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German Pages 112 [121] Year 1957
KÀLIDÀSA Die menschliche Bedeutung seiner Werke
von WALTER
RUBEN
19 5 6
A K A D E M I E - V E R L A G - B E R L I N
Copyright 1956 by Akademie-Verlag GmbH., Berlin Alle Eechte vorbehalten
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin W 8, Mohrenstraße 39 Lizenz-Nr. 202/100/327/56 Satz, Druck und Bindung: IV/2/14-VEB Werkdruck Gräfenhainichen - 590 Bestell- u n d Verlagsnummer: 5218 Printed in Germany
Kälidäsa ist der große indische Klassiker der Liebe, er hat unvergängliche Dichtungen um Gestalten liebender Frauen geschaffen, besonders der ganz jungen, noch mädchenhaften Braut. Wir denken dabei an Goethes Gretchen, die ihren Faust so unsäglich liebte wie die vierzehnjährige Julia ihren Romeo, sei es in den tiefen Versen Shakespeares, sei es in den rührend schönen Tanzbewegungen der Ulanowa. Wir denken an Rafaels Sixtina, diese erschütternd gute, jungfräuliche Mutter, und an Michelangelos Eva, die staunend unter dem weiten Gewände Jehovas hervor auf den eben erschaffenen Adam, den ihr bestimmten Gemahl, blickt. In diese Reihe gehört Nausikaa, die Prinzessin, die Odysseus lieb gewann, und Psyche, die im griechischen Märchen ihren Amor liebte. Aber trotz all diesem Reichtum unserer Kunst blieben wir arm, lernten wir nicht ebenso die Frauengestalten Kälidäsas lieben, seine Sakuntalä, seine Pärvati und seine Mälavikä. Das Büro des Weltfriedensrates in Wien hat am 12. Oktober 1955 alle Völker aufgerufen, im Jahre 1956 unter anderen auch Kälidäsa zu feiern. Als ein kleiner Beitrag dazu ist dies Büchlein geschrieben worden. Es soll kein Handbuch sein, das alle historischen und philologischen Probleme des Dichters und seiner Werke behandelt1. Es soll in neuer Weise versuchen, den Leser für die menschlichen Schönheiten der Werke und Gestalten des großen Dichters zu begeistern, der viele tausend Kilometer fern von uns in der .warmen Sonne Indiens vor über tausend Jahren lebte, liebte und dichtete.
INHALTSVERZEICHNIS 1. Wie Kälidäsas Werke zu u n s k a m e n 2. Über das Leben u n d die Lebenszeit Kälidäsas
7 . . . . . . . .
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3. I n d i e n zur Zeit Kälidäsas
13
4. Der Wolkenbote
24
5. Die Geburt des Kriegsgottes
33
6. Der S t a m m b a u m des R a g h u
42
7. Öakuntalä u n d der Erkennungsring
53
8. Urvaäl u n d die H e l d e n k r a f t
65
9. Mälavikä u n d Agnimitra
78
10. Nachwirkungen Kälidäsas bis auf R a b i n d r a n a t h Tagore Anmerkungen
96 106
Aussprache indischer Worte 6 wie sch, sh ähnlich, aber mit zurückgebogener Zungenspitze, ebenso n, d u n d t, j wie dsch, c wie tsch, r wie ri (vokalisches r), e u n d o stets geschlossen. Auf den Unterschied von gewöhnlichem a, i, u u n d langem ä, l, ü ist zu achten.
1. Wie Kalidasas Werke zu uns kamen Kälidäsa, der größte Dichter des Alten Indien, wurde im letzten Jahrzehnt des 18. Jhs. in Europa bekannt. Damals schufen die englischen Kolonialherren in den Besitzungen der Ostindischen Kompanie, die sie seit 1700 etwa im Kampf gegen indische Fürsten und vor ihnen gekommene französische Kolonialherren erobert hatten und die mehr als die Hälfte Indiens umfaßten, einen zentralisierten Steuer-, Gerichts- und Verwaltungsapparat, in dem alle höheren Ämter von Engländern bekleidet waren2. Als Richter am höchsten Gericht Bengalens arbeitete seit 1783 Sir William Jones, ein gebildeter Mann, ein Vertreter der aufgeschlossenen Bourgeoisie, der im Jahre 1789, gerade als in Frankreich die bürgerliche Revolution gegen den Feudalismus begann, in Calcutta das Drama der Sakuntalä des Kälidäsa in englischer Prosaübersetzung herausgab3 und damit den staunenden Europäern zeigte, daß es auch im alten Indien Dramen, Theaterstücke gegeben hatte. Er nannte Kälidäsa den indischen Shakespeare, ein freilich recht hinkender Vergleich. Im Jahre 1791 aber, als in Frankreich sich die revolutionären Demokraten, die Jakobiner zu organisieren begannen, um die Revolution gegen die Großgrundbesitzer und die reaktionär gewordene Großbourgeoisie weiterzutreiben, brachte der Mainzer Jakobiner Georg Forster seine deutsche Prosaübersetzung der Jonesschen englischen Übersetzung der Sakuntalä heraus4. Ein Exemplar sandte er an Goethe, der von dem Drama so begeistert war, daß er es in zwei Distichen pries. Handschriftlich lauten sie: Will ich die Blumen des frühen, die Früchte des späteren Jahres, Will ich was reizt und entzückt, will ich was sättigt und nährt, Will ich den Himmel, die Erde mit Einem Namen begreifen, Nenn ich Sakontala5 dich und so ist alles gesagt. Noch 1791 ließ Goethe diese Verse in der „Deutschen Monatsschrift" abdrucken, und im nächsten Jahr setzte Herder, der damals ebenfalls in Weimar wirkte, sie als Motto über seinen Aufsatz „Über ein morgenländisches Drama". 1798 erinnerte Herder noch einmal daran: „Da Sakontala leider bisher die einzige Probe ihrer (der Inder) vollendeten Geisteswerke geblieben, so verweilet man auch an ihr gern. Gebe die nächste Zeit uns mehr Sakontalas, die schönsten Beiträge zur Kulturgeschichte der Völker"6. Nur fünf Jahre später, 1803, gab Herder die Forstersche Übersetzung des Dramas neu heraus und fügte ihr eine kurze
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Widmung bei, in der er seiner Bewunderung für Kälidäsa erneut Ausdruck gab. Friedrich Schlegel lernte Forsters erste Ausgabe auf der Leipziger Messe gleich bei ihrem Erscheinen kennen und schrieb an seinen Bruder über dies auffallende Werk 7 . Später ging er nach Paris, um dort Sanskrit zu lernen; er führte dann die Wissenschaft der Indologie in Deutschland ein. Schon diese wenigen Angaben zeigen, daß Goethe recht hatte, wenn er später schrieb: „Man erinnere sich des entschiedensten Beifalls, den wir Deutschen einer solchen Übersetzung der Sakontala gezollt, und wir können das Glück, was sie gemacht, gar wohl jener allgemeinen Prosa zuschreiben, in welche das Gedicht aufgelöst worden" 8 . Forsters Arbeit hatte im deutschen Bürgertum gewaltig gewirkt. Friedrich Rückert übersetzte das Drama erneut ins Deutsche, diesmal unmittelbar aus dem Sanskrit, im Jahre 1855. Seine Übersetzung wurde aber erst nach seinem Tode 1867 herausgegeben 9 . Als im Jahre 1869 Heinrich Heines Nachlaß veröffentlicht wurde, zeigte sich, daß diesem großen Dichter etwas Wichtiges über unser Drama aufgefallen war. In dem Kapitel „Gedanken und Einfälle" findet sich der Satz: „Goethe, im Anfang des Fausts, benutzt die Sakontala" 10 . Das bezieht sich darauf, daß Goethe durch das Vorspiel der Sakuntalä angeregt wurde, seinem Faust das „Vorspiel auf dem Theater" voranzustellen. In der Sakuntalä tritt zunächst ein Schauspieler auf und spricht ein Gebet an Siva. Das indische Drama ist nämlich eingebettet in festlich-religiöses Treiben, das viele Stunden des Tages und der Nacht auszufüllen pflegt. Dann betritt der Schauspieldirektor die Bühne, ruft die Hauptschauspielerin zu sich und kündigt ihr an, daß jetzt das Drama des Kälidäsa, Sakuntalä, aufgeführt werden soll. Man spiele vor gebildeten Männern, strenge sich also an „Ich rede ohne Rückhalt, Madame, insofern ein erleuchtetes Publikum von unseren theatralischen Talenten Vergnügen empfängt und ausdrückt, insofern und nicht weiter setze ich auf diese Talente einen Werth. Ich zweifle jedoch an meinen Kräften, wie groß auch immer meine Anstrengung sey". So lautet die Forstersche Übersetzung, die Goethe vorgelegen hat, inhaltlich nicht falsch, sprachlich für unser Ohr altertümlich. Der Schauspieldirektor läßt sie dann eine Strophe auf die gerade herrschende Sommerzeit singen und läßt das Drama beginnen. Daraus machte Goethe folgendes: Der Direktor tritt mit dem Theaterdichter und der lustigen Person auf und bittet beide um ihre Hilfe. Er sei verlegen, denn sein Publikum habe schrecklich viel gelesen. Der Dichter will von der Masse zunächst gar nichts wissen, denkt nur an die Nachwelt. Die lustige Person will dagegen von Nachruhm nichts wissen, will die Mitwelt amüsieren. Der Direktor wünscht ein großes Spektakel. Die lustige Person rät dem Dichter: „Greift nur hinein ins volle Menschenleben, Ein jeder lebt's, nicht Vielen ist's bekannt, Und wo Ihr's packt, da ist's interessant." Der Dichter seinerseits spricht von dem „Drang nach Wahrheit und der Lust am Trug". So diskutieren die drei über tiefste Probleme der Kunst in witzigem Dialog, ganz anders als Kälidäsa, der nur der altindischen Sitte gefolgt war, als
1. Wie Kaiidas as Werke zu uns kamen
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er sein Drama mit einem kurzen Vorspiel einleitete, das dem Publikum den Namen des Dichters und den Titel des Dramas mitteilen mußte, hatte man doch keine Theaterprogramme. Bei dieser Gelegenheit schmeichelte er dem Publikum, und das war nicht eine Masse Zerstreuung Suchender, die aus der Stadt in geschäftsmäßigen Theatern Abend für Abend zusammenzuströmen pflegte wie im Weimar Goethes, sondern es war eine kleine Gruppe von Herren vom Stande, Adlige und Brahmanen, höchste Beamte, vielleicht ein paar reiche Kaufleute, die sich bei festlichen Gelegenheiten am Hofe des Königs in einem verhältnismäßig kleinen Saal oder Theater versammelten und unterhalten ließen. Die Masse des Volkes hätte allein schon die Sprache, das Sanskrit, nicht verstanden. Beide Vorspiele sind also grundverschieden, spiegeln ganz verschiedene Gesellschaften wider, die vom Theater etwas ganz Verschiedenes erwarteten. Aber wir danken es der Kunst des Inders, daß er das Genie Goethes zu dieser Perle seiner Kunst entzündete. Goethe lernte auch noch Kälidäsas lyrisches Gedicht Meghadüta: „Der Wolkenbote" kennen, und zwar aus der englischen Übersetzung von H. H.Wilson. Wilson war 1811 zum ersten Sekretär der neugegründeten Asiatischen Gesellschaft in Bengalen ernannt worden und gab 1813 in Calcutta als erstes Werk Text und Übersetzung des „Wolkenboten" heraus 11 . Kälidäsa läßt in diesem Gedicht einen aus der Geisterwelt verbannten Geist durch eine Wolke eine Nachricht an seine Geliebte in der Heimat überbringen. Goethe aber dichtete darüber eine seiner „Zahmen Xenien": Was will man denn Vergnüglichers wissen ? Sakontala, Nala 12 , die muß man küssen; Und Megha-Duta, den Wolkengesandten, Wer schickt ihn nicht gern zu Seelenverwandten! In seinen Noten zum Westöstlichen Divan bekannte er: „Die erste Begegnung mit einem solchen Werk macht immer Epoche in unserem Leben 13 ." Aber er tadelte zugleich die glättende Übersetzung Wilsons und rühmt „unseren Kosegarten", der ihm einige Verse aus der Ursprache übersetzt habe, „welche freilich einen ganz anderen Aufschluß gaben 14 ". 1826 aber pries Wilhelm von Humboldt dies Gedicht des alten Inders wegen seiner vortrefflichen Schilderung des Anfangs der Regenzeit, wenn die ersten Wolken von Süden herankommen 15 . Nachdem C. Schütz die erste deutsche Prosaübersetzung des Gedichts 1859 in Bielefeld herausgebracht hatte, erschienen mehrere andere, teilweise in Versen 16 . 1827 wurde durch Wilsons englische Übersetzung das Drama „Urvasi und die Heldenkraft" Kälidäsas in Europa bekannt und zugleich eine kurze Inhaltsangabe seines dritten Dramas „Mälavikä und Agnimitra" 17 . Dies letztere wurde erst 1856 durch A. Webers vortreffliche deutsche Übersetzung 18 den Gebildeten bei uns zugänglich. Da die Gelehrten seit Wilson an der Echtheit dieses Dramas zweifelten, hatte man es so lange vernachlässigt, bis dieser große Berliner Indologe A. Weber es ins rechte Licht rückte. Kein geringerer als Lion Feuchtwanger bearbeitete es 1917 unter dem Titel „Der König und die Tänzerin" für die deutsche Bühne. Das
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Urvasi-Drama wurde schon 1846 von Bollensen in deutscher Übersetzung herausgegeben; Rückert hatte in eine Inhaltsangabe des Dramas 1834 nur die Übersetzung einzelner Verse eingeschoben19. Rückert hat 1833 auch aus dem epischen Gedicht des Kälidäsa „Der Stammbaum des Raghu" nur den Abschnitt, der die Klage Ajas um seine gestorbene Frau Indumati enthält, übersetzt 20 ; vollständig erschien das Werk in Deutsch frei und metrisch von A. F. von Schack 1890 und in Prosa erst 1914 von 0 . Walter. Schließlich wurde Kälidäsas sechstes Werk, das epische Gedicht der „Geburt des Kriegsgottes", 1879 von Griffith ins Englische und 1913 von 0 . Walter in deutsche Prosa übertragen 21 . Es hat also mehr als ein Jahrhundert gedauert, bis alle sechs der Nachwelt glücklich erhaltenen Werke des größten altindischen Dichters uns Deutschen in Übersetzungen zugänglich gemacht wurden. Und erst 1921 hat der bekannte Indologe A. Hillebrandt ein besonderes Buch: „Kälidäsa, ein Versuch zu seiner literarischen Würdigung" in Breslau drucken lassen. Auf 166 Seiten bespricht er die Zeit, die Werke und die Kunst des Dichters und kommt zu dem Schluß, daß er „die Volkstümlichkeit des klassischen Altertums unter uns niemals erreichen kann". Die Literatur Indiens „steht unserem Empfinden zu fern, um mit Homer oder dem Dichter der Antigone um den Vorrang zu streiten oder wie Dante und Shakespeare die Gunst der gebildeten Kreise dauernd zu fesseln . . . Wir finden zu wenig männliche Kraft, dramatischen Schwung, zu wenig inneren Kampf und Trotz gegen die Schicksalsmächte . . . Wir verlangen nach tieferen Problemen. Und dennoch liegt in den Werken dieser Dichter soviel echte und unvergängliche Poesie, daß es wohl der Mühe lohnt, einem durch einzelne Äußerlichkeiten nicht ¿urückgestoßenen Kreise den Zugang zu ihnen zu verschaffen." 22 So dankbar wir Hillebrandts wissenschaftliche Arbeit benutzen, so wenig können wir mit seiner Stellung einverstanden sein. Heute ist die Lage Deutschlands anders als 1921. Damals schrieb Hillebrandt für einen kleinen Kreis gebildeter Bürgerlicher, die aus der deutschen Nachkriegsmisere (Hillebrandt schrieb sein Werk schon 1918!) hinausverlangten zu den Schätzen der Weltliteratur. Bei uns aber drängt das Volk der Werktätigen kraft seines Humanismus, kraft seines Internationalismus, kraft seiner Liebe zu allen Völkern aller Kontinente dazu, die Großen aller Gebiete und ihre Werke sich anzueignen. Unsere Menschen wollen wissen, wo verwandte Herzen in fremden Völkern schlugen und schlagen. Wie wir stolz sind auf unser kulturelles Erbe und suchen, wo wir seiner Schätze habhaft werden können, so wollen wir auch mit anderen Völkern froh werden beim Genuß ihrer Leistungen in Gegenwart und Vergangenheit. Wir werden von dem altindischen Klassiker keinen „Trotz gegen Schicksalsmächte" usw. verlangen. Wir wollen lernen, was er dem indischen Volk bedeutet hat. Wir spüren, daß er auch uns heute, so wie er ist, viel geben kann. Wir mühen uns, ihn aus seiner Gesellschaft heraus zu verstehen, und wir finden, daß er wirklich, wie Goethe und Herder es merkten, ein großer Dichter war, der die Menschen liebte, ihre Liebe in Lust und Leid wahrhaft zu erfassen und zu gestalten vermochte und gegen die Schwächen der herrschenden Kreise seiner Gesellschaft kritisch eingestellt war und sie scharf beobachtete. Er hat das Rüstzeug dazu, mit seiner Sprache die
2. Über das Leben und die Lebenszeit
Külidäsas
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Menschen zu packen; was man freilich den bisherigen Übersetzungen nicht abgewinnen kann. Er hat die Phantasie des echten Dichters, daß er die Hörer und Leser in seinen Bann zieht. Und er hat die große Menschlichkeit, so daß man sich gerne in seinen Bann ziehen läßt, denn er kann ernst und heiter sein, und immer spiegelt er die Welt wahr wider. Gewiß ist uns seine Welt zunächst fremd. Aber bei deren Verständnis kann uns die Wissenschaft helfen. Durch diese fremdartige Schale hindurch fühlen wir dann sehr schnell den allgemein menschlichen Kern des Dichters. Sicher sind Inder anders als Deutsche, sind Menschen der alten Zeiten des eben aufkeimenden Feudalismus anders als Menschen, die die Grundlagen des Sozialismus aufbauen. Aber Mensch ist wesentlich Mensch, wie auch seine Hautfarbe sein mag. Wie arm blieben wir, beschränkten wir uns nur auf uns selber, auf unsere deutsche oder unsere europäische Kunst. Hat doch schon Porster, der Jakobiner, in seiner Vorrede 1791 gesagt: „Jedes Land hat seine Eigenheiten, welche auf die Geisteskräfte und auf die Organisation der Einwohner zurückwirken. Aus diesen sehr verschiedenen Individualitäten, wenn wir sie vergleichen und das Allgemeine vom Lokalen absondern, entwickeln wir uns den richtigen Begriff der Menschheit . . . Hier öffnet sich unserem Gefühl und unserer Phantasie ein ganz neues Feld, eine vorzüglich schöne Individualität des menschlichen Charakters . . . Die Billigkeit fordert wohl, daß man es deutlich auseinandersetze, wie die Verschiedenheit der indischen Mythologie, Geschichte und Sitten von der griechischen zum Beispiel den Kunstwerken jenes Landes eine uns ungewohnte Gestalt und Maschinerie verleihen müsse, wie aber das Interessante eines solchen Werkes gar nicht darin bestehe, ob es fünf oder sieben Aufzüge habe, sondern daß die zartesten Empfindungen, deren das menschliche Herz fähig ist, sich so gut am Ganges und bei dunkelbraunen Menschen wie am Rhein, am Tiber, am Ilissus bei unserem weißen Geschlecht äußern konnten 2 3 ."
2. Über das Leben und die Lebenszeit
Kalidasas
Über das Leben des großen Kälidäsa wissen wir so gut wie gar nichts, wenigstens nichts Verläßliches. In Indien wurden verschiedene Anekdoten erzählt, aus denen wir die Wahrheit noch nicht herauslesen können. Kälidäsa soll von Stand Brahmane, aber früh verwaist, arm und als Kuhhirt aufgewachsen sein. Damals wollte ein König von Benares seine Tochter einem berühmten Grammatiker mit Namen Vararuci verheiraten, aber die Prinzessin hielt sich für zu gelehrt für diesen Gelehrten. Dieser, so abgewiesen, traf zufällig den schönen Jüngling und Hirt, wie er auf einem Ast saß und diesen abzusägen begann. Diesen armen, schönen Dummkopf führte er der Prinzessin zu, nachdem er ihm eingeschärft hatte, immer zu schweigen. Vor dem König stammelte er daher nur ein Wort, das Vararuci gewandt als geistreiche Andeutung auslegte. Auf prüfende Fragen der Prinzessin
2. Über das Leben und die Lebenszeit
Külidäsas
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Menschen zu packen; was man freilich den bisherigen Übersetzungen nicht abgewinnen kann. Er hat die Phantasie des echten Dichters, daß er die Hörer und Leser in seinen Bann zieht. Und er hat die große Menschlichkeit, so daß man sich gerne in seinen Bann ziehen läßt, denn er kann ernst und heiter sein, und immer spiegelt er die Welt wahr wider. Gewiß ist uns seine Welt zunächst fremd. Aber bei deren Verständnis kann uns die Wissenschaft helfen. Durch diese fremdartige Schale hindurch fühlen wir dann sehr schnell den allgemein menschlichen Kern des Dichters. Sicher sind Inder anders als Deutsche, sind Menschen der alten Zeiten des eben aufkeimenden Feudalismus anders als Menschen, die die Grundlagen des Sozialismus aufbauen. Aber Mensch ist wesentlich Mensch, wie auch seine Hautfarbe sein mag. Wie arm blieben wir, beschränkten wir uns nur auf uns selber, auf unsere deutsche oder unsere europäische Kunst. Hat doch schon Porster, der Jakobiner, in seiner Vorrede 1791 gesagt: „Jedes Land hat seine Eigenheiten, welche auf die Geisteskräfte und auf die Organisation der Einwohner zurückwirken. Aus diesen sehr verschiedenen Individualitäten, wenn wir sie vergleichen und das Allgemeine vom Lokalen absondern, entwickeln wir uns den richtigen Begriff der Menschheit . . . Hier öffnet sich unserem Gefühl und unserer Phantasie ein ganz neues Feld, eine vorzüglich schöne Individualität des menschlichen Charakters . . . Die Billigkeit fordert wohl, daß man es deutlich auseinandersetze, wie die Verschiedenheit der indischen Mythologie, Geschichte und Sitten von der griechischen zum Beispiel den Kunstwerken jenes Landes eine uns ungewohnte Gestalt und Maschinerie verleihen müsse, wie aber das Interessante eines solchen Werkes gar nicht darin bestehe, ob es fünf oder sieben Aufzüge habe, sondern daß die zartesten Empfindungen, deren das menschliche Herz fähig ist, sich so gut am Ganges und bei dunkelbraunen Menschen wie am Rhein, am Tiber, am Ilissus bei unserem weißen Geschlecht äußern konnten 2 3 ."
2. Über das Leben und die Lebenszeit
Kalidasas
Über das Leben des großen Kälidäsa wissen wir so gut wie gar nichts, wenigstens nichts Verläßliches. In Indien wurden verschiedene Anekdoten erzählt, aus denen wir die Wahrheit noch nicht herauslesen können. Kälidäsa soll von Stand Brahmane, aber früh verwaist, arm und als Kuhhirt aufgewachsen sein. Damals wollte ein König von Benares seine Tochter einem berühmten Grammatiker mit Namen Vararuci verheiraten, aber die Prinzessin hielt sich für zu gelehrt für diesen Gelehrten. Dieser, so abgewiesen, traf zufällig den schönen Jüngling und Hirt, wie er auf einem Ast saß und diesen abzusägen begann. Diesen armen, schönen Dummkopf führte er der Prinzessin zu, nachdem er ihm eingeschärft hatte, immer zu schweigen. Vor dem König stammelte er daher nur ein Wort, das Vararuci gewandt als geistreiche Andeutung auslegte. Auf prüfende Fragen der Prinzessin
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Kälidasa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
gab der Jüngling keine Antwort, und Vararuci erklärte, er sei so erhaben, daß er auf die Fragen eines Mädchens nicht achte. Daraufhin wurde der Jüngling der Prinzessin verheiratet. Bald merkte sie den Betrug, aber der Dummkopf verehrte jeden Tag die große Göttin Kall mit Blumen, bis sie ihn mit den Wissenschaften der Grammatik, Logik und Poetik 24 begabte, die alle drei für einen Dichter notwendig sind: um nämlich grammatisch richtig, logisch einwandfrei und poetisch schön sprechen und schreiben zu können. Zum Dank nannte der Jüngling sich Kälidasa, das heißt „Sklave der Kali" 25 . Als Dichter soll Kälidasa eine der Zierden am Hofe des sagenhaften Königs Vikrama in der Stadt Ujjayini gewesen sein. Eines Tages soll ein armer Brahmane an den Königshof gekommen sein, der den König mit einem Vers grüßen wollte — wie es die Sitte erheischte —: „Möge dir dreifaches Glück zuteil werden" usw. Aber zu seinem Unglück sagte er „Bedrängnis" statt „Glück". Kälidasa sprang sofort auf und dichtete den Vers weiter: „Möge dir dreifache Bedrängnis zuteil werden, mögen Brahmanen dich auf dem Thron, Söhne dich beim Essen, möge deine Gattin dich im Bett bedrängen." Kälidasa war also gewandt wie sein Gönner Vararuci geworden; eine Bedrängnis durch Brahmanen, die sich um den König versammeln, durch Söhne und durch die liebende Frau mochte der König sich schon gefallen lassen. Gestorben soll der Dichter in Ceylon sein. König Kumäradäsa von Ceylon schrieb eines Tages an die Wand des Zimmers einer Hetäre den Anfang eines Verses (er war nämlich selber ein Dichter) und setzte Gold als Preis aus für den, der den Vers vervollständigen würde. Kälidasa tat so, aber die Hetäre erschlug ihn aus Geldgier, verscharrte ihn und gab sich selber als Dichter aus. Der König freilich merkte den Betrug, denn er verstand sich auf die Kunst Kälidäsas. Ist es wahr, daß Kälidasa arm und Hirt gewesen ist? Ähnliche Geschichten von Dummen, die durch die Gnade eines Gottes gelehrt wurden, sind auch sonst überliefert, wie z. B. von dem Grammatiker Varsha, der ebenfalls ein Schüler Vararucis gewesen sein soll 26 . Stammen von seiner Jugendarmut her die Elemente gesellschaftskritischer Denkweise in seinen Werken? Diese sind jedenfalls so fein versteckt (das war im altindischen Despotismus notwendig!), daß die indischen Kommentatoren seiner Dichtungen sie nicht angemerkt, also vermutlich gar nicht bemerkt haben. Man kann also nicht behaupten, daß die Anekdote von Kälidäsas ursprünglicher Armut und Dummheit eben wegen dieser Kritik an der Gesellschaft erfunden worden sei. Dies spricht, scheint es, für eine gewisse Echtheit, wenn auch freilich die Einzelheiten der Prinzessin und Vararucis unwahrscheinlich sind, wird doch Vararuci von der Tradition in weit ältere Zeiten versetzt, als es die des Kälidasa war. Andererseits soll König Kumäradäsa von Ceylon 515 u. Z. auf den Thron gekommen sein, und das paßt beinahe zu der Lebenszeit Kälidäsas, so widersprechend auch einstweilen ihre Berechnungen sind. Man nimmt an, daß Kälidäsa im Jahre 473 u. Z. schon recht bekannt gewesen sein muß. Damals hat ein Dichterling in Mandasor (also nahe von Kälidäsas Heimat) im Sonnentempel eine Inschrift einmeißeln lassen, die in Versen verfaßt ist, von denen einige sich Verse des Kälidäsa zum Vorbild genommen haben 2 7 .
3. Indien zur Zeit
Kalidäsas
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Andererseits nehmen einige an, daß Kälidäsa eine Stelle in seinem Epos „Stammbaum des R a g h u " erst nach 455 u. Z. gedichtet haben kann. Da verherrlicht er nämlich den mythischen König Raghu, weil er einen Sieg über die Hunnen errungen habe. Der älteste uns bekannt gewordene historische Sieg eines indischen Königs über Hunnen war aber der des Königs Skandagupta aus der glanzvollen Gupta-Dynastie, der im Jahre 455 den Thron bestieg. Diese Gelehrten nehmen daher an, daß Kälidäsa diesen historischen Sieg auf seinen mythischen Pürsten übertragen habe. Früher habe kein Inder an so etwas denken können; der Dichter habe aber mit dieser mythologischen Anspielung seinem Fürsten geschmeichelt. Kälidäsa hätte dann von Skandaguptas Zeit (455—467 etwa) bis zu der Kumäradäsas (515ff.) gelebt, sei um 473 aber schon nachgeahmt worden. Andere Indologen meinen, Kälidäsa habe schon unter Samudragupta und (oder) Candragupta I I . (335—75, bzw. 375—413 u. Z.) gewirkt und verherrliche deren Siege durch Anspielungen in seinen Werken, und diese beiden hätten den Beinamen Yikrama geführt nach jenem früheren sagenhaften Yikrama, an dessen Hof Kälidäsa der Tradition nach gelebt haben soll. Diese Streitfrage ist einstweilen unentschieden und wir müssen uns darauf beschränken zu sagen, daß Kälidäsa im 4. oder 5. J h . u. Z. gelebt zu haben scheint. Als die Stadt seines Wirkens nimmt man im allgemeinen Ujjayini an, denn diese Stadt beschreibt er in seinem „Wolkenboten" liebevoll, und Ujjayini war von Samudraguptas Zeiten an 2 8 die Hauptstadt des gewaltigen Reiches der GuptaDynastie. In Ujjayini regierte der sagenhafte Vikrama, und Mandasor mit seiner Kalidäsas Kunst nachahmenden Inschrift liegt nicht weit nordwestlich von ihr, sein R u h m mag also sehr schnell, vielleicht gar noch zu seinen Lebzeiten dorthin gedrungen sein. Ujjayini war und ist heute noch eine der größten Städte, an der alten Handelsstraße gelegen, die von der Arabischen See nordöstlich nach dem mittleren Gangestal führt und hier gekreuzt wird von einer anderen, die in südlicher Richtung von Delhi-Mathurä nach Südindien geht.
3. Indien zur Zeit
Kalidasas
Wenn die chronologischen Erwägungen richtig sind, hat Kälidäsa unter den glanzvollen Gupta-Königen gelebt, deren Periode von 320 u. Z. bis etwa 455 als das Goldene Zeitalter Indiens bezeichnet zu werden pflegt. Zur Zeit des oben genannten Candragupta II., also vielleicht auch zur Zeit Kalidäsas weilte für etwa 10 Jahre ein chinesischer Buddhist, Fahien, im Gupta-Reich und hinterließ uns eine enthusiastische Beschreibung des Zustandes des Landes; er lobte die Verwaltung mit ihrer Großzügigkeit, daß man z. B. keinen P a ß brauchte, daß keine Todesstrafe verhängt und daß Rebellen bloß die rechte Hand abgehauen wurde, daß die Bevölkerung fromm buddhistisch lebte, kein Fleisch aß, keinen Wein trank, daß es keine Trinkhäuser und keine Schlächterläden gab usw. Aber er
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Kalidäsas
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Andererseits nehmen einige an, daß Kälidäsa eine Stelle in seinem Epos „Stammbaum des R a g h u " erst nach 455 u. Z. gedichtet haben kann. Da verherrlicht er nämlich den mythischen König Raghu, weil er einen Sieg über die Hunnen errungen habe. Der älteste uns bekannt gewordene historische Sieg eines indischen Königs über Hunnen war aber der des Königs Skandagupta aus der glanzvollen Gupta-Dynastie, der im Jahre 455 den Thron bestieg. Diese Gelehrten nehmen daher an, daß Kälidäsa diesen historischen Sieg auf seinen mythischen Pürsten übertragen habe. Früher habe kein Inder an so etwas denken können; der Dichter habe aber mit dieser mythologischen Anspielung seinem Fürsten geschmeichelt. Kälidäsa hätte dann von Skandaguptas Zeit (455—467 etwa) bis zu der Kumäradäsas (515ff.) gelebt, sei um 473 aber schon nachgeahmt worden. Andere Indologen meinen, Kälidäsa habe schon unter Samudragupta und (oder) Candragupta I I . (335—75, bzw. 375—413 u. Z.) gewirkt und verherrliche deren Siege durch Anspielungen in seinen Werken, und diese beiden hätten den Beinamen Yikrama geführt nach jenem früheren sagenhaften Yikrama, an dessen Hof Kälidäsa der Tradition nach gelebt haben soll. Diese Streitfrage ist einstweilen unentschieden und wir müssen uns darauf beschränken zu sagen, daß Kälidäsa im 4. oder 5. J h . u. Z. gelebt zu haben scheint. Als die Stadt seines Wirkens nimmt man im allgemeinen Ujjayini an, denn diese Stadt beschreibt er in seinem „Wolkenboten" liebevoll, und Ujjayini war von Samudraguptas Zeiten an 2 8 die Hauptstadt des gewaltigen Reiches der GuptaDynastie. In Ujjayini regierte der sagenhafte Vikrama, und Mandasor mit seiner Kalidäsas Kunst nachahmenden Inschrift liegt nicht weit nordwestlich von ihr, sein R u h m mag also sehr schnell, vielleicht gar noch zu seinen Lebzeiten dorthin gedrungen sein. Ujjayini war und ist heute noch eine der größten Städte, an der alten Handelsstraße gelegen, die von der Arabischen See nordöstlich nach dem mittleren Gangestal führt und hier gekreuzt wird von einer anderen, die in südlicher Richtung von Delhi-Mathurä nach Südindien geht.
3. Indien zur Zeit
Kalidasas
Wenn die chronologischen Erwägungen richtig sind, hat Kälidäsa unter den glanzvollen Gupta-Königen gelebt, deren Periode von 320 u. Z. bis etwa 455 als das Goldene Zeitalter Indiens bezeichnet zu werden pflegt. Zur Zeit des oben genannten Candragupta II., also vielleicht auch zur Zeit Kalidäsas weilte für etwa 10 Jahre ein chinesischer Buddhist, Fahien, im Gupta-Reich und hinterließ uns eine enthusiastische Beschreibung des Zustandes des Landes; er lobte die Verwaltung mit ihrer Großzügigkeit, daß man z. B. keinen P a ß brauchte, daß keine Todesstrafe verhängt und daß Rebellen bloß die rechte Hand abgehauen wurde, daß die Bevölkerung fromm buddhistisch lebte, kein Fleisch aß, keinen Wein trank, daß es keine Trinkhäuser und keine Schlächterläden gab usw. Aber er
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
erwähnt auch, daß Candälas als „Unberührbare" abseits von den „reinen" Menschen lebten und, sollten sie eine belebte Gegend betreten, ein Holz als Warnung vor ihrer Nähe anschlagen mußten 2 9 . Inwieweit diese Schilderungen der damaligen Wirklichkeit gerecht wird, ist freilich sehr fraglich. Bei Kälidäsa spielt Buddhismus und solch enthaltsames Leben keine Rolle; die junge Königin in „Mälavikä und Agnimitra" betritt sogar im dritten Akt in leichtem Rausch die Bühne und freut sich dessen, ohne von irgend jemandem deswegen getadelt zu werden. Und der komische Brahmane beklagt sich am Anfang des 2. Aktes der Sakuntalä darüber, daß es auf dem Jagdausflug des Königs fast nur am Spieß gebratenes Fleisch gibt. Daß es zu diesen Zeiten einen lebensvollen Buddhismus in Indien gab, ist nicht zu bezweifeln. Die Buddhisten entwickelten gerade damals eine bewundernswerte togik, die man der aristotelischen an die Seite zu stellen pflegt. Es ist also festzustellen, daß der buddhistische Pilger Fahien einseitig nur das buddhistische Indien dieser Periode sah, Kälidäsa als Sivait aber ebenso einseitig nur das brahmanische Indien. Bei dem Buddhisten aber ist hervorzuheben, daß er das traurige Los der Unberühxbaren geschildert hat. Wir können daraus schließen, daß der Glanz des Gupta-Hofes auf einem Sockel unmenschlichen Elends errichtet war. Und wenn er die Bestrafung von Rebellen erwähnt, so schließen wir daraus, daß die Macht der Gupta nicht unangefochten war. So einseitig wie Fahien darf der Historiker diese „Goldene Zeit" Indiens nicht sehen. Ein solcher Begriff ist seinem Wesen nach schon unwissenschaftlich. Er hängt mit der altgriechischen Mythologie vom einstigen paradiesischen Goldenen Zeitalter zusammen. Unsere Aufgabe aber ist es, diese Periode so richtig wie möglich zu schildern, um Kälidäsa dann mit seinen Werken vor diesen Hintergrund zu stellen. Die Gupta-Könige beherrschten ein gewaltiges Reich, das fast ganz Nordindien umfaßte, die weite Gangesebene zwischen dem Himalaya und den Gebirgen des Dekkhan, dessen Nordteil bis zur Narbadä-West-Ost-Linie freilich mit dazugehörte. In den Bergdschungeln weiter südlich lebten großenteils Stämme als Jäger, Sammler und primitive Pflanzer in noch fast steinzeitlichen Zuständen 30 . I n Flußtälern und weit ausgedehnten Rodungen gab es aber auch schon in Südindien eisenzeitliches Handwerk und gab es Königtümer, die auf eine Geschichte mehrerer Jahrhunderte zurückblicken konnten, nur wissen wir von denen einstweilen wenig. Indien war eben sehr ungleichmäßig entwickelt. In Nordindien dagegen hatte es schon im 3. Jahrtausend v. u. Z. die ersten Staaten gegeben. Dort waren die ursprünglichen Wälder des Gangestales zu Kälidäsas Zeiten wohl schon fast ganz gerodet; dort war ein Stamm, der der Videha, im Stadium des letzten Zerfalls der Gentilordnung zur Zeit des Beginns der Gupta zum letzten Male in der Geschichte Nordindiens erwähnt. Dort hatte es schon kurz nach dem Einfall Alexanders des Makedonen im Jahre 326 v. u. Z. ein gewaltiges Großreich gegeben, das freilich nur etwa vier Generationen seiner Dynastie, der Maurya, bestanden hatte — ganz ähnlich wie auch das Guptareich bereits in der fünften Generation unter Skandagupta zu zerfallen begann. Die Großreiche des Altertums und insbesondere des Orients pflegten ja nur vorüber-
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gehende, militärisch-administrative Gebilde zu sein; ihnen fehlte die wirtschaftliche Einheit, und die Verwaltung großer Reiche machte noch ungemeine Schwierigkeiten. Immerhin konnten die Gupta bereits auf den Erfahrungen der Maurya fußen. Nordindien war damals jedenfalls durchaus nicht mehr primitiv und naturnahe, wenn Sakuntalä einem Förster auch so erscheinen mochte, gemessen an seiner Zeit der französischen Revolution. Das Großreich der Maurya gehörte noch der Periode der indischen Sklavenhaltergesellschaft an, das der Gupta stellt uns dagegen den Beginn des Feudalismus dar. Nur dürfen wir nicht annehmen, daß es in Indien einen so dramatischen Übergang von der älteren zur jüngeren Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung gegeben habe wie in Europa. Es gab im alten Indien weder Sklavenaufstände noch Einbrüche fremder Völker mit solchen Erschütterungen des Römerreiches, wie sie die Germanen in Gallien, Italien, Spanien, Nordafrika usw. ausgelöst haben. Der Übergang von Sklavenhaltergesellschaft zu Feudalismus ging vielmehr so langsam und fast unmerklich vor sich, daß ihn erst die fortgeschrittenste Indologie in den letzten Jahren zu beschreiben versucht. Immerhin scheint es so zu sein, daß vom 5. Jh. u. Z. an auch in Indien feudales Grundeigentum herausgebildet wurde 31 . Daneben aber blieben starke Elemente des Alten noch lange Zeit lebendig, ja Sklavenhaltung wurde gesetzlich in Indien erst in der ersten Hälfte des 19. Jhs. abgeschafft. Kälidäsa stellt dementsprechend Königshöfe dar, an denen Sklaven und vor allem Sklavinnen in beträchtlicher Zahl vorkommen; vor allem sein Drama der Mälavikä behandelt dies Thema eindringlich. Seine Könige sind noch Despoten, wie sie in den sklavenhalterischen Zeiten Indiens ähnlich geherrscht haben werden. Wie sich dabei das Neue, der Feudalismus, in Kälidääas höfischen Kreisen auswirkte, können wir noch nicht angeben. Wir wissen noch nicht, welche Schichten der nordindischen Völker damals die entscheidenden Träger des Neuen waren. Nur wird man annehmen können, daß der Beginn des Neuen in der Gesellschaft in Kälidäsas Umgebung so stark war, daß er seine lebensfrohe Weltanschauung als eine der Haupttriebfedern seiner Kunst eben aus dem mitreißenden Neuen schöpfte. Eine Quelle des Reichtums und damit des aufblühenden Luxuslebens der Stadt Ujjayini und der Gupta-Könige war sicher der Handel. Mit dem römischen Kaiserreich hatte man damals seit ein paar Jahrhunderten beträchtlichen Handel, der über Alexandrien ging. Die Seefahrer verstanden es, die Monsunwinde für die Ost-West- und West-Ost-Fahrt über das Arabische Meer auszunutzen, und an den Küsten Indiens finden die Archäologen seit einigen Jahren immer mehr Reste römischer Handelsniederlassungen. Schon im 2. Jh. u. Z. hatte ein griechischer Seefahrer die Küsten des „erythräischen Meeres", d. h. Indiens, Arabiens usw. in einem besonderen Buche beschrieben, weil sie ein vielseitiger Markt, auch für Sklavenhandel, waren 32 . Bharukaccha an der Mündung der Narbadä, also etwas nördlich von dem heutigen Bombay, war aber der Hafen, von dem aus die Handelsstraße über Ujjayini in das Gangestal verlief. Daneben blühte zweifellos ein starker Überlandhandel mit Persien, in dem damals die glanzvolle Dynastie der Sassaniden herrschte. Deren Macht zerfiel
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seit etwa 590 u. Z. und war auch vorher schon manchmal geschwächt. Solange sie stark war, war das Sassanidenreich aber ein Wall, der Indien gegen Einfälle der aus Innerasien herandrängenden Völker wie der Hunnen usw. schirmte. Schließlich wird es damals schon einen gewissen Handel mit China gegeben haben, teilweise auf dem Landweg über Innerasien, teilweise zur See einerseits von Bengalen, andererseits über Bharukaccha, den Seehafen der Stadt Ujjayini 33 . Eine ganz andere Quelle des Glanzes der Gupta-Könige wird man darin zu suchen haben, daß vor ihnen im Nordwesten Indiens und insbesondere auch in Ujjayini ein paar Jahrhunderte lang Fremde geherrscht hatten, sogenannte Indoskythen. Vielleicht wurden die Gupta gerade dadurch groß, daß sie es verstanden, die Freiheitsbewegung der indischen Völker gegen die Fremdherrschaft auszunutzen. Ujjayini war damals nicht nur Zentrum der Macht der Gupta, sondern zugleich Zentrum der indischen Astronomie. Durch Vermittlung der alexandrinischen Gelehrten hatte die altindische Astronomie seit etwa dem 3. Jh. u. Z. einen starken Auftrieb bekommen, griechisch-römische astronomische Werke wurden von Indern umgearbeitet, und Ujjayini war das damalige Greenwich: durch diese Stadt lief der Meridian nach dem griechischen Vorbilde von Alexandrien. Diesen wissenschaftlichen Kontakt und Aufschwung muß man sehr hoch einschätzen, und auch in Kälidäsas Werken kann man an gelegentlichen Anspielungen den Einfluß der griechisch-römischen Astronomie feststellen 34 . Mit der Astronomie ist in Indien die Mathematik eng verknüpft. Der berühmte Mathematiker und Astronom Aryabhatta hat etwa in Kälidäsas Zeit gewirkt, er soll um 476 u. Z. geboren sein. Er hat richtig gelehrt, daß die Erde sich täglich um ihre eigene Achse dreht. Er ist damit freilich nicht durchgedrungen. Auf dem Gebiet der Medizin können wir der Guptazeit noch keinen führenden Lehrer oder Arzt zuweisen, aber sie war schon in den vorangegangenen zwei Jahrhunderten grundlegend entwickelt worden. Ganz groß war damals, wie schon angedeutet, die Logik. Auf brahmanischer Seite ist Vätsyäyana der Guptazeit zuzuweisen, der als erster vom Analogiebeweis zum Schluß fortschritt, und auf buddhistischer Seite Dignäga, der systematisch die Möglichkeiten zwingender, wahrscheinlicher und falscher Schlußformen untersuchte 35 . Neben Logik mußte ein Dichter vor allem in Grammatik und Poetik bewandert sein, und Kälidäsa prunkt manchmal ein wenig mit grammatischem Wissen. Die Grammatik war damals schon seit etwa fünf Jahrhunderten sachlich abgeschlossen, alle Erscheinungen des Sanskrit waren in Regeln erfaßt, seit mindestens dieser Zeit, ein halbes Jahrtausend vor Kälidäsa, war das Sanskrit keine lebendige Sprache mehr. Nur Gelehrte sprachen es noch, und die Dichter, die eben Gelehrte waren! Die „Gebildeten" verstanden es immerhin noch soweit, daß sie den Aufführungen mit Vergnügen folgen konnten. Aber das Volk und die „Ungebildeten" sprachen Volkssprachen, die eine jüngere Stufe der indischen Sprachentwicklung darstellen. Auch die Volkssprachen waren zu Kälidäsas Zeit schon seit zwei bis drei Jahrhunderten zumindest für so manches literarische Werk verwendet
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worden. Insbesondere Lyrik war in der Sprache Mahäräshtras beliebt. Dementsprechend ließen die Dramatiker auf der Bühne nur die Gebildeten, die Brahmanen und Könige Sanskrit sprechen, die anderen Personen verschiedene literarisch ausgefeilte Volkssprachen, auch die Frauen, und seien sie Königinnen, wenigstens im allgemeinen. Gelegentlich läßt Kälidäsa eine gebildete Frau wie die Asketin in „Mälavikä und Agnimitra" Sanskrit reden. Man muß bedenken, daß in einem indischen Haushalt noch heute tatsächlich eine gewisse Vielsprachigkeit vorkommt, insofern die verschiedenen Frauen und die Dienerschaft eines Mannes aus verschiedenen Gegenden Indiens kommen können, und vielleicht nur er selber als Gebildeter Sanskrit oder Englisch spricht. Die indische Wirklichkeit spiegelt sich also in der Vielsprachigkeit der altindischen Dramen nur wenig verzerrt wider, insofern nämlich verzerrt, als die im Drama verwendeten Volkssprachen eben wie das Sanskrit schon nicht mehr den wirklich gesprochenen Sprachen entsprachen, sondern ebenfalls grammatisch festgelegt waren. Was die Poetik angeht, so ist im Kern vielleicht älter als Kälidäsa das grundlegende Werk des Bharata, das Poetik, Dramatik, Tanz und Mimik, Metrik, Musik und Gesang behandelt, ein gewaltiges, schwer verständliches Kompendium, dessen Teile einen uneinheitlichen Charakter zeigen, ohne daß man die einzelnen Teile oder die Zusammenfügung zum Ganzen einstweilen genauer datieren könnte. Kälidäsa nennt Bharata als Verfasser eines solchen Lehrbuches 36 , aber es ist nicht ganz sicher, ob er das Werk in der uns vorliegenden Form gemeint hat. Eine genaue Untersuchung, ob und wieweit die Kunst Kälidäsas mit den Lehren Bharatas übereinstimmt, hat noch keiner unternommen. Neben diesen Wissenschaften hatten die Inder zu Kälidäsas Zeiten aber auch, die der Liebe entwickelt, die uns als Gegenstand der Wissenschaft fremd anmutet. Es handelt sich um eine Strategie und Ökonomik der Kräfte im Liebesstreit der Geschlechter. Diese „Wissenschaft" ist in dem uns erhaltenen Lehrbuch eines Vätsyäyana vermutlich schon einige Zeit vor Kälidäsa niedergelegt worden 37 . Manche meinen, daß Kälidäsa selbst auf Kleinigkeiten dieser Lehre genau geachtet hat. In seinem Epos der „Geburt des Kriegsgottes" läßt er nämlich bei dem feierlichen Moment der Handergreifung bei der Hochzeit des Götterpaares die Hand des Mannes vor Erregung schwitzen; in dem anderen Epos des „Stammbaumes des Raghu" aber schwitzt die Hand der Frau bei der Hochzeit Ajas mit der Indumatl. Diese zweite Schilderung entspricht der Lehre der Liebe, und man h a t daher geistreich angenommen, daß dies zweite Werk das spätere ist und der Dichter den „Fehler" in seinem ersten Werk damit richtigstellen wollte. Freilich ist nicht völlig sicher, daß der Dichter ein solcher „Gelehrter" oder Pedant gewesen ist. Vielleicht wollte er umgekehrt seine erst sklavisch gewesene Abhängigkeit von der traditionellen Liebeslehre in seinem anderen Epos auswetzen. Die zeitliche Abfolge der Werke des Dichters steht nämlich durchaus noch nicht fest, und derartige Argumente, die durch Vergleich gewonnen werden, sind nicht eindeutig. Die Liebeslehre ist allem Anschein nach jünger als die Staatslehre des Alten Indien, ist geradezu nach ihrem Vorbild erst geschaffen. Das älteste indische 2
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Staatslehrbuch stammt der Tradition nach von dem Minister des ersten Großreiches, von Kautalya, dem Minister der Maurya. Die Staatslehre muß dann jahrhundertelang weitergelebt haben, bis sie von Kämandaka neu geschrieben wurde, den man in das 8. Jh. u. Z. setzt 38 . Kautalya schrieb in einem schweren wissenschaftlichen Prosastil, Kämandaka in leicht verständlichen Versen. Kautalya schrieb für Staatsmänner, Kämandaka für Gebildete, in erster Linie vielleicht für Dichter, die eben Gelehrte sein mußten, die ihre Stoffe nicht nur grammatisch, logisch, poetisch, metrisch, dramatisch einwandfrei darstellen mußten, sondern auch die Liebeswissenschaft und Staatslehre beherrschen sollten, ja auch Astronomie und womöglich Medizin. Mit Recht verlangte das gebildete Publikum, daß die Dichter auf der Höhe der wissenschaftlichen Lehre standen. Man muß dabei natürlich festhalten, daß die Wissenschaften nicht so weit entwickelt waren wie unsere heutigen, daß daher die wissenschaftlichen Äußerungen der altindischen klassischen Dichter uns fremd und naiv anmuten. Aber man soll die Forderung nach wissenschaftlicher Bildung der altindischen Dichter nicht belächeln. Es ist richtig, dem naiveren Dichter der Epen der Sklavenhaltergesellschaft den gelehrten Dichter des Feudalismus gegenüberzustellen, aber für die großen Dichter des Feudalismus wie Kälidäsa gilt durchaus nicht, daß auf elegante Form und Gelehrsamkeit mehr Wert gelegt wurde als auf Erfindungsgabe und dichterisches Talent. In den Jahrhunderten der Sklavenhaltergesellschaft aber hatte es diese Wissenschaften entweder noch gar nicht oder wenn, dann nur in ihren primitiven Anfängen gegeben. Kälidäsa war ein ausgesprochener Kenner und zweifellos ein Liebhaber der Staatslehre. In seinem „Stammbaum des Raghu" arbeitete er sehr viel mit ihren Begriffen. Seine Vorstellungen ähneln sehr weitgehend denen des alten Kautalya, und nur ganz selten meint man zu spüren, daß er aus einem jüngeren Werk, das. man zwischen Kautalya und Kämandaka ansetzen müßte, gelernt hat 3 9 . Nach dem Vierersystem der Lehren, wie es im indischen Feudalismus vertreten wurde, gab es neben 1. der Liebes- und 2. Staatslehre, 3. die Rechts- oder Morallehre und endlich 4. die Erlösungslehre. Die Rechtslehre war teilweise in die Staatslehre eingeordnet, nämlich die eigentliche Jurisprudenz; die Morallehre befaßte sich mit den Rechten und Pflichten der Kasten, denn es galt nicht etwa ein und dieselbe Moral für alle Kasten. Der König muß zum Beispiel berufsgemäß töten, während es dem gewöhnlichen Sterblichen verboten ist usw. Wie Kälidäsa zur Morallehre seiner Zeit stand, ist noch nicht genügend untersucht worden. Als Erlösungslehre endlich galt die Religion. Kälidäsa war ein gläubiger Anhänger des Siva und seiner Frau, der großen Göttin Kali, die auch Devl, Umä oder Pärvatl genannt wurde. Der Sivaismus und Vishnuismus aber sind die beiden Zweige des brahmanischen feudalistischen Hinduismus, dessen Anfänge in die letzten Zeiten der Sklavenhaltergesellschaft, in die letzten Jahrhunderte vor unserer Zeit zurückgehen. Seine Wurzeln gehen sogar auf den Anfang der indischen Sklavenhaltergesellschaft im 3. Jahrtausend v. u. Z. zurück. Damals verehrte man in Nordwestindien schon Götter, von denen einer der Form des tanzenden Siva,
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des „Herren der Tänzer", durchaus ähnlich war; neben ihm stand eine grausige Göttin. Ein anderer Gott von damals sieht aus wie ein Buddha und einer wie ein Jainaheiliger. Man hatte damals vermutlich schon das Baden als Kulthandlung in künstlichen Teichen, vielleicht auch schon Tempel. Aber als die vedischen Stämme im 2. Jahrtausend nach Indien einfielen, brachten sie eine ganz andere, bilder- und tempellose Religion mit, die sich um magischen Feuerkult drehte. Diese „vedische" Religion hat in verschiedenen Stadien die altindische Sklavenhaltergesellschaft hindurch geherrscht, nur waren neben sie Buddhismus und Jinismus als Konkurrenten getreten. In den Endstadien der Sklavenhaltergesellschaft aber kamen die Götter Vishnu, Siva und seine Frau wieder zu Ehren, und in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit entwickelte sich der Tempelbau und die Götterbildnerei in ganz großem Stil. Aus der Guptazeit sind herrliche Werke der religiösen bildenden Kunst erhalten. Zu dieser Ausbildung des Hinduismus gehört das Heranwachsen einer umfangreichen mythologisch-theologischen Literatur, der sogenannten Puränen. Um deren Eigenart zu verstehen, muß man aber noch einmal auf die Literatur des sklavenhalterischen Indien zurückblicken. Mythologisch-sagenhaft-halbhistorische Stoffe werden schon früh in epischer Form im Volke besungen worden sein; mehr als 500 Jahre vor Kälidäsa werden Brahmanen daraus die uns erhaltenen beiden gewaltigen Epen Indiens, das Mahäbhärata und Rämäyana geformt haben; sie gestalteten sie dabei vishnuitisch um, aber auch Siva spielt im Mahäbhärata eine beträchtliche Rolle. Aus ihnen nahmen die späteren Dichter vielfach ihre Stoffe; Kälidäsa nahm das Thema seines „Stammbaums des Raghu" aus dem Rämäyana, das seiner Sakuntalä, Urvasi und der „Geburt des Kriegsgottes" aus dem Mahäbhärata. Nach dem Muster der Epen aber dichteten Brahmanen in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit die Puränen. Sie schlössen vor allem an die Stammbäume der Helden an, die in beiden Epen mitgeteilt worden waren, und fügten sie in ein umfangreiches und kompliziertes System einer Weltschöpfung und Götterentstehung ein. Sie waren aber theologischer als die Epen, legten nicht so sehr Wert auf eine große epische Handlung als auf ein buntes Gemisch von theologischen Traktaten (in epischem Versmaß) über Götter- und Totenkult, Morallehren, mystischen Spekulationen, Preislieder zur Verherrlichung der Götter usw. Die verschiedenen Puränen entstammen verschiedenen Zeiten des Feudalismus, und jedes gehört ursprünglich vermutlich einem großen Tempel als Kultzentrum eines der großen Götter an. Wenn nun Kälidäsa z. B. in seinem „Stammbaum des Raghu" eine Genealogie der Vor- und Nachfahren des mythischen Helden Räma behandelt, so hat er diese Abfolge nicht genau aus dem Rämäyana, dem alten Epos dieses Helden, aber auch nicht ganz aus dem Vishnupuräna oder einem der uns sonst erhaltenen Puränen entnommen, aber • puränisch ist der Stoff, und so ist die Religion des Dichters. Gewiß gab es auch in seiner Zeit noch Reste der vedischen Religion. Im V. Akt der Sakuntalä z. B. läßt der König eine Abordnung von Waldeinsiedeln durch seinen Lehrer und Hofpriester Somaräta empfangen und in die Halle des vedischen 2»
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Feuerkultes führen, dort empfängt er sie dann selber und handelt am Ende nach dem Rat seines Hofpriesters. Der Hofpriester vollzieht seit altvedischen Zeiten die magischen Riten für Volk und König, schützt insbesondere den König gegen magisches Unheil; er ist eine Art Zauberer und Feuerpriester. In altvedischer Literatur steht er als eine gewaltige Macht neben dem König, als sein Helfer, aber auch als ein drohender Förderer von Ehre und Tribut. Im Staatslehrbuch des Kautalya wird dem Hofpriester das höchste Gehalt im Staate ausgesetzt 40 ; dort spielt er in der Politik allerdings keine Rolle. In der Morallehre des Manu wird die Stellung des Hofpriesters' ähnlich geschildert 41 . Kälidäsa schildert seinen Hofpriester also nach vedischer, langlebiger Tradition. Bei Manu VII, 58, heißt es weiter, daß der König alle politisch wichtigen Angelegenheiten mit einem gelehrten Brahmanen als dem hervorragendsten seiner Minister besprechen soll. Die Könige in Kälidäsas Mälavikä und Sakuntalä beraten gewisse Angelegenheiten freilich mit einem Minister, in der Mälavikä sogar mit einem Ministerrat 42 , aber nicht insbesondere mit einem gelehrten Brahmanen. Dagegen haben Kälidäsas Könige der Sitte des indischen Theaters entsprechend einen Brahmanen als komische Figur des Stückes um sich. Dieser Spaßmacher spricht in schlechtem Dialekt, ist verfressen, anmaßend, feige, listig, aber ein treuer Helfer seines Herrn in seinen Liebesangelegenheiten. Er ist der Hauptvertraute des Königs; ihn benutzt er in den Intrigen seines Harems; er ist sein Minister für die übrigen Angelegenheiten, die nicht den Staat betreffen, sagt der König der Mälavikä 43 . Er ist seinem Herrn ergeben und hilft ihm wirklich; dafür mögen ihn gewisse Haremsdamen gar nicht und schelten mit Recht über ihn. Eine solche Figur kann nur aus Volkskunst in die klassische indische Dramatik gelangt sein. Nicht nur im Volk, sondern auch in den Hofkreisen war eben eine beträchtliche Wut, Verachtung und Haß gegen den Stand der Brahmanen mit all seinen Ansprüchen, der erste Stand der indischen Gesellschaft zu sein, angesammelt gewesen. Zu Kälidäsas Zeiten hatten die Brahmanen seit mehr als tausend Jahren, durch die ganze Periode der Sklavenhaltergesellschaft hindurch die Gesellschaft tyrannisiert (mit mehr oder weniger Erfolg!). Gegen die maßlos anspruchsvollen vedischen Brahmanen hatte schon in den alten Upanishaden eine gewisse Opposition nnd Kritik eingesetzt; die Buddhisten und Jaina hatten wesentlich von ihrem Gegensatz gegen die Brahmanen, diese Blutsauger der indischen Völker, gelebt. In ernsten und humorvollen Geschichten waren Brahmanen in Schwarz gemalt worden. Im indischen klassischen Drama aber dienen sie als komische Figur, und Kälidäsa hat diese volkstümliche Sitte mit Kunst und Liebe mitgemacht. Mag er auch selber ein Brahmane von Stand gewesen sein; angeblich als Hirt aufgewachsen, kannte er die Armut und sah mit Ironie auf die adelsstolzen brahmanischen Hofschranzen. Die Brahmanen beanspruchten unter anderem das Monopol des Lehrens und hatten, um ihren Anspruch zu sichern, dafür gesorgt, daß die in Indien bereits bekannte und für praktische Zwecke verwendete Schrift nicht zum Niederschreiben der vedischen Literatur verwendet wurde, auch nicht der von den Brahmanen an sich gerissenen Volksepen. Ebenso überlieferten die Buddhisten
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und Jaina während der ganzen Sklavenhaltergesellschaft ihre Literatur nur mündlich als ein geheimes Wissen den dazu Berechtigten. Zu Beginn des Feudalismus wurde das aber anders, ohne daß wir die Ursachen dafür bislang in der gesellschaftlichen Entwicklung aufweisen könnten. Die Fülle der puränischen Literatur wäre ohne Schrift nicht entstanden. Jetzt popularisierten die puränischen Brahmanen ihre hinduistische Theologie, Mythologie usw. in Puränen, so daß sie jeder Gebildete lesen sollte. Damit erst wurde die Religion der Siva, Vishnu usw. priesterlich-brahmanisch ausgestaltet, eine Religion, die uns wesenhaft fremd ist. Der Gott ist darin sehr menschlich dargestellt. Er lebt wie ein König in seinem Tempel, der ein Abbild seines himmlischen Wohnsitzes sein soll. Da wird er wie ein König bedient, gefüttert, unterhalten mit Gesang und Tanz, Spazierfahrten usw. Da liebt er seine Gemahlin,, zeugt Kinder und erfährt alle menschlichen Leidenschaften, Liebe und Zorn, nur in „göttlichem" Ausmaß, wie es sich der kleine Mensch in gewaltiger Größe ausmalen sollte. Er sollte dem Gott treu, sklavisch ergeben sein wie seinem despotischen König, seine völlige Unterwerfung unter jede unverständliche Laune des Großen neidlos-demütig einsehend. Aber es gab auch immer wieder Richtungen im Hinduismus, die den Gott als liebevoll, als gerecht, als Helfer der Menschen in ihrer gesellschaftlichen Ordnung, als Schützer des Rechts der Kleinen gegen die despotischen Großen mit ihrem Willkürregiment hinstellten, und damit die Ausbeuter in ihre Schranken zu weisen strebten 44 . Kälidäsa liebte seinen Siva als den großen Mann, dem alles Menschliche naheliegt, der selber warm, ja heiß empfindet und so vor den Menschen als ein großes Muster warmer Menschlichkeit dasteht, besonders in der „Geburt des Kriegsgottes". Zu Kälidäsas Zeiten hatte der Buddhismus ebenfalls neben seine alte Form eine neue, feudalistische gestellt, das Mahäyäna, in dem Buddha ähnlich wie Siva oder Vishnu in Tempeln usw. verehrt wurde. Bei Kälidäsa aber spielt er kaum eine Rolle. Im Drama der Mälavikä kommt eine kluge und schlaue, praktisch denkende und handelnde buddhistische Asketin vor, vom sivaitischen Dichter mit Sympathie gezeichnet. Er war eben tolerant, war auch gegen Yishnuismus tolerant (wie es sich in einem großen Loblied auf ihn im „Stammbaum des Raghu" zeigt 45 ). Religiöse Toleranz ist in Indien immer wieder als Tugend gepriesen worden. Kälidäsa hat am Buddhismus dieser Frau, aber auch an seinem Siva jedenfalls weitaus mehr die lebensfrohen, diesseitsfreudigen Seiten betont als die jenseitssüchtigen. Wenn schon im sklavenhalterischen Buddhismus und danach auch im Vedismus der weitabgewandte Yogi als Muster entsagender, demütiger Lebensführung nach Kräften propagiert wurde, wenn Theologen aller Richtungen ein Ideal völliger Ruhe und Apathie statt einem Ideal aktiven Lebens predigten und dies Ideal in letzten Ausläufern bis in die Gegenwart hineinreicht, so haben andere dagegen schon in der Zeit der Sklavenhaltergesellschaft das Ideal einer lebensbejahenden Aktivität gestellt. Kälidäsa hat in seinen Dichtungen in diesen Streit nicht theoretisch eingegriffen, aber sein ganzes Werk und auch seine Frömmigkeit strotzt von Liebe zum Leben. Wenden wir uns nach Wissenschaft und Religion jetzt der Kunst zu. Neben der oben schon erwähnten Architektur und Plastik, deren Werke aus der Gupta-
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zeit uns teilweise erhalten sind, ist die Malerei hervorzuheben. Großartige Dokumente der damaligen Malerei sind uns in den buddhistischen Felsentempeln von Ajanta als Wandgemälde erhalten. Wenn sie auch in buddhistischen Andachtsstätten angebracht sind und fromme Legenden usw. zum Thema haben, so waren die Maler doch Künstler genug, um ihre Menschen, ihre Fürsten und Prinzessinnen mit ihrem Hofstaat wunderbar menschlich-lebensecht darzustellen. Wir können uns die schamhaft dastehenden jungen schönen Frauen dieser Gemälde manchmal geradezu als Illustrationen zu schönen Posen der Mädchen und Frauen in Kälidäsas Dichtungen vorstellen, oder umgekehrt gesagt: Kälidäsa mag beim Schildern mancher Frauengestalt ähnliche Bilder der großen Künstler von damals im Kopfe gehabt haben. Malerei spielt aber auch als solche in den Werken des Dichters eine Rolle. Die Helden und Heldinnen verstehen sich auf diese feine Kunst, wie es das Lehrbuch der Liebe für die Gebildeten vorschrieb. I n ihrer Liebessehnsucht malen sie die Geliebte, oder ein König erkennt auf einem großen Gemälde des Hofstaates eine Schöne, die er dann wie in der Mälavikä mit aller List lebendig wiederzufinden sucht, um ihr seine Liebe zu gestehen. Auf dem Gebiet der Literatur ist schon auf die Epen und Puränen als lange Zeit vor Kälidäsa entstanden hingewiesen worden. Aber auch die Lyrik war damals schon in voller Blüte. Schon die Menschen der indischen Urgemeinschaft haben vermutlich lange vor der Ankunft der vedischen Stämme ihre Lieder bei Tanz und Festen gesungen, wenigstens tun so noch heute diejenigen, die sich in den Dschungeln ihr altes Leben weitgehend erhalten konnten 4 6 . I n den Epen, insbesondere im Rämäyana sind lyrische Stellen, die auf die Nachwelt und damit auf Kälidäsa gewirkt haben, das zeigt der „Wolkenbote". Etwa im 2. J h . u. Z. soll dann ein König Häla eine Anthologie von 700 Strophen gesammelt haben, alle in der Volkssprache von Mahäräshtra. Dies weist auf den volkstümlichen Ursprung dieser Lyrik hin, die Natur- und Liebeslyrik in feinster Weise verbindet. Kälidäsa fußte also auch als Lyriker auf alter Tradition. Bei ihm ist Lyrik aber wie im klassischen indischen Drama überhaupt mit Tanz verbunden, und das war sie schon in der Urgemeinde. Nur handelt es sich jetzt nicht mehr um die tanzende und singende Gemeinde, sondern um Hofsängerinnen und kunstvoll ausgebildete Tänze und Dichtung. Im Anfang der Mälavikä zeigt Kälidäsa einen Wettstreit zweier Tänzerinnen und ihrer gelehrten Lehrer. I m Vorspiel der Sakuntalä singt die Schauspielerin über die Schönheit des Sommers usw. Der 4. Akt der Urvasi ist geradezu opernhaft: Der Held sucht singend und gestenreich tanzend seine verlorene Geliebte. In ihrem 1. Akt mimt Sakuntalä tanzend, wie sie von einer Biene belästigt wird, und der König spricht dazu passende Verse, zeichnet gleichsam ihr Spiel nach. Die volle sinnliche Schönheit dieser Kälidäsaischen Dramatik können wir uns leider nur sehr schwach mit unserer Phantasie vorstellen. Auch war Kälidäsa nicht etwa der erste Inder, der Dramen geschrieben hätte. Man kann die ersten Anfänge des indischen Dramas in kultischen Vorführungen noch in der Zeit der Urgemeinschaft finden. Bei den Santal usw. sind uns Szenen bekannt geworden, in denen bei gewissen Festen Menschen die Rollen von Göttern
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und Toten spielen 47 . Aber da handelt es sich noch nicht etwa um Theater. Bei Testen wurden auch die späteren Dramen aufgeführt, ebenso die des Kälidäsa. Aber aus den langen Jahrhunderten der Sklavenhaltergesellschaft Indiens ist uns kein Drama erhalten. Damals gab es anscheinend neben gewissen kultischen Szenen im vedischen Ritual und in jenen Szenen der nicht-vedischen Dschungelstämme nur Springer, Sänger usw., die den Hof und das Volk unterhielten. Das Staatslehrbuch empfiehlt z. B. die Bauern mit solchen Dingen nicht von der Arbeit abzuhalten, und in altbuddhistischer Literatur werden allerhand Gaukler geschildert. Nach dem heutigen Stande unseres Wissens sind die ältesten indischen Dramen von dem Buddhisten Asvaghosha im 2. Jh. u. Z. verfaßt worden; wir haben von ihnen nur kleine Bruchstücke. Diese lassen immerhin erkennen, daß im Drama damals schon verschiedene Volkssprachen und die lustige Figur vorkamen. Der Buddhist schrieb fromme, der Bekehrung Unfrommer dienende Stücke. Bei Kälidäsa aber liegt den Dramen jede religiöse Tendenz fern. Er selber nennt Vorläufer, Dramenschreiber, unter anderem einen gewissen Bhäsa. Unter dem Namen Bhäsa sind eine Reihe Dramen überliefert. Ob sie und ob alle echt und so alt sind, darüber besteht noch keine Einmütigkeit der Forscher. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß einige seiner Dramen, wie z. B. die über die Liebesabenteuer des berühmten Königs Udayana, älter sind als Kälidäsas Dramen. Sie sind zumindest wesentlich primitiver, insbesondere was die Behandlung der Liebe angeht. Auch bei zwei anderen Dramen, dem „Tonwägelchen" oder der Vasantasenä des Südraka und dem „Siegelring undRäkshasa" des Visäkhadatta ist noch nicht endgültig geklärt, ob sie älter, gleichzeitig oder etwas jünger als Kälidäsa sind. Jedenfalls steht er, wenn man ihn vor dem Hintergrund dieser Dichtungen sieht, als ganz großer Meister seines Faches da. Von Asvaghosha stammen die ältesten Kunstepen. Nach den beiden alten Epen Mahäbhärata und Rämäyana hielten es Buddhisten für notwendig, eine epische Lebensgeschichte ihres Buddha als Rüstzeug der neuen Form des Buddhismus zu schaffen, und Asvaghosha schrieb ein solches „Leben des Buddha" in epischer Form, dazu ein mehr idyllisches Werk, in dem er die leidenschaftliche Liebe eines Prinzen Sundarananda zu seiner Frau und seine Bekehrung durch Buddha, so daß er der Welt entsagte, schilderte. Von daher gab es also eine Tradition, an die Kälidäsa beim Dichten seiner Epen anknüpfen konnte. Ob und was es Einschlägiges in den dazwischenliegenden Jahrhunderten gegeben hat, entzieht sich noch unserer Kenntnis. Wenn diese Literatur an Lyrik, Kunstepik und Dramatik mit dem beginnenden Feudalismus entstand, so ist dies Entstehen und zugleich die Erhaltung dieser Werke der damals neuen Verwendung der Schrift für literarische Zwecke zu verdanken. Aber auch die gesellschaftliche Entwicklung war dafür wesentlich: Erst an königlichen Höfen entstand das Bedürfnis nach solcher Kunst. Freilich können wir noch nicht sagen, warum erst feudalistische Höfe, nicht schon sklavenhalterische solche Werke brauchten. Wir müssen uns vorstellen, wie schon die Fürsten des Altertums an ihren Höfen gewisse Kreise Gebildeter und Gelehrter
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versammelten und dort Diskussionen über theologische und philosophische Fragen usw. veranstalten ließen. Die Dichter vom Schlage Kälidäsas und A&vaghoshas aber spielten erst an späteren Höfen eine Rolle. Erst jetzt prunkten sie mit ihrer Kunst oder Künstlichkeit, je nach Können, und buhlten um die Gunst der Fürsten und ihres verwöhnten Kreises. In Kälidäsas Werken begegnet uns leider keine solche Sitzung Gebildeter, so daß wir sie uns noch nicht im einzelnen ausmalen können. Nur aus späteren Dichtungen können wir uns die Konkurrenzkämpfe an den Fürstenhöfen einigermaßen vorstellen. Das ist aber notwendig, wenn wir die Kunst Kälidäsas würdigen wollen. Wir müssen uns die Umgebung des Dichters vor Augen halten, in der Gebildete und Gelehrte als Kenner der Lehrbücher der Grammatik, Logik, Poetik, Theologie, Liebes- und Staatslehre usw. über die Kunst der Maler, Dichter usw. richteten und in dem ungemeinen Luxusleben dieser verhältnismäßig späten, raffinierten, aber durchaus nicht mehr naiven Gesellschaft der Guptazeit des 5. Jh. u. Z. darüber letztlich entschieden, ob die Kunstwerke als würdig empfunden wurden, um immer wieder abgeschrieben und uns bis auf unsere Tage erhalten zu werden. Daß von Kälidäsa sechs Werke (diese wenigstens unbezweifelt!) 48 auf diese Weise erhalten worden sind, (man bedenke dabei, daß im indischen Klima sich Handschriften nur sehr kurze Zeit halten, das kostspielige Abschreiben also häufig wiederholt werden muß!) ist uns ein Zeichen seiner ungemeinen Beliebtheit, und wir können nach Kenntnis seiner Werke sagen, daß diese Beliebtheit durchaus berechtigt war und ist.
4. Der
„Wolkenbote"
Eine zeitliche Abfolge der sechs Werke des Kälidäsa ist noch nicht ermittelt worden; dafür haben wir bisher noch nicht die entscheidenden Gesichtspunkte gefunden 49 . Seine Werke sind daher einzeln abzuhandeln, und zwar beginnen wir ein wenig willkürlich mit dem lyrischen Gedicht des Wolkenboten, weil es das kürzeste und am leichtesten überschaubare ist. Es besteht aus ungefähr 112 Strophen; verschiedene Handschriften bieten einige mehr oder weniger und stellen die Verse um 50 . Alle Strophen sind im selben Metrum mit Namen Mandäkräntä abgefaßt; eine solche Strophe besteht aus vier Zeilen, von denen jede folgenden schwierigen Rhythmus h a t : ^
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Dies ist eines der in der Kunstdichtung üblichen Metren, die wir nur schwer nachempfinden können, lassen sie sich doch nicht leicht auf 3 / 4 - noch auf 4 / 4 -Takt bringen. Wenn der indische Dichter auch von dem Zwang, sein Gedicht zu reimen, frei war, so ist es doch nicht leicht, ein Gedicht von 112 Strophen mit je vier solcher Zeilen in ungezwungener, schön klingender Sprache, ohne sinnlose Versfüllsel und vor allem mit erfreuendem lyrischen Inhalt zu gestalten.
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
versammelten und dort Diskussionen über theologische und philosophische Fragen usw. veranstalten ließen. Die Dichter vom Schlage Kälidäsas und A&vaghoshas aber spielten erst an späteren Höfen eine Rolle. Erst jetzt prunkten sie mit ihrer Kunst oder Künstlichkeit, je nach Können, und buhlten um die Gunst der Fürsten und ihres verwöhnten Kreises. In Kälidäsas Werken begegnet uns leider keine solche Sitzung Gebildeter, so daß wir sie uns noch nicht im einzelnen ausmalen können. Nur aus späteren Dichtungen können wir uns die Konkurrenzkämpfe an den Fürstenhöfen einigermaßen vorstellen. Das ist aber notwendig, wenn wir die Kunst Kälidäsas würdigen wollen. Wir müssen uns die Umgebung des Dichters vor Augen halten, in der Gebildete und Gelehrte als Kenner der Lehrbücher der Grammatik, Logik, Poetik, Theologie, Liebes- und Staatslehre usw. über die Kunst der Maler, Dichter usw. richteten und in dem ungemeinen Luxusleben dieser verhältnismäßig späten, raffinierten, aber durchaus nicht mehr naiven Gesellschaft der Guptazeit des 5. Jh. u. Z. darüber letztlich entschieden, ob die Kunstwerke als würdig empfunden wurden, um immer wieder abgeschrieben und uns bis auf unsere Tage erhalten zu werden. Daß von Kälidäsa sechs Werke (diese wenigstens unbezweifelt!) 48 auf diese Weise erhalten worden sind, (man bedenke dabei, daß im indischen Klima sich Handschriften nur sehr kurze Zeit halten, das kostspielige Abschreiben also häufig wiederholt werden muß!) ist uns ein Zeichen seiner ungemeinen Beliebtheit, und wir können nach Kenntnis seiner Werke sagen, daß diese Beliebtheit durchaus berechtigt war und ist.
4. Der
„Wolkenbote"
Eine zeitliche Abfolge der sechs Werke des Kälidäsa ist noch nicht ermittelt worden; dafür haben wir bisher noch nicht die entscheidenden Gesichtspunkte gefunden 49 . Seine Werke sind daher einzeln abzuhandeln, und zwar beginnen wir ein wenig willkürlich mit dem lyrischen Gedicht des Wolkenboten, weil es das kürzeste und am leichtesten überschaubare ist. Es besteht aus ungefähr 112 Strophen; verschiedene Handschriften bieten einige mehr oder weniger und stellen die Verse um 50 . Alle Strophen sind im selben Metrum mit Namen Mandäkräntä abgefaßt; eine solche Strophe besteht aus vier Zeilen, von denen jede folgenden schwierigen Rhythmus h a t : ^
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Dies ist eines der in der Kunstdichtung üblichen Metren, die wir nur schwer nachempfinden können, lassen sie sich doch nicht leicht auf 3 / 4 - noch auf 4 / 4 -Takt bringen. Wenn der indische Dichter auch von dem Zwang, sein Gedicht zu reimen, frei war, so ist es doch nicht leicht, ein Gedicht von 112 Strophen mit je vier solcher Zeilen in ungezwungener, schön klingender Sprache, ohne sinnlose Versfüllsel und vor allem mit erfreuendem lyrischen Inhalt zu gestalten.
4. Der ,,
Wolkenbote"
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Gleich die erste Strophe berichtet, daß ein namenlos bleibender yaksha, ein dienender Geist des Gottes der Schätze, des Kubera, wegen eines Fehlers von seinem Herren für ein Jahr aus dem Reich des Gottes verbannt, auf dem Rämagiri weilte, dessen Gewässer durch das Baden der Sita geheiligt waren. Schwer wog der Fluch des Herren, weil der Geist jetzt die Trennung von seiner Geliebten zu tragen hatte. Das Reich des Kubera lag nach indischem mythologischem Aberglauben noch nördlich des Himalaya, am Nordhang des Transhimalaya (wie wir heute die Gegend geographisch beschreiben würden, in Tibet, das den damaligen Indern noch als fabelhaftes Götterland erschien). Der Rämaberg aber liegt in den zentralindischen Bergen südlich des Gangestales etwa in der Gegend des heutigen Nagpur, nicht weit der Eisenbahn, die Bombay mit Calcutta verbindet. Dazwischen liegt die Gangesebene, das kultivierte Land zwischen den unwirtlichen Bergen. War doch auch dies südliche Bergland von brahmanischer Kultur erst spät berührt worden und ist es mit seinen Bergdschungeln auch heute noch die Heimat zahlreicher primitiver Stämme ohne eine dem Sanskrit verwandte Sprache, die daher von vedischen Zeiten an den Hindu als Fremde und Feinde verhaßt waren. In diese südliche Bergwildnis war der epische Held Räma mit seiner Frau Sita in alter Zeit als verbannter Prinz gezogen, für 14 Jahre verbannt aus der Gangesebene. Nach ihm heißt jener Berg, weil er dort als Einsiedler und Jäger hauste. Sita aber galt den Hindu bis heute als Muster der tugendhaften Frau; sie wurde während der Verbannung dem Räma durch den Dämon Rävana entführt und weilte zwei Jahre bei ihm in Lanka (was Ceylon sein soll), bis Räma sie wiedergewann. Dies rührende Liebesleben des edlen Paares besang Kälidäsa im „Stammbaum des Raghu". Hier im Wolkenboten spielt der verbannte Geist auf Sita an, überzeugt, daß sein geliebtes Weib ihm so treu ist wie Sita dem Räma. Er wird später noch einmal auf diese Geschichte zurückkommen. Zu Beginn der Regenzeit nun sah dieser Geist in seiner Liebestrauer eine Wolke herankommen und er verfiel in langes Sinnen, hielt die Tränen zwar tapfer zurück, aber konnte sich kaum aufrecht halten. Selbst einen Glücklichen beeindruckt die erste Wolke, wieviel mehr einen, der nach der Umarmung der fernen Geliebten verlangt? Nach der unerträglichen, täglich gesteigerten Hitze des Sommers ist der erste Schatten der Wolke und der erste Regen ja für Natur und Mensch wie eine Erlösung. In der Regenzeit aber pflegten auch alle, die wandernd lebten, Kaufleute, ja sogar Wandermönche, zu verweilen, so daß Reisende rechtzeitig heimkehrten, weil in der Regenzeit ein Wandern schlechterdings unmöglich ist. Wie muß also der Verbannte leiden, der jetzt nicht heim darf! Er beschloß, die Wolke um eine Botschaft, daß er noch lebe, an sein Weib zu bitten, und begrüßte die Wolke. Damit ist das Thema der Dichtung angegeben. Die Lage des Geistes ist geschildert. Der Hörer ist voll gerührter Spannung. Da läßt der Dichter, um nicht in Sentimentalität zu versinken und den Leser aufzumuntern, einen Funken Humor aufleuchten:
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Kalidasa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Da ist eine Wolke, die nichts anderes ist als ein Gebilde aus Rauch, Feuer, Wasser und Luft; da ist die Botschaft, die man doch nur Lebewesen überbringen lassen kann. Wie reimt sich das zusammen ? Nun, der Geist in seiner Liebessehnsucht überlegte dies nicht; was schert den Leidenden, ob die Wolke lebt oder nicht. Ein kleinerer Dichter als Kälidäsa hätte es nicht gewagt, die gerührte Stimmung des Lesers oder Hörers gleich zu Anfang durch eine solche kalte Dusche, durch solche ironische Kritik an der eigenen Erfindung zu würzen. Von hier bis zum Schluß des Gedichts spricht der Geist in einem langen Monolog zur Wolke. Seine Rede ist klar gegliedert. Zunächst redet er die Wolke an und schmeichelt ihr, um seines Erfolges sicher zu sein: Ich kenne dich, den Minister des Gottes Indra (der den Regen sendet!), aus dem weltberühmten Geschlecht der Regenwolken entsprossen; gerade deswegen wende ich mich an dich, denn lieber ist mir Mißerfolg bei einem Großen als Erfolg bei einem Niedrigen. So unterwürfig und geradezu lügnerisch (denn man wollte doch Erfolg!) nahte man sich im Despotismus Altindiens einem hohen Herrn, und die Hörer werden geschmunzelt haben über den Geist, der sich in der Bergwildnis vor der Wolke so krümmte, wie sie es selber täglich gewohnt waren. Sei mein Bote und zieh nach Alakä, der Stadt des Gottes der Schätze. Unterwegs werden die Frauen der Wanderer zu dir hinaufblicken, ihre Locken zurückschüttelnd, glücklich seufzend in der Sicherheit, daß ihre Geliebten bald kommen; wenn du nahst, denkt doch jeder Mann fürsorglich an seine Frau, es ist doch sonst keiner in der traurigen Lage, in der ich als Diener meines Herren bin! Laß mich dir erst den Weg beschreiben! Danach wirst du meine Botschaft hören. Geh nach Norden und wende dich dann ein wenig nach Westen. Die Bauersfrauen werden dich mit den Augen trinken; du bringst ja den Feldern Fruchtbarkeit; und wenn sie auch nicht kokette Blicke zu werfen verstehen (wie die höfischen Städterinnen), so sind doch ihre Augen vor Freude und Liebe zu dir feucht. Verweile ein wenig auf einem Berg, an dessen Lianenlauben die'Frauen der wilden Jäger ihre Freude haben. Regne dein Wasser nieder und trinke dir neues Wasser aus den Flüssen. Dann zieh weiter und du wirst zur Residenz Vidisä gelangen und zum Berg Nica, der mit seinen den Duft der Hetären wieder von sich gebenden Felshöhlen die unbändige Jugendkraft der Städter ausplaudert. Ruhe dort aus und zieh weiter, um den holden Blumensammlerinnen Schatten zu spenden. Dein Weg soll nach Norden gehen, aber laß ihn ein wenig ungerade sein, um Ujjayini nicht zu missen; wenn du dich da nicht an den Augen der Frauen freust, die aus Furcht vor deinen Blitzen ihre Blicke aus den Augenwinkeln werfen, bist du um den Lohn deines Wanderns betrogen. Du wirst deine Freude haben an dem dortigen lieblichen Fluß Nirvindhyä und an der weitausgedehnten Stadt, die gleichsam ein Stück des Himmels ist, das die Götter, als sie zur Wiedergeburt
4. Der
„Wolkenbote"
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auf Erden herabkamen, als Rest ihrer frommen Verdienste mitgebracht haben. Götter sind ja nach indischer Seelenwanderungslehre nichts als Menschen, die wegen ihrer Frömmigkeit im Himmel geboren werden, dort ihre religiösen Verdienste aufzehren und dann auf Erden wieder geboren werden. Dabei ist ihnen, meint der Dichter, noch ein Rest Verdienst geblieben, so daß sie ein Stück Himmel auf die Erde verpflanzen dürfen, um dort selig zu leben. So preist der Dichter hier Ujjayini, die Hauptstadt der Gupta, vermutlich seine Heimat. Eben vorher hatte er kurz Vidisä genannt, dessen König der Held im Drama der Mälavikä ist. Überall aber läßt der liebesfrohe Dichter den liebeskranken Geist die Schönen, die die erste Regenwolke freudig und liebevoll begrüßen, schildern, spendet sie doch Schatten und Regen. J a , er stellt auch den Fluß bei der Stadt als eine Frau dar, die vor Sehnsucht nach dem fern weilenden Regen abgemagert ist und jetzt durch das Kommen der Wolke wieder zur Fülle kommt, versteht sich doch die Wolke auf den Liebeszauber. Damit wollte der Geist wohl auf sein eigenes Anliegen hinweisen: Auch seine Geliebte möge die Wolke stärken. Die Wolke soll weiter nach Norden fliegen, über das Kuru-Feld hin, auf dem die Helden des Epos Mahäbhärata gekämpft haben (es liegt westlich von Delhi zwischen Indus- und Gangestal), bis zum Himalaya, wo sie einen Waldbrand löschen möge. Sie soll über den Paß dahinziehen, den die Inder das „Loch der Gänse" nannten; über ihn zogen die Zugvögel im Frühjahr nach Norden auf die Hochebene Tibets, und die Menschen der tropischen Niederung verfolgten fast mit Neid ihren Zug nach dem kühlen Norden. Heutzutage ziehen jeden Sommer viele Pilger diesen Weg zu den Heiligtümern am See Mänasarovar und am Kailäsa, einem Schneegipfel des Transhimalaya 51 ; ob diese Sitte damals schon bestand, ist aus Kälidäsas Gedicht nicht herauszulesen. Einsam dahinziehende Wanderbettler und Pilger pflegte man jedenfalls gerne mit Gänsen, Zugvögeln, zu vergleichen. Auch die Wolke gelangt alsbald zum Kailäsa, den der Dichter den Spiegel der Götterfrauen nennt, auf dem Siva und seine Gemahlin wandeln. Göttermädchen werden dich da als ein Fontänenhaus verwenden, und wenn du ganz leer an Wasser bist und sie dich nicht loslassen, mußt du sie ein wenig mit rauhem Donner schrecken. Du kommst dann zum Mänasa-See und zur Stadt Alakä. — Damit ist — nach der Abteilung in einigen Handschriften und Drucken — der erste Teil des Gedichts abgeschlossen und der Weg der Wolke angegeben. Es folgt der zweite Teil mit der Schilderung der Stadt, des Hauses des Geistes und der geliebten Frau und die Mitteilung der Botschaft an sie. Die Stadt hat herrliche Paläste aus Edelsteinen; auf ihren Dächern kosen Geister mit ihren Frauen. Nördlich vom Palast des Kubera liegt mein Haus, von weitem kenntlich an seinem großen Tor, an einem großen Baum, einem Teich mit einer hinabführenden Treppe und einem kleinen Lustfelsen. Soweit schildert Kälidäsa ein Haus, wie es mit dem luxuriösen Haus eines Vornehmen nach der Schilderung des Lehrbuches der Liebe vergleichbar ist.
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Kalidasa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
Um schnell zu ihr zu gelangen, mußt du dich klein machen wie ein Elefantenkalb und dich auf jenen Lustfelsen setzen, dabei einen Blitz machen, der wie eine Kette von Leuchtkäfern nur ganz wenig leuchtet und ins Hausfällt. Dann wirst du die geliebte Frau sehen. Wie soll die gewaltige Monsunregenwolke zur Geliebten kommen und zu ihr sprechen ? Wie kann sie in ihr Gemach gelangen ? Sie soll draußen bleiben und sich sehr klein machen und nur ein ganz bißchen blitzen; der Blitz ist ja ihr Blick, faßten die Hindu doch den Blick aus dem Auge als einen feinen Feuerstrahl auf, der z. B. bei Katzen im Dunkeln sichtbar wird 52 . — Wenn der Dichter hier die Wolke zur Größe eines Elefantenkalbes einschrumpfen läßt, so wirkt das lustig und soll sicher wieder der Sentimentalität entgegenwirken, besonders an dieser Stelle am Anfang der Schilderung der trauernden Frau. Sie sitzt da, hat ihr Antlitz auf die Hand gestützt, die Augen sind vom vielen Weinen geschwollen, die Schminke auf den Lippen ist vom heißen Seufzen gesprungen, sie opfert gerade oder malt mein Bildnis, oder sie fragt einen Vogel in seinem Käfig, ob er sich meiner, seines Herren, erinnert. Tränen fallen auf die Laute in ihrem Schoß, sie wischt sie ab, aber vergißt die Melodie, die sie selber erdacht hat. Nachts wälzt sie sich schlaflos auf ihrem Lager. Ich weiß, daß ihr Herz voll Liebe zu mir ist. Daher schließe ich, daß sie bei unserer ersten Trennung in solcher Lage ist. Nicht etwa macht die Einbildung, ich sei durch ihre Liebe beglückt, mich geschwätzig. Dir wird, Bruder, in Kürze alles, was ich sage, vor Augen stehen! Dies ist wieder ein besonders feiner Punkt der Dichtung. Der Liebeskranke hat der Wolke ein rührendes Bild der Geliebten entworfen, wie sehr sie leidet, wie stark sie ihn liebt. Es ist nun einmal so, daß die Helden Kälidäsas von ihren Geliebten sehr starke und deutliche Geständnisse ihrer Liebe wünschen, Geständnisse in ihrer Abwesenheit, die die Männer zu belauschen lieben; das wird sich bei Sakuntalä, Urvaöl und Mälavikä zeigen. Diese leidenschaftlichen Männchen sehnen sich nach Zeichen heißer Leidenschaft ihrer Geliebten. Das brauchen sie offenbar als Selbstbestätigung. Nun hat der Verliebte die Liebe seiner Frau sich und der Wolke geschildert und begegnet dem befürchteten, gar nicht erhobenen Einwand: Woher kannst du die Trostlosigkeit der fernen Geliebten so genau schildern ? Bist du denn ihrer Liebe so sicher ? Buhlt sie nicht womöglich mit einem anderen ? Und da entwickelt der liebeskranke Geist, der doch nach des Dichters nüchternem Geständnis so liebevoll ist, daß er einer leblosen Wolke eine Botschaft übergibt, alle Logik und spricht ganz genau von den verschiedenen Mitteln der Erkenntnis. Er schließt auf den jetzigen Zustand der Geliebten aus seinem sicheren Wissen ihrer früheren Liebe; und er versichert, daß die Wolke die Richtigkeit dieses Schlusses bald mit eigenen Augen wahrnehmen wird. Wahrnehmung und Schluß sind ja die beiden grundlegenden Erkenntnismittel der altindischen Logik. Der trauernde Verliebte behauptet, ganz klar zu sehen, nicht verblendet zu sein. Ob er freilich recht hat, bezeugt der Dichter in diesem Gedicht nicht. Er
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„Wolkenbote"
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läßt die Wolke nicht etwa wirklich nach Alakä gelangen. Der Leser mag also nach des Dichters Absicht, vom Dichter selber durch den früheren Hinweis auf den Wahnsinn des verzweifelten Geistes schwankend gemacht, über die Einbildung des armen Geistes lächeln, oder er mag mit ihm hoffen. Gerade dieser Vers, der auf Logik solch Gewicht legt, verwirrt. Stände er nicht da, käme kein Leser auf solche Gedanken. Man kann weiter aus diesem Vers herauslesen, daß der Geist sich selber mit diesem logischen Schluß beruhigen möchte, vielleicht weil ihm unbewußt selber Zweifel gekommen sind. Die Wolke hat jedenfalls keine Zweifel geäußert. Der berühmte Kommentator Mallinätha hat diesen Vers nicht besonders ausgelegt; so ist es für uns heute schwer, zu entscheiden, was der alte Dichter alles mit ihm beabsichtigt hat. Nur das ist sicher, daß der große Dichter an dieser Stelle der-Liebesdichtung wieder, zum dritten Mal, etwas Besonderes, Ernüchterndes, vielleicht einen heiteren und diesmal zugleich bitteren Schuß Wermuth in die rührende Liebesstimmung gegossen hat. Sollte sie schlafen und von mir träumen, laß sie ruhen. Dann aber richte sie durch deinen kühlen Hauch auf. Und wenn sie staunend-starr zum Fenster blickt, das du innehast, halte die Blitze in dir zurück und sprich zu ihr mit deiner Stimme, die Donner ist. Sprich, und du kannst nur mit deiner Donnerstimme sprechen; aber donnere ohne zu blitzen, denn, fügt der gelehrte Kommentator hinzu: Dein Blitz würde sie hindern, auf dein, des Sprechenden Gesicht zu schauen. Stell dich ihr als meinen Boten vor, und sie wird sehnsuchtsvoll seufzend zu dir aufblicken und deine Botschaft gespannt anhören, so wie Sita die Botschaft, die ihr Hanumän von Räma brachte. Hier spielt der Geist wiederum auf die Gattentreue Sltäs an, die, als sie in Lanka gefangen war, von Räma eine Botschaft durch den Affen Hanumän empfing und getröstet wurde. Sage ihr, wie ich leide, wie ich abgemagert bin, wie ich mich nach ihr sehne, wie ich sie mit Erdfarben auf Felswände male, mich dann ihr zu Füßen fallend daneben malen möchte, aber nicht sehen kann, weil die Tränen aus meinen Augen mich hindern. Das Schicksal läßt uns in seiner Grausamkeit nicht einmal im Bilde zusammen sein. — Weißt du noch, wie du einst an meinem Halse hängend schliefst und leise weinend erwachtest, und als ich dich immer wieder fragte, endlich lächelnd sagtest: Ich träumte, wie du eine andere liebtest ? Wer weiß dies, außer uns beiden ? Sei also sicher, daß diese Botschaft der Wolke tatsächlich von deinem Geliebten kommt. Deswegen höre nicht auf das Gerede der Menge („Er ist sicher längst gestorben") und vertraue mir, daß ich bald wiederkomme. Hast du sie so getröstet, komme eilig, vom Winde getrieben, zurück, bringe mir ein Erkennungszeichen von ihr und die Nachricht, daß es ihr gut geht. Dann geh, wohin du magst! Hilfst du mir, dann mögest du gedeihen, mögest von Regen strotzen und nie ohne den Blitz, der ja deine Geliebte ist, sein.
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Es ist nicht ganz klar, wie Kälidäsa es sich dachte, daß die Wolke wieder zu ihm kommen soll. Durch das ganze Gedicht hindurch herrscht die Vorstellung des Monsuns, der die Regenwolken nach Norden treibt. So tut er während der Sommermonate etwa vom Juni bis September. Ein winterlicher Monsun weht dagegen etwa im Januar-Februar von Nordwestindien das Gangestal abwärts, also etwa ostsüdöstlich53. Dabei ist aber der Himmel fast wolkenlos. Sonst könnte man annehmen, daß Kälidäsa mit der Rückkehr des Wolkenboten im Januar rechnete, sieben bis acht Monate nach seinem Aufbruch im Juni. Eine so lang dauernde Reise ist bei der gewaltigen Entfernung und altindischen Reisegeschwindigkeiten nicht so unpassend. An was für Wanderungen konnte ein altindischer Dichter denn denken? Ob damals schon Pilger in den Sommermonaten zum Kailäsa zogen wie heute, ist unsicher. Aber fromme Wanderbettler aller indischen Religionen, brahmanische, buddhistische, jinistische usw. gab es sicher", die ständig unterwegs sein mußten und nur während der Regenzeit in einem Dorf, Kloster usw. verweilen durften. Aber auch Männer und Frauen, die nicht Berufsmönche waren, wanderten häufig zu heiligen Stätten, von Tempel zu Tempel über weite Strecken. Von solchen frommen Wanderungen erzählt das Epos Mahäbhärata z. B. bei Baladeva, und in den Puränen findet man manchmal solche Wanderwege mit ihren Heiligtümern und deren Lokalsagen. Weiter kannte Kälidäsa aus dem Epos Heereszüge oder Siegeszüge einzelner Helden oder kleiner Heldengruppen, die sie manchmal um ganz Indien herumführten. Von dem Helden Arjuna wird da mit epischer Breite erzählt, wie er vom mittleren Gangestal der Gegend von Delhi erst nach Norden und Osten, dann nach der Südostküste, nach der Südwestküste, nach dem Westen und Nordwesten Indiens zog, überall die Könige besiegte, Abenteuer mit schönen Frauen menschlicher und übermenschlicher Art usw. hatte und schließlich heimkehrte54. Im Epos Rämäyana aber wird dies alte Schema der „Besiegung der vier Himmelsrichtungen" da verwendet, wo Sita, die dem Räma entführte Frau, gesucht werden soll. Die Affen des Dekkhan stellen sich dazu zur Verfügung, und ihr König teilt sie in vier Gruppen, die je eine Himmelsrichtung durchstöbern sollen. Der epische Dichter prunkt in diesen Kapiteln geradezu mit seinen geographischen Kenntnissen55. Nach Süden aber wird der besonders kluge und geschwinde Affe Hanumän ausgesandt, der angeblich ein Sohn des Windgottes war; ihm gelang es denn schließlich auch, Sita in Lanka, der Insel, die die Hindu mit Ceylon gleichsetzen, zu finden. Mit aller Vorsicht nahte er sich ihr, um sie nicht zu erschrecken, und brachte ihr von Räma seinen Ring als Erkennungszeichen, als Ausweis seiner Vertrauenswürdigkeit. Sie meinte nämlich, der Affe Hanumän sei niemand anders als der Dämon Rävana, der sie entführt und jetzt in seiner Gewalt hatte, in einer Affenverwandlung, um sie zu vergewaltigen. Durch den Ring Rämas überzeugt, läßt sie sich trösten, daß Räma bereit sei, sie zu befreien. Auf Hanumäns Bitte erzählt sie ihm dann ein Erlebnis zwischen ihr und Räma, das sonst niemand kennt. Nach manchen Abenteuern gelingt es Hanumän, zu Räma zurückzukehren, und er berichtet ihm von Sitäs erzählten Erlebnis als Zeichen, daß er sie wirklich
4. Der
„Wolkenbote"
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getroffen und gesprochen hat, und tröstet Räma darüber, daß sie lebt und treu auf ihn wartet. Daß Kälidäsa diese epische Episode des Rämäyana gekannt hat, steht außer Zweifel, denn er hat den Inhalt des ganzen Epos in seinem „Stammbaum des Raghu" nacherzählt 56 . Er hat da aber diese Affenepisode nur sehr kurz abgetan 57 , hat z. B. das Motiv des von Sita erzählten Erlebnisses an dieser Stelle fortgelassen, gerade sie erinnert aber an die Erwachenszene, die Kälidäsa dem Geist im „Wolkenboten" in den Mund legt. Es ist weiter hervorzuheben, daß Räma bei der Aussendung des Affen Hanumän nur eine geringe Rolle neben dem Affenkönig spielt. Dieser ordnete alles an, und nur, als Hanumän von ihm nach Süden geschickt wurde, dachte Räma, daß dieser Affe für die Aufgabe geeignet ist, gab ihm seinen Ring als Erkennungszeichen, damit Sita sieht, er sei von ihm geschickt, und sich nicht erregt 58 . Räma gedenkt hier mit keinem Wort der Leiden seiner entführten Frau. Er trägt auch dem Affen keine Botschaft an sie auf. Und vorher, als Räma den Affenkönig um seine Hilfe bat, dieser das riesige Affenheer zusammenrufen ließ und Räma aufforderte, zu befehlen, was geschehen solle, lehnte Räma es ab, einen Befehl zu geben, bat nur zu erkunden, ob Sitä noch lebe oder nicht und wo ihr Ort sei 59 . Wenn nun Kälidäsa in seinem „Wolkenboten" ausdrücklich darauf hinweist, daß die Frau des Geistes zur Wolke seufzend aufblicken wird, wie Sitä zu dem Affen, wenn er auf diese Weise seine Dichtung für den Hörer neben die alte, berühmte epische Episode stellt, so kann man darin geradezu einen gewissen Vorwurf gegen Rämas Gefühlskälte sehen: Auch er hätte, wäre er ein liebevoller Gatte gewesen, dem Affen eine zärtliche, tröstende Botschaft auftragen sollen. In seiner Nacherzählung des Epos im „Stammbaum des Raghu" hat Kälidäsa an dieser Szene nichts geändert. Er hat in seinem Epos aber an anderer Stelle, wie sich unten zeigen wird, in ganz ähnlichem Sinne den epischen Räma ausdrücklich kritisiert. Gerade das gibt uns ein Recht, den „Wolkenboten" ebenfalls als eine feine, kaum angedeutete Kritik an dem Helden Räma aufzufassen. Das läßt uns erst diese lyrische Dichtung etwas besser würdigen. Vielleicht kann man daraus aber auch schließen, daß Kälidäsa, gerade weil er diese Kritik am Epos des Räma bereits gedichtet hatte, in seinem „Stammbaum des Raghu" eine entsprechende Änderung der Stelle (im Unterschied zu seiner erwähnten Änderung) unterlassen zu können meinte. Sollte sich indessen herausstellen, daß der „Stammbaum des Raghu" älter als der „Wolkenbote" ist, so müßte man schließen, daß Kälidäsa erst nachher zur Einsicht der Notwendigkeit einer solchen Kritik gelangt ist. Im Epos Rämäyana wird erzählt, wie Räma nach seinem Sieg in Lanka mit Sitä auf dem Götterwagen Pushpaka durch die Luft nach seiner Hauptstadt Ayodhyä nördlich des Ganges zurückkehrte 60 . Fliegend zeigt er ihr die Stätten seiner einstigen Wanderung nach Süden. Diesen epischen Gesang hat Kälidäsa im „Stammbaum des Raghu" ebenfalls in einem ganzen Gesang 61 , und sogar verhältnismäßig ausführlicher als im Epos wiedergegeben. An diesem herrlichen
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Kalidasa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
epischen Gesang hat der klassische Dichter also große Freude gehabt, und es ist anzunehmen, daß gerade er ihn mit bei seinem „Wolkenboten" angeregt hat. Man muß weiter bedenken, daß märchenhafte Liebesboten in anderer Form dem Kälidäsa sicher aus älterer Literatur bekannt waren. Hier sei nur an die Geschichte des Prinzen Nala und der Prinzessin Damayanti erinnert, die ausführlich im Epos Mahäbhärata erzählt wird. Beide lieben sich, weil sie voneinander nur Gutes und Schönes gehört haben. Sie haben sich aber nie gesehen. Da fängt eines Tages Nala im Wald eine Wildgans; sie bittet ihn um ihr Leben und verspricht ihm dafür von sich aus, zu Damayanti zu fliegen und ihn vor ihr als einen ihrer würdigen Gemahl zu preisen. Er läßt sie frei, sie fliegt zur Prinzessin und kehrt mit deren Liebesbotschaft zum Prinzen zurück. 62 So konnte Kälidäsa aus dem Born alter volkstümlicher Dichtung schöpfen. Aber, was er daraus entnahm, gab er in der sehr kurzen Rahmengeschichte nur knapp wieder. Meisterhaft kurz ist die erzählende Einleitung bei ihm. Wichtiger waren ihm aber die folgenden drei Hauptteile: 1. die Beschreibung des Weges der Wolke, 2. die wehmutvolle Schilderung der beiden Liebenden, erst der Frau in großer Breite, dann die des Mannes etwas kürzer, und 3. die Botschaft, die geradezu in die Form eines Briefes gekleidet ist und mit der üblichen Frage, ob es der Dame auch wohl gehe, beginnt. Nun, Liebesboten mit mündlichem Auftrag oder einem Liebesbrief spielten in der damaligen vornehmen Gesellschaft eine beträchtliche Rolle. Das Gedicht schließt dann mit einer Strophe, die einen passenden Segenswunsch des dankbaren Geistes an die Wolke enthält: Möge die Wolke nie von ihrer Blitz-Geliebten getrennt werden, wie es doch dem Geist geschah. Die Trennung der Liebenden ist das Thema dieses lyrisch-idyllischen Gedichts, und sie ist das Thema auch der anderen Werke des großen Kälidäsa. Er ist der altindische Sänger der Liebe. Gerade in der Trennung der Liebenden aber wird die Liebe zum dichterischen Vorwurf: Schmerz der Trennung und Seligkeit der Wiedervereinigung. Im „Wolkenboten" fällt eine Begründung der Trennung fort, der Geist hat sich irgendwie gegen seinen Herren Kubera vergangen und wird für ein Jahr verbannt. Er selber spricht seinem Wolkenboten gegenüber nicht gerne von seiner Verfehlung, spricht lieber von „schicksalhafter" Verbannung 63 , mit einem Fatalismus, der, wie das altindische Staatslehrbuch des Kautalya lehrte, nur eine Ausrede des Schwachen, Erfolglosen ist. In seinen anderen Dichtungen hat Kälidäsa auf genaue Begründung der Trennung mehr Gewicht gelegt. Hier war ihm die lyrische Schilderung der Liebenden an sich alleine wichtig. Daß die Trennung des Paares zu einem glücklichen Ende kommen wird, daran zweifelt der Hörer nicht. Der Fluch des Kubera war ja von Anfang an auf ein Jahr begrenzt, und der Geist ist bei all seiner Trauer zuversichtlich. Mit diesem Optimismus, der durch all seine Gedichte über getrennte Liebende durchgeht, stellte sich der äivaitische Dichter in Gegensatz zum Pessimismus der Buddhisten und anderer asketischer Religionen, die gerade die Trennung von Liebenden als Muster des angeblich allgemein menschlichen Elends hinzustellen pflegten. Auch
5. „Die Geburt des
Kriegsgottes"
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im Sivaismus gab es asketische Richtungen, aber Kälidäsa liebte bei all seiner Frömmigkeit frohen Lebensgenuß. Er zeichnete sogar in seinem höchsten Gotte Siva selber das Bild des vom Asketen zum Liebenden sich emporentwickelnden Mannes (s. u. „Geburt des Kriegsgottes").
5. „Die Geburt des
Kriegsgottes"
Von diesem epischen Gedicht 64 des Kälidäsa ist uns nur der erste aus acht Gesängen bestehende Teil erhalten. Die Geburt des Kriegsgottes selber und sein Sieg über die Dämonen wird in ihm nicht behandelt, nur die Geschichte der entflammenden Liebe seiner Eltern, das Gottes Siva und der Göttin Pärvatl. Ein späterer Dichter hat einen zweiten Teil hinzugedichtet. Ob Kälidäsa selber das Gedicht unvollendet ließ oder der zweite Teil verloren ging, ist einstweilen unentschieden. Aber auch als Bruchstück ist diese Dichtung aller Bewunderung wert. Es handelt von einem Mythos Sivas, zu dessen Verständnis man aber einen anderen Mythos kurz vorausschicken muß. Siva heiratete einst Umä oder Sati, die Tochter des Daksha. Dieser veranstaltete ein großes Opfer, lud aber seinen Schwiegersohn Siva nicht dazu, weil er arm, grausig, mit Asche von Leichen bestreut usw. ist. Umä war darüber so schwer gekränkt, daß sie sich in einem Feuer den Tod gab. Von daher nennen die Hindu eine Frau, die ihrem Manne freiwillig in den Tod, auf den Scheiterhaufen folgt, eine sati, eine „wahre" Frau. Über diesen Verlust seiner geliebten Frau aber ergrimmte Siva derartig, daß er Dakshas Opfer vernichtete. Er ließ durch seine Helfer, vor allem den schrecklichen Virabhadra, Daksha und seine Gäste zusammenschlagen. Siva war eben ursprünglich kein Gott der vedischen Stämme und Priester, sondern der vorvedischen Gesellschaft des 3. Jahrtausends im Panjab gewesen und bekam erst unter religiösen Streitigkeiten später seinen Platz im brahmanischen Pantheon 65 . Sati wurde als Pärväti wiedergeboren, d. h. als Bergtochter, als Tochter des Himalaya, der als Gott aufgefaßt wird. Sie sollte wiederum mit Siva verheiratet werden und Mutter des Kriegsgottes werden. Die Weltgeschichte stellten die sivaitischen und vishnuitischen Brahmanen nämlich als einen Jahrmillionen lang währenden Krieg der Götter gegen die Dämonen, die Asura, dar. In immer neuen Dämonengenerationen erheben sie sich als Usurpatoren und erobern die Weltherrschaft über alle Himmel und Erdweiten. Als grausame Despoten unterdrücken sie die Menschen, Götter und Geister der verschiedensten Bereiche, und immer wieder muß nach der Lehre der Vishnuiten Vishnu in verschiedenen Menschwerdungen dem Guten zum Siege verhelfen, oder nach der Lehre der Sivaiten Siva, oder auch sein Sohn, denn Siva selber ist kein Kämpfer, sondern, wie gegen Dakshas Opfer Virabhadra wütete, so sollte gegen den Dämon Täraka Sivas Sohn, der Kriegsgott Kumära, kämpfen und siegen. 3
Rüben
5. „Die Geburt des
Kriegsgottes"
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im Sivaismus gab es asketische Richtungen, aber Kälidäsa liebte bei all seiner Frömmigkeit frohen Lebensgenuß. Er zeichnete sogar in seinem höchsten Gotte Siva selber das Bild des vom Asketen zum Liebenden sich emporentwickelnden Mannes (s. u. „Geburt des Kriegsgottes").
5. „Die Geburt des
Kriegsgottes"
Von diesem epischen Gedicht 64 des Kälidäsa ist uns nur der erste aus acht Gesängen bestehende Teil erhalten. Die Geburt des Kriegsgottes selber und sein Sieg über die Dämonen wird in ihm nicht behandelt, nur die Geschichte der entflammenden Liebe seiner Eltern, das Gottes Siva und der Göttin Pärvatl. Ein späterer Dichter hat einen zweiten Teil hinzugedichtet. Ob Kälidäsa selber das Gedicht unvollendet ließ oder der zweite Teil verloren ging, ist einstweilen unentschieden. Aber auch als Bruchstück ist diese Dichtung aller Bewunderung wert. Es handelt von einem Mythos Sivas, zu dessen Verständnis man aber einen anderen Mythos kurz vorausschicken muß. Siva heiratete einst Umä oder Sati, die Tochter des Daksha. Dieser veranstaltete ein großes Opfer, lud aber seinen Schwiegersohn Siva nicht dazu, weil er arm, grausig, mit Asche von Leichen bestreut usw. ist. Umä war darüber so schwer gekränkt, daß sie sich in einem Feuer den Tod gab. Von daher nennen die Hindu eine Frau, die ihrem Manne freiwillig in den Tod, auf den Scheiterhaufen folgt, eine sati, eine „wahre" Frau. Über diesen Verlust seiner geliebten Frau aber ergrimmte Siva derartig, daß er Dakshas Opfer vernichtete. Er ließ durch seine Helfer, vor allem den schrecklichen Virabhadra, Daksha und seine Gäste zusammenschlagen. Siva war eben ursprünglich kein Gott der vedischen Stämme und Priester, sondern der vorvedischen Gesellschaft des 3. Jahrtausends im Panjab gewesen und bekam erst unter religiösen Streitigkeiten später seinen Platz im brahmanischen Pantheon 65 . Sati wurde als Pärväti wiedergeboren, d. h. als Bergtochter, als Tochter des Himalaya, der als Gott aufgefaßt wird. Sie sollte wiederum mit Siva verheiratet werden und Mutter des Kriegsgottes werden. Die Weltgeschichte stellten die sivaitischen und vishnuitischen Brahmanen nämlich als einen Jahrmillionen lang währenden Krieg der Götter gegen die Dämonen, die Asura, dar. In immer neuen Dämonengenerationen erheben sie sich als Usurpatoren und erobern die Weltherrschaft über alle Himmel und Erdweiten. Als grausame Despoten unterdrücken sie die Menschen, Götter und Geister der verschiedensten Bereiche, und immer wieder muß nach der Lehre der Vishnuiten Vishnu in verschiedenen Menschwerdungen dem Guten zum Siege verhelfen, oder nach der Lehre der Sivaiten Siva, oder auch sein Sohn, denn Siva selber ist kein Kämpfer, sondern, wie gegen Dakshas Opfer Virabhadra wütete, so sollte gegen den Dämon Täraka Sivas Sohn, der Kriegsgott Kumära, kämpfen und siegen. 3
Rüben
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Kalidüsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
Soviel wußte jeder Hindu von sivaitischer Mythologie und das konnte Kälidäsa voraussetzend Er begann sein Gedicht mit der Geburt der Pärvatl. Eine Tages kam der himmlische Weise und Lautenspieler Närada, von dem viele Legenden erzählt wurden, durch die Luft geflogen und sah die Jungfrau Pärvatl an der Seite ihres Vaters, des Himalaya. Da wies er auf sie als die künftige einzige Trau des Siva. Daraufhin verzichtete der Berggott darauf, sich nach einem anderen Freier umzusehen, wenn die Tochter auch schon zur Jungfrau herangereift war. Andererseits war er auch nicht in der Lage, sie dem Gotte zu übergeben, hatte Siva doch nicht um sie gebeten. Nach Hinduglauben muß die Prophezeiung eines Himmlischen wie Närada wahr werden, er kann nichts sagen, was nicht stimmt. Der Vater eines Mädchens war nach Hindusitte für die rechtzeitige, sehr frühe Verheiratung seiner Tochter mit zehn bis zwölf Jahren verantwortlich. Der Himalaya kann aber jetzt weder einen anderen Freier suchen noch einen Gott wie Siva von sich aus ansprechen. Für Pärvatl und ihre Schicksal war diese schwierige Ausgangssituation entscheidend. Siva aber, der Witwer, wollte von keinem Weibe mehr etwas wissen und büßte als Yogi an einem Hang des Himalaya. Der Berggott gab ihm seine Tochter als Dienerin. Sie pflückte ihm Blumen für seinen Altar, holte Wasser für seine Waschungen usw., und der Gott nahm trotz seiner Askese ihre Dienste an. Im Mahäbhärata wird einmal erzählt, wie ein König seine Tochter den Feuergott Agni, sein Herd- und Opferfeuer in seinem Hause, bedienen ließ und das Mädchen vom Gotte geschwängert wurde 66 . An solche Legenden mag der Dichter bei der Ausmalung dieser Szene gedacht haben. Es wird auch sonst von anderen erzählt, daß ein Vater etwa einem Gläubiger, dem er seine Schuld nicht zurückzahlen kann, statt dessen seine Tochter an Zahlungsstatt gibt, also als Sklavin verkauft, der Empfänger sie aber als seine Frau nimmt und hält, ist doch die Lage der Frau in der altindischen Sklavenhaltergesellschaft der einer Sklavin sehr ähnlich gewesen. In anderen altindischen Geschichten wird mehr oder weniger lustig erzählt, wie Asketen durch schöne Mädchen verführt wurden, wie z. B . eine verschmitzte Hetäre einem frommen Asketen klar macht, er dürfe sich getrost mit ihr ein wenig vergnügen, denn er könne ja seine Versündigung durch die Macht seiner harten Buße später leicht und schnell wiedergutmachen 67 . Was der Berggott Himalaya sich bei seiner Handlungsweise gedacht hat, das hat der Dichter nicht ausgesprochen oder auch nur angedeutet. Er hoffte vermutlich, daß der asketische Schwiegersohn aus seinem Weiberhaß erwachen und sein Schicksal und das seiner Tochter erfüllen würde, ohne dabei über die Einzelheiten, wie das geschehen würde, nachzudenken. Er stellte dem Gast an seinem Berghang seine Tochter, sein Teuerstes, als Sklavin zur Verfügung, das konnte er als seine Pflicht ausgeben. Damals versprach Gott Brahma, der Allwissende, den Göttern einen Sohn Sivas und der Pärvatl als Retter der Welt gegen den Dämon Täraka, und der göttliche Himmelskönig Indra machte sich daran, dem Geschick nachzuhelfen^
5. „Die Geburt des
Kriegsgottes"
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Er gewann den Liebesgott, der ihm gerne helfen wollte, Siva mit seinem Pfeil ins Herz zu treffen. Der Liebesgott, Käma, zog mit dem verführerischen Frühlingsgott, begleitet von seiner Frau Rati, zum Himalaya, wo die vielen Asketen kaum ihre aufsteigenden Gefühle unterdrücken konnten, die Tiere in Brunst entbrannten usw. Nur vor Siva versagte die Kunst des Liebesgottes. Da kam gerade Pärvati, deren rote blütengleiche Lippen von einer Biene lästig umsummt waren, zum Gotte Siva, und in demselben Augenblick stellte Siva seine Yogaübung ein. Der Dichter vermied es, plump zu sagen, daß der Gott des schönen Mädchens wegen aus seiner Yoga-Versenkung erwacht wäre; ein echter Yogi läßt sich j a von einem Weibe nicht beeindrucken. Aber Kälidäsa leugnete auch keinen Zusammenhang zwischen dem Kommen des Mädchens und dem aus seiner Starre erwachenden Gott, und das sicher mit Absicht, denn er war jetzt bei dem schwierigen und geradezu für einen Frommen heiklen Thema der Macht der Liebe und der Stärke des Yoga angelangt, das Kälidäsa zugunsten der Liebe entscheiden wollte, ohne es aber wagen zu können, seinen Siva als einen leichthin Verführten hinzustellen. Siva durfte nicht schuldig werden und seine Yogamacht durch ein Mädchen verlieren. Kälidäsa wollte ja nicht leugnen, daß es Yoga als eine geradezu übermenschliche magische Macht gibt. Das taten nur die Materialisten und erklärten höhnisch, daß Yoga doch sehr vergänglich wäre, denn jeder Asket würde schon vom bloßen Hunger getrieben, gelegentlich mit seiner Askese Schluß zu machen 68 . Soweit wollte Kälidäsa nicht gehen; er wollte aber doch als warmblütiger Mensch darstellen, daß Liebe auch Askese bezwingen kann. Nur mochte er das nicht so geradezu sagen, sondern mühte sich, das Aufeinandereinwirken des göttlich-menschlichen Paares ganz genau und, ohne einen der beiden als Verführerin oder Verführten zu beschuldigen, darzustellen. E r wollte auch nicht einfach die schicksalhafte Notwendigkeit der Geburt des Kriegsgottes als Entschuldigung für die Liebe des Asketen ausgeben, wie es einem Frommen an sich wohl genügt hätte. Er war Dichter, er wählte sich diesen mythologischen Stoff gerade deswegen, weil er an ihm seine wahrhaft menschliche große Kunst bewähren konnte, und jeder Leser wird zugeben, daß ihm seine schwere Aufgabe meisterhaft gelungen ist — nur hat bisher noch kein Dichter uns Deutschen diese feinen Szenen des indischen Klassikers in eine ebenbürtige Sprache übertragen; und in Prosa seine Verse zu umschreiben ist für einen Philologen genauso hoffnungslos. Genug, der Gott spürte ein Rühren, faßte sich aber sofort wieder, erblickte den Liebesgott mit seinem aufgelegten Pfeil und verbrannte ihn voll Zorn mit dem Feuerstrahl aus seinem dritten Auge, das Siva auf der Stirn trägt, zu Asche. Der Asket Siva entflammt hier zwiefach, in Liebe und Zorn. Seine Liebe ist noch keimhaft, sein Zorn ist ausgewachsen und tödlich. Ist er aber so noch Asket ? Ein buddhistischer Asket soll still, friedlich, demütig und sanft sein. Aber es gab nun einmal im Leben Asketen ganz anderer Art, Bettler, die, erhielten sie nicht von der Hausfrau sofort ihre milde Gabe, schnell mit einem grausamen Fluch 3*
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Kdlidäsa - Die menschliche Bedeutung seiner Werke
bei der Hand waren, Sie waren eine schwere Last, besonders für die armen Frauen, und nicht umsonst sagte ein Sprichwort: Die Hausfrau setzt das Essen aufs Feuer, selbst wenn sie weiß, daß Yogis kommen und es ihr abbetteln 6 9 . Man ißt j a auch Fische, selbst wenn sie Gräten haben. Materialisten pflegten solche Sprüche gerne gegen Weitabgewandte zu zitieren, um zu sagen, daß unser Leben zwar elend ist, aber doch liebens- und lebenswert. Das Volk aber hatte aus solchen garstigen, lästigen Bettlern den mythologischen Typ des Asketen Durväsas geschaffen, der in Epen und auch in Kälidäsas Sakuntalä unheilvoll auftrat. Siva ist hier solch ein bösartiger Heiliger, der im Zorn sofort tötet. Andererseits sind Liebe und Zorn zwei Leidenschaften, die ein gebildeter Hindu mit Selbstbeherrschung abtun sollte. Indessen war das praktische Leben solcher Morallehre nicht immer günstig, insbesondere im Despotismus der altindischen Sklavenhaltergesellschaft und des Feudalismus. Im Staatslehrbuch des Kautalya wird solche Selbstbeherrschung als grundlegend behandelt. Aber es wird da auch ein Staatslehrer Bhäradväja angeführt, der dem Despoten Liebe und Zorn nicht nur erlaubte, sondern sie geradezu als Mannestugenden pries 70 . Bei Siva nun, dem höchsten Gotte, der wie ein kosmischer Despot vorgestellt wurde, von dessen unverständlicher Laune alles Geschehen in Natur und Gesellschaft abhängen soll, werden immer wieder die beiden Seiten deutlich, die übermenschliche Liebesleidenschaft und der tödliche Zorn. Auch seine Selbstbeherrschung ist übermenschlich, yogihaft. Seine Doppelseitigkeit als zeugender und vernichtender Gott aber ist das Bezeichnende dieses Gottes, der zugleich der typische Repräsentant des Hinduismus ist, dieser Religion, die Karl Marx als die Religion des Mönchs und der Bajadere bezeichnet hat 7 1 . Alle drei Seiten, die an sich unerschütterliche asketische Weitabgewandtheit, der vernichtende Zorn und die maßlose Liebesglut dieses Gottes aber hat Kälidäsa in dieser Dichtung mit größter Kunst dargestellt, seinen Zorn freilich nur an dieser einzigen Stelle. Kälidäsa ließ dieser Schreckensszene die der Trauer der Rati folgen, eine Totenklage um den Liebesgott, wie sie im Alten Orient in den Klagen um den Frühjahrsgott Adonis, Tammuz usw. seit Jahrtausenden üblich war, im indischen Epos, der tatsächlichen Sitte entsprechend, in der Klage der klugen Tärä um ihren erschlagenen Gatten, den Affenkönig Välin 7 2 im Rämäyana, im Mahäbhärata aber in der Klage der Witwen auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra unter Führung der greisen Gändhäri belegt ist 7 3 , und bei Kälidäsa ihr männlich-unmännliches Gegenstück im „Stammbaum desRaghu"in der Klage des Königs Aja um seine gestorbene geliebte Indumati fand. Siva wird, so wird der Göttin Rati verheißen, den Liebesgott wiederbeleben, wenn er mit PärvatI verheiratet sein wird. Diese Verheißung hält sie ab, dem Gatten in den Tod zu folgen, weist aber auch den Hörer wieder auf das unausweichliche Schicksal Sivas und Pärvatls hin. Siva verschwand, um die Nähe des Mädchens zu vermeiden. Der große Gott und Asket war sich offenbar bewußt, daß er seines Herzens nicht mehr sicher war.
5. „Die Geburt des
Kriegsgottes"
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Pärvati aber, vom schicksalsbestimmten Gatten nicht beachtet, beschloß, sich den Gott durch Askese zu erzwingen, und ihr Vater gab ihr dazu die Erlaubnis. Am Gaurisankar trieb sie harte Buße, entzündete um sich herum im Sommer vier Feuer, und die Sonne brannte sie als fünftes. Im Winter kasteite sie sich im Wasser. Sie aß nur verwelkte, abgefallene Blätter, und schließlich gab sie auch diese Nahrung auf. Kälidäsa mag bei dieser Vorstellung der entschlossenen Büßerin an eine Episode im Rämäyana gedacht haben, in der Vedavati, eine menschliche Prinzessin, am Himalaya Yoga trieb, um Vishnu, den ihr vom Vater bestimmten Gatten zu erringen. Ein Dämon wollte sie vergewaltigen, wie sie alleine im wilden Dschungel dasaß, sie aber verbrannte sich im Feuer und wurde als Sita wiedergeboren, die Räma, die Fleischwerdung Vishnus heiratete 74 . Buddhismus und Jinismus erkannten Frauen als Nonnen an, und auch im Brahmanismus finden sich gelegentlich weibliche Wanderbettler. In Kälidäsas ,,Mälavikä"-Drama kommt eine solche Frau vor, im Mahäbhärata diskutiert die Nonne Sulabhä mit König Janaka über philosophische Fragen usw. Es ist für uns aber schwer nachzuempfinden, was eine solche Asketin, eine solche willensstarke Jungfrau für den Dichter und den alten Hörer erlebnismäßig bedeutete. Zumindest stellte Kälidäsa hier die Frau als dem Manne gleichberechtigt hin. Beide Götter ergeben sich dem Yoga, er, um jegliche Liebe abzuwehren, sie, um seine Abwehr zu überwinden, nicht etwa aus Liebe (von der macht der Dichter hier noch keinerlei Andeutung), sondern weil der Gott ihr Schicksal ist und sie nur ihm, aber niemand anderen, ihm aber auf alle Fälle angehören muß. Ihr Yoga wird, das weiß der Hörer, erfolgreich sein, aber wie? Gewinnt die Göttin den Gott durch die magische Macht des Yoga, wie sie altindischer Aberglaube immer wieder dem Yoga zuschrieb ? Oder durch die Macht des Schicksals oder durch die Stärke der Liebe ? Läßt der Gott sich durch die Standhaftigkeit des edlen Mädchens rühren oder (und) durch die Macht des vergebens getöteten Liebesgottes? Der Dichter gibt auf diese Fragen keine Antwort; offenbar wollte er diese Möglichkeiten unklar lassen und auf keinen Fall ausdrücklich versichern, der asketische allmächtige höchste Gott, sein Siva, sei wie ein sterblicher Mann der Liebe verfallen, sei vom Yoga abgefallen. Ein abgefallener Yogi, ein abtrünnig gewordener Asket wurde ja nach indischem Recht ein Sklave des Königs. Wer Asket wurde, trat damit aus seiner Kaste heraus, konnte in sie aber nicht wieder eintreten und verfiel als einzelner, nicht mehr durch seine Kaste Geschützter, der Willkür des Despoten, der solche unglücklichen Wesen gerne als Spione verwendete 75 , kamen sie doch viel herum, hörten viel, galten als heilig usw. Kälidäsa stellt uns Siva aber auch bis zum Ende des uns erhaltenen Bruchstückes nicht noch einmal als Yogi hin. Vorsichtig hüllte er dieses in Dunkel. Zur Büßerin trat eines Tages ein Jüngling, ein Brahmanenschüler, lobte ihren Eifer, durchschaute sie, daß sie eines Mannes wegen so hart strebe, und verdachte es ihr — dies alles nur in Form zart andeutender Fragen — daß sie den Mann umwerbe, und ihm, daß er sie nicht umwerbe. — Sie schwieg schamhaft, eine Freundin antwortete ihm wahrheitsgemäß. Da riet
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
der Jüngling ihr von Siva ab, er sei grausig häßlich, arm und ihrer unwürdig. Pärvati aber öffnete jetzt stolz den Mund und weigerte sich, solche Anschwärzungen des Gottes von einem, der ihn nicht kenne, anzuhören. Sie wollte fortlaufen, da nahm der Jüngling — es war Siva selber — sie lächelnd in seine starken Arme und erklärte sich für ihren Sklaven, durch ihre Askese gekauft. Um sich von ihrer Liebe und Festigkeit zu überzeugen, naht der Gott sich ihr als jugendlicher Versucher in Verwandlung, aber nicht als Lauscher, wie Dushyanta seine Sakuntalä belauschte. Sie hält stand, aber doch nur, indem sie flüchtet, der Form nach ähnlich und dem Inhalt nach doch ganz anders als Siva, der einstmals vor ihr geflüchtet war. Pärvati ist nicht etwa durch den schönen Jüngling berührt, sie fühlt allenfalls, daß eine solche Unterredung mit einem, der ihren künftigen Gatten angreift, ihr unmöglich ist. Der Gott ist gewonnen, er umfaßt sie, die Fliehende, aber Pärvati läßt ihm durch ihre Freundin sagen, nur ihr Vater könne sie ihm geben. Die züchtige Jungfrau läßt sich nicht nehmen, sie besteht auf der Sitte rechtmäßiger Werbung und Heirat. Der Dichter schildert nicht, wie sie sich den Armen des Gottes entwindet. Er läßt sie aber grundsätzlich anders handeln als Sakuntalä, die sich dem geliebten Manne schnell hingibt. Aber auch Siva, der leidenschaftlich liebende und zürnende Gott, versucht gar nicht, dieses Mädchen verführen, geschweige vergewaltigen zu wollen. Siva sendet die „Sieben Weisen" der alten Mythologie samt ArundhatI, der Frau des ersten von ihnen, zum Berggott Himalaya. Gerade auf die Frau legte er Wert; es ist falsch, an sich den Mann über die Frau zu stellen, ihr Handeln ist entscheidend. Kälidäsa, der große Liebende, stellt hier die Frau in ausgesprochenem Gegensatz zur altindischen erstarrten patriarchalischen Familiensitte als grundsätzlich gleichberechtigt neben den Mann. Er spricht hier aus, was im Grunde durch sein ganzes Gedicht weht. Den Werbern spricht der Gott nicht etwa von seiner Liebe, sondern nur von seiner schicksalhaften kosmischen Aufgabe; er handle nie aus Eigennutz. Bis zu diesem Punkt war nie davon die Rede, daß der Gott von dieser Aufgabe überhaupt wußte. Kälidäsa traute ihm der Hindureligion entsprechend sicher das Attribut der Allwissenheit zu, aber er ließ ihn in seiner Dichtung bis auf diese eine Stelle nur als Mann, als langsam verliebt werdenden Witwer und Asket handeln. Eine solche echt menschliche Entwicklung aber wäre unmöglich eindrucksvoll zu schildern, wiese man alles persönliche Geschehen der Macht eines unpersönlichen Schicksals zu. Die Werbung geht in aller aristokratischen Vornehmheit vor sich. Das Mädchen steht mit niedergeschlagenen Augen neben dem Vater und zählt die Blätter einer abgepflückten Lotosblüte. Der Vater sieht auf seine Frau, denn die Frauen sind in Angelegenheiten der Töchter ausschlaggebend. Inzwischen weiß der Gott nicht, wie er die Wartezeit hinbringen soll. Wenn
5. „Die Geburt des Kriegsgottes"
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die Gefühle selbst Siva beherrschen, wie soll sich ein Sterblicher ihnen entziehen, fügt der Dichter hinzu und deutet damit eine Grundabsicht seiner großen Dichtung an. Die Hochzeit findet rituell statt. Dabei schämte sich der Berggott, daß der große Siva sich (wie es sich für den Schwiegersohn gehört) vor ihm verneigte, und merkte gar nicht, daß er sich selber (was durchaus nicht der Sitte des Schwiegervaters entsprach!) vor Siva gleichzeitig verneigte. So mischte der Dichter einen lustigen Zug leichter Ironie in das pompöse Gemälde der fürstlich-göttlichen Hochzeit. Als Hofdichter mag er bei manchem Fest menschliche Schwächen solcher Art selbst bei den höchsten Herrschaften beobachtet haben und machte nun seine Hörer schmunzeln. Bei dem feierlichen entscheidenden Akt der Handergreifung schwitzte die Hand des Gottes, während sich der Braut die Körperhäärchen sträubten. Der Liebeslehre nach sollte es umgekehrt sein; im „Stammbaum des Raghu" hat der Dichter dies „richtig" dargestellt, aber sein Kommentator entschuldigt ihn hier damit, daß die Liebeslehre keine unbedingte Regel des menschlichen Verhaltens meine. Nach vollzogener Hochzeit belebt Siva den Liebesgott wieder. Die Götter bitten darum, und eine zeitgemäße Bitte Kundiger wird ja von Herren berücksichtigt. Mit dieser Sentenz schmeichelte er den Fürsten, und mahnte sie zugleich. J e t z t mochte der Liebesgott wieder seines Amtes walten, jetzt wollte der Gott gerne ein Opfer seines Liebespfeiles werden. Pärvati blieb im Brautgemach zunächst schamvoll still und sprach nicht einmal mit ihren Freundinnen; nur Sivas Geister, Kobolde, entlockten ihr durch ihr Mienenspiel ein heimliches Lächeln. Die ersten drei Tage und Nächte muß sich der Sitte gemäß das junge Paar, das sich j a eigentlich noch gar nicht vor der Hochzeit gesehen haben soll, aneinander gewöhnen, und der Mann hat die junge Frau durch Lachen, Likör, Schmeicheleien und mit Hilfe ihrer Freundinnen dazu zu bringen, daß sie ihre Scham ablegt, lehrte die Liebeslehre. Der V I I I . und letzte Gesang des uns erhaltenen Stückes der Dichtung behandelt dann das_ Thema, wie Siva in den folgenden Tagen langsam und vorsichtig, kunstgerecht nach der Liebeslehre, seine junge Frau ihre Scheu überwinden lehrt. Erst duldet sie seine zartfühlenden, noch zarten Liebkosungen, die der Dichter geradezu „mitleidig" nennt, und gewinnt sie langsam dazu, seine Liebe zu erwidern. Pärvati wurde die Schülerin des großen Gottes in der Kunst der Liebe. Es bedürfte wieder eines ebenbürtigen Dichters, Kälidäsas Worte dem deutschen Leser wiederzugeben. Nach einem Monat zog Siva mit Pärvati, auf seinem Stier Nandin reitend, durch die Gebirgsgegenden des Nordens zu den herrlichen Stätten, die dem Gotte heilig sind. Eines Abends brachte er (wie jeder Familienvater) der
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Abenddämmerung die übliche Verehrung dar, ließ sein Weib dafür alleine, und sie schmollte. Er aber schilderte ihr dann die Herrlichkeit des Abends und des aufgehenden Mondes, reichte ihr berauschenden Trank 76 und entfachte in ihr Liebeslust, die seiner eigenen entsprach. So vergingen dem Gotte 150 Jahreszeiten, das sind 25 Menschenjahre, wie eine einzige Liebesnacht, ohne daß seine Lust gestillt worden wäre. Damit schließt die Dichtung für uns. Man hat gemeint, deswegen, weil Fromme an der menschlichen Schilderung" des Götterpaares Anstoß nahmen. Aber dann hätten diese doch ganz sicher gerade diesen sinnlichen letzten Gesang unterdrückt. Auffallend ist, daß der „Stammbaum des Raghu" ähnlich überraschend abbricht. Es ist sehr zu bedauern, daß die Geburt des Kindes nicht erhalten ist, denn Kälidäsa war nicht nur der Sänger der Liebe eines Paares, sondern auch der Kindesliebe, das zeigt seine Sakuntalä, seine UrvasI; und auch das Drama der Mälavikä endet mit den Heldentaten des Sohnes des Königs. Die Hindumythologie lehrte, daß PärvatI in Wirklichkeit gar keinen Sohn gebar. Den Samen des Gottes, ausgetragen von der Göttin, dies Wunderkind, diesen Kriegsgott, hätte die Erde nicht ertragen können; deswegen mußte Siva seinen Samen in andere Mütter entlassen. Wie ein Dichter wie Kälidäsa mit diesem absonderlichen Mythos fertig wurde, wüßten wir gerne. So, wie das Stück uns vorliegt, ist es eine Verherrlichung der Liebe, die bei dem göttlichen Paar über den Yoga siegte. Schon Bilder des 3. Jahrtausends zeigen Asketen, aber auch eine lasziv dastehende Tempeltänzerin. In der damaligen Vorform des Sivaismus gab es eben schon die beiden wesentlichen, widersprüchlichen Seiten dieser Religion des Mönchs und der Bajadere. Im Rgveda, dem ältesten indischen Zeugnis der vedischen Stämme aus der Zeit um 1000 v. u. Z. ist uns dann ein Gedicht erhalten, in dem Lopämudrä sich bei ihrem Gatten Agastya beklagt, sie habe seine jahrelange Askese satt. Agastya ließ sich dann von ihr ganz gerne verführen". Also auch die vedischen Stämme haben, kaum daß sie in Indien angelangt waren, diese Problematik kennengelernt und mit naiver Sinnenfreude behandelt. Kälidäsa konnte also in dieser Hinsicht auf eine jahrtausendealte Tradition zurückblicken, und sein Werk zeigt die ganze Feinheit und Größe einer Arbeit, die auf dem Gipfel sehr langer Bemühungen steht. Man pflegt zu sagen, daß der Gedanke oder das dichterische Motiv menschlicher Entwicklung Indien fremd geblieben sei. In der Tat entwickelt sich ein epischer Held wie ß a m a nicht; er ist von Anfang an derselbe moralische Charakter. Freilich kennt die indische Biographie z. B. des Buddha das Motiv der Bekehrung, daß ein gewöhnlicher Prinz zum Weltentsager bekehrt wird. Kälidäsa war aber ein so großer Dichter, daß er bei der Bearbeitung dieses umgekehrten gewaltigen Problems des Sieges der Liebe über die Askese zur Darstellung einer menschlichen Entwicklung gelangte. Siva ist zunächst der Witwer und Weiberfeind. Er ist erst flüchtig von der schönen Dienerin PärvatI angerührt, flieht vor ihr, als er fast den drohenden Pfeil des Liebesgottes fühlt, wird dann durch ihre Beharrlichkeit angezogen, gewonnen, und will sie in seine Arme nehmen, wird dann unter ihrer Lenkung zum
5. „Die Geburt des
Kriegsgottes"
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ungeduldigen Freiersmann und rituellen Hochzeiter. Im Brautgemach entwickelt er dann alle Fälligkeiten des Liebenden, die Braut langsam und zart zu gewinnen und zu leidenschaftlicher Liebe zu entfachen, selber voll unstillbarer Leidenschaft; er, der einstige Asket, wird zum liebenden Gatten, und zwar zum monogamen. In der Polygamie der altindischen Fürsten teilt Siva mit dem idealen Helden Räma diesen Zug, so daß die indischen Dichter wie Kälidäsa und Välmiki, der Dichter des Rämäyana, in der monogamen Ehe die höchste Form der Liebesehe sahen und schilderten. Ihm gegenüber steht Pärvati, das eben herangereifte Mädchen, Tochter des gletscherreichen Berggottes, vom Schicksal der Welt dem Gotte als Weib bestimmt, vom Vater ihm zugedacht, aber von Siva nicht gewollt. Sie dient ihm, wie es sich für eine Sklavin und treue Gattin gehört, aber er flieht vor ihr, wie sie sich ihm naht. Schwer in ihrem Stolz gekränkt, um ihr Schicksal betrogen, aber nicht an dem Recht auf ihren Gatten verzagend, sondern um den ihr bestimmten Mann ringend, ergibt sie sich dem Yoga, um mit magischer Gewalt den Gott zu zwingen. Von einem Jüngling versucht, beharrt sie in ihrer Treue zu ihrem zu ertrotzenden Manne. So gewinnt sie seine Liebe. Aber in diesem Augenblick zeigt sich ihre Entwicklung: Noch ist sie kein verliebtes junges Weib, noch ist sie die jungfräuliche, schicksalhafte Verlobte und fordert von dem Freier Einhaltung der Sitte. Züchtig läßt sie den Stürmischen an ihren Vater verweisen. Nach der rituellen Heirat währt ihre Schamhaftigkeit die vorgeschriebene Zeit, und erst langsam läßt sie sich durch den jungen Gatten entflammen, bis sie seine Liebe ernsthaft erwidert. Leider erfahren wir von ihrer Entwicklung zur Mutter nichts. Aber schon diese Entwicklung von dem dienenden, unschuldig-züchtigen Mädchen zur Braut und heiß verliebten, bisweilen schmollenden und dann um so leidenschaftlicheren Gattin, ist ein Meisterwerk, das nur einem ganz großen indischen Dichter gelingen konnte. Dies Gedicht kann man das hohe Lied der indischen Braut nennen. Die Braut ist in altindischer Gesellschaft anders als in unserer. Das Paar darf sich eigentlich gar nicht sehen, bevor es rituell verheiratet wird. Der Vater sucht für die Tochter einen, wie er meint, passenden Mann. Liebesheirat war eigentlich nur Mitgliedern des Adelsstandes erlaubt. Weit verbreitet war anscheinend noch Brautkauf. So kennt die altindische Braut die Liebe noch nicht. Als ihre Tugend wird angeführt, daß sie dem Vater gehorsam ist und nach dessen Wahl ihrem Manne sklavischen Gehorsam entgegenbringt. Nicht sie darf sich ihren Gatten nach ihrem Gefühl suchen und um ihn werben, wie der Brahmanenschüler Pärvati gegenüber andeutet. Sie soll nur die Liebe des Mannes erwidern lernen. Gerade deswegen gierten die Männer so danach, Liebesbeweise ihrer Frauen zu erhaschen, wie es aus dem „Wolkenboten", der Sakuntalä usw. deutlich wird. Aber die Inder empfanden bei Pärvati doch sicher etwas Analoges zu dem, was wir bei der dichterischen Gestaltung einer Braut empfinden, die lieblich ist, wenn sie sich keusch und liebend, zart und unbeirrt dem Manne nähert und erschließt. Dies erblühende Paar Siva und Pärvati aber ist göttlich. In dieser Dichtung treten nur Götter auf, und ihre Welt ist himmliches Gefilde in den menschen-
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Kalidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
fernen Regionen des Himalaya. Gerade diese göttliche Welt nun hat der Dichter mit warmem, menschlichem Leben erfüllt. Gerade an diesen höchsten Göttern des Hindupantheons und seiner Religion hat der Dichter das menschliche Liebeserwachen dargestellt und ist damit über das allgemeine indische Niveau zu echt menschlicher Entwicklung der beiden tragenden Charaktere fortgeschritten. Nur einem ganz Großen konnte eine solche Dichtung gelingen, die ihrem Wesen nach lebensfroh, antiasketisch, tief menschlich ist und das Typische des Menschen in indischer Form darstellt. Den Mythos fand der Dichter in alter epischer Tradition vor, aber nirgends mit dieser Liebesthematik. Wo er aber in späteren Puränen in ähnlicher Art erzählt wird, wie im Brahmapuräna, Matsyapuräna, Kathäsaritsägara, da sind die Erzähler sicher von Kälidäsas klassischer Dichtung abhängig. Das Mythische, der kosmische Götter-Dämonenkampf war für Kalidäsa unwichtig, die Liebe des Paares aber war für die alten Mythologen unwichtig, Kalidäsa mußte sehr frei mit der Tradition umgehen, er konnte es, eben weil er ein echter Dichter war.
6. Der Stammbaum
des
Raghu
Der „Stammbaum des Raghu" 7 8 ist ein formal ähnliches, inhaltlich aber ganz anderes Epos des Dichters, das manche Inder für sein größtes Werk erklären. In ihm spielt die Liebe nur hier und da eine Rolle, und zwar dann eine recht merkwürdige. Der Stoff ist puränisch-episch. Es handelt sich wörtlich um den Stammbaum, dem Inhalt nach aber eher um die Nachkommen des Raghu, eines alten mythologischen Königs der Stadt Ayodhyä in der nördlichen Hälfte des Gangestales. Der in Epen und Puränen hoch gerühmte Sproß dieser Dynastie, des sogenannten Sonnenstammes 79 , war Räma, der Held des Rämäyana, eine Menschwerdung des Gottes Vishnu. Es handelt sich also um einen vishnuitischen Stoff, den der sivaitische Dichter bearbeitet hat, und das wird für die Beurteilung seines Werkes wichtig werden. Siva tritt in diesem Epos nicht auf. Es handelt sich um 28 oder 29 Könige Ayodhyäs. Um Raghus ganzes Leben von seiner Geburt an schildern zu können, beginnt der Dichter seine Darstellung dieser mythischen Dynastie bereits bei Raghus Vater Dillpa; zählt man ihn mit, so werden 29 Könige geschildert. Dann ist Räma der fünfte. Was von ihm und seinem Vater Daiaratha erzählt wird, ist dem Epos Rämäyana entnommen und jedem Hindu geläufig. Die Namen der übrigen Könige lagen in der epischen und puränischen Tradition einigermaßen fest, nicht genau; welcher Quelle Kalidäsa da im einzelnen gefolgt ist, ist noch nicht ausgemacht. In den alten Texten ist aber, soweit wie wir sie noch nachlesen können, von den meisten dieser 29 Könige kaum etwas anderes als ihr Name überliefert, so daß es scheint, als habe Kalidäsa alles, was er von ihnen berichtet, frei erfunden. Fragt man, warum der Dichter diesen Stoff gewählt hat, warum er eine solche
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Kalidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
fernen Regionen des Himalaya. Gerade diese göttliche Welt nun hat der Dichter mit warmem, menschlichem Leben erfüllt. Gerade an diesen höchsten Göttern des Hindupantheons und seiner Religion hat der Dichter das menschliche Liebeserwachen dargestellt und ist damit über das allgemeine indische Niveau zu echt menschlicher Entwicklung der beiden tragenden Charaktere fortgeschritten. Nur einem ganz Großen konnte eine solche Dichtung gelingen, die ihrem Wesen nach lebensfroh, antiasketisch, tief menschlich ist und das Typische des Menschen in indischer Form darstellt. Den Mythos fand der Dichter in alter epischer Tradition vor, aber nirgends mit dieser Liebesthematik. Wo er aber in späteren Puränen in ähnlicher Art erzählt wird, wie im Brahmapuräna, Matsyapuräna, Kathäsaritsägara, da sind die Erzähler sicher von Kälidäsas klassischer Dichtung abhängig. Das Mythische, der kosmische Götter-Dämonenkampf war für Kalidäsa unwichtig, die Liebe des Paares aber war für die alten Mythologen unwichtig, Kalidäsa mußte sehr frei mit der Tradition umgehen, er konnte es, eben weil er ein echter Dichter war.
6. Der Stammbaum
des
Raghu
Der „Stammbaum des Raghu" 7 8 ist ein formal ähnliches, inhaltlich aber ganz anderes Epos des Dichters, das manche Inder für sein größtes Werk erklären. In ihm spielt die Liebe nur hier und da eine Rolle, und zwar dann eine recht merkwürdige. Der Stoff ist puränisch-episch. Es handelt sich wörtlich um den Stammbaum, dem Inhalt nach aber eher um die Nachkommen des Raghu, eines alten mythologischen Königs der Stadt Ayodhyä in der nördlichen Hälfte des Gangestales. Der in Epen und Puränen hoch gerühmte Sproß dieser Dynastie, des sogenannten Sonnenstammes 79 , war Räma, der Held des Rämäyana, eine Menschwerdung des Gottes Vishnu. Es handelt sich also um einen vishnuitischen Stoff, den der sivaitische Dichter bearbeitet hat, und das wird für die Beurteilung seines Werkes wichtig werden. Siva tritt in diesem Epos nicht auf. Es handelt sich um 28 oder 29 Könige Ayodhyäs. Um Raghus ganzes Leben von seiner Geburt an schildern zu können, beginnt der Dichter seine Darstellung dieser mythischen Dynastie bereits bei Raghus Vater Dillpa; zählt man ihn mit, so werden 29 Könige geschildert. Dann ist Räma der fünfte. Was von ihm und seinem Vater Daiaratha erzählt wird, ist dem Epos Rämäyana entnommen und jedem Hindu geläufig. Die Namen der übrigen Könige lagen in der epischen und puränischen Tradition einigermaßen fest, nicht genau; welcher Quelle Kalidäsa da im einzelnen gefolgt ist, ist noch nicht ausgemacht. In den alten Texten ist aber, soweit wie wir sie noch nachlesen können, von den meisten dieser 29 Könige kaum etwas anderes als ihr Name überliefert, so daß es scheint, als habe Kalidäsa alles, was er von ihnen berichtet, frei erfunden. Fragt man, warum der Dichter diesen Stoff gewählt hat, warum er eine solche
6. Der Stammbaum
des Baghu
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Fülle von Königen als Thema gewählt hat, so zeigt das Werk, daß der Dichter mit einem beträchtlichen Aufwand an Material aus der Staatslehre eine Art Pürstenspiegel schaffen wollte, in dem von der Empfängnis und Geburt der Könige bis zu ihrem Greisenalter und Tod ihr Leben abgehandelt wird, bei den verschiedenen Fürsten aber in sehr verschiedener Weise, so daß man von einer Galerie von Porträts einer ganzen Reihe von Fürsten mannigfachster Charaktere sprechen kann. Es handelt sich also hier um ein sehr merkwürdiges Werk der schönen Literatur des alten Indien, und es bedarf einer möglichst genauen Analyse. Dabei ist fraglich, ob es vollständig auf uns gekommen ist. Es hat ein merkwürdiges Ende, so daß manche annehmen, daß sein eigentlicher Schluß uns verloren gegangen ist. Aber kein indischer Dichter hat versucht, es fortzusetzen. Von den 29 Königen der Dynastie werden zwanzig nur sehr kurz in einem einzigen der 19 Gesänge abgehandelt, die anderen dagegen recht ausführlich. Betrachten wir sie kurz der Reihe nach: 1. König Dillpa fuhr mit seiner Gattin auf seinem Wagen zur Einsiedelei des mythologisch-berühmten Brahmanen Vasishtha, der vom Rämäyana her als der geistliche Berater vieler Generationen dieser Dynastie bekannt war. Der König war kinderlos und wollte den Brahmanen um Hilfe bitten. Auch das Drama der Sakuntalä beginnt mit einer königlichen Wagenfahrt zu einer Waldeinsiedelei, und die Schilderung der Natur ist in beiden Werken ähnlich romantisch, typisch für die Naturliebe des Städters und Hofmannes der Guptazeit. Der allwissende Brahmane erklärte ihm schnell den Grund seiner Kinderlosigkeit: Dilipa war einst zu Besuch beim Götterkönig Indra im Himmel gewesen, hatte sich erinnert, daß seine Frau sich gerade von ihrer Periode gereinigt hatte und also Anspruch auf sein Beiwohnen hatte, war eilig heimgekehrt und hatte dabei versäumt, die himmlische Kuh Surabhi zu begrüßen. Sie hatte ihn verflucht, kinderlos zu bleiben, bis er durch treuen Hirtendienst die Gnade ihrer Tochter errungen habe. Der König hatte also zwischen zwei Pflichten gestanden, entweder zu seiner Frau zu eilen oder die Himmelskuh zu verehren, und da war er gewissermaßen unschuldig schuldig geworden. Würde er seiner Frau kein Kind zeugen, wäre das gleichbedeutend mit der Sünde eines Embryomordes, lehrten brahmanische Morallehrer. Für seine Eile wurde er aber verflucht und gerade dadurch zeugungsunfähig. — Auch Sakuntalä wurde ebenso wie Urva^i wegen ihrer Zerstreutheit verflucht, und ihre Zerstreutheit entsprang ihrer Verliebtheit. Der Dichter hat also mehrmals nach ähnlichem Schema gearbeitet. Das Kind der Himmelskuh war gerade die Kuh des Brahmanen Vasishtha; der König spielte also auf Geheiß des Brahmanen den Hirten und behütete die Kuh, wenn sie im Dschungel graste, 21 Tage lang. Hirtensklaven der Brahmanen waren sonst ihre Schüler 80 ; Könige aber hüteten keine Kühe, allenfalls das Pferd, das sie für das Pferdeopfer des Weltherrschers vorbereiteten wie z. B. der nächste König Raghu oder wie der Sohn des Königs Agnimitra im Drama der Mälavikä. Freilich denkt man bei dieser Szene daran,
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Kälidäsa
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Werke
daß Kälidäsa selber anfänglich Hirte gewesen sein soll, aber auch dann wird man annehmen dürfen, daß dieser königliche Kuhhirt auf die vornehme Hörerschaft am Hof und in der Stadt ein wenig merkwürdig gewirkt hat. Arft 22. Tage fiel ein Tiger die Kuh an. Der König legte einen Pfeil auf den Bogen, aber sein Arm wurde steif. Der Tiger erklärte sich für einen Diener Sivas, dem der Gott die Kuh als Beute gesandt habe. Der König bot ihm sein eigenes Fleisch statt dem der Kuh an. Er stand wieder zwischen den widersprüchlichen Pflichten als Hirt und als gehorsamer Mensch dem Gotte Siva gegenüber. Der Tiger riet dem König, sein Leben, seine Jugend, sein Reich der Opferung für die Kuh vorzuziehen; seine Pflichten als Landesherr ständen höher als die als Hirt. Dilipa aber blieb seinem Hirtentum treu. Da verschwand der Tiger, und die Kuh gab ihm etwas von ihrer Milch für seine Frau als magisches Mittel zur Zeugung eines Sohnes. So wurde Raghu empfangen. Buddhisten und Brahmanen erzählten fromme Legenden von einem König Sibi, der sein Fleisch für das einer von einem Habicht verfolgten Taube hingab. Besonders im Mahäyäna-Buddhismus und im Sivaismus verherrlichte man gerne Könige als solche opferbereiten Herren. Dabei ist hervorzuheben, daß Kälidäsa dem Tiger das politisch wichtige und richtige Argument, er als König solle der Hirt seines Volkes, nicht der einer Kuh sein, in den Mund legte, als sei es eine unfromme Versuchung des büßenden Königs. Kälidäsa wollte Dilipa also als einen so gläubigen, um Sohneszeugung derart besorgten König hinstellen, daß er die Weisung des Brahmanen Vasishtha über die Staatsräson stellte. Und er ließ ihn Erfolg haben, gab ihm also gegen den „Versucher" recht. So geradezu unsinnig fromm und.edel begann der Dichter sein Werk. Der jugendliche Raghu wurde von seinem Vater angestellt, sein Opferroß, das der Vater für sein 100. Pferdeopfer verwenden wollte, zu hüten. Der Götterkönig Indra aber, der als einziger den Titel „Herr von hundert Pferdeopfern" tragen wollte, entführte das Pferd; Raghu konnte es trotz mutigem Kampf gegen den Gott nicht wiedergewinnen. Dilipa verzichtete auf jeden Titel und damit zugleich auf die Ehre, Beherrscher der ganzen Erde zu sein, die mit dem Pferdeopfer verbunden war. Er zog sich als Einsiedel ins Dschungel zurück. Dilipa vergeht sich, als er zu seiner Frau eilt, demütigt sich als Hirt vor dem Brahmanen, bietet sein Leben politisch unklug an und verfällt vom hochfliegenden Ziel des Weltherrschers und Großopferers zum Verzicht auf Thron und Familienleben. Dieser schwankende Charakter ist der des ersten Königs dieses Fürstenspiegels. 2. Raghu war ganz anders als sein Vater. Er kämpfte gegen Indra, bis er ihm unterlag, aber durch seine Tapferkeit die Gunst des Gottes gewann. Er opferte sich nicht auf wie sein Vater vor dem stärkeren Tiger. Er kämpfte gegen Indra wie im Mythos der Held Krshna es einmal tat, oder wie Arjuna sogar gegen Siva kämpfte oder Jakob gegen den Engel Gottes im Alten Testament, Gilgamesch gegen den Stier der Großen Göttin. Er begann als kühner Draufgänger.
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Raghus Haupttat während seiner gepriesenen Regierung war die Besiegung aller vier Himmelsrichtungen Indiens. Einen ganzen Gesang widmete der Dichter der Regierung und dem Siegeszug des Raghu, vielleicht als Ehrung seines Guptakönigs, sicher in Fortführung kunstvoller Inschriften zum Ruhme ähnlicher Siege früherer Herrscher und zugleich als Erbe epischer Weltsiegesschilderungen, wurde doch das Ideal des Erdbesiegers damals bereits über ein Jahrtausend lang jedem indischen Fürsten vorgehalten 81 . Aber während schon im 3. Jh. v. u. Z. ein König und Buddhist wie Asoka nach einem großen Kriege mit all seinen Schrecken, seinen Völkern jeden weiteren Krieg abschwor, während im Mahäbhärata die Schrecken des Krieges so beklagt werden, daß man deutlich die Stimme der altindischen nach Frieden verlangenden Völker heraushört 82 , ist dieser Gesang Kälidäsas eine bedenkenlose Verherrlichung des nicht herausgeforderten, aus Machtgier sein Heer in den Krieg führenden Raghu. Auch in anderen Werken Kälidäsas ist bisher keine Spur einer Verurteilung des Krieges aufgefallen. Der Sieger Raghu veranstaltete das Allsiegeropfer und verschenkte all seine Habe an die Brahmanen. Da kam ein Brahmane mit Namen Kautsa und bat ihn um ein großes Geldgeschenk, das er seinem Lehrer schuldete. Der völlig geldlose König wies den Bittenden grundsätzlich nicht ab, bereitete sich vielmehr vor, dem Kubera, dem Gott der Schätze, gewaltsam das benötigte Gold abzugewinnen. In der Nacht vor seinem Aufbruch zu diesem Kampf ließ aber der Gott Gold regnen, so daß der König den Brahmanen und dieser seinen Lehrer beschenken konnte. Raghu will über den Gott der Schätze räuberisch herfallen, wie über einen Nachbarkönig, der ja nach dem Staatslehrbuch als der „natürliche" Feind hingestellt zu werden pflegte. Zum dritten Mal zeigt sich Raghu hier als der bedenkenlose Kämpfer, und es ist für uns nicht überzeugend, wenn Kälidäsa hinzufügt, daß das Volk von Ayodhyä diesen räuberischen König sowohl wie den geldfordernden Brahmanen bewundert habe, weil beide selbstlos gehandelt hätten; sie behielten die gewonnenen Schätze ja nicht für sich selber, sondern gaben sie restlos weiter. So folgte auf Dilipa, den schwankenden, egozentrisch handelnden, sein kriegslustiger Sohn Raghu, nach dem Kälidäsa dies Gedicht benannte. So begann der Sivait Kälidäsa das Werk, das die vishnuitische Dynastie zum Gegenstand hat. 3. Der beschenkte Brahmane weissagte und versprach damit Raghu einen ebenbürtigen Sohn. Dieser, Aja, hatte aber wieder einen ganz anderen Charakter. Als Raghu als alter Mann Waldeinsiedel werden wollte, flehte Aja ihn an, auf dem Thron zu bleiben. Als seine Haupttat aber erzählt der Dichter seine Heirat mit Indumatl, der Prinzessin des südlichen Birar. Auf dem Zug dorthin hatte der Prinz im Dschungel mit einem Elefanten zu kämpfen, der sich, leicht getroffen, als verwunschener Geist entpuppte und dem prinzlichen Sieger eine Wunderwaffe gab. Unter zahlreichen freienden Prinzen wählte die Prinzessin dann den schönen Aja; diese Gattenwahl füllt einen ganzen Gesang, und der nächste die prächtige Hochzeit und den anschließen-
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den Kampf gegen die neidischen abgewiesenen Freier, den Aja mit jener Wunderwafie gewinnt. Der folgende Gesang enthält dann die Totenklage des Aja um die allzufrüh verstorbene Indumati, die starb, als ein Blumenkranz vom Himmel auf sie fiel. Im Gegensatz zu seinem Vater Raghu, in dessen Leben der Dichter die Trauen keine Rolle spielen läßt, ist Aja der große Liebende, und der Dichter hat ihn liebevoll gestaltet. Aber, wie der Tiger gegen Dillpas Opferbereitschaft die Politik ausspielte, so ließ der Dichter gegen diesen leidenschaftlich liebenden König den Brahmanen Vasishtha die Vernunft zu Worte bringen. Vasishtha redet dem König zu und nennt ihn dabei den „Besten der Selbstbezwinger". Dies Wort wirkt bei dem haltlos Jammernden geradezu ironisch. Und das ist wichtig. Aja. wollte sich mit der geliebten Leiche dem Feuer übergeben. Solch Freitod galt Orthodoxen als fromme Pflicht der Witwe, aber niemals des Witwers. Nur in unserem Märchen von den drei Schlangenblättern kommt so etwas als exotische Sitte vor. Die Totenklage des Königs Aja um seine Frau ist vom Dichter mit echtem Gefühl in rührende Verse gebracht. Es ist ein würdiges Gegenstück zu der Klage der Rati um den von Siva verbrannten Liebesgott. Es ist dabei einerseits dem. Dichter hoch anzurechnen, daß er die Frau hier so hoch stellte, daß selbst ein König um sie bitter weinte und seine ganze Fassung verlor. Es ist andererseits eine geradezu kritische Charakterisierung dieses Aja, des Sohnes des kriegerischen Raghu, daß er, schwach und unköniglich, nicht an sein Volk denkt, sondern seinem persönlichen Kummer zuliebe auf das Herrscheramt verzichten will. So unberechenbar folgten eben in den Dynastien die Generationen aufeinander, ganz im Gegensatz zu den Schmeicheleien der Hofschranzen (wie in Agnimitras Drama) 83 und zu den Lehren der Königsideologen, die davon redeten, daß ganze Dynastien heldenhaft, eben echt aristokratisch seien. Dagegen blieb Vasishtha,. der schon Dillpa von seiner Sünde befreit hatte, auch der weise Ratgeber des Aja, des Enkels. Er verkörpert dem Dichter und dem Hörer sozusagen die Kontinuierlichkeit der Dynastie und der Politik. E r sprach hier dem trauernden König im Sinne asketischer Moral zu, der Weise müsse sich freuen, wenn er von dem Weibe, dieser Fessel an das gemeine Leben, befreit würde, und der schwächliche König gab ihm mit Worten recht, so wenig er von solcher harten Moral überzeugt war. Dem Brahmanen gegenüber wagte er nicht von seinen Gefühlen zu reden, aber der Weise hatte mit seiner Härte Erfolg, der König gab nach, führte die Regierung weiter, bis acht Jahre später sein Sohn den Thron besteigen konnte, und fastete sich dann zu Tode, macht also letztlich seinen Entschluß, dem geliebten Weibe nachzufolgen wahr, macht auch sein dem Vasishtha gegebenes Wort wahr, aber regiert doch nur wider Willen. Der Dichter hat es umgangen, seine Regierung mit all ihrer anzunehmenden Schwäche zu beschreiben. Er sagt nur, daß er die acht Jahre damit hinbrachte, sein Wort zu halten und in gelegentlichen glücklichen Traumaugenblicken mit der Geliebten zusammen zu sein.
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4. Ajas Nachfolger war Daäaratha. Der Dichter führte ihn ein als den, der von den königlichen Lastern der Jagd, der Liebe zu jungen Frauen usw. frei war, aber er schilderte dann aus des Königs Leben genau das Gegenteil, also wiederum mit fein angedeuteter Kritik. Dasaratha jagte nämlich einmal, wobei er die Regierungspflicht seinen Ministern überließ (so sehr hatte ihn die Jagdleidenschaft, dies Laster der Könige, gepackt!). Er schoß dabei auf einen vermeintlichen Elefanten. Er hörte an einem Wasser im Gebüsch ein Geräusch, meinte, ein Elefant schlürfe dort Wasser, schoß blindlings, traf aber einen Asketenknaben, der einen Krug Wasser schöpfte. Nun ist es an sich schon im alten Indien verboten gewesen — und Kälidäsa spricht das hier aus 84 —, Elefanten zu töten, da sie gefangen, gezähmt und abgerichtet, für die Könige von höchstem Wert waren. Aja hatte dementsprechend auf seinen Elefanten nur leicht geschossen; Dasaratha aber, der vom Laster der Jagdleidenschaft angeblich freie, versündigte sich gerade gegen einen vermeintlichen Elefanten. Kälidäsa hat diese Episode des Daäaratha zwar aus dem Epos Rämäyana übernommen, aber er hätte nicht gerade diesen König als frei von Jagdleidenschaft bezeichnet, hätte er ihn nicht gerade in dieser Hinsicht als unbeherrscht hinstellen wollen. Der Vater jenes erschossenen Knaben, ein Asket, verfluchte dann Dasaratha, auch er solle aus Kummer über seinen Sohn sterben, und folgte seinem Sohne freiwillig in den Tod. Diese Szene Dasarathas ist für die spätere Geschichte Rämas wichtig. Der sivaitische Dichter folgte dabei getreu dem alten vishnuitischen Epos, aber zugleich brachte er einen feinen Tadel an dem Vater des göttlichen Räma zum Ausdruck. Im Epos Rämäyana erzählt Dasaratha selber diese Episode und nennt sich dabei selber unbeherrscht. Das klingt tragisch und ist nicht etwa kritisch gemeint wie Kälidäsas Darstellung. Dasaratha wollte als Greis Räma zum Thronfolger machen. Da bestimmte ihn Kaikeyi, seine jüngste und deswegen zeitweilig liebste Frau, Räma zu verbannen und ihren eigenen Sohn Bharata zu krönen. Dasaratha ließ sich von dem jungen, schönen und ehrgeizigen Weibe leiten, verbannte Räma, starb dann aber aus Kummer über sich und seinen Sohn. Dasaratha war also auch dem königlichen Laster der Liebe zu jungen Frauen verfallen im Gegensatz zu dem anfänglichen Lob. 5. Auf Dasaratha folgte Räma, der Held des Rämäyana. Kälidäsa erzählte den Inhalt des ganzen alten Volksepos nach, aber in sehr ungleicher Weise. Er behandelte das erste Buch des Epos mit Rämas Geburt, seinen ersten Heldentaten und seiner Heirat mit Sita in zwei Gesängen ausführlich, dann aber den Hauptteil des Epos, dessen II.—VI. Buch in einem einzigen Gesang ganz kurz: Räma wird verbannt, geht mit Sltä ins Dschungel, Sitä wird von Rävana nach Lanka entführt, von den Affen gesucht und dort gefunden, Räma tötet Rävana nach hartem Kampf. In einem Gesang schildert Kälidäsa
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Kälidäsa
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dann, wie Räma mit Sita auf einem Götterwagen nach Hause fliegt und ihr die Stätten seines Wanderns nach Lanka zeigt. Dies entspricht einem Gesang des alten Epos, der Kälidäsa zum Wolkenboten angeregt haben könnte. In einem weiteren Gesang schildert Kälidäsa Rämas Herrschaft und seine Verstoßung der .Sitä, weil im Volk Stimmen laut werden, sie habe in Lanka bei dem Dämon geweilt und sei deswegen nicht mehr als rein anzusehen. Sitä gebiert während der Verstoßung in der Einsiedelei des Välmiki Zwillinge, Kuia und Lava, die von Välmiki, dem Brahmanen, das Rämäyana, das Epos über die Taten ihres Vaters lernen, es bei Rämas Pferdeopfer vortragen, und vom Vater erkannt werden; er läßt Sitä holen, sie aber reinigt sich vor dem Volk durch einen Schwur und läßt sich von der Mutter Erde in ihren Schoß aufnehmen. In einem letzten Gesang besingt Kälidäsa Rämas Tod. Im folgenden seien nur einige Punkte herausgehoben, in denen Kälidäsa vom alten Epos des Välmiki abweicht. Als Räma mit Sita im Dschungel weilte, kam eines Tages die Schwester des Dämonen Rävana, Sürpanakhä, und bat Räma um seine Liebe. Räma wies sie ab, und Sitä lachte über sie. Durch dies Lachen beleidigt, schwur Sürpanakhä Rache, eilte zu ihrem Bruder und stiftete ihn an, Sita zu entführen. In Valmlkis Epos fehlt dies Lachen der Sita. Es ist aber entscheidend für die ganze epische Handlung. Kälidäsa hat damit Sitä selber die Schuld an ihrer Entführung, an all ihrem künftigen Leid zugeschoben. Välmiki aber hatte es anders dargestellt: Räma sowohl wie sein Bruder Lakshmana machen sich über die Werbung der Sürpanakhä lustig; sie droht daraufhin, Sitä zu fressen, und Räma sagt zu Lakshmana: Man soll auf keinen Fall grausame Unedle verspotten und lächerlich machen; sieh, was für eine Bedrohung für Sitä daraus erwachsen ist 85 ! Rämas Abweisung der Sürpanakhä war notwendig, ihre Beleidigung also nicht zu umgehen; Välmiki hat Räma damit nicht etwa schuldig machen wollen, wohl aber Kälidäsa Sitä, diese Frau, die den Vishnuiten als Muster aller hausfraulichen Tugenden erscheint, hoch erhaben über jeden Tadel. Sie hat Kälidäsa an dieser Stalle getadelt! Ihr Lachen war ja nicht unumgänglich. Er hat aber auch Räma selber getadelt. Als Räma hörte, daß sein Volk es ihm verdachte, daß er Sitä wieder bei sich aufgenommen hatte, beschloß er, sie zu verstoßen. Er wußte, daß Sitä noch in Lankä durch ein Feuerordal als rein erwiesen war, aber er dachte nicht daran, sein zweifelndes Volk durch ein erneutes Ordal oder durch Bezeugen des bereits vollzogenen von der Unschuld der Sita zu überzeugen, er handelt vielmehr, ohne ihr ihre Verstoßung auch nur mitzuteilen, überaus schnell. Lakshmana bringt die Ahnungslose auf seinem Wagen in Välmikis Einsiedelei und eröffnet ihr dort erst Rämas Entscheidung. In Välmikis Epos wird Räma deswegen nicht getadelt. Er gilt eben als Muster der Reinheit, unberührt von menschlicher Weichheit. Anders Kälidäsa:
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Als Sita von ihrer Verstoßung hörte, fiel sie ohnmächtig zu Boden. Die Erdgöttin aber, die der Sage nach die Mutter der Sita war, überlegte: Es ist doch unmöglich, daß der edle Räma dich ohne Grund (!) verstößt! Sie nahm die Ohnmächtige daher noch nicht zu sich in ihren Schoß, wie sie es am Ende tat. — Lakshmana entschuldigte sich vor der aus ihrer Ohnmacht Erwachten: Ich bin nur ein Diener Rämas, verzeihe mir die Rohheit (!) der Handlung, die ich auf seinen Befehl hin tue! — Sita erwiderte, er solle dem König melden, ob es seiner Dynastie würdig sei, daß er sie, die durch das Feuerordal als rein Erwiesene, verstoße ? — Und Välmiki erklärte ihr: Räma hat Großes geleistet, aber, daß er gegen dich ohne Grund (!) so roh (!) handelt, deswegen zürne ich ihm! Mit dir aber empfinde ich Mitleid. Er weiß als Weiser, daß Räma durch falsches Gerede des Volkes verwirrt worden ist. Alle diese Sätze fehlen bei Välmiki8.6. Kälidäsa hat sie hinzugefügt, weil er mit der menschlichen, unmenschlichen Haltung des Ideals der Moralisten, Räma, nicht einverstanden war. Er hat offenbar daran gezweifelt, ob Räma Sitä wirklich geliebt hat, und er hat gezweifelt, ob Räma als König und Richter richtig gehandelt hat. Er wußte ja, daß das Gerede im Volk über Sltäs Unkeuschheit falsch war. Er hat also der Gerechtigkeit nicht gedient, sondern im Grunde seinem Ehrgeiz, die Reinheit der Dynastie über jeden Tadel erhaben sehen zu wollen. Er hatte keinen Grund, so zu handeln. Er handelte roh. Er war verwirrt, und das darf bei einem König, geschweige bei einem idealen, nicht geschehen. Kälidäsa hat die Erdgöttin, den treuen Bruder Lakshmana, Sita selber und als letzte Autorität Välmiki, den Brahmanen, Waldeinsiedel und Dichter des Rämäyana streng und gerecht über Räma urteilen lassen. Nur als Sivait konnte er dieses Vishnu-Idol so kritisieren, aber auch so gehörte ein ganz seltener Mut, ja ein Mut ohnegleichen in der indischen Literatur dazu. Er hat Räma als hassenswerten, lieblosen Despoten charakterisiert, und das, obgleich doch Räma als Gipfel der Dynastie der Nachfolget Raghus in Indien berühmt war. Es fällt uns schwer, uns auszumalen, wie die Hörer diese Kritik am Gottmenschen Räma, an Vishnus Inkarnation, aufgenommen haben. Dem Kälidäsa aber ist diese warmherzige, berechtigte und mutige Kritik Rämas nach der feinen Kritik an seinen Vorgängern sehr hoch anzurechnen. Kälidäsas Urteil über Räma war aber zugleich ein Urteil über Välmiki, der das rigoros-moralische Bild Rämas gezeichnet hatte 8 7 . Indessen ist anzumerken, daß Kälidäsa in seiner Wiedergabe des ganzen Rämäyana nicht gerecht verfahren ist. Er hat die große dichterische Leistung Välmlkis nicht würdigen können, und das ist bei ihm, dem Dichter der menschlichen Liebe sehr auffällig und geradezu unverständlich. Välmiki hatte nämlich zwar das Räma-Ideal in voller Unmenschlichkeit dargestellt, hatte aber in seinem Epos die Liebe eine große Rolle spielen lassen. Välmiki hatte die Liebe des alten Dasaratha zu seiner bejahrten Hauptfrau nach der des Greises unwürdigen Episode mit der jüngeren Lieblingsfrau menschlich wunderbar wiederhergestellt; hatte die hoffnungslose Liebe des Dämons Rävana zu Sitä mit tragischer Steigerung besungen, und hatte sich sogar am Hofe des Affenkönigs eine herrliche Liebesgeschichte um die kluge 4
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und starke Affenkönigin Tärä herum abrollen lassen 88 . Välmlki ist der Dichter der Liebe in der altindischen Sklavenhaltergesellschaft gewesen, wie Kälidäsa ihr Sänger im indischen Feudalismus war 89 . Aber in diesem Auszug aus dem Rämäyana zeigt sich Kälidäsa dieser großen Seite seines genialen Vorläufers gegenüber verständnislos. Hat ihm sein Sivaismus da den Blick getrübt? Oder hat er Välmikis Epos gar nicht selber gelesen, sondern Rämas Leben nur als. mündlich überlieferten Mythos gekannt ? Hat er eine simple Inhaltsangabe 90 gelesen? Diese Fragen sind noch nicht geklärt, berühren aber nicht Kälidäsa» Kritik an Räma. 6. Auf Räma folgte sein Sohn Kusa. Von ihm wird hauptsächlich die märchenhafte Gewinnung seiner Frau geschildert. Im Rämäyana war davon nicht die Rede. Kusa verlor einst beim Baden einen Armreif, die Fischer konnten ihn im Teich nicht finden und rieten auf einen Schlangendämon als Dieb. K u i a legte seinen Pfeil an, um in das Wasser zu schießen, da erschien ihm der Dämon, gab ihm den Reif wieder, berichtete, seine kleine Schwester Kumudvatl habe ihn in kindlicher Neugier gestohlen, und bot ihm das Mädchen als Dienerin an. Kusa nahm sie zur Frau, sie gebar ihm seinen Sohn Atithi. Auf den heldischen Räma folgt der eher Aja ähnelnde 91 Kusa. Er steht zwar einmal als Zürnender in kriegerischer Schützenpose da, braucht aber gar nicht zu kämpfen, denn er erreicht sein Ziel durch bloße Drohung. Dabei erhält er seine Frau, eine Übermenschliche, ein Kind (Kinderheirat war ja üblich), das ihm dienen soll. Das Los der Frau war ja im alten Indien von dem einer Sklavin nicht sehr verschieden, und Mädchen gab mancher Vater in Legenden der alten Literatur zur Sühne für irgendwelche Vergehen an Mächtige 92 . Mit dieser märchenhaften Brautgewinnung und diesem wenig charaktervollen Rämasohn schließt sozusagen die mythische Reihe der Nachfahren des Raghu. Atithi und die Späteren hatten einen ganz anderen Charakter. 7. Von Atithi schilderte Kälidäsa nur seine Krönung und seine Regierung. Es fehlt jeder märchenhafte oder mythologische Zug. Es fehlt jede Handlung. Es fehlt ein Liebesabenteuer. Der Dichter schildert vielmehr auf Grund gründlicher Kenntnis der Staatslehre die musterhafte Regierung eines altindischen Despoten,, eines historischen, möchte man sagen, nicht eines mythologischen. Auch bei anderen Königen kommen in dieser Dichtung gelegentlich Anspielungen vor, die zeigen, daß Kälidäsa die Staatslehre wirklich studiert hat. Er weiß die Fachausdrücke richtig zu gebrauchen. Aber bei Atithi ist diese sachlich-idealistische Schilderung die Hauptsache geworden. Der Dichter wollte offenbar zeigen, was. er auf diesem nüchternen Gebiet leisten konnte. Er wollte aber sicher auch den Herren seiner Zeit das Muster einer sachkundigen und politisch klugen Regierung zeigen. Es mochte ihn besonders gereizt haben, dies „wissenschaftliche" Kapitel in dichterische Sprache zu kleiden. Wobei man daran denken mag, daß schon im XII. Buch des Epos Mahäbhärata in etwa 120 Gesängen politische Lehren in Versen vorgetragen worden waren, und zwar im epischen Versmaß des Sloka,. den auch Kälidäsa für den Atithi-Gesang verwendete.
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Kälidäsa schilderte hier einen idealen König. Er richtete sich immer noch nach den Ratschlägen des Brahmanen Vasishtha, wie Dilipa. Er hielt stets sein Wort, er nahm einmal Geschenktes nicht wieder zurück. Er wußte alles, was in seinem Reich und in den umliegenden Reichen vor sich ging, durch seine Späher. Täglich hielt er Rat. Er arbeitete nach Stundenplan. Nur, um ihn wieder auszugeben, häufte er einen großen Schatz in seinen Speichern an; er schämte sich, wenn er gepriesen wurde; führte Kriege nur in „gerechter" Weise (d. h. ohne Annektionen, ohne dem Besiegten sein Leben, seine Frau oder seinen Schatz zu nehmen), er wollte nur siegen, um das Pferdeopfer darbringen zu können usw. 8.—27. Auf den Gesang des Atithi folgte einer, in dem sehr knapp zwanzig Könige mit Namen genannt und charakterisiert werden. Alle waren ideal. Nur bei einem Pariyätra heißt es, daß er seinen Sohn auf den Thron setzte, um sich, unersättlich, den Begierden hingeben zu können; ein König lebt ja wie ein Gefangener ohne Glück. — Und der letzte dieser Reihe, Dhruvasandhi, wurde auf der Jagd von einem Löwen getötet, als sein Sohn Sudarsana erst sechs Jahre alt war. Beide Könige sind wohl vom Dichter getadelt worden. Wenigstens fügt der Kommentator Mallinätha hinzu, Jagdleidenschaft bringe nun einmal Unheil. All diese Königsnamen entnahm Kälidäsa nicht dem Rämäyana, sondern einem Puräna, am nächsten kommt ihm noch der Stammbaum im Vishnupuräna. 28. Sudarsana wurde als Sechsjähriger König, und es hat den Dichter gefreut, ein Kind auf dem Thron schildern zu können. Es brauchte gar nichts zu tun, die Feinde zitterten auch so schon vor seiner Macht. Dabei erreichten seine Füßchen noch nicht einmal den Schemel vor seinem Thron. In der Schilderung dieses begabten Wunderkindes ist bisher noch keine Ironie nachgewiesen. Vielleicht hat der Dichter so fest an die Monarchie des altindischen Despotismus geglaubt, daß er ernsthaft seine Macht selbst in einem solchen Kinde fest verankert meinte. 29. Auf dies Kind, das heranwuchs, heiratete und Asket wurde, folgte Agnivarna, der letzte König der Dichtung, der verkommene Spätling aus dem ruhmreichen Hause des Raghu. Er zog sich von den Regierungsgeschäften in seinen Harem zurück. Wollte das Volk ihn sehen und drängten ihn seine Minister zu einer Audienz, so streckte er dem Volk nur seinen Fuß zum Fenster hinaus. Das Volk verehrte den königlichen Fuß, fügt Kälidäsa hinzu. Man muß dabei bedenken, daß Räma, als er ins Dschungel zog, seine Sandalen als seinen Stellvertreter auf dem Thron zurückließ. Fußspuren waren ein uraltes Symbol auf alten Steindenkmälern. Aber hier hat sich der Dichter doch über den Despoten sowohl wie über das ergebene Volk lustig gemacht. Agnivarna trank Likör aus den Mündern seiner Haremsfrauen, er spielte selber die Laute zum Gesang. Aber er durfte sich als König doch nicht von eifersüchtigen Haremsfrauen mit ihrem Gürtel schlagen lassen; es war 4*
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Kalidasa
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unköniglich, wenn er heimlich vor seinen Königinnen Liebesbotinnen zu: neuen Konkubinen schickte. Er lackierte seinen Geliebten die Fußsohlen. Er lachte seine Frauenzimmer so schamlos an, daß sogar sie die Augen senkten; nachts bummelte er, tags schlief er. Gewiß ist es nicht ganz einfach, zu unterscheiden, was im damaligen raffinierten Liebesbetrieb noch als anständig, erträglich auch für einen König, und was als unwürdig zu gelten hat 9 3 . Aber bei dem Nachkommen eines Raghu, Räma und Atithi ist solch Gebaren doch sicherlich vom Dichter tadelnd ausgemalt worden. Dafür spricht auch das Ende dieses Lüstlings auf dem Thron der ehrwürdigen Stadt Ayodhyä: Infolge seiner Ausschweifungen packte den König die Schwindsucht. Wie der Mond abnimmt und die Öllampe sich verzehrt, wie ein Teich in sommerlicher Wärme austrocknet, so schwand diese Dynastie dahin. Die Minister logen vor dem Volke, der König sei mit Riten beschäftigt, die Erbfolge sicherzustellen (solche Ausreden lehrte schon Kautalya in seinem Staatslehrbuch!). Aber die Ärzte konnten nicht helfen. Der König starb, und die Minister verbrannten ihn heimlich im Hofgarten. Er hinterließ keinen Sohn, soviel er auch geliebt hatte. Aber bald danach stellten die Minister fest, daß die Hauptfrau schwanger war, und krönten den Embryo im Mutterleib der weinenden Witwe. Damit schließt das Buch Kälidäsas. In den Puränen wird diese Dynastie noch weiter geführt; man hat daher gezweifelt, ob das Werk abgeschlossen ist. Es ist auffallend, daß es wie die Geburt des Kriegsgottes mit einem besonders erotischen Gesang schließt. Aber das berechtigt uns noch nicht zur Annahme, eine Fortsetzung fehle wie bei jenem Epos. Dort erwartet man, daß der Dichter noch die Geburt des Gottkindes erzählt. Hier aber können wir uns nicht ausmalen, wie der Dichter sein Werk abzuschließen beabsichtigt hat. Schloß der Dichter mit dem elenden Tod dieses Wüstlings, so wollte er den Verfall der berühmten Dynastie, auf den er ja mit dem Vergleich der Öllampe usw. anspielte, mit aller Deutlichkeit zeigen. Das würde dazu passen, daß er auch einem Räma, seinem Vater, dem Aja, ja eigentlich jedem Könige dieser Dynastie einen stärkeren oder schwächeren Tadel anhängte. Er hat sich nun einmal diese vishnuitische Dynastie genommen, um einen Fürstenspiegel zu schreiben, und zwar einen mit mehr oder weniger feiner oder in die Augen springender Kritik. Freilich hat es ihn zugleich auch gefreut, seiner Sinnenlust dichterisch die Zügel schießen zu lassen und die verfänglichsten Situationen des Liebeslebens der hohen Herrschaften mit Sachkenntnis und vollendeter Sprachkraft wiederzugeben. Er war eben ein großer Dichter seiner Zeit, dem nichts Menschliches fremd war, und nicht umsonst verlegt die indische Anekdote den Tod des Dichters in das Haus einer Kurtisane. Andererseits zeichnete er die Treue der Minister, die dem ungeborenen Erben zum Thron verhelfen, statt selber die Macht an sich zu reißen. Der Dichter vergißt auch nicht anzudeuten, daß das Volk mit der Krönung des ungeborenen Königs einverstanden ist. Dies ist eine Steigerung über Sudarsana, das sechsjährige Kind auf dem Thron, hinaus. Auch in dieser Steige-
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rung liegt, wenn wir die Worte des Dichters schon richtig verstehen, keine Ironie. Der Dichter hat dem Leser also freigestellt, an einen glücklichen Fortgang dieser Dynastie zu denken. Aber gleichzeitig hat er mit dem Gleichnis der Öllampe ihr Verlöschen angedeutet. E r läßt die Dynastie aus zwei Teilen bestehen, zunächst dem der älteren Herrscher von Dilipa bis Kusa. Dies sind mythologische Herren mit sagen- und märchenhaften Regierungstaten. Ihnen folgen die, man möchte sagen, historischen Könige, vor allem Atithi, Sudarsana und Agnivarna, und der Gesang mit den zwanzig nur kurz erwähnten Königen stellt gleichsam einen Übergang dar. In den puränischen Kapiteln der Stammbäume pflegt in ähnlicher Weise zunächst von den vergangenen mythologischen Generationen gehandelt zu werden, dann aber von den historischen Dynastien, deren Geschichte gerne in Form einer Prophezeiung vorgetragen wird. Ursprünglich war in den Epen, im Mahäbhärata und Rämäyana nämlich nur von den mythologischen Königen die Rede. Wann in den Puränen, und zwar unseres Wissens zuerst im Vishnupuräna, die historischen Dynastien angefügt wurden, ist noch nicht geklärt, es könnte am Anfang der Guptazeit, also kurz vor Kälidäsa geschehen sein. Also auch in dieser Hinsicht bietet Kälidäsa nichts völlig Neues. Aber seiner Größe als Dichter tut das keinen Abbruch. Man kann Raghu als den idealen Kriegerkönig des mythologischen Teiles Atithi als dem „wissenschaftlich" regierenden König des historischen gegenüberstellen, dann aber auch Aja als den unmäßig verliebten des ersten Teiles dem Haremslüstling Agnivarna des zweiten Teiles. Durch solche Betrachtungen, die sich sicher noch bis in viele Feinheiten fortsetzen lassen werden, kommt man den Absichten des Dichters allmählich näher. Ein gewöhnlicher Hofdichter hätte seinem Mäzen ganz anders geschmeichelt und die sagenhaften sowohl wie die „historischen" Könige fehlerlos hingestellt. Daß Kälidäsa das nicht tat, daß er kritisch gegen sie war, ist sein großes Verdienst; daß er die Kritik freilich mehr an ihren Frauen ausließ, statt ihre politischen Fehler zu brandmarken, entspricht seiner Vorliebe für die Schilderung menschlicher Liebe. E r war eben ein Kind seiner Gesellschaft, der das Lehrbuch der Liebe in gewissem Sinne wichtiger war als das Staatslehrbuch.
7. Sakuntala oder der
Erkennungsring
Will man die Schönheit des Dramas der Liebe des Königs Dushyanta zum Einsiedlermädchen Sakuntala 9 4 würdigen, muß man sich die Vorgeschichte des Themas kurz vergegenwärtigen. Es handelt sich im Grunde um ein weitverbreitetes Märchen, daß einst ein Mann auf irgendeiner Wanderschaft fern der Heimat ein schönes Mädchen lieben lernte, heim eilte, und ihr einen Ring als Erkennungszeichen hinterließ, damit sie sich oder ihr zu erwartendes Kind später vor ihm
7. Sakuntala oder der Erkennungsring
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rung liegt, wenn wir die Worte des Dichters schon richtig verstehen, keine Ironie. Der Dichter hat dem Leser also freigestellt, an einen glücklichen Fortgang dieser Dynastie zu denken. Aber gleichzeitig hat er mit dem Gleichnis der Öllampe ihr Verlöschen angedeutet. E r läßt die Dynastie aus zwei Teilen bestehen, zunächst dem der älteren Herrscher von Dilipa bis Kusa. Dies sind mythologische Herren mit sagen- und märchenhaften Regierungstaten. Ihnen folgen die, man möchte sagen, historischen Könige, vor allem Atithi, Sudarsana und Agnivarna, und der Gesang mit den zwanzig nur kurz erwähnten Königen stellt gleichsam einen Übergang dar. In den puränischen Kapiteln der Stammbäume pflegt in ähnlicher Weise zunächst von den vergangenen mythologischen Generationen gehandelt zu werden, dann aber von den historischen Dynastien, deren Geschichte gerne in Form einer Prophezeiung vorgetragen wird. Ursprünglich war in den Epen, im Mahäbhärata und Rämäyana nämlich nur von den mythologischen Königen die Rede. Wann in den Puränen, und zwar unseres Wissens zuerst im Vishnupuräna, die historischen Dynastien angefügt wurden, ist noch nicht geklärt, es könnte am Anfang der Guptazeit, also kurz vor Kälidäsa geschehen sein. Also auch in dieser Hinsicht bietet Kälidäsa nichts völlig Neues. Aber seiner Größe als Dichter tut das keinen Abbruch. Man kann Raghu als den idealen Kriegerkönig des mythologischen Teiles Atithi als dem „wissenschaftlich" regierenden König des historischen gegenüberstellen, dann aber auch Aja als den unmäßig verliebten des ersten Teiles dem Haremslüstling Agnivarna des zweiten Teiles. Durch solche Betrachtungen, die sich sicher noch bis in viele Feinheiten fortsetzen lassen werden, kommt man den Absichten des Dichters allmählich näher. Ein gewöhnlicher Hofdichter hätte seinem Mäzen ganz anders geschmeichelt und die sagenhaften sowohl wie die „historischen" Könige fehlerlos hingestellt. Daß Kälidäsa das nicht tat, daß er kritisch gegen sie war, ist sein großes Verdienst; daß er die Kritik freilich mehr an ihren Frauen ausließ, statt ihre politischen Fehler zu brandmarken, entspricht seiner Vorliebe für die Schilderung menschlicher Liebe. E r war eben ein Kind seiner Gesellschaft, der das Lehrbuch der Liebe in gewissem Sinne wichtiger war als das Staatslehrbuch.
7. Sakuntala oder der
Erkennungsring
Will man die Schönheit des Dramas der Liebe des Königs Dushyanta zum Einsiedlermädchen Sakuntala 9 4 würdigen, muß man sich die Vorgeschichte des Themas kurz vergegenwärtigen. Es handelt sich im Grunde um ein weitverbreitetes Märchen, daß einst ein Mann auf irgendeiner Wanderschaft fern der Heimat ein schönes Mädchen lieben lernte, heim eilte, und ihr einen Ring als Erkennungszeichen hinterließ, damit sie sich oder ihr zu erwartendes Kind später vor ihm
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
ausweisen könnte. Schon die alten Buddhisten Indiens haben ein Märchen dieses Typs erzählt: Ein König verführte ein Holzsammlermädchen, und als der Sohn dieser heimlichen Liebe herangewachsen war, brachte ihn die Mutter dem König. Dieser erkannte sie und den Ring wieder, leugnete es aber, bis die Mutter als reine, gattentreue Frau ein Wunder vollbrachte und damit die Echtheit des Sohnes magisch bewiesen war. Da erkannte der König den Knaben als seinen Sohn an. Diese Geschichte soll Buddha einst dem historischen König Bimbisära von Magadha erzählt haben, als der seinen Sohn von einer Sklavin nicht anerkennen wollte. Derselbe König soll einst mit einer Hetäre in einer fremden Stadt einen Sohn gehabt, ihr einen Ring hinterlassen und den Sohn kraft des Ringes anerkannt haben. Von Kaiser Justinian von Byzanz und seiner Frau Antonia wurde ähnlich erzählt. Im Stammbaum des Hauses Juda wird im Alten Testament von Thamar und Juda berichtet, wie er ihr, die er als Dirne liebte, einen Ring ließ und an ihm die Schwangere später wiedererkannte. Es handelt sich also um ein Märchenmotiv, das auf wirkliche Ereignisse zurückgehen mag, und besonders in Dynastien wichtig wurde, wenn es sich darum handelte, die Reinheit der Dynastie, die Echtheit eines zweifelhaften Sohnes zu begründen. Im alten Indien wurde dies Märchen ebenfalls in einen Stammbaum hineinverwoben, in den berühmtesten, den man kannte, in den des Mondgeschlechts 95 , in den der Helden des Epos Mahäbhärata. Es handelt sich um den Prinzen Bharata, nach dem sein Geschlecht als das der Bharata benannt wurde, nach dem heute Indien Bharat genannt wird, und nach dem das Epos eben das Große Bharata-Epos, Mahäbhärata, heißt. Im Anfang des Epos wird der Stammbaum vorgetragen, und in den ist dies Märchen als eine Art Interpolation, freilich eine sehr frühe, hineingearbeitet: Dushyanta, ein Weltherrscher dieser Dynastie, gelangte auf der Jagd in ein Stück des Dschungels, in dem der Brahmane Kanva als Waldeinsiedel hauste, verliebte sich in dessen „Tochter" Sakuntalä, die in Wirklichkeit die Tochter eines königlichen (nicht brahmanischen) Weisen Visvämitra und einer Nymphe Menakä war. Er verführte sie zur sofortigen geheimen Liebesehe, die Männern seines Standes der Sitte nach erlaubt war, versprach, ihr Sohn solle sein Thronerbe werden, und kehrte in die Stadt heim. Als ihr Sohn sechs Jahre alt war, ging sie zum König; der tat, als entsinne er sich ihrer nicht. Sakuntalä mahnte ihn an sein Gewissen und sprach zu ihm herrliche Worte von der Würde der Frau und Mutter; Er solle sein Wort halten. Eine Stimme aus dem Himmel bestätigte die Echtheit des Sohnes. Daraufhin erklärte der König, er habe auf dies Wunder gewartet, damit kein Zweifel an der Echtheit des Sohnes bleibe. Er nannte ihn Bharata und bestimmte ihn zum Erben. In dieser Erzählung des Epos fehlt der Ring, aber daß sie zum Typ jenes buddhistischen Märchens gehört, ist unzweifelhaft. In Kälidäsas Drama spielt der Ring wiederum eine entscheidende Rolle; er hat also nicht etwa nur diese epische Erzählung gekannt, sondern auch eine Version der Geschichte mit dem Ring.
7. SakuntalA oder der
Erkennungsring
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Später wurde diese Geschichte des Bharata in den Puränen nacherzählt, teilweise sicher unter dem Einfluß des berühmten Dramas. Kälidäsa läßt den ersten Akt nach dem Vorspiel des Schauspieldirektors und der Sängerin, das Goethe begeisterte, damit beginnen, daß König Dushyanta auf seinem Wagen eine Gazelle verfolgt und immer tiefer ins Dschungel gelockt wird, bis er zur Einsiedelei des Kanva gelangt. Die Einsiedler, die hier in einer Kolonie hausen, bitten ihn um Schonung für das Tier, und er folgt ihnen. Zu Kälidäsas Zeiten fuhren Könige nicht mehr auf solchen Wagen zur Jagd oder in den Krieg; sie bestiegen Elefanten. Der Dichter versetzte den Zuschauer also gleich am Anfang in alte Zeiten. Ähnlich hatte er den „Stammbaum des Haghu" mit Dilipas Fahrt in die Einsiedelei des Vasishtha beginnen lassen. Er führte den Städter und Zuschauer in die Romantik des Waldes. Kanva ist abwesend, seine „Tochter" Sakuntalä soll ihn empfangen; der König sieht sie, wie sie, deren Brüste zu schwellen beginnen, so daß ihr Gewand ihr zu eng wird, mit zwei Freundinnen die Pflanzen der Einsiedelei pflegt, und belauscht ihr Mädchengeplauder. Eine Biene umsummt Sakuntalä und bedrängt sie. Da tritt der König als ihr Beschützer hervor, gibt sich aber nur als einen Rechtsverwalter des Königs aus 96 . Sakuntalä und der König empfinden Liebe auf den ersten Blick. Aber das Mädchen ist scheu, schweigt, bereitet dem Gast keinen gebührenden Empfang, und als die Freundinnen Sakuntalä dazu auffordern, schenkt ihr der Gast jede Bemühung. Sakuntalä ist eben ein ganz anderes Mädchen als Pärvati, die Siva ergeben dient. Sie liebt; Pärvati fühlte sich nur als ausgewählte Braut. Vor Liebe kann ¡Sakuntalä sich nicht bewegen. Ähnlich versagte sie später bei dem Gast Durväsas im IV. Akt. Die Freundinnen erkennen Sakuntaläs Lage, necken sie, und das verschämte Mädchen will gehen, aber die Liebe hält sie zurück, als die Freundinnen sie gehen heißen. Der König hat sich sehr schnell nach Sakuntalä, ihrer Abstammung usw. erkundigt und erfahren, daß er sie der Sitte gemäß ehelichen darf. Aber das liebliche Beisammen wird gestört. Die Jagdbegleitung des Königs nähert sich der Einsiedelei, und der König muß sorgen, daß seine Leute die Einsiedler nicht belästigen. So ist der erste Akt mit dieser ersten tastenden Liebesszene im Walde der Einsiedler gefüllt. Zu Beginn des II. Aktes ist der „Vidüshaka" allein. Er ist der Freund des Königs, ein Brahmane, aber ungelehrt, redet Volkssprache und jammert über die Beschwernisse der Jagd, fern von den Bequemlichkeiten der Stadt und des Palastes. Er ist die komische Figur aller drei Dramen Kälidäsas. Er bittet den König heimzukehren und mahnt ihn, seine Regierungspflicht nicht länger zu versäumen. So egoistisch er redet, so komisch er ist, so treu ist er seinem Herrn und Freund, und so recht hat er in manchen Urteilen!
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
Der König aber ist verliebt, will den Einsiedlern zu Gefallen sein und die Jagd abbrechen, läßt also seinen Heerführer rufen. Der König erklärt, dem Vidüshaka zuliebe die Jagd aufzugeben, denn dieser verdamme als Brahmane die Sünde der Jagd. Der Heerführer redet dagegen dem König zu, die Jagd sei sportlich und erzieherisch für Könige sehr zu preisen. Er flüstert aber dem Vidüshaka zu, er solle auf seine Ablehnung der Jagd beharren. Der König schickt seine Jagdbegleitung heim. Der Heerführer spricht ein Lob der Jagd, das in der Staatslehre und unter Aristokraten üblich war. Er widerspricht dem Vidüshaka, dem Brahmanen aber nur, um dem König nach dem Munde zu reden. Der König seinerseits redet nicht ehrlich, nur der Vidüshaka ist in dieser Szene offen. Dem Dichter hat diese verlogene Hofszene sicher große Freude gemacht, und nicht minder dem Zuschauer. Jetzt ist der König mit seinem vertrauten Freund alleine und spricht ihm von seiner Liebe zu Sakuntalä. Er fragt ihn um Hilfe, unter welchem Vorwand er seinen Aufenthalt in der Einsiedelei herauszögern könne. Da kommen die Einsiedler und bitten ihn um Schutz ihrer Riten gegen Dämonen. Andererseits kommt ein Bote seiner Mutter, der ihn zu ihr ruft, um an einem Ritus teilzunehmen. Kurz entschlossen schickt er seinen Freund zu seiner Mutter; so kommt dieser wunschgemäß in die Stadt. Er selber h a t den Grund, bei den Einsiedlern zu verweilen. Aber, damit der Vidüshaka nicht zuviel schwatzt, erklärt er ihm, er denke nicht etwa ernsthaft an dies Einsiedlermädchen; sie passe nicht in den Palast. Der Zufall hilft dem König. Im Rämäyana war erzählt worden, wie der Einsiedler Visvämitra Räma holte, damit er seine Opfer gegen Dämonen schützte, und wie im Anschluß daran Visvämitra Räma den Weg wies, Sita zu gewinnen. An so etwas mag Kälidäsa gedacht haben. Aber verhängnisvoll wirkt sich aus, daß der König sogar gegen seinen Freund, den Vidüshaka, unehrlich ist und hier geradezu lügt! Dieser treuherzige Dummkopf glaubt dem König. Hätte der König nicht gelogen, hätte sein Freund später die Tragik der Sakuntalä mildern können, wie sich im VI. Akt herausstellen wird. Dushyanta wird damit schuldig. Aber niemand macht ihm daraus einen Vorwurf. Kälidäsa hat diesen Zug aber nicht ohne Absicht eingeführt: es ist Kritik am Despoten. Im III. Akt belauscht Dushyanta Sakuntalä mit ihren beiden Freundinnen und erhält aus dem Gespräch den eindeutigen Beweis, daß das Mädchen ihn so liebt wie er sie. Bei dem „Wolkenboten" war bereits davon die Rede, daß die indischen Helden von der Geliebten solche Beweise brauchen, weil sie auf der Bühne zu schüchtern sind, der Geliebten ihre Liebe zu gestehen. Der König, der ein Haus voll vieler Frauen hat, wagt kein Geständnis vor dem Mädchen des Waldes. Er, der befehlen könnte, dem schöne Mädchen von Kriechern angeboten wurden, will eben werben, will um seiner selbst wegen geliebt werden und hat sich deswegen nicht als König zu erkennen gegeben. Er sehnt sich nach Sehnsucht, so wenig
7. äakuntalä oder der
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seine Ungeduld ihn auch warten läßt. Kälidäsa hatte geradezu Mitleid mit den hohen Herren, die kaum echte Liebe finden konnten. Er versichert den vorsichtig fragenden Freundinnen, er habe zwar viele Frauen, aber Sakuntalä werde seine einzige wahre Königin sein. Beruhigt lassen beide das Liebespaar alleine. Stürmisch zieht er sie auf einen Sitz, aber sie wehrt ab, sie sei zwar voll Liebe, aber sie sei auch nicht Herr ihrer selbst, ihr Vater habe sie zu vergeben. Er will von Warten nichts hören und drängt sie zu sofortiger heimlicher Liebesheirat. Da kommt eine Einsiedlersfrau, Sakuntalä läßt den König sich verbergen, und die Szene wird abgebrochen. Die Zurückhaltung und Beherrschtheit der Sakuntalä ähnelt weitgehend der der Pärvati dem stürmischen Siva gegenüber. Aber Sakuntalä liebt heißer, und Siva drängt nicht etwa auf solche heimliche Heirat. Diese Menschen lieben eben doch anders als die Götter. Es ist, als wenn der Dichter dies Drama erst nach jenem Epos geschrieben hätte, gleichsam eine Richtigstellung über das Wesen der Liebe. Kälidäsa hat dann die wohl sehr schnell danach erfolgte Liebesvereinigung des Paares und die Übergabe des königlichen Ringes übergangen. Er mochte dies nicht auf die Bühne bringen. Er mochte die Einzelheiten nicht zeigen, die er im Epos der Pärvati und Sivas mit glühender Leidenschaft besungen hatte. Die Liebe überwand die Scham der Sakuntalä. Sie wartete die Rückkehr des Einsiedlers Kanva und die rituelle Heirat nicht ab. Sie empfing von dem König. Der König kehrte in seinen Palast heim mit dem Versprechen, sie in wenigen Tagen nachzuholen. Warum er forteilte, ohne mit Kanva gesprochen zu haben, brauchte der Dichter auf diese Weise nicht zu erklären. Dies ist eine Schwäche des Dramas. Im Anfang des IV. Aktes erfährt der Zuschauer aus einem Gespräch der beiden Freundinnen von dem, was inzwischen geschehen ist. Es kann sich nur um kurze Zeit handeln. Hinter der Bühne spielt sich dann eine wichtige Szene ab: Es kommt der Brahmane Durväsas; Sakuntalä, in ihre Liebesgedanken versonnen, unterläßt, den Gast zu ehren; er verflucht sie, daß der, an den sie denke, sich ihrer nicht mehr erinnern solle. Die Freundinnen hören seinen Fluch, eilen zu ihm und erreichen, daß der Fluch dahin gemildert wird, daß der König die Erinnerung wiederbekommen soll, wenn er den Ring wiedersieht. Um Sakuntalä nicht noch mehr zu erregen, verheimlichen die Freundinnen dies Ereignis vor ihr und allen anderen. Durväsas ist die mythologische Verkörperung des lästigen Bettelbrahmanen. Er flucht schnell, wenn man ihn nicht sofort gastlich ehrt. Die religiösen Bettler waren ja eine Landplage. Weise Brahmanen sollen ruhig, selbstbeherrscht sein. Dieser grimmige aber wird vom Dichter eingeführt, um Sakuntaläs Schuld nicht allzu groß erscheinen zu lassen. Schuldig ist sie; wie sie Dushyanta aus Scham nicht empfängt, so übersieht sie aus sorgenvoller Liebe diesen Bettler. König Dushyanta wird zugleich entschuldigt, wenn er die Geliebte wirklich vergißt, vergessen muß. Im Epos war von all diesem nicht die Rede gewesen. Da tat der
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Kalidäsa - Die menschliche Bedeutung seiner Werke
König nur, als habe er Sakuntalä nicht wiedererkannt, da gab es weder den Ring noch den Fluch. Hier aber macht die Liebe die Verliebte schuldig, und der- König wird durch seine besorgte Lüge dem Vidüshaka gegenüber schuldig. Kalidäsa verstand eben mehr vom Seelenleben der Liebenden als der Epiker und sorgte sich sehr um eine liebevolle Darstellung. Kanva kehrt heim, weiß als Seher alles, sendet sofort Sakuntalä' zu ihrem Gatten, und der Akt ist im wesentlichen damit gefüllt, wie die Freundinnen die scheidende Braut schmücken und die „Tochter" vom weisen Kanva, von den Freundinnen und den Tieren und Pflanzen der geliebten Einsiedelei Abschied nimmt. Für indischen Geschmack ist dieser Akt die höchste Perle der Kunst des Kalidäsa 9 7 . Der Akt ist auch für uns rührend mit seinem ahnungsvollen schmerzlichen Abschied. Auch bei uns scheidet eine Braut mit Tränen aus dem Elternhaus, so will es die Sitte, die freilich heute kaum noch lebt. Aber in Indien empfinden Eltern und Töchter solchen Abschied weit stärker als wir. Das Mädchen wird als eben mannbar gewordenes Kind aus dem Hause gegeben. E s wird in eine fremde Familie gegeben, wo es beinahe ein Sklavenlos erwartet. Die Schwiegermutter wird die junge Frau so erziehen, daß sie ihr eine Hilfe im Haushalt und eine ergebene Dienerin ihres angetrauten Gatten wird. Der Ernst des Lebens beginnt für das Mädchen, Arbeit statt Spiel. Und ob wirkliche Liebe die Braut erwartet, ist meist, da das junge Paar sich j a gar nicht hat sehen dürfen, fraglich und wird als angeblich unwichtig beiseite geschoben. Heirat ist in Indien bis in recht junge Zeit mehr eine Übergabe einer Arbeitskraft von Familie zu Familie gewesen, als Liebe. Wenn die Eltern der Braut das aus eigener schwerer Erfahrung wissen, wenn die Braut das weiß, wie sollen sie nicht weinen ? Wie aber mußten die Inder einen Dichter verehren, der diese menschliche Not in dieser rührenden, altbekannten Liebesgeschichte in zarter, würdiger und warmer Sprache auf die Bühne brachte! Im schroffen Gegensatz zu dem rührenden IV. Akt beginnt der V. mit einer kurzen lustigen Szene. Dushyanta steht in seinem Palast zwischen zwei Frauen, eine fühlt sich zurückgesetzt, der Vidüshaka soll mit ihr reden. So stellte Kalidäsa das leichtfertige, sorglose Leben des Despoten neben die sorgenvolle Liebe des Naturkindes Sakuntalä. Dann meldet sein greiser Kämmerer dem König die Ankunft einer Gruppe von Einsiedlern des Kanva. Der König läßt sie mit allen Ehren durch seinen Hofpriester empfangen und in die Halle des Opferfeuers geleiten, wo er von ihnen dann selber ihren Wunsch zu erfahren gedenkt. E r trifft sie; der Dichter schildert breit, wie beide Gruppen, die des Königs und die der Einsiedler, sich einander nähern, sich betrachten und sich feierlich begrüßen. Da stellt der Dichter großes Hofzeremoniell neben die lustige Szene der eifersüchtigen Frauen. Der König sieht eine verschleierte Frau unter den Einsiedlern, aber verbietet sich, die Frau eines anderen zu betrachten. In leisen Bemerkungen
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zu der ihn begleitenden Türhüterin (im Palast beschäftigte man gerne weibliche Dienerinnen) deutet er dem Zuschauer seine Gedanken an. Einer der Einsiedler trägt dann die Botschaft des Kanva über Sakuntalä vor, die er hiermit dem Gatten übergebe. Dushyanta versteht die Rede nicht, er kann sich j a an nichts erinnern. E r lehnt es ab, Sakuntalä, die schwangere Frau eines anderen, bei sich aufzunehmen, und die Türhüterin bewundert ihn, daß er eine so schöne Frau nicht freudig nimmt. Sie drückt damit wohl nach der Absicht des Dichters die Stimmung und das Urteil des Volkes aus. Sakuntalä wird entschleiert und soll selber zu ihm sprechen. Sie möchte ihm seinen Ring zeigen, aber hat ihn verloren. Sie erinnert ihn vergebens an eine Szene, wie er im Walde eine junge Gazelle tränken wollte, das scheue Tier aber nur Wasser von der ihm gewohnten Sakuntalä nahm. Das erinnert an den „Wolkenboten" und an Sita, an ihre Erinnerungsgeschichte im Gespräch mit dem Affen Hanumän. Das war also ein übliches Thema in solchen Szenen. Dushyanta sieht darin aber nur weibliche List und zierliche Lüge. Sakuntalä zürnt und klagt ihn der Ehrlosigkeit an. Dushyanta spürt die Echtheit ihres Zornes. Die Einsiedler tadeln sie, sie müsse jetzt für ihre Leichtfertigkeit büßen, drohen aber auch dem König mit Sturz für seine Herzlosigkeit. Sie gehen, Sakuntalä darf ihnen nicht folgen, muß im Hause des Gatten bleiben, oder er mag sie verstoßen, er ist j a ihr unumschränkter Herr. Dushyanta ist voll Zweifel, denn er darf doch die Frau eines anderen nicht aufnehmen. E r fragt seinen Hofpriester um R a t . Der rät, abzuwarten, ob das zu erwartende Kind ein Sohn mit den Zeichen königlicher Größe werden wird; solange möge Sakuntalä in seinem, des Priesters Haus weilen. Der König ist einverstanden, Sakuntalä aber, die jammernde, ruft die Erdgöttin an, sich ihr zu öffnen. Da kommt blitzartig eine Fee und entführt sie. Der staunende König weiß sich keinen R a t . Im Epos hatte Sakuntalä in der entsprechenden Szene als eine epische Heroine dem König von Moral und Recht gesprochen.. Hier schweigt sie meist, und nur zum Schluß, als ihr jeder Erfolg versagt bleibt, wünscht sie sich von dieser Erde fort. Kälidäsa hat dies neu in die alte Geschichte eingeführt und dabei vermutlich an Sita gedacht, die ebenfalls die Erdgöttin gebeten hatte, sie zu sich zu nehmen. E s hat überhaupt den Anschein, als wenn Kälidäsa beim Dichten dieses Dramas jenem alten Epos Rämäyana gefolgt ist. Nach der alten märchenhaften Sakuntalägeschichte endete die Trennung des Paares mit dieser Szene. Dort wartete die junge Mutter sechs Jahre, bis sie den Sohn zum Vater brachte und sein Recht durchsetzte. Kälidäsa aber ließ die eben schwanger gewordene Sakuntalä zum König bringen und nicht anerkannt werden. E r dichtete dazu eine zweite Trennung. Sakuntalä ist durch eine Fee entführt, wird ihr Kind gebären, und erst, wenn dies zum strammen Jungen herangewachsen ist, wird der Vater mit Mutter und Sohn wieder vereinigt werden. Im Rämäyana aber wird Sitä ebenfalls zwei-
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K&lidasa - Die menschliche
Bedeutung
seiner
Werke
mal von Räma getrennt. Zunächst wird sie nach Lanka entführt, wiedergefunden und durch ein Feuerordal gereinigt. Nach Jahren aber verstößt Räma die eben schwanger gewordene Sita, sie gelangt in die Einsiedelei des Välmiki, gebiert Zwillinge, und erst, als diese zu Jünglingen herangewachsen sind, findet der Vater die beiden Söhne und die Mutter wieder. Die Ähnlichkeit zwischen Kälidäsas Dramen und Välmlkis Epos ist groß genug, um an Nachahmung des Epos durch das Drama zu glauben. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Kälidäsa hat dabei das alte Wunder, daß eine himmlische Stimme die Echtheit des Königssohnes bezeugte, durch das neue Wunder der Entrückung ersetzt. Für unseren Geschmack ist ein solches Wunder etwas störend. Wir würden es lieber sehen, wenn die Handlung auch ohne göttlichen Eingriff sich folgerichtig entwickelte. Der Inder aber glaubt an die Himmelswelt der Feen und Nymphen; Sakuntaläs Mutter gehörte in jene Welt; sie und ihresgleichen wollten die Leiden der Sakuntalä erleichtern und griffen helfend ein. Sie wollten ihr warten helfen, bis Dushyanta den Ring sehen würde, der ihm sein Gedächtnis zurückgeben sollte. Der Fluch eines Durväsas mußte ja nach Hinduaberglauben unbedingt in Erfüllung' gehen. In dieser Hinsicht war auch ein Dichter wie Kälidäsa abergläubisch; nur wenige Materialisten waren kühn genug, an dergleichen nicht zu glauben. Der VI. Akt beginnt mit einer Rüpelszene. Zwei Polizisten unter Führung eines Königsschwagers schleppen unter Prügeln einen Fischer auf die Bühne, bei dem sie einen kostbaren Ring gefunden haben. Er muß ihn dem König gestohlen haben. Er leugnet, er habe ihn im Bauche eines Fisches gefunden. Der eine der Polizisten ist besonders blutrünstig und möchte dem armen Fischer an die Kehle. Der andere aber hält ihn zurück und der Königsschwager lacht zwar über den Beruf des Fischers, läßt sich von ihm aber belehren, daß jeder Beruf, welcher Art er auch sei, so ausgeübt werden müsse, wie man ihn vom Vater überkommen habe. Der Königsschwager glaubt dem Fischer, eilt zum König, die Polizisten warten auf der Bühne und raten über den Ausgang der Sache herum. Da kommt der Schwager des Königs, bringt dem Fischer eine große Belohnung des Königs, der beim Anblick des Ringes geweint habe, und alle vier gehen auf Vorschlag des Fischers weg, um einen Wein zu trinken. War der V. traurige Akt mit einer lustigen Szene des Königs eröffnet worden, so beginnt der Dichter den VI., der nicht weniger traurig sein wird, mit einer Volksszene. Der König hatte viele Frauen, diese wieder hatten Verwandte; so hatte ein Despot eine Unzahl Schwäger zu versorgen und stellte sie als Beamte ein 98 . Im Drama der Vasantasenä ist solch ein Königsschwager der Bösewicht und Gegenspieler des Helden. Hier hat Kälidäsa einen gutmütigeren Königsschwager hingestellt, der nur insofern ein wenig schmarotzerhaft wirkt, als er sich und seine Polizisten von dem Fischer freihalten läßt. Für den Zuschauer ist die Unschuld des Fischers vom ersten Augenblick an klar. Kälidäsa hat hier die alte Sage um ein weitverbreitetes Märchenmotiv bereichert, das auch für das alte Indien bezeugt ist, das des Fisches, in,dem jemand
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ein Juwel findet. Er brauchte es als Gegenstück zum Motiv des Erkennungsringes und, um die Trennung des Paares der Liebenden zu verdoppeln. Der Fischer gehört zur Fischerkaste wie sein Vater. Zwar war solch Beruf verachtet, weil der Fischer einerseits Fische tötet, also sündigt, beruflich, kastenmäßig sündigen muß, und weil er andererseits stinkt. Aber auch der Fischer hat seinen Stolz, und der Königsschwager kann ihm nichts darauf erwidern, daß er den Beruf des Vaters kastengemäß fortführen muß. Wo steckt also seine Schuld ? Kälidäsa steht mit dieser Rechtfertigung des Armen nicht allein, aber es ist zu betonen, daß, wenn ein Dichter derartige Gedanken lehrte, er menschlich hochzuschätzen ist. Nach diesem Vorspiel beginnt der VI. Akt damit, daß der Zuschauer von zwei sich unterhaltenden Palastdienerinnen erfährt, daß es Frühling geworden ist. Der Kämmerer aber erinnert sie daran, daß der König das übliche Frühlingsfest abgesagt h a t ; er leidet ja an Reue. Dushyanta kommt mit dem Vidüshaka. Er sagt eine Gerichtssitzung ab, weil er nicht hatte schlafen können. Er klagt im Park dem Vidüshaka sein Elend, beklagt seinen damaligen Irrtum, die Geliebte verstoßen zu haben. Er läßt sich ein Bild bringen, daß er selber von Sakuntalä und ihren beiden Freundinnen gemalt hat, er möchte an ihm weitermalen, eine Blüte ins Ohr der Geliebten, und eine Biene, die sie umsummt. Er will die Biene abwehren, und der Vidüshaka muß ihn ermahnen, daß er doch nicht das Mädchen und die Biene in Wirklichkeit vor sich habe, sondern nur im Bilde. Eine Nymphe hat diese ganze Szene im Park belauscht; sie will ihren Schwestern Nachricht über den König bringen und freut sich, daß er so edel seinen Fehler eingesehen hat. Der Vidüshaka aber kommt bei sich zu dem Schluß, der König sei verrückt geworden. Durch die Erinnerung an die Biene weist dieser vorletzte Akt auf den zweiten zurück. — Die Bemerkung des komischen Brahmanen, der Verliebte sei verrückt geworden, erinnert uns an die Bemerkung Kälidäsas über den verliebten Geist im Anfang des „Wolkenboten". Darin liegt ein wenig Ironie. Aber die Erregung Dushyantas beim Betrachten des Bildes und die Erinnerung an die schöne Liebeszeit ist doch vom Dichter im ganzen durchaus nicht komisch, sondern eher für unser Empfinden etwas sentimental gemeint. Die Inder empfinden vielleicht heißer, hingerissener als wir kalten Menschen nördlicherer Breiten. Wir müssen uns beim Verurteilen solcher Ausbrüche der Leidenschaft aber sehr zurückhalten, denn wir haben noch keinen Maßstab zu beurteilen, wieweit und ob überhaupt Kälidäsa hier die Wirklichkeit Indiens übertrieben widerspiegelt. Dushyanta schickt den Vidüshaka mit dem Bilde fort. Der Minister sendet ihm einen Rechtsfall zur Entscheidung: Soll das Vermögen eines auf See umgekommenen, kinderlosen Kaufmannes eingezogen werden? Der König befiehlt, abzuwarten, ob nicht eine Frau des Kaufmannes schwanger sei, denn dem Kinde würde das Erbe gehören.
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Kalidasa
- Die menschliche Bedeutung
seiner
Werke
Diese kurze Szene hat der Dichter eingeführt, um den gerechten Sinn des Königs zu zeigen. Man denkt an den Schluß des „Stammbaumes des Raghu" mit der Krönung des ungeborenen Kindes. Dushyanta denkt jetzt an seine eigene, selbstverschuldete Kinderlosigkeit. Seine Dynastie würde mit ihm aufhören. Er fällt vor Sorge in Ohnmacht. Der Dichter betont, daß Dushyanta zwar eine große Schar Frauen in seinem Besitz hat, auch wohl mit dieser und jener getändelt hat, daß er aber nur mit Sakuntalä einen Sohn gezeugt hat. Er hat es ernst gemeint, wenn er Sakuntaläs Freundinnen versicherte, nur sie werde seine Königin sein. Es handelte sich jaschon im Epos und in dem noch älteren Märchentyp um das Problem der Erhaltung und Reinhaltung der Dynastie, sei es der Bharatas, Judas oder Justinians. Auch Räma war seiner Sita sein ganzes Leben über ihren Tod hinaus und während ihrer Trennung treu. Auch Siva war grundsätzlich monogam. Und die indische Frau litt unter der Polygamie, auch sie wollte ihren Mann für sich allein, und ein guter Brautvater verlangte vom Schwiegersohn Monogamie. Dem kam der Dushyanta Kälidäsas ziemlich nahe. Hinter der Bühne ertönt Wehgeschrei des Vidüshaka. Ein Dämon hat ihn gepackt und will ihn fressen. Dushyanta erwacht aus seiner Ohnmacht und Niedergeschlagenheit, er läßt sich seinen Bogen bringen, den Freund zu retten. Da erscheint Mätali, der Wagenlenker des Götterkönigs Indra. E r hat diese Szene veranstaltet, um den König aus seiner Tatenlosigkeit zu wecken. Indra braucht ihn zum Kampf gegen die Dämonen. Dushyanta besteigt den Götterwagen und eilt zum Kampf. Der VII. Akt beginnt damit, daß Dushyanta und Mätali vom Siege über die Dämonen durch die Luft fliegend heimkehren und sich in der Himmelswelt der nördlichen Gebirge einer Einsiedelei des mythischen Brahmanen Märica nähern. Dieser belehrt gerade seine Frau Aditi, die die Mutter von Göttern wie Indra und Vishnu ist, über die Pflichten einer Ehefrau. Der König möchte dem Weisen seine Verehrung darbringen, steigt vom Wagen ab, wartet, und sieht einen Knaben kommen, der einem Löwenjungen das Maul aufsperrt, um seine Zähne zu zählen. Zwei Einsiedlermädchen können ihn nicht abschrecken. Schließlich bitten sie den König, den Löwen zu befreien. Er tut so. Er erfährt, daß dieser Knabe kein Brahmane, sondern aus des Königs eigenem Geschlecht ist. Eine Einsiedlerin zeigt dem Knaben einen Tonvogel, einen Pfau, und der Knabe mißversteht das Wort und meint, seine Mutter käme. Dies Wortspiel läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Beim Spiel mit dem Löwen hat der Knabe ein Amulett verloren, der König hebt es auf, und die Mädchen staunen, denn nur der Knabe oder seine Eltern können es anfassen, bei jedem anderen verwandelt es sich in eine Schlange und beißt ihn. Sie behaupten, das oft beobachtet zu haben. Dushyanta will den Knaben als seinen Sohn umarmen, der aber lehnt ab, sein Vater heiße Dushyanta. Da kommt Sakuntalä, besorgt wegen des Amuletts. Der König fällt Sakuntalä zu Füßen und bittet sie um Verzeihung. Sie hat ihm bereits verziehen. Da holt Mätali Dushyanta zum weisen
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Erkennungsring
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Märlca, der der Königsfamilie von dem Fluche des Durväsas erzählt: Jetzt erst erfahren die beiden Liebenden, daß den König keine Schuld trifft, weil er seine Erinnerung verlor und wiederfand. Von der Schuld der Sakuntalä und des Dushyanta ist keine Rede mehr. Der Weise segnet das Paar und sagt voraus, daß der Knabe ein Weltherrscher werden wird. Er gibt ihm den Namen Bharata. Ein himmlischer Bote bringt Kanva die Nachricht vom glücklichen Ausgang der Handlung. Die Wagenfahrt des Königs zu Anfang des Aktes weist sozusagen auf die im Anfang des ersten Aktes zurück. Der IV. Akt ist gleichsam der Höhepunkt des Dramas mit dem Abschied des Mädchens vom Wald. Er ist der mittlere Akt des Ganzen. Im zweiten und vorletzten spielt die Biene eine Rolle, im ersten und letzten die Wagenfahrt. Kälidäsa hat also an einem gewissen künstlichen Aufbau der sieben Akte eine heimliche Freude gehabt, denn merken tat diesen Ablauf bisher anscheinend niemand". Der menschlichen Einsiedelei des ersten Aktes steht die himmlische des VII. Aktes gegenüber. Im Rämäyana verlebt das verbannte Paar Räma und Sita zunächst harte, aber doch schöne Jahre in den Einsiedeleien verschiedener Brahmanen, am Ende aber verstößt König Räma Sitä wiederum in eine solche Einsiedelei, in die des Välmiki. Dort gebiert sie ihre beiden Söhne, ganz ähnlich der Sakuntalä. Aber Välmiki ließ die Mutter mit ihren Söhnen den Vater bei dessen großem Pferdeopfer wiedertreffen. Kälidäsa dagegen ließ Dushyanta nach seinem Sieg über die Dämonen als Sohn in die himmlische Einsiedelei kommen und dort Weib und Kind endlich wiedersehen. Dabei fällt Dushyanta Sakuntalä reuig zu Füßen. Räma dagegen läßt Sitä kommen, damit sie sich vor dem Volk durch ein Ordal reinige. Välmiki führt daraufhin Sitä Räma zu und erklärt öffentlich ihre Unschuld. Dabei ist der Unterschied der Haltung zwischen Räma und Dushyanta insofern besonders bemerkenswert, als Dushyanta an der Verstoßung der Sakuntälä völlig unschuldig ist; Durväsas, und allenfalls Sakuntalä mit ihrer Verliebtheit waren schuld daran. Dushyanta hatte zwar dem Vidüshaka gegenüber im II. Akt ein wenig gelogen und seine Liebe geleugnet. Das hatte sich ausgewirkt, denn der Vidüshaka hätte Dushyanta im V. Akt an seine Liebe zu Sakuntalä erinnern müssen, wenn er nicht an Dushyantas Leugnung geglaubt hätte. Er war freilich bei der Verstoßung der Sakuntalä im V. Akt nicht anwesend, aber das war Schicksal 100 , und der König machte dem Freund im VI. Akt geradezu einen Vorwurf daraus, daß er ihn nicht erinnert habe. Ob Vidüshakas Erinnern gegen Durväsas Fluch gewirkt hätte, ist natürlich sehr zweifelhaft. Die Schuld Dushyantas ist also nach Absicht des Dichters weit geringer als die des Räma. Gerade Kälidäsa hatte ja im „Stammbaum des Raghu" gegen Räma Sitäs wegen von verschiedenen Seiten schwere Vorwürfe erheben lassen. Kälidäsa stand Räma und seinem Dichter Välmiki sehr kritisch gegenüber. Man kann daher auf die Vermutung kommen, Kälidäsa habe nach dem „Stammbaum des Raghu" mit seiner Kritik an Rämas herzlosem Handeln eine Art Verbesserung der tragischen Trennung eines Liebespaares dichten wollen. Deswegen könnte er aus dem Rämäyana die zweimalige Trennung der Liebenden ent-
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Kolidasä
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nommen und in die alte Sage eingefügt haben. Wie Kälidäsa Sita mit ihrem Lachen aus glücklicher Liebe schuldig werden und den Haß der Sürpanakhä auf sich ziehen ließ, so ließ er Sakuntalä aus Liebe schuldig werden. Aber dem harten Moralisten Räma stellte er den weichen, verliebten, unschuldig sein Gedächtnis verlierenden, und trotz seiner Unschuld der wiedergefundenen Sakuntalä zu Füßen fallenden und sie um Verzeihung bittenden Dushyanta gegenüber. Selbst wenn man nicht glauben mag, daß Kälidäsa derart bewußt gearbeitet und das alte Epos des Rämäyana kritisiert habe, so bleibt der Unterschied beider Werke doch deutlich bestehen. In beiden handelt es sich um die Liebe, die Trennung und Wiedervereinigung eines fürstlichen Paares. Aber Välmikis alte Dichtung gehört im wesentlichen noch der altindischen Sklavenhaltergesellschaft an, Kälidäsas Drama aber dem aufsteigenden Feudalismus. Wir können, wie oben angedeutet, noch nicht genauer schildern, wie sich die indische Gesellschaft inzwischen verändert' hat. Aber dieser Unterschied der Dichtungen muß dabei mit berücksichtigt werden. Stellt man die beiden Liebespaare einander gegenüber, so sind Räma und Sitä des Välmiki echte Eheleute, zwar ohne Kinder, aber doch Jahre schwerster Not der Verbannung gemeinsam ertragend. Dagegen muten Dushyanta und Sakuntalä wie ein paar zärtlich, heftig verliebter Kinder an. Sitä ist das Muster an Gattentreue. Sie wird im Wettkampf mit anderen Freiern feierlich erworben. Sie könnte sich unmöglich einem geliebten Manne in heimlicher Ehe hingeben. Sie würde nicht vor einer Biene erschrecken und über den Schutz eines Helden vor dem Insekt froh sein. Und Räma ist kein Dushyanta, der im Palast mit eifersüchtigen Frauen tändelt. Räma hat seinen treuen, tapferen Bruder Lakshmana bei sich, aber keinen treuherzig-dummklug-komischen Brahmanen wie den Vidüshaka. Selbst wenn Kälidäsa versucht, mit der Wagenfahrt des Helden alte Gesellschaftsform vorzutäuschen, er konnte sich nicht in die archaische Welt des Välmiki versetzen. Er konnte die herben Liebesgeschichten des Rämäyana nicht würdigen. Er war ungerecht gegen Välmiki, so recht er mit seiner Kritik an Räma hatte. Es ist in vieler Hinsicht lohnend, sich die Unterschiede dieser beiden Dichtungen zu vergegenwärtigen und bis in Einzelheiten hinein zu überlegen. Man wird dabei für das Verständnis der beiden Dichter viel gewinnen. Beide waren sehr große Dichter, und es ist gar nicht zu entscheiden, welcher von beiden der größere war. Wesentlich ist bei solchem Vergleich, abgesehen von dem Unterschied ihrer Persönlichkeiten, daß beide verschiedenen Stufen der Entwicklung der indischen Gesellschaft angehörten. Man muß sich aber auch klar machen, daß es sich in diesem Drama im Grunde nur um zwei Gestalten handelt, um den Mann und die Frau. Der Sohn, der brahmanische Freund, die Freundinnen, Kanva usw. werden nicht als besondere Individuen hervorgehoben. Bei Sakuntalä aber kann man wiederum wie bei Pärvati von einer Entwicklung sprechen: Sie ist im Anfang das eben erblühende Mädchen, auf den ersten Blick verliebt, noch schamhaft, auf den Vater wartend, dann aber verführt, schwanger, vom Vater fortgeschickt; vom Gatten verstoßen, in die Einsiedelei himmlischer Weiser entrückt, wird sie zur Mutter, verzeiht
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dem Gatten und tritt ihm, dem bereuenden, als die glückliche Mutter gegenüber. Diese Gestalt hat der Dichter geliebt, wie er die der Pärvati geliebt hat. Aber Dushyanta ist ihm nicht entfernt so gelungen wie Siva. Bei dem größten Gotte, an den er glaubte, ist Kälidäsa die Schilderung der Entwicklung vom Witwer zum verliebten ewig jungen Gatten gelungen. Aber Dushyanta ist bei all seiner Tadellosigkeit (seine Fehler fallen dabei nicht ins Gewicht) uninteressant geblieben. Er ist zu wenig aktiv für unseren Geschmack, zu sehr Spielball des Schicksals, des Fluches, der Schuld seiner Geliebten. In ihm hat der Dichter einen idealisierten Despoten seiner Zeit auf die Bühne gebracht, ohne ihn genügend humorvoll zu kritisieren. Eine Idealgestalt aber kann mangels Realismus nicht begeistern. Man bedenke dabei, daß Sakuntalä im Epos eine feurige Anwältin des Rechts der Frau auf den Mann gewesen war. Kälidäsa hatte aus ihr ein verliebtes Mädchen gemacht und das Rechtsproblem sowohl wie das politische Problem der Reinheit der Dynastie durch das menschliche Liebesproblem ersetzt. Damit war gerade dem Manne etwas Wichtiges genommen, das Kälidäsa nicht hat ersetzen können wie bei der herrlichen Gestalt der liebenden Sakuntalä, in der Goethe mit vollem Recht die Blüte und die Frucht sah.
8. Urvasi
und die
Heldenkraft101
Die Märchengestalt der Urvasi ist in Indien bereits in der ältesten uns erhaltenen Literatur bezeugt, im Rgveda 102 . Es handelt sich da um ein dialogisches Lied. Die Schwanjungfrau (oder weiter: die Vogelmaid) 103 Urvasi wird von ihrem menschlichen Gehebten Purüravas angefleht; er erinnert sie an ihre Liebe, der sie sich durch Flucht entzogen hat. Er hat sie mit ihren Gespielinnen als Vögel auf einem Wasser wiedergetroffen. Sie aber verhöhnt ihn, während sie ihm zugleich ein weiteres Treffen in Aussicht stellt. — In der ältesten indischen Prosa, im Brähmana, wird dieses Lied in eine große Prosaerzählung hineingestellt: Die Apsaras (himmlische Nymphe) Urvasi liebte den König Purüravas, aber stellte ihm die Bedingung, sie dürfe ihn nie nackend sehen, sonst würde sie ihn verlassen. Mehrere Jahre waren sie glücklich. Da wollten die Gandharven (himmlische Genien) sie aus dieser menschlichen Ehe lösen. An Urvasls Bett waren immer zwei Lämmer angebunden, die sie wie Kinder liebte. Gandharven rauben diese. Sie blöken. Urvasi klagt, ob denn kein Mann da sei, der sie schütze. Da springt Purüravas, nackend wie er ist, auf. Die Gandharven lassen es blitzen, Urvaäi sieht ihren Mann nackend und verschwindet. Er sucht sie, findet sie an einem Teich, auf dem sie mit ihren Gespielinnen schwamm, es kam zu jenem Dialog, und es scheint, daß er auf ihren Rat hin einen besonderen Ritus vollzog und zum Gandharven wurde, um ein Gandharvenleben lang mit ihr selig vereint zu sein. In diesem alten Märchen ist typisch, daß die übermenschliche Geliebte von dem Manne (im Zusammenhang mit ihrem Kind) wieder getrennt wird, da ein 5
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dem Gatten und tritt ihm, dem bereuenden, als die glückliche Mutter gegenüber. Diese Gestalt hat der Dichter geliebt, wie er die der Pärvati geliebt hat. Aber Dushyanta ist ihm nicht entfernt so gelungen wie Siva. Bei dem größten Gotte, an den er glaubte, ist Kälidäsa die Schilderung der Entwicklung vom Witwer zum verliebten ewig jungen Gatten gelungen. Aber Dushyanta ist bei all seiner Tadellosigkeit (seine Fehler fallen dabei nicht ins Gewicht) uninteressant geblieben. Er ist zu wenig aktiv für unseren Geschmack, zu sehr Spielball des Schicksals, des Fluches, der Schuld seiner Geliebten. In ihm hat der Dichter einen idealisierten Despoten seiner Zeit auf die Bühne gebracht, ohne ihn genügend humorvoll zu kritisieren. Eine Idealgestalt aber kann mangels Realismus nicht begeistern. Man bedenke dabei, daß Sakuntalä im Epos eine feurige Anwältin des Rechts der Frau auf den Mann gewesen war. Kälidäsa hatte aus ihr ein verliebtes Mädchen gemacht und das Rechtsproblem sowohl wie das politische Problem der Reinheit der Dynastie durch das menschliche Liebesproblem ersetzt. Damit war gerade dem Manne etwas Wichtiges genommen, das Kälidäsa nicht hat ersetzen können wie bei der herrlichen Gestalt der liebenden Sakuntalä, in der Goethe mit vollem Recht die Blüte und die Frucht sah.
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Die Märchengestalt der Urvasi ist in Indien bereits in der ältesten uns erhaltenen Literatur bezeugt, im Rgveda 102 . Es handelt sich da um ein dialogisches Lied. Die Schwanjungfrau (oder weiter: die Vogelmaid) 103 Urvasi wird von ihrem menschlichen Gehebten Purüravas angefleht; er erinnert sie an ihre Liebe, der sie sich durch Flucht entzogen hat. Er hat sie mit ihren Gespielinnen als Vögel auf einem Wasser wiedergetroffen. Sie aber verhöhnt ihn, während sie ihm zugleich ein weiteres Treffen in Aussicht stellt. — In der ältesten indischen Prosa, im Brähmana, wird dieses Lied in eine große Prosaerzählung hineingestellt: Die Apsaras (himmlische Nymphe) Urvasi liebte den König Purüravas, aber stellte ihm die Bedingung, sie dürfe ihn nie nackend sehen, sonst würde sie ihn verlassen. Mehrere Jahre waren sie glücklich. Da wollten die Gandharven (himmlische Genien) sie aus dieser menschlichen Ehe lösen. An Urvasls Bett waren immer zwei Lämmer angebunden, die sie wie Kinder liebte. Gandharven rauben diese. Sie blöken. Urvasi klagt, ob denn kein Mann da sei, der sie schütze. Da springt Purüravas, nackend wie er ist, auf. Die Gandharven lassen es blitzen, Urvaäi sieht ihren Mann nackend und verschwindet. Er sucht sie, findet sie an einem Teich, auf dem sie mit ihren Gespielinnen schwamm, es kam zu jenem Dialog, und es scheint, daß er auf ihren Rat hin einen besonderen Ritus vollzog und zum Gandharven wurde, um ein Gandharvenleben lang mit ihr selig vereint zu sein. In diesem alten Märchen ist typisch, daß die übermenschliche Geliebte von dem Manne (im Zusammenhang mit ihrem Kind) wieder getrennt wird, da ein 5
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
Tabu gebrochen ist. Es kam in manchen sehr alten Gesellschaften als bezeugte Sitte vor, daß Männer ihre Frauen nur in der Nacht besuchen durften, verbunden mit magischer Scheu, die Fruchtbarkeit der Ehe könnte magisch gefährdet werden. Daran mag die merkwürdige Bedingung der Urva^i eine Erinnerung sein. Aber im Brähmana ist das glückliche Ende vielleicht etwas Neues. An anderer Stelle wird im Brähmana das beim rituellen Feuerquirlen verwendete Paar Hölzer mit diesem sich heiß liebenden Paar in Verbindung gebracht und das untere Holz Urvaäl, der in ihm gequirlte Holzstab aber Purüravas genannt. Später fiel in den verschiedenen Fassungen dieses Märchen das Motiv der Vogelgestalt des Mädchens fort. Es wurde aber (wie das Märchen des Erkennungsringes) in den Stammbaum der Helden des Epos Mahäbhärata eingeordnet, und zwar so, daß Purüravas als der erste menschliche König dieser Dynastie auftritt, die vom Monde stammt. Der Sohn des Mondes, der Planet Merkur, war der Vater des Purüravas. Seine Mutter war IIa, die von Brahma erschaffen, bald Mann, bald Weib war. Als Weib war sie die Gattin des Merkur, als Mann nach Purüravas' .Geburt war sie Sudyumna, der der erste König von Prayäga (dem heutigen Allahabad am Zusammenfluß von Ganges und Dschumna) wurde 104 . Purüravas gilt im Mahäbhärata als ein gewalttätiger Herrscher, der den Brahmanen feindlich war und von ihnen verflucht und getötet wurde 105 . Im alten Staatslehrbuch galt er als abschreckendes Beispiel der Gier, insofern er alle vier Stände aus Goldgier auspreßte 106 . In dem wohl etwas jüngeren Epos Harivamöagilt er als frommer, mächtiger König, der von Urvaäl zum Gemahl erkoren wurde und mit ihr 59 Jahre glücklich in den lieblichen Waldgebieten an der Gangä. im Himalaya lebte, wo die Götter leben. Seine Söhne setzten die Dynastie in Prayäga fort 107 . Ähnlich wird dann mehr oder weniger ausführlich in allen Puränen erzählt. Aber die eigentliche literarische Quelle Kälidäsas ist bisher noch nicht festgestellt worden. Er ist offenbar mit dem altüberkommenen Stoff sehr frei umgesprungen. Ihm lag nicht mehr an dem Vogelmädchen und an ihrer merkwürdigen Bedingung, ihm lag daran, das Schicksal dieser Frau darzustellen, die wiederum ein ganz anderer Typ Frau ist als Pärvati oder Sakuntalä. Urvaäi war der Sage nach eine Apsaras. Wenn diese Apsarasen auch ursprünglich in vedischer Mythologie Vogelmaiden waren (ihr Name bedeutet wörtlich „die auf dem Wasser Dahineilenden"), so waren sie in hinduistischer Mythologie zu Himmelskurtisanen, zu Tempeltänzerinnen und Hetären geworden, die die Priesterphantasie in den Himmel versetzt hatte. Dort oben herrschte Gott Indra als Götterkönig. Indras Palast malte man sich ähnlich dem menschlichen Despotenpalast aus, und dazugehörten eben auch die schönen Tänzerinnen, die rechtlich als Sklavinnen des Königs galten, als seine f r a u e n oder Konkubinen, zugleich als Werkzeuge seiner Hofintrigen gebraucht wurden, da wo es ihm notwendig schien. Wenn z. B. auf Erden ein Asket seine Askese so weit trieb, daß er dem Götterkönig ein gefährlicher Konkurrent zu werden drohte, sandte Indra ihm gerne eine solche Apsaras, wie z. B. Menakä, die Mutter der Sakuntalä, daß sie den Asketen ver-
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führte und um die magische Macht seiner Askese brachte. Dies war die Art der Urvasi, wie man sie sich zu Kälidäsas Zeit dachte. Der I. Akt des Dramas beginnt mit dem Hilferuf von Apsarasen: Eine von ihnen ist entführt worden. Menakä berichtet dem fragenden König Purüravas, Urvasi und ihre Freundin Citralekhä sind von dem Dämonen Kesin geraubt. Der König besteigt seinen Kriegswagen und mimt mit seinem Wagenlenker fliegen durch die Luft. So beginnt dies Drama wie das der Sakuntalä mit einer königlichen Wagenfahrt, aber man mag auch an die des letzten Aktes der Sakuntalä denken, wo Dushyanta auszieht, die Dämonen für Indra zu bekämpfen. Die aufgeregte Schar der Apsarasen bleibt auf der Bühne. Der Wagen kehrt fliegend zurück, Purüravas bringt Urvasi und Citralekhä. Die Freundin und der König reden Urvasi Mut zu, die gerade aus einer Ohnmacht erwacht. Citralekhä erzählt ihr von Purüravas Heldentat. Beide verlieben sich ineinander, ohne es auszusprechen. Im Flug berührt Purüravas mit seiner Schulter die der Urvasi, die schamvoll ihre Freundin bittet, etwas von ihr abzurücken. Diese erotisch geladene Szene nach der des Kampfes ist bezeichnend für dies Drama. Noch ist Urvasi zurückhaltend, auch der König, aber die Annäherung beider erfolgt doch unter ganz anderen, sinnlicheren Umständen als die der Pärvati oder Sakuntalä mit ihren Geliebten. Von all diesen Zügen aber fand Kälidäsa unseres Wissens in keiner literarischen Quelle etwas, er ließ seine dichterische Phantasie seine Vorstellung der Himmelshetäre und ihrer Liebe ausmalen. Der Wagen landet, die Mädchen begrüßen sich. Da kommt Citraratha, der König der Gandharven, von Indra ausgesandt, Kesin zu schlagen. Zu spät gekommen, bittet er Purüravas, Indra aufzusuchen. Purüravas aber lehnt ab, dies sei keine Gelegenheit, Indra zu sprechen. Citraratha möge die Apsaras zum Götterkönig geleiten. Purüravas will in seiner Bescheidenheit keinen Dank des Götterkönigs herausfordern. Der Dichter deutet aber zugleich an, daß der König nicht etwa jede Gelegenheit wahrnimmt, um mit Urvasi noch länger zusammen zu sein, noch einmal durch die Luft fliegen zu können. Urvaäi aber mag ihren davoneilenden Freundinnen nicht so schnell folgen, sie läßt Citralekhä ihm ihren Dank aussprechen, sie läßt ihre Perlenkette sich in einem Ast festhängen, um noch einen Blick auf den Helden zu werfen, und die Freundin versteht sie. Dies Spiel des schönen verliebten Mädchens erinnert uns an das der Sakuntalä am Ende des I. Aktes. Purüravas freut sich, die Schöne noch einmal gesehen zu haben, und kehrt mit seinem Wagen heim. In seinem Aufbau ist dieser I. Akt sehr ähnlich dem I. Akt der Sakuntalä. Das Paar ist verliebt, hat sich die Liebe aber nicht gestanden und muß sich trennen. Die Charaktere beider Hauptpersonen sind angedeutet. Insbesondere ist die Heldentat des Purüravas hervorzuheben. Kälidäsa hat dies Drama: Urvasi 5*
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Kalidüsa
- Die menschliche
Bedeutung
seiner
Werke
oder die Kraft (vikrama) benannt. Der Zuschauer soll in Purüravas zunächst die Kraft bewundern. Der I I . Akt der UrvasI beginnt wie der I I . Akt der Sakuntalä mit der komischen Figur, dem brahmanischen Freund des Königs. Der Vidüshaka fühlt, daß er die Neuigkeit des königlichen Geheimnisses nicht bei sich wird behalten können. Da kommt eine Dienerin der Königin, die ihn aushorchen soll. Sie erzählt schlau, der König habe die Königin aus Versehen mit dem Namen der neuen Geliebten angeredet; daraufhin hält der Vidüshaka nicht mehr an sich. Er verspricht der Königin Hilfe, will den König von der Neuen abwenden. Der Zuschauer weiß, daß der Brahmane sein Wort nicht halten kann. Dushyanta war vorsichtiger gewesen und hatte dem Vidüshaka gegenüber am Ende des I I . Aktes bestritten, daß er noch an Sakuntalä denke! Damit hatte er freilich die Hilfe des Freundes verwirkt. So wandelte Kälidäsa die damals vielleicht nicht nur bei ihm sich wiederholenden Motive ab. Der König, der bisher Gericht gehalten hat, betritt liebeskrank die Bühne, fragt den Vidüshaka, ob er das Geheimnis gewahrt habe, und der lügt: J a ! Er schlägt dem König vor, sich in der Küche von seinem Kummer zu heilen. Indessen ergehen beide sich im Park, der König klagt, der Brahmane ist zuversichtlich, Urvaöi sei nicht schwer zu erlangen, und der König nimmt sein Wort als Prophezeiung. Der Vidüshaka denkt gar nicht daran, der Königin gegen UrvasI zu helfen. Purüravas bittet seinen Freund, ein Mittel zum Erreichen seines Glückes zu finden, und der versinkt in Nachdenken. Da kommt UrvasI mit ihrer Freundin, die jetzt erst merkt, daß Urvaäl Purüravas sucht. Beide verstecken sich, den König zu belauschen. Sie hören, wie der Vidüshaka dem König rät zu schlafen, um von der Geliebten zu träumen, oder das Bild der UrvasI zu malen. Urvaäl ist glücklich, daß der König sie liebt. Auch Dushyanta hatte ein Bild der Sakuntalä gemalt und sich im VI. Akt daran begeistert, und der Geist des Wolkenboten hatte geklagt, daß er das Bild der Geliebten auf Felsen zeichne, aber die Tränen hindern ihn, dem Bild hinzuzufügen, wie er ihr zu Füßen falle und so wenigstens im Bilde mit ihr zusammen sei 108 . Hier aber lehnt Purüravas den Vorschlag des Freundes ab: Schlafen könne er vor Liebe überhaupt nicht, und er könne wegen der hervorbrechenden Tränen auch kein Bild von Urvaöl vollenden. Die Liebesklage des Königs vor dem Freund erinnert an die des Dushyanta im II. Akt der Sakuntalä. Aber das Belauschen des Liebesgeständnisses erinnert an das im I I I . Akt, wo umgekehrt Dushyanta Sakuntalä und ihre Freundinnen belauscht, oder auch ein wenig an den VI. Akt, in dem Sakuntaläs Freundin Dushyantas Liebesklage belauscht. Das Bezeichnende ist hier aber, daß die Frau, UrvasI, zum Manne eilt, um sich lauschend seiner Liebe zu vergewissern. Das würde eine Sakuntalä oder Pärvati nicht getan haben. Das zeigt den Kurtisanencharakter der Urvaäl, die von sich aus den Mann sucht. Das entsprach altindischer Sitte, die in Dichtung und Miniaturenmalerei bis in den späten Feudalismus
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hinein solch Eilen des Mädchens zum Jüngling schildert, möglichst bei Nacht und Gewitter, die beide das liebende Mädchen nicht schrecken können. Urvasi entschließt sich, Purüravas einen Liebesbrief zu schicken. Sie schreibt einen Vers auf ein Blatt Birkenrinde, läßt es vor den König fallen, der Yidushaka merkt sofort, was das Blatt ist, der König liest den Vers vor, und bittet den Freund, den Brief zu bewahren. I m I I I . Akt der Sakuntalä hatte diese dem König einen Liebesbrief geschrieben, aber auf R a t der Freundinnen; sie selber war in solchen Liebesdingen zu unerfahren, sie war ja nicht in der Liebeslehre erzogen wie zweifellos die Hetäre Urvasi. Und Sakuntalä hatte auf das in Indien übliche Palmblatt geschrieben, Urvasi aber verwendet Birkenrinde, wie es in Kaschmir, in den Bergländern des Nordens üblich ist. J e t z t der Gegenliebe des Königs sicher, bittet Urvasi ihre Freundin, aus ihrer magischen Unsichtbarkeit herauszutreten und dem König ihren Gruß zu bringen. Sie tut so, spricht ihm von ihrer Liebe, er antwortet entsprechend, und sie holt Urvasi, die sich zwar etwas sträubt, aber sofort ihre magische Unsichtbarkeit aufhebt und den König schamhaft begrüßt. E r faßt sie bei der Hand und setzt sie neben sich. Der Brahmane fordert sie auf, ihn, den Brahmanen, zu grüßen, sie verneigt sich mit einem Lächeln. Da ruft eine Stimme hinter der Bühne Citralekhä an, Urvasi zum Himmel zu führen, da sie dort auf der Bühne auftreten soll. Urvasi vermag kein Wort zu äußern, Citralekhä spricht zum König und führt sie fort. Urvasi ist jetzt so schamhaft, daß sie außer dem notwendigen Gruß „Sei siegreich, König!" kein Wort zu sagen wagt. Der König faßt ihre Hand wie Dushyanta die der Sankutalä im I I I . Akt, aber diese lehrt ihn Sittsamkeit und bittet ihn in Züchten, sie loszulassen. Sakuntalä ist eben ein sittsames Mädchen, ähnlich wie Pärvati, die sich Sivas Armen entwand, aber ganz anders als Urvasi, denn, wenn diese auch hier äußerst schamhaft und schüchtern ist, hat sie dem König doch ihre Hand nicht entzogen und ihm keinen Vorwurf gemacht. Aber diese Begegnung, die zweite des liebenden Paares, wird gestört wie die zweite der Sakuntalä im I I I . Akt mit Dushyanta durch die Asketenfrau. Insofern entspricht der I I . Akt der Urvasi sozusagen dem I I . und I I I . Akt der Sakuntalä. Während dort der stürmische Dushyanta aber der Geliebten die heimliche Liebesheirat vorschlägt, ohne freilich gleich ein J a zu erhalten, weiß Purüravas außer einem Schmeichelvers gar nichts zu sagen, und die Unterhaltung besteht nur in dem Witz des Vidüshaka, daß er den Gruß der Urvasi verlangt, den sie, ohne ein Wort zu äußern, vollzieht, eine Szene menschlicher Verlegenheit, im Charakter ganz anders als die im I I I . Akt der Sakuntalä, aber ähnlich im I I . Akt der Mälavikä. Durch die Störung der Liebenden wird die Handlung geschickt bereichert und hinausgezogen. Bei Urvaäi aber ist hervorzuheben, wie liebevoll Kälidäsa dieses Hetärenmädchen geschildert hat. Sie, die Männer gewohnt ist, die Purüravas liebt und seiner Liebe sicher ist, ist mutig, solange sie mit ihrer Freundin allein ist, und schreibt ihm einen Liebesvers, aber in seiner Gegenwart sprechen, das geht über ihre Kraft. Da wird sie schamhaft wie eine Braut. Auch Südraka, der große Dichter
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KdlidCLsa - Die menschliche
Bedeutung
seiner
Werke
des wohl annähernd ebenso alten Dramas der Vasantasenä hat diese als Hetäre mit großer Menschenliebe gezeichnet. Auch Vasantasenä liebt nur e i n e n Mann, den edlen Kaufmann Cärudatta, ist ihm gegenüber schamhaft und wird am Ende aus dem Dirnenstand erlöst und seine echte Gattin. Aber das schmälert nicht das Verdienst des Kälidäsa, daß er, der Hofdichter, der der Anekdote nach in Ceylon im Hause einer Hetäre den Tod fand und vielleicht ein lockeres Leben mit vielen solchen Schönen geführt hat, eine Hetäre in Urvasi verherrlicht hat. Er verwarf diese Frauen nicht. Er ähnelte damit ein wenig dem asketischen Buddha, der die Hetäre Amrapäli ehrte und als Gast (in allen Ehren! Nur zum Essen!) besuchte, ja, ihre Einladung der einiger adliger Herren vorzog. Wie der Fischer in der Sakuntalä betont, ist jeder kastenmäßig ererbte Beruf ehrlich, und sei er auch stinkend. Kälidäsa, der angeblich ein armer Hirt gewesen war, kannte offenbar keinen brahmanischen Standesdünkel und verurteilte die Kaste der Hetären nicht. Der Vidüshaka will den trostlosen König mit dem Liebesbrief der Urvasi aufheitern, da merkt er, daß er ihn verloren hat. Der König schilt ihn als stets unvorsichtig. Der Vidüshaka sucht. Da kommt die Königin mit ihrer Dienerin, um den Gemahl zu belauschen. Sie findet den Brief, läßt ihn sich vorlesen und tritt mit dem Brief in der Hand dem König entgegen. Der König ist ratlos, ebenso Vidüshaka (Was soll ein Dieb sagen, der mit dem Gestohlenen ertappt worden ist, meint er). Die Königin zürnt. Der König fällt ihr zu Füßen und erklärt sich für ihren Sklaven. Sie läßt sich nicht täuschen, fürchtet aber, ungeschickt zu handeln. So geht sie ohne ein Wort ab. Purüravas gesteht dem Freund, daß dieser Ausgang richtig ist, denn ohne Liebe sei Verzeihung nicht zu erlangen. Aber trotz seiner Verliebtheit in Urvasi hege er dieselbe Hochachtung vor der Königin wie früher. Indessen, da sie seinen Fußfall nicht angenommen habe, fühle er sich ihr gegenüber wieder stark. Eine solche Auseinandersetzung mit seiner Königin bleibt Dushyanta erspart. Kälidäsa hat sein Urvasi-Drama um die Gestalt der Königin bereichert und damit einen neuen Frauentyp zu schildern Gelegenheit genommen. Ihre Eifersucht'"ist berechtigt, aber sie muß vorsichtig sein. Nicht der König ist ihr Sklave, sondern sie ist seine Sklavin! Sie hat sich ins Unrecht gesetzt, da sie seine Bitte um Verzeihung nicht sofort gewährt! So unglücklich war nun einmal die Lage selbst einer Königin! Purüravas hat ihr durchaus nicht angedeutet, daß er von Urvasi lassen wird; aber sie soll ihm verzeihen. Auch die Lage des Königs ist elend. Er kann von seiner ersten Königin nicht lassen, selbst wenn sie ihm auch noch keinen Sohn geboren hat. In seinem Unglück benimmt er sich hier kleinlich, argumentiert sophistisch,v er suche gar nicht den Liebesbrief, er suche ein geheimes Staatsdokument. Er sucht Hilfe bei der komischen Figur, aber vergebens, und muß sich einen ertappten Dieb nennen lassen. Wo bleibt da die Kraft des Dämonenkämpfers aus dem I. Akt ? Die Liebe zu der Hetäre bringt selbst den kraftvollen König der Urzeit in eine solche peinliche Lage. Das malte Kälidäsa mit Freude aus.
8. Urvasi und die
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Der I I I . Akt beginnt mit einem Vorspiel, in dem zwei Schüler des himmlischen Theaterdirektors Bharata von jenem Auftreten der Urvasi berichten. Sie sollte als Lakshml von ihrer Liebe zu Vishnu sprechen, sprach aber von Purüravas. Bharata verbannte sie daraufhin auf die Erde, Indra aber gedachte der Verliebtheit des Purüravas und der Urvaäl und milderte den Fluch dahin, daß sie bis zur Geburt eines Sohnes bei dem König weilen solle. Entsprechend beginnt der IV. Akt der Sakuntalä mit einem Dialog ihrer Freundinnen, in denen sie von Sakuntaläs Verfehlung gegen Durväsas und ihrer Verfluchung berichten. Beide Frauen werden aus Liebe schuldig und verflucht. Beide Male wird der Fluch gemildert. Aber bei Urvasi ist die Milderung geradezu eine Aufhebung der Strafe und Belohnung, denn Urvasi wird durch Indra dem Menschenkönig überlassen. Mag der himmlische Theaterdirektor, der Lehrer der Urvaäl, der greise Brahmane Bharata, beleidigt sein, Indra ist es nicht. Er hat volles Verständnis für seine Hetäre und Tänzerin. Er ist auch nicht etwa eifersüchtig. Sie ist nun einmal eine Kurtisane, und der Götterkönig Indra pflegte auch sonst oft genug, wie Legenden erzählen, solche Apsarasen als Werkzeug seiner Politik zu verwenden (wie es die irdischen Könige mit ihren Tänzerinnen gewohnt waren!) und gefährliche Asketen durch sie verführen zu lassen. Für seine Zuschauer brauchte Kälidäsa das freilich nicht so ausführlich darzulegen, wie es für uns heute notwendig ist. Ihm genügte es, daß der eine der Theaterschüler sagt, es sei von Indra, der andere Männer kenne, würdig gehandelt. Zuschauer und Dichter werden bei dieser Wendung geschmunzelt haben. Wieweit aber ist diese feudalistisch-höfische Geschichte von der Handlung des alten vedischen Märchens der Urvasi entfernt, das fast noch der Urgemeinschaft angehört! Nach dem Vorspiel im Himmel beginnt der I I I . Akt eines abends in Purüravas Palast. Sein Kämmerer ist von der Königin geschickt, den König zu ihrem Mondritus einzuladen. Dabei will sie sich mit ihm aussöhnen. Sie hat sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Purüravas hat inzwischen tagsüber seine Liebe durch Regierungsgeschäfte betäubt. Er nimmt jetzt die Einladung an. Der Vidüshaka merkt, daß es sich um eine kommende Versöhnung handelt. Beide gehen zur Stelle, wo jener Ritus vollzogen wird. Purüravas schwärmt von Urvasi. Gleichzeitig kommt Urvasi mit ihrer Freundin Citralekhä gerade aus dem Himmel; sie ist schön wie ein Mädchen gekleidet, das nachts zum Geliebten eilt. Beide beginnen, den König und seinen Freund zu belauschen. Sie hören, wie er sich verliebt jener ersten Schulterberührung bei der Wagenfahrt erinnert. Urvasi, entflammt, tritt aus ihrem Versteck, aber sie hat vergessen, ihre magische Unsichtbarkeit aufzuheben. Dushyanta hatte sich in seinem Liebskummer für unfähig erklärt, seiner Richterpflicht nachzukommen. Kälidäsa wollte bei Purüravas Regierungstätigkeit vielleicht auch andeuten, daß er an sich ein starker König, sogar ein Held ist, der freilich den Frauen gegenüber schwach wird. — Daß Urvaäl den König zweimal belauscht, hielt der Dichter für notwendig; diesmal wird das Lauschen, obgleich Urvasi es schon voll Freude beenden wollte, noch verlängert und die Vereinigung
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner
Werke
der Verliebten hinausgeschoben, weil die vom Zuschauer und König erwartete Königin auftritt. Die Königin kommt mit ihrer Umgebung. Der König nimmt sie bei der Hand und läßt sie neben sich sitzen. Urvasi bemerkt ihre königliche Würde. Citralekhä lobt Urvasi, weil sie frei von Eifersucht gegen die Königin ist. Urvasi stellt fest, wie hoch Purüravas seine Königin schätzt. Citralekhä aber meint weltklug, Männer, die eine andere lieben, wären nur so höflich gegen ihre Frau. Die Königin beginnt den Mondritus, in dem sie den König statt des Mondes verehrt, dem Yidüshaka Süßigkeiten spendet und dem König ihre Billigung seiner neuen Liebe ausspricht. Der Vidüshaka meint für sich: Wenn der Fisch ihm entgangen ist, meint der Fischer: Das ist für mein Seelenheil! Ich brauchte nicht zu töten! (Wir sagen: Dem Fuchs waren die Trauben zu sauer . . .!). Laut aber fragt er, ob die Königin einen solchen Gatten noch lieben könne. Sie versichert, nur das Glück des Gatten zu wollen. Purüravas erklärt sich für ihren Sklaven, den sie beliebig einem anderen (er hätte sagen sollen: einer anderen!) geben könne. Er sei nicht so, wie sie meine. Sie entgegnet: Sei du so oder nicht! Das Opfer ist vollendet. Und sie geht. Es ist schwer, die Fülle geistreicher Bemerkungen dieser komplizierten Szene anzudeuten. Der König windet sich recht unwürdig. Urvasi zeigt sich eifersuchtsfrei, sie ist ja ihrer Sache sicher. Die Königin beherrscht ihre Eifersucht; sie ist ja bereits unterlegen, sieht aber, daß der König die Form wahrt. Der Vidüshaka und Citralekhä sprechen aus, was der gesunde Menschenverstand des Volkes dazu sagen würde, wüßte es von diesen höfischen Liebeswirren. Die altindische Sitte verlangte nun einmal restlose Nachsicht der unterdrückten Ehefrau gegenüber Ausschweifungen des Gatten. Südraka hat in seinem Drama die Eheirau des Cärudatta noch williger in dieser Hinsicht gezeigt, sie ist zum Opfer ihres letzten Schmuckes für ihren verarmten Gatten bereit, und er hat dabei nicht angedeutet, daß sie innerlich an seiner Liebe zu der Hetäre Vasantasenä leidet. Kälidäsa hat diese Leiden der Königin angedeutet, er ist dadurch menschlich ehrlicher und als Dichter noch größer als Südraka. Die Königin verzeiht dem König und ist duldsam gegen die Hetäre. Diese wiederum anerkennt die Würde der Königin, fühlt aber trotzdem gegen sie keine Eifersucht. Indra sendet dem König seine Hetäre und überläßt sie ihm für einige Jahre. Der König ist verliebt in die Neue und gleichzeitig voll „Hochachtung" für seine Königin. Er versichert beiden, er sei ihr Sklave. Nur die Königin könne ihn der Hetäre als Sklaven schenken. Wenn man es nüchtern überlegt, ist diese allgemeine Duldsamkeit nicht schön. Aber der Dichter hat es so geschildert, daß man sich dieser Häßlichkeit nicht bewußt wird, weil man eben nicht nüchtern wird. Er zieht den Zuschauer in seinen Bann, und dieser zittert für das Paar der neu Verliebten, als handele es sich nicht um einen altindischen Despoten, dem eine Fee mit der Gnade des Gottes liebevoll zueilt, also ein Hindernis gar nicht gefährlich werden kann.
8. Urvasi
und die
Heldenkraft
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Urvasi kann ihr Herz nicht zurückhalten, selbst wenn sie sieht, daß der König seine Frau liebt. Der König fragt den Yidflshaka, ob die Königin auch weit genug gegangen ist. Er beginnt wieder seine Liebesklagen. Er möchte, daß die Geliebte käme und ihm von hinten die Augen zuhielte. Sie tut so. Sie entschuldigt ihr Kommen damit, daß die Königin sie ihm gegeben habe. Citralekhä bittet den König zu sorgen, daß Urvasi ihr Herabkommen vom Himmel nie zu bereuen habe. Purüravas versichert sie, er sei ihr Sklave, gehöre ihr, sie habe ihn mit keiner anderen Frau zu teilen. Der Vidüshaka wirft ein, wie einer sich denn nach dem Himmel sehnen könne, wo es nichts zu essen gebe. Citralekhä kehrt in den Himmel zurück, der Vidüshaka aber führt das glückliche Paar ins Gemach des Palastes. Der König erfährt nichts von Bharatas und Indras Eingreifen in sein Liebesglück. Er fragt die Geliebte nicht, warum sie kommt. Er ist glücklich, nachdem er den Strauß mit der Königin siegreich, wenn auch etwas erbärmlich überstanden hat. Von der Schönheit der Mondnacht ist trotz dem Mondritus bei dieser gespannten Beziehung der Beteiligten nichts zu spüren. Kälidäsa hat diese Möglichkeit nicht ausgenutzt. Er wollte hier offenbar den gedrängten Ablauf der Handlung nicht durch Mondscheinromantik unterbrechen. Er unterscheidet sich da von Öüdraka, der Vasantasenä durch nächtliches Gewitter zum Hause des Geliebten eilen und dann selig ins Schlafgemach eingehen läßt, ohne daß das Glück des edlen Paares durch irgendwelche Eifersucht getrübt wird. Dieser I I I . Akt ist der mittelste von den fünf Akten des Dramas der Urvasi. Er entspricht damit dem IV. der Sakuntalä, dem Abschied der Braut von der Einsiedelei, ihrem Aufbruch zum Hause des königlichen Gatten. Im Drama der Vasantasenä handelt es sich jetzt um den V. ihrer zehn Akte; im VI. beginnt dann die Handlung tragisch zu werden. Wie Vasantasenä gibt sich auch Urvasi dem Geliebten hin; in beiden Dramen fragen weder Mann noch Weib in diesem Augenblick nach mehr als Stillung ihres Verlangens. Erst am Ende werden die beiden Hetären aus den zeitweiligen Geliebten zu lebenslänglichen Ehefrauen. Während Kälidäsa das Unglück der Trennung der Liebenden im V. Akt der Sakuntalä ausführlich auf die Bühne brachte, erfährt der Zuschauer von der Trennung Purüravas von seiner Urvasi zu Anfang des nächsten, des IV. Aktes. Der Dichter hat den Anlaß zur Trennung nicht auf der Bühne gezeigt, sondern nur von Citralekhä einer Gespielin erzählen lassen. Im Vorspiel des IV. Aktes berichtet Citralekhä der Apsaras Sahajanyä, wie Urvasi den Geliebten dank ihrer Feenkraft mit sich in die herrlichen Berge des Himalaya nahm, wie dort aber Purüravas einmal ein Genienmädchen (eine Vidyädhari), das mit Sandhäufchen spielte, länger ansah, als Urvasi ertragen konnte. Sie ließ sich durch Purüravas nicht in ihrer Eifersucht besänftigen und eilte fort, geriet in einen Wald des Kumära 1 0 9 und wurde dort durch dessen Zauberkraft zu einer Liane. Kein Weib durfte nämlich den Hain des Gottes betreten. Tag und Nacht irrt Purüravas auf der Suche nach ihr durch jenen Wald. Dieser Dialog ist am Anfang und Ende
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Kalidäsa - Die menschliche Bedeutung seiner Werke
umrahmt von je einer Strophe, die hinter der Bühne über die Trauer einer von ihrem Männchen getrennten Schwanin gesungen wird. Purüravas hat also sein Wort, daß er nur Urvail lieben wird, nicht ganz gehalten. Urvaäl, die ihn sehr liebt und sehr unduldsam ist (wie Sahajanyä bemerkt), ist allzuschnell erzürnt. Sie ertrug seine Achtung vor der älteren Königin (zumal sie mit ihm in die fernen Berge enteilt war), aber sie ertrug nicht, daß er ein kleines Mädchen anstarrte. Ihr Temperament ist nun einmal hitzig. Sie ist eine Hetäre, die sich ihr zeitweiliges Glück nicht trüben lassen kann. Der Dichter verübelt es ihr so wenig wie der Zuschauer. Kalidäsa ließ sie eben als Hetäre weit mehr leiden als Südraka seine Vasantasenä, in deren Drama nichts Derartiges vorkommt. Kalidäsa hat den schwächlichen König erst seine Königin Urvasls wegen, jetzt Urvaäi eines kleinen fremden Mädchens wegen aufgebracht werden lassen; die Königin als „gereifte" Frau, in ihrer „hohen" Stellung allmählich zur „Duldsamk e i t " erzogen, hatte den verliebten Gatten wieder zu versöhnen, sich mit seiner Unbeständigkeit auszusöhnen versucht. Die himmlische Hetäre Urvaäl ist weit stürmischer fortgegangen und ist hart bestraft, wenn man so will, zumindest kann sie in ihrer Verwandlung als Liane im Hain des Kriegsgottes nichts für die Wiedervereinigung mit dem reumütigen Geliebten tun. Ob sie jetzt bereit wäre, dem eben gewonnenen Mann eine jüngere Geliebte zu gestatten, braucht der Dichter nicht zu erproben. Weiter ist Urvasi hier wieder mit Sakuntalä zu vergleichen. Urvagi ist zum Lianendasein in trostloser Bewegungslosigkeit verurteilt. Sakuntalä ist in eine himmlische Einsiedelei entrückt und erlebt dort die Geburt und die ersten lieblichen Kinderjahre ihres Sohnes. Sakuntalä ist eben an ihrem Trennungsleid nur insofern schuldig, als sie ihren Gatten zu sehr liebte und darüber den Durväsas übersah. Urvasi dagegen ist durch ihre Unduldsamkeit und ihr hitziges Temperament weit mehr schuldig. Citralekhä meint freilich, Urvasis Herz wäre durch Bharatas Verfluchung verwirrt gewesen, so daß sie den verbotenen Hain betrat. Sie meint wohl: Sonst hätte sie das Verbot beachtet. Aber ihre Verwirrung des Herzens rührt doch nach des Dichters Darstellung von ihrer Unduldsamkeit, nicht von jenem Versehen bei der himmlischen Theateraufführung her. Der Beginn der Trennung des Paares ist im Vorspiel des IV. Aktes nur erzählt worden, der Zustand der Trennung und ihre Beendigung füllt dann den eigentlichen IV. Akt aus. Im Drama der Sakuntalä aber ist der Beginn, der Zustand und die Beendigung der Trennung im V., VI. und V I I . Akt dargestellt. In beiden Dramen wird zuerst das Leid des Mannes gezeigt. Purüravas irrt durch den Wald des Gottes und fragt die Bäume und Tiere, ob sie die Geliebte nicht gesehen haben. Man hat diesen Teil des Dramas geradezu als opernhaft bezeichnet. Tanzend, singend führt der König, im Trennungsschmerz fast wahnsinnig geworden, einen langen Monolog auf. E r will eine Wolke mit einem Klumpen Erde bewerfen, weil er meint, sie sei ein Dämon, der die Geliebte entführt habe. E r spricht mit den Tieren, die doch nicht antworten können. Er ist weit wahnsinniger als Dusliyanta,
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der in der entsprechenden Lage im VI. Akt der Sakuntalä gegen die gemalte Biene kämpfen will. Er ist auch weit unbändiger als der Geist, der die leblose Wolke als Boten anredet. E r ist am besten mit Räma zu vergleichen, der in seinem 'Kummer im Dschungel umherirrt und die Bäume und Tiere nach Sita fragt, als sie von Rävana entführt worden war 1 1 0 . Räma hat freilich an seiner Seite seinen treuen Bruder Lakshmana, der ihn schließlich mahnt, sich nicht wie ein gemeiner Mann gehen zu lassen. Kälidäsa aber hat den Vidüshaka hier nicht auftreten lassen. Er hätte in die lyrische Klagestimmung dieses Aktes, der Ajas Liebesklage um die früh verstorbene IndumatI im „Stammbaum des Raghu" weit überbietet, nicht hineingepaßt; ihn hat das in die Bergwelt entflogene Paar im Palast zu Hause gelassen. Manche sehen in diesem Akt einen der Höhepunkte der Kunst des Dichters. Man kann freilich nicht umhin zu gestehen, daß uns diese unmäßige, unmännliche Klage des Helden Purüravas ein wenig gekünstelt, übertrieben, theatralisch anmutet, so rührende Liebesklagen wir auch von unserer europäischen Oper heir gewohnt sind. Schließlich findet der König einen Talisman, der ihm hilft, und er findet dann Urvasi: E r umarmt eine Liane, und die Apsaras verwandelt sich aus der Liane zurück in ihre Feengestalt. Sie bittet ihn um Verzeihung. Es bedarf aber keiner. Sie berichtet von ihrer Verwandlung, er von dem Talisman, den er ihr als Schmuck an ihre Stirn heftet. Sie mahnt ihn, heimzukehren, da das Volk ihr die Schuld daran geben könnte, daß er seine Regierungspflicht versäumt. Auf einer Wolke fliegend kehren sie nach Allahabad zurück. E s war ein übliches Motiv altindischer Lyrik, die sich am Baum emporrankende, ihn umschlingende Liane mit der den Mann umschlingenden Geliebten zu vergleichen. So will der König eine Liane umarmen, weil sie der Freundin gleicht, und in der Tat ist sie diese Pflanze. — Im I I . Akt der Sakuntalä mahnt der Vidüshaka Dushyanta, mit der Jagd Schluß zu machen und die Regierung wieder in die Hand zu nehmen. Purüravas macht gar nicht den Versuch, die Apsaras um weitere Liebestage in der romantischen Bergwaldgegend zu bitten. Der Dichter läßt ihn aber auch nicht begründen, warum er ihrer Mahnung sofort folgt. Fürchtet er eine Wiederholung der Trennung in der ihm unheimlich gewordenen Fremde ? — Das Paar spricht sich nicht eigentlich aus. Der König rechtfertigt sich nicht wegen seines allzulangen Blickes auf das Mädchen, beide versprechen nicht, sich zu bessern. Urvasi redet den Geliebten immer noch feierlich mit „Großkönig" an. Meinte der Dichter, sie als Hetäre habe sich wegen ihrer Eifersucht zu entschuldigen, dazu sei sie vor dem König verpflichtet, aber ein Versprechen größerer Duldsamkeit passe nicht zu ihr und habe der König von ihr als Hetäre gar nicht erwartet, andererseits sei er ihr, eben der Hetäre, kein Versprechen größerer Treue schuldig ? Oder wollte der Dichter nach dem rührenden, opernhaften Akt eine solche Auseinandersetzung vermeiden? Jedenfalls bedarf die Kürze dieser letzten Szene einer Erklärung. Der V. Akt beginnt mit einem kurzen Monolog des Vidüshaka, daß der König, glücklich heimgekehrt, die Regierung führt; ihm fehle nichts als ein
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Kolidäsa
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Werke
Sohn. Jetzt vollziehe er ein rituelles Bad zusammen mit der Königin am Zusammenfluß von Ganges und Yamunä. Purüravas ist wieder der Starke, der König, der mit seiner Königin seinen religiösen Pflichten nachkommt. Die Stelle des Zusammenflusses dieser beiden Ströme ist noch heute als heilbringend betrachtet. An Festen kommen dort hunderttausende Frommer zusammen. Hinter der Szene hört man eine Stimme: Weh, mein Talisman ist geraubt von einem Geier! Der König tritt auf; ein Buckliger 111 aus seiner Umgebung zeigt ihm den hoch kreisenden Geier; Purüravas weiß nicht, was er tun soll; der Vidüshaka rät, den Geier mitleidlos zu töten; Purüravas verlangt seinen Bogen und Pfeil; eine Leibwächterin holt ihn, aber inzwischen ist der Geier davongeflogen. Der König sendet dem Stadtkommandant den Befehl, auf den Geier zu schießen, wenn er abends auf seinen gewohnten Baum heimkehrt. Bald aber kommt der Kämmerer und bringt den Talisman zusammen mit einem Pfeil. Auf ihm liest der König einen Namen: Prinz Ayus, Sohn des Purüravas und der Urvasl. So fand der König seinen Sohn Ayus, von dessen Dasein er gar nichts wußte. Wie Dushyanta seinen Sohn Bharata als Löwenbezwinger fand, so Purüravas den seinen als sicheren Schützen und Jäger. Um diese Szene möglich zu machen, hatte der Dichter den Talisman der Urvasl eingeführt und hatte sie bei jenem rituellen Bad dies Juwel ablegen lassen. Sie war also neben der Königin dabei anwesend, wenn der Vidüshaka es auch nicht für nötig befand, sie zu erwähnen. — Um Ayus als Jäger einzuführen, ließ Kälidäsa Purüravas so umständlich über den Geier fragen, was er mit ihm tun solle, und den Bogen holen: Die Zeit mußte verstreichen; nicht der Vater, der Held und Dämonenkämpfer, sollte den Räuber töten und seiner Geliebten ihren Talisman wiederholen, sondern der unbekannte Sohn. So, wie diese Szene verläuft, macht Purüravas aber einen recht unheldischen Eindruck, besonders wenn man an den Anfang des Dramas denkt, in dem er sich sofort zum Kampf gegen den Dämon und Frauenräuber entschließt. Der Dichter ließ sich diese Gelegenheit, den König unmännlich darzustellen nicht entgehen. Er hätte bei seinem Genie leicht eine andere Möglichkeit gefunden, wenn er gewollt hätte. Der König freut sich, einen Sohn zu haben, aber versteht nicht, warum Urvasl davon nichts gesagt hat. Der Vidüshaka meint, sie wolle nicht, daß der König sie, die Alternde, vernachlässige. Das faßt der König indessen als Witz auf. Es soll auch wohl ein Witz sein, aber der Mutterwitz des Brahmanen ist nun eben manchmal sehr treffend. Er urteilt hier allgemein menschlich. Eine Urvaäi freilich altert nicht. Eine Asketin kommt mit einem Knaben. Sie bringt Ayus. Sie berichtet, Urvasl habe ihn ihr unmittelbar nach seiner Geburt anvertraut. Der Asket Cyavana habe ihn unterwiesen, er habe auch die Waflenkunde der Krieger gelernt. Heute aber habe er gegen die Einsiedlerregeln verstoßen und einen Vogel geschossen. Cyavana schicke ihn deswegen an Urvasl zurück. Der
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König läßt UrvasI kommen, sie staunt über ihren Sohn, den sie nicht heranwachsen sah; der Sohn lernt seine Mutter kennen. Der König räumt UrvasI, der Mutter seines Sohnes, die Hälfte seines Sitzes ein. Die Asketin geht. Ayus möchte mit ihr; der König ermahnt ihn, für ihn beginne jetzt ein neues Leben; der Knabe bittet die Asketin, ihm seinen Lieblingspfau zu senden. Diese Szene des ersten Sich-treffens der Familie wirkt kalt. Vielleicht wollte der Dichter andeuten, daß UrvasI, die Himmelshetäre, keine menschlich empfindende Mutter ist. Der Zuschauer weiß, daß sie bei dieser Szene geteilte Gefühle empfinden muß, denn sie hat des Geliebten wegen auf den Sohn jahrelang verzichtet. Aber der Dichter hat in dieser Szene noch nicht angedeutet, daß sie sich ihrer Tragik bewußt ist. So ist uns seine Absicht noch nicht ganz klar. Der König freut sich des Sohnes. Da kommt UrvasI die Erinnerung an ihre Verbannung aus dem Himmel, und sie weint. Dann berichtet sie, daß sie nur solange bei Purüravas bleiben darf, bis er seinen Sohn sieht. Daraufhin fällt der König in Ohnmacht, erwacht, klagt über das Schicksal, will Ayus auf den Thron setzen und selber als Einsiedler ins Dschungel gehen, läßt den Ministerrat alles für die Krönung des Ayus vorbereiten; da kommt Närada, der himmlische Musikant; UrvasI bringt dem König Wasser usw. zum Empfang des erhabenen Gastes. Närada bringt Indras Botschaft, Purüravas solle nicht Einsiedler werden, denn es drohe neuer Kampf der Götter gegen die Dämonen, und deswegen möge UrvasI bei ihm bleiben bis an sein Ende. Närada salbt dann Ayus als Thronfolger, Urvaäl nimmt ihren Sohn bei der Hand, um ihn zu seiner „älteren Mutter" (der Königin) zu führen, und der König geht mit ihnen beiden zu ihr. UrvasI fällt nicht in Ohnmacht wie der König. Wie er über sein schweres Schicksal klagt, wirft sie nur mit leisem Vorwurf ein, sie gehe nicht etwa glücklich in den Himmel, nachdem sie auf Erden ihre Pflicht getan und einen Sohn geboren hat. Purüravas will keinen Vorwurf hören, denkt aber auch gar nicht an Widerstand dagegen, daß sie nun einmal von einem anderen, von dem Götterkönig, abhängig ist. UrvasI denkt als erste an die edle Königin, die auf diese Weise hier am Ende des Dramas noch einmal genannt wird. UrvasI als Mutter des Thronerben hat jetzt eine sichere Stellung neben dem König, selbst wenn sie nicht Königin ist. Südraka ließ in seinem Drama die Hetäre Vasantasenä am Ende aus dem Hetärenstand herausnehmen, so daß sie eine ehrbare Hausfrau des Kaufmannes Cärudatta wurde 112 . Kälidäsa hat mit der himmlischen Hetäre UrvasI etwas Entsprechendes nicht vorgenommen. Sie wird j a nach ihrer Zeitehe mit dem menschlichen König wieder im Himmel ihres Amtes walten. Urvasls Liebesschicksal ist sehr ähnlich dem der Sakuntalä und im Grunde auch der PärvatI, der Geliebten im Wolkenboten oder der Sita. Immer wieder handelt es sich dem Dichter um Liebe und Trennung der Liebenden. Immer wieder sorgt er für eine glückliche Wiedervereinigung. Aber wenn er dasselbe Grundthema der Liebe immer wieder neu gestaltet hat, so deswegen, weil er neue Frauencharaktere behandeln wollte. E r liebte die energische Jungfrau
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Pärvati ebenso wie die unter Einsiedlern im romantischen Dschungel aufgezogene schamhafte Sakuntalä, aber auch die Hetäre Urvaäl, die heftige, sich ihren Geliebten erringende Frau, die keine ehrbare Gattin werden konnte und stets an gewisser Mißachtung leiden mußte. Kälidäsa genoß es aber auch, die verschiedenen Männer in ihrem Verhalten zur Geliebten zu zeigen: Siva, den Witwer, der wieder liebte, Dushyanta, den etwas idealisierten König, und Purüravas, den schwächlichen Helden der seine Hetäre zum Lohn für seine Dämonenkämpfe behalten darf. Von dem Hintergrund einer Fülle von Nebenfiguren heben sich diese Liebespaare klar ab, aber TJrvaöi hat neben der edlen Königin als einer schwachen, kinderlosen, alternden, nur menschlichen Widersacherin zu leiden. Auch das war etwas, was den Dichter getrieben haben mag, das Liebesthema der Gewinnung des Mannes, der Trennung von ihm und der Wiedervereinigung noch einmal anzufassen — obgleich nicht behauptet werden kann, daß Kälidäsa seine Werke in der Reihenfolge gedichtet hat, in der sie hier besprochen worden sind.
9. Malavika
und
Agnimitra
Kälidäsa hatte in Pärvati die liebende Berggöttin, in Sakuntalä den Zögling der Einsiedler, in Urva^i die Himmelshetäre geschildert. In Mälavikä dichtete er die Liebe einer Sklavin, denn das war sie während der Handlung des Dramas, mag sie auch ursprünglich eine Prinzessin gewesen sein. Dementsprechend hat er sich für diese neue Behandlung seines Lieblingsthemas der Liebe nicht in eine mythologische Gesellschaft hineingedacht, sondern einen historischen Hintergrund gewählt, einen Hof und Ereignisse, die mehr als 500 Jahre vor seiner Zeit lagen. Wie sie ihm bekannt wurden, was er aus Überlieferung bekam und was er selber hinzudichtete, ist noch nicht ganz klar. Einstweilen sieht es so aus, als habe er viel Eigenes in dies Drama hineingetan, aber alle Historiker des alten Indien verwenden dies Drama einstweilen als eine der wenigen Quellen jener Periode. Damals, in der ersten Hälfte des 2. Jh. v. u. Z., war gerade das Reich zerfallen, das fast ganz Nordindien und bedeutende Teile Südindiens in der Hand der mächtigen Maurya-Dynastie vereinigt hatte. Der letzte Maurya soll nach dem Stammbaum der Puränen von seinem eigenen Heerführer, Pushyamitra, gestürzt worden sein. Pushyamitra soll ein Brahmane aus dem Brahmanengeschlecht der Bhäradväja 1 1 3 und der Begründer der Sunga-Dynastie Nordindiens, genauer Magadhas, gewesen sein. Er soll 36 Jahre, also etwa von 184 bis148 v. u. Z. regiert haben 114 . , Sein Sohn war Agnimitra, der acht Jahre regierte; dessen Sohn, Vasujyestha, soll sieben, dessen Enkel Vasumitra acht Jahre regiert haben usw. 115 . Sie regierten in Vidisä 116 — etwas östlich von .Ujjayini — oder noch in der alten Hauptstadt
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Kälidäsa
- Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Pärvati ebenso wie die unter Einsiedlern im romantischen Dschungel aufgezogene schamhafte Sakuntalä, aber auch die Hetäre Urvaäl, die heftige, sich ihren Geliebten erringende Frau, die keine ehrbare Gattin werden konnte und stets an gewisser Mißachtung leiden mußte. Kälidäsa genoß es aber auch, die verschiedenen Männer in ihrem Verhalten zur Geliebten zu zeigen: Siva, den Witwer, der wieder liebte, Dushyanta, den etwas idealisierten König, und Purüravas, den schwächlichen Helden der seine Hetäre zum Lohn für seine Dämonenkämpfe behalten darf. Von dem Hintergrund einer Fülle von Nebenfiguren heben sich diese Liebespaare klar ab, aber TJrvaöi hat neben der edlen Königin als einer schwachen, kinderlosen, alternden, nur menschlichen Widersacherin zu leiden. Auch das war etwas, was den Dichter getrieben haben mag, das Liebesthema der Gewinnung des Mannes, der Trennung von ihm und der Wiedervereinigung noch einmal anzufassen — obgleich nicht behauptet werden kann, daß Kälidäsa seine Werke in der Reihenfolge gedichtet hat, in der sie hier besprochen worden sind.
9. Malavika
und
Agnimitra
Kälidäsa hatte in Pärvati die liebende Berggöttin, in Sakuntalä den Zögling der Einsiedler, in Urva^i die Himmelshetäre geschildert. In Mälavikä dichtete er die Liebe einer Sklavin, denn das war sie während der Handlung des Dramas, mag sie auch ursprünglich eine Prinzessin gewesen sein. Dementsprechend hat er sich für diese neue Behandlung seines Lieblingsthemas der Liebe nicht in eine mythologische Gesellschaft hineingedacht, sondern einen historischen Hintergrund gewählt, einen Hof und Ereignisse, die mehr als 500 Jahre vor seiner Zeit lagen. Wie sie ihm bekannt wurden, was er aus Überlieferung bekam und was er selber hinzudichtete, ist noch nicht ganz klar. Einstweilen sieht es so aus, als habe er viel Eigenes in dies Drama hineingetan, aber alle Historiker des alten Indien verwenden dies Drama einstweilen als eine der wenigen Quellen jener Periode. Damals, in der ersten Hälfte des 2. Jh. v. u. Z., war gerade das Reich zerfallen, das fast ganz Nordindien und bedeutende Teile Südindiens in der Hand der mächtigen Maurya-Dynastie vereinigt hatte. Der letzte Maurya soll nach dem Stammbaum der Puränen von seinem eigenen Heerführer, Pushyamitra, gestürzt worden sein. Pushyamitra soll ein Brahmane aus dem Brahmanengeschlecht der Bhäradväja 1 1 3 und der Begründer der Sunga-Dynastie Nordindiens, genauer Magadhas, gewesen sein. Er soll 36 Jahre, also etwa von 184 bis148 v. u. Z. regiert haben 114 . , Sein Sohn war Agnimitra, der acht Jahre regierte; dessen Sohn, Vasujyestha, soll sieben, dessen Enkel Vasumitra acht Jahre regiert haben usw. 115 . Sie regierten in Vidisä 116 — etwas östlich von .Ujjayini — oder noch in der alten Hauptstadt
9. Mälavika
und,
Agnimitra
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Pätaliputra. Eine buddhistische Quelle behauptet, Pushyamitra sei ein erbitterter Feind der Buddhisten gewesen117. Da der Maurya-König Asoka ein ausgesprochener Förderer der Buddhisten war, ist ein solcher Gegensatz des Usurpators, der einem Brahmanengeschlecht angehörte, durchaus vorstellbar. Um Vidisä herum ist gerade in der damaligen Zeit eine Fülle prachtvoller buddhistischer Heiligtümer erbaut worden, laut Inschriften waren einzelne Männer und Gilden die Geldspender dafür 118 . Wie sich die brahmanische Dynastie zu ihnen verhielt, ist nicht klar, aber daß schon sie diese Bauten in ihren heutigen Ruinenzustand gebracht hätte, ist noch nicht erwiesen. Mehr wissen wir eigentlich über diese ersten Sunga nicht. Nach Kälidäsa war die Lage so, daß Pushyamitra auf einem Heereszug im Norden gegen Griechen beschäftigt und gerade siegreich war. Sein Sohn Agnimitra regierte in Vidisä, vermutlich als Statthalter seines abwesenden Vaters. Als Sohn Agnimitras, nicht als Enkel (wie die Puränen lehren) gilt unserem Dichter Yasumitra, der den Großvater auf dem Heereszug begleitet und sich gerade heldenhaft bewährt. Daß in dieser Zeit im Panjab und teilweise weit darüber hinaus nach Osten Griechen herrschten, ist sicher. Sowohl von Demetrius wie von Menander sind Kriegszüge nach Osten ins Gangestal überliefert, und es ist noch nicht mit Sicherheit zu sagen, welchen von beiden Pushyamitra in unserem Drama geschlagen hat 119 . Im Süden schloß an Pushyamitras Reich das von Vidarbha an. Nach Aäoka war das Mauryareich auseinandergebrochen, unter anderem hatte der Süden sich selbständig gemacht 120 . Kälidäsa erwähnt in Vidarbha den König Yajnasena, seinen Schwager und seinen Vetter Mädhavasena. Alle drei werden in unseren sonstigen Quellen nicht genannt. Sie könnten also erdichtet sein. Nach Kälidäsa war der Schwager dem Mauryageschlecht entstammt, hatte also eine Schwester Yajnasenas geheiratet oder seine Schwester an Yajnasena verheiratet. Dieser König von Vidarbha gehörte demnach zur Partei der von Pushyamitra entthronten Maurya, war also Pushyamitra und Agnimitra feindlich. Sein Vetter Mädhavasena aber war ein Parteigänger Agnimitras und wollte ihm seine jüngere Schwester, die Prinzessin Mälavika, als Braut zuführen. Yajnasena suchte dies zu verhindern. Hier liegt der Keim der dramatischen Handlung, die Kälidäsa in den fünf Akten des Dramas vor dem Zuschauer abrollen läßt. Daß der König von Vidisä im Norden und Süden zu kämpfen hatte, ist nicht befremdlich. Kälidäsa mag seinen Stoff tatsächlich weitgehend aus einer uns bislang nicht bekannt gewordenen geschichtlichen Überlieferung erfahren haben, aber er kann auch beides erdichtet haben. Pushyamitra will am Ende des Dramas als Siegesfeier ein Pferdeopfer vollziehen, ja, sein Kampf im Norden gilt nur als Vorspiel dieses alten Ritus. Man hat darin bestätigt gesehen, daß Pushyamitra als Brahmane der Feind der Buddhisten (wie jener Buddhist berichtet hat) war, und vermutet, daß die Buddhisten des Landes die Griechen als Fremde und Helfer zu Hilfe gerufen hätten 1 2 1 . Das findet im Drama indessen keine Stütze Die buddhistische Asketin Kausiki spielt jedenfalls am Hofe Agnimitras im Drama eine sehr wichtige Rolle.
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Kälidäsa
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Werke
Kälidäsa eröffnet das Drama mit einem Vorspiel des Schauspieldirektors und seines Gehilfen, aus dem wir entnehmen, daß das Stück bei einem Frühlingsfest aufgeführt werden sollte. Der Gehilfe meinte, man sollte lieber ein Drama eines berühmten alten Autors wie Bhäsa oder Saumilla aufführen statt eines gegenwärtigen Dichters wie Kälidäsa. Der Schauspieldirektor aber entgegnete ihm, nicht jedes alte Stück sei als solches schon gut, nicht jedes neue als solches tadelnswert. Die Kenner prüfen, die Toren stützen sich auf die Meinung anderer. Dieser Dialog braucht nicht, wie manche meinen 122 , zu bedeuten, daß dies Drama das Werk eines jungen Dichters war. Es zeigt nur, daß er um seine Anerkennung ringen mußte, es nicht leicht hatte sich durchzusetzen und über die Alten streng urteilte. Wenn die unter dem Namen des Bhäsa überlieferten Dramen echt und älter als Kälidäsa sind, können wir sein Urteil unterschreiben! Bhäsas Liebesgeschichten etwa des Königs Udayana können den Vergleich mit der Mälavikä nicht aushalten, weder in der menschlichen Problematik noch in der dichterischen Sprachkunst. In dieses polemische, ein wenig verärgert klingende Vorspiel paßt keine lyrische Gesangsstrophe 123 wie in das der Sakuntalä. Der erste Akt beginnt dann mit einem Vorspiel, einem Dialog zweier Dienerinnen (d. h. Sklavinnen) 124 der Königin Dhärini: Vakulävalikä soll sich beim Tanzlehrer Ganadäsa erkundigen, ob seine Schülerin Mälavikä Fortschritte macht. Kaumudikä bringt gerade der Königin vom Siegelschneider einen schönen Ring mit einem Schlangenbild. Sie fragt, wie der König Mälavikä habe sehen können, sie sei doch durch den Tanzunterricht ferngehalten. Er hat sie auf einem Bilde neben der Königin gesehen, nach ihr gefragt, die kleine Prinzessin Vasulakshml habe ihren Namen ausgeplaudert, und jetzt werde Mälavikä ganz besonders vom König ferngehalten. Damit ist dem Zuschauer angekündigt, daß es sich um die Liebe des Königs zu Mälavikä handeln wird (Erwachen der Liebe durch ein Bild ist ein häufiges Thema der Volksliteratur!) 125 , und er ahnt, daß auch der Schlangenring der Königin eine Rolle spielen wird, freilich erst im IV. Akt. Der Tanzlehrer kommt, wird gefragt, berichtet begeistert von seiner hoch begabten neuen Schülerin und erkundigt sich nach ihrer Herkunft. Vakulävalikä berichtet ihm, ein Königsschwager, ein niedrigkastiger Bruder der Königin Dhärini, habe sie seiner Schwester von der Grenze gegen Vidarbha, an der er eine Festung kommandiert, als Geschenk gesandt. Sie eilt zu ihrer Freundin Mälavikä, um ihr von dem Lob des Lehrers zu erzählen. Der Lehrer ahnt aus der edlen Gestalt der Schülerin, daß sie etwas Besonderes ist, eine Andeutung für den Zuschauer, die erst am Schluß des Dramas geklärt wird. Die erste Königin, Dhärini, hat einen Bruder aus niederer Kaste; sie selber ist wohl die Tochter eines Königs, also aus Kshatriya-Adel, aber ihr Vater hatte von einer niedrigkastigen Frau seinen Sohn 126 , den wir den Halbbruder der Dhärini nennen würden. Aber dieser Königsschwager füllt wie der in der Sakun-
9. Mälavikä und Agnimitra
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tala (der Polizeioffizier im VI. Akt) sein Amt ehrlich aus, wie auch seine Schwester, Königin DhärinI, eine durchaus würdige Rolle spielen wird. Danach erst beginnt der I. Akt. Der König Agnimitra regiert. Sein Minister liest ihm einen Brief des Vidarbhakönigs Yajnasena vor. Agnimitra hatte von ihm verlangt, er solle seinen, Yajnasenas, Vetter väterlicherseits, Mädhavasena freilassen. Mädhavasena war zu Agnimitra unterwegs gewesen, von Yajnasenas Grenzkommandant festgenommen worden, und zwar samt Frau und Schwester. Jetzt möchte Yajnasena die Gegenforderung stellen, Agnimitra solle seinen, Yajnasenas Schwager und Berater, einen Maurya 127 , freigeben. Übrigens sei jene Schwester Mädhavasenas verschwunden, er werde sie suchen. Diese Angaben sind sehr knapp gegeben, aber der gebildete altindische Zuschauer wird sie schon verstanden haben. Er hat womöglich gar hier schon gemerkt, daß jene verschwundene Schwester niemand anders sein kann als Mälavikä. Aber geklärt wird diese Frage erst im letzten Akt. Der König gibt sofort Befehl, sein Schwager Virasena (jener Halbbruder der Königin DhärinI) solle ausgerüstet werden, den Vidarbha auszurotten, denn er sei ein natürlicher Feind Agnimitras. Erst danach fragt er nach der Meinung des Ministers. Der bestätigt des Königs Entscheidung nach der Staatslehre damit, daß ein noch nicht fegt verwurzelter König als Gegner leicht auszurotten sei. Der König ist mit dem Staatslehrer und dieser Begründung einverstanden. Damit ist für den indischen Kenner das Bild dieses Königs gezeichnet. Aus dem Dialog der beiden Dienerinnen der Königin h a t er bereits ersehen, daß er flatterhaft und vor seiner Königin ängstlich ist. Jetzt sieht er, daß er schnell erzürnt, aufbrausend und entscheidend ist, sich nicht etwa erst nach der Meinung des Ministers erkundigt oder nach der Staatslehre, sondern nur nachträglich seine im Zorn getroffene Entscheidung lehrgemäß begründen läßt. E r ist ein Despot, der sich von Leidenschaften, von Liebe und Zorn leiten läßt. Solche Herren wird es nur allzu viele gegeben haben, aber die Staatslehre war gegen sie, verlangte vom König Selbstzucht, um der Staatsräson zu folgen, nicht persönlichen Leidenschaften. Nur der immer wieder von Kautalya mit guten Gründen abgelehnte Staatslehrer Bhäradväja, der dem Minister grundsätzlich zur Usurpation des Thrones seines Herren riet 1 8 8 , verherrlichte auch diese beiden Leidenschaften als Zierde des echten Mannes und Herren. Kälidäsa, der gelehrte Kenner der Staatslehre, hat hier also bewußt seinen König Agnimitra so charakterisiert, daß die gebildeten Zuschauer seine kritische Absicht verstanden. Der Minister geht, der Vidüshaka kommt. Der König nennt ihn in Gedanken „seinen weiteren Berater für andere Angelegenheiten" und fragt ihn, ob er sich ein Mittel ausgedacht habe. Er sollte ihm nämlich helfen, Mälavikä leibhaft zu sehen, nicht nur im Bilde. Der Vidüshaka flüstert ihm seinen Plan ins Ohr. Der Zuschauer soll in Spannung gebracht werden. 6
Rüben
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Kälidüsa
- Die menschliche
Bedeutung
seiner
Werke
Hinter der Bühne hört man Streit. Der König spürt, daß jener Plan bereits verwirklicht wird. Sein Kämmerer meldet, sein Tanzlehrer Haradatta und der der Königin, Ganadäsa, bäten den König, ihren Streit zu entscheiden. Voll Scheu nahen sie sich dem hohen Herren. Er solle sagen, wer der bessere Tanzlehrer ist. Nur er sei der kunstverständige Richter. Der König läßt aber auch die Königin und deren „gelehrte" Gefährtin, die buddhistische Asketin Kausiki bitten. Der Yidüshaka nennt die Asketin frech eine Helferin in Liebesangelegenheiten. Sie redet der Königin, die von diesem Wettstreit nichts wissen will, Mut zu, ihre Partei würde schon nicht verlieren. Der Vidüshaka genießt eine Art Narrenfreiheit; niemand verübelt ihm seinefreche Bemerkung. Asketinnen waren nach Ausweis von Bhavabhütis Drama„Mälati und Mädhava" geeignete Personen, Liebespaare zusammenzubringen. Aber niemand in der Hofversammlung ahnte, was der gebildete Zuschauer aus jenen Worten des Vidüshaka heraushörte, daß Kausiki in seinen Plan eingeweiht und bereit war, den König mit Mälavikä zusammenzubringen. Der Zuschauer aber ahnte ebenso wenig wie der Vidüshaka, wieso Kausiki sich bereitwillig und mit gutem Grund zu diesem Liebesdienst hergab. Das wird erst, im letzten Akt geklärt. Der König wird über ihre Bereitwilligkeit im Bilde gewesen sein, seit der Vidüshaka sie ihm eben ins Ohr geflüstert hatte. Deswegen gerade hatte er die Asketin mit zum Wettstreit geladen. Sie redet deswegen der Königin zu. Diese ahnt sicher, daß dies alles eine List ist, Mälavikä als Tanzschülerin dem König vor Augen zu führen. Sie wagt es aber nicht, davon zu sprechen. Die Asketin tut, als fürchte die Königin, ihr Tanzlehrer, Ganadäsa,, könne unterliegen; sie gibt der Königin damit ein Stichwort, auf welchen P u n k t sie ihren Protest gegen die Veranstaltung des Wettanzens richten soll. Der König macht die gelehrte Asketin zur Richterin, da er und die Königin parteiisch seien. Die Asketin schlägt vor, nicht die Tanzlehrer selber, sondern ihre Schüler zu prüfen; der König unterstützt diesen Vorschlag, dieKönigin erhebt Einwände. Sie redet dem Ganadäsa zunächst zu, zurückzutreten, da er dem König nur Mühe mache; dann, daß seine Schülerin noch neu sei. Ihn aber hat der Ehrgeiz gepackt. Sie meint dann, der Streit solle nur vor der Asketin stattfinden, aber diese weigert sich, allein das Amt desRichters zu übernehmen. Die Königin läßt schließlich den Lehrer als Herrn über seine Schülerin gewähren, macht aber klar, sie sei Herrin über ihre Dienerinnen. Der König fügt hinzu: Und über mich! Die arme Königin ist vorläufig geschlagen. Der Vidüshaka hat die Lehrer gegeneinander gehetzt, vielleicht den Ganadäsa in seine Pläne eingeweiht, hat die Asketin gewonnen und den König auf seiner Seite. In geistreichem, alles nur kurz andeutendem Hin und Her des Gesprächs hat der Dichter das Hofmilieu mit Überlegenheit gezeichnet. In diesem Drama des historischen Königs und seiner Liebesintrige mit der Sklavin spielt der Vidüshaka eine weit gewichtigere Rolle als in den anderen Dramen Kälidäsas. Er, der komische, ungebildete Brahmane, arbeitet mit der weit gebildeteren, Sanskrit sprechenden buddhistischen Asketin Hand in Hand. Beide helfen dem verliebten Paar, dem König und der-
9. Mälavikä und Agnimitra
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Sklavin gegen die Eifersucht der Königin. Daran haben die entscheidenden Kreise der altindischen Zuschauer ihre Freude gehabt, und wir freuen uns über dies Gemälde des Despotenhofes. Der König kann im Zorn sein Heer gegen einen Nachbar aussenden, aber im Palast fühlt er sich als Sklaven der Königin und hofft zugleich auf Liebesfreuden mit der Sklavin, die er zunächst nur einmal sehen möchte. Die Asketin bestimmt, daß beide Lehrer ihre Schülerinnen einen bestimmten Tanz zeigen lassen sollen. Sie macht besonders darauf aufmerksam, die Mädchen sollten ihr Schönheit ohne Gewänder zeigen. Die Königin meint spöttisch zum König, wenn er in seiner Politik ebenso gewandt zu Werke gehe, sei Erfolg sicher. E r versichert sie seiner Unschuld, er habe dies nicht eingefädelt. Da zeigt Trommelton, daß die Tanzlehrer mit ihren Vorbereitungen fertig sind. Man bricht zum Tanzsaal auf, der König so eilig, daß die Königin darüber, über seine offen gezeigte Ungezogenheit, beleidigt ist und der Yidüshaka ihn zur Besonnenheit mahnen muß. Er aber meint, er könne nicht anders. Die Asketin hilft dem König bei seiner Sklavin geradezu schamlos; wie müssen die Zuschauer über diese „Asketin" geschmunzelt haben! Hätte Kälidäsa solchen Tanz seiner Sakuntalä zugedacht ? Die Königin mit ihrer Ironie spricht aus, was jeder empfindet: In der Politik hat der König seinem Zorn folgend ohne Überlegung, ohne Diplomatie entschieden, aber in seiner Liebesangelegenheit läßt er seinen „Ratgeber für die anderen Angelegenheiten", den Vidüshaka, mit aller Diplomatie vorgehen. E r lügt also nicht gerade, wenn er erklärt, nichts veranlaßt zu haben, aber er zeigt sich auch als mit ebenso belastetem Gewissen vor seiner Frau wie Purüravas vor Urvasi, während Kälidäsa den idealisierten Dushyanta nicht in solche Verlegenheit gebracht hatte. Und Siva war nun einmal monogam. Der I I . Akt zeigt die Tanzprobe der Mälavikä. Der König fiebert vor Ungeduld, flüstert sie dem Vidüshaka ins Ohr und bewundert ausführlich in Gedanken die Schönheit der eintretenden Mälavikä, die eine Strophe singt und tanzt, deren Thema die Asketin angegeben hatte: Eine Strophe voll Liebessehnsucht der mythischen Schönen Sarmishthä. Der Vidüshaka meint zum König, damit habe sich Mälavikä ihm geradezu angeboten. Sarmishthä war nach dem Mahäbhärata 129 die Tochter des Dämonenkönigs Vrshaparvan. Devayäni aber war die Tochter seines Priesters Sukra. Zwischen beiden herrschte Eifersucht, wer höheren Standes sei, und die Prinzessin stieß die Priesterstochter in einen leeren Brünnen. Der König Yayäti kam gerade jagend zum Brunnen, rettete Devayäni und ging heim. Ihr Vater, Sukra, aber verlangte vom König, daß die Prinzessin samt 1000 Mädchen seiner Tochter zur Strafe als Sklavin überantwortet würde, und es geschah so. (Die Geschichte soll die Stellung der Brahmanen als höher als die der Königin erweisen). Als sie einst mit ihren Mädchen im Walde weilte, kam zufällig wieder Yayäti des Weges, fragte nach den beiden schönen Mädchen, und Devayäni bat ihn, ihr Freund und Gatte zu werden. Yayäti wendete ein, er als Kshatriya dürfe keine Brahmanin 6*
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Kälidasa
- Die menschliche Bedeutung
seiner
Werke
ehelichen, nur eine Frau gleichen oder niederen Standes. Aber Sukra, ihr Vater, war einverstanden und gab ihm auch Sarmishthä, nur dürfe er sie niemals in sein Bett rufen. Als später Devayänl mannbar geworden war, gebar sie ihm einen Sohn. Dann reifte auch Sarmishthä heran und bat ihn um seine Liebe. E r willigte nach anfänglichen Bedenken ein, und auch sie gebar ihm einen Sohn. Devayänl gebar den Yadu, von dem später Krshna stammte, Sarmishthä aber den Puru, von dem die Pändava, • die Haupthelden des Mahäbhärata, stammten. Die Asketin ließ also Mälavikä, die Sklavin und geborene Prinzessin eine sehnsuchtsvolle Liebesstrophe der versklavten Prinzessin Sarmishthä singen. Sarmishthä liebte einen König und durfte kaum auf Erfüllung ihrer Sehnsucht hoffen. Mälavikä ist wohl noch nicht verliebt, aber sie muß jetzt dem verliebten König Liebe vorspielen. Zugleich verstanden gewitzte Zuschauer, aus dem Schicksal der Sarmishthä auf das der Mälavikä zurückzuschließen: Es wird ein glückliches Ende geben. Es ist aber nicht notwendig anzunehmen, daß Kälidasa seine Dichtung der Mälavikä nach der alten, berühmten epischen Geschichte der Sarmishthä erdacht habe; solche Liebesverhältnisse der Herren zu Sklavinnen werden häufig gewesen sein. Der König meint, Mälavikä habe ihre Liebe zu ihm hinter der Maske der Sarmishthä nur aus Furcht vor ihrer Herrin, der Königin verborgen. Mälavikä will abtreten, aber der Vidüshaka meint, es sei etwas zu bemängeln, und läßt erst die Asketin um ihr Urteil fragen. Sie und der König loben den Tanzlehrer, die Königin beglückwünscht ihn zu seinem Erfolg, aber der Vidüshaka erklärt, zunächst sei er als Brahmane zu begrüßen gewesen. Über diesen Witz lachen alle, auch Mälavikä lächelt und begeistert damit wieder den König. Der Vidüshaka will der Tänzerin ein Armband der Königin schenken, aber diese wehrt ab und heißt Ganadäsa mit der Schülerin gehen. Länger konnte der Vidüshaka dem König seine Augenweide nicht verschaffen. Der König wäre bereit, auch den zweiten Tanzlehrer seine Probe bestehen zu lassen, aber es ist Mittagszeit, und der Vidüshaka bittet die Königin, schleunigst seinen Hunger zu stillen. Damit ist diese höfische Szene des Kunstgenusses, in Wirklichkeit der Liebesintrige, beendet. Der König steht in Flammen und setzt dies auch bei seiner neuen Liebe voraus (indessen deutet der Dichter allenfalls durch die Vollendung des Singens des Mädchens an, daß er recht habe!). Der Vidüshaka hilft ihm, daß er das Ansehen der anderen Tanzschülerin umgeht, und soll jetzt weiterhelfen, daß der ungeduldige König mit Mälavikä in nähere Berührung kommt. Er, als Intrigant eine der Hauptpersonen der Handlung, ist aber zugleich die komische Person, der Clown mit seiner Eßlust. Der I I I . Akt beginnt wie der erste und später der fünfte mit einem Vorspiel, einem Dialog zweier Dienerinnen oder Sklavinnen. Hat Kälidäsa in der Sakuntalä im IV. und VI. Akt durch zwei solche schönen Mädchen den Zuschauer über inzwischen eingetretene Ereignisse unterrichtet, so hier im I., I I I . und V. Akt, also mit deutlicher Absicht auf eine gewisse Symmetrie im Aufbau des Ganzen.
9. Malavika
und
Agnimitra
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Ein Mädchen, eine Dienerin der Asketin, soll ihr eine Zitrone als Geschenk für den König 130 holen. Eine andere ist Gärtnerin und will der Königin gerade melden, daß ein Asoka-Baum in Kürze erblühen wird. Sie unterhalten sich darüber, daß der König und Mälavikä sichtlich ineinander verliebt sind und vor Kummer dahinsiechen. Die Zitrone spielt später ke'ine Rolle, wohl aber der aufblühende Baum. Der III. Akt selber beginnt mit einem Dialog des liebeskranken Königs mit dem Vidüshaka, der ihn vergeblich zu trösten sucht mit der Nachricht, er habe sich jetzt mit Vakulävalikä, der Dienerin der Königin und zugleich der Freundin der Mälavikä 131 , in Verbindung gesetzt, aber die Schöne würde von der Königin sehr scharf bewacht. Er meint, der König solle sein Versprechen einlösen und seine zweite Gemahlin, Irävati, schaukeln. Der König möchte nicht, denn sein Herz ist voll von Mälavikä, und er fürchtet, die kluge Irävati würde es merken. Der Vidüshaka aber mahnt ihn, nicht plötzlich mit allen Frauen des Palastes zu brechen. Er führt den König zur Schaukel; beide betrachten die Schönheit des Parks. Der Vidüshaka kommt nicht dazu, dem König im einzelnen zu erzählen, was er mit Vakulävalikä verabredet hat. Der Dichter aber läßt hier mit Irävati ein neues Hindernis auftreten. Dushyanta hatte Tändeleien mit seinen beiden Frauen spielend und höflich umgangen, ohne daß diese auf die Bühne kamen. Purüravas hatte schwer mit seiner alten Königin zu tun. Agnimitra aber hat mit zwei Königinnen fertig zu werden, mit Dhärini, der Mutter des Thronerben und Herrin der Mälavikä, und mit Irävati, die wohl als jünger, schöner und Favoritin der letzten Zeit anzusehen ist, so wie im Rämäyana die ältere Königin Kausalyä durch die jüngere Kaikeyl zeitweilig bei König Da^aratha verdrängt war. Da tritt Mälavikä auf und klagt sich ihr Liebesleid. Die Königin hat sie geschickt, den Asokabaum mit ihrem Fuß zu berühren, da sie selber durch einen Fehler des Vidüshaka aus der Schaukel gefallen ist und sich den Fuß verletzt hat. Wenn der Asokabaum in fünf Tagen erblüht, will die Königin ihr einen Wunsch erfüllen, hat sie versprochen. Sie wartet auf Vakulävalikä, die ihr die Füße schmücken soll. Solch Baumkult, daß eine Frau den Baum berührte, damit er erblühe, war eine alte Sitte. Vielleicht hatte der Vidüshaka nicht ganz unabsichtlich die Königin beim Schaukeln ihren Fuß verletzen lassen, und vielleicht war es Vakulävalikä, die auf seinen Rat hin die kranke Königin dazu beschwatzt hatte, statt ihrer die schöne Mälavikä mit diesem Ritus zu betrauen und ihr für den Fall des Erfolges ein solches Versprechen zu machen. Solche Versprechen waren üblich, aber nichtsdestoweniger unvorsichtig, denn es war jetzt der Mälavikä überlassen, irgend etwas zu erbitten, und die Königin war gebunden, es zu erfüllen. Sie fühlte sich eben so stark, daß sie ein solches unbegrenztes Versprechen zu geben wagte. Bei König Da^aratha und seiner jungen Kaikeyl wirkte ein solches Versprechen sich unheilvoll aus, denn sie verlangte die Verbannung Rämas. Der König und sein Vertrauter belauschen Mälavikäs Klage, der König ist sich aber nicht sicher, daß sie ihn wirklich liebt. Dann kommt Vakulä-
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Kalidasa
- Die menschliche
Bedeutung
seiner
Werke
valikä, und der Vidüshaka versichert dem König, jetzt werde er hören, wie sie ihren Auftrag ausführt und seine Liebesbotschaft überbringt. Während die beiden Männer die beiden Mädchen beim Schmücken der Füße der Mälavikä belauschen, kommt die Königin Irävatl mit ihrer Dienerin. Sie ist leicht berauscht 132 und hofft, daß ihr das gut steht. Sie will vom König geschaukelt werden. Ihre Dienerin entdeckt die beiden Mädchen und erklärt ihr, daß sie beim Asokabaum zu tun haben. Irävatl aber hat einen anderen Verdacht. Man muß sich die Bühne in drei Gruppen besetzt denken, in der Mitte die beiden belauschten Mädchen, auf der einen die beiden Männer, auf der anderen die junge Königin mit ihrer Dienerin. Da es keine Kulissen gab, mußten die Schauspieler durch Gesten andeuten, wen sie sahen und wen nicht. Die Kompliziertheit dieser Szene brachte dem Dichter sicher Erfolg. Vakulävalikä erwähnt, daß sie die Kunst des Schmückens der Füße und das Rotmalen der Fußsohlen vom Könige selber so gut gelernt hat, und sie entledigt sich der Liebesbotschaft der ungläubig zweifelnden Mälavikä gegenüber, die zugleich ihre eigene Liebe zum König eingesteht. Dieser ist beglückt, wie er ihr Geständnis hört. Bis hierher ist die Belauschungsszene etwa mit der im III. Akt der Sakuntalä zu vergleichen: Der Mann verlangt nach einem Liebesgeständnis der Sklavin der Königin. Er will offenbar nicht, daß sie ihm nur als ihrem Herren zu Willen ist. Er tritt hervor, und der Vidüshaka erschreckt die Mädchen zum Schein damit, daß er Mälavikä das Berühren des Asokabaumes als Unbescheidenheit zum Vorwurf macht. Beide Mädchen geraten in Verwirrung, Mälavikä in Furcht. Vakulävalikä weiß ja, was gespielt wird; Mälavikä als Sklavin aber hat an sich kein Recht auf diesen Ritas, der der Königin zukommt. Vakulävalikä berichtet von dem Auftrag der Königin, und der König wendet sich mit verliebter Höflichkeit an Mälavikä. Sie bittet ihre Freundin, mit zur Königin zu kommen. Der König hält sie aber zurück und bittet sie, sie möge auch ihm wie eben dem Asokabaum die Wonne ihrer Berührung gewähren. Da bricht Irävatl zornig aus ihrem Versteck hervor. Der Vidüshaka rät dem König, wegzulaufen. Die beiden Mädchen fliehen. Irävatl macht dem König den Vorwurf der Unbeständigkeit. Dieser leugnet, mit Mälavikä irgend etwas zu haben; er warte nur auf Irävatl zum Schaukeln. Sie will fort, aber ihr Gürtel fällt herab und hindert sie am Gehen. Sie nimmt ihn und will mit ihm den König schlagen. Der hält ihre Hand fest und bittet sie fußfällig, ihrem Sklaven zu verzeihen. Sie aber eilt fort. Er geht ihr nach, um sie zu versöhnen. So endet die erste kurze Aussprache der Liebenden ganz anders als im I. Akt der Sakuntalä, abgebrochen durch die eifersüchtige, heftige und gestürzte Favoritin. Agnimitra aber steht beschämt da. Von ihm sind in diesem mittleren Akt des Dramas nebenbei zwei Züge erwähnt worden: Er versteht die Kunst, den Frauen die Fußsohlen meisterhaft zu lackieren, und er verhindert in letzter Minute, daß ihn seine Frau mit ihrem Gürtel schlägt. Von dem Lüstling Agni-
9. Mälavikä
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Agnimitra
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varna aber schilderte Kälidäsa im letzten Gesang des Stammbaumes des Raghu, wie er seinen Frauen die Fußsohlen lackierte, aber Gier lenkte seine Blicke ab, so daß er schlecht lackierte 133 . Und er betrog sie so, daß sie aus Eifersucht ihn mit ihren Gürteln fesselten 134 . Der Agnimitra des Dramas steht diesem elenden Wicht trotz aller Unterschiede ein wenig nahe. — Andererseits benimmt sich die zürnende Irävatl, die berauschte, völlig hemmungslos, wenn man sie mit der gekränkten Königin des Purüravas vergleicht, und ist eher der eifersüchtigen Urvaäl vergleichbar. Das Leben am Sunga-Hofe von Vidisä hat Kälidäsa jedenfalls mit genügender Deutlichkeit als höchst flatterhaft dargestellt. Nur Mälavika, die blutjunge schöne Sklavin, sticht mit ihrer schamhaften Reinheit hervor, und es ist im Grunde nicht recht verständlich, wie sie diesen schwächlichen König lieben kann. Er muß wohl sehr schön gewesen sein 135 . Zu Anfang des IV. Aktes berichtet der Vidüshaka dem König, er wisse von der Asketin, daß die Königin von Irävatl über des Königs Liebe zu ihrer Dienerin unterrichtet worden ist, und daß sie jene Mälavikä samt ihrer Freundin Vakulävalikä in den Keller der kostbaren Waren gesperrt habe, wo die beiden armen Mädchen, gefesselt, den Gang der Sonne nicht sehen. Die Hüterin des Kellers darf die beiden nicht loslassen, wenn man ihr nicht den Siegelring der Königin zeigt. Dem ratlosen König flüstert sein sehlauer Freund aber bereits seinen Plan ins Ohr. Der König hat Irävatl nicht versöhnen können, und jetzt muß die schöne liebende Sklavin für sein unbesonnenes Benehmen bitter büßen. Es aber wagt immer noch nicht, dem geliebten Mädchen mit seiner Königsgewalt zu helfen, sondern verläßt sich weiter auf die Listen seines Liebesministers. In Ausführung des Planes läßt er sich zur Königin DhärinI führen, die sich gerade von der Asketin Geschichten erzählen läßt. Die Türhüterin des Königs, Jayasenä, wird in den Plan durch den Vidüshaka eingeweiht. Kaum hat man sich begrüßt, tritt der Vidüshaka hinzu und jammert, er sei von einer Schlange gebissen. Er wird eilig zum Arzt gebracht, die Türhüterin Jayasenä kommt zurück und bittet, einen Ring mit einem Schlangensiegel zu suchen, da nur Magie noch helfen kann. Die Königin gibt sofort ihren Ring her. Die Türhüterin meldet gleich darauf, der Vidüshaka sei gerettet. Sie meldet aber zugleich den Minister an, der wichtige Geschäfte hat. Die Königin geht weg mit der Asketin und ihrer Umgebung. In der Eile des Abganges vergißt die edle Königin ganz, nach ihrem Ring zu fragen. Ihn hatte die Dienerin im Vorspiel des I. Aktes erst vom Künstler geholt. Der Dichter hat aber nicht angedeutet, wie der Vidüshaka ihn beobachtet hat, so daß er ihn in seinen Plan nutzbringend einbeziehen konnte. Der Vidüshaka meldet dem König, seine List sei gelungen. Er hat der Hüterin des Kellers den Ring der Königin gezeigt und erzählt, der König habe zur Abwehr eines Unheils die Freilassung aller Gefangenen verfügt. Er führt den König zu Mälavikä in den Park. Vom Minister und Regierungsgeschäften ist keine Rede mehr. Die Türhüterin log also im Auftrage des Vidüshaka.
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Kälidäsa - Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Der König und sein Freund belauschen Mälavikä und ihre Freundin in einem Pavillon. Die beiden Mädchen werfen sich vor einem Bild der Hofgesellschaft grüßend zu Boden. Mälavikä beachtet aber, wie der König auf dem Bild seine Blicke nur der IrävatI zuwendet. Vakulävalikä erklärt dies, sie sei eben sein Liebling. Da schmollt Mälavikä, wendet sich ab, wendet sich dem Bild wieder zu, Vakulävalikä mahnt sie, weiter zu schmollen, und die Liebende erklärt, wenn die Zeit um wäre, möchte sie den Zorn wohl wieder fahren lassen. Im Ausmalen solcher Szenen verliebter Mädchen war Kälidäsa Meister. Mälavikä vergißt in ihrem Liebeswahn, daß es sich nur um ein Bild handelt, wie Dushyanta im V I . Akt. Der König tritt hervor, die Mädchen fallen ihm zu Füßen. Beide Liebenden sind verschämt, hilflos. Freund und Freundin reden ihnen zu und gehen unter einem Vorwande ab, um das Paar vor Überraschungen zu bewahren. Der Vidüshaka schläft ein, Vakulävalikä geht etwas weiter fort. Mälavikä wagt sich aus Furcht vor der Königin nicht in die Nähe des Königs. Als er meint, sie brauche sich nicht zu fürchten, entgegnet sie tadelnd 136 , sie habe doch gesehen, wie auch der Herr sich vor den Augen der Königin, ihrer Herrin, fürchtete. Er dagegen erklärt sein Handeln mit Geschicklichkeit oder zuvorkommendem Wesen: Das kleine Mädchen, die Sklavin, die eben dem Gefängnis und den Fesseln Entronnene und Liebende sagt hier dem hohen Herren, dem zaghaften Liebhaber, eine Wahrheit, die er sonst an seinem Hofe nicht zu hören bekommt. Diese plötzlich aufbrechende Zutraulichkeit im Verein mit der erschütternden Ehrlichkeit des Mädchens gehört mit zu den schönsten Stellen des Dramas. Selbst einer Sakuntalä hat der Dichter nichts Entsprechendes in den Mund gelegt wie dieser Sklavin. Der König wird stürmisch und genießt die züchtige Abwehr des Mädchens recht schamlos. Er, der vermutlich schon viele Frauen genossen hat, dessen Liebling IrävatI ihn mit Rausch zu reizen hoffte, kommt dem unerweckten Mädchen in seiner abhängigen, gefährlichen Lage nicht gerade mit der Zartheit entgegen, der er sich eben gerühmt hat. Kälidäsa ließ weder Dushyanta die sich sträubende Sakuntalä, noch Siva seine Pärvati 137 , nach Purüravas die Himmelshetäre Urvasl, die doch aus eigenem Trieb zu ihm gekommen war, so brutal anfassen und seine triumphierende Freude darüber aussprechen, wie das arme Mädchen ihre Brüste und ihren Gürtel vor seinen zupackenden Händen zu schützen sucht. So benimmt sich nur ein unbeherrschter König gegenüber der schönen Sklavin seiner abwesenden Frau! Man muß sich Angriff und Abwehr des Liebespaares als eine längere Pantomime denken, die während der folgenden Szene die eine Hälfte der Bühne ausfüllt Der Kenner wird die Glut des Königs bewundert haben, anders als wir heute. IrävatI kommt mit ihrer Dienerin, um den König wenigstens im Gemälde zu versöhnen. Eine Dienerin der Dhärini meldet ihr, diese habe Irävatis
9. Mälavikä
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Agnimitra
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wegen Mälavikä eingesperrt. IrävatI dankt für dies Zusammenhalten der beiden Königinnen, fügt aber hinzu, ihr Kummer sei damit nicht behoben. IrävatI und ihre Dienerin stoßen auf den schlafenden Vidüshaka, der im Traume redend Mälavikä begrüßt und ihr Sieg über IrävatI wünscht. Die Dienerin wirft einen Stock auf ihn. Er schreit um Hilfe, denn er meint, es sei eine Schlange. Der König eilt herbei, Mälavikä stürzt ihm nach. IrävatI macht dem König mit recht zweideutigen Worten einen Vorwurf aus der Vereinigung mit der Geliebten am hellichten Tage. Der König ist gekränkt über diesen Vorwurf an Stelle des üblichen Grußes. IrävatI wirft der Vakulävalikä Kuppelei vor. Der König wirft der IrävatI Zorn am unrechten Platz vor; die beiden Mädchen hätten ihm nur für ihre Befreiung gedankt. IrävatI hört von ihrer Dienerin jetzt, was der Vidüshaka für Listen gebraucht hat, und beschimpft ihn, den Berater in der Liebeswissenschaft. Wie im vorangegangenen Akt war IrävatI mit liebevoller Absicht gekommen, hat sich aber durch die Ereignisse zu unbändigem Zorn hinreißen lassen. Sie ist eben dem unbeständigen Despoten gegenüber die Unterlegene; er dagegen braucht nicht in Zorn zu geraten in einer Weiberwirtschaft, in der seine Furcht im Grunde unangebracht ist. Erst hatte in diesem Akt Mälavikä, das kleine verschüchterte Mädchen, dem König im Bilde gezürnt. Dann hatte der König endlich die Geliebte in seinen Armen gehalten, so sehr sie sich auch noch sträubte. Jetzt folgte eine Schimpfszene der erzürnten IrävatI. Reicher konnte kein Dichter einen so kurzen Akt ausstatten. Der König und sein Freund sind hilflos. Da erscheint die Türhüterin Jayasenä und meldet, ein Affe habe die kleine Prinzessin Vasulakshml erschreckt. Der König eilt zu seinem Kinde. IrävatI heißt ihn warmherzig eilen. Der Vidüshaka lobt den Affen, "der ihn und den König gerettet hat. Mälavikä zittert vor der Königin Dhärinl. Da meldet die Gärtnerin, der Asoka blühe, bereits ehe fünf Tage nach Mälavikäs Ritus verstrichen sind. Dies sei ein Wunder. Vakulävalikä tröstet Mälavikä jetzt, die Königin werde ihr Versprechen halten und ihr jeden Wunsch erfüllen, und Mälavikä eilt mit der Gärtnerin zur Königin. Der Affe hilft dem König, der Aäokabaum der Mälavikä. So wird das Paar aus der peinlichen Lage gerettet. Am Ende des VI. Aktes der Öakuntalä hat Mätali es so eingerichtet, daß ein Dämon im rechten Augenblick den Vidüshaka angreift, um den König zum Heldentum zu erwecken. Hier ist es bloßer Zufall. Der Dichter deutet nicht etwa an, daß der Vidüshaka auch dies als List eingefädelt hätte. Er benutzt vielmehr die kleine Vasulakshmi, deren kindliches Ausplaudern des Namens Mälavikä dem König bereits vor Beginn der Handlung des Dramas beim ersten Schritt seines Liebesabenteuers geholfen hatte. Im Vorspiel des V. Aktes tritt die Gärtnerin auf, von der Königin Dhärinl beauftragt, den Platz vor dem erblühten Asokabaum für ihren Besuch herzurichten. Sie trifft den Buckligen 138 , einen Diener der Königin, der gerade 800 Goldstücke dem llofpriester bringt, denn der soll die Opferpriester für
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Kalidasa - Die menschliche Bedeutung
seiner
Werke
das Leben des Prinzen Vasumitra, des Sohnes der Dhärini, Riten vollziehen lassen. Es ist nämlich Nachricht gekommen, daß der Prinz das Opferroß des Pushyamitra zu beschirmen hat. Der Bucklige erzählt der Gärtnerin weiter, daß die Königin gerade einen Brief ihres Bruders Virasena vorgelesen bekommt, der den Vidarbhakönig besiegt hat. Mädhavasena ist frei. Ein Bote hat reiche Geschenke, Sklavinnen usw. des Besiegten gebracht, die der König gerade besichtigt. Der V. Akt beginnt damit, daß die Türhüterin den König zum Asokabaum und zu der Königin rufen soll. Da verkünden zwei Sänger, daß der König naht. Der eine besingt ihn in einer Strophe als den, der sich wie der leibhaftige Liebesgott in den Parks entlang der Ufer von Vidisä am Gesang des Kuckucks erfreut, während in der Ferne sein Feind geschlagen wird. Der andere stellt ihn Vishnu (Krshna) gegenüber, der seine Frau Rukmini mit Kampf aus dem Vidarbhalande holte. Die Königin möchte den König am Asokabaum treffen, den Mälavikäs Fuß zum frühzeitigen Erblühen gebracht hat. Der Sänger vergleicht ihn mit Krshna, der seine Rukmini aus Vidarbha holte. Solche Anspielungen genügen dem Kenner, um zu merken, daß die Königin den König mit Mälavikä verheiraten möchte, denn sie ist ja, wie er weiß, eine Prinzessin der Vidarbha. Der erste Sänger preist die Macht des Königs, der sein Heer unter seinen Feldherren siegen läßt. Der Kenner liest zugleich eine unausgesprochene Kritik an dem weichlichen König heraus, der seine Zeit mit gesuchten Liebesabenteuern verbringt. Der König ist über den Vidarbha-Sieg froh, über seine Trennung von Mälavikä unglücklich. E r läßt sich von dem wichtigen politischen und dem rein persönlichen Erlebnis gleich stark beeinflussen. Der Sieg ist ihm eben nicht eine Angelegenheit seines Staates, geschweige seines Volkes, sondern nur eine seiner persönlichen Macht. Der Vidüshaka will ihn mit der Nachricht trösten, daß die Asketin, seine Helferin, ihm berichtet hat, die Königin habe sie aufgefordert, Mälavikä zu schmücken. Das könne für den König nur Gutes bedeuten. Die Türhüterin lädt ihn dann zum Asokabaum ein; die Königin erwarte ihn dort mit Mälavikä und ihrer Umgebung. Der König und sein Freund gehen durch den Park und bewundern den Baum. Die Königin kommt mit der Asketin, Mälavikä usw. Mälavikä denkt, sie kenne zwar den Anlaß für den ihr angelegten Hochzeitsschmuck, aber ihr Herz zittere trotzdem; zugleich freilich zucke immer wieder ihr linkes Auge. Das Zucken des linken Auges ist bei Frauen ein gutes Omen. Dem Zuschauer bleibt jetzt kein Zweifel mehr daran, daß der König seine Geliebte bekommen wird, aber der Dichter hat beide ihre Unsicherheit ausdrücken lassen; das soll wohl die Spannung erhöhen. Nach herkömmlicher Begrüßung bewundert der König den Asokabaum, der durch sein Erblühen zeigt, daß er die Mühe der Königin zu schätzen weiß.
9. Mälavikü und
Agnimitra
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Nicht die Königin, sondern Mälavikä hat das Verlangen des Asokabaumes nach der Berührung durch einen Frauenfuß gestillt. Wenn der König hier trotzdem von der Mühe der Königin spricht, so möchte er vielleicht der Königin einige Worte über Mälavikä entlocken, hat damit aber keinen Erfolg. Man setzt sich schweigend (wohl etwas verlegen) um den Baum, der König ist unglücklich, daß er bei solcher Nähe der Geliebten doch von ihr getrennt ist. Da meldet der Kämmerer, der Minister möchte dem König noch zwei kunstfertige Sklavinnen 139 des Vidarbhakönigs vorführen. Es sind Sängerinnen. Der König läßt die Königin, diese läßt Mälavikä eine als Begleiterin aussuchen. Da fallen ihr die beiden weinend zu Füßen und berichten dem König, sie sei Mälavikä, die Schwester Mädhavasenas; als er gefangen gesetzt wurde, rettete sein Minister Sumati Mälavikä. Mehr wissen die Mädchen nicht. Aber die Asketin fährt fort, sie sei die Schwester jenes Sumati. E r habe sich mit ihr und Mälavikä auf der Flucht einer Karawane von Kaufleuten angeschlossen; die seien von Räubern, von Leuten eines Dschungelstammes, angegriffen worden, dabei fiel Sumati, sie selber fiel in Ohnmacht, erwachte, zog alleine nach Vidisä weiter und nahm die Kleider einer buddhistischen Asketin an. Der König lobt dies als guter Menschen würdig. Die Asketin fährt fort: Mälavikä geriet in die Hände Virasenas und dann in die der Königin. Mälavikä ist gespannt, was ihr Herr jetzt sagen wird. Dieser beklagt das Schicksal, durch daß sie, die den Namen Königin tragen sollte, als Dienerin gehalten wurde, wie ein Seidengewand, das als Badetuch verwendet wird. Die Königin dagegen macht der Asketin den Vorwurf, daß sie nicht früher das Geheimnis der Mälavikä gelüftet hat. Als Mälavikä von den beiden neuen Sklavinnen erkannt wurde, h a t t e die Königin sich den Vorwurf gemacht: Ich habe Sandelholz für meine Pantoffeln gebraucht! Das ist sehr ähnlich dem Vergleich, den der König hier auf Mälavikä anwendet: Man mißbraucht kein Seidengewand beim Baden zum Besprengen des Körpers usw. 140 . Aber die zitternde Mälavikä erwartet doch wohl von dem verliebten König etwas Herzlicheres. Der Vorwurf der Königin an die Asketin zeigt dagegen eine innigere Besorgnis als dieser uns reichlich prosaisch anmutende Vergleich des Königs. Man muß dabei bedenken, daß der König als gebildeter, Sanskrit sprechender Mann und Kenner der Liebe sich besser ausdrücken sollte als die ungebildete Königin, und daß diese ihre berechtigte Eifersucht gegen Mälavikä doch gerade eben erst überwunden hat. Dies alles macht es wahrscheinlich, daß Kälidäsa auch in dieser Szene den König nicht gerade liebevoll dargestellt hat. Die Asketin wehrt den Vorwurf mit einer magischen Formel ab: Gott bewahre ! Sie ist bewußt hartherzig gewesen, denn als Mälavikäs Vater noch lebte, kam einmal ein Asket zu einem religiösen Fest und weissagte, daß Mälavikä ein J a h r lang dienen, dann aber einen ebenbürtigen Gemahl bekommen werde. Sie, die Asketin, sah, daß diese Weissagung in Erfüllung
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ging, als Mälavikä bei DhärinI diente, und sie sieht jetzt, daß sie gut gehandelt hat. Der König billigt ihr Verhalten. Sakuntalä und Urvail haben sich durch ihre übergroße Liebe selber eine Verfluchung zugezogen. Sita war durch ihr Lachen über Sürpanakhä schuldig geworden, der Geist im Wolkenboten hatte sich verfehlt. Bei Mälavikä aber hat der Dichter sich keine Schuld erdacht. Sie, die Prinzessin, wird durch unverständliche Schicksalsmacht zur Sklavin, danach freilich erhöht und glücklich. So hat der Dichter gerade die Sklavin Mälavikä als unschuldiges Mädchen herausgehoben. König und Königin wenden sich jetzt aber nicht etwa liebevoll der unschuldigen Sklavin zu. Der Kämmerer meldet, der Minister lasse fragen, was mit dem Vidarbhakönig Yajnasena geschehen solle. Der König entscheidet, er und Mädhavasena sollten sich in das Vidarbhareich teilen. Der Kämmerer meldet dies den versammelten Ministern. — Die eine Sklavin wünscht Mälavikä Glück dazu, daß ihr Bruder jetzt König sei. Mälavikä aber entgegnet, nur das sei wichtig, daß er lebe! Mälavikä liegt eben nichts am Königtum, weder an dem des Bruders noch an ihrem eigenen. Diese Bescheidenheit wollte der Dichter wohl andeuten, als er diesen kurzen Dialog einführte, den er brauchte, denn der Minister meldet das Einverständnis des Ministerrates. Beide Könige zusammen würden unter seiner, Agnimitras Oberherrschaft stehen. Im I. Akt hatte der König sich schnell zum Angriff entschlossen. Er war seinem zornigen Impuls gefolgt, der Minister fand dann dazu die gelehrte Bestätigung im Staatslehrbuch. Hier entscheidet wiederum der König impulsiv, der Ministerrat aber findet die politische Begründung, eine Art „divide et impera". Am Anfang und Ende des Dramas läßt der Dichter also die Liebesgeschichte des Königs durch ganz kurze politische Entscheidungen einrahmen. Agnimitra urteilt beide Male richtig, aber er räumt der Politik in seinem Leben keinen besonders großen Raum ein, und er läßt sich nicht durch seine Minister beraten oder gar leiten. Er ist eben ein selbstherrlicher, nicht unbegabter, aber in seine Liebeleien reichlich versunkener Despot. Er verhandelt nicht einmal mit dem Minister oder Ministerrat selber, sondern läßt seinen Kämmerer den Boten spielen. Der Kämmerer ist ein alter Mann, der Zutritt zu den Frauengemächern hat und den König bei seinen privaten Vergnügungen unterbrechen darf. Der Kämmerer bringt dann einen Brief des Pushyamitra, daß sein Enkel Vasumitra sein Opferroß heldenhaft den Händen der Griechen entrissen hat wie Amäumän das Opferroß seines Großvaters schirmte; er lade Agnimitra zum Pferdeopfer ein. Es war eine altbekannte epische Sage, daß Sagara von der Vidarbhaprinzessin Keöini den Asamanja als Sohn hatte. Dieser war so grausam, daß er ständig die Kinder der Städter in den Fluß warf und dabei lachte 141 . Der Vater Sagara verbannte ihn. Dessen Sohn aber war Amsumän, der das Opferroß seines Großvaters Sagara beschirmte. Amiumän aber war der Vater Dillpas, mit dem der „Stammbaum des Raghu" beginnt. — Kälidäsa hat diesen knappen Hinweis
9. Mälavikä, und
AgnimiVra
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auf Amsumän sicher mit der Absicht gegeben 142 , daß der Zuschauer oder Leser sich die Parallele weiter ausmalen soll: Kesini stammte aus Vidarbha wie Mälavikä. Damals aber war wie bei Pushyamitra nicht der Sohn der Schützer des Opferrosses des Vaters (wie es z. B. Raghu für seinen Vater Dilipa war), sondern ungewöhnlicherweise der Enkel. Bei Sagaras Opfer war der Grund, daß der verbrecherische Sohn Asamanja verbannt war. Bei Pushyamitra war offenbar der Grund, daß Agnimitra lieber im Park seine Frauen schaukelte als kämpfte 143 . Diese versteckte Anspielung auf Asamanja hat besonders in bezug auf die folgende Szene ihre Bedeutung. Was an diesem Opfer des Rosses historisch ist, ist damit nicht entschieden. Die Asketin beglückwünscht Dhärini zu diesem Heldensohn. Die Königin drückt ihre Freude darüber aus, daß der Sohn dem Vater nachgeschlagen ist. Der König wendet sich an den Kämmerer: Da ist doch das Elefantenkalb dem Herdenführer gefolgt! Der Kämmerer entgegnet: Dies Heldentum läßt uns bei deinem Sohne nicht erstaunen! Die Asketin beglückwünscht die Königin mit Recht; ihr Rang als Mutter des Thronerben ist jetzt trotz des Königs Liebe zu Mälavikä gesichert. Man denke an IJrvasi, die Hetäre, die durch Ayus Geburt den Vorrang vor der Königin des Purüravas bekam: Die Königin schiebt in ihrer Bescheidenheit dem Vater das Verdienst an dem Heldensohne zu; der König aber wehrt dies ab: Das Elefantenkalb ist heldisch, wie es der Führer der Herde ist, d. h. Vasumitra schlägt dem Heerführer Pushyamitra nach, dem Großvater, nicht dem Vater. Er weiß, daß er selber kein Held ist! Neidlos läßt er seinem Sohn den Kriegerruhm, während er selber lieber mit Frauen spielt, wie es eben der eine der königlichen Sänger „gepriesen" hatte. Der Kämmerer freilich schmeichelt seinem König als Heldenvater. Aber des Dichters Absicht versteht der alte wie der moderne Leser: Diese Szene der Komplimente zeichnet den König als unheldisch, aber auch zugleich als einsichtig; freilich verbietet er dem Kämmerer keine solchen Schmeicheleien. Der König läßt jetzt zur Feier des Sieges den gefangenen Schwager des Yajnasena und alle anderen Gefangenen frei. Die Königin aber läßt Irävati um Einverständnis bitten, daß sie, Dhärini, ihr der Mälavikä gegebenes Versprechen halten dürfe. Irävati stimmt ihr zu. Dhärini übergibt dann unter Ermunterung der Asketin dem König Mälavikä als Gegengabe für die gute Nachricht. Daß Mälavikä die Königin um die Verheiratung mit dem König gebeten haben sollte, als sie ihr das Erblühen des Aäokabaumes meldete, ist nicht angedeutet. Die Königin kennt aber diesen Wunsch, den sie unbedingt erfüllen muß, sie hat ja ihr Wort gegeben. Es ist nur ein Zeichen ihres verträglichen, die Mitfrau und deren Eifersucht berücksichtigenden Charakters, wenn sie Irävati um Zustimmung bittet. Und es ist eine geschickte Form, wenn sie dieses Geschenk mit der Nachricht vom Heldentum ihres Sohnes verbindet. Freilich fällt ihr dies Schenken leichter, wo sie sich als Heldenmutter über der jungen Frau stehend weiß.
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seiner
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Auch jetzt noch bleibt der König verlegen stumm. Der Vidüshaka kommt ihm zu Hilfe: Die Königin möge Mälavikä als Prinzessin, nicht als Sklavin übergeben. Dhärini erklärt das für selbstverständlich. Die Asketin aber erinnert sie weiter an die Sitte, und die Königin läßt für Mälavikä ein Seidengewand144 holen, um sie damit zu verhüllen. Jetzt erst nimmt der König sie entgegen. Der Vidüshaka und die Asketin loben die Duldsamkeit der Dhärini. Verkaufen und Verschenken von Töchtern als Sklavinnen oder zugleich als Frauen war üblich. Hier aber wünscht der König mit Recht eine öffentliche Anerkennung des hohen Standes der Mälavikä. Am Ende ihres Dramas wird die Hetäre Vasantasenä in ähnlicher Weise durch den Herrscher mit einem Schleier als Ehefrau des Kaufmannes Cärudatta anerkannt, einer Ehrung, der Urvaöi nicht teilhaftig wird. Irävatl sendet ihre Dienerin und bittet den König um Verzeihung und seine weitere Gnade. Dhärini sichert ihr die Anerkennung ihrer Dienstwilligkeit durch den König zu. Die temperamentvolle Irävatl tritt in diesem Akt nicht selber auf, sie soll diesen versöhnlichen Ausklang des Dramas nicht noch einmal stören. Nicht der König antwortet ihr; er ist neben seiner Mälavikä wohl zu einer passenden Antwort unfähig. Die Königin nimmt ihm diese Pflicht ab. Sie, die Mutter des Thronerben, ist ja die Herrin im Frauenhaus des Königs. Die Asketin bittet um Urlaub, um ihren Bruder zu sehen. Man bittet sie, wieder zu kommen. Sie dankt und geht. — Die Königin fragt, ob sie dem König noch etwas Liebes tun könne. Er bittet sie nur weiter um ihre Gunst. Es war üblich, ein Drama mit einer solchen Strophe zu schließen, die zum Ausdruck brachte, daß alles gut abgelaufen ist. Den Dushyanta fragt der Weise Märica, den Purüravas der Weise Närada, was sie ihm weiter Gutes tun könnten. Die Königin Dhärini hat hier also die Rolle dieser beiden mythischen Weisen, dieser himmlischen Segenspender erhalten. Damit ist sie vom Dichter sehr erhöht worden. Sie ist die treibende Kraft für den König, der ihr den Heldensohn und die neue Geliebte verdankt. Sie ist das Muster einer selbstlosen Gattin, die dem Gatten junge Frauen zuführt. Neben ihr ist der König in diesem letzten Akt endlich der sich selbst beherrschende, meist stumm und inaktiv bleibende Mann. Er ist zwar als Politiker aktiv, aber nicht in seiner Liebesangelegenheit; er wartet, bis er Mälavikä aus den Händen der Königin erhält. Damit ist am Ende auch Agnimitra als das Muster eines Gatten hingestellt — wenn wir auch die Musterhaftigkeit dieses Ehepaares, diese Polygamie, nicht mehr als gut und schön empfinden können. Auch die heftige Irävatl fügt sich in ihr Schicksal und verspricht, die ergebene Dienerin des ihr untreu gewordenen Gatten zu werden. Und endlich ist Mälavikä die musterhafte Braut, die zaghaft während des Aktes stumm bleibt und wartet, wie sich ihr Geschick in den Händen der Königin und Herrin und des Königs, des eben noch so feurig gewesenen, jetzt stumm gewordenen Geliebten abspielen wird. Mälavikä ist dem Agnimitra bestimmt gewesen; auf dem Wege zu ihm ist sie geraubt und versklavt worden. Ihre Lage ist also in gewissem Sinne ähnlich der der Pärvati als Braut Sivas. Aber sie dient ihrem künftigen
9. Malavika und
Agnimitra
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Gatten nicht und tut nichts, ihn zu gewinnen. Es ist auch unsicher, ob sie von jener Weissagung weiß, von der eben die Asketin berichtet hat. Endlich ist der Vidüshaka das Muster des Freundes, selbstlos, schlau, immer einfühlend und hilfsbereit. So stehen am Schluß alle Personen des Dramas als musterhaft da. Wir freilich können ihre Entwicklung nicht recht genießen und hätten es lieber gesehen, wenn der Dichter seine realistische Schilderung des Königs usw. beibehalten hätte. E r konnte eben die Liebe der Sklavin nicht zu einem ernsteren Schluß bringen, er mußte das Sklaventum der Mälavikä aufhören lassen und damit bagatellisieren. E r konnte aus der Anlage des Dramas keine wirklich dramatische Handlung entwickeln, denn eine solche hätte geradezu revolutionär werden müssen, eine revolutionäre Klasse gab es aber im alten Indien nicht, und folglich konnte auch der größte Dichter nicht revolutionär empfinden. Der Hofdichter Kälidäsa mußte das Drama der Sklavin mit allgemeiner Versöhnung enden lassen. Das tut seiner Größe indessen wenig Abbruch. Er sah tiefere Probleme der Liebe als andere altindische Dichter, er dichtete sie menschlicher. Man vergleiche nur die steife, wenn auch an sich großartige Sage der Sarmishthä oder der epischen Sakuntalä mit Kälidäsas Dramen! Dabei konnte auch er die Liebe nicht tiefer schildern, als es in seiner Gesellschaft möglich war. Mälavikä, Urvasi, und auch Sakuntalä werden nur ihrer leiblichen Schönheit wegen von den drei Königen geliebt. Von ihren geistigen und seelischen Vorzügen ist aus dem Munde ihrer Anbeter nichts zu hören. Nur bei Pärvatl hat man das Gefühl, daß Siva sie nicht nur wegen ihrer weiblichen Schönheit, sondern auch wegen ihrer jungfräulichkeuschen, dienstbereiten, leidenschaftlich ausdauernden Liebe zu ihm Hebt. Pärvatls Liebe ist uns schwer verständlich, es ist keine sinnliche und keine geistige Liebe, es ist ursprünglich nur Gehorsam gegen den Vater und gegen ihr Schicksal. Aber sie zeigt Siva ihre Liebe durch ihren Yoga viel ernster als Sakuntalä, Urvaäi, und Mälavikä sie ihren Königen durch ihre mädchenhaften, belauschten Liebesgeständnisse zeigen. Immer wieder wird man auf diese Weise zu der Erkenntnis gedrängt, daß dem Dichter mit dem göttlichen Liebespaar Siva und Pärvati ein besonders großartiges Dokument menschlicher Liebe gelungen ist. Man übersehe in diesem Zusammenhang aber auch nicht, daß keine dieser schönen Frauen in ihrer Liebe zu ihrem Manne jemals wankend wird. Das hätte die indische patriarchalische Gesellschaft nicht wie wir etwa als tragisch empfunden, für solche Möglichkeiten blieb selbst ihr großer Dichter Kälidäsa blind. Immer wieder besang er die Liebe, ihre Trennungsschmerzen und ihr Glück. Aber, da er in jedem seiner Werke andere Menschen lieben und leiden und glücklich werden ließ, da er die Liebenden als liebenswerte Typen auch mit ihren Schwächen zeigte und uns wahrhaft menschlich und lebensfroh mit ihnen empfinden läßt, ist er der große, reiche und warme Dichter, der alle, die ihn kennenlernen, schon mehr als ein Jahrtausend lang begeistert hat und weiter begeistern wird, nicht nur in seiner Heimat Indien, sondern überall da, wo Menschenherzen schlagen und von wahrer Kunst ergriffen werden.
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Kälid&sa - Die menschliche Bedeutung seiner Werke
10. Nachwirkungen der Werke Kalidasas
Es scheint, daß Kälidäsas Verse schon im Jahre 473 u. Z. von einem Verfasser einer Inschrift nachgemacht wurden; er muß also damals schon berühmt gewesen sein145. Im Jahre 634 wurde er in einer Inschrift als berühmter Dichter genannt; ihr Verfasser war besonders vom Stammbaum des Raghu beeindruckt 146 . Kälidäsas Werke wurden, was für ihre Erhaltung notwendig war, immer wieder abgeschrieben und so allmählich über ganz Indien verbreitet. Das zeigt ihre Beliebtheit, wirkte sich aber insofern ungünstig aus, als ein Text um so verderbter wird, je öfter er abgeschrieben wird. Das zeigt sich z. B. bei dem Wolkenboten darin, daß nicht nur die Verszahl stark schwankt, sondern auch die Verse ihre Stellung wechseln, so daß es für die heutige Forschung noch nicht gelungen ist, den Urtext Kälidäsas in reiner Form überzeugend wiederherzustellen 147 . Vom Drama der Sakuntalä kann die heutige Indologie bereits mehrere lokale Versionen unterscheiden, denn die zahllosen Handschriften dieses beliebten Werkes lassen sich nach ihrer Herkunft und Schriftart in eine kaschmirische, eine zentralindische (im Nägarl-Alphabet), eine bengalische und eine südindische ordnen. Die bengalische enthält am meisten Verse, in der zentralindischen ist vor allem die Liebesszene im III. Akt gekürzt, in der südindischen meint man, Fälschungen feststellen zu können 148 . Es ist wichtig, daß man bei den großen Volksepen auf ganz ähnliche lokale Gruppen von Handschriften stößt. Wenn man derartige Verhältnisse umfassender untersucht, dürfte sich herausstellen, daß die lokalen Versionen geradezu nationale genannt werden dürfen, denn, wie sich die bengalische, panjabische Nationalität usw. in den letzten tausend Jahren herausbildeten, haben sich unter anderem ihre Sprachen zu Nationalsprachen entwickelt, den Sprachen entsprechend ihre Schriftarten, und diese altehrwürdigen Texte wurden zwar in der alten Sprache, im Sanskrit und in den Präkrits überliefert, aber eben doch in lokalen, d. h. nationalen Versionen. Auch bei dem Drama der Urvail läßt sich zeigen, daß im IV. opernhaften Akt einige Strophen in Apabhramia, einem besonderen Dialekt, fehlen 149 . Aber kritische Ausgaben sämtlicher Werke Kälidäsas, die das gesamte erhaltene Material zu überschauen erlaubten, fehlen noch. Mit der Verbreitung in mehreren Versionen hängt das Problem der Kommentare zusammen. Es gibt zum Wolkenboten, zur Geburt des Kriegsgottes und zum Stammbaum des Raghu je etwa 40 indische Kommentare 150 , zur Sakuntalä etwa 25151 Von ihnen ist bisher aber nur eine ganz kleine Zahl gedruckt worden, so daß wir auch dies Material noch nicht übersehen. Wenn man dabei wieder auf die Tradition der Epen sieht, darf man annehmen, daß die Kommentare mit jeweils einer lokalen oder nationalen Gruppe von Handschriften zusammenhängen werden. Auch sie also werden eines Tages wichtig werden, wenn man das
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Kälidäsas
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langsame Werden der indischen Nationen schildern wird — ganz abgesehen von ihrer Bedeutung für die Rekonstruktion des Urtextes und für die Interpretation der Werke unseres Dichters. Gerade diese Kommentare werden uns enthüllen, in welcher Weise Kälidäsa in den Jahrhunderten weitergelebt hat, wie er bewundert und aufgefaßt wurde. Dazu wird man weiter heranziehen, wie Kälidäsas Werke nachgedichtet wurden. Besonders der Wolkenbote hat Schule gemacht und es gibt eine ganze Literaturart solcher Botschaften, einen Windboten, Schwanboten usw. Der Wolkenbote ist weiter ins Tibetanische, ins Singhalesische und ins Malayälam übersetzt worden 152 . Der Stammbaum des Raghu ist bis nach der Insel Bali gewandert 153 . Daß der fehlende Teil der Geburt des Kriegsgottes von einem Bewunderer durch eine Neudichtung 154 ersetzt wurde, ist schon erwähnt worden. Es scheint aber auch, daß dies Epos auf das Siva- und Mahäsivapuräna eingewirkt hat, denn die Liebe Pärvatls und Sivas wird darin sehr ähnlich wie bei Kälidäsa erzählt. Natürlich kann man auch umgekehrt annehmen, daß Kälidäsa für seine Darstellung eine Quelle, ein Puräna benutzte, das auch auf diese beiden Sivapuränen gewirkt h a t ; belegen läßt sich aber eine so alte Darstellung noch nicht155- Ähnlich steht es mit dem Padmapuräna und der Geschichte der Sakuntalä; einige nehmen an, daß Kälidäsa dies Puräna als Quelle verwendet hat 1 5 6 , andere sehen in seiner Darstellung eine Beeinflussung durch den großen Dichter 157 . Ähnlich steht es weiter mit dem Matsyapuräna und dem Drama der UrvasI 158 . Auch sonst findet man gelegentlich Nachwirkungen Kälidäsas, so ist z. B. der große Erzähler Somadeva bei der Wiedergabe der XX. Geschichte des Vetäla vom Anfang der Sakuntalä abhängig 159 ; seine Darstellung der Urvasigeschichte 160 aber weicht von der Kälidäsas sehr ab. Daß Poetiker und Dramatiker, Verfasser von Anthologien und vielleicht auch Lexikographen 161 , sich in ihren Lehrbüchern gerne auf Kälidäsa als den großen Meister berufen, ist geradezu selbstverständlich 162 . Zweifellos wurden die Dramen Kälidäsas auch aufgeführt. So ist es kein Wunder, daß gerade Sakuntalä 163 den Engländern als erstes indisches Drama bekannt wurde und 1789 zum ersten Male von Jones ins Englische übersetzt wurde. Damit begann dann Europas Freude an Kälidäsas Dichtung. Aber in Indien wurden seine Werke in noch größerem Umfang bewundert und in den letzten 150 Jahren immer wieder herausgegeben und für den Gebrauch an Schulen und Universitäten kommentiert. Besonders den „Stammbaum des Raghu" und Sakuntalä soll der Student kennen und seine Kenntnis im Examen nachweisen. Ein großartiges Zeugnis für die Lebendigkeit Kälidäsas ist der Roman „Schiffbruch" des Rabindranath Tagore aus dem Jahre 1906164. In ihm verweist Tagore selber auf die „Geburt des Kriegsgottes" und ein Vergleich beider Werke zeigt, daß der moderne Klassiker sich von dem alten in wesentlichen Punkten anregen ließ 165 . Tagore hatte sich schon seit Anfang der 90er Jahre mehrfach mit Kälidäsa beschäftigt, in Vers und Prosa, insbesondere mit Sakuntalä, dem Wolkenboten und der Geburt des Kriegsgottes. Er hat bei aller Bewunderung 7 Rüben
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des alten Klassikers kritisiert, daß er sich nur um die Fürsten in ihrem Glanz, nicht um die Armen in ihrem Leid gekümmert hat. Tagore hat sozusagen die alte äivaitische Fabel ins Moderne übersetzt: er hatsie als die eine Linie seines Romans verwendet: Ein junger Arzt aus Benares, Nalinaksha, heiratet ganz plötzlieh ein ihm völlig unbekanntes Mädchen, Kamala, eine Waise, Kind eines bengalischen Dorfes. Selbst bei der Hochzeit sieht sich das verschämte Paar gar nicht an. Am folgenden Tag wird es bei einer Kahnfart von einem Sturm überrascht und getrennt. Nalinaksha muß befürchten, Kamala sei ertrunken, und beschließt, ein Jahr lang auf sie zu warten, empfindet sich aber schon als Witwer (wie Siva bei Kälidäsa). Das erschütternde Erlebnis treibt ihn zu Askese. Täglich vollzieht er seine Übungen, aber er praktiziert in Benares als guter Arzt weiter; er lebt dort bei seiner orthodoxen Mutter. Kamala aber ist auf einer Sandbank gelandet und trifft dort Ramesh, einen jungen Juristen, der im selben Sturm seine ebenfalls nicht gesehene junge Frau verloren hat. Beide meinen, sie wären das eben verheiratete Paar, aber Ramesh bemerkt bald seinen Irrtum. Er wagt indessen nicht, das ihm vertrauensvoll anhängende junge Mädchen Kamala zu enttäuschen und lebt in brüderlicher Freundschaft neben ihr. Nach solchem für beide Teile qualvollen Nebeneinander entdeckt Kamala aus einem Briefe Rameshs plötzlich die Wahrheit und verläßt ihn sofort ohne Nachricht, sie sucht ihren angetrauten Gatten Nalinaksha. Nach allerhand Abenteuern gelangt sie als Haustochter in sein Haus und dient seiner Mutter. Beide jungen Leute halten sich schamvoll zurück. Sie fühlt sich durch das Zusammensein mit Ramesh befleckt und will nur noch ihrem nichts ahnenden Gatten dienen, verzichtet auf jedes Glück als Hausfrau und Mutter. Erst allmählich begreift sie unter dem Einfluß einer anderen Frau, daß sie ihrem Nalinaksha die Wahrheit sagen muß und auf sein Verständnis rechnen kann. Nalinaksha hat ihre Reinheit und Ergebenheit schon längst bewundern gelernt; jetzt bedarf es nur noch eines Wortes von ihr, und er pimmt sie in seine schützenden Arme und führt sie seiner Mutter zu. Was Kamala treibt, ihr selbstloser Dienst, ist „Yoga der Tat", der schon in der Bhagavadgitä gepriesen und in epischen Episoden wie der voni rechtschaffenen Jäger 166 gerade Hausfrauen anempfohlen wurde. Da wird ein Yogi, der im Dschungel zu magischer Macht gelangt und darüber stolz und anmaßend geworden ist, von einer treuen, schlichten Hausfrau getadelt und gedemütigt. Sie dient ihrem Gatten treu und ist dadurch gegen die Magie jenes Yogi gefeit, der sie verwünschen will, weil sie ihm nicht schnell, noch vor ihrem eigenen Manne, Essen bringt. In Kälidäsas Geburt des Kriegsgottes und in Tagores Schiffbruch ist also ein Witwer zum lebensfremden Yogi geworden, nur arbeitet Tagores Gestalt alsArzt dabei praktisch weiter, und ebenso sind beide Frauen Yoginis geworden, nur arbeitet Kamala als Haustochter praktisch in ihrem „Tat-Yoga". Gerade durch ihn aber gewinnt sie schließlich den ihr bestimmten Gatten. Beide Dichter haben in ihrer Weise geschildert, wie ihre Paare sich entwickeln, wie der asketische Witwer langsam seine Aufmerksamkeit auf das Mädchen richtet, wie das Mäd-
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chen, das ganz jung und unschuldig zu denken ist, zu eiserner Entschlossenheit und zu inniger Liebe gelangt. Aber freilich durfte Tagore 1906 die glühende Leidenschaft des jung vermählten Paares nicht mit solcher sinnlichen Glut schildern wie Kälidäsa in seiner Zeit. Zweifellos gehörte auch für Kälidäsa großer Mut zu solcher menschlichen Darstellung des höchsten Götterpaares. Aber ein Tagore, der schon mit der Koedukation in seiner Landschule in Shantiniketan bei den oberen Zehntausend Bengalens Anstoß erregte, durfte im kolonialen und seinen Kapitalismus entwickelnden Indien nicht so frei schreiben, hat es wenigstens nicht gewagt. Pärvati war entschlossen, sich die Ehe mit Siva zu erringen, denn er war ihr bestimmt. Kamala aber, die sogar mit Nalinaksha rite verheiratet war, wagte nicht, auf solche Ehe zu hoffen. Sie fühlte sich durch Ramesh befleckt, wie manche Sita durch Rävana für befleckt hielten167. Aber Välmiki hat in seinem Epos Sita deswegen völlig entschuldigt, und Kälidäsa ist noch entschiedener als er für Sltäs Unschuld eingetreten und hat Räma seinen Zweifel schwer verdacht. Auch hier also ist Tagore vorsichtiger als Kälidäsa, zaghafter; Kamala wird geradezu erniedrigt, wenn man an Pärvati denkt. Um Tagores Stellung zum Yoga zu verstehen, ist es notwendig, auf den Yoga seiner Zeit etwas einzugehen. Im Jahre 1886, als Tagore 25 Jahre alt war, erschien in Bengalen, in Tagores Heimat, der Anfang von Bankim Chandra Chatterjis Kommentar zur Bhagavadgltä. Dieser große patriotische Schriftsteller, von dem die Nationalhymne Indiens stammt, schrieb für westlich gebildete Inder und bemühte sich um Modernisierung der altindischen Religion. Er lehrte, die Lehre vom selbstlosen Handeln (also den Tat-Yoga) nicht mehr wie in der Gltä auf die vier Kasten, sondern auf alle Menschen anzuwenden. Nicht nur soll jeder Mensch seine Kastenpflicht erfüllen, sondern jeder Mensch seine Menschenpflicht je nach seiner Natur, nach seinen körperlichen und geistigen Kräften. Menschlichkeit tritt an die Stelle priesterlicher Kastenordnung168. In den 90er Jahren lehrte dann in Bengalen Vivekananda, der Schüler des berühmten Asketen Ramakrishna, eine neue Interpretation der Gltä, ihres TatYoga und ihrer sonstigen Formen des Yoga169. Yoga gilt ihm als Wissenschaft der Selbsterkenntnis, er soll vom Leiden befreien, er soll den Menschen aktiv machen; der Mann soll als Familienvater streben, reich zu werden, um auch den Armen geben zu können. Er soll aber in völliger Selbstlosigkeit keinen Dank erwarten, nur seine Pflicht als Mensch tun. Jeder soll seiner Klasse gemäß arbeiten, nur um der Arbeit, nicht um des Lohnes willen. Auch die niedrigste Arbeit muß als Arbeit anerkannt werden. Solch Tat-Yoga bedeutet zugleich völlige Unterordnung unter das Schicksal. Dazu braucht man aber keine ausgesprochene Askese, sondern es genügt, wenn z. B. eine Frau ihrem Manne treu dient und der Sohn dem Vater. Solch praktischer Yoga steht höher als der des Berufsasketen170. — Eine solche selbstlose Frau war Kamala, und eine Hemnalini (s. u.) versucht, durch Yoga Demut gegenüber dem Schicksal zu gewinnen. Es ist also kein Zweifel, daß Tagore die Yogalehren Vivekanandas und vielleicht auch Bankim -Chatterjis gekannt hat. Solche Lehren der Mahnung zur Aktivität waren für 7«
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das damalige indische, insbesondere bengalische Großbürgertum und Bürgertum notwendig. Die Großgrundbesitzer hockten träge auf ihrem Großgrundbesitz, Händler trieben in alter Art ihren Wucher. Es kam aber darauf an, eine Industrie aufzubauen, wollte Indien dem englischen Kolonialjoch entrinnen. Der vergrämte Quietismus der altindischen Religionen mußte kapitalistischer Aktivität weichen. Der Mensch soll nicht dem gesellschaftlichen Handeln zu entfliehen streben, sondern freudig mitarbeiten. Die Familie Tagore gehörte zu solchen Großgrundbesitzern, die sich zu Geschäftsleuten entwickelten und wie Rabindranath in England Recht studierten. Die jungen Leute des Romans werden Juristen, Ärzte, Lehrer, sie lesen englische Literatur — aber sie finden zugleich Trost und Kraft in den alten religiösen Praktiken und Lehren des Yoga. Bei Hemnalini versagt dieser Weg. Nalinaksha gelingt es, ihn mit seinem Arztberuf zu verbinden, Kamala findet den Weg zum Tat-Yoga. Ramesh oder Hemnalinis Bruder (s. u.) versuchen Yoga nicht, wohl aber in gewissem Ausmaß die kluge Mutter Nalinakshas. Man hat den Eindruck, daß der Dichter die Lehren Bankims und Yivekanandas zwar gekannt und bewundert, aber nicht deutlicher zu preisen gewagt hat. Kälidäsa dagegen hat ein ganz anderes Problem, das des Sieges der Liebe über den Yoga, das im alten Indien mehrfach erörtert wurde, ohne jedes Zagen im Sinne der Lebensfreude dargestellt. Sonst wurden in Legenden etwa Asketen durch schöne Frauen verführt 1 7 1 . Das genügte einem Kälidäsa nicht. Er gab seiner Pärvati recht, wenn sie zum Yoga griff, um sich Liebe zu ertrotzen; keine zeitweilige Verführung ihres ihr bestimmten Gatten Siva war ihr Ziel, nein, dauernder, ehelicher Besitz des sie ablehnenden herrlichen Mannes. Ein weiterer Unterschied beider Dichtungen ist, daß Tagore diese eine Linie der Handlung mit einer zweiten verflocht und dadurch das Thema problematischer gestaltete. Er stellte dem Paar Nalinaksha-Kamala das Paar Ramesh-Hemnalini gegenüber, zwei ebeno problematische Naturen wie das erste Paar. Ramesh hat bei jenem Sturm seine ihm eben angetraute Frau wirklich verloren. Er gerät mit Kamala zusammen, aber eigentlich liebt er Hemnalini, eine Studentin der Literatur. Er möchte Kamala nicht abstoßen, möchte Hemnalini heiraten und ihr später alles erzählen. Aber ein Intrigant stellt ihn der Familie der Hemnalini als mit Kamala verheiratet, also als Bigamist hin. Dadurch verliert er Hemnalini, und etwas später verläßt ihn (s. o.) Kamala. Ein Bruder der Hemnalini versucht eine Aussöhnung, aber bis zum Ende des Romans ist sie nicht geglückt; Hemnalini und Ramesh scheiden unverbunden aus der Handlung des Romans. Der Leser mag sich ausmalen, ob und wie sie, die beide in Kalkutta leben, noch einmal zusammen glücklich werden. Läßt man die Einzelheiten dieses Paares in unserem Zusammenhang beiseite, so ist hervorzuheben, daß Tagore absichtlich der natürlich empfindenden, schulmäßig ungebildeten Kamala die modern, d. h. englisch gebildete Hemnalini gegenübergestellt hat. Dies etwas emanzipierte Mädchen flüchtet in seiner Not in Yoga und wird Schülerin des Nalinaksha. Aber sie gelangt auf diesem Wege zu keiner inneren Ruhe. Sie, die moderne Städterin ist der vom Lande gekommenen
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Dienstmagd Kamala unterlegen. Hemnalinis Eildung hindert sie, im Yoga glücklich zu werden wie Kamala. Der Dichter h a t mit diesem Gegensatz der beiden an sich guten und schönen Mädchen den Gegensatz des alten und des neuen Indien zugunsten des alten entschieden, wenigstens einstweilen; in der Fortsetzung mag der Leser sich auch für Hemnalini Glück ausmalen. Ramesh ist wiederum eine problematische Natur. Er, der moderne Jurist, weiß sich in seiner Not nicht mit seiner Wissenschaft zu helfen. Er vermag sein Verhältnis zu den beiden Frauen nicht zu bereinigen. Er ließ sich von seinem Vater zu einer Ehe zwingen, ohne entschieden für eine Ehe mit Hemnalini einzutreten; seine ihm aufgezwungene Frau ist zwar im Sturm umgekommen, aber er fühlt sich jetzt an Kamala gekettet und weiß sich keinen R a t . Er ist vom Dichter als ein schuldig-unschuldiger, also tragischer Charakter mit Liebe gezeichnet, aber seine Schwäche ist im Grunde unverzeihlich. Dagegen ist Nalinaltsha, der Yogi, seines Weges sicher, wie Kamala mit ihrem Yoga selbstsicher im Verhältnis zur modern erzogenen Hemnalini ist. Darin liegt geradezu ein Bekenntnis des Dichters zum Yoga. Für die Haltung des Dichters ist seine Einbeziehung eines religiösen Problems in den Roman wichtig, das des Gegensatzes von Orthodoxie zur damals modernen Reformsekte des Brahmo Samadsch 172 . Diese war von dem Vater des indischen Nationalismus, Rammohan Roy, 1828 gegründet, war fortschrittlich und sammelte die bürgerlichen Elemente, die von den Engländern damals Fortschritt erhofften. Nach dem europäischen Revolutionsjahr von 1848 und dem indischen von 1857 aber wurden die anfangs in der Tat in mancher Hinsicht für Indien fortschrittlichen Engländer reaktionär und enttäuschten die indische Bourgeoisie. Diese wandte sich daher nationalistischen Konservativen vom Schlage G. Tilaks zu, der in den 90er Jahren im nationalen Befreiungskampf Indiens führend war. Eine kampffähige Arbeiterklasse gab es damals in Indien noch nicht. Ein P u n k t des Kampfes war die Kinderheirat. Die .Engländer wollten das Heiratsalter der Mädchen in den 90er Jahren von mindestens zehn auf zwölf Jahre heraufsetzen, der Brahmo Samadsch war dafür, Tilak und seine Richtung dagegen. R. Tagore gehörte von seinem Vater her dem Brahmo Samadsch an. Aber er ließ Kamala, das als Kind verheiratete Mädchen, glücklich werden, Hemalini dagegen, das bereits erwachsene Mädchen, nicht, wenigstens nicht innerhalb des Romans. Bei Nalinaksha h a t der Dichter betont, daß er, obgleich er Anhänger der Reformsekte war, seiner orthodoxen Mutter zuliebe ein orthodoxes Mädchen, und zwar ein ganz junges, heiraten wollte, damit die Mutter sich ihre Schwiegertochter erziehen könnte. Er dachte in altindischem Sinne mehr an eine Dienerin für die Hausarbeit als an eine Gattin. Gerade bei Kamala, die er deswegen heiratete, aber zeigte Tagore ausdrücklich, daß sie von Natur so gut, rein, verständig und praktisch ist, daß ihre Schwiegermutter gar nichts an ihr zu erziehen hat. Tagore verteidigt also die uralte patriarchalische Tyrannei der Schwiegermutter und mildert sie nur insofern, als es in diesem besonderen Fall der Kinderheirat keiner Tyrannei bedarf: Das Mädchen unterwirft sich aus eigenen Stücken selbstlosem Tat-Yoga. Tagore wagte also nicht, in diesem Problem offen für seinen
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Kälidasa - Die menschliche Bedeutung seiner Werke
Brahmo Samadsch und den Fortschritt Partei zu ergreifen, vermutlich weil er von den Engländern angeregt, von den Nationalisten bekämpft wurde. Um der national-indischen Bewegung leichter Herr zu werden, teilten die Engländer 1905 das rebellische Bengalen. I m selben J a h r aber zeigte der Sieg Japans über das zaristische Heer und der anfängliche Sieg der russischen Arbeiter und Bauern über die zaristische Despotie, daß ein Kampf der „Schwachen", der asiatischen Völker und der Ausgebeuteten erfolgreich sein konnte. Am 7. August 1905 beschlossen die indischen Fortschrittlichen daher den Boykott englischer Waren. Gerade damals hat Tagore an diesem Roman gearbeitet, der 1906 erschien. Er nahm begeistert am Kampf gegen die Spaltung seiner Heimat Bengalen teil. Und er ließ in seinem Roman das englisch gebildete Mädchen scheitern. E r vermied es aber, Engländer in seinem Buch auftreten zu lassen, er vermied auch Gespräche seiner Gestalten über Fragen der Kolonialherrschaft. Seine politische Unentschiedenheit zeigt sich auch in der Charakterisierung seiner Gestalten. Er hat nicht etwa alle Anhänger des Brahmo Samadsch verherrlicht. Hemnalinis Vater Annada ist ein solcher, der seine Tochter zwar fortschrittlich erzieht und als Erwachsene verheiraten will, aber er ist gegen seinen Sohn Jogendra von unverzeihlicher Schwäche (er hält eben keine orthodoxe Zucht!), ist knauserig, plump im Reden, ist hypochondrisch und hilflos. E r liebt seine Tochter, kann aber nichts für sie tun. Sein Sohn Jogendra wird als häßlich „aufgeklärt" geschildert, als Schulmeister ohne Interesse an seinem Beruf, als bewußter Durchschnittsmensch, mißtrauisch gegen alle Frommen, dumm und dem Intriganten Akshay immer wieder unterlegen. Er tyrannisiert unter Leitung des Intriganten seine Schwester und seinen Freund Ramesh und macht beide unglücklich. Bei Nalinaksha ist bereits auf seine Kinderheirat mit der orthodoxen Kamala hingewiesen worden. Unter den Orthodoxen wird vor allem Nalinakshas Mutter Kshemankari als gut hervorgehoben. Sie steht ihrem Manne und Sohn, die der Reformsekte angehören, „tolerant" gegenüber. Toleranz gilt in Indien seit Jahrtausenden als große Tugend. Tolerant war auch Tagore, als er diesen Roman schrieb. Toleranz hat aber die schlechte Seite, daß sie die Probleme und Kämpfe unklar läßt und damit oft den Fortschritt, den offenen Widerstreit der Gegensätze hindert. Kshemankaris Gatte hatte, als sie sich weigerte mit ihm zur Sekte überzutreten, eine zweite Frau genommen, was ihm schwer verdacht wurde. Sein Sohn Nalinaksha zog damals zu seiner Mutter und beschloß, ihr das Leben durch Heirat einer orthodoxen Frau zu erleichtern. Als Kamala verschwunden war, suchte seine Mutter für ihn ein reformiertes herangewachsenes Mädchen als Braut, eben Hemnalini, sie war ja ebenso tolerant wie.ihr reformierter Sohn. Sie sah aber, daß dies Paar nicht zusammen paßte, daß sie einen Fehler machte, als sie ihren Sohn zu dieser Ehe zwingen wollte. Sie irrte sich dabei zwar in der Beurteilung der Hemnalini, aber diese Einsicht in ihren Fehler rechnete der Dichter ihr sehr hoch an. Sie, die Orthodoxe, wird mehr gelobt als getadelt.
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Rameshs Vater, der Orthodoxe, ist hart. Er verheiratet seinen Sohn unter Zwang an ein orthodoxes Mädchen, ohne nach seiner Liebe zu Hemnalini zu fragen, ja, er läßt ihn aus deren Umgebung eilig fortholen. Ausgesprochen schlecht ist ein orthodoxes Ehepaar, in dessen Haus Kamala eine Zeitlang wie eine Sklavin leben muß. Der Leser des Romans kann bei diesem Tatbestand der „toleranten" Verteilung der guten und schlechten Charaktere auf beide Seiten, auf die der Orthodoxen und Reformierten, unmöglich auf Tagores eigene Partei schließen. Gewiß soll der Dichter Schwarz-Weiß-Malerei vermeiden, aber er soll auch bekennen und Partei ergreifen, sonst hilft er dem Leser nicht, die Gesellschaft richtig zu erkennen, sonst hilft er dem Leser nicht, ein wissender und guter Mensch zu werden und sich am Guten, Wahren und Schönen zu freuen. Im Roman handelt es sich aber nicht nur um die Frage der Kinderheirat, sondern auch um die der Liebesheirat. Ramesh wird von seinem Vater der Hemnalini genommen und mit einer anderen verheiratet. Hemnalini wird durch ihren Vater dem Ramesh entfremdet und soll Nalinaksha heiraten. Nalinaksha heiratet ein orthodoxes Kind und ist später bereit Hemnalini zu heiraten, weil seine Mutter es wünscht. Diese jungen Menschen wagen es nicht, ihren Eltern gegenüber ehrlich und offen zu sein. Auch Kamala, die reine, wird erst ganz zum Schluß offen. Hemnalinis Bruder ist offen, aber dumm und brutal. Bei ihm ist von Heirat nicht die Rede. Er ist grob gegen seinen Vater und damit schlecht. „Gute" Kinder fügen sich dem Diktat der Eltern. Das ist altindisches, patriarchalisches Erziehungsideal, und der Dichter wurde zum Ankläger der Gesellschaft, als er die Leiden der jungen Generation unter diesem Erbe schilderte. Rameshs orthodoxer Vater hat bei seiner Tyrannei keine Bedenken. Hemnalinis reformierter Vater ist seiner Tochter gegenüber im Grunde schwach, und sie ist insofern noch schwächer, als sie ihrem schwankenden, bald von seinem Sohn, bald von Ramesh und von seiner Tochter beeinflußten Vater schließlich doch folgt, eben weil sie selber an Ramesh zu zweifeln begonnen hat. Allein Kshemankari, Nalinakshas Mutter, die orthodoxe und kluge Frau kommt aus eigenem Erleben und Nachdenken zu der Einsicht, daß sie falsch gehandelt hat, als sie ihren Sohn in die Ehe mit Hemnalini treiben wollte. Sie wird sich darüber klar, daß es ihr Egoismus war, den Sohn noch vor ihrem Ende in Eile verheiratet zu sehen, und zwar mit einem Mädchen, das ihr selber gefiel. Es war ihre eigene Ungeduld und Voreiligkeit, denn sie beurteilte das Mädchen falsch. Durch diese Selbstkritik ist diese orthodoxe Frau über alle anderen Gestalten des Romans erhoben worden. Diese Selbstanklage ist zugleich eine Anklage der uralten Sitte, der altindischen Gesellschaft. Und sie steht weit höher als die Selbstkritik der Kamala, die sich fälschlich als befleckt empfindet, weil sie bei Ramesh gelebt hat. Kamala verliert durch ihre Selbstkritik ihr Selbstbewußtsein und muß unnötig leiden; Kshemankari aber berichtigt ihr Handeln durch ihre Selbstkritik, verschont ihren Sohn mit Hemnalini und streicht ihm gegenüber Kamala heraus, ohne freilich zu ahnen, daß Kamala bereits seit fast einem Jahr mit ihm rite verheiratet ist. Tagore aber Heß den Roman damit enden, daß der kluge und gute Sohn, der Arzt, der Reformierte und zugleich der Yogi, zu der eben wieder-
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Bedeutung
seiner
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gefundenen Kamala sagt: „Mutter hat in ihrem Leben schon viele Sünden vergeben ; wie sollte sie dir nicht vergeben können, was überhaupt nicht Sünde war ?" Über eine solche Kritik an der indischen Gesellschaft mit ihren aus grauem Altertum stammenden patriarchalischen Elementen väterlicher Tyrannei konnte der Dichter 1906 nicht hinausgelangen. Es wäre unbillig von ihm zu verlangen, daß er,zu einem solchen kämpferischen Optimismus gekommen wäre, wie wir ihn an realistischen Romanen bewundern. Ein Muchtar Auesow schrieb in seinem großen Roman „Abay" 1 7 3 mit aller Kraft und Menschenliebe gegen solche Vergewaltigung der Jugend und der Liebe; er schrieb gegen die Unsitte der Eltern im Kasachstan des 19. Jh., ihre Kinder zu verkaufen und solche Sklaverei Ehe zu nennen. Ein A. Koptjelow 174 faßte dasselbe Problem bei den altaiischen Nomaden an, die nach der Großen Sozialistischen Revolution seßhaft wurden und ein neues gesellschaftliches Leben begannen. Schließlich sei noch das Problem des Fatalismus kurz gestreift. Kälidasa war wie alle frommen Hindu Fatalist, aber in seiner Liebesgeschichte Pärvatls und Sivas spielt Fatalismus keine Rolle. Es ist zwar vom Schicksal bestimmt, daß beide ein Kind zeugen sollen, aber der Dichter hat die Gestalten sich nicht fatalistisch treiben, sondern unfatalistisch für die Verwirklichung ihres Schicksals handeln lassen. Anders Tagore. Seine Gestalten sprechen sich alle hier und da im Sinne des Fatalismus aus und folgen damit der Lehre, die von den indischen Priestern der verschiedensten Religionen seit zumindestens zwei Jahrtausenden dem Volke eingeimpft waren. Aber fatalistisch ist auch der Aufbau des Romans, insofern Zufälle in ihm eine übergroße Rolle spielen; Zufall ist aber nach hinduistischer Auffassung Schicksal. Der Mensch verdient sein Schicksal auf Grund der Seelenwanderungslehre; jedes Erlebnis ist Lohn oder Strafe für böse oder gute Handlungen, und diese sind wiederum durch den Menschen selber verschuldet. Es kann also gar keinen Zufall geben. Es ist also Schicksal, wenn der Sturm und Schiffbruch die beiden eben verheirateten Paare trennt und falsch vereinigt. Nach diesem entscheidenden Anfang benannte der Dichter sein Werk. Es ist Zufall, wenn der Intrigant des Romans von Rameshs scheinbarer Bigamie erfährt, denn seine Schwester ist mit Kamala in derselben Schule. Durch Zufall findet Kamala Rameshs Brief an Hemnalini mit dem Bekenntnis seiner wahren Stellung zu beiden Frauen. Zufällig wird Hemnalinis Vater krank und kommt mit dem Arzt Nalinaksha in Verbindung. Zufällig findet Kamala ihren Nalinaksha als Arzt in dem Hause, in dem sie als Sklavin dient. Zufalls- und Schicksalsglaube entspringt menschlicher Ohnmacht der Natur und Gesellschaft gegenüber. Abgesehen davon, daß Tagore hier alter Tradition folgte, priesterlicher, die in den vergangenen 2000 Jahren nur von wenigen mutigen Materialisten bekämpft worden war, zeigt dieser Fatalismus wohl seine Schwäche an, daß er 1905—1906 nicht entschieden genug zwischen den Nationalisten und Reformierten-Fortschrittlichen wählen konnte. Bei den großen Unterschieden des alten und des modernen indischen Klassikers ist zu bedenken, daß Kälidasa einer Zeit aufsteigender Entwicklung angehörte,
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Kälidasas
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dem Beginn des Feudalismus, daß Tagore aber der Periode des kolonial unterjochten Indien angehörte, der Zeit des britischen Imperialismus, dieser Epoche des Niedergangs des Kapitalismus. Er, das Mitglied der Großgrundbesitzerkaste, konnte trotz all seinem großen Menschen- und Dichtertum nicht mit genügender Klarheit den Weg des Fortschrittes erkennen. Schon 1853 hatte Karl Marx 175 festgestellt, daß England in Indien eine doppelte Rolle spielte: Es zerstörte revolutionär die altindische feudalistische Gesellschaftsordnung durch seinen Kapitalismus. Es legte zugleich die materiellen Grundlagen für die Entwicklung des Neuen, der Industrialisierung Indiens, freilich nur die materiellen Grundlagen, denn Marx erkannte damals schon die Aufgabe der indischen Völker, Wirtschaft und Politik ihres Landes in die eigenen Hände zu nehmen. Marx erkannte in dieser indischen Revolution die einzige seiner langen Geschichte. In der Tat war der "Übergang von Urgemeinschaft zu Sklavenhaltergesellschaft, und von dieser zu Feudalismus in beinahe unmerklichen, ungemein langsamen Übergängen erfolgt, und beide Gesellschaftsformen, die der Sklavenhaltergesellschaft und die des Feudalismus, waren in Indien nicht so klar und vollkommen entwickelt wie in Europa. Reste des Alten hielten sich im agrarischen Indien bis in späteste Zeiten hinein. Indiens Gesellschaft stagnierte eben, wie man sagt, entwickelte sich im Unterschied zu Europa sehr langsam. Kinderheirat, patriarchalischer Zwang in der Familie, Yoga usw. hielten sich in Indien durch mehrere Jahrtausende mit nur geringen Abwandlungen. Es blieb ja auch der Sivaismus von Kälidäsa bis Tagore im wesentlichen unverändert. Gerade Englands Kolonialherrschaft brachte freilich auch Neues wie z. B. die Form des Romans. Auch eine solche Meisterschaft in der Ausmalung problematischer Charaktere, wie Tagore sie zeigte, kam im alten Indien nicht vor. Neu war aber vor allem die Anklage der altertümlichen Reste in der Gesellschaft, wie sie Tagore in diesem Roman aussprach, die Selbstkritik der klugen Kshemankari an der Tyrannei der Eltern. Erst bei solcher historischen Vergleichung wird dem heutigen Leser die große Bedeutung beider Werke und die tiefe Menschlichkeit beider indischen Dichter etwas klarer. Auf solchen Wegen fortschreitend werden wir zu einem echten Verständnis der indischen Völker und ihrer großen geschichtlichen Leistungen gelangen und uns um solche Perlen der Weltliteratur wie dieses alte und neue Werk Indiens bereichern.
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Von den üblichen Nachschlagewerken ist im folgenden n u r gelegentlich zitiert: M. Winternitz, Geschichte der indischen L i t e r a t u r I I I , Leipzig 1920; St. Konow, D a s indische D r a m a , Berlin-Leipzig 1920; L. Renou, L ' I n d e Classique, Paris-Hanoi 1953. Geschichte Indiens, Große Sowjet-Enzyklopädie, Reihe Geschichte u n d Philosophie N r . 44, Berlin 1954, 36. E . Windisch, Geschichte der Sanskrit-Philologie u n d indischen A l t e r t u m s k u n d e , S t r a ß b u r g 1917, 23. E b d a 47. Sakontala schrieb Förster s t a t t S a k u n t a l ä ; o ist englisch als u zu lesen. Windisch a. a. O. 56. E b d a . 204f. Goethe, West-östlicher Diwan, 2. Noten u n d Abhandlungen, Berlin 1952, 188f. Windisch a. a. O. 91. E b d . 204. E b d . 37. Held einer epischen Episode, s. u. A n m . 63. Beide Zitate bei Winternitz a. a. O. I I I , 107. Goethe a . a . O . 189; über Kosegarten vgl. Windisch a . a . O . 219 u n d 227; er lebte in Greifswald. Winternitz a. a. O. E b d . 105. Zu empfehlen die Übersetzung in H . v. Glasenapp, D a s Spiel des Unendlichen, Basel 1953, 44ff. Windisch a. a. O 3 8 f . ; vgl. F r . Adelung, Bibliotheca Sanscritica, St. Petersb u r g 1837, 312f. über Urvaäl. Mälavikä u n d Agnimitra, z u m ersten Male aus d e m Sanskrit ü b e r s e t z t v o n A. Weber, Berlin 1856. W i n t e m i t z a. a. O. I I I , 222. Adelung a. a. O. 259. R a g h u v a m s c h a oder R a g h u s S t a m m , ein K u n s t e p o s Kälidäsas, v o n O. Walter, München-Leipzig 1914; Der K u m ä r a s a m b h a v a oder die Geburt des Kriegsgottes, ein Kunstgedicht des Kälidäsa, von O. Walter, ebd. 1913. Vorwort S. 5 f. Zitiert in H . Mayer, Meisterwerke deutscher L i t e r a t u r k r i t i k , I , Berlin 1954, 543 f. Vgl. W . R ü b e n , Geschichte der indischen Philosophie, Berlin 1954, 272 über diese Dreizahl der Wissenschaften. Hillebrandt 7 f. n a c h T ä r a n ä t h a s Geschichte des B u d d h i s m u s . Die Anekdote ist aus der B r h a t k a t h ä in die Avantisundarl, in den K a t h ä s a r i t sägara u n d in die B r h a t k a t h ä m a n j a r l gelangt. D a r ü b e r vgl. W . R ü b e n , Der Sinn des D r a m a s „ D a s Siegel u n d R ä k s h a s a " , Berlin 1956, K a p . I I B 1 — 2.
Anmerkungen 27
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Konow a. a. O. S. 61, Anm. 23; Winternitz a. a. O. I I I , 44; Hillebrandt a. a. O 30, 66; s. u. Anm. 145. 28 Renou a. a. O. (s. o. Anm. 1) § 1767; s. u. Anm. 117; L. de La Vallée-Poussin, Dynasties et Histoire de l ' I n d e depuis Kanishka jusqu'aux invasions musulmanes, . Paris 1935, 48f. 29 V. A. Smith, The Oxford History of India, 1928, 154; R . C. Majumdar, H . C. Raychaudhuri, Kalikinkar D a t t a , An Advanced History of India, London 1953, 196. 30 S. u. Mälavikä wird von solchen räuberischen Mitgliedern eines südindischen Stammes e n t f ü h r t . 31 K . A. Antonowa, Zur Frage der Entwicklung des Feudalismus in Indien, Kurze Mitteilungen des Instituts f ü r Orientforschung, I I I , 1952, 23ff. (russisch). Über Einfälle von Hunnen, R ä j p u t e n vgl. M a j u m d a r a. a. O 153ff., 196. 32 Darüber ausführlich W. R ü b e n , Die Rolle der Sklaven im alten Indien, Berlin 1956. 33 P . C. Bagchi, India and China, New York 1951, 25. 34 H . Jacobi in Zeitschr. d. deutschen morgenländischen Gesellschaft 30, 1876. 302ff. 35 R ü b e n a. a. O. (s. o. Anm." 24) 220ff., 250f. ; Dignäga soll im Vers 14 des Wolkenboten gemeint sein. 38 Mälavikä I., Urvaéî I I I . Akt ; B h a r a t a wird als Ganzes ins 6. bis 8. J h . u. Z. gesetzt: Renou a. a. O. (s. o. Anm. 1) § 1579. 37 Renou a. a. O. § 1607: vielleicht 4. bis 5. J h . u. Z. 38 E b d . § 1599. 39 W. Rüben, Kälidäsas Raghuvamsa, der klassische indische Fürstenspiegel, Publications de l'Université d'Ankara, Annales de l'Université 1947, 139fi., besonders 190. 40 K a u t a l y a 91. prak. 41 Manu V I I , 78. 42 Mälavikä V. Akt, S. 82, 15 ed. Bollensen, Leipzig 1879. 43 E b d . 10, 17. 44 Vgl. W. Rüben, I n d r a ' s fight with Vrtra in the Mahäbhärata, Dr. S. K . Belvalkar Felicitation Volume 1956. 45 Übersetzt bei Hillebrandt a . a . O . 150f. ; vgl. R ü b e n a . a . O . (s. o. Anm. 39) 181 ff. 46 W. R ü b e n , Über die Literatur der vorarischen Stämme Indiens, Berlin 1952. 47 E b d . 117ff. 49 Über unechte Werke vgl. Renou a. a. O. (so. o. Anm. 1) § 1768, 1791. 49 Hillebrandt a. a. O. 28 f. i0 Vgl. W. Schubring, Jinasena, Mallinätha, Kälidäsa, ZDMG 105, 1955, 331 ff. 51 H . Tichy, Zum heiligsten Berge der Welt, Wien 1937. i2 Nyäyasütra I I I , 1, 30ff. (deutsch von W. Rüben, Leipzig 1928). 53 O. H . K . Spate, India and Pakistan, London 1954, 41. 54 Mahäbhärata I, 213fï. 65 W. R ü b e n , Studien zur Textgeschichte des R ä m ä y a n a , S t u t t g a r t 1936, 233S. ss S t a m m b a u m des R a g h u X I I , 59 — 66. 57 W. Rüben, Kälidäsas Raghuvaméa, eine Gallerie altindischer Despoten, Annales de l'Université d'Ankara vol. 2, 1948, 231ff., bes. 251 Anm. 83. 58 R ä m . IV, 34, 12f. (A); 42, 12f. (B); 44, 12f. (C) (A ist die nordwestliche, B die bengalische, C die südindische Version). 59 E b d . IV, 32, 8 (A); 40, 9f. (B); 40, 10 (C). E b d . VI, 104, 1 - 6 3 (A); 108, 1 - 4 7 (B); 123, 1 - 5 3 (C). 41 Rghv. 13, 1 - 7 9 .
108 62 63 64
05 66 67 68 69 70 71 72 73 74 76 76 77 78 79 60 81 82 83 84 86 86 87 88 89
90 91 92 93 94 95 96
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Anmerkungen
Mahäbhärata I I I , 53; s. o. Anm. 12. Vers 6, 79, 102 (Mallinätha). Das Folgende ist ausführlich u n d mit Belegen behandelt in W. Huben, Kälidäsas mythologische Frauengestalten: ^akuntalä, Urvasi u n d Pärvati, Mitteilungen des Instituts f ü r Orientforschung I I , 1, 1954, 104ff., bes. 130ff. Gegen die Ablehnung des I I . Teiles des Werkes als unecht wendet sich neuerdings Sivaprasad Bhattacharyya, The Autorship of the latter Half of the Kumärasambhava, J o u r nal of the Asiatic Society. Letters. Vol. X X , No. 2, 1954, 313—336. Vgl. H . Meinhard, Beiträge zur Kenntnis des Öivaismus nach den P u r ä n a s , Berlin 1928, 35f. Mahäbhärata I I , 31; X I I I , 2. Vgl. W. Rüben, Die Erlebnisse der zehn Prinzen, Berlin 1952, 57ff.; 33. N y ä y a s ü t r a (s. o. Anm. 52) IV, 2, 40. R ü b e n a. a. O. (s. o. Anm. 24) 287. K a u t a i y a 129. prak. Karl Marx und Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften in 2 Bänden, Moskau 1950, I, 319. W. Rüben, Vier Liebestragödien des R ä m ä y a n a , ZDMG 100, 1, 1950, 287 ff., bes. 307 f. Mahäbhärata X I , 16 ff. R ä m ä y a n a V I I , 16 (A), 16 (B), 17 (C). B. Breioer, Altindisches Privatrecht bei Megasthenes u n d Kautaiya, Bonn 1928, 36. Berauscht ist IrävatI im I I I . Akt der Mälavikä. Rgveda I, 179. Vgl. die ausführlichen Aufsätze in Anm. 39 u n d 57. I m Gegensatz: zum Mondgeschlecht, s. u. Anm. 95. Beispiele in Chändogya-Upanishad IV, 10 u n d Mahäbhärata I, 3, 19 ff. Vgl. W. R ü b e n , I n t e r - S t a t e Relations in Ancient India a n d K a u t a l y a ' s Arthasästra, Year Book of International Affairs IV, 1956, Madras. W. Rüben, E i n f ü h r u n g in die Indienkunde, Berlin 1954, 179ff. Siehe u . Mälavikä V. Akt. Hillebrandt a. a. O. 56. R ä m ä y a n a I I I , 23, 19 (A); 24, 19 (B); 18, 19 (C). Hillebrandt a. a. O. 62 h a t dies nicht hervorgehoben. Vgl. W. R ü b e n , Über die ethische Idealgestalt des R ä m a , Festschrift W. Kirfel, Bonn 1955, 277ff. S. o. Anm. 72. Sri Aurobindo, Kälidäsa, Pondicherry 1950 (1. Aufl. 1929) S. l f f . schildert den zeitlichen Unterschied der beiden Dichter, den er auf ein J a h r t a u s e n d schätzt (S. 10). Kälidäsa h a t aber nicht etwa die Rämaerzählung im Mahäbhärata I I I , 273 — 291 benutzt, die mit R ä m a s Heimkehr nach Ayodhyä schließt. Vgl. Hillebrandt a. a. O. 65. Vgl. die Geschichte der Sukanyä in Mahäbhärata I I I , 122, u n d die der ^ a r m i s h thä, s. u. Anm. 129. S. u. Anm. 133f., 137. Ausführlich ist der Aufsatz, der in Anm. 64 zitiert ist. S. o. Anm. 79. Wie ^akuntalä die Wahrheit über ihn erfährt, wird nicht auf die Bühne gebracht. H ä t t e diese Lüge das Mädchen nicht stutzig machen sollen? L ä ß t sie den Zuschauer Böses ahnen? Konow a. a. O. (s. o. Anm. 1) zitiert darüber in § 77 einen Sanskrit-Vers.
Anmerkungen 98
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Ein solcher Schwager ist Virasena im D r a m a der Mälavikä. Über kunstvollen A u f b a u des Dramas Mudräräkshasa s. die in Anm. 26 zitierte Arbeit. 100 Es war natürlich auch Absicht des Dichters, daß er ihn hier nicht auf die B ü h n e brachte. 101 Vgl. die ausführliche Behandlung des Dramas in dem in Anm. 64 zitierten Aufsatz. 102 Darüber vgl. R ü b e n a. a. O. (s. o. Anm. 46) 20ff.; H . Zimmer, „Der König der dunklen K a m m e r " , in drei Verwandlungen vom Rigveda bis Tagore, ZDMG 83, 1929, 187 ff. 103 F . Geißler, Brautwerbung in der Weltliteratur, Halle 1955, 43. 104 W. R ü b e n , Krishna, Istanbul 1943, 17 f. 105 E b d . 21. 106 K a u t a l y a I, 38, l f . (ed. Ganapati Sastri). 10 ' R ü b e n a. a. O. 20f. 108 Wolkenbote Vers 102. 109 Dies ist der Kriegsgott, s. o. K a p . 5. 110 R ä m ä y a n a I I I , 6 0 0 . ; vgl. J . J . P a n d y a , Kälidäsas Indebtedness to Välmlki, J o u m . Oriental I n s t i t u t e of t h e University Baroda I, 1952, 4, 343 — 45. Die Abhängigkeit Kälidäsas von Välmlki geht sogar noch weiter, als P a n d y a meint. Freilich ist P a n d y a s Hauptzeugnis nicht zu verwerten, denn der Vers Urvasi IV, 27 (Pandya S. 343) fehlt in beiden nördlichen Versionen des R ä m ä y a n a , k a n n also gut aus Kälidäsas D r a m a in die südindischen Handschriften des E p o s gelangt sein als C I I I , 64, 29—30 a b : A I I I , 69 B I I I , 68 C I I I , 64 D I I I , 64 43 ab 42 ab 26 cd 27 ab 43 cd 42 cd 27 ab (ähnl. B) 27 cd 27 cd, 28 ab 28 44 ab 43 ab 28cd(ähnl.B) 29ab 29—30 ab 29 cd, 30 44 cd 43 cd 30 cd 31 ab (D = ed. Krishnacarya and Vyasacarya with the Commentary of Govindaraja, Bombay 1911) 111 Bucklige Sklaven an Königshöfen werden häufig erwähnt, s. u. Ànm. 138. 112 Ähnlich geschieht es mit Mälavikä a m E n d e ihres Dramas. 113 Majumdar a. a. O. (s. o. Anm. 29) 113. 114 E b d . 114: 187—151 v . u . Z . ; Louis de La Vallée-Poussin, L ' I n d e aux t e m p s des Mauryas et des Barbares, Grecs, Scythes, Parthes et Yue-Tchi, Paris 1930, 174. 115 E b d . 174; The Cambridge History of India vol. I, 1922, 518. 116 La Vallée-Poussin a. a. O. 173; s. o. „ W o l k e n b o t e " : Vidiéâ u n d UjjayinI, s. o. Anm. 28. 117 E b d . 180 ff. 118 E b d . 182ff.; Cambridge History a. a. O. 523. 119 La Vallée-Pousin a . a . O . 176: Menander; F . Altheim, Weltgeschichte Asiens im griechischen Zeitalter, Halle 1947 — 1948,1, 334f., II, 156: Demetrius; I I , 76: Menander. 120 Majumdar a. a. O. (s. o. Anm. 29) 113. 121 Altheim a. a. O. I, 334f. 122 Renou a. a. O. (s. o. Anm. 1) § 1871. 123 Eine solche fehlt auch im Vorspiel des Urvaéï-Dramas. 124 Meist ceti genannt, aber Vakulävalikä wird vom Vidüshaka 37, 8 (ed. Bollensen) als Tochter einer Sklavin (däsi), also als im Palast geborene Sklavin, bezeichnet. 99
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Anmerkungen
S. u . Anm. 139. Vgl. B. Subba Rao, Age of Kalidasa, A Study of the social conditions based on Mälavikägnimitra, J o u r n a l Oriental Institute University Baroda I , 1, 1951, 65ff., bes. 67. 126 Geißler a. a. O. (s. o. Anm. 103) 26f. 126 Subba R a o a. a. O. 67. 127 Vgl. Bollensen S. 130 seiner Ausgabe. E r hieß Maurya nach der Särärthadlpikä, dem K o m m e n t a r des R ä m a Pisharodi (ed. Mylapore 1929). 128 K a u t a l y a 129. p r a k . ; vgl. Mbh. X I I , 97, 29. 129 Mahäbhärata I, 71ff. ed. S u k t h a n k a r ; I , 76ff. v u l g a t a ; s. u. Anm. 142: ebenso wichtiger Hinweis auf Amsumän. 130 Oder f ü r die Königin (varia lectio). 131 S. o. Anm. 124. 132 Rausch war bei Damen üblich: Subba R a o a. a. O. (s. o. Anm. 124) I, 2, 1951, 151f. 133 Raghuvamäa X I X 26. 134 E b d . 17; s. o. Anm. 93. 135 Mälavikä gesteht, sie k a n n sich an seiner Gestalt nicht satt sehen (59, 13 ed. Bollensen). 136 Oder: spöttisch (varia lectio). 137 Erst nach der Heirat wehrt P ä r v a t i sich k a u m noch gegen solche Angriffe: K u m . V I I I , 14. 138 S. o. Anm. 111. 139 Da sie verschenkt werden, handelt es sich um Sklavinnen, s. o. Anm. 124. 140 So deutet die Särärthadlpikä (s.o. Anm. 127) 147. P W : Badehemd; ähnlich Subba R a o a. a. O. I, 2, 152. 141 Dies nur in R ä m ä y a n a l , 38, 20f. (C), nicht in I , 35, 19f. (A), 40, 19f. (B), wohl aber die Verbannung, weil er böse gegen die Städter w a r ; letzteres auch im Brahmända- u n d Väyupuräna (W. Kirfel, Das P u r ä n a Pancalaksana, Bonn 1927, 331, 74) u n d im R ä m ä y a n a I I , 123, 22 (A); 119, 23 (B), 110, 26 (C). 142 S. o. Anm. 129. 143 Nach K a u t a l y a (I, 89, 1 ed. Ganapati Sastri) soll ein König, wenn er nur einen solchen Sohn h a t , streben, einen Enkel zu bekommen. 144 Patrorna, Särärthadlpikä a . a . O . 154, ebenso 146 Vers 12. 146 S. o. Anm. 27. 146 Renou a. a. O. (s. o. Anm. 1) 204, 207. 147 S. o. Anm. 50. 148 Renou a. a. O. 276. 149 E b d . 275. 150 E b d . 209, 211, 212. Vgl. P . K . Gode, D a t e of N a v a n i t a r ä m a s Commentary on the R a g h u v a m i a , Journal Oriental I n s t i t u t e Baroda University I I I , 1954, 3,277 ff. 161 Renou a. a. O. 277. 162 E b d . 210. 163 Hillebrandt a. a. O. 33. 164 E b d . 34, 39. 155 Vgl. H . Hensgen, Das Verhältnis des Amarasimha zu Kälidäsa dargestellt a n einer Untersuchung des K u m ä r a s a m b h a v a 1 — 8, ZDMG 104, 1954, 2, 377ff., bes. Anm. 2. 156 Öarman, P a d m a p u r ä n a and Kälidäsa, Calcutta 1925. 167 Rüben, s. o. Anm. 64. 168 Renou a. a. O. 274; Hillebrandt a. a. O. 96f. 159 W. R ü b e n , Die 25 Erzählungen des Dämons, Helsinki 1934, 94f. 160 Kathäsaritsägara 16, 4 ff. 161 Hensgen a. a. O.
Anmerkungen
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162 Winternitz a. a. O. (s. o. Anm. 1) III, 57 verweist auf Vamana usw. Neuerdings vgl. Abhinavagupta zu Bharata (Gaekwad's Oriental Series No. CXXIV) S. 321. 163 Abbildung bei H . v. Glasenapp, Indien, München 1925, Tafel 40f.; Text S. 49: heutzutage aufgeführt. 164 Deutseh: R. Tagore, Der Schiffbruch, München 1921, S. 371: Akshay, der Intrigant des Romans sagt über Hemnalini: „Asketentum hat bekanntlich eine große Anziehungskraft für Frauen. Kälidäsa beschreibt in seiner Dichtung, wie U m a sich um eines Asketen willen kasteite" (Umä ist Pärvati). 166 Ausführlicher: W. Rüben, Tagore und Kälidäsa, Gedenkband für St. Schayer, Warschau 1956. Vgl. auch H. Zimmer (s. o. Anm. 102), der insbesondere ein buddhistisches Jätaka mit Tagores Drama verglich. 166 Vgl. Rüben a. a. O. (s. o. Anm. 46) 29f. 167 Dies benutzt noch K. A. Abbas in seinem Film Awara, Der Vagabund: Die Schwester des Richters hetzt damit den Richter gegen seine Frau auf, die bei dem Räuber geweilt hat. los v g l . P. Hacker, Moderne Bhagavadgitäkommentare, ZDMG 105, 1955, 2,* 56f.* 169 Swami Vivekananda, Raja-Yoga, Zürich 1937; ders. Karma-Xoga und BhaktiYoga, ebd. 1953. 1,0 Er zitiert die Geschichte v o m bösen Asketen, s. o. Anm. 166. 171 Vgl. W. Rüben, a. a. O. (s. o. Anm. 67) 57f. — Material über Rsyasrnga: K. Fischer, Old Indian Terracottas and Contemporary Art, Roopa Lekha, New Delhi vol. X X X V , 1, 1954'. 172 Das Folgende nach R. Palme Dutt, Indien heute, Berlin 1951, 324—348. 1,3 Deutsch: Verlag fremdsprachiger Literatur, Moskau 1953, Bd. 1 — 2. 174 Die große Wanderung, Berlin 1955. 175 K. Marx und Fr. Engels a. a. O. (s. o. Anm. 71) I, 319ff., bes. 327. Nachtrag: Die sicher sehr lesenswerte Schrift von Dr. V. Raghavan, Love in the Poems and Plays of Kälidäsa, 1955, habe ich leider noch nicht benutzen können.