte sie durch bewusst sachlich professionelle Haltung kontrolliert werden. Dies war jedoch der Einstieg in eine systematische Reflexion
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der Rolle des Arztes in der Psychotherapie über die konventionelle PsychiaterPatienten-Beziehung der Jahrhundertwende hinaus (»Wenn ich den Patienten nicht verstehe, ist er verrückt«). Die Beziehung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen rückte so in der Diskussion über unerwünschte Reaktionen dem Patienten oder vielmehr den Patientinnen gegenüber mehr in den Fokus. Aber noch war es nicht so weit. 1914, im Trennungsjahr von C. G. Jung, formulierte Freud über die Rolle des Arztes, er hätte dem Patienten bei dessen Konfrontation mit dem Unbewussten durch das Erinnern, dem Wiederholen und Durcharbeiten und der Bewältigung der Widerstände, die dabei auftreten sollten, beizustehen (Freud 1914). Freud schrieb dann 1927: »In der Psychoanalyse bestand von Anfang an ein Junktim zwischen Heilen und Forschen, die Erkenntnis brachte den Erfolg, man konnte nicht behandeln, ohne etwas Neues zu erfahren, man gewann keine Aufklärung, ohne ihre wohltätige Wirkung zu erleben. Unser analytisches Verfahren ist das Einzige, bei dem dies kostbare Zusammentreffen gewahrt bleibt. Nur wenn wir analytische Seelsorge betreiben, vertiefen wir unsere eben dämmernde Einsicht in das menschliche Seelenleben. Diese Aussicht auf wissenschaftlichen Gewinn war der vornehmste, erfreulichste Zug der analytischen Arbeit.« (Freud 1927, S. 293) Dies war die klassische Position der Ein-Personen-Psychologie: »Patienten-Seelsorge« als Mittel des Erkenntnisgewinns. Das Verständnis des Therapeuten als Brücke zum Patienten. Auch die sich in den USA entwickelnde »Ich-Psychologie der Psychoanalyse« war im Wesentlichen noch eine affirmative Ein-Personen-Psychologie: Therapie als Reparaturbetrieb der Seele, der:die Therapeut:in als Mechaniker:in, Archäolog:in, bestenfalls Gärtner:in. Ferenczi, der spätere Lehrer von Michael Balint, hatte 1928 in Budapest die Beziehung zu Patient:innen im Unterschied zu Freud auch konzeptionell stärker hervorgehoben. Er betonte die »Heilsame Kraft der Beziehung in der Therapie« (Ferenczi 1928, S. 380–398). »Ohne Sympathie keine Heilung –, so lautet Ferenczis Schlüsselthese. Freud wirft Ferenczi therapeutischen Enthusiasmus, Ferenczi Freud mangelndes Interesse an der therapeutischen Dimension der Psychoanalyse vor« (Düsing 2007, S. 73–84). Während die deutsche Psychoanalyse, einst blühender Zweig der Psychoanalyse weltweit, im Nationalsozialismus gleichgeschaltet und eliminiert wird (vgl. Kaminer/Juelich 2009), entwickelt sie sich in London, besonders am Tavi
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stock Institut, mit deutschen und ungarischen Emigranten, darunter Michael Balint aus Budapest, zur Objektbeziehungspsychologie weiter. Foulkes entwickelt die Gruppenanalyse, Balint arbeitet sein Konzept der Balintgruppen aus. Er schult die Ärzte in der Tradition seines Lehrers Ferenczi in den »Urformen der Liebe und der Technik der Psychoanalyse« (M. Balint 1965, S 255–271). Balint-Gruppen bieten Therapeut:innen die Möglichkeit, in einer nichtwertenden Atmosphäre und unter Anleitung eines:einer erfahrenen Psychotherapeut:in über starke Emotionen, Ängste oder Zweifel im Hinblick auf Patient:innen oder andere berufliche Aspekte zu sprechen. Dies versetzt die Teilnehmenden allmählich, begleitet durch eine Haltung des:der Therapeut:in, in die Lage, ihre Gefühle zu identifizieren, zu reflektieren und sie zu einem tieferen Verständnis des:der Patient:in einzusetzen. Es gelingt ihnen im Anschluss daran auch besser, Stressoren im Sinne der Selbstfürsorge zu erkennen, Grenzen zu setzen und mit schwierigen Patient:innen umzugehen (Sonnenmoser 2017). Dieses Training für Ärzt:innen durch die Balintgruppe hat eine Methode, ein Setting: Erzählen-Lassen und anschließendes Zulassens von Emotionen und darauffolgend die Reflexion und theoretische Einordnung. Zusätzlich hat das Training auch einen Inhalt, nämlich die Einübung in eine ärztliche Haltung, mit der der Arzt:die Ärztin selbst zur »Droge«, zum wirksamen Arzneimittel werden kann: nicht-wertendes Verstehen für starke Emotionen und deren vertieftes Verständnis und Akzeptanz für das eigene »So-geworden-Sein«.
Zweite Perspektive Die zweite Perspektive richtet sich auf die psychoanalytische Haltung, mit der die Balintgruppenmethode angewandt wird. »Ferenczi und Balint beobachteten in analytischen Therapien mit Patienten, die an einer solchen Grundstörung litten, eine ›Sprachverwirrung‹ zwischen Analytiker und Patient. Patienten verstehen aufgrund dieses ›Beziehungsdefektes‹ die neutral-zurückhaltende Haltung und die deutende Sprache des Analytikers nicht, im Gegenteil, sie missverstehen diese als Ablehnung. Sie können die analytische Therapie nicht als hilfreich wahrnehmen, sondern reagieren sprachlos, indem sie ›agieren‹. Balint schlug bei solchen Patienten eine Modifikation der analytischen Therapie vor. Der Therapeut solle diesen Patienten gegenüber eine andere Haltung entwickeln, die Balint als ›Doppelfunktion der therapeutischen Beziehung‹ beschrieb: Der Therapeut müsse zwar einerseits ein ›bedürfnisverstehendes Beziehungsobjekt‹
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sein, das dem Patienten aus der Distanz des beobachtenden Analytikers seine Erkenntnisse in Form von Deutungen anbiete, andererseits aber auch ein ›bedürfnis-erkennendes und manchmal sogar bedürfnisbefriedigendes‹ Beziehungsobjekt, d. h. er müsse den Patienten als Person zur Verfügung sein. Balint beschreibt diese zweite Funktion des Therapeuten, in der er sich als ›primäres Liebesobjekt‹ zur Verfügung stelle, mit folgenden Worten: ›Der Therapeut solle den Patienten tragen wie das Wasser den Schwimmer oder die Erde den darauf Gehenden. Vor allem muss er aber da sein, muss immer für den Patienten vorhanden sein und muss unzerstörbar sein wie das Wasser und die Erde.‹« (Söllner 2018, S. 42) Soweit die Zielformulierung durch Balint, er wollte also die herkömmliche analytische Haltung des Aufdeckens unbewusster neurotischer Konflikte und Widerstände durch ein die Beziehung zum Arzt in den Mittelpunkt stellendes, liebevoll tragendes Element des Verstehens ergänzen. Diese erweiterte Haltung des:der Psychotherapeut:in/Ärzt:in/Pädagog:in ist vielfach neu beschrieben, vielfach empirisch untersucht sowie als Wirkfaktor belegt worden und der Kern moderner Psychotherapie. Die Haltung trainierter Psychotherapeut:innen kann sich an ihr Klientel anpassen und es können mehr Patient:innen mit unterschiedlichsten Konfliktlagen behandelt, d. h untersucht und unterstützt, werden. Dies hat auch für die Indikation unterschiedlicher Therapieverfahren Konsequenzen: Patient:innen mit einer niedrigen psychischen Struktur werden anders behandelt als diejenigen mit hoher Struktur, traumatisierte Patient:innen anders als Suchtpatient:innen. Beispiele für unterschiedliche Haltungen in unterschiedlichen Situationen Mit dem Begriff der psychoanalytischen Haltung (»attitude«) sind alle Gefühle, Denk- und Verhaltensweisen der Psychoanalytiker:innen gegenüber ihren Patient:innen gemeint, die sie von sich aus in die psychoanalytische Situation einbringen und die sich dann auf die Patient:innen und auf den psychoanalytischen Prozess auswirken. Es lassen sich konstante von inkonstanten Haltungen abgrenzen. Die ersteren sind in der Identität des:der Analytiker:in und in seiner:ihrer Profession und persönlichen Geschichte verwurzelt. Die konstante psychodynamische Haltung wird mit wohlwollender Neutralität und Abstinenz beschrieben; sie schließt ein, dass den Patient:innen Offenheit, Vertrauen, Flexibilität, Geduld und Empathie entgegengebracht werden.
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Aufgrund der lern- und lebensgeschichtlichen Erfahrungen des:der Analytiker:in gehen in die Haltung seine:ihre Überzeugungen, Normen und Werte ein, derer er:sie sich bewusst sein muss, um unreflektierte Bewertungen gegenüber seiner:ihrer Patient:innen zu vermeiden (nicht-wertendes Verstehen, gleichzeitiger Abstand von Über-Ich und Es und Ich). Inkonstante Haltungen ergeben sich aufgrund des Verständnisses eines bestimmten Falls oder der Einschätzung bestimmter Phasen des psychoanalytischen Prozesses, um diesen in Gang zu halten bzw. zu intensivieren. Sie sind bewusst motiviert und werden aufgrund von präformierten, in der Ausbildung gelernten Behandlungskonzepten eingenommen. Der:Die Analytiker:in variiert seine:ihre Haltung je nach der hohen oder niedrigen Struktur der Patient:innen. Er:Sie steht je nach Notwenigkeit der zu fördernden Beziehung hinter (supportiv), neben (solidarisch) oder vor (konfrontativ) den Patient:innen (Rudolf 2004). Inkonstante Haltungen können auch unbewusst sein, wie der »furor sanandi« (therapeutischer Ehrgeiz), vor dem schon Freud warnte. Bilder für Haltungen sind: der:die Analytiker:in als Spiegel (Freud), als Archäologe (Haubl), als Gärtner (Jung) und der:die Supervisand:in als wertvollste:r Mitarbeiter:in des:der Analytiker:in (Ferro). Der:Die Analytiker:in muss nach Winnicott eine haltende Umwelt bereitstellen (Winnicott 2006). Er meint: Die Realisierung einer entwicklungsfördernden Haltung setzt Toleranz für Regression bei sich selbst voraus. Bion (1997) empfiehlt, sich in einen Zustand »ohne Wunsch oder Gedächtnis« (no desire, no memory) zu versetzen, um zu einem tieferen empathischen Zugang zur unbewussten Dynamik in der analytischen Beziehung zu gelangen. Bei Traumapatient:innen geht es in erster Linie um das Aushalten und eine aktive Beruhigung, wenn in der therapeutischen Situation Krisen im Sinne von Flashbacks auftreten (Dissoziationen, Überflutungen); mit Übungen (sicherer Ort) und speziellen Interventionen kann hier unterstützt werden. Für BorderlinePatient:innen hat sich das MBSR eingebürgert, eine Methode mit einer zugrunde liegenden Haltung: »die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion«. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die förderliche psychoanalytische Haltung nach Balint und seinen Nachfolgern immer folgende Elemente einschließt: Das Haltgeben (durch Empathie, Toleranz und Mitgefühl), das Aushalten (im Sinne des Containments von Bion), das Sicherheit gebende Festhalten an den Rahmenbedingungen (»was vereinbart ist, wird eingehalten«, Rechte und Gesetze gelten für alle) und nötigenfalls auch das Dagegenhalten (Konfrontieren) in Reaktion auf agierende neurotische Manipulationsversuche der Patient:innen.
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Diese Haltung des:der Therapeut:in wird in der therapeutischen Beziehung bewusst und unbewusst wirksam. Die Beziehung zwischen Therapeut:innen und ihren Patient:innen besteht nach allen einschlägigen aktuellen Untersuchungen in der allmählichen Verinnerlichung der Erfahrungen der Patient:innen mit dem:der Analytiker:in, der:die Wohlwollen, Wertschätzung und Verständnis repräsentiert (emotional korrigierende Erfahrung gegen negative Introjekte).
Dritte Perspektive Die dritte Perspektive entsteht aus Folgerungen aus der Weiterbildungspraxis für die Facharztweiterbildung und für die Aus- und Weiterbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten am Psychodynamischen Institut Nürnberg (PIN). Balintgruppen finden am Institut vor allem in der vorgeschriebenen Ärzteweiterbildung statt, und zwar in einem eigenen Curriculum nach den Vorgaben der Deutschen Balint-Gesellschaft e. V., geleitet von einer dort zertifizierten Balintgruppenleiterin. Hier findet das Performing-Storming-Forming in relativer Reinform statt: möglichst unvoreingenommenes Zuhören für die Fallgeber:innen (Performing) – freie Diskussion unter zusätzlicher Beachtung und Äußerung der manchmal auch heftigen oder verwirrenden Zuhörer:innen-Gefühlstöne (Storming) – und anschließende Fokussierung des Gesagten und Erlebten auf die Ärzt:in-Patient:in-Beziehung (Forming). In den sogenannten Kasuistisch-Technischen-Seminaren üben angehende ärztliche und psychologische Psychotherapeut:innen die Fallbesprechung: die strukturierte Wiedergabe der gesammelten Informationen sowie von Gefühlseindrücken und die Beschreibung des prozesshaften Beziehungsverlaufs zwischen Therapeut:in und Patient:in. Diese Anamnesen und Behandlungsverlaufsbeschreibungen werden, ergänzt durch Theorieeinheiten, auch in der Examensarbeit einem Prüfergremium vorgestellt. Die Fallvorstellungen werden also lange geübt und gelten als Ausweis der Kompetenz der Psychotherapeut:innen. Es gilt als Fehler, wenn die Zuhörer:innen den Fallgeber:innen (vielleicht auch aus Konkurrenzgründen) in den Seminaren nachweisen wollen, was sie nicht richtig gemacht oder »vergessen« haben. Stattdessen werden Hinweise gesucht, wie die Technik des Fragens und Antwortens und die Beziehung zwischen Therapeut:in und Patient:in in ein verträgliches Gleichgewicht gebracht werden können, wohl wissend, dass Technik und Beziehung eigentlich immer im Widerstreit liegen (Lesmeister 2005). Es wird die therapeutisch förderliche Haltung in der Ärzt:in-Patient:in-Beziehung für die Behandlung anhand des Falles eingeübt.
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Folgerung für Perspektiven und Qualitätssicherung des »Heilsbronner Modells« der Kollegialen Supervision Mit diesen Überlegungen zur Haltungsentwicklung in der Balintgruppenarbeit, die mit einer dafür entwickelten Methode transportiert wird, kann gefragt werden, was das für das Heilsbronner Modell bedeuten könnte, das sich am Konzept der Balintgruppenarbeit orientiert und von Spangler (2012, S. 32) so skizziert wird: »Auf vier Säulen steht das Heilsbronner Modell. Der berufsbezogene Fall und die Gruppe, als Spiegel der Situation, haben eine wichtige Funktion. Sie werden durch den Aspekt der Selbsterfahrung ergänzt. In der Abfolge der 10 Schritte in einem wohlüberlegten zeitlichen Rahmen, verbunden mit den Kompetenzen der Teilnehmer, werden die vier Säulen als tragende Kräfte spürbar. Vom Modell geht eine Haltung aus, die gegenseitigen Respekt und gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck bringt und dadurch auch Ihnen ermöglicht, diese Haltung einzunehmen. Die Klarheit des Modells, das die Anliegen dieser vier Säulen entfaltet, hat dabei die Teilnehmenden im Blick. Unaufdringlich trägt es dazu bei, dass sie wichtig sind, ihnen geholfen wird und sie von der Kollegialität profitieren. Die Stetigkeit und der gemeinsame Prozess sind Garanten für eine erfolgreiche Beratungsarbeit, die nicht immer nur den augenblicklichen Erfolg oder die sofortige schnelle Lösung sucht.« So wie es scheint, stellen Technik, Methode und Setting die Schwerpunkte des Heilsbronner Modells. Beziehungen zwischen Menschen und deren Verständniserarbeitung, Balints Hauptanliegen also, werden ausschließlich in den situativ stark wechselnden Fällen des Fallgebers:der Fallgeberin und den Rückmeldungen der Berater:innen verortet, die hoffentlich nicht zu destruktiv ausfallen. Wie kommt im »Heilsbronner Modell« die Haltung des nicht-wertenden Verstehens zustande? Wie wird Empathie, Toleranz, Mitgefühl eingeübt? Wie entsteht, um mit Balints Bild zu sprechen, haltendes Wasser und tragender Boden? Doch wohl eher nicht automatisch. Die erfolgreiche Technik des »Heilsbronner Modells« sollte mit einem Menschenbild verknüpft werden, mit einer Haltung, die die Beziehung in den Vordergrund rückt. Die Methode sollte in vorangehenden Schulungen sorgfältig erläutert und in hilfreiche Haltungen im Umgang mit Ratsuchenden und deren Berater:innen »eingebettet« werden. Es sollte (analog der Ärzt:in-Patient:inBeziehung) auch über Risiken und Nebenwirkungen der Methode (Regression) gesprochen werden (z. B. Verwirrung der Fallgeber:innen durch zu viele
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antwortende Reaktionen und bisher ungedachte Ratschläge. Gibt es die Gefahr der Beschämung, der Schuldzuweisung, des Triggerns von Minderwertigkeitsgefühlen? Retraumatisierungen? Wir lernen Fallgeber:innen, sich zu schützen, und Berater:innen, sich konstruktiv zu verhalten?). Zusammenfassend und weiterführend möchte ich zum Schluss fragen, mit welcher menschlichen/therapeutischen/supervisorischen Haltung und welchem Beziehungsangebot die Technik bzw. die Methode des »Heilsbronner Modells« verknüpft werden muss, damit sie auch in Zukunft effektiv, wirksam und vielleicht auch heilsam und emotional weiterführend für Fallgeber:in, Moderation und Berater:innen werden kann. Das erforderte eine systematische Reflexion der ethisch-philosophischen und therapeutisch-beraterischen Grundlagen (Menschenbild) des Beratungsansatzes »Heilsbronner Modell«. Dabei könnte man sich sowohl an der Psychotherapieforschung und ihren allgemeinen Wirkfaktoren als auch an ethischen Fragen der Beziehungsgestaltung orientieren.
Literatur Balint, Michael (1950/1965): Wandlungen der therapeutischen Ziele und Techniken in der Psychoanalyse. In: Michael Balint (Hg.): Die Urformen der Liebe und die Technik der Psychoanalyse (S. 255–271). Stuttgart. Balint, Enid (1976): Michael Balint und die Droge Arzt. Psyche, 30 (2), 105–124. Balint, Michael (1965): Die Urformen der Liebe und die Technik der Psychoanalyse. Stuttgart. Bion, Wilfried R. (1997): Lernen durch Erfahrung. Frankfurt a. M. Brecht, Karen/Friedrich, Volker/Hermanns, Ludger M./Kaminer, Isidor J./Juelich, Dierk H. (Hg.) (2009): »Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter …« Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. Mit gleichnamiger DVD. Gießen. Düsing, Edith (2007): Die heilsame Kraft der Beziehung bei Sandor Ferenczi. Philosophische und psychoanalytische Untersuchungen. Balint Journal, 8 (3), S. 73–84. Fonagy, Peter/Leigh, Tom/Steele, Miriam/Steele, Howard/Kennedy, Roger/Mattoon, Gretta/Target, Mary/Gerber, Andrew (1996): The relation of attachment Status, Psychiatric Classification, and response to psychotherapy. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 64 (1), 22–31. Ferenczi, Sándor (1928): Die Elastizität der psychoanalytischen Technik. In: Sándor Ferenczi (Hg.): Schriften zur Psychoanalyse. Bd III (S. 380–398). Frankfurt a. M. Freud, Sigmund/Jung, Carl G. (1974): »Briefwechsel«. Frankfurt a. M. Freud, Sigmund (1914): Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten. Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse. In: GWX (S. 126–136). Frankfurt a. M. Freud, Sigmund (1927): Die Frage der Laienanalyse. In: GW XIIII (S. 293). Frankfurt a. M. Göring, Katharina (2010): Entwicklungslinien pädagogischer Beratungsarbeit: Anfänge, Konflikte, Diskurse. Wiesbaden. Lesmeister, Roman (2005): Technik und Beziehung. Erkundung eines Widerstreits. In: Lilian Otscheret/Claus Braun (Hg.): Im Dialog mit dem Anderen. Intersubjektivität in Psychoanalyse und Psychotherapie (S. 29 ff.). Frankfurt a. M.
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RPZ (o. J.): Das Heilsbronner Modell zur kollegialen Beratung. https://www.rpz-heilsbronn.de/ arbeitsbereiche/berufsbegleitung/kollegiale-beratung/heilsbronner-modell-zur-kollegialenberatung (Zugriff am 14.07.2022). Rudolf, Gerd (2004): Strukturbezogene Psychotherapie: Leitfaden zur psychodynamischen Therapie struktureller Störungen. Stuttgart. Sonnenmoser, Marion (2017): Selbstreflexion: Ein Weg zum besseren Therapeuten. https://www. aerzteblatt.de/archiv/193838/Selbstreflexion-Ein-Weg-zum-besseren-Therapeuten (Zugriff am 14.07.2022). Söllner, W. (Hg.) (2018): Kranker Körper, kranke Seele. Psychotherapie mit körperlich Kranken. Berlin. Spangler, Gerhard (2012): Kollegiale Beratung. Heilsbronner Modell zur kollegialen Beratung (2. Aufl.). Nürnberg. Winnicott, Donald W. (2006): Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart.
4 Peer-to-Peer – Professionalisierung des Beratungskonzepts Wolfgang Schindler
Kollegiale Beratung wird als bewährtes Verfahren in der Qualitäts- und Personalentwicklung im Profit- wie im Non-Profit-Bereich von Menschen, die beruflich mit Menschen arbeiten, von deren Anstellungsträgern sowie in der beruflichen Aus- und Weiterbildung häufig empfohlen und praktiziert. Dennoch ist dieses Peer-to-Peer-Konzept auch mit dem Image einer weniger »professionellen« Methode behaftet. Woher dieser Widerspruch rührt und warum das Peer-toPeer-Konzept »Kollegiale Beratung« auch ein sinnvolles Handlungsfeld für professionelle Berater:innen, Coach:innen und Supervisor:innen ist, untersucht der nachfolgende Beitrag. Mehrere Faktoren scheinen für das Imageproblem dieses erfolgreichen und verbreiteten Konzeptes ausschlaggebend: Der Kostenvorteil der honorarfreien Beratung unter Gleichen kann dazu verleiten, das Verfahren als »Billiglösung« für schlecht oder nicht bezahlte Gruppen von Mitarbeitenden und in der Ausbildung zu diskreditieren. Der geringe Einarbeitungsaufwand, um mit Kolleg:innen erstmalig eine Fallberatung durchzuführen, kann Skepsis gegenüber der Seriosität des Konzepts für professionelle Anliegen erzeugen; dass es sein volles Potenzial erst mit wiederholtem Praktizieren entfaltet, wird dabei leicht übersehen. Aus Sicht von Expert:innen mit teuer erworbenen, zertifizierten Beratungsausbildungen im Bereich Supervision oder Coaching scheint Kollegiale Beratung als Peer-to-Peer-Konzept kein relevantes Handlungsfeld zu sein, in dem sie ihre zu honorierende Expertise anbieten könnten. Aus der Perspektive von Institutionen sind daher externe fachlich ausgewiesene Expert:innen schwer zu finden, die beauftragt und in Anspruch genommen werden könnten, um Kollegiale Beratung systematisch in den eigenen Personal- und Organisationsentwicklungsprogrammen zu implementieren. Angesichts zahlreicher, unterschiedlich strukturierter Leitfäden ist der Eindruck weitgehender Willkürlichkeit naheliegend, solange Kollegiale Beratung als bloße »Methode«, wie Brainstorming etc., missverstanden wird. Eine mit der Therapie- und Beratungsszene vergleichbare Professionalisierung findet besten-
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falls ansatzweise statt. Das dem Heilsbronner Modell verpflichtete »Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung« muss daher vermehrt als Akteurin im kollektiven Prozess der Professionalisierung, wie ihn Ehlert (2019) beschreibt, auftreten und zur Fundierung des Professionswissens beitragen.
Paradigmenwechsel Als Praxistheorie (Foitzik 2005) entwickelt erschien in den Anfangsjahren eine explizite konzeptionelle Fundierung der unterschiedlichen Leitfäden für Kollegiale Beratung unnötig, ebenso wie eine Organisation, die dem Diskurs über das Beratungskonzept einen Ort gibt und Qualitätsstandards seiner Anwendung entwickelt und sichert. Aus der Entwicklungsgeschichte wird verständlich, dass vermeintliche Defizite zunächst sinnvolle, zukunftsträchtige Merkmale waren: das Vertrauen in die Selbstlernkompetenz und Selbstorganisation der Methodenanwender:innen und der explizite Verzicht des Heilsbronner Modells (HBM) auf besondere methodische Vorkenntnisse und Beratungskompetenzen der Mitglieder einer Fallberatungsgruppe. Aus dem Balintgruppenkonzept, also aus berufsbezogener Selbsterfahrung unter Leitung eines:einer professionellen Therapeut:in, entwickelten sich in den 1980er Jahren u. a. auch Initiativen zur Formierung informeller Selbsthilfegruppen, oft Lehrer:innengruppen, die sich mit »Kollegialer Supervision« gegenseitig unterstützten. Der dabei verwendete »Leitfaden« trat bewusst an die Stelle externer, strukturgebender Expertise. Das so praktizierte »Peer-toPeer«-Konzept (P2P) realisierte die damals propagierte Vision der Emanzipation von Autoritäten perfekt. Spangler (2005, 2012 und hier im Buch) schildert, wie aus diesen Wurzeln im Zuge der Integration in die Ausbildung von Religionspädagog:innen und Lehrer:innen das – später so genannte – Heilsbronner Modell wurde: Ein erster Schritt in die Professionalisierung, der die daraus folgende Verbreitung des Konzepts wohl erst ermöglichte, u. a. durch die in mehreren tausend Exemplaren verbreitete Auflage eines Flyers, der – mittlerweile in der achten Auflage – den Leitfaden und eine sehr knappe Anleitung zur Praxis enthält. Mit dem Vertrauen in die freie Aussprache als alleinige Methode und in die Spiegelfunktion der Gruppe im Beratungsprozess wurde und wird eine wirksame Beratungspraxis möglich, die auch ohne spezielle weitergehende Anforderungen an die Methodenkompetenz der Beteiligten zu Lösungen der vorgestellten Fälle führt. Aus der Verbindung von vertiefter Selbsterfahrung, Perspektivenwechsel
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durch die Rückmeldungen der Berater:innengruppe, emotionaler Stärkung aus dem Erleben der »Universalität des Leidens« (Yalom 1974, S. 26) und wachsender professioneller Kompetenz wird die immer wieder – überrascht konstatierte – Effizienz und Lösungskompetenz Kollegialer Beratung verständlich (IKOB 2021). Paradoxerweise könnte aber gerade dieser als Begleitmaterial zu Einführungs veranstaltungen konzipierte Prospekt als Aussage missverstanden werden, dessen Lektüre allein reiche als Qualifikation, um nachhaltig Kollegiale Fallberatung zu praktizieren. Spangler dagegen betont mehrfach die Notwendigkeit des Einübens des Verfahrens und der Befassung der Fallberatungsgruppe mit dem Konzept als Gelingensvoraussetzung. Einführen, Einüben und Reflektieren sind deshalb immer Grundlagen der Workshops und von mehr als 200 Lehrer:innenfortbildungen, die von Anfang an vom Religionspädagogischen Zentrum Heilsbronn und vom Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung angeboten und realisiert werden.
Herkunftsfragen Kollegiale Beratung durch Anreicherung mit Methoden aus anderen Beratungskonzepten wie beispielsweise der Einführung von »systemischem Fragen«, wie es etwa Wagenpfeil (2019) empfiehlt, »professioneller« machen zu wollen, schließt Kolleg:innen als Berater:innen, die diese Beratungsmethode nicht erlernt haben, zunächst aus – und öffnet die Tür zumindest einen Spalt breit für den:die systemische:n Berater:in, der:die dann wieder Teil der Wertschöpfungskette wird und damit dem Grundgedanken der Beratung durch gleichberechtigte Kolleg:innen entgegensteht. Ähnlich gilt das auch für Leitfäden, die von der Gruppe verlangen, sich im Konsens für eine fachlich begründete Auswahl aus einem bunten Strauß päda gogischer Methoden zu entscheiden (Tietze 2010). Andere muten dem:der Fallgeber:in zu, möglichst fokussierte Beratungsbitten zu formulieren, anstatt deren Ratlosigkeit als Ausgangspunkt der Beratung zuzulassen. All dies macht das Hinzuziehen professioneller Expertise in den Beratungsprozess nach solchen Leitfäden tendenziell wieder naheliegend, ist eventuell auch der geheime Lehrplan, der auf eine mögliche Einnahmequelle für den:die externe:n Expert:in zeigt. Demgegenüber gibt sich das HBM puristisch und vertraut in den vorgegebenen Schritten auf die verändernde Wirkung der freien Aussprache und das intuitive szenische Verstehen in der Fallbearbeitung. Anders als in der Balintgruppe, die der fachlichen Weiterbildung von Therapeut:innen dient, bedarf es hier, wo es »bloß« um Lösungen geht, keiner professionalisierten Leitung.
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Sich aus einem vermeintlichen Aschenputtel-Status der Kollegialen Beratung durch Anleihen bei den »großen« Schwestern der etablierten Beratungs- und Therapieverfahren befreien zu wollen, ist jedoch keine erfolgversprechende Strategie, wie schon das Märchen lehrt. Erfolg entspringt aus der Besinnung auf das Potenzial der eigenen Wurzeln, der eigenen Stärke. Nicht Erbsen sortieren befreit aus der Asche in der Küche, sondern das Annehmen und selbstbewusste Tragen des Ballkleids, das vom väterlichen Baum am Grab der Mutter herabfällt. So scheint zunächst kein Platz für professionelle beraterische Expertise und damit auch kein Geschäftsmodell für Supervisor:innen und Coaches zu existieren. Im Stuhlkreis einer Fallberatungsgruppe ist für den:die Expert:in zumindest kein Sitzplatz frei.
Geschäftsmodelle Im Profit-Bereich hat die Kollegiale Beratung als wirksame Methode »Beratung ohne Berater:in« schon sehr lange Verbreitung gefunden. Zunächst überraschend, offenbart sich auch im Profitbereich – wie Onlinerecherchen zum Begriff zeigen – eine deutliche Wertschätzung des praktischen Nutzens des Konzepts, verbunden mit erfolgreichen, profitorientierten Geschäftsmodellen rund um das Verfahren. Eindrücklich wird beispielsweise von Gloger (2013) beschrieben, wie hier eine schlichte betriebswirtschaftliche Überlegung ausschlaggebend ist: »Weil niemand in der Wertschöpfungskette steht[,] […] ist p2p günstig« (Gloger 2013, S. 76 und hier im Buch). Geld verdienen Agenturen mit Kollegialer Beratung durch Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur, des Managements und die Zusammenstellung von Teilnehmer:innen an Fallberatungsgruppen dennoch. Methodisches Konzept und Fundierung spielen dabei eine untergeordnete Rolle, wenn überhaupt: »Was normalerweise ein Berater erledigt hätte, wurde hier von den Unternehmern zusammengetragen – in Eigenarbeit. Diese Praxis hat Methode: einer trägt vor, die anderen lösen das Problem« (Gloger 2013, S. 76). Wobei das Problem im zitierten Beispiel in Finanzierungsstrategien neuer Projekte bestand. Lehrreich ist der Ausflug in die unter Agilitätsdruck stehende Unternehmer:innenwelt dennoch, der Blick auf die Rolle von Agenturen, die »eine astreine Peer-to-Peer-Veranstaltung« (Gloger 2013, S. 76) auf die Beine stellen und davon auch leben. Einen sinnvollen Platz für Professionelle im Konzept der Kollegialen Beratung gibt es also – egal, ob im Profit oder Non-Profit-Bereich: Dieser besteht im Management des Settings, in der Einführung in die Methode und im Facili-
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tating für und in Organisationen, die dieses Werkzeug der Qualitätssicherung und -entwicklung dauerhaft implementieren wollen. Es ist die Rolle der »Kümmerer«, die von externen und internen Supervisor:innen und Coaches schon wahrgenommen wird und längst auch für die Praxis Kollegialer Beratung in Institutionen nötig ist. Was für eine selbstinitiierte und selbstorganisierte Selbsthilfegruppe in den 80er Jahren kontraproduktiv gewesen wäre, wird unter den gewandelten Bedingungen von Bildungsarbeit und Sozialer Arbeit im professionalisierten Non-Profit-Bereich in der Gegenwart unverzichtbar. Das P2P-Setting im jeweiligen Fallberatungsprozess bleibt dennoch gewährleistet und unverfälscht. Dort, wo in der Kollegiale Beratung die Grenzen ihrer Indikation (vgl. Spangler hier im Buch) berührt werden, ist auch der Weg zur Supervision, ggf. auch zur therapeutischen Hilfe, nicht mehr weit.
Institutionelle Einbindung Forschung und Evaluation des IKOB, wie etwa von Brehm (2018), zeigen, dass Kollegiale Beratung nur dann wirksam praktiziert wird, wenn sie institutionell gewollt und gefördert ist. Das schließt nicht aus, dass besonders Engagierte diese Kümmerer-Rolle oft in ihrer Freizeit zusätzlich übernehmen – zu erwarten ist dies vernünftigerweise nicht (mehr). Das bestätigen Erfahrungen aus der Personalentwicklung großer kommunaler Institutionen ebenso wie die im Profit-Bereich geübte Praxis, die externe Dienstleister mit der Einführung in das Beratungskonzept, dem Management und Facilitating Kollegialer Beratung beauftragt. Für Supervisor:innen und Coaches im Non-Profit-Bereich bietet sich hier also eine –fast schon überfällige– Erweiterung ihres Geschäftsmodells, ohne das P2P-Konzept zu konterkarieren. Das Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung fokussierte seine Arbeit in der ersten Dekade auf die Gestaltung Kollegialer Beratung nach dem Heilsbronner Modell als Online-Implementation mit der Plattform www.kokom. net. Das Modell wurde so auch Teil im Curriculum des berufsbegleitenden Bachelor-Studiengangs »Soziale Arbeit« an der Hochschule München, als »Brücke zwischen Studium und Praxis der Sozialen Arbeit« (Arnold/Schindler 2018, S. 301). Die hier nun vorliegende überarbeitete und erweiterte dritte Auflage des Buchs zum Heilsbronner Modell wurde um Beiträge zu Erfahrungen, Per spektiven, Realisierungsbedingungen und Wirkfaktoren des HBM aus den vergangenen zehn Jahren Arbeit des Instituts ergänzt. Ein zertifiziertes Quali-
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fikationsangebot zur Einführung, Implementation und Begleitung Kollegialer Beratung nach dem HBM durch professionelle Berater:innen, Coaches und Supervisor:innen ist der nächst logische Schritt. Mit einer wachsenden Zahl kompetenter Trainer:innen, die das IKOB vermitteln kann, wird so die Verbreitung und Weiterentwicklung des Heilsbronner Modells durch Stimulierung des Fachdiskurses, Erfahrungsaustausch und Entwicklung von Qualitätsstandards im analogen Setting vor Ort und als asynchrone oder synchrone Onlineberatung gefördert.
Literatur Arnold, Patricia/Schindler, Wolfgang (2018): Kollegiale Beratung online als Brücke zwischen Studium und Praxis der Sozialen Arbeit. In: Patricia Arnold/Cornelia Füssenhäuser/Hedwig R. Griesehop (Hg.): Profilierung Sozialer Arbeit online. Innovative Studienformate und Qualifizierungswege (S. 301–321). Wiesbaden. Brehm, Daniela (2018): Kollegiale Beratung Online als Methode zur Qualitätsentwicklung für ErzieherInnen in Kindertagesstätten. Bachelorarbeit an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München. Studiengang Bachelor Soziale Arbeit – basa-online, Sommersemester 2018. München. Ehlert, Gudrun (2019): Professionalisierung. https://www.socialnet.de/lexikon/Professionalisierung (Zugriff am 17.12.2021). Foitzik, Karl (2005): Vorwort. In: Gerhard Spangler (Hg.): Kollegiale Beratung (S. 10–13). Nürnberg. Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung (IKOB) (2021): Kollegiale Beratung Online: Evaluation. https://www.kokom.net/Evaluation (Zugriff am 15.07.2022). Tietze, Kim-Oliver (2010): Kollegiale Beratung: Problemlösungen gemeinsam entwickeln (4. Aufl.). Reinbek bei Hamburg. Wagenpfeil, Anne (2019): Buchtipp: Systemisches Fragen in der kollegialen Beratung – Patrzek/ Scholer. https://www.bildungsmanagement.guru/2019/06/26/buchtipp-systemisches-fragenin-der-kollegialen-beratung-patrzek-scholer/ (Zugriff am 15.11.2021). Yalom, Irvin D. (1974): Gruppenpsychotherapie. Grundlagen und Methoden. Ein Handbuch. München.
5 Gut beraten ohne Berater: Peer-to-Peer-Consulting1 Axel Gloger
Für Consulting-Dienstleistungen braucht es jede Menge Business-Wissen und eine Atmosphäre fruchtbaren Austauschs. Nur eines braucht es nicht: einen Unternehmensberater. So das Motto der Peer-to-Peer-Beratung, einer neuen Dienstleistung, in deren Rahmen sich Unternehmer und Manager in moderierten Arbeitssitzungen treffen, um sich gegenseitig zu beraten. Das Angebot lockt nicht nur Consulting-Allergiker.
Preview Elf Männer sitzen an einem Tisch. Alle sind Schwergewichte, zumindest nach Umsatz: Jeder von ihnen ist Inhaber eines Unternehmens, das viele Millionen Geschäft in den Büchern hat. »Ich muss investieren. Die neue Halle ist fällig«, trägt einer der Firmenchefs vor, »aber wie stelle ich es an, dass ich die Finanzierung von der Bank bekomme?« In fünf Minuten ist das Problem vorgetragen. Dann legen seine Unternehmerkollegen los. Sie erzählen, wie sie ihre Finanzierung auf die Beine gestellt haben. Einer trägt eine besonders wirkungsvolle Strategie vor. Ein anderer verrät, wie sich Kapitalquellen jenseits des Bankensystems erschließen lassen. Nach anderthalb Stunden steht das Finanzierungskonzept. Was normalerweise ein Berater erledigt hätte, wurde hier von den Unternehmern zusammengetragen – in Eigenarbeit. Diese Praxis hat Methode: Einer trägt vor, die anderen lösen das Problem. Die elf treffen sich alle vier Wochen, jedes Mal darf sich ein anderer Firmenchef von seinen Kollegen aus der Runde beraten lassen.
1 Dieser Beitrag (des 2018 verstorbenen Autors) erschien in der Zeitschrift managerSeminare, Heft 182, im Mai 2013. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der managerSeminare Verlags GmbH, Bonn.
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Das sieht nach einer typischen Selbsthilfegruppe aus: unverbindlich, beliebig, unfokussiert. Aber das Gegenteil ist richtig. Die Treffen sind in ein unternehmerisches Konzept eingebettet; Vistage International steht hinter dieser Idee. Der Dienstleister ruft in 16 Regionen Deutschlands solche Kreise von Firmenchefs zusammen, mit immer demselben Programm. »Beratung von Unternehmern für Unternehmer«, beschreibt Wolfgang Hartmann, Geschäftsführer von Vistage, das Konzept. »Wir machen eine astreine Peer-to-Peer- Veranstaltung.«
Geschäftsmodell: Es geht auch ohne Mittelsmann Peer-to-Peer, kurz P2P, das steht für ein Geschäftsmodell, das den Mittelsmann umgeht. Auf dem Immobilienmarkt etwa ist der Mittelsmann der Makler, der die Brücke zwischen Mietinteressent und Vermieter baut. Er sammelt Angebote, prüft diese und bereitet sie in seiner Werbung für potenzielle Kunden auf. Dafür kassiert er Maklerprovision. Im Warenaustausch, zum Beispiel im Handel, unterhält der Händler Lager und Laden. Er bietet an, was seine Kunden mutmaßlich demnächst kaufen, bringt auf diese Weise Angebot und Nachfrage zusammen. Dafür schlägt er seine Handelsspanne auf den Preis der Ware auf. Auch in der Unternehmensberatung geht das normalerweise so. Der Berater ist Intermediär. Er gewinnt in seinen Projekten Wissen aus Unternehmen, das auch andernorts verwertbar ist, systematisiert es, reichert es mit selbst gewonnenen Erkenntnissen an, um es anschließend in neuen Projekten zu vermarkten. Dafür kassiert er Tagessätze, die sich zwischen 900 und 2.500 Euro bewegen. Aber auch andere Herangehensweisen sind möglich. Es geht auch ohne den Mittler. Möglich macht es die Digitalisierung. Der Taxiruf ohne Taxizentrale ist nur eines von vielen solcher Angebote, die in den vergangenen Jahren auf den Markt kamen. Allen gemeinsam ist: »In den P2P-Modellen wird der Intermediär ausgeschaltet«, erklärt Bernd Skiera, Professor für BWL und E-Commerce an der Universität Frankfurt. Das Geschäft ist direkt zwischen den beiden Marktseiten organisiert, keiner steht mehr zwischen Anbieter und Nachfrager. Bekanntestes Beispiel für die Funktionsweise von P2P ist eBay. Der Internet-Dienstleister macht Unternehmen wie dem Otto-Versand sowie Spezialversendern wie Klingel und Wenz Konkurrenz. Er ist ein Versender ohne Versandhaus. Denn eBay betreibt keinen Wareneinkauf, kein Lager, keine Fließbänder, auf denen die Päckchen gepackt werden, keine Auslieferung von Waren – nur eine Plattform, auf der Versandgeschäfte abgewickelt werden können. Der Mittler wurde eliminiert, die Päckchen packen jetzt die Nutzer der Plattform selbst.
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Auch auf anderen Märkten scheint der Intermediär ein alter Hut zu sein. Innovatoren setzen ihn ab – und betreiben das Geschäft schlank. Partnerbörsen wie Parship oder Elitepartner ersetzen Heiratsvermittler, die in aufwendiger Suche Heiratswillige filtern und zusammenbringen. P2P-Finanzierer wie Zopa, Cashare oder Auxmoney schalten die Bank als Mittelsmann aus. Sie stellen den direkten Kontakt zwischen Geldanlegern und Geldsuchenden her – und bringen sie für das Anlagegeschäft zusammen.
Bei Vistage sind die Teilnehmer mal Kunde, mal Berater Dasselbe tut im Prinzip auch Vistage. Der Verbund erbringt Consulting-Leistungen, beschäftigt dafür aber keinen einzigen Unternehmensberater. Der in den USA gegründete Dienstleister stellt – wie eBay – nur die Plattform zur Verfügung: eben jene monatlichen Treffen.2 So, wie die eBay-Nutzer ihre Päckchen in Eigenarbeit packen, produzieren die Unternehmer die Beratungsleistung selbst, auf Gegenseitigkeit. »Jeder Firmenchef, der teilnimmt, ist in wechselnden Rollen mal Berater, mal Kunde«, erklärt Hartmann. Das Wissen fließt direkt von der Quelle zum Anwender, ohne den Umweg über eine Zwischenstation. Das hat auch einen Effekt auf die Kosten. Weil niemand in der Mitte der Wertschöpfungskette steht und für seine Leistung die Hand aufhält, ist P2P günstig: eBay war viele Jahre ein Schnäppchenparadies, die elitärste Online-Partnervermittlung kostet nur einen Bruchteil dessen, was ein konventioneller Heiratsvermittler abrechnet. Diese Regel gilt auch für P2P-Beratung: Vistage-Nutzer zahlen einen Festpreis, zu dem kein Unternehmensberater antreten würde. Das gesamte Leistungspaket für ein Jahr P2P-Beratung gibt es für 12.000 Euro.
Einzige Regel: Keine Konkurrenten an einem Tisch Aber warum funktioniert das? Die Antwort gibt der Blick auf die Idee des Vistage- Gründers. Robert Nourse, Inhaber einer Maschinenfabrik im US-amerikanischen Milwaukee, erkannte, dass jeder Unternehmer an Problemen knabbert, die anderswo schon gelöst wurden. Deshalb rief er eine Handvoll anderer Geschäftsführer an einen Tisch – zum Erfahrungsaustausch über Themen, die überall auf der Welt an den Chefschreibtischen dieselben sind: die richtigen Mitarbeiter fin2 Vgl. »Für die Steigerung Ihrer Effektivität«. Selbstdarstellung von Vistage. https://germany. vistage.com/ueber-vistage/ (Zugriff am 17.12.2021).
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den, den Vertrieb besser machen, Quellen für Finanzierung erschließen. Damit kann man Firmenchefs vom Maschinenbaubetrieb bis zur Sprachschule fruchtbar zusammenbringen. Einzige Bedingung für die Do-it-yourself-Berater: Konkurrierende Betriebe aus derselben Branche dürfen nicht an einem Tisch sitzen. Das würde den offenen, freimütigen Austausch behindern. Dieses Beratungsmodell ohne Berater als Mittelsmann startete Unternehmer Nourse im Jahr 1957 – zu einer Zeit, als noch keiner etwas von der P2P-Ökonomie wusste. Was in einem Örtchen des US-Bundesstaates Wisconsin begann, ist heute zu einem mittelständischen Beratungsmulti herangewachsen. »15.000 Unternehmer sind derzeit weltweit dabei«, erläutert Wolfgang Hartmann. In 16 Ländern ist der P2P-Berater rund um den Globus präsent. Aus den Monatsbeiträgen, die die Unternehmer für das Mittun in den gut organisierten Gesprächsgruppen zahlen, ergibt sich hochgerechnet ein Beratungsunternehmen mit einem kleinen, dreistelligen Millionenumsatz. Womit Vistage ein ernst zu nehmender Spieler auf dem Beratungsmarkt ist.
Handfeste Tipps von erfahrenen Mittelständlern Jens Weller aus Darmstadt ist einer der überzeugten Nutzer des Konzepts. Einmal im Monat steht »Vistage-Regionalgruppe« in seinem Kalender; diese Termine sind dem Geschäftsführer des Internet-Telefonieanbieters Toplink heilig. »Wir lernen sehr viel voneinander, das offene Gespräch ist eine ständige Quelle guter Ideen«, sagt Weller, der seit 2008 dabei ist. »Das Insider-Wissen aus anderen Branchen hat mir in meinem Geschäft enorm weitergeholfen«, so der Manager. 15 Mitglieder treffen sich in Wellers Gruppe »Rhein-Main II«. Der Kreis ist ein Abbild des oberen Mittelstandes. So finden sich hier etwa der Inhaber eines 1901 gegründeten Druckerei- und Servicebetriebes, der geschäftsführende Gesellschafter eines mittelständischen Logistikers, der Chef eines Zulieferers medizinischer Labore mit 70 Mitarbeitern sowie der Inhaber eines filialisierten Gebäude-Dienstleisters in vierter Generation. »Das typische Vistage-Mitglied führt einen Betrieb, der zwischen fünfzehn und 100 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet«, sagt Deutschlandchef Hartmann. Der Schwerpunkt liege bei 30 bis 50 Millionen Umsatz. Die Arbeitssitzungen, wie die Treffen intern heißen, sind der Ort für konkreten, handfesten Rat. Unternehmer Jens Weller liefert dafür ein Beispiel aus seiner Praxis. »Um das Jahr 2000 herum wandelte sich die Mentalität in der Firma. Wir waren nach Jahren stürmischen Wachstums kein Startup mehr. Der Boom
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der New Economy lief aus«, berichtet der Geschäftsführer im Rückblick. Er habe lernen müssen, dass ein Geschäft nicht nur wächst, sondern, dass es auch im besten Unternehmen Phasen der Konsolidierung gibt. »Wenn man jung ist, kennt man solche Zyklen nicht«, beschreibt er den schmerzhaften Erkenntnisprozess, den er Anfang des Jahrtausends durchlief. Hilfe, Beratung und die Möglichkeit zur offenen Aussprache lieferten ihm seine Vistage-Kollegen. »Jeder Maschinenbauer, jeder Spediteur kennt Phasen der Konsolidierung – und konnte mir sagen, wie es weitergeht. Die Gruppe hat mir enorm geholfen.«
Unter seinesgleichen redet es sich leichter über Unangenehmes Der Nutzen der Treffen erklärt sich aus der Zusammensetzung der Gruppen. »Hier können Unternehmer Themen in aller Offenheit besprechen, für die sie sonst kaum Adressaten haben«, erklärt Torsten Stiller, Leiter von CEO Manager Circle (CMC), einem Wettbewerber von Vistage mit Sitz in Düsseldorf. Wenn etwa der Vertrieb schwächelt oder die Personalabteilung die Rekrutierungsziele nicht schafft, lässt sich das schlecht mit dem Berater der Bank besprechen. Der Bankberater mag zwar sogar eine Lösung aus einem anderen Betrieb kennen, fürchtet aber gleichzeitig um den der Firma gewährten Kredit, wenn er von Problemen hört. »Auch bei Mitarbeitern oder dem Venture-Kapitalgeber kommen solche Fragen schlecht an«, schränkt Stiller den Kreis der Ratgeber weiter ein. Einzige Erfolgsvoraussetzung für die P2P-Beratung: Offenheit. »Am Anfang war ich zurückhaltend, habe eher zugehört«, sagt Unternehmer Weller über seinen Einstieg in die P2P-Beratung. »Aber je länger ich dabei war, desto stärker war ich bereit, meine Themen offen vorzutragen.« Die Lösungen, die von den anderen Mitstreitern kamen, waren die richtig guten – und das bindet: Das typische Mitglied in der Do-it-yourself-Beratungsgruppe bleibt fünf Jahre, mancher aber auch deutlich länger. »In der Vistage-Gruppe spielt man – auch als CEO – eine andere Rolle als in seinem eigenen Unternehmen. Auch gestandene Geschäftsführer lassen sich hier gerne kritische Einwürfe gefallen. Da wird hart nachgefragt – was im eigenen Unternehmen kaum jemals passiert«, sagt Klaus Evard. Der emeritierte Professor der European Business School (EBS) hat Vistage im Jahr 2003 als Lizenznehmer der US-Mutter in Deutschland aufgebaut und fungiert heute als nicht-operativer Landes-Chairman. Er ist immer wieder überrascht, wie viele Firmenchefs geradezu froh sind über die Chance, für einen Tag aus ihrer klassischen Rolle als Unternehmenslenker auszubrechen.
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Viele Firmenchefs haben eine Consulting-Allergie Das Konzept, das Vistage, CEO Manager Circle und einige andere Spinn-offs des Originals anbieten, trifft den Zeitgeist: Viele Inhaber und Geschäftsführer aus dem Mittelstand haben eine Consulting-Allergie. Das zeigt nicht zuletzt eine Studie, mit der das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) Firmeninhabern im Jahr 2012 auf den Zahn gefühlt hat. Schlüsselfrage: Wie stehen Unternehmensberater bei mittelständischen Kunden da? Ergebnis der repräsentativen Befragung: 43 Prozent der Betriebe ließen noch nie einen Berater ins Haus, so das Bild bei den Firmen mit bis zu 250 Mitarbeitern. Auch in jeder vierten Firma bis 1.000 Mitarbeiter war noch nie ein Berater, ermittelte die IfD-Befragung. Warum ist das so? »Die Angst, dass ein Vorhaben mit einem Berater groß, lang und teuer wird, ist verbreitet«, sagt CMC-Leiter Stiller. Auch fürchten Führungskräfte, an unseriöse Consultants zu geraten. Fälle wie der des Modelleisenbahn-Herstellers Märklin nähren die Bedenken: Das Traditionsunternehmen wurde vor drei Jahren gleich von mehreren Beratern ausgenommen. Zudem sind viele Geschäftsführer in ihrem tiefsten Inneren Schwaben, sagt Stiller – zu geizig, um 35.000 Euro für ein einziges Beratungsprojekt auszugeben.
P2P-Beratung: Wie ein solider Bausatz aus dem Baumarkt Die P2P-Beratung dagegen verspricht Sicherheit. Sie ist wie der Bausatz für ein Gartenhäuschen von OBI: alles do-it-yourself. Der Kunde macht es selbst und hat die Kontrolle. Überdies sorgt ein Moderator in der Gruppe dafür, dass einmal Angestoßenes nicht im Nichts landet. Er organisiert die Agenda, lädt zu Wunschthemen der Firmenchefs externe Referenten ein und lenkt die Diskussion. »Wenn eine Problemlösung erarbeitet wurde, fragen wir beim nächsten Treffen nach: Wo stehen Sie? Wie weit sind Sie mit der Umsetzung? Wo hakt es, wo wird noch Rat gebraucht?«, schildert P2P-Berater Hartmann die Praxis in den Gruppen. So wird dafür gesorgt, dass angeschobene Themen auch umgesetzt werden. Unternehmer, die einmal in ein P2P-Netzwerk gegangen sind, mögen das Konzept. Dabei ist die Mitgliedschaft in den P2P-Runden mit einem nicht geringen Investment verbunden – in Zeit wie auch Geld: Die Gruppentreffen werden reihum von jeweils einem Firmenchef ausgerichtet, auf zwölf Treffen summiert sich ein Arbeitsjahr, hinzu kommt jeden Monat ein individuelles CoachingGespräch zwischen Mitglied und Gruppen-Moderator. Dass diese Dienstleistung
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ihren Preis wert ist, daran lassen die Unternehmer keinen Zweifel. »Selbst wer nur einen Tipp pro Jahr umsetzt, kann ein Vielfaches seines Einsatzes an Nutzen einfahren«, sagt Vistage-Chef Hartmann.
Trotz des Erfolgs noch keine Wachstumsstory Das lenkt den Blick auf die Herausforderung dieses Marktes: Anders als eBay oder eine Online-Partnerbörse ist das Produkt P2P-Beratung erklärungsbedürftig. Vistage, CMC und andere müssen deshalb mit einer Paradoxie leben. Unternehmer, die drin sind, schwören auf Nutzen und Konzept. Aber alle Anbieter der Do-it-yourself-Beratung leiden nicht unter einem zu großen Ansturm neuer Interessenten. Die Akquisition neuer Mitglieder ist ein harziges Geschäft, was der Plan von Vistage-Chairman Evard, den er vor fünf Jahren vorlegte, zeigt: »Bis 2010 möchte ich 500 Mitglieder in Deutschland haben. Das ist für den deutschen Mittelstand und gemessen an der Zahl der Geschäftsführer eine Durchdringung im Promillebereich.« Diese Schwelle hat der Verbund, trotz aller Erfolge, noch nicht erreicht. Zwar wurden in den vergangenen Monaten drei neue Regionalgruppen gegründet. Aber alles in allem bringt es Vistage in Deutschland nur auf 100 Unternehmer, die das Konzept nutzen. Hier wäre noch einiges Potenzial zu heben.
6 Warum Kollegiale Beratung erfolgreich ist und wie sie in Unternehmen etabliert werden kann Stephan Scholer
Einleitung: Lernen heute Wirksames Lernen wird in Unternehmen mittlerweile großgeschrieben. Gut so! Die Zeiten, in denen Fortbildungsetats ein eher kümmerliches Dasein in der Ressourcenplanung in Unternehmen fristeten, gehören längst der Vergangenheit an. Niemand bezweifelt heute: Wo Veränderung nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel in nahezu allen beruflichen Kontexten geworden ist, sichert nur die Bereitschaft zu ständigem, lebenslangem Lernen die Substanz von Unternehmen und Organisationen. Große Summen werden deshalb heute in die »Qualifizierung« des Personals gesteckt. Wie wirksam aber sind diese Mittel, wie lohnend die erheblichen Investitionen? Das in den vergangenen Jahren gestiegene Interesse an »Transfersicherung« von Qualifizierungsmaßnahmen lenkt den Blick heute mehr denn je auf die Fragestellung, unter welchen Bedingungen am effektivsten gelernt wird.
New Learning Arbeitsplatznahe Lernformate, bei denen nicht länger die theoretische Vermittlung von Lerninhalten, sondern vielmehr der konkrete berufliche Kontext und damit der Nutzen für Lernende im Vordergrund steht, treten aktuell einen Siegeszug an. Nicht nur die Unternehmen als Auftraggeber, auch die an Trainingsmaßnahmen teilnehmenden Kund:innen und Führungskräfte werden anspruchsvoller. Sie erwarten konkrete Ergebnisse von Personalentwicklungsmaßnahmen, die sie, zurückgekehrt in ihren Arbeitskontext, dort auch direkt verwerten können. Auch wächst die Erkenntnis, dass eine aktive Beteiligung der Lernenden in Trainings und anderen Fortbildungsformaten eine der entscheidenden Voraussetzungen für einen Transfer des neu Erlernten in die Praxis des Berufsalltags ist.
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Lernen durch Selbsttun – so lässt sich das Konzept der Kollegialen Beratung überschreiben. Berufliche Fragestellungen werden nicht mithilfe theoretischer Inputs durch Trainer:innen oder externe Expert:innen bearbeitet. Stattdessen finden die Teilnehmenden für ihre individuellen Fragestellungen oder Probleme selbstorganisiert eine Lösung. Damit bricht das Lernformat Kollegiale Beratung in fundamentaler Weise mit einem überholten, in der Tendenz eher »konsumorientierten« Fortbildungsverständnis, in dem Teilnehmende an Fortbildungsmaßnahmen von einem:einer Trainer:in oder Dozent:in lernen. Wann ist Fortbildung wirksam? In der Fachöffentlichkeit herrscht heute weitgehend Konsens darüber: Die Fortbildung der Zukunft, das »New Learning« Ȥ setzt auf »arbeitsplatznahe« Lernformate: Fortbildungsinhalte werden stärker denn je auf die konkreten Anliegen der Kund:innen und die spezifischen Herausforderungen des jeweiligen Arbeitskontextes zugeschnitten sein. »Fortbildung von der Stange« war gestern. Ȥ ist ergebnisorientiert: Organisationen werden Qualifizierungsmaßnahmen jeglicher Art zukünftig stärker als bisher auf ihren konkreten Nutzwert hin abklopfen. Ȥ betont stärker die »Selbstorganisation« der Lernenden: Während in der Vergangenheit Lernthemen durch die Organisation festgelegt wurden, setzt »New Learning« auf Selbstorganisation. Lernen, auch Lerninhalte, liegen jetzt in der Verantwortung der Lernenden. Ȥ weist dem »informellen Lernen« eine stärkere Bedeutung zu: Erfolgreiche Unternehmen machen sich den breiten Erfahrungsschatz ihrer Mitarbeiter:innen zunutze. Ȥ führt zu einem neuen Rollenverständnis von Trainer:innen: weniger Lernstoffvermittler:in, mehr Lernbegleiter:in. Ȥ definiert die Aufgaben und Schwerpunkte der Personalentwicklung neu: Ihr Fokus verschiebt sich von inhaltlichen Trainings auf lernmethodische Angebote. Zukunftsträchtige Personalentwicklungs- und Fortbildungsformate werden diesen Paradigmenwechsel berücksichtigen müssen. Mit Kollegialer Beratung liegt ein Format vor, das diese Anforderungen schon heute in geradezu idealtypischer Weise erfüllt. Umso erstaunlicher ist es, dass das Format den Markt noch nicht flächendeckend erobert hat. Meine Prognose: Das wird sich ändern! Spätestens wenn sich herumspricht, dass Unternehmen mit Kollegialer Beratung auch viel Geld sparen. Denn Kollegiale Beratung ist eine Beratung ohne Berater:in.
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Ein Format, das auf die oft teure externe Expertise weitgehend verzichtet und trotzdem im Vergleich zu klassischen Formaten einen weit überdurchschnittlichen Wirkungsgrad erzielt.
Kollegiale Beratung konkret Immer mehr Unternehmen entdecken Kollegiale Beratung. Wie aber funktioniert dieses Format? Um den Beratungsprozess zu organisieren, bedarf es einer Teilnehmer:innenzahl von mindestens vier, idealerweise etwa sechs bis acht Personen. Zu Beginn einer Kollegialen Beratung nehmen die einzelnen Gruppenmitglieder verschiedene Rollen ein, die sie im Verlauf einer gesamten Beratungssequenz beibehalten. Die zu besetzenden Rollen, die von Fall zu Fall wechseln, sind Ȥ der:die Kolleg:in, welche:r ein Anliegen vorbringt (Ratsuchende:r oder Fallgeber:in), Ȥ eine Gruppe aus Berater:innen (Kolleg:innen, die in eine Berater:innenrolle schlüpfen), Ȥ ein:e Moderator:in, der:die ebenfalls aus der Gruppe stammt. Nach meiner langjährigen Erfahrung in der Moderation einiger hundert Kollegialer Beratungsfälle hat sich das folgende Kollegiale Beratungsmodell sehr bewährt. Der Ablauf eines Beratungsprozesses gliedert sich in sieben verschiedene Phasen, in denen jeweils spezifische Regeln gelten, die zwingend eingehalten werden müssen. Phase 1: Schilderung des Anliegens Zu Beginn des Kollegialen Beratungsprozesses schildert der:die Ratsuchende sein:ihr Anliegen und erläutert, wie sich aus seiner:ihrer subjektiven Sicht heraus eine bestimmte (Problem-)Situation darstellt. Nachfragen der Berater:innen sind in dieser Phase nicht erlaubt. Die Phase endet mit der sogenannten Schlüsselfrage des:der Ratsuchenden an die Berater:innen: Welchem Ziel soll die nun folgende Kollegiale Beratung dienen, welches Anliegen des:der Ratsuchenden soll von den beratenden Kolleg:innen bearbeitet werden? Tipp aus der Praxis: Wenn ein:e Ratsuchende:r Schwierigkeiten hat, sein:ihr Anliegen in einer einzigen Frage zu fokussieren, kann die Moderation ihn oder sie bitten, folgenden Satz zu Ende zu formulieren. »Was kann ich tun, um …?« Eine sehr simple Methode, die an dieser Stelle immer zu einem Ergebnis führt.
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Phase 2: Befragung In der zweiten Phase schließt die Beratungsgruppe durch Nachfragen an den:die Ratsuchende:n nun eigene Informationslücken, etwa durch Fragen wie »Seit wann sind Sie schon Führungskraft?«, »Wie lange besteht der Konflikt?«, »Wie sieht Ihr:e Vorgesetzte:r das Problem?«. Ratschläge oder Bewertungen durch das Berater:innenteam sind in dieser Phase nicht erlaubt. Phase 3: Analyse des Anliegens/Hypothesenbildung Nun folgt eine wesentliche und für den Erfolg Kollegialer Beratungsprozesse oft entscheidende Prozessphase: Die Berater:innen »analysieren« und bewerten den Fall – und zwar ohne den:die Fallgeber:in, welche:r sich in dieser Phase auf das Zuhören beschränken muss. Die Berater:innen äußern Vermutungen, Eindrücke und Assoziationen, die die Fallschilderung bei ihnen ausgelöst hat. Sie stellen Hypothesen auf, die auf einem Flipchart von der Moderation festgehalten werden. Das kann beispielsweise so aussehen: Ein Ratsuchender möchte wissen, wie er mit einem Teammitglied umgehen soll, dessen Leistungsbereitschaft zu wünschen übrig lässt. Die Berater:innen stellen nun beispielsweise folgende Hypothesen auf: »Der Ratsuchende hat bislang im Team nicht kommuniziert, was ihm als Führungskraft wichtig ist«, »Der Mitarbeiter ist enttäuscht, weil er selbst Teamleiter werden wollte«, »Der Mitarbeiter akzeptiert den Ratsuchenden nicht als Führungskraft«, »Das Teammitglied fühlt sich unterfordert, sieht keine Perspektiven mehr« oder »Der Ratsuchende hat bereits kapituliert«. Diese Hypothesen der Berater:innen müssen objektiv nicht »stimmen«, sie können sich untereinander auch widersprechen. Der:Die Fallgeber:in lässt die Vermutungen der Berater:innen zunächst nur auf sich wirken. Ihre Hypothesen werden von der Moderation auf einem Flipchart festgehalten. Phase 4: Stellungnahme zu den Hypothesen durch den:die Ratsuchende:n Der:Die Fallgeber:in nimmt nun zu jeder der geäußerten und auf dem Flipchart visualisierten Hypothesen kurz Stellung. Er:Sie schildert, ob die jeweilige Hypothese aus seiner:ihrer Sicht jeweils in ihrer Tendenz oder gegebenenfalls auch in vollem Umfang zutreffend ist oder nicht. Er:Sie kann korrigieren und ergänzen oder auch schildern, was eine Hypothese in ihm ausgelöst hat.
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Phase 5: Lösungsoptionen Die Berater:innen erarbeiten Lösungsvorschläge. Sie sagen dem:der Ratsuchenden, was sie konkret an seiner:ihrer Stelle tun würden – die Moderation hält die Vorschläge erneut schriftlich auf einem Flipchart fest. Über die Lösungsoptionen muss dabei, ebenso wie in der Phase der Hypothesenbildung, keineswegs Konsens unter den Berater:innen bestehen. Ganz im Gegenteil kann eine kontroverse Diskussion von Hypothesen und Lösungen bei dem:der zuhörenden Fallgeber:in sehr wichtige Reflexionsprozesse auslösen. Ebenso wie die zuvor geäußerten Hypothesen haben auch die Lösungsvorschläge ausschließlich den Charakter von »Reflexionsangeboten« für eine:n Ratsuchende:n. Phase 6: Lösungsfeedback/Entscheidung Der:Die Ratsuchende teilt jetzt mit, welche von den genannten Vorschlägen er:sie umsetzten möchte, gegebenenfalls warum er:sie sich von diesen Lösungen angesprochen fühlt und wie er:sie den Fall nun weiter zu bearbeiten gedenkt. Die Berater:innen hören zu und enthalten sich jeglicher Bewertung. Phase 7: Austausch In dieser letzten Phase der Kollegialen Beratung tauschen sich der:die Ratsuchende und die Berater:innen darüber aus, wie sie abschließend den gesamten Prozess bewerten, sowohl inhaltlich (Was nehmen alle Beteiligten mit?) als auch methodisch (Prozessreflexion). Kollegiale Beratung: Erfolg garantiert! Die Ergebnisse von Kollegialen Beratungsprozessen sind meist verblüffend. Die Praxis zeigt: Die Fallgeber:innen erhalten stets neue Perspektiven und vor allem neue Handlungsoptionen für Probleme, an denen sie oft schon seit geraumer Zeit herumdoktern. Dabei ist es für sie manchmal schon in der Phase »Schilderung des Anliegens« eine echte Herausforderung, ein häufig komplexes Anliegen auf den Punkt zu bringen und in einer »Schlüsselfrage« zu fokussieren. Kollegiale Beratung bezieht ihre große Wirkkraft vor allem aus der Tatsache, dass sich »Lernen« hier strukturiert und in einem Gruppenprozess vollzieht. Es ist ein großer Unterschied, ob sich Führungskräfte allein im stillen Kämmerlein über ein Problem den Kopf zerbrechen, eine:n Kolleg:in am Arbeitsplatz um Rat fragen (was freilich immer sinnvoll ist) oder in einem klassischen Semi-
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nar etwas Neues zum Thema Führung hören. Oder ob sie Zeug:innen und Beobachter:innen dessen werden, wie eine Gruppe von Kolleg:innen am eigenen Problem tüftelt, dieses kontrovers diskutiert, hin- und herwendet und am Schluss einen meist bunten Strauß neuer Handlungsmöglichkeiten für die Fallgeber:innen generiert. Ein:e Fallgeber:in wird, vor allem in den Phasen 2 und 3, in die Lage versetzt, sich von der eigenen Problemstellung zu »dissoziieren« und – sei es auch nur versuchsweise – neue »Haltungen« zu dieser zu entwickeln. Perspektivenwechsel finden geradezu zwingend statt, da die Berater:innen stets verschiedene Blickwinkel auf ein und dieselbe Fragestellung haben. Vor allem, indem sie (in Phase 3) die unterschiedlichsten Hypothesen zum Thema des:der Fallgeber:in aufstellen.
Was lernen die Beteiligten in Kollegialer Beratung? Sehr wichtig: Von Kollegialer Beratung profitiert nicht nur der:die Kolleg:in, welche:r beraten wird. Alle Beteiligten bauen dabei in erheblichem Maß Kompetenzen aus. So ist es für »beratende« Führungskräfte oft eine Herausforderung, in der Phase »Schilderung des Anliegens« erst einmal nur zuzuhören und sich jeglicher Kommentare und Bewertungen (auch nonverbaler Art) zu enthalten. Wirklich zuhören, sich also unvoreingenommen und mit höchster Aufmerksamkeit in die Lage anderer zu versetzen, ohne gleich Bewertungen vorzunehmen, ist für viele Führungskräfte eine Kompetenz mit viel Entwicklungspotenzial. Mindestens ebenso schwer fällt es oft, ein Problem zunächst nach allen Seiten hin zu öffnen und sich mit eigenen Lösungen zurückzuhalten. Auch lernt man als Berater:in, gute und »systemische« Fragen zu stellen, die einen Ratsuchenden zu einer neuen Problemwahrnehmung führen. »Zirkuläre« Fragen etwa (Beispiel: »Wie würden Ihre Mitarbeitenden oder Ihr:e Chef:in das Problem beschreiben?«) zwingen die Fallgeber:innen, die Sichtweisen Dritter stärker in die eigene Wahrnehmung miteinzubeziehen. »Skalierungsfragen« (Beispiel: »Wie beurteilen Sie die Stimmung in Ihrem Team auf einer Skala von eins bis zehn?«) helfen, Verallgemeinerungen (»Bei uns ist schlechte Stimmung.«) aufzulösen und Differenzierungen einzuführen (siehe Patrzek/Scholer 2018 u. 2022). Die größten Lerneffekte entstehen häufig in Phase 3 (Hypothesenbildung der Beratenden). Es ist für ein:en Fallgeber:in in aller Regel eine zuvor noch nicht erlebte Situation, Dritte über das eigene Thema diskutieren und reflektieren zu hören. Und vor allem, in diesen Diskussionsprozess nicht eingreifen zu können. Die Praxis zeigt immer wieder: Gerade in dieser Phase entstehen zuvor
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nicht für möglich gehaltene »Aha«- und Lerneffekte. Alltagskommunikative Prozesse ermöglichen solche Erfahrungen eher nicht. Die »Dissoziation« (Loslösung) vom eigenen Problem generiert für Ratsuchende nicht nur Lerneffekte, sondern hat auch eine Entlastungsfunktion. Eine Teilnehmerin (Fallgeberin) brachte diesen Effekt in einer Kollegialen Beratung treffend auf den Punkt: »Es ist eher ungewohnt, aber ein sehr angenehmes Gefühl, einmal dabei sein zu dürfen, wenn andere über einen reden.« Bei der Kollegialen Beratung stellt jede:r Berater:in andere, meist neue Perspektiven in den Raum. Die Folge: Alle Beteiligten, nicht nur die Fallgebenden, lernen und erfahren ganz konkret, dass es nicht die eine und einzige »Wirklichkeit« gibt, sondern dass Wirklichkeiten immer aus jeweils individuellen Interpretationen und Bewertungen entstehen. Kurzum: Dass man die Dinge so, aber auch anders sehen kann.
New Learning: Warum Unternehmen auf Kollegiale Beratung setzen sollten Unternehmen müssen ein Interesse daran haben, dass sich die Mittel, die in Personalentwicklung und Lernen investiert werden, auch lohnen. In Anlehnung an die Autor:innen Kuhlman und Sauter (2008) sind sechs Faktoren für wirksame Lernprozesse entscheidend. Im Folgenden wird kurz dargelegt, dass Kollegiale Beratung diese Faktoren erfüllt. 1. Lernen ist ein situativer Prozess Erfolgreiches und nachhaltiges Lernen sollte in bestimmten für den Lernenden relevanten Lebenssituationen verankert sein. Lernen auf Vorrat ist weniger effizient als Lernen, das sich im Kontext einer für die Lernenden selbst als bedeutsam definierten Situation vollzieht. Der Ausgangspunkt eines Kollegialen Beratungsprozesses ist immer eine von einem:einer Ratsuchenden formulierte und zunächst nur ihn:sie betreffende Problemsituation, auf die sich alle entwickelten Lösungsoptionen beziehen. 2. Lernen ist ein aktiver Prozess Aus der Lernforschung wissen wir, dass das Engagement der Lernenden ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. Kollegiale Beratung ist ohne ein hohes Aktivitätsniveau aller Beteiligten nicht denkbar und letztendlich sinnlos.
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3. Lernen ist ein Reflexionsprozess Die Lernprozesse können zunächst ausschließlich an der »Wirklichkeitskon struktion« anknüpfen, wie sie der:die Ratsuchende in der Anliegen-Schilderung aus seiner:ihrer Sicht vorgenommen hat. Durch die Interventionen der Berater:innen (Fragen, Hypothesen, alternative Handlungsoptionen) erhält der:die Ratsuchende die Möglichkeit, seine:ihre bisherige Wirklichkeitskonstruktion kritisch zu reflektieren und aufgrund des hierdurch erfolgten Perspektivenwechsels Offenheit gegenüber neuer Handlungsoptionen zu entwickeln. 4. Lernen ist ein emotionaler Prozess Insbesondere aus neueren Erkenntnissen der Hirnforschung wissen wir, dass nachhaltiges Lernen positiver Gefühle bedarf. Auch in der Kollegialen Beratung können neue Handlungsoptionen nur entstehen, wenn die Ratsuchenden emotional beteiligt sind. Nachhaltiges Lernen ist ohne Gefühl nicht möglich. Genau hier kann das Lernformat Kollegiale Beratung seine Stärken ausspielen. Der Lernanlass ist immer eine unbefriedigende Situation im eigenen beruflichen Kontext, die man überwinden möchte. Es kann bei Kollegialer Beratung somit fast zwangsläufig von einer hohen auch emotionalen Beteiligung ausgegangen werden. 5. Lernen ist ein selbstorganisierter Prozess Je höher der Grad der Selbstorganisation des Lernprozesses, desto nachhaltiger der Lernerfolg. Zwar orientiert sich der Kollegiale Beratungsprozess an einer festen Grundstruktur, die nicht verlassen werden darf. Innerhalb dieses vorgegebenen Kontextes aber organisieren sich die Gruppenmitglieder vollkommen autonom, etwa in der Zuweisung verschiedener Rollen an verschiedene Personen oder in der Erarbeitung und Bewertung von Hypothesen und Lösungen. Die gesamte Beratungssequenz ist ein Prozess der Selbstorganisation, der zu einem Ergebnis führt, das Berater:innen, Fallgeber:in und Moderation aus eigener Kraftanstrengung heraus und ohne externe Hilfestellung erreicht haben. Auch dies ist nach den Befunden der Lernforschung ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Denn für nachhaltiges Lernen ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Lernenden die erreichten Ergebnisse den eigenen Bemühungen zuschreiben können.
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6. Lernen ist ein sozialer Prozess Lernen ist insbesondere dann erfolgreich, wenn es in Austauschprozessen mit anderen Lernenden erfolgt. In der Kollegialen Beratung sind Kommunikation und Reflexion, etwa die Reflexion des Fallgebers:der Fallgeberin über die von den Berater:innen aufgestellten Hypothesen oder auch die gemeinsame Reflexion des Beratungsprozesses in der letzten Phase (Austausch), die Basis des Erfolgs. Die für erfolgreiches Lernen bedeutsamen Austauschprozesse sind geradezu der Wesenskern des Instruments.
Einführung Kollegialer Beratung in Unternehmen Unternehmen, die die großen Chancen und Möglichkeiten der Kollegialen Beratung erkannt haben und diese nun in der eigenen Organisation etablieren wollen, tun gut daran, zunächst den Boden zu bereiten, auf dem die anfangs sicherlich noch kleine Pflanze Kollegiale Beratung wachsen kann. Gewarnt werden muss an dieser Stelle vor übersteigerten oder unrealistischen Erwartungen, die an die Einführung dieses Lernformats geknüpft werden. Die Mitarbeitenden sind in der Regel noch formelle Lernprozesse mit einer traditionellen Methodik gewohnt, wie z. B. Seminare oder Vorträge, heute zunehmend auch Podcasts und Erklärvideos. Selbstverantwortung muss erst gelernt werden, braucht Zeit und Geduld Im Vergleich zu diesen gewohnten Formaten setzt Kollegiale Beratung viel stärker auf Selbst-Tun und Selbstorganisation. In den heutigen Unternehmenskulturen, die – agiler Bemühungen zum Trotz – ehrlicherweise noch weitgehend durch Hierarchisierung und geringe Eigenverantwortung geprägt sind, kann eine Lernkultur, die auf Selbstverantwortung und Aktivität der Lernenden setzt, nur langsam umgesetzt werden. Es braucht Geduld auf dem langen Weg hin zu einer neuen Art des Lernens. Die Erfahrungen in der Praxis der Kollegialen Beratung in Unternehmen zeigen, dass die Herausforderungen bei der Schaffung von Akzeptanz für neue Lernformen nicht unterschätzt werden sollten. Im Gegensatz zum Coaching ist die Kollegiale Beratung heute noch weit davon entfernt, sich zu einem Selbstläufer der Personalentwicklung entfaltet zu haben. Wo Kollegiale Beratung nicht intensiv beworben wird, hält sich deshalb auch die Nachfrage (noch) in Gren-
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zen. Dort aber, wo das Instrument professionell eingesetzt wird, sind Mitarbeiter:innen, Führungskräfte und Personalverantwortliche in aller Regel begeistert ob der durchschlagenen Wirksamkeit des Instruments. Langfristig kann also durchaus auf den Multiplikator:innen-Effekt gesetzt werden. Einführung Kollegialer Beratung: Praxisbeispiel Ein Unternehmen setzte sich zum Ziel, zur Lösung von Führungs- oder sonstigen Problemen zukünftig verstärkt auf Kollegiale Beratung zu setzen. Bislang war das Instrument den Führungskräften des Unternehmens weitgehend unbekannt. Wie ging dieses Unternehmen vor? Schritt 1: Informationsveranstaltung
Als erster Schritt wurde eine Informationsveranstaltung für alle Führungskräfte des Unternehmens angeboten, und zwar zwei hintereinandergeschaltete Staffeln, damit die Veranstaltungen nicht zu groß wurden. Alle interessierten Führungskräfte des Unternehmens waren zu einer jeweils anderthalbstündigen Veranstaltungen eingeladen. Zur Teilnahme bestand kein Zwang. Allerdings machte das Unternehmen allein durch die Tatsache, dass der Personalvorstand bei diesen Veranstaltungen zugegen war und jeweils die Eröffnungsworte sprach, deutlich, wie wichtig ihm eine zukunftweisende Personalentwicklung, Selbstorganisation in der Fortbildung und das hierfür notwendige Engagement der Führungskräfte sind. Wichtig: Möchte ein Unternehmen Kollegiale Beratung oder andere Instrumente der Personalentwicklung nachhaltig in der eigenen Organisation verankern, sind aktive Signale des Top-Managements des Unternehmens von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Am Nachhaltigsten wirkt es, wenn ein:e hochrangige:r Repräsentant:in des Unternehmens selbst berichten kann, welche guten Erfahrungen er:sie mit dem Instrument gemacht hat. In der Veranstaltung führte der Trainer in das Modell ein und erläuterte sowohl Hintergründe als auch die Phasen 1 bis 7 des Modells »Kollegiale Beratung«. Ein Teilnehmer der Veranstaltung wurde dazu bewegt, einen ersten kleinen Fall einzubringen. Es fanden sich vier bis fünf »Beratende«, sodass das Modell in einem ersten kleinen »Appetizer« praktisch durchgespielt werden konnte (Dauer ca. 40 Minuten). Anschließend bestand
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die Möglichkeit, Fragen an den Trainer zu dem nun erstmals von den Führungskräften auch praktisch erlebten Modell zu stellen. Am Schluss der Veranstaltung konnten sich die anwesenden Führungskräfte in einer Liste eintragen, sofern sie sich vorstellen konnten, mit diesem Modell weiterzuarbeiten. In den beiden Veranstaltungen trugen sich von jeweils ca. fünfzig anwesenden Führungskräften jeweils ca. zwölf bis fünfzehn Führungskräfte ein, die sich von dem Format Kollegiale Beratung angesprochen fühlten und das Erlebte gern vertiefen wollten. Schritt 2: Vertiefungsseminar
Aus den ersten beiden Einführungsveranstaltungen wurden aus den Interessent:innen zwei Gruppen gebildet, die jeweils an einem eintägigen Vertiefungsseminar teilnahmen. In diesen Vertiefungsseminaren wurde die Kollegiale Beratung anhand von konkreten Fragestellungen aus den betrieblichen Zusammenhängen der Führungskräfte intensiver eingeübt. Am Ende dieser Seminartage bekundeten alle Beteiligten, zukünftig mit dem Instrument in Eigenregie weiterarbeiten zu wollen. Allerdings wiesen sie darauf hin, dass sie für die entscheidende Rolle der »Moderation« in der Kollegialen Beratung noch einen gewissen Schulungsbedarf hätten. Wichtig: Gerade in der Anfangsphase der Einführung von Kollegialer Beratung in Organisationen ist es von großer Wichtigkeit, aus dem Kreis der Teilnehmenden geeignete Moderator:innen zu finden, die die ersten Beratungsprozesse begleiten. Denn die Weiterführung steht und fällt mit erfolgreichen ersten Kollegialen Beratungen. Die Rolle der Moderation kann grundsätzlich jede:r lernen und übernehmen. Wichtig sind neben Lernbereitschaft vor allem Motivation und Engagement. Schritt 3: Schwerpunkt Moderation
Es fanden im Unternehmen daraufhin zwei weitere halbtägige Seminare statt, in denen schwerpunktmäßig die Rolle der Moderation vertiefend eingeübt wurde. Das bedeutet, dass zwei weitere Praxisfälle unter Anleitung des Trainers von denjenigen Führungskräften moderiert wurden, die auch bei den geplanten ersten Beratungsprozessen in Eigenregie die Moderation übernommen hatten. Am Ende des Moderations- Vertiefungs(halb-)tages wurde von den Teilnehmenden ein erster Termin festgelegt, an dem man eine Kollegiale Beratungsrunde in Eigenregie starten wollte.
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Schritt 4: Treffen in Eigenregie
Die Gruppen trafen sich nun in Eigenregie und führten in regelmäßigen Abständen (ca. alle drei Monate) Kollegiale Beratungen zu Themen durch, die von den Teilnehmer:innen selbst eingebracht und beraten wurden. In diesem Unternehmen kamen die Kollegialen Beratungen nun »ins Laufen«. Anzuraten ist, die Implementierung nach etwa einem Jahr von allen Beteiligten gemeinsam mit der Personalabteilung auszuwerten.
Voraussetzungen, damit Kollegiale Beratung im Unternehmen funktioniert Kollegiale Beratung ist ein Format, dass von Selbstorganisation lebt. Das heißt aber nicht, dass Kollegiale Beratung im luftleeren Raum funktioniert. Sie braucht nicht nur Akzeptanz, sondern aktive Unterstützung im Unternehmen. Unternehmen, die die Notwendigkeit einer neuen »Lernkultur« erkannt haben und neuen Lernformen wie der Kollegialen Beratung zum Durchbruch verhelfen möchten, kommen deshalb nicht umhin, auch entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich neues Lernen und selbstorganisiertes Arbeiten an wichtigen Themen entfalten können. Es sollte z. B. selbstverständlich sein, dass Kollegiale Beratungen in den Dienstzeiten der Beteiligten stattfinden. Die Erfahrungen zeigen, dass selbstorganisierte Lernprozesse wie die Kollegiale Beratung äußerst effektiv und damit für Organisationen in höchstem Maße wertschöpfend und rentabel sind. Es kann also keinen Grund dafür geben, diese Lernformen nach Dienstschluss in die Freizeit der Beschäftigten zu verlagern. Grundlegende Voraussetzung für die Implementierung Kollegialer Beratung in Unternehmen und deren Prozesse ist zunächst, dass in der Anfangsphase zumindest eine Kerngruppe von Teilnehmenden den Ablaufprozess und die den einzelnen Phasen jeweils innewohnenden »Gesetzmäßigkeiten« kennt und diese sicher beherrscht. Diese Fähigkeit kann, wie im Beispiel beschrieben, in einer ein- bis zweitägigen Grundqualifizierung durch externe Expert:innen geschult werden. Die Erfahrung zeigt, dass die »Kollegiale Beratungskompetenz« mit jeder weiteren Beratung stetig ansteigt, sodass aus ehemaligen Beratungs-»Lai:innen« innerhalb kürzester Zeit zunehmend professionelle (Kollegiale) Berater:innen werden. In einem zweiten Schritt ist es dann möglich, ein oder mehrere kon stante Beratungsteams zu definieren, die sich allerdings durch eine grundsätzliche Offenheit für neue Mitglieder auszeichnen sollten.
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Stolpersteine – und wie man sie umgehen kann Kollegiale Beratung ermöglicht es, auf eine andere Art und Weise, nämlich voneinander, zu lernen. Was sollte schon gegen dieses Format sprechen? Es scheint logisch und einfach. Aber auch die Einführung Kollegialer Beratung in Unternehmen ist ein großer Lernprozess. Auf dem Weg dorthin liegen »Stolpersteine«, die man zur Kenntnis nehmen muss. Stolperstein Vertrauen?
Wenn Führungskräfte aus verschieden Unternehmen oder Verwaltungen Kollegiale Beratungsseminare besuchen, wird oft geäußert, dass man sich dieses Format nur im unternehmensübergreifenden Kontext, spricht mit den Kolleg:innen aus anderen Unternehmen, vorstellen könne, im eigenen Unternehmen aber eher nicht. Es bestehen oft Bedenken, Kollegiale Beratung auch intern anzuwenden, da man im eigenen Unternehmen um die Vertraulichkeit fürchte. Wer diesen Stolperstein mutig aus dem Weg räumt, indem er es einfach mal mit Kolleg:innen aus dem eigenen Unternehmen ausprobiert, darf sich hierbei auf meine eigene langjährige Erfahrung berufen. Nicht ein einziges Mal habe ich es erlebt, dass das Prinzip der absolut notwendigen Vertraulichkeit in einem unternehmensinternen Kontext verletzt wurde. In den eher kleinen Beratungsgruppen wird Vertrauensvorschuss immer belohnt. Ich erkläre mir diese Tatsache, die, wie gesagt, auf Erfahrung beruht, damit, dass sich zur Kollegialen Beratung nur diejenigen Kolleg:innen aus einem Unternehmen zusammenfinden, deren Persönlichkeitsstruktur stark wertegeleitet ist. Stolperstein Selbstbild von Führungskräften?
»Wenn ich als Führungskraft ein Problem einbringe, würde ich ja zugeben, dass ich eine schwache Führungskraft bin!« Dieses Zitat habe ich wörtlich in einer Veranstaltung gehört. Nicht selten herrscht in Unternehmen, meist unausgesprochen, eine Kultur von »starken« Führungskräften vor, die dafür bezahlt werden, dass sie Probleme lösen, und nicht dafür, welche zu haben. Zugegeben: Sich selbst auch einmal infrage zu stellen, sich mit seinen Sorgen und Nöten und mit noch nicht gelösten Herausforderungen vor anderen zu öffnen, erfordert Mut. Es ist Aufgabe des Top-Managements, die Notwendigkeit der kritischen Selbstreflexion von Führungskräften zu einer Selbstverständlichkeit zu machen. Stolperstein Zeit?
»Wir können doch nicht für jedes Problem gleich eine Truppe von Kolleg:innen zusammentrommeln und sie stundenlang um ein einziges Problem herum
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versammeln. Dafür fehlt uns die Zeit!« Richtig, nicht bei jedem Problemchen muss Kollegiale Beratung stattfinden. Aber bei eher grundsätzlichen und schon länger andauernden offenen Fragestellungen sind die zwei Stunden, die in der Regel für Kollegiale Beratung investiert werden müssen, eine Investition, die sich lohnt. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass an dem individuellen Thema des einen Kollegen auch die anderen Kolleg:innen für ihre eigenen Themen lernen. Stolperstein Selbstorganisation?
Folgender Aspekt ist oft zu beobachten: Am Ende eines Seminares zur Kolle gialen Beratung sind die Teilnehmenden begeistert und nehmen sich weitere Treffen in Eigenregie vor. Nur allzu oft aber verpuffen diese Vorhaben in den Mühlen des betrieblichen Alltags. Keine Frage: Die Selbstorganisation des Lernens ist ungewohnt und alles andere als ein Selbstläufer. Meine Erfahrung: Auch Selbstorganisation braucht Struktur. Es wäre ein Missverständnis, zu glauben, dass sich selbstbestimmtes Lernen nicht in strukturierten Lernkontexten entfalten kann. Das Gegenteil ist der Fall. Auch »New Learner« brauchen Leitplanken und gute Rahmenbedingungen, die die Personalabteilung setzen sollte. Für das Format Kollegiale Beratung kann dies zum Bespiel bedeuten: Statt es bei reinen Absichtserklärungen einer Gruppe zu belassen (»Wenn jemand von uns ein Thema hat, kann er ja den anderen Bescheid geben …«), sollte die Personal- oder Fortbildungsabteilung des Unternehmens mit der Terminierung des Grundseminars gleich etliche Folgetermine festsetzen und zu diesen auch einladen, z. B. zu drei bis vier Folgeterminen in einem Jahr. Auch kann das Unternehmen für die Folgetermine eine:n externe:n Moderator:in beauftragen, sofern die Moderationskompetenz in der Gruppe (noch) nicht vorhanden ist. Stolperstein alte Lernkultur?
Die Erfahrungen zeigen: Die Anmeldebereitschaft für ein Seminar mit dem Titel »Kollegiale Beratung« und der inhaltlichen Beschreibung, dass es hier darum geht, eigene Themen einzubringen, hat noch viel Luft nach oben. Die Lernkultur, die sich in vielen Jahrzehnten entwickelt hat, war eher auf »Konsum« von Fortbildungsthemen ausgerichtet. Schulungen wurden mitunter als ein willkommener Kurzurlaub wahrgenommen. »Oh, hier muss ich wohl selbst etwas tun …« – Dieser schnell erkennbare Hintergrund beim Format Kollegiale Beratung wirkt auf viele zugegeben nicht sehr motivierend. Es bedarf also eines geschickten Marketings seitens der Personalverantwortlichen des Unternehmens, um erst einmal Neugierde auf neue Lernformen
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wie Kollegiale Beratung zu wecken. Eine zwar zeitintensive, aber in aller Regel sehr wirksame Marketingmaßnahme ist die direkte persönliche Ansprache von potenziellen Interessent:innen und Führungskräften.
Kollegiale Beratung: Worauf warten Sie noch? Sie haben Lust auf Kollegiale Beratung bekommen? Und sich auch von den vorab beschriebenen Stolpersteinen nicht abschrecken lassen? Dann war auch dieser Beitrag vielleicht eine geeignete Marketingmaßnahme. Warum also noch mit der Einführung Kollegialer Beratung zögern? Dieses Format bietet Unternehmen eine Vielzahl von Vorteilen. Und zwar für alle Beteiligten. Für die Lösung der meisten Probleme in Organisationen bedarf es keiner externen Beratung. Kolleg:innen und Führungskräfte erleben, dass Entwicklung und Veränderung auch selbst gestaltet werden können. Kollegiale Beratung schafft neue (Vertrauens-) Räume und Netzwerke im Unternehmen, sie fördert die Eigenverantwortung, führt zu Selbstreflexion und erhöht das Selbstbewusstsein von Kolleg:innen und Führungskräften Dem selbstbestimmten Lernen und dem Teilen von Wissen wird die Zukunft gehören. Selbstorganisierte Lernformen profitieren vom Wissen, den Kompetenzen und den Erfahrungen anderer. Diese Erfahrungen sind ein großer Schatz in jedem Unternehmen. Mit Kollegialer Beratung halten Unternehmen, aber auch die Mitglieder der Organisation den Schlüssel in der Hand, mit dem sie diese Schatztruhe öffnen können. Wenn Personalabteilungen mehr Verantwortung an die Lernenden delegieren, entstehen automatisch Netzwerke, die sich bei Problemen selbst helfen und unterstützen, ohne den Weg über die Personalabteilung gehen zu müssen. Daher: Kollegiale Beratung ist nicht nur wirksam, sondern auch rentabel. Sie verkürzt Wege und spart Ressourcen ein.
Mit Kollegialer Beratung zu einer neuen Unternehmenskultur Durch vieldimensionale Lernprozesse im Kontext Kollegialer Beratung steigt bei allen Beteiligten die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion und zum Perspektivwechsel. Konsequent und mit langem Atem angewandt, vor allem aber von einer hinreichenden Zahl von Führungskräften und Kolleg:innen praktiziert, kann Kollegiale Beratung eine neue Lern-, Führungs- und Unterstützungskultur im Unternehmen einleiten.
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Literatur Kuhlman, Anette M./Sauter, Werner (2008): Innovative Lernsysteme. Kompetenzentwicklung mit Blended Learning und Social Software. Heidelberg. Patrzek, Andreas/Scholer, Stefan (2018): Systemisches Fragen in der Kollegialen Beratung. Weinheim/Basel. Patrzek, Andreas/Scholer, Stefan (2022): Die Kraft des Fragens. Weinheim/Basel.
BERATUNG ONLINE
7 Wirksamkeit von Onlineberatung – grundlegende Befunde der Forschung Patricia Arnold
Onlineberatung – ein lange kontrovers diskutiertes Thema Die Digitalisierung des Alltags erfasst nach wie vor, seit der Covid-19-Pandemie mit erhöhter Geschwindigkeit, zunehmend mehr Bereiche unseres Lebens. Internet und Social Media-Plattformen gewinnen in immer mehr Bereichen an Bedeutung, sowohl als Informations- als auch als Kommunikationsmedien. Schon bei der Erhebung der ARD/ZDF-Onlinestudie im Jahr 2011 waren drei von vier Personen in Deutschland online, im Jahr 2021 sind es mehr als neun von zehn (94 %; Beisch/Koch 2021). Vertiefende Zusatzinformationen im Internet, z. B. bei Nachrichten- und Streaming-Angeboten, sind eine Selbstverständlichkeit geworden. Die Kommunikation über Soziale Netzwerke wie Facebook, Xing oder LinkedIn wird breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Es überrascht daher nicht, dass diese veränderten medialen Lebenswelten auch die psychosoziale Beratungslandschaft verändert haben. In einer ersten Phase des »ambitionierten Experimentierens« (Kühne/Hinterberger 2009, S. 7) sind zahlreiche Onlineberatungsangebote entstanden, häufig als Ergänzung bereits bestehender traditioneller Formate (z. B. Onlineberatungsangebote der Caritas, der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung oder der Deutschen AIDS-Hilfe). Diese meist textgebundenen Beratungsangebote sind mittlerweile bei allen Organisationen, die Beratung zu ihren Dienstleistungen zählen, gut verankert (Engelhardt/Gerner 2017). Zentrale Argumentation beim Aufbau dieser Angebote ist, dass Beratungsangebote sich an den Lebenswelten der Ratsuchenden orientieren sollten. Da für viele Menschen die Internetnutzung beruflich und privat zur Selbstverständlichkeit geworden ist, geht man davon aus, dass sie selbstverständlich auch Beratungsangebote im »virtuellen Raum« erwarten. Hinzu kommen die auf der Hand liegenden Vorteile von Onlineberatung wie zeitliche und örtliche Flexibilität und Niedrigschwelligkeit, verstärkt durch die Möglichkeit, anonym Unterstützung zu suchen.
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In der überwiegenden Schriftlichkeit des Onlineberatungssettings werden darüber hinaus auch eigenständige Stärken gesehen: »Schreiben tut der Seele gut«, überschreiben die Buchautor:innen von »Hilfe aus dem Netz – Theorie und Praxis der Beratung per E-Mail«, Birgit Knatz und Bernard Dodier (2003), den Internetauftritt des von ihnen gegründeten Instituts für Online-Beratung. Richter und Schindler (2018) belegen dies mit ihrer Analyse zum textbasierten asynchronen Online-Coaching. Eher informell organsierte Beratungssettings, wie sie in Online-Communities und internetbasierten Selbsthilfegruppen existieren, haben gegenüber der Beratung durch Professionelle schon eine längere Tradition (z. B. als Forumsdiskussionen in den Newsgroups des Usenet in den 1980er und 1990er Jahren). Sie dienten als positive Praxisbeispiele für den Aufbau professioneller Onlineberatungsangebote. Die »Kollegiale Beratung online«, die im Mittelpunkt dieses Buchs steht und die über die Plattform kokom.net nach dem Heilsbronner Modell zu realisieren ist, greift ebenfalls auf das Prinzip der Beratung durch Gleichgestellte (Peers) zurück, strukturiert diesen Prozess aber anders und professionell (vgl. auch Arnold 2011, Arnold/Schindler 2018, Richter/Schindler 2018). Ob und wie Beratungsangebote im Internet umgesetzt werden können, war lange eine umstrittene Frage. Zu Beginn der ersten professionellen Onlineberatungsangebote waren zahlreich kritische Stimmen zu hören. Es wurde eine Verarmung und Verflachung des Beratungskontakts durch die computervermittelte Kommunikation (CVK) vorhergesagt. Distanzierte, technisch vermittelte, »kühle« Kommunikation schien genau das Gegenteil von dem zu sein, was für die Beratung für unabdingbar gehalten wird: menschliche, »warme«, direkte und persönliche Kommunikation. Die öffentliche Debatte um Datenschutzskandale à la Facebook hat diese grundsätzlich kritische Position zusätzlich gestärkt. Neben der inhärent anderen Kommunikationsart im Internet, die viele pauschal als nicht geeignet für die Beratung ablehnten, schien es nicht möglich, Datenschutz und Vertraulichkeit zu gewährleisten. Mittlerweile wird die Diskussion um Potenziale und Grenzen von Onlineberatung weitaus differenzierter geführt, auch wenn sie immer noch stark polarisiert. Interessant ist in Bezug auf die ablehnende Grundhaltung zweierlei: Zum einen wird die Telefonberatung, die ebenfalls eine Form der medial vermittelten Beratung darstellt und als wirkungsvolle Beratungsform etabliert ist, in der Regel nicht mit in den Blick genommen. Zum anderen berücksichtigt diese Position nicht die verblüffende Wirkung, die das allererste computergestützte Beratungsangebot namens »Eliza« in den 1960er Jahren auf Ratsuchende hatte:
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Der Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum hatte das Programm »Eliza« im Rahmen seiner Forschungen zur Künstlichen Intelligenz entwickelt. Mit »Eliza« modellierte er eine therapeutische Gesprächsführung gemäß der klientenzentrierten Psychotherapie nach Carl Rogers. Obwohl Weizenbaum es mit dem Ziel vorstellte, die prinzipiellen Grenzen der künstlichen Intelligenz zu demonstrieren, zeigte »Eliza« erstaunliche Wirkungen: Menschen, die mit »Eliza« kommunizierten, schrieben »Eliza« hohe Empathie und menschliche Wärme zu, auch nachdem sie über die wahre Natur von »Eliza« als Softwareprogramm aufgeklärt worden waren (eine deutschsprachige Variante von »Eliza« kann unter http:// www.med-ai.com/models/eliza.html.de [Zugriff am 20.07.2022] getestet werden). Dieser Beitrag zeichnet die Diskussion um die Onlineberatung aus wissenschaftlicher Perspektive nach: Es wird geklärt, um was es bei dem weiten Begriff von »Onlineberatung« geht, welche Formen man unterscheiden kann und vor allem welche Ergebnisse Evaluationen und andere Studien zur Wirkung und Wirksamkeit von Onlineberatung ergeben haben. Dazu werden zunächst die vielfältigen Formen von Onlineberatungsangeboten skizziert. Anschließend folgt eine Zusammenschau grundlegender Forschungsergebnisse und Evaluationsstudien zur Onlineberatung, die wichtige Evidenzen für die Wirksamkeit von Onlineberatung liefern. Zum Teil wurden diese schon vor über zehn Jahren präsentiert, konnten aber über viele Jahre wenig an der – vermeintlich grundsätzlichen – Kritik der Gegner:innen ändern. Ein Fazit und ein Ausblick auf weitere notwendige Forschung und Entwicklung runden den Beitrag ab.
Vielfältige Formen der Onlineberatung Onlineberatung fristet kein Nischendasein mehr, sondern hat sich in den unterschiedlichsten Organisationsformen, mit zahlreichen Beratungsschwerpunkten und unter Nutzung vielfältiger Werkzeuge etabliert. Organisationen, die auch vor der starken Verbreitung des Internets bereits psychosoziale Beratung angeboten haben, wie beispielsweise die Caritas oder die Diakonie und die Evangelische Kirche, ergänzen mit Onlineberatungen ihr traditionelles Angebot und versuchen so, ihre Reichweite zu erhöhen. Neben der Onlineberatung durch professionell Beratende existiert die informelle, häufig selbst organisierte Beratung in internetbasierten Selbsthilfegruppen. Weiterhin gibt es auch Kollegiale Beratungsprozesse ohne professionell Beratende (das Thema des hier vorliegenden Buchs), die internetbasiert ablaufen, wie beispielsweise Beratungen über die Plattform kokom.net, bereitgestellt durch das »Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung«.
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Die thematische Bandbreite innerhalb der Onlineberatung ist ebenfalls sehr groß. Von Schuldner:innenberatung über Paarberatung bis hin zur Kinder- und Jugendberatung u. v. m. sind alle Beratungsschwerpunkte in den Onlinenangeboten zu finden, die auch sonst von psychosozialer Beratung abgedeckt werden. Eine weitere Differenzierung von Onlineberatungsangeboten kann in Bezug zum Zeitpunkt erfolgen, zu dem das Onlineangebot innerhalb eines gesamten Beratungsprozesses eingesetzt wird. So finden sich zum Beispiel im Bereich der psychischen Gesundheit sowohl in der Prävention wie auch in der Behandlung selbst sowie in der Nachsorge Onlineangebote. Eine andere Unterscheidung bei den Onlineberatungsangeboten kann nach dem primär eingesetzten Beratungswerkzeug im Internet erfolgen: So gibt es E-Mail-Beratung, Chatberatung oder Forenberatung, Beratung per App in mobilen Medien, Beratung in virtuellen Welten oder über Soziale Netzwerke. In jüngerer Zeit, beschleunigt durch den Boom an Videokonferenzen in der Covid-19-Pandemie, werden zunehmend auch Beratungssettings mithilfe von Videokonferenztechnologien einzeln oder in Gruppen angeboten. Da aber Werkzeuge oft kombiniert werden, die technischen Möglichkeiten sich kontinuierlich weiterentwickeln und zum Teil schwer voneinander abzugrenzen sind, ist diese Einteilung in der Regel weniger aussagekräftig. Eine Kategorisierung, die an den ganz unterschiedlichen Beratungssettings ansetzt, haben Barak und Gobol (2011) für internetbasierte Interventionen im Bereich der psychischen Gesundheit entwickelt. Sie lässt sich gut auf allgemeine Beratungsthemen übertragen. Folgende Formen von Onlineberatung lassen sich demnach unterscheiden. Aufklärende Websites
»Aufklärende Websites« sind überwiegend statische Informationsangebote im Internet wie z. B. Gesundheitsportale von Krankenkassen mit Informationen zu psychischen Störungen. Interaktive Selbsthilfeprogramme
»Interaktive Selbsthilfeprogramme« sind individuell und selbst gesteuert zu nutzende webbasierte Selbsthilfeprogramme (z. B. »Career Counselling for Teachers«, eine Berufseignungs- und Laufbahnberatung online für (angehende) Lehrer:innen, oder »Mood Gym«, ein australisches Programm zum verbesserten Umgang mit Depressionen mit mehr als 200.000 registrierten Nutzer:innen).
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Internetgestützte professionelle Beratung
Unter »internetgestützter professioneller Beratung« versteht man die formalisierte Interaktion zwischen Ratsuchenden und ausgebildeten Beratenden (wie z. B. in dem einleitend genannten Beispiel der Deutschen AIDS-Hilfe). Online-Selbsthilfegruppen und Peer-to-Peer-Beratung
»Online-Selbsthilfegruppen« und »Peer-to-Peer-Beratungen« macht eine Beratung durch Gleichgestellte, ohne professionell Beratende, in Selbsthilfeforen oder als strukturierte Kollegiale Beratung, wie unter www.kollegialeberatung.net, aus. Informelle weitere Formen
Unter »informellen weiteren Formen« werden an dieser Stelle nicht eindeutig zuordenbare Formen wie individuell zu nutzende Smartphone-Applikationen oder informelle Beratung in virtuellen Welten wie Second Life oder in Sozialen Netzwerken (z. B. informelle Onlineberatung in sozialen Netzwerken als »virtuelle Straßensozialarbeit«, bspw. im Projekt »Netari.fi« in Finnland) verstanden. Die Vielfalt von Onlineberatungsangeboten spiegelt sich auch in einer rasch wachsenden Fachliteratur zum Thema wider. Auch hier wird offensichtlich, dass Onlineberatung keine Spielwiese einer kleinen Gruppe von Internetaktivist:innen ist, sondern flächendeckend den Beratungsalltag (und auch Therapiealltag) verändert (für einen Überblick der vielfältigen Einsatzformen vgl. Eichenberg/ Küsel 2016 sowie Knaevelsrud et al. 2016). Die theoretische Fundierung der Onlineberatung sowie ihre Funktionsweise und erste Evaluationsergebnisse haben Stefan Kühne und Gerhard Hintenberger in ihrem Sammelband »Handbuch Online-Beratung« dargelegt (Kühne/Hintenberger 2009), ebenso das »Lehrbuch Onlineberatung« (Engelhardt 2021). Die gesamte Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte findet sich bei Rietmann et al. (2019) in ihrem Sammelwerk »Beratung und Digitalisierung. Zwischen Euphorie und Skepsis« differenziert dargelegt. Aktuelle und vielfältige Aspekte des Themenfelds werden kontinuierlich in der Online-Fachzeitschrift e-beratungsjournal.net diskutiert (z. B. der Artikel »Einführung in die Onlineberatung per Messenger«, Engelhardt/Piekorz 2022). Aber auch bereits länger etablierte Fachzeitschriften wie »Psychotherapeut« oder »Psychotherapie Forum« widmen sich regelmäßig den Möglichkeiten und Grenzen internetbasierter Beratungs- und Therapieansätze. Im Mittelpunkt der Ausgabe 5/2021 stehen beispielweise Artikel zu digitaler Psychotherapie.
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Grundlegende Forschungsergebnisse Es gibt also vielfältige Onlineberatungsangebote und sie werden auch zahlreich genutzt – aber wirken sie deshalb? Kann derart mediatisierte Beratung überhaupt eine Wirkung haben? Behalten die skeptischen Stimmen nicht doch recht, die sagen, Beratung, zumindest in formalisierten Beratungssettings, komme ohne den direkten menschlichen Kontakt nicht aus? Betrachtet man wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Fragenkomplex, weisen sie durchweg positive Ergebnisse auf (Eichenberg/Küsel 2016), auch wenn sich bestehende soziale Ungleichheiten zum Teil auch in Zugang zu und Nutzung von Onlineberatung widerspiegeln (Klein/Putz 2020). Es lohnt sich also, Wirkmechanismen und die Besonderheiten von Onlineberatung eingehender anzuschauen. Computervermittelte Kommunikation in der Beratung Mit den besonderen Eigenarten computervermittelter Kommunikation (CVK) beschäftigen sich die kommunikationswissenschaftliche, die medienpsychologische, die medienpädagogische und auch die bildungswissenschaftliche Forschung aus je leicht unterschiedlichen Perspektiven schon seit geraumer Zeit. Was ist das Besondere an CVK in der Beratung (Darstellung im Folgenden angelehnt an Brunner 2009)? Zuerst sei der Wechsel von überwiegend mündlicher Kommunikation (in klassischen Beratungssettings) zu überwiegend schriftlicher Kommunikation erwähnt. CVK ist allerdings keine gewohnte Schriftlichkeit, sondern erzeugt ein neues Genre von Schriftlichkeit, die sogenannte »mündliche Schriftlichkeit« (Oralliteralität), die zwischen gesprochener und geschriebener Sprache liegt. Frühe Forschung zu CVK hat stets die »Kanalreduktion« betont – in der CVK würden Mimik, Gestik, Intonation etc. nicht mitübertragen sowie so genannte »soziale Hinweisreize« wie Alter, Aussehen, Geschlecht, Status etc. fehlen (Döring 1999, S. 214). Eine reine defizitäre Betrachtungsweise aufgrund dieser Reduktion bzw. Filterung wird der besonderen Eigenart von CVK aber nicht gerecht. Zum einen haben sich umfangreiche Codierungen zur Umschreibung dieser Zusatzinformationen, wie Emoticons, Akronyme oder Aktionswörter, herausgebildet, zum anderen hat man festgestellt, dass diese Defizite zumindest über längere Zeiträume in der Kommunikation wieder ausgeglichen werden konnten (Walther 1992). Weiterhin begünstigt die Kanalreduktion eine Konzentration auf die Inhalte. Viel diskutiert sind außerdem zwei Effekte als Konsequenz der Kanalreduktion bzw. des Fehlens
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der sozialen Hinweisreize: »Egalisierung« (Kommunikation unter Gleichen) wie auch Enthemmung (fehlende Impulskontrolle, die z. B. zu Beleidigungen führen kann). Empirische Untersuchungen zu diesen Effekten kommen allerdings zu widersprüchlichen Ergebnissen: Studien jüngeren Datums (z. B. Döring 2003) zeigen, dass insbesondere die negative Enthemmung nicht so stark ist, wie vielfach angenommen. Ähnlich ist der egalisierende Effekt, zumindest wenn das CVK Setting sich über längere Zeiträume erstreckt, geringer als gedacht. Verallgemeinernde Aussagen unabhängig von konkreten Kontexten erwiesen sich als schwierig. Deutlich wurde nur, dass CVK in Beratungssituationen weder etwas gänzliches Neues noch etwas Altbekanntes »nur mit anderen Medien« ist. Es gilt also die ganz eigene Qualität von CVK im Beratungssetting angemessen zu berücksichtigen. Der Effekt der Enthemmung kann sich z. B. für Beratungen als positiv erweisen, wenn Ratsuchende heikle Themen schneller anschneiden als in traditionellen Beratungskontexten. Weiterhin kann davon ausgegangen werden, dass Beratungssituationen mit CVK generell vorhandene Tendenzen zu Projektion und Imagination noch verstärken und es deswegen wichtig ist, die jeweiligen inneren Bilder in der Onlineberatungssituation zu berücksichtigen und ggf. zu überprüfen. Umstritten ist auch die Frage, ob rein über CVK entstandene Beziehungen zwischen Menschen wirkliche persönliche Beziehungen sind. Da aber medial vermittelte Kommunikation Teil unseres Alltags geworden ist, geht man heute davon aus, dass auch solche »text relationships« menschliche persönliche Beziehungen sind, die ganz reale Emotionen auslösen können. Vor dem Hintergrund der Besonderheiten von CVK erscheint es nur wichtig, beide Ebenen – die Beziehungsebene ebenso wie ihre mediale Vermitteltheit – in die Reflexion der Beratungssituation miteinzubeziehen (z. B. Jiang/Hancock 2013). Darüber hinaus sind bei Beratungen via CVK die jeweiligen Kontexte der Ratsuchenden bzw. der Beratenden sowie der Beratung selbst nicht unmittelbar erschließbar. Sollen die Kontexte für die Beratung genutzt werden, müssen sie bewusst sichtbar gemacht und auch der Beratungskontext selbst aktiv gestaltet werden (z. B. durch die explizite Vereinbarung von Regeln, Zeitfenstern etc.). Generell gilt, dass diejenigen Onlineberatung mittels CVK verstärkt nutzen, die die mögliche Anonymität und die Distanz in der Beratungssituation als positiv bewerten, deren Lebensumstände es nicht erlauben, eine Beratungsstelle zu besuchen, die eine Beratung »vor Ort« explizit nicht nutzen möchten oder für die der Umgang mit Medien so selbstverständlich ist, dass sie auch bei Beratungsbedarf nicht darauf verzichten möchten (Hintenberger/Kühne 2009). Allen auf CVK basierenden Beratungsangeboten ist eine größere Nachhaltigkeit durch die Verschriftlichung gemein: Beratende wie Ratsuchende können
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leicht den Beratungsverlauf nachlesen. Beratungsorganisationen erleichtert die Schriftlichkeit in der Regel die Dokumentation und Auswertung von Beratungsanfragen. Einzelne in der Beratung genutzte Kommunikationswerkzeuge Mailberatung
Mailberatung zeichnet sich in besonderem Maße durch »äußere und innere Niedrigschwelligkeit« aus (Knatz 2009). Mit »äußerer Niedrigschwelligkeit« ist die zeitliche Flexibilität, die Ortsunabhängigkeit, die direkte Verfügbarkeit etc. gemeint; »innere Niedrigschwelligkeit« bezieht sich auf eine ggf. durch Anonymität, aber auch durch die Distanz über das Medium hervorgerufene abgesenkte Hemmschwelle, problematische, schambesetzte Inhalte in die Beratung einzubringen, sowie die geringere Verbindlichkeit durch den reduzierten Druck, unmittelbar Konsequenzen ergreifen zu müssen. Weiterhin ist der Prozess des Schreibens selbst häufig schon ein Prozess der Bearbeitung des Problems (Vogt 2007). Das Schreiben an sich schafft schon Distanz zum eigenen Problem und strukturiert die eigene Problemwahrnehmung (Knatz 2009). Durch den zeitversetzten Charakter der Kommunikation per E-Mail findet eine zeitliche »Zerdehnung« (Knatz 2009, S. 62) statt, die zur Entschleunigung beiträgt und Zeit für die Reflexion und die Wahrnehmung eigener Gefühle und Befindlichkeiten schafft. Richter und Schindler (2018) verweisen auf vergleichbare Wirkmechanismen im »Vorgängermedium« Briefseelsorge. Chatberatung
Chatberatung kann als Einzel-, Gruppen oder Expert:innenchat realisiert werden. Die Chat-Kommunikation weist innerhalb der CVK einige besondere Eigenarten aufgrund ihrer zeitgleichen Kommunikation auf. Technisch lässt sich wirkliche Gleichzeitigkeit aber nicht realisieren, eine gewisse Verzögerung ist im Chat daher immer noch vorhanden und kann zu Missverständnissen führen. Auch können Gesprächsteilnehmer:innen sich nicht unterbrechen oder sich gegenseitig ins Wort fallen. Als »verschriftlichtes Gespräch« betont der Chat noch einmal die mündliche Komponente in seiner Schriftform. Auch im Chat haben sich besondere Techniken herausgebildet: Die aktive Gestaltung des Sprecher:innenwechsels (»turn-taking«: Kennzeichnung von beendeten Beiträgen bzw. einer noch folgenden Fortsetzung, Moderationszeichen etc.) oder handlungskommentierende Äußerungen, die auch für Pausen zur Reflexion sorgen (Beißwenger 2005). In der Beratungssituation ist es
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von zentraler Bedeutung, entsprechende Regeln vorab klar zu kommunizieren sowie eine ruhige und deutliche Gesprächsführung anzustreben (insbesondere im Gruppenchat). Forenberatung
Forenberatung in der Form »viele zu vielen« geht auf Selbsthilfegruppen und frühe Onlinecommunitys zurück, die in der Regel ohne professionell Beratende auskamen. Als professionelle Beratung ist die Forenberatung neueren Datums und bislang im Gegensatz zu den forenbasierten Selbsthilfegruppen noch eher wenig erforscht (diese und die folgenden Ausführungen beruhen auf Brunner/ Engelhardt/Heider 2009). Ähnlich wie in der Chatberatung sollten für eine erfolgreiche Forenberatung vorab Regeln festgelegt werden; eine Moderation ist unverzichtbar. Dominantes Verhalten, Ausschlüsse und andere gruppendynamischen Prozesse ereignen sich auch in Foren und in professionellen Beratungssettings ist ein besonderes Geschick im Umgang mit solchen Störungen erforderlich. Auch bei dieser Beratungsart haben sich bestimmte Techniken wie »stickyposts« (Beiträge, die immer sichtbar bleiben) oder »Schattenbeiträge« (mit denen Berater:innen untereinander kommunizieren können) als hilfreich erwiesen. Forenberatung im öffentlichen Raum kann auf Beratende verunsichernd wirken. Ratsuchende hingegen können schnell das Gefühl bekommen, mit ihrer Problematik nicht allein zu sein. Daher eignet sich Forenberatung besonders gut für schambesetzte Themen, weil hier allein schon durch das einfache Mitlesen ohne aktive Beteiligung Effekte eintreten können.
Evaluationsstudien zu Angeboten der Onlineberatung Was sagen nun Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von Onlineberatung? Eine Überblicksstudie (Eichenberg/Küsel 2016) hält fest, dass die meisten Wirksamkeitsstudien positive Effekte belegen. Eine Reihe von Einzelfallstudien weist ebenfalls verschiedene positive Wirkungen von Onlineberatung nach. Exem plarisch sollen hier einige unterschiedliche Studien kurz mit ihren Ergebnissen skizziert werden: Ȥ In einer jüngeren Studie zu Zugängen, Einflussfaktoren und Effekten der psychosozialen Onlineberatung von Jugendlichen (Stieler 2022, S. 14) konnte gezeigt werden, dass »[d]ie beraterische Beziehung als ein bedeutender Einfluss- und Wirkfaktor sowohl im Einzelchat als auch in der Mailberatung für die User*innen in hohem Maße spür- und erlebbar« war. Bei den Ergebnis-
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sen dieser Studie fiel auf, dass im Einzelchat ebenso wie in der Mailberatung der Beziehungsaufbau gleichermaßen erfolgreich war. Eine Untersuchung zur Wirksamkeit einer »Internet-Brücke« in der Nachsorge einer psychosomatischen Klinik zeigte sowohl eine hohe Akzeptanz als auch eine gute Wirksamkeit des Angebots. Patient:innen, die aus einer psychosomatischen Fachklinik entlassen wurden, wurden mittels Chat-Gruppen nachbetreut. Zwölf Monate nach der Entlassung wurden die ehemaligen Patient:innen zu ihrem Gesundheitszustand befragt: Gesundheitliche Verbesserungen hatten bei der Gruppe der Chat-Nachbetreuten weitaus häufiger Bestand als in einer Kontrollgruppe ohne diese Nachbetreuung (Kordy et al. 2006). Eine Evaluationsstudie im »Theratalk-Projekt« an der Universität Göttingen hat die Wirkung von Online-Paartherapie untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass die Onlineberatung eine genauso hohe Wirksamkeit hat wie eine Beratung unter Präsenzbedingungen (untersucht wurden 42 Paare; www.theratalk.de). Eine Untersuchung zur Wirksamkeit von psychologischer und sozialpäda gogischer Beratung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe des Vereins »Beratung & Leben« weist ebenfalls durchweg positive Ergebnisse auf. Insbesondere verdeutlicht die Studie, dass die Onlineberatung eindeutig eine Ergänzung zu bestehenden traditionellen Beratungsangeboten darstellt und eher eine Reichweitenerhöhung bewirkt als eine Verdrängung herkömmlicher Beratungsangebote. Mit dem Onlineangebot werden Ratsuchende erreicht, die nach eigener Auskunft keine reguläre Beratungsstelle aufgesucht hätten (Hinsch/Schneider 2002). Einen weiteren Beleg für die Wirksamkeit von Onlineberatung liefert die Auswertung vom langjährigen Einsatz der Kollegialen Beratung online mit der Plattform kokom.net im Studiengang BASA-online der Hochschule München (Schindler in diesem Band, Arnold/Schindler 2018). Häufig entgegen anfangs häufig konträrer Erwartungen erwies sich die komplett online durchgeführte Kollegiale Beratung für die im sozialen Sektor berufstätigen Studierenden von hohem Nutzen in ihren Praxiskontexten.
Fazit: Es geht um Gestaltung! Was ist in diesem Streifzug aus Wissenschaft und Forschung zu Onlineberatung deutlich geworden? Mit zunehmender Nutzung des Internets durch breite Bevölkerungsschichten und der Digitalisierung unseres Alltags bilden
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Onlineberatungsangebote zunehmend einen festen Bestandteil innerhalb der Beratungslandschaft. Es können verschiedene Internetwerkzeuge eingesetzt und unterschiedliche Beratungssettings mit computervermittelter Kommunikation gestaltet werden. Eine Schwarz-Weiß-Diskussion über Onlineberatungsangebote, die diese Angebote entweder euphorisch überhöht oder als wirkungslos verurteilt, ist nicht mehr angemessen. Ein differenzierter Blick zeigt, dass die spezifischen Eigenarten computervermittelter Kommunikation möglichst optimal in das jeweilige Onlineberatungssetting eingebunden und für die Zielgruppe, die man erreichen möchte, genutzt werden sollten. Das gilt für die meist asynchrone, textbasierte Kommunikation ebenso wie für die aktuell dominierenden Praxen mit synchroner, videobasierter Onlinekommunikation. Onlineberatung kann einen niedrigschwelligen Zugang und eine erleichterte Anbahnung bieten sowie – die durchdachte Gestaltung des Settings und der Durchführung vorausgesetzt – eine hohe Wirksamkeit für Ratsuchende haben. Dies gilt für alle aufgeführten Beratungssettings, ob in ihnen professionelle Beratende aktiv werden oder ob, angelehnt an Selbsthilfegruppen, eine strukturierte Kollegiale Beratung online stattfindet. Für alle Onlineberatungsangebote geht es in Zukunft daher weniger um ein »Ob« als um das »Wie« der Beratung. Weitere Forschung und Entwicklung ist notwendig, um die Wirkmechanismen im Detail zu verstehen und Onlineberatungsprozesse in ihrer Vielfalt zu optimieren.
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8 Reden ist Silber, Schreiben ist Gold: Wie Supervision textbasiert und zeitversetzt gelingt1 Brigitte Koch
»Ah, wie interessant! Sie skypen also?« »Nein, ich schreibe mit meinen Kundinnen und Kunden.« »Ach so, Sie chatten!« »Nein, wir schreiben uns zeitversetzt, so wie beim Briefe schreiben.« »???« So oder so ähnlich verlief meist der Dialog, wenn ich davon erzählte, dass ich online coache und supervidiere. Seit der Coronapandemie hat sich das grundlegend geändert. Fast alle scheinen nun zu wissen, was Onlineberatung und -coaching sowie -supervision sind: ein Videochat via Zoom. Völlig unbeachtet bleibt dabei, dass es die Onlineberatung schon sehr lange und in unterschiedlichen Anwendungsbereichen gibt. Seit Mitte der 1990er Jahre bietet die Telefonseelsorge eine textbasierte und asynchrone Beratung im Netz an und inzwischen ist kaum ein psychosoziales Beratungsangebot zu finden, das nicht auch ein Onlineberatungsangebot macht. Die Nachfragen zu meinem Onlinesupervisions- und Onlinecoaching-Angebot lassen allerdings erkennen, dass diese Form der Onlineberatung vielen Menschen außerhalb der Sozialen Arbeit völlig unbekannt ist. Es ist verständlich, dass Kolleg:innen, die bisher aus Überzeugung nur in Präsenz gearbeitet haben, nun aus wirtschaftlichen Gründen eher den Videochat nutzen als das zeitversetzte Schreiben. Sehr bedauerlich finde ich es allerdings, wenn die forschende Wissenschaft Onlinecoaching ausschließlich als Videochatcoaching definiert und damit keinerlei Forschungsinteresse an Beratung in anderen Onlineformaten zeigt. So komme ich mir nach zwanzig Jahren Erfahrung in »onlineBeratung«, »onlineCoaching« und »onlineSupervision« trotz aller Digitalisierung im 1 Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift supervision, Ausgabe 1/2019 (#wirsindimnetz. Online-Supervision und Coaching) erschienen: Koch, Brigitte: onlineSupervision – (wie) es funktioniert! Ein Blick in meine onlineBeratungspraxis. Supervision, 1/2019, 34. Hier abgedruckt ist eine überarbeitete Fassung, Stand Januar 2022.
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Businessbereich immer noch als Pionierin vor. Die Begriffe schreibe ich bewusst zusammen, um deutlich zu machen, dass es sich um eine textbasierte und asynchrone Beratung handelt. Da diese Form der Beratung für viele immer noch entweder nicht vorstellbar oder aber mit vielen Fragezeichen versehen ist, beschreibe ich hier, wie ich schriftliches und zeitversetztes Coaching und schriftliche und zeitversetzte Supervision gestalte. Ich werde zeigen, was dieses Beratungsverfahren gerade für Coaching und Supervision zu bieten hat.
Wie das Setting zur Vertrauensbildung beiträgt Interessierte finden mich in der Regel über eine Suchmaschine im Netz und der erste Kontakt, den sie mit mir haben, ist meine Website. Sie entscheiden sich aufgrund von Inhalten meiner Website für mich und mein Angebot – oder auch nicht. Darum ist es wichtig, dort ein transparentes Angebot zu präsentieren und als vertrauenswürdige Person wahrgenommen zu werden. Mayer, Davis und Schoorman (1995; vgl. Winkler 2012) nennen drei Faktoren für die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit einer Person: die ihr gegenüber wahrgenommene Kompetenz, das wahrgenommene Wohlwollen und die wahrgenommene Integrität. Daher beschreibe ich auf meiner Website nicht nur meine formalen Qualifikationen und Erfahrungen und nenne meine Zugehörigkeit zu Berufsverbänden, sondern lasse auch ehemalige Kund:innen über mich zu Wort kommen. Mein Angebot habe ich transparent dargestellt, ich beantworte häufig gestellte Fragen und gehe mit meinem Angebot auf mögliche individuelle Bedürfnisse meiner Interessent:innen ein. Nähe stelle ich durch aktuelle professionelle Bilder her, die nicht bearbeitet sind, und über eine Seite mit persönlichen Informationen über mich. Im Netz ist noch mehr über mich zu finden, etwa ältere Bilder, Interviews mit mir, Forumsbeiträge oder politische Äußerungen. Aber nichts hindert daran, mich als integre Person wahrzunehmen. Wenn jemand Kontakt mit mir aufnimmt, oft bereits mit einem konkreten Anliegen, hat die Person sich meist schon für ein onlineCoaching bei mir entschieden und möchte entweder sofort oder zu einem bestimmten Termin beginnen. Dies ist für beide Seiten eine gesichtswahrende Version des Erstgesprächs: Mir muss niemand absagen und mir wird nicht abgesagt. Wer sich für ein onlineCoaching entscheidet, sieht offensichtlich kein Pro blem darin, dass der Kontakt nur schriftlich stattfindet. Zu Beginn meiner onlineBeratung habe ich noch ein Treffen von Angesicht zu Angesicht angeboten,
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das aber nie in Anspruch genommen wurde. Zudem hatte ich nicht einen Fall, bei dem jemand anonym beraten werden wollte. Sehr wichtig bei einer Arbeit im virtuellen Raum scheint mir zu sein, so etwas wie eine virtuelle Präsenz zu entwickeln. Im direkten Kontakt bekommen wir mit, dass unser Gegenüber gerade aus dem Kontakt geht, weil zum Beispiel ein Termin im Kalender gesucht wird. Online muss ich dafür sorgen, dass meinem Gegenüber bewusst ist, dass ich da bin. Ein Kunde schrieb mir: »Danke fürs Zuhören – das können Sie wie sonst niemand auch über E-Mail.« So bemühe ich mich, auf Anfragen möglichst noch am selben Tag zu antworten, und ich sichere zu, einen Coachingraum innerhalb von 48 Stunden bereitzustellen. Dies fördert abseits der inhaltlichen Professionalität das wahrgenommene Wohlwollen und die wahrgenommene Integrität. Grundsätzlich beginnt mit meiner Antwort auf die Erstanfrage bereits die Kommunikation und damit das »In-Kontakt-Kommen«. Zur Vertrauensbildung gehört für mich auch, dass mein Onlineangebot auch technisch vertrauenswürdig ist. So arbeite ich seit jeher auf meiner eigenen TLS/SSL-verschlüsselten Webplattform, einer individuellen Anpassung des Lern-Management-Systems Moodle. Jede:r Kund:in bekommt eigene LoginDaten zu einem persönlichen, verschlüsselten, virtuellen Beratungsraum, der jederzeit online, unabhängig vom eigenen oder betrieblichen Computer – nur für uns beide – zugänglich ist. Um der Komplexität von Coaching- und Supervisionsprozessen gerecht zu werden, nutze ich vor allem die individuell anpassbaren Foren, die für zeitversetzte, dialogische Lern- und Diskursprozesse programmiert wurden. So kann ich verschiedene Schwerpunkte setzen und Dialoge thematisch vertiefen. Damit ist der Prozess nicht nur übersichtlich und leicht nachvollziehbar, sondern kann auch nicht-linear stattfinden. E-Mails würden hingegen nur »Re: Re: Re: Re: …« ermöglichen. Wenn meine Kund:innen ihren virtuellen Raum betreten, finden sie eine persönliche Begrüßung vor. In einem Forum für Anliegen, Kontrakt und Organisatorisches befinden sich Informationen über Besonderheiten zeitversetzter Onlinekommunikation und Tipps für das effektive Arbeiten mit der Plattform. Es gibt einen Forumseintrag zum Thema »Formaler Kontrakt und Spielregeln«, in dem u. a. die Abrechnungs- und Unterbrechungsmodalitäten sowie Hinweise zum Datenschutz angeführt sind und wo ich frage, ob ich anonymisierte Beiträge für die eigene Supervision verwenden darf. Ein wesentlicher Bestandteil des Kontraktes ist meine Zusicherung, innerhalb von 48 Stunden (Montag bis Freitag) auf einen Eintrag zu reagieren. Ein weiterer Forumsbeitrag enthält unterstützende Fragen, um die Kund:innen zu ermuntern, ihr Anliegen zu entfalten. Ich bin inzwischen davon abge-
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kommen, ein operationalisiertes Ziel als Ausgangspunkt für die weitere Arbeit herauszuarbeiten. Zum einen kann das durch die zeitversetzte Kommunikation ein langwieriger Prozess sein, der ungeduldig macht, und zum anderen ändern sich so konkretisierte Ziele erfahrungsmäßig schnell. Ich frage daher in erster Linie nach, wenn ich nicht verstehe, um was es den Kund:innen geht. Ich fasse zusammen, was ich – sozusagen als Überschrift – verstanden habe, wie »Bleiben oder Gehen« oder »Meine neue Rolle ausfüllen«, und eröffne nach Bestätigung des Themas ein neues, gemeinsames Arbeitsforum mit diesem Titel. Zudem setze ich zur Ergänzung das ZRM®-Online-Tool ein.
Unterschiedliche Onlineangebote Meine Onlineangebote sind Coaching, Supervision und Lehrsupervision. Unter onlineCoaching verstehe ich kurze Prozesse, in denen es in erster Linie um die Lösung eines aktuellen Anliegens geht – wie etwa die Entscheidung für eine neue Position. Längerfristige Begleitprozesse, deren Schwerpunkt auf der Entwicklung professionellen Handelns (Professionalisierung) liegt, bezeichne ich als onlineSupervision – wie z. B. die Übernahme einer neuen Position oder Fallsupervision. Diese Unterscheidung ist für mich deshalb wichtig, weil das Setting aufgrund der verschiedenen Dynamiken unterschiedlich gestaltet werden muss. Es macht einen Unterschied, ob das Anliegen lautet »Soll ich, oder soll ich nicht – das Angebot für eine neue Position annehmen?« oder »Wie fülle ich meine neue Position aus?«. Das erste Anliegen ist ein Thema für ein onlineCoaching. Hier gibt es einen Leidensdruck oder ein Bedürfnis nach schneller Klärung und die Reaktionsgeschwindigkeit auf meine Beiträge ist sehr hoch. Dies führt dazu, dass der Prozess deutlich schneller abläuft als in Präsenz. Ganz anders entwickelt sich der Prozess beim zweiten Anliegen. Hier gibt es in der Regel keinen aktuellen Leidensdruck. Auch wenn es Themen oder Fragen gibt, müssen diese nicht sofort bearbeitet werden. Hier ist es meine Aufgabe, den Prozess so zu gestalten, dass ich bei eventuell auftauchenden Problemen so präsent bin, dass die Supervision auch genutzt wird. Je nach Auftrag überlege ich mir Themen, die sinnvoll zu bearbeiten sind, wie z. B. »Mein Rollennetzwerk«, und ich »bespreche« meinen Vorschlag dann mit den Kund:innen. Bei Lehrsupervisand:innen vereinbare ich qualitative Beiträge und bestimmte Berichte bereits im Kontrakt. Eine Besonderheit der onlineBeratung ist, dass es quasi nur eine Sitzung gibt. Es ist ein fortlaufender Dialog. Beim onlineCoaching wird er von den Kund:innen forciert, in der onlineSupervision gestalte ich – zumindest zu Beginn – den
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Dialog. Der fortlaufende Dialog bewirkt, dass der Coaching- bzw. Supervisionsprozess einen anderen Stellenwert im Leben meiner Kund:innen hat als ein Prozess in Einzelsitzungen. Eine Kundin beschreibt das so: »Das Tempo ist super, also immer mal wieder Bröckchen zwischendurch, Anregungen, Fragen, mit denen ich weiterarbeiten kann. In einer Face-to-Face-Stunde ist es eben nur eine Stunde am Stück, womöglich einmal die Woche, und dann wird verbal alles abgequatscht, was in die Stunde passt.« Durch die fortlaufende Kommunikation wird zudem die Beziehung vertieft. Nach Ende des Prozesses bleibt der virtuelle Raum noch drei Monate für meine Kund:innen geöffnet, sozusagen als Sicherheitsnetz. Denn bisher wurden alle Prozesse auf meine Initiative hin beendet. Allerdings hat bisher noch niemand nach Beendigung des Prozesses innerhalb der Zeit geschrieben. Hingegen wird häufiger nochmal nachgelesen oder etwas für sich gespeichert. Nach diesen drei Monaten gibt es zum Abschluss Reflexionsfragen zum Erfolg und zum Prozess, nach Anregung von Siegfried Greif mit einer angepassten Kurzform des Change Explorer-Interviewleitfadens (Greif/Franke/Seeberg 2006/2007). Ein Coaching oder eine Supervision zu beginnen, hat immer etwas von »eine Katze im Sack kaufen«, im Internet dürfte das Gefühl noch stärker sein. Darum ist es wichtig, so viel wie möglich für meine Vertrauenswürdigkeit zu tun. So bekomme ich, wie auch im Präsenzcoaching, ein Vorschussvertrauen, dass es zu erhalten und zu verstärken gilt.
Wie das Schreiben zur Vertrauensbildung beiträgt Die Kommunikation besteht aus Schreiben und Lesen. Es gibt viele unterschiedliche Ansätze, wie man Texte lesen kann und was beim Schreiben in der Onlineberatung zu beachten ist. Kolleg:innen fragen mich manchmal: »Wie machst du das? Wie kommst du, ohne dein Gegenüber zu sehen, in Kontakt?« Eine Frage, die mir als Präsenz-Supervisorin nie gestellt wurde. Diese Frage könnte ich allerdings zurückgeben. Als wäre das »In-Kontakt-Kommen« von Angesicht zu Angesicht etwas ganz Einfaches und immer Gelingendes. Die beste Beschreibung, die ich für mich gefunden habe, wird Virginia Satir (zit. n. Hammer/Plößl 2020) zugeschrieben: »Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Beziehung.« Für mich ist das eine Haltung, keine Technik, die man lernen kann. Ich bin neugierig, erwartungsvoll, interessiert an meinem Gegenüber und ich lasse mich berühren vom Text. Es ist auch eine dialogische Haltung:
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»Letztlich weiß ich nicht, wie deine Situation, deine Probleme zu verstehen sind und was eine angemessene Lösung sein kann; was ich weiß (Information über Fakten oder Konstrukte) und was ich zu erkennen meine und wie ich diese Wahrnehmung interpretiere, will ich dir gern mitteilen, aber ob es für dich gültig ist, kann ich nicht wissen, und es bleibt deine Aufgabe, es zu überprüfen, es dir zu Eigen zu machen oder zu verwerfen.« (SchmidtLellek 2007, S. 197) Für mich ist der wichtigste Teil des Onlineberatungsprozesses das Lesen. Ich gehe in Resonanz mit dem Text der Kund:innen, er löst bei mir Bilder aus und er »spricht« mit mir. So als würde ich meine Kund:innen vor mir sehen und sie mit mir reden. Auch wenn ich nicht wirklich weiß, wie sie aussehen oder sprechen. Ich bekomme mit dem Text Informationen, fühle Emotionen und habe manchmal auch körperliche Empfindungen. Ich mache mir ein Bild vom Gegenüber – wie in der Präsenz – nur dass es mir online viel bewusster ist, dass es (m)ein Bild ist. Bemerkenswert finde ich, dass Texte keinerlei negative Vorurteile bei mir auslösen. Wahrnehmungen in der Präsenz, wie »weiße Socken in Sandalen?«, tun dies aber durchaus. Das Phänomen der Idealisierung des Gegenübers im Netz – was in Datingportalen manchmal ein Problem ist – erweist sich für Beratungsbeziehungen als äußerst hilfreich. Wenn ich schreibe, dann schreibe ich nicht für mich, sondern ich habe ein Bild der Person vor Augen, der ich schreibe. So ist mir auch immer bewusst, dass ich nie weiß, in welcher Situation und mit welcher Befindlichkeit mein Text gelesen wird. Mein Fokus liegt also immer darauf, was stützt, stärkt oder was mein Gegenüber in seinem Anliegen weiterbringt. Aus dem E-Learning kenne ich die Goldene Regel »Hände weg von der Tastatur, wenn du emotional bist!«. Diese sollte man auch für die onlineBeratung beherzigen, wenn die Gefühle vom Gegenüber als negativ empfunden werden könnten. Ich musste erfahren, dass auch meine Gefühlszustände, wie z. B. Gereiztheit, trotz sorgfältigstem und reflektiertem Schreiben bei meinen Kund:innen ankommen.
Schreibstile Zum einen schreibe ich überlegt, andererseits hat mir die Analyse von vier meiner Prozesse durch die Linguistin Caroline Weinzinger gezeigt, wie ich auch intuitiv schreibe. Gerade Konfrontation ist bei zeitversetzter Kommunikation schwierig. Weinzinger (2015, S. 23) schreibt:
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»Vor allem der Einstieg in ein Posting erfolgt fast durchweg mit einer positiven Evaluation des Berichts z. B. ›Wie schön, dass Ihnen das Online-Coaching taugt! ‹ oder ›Das liest sich ja wunderbar‹. Kritische Rückmeldungen erfolgen erst später und abgemildert mit sehr vorsichtigen und abschwächenden Formulierungen. Zumeist werden kritische Bemerkungen auch mit einer positiven Evaluation eingeleitet, wie z. B. ›Ihre guten Gründe sind wirklich gut! Aber Ihr Muster vor Augen, wünsche ich Ihnen, dass …‹. Ausserdem wählt die Coachin häufig Frageformulierungen anstelle von direkten Aussagen (›Vielleicht macht es Sinn, [Person X] mal zu erklären, was Sie eigentlich wollten, und was daraus geworden ist?‹). Damit gibt sie ihrer Leserin die Möglichkeit, ohne grosse Hürden zu widersprechen, wenn eine Einschätzung nicht deren Meinung entspricht.« Weinzinger beschreibt meinen Schreibstil als einen Stil, der sich weniger an schriftsprachlichen Normen orientiert als an der mündlichen Kommunikation. »Im schriftlichen Umfeld stehen teilweise andere Möglichkeiten zur Verfügung als im Gespräch, um Beziehungen dieser Art zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Das beginnt schon bei der Anrede, bei der man sich entscheiden muss, wie formell oder freundschaftlich man miteinander verkehren möchte. In den Untersuchungsdaten wählt die Coachin die Variante ›Liebe Frau XY‹, sie bleibt also mit Titel und Nachnamen auf einer professionell distanzierten Ebene, bricht diese jedoch durch die Anrede ›Liebe‹ (anstelle von z. B. ›Sehr geehrte‹) zugunsten eines lockereren Umgangstons auf. Diese Kombination von distanz- und nähesprachlichen Mitteln zieht sich durch all ihre Postings. So schreibt sie konsequent orthografisch korrekt und in vollständigen Sätzen und vermittelt so das Bild einer gebildeten, kompetenten Schreiberin. Zugleich wählt sie einen unverkrampften Schreibstil: Sie setzt Emoticons, wie , verwendet umgangssprachliche Ausdrücke, wie ›moin‹ oder ›fein‹, und lehnt ihre Sprache an prototypisch mündliche Sprachverwendungen an, durch Ausrufe und Gesprächspartikel (›So, und jetzt …‹, ›Ah, sie haben schon …‹). Auf diese Weise lesen sich ihre Texte leicht, erzeugen eine ungezwungene Atmosphäre und laden zu einem offenen Austausch ein. Abhängig von Klient und Situation variiert sie die Ausprägungen dieser Sprachmittel etwas, bleibt im Grundsatz jedoch ihrem Stil treu.« (Weinzinger 2015, S. 22 f.) Dies ist eine Art des Schreibens, mit der zum einen Nähe hergestellt werden kann und zum anderen »auf institutioneller Ebene die im Coaching erwünschte leichtfüßige Beziehungsgestaltung« (Weinzinger 2016, S. 118 f.).
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Andererseits weist Weinzinger (2016) auf ein Dilemma hin, denn die Kommunikation in der Beratung ist ja keine private, sondern eine professionelle. Kund:innen erwarten von mir Kompetenz und geben mir zum Beispiel aufgrund meines Bildes oder meiner Informationen über meine Ausbildungen ein Vorschussvertrauen. Allerdings muss dieses Vertrauen immer wieder bestätigt werden. Mit dem Anspruch einer Beratung auf Augenhöhe verbietet sich eine überlegene Positionierung. »Dies macht einen Aushandlungsprozess erforderlich, in dem Kompetenz und Wissen stetig implizit angezeigt werden muss, um Vertrauen zu erhalten und die Rollen der Beteiligten zu legitimieren, das heißt die Autorität der Coachin/des Coaches herzustellen und aufrecht zu erhalten.« (Weinzinger 2016, S. 120 f.) Die Analyse zeigt, dass mir das gemeinsam mit meiner Kundin in einem Balanceakt gelingt: Sie ist die Expertin für ihr Erfahrungswissen und ich bin die Expertin für den Prozess und fachbezogenes Wissen. »Verschiedene Arten des Anzeigens von Wissen und Nicht-Wissen auf Seiten der Coachin wie auch der Klientin tragen dazu bei, die Coachin als vertrauenswürdig zu bestätigen« (Weinzinger 2016, S. 138). Auch geschriebene Sprache ermöglicht also die Entwicklung von Nähe und Vertrauen, also einen Beziehungsaufbau.
Vorteile von onlineSupervision onlineSupervision ist vor allem die Reflexion des eigenen beruflichen Handelns. Hier unterstützt das Schreiben aus mehreren Gründen: Schreiben entlastet, schafft Distanz und einen Perspektivenwechsel, strukturiert, überprüft und vergleicht. Schreiben übt, Gefühlen Ausdruck zu verleihen, fördert die Selbstreflexionsfähigkeit und führt allein durch das Niederschreiben von Gedanken zu Erkenntnissen und Einsichten. Natürlich würde manches mündlich viel schneller gehen und es würden mehr Informationen ausgetauscht werden. Doch beim Schreiben wird mehr fokussiert, mehr nach- und überdacht und damit verdichtet. Text kann immer wieder nachgelesen werden. Auch die Erkenntnisse sind nicht flüchtig, sondern sind Schwarz auf Weiß festgehalten, können immer wieder gelesen werden und unterstützen so Veränderungen. Beim Schreiben können sich Kund:innen ganz auf sich selbst konzentrieren, weil es keine verbalen oder nonverbalen Reaktionen oder sonstige ablenkende
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Faktoren wie bei einem Gespräch in einem fremden Raum gibt. Sie sind frei von dem Erwartungs- und Handlungsdruck, sofort reagieren zu müssen, und haben die Zeit, die sie zum Nachdenken, zum Formulieren und Konkretisieren brauchen. Nach meinen Erfahrungen kommt onlineSupervision dem Anspruch der Beratung auf Augenhöhe näher als eine Präsenzberatung. Online äußern Kund:innen deutlich ihren Ärger oder Unmut über mich, wenn sie mit etwas nicht einverstanden sind, was ich von Angesicht zu Angesicht so nicht kenne. Vermutlich ist es leichter, wenn man mir dabei nicht ins Gesicht sehen muss. Wenn ich z. B. eine kreative Übung einsetze, muss ich nicht nur eine verständliche Anleitung dazu schreiben, ich gebe sie auch in die Hände und damit in die Verantwortung meiner Kund:innen. Die Supervision findet dort statt, wo ein:e Kund:in sich aufhält. onlineBeratung bietet zudem psychologische Anonymität und Rückzugsoptionen, die es im persönlichen Kontakt so nicht gibt. Eine Kundin berichtete, dass sie – wenn ihr meine Reaktion nicht gefällt – erstmal ihren Laptop zuklappt. Eine onlineSupervision besteht nicht aus einzelnen Sitzungen, sondern nur aus einem fortlaufenden Dialog und findet nicht bei mir, sondern bei dem:der Supervisand:in statt – zu seiner:ihrer Zeit, in seinem:ihrem Tempo und in seinem:ihrem Umfeld. Dadurch kann sie die Funktion einer Professionalisierungsbegleitung wesentlich besser erfüllen als eine Präsenzsupervision. Das Arbeiten mit Geschriebenem hat zudem einen sehr praktischen Vorzug, wenn man etwas verdeutlichen will. So kann ich mit dem kopierten Text, also dem Geschriebenen der Supervisand:innen, arbeiten, um etwas aufzuzeigen, was sich mündlich durchaus als schwierig erweisen kann, zum Beispiel wenn über zwei Klientinnen ganz unterschiedlich wertschätzend berichtet wird. Ich musste die Supervisandin lediglich bitten, beide Eigentexte vergleichend zu lesen und sich zu fragen, welche Unterschiede ihr auffallen. Bei entsprechender Selbstreflexionsfähigkeit braucht es zur Erkenntnis keine weitere Intervention mehr von mir. Mein Eindruck ist, dass Onlineprozesse nachhaltiger sind als diejenigen in der Präsenz. Möglicherweise liegt es daran, was eine Kundin so formuliert: »Ich habe gewusst, dass schriftliches Formulieren zu präzisem Denken zwingt (im besten Fall), aber dass es eine so starke Auseinandersetzung mit mir zur Folge hat, hat mich überrascht.«
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Entschleunigung Um die zeitversetzte Kommunikation nicht noch mehr zu verlangsamen, frage ich mich immer wieder: Muss ich das wirklich wissen? Oder wäre es nur interessant und würde meine Neugier befriedigen? Andererseits muss ich meine Antwort so gestalten, dass die Kommunikation im Fluss bleibt. Zum einen arbeite ich mit Fragen zur Selbstreflexion, um dazu anzuregen, in Ecken zu sehen oder auch um Ecken. Dies führt manchmal zum Lernen am Modell, sodass Kund:innen irgendwann schreiben: »Und jetzt werden Sie mich sicher fragen …«. Zum anderen entstehen bei mir beim Lesen Bilder im Kopf, die ich meist meinen Kund:innen zur Verfügung stelle. Es fasziniert mich immer, wie dadurch, also durch Metaphern, ein schneller Zugang zur Erkenntnis und zu einer Lösung möglich ist. Natürlich würde manches mündlich viel schneller gehen und es würden mehr Informationen vermittelt werden. Andererseits habe ich die Zeit, mich mit meiner Resonanz auf den Text auseinanderzusetzen, mehr als einmal zu lesen und dem nachzugehen, was meine Anteile daran sind. Spiegelphänomene können schneller erkannt werden und es ist genug Zeit, über die passende Intervention nachzudenken. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die zeitliche und räumliche Flexibilität, die die onlineBeratung mit sich bringt, die natürlich nicht nur meine Kund:innen haben, sondern auch ich selbst. Für mich ist das ein großer Vorzug, der nicht nur bedeutet, dass ich überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten kann. Natürlich bin auch ich mit meiner onlineBeratung von funktionierender Technik abhängig, aber nicht so unmittelbar wie beim synchronen Arbeiten. Wenn das Internet nicht funktioniert, unterbricht das keine Sitzung, sondern man kann die Posts einfach speichern und dann absenden, wenn es wieder funktioniert. Unabhängig von den praktischen Vorteilen fühlen sich besonders Menschen angesprochen, die sich im Face-to-Face-Kontakt eher schwertun und die eher Zeit zum Nachdenken brauchen. Schriftlich und zeitversetzt zu beraten, hat mich und meine Arbeitsweise auch in der Präsenz verändert. Ich fand es selbstverständlich, dass Menschen mit ihren Anliegen zu mir kommen. Online bin ich immer sehr berührt, welchen Vertrauensvorschuss Menschen mir gewähren, wenn sie mir ihr Anliegen darlegen. Das zeitversetzte Arbeiten hat mich viel konsequenter lösungs- und ressourcenorientierter werden lassen. Dadurch, dass ich mit meinen Onlinekund:innen in einem fortwährenden Dialog bin, sind sie mir näher und präsenter als die, die nach einer Sitzung nach Hause gehen. Als ich nicht mehr an mein Standgerät in meinem Büro gefesselt
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war und technisch mobil geworden bin, bevölkerten meine Kund:innen auch noch meine Wohnküche. Ich musste also neu lernen, mich abzugrenzen. Da ich per E-Mail informiert werde, wenn es eine neue Nachricht für mich auf der Plattform gibt, musste ich lernen, meine Neugier im Zaum zu halten, denn wenn ich Postings gelesen habe, beschäftige ich mich sofort mit ihrem Inhalt.
Was sind mögliche Befürchtungen, Nachteile und Grenzen von onlineSupervision? Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit sind eine wesentliche Basis für eine erfolgreiche Onlineberatung, damit sich Menschen, die sich vertrauensvoll mit ihren Anliegen an uns wenden, nicht im virtuellen Nirwana verloren fühlen. Zudem, so schreibt Nohl (2015, S. 64), »erfordert diese Form des textbasierten Online-Coachings (noch) mehr Demut von Ihnen als im Präsenz-Coaching. Klienten können und müssen noch mehr selbst leisten. Sie sind noch ein Stück weniger aktiv in Ihrer Coaching-Expertise oder gar als Ratgeber gefragt als im Präsenz-Coaching, sondern eher als achtsame Prozessbegleiter.« Nach meiner Erfahrung muss man bei Missverständnissen gegebenenfalls um Entschuldigung bitten können. Ungewohnt ist auch die Abhängigkeit von Technik – nicht nur, dass sie funktioniert, sondern auch die Beratungssoftware, die man benutzt, beeinflusst die Beratung. Zudem muss man bereit sein, sich mit den Sicherheitsaspekten der Datenübertragung auseinanderzusetzen. Nach meiner Beobachtung ist es nicht so leicht, einen Mittelweg zu finden: Es gibt Kolleg:innen, die die Implikationen der Nutzung des Internets völlig zu ignorieren scheinen, während sich andere ihre Beratungssoftware selbst programmieren oder programmieren lassen. Bisher gab es kein Anliegen, dass sich nicht online bearbeiten ließ. In der Regel kann man davon ausgehen, dass die Interessierten wissen, dass ich sie weder sehe noch höre. Wenn jemand mit einem rhetorischen Problem zu mir kommt, würde ich ihn nicht sofort abweisen. Denn es hat sich gezeigt, dass sich mündlich wenig effektive Sprachmuster auch im Schriftlichen zeigen, wie z. B. ellenlange Monologe, um das eigene Wissen zu präsentieren, oder »nicht zuhören«. In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man als Online berater:in eine Affinität und Lust zum Schreiben braucht. Ich kann dem so nicht zustimmen. Ich verspüre wenig Lust zum Schreiben, aber viel Freude am Kom-
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munizieren und mit Menschen in Kontakt zu kommen, eine Beziehung aufzubauen, auch mit denen, die ich nie von Angesicht zu Angesicht sehen werde. Sicherlich ist onlineCoaching und onlineSupervision nicht für jede:n das passende Verfahren. In einer Supervision mit Onlineberater:innen habe ich gelernt, dass ein Text nicht mit allen Menschen »spricht«. Er löst bei ihnen keine Resonanz aus, keine Bilder. Ich stelle es mir sehr schwer und aufwändig vor, sich Texte ausschließlich analytisch erschließen zu müssen. Vermutlich würde dabei auch einiges verloren gehen. Für potenzielle Kund:innen scheint das Schreiben die Hürde zu sein, aber anders, als man vielleicht meinen könnte. Psychosoziale Onlineberatungsangebote würden nicht angenommen, wenn es nicht auch Kindern, Jugendlichen und den sogenannten bildungsfernen Schichten gelingen würde, ihre Anliegen schriftlich auszudrücken. Vielleicht liegt es daran, dass man sich beim Schreiben deutlicher festlegt als beim Reden und das »Um-den-heißen-BreiReden« oder das »Zu-Texten« sofort sichtbar wird. Möglicherweise gibt es auch die berechtigte Befürchtung, unabsichtlich zu viel von sich preiszugeben, denn das Medium scheint in besonderer Weise die Offenheit zu erleichtern, es zeigt sich der Effekt der sogenannten »psychologischen Anonymität« (Schultze 2007, S. 2 f.). Überhaupt scheint die Schnelligkeit, mit der man beim Schreiben auf die wunden Punkte kommt, häufig zu erschrecken, und man muss besonders aus diesem Grund eher mit Abbrüchen rechnen als bei Präsenzprozessen. Ein weiterer Nachteil mag in der mangelnden Flexibilität liegen, in die Präsenz oder andere mediale Verfahren wechseln zu können – also »blended« zu arbeiten. Wenn man wechselt, dann unterbricht man den fortlaufenden Dialog und der Prozess verändert sich dahingehend, dass er zu einem Prozess mit Einzelsitzungen wird.
Fazit Vor zehn Jahren schrieb ich als Fazit eines Artikels (Koch 2012) etwas, das für mich heute auch für die onlineSupervision und die onlineLehrsupervision noch gilt: »Für mich hat onlineCoaching einen ganz besonderen Zauber: ich begleite einen Lern- und Entwicklungsprozess, einen Weg von der Erfahrung zum Lernen aus Erfahrung, der durch die Verschriftlichung nachvollziehbar wird. Dieser Prozess hat seine eigene Zeit und seinen ganz eigenen Rhythmus. Ich schätze es, dass ich im onlineCoaching meinen Kundinnen und Kunden
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die Steuerung dieses Prozesses weitestgehend übergeben und ihren Bedürfnissen entgegenkommen kann. Die Verlangsamung durch das zeitversetzte Schreiben und Lesen, die Möglichkeit in Ruhe nachdenken zu können, ist gerade in der heutigen Zeit, in der alles schnell gehen muss und verglichen mit der ungeheuren Geschwindigkeit in der Face-to-Face-Kommunikation eine Wohltat.«
Literatur Greif, Siegfried/Franke, Karen/Seeberg, Ilka (2006/2007): Studienprojekt Coaching WS. Unveröffentlichtes Manuskript. Hammer, Matthias/Plößl, Irmgard (2020): Irre verständlich: Methodenschätze. Wirksame Ansätze für die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen. Köln. Koch, Brigitte (2012): OnlineCoaching: Wenn nur der Text spricht. http://www.personalmanagement.info/hr-know-how/fachartikel/detail/onlinecoaching-wenn-nur-der-text-spricht/ (Zugriff am 03.12.2021) sowie als PDF-Datei unter https://www.das-onlinecoaching.com/onlinecoaching/?file=files/dload/onlineCoaching_Wenn-nur-der-Text-spricht_Brigitte-Koch.pdf (Zugriff am 03.12.2021). Mayer, Roger C./Davis, James H./Schoorman, F. David (1995): An Integrative Model of Organizational Trust. Academy of Management Review, 20, 709–724. Nohl, Martina (2015): Online-Coaching. Alles, was Sie wissen müssen, um Ihr Online-CoachingBusiness aufzubauen. Neckargemünd. Schmidt-Lellek, Christoph J. (2007): Was heißt »dialogische Beziehung« in berufsbezogener Beratung? Das Modell des Sokratischen Dialogs. In: Astrid Schreyögg/Christoph J. SchmidtLellek (Hg.): Konzepte des Coaching (S. 189–203). Wiesbaden. Schultze, Nils G. (2007): Erfolgsfaktoren des virtuellen Settings in der psychologischen Internetberatung. https://www.e-beratungsjournal.net/ausgabe_0107/schultze.pdf (Zugriff am 03.12.2021). Weinzinger, Caroline (2015): Beratung und Coaching am Bildschirm. Panorama, 6/2015, 22–23. Weinzinger, Caroline (2016): »genau darum gez doch« – (Nicht-)Wissenszuschreibungen als vertrauensbildende Maßnahmen im Online-Coaching. In: Alexandra Gross/Inga Harren (Hg): Wissen in der institutionellen Kommunikation (S. 113–143). Frankfurt a. M. Winkler, Brigitte (2012): Traust du mir – trau ich dir. Wie entsteht Vertrauenswürdigkeit? OrganisationsEntwicklung, 1/2012, 24–31. ZRM®-Online-Tool: https://zrm.ch/_%20Online%20Tool.htm (Zugriff am 03.12.2021).
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Mit den vor knapp zwanzig Jahren erstmals verfügbaren Web 2.0-Technologien war die Zeit reif für einfache, interaktive Onlinekommunikation – nicht mehr nur für Wissenschaft und Nerds. Auf dieses Potenzial sollten daher Mitarbeitende in Sozialer Arbeit und Bildungsarbeit auch im Beruf nicht verzichten müssen. So kam 2004 nicht nur »Facebook«, sondern auch »kollegiale-beratung.net« als »Online-Beratungs- und Tagungshaus« in die Welt und erreicht im Erscheinungsjahr dieses Buches das Erwachsenenalter. Sein Alleinstellungsmerkmal als Plattform für Kollegiale Beratung online hat seither Bestand, ungeachtet zahlreicher parallel entstandener Apps für Online-Kollaboration in virtuellen Räumen. Zunächst nur für die computerunterstützte Onlinepraxis auf Basis des Heilsbronner Modells programmiert, wurden alsbald »Konferenzräume« für das Management der begleitend notwendigen Prozesse, die Fallberatungsgruppen auch online brauchen, notwendig. Praxisräume für Onlinecoaching und Onlinesupervision vervollständigen das Angebot. Im virtuellen Tagungshaus nutzen Berater:innen und Institutionen eigene »Etagen« für ihre Onlineberatungs- und Kollaborationsangebote. Beginnend mit einem Blick auf die Entwicklung in 18 Jahren werden nachfolgend zunächst konzeptionelle Grundlagen dargestellt und daran anknüpfend detailliert gezeigt, wie diese Onlineberatungsumgebung in der Praxis didaktisch gestaltet werden kann und muss, um bereichernde und nachhaltige Beratungsergebnisse zu erreichen, wie sie sich in der hier berichteten Evaluation seit Jahren bestätigen.
kollegiale-beratung.online Kollegiales Feedback und Reflexion, das ist nach der Lektüre der vorangegangenen Kapitel deutlich, sind wichtige Instrumente der Personalentwicklung in der pädagogischen und Sozialen Arbeit – für berufliche wie für ehrenamtliche
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Mitarbeitende. Doch trotz allgemeiner Zustimmung der Verantwortlichen in Schule, Bildungs- und Gemeindearbeit und im Gesundheitswesen zu dieser Einsicht bleibt diese »eigentlich« unverzichtbare Begleitung aufgrund vorherrschender Knappheit personeller und materieller Ressourcen immer wieder auf der Strecke. Regelmäßige gemeinsame Beratungstermine von Mitarbeitenden scheitern an Geld- und Zeitmangel für Reise- und Sitzungskosten, gemeinsame Termine sind schwer zu finden. Erfahrungsaustausch bleibt auf die eigene Insti tution begrenzt, samt aller damit verbundenen Einschränkungen. Ortsunabhängiges und asynchrones Arbeiten übers Internet bot sich an, um diese Ressourcenprobleme zu minimieren und die Reichweite der »Kollegialen Beratung« als Methode zu erhöhen. Über ähnliche Impulse und Projekte berichtet das 2005 erstmals erscheinende e-beratungsjournal in Beiträgen zu Beratung per Mail, Paarberatung online, Lebenshilfe Online und »Per Mausklick in die Supervision« und formuliert »Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer Psychologische[n] Beratung im Internet« (e-beratungsjournal 2005). Dass »Menschen, die mit Menschen arbeiten« – die Zielgruppe von »kollegialeberatung.online« – zu Skepsis gegenüber sogenannten »Neuen Medien« neigten, machte anfangs die Aufgabe nicht einfacher. Doch die fiktive Unterscheidung von »wirklichem« gegenüber »virtuellem« Leben ist fast gegenstandlos geworden. Denn Menschen, die miteinander kommunizieren, verändern die Welt, egal, ob das »Auge in Auge« oder in virtuellen Räumen geschieht: am Telefon, auf eLearning-Plattformen, Twitter, Zoom- und MS-Teams, um nur einige »Social Media«Plattformen zu nennen. Dazu konstituieren Messengerdienste wie WhatsApp und Telegram Blasen von kollektiven Meinungssubkulturen. »Virtuell ist für alle praktischen Zwecke so gut wie wirklich«, postulierte der Kommunikationstheoretiker Vilém Flusser (1993, S. 65) mit Blick auf das damals noch neuartige Phänomen Cyberspace, schon Jahrzehnte vor Facebook, als die tödlichen Gefahren noch unvorstellbar waren, wenn dort Hass und Hetze geschürt werden. Vom Projekt zum Regelangebot Kollegiale Beratung und Kollaboration zu fördern, war 2004 das Projektziel, das durch den Aufbau und Betrieb des Onlineberatungs- und Tagungshauses unter www.kokom.net realisiert wurde. Ein Projektteam aus Berater:innnen, Supervisor:innen, Fortbildner:innen und Personalentwickler:innen in vier evangelischen Institutionen auf bayerischer und auf Bundesebene begann – vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher Medienkompetenzen –, sein Wissen um die Gestaltung von Beratungsprozessen im analogen Setting schrittweise in der Gestaltung von Internetsoftware Realität werden zu lassen.
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Das war nur durch Freistellung für die Projektarbeit und Bereitstellung von Mitteln der Evangelischen Landeskirche in Bayern und der Evangelischen Jugend in Deutschland möglich. So konnte daraus ab 2012 schließlich ein gut frequentiertes Regelangebot entstehen. Hier wird an Fällen aus der beruflichen Praxis gearbeitet, werden auch seelsorgerliche Gespräche geführt und es wird in oft hochsensiblen Themen beraten, gecoacht und supervidiert. Die anfangs informelle Kooperation unterschiedlicher Projektträger firmiert seit 2008 als unabhängiges »Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung e. V.« als Betreiberin der Beratungsplattform. Als Beratungskonzept dient das in langjähriger Offline-Praxis bewährte »Heilsbronner Modell« der Kollegialen Beratung, von dem dieses Buch handelt. Es verzichtet – aus der zugrundeliegenden Orientierung am Konzept der analytisch fundierten Balintgruppenarbeit resultierend – auf zusätzliche Methoden und Übungen (vgl. Schimkus in Kap. 3). Gerade durch seine Konzentration auf die in Prozessphasen strukturierte, freie Aussprache in der Gruppe als einzige Methode erwies es sich als besonders geeignet für die Umsetzung mittels »computervermittelter Kommunikation«. Computervermittelte Kommunikation Im Jahr 2022 bedarf es kaum noch Überzeugungsarbeit, dass virtuelle Räume »reale« Kommunikation ermöglichen. Soziales Leben in der Gesellschaft ist für eine wachsende Zahl Erwachsener, Senior:innen und Jugendlicher ohne Facebook und Co. nicht mehr vorstellbar, gerade auch im beruflichen Bereich. Weil die Werkzeuge der Web 2.0-Subkultur zunächst nur Kommunikationsstile jüngerer User:innen (»Digital Natives«, wie Prensky 2001 diese erstmals bezeichnet) abbildeten, modellierte die Plattform kokom.net von Anfang an das vertraute Wissen und die vertrauten Regularien von Beratungsprozessen in Sozialer Arbeit und im Bildungswesen im digitalen Raum: Onlinekommunikation und -kollaboration wurde so auch sogenannten »Digital Immigrants« ohne Zwang innerhalb der eigenen Subkultur zugänglich und von ihnen als Erweiterung des eigenen Handlungsraums erlebt. Durchschlagend ist diese Veränderung allerdings erst durch die in der Coronapandemie erzwungenen Digitalisierungsprozesse geworden. Vom Web 2.0 wird nicht mehr gesprochen, aber Millionen Menschen nutzen Soziale Netzwerke täglich im Büro und im Homeoffice oder in ihrer Freizeit. Ehemals getrennte Sphären verzahnen sich zunehmend, weil die zugrunde liegende technische Infrastruktur dies ermöglicht. Schreibtisch und Büro sind längst nicht mehr die alleinigen Orte, um ins Internet zu kommen. Auf dem
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Sofa, unterwegs, nahezu überall ist daher auch kokom.net mit Smartphone und Tablet nutzbar, um den Erwartungen seiner Benutzer:innen gerecht zu werden. Wirksamkeitsstudien In den Anfangsjahren wurden immer wieder Zweifel daran geäußert, ob Beratungsprozesse online möglich und legitim seien – allen ermutigenden und eindeutig bejahenden Forschungsergebnissen zum Trotz. Letztere werden von Arnold hier im Buch ausführlich und im Überblick über zwanzig Jahre einschlägiger Forschung dargestellt. Arnold und Schindler (2018) resümierten auf Basis langjähriger Forschung zusammenfassend, dass vermeintliche Defizite asynchroner, textbasierter Kommunikation trotz, ja sogar gerade wegen der damit verbundenen Konzentration auf Inhalte häufig eben keine seien. Im Gegenteil, computervermittelte Kommunikation sei persönlicher als Face-to-Face-Kommunikation und führe beim Schreiben (allein, in einer sicheren Umgebung, mit der Möglichkeit, Geschriebenes zu editieren) zu steigender Aufmerksamkeit für eigene Gefühle (Döring 2002). Ebenso zeigen spätere Studien, dass diese textbasierte (!) Variante computervermittelter Kommunikation die Bereitschaft verstärkt, sich im Dialog zu öffnen und über sich und eigene Gefühle (!) zu sprechen (Jiang et al. 2013). Diese erhöhte Bereitschaft zur »Selbstoffenbarung« lässt sich sogar quantifizieren: Sie steige von 30 % im Face-to-Face-Dialog auf 80 %, wie Meshi et al. (2015) aufgrund einer Analyse der »Posts« von Facebook-Nutzer:innen belegen. Richter und Schindler (2018) erkennen im wohl eher historischen Format »Briefseelsorge«, damals noch ohne Computer, ebenfalls das praxiserprobte Potenzial des Schreibens im Beratungsprozess. Knaevelsrud (2016) zeigt die Wirksamkeit textbasierter computervermittelter Kommunikation nicht nur in der Beratung, sondern auch in der Therapie psychischer Störungen wie PTBS auf. Wirksame Werkzeuge sorgfältig handhaben Die von der Forschung konstatierte »gesteigerte Bereitschaft zur Selbstoffenbarung in internetbasierten Kommunikationssituationen« erweist sich als förderlich für Onlineberatungsanliegen. Gerade deswegen bedarf es aber auch eines vor psychischen Verletzungsgefahren schützenden Settings in der Onlineberatung. Das kann durch die Moderations- und Leitungsrolle eines:einer Berater:in in Onlinecoaching- und Supervisionsräumen gewährleistet werden und durch den immer am Beginn zu vereinbarenden Kontrakt. In der Kollegialen
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Beratung steht die Zustimmung aller Gruppenmitglieder zu den geltenden Vereinbarungen am Beginn des Beratungsprozesses, der durch den Leitfaden strukturiert wird. Ein unmoderierter Gruppenprozess, der sich beispielsweise in einem kokom. net-Konferenzraum entwickelt, kann gerade aufgrund der gesteigerten Bereitschaft zur Selbstoffenbarung bei kontroversen Themen auch eine durch die Teilnehmenden nur noch schwer beherrschbare Dynamik entfalten. Denn textbasierte, asynchrone Onlinekommunikation ist, anders als oft naiv vermutet, kein technisch-kaltes Medium, sondern birgt unmoderiert im Gegenteil die Gefahr der Überhitzung und Konfrontation, bei der die notwendige Wertschätzung aller für alle Beteiligten verloren gehen kann. Arnold weist in ihrem Beitrag in diesem Buch darauf hin, »dass Beratungssituationen mit CVK generell vorhandene Tendenzen zu Projektion und Imagination noch verstärken und es deswegen wichtig ist, die jeweiligen inneren Bilder in der Onlineberatungssituation zu berücksichtigen und ggf. zu überprüfen« (S. 119).
Evaluationsbefunde Eine systematische Befragung von Nutzer:innen unserer Plattform – alles Mitarbeitende der Sozialen Arbeit – bestätigt diese Forschungsergebnisse. Befragt wurden Frauen und Männer zwischen 25 und 55 Jahren, mit beruflicher Erfahrung in Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit und Bildungsarbeit, also einer für die Benutzer:innen von kokom.net typischen Gruppe. Bewertungen von User:innen »Ich bin total fasziniert, dass man auch online spüren kann, was im Fallgeber/Berater vor sich geht. Emotionen werden hier auch schriftlich weitergegeben. Somit finde ich, ist die Plattform eine gute Alternative beziehungsweise Ergänzung zur Face-to-Face Variante.« »Eine schriftliche Beratung hat den Vorteil, dass sich die Berater in Ruhe überlegen können, welches Statement sie abgeben möchten. Der Fallgeber kann zudem die Aussagen auf sich wirken lassen.« »Die Schriftlichkeit der Beiträge waren für mich eine Hilfe diese besser als in einem Gespräch reflektieren zu können. Durch die zeitliche Unterbrechung von der Mitteilung zur Reaktion viel es mir leichter gefühlsmäßig und rational
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aufkommende Impulse einzuordnen und entsprechend in meinen Beiträgen zu berücksichtigen.« »Der Zugang zu den geschützten Beratungsräumen ist mit mobilen Geräten möglich – das war für mich sehr hilfreich, denn ich stehe beruflich und privat (alleinerziehend) sehr unter Zeitdruck und konnte von meinem Smartphone aus jederzeit […] aktiv an den einzelnen Beratungsschritten teilnehmen.« »Anfänglich war ich etwas skeptisch, wie eine Online-Beratung ohne direkten, face-to-face-Kontakt funktionieren würde, ich hatte Bedenken, es fehlt der persönliche Bezug. Aber: Es funktioniert.« »Die Fülle der täglichen Informations-E-Mails, dass Mitteilungen auf der Plattform erstellt wurden, empfand ich wenig sinnvoll …« »Durch die asynchrone Arbeit fand ich es etwas schwierig richtig am Ball zu bleiben und voll dabei zu sein, auf der anderen Seite war es dadurch auch möglich, etwas distanzierter auf den Fall zu blicken und sich Zeit zum Überlegen zu nehmen.« (alle Zitate und Evaluationsdaten: www.kokom.net/Evaluation, Zugriff am 22.07.2022) Diese Statements illustrieren, was die systematische Evaluation Kollegialer Beratung online belegt, die von allen Studierenden des berufsbegleitenden Studienganges BASA-online (Arnold/Schindler 2018, S. 302) in zwölf Jahrgangsgruppen seit 2010 durchgeführt wurde. Die frei formulierten Statements berichten von anfänglicher Skepsis gegenüber einem textbasierten, asynchronen Onlineberatungsprozess. Mit zunehmender Beratungspraxis weicht diese allerdings vorsichtiger bis vorbehaltsloser Zufriedenheit über den (so nicht erwarteten) Nutzen für die eigene professionelle Praxis und die durchgängig erlebte Wertschätzung und emotionale Unterstützung durch Kolleg:innen. Exemplarisch formuliert das ein Teilnehmer in seiner Abschlussreflexion der Onlineberatung im internen Plenumsraum (18.10.2021) so: »Nachdem ich ja im Eingangsstatement gemischte Erfahrungen mit k/Kollegialer Beratung geschildert hatte, hat mich die Beratungsgruppe tatsächlich sehr positiv überrascht. Insbesondere die Schriftform fand ich persön-
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lich sehr hilfreich, da sie schon zu Beginn in der Fallschilderung verlangt, dass man deutlich und klar formuliert, was man eigentlich meint. Bereits das hat mir geholfen, den Fall gedanklich zu sortieren und so zu erkennen, was ich eigentlich will und brauche. Auch die Rückfragen meiner Beratungsgruppe waren dazu sehr hilfreich. So ging es dann auch in den nächsten Schritten weiter, meine Berater:innen haben durch zahlreiche Gedankenanregungen und Fragen ermöglicht, einen systematischeren Blick auf den Fall zu bekommen und mögliche Handlungsoptionen zu entwickeln.« »kokom.net als Brücke zur Sozialen Arbeit« – so beschreibt eine andere Teilnehmerin ihren Prozess zur Bestimmung ihrer neuen beruflichen Identität, den sie in ihrer Fallberatungsgruppe durchlaufen und in ihrem Reflexions-ePortfolio dargestellt hat: »Letzten Endes wurde mir durch die Kollegiale Beratung im kokom.net klar, dass mein ursprünglicher therapeutischer Beruf durchaus gut vereinbar mit der Sozialen Arbeit ist« (Domröse 2021). Anonyme Online-Evaluation Von 2016 bis 2022 wurden mit einem – nur anonym ausfüllbaren – Fragebogen insgesamt 283 Studierende, davon 14 % Männer, jeweils im 5. und 7. Studiensemester BASA-online um ihre Bewertung der zentralen Kriterien der von ihnen praktizierten Kollegialen Onlineberatung gebeten, die verpflichtender Teil des Curriculums ist. Auch die Reflexion der Beratungsmethode und der Durchführung als Onlineberatung gehört zu den Aufgaben im jeweiligen Semester. Die Beantwortung des anonymen Onlinefragebogens ist dagegen freiwillig. Damit werden Antworten im Sinne einer denkbaren sozialen Erwünschtheit ausgeschlossen. Die Rücklaufquote lag bei 94 %. Konsens besteht demzufolge darüber, dass die Arbeit im Fallberatungsraum als von gegenseitiger Wertschätzung geprägt erlebt wurde (99 %), im eigenen Zeittakt erfolgte (91 %) und ohne Face-to-Face-Kontakt funktionierte (95 %), in geringerem Umfang aber auch davon, sich face-to-face zu kennen (aus Präsenzseminaren), profitierte (75 %).
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Über die Gründe für den außergewöhnlich hoch bewerteten Faktor »Wertschätzung« kann hier nur spekuliert werden. Schimkus (Kap. 3, S. 79) plädiert abschließend für »eine systematische Reflexion der ethisch-philosophischen und therapeutischberaterischen Grundlagen (Menschenbild) des Beratungsansatzes ›Heilsbronner Modell‹. Dabei könnte man sich sowohl an der Psychotherapieforschung und ihren allgemeinen Wirkfaktoren als auch an ethischen Fragen von Beziehungsgestaltung orientieren.« Vielleicht führt gerade das Peer-to-Peer-Setting und die Abwesenheit einer externen Autorität zu einer gesteigerten Selbstverantwortung aller für diese förderliche Atmosphäre in den Fallberatungsgruppen. Auch der explizite Kontrakt der Gruppe im ersten Schritt des Prozessleitfadens und die damit eingegangene Bindung an das Einhalten der wechselnden Aufgaben der Akteur:innen dürfte eine Rolle spielen. Hier liegt eine reizvolle Forschungsaufgabe zum Beratungskonzept sowie zu dessen Implementation als Onlineberatung, die bisher noch nicht in Angriff genommen wurde. Als nützlich für die Qualifizierung des eigenen beruflichen Handelns wird die Onlinevariante des Heilsbronner Modells, der Evaluation folgend, auf alle Fälle gesehen: Diese wird als »hilfreich für meine Praxis« bewertet (88 %) und hat drei von vier Studierende »auf ungeahnte Ideen gebracht« (75 %). Das lässt sich als Bestätigung verstehen, dass die Beratung einen Wechsel im Blick auf den Fall ermöglicht hat – Scholer (2014) etwa sieht im Perspektivenwechsel einen
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bedeutsamen Grund für die Wirksamkeit Kollegialer Beratung. Oder in den Worten eines beliebten Motivationstrainers (Dyer 2009) ausgedrückt: »Change the way you look at things, and the things you look at change« (»Ändere die Art und Weise, wie du auf die Dinge schaust, und die Dinge, die du anschaust, ändern sich« [Übersetzung: W. S.]). Die Kollegiale Beratung online war für die Befragten auch »ertragreicher als erwartet« (81 %). Die Diskrepanz zwischen Erwartung und Resultat ist der vorausgehenden Annahme geschuldet, dass computervermittelte Kommunikation als »kanalreduzierte Kommunikation« vor allem defizitär sei. Im Gegensatz dazu wurde im Vollzug erlebt, dass es »Raum gab, Emotionen auszudrücken und wahrzunehmen« (80 %). So wächst durch die eigene Beratungspraxis schrittweise die Erkenntnis, dass die textbasierte, asynchrone Onlinekommunikation stattdessen im Wesentlichen nur anders, für Beratungszwecke bisweilen sogar wirksamer ist. Das hier berichtete Feedback wird auch in den Folgejahren ab 2023 weiter durch das IKOB zur Weiterentwicklung der Kollegialen Beratung online eingeholt; Resultate für die Zukunft geplanter Evaluationsstudien werden weiterhin unter https://www.kokom.net/Evaluation publiziert. Der hier vorliegende Band bietet ausgewählte Beiträge, die reflektierte Erfahrung und didaktisch fundierte Praxis beschreiben, vor allem mit der Onlineimplementation des Heilsbronner Modells. Weitere, auch experimentelle Beiträge als Ergebnis konzeptioneller Arbeit sind intendiert (vgl. www.kokom.net/Grundlagen bzw. www. ikob.net, Zugriff am 22.07.2022).
Der Ort im Netz Wo zwei oder drei Internetseiten, statisch oder interaktiv, unter einer URL versammelt sind, wird von einer »Website« gesprochen. Wenn die wesentlichen Prozesse dort, wie Dienstleistungen, Onlinehandel und Onlinestudium, nur für registrierte Nutzer:innen zur Verfügung stehen, hat sich dafür der Begriff »Plattform« durchgesetzt; so wird hier im Buch oft auch das Onlineberatungs- und Tagungshaus kokom.net bezeichnet. Das ist allerdings in einem entscheidenden Aspekt irreführend, denn das Grundprinzip der Plattformökonomie besagt, dass diese erst mit steigenden Nutzer:innen-Zahlen immer wertvoller werden. Millionen User:innen liefern kostenlos den »Content«, der die Plattform attraktiv und profitabel für Werbeeinnahmen macht. Dies ist das Geschäftsmodell des Web 2.0, dessen Kern O’Reilly (2005, S. 5) klar benennt: »Harnessing collective intelligence«, die kollektive Intelligenz einspannen, um dann mit
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den gesammelten User:innenprofilen passgenau zielgruppenspezifische Werbung zu verkaufen. Das hat sich in den Jahrzehnten seither nicht verändert, sondern wurde technisch zur Überwachungswerbung perfektioniert (Kleinz 2021, S. 150). Vertraulichkeit und Privatsphäre sind damit prinzipiell unvereinbar, ein Onlineberatungshaus muss auf diese Finanzierungsquelle verzichten – es wäre ein No-Go! Egal ob auf kokom.net wie derzeit 7.000 User:innen registriert sind oder 7.000.000 – man »sieht« und trifft dort immer nur Kolleg:innen aus einem gemeinsamen Arbeitszusammenhang, selbst wenn man in einer Vielzahl von »Räumen« leicht mit insgesamt weit über hundert Kolleg:innen verbunden sein kann. Anders als in der Offline-Variante der Kollegialen Beratung ist es allerdings wesentlich einfacher, Kolleg:innen aus dem gleichen Handlungsfeld, aber auch aus anderen Betrieben und Einrichtungen als Berater:innen zu finden und zur Mitarbeit einzuladen. Privatsphäre am »Dritten Ort« Leitbild für die Gestaltung der eigenen Privatspähre ist die Metapher des »Tagungshauses« mit seinen »Räumen« als Ort für den Dialog, für die Kommunikation, die dort nach je eigenen Regeln abläuft. Es ist ein Ort fern von daheim und vom Arbeitsplatz, der »Dritte Ort«, frei von Kontrolle und Rollenzwang, ein Ort, an dem Neues leichter möglich wird. Andere Beispiele für den von Ray Oldenburg (Vogler/Bathel/Krusche 2012) geprägten Begriff sind Tagungshäuser, Beratungszimmer, aber auch Buchläden und Cafés. Was für klassische Beratung und Therapie selbstverständlich ist – sich in die Praxis der Berater:innen zu begeben – bedarf individuell und gesellschaftlich noch der Klärung, wie und ob im Homeoffice nun auch ein solcher Dritter Ort realisiert werden kann. Wiegt der Nutzen ersparter Wegezeiten den Aufwand der erforderlichen Abgrenzung auf? Alle Daten in Beratungsräumen (Dialoge, Wiki, Archiv und Bildersammlung) sind komplett in der Kontrolle der User:innen, die »Schlüsselgewalt« haben. Die Datenübermittlung erfolgt immer SSL-geschützt, uneinsehbar für Fremde und Lauscher:innen in der Datenleitung. Über neue Ereignisse in solchen Räumen informiert die Plattform per E-Mail, neutral ohne Preisgabe des Inhalts. Denn E-Mail ist per se ein nicht-geschütztes Medium, das dennoch leichtsinnigerweise immer wieder für vertrauliche Mitteilungen oder gar Seelsorge und Beratung genutzt wird – allein dagegen schon schafft die Nutzung des Onlineberatungshauses wirksam Abhilfe. Denn Beratung ist auf geschützte Räume, deren Wände keine Ohren haben, angewiesen.
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»Wer schreibt, der bleibt«, weiß ein Sprichwort, das auch für die Onlinekommunikation von Bedeutung ist: Nur wer schreibt, wird für andere sichtbar und wahrnehmbar. Wer sich nur lesend beteiligt, bleibt verborgen, egal, wie sehr ihn:sie das Gelesene berührt. Schreiber:innen kann das häufig verunsichern, weil ihnen das sofortige Feedback fehlt, das sie in Offline-Gruppen nonverbal bekommen. In allen Räumen des Onlineberatungshauses wird daher angezeigt, wie viele Mitglieder im Raum den jüngsten Beitrag bereits gesehen haben – wer das im Einzelnen ist, dagegen nicht. Verfügbar ist die Orientierung über die Aktivität der Gruppe, nicht aber eine Verhaltenskontrolle der Einzelnen. In den Evaluationsdaten von 2016 bis 2022 wird das hohe Niveau beim Schutz der Vertraulichkeit und Privatsphäre wertgeschätzt. Es wird insgesamt von 87 % als »wichtig bzw. sehr wichtig« genannt. Noch einmütiger bezeichnen es 95 % als »wichtig bzw. sehr wichtig«: »Nur Mitglieder im Raum können meine Beiträge lesen, sonst niemand.« Damit einher geht in Gesprächen bisweilen ungläubiges Erstaunen über die Zusicherung, dass weder Dozent:innen und Lehrgangsleiter:innen noch Plattformadminstrator:innen Zugriff auf die Beratungsräume haben – anders als auf den eLearning-Plattformen der Hochschule. Moodle etwa ermöglicht Kursbesitzer:innen detaillierte Einsicht in das Nutzungsverhalten ihrer Kursteilnehmer:innen. Die Tagungshaus-Metapher Metaphorisch lässt sich das aufgrund architektonischer Unterschiede verstehen: eLearning-Plattformen sind hierarchisch konzipierte Schulhäuser, in denen Schüler:innen lernen, aber eben auch kontrolliert und bewertet werden. Ein Onlineberatungshaus muss dagegen vertrauliche, kontrollfreie Räume bereitstellen, um akzeptiert zu werden. Wohl kaum zu unterschätzen ist das Erleben der Onlinekommunikation in einem »Raum«, an einem festen Ort im grenzenlosen Internet. »Die Raum-Metapher für den Ort der Beratung erweist sich als geeignet, ein Gefühl von Verlässlichkeit in der Beziehung zu unterstützen. Das ist gerade in einem latent immer von – technisch wie sozialpsychologisch bedingten – Verbindungsabbrüchen bedrohtem Medium von hoher Bedeutung für die Unterstützung der Kohäsion in der Lerngruppe.« (Arnold/Schindler 2018, S. 313) Die Plattform wird zum vertrauten Ort im Netz – ein wesentlicher, qualitativer Unterschied zu anderen, E-Mail-basierten Beratungsformen. Sehr anschaulich formulierte das beispielsweise eine (2012) fünfzigjährige Userin:
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»[Ich] finde diesen virtuellen Begegnungsraum mittlerweile viel stärker als etwas Besonderes als eine eMail, die ich parallel an eine ganze Reihe von Personen schicke – ständig verschicke ich dienstlich irgendwelche eMails … [und muss] täglich zehn und mehr kürzere oder längere eMails lesen. […] Wie schön ist es da doch, diesen virtuellen Begegnungsraum zu haben, bei dessen ›Betreten‹ ich ganz genau weiß: Das, was dort berichtet wird, stammt von Menschen, mit denen mich ganz besondere Erlebnisse und Erfahrungen verbinden. Und wenn ich diesen virtuellen Raum ›betrete‹, dann tue ich dies ganz bewusst, um nur diese Informationen und Berichte aufzunehmen – abseits des vielen Mülls im eMail-Eingangsordner.« Im Laufe des Prozesses eines Teams bzw. einer Beratungsgruppe wird die Plattform so zur virtuellen Heimat – zumindest, solange es um berufliches Arbeiten geht. Für »Networking« wie auf Social-Media-Plattformen ist sie dagegen nicht geeignet. Anstatt einer dreistelligen Anzahl von »Freund:innen« sind in diesem »Onlineberatungs- und Tagungshaus« immer nur »Kolleg:innen«, nach Zulassung in einzelnen Räumen, anzutreffen. Vorschläge der Plattform für neue Kontakte erfolgen nicht, Suchen nach anderen User:innen sind nicht möglich – beim Betreten eines Tagungshauses sind die Menschen in den verschiedenen Tagungsräumen, hinter geschlossenen Türen, ja auch nicht zu sehen.
Raumkategorien Unregistrierten Gästen zeigt sich die Plattform zugeknöpft, aber informativ mit kurzen Erläuterungen und Grundlageninformationen.
Registrierten Benutzer:innen bietet kokom.net zahlreiche Gestaltungsoptionen, deren effiziente Nutzung das Wissen um die Notwendigkeit der Gestaltung von Onlineberatungsprozessen benötigt und dieses anwendbar macht. Das beginnt bei der Wahl der passenden Raumkategorie mit unterschiedlichen, spezialisierten Räumen, die innen ähnlich »möbliert« sind (Dialogbereich, Dateiablage, Wiki und Bildergalerie). Zur Verfügung stehen Ȥ Räume für Fallberatung nach dem Heilsbronner Modell (Bereich Kollegiale Beratung; vorstrukturierte Moderationsunterstützung),
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Ȥ strukturfreie Konferenzräume im Bereich Konferenzen und Ȥ Beratungsräume für Coaching & Supervision, als Einzel- und Gruppensupervision, aber auch für seelsorgerliche »Gespräche« (strukturfrei, um unterschiedlichen Beratungsansätzen Raum zu geben.). Dieser Menüpunkt führt auch zu einer Liste mit einem personalen Offline- und Onlineangebot erfahrener Berater:innen. Daneben in der horizontalen Menüleiste finden sich unter »Corporate« die Etagen aller Institutionen und Anbieter:innen eigener Räume. »Meine Räume« – im Überblick Nach dem Einloggen, entweder mit den eigenen Accountdaten oder einem (nachfolgend beschriebenen) »Ticket«, sehe ich nun alle »Meine Räume« jeweils mit gekennzeichnet und kann diese per Mausklick »betreten«.
Im Bild oben sind das je drei Räume in den Bereichen »Kollegiale Beratung«, »Konferenzen« und »Coaching & Supervision«, jeweils unter dem Namen der Etage, auf der sie zu finden sind. Innen sind alle Räume ähnlich mit einem Archiv, einer Bildergalerie und einem Wiki-Bereich, genannt »Dokumente«, »möbliert«, in dem einzelne oder mehrere Mitglieder im Raum eigene bzw. gemeinsame Texte erstellen und raumintern präsentieren können.
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Der:Die Fallgeber:in, der:die den Raum eröffnet hat, hat dort Schlüsselgewalt. Sogar das Aufräumen (überholter Dokumente etwa) und das Strukturieren des Archivs mit Unterverzeichnissen gehört zu seinen:ihren exklusiven Rechten. Er:Sie regelt, wer dazugehört (oder nicht mehr dazugehören soll), wer eingeladen wird etc. Jede:r im Raum kann sich unter »Mitglieder« ein Bild von der aktuell bestehenden Gruppe machen. Die:Der Raumeigner:in sieht auch, wer die Einladung noch nicht angenommen hat.
Computergestützte Strukturierung Die im Heilsbronner Modell vorgegebene Struktur von Beratungsprozessen wird durch die Plattform nur in Räumen für Kollegiale Beratung unterstützt. Mit ihrer Hilfe führt das für die Leitung/Moderation bestimmte Gruppenmitglied die Gruppe Schritt für Schritt durch die zehn Aufgabenstellungen der Fallarbeit. Der Prozess, das gemeinsame Gespräch, entsteht aus der Folge von Beiträgen. Anders als in sogenannten »Foren« gibt hier keine zusammenhängenden Themencluster (Threads), weil es diese im Gruppengespräch Face-to-Face auch nicht gibt. Bezüge auf früher Gesagtes müssen, wie »offline« auch, explizit formuliert werden. Hier im Beispiel möchte der Fallgeber einer Beratungsgruppe im 6. Schritt weitermachen und wendet sich an die Moderation, die das schrittweise Vorgehen mithilfe der Plattform in der Hand hat:
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(Nur) im Bereich »Kollegiale Beratung«, also der Fallarbeit im engeren Sinne, bekommt der:die Moderator:in durch die Plattform systematisch Unterstützung: Ein von allen bearbeiteter Prozessschritt wird abgeschlossen und zum folgenden weitergeleitet. Diese Entlastung macht es Onlinemoderator:innen leichter, selbst mit zu beraten. Im nebenstehenden Beispiel ist die Gruppe gerade beim fünften Schritt angekommen. Vorangegangene Schritte sind nachlesbar, vorgreifen dagegen ist ausgeschlossen. Also »fast wie im richtigen Leben«? Nein, hier findet richtiges Leben statt, in einem für alle praktischen Zwecke realen Beratungsambiente. Konferenz- und Coachingräume Hier kann und muss der Dialog frei moderiert werden, eine:r muss sich »den Hut aufsetzen«, wie sonst auch im analogen Setting vor Ort, im Stuhlkreis oder im Beratungszimmer, um den Anliegen der Beteiligten gut gerecht zu werden – Leitungskompetenz in Onlineumgebungen ist hier ein Gelingensfaktor, der keinesfalls zu unterschätzen ist, wie im Abschnitt »wirksame Werkzeuge« geschildert wird.
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Räume für professionelle Berater:innen Räume für Coaching und Supervision werden von Onlineberater:innen auf deren eigener »Etage« angeboten und bereitgestellt. Wie sie den asynchronen und textbasierten Beratungsprozess gestalten, ist ihre im Kontext der jeweiligen Fachlichkeit freie Entscheidung. Das Tagungshaus stellt nur den geschützten vertraulichen Raum zur Verfügung und unterstützt beim Erstkontakt mit Klient:innen. Für diese Features ist die Buchung einer kokom.net-Etage nötig, die mehrere Räume umfasst, in die Klient:innen exklusiv eingeladen werden. Dort haben initial auch Kontrakt- und Honorarvereinbarungen ihren Platz. Ebenso können nur hier Tickets für völlig anonyme Beratungsprozesse vergeben werden (vgl. https://www.kokom.net/Tickets). Es gibt auf kokom.net jedoch keinerlei Sammlungen von Textbausteinen o. ä., mit denen auf anderen Plattformen eine Rationalisierung des Beratungsprozesses im Coachingbereich versucht wird. Geißler (2018, S. 28) schildert eine Vielzahl solcher »Tools«, die »Templates für die schriftliche Kommunikation« und »ein strukturiertes Set fakultativer Fragen« bieten. Onlineberatung auf kokom.net ist immer als Kommunikation zwischen Menschen, nie zwischen Menschen und Apps/Programmen konzipiert. Es gibt daher auch keine Unterstützung der Beratung durch »künstliche« Intelligenzen, die den Berater:innen sprachanalytisch basierte Hinweise zur Gefühlslage ihrer Klient:innen geben könnten (vgl. dazu Lang 2015).
Gestalten mit Plattform-Tools In allen Räumen ist das Kommunikationsdesign vom Bild des Gesprächs in einer Gruppe geprägt: Ein Beitrag folgt dem nächsten, das »gesprochene« Wort ist nicht rückholbar. Kurz nach dem Absenden eines Beitrags kann ich diesen allerdings nochmals editieren, höchstens aber nur bis Eintreffen des nächsten Beitrags. Wer später etwas »richtigstellen« möchte, schreibt einen neuen Beitrag. Die »Raum«-Metapher war und ist im Entwicklungsprozess der Plattform stets maßgebend, wenn das User-Interface oder die Funktionalität weiterentwickelt werden. Dabei sind einige »Features« entstanden, die den Prozess einer Gruppe unterstützen.
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Orientierung Schweigen in einer (Offline-)Gruppe kann stressig wirken. Wenn niemand nach meinem Beitrag im Raum reagiert, nicht selbst schreibt, kann auch im Onlinesetting Unsicherheit wachsen: Uninteressant? Zu scharf? Oder langweilig? Die Phantasie kommt auf Touren und es wirkt entlastend, wenn klar wird, dass der eigene Beitrag von 18 anderen in der Gruppe zumindest schon gelesen wurde. Das zeigt die Titelzeile eines »Raumes« immer aktuell an, wie hier im Beispiel: Haben noch nicht alle 27 Mitglieder den letzten Beitrag gelesen, bleibt offen, wer diesen noch nicht gesehen hat. Entschleunigung Im Regelfall betreten User:innen die Plattform, weil sie am PC, Tablet oder Smartphone per E-Mail diskret und vertraulich benachrichtigt wurden, etwa so:
From: [email protected] Hallo z_aloe, In Ihrem Raum wurden ein oder mehrere neue Beiträge verfasst: Klicken Sie hier, um den Raum zu besuchen: https://www.kokom.net/p4315539697_385.html
Vielleicht hat auch das E-Mail-Programm zusätzlich dezent geklingelt. Erst im Raum selbst findet sich die Botschaft. Dass es Neues gibt, sieht die Userin »z_ aloe« hier allerdings auch gleich nach dem Einloggen, ohne vorher ihre E-Mails abzurufen, am orangefarben markierten Info-Symbol.
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In dem Raum auf der Etage »basecamp« ist also ein neuer Beitrag geschrieben worden, den sie mit Klick auf »betreten« lesen kann – dann, wenn für sie der passende Zeitpunkt dafür da ist. Verglichen mit der niederschwelligen Instant-Kommunikation, wie sie für Messengerapps typisch ist, die unmittelbar an die Mobilfunknummer gekoppelt ist und sofort eine eingehende Nachricht anzeigt, sind auf kokom.net einige Klicks nötig, um einen neuen Beitrag zum Dialog in einem Raum zu lesen. Ich versäume aber auch nichts, wenn ich auf solche Benachrichtigungen nicht sofort reagiere. Ich finde dann, ggf. nach weiteren Benachrichtigungen, alles Neue in chronologischer Reihenfolge und kann mich damit beschäftigen – niemand erwartet von mir sofort eine Reaktion. Der skizzierte Weg zur Nachricht war der Regelfall, bevor Messengerapps die Onlinekommunikation auf ein Tempo beschleunigten, das vorher nur in Chaträumen, textbasiert und synchron, möglich war. Die weiterhin asynchrone und damit langsamere, textbasierte Kommunikation auf kokom.net schien in einer Übergangszeit ein Nachteil zu sein, wird aber längst, wie aus den User:innen-Feedbacks hervorgeht, als willkommene Entschleunigung erlebt, die dem Anliegen »Beratung« dient. Identitätsmangement Nach der erstmaligen Registrierung ist eine weitestgehend freie Gestaltung der eigenen Identität gegenüber anderen Nutzer:innen möglich: Im Extremfall muss nur ein frei gewähltes Pseudonym sichtbar sein, alle anderen Informationen können ausgeblendet werden, auch auf ein eigenes Bild als Avatar kann verzichtet werden. Diese Freiheit registrierter User:innen wurde in zahlreichen konzeptionellen Debatten immer wieder bekräftigt. Unter »Meine Daten« kann »z_aloe« ihr persönliches Profil gestalten und sich so darstellen, wie sie in der Gruppe gesehen werden möchte. Wer nichts gestaltet, bleibt, der Voreinstellung der Plattform folgend, anonym. Auch die Pseudonyme sind Ausdruck unterschiedlicher Konzepte im Identitätsmangement. Die Plattform lässt da große Freiheit. Erfahrungsgemäß erleichtert die Verwendung von Klarnamen oft die Kommunikation und wird
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daher empfohlen. Anfangs gewählte Pseudonyme können später deswegen auch verändert werden. Denn ein wesentlicher Grund, sich in sozialen Netzwerken bedeckt zu halten, entfällt bei der Nutzung des Beratungshauses kokom.net: die Öffentlichkeit. Tickets »Ich kann und will meinen Klient:innen nicht zumuten, sich vor Beginn eines Online-Coachings auf einer Internet-Plattform zu registrieren. Dafür nehmen die sich keine Zeit, scheitern beim Ausfüllen des Formulars und bezweifeln, dass aus Coaching-Räumen tatsächlich keine sensiblen Daten entweichen können.« Schon die Tatsache, dass Beratung in Anspruch genommen wird, dürfe niemand erfahren, man wolle nicht auf dem Weg zum Coaching oder zum seelsorgerlichen Gespräch beobachtet werden. Solche Erfahrungsberichte aus dem Team der kokom.net-Entwickler:innen führten schließlich zur Abrundung des Angebots von Coachingräumen: Sogenannte »Tickets« machen vertrauliche On linekommunikation auf kokom.net sehr niedrigschwellig und dennoch völlig vertraulich erreichbar. Ohne Registrierung und kokom.net-Account, nur durch Eingabe des Ticketcodes (aus mindestens acht Buchstaben und Zahlen) gelangt man ohne Suchen direkt in den Raum, für den die Einladung seitens der Supervisorin:des Supervisors gilt; alle anderen Räume bleiben unsichtbar und unzugänglich. Der:Die Supervisor:in kann das Ticket selbst generieren und einem:einer Klient:in (mündlich, per Telefon oder schriftlich) mittteilen. Alternativ kann ein:e Klient:in eingeladen werden, selbst den Ticketcode auszuwählen, den dann außer ihm:ihr niemand kennt. Vertraulichkeit – AGB-geschützt Die Wahrung der Vertraulichkeit über das, was im Raum »gesprochen« wurde, ist ein Grundpfeiler der Beratungsarbeit. Er trägt, solange niemand den Kontrakt bricht, den die Plattform qua Nutzungsbedingungen allen verbindlich auferlegt. Ein Verstoß gegen diesen Kontrakt, der in den AGBs verankert ist, könnte im Extremfall daher sogar gerichtlich geahndet werden. Das ist einerseits mehr Verbindlichkeit als im »realen« Leben üblich. Die oft als hilfreich
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empfundene Möglichkeit zum Nachlesen zurückliegender Beiträge und zum lokalen Speichern eines Dialogs erleichtert andererseits auch deren Weitergabe. Ein illegaler Umgang mit »Copy and Paste« könnte allerdings gravierende Folgen haben – digitale Medien machen Missbrauch sowie Aufdeckung von Missbrauch einfacher. Ertragreich wird das Arbeiten – offline wie online – dann, wenn Vertraulichkeit und Wertschätzung das Klima einer Gruppe prägen. www.kokom.net kann nur den technisch-sozialen Rahmen dafür bieten. Einrichtungsfragen Bereits beim Erstellen eines neuen Raumes ist einiges zu entscheiden: Wie nenne und beschreibe ich meinen Raum und das Anliegen? Wird die Vertraulichkeit aller am Fall Beteiligten in dieser Themenbeschreibung gewahrt? Soll der Raum für Bewerbungen noch Unbekannter offen sichtbar sein? Ansonsten müssen die gewünschten Kolleg:innen in den Raum eingeladen werden. Das setzt voraus, deren E-Mailadresse zu kennen oder den kokom.net-Usernamen. Zu jedem Account gehört genau eine E-Mailadresse, daher sollte am besten immer der Username verwendet werden, insbesondere wenn die Einzuladenden schon einen Account auf kokom.net haben (vgl. Menüpunkt »Meine KollegInnen«).
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Gerade bei einer großen Gruppe, die in einem Konferenzraum zusammenarbeiten soll, empfiehlt es sich, den Raum für die Dauer einer Bewerbungsphase öffentlich sichtbar zu lassen und diesen erst danach für Außenstehende unsichtbar zu machen. Sollen User:innen meines Raums von jedem neuen Beitrag sofort oder nur einmal täglich benachrichtigt werden? Bei reger Aktivität führt »immer sofort« zu entsprechend vielen Nachrichten – das kann stören, aber auch motivieren, selbst zu schreiben. Mittlerweile finden die meisten User:innen solche Benachrichtigungen nützlich, die sie ja auch von vielen anderen Apps gewöhnt sind. Und wo soll mein Raum auffindbar sein? Am besten auf der Etage meiner Organisation, die ich hier auswählen kann, damit mein Raum nicht standardmäßig im vergleichsweise riesigen Erdgeschoss landet (im Bild mit »kokom.net« bezeichnet). Alle Etagen sind mit einer eigenen URL direkt erreichbar, registrierte User:innen sehen dort das gesamte Raumangebot, Mentor:innen und Onlineberater:innen können den gewünschten Raum einfach finden und sich für die Teilnahme bewerben. Members only Informationen und Materialien zur Kollegialen Beratung und Onlineberatung sind für »Gäste« ohne Login sichtbar, Räume und Etagen des Onlineberatungshauses dagegen ausschließlich für registrierte User:innen– falls deren Besitzer:innen diese »für Bewerbungen offen« gelassen haben. So führt an der – kostenlosen – Registrierung kein Weg zur Kollegialen Beratung online vorbei, ähnlich detailliert wie bei einer Onlinebestellung oder der Buchung eines Seminars. Die Betreiber der Plattform haben immer wieder ihre Entscheidung bekräftigt, nur identifizierbare Menschen mit Adresse und Angaben zur beruflichen Tätigkeit und weiteren Kontaktdaten als Mitglied in kokom.net-Räumen zuzulassen. Bezugspunkt solcher Entscheidungen ist immer die Metapher des Tagungshauses bzw. des Raumes, in dem Menschen sich zu einem Arbeitsthema treffen. In dieser Analogie wird einleuchtend, dass bisweilen selbst auf ein Schild an der »Tür« zum Gruppenraum verzichtet wird und dass Menschen sich anfangs im Gespräch bedeckt halten und nachfragen, wer denn den Schlüssel zum Arbeitsraum verwahrt. Für alle Beteiligten ist einsehbar, wer im Raum mitarbeitet und vor allem, dass sonst niemand dabei ist:
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Plattformtester und -gründer@work
Niemand kann andere User:innen »suchen«, es werden keine Kontakte angeboten, die man »vielleicht kennen könnte«. Auch nach dem E-MailAdressbuch wird nicht gefragt, denn kokom.net ist eben keine Social Media-Plattform mit dem Geschäftsmodell des Web 2.0. Trotzdem finde ich unter dem Menüpunkt »Meine KollegInnen« alle, die mit mir zusammen in einem oder mehreren Räume zugelassen sind – aber eben nur diese. Ein Klick auf den Benutzernamen zeigt die dazugehörige persönliche Profilseite mit den explizit freigegebenen Merkmalen dieser Person. Oft sind hier Anschriften und Kontaktdaten, aber auch Beschreibungen der professionellen Qualifikationen und Kompetenzen zu finden. Diese Möglichkeit nutzen in der Regel Berater:innen mit eigenem Angebot auf kokom. net gern, hier kann auch mit Unterstützung der Plattform ein Kontrakt angebahnt werden. Das Brief-Icon neben dem Usernamen ermöglicht eine persönliche Nachricht (PM) zu schicken: Dieses Nachrichten-Tool ergänzt die Kommunikation mit der Gruppe in Räumen, wenn nur einzelne Kolleg:innen vertraulich
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angesprochen werden sollen, ohne dazu Messenger-Apps verwenden zu müssen, die zwar ebenso verschlüsselte Übertragung bieten, aber Meta-Daten speichern: Wer, mit wem, wann (vgl. Dachwitz 2021).
Eine Plattform im Besitz ihrer User:innen Die Liste der Unterschiede zu »normalen« Social-Network-Plattformen lässt sich unschwer fortsetzen, wenn der grundlegende Unterschied klar ist: Der Preis der kostenlosen Nutzung dieser Plattformen ist die kostenfreie Lieferung von Content und Benutzer:innenprofilen – ein klarer Deal, der einem Millionenpublikum wohl nicht immer klar ist. Demgegenüber sind auf kokom.net Beratungsinhalte und Beteiligte an einem Thema bzw. einem Raum nur für diese selbst sichtbar, wie in jedem seriösen Beratungshaus sonst auch. Für Partner:innensuche und Profilierung in einer Community ist die Plattform also denkbar ungeeignet, sie ist weder Marktplatz noch Kanzel. Eine Verwertung, Kontrolle und Nutzung der User:innendaten ist ausgeschlossen – technisch wie vertraglich. Bleibt zu erwähnen: Wem die Mitgestaltungsmöglichkeiten als Aktionär:in von »Meta« oder »Alphabet« nicht weitreichend genug erscheinen, der:die kann als Mitglied im Trägerverein von kokom.net, dem gemeinnützigen In stitut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung e. V., deutlich mehr Einfluss bekommen – es ist eine Plattform im Besitz ihrer User:innen. Auf Dauer ohne Subventionen existenzfähig bleibt die Plattform daher nur durch bezahlte Premium-Accounts und die Bereitstellung von eigenen Etagen und Räumen, verbunden mit einer persönlichen Support-Hotline. Institutionen, Gemeinden, Schulen, Projekte, Freiberufler:innen und Praxisgemeinschaften bekommen so einen gut identifizierbaren, professionellen Auftritt unter eigenem Logo und eigener URL, einen Cloud-Service mit minimalem personellen, technischen und finanziellem Aufwand. Nach Vereinbarung kann auch die Administration einer Etage übernommen und bei der didaktischen Gestaltung und Implementation in der Institution beraten werden. Dieses – von der Umsonst-Illusion der Web 2.0-Plattformen unterscheidbare – Geschäftsmodell »funktioniert« nur mit kompetenten und fairen Vertragspartner:innen, die den Mehrwert schätzen können. Es realisiert außerdem die in vielen kirchlichen und sozialen Institutionen favorisierte Struktur einer gleichberechtigten, partizipativen Gruppenarbeit auf Augenhöhe statt mit hierarchischem Gefälle. Aufmerksame Benutzer:innen merken bald, aus welcher Subkultur eine Plattform-Programmierung erwachsen ist, und können entschei-
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den, ob dieses Angebot zur eigenen Kultur und zum eigenen Kommunikationsstil im Netz und Wertehorizont passt. Denn Software und Programmierung sind nie wertneutral, sondern spiegeln den Kontext, aus dem sie stammen – eine immer noch aktuelle Erkenntnis des Chaos Computer Clubs aus den 1980er Jahren. Das lässt sich durchaus als Empfehlung verstehen.
Literatur Arnold, Patricia/Schindler, Wolfgang (2018): Kollegiale Beratung online als Brücke zwischen Studium und Praxis der Sozialen Arbeit. In: Patricia Arnold/Cornelia Füssenhäuser/Hedwig R. Griesehop (Hg.): Profilierung Sozialer Arbeit online. Innovative Studienformate und Qualifizierungswege (S. 301–321). Wiesbaden. Dachwitz, Ingo (2021): Metadaten: Wo das eigentliche Privacy-Problem von WhatsApp liegt. https://netzpolitik.org/2021/metadaten-wo-das-eigentliche-privacy-problem-von-whatsappliegt/ (Zugriff am 08.08.2022). Domröse, Moni (2021): »kokom.net verbindet Welten«. https://mahara.hm.edu/view/view. php?t=iR9I5KjxSXHVnQWyfMLz oder: https://www.institut.kollegiale-beratung.net/media/ ePortfolio-Domroese_2021.htm (Zugriff am 11.01.2022). Döring, Nicola (1999): Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen. Döring, Nicola (2002): »Gestaltung von sozialen Beziehungen im Netz«: Unveröffentlichtes Vortragsmanusskript, MaC*_plus-Fachtagung 2002 in Josefstal. https://www.institut.kollegialeberatung.net/media/doering_2002-11-06.jpg (Zugriff am 08.08.2022). Dyer, Wayne (2009): »Success Secrets«. https://www.drwaynedyer.com/blog/success-secrets/ (Zugriff am 30.11.2021). e-beratungsjournal. Fachzeitschrift für Onlineberatung und computervermittelte Kommunikation (2005): Jahresausgabe 2005. https://www.e-beratungsjournal.net/?page_id=443 (Zugriff am 25.07.2022). Flusser, Vilém (1993): »Vom Virtuellen«. In: Florian Rötzer/Peter Weibel (Hg.): Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk (S. 65–72). Berlin. Geißler, Harald (2018): E-Coaching – State of the art 2016. In: Jutta Heller/Claas Triebl/Bernd Hauser/Axel Koch (Hg.): Digitale Medien im Coaching. Grundlagen und Praxiswissen zu Coaching-Plattformen und digitalen Coaching-Formaten (S. 15–31). Berlin. Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung (IKOB) (2021): Kollegiale Beratung Online: Evaluation. https://www.kokom.net/Evaluation (Zugriff am 15.07.2022). Jiang, L. Crystal/Hancock, Jeffrey T. (2013): Absence Makes the Communication Grow Fonder: Geographic Separation, Interpersonal Media, and Intimacy in Dating Relationships. http:// onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jcom.12029/full (Zugriff am 21.02.2022). Kleinz, Thorsten (2021): Überwachungswerbung adé? Die Lobbyschlacht um personalisierte Werbung in der EU. c’t Magazin für Computertechnik, 25/2021, 150. Knaevelsrud, Christine/Wagner, Birgit/Böttche, Maria (2016): Online-Therapie und Beratung. Göttingen. Lang, Josef (2015): »Wo steht die Onlineberatung/-therapie in 10 Jahren?«. e-beratungsjournal. Fachzeitschrift für Onlineberatung und computervermittelte Kommunikation, 11 (2), Artikel 2.
Beratung online: textbasiert und asynchron
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10 Kollegiale Beratung online – nachhaltig wirksam Beate Kamp
Die Autorin hat eine Onlinefallberatung in der Abschlussphase ihres Studiums der Sozialen Arbeit an der Hochschule München im Studiengang BASAonline aus dem Jahr 2013 nach dem Heilsbronner Model dokumentiert. Ihr erneuter Rückblick auf die verändernde Wirkung dieser Online-Peer-to-Peer-Beratung betont im Mai 2020 den Aspekt der Nachhaltigkeit: »Veränderungsprozesse brauchen viel Zeit und beginnen in uns selbst.« Das nachfolgend mehrfach erwähnte viersemestrige Modul WTP (»wissenschaftlicher Theorie-Praxistransfer«) verbindet die alltägliche Berufstätigkeit der Studierenden und deren berufsbegleitendes Studium durch eigene Kollegiale Onlineberatung in zumindest zwei Prozessen. Die Beratungsgruppen arbeiten allein, ohne Benotung und Kontrolle, in vertraulichen, geschützten Onlineräumen; erwartet werden nach Beendigung die schriftliche Reflexion und ein Feedback. Diesem Studiengangskonzept verdanken wir wesentliche Ergebnisse der Evaluation der asynchronen, textbasierten Kollegialen Beratung online auf kokom.net. (Redaktionelle Vorbemerkung: W. Schindler)
Dokumentation eines Fallberatungsprozesses auf kokom.net – Juli 2015 – Die wichtigste »Studienarbeit« und zugleich Erfahrung im WTP ist und bleibt für mich die Kollegiale Beratung auf kokom.net nach dem Heilsbronner Modell. Ehe ich einen der zwei sehr intensiven Beratungsprozesse, die ich auf kokom. net in unterschiedlichen Gruppen erleben durfte, versuche darzustellen, ohne die Vertraulichkeit zu verletzen, möchte ich noch feststellen, wie treffend für mich die Hypothese »Distanz führt zu mehr Nähe« erlebbar wurde: »Jüngere psychologische Studien zu Auswirkungen computervermittelter Kommunikation (getrennt lebender Paare) belegen erneut eindeutig, dass
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die Bereitschaft, sich zu öffnen, über sich zu sprechen, Gefühle zu zeigen (›Selbstoffenbarung‹) zunimmt, wenn die Gesprächspartner a-synchron, textbasiert und mobil miteinander kommunizieren – anders als bei Gesprächen ›face-to-face‹, über Telefon oder Skype. Das passt zu den Ergebnissen früherer Studien (1996, 2002), wonach a-synchrone, textbasierte Kommunikation zu verstärkter Selbst-Explikation führt und zum Bemühen, Unsicherheiten in der Kommunikation zu vermindern.« (Jing et al. 2013) Mehrfach habe ich erlebt, dass Öffnung in Onlineberatungsprozessen gut gelingt, dass Reflexions- und Veränderungsprozesse angestoßen werden, dass es jedoch auch sehr wichtig ist, sorgsam zu formulieren, um zum einen gut verstanden zu werden und zum anderen bei Rückmeldungen nicht zu verletzen. Im Folgenden habe ich eine Prozessbeschreibung dargestellt, welche Textteile aus dem Beratungsprozess im November/Dezember 2013 herausgreift, die bedeutsam waren und dennoch präsentiert werden können. Die Vertraulichkeit im Beratungsprozess war und ist oberstes Gebot! Ich berichte also nicht über Inhalte, sondern über den Prozess, und verwende Inhalte nur, wenn sie so neutral sind, dass sie die Vertraulichkeit nicht gefährden. Ich habe also für die hier angebotene Darstellung aus dem 53 Seiten WordDokument zu diesem intensiven Beratungsprozess Allgemeinaussagen herausgegriffen, die den Prozess verdeutlichen und zur Veröffentlichung geeignet sind. Ich war selbst Fallgeberin, so viel möchte ich gern mitteilen. Ich konnte daher die Erfahrung, wie eine Kollegiale Beratung auf kokom.net wirkt, unmittelbar erleben. Ich habe in diesem Beratungsprozess viel gegeben und noch viel mehr zurückbekommen. Die folgenden zehn Schritte strukturieren und ordnen den Beratungsprozess, der Zeitrahmen ist klar, wenn alle gut mitarbeiten – wir waren zu fünft in der Gruppe. 1. Schritt – Festlegen von Leitung und Fall
Der:Die Fallgeber:in hat zur Gruppenbildung eingeladen und steht somit bereits fest. Das zweite angemeldete Mitglied ist die Moderation. Der:Die Raumeigner:in bzw. Fallgeber:in kann dies ändern. Prüfen Sie bitte, ob Sie eine Beratung in dieser Gruppe unbeschwert anfangen können. Zeitmanagement: Wenn jede:r Teilnehmer:in mindestens einmal am Tag mitarbeitet, ist der Fall in ca. fünf bis zehn Tagen bearbeitet. Als Fallgeber:in: Teilen Sie der Gruppe mit, in wie vielen Tagen Sie Ihren Fall bearbeiten möchten.
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Als Berater:in: Teilen Sie der Gruppe mit, ob Sie sich auf diesen Zeitrahmen einlassen.
Die Fallgeberin F öffnete einen Raum auf kokom.net und lud am 18.11.2013 zur Gruppenbildung ein. Gruppenmitglied M übernahm als erster der Gruppe Beigetretener die Moderation. Die Gruppenmitglieder I, R und B traten als Berater:innen bei. Der Raum wurde dann von F rasch geschlossen, um keine weiteren Berater:innen mehr aufzunehmen. Zuerst wurde die Arbeitsweise geklärt. Ein Tag Lücke im Beratungsprozess wurde von allen genehmigt, Vorkenntnisse über das Heilsbronner Modell wurden mitgeteilt und erfragt. F wurde dann offiziell von M gebeten, den Fall vorzustellen. I, R und B wurden gebeten, auf die Reihenfolge der Informationen, auf Empfindungen oder Assoziationen zu achten, die der Bericht bei ihnen auslösen würde. Anschließend, das wurde von M sofort angekündigt, sei die Möglichkeit für Fragen gegeben. Alle Berater:innen erklärten sich durch kurze Statements mit der Vorgehensweise einverstanden. 2. Schritt – Vortragen der Problemsituation
Der Fall wird vorgestellt und der:die Fallgeber:in versucht, das Problem so gut wie möglich zu fokussieren. Die Moderation leitet zum nächsten Schritt über, wenn sie sich bei dem:der Fallgeber:in vergewissert hat, dass der Fall vorgestellt ist. Regel: Die Berater:innen folgen aufmerksam und konzentriert dem Bericht und achten z. B. auf die Reihenfolge der Informationen, Empfindungen oder Assoziationen, die der Bericht bei ihnen auslöst. In diesem Schritt schreibt nur der:die Fallgeber:in.
F trug den Fall am 20.11.2013 sehr ausführlich, offen und auch lebendig vor. Sie war durch die ermutigenden und einladenden Worte der Gruppe motiviert und fühlte sich im Raum auf kokom.net sicher, hatte sich aber auch nochmals vergewissert: »Ich habe vorab nochmals eine ganz große Bitte, ich weiß, es ist euch eh selbstverständlich, aber ich muss es nochmals schreiben. Ich habe nichts davon, einen Fall zu ›erfinden‹, nur dass hier im Raum was bearbeitet wurde
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und wir unser WTP-Modul haben. Ich lebe überall von Authentizität, so auch hier. Das, was ich jetzt so mit euch teile, braucht daher euren ganz besonderen Schutz und ich bitte um absolute Vertraulichkeit, auch darum, dass wir nicht so zwischen Tür und Angel irgendwo an der Hochschule drüber reden oder so. Bitte gar nirgends, nur hier. Ich bitte euch um einen Schutzraum, hier auf kokom.net.« Die Berater:innen »lasen« zu (statt: »hörten« zu; Erläuterung: W. S.), sicherten absolute Vertraulichkeit zu und dann beschrieb die Fallgeberin die Situation, bei der es um eine berufliche Problemlage im sozialen Bereich mit vielen Facetten ging. 3. Schritt – Nachfragen
Jetzt sind die Berater:innen an der Reihe und stellen Informations- und Verständnisfragen an den:die Fallgeber:in. Nicht alle müssen Informations- und Verständnisfragen stellen. Teilen Sie bitte kurz mit, wenn Sie keine Frage haben. Diskutieren Sie hier nichts! Stellen Sie nur Rückfragen, die Ihnen helfen, den Fall besser zu verstehen, und bringen Sie an dieser Stelle keine eigenen Vermutungen und Informationen ein. Die Moderation fordert den:die Fallgeber:in zur Beantwortung auf und leitet danach zum vierten Schritt über. Regel: Es sind nur Informations- und Verständnisfragen erlaubt. Keine Diskussion, keine Vermutungen, Spekulationen etc.
Die Berater:innen durften nun Informations- und Verständnisfragen an die Fallgeberin stellen. Wer keine Frage hatte, sollte das zumindest kurz mitteilen, damit der Moderator M zum nächsten Schritt überleiten konnte. Der Moderator passte gut auf, informierte noch einmal, dass hier nichts zu diskutieren sei und dass hier eigene Vermutungen, Informationen usw. nichts zu suchen hätten. Alle hielten sich daran. Am 22.11.2013 kam von M ein Dank für die recht vielen Fragen an die Berater:innen. M motivierte die Fallgeberin nochmals, indem er verdeutlichte, wie wichtig den Berater:innen der Fall sei, wenn sie so viele Nachfragen hätten. Es gab unter anderem sehr strukturiert durchnummerierte Fragen, die einfach auf Fakten bezogen waren. Eine Skalierungsfrage war auch dabei. Es gab auch spontane Fragen, die aus dem Gefühl heraus gestellt wurden, und ein paar provozierende Fragen. Die Beantwortung der Fragen führte die Fallgeberin bereits in diesem Stadium zu wichtigen Erkenntnissen – das teilte sie auch mit.
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4. Schritt – Sammeln von Einfällen
Die Gruppe der Berater:innen sammelt Assoziationen, Empfindungen, Phantasien, die die Situation bei ihr ausgelöst hat. Hilfreich ist es, eigenen Einfällen Raum zu geben. Beispielsweise: Mit wem identifiziere ich mich am meisten und warum? Löst eine Information bei mir Ängste oder Freude aus? Habe ich mich gelangweilt oder bin ich abgeschweift, als ich den Fall las? Hat irgendetwas meine Phantasie angeregt? Habe ich Assoziationen, die scheinbar gar nichts mit dem Fall zu tun haben? Dies alles können Sie für den:die Fallgeber:in jetzt notieren, denn es könnte für ihn:sie wichtig sein. Vermeiden Sie aber alles in Richtung: »Das kenne ich schon, das habe ich auch schon erlebt.« (Dazu können Sie sich im 9. Schritt äußern.) Bleiben Sie beim Fall! Die Moderation leitet zum nächsten Schritt über, wenn sich die Berater:innen geäußert haben. Dazu fragt sie kurz bei den Berater:innen nach. Regel: Der:Die Fallgeber:in hält sich während dieses Schritts ganz zurück. Er:Sie sollte sich darauf konzentrieren, alles aufzunehmen, was den Berater:innen zur Situation einfällt. Darauf geht er:sie im nächsten Schritt ein.
Moderator M leitete in den diesen Schritt über und lud die Berater:innen ein, Einfälle zu nennen, die der Fall bei ihnen ausgelöst hat. Diese sollten allerdings nicht in Richtung »das kenne ich, das habe ich auch schon erlebt« gehen. Gefragt waren Gefühle, Assoziationen und Phantasien. Die Fallgeberin wurde dazu eingeladen, sich zurückzulehnen und einfach »zuzulesen«. Von den Bildern der Berater:innen werden hier nun einige wörtlich übernommen, um die Anonymität des Falles nicht zu gefährden: Ȥ Die Glücksspirale, die möglicherweise zu einem Teufelskreis wird: Diese Bild zeigt für mich, dass Karriere sehr schnell zur Belastung werden kann. Ȥ Die Perle, die die Fassung verliert. Ohne Fassung haben wir keinen Halt und taumeln und schlingern. Ȥ Angekommen im Nicht-Angekommen sein. Ȥ Immer weniger Zeit für diese Menschen. Ȥ Ich bin absolut begeistert von euch! Vielen Dank, dass ich das so erleben darf. Das baut mich gerade sehr auf. Ȥ Achterbahnfahrt. Ȥ Eine große, starke, tapfere und mutige Löwin. Ȥ Da brüllt wirklich die Löwin.
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Ȥ Da würde ich persönlich zur Zeit eher den Geparden in dir sehen als den Balu … Ȥ Sorgen, dass du in der Geisterbahn unter die Räder kommst. Ȥ Aus meiner Sicht bist du allerdings die starke und kluge Löwin, die sich vor Geistern nicht zu fürchten braucht. Ȥ Basisbezug. Ȥ Oberflächlich opfert man dafür »kostbare Zeit«, die an anderer Stelle dann fehlt (oder aber zusätzlich obendrauf als Mehrzeit gesetzt wird). Ȥ Das eigentlich kostbare aber ist in der Sozialen Arbeit der Klient selbst mit seinen Anliegen, Problemen und Fragestellungen, denn ohne ihn gäbe es auch keine Leitungsaufgaben. Ȥ Leitung heißt immer auch, dass man die Situation der Mitarbeiter auch beurteilen kann. Ȥ … und da habe ich dich schon zum ersten Mal bewundert, wie konsequent du diesen Weg trotz der Zeitbelastungen durchziehst, zum zweiten habe ich deine innere Ruhe bewundert, die du dir wohl immer noch behalten hast. Ȥ Deine Schilderung der Situation strahlt trotz […] eine enorme Ruhe aus. Ȥ Allerdings wurde ich beim Lesen innerlich auch zornig und wütend. Ȥ Wer sich nur ansatzweise an eines der Löwenkinder wagt, wird sofort mit dem gefährlichen Blick der Löwenmutter zurück in die Savanne geschickt. 5. Schritt – Rückmeldung
Der:Die Fallgeber:in sagt den Berater:innen, welche der Assoziationen ihm:ihr wichtig geworden sind (z. B. durch neue Perspektiven etc.) und teilt der Moderation mit, dass die Rückmeldung beendet ist. Die Moderation fordert die Berater:innen zum nächsten Schritt auf. Regel: Nur der:die Fallgeber:in äußert sich! Die Berater:innen nehmen seine:ihre wichtigen Informationen auf und bedenken sie im Hinblick auf den nächsten Schritt, in dem wieder ihre Ideen gefragt sind.
Die Fallgeberin teilte am 26.11.2013 mit, welche Assoziationen ihr wichtig waren, z. B.: Ȥ Übersatt mit »Glück«, Achterbahn, ja. Ȥ Ich fühle sie nicht immer, die kämpfende Löwin. Ȥ Ich schüttle meine Mähne und kämpfe. Ȥ Ruhe ja, aber nicht durchgängig, aber sie ist rasch wieder da.
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6. Schritt – Sammeln von Lösungsvorschlägen
Jetzt sammeln die Berater:innen Lösungsvorschläge, die sie dem:der Fallgeber:in mitteilen. Diese:r sollte sich darauf konzentrieren, alles aufzunehmen, was den Berater:innen zur Situation einfällt. Er:Sie selbst geht darauf erst im nächsten Schritt ein. Die Moderation leitet zum nächsten Schritt über, wenn die Berater:innen ihre Beiträge abgeschlossen haben. Zuvor fragt sie kurz bei den Berater:innen nach. Regel: Nur die Berater:innen äußern sich! Der:Die Fallgeber:in achtet auf die Lösungsvorschläge, auf die er:sie im nächsten Schritt reagiert.
Jetzt erst durften die Berater:innen Lösungsvorschläge sammeln und vortragen. Die Fallgeberin war ruhig und las mit. Die Lösungsvorschläge können nicht veröffentlicht werden, sie waren sehr konkret und behandelten viel Persönliches oder Betriebsinternes. 7. Schritt – Rückmeldung
Der:Die Fallgeber:in teilt den Berater:innen mit, welche Lösungsvorschläge ihm:ihr wichtig geworden sind und er:sie für sich verwenden möchte. Er:Sie teilt der Moderation mit, dass seine:ihre Rückmeldung abgeschlossen ist. Die Moderation fordert alle Gruppenmitglieder zum nächsten Schritt auf. Regel: Nur der:die Fallgeber:in äußert sich.
Die Fallgeberin teilte am 30.11.2013 mit, welche Lösungsvorschläge ihr wichtig sind. Viele der Lösungsvorschläge wurden aufgegriffen, teilweise etwas abgewandelt, vor einigem saß die Fallgeberin ratlos, weil sie es nicht für umsetzbar hielt. 8. Schritt – Vertiefendes Gespräch
Alle Gruppenmitglieder tauschen sich über die angedachten Lösungen und die Rückmeldungen dazu aus, sodass Lösungsvorschläge unter Umständen noch einmal verdeutlicht werden können, die nicht an erster Stelle stehen. Ferner besteht hier z. B. die Gelegenheit, erste konkrete
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Lösungsschritte zu planen. Die Moderation stellt das Ende dieses Schrittes fest (z. B. weil sie sieht, dass sich alle geäußert haben) und leitet zum nächsten Schritt über.
Hier ist es mir nun möglich, einige wörtliche Zitate als »Wortfetzen« stehen zu lassen, ohne die Anonymität des Falles zu gefährden: »[S]chön, wenn wir irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt sagen können ›ja, daraus habe ich viel gelernt‹, ›das hat mich stärker, klarer und mutiger gemacht‹, ›das war eine wichtige Zeit für mich‹, ›diese Zeit möchte ich nicht missen‹, – aber wenn ich ehrlich sein darf, währenddessen (und momentan) denke ich doch eher: ›puh – brauch ich nicht‹, ›will ich nicht‹, ›warum nur ich‹, ›das hab ich so nicht bestellt‹, ›alles ist so anstrengend‹, ›ich kann nicht mehr‹, ›ich will nicht mehr!‹ Aber ich glaube, dass wir (auch wenn es mir nicht immer passt) diese ›Zeiten‹ aus einem ganz bestimmten Grund bekommen und vermutlich es einen Grund gibt, warum ich sie so und nicht anders für mich erfahre. Ich darf daraus etwas lernen! Und es wird leichter, wenn ich das (auch oder gerade in schwierigen, turbulenten Zeiten) für mich (wieder mal) bewusst verstanden habe. Dann kann ich etwas verändern. Schon alleine das darüber nachdenken, aufschreiben, im Kopfkino durcharbeiten verändert die Sicht auf die Zeit und regt somit den Prozess an […]. Ich gehe in diesem Beitrag bewusst auf keinen unserer Lösungsvorschläge/ auf keinen möglichen Weg mehr ein … es ist alles gesagt … ich glaube es ist wirklich ein bunter, starker, blühender Blumenstrauß entstanden:« »[I]ch bin mir sicher, bereits durch deinen ersten Beitrag am Mittwoch, den 20.11.2013 hat sich vieles in Deiner Wahrnehmung, […] verändert […]. Ich bin mir sicher, die nächsten Tage waren immer mal wieder mit kleinen Geistesblitzen gefüllt, die dir zeigten ›was läuft hier eigentlich‹ […] und ich bin fest überzeugt, dass vieles nebenbei bei dir ankam, in dir arbeitete und auf den Weg gebracht ist. Vieles das du schon wusstest. […] Geben ist seliger denn nehmen. Allerdings muß das ganze dennoch in einem gesunden Gleichgewicht stehen, damit man am Ende nicht nur selber gibt. Grundsätzlich hat dieser lange Spaziergang mit Dir gezeigt, dass Du viele Lösungsansätze selbst schon im Kopf hast. Wir waren in vielem nur als Zuhörer dabei und konnten Dir Deine eigenen Gedanken als Spiegel zurückgeben. […] Eine gute Balance von Actio und Passio ist bei diesem Prozess wichtig. Die Ökonomisierung der Hilfe […] darf sich nicht auf die Arbeit der Mitarbeiter und
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die Hilfe für Bedürftige dermaßen auswirken. Unter dem Aspekt niemanden enttäuschen bzw. verletzten zu wollen, oder einfach aus einer Kritik- und Konfliktunfähigkeit heraus, gepaart mit einem unermesslichen Harmoniebedürfnis, wird oft die Wahrheit verdrängt oder in graue Diskussionszonen verschoben. Das kann bei Mitarbeitern auch in eine Selbstausbeutung oder in eine persönliche Immigration führen. […] Loslassen und darin Vorbild sein! Am Samstag, 30.11.2013 schrieb der Moderator: »Nun sind mit heutigem Tag genau zehn Tage seit der Einbringung des Falles […] vergangen. Wir liegen gut in der Zeit und unsere Lösungsvorschläge können sich wirklich sehen lassen.« 9. Schritt – Abschlussrunde – Sharing
Jetzt erst teilen die Berater:innen (somit auch die Moderation) eigene Erfahrungen zum Fall mit. Jede:r kann kurz berichten, wo er:sie schon einmal selbst Erfahrungen mit einem ähnlichen Problem gemacht hat. Dies zeigt dem:der Fallgeber:in, dass er:sie mit diesem Fall nicht allein ist, und ermöglicht den Berater:innen, sich von Anfang an auf den eingebrachten Fall zu konzentrieren. Die Moderation beendet diesen Schritt (z. B. weil sie sieht, dass sich alle geäußert haben) und leitet zur Schlussrunde über.
Die Berater:innen durften nun auch eigene Erfahrungen einbringen. Diese waren bereits beim vorhergehenden Schritt enthalten. In diesem Beratungsprozess wurde eine große Menge an Text geschrieben! 10. Schritt – Feedback
Nun ist z. B. Gelegenheit für den:die Fallgeber:in, sich bei den Berater:innen zu bedanken oder Rückmeldung an die Moderation für die Leitung zu geben. Moderation: Vereinbaren Sie mit den Gruppenmitgliedern, wer ggf. einen neuen Fall einbringt (und wie diese:r Teilnehmer:in den Raum dafür benennen wird), wer die Moderation übernimmt und wann der:die Fallgeber:in die jetzige Gruppe/den Raum schließen soll.
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Eine Beraterin schrieb, dass der Beratungsprozess auf kokom.net Leichtigkeit und Menschlichkeit schenkte, dass dadurch das parallel laufende Schwerpunktmodul weniger schwer war und sie alles als intensiv, bereichernd und aufmunternd empfand. Ein Berater dankte dem Moderator für die gute Arbeit, der Fallgeberin für die Intensität und den Berater:innen für die vielen guten Beiträge. Viel Freude sei da gewesen, trotz vieler nachdenklicher Momente. Von einer Beraterin kam wörtlich: »Die Zusammenarbeit mit euch hier lief aus meiner Sicht auf einem ganz hohen Niveau ab. Ihr seid alle toll!!!« Die Fallgeberin bedankte sich bei jedem:jeder namentlich, auch dies kann hier teilweise wörtlich wiedergegeben werden: »[G]anz herzlichen Dank für deine sehr klaren Worte, für deine starken Bilder und dein unverkrampftes, ehrliches Äußern hier. Du hast mir die Löwin geschenkt und vieles mehr, da war auch Humor drin und eben so eine besondere Form von Ehrlichkeit. Das schätze ich sehr. Ich werde alles nochmals lesen, wenn einige Tage vorbei sind, jetzt muss es erst einmal verdaut werden! Ich danke dir!« »[D]u hast richtig gearbeitet hier, dich ganz intensiv mit meinen […]themen befasst auch. Von dir kann ich ganz viel nehmen an Lösungsschritten und -ideen und letztendlich wird es doch so einfach wieder. Da war aber vor allem auch viel Verständnis, auch eine Sicht auf Zwänge, in denen ich stehe, hattest du sehr klar. Danke, danke für deine intensiven gut durchdachten Beiträge!« »[U]nd dir danke ich für das Herz, für die positive Annahme dessen, was ist. Für deine ganz andere Sprache, eine Sprache in Bildern, in Symbolik, mit der ich so gut sein kann … Ich danke dir für die Nähe, die wir auch schon in anderen Modulen hatten und die uns in diesem Beratungsprozess getragen hat! Danke!« »[Z]uletzt mag ich dir danken. Was warst du für ein genialer Moderator! Was hast du den Rahmen gut gehalten und noch viel mehr als das, du hast uns begleitet und ich bin so froh, dass du dich auch eingebracht hast. Ich spüre viel Liebe, viel Spiritualität in deinem Schreiben und du hast ganz schön was angeschoben in mir, das braucht jetzt Zeit zum Wachsen und Reifen und es wird gut sein, denn ich bin voll Vertrauen. Ganz herzlichen Dank!« Am 01.12.2013 war der Fall abgeschlossen, die Beratung beendet und der Raum wurde geschlossen, aber noch nicht gelöscht, um für meine jetzige Arbeit am ePortfolio noch verfügbar zu sein.
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Meine Erkenntnisse aus dem Beratungsprozess – Mai 2015 – Es war ein unglaublich intensiver, offener Dialog auf kokom.net. Die Schutzbedürftigkeit der Texte wird jetzt, beim Erstellen des Portfolios, nochmals deutlich. Eine erneute Betroffenheit und Reflexion sind beim Überarbeiten soeben entstanden. Es ist ein Blick auf die Zeit vor Weihnachten 2013 möglich, als der Prozess lief, und was damals bedeutsam für das Berater:innenteam und für die Fallgeberin war. Was ist heute, im Mai 2015, daraus geworden? Die wichtigsten Punkte eines Beratungsablaufs sollten als Ergebnis, als Essenz, zusammengefasst und für eine spätere Überprüfung verwendet werden, insbesondere, wenn es sich um Beratungen mit konkreten Lösungsschritten gehandelt hat. Es wäre sinnvoll, eine Zeit festzulegen, zu der diese Überprüfung stattfindet, damit die Betroffenheit und Intensität nicht im Alltag verloren geht. Durch das ePortfolio ist es mir nun so ergangen, dass die Realität im Mai 2015 nochmals an der Situation im Herbst/Winter 2013 gemessen wurde. Das ist enorm hilfreich. Die wichtigsten, gehaltvollsten Erkenntnisse aus der Fallschilderung sowie Assoziationen und Lösungsschritte können hier leider nicht veröffentlicht werden, weil sie an Aktualität und Intensität nicht verloren haben, aber weiterhin unbedingt vertraulich und schutzbedürftig sind. Es sind heute glücklicherweise bereits Änderungen im Vergleich zur Problemsituation von 2013 deutlich, aber es wurde auch sichtbar, dass manches überhaupt nicht umgesetzt werden konnte und dass eine große Entschlusskraft, aber auch die Ruhe nach der intensiven Zeit des Studiums erforderlich sind, um die nach wie vor dringenden Veränderungen anzugehen. Hier hat die erneute Überarbeitung des langen Textes vom Beratungsprozess zur rechten Zeit Anstoß gegeben. Im Beratungsprozess wurde ein wichtiges Prinzip aus der Beratung deutlich: »Die Lösung liegt in dem:der Ratsuchenden selbst.« Deshalb ist die Textpassage, die dies verdeutlicht, hervorgehoben: »[D]ass Du viele Lösungsansätze selbst schon im Kopf hast. Wir waren in vielem nur als Zuhörer dabei und konnten Dir Deine eigenen Gedanken als Spiegel zurückgeben.« Ich konnte die Erfahrung machen, dass Onlineberatung intensiv, sehr hilfreich und eine Alternative zu persönlichen Beratungsgesprächen sein kann. Teilweise bietet das Setting besonderen Schutz und daher die Möglichkeit, sich mehr als im direkten Kontakt zu öffnen, wenn die Vertraulichkeit sicher und glaubhaft gewahrt wird.
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Juni 2020, also 5 Jahre später Nach dieser langen Zeit blicke ich nochmals auf den damaligen Beratungsprozess und den Studienabschluss zurück. Der Dialog aus dem Jahr 2013 ist in Erinnerung geblieben – spannend das nochmals zu lesen, auch um zu erkennen, dass sich viel an dem damaligen Fall verändert hat. Was nicht gelöst werden konnte, hat zumindest eine völlig andere Entwicklung genommen, und manche Themen scheinen »Dauerbrenner« zu sein. Ich erkenne ein wenig demütig, dass Veränderungsprozesse viel Zeit brauchen und in uns selbst beginnen. Das Prinzip »die Lösung liegt in dem:der Ratsuchenden selbst«, das damals schon so wichtig war, habe ich verinnerlichen können. So wie damals die Berater:innen mir mitteilten, dass ich schon viele Lösungsansätze habe, so suche ich selbst stets nach den Lösungen, die die Menschen, mit denen ich im Berufsalltag spreche, bereits mitbringen. Die Zeit für diese Gespräche ist mir kostbar und ich ermögliche sie, so oft es geht. Der Berufsalltag, so stelle ich heute kritisch fest, birgt zu viel Reagieren-Müssen, zu viel Bürokratie, zu viel Formalismus auf Kosten von Innovation, auf Kosten von Gestaltungsräumen und Zeit für die Menschen. Gerade deshalb ist es sehr wichtig, immer wieder Freiräume und auch Auszeiten für Teams und deren Reflexion zu schaffen. Nachdem wir in der Coronakrise im Frühling 2020 ein Homeoffice-Konzept aus dem Boden stampften und eigentlich umsetzten, ehe es fertig geschrieben war, war wieder spürbar, was in besonderen Zeiten alles möglich ist und wie die Bürokratie dann in den Hintergrund treten muss. Nach der vollständigen Onlinedurchführung von Bildungsmaßnahmen der beruflichen Rehabilitation und der Schule besteht seit Mitte Mai eine Kombination aus Präsenz und Homeoffice. Und da vollständige Präsenzmaßnahmen vielleicht noch lange Zeit nicht möglich sein werden, sind individuelle, passgenaue Onlinelösungen weiterhin wichtig. Grenzen wurden deutlich: Zum einen lagen diese in der Person der Lernenden und Lehrenden, zum anderen aber auch in technischen Hürden. Hier wird Entwicklung nötig und auch möglich sein, die uns insgesamt flexibler und individueller handeln lässt – kokom.net kann bei dieser Entwicklung ein wichtiger Baustein für die konzeptionelle Arbeit, für Beratungsprozesse und vieles mehr sein. In Bezug auf den Beratungsprozess aus dem Jahr 2013 ist noch wichtig zu wiederholen, dass Ergebnisse stets zusammengefasst, Lösungsschritte konkretisiert und formuliert und Zeiträume der Überprüfung festgelegt werden müssen. Gerade im sozialen Bereich ist neben der Kommunikation auf eine klare Umsetzungen zu achten, damit wertvolle Arbeit nicht verloren geht.
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Literatur Jiang, L. Crystal/Hancock, Jeffrey T. (2013): Absence Makes the Communication Grow Fonder: Geographic Separation, Interpersonal Media, and Intimacy in Dating Relationships. http:// onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jcom.12029/full (Zugriff am 25.07.2022).
11 Synchron oder asynchron? Kollegiale Beratung online Natalie Huttenlocher-Drachsler
In diesem Beitrag werden erste Erfahrungen mit synchron und asynchron durchgeführten Online-Fallberatungen, moderiert in den Schritten des Heilsbronner Modells, gegenübergestellt und miteinander verglichen. Grundlage dieser Gegenüberstellung ist die Erfahrung der Autorin mit der Durchführung Kollegialer Beratung als Onlineprozess, zunächst asynchron und textbasiert über die Plattform www.kokom.net, als auch ein weiteres Mal als Videokonferenz synchron via Zoom. Darüber hinaus wurde, im Anschluss an die – für alle Beteiligten erstmalige – Erprobung beider Settings, in der Gruppe der Teilnehmerinnen die Praxiserfahrung mit beiden Varianten gegenüberstellend betrachtet und diskutiert. Diese Diskussion wurde online geführt, der Dialog als redaktionell bearbeitete Videoaufzeichnung »Kollegiale Beratung online – Praxiserfahrung im Diskurs« steht online zur Verfügung (IKOB 2021).
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Nachfolgend werden Erfahrungen, Schlussfolgerungen und das Fazit aus diesem Experiment am Gesprächsende hier auch schriftlich zusammengefasst dargestellt.
Vorbereitung Kollegiale Beratung online Zur Vorbereitung Kollegialer Beratung online gehört die Einarbeitung in die jeweilige Plattform bzw. das entsprechende Videokonferenz-Programm. Zwar kann mittlerweile, nach zwei Jahren »social distancing« aufgrund der Pandemie, von weit verbreiteter Erfahrung mit Videokonferenzen ausgegangen werden. Je nach verwendetem Softwareprogramm muss hier jedoch, ebenso wie bei der textbasierten Beratungsplattform www.kokom.net, eine Einarbeitung und Einweisung erfolgen. Beides wird durch technisches Vorwissen der Teilnehmenden erleichtert. Jenseits der Technikanforderungen besteht die notwendige Vorbereitung jedoch zunächst darin, ein gemeinsames Verständnis des Konzepts Kollegialer Beratung zu entwickeln. Dazu haben wir uns mit verschiedenen Konzepten Kollegialer Beratung (Schindler 2020) befasst, um uns dann in das Heilsbronner Modell (Spangler 2012) einzuarbeiten, das auch als Online-Implementation verfügbar ist. In der Diskussion der Praxiserfahrung wurde deutlich, dass diese Einarbeitung je nach Rolle in der Fallberatung unterschiedlich intensiv ausfallen kann. So erfordert beispielsweise die Moderator:innenrolle eine höhere Sicherheit hinsichtlich der Abfolge der Beratungsschritte als die Rolle des:der Fallgebenden oder der Berater:innen. Hier besteht auch ein nennenswerter Unterschied zwischen der asynchronen und der synchronen Beratungsvariante. Die auf asynchrone und textbasierte Kollegiale Beratung ausgerichtete Plattform www.kokom.net gibt durch ihren Aufbau bereits die Struktur der zehn Schritte im Heilsbronner Modell vor, wodurch die Moderierende sich in ihrer Aufgabe entlastet fühlte. In der synchronen Beratungsvariante über Zoom liegt die Verantwortung für eine korrekte Durchführung und entsprechende Abfolge der unterschiedlichen Beratungsschritte hauptsächlich bei der moderierenden Leitung, was als deutlich verantwortungsvoller und entsprechend vorbereitungsintensiver erlebt wurde. Auch die Schilderung des Falles durch die Fallgeberin bedarf einer gewissen Vorbereitung. Diese fiel in der asynchronen, schriftlichen Form für die Fallgeberin ausführlicher aus als für die Fallgeberin in der synchronen, mündlichen Variante und wurde auch als herausfordernder wahrgenommen als die mündliche Beschreibung. Um die im Heilsbronner Modell vorgegebenen Zeit-
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einheiten für die einzelnen Beratungsschritte einzuhalten, hatte die Fallgeberin ihre Falldarstellung jedoch auch in der synchronen Variante via Zoom stichpunktartig vorbereitet.
Zeitlicher Ablauf Synchron auf Zoom findet der Beratungsprozess zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt als einmalige Einheit statt. Dies bedeutet, dass die Teilnehmenden im Vorfeld einen Termin festlegen, an dem alle zeitgleich in der Videokonferenz präsent sind. Bei der asynchronen Variante werden hingegen lediglich die Startzeit, die Besuchsfrequenz der Plattform und ein maximaler Beratungszeitraum festgelegt. Wann die einzelnen Beiträge in den jeweiligen Beratungsschritten eingestellt werden, bleibt den Teilnehmenden im vereinbarten Rahmen selbst überlassen. Die asynchrone Variante wurde von den Teilnehmerinnen deshalb zwar für ihre höhere zeitliche Flexibilität geschätzt, gleichzeitig wurde aber ein höheres Maß an notwendiger Zuverlässigkeit aller Beteiligten empfunden, was die Beratung über kokom.net je nach Gruppenzusammensetzung erschweren kann. Auch die Dauer des asynchronen Beratungsprozesses von bis zu drei Wochen wurde als möglicherweise nachteilig eingeschätzt. Dass die Kollegiale Beratung nach dem Heilsbronner Modell in der synchronen Variante, wie auch im analogen Setting vor Ort, auf ca. 90 Minuten angelegt ist, empfanden die Teilnehmerinnen, vor allem in dringenden Fällen, als vorteilhaft. Die Zeitvorgaben des Leitfadens gelten hier für die Onlineberatung ebenso wie für die Beratung vor Ort.
Beratungsprozess Der Beratungsprozess variiert aufgrund der sehr unterschiedlichen Zeitstruktur beider Beratungsvarianten erheblich. So konnte die Gruppe mit der synchronen Variante via Zoom ohne Unterbrechung und mit alleiniger Konzentration auf den eingebrachten Fall über eine vergleichsweise kurze Zeitspanne beraten, wohingegen der asynchrone Beratungsprozess immer wieder dadurch unterbrochen wurde, dass auf die Beiträge aller Teilnehmerinnen gewartet werden musste. Das »am Ball bleiben« im Rahmen der synchronen Variante empfanden die Teilnehmerinnen als Möglichkeit, konzentrierter am Fall zu arbeiten, da sie – im Gegensatz zur asynchronen Variante –
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nicht wiederholt gedanklich aus dem Beratungsprozess aussteigen mussten. Andererseits kann jedoch die längere Zeitspanne der asynchronen Beratung und das dadurch wiederholte Einsteigen in die Fallsituation eine intensivere Auseinandersetzung fördern. Als eher ungeübten Moderatorinnen fiel es uns im asynchronen Beratungsprozess zudem deutlich leichter, die Abfolge der einzelnen, im Leitfaden beschriebenen Schritte einzuhalten, als in der synchronen Variante. Das Lenken des direkten Gesprächs im Rahmen der synchronen Beratung erfordert mehr Moderationshandeln und -fähigkeiten und wurde dadurch als herausfordernder erlebt.
Qualität der Beratung Auch die Qualität der Beiträge hängt nach unserer Erfahrung mit der Zeitstruktur beider Beratungsvarianten zusammen. So bietet die synchrone Variante eher die Möglichkeit, Assoziationen »aus dem Bauch heraus« zu formulieren, wohingegen die Teilnehmerinnen ihre schriftlichen Beiträge in der asynchronen Variante als überlegter beschreiben. Beides hat dabei sowohl seine Qualität als auch mögliche Nachteile. So hatten die Teilnehmerinnen den Eindruck, dass im Rahmen der asynchronen Form mehr Aspekte beleuchtet werden konnten, da man sich in dieser Variante über einen deutlich längeren Zeitraum gedanklich mit dem Fall beschäftigt. Gleichzeitig machten die Teilnehmerinnen beim textbasierten »Gesprächs«-Verlauf auf www.kokom.net die Erfahrung, dass sie möglicherweise hilfreiche Gedankengänge, die sie in der spontaneren synchronen Beratungsvariante eventuell direkt ausgesprochen hätten, nach längerem Überlegen beim Schreiben zum Teil wieder verworfen haben. Einen weiteren Unterschied konnten wir in Bezug auf die Gefühlsebene feststellen. So nahmen die Teilnehmerinnen zwar sowohl in der asynchronen Beratungsvariante auf kokom.net als auch in der synchronen Variante über Zoom die Möglichkeit wahr, eigene Gefühle ausdrücken sowie die Gefühle der anderen Teilnehmerinnen erfassen zu können. Ein Unterschied wurde jedoch im Hinblick auf die Gewichtung der Gefühlsebene je nach Beratungsvariante festgestellt. Dabei empfanden die Teilnehmerinnen in der synchronen Form eine höhere Präsenz und Transportierbarkeit der Emotionen als in der schriftlichen, asynchronen Kommunikation. Begründet wird dieses Empfinden u. a. durch das unmittelbare Erleben der – am Bildschirm sicht- und hörbaren – Reaktion der Fallgeberin auf Bei-
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träge der Beraterinnen. So spricht eine Teilnehmerin beispielweise von einem »Aha-Effekt«, ausgelöst durch das direkte Erleben des Nutzens der Kollegialen Beratung für die Fallgeberin, der in dieser Ausprägung in der asynchronen Beratungsform nicht erlebt wurde. Außerdem ermöglicht die asynchrone Variante das bewusste Zurückhalten von Emotionen, was in der synchronen Variante nur bedingt möglich ist. Dies führte uns zu der Vermutung, dass die synchrone Beratung in einer Videokonferenz es ermöglicht, tiefer und intensiver in Beratungsprozesse einzusteigen als uns dies asynchron und textbasiert möglich war. Dabei wurde auch in Betracht gezogen, dass gerade die Reduzierung der Emotionen, je nach Teamdynamik, zuweilen hilfreich sein kann, um den Fokus bewusst auf die Sachebene zu lenken. Dieser Unterschied im emotionalen Erleben der Teilnehmerinnen kann jedoch auch auf die schon vorab entstandene Vertrautheit innerhalb der Gruppe zurückzuführen sein, sodass mehr Raum für Emotionen war, als dies in einem rein professionellen Kontext üblich ist. Was die Qualität des Beratungsergebnisses angeht, konnten wir keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Varianten feststellen: Sowohl im Rahmen der synchronen als auch der asynchronen Kollegialen Beratung online wurden ertragreiche Ergebnisse für die berufliche Praxis gewonnen, die zudem nicht nur den Fallgeberinnen, sondern auch den übrigen Teilnehmerinnen von Nutzen waren.
Atmosphäre Unterschiede zwischen den beiden Beratungsvarianten erlebten wir auch in der den Beratungsprozess begleitenden Atmosphäre. Wie erwähnt, fiel es uns aufgrund der ausgeprägten Vertrautheit miteinander in der synchronen Beratungsvariante sehr leicht, uns auch mit unterschiedlichen Standpunkten zu begegnen. Im Umkehrschluss diskutierten wir, inwieweit es für einander weniger bekannte oder vertraute Personen leichter sein könnte, sich auf eine asynchrone Weise auszutauschen, da es hierbei nicht zu einer direkten Konfrontation mit den übrigen Teilnehmenden kommt. In der synchronen Beratungssituation erlebten Einzelne durch die Unmittelbarkeit des Austausches bisweilen Druck – zeitlich, aber auch inhaltlich –, den es so in der asynchronen Form nicht gab. Eine andere Teilnehmerin wiederum empfand gerade die Notwendigkeit des Verschriftlichens der eigenen Gedankengänge als herausfordernd und druckerzeugend, weniger das mündliche Formulieren in der Videokonferenz. Hier stimmt mich jedoch meine persönliche
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Erfahrung mit Kollegialer Beratung zuversichtlich, dass in beiden Settings im Laufe der Zeit ein Übungseffekt zu erwarten ist und der zunächst erlebte Druck nach Einarbeitung in beiden Settings weniger oder gar nicht mehr empfunden wird.
Datenschutz Da bei Onlinekommunikation besondere Vorsicht im Umgang mit personenbezogenen Daten geboten ist, war auch der Datenschutz Thema unseres Gruppendiskurses. Auffallend hierbei ist, dass die Teilnehmerinnen kokom. net durchweg als vertrauenswürdiger einstuften als die Videokonferenz-Plattform Zoom. Die Gruppe stellte dabei infrage, inwieweit vom Arbeitgeber bereitgestellte videobasierte Kommunikationsplattformen den Mitarbeiter:innen tatsächlich geschützte Räume bieten können, deren Inhalt unbeteiligten Kolleg:innen und Vorgesetzten unzugänglich bleibt. Dabei wurde befürchtet, dass die synchrone Beratung mittels Videokonferenzen dem Schutz sensibler Daten nicht gerecht werden könnte. Mithören oder Aufzeichnen einer Kollegialen Beratung durch Dritte auf Zoom könne, aufgrund bekannter Sicherheitslücken des Programms (BBDI 2020, S. 4), nicht mit der nötigen Sicherheit ausgeschlossen werden. Anders dagegen bewerteten die Teilnehmerinnen die Vertraulichkeit und Sicherheit der textbasierten Onlinekommunikation auf der Beratungsplattform kokom.net. Das Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung e. V. als Träger stuften die Teilnehmerinnen als vertrauenswürdigen Betreiber ein. Zu dieser Einschätzung führte u. a. die Pflicht zur Verschwiegenheit über Beratungsinhalte und Beteiligte, die alle bei der Registrierung ihres Accounts anerkennen müssen. Vertrauenserweckend wirkt auch der verbindliche Verzicht auf die Finanzierung der Plattform durch Werbeeinnahmen aus der Nutzung von User:innendaten zu Marketingzwecken und Tracking (IKOB o. J.) sowie die Ansässigkeit des Trägers im zur DSGVO-Konformität rechtlich verpflichtenden Europäischen Wirtschaftsraum (BBDI 2020, S. 2). Einig waren wir uns trotzdem darin, dass synchrone Kollegiale Beratung online über Videokonferenzplattformen zwar datensicher sein kann, dies jedoch ein Aspekt ist, den es mitzudenken gilt und der durch die bedachte Auswahl einer entsprechend datenschutzkonformen Plattform gesichert werden kann.
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Fazit Zusammenfassend kamen wir im Rahmen des Diskurses über unsere Praxiserfahrung mit den beiden Varianten Kollegialer Beratung online zu der Einschätzung, keine generelle Empfehlung für eine der beiden auszusprechen. Vielmehr sollte die Wahl der Variante den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend getroffen werden, sich also an den zeitlichen Kapazitäten, dem Vertrautheitslevel der Teilnehmenden, der Bereitschaft zur schriftlichen und damit langsameren Kommunikation und der Teamdynamik orientieren. Auch die technischen Voraussetzungen, wie etwa die verfügbare Verbindungsgeschwindigkeit im Internet für eine Videokonferenz mit allen Beteiligten, müssen gegeben sein, ebenso sind die Kosten für einen uneingeschränkten Account auf den Plattformen relevant. Wichtig ist es, sich die Schwerpunkte und Merkmale der jeweiligen Variante bewusst zu machen, um eine für die Beteiligten passgenaue Entscheidung zu treffen.
Literatur Berliner Beauftrage für Datenschutz und Informationsfreiheit (BBDI) (2020): Empfehlungen zur Durchführung von Videokonferenzen. https://www.datenschutz-berlin.de/fileadmin/user_ upload/pdf/orientierungshilfen/2020-BlnBDI-Empfehlungen_Videokonferenzsysteme.pdf (Zugriff am 27.11.2021). Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung e. V. (IKOB) (2021): »Kollegiale Beratung online – Praxiserfahrung im Diskurs«. www.institut.kollegiale-beratung.net/media/KBonline_sync-async_HD.mp4 (Zugriff am 25.07.2022). Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung e. V. (IKOB) (o. J.): Beratung erfordert Vertraulichkeit und Schutz der Privatsphäre. https://www.kokom.net/page_414.html (Zugriff am 15.12.2021). Schindler, Wolfgang (2020): Kollegiale Beratung. https://www.socialnet.de/lexikon/KollegialeBeratung (Zugriff am 14.12.2021). Spangler, Gerhard (2012): Kollegiale Beratung. Heilsbronner Modell zur kollegialen Beratung (2. Aufl.). Nürnberg.
12 Kollegiale Beratung online als entlastende Ressource in der Transkulturellen Traumapädagogik Kornelia Schlegel
Im »Zertifikatsprogramm Transkulturelle Traumapädagogik« des Instituts für Transkulturelle Gesundheitsforschung (https://www.dhbw-vs.de/TCultHS. html) stellt die Kollegiale Beratung einen festen Bestandteil des Curriculums dar. Didaktische, beraterische und medienspezifische Merkmale der Onlinekommunikation und deren Wechselwirkungen sind dafür ausschlaggebend und werden nachfolgend aufgezeigt. Das Potenzial der dabei praktizierten textbasierten, asynchronen Kommunikation wird nutzbar, weil es didaktisch reflektiert in das Curriculum des Zertifikatsprogrammes eingebunden ist. Das Zertifikatsprogramm richtet sich an Fachkräfte, die in psychosozialen, pädagogischen oder therapeutisch-medizinischen Berufsfeldern tätig sind (z. B. in psychiatrischen Einrichtungen, Beratungs- und Betreuungsstellen, Kinderund Jugendhilfeeinrichtungen oder Wohngruppen) und mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen mit Migrationserfahrung und mit sehr belastenden Erlebnissen und Traumatisierungen in Kontakt kommen. Die Fortbildung zielt darauf ab, den Teilnehmer:innen verschiedene, kulturell geprägte Krankheits- und Heilungskonzepte in Bezug auf Traumafolgestörungen zu vermitteln und sie dazu zu befähigen, für ihren Arbeitsbereich entsprechende Arbeitsweisen und Unterstützungskonzepte abzuleiten. Dies ermöglicht es, die Trauma-Betroffenen kultursensitiv und dadurch wirksamer zu begleiten, und stellt letztlich eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Integration der geflüchteten bzw. neuzugewanderten Menschen dar. Das Programm läuft über zwei Semester und findet im Blockformat primär an Wochenenden statt. Dazwischen liegen Selbstlernphasen mit bis zu vier Wochen Länge.
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Kollegiale Beratung als präventive Maßnahme in der Traumaarbeit Die Arbeit mit traumatisierten Menschen im deutschsprachigen – im Gegensatz zum angelsächsischen – Raum gehört bislang nicht zum Selbstverständnis psychosozialer und pädagogischer Praxis (Schouler-Ocak 2015). Für eine »Behandlung« von Betroffenen wird bislang auf das medizinisch-therapeutische System verwiesen, in dem psychotherapeutische und psychiatrische Fachkräfte für die Betroffenen zuständig sind. In der Therapie werden – entsprechend der Dominanz der Psychotraumatologie in der Traumaforschung – vor allem individuelle, psychische Störungen als Traumafolgen fokussiert, außerhalb des Lebensalltags. Da aber nicht jedes potenziell traumatisierende Ereignis zu einer psychologisch bzw. psychiatrisch behandlungsbedürftigen Traumatisierung führt, bedarf es oft in erster Linie einer psychosozialen Versorgung der Betroffenen. Das heißt, die Lebenssituation des:der Betroffenen muss differenziert und ganzheitlich betrachtet und Professionelle aus den psychosozialen/pädagogischen Arbeitsfeldern für eine traumaspezifische Betreuung qualifiziert werden. Derzeit jedoch stehen Qualifizierungsangebote im Bereich Traumapädagogik oftmals noch nicht ausreichend zur Verfügung. Hinzu kommt, dass Fachkräfte, die mit Trauma-Betroffenen arbeiten, einer besonders hohen Belastung ausgesetzt sind. Die Arbeit mit Trauma-Betroffenen stellt eine Form von hoch anspruchsvoller Interaktionsarbeit dar. Interaktionsarbeit zeichnet sich durch ein hohes Maß an Unbestimmtheiten, Unwägbarkeiten und Unplanbarkeiten (Böhle 2011) aus und kann damit für Professionelle viele Verunsicherungen bereithalten. Sie stehen vor der Herausforderung, komplexe, ggf. affektiv hoch aufgeladene und nicht standardisierbare Problemlagen im Umgang mit ihren Klient:innen situationsbezogen bewältigen zu müssen. Das kann für in Interaktionsarbeit Tätige zu einem zusätzlichen Klärungs-, Reflexions- und Lernbedarf führen (Westphal 2016). Denn dort, wo die Anforderung einer beruflichen Situation das Bewältigungsvermögen der Professionellen übersteigt, ist der Prozess des Reflektierens nicht mehr im Vollzug der professionellen Handlung selbst möglich und damit professionelle Handlungsfähigkeit gefährdet. Um diese wiederzuerlangen, ist reflection-on-action notwendig (Schön 1983). Professionelle in der Traumaarbeit sind außerdem dem Risiko einer sekundären Traumatisierung ausgesetzt. Durch die wiederholende Traumaexposition im Kontakt mit ihren Klient:innen, z. B. in Form von immer wieder geschilderten traumatischen Erlebnissen, besteht für die Fachkraft das Risiko, selbst Symp-
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tome ähnlich der einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu entwickeln. Hier gilt es, den Fachkräften präventive Unterstützungsmaßnahmen zur Problembewältigung, Entwicklung professioneller Handlungskompetenzen und Reduzierung beruflicher Belastungen zur Verfügung zu stellen. Im Zertifikatsprogramm wird dies mittels Kollegialer Beratung angestrebt, denn dieses Beratungsformat wird häufig als eine mögliche strukturelle Ressource zur Prävention negativer Arbeitsbelastungen in der Traumaarbeit angeführt (Pross/Schweitzer 2010). Dabei wird die Kollegiale Beratung von den Teilnehmer:innen im Onlineformat (im Folgenden abgekürzt: KB online) in den virtuellen Beratungsräumen des Onlineberatungs- und Tagungshauses www.kokom.net durchgeführt. Die Plattform unterstützt die Moderation der Fallberatungsgruppen (Schindler 2012) auf Basis des Leitfadens des Heilsbronner Modells der Kollegialen Beratung (Spangler 2012). Für die Entscheidung, die Kollegiale Beratung im Onlineformat curricular zu implementieren, waren zentrale Eigenschaften des webgestützten Beratungsformats ausschlaggebend. Denn die Onlineberatung ist nicht als Ersatzmittel für die Präsenzberatung zu werten, sondern entsprechend der Differenzperspektive nach Engel (2019) folgend eine eigenständige Beratungsform mit distinktiven Merkmalen und ganz eigenen Qualitäten. Diese werden im Folgenden mit Relevanz für die curriculare Implementierung erläutert.
Zeiträumliche Niedrigschwelligkeit in langen Selbstlernphasen Die Teilnehmer:innen des Zertifikatsprogramms treffen sich monatlich ca. einmal für zwei bis drei Unterrichtstage in Präsenz, die primär der Wissensvermittlung entlang der drei Module Traumapädagogik und Psychotraumatologie (1), Traumapädagogik und Flucht und Migration (2) sowie Transkulturelle traumapädagogische Fallarbeit (3) dienen. Dazwischen liegen Selbstlernphasen von bis zu vier Wochen Länge, in denen die Teilnehmer:innen an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten ihrer Berufstätigkeit nachgehen. Kollegiale Beratung in diesen Zeitfenstern zu platzieren, macht eine räumlich und zeitlich flexible Partizipation notwendig. Mittels textbasierter, asynchroner KB online wird die Beratungsinteraktion für die Teilnehmer:innen räumlich und zeitlich unabhängig verfügbar. Die Beratung kann also von jedem beliebig gewählten Ort aus erfolgen – vom Arbeitsplatz, von zu Hause oder mittels mobiler Endgeräte auch von unterwegs, wie z. B. zwischen Hausbesuchen bei Klient:innen. Das Zeitfenster für die Beratung insgesamt sowie auch die
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Frequenz der beraterischen Tätigkeit werden zu Beginn der Beratung von den Gruppenmitgliedern selbst festgelegt, sodass hier die zeitlichen Kapazitäten jedes:jeder Einzelnen berücksichtigt und passend auf die persönlichen und beruflichen Rahmenbedingungen abgestimmt werden können (erfahrungsgemäß benötigen die Gruppen für eine Fallberatung zwei bis drei Wochen). Für die Fortbildungsteilnehmer:innen kann die asynchrone Kommunikation in diesem Zusammenhang als ein großer Mehrwert gesehen werden, da sie als Professionelle in der Traumaarbeit zu divergierenden Tagesarbeitszeiten tätig sind. Während ein synchrones Setting vermutlich dazu führen würde, dass nicht alle Fachkräfte an der Beratung teilnehmen könnten (allein das Finden eines für alle Gruppenmitglieder passenden Termins kann schon Schwierigkeiten bereiten), ist hier der Asynchronität der KB online eine stark integrative Komponente zuzuweisen: Die Möglichkeit zur zeitlich versetzten Partizipation lässt alle Teilnehmer:innen in den Beratungsprozess vermitteln. Trotz räumlicher Distanz der Teilnehmer:innen zueinander ist für diese in den längeren Selbstlernphasen ihr internetgestütztes Kollegiales Beratungsnetz also jederzeit verfügbar, was einen Blick auf mögliche sozialpsychologische Wirkungen dieser Eigenschaft der KB online gewährt: Denn allein die Option zur jederzeitigen Kontaktaufnahme mit den eigenen Netzwerken, ob ausgeführt oder nicht, kann positive Effekte wie Verbundenheit und Zugehörigkeit evozieren (Döbler 2014), die wiederum als zentral für die psychosoziale Arbeitsfähigkeit von Kollegialen Beratungsgruppen benannt worden sind (Tietze 2010). Ausgegangen wurde bei der curricularen Implementierung demzufolge davon, dass die KB im Onlineformat die Gruppenkohäsion der Teilnehmer:innen über die Selbstlernphasen hinweg befördert und in sozio-emotionaler Hinsicht die Reduzierung beruflicher Belastungen begünstigt.
Beratung-on-Demand Für die Teilnehmer:innen des Zertifikatsprogramms ist es obligatorisch, sich an zwei Kollegialen Beratungszyklen zu beteiligen. Diese werden tutoriell von einem Betreuungsteam begleitet, das jeweils den Startschuss der Beratungszyklen anmoderiert, bei der Gruppenbildung unterstützt und Hilfestellung beim Umgang mit der Plattform leistet. Über diese zwei »gesteuerten« Beratungen hinaus können aber auch weitere Beratungen selbstinitiativ von den Teilnehmer:innen gestartet werden. Der Bedarf der Teilnehmer:innen an Beratung ist für jede Fortbildungskohorte schwer abschätzbar – hier spielt auch eine große Rolle, ob ihnen in
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ihrem Berufskontext bereits präventive Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Zentral ist hier dennoch, dass KB online so etwas wie eine Beratung-on-Demand ermöglicht. Ist der Beratungsbedarf der Teilnehmer:innen größer als das obligatorische »Pensum«, besteht die Möglichkeit, weitere Beratungen auf eigenen Wunsch zu initiieren. Diese können dann zeitgleich mit den obligatorischen laufen oder sich an diese anschließen. So können die Teilnehmer:innen z. B. auch neu entstandene Belastungssituationen im Beruf noch einbringen oder bei anfänglicher Unentschlossenheit den eigenen Fall noch zu einem späteren Zeitpunkt zur Beratung stellen. Somit können also mehr Professionelle mit ihren Fällen zum Zuge kommen. Mit der KB online lassen sich unterschiedliche Bedarfslagen der Teilnehmer:innen an Beratung flexibel adressieren.
Beratungsbeziehungen – Wer berät wen? Beratung kann als ein Prozess beschrieben werden, der durch kommunikatives, interaktives und relationales Handeln konstruiert wird (Engel 2019). In der Kollegialen Beratung wird dieser Konstruktionsprozess im Gruppenmodus vollzogen, d. h., mehrere Personen treten hier miteinander in Beziehung und formieren eine Beratungsgruppe. Dabei hält die KB online eine Reihe von verschiedenen Optionen der Beziehungskonstitution bereit. So kann sich die fallgebende Person eine Gruppe mit ihren Wunschberater:innen zusammenzustellen und gezielt die Personen in den virtuellen Beratungsraum einladen, von denen sie beraten werden möchte. Mit dieser »Wahlfreiheit« erfahren die Teilnehmer:innen der Fortbildung, dass in den Prozess der Kollegialen Beratung ganz individuelle und subjektive Kriterien eingebracht werden können: Wer ist mir sympathisch? Zu wem habe ich Vertrauen? Wessen Kompetenz schätze ich? Welche Professionsperspektive benötige ich für die Lösung meiner Problemlage? Empfehlungen zur Komposition einer Kollegialen Beratungsgruppe adressieren genau solche sozio-emotionalen Komponenten wie Vertrauen, Kompetenz und Sympathie und heben die Wichtigkeit einer Selbstauswahl der Mitglieder hervor (Schmelzer 1997). Eine weitere Möglichkeit der Gruppenformation besteht auf Seiten der Beratenden darin, sich je nach Thema für eine Fallberatung zu entscheiden. Wenn die fallgebende Person auf www.kokom.net einen Kollegialen Beratungsraum anlegt, wird um eine kurze inhaltliche Beschreibung gebeten, worum es in dieser Fallberatung gehen wird. Werden verschiedene Fallberatungen angeboten, können sich die Berater:innen vor Beginn des eigentlichen Beratungsprozesses
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über den »Stoff« des Falls informieren und schließlich nach eigener Interessenslage und/oder Erfahrung entscheiden, an welcher Beratung sie teilnehmen möchten. Eine weitere wichtige relationale Dimension, die den Fortbildungsteilnehmer:innen vermittelt werden soll, ist, dass Kollegiale Beratung im eigenen Berufsalltag institutionsübergreifend und damit dem eigenen Kolleg:innenkreis enthoben durchgeführt werden kann. Dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen, wurde doch bereits darauf hingewiesen, dass »Exposing one’s work (and oneself) to one’s peers has tremendous potential for shame« (Counselman/Weber 2004, S. 131). Die Anwesenheit von nahen Kolleg:innen und damit die Anwesenheit von Eigeninteressen und formalen Abhängigkeiten kann die Arbeitsfähigkeit der Beratungsgruppe und das offene Ansprechen der eigenen Problemlagen behindern (Tietze 2010). Es ist anzunehmen, dass die Teilnehmer:innen sich dadurch mehr auf den Fall per se konzentrieren können, da hier gruppendynamische Interessen nicht mitreflektiert werden müssen. Gleichzeitig wird erfahren, dass Kolleg:innen, die man außerhalb des alltäglichen Arbeitsumfeldes kennenlernt, auch die Rolle als potenzielle Berater:innen einnehmen und für die Bearbeitung der eigenen berufsbezogenen Problemlage gewonnen werden können. Mit der KB online wächst für die Teilnehmer:innen der Kreis an verfügbaren Berater:innen und damit auch die verfügbaren Kompetenzen, Erfahrungen und Perspektiven, die in die Beratung einfließen und zum Generieren von Handlungsoptionen genutzt werden können.
Die »entzeitlichte« Beratung Die Selbstlernphasen der Teilnehmer:innen erstrecken sich über einen Zeitraum von bis zu vier Wochen. Dementsprechend wurde es möglich, Kollegiale Beratung hier mit einer ausgreifenden zeitlichen Struktur durchführen zu lassen. So laufen im Zertifikatsprogramm erfahrungsgemäß die Fallberatungen mittels KB online über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen. Der erste Beratungsschritt sieht die Einigung der Gruppenmitglieder auf ein gemeinsam getragenes Zeitmanagement vor. Verhandelt wird hier, wie lange der Beratungsprozess insgesamt dauern soll sowie die Häufigkeit der Beratungstätigkeit. Die Asynchronität der Beratungskommunikation birgt eine Reihe von potenziellen Wirkeffekten, die hier für die Teilnehmer:innen nutzbar gemacht werden sollen. Die Darstellung dieser Potenziale erfolgt in Anlehnung an Schlegel (2020).
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a) Mehr Zeit für Denk- und Reflexionsprozesse Die Beiträge der Teilnehmer:innen gehen im virtuellen Beratungsraum zeitversetzt ein, weshalb der Beratungsprozess im Vergleich zu einem synchronen Setting verlangsamt wird. Damit realisiert die KB online das, was »zur grundlegenden Typik der Beratung [gehört], dass sie immer eine Aufschiebung von Entscheidungen und Handlungen durch einen zwischengeschobenen Reflexionsprozess bewirkt« (Engel 2019, S. 22). Die KB online ermöglicht zwischen den Beiträgen der Teilnehmer:innen immer wieder Zeiten des Nachdenkens und Reflektierens, in denen Reaktionen, Nachfragen, Assoziationen und Lösungsvorschläge nach eigenem Ermessen heranreifen können. Möchte die Gruppe der Fallberatung insgesamt mehr Zeit widmen als vorab festgelegt, so kann auch das die Gruppe eigenmächtig entscheiden und damit einem Fall mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. b) Chancen auf mehr Partizipation Während im synchronen Setting die Redebeiträge in der Kollegialen Beratung sehr ungleich verteilt sein können – zusammenhängen kann dies z. B. mit gruppendynamischen Faktoren oder verschiedenen Persönlichkeitsdispositionen einzelner Teilnehmer:innen – können mittels der asynchron ablaufenden KB online die Beiträge aller Teilnehmer:innen in die Beratungskommunikation aufgenommen werden. Selbst, wenn zwei Gruppenmitglieder zufällig zeitgleich ihre Beiträge abschicken, werden diese in den virtuellen Beratungsraum integriert. Mehr Teilnehmer:innen können somit aktiv in die Beratung eingebunden werden und damit die instrumentelle Funktion der Gruppe in der Kollegialen Beratung stärken, die darin besteht, erstens eine Vielfalt und Vielzahl von Per spektiven bereitzustellen, auf deren Hintergrund ein Verstehen des vorliegenden Falls erreicht werden soll, und zweitens eine Mehrzahl an Ideen für Handlungsoptionen zu generieren (Tietze 2010). Mehr Chancen auf Partizipation bedeuten also einen Zugewinn an Kompetenzen und Erfahrungen und möglicherweise eine Qualitätssteigerung des »Beratungsoutputs«. c) »to go back in time« Von großem Zugewinn scheint ein weiterer Aspekt, der die Möglichkeit beschreibt, die Zeit innerhalb des Beratungsprozesses »zurückzudrehen«. Sind die Beiträge der Teilnehmer:innen nämlich einmal gepostet, bleiben sie im virtuellen Beratungsraum so lange (unverändert und unveränderbar) gespeichert, bis
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die fallgebende Person diesen Raum löscht. Dabei werden die Posts nach den einzelnen Schritten des Heilsbronner Modells abgespeichert, sodass die Navigation durch den systematischen Beratungsablauf leichtfällt. Die Teilnehmer:innen können sich somit zu jedem getätigten Post im Beratungsprozess zurückklicken und einzelnen Inhalte noch einmal nachlesen, was zu einer Intensivierung von (Selbst-)Reflexionsprozessen führen kann. Im Laufe der Beratung entsteht ein sich aus den einzelnen Beiträgen konstituierendes Artefakt, das es den Teilnehmer:innen ermöglicht, »nachzuverfolgen, wie in einem gruppenunterstützten Selbstreflexionsprozess ein differenziertes Verständnis zu einem Fall erarbeitet werden kann, und damit ›Handwerkszeug‹ zum Einüben professioneller Selbstreflexion« vermittelt (Schlegel 2020, S. 42). Auch könnte die Transfereffizienz der generierten Handlungsoptionen in den Berufsalltag durch die längerfristige schriftliche Verfügbarkeit des Beratungsartefakts begünstigt werden (Jordaan et al. 2016).
Fazit Für die Entscheidung, Kollegiale Beratung im Onlineformat in das Curriculum des Zertifikatsprogramms »Transkulturelle Traumapädagogik« zu implementieren, waren wesentliche Eigenschaften des webgestützten Beratungsformats ausschlaggebend: zeiträumliche Flexibilität, Beratungshäufigkeit korrespondierend mit eigener Bedarfslage, institutionsübergreifendes und personalisierbares Beraten und Beratungsinteraktion über mehrwöchige Zeitfenster. Die KB online wurde so als passgenau für die Rahmenbedingungen des Fortbildungsprogramms identifiziert. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die KB online mit diesen Eigenschaften ihren Nutzer:innen ein hohes Maß an Selbstbestimmung im Umgang mit Beratung bereitstellt und somit als Mittel zum Empowerment gewertet werden kann. Dies ist ein Aspekt, der bei der Entwicklung einer traumasensiblen Organisationskultur bedeutsam ist: Hier gilt es, Prozesse zu unterstützen, welche zur Selbstbemächtigung der Kolleg:innen beitragen (Jegodtka 2016). Bei der KB online entscheiden die Beratungsmitglieder autonom darüber, wie viel Zeit sie der Beratung eines Falls widmen, in welcher Geschwindigkeit und zu welchen Zeitpunkten sie beraten, in welcher Gruppenkonstellation und zu welchem Thema. Im Rahmen des Zertifikatsprogramm partizipieren die Teilnehmer:innen an mindestens zwei Kollegialen Beratungsprozessen, die sie nach eigener Disposition ausgestalten können. Damit bietet die Fortbildung einen Erfahrungsraum dazu, wie Kollegiale Beratung nach unterschiedlichen
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Parametern und Settings variiert werden kann, und schafft damit idealerweise Impulse, wie Kollegiale Beratung in der Berufspraxis konstruktiv auszuschöpfen ist.
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Dr. Patricia Arnold Professorin für Sozialinformatik an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München, Prodekanin der Fakultät, Studiengangsleitung des Online-Studiengangs B. A. Soziale Arbeit (BASA-online). Studium der Erziehungswissenschaft, Mathematik und Sportwissenschaft an den Universitäten Hamburg und London. Promotion in Pädagogik. Langjährig in Erwachsenenbildung, IT-Training und Projektmanagement transnationaler Bildungsprojekte tätig. Seit 25 Jahren in Forschung und Entwicklung zu digitalen Bildungsinnovationen an Hochschulen und anderen Bildungssektoren engagiert (https://patricia-arnold.de). Kontakt: [email protected] Axel Gloger Diplom-Volkswirt, Journalist und Autor, Chairman der Denkfabrik Trend Intelligence, war in der unternehmerischen Praxis als Beirat und Aufsichtsrat tätig († 2018, siehe www.managerseminare.de/blog/managerSeminare-trauert-umseinen-Autor,3968, Zugriff am 26.07.2022). Natalie Huttenlocher-Drachsler Sozialarbeiterin (B. A.), Fachgesundheits- und Krankenpflegerin für Onkologie, Zusatzqualifikation Palliative Care. Seit 2016 als Ambulante Hospizschwester in der palliativpflegerischen häuslichen Beratung Schwerstkranker und Sterbender sowie als Koordinatorin ehrenamtlicher Hospizbegleitung tätig (Ambulante Lebens- und Sterbebegleitung des Hospiz St. Martin, Stuttgart). Kontakt: [email protected] Beate Kamp Beate Kamp, Sozialpädagogin und Betriebswirtin. Weiterbildungen in Erwachsenenbildung, Pädagogik, Sprache; abgeschlossenes Studium als Betriebswirtin
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Autor:innen
und Sozialpädagogin; leitet seit 2013 das Bildungszentrum im Stephanuswerk Isny, eine Einrichtung der beruflichen Rehabilitation mit einem vielschichtigen Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene an der Schnittstelle zum Arbeitsmarkt. Kontakt: [email protected] Brigitte Koch Diplom-Psychologin, Supervisorin (DGSv), Master-Coach (EASC) und Lehrsupervisorin (EASC). Bis 2018 freiberuflich tätig als Führungskräfteentwicklerin, Moderatorin von Begleitprozessen, Coachin und Supervisorin im Profit- und Non-Profit-Bereich. Seit 2002 Coaching und Supervision auch online, textbasiert und zeitversetzt, seit 2018 ausschließlich online (www.das-onlineCoaching.com). Kontakt: [email protected] Martin Schimkus Diplom-Pädagoge, Diplom-Psychologe. Psychologischer Psychotherapeut, Fachpsychologe für Analytische Psychotherapie (DGPT, DGAP), Lehranalytiker für Einzelne und Gruppen (DGPT, D3G), Dozent und Supervisor an analytischen Instituten und in der Erwachsenenbildung (www.schimkus.de). Kontakt: [email protected] Wolfgang Schindler Diplom-Pädagoge, Gruppenanalytiker (GAG), Supervisor (GAG) und Visionssucheleiter; Josefstal. Hauptberuflich bis 2015 als stellv. Studienleiter in der Fort- und Weiterbildung beruflicher Mitarbeiter:innen mit den Schwerpunkten Computermedienpädagogik, Professionalität und Gruppenpädagogik tätig; seither freiberuflich tätig (www.minds-on.net). Lehrbeauftragter im Studiengang B. A. Soziale Arbeit, Hochschule München; Vorstand im Institut für Kollegiale Beratung und Onlineberatung (www.ikob.net). Kontakt: [email protected] Kornelia Schlegel Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Transkulturelle Gesundheitsforschung der Dualen Hochschule Baden-Württemberg im Bereich E-Learning/ E-Mental-Health mit dem Forschungsschwerpunkt Digital gestützte Beratungsszenarien; Auszeichnung mit dem Junior-Fellowship des Stifterverbandes (2019) zur Erprobung der Kollegialen Beratung online in der Lehre. Kontakt: [email protected]
Autor:innen
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Stefan Scholer Diplom-Soziologe und Personalentwickler, zertifizierter Management-Coach, Begleitung von Führungskräften und Lernenden. 15 Jahre Leitung des Aus- und Fortbildungszentrums der Stadt München, seit 2021 Leitung eines Service Centers für das Top Management. Experte für die Themen Leadership, Kommunikation, Fragekompetenz, Kollegiale Beratung. Freiberuflich tätig als Impulsgeber, Coach und Führungskräfte-Trainer (www.scholer-coaching.de). Kontakt: [email protected] Gerhard Spangler Diplom-Religionspädagoge (FH). Hauptberuflich bis 2015 tätig im Lebensraum Schule, als Dozent an der FH für Religionspädagogik und kirchliche Bildungsarbeit in München. Referent für Fortbildung in den ersten Dienstjahren, Supervision, Ganztagsschule und Kunst im RPZ Heilsbronn. Lebt freiberuflich tätig (Supervision, Coaching, Kollegiale Beratung) und im Ruhestand in Heilsbronn. Kontakt: [email protected]