König Wilhelm von Holland: Teil 1 1247 [Reprint 2020 ed.] 9783112377468, 9783112377451


174 87 27MB

German Pages 120 [128] Year 1885

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

König Wilhelm von Holland: Teil 1 1247 [Reprint 2020 ed.]
 9783112377468, 9783112377451

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

KÖNIG WILHELM YON HOLLAND.

KÖNIG WILHELM YON HOLLAND. (1247—1256.)

E R S T E R

T E I L .

1247.

VON

THEODOR HASSE.

strassburg. KARL J. TItÜBNEK. 1885.

Buchdruckeroi von G. O t t o in Darmstadt.

VORWORT.

Es sind nun drei Jahre her, dass die nachfolgende Arbeit, welche die Grundlage zu einer Geschichte Wilhelms von Holland bilden sollte, der hiesigen Facultät als Doctordissertation vorlag. Durch eine schwere Krankheit, die mich lange an jeder Thätigkeit hinderte, ist die Publikation derselben verzögert worden. In der Zwischenzeit erschien eine, allerdings über die Anfänge Wilhelms rasch hinweggehende Schrift von Ulrich1, erschien überdies Manches, was meinen Gegenstand näher oder ferner berührte. Bei dem fortdauernd ungünstigen Stande meiner Gesundheit ist es mir nicht eben leicht geworden, Alles in meine Abhandlung hineinzuarbeiten.2 Ich übergab sie dem Drucke, wie sie nun eben ist, weil endlich einmal abgeschlossen werden musste. Als schon mehrere Bogen fertig vorlagen, erschien eine weitere Schrift über König Wilhelm von O. Hintze 8 . Dieselbe umfasst die ganze Regierung Wilhelms; sie hat die Aufgabe gelöst, die ich mir für meine weiteren Studien als Ziel" vorgesetzt hatte. Hintze hat vor mir den Vorzug, eben die ganze Regierung Wilhelms durchgearbeitet zu haben, und aus dieser eindringenden Kenntniss des Ganzen konnte sich sein Urteil über manche Einzelheiten auch der früheren, von

1 Virich Geschichte des römischen Königs Wilhelm von Holland. Hannover 1882. * Einiges habe ioh durch die Nachträge berichtigt. * 0 . Hintze Das Königtum Wilhelms von Holland. Leipzig

1885.



IV



mir behandelten Zeit reifer und sicherer gestalten. Ich werde zufrieden sein, wenn die eine und andere Seite meiner Dissertation neben seinem Buche nicht durchaus überflüssig erscheint 1 . Eine Fortsetzung, wie sie in meinem ursprünglichen Planes l a g , würde jetzt freilich keinen Zweck haben. 1

So etwa einige Ausführungen über den Einfluss der päptlichen Politik auf die inneren Verhältnisse Deutschlands und über die willkürliche Besetzung der Bistümer durch Innocenz IV., ferner die kurzgefasste Darstellung der Vorgeschichte Hollands, welche mir bei dem unvermittelten Eintreten dieses Landes in den Vordergrund der Reichsgeschichte am Platze schien; namentlich glaubte ich aber auf die Beziehungen Hollands zu Flandern bis zur Thronbesteigung Wilhelms näher eingehen zu müssen.

I N H A L T .

Seit»

E i n l e i t u n g : Der Kampf zwischen Papst und Kaiser in Italien im Jahre 1247 1—6 § 1. Deutsche Parteiverhältnisse um 1247 7—30 § 2. Die Kampfmittel der Curie und ihr Einfluss auf religiöse und sociale Zustände Deutschlands 31—38 § 3. Politische Ereignisse von Raspes Tod bis zur Neuwahl. Erstes Auftreten Wilhelms .39-49 § 4. Gesohichte Graf Wilhelms II. von Holland 50—77 § 5. Die Wahl vom 3. October 1247 78 - 94 § 6. Die Regierungsanfänge König Wilhelms 95—116

Am 17. Februar 1247 verschied auf der Wartburg Heinrich Raspe, der durch päpstlichen Befehl geschaffene Gegenkönig Friedrichs II. Seine Macht war an der Belagerung einer deutschen Reichsstadt gescheitert. Mit ihm verlor die Curie nur den Deckmantel für ihre antistaufische Agitation, der ihr in den Augen mancher vielleicht einen Schein von Recht mehr verlieh; auf den Fortgang des grossen Kampfes zwischen Papsttum und Kaisertum hatte der Tod des ohnmächtigen Fürsten keinen Einfluss. Unerschütterlich hielt der Papst an seiner alten, auf Vernichtung des hohenstaufischen Hauses gerichteten Politik fest. Matthaeus Paris erzählt, 1 Innocenz habe sofort nach Raspes Tode in vier verschiedenen Richtungen : nach Italien, Deutschland, Norwegen und Spanien Legaten ausgesandt, welche Sündenerlass verheissend alle Christen zum Kampf gegen die Staufer aufreizen sollten; überall hätten die Legaten zu diesem Zwecke Geld erpresst; Friedrich auch nur Kaiser zu nennen, war streng verboten. Mag sich auch in diesem Jahre für Spanien kein neuer Legat nachweisen lassen, 2 die drei übrigen sind sicher bezeugt, und ferner ist es ja nichts neues, dass die Curie in der angegebnen Weise vorging; ziehen wir die päpstlichen Erlasse jener Zeit zur Yergleichung heran, so wird es uns für damals um so glaubhafter. Am 5. März entbindet Innocenz König Heinrich von Cypern vom Treueid, den er Friedrich II. geleistet, am 14. März verleiht er verschiedne 1 ed. Luard IV, 612, 613. „Fr. quem imperatorem nominare Tel dicere prohibemur". 2 cf. Rainaldi Annal. eccl. 1247. § 17. 18.

1

Ortschaften an Pandulf von Fasanella und andre getreue Anhänger, „da das Königreich Sicilien jetzt vakant sei". Am 20. giebt er dem Predigerorden den Auftrag, den Process des Lyoner Concils gegen den einstigen Kaiser öffentlich zu verkünden, und am 4. Mai spricht er in einem Briefe an Haimo von Fulciniaco den Grundsatz seiner Politik unverhüllt dahin aus: „Er werde niemals mit Friedrich einen derartigen Frieden schliessen, dass dieser oder einer seiner Söhne König oder Kaiser bleibe". 1 Und worauf fusste die mutige Sprache des Papstes? Hatte er etwa damals grosse Erfolge über Friedrich errungen P Im Qegenteil: Schlag auf Schlag häuften sich Anfang 1247 die Hiobsposten in Lyon. Aus England liefen von Glerus und Volk bittre Klagen über die unerschwinglichen Erpressungen ein, in Frankreich hatte der Adel ein förmliches Defensivbündnis gegen die Eingriffe der Curie in weltliche Sachen gestiftet. 2 In den ersten Monaten des Jahres hatte Innocenz eine Expedition unter Cardinal Octavian ausgerüstet, die den bedrängten Parteigenossen in der Lombardei Mannschaften und Geldmittel zuführen sollte: auch sie war kläglich gescheitert. Der kaiserlich gesinnte Graf v. Savoien hatte die Truppen am Überschreiten der Alpen gehindert: das Heer, der mitgebrachten Schätze beraubt, zerstreute sich, und erst nach 3 Monaten gelang es Cardinal Octavian allein nach der Lombardei zu entkommen. 3 Bald aber sollten Tage noch schwererer Angst und Sorge für die Curie herannahen. Der Kaiser zog mit Heeresmacht im März des Jahres 1247 aus dem Königreich Sicilien nach Norden. Anfang

1 Huill.-Bröh. Hist. dipl. Frdr. II. VI, 506.508. 531. Potth. Regest, pont. H , 12458. 2 Matth. Par. IV, 595. 591. > Huill.-Brlfa. VI, 556. Annal. Plac. Sa. XVIII, 493 und Nicolaus von Curbio ap. Murat. Ss. III, 592. ZurZeit der Zusammenkunft Friedrichs mit dem Grafen Y. Savoien trifft O. in Oberitalien ein, also Anfang Juni. Auch Matth. Par. IV, 624 erzählt von dieser Unternehmung, schiebt ihr aber einen falschen Zweck unter.

-

3



April finden wir ihn in Pisa, am 10. trifft er in Parma ein. 1 Yon hier aus sendet er an die gleichgesinnten Grossen Frankreichs einen Brief voll schwerer Anklagen gegen die treulose Politik des Papstes, und thut ihnen zugleich sein nächstes Yorhaben kund: er eilt nach Deutschland, wo er am kommenden Johannistage die Fürsten um sich versammeln will; nach Beratung mit ihnen werde er dann wegen der Aussöhnung mit dem Papst Gesandte an den König von Frankreich schicken. Und ähnlich äussert er sich auch bald darauf in dem Trostschreiben, das er wahrscheinlich aus Cremona, wo er am 1. Mai einen Hoftag der treuen Städte Lombardien» gehalten, an eine vom Strassburger Bischof bedrängte Stadt im Elsass ergehen lässt: er werde, nachdem er die Verhältnisse Italiens nach Wunsch geordnet, von Cremona direkt nach Deutschland ziehen. 2 Da plötzlich sehen wir den Kaiser seinen Plan ändern: Lyon schwebt ihm jetzt als nächstes Ziel vor, hier will er persönlich sich vor Innocenz rechtfertigen, einen feierlichen Hoftag der dortigen Getreuen abhalten, und dann erst nach Deutschland eilen; so schreibt er bald darauf, im Anfang Mai, an Graf Hugo von St. Paul.® Schon vorher hatte er sich — jedenfalls durch den Zug Octavians veranlasst — mit Graf Amadeus v. Savoien, in dessen Hand sich die Alpenpässe befanden, in Verbindung gesetzt, in einem Vertrage vom 21. April hatte ihm Walter v. Ocra, sein Notarius, bedeutende Concessionen gemacht. Der Kaiser erreichte am 17. Mai Pavia, von da eilte er weiter nach Turin, wo er persönlich mit dem Grafen v. Savoien zusammentraf; auch Guido Delphinus, Graf von Vienne, hatte er für sich gei H. B. VI, 513.

Annal. Plao. 494.

a H. B. VI, 514. 525. Annal. Plac. 1. c. 3 H. B. VI, 526. cf. 553. 555. Dass der Kaiser nicht von Anfang an Lyon im Auge gehabt, sondern dass er seinen Plan geändert, hat wohl Fioker Reg. imp. Y, nr. 3608 a (gegen Böhmer und ebenso gegen Schirrmacher Frdr. II. IV, 239) überzeugend dargetan. Der Umschwung war vielleicht Folge des Cremoneser Tages. Ficker nr. 3626 a. 1*



4



wonnen. 1 Drohend stand er so Anfang Juni am Fusse der Alpen: der "Weg nach Lyon lag frei vor ihm; schon hatte er dem Grafen von St. Paul geboten, ihm mit gewaffneter Schaar entgegen zu ziehen, und schon war an die Anhänger jenseits der Alpen der Befehl ergangen, bis zum 9. Juni sich in Chambery zu versammeln. Auch den Herzog von Brabant und viele Edle Deutschlands hatte Friedrich auf bestimmten Termin entboten, um, wie es hiess, vor ihnen sich von den Anklagen, welche die Curie gegen ihn erhoben, zu rechtfertigen. 2 • Die Lage des Papstes fing in der Tat an bedenklich zu werden. Welches waren die wahren Absichten Friedrichs gegen Lyon? — sie werden sich kaum nachweisen lassen. Innocenz fasste die Sache jedenfalls nicht anders auf, als dass der Kaiser in Chambery seine Getreuen um sich schaare, um mit Waffengewalt das Haupt der Christenheit zu unterwerfen. Angsterfüllt späht er nach Beistand aus. Ende Mai entbietet er den Abt von Yendome zu schleuniger Hilfeleistung, am 28. ersucht er den Erzbischof von Narbonne um Unterstützung. 3 J a , in seiner grossen Bedrängnis wandte er sich auch an den König von Frankreich. Aus Innocenz1 Briefen vom 17. Juni an Ludwig IX., dessen Brüder und Mutter, geht unleugbar hervor, dass Ludwig dem Papste gewisse Zusagen in Betreff seines Beistands gemacht hatte. 4 Wie stimmt das aber mit der ganzen früheren Politik, des Königs zusammen, der doch niemals sich einer von beiden Parteien angeschlossen, sondern nur zu versöhnen gesucht hatte? Mit Papst wie mit Kaiser stand er auf freundschaftlichem Fusse. Hatte er doch erst kurz zuvor, Ende 1246, Boten an Innocenz gesandt, um für

» Annal. Plao. 1. c. H. B. VI, 542. 556. 2 H. B. VI, 528. 536 (infra quindec.im dies post oetavas pentecoste» ist = 9. Juni). Cfaron. reg. ed. Waitz 290. » H. B. VI, 536. 537. • Annal. eccl. 1247. § 13 if. „te carissimo — eum regiua — ao fratribus tuis decernente, quod in nostri — defensionem venires cum exercitu —.



5



Friedrich zu vermitteln, und hatte nicht dieser ihm eben erst freundschaftlichst Subsidien für seinen Kreuzzug angeboten? 1 Von einem Übertritt Ludwigs auf des Papstes Seite ist natürlich keine Rede, und wir finden auch später den König um nichts der Curie näher gerückt; ja, trotz jener Zusage haben wir auch nicht die geringste Spur einer Hilfeleistung Ludwigs gegen den Kaiser. Nach alledem können wir nur annehmen, dass der König dem Papste nur dann Hilfe versprochen hat, falls Friedrich wirklich, wie Innocenz fürchtete, mit bewaffneter Hand sich gegen ihn wenden würde. 2 Und damit stimmt auch der Schluss der Briefe wohl überein: Ludwig soll nicht eher aufbrechen, als bis der Papst ihm Nachricht gegeben, natürlich sobald er sichere Kunde vom Alpen übergange Friedrichs erhalten. — Doch es sollte nicht bis zur Hilfeleistung des Königs kommen, und unvermutet sollte der Papst aus seiner schweren Angst erlöst werden. Der Kaiser wurde plötzlich, noch im J u n i , zur Umkehr gezwungen durch die Nachricht, dass Parma durch schnellen Uberfall in die Hände der Päpstlichen gefallen sei. Er wandte sich sofort zur Belagerung dieser Stadt, an der er bis Anfang 1248 vergeblich seine Kraft versuchte, bis sie schliesslich mit einer herben Niederlage für ihn endete. 8 Noch ehe das Gewitter über Lyon sich drohend zusammenzog, war der Papst darauf bedacht gewesen, dem Kaiser hinter seinem Rücken Schwierigkeiten zu bereiten. Kaum erhält er die Nachricht vom Tode Raspes, so denkt er sofort an die Aufstellung eines neuen Gegenkönigs in Deutschland. Schon am 15. März entsendet er Peter Capoccio, Cardinaldiakon von St. Georg in velum aureum, als

1

H. B. VI, 464. 472. 466. Auch das Chror. rythm. Colon, ed. Waitz (im Anhang zur Chron. reg. p. 309) erzählt, dass Ludwig damals im Begriff war, dem Papst zu Hilfe zu ziehen. Daraus leitet der Dichter fälschlich den Rückzug Friedrichs ab Verkehrt ist die Sache dargestellt bei Höfler Frdr. II, 248. 249. Anm. 1. 5 Am 30. Juni ist er wieder in Cremona Annal. Plac. 1. c. Über Abfall und Belagerung Parmas cf. Salimbene in Mon. Parin. III, 68 ff. 3

Legaten nach Deutschland und dessen Nachbarländern.1 Nicht nur fast sämmtliche Schriftsteller sind sich klar über den Zweck dieser Sendung, Innocenz selbst gesteht in einem Briefe an die Mailänder, der wohl im März geschrieben ist, offen ein: „er habe seinen geliebten Petrus, einen an Wissen reichen, durch ehrbaren Charakter ausgezeichneten, im Rathe erfahrenen Mann, geschickt, damit er sich baldigst nach einer für das Königtum geeigneten Persönlichkeit umsehe." 2 * Theiner Mon. Pol. I, 43. Ein ähnliches Schreiben ist Bioher auch an die deutschen Bischöfe ergangen. 1 Hahn Coli. mon. I, 172. Von Peters früherer Tätigkeit wissen wir eigentlich niohts weiter, als dass er am 2. April 1246 einen Vergleich zwischen Prior und Convent der PredigerbrQder und Camerar und Capitel der Kirche St. Paul zu Lyon vermittelte, Potth. 12048, und einige Urkunden Innocenz' mitunterzeichnete. Beyer Mittelrh. Urkb. nr. 886. 856. Die gesammten Nachrichten Ober ihn Bind zusammengestellt von Reumont in der Zeitschrift des Aachener Gesohiohtever. I, 206 ff.

§ 1. DEUTSCHE P A R T E I V E R H Ä L T N I S S E UM. 1247. Der grosse Kampf zwischen Kaiser und Papst hatte natürlich, wie es ja stets der Fall gewesen, auch diesmal in Deutschland seinen Widerhall gefunden und auf dessen politische Entwicklung entscheidenden Einfluss geübt. Hier bereiteten sich schon die Zustände des Interregnums vor. Da es dem deutschen Reich an einer Verfassung gebrach, und die Autorität des Kaisers fast allein die Reichseinheit repräsentirte, so musste die länger als zehnjährige Abwesenheit desselben 1 natürlich eine gewaltige Abnahme im Bewusstsein staatlicher Zusammengehörigkeit zur Folge haben. Die Glieder des Reiches konnten ungehindert ihre eignen Wege einschlagen : möglichst grosse Selbständigkeit war das Ziel aller. So konnte sich allmälich die Landeshoheit der Fürsten, wie die Unabhängigkeit der Städte ungestört fortentwickeln, die beide, später die einzigen Rettungsanker im Zustande allgemeiner Zerrüttung, zunächst doch nur Auflösung der Reichseinheit bedeuteten. Der grosse Parteikampf hat natürlich jene Entwicklung äusserst begünstigt; es war den einzelnen Gewalten Gelegenheit gegeben, teils auf legitimen, teils illegitimen Wege Rechte und Freiheiten an sich zu bringen: die 1

Die Annahme Schirrmachers (Fridr. I L , IV, 15 u. 4 9 9 ) , dass Friedrich 1242 sich heimlich in Deutsehland aufgehalten, weist Ficker in Wien. Sitzungäber. 69, 275 ff. als ganz unwahrscheinlich zurück. Zum letzten Male befand sich der Kaiser jenseits der Alpen i. J. 1236 zur Königswahl seines Sohnes Conrad.



8



Grösse des eignen Vorteils hat zumeist über die politische Stellung entschieden. Bei dem steten Schwinden des Sinnes für nationale Einheit, muss es uns freudig berühren, dass noch einmal im Jahre 1240 die Fürsten sich zu dem Versuche emporgeschwungen hatten, Frieden und Eintracht im Reiche herzustellen, indem sie fast sämmtlich Briefe an den Papst und wahrscheinlich auch an den Kaiser schickten, um zwischen ihnen zu vermitteln. 1 Aber gerade aus diesen Briefen geht hervor, dass die Fürsten unter sich nicht einig waren. Die Herzoge von Braunschweig und Sachsen, der Markgraf von Brandenburg, der Erzbischof von Mainz erweisen sich ganz neutral, eine Menge kleinerer Fürsten scheint sich dem Kaiser zuzuneigen, während die Erzbischöfe von Oöln und Trier nebst neun Bischöfen dem Papst sehr offen ihre Ergebenheit aussprechen. Der Vermittlungsversuch war gescheitert. Zum letzten Male hatte die drohende Mongolengefahr im folgenden Jahre die Deutschen vorübergehend geeint; nachdem auch dies Gewitter verzogen, konnten päpstliche und kaiserliche Parteigänger ungestört im Kampfe sich messen. Doch zu einem allgemeinen, von beiden Teilen mit fanatischer Parteinahme geführten Bürgerkrieg, wie etwa zur Zeit Philipps von Schwaben und Ottos I V . , ist es — selbst nach Aufstellung des Gegenkönigs — in Deutschland jetzt nicht gekommen; wir finden diesseits der Alpen nur ein mattes Widerspiel des Kampfes in Italien. Vielleicht fühlte man schon damals, dass Deutschland dabei doch nur eine Nebenrolle spielte — jedenfalls war das Interesse für die grossen politischen Fragen der Zeit gewaltig abgestumpft; der partikularistische Geist, der das Reich zersetzte, wirkte segensreich für einzelne Teile desselben: die östlichen Fürsten von Brandenburg, Sachsen, Meissen, Braunschweig scheinen sich gar wenig um den Streit zwischen Papst und Kaiser gekümmert zu haben. Hatten doch auch gerade um die Mitte des 13. Jahrhunderts neue Erscheinungen und Entwicklungen die Aufmerksamkeit von ganz Deutschland, nament-

» Mon, Germ. LI. II, 334 ff.



9



lieh aber jener Länder auf sich gezogen. Während die nordischen Handelstädte sich zu immer grösserer Bedeutung aufschwangen, wurde im fernen Osten von den Deutschordensrittern ein fruchtbares Land erobert und colonisirt, und auch in Schlesien und den Gebieten östlich von der Oder drängte deutsche Besiedlung Schritt für Schritt das Slaventum zurück. So ist es eigentlich nur an Mittel- und Unterrhein zu bedeutenderen Fehden gekommen, hier hatte das Papsttum an den rheinischen Erzbischöfen mächtige und energische Vertreter gefunden. Ein gewaltiger Mann stand an der Spitze der antistaufischen Opposition: Conrad von Hochstaden, Erzbischof von Cöln, der seit 1238 den Krummstab führte. 1 Er war kein sanfter Hirt seiner Gemeinde, sondern ein rauher Kriegsherr, der mit den Waffen sein Interesse zu wahren verstand; das hatte er schon 1239 und 1240 in seinen Fehden gegen die Herzoge von Brabant und Limburg gezeigt. Allen deutschen Fürsten voran strebte der Cölner während seiner ganzen Regierung nach Macht und Einfluss im Reiche, und in diesem Streben ist sicherlich das Hauptmotiv seines Abfalls vom angestammten Herrscherhause, dem er anfangs geneigt schien, zu suchen: religiöse Beweggründe werden bei diesem harten Gemiite wohl wenig im Spiele gewesen sein. Da Conrad auf des Papstes Seite eher seine hohen Ziele zu erreichen hoffte als durch die Staufer, scheute er sich nicht, die Fahne des Bürgerkriegs aufzupflanzen: er wurde Begründer einer Oppositionspartei gegen den Kaiser. Seine Romreise im Frühjahr 1239 bezeichnet sicherlich den Zeitpunkt seines Anschlusses an die Curie, der er von nun an für sein ganzes Leben getreu blieb. Schon 1240 erkennen wir seine streng päpstliche Gesinnung aus jenem Brief an Gregor IX.; am 10. September des nächsten Jahres muss Siegfried von Mainz ihm versprechen, in dem grossen Streit zwischen Papst und Kaiser ihm beizustehen und stets ebenso vorzugehen wie er. 2 1 cf. Cardauns Conrad von Hochatadon, u. Burckbard C. v. H. Hauptquelle für das folgende ist die Chron. reg. Colon. 2 Lacomblet Niederrh. Vrkundb. I I nr. 257.



10



Dieser Kirchenfürst, der seit 1239 auf dem Mainzer Stuhle sass, hat noch viel schmählicher den Staufern die Treue gebrochen ; denn im Anfang seiner Regierung war er eifriger Anhänger Friedrichs und eine Zeit lang sogar Verweser des Reichs gewesen. Noch verharrte er im April 1240, wie wir aus seinem Schreiben an den Papst ersahen, in Neutralität, ein Jahr später schloss er — sicherlich von des Cölners hochstrebenden Ideen beeinflusst — den schon erwähnten Vertrag. Nicht nur mit Worten gingen jetzt beide vor, durch Verkündigung des Bannes und durch öffentliche Anschuldigungen gegen Friedrich, auch mit Waffengewalt griffen sie des Reiches Güter an. Noch im Jahre 1241 wurde der Krieg eröffnet: während der Mainzer in den Jahren 1242 und 43 am Mittelrhein gegen König Conrad kämpfte, lag der Cölner mit dem kaiserlich gesinnten Grafen Wilhelm IV. von Jülich in Fehde, in dessen Gefangenschaft er schliesslich geriet; doch verstand er es — ein sprechender Beweis für seine diplomatische Gewandtheit — bei seiner Auslösung im Vertrage vom 2. November 1242 den Jülicher auf seine Seite zu ziehen. 1 — Als dritter im Bunde gesellte sich zur Oppositionspartei, allerdings jenen beiden an Eifer nachstehend, Arnold von Trier, der 1242 durch päpstlichen Einfluss im Gegensatz zu einem kaiserlichen Gandidaten den Stuhl bestiegen hatte. 2 — Kurz vor Eröffnung des Lyoner Concils finden wir den Cölner und Mainzer bei Innocenz anwesend, gegen den sie sich zu sofortiger Aufstellung eines Gegenkönigs verpflichteten, wenn erst Friedrich abgesetzt sei.* Und sie hielten Wort. Kaum war von Lyon aus die Aufforderung zur Neuwahl ergangen, da hoben die rheinischen Erzbischöfe den Landgrafen von Thüringen auf den deutschen Tron: mit starker Hand haben sie ihn geschirmt und halfen

Kremer Gfilch-Bergsohe Gesch. III, Urkd. nr. 67. Gesta Trevir. SS. XXIV, 405. 3 Annal. Wormat. Böhmer Fontes I I , 183. Ich oitire diese Annalen stets nach Böhmers Ausgabe, hinter der die von G. H. Pertz in SS. XVII, 34—73 bei weitem zurflcksteht. cf. Wattenbaoh Geschichtsquellen II, 308 Anm. 1. 1

2



11



ihm den Sieg bei Prankfurt erringen. 1 Als aber dennoch dieser die Rolle des Pfaffenkönigs zu kläglichem Ende führte, da eilte Conrad v. Hochstaden aufs Neue nach Lyon zu Papst Innoceoz, angeblich wegen Besetzung des erledigten Bistums Lüttich, 2 in Wahrheit sicherlich wegen einer neuen Königswahl. Bis dahin hatte aber die Opposition schon allerorts in Deutschland festen Fuss gefasst; von Jahr zu Jahr sehen wir sie sich ausbreiten, Dank der energischen Agitation der Curie und ihrer Vertreter, und Dank der Untätigkeit des Kaisers, der die Hoffnungen seiner Anhänger auf energische Handhabung des Landfriedens gewaltig täuschte. Bei den weltlichen Herrschern hatte der Papst gar wenig Glück: bis 1247 hatten sich gegen den Kaiser fast ausschliesslich Pfaffenfürsten aufgelehnt, auf die j a das Haupt der Christenheit im Verein mit den 3 Metropoliten viel leichter Einfluss ausüben konnte; und so waren es auch wesentlich Prälaten, die 1246 zur Erhebung des Gegenkönigs mithalfen und die seinen Anhang bildeten. Die Bischöfe: Heinrich von Speier, Jacob von Metz, Heinrich von Strassburg, Hermann von Würzburg waren jedenfalls bei der Wahl Heinrich Raspes beteiligt, 3 der Strassburger und der Metzer haben nachweislich an seiner Seite bei Frankfurt gegen König Conrad gefochten. 4 Vor allem hatte die Absetzung des Kaisers auf dem Lyoner Concil 1245, die Lösung seiner Untertanen vom Treueid, zur Vergrösserung der päpstlichen Partei beigetragen: auch Heinrich , dem Erwählten von Bamberg, erschien es damals vorteilhafter, vom Papst in Lyon sich die Consekration zu holen, als seinem Kaiser, dem er früher öfters als Gesandter ge1 Gesta Trevir. 411. Aber selbst der erste Kirchenfürst Deutschlands hat nicht unbezahlt die päpstliohe Sache vertreten, dies zeigt Ficker Reg. der Beatrix v. Brabant 5577. » Chron. reg. 290. 3 Chron. Ellenh. SS. X V I I , 421. Den Beweis für den Würzburger giebt die am Tage nach der Wahl für den Bischof ausgestellte Urkund. Raspes. Ficker Reg. Raspes 4867. cf. Reuss Die Wahl Raspes im Programm der höhern Bürgerschule von Lüdenscheid 1878. * Chron. reg. 289. Gesta ep. Mett. SS. X , 550.



12



dient, die Treue zu wahren; als er auf der Rückkehr ungescheut des Kaisers nahes Ende prophezeite — er konnte es als Mitwisser einer gegen Friedrichs Leben gerichteten Verschwörung — da nahm den frechen Verräter am 3. Dezember 1245 der stauiisch gesinnte Graf Berthold v. Käfernburg gefangen; so war er verhindert zum Wahltag zu erscheinen , erst durch Raspes Gnade erhielt er die Freiheit. 1 Der bairische Episcopat war im Anfange der 40 er Jahre einmütig zu Kaiser und Reich gestanden, j a durch seinen energischen Widerstand gegen alle Lockungen und Drohungen des Passauer Archidiakons, Alberts des Böhmen, des eifrigsten Verfechters päpstlicher Interessen in Baiern, der vergebens Sentenzen über Sentenzen gegen die Bischöfe schleuderte, war hauptsächlich Herzog Otto bewogen worden, diesen seinen Schützling aufzugeben und dem Kaiser sich zu nähern. 2 Allein auch hier war seit dem Process des Lyoner Goncils die Treue teilweise wankend geworden. Conrad von Freisingen schwankte: er bat zu Lyon 1245 um Freisprechung vom Bann, die er auch erlangte; da er sich aber im folgenden Jahre dem Gegenkönig nicht anschloss, wurde er vom Legaten Philipp von Ferrara a u f s Neue mit Excommunication bedroht. 3 Bitter schmerzte den Kaiser der Verrat seines einstigen Kanzlers, Siegfried von Regensburg, und unverhohlen liess er ihn seinen Zorn fühlen; nicht lange erfreute sich der Bischof seiner neuen Stellung, schon am 19. März 1246 schied er aus dieser Welt. 4 Der Tod hat gerade in den Jahren 1246 und 47 unter den deutschen Prälaten reichlich Ernte gehalten, während zu gleicher Zeit einige Bistümer durch freiwilligen Verzioht ihrer H. B. VI, 402. Chron. Erphord. in Fontes II, 403. 404. Cbron. Sampetr. in Gesobichtsquollen d. Prov. Sachsen I, 80. Potth. II, 12170a. - ct. Schirrmacher Alb. v. PossemQnster u. Kiezler Geschichte Baierns II, 69 ff. » Potth. II, ar. 11770. H. B. VI, 449. + H. B. VI, 367. Böhmer Fontes III, 486 giebt den TodestagSonderbar: auf p. 148 weiss Schirrmacher, dass Siegfried schon am 19. Mkrz gestorben, p. 147 bezeichnet er ihn als treuen Anhänger des Gegeiikönigs, der doch erst am 22. Uai gewählt wurde. 1



13



Inhaber erledigt wurden. Diese Umstände waren natürlich von grösstem Vorteil für die Curie, deren Einfluss auf die Besetzung der geistlichen Fürstentümer während des 13. Jahrhunderts ja in stetem Wachstum begriffen war. Schon längst hatte sie das Devolutionsrecht bei zwistigen Wahlen, das früher Heinrich V., Friedrich I., Heinrich YI. ebenso unrechtmässig geübt hatten, 1 an sich gerissen, bald wurde auch die in unsrer Zeit noch den Erzbischöfen zustehende Confirmation und Consecration ein Prärogativ des Papstes. 2 Zwar hielt auch Friedrich II. die Investitur der Regalien — das beweist vor allem die Bestimmung des Sachsenspiegels, nach der dieselbe sogar der Consecration vorangehen soll 3 — energisch aufrecht, doch hatte er, nach dem Vorgang Philipps von Schwaben und Ottos IV., im Jahre 1213 u. 1219 auf jede direkte Beeinflussung der Wahl, wie sie nach dem Wormser Concordat der Kaiser auszuüben vermochte, verzichtet: frei und den Kirchengesetzen gemäss sollten die Wahlen erfolgen, so dass derjenige der Kirche vorstehen solle, den das ganze Capitel oder der grössere und verständigere Teil desselben gewählt habe. 4 Diesmal war es die Curie, die den Vertrag brach: um die Zahl ihrer Anhänger zu vermehren, schritt sie im Jahre 1246 und 47 selbst dazu, die freie Wahl der Capitel zu cassiren, sie ernannte Bischöfe nach eignem Gutdünken. Schon der Legat des Jahres 1246, Philipp von Ferrara, war in diesem Sinne vorgegangen: nach dem Tode Siegfrieds von Regensburg hatte er den Halberstädter Domherrn Albert 1

cf. Bernheim in Forschungen XX, 365 ff. * cf. Hinschius Kirchenrecht II, p. 573 ff. 577. Die Confirmation duroh den Erzbischof ist ersichtlich z. B. an Heinrich y. Hildesheim (1247), Chron. Hildesh. SS. VII, 861. Ferner an Eberhard T. Worms (1247) Fontes II, 169, und bei Heinrich von Lfittioh (1247) Hocsem. ap. Chapeaville Oesta pont. Leod. II, 273. Bei Conrad v. Worms findet Consecration durch den Legaten statt. Fontes II, 169. . ' Sachsensp. üb. III, art. 59, § 1. * LI. II, 224 u. 231. Berchtold Entwicklung der Landeshoheit p. 62, fasst die Concessionen Friedrichs II. wohl als zu weitgehend auf,; gegen ihn wendet sich Hinschius II, 573 not. 4.

-

14

-

von Petingau zum Bischof eingesetzt. 1 In Salzburg starb in demselben Jahre 1246 der dem Kaiser sein ganzes Leben lang treu ergebene Erzbischof Eberhard; zu seinem Nachfolger wurde einstimmig Philipp, der Sohn des Herzogs Bernhard von Kärnthen, nach den Kirchengesetzen und unter Zustimmung der Ministerialen gewählt. Doch der Papst, der, wie es in den Salzburger Annalen heisst, „von der geschehenen Wahl nichts wusste" — von einem "Wahlrecht des Capitels wusste er naturlich auch nichts — machte 1247 ohne Wissen der Canoniker und Ministerialen Burkhart von Ziegenhagen zum Erzbischof, und beauftragte mehrmals den Regensburger Dekan, für diesen und gegen Philipp sich zu verwenden. Erst als nach dem baldigen Tode Burkharts sowohl die Verwandten des Kärthnei-s, als auch Gapitel und Ministerialen dringende Bitten an Innocenz richteten, namentlich aber, da Philipp sich als entschiedener Anhänger der Curie erwies, wurde die geschehene Wahl von Lyon aus bestätigt. 2 Und ebenso wenig war in Lüttich von einer gesetzmässigen Bischofswahl die Rede, liier war Robert von Thorete am 16. October 1246 gestorben; die Neubesetzung des Stuhles hatte dem Cölner Erzbischof als Yorwand für seine Reise nach Lyon gedient. Am 26. September 1247 gelangte der junge Graf Heinrich, der Bruder des Grafen Otto v. Geldern, kraft einseitiger Ernennung durch den päpstlichen Legaten Peter Capoccio in den Besitz des Bistums. 3 < Annal. S. Rudb. Salisb. SS. IX, 789. Alb. a legato ecclesie E . preficitnr u. Herman. Alt. XVII, 394. A. per legatum subrogatur. Welcher Legat war es aber? Die erstere Quelle berichtet das Ereignis zu 1247, die andre zu 1246. Erst durch Vergleichung der Datirung der Urkunden Alberts wird klar, dass derselbe zwischen 16. November 1246 v. 31. Januar 47 zur Regierung kam, also durch Philipp y. Ferrara eingesetzt ist. Ried Cod. dipl. Ratisb. I, nr. 461 u. 467. » Annal. S. Rudb. u. Herrn. Altah. 1. c. Erben Reg. Boh. I, 660. Job. Victor. Fontes I, 282. * Oesta abbat. Trud. cont. I I I , Ss. X , 306: H. ecclesiae Leod. preficitur, u. Aegid. aur. vall. Qesta ep. Leod. XXV, 129: quem prefecit ]egatus. Die Angabe dieses Zeitgenossen, der 1261 sein Werk abschliesst, ist wohl am glaubwürdigsten. Der über 60 Jahre spStere



15



Doch alles überbot an Wiilkürlichkeit und Inconsequenz das Verfahren der Curie in Worms. Nach dem am 8. Juni 1247 erfolgten Tode des staufentreuen Bischofs Landulf war hier einstimmig vom Capitel der Mainzer Dekan Conrad gewählt worden: da dieser stets in schroffem Gegensatz zu seinem Yorgänger gestanden, erteilte ihm der Legat Peter zu Neuss bereitwilligst die Consecration. Doch schon am 7. October auf dem Rückwege nach Worms starb Conrad zu Lorch. Der nun vom Capitel zum Bischof erwählte Domprobst Eberhard war ein Mann von grosser Sittenreinheit, und wurde unverzüglich von Siegfried von Mainz confirmirt; und doch hatte er nicht das Glück, der Curie zu gefallen. Diesmal missachtete Peter Capoccio die Wahl des Capitels ebenso wie die Confirmation des Erzbischofs und erhob eigenmächtig Richard von Daun auf den Stuhl von Worms. Nach langern Zwiespalt, dessen Entscheidung beide Parteien in Lyon und später noch in Rom nachsuchten, trug doch der päpstliche Candidat den Sieg davon. 1 Also j e nach der politischen Stellung der Neugewählten gab es für die Curie ein Wahlrecht der Capitel oder nicht! In Eichstädt, wo Bischof Friedrich v. Parsberg am 28. Juni 1246 verschieden war, schien sie anfangs ein solches anzuerkennen: am 25. September erhielten Propst und Capitel die strenge Weisung von Innocenz, innerhalb 14 Tage nach erhaltner Mahnung auf Rat des Legaten Philipp und des Erzbischofs Siegfried von Mainz für einen geeigneten Hirten zu sorgen: von einer freien Wahl konnte "dann allerdings kaum noch die Rede sein! Aber selbst dieser Rest von Wahlrecht wurde von der Curie cassiert: da unter den Domherrn Zwist ausbrach, setzte Philipp von Ferrara einfach den Lütticher Historiker Hocsem (Chapeayille I I , 275), beriohtet zwar von einer electio, doch lässt auch er dieselbe gänzlich abhängig vom Legaten erfolgen. Dagegen tritt natürlich der ausführliche Bericht des über 100 J a h r e späteren Jean d'Outremeuse (V, 275) von einer freien Wahl des Capitels sehr zurück: doch weiss dieser Ton einer nochmaligen Einsetzung des vom Yolk vertriebenen Bischofs durch die Macht des Legaten zu erzählen. * Annal. Wormat. Fontes II, 169.



16



Grafen Heinrich von Wirtemberg zum Bischof ein, durch dessen Verwandten König Conrad in der Schlacht bei Frankfurt verraten worden war.1 Und ebenso hatte der Papst dem Capitel von Hildesbeim, dessen Bischof Conrad, ein eifriger Staufenfreund, durch seinen Rücktritt im Jahr 1246 der Sache des Kaisers nur einen Verlust bereitet hatte, den Befehl erteilt, innerhalb bestimmter Zeit auf Rat Philipps von Ferrara die Neubesetzung vorzunehmen. Die nun erfolgende Wahl brachte Heinrich Probst von Heiligenstadt auf den Stuhl, der alsbald vom Könige die Investitur, vom Erzbischof die Confirmation erhielt. Doch ein anderer Teil der Domherrn postulirte den Propst Hermann von St. Cyriacus zu Braunschweig zum Bischof, der auch fast alle Burgen des Stiftes in seine Gewalt brachte. In seiner Not wandte Heinrich sich nach Lyon, von wo er, nach einjähriger Verschleppung der Sache, unter Gunstbezeugungen des Papstes entlassen wurde.2 Aber selbst worin die Curie sich von jeder Beeinflussung fern hielt, war es nicht eine natürliche Folge der Verhältnisse , dass die neugewählten Bischöfe sich der päpstlichen Partei anschlössen? Denn nur so war ihnen Confirmation und Consecration, zugleich aber auch, seitdem die Curie Gegenkönige ernannte, die weltliche Investitur gesichert. Diese Erwägung hat unzweifelhaft die beiden Brüder Simon und Otto, Grafen zu Lippe, ,die im Jahre 1247 in Paderborn und Münster den Stuhl bestiegen, in ihrer Parteinahme beeinflusst, 3 und ebenso den Anfang 1248 gewählten Bischof Hartmann von Augsburg, durch dessen Vorgängers, Siboto, Verzicht der Kaiser wiederum einen Anhänger unter den Prälaten eingebüsst hatte. 4 1 Potth. Reg. Pont. I I , nr. 12279. Lib. pont. Eichstet, contin. SS. VII, 262: H. quem domnus papa Innocentius et Philippus ejus legatus propter diseordiam, quae creverat inter fratres, prefecit. cf. H. B. VI, 459. 2 Potth. 12204 a. Chron. Hild. Ss. VII, 861. > Chron. reg. Col. p. 290. Annal. Stad. Ss. XVI, 371. * Annal. August, min. Ss. X, 9. Annal. Nereeh. X, 24. Dass Siboto kaiserlich war, zeigt H. 6. VI, 450 und Stälin Wirtemberg.



17 —

Endlich ist aber auch auf die überlebenden kaiserlich gesinnten Bischöfe die energische Parteistellung der Erzbischöfe, ferner das Schreckgespenst von Bann und Absetzung, die Philipp von Ferrara im August 1246 über die Widerspenstigen verhängte, naturgemäss nicht ohne Wirkung geblieben. 1 Heinrich von Constanz und der als besonders ungehorsam getadelte Otto von Utrecht waren beide vom Legaten vor den Papst zur Rechtfertigung citirt worden; im folgenden J a h r e finden wir den Constanzer zwar noch nicht offen abgefallen, doch im Geheimen schon mit König Conrads Gegnern im Bunde, und Bischof Otto steht im Juli 1247 mit Innocenz im besten Einvernehmen; 2 bald wurde er durch die Wahl Wilhelms von Holland, dessen Oheim und einstiger Vormund er war, auf's engste mit den Interessen der Oppositionspartei verkettet. Noch früher scheint Engelbert von Osnabi üclc übergetreten zu sein. Dieser hatte im J a h r e 1245 nach einem Brief des Papstes an Conrad von Cöln vom 8. Juli, der Sache der Curie den Rücken gekehrt und das Gebiet des Cölners angegriffen, 3 doch hat er sich sicher 1246 schon dem Gegenkönig angeschlossen, da sein Name in der Liste der zur Bestrafung reifen Prälaten sich nicht vorfindet; im März 1248 schloss er mit dem Erzbischof von Cöln ein enges Bündnis. So ist in kürzester Zeit ein wunderbar schneller Umschwung in der politischen Stellung der meisten Bistümer erfolgt: während im August 1246 noch der grösste Teil der deutschen Prälaten auf des Kaisers Seite steht, bezeichnet am 26. October des folgenden Jahres der Papst dem neuen Legaten nur noch drei Kirchenfürsten als Feinde der K i r c h e : 4 Gesch. I I , 200 Anm. 2 (fehlt bei Potthast). Hnrtmann erscheint am 1. April 1248 als ergebner Anhänger des PapsteB. H. B. V I , 610. i H. B . V I , 449. s Annal. Scheftlar. Ss. X V I I , 312. Sloet Urkb. v. Geldern p. 680. B e k a ed. Büchel p. 76. Cardauns Conr. y. Hochstaden p. 76 Anm. 2. 4 E r b e n R e g . Boll. I , 552. Ganz unbegründet behauptet Schirrmacher A. v- Possemünster p. 148, dass die Bischöfe von Freising und Passau Anfang 1247 sich mit der Curie ausgesöhnt h ä t t e n ; es ist ge-

2

-

18

-

Wilbrand von Magdeburg, Rüdiger von Passau und Conrad von Freising; und auch von ihnen finden wir im Anfang des nächsten Jahres den Freisinger definitiv, den Passauer wenigstens vorübergehend mit dem Papste ausgesöhnt. 1 Es hat sicher nicht am wenigsten zum Siege der kirchlichen Sache in dem grossen Kampfe beigetragen, dass der Papst sich im Reiche eine Partei zu schaffen vermochte, der er fast autokratisch gegenüberstand, jedenfalls viel eigenmächtiger, als Conrad seinen Fürsten und Städten. Während dieser nur durch stets erneute Erteilung von Privilegien seinen Anhang vermehren konnte, befolgte Innocenz grade die entgegengesetzte Politik: durch Unterdrückung von Freiheit schuf er sich eine ergebene Macht. Blieb er doch keineswegs dabei stehen, nur hier und da das Wahlrecht zu cassiren und Wahlen zu beeinflussen, die Krone setzte er seiner Bischofspolitik auf durch den Erlass vom 12. Februar 1249 an seinen Legaten, den Erzbischof von Mainz, wonach allen Capiteln der Cathedralkirchen Deutschlands verboten wurde, bei Sedisvakanzen ohne specielle päpstliche Erlaubnis den bischöflichen Stuhl neu zu besetzen. 2 Nehmen wir noch hinzu, dass am 2. September desselben Jahres überhaupt allen Collegien der deutschen Kirchen die Ernennung oder W a h l neuer Pastoren ohne päpstliche Befugnis untersagt wurde, 3 so müssen wir anerkennen, dass ein gewaltig centralisirender Geist damals in der. Kirchenpolitik InDOcenz's IY. herrschte, radezu lächerlich, wenn er diese Aussöhnung durch den ebengenannten Brief des Papstes, der doch schlagend dagegen spricht, beweisen will. S. hätte auf den Zusammenhang des ganz leichtfertig herausgegriffenen Ausdrucks: „nobilia membra ecclesiae", der ihm als Beweis dient, achten sollen. Unzweifelhaft ist hier das Recht auf Seite seines Gegners Ratzinger. » Nach Potth. II, 12885 u. 12920. Am 1. Dez. dess. Jahres erscheint Rüdiger wieder excommunicirt. Potth. 13090, und 1250 wird er wegen seiner feindseligen Gesinnung gegen Innocenz abgesetzt. Herrn. Altah. Fontes II, 507. 2 Höfler Regest. Innoc. nr. 367, in Bibliothek des literar. Vereins zu Stuttgart X V I . * ibid. nr. 466.



19



der jedes constitutionelle Element in der Kirchenverfassung gänzlich zu ersticken drohte. Aber grade wie unter Heinrich IY. der Abfall der Bischöfe einen um so engeren Anschluss der Bürger an den König zur Folge hatte und wie dieser in den Zeiten grösster Not an den Städten seine treuesten Stützen fand: so geschah e9 auch jetzt, in einer Zeit, in der die städtischen Gemeinwesen schon ganz andere politische Bedeutung gewonnen hatten, als sie einst im 11. Jahrhundert besessen. Freilich war das keine Frucht der Politik Friedrichs II., der ja stets den Unabhängigkeitsbestrebungen der Städte sich feindlich gezeigt und noch Ende des Jahres 1231 v durch sein Reichsgesetz aus Ravenna 1 die Autonomie der bischöflichen Städte gänzlich zu vernichten gesucht hatte. Aber da sich nun seitdem das Verhältnis der Bischöfe zum Kaiser gewaltig geändert hatte, so wurden die Bürger, die in den Bischöfen ihre nächsten und gefälirlichsten Feinde erblickten, die natürlichen Bundesgenossen Friedrichs; und nicht nur in bischöflichen, auch in den übrigen Reichsstädten erkannte man wohl, dass die Aufrechterhaltung einer Centralgewalt nötig sei, um sich vor der alles verschlingenden Ländergier der Teiritorialfürsten zu schützen und die eigne Unabhängigkeit zu wahren. Der Kaiser war ja auch seit einigen Jahren von seiner städtefeindlichen Politik zurückgekommen: sein Verhalten gegen Regensburg hatte gezeigt, dass er die Treue der Bürger wohl zu belohnen verstand. 2 Und noch hofften vielleicht manche Städter vom Reichsoberhaupte eine kräftige Handhabung der Landfriedensgesetze zur Herstellung von Ruhe und Ordnung im Reiche, deren sie ja als Träger des Handels am meisten bedurften. Im übrigen wird von idealen Motiven auch bei den Bürgern wenig die Rede gewesen sein; das Beispiel von Mainz und Strassburg zeigte, wie wenig es selbst so mächtigen Städten um das Reich zu thun war: den Mainzern hatte Erzbischof Siegfried schon 1244 die gewünschten Concessionen gemacht, und den Strassburgern « LI. II, 2S2. 286. * Ried Cod. dipl. Eatisb. I, 408.

2*



20

-

gegenüber wetteiferten Pabat Innocenz und Bischof Heinrich von Stahleck in Gunstbezeugungen.1 Darum kämpften die Bürger beider Städte in grosser Eintracht mit ihren Bischöfen gegen die Staufer. Doch als vereinzelte Ausnahmen — höchstens noch Erfurt ist für das Ende der 40 er Jahre hinzuzufügen2 — standen sie da: im allgemeinen hielten die Bürger treu zu Kaiser und Reich. Worms, Speier und andere Städte und Gemeinden am Rhein, in Schwaben und Baiern, nebst Metz, so berichtet eine zeitgenössische Quelle, 3 hingen Friedrich und seinem Sohne selbst zur Zeit ihrer Excommunication a n ; und durch ihre Unterstützung hielt Conrad den Krieg gegen die Kirche aus. Und dass sie noch bis zu des Kaisers Tod unerschütterlich dessen Sache vertraten, das zeigen j a deutlich des Papstes Briefe vom 19. Februar 1251, in denen er die Bürger sämmtlicher deutschen Städte zum Abfall von den Staufern auffordert. 4 Allen voran standen als leuchtendes Beispiel edler Aufopferung und Treue die Bürger von "Worms, die mit rührender Ausdauer König Conrad bei seinen Zügen gegen den Mainzer unterstützten; schweres Leid mussten sie darum von diesem und dem Cölner erdulden. 5 An den Mauern von Ulm und Reutlingen hatte die Macht der Päpstlichen sich gebrochen, bei den treuen Frankfurtern hatte der besiegte Conrad willig Aufnahme gefunden; die Nürnberger scheinen dem Gegenkönig, der einen Hoftag nach ihrer Stadt ausgeschrieben, keinen Einlass gewährt zu haben; in schneidigem 1 Gaden Cod. dipl. I, 580. Dnss Mainz päpstlich, zeigt auch Potth. I I , 12325. Für Strassburg: Wiegand Urkbch. I , nr. 309. 310. 311. 312. 316. 317. > cf. Lünig Reichaarehiv X I V , 428. 1242 nimmt Frdr. die E r furter in seinen Schutz, 1244 werden sie von Siegfried von Mainz als Anhänger Frdr. II. excommunicirt (Chron. Erph. Fontes I I , 403), doch 1250 rühmt Innocenz ihre gegen den Mainzer erwiesene Treue. Wahrscheinlich war erst 1249 mit der Wahl des versöhnlichen Christian ein friedliches Verhältnis eingetreten. Fontes I I , 408. 409. 3 Annal. Argent. bei Böhmer Fontes I I , 109. 4 Meermann Geschiedenis van Graf Willem v. Holland Anhang p. 93. » Annal. Wormat. Fontes I I , 181 ff. ad a. 1242/43 44/46.



21



Gegensatz zu ihren Bischöfen hielten Metz, Speier, Basel, Regensburg treu zu Kaiser und Reich. 1 Ums Jahr 1250 ist in den Gegenden des Oberrheins eine Vereinigung elsässischer, schweizerischer und schwäbischer Städte mit staufenfreundlicher Tendenz nachweisbar, 2 und ebenso war der Bund der Waldstädte: Lucern, Schwyz, Samen gegen die Herrschaftsgelüste der Grafen von Habsburg und für die Sache des Reichs errichtet worden. 3 — Auch die mächtigste Stadt Deutschlands, Cöln, hatte bisher der wütenden Staufenfeindschaft ihres Erzbischofs, der vergeblich sich bemüht hatte, die Bürger auf seine Seite zu ziehen, energisch Trotz geboten. Der Kaiser hatte ihnen im Jahre 1242 alle vom Erzbischof erteilten Privilegien bestätigt, und hatte 1246 zu mehreren Malen von seinen italienischen Erfolgen nach Cöln berichtet: und doch war hier der Eifer für die kaiserliche Sache, wie sich bald zeigte, im Jahre 1247 schon sehr erkaltet. 4 Einen festen Hort für die staufische Partei am Niederrhein bildete aber die alte Kaiserstadt Aachen, deren Bürger 1241 mit dem Grafen von Jülich ein Bündnis zur Unterstützung des Kaisers geschlossen und im folgenden Jahre als seine treuen Helfer wacker gegen die Macht des Cölners gekämpft hatten. Als nach der Niederlage bei Frankfurt König Conrad sich zum Niederrhein wandte, verweilte er natürlich auch einige Zeit bei seinen Freunden, den Bürgern von Aachen; zwei Jahre später haben sie sich durch die heldenhafte Verteidigung ihrer Stadt ein ehrenvolles Andenken in der Geschichte gesichert. 5 i Hugo v. Reutlingen in Fontes IV, 130. Brief Walters v. Ocra bei Matth. Paris IV, 576. Böhmer Reg. Raspes nr. 11. Potth. II, nr. 12622. Ried Cod. dipl. Ratisb. 1. c. Die Regensburger hatten sogar Bisohof Siegfried vertrieben. Rainald. 1248 § 10. Urkunde Breisachs bei Kopp Geschichte der eidgenöss. Bünde I, 884: civitates nobis conjuratae. Die Namen der öbrigen Städte bei Schöpflin Alsat. dipl. I, p. 406. 3 Potth. 12673. Eidgenöss. Abschiede I, p. 1. • Ennen u. Eckertz Quellen z. Gesch. v. Cöln II, nr. 296 p. 299, u. p. 226. Chron. reg. Col. 288. 5 cf. Lacomblet Niederrh. Urkbeh. II, nr. 260. 306. Chron. reg. p. 282.



22



Die Städte Westfalens und die nordischen Seestädte haben sich so gut wie gar nicht um die Reichspolitik bekümmert. Sie hatten die Klugheit, nur auf ihre eignen Interessen bedacht zu sein; schon längst scheinen sie die Hoffnung auf Einschreiten des Reichsoberhauptes gegen das Raubund Fehdewesen aufgegeben zu haben, sie schritten zur Selbsthülfe, und an mehreren Orten bildeten sich Ansätze zu Städtebünden, deren Zwecke Sicherung des Handelsverkehrs und gegenseitiger Schutz gegen Gewalt und Unrecht waren. 1 Die norddeutschen Städte, vor allem die der nordöstlichen Territorien, unterschieden sich im allgemeinen von den süddeutschen und rheinischen dadurch, dass sie nicht im Anschluss an einen Bischofssitz oder eine königliche Pfalz sich entwickelt hatten, sondern auf willkürlicher Gründung durch einen Landesherrn beruhten, und darum fast durchweg viel jüngeren Ursprungs waren als jene. Zumeist aus Handelsrücksichten hervorgegangen, von ihren Fürsten freiwillig mit den gewünschten Freiheiten ausgestattet, reichten ihre Interessen kaum über ihr Territorium hinaus, sie blieben ohne Berührung mit der Reichspolitik. Und die Folgen wurden bald klar: während ein grosser Teil der rheinischen Städte, wie Worms, Speier, Mainz, durch die langen Bürgerkriege erschöpft, seit dem 13. Jahrhundert sich im Niedergang befand, begannen die nordischen Städte erst seit eben jener Zeit ihren mächtigen Aufschwung zu nehmen. Geistliche wie weltliche Fürsten verdankten den reichen Privilegien Friedrichs II. die Begründung ihrer Landeshoheit, während seiner ganzen Regierung hatte der Kaiser sich als ihr bester Freund erwiesen ; 2 hätten darum nicht beide naturgemäss 1 Einen derartigen Vertrag schliessen 1246 Münster und Osna. brück (cf. Wilmans Urkbcb. von Münster p. 241), ferner Nordheim und Minden (Sudendorf Braunschw. Urkbcb. 20). cf. den Vertrag der Lübecker und Hamburger mit Braunschweig. Cod. dipl. Lubec. II, 16. — Nur Lübeck wurde in den Parteikampf hineingezogen: 'sowohl der Pabst, wie König Conrad bemühte sich die mächtige Stadt durch Ounsterweisungen auf seine Seite zu ziehen, cf. Cod. dipl. Lubec I , p. 124. 125. 134. 136. 2 cf. Berchtold Entwicklung der Landeshoheit p. 86 ff.

-

23



zur staufischen Sache stehen müssen? Doch, wie wir sahen, die Bischöfe unterlagen dem mächtigen Einfluss der Curie; bei den weltlichen Fürsten dagegen hatte die Reichstreue im allgemeinen festeren Bestand. Zur Zeit jenes Vermittlungsversuches zwischen Papst und Kaiser im Jahre 1240 fanden wir noch keinen von ihnen als Gegner Friedrichs, und 6 Jahre später, auf dem Wahltag zu Veitshochheim ist wiederum kein weltlicher Reichsfürst als Teilnehmer nachweisbar. 1 Wohl aber hatte sich in dieser Zeit ein sehr bedeutsamer Umschwung zu Gunsten der Staufer vollzogen. Unter der Zahl derer, die 1240 den Frieden im Reich aufrecht zu erhalten bestrebt waren, vermissen wir den mächtigsten Reichsfürsten, Herzog Otto von Baiern und Pfalzgraf bei R h e i n ; er war zu jener Zeit eifrigster Parteigänger des Papstes gewesen; seitdem hatte er sich mehr und mehr dem Kaiser genähert, und zwar, j e weiter sein Gegner, der Babenberger Friedrich der Streitbare sich von diesem entfernte. Als nun der Oesterreicher am 15. Juni 1246 an der Leitha im Kampf mit dem Ungarnkönig ßela I V . gefallen war, ohne männliche Nachkommen zu hinterlassen, und die österreichischen Lande dem mit dem Babenberger nahverwandten Böhinenkönig zuzufallen drohten, musste der Baier einen Rückhalt suchen gegen solche Ausbreitung der böhmischen Macht, und diesen konnte er, bei der papstfreundlichen Gesinnung König Wenzels, nur bei den Staufern finden. E r trat ganz auf ihre Seite über, die Heiratsverbindung zwischen 1 of. Reusa Die Wahl Heinrich Raspes. Reusa hat die Unechtheit der Zeugerireihe in der Urkunde Heinrichs bei F a l k e Cod. trad. Corb. 404 schlagend nachgewiesen, und Cardautis Conr. y. H. 22, not. 2 schliesst sich seiner Meinung an. Wilmans Westfäl. Urkbch. I V , 241 erklärt die ganze Urkunde für eine Fälschung. Dagegen wendet sich F i c k e r in Mittheilungen d. Inst. f. öst. Gesch. I I , 215 ff., der sichtlich für die Rettung dieser Urkunde bemüht ist; er meint die Suche besser auf Nachlässigkeit der Kanzlei zurückzuführen. W i e dem auch s e i , jedenfalls muss auch er die Unrichtigkeit der Zeugenreihe, auf die es uns allein ankommt, zugeben. Dass keine weltlichen Fürston an der Wahl teilnahmen, bezeugt übrigens auch die Sächs. W e l t chronik ( M . G . Deutsche Chrori. I I , 2 5 6 ) : „dar n e was nen leien vorste wane he alene".

-

24



seiner Tochter Elisabeth und König Conrad, im September 1246 zu Vohburg vollzogen, bekräftigte die neue Freundschaft, und sofort wurden von Lyon aus Bann und Interdikt gegen Fürst und Land geschleudert. Doch der Wittelsbacher blieb die mächtigste Stütze der kaiserlichen Partei. 1 Fast gleichzeitig that Herzog Otto von Meran, dessen Land im Norden und Süden an Baiern grenzte, den entgegengesetzten Schritt wie sein Nachbar: er verliess 1246 des Kaisers Sache und wurde päpstlich. D o c h nicht lange sollte er der Kirche eine Stütze sein, schon am 18. Juni 1248 raffte ihn, im jugendlichen Alter von kaum 20 Jahren, der Tod hinweg. 2 In Osterreich rangen nach dem Aussterben des Mannsstamms der Babenberger die päpstliche und die kaiserliche Partei um den Besitz des Herzogtums. 3 Die nächsten Verwandten, die Friedrich der Streitbare hinterlassen, waren zwei Frauen: seine Schwester Margarethe und seine Nichte Gertrud. Nun räumte zwar das von Friedrich I. im Jahre 1156 den Babenbergern verliehene Privilegium minus auch Frauen das Erbfolgerecht ein, aber nur den Töchtern, nicht Seitenverwandten des letzten Herzogs. Kaiser Friedrich I I . , dem ja schliesslich die letzte Entscheidung in dieser Sache zustand, hat keinerlei Nachfolgerechte anerkannt, sondern Österreich wie Steiermark als erledigte Lehen betrachtet, zu deren Reichsverweser er 1247 den Grafen Otto von Eberstein einsetzte. Innocenz I V . hatte, als die Ansprüche Böhmens am 3. Januar 1247 mit dem Prinzen Wladislaus, dem Gemahl der Gertrud, zu Grabe getragen waren, noch in demselben Monat die Herzogtümer seinem treuen Gefolgsmann, König Bela IY. von Ungarn, zugedacht: was kümmerte es ihn, wenn zwei der besten Länder dem Reiche verloren g i n g e n ? 4 Doch nichts • Hermann Altah. ad 1*246 Ss. X V I I , 394. Annal. Scheftlar ad 1247 Ss. XVII, 343. cf. Riezler Geacb. Baierns II, 81 ff. 2 Annal. Scheftlar 1. e- Notae Diesa. XVII, 325. Chron. Erford. Fontes II, 405. " cf. Potth. 12550 u. 12868. 3 cf. Ottok. Lorenz Deutsche Gesch. im 13. u. 14. Jhdt. I, 53 ff. Schirrmacher IV, 278 ff. * Theiner Mon. Hung. I, 202. Ich schliesse mich gänzlich Ottok.

-

25

-

war wetterwendischer als päpstliche P o l i t i k : als die beiden Fürstinnen sich an Innocenz um Anerkennung ihrer Erbrechte wandten, da schlug er, um Osterreich für seine Partei zu gewinnen, den legitimer scheinenden W e g ein: ihre Sache wurde fortan auch die seinige; am 3. September 1247 unterstützte er die Forderung der beiden F r a u e n , welche damals von den Deutschordensbrüdern zu Starkenburg die Auslieferung gewisser Privilegien verlangten, die ihr Erbrecht darzutun vermöchten. Doch scheint die päpstliche Partei hier anfangs wenig Boden gewonnen zu haben: der Adel Österreichs und Steiermarks hatte sich im Jahre 1247 für die Sache Hermanns von Eberstein entschieden. 1 Wenn auch die Fürsten des nördlichen und nordöstlichen Deutschlands an den grossen Fragen der Reichspolitik, die j a zumeist am Rhein ausgefochten wurden, nicht allzu regen Anteil nahmen, so war es doch immerhin von Wichtigkeit, dass sich unter ihnen kein Gegner, zumeist sogar nominelle Anhänger des Kaisers befanden: waren doch der Markgraf Heinrich von Meissen und Herzog Albrecht von Sachsen im J a h r e 1247 grade im Begriff, Heiratsverbindungen mit den Staufern einzugehen. 2 In Wirklichkeit scheinen alle diese Fürsten die neutrale Stellung, die sie schon bei dem Vermittlungsversuch vom J a h r e 1240 eingenommen, auch fernerhin bewahrt zu haben. Selbst der weifische Braunschweiger, Otto das Kind, zählte keineswegs zur päpstlichen P a r t e i , und in seinem Herzogtum, welches Innocenz 1248 mit dem Interdikt belegt hatte, scheint die staufische Gesinnung vorgeherrscht zu h a b e n ; 3 ihn, wie den Markgrafen von Brandenburg musste der Pabst nach Friedrichs I I . Tode ausdrücklich ermahnen, dem König Wilhelm den Treueid zu Lorenz I , 64 an , der das Vorgehen der Curie in der öster. E r b f o l g e frage nicht s c h a r f genug tadeln kann. Aber waren derartige Übergriffe auf weltliches Gebiet wirklich noch HO unerhört, seitdem Innocenz 1245 sogar den Kaiser abgesetzt und alle seine Untertanen des Treueids entbunden h a t t e ? 1 Erben R e g . Boh. I, 550. Boczek Cod. dipl. Morav. I I I , 78. 2 Potth. 12507/8. 12731. Annal. Stad. X V I , 3 7 0 ad 1247. 9 Sudendorf Braunschw. Urkdb. p. 23.



26



leisten, und ans eben diesen Briefen geht ziemlich deutlieh hervor, dass sie zur Zeit der Erhebung des neuen (iegenkönigs sich sehr zurückgehalten haben: 1 erst 1252 hat Wilhelm hier Anerkennung gefunden. Yon weit grösserer Wichtigkeit für uns sind die Parteiverhältnisse unter den Fürsten des Niederrheins und Lothringens, die ja bald in den Vordergrund der Reichsgeschichte treten sollten. Die Herzoge von Oberlothringen, Brabant, Limburg, die Grafen von Geldern, Jülich, Loos, Sayn — sie alle waren in jener Adresse an den Papst vom Jahre 1240 entschieden für die Sache des Kaisers eingetreten, und so gesinnt finden wir sie auch noch im folgenden Jahre 1241. 2 Die mächtigsten von ihnen, die Herzoge Heinrich von Brabant und Heinrich von Limburg hatten in den Jahren 1239 und 40 mit dem Cölner Erzbischof in Fehde gelegen, die im Jahre 1242 vom Jülicher allein mit Glück fortgesetzt wurde und mit Gefangenschaft Conrads von Hochstaden endete. 3 Und doch näherte sich die Mehrzahl jener Fürsten allmälich dem Cölner, der als Oberlehnsherr der meisten von ihnen sie natürlich beeinflussen musste. Die Beziehungen zum Herzog von Limburg wurden freundschaftlicher, seitdem dessen ältester Sohn Adolf des Erzbischofs Schwester geheiratet: im Jahre 124B verspricht Conrad dem Limburger als seinem Lehensmann Hilfe zu jeder Zeit, und am 20. Juli 1246 schliesst er mit seinem Neffen Adolf, welcher nach ' Zwar sagt Innoc. (Meermann Anhang p. 8 8 , holl. Ausgabe): "W. — inquem liberaliter aient decuit, a sue promotioni's initio consensisti —. Doch das ist nur eine Captatio benevolentiae, denn der Anfang der Briefe spricht ja direkt dagegen, indem Innocenz jedem von beiden schreibt: er habe schon längst sich ihn als Anhänger der Kirche gewünscht, aber das sei nicht erfüllt worden, vielleicht weil ihm die* Macht Friedrichs Furcht eingeflösst habe. * Butkens Trophées de Brabant I , preuves p. 84. Über diese Urkunde handelt ausführlich Ficker in Wien. Sitzuogsber. 69, 288 ff. Er erkennt ihre Echtheit an ; doch ist er mit der gegebenen Datirung (13. Apr. 1241) nicht einverstanden, p. 305 meint er, sie sei wohl im März 1242 von der Reichsregierung zu Cöln oder Aachen im Namen des Kaisers ausgefertigt. » Chron. reg. Col. 275 ff. cf. Cardauns C. v. H. 9 ff.

-

27



seines Vaters Tode, der bald darauf erfolgt sein muss, Graf von Berg wurde, einen Offensivbund gegen den Kaiser. 1 Adolf von Berg blieb einer der eifrigsten Anhänger der päpstlichen Partei, während sein jüngerer Bruder Walram, seit 1247 Herzog von Limburg, wenigstens anfangs sieh neutral gehalten zu haben scheint. — Wir sahen schon oben, wie es dem schlauen Diplomaten, der auf dem Cölner Stuhle sass, im Jahre 1242 gelungen war, sogar den früher so eifrig kaiserlich gesinnten Grafen Wilhelm von Jülich — allerdings liess auch er sich seine Staufentreue bezahlen — vorübergehend seiner Partei zu entfremden. Doch schon zwei Jahre später finden wir diesen unternehmungslustigen Fürsten aufs Neue im Kampf mit dem Cölner, und am 12. Dezember 1246 verpflichtet er sich wiederum eidlich zur Hilfeleistung gegen König Conrad, wofür ihm dieser 3000 Mark verspricht und für einen Teil der Summe die Stadt Düren verpfändet. 2 — Grade am Niederrhein tritt die Käuflichkeit der Pürsten in erschreckender Weise auf; den zeitgenössischen Quellen ist es nicht unbekannt, dass Graf Wilhelm nur durch schnödes Gold für des Kaisers Sache gewonnen war; und selbst der mächtige Herzog Heinrich von Brabant hatte sich im März 1242 seine staufische Gesinnung mit 3000 Mark bezahlen 3 lassen, nichtsdestoweniger verlies» er wenige Jahre darauf diese Partei: hatte etwa König Conrad seine Zahlungen eingestellt? Allerdings kamen noch andere Momente hinzu. Als Anfang 1244 der Jülicher mitten im Frieden einen kecken Uberfall gegen Herzog Heinrichs Person versuchte, wurde dieser ganz naturgemäss auf die Seite der Gegner des Grafen Wilhelm gedrängt: am 23. Februar desselben Jahres leistet er dem Cölner das Versprechen , ihn bei der Execution des 1 Lacombl. II, nr. 278. Kremer Giilch. Berg. Gesch. III, nr. 72 cf. Ernst Hist. du Limbourg IV. 217 ff. 228. 3 Lao. nr. 260. 270. cf. Cardauns 15. Butkens p. 87. cf. Ernst p. 205. Lac. nr. 306. Über den Jülicher vgl. das mit vieler Wärme, aber manchmal ganz im Feuilletonstyl geschriebene Buch: Armin di Miranda Graf Wilh. IV. von Jülich.

» Chron. reg. 282. preuves 84.

Chron. rythm. Col. (ibid.) 306.

Butkens I,



28

-

von einem Fürstengericht gegen den Grafen verhängten Urteilsspruches unbedingt zu unterstützen. 1 Als zwei Jahre später sein Schwiegervater Heinrich Baspe auf den deutschen Tron erhoben wurde, da hat auch der Brabanter sicherlich zu dessen Anhängern gehört, wenn er sich auch unter seinen Wählern nicht nachweisen lässt. 2 Die Verhältnisse nach Raspes Tode brachten ihn, wie wir sehen werden, der päpstlichen Sache noch näher. — Graf Otto von Geldern, der im Jahre 1239 seinem brabantischen Oheim stets beizustehen versprochen hatte, und den wir auch fast überall dieselbe Politik einschlagen sehen wie jenen, ist sicherlich auch diesmal in die Fussstapfen des Brabanters getreten, im Juli 1247 finden wir ihn schon als ergebenen Anhänger der Curie. — Zu derselben Zeit war auch Theodorich von Cleve mit dem Cölner Erzbischof verbündet. 3 SQ hatte sich die Parteistellung der Fürsten am Niederrhein seit 1240 grade ins Gegenteil verwandelt: von allen Seiten von feindlichen Territorien umringt, hielt der einzige Graf Wilhelm von Jülich, im Bunde mit den treuen Bürgern von Aachen, im Jahre 1247 das kaiserliche Banner aufrecht; sehr bald sollte sich herausstellen, dass des ersteren Haltung nur erkauft war, während in den Herzen der Bürger ein warmer Patriotismus lebte. Besser stand es um die staufische Sache in den oberen Teilen Lothringens, dessen Fürsten allerdings schon damals mehr zu Frankreich als zu Deutschland neigten: Herzog Mathias von Oberlothringen tritt uns — ebenso wie seine französischen Nachbarn: der Herzog von Burgund, die Grafen von Chalons und Bar — nach einem Bericht des kaiserlichen Notarius Walter von Ocra vom September 1246,4 als Freund ' Chron. reg. 285. Lac. nr. 282. Darin stimme ich Cardauns 22, anm. 2 bei gegen Renas 6. 8 Butkens p. 82. Sloet Urkb. v. Geldern p. 680. Lac. nr. 311. 4 So ist der Brief wohl richtig datirt von H. B. VI, 459. Der Lothringer tritt erst 1248, 23. Apr., zur päpstl. Partei über. Calmet Hist. de Lorr. I I , 465—67. Digot Hist. de Lorr. II, 69 führt Matth, von Lothringen neben den Herzogen von Braunschweig, Schwaben (! I!) K&rnthen, (!) Savoien (!) als Wähler und Anhänger Raspes auf. E s 2

-

29 —

und Bundesgenosse Friedrichs II. entgegen; im Dezember desselben Jahres wird Graf Heinrich von Luxemburg von König Conrad zur Begutachtung der vom Jülicher zu leistenden Hilfe eingesetzt, und ersteien, sowie Graf Theobald von Bar sehen wir noch im September 1248 beim Abschluss eines Bündnisses an die erste Stelle derer, gegen die ihr Bund nicht gerichtet sein soll, den Kaiser Friedrich setzen. 1 So ungefähr lagen die Parteiverhältnisse uüter den bedeutenderen Gewalten Deutschlands im Jahre 1247. Wenn wir nun dazu nach erwägen, dass auch von der zahllosen Schaar der Grafen und Ritter — Raspe hatte sogar im Stammland der Staufer bedeutenden Anhang unter den Ministerialen gefunden 2 — ein Teil auf Friedrichs, der andere auf des Papstes Seite stand, so wird es kaum noch möglich sein, uns eine rechte Vorstellung von der furchtbareu Zerrissenheit Deutschlands zu machen: es gab wohl kaum ein Territorium, das nicht mindestens einen feindlichen Nachbar hatte. Und auf welcher Seite mochten wohl die überlegenen Streitkräfte sein ? Auch das wird sich kaum bestimmen lassen, da wir nicht wissen, in wie weit die aufgezählten Gewalten sich am Kampfe beteiligten. Die Schlacht bei Frankfurt hatte allerdings gegen Conrad entschieden, aber tückischer "Verrat hatte ja hier mitgespielt, und die geringe Ausbeute des Sieges hatte gezeigt, dass er nichts bedeutete. Und doch scheint mir das faktische Übergewicht schon im Jahre ist wirklich unerhört:, dass dieser neueste Bearbeiter lotbring. Geschichte noch eine bei Calmet II, 234/35 sich findende Urkunde als Beweis vorbringt, deren Unechtheit schon 40 Jahre früher von Ernst Hist. du Limb. IV, 215 schlagend nachgewiesen war, und selbst bei geringer Kenntnis der deutschen Verhältnisse so in die Augen fällt! 1 Lac. nr. 306. Wauters Table chrono), des dipl. des Beiges IV, 538. Heinr. v. Luxemburg scheint am längsten von allen lothr. Fürsten zu den Staiifern gehalten zu haben. Erst 19. Oct. 1250 verspricht er der Kirche Gehorsam und König Wilhelm Beistand, nach einer von Ernst I V , 218 not. 2 citirten Urkunde, die er aus dem äusserst seltenen W e r k e : Saint Genois Monum. anciens I, 2, 573 entnommen hat. J cf. Annal. S. Rudb. Ss. I X , 789. Chron. Ellenh. XVII, 121. Potth. 12928.



30



1247 auf Seiten der päpstlichen Partei gewesen zu sein: denn wenn auch die Mehrzahl der grossen weltlichen Fürsten zu Friedrich hielt, so hat doch kaum einer von ihnen so viel Eifer für seine Sache gezeigt, wie die rheinischen Erzbischöfe für die des Papstes, und ausserdem lagen ihre Gebiete meist zu weit entfernt von dem Schauplatze, auf dem die Kämpfe ums Reich seit je her sich abspielten, so dass sie kaum in Action kommen konnten; überhaupt war die Zersplitterung der staufischen Territorien bei weitem grösser als auf päpstlicher Seite: es war König Conrad nicht gelungen, sich ein so fest concentrirtes Machtgebiet zu schaffen, wie es die drei mächtigen Vertreter der Curie an den Ufern des Rlieinstroms begründet hatten, wo j a noch immer der Schwerpunkt des deutschen Lebens lag. Es musste jedem ins Auge fallen, dass die kaiserliche Partei — und namentlich nach dem Weggange Conrads nach Italien 1251 — von Jahr zu Jahr mehr zusammenschrumpfte, während die päpstliche in stetem Wachstum begriffen war; dieser gehörte die Zukunft, die ja auch für sie entschieden hat. Der Tod des Gegenkönigs vermochte keinen der päpstlich gesinnten Fürsten in seinem Eifer wankend zu machen, 1 j a man hielt sogar — dies zeigt die Datirung einer Urkunde der Herrn von Plesse 2 — Raspos Ansprüche auf das Reich selbst nach dessen Tode aufrecht, obwohl er nicht einmal einen direkten Erben hinterlassen hatte. 1

So wenigstens schreibt der Papst an die Mailänder. Hahn Coli. rnon. I, p. 171. > Bei Wende Hessisches Urkb. p. 116. Actum 1247, Rom. iinperio inter Frdr. quondam imperatorem et regem Heinricura quondam lantgrafum in scismate constituto, mortis ejusdem regia anno primo.

§ 2.

DIE KAMPFMITTEL DER CURIE UND I H R EINFLUSS AUF RELIGIÖSE UND SOCIALE

ZUSTÄNDE

DEUTSCHLANDS. Das 13. Jahrhundert bezeichnet einen Wendepunkt in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung: während dieselbe in früheren Zeiten fast ausschliesslich von Taten und Schicksalen der Kaiser, Päpste, Fürsten und Grossen zu erzählen wusste, tritt jetzt, in engem Zusammenhang mit dem grossen Aufschwung, den die Städte in diesem Jahrhundert nahmen, auch das deutsche Volk allmälig auf den Schauplatz; in stets wachsendem Masse, vor allem aber seit Aufkommen einer städtischen Geschichtschreibung, erhalten wir Andeutungen über die inneren Zustände unsrer Nation. Leider geben in den 40er Jahren die Quellen noch recht spärlich darüber Aufschluss, was die Masse unseres Volkes zur Zeit des grossen Parteikampfes gedacht, gefühlt und gelitten haben mag, nirgends aber treten uns heitere Bilder vor Augen. Hören wir den Bericht des päpstlich gesinnten Annalisten von Scheftlarn, der die Verhältnisse nach Raspes Tode also schildert: 1 'Zu derselben Zeit siegte die Schlechtigkeit, und das Volk Gottes war ohne Leiter, und Rom war verlassen und der Glanz der Kirche ging unter, und das Volk Gottes teilte sich; ein Teil folgte der Kirche und diese waren auserwählt, ein Teil dem einstigen Kaiser Friedrich » Ss. XYII, 342.

32

-

und diese waren Gegner des göttlichen Glaubens. Gegen alle Anhänger Friedrichs wurde das Anathem geschleudert, in verschiedenen Provinzen standen die meisten Kirchen unter Interdikt und Leid und Jammer erhob sich, und Mitleid, Wahrheit und Gerechtigkeit entfernten sich von der Erde, und viele Cleriker, auf Umwegen umherschweifend, verrichteten heimlich, trotz des Interdiktes, heilige Handlungen.' Derart also waren die religiösen Verhältnisse Deutschlands durch des Papstes Eingreifen untergraben! — Denn wir können wohl ohne Bedenken diese Schilderung, die ja zunächst nur baierische Zustände widerspiegelt, auch auf den grössten Teil des übrigen Deutschlands anwenden. — Dass die Kirchenstrafen vom Oberhaupt der Christenheit zu politischen Zwecken verwandt wurden, das war ja seit zwei Jahrhunderten, seit Gregor YII. im Brauch, aber kaum ist man zu irgend einer Epoche des grossen Kampfes zwischen Papsttum und Kaisertum so freigiebig mit Bann und Interdikt umgegangen, als Gregor IX. und sein Nachfolger Innocenz IY. es thaten, in Deutschland aber vor allem der leidenschaftliche Vertreter der Curie Ende der 30er und Anfang der 40er Jahre, der Passauer Archidinkon Albert der Böhme, der darin gar keine Grenzen fand. Aus allen Teilen Deutschlands hören wir von Verhänguug von Interdikt, erst 1247 war ganz Baiern demselben anheimgefallen.' Dass aber der Jammer der religionsbedürftigen Christen bei strenger Durchführung des Kirchenbanns gar gross gewesen sein mag, ist wohl zu glauben; ebenso klar ist aber auch, dass in den Ländern, die viele Jahre hindurch des Gottesdienstes entbehrten, sich allmälich Gleichgiltigkeit gegen das religiöse Leben ergeben musste. Da Kaiser Friedrich auch unter dem Clerus nicht unbedeutenden Anhang besass, so sah sich die Curie zu massenhaften Suspensionen von Geistlichen genötigt, deren Folge war, dass ihr schliesslich die geeigneten Persönlichkeiten zur Besetzung der vielen erledigten Pfarreien fehlten; man half sich damit, dass man die Vereinigung von zwei kirchlichen Beneficien oder geistlichen Stellen in einer 1

Annftl-Scheftl. 343.

cf. Schirrmacher A. v. P. 54 ff.

-

33

-

Hand gestattete.' Doch scheint Innocenz selbst eingesehen zu haben, dass eine übertriebene Verhängung von Kirchenstrafen am Ende zu unmöglichen Zuständen führen würde: da war es jedenfalls ein kluger Gedanke von ihm, dass er sich nun auch von der milden Seite zeigte, und den Gebannten die Rückkehr in den Schooss der Kirche offen liess. Diese Politik hatte Innocenz schon 1245 gegenüber Dekan und Capitel von Regensbuf-g eingeschlagen, im folgenden Jahre durften die Predigerbrüder in Deutschland, Italien und dem Königreich Lösungen vom Kirchenbann vornehmen, und am 18. Februar 1247 erhielten insbesondere die Minoiiten in Deutschland die Erlaubnis, diejenigen von der Excommunication zu absolviren, die dem einstigen Kaiser Friedrich oder dessen Anhängern sich angeschlossen hätten, falls sie bestimmte Bedingungen erfüllten; dieselben lauteten sicherlich nicht anders als: Übertritt zur päpstlichen Partei, die Curie wollte nunmehr auf dein Wege der Güte Anhänger gewinnen. 2 Und sie musste wohl: es war nämlich eine natürliche Folge des Missbrauchs der Kirchenstrafen gewesen, dass diese gar sehr in ihrer Bedeutung sanken, ja zum Teil gar keine Wirkung mehr ausübten. „Wrcnn die bairischen Prälaten, so schreibt Albert der Böhme, nur sicher in ihren Pfründen sassen, so fürchteten sie weder Blitze noch Donner der Curie und gaben auf Suspension und Excommunication keine Bohne." 3 Gleichzeitig hielt aber der Papst — in scharfem Contrast zu jener versöhnlichen Politik — es für angebracht, seit Bann und Interdikt zu wirken aufhörten, sogar zu einem weit energischeren Kampfmittel zu schreiten, vermöge dessen er eine reale Macht gegen die Staufer zu Felde zu führen vermochte: seit Mai 1246 liess er durch den Mainzer und Cölner und andre Bischöfe das Kreuz gegen den Kaiser und seine Parteigänger predigen, wobei dieselben Indulgenzen in Aussicht gestellt wurden, wie für

» Potth. 12-206.

cf. Baumsart. Formelbuch 198.

2 Ried Cod. dipl. Ratisb. I, 407.

Potth. 12257. 12419.

* Höfler Acten Albert Behams p. 20.

3



34



die Kreuzfahrt nach dem heiligen L a n d e . 1 Diente nicht der Missbrauch des Sündenerlasses ebenfalls dazu, das religiöse Qefühl abzustumpfen? Erst fünf J a h r e vorher hatte man jenes Mittel gegen die uncivilisirten Mongolenhorden ergriffen; welchen Eindruck musste nun das Vorgehen der Curie auf das deutsche Volk macheD ? „Mehrere Ritter und Leute aus dem Volk nahmen wegen des grossen Ablasses das Kreuz gegen Friedrich," berichten sehr bescheiden die Salzburger Annalen zum J a h r e 12-I6. Danach scheint freilich die Kreuzpredigt — wenigstens im Salzburgischen — nicht allzu viel Anklang unter dem Volk gefunden zu haben; jedenfalls bewog diejenigen, welche sich gewinnen Hessen, nicht ein principiellet' Gegensatz gegen die Staufer dazu, sondern nur die Aussicht auf den grossen Sündenerlass: die Angst gepeinigter Gewissen trieb der Curie ihre Helfer in die Arme. E s ist kaum denkbar, dass die päpstliche Politik viel Sympathieen im Volke erweckt hat, da j a hinlänglich bekannt war, auf welche Weise der Papst sich seine Anhänger unter den Machthabern Deutschlands zu verschaffen pflegte: Albert von Stade weiss sehr wohl, dass Innocenz zu allen Fürsten 1246 Gesandte schickte, um sie gegen Friedrich aufzuwiegeln, und der Erfurter Annalist berichtet s o g a r , dass päpstliches Gold die Fürsten und Herren des Reichs für Heinrich Raspe stimmte. 2 Und Wo-

• Chron. reg. 288. Anna]. S . Rudb. 8?. I X , 789. of. B r i e f Innoan den Mainzer bei Höfler Frdr. I I . , 874. * Annal. Stad. Ss. X V I , 370. Annal. Erford. ibid. 35. Ich könnte hierbei auch j e n e Sekte erwähnen, die im J a h r e 1248 in Schwäbisch Hall auftrat (Annal. Stad. X V I , 3 7 1 ) und mit so erstaunliah kühnen Sätzen die Gewalt des Papstes, namentlich wegen des Mi9sbrauchs der Kirchenstrafen, angriff. Doch ist nach meiner Meinung in ihr kein Ausdruck des Volkswillen« zu sehen. Sollten so grossartige revolutionäre " I d e e n , die gar manches richtige enthielten, in den Köpfen des Volks entstanden sein, das doch damals, noch tief in Unwissenheit und Aberglauben versunken, gar wenig selbständige Regungen zeigte? Sie haben nach meiner Ansicht einen intelligenteren Urheber, der die Prätensionen des Papstes theoretisch zu widerlegen bestrebt w a r , und nls solchen haben wir wohl mit R e c h t König Conrad zu betrachten, besonders nach den Schlussworten: Orate pro dorn. F r d . imp. et Conrado qui perfecti et justi sunt .... cenz

— 35

-

her bezog Innocenz diese Gelder? Das musste unser Y o l k damals allerort fühlen: um die Fürsten zu bestechen, wurde das Volk ausgesogen. Denn wenn auch der Papst nominell nur den Clerus besteuerte, an letzter Stelle musste doch die Masse des Volks bluten. W i r wissen zumeist aus Matthaeus l ' a r i s , welche unerhörten Erpressungen in Frankreich und England die Curie sich erlaubte, wie im J a h r e 1247 Clerus und Volk d i r Provinz Canterbury einstimmig erklärten, dass man bei ihnen mehr Geld verlange, als sich in ihrem Lande auftreiben lasse. Zu demselben J a h r e berichtet der Autor: „die Verehrung der Gläubigen und die kindliche Liebe zu der jeder Christ gegen den Papst verpflichtet ist, nahm sehr a b , nicht ohne Gefahr der Seelen; in masslosen Hass und geheime Schniähreden wurden sie verwandelt, denn alle sahen und mussten fühlen, wie der Papst das Geld zum Schaden und zur Verarmung Vieler unersättlich verschlang. Und schon glaubten Viele nicht mehr, dass die dem heiligen Petrus verliehene Gewalt, zu binden und zu lösen, der inne habe, der dem heiligen Petrus so unähnlich s e h e " . 1 Und an einer andern Stelle bemerkt e r : „Immer pflegen die Legaten des Papstes die Länder, die sie betreten, arm zu machen". Und diese Angaben des englischen Mönches, d e r , wie kaum ein anderer Geschichtsschreiber des Mittelalters, mit scharfem Blick die Ereignisse auf dorn ganzen Continent zu überschauen vermochte, bezeichnen sicherlich grosse Strömungen in der Volksmeinung, die wir auch in Deutschland zur Geltung kommen sehen. Wie ungeheuer drückend die Habsucht der Curie auf diesem Lande lastete, entnehmen wir daraus , dass selbst der streng päpstlich gesinnte Verfasser der Bischofsgescilichte von Verdun seiner Entrüstung darüber in folgenden Worten Luft macht:- „Innocenz begann zum Schutze der Kirchenfieiheit durch unerhörte Eintreibungen die ganze Kirche und die Klöster in schrecklicher Weise auszusaugen, indem er erst den zwanzigsten, dann den zehnten

' Matth. Par. I V , 595. 590. 6'24. der Curie. 2 Ss X , 525.

Allerdings ist er eifriger Gegner

3*



36

-

Teil aller Einkünfte zur Besoldung seiner Soldaten von allen Kirchen und Klöstern zusammenscharrte, gegen diejenigen aber, die sich weigerten, die Excommunicatión schleuderte. Die Cardinäle einerseits, der Papst andrerseits, haben teils mit dem Zwanzigsten, teils mit dem Zehnten, teils mit Jahresgeldern (pensiones), teils mit Veipflegungs- und Unterstützungsgeldern (procurationes et subventiones), unsre Kirche bis zu 1000 Pfund besteuert." Unter so mannigfachen Namen hat man also damals in Lyon dem deutschen Glerus das Geld aus der Tasche zu locken gewusst! J a , die gleichzeitige sächsische Weltchronik weiss zum Jahr 1*245 von noch ungeheuerlicheren Steuern zu erzählen: „auf des Papstes Gebot heischte man von den Pfaffen den 20. Teil, und den 5., und die Hälfte von ihrem Einkommen, was vorher nicht geschah". 11 — Und darum waren die päpstlichen Legaten, die nur kamen, um Unfrieden zu stiften und Geld zu erpressen, eine wahre Landplage geworden. Auch der neue Sendling des Jahres 1247 scheint Grosses in dieser Beziehung geleistet zu haben. Matth. Paris erzählt: 2 er habe von Bischöfen, Äbten und andern Clerikern so viel Geld gesogen, dass diese fast verarmt seien, und gezwungen wurden, durch Predigt in entfernten Gegenden den Lebensunterhalt sich zu erbetteln. Das Volk hätte aber die geforderten Gaben verweigert und den Priestern entgegnet: „Geht doch zu eurem Papst, der Überfluss hat an geraubten Schätzen*. Der Papst hätte aber nicht aufgehört, Geld zusammenzuscharren, und hierbei seien Minoriten und Prediger seine Helfer gewesen. Wenn auch die Schilderung etwas übertrieben sein mag: dass die Erpressungen wahr sind, ist keinen Augenblick zu bezweifeln. Wir wissen, dass grade im Jahr 1247 die päpstlichen Steuern äusserst drückend waren; am 30. Mai dieses Jahres hatte der Papst eine neue Auflage im ganzen Abendlande zur Stütze der von Friedrich I I . bedrängten Kirche ausgeschrieben, auch Deutschland war davon betrotten worden: von den Einkünften und Pensionen aller Cleriker, die 1 8

Mon. Germ. Deutsch. Chron. II, 256 und Anhang II, 273. IV, 636.



37



100 Mark und darunter betragen, verlangt Innocenz den vierten Teil, von denen, die mehr als 100 Mark, die Hälfte für 1 J a h r . 1 Was waren doch das für unerhörte Anforderungen ! Die Hälfte des gcsammten Einkommens ist ein recht bescheidner Steuersatz! Die sächsische Weltchronik berichtet zu 1247 noch von einer andern Abgabe, die erst nach Wilhelms Wahl eingetrieben worden zu sein scheint: „da bot man den papen aver dat se gaven ses pinninge van der marc". 2 Wie viel mag nun aber noch ausserdem von dem Legaten erpresst worden sein, wovon uns keine Urkunde und keine Chronik berichtet! Denn des Matth. Paris Angabe von der unersättlichen Habsucht Peter Capoccios muss uns völlig glaubhaft erscheinen, wenn wir im Anfange des nächsten Jahres den Papst selbst gegen die Geldwut seines Sendlings einschreiten sehen. 3 Die natürliche Folge dieser gesammten päpstlichen Politik war aber, dass die Gemüter des Volks sich von der Kirche abwandten. Wir sehen aus unserem englischen Gewährsmann. dass zwischen Glerus und Volk ein unglückseliger Zwiespalt herrschte; es war sicherlich nicht die Stimme des Herzens, sondern weit mehr die Furcht vor den höllischen Strafen, die der Curie in Deutschland ihre Anhänger gewann. Der neue Legat Peter Capoccio sollte nochmals das Mittel des vorigen Jahres in Anwendung bringen; kaum hatte er Lyon verlassen, schon am 18. März, schrieb ihm der P a p s t : 1 er solle die Bischöfe und Erzbischöfe von Deutschland, Dänemark und Polen ermahnen, das Kreuz gegen Friedrich zu predigen. Aber auch diesmal scheint der Erfolg nicht gross gewesen zu sein; denn schon zwei Monate später, am 22. Mai, sieht sich der Papst genötigt, seinem Legaten eine neue Instruction zu erteilen, die ein weit energischeres Vorgehen empfahl. 5 Innocenz hält es für sehr vorteilhaft für die 1

Potth. 12540. Vollständig Theiner Mon. Hibern. 47. 1. c. 257, wird wenigstens nach W's. Wahl erzählt. » Potth. 12842. * Potth. 12456. 4 Rainaldi Annal. eccl. 1247 § 3. 1



38



Sache der Curie, wenn in Deutschland an allen öffentlichen Plätzen, wo das Volk gewöhnlich zusammen komme, alle früheren Anhänger der Kirche, die zum Gehorsam gegen Friedrich zurückgekehrt seien, excommunicirt würden; ihre Länder sollen mit Interdikt belegt werden. Ebenso solle an öffentlichen Orten bekannt gemacht werden, dass sowohl jene, als alle andern, die Friedrich oder Conrad nach ihrer Absetzung angehangen, aufhören sollten Rechtspersonen zu sein, also z. B. nicht als Zeugen auftreten dürften. Die Kirche solle ihnen, wenn sie Hilfe suchten, keinen Schutz gewähren. Bei Strafe von Bann und Interdikt soll verboten sein, mit den Parteigängern des Kaisers zu verkehren, Kauf oder Verkauf mit ihnen zu schliessen. Die widerspenstigen Cleriker sollen suspendirt und ihre Suspension öffentlich verkündigt werden. — Derart also trat der Mann auf, den der Papst als Friedensengel zu senden, den Deutschen verheissen hatte! 1 Da Bann, Interdikt, Kreuzpredigt nicht mehr genügten, wurde zu wirksameren Mitteln gegriffen: Innocenz suchte seine Feinde in Deutschland in ihrer rechtlichen Stellung und in ihren materiellen Interessen zu schädigen. War das nicht ein unerhörter Eingriff der geistlichen Gewalt in weltliches Gebiet, in das Privatrecht und innerste Leben unseres Volkes P Die politischen und religiösen Verhältnisse desselben zu untergraben, war der Curie längst gelungen; jetzt wollte sie auch die socialen zu Grunde richten. Wir sahen schon oben, dass die Bettelorden als Helfershelfer bei den Erpressungen des Paptes keineswegs beliebt unter dem Volke waren; und doch blieben sie unschätzbare Werkzeuge zur Bearbeitung der Massen; ihnen allein erlaubte darum Innocenz, mit Gebannten Kauf und Verkauf zu schliessen und die Lebensbedürfnisse von ihnen zu beziehen.2 > ibid. g 2. * PoMb. 12568.

§ 3. P O L I T I S C H E EREIGNISSE VON RASPES

TOD

BIS

ZUR N E U W A H L . Wir wissen nicht, inwieweit die Curie mit ihren Massregeln in Deutschland durchgedrungen ist; wohl aber ist uns bezeugt, dass das Jahr 1247 — Dank der Thätigkeit des Legaten — Krieg und Verderben über unser Land gebracht hat. „Ganz Deutschland wurde durch Feuer und Schwert verwüstet" berichtet zu 1247 der Zwifalter Mönch, dessen Jahrbücher so reich an kurzen, charakteristischen Notizen sind. Und Matthaeus Paris erzählt, der päpstliche Legat sei, gestützt auf die Macht des Cölner Erzbischofs, an der Spitze eines Heeres von 10000 Mann, das er für seine ungeheuren Erpressungen geworben, mit Mord und Brand gegen die Freunde der Staufer zu Felde gezogen und habe König Conrad so bedrängt, dass er nach Italien zu seinem Vater geflohen sei; 1 ob diese Angaben richtig sind, erscheint bei dem Schweigen sämmtlicher deutscher Quellen sehr fraglich, die letzte aber, von der Flucht Conrads, ist sogar höchst unwahrscheinlich, da wir den König am 9. März iri Esslingen, Ende September in Speier urkundend finden. Kaiser Friedrich scheinen die deutschen Verhältnisse im Jahre 1247 besonders am Herzen gelegen zu haben: hatte er doch den Herzog von Brabant und viele Edle Deutschlands — offenbar seine Widersacher — um Pfingsten nach Burgund entboten, um vor ihnen sich zu rechtfertigen; überhaupt sehen wir ihn bei allen seinen Plänen in diesem Jahre und selbst nach dem Abfalle Parmas stets Deutschland als Endziel im Auge haben, wo er » 8B. X, 60.

Matth. Par. IV, 634.

-

40

-

— nach seiDem Brief an den Capitän des Königreichs — 'die durch einige Ungetreue erregten Unruhen' beilegen will; diese Umstände weisen wohl mit Sicherheit darauf hin, dass es nicht allzu friedlich im Reiche aussah, dass vielmehr der junge Staufenkönig schweren Stand mit seinen Gegnern hatte. 1 Und ferner: sollte es zufällig sein, dass von Conrad 1247 nur zwei Urkunden ausgestellt sind, oder spricht dies nicht ebenfalls dafür, dass der König zumeist im Felde gelegen hat? Übrigens wissen wir von seinem Verhalten während des ganzen Jahres so gut wie gar nichts. Wenn wir den Noresheimer Annalen, die voll chronologischer Irrtümer sind, Glauben schenken wollen, so hatte Conrad nach Raspes Tode beim Kloster Neresheim in Schwaben sein Lager aufgeschlagen und die ganze Umgegend verwüstet; 2 geschah es vielleicht um verräterische schwäbische Ministerialen zu strafen? Im September des Jahres weilte der König bei den treuen Bürgern von Speyer, dessen Clerus der Graf von Leiningen in diesem Jahre auf Befehl des Kaisers aus der Stadt hinausjagte. Und zu derselben Zeit war sein Yerbündeter, Herzog Otto von Baiern in der Pfalz anwesend, er war, wie die Scheftlarner Annalen berichten, mit verschiedentlichen Dingen am Rhein beschäftigt, während doch in seinem Herzogtum der Kampf tobte. 3 Endlich sehen wir den päpstlichen Legaten am 25. August zu Coblenz, am 3. September zu Andernach am Mittelrhein sich aufhalten, von wo er den Lübeckern das Versprechen zukommen lässt, er werde zu ihnen kommen, 'wenn erst Gott der Kirche Frieden gegeben habe'.4 Deuten diese Umstände nicht darauf hin, dass am Mittelrhein damals gekämpft worden ist ? Wir werden nicht irre gehen mit der Annahme, dass der Kampf damals hauptsächlich um Schloss 1

H. B. VI, 882. Cod. Lubeo. I, 124. (Warum H. B. VI, 880 diese Urkunde, die er doch erst dem Cod. Lub. entnommen, zu 1246 setzt, weiss ich nicht.) H. B. VI, 555. Chron. reg. p. 290. 2 So. X, 24. * Anna]. Spir. Fontes II, 156. Böhmer Wittelab. Regest, p. 22: am 30. Aug. urkundet 0. in Worms, im Oct. in Heidelberg. Annsl. Scheftl. Ss. XVII, 343: patre duce apud Rhenum in diversis occupato. * Beyer Mittelrh. Drkb. Nr. 910. Cod. Lubec. I, '24.

-

41



Thuron oberhalb Alken an der Mosel geführt worden ist, wo Marschall Zorno als Landpfleger des Herzogs von Baiern so gewalttätig herrschte, dass ihn der Verfasser der Bischofsgeschichte von Trier einen zweiten Nero nennt. Schon seit 1246 wurde er auf seiner Burg von seinem ärgsten Feinde, dem Erzbischof Arnold von Trier belagert, den wir auch am 13. April 1247 vor Thuron urkundend finden; der Aufenthalt des Herzogs von Baiern am Rhein im Herbst dieses Jahres ist höchst wahrscheinlich auf einen jener vergeblichen Entsatzversuche zu beziehen, deren die Gesta Trevirorum gedenken. 1 Aus andern Teilen Deutschlands haben wir sicherere Nachrichten von Fehden: so kämpfte in Baiern Ludwig, der Sohn des Herzogs, gegen den päpstlich gesinnten Grafen Conrad v. Wasserburg, vom Johannis - bis zum Martinsfest belagerte er ihn in seiner Yeste; der Graf musste sich schliesslich ergeben und wurde seines ganzen Besitzes beraubt. In Schwaben zogen um Pfingsten die Päpstlichen vor Reutlingen: es wurde vergeblich belagert. 2 Gleichzeitig war im mittleren Deutschland durch den Tod Heinrich Raspes ein Bürgerkrieg eröffnet worden, der, von vornherein ohne Zusammenhang mit dem grossen Parteikampfe der Zeit, doch auf die Stellung eines Teils der Fürsten Einfluss üben musste. Von den vielen Praetendenten, die Ansprüche auf das Land des kinderlos verstorbnen Landgrafen erhoben, konnten sich nur drei, als seine Verwandten, auf Erbrecht stützen: 3 Markgraf Heinrich von Meissen, als Sohn der Jutta, der Stiefschwester Raspes, der Herzog von Brabant für seine Gemahlin Sofie, die Tochter eines Stiefbruders, und der Graf von Anhalt als Gemahl einer jüngeren Schwester des Erblassers. Von ihnen scheint aber der Anhalter bald durch Geld abgefunden worden zu sein: wir finden in späteren Jahren als Parteien im Erbfolgestreit nur noch den Brabanter und Meissner genannt. Im Jahre 1247 hatten 1

Beyer III Nr. 902. Gesta Trevir. Ss. XXIV, 408 ff. Annal. Scheftl. 342. Herroan. Altah. Ss. XVII, 394. Hugo von Reutlingen Fontes IV, 130. > Ausführlich handeln über diesen Erbfolgestreit: Tittmann Heinr, d. Erlauchte II, 189 ff. Wegele Friedr. d. Freidige 6 ff. 2



42



sie jedoch alle drei von verschiedenen Seiten das thüringische Land überfallen, der Markgraf von Meissen hatte die festen Plätze Eckehardsberg und Weissensee in Besitz genommen, der Qraf von Anhalt einen Berg beim Kloster Odelsleben,1 während der Brabanter in Hessen eingerückt war; am 13. Mai finden wir ihn zu Marburg, am 17. in Hersfeld, doch war er im August schon wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Seine Gemahlin Sofie scheint noch in diesem Jahre den Kampf mit 61ück fortgesetzt zu haben; es gelang ihr, die Wartburg mit einem Teil Thüringens in ihre Gewalt zu bringen.2 Der Adel teilte sich nach Parteien und erbaute zahllose Raubburgen zur Plage des Landes. Es begann ein wilder Bürgerkrieg, der bis in die 50er Jahre hinein dauerte. 3 Wie in fast allen Erbstreitigkeiten des Mittelalters, so kam es auch jetzt weniger darauf an, welcher von den Praetendenten das beste Recht hatte — denn wer sollte darüber entscheiden? — als vielmehr: wejeher die meiste reale Macht besass. Markgraf Heinrich hatte bei seinen Eroberungszügen gegen die widerspenstigen thüringischen Adelsgeschlcchter den Vorzug, dass er sich auf sein nahes Stammland zu stützen vermochte; er hatte deshalb die meiste Aussicht, die herrenlosen Lande für sich zu gewinnen. Gelang ihm dies aber, so war im Herzen des Reiches eine meissnischthüringische Herrschaft begründet, die alle andern Staaten Mitteldeutschlands bei weitem an Macht und Grösse überragte. - - Der Gedanke an diese bedeutende Machterweiterung des staufisch gesinnten Fürsten mochte Besorgnis erwecken bei Innocenz, und darum machte er wohl im Mai 1247 den Versuch, ihn auf seine Seite zu ziehen. Eben war man im Begriff, eine Heiratsverbindung zwischen dem Hohenstaufischen und dem Wettiner Hause zu stiften, indem des Mark1

Chroo. Erford. Fontes II, 404. 403. * Annal. Stad. XVI, 371. Wauters Table chronol. des diplomes des Beiges IV, 496. Kuchenbecker Anal. Haas. IV, 266. Im Aug. urkundet H. bei Brüssel. Wauters 504. (cf. Quix Cod. dipl. Aqu. 1,80. not. 3.) Chron. Samp. zu 1247 in Geschichtsquellen der Prov. Sachsen p. 81. 3 of. Chron. Thür. ibid. 213. Chron. terrae Misn. in Menken 8B. II, 325, u. Bericht des Mönches Keinhold in Sudendorf Brauosch Urkb. 24 (von 1250).



43



grafen Sohn Albrecht mit der erst sechsjährigen Tochter Friedrichs, Margarethe, verlobt worden war. Doch der päpstliche Legat Philipp von Ferrara, der irgend welchen Verwandtschaftsgrad zwischen ihnen herausfand, legte Protest ein und schleuderte Bann uurl Interdikt gegen Fürst und Land. Als nun Heinrich an den Papst appellirte , verhiess ihm dieser „in übergrosser Milde" Aufhebung jener Sentenzen: zugleich aber warnte er ihn, „sein Haus mit dem verbrecherischen Blute der Staufer zu beflecken," er solle deshalb die Braut, die sich am nieissnischen Hofe befand, an Friedrich zurückschicken. Denn dieser strebe nicht bloss nach dem Ruin der Kirche, er suche vielmehr allen Yornehmen und Mächtigen die äusserste Knechtschaft zu bereiten; von jeder Geldleistung gegen den Kaiser spricht er den Markgrafen los und ledig. 1 — Derartige Motive schob also Innocenz Friedrich I I . unter: er wurde als Unterdrücker der Freiheit der Landesfiirsten hingestellt, e r , der durch freigiebige Erteilung von Privilegien die Landeshoheit eigentlich erst begründet hatte! Doch man wusste wohl in Deutschland, wie wenig genau es die Curie mit der Wahrheit nahm, und so blieb auch der Meissner den Staufern getreu. 3 J e enger sich aber dieser dem Kaiser anschloss, um so mehr hat sich natürlich sein Gegner in der thüringischen Erbfolgefrage der Partei der Curie genähert. Am 13. Mai 1247 belehnt Herzog Heinrich als „Landgraf von Thüringen" und Herzog von Brabant, den Grafen Adolf v. Berg mit Schloss W i n d e k e . 3 Dieser Adolf war nun, wie wir schon wissen, einer der eifrigsten Verfechter päpstlicher Interessen tanter den niederrheinischen Fürsten. W i r können daher wohl aus j e n e r Urkunde mit Recht schliessen, dass einerseits die Ansprüche des Brabanters auf Thüringen von der päpstlichen Partei anerkannt wurden, und ferner: dass Heinrich selbst 1 ff. B. VI, 5 3 2 - 5 3 5 . Boczek Cod. dip], Mor. I I I , 78: Marchio Misn. e t c . . . . prefato Fridrico contra deum et eoolesiam assistunt potenter. Dies zeigt dooh ganz deutlich die Parteistellung Heinrichs, und es ist sicher unriohtig, wenn Wegele 52 ff. behauptet, er sei ganz neutral geblieben. • Wauters IV, 496. 2



44



damals schon zu dieser übergetreten war, sonst wäre der Qraf ron Berg wohl nicht sein Lehensmaiin geworden. Kur bei einem mächtigen Gliede der Oppositionspartei konnten die brabantischen Forderungen keinen Beifall erlangen, nämlich bei Siegfried von Mainz; ihn finden wir nach einem Brief des Papstes im Herbst 1247 mit dem Herzoge im Streite liegen, dessen Grund wir wohl nur in Thüringen zu suchen haben: der Erzbiscbof wollte nach Raspes Tode die Gebiete, welche die Landgrafen von der Mainzer Kirche zu Lehen getragen hatten, als heimgefallen einziehen, doch wurde sein Begehr vom Herzog und dessen Gemahlin, als sie den hessischen Teil Thüringens in Besitz nahmen, nicht berücksichtigt, und aus diesem Grunde hat Siegfried auch um jene Zeit den Bann gegen Sofie, das Interdikt über das von ihr eroberte Hessen verhängt. 1 Es war vorauszusehen, dass zugleich mit dem Brabanter auch dessen Yetter, Graf Otto von Geldern sich definitiv der päpstlichen Sache anschliessen würde, zumal Innocenz ihm damals sein hohes Wohlwollen zu erkennen gab. Am 5. Juli nämlich ermahnte er den Bischof von Utrecht, er möge dem Grafen den Erstlingszehnten in dessen Lande, so weit es zu der Utrechter Diöcese gehöre, zu Lehen geben, wegen Ottos aufrichtiger Ergebenheit gegen die römische Kirche. 2 Wie betrieb aber der Legat Peter Capoccio seinen hauptsächlichen AuftragP Wird es nicht manchem wunderbar erschienen sein, dass er, obwohl schon seit März in Deutschland anwesend, wo er ja eine so mächtige Oppositionspartei vorfand^ doch erst nach sechs Monaten einen Gegenkönig aufzustellen vermochte? Namentlich bei der päpstlichen Partei in Italien, wohin ja Innocenz bald nach Raspes Tode von seinen stetigen Fortschritten in Deutschland und der Sendung Capoccios berichtet hatte, 3 mochte die lange Verzögerung 1

Meermann V, nr. 16 u. 20: occasione oujusdam terrae ist der Streit entstanden, womit jedenfalls T h ü r i n g e n gemeint ist. Auch Wanters IV, Introd. p. L vermutet dies als Grund. Dazu Chron. Brford. zu 1262. Fontes II, 411. cf. Wegele p. 12. » Sloet Ürkb. v. Geldern p. 680. * So schrieb er an die Mailänder. Hahn Coli. mon. I, 172. Ähn-

— 45

-

der "Wahl wohl Aufsehen erregen. Es war jedenfalls nötig, dass der Papst die Hoffnung seiner Anhänger aufs Neue belebte: so schrieb er am 2. Juli dem Bischof von Ostia und drei andern Cardinälcn über seine glücklichen Erfolge gegen Friedrich und fügte hinzu: der König von Frankreich versammle ein grosses Heer „der neuen Königswahl in Deutschland wegen". 1 Wir haben schon oben gesehen, wie wenig bei der Freundschaft Friedrichs mit Ludwig IX. an einen Bund zwischen letztcrem und dem Papst, dem er nur persönliche Sicherheit zugesagt, zu denken ist; um wie viel widersinniger erscheint gar die Annahme, Ludwig habe zur Aufstellung eines Gegenkönigs Hilfe leisten wollen, zumal der Wahlvorgang selbst, wie wir sehen werden, nicht den geringsten Anhalt dafür bietet. Allerdings versammelte der französische König damals ein grosses Heer, aber nicht gegen Deutschland sondern zu dein Kreuzzug, den er im nächsten Jahre antrat; diesen Umstand hat Innocenz zu seinem Vorteil benutzt, und — vielleicht dachte er, dass man in Italien mit den Verhältnissen jenseits der Alpen nicht allzu vertraut sei — es wieder einmal mit der Wahrheit nicht so genau genommen. Was war aber der Grund des langen Verzugs P Wir lesen ihn bei Ellenhard, 2 der berichtet, dass der Papst viel Mühe hatte mit der neuen Königswahl, und dass er unter den Fürsten keinen fand, der sich gegen Friedrich und Conrad zum Gegencandidaten hergeben wollte. Es ist demnach nicht zu bezweifeln, dass eine Reihe von Vorverhandlungen der Wahl des neuen Gegenkönigs vorausgegangen sind. Wir werden diesmal getrost der Angabe des Matthaeus Paris liehe Briefe ergingen jedenfalls an Genua „et ceteris fidelibus". Caffari Ann. Genu. ap. Muratori VI, 511. 1 Das Original dieses Briefe« bat nur Pertz eingesehen, in dessen Excerpt (Archiv VII, 31) es lautet: — novi regis eligendi causa, und nicht: quo facilius eligatur, wie Schirrm. Friedr. II., IV, 438 not. 15 meint. So steht (sehr willkürlich) in Huill. Br6h. VI, 551, der die Urkunde doch aus Pertz entnommen hat. Es ist nach jener Fassung kein Zweifel: Innoc. schiebt L. die Absicht der Hilfe zur ESnigswahl unter, was Schirrm. noch in Frage stellt. 2 Ss. XVII, 121.

-

46



Glauben schenken können, 1 dass der Pabst einer ganzen Anzahl Fürsten die Krone vergeblich angeboten habe. Zuerst wird der Graf von Geldern genannt: er habe in Erwägung des kläglichen Todes Heinrich Raspes das Anerbieten abgelehnt. Ebenso der Herzog Heinrich von Brabant, auch ihm fehlte der Mut. Dann sei Graf Richard von Cornwallis* an die Reihe gekommen, weil er klug und reich an Geld und der Bruder des Königs von England war. Auch hier vergeblich. Dann sei der Papst auf Graf Wilhelm von Holland verfallen, der die Krone leichtfertig angenommen habe. Als letzten Candidaten habe Innocenz König Haco von Norwegen in Aussicht genommen; um ihn geneigter zu machen, habe er ihn krönen lassen, doch dieser habe naph der Krönung öffentlich erkläit, er wolle wohl alle Feinde der Kirche, aber nicht des Papstes bekämpfen. — E s ist kein (jiund, diese Nachrichten zu bezweifeln. L a g es nicht auf der Hand, dass Innocenz zunächst seine Blicke nach dem Nieclerrhein richten würde, dorthin, wo sich ein festes Heerlager seiner Partei befand, auf das ein neuer Gegenkönig sich wohl zu stützen vermochte? W o anders konnte er überhaupt weltliche Fürsten seine Anhänger nennen? Das Angebot an den Brabnnter lag ausserdem wohl deshalb nahe, weil er der Schwiegervater Heinrich Raspes gewesen. Und war es ein Wunder, dass die beiden doch ziemlich unbedeutenden Fürsten Furcht hatten vor der Macht Friedrichs? Denn dies war unzweifelhaft das leitende Motiv, wenigstens beim Brabantisciien Herzog, den wir später noch als einen sehr ängstlichen alten l i e n n kennen lernen werden, der vielleicht damals schon altersschwach war: wenige Monate

1 V, 201. W a s sonst noch Ottokar von Hornek (bei Pez 8s. r e r . Austr. I I I , 115) von einer Candidatur des Grafen von Henneberg zu beriohteo weisä, k l i n g t , wie seine ganze Darstellung der Wahl W i l helms, die er g a r bei Frankfurt erfolgen lägst, allzu f a b e l h a f t ; seine Chronik ist j a auch erst Ends dieses Jahrhunderts geschrieben und für die damalige Zeit voll Irrtümer, cf. Lorenz, Geschichtsquellen I , 202. 204. Ebensowenig vermag ich aus der von F i c k e r R e g e s t . W i l h . 4886 e (aus E r b e n R e g . Boh. I , 545) citirten Urkunde zu schliessen, das« der Papst den Henneberger als Candidaten im Auge hatte.

-

47

-

später, im Januar 1248, ereilte ihn der Tod. 1 Ferner ist es ja auch keineswegs eine neue Erscheinung, dass der Papst unter den ausserdeutschen Fürsten seine Gegenkönige gegen die Staufer suchte; hatte er doch 1239 dem Könige Abel von Dänemark den deutschen Thron verschaffen wollen, und danach sogar an die Erhebung eines französischen oder lombardischen Fürsten, vielleicht des Dogen von Venedig, gedacht. 2 Es ist klar, was solche päpstliche Politik bezweckte: jene den deutschen Verhältnissen so fern stehenden Herrscher hätten doch nur den Nainen von Gegenkönigen getragen, in Wahrheit hätte natürlich dann die Curie nach ihrem Belieben in Deutschland schalten und walten können. Übrigens zählte ja auch Graf Richard von Cornwallis zu des Papstes Anhängern, und erlaubto sich, in Gemeinschaft mit diesem, schnöde Gelderpressungen von den Kreuzfahrern. 3 Was endlich das Anerbieten der Krone an König Hako von Norwegen betrifft, so können wir der Angnbe des Mntthaeus um so mehr vertrauen, als er ja selbst im Jahre 1247 von ( Ludwig IX. an den Norweger als Bote mit der Aufforderung zum Kreuzzug geschickt worden ist, und wir ihn auch im folgenden Jahre in Norwegen finden, wo er in persönlichem Verkehr mit Hako gestanden hat. 4 1

cf. die Angabe des allerdings fast 2 J a h r h u n d e r t e späteren E d m u n d von Dynter (f 1448) II, 191: quia propter potentiam Fridrici vix aliquis prineipum regnum assiimere volebat, und danach im Magn. c h r o n . Belg, bei P i s t o r - S t r u v e I i i , 26(>. Chron. reg. Col. 292. Dass die K r o n e dem Brabanter angeboten w u r d e , bezeugt auch der k a u m 90 J a h r s p ä t e r e Melis Stoke eil. H u j d e c o o p e r II, 63. F e r n e r Maerlant Spieg hist. I I I , 43!. Ludw. v. Velthem Spieg. hist. p. 3. 2

cf. Phillips Die Königswahlen bis zur goldnen Bulle in Wien. Sitzungsber. 26, 115 u. Schirrmacher Entstehung des Kurfürstencollegs 62 not. 1. 3 Matth. Par. IV, 577. 635 • IV, 651. 652. V, 36. 42. Doch bleiben immerhin einige Bedenken. Matthaeus hat mit dem Julire 1'250 in seiner Geschichtsschreibung eine Paus« eintreten lassen. Die Nachricht über das vergebliche Ausbietun der Krone findet sich in dem zweiten, j e d e n f a l l s viel s p ä t e r geschriebenen TeiJ seiner Chronik. Hut nun Matth, auf seiner Reise von 1'247 j e n e Mitteilung von König H a k o erhalten, warum berichtet er sie uns nicht im ersten Teile seiner Chronik? Wir müssten



48



Doch Innocenz bedurfte nicht mehr Hakos Zusage, schon war er aus seiner Verlegenheit erlöst worden, indem einer jener Fürsten die Krone annahm, nämlich Wilhelm von Holland. Wie kam man aber auf diesen obscuren Grafen, dessen Land, an der entferntesten Ecke Deutschlands gelegen, noch nie in der Reichsgeschichte eine Rolle gespielt, hatte, ebensowenig wie seine Vorfahren, und dessen Namen man sicherlich bisher kaum gehört hatte? Durch das Übereinstimmen mehrerer Quellen ist klar, dass Herzog Heinrich von Brabant, der Oheim Wilhelms, den Grafen für den Königstron empfohlen h a t : 1 einen schlechten Liebesdienst erwies er jedenfalls seinem Neffen, dass er ihn auf den gefährlichen Posten bringen wollte, den er selbst einzunehmen sich augenscheinlich fürchtete. Dachte er etwa, dass der Holländer nicht so viel zu verlieren habe wie er? Der Papst hat natürlich mit Freuden die Idee des Brabanters ergriffen; konnte er sich doch kaum einen geeigneteren Candidatcn wünschen, denn ihn empfahl seine Ohnmacht ebenso sehr wie die Abgeschieden-, heit seiues Landes, von dem aus er unmöglich das gesanimte Reich überschauen und leiten konnte: beides Umstände, die die Curie zu der Hoffnung berechtigten, dass sie um so freiere dann wohl annehmen, dass U. die 8ache auf einer späteren Reise gehört, oder dass König Hako ihm für die nächsten Jahre Schweigen auferlegt hat. Bedenklich erscheint mir aber auch, dass der K3nig „sub magni iuramenti attestatione" dem M die Sache versichert haben soll. Dagegen ist os wohl ein leicht'verzeihliches Versehen, dass M. den Grafen von Geldern Heinrich nennt statt Otto, indem er ihn wahrscheinlich mit seinem Bruder, Bischof Heinrich von Lattich, verwechselt. — Irrig ist jedenfalls die Annahme Burkhardts Koor. v. H. p. 20, not. 2 8 : Innocqnz habe, die Wahl Wilhelms von Holland bereuend, n a c h derselben Unterhandlungen mit Hako angeknüpft, weil die erwähnte Krönung, welcher jene Erklärung di>s Königs sicher unmittelbar folgte, sohon am 29. Juli stattfand (p. 690). Ich meine, dass Innocenz mit mehreren Fürsten zu gleicher Zeit wegen Übernahme der Krone unterhandelt haben mag. Vielleicht sab er die Erfolglosigkeit voraus? 1 Nach Chron. Ellenh. Ss. X V I I , 121. Helis Stoke 1. c. Edmund •. Dynter und danach Magn. chron. belg. 1. c. Maerlant u. Velthem 1. o. F e r n e r : J a n de Clerk Brab. Gesten I, 389, und danach in der Chronik von Brabant Cod. dipl. Neerl. VI, 61.

-

49



Hand in Deutschland haben würde. Die Krone ward Wilhelm angeboten, der sie auch annahm. Ein neues Land, ein neues Fürstengeschlecht tritt plötzlich in den Kreis der deutschen Reichsgeschichte ein; es sei uns vergönnt, den grossen Parteikampf auf kurze Zeit zu verlassen, und der Vergangenheit dieses Landes und namentlich des Fürsten, der beinahe durch Zufall auf den- deutschen Thron gelangte, einige Betrachtungen zu widmen.

4

§ 4. DIE VORGESCHICHTE WILHELMS VON HOLLAND. Unter der Zahl der Grafen, 1 welche seit der karolingischen Gaueinteilung im Mündungsgebiet von Scheide, Maas und Rhein geboten, erhob sich seit Anfang des 10. Jahrhunderts allmälich ein Geschlecht zu grösserer Macht, welches durch Schenkungen französischer Könige und deutscher Kaiser bereichert, stets mehr und mehr Grafschaften unter seinem Scepter zu vereinigen und, begünstigt durch die abgeschiedene Lage seines Besitzes, die Erblichkeit desselben von Sohn zu Sohn ungestört durchzusetzen wusste: erst im 11. Jahrhundert tritt für diese Herrscher der Name „Grafen von Holland" auf. Die teils fränkischen, teils sächsischen, teils friesischen Küstengebiete, die ihre Bewohner schon im Mittelalter, wie heut, nur durch Deichbau und Kanalisation vor Überflutung und Versumpfung zu schützen vermochten, 2 bildeten einen 1

Das Folgende meist nach Meerman Geschiedenis van Graf W. v. Holland p. 1 ff. Wenzelburger Gesch. der Niedert. Campen Gesch. der Niederl. Vergl. auch die treffliche Einleitung zu Löher Jacobea v. Bayern. 2 Das 13. Jahrhundert ist bekanntlich die interessanteste Zeit hingiohtlich der Veränderungen in der Bodengestalt von Holland: erfolgte doch damals der Durchbruch des Zuidersees. Auch aus dem holländischen Urkundenbuch von Bergh ergeben sich selbst bei flüchtiger Durchsicht der Urkunden unserer Epoche interessante Einzelheiten für die physikalische Geschichte wie für die Bodenkultur Hollands. Wir hören mehrfach von gewaltigen Überflutungen, gegen die nur die sorgfältige Unterhaltung der Deiche zu schützen vermag: Bergh I, Nr. 269. 362. 376. 227. Wir hören aber auch von Anschwem-



51

-

Teil des Herzogtums Lothringen, mit welchem sie im 9. und 10. Jahrhundert abwechselnd bald zu Deutschland bald zu Frankreich gehörten; j a die Grafen von Holland waren ursprünglich französische Lehnsleute gewesen, und erst im J a h r e 9 8 0 — als König Lothar an Kaiser Otto I I . Lothringen abtreten musste — kamen sie definitiv unter deutsche Oberhoheit. Doch während des ganzen Mittelalters und namentlich seit Beginn der Auflösung des R e i c h e s , ist der Lehnsverband zwischen Holland und Deutschland nur äusserst lose gewesen, und der neueste Bearbeiter holländischer Geschichte, Wenzelburger, glaubt sogar die Zusammengehörigkeit beider verwerfen zu können. 1 Nur in den früheren Jahrhunderten des Mittelalters sehen wir die deutschen Kaiser bisweilen ihre oberlehnsherrlichen Rechte zur Geltung bringen: zweimal bewog sie im 11. Jahrhundert der Trotz holländischer Grafen zu energischen Massregeln. Heinrich I I . entsandte 1018 ein Heer unter Herzog Gottfried von Lothringen gegen den widerspenstigen Grafen Dietrich I I I . von Holland, doch mit blutigen Köpfen wies es die Tapferkeit der Friesen zurück; und selbst Heinrichs I I I . Feldzug im Jahre 1046, der mit Glück begonnen war, endete doch zuletzt mit einer Niederlage. Erst anderthalb Jahrhunderte später treten die Grafen von Holland wieder in der Reichsgeschichte auf: in den Parteikämpfen der Staufer und Wolfen zu Anfang des 13. J a h r hunderts, als auch Frankreich und England in den Kampf hineingezogen waren, sah sich das Mittelland Holland genötigt, ebenfalls Partei zu nehmen; Wilhelm I . entschied sich für die englische Sache und geriet in der Schlacht bei Bouvines in die Gefangenschaft Philipp Augusts, aus der ihn nur ein hohes Lösegeld befreite. Mit dem Siege Friedrichs I I . schloss er sich diesem an. Im J a h r e 1219 sehen

mung neuen Landes durch da» M e e r , cf. 414. 4 4 1 , von mühevoller Umwandlung des Sumpflandes in Culturland Nr. 388. 4 3 6 , ferner von der Gefahr des landeinwärts wandernden Dünensandes, den man schon strebte. damals durch Anpflanzung von Strauchwerk aufzuhalten Nr. 415 cf. Wenzelburger I, 77 ff. 1

I , 143.



-

52



wir, auf einem Hoftage Friedrichs II. zu Frankfurt, den Grafen als „Marschall des Reiches" eine Urkunde unterzeichnen, im folgenden Jahre werden ihm die flandrischen Reichslehen, die der Kaiser wegen nicht eingeholter Belehnung an den Grafen von Holland verliehen, von jenem wiederum entzogen, und König Heinrich (VII.) hat zwei Jahre später diese Massregel seinerseits bekräftigt. 1 Von nun an bis zur Erhebung König Wilhelms schweigt die Reichsgeschichte gänzlich von den holländischen Grafen. Sie waren von jeher mehr für ihr Privatinteresse thätig gewesen. Während sie im Korden die Landesgrenze immer weiter gegen Friesland vorschoben, mussten sie sich im Süden gegen das Überhandnehmen des Einflusses der Grafen von Flandern schützen; die Beziehungen zu diesen spielen wohl die bedeutendste Rolle in der mittelalterlichen Geschichte Hollands. 2 Bei allen Zwistigkeiten, bei allen Verträgen zwischen beiden Herrschern, handelte es sich fast ausschliesslich um die südwestliche Hälfte der Provinz Seeland, bestehend aus den fünf Inseln: Walchern, Nord- und Süd-Beveland, Borsselen, Wolfhartsdyk und einem Teil der vier Ambachten. 3 Während das nordöstliche Seeland zwischen Oosterschelde und Bornisse unbestrittenes Eigentum der holländischen Grafen war, besassen jenen Teil die Grafen von Flandern als deutsches Reichslehen, das sie ihrerseits an Holland weiter verliehen hatten; jedoch beanspruchten sie hieri Bergh I, 232. 265. 273. 274. * Zum folgenden vergl. Elnit Hist. Grit, comit. Hol). I, 2, p. 100 —394 und Sattler Die flandrisch-holländischen Verwickelungen. * Die Urkunden geben „zwischen Scheide und Heddensee" als Begrfinzung und darnach auch Sattler. Aber er hätte doch wenigstens sagen müssen, was unter „Heddensee", ein Name, der heut nicht mehr exiatirt, zu verstehen ist; da er nur jene ö Inseln unter West-Seeland begreift, so muss er wohl die Westernheide darunter meinen, wag doch aber Kluit, der I, 2 p. 102—170 die Grenzen West-Seelands zu bestimmen suoht, genügend widerlegt hat. Nach ihm ist es der Meerbasen von Sluis (Zwin), der früher eine viel weitere Öffnung hatte; Sluit hat nachgewiesen, dass noch im 13. Jahrhundert hier die Hauptmündung der Westerschelde war, während die jetzige Westerschelde nur in einem schmalen Nebenarm bestand, der Walchern und die Offioia



53



bei mehr Rechte als die der Oberlehnsherm: es sollte eine Gemeinsamkeit des Besitzes stattfinden. Darauf ist schon hingedeutet im Vertrage von Heddensee vom Jahre 1168, der Grundlage aller Beziehungen zwischen Holland und Flandern; zwar enthält dieser noch nichts über eine etwaige gemeinsame Regierung, wohl aber setzt er eine Teilung der Einkünfte von West-Seeland fest. 1 Es war eine ganz natürliche Folge dieser Bestimmung, dass die Grafen von Holland in der Erteilung von Abgabenfreiheit an die Zustimmung der flandrischen gebunden waren, was Sattler durch Heranziehung von Urkunden zur Genüge bewiesen h a t ; weniger einleuchtend ist sein Nachweis, dass sie in der Zollgesetzgebung — wie wäre das auch mit dem Vertrage vereinbar? — völlig freie Hand hatten. 2 Schwer lastete jedenfalls auf den holländischen Grafen der flandrische Druck in Seeland, dem sich zu entziehen wir sie oft genug bemüht sehen; aber trotzdem wurde, wie Sattler ausgeführt h a t , der Anteil Flanderns an der Ausübung der Grafenrechte allmälich immer grösser, bis wir schliesslich im Jahre 1226 die Gemeinsamkeit des Besitzes direkt ausgesprochen finden. Im folgenden Jahre wurde das Verhältnis zwischen beiden Staaten aufs Neue durch einen Vertrag geregelt. s Floris IV. erkannte am 16. April 1227 gegenüber dem Grafen Ferdinand von Flandern

wenig trennte. Darnach umfagste West-Seeland doch noch ein Stück der heutigen 4 Ambachten! Dass mehr dazu gehörte als die 5 Inseln beweist übrigens deutlich die Urkunde der beiden Aveanes vom Jan. 1249, nach der sie als Teile der Grafschaft beansprucht haben: Walchern, Nord- und Süd-Beveland, Borsselen — et t o u t e s l e s l i e s de Zelnnde et les appartenances. Bergh 447. 1 Bergh Nr. 147. Es ist jedenfalls eine einseitig flandrische Auffassung, wenn das Chron. Hannon. dict. Bald. Avean. 8s. X X V , 460 die Grafen von Holland nur zu Castellanen der flandrischen Grafen in Seeland macht, die den dritten Teil der Strafgelder erhielten. 2 In den beiden von ihm angeführten Urkunden Bergh 170 u. 171 ist doch gar keine Beziehung auf Seeland enthalten. Der Graf erteilt zwei Klöstern Zollfreiheit durch sein ganzes Land; zunächst ist die Frage, ob Seeland mit eingeschlossen war und dann: ob in West-Seeland überhaupt Zoll erhoben wurde. 3 Bergh 298. 305.

-

54

-

alle Rechte, welche die beiderseitigen Vorfahren in Seeland gemeinsam besessen hätten, an, und leistete ihm ausserdem den Lehnseid. Welches waren aber diese Rechte? Wurde die gesammte administrative und jurisdictionelle Gewalt geteilt und in welcher Weise geschah es? Nichts ist uns davon überliefert; die Competenz der beiderseitigen Castellane für Seeland, die wir schon 1217 finden,' und die wohl auch nach dem Vertrage beibehalten wurden, ist uns leider unbekannt. Jedenfalls sehen wir aber Graf Floris IV. nach wie vor 1227 ziemlich ungebunden in Seeland auftreten: im April 1231 (oder 32) schenkt er ein Stück Land frei von seiner Bede an die Abtei Mittelburg, 1231 gesteht er als „comes Hollandiae et Zeelandiae" der flandrischen Abtei ter Does für ihre west-seeländischen Güter, die unter seiner Herrschaft stehen, völlige Steuerfreiheit zu, 1283 übt er das Schiedsrichteramt zwischen der Stadt Mittelburg und dem dortigen A b t : und alles dies geschieht ohne Mitwirkung oder Bestätigung durch den Grafen von Flandern oder seinen Justitiar. Floris handelte sicherlich nicht vertragsmässig2 und doch blieb der Frieden ungestört; erst unter seinem Sohne Wilhelm I I . , der die freiheitliche Politik seines Vaters fort* setzte, brach der Kampf mit Flandern aus. Auch von den Herzogen von Brabant standen die holländischen Grafen in Lehnsabhängigkeit: im Vertrage vom 3. November 1200 hatten sie Süd-Holland mit Dortrecht von jenen zu Lehen genommen. 3 Zwar standen sich noch zwei Mal nach diesem Vertrage beide Herrscher feindselig gegenüber, doch noch unter Wilhelms I. Regierung wurden durch Heiratsverbindungen friedliche Beziehungen angebahnt: der 1 Ibid. 261 ertr.: hano legem juraverunt Johanna comitissa Plandriae Willi. Holl, comes et e o r u m c a s t e l l a n i de S e l a n d i a . 1 Bergh 329. 334. 343. Durch das Erteilen von Abgabenfreiheit verstiess doch Floris offenbar gegen den Vertrag von Heddensee 1 Sattler berichtet nichts von diesen selbständigen Verfügungen Floris I V . in seeländischen Dingen, und doch hätten sie ihm ins Auge falleil müssen, da er j a die vertragsmässige Machtspliäre der holländischen Grafen in Seeland als sehr gering annimmt, 9 Bergh J83,



55



holländische Graf heiratete in zweiter Ehe Maria, eine Tochter Heinrichs von Brabant und sein junger Sohn Floris wurde mit Mathilde, einer jüngeren Tochter des Herzogs, verlobt. In ähnlicher Weise war auch der Frieden mit den Grafen von Geldern, nach vielen vorausgegangenen Fehden, erlangt worden: Wilhelms erste Gemahlin war eine geldernsche Prinzessin gewesen, und ausserdem waren das brabantische und geldernsche Fürstenbaus ebenfalls nahe mit einander verwandt. — Endlich wurde auch die Stellung zum Bistum Utrecht, mit dem die holländischen Grafen Jahrhunderte hindurch, zumeist wegen der Herrschaft über Friesland — auch hier war eine Gemeinsamkeit des Besitzes festgestellt worden — in arger Fehde gelebt hatten, in eine friedliche verwandelt, seitdem im Jahre 1233 Bischof Otto III., der Bruder Floris IV., den Stuhl bestiegen hatte. So herrschte im dritten und vierten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts die grösste Eintracht unter den niederländischen Fürsten, und dies war jedenfalls ein Glück für Holland, als am 28. Juli 1234 Graf Floris IY. im Tournier zu Corbie einen unerwartet frühen Tod gefunden hatte, und mit seinem Sohn Wilhelm II. ein unmündiges Kind von 6 oder 7 Jahren zur Regierung gelangte. 1 1

Chron. reg. Col. p. 266 Ann. Stad. Ss. X V I , 362. Ausführlich handelt über den Tod Floris IV. Meli* Stoke I I , p. 49—56 Beka ed. Büchel 75. 76. Philipp Muskes ed. Reififenberg 644. cf. Kronijk van liet histor. Gezelschap te Utrecht II, 211—218 und van Wijn in W a g e naar Vaderl. Historie I I , Bijvoegsels 113. Das Datum des Todes ist nach Wilhelm, procur. in Matth, vet. aevi analecta II, 501, was mir der Angabe des sonst zuverlässigeren Beka vorzuziehen scheint. Dieser nennt den 19. Juli, aber wenn erst am 27. Mai (nach Schumacher Die Stedinger p. 242) die Schlacht gegen die Stedinger, an der sich Floris beteiligte, stattfand, so ist der 19. Juli sicher zu früh. Ganz unhaltbar ist die Ansicht Huydekoper's in Anm. zu Melis Stoke II, 51 und Meermans I, Ö, dass der Tod erst 1235 stattfand. Haben wir doch schon vom 1. April 1235 eine Urkunde des Vormunds Wilhelm. — Nach Melis Stoke II, 119 war W. bei seiner Wahl 20 Jahre a l t , nach Beka 1, c. 19 J., nach Matth. Paris IV, 640: circiter viginti annos, nach Velthem Spieg. hist. 4: 21 J. Also ist wohl 1227 sein Geburtsjahr. Nach Ficker Reg. Wilh. 4885 b u. d ist als spätester Termin für Wilhelms Geburt Februar 1228 anzusetzen.



56



Campen sagt in seiner Geschichte der Niederlande: 1 Die Geschichte schweigt von Wilhelm II. bis zu seiner Bewerbung um die deutsche Königskrone; es ist in der That während dieser ganzen Zeit kaum ein Ereignis von allgemeinerem Interesse zu verzeichnen, und doch verdient dieser Abschnitt Beachtung, denn wir finden hier schon die Keime von Wilhelms späterer Politik gegen Flandern und gegen die Städte. Nach dem ausdrücklichen Zeugnis Bekas, dem der spätere Heda gefolgt ist, übernahm Bischof Otto von Utrecht, der Oheim Wilhelms, die vormundschaftliche Regierung. 2 E r war, bevor er das geistliche Kleid anzog, ein kriegslustiger Bittersmann gewesen, den sein Bruder Floris I V . zum Statthalter dea östlichen Frieslands ernannt hatte; auch jetzt benutzte er seine Machtstellung nur dazu, die holländische Streitmacht gegen die Erbfeinde der Bischöfe von Utrecht, 3 .die kriegerischen Bewohner der Landschaft Drenthe, zu Felde zu führen; er eroberte ihre Hauptfeste Covorden und zwang sie zum Gehorsam. Doch eine andere, gleichzeitige Quelle nennt Wilhelm, den Bruder des Bischofs, als Vormund, und Urkunden, in denen er als „Tutor Hollandiae" auftritt, bestätigen dies; offenbar hat ihm Otto von Utrecht die Verwaltung der innern Verhältnisse überlassen, wobei er aber, wie es scheint, an einen Rat holländischer Grossen gebunden war. 4 — Gräfin Johanna von Flandern hielt den jetzigen Moment für günstig zu einem Versuche, ihren Einfluss in Seeland zu vergrössern. Unmittelbar, wie es scheint, nach I, 115. Beka 75. Heda ibid. 205. 206. * Gesta abbat hoiti s. Mariae 3g. X X I I I , 582: Trentones episcoporum inimici exstiterant capitales. * Ibid. 595. Bergh I , 853. 357. 361. Schon Meeiman I, nimmt jenen Rat a n , auf Grund der Urkunde 'Wilhelms vom 8. 1137: Bergh 361; es ist auffällig, dass die hier genannten Edeln, dooh nicht Aussteller der Urkunde sind, ihr Siegel anhängen. stätigt wird die Annahme durch Bergh 353. Allerdings Nr. 367 kundet der Vogt ganz selbständig. 1

qui 118 Jan. die Beur-

-

57 —

Floris IY. Tode übertrug sie dessen Wittwe Mathilde die vormundschaftliche Regierung in Westseeland. Offenbar zog sie es vor, mit einer Frau, die ganz im religiösen Leben aufging 1 und mit der sie wahrscheinlich befreundet war, die Herrschaft zu teilen, als mit dem kriegerischen Bischof von Utrecht oder dessen Bruder, die das holländische Interesse wohl besser vertreten hätten. Denn diese bestritten höchst wahrscheinlich die seeländischen Ansprüche Flanderns: im Namen der Söhne Floris IV. legten sie Protest gegen jene Übertragung ein; nur so glaube ich nämlich den Zwist zwischen den Kindern und ihrer Mutter auffassen zu dürfen, der uns aus dem Jahre 1235 berichtet wird. 2 Mathilde beklagte sich überdies, aus dem von ihrem Oemahl für sie bestimmten Heiratsgut verdrängt worden zu sein. Wahrscheinlich sind nun von beiden Seiten Vertrauensmänner ernannt worden, die Vorschläge zur Beilegung des Streites machen sollten; Graf Theodorich von Cleve, ein Verwandter des holländischen Grafephauses, der in jenem Tournier 1234 als Bächer Floris IV. aufgetreten w a r , 3 brachte am 27. Mai 1235 als Anwalt der Kinder folgenden Ausgleichs-Entwurf vor: Gräfin Mathilde solle unverzüglich ohne Schädigung in ihr Heiratsgut eingesetzt werden, dagegen auf die vormundschaftliche Regierung über Seeland freiwillig verzichten, wofür ihr eine Geldentschädigung zu leisten sei. — Es ist manches merkwürdig an diesem Vertrags-Vorschlag. Wir sehen eine ganze Anzahl niederrheinischer Fürsten in den holländischen Streit sich einmischen, und der Herzog von Limburg, mit dem Holland kaum jemals vorher in Beziehung 1

et'. Beka 76. Sie stiftete das Kloster Loosduin und stattete es reich aus. Auch in s' Gravezande gründete sie eine Kirche. Bergh 368. Überhaupt dotirten die holländischen Fürstinnen freigiebig die Landeskirchen. cf. Bergh 365. 369. 385. 398. 409. II. Anhang 17. 18. 2 Bergh 355. Somit bin ich grade der entgegengesetzten Ansicht als Sattler, der in dieser Urkunde eine Anerkennung flandrischer Hechte auf Westseeland seitens Holland sehen will, denn die Stellung der vormundschaftlichen Regierung ist doch massgebend, nicht die der Gräfin Mathilde. Übrigens ist die Urkunde bisher in keiner der mir bekannten Darstellungen holländischer Geschichte verwertet. 3 Meli* Stoke und Beka 1. c.



58



gestanden, tritt plötzlich als Vollstrecker des Ausgleichs auf. Eben diese Erscheinung, dass bei Streit in Nieder-Lothringen fast sämmtliche unbeteiligten Fürsten zur Schlichtung zusammentreten , finden wir übrigens später noch öfters sich wiederholen. 1 An den Sohn des Herzogs von Brabant soll ein Bussgeld bei Nichteinhaltung gezahlt werden: geschah es etwa deshalb, weil Mathilde eine brabantische Prinzessin war? Ganz im Hintergrunde macht sich der Einfluss, den das mächtige Köln am Niederrhein ausübte, bemerkbar: es ist zum Aufbewahrungsort der Bürgen ausersehen und zugleich Ausstellungsort der Urkunde. — W i r haben keine Nachricht, ob dieser V e r t r a g , der j a übrigens nur provisorische Geltung, bis zum Eintreten der Mündigkeit der Kinder haben sollte, wirklich zur Ausführung gelangte: von 1235—38 ist wiederum eine Lücke in der holländischen Geschichte. Der Dienst, den der Graf von Cleve den unmündigen Kindern oder deren Vormundschaft erwies, blieb nicht ohne Vergeltung. Als Anfang Februar 1238 Graf Theodorich einen Einfall in das Gebiet des Kölner Erzbischofs unternahm, leistete i h m , so berichtet der Kölner M ö n c h , 2 der Graf von Holland — d. h. jedenfalls die vormundschaftliche Regierung — mit einer Flotte Unterstützung; das Castell Aspel bei Rees wurde von ihnen genommen und zerstört. Der Erzbischof eilte schnell mit einem Heere heran, doch es kam zu keinem Kampf: Graf Otto von Geldern trat als Vermittler dazwischen, und auf seine Bitte liess sich Erzbischof Heinrich zu einem Vertrag mit dem Grafen von Cleve herbei, in welchem dieser entsprechende Entschädigung zur Wiederherstellung des Castells und zur Genugthuung des Kölners leistete. Von einem Vergleich des Erzbischofs und des holländischen Grafen ist uns nichts überliefert, doch finden wir nicht die geringste Spur eines nachherigen Zwistes

1 So z. B. 1244 J u l i 20. cf. Butkens Trophées de Brabant 1, preuves 87 und 1247 J u n i 15 beim Streit zwischen der Gräfin von Lim-

burg und ihrem Sohn. Kremer Akad. B e i l r . zur J ü l . Berg. Gesch. I I I , Urk. p. 94. 4 Chron. reg. 272.

-

59



zwischen beiden; es war wohl das erste und bis auf die späteren Zeiten König Wilhelms das letzte Mal, dass sich beide feindlich gegenüberstanden. Den Vogt Wilhelm von Holland ereilte bald dasselbe Schicksal wie seinen Bruder Floris I V ; noch im Jahre 1238 starb er an den Folgen eines zu Neuss abgehaltenen Tourniers. 1 Der Geschichtschieiber des Klosters Marieengaarde bei Leuwarden erzählt, dass nun einige holländische Edle die Fürsorge für die unmündigen Kinder übernahmen, und zu diesen haben wir, wie wohl aus der Urkunde vom 10. März 1241 hervorgeht, 2 Graf Balduin von Bentheim, einen Verwandten der holländischen Grafenfamilie zu rechnen; aber auch der Bischof von Utrecht, Gräfin Mathilde und Heinrich von V o r n e , Castellan von Seeland, sind jedenfalls nicht ohne Einfluss auf die Regierung gewesen, was wir wohl daraus schliessen können, dass Wilhelm in seiner ersten Urkunde, die er am 22. Februar 1240 ausstellt, sich in Ermangelung eines eigenen Siegels der ihrigen bedient. Wilhelm ist damals offenbar schon für mündig erklärt und hat wenigstens nominell die Regierung übernommen. Massgebend für seinen Regierungsantritt war zweifellos, wie Ficker betont, der Eintritt der Lehnsmündigkeit, die nach den Rechtsbestimmungen des Sachsenspiegels mit vollendetem 12. Jahre erfolgte. Doch die Einwirkung seiner Mutter Mathilde ist auch fernerhin unverkennbar. 8 An den Fehden der niederrheinischen Fürsten zu Anfang der 4 0 e r J a h r e hat der Graf von Holland, soweit uns

1 Gesta abbat, horti s. Mariae Ss. X X I I I , 595. Philipp Muskäs 645. Dieser 'Wilhelm ist auch gemeint in Annal. Stad. X V I , 361, was Lappenberg Anm. nicht erkannt hat. 2 Bergh. 378. Wilhelm spielt hier eine grosse Nebenrolle und sein Name ist nur, um der Sache grösseres Gewicht zu verleihen, hinzugefügt. Doch möchte ich nicht, wie Meermann I , 123 will, auf eine alleinige Vormundschaft des Grafen von B. schliessen. 3 Bergh 372. Ficker Regest. Wilh. nr. 4885 d. Mit eignem Siegel urkundet W. zuerst 10. März 1241 Bergh 3 7 8 , mit seiner Mutter gemeinsam Mai 1242 Bergh 385. August 1242 fügt Mathilde ihr Siegel bei, ohne Ausstellerin zu sein. Cartulaire de l'abbaie de Cambron I, 434.

-

60

-

überliefert ist, keinen Anteil genommen; die innern Verhältnisse seines Landes haben ihn fast ausschliesslich beschäftigt, und für diese sehen wir ihn — ob aus eigener Initiative ist bei seinem jugendlichen Alter sehr zweifelhaft — in kluger Weise Sorge tragen. Am 15. Juli 1242 schloss er zu Löwen mit seinem Oheim, Herzog Heinrich von Brabant, zur Unterdrückung des Raubwesens in Holland und Brabant einen Vertrag, der zugleich auf sehr nahe Beziehungen zwischen beiden Fürsten und ihren Ländern hinweist. 1 Und während wir einerseits den Grafen um die Hebung der Bodenkultur Hollands bemüht finden, indem er durch Erbauung von Dämmen neues Ackerland dem Meere abgewann, 2 traf er anderseits auch zur. Belebung des holländischen Handels geeignete Massregeln, und wusste zugleich die Lage seines Landes, das als Zwischenland für den Verkehr der emporblühenden deutschen Seestädte mit dem schon damals sehr gewerbtätigen Flandern von grosser Bedeutung war, richtig zu würdigen und auszunutzen: am 17. August 1243 verkündete er, dass die Hamburger und Lübecker Kaufleute unter sicherem Oeleit sein Land passiren sollten, legte ihnen aber zugleich einen nicht unbeträchtlichen Durchgangszoll bei Gervliet auf; zwei Jahre später, am 1. Juli 1245, nahm er aufs neue die Kaufleute von Lübeck, diesmal ohne Zollzwang, in seinen Schutz. 3 In engem Zusammenhang mit diesem Bestreben, Handel unh Wohlstand zu heben, steht eine andere Seite von Wilhelms innerer Politik, die als besonders verdienstlich hervorzuheben ist: nämlich sein Verhalten gegen die holländischen Städte. Diese gehörten sämmtlich zur Klasse der fürstlichen Territorial-Städte; nicht unter dem Schutze des Krummstabs oder einer königlichen Pfalz erwachsen, sondern auf landes1

Jan de Clerk I, cod. dipl. Nr. 4*2. Bergh 388. Der Bischof von Utrecht nimmt für sich das Recht in Anspruch, in den dem Meere, Sümpfen und Wäldern abgewonnenen Landstrichen Kirchen und Parochien einzurichten, oder die Bewohner andern Parochien zuzuweisen, — jedenfalls ein Zeichen, dass die Culturarbeit rüstig vorwärts schritt. 2

3 Bergh 397. 410.



61



herrlichem Boden, zumeist durch fürstlichen Willensakt aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten begründet, haben diese Städte einen langsameren und ruhigeren Entwicklungsgang durchlaufen als die bischöflichen. Während nämlich seit Beginn des 13. Jahrhunderts Bischöfe und Bürger in erbitterten Kampf um das Stadtregiment zu geraten pflegten, blieb zwischen den Landesherrn und ihren Gemeinwesen in der Regel ein friedliches Yerhältnis erhalten. Doch musste naturgemäss auch hier mit dem Aufblühen des Handels und der Gewerbe das Selbstgefühl der Bürger mächtig erwachen, auch hier begehrte man nach dem Beispiel der Bischofsstädte eigene Verwaltung und Justiz. Die Fürsten, die ja natürlich am materiellen Gedeihen ihrer Schöpfungen nicht geringen Anteil hatten, gewährten meist gutwillig diese Forderungen, j a sie erteilten nicht selten sogar aus eigenem Antrieb städtische Freiheiten. Graf Wilhelm hatte gezeigt, dass ihm die Förderung des holländischen Handels am Herzen lag: er musste darum auch die Träger desselben, die Städte begünstigen. Bisher waren es nur einige wenige seeländische Gemeinden gewesen, an die Wilhelm I. und Floris IY. Privilegien erteilt hatten; 1 Wilhelm II. gab sie nun auch den holländischen. Wir erhalten durch diese sogenannten Handfesten, die aus den Jahren 1245 und 46 für Haarlem, Delft und 's Gravezande uns überliefert sind, einen interessanten Einblick in die Verfassung und das Rechtsleben dieser Städte. 2 An der Spitze derselben steht ein Schöffencolleg, welches nicht nur Civil- und Criminalgerichtsbarkeit ohne irgend welche Appellation auszuüben hat, sondern auch, wie wenigstens im Privileg für Haarlem ausdrücklich betont wird, mit gesetzgebender Gewalt bekleidet ist; doch ist es in jedem Falle an die Mitwirkung des gräflichen Beamten in der Stadt, des Schultheissen, gebunden. 3 Diesem steht wesentlich die Executive zu: kraft

» B e r g h 261. 279. 284. 2 B e r g h 412. 413. 418. 421. 3 "Wir finden in der Haarlemer Urkunde 3 Namen für ihn: acultetue, judex, villicus; dass wir unter denselben nur e i n on Beamten zu verstehen haben, scheint mir aus der fast gleichlautenden Urkunde für

-

62



der ihm vom Grafen übertragenen Machtbefugnis vollzieht er die Beschlösse der Schöffen, handhabt die Polizei, gebietet bei Streit den gräflichen Frieden. Neben ihm finden wir in Haarlem und Delft noch einen zweiten gräflichen Beamten, den Justitiarius, der ebenfalls Polizeigewalt, in Gemeinschaft mit den Schöffen, auszuüben hat; trotz der nur spärlichen Andeutungen über seine Gompetenz, glaube ich schliessen zu dürfen, dass er eine weitere Machtsphäre besass als der Schultheiss und wahrscheinlich dem flandrischen Bailli gleichzustellen ist. 1 Es treten uns also in Haarlem und Delft dieselben Behörden entgegen, die sich nach Warnkönig fast in allen flandrischen Städten finden: Bailli, Schultheiss und Delft hervorzugehen. Es lässt sich kaum annehmen, dass hier eine abweichende städtische Entwickelung stattgefunden hat, und hier finden wir an Stelle jener 3 Bezeichnungen den einzigen Namen: villicus. Dass scultetus und judex gleichbedeutend gebraucht werden, ist picht auffallend, der Schultheiss war eben der städtische Richter. Aber auch scultetus und yillicus erscheinen oft gleichwertig. Es weist uns dies auf jene Entwickelung hin die Heusler Ursprung der Städteverfassung 83 ff. f ü r die Bischofsstädte nachgewiesen hat: dass sich nämlich hier das Amt des volksrechtlichen altfränkischen Centenars und des hofrechtlichen Heiers oder villicus zu dem des städtischen Schultheiss vereinigte, der in Deutschland teils scultetus teils villicus hiess. Ziehen wir die benachbarten flandrischen Städte zum Vergleich heran, so finden wir, dass sich hier (nach Warnkönig Flandr. Rechtsgesch. I, 305 ff.) bei Verschmelzung der freien und unfreien Gemeinde der hofrechtliche villicus in den städtischen Schultheiss umgewandelt hat. Es liegt die Vermutung nahe, dass wir es auch in Holland mit demselben Vorgang zu tun haben. 1 Während in der Urkunde für Delft statt des Haarlcmer scultetus, villicus und judex durchweg der einzige Name villicus gesetzt ist, ist doch die Benennung justitiarius an denselben Stellen, wo sie sich in der Haarlemer Handfeste findet, beibehalten. Darum ist wohl ein besondres Amt des Justitiars für beide Städte abzutrennen. Dass übrigens Justitiarius gleich ballivus zu fassen und dies Amt von dem des Schultheissen zu scheiden ist, geht auch aus einer Urkunde Wilhelms I I . hervor Bergh 404: omnibus scultetis e t j u s t i t i a r i i s s i v e b a l l i v i s . Dieselbe Trennung beweist des Königs Urkunde vom 26. März 1248 bei Winkelmann Act. sei. saec. XIII Nr. 517. Auch die flandrischen Baillis führten ursprünglich den Nomen: justitiarii. cf. Warnköuig I, 299.



63

-

SchöffeD. 1 Durch reichliche Erteilung von Privilegien, wie Zollfreiheit im ganzen Gebiete des Grafen und freiem Einzugsrecht, wurde der Grund zu einer gedeihlichen Fortentwickelung namentlich des Handels der Städte gelegt. Endlich wurden die rechtlichen Verhältnisse in umfassender Weise geordnet; über Strafrecht, Strafprocess, Erbrecht existiren die ausführlichsten Bestimmungen, welche selbst bei oberflächlicher Durchsicht vielfach an das alte Recht des Frankenreichs erinnern. 2 W a s uns an diesen Handfesten aber am meisten interessirt, das ist der Aufschluss, den wir über Wilhelms politischen Charakter erhalten: er zeigte von vornherein sich als Freund der Städte, er besass Verständnis für die demokratische Bewegung des 13. Jahrhunderts, die eine so grossartige Zukunft haben sollte. Fast scheint es, als ob Graf Wilhelm mit äusserer Politik sich gar nicht befasst habe; jedenfalls sind die Beziehungen Hollands zu seinen Nachbarländern auch in den 40er Jahren so friedlich geblieben wie früher. Nur mit Flandern waren wegen des gemeinsamen Besitzes von West-Seeland die Berührungen unvermeidlich: Wilhelm musste notgedrungen in dieser Frage Stellung nehmen. Wir sahen Floris I V . in seiner letzten Regierungszeit trotz des ihn bindenden Vertrages doch ziemlich eigenmächtig in West-Seeland schalten; der Vogt Wilhelm befand sich 1235 in offenem Widerspruch gegen die Machtäusserungen der flandrischen Gräfin. Sattler meint nun zwar, dass während der ganzen vormundschaftlichen Regierung und der ersten Zeit der Selbständigkeit Wilhelms II. die Rechte Flanderns nicht verletzt worden seien,

1 Doch gab es nach Warnkönig I, 368 in Flandern noch ein viertes Element der Städteverfassung: seit Anfang des 13. Jahrhunderts tritt neben den Schöffen fast überall ein Collegium der Räthe auf* 2 So ist z. B. die alte Dreiznlil der echten Dinge beibehalten. Unverkennbaren Anklang an den strengen Formalismus des Processes der lex Salica enthält die Bestimmung, dass die dem Wortlaut nach unrichtige Ablegung des Eides den Verlust des ganzen Processes zur Folge hat.

-

64 —

er findet in den Quellen keinerlei Hindeutung hierauf; 1 doch hat er Manches übersehen, woran er, der Holland sonst ein so kleines Machtgebiet zuteilt, wohl hätte Anstoss nehmen müssen. Mir scheint vielmehr sicher, dass während dieser ganzen Zeit von Seiten Hollands jene frühere Unabhängigkeitspolitik in "West-Seeland fortgesetzt worden ist; inwieweit flandrische Rechte dadurch verletzt wurden, wissen wir allerdings nicht. 2 Sattler sieht in der Urkunde der Grafen Wilhelm von Holland und Balduin von Bentheim vom 10. März 1241, in der die Herren von Bentheim und Teilingen einen Schiedspruch zwischen dem Abt von Mittelburg und zwei Privatleuten verkünden, 3 keinen Verstoss gegen Flanderns Rechte, weil Wilhelm nicht Gerichtsbarkeit ausübt, sondern das Urteil als Zeuge unterschreibt und besiegelt. Wilhelm spielt allerdings hier eine Nebenrolle; aber er konnte mit 13 Jahren doch kaum Schiedsrichter sein, und man muss bedenken, dass jene beiden Adeligen ganz sicher Anteil hatten an der Vormundschaft, die nach des Vogtes Wilhelm Tode eingesetzt wurde, 4 dass sie als Repräsentanten der holländischen Regierung — dafür spricht der Name des Grafen an der Spitze — schiedsrichterliche Gewalt in Westseeland ausüben ohne Mitwirkung Flanderns. Wir haben noch zwei Urkunden, in denen der jugendliche Wilhelm selbst dieselbe Politik vertritt, beide haben wir aber jedenfalls noch als » Sattler p. 20. Es ist entschieden ein Fehler Sattlers, dass er sich zu bestimmt über Verletzung und Beobachtung flandrischer Rechte (z. B. unter Floris IV. u. Wilh. II.) ausspricht, da wir ja die Grenzen der beiderseitigen Rechte gar nicht kennen. Seine, Behauptungen sind doch nur Hypothesen. So auch im Folgenden: Nach ihm ist die Urkunde von 1241 keine Verletzung, weil Wilhelm nicht Gerichtsbarkeit ausübt. Das ist ein ganz willkürlicher Grund. War Wilhelm etwa nur in der Ausübung von Gerichtsbarkeit beschränkt? Sattler selbst hält j a noch ganz andere Fälle für vertragswidrig, so z. B. einseitige Bestätigungen von Schenkungen, cf. p. 18. 21. 2

» Bergh 378. Wilhelm von Teilingen gehörte zu dem B a t , der dem V o g t Wilhelm zur Seite stand. Bergh 353. 361. Nach dessen Tode gehörte er demgemäss jedenfalls zu der vormundschaftlichen Regierung, die nach Gest. abbat, hört. s. Mariae einige holländ. Edele übernahmen. 4



65



Werk der Vormundschaft zu betrachten: im Mai 1240 ratifizirt der Graf — es ist die zweite Urkunde, die er überhaupt ausstellt — zu Mittelburg, der Hauptstadt Westseelands, in der Versammlung seiner Lehnsmannen eine Übertragung westseeländischen Landes an die Abtei Cambron; 1 zwei Jahre später gibt er seine Zustimmung, die, wie betont wird, „rechtlich notwendig" ist, dazu, dass Gottfried von Cruningen, ein Edeler Siid-Bevelands, ein Stück westseeländischen Landes an die Abtei ter Does in Flandern schenkt; er tritt alles Recht, das er auf das Land hat, an die Abtei ab, mit Ausnahme der an ihn fallenden Gerichtsgefälle. 2 In beiden Fällen wird administrative Gewalt ausgeübt, ohne Rücksicht auf Flandern. Der Eintritt der Selbständigkeit Wilhelms änderte nichts in der eingeschlagenen Richtung: im Jahre 1246 bebekräftigt er zu Mittelburg durch seine Anwesenheit die rechtliche Gültigkeit eines Verkaufs von Land auf Walchern, den dortige Edele mit der Abtei Rijnsburg abschlössen; im August 1247 genehmigt er eine Schenkung westseeländischen Landes an die Abtei Mittelburg; zwei Mal am 9. August 1246 und März 1247 sehen wir ihn — Sattler schliesst daraus jedesmal auf Nichtanerkennung flandrischer Rechte — den Titel „Graf von Holland und Seeland" gebrauchen: und zu alledem hatte er um so weniger Recht, da er bisher noch nicht daran gedacht hatte, der Gräfin den schuldigen Lehnseid zu leisten. 3

De Smet Cartulaire de l'abbaie de Cambron I, 433. Die hier erwähnten Orte Herbersant und Blomersant habe ich allerdings auf keiner Spezialkarte Seelands gefunden; sie lagen in der Parochie Oasenisse und dies liegt in den heutigen 4 Ambachten. Wenn aber der Graf von Holland hier überhaupt noch Rechte hatte, so beweist dies, das jenes Gebiet noch zu West-Seeland gehörte. Ossenisse lag also jedenfalls in dem Teil der 4 Officia, den Westseeland, ausser den 5 Inseln, umfasste. Die beiden obengenannten Orte sind vielleicht durch Sturmfluten zu Grunde gegangen, denn gerade hier hat das Meer, wie aus den Spezialkarten zu ersehen ist, viel Land verschwinden lassen. * Bergh 389. ' Ibid. 422. 438. 428. 435. Septemb. 1248 verlangt die Gräfin end5 1

-

66

-

Wilhelm trat nach seiner Erhebung, gestützt auf königliche Autorität, viel energischer in West-Seeland auf, doch gab jene nicht den Anlass zu seiner Offensiv-Politik gegen Flandern: diese hatte der Graf von seinem Yater und der vormundschaftlichen Regierung übernommen und setzte sie fort; ehe er noch an die Königskrone dachte, trug er kein Bedenken, bei passender Gelegenheit die Waffen gegen seine Oberlehnsherrin zu ergreifen. Die Verhältnisse waren günstig für Wilhelms Absichten auf Seeland, da in der flandrischen Herrschelfamilie Zwietracht ausgebrochen war.1 Gräfin Margaretha von Flandern war in erster Ehe, der zwei Söhne, Johann und Balduin, entsprossen, mit Burchard von Avesnes vermählt gewesen: doch die Zeitgenossen betrachteten allgemein die Ehe als illegitim, weil Burchard vorher die priesterlichen Weihen empfangen hatte. Da verliess die Gräfin schnöde ihren Gemahl und heiratete Wilhelm von Dampierre, der ihr besser gefiel; von ihm stammten drei Söhne: Wilhelm, Guido und Johann, auf die Margarethe ihre ganze mütterliche Liebe übertrug, während sie gegen die beiden Avesnes einen unnatürlichen Hass hegte. Naturgemäss traten die Söhne mit ihrem Heranwachsen in feindseliges Verhältnis: es erhob sich Streit um die Nachfolge, denn trotz der Legitimätserklärung durch Friedrich II. im Jahre 1243 bestritten die Dampierres die Rechtmässigkeit der ersten Ehe. Man kam überein, König Ludwig IX. von Frankreich und den Legaten Odo von Tusculum zu Schiedsrichtern zu wählen, und diese entschieden im Juli 1246 dahin, dass nach dem Tode Margarethas Flandern an Wilhelm von Dampierre, Hennegau an Johann von Avesnes fallen sollte.2 Die Behauptung Meermans, dass durch Einfluss Wilhelms von Holland Johann das fruchtbare Hennegau erhielt, hat schon Sattler als unlieh Ablegung des Lehnseids. Ibid. 473. Doch W. hat sich stets derselben entzogen. 1 Ausführlich erzählen von dem flandrischen Fainilienstreit: Matth. Paris V, 434—36 Jacque de Guise ed. Fortia d'Urban XV, 08 ff. of. Sattler p. 22 ff. » Bergh 427.

— 67

-

begründet zurückgewiesen. 1 Obwohl bestimmt worden war, dass keine Partei dem Urteil widersprechen dürfe, haben die Aveanes sich doch nicht gefügt: und zwar haben sie, wie es scheint, schon unmittelbar nach dem Schiedsgericht Ansprüche erhoben auf die seeländischen Inseln, die 4 Amter, Waas, Alst und Gratnmont, „weil dieses Reichslehen und dem Spruche des Königs von Frankreich nicht unterworfen seien". 2 Was Seeland betraf, so konnten sie natürlich nur den flandrischen Anteil verlangen, denn hier besass ja auch der Graf von Holland eine Anzahl Rechte; mit Wilhelm sich auf guten Fuss zu stellen, war darum jedenfalls sehr vorteilhaft für die Avesnes. In diesem Sinne haben wir zweifellos die Vermählung Johanns von Avesnes mit Adelheid, der Schwester des holländischen Grafen aufzufassen, die zwischen dem 20. August und 25. Oktober 1246 erfolgt sein muss. 3 Und hiermit war auch eine Annäherung ¡in Brabant gegeben, zu dem Holland ja in naher Beziehung stand, da die junge Adelheid die Enkelin Herzog Heinrichs II. war; auch mit diesem schlössen nun die beiden Avesnes am 20. August ein Bündnis. 4 Nach alledem konnte kaum noch zweifelhaft sein, dass die Brüder kriegerische Absichten gegen ihre Mutter im Schilde führten; zugleich hatte sich Wilhelm von Holland offen als Feind der flandrischen Gräfin erklärt und diese Stellung hat er während seiner ganzen Regierungszeit nicht aufgegeben. Gräfin Margaretha wollte natürlich keines ihrer Rechte 1

Meerman I, 254 (Deutsche Ausg.) Sattler 26. Nach Bergh 447. Der Grund, den Sattler 26 für die anfängliche Anerkennung des Schiedupruches durch die Avesnes anführt, dass nämlich Hargar. im Okt. das Urteil gutheis9t ohne Andeutung, dass dasselbe angefochten sei, ist doch recht wenig stichhaltig. Mir scheint aus jener Urkunde der Avesnes hervorzugehen, da6s sie von Anfang an unzufrieden waren. • Nach Bergh 430 u. 433. cf. Sattler 21 u. Note 1. Mit Unrecht setzt Ulrich Gesch. Wilh. v. Holl. p. 29 anm. 7 jene Heirat vor den 20. Aug. 1246. Wenn es in der so datirten Urkunde heisst: occasione matrimonii . . . perficiendi confederabimus, dann steht offenbar der Abschlusä der Ehe noch bevor. 4 Bergh 430. 2

5*

-

68

-

in West-Seeland einbüssen: in der Urkunde vom Dezember 1245 für Kloster Dunes, 1 in der sie alle von den Grafen von Holland und den Edelen Seelands an dasselbe erteilten Privilegien bestätigt, nennt sie sich ausdrücklich: „superior domina Zeelandiae". Sie erkannte wohl, dass bei der feindseligen Politik des Grafen von Holland ein Kampf unvermeidlich sei; auch war sie schon vor der Heirat Johanns von Avesnes mit Adelheid darauf gefasst, wie wir aus der Verordnung ersehen, die sie am 14. August 1246 an ihre Baillifen erlässt. Sie befiehlt darin, die Besitzungen des Klosters ter Does gegen jeglichen Angriff an verteidigen und die beweglichen Güter, welche die Abtei in Seeland besässe, auf Schiffen in ihr Gebiet überzuführen. Also von der seeländischen Seite drohte der Angriff; deutet das nicht, auf den Grafen von Holland? Im Dezember 1246 sehen wir die Bischöfe von Cambrey, Tournay und Arras den Vertrag zwischen Holland und Flandern vom Jahre 1227 über den gemeinsamen Besitz Seelands aufs Neue verkünden und besiegeln. Geschah es etwa um den Frieden aufrecht zu erhalten? 2 Überall begegnen wir Anzeichen eines bevorstehenden Kampfes; wir werden darum Jacque de Guise, obwohl er über hundert Jahre später schreibt, gern Glauben schenken, wenn er in der That von einem solchen zu berichten weiss. Er erzählt, 3 dass im Jahre 1247 Johann von Avesnes, nach vergeblichem Versuche, die Bürger von Gent, Brügge und Ypern für sich zu gewinnen, ein Heer in Deutschland, Friesland, Holland, Seeland, Hennegau und Lüttich gesammelt und den Grafen von Holland, der damals mit Flandern gebrochen, unterstützt habe. Das Land Waas, die 4 Amter, Alst, Grammont, Dendermonde wurden durch Verwüstung heimgesucht und die Festung ßupelmonde gemeinsam mit dem Grafen von Holland zu Wasser und zu Lande belagert. Als ein flandrisches Heer gegen Artivelde, Biervliet, Hülst heranzog, verliess Johann das Castell Dendermonde, das er genommen, 1 Ibid. 415. » Ibid. 429. 305. » XV, 62 ff.

-

69 —

und schlug die Feinde unweit des Meeres; siegreich kehrte er zu seinem Schwager König Wilhelm zurück. Doch Margaretha und die Dampierres erhoben Klage beim Könige von Frankreich über die Avesnes und verlangten 60000 Pfund Entschädigung, aber Ludwig erkannte ihnen nichts zu; hierauf zog Wilhelm von Dampierre mit ihm in den Kreuzzug. Endlich wurde durch Vermittler ein Frieden zu Stande gebracht, dessen beide Urkunden Jacque de Guise uns mitteilt; sie sind nach französischem Stile datirt und fallen nach unserer Zeitrechnung in den Januar 1249, was schon daraus hervorgeht, dass Wilhelm von Dampierre nach denselben die Kreuzfahrt bereits angetreten hat. — Auch die Chronique de Flandre et des croisades 1 weiss von einem solchen Zug gegen Rupelmonde zu erzählen, das wirklich von den Avesnes eingenommen und besetzt worden sei; und ebenso berichtet sie von einem erfolglosen Revanchezug der Gräfin — allerdings nicht von einer Niederlage derselben. 2 — Dass im Lande Waas damals ein Kampf der Avesnes und Hollands gegen Flandern stattfand, ist kaum noch zu bezweifeln, 3 nur seine chronologische Fixirung bereitet einige Schwierigkeiten. Die letztgenannte Quelle setzt die Eröffnung desselben unmittelbar hinter den Pariser Urteilsspruch; doch ist auf ihre Zeitbestimmung nicht viel zu geben, da sie die Ereignisse von sieben Jahren sehr kurz zusammenfasst. 4 Jacque 1 Bei De Smet Recueil des chroniques de Flandre III, 670, auch bei Bouquet XXII, 216 ist sie gedruckt als : Fragment d'une chronique anonyme dite chronique de Reims. Sie ist zwischen 1260 u. 1265 aufgezeichnet cf. Introduct p. 301. 2 Jacque de Guise hat möglicher Weise zum grSsseren Ruhme der Avesnes, auf deren Seite er völlig steht, etwas übertrieben. * Nach der Urkunde bei Warnkönig II, 1, Vrkund. von Gent Nr. XXII war Margarethe 1248 mit einem Eriegszug zur Wiedereroberung ihres Erbes in Seeland beschäftigt: offenbar hatte der Graf von Holland sich vorher desselben bemächtigt. 4 In der Darstellung dieser Quelle ist manches sonderbar: das von den Avesnes eroberte Castell soll auf der Grenze von Flandern und Hennegau liegen (en la marche de Flandre et de Hainau); das passt wenig auf Rupelmonde, welches nach dem Folgenden dennoch gemeint ist. Sehr plötzlich springt die Erzählung von 1246 auf 1251,



70

-

de Guise gibt für den Beginn dys Krieges offenbar 1247 als Jahr an und lässt ihn vor der Abreise Ludwigs IX. in den Orient abgeschlossen sein. Trotzdem haben Spätere den Kampf anders datirt: Meyer, ein Geschichtsschreiber Flanderns im 16. Jahrhundert, dessen Darstellung ganz deutlich der Bericht Jacque de Guise's zu Grunde liegt, setzt seinen Anfang nach Antritt des Kreuzzuges, also nach August 1248, und ihm ist "Warnkönig gefolgt; bei Meermann hat dieser Krieg erst nach der Eroberung Aachens, also nach Oktober 1248, seinen Platz gefunden. 1 Diesen gegenüber hat wohl Sattler 2 überzeugend dargethan, dass der Angriff auf das Land Waas vor der Abfahrt des hl. Ludwig (25. August 1248) erfolgt sein muss, es geht dies aus der Friedensurkunde Margarethas vom Januar 1249 hervor, in der erwähnt wird, dass die Dampierres sich bei Gelegenheit des Zuges vor Rupelmonde beim König von Frankreich über die Avesnes beklagt hätten. 3 Doch lässt Sattler für die Datirung des Kampfes noch einen ziemlich grossen Spielraum, vom Oktober 1246 bis Juli 47, also circa l s /4 Jahre. 4 Vielleicht lassen sich einzelne Partien des Krieges noch genauer fixiren ; es ist jedenfalls von Interesse, zu wissen, ob Wilhelm noch in seiner Stellung als das Todesjahr Wilh. y. Dampierre, und dann auf 1253, in welches J a h r erst das Bündnis Margarethas mit Karl v. Anjou fällt. 1 Meyer Annal. Fland. p. 75. Warnkönig I , 175. Meerman I, 291 ff. (deutsche Ausgabe). ' p. 27. 28. Ludwig IX. verliess am 12. Juni Paris, am 25. Aug« Frankreich nach E mari hist. auet. Job. de Columna bei Bouquet XXIII, 117. ' Cartulaire du Hainaut p. 353: Guyon et Jehan — quiteront del tout mes cieres Sus Jehan et Baudouin lor frères de 60000 livres dont ils lisent clain et demande sour iauB devant le roi de Franoe por l'occasion del ost de Ripelmonde. * p. 28. Wenige Seiten vorher, p. 21, bestimmt er allerdings den Zeitpunkt genauer, er setzt den Angriff in die Zeit der Vorverhandlungen, die der Wahl Wilhelms vorausgingen — ganz ohne Grund. Er widerspricht sich dabei selbst: p. 27 sagt er, Kervyn de Lettenhove gebe den Zeitpunkt richtig; dieser nimmt doch aber augenscheinlich den Kriegszug erst nach Wilhelms Wahl an, wenn er Hist. de Flandre I, 363 sagt: l e r o i des Romains profita — et débarqua.



71



Graf oder erst im "Vertrauen auf die neue Königswürde mit Flandern gebrochen hat.

Soll er in eigner Person den Angriff

unternommen haben, so findet sich in seinem Itinerar nach der W a h l kaum eine geeignete Stelle für denselben; 1 er ist im Jahre 1248 nur zweimal

für kurze Zeit in Holland und

Seeland nachweisbar: einmal Ende Juni, wie

wohl

Sattler

richtig meint, wegen des Friedensschlusses, und einmal schon vorher im März; aber dieser Zeitpunkt erscheint mir in Anbetracht der Langsamkeit

der damaligen Kriegsführung zu

spät für die Eröffnung eines Kampfes, der am 7. Juli 1248 schon durch

einen Frieden beendet ist.

Übrigens

sagt ja

Jacque de Guise ausdrücklich, dass der „ Cornea Hollandiae" Rupelmonde belagerte: es ist kaum anzunehmen, dass W i l helms Bruder Floris, der allerdings für ihn in Holland regierte, damit gemeint ist; dieser tritt uns in den gleichzeitigen Urkunden stets als „frater comitis Hollandiae" oder „in regem electi"

entgegen und Jacque de Guise selbst scheidet ihn

später ganz ausdrücklich vom deutschen König. 2 Mir scheint

1

A l l e r d i n g s finden wir bald nach der Wahl ebenfalls eine grössere

L ü c k e : Mitte October zieht W i l h . in K ö l n ein (uf. unten), am 13- Dez. beginnt er Kaiserswerth

zu

belagern nach Chron. r e g . 292.

Zeit setzt Ulrich p . 30 Anm. 2 den Beginn des Kampfes. hauptsächlich

auf

66: M a r g a r e t a

eine

et ejus

Zeitbestimmung filii

tandem

bei

Jacque

In

diese

E r stützt sich Guise

XV,

ad Flandriam repatriantes,

de

pro-

borum utens consilio yirorum cum Johanne de Aveanis post multa pro et contra contractata a n n o c i r c i t e r cordiam.

sequenti

Der Frieden e r f o l g t e Jan. 1249.

talem sigillavit con-

Meines Erachtens gestattet

aber der Zusammenhang nicht, den Ausdruck: anno circiter sequenti, den Ulrich richtig mit „ e t w a ein Jahr d a r a u f " fall

in

Flandern

zu

beziehen,

Friedensverhandlungen. mungen

bei Jacque

doch

Übrigens

sind

de Guise recht

tibersetzt,

viel e h e r die

auf

den

auf den E i n Beginn

chronologischen

wertlos.

Nach

meiner

der

BestimMeinung

hätte auch Wilhelm allzu grossen Anstoss erregt, wenn er sofort nach der W a h l

Deutschland

gegangen wäre.

Ich

verlassend,

seinem

Partikularinteresse

glaube (mit Ficker R e g . W i l h . nr. 4894 a ) ,

nachdass

er in dieser Zeit in den Rheingegenden geblieben i s t : er hat, wie wir sehen werden, damals ein H e e r gesammelt und sich j e d e n f a l l s auf den Kampf gegen seine Widersacher in Deutschland 2 Bergh 460. 461. 46s.

vorbereitet.

Jacque de Guise X V , 142

zählt Jacque de Guise den K a m p f nach

ff.

Zwar e r -

der Belehnung Johanns von

72

-

aus jenem Ausdruck hervorzugehen, dass Wilhelm noch ala Graf Flandern bekriegt hat. Wenn übrigens Margarethe schon im August 1246 auf einen Angriff gefasst war, so lässt sich kaum denken, dass der Graf damit noch über ein Jahr zurückgehalten habe. Daher glaube ich in dem Umstand, dass wir im März 1247 Wilhelm zum ersten Mal seit 1242 ausserhalb seines Landes in Antwerpen, also im Brabantischen, urkunden finden,1 einen Anhalt für die chronologische Einreihung seines Zuges gegen Eupelmonde sehen zu dürfen, zumal beide Städte nur unbedeutend von einander entfernt liegen; wahrscheinlich hat der mit dem Meer vertraute Graf von Holland die von Jacque de Guise erwähnte Seemacht zur Belagerung von Rupelmonde gestellt und befand sich vielleicht im März, die Scheide aufwärts fahrend, auf dem Hinweg. Es ist nach meiner Ansicht nur als eine Folge dieses Angriffs aufzufassen, dass Margarethe im Sommer 1247 dem Herzog von Brabant, der doch eigentlich mit den Avesnes im Bunde stand, sich zu nähern suchte. Wilhelm von Dampierre wurde „mit ihrer Zustimmung und nach ihrem Willen" mit Beatrix, der Tochter des Herzogs und Witwe des früheren Gegenkönigs Heinrich Raspe verlobt; am 13. August weist sie zu Dendermonde als Mitgift für ihre Schwiegertochter ihrem Sohne eine jährliche Rente von 3000 Pfund aus den Einkünften der Stadt und Castellanie von Courtray an. 2 Wir wissen nicht, ob es ihr dadurch gelungen ist, den BraAvesnes durch den Bischof von Lüttich, aber es finden sich ja viele chronologische Mängel bei ihm: so sind Urkunden häufig in's falsche Jahr gesetzt, z. B. die Friedensurkunden der Avesnes und Margarethas ins Jahr 1248 statt 1249, ebenso ist eine Urkunde Wilhelms vom 27. April 1248 datirt statt 1249. Auch sind die Ereignisse nicht immer chronologisch geordnet: auf den Bericht vom Frankfurter Reichstag 1262 p. 94 ff. folgt die Erzählung vom Tode Wilh. v. Dampierre, der doch schonl251 erfolgt war. p. 106. 1 Bergh Nr. 435. * Vredius Geneal. comit. Flandriae preuves. II, 4. Dass die Ehe vollzogen wurde, bezeugt z. B. die flandrische Reimchronik im Corpus Dhron. Flandr, IT, 758.



73



banter von seinen bisherigen Bundesgenossen zu trennen; jedenfalls ist aber die geplante Heirat zu Stande gekommen. Doch bald erwuchs der Gräfin ein neuer Feind im Bistum Lüttich: der am 26. September 1247 vom Legaten Capoccio eigenmächtig ernannte Bischof Heinrich war ja ein Freund und Verwandter des Grafen von Holland, und hatte als solcher nichts eiligeres zu thun, als am Tage seines Amtsantrittes Johann von Avesnes mit Hennegau zu belehnen; dies verkündete er bald darauf, im Oktober, von Köln aus den Behörden Hennegaus mit dem Befehle, Johann wohlwollend als ihren Herrn zu empfangen. 1 Natürlich war dieser Akt gegen die Gräfin von Flandern gerichtet, da Ludwig IX. im Juli 1246 ausdrücklich bestimmt hatte, dass Margarethe während ihrer Lebenszeit im ungeschmälerten Besitz beider Grafschaften bleiben sollte, was im März vorher die Avesnes wie die Dampierres selbst gegenüber den Schöffen von Ypern ausdrücklich versichert hatten; - mir scheint darum jenes Vorgehen der Avesnes ebenfalls dafür zu sprechen, dass der Kampf damals schon ausgebrochen war. Wann nun aber der von der Chronique de Flandre wie von Jacque de Guise erwähnte Feldzug der Gräfin stattfand, ist schwer zu bestimmen. Jedenfalls ist er vor Juni 1248 zu setzen; in diesem Monat bestätigt Margaretha ein altes Privileg der Genter zum Entgelt für die Unterstützung, welche ihr die Bürger bei dem zur Wiedereroberung ihres Erbgutes in Seeland unternommenen Kriegszug freiwillig geleistet haben. Der Kampf erscheint hier schon als abge1

Reiffeilberg Cartulaire du Hainaut 344. Allerdings hat auch Wilhelm von Dampierre (auf Qrund des Schiedspruches vom Juli 1246) sich vom König von Frankreich mit Flandern belehnen lassen nach Vredius II, 4. Doch blieb Margaretha noch in der ganzen Folgezeit "Vertreterin der Grafschaft, behielt also wohl die Regierung für sich. 2 Bergh427: comitissa — plenam quamdiu vixerit habeat potestatem et administrationem praedictorum comitatuum. Diegrilt Inventaire des cartes et des monuments d'Yprcs I, 59: Il est bien entendu que non obstant la décision à intervenir, Marguerite restera, sa vie durant, en possession des deux comtés.

-

74

-

abgeschlossen, 1 doch ist die Urkunde jedenfalls nicht allzulange nach demselben ausgestellt. Wahrscheinlich fand er im Frühjahr 1248 statt und war die Veranlassung, dass König Wilhelm im Februav 1248 die angefangene Belagerung von Kaiserswerth plötzlich abbrach und nach den Niederlanden eilte: im März finden wir ihn sogar in West-Seeland urkunden. 2 Kam er etwa, um seinen Bruder Floris, der als Regent von Holland auch mit Flandern sich auseinanderzusetzen hatte, gegen den drohenden Angriff der Gräfin, welcher offenbar gegen Seeland gerichtet war, zu unterstützen ? Dass Holland sich auch an diesem Abschnitt des Kampfes beteiligt h a t , darauf weist unleugbar der Frieden, der am 7. Juli 1248 zwischen Floris und Margaretha zu Stande kam. 3 Auch zwischen den Avesnes und Margaretha erreichte der Streit ungefähr um dieselbe Zeit seinen Abschluss; mit der Abreise Wilhelms von Dampierre in den Orient am 25. August 1248 können wir ihn wohl als beendet betrachten. Nach Jacque de Guises Darstellung begab sich noch vorher Johann von Avesnes mit seinem Heere zu seinem Schwager König Wilhelm, und wirklich finden wir ihn nach Menco's Zeugnis im Sommer 1248 mit diesem vor Aachen. Wahrscheinlich hat Ludwig I X . damals einen Waffenstillstand ver-

* "Warnkonig II, 1, Urkund. von Gent Nr. X I I . * ct. Ficker Reg. Willi. Nr. 4903. 4904. Bergh Nr. 452. 453. 454. * Bergh 466. Kluit I, 12, 291 meint, dass vor diesem Vertrage ein Kampf zwischen Margaretha und Floris stattgefunden habe, der mit der Gefangennahme Floris endete. Sattler 30. 31 hat wohl überzeugend nachgewiesen, dass von einer solchen Gefangenschaft nicht die Rede sein kann. Sonderbarer Weise scheint er aber auch von einem vorausgegangenen Kampf nichts wissen zu wollen. Ich muss da unbedingt Kluit Recht geben: der Ausdruck „pax" (der Vertrag 1227, dem kein Krieg voranging, heisst conventio Bergh 305), ferner § 8 der Urkunde sprechen ganz klar dafür, dass es sich um einen Friedenssohlusa "handelt. Es war einfach der Kampf um Rupeltnonde nebst dem darauf folgenden Heereszuge Margarethas, der sich so lange hinzog. Ich begreife nicht, wie Sattler f ü r denselben, dessen Beginn er doch in die Zeit der Wahl Wilhelms setzt., einen so frühen Abschluss Annehmen kann.



75



mittelt; der endgültige Friede wurde aber erst Januar 1249 geschlossen. 1 Somit kann ich mich nicht der Behauptung Sattlers anschliessen, dass "Wilhelm erst in Voraussicht seiner königlichen Würde die Waffen gegen Flandern ergriffen habe; 2 er war jedenfalls schon längere Zeit in den flandrischen Streit verwickelt, als er von Papst Innocenz IV. seine Berufung auf den deutschen Königsthron erhielt; wie gelegen musste sie ihm kommen, da er nun hoffen konnte, als Oberlehnsherr von Flandern seine seeländischen Ansprüche mit ganz anderem Nachdruck geltend zu machen. Sattler meint, dass König Wilhelm allein gegen Flandern eine feste Politik verfolgt habe, indem er seine ganze Regierung hindurch sich von der Lehnshoheit Flanderns über Westseeland zu befreien bestrebt war. 3 Wir sahen ihn schon vor seiner Wahl energisch diese Richtung vertreten, j a er scheint damals sein ganzes politisches Interesse nur auf dieseil einen Punkt conzentrirt zu haben. Nichts hören wir davon, dass Graf Wilhelm sich mit Reichspolitik befasst habe; wissen wir doch nicht einmal mit Sicherheit, ob er vor seiner Erhebung zu des Kaisers oder des Papstes Anhängern gehörte. Allerdings kam dieser Gegensatz naturgemäss auch in den flandrischen Wirren gar bald zum Ausdruck; 'dieselbe Parteistellung, welche durch die Wahl Wilhelms von Holland definitiv entschieden worden ist, lässt sich, wie mir scheint, schon vorher erkennen : bereits 1246 war wohl klar, dass die Avesnes die päpstliche, Margaretha die kaiserliche Sache vertraten. Friedrich II. hatte ursprünglich die Avesnes begünstigt, er hatte sie gegen die Anfeindungen der Dampierres im März 1243 ' Sattler 28. 34 meint, dass Mitte 1248 ein Waffenstillstand geschlossen wurde, wohl durch Vermittlung des Königs yon Frankreich, wendet sich aber gegen Kervyn de Lettenhove, der dies direkt behauptet. Ich glaube in dem Umstand, dass April 1248 die drei Brüder des Königs den Schiedsspruch desselben wiederholen, eine Bestätigung dafür zu sehen, dass man sich an Ludwig IX. um Vermittlung gewandt hat. Vredius I, 341. 2 p. 21. 22. 5 p. 5.

-

76

-

für legitim und erbberechtigt erklärt. Doch bald vnirde er in die entgegengesetzte Stellung gedrängt. Als nämlich im April 1245 der streng päpstlich gesinnte Bischof Robert von Lüttich Ansprüche auf das von der Gräfin von Flandern in Besitz genommene Hennegau erhob, trat der Kaiser selbstverständlich für Margaretha ein, und belehnte sie im Juli 1245 mit den Lehen der Grafschaft Namur und dem Teile Flanderns diesseits der Scheide nach Hennegau und Brabant zu. Margarethe war aber gewiss schon damals für die Sache der Söhne Dampierres eingetreten, und so wurde diese Partei allmälich zur kaiserlichen. Andrerseits können wir wohl aus dem Umstand, dass im Oktober 1246 InnocenzIY. den Dispens für die Heirat der Adelheid von Holland mit Johann von Avesnes erteilt, den Schluss ziehen, dass der Papst schon damals diese Sache zu der seinigen gemacht hatte, da j a , wie wir wissen, jene Verbindung, zugleich mit dem brabantischen Bündnis in offenbar feindseliger Absiebt gegen die Gräfin geschlossen wurde. 1 Wir, die wir die gesammten Parteikämpfe bis zu ihrem Abschluss übersehen, können demnach wohl mit Recht den Grafen "Wilhelm schon vor seiner Wahl zu den Verfechtern der päpstlichen Sache rechnen: aber ob er selbst sich dieser Stellung bewusst war und ob er, als er 1247 Flandern angriff, ausser seinem Partikular-Interesse auch noch das der Curie im Auge hatte, scheint mir höchst zweifelhaft. Eine schwache Bestätigung erhält die Annahme einer papstfreundlichen Stellung des Grafen höchstens durch die Erwägung, dass Herzog Heinrich von Brabant, der als Freund und Oheim Wilhelms nicht ohne Einfluss auf ihn geblieben sein wird, wahrscheinlich schon zu Raspes Anhängern zählte und dass ebenso sein zweiter, ihm verwandter und befreundeter Nachbar Graf Otto von Geldern im Sommer 1247 als Partei1

Warnkönig I, 94. Die Darstellung dieser Partei Verhältnisse in Flandern ist etwas konfus bei Schirrmacher IV, 266: nach ihm ist 1242 Friedrich II. für die Avesnes, 1245 gegen Lattich und für Margarethe, dann fährt er unbegreiflicher Weise fort: „Marg. stellte sich auf Seite der Dampierres und damit auf Seite der Kirche1'. Es war doch grade umgekehrt!



77



gänger des Papstes uns entgegentritt. Doch auf keinen Fall dürfen wir von einer entschiedenen Parteinahme des holländischen Grafen reden: die Annahme Meermans, dass er an der Wahl Heinrich Raspe's Anteil hatte, ist ohne Zweifel zu verwerfen. 1 Es ist vielmehr klar, dass er sich, Dank der Abgeschiedenheit seines Landes, von den deutschen Parteikämpfen gänzlich fern gehalten hat. Nun fiel diesem jungen Pürsten unverhofft die vielverschmähte deutsche Eönigskrone in den Schooss, ohne dass er auch nur die Hand darnach ausgestreckt hätte; wohl niemals vorher ist ihm der Gedanke an solche Erhöhung in den Sinn gekommen. Die Curie zog ihn aus dem Dunkel hervor und hob ihn auf den Schild; ihr Werkzeug ist er stets geblieben. 1

I, 146. Meerm. stutzt sich auf eine Stelle in der Urkunde Wilh. f ü r Delft vom 23. April 1246 (Bergh 419): de reliquia respondebimus antequam ad parlamentum de quo vobia fuimus locuti aecedamus. Für die» parlamentum hält er die Wahlvorsammlunsr von Veitshochheim. Die Sache wird widerlegt durch die Urkunde bei Bergh 422, nach der Wilhelm im Mai 1246 in Seeland (wahrscheinlich in Mittelburg) anwesend ist: ooram prefato comite et scabinis de Mittelburg resignavimus. — Im Mai hätte "Wilh. längst auf der Heise sein müssen, da die Versammlung am 22. stattfand. Ausserdem versichert uns j a die sächsische Weltchronik ausdrücklich, dass kein weltlicher Fürst bei Raspes Wahl mitwirkte: Mon. Germ. Deutsche Chroniken II, 266.

§ 5. D I E W A H L W I L H E L M S VON HOLLAND. t)er Fürst, den Innocenz IV. an die Spitze seiner weltlichen Macht in Deutschland zu stellen beschlossen hatte, war nach den übereinstimmenden Andeutungen der Quellen — selbst die gegnerischen wissen ihm nichts schlechtes vorzuwerfen — ein Jüngling von edlem Charakter. Was ihm an Jahren gebrach — er zählte erst 20 Jahre bei seiner Erhebung — das ersetzte er durch rechtschaffnes Wesen und edle Handlungen. Er war friedliebend, bescheiden, enthaltsam, demütig und gottesfürchtig; frei von aller Falschheit suchte er Herrn und Knechten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Zugleich war f r auch ein tapferer Ritter, der von Jugend auf mehr die Härte des Eisens alö den Glanz des Goldes liebte. 1 Die deutsche Königskrone war für den wagelustigen Sinn des Grafen doch ein gar zu verlockendes Anerbieten, als dass er es ausgeschlagen hätte. „Dies aber war Leichtsinn", 2 sagt Matthaeus Paris; wir werden ihm wohl unbedingt zustimmen, und doch können wir wiederum nicht genug den kühnen Unternehmungsgeist bewundern, der den kleinen holländischen Grafen dazu trieb, gegen den mächtigsten Fürsten der Christenheit in die 1 Nach Wilh. procur. Egmund. chron. bei Matth, vet. aevi anal. II, 507. Ferner Beka 76. Meli» Stoke II, 63. Chron. Erforri. Fontes II, 405. Thomas Wikes ibi-'. 450. Chron. Sampetr. in Goschichtsquellen der Prov. Sachsen 8ä. 1 V, 201: qui temere consensit.

-

79

-

Schranken zu treten; übrigens ist es sehr wahrscheinlich, dass man den Grafen, der vielleicht nicht allzu tief in deutsche Verhältnisse eingeweiht war, mit Absicht im Unklaren darüber gelassen h a t , welche Mühsal er mit der Krone übernehmen würde. Derselbe Matthaeus erzählt ausserdem, dass der Papst dem Grafen Geld versprochen habe, und dieser hat in der That — wie anderweitig bezeugt — später 30 000 Mark Silber erhalten; aber dies war ja eine ganz natürliche und notwendige Unterstützung, die Innocenz dem sonst unbemittelten Grafen leisten musste, wenn anders seine Erhebung, die natürlich mit grossen Kosten verbunden war, überhaupt zu Stande kommen sollte. 1 Ungerecht wäre es deshalb, Wilhelm niedrige Gewinnsucht als Motiv bei Übernahme der Krone unterschieben zu wollen. — Es klingt fast lächerlich, wenn ß e k a sagt, der Graf sei seiner Macht wegen zum König gewählt worden; Matthaeus Paris begnügt sich, die Erlauchtheit seines Geschlechts und seine ausgedehnten Yerbindungen mit den Fürsten des Miederrheins zu preisen. Es ist wahr, die meisten von ihnen, nämlich Herzog Heinrich von Brabant, Graf Otto von Geldern, Bischof Heinrich von Lüttich, Otto von Utrecht, Graf Theodorich von Cleve, waren ja seine Verwandten, hier konnte er wohl zu Ansehen gelangen, aber im Lande jenseits des Niederrheins mochten sich ihm wenig günstige Aussichten eröffnen. Übrigens scheint Wilhelm auch von jetzt ab nichts zur Durchsetzung seiner Wahl getan zu haben; er überliess diese Sache ganz dem päpstlichen Legaten, dessen Thätigkeit fast ausschliesslich der neue Gegenkönig seine Erhebung verdankte. 2 1

Matth. Paris IV, 6*24: thesaurura promissum novo electo. Dazu Nicolaus von Curbio ap. Murat Ss. III, 592. Doch scheint die Summe erst zur Krönung gesandt worden zu sein. Diese Angabe ist wohl zu glauben, da Nicolaus 1247 Capellanus des Papstes gewesen ist. Potthast 12799. Matth. Paris konfundirt die schon früher erwähnte Expedition Octavians nach Lombardien mit dieser Geldsendung. 2 Nie. v. Curbio 1. c.: qui cum ingenti studio praelatos et prineipes coadunari fecit. Chron. Hannon. Ss. XXV, 458: Cil pourcacha tant que la plus grande partie des prinches esluirent —. Gest. Trevir. Ss. XXIV, 411: mediante legato. Endlich Edm. v. Dynter II, 191: quo cardinale procurante —, und darnach im magn. chron. Belg.



80

-

Wie erhielt man DUÜ die W äliler ? Da es aussichtslos war, die grossen weltlichen Machthaber zu gewinnen, so hat die Agitation des Legaten sich darauf beschränkt, die Stimmen der schon der Curie getreuen Fürsten und Prälaten auf Wilhelm zu einen. Doch von einer bedingungslosen Zustimmung wird auch bei ihnen kaum die Rede gewesen sein. Herzog Heinrich von Brabant Hess sich vom Legaten versprechen, er wolle allen Prälaten Deutschlands schriftlich die Zusage abnehmen, dass sie ihm, dem Herzog, als Bundesgenossen und Freunde gegen Friedrich und seine Anhänger beistehen sollten 1 — so entsetzliche Furcht vor dem Kaiser hatte der mächtigste Fürst des Niedenheins, zu dem der junge holländische Graf mit seinem kühnen Wagemut einen schneidigen Gegensatz bildet. Den Grafen Otto von Geldern köderte Peter Capoccio dadurch, dass er seinen Bruder Heinrich am 26. September ganz im Widerspruch mit den Wünschen des Lütlicher Volkes auf den Bischofsstuhl des heil. Lambert erhob; 2 der Fjrzbischof von Köln erteilte ihm unverzüglich die Confirmation; aber auch das Privileg, das wir den neugewählten König fünf Tagenach seiner Wahl dem Grafen erteilen sehen, erweckt gar sehr den Verdacht vorhergegangener Versprechung. — Die drei geistlichen Führer der Opposition waren natürlich nicht minder als der Papst selbst darüber erfreut, dass sich endlich ein Candidat gefunden hatte, den noch ausserdem seine Ohnmacht so sehr empfahl. Ja Konrad von Köln scheint sogar seinerseits die Betreibung der Wahlangelegenheit in die Hand genommen zu haben, wie wir doch wohl aus der sonderbaren Bemerkung des Matthaeus Paris von der unauflöslichen Freundschaft des Grafen i Meerman Anhang Kr. 22. * Dieses bei dem gleichzeitig (1251) schreibenden Aegid. aur. •all. Gesta ep. Leod. Ss. XXV, 129 angegebene Datum verdient unbedingt den Vorzug vor dem, welches der erst Anfang des folg. Jahrhundertl lebende Hocsem giebt (Chapeaville Gesta pont. Leod. II, 275: 10. Oktober). Übrigens spricht letzterer kurz vorher von der Konfirmation durch den Kölner Erzbisohof; vielleicht rechnet er erst seit dieser den Regierungsantritt? Ton dem grossen Zwiespalt zwischen dem Lfitticher Volke nnd Bischof berichtet der allerdings über 100 Jahr spätere Jean d'Outremeuse V, 275.

-

81

-

mit dem Erzbischof schliessen können, nicht minder aber aus dem Umstände, dass ein späterer Kölner Bischofskatalog "Wilhelms Wahl geradezu als alleiniges Werk Konrads bezeichnet. Ob auch von diesen Prälaten irgend welche Gegenleistung für ihre Zustimmung gefordert wurde, wissen wir nicht; es genügt aber im Allgemeinen auf die Angabe unseres englischen Autors hinzuweisen: „Zu derselben Zeit war der Papst durch Versprechung unermeßlichen Geldes eifrig dafür bemüht, dass Wilhelm von Holland zum König gewählt würde". Das übliche päpstliche Geld wird seine Wirkung nicht verfehlt haben. 1 Wann aber kam wohl zuerst die Oandidatur des Grafen in Vorschlag? Wir sind darüber nur auf recht unsichere Vermutungen angewiesen. Verfolgen wir nämlich das Itinerar des Legaten, soweit es uns bekannt ist, so sehen wir ihn bis Anfang September nur am Mittelrhein sich aufhalten: am 3. Juli finden wir ihn bei Andernach, am 25. August in Ciobienz, am 3. September wieder bei Andernach — am 7. September ist er plötzlich in Neuss, 2 und diesen schnellen Aufbruch nach dem Niederrhein glaubt; ich mit der Annahme der Krone durch den Grafen von Holland in Zusammenhang bringen zu dürfen. Vier Wochen später ist Peter wiederum in Neuss anwesend, und zwar scheint er sich inzwischen nicht vom Niederrhein entfernt zu haben; in dieser Zeit hat ihn jedenfalls der endgültige Abschluss der Verhandlungen mit Holland, Brabant und Geldern, ferner die Einsetzung Otto's zum Lütticher Bischof beschäftigt. Wie klug auch immer der Papst im vorigen Jahre die Wahl des Gegenkönigs eingeleitet hatte, indem er nämlich allgemein die Fürsten, denen das Recht zur Kur zustände, zur W a h l Heinrich Raspe's aufrief, zugleich aber an alle noch zu gewinnenden Machthaber Deutschlands einzeln schrieb und sie zur Betreibung der Neuwahl anspornte 3 — so 1 Matth. Paris IV, 624. Cat. aep. Colon. Sa. XXIV, 356 und demnach bei Levold Fontes II, 292. * Ried Cod. dipl. Ratisb. I, 443. Beyer Mittelrh. Urkundenbuch III, 650. Cod. Lubec. I, 1, 124. Anna]. Worin. Fontes II, 169. 3 M. G. LI. II, 361. 362.

6

-

82

-

dachte er natürlich möglichst viel Stimmen zu erzielen, weil jeder gern wahlberechtigt war — trotz aller Diplomatie hatte er doch wenig erreicht. Im Jahre 1247 fürchtete wohl Innocenz aufs Neue einem solchen Misserfolg sich auszusetzen. Nichts hören wir von einer öffentlichen Aufforderung, Wilhelm von Holland zu wählen; der Papst scheint im Gegenteil mit der W a h l eine Überraschung der nicht beteiligten deutschen Fürsten im Sinne gehabt zu haben, ganz ohne Aufsehen und äusserst schnell — nach unserer Annahme innerhalb eines Monats — sind die Vorbereitungen betrieben worden. 1 Denn wenn wir so eifrige Anhänger der Curie wie die Bischöfe von Metz, Bamberg, Würzburg, Strassburg und Regensburg bei der Wahl nicht vorfinden, so glaube ich dies nur dadurch erklären zu können, dass die Kürze der gestellten Frist ihnen ein rechtzeitiges Erscheinen unmöglich machte. Menco erzählt, 2 dass der Legat, nach Köln gekommen, alle Bischöfe und Fürsten von ganz Deutschland auf den Michaelistag zusammenberufen habe. Mencö ist zwar ein sonst gut unterrichteter Zeitgenosse, aber seine Darstellung der Wahl ist, wie wir sehen werden, stark päpstlich gefärbt; ebenso wie er die Anzahl der Teilnehmer bedeutend übertreibt, so jedenfalls auch die kahl der Geladenen: keinesfalls gehörten alle Fürsten des Reiches zu ihnen. Eine Urkunde Simons von Paderborn 3 führt uns auf eine andere Spur; in dieser teilt der Bischof mit, dass Erzbischof Siegfried von Mainz und Cardinal Peter Capoccio ihn „kraft päpstlicher Machtvollkommenheit" zu einer Versammlung nach Cöln berufen hätten, welche „um des Notstandes der Gesammtkirche willen" anberaumt sei. Warum sagt aber Simon nicht, dass es sich um eine Königswahl handele ? Entweder war ihm von den Leitern seiner 1

Darauf deutet wohl auch der Ausdruck im Briefe des Papstes an die deutschen Fürsten bei Meermann Anhang No. 24: W. non misterio hominis, sed potius divino misterio quasi ex insperato ad imperii fastigium est assumptus und: quanto id inspiratione vel potius dispositione divina non ambigitur esse factum. Solche Sprache wäre ja bei einem öffentlichen Aufruf zur Wahl "Wilhelms unmöglich. « Ss. XXIII, 541. ' Bei Schaten Annal. Paderb. II, 41.

-

83

-

Partei Schweigen auferlegt worden — dies würde für unsere Annahme der grossen Heimlichkeit der Vorbereitungen sprechen — oder, was ich lieber glauben möchte, der Bischof wusste selbst nichts vom Zweck seiner Ladung. Die gewählten Worte machen mir nämlich den Eindruck, als ob sie von dem an den Paderborner ergangenen Spezialschreiben selbst herrühren; dieses war, wie es scheint, nur in ganz allgemeinen Wendungen abgefasst und bezeichnete den „Notstand der Kirche" als Grund der Versammlung; kirchliche Interessen sollten demnach zu Köln verhandelt werden. Und somit ist wohl klar — falls nicht etwa, was kaum anzunehmen, verschiedene Fassungen des Ladungsschreibens existirten — dass vor Allen und vielleicht ausschliesslich die deutschen Bischöfe berufen wurden. Deutet nicht auch der an der Spitze stehende Name des päpstlichen Legaten als des einen der Berufenden, ferner der Ausdruck „auctoritate apostolica" darauf hin, dass hier nicht ein Wahlausschreiben, sondern vielmehr ein Aufgebot zu einer geistlichen Versammlung zu Grunde liegt? Durch jene erhaltenen Spuren des Einladungsschreibens vermögen wir also die Angabe Mencos dahin zu berichtigen, dass der Legat den deutschen Episcopat zu einem Concil auf den Michaelistag 1247 nach Köln entboten hat. 1 Es ist allerdings im höchsten Grade auffällig, dass säiumt1 Auch Burkhardt Eonrad von Hochstaden p. 28. nimmt an, dass durch j e n e s Schreiben bei Schaten nur die deutschen Bischöfe zur VerSHmiulung geladen wurden, aber ohne e s zu begründen. Ulrich, der übrigens von einem vor der W a h l abgehaltenen Concil nichts wissen will, hält es p. 8 ebenfalls für nicht wahrscheinlich, dass in jenem Schreiben gradezu zur Beteiligung an der Wahl aufgefordert wurde. Trotzdem bezeichnet er merkwürdigerweise dasselbe als „eine Art Vorläufer j e n e r W a h l a u s s c h r e i b e n , w e l c h e die Erzbischöfe von Mainz später, nach E r l e d i g u n g des deutschen Königsthrones, an die W a h l fürsten zu senden hatten." Diesem „später 4 widerspricht über Ulrich selbst, wenn er in Anm. ö auf Otto v. Freising hinweist, welcher Gesta Fridrici I. lib. I, 17 es als ein altes Recht des Mainzer Erzbischofs hinstellt, bei Sedisvakanz die Fürsten zusammenzurufen. Also schon zu Friedrichs I. Zeit ist der Mainzer Erzbischof befugt, Wahlausschreiben zu erlusseu!

0*

-

84

-

liehe Quellen mit Ausnahme einer einzigen über diese Versammlung schweigen; doch sie gehen j a alle über die Wahl Wilhelms sehr kurz hinweg, und die Mehrzahl unserer Gewährsmänner hielt vielleicht ihr streng päpstlicher Standpunkt von einer eingehenden Schilderung des so irregulären Verfahrens der Curie zurück. Nur Albert von Stade erzählt uns, 1 dass Peter Capoccio die Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands, soweit er konnte, berufen und mit ihnen am Michaelistage ein Concil bei Köln abgehalten habe, welches er ausdrücklich von der darauf folgenden Wahl scheidet; die ganze Darstellung dieses Zeitgenossen ist so präzise und reich an Einzelheiten, dass ich glaube, ihr unbedingt folgen zu können. Einige andere Erwägungen bestätigen unsere Annahme: die Zahl der später bei der Wahl anwesenden Prälaten ist doch, wie wir sehen werden, ganz auffällig gross; noch mehr muss es befremden, dass einige derselben, die, weitab wohnend, auf dem rheinischen Schauplatz der ßeichsgeschichte bisher gar nicht aufgetreten waren, wie der Erzbischof von Bremen, die Bischöfe von Toul, Verdun und Hildesheim, nun hier zu gleicher Zeit entscheidend in die deutschen Verhältnisse eingreifen. W a s konnte so plötzlich ihr Interesse wachgerufen haben ? Wenn wir nun endlich diese grosse Anzahl Prälaten am 4. Oktober zu Worringen bei Köln wirklich eine kirchliche Handlung vollziehen sehen, nämlich die Ablasserteilung für die Einweihung der St. Cunibertskirche zu Köln, 2 so kann es in der That wohl keinem Zweifel unterliegen, dass damals ein Concil der deutschen Bischöfe stattgefunden hat. Welches war aber der Zweck desselben? Dass der Legat, als er die Ausschreiben erliess, schon die Wahl Wilhelms im Auge hatte, ist mir höchst unwahrscheinlich; da nach unserer Annahme das Auftreten des Holländers als Candidaten erst in den Anfang September fällt, so glaube ich vielmehr in Anbetracht der weiten Entfernung, welche die Bischöfe von Toul, Hildesheim, Osnabrück und der Erzbischof von Bremen zurückzulegen hatten, den Zeitpunkt der Berufung einige Zeit früher

1 Ss. XVI, 371. 2 Ereuser Edlner Dombriufe 378.



85



ansetzen zu müssen: ob Peter Capoccio damals rein kirchliche oder zugleich auch politische Ziele verfolgte, bleibt ungewiss. Nachdem nun aber inzwischen der Graf von Holland die deutsche Königskrone angenommen hatte, lag natürlich der Hauptzweck der schon berufenen Kirchenversammlung klar zu T a g e : es galt jetzt, dem deutschen Episkopat, der ja zu keiner Wahl geladen war, den Willen des Papstes kundzuthun und jede etwaige Opposition gegen Wilhelms Candidatur zu unterdrücken. 1 Gesetzt aber, dass sich wirklich noch Zweifel gegen unsere Annahme erhöben, 2 in unserm Urteil über den Wert des Wahlaktes wird nichts geändert: denn glich die ganze nun folgende Wahlversammlung nicht gar sehr einem vom Legaten geleiteten Provinzialkonzil ? E s ist eine recht beträchtliche Anzahl geistlicher Fürsten, die wir am 3. October 1247 — das Datum steht durch Übereinstimmung der Angabe Alberts von Stade mit dem eines päpstlichen Schreibens an den Rektor von St. Maria in Cosmedin fest 3 — zur Wahl Wilhelms versammelt

1 Ich verweise über diese Versammlung nur auf Ottokar Lorenz Deutsche Gesch. I, 44.45, dessen Urteil über die ganze Wahl ich mich völlig anschliesse, wenn ich auch nicht mit L. in den Worten Alberts von Stade den direkten Beweis dafür sehen kaun, dass auf dem Concil die Wahl zur Verhandlung kam (L. fügt unberechtigt ein et in den Text ein). — Schon Burkhardt 28 nimmt ein solches Concil vor der Wahl an; er verweist dabei auf Scbaten II, 41. 4 3 , der sonderbarer Weise berichtet, dass Bischof Simon zwei Mal im Sept. 1247 an den Rhein gezogen sei. Auch Busson Doppelwalil p. 3 und Sehirrmacher Friedrich II., I V , 263, ferner Ficker Reg. Wilh. nr. 4885 e halten an dem Concil vor der Wahl fest, während Raumer Hohenstaufen IV, 123 und Cardauns Konrad von Hochstaden 24 gänzlich davon schweigen. 2 Es bleiben immerhin einige Bedenken, so z. B. konnten doch der Faderborner und der Bremer, die am 25. Septemb. noch in Paderborn urkunden (Scbaten 1. c.), bis zum 29. kaum den über 20 Meilen langen Weg bis Köln zurücklegen. 3 Bei Beka ed. Büchel p. 78. Die Angaben schwanken wenig. Melis Stoke I I , 64 giebt den 29. Sept., Matth. Paris IV, 639 den 30. Septemb. Nik. von Curbio. ap. Murat. I I I , 592 den 4. Oktob. (1246) an. Menco nennt den 29. Sept. als Berufungstag — er meinte wohl des Concils. Daher wohl auch die Schwankungen im Datum: man verwechselte Concil und Wahlversammlung.



86



finden.4 Vor Allen waren natürlich die drei rheinischen Erzbischöfe anwesend: Siegfried von Mainz, Konrad von Köln, Arnold von Trier, ferner Erzbischof Gerhard von Bremen, ausserdem die Bischöfe: Engelbert von Osnabrück, Rutger von Toul, Hermann von Hildesheim, Heinrich von Lüttich, Otto von Münster, Simon von Paderborn, Johann von Yerdun; von diesen waren die fünf letztgenannten Prälaten noch nicht konsekrirt, zum Teil vielleicht noch nicht konfirmirt, ein Umstand, der sie wohl bewegen konnte, sich willfährig gegen die Curie zu erweisen. Und war ihnen nicht nun auch die Investitur sicher? Das Beispiel Heinrich Raspes hatte gezeigt, dass ein König, der nur von Bischöfen gewählt war, auf wenig Anerkennung zu rechnen hatte; die neue Wahl musste notgedrungen einen etwas legitimeren Anstrich haben, und darum hat Peter Capoccio auch einige weltliche Fürsten hinzugezogen. Heinrich von Brabant und Otto von Geldern, welche beide mit dem Grafen von Holland verwandt und, 1

Die Erzbischöfe von Mainz und Köln stehen als Wähler fest durch Übereinstimmung von Chron. reg. 291, Gest. Trevir. (2. Fassungj in 8s. XXIV, 4 1 1 , Menco X X I I I , 541, Christ. Mog. Fontes II, 269, Herman. Altah. in der Abschrift Aventins, die dem Druck bei Oefele 8s. rer. Boic. I, 674 zu Grunde liegt, mit den Dankschreiben Innocenz' (D. 8.) in LI. II, 364, beide gehören ferner zu den Ausstellern der Indulgenznrkunde vom 4. Okt. bei Ereuser 1. c. Der Trierer ist wohl sicher durch Übereinstimmung von Chron. reg. Gest. Trev. Menco. Herrn. Altah. D.S. mit der Indulgenzurkunde. Die vereinzelte Angabe des antipäpstlichen Chris). Mog., der den Trierer nicht nennt, tritt znrück. Mit Unrecht verdächtigt wohl Waitz in Ss. X X I V , 411 Anm. 13 den Bericht der Gest. Trev. von der Anwesenheit Arnolds als falsch; cf. Weiland Forschungen X X , 334. Auoh die übrigen in der Indulgenzurkunde genannten Prälaten sind jedenfalls bei der Wahl anwesend; der Ausdruck „suffragani" in den D. S. begreift sie insgesammt, einer von ihnen, Heinrich v. LiUtich, ist auch noch Zeuge in Wilhelms Urkunden vom 9. Oktob. Ficker Reg. Wilh. 4890. 4891. Dagegen werden Alb. v. Regensburg und Arn. v. Semgallen (gegen Cardauns 24), von denen besondere Indulgenzurkunden zu K ö l n mense Octobri ausgestellt sind, nicht bei der Wahl anwesend gewesen seien. Ihre Urkunden sind jedenfalls später ausgestellt, als die Prälaten schon Einlas» in Köln gefunden hatten. An sie sind auch keine D. S. geschickt, denn der Ausdruck suifragnni umfasst sie nicht.

— 87

-

wie wir wissen, längst für seine Wahl gewonnen waren, nahmen selbstverständlich an derselben Teil. Ausser ihnen wird nur der Graf von Loos genannt, doch waren noch eine Anzahl kleinerer Grafen erschienen, deren Namen aufzuzeichnen, kein Chronist der Mühe wert gehalten hat. 1 Der Legat wird kaum nötig gehabt haben, an diese weltlichen Fürsten besondere Einladungsschreiben zu schicken; bei den zwei erstgenannten wenigstens, mit denen er ja eben noch über die "Wahl verhandelt hatte, wäre es nur leere Form gewesen. Und gleichsam alle diese Fürsten durch seine Autorität überragend, finden wir auch den eigentlichen Stifter dieser Wahl, den Legaten Peter Capoccio, 2 anwesend. End-, lieh waren einige Prälaten, die persönlich zu erscheinen wahrscheinlich verhindert waren, durch Vollmachten in der Versammlung vertreten, nämlich die Bischöfe von Strassburg, Würzburg und Speier. 3 Die Wahl war ebenso wie das Concil, nach Köln ausgeschrieben worden; aber die kaiserlich gesinnten Bürger 1 Der Brabanter nach Chron. reg. Herrn. Altnh. u. D. S. Otto von Geldern nach D. S., ist Zeuge in Wilhelms Urkunden vom 9. Oktobcf. Chron. reg. Dem Grafen von Loos sendet Innocenz ein D. S. 2 Nach Menco. Chron. reg. Herrn. Altah. 9 Der Papst dankt ihnen für ihre Teilnahme an der Wahl, doch finden sich ihre Namen nicht in der Indulgenzurkunde. Da nun Menco erzählt, dass einige Fürsten Vollmachten geschickt, so werden wir es wohl mit Recht von diesen annehmen (gegen Philipps Königswahlen II, Wiener Sitzgsber. XXVI, 108). — Die Darstellung bei Menco, der von allen Bischöfen und Fürsten doB ganzen Reichs als Teilnehmern spricht, ist natürlich ebenso übertrieben, wie der Bericht im Brief des Papstes, Beka 78: communi voto prineipum, qui in electione cesaris jus habere noscuntur, in Rom. regem . . . . electus, ferner die Schilderung in den Gest. abbat, hört. S. Mariae Ss. XXIII, 602: magnaque concordia optimatum ac prineipum totius regni —, und in Chron. Han. Ss. XXV, 458: la plus grande partie des prinches esluirent —. Doch diese Quellen sind j a meist päpstlich. Befremdend aber ist, dass der Staufenfreundliche Matth. Paris s a g t : Magnates Allemanniae ad quos jus electionis spectat, p r o m a j o r i p a r t e elegerunt. Dann war er nicht gut unterrichtet. Die ca. 100 resp. 300 J a h r e später geschriebenen Berichte Bekas und des Magn. Chron. Belg. (Edm. v. Dynter), welche, ohne Namen zu nennen, die Wahl durch „eleetorea" erfolgen lassen, kommen für uns natürlich nicht in Betracht,

-

88

-

dieser Stadt hielten hartnäckig ihre Thore verschlossen.1 Die Fürsten lagerten sich nun in der weiten Bheinebene nördlich von Köln; doch über den speziellen Ort, wo der Wahlakt stattfand, hat man, da die Quellen darüber nicht ganz einig sind, mehrfach gestritten. Jener schon erwähnte Brief des Papstes bei Beka gibt nur „juxta Goloniam" an, ebenso das Chron. Ellenh. Der Stader Annalist lässt die Wahl in Neuss erfolgen, während sie nach Chron. reg., Gesta Trevir. und dem späteren Beka bei der kleinen Stadt Worringen stattgefunden hat. Böhmer und Schirrmacher schwanken noch zwischen beiden Orten; Cardauns glaubt auf Grund .der Indulgenzurkunde der Bischöfe, die am 4. October zu Worringen ausgestellt ist, sich für diese Stadt entscheiden zu müssen, und derselben Ansicht ist Ficker. 2 — Die nicht eben wichtige Frage wird nach meiner Meinung einfach so gelöst: Neuss und Worringen liegen nur drei Meilen von einander entfernt; auf dem freien Felde zwischen beiden Orten — denn es war j a alte deutsche Sitte unter freiem Himmel die Könige zu wählen — fand die Wahl statt, sagt doch die Ohron. reg. ausdrücklich: in campis juxta Woringen. Ein Teil der Fürsten wird in Worringen Quartier genommen haben und zwar wahrscheinlich die geistlichen. Da diese ja zuerst bei Cöln, wo sie vergeblich Einlass begehrt, ankamen, werden sie sich jedenfalls am nächsten bei dieser Stadt niedergelassen haben; finden wir sie doch auch am 4. Oktober noch in Worringen versammelt. Weil aber dieser kleine Ort für die Gesammtheit der Wähler wohl nicht Baum genug bot, so haben die später erschienenen weltlichen Fürsten in dem entfernteren Neuss ihre Wohnung aufgeschlagen. Hier bei Cöln wurde nun Graf Wilhelm von Holland zum deutschen König gewählt, „mit grösster Einstimmigkeit", 1 Chron. reg. 291. Auch das Concil war „prope Coloniam" abgehalten worden. Annal. Stad. 8

Böhmer Reg. Wilh. 1 und Eeichssach. 6. Schirrmacher Entstehung des Kurfürstencollegs 65 u. Anm. 1. Cardauns Eonr. •. Hochstart. 24 Anm. 3 und früher schon im Archiv f. Gesch. des Niederrheins VII, 231, Ficker Reg. Wilh. 4885 e.

-

89



wie einige Quellen betonen. Das war natürlich, da ja nur Anhänger der Curie erschienen waren. Überhaupt war nach allen vorausgegangenen Verhandlungen der ganze Wahlakt nur noch leere Form. Es ist recht bezeichnend, dass wir, trotz der nur dürftigen Andeutungen unserer Gewährsmänner über diesen Akt, zu erkennen vermögen, wie auch hierbei der Legat sich Eingriffe erlaubte; wird er doch von einigen derselben gradezu unter den Wählern aufgeführt. 1 Über den sonstigen Hergang der Wahl lässt sich aus den Quellen nichts Sicheres schliessen. Die Angabe der Gesta Trevirorum: W . per memoratos Moguntinum, Treverensem et Coloniensem archiepiscopos presentibus ducibus, comitibus et terrae nobilibus pluribus electus — deutet allerdings darauf hin, dass nur die rheinischen Erzbischöfe als alleinige Wähler ihre Stimmen abgaben, während die weltlichen Fürsten durch blosse Anwesenheit ihre Zustimmung ausdrückten. Aber dieser Wahlbericht, wclcher sich nur in der kürzeren Fassung der Bistumsgeschichte vorfindet, die von Waitz als abgeleitet bezeichnet ist, äussert sich recht ungenau über die Teilnehmer, indem er die Bischöfe gänzlich unerwähnt lässt, und von „Herzogen" spricht, welchen Bang doch nur Heinrich von Brabant bekleidete. Übrigens hat Bertheau nachgewiesen, dass dieser Teil der Gesta nicht vor 1261 verfasst ist, in einer Zeit, in der das Kurfürstencolleg bereits ausgebildet erscheint, denn der Verfasser spricht schon von „principes electores". Es ist wohl denkbar, dass derselbe die Zustände späterer Zeit auf Wilhelms Wahl übertragen hat. 2 Nur mit Mühe könnte man auch aus Meneos Darstellung, der als „principales in electione" die drei Erzbischöfe und viele Bischöfe nennt, und dann hinzufügt: aliis prineipibus ad quos pertinet electio vel presentibus vel per literam se excusantibus — eine bei der Wahl gemachte Scheidung der 1

Heiman. Altali. 1. c. Auch nach Chron. reg. scheint er an der Wahl Teil genommen zu haben. Menco stellt ihn den „principales in electione" sogar voran. 2 Waitz in Ss. XXIV, 370. Bertheau Die Gesta Treyir. 78 ff.



90

-

Fürsten herauslesen. Doch glaube ich darin nur die schon von Gelhorn richtig hervorgehobene päpstliche Tendenz dieses Chronisten zu erkennen; die geistlichen Fürsten sind für ihn die bevorzugten Wähler, die weltlichen treten zurück. Der ganze Bericht zeigt für deutsches Reichsrecht gar zu wenig Verständnis, das ja auch dem in friesischer Abgeschiedenheit lebenden Yerfasser kaum zuzutrauen ist.1 Grösseres Gewicht für uns hat natürlich ein urkundliches Zeugnis, nämlich der schon öfters erwähnte Brief des Papstes an den Rector von St. Maria in Cosmedin, in welchem es heisst: W . communi voto principum qui in electione cesaris jus habere noscuntur, in Romanorum regem ceteris principibus applauaentibus est electus. Danach fand eine „einstimmige Wahl durch die bekanntermassen zur deutschen Königswah) berechtigten Fürsten statt, während die übrigen nur ihren Beifall zu erkennen gaben". Die anfangs angezweifelte Echtheit dieses Briefes, der, wie wir unten sehen werden, in zwei verschiedenen Fassungen vorliegt, hat schon Böhmer später anerkannt, ihm ist Ficker in der Neubearbeitung der Regesten gefolgt und ebenso Weiland; ihnen schliesse ich mich unbedingt an und halte Ulrichs Versuch, die Urkunde als unecht nachzuweisen, für gänzlich gescheitert. 2 Dass sich Innocenz einige Übertreibungen, Ibid. 24.

-

113 —

Schweigen übergangen. Und kam die W a h l wirklich so unverhofft? Vielleicht hinsichtlich der Person des Gewählten: aber dass der Papst schon lange einen Gegenkönig aufzustellen suchte, wusste man sicherlich. 1 — Zugleich sehen wir hier j e n e n Gedanken angedeutet, mit dem Innocenz namentlich nach Friedrichs Tode die Gültigkeit des Königtums Konrads bestritt: er gesteht kein Erbrecht, sondern nur Wahlrecht im Reiche zu. 2 Schon einmal, als im J a h r e 1077 zu Forchheim gegen den rechtmässigen deutschen König Heinrich I V . ein Gegenkönig aufgestellt wurde, hatte die Curie, in Gemeinschaft mit einer Anzahl aufrührerischer Fürsten, denselben Grundsatz öffentlich ausgesprochen. Thatsächlich war j a die Verbindung von W a h l und Erblichkeit seit ältester Zeit charakteristisch für das deutsche Königtum gewesen; haben die Deutschen auch stets an ihrem freien Wahlrecht festgehalten, sehen wir sogar den kaiserfreundlichen Otto von Freising dasselbe ausdrücklich betonen, so war andrerseits die Anhänglichkeit an das einmal erhobene Herrschergeschlecht von jeher so gross, dass die W a h l des Nachfolgers nach Massgabe des Erbrechts fast zur Rechtsgewohnheit w u r d e . 3 Aber ebenso wie die stets von den Päpsten wiederholte Anschauung, dass das Recht zur deutschen Königswahl nur einer beschränkten Anzahl Fürsten zustehe, nicht ohne Einfluss geblieben ist auf die Bildung des Kurfürstencollegs, so drang auch in unserm Falle die Meinung der Curie d u r c h : wie wir wissen hat sich j a Deutschland sehr bald völlig in ein Wahlreich umgestaltet. Innocenz konnte wohl mit Sicherheit hoffen, dass seine Theorie früher oder später bei den

1

Es ist wirklich traurig, dass selbst ein neuerer Historiker sich gegen das übereinstimmende Zeugnis fast sämmtlicher Quellen zu verschliessen vermag, und blindlings den Worten d e s Papstes Glauben schenkend, die Ansicht ausspricht, dass die Wahl dem Papst (!) „unerwartet und als besondere Fügung" erscheinen moohte. Höfler Friedrioh II. 249 A. 3. 2 cf. Meerman nr. 75 p. 81: cum ipsi nullum jus habent in imperio, cujus non successione sed electione dignitas obtinetur. ' Bruno de bello Sax. Ss. V, 365. Otton. Fris. gesta Frid. Ss. XX, 391. cf. Waitz Deutsche Yerfassungsgesch. VI, 121—128.

8



114



deutschen Fürsten Anklang finden würde; und doqh hatte er für den Augenblick gar keinen Erfolg. Den weltlichen Fürsten mochte die Zumutung doch allzu kühn erscheinen, dass sie, die in ihren Rechten so tief vom Papst gekränkt waren, nun plötzlich auf seinen Befehl zuin Hoftag des neuen Königs erscheinen sollten. Es liegt wohl auf der Hand, dass Innocenz mit dieser nach Aachen anberaumten Yersammlung die Krönung Wilhelms im Auge hatte; zählten aber die Bürger jener Stadt nicht zu den treuesten Anhängern des Kaisers? Der Papst machte nun den Versuch, sie auf friedlichem Wege zu gewinnen. In einem Briefe vom 19. November gab er den Bürgern zu überlegen, wie der König, der durch seine Anhänger sie von allen Seiten umringt halte, Freiheit, Dank und Ehre ihnen gewähren würde, wenn sie von Friedrich abfielen und ihm beiständen, wozu er sie aufforderte. 1 Doch die Staufentreue der deutschen Bürger hatte festeren Bestand als Innocenz dachte: die Aachener gaben ebensowenig auf die päpstlichen Lockungen, wie die deutschen Fürsten, und Wilhelm sah sich genötigt, mit Waffengewalt seine Anerkennung zu erkämpfen. Yon Lyon aus wurde natürlich das Interdikt über die widerspänstige Stadt verhängt, dem bald die übliche Kreuzpredigt, mit gleichem Sündenerlass, wie für die Fahrt ins hl. Land, folgte. 2 Was den neuen König betrifft, so ist unser Quellenmaterial über ihn für die nächste Zeit nach seiner Wahl äusserst lückenhaft; wir sahen ihn zuletzt um Mitte Oktober in Köln einziehen, erst am 13. Dezember taucht er wieder — nach dem Bericht der Kölner Königschronik, die hier noch am ausführlichsten ist 3 — vor Kaiserswerth auf; keine Urkunde verrät uns seinen Aufenthaltsort während dieser zwei Monate, keine Chronik gibt eine Notiz über seine Thätigkeit. Aber dennoch kann nach den eben erwähnten päpst1

Meermann Nr. 25. 2 Hoosem in Chapenville Gest. pont. Leod. II, 275. Chron. Hannon. Ss. XXV, 458. • Chron. reg. 292.

-

115



liehen Briefen kaum noch ein Zweifel darüber sein, womit Wilhelm in dieser Zeit beschäftigt war: er bereitete sich für den K a m p f gegen die staufische Partei in Deutschand vor und suchte vor allem sich eine möglichst grosse Heeresmacht zu erwerben; über derartige militärische Rüstungen schweigen j a zumeist die mittelalterlichen Quellen. Und 3a er sich nun hierbei nnch Innocenz Weisung hauptsächlich auf die Agitation des Legaten stützen sollte, so lässt sich wohl annehmen, dass König und Legat in dieser Zeit nicht allzuweit von einander getrennt waren. Peter Capoccio finden wir am 1. und 5. November in Köln, am 15. in Andernach) am 30. in Neuss urkunden; 1 es ist wahrscheinlich, dass auch König Wilhelm während dieser Zeit sich nicht weit von den unteren Rheingegenden entfernt hat. Das nächste Ziel eines jeden Neugewählten war nun, durch die Krönung zu Aachen seinem Königtum eine höhere rechtliche Weihe zu verleihen. Doch darauf verzichtete Wilhelm vorläufig, wahrscheinlich in der richtigen Erkenntnis, dass seine Streitkräfte noch zu klein seien, um die mächtige Krönungsstadt sich zu unterwerfen. 2 E r begann am 18. Dezember eine andere Stadt, die geringere Macht, aber vielleicht noch grössere militärische und finanzielle Bedeutung besass als Aachen, nämlich Kaiserswerth, zu belagern. Die Eroberung gerade dieser Feste war dringendes Bedürfnis für den König, da sie den Flussverkehr zwischen seinen holländischen Stammlanden und den befreundeten kölnischen Gebieten gänzlich zu hindern vermochte; 1

II, 321.

Sloet I I , 681. 68*2.

Ficker Reg. Wilh.

4894 a.

Lacoroblet

2 Nur noch bei dem über 100 Jahre späteren Lütticher Geschichtscbreiber J e a n d'Outremeuse V, 275 findet sich eine Nachricht über diese dunkle Zeit: er erzählt, dass W. nach seiner Wahl, die er zu Aachen am 12. November erfolgen lässt, mit der ganzen Versammlung der Fürsten und dem Legaten am 1. Dezember nach Lüttich gezogen sei, um hier den von den Bürgern vertriebenen Bischof Heinrich wieder einzusetzen. Die Nachricht ist sehr zweifelhaft, da sich nichts davon bei dem viel jüngeren Lütticher Historiker Hocsem findet, und die Anwesenheit des Legaten am 1. Dezember zu Lüttich ist kaum möglich, da derselbe am 30. November noch in Neuss urkundet.

8*



116



erst nach ihrem Falle beherrschte er den Niederrhein. Und am Rheinstrom aufwärts musste der König vordringen, dieser W e g war ihm naturgemäss vorgezeichnet, wenn er sich Deutschland erobern wollte. Hier musste er die staufischen Burgen, die noch zum Teil den Strom beherrschten, in seine Gewalt bringen, um schliesslich König Konrad in seinem süddeutschen Stammlande anzugreifen. Dies war auch der Plan Wilhelms, bei dessen Verfolgung er aber fast nie über den Mittelrhein hinaus gekommen ist.

NACHTRÄGE UND BERICHTIGUNGEN. Zu p. 20: Ich habe die Stadt Nürnberg unter den zur staufischen Partei gehörigen Städte aufgeführt, verleitet durch die von Böhmer ßeg. Raspes nr. 11 ausgesprochene Vermutung, dass die Bürger dieser Stadt den König Heinrich Raspe, welcher am 2. Januar 1247 „in castris apud Nurenberg" urkundet, keinen Einlass gewährt hätten. Diese Annahme ist falsch; Böhmer hat übergehen, dass die unmittelbar folgende Urkunde Raspe's Reg. nr. 12 in Nürnberg s e l b s t ausgestellt ist. Unzweifelhaft ist die Ansicht Fickers Reg. nr. 4882 richtig, dass der Ausdruck „in castris" nur auf eine Heerfahrt des Königs zu beziehen sei. Zu p. 45: Der zweite Band von Winkelmann Acta imp. ined., den ich leider für meine Arbeit nicht mehr benutzen konnte, enthält p. 722 eine für die Klarstellung der Beziehnngen Ludwigs IX. von Frankreich zur Curie sehr wichtige Urkunde, die uns bisher nur in einem Excerpt von Pertz im Archiv f. ält. Deutsohe Geschkde. VII, 31 vorlag. Nach der Fassung des letzteren: „Innoc. —- scribit, regem Francie magnum exercitum convocare regis in Germania novi eligendi causa" musste ich annehmen, dass der Papst dem Könige von Frankreich die Absioht unterschiede, die neue Königswahl in Deutschland durch einen Heereszug zu unterstützen, was ich, auf Grund der freundschaftlichen Beaiefenngeß zwischen Friedrich II. und Ludwig IX., als unmöglich und deshalb als lügnerische Erfindung der Curie bezeichnet habe. Nach dem vollständigen "Wortlaut dieses Briefes, welcher sich jetzt bei Winkelmann findet, ist aber nirgends von einem derartigen Vorhaben Ludwigs IX. die Rede, und der Papst ist demnach von jenem Vorwurf völlig freizusprechen. Dagegen bestätigt die Urkunde unsere schon p. 4 und 5 ausgesprochenen Ansichten, dass Innocenz von dem Zuge Friedrichs II. nach Lyon nicht eine friedliche Rechtfertigung, sondern einen feindlichen Überfall erwartete, ferner dass Ludwig IX. dem Papste nur für die Eventualität eines thatsächlichen Angriffes durch den Kaiser Hilfe zugesagt hatte. Die am Schlüsse des Schreibens gegebene Versicherung, dass demnächst in Deutschland eine neue Königswahl erfolgen werde, ist keineswegs für mich beweisend, dass der Legat schon damals (d. i. am 2. Juli) einen sicheren Candidaten, also Wilhelm von Holland, in Aussicht hatte; ich halte sie nur für eine leere Vertröstung.