Klopstock als Sprachwissenschaftler und Orthographiereformer: Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Grammatik im 18. Jahrhundert [Reprint 2021 ed.] 9783112534403, 9783112534397


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Klopstock als Sprachwissenschaftler und Orthographiereformer: Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Grammatik im 18. Jahrhundert [Reprint 2021 ed.]
 9783112534403, 9783112534397

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DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU B E R L I N Veröffentlichungen der Sprachwissenschaftlichen Kommission 2

RENATE BAUDUSCH-WALKER

KLOPSTOCK ALS SPRACHWISSENSCHAFTLER UND ORTHOGRAPHIEREFORMER Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Grammatik im 18. Jahrhundert

AKADEMIE-VERLAG 19 5 8

• BERLIN

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Mohrenatraße 39 Lizenz-Nr. 202 • 100/416/58 Satz, Druck und Bindung: IV/2/14 • VEB Werkdruck Gräfenhainicben • 877 Bestell- und Verlagsnummer: 2018/2 Printed in Germany

INHALT

VORWORT

6

I. KLOPSTOCKS SPRACHWISSENSCHAFTLICHE BEMÜHUNGEN 1. Vom Sänger des „Messias" zum „Scholiasten"

9 9

2. „Die deutsche Gelehrtenrepublik"

25

3. „Über die deutsche Rechtschreibung"

34

4. „Grammatische Gespräche"

41

5. Letzte Versuche zur Förderung der deutschen Sprache

45

6. Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen seines Gesamtwerkes

im

Rahmen

I I . KLOPSTOCK ALS S P R A C H R E I N I G E R

49 54

A. Klopstocks puristische Bestrebungen

54

B. Klopstocks deutsche grammatische Terminologie

60

1. Lautlehre

63

2. Die Redeteile

66

3. Flexionslehre

76

4. Wortbildungslehre

84

5. Syntax

95

I I I . KLOPSTOCKS DEUTSCHE O R T H O G R A P H I E R E F O R M

101

A. Die theoretischen Grundlagen der Klopstockschen Reformbestrebungen

101

B. Klopstocks Kampf gegen die Gegner des phonologischen Prinzips

110

1. Schreib, wie du sprichst!

110

2. Was ist Hochdeutsch?

115

3. „Über Etymologie und Aussprache"

126

4. Sprachgebrauch und Schreibgebrauch

. .

134

4

Inhalt C. Klopstocks schreibung

Vorschläge

zur Verbesserung

der deutschen

Recht-

1. Die Bezeichnung der Vokalquantität a) b) c) d)

145 145

Das Dehnungs-Ä ie Die Vokalverdoppelung Die Konsonantengemination

151 153 155 155

2. Die e-Laute

161

3. Die Diphthonge a) ei und ai b) eu und äu

169 169 170

4. Die «-Laute

173

a) Das End-s b) ß c) seh,

174 175 177

5. Die /-Laute a) ff b) / und v c) pf

181 181 182 184

6. Die Medien b, d, g

189

a) Die Auslautverhärtung b) d und t c) g

189 191 193

. .

7. Die Nasale a) n und m b) ng

195 . . . . . . . . . . . .

8. Die „Schreibverkürzungen" a) b) c) d)

x q z tz

9. Die „überflüssigen Buchstaben" a) b) c) d)

y c th ph

195 197 199

,

201 202 203 206 210 212 214 216 219

10. Die Orthographie der Fremdwörter

220

11. Die Großschreibung des Substantiva

222

12. Die Silbentrennung

225

13. Der Apostroph

229

5

Inhalt D . Klopstocks Gedanken über die praktische D u r c h f ü h r u n g seiner Reform

231

E . Schlußbetrachtung

237

1. Klopstock u n d Adelung 2. Klopstocks Verhältnis zu den zeitgenössischen reformern

237 Orthographie240

3. Die Ursachen f ü r das Scheitern des Klopstockschen Reformplanes

245

4. Klopstocks Gegenwart

250

Orthographiereform u n d ihre B e d e u t u n g f ü r die

ANHANG 1. Zeittafel

255

2. Verzeichnis der zitierten L i t e r a t u r

264

3. Register der grammatischen Termini

270

VORWORT

Klopstocks sprachwissenschaftliche Untersuchungen haben in der germanistischen Forschung bisher wenig Beachtung gefunden. Dieses Versäumnis kam mir in aller Deutlichkeit zum Bewußtsein, als ich im Sommer 1952 mein Berufspraktikum in der Sprachwissenschaftlichen Kommission der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin absolvierte und bei dieser Gelegenheit Klopstocks „Deutsche Gelehrtenrepublik" und „Sprachwissenschaftliche Schriften" für das „Historische Wörterbuch der sprachwissenschaftlichen Terminologie" exzerpierte. Deshalb erwachte in mir der Wunsch, in meiner ferneren wissenschaftlichen Arbeit diesem Mangel abzuhelfen und in den bisher nur am Rande gestreiften Problemkreis einzudringen. Meine Arbeit ging naturgemäß von Klopstocks deutscher grammatischer Terminologie aus; sie bildet das Kernstück der vorliegenden Untersuchung. Klopstocks deutsche Orthographiereform wurde bereits in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die Frage einer Verbesserung der deutschen Rechtschreibung besonders aktuell war, der Vergessenheit entrissen, in welche sie — unverdienterweise — geraten war. Nach einer kurzen Darstellung M. SCHILLINGS, die 1880/81 in der Zeitschrift für Orthographie unter dem Titel „Klopstock als Orthographiereformer" erschien, veröffentlichte L U D W I G MUGGENTHALER vier Jahre später in Dittes' „Paedagogium" eine eingehende Würdigung von Klopstocks Orthographiereformbestrebungen. Wenn ich es dennoch unternahm, dieses Thema in der vorliegenden Arbeit zu behandeln, so geschah es deshalb, weil die ausschließlich deskriptive Methode der beiden genannten Untersuchungen, die freilich vorerst notwendig sein mochte, und ihre isolierende Betrachtungsweise zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt haben. Eine richtige Einschätzung der Klopstockschen Orthographiereform und ihrer Stellung in der Geschichte der deutschen Sprachbetrachtung wird jedoch erst möglich, wenn man sie nicht als etwas für sich Bestehendes ansieht, sondern die vorhergehenden und gleichzeitigen Bestrebungen nach einer Veränderung der Rechtschreibung in die Untersuchung einbezieht. Erst dann wird auch eine Beurteilung der Wissenschaft-

Vorwort

7

liehen Leistung Klopstocks möglich, und die Ursachen für die Vergeblichkeit seiner Bemühungen können aufgezeigt werden. Darüber hinaus habe ich im Eingangskapitel versucht, Klopstocks sprachwissenschaftliche Studien in sein Gesamtwerk einzuordnen. Daß der Dichter des „Messias" seit dem Erscheinen seiner „Deutschen Gelehrtenrepublik" 1774 auch als Grammatiker und Orthographiereformer in Erscheinung trat und damit einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung einer Wissenschaft von deutscher Sprache leistete, ist heute nur den wenigsten bekannt In Biographien und Literaturgeschichten wird man vergebens nach einer stichhaltigen Begründung für Klopstocks Beschäftigung mit sprachlichen Fragen suchen. Man hat sich bisher wenig Gedanken über den Zusammenhang dieser von Klopstock sehr ernst genommenen Studien mit seinem auf den ersten Blick davon weit verschiedenen poetischen Schafifen gemacht. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die sich bemüht hätte, hierin über eine bloße Feststellung der Tatsachen hinaus Klopstocks sprachwissenschaftliche Neigungen in ihrer organischen Entwicklung und ständigen Wechselbeziehung zu seinen poetischen Produktionen zu verfolgen. Mit einem bedauernden Achselzucken über die unbequeme „Grille" des Dichters, mit der er seine Zeitgenossen vor den Kopf stieß und die Literaturgeschichte in Verlegenheit setzte, ist es jedoch nicht getan. In seinem Werk über Klopstock hat KARL KINDT den dankenswerten Versuch unternommen, die absprechenden Urteile, mit denen vor allem DANZEL und BARTELS dem Ansehen des Dichters in der Vergangenheit geschadet haben, zu widerlegen und Klopstocks Dichtung dem Verständnis der Gegenwart neu zu erschließen. Er hat daraufhingewiesen, daß Klopstock der Sprachschöpfer und Sprachreformer längst reif sei für eine gesonderte, umfassende monographische Würdigung; doch hat er selbst im Rahmen seiner Gesamtdarstellung nicht mehr als einige Hauptlinien umreißen können1. Daß auch auf diesem Gebiet unrichtige Vorurteile die Forschung an einer gerechten Einschätzung Klopstocks sprachwissenschaftlicher Bemühungen gehindert haben, beweisen die Darstellungen MUGGENTHALERS und auch FRANZ MFNCKERS in seiner Klopstockbiographie, in denen ihm „willkürliche Spekulationen" und „unmethodischer Dilettantismus" vorgeworfen werden, so daß ARTUR TRITSCHLER noch 1913 zu der Feststellung gelangen konnte: „Nachdem er am Messias als dichter gescheitert war, wurde er ein schlechter grammatiker."2 1

K. Kindt, Klopstock. Berlin-Spandau 1941, S. 566. A. Tritschler, Zur Aussprache des Neuhochdeutschen im 18. Jahrhundert. Diss. Freiburg i. Br. 1913. S. 4. 2

8

Vorwort

Es ist an der Zeit, mit solchen unbegründeten Fehlurteilen aufzuhören und mit der Untersuchung zu beginnen; möge die vorliegende Arbeit zu einer gerechten Beurteilung Klopstocks sprachwissenschaftlicher Bemühungen beitragen. Herrn Professor Dr. W I L H E L M WISSMANN, der die Anregung zu vorliegender Arbeit gegeben und ihre Aufnahme in die Schriftenreihe der Sprachwissenschaftlichen Kommission befürwortet hat, sowie Herrn Professor Dr. J O H A N N E S E R B E N , meinem wissenschaftlichen Betreuer während der Aspirantur, sei hiermit herzlichst gedankt. R E N A T E BAUDUSCH

Berlin, im Oktober 1957.

I. KLOPSTOCKS SPRACHWISSENSCHAFTLICHE

BEMÜHUNGEN

Beide waren sieh gleich am Geiste; aber der Eine Kannte die Sprache nicht. Diesen wird auch der Enkel nicht kennen. 1 1. Vom Sänger des „Messias"

zum

„Scholiasten"

Klopstocks wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen Sprache entsprang seiner Liebe zum deutschen Vaterland. Seit seinen Schülerjahren stand ihm als hohes Ziel die Erweckung des deutschen Nationalgefühls vor Augen, damit sich das deutsche Volk endlich auf die eigene Kraft besinne, um die verächtliche Nachahmung des Auslandes zu überwinden und in edlem Wettstreit seine Kräfte mit ihm zu messen. Schon in seiner Abschiedsrede von Schulpforta ließ der damals Einundzwanzigjährige erkennen, daß er sein Leben der Wiederherstellung des deutschen Namens, dem Ansehen deutscher Wissenschaft und Dichtung weihen wollte. Die Herausforderung Mauvillons: „Nominate mihi in Parnasso vestro creatorem! id est, poetam germanum, qui, ex sese, honoratum et immortale opus protulerit. . ." beantwortete er mit dem Aufruf: „Re ipsa, magno quodam, nec intermorituro opere, quid valeamus, ostendendum est! O quam vellem, ut haec, in consessu coronaque poetarum Germanorum principum, dicere mihi contingeret. Gaudio certe tunc ego maximo adficerer penitusque perfunderer, si dignissimos hoc opere, ob neglectam tarn diu a sese patriae gloriam, rubore quodam laudabili ac pio, suffundere valerem."2 Als der scheidende Portenser diese Worte sprach, stand der Vorwurf zu diesem großen, unsterblichen Werk bereits fertig vor ihm. Hatte er anfangs Heinrich den Vogler, den Schöpfer des Ersten Reiches und Gründer seiner Vaterstadt Quedlinburg, zum Helden erkoren, so sah er jedoch bald die „höhere Bahn", die „zu dem Vaterlande des Menschengeschlechts" hinaufführt. 3 Vielleicht hat Klopstock damit dem Vaterlande einen größeren Dienst 1

Klopstocks sämmtliche Werke, Leipzig 1854/55, V 319. C. F. Cramer, Klopstock. Er, und über ihn. Hamburg und Leipzig 1780—92. I S. 125f. 3 Klopstocks Werke a. a. O., IV 214. 2

10

R E N A T E BAUDUSCH-WALKEB,

erwiesen und den Nationalstolz seines Volkes mehr gestärkt, als man bei der Wahl eines solchen christlich-religiösen Stoffes auf den ersten Blick glauben sollte, indem er ihm ein nationales Epos gab, das sich gerade durch seinen erhabenen Inhalt und den edlen Schwung seiner Sprache denen der Ausländer würdig an die Seite stellen konnte und Deutschland dadurch den Anschluß an die Weltliteratur finden ließ. Klopstock hat mit seinem „Messias" unendlich viel zur Wiedererweckung des deutschen Nationalgefühls beigetragen. Als die ersten drei Gesänge im Jahre 1748 ans Licht traten, ließen sie nicht nur in Deutschland aufhorchen und erkennen, daß sich im Bereiche des deutschen Schrifttums ein künstlerischer Durchbruch vollzog, der von nicht abzusehender Bedeutung für die deutsche Literatur and Sprache werden sollte. So steht das vaterländische Moment in Klopstocks Werk von vornherein neben dem christlich-religiösen, und es ist in den seltensten Fällen genau anzugeben, welches von beiden dem Dichter im Augenblick wichtiger erschien. Klopstocks Oden bekunden bereits seit dem Jahre 1747 sein Interesse für das deutsche Altertum,1 wenn auch vorläufig noch keine Spur eines ernsthaften Studiums der deutschen Sprache nachzuweisen ist. Im Gegenteil: Vater B O D M E R hatte 1750 allen Grund, mit seinem jungen Hausgenossen unzufrieden zu sein. Schon von Langensalza aus hatte ihm Klopstock am 26. 1. 1749 geschrieben: „Die Minnelieder2 habe ich schon flüchtig gelesen; die schöne einfältige Natur darin hat mir ungemein gefallen; gleichwohl bemühen Sie sich nicht, sie mir zu übersenden; ich bin itzt nicht aufgelegt, die Sprache dieser edeln Alten, welches doch sie recht zu verstehen, nöthig ist, zu studieren."3 Und diese Zeilen sind an einen Gelehrten gerichtet, gegen dessen Tätigkeit beinahe alles, was in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf dem Felde der germanischen Philologie geleistet wurde, zurücktritt; der schon im Jahre 1743 den denkwürdigen Aufsatz „von den vortrefflichen Umständen für die Poesie unter den Kaisern aus dem schwäbischen Hause" verfaßte; der 1745 in Gemeinschaft mit Breitinger eine Ausgabe des Annoliedes veranstaltete und sich in Nachbildungen der Minnesinger versuchte, und der es als größtes Glück betrachtete, als es ihm 1746 gelang, den kostbaren Codex der Pariser Minnesingerhandschrift durch Schöpflins Vermittlung nach Zürich zu erhalten! 1

W. Scheel, Klopstocks Kenntniß des germanischen Alterthums. Vierteljahrschrift für Literaturgeschichte Bd. VI, 1893. S. 193. 2 Gemeint sind die 1748 von Bodmer und Breitinger herausgegebenen „Proben der alten schwäbischen Poesie". 3 Klopstocks Werke X 380.

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

11

An dieser Haltung Klopstocks scheint auch der persönliche Einfluß BODwährend seines Aufenthaltes in Zürich nichts geändert zu haben, obwohl sich sein Gastgeber ernsthaft bemühte, ihm Interesse für sein Steckenpferd abzugewinnen. „Kein Verlangen, meine Bücher usw. zu sehen, vielweniger zu lesen . . . Er versteht weder Englisch noch Italienisch. Seine Belesenheit ist schwach, und er fürchtet sich schier vor der Gelehrsamkeit als vor der Pedanterei selbst . . .Z' 1 beklagte sich B O D M E R bereits am 5. 9. 1750 bei seinem Freunde Zellweger über seinen Schützling, der es zu seinem großen Leidwesen vorzog, mit dem Fernrohr nach hübschen Züricherinnen Ausschau zu halten, als sich von dem gestrengen Hausherrn in gelehrte Zucht nehmen zu lassen. Allerdings fehlten auch zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dazu, daß Bodmers Lehren bei dem jungen Dichter auf fruchtbaren Boden fallen konnten. Weder als Schüler der Pforte, wo der Lehrplan fast ausschließlich von dem Studium der klassischen Sprachen beherrscht und in den oberen Klassen sogar in lateinischer Sprache gelehrt, aber die Beschäftigung mit der Muttersprache sehr vernachlässigt wurde, 2 noch als Student in Jena und Leipzig oder gar als Hauslehrer in der bedrückenden Enge von Langensalza hatte er Gelegenheit gefunden, sich näher mit der Geschichte der deutschen Sprache zu befassen. Bei seinem Züricher Aufenthalt wird das schon kurz nach seiner Ankunft erfolgte Zerwürfnis mit Bodmer dessen Einfluß zunichte gemacht haben. Daran hat sich auch später, obwohl sie nicht als Feinde voneinander schieden, nichts geändert; weder Bodmers Bearbeitung des Parzival, den er 1753 in den Druck gab, noch sein unsterbliches Verdienst, das Nibelungenlied, um dessen Existenz seit dem Ende des 16. Jahrhunderts niemand mehr wußte, aus seiner Vergessenheit aufgespürt und 1757 durch Veröffentlichung der zweiten Hälfte des Liedes als „Chriemhilden Rache und die Klage" der Mitwelt zuerst wieder zugänglich gemacht zu haben, scheinen einen merklichen Eindruck auf Klopstock hinterlassen zu haben, wenn auch Muncker in den Schlußszenen des Bardiets „Hermanns Tod" allgemeine Anklänge an das Nibelungenlied zu erkennen glaubt. 3

MERS

Von dieser Seite also ist kein entscheidender Anstoß zu Klopstocks germanistischen Studien ausgegangen. So sehr sich später ihre Bestrebungen zur Erschließung der verborgenen Schätze der großen Vergangenheit unserer 1

J. C. Mörikofer, Klopstock in Zürich im Jahre 1750/51. Zürich und Frauenfeld 1851. S. 90ff. 2 Fr. Muncker, Friedrich Gottlieb Klopstock. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften. Stuttgart 1888. S. 16f. 3 Ebd. S. 498.

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RENATE

BATJDTJSCH-WALKER

Literatur — Bodmer forschte noch im höchsten Alter nach neuen Quellen — zur Förderung der deutschen Sprache und Poesie begegneten; weder eine persönliche noch wissenschaftliche Annäherung hat jemals wieder stattgefunden. Auch Bodmers Grammatik, die 1768 unter dem Titel ..Grundsätze der deutschen Sprache" anonym erschien, scheint Klopstock keine Beachtung geschenkt zu haben. Auf eine andere Spur führt uns ein Brief, in dem Klopstocks Vetter JOHANN CHRISTOPH SCHMIDT am 12. September 1750 an GLEIM zwei Lieder sandte, welche er Gesängen des Ragnar Lodbrog aus Temples französischer Bearbeitung von Olaf Worms Literature runique nachgebildet hatte 1 . Schon Erich Schmidt sprach die Vermutung aus, daß dieser Jugendfreund Klopstock den ersten Hinweis auf die „celtische" Mythologie gegeben hat 2 , für die er sich aus Olaf Worms, oder indirekt aus Temples Abhandlung de la vertu heroique erwärmt hatte, finden wir doch im gleichen Briefe eine Schilderung der „scythischen" Religion mit Erwähnung der Gottheiten Odie, Frea und Othin; auch der Name „Barden" taucht auf. Persönlich stand Klopstock um diese Zeit nicht mehr mit Schmidt in Verbindung; doch ist hier Gleims Vermittlung denkbar, als sich Klopstock auf der Reise von Zürich nach Kopenhagen im März 1751 im Elternhause aufhielt und mit dem Freunde aus dem benachbarten Halberstadt häufig zusammentraf. Aber auch dieser Hinweis scheint vorerst ohne Folgen geblieben zu sein. Klopstocks Vaterlandsliebe war seit seinem Scheiden von Schulpforta nicht erkaltet. Hatte er zunächst in der Gegenwart nach einem seiner patriotischen Dichtung würdigen Gegenstand Ausschau gehalten und diesen in der Persönlichkeit Friedrichs II. zu finden geglaubt, so mußte ihn des Preußenkönigs Abneigung gegen die deutsche Sprache und Literatur tief enttäuschen. Sein ganzes Leben hindurch war sein Groll gegen die Undeutschheit Friedrichs nicht zu versöhnen. Erst nach der Übersiedlung nach Kopenhagen sollte der Dichter einen neuen Inhalt finden, an dem er seinen deutschen Stolz nähren und entzünden konnte. Jetzt sah er das deutsche kulturelle und politische Leben von außen, er wurde sich hier seiner Sendung bewußt und dem Urbild der skandinavischen Poesie gleichsam nahe gerückt3. Doch erst im zweiten Jahre seines Aufenthaltes in Dänemark lassen Klopstocks Schriften 1

Kl. Schmidt, Klopstock und seine Freunde. Halberstadt 1810. I S. 138ff. E. Schmidt, Beiträge zur Kenntnis der Klopstockschen Jugendlyrik. Straßbürg und London 1880. S. 18. 3 G. G. Gervinus, Geschichte der deutschen Dichtung. Bd. IV. Leipzig s 1851. S. 120. 2

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

13

erkennen, daß er sich für immer vom Preußenkönig und damit von der politischen Gegenwart abgewandt und seine patriotische Begeisterung in die germanische Vorzeit geflüchtet hatte, in der er wahre Größe und Ursprünglichkeit des deutschen Volkstums zu finden glaubte und an der sich das Deutschland der Gegenwart stärken und erheben, welcher es nachringen sollte. So nährte sich sein Vaterlandsgefühl an der Bewunderung deutscher Geistesherrlichkeit in vergangenen Tagen und an dem Gedanken, das deutsche Altertum wieder zu beleben. Dabei wandte er sich nicht dem geschichtlichen Altertum zu; denn die staatlichen Zustände Deutschlands, die politische Zerrissenheit unseres Vaterlandes ließen den Dichter kaum einen späteren Stoff wählen, der nicht der allgemeinen Förderung und Hebung des Deutschtums, die er stets bezweckte, irgendwie Abbruch getan hätte. Darum erträumte er sich eine urgermanische Heldenund Bardenpoesie, in die er die großen Taten der Ahnen verlegte.1 Die geistesgeschichtliche Situation kam diesem Bestreben entgegen. Gerade damals w;urde die Kenntnis altnordischer oder, wie man schlechthin annahm, altgermanischer, altdeutscher Mythologie durch Dänemark vermittelt 2 . Zweifellos war Klopstock schon damals persönlich mit P A U L H E N R I M A L L E T bekannt, für den Graf Bernstorff eine Vorliebe gefaßt und dem er 1752 eine Anstellung als Professor der französischen Beiles Lettres und Lehrer der französischen Sprache für den Kronprinzen erwirkte und dessen Histöire de Dannemarc, 1756 in Kopenhagen erschienen, von großer Bedeutung für Klopstocks späteres Schaffen werden sollte. Hinzu kam, daß dem Dichter im Hause seines Gönners die reichen Schätze der Bernstorffschen Bibliothek zur Verfügung standen und er dadurch angeregt wurde, seine Kenntnis des Englischen zu erweitern, wie er Gleim am 9. April 1752 mitteilte 3 . Ihren ersten Niederschlag haben diese Studien und Anregungen in Klopstocks ersten patriotischen Oden „Fragen", „Hermann und Thusnelda", „Die beiden Musen" und „An Gleim", sämtlich noch aus dem Jahre 1752, gefunden. Ist die Ode „Hermann und Thusnelda", die schon ein Studium des Täcitus bekundet4, der erste Funke der Flamme, die nach sechzehn Jahren in seinen Bardieten wieder auflodern sollte, so finden wir in den „Beiden Musen" bereits das Thema angeschnitten, das sein ganzes Leben hindurch 1 F. G. Klopstock, Werke. I n Ausw. hrsg. v. R. Hamel. Berlin und Stuttgart 1884. Bd. I I I : Oden. S. X f . 2 Ebd. Bd. IV: Klopstocks „Hermanns Schlacht". S. I I 3 Klopstocks Werke Bd. X S. 411. 4 F. G. Klopstock, Werke, hrsg. v. R. Boxberger, Th. I, Berlin 1872. S. X X X I I .

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RENATE BAUDUSCH-WALKER

eines seiner Hauptanliegen bleiben sollte: den friedlichen Wettstreit mit anderen Nationen, vor allem der britischen und französischen, auf kulturellem, später vorwiegend auf sprachlichem Gebiet. Zunächst scheint es jedoch, als ob das patriotische Interesse bei Klopstock durch das religiöse wieder in den Hintergrund gedrängt würde. Im Jahre 1753 erschien in Hamburg anonym sein erster größerer Versuch in Prosa, die „Drei Gebete eines Freigeistes, eines Christen und eines guten Königs", eine erste Probe jener Prosa, die selbst ein Lessing als Muster rühmte und an der er ohne Zweifel die eigene geschult hat 1 , die später auch A. W. Schlegel so gefiel2 und Hamanns Beifall fand3. Bald sollte Klopetock Gelegenheit finden, seinen Prosastil weiter auszubilden. JOHANN ANDREAS CRAMER, der Leipziger Universitätsfreund des Dichters aus dem Kreise der Beiträger, 1753 auf Klopstocks Betreiben als Hofprediger nach Kopenhagen berufen, forderte ihn zur Mitarbeit an der von ihm herausgegebenen moralischen Wochenschrift „Der nordische Aufseher" auf, für die er seit 1758 Beiträge ästhetisch-kritischen, moralischen und auch sozialen Inhalts lieferte. Aber nicht nur für Klopstocks Kenntnis des germanischen Altertums war seine Übersiedelung nach Kopenhagen von Bedeutung, sondern er hat hier zweifellos auch wichtige Anregungen zur Beschäftigung mit sprachlichen Fragen empfangen. In Dänemark hatten sich die Grammatiker schon im 17. Jahrhundert mit der dänischen Sprache befaßt. Man sprach ihr Würde und hohes Alter zu, indem man ihre Verwandtschaft mit dem Hebräischen, Griechischen und Latein aufzuweisen versuchte und damit das Nordische als eine ehrwürdige Heldensprache hinstellte4. Die Erörterungen über Purismus und Stil, die in dem Jahrzehnt vor Klopstocks Ankunft begonnen hatten, zogen sich durch die zwei Jahrzehnte seines dänischen Aufenthaltes hin und sind aus der Geschichte der Klopstockischen Bewegung in Dänemark nicht wegzudenken5. Einen ersten Hinweis auf Klopstocks wachsendes Interesse für sprachwissenschaftliche Fragen gibt uns die Kopenhagener Quartausgabe des „Messias" aus dem Jahre 1755, die zugleich als erste Proben Klopstocks wissenschaftlicher Prosa die beiden Aufsätze „Von der heiligen Poesie" und 1

R . Hamel, Klopstockstudien. Rostock 1879/80. H . I I I , S. 99. A. W. v. Schlegel, Sämtl. Werke, Leipzig 1846. Bd. VII, S. 258. 8 H . Röben, J. G. H a m a n n und die Reformversuche in der deutschen Orthographie. Diss. Wien 1943, S. 40. 4 L. Magon, Die Klopstockzeit in Dänemark. Dortmund 1926. S. 331 f. 5 Ebd. S. 347 f. 2

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

15

„Von der Nachahmung des griechischen Silbenmaßes im Deutschen" enthielt. Es ist charakteristisch für den Theoretiker Klopstock, daß er stets zuerst die poetische Tat erfolgen läßt und nachträglich die Gesetze und Vorstellungen, denen er dabei — bewußt oder unbewußt — Folge leistete, daraus abzuleiten und in seinen Schriften der Öffentlichkeit darzulegen sich bemüht — ganz im Gegensatz zu Lessing, dessen Dichtung fast immer als Beispiel eine vorher entwickelte Theorie bekräftigen soll. So sind auch diese beiden Aufsätze eine nachträgliche Rechtfertigung von Inhalt und Form des „Messias", wobei die Untersuchung der Möglichkeit eines deutschen Hexameters den Dichter zuerst auf sprachliche Fragen führte. Und richtig finden wir auch hier seine ersten Äußerungen über das Problem des Hochdeutschen und seine Fixierung in der Rechtschreibung, das ihn in den siebziger Jahren ernsthaft beschäftigen und in heftige literarische Fehden verstricken sollte1; zum erstenmal läßt er auch seinen deutschen Sprachstolz hervorblicken, fortan sein patriotisches Hauptanliegen, und es finden sich erste Ansätze zu einer Verdeutschung der grammatischen Terminologie2. Der Gedanke liegt nahe, daß Klopstock durch seine metrischen Studien auf das Gebiet der deutschen Grammatik geführt worden ist, war er doch dabei gezwungen, sich nicht nur über Länge und Kürze der deutschen Silben, sondern auch über deren Lautgestalt und ihre Wiedergabe im Schriftbild Gedanken zu machen. Hierfür liegen in dem Aufsatz „Von der Nachahmung des griechischen Silbenmaßes im Deutschen" die ersten Ansatzpunkte. Von nun an sucht er in allen seinen Werken, besonders dem Wohlklange der Muttersprache Rechnung zu tragen, der ihr öfter im Vergleich mit anderen Sprachen abgesprochen worden war. Zu dem Kopenhagener Kreis um Klopstock gesellten sich in diesen Jahren zwei sprachlich interessierte Mitglieder: im Sommer 1 7 5 3 kam JOHANN BERNHARD BASEDOW, der wohl schon in Leipzig mit Klopstock bekannt geworden war, auf dessen Entscheidung an die Ritterakademie zu Soroe, und 1 7 5 6 holte Cramer den zweiundzwanzigjährigen GOTTFRIED BENEDIKT FUNK als Hauslehrer seines Sohnes Carl Friedrich nach Kopenhagen3. Besonders Funk wurde bald sein vertrautester Freund und pflegte mit ihm zu manchen Zeiten fast täglichen Umgang4; er besaß eine reiche Kenntnis der alten Sprachen und Literatur5, wurde Mitarbeiter am „Nordischen Aufseher" und 1 2 3 4 1

Klopstocks Werke X 4 f. Ebd. S. 3: „Buchstaben und Töne" (Konsonanten und Vokale). Magon a. a. O., S. 211. G. B . Funk, Schriften. Berlin 1820/21. Bd. II, S. 312. C. F . Cramer a. a. O., Bd. V, S. 297.

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REKATE BATJDUSCH-WALKEB

hat nach Cramers Zeugnis „in Pädagogik, Dichtkunst, in der orientalischen Philologie, und in mehrem, was Philosophie der Sprachkunde überhaupt heißt, zwar wenig, aber nichts geschrieben, das ihn nicht zu einem unserer scharfsinnigsten Denker erhübe1". Auch an Klopstocks geistlichen Liederdichtungen hatte Funk einigen Anteil2, und gewiß hat der spätere Herausgeber und Übersetzer der Abhandlung J. H. Schlegels über die Vorteile und Mängel des Dänischen (1763), der er einen Anhang über die unveränderlichen Adjektiva und die Entwicklung des wahren Begriffes der Redeteile beifügte und damit auch Adelungs Beifall gewann3, unseren Dichter in seinem Sprachstudium bestärkt und gefördert. In das Jahr von Funks Ankunft in Kopenhagen fällt eine andere, noch wichtigere Begegnung: Klopstocks erstes Zusammentreffen mit LESSING, der sich Anfang Juni mit Eschenburg längere Zeit in Hamburg aufhielt und wohl durch Albertis Vermittlung den Dichter des Messias persönlich kennenlernte. Auch Lessing beschäftigte sich in den folgenden Jahren intensiv mit der älteren deutschen Literatur und strebte eine Reinigung und Veredelung der Gegenwartssprache an. Im Frühjahr 1759 vertiefte er sich, wie wir au3 seinem Brief vom 6. 2. an Gleim erfahren4, in das Studium „der alten Barden aus dem schwäbischen Zeitalter", des Heldenbuches und des von den Schweizern herausgegebenen Nibelungenfragmentes5. Im nächsten Jahre schrieb Lessing sein von vaterländischer Begeisterung für die deutsche Sprache getragenes Wörterbuch zu Logau und trat damit den Bestrebungen der Schweizer würdig an die Seite6; gleichzeitig begann er ein Manuskript „Über die Ähnlichkeit der griechischen und der deutschen Sprache zur Erleichterung der ersteren und Verbesserung der letzteren7" und bemühte sich in seinen Kritiken, die Fremdwörtersucht seiner Zeit einzudämmen und namentlich Wieland zur Ordnung zu rufen8, dem später auch Klopstock in der „Gelehrtenrepublik" den Vorwurf der „Ausländerei"machte. Bei dieser Interessengleichheit beider Dichter, die sich selbst auf das Studium derselben Quellen und Hilfsmittel wie Schilters „Thesaurus antiquus Teutoni2 Funk s. o. S. 313. C. J. Cramer a. a. O., Bd. IV, S. 493. J. Chr. Adelung, Umständl. Lehrgeb. d. Dt. Sprache, Leipzig 1782. Bd. I, S. 271. 1 G. E. Lessing, Sämmtl. Schriften, hrsg. v. K. Lachmann, Stuttgart und Leipzig 31886—1919, Th. X I I , S. 107. 5 M. Müller, Über Adelungs Wörterbuch. Palaestra 14, 1903, S. 59f. 6 Ebd. 7 A. Hübner, Lessings Plan eines deutschen Wörterbuches. Kleine Schriften 14. S. 241. 8 Lessings Werke, hrsg. v. J. Petersen. Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart 1929. Bd. IV, S. 47. 1

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eus" und Wächters „Glossarium germanicum" erstreckte1, ist es bedauerlich, daß sich erst im Jahre 1767 ein freundschaftliches Verhältnis zwischen ihnen entspann2. Um dieselbe Zeit legte auch GLEIM, mit dem Klopstock in ständiger Verbindung stand, ein reges Interesse für unsere älteren Dichter an den Tag, wie aus seinem Briefwechsel mit J U S T U S M Ö S E E ersichtlich ist. Dieser erwähnt am 24. 7. 1756 in einem Brief an Gleim den Otfrid und auch König Heinrichs Minnesang3. Auch war Gleim nach Bodmer der erste, der sich in Nachbildungen der Minnesinger versuchte, und seine Grenadierlieder in der gereimten Balladenstrophe erinnerten Lessing lebhaft an die alten Barden aus dem schwäbischen Zeitalter4. So waren durch mannigfaltige persönliche und literarische Anregungen, welche Klopstocks deutschsprachliche Bestrebungen unterstützten, alle Voraussetzungen gegeben, daß M A L L E T S französische Übersetzung eines bedeutenden Teiles der jüngeren Edda bedeutungsvoll für seine weitere Entwicklung werden konnte. Bereits 1750 hatte Gottfried Schulze durch Abdruck und lateinische Übersetzung eines Stückes aus der älteren Edda und 1758 durch eine ,,Beurtheilung der verschiedenen Denkungsarten bei den alten griechischen und römischen und bei den alten bardischen und deutschen Dichtern" die erste Aufmerksamkeit auf diese bisher völlig vergessenen Schätze gelenkt5. Auch durch Hickes' Thesaurus war die skandinavische Literatur in den Gesichtskreis der Gelehrten gerückt. Doch viel weitere Kreise wurden jetzt mit nordischer Poesie und Mythologie bekannt durch Mallets „Monuments de la Mythologie et de la Poesie des Celtes et particulièrement des Anciens Scandinaves" als Supplement zu seiner „Introduction à l'histoire de Dannemarc", die in Verbindung mit seiner geistvollen Einleitung wohl geeignet war, die Augen der Gebildeten auf sich zu ziehen6. Nicht erst, wie Muncker annimmt7, aus der deutschen Übersetzung des Werkes, die G. Schütze 1765 veranstaltete, sondern schon neun Jahre früher lernte Klopstock den mythologischen Teil der sogenannten jüngeren Edda durch Mallet kennen; aus ihr schöpfte er ebenso wie Lessing seine erste Kenntnis derselben. Schon 1764 war er mit der Ausgabe von 1

A. Hübner a. a. O., S. 236. F. Muncker, Lessings persönl. u. literarisches Verh. zu Klopstock. Frankfurt a. M. 1880. S. 47. 3 Klopstocks Werke, hrsg. v. R. Hamel, Bd. I : Der Messias, S. CV. 4 M. Müller s. o„ S. 59f. 6 H. Hettner, Literaturgesch. d. 18. Jhs., Th. 3, 2, Braunschweig 1864, S. 132. « R. v. Raumer, Gesch. d. germ. Philologie. München 1870. S. 272. 7 Muncker, Klopstock a. a. O., S. 378. 2

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Resenius (Kopenhagen 1665) vertraut, die auch einige Stücke der älteren Edda enthielt1, und studierte Olaf Worms Monumenta Danica2. Neben diesen Studien schritt die Arbeit am „Messias" rüstig fort; den einzigen Einfluß der Edda, welcher der Natur der Sache nach hier möglich ist, hat Hamel bereits nachgewiesen: die Alliteration. Doch ist Klopstock nicht erst durch das Studium der Edda oder überhaupt erst durch seine altdeutschen Sprachstudien, die etwa seit der Mitte der sechziger Jahre begonnen hatten, sondern schon lange vor 1748 durch Bodmers Arbeiten und durch die Engländer auf die Gleichheit der Anlaute aufmerksam geworden3. Die Gesetze des Stabreims hat Klopstock nicht erkannt und konnte sie damals auch noch nicht gebrauchen; über eine allgemeine Bekanntschaft mit dem Gebrauch der gleichen Anfangsbuchstaben als künstlerisches Prinzip ist er wohl nicht hinausgekommen. Zu dieser wissenschaftlichen Anregung trat bald eine sehr wirksame dichterische. Der Schotte JAMES MACPHERSON übergab die angeblich uralten, aus dem 3. Jahrhundert stammenden Gesänge des gälischen „Barden" OSSIAN 1762 durch eine sogenannte freie prosaische Übersetzung der staunenden Öffentlichkeit. Macpherson hatte den Zeitpunkt dieser Mystifikation gut gewählt: aus dem gleichen Grunde, aus dem man allerorten auf die Überreste der altnordischen Dichtung aufmerksam wurde und in Deutschland nach eigenen „Bardengesängen" zu suchen begann, fanden diese vermeintlichen Urbilder echter Poesie aus den Urzeiten des Menschengeschlechts ein aufnahmebereites Publikum. Es war die Begeisterung für die von Rousseau gepriesenen, noch von keiner Kultur beleckten, heroischen Menschheitsalter4, gepaart mit dem erwachenden Nationalstolz der aufstrebenden europäischen Staaten. Die empfundene und durch die „Critical Dissertation on the Poems of Ossian" des Schotten HTJGH BLAIR 1 7 6 3 ausdrücklich nachgewiesene Übereinstimmung der ossianischen Merkmale mit den Anschauungen von primitiver Dichtung bewirkte, daß seine Echtheit außerhalb allen Zweifels bleiben konnte und die Überzeugung von dem hohen Wert des Ossian bestärkt wurde5. Schon im Jahre 1764 erschien in Hamburg die erste deutsche Übersetzung in Prosa. Klopstocks Oden „Sponda" und „Thuiskon" aus demselben Jahr bezeugen, wie tief ihn so1

W. Scheel a. a. O., S. 189. Klopstocks Werke, hrsg. v. R. Hamel, Bd. III, S. X X I . a R. Hamel, Klopstockstudien III, S. X I I I f. 4 H. A. Korff, Geist der Goethezeit T. I, Leipzig 1954, S. 139. 6 E. Büscher, Ossian in der Sprache des 18. Jhs. Diss. Königsberg 1937, S. 8. • H. Hettner a. a. O., S. 132. 2

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gleich diese seltsam fremdartigen Töne erfaßten6. Er glaubte jetzt die langgesuchte vaterländische Mythologie und Heldengeschichte gefunden zu haben und nahm Ossian für unsere Bardenpoesie in Anspruch. Er hat keinen Augenblick an seiner Echtheit gezweifelt; doch haben auch Herder und Jacob Grimm zu den Verfechtern der Echtheit und des dichterischen Wertes des Ossian gehört1, während ihn Bodmer und A. W. Schlegel deutlich ablehnten2. Mittelbar wirkten Ossian und Mallets Edda auf Klopstock durch Gerstenberg, dessen „Gedicht eines Skalden" 1766 den Einfluß des gälischen Sängers bekundete3 und damit den entscheidenden Anstoß gab zur gesamten bardischen Poesie. HEINRICH WILHELM VON GERSTENBERG siedelte 1 7 6 3 nach Kopenhagen über, wo er schon 1761 einmal zu Besuch gewesen war und Bekanntschaften angeknüpft hatte 4 . Unter Klopstocks Augen und deutlich wahrnehmbarem Einfluß bereitete er sich hier auf die „Schleswigischen Literaturbriefe" vor, in denen er auch Gegenstände aus der nordischen Poesie und Mythologie besprach, und wurde von ihm zur Abfassung des „Ugolino" ermuntert5. Im Jahre 1765 ließ er die „Sämling af adskillige Skrifter til de skjönne Videnskabers og det danske Sprogs Opkomst og Fremtarv" herausgehen, ein wichtiges Glied in der Kette von Abhandlungen, die seit den vierziger Jahren der Erneuerung der dänischen Sprache gewidmet waren6. Keine Schrift aus diesem Jahrzehnt hat so entschieden die theoretische Behandlung der Sprachfrage aufgenommen wie Gerstenbergs „SamUng"7. Klopstock selbst hat später in einem Brief an Gerstenberg vom 14. 1 1 . 1 7 7 1 offen bekannt, daß er die „teutonische Mythologie" erst annahm, nachdem dieser es im „Skalden" getan hatte 8 . Durch dieses im ganzen glücklich erfundene, berechtigtste und gelungenste Gedicht des ganzen Bardensanges wurde also Klopstock bewogen, die Mythologie seiner älteren Oden abzuändern und in neuen Dichtungen Propaganda für die altnordischen Vorstellungen zu machen9. Er hatte den Plan, die alte nordische Götterwelt, die er zuerst für eine spezifisch deutsche hielt, wieder zum Leben zu er1

E . Büscher a. a. O., S. 16. Ebd. S. 13. 8 Muncker, Klopstock S. 384. 4 Klopstocks Werke, hrsg. v. Hamel, Bd. IV, S. 196. 5 Kl. Schmidt a. a. O., Bd. II, S. 196f. 6 L. Magon a. a. O., S. 237f. 7 Ebd. S. 239. 8 Klopstocks Werke, hrsg. v. Hamel, Bd. I I I , S. X X . » Ebd. Bd. IV, S. I I I . 2

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wecken und durch ihre Einführung in die Poesie derselben auch einen spezifisch deutschen Charakter zu verleihen 1 . Diese Idee beherrschte fortan seine Odendichtung und seine Bardiete und drängte sich auch in seine Prosaschriften. Schon einmal in der Geschichte der deutschen Literatur war versucht worden, den griechisch-römischen Olymp zu verdrängen und damit der Zunftsprache der Poeten ein rein deutsches Gewand zu verleihen: P H I L I P P VON Z E S E N war sowohl hier, als auch in der Umgestaltung der wissenschaftlichen Terminologie und der Reform der deutschen Rechtschreibung ein Vorläufer Klopstocks. H a t schon A. W. Schlegel Klopstock vorgeworfen, daß er, was Tacitus und andere Römer berichten, mit den skandinavischen Göttersagen der Edda zusammenflocht 2 ; ist die Mythologie Ossians auch zuverlässig nicht die eines Arminius gewesen, so fand doch die altnordische Götterlehre erst in weiteren Kreisen Deutschlands Beachtung, nachdem die Dichter sich ihrer bemächtigt hatten, und dieses Trugbild hat dazu beigetragen, zum Studium der echten Quellen anzureizen. Dabei ist immer deutlicher die Abneigung Klopstocks gegen die französische Sprache zu spüren, die auch von seiner Frau Meta geteilt wurde 3 ; offensichtlich hat hier Graf BernstorfF, der eine besondere Vorliebe für diese „zwar hübsche, doch fade Sprache" hegte und sie in allen seinen Briefen mit wachsender Freiheit, Sicherheit und Eleganz handhabte 4 , keinen Einfluß auf ihn ausgeübt. Dagegen mußten ihn seine englischen Studien notwendig seinem Jugendfreund J . A. E B E R T wieder näher bringen. Dieser war im August zu kurzem Besuche in Dänemark eingekehrt, und von da an bekundete der Professor der englischen Literatur am Carolinum zu Braunschweig reges Interesse für Klopstocks sprachliche Arbeiten. Über metrische Probleme entspann sich zwischen beiden im Jahre 1764 ein brieflicher Gedankenaustausch 5 , in den später auch Ossian, Hermann, den Heliand und die Orthographie betreffende Fragen einbezogen wurden. Auch während seines Aufenthaltes in Deutschland in den Jahren 1762—1764 beschäftigte sich Klopstock mit metrischen Studien; ihr Ergebnis sind die Ab1

Klopstocks Werke, hrsg. v. Hamel, Bd. III, S. X X I . A. W. v. Schlegel, Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst. Heilbronn 1884. T. 3, S. 25. 3 Auswahl aus Klopstocks nachgelassenem Briefwechsel, hrsg. v. A. H. Clodius, Th. I, Leipzig 1821. S. 231 f. 4 L. Magon a. a. O., S. 71. 6 Ungedr. Briefe v. Klopstock an J. A. Ebert. In: Westermanns illustr. Monatsh., Bd. II, S. 210ff. 2

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Handlungen „Vom deutschen Hexameter" im dritten Bande des „Messias" 1 7 6 9 und die Fragmente „Vom Sylbenmaße" (1770). Am „Messias" hörte Klopstock zwar nie auf zu arbeiten, doch tat er dies in den sechziger Jahren mit größeren Unterbrechungen. In steigendem Maße widmete er sich jetzt dem tieferen Studium der deutschen Sprache, die er bis zu den ältesten Denkmälern hinauf verfolgte, in Absicht auf rhythmische Befähigung mit ihren Schwestersprachen verglich und in ihr ein treffliches Werkzeug für poetische Darstellung erkannte. Durch längere Aufenthalte in der heimatlichen Harzgegend im Winter 1 7 5 8 / 5 9 und 1762—1764 erhielt auch seine vaterländische Odendichtung neuen Auftrieb. Von nun an herrschte, wie in sämtlichen Bestrebungen Klopstocks aus jenen Jahren, auch in seiner damaligen Lyrik der patriotische Geist. Deutsches Vaterland, deutsche Sprache, deutsche Kunst, deutsches Altertum verherrlichten seine Oden1. Seine Sehnsucht nach der Wiederentdeckung alter deutscher Dichterhandschriften äußerte sich zuerst in den Oden „Sponda" und „Kaiser Heinrich" (1764). Letztere brachte seit 1 7 5 2 zuerst wieder eine Erwähnung Hermanns, neben Luther und Leibniz der den deutschen Dichter verpflichtende Name auch in der Ode „Der Nachahmer" aus demselben Jahre und in dem trotzigen, aufrüttelnden Gedicht gegen die Überheblichkeit der Engländer „Wir und Sie" (1766). Hermann hat nicht nur die äußere politische Freiheit vom Römerjoch erstritten: sein Sieg über Varus im Teutoburger Walde hat auch die Sprache der Deutschen rein erhalten2. Darum erwählte Klopstock ihn auch zum Helden seiner „Bardiete". Zu Anfang des Jahres 1767 begann er ernstlich, Hermanns Schlacht nun auch dramatisch darzustellen; sie erschien 1769 mit der Zueignung an den Kaiser. In den letzten Monaten des Jahres 1767 entstand auch noch Klopstocks folgender Bardiet, „Hermann und die Fürsten", der jedoch erst 1784 erschien; auch der Plan von „Hermanns Tod" geht in diese Zeit zurück3. MATTHIAS CLAUDIUS, der in den Jahren 1764—65 zu dem Kopenhagener Freundeskreis stieß, konnte wohl Klopstock gegenüber kaum einen Einfluß geltend machen und ließ sich umgekehrt so gut wie gar nicht von ihm beeinflussen4. Mit Graf BernstorfFs Privatsekretär SCHÖNBORN, der um dieselbe Zeit in Kopenhagen mit Klopstock bekannt wurde, scheint dagegen auch in sprachlichen Fragen ein regerer Gedankenaustausch stattgefunden zu haben; der spätere Briefwechsel über grammatische und orthographische 1 2 3 4

Muncker, Klopstock. S. 355. Kl. Schmidt a. a. O., I I S. 200; Klopstocks Werke IV 195f. Muncker, Klopstock. S. 495. F. Avenarius, Klopstock und Claudius. Kunstwart 1903, Jg. 16, H. 13, S. 5.

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Probleme deutet darauf hin1. Doch scheinen von dem gründlichen Philosophen und Philologen, in dessen Papieren sich auch Versuche von Übersetzungen aus Klassikern und Fragmente von philosophischen Abhandlungen über allgemeine Sprachlehre erhalten haben, keine nennenswerten Impulse ausgegangen zu sein. Wie aus einem Briefe Klopstocks an Gleim hervorgeht2, ist er auch seinen besten Freunden gegenüber in künstlerischen und sprachwissenschaftlichen Fragen nicht besonders mitteilsam gewesen. Um so mehr ist hervorzuheben, daß er einem Fremden, dem Wiener Jesuitenpater D E N I S , den er nie von Angesicht gesehen hat, in den Jahren 1766—68 fortlaufend über alle seine sprachlichen Studien und Entdeckungen Bericht erstattet. Die erste Veranlassung zu dem Briefwechsel scheint Denis „Schreiben an einen Freund über Herrn Klopstocks Messiade" (1766) gegeben zu haben3; gleiche Begeisterung für Ossian und die Bardenpoesie führte sie dann näher zusammen. Sind es zunächst metrische Probleme, über die sich Klopstock ausspricht4, so bezieht er bald alle ihn bewegenden Fragen in den gehaltvollen Briefwechsel ein und vermittelt uns dadurch ein anschauliches Bild seiner vielseitigen Interessen in diesem Zeitraum: er weist Denis auf Mallets Edda hin, kritisiert seine Übersetzung der 1765 in London erschienenen Gesamtausgabe der „Works of Ossian", bedauert den Verlust der Bardengesänge Karls d. Gr. und sucht ihn für ein Preisausschreiben zu ihrer Auffindung zu interessieren; er macht seinen Briefpartner mit Otfrids „Hexametern" bekannt5, berichtet über seine Arbeit an der Hermannsschlacht und die Entfernung der griechischen Mythologie aus seinen Oden6, freut sich mit ihm über die Entdeckung „illyrischer Barden", die er am liebsten wenigstens zu halben Deutschen machen möchte, und teilt ihm seine Entdeckung der Londoner Heliand-Handschrift mit, von der er eine Ausgabe plant 7 . Denis gegenüber prunkt Klopstock auch mit seinen Sprachkennt1

Klopstocks Briefe, hrsg. v. J. M. Lappenberg, Braunschweig 1867. S. 278 und 289 ff. 2 Kl. Schmidt a. a. O., I I S. 179f. 3 Klopstocks Briefe s. o., S. 482f. 4 Ebd. S. 157ff.; M. Denis, Literarischer Nachlaß, hrsg. v. Retzer, Wien 1801-02. 2. Abth. S. 111. 6 6 Ebd. S. 163f. Ebd. S. 171 f. 7 I m September 1768 schrieb ihm ein Reisebegleiter Christians VII. von Dänemark in London einige Stücke aus dem Codex Cottonianus des Heliand ab, den er schon vorher aus Hickes kennengelernt hatte. Die geplante Ausgabe ist jedoch nie zustande gekommen; nur 1779 teilt Klopstock einige Stellen aus dem Heliand in den „Fragmenten" mit (Werke X 73).

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nissen im Gotischen, Angelsächsischen, Altsächsischen, „Cimbrischen", Friesischen und ,keltischen" 1 . Ähnlich lauten seine Berichte über seine „weidmännischen Lustwandlungen in den Wäldern unsrer alten Sprachen" an Gleim in jenen Jahren2, wo von Mallets Edda, den Melodien zu Ossian, die er durch Angelika Kauffmann von Macpherson zu erhalten hofft, um mit ihrer Hilfe das Silbenmaß der Barden herauszubringen, von Kädmon und dem Heliand-Codex die Rede ist. Ebert erhält sogar eine durchgezeichnete Probe des Codex Cottonianus3. Von Klopstocks Arbeit am „Messias" erfahren wir in diesen Briefen nichts, und doch muß hier darauf hingewiesen werden, daß der Dichter gerade in diesen Jahren intensiven Sprachstudiums sein Lebenswerk vollendete (der vierte und letzte Band erschien noch vor der „Gelehrtenrepublik" 1773). Bei diesem regen brieflichen Gedankenaustausch scheint stets Klopstock der Gebende zu sein, der die Freunde an der reichen, neuen Welt, die er sich selbst erschloß, teilhaben ließ. Wohl brauchte es des äußeren Anstoßes von Gerstenbergs Skaldengedicht, um diese Welt auch für seine Dichtung fruchtbar zu machen; aber sein Interesse für alte deutsche Geschichte, Literatur und Sprache war schon seit seiner Übersiedelung nach Dänemark rege und erhielt durch wissenschaftliche und poetische Anregungen ständig neue Nahrung. Sowohl auf dem Wege seiner von patriotischer Begeisterung getragenen historischen Studien zur Vorbereitung seiner Hermannsdramen als auch durch metrische Untersuchungen wurde Klopstock auf eine gründlichere Beschäftigung mit der Muttersprache geführt. So entspringt seine Teilnahme für die deutsche Sprache zwei Quellen: die erste ist seine tiefgegründete Vaterlandsliebe; die andere seine wissenschaftliche Versenkung in das Medium seiner Dichtung, das er in unendlicher Mühe zum gefügigen Werkzeug für seine hochfliegenden künstlerischen Pläne gestalten mußte. Beide Gründe wirkten seit der Mitte der sechziger Jahre zusammen. Die enge Berührung mit den Quellen germanischer Vorzeit in Kopenhagen, Macphersons Veröffentlichungen der Lieder Ossians und Gerstenbergs Skaldendichtung beeindruckten das empfängliche Gemüt des Dichters und spornten ihn zur Suche nach Überresten der altdeutschen Bardenpoesie an. Bei diesen Nachforschungen wurde er auf die übrigen poetischen Denkmäler aus jener Zeit aufmerksam und vertiefte sich in ihr Studium, das er mit ernstem wissenschaftlichem Eifer betrieb. 1 2 8

Klopstocks Briefe S. 210ff. Klopstocks Werke X 435. Klopstocks Briefe S. 232 und 496.

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Von nun an eroberte sich Klopstock systematisch die älteren germanischen Sprachen und studierte alle ihm erreichbaren Denkmäler unserer alten Sprache, bei deren Vergleichung mit der Sprache der Gegenwart ihm lexikalische, grammatische und orthographische Probleme auftauchen mußten, deren Lösung ihn die Unzulänglichkeit der vorhandenen wissenschaftlichen Hilfsmittel empfinden ließ und ihn auf die eigene Untersuchung beschränkte1. Aus diesem Anlaß muß der Gedanke, eine deutsche Grammatik zu schreiben, zuerst in ihm aufgetaucht sein. Mit welchem Eifer sich Klopstock diesen Sprachstudien widmete, berichtet C. F. Cramer: „Sprache ist Studium bey ihm gewesen. Daß er so schreibt, ist nicht blos zufällig — er hat gedacht und gelernt um so zu schreiben . . . Diesen Fleis aber hat Klopstock so sehr von jeher gehabt, daß er sich nicht gescheut hat, mit der anhaltendsten Unverdrossenheit alles Merkwürdige was darinn geschrieben ist, zu lesen, so dürr und trocken es auch war, es zu vergleichen, die Sprache zu behandeln wie ein Grammatiker von Profession. Wie oft habe ich so bey ihm gesessen, daß unsre Alten, Glossaria, Schilter, Wächter, Hickes Lexika aller Art um ihn lagen, die langweiligsten Folianten, griechische Grammatiker, wie er das mit einander verglich — wie sehr er da Gelehrter war . . . Dann stand er einmal mitten aus solchen Grübeleien auf und dichtete: unsre Sprache."2 Klopstock selbst bekennt noch in den „Grammatischen Gesprächen", welch liebevolles Interesse er auch den geringsten Kleinigkeiten der Sprache entgegenbrachte: „Was die Kleinigkeiten betrifft, sind denn die Sprachen überhaupt etwas anders, als ein Gewebe von feinen Bezeichnungen? . . . Ist der Anblick des Baumes dem Auge vielleicht weniger angenehm, oder verliert der Schatten etwas von der Kühlung, weil das Laub aus Fäserchen besteht? Für mich ist das so ganz anders, daß mir Grüne und Schatten, nach der Zergliederung des Blattes, sogar noch mehr gefallen."3 Auch Klopstocks Lyrik, die sich in diesen Jahren immer ausschließlicher mit patriotischen Stoffen befaßt, wird zur Aussage der durch mühsame und trockene Sprachstudien gewonnenen neuen Erkenntnisse: selbst die Grammatik hat ihn zum Dichten anregen können. Die Oden „Die Barden" und „Der Hügel und der Hain" (1767), in denen der Dichter die verlorenen deutschen Bardengesänge beklagt, „Unsre Sprache", ein begeistertes Lob1

Daß Klopstock alle seit Bödiker erschienenen deutschen Grammatiken studiert hat, aber mit keiner recht zufrieden gewesen ist, erfahren wir aus seiner „Gelehrtenrepublik" (Werke VIII 169). 2 C. F. Cramer, Klopstock. (In Fragmenten aus Briefen von Tellow an Elisa.) 3 Hamburg 1777. S. 186f. Klopstocks Werke I X 10.

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lied auf ihre „Bildsamkeit" und ihren Schwung „wie Rauschen im Beginne des Walds"4, und das gleichnamige Epigramm (1771) sind beredte Zeugnisse seiner Liebe zur deutschen Sprache. 2. „Die deutsche

Gelehrtenrepublik"

Gerade in der Zeit von Klopstocks größter Vertiefung in das Studium der älteren deutschen Literatur und Sprachgeschichte traf er im Juni 1767 in Hamburg wieder mit LESSING zusammen, dem er sehr gefiel, und begründete diesmal ein freundschaftliches Verhältnis für die Zukunft1. Klopstock beteuert am 19. 12. 1767 in einem Brief an Gleim, daß er Lessing „jetzt recht lieb habe"2; trotzdem äußert er noch im Jahre 1773 Ebert gegenüber Zweifel an Lessings Freundschaft3. Erst durch Lessings Aufenthalt in Hamburg während des August 1776 wurden die freundschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen fester geknüpft 4 ; auch im September und Oktober 1778 und zum letzten Male im Oktober 1780 weilte Lessing in Hamburg, nie ohne anregende Stunden mit Klopstock verplaudert zu haben5. Hauptsächlich gefestigt wurde Klopstocks Bund mit Lessing durch die gleichen literarischen Zwecke, welche beide verfolgten; die beiden zwischen ihnen gewechselten Briefe legen davon Zeugnis ab. Klopstock bespricht am 27. August 1768 vornehmlich seine Wiederentdeckung des Heliand6, der in seiner gleichzeitigen Korrespondenz eine hervorragende Rolle spielt, während Lessings Schreiben vom 20. 10. 1776 eine vorhergehende mündliche Diskussion über die sehr aktuelle Frage „Was ist Hochdeutsch?" fortzusetzen scheint7. Klopstock und Lessing suchten in den Schriften der Vorfahren die Uranlage und den Umfang unserer Sprache zu erforschen und erweiterten sie über den Bezirk des alltäglichen Gesprächs. Auch Lessing hat sich eingehend mit der althochdeutschen Literatur beschäftigt, obwohl er sich mit Vorliebe dem ausgehenden Mittelalter zuwandte. Ähnlich wie Klopstock verstand er die mittelalterliche Überlieferung hauptsächlich, soweit er sich selbst in ihr wiederfand8. Mit Klopstock begegnete sich Lessing auch in dem gemeinsamen Interesse an der Abfassung eines großen, der deutschen Sprache würdigen Wörterbuchs. Lessing hatte bereits 1769 umfassende Sammlungen dafür angelegt9, nicht ohne zuvor eine Abhandlung über die zweck1 2 3 4 5

Klopstocks Werke I V 195f. Muncker a. a. O. S. 371. Muncker, Lessings . . . Verh. zu Klopstock, S. 183. Klopstocks Briefe S. 242 und 247. Muncker, Klopstock S. 372.

» Ebd. S. 476. Muncker, Lessing S. 181. 8 Klopstocks Briefe S. 282. » A. Hübner a . a . O . , S.236. 10 Muncker, Lessing S. 193. 7

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mäßige Einrichtung eines Wörterbuches geschrieben zu haben1. Wahrscheinlich hat er Klopstock dazu angeregt, sich ebenfalls mit dieser Frage zu beschäftigen und seine Gedanken in die „Gelehrtenrepublik" aufzunehmen; aber auch Herders Aufruf in den „Fragmenten" (1766)2 und Funks 7. Brief in Gerstenbergs Literaturbriefen „Über die Probe eines deutschen grammatischen Wörterbuchs; und von der Bildung der Sprachen überhaupt" (1767)3 sowie die Preisfrage der deutschen Gesellschaft zu Jena für das Jahr 1769: „Wie ein deutsches Wörterbuch am besten einzurichten und zu Stande zu bringen sey?"4 werden ihn auf die Notwendigkeit der Sammlung und Ordnung des deutschen Wortschatzes hingewiesen haben. Von Nicolais Wörterbuchentwurf hat Klopstock 1769 wahrscheinlich durch Lessing Kunde erhalten5. Lessing verfolgte seinen größten germanistischen Plan, ein deutsches Wörterbuch auf historischer Grundlage, mit Zähigkeit vom Ende der fünfziger Jahre bis 1774, wo er ihn nach Erscheinen des Adelungschen Werkes preisgab6. Andererseits wurde Lessing, besonders nach Erscheinen der „Gelehrtenrepublik" 1774 von Klopstock zu der am 1. 8. 1777 begonnenen Schrift „Zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur von den Minnesängern bis auf Luthern" angeregt7; er war unter den ersten, die sich anschickten, Klopstocks Ruf zum Auffinden und Erforschen der noch unbekannten Schätze unserer Sprache zu folgen. In innigem Zusammenhange damit steht seine Beschäftigung mit dem Renner Hugos von Trimberg, von dem er in seinen letzten Lebensjahren eine Ausgabe vorbereitete; doch wurde dieses Vorhaben durch seinen frühen Tod verhindert. Auch gedachte er unter dem Titel: „Altdeutscher Witz und Verstand" eine Sammlung von Sprichwörtern, Apophthegmen und Denkversen altdeutscher Schriftsteller zu veranstalten8. Alle diese germanistischen Projekte Lessings sind — ähnlich wie Klopstocks Grammatik und Heliand-Ausgabe — entweder gar nicht oder in Fragmenten erschienen, die kaum etwas von der patriotischen Begeisterung spüren lassen, von der beider Denken und Tun in jenen Tagen 1 J. H. Voss, Grammatische Gespräche von Klopstock. Jenaische allg. Literaturztg. 1804, 1, S. 317. 2 M. Müller, Über Adelungs Wörterbuch. Diss. Berlin 1900. S. 3. s Cramer, Klopstock V 296. 4 J. Chr. Adelung, Versuch eines vollst, gram.-krit. Wörterbuches der Hochdt. Mundart, 1. T., Leipzig 1774. S. X I I I . 6 Voss, Grammatische Gespräche a. a. O., S. 317. 8 A. Hübner a. a. O., S. 237. 7 Muncker, Lessing S. 192. 8 R. v. Raumer a. a. O., S. 275.

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erfüllt war. Wenn Voss berichtet, daß beide Dichter sich manchmal in einen Winkel setzten, um über das Wohl der gelehrten Republik zu ratschlagen1, so ist wohl in diesen gemeinsamen Stunden Klopstocks Plan zur Unterstützung der Wissenschaften in Deutschland aufgekeimt, über deren traurige Lage sie eine Meinung ausgetauscht haben müssen. Lessing gehörte zu den Eingeweihten in Klopstocks Wiener Plan und setzte fast noch größere Hoffnungen auf dieses Projekt. Damit hing auch sein im Oktober 1768 geplanter Besuch Klopstocks in Kopenhagen zusammen2. Klopstock nahm in jenen Jahren den regsten Anteil an allem, was Lessing tat, und ebenso bekümmerte sich Lessing um Klopstock; seine Teilnahme an Klopstock und dessen Arbeiten blieb bis zu seinem frühen Hinscheiden stets die gleiche3. Weniger dürfte Lessing mit Klopstocks Neuerungsversuchen in der deutschen Orthographie einverstanden gewesen sein, wie aus einem Brief von Elise Reimarus vom 29. 9. 1778 an Hennings ersichtlich ist 4 . Von Lessings Seite hat hier gewiß keine Beeinflussung stattgefunden; aber auch sonst wird man vergebens nach zeitgenössischen Anregungen suchen, während es an Gegenstimmen auch unter Klopstocks engsten Freunden nicht fehlt. Selbst der sonst für alle poetischen und wissenschaftlichen Arbeiten Klopstocks so begeisterte GLEIM konnte dem bewunderten Freunde diesmal nicht folgen. Seinen gewiß schon seit langem gehegten Bedenken machte er schließlich in seinem Brief vom 1. 12. 1782 Luft, nachdem ihm Klopstock einige Oden in seiner Reformorthographie zugemutet hatte: „Mit Ihrer Rechtschreibung ist doch auch in Deutschland nicht einer zufrieden, so viel ich weiß, und doch bestehen Sie auf Ihrem Vaterkopf! Und wenn der liebe Gott ein Buch in Ihrer Sprache schriebe, nicht Sprache, sondern Rechtschreibung, so könnt ichs nicht lesen; deshalb hab ich die herrliche Ode, die Sie beigelegt hier finden, abdrucken lassen für mich. Ziererei ists nicht, mein bester Kl. nicht Eigensinn! es ist Unmöglichkeit das, was ich in dieser Unrechtschreibung lese, zu verstehen! Unrechtschreibung ist sie, Sie mögen sagen, was Sie wollen . . ."5. Dieser Brief wurde von Klopstock nie beantwortet ; doch folgte auf eine zeitweilige Verstimmung bald wieder das alte freundschaftliche Verhältnis. Als Orthographiereformer trat Klopstock zuerst in der „Deutschen Gelehrtenrepublik" im Frühling 1774 mit einigen Vorschlägen an die Öffent1 2 3 1 6

Muncker, Lessing S. 179. W. L. Bosse, Klopstockische Studien, Progr. Cöthen 1867. I S. 33. Muncker, Lessing S. 197. Ebd. S. 194. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 546.

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lichkeit, die sich vor allem mit den „ungehörten" Doppelkonsonanten, der Dehnungsbezeichnung, tz und der puristischen Forderung nach Verwerfung des v, ph, qu. th, dt, c und y befassen. Schon ein Jahr zuvor, am 11. 4. 1773, verriet Klopstock in einem Brief an Ebert etwas von diesem Vorhaben1. Ebert las um diese Zeit gerade die Korrektur für den vierten Band des „Messias" und lernte dabei des Dichters außerordentliche Korrektheit in bezug auf das äußere Gewand seiner Werke kennen, die sich bis auf den Apostroph erstreckte und allen seinen Verlegern zu schaffen machte. Unter zehn seiner Briefe an Hemmerde sind immer acht voll Klagen über Druckfehler; und noch Göschen durfte bei der Prachtausgabe seiner Werke (1797 ff.) keine Kosten scheuen, um Blätter mit oft geringfügigen Versehen nochmals umdrucken zu lassen2. Es ist bei dieser beinahe ängstlichen Sorge um das äußere Gewand seines Werkes, das zugleich auch Hinweise für die Aussprache des Deklamators geben sollte, nur natürlich, daß sich Klopstock für orthographische Fragen interessierte. Die in diesen Jahren beginnende Fühlungnahme mit HERDER läßt vermuten, daß ihm dessen Klage über gewisse Mängel der üblichen deutschen Orthographie in den „Fragmenten über die neuere deutsche Literatur" (1767)3 sowie seine Ansicht vom Begriff des Hochdeutschen in dem Aufsatze „Idee zum ersten patriotischen Institut für den allgemeinen Geist Deutschlands" (1768) bekannt waren4; auch wird er von dem Streit HAMANNS mit CHRISTIAN TOBIAS DAMM unterrichtet gewesen sein. Dieser hatte 1773 in den „Abhandlungen über die Religion" das h als Dehnungszeichen verworfen5, wogegen der „Magus im Norden" in seiner „Neuen Apologie des Buchstaben h" Stellung nahm. Allerdings ist in dem im selben Jahre beginnenden Briefwechsel Klopstocks mit Herder nicht von Orthographie, überhaupt nicht von sprachlichen Fragen die Rede, mit denen sich Herder gerade zu dieser Zeit intensiv befaßte 6 ; doch scheint dieser von Klopstocks grammatischen Plänen gewußt zu haben7. Von POPOWITSCHS bereits in den fünfziger Jahren veröffentlichten Vorschlägen hat Klopstock wohl keine Notiz genommen, und noch 1780 beteuert er in dem Fragment „Nachläse", daß er Herrn 1

Klopstocks Briefe a. a. O., S. 245. Ungedr. Briefe v. Klopstock. Archiv f. Litteraturgesch. II, Leipzig 1872. S. 346 und 372. 3 Muncker, Klopstock a. a. O., S. 479. 1 Th. Siebs, Zur Gesch. d. dt. Hochspr., Koch-Festschr. Breslau 1926. S. 207. 5 H. Röben a. a. O., S. 27. • 1770 war seine Schrift „Über den Ursprung der Sprache" preisgekrönt worden. ' J. H. Voss, Briefe. Halberstadt 1829-32. I S. 133f. 2

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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oder DOMITORS Schriften über die Orthographie nicht gelesen habe1, obwohl dieser der einzige deutsche Reformer war, der gleichzeitig mit Klopstock radikal das sogenannte phonetische Prinzip vertrat und ihn durch sein Beispiel auf diesen Weg geführt haben könnte. Wann Klopstock von dem 1768 in Amerika erschienenen Plan einer verbesserten Rechtschreibung von BENJAMIN FRANKLIN, der in seiner Jugend Buchdrucker und Zeitungsherausgeber gewesen war und ebenfalls dem phonetischen Prinzip huldigte, erfahren hat, ist nicht genau zu bestimmen. Erst im Oktober 1782 erwähnt er ihn in einem Brief an C. F. Cramer2. So scheint Franz Muncker mit seiner Behauptung, Klopstock habe von allen übrigen Vorgängern nichts gewußt, zunächst recht zu behalten3. Seine Ansicht bestätigt Jellinek: „Als Klopstock mit seinen Vorschlägen zur Verbesserung der Rechtschreibung hervortrat, wußte er nicht, daß er Vorgänger hatte."4 Trotzdem hat sich Klopstock gleich bei seinem ersten Auftreten als Orthographiereformer auf Vorgänger berufen; ja, er sucht sogar aus ihren Fehlern zu lernen und sie selbst zu vermeiden: „Das lezte [die Weglassung ungehörter Buchstaben] haben schon manche thun wollen; aber es ist ihnen mislungen, weil sie es auf Einmal haben ganz thun wollen. Vielleicht würd es eher gelingen, wenn man nach und nach immer ein wenig in der Sache vornäme."5 Damit stimmt fast wörtlich folgende Stelle aus seinem bereits erwähnten Brief vom 11. 4. 1773 an Ebert überein: „Sie wissen doch, daß man nach und nach die nur sichtbaren und nicht hörbaren Consonanten wegwirft. Das wollte man, wie Sie auch wissen werden, ehmals auf einmal thun; und so ging es nicht. Aber nach und nach wird es denn doch zuletzt gehn."6 HEMMERS

Wer sind nun diese „ehmaligen" Orthographiereformer, deren Kenntnis Klopstock bei dem Freunde voraussetzt ? Meiner Ansicht nach kann es sich hierbei nur um die Grammatiker handeln, welche hauptsächlich in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts eine Verbesserurig der deutschen Rechtschreibung anstrebten, allen voran PHILIPP VON ZESEN, dessen Vorschläge in vielen Zügen mit denen Klopstocks übereinstimmen. Gerade Zesens Gedächtnis war auch im 18. Jahrhundert noch sehr lebendig, und die Grammatiker setzten sich mit ihm auseinander, nicht ohne seinen über1 2 3 4 6 6

Klopstocks Werke I X 356. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 308. Muncker, Klopstock, S. 479. M. H. Jellinek, Gesch. d. nhd. Gram. Heidelberg 1913/14. I S. 314f. Klopstocks Werke V I I I 174. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 245.

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triebenen Purismus und seine erfolglose Orthographiereform zu tadeln oder gar zu verspotten, wie es Adelung noch 1788 in seiner „Vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie" getan hat 1 . Gottsched besprach die Neuerungen der „Zesianer" eingehend und glaubte sie widerlegen zu müssen 2 ; seine „Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst" hatte 1762 ihre 5. Auflage erlebt, und Klopstock hat das Werk des Leipziger Sprachgewaltigen aufmerksam studiert. Denkbar wäre immerhin, daß Klopstock auch Reichards warme Anerkennung der Verdienste Zesens bekannt war, mit der dieser seinen Eifer für die Ausbesserung und Bereicherung der deutschen Sprache lobte 3 und wodurch unser Dichter notwendig in Zesen ein Vorbild für seine ihm so sehr am Herzen liegenden Bemühungen um die Muttersprache erblicken mußte. Können wir auch eine Bekanntschaft mit den Reformatoren des 17. Jahrhunderts nicht als äußeren Anstoß zu Klopstocks Beschäftigung mit der deutschen Rechtschreibung betrachten, so ist doch die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß er, durch ihren noch immer spürbaren Einfluß in seinem phonetischen Prinzip bestärkt, in zahlreichen Einzelfragen den von ihnen eingeschlagenen Weg fortging und sich einreihte in die um diese Zeit beginnende Bewegung, welche Adelung als die zweite Periode der Neuerungen bezeichnet hat 4 . Ist Klopstock mit seiner Orthographiereform im besonderen dem 17. Jahrhundert verpflichtet, wie sie sich zuerst in seiner „Deutschen Gelehrtenrepublik" darstellt, so ist auch das gesamte Werk als die Zusammenfassung aller wissenschaftlichen, patriotischen und deutschsprachlichen Bemühungen dieses Zeitraumes zu betrachten, deren Sprecher und Hauptvertreter der von Klopstock hoch verehrte LEIBNIZ gewesen ist und dessen Ideen die Seele der „Gelehrtenrepublik" sind. Auf Klopstocks Erbe der Leibnizschen Gedankenwelt hat bereits Karl Kindt hingewiesen und Klopstocks gesamtes Lebenswerk als vom Leibnizschen Geist förmlich durchtränkt dargestellt 6 ; bei meiner Untersuchung von Klopstocks sprachwissenschaftlichen Bemühungen bin ich zu demselben Ergebnis gelangt. Nicht nur in dem Plan zur Gründung einer Wiener Akademie zur Beförderung der deutschen Wissenschaften, dem die „Gelehrtenrepublik" ihre unmittelbare Entstehung ver1 J. Chr. Adelung, Vollständige Anw. zur Deutschen Orthographie. Wien 1790/91. S. 411. 1 J. Chr. Gottsched, Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst. Leipzig s 1752. S. 55 und 65. 2 E. C. Reichard, Versuch einer Historie der deutschen Sprachkunst, Hamburg 1747. S. 154f. 3 4 Adelung, Vollst. Anweisung a. a. O., S. 421. K. Kindt a. a. O., S. 32.

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Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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dankt, nicht nur [in der Sorge um eine nationale Geschichtsschreibung, sondern auch in seinen Bemühungen zur Hebung und Beförderung der deutschen Sprache ist Klopstock Leibniz verpflichtet. Durch Böttiger ist uns Klopstocks Studium der Theodicee bekannt, über die er in Leipzig als Student mit so vieler Begierde herfiel, daß er vierzehn Tage nicht aus seiner Wohnung kam1. An gleicher Stelle spricht er von des Dichters Hochachtung vor Leibniz' etymologischen Kollektaneen, die er jungen Leuten als Muster empfohlen haben soll2. Nachweislich hat er auch die den Kollektaneen beigegebenen „Unvorgreiflichen Gedancken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache" gekannt; er bezieht sich 1779 in dem Fragment „Vom edlen Ausdrucke" auf Leibniz' Worte: „Was sich darinn [in unserer Sprache] ohne entlehnte und ungebräuchliche Worte vernehmlich sagen lasse, das seye würcklich was.Rechtschaffenes; aber leere Worte, da nichts hinter, und gleichsam nur ein leichter Schaum müssiger Gedancken, nehme die reine Teutsche Sprache nicht an."3 Damit nimmt Klopstock die Forderungen der Puristen des 17. Jahrhunderts wieder auf und verwirft mit Leibniz die unnötige Fremdwörterei. Ihr gemeinsames Ziel ist die Erweiterung des Geltungsbereiches der deutschen Sprache zur Sprache der Wissenschaft und Bildung. Schon als Jüngling von 24 Jahren hat Leibniz in seiner „Abhandlung über die beste Vortragsweise des Philosophen" betont, daß die deutsche Sprache sich von Natur durchaus zum Organ der Wissenschaft eigne4, und auch in den „Unvorgreiflichen Gedancken" hebt er die Vorteile einer wissenschaftlichen Darstellung in der Muttersprache hervor. Deshalb regt er eine Bereicherung der Schriftsprache und Hebung ihrer eigenen Schätze durch „ Erklärung der Kunstworte" an, und Klopstock setzt diese Anregung mit seiner Verdeutschung der grammatischen Terminologie in die Tat um. Auch die Erhebung der deutschen Schriftsprache aus der französischen Überfremdung war beiden Herzenssache. Als Hauptaufgabe der deutschen Sprachforschung betrachtete Leibniz eine Musterung aller deutschen Worte, und sein Wörterbuchplan ist nicht ohne Einfluß auf Klopstock gebheben. Leibniz heißt also die Haupttriebfeder, die den Dichter des Messias zur patriotischen Tat der „Gelehrtenrepublik" anspornte. Der genaue Zeitpunkt 1

K. A. Böttiger, Neunzehn ungedr. Epigramme v. Klopstock. Minerva 8, 1816. S. 326. 2 Leibniz, Collectanea etymologica, Hannoverae 1717. 3 G. W. Leibniz, Unvorgreifliche Gedancken, hrsg. v. P. Pietsch, Berlin 1916, S. 67. 4 Ebd. S. 6.

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von Klopstocks Bekanntschaft mit dem Patrioten Leibniz und seinen deutschsprachlichen Bestrebungen läßt sich nicht feststellen, muß aber noch in die sechziger Jahre fallen. Möglich, daß er auch schon viel früher davon Kenntnis hatte, aber sich erst bei seiner näheren Beschäftigung mit der deutschen Sprache um diese Zeit Leibniz' Ideen ganz zu eigen machte. Das nationale Element kommt in jedem kleinsten, oft scheinbar flüchtig eingestreuten Gedankensplitter der „Deutschen Gelehrtenrepublik" zum Ausdruck. Da das Werk selbst, seine Grundidee, aus Klopstocks unaufhörlichem Bemühen um das Heil der deutschen Wissenschaft und Kunst hervorgegangen und nur so zu verstehen ist, dienen auch alle Verhandlungen und Gesetze der Republik dazu, eine originale nationale Produktion anzuregen und dadurch, unabhängig von fremdländischen Einflüssen, eine Blüte deutscher Kultur zu entfalten, die ebenbürtig neben die der Ausländer treten oder sie noch übertreffen sollte. Am deutlichsten aber kommt dieses Streben in Klopstocks Bemühungen um die deutsche Muttersprache zum Ausdruck, denn sie ist ein Hauptanliegen des Werkes. „Merke dir zuerst, und vor allen Dingen," läßt Klopstock den treuen Ekhard zu dem, welcher die Geschichte unsrer Sprache schreiben wird, sagen, „daß deine Sprache eine reichhaltige, vollblühende, fruchtschwere, tönende, gemeßne, freie, bildsame (doch wer kann von ihr alles sagen, was sie ist?), männliche, edle und vortreffliche Sprache ist, der es kaum die griechische, und keine der anderen Europäersprachen bieten darf."1 So steht die „Deutsche Gelehrtenrepublik" vor uns als das Ergebnis jahrelangen intensiven Studiums der deutschen Sprache in Vergangenheit und Gegenwart, ein Werk, durchglüht von Klopstocks leidenschaftlicher Liebe zum deutschen Vaterland. Die Gesetze der Gelehrtenrepublik hatte Klopstock schon 1769 aufgezeichnet und konnte sie am 14. 8. 1770 Ebert ankündigen2; sie erschienen 1771 als „Gesetzbuch der Gelehrtenrepublik in Deutschland" in Gerstenbergs „Hypochondristen". Auch die „Geschichte des letzten Landtages" wurde in diesem Jahre entworfen3. Seine Freunde versuchte Klopstock wiederholt zur Mitarbeit anzuregen; so ermimterte er Tiedemann zu einer Geschichte von den Entdeckungen und Erfindungen der Deutschen4; desgleichen bat er Gleim am 25. 9. 1773, ihm dasjenige Neue, was er über irgendeinen Teil irgendeiner Wissenschaft gedacht habe, mitzuteilen5, und 1 2 3 1 6

Klopstocks Werke V I I I 123 f. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 232. Muncker, Klopstock a. a. O., S. 446. Klopstocks Werke VIII HO. Ebd. X 453.

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen.

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an Ebert richtete er dasselbe Ansinnen. Muncker vermutet, daß letzterer einiges zu den Vorarbeiten für eine deutsche Grammatik und zu dem Abschnitt über ein künftiges deutsches Wörterbuch beigesteuert habe; doch fehlt hierfür jede Spur, und auch Gleim dürfte kaum auf das Werk Einfluß genommen haben. Dagegen nahm der „Göttinger Hain" den lebhaftesten Anteil an Klopstocks Bestrebungen. Miller, Hölty und Voss lasen die „alten Deutschen auch mit Rücksicht auf ein allgemeines Wörterbuch für Deutschland" nach Klopstockschen Grundsätzen 1 , und im Dezember 1773 war der Bund bemüht, die ihm wohl von Klopstock zugeschickte altsächsische Inschrift aus der Gelehrtenrepublik zu übersetzen 2 . Die Grammatik des „Sprachebändigers" wurde von allen mit Spannung erwartet 3 . Im Frühling 1774 erschien dann das Werk zu Hamburg und rief bei den zahlreichen Subskribenten große Enttäuschung hervor. Nur wenige, darunter auch Goethe 4 , stießen sich nicht an der allegorischen Einkleidung und drangen in die Tiefe der Klopstockschen Gedankenwelt ein; und auch diese ahnten wohl kaum etwas von den mühevollen Studien, von denen der Dichter in lakonischen Worten nur das Ergebnis mitteilte. Die „Bruchstücke einer deutschen Grammatik" fügten sich scheinbar zusammenhanglos als „Abendunterhaltungen" in die „Geschichte des letzten Landtages" ein. Jedoch nur scheinbar, waren sie doch aus echt leibnizischem Geiste hervorgegangen wie das ganze Werk und erfüllten dieselbe vaterländische Sendung. In den zeitgenössischen Rezensionen wurden die sprachwissenschaftlichen Einlagen höchstens beiläufig erwähnt; man nahm sie offensichtlich als „Nebenwerk" nicht ganz ernst, und auch auf die Vorschläge Klopstocks zu einer Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung, um die einige Jahre später ein so heftiger Streit entbrennen sollte, fehlt jedes Echo. Diese kühle Aufnahme hatte Klopstock freilich nicht erwartet; an eine Fortsetzung der „Gelehrtenrepublik" war unter den gegebenen Umständen nicht zu denken. Vieles, was darin Platz gefunden hätte, erschien 1779 in den „Fragmenten über Sprache und Dichtkunst" oder erst Ende 1793 in den „Grammatischen Gesprächen". Trotzdem hielt Klopstock an seinem Plan, eine deutsche Grammatik zu schreiben, auch jetzt noch fest. Möglicherweise fühlte er sich gerade durch die Nichtbeachtung, die seinen wohldurchdachten Vorschlägen und Untersuchungen auf sprachlichem Gebiet wider1

J. H. Voss, Briefe a. a. O., I S. 130.

2

Klopstocks Briefe a. a. O., S. 254.

3

J. H. Voss, Briefe a. a. O., I S. 133f.

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Brief an Schönborn am 10. 6. 1774; Muncker, Klopstock a. a. O., S. 465.

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fuhr, angereizt, der Mitwelt zu zeigen, daß er es damit ernst gemeint habe, und sie durch beharrliche Verfolgung des eingeschlagenen Weges zur Stellungnahme herauszufordern. 3. „Über die deutsche

Rechtschreibung"

Seine Bemühungen um die Förderung und Reinerhaltung der deutschen Sprache setzte Klopstock auch nach Erscheinen der „Gelehrtenrepublik" beharrlich fort. Die ersten Briefe mit dem berühmten Pädagogen J. H. CAMPE am Philanthropin zu Dessau wechselte Klopstock kurz nach Erscheinen des vierten Bandes des „Messias" 1 7 7 3 C a m p e gründete vier Jahre später eine Erziehungsanstalt bei Hamburg und teilte Klopstocks Interesse an grammatischen Fragen. Insbesondere führte sie der Eifer für eine Umgestaltung der deutschen Rechtschreibung zusammen. Über Klopstocks fleißige Sprachstudien nach Erscheinen der „Gelehrtenrepublik" berichten die Briefe von JOHANN HEINRICH VOSS, der mit Boie unmittelbar vor und nach Veröffentlichung des Werkes wochenlang bei Klopstock in Hamburg weilte2 und sich im folgenden Frühjahr in Wandsbeck niederließ. „Wenn ich mit Klopstock allein bin, sprechen wir fast beständig über die deutsche Grammatik, woran er sehr stark denkt. Es ist kein Wunder, daß er so tief in die Geheimnisse der Sprache steigt. Er kann Einen Punkt den ganzen Tag vor Augen behalten," schreibt er am 12. 6.1774 an Ernestine Boie3. Von ihm wissen wir auch, daß Klopstock Ende 1775 sehr fleißig an seiner deutschen Grammatik arbeitete, die er besonders herausgeben wollte4. Mit Voss hat Klopstock in diesen Jahren viele grammatische Fragen durchgesprochen; doch werden dabei von seiner Seite kaum wesentliche Anregungen ausgegangen sein. In einem Punkte allerdings ist sein Einfluß deutlich spürbar: In Klopstocks Beschäftigung mit dem Plattdeutschen. Aus einem Brief von Voss an seine Braut am 8. 9. 1776 erfahren wir, daß sich Klopstock um ein unverfälschtes Plattdeutsch sehr bemühte, als Voss dabei war, seine Idylle „De Winterawend" zu verfassen5. Bereits ein Jahr zuvor hatte er sein 1770 entstandenes „Vaterlandslied" gemeinsam mit seiner. Nichte Frau v. Winthem ins Plattdeutsche übertragen, und der Kantor, 1

J. Leyser, J. H . Campe. Braunschweig 1896, Bd. I, S. 25. Muncker, Klopstock a. a. O., S. 466. 3 Voss, Briefe a. a. O., I S. 247. 4 Ebd. S. 283 und I V S. 106. 6 W. Frahm, Klopstock versucht sich im Plattdeutschen. Mitt. a. d. Quickborn, 43. Jg., Hamburg 1952, S. 6. 2

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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Schulmeister und Taubstummenlehrer Heinicke in Eppendorf ließ das Lied so von seinen Schulkindern singen, wenn sie besonders fleißig gewesen waren. Als Hilfsmittel wird Klopstock dabei das „Bremische Wörterbuch" benutzt haben, das auch Voss 1781 in seiner Verteidigung der Klopstockschen „Fragmente" als Beweis f ü r dessen etymologisch richtige Erklärung des Wortes „verstehen" zitiert 1 . Aufschlußreich ist auch ein Brief Klopstocks vom 17. 8. 1776 an den befreundeten dänischen Konsul SCHÖNBORN in Algier 2 f ü r seine Bemühungen um eine möglichst einfache und knappe Darstellung der deutschen Grammatik aus jener Zeit; er spricht hier schon von „Fragmenten", scheint also zunächst die Herausgabe einer vollständigen Grammatik hinausgeschoben zu haben. Beachtenswert ist, daß wir in diesem Brief eine Mitteilung Klopstocks über die Konjugation des Verbums finden, die er in keinem seiner später veröffentlichten grammatischen Fragmente behandelt hat. Daß er nicht nur mit Eifer, sondern auch mit Freude bei der Sache und ganz von ihr eingenommen war, verraten seine Worte: „Ihnen brauche ich nicht zu sagen, daß diese Arbeit gar nicht so trocken ist, als sie so vielen vorkommen wird." Den Plan zum 2. Teil der „Gelehrtenrepublik" hatte Klopstock auch 1779 noch nicht aufgegeben, wie das daraus mitgeteilte Stück in der ersten Fortsetzung der „Fragmente", „Vom edlen Ausdrucke", beweist. Womöglich noch stärker als 1774 wird hier die Grundidee des Werkes, der friedliche Wettstreit mit anderen Nationen, auch auf das Sprachliche ausgedehnt; stellt Klopstock doch die Behauptung auf, „daß sich die Deutschen, in Betracht der alles wägenden, und alles erreichenden Wahrheitsbestimmung, auch durch Hülfe ihrer Sprache, über die Ausländer erheben können." 3 Diese Worte verraten schon den Übersetzer der Alten, dem es darum zu tun ist, durch diese Arbeiten den Vorzug der Muttersprache vor den anderen lebenden Sprachen zu beweisen; von hier aus ist es nicht mehr weit zu den „Grammatischen Gesprächen". Über Klopstocks Arbeiten an seiner Orthographiereform erfahren wir jedoch aus diesen Zeugnissen nichts, bis 1778 seine Schrift „Über die deutsche Rechtschreibung" mit einer Einleitung von Campe im zweiten Teil von dessen „Erziehungsschriften" erschien und im folgenden Jahre mit Zusätzen in Klopstocks „Fragmente über Sprache und Dichtkunst" aufgenommen wurde. Klopstock ist hierin seinen Grundsätzen aus der •„ Gelehrtenrepublik" im 1 J. H. Vossens Verhör über die beiden Ausrufer Lt. und Lk. Deutsches Museum 1781, 1. S. 335. 2 Klopstocks Briefe a. a. O., S. 278. 3 Klopstocks Werke I X , 442.

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wesentlichen treu geblieben; einige Vorschläge kommen hinzu und führen in strenger Folgerichtigkeit auf dem einmal eingeschlagenen Wege weiter. Er läßt sich nun ausführlicher auf alle Einzelheiten ein, indem er sich zugleich im voraus gegen zu erwartende Angriffe sichert und das Für und Wider sorgfältig abwägt. Auch CAMPE hatte sich bereits aus pädagogischen Gründen im ersten Teil seiner Erziehungsschriften und in seinem ABC-Buche um eine Vereinfachung der herrschenden Schreibung bemüht und begrüßte deshalb Klopstocks Versuch, den man nur aus Vorurteilen oder Neid, nicht selbst schon auf diese Idee gekommen zu sein, ablehnen könne 1 . Aus seiner Vorrede ist zu entnehmen, daß Klopstock sich ohne sein Zureden schwerlich entschlossen hätte, die orthographische Skizze aus der „Gelehrtenrepublik" jetzt weiter auszuführen: „Aber der ganze Plan lag, wer weiß wie lange! noch immer nur als bloßer Riß in dem Kopfe des Erfinders und es kostete Mühe ihn herauszubringen. Es gelang mir, und ich bin stolz darauf bey dieser jüngsten Geburt des Klopstockschen Geistes auch nur Hebammenstelle vertreten zu haben; so wichtig scheint sie mir für uns und für die Ausländer zu seyn!" 2 Demnach scheint von Campe der entscheidende Anstoß zu Klopstocks Wiederaufnahme seiner früheren Reformpläne ausgegangen zu sein. Klopstock säumte nun nicht länger, seine Vorschläge zur Verbesserung der deutschen Rechtschreibung in die Tat umzusetzen. Sein erster Brief in seiner neuen Orthographie ist an Ebert gerichtet 3 ; erst zehn Jahre später, im Jahre 1788, kehrte er in dieser Korrespondenz zur hergebrachten Rechtschreibung zurück 4 . Auch Carl Friedrich Cramer erhielt von 1782 an Briefe von Klopstock in dem neuen orthographischen Gewände, ebenso Schönborn, Angelika Kauffmann, Jacobi und Denis 5 , welcher es wohl für ratsam hielt, daraufhin den Briefwechsel mit Klopstock einzustellen. Zu seiner Genugtuung erschienen ,,Sr. Königl. Majestet zu Schweden gnädige Bestätigung der Grund Geseze der Gotenburgischen Geselschaft der schönen und andern Wissenschaften, Drotningholm den 19. August 1778"6 in seiner Orthographie, in der auch alle seine „Fragmente über Sprache und Dichtkunst" 1779—80 sowie einige Exemplare von der Altonaer Ausgabe des „Messias" 1780 gedruckt wurden 7 . Auch ahmte das Dessauische Erziehungsinstitut, wohl aus Respekt und Gefälligkeit gegen seinen ehemaligen Kurator, die von Klop1

J. H. Campe, Sammlung einiger Erziehungsschriften. Th. II. Leipzig 1778. Anh. S. 10. 2 3 4 Ebd. S. 5. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 285f. Ebd. S. 325. 6 6 Ebd. S. 289ff„ S. 306ff. und S. 312. Klopstocks Werke I X 355. 7 Vgl. die Fotokopie der ersten beiden Textseiten dieser Ausgabe im Anhang.

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stock empfohlene neue deutsche Rechtschreibung in seinen „Pädagogischen Unterhandlungen", wenn auch nicht ohne Abweichungen, nach 1 . Die orthographische Frage war gerade gegen Ende der siebziger Jahre sehr aktuell und wurde in Gelehrten- und Literatenkreisen lebhaft diskutiert, so daß WIELAND 1783 geradezu von einer Art von orthographischer Influenza sprechen konnte, die in diesen letzten Jahren epidemisch geworden sei2. Zahlreiche Grammatiker und Sprachwissenschaftler waren mit Vorschlägen und Anweisungen aufgetreten, und Männer wie JAKOB HEMMER, FRIEDRICH CARL FULDA, JOHANN NAST und ABRAHAM GOTTHELE MÄZKE hatten sich während dieser Zeit einen Namen gemacht. So blieb diesmal das Echo auf Klopstocks Reformprogramm nicht aus — es war, wie bei seinen radikal phonologischen Forderungen nicht anders zu erwarten, fast durchaus negativ. Besonders die Art, wie Campe für Klopstocks Arbeit eingetreten war, reizte zum Widerspruch. H E R D E R und HAMANN brachten in ihren Briefen, wie schon einmal nach Erscheinen der ,.Gelehrtenrepublik", ihre Mißbilligung zum Ausdruck 3 , als deren Ergebnis 1780 Hamanns „Zwei Scherflein zur neuesten deutschen Literatur" ans Licht traten. Bald darauf sprach er seine Zweifel an Klopstocks orthographischen Grundsätzen und seinem „unschicklichen" Stolz auf die Muttersprache in einem Schreiben an den Dichter selbst offen aus 4 . Angesichts der Klopstockschen Rechtschreibung fühlte sich LUDWIG FRONHOEER in München sogar zu folgender pessimistischen Akademierede veranlaßt: „Deutschlands belletristisches güldenes Jahrhundert ist, wenn's so fort geht, so gut als vorbey." 5 Die Opponentenbank erhob ihre Stimme auch in Flugschriften; 1779 erschien in Rostock die Abhandlung „An Klopstock. Über seine Abhandlung von deutscher Rechtschreibung" von CHR. GOTTFR. MANTZEL, und im gleichen Jahr schrieb CHR. W I L H . KINDLEBEN seine anonyme Satire „Die allerneueste deutsche Orthographie des 18. Jahrhunderts, erfunden von Klopstock, nachgeahmt von dem Dessauischen Erziehungsinstitute, ausgezischt von der gelehrten Welt, und übergangen in die Vergessenheit", über deren seichte Polemik selbst NICOLAI empört war, obwohl er sich mit den phonologischen Grundsätzen Klopstocks nicht einverstanden erklärte, sondern wie 1 Chr. W. Kindleben, Die allerneueste deutsche Orthographie, Frankfurt und Leipzig 1779, S. 45. 2 Chr. M. Wieland, Was ist Hochteutsch? Teutscher Merkur 1783, 2. S. 320. 3 J. G. Hamann, Werke in 8 Bden., hrsg. v. Fr. Roth. Berlin 1 8 2 1 - 4 3 . Bd. V I S. 70 f. und 123. 4 Klopstocks Briefe a. a. O., S. 300f. 6 Dittes' Paedagogium V I I , 1885. S. 471ff.

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Adelung die allgemeine Anerkennung der althergebrachten Orthographie durch seine Kritik zu unterstützen suchte1. Ganz in seinem Sinne geschrieben waren daher auch die Beurteilungen der Klopstockschen Fragmente in der „Allgemeinen deutschen Bibliothek", die Voss zu einer heftigen Erwiderung im „Deutschen Museum" veranlaßten, wo er die beiden „Ausrufer Lt. und Lk." einem Verhör unterzog und dabei Klopstocks Gedanken zuerst einer verständnisvollen Kritik würdigte. Auch WIELAND war den orthographischen Neuerern nicht zugetan, da er vor allem den Verlust der Einheitlichkeit in der deutschen Rechtschreibung befürchtete, „der daraus entsteht, daß nicht nur die Magnaten unsrer gelehrten Republik, (die dem Volk hierin mit keinem guten Beyspiele vorgehen) sondern beynahe jeder, der etwas drucken läßt, sich eine eigne Sprache und eine eigne Unrecht-Schreibung macht."2 Als erster Grammatiker nahm MÄZKE, der schon 1 7 7 6 / 7 7 in den „Grammatischen Abhandlungen über die Sprache" seine Ansichten über die Orthographie dargelegt hatte, zu Klopstocks Orthographiereform Stellung. In seiner Schrift „Über Deutsche WörterFamilien und Rechtschreibung" ergriff er 1780 die Gelegenheit, welche ihm seine Auseinandersetzung mit Enkelmanns „Grammatikalien" bot, seine Bedenken zu äußern. Im selben Jahr übersandte ein Anonymus aus der Pfalz Klopstock zusammen mit Hemmers „Kern der deutschen Sprachkunst und Rechtschreibung" die Schrift „Urschprung und Fortgang des heütichen wichtichen Ferbeserungsgeschäftes der deütschen Rechtschreibung."3 Auf diese Weise wurde Klopstock in den Parteienstreit hineingezogen, von dem er sich bis dahin bewußt ferngehalten hatte. Ganz gegen seinen Grundsatz, auf den Tadel von Kritikern nicht zu antworten und Streitschriften nur im Falle der Notwehr gelten zu lassen4, griif er zur Feder, um seine orthographischen Theorien zu verteidigen, doch nicht ohne diesen Schritt vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen: in diesem Falle gilt es die „Ferteidigung des Teoretischen", nicht die eines Kunstwerkes5. In seinem Fragment „Nachläse" antwortet er auf die Einwände der Pfälzer und Nicolais in der „Allgemeinen deutschen Bibliothek", bei welcher Gelegenheit er zugleich FULDAS grammatische und etymologische Arbeiten einer scharfen Kritik unterzieht, obwohl er seine Verdienste um unsere Sprache durchaus würdigt und zugibt, einiges über „ire emaligen Mundarten" von ihm gelernt zu haben6. Seinem am Ende der „Nachläse" geäußerten Entschluß, nichts mehr 1

A. Schach, Nicolais Bemühungen um die deutsche Sprache. Diss. Gießen 1913. 3 S. 40. 2 Wieland a. a. O., S. 20. Klopstocks Werke I X 366. 4 6 Klopstocks Werke V I I I 31. Ebd. I X 362. • Ebd. 378.

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über orthographische Fragen zu schreiben1, wird Klopstock jedoch noch einmal untreu, als Fuldas offener Brief an Mäzke2 ihn 1781 zu der Schrift „Über Etymologie und Aussprache" veranlaßt. Mit dem 1782 veröffentlichten Aufsatz „Grundsätze und Zweck unserer jetzigen Rechtschreibung", wo schon eine Spur von Ermüdung, wenn nicht gar Erbitterung über den Unverstand und die Lauheit der Mitwelt anklingt, schließt die Reihe der Klopstockschen Abhandlungen über die deutsche Rechtschreibung ab. Aber nicht alle Stimmen waren negativ, wenn auch Boie mit seinem einsichtigen Urteil ziemlich allein steht3. Sogar Nachfolger fanden sich in J. G. Richter4 und J. A. F. Enkelmann, der 1780 die „Grammatikalien des P. Antonius Lignet" veröffentlichte und darin im wesentlichen Klopstocks Reformvorschläge befolgte; auch Voss zeigte in manchen Zügen unverkennbar den Einfluß der Klopstockschen Rechtschreibung. Noch einmal flackerte die Diskussion um die Orthographie in dem Briefwechsel Klopstocks mit dem Kieler Mathematikprofessor JOHANN NICOLAUS TETENS auf, dem der Dichter am 31. 12. 1784 eine briefliche Auseinandersetzung über seine Reformorthographie vorschlug5. Sie erstreckte sich über die ersten Monate des folgenden Jahres, bis der Mathematiker sich - weniger überzeugt, als vom Kampf gegen den gelehrten Sprachforscher ermüdet — geschlagen gab und der triumphierende Sieger seine Grabschrift entwerfen konnte6. Von anderer Seite wurde der Orthographiereformer Klopstock in den folgenden Jahren heftig angegriffen: JOHANN CHRISTOPH ADELUNG, der sich zuerst 1774 mit Erscheinen des ersten Bandes seines Wörterbuches einen Namen gemacht und allen ähnlichen Plänen, darunter auch denen Lessings, vorläufig zuvorgekommen war, trat seit Beginn der achtziger Jahre auch als Grammatiker in Erscheinung. Seiner kurzgefaßten „Deutschen Sprachlehre für Schulen" (1781) folgte zur Erläuterung das „Umständliche Lehrgebäude der Deutschen Sprache" (1782); der hierin befindliche ausführliche Abschnitt über die Orthographie wurde 1782 nochmals gesondert unter dem Titel „Grundsätze der Deutschen Orthographie" abgedruckt. Seine Ansicht vom Hochdeutschen, die er bereits in der Vorrede zum ersten Bande seines Wörterbuches dargelegt hatte und 1782 im „Magazin für die Deutsche Sprache" Klopstocks Werke I X 397. Göttingisches Magazin d. Wiss. u. Litt. 1781 II, S. 438ff. 3 K . Weinhold, Heinrich Christian Boie. Halle 1868. S. 172. 4 Versuch einer zweckmäßigen deutschen Rechtschreibung. Berlin 1780. 5 Klopstocks Briefe a. a. O., S. 312f. • Ebd. S. 319f.

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verschärft wiederholte, forderte Wieland zum Widerspruch heraus, der 1782 bis 1783 im „Teutschen Merkur" die Identität des Hochdeutschen mit dem Meißnischen entschieden bestritt. Doch verhehlte er dabei nicht seine Hochachtung vor seinem Gegner ; Adelungs Rechtschreibung hielt er für das beste Mittel, dem Vielerlei der „heterodoxen Orthographien" zu steuern1, und sein Wörterbuch wurde ihm bald unentbehrliches Hilfsmittel, was Klopstock ihm nicht verzeihen konnte2. Adelung stand der sprachlichen Bewegung der siebziger Jahre ebenso ablehnend gegenüber wie der literarischen, und im Widerspruch gegen diese Bewegung ist sein Standpunkt immer einseitiger geworden3. Seine Opposition gegen Klopstock trat schon in seinem Vorwort zum vierten Bande seines Wörterbuches (1780) zutage, und in den „Grundsätzen der Deutschen Rechtschreibung" äußerte er die Vermutung, daß es dem Dichter mit seiner Orthographiereform unmöglich Ernst gewesen sein könne: „Ich bin daher vollkommen überzeugt, daß er diesen Satz bloß in einer kleinen boshaften Laune dahin geworfen hat, den Schwärm unverständiger Nachahmer zum Besten zu haben, und die Welt zu überführen, daß keine Ungereimtheit so groß ist, welche nicht ihre Anhänger bekommmen sollte, zumal, wenn sie dem Scheine nach von einem berühmten Nahmen unterstützet wird."4 Daß diese Worte jedoch ironisch gemeint sind und Adelung wohl wußte, daß Klopstock sich mit seinen Reformvorschlägen keinen Scherz geleistet hatte, beweisen seine Angriffe gegen den Dichter in der 1788 erschienenen „Vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie."5 Klopstock mußte sich durch diese absprechenden Urteile zutiefst verletzt fühlen; doch hatte er zuerst den Streit vom Zaune gebrochen, indem er bei jeder Gelegenheit sein Mißfallen über Adelungs „Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart" äußerte, das einen Standpunktvertrat, welcher der Auffassung von Leibniz entgegengesetzt war. Den Terminus,,Hochdeutsche Mundart'' hatte Klopstock schon in der,, Gelehrtenrepublik"6 und der „Nachläse"7 gerügt. Auch verärgerte Adelung, der eine ganz unkünstlerische, unpoetische Natur war und nicht viel von der sprach1

Wieland a. a. O., S. 30. Klopstocks Werke I X 91 f. 3 H. Paul, Grundriß der germanischen Philologie Bd. I. Straßburg 2 1901. S. 57. 4 J. Chr. Adelung, Grundsätze der Deutschen Orthographie. Leipzig 1782. S. 109 f. 6 Adelung, Vollst. Anw. a. a. O. S. 421ff. Jellinek nimmt I S. 382 Adelungs Ausführungen wörtlich. 7 « Klopstocks Werke VIII 171. Ebd. I X 359 f. 2

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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schöpferischen Kraft eines Dichters hielt, Klopstock dadurch, daß er in seinem Wörterbuch keine Kenntnis von Worten und Begriffen nahm, mit denen Klopstock die deutsche Sprache bereichert hatte; selbst das Wort „Bardiet" sucht man bei ihm vergebens. Sein „etymologisches Wurzelgraben" mißfiel Klopstock in hohem Grade, und das „Umständliche Lehrgebäude" forderte besonders in einigen Teilen der Lautlehre und Wortbildung seinen Spott heraus. 4. „Grammatische

Gespräche"

Auf diese Weise erfuhr Klopstocks Beschäftigung mit der deutschen Sprache, der er sich im Alter immer ausschließlicher widmete, in den achtziger Jahren eine polemische Zuspitzung, für die er in der geplanten Grammatik nicht mehr die geeignete Darstellungsform sehen konnte. Vielleicht war ihm auch die wissenschaftliche Behandlung des an sich trockenen grammatischen Stoffes auf die Dauer zu eintönig erschienen, und das Bedürfnis, seine dichterische Phantasie auch auf diesem Gebiete zu betätigen, ließ ihn zur künstlerischen Ausdrucksform des Gesprächs greifen, welches der von ihm geschätzte griechische Satiriker Lukian so meisterlich gehandhabt hatte. Seine geistreiche Schrift vom Gericht der Vokale über den Streit der Buchstaben Sigma und Tau hatte schon Gottsched in seiner „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst" zur Nachahmung gereizt: „Diese artige Erfindung, eine an sich trockene Buchstabenkritik angenehm zu machen, hat auch mir bequem geschienen, von der Verwandlung einiger doppelten Buchstaben in einfache, Red und Antwort zu geben. Ich will hier auch die Buchstaben als Personen einführen; aber meine Richter sollen nicht die Vocalen seyn, sondern die Sprachkunst, welche zu ihren Rathgebern die Vernunft; und die Gewohnheit haben soll."1 Klopstock beruft sich in den „Grammatischen Gesprächen" nur auf Lukian2, hat aber zweifellos um Gottscheds Vorgang gewußt. Von Voss wissen wir, daß Klopstock bis in die Mitte der achtziger Jahre die Ausführung einer strengen, nur durch Kürze und Bestimmtheit ausgezeichneten Grammatik so sehr am Herzen lag, „daß er von nichts lieber mit seinen Freunden sich unterhielt, und schon eine wohlfeile Schulausgabe berechnete."3 Doch schon am 25. 9. 1785 klagt er, kurz nach seiner ersten Meinungsverschiedenheit mit Klopstock über das Wesen des Hexameters, Miller von der plötzlichen Sinnesänderung des Dichters: „Jetzt schreibt er 1 3

2 Gottsched a. a. O., S. 663. Klopstocks Werke I X 9. Voss, Grammatische Gespräche a. a. O., S. 186.

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seine Grammatik in Gesprächen, die wol außer Gramer keinem Menschen gefallen wird . . . Schade, daß er den simpeln Plan, nach welchem die Fragmente in der Gel. Republik gearbeitet sind, nicht ausführt. Es scheint ihm unter seiner Würde zu sein, Grammatik als Grammatiker zu schreiben, und er merkt nicht, wie sehr es unter der Würde der Grammatik ist, so spaßhaft dargestellt zu werden." 1 Die Gesprächsform mußte notgedrungen auf Kosten der Systematik und Übersichtlichkeit der Darstellung gehen und das Verständnis seiner vielfach feinen Bemerkungen und treffenden Polemik erschweren. Demgemäß fanden die „Grammatischen Gespräche" auch beim Publikum wenig Anklang. Diese neue grammatische Darstellungsweise war jedoch geeignet, eine von Klopstock seit langem gehegte Lieblingsidee zu verwirklichen: die Idee des Wettstreites mit anderen Nationen um den Vorzug ihrer Sprachen. Sie war bereits in der Abschiedsrede des Einundzwanzigjährigen aufgetaucht, und jede absprechende Bemerkung eines Ausländers über deutsche Literatur und Sprache hatte den Dichter seitdem als persönliche Beleidigung zu Höchstleistungen angespornt, um diesen ungerechten Tadel zu widerlegen. In dem Ehrgeiz, den Vorzug der geliebten deutschen Sprache vor den anderen europäischen und selbst antiken Sprachen nicht nur durch die gewaltige sprachschöpferische Leistung seines Lebenswerkes darzutun, sondern auch wissenschaftlich begründen zu können, ist eine wichtige Triebfeder zu seinen sprachwissenschaftlichen Studien zu suchen. Selbst zu seinen orthographischen Untersuchungen hat dies beigetragen; das hergebrachte Schriftbild verführte nach seiner Ansicht die Ausländer, „unsrer Sprache Härte Schuld zu geben." 2 Wie bei jedem großen Künstler die charakteristischen Merkmale seiner Begabung und Denkungsart mit zunehmendem Alter immer ausgeprägter hervortreten und dann leicht als „Manieriertheit" angesehen werden, ist auch bei Klopstock der immer stärker hervortretende Zug des deutschen Sprachstolzes und das Bestreben, seine Berechtigung auch durch wissenschaftliche Untersuchungen zu beweisen, deutlich zu beobachten. So fühlte er sich von dem Italiener Bettinelli herausgefordert, der behauptet hatte, daß deutsche Werke der Sprache wegen nicht klassisch sein könnten 3 , und trat den unverständigen Urteilen der Franzosen Rivarol und Palissot über unsere Sprache entgegen 4 . Daß die Bekämpfung solcher Vorurteile Klopstock als 1 2 3 4

Voss, Briefe a. a. O., II S. I l l f . Klopstocks Werke I X 394. Ebd. 144. Ebd. 12ff.

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durchaus notwendig erscheinen mußte, beweisen zahlreiche Klagen deutscher Dichter über die Sprödigkeit und Härte der Muttersprache. Noch 1797 konnte Wieland äußern: „Es ist einmal etwas Unbeholfenes in unserer Sprache, wie in unserm Nationalcharakter" 1 , und selbst G O E T H E bedauerte in seinem bekannten Yenetianischen Epigramm: „Nur ein einzig Talent bracht' ich der Meisterschaft nah': Deutsch zu schreiben. Und so verderb' ich unglücklicher Dichter In dem schlechtesten Stoff leider nun Leben und Kunst." Und Klopstock, dem eine Beleidigung der deutschen Sprache empfindlicher war als jede persönliche Kränkung, erwiderte 1796 gereizt mit dem Sinngedicht : „Die deutsche Sprache an Goethe": „Göthe, du dauerst dich, daß du mich schreibest? Wenn du mich kenntest, Wäre dieß dir nicht Gram: Göthe, du dauerst mich auch." 2 Sogar der Klopstock blind verehrende C. F. Cramer hatte sich über die Härte der deutschen Sprache respektlos geäußert und holte sich dafür von dem Dichter einen brieflichen Verweis3. Der Klang unserer Sprache war für Klopstock nun einmal wie der Herkules des Rubens mit starken Muskeln und nicht wie die Mediceische Venus; „aber darf denn Herkules deswegen nicht er selbst sein?" 4 Energisch wandte sich Klopstock auch gegen die neueren Übersetzer der deutschen Bibel, durch welche er die kernige Sprache des von ihm jederzeit hoch verehrten L U T H E R der Gefahr einer geistlosen Verflachung ausgesetzt sah 5 . Diese Verehrung für Luther teilte Klopstock mit Lessing und Herder. Keine Gelegenheit versäumte er, wenn er auf die Geschichte unserer Sprache zu sprechen kam, seine Hochachtung vor dem Übersetzer der deutschen Bibel zu bezeugen: „Niemand, der weiß, was eine S p r a c h e i s t , erscheine ohne Ehrerbietung vor Luthern. Unter keinem Volk hat E i n M a n n so viel an seiner Sprache gebildet," 6 heißt es schon in der „Gelehrtenrepublik", und warme Worte der Anerkennung hat er auch in dem Fragment „Zur Geschichte unserer Sprache" für Luthers große sprachschöpferische Leistung gefunden 7 . 1

K. A. Böttiger, Klopstock und Wieland. Fr. Schlegels Deutsches Museum IV, Wien 1813. S. 15. 2 Klopstocks Werke I X 289; vgl. dazu J. Petersen, Goethe und die deutsche Sprache. Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft X V I I S. 3f. 8 4 Klopstocks Briefe a. a. O., S. 335f. und 341. Ebd. S. 343. 7 * Klopstocks Werke V 304. « Ebd. VIII 124 f. Klopstocks Werke I X 446f.

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Den gefährlichsten Gegner der deutschen Sprache erblickte er jedoch in den achtziger Jahren in FRIEDRICH II. und seinem 1780 erschienenen Werk „De la littératurs allemande". Wegen seiner französischen Schriftstellerei hatte Klopstock schon in der „Gelehrtenrepublik" gegen den „Ungenannten" Stellung genommen und ihn wiederholt in seinen vaterländischen Oden angegriffen; nun wandte er sich erneut gegen ihn. Von den 21 Oden der Jahre 1781 und 1782 treffen drei Friedrich II. als Verächter der deutschen Literatur2, und sowohl im dritten „Grammatischen Gespräch" als noch 1795 in einem „Zwischengespräch" verspottete er dessen deutsche und französische Schriften und seine Vorschläge zur Hebung des Wohlklangs der deutschen Sprache. Immer eifriger widmete sich nun der ehemalige Portenser einer seiner Lieblingsarbeiten, die mit dem Streben seines ganzen Lebens zusammenhing: er übersetzte aus dem Griechischen und Lateinischen, um dadurch „Teutonas" Vorzüge vor den anderen neueren Sprachen anschaulich zu machen. Seine Behauptung aus der Gelehrtenrepublik, daß die deutsche Sprache der griechischen nicht nur frei unter die Augen treten, sondern ihr auch wohl diese und jene Frage tun könne,3 galt es nun durch die Tat zu beweisen. Im Wettstreit der Teutone mit Ingieß und Galliette ging es zunächst um den höheren Wohlklang und die „Bildsamkeit" der Sprache, den Geist des Originals am treuesten übertragen zu können. Dies mußte Teutone — der deutschen Sprache — um so leichter fallen, als sie mit Hellänis verwandt und wie sie eine „Originalsprache" war. Vor allem aber versuchte Klopstock, dessen Stilideal schon immer möglichste Knappheit des Ausdrucks gewesen war, die größere Kraft der deutschen Sprache durch ihre größere Kürze zu beweisen, die sie durch ihre sonst nur noch der griechischen unbegrenzt mögliche Fähigkeit der „Vereinung" (Wortzusammensetzung) tind Ableitung erreichen kann. Selbst mit der kürzesten der Sprachen, der lateinischen, vermochte Teutona es aufzunehmen, und begeistert von ihrem Sieg feierte der Dichter seine geliebte deutsche Sprache in neuen Oden. Mit dem Erscheinen der „Grammatischen Gespräche" Ende 1793 war offenkundig, daß Klopstock seinen ursprünglichen Plan einer vollständigen Schulgrammatik nicht mehr ausführen würde. So lange Jahre er sich auch mit diesem Stoff beschäftigt hatte, so vermochten ihn doch nur Teilgebiete, auf denen er wirklich Neues sagen zu können glaubte, längere Zeit zu fesseln. Auf sie kam er immer wieder, -wenn auch in anderer Form und mit neuen 2 3

H. Düntzer, Klopstocks Oden. Jena 1860/61. S. 45. Klopstocks Werke VIII 99.

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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Beispielen, auch in den „Gesprächen" zurück. Bezeichnend für Klopstocks Verhalten seiner ehemaligen Orthographiereform gegenüber ist das zweite Gespräch über die Aussprache, in dem die „Heterographie" nach wie vor alle ungehörten Buchstaben einschließlich des Dehnungs-h verbannt. Noch am 29. 6. 1799 schrieb Klopstock an C. F. Cramer einen Brief in seiner Reformorthographie 1 . Seine oft zitierte Äußerung A. H. Clodius gegenüber 2 beweist deshalb nicht, daß der Dichter im Alter seine Reformvorschläge fallenließ und seine Meinung darüber änderte, obwohl seine letzten Schriften in alter Orthographie erschienen; er hatte lediglich erkannt, daß er sich trotz aller einleuchtenden Klarheit seiner Gründe nicht durchsetzen konnte. 5. Letzte Versuche zur Förderung der deutschen

Sprache

Den breitesten Raum nehmen in den „Grammatischen Gesprächen" Klopstocks Übersetzungen aus den Alten ein; und auch nach ihrem Erscheinen hielt er an seiner Lieblingsidee fest, den Triumph der deutschen Sprache über die griechische zu feiern. Diese Idee wurde schließlich so herrschend bei ihm, daß sich gleichsam alles, was er tat und dichtete, darauf bezog. K. A. Böttiger, der den Dichter im Sommer 1795 in seinem „Tal" besuchte, hat 1814 in der „Minerva" über seine emsige Übersetzertätigkeit in jener Zeit berichtet. Mit größter Sorgfalt übertrug er Stellen aus Horaz, Vergil, Homer und Ovid und freute sich, wenn er dabei einige Hexameter des Originals einsparen konnte 3 . Daß Voss in seiner Homerübersetzung nicht dasselbe getan und so der deutschen Sprache ihr Recht versagt hatte, wollte ihm gar nicht gefallen. So schrieb er am 24. 5. 1799 an Voss: „Denn unsre Sprache ist ja nun einmal, durch ihre vielen einsilbigen und zweisilbigen Wörter, auch mechanisch, kürzer als die griechische." 4 Um auch eine Vergleichsmöglichkeit mit den neueren Sprachen zu haben, versuchte Klopstock den Engländer Mellish zu Übersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen ins Englische zu ermutigen, wie er am 1

Klopstocks Briefe a. a. O., S. 396. A. H. Clodius, Ausw. aus Klopstocks nachgel. Briefw. u. übrigen Papieren. Leipzig 1821. S. 91: „Was ich über die Orthographie geschrieben habe, wird nicht wieder gedruckt. Es ist mir gleichgültig, ob man künftig wisse oder nicht wisse, daß ich mir die Mühe gegeben habe, von dem Zwey mal zwey ist vier der Orthographie zu reden, und daß man mir: ist aber fünf, geantwortet hat." Vgl. Muncker, Klopstock a. a. O., S. 483. 3 Böttiger, Klopstock im Sommer 1795. Minerva 1814. S. 328. 4 J. H. Voss, Zeitmessung der deutschen Sprache, hrsg. v. A. Voss. Königsberg 1831. S. 260. 2

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21. 3. 1797 Herder mitteilt 1 und Mellish's Brief an Klopstock aus demselben Jahre bestätigt 2 . „Denn die Engländer," schreibt er um diese Zeit an seinen Verleger Göschen, „sind viel zu stolz auf ihre Sprache um zu merken, dass ich sie da aufs Eis führe. Am glättesten ist diess, wenn sie es wagen auch die Silbenmasse der Alten nachzubilden." 3 Und so greift eine seiner letzten Oden, „Einladung" (1797), das Thema wieder auf, das er schon 1752 in den „Beiden Musen" besungen hatte: den Wettstreit zwischen Ingles und Teutone, ein Gedanke, der bei allen seinen Sprachuntersuchungen mitspricht und ihn wohl auch nach dem Vorbild von Macpherson und Percy zu der Suche nach den deutschen Bardengesängen bewogen hat 4 . Neben diesen fleißigen Bemühungen, die Vortrefflichkeit der noch immer nicht genügend geschätzten deutschen Sprache ins Licht zu setzen, versuchte ihr Klopstock alle schädlichen Einflüsse fernzuhalten und verurteilte alle „pfuschenden Wager", die nach seinem Dafürhalten die Sprache verbildeten und ihr dadurch Schaden zufügten. Die „Grammatischen Gespräche" verspotteten deshalb die „Regensburgerei", wie der Dichter die kaiserliche Kanzleisprache nannte, und ein Jahr später rückte er in dem Gespräch über die Bedeutsamkeit der „Kunstwörtelei" zu Leibe, in der er eine ernste Gefahr für die Muttersprache erblickte. Den unmittelbaren Anlaß hierzu gaben die Schriften K A N T S , dessen Hauptwerke in den achtziger Jahren in dichter Folge erschienen und alle Gemüter heftig bewegten. Klopstock hat alle seine Werke eingehend studiert5 und stand dieser Philosophie, die das Leibnizsche Weltbild und damit auch das seine zu zerstören drohte, von Anfang an feindlich gegenüber. Dieser Widerwille wurde noch vermehrt durch die neue Terminologie der Kantischen Schulsprache, deren „Kunstredensarten" die jahrzehntelangen Bemühungen des Dichters um die Schönheit und unbefleckte Reinheit der geliebten Teutona zunichte zu machen schienen. Indem Klopstock im „Berlinischen Archiv der Zeit" durch Analyse der Kantischen Kunstausdrücke ihre unrichtige oder ungenaue Bildung bewies, verfolgte er jedoch hauptsächlich den Zweck, „brave junge Leute aus dieser Barbarei herauszuziehn".6 1

Klopstocks Briefe a. a. O., S. 379.

2

Ebd. S. 387ff.

3

Archiv f. Litteraturgesch. II S. 345.

4

Vgl. H. T. Betteridge, Herder's Letters to Klopstock. Publications of t h e Modern-Language-Association of America, December 1954. S. 1226. 6

J. W. v. Archenholz, Klopstock. Minerva 46, 1803. S. 115.

« Klops tocks Werke X 460.

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Daß die Terminologie nicht das einzige war, was Klopstock an Kant auszusetzen fand, und nur als Vorwand für ein „Scharmützel" diente, geht auch aus seinem Brief vom 20. 7. 1799 an H E R D E R hervor, der 1798 dem Königsberger Weltweisen in seiner Metakritik gegen Kants Kritik der reinen Vernunft „eine Schlacht geliefert" hatte 1 . Der gemeinsame Gegner brachte Klopstock und Herder, deren Verhältnis bald nach ihrer persönlichen Begegnung 1783 gestört zu sein schien2, einander wieder näher; ihr Briefwechsel erörterte von 1795 an lebhaft diese Tagesfrage3. Da Klopstock vernommen hatte, daß auch W I E L A N D der kritischen Philosophie keinen Geschmack abgewinnen konnte4, söhnte diese Gleichheit der Gesinnungen beide Dichter noch im hohen Alter miteinander aus; durch Böttigers Vermittlung traten sie 1797 in Briefwechsel5. Trotzdem wollte Wieland auch jetzt noch nichts mit dem Grammatiker Klopstock zu schaffen haben, der ihn so oft hatte schulmeistern wollen und wiederholt empfindlich verletzt hatte 6 , und trotz Klopstocks Kritik in den „Gesprächen" bekannte er noch 1795, täglich mehrmals in Adelungs Wörterbuch nachzuschlagen, „aus Angst, ein undeutsches Wort zu schreiben".7 Auel} Nicolai lehnte die Kantische Terminologie entschieden ab 8 , und so konnte Klopstock dem Freunde Gleim, der mit ihm einer Meinung war, am 7. 11. 1795 berichten, daß man in Berlin und Weimar mit seinen zwei Worten über die Kantische Philosophie sehr zufrieden gewesen sei9. Natürlich mußte auch der Hauptvertreter der Sprachreinigungsbestrebungen seiner Zeit, J . H. CAMPE, sich von Kant herausgefordert fühlen, und sein Urteil in den „Beiträgen zur Beförderung der fortschreitenden Ausbildung der deutschen Sprache" 1795 läßt an Schärfe nichts zu wünschen übrig: „Unsere Sprache wird den Schaden, den die neue Sündfluth von griechisch-lateinisch-deutschen Kunstwörtern . . . angerichtet hat, vielleicht in Jahrhunderten nicht verwinden."10 Doch scheint Campe um die Zeit, da er als Sprachreiniger seine gekrönte Preisschrift „Über die Reinigung und Bereicherung der deutschen Sprache" (1794) schrieb, eine „Gesellschaft von deutschen Sprachfreunden" gründete 1 2 3 4 4 8 7 8 9 10

Klopstocks Briefe a. a. O., S. 404. Muncker, j opstock a. a. O., S. 537. Betteridge a. a. O., S. 1224. Böttiger, 19 ungedr. Epigramme a. a. O., S. 328. Klopstocks Werke X 460. Böttiger, Klopstock und Wieland a. a. O., S. 23. Feldmann, Wieland a. a. O., S. 275. A. Schach a. a. O., S. 84. Klopstocks Werke X 456. J. Leyser a. a. O., S. 322f.

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und an seinem „Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke" (1801) arbeitete, nicht mehr mit Klopstock in persönlicher Verbindung gestanden zu haben. Der rege Briefwechsel Klopstocks mit JOHANÜST HEINRICH VOSS über das Wesen des Hexameters, der sich an Klopstocks Übersendung von Fragmenten seiner Grammatik an Voss am 3. 7. 1789 anschloß1, hatte nicht zu einer Einigung geführt; die beiden Freunde wurden erst zehn Jahre später durch eine Ode, die Voss an den Dichter richtete, wieder ausgesöhnt2. So traten sie um diese Zeit noch einmal in Gedankenaustausch, dessen Hauptgegenstand Vossens Übersetzungen bildeten, in denen Klopstock „Vergriechung" und „Verlateinung" fand 3 ; auch wollten ihm einige veraltete und „regensburgische prosaische Wörter" nicht gefallen4. Voss hat es danach um des lieben Friedens willen für ratsam gehalten, nicht mehr mit Klopstock über Sprache und Poesie zu diskutieren; seinen Sohn Wilhelm warnte er noch am 6. 6. 1801 ausdrücklich davor5. Und dabei unterhielt sich der greise Dichter auch nach 1795 am liebsten über seine „Grammatischen Gespräche", an denen er bis zuletzt arbeitete — einige Fragmente wurden noch in seinem Nachlaß gefunden — und die er allen seinen sprachlich interessierten Freunden zuschickte; zu diesen gehörte auch WILHELM VON HUMBOLDT, den er 1797 bei einem Besuch in Hamburg „als scharfen Forscher in jeder Sprache zugleich" schätzen lernte6. Klopstocks Anteilnahme an alten „Bardengesängen" war auch in seinen letzten Lebensjahren rege; noch 1775 schickte er Cramer in Paris auf die Suche nach den Bardengedichten, die Karld. Gr. hatte aufschreiben lassen7, und herzlich freute es ihn, als ihm einer seiner glühendsten Verehrer, der hauptsächlich von Klopstock für das germanische Altertum begeisterte FRIEDRICH DAVID G BÄTER, seit 1791 Herausgeber der Zeitschrift „Bragur", 1799 mitteilte, daß das einst von ihm zur Auffindung der deutschen Bardengesänge angeregte Preisausschreiben verwirklicht worden sei8. Das Bewußtsein, bei der Erhebung der deutschen Sprache aus dem Verfall mitgeholfen zu haben, daß keine andere lebende Sprache sich mit ihr in einen Wettstreit wagen konnte, erfüllte Klopstock noch im höchsten Alter mit berechtigtem Stolz. Noch in seiner letzten öffentlichen patriotischen Handlung, dem deutschen Danksagungsschreiben an das französische 1 2 3 4

Voss, Voss, Voss, Ebd.

Zeitmessung a. a. O., S. 200. Briefe a. a. O., I I S. 352. Zeitmessung S. 264. S. 283.

6 8 7 8

Voss, Briefe a. a. O., I I I S. 214. Klopstocks W e r k e X 458. Klopstocks Briefe S. 364. E b d . S. 405f.

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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National-Institut vom 23. 7. 1802, erwähnte er die Lieblingsbeschäftigung seines Alters, die Übersetzung ausgewählter Stellen griechischer und römischer Dichter in deutscher Kürze und Bündigkeit, und versäumte damit nicht die günstige Gelegenheit, die Franzosen auf die Vorteile seiner Muttersprache aufmerksam zu machen1. Noch in seinen letzten Lebenstagen beschäftigten ihn sprachliche Fragen2, und er hatte große Freude, als ihm erzählt wurde, daß der Minister Herzberg, dem ursprünglichen Plan Leibnizens gemäß, eine eigene Abteilung der Berliner Akademie der Wissenschaften zur Vervollkommnung der deutschen Sprache einzurichten gesonnen sei3.

6. Klopstocks

sprachwissenschaftliche

Bemühungen

im Rahmen seines

Oesamtwerkes

Überblicken wir noch einmal Klopstocks sprachwissenschaftliche Entwicklung, wie sie in dieser Untersuchung an uns vorüberzog, so läßt sich unschwer etwas Gemeinsames feststellen, das allen seinen Werken eigen ist. Klopstocks gesamtes Schafifen stand von Anfang an im Zeichen seiner Liebe zum deutschen Vaterland. Seiner patriotischen Gesinnung blieb er bis zu seinem Tode getreu und äußerte sie bei allen Gelegenheiten. Durch alle Mittel, die ihm zu Gebote standen, suchte er die Deutschen aus ihrem Schlummer zu wecken, daß sie endlich das Ihrige erkennen und achten sollten. Wie kein zweiter deutscher Dichter der damaligen Zeit hat sich Klopstock mit der ihm eigenen Begeisterungsfähigkeit für das Ansehen deutscher Art und Kunst, Literatur und Sprache in der Welt eingesetzt und seine Zeitgenossen unermüdlich zur Verteidigung der nationalen Ehre aufgerufen. Klopstock war der erste deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts, für den das Wort Vaterland das ganze Deutschland bedeutete und der mit diesem Namen nicht mehr einen kleinen Staat oder ein einzelnes Städtchen des Reiches bezeichnete4; er blieb nicht stehen bei einer preußisch-patriotischen Dichtung wie Ramler, Gleim oder Ewald von Kleist. Sein Vaterland war nicht Preußen allein, sondern die Zusammenfassung aller Deut1

Klopstocks Werke X 358 f. So berichtet Metas Schwester am 24. 2. 1803, als der Dichter bereits schwerkrank daniederlag: „Nachher sprach er darüber, daß die Schweizer das Wort ab wie von brauchen, und sagte, es wäre ganz recht, wir Deutschen hätten es ehemals auch gehabt, denn in einigen Fällen wäre es bestimmter als von." (A. H. Clodius a. a. O., S. 187f.) 3 Böttiger, 19 ungedr. Epigramme a. a. O., S. 326. 4 Klopstocks Werke, hrsg. v. Hamel, Bd. III S. X. 2

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sehen, die das Band der gemeinsamen Sprache miteinander verbindet als höchstes Ausdrucksvermögen ihrer Gemeinsamkeit. Vielfach ist bisher Klopstocks vaterländische Dichtung im Gegensatz zur religiösen gesehen worden; auch RICHARD HAMEL hat darauf aufmerksam gemacht, daß der Dichter sich dieses Gegensatzes selbst bewußt gewesen sei, und sich dabei auf seine Ode „Mein Vaterland" berufen1, und HERMANN HETTNER wies in diesem Zusammenhang auf Klopstocks Beurteilung von Winckelmanns Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke hin, in der er den jungen Künstler vor die Wahl stellt, seine Stoffe aus der heiligen Geschichte oder aus der Geschichte seines Vaterlandes zu nehmen2. Dagegen hat schon W. SASS nachgewiesen, daß sich Religiosität und Nationalbewußtsein bei Klopstock nicht ausschließen, sondern sich für ihn vereinigen, indem vom religiösen Bereich her der vaterländische tiefer und wesentlicher gesehen wird3. Ich möchte geradezu sagen, daß Religiosität und Vaterlandsliebe sich bei Klopstock gegenseitig bedingen, und das von seinem ersten Auftreten bis ins hohe Alter. Von einem Gegensatz, der ihm obendrein bewußt gewesen wäre, kann bei Klopstock keine Rede sein. Es ist deshalb auch nicht angebracht, Klopstocks Lebenswerk das Siegel einzelner Perioden aufdrücken zu wollen, wie es Hettner versucht hat, indem er in Klopstocks Schaffen eine „orientalisierende" und eine „teutonisierende" Periode ohne Übergang aufeinanderfolgen läßt. Vor dem Jahre 1766 (das auch von Hamel als „ganz besonders bedeutungsvoller Wendepunkt" bezeichnet wird4) war Klopstock nach Hettners Anschauung ausschließlich religiöser Dichter; nach diesem Zeitpunkt legte er mit derselben Einseitigkeit allen Nachdruck auf das Vaterländische5. Einseitig ist aber gerade Klopstock nie gewesen: dies hat GERVINUS klar erkannt, wenn er von unserem Dichter sagt: ,,. . .das deutsch Vaterländische, das christlich Universelle, das antik Klassische hielt er mit Einem Griffe fest." 6 Aber auch er hat die Bedeutung des Vaterländischen nicht gebührend gewürdigt, wenn er ihm nur eine Nebenrolle zugesteht: „So muß sich denn das Vaterland mit dem Nebengesang begnügen; so seitwärts sang er nachher die Bardiete, die denn auch das Vaterland, unzufrieden mit der halben Abfindung, seitwärts hegen ließ."7 Auch Gervinus bezieht sich hier auf die Ode 1 2 3 4 5

Klopstocks Werke, hrsg. v. Hamel, Bd. I I I S. 112. H. Hettner, Literaturgesch. a. a. O., S. 128. W. Sass, Klopstocks vaterländische Oden. Diss. Hamburg 1939. S. 24. Klopstocks Werke, hrsg. v. Hamel, Bd. III S. X V I und X X f . 6 H. Hettner a. a. O., S. 128 und 131. G. G. Gervinus, Gesch. d. dt. 7 Dichtung Bd. IV. Leipzig »1851. S. 116. Ebd. S. 123.

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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„Mein Vaterland", in der Klopstock 1768 bekennt, daß er mit des Barden Telyn das Vaterland singt, wenn er auf der höheren Bahn, die zu dem Vaterlande des Menschengeschlechts hinaufführt, des Sterblichen Bürden erliegt. Vielleicht sollte man aus diesen Worten weniger die „Nebenrolle" des Vaterländischen ablesen als das Streben eines von einem allzu schweren und langwierigen Unternehmen ermüdeten Dichters, zu seinem ursprünglichen Ausgangspunkt, zu seiner eigentlichen Bestimmung und einem seinem jetzigen Gefühl gemäßeren Stoff zurückzukehren. Daß während seines langen Lebens mehrmals eine Verschiebung im Gleichgewicht beider Gefühlsinhalte eintrat und daß vornehmlich in der ersten Hälfte das religiöse Interesse des Dichters zu dominieren scheint, während das Vaterländische nur als gelegentlicher Durchbruch wirkt, wie z. B. 1752, dagegen beim älteren Klopstock das Verhältnis sich stets zugunsten seiner deutschsprachlichen Bemühungen verschiebt, ist nicht zu leugnen; allein das ändert nichts daran, daß sowohl das religiöse als das patriotische Moment von Anfang bis Ende Ausdruck einer einheitlichen Persönlichkeit sind. Es besteht kein Zweifel, daß Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen nur aus seinen patriotischen Bestrebungen heraus zu verstehen sind. Er selbst hat das in einem Brief an Gleim vom 31. 6. 1769 bestätigt: „Sie sind doch mit meinem Patriotismus zufrieden, der mich, welches ich ohne eine solche Ursach, nicht eben hätte seyn mögen, zum Scholiasten macht? — Meine Hauptabsicht ist, die fernere Bildung unserer Sprache." 1 Und aus derselben Ursache hat er sich der Mühe unterzogen, sich über die deutsche Orthographie herumzustreiton und immer und immer wieder seine Beweisgründe zu wiederholen: „Aber welche Mühe bleibt müsam, so bald man glauben kan, auch durch si noch immer etwas für eine Sache zu tun, womit di Nazion, dar man angehört, wen auch nicht jezo gleich, doch kümftig einmal, zufriden sein wärde. . . . Ich kenne dan nicbz m§r, das mir widrig were; und sandige Landstrassen ferwandeln sich mir in Fusstäge durch di Wise." 2 Die Erforschung der Muttersprache war ihm demnach niemals Selbstzweck, sondern, wie im Grunde seine ganze Dichtung, diente sie dem einen hohen Ziel, das deutsche Volk und seine geistigen und künstlerischen Leistungen in der Welt wieder zu Ehren zu bringen und es zu befähigen, mit anderen Völkern in friedlichem Wettstreit um den Vorzug zu ringen. Läßt sich dieser Gedanke durch Klopstocks ganzes Leben hindurch als Trieb1

Klopstocks Werke X 437.

2

Ebd. IX 361.

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feder zu fast allen seinen Unternehmungen verfolgen, so hat er auch den eigentlichen Anstoß zu seinem Sprachstudium gegeben. Die zahlreichen Veröffentlichungen von Überresten altgermanischer Dichtung, die sich gerade um die Mitte der sechziger Jahre häuften, gaben ihm den Ehrgeiz ein, es den Schotten und Skandinaviern gleichzutun und auch im Deutschen solche Bardengesänge als Künder einer glorreichen Vergangenheit zu finden. Auf dieser Suche wurde jede Nachricht über unsere Vorfahren geprüft — was je nur Römer von Deutschen geschrieben hatten, wußte er fast auswendig1 — und jedes bereits veröffentlichte Sprachdenkmal sorgfältig studiert. Und nicht nur für seine Vertiefung in das Studium der älteren Sprache ist jener Gedanke des Wettlaufs mit der britischen Muse, der fast allen seinen sprachwissenschaftlichen Abhandlungen seit der ,, Gelehrtenrepublik" zugrunde liegt, ausschlaggebend gewesen; sogar die Reform der Rechtschreibung sollte den Vorzug der deutschen Gegenwartssprache vor der anderer Nationen beweisen. Somit blieb für Klopstock immer letztes umfassendes Ziel, nicht die Sprache bloß als Mittel zur poetischen Aussage zu brauchen, sondern durch dieses Mittel die Liebe zur Muttersprache und zum Vaterland zu wecken und zu vertiefen. So wurde wiederum seine Freude an dem Medium der Sprache, in dem er seine Sendung künden durfte, zur nie versiegenden Quelle seines Heimatsinnes2. Von der allen Deutschen gemeinsamen Sprache erhoffte sich Klopstock die Wiedergeburt des deutschen Vaterlandes3. Klopstocks sprachliche Untersuchungen fügen sich damit harmonisch in sein Gesamtwerk ein. Liebe zur deutschen Sprache und Liebe zum deutschen Vaterlande stehen in seinem Schaffen in inniger Wechselbeziehung und wirken befruchtend aufeinander ein. Je weniger er in der politischen Gegenwart Stützpunkte für sein Streben nach nationaler Einheit und Unabhängigkeit fand, um so tiefer versenkte er sich in die deutsche Vorzeit, wo ihm das Ahnen einer besseren deutschen Zukunft aufging, und um so mehr war er von dem nationalen Wert der deutschen Sprache überzeugt, die er deshalb erforschen, reinerhalten und ausbilden wollte im Geiste seines großen Vorbildes Leibniz, getreu dem Vermächtnis eines Hermann und Luther. Hinzu kommt Klopstocks natürliches Interesse an dem Medium seiner dichterischen Aussage, das er sich im Grunde erst schaffen mußte, so daß er sich gerade dadurch zuerst zu metrischen Studien, dann zu lexikalischen und grammatischen Untersuchungen gezwungen sah. Klopstock 1 2 3

Cramer, Klopstock. I n Fragmenten aus Briefen . . . S. 137. Fr. Gundolf, Hutten. Klopstock. Arndt. Drei Reden. Heidelberg 1924. S. 42. W. Sass a. a. O., S. 49.

Klopstocks sprachwissenschaftliche Bemühungen

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sah sich vor die Aufgabe gestellt, die dichterische Darstellungsform, die sich bei den meisten seiner Vorgänger eigentlich nur durch den Reim von der Prosa unterschieden hatte, und die ihm für den sieghaften Durchbruch begeisterten Gefühls in seinen Werken notwendig zu eng erscheinen mußte, nicht bloß umzubilden, sondern sich eine vollständig neue Dichtersprache zu schaffen. Seine sprachwissenschaftlichen Prosaaufsätze dienten deshalb dazu, seine kühnen sprachlichen Versuche nachträglich zu rechtfertigen und seine dabei gewonnenen Erfahrungen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Daß er dabei jede Anregung, die ihn in diesem Bestreben bestärken konnte, aufgriff und mit gleichdenkenden Freunden in Gedankenaustausch trat, hat die vorliegende Untersuchung gezeigt. Im wesentlichen aber war Klopstock auf sich allein gestellt und hat seinen Freunden, auch Lessing, mehr gegeben, als er Anregungen von ihnen erhielt. Das beweisen die ablehnenden Urteile über seine grammatischen Arbeiten, denen er selbst bei so einsichtigen Freunden wie Gleim und Voss begegnete. Seiner eigenen Verdienste um die Muttersprache war sich Klopstock durchaus bewußt; zu ihrer Hebung und Reinerhaltung beigetragen zu haben, erfüllte ihn an seinem Lebensende mit berechtigtem Stolz. Und wenn er sich in dem Fragment „Zur Geschichte der deutschen Sprache" auf dieses Verdienst beruft, so ist es zugleich der schönste Beweis für seine Liebe zur deutschen Sprache, um derentwillen er sich nicht durch mühsames Studium und Trockenheit des Stoffes davon abschrecken läßt, ihre Lebensregeln zu erforschen und sogar bei Erwähnung der Farben, mit denen sie am redendsten gemalt wird, die unnötigen wegzuwerfen und sich deshalb dem Geklage der Leute auszusetzen: „Ich will Alles, antwortete er, denn ich liebe."1 1

Klopstocks Werke IX 447f.

II. KLOPSTOCK ALS SPRACHREINIGER Jedes Wort, das ihr von Fremden, Deutsche, nehmt, Ist ein Glied in der Kette, Mit welcher ihr, die stolz seyn dürften, Demüthig euch zu Sklaven fesseln laßt 1 .

A. Klopstocks puristische Bestrebungen Für die Reinerhaltung der deutschen Sprache hat sich der Dichter Klopstock von Anfang an durch sein eigenes Beispiel und später in seinen theoretischen Schriften entschieden eingesetzt. So lautet das 4. Gesetz von unserer Sprache in der „Gelehrtenrepublik": „Wenn ein Freier oder Edler ausländische Worte ohne Bedürfniß in die Sprache mischt, so entgilt er's, sind's nur wenige, durch die Stirnrunzel; sind's aber viele, so trägt er den Hund. Mischt ein Knecht ein, es seyen dann viele oder wenig Worte, so büßet er's durch das Hohngelächter, und wird er noch einmal betreten, durch den Sattel."2 Nach diesem Gesetz hat sich der Dichter selbst im Laufe der Jahre immer strenger gerichtet und in seinen Werken sorgfältig jedes entbehrliche Fremdwort vermieden. Sein Jünger Carl Friedrich Cramer behauptet, keinen einzigen Gallizismus oder Anglizismus bei ihm zu kennen; nur Entlehnungen aus den alten Sprachen finden sich bei ihm3. In dem 1779 erschienenen Fragment „Vom edlen Ausdrucke" hat sich Klopstock ausführlich über den Gebrauch fremder und zugleich „widerartiger" Worte geäußert: „Widerartige Worte wären's, welche die italienische oder französische Sprache, oder auch, wenn wir uns die Mutter als noch lebend vorstellen, die lateinische aus der deutschen nähme. Eben so verhielte es sich, wenn's unsre Sprache umkehren, und aus jenen nehmen wollte."4 1

Klopstocks Werke V 333. Ebd. VIII 30. 3 C. F. Cramer, Klopstock. (In Fragmenten aus Briefen von Tellow an Elisa.) Hamburg 1777. S. 256f. 4 Klopstocks Werke I X 426. 2

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Unter „widerartigen" Fremdwörtern versteht er demnach Entlehnungen aus einer anderen, von der aufnehmenden Sprache grundsätzlich verschiedenen und mit ihr nicht näher verwandten Sprache, wie wir sie am deutlichsten im heutigen Englischen verwirklicht sehen: „Die englische, welche ihrer Grundlage nach eine der deutschen 1 ist, hat dieß wirklich gethan, und so unmäßig, daß sie jetzt der widerartigen Fremdlinge in großen hellen Haufen auf dem Halse hat. Und diese verführen denn nun auch einen solchen Lärm bei ihr, daß sie vor ihnen, als deutsche Sprache, nur sehr selten einmal recht zu Worte kommen kann." Am Beispiel Miltons sucht Klopstock zu zeigen, wie sehr diese romanischen Eindringlinge die künstlerische Ausdruckskraft des Dichters beeinträchtigen, so daß seine Sprache, der niemand gute poetische Anlage und beinahe vollendete Ausbildung absprechen könne, dem Betrachter notwendig erscheinen muß als „ein Gemälde mit Ölfarben, in dem aber zugleich hier eine Hand, dort ein Fuß, und da wohl gar ein Kopf, bald in Pastell, und bald mit Wasserfarben, dieß noch dazu mit keiner guten Auftragung, gemalt sind." 2 Doch nicht nur aus dem mehr äußerlichen Grunde der „Widerartigkeit" ist nach Klopstocks Ansicht die Einmischung fremder Worte in die eigene Sprache zu verurteilen; selbst die fremden nicht widerartigen Worte — in diesem Falle Entlehnungen aus nah verwandten Sprachen oder Neubelebungen von Archaismen — erfahren dabei nur zu häufig eine Bedeutungsdifferenzierung, die der aufnehmenden Sprache zum Nachteil gereicht. Um wieviel schädlicher muß dann erst die Aufnahme „widerartiger" Fremdwörter, bei denen eine Verstümmelung der äußeren Form zumeist einer solchen ihrer ursprünglich edlen Bedeutung entspricht, für die Sprache sein! Sie s c h e i n e n nur zu bereichern; denn den meisten Deutschen sind die 1

D. h. germanischen. Daß in diesem Vergleich die Gefahr der Übertreibung lag, die zum Widerspruch herausfordern mußte, mag Klopstock selbst empfunden haben, da er solche Einwände v o n vornherein in Erwägung zieht: „Ich höre die Leute schon mit dem unüberlegten Einwurfe kommen: Dieß macht auf die Engländer den Eindruck nicht, welchen es auf uns macht." Tatsächlich wurde von dem „Ausrufer Lk." (Allgem. dt. Bibl. 42, 1, S. 219) in diesem Sinne an Klopstocks Gleichnis Kritik geübt: „Als ob denn Milton nicht auch hier reines Englisch geredet, und seine Sprache mit einer fremden vermischt hätte!" „Wer zweifelt denn hieran?" wird ihm entgegnet, „und wem sind die mächtigen Einflüsse der Angewöhnung unbekannt, wobey es, ich weiß nicht, wie weit gehen kann, und gegangen ist ? Aber hiervon konnte ja unter uns schlechterdings nicht die Rede seyn; sondern einzig und allein von der Beschaffenheit der Sache an sich selbst." (Klopstocks Werke I X 427.) 2

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Sprachen, aus denen sie stammen, weitgehend unbekannt, so daß sie die „Schattirungen" desto weniger verstehen, je feiner sie sind. Aber auch dem verstehenden Deutschen, wenn er Sinn und Gefühl für seine Sprache hat, kommt das fremde Wort widerartig vor, und es hört dadurch auf, ihm so angenehm zu sein, wie in der Sprache, aus der es herstammt1. Vor dem Schicksal der englischen wollte Klopstock seine liebe deutsche Sprache bewahren. Nicht wenig stolz war er, daß sie das Eindringen von Fremdworten in früheren Jahrhunderten oft schon nach kurzer Zeit erfolgreich überwunden hatte 2 . In der späten Ode „Unsre Sprache an uns" (1796) erscheint Teutona, der deutschen Sprache, die Reinheit der griechischen Sprache als erstrebenswertes Ziel: „Wer mich verbrittet, ich haß' ihn! mich gallicismet, ich haß' ihn! Liebe dann selbst Günstlinge nicht, wenn sie mich zur Quiritin Machen, und nicht, wenn sie mich verachä'n! Ein erhabenes Beispiel Ließ mir Hellänis: Sie bildete sich durch sich!"3 Ganz so streng hat der Dichter die hier aufgestellten Regeln jedoch selbst nicht befolgt und bei Gebrauch von Fremdworten sehr wohl zwischen Bedürfnis und Nichtbedürfnis unterschieden4. So weiß Cramer zu berichten, daß Klopstock einen Unterschied zwischen ausländischen neuen und schon eingeführten Worten gelten ließ ; er betrachtete z. B. praktisch, Sphäre und Original als erlaubte eingeführte Worte5. Bei allem Streben nach Reinerhaltung seiner Muttersprache ging doch seine Verehrung der Alten so weit, daß er besonders einige Wortfügungen und Redewendungen des Lateinischen nachzuahmen und dadurch unserer Sprache mehr Geschmeidigkeit und Kürze zu geben suchte. Hier ist vor allem der für unseren Dichter so charakteristische Gebrauch des Komparativs zu nennen; aber auch die Nachahmung des verbundenen Partizips und die transitive Verwendung einiger intransitiver Verben sind bereits den Zeitgenossen als Latinismen aufgefallen6. Suchte der Dichter durch solche Nachahmungen den spröden 1

2 s Klopstocks Werke IX 90f. Ebd. VIII 31. Ebd. V 4. * Als entbehrliches Fremdwort sah Klopstock z. B. relativ an, da es durch den deutschen Ausdruck verhältnismäßig vollauf zu ersetzen sei. (Cramer, Klopstock. S. 182.) 6 Cramer, Klopstock. S. 188. • Klopstock, Er, und über ihn, hrsg. v. C. F. Cramer. Hamburg und Leipzig 1780-92. Th. I S. 207f.; Th. III S. 48 und 198. Als „Latinismen" bezeichnet Cramer die folgenden Klopstockischen Wendungen: „Verdeckt dem Auge, welches der Genius Nicht schärft, siehst du sie, . . ." und: „dich haben die Cedern geweinet" (statt beweinet).

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Sprachstoff seinen künstlerischen Absichten — die auch hier, wie bei allen angestrebten Sprachverbesserungen Klopstocks, letztlich den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden — gefügig zu machen, so war er, wohl aus demselben Grunde, ängstlich bemüht, den Gebrauch fremden — auch antiken — W o r t m a t e r i a l s nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Reinheit seiner Sprache geht so weit, daß z. B. das Wort mystisch in Cramers Messiasinterpretation als seltener Gebrauch eines fremden Wortes bei Klopstock angemerkt wird1; auch hat unser Dichter den im „Neologischen Wörterbuch" gerügten Ausdruck ätherisch zusammen mit allen anderen lateinischen Wörtern in der Messiasausgabe E2 von 1780 verbannt2. An Klopstocks Oden und Prosaschriften läßt sich ein ähnlicher Reinigungsprozeß beobachten. So wenig wie in seinen eigenen Schriften duldete Klopstock die fremde Wortbevölkerung bei anderen. Besonders in der „Gelehrtenrepublik" eiferte er gegen die Schriftsteller seiner Zeit, die es mit der Reinerhaltung der Muttersprache nicht so genau nahmen wie er. Am zweiten Morgen des Landtages wird LESSING angeklagt, „ohne Bedürfniß viel ausländische Worte in die Sprache gemischt" zu haben. Das Landgericht „wider die Natur und alte gute Sitte unsrer Sprache" mußte daher auch gegen ihn, oder vielmehr vorzüglich gegen ihn gelten, „weil er schon Viele zur Nachfolge gebracht hat".3 Diesen Vorwurf glaubte Klopstock Lessing bei aller Achtung, die er sonst ihm gegenüber empfand, nicht ersparen zu können; aber wenn sich Lessing auch nicht zur unbedingten Fremdwortverstoßung bekannte und sie als „Gottschedisieren" verurteilte, so hatte er sich doch wiederholt gegen unnötige Sprachmengerei gewandt, die er als den Hauptfehler des damaligen deutschen Stils erkannte, und in sehr vielen Fällen wie ein vernünftiger und feinfühliger Sprachreiniger gehandelt4. Selbst Freund Gleim wurde in einem Briefe Klopstocks vom 7. 9. 1769 in die Schranken verwiesen, und auch in Goethes Sprache wünschte er 1774 weniger ausländische Worte5. 1

Klopstock, Er, und über ihn, Th. IV S. 111. Klopstocks Werke, hrsg. v. R. Hamel, Berlin-Stuttgart 1884, I I S. 89. 3 Klopstocks Werke VIII 157. 4 Der fremdwortsüchtige W I E L A N D wurde deshalb sogar im 14. Literaturbrief von ihm getadelt, so daß dieser seit der zweiten Bearbeitung des „Don Sylvio" (1772) fortgesetzt als Beiniger seiner eigenen Sprache auftrat und auch im folgenden Jahr bei der Neubearbeitung des „Agathon" eine ganze Reihe von Fremdwörtern verdeutschte oder ausstieß. Aber zum grundsätzlichen Sprachreiniger ließ er sich später auch durch Campe nicht bekehren (vgl. W. Feldmann, Wieland als Sprachreiniger. Münchener Allg. Zeitg. Beil. 1903, Nr. 256, S. 276). 6 J. H. Voss, Briefe, hrsg. v. A. Voss, Halberstadt 1829-32. Bd. I, S. 160. 2

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Sein Widerwille gegen Fremdwörter war es wohl auch hauptsächlich, was ihm die Kantische Philosophie mit ihrer neuen Terminologie so verhaßt machte und ihn an Vossens Übersetzungen „Vergriechung und Verlateinung" rügen ließ. So hat Klopstock durch Beispiel und Kritik den „Putz mit fremden Federn, die ausländischen, unschicklichen Worte" seiner lieben deutschen Sprache fernzuhalten gesucht. Mit solchen puristischen Bestrebungen stand er damals keineswegs allein. Fast alle deutschen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts haben ihre Teilnahme für Sprachreinigung an den Tag gelegt. Schon im 17. Jahrhundert hatten sich die Sprachgesellschaften die Abwehr fremden Wortgutes zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht. Die puristische Bewegung erreichte um die Mitte des Jahrhunderts durch Zesen und seine Schüler ihren ersten Höhepunkt und erfuhr in Schottel 1663 eine verspätete großartige Zusammenfassung 1 . L E I B N I Z , der sich an Schottels Schriften gebildet hatte, versuchte, der deutschen Sprache auch in die höheren geistigen Bezirke der Gelehrtenwelt Eingang zu verschaffen. Zwar war er nicht der Ansicht, daß „die wiederbringung der Teutschen Beredsamkeit nur allein in ausmusterung ausländischer wörther beruhe"; doch das „ungereimte, unnöthige einflicken ausländischer, auch nicht einmahl verstandener nicht zwar worte, doch redarthen" könnte nicht nur die Sprache verderben, sondern auch die Gemüter anstecken 2 . Leibniz war der Einbürgerung fremden Wortgutes ,,bey guter Gelegenheit" durchaus nicht abgeneigt, gab aber dabei denjenigen fremden Wörtern den Vorzug, ,,so aus den Sprachen Teutschen Ursprungs, und sonderlich aus den Holländischen übernommen werden könnten, als deren so aus der Lateinischen Sprache und ihren Töchtern hergehohlet." 3 Wir finden demnach hier Klopstocks Gedankengang von den widerartigen und nicht widerartigen Wörtern bereits vorweggenommen. Im ganzen urteilte Leibniz in der Fremdwortfrage nicht ganz so streng wie unser Dichter und glaubte sogar davor warnen zu müssen, „daß man in der Sprach zum Puritaner werde und mit einer abergläubischen Furcht ein fremdes, aber bequemes Wort als eine Todt-Sünde vermeide, dadurch aber sich selbst entkräffte, und seiner Rede den Nachdruck nehme". 4 Aber auch Klopstock hatte ja eine Grenze zwischen Bedürfnis und Nichtbedürfnis zu ziehen gewußt und stimmt demnach durchaus mit der Ansicht seines großen Vorbildes überein, daß man, „wo man 1

E. Leser, Gesch. d. gram. Terminologie im 17. Jh. Diss. Freiburg i. Br. 1912, S. 64. 2 G. W. Leibniz, Unvorgreifl. Gedancken, hrsg. v. P. Pietsoh, Berlin 1916, S. 45. 3 4 Ebd. S. 83. Ebd. S. 68.

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nicht weniger auff Annehmlichkeit als Nothdurfft und Nutzbarkeit siehet, . . . sich der ausländischen Worte, so viel immer möglich, enthalten solle".1 Durch GOTTSCHED wurde die puristische Bewegung im 18. Jahrhundert wieder zu neuem Leben erweckt; es ist wohl hauptsächlich sein Verdienst, daß die Sprache der deutschen Literatur um 1750 auffallend rein war. Doch auch er sah die Grenzen der Sprachreinigung: „Es ist nicht ganz möglich, sich in einer Sprache aller ausländischen Redensarten zu enthalten . . . Wo aber im Deutschen gute Wörter vorhanden sind; da ist es lächerlich, sich der fremden zu bedienen." 2 Eine ähnliche Ansicht vertrat auch Klopstocks Widersacher auf orthographischem Gebiet, JAKOB HEMMER, indem er nur solche ausländischen Wörter dulden wollte, deren Gebrauch allgemein ist und die im Deutschen keine gute Entsprechung haben 3 . Klopstock fand also in der Fremdwortfrage eine reiche Tradition und bei den in sprachlichen Fragen für ihn maßgeblichen Autoritäten festgegründete Ansichten vor, auf denen er im wesentlichen fußen konnte. Außerdem müssen hierbei die Sprachanschauungen eines Kreises dänischer Gelehrter und Literaten in Betracht gezogen werden, dessen Mitglieder teilweise zu Klopstock in Beziehungen gestanden haben. Hier ist vor allem TYGE ROTHE ZU nennen, der neben Eilschow und Stenersen den puristischen Standpunkt vertrat, dabei aber einen Unterschied machte zwischen französischen Fremdwörtern und solchen aus den germanischen Sprachen 4 . Bei Klopstocks enger Fühlungnahme mit JOACHIM HEINBICH CAMPE in orthographischen Fragen ist es durchaus denkbar, daß beide auch in ihren puristischen Bestrebungen zusammentrafen, obwohl Campe zuerst 1791 mit seinen „Proben einiger Versuche deutscher Sprachbereicherung" als Sprachreiniger auftrat. In ihm sah die puristische Bewegung am Ende des Jahrhunderts noch einmal ihren entschiedensten Vertreter, der zugleich mit fein entwickeltem Sprachgefühl eine beträchtliche Anzahl guter deutscher, uns heute ganz geläufiger Wörter als Ersatz für fremde geschaffen hat. Auch Campe hat übrigens den Begriff der Sprachreinheit eingeschränkt: eine Sprache sollte nur solche Wörter aufnehmen, die ihrer eigenen „Sprachähnlichkeit" (Analogie) gemäß sind oder welchen sie vor der Aufnahme das Gepräge ihrer eigenen Sprachähnlichkeit aufgedrückt hat. So stellt Campe 1

Leibniz a. a. O., S. 88. J. Chr. Gottsched, Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst, Leipzig 3 1752, S. 193 f. 3 J. Hemmer, Kern der deutschen Sprachkunst und Rechtschreibung. Mannheim 1780. S. 7. 4 L. Magon, Die Klopstockzeit in Dänemark, Dortmund 1926. S. 338. 2

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das Gesetz auf, diejenigen fremdländischen Wörter, die schon in die Volkssprache übergegangen sind und mit der deutschen Sprachähnlichkeit übereinkommen, beizubehalten, diejenigen hingegen, welche der deutschen Sprachähnlichkeit widerstreben und noch keinen Eingang in die Volkssprache gefunden haben, auszumerzen1. Diese Bestrebungen Campes wurden im 19. Jahrhundert von dem „Allgemeinen Deutschen Sprachverein" wieder aufgegriffen und dauern bis in die Gegenwart fort. Betrachten wir zusammenfassend Klopstocks Sprachreinigungsbestrebungen, wie sie sich uns in seinen theoretischen Gedankengängen, der praktischen Ausführung und der Kritik an zeitgenössischen Schriftstellern darstellen, so teilt er in den wesentlichen Punkten wie der Frage nach den „Grenzen der Sprachreinheit", der Unterscheidung von Lehn- und Fremdwörtern und selbst von widerartigen und nicht widerartigen Worten die Ansichten seines großen Vorbildes Leibniz. Klopstocks Verlangen nach Reinheit der deutschen Sprache entsprang seinem sehr fein ausgebildeten Sprachgefühl; die Einheitlichkeit seiner sprachlichen Mittel mußte einem Dichter, der sein Leben lang um die Vollendung seiner poetischen Sprache gerungen hat, Herzensbedürfnis sein. B. Klopstocks deutsche grammatische Terminologie Klopstocks Bestreben, die deutsche Sprache vor der „Barbarei", dem Einfluß fremden Wortgutes, zu bewahren, zeigt sich auch in seiner Grammatik, wie sie sich uns in den Bruchstücken der „Gelehrtenrepublik" darstellt. Gleich zu Beginn seiner Abhandlungen verkündet er, daß seine „Kunstwörter", wie er die grammatischen Termini nennt, d e u t s c h seien2. Diese Verdeutschung sprachwissenschaftlicher Kunstwörter war in der Klopstockzeit durchaus nichts Außergewöhnlich es. Seitdem Ratke und seine Schüler ihr Eingang in die deutsche Grammatik verschafft und die großen Puristen des 17. Jahrhunderts sich in ihren Schriften entschieden zu ihr bekannt hatten, bildete sich — zumindest in den Hauptpunkten — eine ziemlich feste deutsche Terminologie heraus, die jedoch hauptsächlich auf wörtlicher Übersetzung der oft irreführenden und auf andere Sprachverhältnisse bezogenen lateinischen Termini beruhte. Es war daher kein Wunder, daß spätere Grammatiker häufig auf die alte lateinische Bezeichnungsweise zurückkamen, die den Vorteil der längeren Tradition, der leichteren, da von Nebenbedeutungen unbelasteten, Hand1 2

J. Leyser, J. H. Campe. Braunschweig 1896, Bd. 1, S. 262f. Klopstocks Werke V I I I 168.

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habung und der größeren Einheitlichkeit für sich hatte. Trotz Leibniz' Eintreten für die Darstellung der Wissenschaften in deutscher Sprache mit gleichzeitiger Erklärung der Kunstworte konnte noch Bödiker die Auffassung vertreten, daß die Fachwörter des Purismus keine Errungenschaft, sondern eine Erschwernis der grammatischen Sprache seien1. Auf der anderen Seite fehlte es auch im 18. Jahrhundert nicht an Versuchen, den Purismus eines Zesen, Harsdörffer und Schottel zu neuem Leben zu erwecken und ihren Fachwörtern durch gelegentliche Verbesserungen und allgemeinen Gebrauch endgültig ihren Platz in der deutschen Sprachlehre zu erobern. Ein Standardwerk wie GOTTSCHEDS „Grundlegung einer Deutschen Sprachkunst" war wahrlich dazu angetan, diese Mission zu erfüllen, wenn auch sein Verfasser nach seinen eigenen Worten „unter allen grammatischen Kunstwörtern unserer Alten . . . die besten, bequemsten, und der gemeinen Art zu reden gemäßesten erwählet" und nur wenige noch etwas besser einzurichten sich erkühnt hatte2. Doch selbst Gottscheds Entschiedenheit hatte der deutschen grammatischen Terminologie nicht zum Siege verholfen, sondern nur einen erneuten Anstoß zu reger Diskussion des Problems gegeben, die während der ganzen zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei der Erörterung sprachlicher Fragen eine wichtige Rolle spielte. Fast jeder Grammatiker hat in dieser Zeit — meist schon in der Vorrede — seine Billigung oder Ablehnung deutscher Kunstwörter zum Ausdruck gebracht. So begründet AICHINGER in seinem sechs Jahre nach Gottscheds „Sprachkunst" erschienenen „Versuch einer teutschen Sprachlehre" die Beibehaltung der lateinischen Termini damit, daß „ganz Ungelehrte dergleichen Bücher, wie eine Sprachlehre ist, niemals lesen; diejenigen Unstudierten aber, welche in der Jugend sich mit dem Latein ein wenig bekannt gemacht haben, sich leichter in die lateinischen, als in die teutschen, schicken werden".3 Ähnlich ablehnend äußert sich GEDICKE 1779 im „Deutschen Museum": „Die Erfindung neuer Kunstwörter für alte Begriffe hat überdies noch den Schaden, daß man nun zweierlei Kunstsprachen lernen muß. Denn die Kenntnis der altern Kunstsprache bleibt ja doch wegen der ältern und wegen der beim Alten bleibenden neuern Schriftsteller durchaus unentbehrlich."4 Deutsche Termini hingegen Leser a. a. O., S. 76. Gottsched a. a. O., Vorrede der ersten Ausgabe. 5 C. F. Aichinger, Versuch einer teutschen Sprachlehre, Frankfurt und Leipzig 1754, Vorrede. 4 C. Gedicke, Gedanken über Purismus und Sprachbereicherung. Deutsches Museum 11. St. 1779, 2, S. 396 Anm. 1 2

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finden sich u. a. in den Schriften von Hemmer, Fulda, Nast und Heynatz, um nur die für die Klopstockzeit wichtigsten zu nennen. Klopstock gibt für den Gebrauch deutscher Kunstwörter folgende Gründe an: 1. Er hat seine Grammatik vornehmlich für solche Leser bestimmt, die nur die deutsche Sprache beherrschen. Diesen würde das Einprägen lateinischer Kunstwörter weitaus schwerer fallen, und sie bedürften langer Erklärungen, um mit dem fremden Lautkomplex einen Begriff verbinden zu können. 2. Die lateinischen Kunstwörter bezeichnen häufig zu allgemeine und weit hergeholte Begriffe, um ihre grammatische Funktion sinngerecht zum Ausdruck zu bringen; ohne lange Erklärungen sind sie deshalb nicht zu verstehen. Dies rührt auch daher, daß die Terminologie der lateinischen Grammatik, welche wiederum eine Übersetzung der griechischen ist, schematisch auf die deutsche Sprache übertragen worden ist. 3. Eine deutsche Grammatik kann, auch wenn sie die fremde Terminologie gebraucht, nicht gänzlich auf deutsche Kunstwörter verzichten, da sie Eigentümlichkeiten besitzt, welche die lateinische Sprache nicht aufzuweisen hat. Ein Gemisch lateinischer und deutscher Kunstwörter aber erscheint Klopstock im höchsten Grade verwerflich. 4. Der wichtigste Grund aber ist der, „daß es lächerlich seyn würde, wenn wir v o n unsrer Sprache nicht in unsrer Sprache schreiben wolten". 1 Klopstocks Kritik an den lateinischen Kunstwörtern ist durchaus berechtigt. Nicht nur, daß er ihre mechanische Übertragung auf deutsche Sprachverhältnisse rügt, empfindet er auch deutlich, daß sie bisweilen sogar „widersinnig" sind und „das Ding, wovon die Rede ist", nur ungenau zu bezeichnen vermögen. Eine begriffliche Erklärung dieser Termini scheint deshalb häufig ein schwieriges Unterfangen, und deutsche, für sich selbst sprechende Fachwörter sind ihnen unbedingt vorzuziehen. Dagegen wäre jedoch zu erinnern, daß gerade die Schwierigkeit, mit dem fremden Kunstwort einen deutlichen Begriff zu verbinden, einen Vorteil mit sich bringt, den be1

Klopstocks Werke V I I I 171. In den „Grammatischen Gesprächen" wird dieses Argument später noch weiter ausgeführt: Die Römer nahmen die grammatischen Termini von den Griechen, diese sie jedoch nicht von dem Ägypter, sondern sie redeten von ihrer Sprache griechisch, weil sie Griechen waren. Der Deutsche darf aus gleicher Ursache dasselbe tun, wenn er nur will. (Klopstocks Werke I X 95.)

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reits ADELUNG erkannt hat: „Allein, es ist mit neuen Kunstwörtern eine eigene Sache; wenn sie den verlangten Begriff nicht völlig klar und bestimmt ausdrücken, und dabey nicht geschickt sind, alle nöthigen Veränderungen und Biegungen, auszunehmen, so thut man immer besser, man behält das fremde, weil in demselben der Wortverstand nicht so klar hervor sticht, als in dem einheimischen, daher es bequemer ist, einen jeden Begriff anzunehmen."1 Dieser wenig deutliche „eigene Wortverstand", an dem Klopstock Anstoß nahm, war es also, der auch in Zukunft die lateinische Terminologie für die deutsche Grammatik unentbehrlich erscheinen ließ. Außerdem hatte bereits Gedicke zu ihrer Verteidigung auf die Rolle der Tradition hingewiesen. Wichtiger ist jedoch der zugleich internationale Charakter der Sprachwissenschaft, den Klopstock bei seiner Grammatik nicht beachtet wissen will, indem er sich bewußt nur auf die deutsche Sprache beschränkt. Die Zukunft hat auch in dieser Hinsicht die Unentbehrlichkeit der lateinischen Ausdrücke bestätigt; einmal eingeprägt, sind sie eine große Hilfe bei der Erlernung und wissenschaftlichen Beschäftigung mit jeder weiteren Sprache. Selbst ihre Abkürzungen sind überall bekannt und werden von jedermann verstanden. Daher ist auch Jacob Grimm ihnen treu geblieben: „wozu in deutschen oder slavischen Wörterbüchern einheimische ausdrücke an ihre stelle setzen? diese würden nicht nur deutschen und slaven undeutlich sein, sondern auch die Verbreitung der werke in das ausland hindern." 2 Zwar hat Klopstock niemals eine solche Verbreitung seiner Grammatik beabsichtigt; sie war nur für Deutsche bestimmt. Da aber die Sprachwissenschaft allgemein dieses Prinzip aufrechterhielt, hat er sich nicht dagegen behaupten können. Bei der Einführung einer deutschen grammatischen Terminologie setzt Klopstock „gut gemachte Kunstwörter" voraus3. Die folgende Untersuchung seiner neuen Ausdrücke, nach Sachgebieten geordnet, soll darüber entscheiden, ob sie dieser Forderung gerecht geworden sind. 1. Lautlehre

V o k a l = S e l b s t l a u t (VIII 269).4 Die Übersetzung „Mitlautender" für „Konsonant" findet schon bei Gueintz (1641), dem Grammatiker der Fruchtbringenden Gesellschaft, ihr Gegenwort in „Selbstlautender" für „Vokal". 1 J. Chr. Adelung, Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, Wien 1790—91, S. 4. 2 J. Grimm, Vorrede zum Deutschen Wörterbuch, Bd. I, Leipzig 1854, Sp. X X X V I I I . 3 Klopstocks Werke VIII 169. 4 Die in Klammern gesetzten Stellenangaben beziehen sich auf Klopstocks sämmtliche Werke, Leipzig 1854/55. 2

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Während Schottel sich ihm anschließt, geht Beilin 1657 zu der Form „Selbstlauter" über, die auch bei Gottsched am gebräuchlichsten ist 1 . Daneben tritt bei ihm jedoch mehrmals „Selbstlaut" auf und hat sich bis auf den heutigen Tag in der deutschen Grammatik behauptet, obwohl Adelung die Termini „Selbstlaut" und „Mitlaut" für „unschicklich und bloße Übersetzungen der lateinischen Benennungen" ansah und statt dessen die Konsonanten als „Hauptlaute", die Vokale als „Hülfslaute" bezeichnete2. Klopstock hat demnach hier einen schon damals allgemein üblichen Terminus gebraucht. K o n s o n a n t = Mitlaut (VIII171). s. u. „Vokal = Selbstlaut". Hier gebraucht Gottsched „Mitlauter" als einzigen Terminus; doch haben Bödiker (1746) und Antesperg (1749) den Plural „Mitlaute" schon vor Klopstock gebraucht3. S e m i v o k a l = Zwischenlaut (VIII 172): „Die Zwischenlaute sind j und w." Gueintz nannte die Liquiden und Nasale „halblautend", und Gottsched griff diesen Terminus wieder auf: mit „Halblauter" bezeichnete er l, m, n und r, während er w und j zu den labialen und gutturalen Konsonanten zählte4. Adelung rechnete w und j fälschlich unter die „Stummen" (Mutae)5. Klopstock dagegen betont die Sonderstellung dieser beiden Laute und ihre Verwandtschaft mit u und i, ohne sie in Verbindung mit den Nasalen und Liquiden zu bringen, die er unter die Mitlaute zählt6. Sein Terminus „Zwischenlaut" hat sich nicht durchgesetzt; nur bei Herder findet er sich einmal im Klopstockschen Sinne (DWb 16, 1363). D i p h t h o n g = D o p p e l l a u t (IX 328). Gueintz hat „Doppeltlautender", was bei Gottsched wiederum als „Doppellaut" erscheint (vgl. „Selbstlaut"). Die Zwischenstufe „Doppellauter" findet sich bei Zesen, Bödiker und Stieler; allein Schottel vertritt die Form „Dopplaut".7 Auch hier wieder beschreitet Klopstock den von Gottsched eingeschlagenen Weg, den Adelung beibehält8. U m l a u t (VIII 169 u. 289, IX 341). Lange Zeit zählten die deutschen Grammatiker ä, ö und ü zu den Diphthongen, indem sie sich nach der Be1 E. Leser, Fachwörter zur dt. Grammatik von Schottel bis Gottsched 1641— 1749, Zschr. f. dt. Wortf. 15, S. 22. „Selbstlauter" tauchte bereits 1531 in Frangks „Orthographia" auf (DWb 6, 2355). 2 Adelung, Anweisung a. a. O., S. 128f. ä Leser, Fachwörter a. a. O., S. 23. 4 Gottsched a. a. O., S. 39. 5 Jellinek a. a. O., I I S. 35. 6 Klopstocks Werke VIII 171. 7 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 26f. 8 J. Chr. Adelung, Deutsche Sprachlehre für Schulen. Berlin «1816, S. 500.

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Zeichnung von lateinisch oe und oe richteten. Freilich empfanden sie von vornherein den Unterschied zu den wirklichen Diphthongen. So nannte sie Gueintz „uneigentliche Doppeltlautende". Doch schon Schotte betrachtete sie als einfache Vokale und prägte dafür den Terminus „Kleinlaut". Aus dem Kampfe dieser beiden Ansichten im 18. Jahrhundert ging die Monophthongtheorie als Sieger hervor, nicht zuletzt durch den Beitritt Adelungs, der die noch bei Gottsched herrschende Ansicht, daß Ae, Oe, Ue Doppellaute seien, wiederholt bekämpft hat 1 . Auch Klopstock schließt sich dieser Theorie an und erfindet den Terminus „ U m l a u t " , gebraucht ihn aber für jede Abwandlung eines Wurzelvokals: „Wem solte es undeutlich seyn, wenn ich zum Exempel sagte: aus Strom wird Ströme, und sang aus singen, durch den U m l a u t ? " 2 Doch hat er die Verschiedenheit dieser beiden Beispiele sehr wohl empfunden, denn er unterscheidet zwei Arten des Umlauts: 1. „Wenn aus a ä, und aus o ö, und aus u ü wird, als Kraft Kräfte, floß flöße, Fluß Flüsse, so ist der Umlaut b e s t i r n t 2 . Demnach entspricht Klopstocks „bestimmter Umlaut" unserem Wort „Umlaut", wie es später Jacob Grimm zuerst in voller Erkenntnis der historischen Gesetzmäßigkeit diese» Lautwandels gebraucht hat. Die glückliche Bildung dieses grammatischen Fachwortes fand Anklang bei den zeitgenössischen Sprachwissenschaftlern; es begegnet uns bei Mäzke und — unter ausdrücklicher Berufung auf Klopstock — auch bei Nast schon in der heutigen Bedeutung 3 . Wichtig für das Weiterleben des Terminus war jedoch zweifellos Adelungs Erklärung über die ,. Verwandelung der tiefern Hülfslaute a, o und u in die nächsten höhern ä, ö und ü, welche Verwandelung wir mit einem von Herrn Klopstock zuerst gebrauchten Kunstworte den Umlaut nennen wollen." 4 So wurde „Umlaut" auch in Campes Wörterbuch auf1 Adelung, Vollst. Anw. a. a. O., S. 131; ders., Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, Leipzig 1782, I, S. 135; vgl. Gottsched a. a. O., S. 46. 2 Klopstocks Werke V I I I 169. 3 Abraham Gotthelf Mäzkens Versuch in Deutschen WörterFamilien, Breßlau 1779, Anhang. Schwäbisches Magazin von gelehrten Sachen auf das Jahr 1775, Stuttgart, S. 312 (vgl. G. Ginschel, Jacob Grimm - Aufgaben und Probleme der Exzerption. Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Klasse f. Sprachen, Literatur u. Kunst, Jg. 1955 Nr. 3, Berlin 1956, S. 67). 4 Adelung, Umst. Lehrgeb. a. a. O., I S. 370. Daß Adelung den Terminus „Umlaut" jedoch wie Klopstock auch auf den Ablaut beziehen konnte, geht aus folgender Stelle seiner „Vollständigen Anweisung" hervor: „ J a d i e irregulären Verba und sehr

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genommen und dabei auf Klopstocks glückliche Erfindung hingewiesen. 1 2. ,, . . . wird aus irgend einem Selbstlaute irgend ein andrer, als kommen, kam; laufen, lief; fliehen, floh, so ist der Umlaut u n b e s t i m m t . " 2 Damit bekundet Klopstock, daß er den Ablaut der starken Verben für unregelmäßig hält. Diese Anschauung war damals allgemein verbreitet. Für Gottsched hatten die starken Verben die „unrichtige Abwandlung", und Adelung nannte sie „irregulär" und hielt es für Zufall, wenn mehrere in gleicher Weise abgewandelt wurden. Eine Gruppenbildung hielt er für zwecklos 3 . Die Gesetze, die diesen lange als Makel der deutschen Sprache empfundenen „irregulären" Verben innewohnten, zu erkennen und in Form unserer heutigen Ablautreihen darzustellen, blieb erst Jacob Grimm vorbehalten. Er wandte auch als erster für den gesetzmäßigen Wechsel ihres Wurzelvokals den Terminus „Ablaut" an, den schon 1673 Schottel von der ungleichmäßigen Bildung der starken Verben gebraucht hatte 4 . 2. Die Redeteile

S u b s t a n t i v = H a u p t w o r t (VIII 169). In der „Gelehrtenrepublik" (1774) schließt sich Klopstock mit der Übersetzung von „Substantiv" durch „Hauptwort" noch Gottsched an, der diesen von Morhof im „Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie" 1682 vorgeschlagenen Terminus durchsetzt 5 . Auch Adelung behält ihn bei, und bis heute ist er ein geläufiges alte Ableitungen beweisen, daß sich der Umlaut oft auf alle Vokale erstreckte, brechen, brach." In diesem Zusammenhang spricht er auch vom „bestimmtem Umlaut der drey Vocale o, ound u in die nächstfolgenden höhern" (Vollst. Anw. a. a. O. S. 141). 1 Campe, Wörterb. d. dt. Sprache, Braunschweig 1807—11. V, S. 89. 2 Klopstocks Werke VIII 169. 3 Trotz seiner warmen Begeisterung für das deutsche Altertum war auch Klopstock geneigt, die Sprache der Vergangenheit für unregelmäßiger und unvollkommener zu halten als die der Gegenwart, indem er jene mit einer zerfallenen Strohhütte, diese aber mit einem Gebäude vergleicht, in dem wir „desto angenämer wonen, je mer wir Denker sind". (Klopstocks Werke I X 378f.) Bei der großen Altertümlichkeit, die Fulda und Adelung den starken Verben zusprachen, ist die Auffassung von ihrer Unregelmäßigkeit daher keineswegs verwunderlich. 4 Vgl. E. Ising, Die Begriffe „Umlaut" und „Ablaut" i. d. Terminologie d. frühen deutschsprachigen Grammatik. Sitzungsber. d. DAW, Klasse f. Sprachen, Lit. u. Kunst Jg. 1955 Nr. 3, Berlin 1956, S. 42. 6 Gottsched a. a. O., S. 172. Stieler hatte 1691 die Bezeichnung in seiner „Lehrschrift Von der Hochteutschen Sprachkunst" vorbereitet (vgl. DWb 4, 2, 639).

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Fachwort der deutschen Grammatik geblieben. Klopstock wendet sich jedoch in seinen „Grammatischen Gesprächen" später einer anderen Bezeichnung zu, die bereits in dem 1780 geschriebenen Fragment „Nachläse" auftaucht 1 : S u b s t a n t i v = B e n e n n u n g (IX 97ff.). Den Grund für diese Änderung gibt die „Benennung" in einem Gespräche selbst zum besten: „Ich liebe das Streiten um die erste Stelle nicht, ob ich gleich meinen Namen vorzugsweise führe, und es gewiß weder wenige, noch unwichtige Vorstellungen sind, die durch mich bezeichnet werden." 2 Demnach hielt es Klopstock nicht mehr für richtig, dem Substantiv unter den Wortarten durch die Verdeutschung „Hauptwort" den ersten Platz einzuräumen; das Verbum hätte zumindest den gleichen Anspruch darauf. Damit wendet er sich offensichtlich gegen Adelung, welcher seinen Terminus „Hauptwort" auf folgende Weise rechtfertigt: „Das Substantiv oder Hauptwort ist der Name eines als selbständig gedachten Dinges. Da alle unsere Vorstellungen und Gedanken durch selbständige Dinge veranlasset werden, und sich wieder auf sie beziehen, so sind auch die Hauptwörter der erste und wichtigste Redetheil, um dessen willen alle übrige da sind." 3 Ein ähnlicher Terminus war schon vor Klopstock gebräuchlich; das „Nennwort" findet sich 1619 bei Ratke und Helwig und später bei fast allen namhaften Grammatikern bis auf Gottsched 4 . Auch der heutigen grammatischen Fachsprache ist es neben „Hauptwort" und „Dingwort" noch geläufig. A d j e k t i v = B e i w o r t (VIII 287). Während seit dem Mittelalter eine Trennung der Nomina in „selbständige Nennworte" (Substantiva) und „beiständige Nennworte" (Adjektiva) üblich war, unterscheidet Gottsched Haupt- und Beiworte 5 . Dieser Terminus war zu Klopstocks Zeit allgemein üblich, auch Fulda gebrauchte ihn. In der modernen deutschen Grammatik ist der Fachausdruck „Eigenschaftswort" an seine Stelle getreten, der schon bei Adelung auftaucht 6 . A r t i k e l = B e s t i m m u n g s w o r t (VIII 268 und I X 97). Von einigen griechischen Grammatikern war der Artikel als Kennzeichen des Geschlechts definiert 7 . Demzufolge findet sich bei Schottel und Stieler dafür die Ver1

Klopstocks Werke I X 378. 2 Ebd. 98. 3 Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 85. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 42. Die Belege vor 1641 verdanke ich z. T. Hinweisen von Frau Dr. E . I S I N G , deren Arbeit über W O L F G A N G R A T K E S Schriften zur 5 deutschen Grammatik in Kürze erscheint. Jellinek a. a. O., II S. 88. 6 I m Frühneuhochdeutschen wird „Beiwort" auch für Adverb gebraucht (cf. R. Vortisch, Grammatische Termini im Frühneuhochdeutschen 1500—1663. Diss. Freiburg 1910, gedr. Basel 1910, S. 54). 7 H. Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern, Berlin 2 1890-91. II, S. 307. 4

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deutschung „Geschlechtswort", die auch Gottsched beibehält: „Einige Sprachen nun haben, die Geschlechter anzudeuten, besondre kleine Wörtchen erdacht, die sie für die Hauptwörter setzen. . . . Dieses einer, eine, eins, und der, die, das, nennet man Geschlechtswörter, (lat. Articulos)." 1 Diese Auffassung stieß jedoch bald auf Widerspruch. Vor Klopstock hat schon sein Freund GOTTLIEB BENEDIKT FUNK (1763) gegen die übliche Auffassung polemisiert: „Den A r t i k e l nennen unsere Grammatiker das Ges c h l e c h t s w o r t , und sagen ganz zuverläßig, er sey erdacht , d i e G e s c h l e c h ter a n z u d e u t e n . Daß aber diese Verrichtung desselben Etwas blos zufälliges sey, erhellet daraus, daß er im D e u t s c h e n , N o r d i s c h e n und F r a n z ö s i s c h e n etc. schon bey dem P l u r a l e n wegfällt, und daß zum z. E. die Morgenländer und Engländer einen Artikel haben, ohne das Geschlecht dadurch zu bezeichnen." 2 Nach Funks Ansicht hat der bestimmte Artikel im Gegensatz zum unbestimmten die Aufgabe, aus der Gesamtmenge von unter einer Gattung stehenden Dingen ein b e s t i m m t e s Individium hervorzuheben. So wirft auch Klopstock seinem Diskussionsgegner Fulda vor, daß er das Bestimmungswort der, die, das zum Geschlechtsworte machen wolle, „da man doch, indäm man z. E. nicht: Schönheit, sondern: di Schönheit sagt, es wägen des ferenderten Gedankens tut, wobei sich: di, so wi in den Endungen, blos nach der Benennung richtet, und da über dis, indäm man z. E. das Werk sagt, der Begrif des Geschlechz, där so schgn bei den meisten Wörtern mit: der, und di ferschwunden ist, gar nicht stat findet."3 Auch von Adelung wurde der Gottschedsche Terminus „Geschlechtswort" verworfen: Artikel. . . ., welcher andeutet, ob die ganze Gattung gemeinet sey, oder ein oder mehrere theils bereits bekannte, theils unbestimmte Individua aus derselben. Dieß ist der wahre Gesichtspunct, aus welchem man den Artikel betrachten muß, nicht aber als ein bloßes Zeichen des Geschlechtes der Hauptwörter, . . . Es sollte daher auch der Deutsche Nähme Geschlechtswort, welchen man ihm in den neuern Zeiten gegeben hat, nie wieder gehöret werden." 4 Der Terminus „Bestimmungswort" existierte schon vor Klopstock, wenn auch in anderem Sinne. Gottsched verstand darunter die indeklinablen Partikeln, „die sich mit den mannigfaltigen Bestimmungen beschäftigen, worin sich sowohl die Dinge als ihr Tun und Leiden oft befinden."5 Adelung ge1

Gottsched a. a. O., S. 150. G. B. Funk, Abhandlung des Übersetzers. In J. H. Schlegels . . . Abhandlung über die Vortheile u n d Mängel des Dänischen, . . . Schleswig 1763, S. 159. 3 Klopstocks Werke I X 378. 1 5 Adelung, Umst. Lehrgeb. a. a. O., I S. 277. Gottsched a. a. O., S. 147. 2

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braucht „Bestimmungswort" als Terminus der Wortbildung und versteht darunter das erste Kompositionsglied einer Wortzusammensetzung (Adjunktum), das bei Klopstock als „sonderndes Wort" bezeichnet wird1. Doch verwendet er außerdem den Terminus „Bestimmungswort" als Oberbegriff für diejenigen Wortarten, die das Substantiv näher bestimmen: Artikel, Pronomen, Zahlwort und Adjektivum, die nach seiner Ansicht aus dem Adverb hervorgegangen sind2. „Bestimmungswort" für „Artikel" hat nur Klopstock versucht3. Pronomen = Fürwort (VIII 268). Alle Grammatiker seit Ratke (1619) übersetzten „Pronomen" durch „Vornennwort", unter ihnen Gueintz, Schotte] und Stieler; Bellin (1661) versuchte daneben zum ersten Male,, Fürnänwort". Hier zeigt sich die große Unsicherheit im Gebrauch der beiden Präpositionen für und vor in damaliger Zeit. Erst Gottsched unterschied konsequent zwischen „Fürwort" (Pronomen) und „Vorwort" (Präposition)4. Den Namen „Fürwort" erklärt er wie folgt: Alle Sprachen haben gewisse kleinere Wörter, die man an Stelle der Hauptwörter gebraucht, da es unbequem sein würde, in allen Fällen die Hauptwörter selbst zu gebrauchen. „Und weil sie also für andre gebrauchet werden: so nennet man sie Fürwörter." 5 Doch bald erhob sich Widerspruch dagegen, das Pronomen bloß als Stellvertreter des Nomens zu betrachten. Aichinger und Funk wiesen nach, daß es eine weit umfangreichere Funktion innehabe6. Ihnen schließt sich Adelung 1

2 Klopstocks Werke I X 131. Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 244. Überraschend ist jedoch der dänische Terminus B e s t e m m e l s e s o r d , den fast 4 0 Jahre später R A S M U S K R I S T I A N R A S E für „Artikel" gebraucht (Vejledning til det Islandske eller gamle Nordiske Sprog, Kj0benhavn 1811, S. 59 u. öfter). Man könnte annehmen, daß Rask hier auf Klopstocks Spuren wandelt; immerhin aber wäre es nicht unwahrscheinlich, daß dieser Ausdruck schon zu Klopstocks Zeit in der dänischen Schulgrammatik gebräuchlich war. Rask hat nach seinem eigenen Zeugnis fast nur in Dänemark allgemein übliche Termini verwendet: „Saalsenge jeg derfor har samlet til en Sproglaere, har jeg samlet og dannet danske Kunstord; og jeg havde taenkt at ordne og udfore denne Sämling til en fuldstsendig dansk grammatikalsk Terminologi, og foje den til Enden af Fortalen, saa at ingen skulde klage over de siden anvendte Kunstords Uforstaaelighed; men den blev for vidtlaftig til her at künde optages, og er, som jeg haaber, heller ikke nodvendig, da jeg har anvendt meget faa af mig selv opfundne." (ebd. S. LH.) Sehr wahrscheinlich hat auch F U N K um die dänische Übersetzung des Artikels als „Bestemmelsesord" gewußt, als 3

er gegen die in Deutschland herrschende Auffassung polemisierte, daß der Artikel zur Andeutung der Geschlechter erdacht sei. 4 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 46f. 5 8 Gottsched a. a. O., S. 274. Funk a. a. O., S. 163ff.

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an, der „Fürwort" in seinen Schriften nicht verwendet hat, sondern statt dessen „Personwort" oder „persönliches Bestimmungswort" vorschlägt, wenn man ja einen deutschen Namen brauchen sollte1. Trotzdem hat sich diese Verdeutschung bis auf den heutigen Tag erhalten; der kurze, treffende Ausdruck hat auch Klopstock zu bestechen vermocht. Verbum = Zeitwort (VIII 263). Dieser Terminus war schon den Grammatikern des 17. Jahrhunderts geläufig; auch Adelung schließt sich der Tradition an und erklärt den Begriff „Zeitwort" auf diese Weise: „Das Verbum ist ein Redetheil, . . . welcher ein Leiden oder Thun mit den Nebenbegriffen der Person und der Zeit bezeichnet. Von dem letzten Umstände pflegt man sie im Deutschen auch wohl Zeitwörter zu nennen."2 So sah sich Klopstock nicht genötigt, einen neuen Terminus zu erfinden. Verbum a u x i l i a r i u m = H ü l f s w o r t (VIII168). Auch dieser Terminus ist allgemein üblich; Gueintz, Gottsched und Adelung stimmen darin überein. Adelungs Definition: „Hülfswörter können nur diejenigen Verba genannt werden, welche die mangelhafte Deutsche Conjugation in Vergleichung mit den vollständigeren anderer Sprachen ergänzen helfen."3 — Der Terminus „Hilfszeitwort" tritt zuerst bei Bödiker (1698) auf, der ihn neben „Hülfswort" gebraucht4. P a r t i z i p = Wechselwort (IX 97f.). Hier haben wir es mit einer echt Klopstockischen Eigenprägung zu tun; nirgends sonst in der grammatischen Literatur ist dieser Terminus zu finden5. Das „Wechselwort" rechtfertigt seinen Namen auf folgende Weise: „Ich bin bald dieß Wort, bald ein anderes, indem ich mich immer der Zeit zugleich anschmiege, und Handlung oder Wirkung ausdrücke. Ich bin Nebenwort" (Adverb) . . ., „Beiwort" (Adjekt i v ) . . . ; „ich bin auch Benennung" (Substantiv).6 Diese Begründung scheint gesticht; das Partizip hat die Eigenschaft, sich in eine andere Wortart zu verwandeln, nicht allein. Einen Grund für sein Abweichen von der Tradition gibt Klopstock nicht an. Diese bestand seit Ratke (1612—15) im Gebrauch des Ausdrucks „Mittelwort", in dem auch Schottel, Bödiker und Stieler übereinstimmen7. Gott1

Adelung, Umst. Lehrgeb. a. a. O., I S. 278. Ders., Sprachlehre S. 248. 3 Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 263. 4 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 58. 5 Nur in der Bedeutung „verändertes Wort" und „den Wechsel des Redenden anzeigendes Wort" sind D W b 13, 2779 zwei Belege aufgeführt. « Klopstocks Werke I X 98. 7 Leser s. o. S. 63. 2

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sched begründet ihn übereinstimmend mit Gueintz und Schottel: „Weil sie dergestalt zwischen den Zeit- und Nennwörtern das Mittel halten, oder von mittlerer Natur sind; so nennet man sie Mittelwörter (Participia)."1 Ähnlich erklärt es Adelung: „Es heißt Participium oder Mittelwort, weil es zwischen dem Verbo und dem Adverbio in der Mitte stehet, und von beyden etwas an sich hat." 2 Aber auch er ist mit diesem Kunstwort unzufrieden gewesen, das nach seiner Meinung weder auf das lateinische noch auf das deutsche Partizipium paßte, „weil es den in der Ableitung (vom Verbum) gegründeten Nebenbegriff in ein falsches Licht stellet, daher ich ihm so lange den Lateinischen Nahmen vorziehe, bis sich eine schicklichere Deutsche Benennung wird ausfindig machen lassen."3 — Die deutsche Grammatik ist bis jetzt dem „Mittelwort" treu geblieben. Klopstock teilt die Partizipien in drei Klassen ein: 1. Partizipium praesentis activi = Wechselwort der jetzigen Zeit (IX 184). Statt „jetzige Zeit" gebrauchen alle übrigen Grammatiker bis auf Adelung den Ausdruck „gegenwärtige Zeit". Stieler versuchte „gegenwärtiges Mittelwort"; doch hat sich Gottsched dem von Antesperg eingeführten Terminus „Mittelwort der gegenwärtigen Zeit" zugewandt, der sich selbst noch bei Campe findet4. 2. Partizipium praeteriti passivi — Wechselwort der neulichen Zeit (IX 185). Auch hiermit steht Klopstock ganz für sich allein. Gegenüber den Terminis der Schultradition — „vergangenes Mittelwort" bei Schottel und Stieler, „Mittelwort der vergangenen Zeit" bei Gottsched5 - ist Klopstocks Neuerung eher eine Schlimmbesserung zu nennen. Noch Adelung hat sich Gottsched angeschlossen; „Vergangenheit" ist erst seit Campe (1813) in der deutschen Sprachlehre anzutreffen.6 3. Partizipium futuri passivi = Wechselwort der künftigen Zeit (IX 185). 1

Gottsched a. a. O., S. 151. Adelung, Sprachlehre S. 297. 3 Adelung, Umst. Lehrgeb. a. a. O., II S. 7. 4 Campe, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke, Braunschweig 2 1813, S. 493. 6 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 64. 6 Fr. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 17. Aufl. Berlin 1957. S. 814. 2

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Diese Gattung wurde zuerst von Schottel aufgestellt, der sie „leidendes Mittelwort der zukünftigen Zeit" nannte; Stieler stimmt hier, wie in so vielen Fällen, mit ihm überein, und Gottsched schließt sich diesen beiden Vorgängern an. Dabei nimmt er jedoch eine Verkürzung vor: „künftig" statt „zukünftig" hat Klopstock mit ihm gemeinsam 1 . Seit K. Ph. Moritz (1782) wurde diese umständliche Ausdrucksweise durch „Zukunft" ersetzt 2 . Schottel beschränkt die Bildung des „Mittelwortes der zukünftigen Zeit" auf einige zusammengesetzte Verben 3 , und auch Klopstock betont, ,,. . . daß man das Wechselwort der künftigen Zeit am besten da braucht, wo man z. E. statt Das zu schlichtende, Das abzuthuende sagen kann. Das nicht eingeschaltete Zu scheint auszudehnen." 4 Er hat demnach wohl empfunden, daß diese Bildung sich im Grunde nicht recht in die deutsche Sprache schicken will; Adelung spricht sie der edleren Schreibart gänzlich ab 5 . Das Partizip wurde, der griechischen und lateinischen Grammatik zufolge, im ganzen 18. Jahrhundert als selbständige Wortart betrachtet, so auch von Klopstock. A d v e r b — N e b e n w o r t (IX 98). Nachdem Gueintz und Schottel den Terminus „Zuwort" gebraucht hatten, findet sich zuerst bei Prasch (Neue, kurtz- und deutliche Sprachkunst 1687) „Nebenwort", das jedoch erst durch Gottsched in der grammatischen Fachsprache geläufig wurde 6 . Seine Definition lautet: „Weil diese nun den Zeitwörtern beygesetzt werden, und insgemein dicht neben ihnen stehen: so nennen wir sie N e b e n w ö r t e r , (Adverbia)."7 Diese Erklärung scheint auch Klopstock eingeleuchtet zu haben. Trotzdem hat sich dieser Terminus nicht bis heute behaupten können. Schon Adelung übte daran Kritik und fand ihn nichtssagend, so daß er immer noch dem lateinischen Ausdruck den Vorzug gab 8 . Die Grammatik des 19. Jahrhunderts folgte Adelungs Beispiel und nannte das Adverb „Um1

Leser, Fachwörter a. a. O., S. 64. Kluge-Götze a. a. O. S. 893. s M. H. Jellinek a. a. 0 . , I I S. 339. 4 Klopstocks Werke I X 185. s Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 303. 6 Leser s. o. S. 45. Bei Stieler hat es noch die allgemeine Bedeutung verburn adiectum (DWb 7, 510). 7 Gottsched a. a. O., S. 152. 8 Adelung, Umst. Lehrgeb. I I S. 35. 2

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standswort", worunter dieser jedoch nur die nicht vom Adjektivum abgeleiteten Adverbien verstanden hatte 1 . P r ä p o s i t i o n = B e z i e h u n g (IX 99 u. 124). Wie bei „Wechselwort" haben wir es hier mit einer Erfindung Klopstocks zu tun, der ebenfalls kein Nachleben beschieden sein sollte. Gewiß war die Verdeutschung von „Präposition" im 17. Jahrhundert reichlich bunt; doch hat schon Helwig „Vorwort", das über Schottel und Stieler auf Gottsched gekommen ist 2 . Definition: „Weil nun alle diese Wörter vor den Hauptwörtern und Fürwörtern; ja auch wohl vor den Beywörtern zu stehen kommen: so nennet man sie zum Unterschiede, Vorwörter, (Praepositiones)."3 Klopstock strebt auch diesmal wieder danach, der Benennung nach äußerlichen Gesichtspunkten wie der Wortstellung eine solche nach der inneren Funktion des Wortes entgegenzustellen. Die Selbsterkenntnis seiner „Beziehung" lautet: „Ich drücke die Beziehungen aus, welche die mit dem Zeitworte verbundenen Wörter auf dasselbe haben."4 Der Ausdruck „Beziehung" findet sich allerdings erst 1793 in den „Grammatischen Gesprächen"; in den „Fragmenten" aus dem Jahre 1779 spricht Klopstock dagegen von V e r b i n d u n g e n (IX 414). Die sogenannten „abwechselnden Verbindungen", die sowohl den Dativ als auch den Akkusativ regieren können, werden hier sogar in einem besonderen Fragment dargestellt. Daß der Dichter später, als er noch einmal dasselbe Problem in Gesprächsform behandelt, die Präpositionen bei einem anderen Namen nennt, scheint wiederum aus seinem Bemühen hervorzugehen, gegenüber dem mehr äußeren Begriff der „Verbindung" die innere Beziehung der verbundenen Wörter zu betonen. In seiner Rezension der „Grammatischen Gespräche" in der „Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung" gebraucht auch Johann Heinrich Voss den Ausdruck „abwechselnde Beziehungen"; daneben spricht er jedoch auch von „abwechselnden Beziehungswörtern" 6 , während Klopstock zu dieser Zeit Komposita mit -wort auffallend meidet. So begegnet uns z. B. auch das „Bestimmungswort" in den „Gesprächen" kurz als „Bestimmung"6 und das — allerdings nur einmal in einer Anmerkung erwähnte — „Verhältniswort" der Gelehrtenrepublik als „Verhältniß". Wahrscheinlich 1 Adelung, Umst. Lehrgeb. II S. 34. „Vmbstandswort" wurde 1619 von Helwig gebildet. 2 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 66. 3 Gottsched a. a. O. S. 152 * Klopstocks Werke I X 99. 5 J. H.Voss, Grammatische Gespräche von Klopstock. 1794. Jenaische allgemeine Literaturzeitung 1804. 1. S. 324. « Klopstocks Werke I X 97.

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ist auch die spätere Ersetzung des Terminus „Hauptwort" durch „Benennung" hierher zu zählen : offenbar kommt das Bestreben des Dichters nach größtmöglicher Kürze und Einfachheit seiner Termini in diesen Bildungen zum Ausdruck. In der „Gelehrtenrepublik" werden die Präpositionen noch R i c h t u n g e n genannt, ein Terminus, der vor allem die regierende Funktion dieser Wörter ins Auge faßt. Daß sich Klopstock in den „Fragmenten" für „Beziehung" entschieden hat, könnte möglicherweise auf den Einfluß der französischen Grammatik zurückgehen, welche die Präpositionen als Hilfsmittel zur Verdeutlichung der B e z i e h u n g e n (rapports) der Dinge untereinander betrachtete; diese Lehre hat sich besonders in den Theorien Hemmers und Bodmers niedergeschlagen1. K o n j u n k t i o n = V e r h ä l t n i ß (IX lOOf.). Ebenso wie bei „Beziehung" steht Klopstock für sich. Ohne den Beweggrund zu nennen, verwirft er Gottscheds „Bindewort", das seit Ratke (1612—15) und Heiwig (1619) neben „Fügwort" in Erscheinung tritt. Gottscheds Definition: „Weil nun diese alle zur Verbindung der andern Wörter dienen, so werden sie B i n d e w ö r t e r (Conjunctiones) genennet," 3 stellt er die seinige gegenüber und läßt die „Verhältniß" sagen: „Ganze Wortgesellschaften sind mit unterthan. Ich vereinige, und veruneinige sie. Sie machen durch mich Bedingungen, zweifeln, verweisen auf Ursachen, und was sie sonst noch alles auf mein Geheiß thun." 3 Die Bezeichnung „ V e r h ä l t n i s w o r t " , die einmal in einer Anmerkung der „Gelehrtenrepublik" auftaucht, wird nicht näher erläutert 4 . Gegen den geläufigen Ausdruck „Bindewort" hat Klopstock nichts ausrichten können, obwohl auch Adelung ihn ablehnte, da er seiner Ansicht nach die bloß verbindende Bedeutung zu bestimmt bezeichnete, „indem nur ein Theil derselben verbindet, andere aber andere Verhältnisse (!) bezeichnen." 5 I n t e r j e k t i o n = A u s r u f (IX 101 u. 184). Abermals ein Terminus, der sich nur bei Klopstock findet. Gottsched hat von Schottel „Zwischenwort" übernommen und erklärt: „Weil nun diese Art der Bestimmungswörter keine besondre Stelle hat, sondern nur zwischen die andern gesetzet wird, wo sie sich hinschicket: so haben sie den Namen der Z w i s c h e n w ö r t e r , (Interiec1

Jellinek a. a. O., I I S. 98. Gottsched a. a. O., S. 152. 3 Klopstocks Werke I X 101. 4 Ebd. VIII 262. Dieser Terminus wird sonst zur Verdeutschung von „Präposition" gebraucht (DWb 12, 519). 6 Adelung, Umst. Lehrgeb. I S. 281. 2

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tiones) bekommen."1 Eine wahrhaft oberflächliche Begründung! Eher läßt sich schon Adelungs „Empfindungswort" hören: „Die Empfindungswörter drücken die jedesmalige Empfindung als bloße Empfindung aus. Der Zeit und dem Ursprung nach sind sie der erste Redetheil, ob sie gleich jetzt der Würde und dem Gebrauche nach der letzte sind."2 Diese Anschauung teilt auch Klopstock3. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts hat sich „Interjektion" immer mehr auf Kosten der deutschen Bezeichnungen durchgesetzt4. In den seltenen Fällen, wo heute eine Verdeutschung auftritt, lautet sie „Ausrufungswort" oder „Ausruf". Dies ist eines der wenigen Beispiele dafür, daß ein von Klopstock abweichend von der Schultradition gebrauchter Terminus noch in unserer Zeit fortlebt. P a r t i k e l — Zuwort (IX 97). Bei den verschiedenen Begriffen, welche die deutschen Grammatiker mit dem Terminus „Partikel" verbanden, ist die Mannigfaltigkeit ihrer Verdeutschungen nicht verwunderlich. Am häufigsten taucht im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Form „ Wörtlein" auf, so bei Stieler, Bödiker und Antesperg. Schon Bödiker faßt unter „Particula" die indeklinablen Redeteile zusammen (Adverb, Präposition, Konjunktion); Gottsched erweitert den Begriff auf alle Bestimmungen der Dinge sowie ihres Tuns und Leidens und nennt sie „Bestimmungswort"5 (vgl. „Artikel = Bestimmungswort"). Auch Fulda teilt diese aus der hebräischen Theorie hervorgegangene Anschauung6. Klopstocks „Zuwort" scheint enger gefaßt; neben der Präposition, Konjunktion und Interjektion führt er es unter denen, „die verändern, ohne daß sie es selbst werden", als selbstständige Wortart auf 7 . So kommt es, daß in seiner Wörterparade elf Wortarten aufmarschieren, obwohl das Zahlwort dabei nicht in Erscheinung tritt. Höchstwahrscheinlich hat er es wie die meisten Grammatiker seiner Zeit nach lateinischem Vorbild teils zum Adjektivum, teil zum Adverbium gezählt. Eine gesonderte Behandlung des Zahlwortes findet sich zwar schon bei Gottsched8; doch erst bei Adelung wird es zum selbständigen Redeteil erhoben. 1

Gottsched a. a. O., S. 153. Adelung, Sprachlehre S. 328. 3 Klopstocks Werke I X 101. 4 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 69. 6 Ebd. 6 Jellinek a. a. O., II S. 104. ' „Zuwort" wird bei Gueintz, Schottel und Bödiker für „Adverb" gebraucht (cf. Leser, Fachwörter S. 45). 8 Gottsched a. a. O., S. 265ff. 2

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3.

Flexionslehre

F l e x i o n = W o r t ä n d e r n i s (IX 444). Der Begriff der Flexion findet sich bei Gottsched nicht; er kennt nur Deklination und Konjugation. Bei den übrigen Grammatikern ist die deutsche Interpretation individuell verschieden; am häufigsten tritt noch „Beugung" auf. In den von Gottsched gegründeten „Beyträgen zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit" (Leipzig 1732) kommt einmal „Wortänderung" vor 1 . Klopstock hat als einziger zu der Bildung „Wortändernis" Zuflucht genommen. Adelung hat „Beugung" wieder aufgegriffen und es für die moderne grammatische Fachsprache durchgesetzt 2 . D e k l i n a t i o n = U m e n d u n g (VIII169). So nur bei Klopstock. Schottel, Stieler und Bödiker gebrauchen hauptsächlich „Abwandelung", aber daneben ist auch „Beugung" zu finden3. Gottsched steht mit „Abänderung" ebenso abseits von der Schultradition wie Klopstock; beide fanden mit ihren eigenmächtigen Neuerungen keine Nachfolge. Adelung ist zum lateinischen Terminus zurückgekehrt. d e k l i n i e r e n = u m e n d e n (VIII 169). Für dieses Verbum gelten nicht nur bei Klopstock, sondern auch bei allen übrigen Grammatikern dieselben deutschen Entsprechungen wie f ü r das Substantivum; beide gehen in ihrer Entwicklung Hand in Hand einher 4 . S i n g u l a r = E i n h e i t (VIII 286). Vor Klopstock hat nur Antesperg diesen Terminus aufzuweisen. Schottel und Stielergebrauchen,, Einzelweis", doch daneben hat Schottel auch den Terminus „eintzele Zahl" versucht, und Gottsched hat diese umständliche Prägung von ihm entlehnt: „einzelne Zahl". 6 Es ist daher nicht verwunderlich, daß Adelung sich für Klopstocks Bezeichnung entschieden hat 6 . Die Schöpfung des modernen Fachwortes „Einzahl" ist Campe zu verdanken 7 . P l u r a l = M e h r h e i t (VIII 204f.). Hier weicht Klopstock auch von Antesperg ab, der dafür „Vielheit" gebraucht, wie denn überhaupt die Zusammensetzungen mit viel (Schottel und Stieler haben „Vielweis", Gottsched „vielfache Zahl") in der Überzahl sind. Der Komparativ „mehrere Zahl" findet sich bei Gueintz und außerdem bei Schottel, Stieler und Gottsched 8 . 1

Leser, Fachwörter a. a. O., S. 48. Adelung, Sprachlehre S. 77. 3 Leser s. o. S. 49. 4 Ebd. 8 Gottsched a. a. O., S. 225. 6 Adelung, Sprachlehre S. 114. ' Campe, Verdeutschungswörterbuch a. a. O., S. 557. 2

8

Leser s. o. S. 50.

Klopstock als Sprachreiniger

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So scheint Klopstock als erster den bisher nur allgemein gebrauchten Ausdruck „Mehrheit" als grammatischen Terminus verwendet zu haben; Adelung hat diese glückliche Bildung von ihm übernommen. Doch hat auch sie in Campes „Mehrzahl" ihren Meister gefunden 1 . G e n u s = G e s c h l e c h t (IX 101). Ein durchgängig gebrauchter Terminus bei allen Grammatikern seit dem 15. Jh., den zu ändern auch für den sonst so gern zu Sonderbildungen aufgelegten Klopstock offensichtlich kein Grund vorhanden war. Zur Erklärung fügt er hinzu: „Die gegenseitige Geschlechtsliebe machte, daß man anfangs alles, was man nannte, mit den Geschlechtern verglich. Die entfernteste Ähnlichkeit war da zureichend. Denn man wollte die angenehme Vergleichung gar zu ungern aufgeben, wie unglücklich man zuweilen auch darin war." Ähnlich denkt sich auch Adelung die Entstehung des geschlechtlichen Hauptwortes: „Die Deutsche Sprache theilet nebst vielen anderen ihre Hauptwörter nach den Geschlechtern in verschiedene Classen; ein Umstand, welchen ohne Zweifel der an den Menschen und Thieren bemerkte Unterschied des Geschlechts veranlaßte, welchen man nachmahls auf alle selbständige und als selbständig gedachte Dinge anwandte." 2 Der Terminus „Geschlecht" hat sich dank seiner konsequenten Durchführung in der deutschen grammatischen Fachsprache bis heute behaupten können. M a s k u l i n u m = m ä n n l i c h e s H a u p t w o r t (VIII 170). Die Übersetzung „männliches Geschlecht" für „Genus masculinum" findet sich bei allen deutschen Grammatikern bis zu Gottsched 3 . Klopstock kennt mit Rücksicht auf das Neutrum, das nach seiner Ansicht keinen Anspruch auf ein „Geschlecht" hat, nur ein „männliches Hauptwort". F e m i n i n u m = w e i b l i c h e s H a u p t w o r t (VIII 170). Aus dem gleichen Grunde wie beim Maskulinum hat Klopstock auch hier die vor ihm einheitlich durchgeführte Bezeichnung „weibliches Geschlecht" abgelehnt. N e u t r u m = g e s c h l e c h t l o s e s H a u p t w o r t (VIII 170). War beim „männlichen und weiblichen Geschlecht" eine seltene Übereinstimmung 1

Campe, Verdeutschungswörterbuch S. 482. Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 105; cf. auch ders., Umst. Lehrgeb. I S. 344. Dieselbe Auffassung wird noch von H. P A U L (Prinzipien der Sprachgeschichte, Halle a. S. 4 1909, S. 264) vertreten: „Wenn außerdem noch anderen Wesen, auch Eigenschafts- und Tätigkeitsbezeichnungen ein männliches oder weibliches Geschlecht beigelegt wird, so ist das eine Wirkung der Phantasie, welche diese Wesen nach Analogie mit der menschlichen Persönlichkeit auffaßt." Hier begegnet uns Herders Lehre von der Yermenschlichung der Natur aus seiner Abhandlung über den 3 Ursprung der Sprache. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 51. 2

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ohne Ausnahme in der deutschen Grammatik zu verzeichnen, so ist die Unsicherheit bei der Verdeutschung des Neutrums um so größer. Der häufigste deutsche Terminus ist „unbenamtes Geschlecht", den Gueintz, Schottel und Stieler in ihren Schriften bevorzugen. Gottsched nennt es „ungewisses Geschlecht". 1 Klopstock sah sich darum auch hier wieder bewogen, die Fülle von bereits vorhandenen Bildungen durch eine präzisere Neuprägung zu bereichern. Er weist nach, daß der Begriff des Geschlechts beim Neutrum nicht mehr stattfinden könne, und rügt die Bezeichnung „Sachgeschlecht", die sich bei Adelung findet2: „Die Deutschen Substantiva theilen sich in zwey Hauptgeschlechter, das persönliche und das sächliche, (Neutrum) . . . Alles, was man als Person sähe oder dachte, ward zu einem der persönlichen Geschlechter gerechnet, was man aber nicht als Person zu denken für gut befand, blieb für das sächliche." 3 Ein „sächliches Geschlecht" aber ist in Klopstocks Augen eine Absurdität. „Ich habe daher die Hauptwörter in männliche, weibliche und geschlechtlose abgetheilt." Diesen Ausdruck hat Nast von Klopstock übernommen 4 . Trotzdem taucht das „sächliche Geschlecht" auch bei Campe wieder auf und findet sich bis heute in der deutschen grammatischen Terminologie5. K a s u s = E n d u n g (VIII 285f.). In der „Gelehrtenrepublik" gebraucht Klopstock den bei Gottsched üblichen Ausdruck, den dieser schon bei Gueintz vorgefunden hatte 6 . Doch verwirft er energisch die Prägung „Fallendung", die neben „Endung" einige Male bei Gottsched auftaucht, und verspottet sie als Tautologie. In seinen Augen kann dies nichts anderes als „Endungsendung" bedeuten 7 . In seinen „Grammatischen Gesprächen" tritt jedoch an die Stelle von „Endung" der Terminus „Endnis" 8 , eine ähnlich ungeschickte-Bildung wie „Wortändernis". Klopstock neigt demnach später dazu, bei seinen Terminis das Abstraktsuffix -ung durch -nis zu ersetzen. 1

Gottsched a. a. O., S. 149. Klopstocks Werke I X 96. 3 Adelung, Sprachlehre S. 105. 4 Der teütsche Sprachforscher, Stuttgart 1777, I S. 13. 5 In neuerer Zeit ist H E B M A N N P A U L im Verlaufe seiner Untersuchungen über das Genus zu ähnlichen Ergebnissen gelangt wie Klopstock: „Das Neutrum ist ursprünglich nichts weiter als das Geschlechtslose, wie der Name richtig besagt . . . Wenn von den deutschen Grammatikern die Bezeichnung neutral durch sächlich wiedergegeben ist, so paßt dieselbe insofern nicht, als viele Sachbezeichnungen das grammatische männliche oder weibliche Geschlecht angenommen haben." (Prinzipien der 6 Sprachgeschichte a. a. O., S. 268f.). Leser, Fachwörter a. a. O., S. 52. 7 Klopstocks Werke I X 307. cf. Gottsched, Sprachkunst (1748) S. 203. 8 Ebd. 75. 2

Klopstock als Sprachreiniger

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Mit der Verdeutschung „Fall" hat sich Klopstock ebensowenig wie Gottsched befreunden können, denn dieser sagt: „Diese sechs veränderte Endungen, haben die Lateiner Casus, oder Fälle genennet: wir aber können sie besser schlechtweg, E n d u n g e n heißen. . ."1 Auch Gueintz hatte bereits 1641 „Fall" als unverständlich abgelehnt2. Trotzdem hat Adelung die Verdeutschung „Fall" durchgesetzt: „So fern nun diese und andere ähnliche Verhältnisse, in welche ein selbständiges oder als selbständig gedachtes Ding gesetzt werden kann, an dem Worte selbst ausgedruckt werden, nennt man sie Casus oder Fälle."3 Dies ist auch bis heute die übliche deutsche Entsprechung geblieben. N o m i n a t i v = Wirkung (VIII 285). Und wieder ein Klopstockischer Außenseiter. Die Grammatiker des 17. Jahrhunderts hatten sich mit einer Übersetzung des lateinischen Terminus begnügt; aber schon Gottsched hatte hiergegen Stellung genommen: „Denn wenn gleich einige von unsern Sprachlehrern darinnen dem Gebrauche der Lateiner gefolget sind, und ihre Casus so buchstäblich gegeben haben: Casus Nominativus, der Nennfall, oder die Nennendung; — Genetivus, der Zeugefall, oder die Zeugendung; — Dativus, der Gebefall, oder die Gebendung; — Accusativus, der Klagefall, oder die Klagendung; . . . so haben doch andere lateinische Sprachlehrer, auf eine bequemere Art, casum primum, secundum, tertium, usw. gebrauchet. Diese Art nun, die Endungen der Nennwörter und Fürwörter zu unterscheiden, dünket mich im Deutschen desto bequemer: je weniger man in den obigen Benennungen, von dem Zeugen, Geben, Klagen und Nehmen, einen Grund angeben kann."4 Klopstocks „Wirkung" soll wohl zum Ausdruck bringen, daß ein Substantiv in diesem Kasus den Handlungsträger darstellt. Adelung interpretiert den Nominativ als „Fall des Subjekts"5 und bekundet damit eine ähnliche Auffassung. Ein Nachleben war Klopstocks Bildung jedoch nicht beschieden. Genitiv = Verkürzung (VIII 170). Hier gilt im wesentlichen das vom Nominativ Gesagte. Gottsched folgte auch hier seinem Zahlensystem und nannte den Genitiv die „zweyte Endung", da ihm Stielers „Zeugendung" unverständlich schien. Dies liegt jedoch nicht an der wörtlichen deutschen 1

Gottsched a. a. O., S. 156. Leser, Fachwörter S. 52. 3 Adelung, Sprachlehre S. 121. * Gottsched a. a. O., S. 156. 6 Adelung, Sprachlehre S. 121. 2

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Übersetzung; schon die lateinische Grammatik hatte griech. ntcöaiQ yevixiq unrichtig wiedergegeben. Die Bedeutung und Funktion des Genitivs als ursprüngliche Bezeichnung des Vatersnamens ist selbst Adelung nicht recht klar geworden. Er ist für ihn „der schwerste und weitläufigste Fall, weil er unter allen nur am dunkelsten empfunden werden konnte, und daher auch in allen Sprachen der verwickeltste ist." 1 Klopstock erklärt seine auf den ersten Anblick rätselhaft erscheinende Neubildung wie folgt: ,,.. .es ist offenbar Verkürzung, wenn man z. E. der Zweig des Baumes sagt. Denn könte man nicht so umenden: so müste man sagen: Der Zweig, den der Baum hat, der auf dem Baume wächst, oder welche verlängernde Redensart man sonst wählen wolte . . . " Doch behält er diese Bezeichnung später nicht bei. Über „Kürzendnis", das einmal in den „Gesprächen" auftaucht 2 , hat er sich schließlich zu der Bezeichnung mit Zahlen bekehrt, so daß er den Genitiv wie Gottsched „zweite Endung" 3 , oder seiner schon erwähnten Neigung gemäß, „zweite Endniß" nennt 4 . Die Bezeichnung mit Zahlen fand sehr früh Eingang in die deutsche Grammatik: schon 1619 gebrauchte Helwig in seinen „Sprachkünsten" die Ausdrücke „Erstfall" bis „Sechstfall", und Antesperg unterscheidet den „1.—4. Wortfall". 5 Noch heute ist dieses System in der deutschen Grammatik üblich. 6 D a t i v = A b z w e c k u n g (VIII286). Allgemein wird der Dativ im 17. Jahrhundert mit „Gebendung" übersetzt. Als einzigen Anhaltspunkt für den Klopstockischen Terminus wäre Brinckens „Zweck = Fall" (1746) in Betracht zu ziehen7. Die „Abzweckung" ist ebensowenig wie die „Verkürzung" in den „Grammatischen Gesprächen" mehr zu finden; an ihre Stelle ist „Zweckendniß" oder „dritte Endniß" 8 getreten. Demnach vollzog sich hier der gleiche Vorgang wie beim Genitiv. A k k u s a t i v = B e h a n d l u n g (VIII 286). Diesem Terminus ist KLlopstock ebenfalls nicht lange treu geblieben; er kommt nur einmal in seiner „Gelehrtenrepublik" vor. Neben der Benennung nach Zahlen 9 , die er auch für 1

Adelung, Sprachlehre S. 121. Klopstocks Werke I X 138. 8 Ebd. 408. 4 Ebd. 132. 6 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 53. 6 Die altindische einheimische Grammatik zählt auch die Kasus; vgl. W. D. Whitney, Sanskrit Grammai. Cambridge (Mass.) u. London 1950, § 266a. 7 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 53. 8 Klopstocks Werke I X 76 u. 78f. 9 Ebd. 78 f. s

Klopstock als Sprachreiniger

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die übrigen Kasus gebraucht und die beim Nominativ wohl nur durch Zufall nicht belegt ist, taucht die Bezeichnung „Wirkendniß" in den „Gesprächen" auf 1 . Auch sie findet sich bei keinem Vorgänger; hier war es üblich, den lateinischen Terminus durch „Klagendung" zu übersetzen. Daß dieser eine nur scheinbar wörtliche Entsprechung des griechischen nx&aiQ ahiaxixrj darstellt, in Wirklichkeit aber casus effectivus lauten müßte, war damals noch unbekannt. Klopstocks „Wirkendniß" hat durch den Sieg des Zahlensystems und der lateinischen Terminologie keine Beachtung gefunden 2 . Klopstock führt nur diese vier Kasus auf, während noch Gottsched den Vokativ und Ablativ als „fünfte und sechste Endung" hinzurechnet. Adelung geht auf dem von Klopstock eingeschlagenen Weg weiter, getreu dem Grundsatze, daß der Grammatiker der Sprache keine Regeln aufzwingen darf, die nicht in ihrem eigensten Wesen angelegt sind. K o n j u g a t i o n = U m b i l d u n g (IX 97 u. 133). Die deutsche Interpretation von „Konjugation" ist sehr verschiedenartig. Gottscheds „Abwandelung" ist gewissermaßen als Kontamination von Schottels und Stielers „Zeitwandelung" und Antespergs „Abänderung" zu betrachten 3 . Klopstock schließt sich nicht an diese Vorgänger an. Seine „Umbildung" ist zusammen mit „Umendung" als deren Gegenwort entstanden. k o n j u g i e r e n = u m b i l d e n (VIII 261). Konjugation und konjugieren werden von Adelung nicht übersetzt, da sie nach seiner Meinung um der allgemeinen Verständlichkeit willen vor den entsprechenden, das Wesen der Sache nicht treffenden deutschen Kunstwörtern den Vorzug verdienen 4 ; sie haben sich als lateinische Termini ohne gute deutsche Übersetzung um so leichter behaupten können. Ist man gelegentlich einer Definition gezwungen, zu einem deutschen Terminus zu greifen, so wird es in keinem Falle Klopstocks „Umbildung" sein. G e n u s v e r b i == F o r m d e s Z e i t w o r t e s (IX 98). Dieser lateinische Terminus war von den deutschen Grammatikern vor Klopstock auf zweierlei Weise wiedergegeben worden: „Bedeutung" versuchten Gueintz, Schottel und Bödiker im 17. Jahrhundert, während man sich im 18. Jh. für die Verdeutschung „Gattung" entschloß, die bei Antesperg und Gottsched anzu1

Klopstocks Werke I X 76. Vermutlich hat Klopstock gleichzeitig mit dem Übergang von „Behandlung" zu „Wirkendniß" die Bezeichnung „Wirkung" für den Nominativ abgelegt; doch kommt dieser Kasus in seinen sprachwissenschaftlichen Schriften nicht vor. 3 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 54. „Abwandelung" für „Deklination" hat schon Schottel (1641). 4 Adelung, Umst. Lehrgeb. I S. 761. 2

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treffen ist 1 . Nur einmal wird „Genus verbi" bei Stieler mit „Art" übersetzt, was unter den noch heute schwankenden deutschen Entsprechungen die häufigste ist. Klopstocks „Form" lebt bei Adelung fort und ist in der modernen deutschen Terminologie noch in „Tatform" und „Leideform" für Aktivum und Passivum zu finden. A k t i v u m = kurze Form des Z e i t w o r t e s (IX 98). In der Verdeutschung von lat. „Aktivum" sind noch die Grammatiker des 18. Jahrhunderts sehr ungeschickt gewesen. Durch umständliche Umschreibungen war man bemüht, die Funktion des Tuns oder Wirkens zum Ausdruck zu bringen2. Doch ist Gottscheds „thätige Gattung" immer noch treffender als Klopstocks „kurze Form", die nur die äußere Form berücksichtigt und entgegen seinen früher beobachteten Bestrebungen die inhaltliche Seite völlig außer acht läßt. Dieses auffällige Abweichen vom Prinzip erklärt sich aus Klopstocks Anschauung des Passivs: P a s s i v u m = lange Form des Z e i t w o r t e s (IX 98). Auch hier wandelt Klopstock nicht auf gebahnten Wegen. Seine Vorgänger hatten dem Tun und Wirken das Leiden gegenübergestellt, so auch noch Gottsched der „thätigen Gattung" die „leidende".3 Klopstock weist jedoch nach, daß im Deutschen ein Passivum im Grunde gar nicht vorhanden sei: „Denn man Haue den Baum um, oder er Werde umgehaun: so drücket Hauen die Handlung aus, und der Baum ist das, worauf gewirkt wird." Er hält es für eine „verunglückte Vergleichung", wollte man vom Leiden des Baumes sprechen4. Daraus erklärt sich auch Klopstocks Bezeichnung einer „kurzen und langen Form des Zeitwortes": beide drücken H a n d l u n g aus und können deshalb nicht nach ihrem „Tun und Leiden" voneinander unterschieden werden. Auch Adelung spricht dem Deutschen die Form des Passivums ab; doch gibt er zu, daß es durch Umschreibung sehr wohl gebildet werden könne5. Klopstocks Anschauung hat demnach in der späteren deutschen Grammatik keine Nachfolge gefunden; damit gerieten auch seine beiden Termini in Vergessenheit. T r a n s i t i v u m = zweiförmiges Zeitwort (IX 98). Diesen Terminus haben nur sehr wenige Grammatiker vor Klopstock übersetzt, und auch dann nur unsicher und tastend. Bei Stieler ist es das einzige unübersetzte lateinische Wort6! Meist fehlt jedoch der Oberbegriff völlig, wie denn auch 1 2 3

Leser, Fachwörter a. a. O., S. 59. Ebd. Gottsched a. a. O., S. 289.

4 6 6

Klopstocks Werke I X 96. Adelung, Sprachlehre S. 258. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 60.

Klopstock als Sprachreiniger

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bei Gottsched nur von „drey Gattungen" die Rede ist: „Wir haben also nunmehr Zeitwörter d r e y e r G a t t u n g e n (trium generum); erstlich t h ä t i ge, (activa) 2) l e i d e n d e , (passiva) und 3) m i t t l e r e , (neutra.)" 1 Klopstocks Bezeichnung „zweiförmig" stellt den Oberbegriff über die „kurze und lange Form" dar, und daraus erklärt sich auch diese äußerliche Bildung. Adelung nennt nur den lateinischen Fachausdruck, der bis heute keine gute deutsche Entsprechung gefunden hat 2 . I n t r a n s i t i v u m = e i n f ö r m i g e s Z e i t w o r t (IX 98). Ein passender deutscher Ausdruck wollte sich auch hier lange nicht finden lassen; man behalf sich größtenteils mit solchen umständlichen Umschreibungen wie Antespergs „keinerleyische Zeitwörter" 3 . Gottsched nennt sie die „mittlere Gattung" und erklärt dies wie folgt: „Es giebt aber noch eine mittlere Gattung (Neutrum), die weder ein Thun, noch ein Lassen, sondern einen gewissen Zustand der Sache andeutet...; und das Merkmal von dieser ist, daß man nicht sagen k a n n : ich werde gesessen, gestanden, gelegen, gereiset,

geschlafen,

gelehet, oder gestorben, sondern ich bin, oder habe."* Klopstocks „einförmiges Zeitwort" ist als Korrelat zur Bildung „zweiförmig" zu verstehen. Adelung spricht dem Deutschen ein intransitives Verbum ab, da es vom Aktivum nicht unterschieden sei; er geht dabei wie beim Passivum von der äußeren Form aus. Dies führt dazu, daß er das Vorhandensein des Genus verbi überhaupt leugnet. Trotzdem findet diese Kategorie bis jetzt in unserer Grammatik ihren Platz. P r ä s e n s = j e t z i g e Z e i t (IX 184). s. u. „Partizipium praesentis activi." I m p e r f e k t = j ü n g s t v e r g a n g e n e Z e i t (VIII 167). Klopstocks Vorgänger spalten sich in zwei Lager: „unvollkommene Zeit" für „Imperfekt" übersetzen wörtlich Gueintz, Beilin und Antesperg, „fastvergangene Zeit" ebenfalls Gueintz, Schottel und Stieler. Klopstock aber übernimmt den von Gottsched geprägten Terminus „Die jüngst vergangene (praeteritum imperfectum)". 5 Er findet sich auch noch bei Adelung: „Allein die Deutschen sind in Bestimmung der Verhältnisse an dem Verbo sehr sparsam gewesen, daher sie eigentlich nur zwey Zeiten haben, die gegenwärtige nämlich und die jüngst vergangene, die übrigen aber durch Umschreibung bilden." 6 1

Gottsched a. a. O., S. 290. Adelung, Sprachlehre S. 257f. 3 Leser s. o. S. 60. 4 Gottsched S. 289f. 5 Gottsched, Deutsche Sprachkunst, Leipzig 1752 steht dafür „Die kaum vergangene" (289). 6 Adelung, Sprachlehre S. 259. 2

2

1749, S. 262. In der 3. Aufl. von

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Außerdem gebraucht Klopstock späterhin auch den Ausdruck „vorige Zeit"; doch scheint er hierunter nicht speziell das Imperfekt zu verstehen, wie aus der Gegenüberstellung zur „jetzigen Zeit" hervorgeht1. Dasselbe gilt für die „neuliche Zeit" als Entsprechung des allgemeineren Begriffes „Praeteritum" (s. u. „Partizipium praeteriti passivi"). P e r f e k t = lang vergangene Zeit (VIII 167). Die Wiedergabe des Perfektums durch „vergangene Zeit" im 17. Jahrhundert schien Gottsched nicht deutlich genug. Er setzte an seine Stelle „Die völlig vergangene (praeteritum perfectum)"2. Klopstocks „lang vergangne Zeit" scheint unabhängig von ihm entstanden; doch ist auch diese Bezeichnung sachlich unrichtig und trifft nicht das Wesen des deutschen Perfektums. Hier läßt sich leicht Gottscheds Einfluß vermuten, wenn man dessen Übersetzung des Plusquamperfektums als „längst vergangene Zeit"3 mit in Betracht zieht. Wäre diese Form bei Klopstock belegt, dann dürfte sie wohl ganz ebenso lauten. F u t u r u m = k ü n f t i g e Zeit (IX 185). s. u. „Partizipium futuri passivi". I n d i k a t i v = a n z e i g u n g s w e i s e (VIII 170). Dies ist nicht Klopstocks eigener Terminus, sondern er führt ihn als Beispiel für ein Kunstwort der lateinischen Grammatiker und ihrer Nachsprecher an. Tatsächlich findet sich „anzeigungsweise" im 17. Jahrhundert fast durchgängig in den deutschen Grammatiken und wenig verändert auch bei Gottsched: „die anzeigende Art der Zeitwörter."4 Klopstock mißbilligt zwar diese wörtliche Übersetzung des nach seiner Ansicht ziemlich weit hergeholten lateinischen Ausdrucks, setzt aber keinen besseren an seine Stelle, da er die Bezeichnung der Modi beim Verbum für durchaus entbehrlich hält: „Wenn ich es nicht für überfliessig hielte, bei dem Zeitworte, außer dem Begriffe der Zeit, noch etwas anders zu bestimmen; so würde dieses Andre dasjenige nicht seyn, was die lateinischen Grammatiker und ihre Nachsprecher gewählt haben." Die Nachwelt hat ihm nicht zugestimmt; noch heute sind die Modi in jeder deutschen Schulgrammatik zu finden, ohne als „überflüssig" empfunden zu werden. Das vom Indikativ Gesagte gilt in gleichem Maße für den Konjunktiv, Imperativ und Infinitiv. 4.

Wortbildungslehre

Stamm (VIII 105). Mit diesem Terminus beschreitet Klopstock den von den Vorgängern klar vorgezeichneten Weg. „Stamm" als Entsprechung von radix war schon dem 17. Jahrhundert geläufig und dort zu einer gewissen 1 2

Klopstocks Werke I X 184. Gottsched a. a. O., S. 289.

3 4

Ebd. Ebd. S. 291.

Klopstock als Sprachreiniger

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Erstarrung gelangt 1 . Eine Definition findet sich jedoch in Klopstocks Werken nicht. S t a m m w o r t (VIII 266; I X 104 u. 108). Die Bezeichnung „Stammwort" ist seit 1641 in jeder puristischen und nichtpuristischen Grammatik zu finden; Schottel übersetzt damit Thema, Radix 2 . Dieses Kunstwort hat sich, ähnlich wie „Stamm", bis ins 18. Jahrhundert hinein unangefochten behaupten können. Für Klopstock besteht ein „Stammwort" aus lauter Stammbuchstaben, so daß man keinen Buchstaben absondern kann, ohne daß das Wort aufhört, ein jetziges oder ehemaliges zu sein. „Nicht alle Stamwörter haben Hauptbegriffe ; aber alle Hauptbegriffe werden durch Stamwörter (oder Stamsylben) ausgedrückt." Der zu Klopstocks Zeit so gebräuchliche Ausdruck „Stammwort" findet sich noch bei Campe für „Verbum primitivum" 3 ; doch hat die Klärung der Begriffe „Stamm" und „Wurzel" ihn im 19. Jahrhundert in den Hintergrund gedrängt. Die moderne deutsche Grammatik kennt dafür den Terminus „Grundwort".4 P r i m i t i v u m = e r s t e s S t a m m w o r t (IX 108). Nachdem Gueintz die Radices als „Ursprungswörter" bezeichnete, findet sich bei den späteren Grammatikern als häufigste Entsprechung „ursprüngliches Wort", so auch bei Schottel und Stieler. Dagegen übersetzten Schottel, Bödiker und Gottsched den lateinischen Terminus einfach als „Stammwort". 5 Nach Klopstocks Auffassung enthält das „erste Stammwort" den allgemeinen Begriff; die anderen verwandten drücken einzelnes aus, wie er an dem Beispiel Beis-en (sich erheben, aufspringen) gegenüber dem Ausdruck des einzelnen in Ras-en, Reis, Reis-e veranschaulicht. Ein Nachleben war dieser Klopstockschen Prägung nicht beschieden. S t a m m s i l b e (VIII 195). Schon in Gottscheds „Deutscher Sprachkunst" wird von der „Stammsyllbe der Zeitwörter" gesprochen, die er im Imperativ zu sehen glaubt 6 . Klopstock versteht darunter Silben, die den Hauptbegriff haben und, allein genommen, W ö r t e r sind (z. B. Furcht in furchtbar), 1

Leser, Fachwörter a. a. O., S. 70. Ebd. 3 Campe, Verdeutschungswörterbuch a. a. O., S. 497. 4 J. B. Hofmann u. H. Rubenbauer, Wörterbuch der grammatischen Terminologie, Heidelberg 1950, S. 53. 5 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 70f. „Ursprüngliches Wort" ist zuerst bei Ratke (um 1630) für „Primitivum" belegt. 6 Gottsched a. a. O., S. 306. 2

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während die Ableitungssilben Träger des Nebenbegriffes und (außer den Präpositionen) keine Wörter sind (bar in fruchtbar). Außerdem unterscheidet er zwischen Haupt- und Nebenstammsilben: „Die Stammsylben sind entweder Hauptstammsylben, als beide in Bergschloß; oder eine ist Nebenstammsylbe, als die erste in Allmacht, und die letzte in Trostvoll."1 Adelung spricht dagegen nur von Stammwörtern, die er übrigens von den „Wurzelwörtern" unterscheidet2; im 19. Jahrhundert hat sich die „Stammsilbe", nachdem sie noch wiederholt in Bopps Schriften auftaucht, allmählich aus der deutschen grammatischen Fachsprache verloren, die heute im wesentlichen nur die Ausdrücke „Stamm" oder „Stammform" kennt. S t a m m b u c h s t a b e (IX 104). Auch diesen Terminus fand Klopstock bereits bei Gottsched vorgebildet: „Alle Stammbuchstaben, die den Wurzelwörtern eigen sind, müssen in allen abstammenden beybehalten werden."3 Klopstock hatte, wie wir bereits sahen, darunter Buchstaben verstanden, die so unlösbar mit dem Stammworte verbunden waren, daß die Existenz dieses Wortes ohne sie nicht länger möglich sein konnte. Bei Adelung finden wir jedoch die „Stammbuchstaben" ebensowenig wie in der modernen deutschen Grammatik. Wurzel (IX 342). In der vorgottschedischen Grammatik werden „Wurzel", „Stammwort" und „Primitivum" noch gleichwertig verwandt4. Eine ähnliche Verwendung liegt auch bei Klopstock vor, obwohl „Wurzel" schon bei Bellin (1657) im heutigen spezialisierten Gebrauch verstanden werden muß. A b l e i t u n g (VIII 195). Hier handelt es sich wieder um einen bei allen namhaften Grammatikern von Schottelius bis Gottsched belegten Terminus. Klopstock unterscheidet die „Ableitung in engerm Verstände" (Strom — strömen, Geist — geistig) von der „in weiterm Verstände" (fliehn — entfliehn); er rechnet demnach die Präfixkomposita mit unter die Ableitungen, wie dies nach ihm auch noch Adelung getan hat: „Durch die Ableitung werden Nebenbegriffe an das Wurzelwort geknüpft, und dadurch neue Wörter gebildet. 1

Klopstocks Werke I X 105. „Ein vermittelst dieser Ableitungssylben seinen Nebenbegriffen nach bestimmtes Wurzelwort, heißt ein abgeleitetes oder abstammendes Wort, so wie jenes in Rücksicht desselben das Stammwort genannt wird. Nicht alle Wurzelwörter sind zugleich Stammwörter; aber auch nicht jedes Stammwort ist deswegen ein Wurzelwort, weil auch von einem abgeleiteten Worte neue Ableitungen gemacht werden können." (Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 43). 3 Gottsched a. a. O., S. 66. Erster Beleg für „Stammbuchstabe" bei Schottel (1641). 4 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 71. 2

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Es geschiehet durch Anhängung gewisser Laute und Sylben, welche Ableitungslaute und Ableitungssylben genannt werden, und von gedoppelter Art sind. Einige werden dem Worte vorgesetzt und heißen Vorsylben, andere werden demselben am Ende beygefügt, und heißen Nachsylben." 1 Noch heute ist der Ausdruck „Ableitung" in der deutschen Wortbildungslehre ein ebenso geläufiger Fachterminus wie zu Klopstocks Zeit, wenn wir auch jetzt die „Ableitung" mit Hilfe von Präfixen gewöhnlich unter die Komposition rechnen. 2 a b l e i t e n (IX 104; 391). Das Verbum ist ebenso häufig wie das Nomen in der deutschen Grammatik anzutreffen. Klopstock spricht vorzugsweise von „abgeleiteten Wörtern." D e r i v a t i v u m = a b g e l e i t e t e s W o r t (IX 104). Schon Schottel spricht 1641 von „abgeleiteten Wörtern"; der Terminus findet sich später auch bei Stieler und Gottsched 3 . Hören wir Klopstocks Definition: „Ich nenne die einsylbigen abgeleiteten Wörter, wie Schuld und Queck, vermehrte; die mehrsylbigen nenne ich vorzugsweise abgeleitete." Adelung stellte, wie wir bereits bei einer Erklärung des Begriffes „Stammwort" gesehen haben, dem „Wurzelwort" das „abgeleitete oderabstammende Wort" gegenüber, das mit Hilfe von Ableitungssilben aus jenem gebildet wird; die Unterabteilung der „vermehrten Wörter" im Sinne Klopstocks kennt er jedoch nicht, da er die sogenannten „dunkelen Wurzellaute" (Klopstocks „Ableitungsbuchstaben") mit zu den Ableitungssilben zählt 4 . Campe schlägt 1813 „abgeleitete Wörter" als Verdeutschung für „derivata" vor 5 , doch zieht die moderne grammatische Fachsprache den prägnanteren, zu Klopstocks Zeit nur als Entsprechung für „Derivation" gebrauchten Ausdruck „Ableitung" vor. A b l e i t u n g s s i l b e (VIII 195f.). Diesen Terminus kennt die deutsche Grammatik vor Klopstock nicht, die als häufigste Entsprechung den Ausdruck „Hauptendung" verzeichnet; Stieler hat ihn, wie so viele andere grammatische Fachwörter, von Schottel übernommen, und auch bei Bödiker und Antesperg findet er sich 6 . Dagegen spricht Bödiker in seinen „Grundsätzen" (1709) einmal von einer „Sylbe oder Endung der Ableitung 1

Adelung, Sprachlehre S. 38. W. Henzen, Deutsche Wortbildung, Halle 1947, S. 98. 3 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 72f. 4 Adelung, Sprachlehre S. 39. 6 Campe, Verdeutschungswörterbuch S. 256. • Leser s. o. S. 76f. 2

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(Terminatio derivandi vel derivatorum)" 1 , so daß man hierin einen Ansatzpunkt für die Klopstocksche Bildung sehen könnte. Klopstock sieht in den „Ableitungssilben" (im Gegensatz zu den Stammsilben) die Träger des „Nebenbegriffes", die, allein genommen, keine selbständigen Wörter sein können, obwohl sie ursprünglich aus solchen entstanden sind und erst im Laufe der Zeit ihre Selbständigkeit eingebüßt haben 2 . Er unterscheidet v o r a n s t e h e n d e und n a c h s t e h e n d e Ableitungssilben; die voranstehenden sind bald t r e n n b a r , bald u n t r e n n b a r (ausgehn, vergehn). Die trennbaren Ableitungssilben bestehen aus „Richtungen" (Präpositionen) und kommen deshalb — im Gegensatz zu den untrennbaren — noch als Wort vor 3 . Ein besonderes Steckenpferd Klopstocks ist seine Theorie von den sogenannten d o p p e l s e i t i g e n A b l e i t u n g s s i l b e n , die er bereits in der „Gelehrtenrepublik" behandelt und die später in den „Grammatischen Gesprächen" als m e h r s e i t i g e A b l e i t u n g s s i l b e n wieder auftauchen. Er versteht darunter die Ableitungssilben er, ver, be, ab, ent, aus, auf und an, die, wie er entdeckt zu haben glaubt, ein „zweyfaches Aeusserstes, entweder der Zeit oder des Orts oder auch der Handlung ausdrückten", und fügt hinzu: „Kürzer kann keine Sprache die Begriffe zusammen fassen, als es die unsrige durch die Wörter thut, welche diese Ableitungssylben haben." 4 — Dieser Theorie liegt die richtige Beobachtung zugrunde, daß einige deutsche Präfixe sich nicht auf eine einheitliche Grundbedeutung zurückführen lassen. Es müssen demnach hier verschiedene ursprüngliche Bedeutungen angenommen werden, die z. T. auch durch lautliche Unterschiede bedingt waren, wie dies Behaghel in ähnlicher Weise wie Klopstock an den Präfixen er- und ver- deutlich zu machen sucht 5 , ohne jedoch aus diesen Sonderfällen eine allgemeine Regel abstrahieren zu wollen, mit der Klopstock die Existenz von „doppelseitigen Ableitungssilben" rechtfertigen möchte. Der Terminus „Ableitungssilbe" findet sich nach Erscheinen der „Gelehrtenrepublik" auch bei Mäzke, von dem ihn Fulda übernimmt; Adelung, dem er bereits ganz geläufig ist, gibt sich jedoch den Anschein, als sei diese glückliche Bildung aus seiner eigenen Feder geflossen: ,,. . .diejenigen Fälle" 1

J. Bödiker, Neu-vermehrte Grund-Sätze Der Deutschen Sprachen I m Reden und Schreiben . . . Berlin "1709, S. 273. 2 Klopstocks Werke VIII 195; cf. auch I X 117. 3 Ebd. I X 104. 4 Ebd. VIII 196. 5 Behaghel, Die deutsche Sprache, Halle "1954, S. 205.

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behandelt er 1782 im „Umständlichen Lehrgebäude", „wo man dem Wurzelworte gewisse Laute und Sylben anfügte, einen gewissen Nebenbegriff an demselben auszudrucken, und die wir, weil dadurch ein Wort von dem andern abgeleitet wird, A b l e i t u n g s s y l b e n nennen wollen".1 Unter die Ableitungssilben rechnet Klopstock auch die A b l e i t u n g s wörter (unter in untergehn); „da sie aber keine andre Eigenschaften als die Ableitungssylben haben, so können sie unter dieser Benennung mit begriffen werden".2 Die „Ableitungssilbe" ist bis heute in der deutschen grammatischen Fachsprache ein geläufiger Terminus geblieben. A b l e i t u n g s b u c h s t a b e (IX 112). In seiner „Teutschen Sprachkunst" von 1641 unterscheidet Schottel zwischen „zufälligen, wesentlichen und Stammbuchstaben"; dabei versteht er unter den „wesentlichen Letteren" diejenigen, „worinn ein jedes anderes Wort, so von dem Stammworte entspringet, bestehen muß, als: vortheil, vortheilhafftig, Vnschuld, unschuldig". 3 Ähnlich faßt auch noch Bödiker 1698 unter „Wesentlichen Buchstaben" die Präpositionen, Adverbien und „terminationes derivandi" zusammen4. Diese Bezeichnung würde jedoch Klopstocks Ableitungssilbe entsprechen; unter Ableitungsbuchstaben hingegen versteht unser Dichter etwas anderes als seine Vorgänger unter den „wesentlichen Buchstaben". In dem Gespräch über die Wortbildung (1793) zählt er die einzelnen Ableitungsbuchstaben auf, welche die Begriffe der Worte verändern, und führt Beispiele für ihre Verwendung an: Mögen — Macht, Fahren — Farth, Vernehmen — Vernunft, Können — Kunst. Wörter, die auf diese „Ableitungsbuchstaben" enden, haben die B u c h s t a b e n e n d u n g 6 , welche eine Vermehrung der einfachen Wörter zur Folge hat. Die auf diese Weise gebildeten einsilbigen abgeleiteten Wörter hat Klopstock, wie wir bereits sahen, vermehrte Wörter, die durch die Ableitungssilben entstandenen mehrsilbigen Wörter hingegen „vorzugsweise a b g e l e i t e t e " genannt6. Diesen Unterschied zwischen Ableitungsbuchstaben und Ableitungssilben und den ihnen entsprechenden vermehrten und abgeleiteten Wörtern 1

Adelung, Umst. Lehrgeb. I S. 216. Daß sich Adelung trotzdem hier auf Klopstocks Formulierung stützt, scheint mir aus seiner Verwendung des Wortes „Nebenbegriff", der auch bei Klopstock in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt, deutlich hervorzugehen. 2 Klopstocks Werke V I I I 195. 3 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 76f. 4 Ebd. S. 77. 6 Klopstocks Werke V I I I 193. 6 Ebd. 192f. und I X 104.

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haben spätere G r a m m a t i k e r nicht von Klopstock angenommen. Adelung h a t zwar eine besondere Bezeichnung — wenn auch keinen festen Terminus! — f ü r die sogenannten Ableitungsbuchstaben: er spricht in diesem Zusammenhang von „dunkelen oder u n b e s t i m m t e n Wurzellauten", aber er f ü h r t sie mit u n t e r den „Ableitungssilben" a n 1 . D a ß es sich bei den meisten dieser Ableitungsbuchstaben u m ursprüngliche Suffixe handelt, deren Bedeutungsgehalt verblaßt u n d deren L a u t k ö r p e r so sehr zusammengeschrumpft ist, d a ß das Ableitungsverhältnis nicht mehr klar zutage t r i t t 2 , ist zu Klopstocks Zeit demnach noch nicht e r k a n n t worden. F l e x i o n s e n d u n g = V e r ä n d e r u n g s s i l b e ( V I I I 261). I m Gegensatz zu den Ableitungssilben versteht Klopstock u n t e r den „Veränderungssylben" diejenigen, durch welche umgeendet u n d umgebildet (d. h. dekliniert u n d konjugiert) wird. „Die Ableitungssylben drüken Begriffe aus, die sich gewissermaßen den Hauptbegriffen n ä h e r n ; aber die Veränderungssylben drüken völlige Nebenbegriffe a u s . " 3 Klopstock h a t sich diesen Terminus neu geschaffen, da er in der grammatischen L i t e r a t u r wenig Brauchbares vorfand. Schottel bezeichnete die Flexionsendungen als „Zufällige Letteren, welche in den Zahlendungen, Abwandelungen, u n d Zeitwandelungen geb r a u c h t werden, als: vortheilhafftiges Wesen. Unschuldiger Mensch". Bei Stieler t a u c h t daneben die Wendung „zufällige E n d u n g e n " auf, die sich noch 1749 bei Antesperg findet4. Klopstocks „Veränderungssylbe" ist ohne Frage allen diesen Versuchen seiner Vorgänger vorzuziehen, handelt es sich doch hier u m einen fest geprägten Terminus, der, da Klopstock die Flexion „ W o r t ä n d e r n i s " nannte, unserer „Flexionsendung" sinngemäß entspricht; doch wie die „Wortändernis" h a t sich auch die „Veränderungssylbe" gegenüber der wieder auflebenden lateinischen Bezeichnungsweise nicht behaupten können. V e r ä n d e r u n g s b u c h s t a b e ( I X 386). Wie Klopstocks Ableitungssilbe der Ableitungsbuchstabe, so entspricht der Veränderungssilbe folgerichtig ein Veränderungsbuchstabe. Auch hier wieder meint er im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die m i t den „zufälligen L e t t e r e n " die ganze Flexionsendung bezeichneten, wirklich die einzelnen Buchstaben, welche zur Veränderungssilbe, also nicht wie die S t a m m b u c h s t a b e n zum W o r t s t a m m gehören, wie aus dem a n g e f ü h r t e n Beispiel des h u n d e in si-het deutlich wird 5 . 1 2 3 1 s

Adelung, Sprachlehre S. 39ff. W. Henzen a. a. O. S. 113. Klopstocks Werke VIII 269. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 77. Klopstocks Werke I X 386.

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Dem „Veränderungsbuchstaben" war in der Folge dasselbe Schicksal wie der „Veränderungssilbe" beschieden1. E n d u n g (IX 116). Klopstock verwendet hier einen seit Ickelsamer (1534) und Ratke neben „Endigung" allgemein gebräuchlichen, feststehenden Terminus, der bis heute unangefochten in der deutschen grammatischen Fachsprache fortlebt. In der Bedeutung „Kasus" tritt uns, wie bereits bei dieser Gelegenheit hervorgehoben, die Form „Endniß" entgegen, die sich auch im Kompositum findet: Stammendnis2. Wie jedoch nicht anders zu erwarten, hat dieser unglückliche Versuch, von einer bereits so gefestigten Tradition abzuweichen, nicht zur Nachfolge verleiten können, so daß Klopstock mit seiner Neuerung — wie überhaupt mit seiner merkwürdigen Vorliebe für das Abstraktsuffix -nis statt -ung bei seinen terminologischen Neubildungen — allein steht. P r ä f i x = A n f a n g s s i l b e (IX 62). Dieser Terminus war umständlicher als das kurze, dem Lateinischen entsprechende Fachwort Vorsilbe, das sich statt dessen bei fast allen früheren Grammatikern findet3. Warum Klopstock hier zu einer anderen Bezeichnungsweise gegriffen hat, ist nicht recht einzusehen; vielleicht sah er sich durch die Verwendung des Ausdrucks „Endsilbe" gezwungen, diesem eine „Anfangssilbe" gegenüberzustellen, war er doch sorgfältig darauf bedacht, seine Termini zueinander in logische Beziehung zu setzen. Adelung hat dagegen den Gottschedschen Ausdruck beibehalten4, den auch noch Campe für die beste Verdeutschung von „Praefixum" hält 5 und der sich noch in unseren Tagen neben dem gebräuchlicheren lateinischen Fachwort behauptet. S u f f i x = E n d s i l b e (VIII272). Von allen Vorgängern Klopstocks hat nur Gottsched eine „Endsilbe" aufzuweisen: „Eine andre große Menge von Wörtern werden durch gewisse Endsyllben gebildet, dadurch die deutsche Sprache die Bedeutung gewisser andern Redetheile bestimmen lehret."6 Sehr wahrscheinlich hat Klopstock diese Bezeichnung von ihm übernommen7. 1

Bei Adelung werden die Veränderungssilben „Flexions- oder Biegungssylben", die Veränderungsbuehstaben „Biegungslaute" genannt (Sprachlehre a. a. O., S. 37). 2 Klopstocks Werke I X 119. 3 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 78. 4 Adelung, Sprachlehre S. 38. 5 Campe, Verdeutschungswörterbuch 492 a. 6 Gottsched a. a. O., S. 181. 7 Klopstock kennt auch eine S y l b e n e n d u n g bei Wörtern, die mit einer Ableitungssilbe enden, gegenüber der „Buchstabenendung" durch Ableitungsbuchstaben (VIII 195).

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Das Gegenwort dazu war jedoch bei Gottsched, wie wir schon sahen, die „Vorsilbe", der in den meisten deutschen Grammatiken bis auf Adelung eine Nachsilbe entspricht. Diese Gegenüberstellung finden wir noch bei Campe, der Klopstocks Termini gar nicht in Erwägung zieht 1 ; die neuere deutsche Grammatik spricht dagegen vorwiegend von „Suffixen". K o m p o s i t i o n = V e r e i n u n g (IX 130f.). Dieses „Kunstwort" ist von Klopstock neu gebildet und weder bei Vorgängern noch Zeitgenossen zu finden, war doch mit „Zusammensetzung" bereits ein geläufiger deutscher Terminus vorhanden, der sich, allerdings in ständiger Rivalität mit „Doppelung", bei den meisten bedeutenden Grammatikern findet2. Die „Vereinung" spielt in den „Grammatischen Gesprächen" eine große Rolle, sah doch der Dichter Klopstock in der vorzüglichen Eignung zur Bildung neuer Wörter durch Zusammensetzung eine Eigenschaft der deutschen Sprache, die sie gleichwertig neben die griechische stellte. Im vierten Gespräch über die Wortbildung läßt er zum Beweis die deutsche „Vereinung" mit der griechischen „Harmosis" einen Wettstreit eingehen, nach dem die Griechin die Vereinung als Schwester anerkennen muß3. Sowohl Harmosis als auch die Vereinung setzen Worte zusammen, die Hauptbegriffe ausdrücken; als Beispiele führt die Vereinung Saatkorn, Dunkelroth, Wetterwendisch, Frühjahr, Fruchttragend, Schnelleilend, Vollenden, Lobsingen an.

Klopstock sah in der Komposition ein wichtiges stilistisches Hilfsmittel; besonders häufig gebrauchte er Verbalkomposita zur Steigerung der Dynamik seiner Sprache. Aus dieser Sphäre heraus ist wohl auch das Fachwort „Vereinung" als Gegenstück zu „Harmosis" entstanden. Sein poetischer Anhauch bewahrte es vor weiterer Verbreitung in der strengen grammatischen Fachsprache, die wohl hauptsächlich durch Adelungs und Campes entschiedenes Auftreten der Verdeutschung „Zusammensetzung" treu blieb. z u s a m m e n s e t z e n (IX 130f.). Wenn auch das Verbum seltener in der vorklopstockischen Grammatik auftaucht als die „Zusammensetzung", so ist es doch bei Stieler, Bödiker und Gottsched anzutreffen4. Klopstock hat trotzdem darauf verzichtet, von seiner „Vereinung" ein Verbum abzuleiten, und sich zu dem von diesen Grammatikern vorgebildeten Terminus 1

Campe, Verdeutschungswörterbuch 492 a. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 73f. 3 Klopstocks Werke I X 130 ff. * Leser, Fachwörter a. a. O., S. 74f. Seit 1400 finden sich dafür durchgehende Belege. 2

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bekannt. Diesen einmal eingeschlagenen Weg haben auch Adelung und Campe beibehalten. Z w e i t e s K o m p o s i t i o n s g l i e d = g e s o n d e r t e s W o r t (IX 131). Als häufigste Entsprechung für lat. subiectum finden wir in der deutschen grammatischen Fachsprache von Schottel bis Gottsched die Termini „Grund, Grundwort"; daneben kommt bei Antesperg auch einmal „Fundament" (nach lat. fundamentum) vor 1 . Klopstock versucht hier wieder eine Neuerung und läßt in den „Grammatischen Gesprächen" die „Vereinung" zu „Harmosis" sagen: „Das gesonderte bezeichnet den Hauptgegenstand. Es muß daher nothwendig mit den andern Worten verbunden werden. Dieß geschieht dadurch, daß es diese verändert, oder durch sie verändert wird. Du setzest es voran; nun finden seine Veränderungen nicht mehr statt: und so reißest du es aus dem Zusammenhange . . . (Wenn man im gemeinen Leben Handwerksmann sagt, so ist Mann das gesonderte Wort; und wenn der Dichter Brautlenzreihn, so ist es Lenzreihn. Es ändert bey der Sache nichts, daß Handwerk, und Lenzreihn zusammengesetzte Worte sind . . .)" 2 Eine Nachfolge hat diese Bezeichnungsweise Klopstocks nicht gehabt. Bei Adelung begegnet uns wieder das „Grundwort": „Die Zusammensetzung geschiehet zunächst in der Absicht, ein Wort und dessen Begriff durch ein anderes näher zu bestimmen, und beyde dadurch zu Einem Begriff zu vereinigen; nicht selten aber auch, vermittelst derselben einen dritten figürlichen Begriff auszudrucken. Dasjenige, welches durch ein anderes bestimmt wird, und welches das G r u n d w o r t heißt, stehet allemahl am Ende, und das bestimmende oder B e s t i m m u n g s w o r t voran." 3 Auch Campe erscheint die Verdeutschung G r u n d w o r t untadelhaft 4 ; trotzdem spricht die moderne deutsche Grammatik meist von einem „zweiten Kompositionsglied" oder auch einfach von einem „zweiten Glied", während „Grundwort", wie wir bereits sahen, heute dem Primitivum entspricht. E r s t e s K o m p o s i t i o n s g l i e d = s o n d e r n d e s Wort (IX 131). Auch diese Eigenprägung Klopstocks fällt aus dem gewöhnlichen Rahmen der grammatischen Fachsprache heraus, wo man den lateinischen Terminus „adiunctum" meist mit „beifügiges Wort", einige Male auch mit „vorgesetztes Wort" (Bödiker) oder „Beysatz" (Antesperg) wiedergab5, ergibt sich aber folgerichtig aus seiner Verwendung des „gesonderten Wortes" für 1 2 3 4 5

Leser, Fachwörter a. a. O., S. 75. Klopstocks Werke I X 136. Adelung, Sprachlehre S. 49. Campe, Verdeutschungswörterbuch S. 572a. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 75.

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das zweite Glied. KlopstocksDefinition lautet: „Unter dem sondernden verstehe ich das, durch welches der Begriff des anderen verbundenen Wortes aufhört allgemein zu seyn. Z. E. der Begriff der Sylbe in Verändrungssylbe". Campe hat Adelungs „Bestimmungswort" nicht gebucht, und die moderne deutsche Grammatik kennt nur ein „erstes Kompositionsglied". S i m p l e x = e i n f a c h e s W o r t (VIII 192). Hier beschreitet unser Dichter wieder gebahnte Wege, die vor ihm fast alle Grammatiker von Stieler bis Gottsched eingeschlagen haben. Schon in der „Gelehrtenrepublik" entwickelt er seine Theorie: „Alle e i n f a c h e Wörter sind e i n s y l b i g ; aber nicht alle einsylbige sind einfach. Soll ist einfach und einsylbig; das davon abgeleitete Schuld ist einsylbig, aber nicht einfach. Die von der letzten Art könnte man v e r m e h r t e Wörter nennen. In der Wortbildung werden die Wörter am besten in e i n f a c h e , v e r m e h r t e und m e h r s y l b i g e abgetheilt." Das „einfache Wort" ist auch heute noch die üblichste Entsprechung des Terminus „Simplex" in der deutschen grammatischen Fachsprache. K o m p o s i t u m = z u s a m m e n g e s e t z t e s W o r t (IX 104f.). Dieser Terminus kommt schon bei Sattler (1607) vor, wurde aber in der Folgezeit häufig durch „doppeltes Wort" verdrängt, bis er durch Gottsched, von dem ihn wohl Klopstock übernommen hat, allgemeine Geltung erlangte. Auch Adelung behält das „zusammengesetzte Wort" bei, und Campe bucht f ü r „Verbum compositum" dieselbe Bezeichnung 1 , die sich bis heute neben „Kompositum" und „Zusammensetzung" behauptet hat. D i m i n u a t i o n = V e r k l e i n u n g (IX 119). Bei Gueintz und Schottel begegnet uns dafür der Ausdruck „Verminderung" neben „Kleinerung", aber schon Stieler kennt eine „Verkleinerung", wie auch Gottsched die Diminuation nennt 2 . Klopstock hat allein die wohl kürzere, aber ungewohnte Bezeichnung „Verkleinung" einzuführen versucht; doch hat sie weder bei Adelung, welcher dem Gottschedschen Terminus treu blieb 3 , noch in der neueren deutschen Grammatik Anklang gefunden. D i m i n u t i v u m = V e r k l e i n e r u n g s w o r t (IX 416). Um die Mitte des 18. Jahrhunderts trat dieser Ausdruck vereinzelt auf, so bei Antesperg 1749, während die Diminutiva sonst „verminderte oder verkleinerte Wörter" oder auch einfach wie die Diminuation „Verkleinerung" genannt wurden 4 . Klopstock hat sich hier — im Gegensatz zu unserem letzten Beispiel — der 1 2 3 4

Campe, Verdeutschungswörterbuch S. 209b. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 79. Adelung, Sprachlehre S. 42. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 79.

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Tradition angeschlossen, die bis heute in unserer grammatischen Fachsprache fortlebt 1 . K o n t r a k t i o n = Z u s a m m e n z i e h u n g (IX 384). Die „Zusammenziehung der Wörter" taucht zuerst 1682 bei Morhof auf und findet sich später bei Prasch, Bödiker, Chloren und schließlich bei Gottsched 2 . Auch Klopstock hat hier keine Neuerung gewagt, und so finden wir die „Zusammenziehung" noch bei Adelung und Campe als Verdeutschung von „Kontraktion" 3 . 5. Syntax

S y n t a x = W o r t f o l g e (IX 418). Die häufigste deutsche Entsprechung dafür ist in früheren Grammatiken, so bei Ratke (1619), Gueintz, Schottel, Stieler, Bödiker und Gottsched, die „Wortfügung"; daneben finden sich vereinzelt Versuche wie „Wortstellung" (Gueintz) oder „Ordnung der Wörter" (Helwig, Morhof und Prasch) 4 . Wir sehen also, daß Klopstocks Bezeichnung hier wieder völlig abseits steht. In dem Fragment über die Wortfolge gibt er uns folgende Definition: „Die Wortfolge handelt von der Ordnung, in welcher die Wörter, und die trennbaren Sylben bey einander stehn. Die Wörter haben schon durch die Wortänderung 5 Zusammenhang, aber sie können durch ihre Stellung in noch genaueren Zusammenhang kommen. In den beyden alten Sprachen löst die Wortfolge Manches von dem, was die Änderung verknüpft hatte, gleichsam wieder auf." Die Wortänderung hat nach Klopstocks Auffassung die Worte so zu vollenden, wie es der Gedanke erfordert, während die Wortfolge ihnen den rechten Platz anweisen muß 6 . Klopstocks „Wortfolge" fand keinen Eingang in die Fachsprache, vermutlich, weil die „Wortfügung" bereits so gebräuchlich war, daß sie nicht mehr verdrängt werden konnte. Sie findet sich daher auch wieder bei Adelung: „Die . . . einzelnen, d.i. einfachen so wohl, als zusammen gesetzten Wörter sind um deswillen da, damit sie zu einer zusammen hangenden Rede verbunden werden können. Wie solches geschehen muß, lehret der S y n t a x oder der R e d e s a t z , die W o r t f ü g u n g 7 . " So begegnet uns dieser 1

Hofmann—Rubenbauer a. a. O., S. 24. Leser, Fachwörter a. a. O., S. 79. 3 Campe, Verdeutschungswörterbuch S. 222 b. 4 Leser, Fachwörter a. a. O., S. 82. 6 Gemeint ist hier wohl der innere Bedeutungszusammenhang der Wörter durch die Flexion. 6 Klopstocks Werke I X 179. ' Adelung, Sprachlehre S. 330. 2

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Terminus auch noch bei Campe 1 und hat sich bis heute unter den deutschen grammatischen Kunstwörtern behaupten können. Damit bin ich am Ende meiner Aufzählung der von Klopstoek gebrauchten deutschen Termini. Überblicken wir sie noch einmal, so ergibt sich folgende Gliederung: 1. Deutsche Termini, die schon vor Klopstoek vorhanden und zu seiner Zeit allgemein gebräuchlich waren, aber im 19. Jahrhundert aus der grammatischen Fachsprache verdrängt worden sind. Zu dieser Gruppe gehören: Diphthong Doppellaut Beiwort Adjektiv Hilfsverbum Hülfswort Futurum künftige Zeit Nebenwort Adverb Singular Einheit Endung Kasus Genitiv zweite Endung Imperfekt jüngstvergangene Zeit Stammwort Radix Stammbuchstabe Derivativum abgeleitetes Wort Kontraktion Zusammenziehung 2. Von Klopstoek neu gebildete Termini, die in der deutschen grammatischen Fachsprache nicht heimisch geworden sind: Semivokal Zwischenlaut b e s t i m m t e r Umlaut Umlaut Ablaut u n b e s t i m m t e r Umlaut Substantiv Benennung Artikel Bestimmungswort Wechselwort Partizip Präsens jetzige Zeit Präteritum neuliche Zeit Präposition Beziehung Konjunktion Verhältnis Interjektion Ausruf Partikel Zuwort Flexion Wortändernis 1

Campe, Verdeutschungswörterbuch S. 579 a.

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Deklination Plural Neutrum Kasus Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ Konjugation Genus verbi Aktivum Passivum Transitivum Intransitivum Perfektum Primitivum Flexionsendung Präfix Komposition Subjektum Adjunktum Diminuation Syntax

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Umendung Mehrheit geschlechtloses Hauptwort Endnis Wirkung Verkürzung, Kürzendnis,. zweite Endnis Abzweckung, Zweckendnis, dritte Endnis Behandlung, Wirkendnis, vierte Endnis Umbildung Form des Zeitwortes kurze Form des Zeitwortes lange Form des Zeitwortes zweiförmiges Zeitwort einförmiges Zeitwort lang vergangene Zeit erstes Stammwort Ableitungsbuchstabe Veränderungssilbe Veränderungsbuchstabe Anfangssilbe Vereinung gesondertes Wort sonderndes Wort Verkleinung Wortfolge

3. Bereits bestehende Fachausdrücke, die Klopstock von seinen Vorgängern übernahm und die bis heute der deutschen Grammatik geläufig sind: Vokal Konsonant Substantiv Pronomen Verbum Genus Maskulinum Femininum Radix

Selbstlaut Mitlaut Hauptwort Fürwort Zeitwort Geschlecht männliches Hauptwort weibliches Hauptwort Stamm Wurzel

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Derivation derivieren Suffix Simplex Kompositum komponieren Diminutivum

Ableitung ableiten Endung, Endsilbe einfaches Wort zusammengesetztes Wort zusammensetzen Verkleinerungswort 4. Klopstockische Neuprägungen, die von der modernen grammatischen Fachsprache übernommen wurden: Umlaut Ableitungssilbe Vergleichen wir die einzelnen Kategorien, so wird das Übergewicht der ersten beiden Gruppen, welche die heute nicht mehr in Gebrauch befindlichen Termini enthalten, gegenüber den beiden letzten nur zu deutlich. Daraus folgt, daß rund 60% aller von Klopstock verwendeten deutschen Termini für den heutigen Leser seiner grammatischen Schriften ohne besondere Erklärung nicht mehr verständlich sind. Betrachten wir aber nur Klopstocks Neuprägungen, so tritt dieses Mißverhältnis noch deutlicher hervor: den beiden Kunstwörtern „Umlaut" und „Ableitungssilbe" stehen nicht weniger als 38 Bildungen gegenüber, die sich in unserer grammatischen Literatur nicht behaupten konnten! Wohl finden sich einige wenige davon noch bei Adelung und Campe; doch wurden auch sie bald darauf durch eine prägnantere Bildung oder den lateinischen Terminus wieder verdrängt. Und auch der Ausdruck „Umlaut" hat bei den späteren Grammatikern eine Bedeutungsverengerung erfahren. Dies ist der Tatbestand; untersuchen wir nun die Ursachen, warum Klopstocks grammatische Termini so wenig Eingang in die deutsche Fachsprache gefunden haben. 1. Der erste und wichtigste Grund ist wohl, daß Klopstocks Neubildungen oftmals nicht eben glücklich zu nennen sind. Der Fehler, den er an den lateinischen Kunstwörtern rügt, nämlich „weit hergeholt" zu sein, haftet vielen seiner eigenen Schöpfungen an: man denke nur an solche Beispiele wie „Wechselwort", „Verkürzung" oder „Abzweckung". Hier gerade bedarf es umständlicher Erklärungen, die er durch Abschaffung der lateinischen Terminologie zu. vermeiden suchte. Mit diesen begrifflichen Schwierigkeiten aber verbinden die meisten seiner Ausdrücke eine ungeschickte, ja mitunter

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sogar unschöne äußere Bildung, so z. B. seine „Wortänderniß" und „Kürzendniß" oder die „neuliche Zeit" und solche umständlichen und schleppenden Umschreibungen wie die „lange und die kurze Form des Zeitwortes". Der sichere Blick f ü r den kurzen, treffenden Ausdruck, wie ihn später Campe besaß, die nüchterne Sachlichkeit eines Christian Wolff waren ihm offenbar nicht gegeben, trotz aller Mühe, die er sich gab, den Dichter in seinen Prosaschriften zu verleugnen. 2. Hinzu kommt in verschiedenen Fällen Klopstocks mangelnde Konsequenz bei der Durchführung seiner deutschen Terminologie. Dies wird besonders bei Betrachtung seiner Kasusbezeichnungen deutlich. Wie der Dichter sein ganzes Leben lang an seinem sprachlichen Ausdruck arbeitete und unermüdlich am „Messias" und an seinen Oden feilte und besserte, so suchte er auch seine grammatischen Kunstausdrücke, soweit sie ihm nicht gleich beim ersten Wurf geglückt schienen, im Laufe der Zeit durch bessere zu ersetzen. I h m lag es nicht, einen einmal geprägten Ausdruck als fest und unabänderlich zu betrachten, sondern mit Zunahme seiner sprachlichen Kenntnisse und Erkenntnisse suchte er ihn ständig zu verbessern. So kann man beobachten, daß er in der „Gelehrtenrepublik", zu Beginn seiner sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, häufig auf Gottscheds Terminologie zurückgreift, während er in den späteren Schriften zu eigenen Bildungen gelangt, die sich jedoch in den meisten Fällen nicht gegen die übermächtige Schultradition behaupteten. Gegen solche bereits allgemein gebräuchlichen Bezeichnungen wie „Mittelwort" oder „Hauptwort" hat er nichts mehr ausrichten können. 3. Nicht zuletzt aber ist zu berücksichtigen, daß die lateinische Terminologie zur gleichen Zeit wieder zu erstarken begann und selbst in den puristischsten Schriften zur Erklärung der oft unbeholfenen deutschen Ausdrucksweise mit herangezogen werden mußte. So hat auch Adelung die bisher üblichen lateinischen Kunstwörter beibehalten, sooft er sie nicht durch unleugbar bessere zu ersetzen wußte 1 . Trotzdem erreichte die Verdeutschung grammatischer Kunstwörter auch nach Adelung noch einen Höhepunkt in Campes Versuchen. Das 19. Jahrhundert hat sich gegen die deutsche grammatische Terminologie entschieden, vorzüglich durch J A C O B GRIMMS energisches Eintreten f ü r 1

Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. X I I .

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die Beibehaltung der klassischen Fachwörter 1 . Die Vorrede zum „Deutschen Wörterbuch" enthält seine Verurteilung der puristischen Bestrebungen in der grammatischen Fachsprache: „kein gedächtnis mag sie sich einprägen, sie spuken nur in den büchern, die sich selbst durch diese nutzlose neuerung schaden zubereiteten, obgleich der purismus sich immer zuerst auf die Verdeutschung dieser ausdrücke warf, konnte er doch mit seinen vierschrötigen Zusammensetzungen nie etwas ausrichten und die hergebrachten benennungen kehrten jedesmal an ihre stelle zurück; selbst Campe ist genöthigt, sie fast durchweg fortbestehen zu lassen." 2 Aber auch er hat die Stimmen, die eine deutsche grammatische Terminologie forderten, nicht endgültig zum Schweigen bringen können; noch in unseren Tagen dauern die Versuche an, die deutsche Sprachlehre aus den Fesseln der lateinischen Grammatik zu lösen und eine von den klassischen Fachwörtern unabhängige neue grammatische Fachsprache zu schaffen, wie Klopstock es bereits im 18. Jahrhundert — wenn auch ohne bleibenden Erfolg — versucht hat. Mit der puristischen Bewegung der Fremdwortverdeutschung ging — wie dies bereits im 17. Jahrhundert (Zesen) zu beobachten ist — eine reformorthographische Bewegung parallel, deren gemeinsame Wurzeln in dem nationalen Streben nach einer einheitlichen deutschen Hochsprache zu suchen sind. Auch Klopstock hat sich auf beiden Gebieten versucht; wenden wir uns nun seinen Gedanken über eine deutsche Orthographiereform zu. 1 2

Leser, Fachwörter a. a. O., S. 5. J. Grimm, Deutsohes Wörterbuch I, Sp. X X X V I I I .

I I I . KLOPSTOCKS DEUTSCHE

ORTHOGRAPHIEREFORM

Sechs der Bezeichnungen haben die Äthiopier für jeden Laut, die Franzosen fürs E (fabelhaft scheint's und ist wahr) Zweimal die böse Sieben! drei Zeichen für Ef wir. Barbaren Sind Äthiopier nicht nur; Deutsche sind es, wie sie 1 .

A. Die theoretischen Grundlagen der Klopstockschen Reformbestrebungen Es liegt von jeher in der Natur von Sprache und Schrift, daß zwischen beiden eine Inkongruenz besteht, welche besonders in solchen Zeiten problematisch wird, wenn ein Volk im Ringen um nationale Einigung auch eine einheitliche Hochsprache anstrebt. Diese Inkongruenz war in der deutschen Sprache vom Beginn ihrer schriftlichen Fixierung vorhanden, als Mönche wie Otfrid und Notker mit Hilfe der lateinischen Buchstaben die vielfach ganz anders gebildeten deutschen Laute wiederzugeben suchten. Besonders Notker hat auf diese Weise eine Lautschrift angestrebt, welche dem phonologischen Prinzip zufolge das gesprochene Wort mit einer Feinhörigkeit und Folgerichtigkeit zu Papier brachte, die uns noch heute Bewunderung abnötigt. Aber die Sprache bleibt nicht an einem Punkt stehen; als lebendiger Organismus verändert sie sich von Generation zu Generation, und das zumal in Zeiten, wo nur wenige der Schreibkunst mächtig sind und die schriftliche Fixierung zu Gesicht bekommen. Demgegenüber liegt es in der Natur der schriftlichen Überlieferung, konstant zu bleiben. Mit ihrer Hilfe kann ein Augenblick in der Entwicklung des menschlichen Sprechens festgehalten und f ü r spätere Geschlechter aufbewahrt werden. Das Element der mündlichen Rede ist der Augenblick, das der geschriebenen Worte die Dauer. Nur wenn die Schrift konstant bleibt, kann sie ihrer Bestimmung treu bleiben und in die Zukunft wirken; nur wenn sie einheitlich innerhalb einer Nation geschrieben wird, kann sie die engen Lokalgrenzen der Mund1

Klopstocks Werke V 323.

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art überschreiten und in die Ferne wirken. Denn das ist die ursprüngliche Bestimmung der Schrift: die Entfernung zu überbrücken in Zeit und Raum. Bei solcher Beschaffenheit von Sprache und Schrift konnte der phonologische Ausgangspunkt auf die Dauer nicht beibehalten werden. Die Schrift, die ursprünglich Dienerin der gesprochenen Rede war, begann allmählich ihre Eigengesetzlichkeit der Sprache gegenüber geltend zu machen; während die Sprache ihren Entwicklungsgesetzen folgte und sich immer mehr von dem in der Schrift festgehaltenen Stand entfernte, vermochte das geschriebene Wort nicht nachzufolgen und löste sich von ihr. Im Bewußtsein der Menschen begann sie damit zum selbständigen Objekt zu werden und in ihrem Denken eine Rolle zu spielen, wenn auch noch bis ins 18. Jahrhundert der Unterschied zwischen Laut und Buchstaben oft sehr unklar empfunden wurde. Die Folge dieses Loslösungsprozesses ist ein immer deutlicher ins Auge fallendes Mißverhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. An einem gewissen Punkt der Entwicklung erscheint dieses Mißverhältnis, das sich auf der einen Seite durch einen Mangel an Buchstaben, auf der anderen durch deren Überfluß zu erkennen gibt, unerträglich, und seine Beseitigung wird besonders in Zeiten literarischer Blüte zur nationalen Forderung erhoben. Sie kann jedoch nur durch eine bewußte und absichtliche Veränderung des altgewohnten Schriftbildes geschehen. Im Gegensatz zu der Entwicklung der gesprochenen Sprache, die sich allmählich und für die Sprecher unmerklich vollzieht, kann die Orthographie nur sprungweise nachfolgen. Solche von Zeit zu Zeit erfolgende gewaltsame Anpassung des Buchstabens an den veränderten Laut aber verträgt sich schlecht mit dem Gesetz der Einheitlichkeit in der Orthographie; hier gerät das Prinzip der Schrift, die Fernwirkung mittels Stetigkeit und Einheitlichkeit, in Widerspruch zu dem Prinzip, das notwendig einer jeden Lautschrift zugrunde liegt: jeden gesprochenen Laut so getreu wie möglich durch das Schriftbild wiederzugeben. So hat jede orthographische Reform zwei Seiten: sosehr auch die Erhaltung der Einheit wünschenswert erscheint, muß sie doch eine Erstarrung der Schreibweise verhüten, zu der sie sich mit Hilfe der Analogie, Etymologie und beharrlichem Festhalten an der Tradition durcharbeitet. Die Schrift ist nicht Selbstzweck, sondern sie dient der möglichst leicht verständlichen Fixierung unseres Denkens, die aber bei jeder Lautschrift erreicht wird durch die schriftliche Wiedergabe der Sprachlaute. Damit hat sie zwei Herren zugleich zu dienen; denn die Verständlichkeit wird nur garantiert durch möglichste Konstanz des einmal geprägten Wortbildes;

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aber das phonologische Prinzip kann nur bei gewaltsamer, ruckartiger Veränderung der Schreibweise aufrechterhalten werden. I n dieser zwiespältigen Situation befindet sich jeder, der eine Reform der Orthographie anstrebt. An Versuchen dazu hat es in Deutschland schon seit Einführung der Druckerpresse nicht gefehlt. Bezeichnenderweise waren es zuerst meist Schulmeister, die auf die veraltete Schreibweise aufmerksam machten; denn gerade beim Leseunterricht, wo man beim Buchstabieren naturgemäß auf das ursprüngliche phonologische Prinzip zurückgreifen mußte, erschienen die historischen Relikte überflüssig und unverständlich, und der Gedanke einer Orthographiereform lag nahe. So beklagte auch der bekannteste und zweifellos bedeutendste unter den frühen deutschen Grammatikern, der Schulmeister VALENTIN ICKELSAMER, schon 1 5 2 7 in der „Rechten weis auffs kürtzist lesen zu lernen" die Mängel der damaligen Schreibweise, die er mit scharfem Blick beobachtet hatte, obwohl er eine Orthographiereform f ü r aussichtslos hielt 1 . Der Ruhm des Begründers der orthographischen Reformbestrebungen in Deutschland gebührt nach Virgil Moser MICHAEL BEUTHER VON CARLSTATT (1522—87), sein Schüler war vermutlich JOHANN FISCHART ( 1 5 4 7 — 9 0 ) 2 . Weit zahlreicher erhoben sich die Stimmen nicht nur von Schulleuten, sondern auch von Gelehrten wider die herrschende Rechtschreibung im 17. Jahrhundert. Hier hat sich besonders PHILIPP VON ZESEN f ü r eine Schreibung nach der Aussprache eingesetzt. Seine Hauptwirksamkeit auf orthographischem Gebiet fällt in die Mitte der vierziger Jahre mit dem Erscheinen seiner beiden Romane „Ibrahim" und der „Adriatischen Rosem u n d " . 3 Von ihm, dem bedeutendsten Träger der orthographischen Reformbestrebungen seiner Zeit, zeigte sich Schottel in der zweiten Auflage seiner Teutschen Sprachkunst 1651 beeinflußt, und auch Georg Philipp Harsdörfer forderte eine der Aussprache gemäße Orthographie, obwohl er sich später immer mehr den von Schottel vertretenen etymologisierenden Tendenzen näherte 4 . Berührungen mit der Zesenschen Orthographie zeigte auch Johann Beilin in seiner Hochdeutschen Rechtschreibung von 16575, und die Straßburger Dichter der Aufrechten Tannengesellschaft, Jesaias Rumpier und Johann-Matthias Schneüber, scheinen unter seinem Einfluß gestanden zu haben 6 . 1

Jellinek a. a. O., I S. 50. V. Moser, Deutsohe Orthographiereformen des 17. Jahrhunderts. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bd. 60, 2/3, Halle 1935/36, S. 193f. 3 4 6 Ebd. S. 212. Röben a. a. O., S. 16. Jellinek I S. 190. 6 Moser, Beitr. 70, 1948, S. 470ff; Beitr. 71, 1949. S. 389. 2

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Deutschland nahm mit der Forderung seiner Grammatiker nach einer Reform der Orthographie zu jener Zeit keine Sonderstellung ein. Auch in den Nachbarländern hatte die sprachliche Entwicklung bei relativ gleichbleibender Schrift eine ähnliche Inkongruenz herbeigeführt und die Sprachgelehrten vor das gleiche Problem gestellt. Schon seit Ende des 15. Jahrhunderts waren in den romanisch sprechenden Ländern Orthographiereformbestrebungen wirksam 1 , aber auch in England war der große Unterschied zwischen Aussprache und Schreibung bereits im 16. Jahrhundert aufgefallen, und hervorragende Gelehrte waren bestrebt, die Schreibung mit der Aussprache in Übereinstimmung zu bringen 2 . Von den Niederlanden ist sehr wahrscheinlich die erste Anregung zu Flemings und Zesens Reformvorschlägen ausgegangen. Erst ein Jahrhundert später, in der Mitte des 18. Jahrhunderts, wurden auch in Dänemark orthographische Fragen lebhaft behandelt, wobei sich vor allem J . Hoysgaard durch seine phonetischen Beobachtungen auszeichnete. Und auch in Schweden wurde um diese Zeit die Forderung nach einer phonologischen Schreibweise laut 3 . Die Aufklärungszeit brachte zunächst in England, das ohnehin schwer Neuerungen zugänglich ist, eine Beruhigung der umstürzlerischen Tendenzen. Nach der Verwirrung, welche die zahlreichen Reformvorschläge schließlich angerichtet hatten, erschien eine einheitliche Regelung wünschenswert. Was der Autorität des berühmten Wörterbuchs von Dr. Samuel Johnson gelang 4 , erhoffte man sich in Deutschland von Gottscheds Deutscher Sprachkunst. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Gottschedianer gegen den ersten Grammatiker, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder die orthographischen Forderungen der Zesianer erneuerte, JOHANN SIEGMUND VALENTIN POPOWITSCH, mit Schmähschriften Stellung nahmen; doch blieb sein Auftreten zunächst vereinzelt und fand keine Anhänger. Erst gegen Ende der siebziger Jahre, wenn man von einigen Vorboten wie z. B. dem Geplänkel zwischen Hamann und Damm um den Buchstaben h absieht, begann die fast alle deutschen Provinzen gleichzeitig erfassende Bewegung, die Adelung in Parallele zu den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts die zweite Periode der Neuerungen nannte. Lassen wir ihn selbst berichten: „Weit zahlreicher und dreister wurden die orthographischen Neuerungen von 1770 an, da die gewöhnliche Orthographie ganz verdränget, und durch neue auf willkürliche Gründe gebauete Systeme ersetzet werden 1 2 3 4

Jellinek a. a. O., I S. 56. W. Horn und M. Lehnert, Laut und Leben I. Berlin 1954. S. 77. H. Paul, Grundriß a. a. O., S. 40. Horn-Lehnert S. 83.

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sollte. Das meiste Geräusch machten zwei übrigens gelehrte Schwaben, die Herrn Fulda und Nast, ein Pfälzer Hr. Hemmer, Hr. Klopstock, dessen bloß auf die Aussprache ohne alle übrige Beyhülfe gegründete Orthographie des Dichters ganz unwürdig ist." 1 Solange die Orthographie im wesentlichen der Willkür des einzelnen Schreibers überlassen blieb, hatte es keine „Richtlinien" und infolgedessen auch keine Diskussion um eine Reform der Orthographie gegeben. J e mehr sich jedoch der Schreibende nach Regeln zu richten begann, um so gefestigter wurde das Schriftbild, um so schwieriger war es, Neuerungen durchzusetzen. Die Orthographie blieb in der Entwicklung sichtlich immer weiter hinter der Aussprache zurück, und die Versuche mehrten sich, die künstlich gehemmte Entwicklung wieder in Fluß zu bringen: die Orthographiereform erschien immer dringlicher. Die Forderung nach ihr folgt jeder starren Regelung der Rechtschreibung auf dem Fuße; veröffentlichen die Schulmeister erst Syllabierbüchlein, lassen die Zesianer nicht auf sich warten. KLOPSTOCK gab f ü r seine Beteiligung an den Bestrebungen, die herrschende Rechtschreibung nach der Aussprache zu verbessern, verschiedene Gründe an. Der erste seiner Gründe, welcher in der Abhandlung „Über die deutsche Rechtschreibung" auftaucht, ist die Feststellung, daß unsere Rechtschreibung schwer zu erlernen sei, und das sowohl f ü r Kinder als auch f ü r Ausländer 2 . Die gegenwärtige Orthographie ist nach seiner Ansicht so beschaffen, „daß si selbst di, welche si sorgfeltig studirt haben, durch Zweifel, wi dis und das zu schreiben sei, ser oft ferdrüslich macht." 3 Nach seiner Ansicht ist kein Buch oder „Ungedruktes" in der gegenwärtigen Literatur zu finden, worin die Rechtschreibung nach allen ihren Regeln und Ausnahmen beobachtet wird 4 . Daß Klopstock bei seiner Orthographiereform auch pädagogische Gesichtspunkte berücksichtigt, ist zweifellos dem Einfluß JOACHIM HEINRICH CAMPES zuzuschreiben. Dieser bedeutende Erzieher berichtet in seiner Vorrede zu Klopstocks Abhandlung „Über die deutsche Rechtschreibung", daß er um eine neue Methode bemüht gewesen sei, die Kinder auf eine leichte und angenehme Weise lesen zu lehren, und in diesem Bestreben unvermutet mit Klopstock zusammengetroffen sei, „ohngeachtet wir in ganz verschiedener Absicht ausgegangen waren. Er war seinen Weg gegangen als Litterator und Patriot, dem die Vervollkommnung unserer Muttersprache am Herzen 1 2 3 4

Adelung, Vollst. Anweisung a. a. O., S. 421. Klopstocks Werke I X 332. Ebd. 349. Ebd. 399.

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lag; ich, als Erzieher, der blos für Kinder das erste Schulgeschäft, das Lesenlernen, erleichtern wolte." 1 Dieser pädagogische Gesichtspunkt, der heute bei allen Orthographiereformbestrebungen wohl den Hauptbeweggrund darstellt, spielte zu Klopstocks Zeit nur eine sehr untergeordnete Rolle, und selbst HAMANN hat den Hinweis, daß die Regel „Schreib, wie du sprichst" aus pädagogischen Gründen wünschenswert sei, ironisch abgetan 2 . MÄZKES Grundsatz, daß die Orthographie nicht bloß „Handwerksmahlerei" sein dürfe, sondern mit Hilfe der Etymologie zur Wissenschaft werde, wurde von NICOLAI ad absurdum geführt, wenn er erklärte: „Die Rechtschreibung ist nicht bloß für Kinder und Ungelehrte, sondern auch für Gelehrte; der Gelehrte aber bauet sie auf sichere Gründe." 3 Man war sich demnach durchaus nicht im klaren darüber, daß die herrschende Rechtschreibung mit ihrem unvermeidlichen Drill eine unnötige Zeitvergeudung darstellte. Mäzke glaubte sogar in seiner „etymologischen Rechtschreibung" erzieherische Werte zu finden, da sie den Verstand des Kindes schärfe, „schon da, wenn es nur damit, ohne alle deutliche Regeln, beschäfftiget wirdt." 4 Klopstock und Campe fanden unter diesen Bedingungen mit ihrer heute so populären Forderung nach einer Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung aus pädagogischen Gründen wenig Verständnis. Wenn Klopstock mehrmals den Wunsch äußerte, durch eine Orthographiereform auch dem Ausländer die Erlernung unserer Rechtschreibung zu erleichtern, so ist auch diese Begründung vom heutigen Standpunkt durchaus vertretbar. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß Klopstock hier vor allem die Wirkung des Schriftbildes auf die Aussprache im Auge hatte und bei verschiedenen Gelegenheiten die Besorgnis äußerte, daß unsere Rechtschreibung die Ausländer dazu verleiten könnte, „unsrer Sprache Herte Schuld zu gäben." 5 Die Verschiedenheit von Aussprache und Schrift hat aber längst dazu geführt, daß eine Fremdsprache nicht nach der Schrift, sondern aus dem Munde des Lehrers oder mit Hilfe der phonetischen Umschrift gelernt wird, so daß dieser Gesichtspunkt Klopstocks heute kaum noch ins Gewicht fällt. Mit Campe traf sich Klopstock in der gemeinsamen Bemühung, „das Unbestimte, das Ueberflüssige, und das offenbare Fehlerhafte der deutschen 1 2 3 4 6

J. H. Campe a. a. O., S. 3. J. G. Hamann, Sämtliche Werke, Wien 1949-53, Bd. III, S. 232. Allgemeine deutsche Bibliothek 39, 1, S. 258. A. G. Mäzkens . . . Versuch in Deutschen WörterFamilien. Breslau 1779. S . X X . Klopstocks Werke I X 394.

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Rechtschreibung aufzusuchen, um dem Ersteren Festigkeit zu geben das Andere abzuschneiden, und das Dritte, wo möglich, zu verbessern." 1 Wenn auch die neue Orthographie die Erlernung der Aussprache nicht erleichtern sollte, so sah Klopstock doch jederzeit ihren Zweck darin, „daß si durch di Art, auf welche si das Gehörte ausdrükt, das S c h r e i b e n , und zwar in hohem Grade, erleichtre." 2 Aus diesem Grunde suchte Klopstock vor allem die ,,überzäligen" Buchstaben, welche dem Schreibenden die Qual der Wahl bereiteten und durch ihre angewiesenen Stellen ein geistloses Auswendiglernen erforderten, aus der deutschen Rechtschreibung zu tilgen. Auch bei den „Schreibverkürzungen" kam es ihm darauf an, daß das ungeregelte Nebeneinander von gs, ks, chs und x beseitigt würde, so daß er jedem die Wahl freistellte, entweder ks oder x zu brauchen. In diesem Bestreben fand Klopstock auch die volle Zustimmung seiner späteren zweiten Gattin Johanna Elisabeth von Winthem, welche am 15. 2. 1785 an seinen orthographischen Gegner Tetens schrieb: „Könnte ich meine Nachkommen beneiden, so beneidete ich sie, daß sie mit dem A. B. C. schon die Orthographie lernen können." 3 Ein weiterer Gesichtspunkt, welcher seit Klopstocks Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, ist der soziale. Klopstock hat in seinen Schriften diesen Grund nicht ausdrücklich betont; doch hat er bei jeder Gelegenheit bewiesen, daß er durch seine Orthographiereform die Rechtschreibung a l l e n erleichtern wollte. Daher distanzierte er sich entschieden von Mäzkes und Nicolais Anschauung, die Rechtschreibung sei Sache der Gelehrten und dürfe nicht zur Handwerks maierei erniedrigt werden. Zu einer Zeit, wo ein Grammatiker vom Range Adelungs die Forderung aufstellte, daß „Personen von feinerm Geschmacke und bessern Kenntnissen" sich in Aussprache und Rechtschreibung „von dem großen Haufen" unterscheiden sollten, ist Klopstocks Bemühen um eine Erleichterung der Orthographie besonders anzuerkennen. Solche Bedenken, wie Gottsched und Adelung sie hinsichtlich der zu leichten Erlernbarkeit der Rechtschreibung für den „Pöbel" hegten 4 , haben Klopstock niemals beunruhigt. Bemerkenswert ist dagegen seine Erkenntnis, daß die Orthographie in der Vergangenheit ein Machtinstrument in den Händen einer bestimmten Schicht gewesen sei, welche folglich kein Interesse an einer Erleichterung und Verbreitung dieser 1

J. H. Campe a. a. O., S. 3f. Klopstocks Werke I X 394. 3 J. N. Tetens, Briefwechsel mit Klopstock. Hamburg und Altona, Jg. 4. Hamburg 1805. S. 262f. 4 Adelung, Vollst. Anweisung a. a. O., S. 274. 2

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Fertigkeit haben konnte: „Zu der Zeit, da die Mönche, und ihres gleichen unsre Orthographie, wie sie jetzo größtentheils noch ist, einführten, waren sie es allein, die schreiben konnten. Sie kannten den Antheil, den sie dadurch an der Regierung hatten, viel zu gut, um nicht auf alle Weise zu verhindern, daß die Fürsten und ihre bewaffneten Diener nicht auch schreiben lernten. Und so hatten sie denn zu ihrem Zwecke, wie die langdaurende Erreichung desselben genung zeigt, gar keine schlechte Mittel gewählt." 1 Aus dieser richtigen Beobachtung hat jedoch Klopstock nicht die Folgerung gezogen, daß es auch zu seiner Zeit Kreise geben mußte, deren Interessen eine Orthographiereform zuwiderlief, und die sich nun, nach NASTS Worten, so gebärdeten, „als ob das Wol des heil, römischen Reiches Gefar liefe." 2 Diese Einstellung zeigte besonders deutlich der Münchener Professor FRONHOFER, welcher in seiner Akademierede gegen Klopstocks Orthographiereform die Befürchtung aussprach, daß man sich mit der Schreibung nach der Aussprache zu der Schreibart der Weiber und Handwerker erniedrige, „wie wir aus Küchenzetteln und Schuhmacher- oder Schneiderkonto's sehen können." 3 Diese Kluft zwischen der gebildeten Oberschicht und den breiten Volksmassen besteht bis heute fast unvermindert auf dem Gebiet der deutschen Rechtschreibung, da sie ein großer Teil unseres Volkes trotz aller zeitraubenden Schulexerzitien niemals richtig beherrschen lernt. Die bereits aufgezählten Gründe waren jedoch f ü r Klopstock nicht von entscheidender Bedeutung. Campe hat uns mitgeteilt, daß Klopstock vom Standpunkt des „Litterators und Patrioten" ausgegangen war. Im Eingangskapitel ist von mir bereits die außerordentliche Sorgfalt des Dichters bei der Drucklegung seiner Werke erwähnt worden, welche sich aus seinem Bestreben erklärt, dem Vorleser — denn nicht f ü r das lesende Auge, sondern f ü r den mündlichen Vortrag waren alle seine Dichtungen, ja sogar die „Grammatischen Gespräche" bestimmt — mittels der Orthographie möglichst genaue Anweisungen f ü r die „gute Sprechung" zu geben, die sich bis auf die Aussprache bestimmter Konsonanten und die Betonung erstrecken sollten. Klopstock wollte in seiner Dichtung die deutsche Sprache zum Klingen bringen, und diese Absicht sollte in der Rechtschreibung zum Ausdruck kommen. Da sie in ihrer herkömmlichen Form ebensowenig f ü r seine Zwecke hinreichte wie die überlieferte Dichtersprache, sah er sich vor die Notwendigkeit gestellt, auch sie umzuschaffen. Sollte die Aussprache nach der Schrift f ü r den Deklamator maßgebend sein, so mußte zuvor eine Schrift vorhanden sein, die als 1 2 3

Klopstocks Werke I X 409. Der teütsche Sprachforscher, Bd. II, Stuttgart 1778. Vorrede. L. Fronhofer a. a. O., S. 475.

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oberstes Gesetz der Regel folgte, „das Gehörte der guten Aussprache nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben." 1 Nicht zuletzt sollte die Orthographiereform Klopstocks demnach dazu dienen, die „richtige oder deütsche, und nicht landschaftliche Aussprache," 2 von deren Existenz er fest überzeugt war und um die er selbst sich unablässig bemühte, in ganz Deutschland zum Siege zu führen und zur Sprache der Dichter und Rhapsoden zu erheben. Diese Aufgabe hat die Schrift so, wie sie Klopstock vorschwebte, nicht verwirklichen können, weil die von ihm vorgeschlagene Reform nicht durchgedrungen ist. Die deutsche Hochsprache schlug dagegen einen Weg ein, den Klopstock kaum in Erwägung gezogen hat: sie nahm ihren Ausgang von der deutschen Bühne und hat durch die technischen Möglichkeiten unseres Jahrhunderts wie Rundfunk und Film einen ungeahnten Auftrieb erfahren. Klopstocks Bemühungen um die deutsche Rechtschreibung sind nicht minder wichtig als seine übrigen sprachlichen Untersuchungen und dienen wie sie dem Ziel der Schaffung einer neuen deutschen Dichtersprache. Darin unterscheidet er sich von den „zünftigen" Grammatikern, wie er überhaupt als Grammatiker immer der Dichter Klopstock geblieben ist, dem es vor allem um Größe und Ansehen der deutschen Literatur zu tun war; daß der prosaisch-nüchterne Adelung zu solchem hohen Gedankenflug wenig Neigung hatte und ihm daher der Geist der Klopstockschen Sprachuntersuchungen im innersten Wesen fremd bleiben mußte, war eine notwendige Folge ihrer grundsätzlich verschiedenen Ausgangspunkte. Wenn Klopstocks patriotische Ziele in seinen orthographischen Abhandlungen noch nicht so deutlich zutage treten wie z. B. später in den Übersetzungsversuchen der „Grammatischen Gespräche", so ist seine vaterländische Gesinnung doch auch hier von Anfang an unverkennbar. Sie kommt schon darin zum Ausdruck, daß er seinen ersten Entwurf zu einer deutschen Orthographiereform in die „Deutsche Gelehrtenrepublik" aufgenommen hat, in welcher alle seine von Jugend an gehegten patriotischen Gedanken und Ziele ihren Niederschlag gefunden haben. So beginnt bezeichnenderweise diese kurze Abhandlung auch mit einem Hinweis auf die Orthographie der beiden Völker, welche in Klopstocks Dichtung und wissenschaftlicher Prosa als ständige Rivalen Deutschlands auf kulturellem Gebiet erscheinen: er vergleicht unsere Rechtschreibung mit der englischen und französischen. Dieser Vergleich fällt zugunsten der deutschen Rechtschreibung aus: „Wenn wir die unsrige mit der englischen oder französischen vergleichen, so ist sie vortrefflich." 3 Doch ohne diese Vergleichung erscheint sie nicht 1 2

Klopstocks Werke IX 353. Ebd. 358.

3

Klopstocks Werke VIII 174.

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wenig fehlerhaft, und sie unterscheidet sich nur dadurch, daß bei ihr die Fehler der beiden anderen auf Einzelfälle beschränkt sind 1 . Keineswegs aber zieht Klopstock aus dieser Tatsache die Folgerung, daß man sich mit dem Hinweis auf die weit schwierigere Lage der Franzosen und Engländer trösten könne, sondern er will statt dessen die Orthographie der Griechen und Römer zum Vorbild nehmen 2 . Eben deswegen, weil wir schon so weit sind, eine weitgehend lautgetreue Rechtschreibung zu besitzen, sollten wir auf diesem Wege fortgehen 3 . Dieser Gedanke, der in seinen orthographischen Abhandlungen immer wiederkehrt, zeigt deutlich den Wunsch des Dichters Klopstock, daß Deutschland auch vermittelst seiner Sprache die Fähigkeit erlangen möge, die anderen Völker zu übertreffen. Denn das Leitmotiv, das er der Schrift „Über die deutsche Rechtschreibung" vorangestellt hat, lautet: „Germani primi, a renovatis artibus, ausi Mansurae propriä tantum signare figurä Vocis quemque sonum, semotis pluribus umbris." 4

B. Klopstocks Kampf gegen die Gegner des phonologischen Prinzips 1. Schreib, wie du

sprichst!

Klopstock vertritt, wie fast alle Orthographiereformer es mit mehr oder weniger Einschränkungen getan haben, den Grundsatz, die überflüssigen Buchstaben aus dem Alphabet zu streichen und für denselben Laut nur immer dasselbe Lautzeichen anzuwenden. Sein Standpunkt ist damit der phonologische; er ist der Ansicht, daß die Orthographie nicht bloß fürs Auge, sondern auch fürs Ohr sei5, wie denn überhaupt das Gehör von jeher bei Klopstock eine große Rolle spielte, waren doch alle seine Dichtungen und sogar die Grammatischen Gespräche für den Vortrag eines Vorlesers bestimmt und sollten eher auf diesem Wege als durch das lesende Auge aufgenommen werden. Besonders deutlich kommt diese vorherrschend akustische Begabung unseres Dichters in der Ode „Das Gehör" (1783)6 zum Ausdruck, in der er, vor die Wahl gestellt, lieber die Blindheit als den Verlust des 1 2 3 4 5 6

Klopstocks Werke I X 400. Ebd. 334. Ebd. 348 f. Ebd. 325. C. F. Cramer, Klopstock. I n Fragmenten aus Briefen . . . a. a. O., S. 246. Klopstocks Werke IV 298 f.

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Gehörs ertragen möchte, und mit ähnlichen Worten sucht er noch am 28. 9. 1801 den erblindeten Gleim zu trösten 1 . So ist nicht zu verwundern, daß Klopstock die Akustik auch zur Grundlage der Rechtschreibung machte; alle seine Reformvorschläge beruhten auf aufmerksamem Herumhören unter „seinen Leuten", auf deren Aussprache er mit feinem Gehör achtgab und dadurch zu trefflichen lautlichen Beobachtungen gelangte. Schon in seiner ersten orthographischen Abhandlung in der „Gelehrtenrepublik" verkündete er daher seinen Grundsatz: „Der Begrif einer guten Rechtschreibung kan kein andrer seyn, als nur das, was man hört, aber auch alles, was man hört, zu sezen . . . die Rechtschreibung (ist) ein Ding fürs Ohr, und nicht fürs Auge." 2 Diesem Grundsatz blieb er auch in allen folgenden Aufsätzen treu: „Der Zweck der Rechtschreibung ist: Das Gehörte der guten Aussprache nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben . . . Kein Laut darf mer als Ein Zeichen; und kein Zeichen mer als Einen Laut haben . . . Wir müssen weder ferschwenden, noch geizen." 3 Noch in seinem letzten, der Sache der Rechtschreibung gewidmeten Aufsatz „Grundsätze und Zweck unserer jetzigen Rechtschreibung" (1782) versuchte Klopstock den Zeitgenossen das phonologische Prinzip mit Vernunftgründen darzulegen: „Das einzige Regelmäßige, welches die gewöhnliche Orthographie in Betracht der Schreibung von n i c h t w e n i g e n W o r t e n hat, beruhet auf dem Grundsatze der neuen, diesem nämlich: Das Gehörte der deutschen, nicht landschaftischen Aussprache nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben. . . Die neue Orthographie hat keinen andern Fehler, als daß sie jenen Satz ü b e r a l l anwendet." 4 Mit diesen Worten bekannte sich Klopstock konsequent zur rein phonologischen Schreibweise, ohne die Etymologie besonders zu berücksichtigen: „Bei der Rechtschreibung kan nur in so fern fon Andeütung der Etimologi di Rede sein, als dise mit der Aussprache übereinstimt 5 ." Diesem Grundsatze Klopstocks, nach der Aussprache zu schreiben, haben sich zu seiner Zeit und auch später die deutschen Orthographiereformer mehr oder weniger genähert. Am Anfang der schriftlichen Aufzeichnung unserer Sprache ist allein das phonologische Prinzip maßgebend gewesen, obwohl die Annäherung der Schrift an die Sprache immer nur unvollkommen sein und die feine Differenzierung der Sprachlaute nur als grobe Skizze wiedergeben 1 2 3 4 5

Klopstocks Werke X 472. Ebd. VIII 174f. Ebd. IX 330 f. Ebd. IX 405. Ebd. 403.

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kann. Die schriftliche Bezeichnung irgendeiner Sprache würde dann vollkommen sein, wenn sie so viele Schriftzeichen besäße, als die Sprache Laute aufzuweisen hat, und jedem einzelnen Laut stets ein und dasselbe Zeichen zukäme 1 . Doch wäre eine solche reine Lautschrift nur für wissenschaftliche Zwecke brauchbar, wie sie die Association Phonétique Internationale verwendet ; im täglichen Gebrauch wäre die dazu erforderliche Fülle von Zeichen, die jede feinste Lautabstufung wiederzugeben hätten und eine außerordentliche Feinheit des Gehörs voraussetzten, wenig zweckmäßig. — Wir haben bereits verfolgt, wie die phonologische Ausgangsposition unserer Schrift allmählich im Laufe der sprachlichen Entwicklung durch andere Rücksichten ebenfalls grundsätzlicher Natur überlagert wurde. So ist nur natürlich, daß von jeher die Orthographiereformer ihre Aufgabe darin sahen, dem phonologischen Prinzip wieder zum Durchbruch zu verhelfen und den Grundsatz „Schreib, wie du sprichst!" zu ihrer Hauptforderung zu erheben, die allerdings für alle Zeiten das unerschütterliche Fundament jeder Lautschrift bilden und die Grundlage jeder Orthographiereform sein muß. Hatten schon die meisten Reformer des 17. Jahrhunderts, allen voran Zesen, dieses Prinzip vertreten, so glaubten auch die Grammatiker zu Klopstocks Zeit größtenteils in der Forderung „Schreib, wie du sprichst!" das Grundgesetz einer einheitlichen, geregelten Orthographie gefunden zu haben. Demnach lehrte GOTTSCHED in seiner „Deutschen Sprachkunst" : „Man schreibe jede Syllbe mit solchen Buchstaben, die man in der guten Aussprache deutlich höret" 2 , und auch HEYNATZ in seiner „Deutschen Sprachlehre" erkannte „unter den allgemeinen Regeln der Rechtschreibung" als die vornehmste: „Man schreibe alle Wörter so, daß ein jeder, der lesen gelernt hat, sie nicht anders aussprechen könne, als man sie will gelesen haben. Andre drücken diese Regel so aus: Schreib, wie du sprichst." 3 Ebenso erklärte FULDA die Aussprache zum alleinigen Grund der Rechtschreibung; aber dies nur so lange, „als das Schreiben eines Volkes im Werden ist, und die Rechtschreibung einer Mundart in keine Wirrung kommt." 4 Im Grunde ist auch durch ADELUNGS Prinzipien das Wesen der phonologischen Orthographie gezeichnet. Er war der Ansicht, „daß die ganze Deutsche Orthographie auf folgendem kurzen und leichten Grundgesetze beruhet : man schreibe das Deutsche mit den eingeführten Schriftzeichen, so wie man 1

O. Behaghel, Die deutsche Sprache. Halle u 1954, S. 150. Gottsched a. a. O., S. 60. 3 J. Fr. Heynatz, Deutsche Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen. 3 1777. S. 59. 4 Fulda an Mäzke; a. a. O., S. 439. 2

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spricht, der allgemeinen besten Aussprache gemäß, mit Beobachtung der erweislichen nächsten Abstammung, und des allgemeinen Gebrauches." 1 Man sieht, er hat Vorbehalte; die Schrift muß nach seiner Ansicht „positive Gesetze" haben 2 ; aber dabei betont Adelung ausdrücklich: „Die Aussprache bleibt immer das höchste Gesetz, und die nächste Abstammung kommt ihr nur zu Hülfe, wenn sie allein nicht hinreichet; allein sie ist nicht das Grundgesetz." 3 Denn das Grundgesetz der Schrift aller Sprachen ist f ü r Adelung: „Schreib wie du sprichst, weil die Schrift die Nahmen der Begriffe nach ihren einfachen Tönen dem Auge darlegen soll, folglich dem Auge keine andere Töne darstellen darf, als wirklich gehöret werden, und sie nicht anders darstellen darf, als sie wirklich gehöret werden." 4 Diese Forderung ist im Grunde nur eine Wiederholung des Klopstockschen Grundsatzes: „Kein Laut darf mer als Ein Zeichen, und kein Zeichen mer als Einen Laut haben", der fast wörtlich mit dem H E M M E R S übereinstimmt. Ebenso geradlinig wie Klopstock verfolgte dieser das phonologische Prinzip: „Gleich wi allso ein maier in den zügen seines pinsels sich nach nichts anders als nach dem gegenstände, den er abmalen will, zu richten h a t : so ist auch die einzige regel des schreibenden der laut des mundes, den er durch di feder abzeichnen will, oder di ausspräche." 5 Demgemäß fordert er: „Jeder buchstab soll einen laut anzeigen, das ist, man soll keinen buchstaben schreiben, den man nicht ausspricht. Denn so bald ein geschribener buchstab zu etwas anders als zur anzeige eines lautes gebrauchet wird: so weichet er fom zile seiner einsezung ab, so ferliret er seine natur, und bleibet kein buchstab mer." 6 Auch der Schwabe J O H A N N N A S T erkannte das vorzügliche Recht der Aussprache an. Für ihn bedeutete schreiben nichts anderes, „als den Schall der Wörter nach ihrem 1

Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 50. Ebd. S. 45. 3 Ebd. S. 84. 4 Ebd. S. 50. 5 J. Hemmer, Kern der deütschen Sprachkunst und Rechtschreibung, Mannheim 1780. S. 113. 6 Hemmer a. a. O., S. 113f. Klopstocks Regeln stimmen überraschend mit denen Hemmers überein, die dieser bereits in Jakob Domitor's Grundris einer dauerhaften Rechtschreibung. Mannheim 1776 S. 14 aufgestellt hatte: „II Regel. Kein Laut sol durch ferschidene Buchstaben ausgedrüket werden. I I I Regel. Ein jeder Buchstab sol nicht mer als einen Laut anzeigen". Der anonyme Kritiker, mit dem sich Klopstock 1780 in der „Nachläse" auseinandersetzt, nimmt an, daß Klopstock mit seiner Orthographiereform Hemmers Grundsätzen folgte; doch erklärt dieser dagegen ausdrücklich, daß er dessen Ausführungen gar nicht kenne und völlig unabhängig von ihm zu seinen Prinzipien gekommen sei (Klopstocks Werke I X 355f.). 2

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waren Ton mit denjenigen Buchstaben, die disen waren Ton anzeigen, aufs Papir malen. 1(1 Der phonologische Standpunkt, der eine lautgetreue Wiedergabe der Sprache durch die Schrift verlangt, hat sich seitdem wesentlich gefestigt. Auch JACOB GRIMM hat ihn als Grundlage aller Lautschrift anerkannt, indem er eine Schreibung anstrebte, die klar und eindeutig die Laute unserer Sprache ohne überflüssige Zeichen wiedergibt 2 . Daß er — wie vormals Fulda — diesen Idealzustand unserer Schrift im Mittelalter weitgehend verwirklicht sah und eine Rückkehr zu den Prinzipien der mittelhochdeutschen Schriftsprache daher für erstrebenswert hielt, hat ihm den Ruf eines Vertreters der historischen Schreibweise eingetragen. Radikal vertrat die sogenannte „phonetische Schule" im „algemeinen ferein für fereinfahte rehtsreibung" den Grundsatz: jedem Laut ein Zeichen, jedem Zeichen ein Laut 3 . Und erst 1948 erklärte Paul Menzerath: „Die Reform muß einsichtig sein, aber sie kann nur radikal sein . . . Die Phonetik meldet ihren Anspruch an, dabei an erster Stelle gehört zu werden; denn Schrift ist ihrer Natur nach nichts als der Versuch, die Lautsprache durch Buchstaben zu fixieren."4 Klopstocks Grundsatz „Schreib, wie du sprichst" schien alles Recht auf seiner Seite zu haben. Trotzdem fehlte es nicht an Gegenstimmen, die aus verschiedenen Gründen das phonologische Prinzip bestritten. Der vorsichtige Adelung, der, wie wir bereits sahen, durchaus nichts gegen die Aussprache als Naturgesetz der Schrift einzuwenden hatte, sah sich deshalb veranlaßt, dieses Gesetz einzuschränken und näher zu bestimmen. Dergleichen Einschränkungen oder „positive Gesetze", wie er es nennt, sind vornehmlich diese: 1) die allgemeine beste Aussprache, 2) die erweisliche nächste Abstammung, 3) der allgemeine Gebrauch 5 . Die meisten Bedenken, die sich gegen Klopstocks orthographische Reformvorschläge erhoben, entsprangen daraus, daß man einen dieser drei Punkte nicht genügend berücksichtigt fand. Hierdurch wurde Klopstock in eine Reihe literarischer Fehden verwickelt, in denen er seinen Standpunkt 1

Sprachforscher I I S. 99f. K. Hiehle, Jakob Grimm als Wegbereiter einer lautrichtigen Rechtschreibung. Zschr. f. Phonetik III, 1949. S. 312. 3 Behaghel a. a. O., S. 152. 4 P. Menzerath, Zur Reform der deutschen Orthographie. Zschr. f. Phonetik II, 1948. S. 38. 5 Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 50. 2

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beharrlich zu behaupten suchte. Um der besseren Übersicht willen ist es ratsam, alle Gegenargumente in der von Adelung angeführten Ordnung zu behandeln. 2. Was ist

Hochdeutsch?

Vom heutigen Standpunkt aus gesehen, scheinen die Einwände gegen Klopstocks Rechtschreibung nach der Aussprache die meiste Berechtigung zu haben, welche auf die Unbestimmtheit und Lokalgebundenheit der damaligen Aussprache hinweisen. Vor allem ADELUNG gab zu bedenken: „Wer allgemein verständlich deutsch, d. i. Hochdeutsch schreiben will, darf nicht so schreiben, wie er spricht, weil er sonst zwar die Mundart seiner Provinz, aber nicht Hochdeutsch schreiben würde." 1 Auch LESSING hielt es für töricht, sich mit der Schreibart nach der beständig wechselnden Aussprache richten zu wollen, weil die Unordnung dadurch nur vermehrt werde 2 , und aus demselben Grunde lehnte NICOLAI eine phonologische Schreibung ab: „Wenn wir bey unserer Rechtschreibung bloß das Gehör zu Rathe ziehen, und nur das Gehörte bezeichnen wollen: so wird sie allemal sehr schwankend und unbeständig seyn, und wir möchten endlich wohl auf die Schreibart des neunten und zehenten Jahrhunderts zurückkommen, da ein jeglicher so schrieb, wie er zu sprechen gewohnt war. Jede Landschaft hält ihre Aussprache für die richtigste: Gottsched rühmet die Sächsische, Hr. Hemmer die Pfälzische, Hr. Nast die Wirtenbergische." 3 Selbst GLEIM glaubte hier dem Freunde widersprechen zu müssen: „Ihre Regel: Wir müssen schreiben, wie wir sprechen, ist falsch. Wir können so nicht schreiben, wie wir sprechen! Denn jeder spricht anders." 4 Auch FULDA gab zu bedenken: „Wie vile Rotten würde es unter den Zesianern selbst geben, wenn der Zesianismus gelten sollte." 5 Man sah durch Klopstocks phonologischen Grundsatz die kaum erreichte Einheit der Schriftsprache in Gefahr und war nicht gewillt, sie — wenn auch für eine lautgetreue Orthographie — so bald wieder preiszugeben. Besonders WIELAND vertrat energisch die Forderung nach Gleichförmigkeit in der deutschen Rechtschreibung und empfahl deshalb jedermann, sich an die Adelungische Orthographie zu halten, um „der lächerlichen und 1

Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 55. Muncker, Lessing a. a. O., S. 194. 3 Allgemeine deutsche Bibliothek 39, 1, S. 253f. 4 Klopstocks Briefe S. 546. 5 Sprachforscher I S. 260; cf. Hamann, Werke, hrsg. v. Fr. Roth, Berlin 1821-43. Bd. V I S. 42. 2

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unsre ganze Nation beschimpfenden Sprachverwirrung" durch die Orthographiereformer zu steuern 1 . U m diese Einwände recht zu verstehen, ist es notwendig, kurz auf die damalige Situation in der Hochsprache einzugehen. Die Forderung nach einer deutschen Gemeinsprache war schon im 17. J a h r h u n d e r t von Schottel erhoben worden; ja, er sprach sogar schon von der Hochteutschen Sprache, die „nicht ein Dialectus eigentlich, sondern Lingua ipsa Germanica" sei 2 ; aber f ü r ihn war das Hochdeutsche doch vor allem noch eine geschriebene Sprache 3 . Auch Gottsched h a t t e f ü r die Einigung auf dem Gebiet der Schriftsprache gewirkt, was jedoch nicht verhinderte, daß die deutsche Aussprache auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch stark provinziell gefärbt war, so daß Adelung 1782 pessimistisch niederschrieb: „Eine allgemein Deutsche Sprache, welche aus dem übereinstimmigen Sprachgebrauche aller Provinzen bestände, gibt es nicht, h a t es nie gegeben, u n d k a n n es nie geben." 4 Wieland hielt zur selben Zeit „nicht diejenige, welche unrichtig u n d provinzialisch sprechen, sondern diejenige, die immer reines achtes Hochteutsch reden", f ü r Ausnahmen, da das Hochdeutsche „nirgends in ganz Teutschland von den oberen Classen völlig rein und richtig gesprochen" werde 5 . Natürlich h a t t e Klopstock, als er seine Regel von der Schreibung nach der guten Aussprache aufstellte, auch bedacht, daß er bei der noch herrschenden Unsicherheit, was m a n eigentlich unter „Hochdeutsch" zu verstehen habe, zugleich seine Vorstellungen von der „guten Aussprache" näher bestimmen mußte. Über diese Frage h a t er sich schon in seiner frühesten wissenschaftlichen Untersuchung „Von der Nachahmung des griechischen Sylbenmaßes im Deutschen" (1755) Gedanken gemacht: „Ohne mich in die Entscheidung einzulassen, welche von unsern Provinzen am besten deutsch rede? so kömmt es mir doch als wahr vor, daß ein Sachse das Hochdeutsche, oder die Sprache der Skribenten, und der guten Gesellschaften, mit leichterer Mühe rein und ganz aussprechen lernen kann, als einer aus den übrigen Provinzen. 6 Damit scheint Klopstock zunächst die Ansicht der meisten Grammatiker seiner Zeit zu teilen, daß das reinste Deutsch in Obersachsen zu finden sei. Die Erhebung einer von den bestehenden Mundarten, u. z. der meißnischen 1

Wieland a. a. O., S. 20. J. G. Schottel, Ausführliehe Arbeit von der Teutsehen Haubt Sprache . . . Braunschweig 1663. S. 174, 8. 3 Jellinek a. a. O., I S. 133. 4 Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. X X I I Anm. 5 Wieland, Merkur 1782, 4, S. 204. 6 Klopstocks Werke X 4. 2

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oder obersächsischen, zur Norm war in Deutschland der erste Schritt zur Bildung einer Gemeinsprache, wie er sich schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts anbahnte 1 und im 17. Jahrhundert namentlich in Zesen seinen eifrigsten Verfechter fand. Auch im folgenden Jahrhundert galt Obersachsen noch als die Hochburg des besten Deutsch, und Gottsched empfahl das Meißnische als Muster, wenn er auch zugleich die Tradition der Schriftsprache in den Werken der besten Autoren anerkannte und tatsächlich die Richtigkeit der Aussprache nach dem feststehenden Schreibgebrauch beurteilte 2 . Noch einmal fand das meißnische Deutsch einen entschiedenen Fürsprecher in Johann Christoph Adelung, der in seinen „Grundsätzen der deutschen Orthographie" 1782 die Regel aufstellte: „Man schreibe der besten Aussprache gemäß, so wie sie in den südlichen Chursächsischen Landen, dem Vaterlande der Hochdeutschen Mundart, in den obern Classen allgemein ist." 3 Aber in seiner Schrift über die deutsche Rechtschreibung 1778 hat Klopstock seine Ansicht über die richtige Aussprache geändert. E r glaubt sie jetzt in den Gegenden zu finden, welchen Deutschland durch die allgemeine Rechtschreibung die richtige Aussprache zugesteht, in denen man d und t, b und p nicht verwechselt und eu, ö, ü und g da hören läßt, wo die allgemeine Rechtschreibung sie setzt 4 . Danach kann nicht zweifelhaft sein, daß Klopstock, der seit 1770 in Hamburg wohnte, in dem in Niedersachsen gesprochenen Hochdeutsch die vorbildliche Aussprache erblickte, das Obersächsische jedoch als „Aussprecherei" betrachtete wie alle anderen Mundarten. Noch deutlicher sprach er dies zwei J a h r e später in der „Nachläse" aus: „In gewissen Gegenden fon Nidersaxen . . . wird beina alles ausgesprochen, was fon der Nazion, als deutsche Aussprache, festgesezt ist. In disen Gegenden der Niderelbe fengt fon da di gute Aussprache an sich nach und nach zu ferliren, wo man (es sind nur Hauptkenzeichen) hir di Kinder: a—e, be—e, ce—e, zu leren, dort: Mang-gel, Eng-gel, und da: jäben, juter, auszusprechen anfengt." 5 Dasselbe wiederholt er noch 1794 in den „Grammatischen Gesprächen." 6 Von C. F. Cramer erfahren wir, daß Klopstock selbst sich f ü r einen Niedersachsen gehalten wissen wollte. „Seine Aussprache des Deutschen (wiewohl er sie durch den Aufenthalt der größten Zeit seines Lebens in Dänemark, Holstein und Hamburg in einigen Stücken verändert hat) trägt noch die Farbe der Sprache des obern Teiles von Niedersachsen, in dem er geboren, die etwas weiter von der Elbe, im Halberstädtischen, bis hin nach Berlin 1 2 3

Th. Siebs a. a. O., S. 193f. Jellinek a. a. O., I S. 240. Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 78.

4 6 6

Klopstocks Werke I X 326. Klopstocks Werke I X 360. Ebd. 17.

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geredet wird." 1 Klopstock stand mit seinem Eintreten für das Norddeutsche durchaus nicht allein; seitdem 16. Jahrhundert schon begann man mehr und mehr die niederdeutsche Aussprache des Obersächsischen vor der in Obersachsen selber heimischen zu bevorzugen 2 . Wohl zuerst bei Morhof in dessen „Unterricht von der Teutschen Sprache" (1682) trat die Ansicht hervor, daß die Niederdeutschen die Schriftsprache am besten handhaben könnten 3 ; vor Klopstock wies auch noch Bödiker daraufhin, daß ein im Hochdeutschen geübter Niedersachse doch wohl die beste Aussprache habe 4 , und Brockes stellte fest, daß die Niedersachsen in der Aussprache viel weniger Fehler begehen, da sie die harten und weichen Konsonanten im Gegensatz zu den Obersachsen streng unterscheiden 5 , während Popowitsch in den „Untersuchungen vom Meere" (1750) die Vorzüge der niederdeutschen Aussprache gegenüber der obersächsischen betonte 6 . Auch Lessing scheint ein großer Freund der niedersächsischen Aussprache gewesen zu sein, das Obersächsische aber geringer geschätzt zu haben 7 , und Goethe hat die Aussprache der Norddeutschen als rein und musterhaft empfunden 8 . Die Ursache für diese merkwürdige Entwicklung hat Klopstock klar erkannt: „In dänen Gegenden, di ich bezeichnet habe, (auch auf allen Seiten so fil weiter hin, als das Platdeütsche reicht) mischen sich di Mundart und di Sprache auf keine Weise unter einander, weder in Absicht auf di Aussprache, noch in andrer Betrachtung. Wen da Fälerhaftes ist; so entstgz nicht durch den Misch der Mundart. Denn diser findet, wägen des grossen Abstands zwischen beiden, gar nicht stat. Di lezte ist beina eine zweite Sprache. Allein in dem südlichen Deütschland ist di Sache ganz anders. Da fermischen sich Sprache und Mundart in jeder Rüksicht." 9 Wie ist von diesem Standpunkt aus Klopstocks Äußerung von 1755 zu verstehen, daß die Sachsen die Aussprache des Hochdeutschen am reinsten erlernen könnten? Vielleicht hatten die Universitätsjahre in Leipzig, der Hochburg der Gottschedianer, noch nachgewirkt, und der Dichter war in Niedersachsen erst zu kurzen Besuchen eingekehrt; auch hatte er sich damals wohl noch nicht eingehend mit dem Problem der Hochsprache beschäftigt, 1 2 3 4 5 6 7 s 9

C. F . Cramer, Klopstock. A. a. O., I S. lOf. T h . Siebs a. a. O., S. 217. Jellinek a. a. O., I S. 216. Siebs S. 199. A. Bach, Geschichte der deutschen Sprache. Heidelberg 2 1953. S. 254. Siebs a. a. O., S. 203. A. Socin, Schriftsprache u. Dialekte im Deutschen. Heilbronn 1888. S. 414. Goethes Gespräche mit E c k e r m a n n . Berlin 1955. S. 134. Klopstocks Werke I X 360 f.

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um dem Meißnischen seine Vormachtstellung streitig zu machen. Da er hier jedoch nicht ausdrücklich von Obersachsen spricht, wie er später immer tat, ist wohl möglich, daß er das niedersächsische Sprachgebiet in den Begriff „Sachsen" mit einbezog. Seine Ablehnung der obersächsischen Aussprache als Richtschnur für eine allgemeine Rechtschreibung hat er 1780 deutlich ausgesprochen: „Ich weis übrigens nicht, in welchem Grade si [die Obersachsen] an der Meinung so wol der Auslender, als der südlichen Deütschen Schuld sind, daß man bei ihnen di beste Aussprache habe; es ligt mir auch nichz daran es zu wissen: denn dise Behauptung darf sich ja doch nur hinter dem Rükken der Rechtschreibung hören lassen."1 Und wenn er im zweiten Grammatischen Gespräch, das vorwiegend gegen Adelung gerichtet war, die Aussprache „gewisser Gegenden" rügte, in denen sie ü, ö und g nicht aussprechen können und die Mitlaute Pe und Be, Te und De fast immer verwechseln2, so ergriff er damit eindeutig Partei gegen die Theorie Adelungs, daß das Hochdeutsche nichts anderes sei als die Sprache der obern Klassen in den südlichen kursächsischen Landen. Die Vormachtstellung des Obersächsisch-Meißnischen wurde schon im 17. Jahrhundert von den Führern der schlesischen Dichtung und anderen gelegentlich angezweifelt3, und namentlich bei dem einflußreichsten Grammatiker dieses Zeitraums, Justus Georg Schottel, finden wir die Ansicht vertreten, daß die deutsche Gemeinsprache nicht an eine bestimmte Gegend gebunden sei, sondern sie erschien ihm als eine über allen Mundarten stehende Sprache. Auch Gottsched äußerte gelegentlich die Anschauung, daß keine Landschaft eigentlich recht hochdeutsch rede, obwohl er zu seiner Zeit für einen Verfechter des Meißnischen gehalten wurde4. Im ganzen aber hielt sich die Anschauung von der Vorbild!ichkeit der meißnischen Aussprache bis gegen das Ende des Jahrhunderts, als Adelung hartnäckig den Vorrang der obersächsischen Mundart verkündete und durch seine anmaßende Art nicht nur die Grammatiker anderer Provinzen, sondern vor allem die „guten Schriftsteller" zum Widerspruch reizte, die er dabei geflissentlich übersah. Herder hatte 1768 in seinem Aufsatze „Idee zum ersten patriotischen Institut für den allgemeinen Geist Deutschlands" die deutsche „Büchersprache" als ein künstliches Gewächs bezeichnet, das aus der Mundart mehrerer Provinzen durch angenehme und vorzügliche Schriftsteller allmählich heraufgesproßt sei5. Auch der in Schwaben ansässige Fulda protestierte 1 2 3

Klopstocks Werke I X 373 f. Ebd. 17; cf. S. 326. A. Bach a. a. O., S. 253.

4 5

Ebd. S. 255. Siebs a. a. O., S. 207f.

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gegen „Meisen" u n d seinen Anspruch auf das erste Wort „auf dem gemeinen Reichstag der Teutschen gelehrten Sprachrepublic" 1 u n d wollte dagegen unter dem „Hochteutschen im engern Verstand genommen" die Sprache der Gelehrten verstanden wissen, die nicht nötig habe, „in einem gewissen Lande zu residiren und gesprochen zu werden". 2 Am energischsten bestritt in dieser Zeit Wieland in seinem Aufsatz „Über die Frage: Was ist Hochteutsch? und einige damit verwandten Gegenstände" (1782/83) Adelungs Behauptung, daß das südliche Obersachsen von der Mitte des 16. J a h r h u n d e r t s bis 1760 der Sitz des guten Geschmacks in der deutschen Literatur und also auch die Mundart dieser Provinz die „ächte Hochteutsche Sprache gewesen sey". 3 E r behauptete dagegen, daß „die Hochteutsche Schrift-Sprache oder die Frage, was ist. Hochteutsch? sich nicht durch die Mundart irgend einer blühenden Provinz, sondern ganz allein aus den Werken der besten Schriftsteller bestimmen lasse", 4 und bewies, daß bei allen Kulturvölkern „die guten Schriftsteller und nicht die obern Klassen der Einwohner der blühendsten Provinz die Schriftsprache einer Nation ausbilden, reinigen, polieren, und zum möglichsten Grade von Vollkommenheit bringen". 5 Noch 1795 wandte sich Joachim Heinrich Campe in seinem Aufsatz: „Was ist Hochdeutsch? Inwiefern und von wem darf u n d muß es weiter ausgebildet werden?" gegen den obersächsischen Anspruch u n d seinen W o r t f ü h r e r Adelung. I n diesem Streit über das Wesen des Hochdeutschen scheint Klopstock zunächst eine zwiespältige Rolle zu spielen. H a t er auf der einen Seite zugleich mit Wieland, den Schwaben und Campe das Obersächsisch-Meißnische als vorbildliche Aussprache des Deutschen abgelehnt, so stimmt er doch mit ihnen nicht überein in der Behauptung, daß m a n sich nach den besten Schriftstellern zu richten habe, sondern glaubt die richtige Aussprache an der Niederelbe lokalisieren zu können. Hierbei wird einmal wieder deutlich, daß Klopstock stets die gesprochene Sprache vor Augen h a t und deshalb auch die Aussprache „des guten Forläsers, Redners u n d Schauspilers, wen der Inhalt ernsthaft i s t " , 6 als Muster empfiehlt, während Herder und Wieland beim sogenannten „Hochdeutschen" vor allem an die Schriftsprache denken. Wenn jedoch der Anonymus aus der Pfalz in seiner Schrift „Urschprung und Fortgang des heütichen wichtichen Ferbeserungsgescheftes der deüt1 Fr. C. Fulda, Sammlung und Abstammung Germanischer Wurzel-Wörter, . . . hrsg. v. J. G. Meusel. Halle 1776. S. 21. 2 3 Ebd. S. 3f. Wieland, Merkur 1782, 4, S. 157. * Ebd. S. 169. 6 6 Ebd. S. 161. Klopstocks Werke I X 384.

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sehen Rechtschreibung" Klopstock zum Vorwurf machte, daß er „gewise gechenden . . . Deutschland zum musterforschtelen" wollte 1 , hatte er unrecht. Klopstock wollte diese Gegenden mit ihrer Aussprache nicht zur Richtschnur machen, sondern er stellte lediglich fest, daß die allgemeine Rechtschreibung ihnen die richtige Aussprache zugestehe 2 . Demnach war f ü r ihn die Voraussetzung f ü r den Grundsatz „Schreib, wie du sprichst", daß zuvor die Forderung „Sprich, wie du schreibst", die bisher schon von Brockes und anderen Niederdeutschen erhoben worden war, in einem bestimmten Raum des deutschen Sprachgebietes verwirklicht wurde, d. h. daß hier die allgemeine Rechtschreibung und die Aussprache weitgehend übereinstimmten, da man das Hochdeutsche nach der Schrift wie eine Fremdsprache neu h a t t e lernen müssen. So kam es, daß im niederdeutschen Raum die Aussprache als lautgetreues Abbild der Schrift empfunden wurde, während f ü r die Verfechter des Meißnischen das Hochdeutsche aus der Umgangssprache der oberen Klassen Kursachsens entstanden war. Daß Schrift und Aussprache auch im gelobten Lande der „guten Aussprache" — von den anderen Sprachlandschaften zu schweigen — nicht ganz zueinander stimmen wollten, mußte auf die Unzulänglichkeit der „allgemeinen Rechtschreibung" zurückzuführen sein, und nichts lag näher, als die in ihr angelegten Grundsätze und Ziele, welche sie „auf krummen und dornichten Wägen" zu erreichen suchte, auf geradestem Wege zu verfolgen und sie an die „richtige, oder deütsche, und nicht landschaftliche Aussprache" völlig anzugleichen. So stand die Regel „Sprich, wie du schreibst" bei Klopstock durchaus nicht im Gegensatz zu dem Prinzip „Schreib, wie du sprichst", wie es auf den ersten Blick scheinen könnte; beide waren nur verschiedene Stufen ein und desselben Entwicklungsprozesses, in dem die Anweisung „Sprich, wie du schreibst" zeitlich vorausging. I n diesem Gedankengang Klopstocks nun hat Hamann einen Zirkelschluß gesehen. „Demselben zu Folge ist die rechte Aussprache durch die Schreibart bestimmt worden", schrieb er am 6. 5. 1779 an Herder 3 . Die gleiche Ansicht tauchte dann im folgenden Jahre in seinem zweiten „Scherflein zur neuesten deutschen Literatur" auf: „Die überwiegende Gegengründe liegen aber in dem theils falschen, theils zu engen Zwecke den die neuste Rechtschreiberey zum voraus setzt: nichts mehr und nichts weniger als das Gehörte (einer durch die allgemeine Rechtschreibung bereits accreditirten oder zugestandenen Aussprache) zu bezeichnen." 4 Daß Hamann die — f ü r den niedersächsischen Sprachforscher 1 3 4

2 Klopstocks Werke I X 357. Ebd. 357f. Hamann, Werke, hrsg. v. Fr. Roth, Bd. VI S. 80. Hamanns Werke Bd. VI S. 236.

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zwingende — Folgerichtigkeit bei den ganz verschiedenen Voraussetzungen, von denen aus er an sprachliche Fragen heranging, nicht einsah, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die phonologische Schreibung setzt beide Prinzipien voraus, und im Grunde sind sowohl die Forderung „Sprich, wie du schreibst" als auch die Schreibung nach der Aussprache nur zwei Seiten des Problems, Schrift und Aussprache einander möglichst zu nähern. Wie aus Klopstocks Grundgesetz, das Gehörte der deutschen, nicht landschaftlichen Aussprache nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben, deutlich hervorgeht, hat er niemals die Aussprache einer bestimmten Provinz zum Vorbild seiner Orthographie erheben wollen; der anonyme Kritiker aus der Pfalz verkannte seine Absichten vollkommen, als er dagegen protestierte, daß er den „übrichen profinzen" seine Aussprache aufzwingen wolle. Klopstock hatte alle landschaftlichen Aussprachen im Gegensatz zur Hochsprache mit dem Terminus „Aussprecherei" bezeichnet und damit nicht nur den Pfälzer, sondern auch die übrigen süddeutschen Grammatiker vor den Kopf gestoßen; hatten die beiden Schwaben ihm den ersten Band des „Sprachforschers" zugeeignet, so zeigten sie sich bald sichtlich verstimmt. Fulda erklärte 1781 Klopstocks „feine Aussprache" als einziges Schreibprinzip für falsch und grundverderblich und zeigte keine Neigung, sie anzunehmen1. Während die meisten Gegner der phonologischen Rechtschreibung geltend machten, daß bei der herrschenden großen Verschiedenheit der Mundarten eine Schrift nach der Aussprache in Deutschland nicht möglich sei, war Klopstock jedoch von der Existenz einer einheitlichen deutschen Aussprache überzeugt. Sie war für ihn eine Realität, und er bemühte sich, durch sein eigenes Beispiel zu zeigen, daß man die mundartlichen Besonderheiten ablegen und sehr wohl richtig deutsch (den Terminus „hochdeutsch" gebraucht Klopstock nie) sprechen könne. Carl Friedrich Cramer verdanken wir eine genaue Beschreibung dieser Bemühungen; denn, so versichert er, „bei einem Grammatiker wie Klopstock, der sich auch mit der Aussprache so viel zu schaffen macht, kommt es allerdings in Betracht, wie er spricht; damit er andern nicht predige, und selbst verwerflich werde. Dies ist also das Bestimmte davon: Seine Aussprache ist von dem Fehlerhaften des dasigen (halberstädtischen) Dialekts gereinigt; aber die Farbe davon trägt sie, und in Hamburg und Lübeck wird er auch Fremdling! angeredt; weil er nichts von dem daselbst eigentümlich Falschen hat". 2 Mit diesem Bemühen um eine vorbildliche Aussprache des Hochdeutschen, das ihn 1 2

Fulda an Mäzke. A. a. O., S. 453. C. F . Cramer, Klopstock. A. a. O., I S. 12.

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sogar anders sprechen ließ als seine Schwestern1, stand Klopstock zu seiner Zeit noch ziemlich allein. Wohl wurde auf niederdeutschem Sprachgebiet schon 1755 von Richey in seinem ,,Idioticon Hamburgense" eine Abnahme der Mundart beobachtet, „indem das Hoch-Teutsche schon längst nicht allein in öffentlichen Handlungen und Schriften, sondern auch im gemeinen Umgange dergestalt Besitz genommen, daß auch der Bauer selbst mit einem halb-Hoch-Teutschen Worte sich schon vornehmer düncket";2 doch von den Zeitgenossen wurde das Hochdeutsche höchstens als ein Ideal gesehen, nach dem man wohl streben könne, das aber noch ziemlich weit in der Ferne liege. Gegen diese Ansicht hatte Klopstock bereits 1774 in der „Gelehrtenrepublik" seine Stimme erhoben und beklagt, daß es „noch jezo, gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts, so lange nach Luthern! Leute unter uns giebt, die es noch nicht einmal wissen, daß wir eine Sprache haben, und sie daher die h o c h d e u t s c h e M u n d a r t nennen'' ,3 Fast aufs Wort stimmt seine Polemik in der „Nachläse" mit dieser Klage überein, nur daß sie sich außer gegen den Terminus „hochdeutsche Mundart" auch gegen den Ausdruck „Büchersprache" wendet 4 ; und noch in den „Grammatischen Gesprächen" wird das Thema, das Klopstock offenbar sehr am Herzen lag, wieder aufgegriffen: „Du kennst doch das Wörterbuch der hochdeutschen Mundart? Lauter, als durch diese Aufschrift geschah, konnte man sich wider die Meinung der Nation nicht erklären, nach welcher sie eine Sprache hat." 5 Hier wird nun offenbar, daß alle diese Äußerungen versteckte Angriffe gegen A D E L U N G enthalten, in dessen „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen" Klopstock eine Gleichsetzung der hochdeutschen Gemeinsprache mit jeder beliebigen Mundart und daher in Adelung einen Gegner seiner Theorie von der Existenz einer d e u t s c h e n Aussprache erblickte. So war das von Adelung aber ursprünglich gar nicht gemeint gewesen; denn er meinte im Grunde wie Klopstock eine Sprache, die alle mundartlichen Besonderheiten abgelegt hatte und in allen deutschen Provinzen verstanden wurde, die also über den Mundarten stand. Doch dadurch, daß er das Hochdeutsche mit dem Obersächsischen gleichsetzte und diese Theorie immer einseitiger vertrat, je mehr Gegenstimmen laut wurden, erhielt das Wörter 1 2 3

C. J. Cramer, Klopstock I S. lOf. M. Richey, Idioticon Hamburgense. Hamburg 1755. S. XLIV. 4 Klopstocks Werke VIII 171. Ebd. I X 359f.

6

Ebd. 48.

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buch tatsächlich das Gepräge der Landschaft Meißen, und so hat ihm auch Voss noch 1804 in der „Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung" zum Vorwurf gemacht, daß er „eine begünstigte Mundart in ihrer neueren Gestalt f ü r das eigentliche Hochdeutsch" ausgegeben habe 1 . Bei dieser Gelegenheit nimmt er noch einmal gegen die Ansprüche Obersachsens auf die richtigste Aussprache Stellung und beruft sich auf Leibniz, der in den „Unvorgreiflichen Gedancken" das Hochdeutsche von allen übrigen Mundarten unterschieden hatte 2 . Da diese Gedanken in einer — wenn auch verspäteten — Besprechung der „Grammatischen Gespräche" des verstorbenen Freundes enthalten sind, ist anzunehmen, daß sie in Klopstocks Sinne niedergeschrieben wurden. Voss hat sich häufig mit dem Dichter über sprachliche Fragen unterhalten, so daß er Klopstocks Ansichten auch über diesen Punkt genau gekannt haben dürfte. Daß Adelung sich ganz übereinstimmend mit Klopstock gegen die Aufnahme mundartlicher Wörter in die Hochsprache aussprach, wie dieser es schon in der „Gelehrtenrepublik" getan hatte 3 , und daß er ebenfalls „landschaftliche Orthographien" ablehnte, dürfte Klopstock entgangen sein. Denn in den „Grundsätzen der deutschen Orthographie" rügte Adelung Orthographiereformer, welche „nicht einmahl die Hochdeutsche Aussprache zum Grunde gelegt wissen wollten, sondern jede Provinzial-Aussprache dazu f ü r hinlänglich hielten". 4 Dieser Tadel sollte zweifellos JAKOB HEMMER treffen, mit dem auch Klopstock im ersten Teil der „Nachläse" abrechnete. Der Pfälzer hatte, nachdem er schon vier Jahre zuvor unter dem Namen DOMITOR im „Grundris einer dauerhaften Rechtschreibung" eine Schreibung nach phonologischen Grundsätzen forderte, 1780 im „Kern der deütschen Sprachkunst und Rechtschreibung" die Ansicht geäußert, „das wir es wi di Grichen machen müssen, unter denen der anhenger jeder Mundart nach seiner ausschprache geschriben, weil er recht zu schprechen geglaubet habe". 5 Auf den Einwand, daß Deutschland durch sein System in der Rechtschreibung geteilt würde, antwortete er: „Ist es im Sprechen getrenet, und wil dise Trenung nicht heben: warum sol es nicht auch im Schreiben getrenet sein dörfen?" 6 Für ihn gab es also keine vorbildliche Aussprache, die f ü r alle Provinzen verbindlich gewesen wäre; er kannte nur Mundarten, und statt eine ein1 2 3 4 6

J. H. Voss, Grammatische Gespräche von Klopstock. A. a. O., S. 192. Ebd. S. 204. Klopstocks Werke V I I I 106. Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 102. 6 Klopstocks Werke I X 357. Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 58f.

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heitliche Hochsprache auch nur f ü r wünschenswert zu halten, wollte er die Unterschiede der Aussprache nun auch in der Schrift festgehalten sehen. Das bedeutete jedoch einen klaren Rückschritt, und mit Recht wandte sich Klopstock gegen diese Auffassung: „Wen ich stolz d a r a u f b i n , ein Deütscher zu sein; so bin ich gerade deswägen nicht demütig genung zu glauben, daß ich n u r dar Profinz angehöre, in welcher ich geboren bin. Ich erkläre also, als ein Deütscher, . . . daß die ganze Zeit über, da durch E i n f ü r u n g der algemeinen Rechtschreibung entschiden wurde: Welche Aussprache di richtige, oder gute, oder deütsche were; alle Profinzen Deutschlands in dem hohen R a t e gesessen, und bei Samlungder Stimmen mitgesprochen haben." Bei dieser Gelegenheit f ü h r t e er zugleich einen Seitenhieb gegen Goethe, der seiner Meinung nach der Mundart ein zu großes Recht in seiner Dichtung einräumte, „was är si, wen är es bei Lichten besit, fileicht selbst noch bitten wird wider zu ferlernen." 1 Auch in der kleinen Abhandlung „Über E t y mologie und Aussprache" vom J a h r e 1781 hob Klopstock noch einmal die Existenz einer nicht landschaftlichen, sondern deutschen u n d von der Nation durch die allgemeine Orthographie d a f ü r erkannten Aussprache hervor. „Wenn das nicht wäre, warum schriebe man denn z. E . in Westphalen: Menschen, da man doch: Mens-gen ausspricht? W a r u m in Obers a c h s e n : böse, übel, Feuer;

o b m a n gleich bese, ibel, Feier

sagt?"2

Auch Friedrich Carl Fulda wurde von Klopstock getadelt, weil er Landschaftliches mit dem Deutschen vermengte 3 und ebenso wie sein treuer Anhänger J o h a n n Nast die Rechte seines süddeutschen Dialektes gegen die Ansprüche des sächsischen u n d norddeutschen Vorbildes verteidigte 4 . E s ist eine merkwürdige Erscheinung in der Geschichte der deutschen Hochsprache, daß gerade diejenigen Gebiete, von denen aus das Hochdeutsche gegen den niederdeutschen Sprachraum vorgerückt war, in der Entwicklung hinter diesem zurückblieben u n d die Existenz dieser Hochsprache leugneten noch zu einer Zeit, als sie dort schon in weitesten Kreisen Eingang gefunden hatte, u n d daß n u n die Hochsprache umgekehrt in Nordsüdrichtung weiter an Boden gewann. Klopstock h a t als einer der ersten den Lokalpatriotismus auch auf sprachlichem Gebiet überwunden, u n d indem er eine Lanze brach f ü r die Einheit der deutschen Aussprache u n d Rechtschreibung, h a t er schon frühzeitig den Gang der sprachlichen Entwicklung erkannt und ihn durch sein Wirken voranzutreiben gesucht. Daß es vielleicht 1 2 3 4

Klopstocks Werke I X 359. Ebd. 412. Ebd. 378. H. Röben a. a. O., S. 19.

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zu frühzeitig war, hat die praktische Durchführung seiner Orthographie reform verhindert, und damit haben die Gegner seiner Theorie scheinbar zunächst recht behalten; aber den Fortschritt der Entwicklung haben sie nicht aufhalten können, und die Zukunft hat eindeutig für Klopstock entschieden. 3. „Über Etymologie

und

Aussprache"

Das zweite „positive Gesetz" ADELUNGS, durch das die Schrift näher bestimmt werden soll, ist „die erweisliche nächste Abstammung". Dadurch erhalten nach seiner Ansicht 1. alle Wörter desselben Stammes eine einförmige Schreibart, und 2. wird der Bau des Wortes zur Beförderung der allgemeinen Verständlichkeit aufgeschlossen1. Damit hat Adelung schon beide Wirkungsbereiche des sogenannten Etymologischen in der Schreibung umrissen: die analogische Schreibung wurzelverwandter Wörter und die historisierende Tendenz der Schrift. Sie sind von den Grammatikern des 17. und 18. Jahrhunderts nur unklar unterschieden worden und meist unter dem Schlagwort „Etymologie" zusammengefaßt, wie denn auch die Grenzen zwischen Etymologie und Analogie gerade auf dem Gebiet der Rechtschreibung sehr fließend sind und einander verwandte Wortformen zugleich das Ergebnis einer historischen Entwicklung darstellen. Selbst der entschiedenste Verfechter des Analogieprinzips, Abraham Gotthelf Mäzke, spricht fast nur von Etymologie, so daß ich den Begriff hier am besten in dem umfassenden Sinn des 18. Jahrhunderts gebrauche und in diesem Abschnitt auch Klopstocks Gegner aus Gründen der Analogie zu Worte kommen lasse. Seit SCHOTTEL galt in der deutschen Rechtschreibung neben der Schreibung nach der Aussprache das Prinzip, daß alle Stammbuchstaben, die den Wurzelwörtern eigen sind, in allen abstammenden Wörtern beibehalten werden sollten 2 . Nach diesem etymologischen Grundsatz, den Schottel auch in den übrigen Teilen der Grammatik befolgte, sollten die Stammwörter, zumindest die Konsonanten, in allen Veränderungen gleich geschrieben werden 3 . Auch GOTTSCHED beobachtete diesen Grundsatz 4 , und Aichinger stellte danach in seinem „Versuch einer teutschen Sprachlehre" die Regel 1

Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 80f. J. Bause, Überblick über die Entwicklung der deutschen Rechtschreibung. Progr. Meseritz 1900. S. 38. 3 J. G. Schottel a. a. O., S. 193. 4 Gottsched a . a . O . , S. 66: „Alle Stammbuchstaben, die den Wurzelwörtern eigen sind, müssen in allen abstammenden beybehalten werden." 2

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auf: „Die Wörter, so bey ihrer Verlängerung gedoppelte Consonanten haben, müssen dergleichen auch, wenn sie nicht vermehrte werden, am Ende haben." 1 Ähnliche Ansichten finden wir auch bei F U L D A : „Müsen wir nicht ein Wort so schreiben, dass wir es nicht ferkennen, wenn es, der Natur der Sprache nach, blos in einer andern Ferhältnis steht?" 2 Durch die Rechtschreibung dürfen wir uns nach seiner Ansicht den Weg zur Herleitung eines Wortes nicht selbst versperren3; darum wandte er sich auch gegen Hemmers rein phonologisches System. Da für Fulda die hochdeutsche Schriftsprache eigentlich gar nicht gesprochen wurde, war ihm „ihr Grund aus welchem ihr Schreibgebrauch im erforderlichen Falle beurtheilet und entschieden werden muß, schlechterdings nichts anders, als Etymologie, oder mit andern Worten — Herkunft, Sprachwesen, Bildung, Bildungsform und Gleichförmigkeit".4 Sein Standpunkt wurde — wie üblich — von seinem Freunde N A S T geteilt, der im Altertum und in der Etymologie den einzig gültigen Maßstab und das Kriterium für die Richtigkeit der Aussprache erblickte. War sich aber Deutschland in der Aussprache einig, so mußte die Etymologie weichen, auch wenn sie dieser Aussprache widersprach5. Fulda war der erste konsequente Vertreter der Etymologie und suchte alle Erscheinungen der Gegenwartssprache historisch zu erklären. Wohl war auch für ihn die Aussprache für die Schrift maßgebend; war aber die Schreibung eines Wortes noch nicht festgelegt oder wies sie ungehörte Buchstaben auf, so entschied die historische Entwicklung wie im Falle der „stummen Dinstbuchstaben" H und E6, die, obwohl im Neuhochdeutschen verstummt, nur in solchen Fällen geschrieben werden sollten, wenn sie historisch berechtigt waren. Damit suchte er M Ä Z K E ZU widerlegen, welcher zwar mit seinen Reformvorschlägen nach dem Prinzip „Bezeichne die Etymologie, so lange es nicht wider die Aussprache ist" 7 zu handeln glaubte, aber eben unter dem Begriff „Etymologie" etwas anderes verstand als Fulda. Während dieser, wohl der beste Kenner der altdeutschen Literatur unter den zeitgenössischen Orthographiereformern, auf das Nacheinander der historischen Entwicklung pochte, glaubte Mäzke „etymologisch" vorzugehen, wenn er das 1

C. F. Aichinger, Versuch einer teutschen Sprachlehre, . . . Frankfurt und Leipzig 1754. S. 37. 2 Sprachforscher I S. 139. 3 Ebd. S. 169. 4 Fulda an Mäzke. A. a. O., S. 442f.; cf. Klopstocks Werke I X 411. 6 Sprachforscher I I S. 104. « Ebd. I S. 147ff. 7 A. G. Mäzkens Versuch . . ., a. a. O., S. 90.

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Nebeneinander verwandter Wortformen ähnlich gestaltete und dabei — wie vor allem bei den Dehnungszeichen deutlich wird — nicht selten gegen das Prinzip Fuldas verstieß, der sich dann auch genötigt sah, Mäzkes Etymologien ,,aus der Etymologie" zu widerlegen 1 . Der prinzipielle Unterschied, um den es hier geht, tritt auch in den lexikographischen Arbeiten beider Grammatiker zutage: während Fulda die einsilbige Wurzel bis in die Urzeit des menschlichen Sprechens zurückverfolgte uud daraus alle späteren Formen ableitete, erhoffte Mäzke gerade in der Nebeneinanderstellung der zu einer „WörterFamilie" gehörigen Wortformen am sichersten der Abstammung jedes Wortes auf die Spur zu kommen. Mäzkes orthographisches Grundgesetz lautet: „Bezeichne auf eine entscheidende analogische Weise die allgemeine Hochdeutsche Aussprache eines Wortes und nächst der selben die Etymologie (und unmittelbahre Abstammung des selben) so lange dieß läzstere nicht wider jene wäre." 2 Damit räumt er der Etymologie in der Rechtschreibung einen entscheidenden Platz ein. Auf rein phonologischer Grundlage wäre ihm die Schrift bloß „Handwerksmahlerei", und erst durch die Etymologie wird sie zur „Wissenschafft". 3 Seine Theorie fand Anklang unter den übrigen Gegnern des phonologischen Prinzips. Namentlich N I C O L A I hatte sich seine Gedanken zu eigen gemacht und berief sich bei seiner Besprechung von Klopstocks „Fragmenten" in der Allgemeinen deutschen Bibliothek auf das Recht der Etymologie: „Unsere Vorfahren haben daher . . . bey der Rechtschreibung auch die Wortforschung zu Hülfe genommen, weil diese uns oft die richtige Aussprache lehren, und wenn die Landschaften uneins sind, dieselbe kann bestimmen helfen. Dadurch wird (wie Herr Mäzke ganz richtig sagt) die Rechtschreibung zur Wissenschaft, da sie sonst bloß eine Handwerksmalerey seyn würde." 4 Hatte Klopstock im ersten Teil der „Nachläse" mit den „landschaftlichen" Orthographien abgerechnet, so mußte er, durch Nicolais Rezension veranlaßt, im zweiten Teil gegen die Verteidiger des Etymologischen streiten und kam, nachdem Mäzke selbst 1780 gegen ihn auf den Plan getreten war 5 , in den beiden folgenden Jahren mit zwei kleineren Aufsätzen „Über Etymologie und Aussprache" (1781) und „Grundsätze und Zweck unserer jetzigen 1

A. G. Mäzkens Versuch . . a . a. O., S. 90. Ebd. S. X I I . 3 Ebd. S. X I I . 4 Allgem. dt. Bibl. 39, 1, S. 255. 5 A. G. Mäzke, Über Deutsche WörterFamilien und Rechtschreibung. Züllichau 17SO, S. 99 Anm. und S. 101 Anm. 2

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Rechtschreibung" (1782) nochmals auf dieses Thema zurück, obwohl er schon in der „Nachläse" den Vorsatz geäußert hatte, nichts mehr über die Sache schreiben zu wollen — ein Zeichen, wie wichtig ihm die Widerlegung dieser an den Grundfesten seines Systems rüttelnden Meinungen war. Klopstock hat sich auch in seiner programmatischen Schrift „Über die deutsche Rechtschreibung" Gedanken über die Rolle der Etymologie gemacht, denn seine 5. Regel lautet: „Man nimt di w a r e n Ableitungsregeln bei der Rechtschreibung zu H ü l f e . " 1 Hier bereits distanziert er sich von der „Ableitung, di der Sprachuntersucher haben mus, u n d durch di är z. E. weis, daß frisch fon dem alten Fera (Sele, Laben) härkomme, oder daß öde in Einöde nichz anders sei, als unser jeziges heit oder keit: sondern es ist nur fon d ä m W e n i g e n d i s e r K e n t n i s di Rede, das man bei der Rechtschreibung nicht wol entbären k a n . " 2 Aus den angeführten Beispielen geht hervor, daß Klopstock bei der Ableitung vor allem die Umlautgesetze im Sinn hatte. I n seiner Erwiderung auf Nicolais Kritik betont er nochmals, daß f ü r ihn „das Schreiben nichz anders, als Schatten des Baums, oder Gus in di F o r m " sei 3 , also die Schrift keine andere Aufgabe haben könne, als ein getreues Abbild der Aussprache zu sein. Wenn man aber nun noch Etymologisches mitschreiben soll, so erhebt Klopstock die Frage, wie weit m a n in diesem P u n k t e zu gehen habe. Mit demselben Recht, mit dem m a n in Sinn die Doppelkonsonanz beibehält, weil der Plural Sinne lautet, müßte m a n z. B. auch den Umlaut in Flüsse bereits im Singular andeuten, also Fluüß schreiben: „Denn ich behaupte, daß man nichz, was es auch sei, zu dem Gehörten hinzusezen dürfe; u n d dis unter andern auch deswägen, weil uns dise Regel bis dahin f ü r t , daß wir am Ende alles, und dahär nicht blos Etimologisches, schreiben müssen, was man in demselben nun ferenderten Worte, . . . oder in andern fon im abgeleiteten hören wird." 4 Daß dieses Argument auf schwachen Füßen steht, haben schon die Zeitgenossen empfunden und die Klopstocksche Schlußfolgerung,,alles oder nichts" f ü r keinen Beweis gelten lassen 5 . Aber Klopstock h a t noch gewichtigere Gegengründe vorzubringen: so weist er mit Recht d a r a u f h i n , daß m a n „von nichts als Etymologie spricht, u n d doch k a u m ein J o t a davon schreibt; und dieß wenige noch dazu beynah 1

Klopstocks Werke I X 339. Grimm läßt D W b . I V 1. 1. 204 die Etymologie v o n frisch unentschieden. Auch ist öde keine Ableitungssilbe. (Grimm V I I 1142). 3 Klopstocks Werke I X 387. 4 Ebd. 393; cf. 407. 6 Über die Rechtschreibung. Deutsches Museum 1781, 2. S. 473. 2

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nur allein von der Deklinazionsetymologie, oder derjenigen, die keine ist". 1 Um diesen Ausspruch recht zu verstehen, müssen wir auf Klopstocks Vorstellung von „Etymologie" eingehen, über die er sich 1782 in der Schrift „Über Etymologie und Aussprache" unzweideutig erklärt hat 2 . Hier unterscheidet er die „Etymologie in weiterem Verstände", nach der man wissen muß, „wie unsre jetzigen Wörter ehmals lauteten", von der „Etymologie in engerem Verstände", welche die Veränderungen lehrt, „durch welche ein Wort zu einem anders genannten wird." Zu der ersten Art der Etymologie rechnet er z. B. die Kenntnis der Abstammung des Wortes Demuth von ahd. Odmout3, während er unter „Etymologie in engerem Verstände" die Verwandtschaft von können oder kennen mit Kunst und künstlich verstanden wissen will. Nun ließe Klopstock die Mitschreibung des Etymologischen noch hingehen, wenn man das „Wichtigste der Etymologie", also die Etymologie in weiterem Verstände, bezeichnen wollte. Die Schreibung einlif für elf oder Köning für König wird weder von Mäzke noch von irgendeinem anderen Ritter der etymologischen Rechtschreibung vorgeschlagen4, und doch findet Klopstock darin die einzige Etymologie, zu der wirkliche Sprachkenntnis erforderlich wäre und durch welche die Rechtschreibung, wie Mäzke fordert, zur Wissenschaft erhoben würde. Statt dessen fordern seine Gegner die Schreibung der sogenannten „Deklinazionsetymologie", wie Klopstock das analogische Bestreben nennt, die Mitlaute der Stammwörter auch in den abgeleiteten beizubehalten, und das er gar nicht mit zur Etymologie gerechnet wissen will: „Keiner rühmt Jemanden wegen Kenntniß der Etymologie, weil er dekliniren und konjugiren kann." 5 Deshalb spottet er über die Versuche, etwas, das zu der bei der Aussprache und daher auch beim Schreiben notwendig vorauszusetzenden Sprachkenntnis gehört, zum Wissenschaftlichen der Rechtschreibung erklären zu wollen, obwohl die gemeine Sprachkenntnis zu wissen erfordert, „daß Mutter und Tochter sich durch eine Sommersprosse ungleich sind". 6 Klopstock betrachtet es als selbstverständlich, daß man die Formen Sinnes und kundig als Ableitungen von Sin und kunt erkenne, auch wenn dies nicht ausdrücklich in der Schrift zum Ausdruck kommt. 1 2 3

Klopstocks Werke I X 413. Ebd. 410ff. Deomuoti steht in ahd. Zeit schon gleichbedeutend neben ótmuoti (Grimm I I

920). 1 5 8

Klopstocks Werke I X 388f. Ebd. 411. Ebd. 391.

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Sicher ist er in dieser Meinung, die wieder rein vom Akustischen ausgeht, durch seine altdeutschen Studien bestärkt worden, lobt er doch wenige Seiten zuvor das „winsbekkische Gedicht", in welchem nichts Ungehörtes geschrieben werde 1 ; Hemmer h a t t e bereits im ,,Grundris" die Orthographie im Winsbeke gelobt, die weder Dehnungs- noch Kürzezeichen nötig gehabt h a t t e 2 . Auch Fulda scheint sich ausdrücklich auf diese Stelle zu beziehen, wenn er seine „Schwäbische Antwort auf Domitors Gundriss einer daurh a f t e n Rechtschreibung" im ersten Teil des „Teutschen Sprachforschers" endigt „mit dem herrlichen, leider fergeblichen Wunsch der orthographischen Rükker Winsbekischer Zeiten". 3 So kommt es, daß Klopstock die Mitschreibung der „Deklinazionsetymologie" f ü r durchaus entbehrlich h ä l t ; denn warum sollte m a n beim Schreiben deutlicher sein als beim Reden? Gleichwohl wäre dies der Fall, wenn man Blick f ü r Blik schreiben wollte, nur weil der Plural Blikke lautet. U n d wenn wir uns durch die Schreibung Sinn davon belehren ließen, daß die Mehrheit Sinne heißen müsse, so wäre dies einem Maler zu vergleichen, „der näben ein Gesicht mit heitrer Stirn eine trübe malte, u m uns zu benachrichtigen, wi der Man wol bei andrer Gelägenheit auszusen flägte".4 Immer wieder pocht Klopstock auf die Aussprache, die f ü r ihn unlösbar mit allen orthographischen Problemen verk n ü p f t ist, während seine Gegner vorwiegend am Buchstaben h a f t e n : „Di Aussprache ist geredete Sprache, u n d das Schreiben geschribne Aussprache. Beide lassen sich one di erwänte notwendige Sprachkentnis nicht denken. Wen di Rechtschreibung durch dise Kentnis wissenschaftlich wird; so wird es di Aussprache a u c h . " 5 U n d umgekehrt: kümmert sich die Aussprache, ohne der Verständlichkeit Schaden zu tun, nicht u m die „Deklinazionsetymologie", warum sollte es der Schreibende tun? I n dieser Auffassung war sich Klopstock, wie in so vielen anderen Gedanken, völlig mit HEMMER einig, der schon 1776 geäußert h a t t e : „Es konte also keine widersinnigere u n d ferwerflichere Regel der Rechtschreibung erdacht werden, als di Regel der Herleitung, welche leret, ein Wort mit andern Buchstaben zu schreiben, als darin ausgesprochen werden, blos um seinen Ursprung zu zeigen. Den Stam und di H e r k u n f t der Wörter aufsuchen und wisen, ist eine fortrefliche Sache, di zur folkomenen Kentnis unserer Sprache unentbärlich ist; aber mus man darum ein Wort so 1 2 3 4 5

Klopstocks Werke I X 365. Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 50. Sprachforscher I S. 146. Klopstocks Werke I X 393. Ebd. 389.

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schreiben, das man im anseen köne, wo es her ist?" 1 Die mittelhochdeutsche Schreibpraxis hat bewiesen, daß der phonologische Standpunkt durchaus berechtigt ist, und in diesem Bewußtsein konnte Klopstock die etymologische Schreibung als sehr fragwürdige „Wissenschaft" entlarven und die fadenscheinigen Argumente seiner Gegner überlegen zurückweisen. Außerdem wies Klopstock mit Recht darauf hin, daß in der allgemeinen Rechtschreibung die Anwendung oder Nichtanwendung des mitzuschreibenden Etymologischen keine Gründe habe, man also nur durch bloßes Auswendiglernen erfahren könne, ob man etymologisch oder nicht etymologisch schreiben müsse 2 . Aber in den meisten Fällen erniedrigen wir uns, wie wissenschaftlich wir uns auch anstellen, „beina durchgehends zu der Handwerxmalerei, und schreiben blos, was di Aussprache hören lest". 3 Darum gilt es, die Schreibung nach der Aussprache als einziges richtiges Prinzip der herrschenden Rechtschreibung konsequent durchzuführen, und von Andeutung der Etymologie kann nur insofern die Rede sein, als diese mit der Aussprache übereinstimmt 4 . Daß Klopstock dabei in den wenigsten Fällen gegen die von Mäzke verteidigte „Etymologie" verstößt, wenn er gegen die mehrlautigen und überzähligen Buchstaben eifert oder die Dehnungszeichen abschaffen will, scheint seinen Gegnern, welche seine Reformvorschläge aus Gründen der Etymologie verurteilen, entgangen zu sein; und doch handelt es sich hierbei um die wesentlichsten Punkte seines Programms. So beklagt er sich mit Recht, daß die Gegenseite von dem „Überzähligen usw. schweigt, als ob es entweder gar nicht mit in Betrachtung komme, oder die Beybehaltung desselben ohne Weiteres anzunehmen sey". 5 Ende 1784 sah sich Klopstock genötigt, nachdem er alle diese Gründe mehrmals ausführlich dargelegt hatte, gegen einen weiteren Vertreter der Mäzkeschen Richtung zur Feder zu greifen. Der dem Dichter befreundete Mathematikprofessor JOHANN NICOLAUS TETENS aus Kiel hatte ihm gelegentlich seine Bedenken gegen die neue Orthographie geäußert, und als Klopstock Mitte der achtziger Jahre letzte Hand an sein Rechtschreibsystem legen wollte, bat er ihn um eine schriftliche Auseinandersetzung 6 , vermutlich, um sich selbst endgültige Klarheit zu verschaffen und seine Orthographiereform die letzte Feuerprobe bestehen zu lassen. Klopstock scheint gerade auf Tetens' Meinung großen Wert gelegt zu haben, nennt er 1 2 3 4 5

Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 65. Klopstocks Werke I X 407 f. Ebd. 390. Ebd. 403. 6 Ebd. 413. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 312.

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ihn doch den einzigen, der auf der altorthographischen Seite hervortreten dürfe 1 . Tetens ist, wie Mäzke, Verteidiger der „Etymologie", die ihren Grund aber in der Abneigung hat, von dem herkömmlichen Gebrauch abzuweichen. Nach seiner Meinung darf das Bedürfnis einer Reformation keinesfalls so weit gehen, „daß ein n e u e s a l l g e m e i n e s P r i n z i p gemacht, oder ein vorhandenes allgemeines u m g e ä n d e r t werden dürfe" 2 . Er behauptet, daß die Buchstabenschrift nach der Aussprache nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck ist, nämlich die Sachen sichtlich zu bezeichnen 3 . Seine Forderung ist, „daß die Beziehung der S t a m m b e g r i f f e und der aus ihnen a b g e l e i t e t e n , und die V e r w a n d t s c h a f t d e r L e t z t e r n , so viel es angeht, in den Zeichen kenntlich sey". 4 Denn die Schrift hat seiner Ansicht nach deutlicher als die Aussprache zu sein, weil sie sich an a b w e s e n d e L e s e r richtet 5 . Für seinen Grundsatz: „Di Schrift ist nichts anders, sol und mus nichts anders sein, als. eine sichtliche Bezeichnung der Gedanken nach der Analogie mit der hörbaren Sprache" 6 kann er jedoch keine stichhaltigen Beispiele anführen, und so ist es f ü r Klopstock verhältnismäßig leicht, den Gegner zur Strecke zu bringen, obwohl es nicht den Anschein hat, als ob Tetens zu einem begeisterten Apostel der Klopstockschen Orthographie bekehrt worden wäre. Er erklärt sich keineswegs geschlagen, sondern hält nur eine weitere Diskussion f ü r zwecklos: „Da Sie mich nicht und ich sie nicht überzeugt habe: so überlasse ich denn ruhig der Folgezeit den Ausspruch." 7 Trotzdem feiert Klopstock seinen Sieg mit einer Grabschrift auf den überwundenen Widersacher, in welcher er die „Deklinazionsetymologie" ad absurdum f ü h r t 8 . Klopstock war von der Alleingültigkeit des phonologischen Prinzips in der Orthographie so fest überzeugt, daß er in seinem Eifer selbst die historische Wortbildung außer acht ließ und Schreibungen wie hinwerz, stez, nichz vorschlagen konnte, obwohl ihn — nach seinem eigenen Geständnis — das Ungewöhnliche dieser Wortbilder anfangs selbst befremdete. „Aber das war bald fgrbei. Jezt se ich es gern so rein for mir, wi mans hört, und spricht." 9 1 2 3 4 5 8 7 8 9

Klopstocks Briefe a. a. O., S. 318. Tetens' Briefwechsel mit Klopstock a. a. O., S. 182f. Ebd. S. 184. Ebd. S. 190 f. Ebd. S. 189. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 315. Tetens' Briefw. S. 263. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 319f. Klopstocks Werke I X 334.

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Gewiß hatte er richtig beobachtet, wenn er in Wollauz denselben Endlaut zu vernehmen glaubte wie beispielsweise in Reiz, wo allerdings das z durch die Affrikatenverschiebung entstand und nicht, wie Klopstock annahm, aus einer Zusammenziehung von t und s hervorging 1 . Mit solchen Schreibungen forderte Klopstock schon den Spott der Zeitgenossen heraus. So schrieb L I C H T E N B E R G über das „Süstem des H . K . " : ,,Fürz gleich nicht überall Überzeugung bei sich, so fürz doch auf Einigkeit, und hilfz nichz, so schätz doch auch nichz." 2 Noch heute würden Schreibungen wie fliz und Glüx dem Lesenden sehr fremdartig vorkommen und kaum Erfolgsaussichten haben. Auch die Schreibung nach der Aussprache hat — f ü r den alltäglichen Gebrauch — ihre Grenzen, und der Bruch mit der herrschenden Schreibtradition darf nicht zu radikal sein, soll die praktische Durchführung einer Orthographiereform auf phonologischer Grundlage nicht von vornherein in Frage gestellt sein.

4. Sprachgebrauch und

Schreibgebrauch

Schließlich will A D E L U N G — und das ist f ü r ihn der wichtigste Punkt — das „Naturgesetz" der Schrift durch den allgemeinen Gebrauch eingeschränkt wissen: „Wenn die Art, einen Laut zu schreiben, weder durch die Aussprache, noch durch die nächste erweisliche Ableitung bestimmet werden kann, so entscheidet selbige der Gebrauch." 3 Selbst die Etymologie ist dem Sprachgebrauch untergeordnet und kann nur in zweifelhaften Fällen entscheiden, wo der Sprachgebrauch schwankend ist 4 . Wohl hat auch er in der „niederen oder näheren Etymologie", welche Klopstock als „Deklinationsetymologie oder diejenige, die keine ist", verspottet, eines der vornehmsten Grundgesetze der Orthographie gesehen 5 ; aber warnend weist er darauf hin, „wie vielen Thorheiten und Ungereimtheiten der Weg gebahnet wird, wenn man die Etymologie und Analogie über den Sprachgebrauch erhebet; die meisten bisherigen orthographischen Mißgeburten sind aus diesem irrigen Vorzuge entsprungen." 6 1

Reiz ist erst nhd. zu dem Verbum reizen gebildet, Klopstocks Etymologie also unrichtig. (Grimm VIII 791). 2 G. Chr. Lichtenberg, Vermischte Schriften in 6 Bden., Göttingen 1844-46. Bd. I S. 323. 3 J. Chr. Adelungs Deutsche Sprachlehre. Berlin 6 1816. S. 483. 4 Ebd. S. 9. 5 Ebd. S. 36. 8 Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. X X I I I .

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Demnach war auch Adelung mit Mäzkes etymologischer Orthographie keineswegs einverstanden, da dieser schon entschiedene und allgemein gangbare Fälle umändern wollte, übertrafen doch seine Neuerungen in Adelungs Augen alles, was in diesem Fache in irgendeiner Sprache nur versucht worden war 1 . So bekämpfte er die analogistischen Bestrebungen Mäzkes von einem ganz anderen Standpunkt als Klopstock. Dieser hatte den Geltungsbereich der Aussprache als einziges Schreibgesetz nicht durch „etymologische" Rücksichten schmälern wollen; Adelung dagegen sah die Domäne des herrschenden Gebrauchs und damit die Einheit der Schriftsprache bedroht. Und wenn er lehrte, daß die Abstammung der Aussprache nachstehen müsse, so beeilte er sich, erläuternd hinzuzufügen: „Man darf die einmahl eingeführte Art, ein Wort zu schreiben nicht ändern, so bald die allgemeine Aussprache darunter leiden würde." 2 Aus diesen Äußerungen Adelungs wird deutlich, daß er ständig auf das Recht der herkömmlichen Schreibung pocht und von jeder Veränderung im Wortbild, das sich uns mit allen seinen einzelnen Teilen einmal eingeprägt hat, eine unheilbare Zerrüttung befürchtet, die sich notwendig auch dem ganzen Bild von dessen Begriffe mitteilen muß. Darum darf solche Veränderung „nicht ohne die höchste Noth und erweislichen überwiegenden Nutzen unternommen werden, und ist vielleicht auch da nicht einmahl rathsam". 3 Nach diesen Worten ist es nicht verwunderlich, daß Adelung ein geschworener Feind j e d e r Orthographiereform sein mußte, die ja gegen den herrschenden Gebrauch verstieß. Deshalb erklärte er die Neuerer in der Orthographie, allen voran Philipp von Zesen, für Schwärmer und Phantasten 4 und sah in der Vergeblichkeit ihrer Bemühungen den Beweis dafür, daß „unsere einmahl gewöhnliche Orthographie kein Werk der Willkühr, sondern des Bedürfnisses ist." Die einzige Folge ihres Wirkens bestand für Adelung darin, daß die Allgemeinheit durch solche Versuche gestört und der Schreibegebrauch hier und da schwankend und ungewiß geworden sei, wo er es vorher nicht war 5 . Ich bin deshalb so ausführlich auf Adelungs Standpunkt eingegangen, weil er von dem überwiegenden Teil der Gegner der Klopstockschen Orthographiereform geteilt wird; ja die Berufung auf die Ungleichmäßigkeit der deutschen Aussprache und das Recht der Etymologie erscheinen oft nur als 1 a 3 4 6

Adelung, Vollst. Anweisung a. a. O., S. 421. Ders., Deutsche Sprachlehre S. 484. Ders., Vollst. Anweisung a. a. O., S. 276. Ebd. S. 411. Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 92.

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Versuche, die Angst vor dem Neuen und Ungewöhnlichen, vor dem Abweichen von dem Althergebrachten mit wissenschaftlichen Gründen zu rechtfertigen. Der Widerstand der Anhänger der Schreibtradition ist so alt, wie es Reformversuche in der Orthographie gibt. Vor Adelung hatte bereits Gottsched, in dessen Tradition er ja steht, das Herkommen zum Schreibgesetz erhoben: „Man schreibe so, wie es der allgemeine Gebrauch eines Volkes seit undenklichen Zeiten eingeführet hat." 1 Adelung ist diesen Weg konsequent zu Ende gegangen, und auf ihn berufen sich alle diejenigen, welche durch Klopstock und die übrigen Orthographiereformer die Einheit der Schriftsprache bedroht glauben. Hier ist vor allem WIELAND ZU nennen, der lieber die ganze Nation unter dem Zepter Adelungs, des Verfechters der hergebrachten Schreibung, gebeugt als durch die „heterodoxe Orthographie" die Gleichförmigkeit der deutschen Rechtschreibung gefährdet sehen wollte. Der Gedanke war ihm unerträglich, daß Ausländer über unsere schwankende Orthographie spotten könnten, und deshalb sollte sich jeder patriotische Gelehrte zur Pflicht machen, diese Schmach von der Nation abwälzen zu helfen 2 . Ebenso bemerkte z. B. der Philosoph CHRISTIAN GARVE in der Vorrede zu seinen „Versuchen über verschiedene Gegenstände", daß auch in der Rechtschreibung Übereinstimmung der Menschen anders nicht möglich sei, „als wenn sie sich freywillig einer Autorität unterwerfen, deren Aussprüchen sie auch dann folgen, wenn sie sie nicht durchaus billigen". Diese Autorität war auch für ihn keine andere als Adelung 3 . Der Glaube an die Unantastbarkeit des allgemeinen Gebrauchs hat auch NICOLAI zum Gegner einer phonetischen Orthographie werden lassen; wie die Sprache für ihn unter der Herrschaft der Gewohnheit stand, so war ihm auch ihre schriftliche Aufzeichnung dadurch geheiligt4. J a selbst ein so großer Freund von orthographischen Neuerungen (die allerdings in seinen Augen nur den in der hergebrachten Rechtschreibung angelegten Grundsätzen zu allgemeiner Gültigkeit verhalfen) wie MÄZKE scheute sich nicht, den bisherigen Schreibgebrauch zu seiner „recht innigen Freude und Erquickung" durchaus gegründet zu finden, und beteuerte, daß er „bei der strengsten und unparteiischsten Untersuchung die Probe halte" 5 . Auch 1

Gottsched a. a. O., S. 71. W. Feldmann, Wieland a. a. O., S. 275. 3 Chr. Garve, Versuche über verschiedene Gegenstände. T. 1—3. Breslau 1797 bis 1802. T. I, S. X V I I f . 4 A. Schach a. a. O., S. 5. 5 Mäzke, Versuch a. a. O., S. XV. 2

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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suchte gelegentlich zu beweisen, daß bei fortschreitender Entwicklung einer Schriftsprache der Schreibgebrauch an die Stelle der Aussprache trete und man darauf achten müsse, wie verstanden — nicht wie gesprochen werden solle1. Andere Voraussetzungen hatten JOHANN GEORG HAMANN zur Verteidigung des Herkommens geführt. Schon sein Streit mit Christian Tobias Damm hatte deutlich werden lassen, daß es vorwiegend religiöse Gründe waren, welche ihn für die überlieferte Rechtschreibung und den Buchstaben h eintreten ließen. „Die Auffassung des h als göttlicher Hauch, als kleinstes Zeichen Gottes, das nicht verloren gehen darf, in dessen Wurzeln und Gesetz seiner Erhaltung die menschliche Vernunft nicht hinabreicht, das war der geistige Hintergrund von Hamanns Einstellung zur Orthographie und ihrer Erneuerung." 2 So berief er sich auf das Bibelwort: „Biß daß Himmel und Erde zergehen, wird nicht zergehen der kleinste Buchstab noch ein Tüttel" 3 , woraus er die Schlußfolgerung zog, daß jeder einmal eingeführte Buchstabe nicht nur durch den Gebrauch, sondern durch denjenigen, „der alle Dinge trägt mit seinem kräftigen Worte", geheiligt sei. Haben wir bisher die wichtigsten und einflußreichsten Gegner der Klopstockschen Orthographie nach der Aussprache aus Gründen des allgemeinen Gebrauches zu Worte kommen lassen, wobei besonders die Berufung auf die zu erhaltende Einheit der Schriftsprache nicht von der Hand zu weisen ist, so wenden wir uns nun der Zunft der Gelehrten und Literaten zu, welche für die Aufnahme von Klopstocks Reformvorschlägen in den Kreisen des gebildeten Bürgertums charakteristisch sein dürfte. Hier ist das immer wiederkehrende Argument, welches die Anhänger des Althergebrachten Klopstock entgegenhalten und auch Kindleben in seiner Flugschrift anführt, daß die neue Schreibart zu gleicher Zeit Auge und Ohr beleidigt, ohne daß sich ein wesentlicher Nutzen davon versprechen lasse 4 . Wie Kindleben will auch Prof. Klügel in seiner Encyclopädie lieber einen unschädlichen Überfluß dulden, als dem Auge das geringste Ärgernis zu verursachen, habe doch das Auge ebensogut die Beobachtung des eingeführten Gebrauchs zu fordern wie das Ohr 5 . Auf ihn beruft sich der Rezensent Splittegarb im „Teutschen Merkur" 6 , und Prof. Fronhofer gesteht, daß er über das Seltene FULDA

1

2 Fulda an Mäzke, a. a. O., S. 442. H. Röben a. a. O., S. 34. J. G. Hamann, Sämtliche Werke Bd. III, Wien 1951. S. 105. 4 Kindleben a. a. O., S. 27. 5 Klügel's Encyclopädie, Th. III, Berlin und Stettin 3 1807. S. 562. 6 K. F. Splittegarb, Etwas zur Rechtfertigung der bisherigen teutschen Rechtschreibung. Teutscher Merkur 1787, 1, S. 192. 3

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und Ungeheure erschrickt, sobald er nur Klopstocks Fragmente in die Hand nimmt, und vermag seine Schrift beim ersten Aufschlagen nicht ohne Stottern zu lesen 1 . Diesen Vorwand hat Voss in seinem Verhör über den „Ausrufer" Lt., welcher in der allgemeinen deutschen Bibliothek Klopstocks Fragmente kritisierte und dabei über die Mühe klagte, die ihm das Lesen dieses Buches bereitet hätte 2 , mit Recht als lächerlich zurückgewiesen: ,,Aber so einem Gelehrten, der aus Liebe zu den Wissenschaften sogar die Schwierigkeit, todte Sprachen zu lernen, ohne Murren überwunden hat, solte man doch zutraun, daß ihm eine so leichte Kenntniß, als die klopstockische Rechtschreibung ist, höchstens nur drei Seiten lang, lästig fiele." 3 Ähnlich hatte schon Nast hierzu Stellung genommen: „Wenn der grosse Hauffen, der schreiben und lesen kan, an der veränderten Orthographie sich ärgert, so kan man es ihm verzeihen; aber wenn Gelerte, die den Grund der Aenderungen einsehen können, sich so geberden als ob das Wol des heil, römischen Reichs Gefar liefe, und sie wol gar das übrige Gute mit verschreien, so weis ich nicht, was ich hiezu sagen soll." 4 Und auch der Rezensent im Deutschen Museum 1781 mußte zugeben, daß sich Klopstocks Fragmente in dieser neuen Rechtschreibung, sobald man einmal mit ihr bekannt sei, „völlig so geschwinde weglesen lassen, als wenn die gewönliche beibehalten wäre." 5 Auch wir wollen diesen Grund nicht gelten lassen; die Berufung auf die liebe Gewohnheit, die in diesem Falle der „eingeführte Gebrauch" genannt wird, ist stets dem Neuen hinderlich gewesen und kann deshalb niemals als wissenschaftliches Argument in die Waagschale fallen. Bezeichnend ist, daß solche Einwände fast nur von Leuten erhoben werden, deren Namen weder damals noch heute in der Literatur zählen oder sich näher mit sprachlichen Fragen befaßten, um ein entscheidendes Wort mitsprechen zu können. Anders ist es, wenn ein Grammatiker von dem Range Adelungs den eingeführten Gebrauch mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen sucht und aus w i s s e n s c h a f t l i c h e n Gründen jede Orthographiereform zum Scheitern verurteilt, indem er Sprachgebrauch und Schreibgebrauch als einander gleichwertig und denselben Gesetzen gehorchend darstellt. Zur Klärung dieser Frage muß ich zunächst auf die Bedeutung des Begriffes S p r a c h g e b r a u c h bei Klopstock und den zeitgenössischen Grammatikern eingehen. 1 2 3 5

Fronhofer a. a. O., S. 476. Allg. dt. Bibl. 41, 1, S. 338. 4 J. H. Vossens Verhör a. a. O., S. 206. Sprachforscher II Vorrede. Ueber die Rechtschreibung. Deutsches Museum 1781, 2. S. 473.

Klopstoeks deutsche Orthographiereform

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Klopstock hat sich über die Rolle und Bedeutung des Sprachgebrauches schon in der „Gelehrtenrepublik" erklärt, wo er den Aufgabenbereich des Grammatikers umgrenzt, und hat diese Auffassung — wie eigentlich alle seine grammatischen Theorien — später nicht mehr geändert; ein Zeichen, wie wohldurchdacht seine Lehrsätze von Anfang an waren, die oftmals schon allen möglichen Einwänden von vornherein zu begegnen suchten. Nach Klopstoeks Auffassung hat sich der Grammatiker einzig und allein nach dem Sprachgebrauch zu richten; er muß sein Führer sein, ja, Klopstock bezeichnet ihn geradezu als Tyrannen. „Weil er die Sprache nehmen muß, w i e s i e i s t , und nicht wie sie, nach seinem gegründeten oder ungegründeten Bedünken, seyn solte, so ist es der S p r a c h g e b r a u c h allein, der, sowohl in Absicht auf die Regeln, als auf die Bemerkungen, sein Führer seyn muß. Er mag auf ihn als einen Tyrannen so viel schelten, wie er will; aber gehorchen muß er ihm." 1 Auch die Sprachähnlichkeit (Analogie) und die selbstgemachte Wortbestimmung, welche die Grammatiker dem Tyrannen hier und da entgegenstellen wollten, haben gegen ihn nichts ausrichten können. Die Sprache besteht nicht aus Regeln ohne Ausnahme, und wenn man ihr auch kühne etymologische Wortbestimmungen andichtet, so sind sie deshalb noch nicht in der Sprache selbst vorhanden. Der Sprachlehrer muß vielmehr den umgekehrten Weg gehen: statt seine Regeln in die Sprache hineinzuinterpretieren, hat er die Regeln der Sprache selbst aufzusuchen und alles, was davon abweicht, als Ausnahme anzumerken. Denn jede Sprache ist gleichsam ein Behältnis der eigensten Begriffe eines Volkes, und die Nation denkt, wie sie denkt, und nicht, wie die subjektiven Grammatiker es gern haben möchten, die sich zum Gesetzgeber aufwerfen. Selbst offenbare Fehler müssen deshalb in der Sprache geduldet werden, sobald sie der Sprachgebrauch allgemein bestätigt hat. Als Beispiel f ü h r t Klopstock dafür das Wort allerdings an, in dem nach seiner Meinung Mehrheit und Einheit widersinnig zusammengesetzt sind: „Es solte Allerdinge oder Allesdings heissen." 2 Zwar kann der Grammatiker in Fällen schwankenden Sprachgebrauchs seine eigene Ansicht über Richtigkeit oder Unrichtigkeit zum besten geben; doch dann muß er geduldig abwarten, wie sich der Sprachge1

Klopstoeks Werke V I I I 164 f. Ebd. 166. Ganz so widersinnig, wie Klopstock glaubte, ist diese Bildung jedoch nicht. Wohl ist „aller Dinge" die organische, ursprüngliche Gestalt des Wortes; doch sollte das s des Gen. Sing, den schon im Gen. PL ausgedrückten Adverbialbegriff, der sich allmählich herausbildete, hervorheben, und allerdings ist deshalb unserer Sprac h e ebenso verstattet wie z. B. allenfalls und jedenfalls, auch wenn es den Gen. PI. des vorhergehenden Adjektivs beibehält. (Deutsches Wörterbuch I 222). 2

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brauch entscheidet, denn auch der Grammatiker hat nur Eine Stimme 1 . Selbst der große Sieger und Sprachkenner Cäsar konnte da, „wo es über die Gränzen des Zwanges hinausgeht, nichts mehr, als ein andrer thun, der gleiche Sprachkentnis gehabt hätte." 2 Noch 1794 erscheint die Grammatik in Klopstocks „Grammatischen Gesprächen" als Dienerin des Sprachgebrauchs, der bei seinem despotischen Regiment weder die Sprachähnlichkeit noch die Ableitung und den Wohlklang als Ratgeber gelten läßt und völlig willkürlich mit den Verbesserungsvorschlägen des Grammatikers umgehen kann 3 . So hält es Klopstock f ü r die Aufgabe des Grammatikers, den Sprachgebrauch zu belauschen, die ihm innewohnenden Gesetzmäßigkeiten zu erforschen und dieses „Festgesetzte" in so wenige und so kurze Regeln zu fassen, als es der Vollständigkeit unbeschadet nur immer angeht 4 . Was versteht nun Klopstock unter „Sprachgebrauch"? Auch über diese Frage hat er sich deutlich erklärt: „Sobald das V o l k , die g u t e n G e s e l s c h a f t e n und S c r i b e n t e n (ich schliesse hierdurch die Redner nicht aus, welche ihre Reden nur halten), so bald diese ü b e r e i n s t i m m e n , so gilt gar keine Widerrede, und solt' es selbst gegen die Begriffe seyn, was durch diese Uebereinstimmung eingeführt wird." 5 Hierbei kommt es vornehmlich auf das Beispiel der guten Schriftsteller an. So läßt er den personifizierten Sprachgebrauch im dritten Grammatischen Gespräch über sich aussagen: „Bei der sehr kleinen Anzahl von Skribenten, die Dauer versprechen, lebe ich eigentlich. Doch besuche ich auch wohl diesen und jenen Redner." 6 Das Papierdeutsch der Kanzleien mit ihrer „Regensburgerei" kann hingegen nicht maßgebend sein; auch die guten Gesellschaften, „die freilich sehr oft im Französischen Schulübung halten", können im Sprachgebrauch nicht vorbildlich sein. Das Volk kann nur in den wenigen Fällen entscheiden, „wenn es darauf ankomt, die Beschäftigungen und die Werkzeuge des Handwerkers oder des Ackermanns zu benennen." 7 Damit wird der Volkssprache und den Mundarten allerdings zu wenig Einfluß zugestanden; aber man muß dabei berücksichtigen, daß es Klopstock vor allem um die klare Abgrenzung von Mundart und Hochsprache zu tun war und er aus diesem Grunde stets betonte, daß die Mundarten nicht zur S p r a c h e gehören. 1 2 3 4 6 6 7

Klopstocks Werke VIII 168 Ebd. 205 Ebd. I X 45 Ebd. VIII 168 Ebd. 166. Ebd. IX 49f. Ebd. VIII 166.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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Vergleichen wir Klopstocks Auffassung vom „Tyrannen" Sprachgebrauch mit denen zeitgenössischer Grammatiker, so läßt sich weitgehende Übereinstimmung feststellen. Der Standpunkt Schottels, für den der Maßstab des Sprachgebrauches bei seinen Bemühungen um Festlegung der „Grundrichtigkeit" der Sprache ganz zurücktrat 1 , war bereits von Gueintz befehdet worden, und seit Bödiker wurde die Ansicht herrschend, daß über Sprachrichtigkeit und -reinheit allein der Gebrauch entscheide und der Grammatiker nicht die mustergültige Sprache machen, sondern nur den vorbildlichen Gebrauch feststellen könne 2 . So warnte auch Gottsched den Sprachlehrer davor, „daß er nichts zu einer Regel mache, was noch nicht von den besten und sehr vielen Schriftstellern gebilliget, und angenommen ist." 3 Ganz im Sinne Klopstocks erklärte Jakob Hemmer, der auch sonst mit ihm eine geradezu überraschende Übereinstimmung zeigte: „Was in ganz Deütschland gebräuchlich ist, es mag übrigens mit oder one grund eingefüret worden sein, das ist gut und gewichtig, und man darf nicht dafon abweichen." 4 Und Fulda berief sich ausdrücklich auf Klopstocks „Gelehrtenrepublik": „Denn nur Sprachgründe machen Geseze; und nur der Sprachgebrauch despotisirt; die Sprachähnlichkeit aber kömmt erst nur zum Wort, wo iene schweigen." 5 Auch Adelung erkennt den Sprachgebrauch als höchste Autorität an. Der Sprachlehrer ist deshalb „nicht Gesetzgeber der Nation, sondern nur der Sammler und Herausgeber der von ihr gemachten Gesetze, ihr Sprecher und der Dollmetscher ihrer Gesinnungen. Er entscheidet nie, sondern sammelt nur die entscheidenden Stimmen der meisten . . . Er stellet die Sprache so dar, wie sie wirklich ist, nicht wie sie seyn könnte, oder seiner Einbildung nach seyn sollte." 6 Allerdings geht er nicht ganz so weit wie Klopstock; denn Sprachfehler, selbst wenn sie allgemein gebräuchlich sind, dürfen nicht mit dem Sprachgebrauch verwechselt werden, „besonders, wenn zu vermuthen ist, das die Nation bloß aus Unkunde, Mangel der Aufmerksamkeit oder Übereilung ihr eigenes Gesetz übertritt." So vertritt auch Adelung die Ansicht, daß der Sprachgebrauch das eigentlich Maßgebende für den Sprachlehrer darstellt und seine Gesetze von diesem nicht willkürlich geändert, sondern nur in der Sprache selbst aufgesucht werden können. 1

A. Daube, Die Anfänge einer deutschen Sprachlehre im Zusammenhang deutscher Geistesgeschichte. Zschr. f. dt. Bildung Jg. 18, 1/2, 1942. S. 34. 2 A. Bach, Geschichte der deutschen Sprache, Heidelberg 5 1953, S. 256. 3 Gottsched a. a. O., S. 8. 4 J. Hemmer a. a. O., S. 1. 5 Sprachforscher I S. 162. 6 Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. 113f.

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Wie verträgt sich nun Klopstocks Anschauung, die beinahe in der Anerkennung des Sprachgebrauchs noch konservativer ist als der traditionsgebundene Adelung, mit seinen Reform vorschlagen in der Orthographie? Dies ist so zu erklären, daß Klopstock den S c h r e i b g e b r a u c h grundsätzlich vom S p r a c h g e b r a u c h unterscheidet. Alle seine Verbesserungsvorschläge lassen keinerlei Rücksicht auf den Schreibgebrauch zu; doch erst 1794 hat Klopstock seine Grundhaltung in dieser Frage — wohl auf Adelungs orthographische Arbeiten hin — deutlich ausgesprochen. Hier läßt er den Sprachgebrauch sagen: „Was geht mich der Schreibgebrauch an ? Ich bin der Sprachgebrauch! Oder meinst du vielleicht, daß die Sprache dann nicht mehr Sprache sey, wenn sie nicht geschrieben wird? Wir haben mit ganz verschiedenen Dingen zu thun, der Schreibgebrauch, und ich; wir sind uns aber außer dem auch noch sehr ungleich." 1 Der Schreibgebrauch folgt nach Klopstock anderen Gesetzen als der Sprachgebrauch, und ein Grammatiker, der gegen den letzteren nicht angehen darf, kann sehr wohl den Schreibgebrauch ändern und ihm neue Gesetze vorschreiben, falls die alten zu willkürlich und unbegründet erscheinen. Denn der Schreibgebrauch ist ein „launichter Despot", der es im Deutschen, wenigstens in Ansehung der Dehnungszeichen, beinahe so toll treibt wie im Französischen und Englischen, wo er wahllos seine verschiedenen Zeichen diesem oder jenem Worte zuwürfelt. Diesen Worten liegt die richtige Erkenntnis zugrunde, daß sich die Entwicklung der gesprochenen Sprache weitgehend dem Bewußtsein und damit auch der Willkür des Menschen entzieht und selbst bedeutende Veränderungen von den Sprechern erst viel später und dann meist erst durch das auf dem vorigen Standpunkt stehengebliebene Schriftbild empfunden werden. Die Schrift dagegen wird vom Menschen von Anfang an mit Bewußtsein ausgeübt und kann, gemäß ihrer Tendenz zum Beharren auf dem einmal eingenommenen Standpunkt, nur bewußt und absichtlich verändert werden. Die unterschiedliche Gesetzmäßigkeit von Sprachgebrauch und Schreibgebrauch liegt deshalb im Wesen von Sprache und Schrift selbst begründet, und wenn der Sprachgebrauch willkürlichen Eingriffen fast gänzlich unzugänglich ist, so braucht dieses durchaus nicht f ü r den Schreibgebrauch zu gelten. Daß die Rechtschreibung auf ganz anderen Grundsätzen beruht als die Sprache, hat vor Klopstock schon J A K O B H E M M E R im „Kern der deütschen Sprachkunst und Rechtschreibung" dargelegt und damit seine orthographischen Neuerungen gerechtfertigt: „Di rechtschreibung gehöret nicht zur sprachkunst. Si ist etwas ganz besonderes, und es muß auch besonders 1

Klopstocks Werke I X 46.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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dafon gehandelt werden." 1 Da Klopstock der „Kern" 1780 von einem Anhänger Hemmers zugeschickt wurde, war ihm diese Ansicht des Pfälzers zweifellos seitdem bekannt, die mit seinen eigenen Grundsätzen so gut zusammenstimmte, wie er es später in den „Grammatischen Gesprächen" bezeugt. Eine andere Ansicht vertrat ADELUNG in dieser grundsätzlichen Frage. Da durch die wissenschaftliche Untersuchung Hemmers die Orthographiereform als solche gerechtfertigt und der von ihm so gefürchteten Sprachverwirrung Tür und Tor geöffnet schien, sah er sich gezwungen, diesen Standpunkt seinerseits mit wissenschaftlichen Gründen zu widerlegen. Seine „Deutsche Sprachlehre" eröffnet den Feldzug gegen die Neuerer in der deutschen Orthographie mit der Feststellung, der Schreibgebrauch sei ein Teil des Sprachgebrauches „im weitesten Verstände" und habe mit demselben einerlei Rechte, weil sie beide nur eine und eben dieselbe Ansicht hätten: die leichte und allgemeine Verständlichkeit. Daraus beeilt er sich, die Schlußfolgerung zu ziehen: „Da also einzelne Glieder der Gesellschaft nicht befugt sind, den Sprachgebrauch eines Volkes zu ändern, so haben sie auch kein Recht, sich an dem Schreibgebrauch zu vergreifen, am wenigsten aber, wenn solches aus willkürlichen und ungegründeten Grundsätzen geschiehet." 2 Die Orthographiereformer hätten statt dessen — so erklärte er ein J a h r später im Umständlichen Lehrgebäude — „mehrmals den S c h r e i b e g e b r a u c h von dem S p r a c h g e b r a u c h e zu trennen gesucht, und behauptet, daß zwar der letztere unverletzlich sey, daß sich das aber nicht von dem erstem sagen lasse. Man hat es behauptet, aber nie bewiesen." 3 Verletzt man den Sprachgebrauch auch nur in einem Stücke, wenn man gegen die ihm untergeordnete „Provinz" des Schreibgebrauchs frevelt, so muß doch jeder Ungehorsam gegen die Orthographie auch auf die Aussprache übergreifen, wie Adelung an den „neuern Reformatoren der Orthographie" beobachtet haben will. Da also der Schreibgebrauch f ü r ihn mit dem Sprachgebrauch einerlei höchstes Grundgesetz erkennen muß und nichts weniger als willkürlich ist, darf der Lehrer der Orthographie weder neue Arten zu schreiben ersinnen noch „einzele Grundsätze der eingeführten Art weiter ausdehnen, als die Sprache sie ausgedehnet wissen will." 4 Damit ist der heilige Gebrauch rehabilitiert; der Rezensent der Klopstockschen Fragmente im Deutschen Museum 1781 beeilt sich, Adelungs Beweis1 2 3 4

J. Hemmer a. a. O., S. 2. Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 485. Ders., Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. 104f. Ders., Grundsätze a. a. O., S. 50.

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gründe nachzubeten 1 . U n d obwohl Mäzke zugibt, daß der Schreibgebrauch immer mehr von unserer Willkür u n d Verabredung abhängt als der Sprachgebrauch, so wendet er doch gleich darauf ein: „Aber ein Gebrauch, der so gute Gründe h a t ; der sollte uns doch, d ü n k t mich, ehrwürdig sein." 2 Alle diese fragwürdigen Versuche, den Gebrauch zu rechtfertigen u n d ihn wenigstens dem überwiegenden Teil nach als vernünftig zu erweisen, h a t Klopstock noch 1794 in den „Grammatischen Gesprächen" verspottet: „Daß m a n seine Ketten geduldig trägt, weil man wohl muß, das begreife ich; daß m a n sie aber küßt, u n d froh damit rasselt, als wäre es Saitenklang, das ist mir unbegreiflich." 3 Aber auch mit Vernunftgründen h a t t e er die konservativen Anschauungen schon früher zu widerlegen gesucht. I n dem Fragment „Von der Schreibung des Ungehörten" 1779 taucht bei Klopstock zum erstenmal der Gedanke auf: „War mir ferner Einwürfe machen wil, där wird nicht übel tun, wen är sich di fQrgeschlagne Ortografi, als eingefürt, und zugleich di Aufname desjenigen forstellt, welcher dan di jezige einfüren wolte. Dis könte, mich deücht, machen, daß ir Ungegründetes desto sichtlicher in di Augen file."4 Diese Vorstellung wird ein J a h r später in der „Nachläse" umständlicher ausgeführt, wo Klopstock die Vor- u n d Nachteile der herrschenden u n d der neuen, von ihm vorgeschlagenen Rechtschreibung gegeneinander abwägt: der einen knappen u n d logischen Regel der von Klopstock angestrebten Orthographie „Man schreibe, was m a n h ö r t " stehen in der überlieferten Schreibung nicht weniger als zehn Gesetze gegenüber, die außerdem an Unlogik nichts zu wünschen übriglassen, wie z. B. Regel 2: „Schreibt, wegen des Wissenschaftlichen der Orthographie, was ihr entweder wirklich, oder auch nur in der Einbildung, hören werdet: Blick, Blicke-, sitzt, sitzet. Cautel: T h u t dieß selten." 5 Daraus folgert er mutwillig, daß es zwar der neuen Orthographie ohne allen Zweifel fehlschlagen müsse, während die allgemeine Rechtschreibung, wenn sie s t a t t jener eingeführt werden sollte, gewiß auf Erfolg rechnen könnte. „Wir wollen nämlich fil liber in der gewönlichen Ortografi, auf immer, Lerlinge bleiben, . . . als uns, in wenigen Stunden, mit der neüen bekant machen, di selbst durch den Umstand, daß di deütsche Aussprache auch wol zuweilen einmal schwankt, nichz fon irer Leichtigkeit ferlirt, weil man hir di Freiheit h a t zu schreiben, wi man wil." 6 1

Deutsches Museum 1781, 2, S. 474f. Mäzke, Versuch a. a. O., S. 100. 3 Klopstocks Werke I X 46. 4 Ebd. 404. 5 Ebd. 396. » Ebd. 399. 2

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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Dieselben Gedanken kehren wieder in Klopstocks letzter orthographischer Abhandlung „Grundsätze und Zweck unserer jetzigen Rechtschreibung" 1782, wo er noch einmal den unverbesserlichen Anhängern des Schreibgebrauchs die Widersinnigkeit einer Schreibung vor Augen hält, die keinen anderen Zweck haben kann, als diesen: „Die Orthographie, eine Sache, die beynah jedem so nothwendig, wie das Sprechen ist, soll auf alle Weise schwer gemacht werden." 1 Es war tatsächlich absurd, wenn Adelung selbst die willkürlichsten Ungereimtheiten des Schreibgebrauchs beschönigen wollte und k r a m p f h a f t nach den „dunklen Empfindungen" suchte, welche diesen oder jenen offensichtlichen Mangel in der allgemeinen Rechtschreibung wissenschaftlich begründen und das Herkommen heiligen sollten. Klopstock hatte durchaus recht, wenn er solche Beweise nicht gelten ließ. Zwar fand er selbst die herrschende Rechtschreibung gegen die französische und englische vortrefflich; doch auch dies konnte f ü r ihn kein Grund, sondern höchstens ein Trost sein. „Aber", fügte er hinzu, „wen wir es nun wi di Grichen und Römer machten, und dan nicht nötig hetten uns zu trösten?" 2 Die herkömmliche Schreibung h a t allerdings den Gebrauch f ü r sich, und gerade dieser Faktor hat seit Klopstocks Zeit an Gewichtigkeit noch zugenommen; aber auch die Gründe f ü r eine Reform der Rechtschreibung sind dringlicher geworden. Die Notwendigkeit einer Verbesserung der deutschen Orthographie konnte von Adelung nicht auf die Dauer weggeleugnet werden, wenn er auch vorübergehend die Reformer zum Schweigen brachte. Gewiß verdient der Schreibgebrauch und die damit eng verbundene Frage der Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache auch heute noch Beachtung im Gegensatz zu den Bedenken aus Gründen der Etymologie und Aussprache, mit denen sich Klopstock noch auseinandersetzen mußte und die jetzt eine weitaus geringere Rolle spielen durch die Festigung der Hochsprache und größere Anerkennung des phonologischen Prinzips; aber die Pietät gegen das Herkommen darf nicht so weit gehen, daß sie eine Orthographiereform verhindern kann.

C. Klopstocks Vorschläge zur Verbesserung der deutschen Rechtschreibung 1. Die Bezeichnung

der

Vokalquantität

Aus seinem phonologischen Grundprinzip, daß kein Laut mehr als ein Zeichen und kein Zeichen mehr als einen Laut haben dürfe, zieht Klopstock zunächst die Folgerung, nichts Ungehörtes schreiben zu wollen; denn er sieht 1

Klopstocks Werke I X 408.

2

Ebd. 334.

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nicht ein, warum der Schreibende deutlicher sein soll als der Redende 1 . Der fordert von der Orthographie gemalte Gerüche, „dar auch das Ungehörte geschriben sen wil." Der Lesende müßte sogar zufrieden sein, wenn man sich ihm noch weniger deutlich als dem Hörenden machte, weil er, sooft er will, zurücklesen kann, während der Hörende nicht immer fragen darf 2 . Diese Ansicht Klopstocks ist nur bedingt richtig, hat doch der Sprechende noch ganz andere Mittel als der Schreibende, sich dem gegenwärtigen Hörer verständlich zu machen; wenn Klopstock aber die ungehörten Buchstaben aus der deutschen Rechtschreibung entfernen will, so hat er richtig erkannt, daß sie zum größten Teil nicht entscheidend zur Verdeutlichung des Wortsinnes beitragen und oft nur als unnützer Ballast das richtige Schreiben erschweren, so daß in den meisten Fällen sehr wohl auf sie verzichtet werden kann. Dies trifft nach Klopstocks Meinung vor allem auf die Dehnungszeichen zu. Wenn er die deutsche Rechtschreibung im Vergleich zur englischen und französischen vortrefflich findet, so stehen wir ihnen doch an Barbarei wenig nach, wenn wir ,,zu der Modifikazion eines Tones firerlei Bezeichnungen f ü r nötig halten." 3 Dieses vierfache Bezeichnen ist die Krone unserer jetzt herrschenden Rechtschreibung; Klopstock hat sie schon in der „Gelehrtenrepublik" gerügt: „Wir bezeichnen jetzt die Dehnung bald durch ein h und bald durch die V e r d o p l u n g d e r S e l b s t l a u t e , i ausgenommen, dessen Dehnung wir durch ein dabey gesetztes e ausdrücken." 4 Ein viertes Zeichen ist, wie er später hinzufügt, die Weglassung des einen von den verdoppelten Mitlauten 5 ; aber oft genug ist die Dehnung ganz unbezeichnet geblieben, u n d die Fälle, in denen das eine oder andere Zeichen zur Anwendung gelangt, müssen bloß auswendig gelernt werden; denn Gründe dafür gibt es nicht, „ob h, oder e, oder der widerholte Selbstlaut, oder ob k e i n e B e z e i c h n u n g , . . . oder ob e i n e a n di u n r e c h t e S t e l l e . . . zu sezen sei?" 6 I m 18. Jahrhundert sind sich die Orthographiereformer fast einmütig bewußt, daß man in dem unlogischen und komplizierten System der Dehnungsbezeichnung die größte Plage der deutschen Rechtschreibung zu erblicken habe. Als Adelung 1788 in der „Vollständigen Anweisung zur deutschen Orthographie" mit den Reformatoren ins Gericht geht, macht er deshalb die Feststellung, die Verlängerungszeichen hätten den meisten Stoff zu Neue1 2 3 4 5 6

Klopstocks Werke I X 346. Ebd. 401. Ebd. 400. Ebd. VIII 174. Ebd. I X 400. Ebd. 337.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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rungen gegeben 1 . POPOWITSCH eröffnet die Reihe, indem er schon 1 7 5 4 bemerkt, „daß wir einen so geringen Anstand, als die Anzeige der langen Syllben ist, noch durch keine deutliche und bleibende Verfassung einer sichern Lehrart abgethan haben" 2 ; die stummen e und h nennt er „die zwey Hauptverderber der Teutschen Schreibart." 3 Zu denen, welche in der Folge die Schrift von den Dehnungszeichen zu reinigen suchen, gehört vor allem JAKOB HEMMER, der aus seiner Regel, man solle nichts schreiben, was man nicht ausspreche, ähnlich wie Klopstock zunächst die Notwendigkeit der Abschaffung der Verlängerungszeichen herleitet: „den ale dise Buchstaben sind stum; si lasen sich im Aussprechen der Wörter, worin si steen, nicht hören." 4 Auch 5 FULDA findet ein Zeichen der morae im Deutschen entbehrlich. Bis in die Neuzeit lassen sich die Bestrebungen zur Beseitigung der Dehnungszeichen verfolgen: so ist JACOB GRIMM während der Vorbereitungen zum Wörterbuche allen Ernstes damit umgegangen, die Dehnungszeichen zu tilgen 6 , und KONRAD DUDEN sah in der Weglassung überflüssiger Dehnungszeichen den nächsten Schritt einer künftigen Reform 7 . Wir sehen also, daß Klopstocks Vorschlag, die herkömmlichen Dehnungszeichen aus dem deutschen Schriftbild zu verbannen, weder neu noch originell ist. Allerdings will er nicht, wie Hemmer und Fulda es wünschten, die langen Vokale gänzlich unbezeichnet lassen, sondern er strebt ein einheitliches Zeichen der Dehnung an, f ü r das er schon in der „Gelehrtenrepublik" einen Ovalzug unter den Selbstlauten vorschlägt 8 . Hierzu merkt er an: „Ich habe dis Zeichen gewält, den Ton der Denung anzudeüten. Man ist durch das Französische (und Grichische) schon an eine Bezeichnung unter dem Buchstaben gewönt. Dis kan dazu beitragen den Eindruk des Ungewönlichen zu schwechen." 9 Auch dieser Gedanke ist nicht neu; bereits Notker hatte in ähnlicher Weise die Vokallänge zu kennzeichnen gesucht, nur mit dem Unterschied, daß er das Längezeichen (den Zirkumflex) ü b e r den Vokal setzte. 1

Adelung, Vollst. Anweisung a. a. O., S. 425. J. S. V. Popowitsch, Die nothwendigsten Anfangsgründe der Teutschen Sprachkunst . . ., Wienn 1754. S. 466. 3 Ebd. S. 475. 4 Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 15. 6 Fr. C. Fulda, Ueber die beiden Hauptdialecte der Teutschen Sprache. I n : Adelung, Versuch eines . . . Wörterbuches I. Leipzig 1774. S. 2. 6 G. Michaelis, Über J. Grimms Rechtschreibung. Berlin 1868/69. S. 35. ' E . Haller, Reform der deutschen Rechtschreibung. Zschr. f. Phonetik II, 1948. S. 44. 8 Klopstocks Werke V I I I 174. 9 Ebd. I X 325 Anm. 2

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I m 17. J a h r h u n d e r t h a t t e Butschky (1645) den Akut als Dehnungszeichen propagiert, scheinbar als erster im Anschluß ans Polnische 1 . I h m folgte Zesen, nachdem er zunächst f ü r einen ausgedehnten Gebrauch von Doppelvokalen eingetreten war, im dritten Gespräch des Rosen-mänds (1651), wo er als Quantitätsbezeichnung ein „einfaches Überstrichlein (accentum a c u t u m ) " u n d ein „zweifaches Überstrichlein oder ein Hütlein" verwendete 2 . Diese Tradition setzt im folgenden J a h r h u n d e r t Popowitsch fort, indem er den Akut als langes Tonzeichen einführen möchte 3 , u n d Nast schlägt außer einer Vokalverdoppelung den Zirkumflex vor 4 , der auch in Enkelmanns „Grammatikalien" zu finden ist. Mit der Bezeichnung u n t e r dem Vokal steht Klopstock allein; aber auch die Akzente der übrigen Reformer erschienen den Zeitgenossen unbequemer als die eingeführten Dehnungszeichen und haben sich deshalb nicht durchsetzen können. Auch Fulda sah in Bemerkungen neben, über und unter den Buchstaben außer der Reihe Hindernisse f ü r den „behenden Linienzieher" u n d größere Ärgernisse f ü r den Setzer 5 . Nur Mäzke, der zuerst Vokalverdoppelung, d a n n in den „Grammatischen Abhandlungen" einen Zirkumflex vorgeschlagen hatte, n a h m 1780 das Klopstocksche Zeichen an 6 . Klopstock h a t t e keineswegs vor, j e d e Vokallänge durch das „ H ä k c h e n " zu kennzeichnen, sondern nur den „Ton der Dehnung". E r unterscheidet nämlich bei unserer langen Silbe dreierlei Töne: „den o f n e n , den g e d e n t e n , und den a b g e b r o c h n e n . " Sein offener Ton ist der gedehnte Vokal in offener Silbe (Ka-ne), sein gedehnter Ton derselbe in geschlossener Silbe (Kan); unter dem abgebrochenen Ton versteht er einen kurzen Vokal (kan). Da nach seiner Meinung nur e i n Ton das Zeichen braucht, soll es der gedehnte bekommen: „Denn diser komt nicht so oft, als der abgebrochne f o r . " 7 Es ist daher nach seiner Ansicht falsch, daß wir sowohl den abgebrochenen, als den gedehnten Ton bezeichnen; wenn einer von beiden, in diesem Falle der gedehnte Ton, bezeichnet ist, wie z. B. in san, so versteht sich von selbst, daß der unbezeichnete Vokal in san kurz ist. Bekommt jedoch ein Wort mit gedehntem Ton den offenen (Strom- Stro-mes), so ist 1 2 3 4 5 6 7

V. Moser, Beiträge 60, S. 236. E. C. Reichard a. a. O., S. 178f. Popowitsch a. a. O., S. 475. Sprachforscher II S. 95. Ebd. I S. 140. Mäzke, WörterFamilien a. a. O., S. 61. Klopstocks Werke I X 335 f.

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hier die Bezeichnung nicht nur unnötig, sondern auch falsch; denn „Stroh klingt in Strohmes nicht mer, wi es in Strom klang" 1 . Diese Unterscheidung stieß auf Widerstand bei dem Schwaben N A S T , welcher — wie alle anderen Grammatiker seiner Zeit — nur eine einzige Vokallänge f ü r das Deutsche anerkannte. „Ich sehe keinen Grund lo (in loben) und Strom zu unterscheiden. Strom ist wol nach der Prosodie länger, als lo, aber nach dem Accent nicht gedenter. Hier ist eine Vermischung des Zeitund Tonmases." 2 Nast hat richtig beobachtet, daß neben dem Grammatiker auch hier der Dichter Klopstock stand, erwog er doch gleich auf der folgenden Seite die Verwendung seines Längezeichens zur Bezeichnung der „zweizeitigen" Wörter und Silben in Versen 3 . — Auch in der Bezeichnung der Vokalkürze weicht Klopstock von der üblichen Terminologie ab. Wie Nast zwischen dem g e d e h n t e n und g e s c h ä r f t e n Ton unterscheidet, so geht auch Adelung nicht von der Überlieferung ab: „In Ansehung der Dauer, oder der Zeit, wie lange die Stimme auf der heraus gehobenen Sylbe ruhet, ist der Ton entweder gedehnt, wenn er sich länger auf dem Hülfslaute verweilet . . .; oder geschärft, wenn er die Sylbe zwar erhebt, aber sie auch schnell wieder verläßt." 4 Doch Klopstock kommt es hier vor allem auf den Unterschied zur römischen Quantitätsbezeichnung an, die auch zu seiner Zeit noch genügend Verwirrung in der Prosodie anrichtete; deshalb betont er wiederholt, daß er nicht die Quantität selbst, sondern nur ihre „Modifikazionen" bezeichne 5 . Wenn er jedoch einen kaum wahrnehmbaren Unterschied zwischen dem offenen und gedehnten Ton in der Schrift fixiert wissen will, so bedeutet dies zweifellos eine Überspitzung des phonologischen Prinzips, die man in der Alltagsschrift sehr wohl entbehren kann. Allerdings liegt Klopstocks Feststellung, daß man den offenen Ton nicht bezeichnen müsse, die richtige, ihm wohl unbewußte Bemerkung zugrunde, daß im Neuhochdeutschen die Dehnung des Vokals in offener Silbe ausnahmslos durchgeführt und aus diesem Grunde eine Dehnungsbezeichnung entbehrlich ist. Außerdem gibt es f ü r Klopstock noch drei Fälle, in welchen sich eine Bezeichnung der Dehnung erübrigt: 1

Klopstocks Werke I X 337. Sprachforscher II S. 81 Anm. Ähnlich äußert sich MÄZKE ZU dieser Frage: „Aber wozu in aller Welt sein Unterschied unter o f f n e m und g e d e h n t e m (Ton oder vielmehr) Accent? . . . Es ist in beiden Fällen einerlei Dehnung: man mag Stro und Stroh oder Strohm (auch Strohmes) sagen (WörterFamilien a. a. O., S. 71). 3 Klopstocks Werke I X 338; cf. Jellinek I I S. 42. 4 Adelung, Umständliches Lehrgebäude I S. 248. 5 Klopstocks Werke I X 376. 2

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1. Wenn Doppellaute den gedehnten Ton haben; denn diese können im Ton nicht modifiziert werden. 2. Wenn ihn ä hat. „Denn der abgebrochne Ton k a n h i r n i c h t ausgesprochen wärden." 3. „Wen in eine Silbe hat, auf dären Selbstlaut unmittelbar g folgt. (Di richtige Aussprache des g wird hir forausgesezt.) Denn nun mus di Silbe di Denung bekommen." 1 Klopstocks Ansicht, daß ä und der abgebrochne Ton nicht zugleich ausgesprochen werden können, liegt jedoch in seiner Beobachtung begründet, daß der Deutsche die kurzen e-Laute nicht unterscheidet und die ¿¿-Schreibung hier keine anderen als etymologische Gründe hat. Aber wer, der Ableitung unkundig, meint, daß a nur zu ä werden könne, der läßt nach seiner Meinung das Auge in Sachen des Ohrs urteilen 2 . Muggenthaler irrt daher, wenn er behauptet, Klopstock habe die geschärfte Aussprache in Länder, Bänder, Hände usf. geleugnet 3 ; denn er schreibt Lender und verwendet den Buchstaben ä nur zur Bezeichnung des l a n g e n , offenen e-Lautes, so daß seine Regel, man könne ä nicht mit dem abgebrochenen Ton zugleich aussprechen, daraus von selbst folgt. Nach seiner „Regel der Sparsamkeit" bezeichnet Klopstock also die Dehnung nur dann, „wo es nötig ist. Denn wozu auch da Bezeichnung, wo di D e n u n g n i c h t u n a u s g e s p r o c h e n b l e i b e n k a n ? " 4 Dieses System der Dehnungsbezeichnung hält Klopstock durchaus für praktisch durchführbar. „Auch das wird denn doch wol kein Einwurf wider di Bezeichnung sein sollen, daß unsre Drukkereien noch keine Buchstaben mit dem Zeichen haben. Denn das Grichische ist ja ser fil zalreicher an dieser Art Buchstaben." 5 Da diese Gedanken Klopstocks bei Gelegenheit seiner Auseinandersetzung mit den beiden Pfälzern auftauchen, ist es notwendig, kurz auf HEMMERS Theorie einzugehen. Dieser beruft sich auf Quintilian und behauptet, daß die „Natur des geschriebenen Wortes" mehrstenteils schon selbst anzeige, welche Silbe lang, und welche kurz sei. „Di stelle nämlich, di ein wort in einem saze einnimt, der Zusammenhang und di umstände der rede, geben dem leser di bedeütung des Wortes hinlänglich zu erkennen." 1

Klopstocks Werke I X 336. Ebd. 340. 3 L. Muggenthaler, Klopstocks Orthographiereformbestrebungen und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Dittes' Paedagogium VII. 1885. S. 277. 1 Klopstocks Werke I X 336. 6 Ebd. 376f. 2

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Daraus folgt für ihn, daß die Bezeichnung des Zeitmaßes im Schreiben keineswegs notwendig sei1. Klopstock schließt sich jedoch Hemmers Auffassung nicht an, da nach seiner Ansicht schon diejenigen Wörter, bei denen die allgemeine Rechtschreibung die Dehnung unbezeichnet ließ, die Aussprache des gedehnten Tones ungewiß gemacht haben. Er schlägt deshalb vor, daß zunächst jeder durch Bezeichnung der Dehnung, wo er sie ausspricht, seine Stimme abgeben soll, um auf diese Weise zur Festsetzung der Sache das Seinige beizutragen 2 . a) Das Dehnungs-Ä

Unter den vier Dehnungszeichen der allgemeinen Rechtschreibung nimmt zweifellos das h die erste Stelle ein; es ist einer der umstrittensten Buchstaben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Klopstock verwirft es als Dehnungszeichen durchaus; hinter dem Selbstlaut duldet er es nur, wenn dadurch zwischen zwei Selbstlauten der Hiat verhindert wird: Mühe, sehen3. Diesen Standpunkt muß er gleich nach zwei Richtungen verteidigen, zunächst gegen den konsequenter vorgehenden HEMMER, der sogar das silbentrennende h beseitigt wissen will und kategorisch erklärt: „Wir ferbannen disen stummen buchstaben aus allen Wörtern." 4 Klopstocks Ablehnung des „schließenden h" wird dagegen von NICOLAI in der „Allgemeinen deutschen Bibliothek" angegriffen: „Dieses schließende h aber wird wirklich in solchen Wörtern ganz gelinde ausgesprochen. Es ist zwar ein bloßer Hauch, allein er macht, daß der Ton auf dem Vokal noch etwas länger ruhet, indem man ihn etwas brauchen muß . . . Sollte man dafür nicht lieber das wurzelhafte h stehen lassen? Denn das wenige, so durch Wegwerfung desselben gesparet wird, kommt in keine Betrachtung, da man doch ein neues Dehnungszeichen brauchen muß." 5 Auch bei dieser Gelegenheit wie zuvor im Streit um die etymologische Schreibung werden Mäzkes Worte aus dem „Versuch in Deutschen WörterFamilien" treulich wiederholt 6 . MÄZKE behauptet schon 1 7 7 6 , daß das etymologische h „immerdar zu Ende jeder Grundsillbe, die sich dem Laute nach auf den bloßen Vokal endigt, zu schreiben sei, und in einer jeden gedehnten Grundsillbe unmittelbahr nach dem selben, die sich auf einen einfachen flüssenden Konsonant 1 2 3 4 6 6

J. Hemmer a. a. O., S. 115. Klopstocks Werke I X 377. Ebd. 317. Hemmer S. 116. Allg. dt. Bibl. 39, 1, S. 255. Mäzke, Versuch a. a. O., S. lOOf.

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endigt, folglich unmittelbahr vor dem selben" 1 . Wenn er aber glaubt, daß dieser Regel und Analogie die Etymologie in keinem einzelnen Falle widerspreche 2 , so beweist ihm FULDA das Gegenteil: „Nichts ist jünger und unartiger in unserer Sprache als dieses h, aber es ist auch nicht allenthalben ein bloses Zeichen der Ferlängerung." 3 Daß eine Unterscheidung zwischen wurzelhaftem und Dehnungs-A in der Rechtschreibung jedoch kaum durchführbar sein dürfte, hat sogar Fuldas Verehrer NAST ZU bedenken gegeben. Denn 1. weiß nicht jeder, wo das h „wurzelhaft" ist; und wenn 2. unsere Vorfahren auch das Ii oder ch ausgesprochen haben, so lassen wir weder h noch ch hören und sollten es also auch nicht schreiben: „Dann die richtige Aussprache ist doch immer ein wichtig Gesez der Orthographie." 4 So scheint Nast der einzige zeitgenössische Grammatiker zu sein, der in der Schreibung des h mit Klopstock übereinstimmte; die Uneinigkeit der Reformer über diesen Punkt begünstigte auch hier die Beibehaltung der herrschenden Schreibung, f ü r die — wie immer — ADELUNG das Wort ergriff. Nicht nur das h, sondern alle übrigen Dehnungszeichen waren nach seiner Meinung in ihrer Absicht wie alle orthographischen Bedürfnisse aus „dunklen Empfindungen" hervorgegangen, Grund genug, sie „schicklich" zu finden5 und sich zum Verteidiger des h aufzuwerfen gegen die „Neuern, welche so hoch über dieses h daher fahren, und es da, wo es jetzt nicht mehr ausgesprochen wird, verbannet wissen wollen, ohne die Gründe zu kennen, warum es eingeführet worden" 6 . Und welches sind diese Gründe? Er selbst teilt schließlich als Ergebnis seiner Untersuchungen mit, daß nur solche Wurzelsilben der wichtigern Redeteile ein Dehnungszeichen bekommen, „welche ohne dieselbe in ihrer äußern Figur nicht das gehörige Verhältniß theils zu ihrem Begriffe, theils zu andern Wörtern von einem vollständigem Baue haben würden" 7 . Damit setzt Adelung die Lehren Gottscheds fort, der ebenfalls das h vor der „Feindseligkeit gewisser Sprachlehrer" in Schutz nehmen zu müssen glaubte und die vielsagende Regel aufstellte: „Man setze das h zu denen Selbstlautern, die einer Verlängerung bedörfen; bey denen aber nicht, die solche nicht nöthig haben." 8 1 2 3 4 6 6 7 8

Mäzke, Versuch a. a. O., S. 89. Ebd. S. 91. Sprachforscher I S. 138. Ebd. II, S. 87f. Adelung, Grundsätze a. a. O., S. 133f. Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. 160. Ders., Vollst. Anweisung a. a. O., S. 263. Gottsched a. a. O., S. 85.

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Vornehmlich wegen des Dehnungs-A wurde Klopstock von H A M A N N angegriffen, der bereits in der „Neuen Apologie des Buchstaben A" gegen Damm gestritten hatte 1 und sich nun in den „Zwey Scherflein zur neusten Deutschen Litteratur 1780" gegen den „Geschichtschreiber der deutschen Republik" wandte. Für ihn, der den Zweck der Orthographie nicht „in der Abzahlung, Abwägung . . . ihrer stummen Statthalter" sehen wollte 2 , war der Kanon, keinen Buchstaben, welcher nicht ausgesprochen wird, zu schreiben, „das unmöglichste und übertriebenste Postulat in der Ausü b u n g " 3 . Ein so außerordentlicher Verfolgungsgeist, so erklärte er, in Ansehung eines unschuldigen Buchstabens müsse eine Wirkung der gröbsten Unwissenheit und possierlichsten Eitelkeit sein 4 . Jedenfalls fand er das Zeichen der Aspiration „zu einer etwanigen Modifikation in der Aussprache der Selbstlauter" geschickter als z. B. die Verdoppelung eines Mitlauters 5 . Klopstock hat sich nicht mit Hamann in einen Disput eingelassen; allein alle Versuche, das „schließende h" aus dem Sprachgebrauch zu rechtfertigen, gehörten f ü r ihn „zu dänen Dingen, durch welche man ferrät, daß einem zwar fil daran lige, seine Meinung zu behaupten, aber wenig oder nichz daran, ob si war sei" 6 . Trotzdem hat sich der von Adelung propagierte Schreibgebrauch durchgesetzt, und die Bestrebungen, das Dehnungs-A aus der deutschen Rechtschreibung zu verbannen, lassen sich bis auf den heutigen Tag verfolgen und sind noch genauso aktuell wie zu Klopstocks Zeit. b) ie

Das Dehnungs-A war, wie wir sahen, Klopstock ein Dorn im Auge; wie mußte ihn dann erst eine Schreibung wie flieh aufbringen, wo gleich zwei Zeichen verwendet waren, und das bloß zur Modifikation eines Tones, die noch dazu weniger Aufmerksamkeit verdiente! Diese „Anhängsel" nannte er eine Spitzfindigkeit, die aus Mönchszeiten auf uns gekommen sei 7 . Wie h wurde auch e nach i als Dehnungszeichen von ihm weggelassen; er schrieb sits. Konsequent verfolgte er demnach auch hier wieder das phonologische Prinzip und ließ keine etymologischen Rücksichten gelten. 1 2 3 4 5 0 7 6

Hamann, Sämtl. Werke Bd. III, Wien 1951, S. 90ff. Ders., Werke, hrsg. v. Fr. Roth. Bd. VI S. 34f. Ders., Sämtl. Werke III 94. Ebd. 100. Ebd. 94. Klopstocks Werke I X 385. Ebd. 389. Ebd. 386.

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Bestrebungen zur Beseitigung des e nach i als Dehnungszeichen finden sich schon bei Butschky (1655) obwohl sich noch bei Piscator und Rumpier (1640) weitgehende Trennung von mhd. i und ie durch Vermeidung der Längebezeichnung beobachten läßt 2 . Im 18. Jahrhundert sind sich die reformfreudigen Grammatiker über die „Unschicklichkeit" dieses Dehnungszeichens einig, allen voran JAKOB HEMMEK: „Wir schaffen disen stummen buchstaben als ein ganz unnötiges zeüg in allen Wörtern fölig ab." 3 Aber nicht nur aus phonologischen Gründen glaubt er das ie verwerfen zu müssen, sondern er beruft sich hier — ausnahmsweise — auch auf die historische Entwicklung: „Man glaube ja nicht, das das e nach dem i bei unsern uraltem jemals ein längezeichen gewesen sei. Si sprachen es daselbst überall deütlich aus." Natürlich macht auch FULDA dieses Argument geltend; was die Alten nicht diphthongisch, sondern mit einem einfachen i ausgesprochen haben, „das hat nie kein Recht zum ie gehabt" 4 . Wo aber ie den alten Doppellauter bezeichnet, den er und Nast noch sprechen, da wäre es eine Sünde wider die Grammatik, das e wegzuwerfen 5 . Demgemäß lehrt auch N A S T : „ie als ein Zeichen des langen i mus gänzlich abgeschafft werden. Als Diphthong aber mus es da geschriben werden, wo es ausgesprochen wird." 6 Daß diese Forderung der Schwaben sich nicht realisieren ließ, lag jedoch daran, daß der Unterschied zwischen ie als Diphthong- und als Dehnungszeichen in Mittel- und Norddeutschland durch die längst durchgeführte Kontraktion von ie zu i nicht mehr empfunden wurde und Klopstock von seinem Standpunkt aus völlig recht hatte, wenn er alle e nach i als ungehörte Buchstaben aus der Schrift verbannte. Trotz Hemmers und MÄZKES Beistand (letzterer hatte in den „Grammatischen Abhandlungen" die „elende Figur" ie aus der deutschen Rechtschreibung austilgen und dafür überall das Dehnungs-A einführen wollen)7 hat Klopstock auch diese Neuerung nicht durchsetzen können; der Gebrauch war mächtiger, und seine Apostel konnten sich darauf berufen, daß ganz Deutschland das e hier zur Verlängerung des i erwählt habe 8 . 1

V. Moser, Beiträge 60, S. 241. Ebd. S. 198. 3 Hemmer a. a. O., S. 117. 4 Sprachforscher I S. 282. 5 Ebd. S. 144. 6 Ebd. II S. 108f. ' Ebd. I S. 290. 8 Gottsched a. a. O., S. 44. 2

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c) Die Vokal Verdoppelung

Wenn Klopstock alle gebräuchlichen Dehnungszeichen abschaffen möchte, so trifft dies auch für die Vokalverdoppelung zu. Denn indem der eine Vokal nur die Dehnung des vorhergehenden anzeigt, verliert er seinen Eigencharakter und wird, wie F U L D A richtig erkennt, zum stummen Buchstaben 1 . Da die Vokalverdoppelung jedoch nur in verhältnismäßig wenigen Fällen auftritt, meist zur Unterscheidung von Homonymen, hat sie in der Diskussion um die Rechtschreibreform nur eine untergeordnete Rolle gespielt. d) Die Konsonantengemination

Anders das vierte Dehnungszeichen: die Vereinfachung geminierter Konsonanten. Soll ein einfacher Konsonant die Dehnung eines vorhergehenden Vokals anzeigen, so setzt dies allerdings voraus, daß die Vokalkürze regelmäßig durch eine folgende Konsonantenverdoppelung bezeichnet wird. Klopstock hat sich jedoch bereits in der Gelehrtenrepublik für die Weglassung von Verdoppelungen eingesetzt und Schreibungen wie kommt und nimmt für ebenso überflüssig gehalten wie die noch vor kurzem gebräuchlichen Freundschafft und Krafft2. Diese Verdopplungen zählt er zu dem Ungehörten der Rechtschreibung, dessen Austreibung von Anfang an sein Hauptanliegen ist. Auch hier handelt er allein nach seinem Grundsatz, n u r d a s , was man hört, aber auch a l l e s , was man hört, zu setzen; sein Brief an Ebert vom 11. 4. 1773, das erste Zeugnis seiner Orthographiereformbestrebungen, geht gerade auf diese Frage ein: „Doch wenn Dominus canonicus dafür halten, daß die Ableitung zu Grunde gehe, wenn man die Verdoppelung der Consonanten nicht schreibe; so laboriren dieselben, was diesen Punkt anbetrifft, quasi quadam crassitate ignorantiae." 3 Klopstock hat sehr wohl erkannt, daß die Verdoppelung des Endbuchstabens den „abgebrochenen Ton" bezeichne 4 ; aber nach dem phonologischen Prinzip will er sie nur da dulden, wo sie ausgesprochen werden, und dies ist — nach seiner Meinung — nur im Inlaut zwischen zwei Vokalen der Fall. Zum Beweis dafür beruft er sich nicht nur auf sein Gehör, sondern auch auf unsere Vorfahren: „Unsre Alten sprachen zwei Mitlaute aus, wen si diselben im Schreiben ferdoppelten. Denn in dem winsbekkischen Gedichte, in welchem nichz Ungehörtes geschriben wird, wärdens di doppelten Mitlaute zwischen zwei Selbstlauten." Und wenn die Griechen und Römer, nach der Regel der 1 2 3 4

Sprachforscher I S. 140. Klopstocks Werke VIII 175. Klopstocks Briefe a. a. O., S. 245. Klopstocks Werke I X 338.

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Position, durch den Zusatz noch eines Buchstabens, aus der kurzen Silbe eine lange machten, „so war denn doch wol di Meinung nicht, daß di hinzugekomnen s und p, als das Or nichz angehend, unausgesprochen bleiben, und also, fürs Auge, ferlengern solten" 1 . Klopstocks Behauptung, daß alle Deutschen, die er gehört habe, „in gewissen Wörtern" zwischen zwei Selbstlauten den einfachen Mitlaut verdoppelten, ist eine Täuschung. Wohl hat er recht, wenn er f ü r das Mittelhochdeutsche Geminaten (d.h. lange Konsonanten) annimmt; aber beim Übergang vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen wurde diese Doppelkonsonanz in der Aussprache vereinfacht, ohne daß diese Veränderung in der Schrift zum Ausdruck kam. Die Vokale vor einem geminierten Konsonanten blieben von der neuhochdeutschen Vokaldehnung ausgeschlossen, da sie nicht in offener Silbe standen; so lag der Gedanke nahe, die Doppelkonsonanz als Zeichen der Vokalkürze aufzufassen und in dieser Eigenschaft in weitestem Umfang anzuwenden. Die Folge war ein Überhandnehmen von Konsonantenverdoppelungen besonders im 16. Jahrhundert, so daß schon Valentin Ickelsamer gegen diese Untugend der „duplierten Buchstaben" die Stimme erhob 2 und fast alle späteren Grammatiker diesen Überfluß in Regeln einzudämmen suchten. Aber wenn man die Konsonantenverdoppelung beseitigen wollte, wie Zesen es versuchte und wie auch bei Piscator und Rist zu beobachten ist 3 , so sah man sich gezwungen, den Gebrauch der Dehnungszeichen zu erweitern, auf die auch tatsächlich keiner der Orthographiereformer im 17. Jahrhundert verzichten zu können glaubte. I n GOTTSCHEDS Deutscher Sprachkunst ist die Konsonantenverdoppelung als ein bloßes Mittel zur Andeutung des scharfen Akzents gekennzeichnet: „Nach kurzen Selbstlautern muß man doppelte Mitlauter schreiben: Weil die Aussprache solches erfordert; das Gegentheil aber so klingen würde, als ob man Saaz, Blitz, Wiez, Schuuz geschrieben hätte." 4 Deshalb läßt er in seinem „Grammatischen Gespräch" nach Lucians Vorbild die doppelten Buchstaben Klage erheben, daß man sie fast allenthalben zu trennen suche und nicht mehr als e i n e n von ihnen in gewissen Wörtern leiden wolle 5 . Trotzdem wurde dieser Versuch in der Folge nicht aufgegeben. Am radikalsten ging auch hier wieder der Pfälzer JAKOB HEMMER ZU Werke. Wie er alle Dehnungszeichen f ü r entbehrlich hielt, weil die Länge oder Kürze 1

Klopstocks Werke I X 3 65 f. O. Brenner, Die lautlichen und geschichtlichen Grundlagen unserer Rechtschreibung. München 2 1914. S. 9. 3 V. Moser, Beiträge 60, S. 199 und 253. 4 6 Gottsched a. a. O., S. 83. Ebd. S. 666. 2

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einer Silbe mehrstenteils durch die Natur des geschriebenen Wortes schon selbst angezeigt würde, verwarf er im „Grundris" aus dem gleichen Grunde jegliche Konsonantenverdoppelung: „Da der forher geende Selbstlauter ale Mal fölig ausgesprochen ist, ee der folgende Mitlauter zu tönen a n f ä n g t : so trägt diser zur Länge oder Kürze jenes an sich nicht das Geringste bei. Di Ferdopelung des Mitlauters ist daher ein ser falsches, unnüzes und ungereimtes Kürzezeichen." 1 I m Gegensatz zu Klopstock behauptete Hemmer, den doppelten Mitlauter, aller angespannten Kräfte seines Gehörs ungeachtet, nicht zu hören 2 , und bewies mit Hilfe einer eingehenden Lautanalyse, daß in dem Wort Kappe z. B. das p nur einmal gebildet werde, man also in demselben nicht zwei, sondern nur ein p ausspreche 3 . Der Anhänger Jakob Hemmers, welcher den „Kern der deütschen Sprachkunst und Rechtschreibung" übersandte, machte Klopstock den Vorwurf, Domitors Gründe nicht beachtet und statt dessen weiterhin die Existenz verdoppelter Konsonanten in der deutschen Sprache behauptet zu haben 4 . Klopstock, der bis dahin von Hemmers Vorschlägen noch keinerlei Notiz genommen hatte, ließ sich aber auch jetzt nicht überzeugen und hielt an der Konsonantenverdoppelung zwischen zwei Vokalen fest. Da nach seiner Theorie der zweite der verdoppelten Mitlauter hier die folgende Silbe anfing, so mußte bei seiner Weglassung der abgebrochene Ton der vorhergehenden Silbe notwendig zum offenen Ton werden, und man brauchte, wenn man ihn zurechtweisen wollte, mehr als e i n Tonzeichen 5 . Aus der letzten Bemerkung Klopstocks wird deutlich, daß es ihm im Grunde doch nur auf die Kennzeichnung der Vokalquantität ankam, wäre doch sein ganzes wohldurchdachtes System der Dehnungsbezeichnung durch die Vereinfachung intervokalischer Doppelkonsonanz aus den Fugen geraten. Das neue Dehnungszeichen sollte danach nur den gedehnten Ton bezeichnen; der offene blieb unbezeichnet, weil sich hier vor dem folgenden einfachen Konsonanten die Dehnung von selbst verstand. Allerdings gab es auch hier Ausnahmen: „Nur Jot, Ha, We, Ech und Esch wärden nicht ferdoppelt; di beiden lezten deswägen nicht, weil si, einzeln, schon einen so starken Klang haben, daß si, widerholt, nicht auszuhalten weren." 6 Darum kennzeichnete Klopstock vor ch auch den offenen Ton durch ein Dehnungs1 2 3 4 5 3

Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 31. Ebd. S. 35. Ebd. S. 42; cf. Hemmer a. a. O., S. 112. Klopstocks Werke I X 364 f. Ebd. 367. Ebd. 365.

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zeichen und schrieb z. B. Grichen, um ihn von dem abgebrochenen Ton zu unterscheiden. Auch Mäzke hatte in den „Grammatischen Abhandlungen" die Verdoppelung von sch und ch gescheut und deshalb einfache Zeichen für diese Laute vorgeschlagen; Nast aber wollte lieber die — wenn auch etwas umständliche — herkömmliche Schreibung beibehalten 1 , weshalb ihm Klopstock vorwarf, raschsche Rachche schreiben zu wollen2. Außerdem sollte das Tonzeichen in ein paar Wörtern, die vor der „Schreibverkürzung" z die Dehnung hatten, angebracht werden 3 . Wenn also Klopstock durch die Gemination eine bestimmte Qualität des Konsonanten bezeichnen zu müssen glaubte, so konnte er doch, wie er selbst zugibt, auch bei der Bezeichnung des abgebrochenen Tons nicht auf die Verdoppelung intervokalischer Konsonanten verzichten. Er vereinfachte deshalb die Konsonantenverdoppelung nur im Auslaut und in vorkonsonantischer Stellung, ausgenommen die Verdoppelungen in daß, denn und hatt (hatte), um das Buch, den Leuten, und hat überall desto schneller zu unterscheiden 4 . Aber selbst hier stieß Klopstock auf Widerspruch, und ihm wurde tatsächlich entgegengehalten: „Eben darum muß man komm und Tritt schreiben, weil wir komm und Tritt, nicht kern und Trit sprechen." 5 „Das bin ich doch neugierig zu hören", spottete Voss in seinem Verhör über den „Ausrufer Lk.", der sich in der Allgemeinen deutschen Bibliothek zu dieser Behauptung verstiegen hatte 6 . Für die meisten Grammatiker jener Zeit war es jedoch ausgemacht, daß die Konsonantenverdoppelung ein unverwerfliches Mittel zur Quantitätsbezeichnung des vorhergehenden Vokals sei: „Alle Namen oder Wurzelwörter", erklärt FULDA im ersten Teil des Sprachforschers, „sind gedehnt, die sich mit einem einfachen und wo es Grade gibt, mit einem sanften Mitlauter endigen." 7 Und n und s in Mann und Schluss verdoppeln sich, nicht weil man sie doppelt hört, oder weil sie in Man-nes, Schlüsse abgeändert werden, sondern „weil andere dopelte Endmitlauter sie auch mit sich zu Zeichen scharfer Grundsilben machen" 8 . Damit widerspricht er MÄZKE, der 1

Sprachforscher I I S. 93. Klopstocks Werke I X 365. 3 Ebd. 335. 4 Ebd. 346. 6 Allg. dt. Bibl. 42, 1, S. 218. I m selben Sinne äußerte sich MÄZKE (WörterFamilien a. a. O., S. 56 Anm.: D e r E n d m i t l a u t w i r d t g e d o p p e l t 1) wenn und weil er zu'r folgenden End- und Ableitungssilbe stark geschleifft und also doppelt ausgesprochen und gehört wirdt: Tritt, Trittes etc. 6 J. H. Vossens Verhör a. a. O. S. 337. 8 ' Sprachforscher I S. 165. Ebd. S. 141 f. 2

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das II in Fall zwar nicht deutlich, aber in fallen um so merklicher zu hören glaubt 1 . Aber im Grunde ist auch f ü r Fulda der Konsonant wirklich verdoppelt, wenn er im Inlaut vor Vokal steht: „Der verdopelte Consonant kan freilich als ein dopelter Buchstab f ü r sich nicht mit der Zunge ausgesprochen, nicht mit dem Ohr vernommen werden, so lang nicht noch eine Silbe, die mit einem Vocal anfängt, darzu kömmt." 2 Selbst der konservative H A M A N N muß feststellen, daß es einer noch so allgemeinen, gesunden und geübten Menschenzunge unmöglich sei, ein II, ß, tt, mm, nn auszusprechen, weshalb er diese f ü r die Zunge unmögliche Verdoppelung als Zeichen „einer etwanigen Modification in der Aussprache der Selbstlauter" nicht geschickt findet3, sie aber deshalb keineswegs abgeschafft wissen will. Daß A D E L U N G sich auch der Vereinfachung der Konsonantenverdoppelung energisch widersetzte, war vorauszusehen, sah er doch seine Regel gefährdet, nach der man den gedehnten Ton einer Silbe an dem einfachen Hauptlaute, den geschärften an dem gedoppelten Konsonanten am Ende derselben erkannte 4 und welche nach seiner Ansicht in dem Naturgesetze der Schrift, „schreib, wie du sprichst," gegründet war 5 . Denn tatsächlich wurde f ü r Adelung nach einem gedehnten Hilfslaute (Vokal) der folgende Hauptlaut (Konsonant) nur einfach, nach einem geschärften aber doppelt gesprochen, „welches nur der läugnen kann, dessen Gehör und Empfindungskraft verwahrloset sind, und bey dem würde auch jeder Beweis vergeblich seyn" 6 . Er nannte es daher eine sehr willkürliche Behauptung einiger S p r a c h l e h r e r , d a ß m a n „du fälst, er fält, ich solte, wolte, wüste,

küste

usf."

schreiben könne 7 , und erteilte damit nicht nur Hemmer, sondern auch der gemäßigten, von Klopstock vorgeschlagenen Vereinfachung der Konsonantengemination die Absage. JAKOB HEMMER stand demnach mit der völligen Abschaffung der Konsonantenverdoppelung allein; deshalb machte er im „Kern der deütschen Sprachkunst" dem Schreibgebrauch Konzessionen und sah ein, daß er bei gänzlichem Verzicht auf ein Dehnungszeichen nicht wohl ein Zeichen der Kürze entbehren konnte. So entschloß er sich 1780 zu folgender Regelung: 1 A. G. Mäzke, Grammatische Abhandlungen über die Deutsche Sprache. Bd. I. Breslau 1776. S. 22. 2 Sprachforscher I S. 15S. 3 Hamann, Sämtliche Werke III (1951) S. 94. 4 Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. 258 und 261. 6 Ders., Grundsätze a. a. O., S. 103 und 123. 6 Ebd. S. 123. 7 Ders., Vollständige Anweisung a. a. O., S. 229.

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„Der doppelte mitlaut des Stammwortes bleibet in allen abgeleiteten Wörtern, wo fern der selbstlaut in den selben kurz bleibet, als, dem herm, des Sinns, er stellt. Wenn aber nach dem doppelten mitlaute des Stammwortes ein mitlaut in der ableitung der gestalt folget, das diser fon jenem durch einen Zwischenselbstlaut nimal getrennt zu werden pfleget, so kann di ferdoppelung füglich weg bleiben. Demnach schreibt man, er komt, trift, fält; du kanst, wilst, must, genant, bekant, kentnis, gunst, kunst, wälsch (fon wällisch), geschäft, samt u.s.w." 1 Aber auch hier blieb er bei seiner Behauptung: „Ein doppelt geschribener mitlaut wird nimal anders als einfach ausgesprochen."2 Klopstock hat seinen Beweis der einfachen Artikulation der Geminaten nicht verstanden, sondern hier — ganz gegen seine sonstige Gewohnheit — „das Auge in Sachen des Ohrs urteilen lassen". Trotzdem ist er den neuerungsfeindlichen Grammatikern vom Schlage Adelungs weit voraus, die sogar in vorkonsonantischer und auslautender Stellung die Gemination zu hören glauben. Auch hat Klopstock — im Gegensatz zu Hemmer — erkannt, daß das Deutsche auch in der Schrift eine Unterscheidung von langen und kurzen Vokalen verlangt, so daß man entweder die Gemination des folgenden Konsonanten zum Zeichen der Vokalkürze oder ein Dehnungszeichen festhalten muß, aber nicht beide zugleich aufgeben kann. Im 19. Jahrhundert wurde der Gedanke einer Beseitigung der Dehnungszeichen von JACOB GRIMM wieder aufgenommen, der es künftig einmal f ü r unerläßlich hielt, den gedehnten Laut überall unbezeichnet und jede Verdoppelung oder Einschaltung von e oder h fahren zu lassen 3 . Allerdings hat er niemals den Grundgedanken aufgegeben, gleichzeitig auch die Konsonantenverdoppelung am Silbenende nach geschärftem Vokal zu beseitigen; aber wie Klopstock erkannte er zwischen Vokalen die Verdoppelung im allgemeinen als notwendig an 4 . Später strebte KONRAD DUDEN — wie bereits erwähnt - den Wegfall des Dehnungs-7i. auf der Rechtschreibkonferenz im Jahre 1876 an. Die Reformbestrebungen des 19. und 20. Jahrhunderts sind immer mehr von einer Vereinfachung der Konsonantengemination abgekommen und haben weiterhin die Beseitigung der Dehnungszeichen verfolgt, da man durch die Bezeichnung der Vokalkürze, die sich ohnehin bedeutend leichter in Regeln fassen läßt, auch die Vokaldehnung für hinlänglich gekennzeichnet hielt. Zwar hielt auch der Verein für vereinfachte Rechtschreibung an der Vereinfachung der Konsonantenverdoppelung im Auslaut und vor Konsonant fest 5 , aber gerade in jüngster Vergangenheit 1 4

Hemmer a.a.O., S. 118f. G. Michaelis a. a. O., S. 13.

2

3 Ebd. S. 112. K. Hiehle a . a . O . , S. 311. 5 O. Brenner a. a. O., S. 68.

Klopstocks deutsche O r t h o g r a p h i e r e f o r m

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ist an der Bezeichnung der Vokalkürze wenig mehr gerüttelt worden. So sah auch die Empfehlung, welche von der Stuttgarter Tagung aller deutschsprachigen Länder, Deutschland, Österreich und der Schweiz, zur Erneuerung der deutschen Rechtschreibung 1954 veröffentlicht wurde 1 , die Kennzeichnung der Vokalkürze durch mehrere Konsonanten vor, da sie schon in der gegenwärtigen Rechtschreibung fast ausnahmslos durchgeführt ist. Trotzdem konnte über die Beseitigung der Dehnungszeichen auch hier keine Übereinstimmung erzielt werden; es ist zu wünschen, daß f ü r die Zukunft auch diese wichtige Fehlerquelle aus der deutschen Rechtschreibung verschwindet und die jahrhundertelangen Bemühungen der deutschen Grammatiker endlich zum Ziele führen. 2. Die e-Laute Nicht weniger umstritten als die Bezeichnungen der Vokalquantität waren im ausgehenden 18. Jahrhundert die e-Laute und ihre schriftliche Wiedergabe. Ein Zeitgenosse Klopstocks, der Physiker und Schriftsteller GEORG CHRISTOPH LICHTENBERG, machte 1781 im „Göttingischen Magazin", wo er gegen Vossens Wiedergabe des griechischen Eta durch ä protestierte, die Feststellung, „daß künftig ein ganzer Congreß von Schulfüchsen nicht wird ausmachen können, wie eigentlich der Deutsche sein e und sein ä in W ö r t e r n gelesen habe" 2 . So war es von vornherein ein gewagtes Unternehmen, wenn Klopstock auch die e-Laute nach der Aussprache schreiben wollte. Natürlich mußte er die Verteilung der beiden Schriftzeichen e und ä in der allgemeinen Rechtschreibung vom phonologischen Standpunkt aus für unbegründet halten, verstießen sie doch gegen seinen Grundsatz, daß kein Laut mehr als ein Zeichen, und kein Zeichen mehr als einen Laut haben dürfe. Doch machte er erst 1778 die Entdeckung: wenn e auch durch ä angedeutet würde und umgekehrt, so bezeichneten beide doppelt, und beide wären zweilautig 3 . I n der „Gelehrtenrepublik" wurden die e-Laute gar nicht erwähnt. Um diesem Unfug ein Ende zu machen und auch die e-Laute der Aussprache gemäß zu bezeichnen, verlangte Klopstock die Schreibung Becke, nicht Bäche, und Raben, nicht Reben'1. Nach seiner Theorie konnte nämlich a nicht nur zu ä, wie man allgemein annahm, sondern auch „zu dem mit ä na ferwanten e" 1 2 3 4

Wochenpost 32/54, S. 4. G. Chr. Lichtenberg a. a. O., IV 251. Klopstocks Werke I X 331. Ebd. 332.

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umgelautet werden: zu ä in Sal-Säle, aber zu e in Saz-Seze1, denn ä und der abgebrochne Ton konnten — wie bereits bei den Dehnungszeichen erwähnt — nicht zugleich ausgesprochen werden. „Also ist es misferstandne Ableitung, wen man Silben, di mit einem Mitlaute enden, (nur dise kommen hir in Betrachtung) und di den abgebrochnen Tgn haben, mit ä schreibt. Denn hir mus entweder ä, oder der abgebrochne Ton wegfallen. Es gibt kein Drittes." 2 Wenn Klopstock die Aussprache des kurzen offenen ¿¿-Lautes für unmöglich hielt, so lag dies daran, daß er selbst ihn niemals aussprach. Für ihn gab es keinen Unterschied zwischen Becher und Bäche, während die oberdeutschen Mundarten noch heute auch bei der Kürze offene und geschlossene Qualität unterscheiden 3 . Die drei mhd. e-Laute (das geschlossene Umlauts-e, das offene urgerm. e und das ganz offene, sogenannte Sekundärumlauts-e) fielen in Norddeutschland und im größten Teil von Mitteldeutschland in den offenen Laut zusammen und wurden in der allmählich sich herausbildenden neuhochdeutschen Schriftsprache durch das Zeichen e wiedergegeben. Vom Alemannischen aus verbreitete sich jedoch allmählich das Schriftzeichen ä, wobei von Anfang an der etymologische Gesichtspunkt eine gewisse Rolle spielte und man vorzugsweise solche Laute damit bezeichnete, deren Ableitung aus a noch deutlich empfunden wurde. Der Gebrauch des etymologischen ä ging bei den mittel- und norddeutschen Reformern mit ziemlicher Sicherheit von Bellin aus 4 . Durch eine kühn geplante Umgestaltung nicht nur im Schriftbild, sondern auch in der Aussprache der e-Laute nach etymologischen Grundsätzen hat sich vor allem Philipp von Zesen einen Namen gemacht und zahlreiche Anhänger gefunden, wobei allerdings auch schon phonologische Grundsätze mit in Betracht kamen, indem man schließlich alle offenen e-Laute durch ein ä bezeichnen wollte. Noch Gottsched warnte vor solchen „orthographischen Seltsamkeiten", deren wahre Quelle nichts als die Begierde nach Neuerungen sei5. Läßt Klopstock bei dem kurzen e-Laut keine etymologischen Rücksichten gelten, so duldet er auch bei den langen e-Lauten keine Unterscheidung nach der Abstammung. Allerdings erkennt er hier zwei verschiedene Qualitäten des e an; aber sie sollen allein nach der Aussprache unterschieden 1 2 3 4 6

Klopstocks Werke IX 339. Ebd. 340. H. Paul, Deutsche Grammatik I., Halle 31955. S. 175. V. Moser, Beiträge 71, S. 387. Gottsched a. a. O., S. 65.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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werden, obwohl er selbst eingesteht, daß es viel leichter sei, nur immer ä von a abzuleiten: „Aber was ligt denn an der Leichtigkeit eines Wäges, dar das Zil ferfält." 1 Und dieses Ziel ist, wie wir wissen, das Gehörte der guten Aussprache — d. h. des Schriftdeutschen in niedersächsischem Munde — nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben. Also auch hier verfolgt Klopstock konsequent seinen Weg, und es kann ihn nicht beirren, daß er zu einer völligen Umstellung der bisherigen Bezeichnung der langen e-Laute führt. Das wird besonders beim Konjunktiv des Verbums nehmen deutlich, wo er Präsens und Imperfekt vertauscht: zu nimt bildet er näme, zu nam neme, in klarem Widerspruche „mit der misferstandnen Ableitung" 2 . Bei dem kurzen e-Laut ist es für Klopstock offenbar, daß der abgebrochne Ton die Aussprache und demnach auch die Schreibung e bedingt; sobald man den langen e-Laut nicht mit Gewißheit ableiten kann, entscheidet allein die Aussprache. „Dis get so weit, daß der Unterschid der Aussprache eine an sich selbst scheinbare Ableitung ferdechtig macht." 3 Demnach schreibt er här, Aerde, die er beide von der Wurzel ar, und wägen, Wäg, die er „fon dem alten Wag" abstammen läßt 4 ; dagegen tadelt er diejenigen, die „Leben, schweben, Reben usw. schreiben, ob sie gleich Laben, Schwaben, Bäben aussprechen". Selbst wenn hier e Stammbuchstabe wäre, so widerspräche dem doch die Aussprache, und sie ist oberstes Gesetz5. Dabei war Klopstock nicht entgangen, daß selbst in den Gegenden der guten Aussprache, die er zum Vorbild der neuen Rechtschreibung nahm, der eine von dem andern, in Ansehung des e oder ä, wohl zuweilen abwich. Doch wollte er lieber eine Ungleichheit der Schreibung in Kauf nehmen, als eine Gleichheit, die auch das für ausgemacht erklärt, was es nicht ist. „Und ist sich denn unsre Rechtschreibung etwan überal gleich ? Ueberhaupt scheint mir durchgengig gleiche Rechtschreibung nicht möglich zu sein." 6 So gab Klopstock für die Schreibung der e-Laute folgende Anweisung: „Wär hir und da zweifelt: Ob är ä oder e schreiben müsse, där braucht nur das eine oder das andre mit Nachdrukke auszusprechen; und so wird är schQn hören, was är zu schreiben habe. Wär dan z. E. noch Erde oder werde hört, där mus es auch schreiben. Und warum solt är nicht? Denn di Aussprache hat ja einmal hir nicht alles entschiden." 1 2 3 4 6 6

Klopstocks Werke I X 340. Ebd. 341. Ebd. 343. Diese Etymologien sind unrichtig. Klopstocks Werke I X 342 f. Ebd. 345.

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Natürlich mußte Klopstocks Stellungnahme in der Schreibung der e-Laute, die so weit vom Herkommen abwich, in gelehrten Kreisen Aufsehen erregen. Der erste Widerspruch wurde von seiten der Pfälzer laut. Man machte Klopstock darauf aufmerksam, daß die deutschen Provinzen in keinem Stücke mehr voneinander abwichen als in der Aussprache des e. Deshalb hielt man es f ü r besser, wenn man auf eine schriftliche Unterscheidung gänzlich verzichtete und alle e-Laute durchgängig mit e bezeichnete. „Zur Bildung des ä u n d e werden di selbiche werkzeüche nur mit einicher ferenderung gebraucht. Solche ferenderung einerlei werkzeüche machet aber keine ferschidene buchschtaben, sondern gibt einem und demselbichen buchschtaben nur ferschidene schatirungen; sonst müste man aus den ferschidenen schtufen des e, und ä, so wohl auf einer als der andern Seite, auch ferschidene buchschtaben machen." 1 Diese Bemerkung des anonymen Kritikers aus der Pfalz ist insofern interessant, als sie eine f ü r damalige Zeit erstaunliche Einsicht in lautliche Erscheinungen verrät und den Begriff des P h o n e m s sehr richtig auf den e-Laut anwendet, so daß e und ä nur als zwei verschiedene „Schattierungen" (Allophone) ein und desselben Lautes erscheinen und deshalb keine Unterscheidung in der Schrift nötig haben. H E M M E R hatte schon im „Grundris" diese Unterscheidung f ü r entbehrlich gehalten: „Das Wort selbst, so bald ich es ferstee, zeiget mir schon an, ob sein e kurz oder lang, scharf oder schwer tönend, ofen oder geschlosen sei." 2 Vier Jahre später erklärte er im „Kern", daß der Unterschied zwischen „offen" und „geschlossen" nur verschiedene Artungen desselben Buchstabens seien und man das ä ganz verdammen könne; denn diese Änderung würde lange nicht so auffallend sein, als wenn man das ä und e überall nach der Aussprache in zwei Fächer einordnen wollte. Aber auch die Abschaffung des ä schien er vorläufig nicht f ü r durchführbar zu halten, sondern statt dessen schlug er vor, es noch beim Alten zu lassen und in dem abgeleiteten Worte ein ä zu setzen 3 . Klopstock hat, wie zuvor Hemmers Beweis der einfachen Artikulation intervokalischer Geminaten, auch den Phonembegriff des e-Lautes nicht verstanden; sondern er bleibt dabei, die fehlenden Schriftzeichen zu beklagen, auch wenn sie nur „Schattierungen" eines Lautes unbezeichnet lassen, und wirft den Pfälzern vor, das Gras wachsen zu hören, ohne ihre exakten lautlichen Beobachtungen zu würdigen. Während Klopstock sich in der Auseinandersetzung mit Nicolai und Mäzke sowie den beiden 1 2 3

Klopstocks Werke I X 363 Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 67. Hemmer a. a. O., S. 121.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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Schwaben oft durch feine Beobachtung und exakte Beweisführung auszeichnet, sind ihm die Pfälzer offensichtlich in beidem überlegen. Klopstock hat wohl den Unterschied zu anderen Kritikern seiner Orthographiereform empfunden, als er das Schriftchen vom „Urschprung und Fortgang des heütichen wichtichen Ferbeserungsgeschäftes der deutschen Rechtschreibung" zugeschickt bekam, bekennt er doch zu Beginn der „Nachläse", daß ihm der Streit mit einem Manne angenehm sei, ,,där endlich . . . einmal auch weis, wofon är spricht" 1 . Vielleicht ist das auch der Anstoß dazu gewesen, daß sich Klopstock — ganz gegen seine sonstige Gewohnheit — in einen Disput über die deutsche Rechtschreibung einläßt. Der wissenschaftlichen Beweisführung des Ungenannten hat er jedoch keine stichhaltigen Gründe entgegenzusetzen, wie dies vor allem bei der Erörterung der e-Laute zutage tritt. Mit unsachlichen Argumenten versucht er die einmal bezogene Stellung zu halten und sein Prinzip um jeden Preis durchzuführen, dem Hemmer freilich hier — dank besserer Einsicht — untreu geworden ist. Klopstock gesteht dem kurzen e-Laut auch jetzt nur die geschlossene Aussprache zu; wenn der Pfälzer hier ebenso wie beim langen ä-Laut Stufen unterscheiden will, so erklärt er das f ü r „grammatische Hirngespinste" 2 . Beim langen e-Laut dagegen unterscheidet er zwei Qualitäten und greift zugleich einen Gedanken wieder auf, den er schon zwei Jahre zuvor in der Schrift „Über die deutsche Rechtschreibung" angedeutet hatte: beim langen ä glaubt er nämlich einen stärkeren und einen leiseren Laut zu vernehmen, wie er an dem Beispiel Laben und läbendig deutlich macht. Daraus geht hervor, daß Klopstock den langen offenen e-Laut auch durch ä bezeichnet wissen will, wenn das Wort oder die Silbe, in der es steht, keinen Hauptton trägt 3 . Am liebsten würde er, da hier offensichtlich ein Zeichen zu fehlen scheint, diesem Mangel abhelfen — auf keinen Fall aber dadurch, daß auch das Zeichen ä abgeschafft werden soll, wie Hemmer vorschlug; denn deswegen, weil man nicht genügend Schriftzeichen zur Verfügung habe, auch das ä abzuschaffen, „were äben so als, weil der Armee Husaren und Jäger fälen, auch di Dragoner fortschikken" 4 . Soweit Klopstocks Auseinandersetzung mit Hemmer und seinem Fürsprecher. Auch in seiner Abrechnung mit N I C O L A I ist von den e-Lauten die Rede. Dieser erklärt es f ü r eine gar zu willkürliche Annahme Klopstocks, 1 2 3 4

Klopstocks Werke IX 354. Ebd. 363. Ebd. 344. Ebd. 364.

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daß ä den abgebrochenen Ton nicht haben könne 1 , und Klopstock erwidert: „Ich möchte wol den Deutschen reden hören, welcher ä, wen di Silbe mit dem Mitlaute endet, wirklich ausspreche, und im zugleich den abgebrochnen Ton gebe." Er vermutet sogar, daß die Sprechwerkzeuge vielleicht so gebildet seien, daß man das auf Mitlaute stoßende ä nicht aussprechen könne 2 . Trotzdem scheint er die offene Aussprache des kurzen e-Lautes für nicht ganz unmöglich zu halten, wie man aus folgenden Worten schließen kann: „Uebrigens ist hir nicht fom Können, sondern blgs fom Sein di Frage." Eine ähnliche Abfuhr holt sich zwei Jahre später der Rezensent Lk., der in Länder einen anderen e-Laut zu hören glaubt als in Lenden3, von Voss: „Aber die Frage ist ja nicht, was man thun kann, sondern was man t h u t . " 4 Er gibt jedoch deutlicher als Klopstock die Möglichkeit zu, daß man auch wohl einen Unterschied zwischen ä und e in Länder und Lenden herauspressen könne. Für den langen e-Laut* werden im 18. Jahrhundert von den Grammatikern im allgemeinen zwei Qualitäten angenommen. RICHEY vergleicht in seinem „Idioticon Hamburgense" 1755 das e in sehr, mehr, Seele dem griechischen Epsilon und das in geben, wehren daneben dem Eta. Dieser hörbare Unterschied setzt — nach Richey — in der Hamburger Mundart viele Wörter deutlich auseinander, die sonst im Schreiben einerlei sind 5 . Klopstocks Schreibung gegäben ist demnach durch seine niederdeutsche Aussprache bedingt. Um die gleiche Zeit hat der Oberpfälzer CARL FRIEDRICH AICHINGER die unterschiedliche Aussprache des ä in schmähten, Thäler und wäre, fährt beobachtet 6 , und JAKOB HEMMER bezeugt 1780 einen offenen Laut f ü r die Wörter wer, der, lebt, einen geschlossenen f ü r mer, ser und hebt in seiner pfälzischen Mundart. Klopstock schreibt dementsprechend wär und laben sowie dar, wenn es das Fürwort bedeutet (für den Artikel schreibt er jedoch, wohl um ihn besser zu unterscheiden, weiterhin der); aber abweichend von Hemmers Zeugnis findet sich bei ihm die Schreibung hüben''. Der schwäbische Sprachforscher FULDA unterscheidet in der Aussprache ein niederes und ein hohes e (ä oder ö), in dem — wie er resignierend bekennt — Deutschland wohl niemals einig werden wird, da ja nicht einmal die Provinzen mit sich selbst einig sind 8 . Doch hält er es trotzdem f ü r nötig, das „niedere (sogenannte offene) e, das sich dem ä aus a nähert, von dem hohen (sogenannten 1 2 s 4

Allg. dt. Bibl. 39, 1, 256. Klopstocks Werke I X 385. Allgem. dt. Bibl. 42, 1, 218. J. H. Vossens Verhör a. a. O., S. 337.

6 6 7 8

M. Richey a. a. O., S. 378f. C. F. Aichinger a. a. O., S. 22f. Klopstocks Werke I X 338. Sprachforscher I S. 145.

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geschlossenen) e, das sich dem ö aus o nähert, im Schreiben abzusondern" 1 . Dagegen will sein Freund N A S T , der die Termini n i d er und h o c h von Fulda übernommen hat, auf seine ursprünglich geplante Bezeichnung des „nidren e" durch einen Akzent verzichten, da dieser Gedanke nur gut und nützlich wäre, wenn alle Provinzen in einerlei Worten das ,,nidre e" hätten, bei der herrschenden großen Verschiedenheit aber nichts als Verwirrung anrichten könnte 2 . Aber auch er stellt f ü r Schwaben die verschiedene Aussprache des ä fest, das „in vielen teutschen Wörtern wie das hohe e" klinge 3 . Gegen Klopstocks Unterscheidung der Konjunktive näme und neme macht M Ä Z K E die von dieser Vorschrift abweichende schlesische Aussprache geltend: „Nehme und nähme klingt bei uns völlig einerlei, in beiden Fällen nidergedehnt." 4 Er bestreitet zugleich, daß dieser Unterschied hochdeutsche Aussprache sei, und verweist ihn — mit Klopstocks eigenem Terminus — zur „Aussprecherei". Aber Mäzke selbst zieht daraus keineswegs die Konsequenz wie Hemmer und die Schwaben, daß eine Bezeichnung dieses Lautunterschiedes in der Schrift bei dem schwankenden Sprachgebrauch vorerst nicht möglich ist, sondern er versucht nach seiner Aussprache das „niderwärts gedehnte e" mit Verdoppelung desselben anzuzeigen 5 . Die meisten Gegner der Klopstockschen Orthographiereform nahmen vor allem Schreibungen wie dar und dän zum Anlaß, ihr Mißfallen zu äußern, so Gleim in dem schon mehrmals zitierten Absagebrief an den Orthographiereformer Klopstock 6 ; und Kindleben war „sonderlich das dän, wie die Bauern in Obersachsen sprechen," widerlich ins Ohr gefallen 7 . — Lassen wir am Ende unserer Übersicht noch A D E L U N G ZU Worte kommen, der ja letzten Endes durch seine Autorität der weiteren Diskussion dieses Problems den Riegel vorschob und f ü r die nächste Zukunft maßgebend blieb. Er ging wie alle anderen von der Feststellung aus, daß es zwei verschiedene lange e-Laute im Deutschen gebe: ein tiefes e wie ä und ein hohes e. Seine Beispiele lassen erkennen, daß er in ungefähr denselben Wörtern das „tiefe e" sprach, in denen Klopstock die ä-Schreibung einführen wollte 8 . Adelung war gebürtiger Pom1

Sprachforscher I I S. 155. Ebd. S. 45 f. 3 Ebd. S. 44. 4 A. G. Mäzke, Über Deutsche WörterFamilien und Rechtschreibung. Züllichau 1780. S. 75. 6 Ders., Grammatische Abhandlungen a. a. O., S. 241. 6 Klopstocks Briefe a. a. O., S. 546. 7 Kindleben a. a. O., S. 9. 8 Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. 262. 2

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mer; seine niederdeutsche Aussprache kam hier trotz seiner Vorliebe f ü r das Meißnisch-Obersächsische wieder zum Durchbruch. F ü r das „geschärft betonte e" nahm er ebenfalls nur eine e-Qualität an; allerdings glaubte er im Unterschied zu Klopstock hier stets den tiefen e-Laut zu hören 1 . Aber natürlich war Adelung weit davon entfernt, seine Beobachtungen auch in der Schrift ausdrücken zu wollen: „Zwar würde, wenn man das tiefe e allemahl durch ä ersetzen könnte, die kleine Unbequemlichkeit des doppelten Lautes des e wegfallen; allein es würden daraus mehrere und größere Nachtheile entstehen." 2 Diese Nachteile aber konnten f ü r Adelung keine anderen sein, als daß eine Unterscheidung der e-Laute nach der Aussprache die Abstammung der Wörter verschleiern mußte. E r blieb also bei der alten Regel: „Wenn die Ableitung so nahe und klar ist, daß sie die gewöhnlichen Fähigkeiten der meisten Schreibenden nicht übersteigt, so schreibe man ein ä; ist sie aber dunkel, und das Wurzelwort ist nicht mehr gangbar, so lasse man das e immer in seinem alten Besitze." 3 I n der Schreibung des e-Lautes h a t sich Klopstocks Einfluß nicht geltend machen können, wenn man von Enkelmanns Nachfolge in den „Grammatikalien" absieht, wo das offene e stets mit ä wiedergegeben und dar, dän. är, rüden usw. geschrieben wird. Die Zeugnisse der Zeitgenossen haben, obwohl man mit der unzulänglichen Bezeichnung der e-Laute allgemein unzufrieden war, die landschaftliche Verschiedenheit der e-Aussprache gegen Klopstock ins Feld geführt. Dieser L a u t scheint sich wie kaum ein anderer einer eindeutigen schriftlichen Fixierung zu entziehen, und es muß deshalb als ein verfehlter Versuch Klopstocks angesehen werden, daß er, s t a t t Hemmers vernünftigem Vorschlag zuzustimmen, hier eine Regelung nach der Aussprache durchführen wollte. Daran ändert nichts, daß er — entgegen seinem Grundsatz, nichts „Landschaftliches" in der Orthographie zu dulden — jedem die Wahl zwischen e und ä frei ließ, wenn auch nicht ohne die Einschränkung, daß der e-Laut in Silben mit dem abgebrochnen Ton durchgängig e geschrieben werde 4 ; denn dadurch war wiederum die Einheit der Schriftsprache in Gefahr. An der ungleichen Aussprache des e-Lautes in den einzelnen Mundarten h a t sich bis heute nicht viel geändert, wenn auch das Schrift1

Adelung, Umst. Lehrgeb. I S. 265. Ders., Vollst. Anweisung a. a. O., S. 137. Nur in seinem Wörterbuch hat Adelung das lange „tiefe e" mit einem Akzent bezeichnet, was jedoch für seinen Schreibgebrauch nicht maßgebend sein kann, da es sich hierbei um wissenschaftliche Untersuchungen handelt. 3 Ebd. S. 77. 4 Klopstocks Werke I X 362. 2

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Klopstocks deutsche Orthographiereform

bild ausgleichend gewirkt hat. Eine einheitliche Regelung der e-Schreibung nach der Aussprache, wie sie Klopstock vorschlug, wäre demnach auch jetzt noch nicht zu empfehlen. Wenn an der herkömmlichen Schreibung etwas geändert werden sollte, um die Erlernung unserer Orthographie zu erleichtern, so wäre das etymologisch bedingte Zeichen ä ganz zu entbehren, zumindest was die Vokalkürze anbetrifft; und damit könnte doch noch eine Forderung Klopstocks verwirklicht werden.

3. Die

Diphthonge

a) ei und ai

Bei den Diphthongen hat Klopstock nur die Schreibung ai und eu (äu) verändern wollen. Schon in der Gelehrtenrepublik stellt er fest, daß wir den „vereinten Ton" ai fast immer ei schreiben 1 ; doch schlägt er hier noch keine andere Rechtschreibung vor. Vier Jahre später erklärt er sich deutlicher: „ I n ei klingt e, wi a mit wenig geöfneten Munde, oder wi ein halbes a. Hir hette also a mer als Ein Zeichen, nämlich auch e, und e mer als Einen L a u t . " 2 Die ei-Schreibung gibt nach seiner Ansicht nicht den wahren Laut des Diphthongs wieder: „In ei flist das e", sagt er in der „Nachläse", „wen es seinen waren Laut behelt, nicht gut mit i zusammen; es fereint sich weder leicht, noch angenäm . . . Ich habe das ei nur fon Liflendern erträglich aussprechen gehört." 3 Klopstock bezeugt demnach f ü r seine niederdeutsche Aussprache keinen Unterschied zwischen ei und ai und empfindet aus diesem Grunde die verschiedene Schreibung ein und desselben Lautes als überflüssig. Das Zeichen ai, das den Diphthong lautgetreuer bezeichnet, würde somit völlig zureichen. Wenn sich Klopstock trotzdem f ü r die Beibehaltung des alten Schriftzeichens ei entschließt, so t u t er dies nicht aus Rücksicht auf den Schreibgebrauch, sondern er fürchtet einen ungünstigen Einfluß der Schreibung ai auf die Aussprache: „Gleichwol, denk ich, behelt man hir das e. Denn sonst mögten sich File einbilden, daß si das ganze folle a müsten hören lassen." Aber keineswegs will er die unbegründete Unterscheidung in der Schreibung länger dulden; und da er die ei-Schreibung beibehalten will, bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Zeichen ai ganz aufzugeben: „Aber wir müssen auch nicht mer Hain u. s. w. schreiben, weil Hain und Hein äben denselben Klang haben." 4 1 2

Klopstocks Werke V I I I 172. Ebd. I X 333.

3

Ebd. 373.

4

Ebd. 333.

RENATE BATTDUSCH-WALKER

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Gewiß kann man einen Widerspruch darin finden, daß Klopstock die aiSchreibung ganz aus der deutschen Rechtschreibung verbannen wollte, wo er eben erst erklärt hatte, daß das e in ei wie ein halbes a laute. Seine Befürchtung, daß man das a sonst zu voll aussprechen könnte, wirkt etwas gezwungen, und man ist eher versucht zu glauben, daß Klopstock bei der Häufigkeit des ei vor einer radikalen Änderung des bestehenden Schriftbildes, wie sie eine durchgängige «¿-Schreibung mit sich gebracht hätte, zurückschreckte. Doch haben wir bereits gesehen, daß f ü r den Niederdeutschen die Forderung „Sprich, wie du schreibst" eine große Rolle spielte. Außer Klopstock hat von den gleichzeitigen Reformern nur noch MÄZKE das ai beseitigen wollen. Für die süddeutschen Grammatiker war die Unterscheidung von mhd. i und ei in der Aussprache noch vorhanden, während die norddeutschen das ai nur aus dem Bestreben, die Homonyme hinlänglich zu unterscheiden, in einigen Wörtern aufbewahrten. So bezeugte FULDA, daß ei und ai in Herkunft und Aussprache sehr ungleich seien 1 , und dem ungenannten Pfälzer war Klopstocks Beobachtung, daß in ei das e wie ein halbes a ausgesprochen werde, unverständlich. Klopstock erwiderte jedoch statt einer näheren Erklärung, daß „Definizionen des Schalles" — eine Spezialität Nasts, aber auch Hemmers — nicht in die Grammatik gehörten 2 . Diese Einwände der süddeutschen Grammatiker mußten natürlich in Norddeutschland, wo beide ei-Laute zusammengefallen waren, unbegründet erscheinen. HEYNATZ stellte bereits 1 7 7 0 fest, daß nicht nur von den Niedersachsen, sondern auch von den Meißnern und Märkern ei und ai nicht hinreichend unterschieden würden 3 . Dasselbe gilt f ü r die jetzige Hochsprache, in der zwar der ei-Laut richtiger durch ai zu bezeichnen wäre; doch muß f ü r uns — wie schon Klopstock richtig erkannte — nicht das Zeichen an sich, sondern die Einheitlichkeit der Bezeichnung desselben Lautes im Vordergrund stehen, um durch Beseitigung unmotivierter Ausnahmen die deutsche Rechtschreibung zu erleichtern. Das von den Grammatikern erfundene Prinzip der schriftlichen Unterscheidung der Homonyme kann hier kein ernstliches Hindernis sein. b) eu und äu

Ähnlich liegen die Dinge bei den Diphthongen eu und äu. I n der „Gelehrtenrepublik" scheint Klopstock mit der Rechtschreibung dieser „vereinten Töne" noch ganz zufrieden zu sein, wenn er sagt: „Bey au, eu, und äu ist 1 3

Sprachforscher I S. 271. Heynatz a. a. O., S. 5.

2

Klopstocks Werke I X 373.

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Schreibung und Aussprache gleich." 1 Dagegen stellt er vier Jahre später in seiner Abhandlung über die deutsche Rechtschreibung fest, daß eu und äu in Leute und läute nicht unterschieden seien; außerdem soll man eü und äü schreiben, weil man so ausspricht 2 . „Denn eu kan kein Doppellaut sein. Das u, wi ser man auch damit eile, wird doch b e s o n d e r s gehört: Le-ute . . . Aus gleicher Ursach müste man auch nicht läute sondern läute schreiben." 3 Diese Neuerung Klopstocks fand — im Gegensatz zu seiner Regelung der ei-Laute — auch in Süddeutschland Zustimmung, ja, man hatte ihm bereits vorgearbeitet. Der Ungenannte macht deshalb Klopstock darauf aufmerksam, daß Herr HEMMER der erste gewesen sei, der bewiesen habe, „das das u des doppellautes eu in der ausschprache kein u, sondern ein ü sei." 4 Es scheint überhaupt, als ob der Ungenannte Klopstock in Verdacht hätte, sich mit Hemmers Federn zu schmücken, und in der Tat ist es schwer, bei der auffallenden Übereinstimmung beider Reformer sowohl in ihren Grundsätzen als in solchen Einzelheiten wie den Schreibungen eü und äü an Klopstocks Beteuerungen zu glauben, daß ihm Domitors „Grundris" völlig unbekannt sei. Dort hatte Hemmer die Schreibung häuslich, heüt statt häuslich, heut verlangt und berief sich dabei nicht nur auf eigene Vorarbeiten, sondern auch auf NASTS übereinstimmende Behauptung im „Schwäbischen Magazin." 5 Man vergleiche damit Nasts Stellungnahme in dem gleichzeitig mit Klopstocks Abhandlung erschienenen zweiten Teile des „Sprachforschers": „Der Doppellaut eü wird allgemein eu geschrieben. Ich frage aber jeden Teütschen, der ein Ohr hat, ob er in diesem Doppellaut ein u hört. Wird er recht ausgesprochen, so hört man darin das ü, also schreibe man es auch." 6 Klopstock hätte daher ebensogut von Nast beeinflußt gewesen sein können; doch hat er keiner fremden Beweise bedurft, „weil eu Niemand, als einen Doppellaut, aussprechen kan." 7 Außerdem ist die Schreibung eü statt eu keineswegs eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Schon die Orthographiereformer Rumpier, Schneüber und Rist hatten in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts das ahd. iu mit eü bezeichnet 8 , bei dem letzteren findet sich auch aü statt des vulgären au. Und wenn AICHINGER 1753 ausdrücklich die Schreibung Haüte verwarf, so muß diese Gewohnheit noch zu diesem 1

Klopstocks Werke VIII 172. Ebd. I X 330. 8 Ebd. 333. 4 Ebd. 356. 6 Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 56. 6 Sprachforscher I I S. 54. ' Klopstocks Werke I X 356. 8 V. Moser, Beiträge 71, S. 414 und 460; ebd. 60, S. 210. 2

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Zeitpunkt teilweise gebräuchlich gewesen sein. Bei eu scheint man jedoch die Schreibung eü nicht gebraucht zu haben, da sich Aichinger darauf berufen konnte: „Denn wie das u in dem Doppellaut eu nicht verwandelt wird, indem man nicht schreibet neü, neuer: also wird es auch im au nicht verwandelt werden, sondern die vorkommende Verwandlung dem a zuerkannt werden müssen." 1 Von HEYNATZ erfahren wir 1770, daß die Diphthonge au und eu gewöhnlich nur von solchen gebraucht werden, „die nicht recht zu schreiben wissen." 2 Klopstocks Berufung auf „unsre Alten", die schon eü geschrieben haben sollen, entbehrt aber jeder Grundlage; denn daß er die Reformer des 17. Jahrhunderts damit gemeint haben sollte, ist kaum anzunehmen. Das Ahd. kennt diesen Diphthong noch nicht, und im Mhd. wurde er mit öu bezeichnet. Beachtlich ist, daß sogar ADELUNG im „Umständlichen Lehrgebäude" die «-Ausspräche des u in äu und eu bemerkt; doch findet er eine Bezeichnung in der Schrift überflüssig, „weil der Mund nach der Öffnung, welche die beyden ersten Hülfslaute erfordern nicht unvermerkt in ein volles u übergehen kann, sondern dafür das ü wählen muß." 3 Daß es ihm im Grunde aber auch hier wieder um die Beibehaltung des Herkömmlichen zu tun ist, beweisen seine Worte in der „Anweisung zur Deutschen Orthographie" sechs Jahre später: „Eine unnütze Grille ist es, f ü r äu und eu au und eü schreiben zu wollen, da die Aussprache einerley bleibt, jenes aber den Gebrauch einmahl f ü r sich hat." 4 Natürlich hat sich auch hier seine Ansicht durchgesetzt, und es blieb bei der einmal eingeführten Schreibweise eu und äu; denn auch durch die Veränderung in eü und äu würde der Laut noch nicht richtig bezeichnet, sondern erst oi gäbe ein annähernd lautgetreues Schriftbild. Klopstock hat aber nicht allein das u der beiden Diphthonge eu und äu in ü verwandeln wollen, sondern er hätte äu am liebsten ganz durch eü ersetzt. Er konnte in der Aussprache beider Laute keinen Unterschied feststellen und erkannte richtig, daß äu nur die Abstammung anzeigen sollte 5 . Tatsächlich bezeichnen eu und äu nicht zwei verschiedene Laute, sondern sie vertreten beide sowohl mhd. öu als auch iu, wobei äu mit Vorliebe dort geschrieben wird, wo man den Umlaut von au noch deutlich fühlt. Auch NAST bezeugt 6 1778, daß äü und eü völlig gleich lauten , und ADELUNG weiß deshalb in 1 2 3 4 5 6

Aichinger a. a. O., S. 25. Heynatz a. a. O., S. 6. Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. 141. Ders., Vollst. Anweisung a. a. O., S. 146. Klopstocks Werke I X 333. Sprachforscher II S. 55.

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seiner Sprachlehre keine andere Regel zu geben, als daß „die Abstammung die jedesmahlige Schreibart bestimmen m u ß . " 1 Dem widerspricht allerdings, wenn er später in der „Vollständigen Anweisung" die gehörige Unterscheidung von äu, eu und ei in der Aussprache fordert, „welches auch merklich geschehen kann, wenn gleich alle drey Laute einander ähnlich sind." 2 Vielleicht will er jetzt, wo er als erklärter Feind aller orthographischen Neuerungen auftritt, das gefährdete Schriftzeichen äu nicht nur aus Gründen der Abstammung, sondern auch der Aussprache verteidigen, wie er überhaupt mit der Zeit in seiner Polemik immer unduldsamer und einseitiger wird. Obwohl die jetzige Regelung der eu- und äu-Schreibung verhältnismäßig systematisch ist, wenn man die der ei- und ai-Schreibung vergleicht, ist sie doch phonetisch ungerechtfertigt und kann aus diesem Grunde sehr wohl entbehrt werden. Die Oi-Schreibung einzuführen, wie in letzter Zeit von einigen Neuerern vorgeschlagen wurde, stellt jedoch einen zu radikalen Bruch mit der Schreibtradition dar, und ein solcher ist nach Möglichkeit zu vermeiden, wenn eine Orthographiereform nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sein soll. 4. Die s-Laute Die Regelung der s-Laute wurde im 18. Jahrhundert von den Orthographiereformern viel diskutiert, da sie noch manches zu wünschen übrigließ. Die beiden mhd. s-Laute waren in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zusammengefallen, so daß seitdem Schreibungen wie essen und wasser möglich wurden; auch im Auslaut und vor Konsonant t r a t Zusammenfall ein, aber hier spielte bald das Analogieprinzip eine wichtige Rolle. Nur zwischen Vokalen nach Länge blieb durch den Unterschied zwischen stimmhaftem und stimmlosem s-Laut die ursprüngliche Scheidung bewahrt, und man half sich damit, daß man den stimmlosen Laut in der Schrift durch Verdoppelung des s bezeichnete. Das hatte jedoch den Nachteil, daß man hier die Doppelkonsonanz nicht — wie bei anderen Konsonanten — zur Bezeichnung der Vokalkürze verwenden konnte und die Aussprache deshalb nicht eindeutig bestimmt war. Die Einführung des ß sollte diesem Mangel abhelfen, und tatsächlich wurde schon am Anfang des 17. Jahrhunderts vereinzelt zwischen ß und ss nach der heutigen Weise geschieden 3 ; aber im allgemeinen diente das neue Zeichen nur dazu, die bereits bestehende Unsicherheit in der Be1

Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 500. Ders., Vollst. Anweisung a. a. O., S. 145. 3 M. H. Jellinek, Die Bezeichnungen der f- und s-Laute und die angeblichen Geminaten nach Diphthongen. Zschr. f. dt. Altertum 48, S. 317. 2

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Zeichnung der s-Laute noch zu erhöhen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wechselte meist ß m i t / / u n d s entweder willkürlich oder nur nach graphischen Rücksichten 1 , so daß s zwar immer den tonlosen Laut bezeichnete; aber da / auch in den tonlosen Konsonantenverbindungen angewendet wurde, empfand man s schließlich als einen bloßen „Endbuchstaben". Auch ß wurde vornehmlich im Silbenauslaut und vor Konsonanten gesetzt, wo es einem intervokalischen / / in verwandten Formen entsprach nach dem Prinzip der Analogie, das auch bei den s-Lauten eine große Rolle spielte. Erst mit Gottsched setzte sich die Bezeichnung des stimmlosen s-Lautes nach langem Vokal durch ß, nach kurzem durch // durch, f ü r die im 17. Jahrhundert schon Zesen vergeblich eingetreten war. a) Das End-s

Klopstock fand demnach eine verhältnismäßig geregelte Bezeichnung der s-Laute in der allgemeinen Rechtschreibung vor. Da er aber auch hier rein vom Akustischen ausging, mußten ihm zwei der gebräuchlichen Schriftzeichen /, //, ß und s als überflüssig erscheinen; denn er unterschied in der Aussprache nur zwei verschiedene s-Laute, einen stimmhaften und einen stimmlosen. Nach der Regel, daß kein Laut mehr als ein Zeichen haben dürfe, verbannte er deshalb das End-s und das ß und erklärte 1778 in der Schrift „Über die deutsche Rechtschreibung": „Nur /, und nicht zugleich auch s. Waf nicht was. Wozu brauchen wir Endbuchstaben, da wir die Wörter ichon durch den gelafnen Zwifchenraum fon einander trennen? Und wen wir gleichwol welche brauchen; warum haben wir denn nur difen Einen ? Ueberdif ferlirt auch das Auge äben keinen fchönen Buchitaben an dem s." 2 Völlig neu und ungewöhnlich war dieser Vorschlag Klopstocks nicht. Rist hatte 1648 f ü r alle Dentalspiranten im mittelbaren und sogar im unmittelbaren Auslaut langes / gesetzt 3 ; von Aichinger erfahren wir 1753, daß „Herr Feller in seiner Sammlung zu der teutschen Sprache, welche an Act. schol. Tom. VII pag. 383. zu finden ist", lauter lange / machte und Weitheit, FuHtapffen schrieb 4 . Doch kehrte Klopstock 1780, zur gleichen Zeit, wo Mäzke das Schluß-s aufgab, wieder zur alten Schreibung zurück und erklärte: „Ich brauche das End-s wider, weil das / an der Stelle fon jenem am meiiten auffil, und weil lein Gebrauch bis auf: fallen f ü r : faslen ff. regelmäffig iit. Meine Uriachenfollen übrigens mer entichuldigen, als rechtfertigen." 5 Klopstock war 1 s 3

H. Paul, Grammatik I 343. Klopstocks Werke I X 331. V. Moser, Beiträge 60, S. 251.

4 6

Aichinger a. a. O., S. 14. Klopstocks Werke I X 399.

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sich demnach bewußt, daß er hier seinem Prinzip u n t r e u wurde und Rücksicht auf den Schreibgebrauch nahm. Die Zeitgenossen mochten finden, daß sich das lange / am Ende doch noch ungeschickter ausnahm als der nach Klopstocks Ansicht unschöne Buchstabe s; so fand Kindleben das kleine s a m Ende eines Wortes „viel gescheuter, als das lange", 1 und da es Klopstock bei aller Konsequenz doch ernstlich um die Durchführbarkeit seiner Reform zu t u n war, h a t er diese Neuerung — wohl nur vorläufig — fallengelassen. Doch ist die Entwicklung gerade den umgekehrten Weg gegangen; mit der Einf ü h r u n g der lateinischen Schrift ist das lange / gänzlich aus unserem Schriftbild verschwunden. b) ß

Das ß gebraucht Klopstock nur in dem einen Worte daß, u m es von das unterscheiden zu können, ähnlich wie bei denn und hatt die Doppelkonsonanz. 2 Sonst schreibt er überall vor Konsonant und im Auslaut f: left (läßt), muf, gemäf, weif. I m Inlaut dagegen bezeichnet er den tonlosen /-Laut zwischen Vokalen regelmäßig mit / / : auf [er, fchliffen, regelmäffig, muffen. E r darf sich den Wegfall von ß erlauben, da er die Vokallänge durch sein neues Dehnungszeichen hinlänglich bezeichnen k a n n ; so unterscheidet er fliffen von befliffen3. Unverständlich war ihm, daß in gewissen Gegenden sogar die Grammatiker fliffen nicht von Flifen unterscheiden konnten. Das k a m daher, daß im Schwäbischen der stimmhafte und stimmlose s-Laut vollständig zusammengefallen waren. Deshalb hielt FULDA eine Verdoppelung des f nach Länge f ü r unnötig, da f ü r ihn reifen u n d reißen gleich lauteten. Nach Kürze mußte ihm ß als bloße graphische Variante f ü r f f erscheinen, so daß er hier ß nicht nur inlautend, sondern auch im Auslaut verbannte und B a f f , blaff, graff usw. schrieb 4 . Auch NAST wußte mit dem ß, das er f ü r einen bloßen Endbuchstaben hielt, nichts anzufangen 5 ; er erklärte es wie th f ü r ein unnötiges Geschöpf 6 . So setzte er wie Fulda intervokalisch n a c h Länge einfaches f , dem im Auslaut s entsprach. Klopstock wird demnach hier auf die beiden Schwaben angespielt haben, die nach ihrer Orthographie tatsächlich Flifen von fliffen nicht unterscheiden konnten. Aber auch der Pfälzer JAKOB HEMMER verwarf das ß aus seiner neuen Rechtschreibung, und da er — im Unterschied zu Klopstock — auf jede Bezeichnung der Vokalkürze durch Konsonantengemination verzichtete, 1 2 3

Kindleben a. a. O., S. 49. Klopstocks Werke I X 351. Ebd. 328.

4

Sprachforscher I S. 161. Sprachforscher I I S. 40. « Ebd. S. 39.

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schrieb er nicht nur für intervokalisches ß, sondern auch für ff einfaches f, welches er im Auslaut in s verwandelte. Ihm mußte, wie schon zuvor den beiden Schwaben, ff nur als Zeichen der Vokalkürze erscheinen wie alle anderen geminierten Konsonanten. Klopstock betonte dagegen ausdrücklich, daß er das / nicht bloß zur Bezeichnung des abgebrochnen Tons verdoppelte, sondern er glaubte auch in fliffen, büflen, Grüfte wirkliche Geminaten zu hören, die sich auf zwei Silben verteilten 1 . Klopstock ist bei der Schreibung der s-Laute also nicht der Gottschedschen Regelung gefolgt, sondern indem er für den stimmlosen s-Laut zwischen Vokalen auch nach Länge ff schrieb, stimmte er mit dem vorgottschedischen Schreibgebrauch überein. Denn GOTTSCHED hatte gelehrt: „Das ss soll sich mit einem ß so vergleichen, daß jenes allezeit in der Mitte der Wörter, zwischen zweyen Vocalen; dieses aber am Ende solcher Syllben, wo entweder nichts mehr, oder doch ein stummer Buchstab folget, seinen Platz einnehme." 2 Außerdem sollte ß nach Länge die Stelle von ff einnehmen. Diese Unterscheidung kann für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als allgemein gebräuchlich angesehen werden, so daß Klopstock erheblich vom Usus abwich. Es fehlte deshalb nicht an Stimmen, welche das ß zu verteidigen suchten. Der Rezensent K. F . SPLITTEGAEB machte 1787 im Teutschen Merkur geltend, daß es ein uns Deutschen unentbehrlicher Buchstabe sei, „um die Vocale in den Worten stoßen, große, Füße u. a. m. zu verlängern, oder vielmehr ihre zu dehnende Aussprache dem Auge sichtbar zu machen." 3 Hier hatte Klopstock allerdings durch ein Dehnungszeichen vorgesorgt, und MÄZKE, der ebenso wie er die Unterscheidung von ß und ff verwarf, aber ff vor Konsonant und im Auslaut nicht vereinfachte 4 , schlug eine Vokalverdoppelung vor. Dagegen wollte ADELUNG ß nicht fahren lassen; wie vor ihm schon Heynatz, lehnte er sich im ganzen an Gottsched an, dessen Schreibung er jedoch zum Teil erst wieder verschlechterte, wenn er verlangte: „In Ansehung der Stelle werden s und ß nie anders als am Ende einer Sylbe, f nie anders als zu Anfange, und ff nie anders als in der Mitte gebraucht." 5 So wollte er ff auch nach Längen, nach „geschärften Doppellauten" setzen, da hier der folgende Konsonant halb zu dieser und halb zur folgenden Silbe gesprochen würde: hauf-fen6. In diesem Punkt stimmte Adelung mit Klop1 2 3 4 5 6

Klopstocks Werke I X 364. Gottsched a. a. O., S. 677. K. F. Splittegarb a. a. O., S. 199. Jellinek I S. 291. Adelung, Vollst. Anweisung a. a. O., S. 183. Ebd. S. 238.

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stock überein; aber er warnte ausdrücklich davor, ß vor t zu vereinfachen, wie Klopstock dies stets t a t : er läft, falt, haft s t a t t läßt, faßt, haßt zu schreiben. 1 Die Adelungsche Regelung befriedigte auf die Dauer nicht. I m 19. J a h r hundert versuchte J . C . A. H E Y S E , die s-Laute besser zu ordnen. J A C O B G R I M M befolgte jedoch die meiste Zeit seines Lebens die Regeln der Gottschedschen Orthographie mit Beobachtung der Zeichen sz und ss nach langem u n d kurzem Vokal 2 und nahm davon Abstand, die Schreibung der sL a u t e mit der sogenannten historischen Schule dem mhd. L a u t s t a n d anzugleichen 3 . I n letzter Zeit sind H A L L E R und J E N S E N f ü r eine Abschaffung des ß eingetreten; doch während Haller s f ü r den stimmhaften und ss f ü r den scharfen L a u t zwischen Selbstlauten und nach langem Selbstlaut vorschlägt 4 , will Jensen keinerlei Rücksicht auf die stimmhafte oder stimmlose Aussprache nehmen und den Buchstaben s wie jeden anderen Konsonanten behandeln 5 . Aber auch er verdoppelt s als Zeichen f ü r den intervokalischen stimmlosen s-Laut nach langem Vokal. Die Stuttgarter Empfehlung sieht die Beseitigung der Alternative zwischen ß und ss vor. So wäre der Unterschied zwischen f und s, ss und ß, den Klopstock beseitigen wollte, heute schon z. T. überwunden. Eine Vereinfachung des ss vor Konsonant und im Auslaut wird jedoch nicht angestrebt, obwohl die verschiedene Schreibung des s-Lautes in Hast u n d hasst, Eis und heiss jeder lautlichen Grundlage entbehrt und sich nur aus grammatischen Erwägungen zur Unterscheidung nach verwandten Formen mit verschiedener Aussprache auf Grund des Analogieprinzips erklärt 6 . c) sch

Die s-Schreibung in den Verbindungen st und sp gegenüber der Schreibung sch vor l, m, n, r und w bei ein u n d demselben Laut ist den Grammatikern schon früh als eine Inkonsequenz unserer Schrift aufgefallen. Schon im 16. J a h r h u n d e r t stellte Fabian Frangk fest, daß man eigentlich Schtein, Schpiel schreiben sollte 7 , während Zesen umgekehrt in allen diesen Konso1

Adelung, Vollst. Anw. a. a. O., S. 187. K . G. Andresen, Über Jacob Grimms deutsche Orthographie. Göttingen 1867. S. 44. 3 A. Miehlke, Die Geschichte unserer Sprachlaute und Orthographie in kurzem Abriß dargestellt. Progr. Graudenz 1891. S. 30. 4 E . Haller a. a. O., S. 48. 5 H . Jensen, Vorschläge für die Reform einer deutschen Rechtschreibung. Zschr. f. Phonetik III, 1949. S. 168. 6 H . Paul, Grammatik I 344. 7 O. Brenner a. a. O., S. 9. 2

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nantenverbindungen einfaches s einführen wollte 1 . Außerdem war im 16. Jahrhundert die einfache Lautung von sch angemerkt worden, so daß Valentin Ickelsamer bereits die umständliche Schreibung s-c-h mißbilligte 2 . I m 18. Jahrhundert hat namentlich Hemmer im „Grundris" darauf hingewiesen, daß die zusammengesetzten Buchstaben sch in schon ganz einfach lauteten, weshalb er diesem geschriebenen Zeichen den einfachen eigenen Namen „sehe" geben wollte 3 . Klopstock rechnet in der „Gelehrtenrepublik" sch zu den „vereinten Tönen", welche zugleich ausgesprochen werden und dadurch eine andere Bildung bekommen, als wenn man sie hintereinander ausspräche. Seinen Laut versucht er mit [jhh oder fgh zu umschreiben 4 . Deutlicher erklärt er sich 1778: „In ftand, fprach, fchlug, Ichnit, fchmidete, fchwam und folchen, hören wir weder daf Lispeln def / noch dal Zifchen def fch; (Ich meine kein eigentliche! Lispeln, oder Zifchen) wir hören einen Mittelklang zwischen beiden 6 ". Wahrscheinlich hatte Klopstock hier die Aussprache der Niedersachsen im Ohr, die, wenn sie überhaupt ein sch aussprachen, dieses wohl nicht so betont hören ließen wie in Oberdeutschland; doch hat er als einziger Grammatiker diese Beobachtung gem a c ht. Noch in den „Grammatischen Gesprächen" hält er an der Behauptung fest, daß tch in Schweben, Schmach, Schneiden, Schlimm, f in Streben und Sprechen ein Mittelding, ein gewisser Laut zwischen / und Ich sei 6 . Hier spielt wohl auch Klopstocks Abneigung gegen die deutsche „ H ä r t e " der Konsonantenhäufungen hinein, und er bedauert fast, daß aus dem /, das unsere Vorfahren nach seiner Meinung nur des Wohlklanges wegen den Wörtern hinzugesetzt haben, ein solcher Zischer gewordenist. Doch müssen wir ihn aussprechen, wenn unsere Aussprache nicht gesucht klingen soll. Allein die Niedersachsen dürfen fweigen aussprechen, „weil es in ihrem Munde nicht gesucht klingt." 7 Aus diesem Grunde war Klopstock empört, wenn der Pfälzer das „Lispeln einiger weniger Niedersachsen" verspottete und das Zischen dem größten Teile von Deutschland aufbürdete 8 . Denn dieser schrieb, der Aussprache gemäß, auch vor p und t sch, also schprechen und schtrömen, wie H E M M E R es ohne Rücksicht auf die uneinheitliche Aussprache dieser Laute in Deutsch1 2 3 4 5 6 7 8

Jellinek I S. 157 Anm. 2. O. Brenner a. a. O., S. 9. Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 12. Klopstocks Werke VIII 172. Ebd. I X 330. Ebd. 24. Klopstocks Werke X 164 f. Ebd. I X 369.

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land vorgeschlagen hatte; wie wir bereits sahen, war er der Ansicht, daß jeder nach seiner eigenen Mundart schreiben könne. Demzufolge erklärte er im „ K e r n " : „Schämet man sich hingegen des schp . . . im sprechen nicht: warum schämet man sich, dise züge zu schreiben?" 1 Klopstock war hier anderer Meinung: ihm war das weitläufige Zeichen s-c-h, das noch dazu den fremden Buchstaben c beibehielt, ein Dorn im Auge, und er hätte es gern durch ein eigenes Zeichen ersetzt. „Da wir aber keini haben; foferlont iichf, denk ich, der Mühe nicht, entweder in fchtand, fchprach, oder in fnit u. s. w. zu ferendern." 2 E r selbst machte keine Anstalten, ein neues Zeichen f ü r ich einzuführen, wie er überhaupt mit dem vorhandenen Buchstabenmaterial auszukommen suchte und, nach seinen eigenen Worten, soviel ihm immer nur möglich wäre, von der allgemeinen Rechtschreibung beibehalten wollte 3 . Vielleicht hatte er sich diese Neuerung f ü r einen späteren Zeitpunkt vorbehalten, denn er wollte, solange dieses neue Zeichen fehlte, als Ausnahme zur besseren Unterscheidung Fluschen und Lispeln mit rundem s schreiben, damit das f p nicht, wie in Spil, Li-tpeln ausgesprochen würde 4 . Nicht so zaghaft war MÄZKE, der schon in den „Grammatischen Abhandlungen" ein einfaches Schreibzeichen f ü r seh vorgeschlagen hatte, womit er jedoch bei den Schwaben auf Widerspruch stieß. F U L D A wies daraufhin, daß unser heutiges sch „zwo ganz verschiedene Bedeutungen" habe, indem es vor l, m, n und w aus dem einfachen s hervorgegangen, während das sch vor dem Vokal und dem r ein doppelter Laut sei: „ein s und ch oder Je, das ist, ein Guttural, der angezischt wird." 5 Kaum unterschied er diese beiden sch auch in der Aussprache, denn f ü r N A S T war „Esceha" nicht aus diesen drei Buchstaben zusammengesetzt, „sondern ein einfacher Ton und eigner L a u t . " 6 Eine einfache Bezeichnung dieses einfachen Lautes hielt aber auch er f ü r undurchführbar und begnügte sich damit, statt der ungeschickten Benennung dieses Buchstabens den Namen E s c h einzuführen 7 ; denselben Namen verwendete Klopstock von 1778 an, doch wohl unabhängig von Nast, 1

Hemmer a. a. O., S. 121. Klopstocks Werke I X 330. 3 Ebd. 334. 4 Ebd. 332. A n dieser Klopstockschen Regelung nahm M Ä Z K E (WörterFamilien S. 20 Anm.) Anstoß: „ U n d so brauch ich denn ganz und gahr das s nicht, wie wohl Klopstock noch S. 21 es für nöthig findet in lispeln etc. und Röschen etc. Denn daß in lifp-eln das fp nicht wie schp in Spihl . . . zu lesen ist, das zeigt ja die kurze Leseregel: Daß dort fp und ft die Sillbe schlüsst, hier anfängt." 5 Sprachforscher I S. 168. 6 Ebd. I I S. 34. 7 Ebd. S. 35. 2

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der zugleich f ü r ch die Benennung C h a oder C h i vorschlug, das von Klopstock E c h genannt wurde. Mäzke bekehrte sich 1780 zu Fuldas historischer Unterscheidung, während Nast wie Hemmer die Ersetzung von anlautendem st, sp durch seht, schp erwog 1 ; doch äußerte er gelegentlich den Wunsch, das ganze übrige Deutschland sollte den Niedersachsen in der Aussprache des sp und st nachfolgen 2 . Auch der Anhänger der Klopstockschen Rechtschreibung, J . A. F. Enkelmann, schrieb in den „Grammatikalien" sch in allen Fällen, wo es gehört wurde, also schtehen, schprechen. Klopstocks Haltung wirkt demnach neben diesen Neuerern in dieser Frage sehr konservativ, da er lieber ganz auf eine Änderung des Bestehenden verzichtete, als sich mit vorläufigen halben Lösungen zufriedengab. Mit seiner Beobachtung eines Mittellautes zwischen s und sch stand er allein. Als ihn jedoch der Pfälzer auf die verschiedenen „Schattierungen" des sch nach jedem Selbstlaut aufmerksam machte, fertigte er ihn mit der Bemerkung ab, daß es doch wohl sehr leicht sein müsse, „sich allerhand Laute zu ersinnen, und so lange daran auszusprechen, bis man si endlich zu hören glaubt" 3 . Wie bei den e-Lauten wußte KIopstock auch hier Hemmers feine phonetische Beobachtungen nicht zu würdigen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch kurz auf das ch eingehen, da hier die Problematik fast die gleiche ist wie bei sch. Auch hier geht die E n t deckung des einfachen Lauts ins 16. J a h r h u n d e r t zurück; Klopstock gibt ihm den Namen E c h . Wie Esch rechnet er es zu den vereinten Tönen und umschreibt es mit jhh oder ghi. Wenn Klopstock jedoch gleichzeitig auch pf und die Diphthonge als vereinte Töne bezeichnet, h a t man das Gefühl, als ob hier bei ihm noch Gottscheds Lehre von den Doppellauten ch und sch nachwirkt. Demnach scheint sich Klopstock über die einfache Lautung von sch und ch nicht ganz klargeworden zu sein, obwohl er ihnen neue Namen beigelegt hat. Auch bei ch leugnet er die Verschiedenheit der Aussprache je nach dem vorhergehenden Vokal 5 , die doch immerhin deutlicher wird als beim sch und deshalb nicht nur von Hemmer, sondern gleichzeitig auch von Mäzke in den „Grammatischen Abhandlungen" beobachtet wird 6 . Mäzkes Vorschlag, velares und palatales ch auch in der Schrift zu unterscheiden, 1 2 3 4 5 6

Jellinek I S. 292. Sprachforscher II S. 70. Klopstocks Werke I X 364. Ebd. VIII 172. Ebd. I X 364. Mäzke, Grammatische Abhandlungen S. 104.

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h a t sich nicht durchgesetzt und ist auch heute nicht notwendig, denn die Aussprache ist durch den vorhergehenden Vokal fast immer eindeutig bestimmt. 5. Die f-Laute

a) // Ähnlich wie bei den s-Lauten verlief die Entwicklung bei den /-Lauten. Durch die Verschiedenheit des Ursprungs unterschied man noch bis ins 18. J a h r h u n d e r t hinein eine schwächere und eine stärkere Artikulation im Inlaut zwischen Vokalen und nach l und r. Diese lautliche Verschiedenheit fand ihren Ausdruck in der Schreibung z. T. dadurch, daß nur f ü r den gelinderen L a u t auch das Zeichen v verwendet werden konnte, während der stärkere L a u t durch Doppelschreibung gekennzeichnet wurde 1 . Dadurch war man hier ebenso wie bei den s-Lauten nicht in der Lage, die Vokalkürze durch Doppelschreibung anzuzeigen. E r s t GOTTSCHED forderte die Einfachschreibung des / nach langem Vokal u n d Diphthong ohne Rücksicht auf seine Abstammung von germ. p oder /, deren Unterschied er wohl nicht mehr wahrnahm: „Das ff soll sich aller Wörter enthalten, wo entweder ein langer Vocal oder gar ein Doppellaut vorhergeht; imgleichen wo schon ein andrer stummer Buchstab die vorhergehende Syllbe schließt." 2 Auf dem gleichen S t a n d p u n k t steht Klopstock, wenn er in seiner „Deutschen Rechtschreibung" erklärt: „Das ff spricht m a n in Wörtern, di nicht zusammen gesezt sind, nach einem Doppellaute oder Mitlaute nicht aus, wen gleich ein Selbstlaut folget. Lau-fen, nicht lauf-fen. Dür-fen, nicht dürf-fen; aber auffallen."3 I m Gegensatz zu den s-Lauten nimmt Klopstock demnach hier keine lautliche Verschiedenheit an. I n flissen, büssen, Grösse h a t er wirkliche Geminaten zu hören geglaubt, die sich auf zwei Silben verteilten; in lau-fen hört er nur einen /-Laut ausgesprochen, mit dem die zweite Silbe beginnt. Mit ihm stimmen die Schwaben überein, bei denen die beiden /-Laute wie die s-Laute in der Aussprache zusammengefallen sind, ebenso Hemmer, der aber ff zugleich auch nach Kürze beseitigt. Eine andere Auffassung vertritt ADELUNG, der „geschärfte Doppellaute" annimmt, nach denen der folgende Konsonant halb zu dieser und halb zur folgenden Silbe gesprochen werde: pfeif-fen wie haus-sen4. E r greift also auch hier, wie bei den s-Lauten, auf die vorgott1 2 3 4

H. Paul, Grammatik I 276. Gottsched a. a. O., S. 676. Klopstocks Werke I X 328. Adelung, Vollst. Anweisung a. a. O., S. 238.

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schedische Rechtschreibung zurück in seinem ängstlichen Bestreben, ja keine Neuerung aufkommen zu lassen; denn daß er den doppelten /-Laut wirklich noch aussprach, ist kaum anzunehmen. Trotz seiner Bemühungen hat sich jedoch die Gottsched-Klopstocksche Regelung durchgesetzt. b) / und v

Für urgerm. /, das außer im Silbenauslaut und in der Verbindung ft gelinder ausgesprochen wurde als das aus p verschobene /, war mittelhochdeutsch die Schreibung v allgemein üblich geworden. Später, als man den lautlichen Unterschied nicht mehr deutlich empfand, wurde das Zeichen v stark zurückgedrängt und mußte vor allem im Inlaut dem / weichen. Die Wörter, in denen sich v behaupten konnte, mußten ohne ersichtlichen Grund auswendig gelernt werden, so daß man die doppelte Bezeichnung ein und desselben Lautes bald als überflüssig und beschwerlich empfand. Klopstock, dem es vor allem um eine Erleichterung der Rechtschreibung zu t u n ist, hat diesen unbegründeten Unterschied schon in der „Gelehrtenrepublik" aufgezeigt, wo er erklärt, daß v und ph völlig wie / klingen und nur fürs Auge unterschieden werden 1 . Um dem Übelstand abzuhelfen, schlägt er vor, / oder v zu wählen und das ph nicht mehr zu brauchen 2 . Denn nach seinem Grundsatz, daß kein Laut mehr als ein Zeichen haben dürfe, muß der /-Laut mit seinen drei Zeichen /, v und ph Klopstock notwendig zu einem Reformversuch anregen. Er gibt in seinem 1778 veröffentlichten Reformprogramm zu bedenken, wie mühsam es doch sei zu erlernen, ,,ob ein Wort / oder v haben müsse, weil gar kein Grund da ist, das eine oder das Andre zu sezen". Er hält die Kenntnis, wo / oder v hingehöre, allein f ü r viel schwerer als seine ganze neue Rechtschreibung, von der er sich nicht nur f ü r die Schulkinder, sondern auch f ü r Ausländer, die lesen lernen wollen, eine große Erleichterung verspricht 3 . Wie vier Jahre zuvor in der „Gelehrtenrepublik" stellt er aber auch jetzt die Wahl zwischen / und v frei. Die Abschaffung des einen von beiden hält er „beina" f ü r notwendig, doch glaubt er, daß man unter / und v nicht werde wählen können: „Ich finde hir keinen andern Auswäg, als daß Jedem frei stehe, entweder / oder v a l l e i n zu brauchen. Eine solche Ungleichheit der Rechtschreibung ist fil besser, als eine müsame, und auf nichz gegründete Gleichheit." Eine Begründung f ü r diese unbefriedigende Lösung gibt 1 2 3

Klopstocks Werke VIII 173 Anm. Ebd. 175. Klopstocks Werke I X 332.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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Klopstock nicht an; doch hat er selbst die richtige Konsequenz gezogen, indem er sich eindeutig f ü r / entscheidet und stets fori, fer-, fällig, fgr und fil schreibt. Hierin ist er sich durchaus mit JAKOB HEMMEE einig, der schon 1776 als J a k o b Domitor bewiesen hatte, daß den ältesten deutschen Schriftstellern Tatian, Isidor, Kero und Otfrid von dem Gebrauche des v f ü r / nichts bekannt war 1 . Deshalb folgert auch er aus der von ihm aufgestellten Regel, kein L a u t solle durch verschiedene Buchstaben ausgedrückt werden, daß die Buchstaben v und ph bei uns in keinem Worte mehr zum Vorscheine kommen sollten 2 . Vorsichtiger ging FULDA ZU Werke. Zwar betonte er, daß er von Herzen das Verbannungsurteil des v und des ph in deutschen Wörtern unterschreibe, und f ü h r t e zur Probe in seiner „Schwäbischen Antwort auf Domitors Grundris einer dauerhaften Rechtschreibung" im ersten Teil des „Sprachforschers" die /-Schreibung durch; aber er fürchtete, „wer durchaus / zu schreiben sich erkünt, wie wir hier die Probe machen, möchte ein Sonderling ferbleiben" 3 . Ebenso t r a t NAST gegen v in ver- und vor- ein, obwohl er voraussah, daß das v sich am längsten wehren würde. Deshalb hielt er es auch f ü r rätlich, ihm am allerletzten den Abschied zu geben 4 . Natürlich fand das v in den Anhängern des Schreibgebrauches seine Fürsprecher. NICOLAI gab zu bedenken, daß man zuvor entscheiden müsse, „ob nicht das v billig etwas gelinder als das / müßte ausgesprochen werden, wie verschiedene Sprachlehrer behaupten, und die Niederdeutschen in einigen Wörtern wirklich t h u n " 5 . ADELUNG wollte es auch hier bei dem üblichen, einmal eingeführten Gebrauch bewenden lassen, obwohl er die Ungleichheit der Einteilung in / und v durchaus nicht billigte. „Indessen ist diese Ungleichheit einmahl von der ganzen Nation angenommen, und kann nicht anders, als durch ihre allgemeine Einwilligung gehoben werden." 6 Mit Recht zog Adelung die herkömmliche Regelung einer willkürlichen Lösung vor, wie Klopstock sie — wohl auch hier wieder mit Rücksicht auf den herrschenden Gebrauch — vorschlug; da sich aber in diesem Falle, der selten genug eintrat, alle Orthographiereformer im Prinzip einig waren (auch Mäzke entschied sich 1780 f ü r /), h ä t t e ein Erfolg ihrer Bemühungen der deutschen Rechtschreibung entschieden zum Vorteil gereicht. Bis in die 1 2 3 4 B 6

Jakob Domitor's Grunris a. a. O., S. 52. Hemmer a. a. O., S. 120. Sprachforscher I S. 137. Ebd. I I S. 107. Allgem. dt. Bibliothek 39, 1, S. 256. Adelung, Umständliches Lehrgebäude a. a. O., I S. 174.

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Gegenwart werden Klopstocks Bestrebungen nach einer einheitlichen Regelung der /-Laute fortgesetzt; auch Haller und Jensen sehen in der unnötigen Unterscheidung zwischen / und v eine Plage für Kinder und Lehrer, deren Wegfall durchaus kein Verlust für uns wäre 1 . Allerdings würde die Ersetzung des v durch / eine bedeutende Veränderung in unserem Schriftbild herbeiführen. c)

pf

Das germ. p ist im Hochdeutschen regelmäßig im Anlaut und nach m zu pf verschoben worden; nur im Mittel- und Rheinfränkischen (Otfrid) blieb das ursprüngliche p im Anlaut erhalten. Im Mitteldeutschen wurde hier die Affrikata in der Aussprache zu /; in dieser Form wurde sie dann auch von den hochdeutsch sprechenden Niedersachsen übernommen. Klopstock hat also vom niederdeutschen Standpunkt aus völlig recht, wenn er 1778 feststellt: „Das p in pf wird, wen dis di Silbe anfengt, oder si, nach einem andern Mitlaute, endet, jezt nicht mer ausgesprochen." 2 Für die neue Rechtschreibung verlangt er deshalb, im Anlaut und nach m statt pf, das man ja in dieser Stellung nicht ausspreche, / zu setzen, also nicht mehr Pfender, Pfründe, sondern F ender, Fründe; nicht stumpf, sondern stumf zu schreiben, „damit di Leüte nicht immer wider aufgefodert würden, dise f e r a l t e t e H e r t e zu bearbeiten". Wie bei sch spielt also auch hier Klopstocks Abneigung gegen die hochdeutsche „harte" Aussprache eine Rolle; eines der Hauptanliegen in den „Grammatischen Gesprächen" war es später, Bettineiiis Ausspruch, daß deutsche Werke der Sprache wegen nicht klassisch sein könnten 3 , durch den Beweis zu widerlegen, daß die deutsche Sprache der griechischen an Wohlklang zumindest ebenbürtig sei. Klopstock ist es trotz seines immerhin fast siebenmonatigen Aufenthaltes in der Schweiz keineswegs klar, daß die Affrikata pf in ganz Oberdeutschland ausgesprochen wird und die spirantische Aussprache eine mittel- und niederdeutsche Sonderentwicklung darstellt. So erklärt er unbekümmert: „Selbst di Wenigen, welche di Aussprache des p hir für regelmässig halten, lassen es nur dan hören, wen si äben daran denken, daß si es tun müssen. Diser Uebelklang ferunstaltet so gar den Mund durch den Zusammendruk der Lippen." 4 Zu dieser Ansicht konnte er natürlich nur gelangen, weil ihm die historische Lautentwicklung unbekannt war. Das be1 s

Haller a. a. O., S. 49; Jensen a. a. O., S. 166. 3 Klopstocks Werke I X 328. Ebd. 144.

4

Ebd. 328.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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weist seine Annahme, daß die Affrikata pf aus einem oberdeutschen ursprünglichen / hervorgegangen sei, da man im Niederdeutschen hier ein p sprechen hörte und glaubte, es ohne dieses p nicht länger ausstehn zu können. Deshalb ließ man sich nicht davon abbringen, „es mit gewaltiger Faust dem / einzupfropfen" 1 . An Hand solcher Beispiele ist es leicht, Klopstocks sprachwissenschaftlichen Bemühungen „unmethodischen Dilettantismus" vorzuwerfen, wie 2 MUNCIKER in seiner Klopstockbiographie getan hat , und ihm mit MUGGENTHALER im Vollbewußtsein der Bedeutung des „segensreichen aristotelischen Begriffs der Entwicklung" vom Standpunkt des ausgehenden 19. Jahrhunderts aus die Unkenntnis inzwischen selbstverständlich gewordener Lautgesetze nachzuweisen 3 . Es dürfte jedoch zu keinem objektiven Bilde von Klopstocks sprachwissenschaftlicher Leistung führen, wollte man sich mit einer Feststellung seiner Irrtümer begnügen, in denen — soweit sie ihm nicht nur angedichtet werden — nicht nur Klopstock, sondern sein ganzes Jahrhundert notwendig befangen sein mußte, ehe Jacob Grimm 1822 mit der Entdeckung der hochdeutschen Lautverschiebung an die Öffentlichkeit trat und die historische Sprachbetrachtung die zu Klopstocks Zeit übliche deskriptive Grammatik ablöste. Wenn Muggenthaler jedoch aus Klopstocks Worten schließt, er habe allen Ernstes an die Einführung des Lautes pf durch einen „Act positiver Decretirung" geglaubt, so beweist er einmal mehr seine Unfähigkeit, sich in die Gedankenwelt des Dichters einzufühlen und seine geistreichen Beobachtungen und Theorien zu verstehen. Die unangebrachte Überheblichkeit, mit der er von vornherein Klopstocks Orthographiereformbestrebungen betrachtet, hindert ihn bei jeder Gelegenheit, seine wahren Absichten sinngemäß zu erfassen, und läßt ihn oft genug zu oberflächlichen Urteilen gelangen, die Klopstocks Worten geradezu widersprechen. Seine Behauptung, Klopstock habe das pf aus „radikalem, bis zum Gotischen zurückgehendem Purismus" durch / ersetzen wollen 4 , offenbart nicht nur seine eigene Unkenntnis des Gotischen, sondern gleichzeitig eine völlige Verkennung der Klopstockschen Prinzipien. Klopstock hatte in der „Gelehrtenrepublik" das pf zu den vereinten Tönen gerechnet und versichert, daß es auf gleiche Art geschrieben und ausgesprochen würde 5 . I n der „Nachläse" 1780 widerrief er diese Behauptung: 1 2 3 4 5

Klopstocks Werke I X 374 f. Muncker a. a. O., S. 385. Muggenthaler a. a. O., S. 176. Ebd. Klopstocks Werke VIII 172.

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„Ich dachte zu där Zeit, da ich meine emaligen Gedanken über unsre Ortografi wider zurückrif, und ordnete, so wenig als irgend einer meiner jezigen Gegner, daß fon den Meisten pf, in gewissen Stellungen, nur / ausgesprochen würde, daß ich damals, in andern grammattischen Fragmenten, u m dise Herte, als deütsch, annämen zu dürfen, pf mit den Doppellauten ferglich, und es unter di fereinten Buchstaben rechnete. Allein als ich hirauf di Aussprache noch genauer untersuchte, das ist: Bemerkte, one zu fragen, und one eine Meinung zu haben, hgrt ich fon allen Seiten /, stat pf, und freüte mich, daß di alte Herte endlich einmal abgekommen were." 1 Wenn Klopstock auch die landschaftliche Begrenztheit dieser Erscheinung nicht zum Bewußtsein kam, so h a t t e er so unrecht nicht, sie f ü r „veraltet" zu halten, stellt doch die oberdeutsche Lautform die Übergangsstufe zu der mittel- und norddeutschen Neuerung dar. Es ist bezeichnend f ü r seine Methode, lautliche Tatsachen zu beobachten, ohne zu fragen; denn er erkannte, daß man nur auf diese Weise zu einem objektiven, wirklich wissenschaftlichen Ergebnis gelangen könne. Deshalb forderte er auch seine Kritiker zur Anwendung dieser Methode auf: „War mir in disem Punkte, oder in andern nachuntersuchen wil, mus nicht fragen: Wi m a n dis oder jenes ausspreche ? sondern är mus zuhören, wi man es ausspricht, wen m a n nichz dafon weis, daß darauf acht gegäben wird." 2 E r selbst h a t t e nämlich gerade bei der Aussprache des pf unter seinen Leuten die Erfahrung machen müssen, daß bei einer bewußten Aussprache des pf kein unbefangenes Urteil möglich sei, gab sich doch in diesem „kritischen Augenblikke" jeder Mühe, seinen Lippen das „elterfäterliehe P f r o p f " nicht ohne guten Erfolg zuzumuten 3 . Natürlich behauptete dann jeder, verführt durch das Schriftbild, das pf in jedem Falle auszusprechen, und Klopstock erlitt eine völlige Niederlage. Tatsächlich stand Klopstock mit seiner Beobachtung der spirantischen Aussprache des pf „in gewissen Stellungen" unter den Grammatikern allein; selbst sein „erlicher Freünd in der Falz;", sonst allen Neuerungen zugetan, soweit sie sich aus phonologischen Gründen rechtfertigen ließen, konnte hier, trotz seiner feinen lautlichen Wahrnehmungen auf anderen Gebieten, Klopstock nicht zustimmen aus dem einfachen Grunde, weil er und seine Leute das pf wirklich aussprachen: ,,In pf wird das p ser deütlich gehöret." 4 Aber Klopstock wußte sehr wohl, daß m a n in der Pfalz das pf im Anlaut nicht aussprach und sogar sich selbst einen „Pelzer" nannte, wie schon im Alt1 2

Klopstocks Werke I X 374. Ebd. 330.

3

Ebd. 375.

4

Ebd. 374.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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hochdeutschen die Rechtschreibung Otfrids erkennen ließ. D O M I T O R ( = Hemmer) gab das auch in seinem „Grundris" zu: „Der gemeine Man spricht hir deutlich Perd, Parer, Pund."1 Die pf-Aussprache hörte man dort nur von „feineren Leüten", nach denen sich Hemmer also in seiner Rechtschreibung richtete. Wenn er auch die norddeutsche Aussprache nicht bestritt, so kam es ihm doch nicht in den Sinn, Klopstock zuliebe die Rechtschreibung danach zu richten, für die er mit demselben Recht die eigene Aussprache als Autorität gelten ließ. Aber selbst in Norddeutschland erhob sich Widerspruch. So erklärte der aus Berlin gebürtige NICOLAI, daß das p in den Wörtern Pfand, stumpf wirklich der guten und richtigen Aussprache nach gehört werden müsse. Deshalb hielt er die von Klopstock vorgeschlagene Schreibart Fand, stumf f ü r unrichtig „und der guten Aussprache selbst zuwider" 2 . Der Kritiker Lt. derselben Zeitschrift warf Klopstock mit seinem eigenen Ausdruck „Aussprecherey" vor 3 und mußte dafür von Voss einen scharfen Verweis einstecken 4 . Demnach spielte anscheinend das Bemühen der Niederdeutschen mit hinein, nach der Schrift zu sprechen; Abweichungen galten schon damals als unrichtig und sogar unfein, so daß man auch hier bestrebt war, das hochdeutsche pf auszusprechen, und die spirantische Aussprache ungern zugab. Auch fürchtete man durch die /-Schreibung Mißverständnisse, wie denn L I C H T E N B E R G in einer Satire auf die Klopstocksche Rechtschreibung einen Erbstreit erzählt, in dem man sich über folgenden Satz eines Testaments nicht einigen konnte: „Auch vermache ich das Heu von meinen Wiesen den jedesmaligen drei Stadtfarren zu 0 . " Der Testator war eifriger Klopstockianer und hatte daher -farren statt -pfarren geschrieben mit dem Ergebnis, daß sich nun die Pfarren mit den Farren um das Erbe stritten 5 . Natürlich dürfte ein solcher Grund keinen ernstlichen Einwand gegen Klopstocks Vorschlag darstellen; doch konnte von Lichtenberg als gebürtigem Oberdeutschen kein Verständnis für Klopstocks Standpunkt erwartet werden 6 . 1

Jakob Domitor's Grundris a. a. O., S. 53. Allgem. dt. Bibl. 39, 1, S. 254. 3 Ebd. 41, 1, S. 338. 4 J. H . Vossens Verhör a. a. O., S. 206. 5 Lichtenberg a. a. O., I 324. 6 Auf diese Äußerung Lichtenbergs scheint sich M Ä Z K E (WörterFamilien a. a. O . , S. 17 Anm.) zu beziehen, wenn er sagt: „Auch darf der Unterscheid'ler hier nichts fürchten. D i e Flaume wirdt mit der Flaumfeder, und beiflichten mit flüchten nicht verwechselt werden; selbst den Herrn Farm werden die Umstände vom Farren oder Bullen wohl unterscheiden." 2

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ADELUNGS Widerspruch ließ nicht auf sich warten. H a t t e er sich in seiner „Deutschen Sprachlehre" damit begnügt festzustellen, pf sei ein durch das p verstärktes /, und daher dürfe das erstere nicht weggelassen werden, zumal es auch in der Aussprache deutlich gehört werde 1 , so wurde er in der „Vollständigen Anweisung" persönlich: „Es war daher nicht allein eine sonderbare, sondern auch eine von aller etymologischen Kenntniß verlassene Grille, wenn Hr. Klopstock d a f ü r in seiner neuen Orthographie ein bloßes / zu schreiben u n d zu sprechen empfahl." 2 Wenn er aber weiterhin erklärte, man dürfe / f ü r pf nicht in allen Fällen gebrauchen, weil das pf ebensooft aus p als aus / entstanden sei, so zeigte er damit nicht viel bessere etymologische Kenntnis als Klopstock, der übrigens bei der Rechtschreibung etymologische Erwägungen überhaupt nicht in Betracht zog.

Eine unvorhergesehene Zustimmung erfuhr Klopstocks Vorschlag aus Süddeutschland; FULDA befürwortete die /-Schreibung, jedoch ohne Klopstocks Namen zu erwähnen, und nicht wie dieser aus lautlichen, sondern aus etymologischen Gründen: „pf ist in der T h a t ein rauhes hochteutsches Maulvoll, das zur Zeit der Minnesinger seinen Anfang genommen hat. H ä t t e sich die alte Aussprache / (meist ph geschrieben), nur einiger Orten erhalten, oder h ä t t e n die Rheiner u n d Sachsen in ihren Schriften nicht so willig nachgeahmt, so wäre Hoffnung, desselben wider endlich los zu werden." 3 Also auch Fulda sah wie Klopstock u n d z. T. Adelung / f ü r den ursprünglichen L a u t an und gab d a f ü r zugleich die Erklärung: m a n hielt die althochdeutsche Schreibung ph, wie m a n sie z. B. aus der in Schilters Thesaurus abgedruckten Tatianübersetzung kannte, ebenso wie in den griechischen Fremdwörtern f ü r eine Bezeichnung des Spiranten. Nur aus diesem Grunde empfahl Fulda die /-Schreibung in Damf, mamfen, rümfen, Kumf und wies auf eine ähnliche Entwicklung in dem Wort Harfe hin. Gar so abwegig u n d unberechtigt war Klopstocks Vorschlag nicht, die Aussprache / f ü r pf auch in der Schrift zu fixieren, wenn man die parallele Entwicklung des pf nach l und r zu einem bloßen Spiranten in Wörtern wie helfen, werfen und Dorf vergleicht; sein I r r t u m war nur, daß er die spirantische Aussprache in Pfand und stumpf f ü r „deutsch" (hochdeutsch) ansah. Wohl auf Fuldas Anregung hin stellte GEDICKE in seinen „Gedanken über Purismus und Sprachbereicherung" (1779) fest, daß das pf nur noch in einigen Gegenden Oberdeutschlands zu Anfang eines Wortes so aus1 2 3

Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 505. Ders., Vollst. Anweisung a. a. O., S. 179. Sprachforscher II S. 165.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

189

gesprochen werde, wie es geschrieben dastehe 1 , und zwei Jahre später ließ sich im „Deutschen Museum" eine Stimme vernehmen: „Ich werde also Pfund schreiben, ob es gleich ganz offenbar ist, daß in der guten Aussprache das P nicht gehöret wird." 2 Die ^/-Aussprache ist, unterstützt durch die Schreibung, bis heute im Oberdeutschen unverändert erhalten, und man kann deshalb auf die Änderung dieser Schreibung im Anlaut und nach m, wie sie Klopstock empfahl, verzichten. Trotzdem bleibt es sein Verdienst, die spirantische Aussprache des pf in der hochdeutschen Rede der Niederdeutschen zuerst beobachtet zu haben. I n seiner Meinung ließ er sich auch durch den Einspruch des Pfälzers nicht beirren, obwohl er es bei den zahlreichen Gegenstimmen vorzog, zu schweigen und die Entscheidung der Zukunft zu überlassen 3 . 6. Die Medien

b, d, g

a) D i e Auslautverhärtung

An der Schreibung der stimmhaften Verschlußlaute b, d, g hat Klopstock nichts ändern wollen, obwohl seiner aufmerksamen Beobachtung lautlicher Unterschiede natürlich die — je nach ihrer Stellung im Wort — verschiedene Aussprache nicht entging. So hat er sehr wohl bei b und d die Auslautverhärtung bemerkt: „Am E n d e d e r S i l b e , das ist, unmittelbar nach dem Selbstlaute, oder auch nach dazwischen stehenden Mitlauten, wärden gewöhnlich nur t und p gehört, wi man auch schreibe. Das Bad, und är bat, file sind, und är sint; gib, Lip-pen gleichen sich föllig." 4 Aber diese Auslautverhärtung auch in der Schrift zu bezeichnen, hält er nicht f ü r wünschenswert — eine Inkonsequenz, die er mit drei Gründen zu rechtfertigen sucht: 1. „Wir behalten der Ableitung wägen, b und d am Ende der Silbe bei, ob si gleich p und t lauten. Trab, Trabes-, Kind, Kindes-, fand, fanden."5 Dieser Gesichtspunkt hätte f ü r Klopstock nicht entscheidend sein dürfen, hatte er doch bei jeder anderen Gelegenheit darauf keine Rücksicht genommen und seine Gegner, die ihm mit diesem Argument kamen, wegen ihrer „Deklinazionsetymologie" verspottet. Ebenso wie er die Doppelkonsonanz im Auslaut und vor Konsonanten vereinfachte, weil sie dort nicht gehört würde und nur 1 C. Gedicke, Gedanken über Purismus und Museum 11. St. 1779, II. S. 402. 2 Deutsches Museum 1781, II. S. 475. 3 Klopstocks Werke I X 375. 4 6 Ebd. 326. Ebd. 345f.

Sprachbereicherung.

Deutsches

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aus Gründen der „Etymologie" von den neuhochdeutschen Grammatikern eingeführt worden sei, hätte er die Schreibung der Tenuis im Auslaut vertreten und sich dabei ebenfalls auf den mittelhochdeutschen Schreibgebrauch berufen können, wo die beim Übergang vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen eingetretene Auslautverhärtung auch in der Schrift zum Ausdruck kam. 2. Sein zweiter Grund, daß die Verwechslung hier der Aussprache nicht nachteilig sei, „weil b und d am Ende der Silbe n i c h t a n d e r s , als p und ¿ k ö n n e n ausgesprochen wärden" 1 , kann demnach auch mit dem Hinweis auf sein unterschiedliches Verhalten in der Behandlung der Doppelkonsonanten widerlegt werden: auch Sinn kann nicht anders als Sin ausgesprochen werden. 3. So scheint der letzte seiner Gründe noch die meiste Berechtigung zu haben und wird wohl auch für Klopstocks Verhalten in dieser Frage ausschlaggebend gewesen sein: „Ueberdis ist es gut fon dem Eingefürten so fil zu behalten, als nur immer mit dem Zwekke der Rechtschreibung besten kan." Damit beweist Klopstock abermals, wie zuvor in der Beibehaltung des ei, f und sch, daß er trotz aller Neuerungsfreudigkeit die praktische Seite der Orthographiereform nicht aus den Augen verliert und mit feinem psychologischem Empfinden die Durchführbarkeit jeder einzelnen Änderung abzuschätzen weiß, wie wenig Recht er auch dem Schreibgebrauch einräumen will. Zur „Etymologie" will er jedoch die Schreibung des b und d nicht zählen wie z. B. NICOLAI, welcher aus der Schreibung ab statt ap, wie es eigentlich in der Aussprache laute, beweist, daß die Orthographie durch die hier zu Hilfe genommene Wortforschung zur Wissenschaft werde, da sie sonst als bloße Handwerksmalerei die gehörten Laute durch Buchstaben nachmale und weder Kenntnis noch Wissenschaft erfordere 2 . Klopstock fragt dagegen, was der kleine Umstand die Etymologie angehe, „daß t bei der Ableitung zu d, aus: kunt, wi das Wort lautet, kundig wird?" Für ihn bedeutet es gemeine Sprachkenntnis, nicht aber tiefe etymologische Wissenschaft, über die Abstammung des Wortes kundig von kunt Bescheid zu wissen3, undnur aus Rücksicht auf den Gebrauch hat er demnach von der Schreibung kunt Abstand genommen. 1 3 3

Klopstocks Werke I X 346. Ebd. 368f. Ebd. 390 f.

Klopstocks deutsche Orthographiereform

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Ein J a h r vor Klopstock hatte schon MÄZKE in den „Grammatischen Abhandlungen" die Auslautverhärtung in seiner schlesischen Aussprache beobachtet und wurde von NAST im „Sprachforscher" widerlegt. Wohl gab dieser zu, daß b, d, g am Ende und vor s, sch, f nicht so weich wie vor einem Vokal und l, m, n, r, w ausgesprochen werden könnten; aber keineswegs lauteten sie nach seiner Ansicht so hart wie p, t, k1. „Wenn das die Schlesier nicht können, so versichere ich Herrn Mäzken, daß Bad, Tag, Lob in dem Munde eines Schwaben nimmermer wie Rat, Tak, Lop klingen." 2 Auf Grund dieser Auseinandersetzung sah sich Klopstock veranlaßt, beim zweiten Abdruck seines Fragments „Über die deutsche Rechtschreibung" 1779 folgenden Zusatz einzurücken: „War zu hören glaubt, daß in sind und solchen d fon t unterschiden sei, dar mus in Gegenden laben, wo man das lezte ausserordentlich stark ausspricht. Ich hab' es ni so gehört." 3 I n Wirklichkeit war gerade das Gegenteil der Fall: f ü r das Schwäbische Nasts gilt wie f ü r den größten Teil Mittel- und Oberdeutschlands seit dem Spätmittelhochdeutschen der Übergang der Fortis in Lenis oder Halbfortis mit gleichzeitigem Verlust der Aspiration. Klopstock mochte hierbei an das Hochalemannische denken, das wie das Südbayrische und Schlesische an dieser Lenierung nicht teilgenommen hat. b ) d und t

Hemmer hat sich in der Frage der Auslautverhärtung nicht vernehmen lassen. Dagegen ist in der Schrift „Urschprung und Fortgang des heütichen wichtichen Ferbeserungsgeschäftes der deütschen Rechtschreibung" im Wortanlaut vor Vokal nach der pfälzischen Mundart öfter das sonst übliche t durch die Schreibung d ersetzt. Klopstock, der ohnedies „unwiderlegliche Gründe gegen die landschaftlichen Orthographien" hat, ist mit dieser Maßnahme nicht einverstanden und weist mit Recht auf die Obersachsen hin, die zwar d oder t, b oder p aussprechen, ,,wis komt", wohl weil ihnen der Unterschied zu klein vorkommt, um aufmerksam darauf zu sein: „Gleichwol lassen si sich' durch ir Aussprechen nicht irren, und widerrufen im Schreiben nicht, worüber si emals mit den andern Profinzen, durch di Einfürung der algemeinen Ortografi, entschiden hatten, daß es deütsche Aussprache were." 4 Aus demselben Grunde wendet sich Klopstock auch gegen die Schreibung teutsch statt deutsch. Schon in der „Gelehrtenrepublik" tadelt er die Un1 2

Sprachforscher II S. 62ff. Ebd.

3 4

Klopstocks Werke I X 327. Ebd. 373.

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einigkeit seiner Landsleute in diesem so wichtigen P u n k t 1 und tritt gleich zu Beginn seiner Abhandlung über die deutsche Rechtschreibung 1778 nachdrücklich f ü r deutsch ein, „weil es in den Gegenden der guten Aussprache so lautet. Ausser däm wird dis auch, w e n n es n u n a n d e r s n o c h B e s t ä t i g u n g b e d a r f , zwar nicht durch di algemeine, aber doch durch di m e r s t i m m i g e Rechtschreibung bestätigt." 2 So bevorzugten Luther, Opitz und Zesen deutsch, und Gottsched hatte dafür nicht nur die Autorität der Aussprache angerufen, sondern auch nach der Abstammung bewiesen, daß einem alten th ein nhd. d entsprechen müsse 3 . Dagegen hielten die süddeutschen Grammatiker an mhd. t fest. Fulda sieht die Schreibart Deutsch f ü r eine „niedere Schreibart, und f ü r eine Neuerung im wahren Hochteutschen" an und zieht es vor, mit dem Herkommen Teutsch zu schreiben 4 . Dabei ist ihm allerdings entgangen, daß hier mhd. t erst sekundär aus ahd. d entstand. Ebenso verwahrt sich Nast gegen die Zumutung, daß „unser Teütsch sich von dem platten Deutsch das Recht strittig machen lassen" sollte 5 . Selbst Heynatz hält die Schreibung Teutsch f ü r richtiger 6 . Am hartnäckigsten beobachtet Wieland Teutsch und nimmt an jeder abweichenden Schreibung Anstoß; doch bereut er dies später und läßt in der Gesamtausgabe seiner Werke ab 1794 überall deutsch dafür eintreten 7 . Ausschlaggebend f ü r seine Sinnesänderung wird Adelungs Entscheidung gewesen sein, nach dessen Rechtschreibung sich Wieland genau richtete. I m „Umständlichen Lehrgebäude" hatte dieser 1782 die Schreibung Deutsch als die Mittelstraße zwischen dem niederdeutschen Düdsch und dem oberdeutschen Teutsch f ü r die hochdeutsche Aussprache erklärt 8 . Trotzdem klagt Klopstock noch 1794 in den „Grammatischen Gesprächen", „daß wohl noch ein Jahrhundert hingehen wird, eh der Deutsche festsetzet, wie er sich schreiben will" 9 . Eine endgültige Verdrängung der spezifisch oberdeutschen Form teutsch ist wohl erst durch die Autorität Jacob Grimms herbeigeführt worden. Hierbei sei noch zu erwähnen, daß Klopstock schon 1774 die Schreibung dt verwirft 1 0 ; denn dt, so erklärt er, sei „nur fürs Auge" 1 1 . Deshalb soll man 1

Klopstocks Werke VIII 176. Ebd. I X 327. 3 Gottsched a. a. O., S. 641. 4 Fulda, Sammlung und Abstammung . . . a. a. O., S. 3. 6 Sprachforscher I I S. 102. 8 Heynatz a. a. O., S. 81. ' Feldmann, Wieland a. a. O., S. 175. 8 Adelung, Umst. Lehrgebäude a. a. O., I S. 16. 9 10 Klopstocks Werke I X 18. Ebd. VIII 176. 2

11

Ebd. 173 Anm.

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Brot, nicht Brodt schreiben, außer „wo d etwan einmal for t gehört wird" 1 . Damit meint er zweifellos dasselbe wie Heynatz, der dt nur in solchen Wörtern dulden will, „wo d und t durch eine Zusammenziehung neben einander zu stehen gekommen sind, z. E. beredt"2, und wie Adelung, welcher dieselbe Ausnahme gelten läßt und keinen Unterschied in der Aussprache des t und dt feststellen kann 3 . I n letzter Zeit hat Jensen die Ersetzung des dt durch t bzw. tt wieder gefordert 4 . c)

9

Es wird inzwischen aufgefallen sein, daß bisher von Klopstock nur die beiden Medien b und d erwähnt worden sind, während von g noch gar nicht die Rede ist. Schon in der „Gelehrtenrepublik" wird der Unterschied, den Klopstock hier macht, deutlich, indem er b und d zu den „einfachen Tönen" rechnet, aber g wie ch, sch, j>f und die Diphthonge zu den „vereinten Tönen" zählt und mit jh umschreibt 5 , nicht aber, wie Muncker behauptet, g aus jh entstanden erklärt 6 . Untersuchen wir, wie Klopstock zu seiner Feststellung, die schon f ü r Nast ein „unverdaulicher Brocken" war 7 , gekommen sein könnte. Eine nähere Erklärung gibt er uns selbst in der Schrift „Über die deutsche Rechtschreibung": „Auch das g wird gewönlich nur im A n f a n g e der Silbe (anderwerz lautet es da j oder k) recht ausgesprochen. Denn man spricht am Ende der Silbe Sig wi Sich aus; (anderwerz wi Sik) ferner Gesang, wi Gesank. (So auch in andern Gegenden.)" 8 Klopstock spricht also das g im Auslaut spirantisch aus, abgesehen von der Verbindung ng, von der noch die Rede sein wird. Doch betont er ausdrücklich, daß die deutsche (hochdeutsche) Aussprache das Anfangs-¡7 niemals in einen anderen Laut verwandle 9 . Die auch in der „guten Aussprache" heimische spirantische Artikulation des g im Auslaut sieht Klopstock keineswegs als vorbildlich an und will sie deshalb auch nicht durch ch bezeichnet wissen. Als Dichter, der seine Werke hauptsächlich f ü r den Vortrag eines guten Vorlesers bestimmte und daher stets das gesprochene Wort im Ohr hatte, 1

Klopstocks Werke I X 331. Heynatz a. a. O., S. 82. 3 Adelung, Sprachlehre a. a. O., S. 22. 4 Jensen a. a. O., S. 166. 6 Klopstocks Werke VIII 171 f. 6 Muncker, Klopstock a. a. O., S. 459. 7 Sprachforscher I Vorrede. 8 Klopstocks Werke I X 327. » Ebd. 369. 2

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R E N A T E BAUDTTSCH-WALKER

war es ihm vor allem um den Wohlklang der deutschen Sprache zu tun, und einen solchen Wohlklang schien ihm gerade das „gut ausgesprochene" g zu besitzen, da es nicht nur an sich selbst angenehm klänge, sondern auch von dem Wohlklange der vorhergehenden Dehnung wie z. B. in getragnen, gebognen, gedignen ständig begleitet wäre 1 . Darum hoffte er, durch die Beibehaltung des End-gr die Aussprache günstig beeinflussen und mit ihrer Hilfe die durchgängige rechte Aussprache wieder in ihre Rechte einsetzen zu können. Diese „rechte Aussprache" war nach seinem Dafürhalten zwischen j und ch. Nach alledem ist anzunehmen, daß Klopstock hier die Artikulationsstelle des g näher bestimmen wollte; die Bezeichnung jh in der „Gelehrtenrepublik" stellt eine Art phonetischer Umschrift f ü r den vorwiegend spirantisch ausgesprochenen Laut dar, über dessen einfache Natur er sich jedoch wie bei ch und sch nicht ganz klargewesen zu sein scheint. Ein Fall wie dieser mag Jellinek zu der Bemerkung veranlaßt haben, Klopstock sei „schwach in der phonetischen Analyse" gewesen. Man muß aber bedenken, daß die uns heute geläufige phonetische Terminologie zu Klopstocks Zeit erst in Ansätzen vorhanden war, Grammatiker wie Fulda und Adelung noch mit den Begriffen „Pfeiffer" oder „Mampflaut" operierten und eine Einteilung der Konsonanten nach der Artikulationsstelle kaum üblich war. Außerdem war Klopstock der Überzeugung, daß die ,,Definizionen des Schalls" nicht in die Grammatik gehörten, und verzichtete deshalb von vornherein auf eine phonetische Analyse. M Ä Z K E hat somit unrecht, wenn er Klopstock unterstellt, er habe die spirantische Aussprache des End-g1 gefordert. 2 Das wird vor allem in Klopstocks Auseinandersetzung mit dem Anonymus aus der Pfalz deutlich, welcher das End-gr seiner Aussprache gemäß in der Schrift mit ch bezeichnen will und gechenden, /räche statt Gegenden, Frage schreibt. H E M M E R regt diese Schreibung im „Kern" an 3 , und sein Anhänger ruft zur Nachfolge auf: „Frisch zugegrifen mit dem ch\ die fernunft gebitet es; ich mache den Anfang." 4 Klopstock wendet dagegen ein, daß z. B. in dem Worte: Gegenden das zweite g ebenfalls im Silbenanlaut stehe, also nicht als End-gr angesehen und spirantisch ausgesprochen werden dürfe. Außerdem müsse vor diesen ch der lange Vokal durch ein Dehnungszeichen kenntlich gemacht werden, weil man sonst nicht wisse, „ob fräche, wi Sprache, oder wi Sache lauten sol". Klopstock weiß sehr wohl um die „landschaftische" Verschiedenheit in der 1 2 3 4

Klopstocks Werke I X 336. Mäzke, Über Deutsche WörterFamilien a. a. O., S. 91. Hemmer a. a. O., S. 121. Klopstocks Werke I X 369.

Klopstocks deutsehe Orthographiereform

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Aussprache des g; aber eben darum begrüßt er es, daß die allgemeine Rechtschreibung hier eine einheitliche Regelung getroffen hat. Vergleichen wir damit das Verhalten derselben Parteien in der Frage der e-Laute, bei deren Bezeichnung sie vor ein ähnliches Problem gestellt waren, so ergibt sich ein gerade umgekehrtes Bild: dort hatten die Pfälzer auf eine' Differenzierung der e-Bezeichnung in der Schrift verzichtet, die Klopstock jedem Sprecher freigestellt hatte. Diese scheinbare Inkonsequenz in Klop- : stocks Verhalten erklärt sich jedoch wieder aus seiner Aussprache, in welcher er die e-Laute f ü r fest geregelt hielt, wenn auch so, daß die Einteilung der bereits in der Schrift vorhandenen Zeichen nicht mit dieser Regelung übereinstimmte, während sogar die „gute Aussprache" das g nicht fehlerfrei behandelte und seine Bezeichnung auch deshalb nicht endgültig festgesetzt werden konnte, weil Klopstock eine Änderung der Aussprache zur Hebung: des Wohlklanges f ü r wünschenswert hielt. Doch hat sich die spirantische Aussprache in dem Suffix -ig im Auslaut und vor s bis heute sogar auf der deutschen Bühne behaupten können. 7. Die Nasale a) n und m

Eine andere Streitfrage zwischen Klopstock und den Pfälzern gab das n vor / ab. Klopstock hat beobachtet, daß das n in Wörtern wie Vernunft, sanft in Wirklichkeit wie ein m ausgesprochen werde, und fordert daher auch die Schreibung dieses Lautes, um die Mehrlautigkeit des n zu beseitigen 1 . Überdies hält er die m- Schreibung auch f ü r die historisch richtige in Wörtern wie Fernumft, da es von fernämen abgeleitet sei 2 . Die Aussprache des n hält er nur f ü r möglich, wenn darauf vor dem / noch ein e folgt: sanneft3. Der ungenannte Pfälzer fühlt sich berufen, ihm hierin zu widersprechen: „Unsere Pfalz, und merere Profinzen, di ich kene, sprechen das n in: sanft, und dergleichen Wörtern auf das deutlichste aus." 4 Das e zwischen n und / behauptet er wirklich auszusprechen und nimmt Klopstocks Vorschlag als warnendes Beispiel, „wi betrübt und erbermlich es were, wen di gechenden der guten ausspräche nicht blos in der Einbildung des h. Kl. beschtünden, sondern wirkliche gechenden weren, nach welchen sich das ganze übriche Deütschland zu richten hete". 1 2 3 4

Klopstocks Werke I X 331. Ebd. 333. Ebd. 332. Ebd. 370.

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RENATE BAUDUSCH-WALKER

Um in diesem Streit entscheiden zu können, müssen wir uns kurz die Entstehung und historische Entwicklung des Nasals vor / vergegenwärtigen. Nicht das n, sondern m ist der ursprüngliche Laut. Im Althochdeutschen ist sanft als semfti, samfto, -nunft als -numjt bezeugt; die Formen mit n spielen erst im Mittelhochdeutschen eine größere Rolle, nachdem das bilabiale / zu einem labiodentalen Laute geworden war. I m Neuhochdeutschen ist jedoch vielfach der umgekehrte Vorgang zu beobachten: das n kehrt zu der ursprünglichen Aussprache m mit nachfolgendem labialem / zurück. Diesen Vorgang hat Klopstock richtig bemerkt; daß der Pfälzer ihn ableugnet, mag an der räumlichen Begrenztheit der m-Aussprache liegen, da er sonst in diesen Dingen sehr feinhörig ist. Klopstock hat übrigens diese Beobachtung nicht allein gemacht: M Ä Z K E fordert schon in den „Grammatischen Abhandlungen" 1776 die Aussprache Vernumft, Anlcummft, Zumft, samft und macht wie Klopstock auf die Abstammung des n von m und seine schwierige Aussprache vor / aufmerksam 1 . Dabei weist er zugleich auf die Verwandlung des n in m in „anderen Sprachen" hin, wobei er vermutlich wie Klopstock das Griechische im Auge hat. Dieser f ü h r t als Beispiel das Wort av[i