Kleine Kunstgeschichte Deutschlands 3805347987, 9783805347983

Ob Kölner Dom oder Bauhaus, Albrecht Dürer oder Neo Rauch: Die 'Kleine Kunstgeschichte Deutschlands' schlägt d

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German Pages 208 [209] Year 2014

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Die Kunst der Vorromanik
Das Zeitalter der Karolinger
Das Zeitalter der Ottonen
Die Kunst der Romanik
Das Zeitalter der Salier und der Staufer
Sakralarchitektur
Profanbauten
Die Skulptur
Goldschmiedearbeiten
Die Malerei
Die Kunst der Gotik
Historischer Rahmen
Die Architektur
Die Kirchenausstattung in der Hoch- und Spätgotik
Die Druckgrafik
Die Malerei der Spätgotik
Die Kunst der Renaissance
Reformation und Gegenreformation
Kulturelle Voraussetzungen für die Kunst
Renaissancearchitektur
Renaissance-Skulptur
Malerei im 16. Jahrhundert
Die Kunst des Barock und Rokoko
Barockarchitektur
Skulptur um 1700
Tafelmalerei im 17. Jahrhundert
Skulptur nach 1740
Deckenmalerei des Barock und Rokoko
Die Kunst des 19. Jahrhunderts
Klassizistische Architektur
Architektur nach 1830
Skulptur zwischen 1770 und 1840
Malerei des Klassizismus und der Romantik
Malerei nach 1820
Kunst um 1900
Die Kunst des 20. Jahrhunderts vor dem Zweiten Weltkrieg
Jugendstilarchitektur
Bildende Kunst und Architektur bis 1945
Die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg
Bildende Kunst nach 1945
Malerei um die Jahrtausendwende
Moderne Architektur nach dem Krieg
Fotografie
Literaturauswahl
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Kleine Kunstgeschichte Deutschlands
 3805347987, 9783805347983

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Hilja Droste und Ines Lauffer

Kleine Kunstgeschichte Deutschlands

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt. Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Bickenbach Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Umschlagabbildungen: Dom, Mainz, Blick von Nordosten © picture alliance / Bildarchiv Monheim Johann Friedrich Overbeck, Italia und Germania, 1828, München, Neue Pinakothek © picture alliance / United Archives / DEA PICTURE LIBRARY Franz Marc, Landschaft mit Haus, Hund und Rind, 1914, Privatbesitz © picture alliance /akg-images Ernst Ludwig Kirchner, Die Freunde, 1924, Basel, Kunstmuseum © picture alliance / akg-images Bauhaus-Archiv, Berlin, Fassade © picture alliance / Bildarchiv Monheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-4798-3

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-4863-8 eBook (epub): 978-3-8053-4864-5

Inhalt

Die Kunst der Vorromanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Das Zeitalter der Karolinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Das Zeitalter der Ottonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Die Kunst der Romanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Das Zeitalter der Salier und der Staufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Sakralarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Profanbauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Die Skulptur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Goldschmiedearbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Die Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Die Kunst der Gotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Historischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Die Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Die Kirchenausstattung in der Hoch- und Spätgotik . . . . . . . . . . . . . 73 Die Druckgrafik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Die Malerei der Spätgotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Die Kunst der Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Reformation und Gegenreformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Kulturelle Voraussetzungen für die Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Renaissancearchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Renaissance-Skulptur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Malerei im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die Kunst des Barock und Rokoko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Barockarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Skulptur um 1700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Tafelmalerei im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Skulptur nach 1740 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Deckenmalerei des Barock und Rokoko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Inhalt

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Die Kunst des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Klassizistische Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Architektur nach 1830 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Skulptur zwischen 1770 und 1840 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Malerei des Klassizismus und der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Malerei nach 1820 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Kunst um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Die Kunst des 20. Jahrhunderts vor dem Zweiten Weltkrieg . . . . . 162 Jugendstilarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Bildende Kunst und Architektur bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Bildende Kunst nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Malerei um die Jahrtausendwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Moderne Architektur nach dem Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Fotografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Literaturauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Die Kunst der Vorromanik

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on 800 nach Christus bis 2014 reicht die Kleine Kunstgeschichte Deutschlands, von Karl dem Großen bis zur Biennale in Venedig. Sie beginnt damit in einer Zeit, als Deutschland noch gar nicht existierte und sich die Grenzen der fränkischen, salischen und staufischen Herrschaftsgebiete so häufig verschoben, wie die Kaiser ihren Wohnort wechselten. Erst um 1500 erscheint das Adjektiv deutsch im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, aber als „Deutsche“ verstanden sich auch die Bürger Danzigs und Berns, des Baltikums oder Siebenbürgens, Straßburgs oder Böhmens. Unter dem Titel der Vorromanik – übrigens keine in der Kunstgeschichte gängige, aber eine praktikable Epochenbezeichnung – wird die frühmittelalterliche Kunst zwischen 800 und 1050 betrachtet. Es hat sich eingebürgert, diesen Zeitraum in zwei Phasen zu unterteilen und sie nach den jeweiligen Herrscherdynastien zu benennen: in karolingische und ottonische Kunst. Doch sind diese Bezeichnungen nicht so zu verstehen, dass das Kunstschaffen in dieser Zeit alleine auf die Herrscher zurückzuführen ist, es sind vielmehr Hilfsbegriffe, die eine zeitliche Einordnung der Bildwerke vereinfachen sollen. Dabei ist es durchaus problematisch, die Kunst vom späten 8. Jahrhundert bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts tatsächlich als „deutsch“ zu bezeichnen. Weder die Herrscher noch die Bevölkerung verstanden sich damals als „Deutsche“: Es gab weder eine deutsche Sprache, noch entsprach das Herrschaftsgebiet der Karolinger und Salier den heutigen Grenzen Deutschlands. Mit der Spaltung des Frankenreichs in ein ost- und ein westfränkisches Reich im Jahr 843 ist jedoch der Ursprung für die deutsche und französische Nation geschaffen. Als genuin „deutsch“ ist das Kunstschaffen zwischen 800 und 1050 also nicht zu verstehen, und dennoch hat sich hier etwas Neues und Eigenständiges entwickelt, das die Basis für die Anfänge der „deutschen Kunst“ bildet.

Die Kunst der Vorromanik

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Das Zeitalter der Karolinger

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ie Voraussetzungen der karolingischen Renaissance oder auch Renovatio (Erneuerung) liegen in einer noch früheren Spaltung, nämlich jener des Römischen Reiches. Es zerbrach Ende des 4. Jahrhunderts in zwei Teile, in ein Westreich mit Rom und ein Ostreich mit Konstantinopel beziehungsweise Byzanz als Hauptstadt. Als der Kaiserthron des Weströmischen Reiches ab 476 unbesetzt blieb und das Land in Bürgerkriegen versank, wurde aus dem Reich der Franken die bedeutendste Macht im Westen. Sie bildeten allerdings keine ethnische Gruppe, die Bezeichnung hatte vielmehr ihren Ursprung in der Spätantike und bedeutete so viel wie „mutig“ und „kühn“. Gegen Ende des 5. Jahrhunderts verwendete man diese Bezeichnung dann für jene Menschen, die sich am Niederrhein und im heutigen Belgien niedergelassen hatten und für deren Expansion das Geschlecht der Merowinger bedeutend werden sollte. Sie stellten die Herrscher der Franken. Im 8. Jahrhundert löste die Dynastie der Karolinger die der Merowinger ab: 751 fand die Krönung Pippins des Jüngeren (714 –  768) in Soissons statt, nach dessen Tod die Herrschaft auf seinen Sohn Karl den Großen (747 / 748 – 814) überging, der am Weihnachtstag des Jahres 800 durch Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt wurde. Unter ihm erstreckte sich das Frankenreich von den Pyrenäen und Oberitalien bis nach Norddeutschland, vom Atlantik bis nach Thüringen. Sein erklärtes Ziel war die Renovatio Imperii Romanorum, die Wiederherstellung des Römischen Reiches. Karl dem Großen, der auch als Vater Europas bezeichnet wird, gelang dies in einem erstaunlichen Maße, und zwar nicht nur im Hinblick auf die territorialen Grenzen, sondern auch auf Kunst und Kultur. In der sogenannten karolingischen Renovatio belebte er die seit den Völkerwanderungen brachliegende Kultur im Westen nach dem Vorbild der Antike. Zwei Voraussetzungen ebneten den Weg Karls des Großen zur Errichtung eines Imperium Romanum: die Christianisierung und die Verbindung von Kirche und Herrschaft. Die Christianisierung Germaniens ging einerseits von den iroschottischen Mönchen aus, die zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert aus Irland nach Gallien und Germanien kamen und weitgehend unabhängig von Rom diese Gebiete missionierten. Andererseits war der Papst selbst an der Christianisierung und der Vergrößerung seines Einflusses interessiert. Als die Langobarden in den 750er-Jahren das Patrimonium Petri, die Ländereien des Papstes, bedrohten, suchte der Hilfe bei Pippin dem Jüngeren. Von der Verbindung weltlicher mit geistlicher Macht profitierten beide Seiten. Die päpstliche Zustimmung zur Krönung Pippins zum fränkischen König und seine (zweite) Salbung im Jahr 754

Das Zeitalter der Karolinger

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durch Papst Stephan II. in Saint-Denis gaben der königlichen Herrschaft eine quasi göttliche Rechtmäßigkeit. Einige der wichtigsten Bistümer und Klöster wurden in der Folgezeit gegründet (Würzburg, Erfurt, Büraburg bei Fritzlar und Fulda) oder neu organisiert (Regensburg, Freising und Salzburg). Immer ging es dabei auch um eine Ausrichtung der Kirche am römischen Vorbild, um eine Vereinheitlichung in der organisatorischen und theologischen Struktur, um eine Stabilisierung der politischen Verhältnisse im Frankenreich. Die karolingische Renaissance

Der Begriff karolingische Renaissance, entstanden im 19. Jahrhundert, ist häufig kritisiert worden, impliziert er doch missverständlicherweise eine Nähe zum Renaissance-Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts. Dennoch wird der Begriff häufig verwendet, da er die Wiederbelebung der Antike in der Karolingerzeit beschreibt. Man spricht jedoch auch von der Bildungsreform Karls des Großen oder der karolingischen Renovatio (Erneuerung). Um das Römische Reich nicht nur politisch, sondern auch kulturell wieder aufleben zu lassen, versammelte Karl der Große an seinem Hof Gelehrte aus aller Welt, wie den Angelsachsen Alkuin, den Westgoten Theodulf von Orléans und den Langobarden Paulus Diaconus. Hier wurde die lateinische Sprache gepflegt und hier sammelte man in der Hofbibliothek wichtige Schriften der Theologie ebenso wie der antiken Literatur. Der Kaiser selbst setzte sich dafür ein, dass eine neue Schrift, die sogenannte karolingische Minuskel, entwickelt wurde, die sich durch ein klares und folglich leichter lesbares Schriftbild auszeichnet. Das Bemühen um eine gemeinsame geistige Kultur und die Entwicklung neuer Bildungsideale wurde von den Klöstern übernommen und weiterverbreitet. Für die Genese der Kirchenausstattung selbst sind die um 790 am Hof Karls des Großen verfassten Libri Carolini bedeutsam, welche die karolingische Linie des kirchlichen Einsatzes von Bildern festlegen. Sie sind im Zusammengang mit der zunächst in Byzanz, dann ab dem 9. Jahrhundert aber auch im Westen geführten Diskussionen um die Bildverehrung zu sehen. Die Libri Carolini zeigen nicht nur das Interesse des Kaisers an kunstpolitischen Fragen, sie zeugen auch von einer überaus spannenden Mittlerposition: Die Anbetung wie auch die Verehrung der Bilder werden zwar abgelehnt (Position der Ikonoklasten, der Bilderstürmer), denn Gott habe sich in der Schrift, nicht im Bild offenbart, doch akzeptierten und legitimierten die Karolinger Bilder als Dekoration eines sakralen Raumes oder als Verbildlichung der Heilsgeschichte. Auf diese Weise wurden Bilder als Erinnerungshilfen für die illitterati (die des Lesens nicht Mächtigen) funktionalisiert und pädagogisiert. Die Libri Carolini ließen Bilder zwar im Kircheninnern zu, aber sie sprachen sich nicht für eine Bildverehrung aus; Bilder waren nicht in

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die Liturgie eingebunden und standen folglich hierarchisch unterhalb von Reliquien. Trotz dieser kritischen Haltung entwickelte sich unter den Karolingern eine reiche sakrale Kunst, die sich in Goldschmiedearbeiten, Elfenbeinschnitzerei, Wand- und Buchmalerei ausdrückte. Karolingische Architektur

In ihrem Erneuerungsbestreben orientierte sich die Kunst unter Karl dem Großen an der christlich-römischen Spätantike ebenso wie an Byzanz. Trotz der Völkerwanderungen war die römische Kultur in der ehemaligen Grenzprovinz Germania nicht vollständig zerstört worden; vor allem in Trier, Mainz und Köln waren Stadttore, Thermenanlagen sowie Gebäude für private und öffentliche Zwecke teilweise erhalten und konnten ebenso wie die Kirchen im italischen Gebiet als Vorbilder dienen. Die Karolinger konnten also gut auf das spätantike Erbe zurückgreifen. Wie sie diese Einflüsse umsetzten, ist heute nur noch anhand weniger Beispiele nachvollziehbar. Die meisten karolingischen Bauten sind allein durch Grabungen beleg- und rekonstruierbar, so wie sich Spuren karolingischer Bautätigkeit etwa auch unter dem Kölner Dom finden. Unter anderem aus diesen Grabungen wissen wir, dass sich die Sakralbauten aus Stein an den frühchristlichen Basiliken in Rom orientierten. So konnte auch die ehemalige, 751 geweihte Klosterkirche in Fulda als dreischiffige Basilika mit einer Apsis als östlichem Abschluss rekonstruiert werden. Die Reste dieses Baus liegen unter dem heutigen barocken Dom. Gut siebzig Jahre später entstanden zwei Pfeilerbasiliken aus Stein, die als Zeugnisse früher karolingischer Sakralbaukunst heute noch zu bewundern sind. Die von dem Biografen Karls des Großen errichtete und nach ihm benannte Einhard-Basilika im hessischen Steinbach bei Michelstadt ist die ältere der beiden und wurde zwischen 822 / 23 und 826 gebaut. Der Baubeginn der zweiten Kirche in Seligenstadt, die für die Reliquien der Märtyrer Petrus und Marcellinus errichtet wurde, liegt nur wenige Jahre später, 830; hier wurde Einhard zusammen mit seiner Frau Imma bestattet. Für unsere Augen mögen diese Bauten eher schlicht wirken (vor allem jener in Steinbach), aber für die damalige Zeit waren derartig große Steinbauten etwas Besonderes. Im Vergleich zu den lokalen Holzkirchen und Fachwerkhäusern zeugen sie von einem neuen Anspruch und von neuen Vorbildern. Hamburg etwa, das zu dieser Zeit erstmals in den Urkunden erwähnt wurde, hatte noch bis ins 11. Jahrhundert nur eine Holzkirche, den Mariendom, der Anfang des 19. Jahrhunderts abgebrochen werden sollte. Neben den Sakralbauten zählten die Königspfalzen (abgeleitet von palatium, Palast) zu den wichtigsten Bauaufgaben. Da es keine Hauptstadt gab, von der aus Karl der Große zentral regierte, sondern er vielmehr an zahlreichen Orten

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1  Aachen, Dom, ehem. Pfalzkapelle, Innenansicht

agierte, entwickelte sich ein regelrechtes Reisekönigtum. Dabei kam den Pfalzen eine zentrale Rolle zu: Sie waren feste Stützpunkte, an denen sich der reisende König und Kaiser mit seinem Hof zumindest zeitweise niederließ. Wie schon von den Sakralbauten, so sind auch von den karolingischen Pfalzen nur wenige Reste erhalten, am besten noch die Aachener Pfalzanlage und in dieser die Pfalzkapelle (Abb. 1), die zugleich einen Höhepunkt karolingischer Architektur darstellt. Die Aachener Pfalzanlage und Palastkapelle

Wahrscheinlich wurde die Aachener Pfalz seit den 780er-Jahren zu einer herrschaftlichen Residenz ausgebaut. Da Karl der Große seit 794 dort überwinterte, können wir davon ausgehen, dass die Anlage zu dieser Zeit soweit fertiggestellt war, dass er mit seinem Hof dort leben konnte. Von der gesamten Anlage ist heute hauptsächlich noch die Kapelle erhalten, die übrigen Bauten sind anhand weni-

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ger Überreste und archäologischer Grabungen identifizierbar, die eine bipolare Struktur offenbaren: Im Norden befand sich ein großer profaner Baukomplex mit repräsentativem Charakter, aus dem man durch Verbindungsgänge zu der im Süden liegenden Kapelle und deren Annexbauten gelangte. Über die genaue Funktion der einzelnen Bauteile und ihre Datierung herrscht Uneinigkeit und sogar der Status der Kirche als Pfalzkapelle ist infrage gestellt worden. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass sie neben ihrer Rolle als Pfalzkapelle auch als Stifts- und Pfarrkirche diente. Ihre Bedeutung resultiert aus ihrer mit Otto I. einsetzenden und über das gesamte Mittelalter hinweg währenden herausragenden Funktion als Ort der Königskrönung – zum Kaiser aber wurden die Könige (meist) in Rom erhoben. Die als Zentralbau konzipierte Pfalzkapelle (vgl. Abb. 1) erhebt sich über einem im Innern achteckigen Grundriss (Oktogon), während sie außen mit doppelt so vielen Ecken als Sechzehneck erscheint. Der Innenraum teilt sich in zwei Stockwerke; die Maria geweihte Unterkirche ist deutlich niedriger und bildet durch die gedrungenen Rundbögen eine Art Sockelzone für die darüber liegende, dem Salvator geweihte Oberkirche, wo sich der Kaiser und sein Hof aufhielten. Diese besondere Bedeutung des Emporengeschosses wird durch eine prächtige Ausstattung hervorgehoben. In die sich zum Innenraum öffnenden Rundbogenarkaden sind in zwei Registern marmorne Säulen gestellt, für die teilweise Spolien aus Italien verwendet wurden; dazwischen befinden sich Bronzegitter, die mit kannelierten Pilastern und antikisierenden Kapitellen antike Architekturformen zitieren. Im westlichen Teil der Empore steht heute noch der Thron, der eventuell aus der Zeit Karls des Großen stammt. Von hier aus konnte der Herrscher die beiden Altäre im Osten, in der Ober- und Unterkirche, sehen, die sich im Umgang vor dem doppelgeschossigen Chor befanden. Der Chor ist ursprünglich wohl rechteckig gewesen und wurde Ende des 14. Jahrhunderts erneuert. Bis dahin sorgten einzig die Fenster im Umgang und im Tambour für Licht in der Kirche. Über den Baumeister der Pfalzkapelle wissen wir nur, dass er ein Meister Odo aus Metz gewesen sein soll. So berichtete die durch die Aufzeichnungen Einhards übermittelte Bauinschrift. Sie selbst ist aber genauso wenig erhalten wie die originale Dekoration mit Mosaiken. Die heutige musivische Ausstattung ist im 19. Jahrhundert entstanden, soll aber ikonografisch den Originaldarstellungen folgen. Die Vorbilder der Aachener Palastkapelle sind sowohl in Italien wie auch in Byzanz zu suchen. In ihrem Bautyp als Zentralbau dürfte sie von der Palastkapelle San Vitale in Ravenna (6. Jh.) beeinflusst gewesen sein, die von dem oströmischen Kaiserpaar Justinian und Theodora gestiftet wurde, aber ebenso auch von der Sergios- und Bacchus-Kirche in Konstantinopel selbst. Römische Vorbilder lagen dagegen der bronzenen Bauplastik und den Skulpturen zugrunde. Nicht

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nur die um 800 entstandenen Bronzegitter für die Empore zitieren antikes Formengut, sondern auch die acht Portalflügel mit Zungenfries, Eier- und Perlstab. Sie waren technisch eine Meisterleistung und sind eindrucksvolle Zeugnisse der karolingischen Renovatio. Die Lorscher Torhalle

Die Gründung des Lorscher Klosters geht auf ein adliges Eigenkloster zurück, das im Jahr 764 in den Besitz des Bischofs Chrodegang von Metz überging. Auf seine Bitte hin schenkte Papst Paul I. dem Kloster 765 Reliquien des hl. Nazarius. Vermutlich aufgrund der steigenden Zahl der Pilger fing man im selben Jahr mit dem Neubau der Kirche an, die heute noch in Fragmenten erhalten ist. Die Bedeutung des Lorscher Klosters stieg nochmals mit der Ernennung zum Reichskloster 772, wodurch es dem direkten Schutz Karls des Großen unterstellt wurde. Die dem Klosterskriptorium angegliederte Klosterbibliothek zählte zu den bedeutendsten ihrer Zeit. Im fränkischen Reich übernahm das Kloster damit eine wichtige Rolle in der Bildungsreform und wurde zu einem geistlichen und kulturellen Zentrum. In der Klosteranlage lag die sogenannte Torhalle oder auch Königshalle gegenüber dem Westwerk der Klosterkirche – ob sie frei in einem Atrium stand, wird seit Kurzem wieder diskutiert, zumal nach neuesten Grabungen die Existenz eines Atriums überhaupt infrage gestellt wird. Die Funktion der Torhalle innerhalb des Klosterkomplexes ist ebenfalls nicht sicher belegt, doch erscheint es als durchaus wahrscheinlich, dass sie dem Kaiser bei seinen Aufenthalten im Kloster als Gerichts- und Audienzhalle diente. In ihren Ausmaßen ist die Torhalle eher bescheiden; ihre auf antike Stadttore rekurrierende Architektur sowie die reiche Gestaltung der Fassade zeugen jedoch von herrschaftlichem Anspruch und verleihen dem Bau einen repräsentativen Charakter. In unmittelbarem Zusammenhang mit der Funktion der Torhalle steht ihre Datierung. Während die ältere Forschung diese um 774 vornimmt, hält man es heute für durchaus plausibel, dass sie erst etwa 100 Jahre später entstanden ist, denn seit den 870er-Jahren ließen sich hier die Mitglieder der fränkischen Königsfamilie begraben (Werner Jacobsen). Die Torhalle besteht aus einem Untergeschoss, einer nach Osten und Westen offenen Halle mit drei gleichdimensionierten Arkaden, und einem Obergeschoss, dessen einziger Raum durch zwei, seitlich angesetzte halbrunde Treppentürme zu erreichen ist. Licht erhält der Raum durch schmale Rundbogenfenster. Das heutige Dach der Torhalle gehört nicht zum karolingischen Bestand; ursprünglich hatte sie ein flaches Satteldach. Dominierend in der Fassadengestaltung und zugleich eine karolingische Neue­rung ist die Inkrustation aus hellen und rotbraunen Sandsteinen. Die Ele-

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mente, welche die Architektur gliedern, treten verhalten auf. Zwischen den Bogenöffnungen stehen vorgeblendete Halbsäulen, die Kompositkapitelle aus weißem Kalkstein tragen. Diese stützen ein Gesims mit Blattfries, auf dem kannelierte Pilaster mit ionischen Kapitellen stehen. Sie sind durch Giebelspitzen, die wie ein Zickzackband die ganze Breite der Fassade einnehmen, miteinander verbunden. Der Bau wird oben von einem kräftigen Konsolgesims abgeschlossen. Inwieweit man der Lorscher Torhalle eine solitäre Stellung bezüglich ihrer Funktion und Gestaltung einräumen kann, ist schwer einzuschätzen, da sie der einzige profane Bau aus karolingischer Zeit ist, der sich nördlich der Alpen erhalten hat. Während insgesamt nur wenige Baudenkmäler aus dieser Zeit die Jahrhunderte überdauert haben, steht es um die Handschriften, die unter anderem in dem im Mittelalter so bedeutenden Lorscher Skriptorium angefertigt wurden, besser. Karolingische Buchmalerei und Elfenbeinarbeiten

Die karolingische Malerei präsentiert sich vor allem in den Handschriften. Mosaike aus der Zeit sind mit Ausnahme von Germigny‑des‑Prés in Frankreich nicht erhalten und auch die Wandmalerei ist größtenteils verschwunden. Der größte Bilderzyklus befindet sich in der Klosterkirche St. Johann im graubündischen Müstair; sie entstand im 9. Jahrhundert. Nur noch Fragmente finden sich in Paderborn, Trier oder der Lorscher Torhalle. So werden also die Buchmalereien beziehungsweise die Miniaturen der karolingischen Handschriften – benannt nach dem dafür häufig benutzten Rotpigment minium – zu den wichtigsten Zeugen der Malerei um 800. Der Übergang von der zerbrechlichen Papyrusrolle zum Buch (codex oder liber genannt), das aus Pergamentblättern zusammengeheftet und durch einen starken Einband zusammengehalten wird, bedeutet nicht nur eine bessere Haltbarkeit der Schriftdenkmäler, sondern bedingt auch einen anderen Bildaufbau: Statt des fortlaufenden Rollenbildes musste nun ein geschlossenes Einzelbild geschaffen werden. Folgenreich für die Buchmalerei sind dabei die beinahe pa­rallele Entwicklung des Pergamentkodex auf der einen und die Durchsetzung des Christentums auf der anderen Seite. Fortan war es eine der Hauptaufgaben dieser Codices, das Alte und das Neue Testament in ihren Miniaturen zu bebildern. Solche Miniaturen schmücken bereits die ältesten Relikte einer illustrierten Bibel, die Quedlinburger Itala­ fragmente (um 400, Berlin und Quedlinburg), oder die Wiener Genesis (6. Jh.). Was wir heute als karolingische Renovatio umschreiben, ging nicht nur, aber zumindest in den ersten Jahren, vom Hof Karls des Großen aus. Er versuchte seine Macht nicht allein durch territoriale Gewinne in kriegerischen Auseinandersetzungen zu stärken, sondern auch auf künstlerischem und intellektuellem

Das Zeitalter der Karolinger

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Gebiet. Dabei übernimmt die karolingische Buchmalerei Impulse sowohl aus der Flächengestaltung der insularen Ornamente als auch aus den spätantiken und byzantinischen figürlichen Darstellungen im Raum und vereint diese zu einem neuen, dem karolingischen Stil. Die Kompilation verschiedener Formensprachen wird schon in der ersten karolingischen Prachthandschrift offensichtlich. Das nach seinem Schöpfer benannte und zwischen 781 und 783 entstandene Godescalc-Evangelistar – es enthält im Gegensatz zum Evangeliar nicht die vier Evangelien im vollen Wortlaut, sondern nur jene in der Messe zu lesenden Abschnitte – ist das älteste Werk aus dem Hofskriptorium Karls des Großen in Aachen. In ihm sind bereits alle Bildthemen der karolingischen Prachtevangeliare zu finden – vor allem die Autorenporträts der vier Evangelisten mit ihren Symbolen und eine Christusdarstellung –, ebenso deren Ausstattungsmerkmale, insbesondere die Gold- und Silberschrift auf purpurgefärbtem Pergament. In ihrer Typologie sind die vier Evangelistendarstellungen des GodescalcEvangelistars so prägend gewesen, und dabei stilistisch so neu, dass das Real­ lexikon zur Deutschen Kunstgeschichte diese monumentalen Gestalten des Godescalc-Evangelistars im Jahr 1948 als die „Ahnherren der deutschen Malerei“ bezeichnete. Aber auch weitab aller deutschtümelnden oder auch nur nationalen Geschichtsschreibung ist zu erkennen, dass hier eine neue Epoche europäischer Malerei beginnt; hier zeigt sich erstmals der Stil der karolingischen Malerei. Ein weiteres herausragendes Werk aus dem Aachener Hofskriptorium ist das Lorscher Evangeliar, das mit seinem Entstehungsdatum um 810 als die letzte dieser Handschriften gilt und um 820 als Schenkung an das mittelrheinische Kloster Lorsch kam. Heute muss man durch halb Europa fahren (Rom, Bukarest, London), um seine einzelnen Teile zu bewundern. Auch hier ist der Text in Gold und Silber auf Purpur geschrieben, die Seiten der Evangelien sind zweispaltig angelegt und Ornamentrahmen umschließen die Seiten. Den Evangelien vorgelagert sind die mit Arkaden gegliederten Kanontafeln, hier im Lorscher Exemplar auch noch die Vorreden. Erst darauf folgen die Evangelien selbst – das heilige Wort –, denen jeweils ein Autorenporträt des Evangelisten vorangestellt ist. Diese Autorenporträts sind unter einer Rundbo­ genarkade platziert, in deren Lünette das jeweilige Attribut erscheint: Matthäus ist frontal zu sehen, mit der Feder in der erhobenen Hand; Markus in Schrägansicht schreibend; Lukas mit dem Buch im Schoß, in Schrägansicht nachdenkend; und schließlich wiederum frontal der Evangelist Johannes (Abb. 2), der seine Feder eintaucht. Die Darstellung von Markus fällt aus der Reihe der von antiken Autorenporträts inspirierten Evangelistenbilder. Während diese einen beruhigten, beinahe klassischen Ausdruck zeigen, ist das Blatt des Markus von Dynamik geprägt. Die

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2  Lorscher Evangeliar, Miniatur des Evangelisten Johannes und Textseite mit ­Beginn des Prologes, Vatikan, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 50, fol. 67v

gewundenen Säulen, der bewegte Hintergrund der Lünette und das Podest, das aus der Bildfläche herauszukippen droht, unterscheiden sich ebenso deutlich von den übrigen Porträts wie die geschraubte Bewegung des Evangelisten. Neben diesen vier Evangelisten gehören aber noch zwei weitere Miniaturen zur Ausstattung des Lorscher Evangeliars, wovon vor allem die Darstellung Christi, die eine ganze Seite einnimmt, hervorzuheben ist. Christus, umgeben von einem kreisrunden, mit den Evangelistensymbolen und Ornamenten verzierten Band, ist frontal wiedergegeben. Die rechte Hand zum Segensgestus erhoben, hält er mit der linken die Bibel auf dem Schoß. So sitzt er mit goldenem Nimbus auf dem himmlischen Thron. Diese Form der Christusdarstellung wird als Maiestas Domini bezeichnet, wie sie seit dem Anfang des 5. Jahrhunderts ihre Ausprägung gefunden hat und sowohl in der Klosterkirche in Müstair wie auch in der Aachener Pfalzkapelle zu finden war. Vergleichbar monumental ist Christus nur ein weiteres Mal in den Schriften der Hofschule wiedergegeben worden, nämlich im Godescalc-Evangelistar. Beide Maiestas-Domini-Darstellungen zeigen einen bartlosen, jugendlichen Christus, der auf römische Vorbilder zurückzuführen ist. Dieser Darstellungstypus wird uns neben dem byzantinischen Porträt des bärti-

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gen und langhaarigen Weltenerlösers immer wieder begegnen. Die Vielgestaltigkeit des Christusbildes ist für das Frühmittelalter durchaus typisch. Nicht umsonst heißen diese Handschriften Prachthandschriften. Nicht nur zwischen den Buchdeckeln erstrahlen die einzelnen Buchseiten in Gold und Silber, sondern sie erhielten auch ein wertvolles Gehäuse: Die Buchdeckel, aus Elfenbein geschnitzt und mit Edelsteinen besetzt, zählen zu den Höhepunkten karolingischer Elfenbeinarbeiten. Auf dem Vorderdeckel (Abb. 3) des Lorscher Evangeliars thront Maria mit dem Jesuskind, flankiert von Johannes dem Täufer und Zacharias; über ihr schweben zwei Engel, die einen Clipeus (Medaillon) mit dem Brustbild Christi halten, unter ihr sind die Geburt Christi und die Verkündigung an die Hirten in Szene gesetzt. Die Komposition des Rückdeckels ist in ihrer Anordnung identisch: Hier ist der triumphierende Christus auf der Mitteltafel dargestellt, auf Löwe und Drache stehend (nach Psalm 90,13), und flankiert von zwei Engeln, über ihm ein von zwei weiteren Engeln gehaltener Clipeus mit dem Kreuz als Siegeszeichen. Die Szenen zu seinen Füßen zeigen diesmal die Heiligen Drei Könige bei Herodes und bei der Anbetung des Kindes. Nicht nur im Aufbau, sondern auch thematisch sind die Deckel aufeinander abgestimmt. Sie schildern die beiden Erscheinungsformen Christi: seine Menschwerdung und seine über das Böse triumphierende Wiederkunft, also seine menschliche und seine göttliche Gestalt. Wie bei den Miniaturen, so sind auch bei den Elfenbeinarbeiten Werke aus der (Spät)Antike nicht sklavisch kopiert, sondern inhaltlich und formal neu interpretiert worden. Die mittelalterlichen Buchdeckel der Prachthandschriften waren bisweilen auch Meisterwerke der Goldschmiedekunst. Allerdings sind aus der Karolingerzeit keine Beispiele überliefert – einzig ein Silberbecher aus Pettstadt und das sogenannte Ardennenkreuz oder die Aufzeichnungen des Einhardsbogens künden von Kenntnissen auch auf diesem Gebiet. Neben den Handschriften der Hofschule, zu denen außer dem Lorscher Evangeliar und dem Godescalc-Evangelistar insgesamt neun weitere zählen (wobei das Lorscher Evangeliar am meisten Nachwirkung gezeigt hat), entstanden zeitgleich am Hof Karls des Großen noch weitere, nicht weniger eindrucksvolle Werke. Sie alle zeichnen sich durch einen deutlich abgrenzbaren Stil aus – ein charakteristisches Merkmal ist das Fehlen einer besonders betont ausgeschmückten Initiale. Zu diesen gehört auch das heute in Wien befindliche Krönungsevangeliar (Ende 8. Jh.), auf das die Kaiser ihren Krönungseid schworen. Auch die in dieser Traditionslinie stehenden Evangelistendarstellungen lehnen sich an spätantike Vorbilder an und entsprechen demselben Typus wie die des Lorscher Evangeliars. Gelegentlich zeigen sie aber auch wesentlich dynamischere und in eine Landschaft integrierte Autorenbilder, wie etwa im Schatzkammerevangeliar (Anfang 9. Jh.,

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3  Einband des Lorscher Evangeliars, Vorderdeckel, Marientafel aus Elfenbein, London, Victoria and ­Albert Museum

Aachen, Domschatzkammer) oder – bis in den Strich hinein vibrierend, so als würde sich die Linie der schreibenden und kratzenden Feder des Evangelisten Matthäus über das ganze Blatt ausbreiten – im sogenannten Ebo-Evangeliar aus Reims (816 – 835). Reims wurde in den Jahren nach dem Tod Karls des Großen neben Metz und Tours zum Zentrum der Buchmalerei. Zwischen 780 und 900 entstanden nicht nur Codices zum liturgischen Gebrauch, auch antike Autoren wurden kopiert und naturwissenschaftliche Schriften illuminiert. Dennoch lag ein Schwerpunkt auf der liturgischen Literatur und innerhalb dieser auf den Evangelien als den Verkündern der Frohbotschaft Gottes. Die in diesen Prachthandschriften verwendeten edlen Materialien – Gold und Silber auf Purpur, Elfenbein und Edelstein – künden von der hohen Stellung des geschriebenen Wortes als Wort Gottes im Christentum.

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D

ie letzten Jahre der Karolinger waren von Machteinbußen und dem Niedergang des Reichs geprägt. 843 zerfiel das ehemals vom Ebro bis an die Elbe reichende Herrschaftsgebiet Karls des Großen in drei Teile; im Jahr 887 wurde der letzte karolingische Kaiser des ostfränkischen Reichs, Karl der Dicke (839 – 888), abgesetzt. Die unklaren Machverhältnisse im Innern und die neuen Gefahren von außen konnten durch die Krönung Heinrichs I. (876 – 936) zum König Ostfrankens im Jahr 919 eingedämmt werden. Er entstammte dem sächsischen Adelsgeschlecht der Liudolfinger, die wegen des Leitnamens (Otto I., ­Otto II. und Otto III.) rückblickend auch als Ottonen bezeichnet werden. Mit ihm kamen die Sachsen an die Macht, die noch kurz zuvor von den Franken nur mit großer Mühe unterworfen und christianisiert werden konnten. Die Ottonen knüpften an das an, was Karl der Große begonnen hatte: Ihr Ziel war es, im Ostfränkischen Reich, zu dem ein Großteil der heutigen Bundesrepublik gehörte, das Imperium Romanum wiedererstehen zu lassen und fortzuführen. Auch den Ottonen gelang dies unter anderem durch Expansionspolitik: Heinrich I. vereinte die fünf Stammesherzogtümer Sachsen (heute Westfalen, Niedersachsen, Holstein), Bayern, Franken, Schwaben und Lothringen unter seiner Königsherrschaft und Otto I. (912 – 973) trug 955 den endgültigen Sieg über die Ungarn, später über die Slawen davon. Das Reich vergrößerte er nach Norden, Osten und Süden; in Byzanz kam er mit Italien in Konflikt. Im Jahr 936 ließ Otto I. sich in der Pfalzkapelle in Aachen zum König des Ostfrankenreichs krönen und schuf damit eine Tradition, die bis ins 16. Jahrhundert hinein Bestand haben sollte. Fast drei Jahrzehnte später wurde er in Rom zum Kaiser des Imperium Romanum ernannt. Obwohl Aachen fortan als Krönungsort der deutschen Könige bedeutsam blieb, wurde mit Otto I. Magdeburg zum Zentrum des Reichs und 968 zum Bistum erhoben. Den Dom stattete man dem Vorbild Karls des Großen folgend mit kostbaren Baumaterialien aus; die Spolien aus Italien (Porphyr- und Marmorsäulen) sind noch heute in den frühgotischen Chor integriert. Abgesehen davon ist von dem ursprünglich ottonischen Vorgängerbau nach einem Brand jedoch nichts erhalten geblieben. Folgenreich für das Imperium Romanum war die Heirat zwischen Otto II. (955 – 983) und Theophanu (ca. 960 – 991), der Nichte des byzantinischen Kaisers, denn der Kulturtransfer von Ost nach West wurde damit forciert. Der kreative Umgang mit den verschiedenen Einflüssen verlieh der ottonischen Kunst

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einen so eigenständigen Charakter, dass sie als erste eigenständige Epoche in der deutschen Kunst betrachtet wird. Mit Otto III. (980 – 1002) verschob sich das Machtzentrum schließlich weit in den Süden: er ließ sich mit seinem kaiserlichen Hof in Rom nieder und erhob die Stadt am Tiber zur Hauptstadt. Mit der Ernennung eines seiner Vettern zum Kaiser, Heinrich II. (973 / 978 – 1024), begann die letzte Dekade der Ottonen. Erst nach den Ungarnkriegen (955) sind die ersten bedeutenden Baudenkmäler zu verzeichnen und wegen der engen Verflechtung des Königshauses mit der Kirche war die ottonische Kunst fast ausschließlich sakral, wobei man auf ein für die christliche Kunst folgenreiches Novum hinweisen muss: Bildwerke am und auf dem Altar, die es in dieser Form wegen des zwiespältigen Verhältnisses der westlichen Kirche zu Bildern im sakralen Raum bis dahin nicht gegeben hatte, begannen sich dort in Form schlichter Kruzifixe, Madonnen und Antependien (Altarbekleidungen) zu etablieren. Neu war ebenfalls, dass neben den Klöstern auch die Bischofssitze zu Vermittlern von Bildung und Kultur wurden; sie waren nicht nur Zentren kirchlicher, sondern auch weltlicher Macht, die große Territorien verwalteten. Auf diese Weise waren die Kaiser und Bischöfe aufs Engste miteinander verbunden. Die neuen Bistümer, wie Magdeburg und Bamberg, waren kaiserliche Gründungen, deren Bischöfe vom Kaiser in ihr kirchliches Amt eingesetzt wurden. Zugleich entstammte beispielsweise ein Bischof Bernward von Hildesheim eben jenen sächsischen Adelskreisen, die auch den König wählten. Diese Allianz von Staat und Kirche, die in der Ernennung des Bischofs Bruns von Toul (ein Vetter des Kaisers) zum Papst durch Kaiser Otto III. im Jahr 996 und in der Heiligsprechung des letzten ottonischen Kaisers Heinrich II. im Jahr 1146 durch Papst Eugen III. kulminierte, zeigt sich auch in den neuen Dimensionen der Kathedralen. Sie sollten Rom und das Himmlische Jerusalem auf Erden repräsentieren und sind zugleich als Zeichen kaiserlicher und bischöflicher Macht zu verstehen. Vermied man anfänglich noch eine besonders auffällige Pracht, veränderte sich dies Ende des 10. Jahrhunderts unter zunehmend byzantinischem Einfluss: Edle Materialien sowie reichere Ausschmückung rückten immer mehr in den Vordergrund. Ottonische Architektur

Die unsicheren Zeiten während der Herrschaft der Ottonen haben die Architektur sichtbar geprägt. Um das Reich vor Feinden zu schützen, ließ Heinrich I. die Siedlungen eingrenzen (mit Palisadenzäunen und gelegentlich schon mit Steinmauern) und Fluchtburgen errichten, doch ist von diesen Profanbauten kaum etwas erhalten. Anders stellt sich die Situation bei den Sakralbauten dar, deren Grundrisstypen sich an den karolingischen Vorgängerbauten orientieren. Neben

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den einfachen Saalbauten (einschiffig und ohne Stützen), wie sie etwa in St. Cyriacus in Camburg, ursprünglich auch in St. Johann in Müstair, realisiert wurden, ist für Kirchen mit höherem Anspruch der Typus der dreischiffigen, meist nach Osten ausgerichteten Basilika mit Eingangsportal im Westen charakteristisch. Die Wertigkeit des Baus konnte durch Errichtung eines Querhauses oder eines Westwerks gesteigert werden, wobei auch einfache Saalkirchen solche Querhäuser besaßen und häufig nach und nach zu Basiliken umgestaltet wurden (St. Marien, Walbeck). Zahlreiche Bischofs- und Klosterkirchen haben daher entweder im Westen, meist aber im Osten ein Querhaus – so wie es bereits erstmals in der Krönungskirche Pippins in Saint-Denis (Weihe 775) vorgebildet ist. Das Westwerk, ein vor dem Langhaus aufragender mächtiger Bau, war bereits ein Erbe der Karolinger, obwohl nur eines aus dieser Zeit, nämlich an der ehemaligen Abteikirche in Corvey (Weihe 844), erhalten ist; es wurde zwischen 873 und 885 im Zuge einer durch einen Kirchenbrand bedingten Erneuerungskampagne errichtet. Das Westwerk der Klosterkirche Corvey an der Weser besteht heute aus einem massiven Querbau mit zwei flankierenden Türmen, die dem Bau einen auch für ottonische Gotteshäuser typischen burgähnlichen Charakter verleihen. Die Funktion des Westwerks war allerdings sehr vielfältig und ist zum Teil noch immer unklar. Gelegentlich diente das Erdgeschoss des Westwerks wie in Corvey als Eingangshalle, gelegentlich war es in die Liturgie eingebunden, so wahrscheinlich in der Frauenstiftskirche St. Bonifatius in Freckenhorst. Weitere Westwerke aus ottonischer Zeit sind in Werden an der Ruhr, ehemalige Klosterkirche (Westwerk 943), in Köln, St. Pantaleon (Westwerk Ende 10. / Anfang 11. Jh.) oder am Essener Münster erhalten, das sich an der Aachener Pfalzkapelle orientierte. Mit der Übernahme des Typus der römischen Basilika verbreitete sich bereits in karolingischer Zeit eine weitere, für ottonische Sakralbauten charakteristische Bauform: die Krypta. Besonders als Ringkrypta fand sie große Verbreitung und war als solche bereits in der Kirche Alt-St.-Peter in Rom um 590 und in der Krönungskirche Pippins in Saint-Denis, aber auch schon in Ravenna und in St. Emmeram in Regensburg vorgebildet worden. Krypten, also Grüfte, wurden meist direkt unter dem Chor gebaut, um ein Heiligengrab oder die Reliquien eines Märtyrers, dem Namensgeber der Kirche, für die Gläubigen zugänglich zu machen. Mit der Zeit entwickelten sich ganze Hallenkrypten, die selbst mehrschiffig und mit Säulen gegliedert waren und teilweise bis unter das Querhaus reichten; hier waren nicht nur die Gräber der Heiligen, sondern auch die weltlicher Würdenträger und häufig jene der Kirchengründer untergebracht. Krypten bleiben die gesamte Romanik hindurch ein wichtiger Bestandteil des Kirchenbaus. Danach verloren sie an Bedeutung, als vom Kirchenbau separierte Grabkapellen errichtet und die Reliquien zunehmend nicht mehr unter der Kirche, sondern in der Kirche selbst präsentiert wurden.

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Als Sonderform im Kirchenbau entstand zusätzlich zu Saalkirchen und Basiliken der Typus der Hallenkirche, der nur in der Bartholomäuskapelle (1017) in Paderborn noch erhalten ist. Im Unterschied zu den Basiliken sind die drei Schiffe der Hallenkirche von (beinahe) identischer Höhe. Als Besonderheit – denn ottonische Kirchen sind flach gedeckt – ist die Halle der Bartholomäuskapelle von vier gebusten (zur Mitte steigenden) Hängekuppeln überwölbt. Sie gilt als erste vollständig gewölbte Kirche Deutschlands, die sich vielleicht auf unbekannte byzantinische Vorbilder bezogen hat. Eine weitere Sonderform stellen die Zentralbauten dar, die meist auf die Grabeskirche in Jerusalem rekurrieren, wie etwa die Würzburger Marienkapelle (spätes 10. / Mitte 11. Jh.). Das Essener Münster lässt sich dagegen auf den anderen berühmten Zentralbau, die Aachener Pfalzkapelle (vgl. Abb. 1) mit ihrem Westwerk (1000 oder 1050), zurückführen. St. Michael in Hildesheim

Als herausragender Sakralbau der ottonischen Zeit gilt St. Michael in Hildesheim (996 – 1033). Es gab bereits seit annähernd 200 Jahren einen Bischofssitz mit einem Dom in Hildesheim, als sich Bischof Bernward 996 dazu entschloss, außerhalb der Mauern ein Kloster zu gründen. Trotz vieler Unklarheiten in der Forschung – selbst ob es sich tatsächlich um ein Benediktinerkloster gehandelt hat, scheint fraglich zu sein – zählt die Klosterkirche in Hildesheim zu den am besten erhaltenen Beispielen ottonischer Kirchenkunst. Es sind jedoch lediglich die Grundmauern und das aufstrebende Mauerwerk vom Ursprungsbau erhalten geblieben, alles Weitere ist ein Ergebnis des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie schon der Hildesheimer Dom, so ist auch die Michaeliskirche ein mächtiger Steinbau. Die dreischiffige Basilika ist um zwei Querhäuser im Osten und Westen erweitert und von sechs Türmen bekrönt: zwei Vierungstürme und je zwei an den Querhäusern. An der Südseite des Langhauses, der Stadt zugewandt, befand sich vermutlich der Haupteingang mit der berühmten Bernwardstür, während die Mönche vom Kloster kommend im Norden ihren Zugang hatten. Im Westen mündet das Gotteshaus in einen zentralen Chor, im Osten in einen mit drei Apsiden; es handelt sich also um eine doppelchörige Anlage, für die ein Eingang auf der Längsseite nicht ungewöhnlich ist. Nicht nur im Hildesheimer Dom, sondern auch in Mainz und Münster, in Paderborn und Worms findet sich diese Lösung. Im Innern trennen breite Arkaden das Mittelschiff mit seiner Flachdecke von den Seitenschiffen. Hier fällt der Stützenwechsel auf: Die Bögen werden von Säulen und Pfeilern getragen, wobei auf zwei Säulen immer ein Pfeiler folgt. Dieses

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hier in Hildesheim zum ersten Mal auftretende System wird als „sächsischer Stützenwechsel“ bezeichnet. Eine derartige Rhythmisierung des Mittelschiffs ist ein Charakteristikum ottonischer, später auch romanischer Bauten und lässt sich in der Frauenstiftskirche St. Cyriakus in Gernrode oder auch am Halberstädter Dom nachvollziehen – allerdings wechseln hier je eine Säule mit einem Pfeiler (rheinischer bzw. einfacher Stützenwechsel). Betrachtet man das Quadrat, das je zwei Pfeiler und zwei Säulen im Grundriss von St. Michael umschreiben, so wird offensichtlich, dass das Vierungsquadrat sich dreimal im Langhaus wiederholt. Solchermaßen wird das Vierungsquadrat zur Maßeinheit erhoben, weshalb man auch von einem gebundenen System oder quadratischen Schematismus spricht, der in späteren Bauten noch konsequenter zum Einsatz kommen sollte. Auch die erstmals in Hildesheim nachgewiesene „ausgeschiedene Vierung“ (Abb. 4) wird uns immer wieder begegnen: Die quadratische Vierung, die dort entsteht, wo sich Quer- und Längsschiff durchdringen, ist im Aufriss durch hohe Vierungsbögen und Vierungspfeiler hervorgehoben („ausgeschieden“). Erstmals sind in St. Michael auch die doppelten Emporen in den Querhäusern realisiert worden, deren Bogenstellung von unten nach oben immer enger wird (den zwei Bögen im Erdgeschoss folgen vier im ersten und sechs im zweiten Obergeschoss). Nicht zuletzt fällt in Hildesheim die besondere Gestaltung der Säulenkapitelle ins Auge, die deutlich macht, wie weit sich die ottonische Kunst von der Antikenrezeption zu lösen wagte: Ein schlichter Würfel, der zum Kämpfer hin abgerundet ist, bildet den oberen Abschluss der Säulen. Neben solchen Würfelkapitellen finden sich an ottonischen Bauten auch sogenannte Pilz- oder Trapezkapitelle, etwa in Quedlinburg in der Wipertikrypta. Diese Lösungen zeugen allesamt von einem Streben nach neuen, einfachen Formen. Orientierte man sich im Hinblick auf einzelne Bauformen (Basilika) und Materialien (Spolien) an der Antike, so sind klassische antike Ornamente wie kannelierte Pilaster, Palmettenfries oder Eierstab, wie sie noch an der Lorscher Torhalle oder in der Aachener Pfalzkapelle (vgl. Abb. 1) verwendet wurden, eher atypisch. In den Details schlicht, in der Gesamtwirkung aber monumental wie St.  Michael in Hildesheim sind auch die übrigen ottonischen Gotteshäuser, die, wehrhaften Gottesburgen gleich, um 1000 zahlreich gegründet wurden (St.  Maximin in Trier oder der Magdeburger und der Mainzer Dom). Es war jedoch weniger eine Zunahme an Gläubigen, die den Anlass zu Umbauten, Erweiterungen oder Neugründungen, ja zu einem „wahren Bauboom“ um das Jahr 1000 lieferte, als vielmehr eine neue Dominanz der Bischofssitze. Dabei ging es nicht nur um die einzelnen Bauwerke, sondern immer auch um ganze Stadtanlagen. Während unter den Karolingern die einem Bischofssitz an-

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4  Hildesheim, St. Michael, Langhaus, Innenansicht nach Osten

gemessene Stadt häufig noch gar nicht existierte (in Hildesheim genauso wenig wie in Halberstadt, Münster oder Paderborn), galt es unter den Ottonen, diese „Städte“ zu nobilitieren. Nun reichte die Domkirche nicht mehr aus: In Köln zählte man neun geistliche Gemeinschaften außerhalb der Domkirche, in Mainz sieben, in Trier sechs. Es entstanden regelrechte Sakrallandschaften, die häufig wie in Konstanz dem großen Vorbild Rom nacheiferten. Ihre Kirchen sollten über Prozessionswege miteinander verbunden sein, um nach alter stadtrömischer Praxis Stationsgottesdienste im Rhythmus der Woche und des Festkalenders an wechselnden Schauplätzen zu feiern. Auch in Hildesheim blieb es nicht bei den beiden Kirchen: Unter Bernwards Nachfolgern wurden weitere Kirchen errichtet, die ein nach allen vier Himmelsrichtungen weisendes Kirchenkreuz in den Stadtplan einzeichneten. Bischof Bernward hat nicht nur als Kirchengründer, sondern auch als Auftraggeber bedeutender Ausstattungswerke Spuren in St. Michael hinterlassen. Seine memoria (Gedächtnis, Totengedenken) wurde in der Westkrypta raffiniert inszeniert, wo sein Grab so ausgerichtet war, dass er am Jüngsten Tag auf den aus dem Osten wiederkehrenden Christus hätte blicken können, wie die Inschrift auf

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dem Sarkophag vermerkt, ebenso wie auf das erlösende Kreuz, das auf einer Christussäule angebracht war. Diese bronzene Christussäule (auch Bernwardsäule genannt), die sich heute im Hildesheimer Dom befindet, erinnert an die römischen Siegessäulen eines Trajan oder eines Marc Aurel, wenn auch in den Dimensionen wesentlich bescheidener. Bernward konnte sie als Begleiter Ottos III. während seiner Romreise im Jahr 1001 gesehen haben. Das bronzene Kruzifix der Bernwardsäule existiert heute nicht mehr, dennoch war dieser Abschluss thematisch stringent, zeigt doch das von unten nach oben umlaufende Reliefband von fast einem halben Meter Breite Szenen aus dem Leben Christi, die neben seiner Passion vor allem seine Wundertaten nachzeichnen und schließlich mit seinem als Triumph dargestellten Kreuzestod enden. Aus derselben Werkstatt wie die Christussäule stammt auch die bronzene Bernwardstür, die sich heute ebenfalls im Dom befindet. Sie ist aus einem Guss gefertigt und damit eine technische und künstlerische Meisterleistung, eines der ersten Großwerke deutscher Plastik überhaupt. Bronzetüren fanden sich zwar schon in Aachen, doch ist das Hildesheimer Werk kein einfaches Türblatt mehr, sondern aufwendig gestaltete Reliefkunst. Die beiden Türflügel sind in je acht längsrechteckige Bildfelder von jeweils etwa 120 auf 60 Zentimeter unterteilt. Der linke Flügel zeigt von oben nach unten alttestamentliche Szenen der Genesis (Erschaffung Adams bis Brudermord), der rechte stellt ihm die neutestamentliche Erlösergeschichte, diesmal von unten nach oben erzählt, gegenüber. Auf diese Weise können die Geschehnisse nicht nur chronologisch, sondern auch als Vorausdeutungen des Alten auf das Neue Testament gelesen werden: Ein Auslegungsverfahren, das man als typologische Exegese bezeichnet, die hier jedoch nicht über das Wort, sondern über das Bild betrieben wird. Schlicht gekleidet treten die schlanken, in das Geschehen vertieften und gestikulierenden Figuren dem Betrachter aus dem Reliefgrund entgegen. Dabei springen die Gebärden vor allem deshalb ins Auge, weil die Fläche um sie herum fast wie leergefegt wirkt. Der Hintergrund des Geschehens ist, wenn überhaupt, nur angedeutet, eine perspektivische Ausgestaltung des Bildraums durch Architektur oder Landschaft ist sekundär, die Figuren agieren im Vordergrund. Vorbild für die Bernwardstür war ein Werk der Buchmalerei, und zwar eine karolingische Bibel aus Tours, die noch unter Abt Alkuin, dem Hoftheologen Karls des Großen, um 840 geschaffen wurde (Alkuinbibel, Staatsbibliothek Bamberg). Zwar nahm die Buchmalerei in der ottonischen Zeit noch eine Vorreiterrolle ein, aber eine wie zu Zeiten Karls des Großen zentrale Hofschule gab es nicht mehr. Mehrere Zentren traten hervor: St. Gallen, das Kloster Fulda oder Echternach (heute Luxemburg) und eines der bedeutendsten, das Reichenauer Skriptorium. Sie alle trugen dazu bei, dass die ottonische Buchmalerei führend in Europa wurde.

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Ottonische Buchmalerei

Ähnlich wie schon zur Zeit der Karolinger hat von der ottonischen Wandmalerei kaum etwas die Jahrhunderte überdauert. Als eines der wenigen Zeugnisse sind auf der Bodenseeinsel Reichenau Fresken erhalten, wobei die Miniaturen, die von den Reichenauer Mönchen gemalt wurden, die Themen und den Stil vorgaben, der selbst in Frankreich und Italien nachgeahmt wurde. Dazu zählen etwa 50 Handschriften, deren prächtigste der Liuthard-Gruppe (980er–1030er-Jahre) zugerechnet werden, darunter die Bamberger Apokalypse (Bamberg, Staatsbibliothek), das Bamberger Perikopenbuch Heinrichs II. (München, Bayer. Staatsbibliothek; ein Perikopenbuch enthält ähnlich wie das Evangelistar nur jene Abschnitte der Bibel, die in der Messe zu lesen sind), das Hildesheimer Orationale (Hildesheimer Dombibliothek) und das Evangeliar Ottos III. Noch immer gehören die Autorenporträts der Evangelisten zu den wichtigsten Miniaturen der Evangeliare, doch zeigen sie eine deutlich gewandelte Auffassung. Im Evangeliar Ottos III. sehen wir keine Evangelisten mehr, die schreibend oder innehaltend mit der Feder in der Hand vor dem Schreibpult sitzen, stattdessen wirken sie wie Seher, die frontal mit weit aufgerissenen Augen aus dem Bild blicken. In den erhobenen Armen halten sie Kreissegmente, die einander überlappen und Propheten und Engel umschließen. Sie selbst werden zwar noch von einer stilisierten Architektur eingefasst, aber wichtiger als die Arkaden werden die geometrischen Formen, denen die Figuren einbeschrieben sind, seien es Kreise, eine Mandorla oder ein auf die Spitze gestelltes Quadrat. Im Clipeus (Medaillon) über den Evangelisten ist ihr Symbol zu erkennen. Elemente einer Landschaft oder einer Architektur, die der Illusion räumlicher Tiefe dienen, werden hier eher zeichenhaft, meist aber äußerst spärlich eingesetzt; an ihre Stelle tritt eine leere Fläche, und zwar aus Gold! Das Aachener Liuthar-Evangeliar zeigt erstmals sogar sämtliche Darstellungen auf Goldgrund. Auf diese Weise gänzlich vom diesseitigen Raum in die Ewigkeit versetzt, erscheinen die Szenen beruhigt und wertvoll. Zugleich verdeutlichen sie ein Charakteristikum ottonischer Bildgestaltung: die leere Fläche, vor der die Gesten der Figuren sich so klar abheben, dass von der ottonische Malerei in der Forschung auch als Gebärdenmalerei gesprochen wurde (Abb. 5). Auch die Maiestas Domini wurde rezipiert, während sich das Themenspektrum insgesamt erweiterte, darunter besonders auffallend die von einem neuen Selbstbewusstsein kündenden Herrscherbilder wie das berühmte doppelseitige aus dem Otto-Evangeliar (um 1000, München, Bayer. Staatsbibliothek; das ­Otto-Evangeliar beinhaltet eine doppelseitige und 34 ganzseitige Miniaturen). Otto III. thront zentral und frontal, größer als die ihn umgebenden und huldigenden Figuren, im Vordergrund. Der Bildaufbau ist, wie so häufig in ottonischer

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5  Perikopenbuch Heinrichs II., ­Verkündigung an die Hirten, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4452, fol. 8v

Buchmalerei, symmetrisch. In seiner Form als Diptychon bezieht sich das Herrscherbild auf antike Herrscher-Diptychen aus Elfenbein. Es gibt jedoch auch Formen des Widmungsbildes in der ottonischen Buchmalerei, in denen Christus den Herrscher krönt, ein Motiv, das sich aus byzantinischer Tradition speist und im Perikopenbuch Heinrichs II. zur Darstellung kommt: Hier thront nicht mehr der Kaiser frontal, sondern Christus ist ins Zentrum gerückt, flankiert von Petrus und Paulus als Stellvertreter der Kirche. Jeweils dazwischen stehen Heinrich II. und seine Frau Kunigunde, die in Dreiviertelansicht und aufgrund der Bedeutungsperspektive kleiner dargestellt sind. Wenn auch bescheidener im Anspruch, so konnte doch deutlicher die Theokratie kaum visualisiert werden. Solchermaßen speisten sich Christusdarstellungen aus den Herrscherbildern und umgekehrt: Die Formulierung eines Christusbildes im 4. und 5. Jahrhundert war ebenso beeinflusst vom kaiserlichen Triumphal- und Huldigungsbildnis, wie das Herrscherbild der ottonischen Handschriften von den Darstellungen Christi.

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Noch immer zählten solche Evangeliare zur wertvollsten Kirchenausstattung, doch neben sie gesellten sich auch andere Gegenstände und Bildwerke. Für die wortzentrierte Religion des Christentums bedurften diese Bildwerke allerdings einer Legitimation. Bildwerke am Altar

Die Schriften, die noch zu Lebzeiten Karls des Großen um die Synode von Paris 824 / 25 entstanden sind, bestätigten die Argumentation der Libri Carolini im Großen und Ganzen, nahmen jedoch in einigen Punkten eine deutlich abweichende Position ein, die für die ottonische Kunst bedeutsam werden sollte. Da die Bilder an die res gestae (große Taten) zu erinnern halfen, konnten sie auch der memoria der Heiligen dienen. Während die Libri Carolini nur die Darstellung des Kreuzes akzeptierten, propagierten die Nachfolgeschriften den Kruzifixus (den Gekreuzigten), der nicht nur an die Passion erinnert, sondern auch direkt in die Liturgie, in die Eucharistiefeier eingebunden werden konnte. Auf der Grundlage dieser Argumentation entwickelte sich das vollplastische Bild des Gekreuzigten im 10. Jahrhundert (eventuell sogar schon im 9. Jh.) zum wichtigsten Ausstattungsstück einer Kirche, als ein Bildwerk, das seine Berechtigung erst in der Verbindung mit der Liturgie fand. Von diesen frühen monumentalen Darstellungen des Gekreuzigten sind nur wenige erhalten, darunter das Gero-Kreuz im Kölner Dom, das noch vor 976 entstanden sein muss. Es ist wohl dieses Holzkreuz gewesen, das Erzbischof Gero von Köln (um 900 – 976) an seinem Grab vor dem Kreuzaltar aufstellen ließ. Ungewöhnlich für die Zeit ist, dass der Gekreuzigte hier nicht als über den Tod triumphierend, sondern als sterbender Mensch dargestellt ist: Sein Kopf mit dem leidenden Gesicht ist auf die Brust gesunken, die Augen sind geschlossen, der Körper mit vorgewölbtem Bauch hängt schwer am Kreuz. Die ursprünglich farbige Gestaltung ist komplexer gewesen, seine heutige Fassung mit dem eintönigen braunen Inkarnat bekam es erst im 20. Jahrhundert. Aus der Zeit der Ottonen stammen auch die ersten thronenden Muttergottes-Skulpturen. Wie das Gero-Kreuz ist die Goldene Madonna (Abb. 6) aus der Essener Frauenstiftskirche, um 980 entstanden, eine der ältesten erhaltenen Skulpturen. Sie stand höchstwahrscheinlich auf dem Altar, wurde aber auch auf Prozessionen mitgeführt und war also mit der Liturgie verbunden. Trotz ihrer frontalen Ausrichtung ist die sitzende Figur auf Mehransichtigkeit angelegt. Mit ihrem durchdringenden Blick wirkt die Madonna ein wenig streng, doch gewinnt sie an Lebendigkeit durch das quer auf dem Schoß liegende Kind, das sie mit ihrer Linken umarmt, während sie in ihrer Rechten eine Kugel (oder einen Apfel) präsentiert. Obgleich Mutter und Kind einander zugewandt sind,

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blicken sie aneinander vorbei und wirken in ihrer Beziehung eher distanziert; ihr Verhältnis hat nicht jene spielerische oder liebevolle Note wie bisweilen spätere Muttergottes-Skulpturen. Die dünnen Goldbleche ummanteln den Holzkern der Essener Madonna vollständig; als einzige farbige Akzente sind die in Emailtechnik ausgeführten Augen der Gottesmutter und der Nimbus des Christuskindes sowie die verschiedenen Edelsteine an der Kugel und am Buch, das Jesus in Händen hält, hervorgehoben. Zu den wenigen weiteren Bildwerken, die noch heute die ursprüngliche goldene Gestaltung aufweisen, gehört die Goldene Madonna in Hildesheim (vor 1022?). Anders als die Essener Madonna ist sie, ebenso wie das Christuskind auf ihrem Schoß, starr nach vorne ausgerichtet. Damit repräsentiert sie den in der Zeit gängigen Madonnen-Typus der Sedes sapientiae (Thron der Weisheit), die thronende Muttergottes mit dem Jesuskind auf dem Schoß. Beide Bildtypen, Kruzifix und Madonna mit dem Kind, beziehen sich auf die menschliche Natur Christi und zeigen den Anfang und das Ende seines irdischen Lebens. Im Ausdruck sind sie entgegengesetzt: der Gekreuzigte des Gero-Kreuzes ist von Leid und Tod gezeichnet, während die Muttergottesbilder ihn als wehrloses Kind zeigen, dessen Schutzbedürftigkeit durch seine Nacktheit gelegentlich noch unterstrichen wird. Die Rolle Marias in der Heilsgeschichte als Muttergottes gewinnt damit an Bedeutung und geht über ihre Darstellungen als Assistenzfigur weit hinaus. Entgegen älterer Annahmen, die davon ausgingen, dass die frühen Skulpturen im Christentum immer Reliquien beherbergten – und auf diese Weise dem Vorwurf des Götzenbildes entgingen, da sie qua Reliquie legitimerweise im Kirchenraum aufgestellt werden konnten – finden sich für beide Praktiken Beispiele: Während bei der Hildesheimer Skulptur sowohl bei der Muttergottes wie auch beim Kind Reliquienöffnungen eingearbeitet sind, beherbergten das Gero-Kreuz und die Essener Madonna keine Reliquien. 6  Essen, Münster, Goldene Madonna

Die Kunst der Vorromanik

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Eine weitere Neuerung bildlicher Kirchenausstattung stellt das sogenannte Antependium dar. Antependien bekleiden beziehungsweise verhängen (pendere) auf der Vorderseite (ante) den Unterbau des christlichen Altars (genannt Stipes). Diese Verkleidungen können aus Stoff, Leder, Holz oder aus Metall sein. Eines der berühmtesten ist das sogenannte Basler Antependium (Paris, Musée National du Moyen Âge, Thermes et Hôtel de Cluny), das aus getriebenem Goldblech auf Holzkern besteht. Es zeigt als Relief fünf Figuren aufgereiht unter Rundbogenarkaden, in der Mitte Christus, der streng frontal ausgerichtet ist. Seine rechte Hand ist segnend erhoben, in seiner linken hält er die Weltkugel, auf der das XP, das griechische Christusmonogramm, mit Alpha und Omega zu sehen ist. Die flankierenden Figuren sind im Dreiviertelprofil und der Mitte leicht zugewandt dargestellt. Zur rechten Seite Christi, vom Betrachter aus gesehen links, steht der Erzengel Michael, der damit den zweitwichtigsten Platz in der Bildhierarchie einnimmt. Sein Haupt ist, wie auch das der übrigen Figuren, von einem mit Edelsteinen besetzten Nimbus hinterfangen. In seiner Rechten hält er die Weltkugel und in der Linken eine Lanze, während die beiden Erzengel Gabriel und Raphael zur linken Seite Christi ein langes Zepter halten. Die fünfte Figur, ganz links in der Reihe, ist durch die Tonsur als Mönch gekennzeichnet. Anhand der Inschrift in der Arkade oberhalb der Figur ist er als hl. Benedikt von Nursia, als Ordensgründer der Benediktiner, zu identifizieren. Als Zeichen seines Amtes hält er den Abtsstab und das Buch mit den Ordensregeln in seinen Händen. Zu Füßen Christi sind in Adorantenhaltung zwei deutlich kleinere Figuren abgebildet: Es sind die Stifter des Antependiums, das kaiserliche Ehepaar Heinrich II. und Kunigunde. Ob die Altarverkleidung tatsächlich für das 1019 neu geweihte Basler Münster oder vielleicht doch eher für die Kirche des Benediktinerklosters in Bamberg bestimmt war, ist nicht mehr eindeutig zu beantworten. All diese Bildwerke – Gero-Kreuz, Goldene Madonna oder Basler Antependium – künden von einer neuen Phase bildlicher Kirchenausstattung, befanden sie sich doch alle direkt am oder in unmittelbarer Nähe zum Altar. Im Laufe des Mittelalters wurden die Altarausstattungen immer prächtiger und aufwendiger; ebenso nahm die Anzahl der Bildwerke stetig zu, sodass sie spätestens in der Gotik zur zentralen Aufgabe der Kunst wurden.

Die Kunst der Romanik Das Zeitalter der Salier und der Staufer

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ls das Zeitalter der Ottonen mit dem Tod Heinrichs II. im Jahr 1024 endete, ging die Herrschaft unmittelbar auf die Salier über. Der erste Herrscher aus dieser Dynastie war Konrad II. (um 990 – 1039), der noch im selben Jahr zum deutschen König und 1027 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. Als deutlicher Ausdruck seines imperialen Selbstverständnisses ist die Inschrift am Bügel der Reichskrone zu verstehen. Diese lautet: CHVONRADVS DEI GRATIA ROMANORU(m) IMPERATOR AVG(ustus) (Konrad, von Gottes Gnade Kaiser der Römer und Augustus). Allerdings schwanken die Datierungen der Krone zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert, möglicherweise ist sie sogar erst in staufischer Zeit entstanden. Während das politische und kulturelle Zentrum der Ottonen anfangs Sachsen, dann Bayern war, verlagerte es sich erneut mit den Saliern: Das Stammgebiet der neuen Herrscherdynastie lag am Mittelrhein. Politisch knüpfte Konrad II. an seinen Vorgänger an, gliederte Burgund dem Königreich ein und stützte sich auf das ottonische Reichskirchen-System, das weltlichen Herrschern das Recht gab, Geistliche in hohe Kirchenämter einzusetzen (Laieninvestitur). Diese enge Verbindung zwischen Staat und Kirche sollte sich erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts mit Leo IX. ändern. Selbst mit dem Herrscherhaus verwandtschaftlich verbunden und 1049 von seinem Vetter zweiten Grades, Kaiser Heinrich III. (1017 – 1056), zum Papst ernannt, trat er später für Reformen ein und wandte sich besonders gegen die Simonie (den kirchlichen Ämterkauf ), die Unkeuschheit innerhalb des Klerus und die zuvor beschriebene Laieninvestitur. Sie wurde 1075 unter Papst Gregor VII. endgültig verboten. Der schwelende Inves-

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titurstreit spitzte sich zu, als Heinrich IV. (1050 – 1106) den Papst seines Amtes enthoben erklärte und der wiederum den Salier in Kirchenbann setzte. Trotz des berühmten Ganges Heinrichs IV. nach Canossa (1077) und der Versöhnung zwischen Kaiser und Papst war der Investiturstreit, der Konflikt zwischen geistlicher und weltlicher Macht, damit nicht beendet. Der Kirchenbann wurde erneut ausgesprochen, Gegenpäpste und Gegenkaiser wurden gewählt, bis schließlich 1122 mit der Einigung in dem sogenannten Wormser Konkordat der Investiturstreit beigelegt werden konnte. Es regelte unter anderem, dass der Papst die Bischöfe in ihren Diözesen einsetzen durfte, sie ihre weltlichen Befugnisse jedoch vom König erhielten. Kurze Zeit später ging die Macht 1138 mit Konrad III. (1093 / 94 – 1152) an die Staufer über, die sich einerseits mit den Welfen (Heinrich der Stolze, Heinrich der Löwe), aber auch mit der anhebenden Emanzipation der Städte in Italien auseinandersetzen mussten. 1152 wurde Konrads Neffe, Friedrich von Schwaben (um 1122 – 1190), zum römisch-deutschen König gewählt; als Barbarossa sollte er in die Geschichte eingehen und durch eine enge Kooperation mit den Fürsten den Niedergang des Reiches verhindern. Barbarossa war getragen von der Idee der Weltherrschaft: In seiner Regierungszeit entstand die Bezeichnung des Heiligen Reiches (Sacrum Imperium), aus dem später das Heilige Römische Reich (Sacrum Romanum Imperium) wurde. Die Auseinandersetzungen mit den Welfen wie auch mit den Päpsten und den Städten aber schwelten weiter – unter Barbarossa ebenso wie unter seinen Nachfolgern, die den Schwerpunkt des Reiches immer weiter nach Italien verlagerten und sich schließlich in Sizilien niederließen. Einer dieser Nachfolger war der bereits in Italien geborene Friedrich II. (1194 – 1250), der als „stupor mundi“ die Welt in Erstaunen versetzte: Er sprach mehrere Sprachen, interessierte sich für Philosophie und Naturwissenschaften, und seine Toleranz gegenüber Andersgläubigen wie auch seine orientalische Prachtentfaltung wurden von den Zeitgenossen sowohl mit Bewunderung als auch mit Entsetzen wahrgenommen. Von der Verschmelzung des Okzidents mit dem Orient, die der Kaiser in seiner sizilianischen Heimat förderte, hat der nördliche Teil seines Reiches aber kaum mehr etwas zu spüren bekommen; und während der Kaiser nördlich der Alpen als Auftraggeber wichtiger Bauten kaum fassbar ist (wogegen die Porträtbüste Barbarossas aus vergoldeter Bronze als eines der bedeutendsten staufischen Kunstwerke in Cappenberg zu bewundern ist), sind in Süditalien noch mehrere Zeugnisse erhalten. Mit der Enthauptung seines gerade einmal 16-jähirgen Enkels Konradin (1252 – 1268) unter Karl I. von Anjou in Neapel erlosch das staufische Geschlecht. Beide Herrscherhäuser, sowohl die Salier wie die Staufer, taten sich vor allem als Bauherren hervor, neben die aber immer häufiger neue weltliche Auftraggeber traten: der Adel und die aufstrebenden städtischen Patrizier.

Sakralarchitektur

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Sakralarchitektur Limburg an der Haardt und Speyer

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er erste Salier auf dem Kaiserthron, Konrad II., ließ rasch nach seinem Regierungsantritt (1027) an seinem Stammsitz Limburg an der Haardt mit dem Bau eines Benediktinerklosters beginnen. Die Bauarbeiten müssen zügig vorangegangen sein, denn schon 1034 konnte der Konvent in das Kloster einziehen. Der Grund für diese Klostergründung liegt im Dunkeln. Eventuell plante Konrad, in der Klosterkirche die Grablege der Salier einzurichten, denn 1038 war die dänische Prinzessin Gunhild, die Frau seines Sohnes und Nachfolgers Heinrich III., nahe der Vierung bestattet worden, tatsächlich aber erhielt der Dom zu Speyer diese Funktion. Die Limburger Klosterkirche, eine Basilika mit Flachdecke, vermittelt aber selbst heute noch als Ruine den Eindruck kaiserlicher Macht alleine durch ihre monumentale Größe. Vermutlich zeitgleich (1024 / 1027) ließ Konrad II. mit dem Neubau des Doms am alten Bischofssitz Speyer beginnen. Als er 1039 vor der Westwand der Krypta beigesetzt wurde, war der Dom noch eine Baustelle. Auch sein Sohn, Heinrich III. (1017 – 1056), der den Bau fortsetzte, erlebte nicht dessen Fertigstellung, denn erst 1061 fand die Schlussweihe statt. Der Speyerer Dom Konrads II. war eine dreischiffige Basilika mit Hallenkrypta. Dass das Mittelschiff einer der größten Räume des Mittelalters war, zeigt, in welch ungewöhnlichen Ausmaßen man in Speyer baute. Während das Mittelschiff ungewölbt blieb und eine Holzdecke besaß, bekamen die Seitenschiffe (wie in den Krypten von Limburg und Speyer selbst) ein Kreuzgratgewölbe. Die Innenwände sind mit tiefen Blendbögen, Pfeilern und Halbsäulen mit Würfelkapitellen weiterhin wie ottonische Bauten spärlich gegliedert (Abb. 7). Die Außenwände des Langhauses sind dagegen, zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum, mit oberitalienischen Gestaltungselementen, flachen Lisenen und Bogenfriesen, strukturiert. Die unter Heinrich IV. (1050 – 1106), dem Enkel Konrads II., um 1070 begonnenen Umbaumaßnahmen des Speyerer Doms waren so tiefgreifend, dass von einem Teilneubau gesprochen werden kann. Dessen Leitung übernahmen die Bischöfe Benno von Osnabrück und Otto von Bamberg. Ein Novum und eine technische Höchstleistung war die Einwölbung des Mittelschiffs, das in der Breite 14 Meter misst. Dafür musste nicht nur der Ostteil des Doms verstärkt werden, sondern auch jeder zweite Pfeiler im Mittelschiff eine kräftige Dreiviertelsäule vorgelegt bekommen, auf der der Gurtbogen der Wölbung ruht (vgl. Abb. 7). War das gebundene System mit der Vierung als Maßeinheit in St. Michael in Hil-

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7  Speyer, Dom St. Maria, Innenansicht nach Osten

desheim (vgl. Abb. 4) bereits angelegt, so wurde es hier nun weitergeführt: Ein Mittelschiffjoch entspricht in Speyer zwei Seitenschiffjochen. Im Mittelschiff und im neu gebauten Querhaus erfuhren die Wände und Stützen eine starke plastische Gliederung, die in der deutschen Baukunst keine Vorbilder hat. Weitere Neuheiten im Querhaus sind das Bandrippengewölbe und die antikisierenden Kapitelle der Säulen, die von lombardischen Bauleuten

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8  Speyer, Dom St. Maria, Ansicht von Osten

angefertigt wurden. Im Außenbau ist der offene Arkadengang direkt unter dem Dach der Ostapsis (Abb. 8) als Novum hervorzuheben. Eine Vorstufe zu dieser sogenannten Zwerggalerie ist bereits beim Dom in Trier (um 1030 – um 1070) zu finden, aber in Speyer erscheint sie nun in der Form, wie sie in den folgenden Bauten, insbesondere in Italien und im Rheinland, übernommen werden sollte. Beide Speyerer Dombauprojekte, das von Konrad II. wie das von Heinrich IV., waren politisch ambitioniert. Während Konrad II. mit seinem monumentalen Bau als erster Salier ein Zeichen der Legitimität seiner Herrschaft setzen wollte, fand die Errichtung des Teilneubaus in der Zeit des Investiturstreits statt und sollte damit den Machtanspruch Kaiser Heinrichs IV. vor allem gegenüber dem Papst demonstrieren. Im Zusammenhang mit dem Dom Konrads II. ist auf St. Maria im Kapitol in Köln zu verweisen (um 1040 begonnen). Hier ist der Blick aber nicht auf die

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berühmte Dreikonchenanlage (Kleeblattchor) zu richten, sondern auf die Seitenschiffe des Langhauses, für welche die Speyerer Wandgliederung mit den Blendbögen, Wandsäulen, Würfelkapitellen und dem Kreuzgratgewölbe vorbildlich war. Auch das flachgedeckte Mittelschiff und die gewölbte Krypta beziehen sich auf den Dombau Konrads II. Der monumentale Kölner Kleeblattchor im Osten lässt sich dagegen mit der Geburtskirche in Bethlehem (nach 529) in Verbindung bringen. Dass St. Maria im Kapitol als ein Schlüsselbau im niederrheinischen Raum zu betrachten ist, zeigen die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begonnenen Kirchen Groß St. Martin und St. Aposteln in Köln sowie St. Quirin in Neuss, wobei das Grundrissschema des Dreikonchenchores auch darüber hinaus noch Thema im Kirchenbau bleiben sollte. Die Dome in Mainz und Worms

Die drei Dome am Rhein werden oft als „Kaiserdome“ bezeichnet, was eigentlich nur für Speyer zutreffend ist, während die Bauprojekte in Mainz und Worms auf die Initiative von Kirchenfürsten zurückgehen, deren Position durch den Investiturstreit gestärkt worden war. In Mainz muss schon vor dem sogenannten Willigis-Bau eine Kathedrale gestanden haben, da die Stadt ein alter Bischofssitz war. Von den Vorgängerbauten ist jedoch nichts überliefert. Der spätottonische Dom, benannt nach seinem Gründer Erzbischof Willigis, brannte einen Tag vor seiner Weihe im Jahr 1009 ab, danach fanden Wiederherstellungsarbeiten statt, und in der Folgezeit wurden immer wieder Bauteile erneuert, sodass nur im Kern des Doms, also an dem um 1080 begonnenen basilikalen Langhaus und am Westchor, das ursprüngliche Konzept noch nachvollziehbar ist. Hier lassen sich Verbindungen mit dem Speyerer Dom herstellen. Das Langhaus, dessen Einwölbung im Gegensatz zu Speyer von Anfang an geplant war, folgt ebenfalls dem gebundenen System und die Wandgliederung wirkt ähnlich massiv. An den antikisierenden Formen des Mainzer Westchors ist gut nachvollziehbar, dass hier dieselben lombardischen Steinmetze arbeiteten, die schon für den Speyerer Dombau Heinrichs IV. verpflichtet worden waren. Auch in Mainz ist die Apsis außen mit auf dem Sockel ruhenden Blendbogenarkaden gegliedert und eine Zwerggalerie bildet den oberen Abschluss. Baugeschichtlich hat der Dom in Worms mit jenem in Mainz einige Gemeinsamkeiten. Auch hier entstand bereits im frühen 11. Jahrhundert ein monumentaler Dombau, der 1018 in Anwesenheit Kaiser Heinrichs II. geweiht wurde. Nur zwei Jahre später, 1020, stürzte der Westchor ein. Der Neubau geht wahrscheinlich auf die Initiative des Königs Heinrich V. fast 100 Jahre später zurück, für den zunächst der Speyerer Dom Konrads II. mit seiner eher strengen Architek-

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tur vorbildlich war. Erst bei der Fertigstellung der Ostpartie wurde dieses Modell aufgegeben: Die Ostfassade ist nicht nur architektonisch aufwendiger gegliedert, sondern zusätzlich mit Reliefs ausgestattet, die Menschen und Tiere zeigen. Dieser Reichtum an verschiedenen Elementen war nördlich der Alpen neu. Zur letzten Bauphase (spätes 12. Jh.) gehört schließlich der Westchor, der in seiner vielgestaltigen Gliederung – Bögen, die mit Zickzackbögen gerahmt sind, und Radfenster (hier macht sich schon die französische Frühgotik bemerkbar) – einen Höhepunkt staufischer Spätromanik darstellt. Ähnlich wie beim Mainzer Dom ist der Westbau außen von zwei Rundtürmen flankiert, ein architektonisches Motiv, das Nachfolge in der Benediktinerabteikirche in Maria Laach (um 1093 – um 1200) gefunden hat. Norddeutschland

Auch in Norddeutschland entstanden Sakralbauten, die dem Repräsentationsanspruch ihrer weltlichen Auftraggeber dienten. Zu diesen Bauten gehört die Benediktinerabtei in Königslutter, deren Auftraggeber Kaiser Lothar III. war – der Sachsenherzog Lothar III. von Süpplingenburg (1075 – 1137) regierte während der kurzen Interimszeit zwischen den Dynastien der Salier und der Staufer von 1125 bis 1138. Die Grundsteinlegung in Königslutter erfolgte 1135, kurz nach Lothars erstem Italienzug und seiner Kaiserkrönung in Rom. Es gilt als sicher, dass er damals aus Oberitalien Bildhauer mitgebracht hat, wie die Bauplastik im Kreuzgang und an der Außenwand der Apsis zeigen. Darüber hinaus zeigt die Ostpartie der Klosterkirche Merkmale, die für die Romanik Norddeutschlands neu waren: Sie ist die erste Kirche in Quaderbau und mit einer Sockelzone. Quader- und Wölbungsbau wurden allerdings in Norddeutschland nicht zum vorherrschend Baustil, sie stellen lediglich eine von zwei Hauptlinien dar, in die sich wichtige Bauten einreihen wie etwa der Dom St. Blasius in Braunschweig (Gründung 1173), die Liebfrauenkirche in Halberstadt (1136 – 1147) oder die ehemalige Klosterkirche Unsere Liebe Frau in Magdeburg (Ende 12. / Anfang 13. Jh.). Neben Naturstein trat Backstein als Baumaterial hervor, aus dem auch anspruchsvolle Sakralbauten errichtet wurden wie die Prämonstratenser‑Stiftskirche in Jerichow (Baubeginn 1148) und der Ratzeburger Dom (Baubeginn 1154). Diese wurden zu Gründungsbauten der Backsteinarchitektur in Norddeutschland wie auch sehr bald im gesamten Ostseeraum, der im 13. Jahrhundert dank der Ausweitung der Hanse ein blühender Wirtschaftsraum wurde. Die Hirsauer Reform

Der Reformgedanke, der im 10. Jahrhundert von dem Benediktinerkloster Cluny in Burgund ausgegangen war, breitete sich schnell aus und so kam es bald auch

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in entfernteren Regionen zu neuen und eigenen Zentren klösterlicher Reformbewegung, insbesondere auf dem Höhepunkt des Investiturstreits. Im deutschsprachigen Raum traten hauptsächlich Benediktinermönche für die Reform ein, wie jene in Hirsau im Schwarzwald. Als eines der ersten Klöster nahm man dort die Ideen der Cluniazenser auf. Man spricht von der Hirsauer Reform, deren Wirkung bis Corvey, Magdeburg und Bamberg reichte. Die Reformbewegung hat auch in der Architektur ihre Spuren hinterlassen. Als Gründungsbau der sogenannten Hirsauer Bauschule gilt die Kirche des Hirsauer Benediktinerklosters (1082 – 1091), von der jedoch nur Reste erhalten sind, unter anderem der sogenannte Eulenturm mit sparsamer skulpturaler Ausstattung. In einigen Nachfolgebauten lässt sich das Hirsauer Ideal hingegen noch gut beobachten, zum Beispiel in den Abteikirchen Allerheiligen in Schaffhausen (um 1090 – um 1120), in Paulinzella (1105 – 1124, heute Ruine) und in Alpirsbach (1. Hälfte des 12. Jh.). Sie alle zeigen eine flach gedeckte, dreischiffige Basilika ohne Krypta und mit nüchternem plastischen Schmuck. Im Inneren war die Vierung (chorus maior) für Priester reserviert, die am Chorgesang teilnahmen, während das daran anschließende erste östliche Langhausjoch (chorus minor) für diejenigen Mönche gedacht war, die wegen ihres Alters oder Krankheit nicht am Gottesdienst mitwirken konnten. Die Zisterzienser

Die Zisterzienser, 1098 gegründet, waren zunächst eine Reformbewegung, welche die ursprünglichen mönchischen Ideale wiederbeleben wollte und sich damit gegen die Prachtentfaltung auch in Cluny wandte. Die Bewegung wurde rasch zu einer eigenständigen Kongregation, die sich seit dem Eintritt Bernhards von Clairvaux im Jahr 1111 schnell über ganz Europa ausbreitete. Seit 1122 sind die Zisterzienser auch in Deutschland mit eigenen Klöstern vertreten. Als einer der ersten Orden hielten sie in ihren Ordensregeln auch Bauvorschriften fest, die eine eigene zisterziensische Architektur zur Folge hatten: Sie besaßen europaweit Gültigkeit, sodass sich die Ordensbauten lediglich in der Verwendung des jeweils vor Ort vorkommenden Baumaterials unterschieden. In Deutschland sind die Klosteranlagen in Eberbach am Rhein und in Maulbronn besonders gut erhalten, deren Kirchen in den 1140er-Jahren begonnen wurden. Die Maulbronner Klosterkirche zeigt noch ihre ursprüngliche Gestalt: eine einfache, schmucklose Erscheinung sowohl im Außenbau wie auch im Inneren. Weitere Charakteristika der Zisterzienserarchitektur sind die Turmlosigkeit – die burgenartige Erscheinung vieler ottonischer und romanischer Kirchen mit Westwerk und zahlreichen Türmen ist hier aufgehoben – und der gerade Chorabschluss, an den sich Seitenkapellen anschließen, die sich zu den Querschiffarmen

Profanbauten

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öffnen. Wie bei den Hirsauern fehlt auch hier die Krypta. Haben diese Merkmale der Zisterzienserarchitektur ihre Gültigkeit für die Bauten des 12. Jahrhunderts, so weichen die nachfolgenden Kirchen immer mehr von den Regeln ab.

Profanbauten Pfalzen

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ie Pfalzen sind – bedingt durch das Reisekönigtum – eine spezifisch deutsche Erscheinungsform mittelalterlicher Profanarchitektur. Es können drei Grundtypen unterschieden werden: Einerseits gab es Pfalzen, die explizit als temporäre Residenzen gedacht waren und nur für diesen Zweck errichtet wurden, andererseits auch Bischofs- und Klosterpfalzen, die für den Aufenthalt des Herrschers reservierte Räume bereithielten. Nur von dem erstgenannten Typ sind Beispiele erhalten. Unter den wichtigsten salischen Pfalzen muss die in Goslar eine der größten gewesen sein. Ihre heutige Gestalt ist weitgehend eine Rekonstruktion des 19. Jahrhunderts. Auch die Pfalz in Nürnberg war eine salische Gründung, allerdings ist von diesem Bau nichts mehr erhalten. Wie in Goslar verwendeten die Staufer die Nürnberger Pfalz weiter, und die von der Nürnberger Anlage erhaltene Doppelkapelle (um 1200) ist ein Bau aus jener Zeit. Von den Neugründungen der Staufer sind die Pfalzen in Wimpfen und in Gelnhausen besonders hervorzuheben. Die ausgedehnte Anlage der Pfalz in Wimpfen, die wohl von Friedrich I. Barbarossa gegründet wurde, ist eine der am besten ­erhaltenen. Von dem Palas (kurz nach 1150), in dem die Versammlungen und höfischen Feste stattfanden sowie die Königswohnung lag, steht in Wimpfen noch die nördliche Außenmauer mit zahlreichen Fensterarkaden. Weiterhin sind von der Pfalzanlage die Kapelle, zwei Bergfriede und das sogenannte Steinhaus, möglicherweise die Kemenate der Frauen, erhalten. Die Pfalz in Gelnhausen (Baubeginn um 1170) – Auftraggeber war der Sohn und Nachfolger Barbarossas, Heinrich VI. – hat nur in Resten überdauert, doch zeigen die Fragmente der Kaminwand in ihrem aufwendigen Bauornament noch den höfischen Anspruch des Baus. Mit den Staufern ging auch die Ära der Pfalzen und des Reisekönigtums zu Ende, denn seit dem 14. Jahrhundert residierten die Herrscher an einem festen Ort: Die Kaiser aus dem Haus der Luxemburger wählten Prag zu ihrem Regierungssitz, die Habsburger Wien. Nach 1250 wurden die Pfalzen aufgegeben. Heute ist daher von ihnen nur noch wenig Bausubstanz vorhanden.

Die Kunst der Romanik

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9  Burg Münzenberg

Burgen

Die Anfänge des Burgenbaus liegen in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, als in der Folge des Investiturstreits unsichere Zustände im Reich herrschten. Während bis dahin die Errichtung befestigter Bauten ein königliches Privileg gewesen war, strebte nun auch der Adel nach gesicherten Wohnstätten und ließ sich auf Anhöhen oder auf Inseln nieder. Damit entstand ein neuer Architekturtypus: die Burg. Sie kann nach unterschiedlichen Kriterien eingeordnet werden: nach Bautypen (Ringburg, Abschnittburg, Kastell), nach der geografischen Lage (Höhenburg, Wasserburg, Inselburg) oder nach dem Status des Burgherren (z.  B. Fürstenburg, Ministerialenburg). Im 13. Jahrhundert trat als Bauherren neben dem Hochadel auch die niedere Aristokratie auf, womit die Anzahl der Burgen explosionsartig zunahm. Zu den Ministerialenburgen gehört beispielsweise die Burg Münzenberg (Mitte 12. / Ende 13. Jh.) nördlich von Frankfurt in der Wetterau (Abb. 9). Hier vertraten die Herren von Münzenberg als Reichsministerialen die Interessen der staufischen Herrscher. Ihrer Gestalt nach handelt es sich um eine Ringburg, also eine Anlage, die mit (mindestens) einer Ringmauer umgeben ist und sich damit in alle Richtungen verteidigen konnte. Neben der stattlichen Erscheinung der Anlage fällt vor allem die reiche Gestaltung am Palas in Form von Arkadenfenstern und Ornamenten an den Kapitellen sowie den Kaminkonsolen auf.

Die Skulptur

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Eine der wichtigsten Stauferburgen war die Reichsburg Trifels (um 1170 / 80) im Pfälzerwald, die zu den Felsenburgen gehört. In dem stattlichen Bauwerk wurden zwischen 1125 und 1275 die Reichskleinodien aufbewahrt. Der heutige Palas ist das Resultat eines von den Nationalsozialisten initiierten, nicht originalgetreuen Wiederaufbaus in den 1930er-Jahren. Im späten 12. Jahrhundert kamen weitere neue Bauaufgaben hinzu, und zwar die Rathäuser, die Privathäuser sowie die Hospitale – sie waren die baulichen Zeugen einer im Hochmittelalter zunehmenden Bedeutung der Stadt als Gemeinwesen. Die neue Macht der Stadtherren kommt auch in der Ausrichtung der Rathäuser zum Ausdruck, wie zum Beispiel in Gelnhausen: Die Hauptfassade des Rathauses (um 1190) ist dem Marktplatz zugewandt, die Rückseite hingegen der Stadtpfarrkirche.

Die Skulptur

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ährend in Frankreich die skulpturale Ausstattung der Kirchen hauptsächlich die Portalzone am Außenbau besetzt, findet die Skulptur des deutschen Kulturraumes zwar nicht ausschließlich, aber überwiegend im Innern der Sakralbauten ihren Aufstellungsort. Hier fand nicht nur Stein Verwendung, sondern auch Holz, Metall (v.  a . Bronze) und Stuck. Als neue Aufgaben kamen Grabanlagen, Taufbecken und Lesepulte hinzu. Kennzeichnend für die Skulptur der deutschen Romanik ist die stilistische Pluralität, die eine Zuordnung zu lokalen Schulen verhindert. Einflüsse wurden sowohl aus Frankreich wie auch aus Italien aufgenommen und mit eigenen Traditionen verbunden. Skulptur am Aussenbau

Die Entwicklung der Bauskulptur am Außenbau begann um die Mitte des 11. Jahrhunderts, wie die drei großfigurigen Reliefs (um 1052) aus Stein im Narthex der Kirche St. Emmeram in Regensburg zeigen, die Christus sowie die Heiligen Emmeram und Dionysius abbilden. Nach der Jahrhundertwende sind dann vermehrt auch gestaltete Bogenfelder von Portalen, sogenannte Tympana, zu finden, oft mit dem thronenden Christus, wie zum Beispiel das Tympanon des Westportals der Benediktinerkirche in Alpirsbach (um 1130). Ab 1200 wurde Christus an dieser Stelle meist als Weltenrichter dargestellt, wie z.  B. am sogenannten Fürstenportal (um 1200 – um 1227) des Bamberger Doms. Ebenfalls häufig kommen Maria oder die jeweiligen Kirchenpatrone vor.

Die Kunst der Romanik

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Ende des 11. Jahrhunderts wurden die Eingangsbereiche der Kirchen immer aufwendiger mit Stufenportalen und integrierten Gewändefiguren gestaltet. Zu den frühesten Figurenportalen zählt die sogenannte Galluspforte (gegen 1200) des Baseler Münsters. Im Tympanon thront Christus als Weltenrichter, der von den Aposteln Petrus und Paulus flankiert wird. Diese empfehlen ihm drei Stifter an, die gemäß der Bedeutungsperspektive verkleinert dargestellt sind. Als Gewändefiguren erscheinen die vier Evangelisten. Seitlich ist das Portal von sechs Darstellungen der Barmherzigkeit umrahmt, die in übereinander angeordneten Tabernakeln angebracht sind. Das Bildprogramm der Portale wurde im Laufe der Geschichte immer komplexer und damit auch deren Ausstattung mit Skulpturen und Ornamenten reicher, wie etwa an den drei Portalen des Bamberger Doms nachvollziehbar ist. Während in der sogenannten Gnadenpforte (um 1200) Figuren nur im Tympanon vorkommen, stehen in der Adamspforte (um 1195 – 1200) lebensgroße Skulpturen als Gewändefiguren (um 1230). Das sogenannte Fürstenportal (1220er-Jahre) präsentiert an den seitlichen Wänden schließlich zwei übereinander angeordnete Reihen von Heiligen, die zur vielfigurigen Weltgerichtsszene im Tympanon schauen. Flankiert wird die Portalanlage von den im Mittelalter beliebten Personifikationen der Ecclesia (Kirche) und der Synagoga; sie stehen auf Säulen, die mit weiteren Figuren besetzt sind. Die noch etwas später zu datierende Goldene Pforte (um 1230 – 1240) der Freiberger Marienkirche steht stilistisch schon an der Schwelle zur Gotik und übertrifft in ihrem Figurenreichtum alle bisher besprochenen Bauten. Das komplexe Programm (Menschwerdung Christi und deren Präfigurationen im Alten Testament) breitet sich bis zu den Archivolten aus, die nach französischen Vorbildern ebenfalls Skulpturen aufweisen – figuraler Schmuck findet sich nunmehr im Bogenfeld (Tympanon), an den Portalseiten (Gewände) und am Rundbogen (Archivolte). Chorschranken

Während heute romanische Kirchen meist einen schlichten Innenraum präsentieren, waren sie im Mittelalter mit einer Vielzahl bildlicher Werke ausgestattet. Zu den Arbeiten, die fast gänzlich verschwunden sind, gehören diejenigen, die sich an den Lettnern und Chorschranken befanden. Diese wurden in der Neuzeit abgebrochen, um die Trennung der Vierung beziehungsweise des Chores vom Langhaus aufzuheben und damit den uneingeschränkten Zugang der Laien in denjenigen Bereich der Kirche zu ermöglichen, der zuvor den Klerikern und Mönchen vorbehalten war. Zu den wenigen noch am originalen Standort erhaltenen Chorschranken zählen die in der St. Michael-Kirche in Hildesheim (um

Die Skulptur

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10  Halberstadt, ehem. Stiftskirche Liebfrauen, Chorschranken, Christus mit zwei Aposteln

1194 / 1197) und die in der Halberstädter Liebfrauenkirche (um 1200). Beide Reliefzyklen sind in Stuck ausgeführt, eine Technik, die auf einen regen transalpinen Kulturtransfer verweist. In Oberitalien hatten die Stuckplastiken seit der spätlangobardischen Zeit einen festen Platz, während diese Technik in Frankreich oder Spanien nicht vorkam. Eines der frühesten, nördlich der Alpen erhaltenen derartigen Stuckreliefs entstand um die Mitte des 12. Jahrhunderts für die Empore der Kirche St. Vitus in Grüningen (Berlin, Bode-Museum). Die Chorschranken in der Halberstädter Liebfrauenkirche (Abb. 10) präsentieren auf der Südseite Maria mit dem Kind, während auf der Nordseite Christus thront; sie werden jeweils von sechs Aposteln begleitet. Wie in Hildesheim sind die Relieffiguren unter Blendarkaden aufgereiht, hier jedoch sitzend. Ihre abwechslungsreichen Körperhaltungen und Gesichtszüge sowie die fließenden Gewanddraperien verleihen den Figuren Lebendigkeit und zeigen die hohe Qualität der sächsischen Skulptur in spätstaufischer Zeit. Diese Entwicklung gipfelt

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in den Chorschranken des Bamberger Doms, deren steinerne Relieffiguren auf die Zeit um 1205 – 1220 zu datieren sind. Die Apostel und Propheten sind paarweise angeordnet und jeweils einander zugewandt. Mit ihren energischen Gesten scheinen sie in eine intensive Diskussion vertieft zu sein. Im Vergleich zu den Halberstädter Heiligen sind die Bamberger deutlich plastischer und lösen sich sogar teilweise von ihrem Untergrund ab. Besonders die Prophetenfiguren zeichnen sich durch tiefe Schüsselfalten an den Gewändern aus. Der Ursprung dieser Neuerungen ist nicht auf eine Quelle zu beschränken, vielmehr mischen sich hier Einflüsse aus verschiedenen Regionen (Frankreich, Deutschland), die möglicherweise durch die Buchmalerei oder die Goldschmiedekunst vermittelt wurden. Grabmäler

Ende des 11. Jahrhunderts entstand eine neue Kunstgattung, das Grabmal mit einer lebensgroßen Darstellung des Verstorbenen, dem bis dahin oft nur mit einer Inschrift und / oder einem Kreuz auf der Grabplatte gedacht worden war. Am Anfang dieser Entwicklung steht das Grabmal des Gegenkönigs Rudolf von Schwaben im Dom in Merseburg (nach 1080). Die bronzene Grabplatte misst in der Länge knapp zwei Meter und zeigt den liegenden König in Lebensgröße. Seine Ausstattung mit den Reichsinsignien, die prachtvolle Gestaltung der ursprünglich vergoldeten Grabplatte und die Platzierung des Grabes in der Vierung sind unmissverständlich als politische Demonstration zu verstehen, die sich auf dem Höhepunkt des Investiturstreits deutlich gegen den Kaiser wendet. Der neue Grabtypus wurde in der Folge auch in anderen Materialien ausgeführt. Die Grabmäler der drei Äbtissinnen (um 1129), heute in der Krypta der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg, sind in grauem Stuck gearbeitet; das Grabdenkmal der Stifterin Plektrud in St. Maria im Kapitol in Köln (um 1160) ist eines der ersten Beispiele aus Stein. Das steinerne Grabmal für Heinrich den Löwen und seine Frau Mathilde (um 1230) im Braunschweiger Dom ist das älteste, das für ein Ehepaar geschaffen wurde. Vermutlich war der Auftraggeber der Herzog von Braunschweig, Otto das Kind, der seinen Großeltern und damit seiner eigenen Herkunft ein monumentales Denkmal setzen wollte ( Jochen Luckhardt). Die Liegefiguren sind nicht als Porträts zu interpretieren, sondern zeigen vielmehr einen idealisierten Typus: Heinrich den Löwen als Herrscher mit Schwert und als Stifter mit dem Kirchenmodell in der Hand, Mathilde als tugendhafte Ehefrau, komplett verhüllt und betend. Erstmals wird hier in der Gestaltung der Gewänder die liegende Position der Figuren berücksichtigt. Aus dem deutschsprachigen Raum breitete sich diese Form des Grabmals mit der Darstellung des Verstorbenen rasch in die benachbarten Gebiete aus.

Die Skulptur

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Taufbecken und Lesepulte

Als Ende des 11. Jahrhunderts das Taufritual nicht mehr außerhalb der Kirche, sondern im Kircheninneren stattfand, entstand auch eine neue künstlerische Aufgabe: die Gestaltung von Taufbecken. In der Liturgie besetzt das Taufbecken einen zentralen Platz. Hier wird der Täufling von der Erbsünde reingewaschen und findet Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen. Entsprechend ist das Taufbecken der Ort, an dem sich Gut und Böse scheiden, was sich im Bildprogramm romanischer Taufbecken widerspiegelt. Häufig wird dies mittels Darstellungen aus der Tierwelt zum Ausdruck gebracht, so beispielsweise am Taufstein in der Pfarrkirche in Freudenstadt (um 1100), der mit einfachen Tierdarstellungen und Fabelwesen gestaltet ist. Der Taufstein in der Kirche St. Bonifatius in Freckenhorst (um 1129; Abb. 11) mit seinen detailreichen Reliefs gehört zu den herausragenden Werken aus dieser Zeit. Anders als der Freudenstädter Taufstein hat er keine Kelchform (Fuß und Cuppa), sondern ist zylindrisch. An der Außenwand verlaufen Reliefs in zwei Streifen übereinander; im unteren sieht man Daniel in der Löwengrube, Sinnbild für die Auferstehung Christi, darüber, unter gedrückten Arkaden, christologische Szenen. Diese beginnen mit der Verkündigung und enden mit dem Weltgericht. Sie spannen also den Bogen des Heilsgeschehens von der Fleischwerdung Christi bis zum Ende aller Zeiten. Auch bronzene Taufbecken sind überliefert, wie einige Bespiele aus dem ersten Drittel des 12. Jahrhunderts zeigen: So etwa das Taufbecken von Reiner von Huy in Lüttich – es ist zugleich einer der seltenen Fälle hochmittelalterlicher Kunst, in denen der Künstler greifbar ist; allerdings fehlt der Deckel, anders als bei dem bronzenen Taufbecken des Hildesheimer Doms. Ebenso wie die Taufbecken wurden auch Lesepulte, auf denen ein liturgisches Buch zum Vorlesen aufgeschlagen lag, aus unterschiedlichen Materialien hergestellt: Aus Holz besteht beispielsweise das Lesepult der Freudenstädter Stadtkirche (um 1150), das von den Evangelistenfiguren getragen wird. In derselben Zeit entstand das Lesepult im Naumburger Dom, dessen Buchablage von einer lebensgroßen Diakonsfigur aus Stein gehalten wird. Triumphkreuze

Kruzifixe aus Holz waren bereits Bestandteil der ottonischen Kunst und fanden vielfältige Nachfolge in der Zeit der Romanik. Wie in der ottonischen Kunst, wird die Auffassung des Gekreuzigten unterschiedlich interpretiert: Mal ist er als Sterbender dargestellt, wie der Kruzifixus aus St. Georg in Köln (um 1070), der nur als Torso überliefert ist, mal als Sieger über den Tod, wie das Forstenrieder Kruzifix (um 1200 – 1210). Bei Letzterem war Christus ursprünglich gekrönt und zugleich ist es eines der frühesten erhaltenen Beispiele für den sogenann-

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11  Freckenhorst, ehem. Frauenstiftskirche St. Bonifatius, Taufstein

Die Skulptur

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ten Dreinageltypus. Das heißt, die Füße Christi sind mit einem einzigen Nagel ans Kreuz geschlagen, während zu dieser Zeit der Viernageltypus, bei dem beide Hände und Füße mit je einem Nagel befestigt waren, noch üblich war. Beide genannten Beispiele waren ursprünglich höchstwahrscheinlich Triumphkreuze; sie hingen also erhöht in der Nähe des Kreuzaltars, der sich am Lettner befand. Eine weitere Variante zeigt das Imervard-Kreuz im Braunschweiger Dom (2. Hälfte des 12. Jh.). Der Kruzifixus ist nach der Inschrift IMERVARD ME FECIT (Imervard hat mich gemacht) benannt, die den Schnitzer namentlich überliefert. Dieser Typus des Gekreuzigten mit einer gegürteten Tunika bezieht sich auf den sogenannten Volto Santo, ein verehrtes Kruzifix im Dom zu Lucca. Eine Weiterentwicklung stellt die Halberstädter Triumphkreuzgruppe (um 1210 – 1215) dar, zu der neben dem Gekreuzigten Maria und Johannes sowie weitere Assistenzfiguren gehören. Mit der personellen Erweiterung wurden auch komplexere Bildprogramme möglich. Werke dieser Art befinden sich in der Stadtpfarrkirche in Freiberg und in der Stiftskirche in Wechselburg (beide um 1230 / 35). Skulptierte Bildwerke auf dem Altar

Die Tradition der thronenden Madonna, etwa der in Essen, wurde in der Romanik weitergeführt. Doch war sie nun nicht mehr unter Goldhüllen verborgen, sondern von Anfang an als polychrom gefasste Holzskulptur konzipiert, wie die Imad-Madonna in Paderborn (1051 / 58) und die Siechhaus-Madonna in Frankfurt (2. Hälfte des 11. Jh.; Frankfurt a. M., Liebieghaus) beispielhaft zeigen. Wie ihre frühen „Schwestern“ sind sie frontal ausgerichtet und blockhaft gestaltet. Die thronenden Madonnen wirken im Laufe der Zeit plastischer und lebendiger durch immer komplexere Gewanddrapierungen. Als Beispiel für diese Entwicklung steht die Muttergottes aus der Liebfrauenkirche in Halberstadt (heute Domschatz), die um 1230 entstanden ist und sich stilistisch mit der Halberstädter Triumphkreuzgruppe verbinden lässt. Aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammen auch die frühesten erhaltenen skulptierten Retabel, also Altaraufsätze, die im hinteren Bereich der Altarmensa (Altartisch) aufgestellt waren. Ihre Genese hängt mit dem Wechsel der Position des Priesters während der liturgischen Feier zusammen, die schon um 1000 stattfand. Anstatt wie bis dahin üblich hinter dem Altar zu stehen, zelebrierte der Priester die Messe vor dem Altar, den Rücken den Gläubigen zugewandt. Das früheste erhaltene Retabel befindet sich im Dom in Erfurt und stammt aus der Zeit um 1160. Die Figuren, eine thronende Madonna mit Heiligen, sind aus Stuck und waren ursprünglich polychrom gefasst. Als Relikte eines Retabels sind auch die steinernen Relieffiguren in der Kirche St. Pankratius in

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Oberpleis zu identifizieren (Ende 12. Jh.). Hier ist die thronende Muttergottes jedoch flankiert von Engeln und den Heiligen Drei Königen, die das Christuskind anbeten.

Goldschmiedearbeiten

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or allem wegen ihres hohen Materialwerts ist der Denkmalbestand der Goldschmiedekunst stark dezimiert: Häufig wurden diese Werke eingeschmolzen, um das Material einer neuen Bestimmung zuzuführen. Gold und Silber sowie vergoldete Kupferbleche sind die am häufigsten verwendeten Grundstoffe. Diesen wurden Edel- und Halbedelsteine appliziert; oft fanden auch antike Spolien Verwendung wie Gemmen und Kameen. Hinzu kommen Emailarbeiten, entweder in der Technik des Gruben- oder in der des Zellenschmelzes. Beim Grubenschmelz wird Glaspulver unterschiedlicher Farbe in eine Vertiefung gegeben. Während des Schmelzvorgangs fließen die Farben an ihren Rändern leicht ineinander, sodass die Grubenschmelz-Emails eine malerische Note besitzen, im Gegensatz zum Zellenschmelz, bei dem aufgelötete Stege dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Farben voneinander getrennt bleiben. Radleuchter und Antependien

Schon allein aufgrund ihrer Dimensionen sind Radleuchter und Antependien nicht den Kleinkunstwerken zuzurechnen. Von den Radleuchtern sind nur wenige erhalten. Besonders hervorzuheben ist jener in der Abteikirche St. Nikolaus in Großcomburg (vor 1139), da er ein besonders vielschichtiges Inschriften- und Bildprogramm besitzt. Kostbare Antependien sind größenbedingt oft fest mit dem Altar verbunden und betonen dessen Hoheit. Sie wurden noch bis zum Ende des 12. Jahrhunderts angefertigt, und das trotz des erwähnten Wechsels der Priesterposition, denn ganz offensichtlich wurde dieser nicht überall und auch nicht unmittelbar vollzogen. Aufgrund der Veränderung des Standorts des Priesters während der Messe wurde das Antependium an der Vorderseite des Altars vom Priester verdeckt und damit „funktionslos“. Als herausragendes Beispiel sei hier erneut das Kloster Großcomburg genannt, dessen Antependium zwar ein schlichtes Bildprogramm zeigt – Christus in einer Mandorla in der Mitte, ihm zu Seiten in zwei Streifen übereinander angeordnet die 12 Apostel –, aber einen umso auffälligeren Reichtum an Materialien und Techniken. Das Antependium besteht aus getriebenem

Goldschmiedearbeiten

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Kupferblech, das gepunzt, graviert und vergoldet wurde, einige Partien sind da­ rüber hinaus mit Emailarbeiten und Edelsteinen besetzt. Kleinkunstwerke

Weitaus zahlreicher erhalten sind hingegen die kleinformatigen Kunstwerke, die direkt in die Liturgie eingebunden waren, obwohl auch hier davon ausgegangen werden muss, dass die Bestände ursprünglich deutlich höher gewesen sind. Zu der wichtigsten Ausstattung eines Altars gehörte das Kreuz, das in der Romanik vor allem als crux gemmata gestaltet wurde, als Kreuz, das reich mit Edel- und Halbedelsteinen besetzt ist, wobei der Gekreuzigte entweder gänzlich fehlt oder nur in sehr kleinem Format erscheint. Hier knüpfte die Romanik an ottonische Traditionen und Vorbilder an. Weitere liturgische Geräte wie Kelche (für den Messwein) und Patenen (flache Teller für die Hostien) wurden aus kostbaren Materialien angefertigt und mit bildlichen Darstellungen verziert. Das hohe Maß an Mobilität der mittelalterlichen Menschen – es war die Zeit der Kreuzzüge und Pilgerreisen – brachte eine Sonderform des Altars hervor: den tragbaren, kleinformatigen Altar. Tragaltäre, wie etwa der Mauritius-Altar (um 1160; Siegburg, St. Servatius), wurden auf Reisen mitgeführt und waren in der Regel für ein Messopfer unter freiem Himmel gedacht. Sie besitzen eine einfache Kastenform, im Innern des Kastens ist eine Reliquie eingelassen. Als Altarplatte dient ein geweihter Stein, meistens eine Porphyr- oder Marmorplatte. Reliquiare und Schreine

Im Mittelalter blühte der Reliquienkult, da die Reliquie als materieller Widerschein des Göttlichen auf Erden galt. Man unterscheidet zwischen Primärreliquien, die Teile vom Körper eines Heiligen sind, und Sekundärreliquien, also Gegenständen, mit denen ein Heiliger in Berührung gekommen war. Die Behältnisse für Reliquien, die Reliquiare, besitzen die unterschiedlichsten Formen. Teils hat man ihnen die Gestalt von Miniaturarchitekturen gegeben, wie das Kuppelreliquiar aus dem Welfenschatz (um 1180 / 1200; Berlin, Kunstgewerbemuseum). In vielen Fällen haben die Reliquiare die Form jenes Körperteils angenommen, das sie in sich bergen, wie das Basilius-Armreliquiar (um 1073; Essen, Domschatz). Dasselbe gilt für Sekundärreliquien, deren Reliquiare die Form des Gegenstandes nachbilden, der in sie eingeschlossen ist. Während Reliquiare nur einen Teil vom Corpus eines Heiligen aufbewahren, ruht in einem Schrein der gesamte sterbliche Überrest. Schreine haben meist die Form eines Kastens mit Satteldach. Aus der Werkstatt des Nikolaus von Verdun (um 1130 – nach 1205) stammen drei Schreine, die zu den qualitätsvollsten dieser Zeit gehören. Für die Reliquien der Heiligen Drei Könige im Kölner Dom

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entwarf er einen Schrein, der aus drei miteinander verzahnten Sarkophagen besteht, sodass die Gesamtform an die Gestalt einer Basilika erinnert. Aus derselben Zeit (Ende 12. Jh.) stammt der Anno-Schrein, den Nikolaus von Verdun für die Benediktinerabtei in Siegburg schuf. In seiner maasländischen Heimat entstand um 1204 schließlich sein letztes uns bekanntes Werk, der Marienschrein in der Kathedrale von Tournai.

Die Malerei

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atürliche Zerstörung im Laufe der Jahrhunderte, Übermalungen während der nachfolgenden Epochen oder auch unsachgemäße Restaurierungen, insbesondere nachdem die Romanik im 19. Jahrhundert als „deutscher“ Stil wiederentdeckt worden war, sind für die problematische Überlieferungslage romanischer Wand- und Deckenmalerei verantwortlich und erschweren die kunsthistorische Analyse. Zweifellos ging jedoch mit der immer reicheren Ausstattung der Kirchen mit liturgischem Gerät auch ein entsprechend gesteigerter Reichtum an Wandmalereien einher. Die Zunahme bildlicher Dekoration veranlasste den Zisterzienser Bernhard von Clairvaux (um 1090 – 1153), dessen Orden auf Bauschmuck verzichtete, zu der berühmt gewordenen Schelte: „An den Wänden zeigt die Kirche ihren Glanz, an den Armen ihre Knickrigkeit. Ihre Steine bekleidet sie mit Gold, ihre Kinder lässt sie nackt. […] Warum haben wir nicht wenigstens vor den Bildern der Heiligen Ehrfurcht? Ist doch sogar der Boden, der mit Füßen getreten wird, voll davon.“ Bernhard von Clairvaux nutzte für seine Schelte zwar das rhetorische Stilmittel der Hyperbel (denn es war keineswegs üblich, den Fußboden mit Heiligen zu bekleiden), doch wird in diesem Ausspruch deutlich, dass von dem einstmals reichen Bilderschmuck heute nur noch ein schwacher Abglanz übrig geblieben ist. Selbst in der an romanischen Kirchen so reichen Stadt Köln existieren keine intakten Wandmalereien mehr; geblieben sind auch hier nur Fragmente in einem mittlerweile völlig veränderten Kircheninneren. Und dennoch können wir aus den Resten zuverlässig Schlüsse ziehen, was sich stilistisch änderte, welche neuen Bildprogramme sich etablierten und wie die Bilder an den Kirchenwänden, -decken und -kuppeln verteilt waren. Die klassische Rechtfertigung von Bildern in Kirchen, die wegen des alttestamentlichen Bilderverbots immer wieder vorgebracht und schon im 6. Jahrhundert von Gregor dem Großen geäußert wurde – „Was die Schrift für die ist, die zu

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lesen verstehen, das ist die Malerei für die Ungebildeten“–, diese Argumentation erfährt im 12. und 13. Jahrhundert eine doppelte Erweiterung: Auf bildlicher Ebene erscheinen immer häufiger Spruchbänder und Inschriften, sodass man schwer noch von einer schlichten Belehrung durch Bilder sprechen kann – diese Bilder waren ganz offensichtlich an das lesende Publikum gerichtet –, und auf philosophischer Ebene wurde das Bild über den Text gestellt (Stein-Kecks), was für eine so wortzentrierte Religion wie das Christentum äußerst bemerkenswert ist. Bilder, so lautete die Argumentation, treffen den Betrachter, erregen Mitleid unmittelbarer, befördern die Frömmigkeit stärker (Thomas von Aquin), als es das gehörte Wort kann. Was bis dahin zwischen Buchdeckeln gut aufgehoben war und nur selten den Augen der „Öffentlichkeit“ zugänglich, das konnte sich nun im Kircheninnern entfalten, und so scheint auch die Buchmalerei nicht mehr das Leitmedium gewesen zu sein, auch wenn sie rein quantitativ noch immer zunahm; die entscheidenden Neuerungen und Anregungen aber kamen aus der Wandmalerei. Das Themenspektrum erweiterte sich: Selten oder auch noch nie visualisierte Episoden des Alten oder Neuen Testaments wurden in Szene gesetzt und einzelne Sujets kanonisiert. Dies betrifft vor allem das Langhaus der Kirchen, denn hier ist der Ort, an dem sich dem Laienpublikum die biblia pauperum (Armenbibel) entfalten kann, während in der Apsis wie schon seit frühchristlicher Zeit noch immer die Maiestas Domini erscheint, genauer in der Kalotte, also der muschelförmigen Halbkuppel über der Apsis. Diese Platzierung der Maiestas-Darstellung war die einzige mehr oder minder gültige Regel der malerischen Ausstattung. Bereits in den römisch-antiken Basiliken war die Kalotte der Ort für Herr­scherbilder, ein Muster, das offenbar gemeinsam mit dem basilikalen Schema für die Kultstätten der christlichen Gemeinde übernommen wurde. Die früheste monumentale Maiestas Domini war als Mosaik in der Kirche Santi Cosma e Damiano in Rom um 530 zu sehen: Christus ist frontal stehend wiedergegeben, umgeben von Heiligen. Aus der Buchmalerei, dem Godescalc-Evangelistar, kennen wir bereits eine andere Form der Maiestas Domini, den thronenden Christus, mit der segnenden Rechten und dem Buch des Lebens in der Linken, und schließlich findet sich in vielen Apsiden auch der auf dem Regenbogen thronende Christus in der Mandorla. Fast immer ist er umgeben von Assistenzfiguren und Symbolen, seien es Engel und Stifter, Maria und Johannes, Heilige oder die vier apokalyptischen Tiere. Letztere wurden meist anhand der von ihnen gehaltenen Bücher inhaltlich zu Symbolen der Evangelisten erweitert. In der Regel sind diese Figuren vor einem flächigen, häufig goldenen oder blauen Grund aufgereiht, wobei in der Bildkomposition die Erweckung einer räumlichen Illusion keine Rolle spielt. Christus ist vielmehr mittels der Architekturhierarchie in die oberste, die himmlische Zone eingeord-

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net, die wiederum mit einer Maiestas Domini im Tympanon des Westportals korrespondieren kann. Unterhalb der Kalotte mit der Maiestas Domini finden sich an der zylindrischen Wand Darstellungen von Engeln, Aposteln, Heiligen oder auch Sinnbilder für das Weltgericht, so beispielsweise die Klugen und die Törichten Jungfrauen in der kleinen Burgkapelle St. Katharina in Hocheppan (um 1200; anstelle der üblichen Maiestas Domini befindet sich hier allerdings die thronende Muttergottes mit Kind; an der Außenwand sind die einzigen aus dieser Zeit bekannten Fresken mit profaner Thematik erhalten). Diese Figuren unterhalb der Kalotte sind meist als stehende Einzelfiguren nebeneinander gereiht, wobei die Apsisfenster wie etwa in St. Gereon in Köln als gliedernde Elemente eingebunden werden (Anfang 12. Jh.). Besonders schön ist diese Reihung in St. Peter und Paul aus dem frühen 12. Jahrhundert in Niederzell auf der Reichenau zu sehen: Die Apsiswand weist hier sogar zwei Register und eine Sockelzone auf, die jedoch nur noch als Mauerwerk gestaltet ist, gelegentlich mit gemaltem Marmor oder mit einem gemalten, gemusterten Vorhang versehen. In diesen sind bisweilen figürliche Stickereien integriert, die Grotesken, Atlanten oder Monster zeigen. Erst in der Sockelzone oder gar in den Fußbodenmosaiken kommen derartige mythologische und profane Themen zur Darstellung. Während die Apsis der Darstellung der Herrlichkeit Christi vorbehalten ist, finden die Erzählungen aus dem Leben Christi ihren Platz im Langhaus. Diese Szenen erstrecken sich über die Mittelschiffwand oder die zunächst flache, später auch immer häufiger gewölbte Decke. Dabei beginnt die Erzählung in der Regel an der Südwand im Westen, wechselt im Osten zur Nordwand, um dann wieder im Westen, am Ausgang der Kirche, zu enden. Auch in diesen Freskenprogrammen finden sich häufig typologische Gegenüberstellungen neutestamentlicher Szenen mit ihren alttestamentlichen Präfigurationen, vergleichbar denen der Bernwardstür in Hildesheim und wie man sie heute noch beispielsweise in der einschiffigen, überwölbten Sigwardskirche des Bischofs von Minden in Wuns­ torf-Idensen bei Hannover erahnen kann (um 1130). Dort wird die neutestamentliche Rettung durch die Taufe auf die alttestamentliche Rettung durch die Arche Noah bezogen, die Lösung der Zungen im Pfingstfest auf die babylonische Sprachverwirrung, das Weltgericht auf das Gleichnis von den Klugen und den Törichten Jungfrauen. Als einzigartig für die romanische Wandmalerei sind vor allem die Komposition und die regelrechte Einspannung der Figuren in die Fläche hervorzuheben (Otto Demus). Romanische Malerei durchbricht nicht die Wandfläche, sondern sie unterstützt sie vielmehr und betont die Raumgrenzen, und zwar im doppelten Sinn: Zum einen gibt es keinen illusionistisch gestalteten Bildraum, zum anderen

Die Malerei

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sind die Bildfelder entsprechend der Gliederung und Geometrie der Gebäudearchitektur gerahmt. Dort, wo die Apsiswölbung endet, endet auch das Bild in einem gemalten Rahmen. Diese Rahmen erinnern zugleich an die Buchmalerei mit der ihr eigenen Begrenzung des Bildes durch die Seite – weshalb auch jene aus der Miniatur bekannten Ornamente in der Wandmalerei nicht überraschen. Sie sind bereits in den Fresken aus ottonischer Zeit zu finden, etwa auf der Reichenau in St. Georg, Oberzell, aber auch in der von der Reichenauer Malschule beeinflussten St.-Michael-Kirche im schwäbischen Burgfelden (um 1070 / 80). Doch dienen derartige Rahmen nicht nur als äußere Begrenzung der Bilder entlang der Bauformen, sondern sie gliedern auch die Binnenstruktur der Bildprogramme, sei es als Trennung der einzelnen Szenen im Langhaus, sei es kompositorisch auffallender an den Mandorlen, die sich nicht in einem einzigen Strich, sondern gleich in mehreren Streifen um Christus legen. Besonders schön ist dies in den farbenprächtig restaurierten Fresken in der Apsis der Oberkirche von Schwarzrheindorf zu sehen (um 1150; Abb. 12), auch wenn die Fresken der Oberkirche qualitativ jenen der Unterkirche nachstehen, die als Höhepunkt der Kölner Malerei dieser Zeit gelten. Doch auch eine solche Gestaltung der Mandorla ist bereits in der Buchmalerei zu beobachten, etwa in der Maiestas-Domini-Darstellung im Codex Aureus Escorialensis, dem Evangeliar Heinrichs III. (1046) für den Speyerer Dom. Die Nähe der beiden Medien, der Wand- und der Buchmalerei, wird immer wieder offensichtlich. Kompositorisch ebenso eigenwillig wie die Rahmungen sind die bereits erwähnten Inschriften und Spruchbänder, die sich nicht nur in der Doppelkirche St. Maria und St. Clemens in Schwarzrheindorf finden, sondern auch beispielsweise in der Sigwartskirche in Idensen bei Hannover, in der ehemaligen Klosterkirche St. Georg in Regensburg-Prüfening (um 1120), im Braunschweiger Dom (zweites Viertel 13. Jh., einer der größten deutschen Wandmalereizyklen des Hochmittelalters), aber auch im Kapitelsaal der ehemaligen Benediktinerabtei in Brauweiler (Mitte 12. Jh., die 28 Szenen stehen beispielhaft für ein noch erhaltenes romanisches Bildprogramm in einem Kapitelsaal). Fast scheint es, dass kaum noch ein Bild ohne Schriftzeichen auskommt. Die deutenden Inschriften in Hexametern oder Kommentarfiguren mit Spruchbändern sorgen für eine neue, bis dahin unbekannte Verknüpfung von Bild und Schrift – übrigens nicht nur in der Wandmalerei, sondern auch bei Reliquien, liturgischem Gerät oder Textilien –, die zugleich deutlich macht, dass es sich nicht mehr einzig und allein um eine biblia pauperum, um eine Bilderbibel handelt (Stein-Kecks): Diese Bilder wurden für das gebildete, für das lesende Publikum geschaffen, also für die Elite (Kleriker, Adel, zum Teil auch schon für städtische Patrizier).

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12  Schwarzrheindorf, Doppelkirche St. Maria und St. Clemens, Oberkirche, Wandmalereien der Apsis

Die Inschriften finden sich gleichermaßen in der Buchmalerei, für die von jeher die engste Verbindung von Schrift und Bild charakteristisch ist. Ein besonders prächtiges Beispiel ist das Evangeliar Heinrichs des Löwen, das in Helmarshausen um 1180 für den Braunschweiger Dom entstand (heute in Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek). Es beinhaltet eine Fülle an Beschriftungen und Spruchbändern, unter anderem in den Widmungsbildern, und gilt aufgrund der Komplexität seines Bildprogramms wie auch als Prachtcodex als einzigartiger Höhepunkt der Buchmalerei des 12. Jahrhunderts. Allgemein aber wurde für die romanische Buchmalerei die Bebilderung der Bibel zur zentralen Aufgabe, wäh-

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rend die Prachtcodices, wie wir sie aus karolingischer und ottonischer Epoche noch kennen, ihre Bedeutung verloren. Als komplett erhaltene romanische Deckenmalerei (hier nicht auf Putz, sondern auf Eichenholz) gilt jene in St. Michael in Hildesheim, die zwischen 1186 und 1250 entstand. Damit gehört sie bereits der Spätphase der Romanik an und zeigt den auch die sächsische Buchmalerei prägenden Zackenstil. In einzelne Bildfelder unterteilt, ist eines der beliebten Bildmotive mittelalterlicher Malerei dargestellt, der Stammbaum Christi, auch als Wurzel Jesse bezeichnet. Die Deckenmalerei beginnt im Westen mit Seth, demjenigen Sohn Adams, der aus dem Samen des Baumes der Erkenntnis den Baum gezogen haben soll, aus dessen Holz das Kreuz Christi gezimmert werden sollte; der Zyklus endet im Osten mit der Maiestas Domini. Eine weitere einzigartige Holzdecke aus dieser Zeit ist im graubündischen Zillis in der Kirche St. Martin erhalten geblieben. Sie ist insofern außergewöhnlich, als sich hier romanische Ungeheuer auch in der himmlischen Deckenzone tummeln: Die 105 Bildfelder zeigen vier Dutzend Darstellungen von Meerwundern und Monstern (um 1130 / 40). Schließlich wurden auch die Fenster in das reiche Programm der Kirchendekoration miteinbezogen. Erste gesicherte Zeugnisse der Glasmalerei finden sich im Augsburger Dom (nach 1132). Noch frühere Funde wie etwa jene aus dem Kloster Lorsch (Lorscher Kopf, Landesmuseum Darmstadt) lassen sich hingegen nur schwer einordnen – sie geben mehr Diskussionsstoff denn Zeugnis einer karolingischen oder ottonischen Glasmalerei, zumal sie nur in Fragmenten erhalten sind. In Augsburg aber haben wir mit den fünf ganzfigurigen monumentalen Prophetengestalten (Daniel, Hoseas, David, Jonas und Moses) auch fünf beinahe vollständig überlieferte Fenster romanischer Glasmalerei, die ursprünglich Teil eines 22 Glasfenster umfassenden Programms von Obergadenfenstern waren. Auch hier sind Schriftbänder integriert und auch hier sind die 12 Propheten des Alten Testaments den 12 Aposteln des Neuen gegenübergestellt – ein Programm, das später im Straßburger Münster übernommen wurde. Zudem sind im Augsburger Dom erstmals in der Glasmalerei jene mehrfarbigen Steininkrustationen zu sehen, die ganz wesentlich zum Glanz und zur Buntfarbigkeit gotischer Fenster beitragen. Die Arbeit am Bildschmuck der Kirchen war eine Arbeit am Haus Gottes und der Maler wurde den Autoren heiliger Texte gleichgestellt; aber wie reich auch immer die Wandmalereien und Glasfenster waren, Susanne Wittekind vermerkt anschaulich, dass der eigentliche Schatz der Kirchen das liturgische Gerät war: Ein Gemmenkreuz war ideell wertvoller und teurer als der gesamte Kirchenbau.

Die Kunst der Gotik Historischer Rahmen

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as 11. und 12. Jahrhundert waren das Zeitalter der Kaiser, zunächst der Ottonen, dann der Salier und zuletzt der Staufer, deren Kaisertum mit der Absetzung Friedrichs II. 1245 endete. Die nachfolgenden Jahrzehnte, von 1245 / 1254 bis 1273, werden als Interregnum bezeichnet, da keiner der in dieser Zeit gewählten vier Könige Herrschermacht faktisch ausüben konnte. In diesen Jahren bildete sich der Kreis der Königswähler: das Kurfürstenkollegium, dem die drei geistlichen Fürstbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie die vier weltlichen Fürsten (der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen) angehörten. Sie wählten 1273 Rudolf von Habsburg zum König, mit dem die Phase der „Grafenkönige“ (Bernd Schneidmüller) beginnt. Ihm folgten etliche Könige und Kaiser aus dem Geschlecht der Nassauer, Wittelsbacher und Luxemburger, unter Letzteren die Kaiser Karl IV. und Sigismund. Danach übernahm das Geschlecht der Habsburger in der Gestalt Albrechts II. im Jahr 1438 die Macht und zwei Jahre später sein Vetter Friedrich III., dessen Nachfolger (mit einer Ausnahme) bis zur Auflösung des nunmehr Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 die Könige und Kaiser stellten. Der Wandel der spätmittelalterlichen Gesellschaft

Das 13. Jahrhundert wurde von zwei Kräften bestimmt: auf der einen Seite dem hohen Klerus, insbesondere den Bischöfen, auf der anderen Seite dem Rittertum. Der Klerus war die Triebfeder für den Bau der Dome, das Rittertum der späten Stauferzeit die für die ungezählten Burgen. Das 14. und 15. Jahrhundert schließlich sollte das Zeitalter des städtischen Bürgertums werden.

Historischer Rahmen

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Erste Ausbrüche bürgerlicher Emanzipation reichen jedoch bis in das 11. Jahrhundert zurück. Der Aufstand der Kölner Bürger gegen ihren Erzbischof ­Anno II. im Jahr 1076 ist eine der ersten großen Revolten des Bürgertums gegen ein kirchliches Stadtoberhaupt, die damals noch vom Bischof erfolgreich niedergeschlagen wurde, wie auch noch knapp vierhundert Jahre später die Mainzer Stadtfreiheit (1462). Dennoch hat sich im späten Mittelalter das Bürgertum sein Mitspracherecht erkämpft und in vielen Städten die Herrschaft übernommen. Nur in Ausnahmefällen konnten sich die Bischöfe als stärkste Kraft in ihren Städten behaupten (Würzburg, Passau, Salzburg). Das neue Selbstbewusstsein entwickelte sich im Lauf des 12. und 13. Jahrhunderts, als Teile des Bürgertums durch Handel zu Wohlstand gelangten. Diese gewandelten politischen und sozialen Verhältnisse spiegeln sich nicht zuletzt auch im Denkmalbestand wider, denn statt Domen wurden nun von den Stadtbürgern mächtige Pfarrkirchen (Freiburger Münster, Ulmer Münster, St. Marien in Lübeck) sowie Rathäuser errichtet und es entstanden neue Typen von Profanbauten wie Stadttore, Spitäler und großbürgerliche Wohnbauten. Waren im 12. und 13. Jahrhundert zahlreiche Städte gegründet worden (z.  B. München und Lübeck), so wurden das 14. und 15. Jahrhundert zur Phase des Auf- und Ausbaus dieser Städte. Die Pest, die 1348 erstmals in Europa wütete, dezimierte die Bevölkerung in den aufblühenden Städten empfindlich. Das Zusammenleben der Menschen auf engstem Raum unter schlechten hygienischen Bedingungen bot in der spätmittelalterlichen Stadt der Ausbreitung der Seuche den idealen Nährboden. Doch brachte der „Schwarze Tod“ neue Formen der Frömmigkeit hervor, die sich in eigenen künstlerischen Ausdrucksformen äußerten. Der Begriff „Gotik“

Der italienische Kunsttheoretiker Giorgio Vasari (1511 – 1574) sprach verächtlich von der maniera tedesca oder maniera gotica (deutsche oder gotische Manier). Er leitete den Begriff von den Goten ab, die neben anderen germanischen Stämmen an Plünderungen Roms und damit des antiken Erbes beteiligt gewesen waren. In Vasaris Nachfolge setzte sich die irrtümliche Ansicht durch, die Gotik habe ihren Ursprung in Deutschland gehabt. Zeitweilig wurde auch England als Ursprungsland der Gotik ins Gespräch gebracht. Richtig daran ist, dass die anglonormannische Architektur wesentlichen Anteil an den für die Gotik wegbereitenden Schritten hatte. Als Ursprungsland der Gotik kann man England deshalb jedoch keineswegs bezeichnen. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts setzte sich wieder die Erkenntnis durch, dass die Gotik in Frankreich ihren Ausgang genommen hatte. Doch bereits im Mittelalter wurde die gotische Baukunst Frankreichs als opus francigenum bezeichnet.

Die Kunst der Gotik

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Hatten die Renaissancetheoretiker Leon Battista Alberti (1404 – 1472) und Giorgio Vasari den Stilbegriff „gotisch“ noch retrospektiv abwertend verwendet, so spielte er in der Nationwerdung Deutschlands im 19. Jahrhundert eine genau entgegengesetzte Rolle. Selbst in der deutschen Kunstgeschichtsschreibung bemühte man sich lange Zeit darum, die eigentlichen Verdienste der Gotik in Deutschland zu verorten. So konnte sich das schon von den Frühhumanisten erfundene Klischee vom gotischen Spitzbogen, der von Baumeistern, die in den Wäldern des Nordens hausten, erfunden worden sein müsse, bis ins 20. Jahrhundert halten und kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) beteiligte sich aktiv an dieser Diskussion. In seinem Aufsatz Von Deutscher Baukunst (1795) beschrieb er das Straßburger Münster als „das größte Meisterstück der deutschen Baukunst“ und verglich den Turm mit einer schlank aufsteigenden Buche.

Die Architektur Die Île-de-France und die gotischen Bauprinzipien

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er Anfang des neuen Baustils lässt sich in der Region Île-de-France (Großraum um Paris) verorten: Hier, in der Kathedrale von St. Étienne in Sens und in der ehemaligen Abteikirche St. Denis nahm um 1130 die Gotik unter Erzbischof Henri de Sanglier und unter Abt Suger mit dem spitzbogigen Hochchor und Langhaus (Sens) und mit dem Westbau und einem Chorumgang, der erstmals mit einem Kreuzrippengewölbe überfangen war (St. Denis), ihren Ausgang. Gut hundert Kilometer nordöstlich von Paris entstanden die frühen gotischen Kathedralen von Reims und Amiens, von Laon und Soissons. Ihren ersten Höhepunkt erreichte die Kathedralgotik nicht weit von Paris entfernt: in Chartres (begonnen 1194). Diese Entwicklung war den Zeitgenossen bewusst, denn gelegentlich reichte bereits der Hinweis eines Baumeisters, er sei soeben aus Paris zurückgekehrt, um ihm den nächsten Auftrag zu sichern (so geschehen in Wimpfen in der ehemaligen Ritterstiftskirche St. Peter im Tal um 1270). Schon früh wurde darauf verwiesen, dass Gestaltung und Konstruktion gotischer Kirchen ineinander greifen und einander bedingen. Selten aber wurden sie wirklich im Zusammenhang beschrieben und häufig verkannte man die Tatsache, dass die Konstruktionsprinzipien selbst bereits in der Romanik bekannt

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waren und angewandt wurden, dass aber der Umgang mit den Konstruktionen und insbesondere die damit zusammenhängende „Inszenierung des Lichts“ das eigentliche gotische Novum darstellen (Binding 2006). Über den in Deutschland drei- bis fünfschiffigen gotischen Basiliken oder Hallenkirchen spannen sich Kreuzrippengewölbe, deren Rippen an den vier Enden des Gewölbejochs durch Pfeiler gestützt werden – als Joch (mittelhochdeutsch: das Zusammenbindende) bezeichnet man die zwischen vier Stützen gebildete, quasi „zusammengebundene“, räumliche Einheit. Während sich in der ottonischen St. Michael Kirche in Hildesheim noch einfache Säulen und Pfeiler abwechselten, so übernehmen nun ganze Pfeilerbündel die stützende Funktion. Diese Pfeiler können etwa als Rundpfeiler oder Kreuzkernpfeiler ausgebildet und von Diensten umstellt sein – als Dienst bezeichnet man die im Querschnitt keinen vollständigen Kreis ergebenden, schlanken und sich verjüngenden Säulchen, die sich an einen Pfeiler oder an eine Wand schmiegen; sind es mehrere, so spricht man von einem Dienstbündel. Diese Dienste reichen in der Gotik häufig mit kaum einer oder gar keiner horizontalen Gliederung (Kapitell) vom Boden bis zur Decke, wo sie dann über das Gewölbe hinweg als Gurtbogen (quer zur Längsachse des Schiffes) beziehungsweise als Rippe (diagonal) gezogen werden und sich im Spitzbogen treffen beziehungsweise im Schlussstein des Gewölbes enden. Die zu den Seitenschiffen hin endenden Bögen der Joche werden als Schildbögen bezeichnet. Diese neuartige, durchgehende Gestaltung der Dienste ist erstmals in St. Denis zu finden, dann aber auch in Straßburg und Köln. Das für die Gotik so charakteristische Kreuzrippengewölbe kann dabei vierteilig sein (entsprechend entstehen vier Gewölbekappen), ist häufig aber auch sechsteilig ausgebildet. Vor allem in der Hoch- und Spätgotik erfuhr es eine Verfeinerung in Form von prächtigen Sternen-, Netz- und Fächergewölben, deren nunmehr zahlreiche Rippen sich ornamental über das Gewölbe spannen. Diesen Rippengewölben im Innern des gotischen Baus entsprechen die den Außenbau dominierenden Strebewerke, die wie Arme über den Dächern der Seitenschiffe oder am Chorumgang sichtbar werden und die Konstruktion nach außen hin abstützen. Als Strebewerk bezeichnet man die Einheit aus Strebebögen und Strebepfeilern, wobei die Bögen am Dach des Hauptschiffes ansetzen und den Gewölbeschub sowie die Windlast über die Pfeiler in das Fundament ableiten. Anfangs war das Strebewerk noch unter den Dächern der Seitenschiffe versteckt, entwickelte sich dann aber zu einem außen liegenden offenen Strebewerk, das je nach Größe des Gebäudes auch zwei- oder dreistöckig sein kann – auch hier wurden immer mehr, teilweise konstruktiv-stützende Ornamente eingefügt. Von einem regelrechten Strebewerk kann allerdings nur bei Bauten mit basilikalem Schema, das heißt mit erhöhtem Mittelschiff, die Rede sein – den in

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Deutschland weit verbreiteten Hallenkirchen genügten die wesentlich einfacheren Strebepfeiler zur Lastenverteilung. Der Wandaufbau im Kircheninnern ist nicht einheitlich gestaltet: Er kann zwei-, drei- oder viergeschossig sein, auch wenn der dreigeschossige Aufbau mit Arkaden im Erdgeschoss, anschließendem Triforium (ein zum Mittelschiff hin offener Gang) und von Fenstern durchbrochenem Obergaden als „klassisch“ bezeichnet wird; dazu später mehr im Zusammenhang mit dem Kölner Dom. In Deutschland erfreute sich der zweigeschossige Wandaufbau großer Beliebtheit und in den Hallenkirchen muss man konsequenterweise sogar von nur noch einer Arkadenzone sprechen. Wie viele Geschosse aber auch immer die Innenwand aufzeigen mag, neben den eindrucksvollen Gewölben sind es vor allem die Maßwerkfenster und die unterschiedlich gestalteten Pfeiler, die den Innenraum beherrschen und strukturieren. Der Beginn der Gotik in Deutschland

Es sind diese Bauformen, die um 1235 in Deutschland erste Spuren hinterlassen, indem sie zunächst nur in einzelnen Bauteilen auftreten. So finden wir etwa ein Maßwerkfenster am Wormser Dom, ein Kreuzrippengewölbe im Mittelschiff im Dom zu Mainz, ein Triforium im Bonner Münster oder Spitzbögen am Bamberger Dom, aber diese Bauten bleiben der Romanik noch stark verbunden. Als ein Bau des Übergangs ist der Limburger Dom (um 1180 / 1190 – 1235) zu bezeichnen, der im Innern zwar erstmals das viergeschossige Prinzip der frühgotischen Kathedralen von Noyon und Laon umsetzte (das heißt, über den Arkaden folgt ein Emporengeschoss, darüber ein Triforium und dann der Obergaden), aber von seinem gesamten Raumeindruck immer noch der Romanik verhaftet bleibt, was besonders die niedrig angesetzten Arkaden des Untergeschosses deutlich machen. Auch in seinem äußeren Erscheinungsbild ist der Limburger Dom eher atypisch für die Gotik, zugleich aber typisch für die deutsche Rezeption des opus francigenum, die häufig Bezug nimmt auf die regionale Formensprache. Auch die Kölner ehemalige Stiftskirche St. Gereon muss man noch als Übergangsbau bezeichnen, obwohl auch hier wie in Limburg der viergeschossige Wandaufbau erscheint, ebenso wie in Naumburg und Magdeburg (Grundsteinlegung 1207). Der Magdeburger Dom gilt gemeinhin als Gründungsbau der deutschen Gotik, verfügt doch der Umgangschor im Osten über den ersten vollständigen Kapellenkranz auf deutschem Boden und über ein Emporengeschoss sowie bereits über ein recht schmales Mittelschiff bei zugleich hohem Obergaden. Dennoch dominiert am Außenbau weiterhin der für die Romanik charakteristische Eindruck einzelner massiver Blöcke.

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Trier, Marburg und die Zisterzienser

Es war die Liebfrauenkirche in Trier (1235 – 1260), bei der sich die gotischen Prinzipien erstmalig im Heiligen Römischen Reich auf die gesamte Baustruktur auszudehnen begannen. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Trierer Dom ist die Liebfrauenkirche auch die erste Kirche, von der wir eine vollständige Grundrisszeichnung besitzen. Beide Sakralbauten erheben sich über einer antiken Doppelbasilika, aber nur bei der Liebfrauenkirche entschied man sich für einen Neubau in gotischen Formen über zentralem Grundriss. Ihr Chor besitzt zweibahnige Maßwerkfenster mit Sechspässen und über der Vierung spannt sich ein damals bemerkenswertes 16-teiliges Gewölbe. Zur selben Zeit findet sich ein vergleichbarer Fensteraufbau im Dreikonchenchor der Marburger Elisabethkirche (ab 1235), die ebenfalls als eigenständige gotische Lösung gilt und im letzten Drittel des Jahrhunderts im Westen bereits aufwendig gestaltete Maßwerkfenster mit sechs Bahnen zeigt. Dennoch haben auch diese beiden Kirchen die Möglichkeiten des neuen Baustils nicht ausgeschöpft; Bruno Klein spricht von einem Potpourri, einem Eklektizismus, der auch in der Anlage als Zentral-Memorial-Bau (Trier) beziehungsweise als Hallenkirche mit Dreikonchenchor (Marburg) zum Ausdruck kommt, denn die großen Vorbilder in Frankreich zeigen ein basilikales Schema. Allerdings wurde mit der Marburger Hallenkirche der Prototyp geschaffen, an den alle späteren Hallenbauten anschließen konnten, und tatsächlich sollte sie der vorherrschende Bautypus deutscher Spätgotik werden. Neben der geografischen Nähe, beispielsweise Triers, zu Frankreich waren bisweilen auch strukturelle Verbindungen in das Ursprungsland der Gotik einer frühen Rezeption in Deutschland förderlich. So lag das Mutterkloster der Zisterzienser Cîteaux in der Nähe des burgundischen Dijon, sodass der Orden in seinen Bauten auch im Heiligen Römischen Reich schon früh auf gotisches Formenvokabular zurückgreifen konnte, etwa Kreuzrippengewölbe (Clairvaux, Pontigny) oder Chorumgang mit Kapellen (Pontigny, Cîteaux). Dafür stehen ­exemplarisch die Zisterzienserklosterkirchen in Walkenried (um 1209 begonnen), Haina (um 1215 begonnen), Marienstatt (um 1243 begonnen) oder Altenberg (ab 1259), die zu den frühesten gotischen Bauten auf deutschem Boden überhaupt zählen. Für die Verbreitung des gotischen Spitzbogens wie auch des Rippengewölbes wurden diese Zisterzienserbauten vorbildlich. Dabei entwickelten sie sehr früh schon Formen des dekorativen Gewölbes, und zwar nicht nur in den Kirchen, sondern auch in ihren Klostergebäuden; ein später Höhepunkt ist das Sommerrefektorium in Bebenhausen bei Tübingen (1335). Diese Lösungen hatten auch entscheidenden Einfluss auf die vom englischen Decorated Style abhängige Entwicklung der Netz- und Sterngewölbe. Das vermutlich früheste Sterngewölbe auf dem Festland

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zeigt noch Ende des 13. Jahrhunderts das Tochterkloster von Doberan in Pelplin, etwa fünfzig Kilometer südlich von Danzig. Hochgotik in Köln und Strassburg

Eine neue Dimension erreicht der gotische Kirchenbau mit dem Kölner Dom. Nicht nur für Deutschland wird hier ein neues Kapitel aufgeschlagen, auch im europäischen Vergleich muss man von einer eigenständigen gotischen Lösung sprechen. Den Zeitgenossen erschien der Kölner Dom jedoch längst nicht so, wie wir ihn heute betrachten können, denn dieser Kirche kam wie wohl kaum einer anderen die Erfindung der Bauzeichnung zugute. Als im 19. Jahrhundert die Gotik wiederentdeckt wurde, vollendete man den Dom fast 600 Jahre nach der Grundsteinlegung gemäß den alten Plänen. An der Stelle, an der schon im 6. Jahrhundert eine Kirche gestanden hatte, seit dem 9. Jahrhundert aber der Alte Dom mit seinem berühmten Gerokreuz und dem Dreikönigsschrein, wurde ab 1248 damit begonnen, den Alten Dom abzureißen und den Neuen zu errichten. Nachdem 1164 die Gebeine der Heiligen Drei Könige von Mailand nach Köln transferiert worden waren, konnte der Alte Dom die Menge der Pilger nicht mehr fassen. Köln, die damals größte Stadt des Reiches, war auch eines der wichtigsten europäischen Wallfahrtsziele. Als eine Gründung des Erzbischofs Konrad von Hochstaden, ist der Neue Kölner Dom der damals aufwendigste Bau und mit seiner mächtigen Westfassade noch heute unübertroffen. Sein Gründer war einer der mächtigsten Kirchenfürsten seiner Zeit, der sich politisch zu positionieren wusste und sich während der Regierungszeit des Staufers Friedrich II. auf die Seite des Gegenkönigs Wilhelm von Holland schlug. So ist der Dom Konrads von Hochstaden als Ausdruck kirchlichen Selbstbewusstseins zu lesen, als Manifest gegen den Stauferkönig. Die Ausrichtung an der französischen Architektur ist offensichtlich. Der Chor mit seinen fast 50 Metern Höhe geht unmittelbar auf die Kathedrale von Amiens zurück und schließt damit in bisher ungesehener Konsequenz an das opus francigenum an, aber anders als sein französisches Vorbild ist der Kölner Dom fünf- und nicht dreischiffig. In seinem nunmehr nur noch dreigeschossigen Wandaufbau (Arkade, Triforium und Obergaden; in den Kathedralen von Chartres, Amiens oder Reims vorgebildet) sind die Proportionen der Bündelpfeiler gestreckter und das Triforium ist in einem bisher ungekannten Maß filigran durchfenstert und damit in das Farb- und Lichtspiel einbezogen. Sowohl der Chor als auch später das Langhaus sind mit diesem durchlichteten Triforium gestaltet worden, das kurz zuvor noch im Limburger Dom von einer Mauer verschlossen und damit ein blinder Laufgang war. Wenige Jahre davor hatte es nur die geschlossene Wandfläche gegeben, die eben jener Ort für Malereizyklen der

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13  Köln, Dom St. Petrus und ­Maria, Innenansicht

Romanik gewesen war. In der Gotik sind kaum noch geschlossene Flächen an den Mittelschiffwänden vorhanden. Damit musste die Wandmalerei ihre Aufgabe an die Glasmalerei abgegeben, wobei die Form der Fenster eine immer aufwendigere Gestaltung erfuhr. So sehen wir in der Obergadenzone des Kölner Doms nicht mehr nur zwei­ bahnige Fenster, sondern bereits vierbahnige Maßwerkfenster mit Säulchen, Kapitell und Basis, in deren Kreise Drei- und Vierpässe oder auch sogenannte gestapelte Dreipässe eingefügt sind. Bekrönt werden sie von mit Krabben besetzten Wimpergen (mit Blattdekor versehene Ziergiebel). Der Eindruck des Emporstrebens wird unterstützt durch die mittleren Dienste der Rundpfeiler im Chor (Abb. 13), die ohne gliedernde Kapitelle vom Boden bis an die Decke reichen und dort als Rippen im Schlussstein enden. Verklammert werden die Fenster des

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Triforiengeschosses mit jenen des Obergadens durch den durchlaufenden Maßwerkpfosten in der Mitte. Auch die mächtige dreistöckige Zweiturmfassade unterstreicht die Höhenwirkung des Doms: Der streng symmetrische Aufbau der Dreiportalanlage – im sogenannten Fassadenriss F um 1300 festgehalten – zählt zu den harmonischsten seiner Zeit. Er zeigt mit seinen Giebeln, Fialen (türmchenartige Zieraufsätze) und Maßwerkfenstern, Kreuzblumen, Schleierwerk (filigranes vorgeblendetes Maßwerk) und Wimpergen den ganzen Reichtum der Epoche und überträgt die Gestaltung der Innenwände nach außen. Dabei wird die Fassade durch die beiden Kirchtürme nicht einfach nur dominiert, vielmehr scheint sie vollständig über die beiden Kirchtürme definiert zu sein. So ist die mittlere, zwischen die Türme gestellte Hauptportalzone weitaus schmaler als die Türme selbst, deren weit in die Höhe ragenden, mit Maßwerk durchbrochene Helme vorbildlich für viele Turmprojekte werden sollten. In seinen Dimensionen hat der Kölner Dom die französischen Kathedralen übertroffen, in seiner Systematisierung ist er einzigartig: Der eben erwähnte Rundpfeiler im Chor ist der einzige Pfeilertyp, der im gesamten Bau zur Anwendung kommt (Bruno Klein). Erstmals in Deutschland ist hier das offene Strebewerk am Außenbau voll ausgebildet und reich geschmückt. Jetzt erst sehen wir einen gotischen Bau, dessen ganzer Baukörper zu leuchten und gen Himmel zu streben scheint und sich von der Romanik und ihren massiven, bodenständigen Formen im Innenraum wie auch am Außenbau gelöst hat. Vorbilder gab es in der Tat auch für den Kölner Dom zahlreiche (etwa in der Abteikirche St. Denis mit einem durchfensterten Triforium); aber vor allem im Hinblick auf die Wandgestaltung kann man festhalten, dass die Wandflächen erst in Köln konsequent und bis zum letztmöglichen Grade ausgedünnt erscheinen. Der Chor mit seinem Kapellenkranz und das südliche Seitenschiff mit seinem teilweise errichteten Turm (zwei Geschosse) sind die einzigen Bauteile, die, als 1528 die Arbeiten komplett eingestellt wurden, bereits fertig waren. Es waren jedoch beinahe alle Bauteile des Doms fundamentiert, auch war das so charakteristische zweigeschossige Strebewerk am Außenbau des Chores sichtbar. Nachdem die Bauarbeiten fast 300 Jahre geruht hatten, wurde der Dom ab 1842 fertig gebaut. Vollendet im Jahr 1880, ist der Kölner Dom in seinem heutigen Aussehen mit einem fünfschiffigen Langhaus, einem dreischiffigen Querhaus und einer mächtigen Zweiturmfassade im Westen noch immer das dritthöchste Kirchengebäude der Welt. Wie der Kölner Dom so zählt auch das Straßburger Liebfrauenmünster (Cathédrale Notre-Dame) zur deutschen Hochgotik und ist nicht nur das Resultat stilistischer Übernahmen und Aneignungen, sondern vor allem auch Manifest

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14  Straßburg, Münster, Westfassade

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eigenständiger Gestaltung. Auch wenn im Osten noch die rheinischen Strukturen der Spätromanik erkennbar sind und obwohl nur einer der beiden Türme zur Ausführung kam, ist die Westfassade (begonnen 1277; Abb. 14) ein weiterer Höhepunkt gotischer Fassadengestaltung. Erstmals können wir hier deren verschiedene Bauphasen sogar anhand von Originalplänen nachvollziehen (Musée de l’Œuvre de Notre Dame, Strasbourg). Was die Entwicklung und Anwendung der Bauzeichnung im Mittelalter betrifft, muss die Straßburger Bauhütte wohl als die wichtigste bezeichnet werden. Unklarheit herrscht allerdings darüber, ob Erwin von Steinbach (um 1244 – 1318) als der erste Baumeister gelten darf – obwohl er ebenso wie Ulrich von Ensingen (um 1350 – 1419, er wurde vor allem als Erbauer des Ulmer Münsters mit seinem höchsten Kirchturm der Welt bekannt) nachweislich in Straßburg tätig war. Freiplastisch gearbeitetes Maßwerk überzieht die Fassade teilweise in drei Schichten, dessen Stäbe ähnlich den Saiten einer Harfe frei vor der Wand stehen (Harfenmaßwerk im Gegensatz zum Blendmaßwerk). An der Straßburger Fassade wurde eine Reihe von Neuerungen eingeführt, auf die Köln bereits zurückgreifen konnte, beispielsweise die sogenannten Nasen an den Lanzettbogen (enge und steile Form des Spitzbogens) oder der Dreistrahl (ein gelängter Dreipass). Die über dem Hauptportal angebrachte Fensterrose vom Ende des 13. Jahrhunderts zählt mit über zwölf Metern Durchmesser zu den größten der Gotik und ist ebenfalls in zwei Schichten konstruiert, sodass bei Sonneneinstrahlung zugleich ein bewegtes Licht- und Schattenspiel entsteht. Diese Rad- oder Rosenfenster prägen ganz wesentlich das Erscheinungsbild gotischer Dome und Kathedralen (ausgehend von den Rosenfenstern von NotreDame in Paris um 1250). Sie entwickelten sich wie die Maßwerkfenster von einfachen Formen, nämlich dem Oculus (Rundfenster), bis hin zu filigranen und reich gegliederten Fensterrosen. Auch wenn sie im Heiligen Römischen Reich nicht so verbreitet waren wie in den anderen europäischen Ländern, finden sie sich bereits um 1220 am Wormser Dom oder um 1350 in St. Lorenz in Nürnberg. Dabei erscheinen die Rosenfenster nicht nur monumental an den Eingangsfassaden im Westen, sondern auch in den Lang- und Querhäusern. Unverglast und als rein dekoratives Element wurden sie sogar auf den Profanbau übertragen, so etwa an den Giebeln des Rathauses von Tangermünde (um 1430). Die Spätgotik und ihre Baumeister

Aus keiner vorhergehenden Epoche sind uns so viele Baumeister namentlich bekannt wie aus der Gotik: In Frankreich zählen zu den wichtigsten Abt Suger (1081 – 1151; er war maßgeblich an der Planung seiner Abteikirche St. Denis beteiligt) und Villard de Honnecourt (um 1230 – 1235 nachweisbar; er hatte be-

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deutenden Anteil an der Planung der Kathedrale von Chartres und ein berühmtes Bauhüttenbuch ist von ihm überliefert); aus der Kölner Dombauhütte sind Meister Gerhard, Meister Arnold und sein Sohn Johannes, aus der Straßburger Erwin von Steinbach und Ulrich von Ensingen überliefert. Parallel zur Kenntnis der Baumeister nehmen auch deren überlieferte Selbstzeugnisse in Form von Selbstporträts zu und zeugen von einem neuen Selbstbewusstsein. Letzteres äußerte sich schließlich auch darin, dass sie sich immer weniger an die ursprünglichen, von ihren Vorgängern in den Bauhütten entworfenen Pläne hielten und stattdessen eigene, originelle Ideen ergänzten. Zu Beginn galten Pläne im Sinne von Musterbüchern noch als Autorität und der Bezug auf Vorbilder war gerade für Gebäude nicht mit dem Verdikt einer billigen Kopie, sondern mit einer nobilitierenden Auszeichnung verbunden. Die imitatio (Nachahmung) wurde also positiv bewertet. Erst gegen Ende der Epoche entstand als neue Gattung die Handzeichnung, deren Sinn und Zweck gerade nicht die Kopie, sondern die ­inventio (Erfindung) war. Einer der herausragenden Vertreter dieser neuen Künstlergeneration war Peter Parler (um 1330 – 1390). Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag in Prag, wo er unter Karl IV. seine folgenreichsten architektonischen Lösungen entwickelte. Mit der Niederlassung Karls IV. in Prag erhielt das Heilige Römische Reich zum ersten Mal nach Jahrhunderten des Wander-Kaiser- und Königtums eine Hauptstadt. Selbst in Paris erzogen, versuchte Karl IV. noch vor seiner Krönung zum König im Jahr 1347 (ab 1355 Kaiser) eine dem Heiligen Römischen Reich adäquate Residenzstadt zu erschaffen. Damit ging die Entwicklung einer gesamteuropäischen adeligen und königlichen Hofkultur einher. Orientierten sich zuvor die Bischöfe in ihren rund um die Bischofssitze entstehenden städtischen Anlagen an Rom, so scheint Karl IV. eine Stadt entworfen zu haben, die Rom an Pracht weit übertreffen sollte. Die gesamte Neustadt wurde auf einer Fläche von knapp 360 Hektar errichtet und die Straßen breit gebaut; die Plätze wurden so groß angelegt, dass sie lange Zeit zu den größten Europas zählten (der Pferdemarkt, heute Wenzelsplatz, ebenso wie der Viehmarkt, heute Karlsplatz, der mit seinen 550 × 150 Metern als der größte Platz Europas galt). Zudem sind über ein Duzend Kirchen- und Klosterneugründungen zu verzeichnen, die aus Prag eine heilige Stadt machen sollten, darunter auch die Klosterkirche der Karmeliter Maria Schnee, das Emmauskloster der Benediktiner oder das Ambrosiuskloster der Augustiner ( Jirí Kuthan). Wie viele Städte der Gotik, so glich auch Prag einer riesigen Baustelle mit der Brücke über die Moldau nach Wischerad, mit der ersten Universität im Heiligen Römischen Reich (Karolinum), dem Umbau der Karlsburg zum Palast und eben den zahlreichen Kirchen, die alle damals verfügbaren Bautypen zur Anschauung

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bringen. Den größten Einfluss aber sollte der Veitsdom erhalten, der neben dem Kölner Dom und dem Straßburger Münster das dritte Großbauprojekt der Kathedralgotik wurde. Über die Künstlerdynastie der Parler beeinflusste Prag die spätgotischen Bauten von Frankfurt am Main (Turmbau St. Bartholomäus ab 1415) und Ulm, von Mailand bis nach Wien (Stephansdom) und Zagreb, sodass man die Prager Kunst zurecht als gesamteuropäisches Phänomen beschrieben hat – wobei der Ruhm der Familie schon vor deren Berufung nach Prag mit Heinrich Parler (um 1300 / 1310 – 1370) begonnen hatte, der nachweislich in Köln arbeitete, aber vor allem mit dem Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd (Chor ab 1351) die Spätgotik einläutete. Die Grundsteinlegung des Veitsdoms fand 1344 statt. Der erste Baumeister war der zuvor am Papstpalast von Avignon tätige Matthias von Arras (1290 –  1352); ihm folgte 1356 Peter Parler (der Sohn Heinrich Parlers). Der Bau orientiert sich ebenfalls an der französischen Kathedralgotik und ihrem basilikalen Schema; die dreischiffige Anlage mit Umgangschor und Kapellenkranz schließt an den dreistöckigen Wandaufbau in Köln und Straßburg an: Über den Arkaden erheben sich das durchfensterte Triforium und der Obergaden. Bis zu Matthias von Arras’ Tod 1352 war der Chor nur teilweise fertiggestellt: Neun Chorpfeiler waren bis zur Höhe des Triforiums gebaut, während immerhin acht Chorkapellen bereits vollendet waren. Peter Parler ließ in der Folge die Strebepfeiler des Hochchores errichten und entwarf die Südvorhalle des Querhauses – sie sollte bis beinahe 1900 die Hauptfassade des Doms zur Stadt bleiben. Die Art, wie Parler die Triforiums- und die Obergadenzone behandelte, war völlig neuartig. Im Unterschied zu Köln und Straßburg springen beide Zonen gegenüber den Arkaden und den Pfeilern zurück. Das Gesims folgt dieser Bewegung, die durch schräg eingestellte kleine Fenster im Obergaden zusätzlich unterstrichen wird: Solchermaßen schwingen die Triforiumszone und ein Teil des Obergadens um die Pfeiler und erzeugen eine Art Wellenbewegung. Zusätzliche Dynamik erhält der Bau durch das Netzgewölbe über dem Hochchor, das auf Gurtbogen wie noch in Köln verzichtet und somit die Einteilung in Joche ignorierend ein Netz über das Tonnengewölbe spannt – das erste, das die deutsche Kathedralgotik vorzuweisen hat. Es wurde vielfach imitiert und abgewandelt (Ulmer Münster oder St. Martin in Landshut) und tritt auch in der Wenzelskapelle des Veitsdoms (der Grablege der böhmischen Nationalheiligen) auf. Auch das Gewölbe der Sakristei (um 1360) ist bemerkenswert, besitzt es doch ein Hängegewölbe, dessen Schlussstein an den vom Gewölbegrund gelösten Rippen hängt, wie es auch in der Vorhalle des südlichen Querhauses nochmals auftritt. Diese der Stadt zugewandte Südseite des Querhauses mit dem Südturm gehört noch zum Werk der Parler (nach dem Tod Peter Parlers übernahmen die

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Söhne die Rolle der Werkmeister) und zeigt dieselbe Formenvielfalt und eine ähnlich sanfte Dynamik wie im Innern. Der ausschließlich vertikalen Ausrichtung des Kölner Doms wird hier mit horizontaler Bewegung geantwortet. Auch das Maßwerk der Fenster verschreibt sich dieser Dynamik, indem es als Hauptmotiv die für die Spätgotik so charakteristische Fischblase in unterschiedlichen Formen zitiert. Die Hallenkirche

Der Parler-Stil sollte vor allem die Hallenkirchen der Spätgotik beeinflussen. Der Typus der Hallenkirche mit seinen gleich hohen Haupt- und Seitenschiffen perfektioniert geradezu das Prinzip, das den Netzgewölben im Hochchor des Veitsdoms zugrunde liegt: Durch den Verzicht auf Gurtbogen und die damit verbundene Ignorierung der Einteilung in Joche, werden die einzelnen Bauglieder zusammengezogen. In ähnlicher Weise erscheint in der Hallenkirche dank der gleich hohen Schiffe der Innenraum als vereinheitlichtes Raumkontinuum optisch erweitert. Ab 1400 setzte sich dieser Bautypus in Deutschland durch; ein herausragendes frühes Beispiel ist die Schwäbisch Gmünder Heilig-KreuzKirche. Die über der romanischen Basilika errichtete dreischiffige Hallenkirche zeigt die für den neuen Typus charakteristischen einschneidenden Änderungen: Von der Wand zwischen Mittel- und Seitenschiff ist einzig die Arkadenzone geblieben, die übrigen Geschosse – Empore oder Triforium und Obergaden – entfallen hingegen. Sein Licht erhält das Mittelschiff indirekt über die Fenster der Seitenschiffe und des Chores. Tatsächlich waren solche Kirchen nicht nur schneller, sondern auch billiger zu bauen. Die Reduktion des Wandaufbaus – vom viergeschossigen frühgotischen Wandaufbau (Limburg an der Lahn und St. Gereon in Köln) zum dreigeschossigen (Kathedralen in Köln, Straßburg und Prag) und dem in Deutschland dominanten zweigeschossigen (bereits in Trier und Marburg) bis hin zum eingeschossigen in der Hallenkirche – erweckt den Anschein eines konsequenten Verlaufs der Baugeschichte. Tatsächlich sollte dies jedoch eher als Hilfskonstruktion verstanden werden, um die Vielgestaltigkeit der Gotik und ihre häufig parallelen Entwicklungen abzubilden. Zu den bedeutendsten Hallenkirchen der Spätgotik zählen die beiden Nürnberger Kirchen St. Sebald und St. Lorenz, die Landshuter St. Martin Kirche wie auch die Frauenkirche in München. Der Bautypus strahlte aber noch weiter in den Süden und Osten und erhielt mit der Annenkirche im sächsischen Annaberg sicher eines der beeindruckendsten Sterngewölbe der Gotik: Das Maßwerk hatte ausgehend von den Fenstern nicht nur die Wände und das Strebewerk, sondern nun auch die Decke erobert. Im 15. Jahrhundert nahm es noch spektakulärere

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Formen an: Als Schlingenrippengewölbe (Pfarrkirche in Königswiesen) oder schließlich als Zellengewölbe, wie es erstmals in der Albrechtsburg in Meißen zu finden ist, wurde es für eine weitere Sonderform der deutschen Gotik charakteristisch, für die norddeutsche Backsteingotik. Ein solches Zellen- oder auch Diamantgewölbe findet sich etwa in der Marienkirche in Danzig (1343 – 1502). Die Backsteingotik

Obwohl die Bedeutung der Städte zunahm – zwischen 1250 und 1350 sind die meisten Stadtgründungen zu verzeichnen –, sind es die sakralen Bauten, die wegweisend für die Entwicklung der Gotik waren. Wenn man also seit der Gotik von städtischen und nicht mehr höfischen oder klösterlich gebundenen Kunstzentren sprechen muss, dann muss man zugleich bedenken, dass diese Städte noch immer mit der Kirche und den feudalen Strukturen eng verwoben waren. Tatsächlich freie Reichsstädte gab es kaum, und gerade die Verbindung zwischen lokalen Fürsten oder Erzbischöfen und den Städten, in denen sie residierten, brachte die größten Kunstzentren hervor, darunter Köln und Straßburg. Straßburg, dessen Westfassade des Münsters gerne als Symbol bürgerlicher Selbstdarstellung zitiert wird – die Stadt hatte 1262 den Bischof verjagt und die Dombauhütte dem Stadtrat unterstellt –, zeigt in seinen zahlreichen Verweisen auf den Kaiser eindrücklich, dass die Gesellschaft trotz einer zunehmend städtischen Organisation noch immer vom Kaiser und dem Schutz der Potentaten abhängig war (Sauvé). Architektonisch wie auch wirtschaftlich spielten die Hansestädte eine eigene Rolle. Dies hing zunächst eng mit der erst spät einsetzenden Christianisierung Skandinaviens zusammen, dann aber mit zahlreichen Stadtgründungen, die den Ostseehandel überhaupt erst beförderten. Der Handel erstreckte sich von Nowgorod bis nach Köln und bezog sich auf den Handel mit England. Die wichtigsten Umschlagplätze auf dem Weg waren die Insel Gotland und Lübeck. Wenngleich der Gründungsbau der norddeutschen Backsteinbaukunst noch romanisch ist (Ratzeburger Dom), nahm der Dom im dänischen Roskilde bereits frühgotische Anregungen auf und der Höhepunkt mittelalterlichen Bauens mit Backstein sollte schließlich in der Gotik liegen. Das Zisterzienserkloster im brandenburgischen Chorin (begonnen um 1270) muss als Gründungsbau der Backsteingotik gelten. Abseits der bisher betrachteten Kunstzentren entwickelte sich ein eigenständiger regionaler Baustil, der sich in dem geringen Natursteinvorkommen dieser Gebiete begründete und der von Anfang an durch glatte Flächen und eine Reduktion der gotischen Formenvielfalt geprägt war. In der Backsteingotik fand auch das städtische Bürgertum erstmals zu einer eigenständigen Ausdrucksform, so etwa in der Pfarrkirche St. Marien in Lübeck, die, um 1280 begonnen, zum Vorbild für viele Backsteinkirchen werden sollte.

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Über einem basilikalen Grundriss tragen sehr dünne Dienstbündel das beinahe vierzig Meter hohe Kreuzrippengewölbe. Die zweigeschossige Wandgliederung im Innern zeugt ebenso wie die Zweiturmfassade auch hier von französischen Vorbildern. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu anderen städtischen Gebäuden dokumentiert St. Marien zugleich ein neues Selbstbewusstsein der Bürger der Hansestadt, da die Bürger- und Marktkirche den Lübecker Dom des Bischofs entschieden überragt – selbst der Kölner Dom ist nur wenige Meter höher, die Kathedrale von Chartres sogar niedriger als die Marienkirche in Lübeck. Der Lübecker Kirche folgten zahlreiche (Um)Bauten: der Dom in Schwerin (um 1270), die Nikolai- und Marienkirche in Stralsund (um 1270 bzw. um 1382), die Marienkirche in Rostock (um 1290), die Zisterzienserabteikirche Doberan (um 1291) sowie die Nikolaikirche Wismar (ab 1381). Trotz aller Dominanz, mit der die Kirchen das mittelalterliche Stadtbild beherrschten, erschienen mit dem Erstarken der Städte neue Gebäudetypen, die immer selbstbewusster in ihren Dimensionen und Ausstattungen auftraten, insbesondere die Rathäuser. Sie erfüllten lange Zeit mehrere Funktionen, so beherbergten sie den eigentlichen Ratssaal und die Gerichtsstuben, dienten darüber hinaus aber auch häufig als Warenlager oder Tanzhaus. Im Erdgeschoss befanden sich meist über Arkaden geöffnete Verkaufshallen oder -räume und die dafür notwendige Stadtwaage, im Obergeschoss eine Laube für öffentliche Kundgebungen und im Keller das Gefängnis. Zum Bauprogramm gehörte schließlich auch die Ratskapelle. Wurden Städte neu gegründet, so stand das Rathaus in der Mitte des Marktplatzes wie etwa in Lübeck, der Hauptstadt der Hanse und zweitgrößten deutschen Stadt nach Köln, die sich das größte Rathaus des Mittelalters leistete. Das Formenvokabular der Rathäuser entstammte der sakralen Architektur und so finden wir Spitzbogenfenster und Maßwerk oder mit Krabben besetzte Wimperge auch an den Rathäusern von Münster und Tangermünde, Braunschweig oder Stralsund (neugotische Rekonstruktion; Abb. 15). Und obwohl sich die Bürger der Städte für ihre Freiheit oft genug gegen die Bischöfe oder feudalen Herren auflehnen mussten, zeugen die Fassaden häufig von den beiden wichtigsten Bezügen der mittelalterlichen Gesellschaft, einerseits dem weltlichen, kaiserlichen Herrscher, der die Stadtrechte erteilte, und andererseits der sakralen Macht. So zieren die Fassade des Münsteraner Rathauses nicht nur die Statue des Kaisers, sondern auch Engel, Maria und Christus. Aus dem ganzen baulichen Reichtum der Gotik konnte hier nur die Sakralarchitektur genauer betrachtet werden, und auch diese nur in einer kleinen Auswahl. Die zahlreichen anderen neuartigen, mit dem Aufstieg der Städte im Zusammenhang stehenden Bautypen können an dieser Stelle nur erwähnt werden: etwa das Kaufhaus (Kaufhaus am Brand, 1315, Mainz), die bürgerlichen

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15  Stralsund, Rathaus mit Nikolaikirche

Wohnhäuser (Löwenapotheke, um 1200, Lübeck), die Stadttore (Holstentor in Lübeck, um 1470), ebenso die Entwicklung von der Burg zum Schloss. Ganz zu schweigen von der Kunst der Ritter. Diese äußerte sich nicht nur im Minnesang, sondern brachte mit der Manessischen Liederhandschrift (um 1300 – 1340) eines der noch heute bekanntesten Zeugnisse mittelalterlicher Kunst überhaupt hervor, dokumentierte im Dollingersaal des Regensburger Rathauses das Ritterleben (Originale von ca. 1290) und errichtete mit der Marienburg (Deutschordensburg in der Nähe des polnischen Malbork, um 1300) eine der neben dem Papstpalast in Avignon mächtigsten Palastanlagen, die den Typus der vierflügeligen Schlossanlage bis zum Barock prägen sollte.

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Die Kirchenausstattung in der Hoch- und Spätgotik Glasmalerei

W

ährend in den romanischen Kirchen die Wandmalerei eine gewichtige Rolle bei der Kirchenausstattung spielte, trat in der Gotik die Glasmalerei an diese Stelle. Der Grund für diese Bedeutungsverschiebung liegt, wie wir bereits gesehen haben, in der gotischen Architektur, in der die Kirchenwände weitgehend riesigen Fensterflächen wichen. Die Glasmalerei bekam damit eine ganz neue und große Bühne für die Ausbreitung ihrer Bildprogramme. In der Entwicklung hinkte Deutschland Frankreich hinterher, wo bereits um 1215 – 1240 in Chartres ein Großteil des vielleicht eindrucksvollsten gotischen Glasmalereizyklus entstanden war. Die Glasmalerei nördlich der Alpen folgte im 13. Jahrhundert hingegen noch der früheren Tradition der Gliederung der Fensterbahnen mit Medaillons. Anfang des 14. Jahrhunderts wurden dann die gotischen Architekturformen auch innerhalb der Glasmalerei als Rahmung der Szenen immer häufiger zitiert: Die einzelnen Szenen beziehungsweise Heiligen befinden sich in Tabernakeln oder werden von Maßwerkbaldachinen bekrönt, etwa bei den Fensterstiftungen der Zünfte der Schneider (um 1320 / 30) und Schmiede (um 1320) im nördlichen Seitenschiff des Freiburger Münsters. Dass solche neuen Gestaltungselemente nicht sofort und nicht überall verwendet wurden, zeigen die gleichzeitig entstandenen Fenster der Bäckerzunft, die Szenen aus der Katharinen-Legende in Medaillons präsentieren. Besonders gut nachvollziehbar sind diese Entwicklungsstufen auch in den Fenstern der Hauptchorkapelle des Kölner Doms. Das Chorscheitelfenster mit Medaillons, entstanden um 1260, stellt in zwei Bahnen alt- und neutestamentliche Szenen gegenüber, während die Nordfenster der Kapelle (um 1330) monumental in ganzer Breite die Anbetung der Heiligen Drei Könige in einer aufwendigen, gemalten Architekturrahmung zeigen. Blieben diese Darstellungen trotz des architektonischen Rahmens flächig, bekunden die späteren Glasmalereien das Interesse an der Wiedergabe des Raumes. Das Westfenster des Altenberger Doms (um 1395) zeigt eindrucksvoll, wie man mit den architektonischen Elementen versuchte, eine Illusion von räumlicher Tiefe zu erzeugen. In dem monumentalen 18 auf 6 Meter großen Fenster sind in zwei Reihen Heilige dargestellt, die in vorspringenden Tabernakeln stehen und von reich gestalteten Architekturbaldachinen bekrönt werden. Darüber hinaus besticht das Fenster in seiner auf Edelmetalltöne beschränkten Farbskala mit deren Kostbarkeit. Indem hier sowohl formal wie auch farblich eine Nähe

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zu Goldschmiedearbeiten gesucht wurde – die weiß gehaltenen Heiligenfiguren unter den gelben Baldachinen erscheinen wie Alabasterstatuen –, verwischen die Grenzen zwischen den unterschiedlichen Kunstgattungen. Das Altenberger Fenster zeigt, wie sich die Farbigkeit der Glasmalerei zu Beginn des 14. Jahrhunderts aufhellte, was mit einer technischen Neuerung zusammenhängt: Durch die Mischung von Schwefelsilber, Ton und Flüssigkeit wurde das sogenannte Silbergelb entwickelt, eine Malsubstanz, die auf weißem Glas nach dem Brand einen gelben Farbton in allen erdenklichen, von der Konzentration des Silbers abhängigen Nuancen erzeugt. Während in Frankreich und England diese Technik rasch übernommen wurde, blieb in Deutschland parallel zu dieser Entwicklung auch die dunklere Buntfarbigkeit bestehen. Bauplastik des 13. und 14. Jahrhunderts

Wie in der Architektur, so war auch in der Skulptur die Grenze zwischen Romanik und Gotik fließend. Einige Werkstätten übernahmen rasch die neuen Einflüsse aus Frankreich, während andere in der romanischen Formensprache verharrten. Es entstanden Übergangswerke, die aus beiden Quellen schöpften. Zu diesen gehört die berühmte Goldene Pforte des Doms in Freiberg (um 1230 – 1240), die mit ihrer rundbogigen Einfassung von der Romanik geprägt ist, wohingegen die Gewändeskulpturen mit der Darstellung der thronenden Muttergottes im Tympanon schon der französischen Gotik verpflichtet sind. Zu den Übergangswerken gehören auch die Skulpturen des Südportals des Straßburger Münsters (um 1225 / 30). Das Doppelportal wurde während der Französischen Revolution zwar weitgehend zerstört, aber die wichtigsten Skulpturen und die Tympana sind erhalten. Die beiden Tympana zeigen die Krönung Mariens und ihren Tod. Eingefasst wird das Doppelportal von den Skulpturen der Ecclesia und der Synagoga. Wegen ihrer hohen bildhauerischen Qualität und als erste freiräumlich gearbeitete Skulpturen des deutschen Mittelalters sind sie Meilensteine der frühgotischen Skulptur. Zwischen den beiden Portalen ist das Urteil Salomons dargestellt; vermutlich wurden an dieser Stelle bischöfliche Gerichtsurteile verlesen. Der Gerichtsgedanke findet sich auch im Innenraum, wo sich im Zentrum des südlichen Querhausarmes der sogenannte Engelspfeiler (zwischen 1225 und 1240) erhebt, dessen Hauptthema das Jüngste Gericht ist. Abgesehen von den thematischen Bezügen zwischen dem Bildprogramm am Außenbau und im Innenraum demonstriert dieser Pfeiler eine künstlerische Eigenart der deutschen Gotik nachdrücklich: Während in Frankreich die Skulptur ihren Platz beinahe ausnahmslos im Portalbereich hatte, eroberte sie sich in Deutschland neue Räume im Kircheninnern, wie etwa in den Domen von Bamberg und Naumburg zu sehen ist.

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Ebenfalls als Übergangswerk gilt das Fürstenportal am nördlichen Langhaus des Bamberger Doms, dessen Gewändefiguren (Propheten und auf deren Schultern stehende Apostel) die Leistung der älteren Werkstatt sind. Aus einer jüngeren Werkstatt stammen hingegen das Tympanon mit der Darstellung des Weltgerichts ebenso wie die Statuen der Ecclesia und der Synagoga (1220er-Jahre). Im Innern der Kirche finden wir am nördlichen Seitenschiff zwei über Eck angebrachte Figuren, Maria und Elisabeth, von denen man annimmt, dass sie eine Heimsuchungsgruppe bilden. Das berühmteste Standbild in diesem Dom aber ist der Bamberger Reiter, der in die 1230er-Jahre datiert wird und dessen Identifizierung bis heute widersprüchlich geblieben ist – vorgeschlagen wurde unter anderem der hl. Stephan von Ungarn, Kaiser Heinrich II., Konstantin der Große oder einer der Stauferkaiser. Auch die Vorläufer dieser Skulptur sind vielseitig diskutiert worden. Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass dort bereits im 12. Jahrhundert lebensgroße Reiterstatuen der Gotik geschaffen wurden: am Nordportal der Kirche St. Hilaire in Melle und an der Westfassade von St. Pierre in Châteauneuf-sur-Charente. Rund 300 Kilometer nördlich von Bamberg waren an der Errichtung des Magdeburger Doms neben in Frankreich geschulten Baumeistern auch mehrere Bildhauerateliers kurz nacheinander tätig, die ebenso umfangreiche Kenntnisse der französischen Gotik besaßen. Von der Innenausstattung ist besonders die Figur des Ritterheiligen Mauritius (um 1240) zu erwähnen, und zwar deshalb, weil hier erstmals in der deutschen Kunst des deutschen Mittelalters ein Farbiger dargestellt ist. Zur selben Zeit (um 1245) entstanden auch die Statuen der Klugen und der Törichten Jungfrauen am Nordportal, die erst nachträglich hierher versetzt wurden. Ursprünglich waren sie für ein anderes Portal mit dem Thema des Weltgerichts geplant, das aber niemals fertiggestellt wurde. Das Thema der Klugen und der Törichten Jungfrauen, das uns bereits in der romanischen Malerei begegnet ist, verbildlicht eines der bekanntesten Gleichnisse Jesu (Matthäus 25, 1). Ungewöhnlich und besonders eindrücklich ist in Magdeburg die Wiedergabe der unterschiedlichen Gefühlsregungen. Während die Klugen Jungfrauen, die vernünftig mit dem Öl ihrer Lampen gewirtschaftet hatten, im Zustand der Glückseligkeit und mit stolzgeschwellter Brust gezeigt werden, sieht man bei den Törichten, deren Lampen kein Öl mehr haben, Trauer und tiefe Verzweiflung. Die Klugen und die Törichten Jungfrauen gehörten alsbald zum beliebten Repertoire hochgotischer Portale in Deutschland, unter anderem am Straßburger und am Freiburger Münster. Derselben Werkstatt, aus der die Magdeburger Figuren der Jungfrauen stammen, wird eine vollplastisch gearbeitete Reiterfigur zugeschrieben. Sie war allerdings nicht wie in Bamberg an den Kirchenbau gebunden und nicht vor einer Wand postiert, sondern mitten auf dem Marktplatz

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unter freiem Himmel aufgestellt, geschützt durch einen Baldachin (heute im Kulturhistorischen Museum, Magdeburg; eine Kopie befindet sich auf dem Alten Markt). Der Reiter stellt vermutlich Kaiser Otto I. dar und ist in die Zeit um 1250 datiert. Eine der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten des 13. Jahrhunderts in Deutschland war der in Quellen nicht fassbare, mit dem „Notnamen“ Naumburger Meister versehene Bildhauer, dessen Hauptwerk sich – wie sein Name schon verrät – im Naumburger Dom befindet. Auf der Basis der Stilkritik hat die Kunstgeschichte einen möglichen Werdegang des Künstlers rekonstruiert, der demnach von Reims über das Château de Coucy nach Metz gelangte und über Mainz schließlich in Naumburg landete. Dort, im Naumburger Dom (begonnen um 1250) sind im Westchor zwölf Skulpturen aufgestellt, die als Stifterfiguren bezeichnet werden. Es handelt sich um Angehörige der Geschlechter der Ekkehardiner und der Wettiner, die sich in besonderem Maße um das Bistum und den Dom verdient gemacht hatten. Die Darstellung von historischen Persönlichkeiten an einer Stelle, die für Heilige und biblische Gestalten reserviert war, ist ungewöhnlich. Eine Erklärung könnte die memoria (das Totengedenken) sein: Vor dem Bau des Westchores soll sich hier eine Kapelle mit Gräbern befunden haben. Auffallend ist die (vermeintliche) Porträthaftigkeit der Figuren, die auch Gegenstand der anhaltenden Kontroverse in der Kunstgeschichte ist. Die einen preisen die Gestalten als Individuen, die anderen vertreten dagegen die Meinung, dass es sich eher um Typisierungen handle, ein Repertoire von Einzelmotiven, und nicht etwa um die realistische Wiedergabe individueller Erscheinung (Büchsel / Schmengler). Die Skulptur des „Internationalen Stils“

Im Laufe des 14. Jahrhunderts ging die Bedeutung der Bauplastik zurück zugunsten einzelner, beweglicher Figuren; gleichzeitig erfuhr der Altar ein gesteigertes Interesse. Die sogenannten Schönen Madonnen des „Internationalen Stils“ um 1400 markieren hier in ihrer Qualität einen ersten Höhepunkt. Die Bezeichnung „Internationaler Stil“ beschreibt eine Formensprache, die von circa 1380 bis 1430 in der gesamten westeuropäischen Kunst vorherrschte. Es werden parallel auch Begriffe wie „Schöner Stil“, „Weicher Stil“ und „Höfischer Stil“ verwendet. Wie all diese Bezeichnungen deutlich machen, sind für die Gestaltung der Skulptur – dasselbe gilt übrigens auch für die Malerei – schwingende Linien in rhythmischer Anordnung kennzeichnend, die den Figuren einen eleganten und harmonischen Ausdruck verleihen. Insbesondere zwei Zentren haben diesen Stil nachhaltig geprägt: das böhmische Prag und das burgundische Dijon. Die deutsche Bildhauerkunst wurde aus beiden Richtungen nachhaltig befruchtet.

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Die Schönen Madonnen

In der sogenannten Schönen Madonna hat der „Internationale Stil“ seine bedeutendste und zugleich glanzvollste Ausprägung gefunden, die im Zusammenhang steht mit dem mittelalterlichen Marienkult, der aus der Gregorianischen Kirchenreform des 11. Jahrhunderts erblüht war. In ihrem Grundtypus erscheint die Schöne Madonna stehend mit dem nackten Jesuskind auf ihrem Arm. Die beiden zeigen sich in einem innigen, zärtlichen Verhältnis, dessen Intimität durch die Nacktheit des Kindes, das spielerische Grapschen nach dem mütterlichen Kleid und die haltende Hand Mariens, die Spuren im fleischigen Kinderkörper hinterlässt, unterstrichen wird. Diese Elemente betonen die menschliche Natur Christi, die auch im Zusammenhang mit der Marienverehrung immer bedeutsamer wurde, denn Maria spielt als Mutter für die Menschwerdung Christi eine zentrale Rolle: Sie agiert als Vermittlerin zwischen Mensch und Christus. Der Typus der Schönen Madonna hat seinen Ursprung in der französischen Kunst des 13. Jahrhunderts, wie etwa am Nordquerhausportal der Kathedrale Notre-Dame in Paris um 1250 zu sehen ist. Vergleichen wir die französischen frühen Madonnen mit den beiden berühmtesten Schönen Madonnen, der Muttergottes aus Thorn / Westpreußen (um 1390 / 95, ehem. St. Johann-Kirche, heute verschollen) und der Muttergottes aus Krumau / Böhmen (um 1400; Wien, Kunsthistorisches Museum), dann fällt deren wesentlich raumgreifendere Konzeption ins Auge. Die teigigen Gewandfalten sind eigenwillig gestaltet und haben mit der Realität wenig zu tun. Als tiefe Schüsselfalten durchgliedern und rhythmisieren sie die Figur; Stand- und Spielbein werden unterschieden, obwohl sie nicht konkret zu sehen sind, was der Skulptur als Ganzes Schwung und Dynamik verleiht, zusätzlich unterstrichen durch die Faltenkaskaden an der Körperseite. Eine qualitativ hochwertige Gruppe bilden die Tonskulpturen aus dem Rheingau vom Anfang des 15. Jahrhunderts. Diese kleinformatigen Werke werden zwei Werkstätten zugeschrieben: Die eine modellierte hauptsächlich weibliche Heilige als Einzelfiguren aus Ton, die zweite hatte sich auf vielfigurige Szenen spezialisiert. Nach ihren Hauptwerken werden die Künstler als Meister der Hallgartener Madonna und als Meister der Lorcher Kreuztragung bezeichnet. Die Hallgartener Madonna (1410 / 20; Abb. 16) hat ein Künstler geschaffen, der das weiche Material des Tons gekonnt den Prinzipien des „Internationalen Stils“ dienstbar machte. Die Madonna ist von harmonischer Linienführung geprägt, keinerlei Knickungen brechen den Fluss des Gewandes. Das Material machte es möglich, mit Modeln (Hohlformen) zu arbeiten, die für häufig verwendete Motive zum Einsatz kamen. Meistens wurden sie noch überarbeitet; selten handelt es sich jedoch auch um getreue Kopien, wie die Madonna aus dem Kloster Eberbach (um 1410 / 20; Paris,

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Louvre), die eine Werkstattabformung der Hallgartener Madonna ist. Das Vesperbild

16  Hallgarten, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt, Muttergottes

Neben den Schönen Madonnen entwickelten sich im Lauf des 14. Jahrhunderts noch zwei weitere eigenständige Bildtypen, die beide eine Hinwendung zum menschlichen Leid des Gottessohnes verdeutlichen. Der erste Bildtypus zeigt Christus alleine als Schmerzensmann, der zweite wird als Pietà oder Vesperbild bezeichnet. Der Name bezieht sich auf die Uhrzeit zwischen 17 und 19 Uhr, die Zeit der Vesper (liturgisches Abendgebet), und wurde mit der Kreuzabnahme Christi in Verbindung gebracht. Man erkennt das Bestreben, den Blick auf Christus und Maria als den beiden zentralen Gestalten des Heilsgeschehens zu fokussieren. Während aber die Schönen Madonnen auf die Inkarnation (Menschwerdung ) und gelegentlich mittels Attributen auf den Opfertod Christi hinweisen sowie die Anmut von Mutter und Kind betonen, befleißigen sich die Darstellungen des Schmerzensmannes und der Vesperbilder einer drastischen Formensprache, die den körperlichen Schmerz in den Mittelpunkt rückt. Diese Bildtypen, die ihren Ursprung in der Mystik hatten, appellierten an das Mitleid der Betrachter. Eines der Berühmtesten ist die sogenannte Pietà Roettgen (um 1350 / 60; Bonn, Landesmuseum). Die Expressivität dieser Skulptur resultiert aus den verzerrten Proportionen, ex-

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trem ausgemergelten Körpern mit eingefallenen Gesichtern und hohlem Blick sowie überbetonten Bluttrauben an den Wunden Christi. Tafelmalerei von den A ­ nfängen bis um 1420

Die Entwicklung der deutschen Tafelmalerei zu beschreiben, ist ein unsicheres Unterfangen, nicht nur wegen des geringen Bestands, sondern auch weil bei den erhaltenen Bildern meist die Funktion oder der ursprüngliche Aufstellungsort ungeklärt ist. Zunächst blieb auch das Tafelbild noch an den religiösen Kontext gebunden. Es entwickelte sich aus der schon erwähnten, immer reicher werdenden Ausstattung der Kirche, und zwar konkret aus dem Antependium (Verkleidung des Altarunterbaus), das in romanischer Zeit noch aus Holz, Stein oder als Goldschmiedekunst im Relief gearbeitet war. Das Antependium aus dem Walpurgiskloster in Soest gilt als ältestes Beispiel deutscher Tafelmalerei. Die heute im Westfälischen Landesmuseum in Münster ausgestellte Eichenholztafel mit Goldgrund wird aus stilistischen Gründen um 1170 / 80 datiert und zeigt in der Mitte eine Maiestas Domini flankiert von vier Heiligen. Etwas später finden sich dann auch Tafelbilder, die nicht mehr als Altarverkleidung dienten, sondern auf dem Altar zur Aufstellung kamen, und zwar an die hintere Kante der Altarplatte (Mensa) gerückt. Dieser Ort war ausschlaggebend für die Bezeichnung jener frühen Tafelbilder als Altarretabel (retro tabula altaris, „Tafel hinter dem Altar“). Für diesen Aufstellungsort spricht der ungewöhnliche obere Abschluss des Tafelbildes, das als Kreuzigungsretabel aus Soest bezeichnet wird (um 1230; Berlin, SMB, Gemäldegalerie): Die ansonsten rechteckige Tafel schließt oben mit Dreiecken und (halben) Rundbogen ab. Ähnlich verhält es sich bei der Passionstafel in der Pfarrkirche im hessischen Wetter (um 1260 / 70), die ein längliches Format hat. Mit ihren sieben Szenen aus der Passion Christi gilt sie als das früheste Tafelbild mit einem szenisch erzählenden Zyklus. Auf dieselbe Zeit sind zwei Tafeln aus Worms zu datieren, die heute zur Sammlung des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt gehören. Da sie beidseitig bemalt sind und jeweils Scharniere auf einer Seite aufweisen, kann man davon ausgehen, dass sie ehemals entweder Türen eines Schranks oder Flügel eines Retabels waren, denn nach den ersten Tafelbildern auf dem Altar, entwickelte sich rasch das Triptychon, ein mit Flügelpaar versehenes Altarbild. Auf jeden Fall sind die Wormser Tafeln in sakralen Kontext einzuordnen, zeigen sie doch auf den Innenseiten die Apostel Petrus und Paulus und auf den Außenseiten die Heiligen Nikolaus und Stephanus. Sicher als Flügel eines Triptychons sind die Tafeln eines Passionsretabels aus dem Franziskanerkloster in Hofgeismar (um 1310 – 1320) zu identifizieren, die heute in der dortigen Pfarrkirche ausgestellt sind. Während bei dem Hofgeis-

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marer Werk der Mittelteil fehlt, ist das ursprüngliche Aussehen des Altenberger Altars (um 1330 / 50) besser rekonstruierbar, obwohl die einzelnen Teile heute auf verschiedene Orte verteilt sind. Die beidseitig bemalten Flügel befinden sich im Städel-Museum in Frankfurt, der Schrein, der den Mittelteil bildete, ist im mittelhessischen Schloss Braunfels zu sehen und die Skulptur der thronenden Madonna, die in der Mitte des Schreins ihren Platz hatte, gehört zur Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums in München. Das Werk ist eines der frühesten erhaltenen Schnitzretabel in Deutschland und markiert damit den Anfang einer neuen Kunstgattung, die um 1500 ihre Blüte erleben sollte. Altarretabel erweiterten also ziemlich schnell ihre Form und beschränkten sich auch nicht mehr auf Tafelmalerei, vielmehr kamen skulptierte und relieffierte Partien hinzu. An dieser Stelle sind einige Bemerkungen zur Terminologie und zur architektonischen Gestalt eines Retabels notwendig, denn im deutschen Sprachgebrauch hat es sich eingebürgert, von einem „Altar“ beziehungsweise einem „Schnitzaltar“ zu sprechen, wenn von Bildwerken auf dem Altar (Gemälde, Skulptur oder Relief ), die von einer eigenen Architektur gefasst werden, die Rede ist. Der Altar bezeichnet aber nur den Opfertisch (die Mensa bzw. den Stipes), terminologisch richtig wird der Aufsatz Retabel genannt. Das Wort kommt vom lat. retabulum, womit man im Mittelalter ursprünglich das Bildwerk auf der Altarrückseite beschrieb, das aus Metall, Stein oder Holz gefertigt sein konnte. Architektonisch können sie in zwei Gruppen geteilt werden: die flügellosen und die mit Flügeln ausgestatteten Altaraufsätze. Sie können nur aus gemalten (wie wahrscheinlich in Hofgeismar) oder skulptierten Teilen bestehen, oft sind jedoch beide Gattungen miteinander kombiniert (wie beim Altenberger Retabel). Dank des architektonischen Rahmens bilden sie dennoch ein kohärentes Ganzes. Betrachten wir aber vorerst die Entwicklung der Tafelmalerei. Ist der erhaltene Bestand an Tafelbildern des 13. Jahrhunderts spärlich, ändert sich die Situation um 1300. Die Tafelmalerei verbreitete sich nicht nur rasch, sie wurde auch zum bevorzugten Medium und rangierte noch vor der Glasmalerei. Weiterhin wurden die meisten Werke für den sakralen Bereich geschaffen, der folglich auch die Themen vorgab: Szenen aus dem Leben Christi oder Mariens sowie die Darstellung von Heiligen. Obwohl die Stifter immer wieder als kleine Figuren in Adorantenhaltung (um Fürbitte betend) erscheinen, kann hier von Porträtmalerei noch keine Rede sein, vielmehr sind sie idealisiert dargestellt und assistieren nur dem heiligen Geschehen. Als ein Novum wurden ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zeitgenössische Details in die christlichen Darstellungen integriert, um die Szenen lebensnaher zu gestalten. Damit erhielten die standardisierten Themen nicht nur einen eigenständigeren Ausdruck, die Künstler demonstrierten mit ihnen zugleich ein neues Interesse an der Naturbeobach-

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tung. So konnte eine Szene von Christi Geburt beispielsweise zeigen, wie Josef kniend den dampfenden Brei für sein Kind kocht und vorsichtig pustend kühlt, oder in der Szene der Mariengeburt eine Hebamme die Temperatur des Badewassers prüft. Auch die Verkündigung an die Hirten wirkt „naturalistischer“, wenn sie inmitten einer Landschaft mit Bäumen und Büschen zwischen Schafen spielt. Damit erweiterte sich die flache Bühne, auf der die Figuren bis dahin agierten, zunehmend auch in die Tiefe. Nachdem Karl IV. Prag zur Residenzstadt des Reichs gewählt hatte, entwickelte sich hier zugleich das wichtigste Kunstzentrum der Zeit um 1400. Als Folge der regen Bautätigkeit bekamen auch die Bildkünstler bedeutende Aufträge, wie etwa die Ausstattung der Kapellen in der Burg Karlstein mit Tafelgemälden, die unter maßgeblicher Beteiligung von Meister Theodoricus (1359 und 1367 als Hofmaler Karls IV. erwähnt) verwirklicht wurden. Er ist als die herausragende Künstlerpersönlichkeit im damaligen Böhmen zu bezeichnen, deren Stil von der franko-flämischen Malerei beeinflusst war – möglicherweise kam er sogar von dort. Eine solche Beeinflussung war allerdings auch nicht ungewöhnlich für die Prager Kunst, die während der Regentschaft der Luxemburger von der französischen Hofkunst inspiriert war. Zur selben Zeit ist in Hamburg Meister Bertram von Minden (um 1340 – 1414 / 15) fassbar, der sein Hauptwerk, das Petri-Retabel, 1383 für die Hamburger Pfarrkirche St. Petri fertigstellte. Ungewöhnlich ist, dass sich auf der (komplett bemalten) zweiten Ansicht (insg. 3) der größte Teil der 24 Szenen der Genesis, dem 1. Buch des Alten Testaments, widmet, denn normalerweise zeigen die narrativen Szenen Begebenheiten aus dem Neuen Testament. Der Künstler stattete seine Figuren mit lebendiger Gestik und Mimik aus, die eine ganze Bandbreite von Gefühlen zum Ausdruck bringen: Trauer, Verzweiflung, Angst, aber auch stille Freude. Was schon für die Skulptur der Zeit um 1400 charakteristisch war, gilt auch für die Tafelmalerei: Die Figuren sind schmal und schlank, ihre Bewegungen und die Gestik elegant. Die Darstellungen zeigen eine harmonische Farbigkeit und häufig werden die Goldhintergründe der Gemälde mit Punzierungen oder Ritzungen belebt, die ihnen einen kostbaren Charakter verleihen. Beispielhaft für diese Malerei stehen die Werke Conrad von Soests (um 1370 – nach 1422), des in Hamburg tätigen Meisters Francke (um 1383 – 1436) sowie des Meisters der heiligen Veronika in Köln. Von Letzterem stammt die sogenannte „Maria mit der Wickenblüte“ (um 1410 – 1415; Köln, Wallraf-Richartz-Museum; Abb. 17), ein kleines Retabel, das nicht für den kirchlichen Gebrauch, sondern zur privaten Frömmigkeitsübung geschaffen wurde. In ihrem Aufbau sowie in der Themenwahl gleichen diese Werke den Retabeln offizieller Liturgie; nur die kleinere Dimension verrät, dass dieses

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17  Meister der hl. Veronika, Triptychon der „Maria mit der Wickenblüte“, Köln, Wallraf-Richartz-Museum

Werk nicht im Mittelpunkt einer Gemeinschaft stand, sondern der privaten, liturgisch nicht geregelten Devotion diente. Das in diesem Retabel gezeigte Motiv, die halbfigurige Muttergottes, bezieht sich auf einen Madonnentypus, der seine Wurzeln in der byzantinischen Kunst hat und als „Glykophilusa“ (die süß Küssende) bezeichnet wird. Kennzeichnend für diese Darstellungen ist die zärtliche Beziehung zwischen Mutter und Kind, die in der Bildsprache dadurch zum Ausdruck kommt, dass das Christuskind seine Mutter küsst oder ihr Kinn liebkost. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfreute sich dieser Bildtypus besonderer Beliebtheit – daneben aber auch weiterhin die im 14. Jahrhundert aufgekommenen Sujets des Schmerzensmannes oder der Vera icon (das „wahre Abbild“ Christi auf dem Schweißtuch der Veronika), die losgelöst von der Bilderzählung als Einzelfiguren dargestellt wurden. Schatzkunst

Der erhaltene Bestand der mittelalterlichen Schatzkunst – es sind hauptsächlich Werke für den kirchlichen Gebrauch überliefert – zeichnet ein verzerrtes Bild

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der wahren Auftragslage, denn die Goldschmiede fertigten auch für den profanen Gebrauch unterschiedlichste Arbeiten: etwa Trinkgefäße oder Schmuck, wie Gürtelschnallen. Allerdings ereilte diese profanen Gegenstände häufiger das Schicksal, wegen ihres Materialwertes zerstört und eingeschmolzen zu werden, sodass nur wenige bis in unsere Tage erhalten sind. Die im Kirchenschatz aufbewahrten Goldschmiedearbeiten sind neben den sakralen, in der Liturgie eingesetzten Gerätschaften die als Amtsinsignien dienenden Gegenstände wie etwa Bischofsstäbe. Sie präsentieren in ihrer Pracht aber nicht nur den Status des Amtes, sondern sind zugleich das Symbol für das Hirtenamt des Bischofs. Besonders die sogenannten Krümmen der Bischofsstäbe wurden aufwendig mit Ornamenten und sogar mit kleinen Figuren verziert. So ist in einem Kölner Bischofsstab aus den 1320er-Jahren (Köln, Domschatzkammer) in der Krümme eine Platte angebracht, die einer Szene mit zwei kleinen silbernen Figuren als Bühne dient: Ein Bischof kniet vor der thronenden Muttergottes. Die Kostbarkeit wird von den leuchtenden Farben des transluziden Emailles gesteigert, einer Technik, die um 1300 in Frankreich und in Italien Anwendung fand, sich aber rasch auch in Deutschland verbreitete. Bei diesem Silber- oder Tiefenschnittschmelz wurde die Darstellung entweder auf Silber graviert oder als Flachrelief modelliert, das dann mit transparentem Emaille aus verschiedenen Farben überzogen wurde, sodass das eingravierte Motiv sichtbar blieb. Im sakralen Bereich verlangte die zunehmende Ausstellung der Reliquien entsprechende Behältnisse, in denen diese während der Prozessionen und an bestimmten Feiertagen auf dem Altar zur Schau gestellt werden konnten. Sie mussten also einer gewissen Multifunktionalität gehorchen, wie etwa das Reliquienkreuz aus Straßburg (um 1286), das sich heute in St. Petersburg in der Staatlichen Eremitage befindet. Das kostbare Kreuz aus Silber und Gold ist reich mit Edelsteinen und Gemmen verziert und präsentiert den Gekreuzigten sowie die trauernden Assistenzfiguren, Maria und Johannes, als vollplastische Figuren. Die Reliquien – in diesem Fall Kreuzpartikel – waren in einem abnehmbaren Behältnis, das sich über dem Gekreuzigten befand. Das Kreuz führte man bei Prozessionen mit, konnte es aber auch als Standkreuz auf einem Altar präsentieren. Neben traditionellen Kopf- und Armreliquiaren wurden auch Büsten zur Reliquienschau angefertigt, die für die Goldschmiede eine neue plastische Aufgabe darstellten. In dem Kopfreliquiar Karls des Großen (um 1350; Aachen, Domschatzkammer) korrespondiert noch die Form des Reliquiars mit dem Inhalt. Dies ist allerdings nicht zwingend, denn auch Schreine, die in ihrer Gestalt an die Architektur gotischer Kathedralen erinnern, wie etwa der Schrein der hl. Elisabeth in der Marburger Elisabethkirche (1235 – 1249), wurden angefertigt: ein mit einem Satteldach gedeckter rechteckiger Kasten, entsprechend dem Lang-

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haus, das in der Mitte sogar ein Querhaus ausbildet und mit kostbaren Materialien besetzt und mit figürlichen Darstellungen versehen ist. Allerdings kann von Einflussnahme nicht nur in eine Richtung die Rede sein, auch die Monumentalarchitektur zitiert die Formen der Schatzkunst: Die gotischen Kathedralen mit ihren verglasten Kapellen und Chören erscheinen wie monumentale Reliquiare. Ein Vertrag mit dem Künstler Hans von Judenburg aus dem Jahr 1421 hält für den Bozener Altar sogar fest, dass das Retabel „mit schönen werchperleichn tabernakeln und Aufzügen, die nach Monstranzischer gesichtung und formirung sein“ sollte. Das Vorbild für dieses Retabel war also eine Monstranz mit einem schmalen Fuß und einem Hauptgeschoss, eine Form, die sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu einem festen Typus entwickeln sollte, der lange seine Gültigkeit behielt. Monstranzen entstanden als Ausdruck einer gesteigerten Schaufrömmigkeit („Augenkommunion“), der zufolge bereits das Anschauen der Hostie während der Messe die reale Kommunion ersetzte: Dafür wurden die Behälter aus Edelmetall mit ihrem reichen architektonischen Schmuck, die hinter Glas die geweihte Hostie zeigten, benötigt. Schnitzretabel

Bereits um 1300 hatte die Retabelkunst ihren Anfang genommen, um zwei Jahrhunderte später ihren Höhepunkt zu erreichen. Dabei wurden die Schnitzretabel zur beherrschenden Kunstform der deutschen Spätgotik. Der Begriff des Schnitzretabels beschreibt einen Altaraufsatz aus Holz, der mindestens ein Flügelpaar besitzt und geschnitzte Elemente (Skulpturen und / oder Reliefs) aufweist. Seine wichtigsten architektonischen Teile sind der Schrein (in der Mitte), die Flügel, die Predella (ein Untersatz mit figürlichen Darstellungen) und das Gesprenge (ein turmartiger Aufbau aus mit Figuren besetzten filigranen Architekturgliedern als oberer Abschluss). Auffallend ist die geografische Verbreitung des Flügelretabels. Die ältesten Exemplare vom Anfang des 14. Jahrhunderts sind in Norddeutschland erhalten: das Hochaltarretabel in der ehemaligen Zisterzienserabteikirche in Doberan (um 1300) und das Retabel in der ehemaligen Benediktinerabteikirche in Cismar (frühes 14. Jh.). Die Retabelkunst breitete sich in den folgenden Jahrzehnten nach Süddeutschland und Skandinavien aus. Seit dem späten 14. Jahrhundert scheinen auch die heutigen Niederlande, Belgien und einige Teile Frankreichs das Wandelretabel (also das mit Flügeln ausgestattete und je nach Anlass im Kirchenjahr wandelbare Retabel) zu kennen. Allerdings ist der dortige Denkmalbestand aufgrund der Zerstörungen durch Reformation und Revolution stärker dezimiert als in Deutschland. In den größten Teilen Frankreichs, in Spanien, Italien und England spielte das Retabel mit beweglichen Flügeln hingegen keine wesentliche Rolle.

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18  Oberwesel, Liebfrauenkirche, Hochaltarretabel

Die Retabelarchitektur übernahm im Laufe des 14. Jahrhunderts das gesamte Formenrepertoire gotischer Kirchenbaukunst, wie es der Goldaltar (um 1330/ 1350; Abb. 18) in der Liebfrauenkirche in Oberwesel beispielhaft zeigt. Die Flügel und der Schrein des mächtigen Retabels sind einheitlich in drei Register gegliedert, die sukzessiv höher werden. Die Sockelzone besteht aus mit Maßwerk versehenen Arkaden, das zweite Register zeigt größere, einzelne Arkaden mit bekrönenden Wimpergen. Während in den Nischen dieses Registers jeweils nur eine Figur steht, sind die Arkaden der darauf folgenden Hauptzone so groß, dass sie jeweils zwei Statuetten aufnehmen können. Den oberen Abschluss dieser Arkaden bildet jeweils eine Fensterrose mit Wimperg, an die sich eine Fenstergalerie anschließt. Im weiteren Verlauf emanzipierte sich die Retabelkunst jedoch und bildete eine eigene Form von (hölzerner) Architektur innerhalb des Kirchengebäudes aus. Bisweilen reichte die Bekrönung der Retabel sogar bis in das Gewölbe der Kirche. Dieser raumfüllenden Erscheinung folgten die Skulpturen, die ebenfalls größer wurden und eine neue Monumentalität annahmen. Norddeutschland verharrte noch lange in kleinformatigen Lösungen, was nicht zuletzt dem engen Austausch mit der niederländischen Kunst geschuldet war, sodass Süddeutsch-

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land im 15. Jahrhundert die Vorreiterrolle übernahm. Hier fanden die eigentlichen Innovationen statt: eine gesteigerte Dynamik und Expressivität der skulpturalen Formensprache, die Entdeckung der Ästhetik sogenannter holzsichtiger Skulpturen (die also nicht mehr farbig gefasst waren, sondern deren Holzstruktur bewusst sichtbar blieb) und eine Schreinarchitektur, die Anfang des 16. Jahrhunderts von der Renaissance beeinflusst wurde. Mit der Reformation endete die Zeit der Schnitzretabel. Die Ursachen für die Entstehung des Schnitzretabels liegen im Dunkeln und werden heute noch in der Forschung kontrovers diskutiert. Die einen plädieren dafür, dass die Hauptfunktion des Retabels in der Bergung des Schreins lag und damit der Präsentation und dem Schutz der Reliquien diente, die anderen sehen in der Wandelbarkeit des Retabels den Hauptgrund für seinen Aufstieg: Mit den beweglichen Flügeln konnte man auf die Ereignisse des Kirchenjahrs, etwa Weihnachten und Ostern, mit dem passenden Bildprogramm reagieren. Die neueren Beiträge zur Forschung betonen, dass es wohl kaum eine monokausale Erklärung für Aufkommen und Konjunktur des Retabels geben kann. Die Mehrheit der Retabel-Programme sind mariologisch oder christologisch ausgerichtet und beziehen sich auf die zentralen Messinhalte: Inkarnation und Opfertod. Von Anfang an steht in der Mehrheit der erhaltenen Retabel Maria im Mittelpunkt, oft wird sie als Muttergottes mit dem Christuskind abgebildet. Ein anderes beliebtes Sujet ist die Marienkrönung. Als zweite Gruppe treten jene Bildprogramme auf, die den Gekreuzigten in den Mittelpunkt rücken. Die dritte Gruppe bilden jene Darstellungen, die sich auf eine Heiligenfigur oder ‑gruppe, etwa die Apostel, konzentrieren. Bildschnitzer des 15. Jahrhunderts

Hans Multscher (um 1400 – 1467) ist der erste bedeutende namentlich fassbare Bildschnitzer in der deutschen Kunstgeschichte. Zudem war er auch ein berühmter Maler. Er war im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts in Ulm tätig, ist aber vermutlich in seiner frühen Schaffensphase mit der nordfranzösisch / südniederländischen Skulptur in Kontakt gekommen. Die Skulptur der Muttergottes in der Stadtpfarrkirche in Landsberg / Lech (1435 / 40) ist eine der frühesten ihm zugeschriebenen Arbeiten. Vermutlich stand diese lebensgroße Figur in der Mitte eines Schnitzretabels. Multscher folgte nicht mehr dem tiefen Schüsselfaltenstil, sondern arrangierte die Draperie zu Knitterfalten. Seine Gewänder sind keine „irrationalen Gebilde“ mehr, sondern folgen neuerdings den Körperkonturen. Zeitlich schließt sich daran das Schaffen Niklaus Gerhaerts an, der in den 1460er-Jahren in Straßburg tätig war. Sein Stil beeinflusste die oberrheinische Skulptur nachhaltig. Da er in den Straßburger Urkunden als „von Leyden“ be-

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zeichnet wird, vermutet man, dass er aus Leyden in Holland stammte. 1467 folgte er dem Ruf Kaiser Friedrichs III. nach Wien, wo er bis zu seinem Tod 1473 am Grabmal des Kaisers arbeitete. Die schon von seinen Zeitgenossen geschätzte Bildhauerkunst Gerhaerts ist von jenem zuvor schon erwähnten neuen „Naturalismus“ geprägt, den die Altniederländische Malerei schon vor der Mitte des 15. Jahrhundert entdeckt hatte. Noch charakteristischer für sein Werk ist jedoch seine neue Art der Modellierung der Körper, die, wie mitten in der Bewegung festgehalten, sich in den Raum hinein entfalten. Bestimmend für Gerhaerts Figurenauffassung ist das sogenannte „Kern-Schale-Prinzip“: Der Körper der Figur wird als Kern ausgebildet, über den schalenartig die Gewänder gelegt sind. Dabei werden die Hohlräume und Schattenzonen mit in die Konzeption einbezogen und bilden zusammen mit den Gewändern eine Einheit. Das Prinzip gilt auch für viele anatomische Details (wie die Stirn- und Augenfalten oder die Adern), die Gerhaert nicht – wie andere Bildhauer – ornamental behandelte, sondern in die Gesamterscheinung einbezog, so etwa bei den Figuren des Nördlinger Retabels. Für die Verbreitung seiner Ideen sorgte die Druckgrafik, wie einige Werke des Meisters mit dem Monogramm E. S. bezeugen. So erklärt sich auch das Auftreten Gerhaertscher Motive bei Skulpturen, die sich an Orten weitab vom Oberrhein befinden. Im Zeitraum zwischen 1480 und 1530 befand sich die Ulmer Bildhauerkunst mit ihrem wichtigsten Vertreter Michel Erhart (geb. um 1445) auf ihrem Höhepunkt (von 1469 bis 1522 ist Erhart in der Reichsstadt nachweisbar). Sein einziges signiertes Werk, das große Kruzifix (1494); befindet sich in der Michaelskirche in Schwäbisch Hall, wohingegen etliche Zuschreibungen umstritten sind. Als sicher gilt indes seine Mitwirkung am Ulmer Chorgestühl, an dem er mit Jörg Syrlin d.  Ä . zusammengearbeitet hat, und seine Urheberschaft am Hochaltarretabel in der Klosterkirche in Blaubeuren (vollendet 1494, Abb. 19). Dieses Retabel ist nicht nur erstaunlich gut erhalten, sondern liefert auch dadurch, dass es sich noch in situ, also am ursprünglichen Aufstellungsort befindet, einen Eindruck davon, wie solche Werke gewirkt haben. Der repräsentative Charakter resultiert nicht nur aus der reichen Gestaltung (doppeltes Flügelpaar, im Schrein stehen fünf lebensgroße Skulpturen), sondern auch aus der leuchtenden Farbigkeit, gesteigert durch Pressbrokat und Punzierung. Zu den Nachfolgern Niklaus Gerhaerts am Oberrhein gehört der Straßburger Nikolaus Hagenauer (um 1445 / 60 – 1538). Er überspitzte die Formensprache seines Vorläufers und schuf Skulpturen, denen fast karikaturhafte Physiognomien eigen sind. Ihm und seiner Werkstatt werden die Skulpturen des Isenheimer Altars (Abb. 20) zugeschrieben, die nach 1490 geschaffen wurden. Erst später, um 1515, vollendete Mathis Gothart Nithart, gen. Matthias Grünewald (um

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19  Michel Erhart, Hochaltarretabel, Blaubeuren, ehemalige Klosterkirche

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1470 / 80 – 1528) die bemalten Flügel. Diese zweistufige Entstehung ist auch stilistisch an den Retabelteilen abzulesen. In seiner Architektur und Gestaltung der Skulpturen folgt das Retabel dem traditionellen spätgotischen Muster, während die gemalten Darstellungen in ihrer Farbigkeit und der Behandlung der Lichtphänomene für diese Zeit ungewöhnlich und etwas Neues waren. Völlig ohne Vorläufer waren auch die holzsichtigen Skulpturen, Skulpturen also, die keinerlei farbige Fassung aufweisen und lange als eine Erfindung Tilman Riemenschneiders (um 1460 – 1531) galten, bis nachgewiesen wurde, dass bereits das Hochaltarretabel Michel Erharts für das Ulmer Münster von 1481 holzsichtig gewesen sein muss (Gerhard Weilandt). Es gibt unterschiedliche Theorien über das Auftauchen der holzsichtigen Skulptur. Einige Forscher betrachten es als künstlerische Innovation, andere vertreten die Meinung, es seien nur unvollendete Versionen, deren farbige Fassungen nicht mehr ausgeführt wurden, und deshalb seien diese Werke nichts anderes als „Investitionsruinen“. Nach einer dritten These hätte sich in den holzsichtigen Retabeln die „vorreformatorische Kirchen(bild)kritik“ geäußert ( Jörg Rosenfeld). Nach neuester Ansicht (Rommé / Westhoff ) sollen die Künstler die ästhetische Wirkung der Holzmaserung ganz bewusst eingesetzt haben. Auch die Druckgrafik und die Bronzeskulptur könnten dazu beigetragen haben, dass die Betrachter den Umgang mit Kunstwerken gewohnt waren, die keine farbige Erscheinung hatten. In jedem Fall brachte es Tilman Riemenschneider auf diesem Gebiet zu größter Meisterschaft. Die verschiedenen Stile, die er in seinen frühen Werken durchlief, lassen vermuten, dass er in Thüringen und Ulm geschult wurde, während er oberrheinische Einflüsse über die Druckgrafik erfahren haben dürfte. Später entwickelte er einen ganz eigenen Stil, der sich durch feingliedrige Figuren, zarte seelische Bewegung der Gesichter, Detailreichtum und eine fein nuancierte Oberflächenbehandlung auszeichnet. Er unterhielt eine auffallend produktive Werkstatt in Würzburg, wo er seit 1483 tätig war. Die Größe seiner Werkstatt und die Vielzahl der Aufträge führten dazu, dass er bestimmte Typen entwickelte. Neben der Werkstatt übernahm Riemenschneider ab 1505 politische Ämter, war zunächst als Stadtrat, später sogar als Bürgermeister 1520 / 21 tätig. Seine Beteiligung an dem gegen den Würzburger Bischof gerichteten Bauernaufstand führte 1525 zu seinem Sturz, zeitweilig wurde er sogar in Kerkerhaft genommen und vom Rat ausgeschlossen. Beinahe zeitgleich mit Riemenschneider war Hans Leinberger (nachweisbar 1510 – 1530) in Bayern tätig. Dessen Hochaltarretabel der St. Kastulus Kirche in Moosburg (vollendet 1514) zählt zu den wenigen erhaltenen großformatigen Retabeln in Altbayern. Vermutlich war er Hofkünstler Herzog Ludwigs X., der 1516 Landshut zu seiner Residenz erhob. Betrachtet man die zentrale Ma-

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20  Nikolaus Hagenauer, Grünewald, Isenheimer Altar, Colmar, Musée Unterlinden

donnengestalt des Moosburger Retabels, sind Ähnlichkeiten mit den Schönen Madonnen festzustellen. Leinberger setzte beispielsweise die tiefen Schüsselfalten vor dem Körper Mariens dazu ein, das Christuskind hervorzuheben. In der Wiedergabe der Gewänder hat man sogar den Einfluss von Lucas Cranach d.  Ä . und seiner Werke aus dessen Wiener Zeit Anfang des 16. Jahrhunderts erkennen wollen. Die Moosburger Figuren wären damit eines der frühen Beispiele für die Wechselbeziehung zwischen Skulptur und Malerei, in diesem Fall der Malerei der sogenannten Donauschule. Folgt man dieser Interpretation, dann kommt man zu einem weiteren Bildschnitzer, der dem Umkreis des sogenannten Donaustils zugeordnet werden kann: dem Meister H.L., von 1511 bis 1526 am Oberrhein tätig, der eines der letzten großen Schnitzretabel Süddeutschlands, das Hochaltarretabel im Breisacher Münster St. Stephan (1523 – 1526), geschaffen hat. Die Gestaltungsweise seines bildhauerischen Werks konzentriert sich auf die malerischen Werte und das Spiel von Licht und Schatten und weist damit auf den Einfluss Albrecht Altdorfers, eines Hauptvertreters der Donauschule. In deren Malerei wurden die Figuren in die Landschaft eingebettet – in der

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Skulptur bemühte man sich um Expressivität. Dabei litt unter der Steigerung der Gesamtwirkung und der Verschleierung der Einzelform die Lesbarkeit der Figur beziehungsweise der Szene. Der Eindruck von überspannter Bewegung und einer gewissen Überladenheit deutet aber zugleich auf eine neue, modernere Auffassung von Kunst und Künstler hin und führte dazu, dass man diese letzte Entwicklungsstufe spätmittelalterlicher Skulptur treffend als einen „spätgotischen Barock“ bezeichnet hat.

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weifellos ist das Aufkommen der bereits erwähnten druckgrafischen Techniken in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die wichtigste künstlerische Neuerung. Die Möglichkeit, Bilder zu vervielfältigen, bot den Künstlern eine neue Ausdrucksmöglichkeit, erleichterte ihnen die Rezeption von weit entfernten Kunstwerken und hatte darüber hinaus weitreichende Konsequenzen für den Kunsthandel und damit die Erschließung neuer Käuferschichten. Die wichtigste Voraussetzung für diese Entwicklung war erfüllt, als man anfing, in größerem Umfang Papier – als günstigen Ersatz zum teuren Pergament (Tierhaut) – herzustellen und damit die massenhafte Vervielfältigung eines einzelnen Motivs kostengünstig ermöglichte. Konnte sich bis dahin nur der Adel Kunstwerke für die private Devotio (Andacht) leisten, war das mit dem Aufkommen des Holzschnitts (Hochdruckverfahren) ab circa 1400 auch für die breitere Bevölkerung möglich, und offenbar gab es einen großen Bedarf an Heiligenbildern. Die frühen Holzschnitte zeigen einfache Darstellungen einzelner Heiliger, die nach Bedarf allerdings auch koloriert wurden. Die Motive sind selten neu, meist haben sie Vorbilder, die auch in eklektischer Weise (damals nicht negativ gedeutet) miteinander kombiniert werden konnten. Der ab 1430 aufkommende Kupferstich (Tiefdruckverfahren) erweiterte nicht nur das Themenspektrum auf die profanen Darstellungen, sondern steigerte auch die Ästhetik der Drucke: Diese neue Technik ermöglicht feinere Linien als beim Holzschnitt, sodass die Künstler ihre Stiche detailreicher gestalten konnten. Als Vorreiter einer solchen detailreichen Gestaltung gilt ein anonymer Kupferstecher, der durch sein Monogramm als Meister E. S. in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Er war in den 1450er- und 1460er-Jahren am Oberrhein tätig. Sein Werk von circa 300 Stichen umfasst sowohl profane wie auch sakrale Motive, wobei lange Linien sowie Parallel- und Kreuzschraffuren die Körper und

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21  Martin ­Schongauer, Die Anbetung der Heiligen Drei ­Könige, Kupferstich, Berlin, SMB, Kupferstich­ kabinett

Schattenpartien wiedergeben. Martin Schongauer (um 1440 / 45 – 1491), der neben seinem malerischen Werk auch einen umfangreichen Bestand an Kupferstichen schuf, sollte diese Technik verfeinern und zu einer ersten Blüte führen. Die Vorbildfunktion seiner Stiche, die in großer Zahl auf den Markt gelangten, war enorm. Sie wurden rasch von anderen Künstlern rezipiert, die Bildideen in Gemälde und Skulpturen übertragen, wobei es sich selten um sklavische Übernahmen ganzer Vorlagen handelt; meist kombinierten die Künstler einzelne Motive aus verschiedenen Quellen. Als gutes Beispiel für ein solches Vorgehen ist die Rezeption des reich gekleideten „Mohrenkönigs“ in dem Stich „Anbetung der Könige“ (Abb. 21) von Martin Schongauer zu betrachten, der in zahlreichen Gemälden anderer Künstler dieser Zeit auftaucht, dabei jedoch nicht nur als gan-

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ze Figur zitiert wird, sondern bisweilen auch nur in Details, wie dem besonders auffallenden breiten Ärmel seines Gewandes. Martin Schongauer muss schon zu seinen Lebzeiten ein berühmter Künstler gewesen sein, begab sich doch kein Geringerer als der junge Albrecht Dürer (1471 – 1528) in seinen Wanderjahren zu Schongauers Werkstatt in Colmar, um dort zu lernen. Aus diesem Vorhaben wurde bekanntermaßen nichts, da der Meister kurz zuvor verstorben war. Dennoch war Dürer, dessen erste Kupferstiche um 1495 entstanden, von seinen Vorläufern beeinflusst, von Schongauer ebenso wie von dem sogenannten Hausbuchmeister. Dieser anonyme zwischen 1470 und 1505 am Mittelrhein tätige Meister verwendete für seine grafischen Blätter die Kaltnadeltechnik, bei der die Linien in eine Platte eingeritzt werden, während beim Kupferstich mit einem Grabstichel Späne aus der Platte gehoben werden. Die Kaltnadeltechnik ermöglicht damit eine freiere, skizzenhafte Bildauffassung. Dürer perfektionierte die Stichtechnik Schongauers und verband sie mit den spontaneren Szenen des Hausbuchmeisters. Dass Albrecht Dürer neben aller künstlerischen Brillanz und Innovation auch ökonomisch dachte, zeigt schon die Wahl des Sujets bei seinem ersten Buchprojekt: die Apokalypse, die 1498 zum ersten Mal erschien. Sowohl das über das gesamte Mittelalter hinweg populäre Thema wie auch die zwei Ausgaben auf Deutsch und Latein sorgten für ein großes Absatzgebiet über den deutschsprachigen Raum hinaus. Auch die Flexibilität der Ausstattung machte es möglich, die Apokalypse mit unterschiedlich aufwendigen Variationen verschiedenen Käuferschichten anzubieten: Die Illustrationen ließen sich nach Bedarf kolorieren und die Initialen im Text individuell gestalten. Solche Mischformen, also Kombinationen von Druck und Buchmalerei, zeigen anschaulich, dass die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts nicht das sofortige Ende der Buchmalerei bedeutete. Vielmehr existierten sie eine Zeit lang neben- und miteinander. Eine weitere häufig auftretende Mischform sind handgeschriebene Manuskripte, denen Illustrationen als Holzschnitte eingebunden wurden. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts setzte sich das schnelle und billige Druckverfahren durch: Das gedruckte Buch und damit das darin gesammelte Wissen wurde erstmals breiten Massen zugänglich und dank Druckgrafik und Buchdruck verbreiteten sich Motive, Formen und Kompositionen in bis dahin nicht erreichtem Ausmaß und in bis dahin unbekannter Geschwindigkeit. Mit der Steigerung des Kunsttransfers wanderten Bildideen auch über die Landesgrenzen hinaus, und Einflüsse unter anderem aus Italien und Flandern konnten früh von deutschen Künstlern übernommen werden.

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ie wir bereits feststellen konnten, verloren zunächst die Buchmalerei, dann im 15. Jahrhundert die Wandmalerei ihre führenden Rollen innerhalb der Gattung der Malerei. Dafür trat die Tafelmalerei prominent auf die Bühne; wenig später auch die Druckgrafik und Anfang des 16. Jahrhunderts die Zeichnung, die eine neue Wertschätzung als eigenständiges künstlerisches Werk erfuhr. Bezeichnend für die Entwicklung im deutschsprachigen Raum ist, dass man auch im Hinblick auf die Malerei nicht von einem einzigen Kunstzentrum sprechen kann, sondern dass mehrere Städte ein reges Kunstschaffen ausbildeten – teilweise so prägnant und eigenständig, dass daraus ein Lokalstil entstand. In Würzburg ist es etwa die Werkstatt Tilman Riemenschneiders, die Einfluss auch weit über Franken hinaus hatte; in Straßburg waren Niklaus Gerhaert und Martin Schongauer die dominierenden Gestalten, in Köln Stefan Lochner (um 1400 / 1410 – 1451), in Wittenberg Lucas Cranach d.  Ä . (um 1472 – 1553), in Nürnberg Albrecht Dürer. Und erstmals ist eine Reihe von Künstlern namentlich greifbar. Sie waren nicht länger anonyme Handwerker, sondern Persönlichkeiten, die ihre eigenen Werkstätten führten. In Städten organisierten sie sich in Zünften beziehungsweise Gilden, um so ihre Interessen vertreten zu können. Die Zunftordnungen konnten bestimmte Praktiken verbieten oder vorschreiben, unter anderem, welche Materialien verwendet werden durften oder ob ein Künstler ein Meisterstück anfertigen musste, um sich in der Stadt niederlassen zu dürfen etc. Aus den Zunftordnungen lässt sich aber auch etwas herauslesen, das über die Neuerung des Kunstmarkts berichtet. In einigen Städten, wie beispielsweise in Lübeck, wurde den Künstlern verboten, ihre Werke öffentlich, etwa vor den Kirchen, auf den Straßen und an einem Verkaufsstand vor der Werkstatt, zu verkaufen, was zugleich auf eine Praxis Rückschlüsse erlaubt, die bei der Konzentration auf die Auftraggeber sakraler Großkunstwerke nicht in den Blick gekommen ist. Anstatt für einen konkreten Auftraggeber zu arbeiten, produzierten Künstler also offenbar auch Werke für einen „freien Markt“, die sich nicht durch eine individuelle, dem Auftraggeber angepasste Bildidee auszeichneten, sondern vom Konzept her bereits seriell angelegt sein konnten. Bei solchen Werken handelte es sich jedoch kaum um genaue Wiederholungen, sondern um massenhafte Einzelproduktion (Barbara Rommé), die wohl stark arbeitsteilig nach bekanntem Muster hergestellt wurde. Die früheste Darstellung einer solchen Straßenverkaufsszene, die zugleich ein Genre- mit einem Heiligenbild kombiniert, zeigt die Tafel „Die Heiligen Magdalena und Katharina“ (um 1440) von Konrad Witz (um 1400 – 

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um 1445) im Museum Œuvre Notre-Dame in Straßburg. Im Hintergrund ist ein Haus zu sehen, dessen Fenster im Untergeschoss Verkaufsflächen Platz bieten, auf denen Statuetten und ein kleines Retabel angeboten werden. Solche Werke ohne Auftrag konnten natürlich auch auf Messen verkauft werden, von denen die Frankfurter die wichtigste war; hier trafen Händler, Käufer und die gehandelten Kunstwerke aus den verschiedenen Regionen aufeinander. Ihre Bedeutung lässt sich auch daran ablesen, dass schon damals so berühmte Künstler wie Albrecht Dürer oder Veit Stoß in der Main-Metropole ihre Werke vertrieben. Dabei hatten die Messen und der Austausch von Ideen eine weit über den lokalen oder regionalen Raum hinausgehende Bedeutung. Die Frankfurter Messe war der „Knotenpunkt für die künstlerische Kommunikation zwischen dem Norden und dem Süden“ (Wolfgang Schmid); die Stadt war in den internationalen Kunstaustausch zwischen London, den Niederlanden, Köln, Frankfurt, Nürnberg und Italien eingebunden. Solche neuen Vertriebsmöglichkeiten intensivierten nicht nur den Austausch zwischen den Künstlern, verstärkt noch durch die Vervielfältigungsmöglichkeiten mittels der Druckgrafik im Laufe des 15. Jahrhunderts, sondern es ist auch eine Beschleunigung des Kulturtransfers festzustellen. Daher erstaunt es kaum, dass im deutschsprachigen Raum die Neuerungen etwa der damals so innovativen niederländischen Malkunst schon sehr früh aufgegriffen wurden. In den burgundischen Niederlanden bemühten sich die Künstler (allen voran Jan van Eyck, um 1390 – 1441), die Wirklichkeit darzustellen, was zuerst nur in Details sichtbar wurde. Zu diesen Neuerungen gehörten die Gestaltung der Schatten, die den dargestellten Figuren und Gegenständen eine stärkere Modulation und Räumlichkeit verleiht, sowie die Wiedergabe der Materialität der Gegenstände, insbesondere der Textilien. Auch das Interesse an der Darstellung von Emotionen nahm zu. Einer der Ersten, der diese Impulse aus den Niederlanden in seine Kunst übernahm, war Lukas Moser (um 1390 – nach 1434). In seinem Magdalenenaltar (1432) in der Pfarrkirche St. Maria Magdalena im schwäbischen Tiefenbronn werfen die Figuren in der Mitte Schatten auf die Mauer im Hintergrund, deren steinerne Struktur minutiös wiedergegeben ist. Auch die Wasserfläche in der weiten Landschaft ist überzeugend dargestellt. Die Wiedergabe der Natur erfährt damit eine ganz neue Qualität. Der oberrheinische Maler Konrad Witz sollte derjenige sein, der zum ersten Mal eine Landschaft topografisch getreu wiedergab: Für sein berühmtes Gemälde „Der wunderbare Fischzug“ (1444; Genf, Musée d’Art et d’Histoire) wählte er den Genfer See als Ort des biblischen Geschehens. Trotz dieses Novums blieb die Landschaft weiterhin nur eine Kulisse für die religiösen Szenen. Erst in der Neuzeit entstanden selbstständige Landschaftsdarstellungen und die Gattung der Landschaftsmalerei, in der dann nicht mehr die

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Landschaft, sondern die Menschen zur Staffage schrumpften. Und dennoch: Im 15. Jahrhundert gewann die Natur in den Gemälden eine bis dahin unbekannte Bedeutung, um dann im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts von den Vertretern der bereits erwähnten Donauschule als Ausdrucksträger eingesetzt und aufgewertet zu werden. In den Kreuzigungsdarstellungen etwa erscheint der Himmel dramatisch dunkel. Albrecht Altdorfer (um 1480 – 1538) schuf die erste sogenannte Weltlandschaft in seinem Historienbild „Die Alexanderschlacht“ (1529; München, Alte Pinakothek), eine höchst komplexe und gelehrte Darstellung über den Sieg Alexanders des Großen, die in einer weiten, die Kontinente umspannenden Landschaft stattfindet. Dennoch ist es Albrecht Dürer, der als die herausragende Persönlichkeit der deutschen Kunstgeschichte zu bezeichnen ist, auch wenn man sich dem Geniekult, der sich im 19. Jahrhundert um ihn rankte, nicht mehr anschließen möchte. In den letzten Jahren hat die Forschung Dürer verstärkt in den historischen Kontext gerückt. Robert Suckale zeigte, dass in Nürnberg schon vor Albrecht Dürer die Malkunst erneuert worden war. Als Beispiel sei hier Hans Pleydenwurff (um 1420 – 1472) genannt, der um 1455 mit dem Diptychon des Georg Graf von Löwenstein das erste als Porträt zu bezeichnende Bildnis im deutschsprachigen Raum schuf. Die großen Ausstellungen über Dürer in Nürnberg (2012) und in Frankfurt (2013) führten vor, dass Dürer sich nicht „selbst erfand“, sondern aus verschiedenen Quellen schöpfte; es war vor allem die Kunst Italiens, die ihn nachhaltig beeinflusste. Von seiner ersten Italienreise (vermutlich 1494 / 95) sind Zeichnungen erhalten, die von seinem Interesse an der Darstellung des nackten Körpers zeugen – damals ein neues Thema in der deutschen Kunst. Aber er richtete den forschenden Blick nicht nur auf den fremden Körper, sondern fertigte auch Selbstbildnisse an, die neben seinem Äußeren Rückschlüsse auf sein Innenleben ermöglichen; das wohl berühmteste ist in der Münchner Alten Pinakothek ausgestellt. Dieses um 1500 gemalte christusähnliche Selbstbildnis zeigt Dürer frontal mit Bart und langen Haaren, bekleidet mit einem pelzbesetzten Mantel. Hier manifestiert sich das neue Selbstverständnis des Künstlers, das Dürer und seine Generation (etwa Lukas Cranach d.  Ä., Hans Baldung Grien, Hans Süss von Kulmbach) entwickelten. Auch das vermehrte Auftreten von Signaturen zeugt von diesem neuen Verständnis und Selbstverständnis, das zugleich die Basis bildete für individuelle Künstlerstile: Die Kunstgeschichte wird zur Künstlergeschichte (Suckale).

Die Kunst der Renaissance Reformation und Gegenreformation

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aximilian I. (1459 – 1519), der ab 1486 römisch-deutscher König und ab 1508 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war, gelang es durch seine Heirat mit Maria von Burgund das Herzogtum Burgund wieder an das Reich zu binden. Mit geschickter Heiratspolitik sorgte Maximilian dafür, dass die Habsburger zu einer Dynastie europäischen Ranges aufstiegen. So erweiterte er den Machtbereich des Hauses Habsburg um die Kronen von Spanien, Böhmen und Ungarn. Stärker als sein Vater Friedrich III. kümmerte sich Maximilian um die Reichspolitik: Der Wormser Reichstag von 1495 lieferte die Grundlagen zu einer Reichsreform, die unter anderem den Landfrieden sichern sollte sowie das Reichskammergericht für eine übergeordnete, geregelte Gerichtsbarkeit und eine Reichssteuer („Gemeiner Pfennig“) einführte. Die wachsende Unzufriedenheit mit der Kirche, insbesondere mit dem Ablasshandel, kulminierte 1517, als Martin Luther (1483 – 1546) seine 95 Thesen in Wittenberg publizierte. Die Reformation und die daraus resultierende Glaubensspaltung führten gemeinsam mit der immer stärkeren Belastung der Bauern durch das Feudalsystem zu Bauernrevolten, die 1525 ein blutiges Ende nahmen. Die katholische Kirche reagierte auf die Reformation mit der Gegenreformation, in deren Zuge neue Orden entstanden, darunter die Jesuiten, die sich wiederum für die Rekatholisierung einsetzten. Bereits 1519 wurde als Nachfolger Kaiser Maximilians I. der Habsburger Karl V. (1500 – 1558) gewählt, den der Papst erst 1530 als letzten deutschen Herrscher zum Kaiser krönte. Da Karl V. ständig Kriege gegen Frankreich, die Osmanen, aber auch gegen den Papst führte, hatte er im Reich selbst keine star-

Die Kunst der Renaissance

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ke Machtposition; die Reformation verbreitete sich ungehindert und führte zu einer konfessionellen Spaltung, die 1555 im Augsburger Religionsfrieden fixiert wurde. Darüber hinaus kam es zu einer politischen Zweiteilung des habsburgischen Herrschaftsgebiets, als Karl V. 1556 zugunsten seines Sohnes Philipp II. (1527 – 1598) auf die spanische Krone verzichtete und sein Bruder Ferdinand (1503 – 1564) im Reich zunächst zum König (1531) und ab 1558 als Ferdinand I. zum Kaiser gekrönt wurde. Trotz der toleranten Religionspolitik blieb der Konflikt zwischen den Glaubensrichtungen virulent. Bezeichnend für diese bewegten Zeiten ist, dass die Freien Reichsstädte immer mehr an Bedeutung gewannen. Das Patriziat hatte sich mit dem Handel einen bisweilen enormen Reichtum erwirtschaftet; es bekleidete politische Ämter und bildete eine neue Auftragsgeberschicht für die Künstler. Diese hatten aufgrund der Reformation ihr bis dahin wichtigstes Betätigungsfeld, die sakrale Kunst, weitgehend verloren. Es entstanden neue Bildgattungen, die bis dahin keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, wie das Porträt und das Landschaftsbild. Dennoch verschwanden die religiösen Themen nicht komplett. Trotz der ablehnenden Haltung Luthers gegenüber der Heiligenverehrung war der Reformator nicht gegen Bildwerke an sich; auch die Lutheraner gaben Kunstwerke in Auftrag, die sich jedoch auf die Darstellung des Lebens Christi konzentrierten. Für den Bildersturm, der in einigen Städten wütete, waren die radikaleren Calvinisten und Zwinglianer verantwortlich.

Kulturelle Voraussetzungen für die Kunst

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ür tiefgreifende Veränderungen im kulturellen Bereich sorgte die Verbreitung des von Italien ausgehenden Humanismus über alle europäischen Länder hinweg. Die Wiederentdeckung der Kultur der Antike übte eine nachhaltige Wirkung nicht nur auf die Bildung – die Geistesgeschichte wie auch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse –, sondern auch auf die Künste aus. Das bis dahin gültige Weltbild geriet mit der Entdeckung Amerikas 1492 und rund fünfzig Jahre später mit der Veröffentlichung des Traktates von Kopernikus 1543 erneut ins Wanken, als auf einmal nicht mehr die Erde, sondern die Sonne das Zentrum des Kosmos bilden sollte. Für das Kunstschaffen wurden die Erkenntnisse aus der Geometrie in Form von mathematisch konstruierten, perspektivischen Darstellungen fruchtbar gemacht und mit der Wiederentdeckung der antiken Literatur erweiterte sich das Themenspektrum um den Bereich der antiken Mythologie.

Renaissance-Architektur

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Das Abbilden des nackten menschlichen Körpers und seiner korrekten Proportionen rückte ins Zentrum des künstlerischen Interesses. Diese Rückbesinnung auf die griechisch-römische Antike wurde zu einer kulturellen Bewegung, die in der Kunstgeschichte seit Anfang des 19. Jahrhunderts als Renaissance (Wiedergeburt) bezeichnet wird. Im Unterschied zu Epochenbezeichnungen wie etwa Romanik oder Gotik umfasste die Renaissance neben der bildenden Kunst auch andere kulturelle Bereiche wie Literatur und Wissenschaft. Die Kunstgeschichte bezeichnet als Renaissance jene Epoche, die in Italien bereits Anfang des 15. Jahrhunderts einsetzte und um 1530 endete, während nördlich der Alpen Renaissanceeinflüsse erst um 1500 zu verzeichnen sind. Die Epochengrenze zwischen der Spätgotik und der Renaissance lässt sich nicht auf ein bestimmtes Jahr oder Jahrzehnt festsetzen, vielmehr existierten wie so häufig beide Stile eine Zeit lang neben- und miteinander. Anders aber als in Italien und Frankreich blieb in Deutschland die Spätgotik bis weit ins 16. Jahrhundert hinein bestimmend. Während die Zeitgenossen die Renaissance als Wiederbelebung der antiken Formen und Werte betrachteten – Dürer bezeichnete sie als „die itzige Wiedererwachsung“ –, gilt sie der Moderne als Aufbruch in die Neuzeit.

Renaissance-Architektur

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o unverbrüchlich die Renaissancearchitektur mit Italien auch verbunden scheint, von einem neuen Menschenbild zeugt die Kunst auch nördlich der Alpen, denn auch hier wurde der Mensch zum Maß aller Dinge. Ausgehend von den Zehn Büchern über Architektur (um 30 v. Chr.) des antiken Architekturtheoretikers Vitruv, wurde der menschliche Körper den geometrischen Formen des Kreises und des Quadrats einbeschrieben und seine Proportionen zu einzelnen Baugliedern und deren Zusammenspiel in Beziehung gesetzt. Diese Analogie und die daraus entwickelte Säulenordnung sollte zu den wirkungsmächtigsten Ideen Vitruvs zählen: „Kein Tempel kann ohne Symmetrie und Proportion eine vernünftige Formgebung haben, wenn seine Glieder nicht in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen wie die Glieder eines wohlgeformten Menschen.“ Selbst wenn Vitruv das Mittelalter hindurch nie ganz in Vergessenheit geraten ist – sein Einfluss etwa auf den Bau von St. Michael in Hildesheim wird immer wieder diskutiert –, so kam es doch erst in der Renaissance zu einer breiten Rezeption seiner Ideen.

Die Kunst der Renaissance

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Dabei wurde der Profanbau zum Träger des neuen Stils. Die zunächst über Architekturtraktate verbreitete italienische Renaissance eröffnete in ihrem Rückgriff auf die Antike ein neues Formenvokabular (Rundbogen, Tonnengewölbe, Säulenordnung), das in Deutschland einerseits von der Gotik überlagert wurde, andererseits unter niederländischen und französischen Einfluss geriet. So überfangen die neuen Renaissanceräume häufig schönste gotische Gewölbe und die Fassaden werden von Schweifgiebeln oder Volutengiebeln bekrönt. Eine Sonderstellung nimmt Deutschland auch in einer weiteren Hinsicht ein: Es war geprägt von zahlreichen freien Reichs- und Handelsstädten, von großen und kleineren Fürstentümern, die jeweils für sich und ihre Untergebenen konfessionelle Entscheidungsgewalt hatten (Augsburger Religionsfrieden von 1555); deshalb entwickelte sich aus den unterschiedlichen Einflüssen kein einheitliches Amalgam, das als typisch deutsche Renaissance oder als typisch deutscher Manierismus beschreibbar wäre. Und dennoch – ob diesseits oder jenseits der Alpen, ob an Weser, Neckar, Donau oder an der Elbe – auf der Grundlage von Vitruv wurde das Bauwerk zum Bedeutungsträger für die Renaissancefürsten, die danach trachteten, ihre Herrschaft mit dem Rückgriff auf die Antike zu legitimieren. Der Heidelberger Ottheinrichsbau

Die Ursprünge der Heidelberger Schlossanlage mit Blick auf den Neckar liegen im 13. Jahrhundert, wobei der als Wohntrakt ab 1556 errichtete Ottheinrichsbau heute nur noch als Ruine existiert (Abb. 22). Dem Kunsthistoriker Wilhelm Lübke galt der Ottheinrichsbau im 19. Jahrhundert noch als „der edelste Spiegel und die höchste Blüte des deutschen Humanismus“. Auch wenn heute diesem Urteil niemand mehr unumwunden zustimmen würde, so gehört er doch immer noch zu den bemerkenswertesten Monumentalbauten der Renaissance nördlich der Alpen: Der Humanist und Lutheraner Ottheinrich von der Pfalz (1502 – 1559) strebte hier nicht nur nach der Übernahme einzelner Formen, sondern nach einem einheitlichen und kompletten Renaissanceentwurf. Der breit gelagerte, streng symmetrische Bau erhebt sich über einem Sockelgeschoss in drei Stockwerken, in der Mitte führt ein triumphbogenartiges Portal in das Innere des Gebäudes. Rechts und links des Portals erstrecken sich je vier paarweise angeordnete Fenster, dazwischen gliedern Pilaster (Parterre und erstes Obergeschoss) sowie Halbsäulen (im zweiten Geschoss) die Fassade, die zusätzlichen Schmuck erhält durch Nischenfiguren zwischen den Doppelfenstern: Personifikationen der Tugend und Planeten, Helden des Alten Testaments und der Mythologie. Von Atlanten und Karyatiden getragen bekrönt das Porträt Ottheinrichs in einem Medaillon das Portal. Beinahe klassisch wirkt der Aufbau der Fassade in der Abfolge der Säulenordnungen: Über dem mächtigen Sockel-

Renaissance-Architektur

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22  Heidelberg, Schloss, Ottheinrichsbau, Hoffassade

geschoss mit rustizierten Pilastern und ionischem Kapitell erheben sich Pilaster mit korinthischem Kapitell, gefolgt von Halbsäulen mit einem Kompositkapitell (Superposition). Ebenso klassisch erscheinen die mit Dreiecksgiebeln bekrönten Fenster (Ädikula). Dennoch ist der Ottheinrichsbau kein „stilreines“ Bauwerk der Renaissance, immer wieder werden die Ungenauigkeiten bemängelt: Die schlichte Anwendung der Klappsymmetrie, das von ionischen Pilastern getragene und damit die Säulenordnung missachtende dorische Gebälk (Andreas Tönnesmann), und auch die Betonung der Vertikalität durch zwei ursprünglich geplante Giebel beziehungsweise Zwerchhäuser, die gemeinsam mit dem Fassadenschmuck auf niederländischen Einfluss verweisen, sind für die italienische Renaissance atypisch. Dennoch kündet die Fassade in aller Deutlichkeit von der Bildung des Renaissancefürsten Ottheinrich: Er besaß in seiner Kammerbibliothek neben Vitruvs Zehn Bücher zur Architektur auch Sebastiano Serlios Architekturregeln und Hans Blums Säulenlehre. Schreibstube, Erker und Wendelstein

Schon einige Jahrzehnte zuvor hatte derselbe Wittelsbacher Pfalzgraf Ottheinrich in Neuburg an der Donau die mittelalterliche Burg zu einem Renaissanceschloss umbauen lassen. Wie zahlreiche andere Fürsten folgte auch er damit dem

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Wunsch, die wehrhafte Burg durch ein Schloss zu ersetzen, das den Fürsten hinter seinen Mauern zwar noch schützte, zugleich aber – und dies war offenbar noch viel wichtiger – sichtbar machte. Neben der Steigerung des Wohnkomforts und der damit zusammenhängenden Erweiterung des Raumprogramms in den Schlössern (so erhalten etwa die wenigen Frauen am Hof eigene Frauenzimmer), war es diese Präsentation des Fürsten, die zu etlichen neuen formalen Lösungen in der Schlossarchitektur führte. Als zuvor im Burgen- und Schlossbau kaum nachweisbare Neuerungen des 16. Jahrhunderts müssen Erker ebenso angesehen werden wie der sogenannte Wendelstein (vor die Fassade gesetzte Treppentürme mit Wendeltreppen) oder die Schreibstuben (studioli). Gerade diese Räume erhielten im Schloss eine Position, die den Sitz des Fürsten nicht nur am Außenbau sichtbar machte, sondern zugleich auch Zeugnis ablegte von dem Fürsten als gutem Herrscher, der den Überblick über seine Ländereien wahrt: Hoch oben im Turm konnte der Schlossherr nicht nur die Aussicht als gerahmten Blick in die Natur genießen, sondern auch als „guter Fürst“ für sein Volk Sorge tragen. Eine solche Position erhielt die Schreibstube etwa in der Albrechtsburg in Meißen, dem ehemaligen kursächsischen Residenzschloss der Wettiner (erbaut ab 1471 von Arnold von Westfalen, Conrad Pflüger u.  a.). Prinzipiell ähnlich sind auch die Dachaufbauten an den Schlössern entlang der Weser zu verstehen: Die Schlösser der sogenannten Weserrenaissance (ein Begriff, der in jüngster Zeit im Zusammenhang mit der Diskussion um die Idee kulturräumlicher Identität in die Kritik geraten ist) verfügen über sogenannte Lukarnen, welche die Schlösser über die sie umgebenden Mauern hinweg überhaupt erst sichtbar machen. Lukarnen, auch Zwerch- oder Zwerghäuser genannt, sind Dachaufbauten, deren Firste rechtwinklig zum Hauptdach verlaufen und deren Giebel, in der Fassadenflucht liegend, die Fassade und damit die Schaufläche zugleich vergrößern. Wir finden sie an den Schlössern in Detmold und Celle, in Bückeburg oder an der Hämelschenburg und, vom Schlossbau auf den bürgerlichen Bau übergehend, auch am Bremer Rathaus oder am Rattenfängerhaus in Hameln. Ausblick und Überblick bestimmten aber auch die Funktion des Erkers, der etwa am Heidelberger Schloss bereits um 1515 an die Hofstube des Frauenzimmerbaus angefügt wurde. Sichtbarkeit und Repräsentation waren schließlich auch eine zentrale Aufgabe der sogenannten Wendelsteine, die mit ihren offenen „Erscheinungslogen“ – ausgehend vom französischen Schlossbau (Château de Blois) – auch in Deutschland immer häufiger am Außenbau angebracht wurden (Schloss Hartenfels in Torgau, Albrechtsburg in Meißen, ursprünglich auch am Berliner Stadtschloss).

Renaissance-Architektur

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Eine Vielzahl der in mittelalterlichen Burgen wurzelnden Schlossanlagen gehorcht nicht, wie die italienischen Renaissance-Palazzi, den strengen Regeln der Symmetrie, ja nicht einmal eine neue Schlossanlage wie jene von Güstrow. Nach einem Brand entschied sich Herzog Ulrich III. für eine Neukonzeption des Schlosses, das ab 1558 unter der Leitung des italienischstämmigen Architekten Franz Parr errichtet wurde und die Nobilität des Herrschers in einer ganz eigenen Sprache sichtbar machte. Selbst eine so mächtige Schlossanlage wie jene von Aschaffenburg hält sich an das Diktat der Symmetrie nur am Außenbau. Aber es gibt auch diesseits der Alpen italienisch anmutende Stadtresidenzen, in Jülich ebenso wie in Landshut. Unterhalb von Burg Trausnitz in Landshut ließ sich Herzog Ludwig X. von Bayern 1536 bis 1543 eine Stadtresidenz errichten, die an Giulio Romanos Palazzo del Te in Mantua (1525 – 1535) anknüpft; inwiefern er bei der Planung der Landshuter Residenz tatsächlich auch beteiligt war, ist immer noch unklar. Mitten in der Stadt, ohne jegliche Befestigung, kündet sie in ihrer Wehrlosigkeit vom humanistischen Ideal des „guten Herrschers“, der sich vor keinen Feinden fürchten muss. Das Vorbild der italienischen Palazzi wird im Innenhof des sogenannten Italienischen Baus mit seinen Arkaden und den mit Dreiecks- und Segmentbogengiebeln bekrönten Fenstern sowie dem starken Rustika-Mauerwerk im Erdgeschoss mit dorischen Kolossalpilastern ebenso deutlich wie in der kostbaren Innenausstattung mit Marmorböden, Stuckdecken und prachtvollen Fresken. Das Münchner Antiquarium

Der wohl berühmteste und größte profane Innenraum der deutschen Renaissance aber wurde in München errichtet: das sogenannte Antiquarium (1568 – 1571). Gemeinsam mit dem neu angelegten Hofgarten wurde es als frei stehender Neubau in die bereits bestehende Schlossanlage integriert. Das Antiquarium diente zur Aufnahme der Antikensammlung und stellt als baulich eigenständige Antikengalerie einen neuen Gebäudetyp dar. Unter einer Stichgewölbetonne sind zwischen Wandpfeilern Büsten römischer Kaiser aufgestellt, ergänzt von Skulpturen, die unter anderen Wittelsbacher und Habsburger porträtieren. Auch hier wurde die eigene Herrschaft mittels historischer Bezüge legitimiert. Die Ausmalung der Gewölbe erfolgte allerdings erst unter dem bayerischen Herzog Wilhelm V., der auch den Boden tiefer legen und den Raum zu einer Festhalle erweitern ließ (1580 – 1584).
 Augsburg und die Fugger

Eine Sonderstellung innerhalb der Renaissancearchitektur nimmt Augsburg mit der Familie der Fugger und ihren zahlreichen Handelsbeziehungen nach Italien

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ein. Die Fuggerkapelle, die an die Karmeliterkirche St. Anna angebaute Familiengrablege der Fugger, greift allen Fürstenhäusern vor und bezieht sich als erstes Bauwerk Deutschlands auf die italienische Renaissance, und zwar im Wandaufbau und in seinem quadratischen Grundriss, ebenso wie in der Wahl kostbarer Materialien. Aber auch dieser Raum ist anstelle der in Italien üblichen Tonne mit einem rippentragenden Gewölbe überspannt (erbaut 1509 – 1518). Doch waren die Fugger nicht nur ökonomisch rege, sondern Jakob Fugger (1459 – 1525) agierte auch als wichtiger Berater beim Bau des Antiquariums, und mit der sogenannten Fuggerei initiierte die Familie das erste soziale Wohnbauprojekt. Die wichtigen Innovationen des 16. Jahrhunderts entstanden im Profanbau und selbst im sakralen Bereich zeigte sich die Renaissance beinahe ausschließlich als bürgerliche oder fürstliche Stiftung. Selbst die Münchner Jesuitenkirche St. Michael (1583 – 1597) – ein Manifest der Gegenreformation, das sich an der römischen Jesuitenkirche Il Gesù (begonnen 1568) orientiert – steht mit ihrem höfischen Architekten Friedrich Sustris (um 1540 – 1599) und mit dem Finanzier Herzog Wilhelm V. in enger Verbindung zum Hofe. Sustris zeichnete auch für das Münchner Antiquarium und den Grottenhof verantwortlich. Abgesehen von diesen wenigen Ausnahmen im Kirchenbau, war der bereits im Zusammenhang mit der Gotik beschriebene Typus der Hallenkirche noch immer dominant, allerdings erweitert um die in der Torgauer Schlosskapelle (1544 von Luther geweiht) eingeführte Empore. An den sakralen Bauten wird besonders deutlich, dass die Gotik nie ganz aufgegeben wurde. Das hat auch mit einem neu erwachten Bewusstsein für die eigene Geschichte zu tun und mit den Anfängen der Kunstrezeption: Die Kunst wurde damals zum ersten Mal unabhängig von einer sakralen Bedeutung und damit als autonom wahrgenommen sowie in einen Entwicklungszusammenhang gestellt, der als spezifisch deutsch interpretiert wurde. „Das Bewusstsein“, schreibt Katharina Krause, „für die Existenz einer deutschen Kunst und für ihre Veränderlichkeit im Verlauf der Geschichte ist eine Errungenschaft des 16. Jahrhunderts.“ Mit ähnlichem Anspruch wie die Fürsten traten auch die Ratsherren und Bürger auf, die in Anlehnung an den Schlossbau auch an ihren Rathäusern, Zeughäusern oder Markthallen antikisches Vokabular zitierten und sich Renaissance-Loggien errichteten (Kölner Rathauslaube, Cornelis Floris und Wilhelm Vernukken, 1569 – 1573) oder ihren Anspruch in aufwendigen Fassaden manifestierten (Augsburger Rathaus und Zeughaus, Elias Holl, 1615 – 1620 und 1602 – 1607). Auch die Bürgerhäuser zeigten teilweise reichen Schmuck, wie etwa das prächtig gestaltete Pellerhaus in Nürnberg, eine Stadt, die einst von zahlreichen Renaissancebauten geprägt wurde. Wegen der strengen Gesetze gegen Luxus durfte sich der Reichtum zwar nur im Innenhof entfalten, aber hier zeigte

Renaissance-Skulptur

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sich erneut die ganze Bandbreite deutscher Renaissancearchitektur und -ornamentik: volutengeschmückte Giebel, Muschelaufsätze, Rollwerk und Festons, die bereits in den Barock weisen.

Renaissance-Skulptur

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ie Reformation bedeutete besonders für die Bildhauer und Bildschnitzer eine Zäsur; in vielen Städten brach der Markt für Skulpturen sogar gänzlich zusammen. Viele Bildschnitzer mussten sich als Zimmermann oder als Schreiner ihren Lebensunterhalt verdienen, während andere in Länder emigrierten, die von der Reformation nicht so stark betroffen waren, etwa der Ulmer Bildschnitzer Daniel Mauch (1476 / 77 – 1540). Er siedelte gegen 1530 nach Lüttich über und gehört zu den ersten deutschen Bildschnitzern, die sich mit der italienischen Renaissance auseinandersetzten. Das Sippen-Retabel in Bieselbach bei Augsburg (1510) macht das deutlich, denn es ist das erste (erhaltene) Beispiel, in dessen Architektur (rundbogiger Schreinabschluss, Verzicht auf Gesprenge) und Ornamentik (Putten mit Füllhörnern, Girlanden, Fruchtkorb) Formen der Renaissance auftreten. Das Thema des Retabels, die Heilige Sippe, hat eine repräsentative Funktion ohne einen erzählerischen Duktus und besitzt dadurch eine Verwandtschaft mit dem Bildtypus der italienischen sacra conversazione (thronende Madonna umgeben von Heiligen). Während Anna und Maria in zeitlose Gewänder gehüllt sind, sind bei den Marienschwestern und deren Ehemännern zahlreiche modische Details zu beobachten, beispielsweise bei Maria Kleophas das kurzarmige Kleid mit Samtbesatz, aus dem die Hemdsärmel herausquellen, und die aus geflochtenen Stoffstreifen bestehende Haube. Solche Darstellungen zeitgenössischer Kleidung bei Heiligen war den Bildkritikern – schon vor Luther – ein Dorn im Auge. Zur selben Generation wie Mauch gehörte der Wormser Conrat Meit (1470 / 1485 – 1550 / 51), dessen Karriere durch die Reformation jedoch nicht ins Stocken geriet, waren seine Auftraggeber doch Fürsten und Herzöge. Nach seiner Tätigkeit in Wittenberg im Dienst des Kurfürsten Friedrich III. folgte er wohl um 1512 / 13 dem Ruf der Erzherzogin Margarete von Österreich und Regentin der Niederlande als Hofbildhauer nach Mechelen (heute Belgien). Als sein Hauptwerk gelten die Figuren für die Grabmäler der Regentin, ihres letzten Ehemanns und dessen Mutter in der Klosterkirche in Brou bei Bourgen-Bresse in Frankreich. Neben diesen groß angelegten Arbeiten führte er aber auch kleinformatige Bildwerke aus, etwa die Statuette der Judith mit dem Haupt

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des Holofernes (1525 – 1528; Bayerisches Nationalmuseum, München). Sie ist vollplastisch in kostbarem Alabaster gearbeitet, der die Sinnlichkeit des nackten weiblichen Körpers unterstreicht: Das biblische Thema tritt in den Hintergrund, die erotische Wirkung wird zum Hauptmotiv. Man kann also davon ausgehen, dass die Statuette für einen privaten Raum, vermutlich für eine Kunstsammlung, geschaffen wurde, wie sie auch Margarete von Österreich am Hof in Mechelen führte – eine der bedeutendsten Kunstsammlungen ihrer Zeit. Die Judith-Statuette (Höhe 29,5 cm), auf deren antikisierendem Sockel die Inschrift den Namen des Künstlers und seine Herkunft vermerkt, steht beispielhaft für die Gattung der autonomen Kleinplastik, die in der Renaissance wieder neu aufkam. Durch ihr Format ist sie mobil und handlich, kann also einfach transportiert und von jeder Seite genau betrachtet und studiert werden. Es entwickelte sich eine Kunstkennerschaft, die nicht nur in den höfischen Kunstkammern, sondern auch unter wohlhabenden Bürgern gepflegt wurde. Wie in der Malerei erfreute sich in der Skulptur das Porträt großer Beliebtheit; die Protagonisten aus bürgerlichen und höfischen Kreisen ließen von sich vollplastische Büsten und Porträtmedaillen anfertigen. An den Höfen wurden die Bildhauer verpflichtet, auch die Schlossfassaden sowie die Rauminnenwände plastisch zu gestalten. Nicht mehr im Auftrag der Kirche und für Kirchengebäude, sondern von Seiten der Fürsten und für ihre Residenzen wurden die großen und wichtigen innovativen Aufgaben realisiert, beispielsweise in München und Dresden, die eine Vorreiterrolle übernahmen. Im Zuge der Antikenrezeption kam auch Stuck als Material erneut zur Verwendung, ebenso gewann Terrakotta an Bedeutung, beides vor allem bei der Wandgestaltung repräsentativer Innenräume; das vorherrschende Material für die Skulptur selbst war hingegen Stein und Bronze. Aus Holz (Obst- und Buchsbaum) wurden hauptsächlich Statuetten angefertigt. Eine enorme Steigerung in der Wertschätzung erfuhr das Relief, das bis dahin als zweitrangig wahrgenommen und nun vor allem für seine illusionistischen Möglichkeiten geschätzt wurde. Neben Porträtmedaillons entstanden auch komplizierte, vielfigurige Szenen, die trotz der Flachheit des Materials Raumtiefe besonders eindrücklich suggerieren. Daneben stellten weiterhin Grabmäler und neu hinzukommend Brunnenfassungen wichtige Aufgaben für die Bildhauer dar. Zum gängigsten Typus der Grabmäler avancierten die in die Wand eingelassenen Epitaphe (Gedenkmale oder -tafeln mit Inschrift und gegebenenfalls Figurenschmuck), die Bürger gleichermaßen wie Adel oder Klerus in Auftrag gaben. Die Brunnen dienten Repräsentationszwecken, nicht nur in den Städten, die damit für ihre gut funktionierende Wasserversorgung werben konnten, sondern ebenfalls an den Höfen, deren Gärten im Zuge der Renaissance einen neuen ästhetischen Wert erhielten und

Malerei im 16. Jahrhundert

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dementsprechend gestaltet wurden – einer der berühmtesten Gärten war der Hortus Palatinus des Heidelberger Schlosses.

Malerei im 16. Jahrhundert

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nfang des 16. Jahrhunderts verbreiteten sich die Anregungen der italienischen Renaissance bis nach Deutschland. Einerseits brachten Künstler wie Albrecht Dürer, Hans Burgkmair d.  Ä . (1473 – 1531) oder Hans Holbein d. J. (1497 – 1543) Skizzen von ihren Italienreisen mit, andererseits war die Druckgrafik maßgeblich an der schnellen Verbreitung beteiligt. Die Künstler übernahmen in ihre Bilder nicht nur das antike Formengut, wie Putten, Girlanden und architektonische Elemente (Rundbogen, Pilaster mit Grotesken, Muschellünetten), sondern zeigten ebenfalls Interesse an der Erfassung von räumlicher Tiefe, und zwar sowohl im Bildraum selbst als auch in der perspektivischen Wiedergabe von Figuren. Doch auch maltechnische Besonderheiten fanden ihren Widerhall bei den deutschen Künstlern. Während die mittelalterliche Malerei von flächiger Buntfarbigkeit dominiert war, wurde nun ein ausgewogenes Kolorit mit feinen Abstufungen bevorzugt. Farbe und Licht wurden bewusst zur Erzeugung von Stimmungen im Bild eingesetzt, die zugleich eine Botschaft transportieren konnten. Hervorragende Beispiele hierfür sind die „Alexanderschlacht“ von Albrecht Altdorfer (1528 / 29) oder auch Dürers zweiteiliges Werk „Die Vier Apostel“ (Abb. 23), das er 1526 als Geschenk für den Rat seiner Heimatstadt Nürnberg schuf. Dürers Tafeln waren keineswegs als reine Dekoration gedacht, sondern hatten eine didaktische beziehungsweise warnende Funktion. Die Inschriften mit Bibelzitaten am unteren Rand mahnten den Stadtrat, sich vor den „falschen Propheten“ zu hüten und sich nach der Bibel zu richten. Die Gemälde zeigen jeweils zwei monumentale Apostelfiguren, die den Bildraum fast komplett füllen. Die Konzentration auf die Figuren wird dadurch noch betont, dass eine monochrome dunkle Folie den Hintergrund bildet, vor dem die Apostel auf einer schmalen Steinbühne stehen. Dominierend sind die Gewänder der beiden vorn und im Profil stehenden Apostel: der heilige Johannes der Evangelist ist in einen roten Mantel gehüllt, der Apostel Paulus in einen weißen Überwurf. Mit diesen großen Farbflächen kontrastieren die Gesichter, deren Hauttöne (Inkarnat) äußerst fein abgestuft sind. Geschickt spielt Dürer mit dem Licht, das von rechts einfällt. Damit bleibt das Gesicht von Paulus im Schatten, während die anderen

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23  Albrecht ­Dürer, Die Vier Apostel, München, Alte Pinakothek

drei Apostel wie von einer Lichtquelle beleuchtet wirken. Dürer bezieht sich in diesem Spätwerk sowohl auf seine Venedig-Reise (das Motiv ist wahrscheinlich dem Marienretabel von Giovanni Bellini in der Frari-Kirche entlehnt) als auch auf die Anregungen aus den Niederlanden: Die detaillierten, wirklichkeitsnahen Charakterköpfe der Apostel zeugen von der großen Kunst der niederländischen Maler. Derselben Generation wie Albrecht Dürer gehörte Lucas Cranach d.  Ä . (1572 – 1553) an, der ebenfalls Anregungen aus der italienischen Renaissance und dem Humanismus empfing, aber nicht wie Dürer auf formaler Ebene (Auseinandersetzung mit den menschlichen Maßen, italienische Formensprache), sondern eher auf thematisch-inhaltlicher Ebene. So gehören zu seinem ­Œuvre unter anderem Aktdarstellungen der Venus oder von Quellnymphen, deren Nacktheit einen deutlich erotischen Charakter haben. In seinem Spätwerk zeigen die Figuren zusehends überlängte Proportionen und wirken dadurch artifiziell. In der Forschung gilt Lucas Cranach d.  Ä . deshalb als ein Vorreiter des Manierismus. Solche Tendenzen sind aber auch in den Werken der Künstler Hans Burgk­mair

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24  Hans Holbein d. J., Der Kaufmann Georg­Gisze, Berlin, SMB, Gemäldegalerie

d.  Ä . und Hans Baldung gen. Grien zu entdecken. Zeitgleich mit ihnen war Hans Holbein d. J. tätig, der als der Hauptvertreter der Renaissancemalerei im deutschsprachigen Raum zu bezeichnen ist. Seine Ausbildung muss er in der Augsburger Werkstatt seines Vaters, Hans Holbein d.  Ä . (um 1465 – um 1524), genossen haben. Der Sohn war unter anderem in Basel und in London tätig, wo er seit spätestens 1536 als Hofkünstler Heinrichs VIII. (1491 – 1547) zahlreiche Porträts schuf. In dieser Bildgattung gelangen ihm Werke, die in ihrer kühlen, nüchternen Darstellungsweise zugleich die Porträtierten charakterisieren – was Holbein eine solitäre Stellung in der Kunstgeschichte einbrachte. Das Bildnis des Kaufmanns Georg Gisze (Abb. 24), das, wie die Inschrift im Bildhintergrund mitteilt, den 34-Jährigen im Jahr 1532 zeigt, gehört zu den he­rausragenden Beispielen seiner Porträtkunst. Der aus Danzig stammende erfolgreiche Hansekaufmann ließ sich in prächtiger Kleidung in seinem Londoner Kontor darstellen. Während einige der Gegenstände über Stand und Beruf informieren (Rechnungsbuch, Waage, Siegel), sind andere allegorisch zu deuten, wie die Vase mit den verschiedenen Blumen, die jeweils auf die Charaktereigenschaf-

Die Kunst der Renaissance

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ten (Liebe, Treue, Reinheit und Bescheidenheit) des Kaufmanns anspielen. Die goldene Dosenuhr ist als Zeichen für den Wohlstand zu interpretieren, sie steht aber auch für die Vergänglichkeit der Zeit als ein klassisches Vanitas-Symbol. Holbein demonstrierte in diesem Bildnis nicht nur seine Fähigkeit, Menschen zu porträtieren, sondern auch sein hohes malerisches Können, das besonders in den kühlen, fein aufeinander abgestimmten Farben und bei der Wiedergabe der verschiedenen Materialoberflächen zum Vorschein kommt. Dass Holbein sich mit der Darstellung des Porträtierten intensiv auseinandersetzte, zeigen die zahlreichen Vorstudien, die noch erhalten sind. Diese Zeichnungen, teilweise auch koloriert, sind oft im Gegensatz zum fertigen Bild freier und konzentrieren sich mehr auf den Charakter des Dargestellten als auf seinen Stand. Hier lassen sich zwei grundlegende Neuerungen feststellen. Zum einen die Entdeckung der Persönlichkeit, die sich auch in einem neuen (Selbst-)Verständnis der Künstler ausdrückte – während aus dem Mittelalter nur vereinzelt Künstlersignaturen überliefert sind, wurden diese nun gängige Praxis. Zum anderen die enorme Aufwertung der Gattung Zeichnung. Im Mittelalter wurde die Zeichnung nicht als autonomes Kunstwerk betrachtet, sondern war entweder Entwurf, eine Vorzeichnung für ein Werk (auch für die Architektur), oder eine Nachzeichnung, um einer Werkstatt als Vorlage zu dienen. Zeichnungen, die allein wegen ihres ästhetischen Gehalts geschaffen und geschätzt wurden, entstanden im Norden erst ab dem frühen 16. Jahrhundert. Ein wichtiges Kunstzentrum war um die Jahrhundertwende wiederum Prag, wo Rudolf II. (1552 – 1612) Hof hielt. Er war der Nachfolger Philipps II. und seit 1576 Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Seine Ambitionen galten jedoch weniger der Politik als der Förderung der Wissenschaften und der Künste. Seine Kunst- und Wunderkammer war die größte ihrer Zeit. An seinem Hof versammelten sich Künstler aus ganz Europa, etwa der Antwerpener Bartholomäus Spranger (1546 – 1611), der Kölner Hans von Aachen (1552 – 1615) und der Baseler Joseph Heintz d.  Ä . (1564 – 1609). Ihren Werken gemeinsam ist die manieristische Formensprache mit den charakteristischen überlängten Figuren, die in künstlichen, übertriebenen Posen dargestellt sind, sowie die Vorliebe für erotische Themen. Die Spezialität des Italieners Giuseppe Arcimboldo (1527 – 1593), der schon 1562 nach Prag gerufen wurde, waren hingegen allegorische Porträts, die er fantasievoll aus Früchten, Blumen und Tieren zusammensetzte. Zu seinen Aufgaben gehörte es aber auch, Werke für die kaiserliche Kunstkammer zu erwerben. Die gesammelten Artefakte sind allerding nicht mehr im Zusammenhang zu besichtigen, sie wurden Opfer des Dreißigjährigen Krieges.

Die Kunst des Barock und Rokoko

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ie Frühe Neuzeit, die einerseits mit den Entdeckungen und der Expansion der Europäer auf andere Kontinente begonnen hatte und andererseits von den Ideen des Humanismus geprägt war, brachte darüber hinaus mit Luthers Reformation die Kirchenspaltung und dadurch ausgelöste Glaubenskriege, die im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) gipfelten. Als nach dem Zweiten Prager Fenstersturz, der als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges gilt, die böhmischen Stände sich gegen den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches verbündeten, begann die „Weltmachtstellung“ der Habsburger zu bröckeln. Dabei ging es nicht nur um einen Glaubenskrieg, sondern gleichermaßen um Machtstreitigkeiten ganz anderer Art, an denen sich ganz Europa beteiligte; Austragungsort aber war das Heilige Römische Reich. Erst nach dem Westfälischen Frieden im Jahr 1648 konnte sich hier die Kunst des Absolutismus, der Barock, ausbreiten. Neben den Habsburgern bauten zahlreiche Fürsten und Herzöge ihre Macht im Reichsgebiet aus, aber erst das 1701 aus dem Kurfürstentum Brandenburg und dem preußischen Herzogtum hervorgegangene Königreich Preußen sollte nach dem Tod des letzten männlichen Habsburgers der österreichischen Linie im Jahr 1740 entscheidenden Einfluss gewinnen. Auch die spanische Linie der Habsburger war 1700 erloschen, was zum Spanischen Erbfolgekrieg führte. Knapp 150 Jahre zuvor hatte sich der Habsburgerspross König Philipp II. von Spanien, der Sohn Kaiser Karls V., bei Madrid eine Schlossanlage errichten lassen, die zur größten der Renaissance werden sollte und zugleich Maßstäbe setzte für die folgenden 250 Jahre: die königliche Klosterresidenz San Lorenzo de El Escorial (1563 – 1584). Nicht weniger einflussreich sollte die knapp 100 Jahre später, 1668, bei Paris begonnene Schlossanlage des absolutistischen französischen Königs Ludwig XIV. werden: das Château de Versailles. Im Heiligen Römischen

Die Kunst des Barock und Rokoko

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Reich gab es trotz der wichtigen Rolle, die Wien übernahm, keine wirkliche Hauptstadt und damit auch keine vergleichbare „zentrale“ Schlossanlage. Stattdessen wetteiferten die Fürsten untereinander und errichteten zahlreiche mächtige Klöster und Schlossanlagen: Lustschlösser und Sommerresidenzen, Jagdschlösser und Stadtresidenzen; etliche Städte erhielten damals ihren barocken Prospekt. Die Tendenz des Barocks zum „Gesamtkunstwerk“ ließ die Gattungen verschmelzen: Architektur, Skulptur und Malerei bildeten eine Einheit, deren Grenzen kaum noch auszumachen waren. Die Frage, wo die gemalte Architektur beginnt und die reale endet, wurde zum Spielfeld theatraler Inszenierungen. Selbst die Bautypen glichen sich einander an; so verwendeten Kloster und Schloss nicht nur dasselbe Formenvokabular, sondern entwickelten auch ein vergleichbares Raumprogramm.

Barockarchitektur

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er berühmte Zwinger in Dresden zeigte eine überaus plastische Bildhauerarchitektur, die süddeutschen Kirchen reich kurvierte, schwingende Formen. Die Innen- und Außenräume der Profan- wie Sakralbauten orientierten sich dabei an der Oper – das theatrum sacrum („heilige Theater“) ging sogar so weit, dass sich am Hochalter des Dießener Marienmünsters die Bilder wie auf einer Bühne versenken ließen. Aber hierin drückt sich nicht die Gesamtheit des deutschen Barock aus, auch der eher gravitätische Stil eines Schlüter in Berlin gehört dazu, auch die imperiale Architektur der Habsburger in Wien. Erst in der Gesamtschau zeigt sich das vielfältige Bild dieser Epoche. Zahlreiche Bauten, die mehr Nähe zur Regelhaftigkeit der Renaissance aufweisen und Brücken zum Klassizismus schlagen, wurden errichtet und wirkten, wenn man den Begriffen von Barock und Rokoko auf etymologischer Ebene folgt, auf den ersten Blick nur schwer subsumierbar: Barock lässt sich auf die portugiesische barucca zurückführen, eine unregelmäßig geformte Perle. Die Bezeichnung wurde im 16. Jahrhundert zwar zunächst wertfrei, dann aber im klassizistischen Diskurs Frankreichs pejorativ verwendet und selbst Ende des 19. Jahrhunderts noch in Jacob Burckhardts Cicerone als „verwilderter Dialekt“ der Renaissance beschrieben. Das aus dem französischen Wort für Grotten- und Muschelwerk (rocaille) abgeleitete Rokoko bezieht sich vor allem auf eine Dekorationsform. Beide Begriffe dienen zur Charakterisierung der Epoche und / oder des Stils, und obwohl das Rokoko den Pathos des Barock aufhob, graziler und leichter war, so basieren doch beide Aus-

Barockarchitektur

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prägungen auf denselben Prinzipien der Architektur und manifestieren keinen Wendepunkt – in den folgenden Architekturbeschreibungen werden sie deshalb nicht getrennt behandelt. Für die Wohnkultur und die Möbel wurde das Rokoko jedoch bestimmend, für die Entwicklung der Chinoiserie, der Orientierung an chinesischen Vorbildern, ebenso wie für das Friderizianische Rokoko, wie es in der Innenausstattung der Schlösser Sanssouci in Potsdam und Charlottenburg in Berlin zu sehen ist. Auch in der Malerei und der Skulptur hinterließ das Rokoko deutlicher abgrenzbare Spuren. Im 17. und 18. Jahrhundert begann die Kunstgeschichte Deutschlands tatsächlich eine Geschichte der Künstler zu werden. Zum einen schrieben die ersten Künstler, wie einst der Maler und Architekt Giorgio Vasari für Italien, nun auch für die Kunst nördlich der Alpen „Künstlerviten“ und damit Kunstgeschichte: Johann Fischart ging im 16. Jahrhundert voran, gefolgt von Karel van Mander und im 17. Jahrhundert von Joachim von Sandrart. Zum anderen leisteten sich die großen Kunstzentren ihre Hofbaumeister. Wir kennen den enormen Einfluss der aus Bayern stammenden Baumeisterfamilie Dientzenhofer, jenen von Balthasar Neumann (1687 – 1753), von Dominikus Zimmermann (1685 – 1766) und Johann Michael Fischer (1692 – 1766), ebenso wie die Konkurrenz zwischen den Wiener Baumeistern Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656 – 1723) und Johann Lucas von Hildebrandt (1668 – 1745), wir kennen die Brüder Asam – Cosmas Damian (1686 – 1739) und Egid Quirin (1692 – 1750) – in München und Andreas Schlüter (1660 – 1714) in Berlin. Dessen Entwürfe für das Stadtschloss stehen im Zuge des Wiederaufbau des Schlosses anstelle des niedergerissenen Palastes der Republik wieder zur Diskussion und zeigen zugleich, dass weder eine Epoche noch ein Gebäude das konsequente Abbild eines Stils sein muss, sondern meist vielfältige Strömungen vereint. Sakrale Baukunst

Trotz verheerender Verluste sind Kirche und Klöster politisch erstarkt aus den (Glaubens-)Konflikten im 17. Jahrhundert hervorgegangen und konnten sich Prestigebauten leisten, wie etwa die von Dominikus Zimmermann geplante Wieskirche (1746 – 1757) im bayerischen Voralpenland, die exorbitante Summen verschlungen haben muss. Diese Bauten waren nicht nur Manifestationen des Glaubens, mit ihnen wurde auch um die Gläubigen geworben. Auch wenn die landläufige Meinung, der Barock sei eine singulär katholische Erscheinung, einzuschränken ist, so ist doch im katholischen Süden ein Schwerpunkt auszumachen. Dennoch gab es durchaus auch mächtige evangelische Kirchenbauten, die dem neuen Stil folgten; beispielsweise entstanden in Dresden beinahe zeitgleich die evangelische Frauenkirche und die katholische Hofkirche. Die Initiationsbau-

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ten waren jedoch diesseits und jenseits der Alpen gegenreformatorische Jesuitenkirchen, und zwar Il Gesù (begonnen 1568) in Rom und St. Michael in München (begonnen 1583). Beide Kirchen zeigen bereits einen Bautyp, der im Barock bevorzugt werden sollte: Anstelle einer in Mittel- und Seitenschiffe aufgegliederten Basilika beziehungsweise Hallenkirche entschieden sich die Jesuiten zwar weiterhin für einen Longitudinalbau, also einen langgestreckten Bau im Gegensatz zu einem Zentralbau, doch erhebt sich dieser über einem einzigen Schiff. An die Stelle der Seitenschiffe sind zwischen die Pfeiler eingefügte Nischen getreten, häufig überspannt von quer zur Längsachse des Schiffs liegenden Tonnen und Emporen – dieser bereits in der Renaissance entwickelte Kirchentypus wird als Wandpfeilerkirche bezeichnet (vgl. auch das „Vorarlberger Schema“). Der Vorteil einer solchen Lösung besteht darin, dass der Kirchenraum verstärkt als Raumeinheit wahrgenommen und eine Zergliederung vermieden wird; solchermaßen erscheint das Kircheninnere als konsequente Umsetzung der Forderungen des Konzils von Trient (1545 – 1563) nach einer Konzentration auf den Hauptaltar. Die Abteikirche Zwiefalten

Eine solche Wandpfeilerkirche ist beispielsweise die Benediktinerabteikirche Unserer Lieben Frau in Zwiefalten. Sie wurde zwischen 1744 und 1754 unter dem Architekten Johann Michael Fischer errichtet (Innenausstattung bis 1765). Über hohen korinthischen Doppelsäulen zu beiden Seiten des Schiffs erhebt sich ein Tonnengewölbe. Die Vierung ist überkuppelt, wobei das Querschiff seitlich nur unwesentlich über das Längsschiff mit den Wandpfeilern hinausragt. Die Nischen und Emporen zwischen den Pilastern erhalten ihren Abschluss ebenfalls in Tonnenform, aber schon an der Brüstung der Emporen ist ablesbar, dass hier das streng rechtwinklige System der Wandpfeilerkirche aufgebrochen wurde: Die Emporen schwingen konvex in den Kirchenraum und die Stichkappen unterstützen diese Bewegung. Im Grundriss zeigt sich diese Kurvierung in je vier Längsovalen entlang des Mittelschiffs. Eine zusätzliche, auf den Hochaltar ausgerichtete Dynamik des Baus entsteht durch die Staffelung der Pfeiler. Obwohl sich das Kircheninnere über dem altbekannten Grundriss des Kreuzes erhebt – allerdings sind hier das Langhaus vor der Kuppel und der dahinter liegende Chor samt Altarraum gleich lang –, erhält es durch die spezifische Wand- und Gewölbebehandlung einen völlig anderen Ausdruck. In entscheidender Weise unterstützt und mitgetragen wird diese Schwingung von der Freskomalerei: Während die sakrale Malerei in den protestantischen Kirchen weiterhin auf die Tafelmalerei beschränkt blieb und sich auf den Altar konzentrierte, eroberte sie im katholischen Süden erneut die Wände und vor

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allem die Decken. Die Freskomalerei des Barock ist ein einziger, sich über die gebauten Strukturen hinwegsetzender Rausch an dynamischer Bewegung und Illusion. Kein ornamentaler Rahmen fasst mehr das Fresko ein, es geht vielmehr darum, die Bild- und Raumgrenzen zu sprengen. So begriff Franz Josef Spiegler (1691 – 1757) das Deckengemälde im Zwiefaltener Tonnengewölbe (ab 1748) als Einheit und öffnete den Raum in einer illusionistischen Inszenierung: Das Deckenbild ist nicht kleinteilig gegliedert, sondern ein einziges monumentales Gemälde, dessen vier Bildbereiche am Gewölbefuß sich in einer gemalten Architektur und einem sich in die Höhe schraubenden Wolkenstrudel fortsetzen. Der Barock konzentrierte sich stark auf den sakralen Innenraum und entwickelte dafür vielfältige neue Grundrissgeometrien. Dabei konnte es sich um eine dem „Vorarlberger Schema“ verwandte Wandpfeilerkirche handeln, wie in Zwiefalten oder im Kloster Banz (1710 – 1719, Johann Dientzenhofer), oder um einen länglich gerundeten Zentralbau (Wieskirche, 1745 – 1754; Wallfahrtskirche in Steinhausen, 1728 – 1733, beide von Johann Baptist und Dominikus Zimmermann). Auch gab es den Typus der dreischiffigen Hallenkirche (Kloster Weingarten, 1715 – 1724, Franz Beer u.  a .). Der Grundriss konnte sich aus Längs- oder Querovalen zusammensetzen (Benediktinerabteikirche Weltenburg, 1716 – 1740, Cosmas Damian Asam); er konnte sich, ausgehend von einer dreischiffigen Basilika, auch zu einer Kombination aus drei Ovalrotunden entwickeln (Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen, 1742 – 1772; Hofkirche Würzburg, 1732 – 1742, beide Balthasar Neumann) oder sich aus zwei Saalräumen bilden (Benediktinerabteikirche St. Ulrich und Afra in Neresheim, 1747 – 1769, Balthasar Neumann u.  a .). In all diesen Kirchen, um nur einige der wichtigsten zu erwähnen, lässt sich eine neue Dynamisierung beobachten: Wände und Gebälk sind kurviert (Hohlkehle) und bewegen sich wellenförmig dem Hauptaltar zu, Pfeiler werden schräg gestellt, Gewölbe und Kuppeln überschneiden sich, die Gurtbögen schwingen mit- und gegeneinander und verlaufen nicht mehr rechtwinklig zur Längs- oder Querachse. Der Boom des Wallfahrtswesens um 1700 drückt sich in diesen Bauten ebenso aus wie die Ambition, die Stellung des Klosters durch äußere Prachtentfaltung nicht nur zu demonstrieren, sondern sogar noch über die realen Verhältnisse hi­ naus zu steigern. Denn über die Sprache der Architektur ließen sich auch politische Absichten wirkungsvoll in Szene setzen. So war etwa Zwiefalten zu dem Zeitpunkt, als mit dem Bau der Abteikirche begonnen wurde, kein Reichskloster und doch wählte Johann Michael Fischer mit der korinthischen Säulenordnung ein für jedermann lesbares Zeichen, nämlich jene Ordnung, die nach der Säulenlehre nur für die höchststehenden Gebäude adäquat war – nicht für Waffenlager (wie etwa die Zeughäuser in Berlin oder in Wien: beide dorisch), nicht für

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Lustschlösser (zu denen ursprünglich auch Versailles zählte: ionisch) oder Nebengebäude (wie die Hofbibliothek und Kunstkammer der hessischen Landgrafen in Kassel, das Fridericianum: ionisch). Nur für die allerhöchsten Bauaufgaben wie St. Peter in Rom, das Berliner Stadtschloss, sogar das Rathaus in Amsterdam wurde diese Ordnung gewählt. Ganz offensichtlich wurden die Zeichen auch in Zwiefalten richtig gedeutet, denn ab 1750 war die Abtei zur Reichsunmittelbarkeit aufgestiegen und hatte damit – abgesehen von Gott – keinen anderen Herrn mehr über sich als den Kaiser selbst. Bei ihrem Streben nach Reichsunmittelbarkeit standen sich im 17. und 18. Jahrhundert kirchliche und weltliche Bauherren in nichts nach, auch ihre Architektursprache war dieselbe – nicht nur im Hinblick auf die Säulenordnung, sondern auch im Hinblick auf Grundriss und Raumprogramm der Klöster und Schlösser. Anders als im ältesten überlieferten Klosterplan von St. Gallen (um 820), der minutiös das Ideal einer Klosteranlage verzeichnet, finden wir im barocken Kloster einen Festsaal (Kaisersaal) ebenso wie eine reich ausgestattete Abtswohnung und eine Bibliothek, die mit dem mittelalterlichen Scriptorium (Schreibstube) beziehungsweise dem Armarium (Bücherschrank) nur noch wenig gemein hat, selbst wenn im St. Gallener Idealplan das Scriptorium und eine darüber liegende Bibliothek sogar einen eigenständigen Bau erhalten hatten. Zu den barocken Glanzstücken zählen die Bibliotheken der Klöster Ottobeuren (1711 – 1717, Simpert Kramer u.  a .; 1718 Innenausstattung, Johann Baptist Zimmermann u.  a .) und Schussenried (1752 – 1766, Dominikus Zimmermann; Innenausstattung Fidelis Sporer u.  a .). Der Bibliothekssaal des Klosters Schussenried erstreckt sich im ersten Obergeschoss mit einer säulengestützten Empore über knapp 350 Quadratmeter. Außerhalb der Klöster gehört die von Johann Bernhard Fischer von Erlach errichtete Hofbibliothek in Wien (1723 – 1726, Fresken bis 1730, Daniel Grans) zu den prächtigsten Bibliotheksbauten. Damals entstanden aber auch die Wolfenbütteler Bibliotheksrotunde (1705 – 1713, Hermann Korb, 1877 abgerissen), das erste frei stehende profane Bibliotheksgebäude Europas und damit eine „Inkunabel europäischer Baukunst der Neuzeit“, ebenso wie der berühmte Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar (1766, 2004 abgebrannt, 2007 restauriert). Barocke Schlossanlagen

Es sind vor allem die Schloss- und Gartenanlagen des Barock, die das Landschaftsbild Deutschlands beziehungsweise des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches heute noch bestimmen: Sanssouci und Charlottenburg (Potsdam und Berlin), Oberes und Unteres Belvedere (Wien), Nymphenburg (München) oder der Zwinger (Dresden), aber auch jenseits der großen Kunstzentren die Schlös-

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ser in Bruchsal und Rastatt, Schleißheim oder Pommersfelden, die Schlösser Bernrath (Düsseldorf ), Biebrich (Wiesbaden) und Augustusburg (Brühl), das Favorite (Rastatt und Mainz), die Eremitage (Bayreuth) und schließlich auch die Solitude (Stuttgart). Allein die Namen verweisen nicht nur auf die Mode, am Hof Französisch zu sprechen (einzig bei den Habsburgern pflegte man das Italienische), sondern zugleich auf das architektonische Vorbild: das französische Schloss Versailles. Und wie dieses, so lag die Mehrzahl der neuen Schlossanlagen außerhalb der Stadt oder zumindest an ihren Rändern: Es waren primär Lust- und Jagdschlösser, Gartenhäuser und Sommerresidenzen. Vergleichbar den großen Klosteranlagen, etwa von Banz und Vierzehnheiligen, von Ottobeuren oder Melk, eroberten sie den Raum. Auch die konsequente Errichtung von Planstädten (Berlin-Friedrichstadt, Ludwigsburg, Mannheim, Potsdam, SaarbrückenLudwigsplatz) oder die neue Anlage von städtischen Achsen sowie die Umgestaltung von Fassaden kann man als eine solche Raumeroberung beschreiben. An diesem Bauboom beteiligten sich auch Kirchenfürsten, wie die aus dem Adel stammenden Fürstbischöfe von Würzburg Johann Philipp Franz von Schönborn (1673 – 1724) sowie sein Bruder Friedrich Karl von Schönborn (1674 – 1746). Ihre Familie hatte der sprichwörtlich gewordene „Bauwurmb“ erfasst. An ihrer fürstbischöflichen Residenz in Würzburg zeigt sich deutlich die immer stärkere Öffnung des Baukörpers: Die Vierflügelanlage, die vor allem in Italien beliebt war und sich um einen reich gestalteten Innenhof gruppierte, entwickelte sich zur Dreiflügelanlage mit einem davor liegenden Ehrenhof (Cour d’honneur). Die Würzburger Residenz

In der Würzburger Residenz (1720 – 1776) sind die zwei Seitenflügel als Vierflügelanlagen gestaltet (mit je zwei Innenhöfen), die über einen Mittelflügel so verbunden werden, dass sich der Bau von der westlichen Hofstraße aus kommend als Dreiflügelanlage präsentiert. Da die Seitenflügel jedoch sehr breit sind, zeigen sich dem Besucher drei beinahe gleichwertige Fassaden. Während Johann Lucas von Hildebrandt, der Erste Hofbaumeister des Kaisers, die Ehrenhoffassade überaus plastisch mit Rocaillen, dem frei nach einer Muschel gebildeten Leitornament des Rokoko, und einem figurengeschmückten geschweiften Giebel gestaltete, wirkt der Entwurf des fürstbischöflichen Baumeisters Balthasar Neumann an den Fassaden der Seitenflügel weitaus beruhigter. Neumann gilt als federführender Architekt der Residenz, der auch das in seinen Ausmaßen imperiale Treppenhaus gestaltete. Diese monumentalen Treppenhäuser sind eine deutsche Besonderheit, wie sie im Auftrag der Familie Schönborn bereits in Schloss Weißenstein bei Pommersfelden gebaut worden war, aber auch in Bruchsal oder in Brühl im Schloss Augustusburg zu bewundern ist.

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Über den Ehrenhof kommend betritt der Besucher durch den zentral gesetzten Risalit, einen in ganzer Fassadenhöhe vorspringenden Gebäudeteil, das Vestibül, an das frontal der Gartensaal (sala terrena) anschließt. Linker Hand liegt die sogenannte Kaisertreppe, die sich unter einem gewaltigen, stützenlosen Gewölbe erstreckt (Fresken: Giovanni Battista Tiepolo). Treppenanlagen, die gleichermaßen dem Sehen wie dem Gesehenwerden dienten, demonstrieren so offensichtlich wie vielleicht kein anderes Bauglied den Stellenwert des Theaters in der barocken Gesellschaft. Als bedeutendstes Rokokotheater gilt das nach seinem Architekten benannte Cuvilliés-Theater (1751 – 1753) in der Münchner Residenz. Über das Treppenhaus erreicht man in der Würzburger Residenz den oberhalb des Vestibüls liegenden Weißen Saal und gelangt schließlich in den Kaisersaal, von dem aus sich die Kaiserappartements zu beiden Seiten in einer Länge von über 150 Metern erstrecken. Solche Raumfluchten, die vom ersten bis zum letzten Raum Durchblick gewähren (Enfilade), erhielten erst im Barock ihre repräsentative Ausformung. Der Kaisersaal selbst, ebenfalls von Giovanni Battista Tiepolo (1696 – 1770) freskiert, zeigt eine Behandlung der Raumstruktur, die man bereits der Spätphase des Barock, dem Rokoko, zuschreiben muss: Stuckatur und Malerei werden über jene Bauglieder hinweg gezogen, die die Tektonik des Gebäudes eigentlich sichtbar machen sollten – Gebälk, Decke und Wand verschmelzen übergangslos. Was unsere heutigen Sehgewohnheiten kaum mehr irritiert, war im „Kontext der immer noch gültigen Architekturtheorie eine gravierende Regelüberschreitung“ (Stephan Hoppe), wie sie auch im Spiegelsaal der Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark zu bewundern ist. An der Gartenfassade schiebt sich der Würzburger Kaisersaal als Pavillon vor das Gebäude, die Ecken sind als Eckrisalite ausgebildet – so zeigt die Würzburger Residenz zugleich jene typisch barocken Bauglieder, mit denen die Fassaden der Schlösser plastisch strukturiert wurden: Risalit und Pavillon. Dass Barockarchitektur selten reale Machtverhältnisse, sondern vielmehr die Ambitionen der Bauherren demonstrierte und deren Herrschaft legitimierte, zeigt sich hier an der Kaiserkrone über dem Ehrenhofrisalit, die sowohl als Teil des Wappens der Schönborns wie auch als Ausweis von deren imperialem Anspruch gelesen werden kann. Einen solchen Anspruch hatten die Schönborns keineswegs alleine; so sah sich beispielsweise der als August der Starke bekannte Kurfürst von Sachsen und König von Polen als „Hercules Saxonicus“, als sächsischer Herkules, in Dresden. Der Dresdner Zwinger

August der Starke (1670 – 1733) initiierte in Dresden ein ähnlich ambitioniertes Bauprogramm, wie es unter den Habsburgern in Wien oder im preußischen Berlin begonnen worden war. Den Höhepunkt bildet heute noch der Zwinger

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(Abb. 25). Als Orangerie geplant, entspricht der Bautyp einem Lust- und Gartenhaus und diente darüber hinaus zugleich für Feste und Bälle. Der Garten sollte an den Hesperidengarten, die hier gezüchteten Pomeranzen an die mythischen Früchte und zugleich an den Reichsapfel, den August der Starke seit 1711 verwaltete, erinnern. Das heute als Zwinger bekannte Areal war als südwestlicher Abschluss einer zwar geplanten, aber nie realisierten Neuen Residenz an der Elbe intendiert, die sich dort, wo heute Gottfried Sempers Gemäldegalerie steht, erheben sollte. Der spiegelsymmetrisch angelegte Zwinger ist vom elbabseitigen Flügel über die Wallgrabenbrücke durch das Kronentor zu erreichen; Galerien verbinden die sechs Pavillons: den Wallpavillon links im Nordwesten, den Glockenspielpavillon rechts im Südosten und die vier ein Quadrat umschließenden Eckpavillons: Gleich hinter der Brücke links der mathematisch-physikalische Salon und der Porzellanpavillon rechts sowie die beiden die Sempergalerie rahmenden französischen (links) und deutschen Pavillons. Matthäus Daniel Pöppelmanns (1662 – 1736) Zwingeranlage bezieht sich auf die Festarchitektur: sein Kronentor ähnelt einer Triumphpforte des Barockthe25  Matthäus Daniel Pöppelmann, Dresden, Zwinger

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aters, der Bauschmuck des Wallpavillons Festdekorationen. Doch ist der Zwinger nicht wie letztere aus Holz, sondern in Stein errichtet worden und hat so die Jahrhunderte überdauert (wenn auch mit erheblichen Schäden im Zweiten Weltkrieg). Zugleich ist auch hier der Einfluss Versailles nicht zu übersehen, vor allem die Springbrunnen und Bassins erinnern an die französischen Gärten. Ja, der ganze Wallpavillon, der sich in konvexem Schwung der konkaven Bewegung der Bogengalerie entgegenstemmt und dessen kurvierte Fassade mit überquellendem Dekor einem gefrorenen Springbrunnen gleicht, macht deutlich, dass das Wasser nicht nur als decorum begriffen wurde, sondern strukturbildend wirkt. Im Innern inszeniert eine Treppenanlage über mehrere Arme und Geschosse den Aufgang ins Obergeschoss, wobei nun auch das Element des Lichts wesentlich zur Inszenierung beiträgt. Auf der Empore versammelte sich die Hofgesellschaft als Mittelpunkt der Festarchitektur, bekrönt von August dem Starken, der oberhalb der mächtigen Kartusche als Hercules Saxonicus die Weltkugel stemmt. So sehr das in der Renaissance wiederentdeckte Regelwerk der Säulenordnung auch der barocken Architektur noch als Basis diente, begannen die Baumeister doch damit zu spielen. Dabei bot der Bautypus des Lust- und Gartenhauses die größte gestalterische Freiheit. So sollte sich etwa der ursprünglich polychrom bemalte Zwinger in den Bassins und Wasserspielen brechen und spiegeln und in der Farbigkeit des Ziergartens wiederholen, wodurch Architektur und Gartenanlage eine weitaus größere Einheit gebildet hätten, vergleichbar der von Pöppelmanns Architektur mit der bildhauerischen Arbeit Balthasar Permosers (1651 – 1732): Am Wallpavillon wirken die Figuren nicht als dem Bauwerk nachträglich aufgesetzte und in Nischen eingestellte Skulpturen, vielmehr scheint es, als könne man die Skulpturen nicht entfernen, ohne die Statik des Bauwerks zu gefährden. Pöppelmanns Schulung an Borromini ist hier ebenso zu erkennen wie jene Permosers an Bernini, besonders deutlich bei den Nymphen des Nymphenbades, in deren aufbauschenden Gewändern sich die Putti wie Kinder in flatternden Vorhängen verstecken. Zeitgenössische Ansichten und Vogelschauen der Barockschlösser zeigen neben den Gebäuden die riesigen sie umgebenden Grünanlagen, in denen die Schlösser beinahe miniaturhaft wirken. Von der Bedeutung der Schlossgärten zur Zeit des Barock zeugen neben dem Zwinger auch die von Dominique Girard (um 1680 – 1738, Schüler des Gartenarchitekten von Ludwig XIV., André Le Nôtre) geplanten Gärten des Belvedere in Wien und von Schloss Nymphenburg in München, davon zeugt aber auch der ehemals landgräfliche Bergpark Wilhelmshöhe mit dem Herkules in Kassel (1701 – 1718, Giovanni Francesco Guerniero). Mit klösterlichen Nutzgärten haben diese Parkanlagen nichts mehr gemein.

Skulptur um 1700

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Skulptur um 1700

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a die Bauten des Barock als Gesamtkunstwerke geplant wurden, bei denen die verschiedenen Gattungen eine Einheit bildeten, wurden Skulptur und Malerei primär als Weiterführung der Architektur begriffen. Die wichtigsten Impulse für die Entwicklung der Skulptur kamen aus Italien, wo in Rom der Bildhauer, Maler und Architekt Gianlorenzo Bernini (1598 – 1680) für die Neugestaltung der Gesamtanlage von St. Peter zuständig war. Seine dynamischen, den dramatischen Höhepunkt betonenden Skulpturen beeinflussten die Bildhauer weit über die Landesgrenzen hinaus nachhaltig, nicht nur den bereits erwähnten Balthasar Permoser, sondern auch Andreas Schlüter und Egid Quirin Asam. Andreas Schlüter hatte seine Ausbildung in Polen genossen bevor er 1694 dem Ruf des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. (1711 – 1763) nach Berlin folgte, um dort als Hofkünstler für Architektur und plastische Bildwerke tätig zu sein. Trotz der starken Dezimierung von Schlüters Werk ist sein Können in den berühmten Köpfen sterbender Krieger (um 1696) im Innenhof des Berliner Zeughauses nachvollziehbar, die ausdrucksstark Schmerz und Tod demonstrieren und damit überzeugend nicht nur an das Mitleid appellieren, sondern auch vor den Konsequenzen des Krieges warnen. Das Vorbild für Schlüters bronzenes Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten (1696 – 1700) war das Reiterdenkmal Ludwigs XIV. von François Girardon (1699 aufgestellt, in der Französischen Revolution zerstört), das das repräsentative Herrscherbild schlechthin verkörperte. Dies verschmolz Schlüter mit antiken und zeitgenössischen Anregungen aus Italien und gestaltete das Pferd mitten in der Bewegung energisch nach vorne gerichtet, den Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg temperamentvoll und mit wehendem Mantel, den Kommandostab in der Rechten nach vorne haltend. Als Sinnbild für das aufstrebende Preußen nahm das Reiterdenkmal nahe des Schlosses an der Langen Brücke seinen Platz ein (heute im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg). Es war das erste seiner Art, das im Freien aufgestellt wurde – ältere Reiterstandbilder, etwa der Magdeburger Reiter (Mitte 13. Jh., ehemals Alter Markt), waren noch von einem Baldachin bekrönt. Ähnlich wie Schlüter in Berlin hatte Balthasar Permoser in Dresden seit 1689 eine Stellung als Hofbildhauer inne und war dort gemeinsam mit dem Hofarchitekten Matthäus Daniel Pöppelmann mit dem bedeutendsten Gesamtkunstwerk des deutschen Barock beauftragt: dem Zwinger. Seine Skulpturen sind deutlich von dem malerischen Stil Berninis beeinflusst, dessen Werke er in den 14 Jahren, die er in Italien verbrachte, kennengelernt und verinnerlicht hatte. Sein ­Œuvre umfasst ein breites Spektrum, von kleinformatigen Kabinettstatuetten aus Elfen-

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26  Egid Quirin Asam, Hochaltar, St. Georg und St. Martin, Weltenburg

bein und aus exotischem Holz bis hin zu monumentalen Skulpturen aus Stein, wobei die Urheberschaft nicht immer eindeutig zu bestimmen ist, denn Permoser beschäftigte zahlreiche Mitarbeiter in seiner Werkstatt. Als ihm eindeutig zuschreibbar gelten drei der erhaltenen sechs Nymphen im Nymphäum des Zwingers. Im sakralen Bereich entstanden barocke Gesamtkunstwerke vor allem im katholischen Süddeutschland, wobei die Brüder Asam auf diesem Gebiet eine solitäre Position einnahmen, denn sie arbeiteten als Künstlerteam sowohl als Bildhauer, Stuckateur, Maler und Architekt. Cosmas Damian und Egid Qui-

Tafelmalerei im 17. Jahrhundert

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rin Asam erhielten ihre Ausbildung zum Maler unter anderem in der römischen Accademia di San Luca. Zu ihren Hauptwerken gehört die Benediktinerabteikirche Weltenburg, in der sie in ihrer Funktion als Architekten, Bildhauer und Maler durch das Zusammenspiel der verschiedenen Gattungen einen prunkvollen Raum schufen, in dem Skulptur, Farbe und Licht eine illusionistische Einheit bilden. Der Hochaltar (1721 – 1724; Abb. 26) präsentiert ein theatrum sacrum, auf dessen Bühne die Skulpturen wie Schauspieler zu agieren scheinen. Im Mittelpunkt steht der heilige Georg hoch zu Ross, umrahmt von Licht und heller Wandmalerei und flankiert von zwei weiteren Skulpturen, die wie Gewändefiguren in einer abgestuften Portalanlage an gewundenen Säulen stehen. Die dramatische Drachentötungsszene erhält keine eindeutige Rahmung; weder seitlich noch am oberen Abschluss ist klar auszumachen, wo der Hochalter endet und die Raumarchitektur beginnt, alles vereint sich zu einer lebendigen Inszenierung.

Tafelmalerei im 17. Jahrhundert

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n der Malerei gilt das 17. Jahrhundert als Blütezeit, die von Künstlern wie dem Flamen Peter Paul Rubens (1577 – 1640) und den Italienern Caravaggio (1571 –  1610) und Annibale Carracci (1560 – 1609) geprägt wurde. Für die niederländische und spanische Malerei dieser Epoche – Rembrandt van Rijn (1606 – 1669), Jan Vermeer (1632 – 1675) und Diego Velásquez (1599 – 1660) – verwendet man sogar den Begriff des „Goldenen Zeitalters“. In Deutschland dagegen kann auf diesem Gebiet – anders als in der Architektur – kaum von einer echten Blüte die Rede sein. Ein Grund dafür mag der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) gewesen sein. Im 17. Jahrhundert entstanden die wichtigsten Bilder der deutschen Malerei nicht in der monumentalen Historienmalerei, sondern vor allem in kleinformatigen Werken für das Kunstkabinett. Der Frankfurter Adam Elsheimer (1578 – 1610) wurde zum Meister und Erneuerer der Kabinettmalerei erhoben, und tatsächlich schuf er nur kleinformatige Gemälde, die er oft, statt auf Leinwand oder Holz, auf Kupferplatten malte. Sein Hauptwerk entstand in Rom, wo er sich im Jahr 1600 niedergelassen hatte, darunter auch die 1609 gemalte „Flucht nach Ägypten“ (München, Alte Pinakothek), die als Höhepunkt seines Schaffens gilt. Das biblische Geschehen ist in einer poetisch idealisierten Landschaft unter einem nächtlichen Himmel eingebettet, der die Hauptrolle einnimmt; dagegen wirken die Heilige Familie und

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27  Georg Flegel, Aprikosenzweig, Darmstadt, ­Hessisches Landesmuseum

die Hirten im dunklen Wald fast wie Staffage. Die naturgetreue Darstellung der Mondoberfläche mit Kratern, der verschiedenen Sternenbilder und vor allem der Milchstraße legen nahe, dass Elsheimer sich mit der Astronomie auseinandergesetzt hat. Obwohl das Œuvre Elsheimers überschaubar geblieben ist, beeinflusste vor allem sein raffinierter Einsatz des Lichts, das die besondere Stimmung seiner Gemälde bedingt, viele nachfolgende Künstler. Für den Stilllebenmaler Georg Flegel (1566 – 1638) war nicht die italienische, sondern die niederländische Kunst prägend. In der Messestadt Frankfurt, die sich zu einem Zentrum der Stilllebenmalerei entwickelte und in der Flegel seit 1590 lebte, wurde nicht nur mit niederländischer Kunst gehandelt, hier hatten sich

Skulptur nach 1740

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auch viele Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden, darunter auch Künstler, niedergelassen. Während die Stillleben meist allegorische Darstellungen unter anderem und recht häufig auch der Vergänglichkeit sind, lässt sich eine solche Deutungsebene auf dem Gemälde „Aprikosenzweig“ von Flegel (um 1630; Abb. 27) kaum erkennen. Dieses erstaunlich puristische Stillleben, das sich auf einen Zweig im Krug sowie Pfirsiche und Nüsse auf dem Tisch konzentriert, lebt von der augentäuschenden Wiedergabe der verschiedenen Oberflächen. So kontrastiert die samtig matte Fruchthaut mit dem glatten, hart-glänzenden Steingut. Dass auch dieses Stillleben eine Komposition ist, die der Künstler sorgfältig aus verschiedenen Detailbeobachtungen arrangierte, und keine einfache Kopie der Natur, zeigt unter anderem der mit Früchten voll behangene Zweig, der den Krug in der Realität zum Umkippen bringen würde.

Skulptur nach 1740

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ährend die barocken Skulpturen in ihrer Bewegtheit noch wuchtig und mit ihrer üppigen Vergoldung überladen wirken, ist für die Rokokoskulptur eine neue Zartheit kennzeichnend. Die manieristisch überlängten Figuren zeigen elegante Gestik und helle Farbtöne und sind in erster Linie mit dem Bildhauer Johann Baptist Straub (1704 – 1784) sowie seinem Schüler Ignaz Günther (1725 – 1775) verbunden. Ihre Werke sind sowohl für sakrale wie auch für höfische Umgebungen entstanden. Das Kunstschaffen des 1737 zum Hofbildhauer von Kurfürst Karl Albrecht von Bayern in München berufenen Straub steht oft im Zusammenhang mit dem Architekten Johann Michael Fischer. Sie arbeiteten beispielsweise beide an der Kirche St. Michael in Berg am Laim bei München, deren Hochaltar (1767) und Seitenältere (1740er- und 1750er-Jahre) Straub verwirklichte. Wie weit sich die Retabelkunst von dem mittelalterlichen monumentalen Altaraufbau mit Schrein, Skulpturen und gemalten Flügeln entfernt hatte, zeigen besonders anschaulich seine sechs Seitenaltäre in der Abteikirche in Ettal. Drei Altäre befinden sich jeweils an den Wandflächen zwischen den Doppelpilastern, die den Rundbau im Innern gliedern; aber eine Eingliederung der Altäre in die Gesamtarchitektur findet nicht beziehungsweise auf anderem Wege statt, denn die Skulpturen, die die Altarbilder flankieren, agieren losgelöst von der Rahmenarchitektur frei im Raum. Die Verbindung der einzelnen Elemente wird nicht durch formale Wiederholung oder farbige Abstimmung erzeugt, sondern durch Bewegungen, die

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in der asymmetrischen Rocaille-Ornamentik ihren Anfang nehmen und in den Skulpturen fortgeführt werden. Auch Ignaz Günther ist für seine frei stehenden, von der Architektur losgelösten Figuren bekannt, wie etwa die Verkündigungsgruppe (1764) in der Klosterkirche in Weyarn. Dass diese aus Lindenholz gefertigte Gruppe nicht dauerhaft auf einem Altar stand, sondern auf Prozessionen mitgeführt wurde, darauf verweist die vollplastische Ausgestaltung der Figuren sowie die Szene selbst, die auf Allansichtigkeit konzipiert ist. Das Bewegungsmotiv schraubt sich von der demütig knienden Maria hoch zu dem die Frohbotschaft überbringenden Erzengel Gabriel, der in diesem Moment vom Himmel herabzufliegen scheint und mit seiner Linken auf die Taube weist, die für den Heiligen Geist steht. Während für die Skulptur der Barockzeit eine pathetische Darstellung der Gefühle kennzeichnend war, spiegeln Günthers Figuren die Emotionen in ihren Gesichtern verhaltener wieder, auch die Gestik ist gebändigt. Mit seiner Interpretation der Heilsgeschichte als einer stillen, intimen Szene kann Günther darüber hinaus als ein Vorläufer des Klassizismus gelten. Sowohl die Werke Straubs wie auch Günthers zeigen die für die Rokoko­ skulptur charakteristische Oberflächengestaltung, die mit der Materialität spielt. Obwohl die Skulpturen aus Holz oder Stein gemacht sind, wirken sie durch ihre helle und hart glänzende Fassung (oft wird Weiß nur mit Gold akzentuiert) porzellanartig. Dieser Eindruck war sicherlich gewollt und zeigt den Zeitgeschmack, der dieses neue Material schätzte und die Porzellanplastik zu einer beliebten Gattung erhob (Zentrum war neben Meißen Nymphenburg). Besonders Franz Anton Bustelli (1723 – 1763) trat in diesem Metier mit seinen aus Porzellan geschaffenen Schäferidyllen und Liebesabenteuern in der Natur hervor – Themen, die auch in der Malerei mit Vorliebe geschildert wurden.

Deckenmalerei des Barock und Rokoko

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m barocken Gesamtkunstwerk bekam die Deckenmalerei eine immer bedeutendere Rolle zugeschrieben, wobei sie die gebaute Architektur als illusionistische Malerei erweiterte. Die bedeutenden Aufträge gingen im 17. Jahrhundert noch vorrangig an Künstler aus Italien, und unter italienischem Einfluss stand die Deckenmalerei auch noch über die gesamte Epoche hinweg. Dies wird etwa an den Werken eines der wichtigsten Vertreter dieser Gattung, Cosmas Damian Asam, deutlich. In der Klosterkirche Weingarten schuf er zwischen 1718 und

Deckenmalerei des Barock und Rokoko

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28  Cosmas Damian Asam, Pfingstwunder, Weingarten, Benediktinerabteikirche, Chorkuppel

Die Kunst des Barock und Rokoko

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1720 eine seiner wichtigsten Ausstattungen. Seine Gemälde erstrecken sich auf insgesamt mehr als 1000 Quadratmetern. Davon ist besonders die Darstellung des Pfingstwunders in der Chorkuppel (Abb. 28) hervorzuheben, die auf Anregungen aus Italien, namentlich von Andrea Pozzo (1642 – 7109), zurückgeht. Die Szene findet in einer in Schrägansicht gemalten Kuppelarchitektur statt. Die illusionistische Malerei beginnt mit Volutenkonsolen, auf denen eine Tambourzone mit Säulen ruht, in der Maria und die Apostel Platz genommen haben. Über ihnen, in der Öffnung der Kuppel, erscheint der Heilige Geist mit Engeln, die auf Wolken im Kuppelraum schweben. Während Asam der perspektivischen Konstruktion Pozzos folgte, verweigerte er sich jedoch der Illusion einer Raumerweiterung und trennte das Bild vielmehr von der Realität des Betrachters, indem er eine von der realen Architektur deutlich abgesetzte Farbigkeit wählte. Die dargestellte biblische Szene kann damit als historisches und nicht als gegenwärtiges Geschehen wahrgenommen werden. Hierin zeigt sich nicht nur ein bewusstes Spiel mit den verschiedenen Realitätsebenen, sondern auch die Loslösung der süddeutschen Deckenmalerei vom italienischen Einfluss während des Übergangs vom Barock zum Rokoko. Eine weitere Entwicklung in der Deckenmalerei, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in Italien hatte, ist die Vereinheitlichung des Bildraumes. Die dargestellte Szene scheint auf einer einzigen Ebene stattzufinden, und zwar auf Höhe des Randes des Deckengemäldes. Dabei gibt es keinen einzelnen, „richtigen“ Betrachterstandpunkt mehr, von dem aus die perspektivische Illusion des Bildes perfekt ist, sondern mehrere; auf diese Weise wird der Besucher zum Durchschreiten des Raumes animiert. Eine der frühen Realisierungen dieser Idee ist das Hauptfresko der Klosterkirche in Dießen (1736), das von Johann Georg Bergmüller (1688 – 1762) gemalt wurde. An den beiden Schmalseiten des Deckengemäldes findet gleichsam der Einstieg in das Bild über Treppenanlagen statt, auf denen wie auf einer Theaterbühne die Szenen präsentiert werden. Während in diesem Fall mittels perspektivischer Verkürzungen in der Architekturdarstellung eine Tiefenwirkung erzielt wird, schaffen andere Deckengemälde ohne Architektur die Illusion von Raum durch Farb- und Lichtperspektive sowie durch Verkürzung der Figuren, etwa Matthäus Günthers Kuppelfresko (1763) für die Klosterkirche in Rott am Inn. Ab 1770 war jedoch die Blütezeit der repräsentativen Dekorationskunst vorbei und die Ideale des aufkommenden Klassizismus verdrängten auch die Deckenmalerei.

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uch wenn der Beginn der Epoche des Klassizismus schon vor dem Ausbruch der Französischen Revolution anzusetzen ist, nämlich ab etwa 1760, so war doch der Weg Frankreichs zur Demokratie, zur Ersten und Zweiten Republik (1792 – 1804), für das Leben in ganz Europa bestimmend: Napoleons Unterdrückung der Republik (Kaiserkrönung Napoleons 1804) und sein Versuch, seine Macht über ganz Europa auszubreiten, führten im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zu unzähligen Schlachten (zur Besetzung Wiens, der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz, der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt), zu neuen Bünden (Rheinbund 1806 – 1813) sowie kurzzeitigen Phasen der Stabilität, in denen bereits ein großer Teil der vielen kleinen Staaten des Heiligen Römischen Reiches aufgehoben wurde. 1792 kam es zur letzten Kaiserkrönung in Frankfurt: Franz II. erlebte ein letztes Mal das seit dem Mittelalter fast unveränderte Herrscher­ zeremoniell; auf dem Weg dorthin standen ihm die zahlreichen barocken Kaisersäle der Klöster und Residenzen offen. Nachdem durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation faktisch besiegelt war, legte Franz II. 1806 die Reichskrone nieder – die Geschichte des von den Ottonen wiederbelebten römischen Kaisertums war damit zu Ende gegangen. Es folgten die erfolgreichen Befreiungskriege, die Phase der Restauration; aber den Bürgern brachte die Märzrevolution von 1848 / 49, an der sich auch einige Künstler beteiligt hatten, nicht den gewünschten Erfolg: Die erste Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche scheiterte. Am Ende dieses Prozesses aber hatte Preußen seine Vormachtstellung im Deutschen Bund weiter ausgebaut, Habsburg und die süddeutschen Staaten besiegt (1866, Deutscher Krieg) und nach dem erfolgreichen Kampf gegen Frankreich 1871 im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Kaiserreich (bis 1918) proklamiert.

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Während all dieser Jahre, die letztlich zum Niedergang der absoluten Monarchien führten, passten sich die Herrscher den Wünschen des erstarkenden Bürgertums an. Sie gaben sich volkstümlich, trugen den einfachen preußischblauen Soldatenrock und nutzten einstmals republikanische Ideen zu eigenen Zwecken, wie etwa beim Dombau zu Köln: 1814 hatte der katholische Publizist Joseph Görres im Rheinischen Merkur, dessen Erscheinen nach zwei Jahren durch eine preußische Order verboten werden sollte, geschrieben, der Dom sei „das wahre Nationaldenkmal“, Denkmal eines Reiches, das es noch zu bauen gelte. Derselbe Görres wandte sich später gegen den preußischen Staat, und dennoch wurde der Dombau zur Angelegenheit des Königs, der 1842 den Grundstein zum Fertigbau des Doms legte, nachdem Köln an Preußen gefallen war. Für die Kunstproduktion selbst blieben die unruhigen Verhältnisse während des gesamten 19. Jahrhunderts nicht folgenlos: Die Aufträge blieben aus und häufig mussten sich v.  a. die Architekten mit anderen Arbeiten über Wasser halten; ihre eigentlichen, künstlerischen Ideen blieben oft im Entwurfsstadium stecken und wurden nie realisiert. Als Startschuss einer neuen Epoche aber wirkten die Ausgrabungen der vom Vesuv verschütteten antiken Städte Herculaneum (ab 1719) und Pompeji (ab 1748) in Italien. Nachdem bereits in der Renaissance 1506 die Statuen des Laokoon und des Apollo von Belvedere entdeckt worden waren, wurde 1820 auch die Venus von Milo ans Tageslicht geholt; es folgten die großen Ausgrabungsexpeditionen des 19. Jahrhunderts und die Überführung des Pergamonfrieses nach Berlin (1878 – 1886). Schon gegen Mitte des 18. Jahrhunderts war auch die griechische Architektur neu entdeckt worden, nun aber nicht mehr nur theoretisch, vermittelt über Vitruv, sondern auch vor Ort in Griechenland und in den griechischen Kolonialstädten Italiens, etwa in Paestum oder Agrigent. Griechenland löste in der Rezeption der Antike Rom ab und mit Rom verabschiedete man auch das Pathos der römischen Geschichte, die das Barockdrama geprägt hatte, stattdessen entdeckte man Homer wieder. Die Kunsttheorie des Archäologen, Antiquars und Kunstschriftstellers Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768) sollte daran anknüpfen; seine Geschichte der Kunst des Altertums (1764), die knapp sechs Jahre nach Winckelmanns Reise nach Paestum erschien, löste das alte Konzept der Künstlerviten ab. Winckelmann interessierte sich weniger für den Künstler als für den Stil und die spezifische Form der Kunstwerke, um sie auf dieser Grundlage in eine Geschichte einordnen zu können. Griechenland galt ihm als Ursprung der Kunst, deren Blüte in der Klassik mit der Ära politischer Freiheit in der attischen Demokratie zusammenfiel. Solchermaßen hing die Entdeckung und Bewertung der griechischen Kunst im 18. Jahrhundert auch mit der Entwicklung von bürgerlicher Freiheit und Demokratie zusammen.

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Die Wirkung von Winckelmanns Schriften war europaweit zu spüren; bereits Friedrich Schlegel (1772 – 1829) galt als der Stifter der Kunstgeschichte und nicht minder war dies Winckelmann für den Klassizismus. Aber noch war Preußen nicht so mächtig wie am Ende des 19. Jahrhunderts, noch prägten kleinere und größere Fürstentümer das Römische Reich. Weimar sollte zum Kunstzentrum aufsteigen, in dem sich die wichtigsten Dichter und Denker des Landes versammelten – und nicht weit davon entfernt, in Wörlitz, sollte die Architektur des Klassizismus ihren Anfang nehmen.

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estons, Frucht- und Blumengirlanden, Vasen, Putti und Hermenpilaster, Kartuschen und Knorpelwerk, Supraporten, Rocaillen und gesprengte Giebel: Ab 1760 war es mit den Dekorationsformen des Barock und des Rokoko vorbei, nun hieß es: „Alles ist einfach und glatt; nicht Schnitzwerk oder Vergoldung will man mehr, und es kostet das fremde Holz nun am meisten.“ Der Apotheker unter den Bürgern, der diese Einsicht in Goethes Versepos Hermann und Dorothea von 1798 zum Besten gibt, verweist damit nicht nur auf die neue Ästhetik glatter Flächen, sondern zugleich auf jene anderen edlen Materialien, mit denen die weite Welt ins Privatreich geholt werden konnte. Wie einst in den Kunstkammern Fundstücke aus aller Welt, so schimmerten nun die Möbel in Ebenholz und Mahagoni. Es geht also in der Abwendung vom Barock nicht einzig und allein um die immer wieder bemühte Sparsamkeit und Nützlichkeit, sondern auch um ein neues Werteverständnis und eine neue Ästhetik. Auf dem von Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) ausgerufenen Weg zurück zur Natur erschienen Holz – und sei es noch so edel – und Eisen, heimischer Back- und Sandstein natürlicher als Gold und Stuck. Während sich aber die Bauten von den schwingenden und schwellenden Formen verabschiedeten und klare Flächen präsentierten, wurde in der Gartenkunst die klare geometrische Struktur des Barockgartens zugunsten einer „natürlicheren“ und damit unregelmäßigeren Erscheinung aufgegeben; der Garten wurde asymmetrisch und schloss damit an die Rokokogärten an. Die Wege schmiegten sich der Topografie an, hier konnte es nicht genug Schwingungen und Schwellungen geben – aber der gewählte Modus ist weitaus beruhigter als noch im nach Pathos trachtenden Barock. Dabei stieg England nicht nur im Gartenbau zum neuen Vorbild auf. Hier hatte die Industrialisierung am frühesten eingesetzt,

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hier musste für etliche Bauaufgaben früher als in anderen Ländern nach Lösungen gesucht werden, und hierher reisten die Architekten, so auch Fürst ­Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740 – 1817) mit seinem Freund, dem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736 – 1800), die in Wörlitz einen der ersten englischen Gärten auf deutschem Boden anlegten. Dabei war Erdmannsdorff für die Mehrzahl der Staffagebauten zuständig, J. F. Eyserbeck für die Gestaltung des Gartens an der Elbe. Hier und im benachbarten Georgium, die gemeinsam die Wörlitz-Dessauer Gartenlandschaft bilden, wird deutlich, dass dem Ideal des Natürlichen in der Architektur das Ideal des Anfangs an die Seite gestellt wurde, und diesen Anfang aller Architektur fand man nicht mehr in Rom, sondern in Griechenland. Griechische Tempelfassaden und Säulenhallen wurden für zahlreiche Bauaufgaben beinahe zu einer conditio sine qua non. Ob Carl Gotthard Langhans’ Brandenburger Tor (1789 als Zollschranke einer neuen Mauer um Berlin errichtet, die formal die Propyläen der Akropolis zitiert) oder Karl Friedrich Schinkels Neue Wache (1816 – 1818 mit archäologisch korrekten, kannelierten Säulen ohne Basis als Königswache neben dem Berliner Schloss errichtet), ob Denkmalentwürfe wie Friedrich Gillys Denkmal für Friedrich den Großen (1796 eingereicht; er zeigt einen dorischen Tempel auf einem ägyptisierenden Sockel), die Walhalla von Leo von Klenze (1814 – 1842, Nationaldenkmal der Deutschen in Donaustauf bei Regensburg in der Form eines dorischen Ringhallentempels), die Ruhmeshalle in München (zwischen 1844 und 1853 ebenfalls von Leo von Klenze als nunmehr bayerisches Denkmal mit der zentral aufgestellten Kolossalstatue der Bavaria errichtet), ob Theater (Berlin, Schauspielhaus, Karl Friedrich Schinkel, 1818 – 1821; München, Bayerisches Nationaltheater, Karl von Fischer und Leo von Klenze, 1811 – 1825; auch das Alte Weimarer Hoftheater von 1779) oder Museen (Kassel, Museum Fridericianum, 1769 – 1779 von Simon Louis du Ry als erstes öffentliches Museum in Deutschland errichtet; München, Glyptothek, Leo von Klenze 1815 – 1830; Berlin, Altes Museum von Karl Friedrich Schinkel, 1823 – 1830) oder auch Schlösser (Kassel, Schloss Wilhelmshöhe 1786 – 1799; Koblenz, Kurfürstliches Schloss, 1777 – 1795; Schloss Ludwigslust, 1772 – 1776): Wir sehen Portiken und Säulenhallen. Und tatsächlich wollte Friedrich II. zumindest sein Berlin zu einem „neuen Athen“ ausbauen. Vermittelt durch den Renaissancebaumeister Andrea Palladio, dessen Vier Bücher zur Architektur (1570) seinen Nachruhm über Europa hinweg bis nach Russland und Amerika begründen sollten, erscheint das Schloss Wörlitz (1769 – 1773) als das erste klassizistische Gebäude in Deutschland. Erdmannsdorff lehnte sich an den Neopalladianismus des Claremont Houses in England an mit einem mittig über Treppen erschlossenen Portikus und einer zurückgenom-

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menen, schlichten Fassadengestaltung. Es ist ein malerisch-romantischer Klassizismus, der das Verhältnis zwischen Landschaft und Architektur beachtet und in seiner eleganten Erscheinung der Revolutionsarchitektur französischer Provenienz diametral entgegensteht. In diesen Zusammenhang gehören auch die von Karl Friedrich Schinkel umgestalteten Schlösser Tegel in Berlin (1820 – 1824 für Wilhelm von Humboldt) und Charlottenhof in Potsdam (1826 – 1829). So sehr das 19. Jahrhundert auch als das Jahrhundert des Bürgertums zu bezeichnen ist: Diese Wende zur neuen Einfachheit vollzog sich wie hier in Wörlitz zuerst in den adligen Kreisen; selbst das Königspaar Friedrich Wilhelm III. und Luise errichtete sich mit dem Landschloss Paretz (1797 / 98 von David Gilly) einen schlichten einstöckigen Bau, dessen dezent hervortretender Mittelrisalit mit Bogenfenster über dem Portal eine neue Einfachheit im klassizistischen Außenbau und im biedermeierlichen Interieur präsentiert. Zeitgleich zu dem Rekurs auf Griechenland kam von Anfang an ein anderer Einfluss hinzu, der sich bereits im Wörlitzer Park manifestierte: Wie in einem Versuchslabor der Architektur wurden ein gotisches Haus (hier wohnte der Fürst) und eine gotische Kirche errichtet, während gleichzeitig der verkleinerte Nachbau des Pantheons zu bewundern ist, ein Venus- und ein Floratempel, ein tatsächlich als Synagoge genutzter Vesta-Tempel, ebenso ein künstlicher Vesuv, eine Einsiedelei und zahlreiche Brücken. Ähnlich hatte auch Friedrich II. (1712 – 1786) in seiner Residenzstadt Potsdam die, wie er sagte, „schönsten Bauwerke Europas“ versammelt. Im sogenannten Georgium zeigt das Fremdenhaus (ebenfalls von Erdmannsdorff ) sogar an allen vier Seiten Fassaden im Stil unterschiedlicher Bauepochen (Klaus Jan Philipp). Anders als die Schlossgärten des Barock waren diese Gärten öffentlich, sie sollten unterschiedliche Stimmungen und Gefühle erzeugen – den Kantschen Schauder des Erhabenen meinte der Bauforscher Christian Ludwig Stieglitz etwa jenen Bauten attestieren zu können, die Größe und Stärke zeigten. Deren eigentliches Ziel aber war die Bildung des Bürgers. Vielleicht lässt sich das Bauen um 1800 am besten unter diesem Aspekt zusammenfassen, denn alle sich aus dem Kloster- und Schlossbau emanzipierenden sogenannten bürgerlichen Bauaufgaben, wie Theater und Museum, dienten einzig und allein der Bildung des Menschen. So verfolgte die von Leo von Klenze errichtete Glyptothek in München von Anfang an ein didaktisch-museologisches Konzept anstelle einer schlichten Zurschaustellung von Pracht. Trotz dieser hohen Ziele auch in den öffentlichen Gärten wurden gerade sie nicht nur positiv gewertet. Schon früh wurde auf die Gefahr hingewiesen, dass der Grat zum Lächerlichen in den Staffagebauten leicht zu überschreiten sei, wenn man „mit dem einen Fuße in Persien, mit dem anderen in den Abendländern“ stehe, wie etwa im englischen Garten in Stuttgart-Hohenheim mit über

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100 Bauten (1776 – 1782 unter Herzog Carl Eugen errichtet). Doch der Garten von Schloss Wörlitz galt dem Wahl-Weimarer Christoph Martin Wieland als „Zierde und Inbegriff des XVIII. Jahrhunderts“. Die Anlagen vom Ende des 18. Jahrhunderts in München (Englischer Garten) oder Berlin (Tiergarten) folgten bereits Plänen, die nur noch wenige points de vue – in englischen Gartenanlagen beliebte Blickfänge am Ende von Sichtachsen – vorsahen. Sakralbauten

Nach der Säkularisation unzähliger Klöster in napoleonischer Zeit war das Gewicht des geistlichen Standes enorm zurückgegangen. Zwar nahm die Kirche im Selbstverständnis der Gesellschaft weiterhin einen hohen Stellenwert ein, aber die Funktionen des Kirchenbaus erweiterten sich über den eigentlichen Zweck als Versammlungsraum der Gemeinde hinaus: Kirchen wurden als Objekte der Stimmungserzeugung notwendig oder zum Gegenstand der Denkmalpflege. Anhand dieser Bauten erinnerte man sich an die eigene, nunmehr vor allem nationale Vergangenheit. So wurde beispielsweise erst damals der Kölner Dom fertiggestellt (zweite Grundsteinlegung durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. am 4. September 1842) und dem Ulmer Münster der Turm hinzugefügt (1844 – 1890) Karl Friedrich Schinkel setzte sich für den Erhalt der Klosterkirche Chorin ein (Backsteingotik), die Kaiserpfalz in Gelnhausen wurde als Beispiel vorbildlicher mittelalterlicher Architektur wiederentdeckt (Burg der Staufer), neugotische Kirchen wurden errichtet (Berlin, Friedrichwerdersche Kirche, Karl Friedrich Schinkel, 1824 – 1831; Wien, Votivkirche, Heinrich Ferstel, 1856 – 1879) und zugleich andere klassizistisch überformt (Leipzig, Nikolaikirche, Johann Carl Friedrich Dauthe, 1783 – 1797), Übergangsbauten wurden entworfen (Paulskirche in Frankfurt) und mitten in den Schwarzwald einer der damals größten Kirchenbauten Europas gestellt: die Benediktinerabteikirche St. Blasien (1768 – 1783, Pierre Michel d’Ixnard, Nicolas de Pigage). Der Machtverlust der Kirche war nur ein relativer. Die bereits im barocken Kirchenbau beliebte Kuppel wurde in St. Blasien jedoch ganz anders, nämlich als Feier der reinen Form inszeniert: Kein Oval, keine Kuppelverschneidungen, keine Stuckarbeiten stören die mächtige Rotunde, die an das Pantheon erinnert. Die zweischalige Kuppel wird getragen von zwanzig korinthischen Säulen, über dem breiten Gesims schneiden Tambourfenster in die Kuppelwölbung, die ursprüngliche Verzierung mit gemalten Rippen (Kassettierung 1878) hält sich an die Strukturen der Architektur und folgt einem strengen Raster. Der anschließende längsrechteckige Mönchschor (dreischiffig und tonnengewölbt) ist klar getrennt – auch hier finden sich keine Überschneidungen im Grundriss, wie sie der Barock noch so geliebt hatte, als er Zentral- und Longitudinalbau verschmolz.

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Die Fassade zeigt zwischen zwei Ecktürmen eine römisch-dorische Säulenhalle – und doch finden sich auch hier noch Reminiszenzen an die vergangene Epoche in den ovalen Fenstern. Dennoch sind in dieser frühen Kirche bereits fast alle Elemente, die nicht nur den sakralen Klassizismus prägen sollten, vorhanden: Rotunde und Kreis, Kubus und Quadrat, Rechteck und Quader, Säulenhalle beziehungsweise Tempelfront – Formen, die in der französischen Revolutionsarchitektur eines Étienne-Louis Boullée (1728 – 1799) radikal zur Ausführung gekommen waren und vom Norden bis in den Süden den Kirchenbau bestimmten. Beispiele für solche zum Teil vom römischen Pantheon inspirierten Kirchen sind etwa die Ludwigsluster Schlosskirche (heute Stadtkirche, Johann Joachim Busch, 1765 – 1770), die Potsdamer Nikolaikirche (Friedrich Gilly, Karl Friedrich Schinkel, Ludwig Persius, Friedrich August Stüler, ab 1796 in mehreren Bauphasen bis 1850), die Grabkapelle auf dem Rotenberg, Stuttgart (Giovanni Salucci, 1819 – 1824) oder das sogenannte „Schwäbische Pantheon“, die Kirche Zum heiligen Namen Jesu in Oberdischingen (Nikolaus Friedrich von Thouret, 1800 – 1835). Für den Neubau der Kirche in St. Blasien hatte der Fürstabt Martin Gerbert den französischen Baumeister Pierre Michel d’Ixnard (1723 – 1795) verpflichtet, der sich mit dem Koblenzer Schloss als klassizistischer Architekt bereits einen Namen gemacht hatte. Berliner Klassizismus

Auch Karl Friedrich Schinkel (1781 – 1841) sollte diese Elemente immer wieder neu kombinieren und der Epoche – wie vielleicht kein anderer Architekt – ihr Gesicht verleihen. In Ermangelung an Bauaufträgen hatte er sich zunächst dem Entwurf von Möbeln und Bühnenbildern gewidmet, plante Denkmale und malte Stadtansichten. Als er 1815 den Auftrag für den Bau der Neuen Wache bekam, war das der Beginn einer ganzen Reihe von „Staatsbauten“ für König Friedrich Wilhelm III. in Berlin. Sechs davon gruppieren sich auf einem relativ kleinen Areal direkt auf oder neben der Museumsinsel, die damals aber vor allem noch als Schlossgarten fungierte und nun – ebenfalls von Schinkel – einer neuen Planung unterzogen wurde. Als 1817 das nur 15 Jahre zuvor von Carl Gotthard Langhans (1732 – 1808) errichtete Nationaltheater abbrannte, erhielt Schinkel den Auftrag zum Neubau eines Schauspielhauses (Abb. 29). Die Fundamente ebenso wie die ionischen Säulen des Vorgängerbaus sollten wiederverwertet werden, die Säulenordnung war damit vorgegeben. Aber so klassizistisch dieses Gebäude auch wirken mag, so sehr sich Schinkel auf die griechischen Bauten bezog (explizit spricht er von der vorbildlichen „Construction der Pilaster“ am Monument „des Trasyllos zu Athen“): Sein Schauspielhaus ist eine Neuschöpfung und keine Kopie, genau wie es Winckelmann in seiner Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechi-

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29  Karl Friedrich Schinkel, Berlin, Schauspielhaus

schen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1855) gefordert hatte. Zwischen der Französischen und der Deutschen Kirche gelegen, die etwas mehr als ein Jahrhundert zuvor errichtet worden waren, dominiert das Schauspielhaus den Gendarmenmarkt. Dieser Platz war bereits im Rahmen der barocken Stadterweiterung angelegt worden, hat sein repräsentatives Aussehen jedoch erst um 1800 erhalten. Zwei ineinander geschobene Rechtecke bestimmen den Grundriss des Schauspielhauses, wobei dem Längsrechteck, das sich Richtung Osten verbreitert, an der Eingangsfassade eine Säulenhalle mit Dreiecksgiebel (Portikus) vorgelagert ist. Oberhalb des Portikus und nach hinten versetzt erhebt sich eine zweite Fassade, die ebenfalls von einem Dreiecksgiebel bekrönt wird und hinter der sich Bühne und Zuschauerraum befinden. Die Giebel sind mit Figuren, Vasen und Apoll auf einem von zwei Greifen gezogenen Gespann geschmückt. Die Seitenflügel schieben sich mit je sieben Fensterachsen in den Platz, ihre Stirnseiten antworten mit ihren über zwei Stockwerke reichenden Pilastern und den Dreiecksgiebeln dem Portikus der Hauptfassade. Ein Sockelgeschoss, das mittig durch eine große Freitreppe verdeckt wird, hebt das Gebäude weit über das Bodenniveau des Platzes, doch gelangt man über die Treppe nicht in ein Vestibül. Auch das bei Theaterbauten zu dieser Zeit bereits übliche, oberhalb des Vestibüls angeordnete

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Foyer fehlt hier. Der Zugang zum Theater erfolgt in ungewöhnlicher Weise, was wahrscheinlich der Baugeschichte geschuldet ist, über das Sockelgeschoss, das eine überdachte Durchfahrt für Kutschen enthielt. Mittels unterschiedlich gestaffelter und von verschiedenen Seiten sichtbarer Tempelzitate gelang es Schinkel, mit einem einzigen Gebäude den Anschein einer veritablen Tempellandschaft zu erwecken – zusammen mit den spätbarocken korinthischen Tempelfronten der beiden Kirchen erschien der Gendarmenmarkt „wie ein Forum von Kolonnaden umstellt“ (Pundt). Schinkels Schauspielhaus war weder das erste eigenständige, außerhalb eines Schlosskomplexes errichtete Theater noch das erste mit einer vergleichbaren Säulenhalle – Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff hatte 1741 – 1743 mit dem Königlichen Opernhaus (heute Staatsoper Unter den Linden) ein solches bereits errichtet. Es wurde hochgelobt und gilt als erstes frei stehendes Theater in Deutschland. Doch wendete Schinkel das Architekturzitat im klassizistischen Sinne am konsequentesten an, wenn er erläutert, er habe alle „Gewölbe in Bogenlinien“ zu vermeiden versucht und so weit wie möglich „die Konstruktion horizontaler Architrave überall durchgeführt.“ Obwohl der Rundbogen hier, wie in vielen Gebäuden dieser Zeit, ausgespart wurde, entwickelte der Klassizismus auch einen expliziten Rundbogenstil, der vor allem von Heinrich Hübsch (1795 – 1863) propagiert wurde. Sein Lehrer, Friedrich Weinbrenner (1766 – 1826), hatte die Stadt Karlsruhe noch mit seinen Portikusbauten (Stadtkirche, 1807 – 1816; Rathaus 1805 – 1825) geprägt. Hübschs Gebäude verliehen der Stadt nur wenige Jahre später ein zweites Gesicht (Großherzogliche, heute Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 1836 – 1846; Technische Universität, 1833 – 1836). Auf den Rundbogenstil bezogen sich unter anderem auch die Münchner Ludwigskirche (Friedrich von Gärtner, 1829 – 1844), die Münchner Allerheiligen-Hofkirche (Leo von Klenze, 1826 – 1837), das Berliner Rote Rathaus (Hermann Friedrich Waesemann, 1861 – 1870) und selbst noch der Stuttgarter Hauptbahnhof (Paul Bonatz, 1911 – 1928). Neben Berlin tat sich vor allem München unter dem Kronprinzen und späteren König Ludwig I. (1786 – 1868) mit zahlreichen klassizistischen Bauten hervor, nachdem er 1815 Leo von Klenze (1784 – 1864) an sich hatte binden können. Klenze entwarf den Bebauungsplan für den Königsplatz mit der Glyptothek im Norden (1816 – 1834), den Propyläen als Triumphtor im Osten (sie wurden erst zwischen 1854 und 1862 als Mahnmal für die griechischen Befreiungskämpfe und die Rolle der bayerischen Dynastie der Wittelsbacher gebaut) und die Kunsthalle im Süden (heute Staatliche Antikensammlung, Georg Friedrich Ziebland, 1838 – 1848). Darüber hinaus beauftragte Ludwig I. seinen Architekten mit der Walhalla bei Regensburg sowie der Ruhmeshalle in München (1843 – 1853) und

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ließ ihn seine Münchner Residenz im Stil des Palazzo Pitti in Florenz erweitern. Mit der Walhalla zeigt sich nochmals deutlich, dass dieses Zeitalter, das so sehr unter dem Diktat von Sparsamkeit und Einfachheit stand, dennoch in monumentale Bauten investierte, sofern sie dem Erinnern der eigenen Geschichte dienten, sei sie nun national oder bayerisch. So paradox es erscheinen mag, war der Stil, den man zur Verherrlichung der eigenen Nation wählte, ein gesamteuropäischer: Ein Portikus wie an der Glyptothek in München ist ähnlich auch am Britischen Museum in London zu bewundern. Nur kurze Zeit nach dem Schauspielhaus zeichnete Schinkel in Berlin die Pläne für das Alte Museum (1823 – 1830), das auf der Museumsinsel direkt an den Lustgarten des Berliner Schlosses grenzte und Preußens erstes öffentliches Museum werden sollte. Die Hauptfassade zeigt eine ionische Säulenkolonnade auf hohem Sockel, in dessen Mitte ein zentrales, ursprünglich offenes Treppenhaus zahlreiche Ausblicke in den Lustgarten des Schlosses gewährt und zugleich in das Innerste, das „Heiligtum“ (Schinkel), die kuppelbekrönte mit einem Säulen­ umgang versehene Rotunde führt. Die Kassettierung der Decke, die in einem Opaion (Lichtöffnung im Scheitel der Kuppel) endet, bezieht sich erneut auf das Pantheon in Rom. Solchermaßen erhielt das Museum eine seiner Funktion als nationale Bildungsanstalt adäquate und zugleich herausgehobene Form, selbst wenn sie sich nach außen nicht zu erkennen gibt, denn die Kuppel wird vom Kubus kaschiert. Vom zentralen Kuppelraum führen Türen in die Gemälde- und Skulpturensammlung. Schinkels Altem Museum folgten bis ins 20. Jahrhundert hinein noch weitere Museumsbauten, die heute den Gesamtkomplex der Museumsinsel bilden: Der Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler errichtete das Neue Museum (1843 – 1855) und die (Alte) Nationalgalerie (1866 – 1876). Es folgten das erste, 1909 wieder abgebrochene Pergamonmuseum (1897 – 1899) sowie das Bode-Museum (1897 – 1904, ursprünglich Kaiser-Friedrich-Museum) und schließlich das neue Pergamonmuseum (1909 – 1930). Das 19. Jahrhundert begann, seine Bürger nicht nur in den Museen und Theatern zu bilden, es brachte auch neue Geschlechterrollen hervor: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben“ und „drinnen waltet die züchtige Hausfrau“, schrieb Friedrich Schiller in seinem Lied von der Glocke (1799) – in der von Schinkel geplanten 600 Quadratmeter großen Privatwohnung in den obersten Geschossen der Bauakademie durfte seine Frau auch nach seinem Tod wohnen bleiben. Die Bauakademie von 1836 sollte zu Schinkels modernstem Bauerwerk werden. In Sichtbackstein errichtet, wies es weder eine Hauptfassade auf noch eine besondere Betonung der Mitte, und die sich über Pfeiler erhebenden Geschosse machten bereits die tragenden Wände überflüssig und wiesen so der Skelettbauweise des 20. Jahrhunderts den Weg. In den 1960er-Jahren wurde die Bauakademie abge-

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brochen und seither nicht wieder aufgebaut, anders als das Schauspielhaus, das 1945 völlig zerstört in den frühen 1980er-Jahren als reines Konzerthaus wieder eröffnet wurde.

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ach den Jahren der Restauration (1815 – 1830) und dem erfolglosen Versuch der Gründung einer Republik (1848 / 49), konnte Preußen seine Vormachtstellung weiter ausbauen. Die Rheinromantik und der Bau des Kölner Doms erlebten einen vor allem von Preußen initiierten Aufschwung. Im Deutschen Bund standen sich Habsburg und Preußen mit ihren jeweiligen Verbündeten konkurrierend gegenüber. Bei der den Deutschen Krieg entscheidenden Schlacht von Königgrätz (1866) unterlagen die Habsburger Preußen – der Weg zur Reichsgründung 1871 unter preußischer Führung war geebnet. In den folgenden Jahren wurden zahlreiche neue Nationaldenkmale errichtet: Seit dem 28. September 1883 reckt die Germania des Niederwalddenkmals bei Rüdesheim triumphierend die Kaiserkrone in die Höhe (der Bildhauer Johannes Schilling weigerte sich allerdings standhaft, die Germania so zu positionieren, dass sie nach Westen zum „Erbfeind“ blickt); am Deutschen Eck in Koblenz wurde 1897 das Denkmal für Kaiser Wilhelm I. errichtet, von denselben Bildhauern, die auch das KaiserWilhelm-Denkmal am Kyffhäuser in Thüringen (1890 – 1896) und das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig (1898 – 1913) schufen. Fortan wurden die Geschicke des Landes von Berlin aus gelenkt. Während sich Klassizismus und Neogotik parallel um 1760 entwickelt hatten (als erster neogotischer Bau auf dem Kontinent gilt das Nauener Tor in Potsdam von 1755; das Wörlitzer Schloss entstand kurz darauf ab 1769), erscheinen all jene Stile, die den Begriff „Neo“ als Vorsilbe erhalten haben, erst später: die Neorenaissance, die Neoromanik, schließlich auch das Neobarock. Wie in Goethes Wahlverwandtschaften, in denen Eduard und Charlotte ein Gartenreich um das Schlösschen herum mit Mooshütte und gotischer Kirche anlegen, so scheint es, als haben die Staffagebauten der Gartenreiche all jene Stile bereits erprobt und sollten nun die Städte und Schlösser erobern. Das (christliche) Mittelalter wurde von den Nazarenern um Friedrich Overbeck (1789 – 1869) und den englischen Präraffaeliten um Dante Gabriel Rossetti (1828 – 1882), von Wackenroder und Tieck in ihren Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, von den Gebrüdern Grimm in ihrer Sammlung der Hausmärchen und auch vom Preußen-

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könig in den Burgen der Staufer wieder entdeckt – die Romantik läutete bereits einen neuen Blick auf die Vergangenheit ein. Mittelalterliche Burgen wurden neu errichtet, überbaut und rekonstruiert – vorerst auch hier noch im Park, etwa die als künstliche Ruine errichtete Löwenburg (im Bergpark Wilhelmshöhe Kassel), das von Schinkel geplante und neu errichtete Schloss Babelsberg im gleichnamigen Park in Potsdam, dann aber auch, aufbauend auf mittelalterlichen Burgen in freier Landschaft, Schloss Stolzenfels bei Koblenz, Hohenschwangau bei Füssen oder die Hohenzollern-Stammburg bei Hechingen. Unter dem Rückgriff auf die Vergangenheit eint der Historismus zahlreiche Stile, wobei nicht die antike (römische oder griechische) Baukunst zum Ideal wurde, sondern vornehmlich jene des Mittelalters. Das unterscheidet den Historismus grundsätzlich von allen Formen der Renovatio, Renaissance oder des Klassizismus. Parallel dazu entwickelte sich die Wissenschaft der Kunstgeschichte, indem die geschichtliche Dimension und Abfolge der Stile erforscht und beschrieben wurden. Der Historismus relativierte den normativen Anspruch der Antike: Neoromanische oder gar „neoottonische“ Kirchen wurden errichtet, beispielsweise die der St. Michael Kirche in Hildesheim nachgebildete St.-Antonius-Basilika in Rheine (1899 – 1906) oder die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin (1890 – 1906). Auch auf die Gotik wurde für unzählige Kirchenneubauten zurückgegriffen. Für bürgerliche Bauaufgaben, wie beispielsweise das Rathaus, wurde hingegen häufig, wenn auch nicht ausschließlich, der Renaissancestil gewählt. Für die Demonstration von Größe und Pracht bevorzugte man den Rückgriff auf den Barock, etwa am mächtigen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schinkels klassizistischem Alten Museum befindlichen Berliner Dom, dessen geplante gewaltige Kuppel Gottfried Semper abschätzig als „kolossale mittelalterliche Pickelhaube“ bezeichnete. Während sich die genannten Gebäude tatsächlich noch nach Stilen unterscheiden lassen, ist an mindestens ebenso vielen anderen ein Stilgemisch zu konstatieren: Ein und dasselbe Bauwerk nutzt gleichzeitig die Dekorationsformen des Barocks wie der Renaissance, der Gotik oder des Klassizismus. Diese sehr verbreitete eklektizistische Vorgehensweise prägt noch heute das Bild zahlreicher Straßen der Gründerzeit in ganz Europa. Der beschriebene Eklektizismus macht aber auch die Loslösung des mit dem Bauwerk ideell untrennbar verbundenen decorums deutlich. Den nachfolgenden Generationen, vor allem den in den 1920er-Jahren dominanten Funktionalisten, erschienen diese Dekorationen deshalb nur noch wie nachträglich applizierter, überflüssiger Zierrat. Dieses Bild vom Historismus und seinen Baumeistern sollte bis in die 1960er-Jahre bestehen bleiben. Und dennoch muss für das 19. Jahrhundert die Entdeckung der eigenen Geschichte als zentral und fundamental erkannt werden, denn sie bot vor dem Hintergrund von Säkulari-

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sation, zunehmender Industrialisierung und Liberalisierung sowie dem Zerfall der Agrargesellschaft mit der damit einhergehenden Landflucht und dem entsprechenden enormen Anwachsen der Städte eine Orientierungs- und Identifikationsmöglichkeit. Der Bürger bildete sich nicht nur im Theater, sondern auch in den öffentlichen Museen. Dort änderte sich die Präsentation der Schaustücke im Lauf des Jahrhunderts: Hatte sie anfangs noch den Charakter ausgelagerter fürstlicher Sammlungen, die häufig wie ein „Sammelsurium“, vergleichbar einer Kunstkammer, angeordnet waren, so gab es sehr früh auch konsequent an Chronologie und Geografie orientierte, für die nachfolgenden Museen vorbildliche Ordnungen (erstmals in der Kaiserlich-Königlichen Gemäldegalerie im Wiener Belvedere, 1781). Unter dem Einfluss der Museumsreformdebatte zeigte das Berliner Bode-Museum (damals noch Kaiser-Friedrich-Museum) die Gemälde, Skulpturen und das Kunstgewerbe erstmals nicht nach Gattungen getrennt, sondern nach stilistischen Kriterien in sogenannten „Stilräumen“. Zentral aber war für alle Formen des Museums nicht allein die Sammlung, sondern die durchaus auch didaktisch gemeinte Präsentation exemplarischer Einzelstücke, die sich mit der bereits erwähnten Suche nach der eigenen Geschichte verband. Am 15. Juni 1853 eröffnete das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, es „sollte eine Geschichte für eine Nation schaffen, die noch gar nicht existierte.“ Auch wenn das Nürnberger Museum damals wohl das größte seiner Art in Europa war, das einzige war es nicht. Bürgerliche Bildung und Selbstvergewisserung drückten sich im Kunststreben des Historismus auch in anderen Ländern aus – aber das ist nur die eine Seite dieser Epoche, auf der anderen Seite wird ihr das Fehlen eines eigenen, originären Stils von Anfang an vorgeworfen. Heinrich Hübschs Publikation In welchem Style sollen wir bauen?, in der er sich 1828 kritisch mit dem Klassizismus auseinandersetzte, wies in ihrem Titel bereits auf die Problematik des Historismus hin. Dabei konzentrierte sich die Bautätigkeit auch auf die „Heimat“; in dem Bewusstsein, dass alle „Vaterlandsliebe“ in „Heimatliebe“ wurzle, wurden Heimatbünde, die sich unter anderem der Denkmalpflege verschrieben, gegründet. Zahlreiche historische Gebäude wurden in einen idealen Zustand, einen als „rein“ angesehenen Stil „zurückverwandelt“, der in dieser Form wohl nie existiert hatte. In diesem Sinne wurden etliche Rathäuser, wie jenes von Stralsund, überformt oder die Türme des Meißner Doms ab dem vierten Geschoss neugotisch errichtet. Anders als in Köln oder Ulm konnte in Meißen auf keine Originalpläne zurückgegriffen werden; man schrieb einen Wettbewerb aus, den derselbe Carl Schäfer gewann, der auch den Friedrichsbau des Heidelberger Schlosses in Neorenaissanceformen restauriert hatte und dessen Entwürfe zum dortigen Ottheinrichsbau zum berühmten Denkmalsstreit führten: Konservieren oder restaurieren, lautete die zentral verhandelte Frage.

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Erstaunlicherweise sollte einer der berühmtesten Bauten des Historismus, das Dresdner Hoftheater, aber gerade von jenem Architekten geschaffen werden, der sich noch 1834 über den Stilpluralismus beklagt hatte: Gottfried Semper (1803 – 1879) schrieb in seinen Vorläufigen Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten (1834) tadelnd, dass die europäischen Hauptstädte wie „Quintessenzen aller Länder und Jahrhunderte“ erschienen, mit dem Effekt, dass wir „am Ende selber vergessen, welchem Jahrhundert wir angehören.“ Vielleicht hat auch die in dieser Schrift zentral verhandelte Entdeckung antiker Polychromie ihre späte Wirkung gezeigt und den Purismus der Klassizisten relativiert. Doch war Sempers Antwort auf die Pluralität der Stile nicht eindeutig: Er baute klassizistisch (Stadthaus Winterthur) ebenso wie historistisch, und mit seiner Villa Rosa in Dresden konkurrierte er bewusst mit Palladios Villa Rotonda bei Vincenza (1567 – 1591). Hatten bereits die Ausgrabungen von Pompeji und Herculaneum im 18. Jahrhundert das damalige Bild von der Antike erschüttert und auf eine neue Grundlage gestellt, so bewirkte die Entdeckung der Farbfassungen antiker Architektur und Skulptur eine erneute Wende. Semper studierte tatsächlich vor Ort, nahm Farbproben und publizierte ein Blatt, das das Tempelgebälk des Parthenon in Athen in schönsten Farben wiedergibt: in Rotbraun, Blau und Hellbeige. Das musste für Augen, die die Antike bis dahin nur aus monochromen Kupferstichen kannten, wie ein Schock wirken. Tatsächlich erscheinen Sempers Farbstudien aber auch wegbereitend für seine Theorie der „Bekleidung“ und des „Schmückens“ gewesen zu sein, die er als Urformen des menschlichen Verhaltens sah. Deshalb wollte er auch den Schmuck von Gebäuden entschieden anders als die Kritiker des Historismus verstanden wissen, nämlich nicht als nachträglich appliziert, sondern im Gegenteil, als Ursprung aller Architektur. Dabei verband ihn seine Suche nach diesen Urformen zugleich wieder mit den Klassizisten, die ebenfalls in der Antike eine universelle Sprache gefunden zu haben glaubten, ebenso wie mit Goethes Ideen von einer Urpflanze, Herders Publikation Vom Ursprung der Sprache etc. Sempers Theorie zur Entwicklung der Architektur aus dem Kunsthandwerk und dem menschlichen Bedürfnis, sich zu kleiden und zu schmücken, sollte noch in den nachfolgenden Generationen zur Debatte stehen, die sich seiner Position entweder anschlossen oder sie vehement ablehnten. Als Semper 1838 die Pläne des Dresdner Hoftheaters zu zeichnen begann, war das ein Wendepunkt in seinem baukünstlerischen Schaffen, war es doch der erste Großauftrag, der an ihn ging – und er konnte sich durchsetzen gegen so versierte Theaterarchitekten wie Carl Ferdinand Langhans (1781 / 82 – 1869) oder Karl Friedrich Schinkel. In direkter Nachbarschaft zum Zwinger von Matthäus Daniel Pöppelmann, der Hofkirche von Gaetano Chiaveri und Schinkels klassizistischer Altstädter Wache machte ihn der 1841 eröffnete Bau auf einen Schlag europa-

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30  Gottfried Semper, Dresden, Hoftheater

weit berühmt und Dresden zum Mittelpunkt der Neorenaissance. Aber wie so viele Bauten, so sollte auch dieser 1869 einem Brand zum Opfer fallen. Gottfried Semper, der bei der Revolution von 1848 / 49 auf den Barrikaden stand, hatte bereits Jahre zuvor Dresden verlassen müssen; er wurde steckbrieflich im gesamten Deutschen Bund gesucht, und doch wurde er dank eines Volksbegehrens auch zum Architekten des zweiten Dresdner Hoftheaters, der heutigen Semperoper. Seine ursprünglichen Pläne zur Umgestaltung des gesamten Theaterplatzes in Anlehnung an den Markusplatz in Venedig, in denen er den Zwinger zum Theaterplatz und zur Elbe hin offen lassen wollte, waren längst ad acta gelegt. Semper hatte an zahlreichen Theaterprojekten gearbeitet, die ihre Spuren auch im Dresdner Theaterbau hinterlassen sollten: Am prächtigen Entwurf für das kaiserliche Theater in Rio de Janeiro und an dem für Richard Wagner geplanten Münchner Festspielhaus – beide wurden nie realisiert –, doch erst in Dresden konnte Semper seine Ideen verwirklichen, und zwar im Stil der Hochrenaissance. Schon beim ersten Hoftheater hatte sich Semper gegen die im Theaterbau damals übliche Tempelfront entschieden und ließ die Form des runden, dem antiken Theater entlehnten Zuschauerraums nach außen treten, sodass der Bau halbkreisförmig in den Platz ragte. Auch beim zweiten Hoftheater, das 1871 bis 1878 errichtet wurde (Abb. 30), wählte er die Rundung als bestimmende Dominante des Baus, allerdings folgt der Segmentbogen dem Zuschauerraum im Innern nicht mehr exakt. Gemeinsam mit den kurzen Seitenflügeln umschreibt der Bau ein Omega, über dem sich ein stark rustiziertes Erdgeschoss mit Doppelpilastern und Rundbögen erhebt, gefolgt von einem Piano nobile mit korinthischen Halbsäulen, zwischen die Rundbogenfenster mit Balustraden und Festons gesetzt sind, und

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das seinen Abschluss in einer Balustrade erhält, hinter der zurückversetzt das eigentliche Rund des Zuschauerraums erscheint. Zuletzt wird dieses noch überragt von dem Bühnenraum mit Dreiecksgiebel. Die stärkere Plastizität des Gebäudes im Vergleich zum Schinkelschen Theater am Berliner Gendarmenmarkt (vgl. Abb. 29) ist offensichtlich.Auch die Betonung der Mitte erfolgt in Dresden auf ganz andere Weise, nämlich nicht nur mittels der Anordnung der Bauglieder, sondern tatsächlich auch über den Bauschmuck. Über dem Rundbogenportal im Erdgeschoss, das flankiert wird von den Statuen Goethes und Schillers, erhebt sich eine Exedra mit Kalotte, flankiert von vier Musen, während darüber Ariadne und Dionysos auf einer Pantherquadriga thronen. Die prächtige Gestaltung der Kalotte verweist nicht nur auf die Königsloge, sondern auch auf die kostbare Innenausstattung und erinnert daran, dass Semper einst die Elbe dem venezianischen Markusbecken annähern wollte. In seinen Anweisungen zur Dekoration der Kalotte erläuterte Semper, dass die zylindrischen Wände mit Marmor inkrustiert sein sollten, die Halbkuppel mit „venezianischen Mosaiken“ bekleidet. Auch wenn Semper sein städtebauliches Können nicht in der Umsetzung des an der Piazza di San Marco angelegten Entwurfs unter Beweis stellen konnte, so gelang ihm mit seinen Bauten und insbesondere mit der Sempergalerie „ein Meilenstein in der Geschichte der Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext“ (Nerdinger). Die Fassaden passte er der Umgebung ideal an, indem er sie elbseitig anders ausbildete als auf der Seite des Zwingers; die Kuppel der Gemäldegalerie allerdings wurde niedriger ausgeführt als Semper dies eigentlich vorgesehen hatte. Semper hatte Dresden, das Anfang des 19. Jahrhunderts noch stark dem Barock verhaftet war, ein neues, ein zweites Gesicht gegeben, zu dem auch die Brühlschen Terrassen gehörten: Der sogenannte „Balkon Europas“ ist reiner Historismus, ebenso wie auch das sächsische Ständehaus von Paul Wallot (1841 – 1912), der den Berliner Reichstag errichtet hatte, die Sekundogenitur, die Hochschule für Bildende Künste und die Kunsthalle im Lipsius-Bau, schließlich das Albertinum. Die Brühlsche Terrasse ist, wie in so vielen Städten, im Zuge der Niederlegung beziehungsweise Bebauung von Festungsmauern seit der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden; die „Brühlschen Herrlichkeiten“ des Rokoko mussten allerdings bereits Ende des 19. Jahrhunderts der Neubebauung weichen. Das sicher prominenteste Beispiel einer neuen Nutzung ehemaliger Festungsanlagen stellt wohl Wien mit seiner Ringstraße dar. Von hier aus hatte Semper den Bau seines zweiten Theaters in Dresden verfolgt, dessen Bauausführung (1871 – 1878) sein Sohn übernommen hatte. Auch in Wien hinterließ Semper Schlüsselbauten des Bürgertums: das zeitgleich mit der Semperoper begonnene Burgtheater ebenso wie das Kunsthistorische Museum (begonnen 1870, mit Carl von Hasenauer).

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Zu den imposantesten historistischen Bauten zählt sicher auch der Justizpalast in München oder Hermann Eggerts (1844 – 1920) Rathaus in Hannover. Es entstanden immer mehr und neue Bauaufgaben und auch die Repräsentationslust an den Bürgerhäusern nahm zu. Nicht nur die ehemals in Schlösser und Klöster integrierten Theater und Museen emanzipierten sich zu eigenständigen Gebäuden, auch die über lange Zeit im Raumprogramm von Rathäusern integrierten Funktionen wie Verkaufsstände und Märkte verselbständigten sich in Form von Markthallen und Kaufhäusern. Darüber hinaus waren im Zuge der Industrialisierung neue Gebäude für die Produktion (Fabriken) notwendig, ebenso für den Transport von Menschen und Gütern (Bahnhöfe). Hier kam jenes Baumaterial zum Einsatz, das für das Jahrhundert bezeichnend werden sollte: das Eisen. Meist wurde es noch ästhetisch überformt und historistisch eingebunden. Das Eisengerüst erhielt Dekorationen, etwa am Warenhaus Tietz in Berlin, das sich in direkter Nachbarschaft zum Warenhaus Wertheim ein Schaufenster aus Glas über vier Stockwerke leistete, aber mit neobarockem Zierrat einkleidete. Auch Hermann Eggerts Frankfurter Hauptbahnhof erhielt eine neobarocke Vestibülfassade mit den Allegorien des Tages und der Nacht, die die mächtige Bahnhofsuhr flankieren. Im Innern waren die Warteräume von der ersten bis zur vierten Klasse separiert; zusätzlich gab es ein Kaiser- und Fürstenzimmer, das wie die gesamte Anlage des Bahnhofs an barocke Schlösser erinnert: Anstelle des Cours d’honneur erstreckten sich nun die Bahnsteige und Gleise. Und dennoch bewerteten die Besucher das 1888 fertiggestellte Gebäude, dessen Halle in roher Eisenskelettbauweise konstruiert war, als ein Wunderwerk der Technik. Den Startschuss in das neue Zeitalter der Eisenkonstruktion hatte freilich Joseph Paxton (1803 – 1865) mit seinem Crystal Palace für die erste Weltausstellung 1851 in London gegeben; das „glasbedeckte Vacuum“ (Semper) war der Beginn einer neuen Ästhetik, die ihr Ideal nicht mehr in der Massigkeit, sondern in „dünngliedrigen Metallstäben“ (Muthesius) erkannte. Der Historismus schien überholt und auch über Semper wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts das Verdikt gesprochen, als Vertreter der Neorenaissance unschöpferischen Eklektizismus geliefert zu haben. Dennoch wurde und wird Semper bis heute als Theoretiker rezipiert, wobei es bisweilen zu Missverständnissen und Umdeutungen seiner Bekleidungstheorie kam. Auf ihr gründeten O ­ tto Wagner (1841 – 1918) und Adolf Loos (1870 – 1933) ihren Weg zur modernen Architektur: „Semper machte es möglich, eine Fassade als Kleid zu denken.“ (Nerdinger).

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Skulptur zwischen 1770 und 1840

I

n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde – gemäß der Empfehlung Johann Joachim Winckelmanns – auch für Bildhauer die klassische Antike zu einem Leitstern, an dem man sich orientierte. Dies hatte seine Wirkung nicht nur auf die Formensprache, sondern ebenfalls auf die Auswahl der Materialien und Themen. Bewusst wandten sie sich gegen den expressiven Stil der Barock- und Rokokoskulptur und versuchten mit ruhigen Formen und klarer Komposition die „edle Einfalt und stille Größe“ der als ideal empfundenen klassisch-antiken Skulptur (Winckelmann) zum Ausdruck zu bringen. Während die Bildhauer vorher durch dramatische Überspitzung von Gestik und Mimik den Betrachter emotional anzusprechen versuchten, waren solche Gestaltungsmittel bei den Klassizisten verpönt. Sie bemühten sich hingegen um eine korrekte Anatomie und stellten ihre Figuren in ruhigen Standmotiven und Körperhaltungen dar; auch die Gesichter sollten keine oder nur verhalten Gefühle widerspiegeln. Der beruhigten Formensprache adäquat erschien ihnen der Marmor – er blieb ungefasst und damit weiß. Aufgrund neuer Funde bei Grabungen in Herculaneum und Pompeji ging man nämlich irrtümlich davon aus, dass die antiken Skulpturen und Gebäude ursprünglich unbemalt gewesen waren. Diese Annahme wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts korrigiert, als man Farbreste an den antiken Skulpturen und deren polychrome Fassung wiederentdeckte. Weitere von den Klassizisten bevorzugte Materialien waren Bronze und – überraschenderweise – Gips, dessen Materialwert gering ist, aber daher auch dem Ideal von „Einfachheit“ umso besser entsprach. Gips kam auch dem Bildungsanspruch entgegen, da von den antiken Originalen schnell und unprob­lematisch Kopien aus Gips hergestellt werden konnten, die den Künstlern zu Studienzwecken dienten. Im deutschsprachigen Raum klangen die von Winckelmann propagierten Ideale schon im Spätwerk des Rokokobildhauers Johann Baptist Straub teilweise an. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts waren dann Bildhauer wie Johann Heinrich Dannecker (1758 – 1841), Johann Gottfried Schadow (1764 – 1850) und Christian Daniel Rauch (1777 – 1857) tätig, mit deren Namen die Skulptur des Klassizismus unverbrüchlich verbunden ist. Sie standen aber nicht nur unter dem Einfluss Winckelmanns oder antiker Skulpturen, sondern auch unter jenem des Bildhauers Antonio Canova (1757 – 1822), dem Hauptvertreter des italienischen Klassizismus. Wie grundlegend sich die Botschaft der Bildhauerkunst veränderte, lässt sich anhand der Skulpturengruppe „Ariadne auf dem Panther“ (1804 – 1814, Liebieg-

Skulptur zwischen 1770 und 1840

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haus, Frankfurt am Main) des Stuttgarter Hofbildhauers Johann Heinrich Dannecker nachvollziehen. Obwohl er thematisch der antiken Mythologie verbunden blieb, ist seine nackte Ariadne nicht mit den auf erotischen Reiz bedachten Venusund Nymphenfiguren zu vergleichen, die seit der Renaissance zu den beliebten Motiven der Kunst gehörten. Dannecker zeigt die kretische Prinzessin zwar nicht völlig reizlos, aber doch ruhig und seitlich auf einem Panther sitzend. Statt jenen dramatischen Moment der Sage zu schildern, in dem Ariadne auf der Insel Naxos von Theseus alleine zurückgelassen wird, präsentiert Dannecker sie zuversichtlich nach vorne in die Zukunft schauend und auf dem Tier ruhend, das ein Begleiter ihres künftigen Gatten Dionysos ist, dem Gott des Weines und der Ekstase. Der harmonische Eindruck der Skulptur entsteht aus der ausgewogenen Komposition, die trotz des Reitmotivs jegliche Darstellung von Bewegung vermeidet. Die Umrisslinie steigt sanft von links nach rechts an und verläuft von der rechten Fußspitze zu dem im Profil gezeigten Antlitz Ariadnes. Mit dieser Konzentration auf die Linie entsprach die Skulptur nicht nur dem damaligen Ideal von Schönheit, die aus Klarheit resultiert, sie wurde zudem als Mittel eingesetzt – im Kontrast zu den barocken bukolischen Ausschweifungen –, jegliche Art von Sinnlichkeit zu vermeiden: Nacktheit wurde als Zeichen von Reinheit verstanden. Beispielhaft setzte Dannecker dies in seiner Skulptur um, die schon bei den Zeitgenossen große Wertschätzung erfuhr und als Sinnbild der Beherrschung von Zügellosigkeit gefeiert wurde. Allerdings wollte der württembergische Herzog das Werk nicht in seine Sammlung aufnehmen; gekauft hat es stattdessen der Frankfurter Bankier Simon Moritz von Bethmann. Die Ariadne sollte zu Danneckers berühmtestem Werk werden, dem sogar ein eigener Bau errichtet wurde: das Ariadneum. Während Dannecker die weibliche Schönheit in idealisierten Formen präsentierte, sind im Werk des preußischen Hofbildhauers Johann Gottfried Schadow realistische Tendenzen bemerkbar. Seine Schulung erhielt er zunächst in seiner Heimatstadt Berlin und später in Rom, wo er sich unter anderem mit dem italienischen Klassizisten Antonio Canova anfreundete. Zurück in der Heimat, war eine seiner ersten wichtigen Aufgaben die plastische Gestaltung des Brandenburger Tors in Berlin. Neben den Reliefs und den Figuren des Mars und der Minerva umfasste der Auftrag die monumentale Quadriga (Viergespann, 1790 – 1793) auf dem Stadttor, dessen Bildprogramm den Friedenswillen der militärischen Macht demonstrieren sollte. Schadows Können in der Oberflächengestaltung entfaltete sich vor allem in dem berühmten Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen (1795 – 1797; Abb. 31), das sich auf den ersten Blick nicht als ein Werk mit höfischem Anspruch zu erkennen gibt. Vielmehr zeigt es das Schwesternpaar in einer ungezwungenen Haltung, die ein inniges Verhältnis widerspiegelt. Neben ihrer Schwester stehend, hat die Ältere, Luise, ihren

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Arm über die Schultern der Jüngeren gelegt, während Friederike die Taille ihrer Schwester umfasst und mit ihrer Linken Luises Hand berührt. Die antikisierende Kleidung der Geschwister ist unter dem Brustansatz gerafft und fällt locker bis auf den Boden. Nur bei Luise zeichnet sich das Spielbein deutlich ab. Der Reiz der Skulptur besteht einerseits aus der raffinierten Gestaltung der Oberflächen – der glatten Haut, der Faltenformation der Gewänder sowie dem gelockten Haar – anderseits aus der anmutigen Darstellung der Geschwister, die individuell charakterisiert werden: Die ältere Luise, die als zukünftige Königin in ihrer aufrechten Haltung hoheitsvoll dargestellt ist und ihren Blick in die Weite richtet, und die Jüngere, die ein wenig verspielter ihren Kopf neigt und in ihrer Bewegung lebendiger erscheint. Mit dieser Tendenz zur Natürlichkeit präsentiert die Prinzessinnengruppe keinen erstarrten und kühlen Klassizismus, wie er in der zeitgenössischen Kunst sonst meist zum Ausdruck kam. Da Schadow die Prinzessinnen nicht hoheitlich-höfisch präsentiert, zeigt die Gruppe exemplarisch die Loslösung der Skulptur aus ihrer repräsentativen Funktion. Während im Absolutismus bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hauptsächlich die Vertreter weltlicher oder geistlicher Macht porträt- und bildwürdig erschienen, bekamen die Bildhauer mit dem Aufkommen der Aufklärung in zunehmendem Maß auch Aufträge aus dem Bürgertum und dem niederen 31  Johann Gottfried Schadow, ­Prinzessinnengruppe, Berlin, SMB, Nationalgalerie

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Adel. Gerne wurden damals auch Geistesgrößen als Vorbilder für die Nachwelt in Denkmälern oder Büsten porträtiert. So existieren etwa von Johann Wolfgang von Goethe sehr verschieden interpretierte Porträts, die von idealisierenden (Alexander Trippel, 1788 und 1790) über realitätsnahe und nüchterne Fassungen ( Johann Gottfried Schadow, 1823) bis zu der Büste von Christian Daniel Rauch (1820) reichen, der mit der Konzentration auf die Physiognomie den Charakter Goethes zu zeigen versuchte. Ganz dem Zeitgeist entsprechend, entstand an der Donau bei Regensburg die Ruhmeshalle Walhalla. Der Initiator dieser Memorialstätte „berühmter Deutscher“ war Ludwig I. von Bayern, der zunächst Schadow für die Porträtbüsten verpflichten konnte, von dem allerdings nur 15 der ursprünglich geplanten 50 Bildnisse stammen. Neben Schadow arbeiteten weitere Berliner Bildhauer an den Porträtbüsten, etwa Christian Friedrich Tieck (1776 – 1851) und Christian Daniel Rauch (1777 – 1857), der Schadow in der Stellung als bedeutendster Bildhauer ablöste. Schadow soll sogar gesagt haben, dass sein Ruhm in Rauch aufgegangen sei. Rauchs erstes wichtiges Werk war das Grabmal für die Königin Luise von Preußen (1810 – 1814) im Park von Schloss Charlottenburg. Der Auftraggeber, König Friedrich Wilhelm III., wollte seine Gemahlin, die 1810 gerade mal 35-jährig gestorben war, in ewigem Schlaf dargestellt sehen. Diesem Wunsch folgend bildete Rauch die Verstorbene auf einem Bett ruhend ab. Um ihre Tugendhaftigkeit zu betonen, sind die Arme überkreuzt und ein Sternenkranz auf das Kissen gelegt, das den zur Seite geneigten Kopf stützt – auf diese Weise stellt sich zugleich eine Parallelität zu Maria ein, deren Attribut als Himmelskönigin die Sterne sind. Im Zuge des nach den Befreiungskriegen (1813 – 1815) zunehmenden Patriotismus wurde das Denkmal zur ranghöchsten bildhauerischen Aufgabe. So sollte auch Rauch seine wichtigsten Werke in dieser Gattung realisieren, obwohl er persönlich Themen aus der antiken Mythologie bevorzugte. Als sein Hauptwerk gilt das Reiterstandbild Friedrichs des Großen, dessen Ausführung über 20 Jahre dauerte, bis es schließlich im Jahr 1851 Unter den Linden in Berlin enthüllt werden konnte. Das monumentale Denkmal aus Bronze zeigt Friedrich II. in herrschaftlicher Haltung reitend. Entgegen aller Tradition kommen aber auch realistische Details zum Ausdruck: So ist der „Alte Fritz“ nicht in antikisierendem Gewand gekleidet, sondern in zeitgenössischer Tracht, und anstelle des Feldherrenschwertes hängt an der Seite sein Gehstock. Tatsächlich löste die Kleiderwahl heftige Diskussion aus (Kostümstreit): Preußischer Soldatenrock und Dreispitz wurden von den einen als zu alltäglich für einen Herrscher empfunden, während die anderen gerade darin eine bewusste Distanzierung von antiken Despoten erkannten

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und sich dafür begeisterten. Im Denkmal für Friedrich den Großen zeigte Rauch seine Fähigkeit, Idealisierung und Realismus harmonisch miteinander zu verbinden, was ihn zu einem der gefragtesten Bildhauer seiner Zeit machte. Rauch gilt als Wegbereiter für die jüngere Bildhauergeneration, die sich um 1830 von dem puristischen Klassizismus löste und in ihren Werken einen realistischen Ausdruck pflegte. Sie sollten nach dem Tod der bedeutenden Vorgängergeneration ab Mitte des 19. Jahrhunderts endgültig dominieren. Während der Klassizismus lange und stilistisch relativ homogen fast ein Jahrhundert gültig blieb, wurde die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Historismus von einem Nebeneinander zahlreicher Stile geprägt. Hatte bereits die Reformation eine einschneidende Zäsur für die Bildhauerkunst bedeutet, so gab die Gattung der Skulptur die führende Rolle nun endgültig an die Malerei ab.

Malerei des Klassizismus und der Romantik

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Klassizismus

hnlich wie in der Skulptur sind auch in der Malerei die ersten Tendenzen des Klassizismus ab Mitte des 18. Jahrhunderts spürbar. Unter dem Einfluss der Aufklärung und des Gedankenguts von Winckelmann wendeten sich die Maler von dem als affektiert empfundenen Rokoko ab, um die Kunst der Antike, der italienischen Renaissance sowie Künstler wie Nicolas Poussin (1594 – 1665) und Claude Lorrain (1600 – 1682), die zu der römisch-klassischen Strömung des Barock gehören, zu Vorbildern zu erheben. Die Veränderung dieser Geisteshaltung lässt sich gut in den Illustrationen von Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726 – 1801) für den Göttinger Taschen Calender in den Ausgaben für die Jahre 1779 und 1780 nachvollziehen. Diese Serie von Radierungen zeigt jeweils zwei als Gegensätze konzipierte Darstellungen, in denen ein Paar einmal theatralisch und geziert auftritt, das andere Mal in derselben Situation „natürlich“: Ein höfisch gekleidetes Paar reagiert etwa unter dem Bildtitel „Empfindung“ mit übertriebener Gestik auf den Sonnenaufgang, in seinem Pendant wiederum betrachtet das Paar maßvoll und in sich versunken die Natur. Diese unterschiedlichen Reaktionen auf das Naturschauspiel sind auf die Kunst übertragbar, auch sie sollte nicht mehr der Unterhaltung dienen, sondern vielmehr konzentriert betrachtet und ih-

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re Botschaft innerlich reflektiert werden. Mit dieser Absicht wählten die Künstler ihre Themen aus der griechischen beziehungsweise römischen Mythologie und ergänzten sie mit moralischen Botschaften, um auf diesem Weg den Betrachter zu erziehen. In vielen Fällen wurden die Gemälde zu „Denkbildern“, die nur von einem gebildeten Publikum verstanden werden konnten. Ein solches „Denkbild“ ist das Fresko in der Villa Albani in Rom von Anton Raphael Mengs (1728 – 1779), der sogenannte „Parnass“ (1760 / 61), das als Gründungswerk des deutschen Frühklassizismus gilt. Das Thema des Freskos, die Huldigung Apolls, wurde gerade von Klassizisten vielfach interpretiert. Der Gott der Sonne und der Künste wurde besonders in der deutschen Kunst zu einer Art Leitfigur, die als Bringer des Lichts und der Kultur die Welt erleuchtete und damit den Wunsch nach einer Erneuerung der Künste zum Ausdruck brachte. Mengs war der erste Künstler, der die Ideen Winckelmanns in die Praxis umzusetzen versuchte. Nicht nur der Verzicht auf perspektivische Verkürzungen und auf Illusionismus bedeutete einen Bruch mit der Tradition der barocken Deckenmalerei, sondern auch die strenge Bildordnung und das kühle Kolorit stehen im Gegensatz zu den von Bewegung bestimmten Kompositionen und der warmen Farbpalette der Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts. „Der Parnass“ zeigt in seiner genau durchdachten Gestaltung, dass, obwohl der Klassizismus die Natürlichkeit als Ideal proklamierte, das Resultat oft höchst artifiziell ausfiel. Dabei galt die Darstellung von Schönheit, die durch Harmonie und Idealisierung zustande kommen sollte, als noch höheres Ziel als die Natürlichkeit. Die Komposition des Gemäldes folgt einer Ellipse, die den Gott der Künste, Apoll, als Hauptfigur herausstellt. Die begleitenden Figuren, die neun Musen, die sich aufgrund der seltenen Darstellung ihrer Mutter Mnemosyne zur symmetrischen Gesamtzahl Zehn erweitern, sind um den Gott herum gruppiert. Der thea­ tralische Charakter der Darstellung wird von den steifen Figuren hervorgerufen, die wie auf einer schmalen Bühne agieren. Mit der Flächigkeit der Darstellung versuchte der Künstler vermutlich, die damals als Ideal empfundene Malerei der Antike, besonders die Vasendekorationen, nachzuahmen: Die Linie hatte den Vorrang und der Bildraum erstreckte sich nicht in die Tiefe. Auch für seine Figuren holte sich Mengs Anregungen aus der Antike, während für die Komposition das gleichnamige Werk von Raffael in der vatikanischen Stanza della Segnatura (um 1510) als Vorbild diente. Dem selbst gestellten Anspruch genügte Mengs, der seine Theorien auch auf Papier brachte, nicht, wie unter anderem die weichen Körperformen und die warme Farbgebung zeigen. Doch seine Ideen, die stark von Winckelmann abhängig waren, wurden von Zeitgenossen aufgenommen, sodass der in seiner Zeit bedeutendste und ab den 1760er-Jahren für den spanischen König tätige Mengs nachhaltig Einfluss ausübte.

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Einer der Künstler, der die „unsinnliche Linie“ als Gestaltungselement am konsequentesten einsetzte, war der dänische Autodidakt Asmus Jacob Carstens (1754 – 1798), der nach seiner Tätigkeit in Lübeck und Berlin ab 1792 in Rom ansässig war. Die wenigen Ölgemälde, die von ihm erhalten sind, zeigen, wie sich Carstens von der konturenauflösenden Malerei abgesetzt hatte: Der Farbauftrag ist flächig und die Auffassung der Szenen bühnenhaft. Sein grafischer Stil kommt dadurch in Zeichnungen am besten zum Ausdruck, wie etwa in dem Karton „Die Nacht mit ihren Kindern“ (1795). Neben der Figur der Nacht, die ihr Gewand schützend um ihre Kinder, Schlaf und Tod, erhebt, sitzt die Göttin der Vergeltung, Nemesis, deren Gestalt an die delphische Sibylle Michelangelos (Sixtinische Kapelle) angelehnt ist. Dass die aufwendigen Gewanddrapierungen von dem Künstler sorgfältig geplant waren, ist in den zahlreichen Einzelstudien dokumentiert, die zur Vorbereitung dienten. Sie wurden aus dem Nachlass des Künstlers von Goethe, der Carstens hoch schätzte, für Weimar erworben und befinden sich – wie auch „Die Nacht“ – noch heute in der dortigen Graphischen Sammlung. Obwohl das Historienbild in jener Zeit als die ranghöchste Gattung angesehen wurde, sind zwei Künstler des deutschen Klassizismus hauptsächlich für ihre Porträts berühmt: die Schweizerin Angelika Kauffmann (1741 – 1807) und der sogenannte „Goethe-Tischbein“, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751 – 1829). Kauffmann, die den größten Teil ihres Lebens in London und Rom verbrachte, war eine der wenigen Künstlerinnen ihrer Zeit, die nicht als Dilettantin galt, sondern von den Zeitgenossen geschätzt und als Porträtistin gefragt war (u.  a. Winckelmann und Goethe). Stilistisch blieb sie noch der Rokokomalerei verhaftet, mit ihren mythologischen Themen aber ist sie dem Frühklassizismus zuzurechnen. Wie Kauffmann hielt sich auch Tischbein lange Zeiten in Italien auf, wo er sich mit Goethe anfreundete und ihn in dem Bild „Goethe in der Campagna“ (1786 / 87; Frankfurt am Main, Städel Museum) porträtierte. Er stellte den Dichter als reisenden Weltmann in italienischer Landschaft dar, umgeben von antiken Spolien. Trotz der künstlerischen Schwächen (u.  a . zwei linke Füße) ist das Gemälde nicht nur das berühmteste Werk Tischbeins, sondern hat vor allem auch das Bild Goethes nachhaltig geprägt. Stand die Naturdarstellung in Tischbeins Bildnis von Goethe noch im Hintergrund – wobei sie nicht für sich, sondern als Chiffre für den mythologischen Ort Arkadien zu lesen ist –, so gewann die Landschaftsdarstellung als eigenständiges Motiv allmählich an Bedeutung. Während in der akademischen Hierarchie die Landschaftsmalerei als eine der niederen Gattungen neben der Porträt- und Stilllebenmalerei galt, nahm ihre Beliebtheit beim breiten Publikum schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer mehr zu. Angeregt wurde die Entwicklung der Landschaftsmalerei durch die Ideen der Aufklärung, die die Natur im

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Kontrast zu Zivilisation und Bildung ( Jean-Jacques Rousseau: „Zurück zur Natur“) als Ideal entdeckte. Die wachsende Reisebegeisterung trug nicht minder zur Wertschätzung dieses Genres bei. In ihrer Wirklichkeitstreue variierten die Landschaftsdarstellungen von der topografisch genauen Wiedergabe bis hin zur künstlich komponierten, idealisierten Naturschilderung. Die Hauptprotagonisten in diesem Fach waren Jacob Philipp Hackert (1737 – 1807), der mit seinen italienischen Ideallandschaften berühmt wurde, sowie Joseph Anton Koch (1768 – 1839), für dessen arkadische Weltlandschaften die Alpen neben Italien ein ebenso wichtiger Motivschatz wurden. Der Vergleich mit der zeitgleichen Malerei in Frankreich, das als Hauptland der klassizistischen Kunst gilt, zeigt deutliche Unterschiede. Dort erlebte die Landschaftsmalerei erst mit der antiakademischen Freiluftmalerei, der sogenannten Schule von Barbizon, ab den 1830erJahren wieder einen Aufschwung. Romantik

Um 1800 rückte in Deutschland die Natur und ihr tiefes Erleben immer mehr in das Zentrum des Interesses und die Künstler entdeckten die Möglichkeit, mit Landschaftsdarstellungen menschliche Stimmungen und Gefühle auszudrücken. Daraus entwickelte sich eine Kunstbewegung, die als Romantik bezeichnet wird. Dieser Begriff wurzelt im Altfranzösischen „romanz“, einer in der romanischen Volkssprache und nicht auf Latein verfassten Erzählung. Anfangs in der Literatur verwendet als Terminus für fantasievolle und abenteuerliche Erzählungen, erwuchs daraus die Bezeichnung Romanze, schließlich Roman. Zum Namen einer geistesgeschichtlichen Bewegung wurde der Begriff „Romantik“ erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Einer der Hauptvertreter der deutschen Frühromantik ist Philipp Otto Runge (1777 – 1810), dessen Werke noch stark von der Linie beherrscht sind, während die Themen sich mit den philosophischen Vorstellungen von der Natur beschäftigen. Sein Weg wurde von Literaten wie Ludwig Tieck (1773 – 1853) und Novalis (1772 – 1801) begleitet; mit Goethe tauschte er Ideen über die Farbenlehre aus. 1810 veröffentlichte Runge in seiner Schrift Farbenkugel das erste dreidimensionale Farbenmodell; die früheren Farbtheorien hatten zweidimensionale Kreise oder Pyramiden verwendet. Trotz allem Anschein von Wissenschaftlichkeit war Runges Vorstellung jedoch von christlich-romantischen Deutungen durchsetzt: Die Primärfarben Rot, Gelb und Blau standen für die Dreifaltigkeit Gottes, Weiß und Schwarz hingegen, die in seiner Kugel die Pole besetzen, verband Runge mit dem Guten und dem Bösen. Während die Zeitgenossen vor allem seine Porträtgemälde schätzten, sind für die Nachwelt seine theoretischen Schriften und der programmatische „Zeiten“-Zyklus (begonnen 1803) von größerer Bedeutung. Diese

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32  Caspar David Friedrich, Der Wanderer über dem Nebelmeer, Hamburg, Kunsthalle

vier allegorischen Darstellungen der Tageszeiten, die als monumentale Gemälde (8,60 × 6,10 Meter) gedacht waren, konnte Runge allerdings nicht mehr vollenden. In Form von Skizzen, Grafiken und einer unfertigen, fragmentierten Leinwand sind die kosmischen Symbolwelten Runges, die in hochartifizieller Form den Zyklus des Werdens und Vergehens darstellen sollten, erhalten geblieben. Im Gegensatz zu diesen durchdachten Kompositionen wirken die Naturschilderungen von Caspar David Friedrich (1774 – 1840) realitätsnah. Aber auch sie sind idealisierte Landschaftsarrangements, denn ihm ging es nicht darum, die Wirklichkeit abzubilden, sondern (und hier unterscheidet er sich von den Landschaftsmalern des Klassizismus) seine eigenen Stimmungen und Empfindungen auf die Naturdarstellung zu übertragen. Seine Gemälde, die oft eine Rückenfigur vor einer weiten (Welt-)Landschaft abbilden, gelten als Inbegriff der schwermütigen deutschen Romantik. Obwohl in seinen Spätwerken die Personen an Grö-

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33  Friedrich ­Kersting, ­ Die Stickerin, Weimar, Schloss­­museum

ße gewinnen, bleiben sie silhouettenhaft wie der einsame Betrachter in dem Bild „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (Abb. 32) aus dem Jahr 1818. Sowohl in der malerischen Ausführung als auch farblich trennte Friedrich das Bild in zwei Zonen: die Figur und den Felsen im Vordergrund, die in dunklen Brauntönen flächig gemalt sind, und die blaugraue Nebellandschaft, die sich in den endlosen Weiten des Bildhintergrundes ausbreitet. Mit dieser Aufteilung ermöglicht Friedrich dem Betrachter, sich mit dem Wanderer zu identifizieren, der der geheimnisvollen Natur alleine gegenübersteht. Das Zentrum der romantischen Malerei war Dresden: Neben Caspar David Friedrich waren dort auch zeitweise Philipp Otto Runge, Carl Gustav Carus (1789 – 1869), Georg Friedrich Kersting (1785 – 1847) und Karl Friedrich Schinkel tätig. Wie Friedrich schuf auch Kersting die für die Romantik so charakteristischen Interieurbilder, wobei seine Protagonisten nicht in die Welt blicken,

Die Kunst des 19. Jahrhunderts

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sondern ganz in ihre Arbeit versunken sind, ähnlich wie auf den Genrebildern des Niederländers Jan Vermeer aus dem 17. Jahrhundert. So zeigt beispielsweise Kerstings Gemälde „Die Stickerin“ (Abb. 33, erste der insgesamt drei Versionen) eine über ihre Arbeit gebeugte Frau, die als die Malerin Louise Seidler identifizierbar ist. Obwohl sie in ihrem Beruf anerkannt war, hielt Kersting sie bei einer typischen Frauenarbeit fest, während er seine männlichen Kollegen als Maler, vor der Staffelei stehend, porträtierte. Ob das als ein typisch männlicher Blick zu deuten oder, wie auch vorgeschlagen wurde, als ein Trauerbild zu interpretieren ist, bleibt offen. Das mit Blumen umrahmte Porträt an der Wand könnte nämlich den Verlobten Seidlers darstellen, der wenige Jahre zuvor gestorben war. Mit den gefühlvollen Darstellungen der Menschen, die ihren Blick in die Welt und ihr Inneres richten, haben die sogenannten Nazarener (u.  a . Johann Friedrich Overbeck, Peter Cornelius) nichts gemeinsam, denn sie versuchten durch die Nachahmung mittelalterlicher Kunst die Malerei zu erneuern. Ihre Themen fanden sie im biblischen oder mythologischen Kontext und übersetzten diese in linear-schöne Formen, mit dem Ziel, einerseits religiöse, andererseits aber auch patriotische Kunstwerke zu produzieren. Da ihre Vorbilder nicht nur die Meister der italienischen Renaissance waren, sondern auch deutsche Künstler des 15. und 16. Jahrhunderts wie Dürer, gehört es zu den Verdiensten der Nazarener, dass mit ihnen auch die altdeutsche Malerei wiederentdeckt wurde.

Malerei nach 1820 Biedermeier

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ie Zeit zwischen dem Wiener Kongress (1815) und der Märzrevolution (1848) wurde nachträglich mit dem Begriff Biedermeier versehen, um die unpolitische und kleinbürgerliche Geisteshaltung zu beschreiben, die auch in der Literatur, Malerei und Wohnkultur ihren Ausdruck fand. Im Gegensatz zu den teilweise düsteren Visionen der Romantik sind für die Malerei des Biedermeier die intimen Darstellungen des Privaten charakteristisch, die in gemütlichen Genreszenen geschildert wurden. Aber auch die Landschaftsmalerei und das Porträt erfreuten sich großer Beliebtheit bei einem bürgerlichen Publikum. Der Malstil näherte sich wieder dem des Klassizismus mit seiner klaren Linienführung und deutlich voneinander getrennten Farbflächen an. Die Details wurden genau festgehalten, wobei die idyllischen Gemälde nicht als wirklichkeitstreu zu bezeichnen sind; vielmehr handelt es sich um idealisierte Darstellungen, die mit

Malerei nach 1820

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34  Adolph Menzel, Das Eisenwalzwerk, Berlin, SMB, Nationalgalerie

realistischen Details versehen wurden. Zu den Künstlern, die mit ihren Werken den Zeitgeschmack trafen, zählen beispielsweise Carl Spitzweg (1808 – 1885), der mit Humor auf die bürgerliche Welt blickte, sowie der Landschaftsmaler und Illustrator Ludwig Richter (1803 – 1884). Realismus

In der Malerei wird als Realismus eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts hervortretende Richtung bezeichnet, die sich bemühte, die reale Welt ohne Idealisierung darzustellen. Der Vorreiter und zugleich bekannteste Vertreter dieser Bewegung war Gustave Courbet (1819 – 1877) mit seiner Ausstellung „Le Réalisme“ in Paris im Jahr 1855. Seine Werke, die sich oft in einem sozialkritischen Themenkreis bewegen, wurden früh auch in Deutschland rezipiert. Einer der Künstler, der die Wirklichkeit durch unmittelbare Anschauung auf der Leinwand festhielt, war Adolph Menzel (1815 – 1905). Während er zu seinen Lebzeiten für jene Gemälde berühmt war, die der Tradition der akademischen Historienmalerei entsprachen („Szenen aus dem Leben Friedrichs des Großen“), nahm das Studium der

Die Kunst des 19. Jahrhunderts

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Realität immer mehr Platz in seinem späteren Schaffen ein. So hielt er in seinen Skizzen schonungslos die sterbenden Soldaten fest, die er auf seinen Reisen im Jahr 1866 zu den Schlachtfeldern des preußisch-österreichischen Krieges zu Gesicht bekam. Als sein Hauptwerk aber gilt „Das Eisenwalzwerk“ (vollendet 1875; Abb. 34), das er mit zahlreichen Studien vorbereitete und dessen Fertigstellung drei Jahre beanspruchte. Die glühenden Eisenstücke, die von den Männern in die Walze eingebracht werden, fesseln zunächst die Aufmerksamkeit. Erst nach und nach nimmt der Betrachter die vielen Arbeiter in der dämmerigen Fabrikhalle und deren vielseitige Tätigkeiten wahr. Ganz offensichtlich lag das Hauptaugenmerk Menzels nicht auf dem komplexen Herstellungsprozess, sondern auf den harten Arbeitsbedingungen, die die Industrialisierung mit sich brachte. Ein weiterer bedeutender Vertreter des Realismus in Deutschland ist Wilhelm Leibl (1844 – 1900), dessen Hauptwerk „Drei Frauen in der Kirche“ (1882, Hamburger Kunsthalle) zeigt, wie er sich statt für ein idyllisches Bauernleben mehr für die lebensnahe Darstellung der Menschen interessierte. Typisch für ihn sind die Auswahl eines engen Bildausschnitts und die Betonung der Details, die er in unmittelbarer Anschauung in unzähligen Studien erarbeitete. Impressionismus

Der Impressionismus, der in den 1860er-Jahren in Frankreich aufkam, wird in dem Œuvre deutscher Künstler erst circa 20 Jahre später sichtbar. Die Erkenntnisse aus der Freilichtmalerei führten Maler wie Claude Monet (1840 – 1926), PierreAuguste Renoir (1841 – 1919) und Camille Pissarro (1830 – 1903) zu einem neuen, Kontur auflösenden Malstil mit lockerem Pinselduktus, der die momentane Erscheinung der Welt in flirrendem Licht einfing. In Deutschland wurde der Impressionismus nicht nur später, sondern auch zögerlicher aufgenommen. Seine deutschen Hauptvertreter waren Max Slevogt (1867 – 1932), Max Liebermann (1847 – 1935) und Lovis Corinth (1858 – 1925). Sie schienen weniger experimentierfreudig und blieben in der gedämpfteren Farbpalette dem Gegenstand treuer, wenngleich sie sich ebenfalls vom Diktat der Linie lösten. Mit ihren Themen blieben sie stärker der akademischen Tradition verhaftet und wählten ihre Motive auch aus der Historienmalerei. Die französischen Impressionisten widmeten ihre Aufmerksamkeit hingegen vor allem Szenen des alltäglichen Lebens. Diese Unterschiede sind teilweise durch die zeitliche Verschiebung zu erklären. In Frankreich gehörten die Künstler, die an den Ausstellungen der Impressionisten teilnahmen, der Avantgarde an, die sich gegen die Salonmalerei wandte. In den 1890er-Jahren, als der Impressionismus schließlich in Deutschland Fuß fasste, war die französische Kunst bereits postimpressionistisch. Eine neue Künstlergeneration entwickelte dort gleichzeitig die Strömungen des Pointillismus, aber

Malerei nach 1820

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auch des Symbolismus, wieder andere versammelten sich in der Künstlergruppe Nabis. Die Blütezeit des deutschen Impressionismus, die in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende anzusetzen ist, steht in Verbindung mit der Zurückdrängung Münchens als Kunstzentrum zugunsten Berlins. Noch in den 1880er-Jahren war München die Kunsthauptstadt Deutschlands gewesen. Obwohl die dortige Kunstakademie als relativ liberal galt, brodelte es unter den Künstlern, die sich gegen den offiziellen Geschmack wandten. Um auch für ihre progressiven Werke eine Ausstellungsmöglichkeit zu haben, gründeten Franz von Stuck (1863 – 1928), Fritz von Uhde (1848 – 1911) und andere 1892 die Münchener Secession. Auch in Berlin gab es Streitigkeiten zwischen der Akademie, die den Geschmack der wilhelminischen Hofkunst repräsentierte, und Künstlern, die für moderne Kunstrichtungen standen. Die Berliner Secession wurde 1898 gegründet und Max Liebermann zu ihrem Präsidenten gewählt. Doch nicht nur diese Künstlervereinigungen mit ihren Ausstellungen sorgten für frischen Wind in der Kunstszene, auch die Berliner Nationalgalerie hatte in ihrem Leiter Hugo von Tschudi (1851 – 1911) einen Förderer der neuen Kunstrichtungen. Er reiste zusammen mit Liebermann nach Paris, wo sie unter anderem Bilder von Claude Monet und Edgar Degas ankauften. Dass von Tschudi auch im internationalen Kontext ein Vorreiter war, machen seine Erwerbungen der Bilder von Édouard Manet und Paul Cézanne für die Sammlung der Nationalgalerie deutlich, denn damit gelangten zum ersten Mal Werke dieser Künstler in ein Museum. Das unorthodoxe Einkaufs- und Ausstellungsprogramm von Tschudis sorgte für Auseinandersetzungen mit dem von konservativem Kunstgeschmack geprägten Wilhelm II., sodass von Tschudi zurücktreten musste, um schließlich 1909 als Direktor der Alten und Neuen Pinakothek nach München zu gehen. In Wien gründeten die Künstler, geführt von Gustav Klimt (1862 – 1918), im Jahr 1897 die Wiener Secession. Ihre Ausstellungen boten auch den Werken der französischen Impressionisten eine Bühne, aber zu ihrem Hauptanliegen wurde die Verbreitung der Ideen des Jugendstils, weshalb diese Kunstströmung in Österreich auch als Secessionsstil bezeichnet wird. Dieser Stil, dessen Merkmale fließende, organische Formen und eine flächig-ornamentale Gestaltung sind, drückte sich hauptsächlich in der Architektur, im Kunstgewerbe und in der Gebrauchsgrafik aus. Klimt ist einer der wenigen Maler, die dem Jugendstil zugeordnet werden. Der Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 bedeutete das endgültige Ende von Impressionismus und Jugendstil. Schon einige Jahre zuvor hatten sich diese ursprünglich zur Avantgarde zählenden Stile in etablierte Kunstrichtungen verwandelt. Als symptomatisch dafür können die ablehnenden Haltungen Liebermanns

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und Corinths gegenüber neuen Entwicklungen gelten: So stimmte Liebermann gegen die Aufnahme eines Werkes des rund 40 Jahre jüngeren Max Beckmann (1884 – 1950) zu einer Ausstellung im Jahr 1906 und Corinth fiel mit nationalistischen Äußerungen gegen die Expressionisten auf – diese wie auch die Vertreter der Neuen Sachlichkeit sollten dann aber diejenigen sein, die der deutschen Kunst neue Impulse gaben und Jugendstil wie Impressionismus ablösten.

Kunst um 1900

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er letzte deutsche Kaiser und König von Preußen, Wilhelm II. (1888 – 1918), baute Berlin endgültig zur Hauptstadt aus, während der neo-staufisch-romanische Stil trutzig die Grenzen des Reiches verteidigen sollte: in Posen (Kaiserschloss, 1903 – 1910) ebenso wie in Metz (Hauptbahnhof, 1905 – 1908) oder im Elsass (Haut‑Koenigsbourg, 1901 – 1908). Das in Berlin von Paul Wallot im Stil der Neorenaissance errichtete Reichstagsgebäude (1884 – 1894) konnte dem Kaiser zwar aus politischen Gründen nicht gefallen – er sollte es als den „Gipfel der Geschmacklosigkeit“ bezeichnen –, in seiner eklektizistischen Formgebung aber entsprach auch dieses dem Anspruch der Hauptstadt. Hier in Preußen konzentrierte sich die Macht des Reichsverbandes, von hier aus wurden zahlreiche Bauprojekte gesteuert, doch investierten die Königreiche, Fürstentümer und freien Reichsstädte auch in eigene Vorstellungen und Bauprojekte: Ludwig II. schuf sich mit den Schlössern Neuschwanstein und Herrenchiemsee seine eigene Märchenwelt, eine Gegenwelt, wie sie um die Jahrhundertwende zahlreich entstand, wenn auch mit einem anderen Impetus. Es waren die Künstler der Secessionen, die sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von den Akademien und der Salonkunst lossagten. Die Akademien waren nach dem Vorbild der Pariser Académie Royale (1648) im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert gebildet worden und hatten nicht nur die Kunst von den handwerklichen Zünften gelöst, sondern auch wesentlich zur Institutionalisierung von Kunst beigetragen. Das Bürgertum verlieh der Kunst im 19. Jahrhundert eine neue Aufgabe, einen neuen Ernst, und versuchte, da die nationale Republik politisch nicht realisierbar war, wenigstens eine „ästhetische Republik“ zu gründen, die auf jenem uns noch immer prägenden Kunstverständnis der Aufklärung basierte. Mit den „Helden“ des Sturm und Drang wurde schließlich auch ein neuer Künstlertypus geboren: das Genie. An ihm lag es fortan, eine Kunst jenseits der herrschenden Konventionen zu schaffen.

Kunst um 1900

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War bis dahin das Sakrale vornehmlich an die Kirche gebunden, so wurden nun dem Künstler übernatürliche Kräfte zugesprochen, er wurde zum Schöpfer, seine Kunst gleichsam sakralisiert. Während die Kunstvereine schon Anfang des 19. Jahrhunderts die starre Hierarchie der Bildgattungen aufzulösen begannen, ging es bei der Gründung der Wiener Secession um die Aufhebung jener Grenze, die zwischen Kunst und Kunsthandwerk errichtet worden war. „Wir kennen keinen Unterschied zwischen ‚hoher‘ Kunst und ‚Kleinkunst‘“, war 1898 in ihrem Publikationsorgan Ver Sacrum zu lesen. Dabei ging es Gustav Klimt und seinen Mitstreitern nicht um die Profanierung der Kunst, sondern um die Ästhetisierung des Lebens. In Deutschland hatte die Industrialisierung zwar spät, aber nicht weniger heftig als in anderen Ländern eingesetzt. War Schinkel 1826 von seiner Reise nach England noch tief beeindruckt von den dortigen riesigen Fabrikhallen heimgekehrt, so waren gegen Mitte des Jahrhunderts solche Fabriken und das damit aufkommende Elend der Arbeiter auch in Deutschland angekommen. Der sich regellos ausbreitenden Stadt begegnete man in Berlin zwar recht früh schon mit einem Bebauungsplan, allerdings regulierte der die Ausdehnung der Häuser einzig zur Straßenseite hin; für das, was die Spekulanten hinter eklektizistischen Fassaden verbargen, gab es keine Gesetze: Dort befanden sich die Höfe, die zu eng und zu dicht bebaut waren und in die kein Sonnenstrahl fiel; dort hausten die Bettgänger und Untermieter. Die damit zusammenhängenden hygienischen und gesundheitlichen Probleme, das ganze soziale Elend, wie es in dem naturalistischen Drama von Arno Holz und Johannes Schlaf Die Familie Selicke nur knapp hundert Jahre nach Goethes Wahlverwandtschaften beschrieben wurde, sollte Heinrich Zille (1858 – 1929) in dem prägnanten Ausspruch zusammenfassen: man könne einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einem Beil. Doch die zutiefst bürgerlich geprägte Wohnkultur des 19. Jahrhunderts flüchtete sich noch einmal vor all dem Staub und Elend auf der Straße in eine ästhetische Gegenwelt, in ein ästhetisches Gesamtkunstwerk, in dem sich alle Künstler des Fin de Siècle trafen.

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Die Kunst des 20. Jahrhunderts vor dem Zweiten Weltkrieg Jugendstilarchitektur

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ie einst die Wende zu einer neuen Einfachheit im Klassizismus zunächst vom Bürgertum formuliert, von den adligen Kreisen jedoch zuerst realisiert wurde, so scheinen um die Jahrhundertwende auch die Probleme des Wohnens am dringendsten jene getroffen zu haben, die von den ersten Bauten des Jugendstils nicht profitieren sollten: die Proletarier. Und es waren auch nicht primär die Probleme der Straße, die durch den Jugendstil gelöst werden sollten, sie erschienen nicht einmal an zweiter Stelle – der Jugendstil, der sich zuerst und vor allem auf das „Kunstgewerbe“ konzentrierte, war vielmehr eine Reaktion auf die alten, historistischen Stile und stellte ihnen etwas Junges, Neues (Art nouveau) entgegen – Otto Wagner, der Wegbereiter des Wiener Secessions- beziehungsweise Jugendstils, sprach gar von einer „Naissance“ (Geburt). Ausgangspunkt der Wende war die englische Arts-and-Crafts-Bewegung, die schon um 1850 entstanden war, um Kunst und Handwerk zu verbinden; sie kritisierte die Entfremdung des Arbeiters in den modernen Produktionsprozessen ebenso wie die dabei massenweise und gestaltlos hergestellten Gegenstände. Dem Wunsch nach einer Ästhetisierung des Kunsthandwerks folgte der nach sozialen Reformen. Auch in den Secessionen ging es von Anfang an um eine Lebensreformbewegung. Joseph Maria Olbrich (1867 – 1908), der mit dem Wiener Secessionsgebäude und der Darmstädter Mathildenhöhe Ikonen des Jugendstils bauen sollte, erklärt 1898: „Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze Stadt! [...] Was nützen drei, fünf, zehn schöne Häuser, wenn die Anlage der Straße keine schöne

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ist? Was nützt die Straße mit den schönen Häusern, wenn darin die Sessel nicht schön sind oder die Teller nicht.“ Olbrichs Einlassungen zeugen von der Idee des Gesamtkunstwerks in einer Gegenwelt: Nicht in der bestehenden Stadt, sondern außerhalb der Stadt wird eine eigene „Kolonie“ gegründet. Nach den frühen Anfängen in der Münchener Secession um Richard Riemerschmid (1868 – 1957) und August Endell (1871 – 1925), die so großartige Ladenlokale wie das Hofatelier Elvira in München (1897 / 98, zerstört; Endell war später auch an der Gestaltung der Hackeschen Höfe in Berlin beteiligt) oder auch die Innengestaltung des Münchner Schauspielhauses geschaffen hatten (1901, zerstört), gelangte der stärker geometrisch geprägte Secessionsstil aus Wien mit dem Architekten Olbrich nach Darmstadt. Die Mathildenhöhe in Darmstadt

Als Joseph Maria Olbrich im September 1899 auf Wunsch des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen nach Darmstadt kam, bot sich ihm die Realisierung dessen an, wovon er ein Jahr zuvor noch geträumt hatte: die Errichtung einer „ganzen Stadt“. Von den berufenen Künstlern war er der einzige ausgebildete Architekt, und als am 15. Mai 1901 die Pforten zur ersten Ausstellung geöffnet wurden, konnte das Publikum „komplette Häuser“ besichtigen, „fix und fertig eingerichtet vom Keller bis zum Speicher“. Mit nur einer einzigen Ausnahme waren alle Häuser der Darmstädter Künstlerkolonie von Olbrich entworfen. Im Zentrum der Anlage steht leicht erhöht das ehemalige Ateliergebäude (begonnen 1900; Abb. 35) inmitten des um 1800 angelegten Parks mit der russischen Hofkapelle. Es ist ein langgestreckter, rechteckiger Bau mit einer dezent gegliederten Fassade, deren strahlendes Weiß sich in der Mitte in einem omegaförmigen Portal öffnet. Nur hier, in dem tief eingeschnittenen Bogenfeld zeigt das Ateliergebäude die für den Jugendstil typischen Details: vergoldeten Stuck, dessen florale und geometrische Formen sich an der Unterseite des flachen, auskragenden Dachs wiederholen. Bei aller Distanz zu Gottfried Sempers Bauten erinnert dieses goldschimmernde Zentrum an das ebenso zentral angebrachte Schmuckstück am Dresdner Hoftheater und verweist auf die Verbindungslinien zum Historismus. Olbrich hatte in Wien nicht nur bei dem Pionier des Jugendstils studiert, bei Otto Wagner, sondern auch bei Carl von Hasenauer, der gemeinsam mit Gottfried Semper in Wien historistische Gebäude wie das Burgtheater, das Kunsthistorische und das Naturhistorische Museum geplant hatte. Die sich um das Darmstädter Ateliergebäude lagernden Häuser sind von ländlichen Wohnformen inspiriert; das einzige nicht von Olbrich geplante Gebäude stammte von dem aus München nach Darmstadt berufenen Peter Behrens (1868 – 1940), der damit sein architektonisches Debüt lieferte. Er sollte als

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35  Joseph Maria Olbrich, Darmstadt, Mathildenhöhe, Ernst-Ludwig-Haus

Lehrer jener Architekten in die Geschichte eingehen, die mit der Moderne bis heute aufs Engste verbunden sind: Martin Gropius (1883 – 1969), Le Corbusier (1887 – 1965) und Mies van der Rohe (1886 – 1969). Behrens Anstellung als „Chefdesigner“ der AEG bot eine für einen Künstler völlig neuartige Auftragslage, bei der er ganz nach dem Prinzip des Gesamtkunstwerks für die Architektur der Fabrik, das Design der Produkte und für die Werbung verantwortlich war. Seine Turbinenhalle für die AEG in Berlin (1908 / 09) galt als Vorbote einer neuen Architektur. Anlässlich der dritten Ausstellung auf der Mathildenhöhe 1908 – Behrens hatte die Kolonie schon längst verlassen – ergänzte Olbrich das Ausstellungsgelände um den Hochzeitsturm und das Ausstellungsgebäude. Das rundbogig gestaffelte Dach des aus dunkelroten Ziegelsteinen gemauerten Turmes verbarg hinter den über Eck geführten Fensterbändern das Fürstenzimmer und das Hochzeitszimmer. Wurden bei der ersten Ausstellung noch individuelle Künstlerhäuser präsentiert, so wurden die drei Jahre später gebauten Bürgerhäuser schon viel kostengünstiger errichtet. Im Jahr 1908, bei der letzten Ausstellung, an der Olbrich noch mitwirkte, wurde schließlich eine Kleinhäuserkolonie für Arbeiter angelegt, darunter auch Olbrichs Arbeiterhaus Opel, das bereits ein zentrales Charakteris-

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tikum moderner Grundrissgestaltungen aufweist: eine kleine Küche und einen großen Wohnraum. Darüber hinaus verfügte es über ein hygienisches Novum für eine Arbeiterwohnung: ein eigenes Bad, das auf seine Standardisierung allerdings noch lange warten musste. Die Mehrzahl der zwischen 1901 und 1908 errichteten, heute mehr oder weniger originalgetreu rekonstruierten Häuser auf der Mathildenhöhe sind aber auf das Bürgertum zugeschnitten – Dienstpersonal war bei aller revolutionären Einstellung selbstverständlich, die Teller wurden „serviert“. Diese Ideale und Gegenwelten des Jugendstils wurden realisiert durch eigene Werkstätten, deren Produkte an der Ästhetisierung des Alltags mitwirken sollten, darunter die Münchner Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk (1897), die Wiener Werkstätten (1903) und schließlich 1907 der Deutsche Werkbund. 1914 kam es zum folgenreichen Werkbundstreit zwischen Henry van de Velde (1863 – 1957) auf der einen Seite und Hermann Muthesius (1861 – 1927) auf der anderen. Muthesius hatte sich unter anderem als Industriearchitekt der Seidenweberei Michels & Cie. einen Namen gemacht und war als Attaché an der Deutschen Botschaft in London gewesen; seine Publikation Das englische Haus von 1904 / 05 sollte die deutsche Architektur nachhaltig beeinflussen. Während Muthesius die Typisierung als unausweichlich beschrieb und in ihr den Schlüssel zur Verbreitung des „guten Geschmacks“ sah, beharrte van de Velde auf dem Individualismus des Künstlers, auf der Idee vom „freien, spontanen Schöpfer“. Neben Darmstadt und München sollten auch in Berlin, Hagen und Weimar bedeutende Jugendstilzentren entstehen und auch Cottbus verfügt noch heute über ein prächtiges Jugendstiltheater. Dabei ist vor allem das Werk des nach Deutschland übergesiedelten Belgiers Henry van de Velde hervorzuheben. Er hatte in Hagen 1901 / 02 die Innengestaltung des Folkwang-Museums übernommen, bevor er nach Weimar berufen wurde. Hier gestaltete er die bereits bestehende Kunstgewerbeschule (1906 – 1909) und das Nietzsche-Archiv (1903); seine floralen Anfänge sind zwar noch sichtbar, aber so zurückgenommen, dass zugleich der Weg in die Moderne offen stand. Das Haus am Michaelerplatz in Wien

Die kurze Epoche des Jugendstils war eigentlich schon beendet, als 1911 ein anderer Schüler Otto Wagners in Wien für Furore sorgte: Adolf Loos. Direkt gegenüber der Kaiserlichen Hofburg hatte er von den Inhabern des Herrenausstatters Goldmann & Salatsch den Auftrag erhalten, ihr Ladenlokal zu entwerfen (Abb. 36). Das Gebäude wurde als Stahlbetonskelett errichtet und mit Ziegeln ausgefacht, die Innenwände waren flexibel verschiebbar. Dienten die unteren Geschosse als Verkaufsräume, so erhoben sich darüber Wohnungen, eine Zweiteilung, die auch die Fassade widerspiegelt: Die oberen Stockwerke sind schlicht

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verputzt, während der Eingang zum Ladenlokal und die Schaufensterfronten mit grünem Marmor verkleidet wurden. Vier Säulen öffnen die Fassade zum Platz. Aber es war die Schmucklosigkeit vor allem der oberen Etagen, die in Wien zu einem Architekturstreit führte; die Bauarbeiten mussten eingestellt werden, das Haus wurde als „Scheusal“ diffamiert und sollte als „Haus ohne Augenbrauen“ in die Geschichte eingehen: Die Fenster hatten keinerlei Bedachungen erhalten, kein gesprengter, verkröpfter oder geschweifter Giebel rahmte das „Loch“ in der Fassade. Im Innern aber entfaltete sich eine Pracht, die aus dem Laden des Herrenausstatters und Hoflieferanten einen wahren Verkaufstempel machte. In der Architekturgeschichtsschreibung ist Adolf Loos vor allem als Verfasser einer Schrift von 1908 verankert, die den Titel Ornament und Verbrechen trägt. Die sich daran anknüpfende Debatte wurde auch in Berlin in der von Herwarth Walden herausgegebenen Zeitschrift „Der Sturm“ geführt. Diese Neuerungen aber sollten durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs jäh unterbrochen werden.

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ie Novemberrevolution 1918 und das Ende der Monarchie bescherten den Deutschen endlich die lang ersehnte Republik: und mit dem Bauhaus kam noch einmal eine Künstlergemeinschaft zusammen, die weit über das Land und weit über die 1920er-Jahre hinaus Wirkung zeigen sollte. Die Bilder hatten schon längst das Laufen gelernt: Fritz Lang, Walter Ruttmann, Robert Wiene, Georg Wilhelm Papst, Paul Wegener und Friedrich Wilhelm Murnau drehten im Babelsberger Filmstudio und exportierten den deutschen Film. Die Fotografie wurde immer wichtiger, war als Kunstgattung aber noch immer nicht anerkannt, die Pluralität der Stile, das Nebeneinander vieler unterschiedlicher Ausdrucksformen steigerte sich abermals. Nirgendwo sonst waren so viele Architekten des Neuen Bauens zu finden wie hier – doch auch diese Geschichte sollte in einem Weltkrieg enden. Wie einst Henry van de Velde mussten erneut Künstler Deutschland verlassen: Sie wurden verfolgt, verboten, deportiert, und wer sich rechtzeitig retten konnte, exportierte die Architektur. Das bereits 1933 gegründete Black Mountain College in North Carolina bezog sich ebenso auf das Bauhaus wie die New Bauhaus School of Design in Chicago (1937). In den 1950er-Jahren fand das Bauhaus in der Hochschule für Gestaltung in Ulm auch in Deutschland seine Fortsetzung, in den 1970er-Jahren folgte das Bauhaus-Archiv in Berlin und seit 1996

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36  Adolf Loos, Wien, Wohn- und Geschäftshaus Goldman & Salatsch (Haus am Michaelerplatz)

nennt sich die Universität in Weimar Bauhaus-Universität. Einfacher als das Werk von Architekten ließen sich hingegen die Bilder der Maler und die Skulpturen der Bildhauer nicht nur diffamieren, sondern auch eliminieren: Die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ im Jahr 1937 in München, der Kunstraub und die Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs löschten aus dem Gedächtnis der Kunstgeschichte unzählige Werke. Die Situation für Kunst und Künstler hatte sich Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland grundlegend geändert. Die Künstler stellten nicht nur die Hegemonie der akademischen Kunstwelt infrage, sie emanzipierten sich auch vom „offiziellen Geschmack“ und organisierten allein oder in Gruppen unabhängige Ausstellungen. Hand in Hand mit dieser Entwicklung etablierte sich das Galeriewesen als neuer Vertriebsweg für eine Kunst, die inzwischen meist ohne direkten Auftrag geschaffen wurde. Auch die künstlerische Grundhaltung veränderte sich. Während über Jahrhunderte hinweg vor allem die möglichst genaue Naturnachahmung im Zentrum der Ausbildung und Beurteilung von Kunst gestanden hatte, mithin das Merkmal für Qualität war, begann sich spätestens seit den Impressionisten ein neuer Kunstbergriff zu etablieren. Das subjektive Empfinden rückte in den Mittelpunkt und sollte schließlich im Expressionismus einen weiteren Höhepunkt finden. Aber darin erschöpfte sich die Kunst des 20. Jahrhunderts keineswegs; vielmehr wurde die Stilpluralität ein wesentliches Kennzeichen der bildenden Künste, die schließlich eine Art Speicher bildet, an

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dem sich der Künstler flexibel bedienen kann. War es bereits zuvor ein problematisches, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen, von einer landes- oder auch nur regionaltypischen Kunst zu sprechen, so wurde dies nun durch die weitere Verbesserung der Reisemöglichkeiten und Informationsvermittlung beinahe ad absurdum geführt. Der beschleunigte Kulturtransfer unterstützt eine Kunst, der Grenzen sowieso wesensfremd sind. Neue künstlerische Ansätze beschränken sich daher nicht mehr auf einzelne Regionen, vielmehr verbreiten sich neue Ideen international und mit extremer Geschwindigkeit. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war allerdings noch Paris die Hauptstadt der Kunst, in die Künstler aus allen Teilen der Welt strömten. Eine von ihnen war Paula Modersohn-Becker (1876 – 1907). Ab 1900 hielt sie sich mehrmals in Paris auf und die Metropole wurde für sie zu einem Gegenpol zur Künstlerkolonie im norddeutschen Worpswede. Hier hatten sich Ende der 1880er-Jahre großstadtmüde Künstler, beispielsweise ihr späterer Ehemann Otto Modersohn (1865 – 1943), niedergelassen. Sie waren auf der Suche nach einem tiefen Naturerlebnis weitab von der hektischen Stadt und ihren Fabrikschloten – ähnliche Malerkolonien entstanden unter anderem bei München und Frankfurt (Dachau, Kronberg im Taunus), vergleichbar den in Frankreich bereits im 19. Jahrhundert gegründeten Künstlerkolonien Barbizon (Freilichtmalerei) und Pont-Aven (Postimpressionismus). Anders als ihre männlichen Kollegen, die sich der Darstellung der Natur widmeten, stand bei Paula Modersohn-Becker der Mensch im Zentrum des Interesses. Insbesondere Frauen und Kinder porträtierte sie, aber auch hier war sie auf der Suche nach einer von städtischen Einflüssen unberührten Natürlichkeit und „Einfachheit der Form“. Wichtige Anregungen erhielt sie nicht nur aus den Werken Vincent van Goghs (1853 – 1890) und Paul Gauguins (1848 – 1903), sondern auch aus ägyptischen Mumienporträts, die sie im Louvre kennen lernte. Mit ihrem Interesse für das „Primitive“ und Ursprüngliche stand sie nicht alleine, viele Künstler beschäftigten sich mit der Volks- und Stammeskunst Afrikas und Ozeaniens. So reiste etwa Gauguin in die Südsee und Henri Matisse (1869 – 1954) und Pablo Picasso (1881 – 1973) begeisterten sich für afrikanische Skulpturen und Masken, während die Impressionisten von japanischen Farbholzschnitten beeinflusst wurden. Die Malerei des Expressionismus zwischen „Brücke“ und „Blauer Reiter“

Um 1905 begann sich eine neue Kunstströmung auszubilden, die wenig später ihren Namen erhielt, der beinahe wie ein Programm lautet: Expressionismus (lat. expressio, Ausdruck). In diesem Jahr stellten die „Fauves“ (Wilden), eine Künstlergruppe, die sich um Matisse gebildet hatte, ihre Werke im Pariser Herbstsalon

Bildende Kunstund Architektur bis 1945

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aus und sorgte mit ihren leuchtenden Farben für einen Skandal. 1905 ist auch das Gründungsjahr der Künstlergruppe „Die Brücke“, die von Fritz Bleyl, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff in Dresden ins Leben gerufen wurde und der sich später noch Max Pechstein, Otto Mueller und Emil Nolde anschließen sollten. Der Wunsch nach einer neuen Formensprache, die sich gegen akademische Malerei und Impressionismus wandte, ist bereits im Programm der „Brücke“-Künstler fixiert: „Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“ Das starke Gefühl, das sie suchten und empfanden, versuchten sie mithilfe von einfachen Formen und intensiven, flächig aufgetragenen Farben in eine eigene Bildsprache zu übersetzen. Während sich die Werke der „Brücke“-Künstler anfangs stark ähnelten, entwickelten sie um 1910 einen individuellen Stil. Es war die Zeit, in der sie auch aus Dresden nach Berlin übersiedelten und damit ein neues Thema neben die Naturdarstellungen rückte: Die Großstadt wurde zum Sujet expressionistischer Bilder. So schuf Ernst Ludwig Kirchner (1880 – 1938) mehrere Arbeiten, die das dynamische Leben in der Metropole in kippenden Perspektiven, kühnen Kompositionen und Signalfarben zeigen. Zu diesem Zyklus gehört auch das Gemälde „Berliner Straßenszene“ (Abb. 37) von 1913, das in demselben Jahr entstand, in dem sich die Gruppe auflösen sollte. Das Bild vermittelt Kirchners zwiespältige Haltung gegenüber der Großstadt: Einerseits ermöglichte die pulsierende Metropole Berlin als Motiv eine dynamische und kontrastreiche Komposition, anderseits erscheint sie als unruhiger und eher bedrohlicher Ort, der die Menschen voneinander isoliert. Die Vereinzelung des Menschen in der Großstadt sollte nicht nur das Thema der Expressionisten sein. Die dargestellten Passanten hetzen über die Straße; sie nehmen einander nicht wahr und nicht einmal den beiden Damen – Kokotten –, die mit ihren bunten Kleidern und Federhüten mittig in der sonst in dunklen Farben gehaltenen Straßenszene platziert sind, schenken sie ihre Aufmerksamkeit. Dieses Gemälde von Kirchner sorgte vor einigen Jahren für eine lebhafte Diskussion über die Restitution von Raubkunst. 1998 hatte sich Deutschland mit der Washingtoner Erklärung verpflichtet, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunstwerke in den Museumsbeständen zu recherchieren, deren rechtmäßige Eigentümer zu ermitteln und Lösungen für eine rasche Entschädigung zu finden. Das Kirchner-Gemälde, das im Berliner Brücke Museum ausgestellt war, wurde daher 2006 der Erbin des ehemaligen jüdischen Besitzers zurückgegeben, daraufhin versteigert und gehört heute zur Sammlung der Neuen Galerie New York. Die Beschlagnahmung der Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt im Jahr 2012 zeigt ein weiteres Mal, dass das Thema der NS-Raubkunst auch knapp

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37  Ernst Ludwig Kirchner, Berliner Straßenszene, Neue Galerie, New York

70 Jahre nach Kriegsende immer noch aktuell ist. Dieses Bildkonvolut von etwa 1500 Werken stammt aus dem Nachlass seines Vaters Hildebrand Gurlitt, der als Kunsthändler für das NS-Regime tätig war. Nun ist es Aufgabe der Provinienzforschung die Herkunft und Rückgabeansprüche der Bilder zu prüfen. Der Politik stellt sich auch die moralische Frage, ob die aktuelle Gesetzeslage ausreichend ist; die Museen und Galerien müssen noch immer ihre Geschichte aufarbeiten. Und welche Rolle spielt dabei die Kunstgeschichte? Muss sie neu geschrieben werden? Zumindest rückt der spektakuläre „Schwabinger Kunstfund“ nicht nur jene Bilder ins Zentrum des Interesses, die verschwunden waren, sondern erinnert auch an die Künstler, deren Werke die Nazis erfolgreich ausgelöscht haben – verbrannt oder aus Listen gestrichen und bis heute nicht ausgestellt. Zu den Keimzellen des Expressionismus gehört auch der Münchner „Blaue Reiter“. Der Name bezeichnete, obwohl er heute oft in diesem Sinn verwen-

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det wird, keine Künstlergruppe, sondern war Titel des Almanach wie auch der Ausstellungen, die in den Jahren 1911 und 1912 von Wassily Kandinsky (1866 – 1944) und Franz Marc (1880 – 1916) initiiert wurden. Der 1912 erschienene Almanach versammelte kunsttheoretische Abhandlungen von Künstlern und Musikern und zeigte im Abbildungsteil ein breites Spektrum unterschiedlicher Werke: Nicht nur moderne Kunstwerke wurden dort abgebildet, sondern ebenso antike und mittelalterliche Arbeiten sowie Beispiele aus der Volkskunst bis hin zu Kinderzeichnungen. Mit dieser Zusammenstellung machten die He­ rausgeber deutlich, dass ein wichtiges Vorbild der Expressionisten neben den „großen Franzosen“ (Cézanne, van Gogh, Gauguin und für die „Brücke“-Maler auch der Norweger Edvard Munch) die Kunst der „Primitiven“ war. Für Franz Marc und August Macke (1887 – 1914) waren darüber hinaus die Werke und der Kontakt mit dem Franzosen Robert Delaunay (1885 – 1941) bedeutende Impulsgeber; sie waren von seinen Fensterbildern mit ihrer Facettierung von Farben und Formen beeinflusst. Weitere Künstler, die in engem Kontakt mit dem „Blauen Reiter“ standen, sind Gabriele Münter, Alfred Kubin, Alexej Jawlensky, Marianne von Werefkin und Paul Klee. Aber selbst Künstler, die keine Verbindung zu den beiden Gruppierungen „Blauer Reiter“ oder „Die Brücke“ hatten, wie die beiden Wiener Egon Schiele (1890 – 1918) und Oskar Kokoschka (1886 – 1980), werden dem Expressionismus zugerechnet, ebenso der norddeutsche Maler Emil Nolde (1867 – 1956), der nur kurze Zeit Mitglied der „Brücke“ war. Auch Bildhauer wie Ernst Barlach (1870 – 1938), Wilhelm Lehmbruck (1881 – 1919) und Käthe Kollwitz (1867 – 1945) haben teilweise die Prinzipien des Expressionismus auf ihre plastischen Werke übertragen. Trotzdem hielten sie am Figurativen fest, während die Maler sich immer weiter davon entfernten. Kandinsky ging diesen Weg am konsequentesten und schuf in den 1910er-Jahren erste Bilder, die sich weit von jeglicher Gegenständlichkeit entfernt hatten: Die abstrakte Kunst begann sich zu etablieren. Mit diesen Künstlergruppen fand die deutsche Kunstszene den Anschluss an die internationale Avantgarde. Eine bedeutende Rolle sollte dabei auch der hiesige Kunstmarkt spielen, der relativ früh und aufgeschlossen auf die neuen Strömungen reagierte. Zu den wichtigen Förderern gehörte Herwarth Walden, der mit seiner Zeitschrift „Der Sturm“ (1910 – 1932) und der gleichnamigen Galerie ab 1912 in Berlin moderne Kunst für das Publikum zugänglich machte. Auf seine Initiative hin kam es zur Ausstellung „Erster Deutscher Herbstsalon“ (1913), in der neben Arbeiten des „Blauen Reiters“ auch Werke der italienischen Futuristen, der russischen Avantgarden und der französischen Kubisten gezeigt wurden. Ein Jahr zuvor, 1912, fand in Köln die bedeutende Sonderbundausstellung statt,

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die rund 650 Werke der Moderne ausstellte, um den Postimpressionismus (z.  B. van Gogh, Cézanne, Munch, Picasso) in Deutschland bekannt zu machen und zugleich zu verdeutlichen, dass der deutsche Expressionismus Teil einer internationalen Kunstszene war. Aber nicht nur die ausgestellten Werke müssen als avantgardistisch bezeichnet werden, auch mit deren Hängung ging man neue Wege. Das Publikum, das an die bunten, ganze Wände füllenden Zusammenstellungen der akademischen Salons gewöhnt war, sah in Köln weiße Ausstellungsräume, in denen die Werke meist in einer Reihe und nach Themen gruppiert hingen. Doch diese Ausstellungen und die progressive Haltung einzelner Museen und Sammler (etwa Karl Ernst Osthaus im Hagener Folkwang‑Museum) sollten nicht täuschen, denn den Geschmack des breiten Publikums und der Kunstkritik trafen sie nicht. Deren Urteile über die Bilder waren negativ bis offen aggressiv. Die ablehnenden Kräfte, die bereits 1892 zur Schließung der ersten Ausstellung mit Werken von Edvard Munch in Berlin nach nur einer Woche geführt hatten, sollten in Deutschland noch lange vorherrschen. Die im „Dritten Reich“ gezeigte Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ konnte 1937 nicht zuletzt aus dieser „Tradition“ schöpfen. Der Erste Weltkrieg spaltete auch die Künstler Europas: Es gab solche, die den Krieg als vermeintlichen Fortschritt verstanden und sich freiwillig zum Dienst an der Front meldeten wie etwa Macke und Marc (beide sollten nie mehr an ihre Staffeleien zurückkehren: sie fielen im Krieg); andere bezogen eine kritische Position und sahen im Krieg von Anfang an jene sinnlose Tötungsmaschinerie, als die er sich bald erwies. Einige suchten Zuflucht in der Schweiz; ausländische Künstler mussten Deutschland verlassen, darunter auch die russischen „Blauen Reiter“ Kandinsky, Jawlensky und Werefkin. Damit war das Ende der Gruppe besiegelt. Dada

Mitten im Krieg, aber auf neutralem Boden, erlebte die Bewegung Dada 1916 in Zürich ihre Geburt. Es war die erste Bewegung, die international vernetzt war und sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur ihren Ausdruck fand. In Deutschland gab es Dada-Anhänger in Berlin (George Grosz, Raoul Hausmann, Hannah Höch), in Hannover (Kurt Schwitters) und in Köln (Max Ernst, Hans Arp). Über die genaue Herkunft und Bedeutung des Wortes Dada herrscht allerdings Uneinigkeit. Die Erklärungsversion, nach der es auf ein französisches Kinderwort zurückgeht, ist nur eine unter vielen. Im Selbstverständnis der Künstler steht der Begriff für eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber allen Erscheinungsformen der bürgerlichen Kultur. Herkömmliche Kunstäußerungen waren verpönt, dagegen erfreuten sich Aktionen auf der Bühne großer Beliebtheit, und die Collage stand hoch im Kurs, die das Irrationale und das

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38  Hannah Höch, Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkultur­ epoche Deutschlands,, SMB, Nationalgalerie, Berlin

Absurde zum Thema machte. Zusammen mit Raoul Hausmann (1886 – 1971) entwickelte Hannah Höch (1989 – 1978) die Technik der Fotomontage, die Material aus verschiedenen Printmedien verwendet und durch eine neue Zusammenstellung die ursprüngliche Bedeutung des einzelnen Fragments verändert. Mit dieser Technik schuf Höch 1919 die großformatige Collage „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ (114 × 90 cm, Berlin, SMB, Nationalgalerie; Abb. 38), die mit ihren vielseitigen Deutungsmöglichkeiten und ihrer scharfsinnigen Beobachtung der zeitgenössischen Gesellschaft zu den Schlüsselwerken der Berliner DadaBewegung gezählt wird. In diesem „Wimmelbild“ sind neben circa 50 Personen auch Maschinenteile, Großstadtszenen und Textelemente zu entdecken. Zu diesem satirischen Abbild der Weimarer Republik, einer Republik, die von Technik und Männern beherrscht wird, bildet die Dada‑Bewegung in der rechten unteren Ecke den Gegenpol: Dort ist eine Karte von jenen Ländern zu entdecken, die das Frauenwahlrecht schon eingeführt hatten. Das im sperrigen Titel vorkommende

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Küchenmesser lässt sich also auch als Waffe der Frauen interpretieren, die sich gegen die Dominanz der Männer richtet. Neue Sachlichkeit

Für die meisten Künstler dieser Bewegung war Dada eine Zwischenetappe. So schloss sich Max Ernst (1891 – 1976) in Paris den Surrealisten an, die– an Dada anknüpfend – das Absurde in ihre Werke integrierten, ihre Bilderwelt aber aus dem Reich des Unbewussten, des Unterbewusstseins und der Träume schöpften. George Grosz (1893 – 1959) und Otto Dix (1891 – 1969) dagegen blieben der Darstellung der realen Welt treu, allerdings nutzten sie dazu eine satirische, überspitzte Form. Ihre sozial- und gesellschaftskritischen Werke aus den 1920er- und 1930er-Jahren werden der Neuen Sachlichkeit zugerechnet, einer Kunstströmung, die ihren Namen von der gleichnamigen Ausstellung im Jahr 1925 in Mannheim bekam. Kennzeichnend für diese Richtung ist das Bemühen, die Wirklichkeit präzise abzubilden, wobei die Künstler sich altmeisterlicher Maltechniken bedienten und eine distanzierte Haltung gegenüber ihrem Sujet wählten. Besonders die Fotografen betrachteten ihre Motive mit dem neutralen Blick eines Forschers und wendeten sich damit gegen den in der Fotokunst damals vorherrschenden Piktoralismus, der die Malerei zu imitieren suchte. Die Fotografen der Neuen Sachlichkeit beabsichtigten eine objektive Fixierung der Welt, was sich in ihren Arbeiten in einer nüchternen, sachlichen Bildsprache manifestierte und ihnen einen dokumentarischen Charakter verlieh. Die wichtigsten Vertreter dieser Richtung waren Karl Blossfeldt (1865 – 1932) mit seinen Fotoserien von Pflanzen und Albert Renger-Patzsch (1897 – 1966), in dessen grundlegendem Buch Die Welt ist schön (1928) neben den Fotografien von Menschen, Landschaft oder Architektur auch Industrie und Technik zu sehen sind. In ihrer Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche (meist knappe Ausschnitte) überzeugen die Aufnahmen durch ihre Klarheit und zeigen, wie Renger-Patzsch „das Wesen des Gegenstands“ festhalten wollte. Zusammen mit diesen beiden Fotografen bildet August Sander (1876 – 1964) das Dreigestirn der neusachlichen Fotografie. Sein Anliegen bei dem Langzeitprojekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ war es, einen Querschnitt der deutschen Gesellschaft wiederzugeben. Diese Fotografien unterschiedlicher Menschen in ihrer Umgebung zeigen deutlich, dass Sander sich nicht dafür interessierte, einen bestimmten Moment oder die Persönlichkeit des Abgebildeten festzuhalten, sondern, ihn als Repräsentanten eines bestimmten Berufs und oder sozialen Stands zu zeigen. Sein Ordnungssystem nach Kategorien führt unter anderem „Handwerker“, „Künstler“ oder „Bauern“ auf; zu letzterer gehören auch die drei jungen Männer, die sich für den Sonntag fein gemacht haben (Abb. 39).

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39  August Sander, Jungbauern, 1914, Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln

Fotografie und Malerei am Bauhaus

Zu den Erneuerern der Fotografie gehörte auch der gebürtige Ungar Lászlo Moholy-Nagy (1895 – 1946), der 1923 an das Bauhaus als „Formmeister“ (Lehrer) berufen wurde. Mit seinem fotografischen Werk vertrat er die sehr experimentelle Richtung der Fotografie, das sogenannte „Neue Sehen“. Während die Neue Sachlichkeit die sichtbare Welt abbildete, versuchten die Fotografen des Neuen Sehens mit ihren Werken zu zeigen, dass die Wirklichkeit eine individuelle Konstruktion ist. Praktisch wurde dieser Ansatz mit extremen Blickwinkeln sowie starken Licht- und Schattenkontrasten umgesetzt. Besonders im Bauhaus war man für die avantgardistischen Strömungen offen, die sich außerhalb Deutschlands schon vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt hatten: in Frankreich der Kubismus, in Italien der Futurismus, in Holland die „De-Stijl“-Gruppe und in Russland der Suprematismus und der Konstruktivis-

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mus – alle beschäftigten sie sich mit der Abstraktion. Diese Tendenzen wurden auch von den Bauhaus-Lehrern verfolgt: Kandinsky, der schon vor seiner Zeit am Bauhaus mit gegenstandsloser Malerei experimentiert hatte, Johannes Itten (1888 – 1967) mit seinen geometrischen Gemälden, der vom Kubismus beeinflusste Lyonel Feininger (1871 – 1956) sowie die beiden Einzelgänger Paul Klee (1879 – 1940) und Oskar Schlemmer (1888 – 1943), die jeweils einen ganz eigenen Stil entwickelten. Diese kreative Phase war nur von kurzer Dauer, denn die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete das Ende der modernen Kunst in Deutschland. Die Künstler der Avantgarde mussten das Land verlassen: Paul Klee ging 1933 zurück in die Schweiz, George Grosz emigrierte wie viele andere in die USA. Dort befruchteten sie die Kunstszene mit neuen Impulsen und prägten eine neue Generation der amerikanischen Künstler. Mit dem Verlust seiner kreativen Kräfte aber verlor Europa auch seinen Status: Künftig sollte Amerika im Zentrum der Kunstentwicklungen stehen. Das Bauhaus aber prägte vor allem die Architektur des 20. Jahrhunderts nachhaltig. Bauhaus-Architektur

Obwohl das Bauhaus während der Weimarer Republik nicht die einzige Ausbildungsstätte mit Reputation für Architekten war, die Stuttgarter Schule hatte einen ebenso guten Ruf, ist sie bis heute weltberühmt. Dabei wurde Architektur relativ spät erst am Bauhaus gelehrt, und auch das Bild einer weißen kubischen Moderne hat mit der gebauten Realität der 1920er-Jahre nur bedingt etwas zu tun. Einerseits experimentierten Kandinskys Meisterhäuser in Dessau ebenso mit Farbe wie Le Corbusiers Haus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, andererseits sind nur sehr wenige Häuser in den 1920er- und 1930er-Jahren überhaupt errichtet worden. Diese wenigen aber wurden zu Ikonen, die die Anfänge des Bauhauses und seine Verflechtung mit den vorangegangenen Strömungen beinahe vergessen machen. Walter Gropius und die Anfänge

Sieben Jahre nach der Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 kam es zu seiner ersten Ausstellung in Köln, auf der Bruno Taut (1880 – 1938) ein Glashaus zeigte, das auf den ersten Blick wie gezügelter Expressionismus wirkte, aber das Kristalline, das in den folgenden Jahren in der Architektur so wichtig werden sollte, zentral inszenierte. Dieser Kristall und die sich daran knüpfenden Ideen und Ideale sollten am Anfang des Bauhauses stehen. Auch bei der Eröffnung der Darmstädter Mathildenhöhe im Jahr 1901 war feierlich ein Kristall enthüllt worden und ein ebenso kristallin erschien Lyonel Feiningers Titelblatt des

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Bauhaus-Manifestes im April 1919. In ihrem Wunsch, sich in einer neuen Künstlergemeinschaft zu vereinen, orientierten sich die „Bauhäusler“ nicht nur an der Organisation gotischer Bauhütten, sondern auch an jenen Verlautbarungen, die schon 1914 im expressionistischen Zentralorgan, in Herwarth Waldens „Sturm“, abgedruckt waren: „Bauen wir zusammen an einem großartigen Bauwerk, das nicht allein Architektur ist, in dem alles, Malerei, Plastik, alles zusammen eine große Architektur bildet, und in dem Architektur wieder in den anderen Künsten aufgeht“ (Bruno Taut). 1919 heißt es dann im Programm des Bauhauses: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!“ Dabei erhielt das schon in der gotischen Baukunst so wichtige Glas eine zentrale Stellung, zunächst tatsächlich auch als buntes Glas. Die sogenannte Glasarchitektur barg das Versprechen einer Auflösung der „geschlossenen Räume“; man träumte von Wänden, „die ganz aus Glas sind – aus farbigen Gläsern“ (Paul Scheerbart). Als sich das Bauhaus 1919 in den Jugendstilgebäuden Henry van de Veldes in Weimar gründete, konnte man an diese Ideen anknüpfen, aber im Lauf der Jahre vollzog sich eine entscheidende „Klärung“: Wie einst Otto Wagner jene Ornamente, die als Volute und Gesims, als Fruchtgirlande oder Kartusche vor die Fassade getreten waren, in seinem Wiener Majolikahaus (1898) auf die Fassade projiziert und damit das Prinzip der Fläche in der Moderne eingeläutet hatte, so scheint es, als sei dem Glas allmählich seine Farbe und kristalline Form entzogen worden. Glasfassaden und Skelettbauweise gab es zwar schon vorher (das Kaufhaus Tietz in Berlin von 1899 / 1900 besaß die erste Curtain Wall, die erste Vorhangfassade in Deutschland), aber es war das am 4. Dezember 1926 eröffnete Bauhausgebäude in Dessau von Walter Gropius (1883 – 1969), das auch für internationales Echo sorgte. Zwei L-förmige Gebäudekomplexe in unterschiedlichen Höhen sind hier ineinander verzahnt. Das höchste Gebäude bildet das Atelierhaus mit fünf Geschossen, die anschließende Festebene verfügt über ein Hauptgeschoss; hier schließt das als Gelenkstück fungierende Foyer mit dem Treppenhaus an, das einerseits zum Werkstattgebäude mit dem berühmten Bauhaus-Schriftzug überleitet (Abb. 40), andererseits zum zweiten L-förmigen Gebäudeflügel, dem Brückentrakt, der über die Straße führt und dann in die Gewerbliche Berufsschule abknickt. Sie ist dem Bauhausgebäude zwar baulich angegliedert, in der Ausbildung aber separiert geblieben, war sie doch eine bereits zuvor existierende städtische Einrichtung. Schon in dieser anfänglichen Beschreibung des Gebäudes wird offensichtlich, dass sich die Architektursprache grundlegend geändert hatte. Schinkel hatte an seiner Bauakademie bereits auf eine Hauptfassade verzichtet, dabei aber nicht nur die Symmetrie des Gebäudes gewahrt, sondern auch einen kompakten Baukörper beibehalten. Gropius’ Bauhaus hingegen ignoriert die Symmetrie: Der Baukörper ist aufgefächert und teilt sich in viele einzelne Volumen, deren Fassaden un-

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40  Walter Gropius, Bauhausgebäude, Dessau

terschiedlich gestaltet keine Haupansicht liefern; auch der Haupteingang an der Straßenseite neben der Brücke ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Und schließlich erscheint die Wand beinahe aufgelöst: Das Werkstattgebäude zeigt eine einzige Glaswand (Glasvorhangfassade) und die berühmte gläserne Gebäudeecke, die übrigen Baukörper sind von Fensterstreifen durchzogen. Transparenz und Öffnung, Licht und Luft wurden zu den Schlagworten des Neuen Bauens, die sich mit dem Hygienediskurs, also den Forderungen nach gesünderen Wohnbedingungen in der Großstadt, überlagerten. Doch waren diese Schlagworte nicht nur, wie in den Selbstverlautbarungen der Architekten betont, Hinweise auf moralische Integrität: Die Konstruktionen wurden nicht mehr hinter Stuckfassaden versteckt, sondern – einer offenen, demokratischen Gemeinschaft würdig – hinter Glas offen gelegt. Vielmehr waren diese Glaswände von Anfang an auch ein ästhetisches Manifest, eine neue Sprache: „Steinhäuser machen Steinherzen“ war 1919 in Bruno Tauts Buch Die Auflösung der Städte zu lesen. Fast 15 Jahre vor dem Bauhausgebäude hatte Gropius das Fagus-Werk in Alfeld an der Leine errichtet. Die über die Ecke gezogene Glaswand eliminierte

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hier erstmals den Pilaster oder den Mauerstreifen als markanten Abschluss einer Fassade. Sie findet sich auch am Bauhausgebäude wieder, war aber bereits hier so modern und zukunftsweisend ausgebildet, dass das Fagus-Werk häufig als der Beginn der Moderne gilt. Waren im Bauhausgebäude die Werkstätten hinter dem Glas sichtbar, so gewährte die Glasfassade der Fagus-Werke den Blick auf eine frei tragende Treppe. Doch während das Werkstattgebäude in Dessau mit seinem Stahlbetonskelett alle Lasten trägt und deshalb die Glaswand, von jeder stützenden Funktion befreit, überall aufhängbar wird, ist das Fagus-Werk kein moderner Stahlskelettbau, sondern ein traditioneller Mauerwerksbau. Für diese Simulation der Vorhangfassade in Alfeld musste Gropius einigen Aufwand treiben; von „Konstruktionsehrlichkeit“ kann also keine Rede sein, wohl aber von einer epochemachenden Ästhetik. Dass sich das Neue Bauen immer wieder auf die neuen Materialien und Konstruktionsmöglichkeiten berief und eine der Zeit angemessene Architektur forderte, hat dennoch seine Berechtigung, empfing sie doch vielfach Anregungen aus dem Industriebau und war doch mit diesen Materialien die gewünschte Ästhetik tatsächlich einfacher und schneller zu verwirklichen. Aber konstruktive Ehrlichkeit war kein wesentlicher Faktor: So ist etwa der Einsteinturm von Erich Mendelsohn in Potsdam (1918 – 1921), der den Anschein erweckt, aus einem einzigen Klumpen Beton geformt zu sein, gemauert und nachträglich verputzt. Als expressionistischer Bau und skulpturale Architektur ist er in die Geschichte eingegangen. Mendelsohn (1887 – 1953) erfand hier eine Formensprache, die in den 1920er-Jahren mehrfach aufgenommen werden sollte. Fritz Höger (1877 – 1949) wiederum nutzte bei seinem Chilehaus in Hamburg (1921 – 1924) die Skelettkonstruktion nicht für eine Glaswand, sondern schloss den Bau mit einer an die norddeutsche Backsteingotik erinnernden Klinkerfassade. Mies van der Rohe und das Ende

Dass sich das Kristalline zu Beginn der Moderne langsam aufzulösen begann, zeigt sich auch an den ersten Hochhausentwürfen des aus Aachen stammenden Ludwig Mies van der Rohe (1886 – 1969). Tatsächlich brach um 1920 ein regelrechtes „Hochhausfieber“ in Deutschland aus (Tagblatt-Turm, Stuttgart; Hansahochhaus, Köln; Krochhochhaus, Leipzig), in dessen Kontext 1925 / 26 auch Fritz Langs Film Metropolis entstand. Zahlreiche Wettbewerbe wurden damals initiiert, unter anderem auch jener für die Friedrichstraße in Berlin im Jahr 1921. In einer Fotocollage von Mies van der Rohe erscheint ein 20-stöckiges Hochhaus als großer, zwischen kompakten steinernen Fassaden aufsteigender Glasturm hoffnungsvoll, mystisch und ungreifbar. Noch ist er im Stadium des bekannten Kristalls, doch bereits die folgenden Entwürfe zeigen jene (beinahe) planen Glas-

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flächen, die auch das Bauhausgebäude in Dessau auszeichnen. Ludwig Mies van der Rohe war wie Gropius und Le Corbusier Schüler von Peter Behrens. Er sollte der letzte Direktor des Bauhauses werden, bevor es erneut geschlossen wurde, denn der kurze Versuch, es in Berlin fortzuführen, war nicht von Erfolg gekrönt. Bereits nach dem Umzug nach Dessau war es zu Umorientierungen und Umformulierungen des Bauhausprogramms gekommen. Die Kunst suchte nicht mehr die Verbindung zum Handwerk, sondern zur Technik, zur Industrie und zum Typ beziehungsweise der Serie; diese Entwicklung trieb vor allem der zweite Direktor Hannes Meyer voran. Mies van der Rohe, der dritte und letzte Direktor des Bauhauses, aber sollte mit einem weiteren Entwurf für Furore sorgen und die Architektur der Moderne prägen, mit dem sogenannten Barcelona-Pavillon. Mit diesem Ausstellungspavillon präsentierte sich die junge Weimarer Republik als moderne und offene Nation auf der Weltausstellung 1929 in Spanien. Auf acht chromverkleideten Kreuzstützen ruhte eine weit auskragende Dachplatte, dazwischen erhoben sich Wände aus buntem Marmor und Glas, während eine goldschimmernde Platte aus Onyx den Höhepunkt bildete. Ornamente waren hier nicht mehr notwendig. Der von Mies van der Rohe eigens für die Weltausstellung entworfene Barcelona-Sessel ist noch heute ein Luxusobjekt. Knapp 600 Meter vom Bauhausgebäude entfernt wurden wie einst in Darmstadt Künstlerhäuser errichtet, die in Dessau freilich Meisterhäuser heißen und ein frühes Zeugnis der kubischen Moderne sind, die vor allem unter dem Einfluss der niederländischen De-Stijl-Bewegung stand. Die drei Doppelhäuser und das individuell gestaltete Direktorenhaus sind allesamt von Walter Gropius entworfen und nach den Zerstörungen des Krieges nur teilweise wieder aufgebaut worden. In gewisser Weise aber waren auch diese Häuser noch innerhalb einer „Kolonie“ errichtet. Das zeichnet die vielen frühen Wohnprojekte aus, auch die von Richard Riemerschmid in Dresden-Hellerau zwischen 1906 und 1911 geplante erste deutsche Gartenstadt. Selbst die 1927 eröffnete Weißenhofsiedlung in Stuttgart liegt nicht direkt im Zentrum, aber sie wollte kein Vorort, kein Dorf mehr sein, sondern urban. Die Weissenhofsiedlung in Stuttgart

Diese Mustersiedlung des Neuen Bauens, die von der Stadt Stuttgart gemeinsam mit dem Deutschen Werkbund ausgerichtet wurde, präsentierte beinahe die gesamte Avantgarde der Architektur, die nicht mehr nur für Bürger, sondern auch für Angestellte und Arbeiter baute. Schon damals sollte sie den ortsansässigen Architekten, der sogenannten „Stuttgarter Schule“, die neben dem Bauhaus in den 1920er-Jahren die einflussreichste und renommierteste ihrer Art war, ein Dorn im Auge sein. Mies van der Rohe war für den Bebauungsplan und die künstleri-

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sche Gesamtleitung verantwortlich. Geplant waren neben mehrstöckigen Mietshäusern Reihen-, Doppel- und Einfamilienhäuser von den Architekten Peter Behrens, Mies van der Rohe, Le Corbusier und im Zentrum Walter Gropius, Ludwig Hilberseimer (1885 – 1967) und Bruno Taut neben so wichtigen Protagonisten des Neuen Bauens wie den Niederländern J. J. P. Oud (1890 – 1963) und Mart Stam (1899 – 1986). Hier zeigt sich die sogenannte kubische Moderne, so wie wir sie zu kennen meinen: weiß, mit glatter, schmuckloser Fassade und Flachdach. Ihre Formensprache eliminierte das Gesims, ebenso das überstehende Dach, sodass der Dachabschluss nur noch als eine dünne Leiste in Erscheinung trat; sie reduzierte das visuell als Basis dienende Sockelgeschoss und hinterließ einen bunten Streifen oder auch einfach ein Nichts: zurückgesetzte Wände und Pfeiler. Die Fenster der Moderne entsprechen denen vom Wiener Haus am Michaelerplatz in der Form schlichter Fassadenlöcher, die Türen sind keine Portale mehr, wie überhaupt die Fassade ihre repräsentative Funktion verliert. Vielmehr erinnern diese Bauten mit ihren weiß verputzten Fassaden, ihren flachen Dächern und den Balkonen mit Brüstungsstangen aus gebogenem Stahl, der sich ebenso als dünner Streifen um Fenster und Hauskanten legt, an die imposanten Zeugen moderner Ingenieurkunst im Schiffsbau. Le Corbusier baute Zimmer wie Eisenbahnwagen und Margarete Schütte-Lihotzky entwarf eine kompakte Küche, die einer Schiffskajüte glich (Frankfurter Küche, 1926). Sie passte sich in das Programm der Typisierung der Grundrisse, der Normierung der Bauelemente und der Mechanisierung der Bauprozesse ein, wurde 1927 in Stuttgart präsentiert und in Frankfurt in 10.000 Wohnungen eingebaut. Noch hoffte man auf die Baubarkeit einer Demokratie etwa in den Großsiedlungen der Weimarer Republik: In Frankfurt entstand Ernst Mays Römerstadt (1927 / 28), in Magdeburg Bruno Tauts Siedlung „Reform“ (1913) und in Berlin seine Hufeisensiedlung „Britz“ (1925). Aber ob Dächer- oder Farbenstreit, unumstritten blieben diese Häuser des Neuen Bauens nicht – Gegenmodelle wie Heinrich Tessenows (1876 – 1950) Siedlung „Am Fischtal“ in Berlin (1928 / 29) wurden gebaut und stellten dem Flachdach das „beschützende“ Satteldach an die Seite. Wenn hier auch die Architektur im Mittelpunkt der Betrachtung stand, so muss doch betont werden, dass – wie schon in den Avantgardebewegungen um 1900 – das Handwerk, später die Industrie und mit ihnen die Herstellung von Objekten für den Alltag von zentraler Bedeutung waren. Diese begegnen uns heute noch als Bauhausikonen und als Designobjekte – was als Serienprodukt günstig hergestellt werden sollte, ist heute nicht selten ein Luxusobjekt. Das Fach Architektur selbst wurde tatsächlich erst ab 1927 am Bauhaus gelehrt. Ab der

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Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 war das Neue Bauen dann nur noch in der Industrie gefragt. Die nationalsozialistischen Kreise unterstützten auch die 1933 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Weißenhof erbaute Kochenhofsiedlung, die Paul Schmitthenner (1884 – 1972) zwar schon lange geplant hatte, aber erst zu diesem Zeitpunkt realisieren konnte. Ihre Formensprache wurzelt in der „traditionalistischen Moderne“, deren Architekten sich auf Goethes Gartenhaus in Weimar ebenso bezogen wie auf Adalbert Stifters Rosenhaus aus seinem Roman Der Nachsommer. Aber auch wenn sich die Vertreter der „traditionalistischen Moderne“ vielfach dem neuen Regime andienten, so waren doch im Gegensatz dazu nicht alle Vertreter und Studenten des Bauhauses oder des Neuen Bauens verfolgt oder wurden gar ins Konzentrationslager deportiert – wie Franz Ehrlich (1907 – 1984) nach Buchenwald. Vielmehr lieferte 1933 auch der kurzzeitige Direktor des Bauhauses, Mies van der Rohe, Entwürfe für den Erweiterungsbau der Reichsbank und Peter Behrens bekam weiterhin Aufträge. Nationalsozialistische Architektur

Am Klassizismus der Goethezeit sollten sich auch die Nationalsozialisten orientieren, so wie überhaupt die Goethestadt Weimar eine wichtige Rolle in der Machtdemonstration des „Dritten Reiches“ einnahm. Als die Nationalsozialisten 1926 ihren ersten Reichsparteitag in Weimar feierten, wählten sie als Ort der Feierlichkeiten das dortige Nationaltheater, in dem nur sieben Jahre zuvor die Weimarer Verfassung verabschiedet worden war. Demonstrativ schloss sich die Architektur der Nationalsozialisten an die Ideen des Klassizismus an, doch steigerten sie die Formen ins Übermenschliche und Monumentale, was sich heute an den kaum mehr erhaltenen gebauten Zeugnissen weniger nachvollziehen lässt als an den ebenfalls raren Zeichnungen oder rekonstruierten Modellen. Sie zeigen das Unvorstellbare: Die 1939 von Hitlers Architekt und späteren Rüstungsminister Albert Speer (1905 – 1981) in Berlin als Teil der sogenannten „Welthauptstadt Germania“ geplante „Ruhmeshalle“ sollte den siebzehnfachen Rauminhalt des Petersdoms fassen – das Brandenburger Tor verhält sich dazu wie ein harmloses Spielzeugauto zum kriegstauglichen Panzer. Bereits 1933 zeichnete man an Entwürfen für die Führerstädte, während das sogenannte „Gauforum“, eine im Stadtzentrum platzierte Kombination aus Verwaltungsgebäuden und Aufmarschplatz, im Mittelpunkt der Planungen für die neu etablierten „Gaue“ stand. Aber nur wenige dieser „Gauforen“ kamen über das Planungsstadium hinaus: Weimar sollte die einzige Stadt mit einem fast vollständig errichteten „Gauforum“ bleiben, dem 150 Altstadthäuser zum Opfer fielen. Für die „Welthauptstadt Germania“ wären es ein Vielfaches mehr gewesen, gigantische Achsen sollten mitten durch Berlin geschlagen werden. Zwar stand auch

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die sogenannte „Sanierung“ von Altstädten auf dem Programm, allerdings ging es hierbei nicht einzig um bessere Wohnbedingungen. Der Hygienediskurs wurde rassistisch aufgeladen, die daraus abgeleiteten Konsequenzen zu einer menschenverachtenden und mörderischen Realität, die jene ursprünglich sozialreformerischen Ideen zur Verbesserung des Lebens in den Städten in ihr infernales Gegenteil verkehrte. Das Reichsheimstättenamt teilte nur jenen eine Wohnung zu, die ihre arische Abstammung, ihre Gesundheit und den Kinderreichtum früherer Generationen nachweisen konnten. All diese Planungen hatten von Anfang an die Deportation und Ermordung nicht mehr erwünschter Mitbürger, die Eroberung neuer Länder, die Zwangsarbeiter und die Arbeit der KZ-Insassen einkalkuliert. Die Gebäude, die während der Nazidiktatur errichtet wurden, bauten in der Tat auf dieser Basis auf. Der Zweite Weltkrieg sollte die meisten Projekte beenden, auch jenes für die „Welthauptstadt Germania“; noch während der Luftangriffe auf Berlin aber waren die Chefplaner zu Scherzen aufgelegt und erklärten, die Bomber nähmen den Planern nur die Arbeit ab, Schneisen im Herzen der Stadt würden sie für die Neubauten nicht mehr schlagen müssen. 1936 erhielt Albert Speer von Adolf Hitler den Auftrag, den Deutschen Pavillon für die Weltausstellung 1937 in Paris zu planen; nur acht Jahre nach Barcelona wählte Speer dafür eine komplett andere Formensprache als damals Mies van der Rohe – der Pavillon hieß nun „Deutsches Haus“. Ein mächtiger Turm mit kolossalen Pilastern und einem schweren Kranzgesims war von einem Reichsadler bekrönt, das „Hakenkreuz in den Fängen“. Er schaute hinab „auf das russische Paar“ – wie Speer erklärte – auf den Arbeiter und eine Bäuerin, die auf dem Pavillon der UdSSR Richtung Osten stürmten. Beide Bauplätze lagen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Eiffelturm. Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon ist in den 1980er-Jahren an alter Stelle wieder errichtet worden, während um den Eiffelturm, der Teil der Pariser Weltausstellung war, heute viel Grün herrscht. Eines der wenigen Projekte, die noch bis 1942 weitergeführt wurden, war das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg mit der weltgrößten Aufmarschfläche und einer formal dem Pergamonaltar ähnelnden Haupttribüne mit Führerempore und Hakenkreuz (1935 – 1937 nach einem Entwurf von Albert Speer errichtet). Hier sollte das größte Stadion der Welt gebaut werden und hier wurden, allerdings nur bis 1939, die als „Lichtdome“ bezeichneten Lichtkegel von Flakscheinwerfern in die Nacht projiziert. Heute ist kaum noch etwas davon erhalten; die dem antiken Kolosseum in Rom nachempfundene Kongresshalle – auch sie wurde nicht zu Ende gebaut – dient mittlerweile als Dokumentationszentrum. Das Haus der Kunst (1933 – 1937) allerdings hat in München noch heute die Funktion einer Ausstellungshalle.

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m Deutschland der Nachkriegszeit bemühte man sich in Ost und West schon vor und erst recht nach der Teilung des Landes in den Künsten einen klaren und sichtbaren Schlussstrich unter die nationalsozialistische Vergangenheit und die von ihr geförderte Kunst zu ziehen. Für die bundesrepublikanische Nachkriegskunst nahm die erstmals 1955 veranstaltete documenta in Kassel eine bedeutende Stellung ein. Die von Arnold Bode (1900 – 1977) initiierte Ausstellung sollte die internationalen Entwicklungen der Gegenwartskunst in Deutschland bekannt machen und damit nicht nur den Kunstschaffenden, sondern auch dem Publikum neue Impulse geben. Bewusst entschied sich Bode für einen Ausstellungsrhythmus von vier bis fünf Jahren, sodass in der Zwischenzeit neue Kunstrichtungen entstehen, entdeckt und ausgestellt werden konnten. Insgesamt lässt sich eine Tendenz zur Öffnung der Kunst zum Publikum – etwa im Happening, einer Form der Aktionskunst der 1960er-Jahre – beobachten. Viele Künstler arbeiteten in mehreren Gattungen, schufen sowohl Plastiken wie auch Gemälde oder nutzten die neuen Medien wie Video und Fernsehen. Die offizielle Kunst Ostdeutschlands wurde nach der Gründung der DDR auf den Sozialistischen Realismus eingeschworen. Auch hier wurde eine Ausstellungsreihe initiiert, und zwar in Dresden, wo zwischen 1946 und 1988 die „Kunstausstellungen der DDR“ stattfanden: Kunst hatte erneut eine eindeutige und staatstragende Aufgabe zu erfüllen. Auf beiden Seiten der Grenze fand auch auf dem Feld der Kunst eine Art „Wettrüsten“ statt: Schworen sich die einen auf die Abstraktion (Informel) ein, so verschrieben sich die anderen besagtem Realismus.

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Die Kunstszene im Rheinland

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es vor allem die abstrakte Kunst, die in der Bundesrepublik wieder aufblühte und an die sich die Künstler bewusst als die unter dem Nationalsozialismus verfemte Kunst anschlossen. Werke von Willi Baumeister (1889 – 1955), Ernst Wilhelm Nay (1902 – 1968) und Fritz Winter (1905 – 1976) etwa zeigten, dass trotz der Jahre des Verbots gegenstandslose Malerei in Deutschland überlebt hatte. Daran knüpfte auch die Gruppe ZERO an, die 1958 von Otto Piene (1928 –2014) und Heinz Mack (geb. 1931) in Düsseldorf gegründet wurde; auch Günther Uecker (geb. 1930) trat später der Gruppe bei. International war die Gruppe gut vernetzt; enge Verbindungen gab es nach Paris (Yves Klein) und Mailand (Lucio Fontana) und man inspirierte sich gegenseitig bei der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Mit oft die Bewegung einbeziehenden Licht- und Materialexperimenten, die vielleicht am ehesten als Installationen zu bezeichnen sind, beschritten sie einen völlig neuen Weg. Auch sie wollten die Kunst vom Ballast des Nationalsozialismus befreien, grenzten sich aber gleichzeitig gegen andere abstrakte Kunstströmungen der Malerei (Informel, Tachismus) ab. Daher auch der Name ZERO, der sich auf den Raketen-Countdown bezieht. Gegen den „Sumpf der Farben“ stellten sie monochrome Werke, deren Wirkung auf dem Spiel von Hell-Dunkel  /  Licht-Schatten basiert. Als neue künstlerische „Materialien“ verwendeten sie Feuer und Rauch, Licht und Luft. Piene etwa projizierte Licht durch eine Punktrastermaske auf die Wand und führte damit die Rasterstruktur in die Kunst ein. Uecker ließ mit seinen Nagelfeldern die Bildoberfläche vibrieren. Werke, wie etwa die das Sonnenlicht vielfach reflektierenden Silberstelen von Mack, die er in der Sahara aufstellen ließ, verfolgen ein ortsgebundenes Konzept und sind von temporärem Charakter – sie gelten damit als Vorläufer der Land Art. Zur Bedeutung Düsseldorfs als Kunstzentrum der Avantgarde trugen neben der Gruppe ZERO die Aktionen der Fluxus-Künstler bei, die Anfang der 1960erJahre stattfanden. Sie setzten konsequent die Forderung der Moderne um, Leben und Kunst als Einheit zu begreifen, und verließen die offiziellen Kunstinstitutionen, um ihre Kunst zusammen mit dem Publikum in einem „Happening“ zu kreieren. Der Ursprung der Fluxus-Bewegung lag in New York, wurde von George Maciunas nach Deutschland vermittelt und von Künstlern wie Nam June Paik (1932 – 2006), Wolf Vostell (1932 – 1998) und Joseph Beuys (1921 – 1986) rezipiert und weiterentwickelt. Im Gesamtwerk von Joseph Beuys war Fluxus („Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“, 1965) nur ein Aspekt unter vielen; er arbeitete gattungsübergreifend unter dem Postulat, Kunst müsse sich auf alle Bereiche der Gesellschaft ausdehnen. Daher ist das politische Engagement von Joseph Beuys – er war einer

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der Gründer der Partei Die Grünen – auch in diesem Zusammenhang und als Teil seines künstlerischen Schaffens zu begreifen. Sein erweiterter Kunstbegriff beinhaltete unter anderem die Idee, dass jeder Mensch ein Künstler sei. In seinen Werken (Installationen, Skulpturen, Zeichnungen) verarbeitete er auch seine Kriegserfahrungen (u.  a. „Fettstuhl I“, 1964), wobei etwa die Materialien Fett und Filz eine ganz subjektive Bedeutung einnahmen – sie standen für Energie und Schutz. Sein Hut und seine Sportweste gehörten zum Gesamtkunstwerk des charismatischen Beuys untrennbar dazu. Seine Person und sein Werk entfalteten einen enormen Einfluss auf die Künstler der Nachkriegsgeneration, deren Karrieren in den 1960er-Jahren ihren Anfang nahmen. Bei der Betrachtung der Werke dieser Nachkriegsgeneration, zu der Künstler wie Gerhard Richter (geb. 1932), Sigmar Polke (1941 – 2010), Georg Baselitz (geb. 1938), A. R. Penck (geb. 1939), Markus Lüpertz (geb. 1941) und Anselm Kiefer (geb. 1945) gehören, ist es erstaunlich, dass trotz der zeitgenössischen konzeptionellen und experimentellen Strömungen viele von ihnen sich ganz klassisch mit dem Gemälde beschäftigten. So waren für Sigmar Polke in den 1960er-Jahren Fotografien und Zeitungsausschnitte der Ausgangspunkt seiner Arbeiten, die er dann in einem speziellen Übertragungsprozess, unter anderem durch vergröberte Rasterungen, verfremdete. Diese frühen Werke Polkes gelten als deutsche Variante der ursprünglich US-amerikanischen Pop-Art. Während diese die Konsumgesellschaft thematisierte, spielt in den Arbeiten Polkes die Ironie eine wichtige Rolle: Bildtitel wie „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ (1969) beziehen sich einerseits auf das Klischee vom Künstlergenie, parodieren aber auch die Minimal-Art. Der Hang zu „Geistern“ und zur Magie tritt in seinen späteren Werken in den Vordergrund. Polke setzte Chemikalien in seinem Malprozess ein und beschäftigte sich mit der Alchemie auf der Suche nach tieferer Erkenntnis. Bemerkenswert in dem vielseitigen Schaffen Gerhard Richters ist die Gleichzeitigkeit von gegenstandslosen und gegenständlichen Bildern seit den 1960erJahren, als er nach seiner Flucht aus der DDR 1961 in der Düsseldorfer Kunstszene Fuß fasste. Seine frühen abstrakten Werke zeigen Farbfelder, die sich im Laufe der Zeit zu großformatigen Arbeiten entwickelten, wie sie auch bei der Fenstergestaltung für den Kölner Dom (2006), einer zufälligen Anordnung farbiger Quadrate, noch zu finden sind. Auch die Farbe Grau, mit der er die Möglichkeiten der monochromen Malerei auslotete, nimmt in seinem Werk eine bedeutende Stellung ein. Dabei entstanden sowohl figurative, verwischte fotorealistische Gemälde wie auch abstrakte „Rakel-Bilder“ (Rakel sind Abstreifhölzer zum Verwischen der feuchten Farbe), die er seit den 1980er-Jahren auch buntfarbig realisiert.

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bwohl seine Karriere schon zwei Jahrzehnte zuvor ihren Anfang genommen hatte, konnte sich Georg Baselitz erst in den 1980er-Jahren auch international etablieren. Baselitz, der 1957 von Ost- nach West-Berlin übergesiedelt war, ist berühmt geworden durch Bilder, deren Motive auf dem Kopf stehen. Schon seine Frakturbilder von 1967 bis 1969 hatten gezeigt, dass es ihm trotz seiner figurativen Malerei weniger um das dargestellte Thema geht als um formale Aspekte. Für Jörg Immendorff (1945 – 2007) und Anselm Kiefer dagegen nahm das Sujet eine überaus wichtige Stellung ein, beide setzten sich mit der deutschen Geschichte auseinander. Immendorffs Zyklus „Café Deutschland“ (1977 – 1982) spiegelt mit seinen fragmentierten Bildteilen aus Menschen und Architektur die Ost-West-Spaltung und deren Wirkung auf die Gesellschaft wider. Kiefers Blick richtet sich hingegen auf die deutsche Mythologie und ihren Einfluss auf die deutsche Geschichte. Dabei ist unter anderem die Gemäldeserie „Besatzungen“ (1969) entstanden, die auf im Ausland aufgenommenen Fotografien basiert und den Maler in verschiedenen Landschaften mit zum Hitlergruß erhobenem Arm zeigt. Seine späteren Werke haben sowohl bezüglich ihrer Größe als auch der Zahl der verwendeten Materialen zugenommen. Thematisch hat Kiefer inzwischen die deutsche Vergangenheitsbewältigung verlassen, um sich auf globale und kosmische Motive zu konzentrieren. (Neue) Leipziger Schule

Während in Westdeutschland die Künstler ausloteten, inwieweit sich mit der Kunst Konventionen zertrümmern und Sehgewohnheiten erschüttern lassen, war in der DDR die gegenständliche Malerei im Stil des Sozialistischen Realismus vorherrschend. Nur wenige Maler konnten ihn überwinden und im Rahmen der Anforderung nach Realismus ein eigenständiges Werk schaffen, das auch nach der deutschen Wiedervereinigung seine Gültigkeit behielt. Werner Tübke (1929 – 2004) und Wolfgang Mattheuer (1927 – 2004) kreierten mit Mitteln des Surrealismus allegorische Bilder; Bernhard Heisigs (1925 – 2011) Historienbilder sind dagegen fast mit expressivem Pinselduktus gemalt. Diese Künstler sind auch die Hauptvertreter der sogenannten „Leipziger Schule“, die ihren Anfang in den 1970er-Jahren in der dortigen Kunsthochschule nahm. Mit diesem Begriff wird allerdings kein bestimmter Stil umschrieben, sondern eine künstlerische Haltung, für die hohes handwerkliches Können und die Auseinandersetzung mit gesellschaftsbewussten Themen kennzeichnend sind. Daran anknüpfend entstand

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die Bezeichnung „Neue Leipziger Schule“ in den 1990er-Jahren, als mehrere junge Künstler aus der Leipziger Kunsthochschule vom Kunstmarkt entdeckt wurden; ihre figurative Malerei hatte schnell auch international Erfolg. Zu diesen Künstlern werden Neo Rauch (geb. 1960), Tim Eitel (geb. 1971), Rosa Loy (geb. 1958) und Matthias Weischer (geb. 1973) gezählt.

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ach dem Zweiten Weltkrieg waren unendlich viele Städte zerstört; den Luftwaffenbombardements etwa von Warschau und Rotterdam waren Gegenschläge gefolgt, die auch die dicht besiedelten Altstadtkerne trafen. Allein in den letzten Monaten vor Kriegsende wurden noch unzählige Kulturschätze vernichtet. Dresdens Ruinen wurden zum Inbegriff dieser letzten Zerstörungswut. Am Ende standen auch die alliierten Truppen entsetzt vor dem Trümmerhaufen, den die Deutschen mit ihrer „Politik der verbrannten Erde“ (sog. Nerobefehl Hitlers) noch vergrößert hatten: Auch die Alte Brücke über den Neckar in Heidelberg fiel der Wehrmacht zum Opfer. In manchen Städten war nur noch ein Viertel des Wohnraums erhalten, manch andere waren zu Geisterstädten geworden: In Köln, das vor dem Krieg noch 750 000 Einwohner zählte, waren nicht mehr als 40 000 übrig geblieben, während inmitten der Trümmer der Kölner Dom beinahe unversehrt in die Höhe ragte. Die Architekten der Nachkriegszeit planten weiter; einige von ihnen waren bereits unter Speer noch während des Krieges im Stab für den Wiederaufbau kriegszerstörter Städte beschäftigt gewesen, und besonders dreiste präsentierten ihre alten „Gauforum“-Pläne unter neuem Namen nun als Kulturforum. Kontinuität herrschte auch im Baugewerbe. Im Umgang mit den Kriegsruinen boten sich grundsätzlich zwei Wege an: Rekonstruktion oder Abriss. Etliche Ruinen blieben auch als Mahnmal erhalten, wie zunächhst die Dresdner Frauenkirche. Bei der Frankfurter Paulskirche entschied man sich für einen Wiederaufbau, der zum letzten gesamtdeutschen Bauprojekt vor der Teilung werden sollte – als Wiege der Demokratie in Deutschland (1848 / 49) stand sie symbolisch für den Neuanfang. Aber auch hier, wie an vielen Orten hieß Wiederaufbau nicht immer originalgetreue Rekonstruktion. Für eine solche hatte man sich bei dem zeitgleich wiederaufgebauten und nicht weniger identitätsstiftenden Frankfurter Goethe-Haus am Hirschgraben entschieden. In Ost-Berlin fungierte Richard Paulick (1903 – 1979), der seine architektonische

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Laufbahn als Expressionist begonnen hatte und der an der Stalinallee mitbauen sollte, als Chefarchitekt bei der Wiedererrichtung der Staatsoper Unter den Linden; auch sie war keine detailgenaue Rekonstruktion, sondern Ergebnis eines kreativen Umgangs mit der Geschichte, der Paulick den Beinamen „roter Knobelsdorff “ einbrachte. Die jahrelangen Diskussionen um originalgetreue Rekonstruktion, Abriss oder modernen Wiederaufbau, wie sie auch um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin kreisten, drehten sich aber letztlich um Schuld und Sühne und um die Frage, wie und in welchem Baustil sich der Beginn einer neuen Ära ausdrücken ließe. Der neoromanische Turm der Gedächtniskirche erhebt sich heute noch immer als Ruine; er ist ein wenig höher als der sechseckige Turm Egon Eiermanns (1904 – 1970), den er als Sieger eines Wettbewerbs gemeinsam mit weiteren modernen Baukörpern als Stahlskelett mit kleinteiligen quadratischen Glasfenstern um die Kirche errichten ließ. Für die Bundesrepublik wurde diese Kirche erneut zum Symbol für den Umgang mit der eigenen Vergangenheit und zeugte von der Rückbesinnung auf einen Baustil, der sich vor dem Zweiten Weltkrieg zu etablieren begonnen hatte. Zu der Abgrenzung vom Naziregime kam ab 1949, nach der Teilung Deutschlands, jene vom jeweils anderen System hinzu. Während der Osten in immer neuen Verlautbarungen zu erkennen gab, dass er mit seiner Architektur nicht an das Neue Bauen anknüpfen wolle, da man es als imperialistische Dekadenz interpretierte, machte der Westen seinen Anschluss an das Neue Bauen der Vorkriegszeit ebenso deutlich. Prestigebauten, die den jeweils anderen Stil vor Augen führten, konnten sich aber beide Teile Deutschlands nicht lange leisten: Spätestens nach der Einführung des industriellen Massenwohnungsbaus im Lauf der 1950er-Jahre glichen sich die Siedlungen, die hüben wie drüben zur Minderung der Wohnmisere errichtet wurden, wieder an. Wohnen nach dem Zweiten Weltkrieg

Mit der Berliner Stalinallee (1951 – 1958, heute Karl-Marx- und Frankfurter Allee) wollte man noch in Ost‑Berlin ein Zeichen setzen und gleichzeitig eine Verbindung zum historischen Stadtkern schaffen. Auf einer Länge von über zwei Kilometern und einer Breite von achtzig Metern wurden rund 5000 Wohnungen als Prestigeobjekt zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor errichtet. Die großen Wohnblöcke orientierten sich am Klassizismus, hatten wieder eine Sockelzone und ein Kranzgesims, Pilaster und Fries (u.  a . von Hermann Henselmann und Richard Paulick). Die Antwort des Westens kam prompt: Nur wenige Kilometer entfernt planten die Protagonisten der Moderne das Hansaviertel im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1957. Hier gab es keine geschlossene

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Blockrandbebauung mehr, sondern eine aufgelockerte, „durchgrünte“ Siedlung mit Einfamilien-, Punkthoch- und Apartmenthäusern im Zeilenbau. Daran beteiligt waren Walter Gropius, Alvar Aalto (1898 – 1976) aus Finnland und der Brasilianer Oscar Niemeyer (1907 – 2012) ebenso wie Le Corbusier, Werner Düttmann (1921 – 1983), Egon Eiermann, Max Taut und viele andere. Der daraufhin im Osten und im Westen einsetzende Massenwohnungsbau ließ in beiden Teilen Deutschlands Trabantenstädte und Schlafstädte, autogerechte Städte und Fußgängerzonen entstehen (Märkisches Viertel, Berlin; HalleNeustadt; Hoyerswerda; Neue Vahr, Bremen; Nordweststadt, Frankfurt), wie sie auch in Frankreich und England, in Jugoslawien, der Sowjetunion und Amerika zu finden waren. Nicht nur sprachen schon zuvor die Moskauer Hochhäuser „mit ihren gestaffelten Baumassen, ihren Kreml-Türmen und ihrem Dekor in russischem Barock“ dieselbe Sprache wie die „Skyscrapers der Kaugummiproduzenten oder Automobiltycoons in Chicago oder New York“ (Pehnt), auch die architektonischen Lösungen des dringend benötigten Wohnraums waren vergleichbar. Doch bald schon wurde den an den Ideen des Funktionalismus orientierten Plattenbauten seelenlose Architektur vorgeworfen. 1972 kam es zum Abriss der Pruitt-IgoeSiedlung in St. Louis, die ebenfalls in den 1950er-Jahren errichtet worden war; das Zusammenleben zwischen der schwarzen und der weißen Bevölkerung war gescheitert, Vandalismus machte sich breit, die Wohnungen standen leer. Charles Jencks markierte das Datum der Sprengung in seiner epochemachenden Schrift The Language of Postmodern Architecture (1977) als das Ende der modernen Architektur. In Deutschland hingegen brach der Bauhaus-Streit schon 1953 aus, als just ein Vertreter aus den eigenen Reihen, Rudolf Schwarz (der federführende Architekt beim Wiederaufbau der Frankfurter Paulskirche), Materialismus, Technizismus und Funktionalismus für den Bruch mit der abendländischen Architektur verantwortlich machte. Der Weg in die Postmoderne war geebnet, auch wenn es noch ein paar Jahrzehnte dauern sollte, denn der Anschluss an die funktionalistische Architektur war eben erst vollzogen worden (Mannesmann AG Düsseldorf, Universitätshochhaus Leipzig, ehemaliges Abgeordnetenhaus „Langer Eugen“ in Bonn); Hans Scharoun plante in Berlin das Kulturforum mit Philharmonie (1956 – 1963) und Staatsbibliothek (1964 – 1978), Mies van der Rohe errichtete die Berliner Neue Nationalgalerie (1965 – 1968), in Frankfurt begann man an der Skyline zu bauen, Freizeitparks wurden auf den Schuttkippen der Trümmer errichtet, der erste BetonFernsehturm (1954 – 1956) reckte sich in den Stuttgarter Himmel. In einer ganz neuartigen Sprache aber präsentierten Frei Otto (geb. 1925) und Rolf Gutbrod (1910 – 1999) die Bundesrepublik Deutschland mit einem Pavillon auf der Weltausstellung in Montreal (1967). Einem riesigen Zelt gleich, das wie ein Tuch an acht Stangen und Heringen befestigt ist, erhob sich ein Stahlseil-

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netz mit einem durchsichtigen Polyestergewebe. Im Münchner Olympiastadion von 1972 galt es, eine noch wesentlich größere Fläche zu überspannen und zudem diese Zeltarchitektur dauerhaft zu errichten. Diese an Naturformen orientierten Zeltdächer brachten die Architektur auf eine neue Weise zum Schweben. Architektur nach der Moderne

Der Weg zur Postmoderne begann etwa zeitgleich mit dem Verlassen der Schlafstädte und der Rückkehr in die City. Als man sich in Rostock oder Freudenstadt, in Rothenburg ob der Tauber oder am Prinzipalmarkt in Münster für den Wiederaufbau alter Stadtzentren entschieden hatte, verfolgte man noch die Idee, den identitätsstiftenden Kern wiedererstehen zu lassen. Nun aber begann man, sich des Wohnens in der Stadt zu erinnern: Die ersten gründerzeitlichen Häuser wurden saniert (Berlin, Prenzlauer Berg und Arnimplatz, etwas später auch Charlottenburg, Leipziger Ostvorstadt); Aldo Rossi (1931 – 1997) und Rob Krier (geb. 1938) untersuchten die Typologien der Stadt und Josef Paul Kleihues baute erstmals nach dem Krieg wieder Wohnungen in Blockrandbebauung (Block 270 am Berliner Vinetaplatz, 1971 – 1977). Die Architekten zeigten auf einmal wieder Fassaden und Säulen, und das vor allem bei der großen Bauaufgabe der Postmoderne: dem Museum. Die Zahl der Museumsbesucher steigerte sich seit Ende der 1960er-Jahre innerhalb von drei Jahrzehnten um über 80 Prozent. Auf Hans Holleins Museum Abteiberg in Mönchengladbach (1972 – 1982) folgte die Neue Staatsgalerie in Stuttgart (1977 – 1984) und im Jahr 1984 eröffnete das Architekturmuseum in Frankfurt seinen von Oswald Mathias Ungers geplanten Bau mit der Ausstellung Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960 – 1980. In Stuttgart war der Entwurf von James Stirling und Michael Wilford 1977 als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgegangen und löste von Anfang an einen Architekturstreit aus. Die Gebäudelandschaft, die fünf Jahre nach Grundsteinlegung 1984 zu besichtigen war, präsentierte sich als eine auf mehreren Ebenen die Hanglage nutzende und in die städtische Umgebung eingepasste selbstbewusste Architektur (Abb. 41). Rampen und Treppen führen von der Hauptstraße (Konrad-Adenauer-Straße) durch den die Mitte betonenden Portikus aus buntem Stahl über die Eingangsebene in eine offene, von einer Dreiflügelanlage umgebene Rotunde. Der öffentliche Weg führt aus dieser Rotunde wieder hinaus und auf die Straße an der Rückseite der Galerie (Urbanstraße). Von der Rotunde aus lassen sich aber auch die höher gelegenen Skulpturenterrassen begehen, an die die Galerieräume anschließen, die zur Alten Staatsgalerie überleiten. Der Haupteingang allerdings befindet sich auf der ersten Ebene seitlich an einem Vorbau, der mit einer geschwungenen, durch grüne Rahmen gerasterten Glasfassade abgeschlossen wird. Dieser dezentrale Eingang wird durch drei Glasdächer akzentuiert. Auf-

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41  James Stirling, Michael Wilford, Stuttgart, Neue Staatsgalerie

grund ihrer schräggestellten Rampen und Dächer, Vorbauten und Durchbrüche ist die Dreiflügelanlage am Außenbau jedoch kaum ablesbar. Die Staatsgalerie ist ein aus Kuben, Zylindern und geschwungenen Glaswänden aufgegliederter Baukörper, der auch im Innern nach diesem Prinzip verfährt: Der großen Rotunde ist eine kleine Verkaufsrotunde eingestellt, weitere Rampen und Treppen führen zu einem farblich akzentuierten Aufzug, die Drehtüren erhalten eine eigene orangerote Tonne und kontrastieren mit dem giftgrünen Noppenboden. Dieser Collage folgen Zitate: Die Rotunde bezieht sich auf Schinkels Altes Museum in Berlin – allerdings ist sie in Stuttgart nicht überkuppelt –, die grün und blau gestrichenen Lüftungsrohre auf das Centre Pompidou in Paris, die Farbwahl selbst greift zurück auf De Stijl, das Verwaltungsgebäude auf Le Corbusiers Doppelhaus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Von dem gegenüberliegenden Schlossgarten und den Theaterbauten aber bleibt sie bis heute durch die nur wenige Jahre zuvor geschlagene Schneise der Konrad-Adenauer-Straße getrennt. „Konstruktiver Pop“, „Zitatenmuseum“, „der erste repräsentative Bau der Postmoderne“ titelten die Zeitungen zur Eröffnung, die Befürchtungen vor einer monumentalen, totalitären Architektur wurden in den Hintergrund gedränget. Nicht nur das „ice blue“ und „pink“ der überdimensionierten Handläufe sollten diesen

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Verdacht außer Kraft setzen. James Stirling allerdings sah sich nie als postmodernen Architekten, sehr wohl aber erkannte er, was die Museen der Postmoderne im Gegensatz zu jenen des 19. Jahrhunderts auszeichnen sollte: „Museen [sind] heute auch Orte populärer Unterhaltung.“ Das demokratische Museum hatte sich zu einem populären gewandelt. In diesem Sinne hat vor allem Frankfurt sein Museumsufer ausgebaut (u.  a. Richard Meier, Günter Behnisch, Oswald Mathias Ungers und Hans Hollein). Am Frankfurter Römerberg entstand auch die erste postmoderne Stadtcollage. Bauen um 2000

Die Bauten, die nach 1945 in direktem Anschluss an die Moderne der 1920erJahre errichtet wurden, aber auch jene, die als postmoderne Architektur gelten, sind freilich mit der modernen Architektur immer noch eng verbunden – und das gilt auch noch für die dekonstruktivistische Phase, etwa die Feuerwache von Zaha Hadid (Weil am Rhein, 1991 – 1993), Frank O. Gehrys Vitra Design Museum (Weil am Rhein, 1986 – 1989), für Coop Himmelb(l)aus und Günter Behnischs Entwürfe wie auch Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Berlin (1989 – 1999). Tatsächlich konzentrierte sich ein Großteil der Bautätigkeit nach der Wiedervereinigung auf die neue Hauptstadt Berlin. Große Hoffnungen verbanden sich mit der Bebauung des Potsdamer Platzes. Auf der Brachfläche der Teilung sollte ein neues Stadtzentrum entstehen: Regierungsbauten wurden errichtet oder in bestehende Gebäude integriert; Foster gab dem Reichstagsgebäude eine neue begehbare Kuppel; die ersten Bauten des Parlamentsviertels im Spreebogen, das Ost und West verbindet, entstanden. Monumental ragt das Bundeskanzleramt als Teil dieses Bandes in die Höhe – die programmatische Bescheidenheit der Bonner Republik war beendet. Keine 2000 Meter südöstlich vom Reichstagsgebäude befindet sich das Denkmal für die ermordeten Juden Europas von Peter Eisenman (2003 – 2005). Im Zentrum der Debatten über eine adäquate Architektursprache steht auch die Diskussion über die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, das Andreas Schlüter einst zu einem Barockschloss umgebaut hatte, dessen Ruinen nach dem Krieg unter Protest der Weltöffentlichkeit gesprengt worden waren, um Platz zu machen für den Palast der Republik (1973 – 1976). Auch er sollte nach dem Ende der DDR weichen (2008), beseitigt aber wurde dieses Mal keine reale, sondern eine ideelle Ruine: Der Palast der Republik war nicht zerbombt worden, er war, wenn auch asbestverseucht, unversehrt und ein Zeichen des überwundenen Regimes. Es stellt sich die Frage, ob an dieser Stelle tatsächlich wieder ein Stadtschloss stehen wird. Franco Stella ging zwar als Gewinner aus dem Wettbewerb hervor – drei Barockfassaden sollen wiedererstehen, die Grundsteinlegung erfolgte am 12.

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Juni 2013 –, aber noch immer wird über die Nutzung gestritten (Humboldt-Forum); eine neue Debatte entflammt, ob die Ostfassade von Stella wirklich gebaut werden soll oder nicht doch lieber eine offene Dreiflügelanlage, und nicht zuletzt ist noch immer die Finanzierung unklar. Bisher stehen nur ein paar Betonwände, mehr nicht. Hinter all diesen Debatten stand und steht stets die Frage, ob der Wiederaufbau überhaupt das von der jungen Bundesrepublik gewollte und adäquate Zeichen ist, ob es gelingt, eine Form zu finden für ein Gebäude, das sich permanent gewandelt hat. So hatte bereits Schlüter seine Umbauten mit einem Abriss begonnen, dem einer der schönsten Wendelsteine (Treppenturm) aus der Epoche der Renaissance zum Opfer fiel. Sollte man auch diesen in die Planungen wieder einbeziehen? Und so haben Kunsthistoriker und Denkmalschützer, Architekten und Bürger, Stadt und Land jeweils andere Ansprüche an diesen geschichtsträchtigen Bauplatz. Während die Diskussionen um das Stadtschloss noch anhalten, müssen sich die Städteplaner auf schrumpfende Städte einstellen, die Umnutzung ehema­liger Kasernen oder Industrieanlagen vorantreiben (Hafencity Hamburg mit der Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron und Entwürfen u.  a. von Rem Koolhaas und Stefan Behnisch) und sich auf das seit der Ölkrise entwickelnde Umweltbewusstsein einstellen. Hier ist eine Architektur gefragt, die sich nicht nur ästhetisch an eine Landschaft anpasst, sondern auch ökologisch. Diese langsame Wende vollzieht sich im Wohnungsbau gleichermaßen wie im Verwaltungsbau, und längst erinnert die Architektur nicht mehr an die „Ökos“ der ersten Stunde: Sie ist weder handgestrickt noch unrasiert. Hießen die Straßen der Gartenstadt Staaken Anfang des 20. Jahrhunderts noch Beim Pfarrhof und Zwischen den Giebeln, so war man in den ersten Ökosiedlungen zwischen Zittergras und Ewiger Weide unterwegs; Werner Sobeks Haus in Stuttgart aber heißt nur noch R 128 (1999 – 2000) und verbirgt hinter seinem gläsernen Kubus ein energieautarkes Einfamilienhaus mit Fotovoltaikanlage, ein smart house, in dem nicht nur die Tür- und Fenstergriffe, Armaturen und Lichtschalter gegen Sensoren ausgewechselt sind. Das Gras wich dem Glas, das Wohnen scheint zu einer sterilen, unsinnlichen Angelegenheit zu mutieren. Eine „Maschine zum Wohnen“ (Le Corbusier), wie sie seit der Moderne ersonnen wurde? Oder doch nur eine konsequente Weiterentwicklung des Wohnens auf dem Stand unserer heutigen Möglichkeiten? Aus der „Urhütte“ sind wir ja schließlich auch schon längst ausgezogen. Die poppigen Farben der Postmoderne ebneten schließlich auch den Weg zurück zum bunten Glas, wie es Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch einsetzen, auch wenn sie sich lieber in die Tradition der lange verschwiegenen Polychromie der Moderne gestellt wissen wollen. Ihr Umweltbundesamt in Dessau (Abb. 42), das seinem Bauherren angemessen den Standards des Energieoptimierten Bauens

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42  Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton, Umweltbundesamt, Dessau

(EnOB) entspricht, zieht sich in einer langen Schlaufe um zwei Innenhöfe, innen wie außen geprägt von Holz- und polychromen Glasbändern, deren Farbe je nach Gebäudetrakt wechselt. Nur am Haupteingang bricht diese Gestaltung auf und zeigt eine gefaltete Glaswand. Für diesen Bau wurde die Architektengemeinschaft Sauerbruch Hutton 2013 mit dem Gottfried-Semper-Architekturpreis ausgezeichnet. Einen Bogen zur Moderne schlägt auch die von Rem Koolhaas (geb. 1944) kuratierte 14. Architekturbiennale in Venedig unter dem Titel Absorbing Modernity 1914 – 2014. Der Beitrag aus Deutschland zeigt eine Montage des ehemaligen Bonner Kanzlerbungalows von Sep Ruf (1908 – 1982) in den 1938 nationalsozialistisch überformten deutschen Länderpavillon. Der „Padiglione della Germania“ absorbiert gleichsam die Moderne, denn was in den 1960er-Jahren in Bonn als Ausdruck eines demokratischen Staates transparent und offen inszeniert wurde, durchdringt nicht nur die als totalitär interpretierte Architektur, sondern überschneidet sich an manchen Stellen so perfekt mit ihr, dass deutlich wird: Architektur verfügt über eine eigene Sprache, die sich nicht immer mit der von (Kunst)Geschichte und den „Geschichten“ der Architekten decken muss. Das Ende der grands récits, der großen Erzählung, des Glaubens an den Fortschritt und seiner Geschichte, eröffnet zugleich das Feld für neue Perspektiven und weitere Erzählungen.

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chon seit der Erfindung der Fotografie in den 1830er-Jahren haben Künstler mit dieser Technik experimentiert, aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts wandten sie sich ihr als Medium der Kunst zu, und noch viel später erfuhr diese Fotokunst dann auch die Wertschätzung des Publikums; ein Zeichen dafür ist die Zulassung der Fotografie als eigene Gattung auf der documenta im Jahr 1977. In Deutschland waren es vor allem Bernd und Hilla Becher, die seit den 1960erJahren in der Tradition der Neuen Sachlichkeit Fachwerkhäuser sowie Industriebauten und -anlagen in ihren Fotografien festhielten und wesentlich zur Anerkennung dieser Kunstgattung beitrugen. Durch ihre Düsseldorfer Lehrtätigkeit haben sie auf mehrere Generationen von Studenten Einfluss ausgeübt, sodass man zu Recht von der Düsseldorfer Schule beziehungsweise der Becher-Schule sprechen kann. Zur ersten Generation ihrer Schüler gehören die Fotografen Andreas Gursky (geb. 1950), Thomas Ruff (geb. 1958), Thomas Struth (geb. 1954) und Candida Höfer (geb. 1944), denen trotz ihres individuellen Stils und ihrer ebensolchen Motivwahl eine nüchterne Bildsprache gemeinsam ist. Ihre Arbeiten sind konzeptionell angelegt und haben einen seriellen Charakter. Doch beherrscht die Becher-Schule keineswegs die gesamte Fotokunstszene: Fotografen wie Katharina Sieverding (geb. 1944) oder Bernhard (1937 – 2011) und Anna Blume (geb. 1937) knüpfen mit ihrem Werk an die experimentelle Fotografie des Neuen Sehens der 1920er-Jahre an; neuere Ansätze zeigen die Fotografien von Wolfgang Tillmans (geb. 1968), der sich auf das Milieu der Jugendkultur in seinen Aufnahmen spezialisiert hat, und von Thomas Demand (geb. 1964), dessen Fotografien von rekonstruierten Räumen unser Verständnis von Wirklichkeit infrage stellen. Stets probierten Künstler die neuen technischen Möglichkeiten aus, die sich heute längst nicht mehr auf Fotografie oder Videokunst beschränken. Computer- und Internetkunst entstehen ebenso wie Kunst, die für Smartphones als App geschaffen wird. Das Kunstschaffen wird immer multimedialer, vielseitiger und internationaler, grenzüberschreitend auch im Hinblick auf die Gattungen – an die Seite von Malerei, Skulptur und Architektur, von Film und Fotografie sind die neuen Medienkünste getreten. Anstelle eines Stils sind die Pluralität der Stile und Referenzen auf Vorhandenes sowie deren Rekombinationen für die zeitgenössische Kunst kennzeichnend.

Literaturauswahl Allgemein Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. 8 Bde., München et al. 2006 – 2009 Klotz, Heinrich /  Warnke, Martin: Geschichte der deutschen Kunst. 3 Bde., München 2000 Pevsner, Nikolaus: Europäische Architektur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Mit einem Beitrag zur Architektur seit 1960 von Winfried Nerdinger. 8. erw. Aufl., München 1997 Suckale, Robert: Geschichte der Kunst in Deutschland. Von Karl dem Großen bis heute. Köln 2005

Die frühmittelalterliche Kunst Beuckers, Klaus Gereon et al. (Hrsg.): Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte. Petersberg 2002 Bierbrauer, Katharina: Die Bilder und die Kanontafeln des Lorscher Evangeliars und ihre Nachwirkung. In: Schefers, Hermann (Hrsg.): Das Lorscher Evangeliar, Eine Zimelie der Buchkunst des abendländischen Frühmittelalters. Darmstadt 2000, S. 79 – 89 Fillitz, Hermann: Habens tabulas eburneas. Der Elfenbeinschmuck des Lorscher Evangeliars. In: Schefers, Hermann (Hrsg.): Das Lorscher Evangeliar, Eine Zimelie der Buchkunst des abendländischen Frühmittelalters. Darmstadt 2000, S. 103 – 111 Jacobsen, Werner: Die Lorscher Torhalle. Zum Problem ihrer Datierung und Deutung. Mit einem Katalog der bauplastischen Fragmente als Anhang. In: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 1, 1985, S. 9 – 75 Kruse, Karl Bernhard: Zur Bautätigkeit Bischof Bernwards in Hildesheim. In: Lutz, Gerhard /  Weyer, Angela (Hrsg.): 1000 Jahre St. Michael in Hildesheim: Kirche – Kloster – Stifter. Petersberg 2012, S. 29 – 41 Laudage, Johannes et al.: Die Zeit der Karolinger. Darmstadt 2006 Mütherich, Florentine: Die Buchmalerei am Hofe Karls des Großen. In: Braunfels, Wolfgang /  Schnitzler, Hermann (Hrsg.): Karl der Große, Bd. 3: Karolingische Kunst. Düsseldorf, 1965, S. 9 – 53

Literaturauswahl

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Schieffer, Rudolf: Der Bischof und seine Stadt. In: Lutz, Gerhard /  Weyer, Angela (Hrsg.): 1000 Jahre S. Michael in Hildesheim, Kirche–Kloster–Stifter. Petersberg 2012, S. 21 – 29 Siede, Irmgard: Die Ausstattung der Liturgie, Bücher, Geräte und Textilien. In: Geschichte der bildenden Kunst Bd. 1, 2009, S. 434 – 496 Stiegemann, Christoph (Hrsg.): 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (Ausst.-Kat. Paderborn 1999, Stadt Paderborn, Erzbistum Paderborn und Landschaftsverbande Westfalen-Lippe). Mainz 1999 Untermann, Matthias: St. Michael und die Sakralarchitektur um 1000. Forschungsstand und Perspektiven. In: Lutz, Gerhard /  Weyer, Angela (Hrsg.): 1000 Jahre St. Michael in Hildesheim, Kirche–Kloster–Stifter. Petersberg 2012, S. 41 – 66 Wittur, Joyce /  Schreiber, Carolin (Hrsg.): Pergament und Stein. Neue Forschungen zum Kloster Lorsch. Lorscher Studien 2, Lorsch 2013

Romanik Demus, Otto: Romanische Wandmalerei. München 1992 Grodecki, Louis: Romanische Glasmalerei. Unter Mitarbeit von Catherine Brisac und Claudine Lautier. Stuttgart u.a. 1977 Legner, Anton: Romanische Kunst in Deutschland. 2. Aufl., München 1996 Schütz, Bernhard /  Müller, Wolfgang: Deutsche Romanik. Freiburg i. Br. 1989 Stein-Kecks, Heidrun: Bilder im Heiligen Raum. „An der Zierde deines Hauses habe ich mich erfreut, Herr“. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 2, 2009, S. 265 – 287 Wieczorek, Alfried et al. (Hrsg.): Die Staufer und Italien. Drei Innovationsregionen im mittelalterlichen Europa (Ausst. Kat. Mannheim, Reiss-Engelhorn-Museen 2010 – 2011). 2 Bde., Darmstadt 2010 Wittekind, Susanne: Kulturelle Kontexte der Kunst im hohen Mittelalter. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 2, 2009, S. 8 – 24

Gotik Albrecht, Stephan: Mittelalterliche Rathäuser in Deutschland. Architektur und Funktion. Darmstadt 2004 Binding, Günther: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350. Durchges. Nachdruck der 1. Aufl., Darmstadt 2006 Bisky, Jens: Poesie der Baukunst. Architekturästhetik von Winckelmann bis Boisserée, Weimar 2000 Büchsel, Martin: Affekt und Individuum. In: Ausst.-Kat. Naumburg 2011, S. 177 – 186 Büchsenschuss, Jan: Goethe und die Architekturtheorie. Hamburg 2010

Literaturauswahl

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Kahsnitz, Rainer: Die Großen Schnitzaltäre. Spätgotik in Süddeutschland, Österreich, Südtirol. München 2005 Klein, Bruno: Internationaler Austausch und Beschleunigte Kommunikation. Gotik in Deutschland. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 3, 2007, S. 9 – 33 Klein, Bruno et al. (Hrsg.): Kirche als Baustelle. Große Sakralbauten des Mittelalters. Köln 2013 Krohm, Hartmut (Hrsg.): Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen (Ausst.-Kat. Naumburg, Dom, Schlösschen und Stadtmuseum Hohe Lilie 2011). Petersberg 2011 Kuthan, Jirí: Caput Regni. Prag als Residenzstadt der Herrscher des Heiligen Römischen Reiches. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland, Bd. 3, 2007, S. 197 – 201 Lüdke, Dietmar /  Herrbach, Brigitte: Spätmittelalter am Oberrhein. Maler und Werkstätten 1450 – 1525 (Ausst.-Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle 2001 – 02). Stuttgart 2001 Marten, Bettina: Planerische Logik und Repräsentativer Anspruch, Urbanistik und Burgenbau. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 3, 2007, S. 227 – 233 Meckseper, Cord: Kleine Kunstgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter. 3., unveränd. Aufl., Darmstadt 2011 Reinhardt, Brigitte /  Leistenschneider, Eva (Hrsg.): Daniel Mauch. Bildhauer im Zeitalter der Reformation (Ausst.-Kat. Ulm, Ulmer Museum, 2009). Ostfildern 2009 Schmengler, Dagmar: Überlegungen zu Übernahmen und Weiterentwicklung. Reimser „Ausdrucksmotive“ im Wandel. In: Ausst.-Kat. Naumburg 2011, S. 187 – 194

Renaissance, Barock und Rokoko Albrecht, Uwe: Bauaufgaben profaner Architektur zwischen 1470 und 1620. Auftraggeber und Funktionen. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 4, 2007, S. 209 – 226. Arasse, Daniel  / Tönnesmann, Andreas: Der europäische Manierismus 1520 – 1610. München 1997 Bushart, Bruno  /    Rupprecht, Bernhard (Hrsg.): Cosmas Damian Asam. 1686 – 1739. Leben und Werk. München 1986 Diruf, Hermann /  Gaukel, Inken (Hrsg.): Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Zukunft der Heidelberger Schlossruine. Stuttgart 2005 Engelberg, Meinrad von: Von Münster nach Rastatt – Konfession und Ter­ ritorium. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 5, 2008, S. 12 – 26

Literaturauswahl

200

Engelberg, Meinrad von: Reichsstädte und Reichskirche, Predigtsaal und Klosterkirche als zentrale Bauaufgaben des deutschen Barock. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 5, 2008, S. 231 – 246 Franz, Heinrich Gerhard: Vom ‚Wandpavillon‘ zum Wallpavillon. Der Zwinger in Dresden und die ‚borromineske‘ Architektur. Zur Genese des barocken Bauwerks. In: Milde, Kurt (Hrsg.): Matthäus Daniel Pöppelmann 1662 – 1736 und die Architektur der Zeit August des Starken. Dresden 1990, S. 194 – 206 Günther, Hubertus: Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der Neuzeit. Darmstadt 2009 Harbison, Craig: Eine Welt im Umbruch. Renaissance in Deutschland, Frankreich, Flandern und den Niederlanden. Köln 1995 Hoppe, Stephan: Die Architektur des Heidelberger Schlosses in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Neue Datierungen und Interpretationen. In: Volker Rödel (Hrsg.): Mittelalter, Schloss Heidelberg und die Pfalzgrafschaft bei Rhein bis zur Reformationszeit. Redaktion Volker Rödel. Regensburg 2002, S. 183 – 189 Hoppe, Stephan: Architekturstil als Träger von Bedeutung. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 4, 2007, S. 236 – 244 Hoppe, Stephan: Was ist Barock? Architektur und Städtebau Europas 1580 – 1770. Darmstadt 2010 Kessler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Andreas Schlüter und das barocke Berlin. München 2014 Kirsten, Michael: Der Dresdner Zwinger. In: Marx, Harald (Hrsg.): Matthäus Daniel Pöppelmann, Der Architekt des Dresdner Zwingers, Münster, 1989, S. 148 – 174 Krause, Katharina: Vom Herkommen der Deutschen und ihrer Künste. Traditionsbildung seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 4, 2007, S. 9 – 41 Lippmann, Wolfgang: Bauaufgaben sakraler Architektur zwischen 1470 und 1620. Typen und Formen. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 4, 2007, S. 226 – 236

19. Jahrhundert Beyer, Andreas: Klassik und Romantik. Zwei Enden einer Epoche. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 6, 2006, S. 9 – 39 Forssman, Erik: Goethezeit. Über die Entstehung des bürgerlichen Kunstverständnisses. München /  Berlin 1999 Forssman, Erik   Schinkel, Karl Friedrich: Bauwerke und Baugedanken. München 1981. Kratz-Kessemeier, Kristina: Museumsgeschichte. Kommentierte Quellentexte 1750 – 1950. Berlin 2010 Nerdinger, Winfried: Geschichte macht Architektur, hrsg. von Werner Oechslin, München 2012 Nerdinger, Winfried  /   Oechslin, Werner (Hrsg.): Gottfried Semper 1803 – 1879. Architektur und Wissenschaft (anlässlich der vom Architekturmuse-

Literaturauswahl

201

um der TU München organisierten Ausstellung „Gottfried Semper 1803 – 1879“ im Architekturmuseum der TU München, in der Pinakothek der Moderne (4. Juni – 31. August 2003) und im Museum für Gestaltung Zürich (1. November 2003 – 25. Januar 2004). Zürich /  München 2003 Philipp, Klaus Jan: Rückgriff und Auswahl. Klassik und Romantik als Komplementäres System in der Baukunst. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 6, 2006, S. 207 – 22 Toman, Rolf (Hrsg.): Klassizismus und Romantik. Architektur, Skulptur, Malerei und Zeichnung. 1750 – 1848. Köln 2000 Vergossen, Manuela: Kunstvereinskunst. Ökonomie und Ästhetik bürgerlicher Bilder im 19. Jahrhundert. Weimar 2011 Wolf, Norbert: Klassizismus und Romantik (Kunst-Epochen, Bd. 9). Stuttgart 2002 Wolf, Norbert: 19. Jahrhundert (Kunst-Epochen, Bd. 10). Stuttgart 2002

20. Jahrhundert Bauhaus Archiv et al. (Hrsg.): Bauhaus. Reisebuch. Köln 2012 Beil, Ralf (Hrsg.): Jospeh Maria Olbrich 1867 – 1908. Architekt und Gestalter der frühen Moderne, eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Leopold-Museum Wien und der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin (anlässlich der Ausstellung Joseph Maria Olbrich, 1867 – 1908, Architekt und Gestalter der Frühen Moderne, Mathildenhöhe Darmstadt, 7. Februar bis 24. Mai 2010 ; Leopold-Museum, Wien, 18. Juni bis 27. September 2010). Ostfildern 2010 Beil, Ralf /  D illmann, Claudia (Hrsg.): Gesamtkunstwerk Expressionismus. Kunst, Film, Literatur, Theater, Tanz und Architektur 1905 – 1925 (anlässlich der Ausstellung, Mathildenhöhe Darmstadt, 24. Oktober 2010 – 13. Februar 2011, eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Filmmuseum Frankfurt a.  M.). Ostfildern 2010 Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870 – 1933, München 2009 Drude, Christian: Reform des Lebens, Reform der Kunst, Jugendstil in Deutschland. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 7, 2008, S. 455 – 470 Durth, Werner: Städtebau und Macht im nationalsozialistischen Staat. In: Harlander, Tilman /  Pyta, Wolfram (Hrsg.): NS-Architektur. Macht und Symbolpolitik. Berlin 2010, S. 37 – 61 Gehrke, Andreas /  Sauerbruch, Matthias /  Hutton, Louisa (Hrsg.): Colour in architecture. Berlin 2012 Irrgang, Christin: Das Bauhausgebäude in Dessau. Leipzig 2014 Jooss, Birgit: Kunstinstitutionen. Zur Entstehung und Etablierung des modernen Kunstbetriebs. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 7, 2008, S. 189 – 213 Lehnerer, Alex /  Ciriacidis, Savvas (Hrsg.): Bungalow Germania. Deutscher Pavillon – 14. Internationale Architektur-Ausstellung, La Biennale di Venezia 2014 (Venedig, 7. Juni – 23. November 2014). Ostfildern 2014 Lieb, Stefanie: Historismus in den Künsten. Architektur – Kunsthandwerk – Graphik. In: Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Bd. 7, 2008, S. 213 – 243

Literaturauswahl

202

Lieb, Stafanie: Was ist Jugendstil. 2. unveränd. Aufl., Darmstadt 2010 Minta, Anita: Architektur, Siedlungs- und Städtebau. In: Geschichte der bildende Kunst in Deutschland. Bd. 8, 2006, S. 341 – 373 Partsch, Susanna: 20. Jahrhundert I (Kunst-Epochen, Bd. 11). Stuttgart 2002 Pehnt, Wolfgang: Deutsche Architektur seit 1900. München 2005 Rodiek, Thorsten: James Stirling. Die Neue Staatsgalerie Stuttgart. Ostfildern 1984 Schneede, Uwe M.: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart. 2. ergänzte Aufl., München 2010 Walther, Ingo F. (Hrsg.): Kunst des 20. Jahrhunderts. 2 Bde., Köln 2005 Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Leuchtturmprojekte in der Architektur und Stirling Lectures. Stuttgart 2014

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203

Register Personenregister Aachen, Hans von  110 Aalto, Alvar  190 Altdorfer, Albrecht  90, 96, 107 Arcimboldo, Giuseppe  110 Arp, Hans  172 Asam, Cosmas Damian  113, 115, 122, 123, 126 – 128 Asam, Egid Quirin  113, 121 – 123 Baldung, gen. Grien, Hans  96, 109 Barlach, Ernst  171 Baselitz, Georg  186, 187 Baumeister, Willy  185 Becher, Bernd und Hilla  196 Beckmann, Max  160 Behnisch, Günter  193 Behrens, Peter  163, 164, 179, 181, 182 Bergmüller, Johann Georg  128 Beuys, Joseph  185, 186 Blossfeldt, Karl  174 Blume, Bernhard und Anna  196 Bonatz, Paul  137 Burgkmair, Hans  107, 108 Busch, Johann Joachim  135 Bustelli, Franz Anton  126 Carstens, Asmus Jacob  152 Carus, Carl Gustav  155 Chodowiecki, Daniel Nikolaus  150 Conrad von Soest  81 Corinth, Lovis  158, 160 Cornelius, Peter  156 Cranach d.  Ä ., Lucas  90, 94, 96, 108 Dannecker, Johann Heinrich  146, 147 Demand, Thomas  196 Dientzenhofer, Johann  113, 115 Dix, Otto  174 d’Ixnard, Pierre Michel  134, 135 Dürer, Albrecht  93 – 96, 99, 107, 108, 156 Eggert, Hermann  145

Ehrlich, Franz  182 Eiermann, Egon  189, 190 Eitel, Tim  188 Elsheimer, Adam  123, 124 Endell, August  163 Erdmannsdorff, Friedrich Wilhelm von  132, 133 Erhart, Michel  87 – 89 Ernst, Max  172, 174 Erwin von Steinbach  66, 67 Feininger, Lyonel  176 Fischer, Johann Michael  113 – 115, 125 Fischer, Karl von  132 Fischer von Erlach, Johann Bernhard  113, 116 Flegel, Georg  124, 125 Floris, Cornelis  104 Foster, Norman  193 Friedrich, Caspar David  154, 155 Gärtner, Friedrich von  137 Gerhaert, Niklaus  86, 87, 94 Gilly, Friedrich  132, 135 Gropius, Martin  164, 176 – 181, 190 Grosz, George  172, 174, 176 Günther, Ignaz  125, 126 Günther, Matthäus  128 Gursky, Andreas  196 Gutbrod, Rolf  190 Hackert, Jacob Philipp  153 Hadid, Zaha  193 Hagenauer, Nikolaus  87, 90 Hausmann, Raoul  172, 173 Heckel, Erich  169 Heisig, Berndhard  187 Henselmann, Hermann  189 Hilberseimer, Ludwig  181 Hildebrandt, Johann Lucas von  113, 117

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204

Höch, Hannah  172, 173 Höfer, Candida  196 Höger, Fritz  179 Holbein d.  J., Hans  107, 109, 110 Holl, Elias  104 Hollein, Hans  191, 193 Hübsch, Heinrich  137, 141 Hutton, Louisa  194, 195 Huy, Reiner von  45 Immendorff, Jörg  187 Itten, Johannes  176 Jawlensky, Alexej  171, 172 Kandinsky, Wassily  171, 172, 176 Kauffmann, Angelika  152 Kersting, Georg Friedrich  155, 156 Kiefer, Anselm  186, 187 Kirchner, Ernst Ludwig  169, 170 Klee, Paul  171, 176 Kleihues, Josef Paul  191 Klenze, Leo von  132, 133, 137 Klimt, Gustav  159, 161 Knobelsdorff, Georg Wenzelslaus von  137, 189 Koch, Joseph Anton  153 Kokoschka, Oskar  171 Kollwitz, Käthe  171 Krier, Rob  191 Kubin, Alfred  171 Langhans, Carl Gotthard  132, 135 Lehmbruck, Wilhelm  171 Leibl, Wilhelm  158 Leinberger, Hans  89, 90 Libeskind, Daniel  193 Liebermann, Max  158 – 160 Lochner, Stefan  94 Loos, Adolf  145, 165 – 167 Loy, Rosa  188 Lüpertz, Markus  186 Mack, Heinz  185 Macke, August  171, 172 Marc, Franz  171, 172 Mattheuer, Wolfgang  187 Mauch, Daniel  105 May, Ernst  181

Meier, Richard  193 Meister Bertram von Minden  81 Meister der heiligen Veronika  81, 82 Meister des Hausbuchs  93 Meister E. S.  87, 91 Meister Francke  81 Meister H. L.  90 Meister Odo  12 Meit, Conrat  105 Mendelsohn, Erich  179 Mengs, Anton Raphael  151 Menzel, Adolph  157, 158 Meyer, Hannes  180 Mies van der Rohe, Ludwig  164, 179 – 183, 190 Modersohn, Otto  168 Modersohn-Becker, Paula  168 Moholy-Nagy, Lászlo  175 Moser, Lukas  95 Mueller, Otto  169 Multscher, Hans  86 Münter, Gabriele  171 Muthesius, Herrmann  145, 165 Nay, Ernst Wilhelm  185 Neumann, Balthasar  113, 115, 117 Nithart, gen. Grünewald, Mathis ­Gothart  87, 90 Nolde, Emil  169, 171 Olbrich, Joseph Maria  162 – 164 Otto, Frei  190 Oud, J. J. P.  181 Overbeck, Johann Friedrich  139, 156 Parler, Peter  67, 68 Parr, Franz  103 Paulick, Richard  189 Pechstein, Max  169 Penck, A. R.  186 Permoser, Balthasar  120 – 122 Piene, Otto  185 Pleydenwurff, Hans  96 Polke, Sigmar  186 Pöppelmann, Matthäus Daniel  119 – 121, 142 Rauch, Christian Daniel  146, 149, 150

Register

205

Rauch, Neo  188 Renger-Patzsch, Albert  174 Richter, Gerhard  186 Richter, Ludwig  157 Riemenschneider, Tilman  89, 94 Riemerschmid, Richard  163, 180 Rossi, Aldo  191 Ruf, Sep  195 Ruff, Thomas  196 Runge, Philipp Otto  153 – 155 Sander, August  174, 175 Sauerbruch, Matthias  194, 195 Schadow, Johann Gottfried  146 – 149 Scharoun, Hans  190 Schiele, Egon  171 Schinkel, Karl Friedrich  132 – 138, 140, 142, 155, 161, 177, 192 Schlemmer, Oskar  176 Schlüter, Andreas  112, 113, 121, 193, 194 Schmidt-Rottluff, Karl  169 Schmitthenner, Paul  182 Schongauer, Martin  92 – 94 Schütte-Lihotzky, Margarete  181 Schwarz, Rudolf  190 Schwitters, Kurt  172 Semper, Gottfried  119, 140, 142 – 145, 163, 195 Sieverding, Katharina  196 Slevogt, Max  158 Sobek, Werner  194

Speer, Albert  182, 183, 188 Spiegler, Franz Josef  115 Spitzweg, Carl  157 Spranger, Bartholomäus  110 Stirling, James  191 – 193 Stoß, Veit  95 Straub, Johann Baptist  125, 126, 146 Struth, Thomas  196 Stuck, Franz von  159 Stüler, Friedrich August  135, 138 Sustris, Friedrich  104 Taut, Bruno  176 – 178, 181 Tessenow, Heinrich  181 Tieck, Christian Friedrich  149 Tillmans, Wolfgang  196 Tischbein, Johann Heinrich Wilhelm 152 Tübke, Werner  187 Uecker, Günther  185 Uhde, Fritz von  159 Ungers, Oswald Matias  191, 193 van der Velde, Henry  165, 166, 177 Vernukken, Wilhelm  104 Vostell, Wolf  185 Wagner, Otto  145, 162, 163, 165, 177 Wallot, Paul  144, 160 Weinbrenner, Friedrich  137 Weischer, Matthias  188 Werefkin, Marianne von  171 Witz, Konrad  95 Zimmermann, Dominikus 113, 115, 116

Ortsregister Aachen  11, 12, 15, 16, 18, 19, 21 – 23, 25, 26, 83, 179 Alfeld an der Leine  178, 179 Alpirsbach  38, 41 Altenberg  61, 73, 74 Annaberg 69 Aschaffenburg 103 Augsburg  55, 103 – 105, 109 Bamberg  20, 25, 26, 30, 38, 41, 42, 44, 60, 74, 75

Banz  115, 117 Basel  30, 42, 109, 110 Bayreuth 117 Bebenhausen 61 Berlin  14, 43, 49, 79, 92, 102, 109, 112, 113, 115 – 118, 121, 130, 132 – 141, 144, 145, 147 – 149, 152, 157, 159 – 173, 177 – 183, 187 – 193 Bieselbach 105 Blaubeuren  87, 88

Register

206

Bonn  60, 78 190, 195 Braunfels 80 Braunschweig  37, 44, 47, 53, 54, 71 Brauweiler 53 Breisach 90 Bremen  102, 190 Bruchsal 116 Bückeburg 102 Burgfelden 53 Camburg 21 Celle 102 Chorin  70, 134 Cismar 84 Colmar  90, 93 Corvey  21, 38 Cottbus 165 Darmstadt  55, 79, 124, 162 – 165, 176, 180 Dessau  132, 177 – 180, 194, 195 Detmold 102 Dießen  112, 128 Doberan  62, 71, 84 Dresden  106, 112, 113, 116, 118, 119, 121, 142 – 144, 155, 163, 169, 180, 184, 188 Düsseldorf  117, 185, 186, 190, 196 Eberbach  38, 77 Echternach 25 Erfurt  9, 47 Essen  21, 22, 28, 29, 47, 49 Ettal 125 Forstenried 45 Frankfurt am Main  40, 47, 68, 80, 95, 96, 123, 124, 129, 134, 145, 147, 152, 168, 181, 188, 190, 191, 193 Freckenhorst  21, 45, 46 Freiberg  42, 47, 74 Freiburg  57, 73, 75 Freudenstadt  45, 191 Fulda  9, 10, 25 Gelnhausen  39, 41, 134 Gernrode 23 Großcomburg 48 Hagen  165, 172

Haina 61 Halberstadt  23, 24, 37, 43, 44, 47 Hallgarten 78 Hamburg  10, 81, 154, 158, 179, 194 Hameln 102 Hannover  52, 53, 145, 172 Heidelberg  100 – 102, 107, 141, 188 Helmarshausen 54 Hildesheim  22 – 26, 29, 42, 43, 45, 52, 55, 59, 99, 140 Hirsau 38 Hocheppan 52 Hofgeismar  79, 80 Jerichow 37 Jülich 103 Karlsruhe 137 Kassel  116, 120, 132, 140, 184 Koblenz  132, 135, 139, 140 Köln 10, 21, 24, 28, 35, 36, 44, 45, 49, 50, 52, 56, 57 – 73, 81 – 83, 94, 95, 104, 110, 130, 134, 139, 141, 171, 172, 175, 176, 179, 186, 188 Königslutter 37 Konstanz 24 Landsberg 86 Landshut  68, 69, 89, 103 Leipzig  134, 139, 179, 187, 188, 190, 191 Limburg an der Lahn  60, 62, 69 Limburg an der Haardt  33 Lorsch  13 – 18, 23, 55 Lübeck  57, 70 – 72, 94, 152 Ludwigsburg 117 Ludwigslust  132, 135 Lüttich  45, 105 Magdeburg  19, 20, 23, 37, 38, 60, 75, 76, 121, 181 Mainz  10, 22 – 24, 36, 37, 56, 57, 60, 72, 76, 117 Mannheim  117, 174 Marburg  61, 69, 83 Maria Laach  37 Marienstatt 61 Maulbronn 38

Register

207

Mecheln  105, 106 Meißen  70, 102, 126, 141 Melk 117 Merseburg 44 Metz  18, 76, 160 Mönchengladbach 191 Moosburg  89, 90 München  26, 27, 57, 69, 80, 96, 103, 106, 108, 113, 114, 116, 118, 120, 123, 125, 132 – 134, 137, 138, 145, 159, 163, 165, 167, 168, 170, 172, 183 Münster  22, 24, 71, 79, 191 Müstair  14, 21 Münzenberg 40 Naumburg  45, 60, 74, 76 Neresheim 115 Neuburg an der Donau  101 Nürnberg  39, 66, 69, 94 – 96, 104, 107, 141, 183 Oberwesel 85 Ottobeuren  116, 117 Paderborn  14, 22, 24, 47 Paulinzella 38 Pelplin 62 Pettstadt 17 Pommersfelden  116, 117 Potsdam  113, 116, 117, 133, 135, 139, 140, 179 Prag  39, 67 – 69, 76, 81, 110, 111 Quedlinburg  14, 23, 44 Rastatt  116, 117 Ratzeburg  37, 70 Regensburg  9, 21, 41, 53, 72, 132, 137, 149 Reichenau  25, 26, 52, 53 Roskilde 70 Rostock  71, 191 Rott am Inn  128 Saarbrücken 117 Schleißheim 116 Schussenried 116 Schwäbisch Gmünd  68, 69 Schwäbisch Hall  87

Schwarzrheindorf  53, 54 Schwerin 71 Seligenstadt 10 Soest 79 Speyer  33 – 36, 53 St. Blasien  134, 135 St. Gallen  25, 116 Steinbach 10 Steinhausen 115 Stralsund  71, 72, 141 Straßburg  55, 58, 59, 64 – 70, 74, 75, 83, 86, 87, 94, 95 Stuttgart 117, 133, 135, 137, 147, 179 – 181, 190 – 192, 194 Tangermünde  66, 71 Tiefenbronn 95 Torgau  102, 104 Trier  10, 14, 23, 24, 35, 56, 61, 69 Tübingen 61 Ulm  57, 66, 68, 86, 87, 89, 105, 134, 141, 167 Walkenried 61 Wechselburg 47 Weil am Rhein  193 Weimar 116, 131, 132, 134, 152, 155, 165, 167, 177, 182 Weingarten  115, 126, 127 Weltenburg  115, 123 Wetter 79 Wien  14, 17, 68, 77, 90, 112, 115, 116, 129, 141, 144, 159, 161, 162, 171, 177 Wiesbaden 117 Wimpfen  39, 58 Winterthur 142 Wismar 71 Wittenberg  94, 97, 105 Wolfenbüttel  54, 116 Wörlitz  131 – 134, 139 Worms  22, 36, 60, 66, 79, 97, 105 Worpswede 168 Würzburg  9, 22, 57, 89, 94, 115, 117, 118 Zwiefalten  114 – 116

Bildnachweis

208

Bildnachweis akg /  Bildarchiv Monheim: Abb. 8, 18, 25, 29, 42 akg-images /  Bildarchiv Monheim /  Andreas Lechtape: Abb. 14 akg-images /  Imagno /  Adolf Loos: Abb. 36 akg /  Bildarchiv Steffens: Abb. 1, 22 akg-images: Abb. 2, 3, 4, 5, 23, 24, 33, 41 akg-images /  Erich Lessing: Abb. 7, 19, 34 akg-images /  Florian Profitlich: Abb. 40 Archiv des Verlags: Abb. 15, 22 Binding, Günther: Was ist Gotik? Darmstadt 2006: Abb. 13 bpk /  Nationalgalerie, SMB /  Jörg P. Anders, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014: Abb. 38 Bushart, Bruno (Hrsg.): Cosmas Damian Asam 1686 – 1739. Leben und Werk. München 1986: Abb. 28 Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln, © VG Bild-Kunst, Bonn 2014: Abb. 39 Foto Droste: Abb. 9, 10, 11 Lange, Barbara (Hrsg.): Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. München /  Berlin /  London /  New York 2006 – 2009: Abb. 6, 12, 17, 26, 31 Heinrichs, Ulrike: Martin Schongauer. Maler und Kupferstecher. München / Berlin 2007: Abb. 21 Sander, Jochen (Hrsg.): Die Magie der Dinge. Stilllebenmalerei 1500 – 1800 (Ausst. Kat.), Ostfildern 2008: Abb. 27 Suckale, Robert: Schöne Madonnen am Rhein (Ausst. Kat.). Landesmuseum Bonn 2009 / 10: Abb. 16 T. Linack – Fotolia.com: Abb. 30 Wiki Media: Abb. 35, 37