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German Pages 397 Year 1995
Josef Mugler und Karl-Heinz Schmidt (Hrsg.)
Klein- und Mitteluntemehmen in einer dynamischen Wirtschaft Ausgewählte Schriften von Hans Jobst Pleitner
Schriftenreihe des Schweizerischen Instituts für gewerbliche Wirtschaft an der Hochschule Sl Gallen für Wirtschafts·, Rechts· und Sozialwissenschaften Band 12
Klein- und Mittelunternehmen in einer dynamischen Wirtschaft Ausgewählte Schriften von Hans Jobst Pleitner
herausgegeben von
Josef Mugler und Karl-Heinz Schmidt unter Mitarbeit von Margrit Habersaat
Duncker & Humblot . Berlin I München I St. Gallen
Redaktion und Layout: Margrit Habersaat und Sven Wolter
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Pleitner, Hans Jobst:
Klein- und Mittelunternehmen in einer dynamischen Wirtschaft : ausgewählte Schriften von Hans lobst Pleitner / hrsg. von losef Mugler und Karl-Heinz Schrnidt. Unter Mitarb. von Margrit Habersaat. - Berlin ; München ; St. Gallen : Duncker und Humblot, 1995 (Schriftenreihe des Schweizerischen Instituts für gewerbliche Wirtschaft an der Hochschule St. Gallen für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften; 12) ISBN 3-428-08406-3 NE: Mugler, losef [Hrsg.] ; Schweizerisches Institut für Gewerbliche Wirtschaft (St. Gallen): Schriftenreihe des Schweizerischen .. .
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0486-8927 ISBN 3-428-08406-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @l
Zum Geleit Die vielschichtigen Aspekte der Klein- und Mittelunternehmen sind seit jeher das besondere Anliegen des Verfassers der vorliegenden Beiträge, der sein Wirken als Forscher und Lehrer in den Dienst des besseren Verständnisses mittelständischer Unternehmen und ihrer Entwicklung stellt. Die Einsicht, dass sich Klein- und Mittelunternehmen grundlegend von Grossunternehmen unterscheiden und deshalb einen eigenen Forschungszugang erfordern, wurde von Hans Jobst Pleitner stets mit Nachdruck verfochten und von der Hochschule St.Gallen auch in mehrfacher Weise aufgenommen: durch die Gründung des "Intensivstudiums für Führungskräfte in Klein- und Mittelunternehmen" (1988) und mit der Einführung des Vertiefungsgebiets "Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen" auf der Lizentiatsstufe (1993). Als vorsitzender Direktor des Schweizerischen Instituts für gewerbliche Wirtschaft an der Hochschule St.Gallen und Leiter der "Rencontres de St-Gall" hat sich Hans Jobst Pleitner weit über die Schweizer Grenzen hinaus einen Namen als Forscher, Gesprächspartner und Gutachter gemacht. Sowohl Politik als Wirtschaft haben im letzten Jahrzehnt den Stellenwert der Klein- und Mittelunternehmen als Rückgrat der modernen dynamischen Marktwirtschaft erkannt und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität, für die Erstellung differenzierter Leistungen, als flexibler und innovativer Zulieferant der Grossindustrie und als begehrter Arbeitgeber erkannt. Noch fehlen entscheidende wirtschaftspolitische Weichenstellungen, die den spezifischen Bedürfnissen des Mittelstands Rechnung tragen. Hans Jobst Pleitner hat auf nationaler wie internationaler Ebene diese Anliegen mit Nachdruck vertreten, andererseits aber auch aus Sicht der Praxis in Forschung und Lehre integriert. Seine Freunde, Kollegen und Studierenden, vor allem aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Schweizerischen Instituts für gewerbliche Wirtschaft gratulieren dem Jubilar herzlich zum 60. Geburtstag und wünschen sich noch viele fruchtbare Jahre der Zusammenarbeit. Dazu möge dieser Band der IGW -Schriftenreihe anregende Fortführung sein. St.Gallen, Juni 1995
Konstantin Theile
Vorwort Die nachfolgende Sammlung ausgewählter Aufsätze von Hans Jobst Pleitner mag den Jubilar überraschen, weil ihm das Buchprojekt verborgen blieb, weil hiermit von dritter Seite die Signalwirkung seiner Tätigkeit als Forscher und akademischer Lehrer verstärkt wird und weil der "rote Faden" seiner Arbeiten aus den Beiträgen so recht in die Augen springt. Auch unter Kollegen, Freunden, Studierenden sowie im Mitarbeiterkreis wird es klar: Der Weg vom Münsterland nach St.Gallen war geographisch, beruflich und persönlich für ihn eine "Gipfeltour". Zunächst von seinem "Bergführer", Doktor- und Habilitationsvater, dem Doyen der Gewerbeforschung Alfred Gutersahn, angeregt und geleitet, aber nach erklommener Höhe eigenständig und mit Blick auf die weltweite Forschung, Lehre und Beratung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie die Betriebswirtschaftslehre voranschreitend, entwickelte er in seinen Veröffentlichungen wesentliche Bausteine einer Managementlehre für kleine und mittlere Unternehmungen. Dabei gilt für seine Forschung und Lehre wie für seine Lebensgestaltung trotz wachsender Unsicherheit in der Handlungsumgebung strategisch handeln, d.h. die eigene Flexibilität steigern und die Voraussetzungen für erfolgreiches Handeln verbessern. Stets geht es ihm um den Konsens zwischen verschiedenen Zielen, Forderungen, Verlockungen: Forschung und Lehre, Theorie und Praxis, Informationssammlung und -anwendung, zuhören und beraten, dazulernen und anregen. Daher dienen die folgenden Aufsätze ebenfalls als Forschungs- und Studienmaterial, als Brücke zwischen Theorie und Praxis, als Informationsquelle und als Vorgabe von Handlungsmöglichkeiten. Immer steht die Unternehmung - als wirtschaftliche und soziale Organisation - im Mittelpunkt. Mit Vorrang werden kleine und mittlere Unternehmungen angesprochen, aber nicht nur in betriebswirtschaftlicher Sichtweise, sondern - problembezogen - auch interdisziplinär. Einerseits werden die Unternehmungen mit den Methoden der Theorie analysiert, andererseits wird die zielkonforme Anwendung von Instrumenten der Unternehmensführung untersucht. Dabei zeichnen sich Schwerpunkte ab, die auch in den hier vorgelegten Aufsätzen zum Ausdruck kommen: Unternehmensführung, Marketing, Organisation und Arbeitszufriedenheit, Internationalisierung von Märkten und Unternehmungen sowie Erfolgsfaktoren, -kontrolle und -beurteilung. Zu diesen Bereichen stellt nun das vorliegende Buch Instrumente vor, die der Autor in besonderer Weise untersucht hat und die er den kleinen und mittleren
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Vorwort
Unternehmungen (KMU) empfiehlt, damit sie trotz zunehmender Unsicherheit auch in Zukunft im Lichte grösserer Märkte wettbewerbsfähig bleiben. Teil I des Buches hebt neben den Merkmalen kleiner und mittlerer Unternehmungen sowie gewerblicher Betriebe auch deren Zukunftsaussichten hervor. Zunächst werden die Merkmale von Gewerbe, Mittelstand und KMU auf der Grundlage der einschlägigen Literatur erläutert, doch zeichnet sich bei der Abgrenzung der "Leistungsdifferenzierung" - Alfred Gutersohn folgend - sowie des differenzierten und homogenisierten Bedarfs bereits die Zuversicht in Pleitners spezifische Forschungsrichtung und in die Existenzfahigkeit des Untersuchungsobjekts (KMU) ab. Das gilt um so mehr für die Beiträge über die Chancen und Risiken der KMU heute und morgen sowie über die kleinen Unternehmen zur Zeit der lahrtausendschwelle. Beide Aufsätze wurden 1993 geschrieben, und beide heben die trotz atemberaubender Umwälzungen erzielten Erfolge der KMU hervor. Pleitner empfiehlt seinen Lesern, drei Thesen zu prüfen: die Verschiebungsthese, die Leistungsthese und die Menschlichkeitsthese. Er sieht neue Bedrohungen (ökonomische, gesellschaftliche, ökologische, technologische und als "europäische Herausforderung" bezeichnete Veränderungen), aber er hebt auch die positiven Entwicklungsmöglichkeiten der KMU hervor. Sie seien realisierbar, wenn die Unternehmungen Strategien, eine teamorientierte Unternehmenskultur, qualifizierte und motivierte Mitarbeiter und dynamische Unternehmer aufweisen. Von dieser Grundüberzeugung ausgehend, ergeben sich Aufbau und Inhalte der in den weiteren Teilen zusammengestellten Aufsätze. Teil 11 behandelt Begriff, Rolle, Bild und Ausbildung des Unternehmers. Eindringlich hebt Pleitner die Unternehmerausbildung als Erfolgsfaktor für die Stabilisierung "neuer" Marktwirtschaftssysteme hervor. Sein Fazit: An fortdauernder Weiterbildung auch der Kleinunternehmer führt kein Weg vorbei. Als erfolgsträchtige Ausbildungsformen könnten sich in den neuen Marktwirtschaftssystemen vor allem Schwestergesellschaften, Erfahrungsaustauschgruppen und die Beiziehung von Unternehmern im Ruhestand erweisen. Daher ist die Unternehmungsführung Gegenstand von Teil III. Zum engeren Themenkreis "Führung" wird dem Leser eine Fülle neuer Probleme und Problemlösungen der KMU vorgeführt: zum Führungsstil, zum strategischen Verhalten, zu den Innovationsentscheidungen, zum Risikomanagement und zu den inhaltlichen und technischen Aspekten von Informationen in KMU. Dabei erweist sich Pleitners Verknüpfung von Theorie und Empirie wiederum als besonders aussagekräftig im Hinblick auf die Analyse der Informationsprobleme in KMU und darüber hinaus. Besonders klar zeigt der Autor hier, wie die Gestaltung der Unternehmensführung durch den Unternehmertyp beeinflusst wird mit der logischen Konsequenz, dass auch das Führungsinstrumentarium, das die Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelunternehmen anbieten will, auf diese unternehmerischen Voraussetzungen abgestimmt werden muss.
VOIwort
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Der Themenkreis ,,Marketing" ist auf neue Instrumente des Marketing ausgerichtet, im besonderen auf die Anwendungsmöglichkeiten der Portfolio-Analyse und des strategischen Marketing, aber auch auf die Möglichkeiten und Grenzen des Marketing in Klein- und Mittelbetrieben allgemein. Wie bezüglich anderer Instrumente, setzt der Autor hinsichtlich des strategischen Marketing auf die individuelle Initiative und das innovative Verhalten der zahlreichen Pionierunternehmungen in der mittelständischen Wirtschaft, gibt aber gleichzeitig anschauliche Anwendungsbeispiele dafür, wie klassische strategische Planungsinstrumente betriebsgrössen- und problem bezogen adaptiert werden können. Der Themenkreis "Arbeitszufriedenheit" fasst drei Beiträge zusammen, die auf Erhöhung der internen Flexibilität durch Änderungen der Unternehmungsorganisation und auf Steigerung der Arbeitsmotivation in KMU ausgerichtet sind. Hierbei wird Pleitners Interesse an interdisziplinärer Forschung besonders deutlich. Neben Schriften von Soziologen und Philosophen findet auch die Belletristik Berücksichtigung, um die Gründe und Erscheinungsfonnen von "AZ" (Arbeitszufriedenheit) und "AUZ" (Arbeitsunzufriedenheit) zu analysieren. In erfrischender Weise wird Wilhelm Busch zitiert, um die "Heraufsetzung der Ansprüche" zu illustrieren. Die "Beschränkung der Ansprüche" wird an hand eines Zitats von Eugen Roth beschrieben. Andere Autoren der wirtschaftswissenschaftlichen Zunft haben die Belletristik erst später als Fundgrube ökonomischer Erkenntnisse und Lehren (wieder-)entdeckt. Darüber hinaus sind Pleitners Beiträge zur Analyse der Arbeitszufriedenheit weiterführend, weil er systematisch untersucht, wie die Erwartungen und Ansprüche von Mitarbeitern und Unternehmern in der gewerblichen Arbeitswelt beeinflusst werden können. Dem Leser drängen sich Erinnerungen an umfangreiche Untersuchungen zur "Humanisierung der Arbeitswelt" und an die "neue" (wiederentdeckte) Forschungsrichtung Wirtschaftsethik auf. Pleitner stützt sich jedoch auf eigene Überlegungen und empirische Studien. Als "AZ-Faktoren", die die AZ der Mitarbeiter steigern können, hebt er Anerkennung, Einkommen und Entwicklungsmöglichkeiten hervor. Des weiteren weist er auf die Qualität der Führung und Beteiligung der Mitarbeiter an Betriebsentscheidungen . im Rahmen des AZFaktors "Unternehmensorganisation und -führung" hin. Alle diese Faktoren werden auch gegenwärtig heftig diskutiert, jedoch nicht mehr unter dem Kürzel "AZ", sondern im Rahmen der Debatte zu "lean management" und "lean production". Pleitner war jener "Verschlankungsdebaue" mit seiner Habilitationsschrift und den darauf gestützten Aufsätzen voraus. Vor dem Hintergrund der Öffnung der Grenzen in Europa und der Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen aktuell ist der Inhalt der drei zum Themenkreis "Internationalisierung" zusammengefassten Beiträge. Sie behandeln verschiedene Aspekte der Internationalisierung von Märkten und Unternehmungen, und zwar die Optionen und Restriktionen der Auslandsbetätigung kleiner Betriebe, sodann die Erfolgsfaktoren der Internationalisierung von KMU im allgemeinen und für den Fall der schweizerischen KMU im besonderen.
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VOIWOrt
Der abschliessende Themenkreis "Eifahrungen und Ausblick" spricht den Erfahrungsaustausch unter KMU an und nimmt die im Teil I behandelte Frage nach den Zukunftsaussichten der KMU noch einmal auf: Die künftigen Erfolgsfaktoren für das Gewerbe werden anhand eines im Gewerbeinstitut in St.Gallen entworfenen Erfolgsfaktoren-Konzepts vorgestellt. Indem Pleitner darin vier "Erfolgsfaktoren-Blöcke" unterscheidet - Unternehmer, Unternehmungsstrategie, Führungskonzepte und Unternehmungskultur -, und indem er zu jedem dieser Blöcke "Profilierungsthesen" formuliert, sieht er sich in der Lage, das Verhalten überdurchschnittlich erfolgreicher gewerblicher Unternehmungen zu beschreiben. Darüber hinaus erläutert er die Bedeutung strategischer Erfolgsfaktoren, einer strategiekonformen Unternehmenskultur, mitarbeiterorientierter Führungskonzepte und des Unternehmers als "Schlüssel zum Unternehmenserfolg". Hiermit bestätigt der Autor noch einmal das der Aufsatzsammlung zugrundegelegte Interpretationskonzept, das er auch für die Gestaltung seines Lebens anzuwenden scheint: strategisch handeln, d.h. die eigene Flexibilität steigern und die Voraussetzungen für erfolgreiches Handeln verbessern. Wenn Person und Werk in diesem Sinn übereinstimmen, kann der Erfolg nicht ausbleiben, weder in der Forschung und Lehre, noch in der gewerblichen Arbeitswelt. Das mag als Botschaft dieses Buches gelten. Die Herausgeber danken Frau Margrit Habersaat, die den Verfasser über viele Jahre mit administrativen und ins Wissenschaftsmanagement hineinreichenden Leistungen am Schweizerischen Institut für gewerbliche Wirtschaft begleitet hat und ohne deren Mitarbeit die Herausgabe dieses Sammelbandes nicht möglich gewesen wäre. Die Aktualisierung einer Reihe von Daten und Literaturangaben führt dazu, dass dem Leser auch früher geschriebene Aufsätze in gültiger Form präsentiert werden können. Wien/Paderborn, Juni 1995
lose! Mugler Karl-Heinz Schmidt
Inhaltsverzeichnis
Teil I:
Merkmale und Zukunftsaussichten kleiner und mittlerer Unternehmen Gewerbe und gewerbliche Betriebe - mittelständische Betriebe Klein- und Mittelunternehmen ................................................... ...... 17 Zur Charakteristik des differenzierten und des homogenisierten Bedarfs .............. ................ ....................... ...... ............................ ... ... 30 Die Klein- und Mittelunternehmen zwischen Chancen und Risiken ........................................................................... .............. .... 43 Die kleinen Unternehmen zur Zeit der lahrtausendschwelle ... .... .. ... 59
Teil 11:
Der Unternehmer in der dynamischen Wirtschaft Der gewerbliche Unternehmer zwischen Tradition und Moderne ...................... ..... .. .............................................................. 75 Das Unternehmerbild aus unterschiedlichen Perspektiven der Gründung ................................ ......................... :.................... ...... ..... 90 Unternehmerausbildung als Erfolgsfaktor für die Stabilisierung "neuer" Marktwirtschaftssysteme: Voraussetzungen und Gestaltung ..... .............. .......................... ................................ ......... 100
Teil 111: Unternehmungsführung Führung Unternehmungsführung im Mittelstand ......................................... . 11 7 Führung und Führungsstil in Klein- und Mittelunternehmen .. ....... 133
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Inhaltsverzeichnis
Strategisches Verhalten mittelständischer Unternehmen ........ ........ 144 Die Rolle der Innovation für die Zukunftssicherung der kleineren Betriebe ..... .... .. .............. .................. .. ..... ......... ....... ....... . 157 Zum Risiko- und Versicherungsverhalten in Klein- und Mittelunternehmen ...... ....... ....... ... .. .... ..... ......... ...... .. ........ .............. 170 Kleinunternehmen und das Informationsproblem ............ .... .... ...... 178
Marketing Die Portfolio-Analyse als Führungsinstrument im Marketing ........ 195 Möglichkeiten und Grenzen des Marketing in Klein- und Mittelbetrieben ... ... ... ........ .. ..... .............. .. ......... .... .. ....... .. .. .. ......... .. 213 Strategisches Marketing - Fremdwort für Klein- und Mittelbetriebe? ....... ............. ...... .. .. .. .. .. ... .. .... .... ...... .... ........ .. ...... .... ......... . 232
ArbeitszuJriedenheit Arbeitszufriedenheit als betriebs wirtschaftliches Anliegen .. .. .. .. .... 248 Die Beeinflussung der Arbeitszufriedenheit in gewerblichen Betrieben an einem empirisch fundierten Beispiel ...................... .. . 265 Unternehmensorganisation und -führung im Urteil der Mitarbeiter und Unternehmer .... .. ........... .. ... ....... .. .. .. .... .. ......... ........ ..... 279
Internationalisierung Auslandsbetätigung kleiner Betriebe - Optionen und Restriktionen ............. ............. ...... ................. ..... .................... .. .... .. ........... . 297 Internationalisierung von Klein- und Mittelunternehmen Formen, Ausrnass und Erfolgsfaktoren am Beispiel schweizerischer Firmen ..... ............................ ......... .................... ........... .. .. 311 Die Internationalisierung schweizerischer Klein- und MitteIunternehmen im Hinblick auf die westeuropäische Wirtschaftsintegration .. .. ......... . ... ... ..... .. ... .... .... ....... ..... .. ............ .. .... .. .......... ... . 333
Inhaltsverzeichnis
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Erfahrungen und Ausblick
Erfahrungsaustausch unter Klein- und Mittelunternehmen Anspruch und Realität ............ .. ...... ...... ......... .. ......... ...................... 347 Künftige Erfolgsfaktoren für das Gewerbe ....................... ........... ... 362
Verzeichnis eigener Veröffentlichungen ..... .... .. .... .... ......... ...... .... ............ ... 375 Personenregister ....... ................ .... ........ ... ...... ................ .. ..... .......... .............. . 382 Sachregister ....... ................. ......................................................... ......... ....... .. 388 Die Herausgeber ............... .... ......... .... ... .. ... ........ .......... ... ............ .... ......... .. .... 396
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten kleiner und mittlerer Unternehmen
Gewerbe und gewerbliche Betriebe - mittelständische Betriebe Klein- und Mittelunternehmen Wenn wir Überlegungen zur Umschreibung des Gewerbes beim heutigen Sprachgebrauch beginnen, zeigt sich rasch, dass der Begriff im deutschsprachigen Raum uneinheitlich verwendet wird und dass wir somit auf dieser Basis das Ziel einer eindeutigen Definition nicht erreichen, während in den anderen führenden Kultursprachen Europas kein Gegenstück zum Terminus "Gewerbe" besteht. Ein Rückgriff auf den sprachlichen Ursprung des Wortes lässt einen Zusammenhang mit Begriffen wie "werben" und "erwerben" vermuten, der in der Tat gegeben ist (Kluge, 1934, S. 205 ; Heyne, 1905, S. 1166; Röhrich, 1973, S.326f.; Ochs, u.a., 1942-1974, S. 406). Darnach geht es offenbar beim "Gewerbe" ursprünglich um Tätigkeiten, die Werbe- und/oder Erwerbszwecken dienen, also um einen ausgesprochen umfassenden Sachverhalt, der zunächst keineswegs ausschliesslich auf die wirtschaftliche Dimension bezogen war. Eine umfassende (wenn auch nur ökonomische) Deutung kommt heute noch in einzelnen Anwendungen zum Ausdruck, in der Schweiz etwa in der verfassungsmässig garantierten "Handels- und Gewerbefreiheit". Im übrigen hat sich im Laufe der Zeit jedoch der Bedeutungsgehalt wesentlich vermindert, allerdings regional unterschiedlich (wobei wir auf die möglichen Gründe dafür in diesem Zusammenhang nicht einzugehen brauchen). Diese Tatsache erklärt die erwähnten heute gegebenen Bedeutungsdifferenzen. Im bundesdeutschen Sprachgebrauch deckt der Begriff einen erheblich grösseren Teil aller wirtschaftlichen Tätigkeiten ab als nach österreichischer und schweizerischer Übung. Eine typisch "deutsche" Definition aus dem Handwörterbuch der Sozialwissenschaften charakterisiert das Gewerbe als die "gesamte nicht naturgebundene Güterproduktion" (Wesseis, 1964, S. 511). Gemeint ist jegliche erwerbswirtschaftliche Güterproduktion ohne die Landwirtschaft; ausgeschlossen sind die Gütervermiulung und die Dienstleistungen. Diese Umschreibung darf als repräsentativ für die deutschen Wirtschaftswissenschaften gelten wie Gutersohn Ursprünglich veröffentlicht in: Pleitner, HJ. : Die Arbeitszufriedenheit von Unternehmern und Mitarbeitern in gewerblichen Betrieben, BerlinIMünchenlSt.Gallen 1981 (mit aktualisierender Ergänzung) 2 Pleitner
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
belegt (1977, S. 212 ff.). Sie wird sinngemäss in gängigen Nachschlagewerken verwendet (z.B. Pekrun, 1968, S. 281; Sprachbrockhaus, 1972, S. 251; Knaurs Lexikon, 7. Band, 1974, S. 2202; Gablers Wirtschafts-Lexikon, 2. Band, 1976, Sp. 1790). Diese Bedeutung herrscht nach unseren Beobachtungen und Informationen auch in der bundesdeutschen Wirtschaftspraxis und Wirtschaftspolitik vor. Der offizielle Registrator der wichtigsten messbaren Wirtschaftstatbestände und -veränderungen, das Statistische Bundesamt, hat sich diese Definition ebenfalls zu eigen gemacht (und zusätzlich die Gastronomie einbezogen; vgl. Statistisches Jahrbuch 1976, S. 228, 287). In Österreich und in der Schweiz besteht (nicht zuletzt durch jahrzehntelanges Zusammenwirken der betreffenden Experten innerhalb der "Rencontres de StGall") weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich der Verwendung des Begriffes "Gewerbe" - in Anlehnung an das vorherrschende alpenländische Sprachverständnis - nur für bestimmte Formen der Produktion, und zwar von Dienstleistungen wie von Gütern. Diese Übereinstimmung wurde bereits 1949 in folgendem Sinne artikuliert: "Gewerbe ... ist selbständige Erwerbstätigkeit, gerichtet auf Befriedigung individualisierter Bedürfnisse, durch Leistungen, die ein Ergebnis der Persönlichkeit des gewerblichen Unternehmers, seiner umfassenden beruflichen Ausbildung und des ... Einsatzes seiner persönlichen Kräfte und Mittel sind" (Heinrich, in Protokoll der "Rencontres de St-Gall", 1949, S. 29). In der Folge haben allerdings Teilnehmer der "Rencontres" diese terminologische Basis in unterschiedlicher Weise interpretiert, indem diese oder jene Elemente besonders hervorgehoben wurden. Als Ergebnis ihrer Überlegungen können wir heute drei wissenschaftliche Varianten zum Inhalt des Gewerbebegriffs auseinanderhalten, denen wir eine "politische" Version hinzufügen möchten: 1. Das Gewerbe wird mit der "Erbringung differenzierter Leistungen" (Gutersohn, 1969, S. 124) gekennzeichnet; es "steuert ... eine eigene Art von Gütern zur Versorgung bei und ... kann idealtypisch als Gegenstück zur vereinheitlichten Serienerzeugung und zur Massenvermittlung von Waren und Diensten gelten" (Gutersohn, 1977, S. 215). Den übrigen möglichen Elementen des Begriffs wird der Charakter von "bloss äusserlich beigemischten Merkmalen" zugeschrieben (Gutersohn, 1977, S. 214). Zwischen den beiden Idealtypen rein gewerblicher und rein industrieller Produktion zeigt "das praktische Leben einen meistens ausgedehnten Fächer von Zwischenformen" und Übergangs formen (Gutersohn, 1977, S. 162 f.), so dass die Zuordnung der Betriebe "da und dort schwer fallen" kann (Gutersohn, 1977, S. 164). 2. Diese Variante stellt nicht auf ein einziges Merkmal ab, sondern auf drei Kriterien, denen etwa gleiches Gewicht zukommt und die daher nur gemeinsam das Gewerbe zu charakterisieren gestatten. Es handelt sich (gernäss Wernet, 1967, S. 15, und 1970, Sp. 1163) um
Gewerbe - Mittelstand - KMV
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•
die Differenzierung der Angebotsleistungen (wie oben unter 1)
•
die "personale Natur" der gewerblichen Tätigkeiten, ihre "unlösbare Verknüpfung ... mit der Person des Ausübenden" (die bei Wernet als wichtigstes Merkmal bezeichnet wird)
•
die "räumliche Dezentralität", d.h. die dezentrale Verteilung der Anbieter, welche der Verfasser als eine logische Entsprechung zu den beiden anderen Kriterien charakterisiert.
Wernet stellt diese Überlegungen zwar speziell für das Handwerk an. Sie lassen sich aber aus dem Zusammenhang seiner Argumentation heraus auf das Gewerbe allgemein übertragen, wobei er den Begriff selbst allerdings selten verwendet (vgl. etwa 1970, Sp. 1169). Auf jeden Fall zieht sich das skizzierte Trio der "Grundsachverhalte" wie ein roter Faden durch einen Grossteil seines wissenschaftlichen Werkes zur Beschreibung dieses der Industrie gegenübergestellten Bereiches der Volkswirtschaft. Freilich gibt auch Wernet zu, eine "durchgehende Quantifizierung" der drei Kriterien sei nicht möglich (1970, Sp. 1163).
3. Diese Begriffsversion stellt primär auf begrenzte Betriebsgrössen im Gewerbe ab, indem die "Betriebswirtschaften des Handwerks, bestimmter Dienstleistungszweige und des Facheinzelhandels" als "Klein- und Mittelbetriebe" charakterisiert werden (Hruschka, 1976, S. 3). Allerdings greift sekundär auch Hruschka auf das qualitative Merkmal der Leistungsgestaltung zurück, wenn er davon ,jene Klein- und Mittelbetriebe der Dienstleistungszweige und des Handels [ausnimmt], die vorwiegend Massenleistungen für den Massenbedarf erbringen", ferner die "kleineren Betriebe der Industrie" (1976, S. 3). Umgekehrt schlägt er vor, zur Charakterisierung nicht nur der gewerblichen Betriebe, sondern der Klein- und Mittelbetriebe schlechthin, d.h. namentlich zu ihrer Abgrenzung von den Grossbetrieben, auch qualitative Kriterien heranzuziehen, und legt eine Liste von zehn Faktoren vor (1976, S. 4 f.). Ähnliche Überlegungen finden sich bei Robertson (1973, S. 29) und bei Naujoks (1975, S. 183). Festzuhalten bleibt aber bei Hruschka die Betonung der Betriebsgrösse als hauptsächliches Definitionselement im Hinblick auf das Gewerbe. 4. Nach der oben als "politisch" bezeichneten Definition des Gewerbes "versteht man [darunter] in der Schweiz die privatwirtschaftlich organisierten Betriebe des Handwerks, des Handels, des Gastgewerbes und der übrigen Dienstleistungsberufe sowie gewisser Zweige der Inlandindustrie" (Fischer, 1976, S. 16). In einer im übrigen gleichlautenden früheren Definition nimmt Fischer ausdrücklich Bezug auf "wirtschaftspolitischen Sprachgebrauch" (1968, S. 10). Tatsächlich handelt es sich um eine eher pragmatische Umschreibung, die alle im Schweizerischen Gewerbeverband zusammengeschlossenen Gruppen von Betrieben umfasst und daher einen analytisch unscharfen Bestandteil ("gewisse Zweige") verträgt. 2·
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Selbstverständlich gibt es weitere Autoren, die das Gewerbe im engeren Sinne definieren. Aber sie lehnen sich entweder unmittelbar an eine der vier wiedergebenen Umschreibungen an oder verwenden in ihnen enthaltene Begriffsmerkmale. Wir können uns also mit den aufgeführten Definitionen als Grundlage unserer eigenen Begriffsbestimmung begnügen. Hingegen sei noch kurz auf hauptsächlich bundesdeutsche Versuche hingewiesen, das Dilemma mit dem Gewerbebegriff durch die Verwendung eines anderen Terminus zu vermeiden, und zwar durch denjenigen des Mittelstandes (vgl. Beitrag "Unternehmungsführung im Mittelstand", S. 117 ff.). Diese Versuche konzentrieren sich gleichsam organisatorisch im reputierten Köln-Bonner Institut für Mittelstandsforschung und finden sich auch in der offiziellen wirtschaftspolitischen Terminologie der Bundesrepublik (vgl. "Mittelstandsausschüsse", "Mittelstandsberichte" usw.). Trotz seiner weiten Verbreitung, zumindest in Deutschland, scheint uns jedoch der Mittelstandsbegriff nicht von vornherein mehr Klarheit zu verheissen: Soweit er inhaltlich ähnlich bestimmt wird wie die oben skizzierten Gewerbebegriffe (nämlich, auf Betriebe bezogen, mit der Grösse und/oder mit qualitativen Faktoren), ist nichts gewonnen. Andererseits wächst die Gefahr der Verwirrung, wenn der Terminus "Mittelstand" weiter gefasst wird als sein Pendant "Gewerbe" und etwa die freien Berufe, die Landwirtschaft sowie Unselbständige in gehobener Position einschliesst. Zudem scheint uns diesem Begriff eine ausgeprägte sozialpolitische, wenn nicht "ideologische" Komponente anzuhaften, was gelegentlich selbst von seinen Verwendern eingeräumt wird (vgl. Naujoks, 1975, S. 16). Schliesslich wirkt in unseren Augen das Wort selbst nicht besonders glücklich: Ein "mittlerer Stand" impliziert logisch das Bestehen eines oberen und eines unteren Standes und würde damit vom Wortsinn her einen Fremdkörper in einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaftsordnung darstellen, jedenfalls kein Motiv zur besonderen Hervorhebung. Aus diesen Überlegungen möchten wir am Gewerbebegrijf festhalten. Wenn wir unsere Darstellung dazu resümieren, lassen sich sechs mögliche Merkmale gewerblicher Betriebe unterscheiden: I. 2. 3. 4. 5. 6.
Selbständigkeit Erwerbswirtschaftliche Führung Erbringung individualisierter, differenzierter Leistungen Vereinigung des Unternehmers, Kapitalgebers und Leiters in einer Person Räumlich dezentralisierte, d.h. begrenzte Tätigkeit Begrenzte Grösse
Bei der Prüfung dieser Merkmale im Hinblick auf eine eigene Definition geht es uns nicht darum, lediglich die Literatur um eine weitere Begriffsvariante zu bereichern. Vielmehr haben die durch das empirische Vorgehen gegebenen besonderen Anforderungen an die Begriffsbildung wegleitend zu sein. Unter die-
Gewerbe - Mittelstand - KMU
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sem Gesichtspunkt scheint uns keines der obigen Kriterien allein zur Charakterisierung eines gewerblichen Betriebes auszureichen, weil jedes Merkmal, für sich allein genommen, auch auf andere Formen institutionalisierter Leistungserstellung zutreffen kann. So kommt zum Beispiel die individualisierte Form der Produktion in betrieblichen Einheiten von einer Dimension vor, bei der es kaum mehr gerechtfertigt scheint, diese Betriebe dem Gewerbe zuzurechnen. Andererseits ist diese Form der Leistungserstellung zweifellos in sehr vielen Fällen typisch für den gewerblichen Betrieb und damit von einem kennzeichnenden Gewicht, das nicht allen sechs Merkmalen im gleichen Masse zukommt. Namentlich scheint uns das Kriterium der räumlich begrenzten Tätigkeit in dem Masse an Bedeutung einzubüssen, als die technischen Mittel des Transports und der Kommunikation die Überbrückung der Distanzen erleichtern und wirtschaftlich tragbar machen. Im Hinblick auf die Durchführung unseres Vorhabens und auf der Basis der bis jetzt angestellten Überlegungen möchten wir die gewerblichen Betriebe umschreiben als selbständige Einheiten kleiner oder mittlerer Grösse, die vom Eigentümer-Unternehmer persönlich und unter erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden und individuelle Leistungen zu erbringen vermögen. Dabei bleibt zu betonen, dass die Begriffsbestandteile nicht lediglich eine Enumeration von Merkmalen darstellen, sondern einander bedingen: Die Selbständigkeit und die erwerbs wirtschaftliche Ausrichtung etwa spiegeln das Kapitalengagement des Unternehmers wider (vgl. Kilgus, 1973, S. 12), sein eigener leitender Einsatz determiniert die Betriebsgrösse (Heinrich, 1967, S. 15), und persönliche Funktion des Chefs wie begrenzte Grösse des Betriebes erlauben Flexibilität in der Leistungserstellung. Die Stichworte "Unternehmer" und "Betrieb" erinnern an die in der Betriebswirtschaftslehre üblich gewordene sorgfaltige Unterscheidung zwischen Betrieben und Unternehmungen. Sie spielt allerdings in unserem Kontext keine Rolle, da bei den in Frage stehenden Dimensionen die rechtliche Einheit in aller Regel mit der technisch-wirtschaftlichen zusammenfallt (Zollinger, 1969, S. 4), so dass wir die beiden Begriffe im Hinblick auf das Gewerbe synonym verwenden können. Hingegen ist zu präzisieren, was unter Klein- und Mittelbetrieben verstanden werden kann. Als gängige Massstäbe zur Betriebsgrösseneinteilung bieten sich die Beschäftigtenzahl, der Umsatz und der Kapitaleinsatz an. Die Einteilung derselben Betriebe kann allerdings je nach Verwendung des einen oder des anderen Massstabes unterschiedlich ausfallen, da die Kriterien einander nicht entsprechen. Bei gleicher Beschäftigtenzahl können etwa die Umsätze - selbst innerhalb einer Branche - von Betrieb zu Betrieb beträchtlich schwanken, zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher Auftragsstruktur, Qualifikation der Führungskräfte, maschineller Ausstattung und Kapazitätsauslastung. So lag in
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Teil I: Merkmale und Zukunfts aussichten
einem Betriebsvergleich im schweizerischen Baugewerbe - innerhalb einer und derselben Beschäftigtenkategorie - die Jahresbauleistung je Beschäftigten im "besten" Betrieb (unter diesem Kriterium) 70% über derjenigen im "schlechtesten" Betrieb (Schweizerisches Institut für gewerbliche Wirtschaft [Hrsg.], 1977, S. 12). Erst recht sind gegebene Massstäbe, gleich welcher Dimension, bei einer Verwendung in verschiedenen Branchen unterschiedlich zu beurteilen: Dieselbe Beschäftigtenzahl kann in einem Wirtschaftszweig einen Betrieb ansehnlicher Grösse, in einem anderen Zweig aber eine ausgesprochene Kleinfirma signalisieren. Die Wahl der geeigneten Massgrösse fallt uns trotzdem nicht schwer: Bei der Untersuchung eines typisch personalen Phänomens in gewerblichen Betrieben empfiehlt es sich zweifellos, diese nach der Personenzahl in "kleine" und "mittlere" zu gruppieren, zumal noch innere Zusanunenhänge zwischen dem Untersuchungsobjekt und der Beschäftigtenzahl vermutet werden dürfen. Hinzu konunt, dass dieser Massstab in Wissenschaft wie Praxis üblicherweise Verwendung findet. Der Grund mag in der Tatsache liegen, dass auf diese Weise mögliche Erfassungsschwierigkeiten minimiert werden können, eine Überlegung, die auch für unser Projekt eine erhebliche Rolle spielt: Die Zahl der Beschäftigten lässt sich, wenngleich nicht problemlos, doch wesentlich leichter erheben als Wertgrössen der erwähnten Art. Damit stellt sich nunmehr die Frage, bis zu welcher Beschäftigtenzahl gewerbliche Betriebe als "klein" und in welcher Grössenordnung sie als "mittel" bezeichnet werden können. Ein Blick in die breit gestreute Literatur zur Grösseneinteilung der Betriebe vermittelt das Bild gemäss Tab. I. Erwartungsgernäss entspricht die Zahl der angebotenen Einteilungsmuster beinahe der Zahl ihrer Urheber, teilweise dank der Ausrichtung auf bestinunte Bereiche. Die Übersicht lässt damit erkennen, dass es keine allgemein gültige, unter jedem Gesichtspunkt "richtige" Einteilung gibt, sondern dass sich jeweils eine Orientierung am spezifischen Vorgehen und Ziel der Untersuchung aufdrängt, für welche die Kategorien gebildet werden. Auf dieses Erfordernis haben wir bereits zu Beginn dieses Kapitels hingewiesen. Unter dem Gesichtspunkt der Operationalität scheint es uns angemessen zu sein, Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten als kleine und solche mit weniger als 200 Beschäftigten als mittlere Gewerbebetriebe einzustufen. Bei Einbezug sehr unterschiedlicher Branchen in die Erhebung wäre eine solche Fixierung problematisch, wie wir bereits festgestellt haben. Durch Beschränkung der hier angesprochenen Studie auf die strukturell einigermassen vergleichbaren Branchen "Holz" und "Metall" löst sich dieses Problem jedoch.
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Gewerbe - Mittelstand - KMU Tabelle I: Betriebsgrösseneinteilung in der Literatur
Quelle a)
Amtliche deutsche Statistikenb) Variante I (Gewerbestatistik) Variante 2 (Industriebericht, Mittelstandsfibel) Variante 3 (Bundes wirtschaftsministerium) ClementlChini, 1976, S. 25 ("Grossgewerbe")
Anzahl Beschäfti te Mittlere Grosse Betriebe Betriebe
Kleine Betriebe bis
5
bis
9
10- 499
500 u. mehr
bis
49
50 - 499
500
6-
unbestimmt
50
unbestimmt
Deckert, u. a., 1979, S. 14 (Handwerk)
bis
2
Eidgenössisches Statistisches Amt, 1969, S. 600 (Industriebetriebe gemäss Arbeitsgesetz)
bis
49
50 - 499
Gablers Wirtschafts-Lexikon, 1976,3. Band,Sp. 2383, 4. Band, Sp. 359 f.
bis
20
unbestimmt
Glader, Universität Umeä, Schweden, 1978 c)
3-
49
51
u. mehr
u. mehr
100 - 2000 50
u. mehr
500 u. mehr
unbestimmt
--
Bis 200
Gaugler/Martin, 1979, S. 22 in Anlehnung an eine amtliche Einleitung
II -100
101 - 2000
Gorb, 1978, S. 63 ("Small firms")
bis 200
unbestimmt
Hruschka, 1976, S. 3, und 1975, S. 238 (Klein- und Mittelbetriebe)
bis
49
Hugentobler, 1976, S. 16 (Kleinund Mittelbetriebe)
bis
9
Klein-Blenkers, 1978, S. 3
bis
19
Kleppe, U.S. Small Business Administration, 1975, S. 477
bis 250
2001 u. mehr unbestimmt
50 - 250
251
10-
100 u. mehr
99
20 - 199 unbestimmt
200
u. mehr
u. mehr
unbestimmt
24
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
(Fortsetzung) Kleine Betriebe
Anzahl Beschäfti te Mittlere Grosse Betriebe Betriebe
Neue Zürcher Zeitung, 1977, S.15 (Gewerbe)
bis
9
10-
Österreichische Statistikd)
bis
9
10- 100
101
Roth, 1967, S. 10
bis
20
21 -1000
1001 u. mehr
Sieber, 1959, S. 77 e)
bis
50
51 - 500
501
Siegwart, 1971, S. 26 (Industrie)
bis 100
101 -1000
1001 u. mehr
Straub, 1975, S. 3 ff. (Industriebetriebe)
bis
99
100 - 499
500 u. mehr
Trossmann, 1979, S. 52 (Gewerbe)
bis
9
Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, 1975, S. 40 (mittlere und kleinere Fabrikationsuntemehmungen)
10-
99
99
100 u. mehr u. mehr
u. mehr
100 u. mehr
--
20 - 300
Wehrle, 1960, S. 1355: Vorschlag 1 Vorschlag 2 Vorschlag 3
bis bis bis
9 19 49
10- 199 20 - 199 50 - 499
200 u. mehr 200 u. mehr 500 u. mehr
Wemet, 1954, S. 646
bis
19
20 - 199
200 u. mehr
Wirtschafts- und Sozialausschuss der EG, 1975, S. 12 (gewerbliche K1ein- und Mittelbetriebe)
bis 100
101 - 500
WolfflHofer, 1975, S. 167 f.
bis
Zollinger, 1969, S. 4: Produktions betriebe
bis 49
unbestimmt
unbestimmt
Handels- und Dienstleistungsbetriebe
bis
unbestimmt
unbestimmt
49
19
50 - 499
501
u. mehr
500 u. mehr
25
Gewerbe - Mittelstand - KMU
(Fortsetzung) Kleine Betriebe Neuere Einteilungen Schweiz. Bundesrat, Bericht über die Klein- und Mittelbetriebe, 1983
I - 49
Bundesdeutsches Handelsgesetzbuch, 1989
bis
Bilanzsumme in Mio. DM Umsatz in Mio. DM The European Observatory for SME's, 1993 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 1994: - KMU-Projekt - staatliche KMU-Beihilfen Umsatz in Mio. ECU Gesamtbilanzsumme in Mio. ECU Europäische Investitionsbank, 1994: Nettoanlagevermögen Beteiligung
a) b)
c) d)
e)
50
bis 3,9 bis 8 Kleinst 1-9 Klein 10-99
bis 49 bis 50
Anzahl Beschäfti te Mittlere Grosse Betriebe Betriebe
50 - 499
500 u. mehr
bis 250
250 u. mehr
bis bis
16 32
16 32
u. mehr u. mehr
100 - 499
500 u. mehr
50- 249 51 - 250
250 u. mehr
bis
5
bis
20
bis
2
bis
10
bis 500 bis 75 Mio. ECU weniger als 1/3 durch Grossunternehmen
-------
Ohne präzisierende Angabe in Klammem handelt es sich jeweils um eine allgemeine Einteilung. ..Gesamtheit der von Behörden der allgemeinen Staatsverwaltung (Bund, Länder, Gemeinden) oder von speziellen staatlichen Behörden für staatliche Zwecke und für den Bedarf der Wirtschaft und Wissenschaft zusammengestellten Statistiken" (Gablers Wirtschafts-Lexikon. 1976. I. Band. Sp. 170). Variante I gemäss Gablers Wirtschafts-Lexikon. 1976. 3. Band. Sp. 2383. und 4. Band. Sp. 359; Variante 2 gleiche Quelle. ferner Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.). 1976: Mittelstand. Leistung und Wettbewerb. Mitlelstandsfibel1976. BonnlDuisdorf, S. 4; Variante 3 gemäss Knöchel, Doris, o. J.: Zur Entwicklung der Unternehmensgrössenstrukturen in der Wirtschaft, Studie des Instituts für Mittelstandsforschung im Auftrage des Bundesministers für Wirtschaft, Köln, S. 2, 14. Persönliche Information. Zitiert nach Hruschka, 1976, S. 4. Zitiert nach Siegwart. 1971, S. 25.
26
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Massgebend für die Einteilung ist die Funktion des Unternehmers, der wesentlich den Charakter des gewerblichen Betriebes bestimmt (vgl. Definition S. 20): Nach unseren Beobachtungen und Erfahrungen wie auch nach empirischen Erhebungen in der Praxis (vgl. Hugentobler, 1976, S. 18) ist im Kleinbetrieb der besagten Grössenordnung der Chef in der Lage, den Betrieb in allen Teilen selber, also ohne Kader, zu leiten und sich auch an den ausführenden Tätigkeiten zu beteiligen. Typisch für diese Betriebsgrösse ist damit die einstufige Organisation (was nicht ausschliesst, dass in der Praxis entlastende Positionen wie "Vorarbeiter", "Chef-Stellvertreter" u.ä. auch hier bereits vorkommen können). Die maximale Leitungsspanne bestimmt die obere Grenze dieser Beschäftigtenkategorie. Eine Spanne, die höchstens 18 Mitarbeiter umfasst, wird auch in der jüngeren betriebswirtschaftlichen Literatur für zulässig gehalten (vgl. z.B. Gasser, 1952, S. 328, der - freilich für Grossbetriebe - feststellt, bei einem untersten Vorgesetzten liege das Optimum der ihm "unterstellten ausführenden Organe ... offensichtlich bei 20 oder allgemeiner zwischen 15 und 25"). Das neueste Schrifttum zum Umfang der Leitungsspanne (die lange Zeit durch nicht sinngemässe Übersetzung der "span of control" als "Kontrollspanne" bezeichnet wurde) plädiert wegen dessen Bedingtheit durch situative Faktoren für einen Verzicht auf zahlenmässige Fixierung. Danach kann die Spanne z.B. um so grösser sein, je höher die fachliche Qualifikation der Beteiligten ist und je mehr gruppenweise statt einzeln geführt wird (Hill/FehlbaumlUlrich, 1974, S. 222f.). Diese Hinweise sollen uns zur Begründung der gewählten Charakterisierung der Kleinbetriebe als typischerweise einstufige Organisationseinheiten mit jedenfalls als 20 Beschäftigten genügen. Die mittlere Betriebsgrösse ist zwei- oder mehrstufig strukturiert. Damit besteht keine laufende, "automatische" Kommunikation zwischen Unternehmer und ausführendem Mitarbeiter mehr, weil Kaderkräfte zwischengeschaltet sind. Der Chef ist jedoch voll für seinen Betrieb tätig (der ihm ganz oder mehrheitlich gehört) und in der Lage, das Unternehmen in allen Bereichen zu überblikken und sein Funktionieren zu überwachen (vgl. Andreae, u.a, 1962, S. 28; Seyffert, 1972, S. 431; Naujoks, 1975, S. 33). Die gewählte Grösseneinteilung mag denjenigen Leser überraschen, der gewohnt ist, in den Kategorien der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre zu denken. Sie geht in der Regel von der Fiktion aus, der Grossbetrieb repräsentiere den "typischen" Betrieb und sei damit das einzig angemessene Untersuchungsobjekt. Einheiten etwa mit unter vierstelligen Beschäftigtenzahlen werden daher im einschlägigen Schrifttum gewöhnlich nicht berücksichtigt oder allenfalls in einer Fussnote mit Alibifunktion erwähnt. Die von uns gewählten Kategorien dürften freilich plausibler werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die durchschnittliche Betriebsgrösse gemäss letzter Betriebszählung (ohne Berücksichtigung der Einmannfirmen) in der Holz- und Metallbranche der Schweiz bei 23 Beschäftigten liegt (errechnet aus: Eidgenössisches Statistisches Amt [Hrsg.], 1977, Gruppen 26, 34 und 4104, S. 56, 34 f. und 64).
Gewerbe - Mittelstand - KMU
27
Wir gelangen damit am Schluss dieser Betrachtung zu folgender präzisierter Definition für die Studie zur Arbeitszufriedenheit: Gewerbliche Betriebe sind im Rahmen unserer Untersuchung selbständige Einheiten kleiner (unter 20 Beschäftigte) oder mittlerer (unter 200 Beschäftigte) GrÖsse. die vom EigentümerUnternehmer persönlich und unter erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden und individuelle Leistungen zu erbringen vermögen.
Literatur Andreae, C.-A, u.a. : Der industrielle Mittelstand in der Wettbewerbsordnung. KölnJBerlinJBonn/München 1962. Clement, W.lChini, L.W.: Entwicldungsstand der Personalplanung in der Industrie und im Grossgewerbe Österreichs, Wien 1976. Deckert, R., u.a.: Das Management in Klein- und Mittelbetrieben, Köln 1979. Fischer, 0 .: Das Gewerbe und seine Organisationen, in: Schweizerischer Gewerbeverband (Hrsg.): Das Gewerbe in der Schweiz, Bem 1968, S. IOff. Fischer, 0 .: Der Schweizerische Gewerbeverband, in: Bulletin der Schweizerischen Kreditanstalt, 1976/Juli, S. 16. Gablers Wirtschafts-Lexikon, 9. Aufl., 6 Bände, Wiesbaden 1976. Gasser, Chr.: Die optimale Organisationsstruktur, in: Industrielle Organisation, 1952, Nr. 12, S. 325ff. GaugIer, E.IMartin, A: Personalunterschiede bei Klein-, Mittel- und Grossbetrieben, in: Personal, 1979, Heft 1. Gorb, P.: Small Firrns' Big Realities, in: Management Today, 1968, February, S. 68 ff. Gutersohn, A : Wandlungen in der Struktur der Gewerbebetriebe, in: Ulrich, H.I Ganz-Keppeler, Vera (Hrsg.): Strukturwandlungen der Unternehmung, BerlinlStuttgart 1969. Gutersohn, A.: Das Gewerbe in der freien Marktwirtschaft, Bd. I, 2. Aufl., BerlinlMünchenlSt.Gallen 1977. Heinrich, W.: Definition "Gewerbe", in: Schweiz. Institut für gewerbliche Wirtschaft (Hrsg.): Protokoll der Rencontres de St-Gall 1949, St.Gallen 1949. Heinrich, W.: Die Klein- und Mittelbetriebe und das Problem der Konzentrationen, in: Gewerbliche Rundschau, 1967IHeft 4. Heyne, M.: Deutsches Wörterbuch, 1. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1905.
28
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
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Gewerbe - Mittelstand - KMU
29
Wehrle, E.: Gewerbepolitik und Konzentration, in: Arndt, H. (Hrsg.): Die Konzentration in der Wirtschaft, 2.Bd.: Ursachen der Konzentration, Berlin 1960, S. 1353 ff. Wernet, W.: Handwerk im Wettbewerb, Münster/Westf. 1967. Wernet, W.: Handwerk, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, 2. Aufl., Hannover 1970. Wernet, W.: Das gewerblich-kleinbetriebliche Element im modernen Industrialismus, in: Schmollers Jahrbuch, Bd. 1974, Berlin 1954, S. 641 ff. WesseIs, Th., 1964: Gewerbepolitik, in: Beckerath, E. von, u.a. (Hrsg.): Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 50. Lieferung, StuttgartfTübingenl Göttingen, S. 507ff. Wolff, H.fHofer, P. : Analyse und Prognose der Unternehmensgrössenkultur, Bericht im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft, Basel 1975. Zollinger, R. : Die zahlenmässige Bedeutung und Entwicklung des schweizerischen Gewerbes 1939-1965, in: Gewerbliche Rundschau, 1969fHeft I, S. 3 ff.
Zur Charakteristik des differenzierten und des homogenisierten Bedarfs A. Bedarfsänderungen und Bedarfsdifferenzierung Wenn sich Bedarfswandlungen in einer Steigerung der persönlichen Ansprüche auswirken und diese über die individuellen Qualitätsanforderungen zu einer echten Differenzierung führen können, so mögen wir versucht sein, eine fühlbar anschwellende Differenzierungswelle zu erwarten. In der Tat fehlt es nicht an Fachleuten, die diese Tendenz zu bemerken glauben, wobei freilich ausser dem vereinfacht skizzierten Kausalzusammenhang auch andere Ursachen als tendenzbestimmend gesehen werden. Im erwähnten Sinne argumentieren etwa Dörge/Schmidt (Dörge/Schmidt, ca. 1965, S. 3), Gutersohn (Gutersohn, 1964, S. 288, 291)1, Meyer-Dohm (Meyer-Dohm, 1965, S. 354), Streissler (Streissler, 1966, S. 104) und Zahn (Zahn, 1964, S. 55). Dörge/Schmidt vermuten als zusätzlichen Bestimmungsfaktor der Bedarfsdifferenzierung die soziale Nivellierung, da die Verbraucher im Masse des Abbaus der gesellschaftlichen Unterschiede ihre Individualität durch entsprechende Bedarfsgestaltung zu dokumentieren trachten (Dörge/Schmidt, ca. 1965, S. 5). Weiss erwartet eine zunehmende Bedarfsdifferenzierung als Folge der demographischen Verschiebung zugunsten des Anteils der jungen Leute an der Gesamtbevölkerung sowie ihres wachsenden Einflusses auf die Verbrauchsgestaltung aller Bevölkerungskreise (Weiss, 1970, S. 20). Allport rechnet umgekehrt mit einer Verfeinerung der Ansprüche erst im Laufe des Lebens (Allport, 1959, S. 195), also mit zunehmender Reife, so dass der wachsende Anteil der alten Leute an der Gesamtbevölkerung die Differenzierungstendenz stützen müsste. Walter Müller argumentiert mit dem Drang der Verbraucher nach immer wieder neuen Produkten, da ihnen "nur das Neueste gut genug" sei (Müller Walter, 1962, S. 305). Allerdings braucht dieser Drang nach Neuem keineswegs von vornherein ein Indiz für sich differenzierende Ansprüche zu sein. Immerhin ist aber bemerkenswert, dass selbst ein führender Vertreter des Versandhandels, also einer Vertriebsform, die
I
Ursprünglich erschienen in: Pleitner, HJ.: Bedarf und Bedarfsstrukturwandel am Beispiel der Gütergruppe Möbel, BerlinlMünchenlSt.Gallen 1972. Skeptischer (im Hinblick auf die Bedarfsdifferenzierung als häufige Konsequenz aus den steigenden Qualitätsanforderungen) als hier im zitienen Werk äussen sich der Verf. allerdings noch in früheren Publikationen, vgl. z.B. Gutersohn, 1962 a und b, 1963 b.
Differenzierter I homogenisierter Bedarf
31
idealtypisch nicht auf das Angebot differenzierter Leistungen eingestellt ist, das Aufkommen eines "neuen Individualismus" feststellt (freilich mit dem offen eingestandenen Bedauern, dass es damit "keine einheitlichen Trends mehr" gebe und dass die Verbraucher in "kleine Gruppen mit unterschiedlichen Wünschen zerfallen") (Neckermann, 1970, S. 14; Bergler, 1966, S. 50). Auch wenn somit selbst Massenverteiler eine ausgeprägt zunehmende Bedarfsdifferenzierung zu beobachten glauben, müssen gewisse Vorbehalte gegenüber allzu optimistischen Stimmen im Hinblick auf dieses Phänomen angemeldet werden. Schliesslich ist die Verfeinerung der Ansprüche an einige Voraussetzungen gebunden, die heute nicht unbedingt besser als gestern und morgen nicht besser als heute erfüllt sind. Sie betreffen die individuelle Persönlichkeit der Verbraucher sowie soziale Gegebenheiten. Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine Bedarfsdifferenzierung, die diese Bezeichnung verdient, nur Konsumentenpersönlichkeiten möglich ist, die im ökonomischen Sinne zumindest mündig sind. Eben diese Eigenschaft wird jedoch "dem Verbraucher" durchaus nicht allenthalben zugestanden. Vielmehr ist "König Kunde" in den Augen einiger Betrachter ein recht unwissendes, gedankenloses oder hilfsbedürftiges W esen, das die "Konsumschlacht" auf unsicheren Beinen und mit mangelhafter Ausrüstung zu bestehen hat. Zum Beispiel vertritt Egner die Meinung, dem Verbraucher fehle die "haushälterische Vernunft", und er lasse sich wegen unkritischer Einstellung und mangelnder Marktkenntnisse übervorteilen und ausbeuten; daher müsse "man" ihm planmässig Hilfestellung leisten, wenn nicht ihn regelrecht erziehen (Egner, 1963, S. 206 ff.) . Ausgeprägt findet sich der Gedanke der Schutzbedürftigkeit auch bei Packard (Packard, 1961). Wiswede ist überzeugt, der Verbraucher sei so wenig anspruchsvoll, dass ihm schon "belanglose" Produktvariationen von seiten der Anbieter das Gefühl des Neuen, Begehrenswerten vermitteln und bei ihm "bedeutende Änderungen im Vorstellungsgehalt" bezüglich dieser Produkte bewirken (Wiswede, 1965, S. 267). Selbst Katona, der aufgrund seiner bekannten empirischen Studien zum Ergebnis kommt, der Konsument sei bei seinen wirtschaftlichen Entscheidungen durchaus vernünftigen Verhaltens fähig, schränkt sein im ganzen positives Urteil im Blick auf die schöpferische Leistungsfähigkeit ein, indem er dem Verbraucher "im allgemeinen" Phantasielosigkeit bezüglich neuer Wünsche unterstellt (Katona, 1962, S. 204). Von den Umweltgegebenheiten, die die Tendenz zunehmender Bedarfsdifferenzierung einzuschränken vermögen, seien zwei besonders herausgegriffen: Zum einen hat der Prozess sozialer Nivellierung nicht nur die erwähnte Konsequenz des Abhebungs- und Individualisierungsstrebens zahlreicher Verbraucher, sondern verstärkt unter Umständen die entgegengesetzte Tendenz der Uniformierung, und zwar durch die Erscheinung des sozialen Zwanges, der bei allem Drang nach ungehemmter Entfaltung auch heute durchaus wirksam ist und der den Charakter "eigentlicher Verhaltensbefehle" an die dem Zwang Unter-
32
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
worfenen annehmen kann (Gutersohn, 1962, S. 261)2. Dieser Zwang lässt keine Abweichungen von den diktierten Verhaltensnormen über einen meist relativ schmalen Toleranzbereich hinaus zu, mit der wirksamen Sanktion sozialer Isolierung oder gar Ächtung. Zum anderen wirkt ein spezieller Faktor der behaupteten Tendenz der Bedarfsdifferenzierung entgegen. Es handelt sich um die wachsende Distanz zwischen Herstellern und Verbrauchern. Die Befriedigung wirklich differenzierter oder individueller Ansprüche verlangt eine engere Beziehung zwischen dem Anspruchsträger und dem Marktpartner, der den massgeblichen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der verlangten Leistung oder des verlangten Gutes hat, also in der Regel dem Produzenten (Gutersohn, 1963, S. 236). Im Masse der Erweiterung der Märkte und der Ausbreitung der Massenproduktion wird der - nicht nur räumliche - Abstand zwischen den Herstellern und den Letztabnehmern grösser und vermindern sich die Aussichten der Verbraucher auf Realisierung ihrer ureigenen, ihnen im wörtlichen Sinne angemessenen Wünsche (Meyer-Dohm, 1964, ebenda). Über diese Tatsache können, wie uns scheint, auch die Versuche von Massenanbietern nicht hinwegtäuschen, sich differenzierten Ansprüchen der Verbraucher durch vielfach nur unbedeutende äussere Produktvariationen anzunähern. Inwieweit solche Versuche als gelungen bezeichnet werden dürfen, inwieweit also auch Massenanbieter "differenzierten" Bedarf zu decken imstande sind, hängt freilich davon ab, welche Massstäbe der Betrachter an das Merkmal "Differenzierung" anlegt. Mit ihnen werden wir uns daher im folgenden beschäftigen.
B. Zum Wesen des differenzierten und des homogenisierten Bedarfs Wie erwähnt, ist es ein wenig in Mode gekommen, von Bedarfsdifferenzierung und differenziertem Bedarf zu sprechen; nur unterziehen sich dabei wenige Experten der Mühe zu präzisieren, was sie sich eigentlich darunter vorstellen. Bei Meyer-Dohm findet sich für Bedarfsdifferenzierung die Umschreibung als "wertmässige und sachliche Ausweitung des Güterstromes sowie der ständige Wandel seiner Zusammensetzung" (Meyer-Dohm, 1964, S. 74). Differenzierter Bedarf ist danach vergrösserter und veränderter Bedarf. Diese Erscheinung im Sinne von Meyer-Dohm entspringt nach seiner Meinung dem Bestreben der privaten Haushalte nach feinerer Abstimmung "auf die individuellen Bedürfniskonstellationen" (Meyer-Dohm, 1964, S. 75) und erklärt sich "intern" aus den aktuellen "Grundhaltungen", den dynamisierten Bestrebungen um ein höheres 2
Der Begriff des "sozialen Zwanges" (contrainte sociale) geht auf den französischen Soziologen Durkheim zurück.
Differenzierter I homogenisierter Bedarf
33
Lebenshaltungsniveau und aus den Leitbildern der Haushaltsmitglieder, "extern" vor allem aus den umfangreichen Informationen verschiedener Art, die die Verbraucher heute erreichen (Meyer-Dohm, 1964, S. 75 ff.). Der in diesem Sinn differenzierte Bedarf kann - immer nach Meyer-Dohm sowohl auf Geltungsbedürfnisse wie auf Bedürfnisse einer individuell kultivierten Lebensführung zurückgeführt werden (Meyer-Dohm, 1965, S. 189). Er tritt allerdings nur auf gegenüber Gütern, die einen über den Grundnutzen hinausgehenden Zusatznutzen (z. B. Geltungsnutzen) stiften können (Meyer-Dohm, ebenda; Vershofen, 1959, S. 89; Gutersohn, 1970; Gutersohn, 1954, S. 182). In anderem Zusammenhang stellt Meyer-Dohm fest, der verfeinerte Bedarf könne sich "in vielen Bereichen" durchaus auf Sonderanfertigungen richten (Meyer-Dohm, 1965, S. 65). Hier ist ihm zweifellos zuzustimmen. Wir können im Wunsch nach Einzelanfertigung sogar geradezu eine idealtypische Ausprägung des differenzierten Bedarfs erblicken. Sodann teilen wir im Grundsatz Meyer-Dohms Ansicht, wonach der differenzierte Bedarf sich im Angebot widerspiegelt und seinerseits vom Angebot "wesentliche Impulse" empfangt (Meyer-Dohm, 1965, S. 36, 170, 190, 355). Dabei scheint uns der für unsere Zeit typische Käuferrnarkt dadurch charakterisiert zu sein, dass trotz aller - gelegentlich bis an die Grenze der Illegalität ausgeübten - Einflüsse von seiten der Anbieter der Bedarf letztlich und entscheidend das Angebot bestimmt. Der Beweis für diese Annahme hält schwer, jedoch möchten wir etwa Albrecht Kruse nicht folgen , der den Einflusszusammenhang umgekehrt beurteilt (Kruse, 1960, S. 12, 45). Im übrigen ist eine praktisch bedingte Einschränkung anzufügen: Die Spiegelung des Bedarfs im Angebot zeigt sich in der Realität nicht ohne Reibungen und zeitliche Verschiebungen, kurz nicht im Sinne einer Kongruenz bei der Grössen; sie kann nicht einmal zwischen Nachfrage und Angebot unterstellt werden. Die Tatsache der nicht vollumfanglichen Übereinstimmung zwischen den gegebenen Ansprüchen und den offerierten Gütern und Leistungen werden wir im empirischen Teil unserer Arbeit exemplarisch erhärten. Mit der Feststellung der prinzipiellen Entsprechung Von Bedarf und Angebot sind unsere Überlegungen zur Differenzierung und "Differenziertheit" des Bedarfs indessen natürlich nicht abgeschlossen. Um uns völlige Klarheit über dieses Phänomen zu verschaffen, müssen wir tiefer in sein Wesen eindringen. Wir knüpfen dabei an die oben wiedergegebene Definition an, die einen ausgeweiteten und in der Zusammensetzung veränderten Güterstrom als differenzierten Bedarf bezeichnet. Wenn wir ihr folgten , wäre Differenzierung jeder Prozess der Ausweitung und Veränderung im Zeitablauf. Somit würde sich der gesamte Bedarf im Laufe der Zeit differenzieren (im Falle der Vergrösserung und Veränderung). Mehr noch: Der Urheber der besagten Definition kommt in Versuchung, seinen Betrachtungswinkel zu einem rein quantitativen zu verengen 3 Pleitner
34
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
(Meyer-Dohm. 1964. S. 72). Zwar wird in anderem Zusammenhang auch das Qualitätsproblem erörtert und zudem die Zeitablaufperspektive zugunsten einer Querschnittsbetrachtung aufgegeben. doch wird dort wiederum und sogar ausgesprochen die Existenz eines homogenisierten Bedarfs verneint und festgestellt...der" (d.h. der gesamte. Verf.) Bedarf sei ..hochdifferenziert" (MeyerDohm. 1965. S. 280). Was die Zeitablaufanalyse betrifft. so ist sie auch bei Erörterungen zur Differenzierung des Angebots anzutreffen. namentlich unter dem Stichwort ..Produktdifferenzierung". Albrecht Kruse etwa versteht darunter schlicht eine ..Veränderung der Produkte" (Kruse. 1960. S. 14). Auch in seiner Argumentation gibt es ausnahmslos differenzierte Produkte (bzw. Leistungen. Verf.) (Kruse 1960. S. 51). und es bleibt allenfalls Raum für eine Unterscheidung zwischen ..differenzierten" und .. neudifferenzierten" Gütern (Kruse. 1960. S. 154 ff.). Weniger schematisch betrachtet Schmitt-Rink den Sachverhalt der Produktdifferenzierung (Schmitt-Rink. 1967. S. 111): Auf dem Markt werden die Güter in unterschiedlichen Qualitäten angeboten. wobei die einzelnen Qualitätsstufen auf die unterschiedlich hohen Einkommen und Ansprüche der einzelnen sozialen Schichten abgestimmt sind. Dieser Tatbestand stellt für Schmitt-Rink ..statische" Produktdifferenzierung dar. Im Zeitablauf werden die differenzierten Erzeugnisse aufgrund des technischen Fortschritts und der modischen Entwicklung weiter verbessert. und zwar auf den oberen der erwähnten Qualitätsstufen früher als auf den unteren. Diese Erscheinung bezeichnet Schmitt-Rink als ..dynamische" Produktdifferenzierung. Somit sind bei ihm die Güter zwar in Abstufungen. aber doch letztlich alle differenziert. Selbstverständlich ist es jedem Autor unbenommen. differenzierten Bedarf bzw. differenzierte Leistungen in der beschriebenen Weise in die eigene Denkkonzeption aufzunehmen. zumal die Auslegungsmöglichkeiten. d. h. die möglichen semantischen Inhalte. das zulassen. Unserem spezifischen Forschungsanliegen jedoch kann diese Annahme. alle Ansprüche bzw. alle Leistungen seien differenziert. nicht dienen. Im Gegenteil versperrt sie uns den Zugang zu den angestrebten Erkenntnissen. der nur über die Polarität differenzierter/homogenisierter Bedarf möglich ist. weil sie diese Gegensätzlichkeit ignoriert. Die Betrachtung des Nebeneinanders der zwei Bedarfskategorien bedeutet im übrigen keineswegs die Vernachlässigung des Zeitmoments und dürfte sie auch nicht bedeuten. weil sich die Anteile beider Kategorien im Zeitablauf verschieben können. Bei der Charakterisierung des differenzierten Bedarfs und seines homogenisierten Gegenstücks folgen wir Gutersohn. bei dem diese Polarität und ihr Pendant auf der Angebotsseite im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit stehen. Danach ist als differenziert derjenige Bedarf anzusehen. der sich auf Leistungen mehr oder weniger ..persönlichen Zuschnitts" bzw. mit Abstimmung auf ..unter-
Differenzierter I homogenisierter Bedarf
35
schiedliche Lebensbedingungen" der Nachfragenden richtet (Gutersohn, 1962, S.270)3. Der differenzierte Bedarf bildet nach Gutersohn überall dort beinahe die Regel, wo sich eine "Neigung zur individuellen Lebensgestaltung" ausprägt. Sie kann beispielsweise durchaus schon bei der Auswahl der Nahrungsmittel und Zusammensetzung der Mahlzeiten beobachtet werden (Gutersohn, 1971, S. 127). Als homogen kann demgegenüber der Bedarf gelten, der sich auf mehr oder weniger "einander angeglichene, uniformierte" Leistungen richtet (Gutersohn, 1962, S. 270). Diese Art Bedarf kann daher auch als "unifiziert" bezeichnet werden (Gutersohn, 1963, S. 152). Obwohl wir oben festgestellt haben, dass Bedarf und Angebot nicht vollumlänglich übereinstimmen, sei es uns wegen ihrer prinzipiellen Entsprechung gestattet, die Polarität DifferenzierungIHomogenisierung an den möglichen Ausprägungen des Leistungsangebots zu verdeutlichen. Im Bereich der Erbringung differenzierter Leistungen gelangt Gutersohn zur Unterscheidung dreier Stufen oder Grade (Gutersohn, 1968, S. 62; Gutersohn, 1963b, S. 228 ff.; Gutersohn, 1963a, S. 152). Als erste, einfachste Stufe wird eine Differenzierung der Leistungen "nach Ort und Zeit" bezeichnet. Diese Charakterisierung bedeutet, dass die betreffenden Unternehmen gegenüber den Massenanbietern den Konsumenten in bezug auf die örtliche und zeitliche Verfügbarkeit Vorteile bieten und insoweit eine differenzierte Leistung erbringen. Unter der örtlichen Überlegenheit ist eine grössere räumliche Nähe und damit bequemere Erreichbarkeit im Vergleich zu den Anbietern homogenisierter Leistungen zu verstehen, also beispielsweise das Lebensmittel-Quartiergeschäft "um die Ecke", das grossstädtischen Verbrauchern lange Anmarschwege ins Zentrum oder zu Grossverteilern weit ausserhalb "auf der grünen Wiese" erspart. Die zeitliche Überlegenheit bezieht sich ebenfalls auf eine bessere "Erreichbarkeit", aber durch mehr Flexibilität der betreffenden Anbieter vor allem hinsichtlich der Geschäftsöffnungszeiten. Dabei ist allerdings zuzugeben, dass in der Praxis die bestehenden Regelungen die Bewegungsfreiheit der Anbieter in dieser Beziehung einschränken und dass sich bei den bedürfnisgerechteren Gestaltungsversuchen die Massenvermittler sogar nicht selten als anpassungsfähiger denn die Anbieter individueller Leistungen erweisen, die von Natur aus besser zu individueller Bedienung befähigt wären (Pataky, 1968, S. 160 f.,163 ff.). 3
3·
Diese Art Bedarf wird in der Wirtschaftspraxis auch als "verwöhnter" Bedarf bezeichnet, doch ziehen wir den ersteren Begriff vor, da uns das wertende Adjektiv "verwöhnt" weniger präzise erscheint und vor allem da es eine ans Negative grenzende Bedeutung haben kann; man denke an Ausdrucke wie "verwöhntes" Kind o.ä.
36
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Wenn gleichwohl zuzugeben ist, dass zahlreiche Anbieter ihre Existenzgrundlage hauptsächlich mit der örtlichen und/oder zeitlichen Leistungsdifferenzierung finden, lehrt die nähere Analyse der Angebotsstruktur doch, dass es feinere Arten der Leistungsdifferenzierung gibt. Die nächsthöhere zweite Stufe besteht in der Anpassung der Anbieter an die äusserlich erkennbaren Bedarfsverschiedenheiten, bedingt z. B. durch die Körpermasse, Wohnungsdimensionen, topographischen und klimatischen Verhältnisse. Dieser Grad der Differenzierung des Leistungsangebots bedeutet also "Massarbeit" in einem umfassenden Sinne. Die Massarbeit beschränkt sich dabei nicht auf die Neuproduktion von Gütern (und Dienstleistungen!); sie umfasst auch reparierende und wartende, erhaltende Tätigkeiten und verlangt entgegen einer verbreiteten Meinung, bereits erhebliche fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten. Die dritte Stufe schliesslich lässt sich mit schöpferischer Leistungsdifferenzierung kennzeichnen. Sie äussert sich in der Ausrichtung auf "betont gehobene" Ansprüche, die von den Anspruchsträgern nicht einmal von vornherein genau erkannt oder empfunden zu sein brauchen. In diesen Fällen qualifiziert sich der Anbieter dadurch, dass er seinen Kunden bei der Konkretisierung und Erfüllung ihrer Versorgungs anliegen bis hin zu "geheimen Wünschen" (Dichter, 1961; Kaufmann, 1969, S. 37 ff.) hilft. Er dringt über die blosse Anpassung an äusserlich erkennbare Bedarfsverschiedenheiten hinaus zu den Kundenwünschen und -problemen gerecht werdenden ästhetischen, zu persönlichkeitsfördernden Leistungen vor. Diese Art von Differenzierung verkörpern idealtypisch künstlerisch-schöpferische Einzelleistungen, beispielsweise hervorragender Raumgestalter, Massschneider. Die Leistungsdifferenzierung bedeutet nicht zwangsläufig eine Differenzierung "in die Tiefe". Es ist durchaus möglich, dass sie nicht schon auf Vorstufen, sondern erst auf der Stufe der Endproduktion zur Entfaltung kommt, während auf den vorgelagerten Stufen Verfahren der Serien- oder Massenfabrikation angewendet werden (Gutersohn, 1968, S. 63). Ebenso kommt die umgekehrte Erscheinung vor (Gutersohn, ebenda). In unserer polaren Betrachtung haben die Anbieter, ob aus der Produktion, dem Handel oder dem Dienstleistungsbereich, die nicht wenigstens eine der drei Stufen der Leistungsdifferenzierung erreichen, als Anbieter homogenisierter, d.h. von Serien- oder Massenleistungen zu gelten. Die Unterscheidung mehrerer Grade lässt aber bereits vermuten, dass in der Wirtschaftspraxis eindeutige, unabgestufte Ausprägungen der differenzierten oder aber homogenisierten Leistungserstellung die Ausnahme bilden. Wenn man etwa die beiden Prinzipien auf dem Gebiet der Produktion einerseits dem Handwerk, andererseits der Industrie zuordnet, erweist sich in der Tat, dass als Regelfall Mischformen anzutreffen sind, dass also ein Handwerksbetrieb durchaus auch Serienarbeiten durchführen, eine industrielle Unternehmung auch Einzelanfertigungen erstellen kann. Entsprechendes gilt für die Bereiche des Handels und der Dienstleistun-
Differenzierter I homogenisierter Bedarf
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gen. Wir müssen es uns in unserem thematischen, den Bedarf anvisierenden Zusammenhang versagen, auf die Gründe und Hintergründe dieses abgestuften Erscheinungsbildes einzugehen, jedoch sei festgehalten, dass erst das Denken in einer Polarität den Blick des Betrachters für die Misch- und Übergangsformen schulen kann, die in der Wirtschaftswirklichkeit anzutreffen sind (Gutersohn, 1963a, S. 153). Diese Erwägungen lassen sich nun unmittelbar auf den Bedarf übertragen: Derjenige Bedarf, der sich auf differenzierte Leistungen richtet, ist als differenziert anzusprechen, der übrige als homogenisiert. Man kann konsequent sogar auch die drei Abstufungen auf die Bedarfsbetrachtung anwenden: Die Bedarfsdifferenzierung ersten Grades richtet sich dann auf die leichte Erreichbarkeit des Angebots, diejenige zweiten Grades auf seine individuelle Ausrichtung (Massarbeit!) und diejenige dritten Grades schliesslich auf seine schöpferische, persönliche Genugtuung und Freude vermittelnde Gestaltung. Auch auf dem Gebiet des Bedarfs ist der Regelfall die Mischung aus den beiden ,,reinen" Typen (Gutersohn, 1964, S. 288; Gutersohn, 1963b, S. 237; Gutersohn, 1968, S. 63). Wie uns scheint, kann sich diese Mischung auf zweierlei Arten ausprägen: Zum einen ist sie zu beobachten innerhalb einer Mehrzahl unterschiedlicher Güter, indem ein Verbraucher je nach persönlichen Interessen und Wertungen im Hinblick auf bestimmte Güter differenzierte Ansprüche entwickelt, während er sich bei anderen mit Massenware begnügt (Gutersohn, 1969, S. 21). Zum anderen können aber auch unter den möglicherweise zahlreichen Anforderungen an ein und dasselbe Gut oder doch an eine einzige Güterkategorie einige differenziert und andere homogenisiert ausgebildet sein, eine Tatsache, die uns bei unserer - produktgruppenbezogenen - Untersuchung besonders interessieren wird. Wir werden daher für unsere Schlussfolgerungen auf die Feststellung abzielen, welcher Bedarfstyp bei jedem einzelnen befragten Verbraucher unter allen Anforderungen ans Produkt überwiegt (Gutersohn, 1969, S. 125), der differenzierte oder der homogenisierte. Die Tatsache, dass bei den Konsumenten in der Regel beide Typen gemischt anzutreffen sind, lässt natürlich trotzdem zu, dass einzelne einen differenzierten Bedarf "in Reinkultur" äussern. Wir zögern nicht, in diesen Fällen von echt "individualisiertem" Bedarf zu sprechen. Wie die Differenzierung auf der Angebotsseite muss unseres Erachtens auch die Bedarfsdifferenzierung nicht unbedingt "in die Tiefe" reichen. Das bedeutet, dass sie sich vielleicht erst auf der Stufe der Kombination der angestrebten Güter entfaltet, während die Güter als solche unter Umständen auch Serienprodukte sein können (Howald, 1960, S. 91). Wir sind nicht der Meinung, es handle sich dabei allenfalls um eine zum Rudiment verkümmerte Form der Differenzierung (nach Gutersohn stellt sie nur einen "armseligen" Restbestand dar; siehe seine kurze Auseinandersetzung mit Howald [Gutersohn, 1963 a, S. 239 f., Fussnote 7].), denn bei dieser strengen Konsequenz könnte in Branchen mit-
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
aus welchen Gründen auch immer - wenig differenziertem Produktionsangebot (gemessen an den beschriebenen Massstäben) ein gegebener differenzierter Bedarf gar nicht verwirklicht werden. Dann wäre auch eine Leistungsdifferenzierung durch den Handel nur schwer vorstellbar. Im übrigen gilt es in diesem Zusammenhang einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Mit unserer idealtypischen Unterscheidung in differenzierten und homogenisierten Bedarf bezwecken wir in keiner Weise eine Wertung, also beispielsweise eine Kategorisierung der Verbraucher nach "qualifizierten" und "unqualifizierten". Ein solches Unterfangen wäre schon deswegen unsinnig, weil - wie wir gesehen haben - ein und derselbe Konsument gegenüber manchen Gütern differenzierte, gegenüber anderen homogenisierte Ansprüche äussert. In einer Wertung sehen wir aber auch gar nicht unsere Aufgabe. Eine zweite Bemerkung möge vor einem Missverständnis hüten: Der Begriff der homogenisierten Leistungen bzw. Ansprüche scheint uns sprachlich am besten den Gegensatz zur Differenziertheit auszudrücken, hat aber keinen Bedeutungszusammenhang mit dem aus der Wirtschaftstheorie bekannten Homogenitätsbegriff, der jeweils eine ökonomische Identität bezeichnet, in der allgemeinen Wirtschaftstheorie z. B. die Identität fiktiver Konkurrenzgüter (die dadurch zu einem einzigen Gut werden) (Rittershausen, 1966, S. 191; Schneider, 1969, S. 69), in der quantitativen Verbrauchsforschung die Identität und Konstanz von Verbrauchsmustern (so dass etwa der Pro-Kopf-Verbrauch innerhalb eines Haushalts nur mit den Pro-Kopf-Einkommen variiert) (PraisfHouthakker, 195511971, S. 88 f.) usw. Demgegenüber sei festgehalten, dass der Homogenitätsbegriff in unserer Betrachtung Serien- und Massen-, aber nicht identische Leistungen bezeichnet. Endlich scheint eine dritte gegen Fehlinterpretationen absichernde Bemerkung vonnöten: Der Betrachter könnte versucht sein, die polaren Erscheinungen des differenzierten und des homogenisierten Verhaltens in gedankliche Übereinstimmung zu bringen mit den ebenfalls polaren Bestrebungen nach Abhebung und Anpassung, die, erstmals erforscht in der Soziologie und Sozialpsychologie (Simmel, 1905; v. Wiese, 1955), in zahlreichen jüngeren wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen Beachtung finden . So verwendet z.B. Scherhorn das Gegensatzpaar Differenzierung/Egalisierung, wobei er die Differenzierung mit der Abhebung, die Egalisierung mit der Anpassung gleichsetzt (Scherhorn, 1959, S. 849 f.). Nun besteht zwar ein gewisser Zusammenhang zwischen den beiden Erscheinungspaaren, der Gutersohn zur Feststellung veranlasst, Abhebung oder Auszeichnung bedeute in der Tendenz Differenzierung, Anpassung oder Nachahmung entsprechend tendenziell Homogenisierung. Jedoch weist er gleichzeitig darauf hin, dass dieser Zusammenhang nicht automatisch oder zwangsläufig spielt (Gutersohn, 1969, S. 18; Gutersohn, 1963b, S. 235). In der Tat leuchtet ohne weiteres ein, dass z. B. differenzierte Ansprüche, etwa von Konsumvorbildern, durch andere Verbraucher imitiert werden kön-
Differenzierter I homogenisierter Bedarf
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nen, so dass Nachahmung zur Differenzierung führen kann und damit die angesprochene Parallelität durchbrochen ist (Gutersohn, ebenda). Fassen wir unsere Erörterungen zum differenzierten und homogenisierten Bedarf zusammen: Der Konsumgütermarkt der Jahre etwa seit 1950, ist gekennzeichnet durch eine immer rascher wachsende Ausweitung und Auffacherung des Warenangebots, das damit imstande zu sein scheint, zunehmend sich verfeinernde Ansprüche zu befriedigen. Bei näherem Hinsehen erweist sich diese Erscheinung jedoch in der Mehrzahl der Fälle eher als eine Vervielfachung denn als eine Verfeinerung der Bedarfsäusserungen. Von einer eigentlichen Differenzierung des Bedarfs und von differenziertem Bedarf als Ergebnis dieses Prozesses sprechen wir nur, wenn der Bedarf sich auf ein Leistungsangebot persönlichen Zuschnitts und individueller Abstimmung richtet im Idealfall auf Einzelleistungen. Das Pendant dazu, die Beanspruchung von Serien- und Massenleistungen, bezeichnen wir als Äusserung homogenisierten Bedarfs. Beide extremen Formen kommen in manchen Bereichen der Wirtschaftspraxis nicht allzu häufig vor, sondern bilden Pole, zwischen denen eine breite Skala von Misch- und Übergangsformen anzutreffen ist. Dennoch erscheint die polare Betrachtung zur Herausarbeitung typischer Merkmale (des differenzierten und des homogenisierten Bedarfs) zweckmässig und statthaft, wobei auf das jeweilige Überwiegen der einen oder anderen Ansprüche abgestellt werden kann. Logik und Systematik leiden bei diesem Vorgehen so wenig wie bei einer Unterscheidung etwa zwischen gesund und krank oder reich und arm, ebenfalls entgegengesetzten Kriterien, die eine gegen unendlich strebende Zahl von Zwischenformen einschliessen und dennoch - oder gerade deswegen - die betreffenden Sachverhalte erst in der diametralen Betrachtung genügend deutlich herauszustellen erlauben.
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
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Die Klein- und Mittelunternehmen zwischen Chancen und Risiken A. Bedeutung der KMU heute und morgen Der Stellenwert der KMU ist heute genauso hoch einzuschätzen wie in den letzten Jahrzehnten und dürfte auch in Zukunft nicht abnehmen. Dafür sprechen u. E. drei Thesen, die die oft gehörte Prophezeiung vom Untergang der "Kleinen" Lügen strafen (vgl. Pleitner, 1989). Die Verschiebungsthese besagt, dass der Strukturwandel vom sekundären zum tertiären Sektor und das damit verbundene überproportionale Wachstum des Dienstieistungssektors zu einer Stärkung des Mittelstandes führen wird, der seit jeher in diesem Sektor dominiert. Nach der Leistungsthese gibt es zahlreiche Branchen, in denen die Rentabilität der Betriebe um so höher ist, je kleiner sie sind. Das Konzept der "economies of scale" wird hier sozusagen in sein Gegenteil verkehrt. Die Menschlichkeitsthese erklärt die Stärke der KMU aus psychologischer Sicht. Viele humane Bedürfnisse, Z.B. nach persönlichen Kontakten, menschlicher Kommunikation, überschaubarer Arbeitssituation u.a., können KMU besser erfüllen als Grossunternehmen. Die ungebrochene Bedeutung der KMU kann quantitativ belegt werden (Tab. 1): Die Volkswirtschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz wie auch der zwölf Länder der Europäischen Union werden massgeblich durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt. 99,8 % bzw. 99,9 % aller Unternehmungen sind KMU (definiert als selbständige Einheiten mit weniger als 500 Beschäftigten). Mit zwischen 64 % und 77 % arbeitet zudem der Grossteil der Beschäftigten in KMU. Eine ähnlich hohe Bedeutung bestätigen auch Ergebnisse für Japan und die USA. Neben diesen quantitativen Grössen zeigen aber auch qualitative Überlegungen die Bedeutung der KMU für Gesellschaft und Wirtschaft. Der gesellschaftliche Rang der KMU hat ordnungs-, konjunktur- und sozialpolitische Aspekte. Wenn eine Vielzahl von Klein- und Mittelunternehmen den In ähnlicher Fassung ursprünglich erschienen in: Die Volkswirtschaft, 1993/8.
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Konzentrationsprozessen der Wirtschaft entgegenwirkt, gewährleistet sie ordnungspolitisch ein breites Leistungspotential, das den vielfaltigen Anforderungen der Wirtschaftssubjekte in beinahe maximaler Weise entspricht. Das wird besonders deutlich, wenn man sich das Gegenszenario in den früheren östlichen Planwirtschaften vergegenwärtigt. Im Vergleich zu Grossunternehmen können sich KMU weniger leicht dem Wettbewerb entziehen, da Wettbewerbsabsprachen zwischen vielen kleinen Unternehmen jedenfalls im "Modell" schwieriger zu bewerkstelligen sind und staatliche Wettbewerbseingriffe seltener verfälschend wirken können. Daraus resultiert ein stärkerer Wettbewerb sowie eine marktwirtschaftlich bessere Ressourcenallokation. Weil KMU Anpassungen flexibler und schneller durchführen können und in der Regel eine geringere Kapitalintensität aufweisen als Grossunternehmen, wirken sie konjunkturstabilisierend. Eine Vielzahl voneinander unabhängiger Unternehmen liefert einen stabilen Beitrag zur Sicherung der Beschäftigungslage. Eine dezentralisierte und damit regional ausgeglichene Wirtschaftsstruktur kann nur durch eine adäquate Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen sichergestellt werden. Sie tragen dazu bei, dass auch wirtschaftliche Randgebiete florieren können und die Konzentration industrieller Ballungsräume abnimmt. Aus sozialpolitischer Sicht sind exemplarisch nur das Angebot humaner Arbeitsplätze und das hohe Mass an Arbeitszufriedenheit in KMU hervorzuheben. Die wirtschaftliche Bedeutung der KMU zeigt sich insbesondere in ihrer Beweglichkeit und Kundennähe. Durch ihre begrenzte Betriebsgrösse und damit ihre grössere Symmetrie zur Mehrzahl ihrer Abnehmer können sie leichter auf deren Wünsche und auf individuelle Belange eingehen als Grossunternehmen, die eher auf Massenfertigung und damit auf eine Realisierung von "economies of sc ale" ausgerichtet sind. Weiter erfüllen kleine und mittlere Unternehmen eine wichtige Zuliejer- und Distributionsfunktion, indem sie Grossunternehmen mit Halb- und Fertigerzeugnissen beliefern und die Produktionssphäre mit der Konsumsphäre verbinden. Aufgrund ihrer hohen Innovationseffizienz sind KMU zudem häufig Quellen bedeutender Neuerungen. Die schnelle Umsetzung neuer Erkenntnisse und die Integration von Neuentwicklungen erhöhen die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt in einem sich turbulent ändernden Umfeld. Nur eine ausreichende Verbreitung von KMU gewährleistet zudem den Nährboden für unternehmerische Denk- und Handlungsweisen im Sinne des "Entrepreneurships". Kleine und mittlere Unternehmen spielen eine überragende Rolle auf dem Gebiet der beruflichen Ausbildung; das duale System lebt geradezu von den Ausbildungsplätzen, die durch KMU bereitgestellt werden: 1985 entfielen z.B. in der Schweiz über 90 % aller Lehrstellen auf KMU, wobei besonderes Gewicht den Kleinunternehmen zukommt, die zwei Drittel aller Lehrlinge ausbilden. Die grosse Zahl an Fachkräften in unseren Volkswirtschaften, die einen
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bedeutenden internationalen Wettbewerbsfaktor ausmacht, ist also massgeblich auf die Ausbildungsleistung des Gewerbes zurückzuführen. Darüber hinaus stellen die KMU der deutschsprachigen Länder (s. Tab. 1) zwischen 64 % und 77 % der Arbeitsplätze und sind auch die Hauptquelle neuer Arbeitsplätze. So ist schon seit der Untersuchung von Birch (vgl. Birch, 1979, 1987) für die angelsächsischen Länder bekannt, dass KMU noch Arbeitsplätze schaffen, während Grossunternehmungen Arbeitsplätze abbauen. Das dürfte auch auf Deutschland, Österreich und die Schweiz zutreffen. Diese Arbeitsplatzschaffung beruht freilich zum grossen Teil auf Neugründungen, die naturgemäss mit kleinen Betriebsgrössen korrelieren. Tabelle I : Unternehmen und Beschäftigte nach Grössengruppen
Kleinstunternehmen I -9 Besch.
Kleinunternehmen 10 - 99 Besch.
Kleinund Mittelunternehmen 1-499 Besch.
Grossunternehmen 500+ Besch.
Anteil Unternehmen (%) Deutschland (1986)
MitteIunternehmen 100 499 Besch.
86,0
12,9
0,9
99,8
0,2
Österreich (1988)
84,4
14,1
1,3
99,8
0,2
Schweiz (1991)
85,5
13,2
1,1
99,8
0,2
EU-12 (1990)
93,3
6,1
0,5
99,9
0,1
Anteil Beschäftigte (%) Deutschland (1986)
18,2
27,3
18,7
64,2
35,8
Österreich (1988)
17,4
35,7
24,0
77,1
22,9
Schweiz (1991)
21,7
31,8
20,5
74,0
26,0
EU-12 (1990)
31,8
25,0
15,1
71,9
28,1
Quellen: Deutschland: Commission of the European Communities, Enterprises in the European Community, Luxemburg 1990. - Österreich: Wirtschaftskammer Österreich, Jahrbuch der österreichischen Wirtschaft 1993. - Schweiz: Bundesamt für Statistik, Eidg. Betrlebszählung 1991, Bern 1993. - EU: The European Observatory for SMEs, Second Annual Report 1994, Zoeterrneer 1994.
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
B. Stärken und Schwächen der KMU Aus der beschränkten Grösse der KMU ergeben sich - für viele Betrachter noch immer paradoxerweise - spezifische Stärken, denen freilich unübersehbare, "eingebaute" Schwächen gegenüberstehen. Die folgende Auflistung enthält nur charakteristische Grössen, ohne vollständig zu sein. Stärken
Schwächen
I. Flexibilität, "Iean management"
I. Finanzierungsengpässe
2. Enge Kundenkontakte 3. Qualitätsangebotlindividualisierte Leistungen 4. Kostenvorteile
3. Marktmachtnachteile
5. Persönlichkeit des Chefs 6. Engagierte und qualifizierte Mitarbeiter
2. Nachfolgeproblem 4. Schwache Absatzposition 5. Schwächen aus der Person des Unternehmers 6. Anfälligkeit für erschwerte Rahmenbedingungen
Abbildung 1: Stärken und Schwächen der KMU
Die Stärken der KMU basieren auf ihrem hohen Flexibilitätspotential. Kurze Informations- und Entscheidungswege sowie Überschaubarkeit der Verhältnisse und enge Kundenkontakte ermöglichen es, rasch und umfassend (nicht nur vordergründig) auf Marktveränderungen und veränderte Kundenbedürfnisse zu reagieren. Dabei kommen die Konsumentenwünsche nach vermehrter Differenzierung und Individualisierung dem typischen Leistungsangebot der KMU entgegen. Aufgrund der kleinen Betriebsgrösse eröffnen sich spezifische Kostenvorteile, die Grossbetrieben mit bürokratischem Überbau verschlossen bleiben, es sei denn, sie versuchen, ihre schwerfälligen Strukturen in Richtung "lean management" zu ändern. Die Hauptstärke der KMU liegt - im positiven Fall - in einer ausgeprägten Unternehmerpersönlichkeit und bei engagierten und qualifizierten Mitarbeitern statt frustrierten Lohnempfängern. Die potentiellen Schwächen der KMU sind trotz des imposanten Stärkepotentials nicht zu ignorieren: Eine wesentliche Schwierigkeit, insbesondere der kleinen Unternehmen, liegt im Bereich der Finanzierung. Probleme bei der Kapitalbeschaffung sind oft verbunden mit einer mangelhaften Finanzierungspolitik und einer unzureichenden Sicherung der Liquidität. Da es vielfach abgelehnt wird, neue Teilhaber bzw. Aktionäre aufzunehmen, weil es eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse zur Folge hätte, bleibt den KMU, abgesehen von einer Finanzierung aus Rückstellungen und einer Vermögensumschichtung, nur die Möglichkeit der Gewinnthesaurierung oder der Kreditfinanzierung. Bei der Kreditvergabe orientieren sich aber die Fremdkapitalgeber, hier v.a. die Ban-
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ken, in der Regel statisch an der Eigenkapitalausstattung und nicht, was aus der Perspektive der Kreditbewerber im Zweifel besser wäre, an der zukünftigen Cash-flow-Entwicklung und an glaubhaften Finanzplänen. Ein weiterer Problemkreis ergibt sich aus der vielfach ungeregelten Nachfolge. Beim zunächst verdrängten Ausscheiden des Unternehmers findet keine geordnete Übergabe der Leitung statt, was zu grösseren Steuerungsfehlern führen kann. Gemäss einer Untersuchung in acht westeuropäischen Ländern zum strategischen Verhalten von kleinen und mittleren Unternehmen ("Interstratos", vgl. Haahti, 1993) sind mittlerweile ca. 40 % der Unternehmen dagegen, dass in Familienbetrieben die Leitung in den Händen der Familie bleiben sollte, wobei mit steigender Betriebsgrösse der Anteil noch zuninunt. Dies kann als ein Indikator für wachsende Nachfolgeprobleme gewertet werden. In KMU wiegen ferner personale Schwächen (auch und gerade des Unternehmers selber, s.u.) um so mehr, als sie sich angesichts der begrenzten Grösse unmittelbar auf den Erfolg auswirken. Die natürlichen Marktmachtnachteile der kleinen Unternehmen machen sich sowohl auf den Beschaffungs- als auch auf den Absatzmärkten bemerkbar. Aufgrund der geringen Marktposition realisieren sie schlechtere Konditionen und geraten auf der Absatzseite bei einzelnen wichtigen Grosskunden in Abhängigkeitsverhältnisse, wie Beispiele etwa aus der Zulieferindustrie des Automobilsektors zeigen. Des weiteren ist oft die Wahl der Distributionskanäle eingeschränkt. Es erstaunt daher nicht, dass erfolgreiche KMU eher in spezifischen, engen Märkten arbeiten (die nicht unbedingt lokal eingeschränkt sein müssen). Die Person des Unternehmers kann so gut wie eine Stärke auch eine Schwäche darstellen. So liegen die hauptsächlichen Ursachen für Insolvenzen im Bereich der obersten Unternehmensführung. Vielfach sind die Unternehmer zu sehr mit dem "Tagesgeschäft" belastet und delegieren zu wenig Verantwortung an qualifizierte Mitarbeiter. Die wichtigen mittel- und langfristigen unternehmerischen Entscheidungen treten in den .Hintergrund. Hinzu konunt neben der zwar technisch sehr guten Ausbildung des Unternehmers oft ein Mangel in Managementkenntnissen. Betriebswirtschaftliche Instrumente wie das Controlling und die Möglichkeiten der Informatik werden deswegen noch inuner zu wenig genutzt. Diese Bemerkungen charakterisieren die Ausgangsposition der KMU angesichts der neuen durch Veränderungen im Umfeld evozierten Herausforderungen.
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
c. KMU-relevante Umfeldveränderungen und ihre Bewältigung
Die unternehmerische Landschaft ist heute gekennzeichnet durch eine zunehmende Internationalisierung, im Extremfall Globalisierung der Märkte, starke konjunkturelle Ausschläge, einen beschleunigten technischen Fortschritt in einer Gesellschaft, die im Zeichen eines umbruch artigen Wertewandels zugleich den Sinn des auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftens in Frage stellt. Hier mag ein Blick auf den "Sonderfall Schweiz" von Interesse sein: Aufgrund der starken Aussenhandelsverflechtung der Schweizer Wirtschaft mit den europäischen Ländern wird die Schweiz auch ausserhalb der EU oder des EWR durch die Vollendung des europäischen Binnenmarktes wesentlich beeinflusst. Dem Cecchini-Bericht (Cecchini/CatinatlJacquemin, 1992) zufolge wurde mit der Vollendung des EG-Binnenmarktes der Zwölf mit seinen rund 350 Mio. Verbrauchern ein Wachstum des Bruttoinlandproduktes von 4 bis 7 % erwartet. Aus makroökonomischer Perspektive werden durch die Marktintegration niedrigere Produktionskosten, höhere Produktivitäten, eine Entlastung der öffentlichen Haushalte, die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie eine Dämpfung der Inflationsraten angestrebt. Daraus sollte eine erwartete Wohlstandssteigerung von über 200 Mrd. ECU resultieren. Nicht berücksichtigt werden aber in dieser rein wirtschaftlichen und von Wohlstandsoptimismus geprägten Beurteilung des Binnenmarktes die externen Effekte, z.B. im Sinne der Belastung der Umwelt. Eine nicht nur wohlstands-, sondern eher wohlfahrtsmaximierende Orientierung ist jedoch auch heute noch nicht erkennbar. Durch die Schaffung des EWGEFTA-Freihandelsabkommens von 1972 konnte die Schweiz als Nicht-EGLand von der Öffnung der nationalen Märkte zugunsten eines freien Aussenhandels über die EG hinaus profitieren. Mit der Schaffung des EUBinnenmarktes bezieht sich der Abbau der nichttarifaren Handelshemmnisse jedoch nur noch auf EU-Länder. Dadurch entgeht der Schweiz ein voraussichtliches EU-Exportvolumen von über 4 Mrd. Fr. (berechnet auf der Basis der Exportzahlen von 1989; vgl. Ghermi, 1992, S. 266f.), wobei die Maschinenbaubranche am stärksten betroffen ist. Aufgrund des Schweizer EWR-Neins von 6.12.1992 kann zudem die EU ihre Marktmacht gegenüber der Schweiz in bilateralen Verhandlungen stärker ausspielen. Aber nicht nur die westeuropäische Integration verändert die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nachhaltig. Mit der politischen Öffnung der osteuropäischen Staaten - einer Region mit fast 415 Mio. Menschen - ist ein enormer Versorgungsbedarf entstanden - zugleich ein gigantisches Marktpotential, sofern es gelingt, die erforderlichen Reformen politisch langfristig durchzusetzen. In Asien werden Länder wie Korea, Taiwan und ganz besonders China in riesigem Ausmass an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen.
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Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf KMU? Aus ihrer Sicht wird auf der einen Seite der zunehmende Konkurrenzdruck sinkende Preise und die Anforderungen verbesserter Produktqualität und Produktauswahl mit sich bringen. Andererseits werden aber die Markterweiterung und der zunehmende Investitionsbedarf tendenziell das Wachstum beleben, und eine gesteigerte Innovationsfahigkeit kann zu Produktivitätssteigerungen genutzt werden. Um dies zu erreichen, bedarf es aber im einzelnen Unternehmen einer klaren strategischen Zielausrichtung, die die Entwicklung angemessen antizipiert. Die weltweite wirtschaftliche Verflechtung trägt dazu bei, dass lokale Ungleichgewichte schnell übertragen und vielfach noch verstärkt werden. Dadurch entstehen starke Schwankungen wirtschaftlicher und monetärer Grössen, die auch durch nationale staatliche Massnahmen wie das Eingreifen nationaler Notenbanken nicht völlig geglättet werden können. Weiterhin verkürzt der technische Fortschritt die Pay-back-Periode neuer Produkte. Die Fähigkeit, möglichst schnell marktgerechte Innovationen hervorzubringen, wird zu einer Überlebensfrage auch der KMU werden. Der zunehmende Wertewandel in der Gesellschaft seit den 60er Jahren äussert sich in einer gewandelten Einstellung zur Arbeit und einer veränderten Arbeits- und Leistungsmotivation. Die Freizeit wird höher bewertet, und die Anforderungen an den Sinngehalt der Arbeit nehmen zu. Nicht mehr materielle Anreizsysteme, sondern postmaterialistische Werte wie Selbstentfaltung, Unabhängigkeit und Kreativität treten in den Vordergrund. Diese Trends werden für die typischerweise arbeitsintensiven KMU in besonderem Masse spürbar. Daneben wird die Umweltproblematik zu einem immer dringenderen Thema. Leipert hat die wirtschaftlichen Folgekosten von Umweltschäden für die Bundesrepublik Deutschland, die nicht als Belastung, sondern als positive Grösse in das Bruttosozialprodukt (BSP) eingehen und es damit künstlich erhöhen, auf über 3% des BSP geschätzt (1989, S. 110 ff.) . Diese sogenannten kompensatorischen Kosten, die eine Reaktion auf die durch die Unternehmen verursachten Umweltschäden darstellen, scheinen aber bedeutend kleiner zu sein als die tatsächlichen Schäden. Das zeigen Untersuchungen in anderen europäischen Ländern, wonach die tatsächlichen ökologischen Kosten bis doppelt so hoch sind (6% des BSP; vgl. Winter, 1988, S. 15 ff.). Es verwundert daher nicht, dass der Wille zunimmt, sparsam und sinnvoll mit den begrenzten Ressourcen umzugehen. Zum einem sind die von der Gesellschaft formulierten Umweltschutzforderungen schon in Gesetze umgesetzt worden, die die Handlungsfreiheit der Unternehmen einschränken und so lenkend im Hinblick auf umweltbewusstes Handeln wirken. Zum anderen macht sich bereits ein geändertes Nachfrageverhalten bemerkbar. Zugleich stellt aber eine ökologisch bewusste Unternehmensführung eine Chance dar, indem neue Marktpotentiale erschlossen werden können. Zusätzlich lassen sich Imagegewinne in der Öffentlichkeit und bei den 4 Pleilßer
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Mitarbeitern sowie eine Risikoreduktion erreichen. UmweItbewusstes Management muss also nicht im Widerspruch zu ökonomischem Verhalten stehen. Übersichtsweise lassen sich die wichtigsten Veränderungen, die neue Anforderungen an das Management von KMU bedeuten, wie folgt festhalten: Wesentliche Umfeldentwicklungen mit Relevanz ftir KMU
• •
wachsender Innovations- und Technologiewettbewerb Erlös- und Margendruck durch Preissenkungen im bisherigen Geschäft
• •
steigender Investitionsbedarf vermehrte Differenzierung der Bedürfnisse
•
erhöhte Anforderungen an die Qualifikation und Mobilität der Mitarbeiter
•
vermehrte Berücksichtigung neuer gesellschaftlicher Werte wie Umweltschutz
•
starke Schwankungen wirtschaftlicher Grössen
•
zunehmender Kooperations- und Internationalisierungsbedarf Abbildung 2: KMU-relevante Umfeldveränderungen
Diese Veränderungen stellen die mittelständischen Unternehmer gebieterisch vor neue Aufgaben, gesellschaftliche und ökologische ebenso wie wirtschaftliche und technische. Ihre Bewältigung bedeutet zugleich die Realisierung von möglicherweise existenzentscheidenden Entwicklungspotentialen über die Setzung geeigneter Ziele.
I. Gesellschaft und Ökologie Eine zeitgemässe Unternehmensführung schliesst den Umweltschutz und gesellschaftliche Ansprüche in das Zielsystem der Unternehmung ein. Statt bl ossem Gewinnstreben sind im Sinne des Zielpluralismus weitere ökonomische Ziele wie Ertrag, Cash-flow und Liquidität, aber auch soziale und ökologische Grössen ins Ziel system der KMU aufzunehmen. Dabei stehen die Ziele nicht unbedingt in einer konfligären Beziehung zueinander, sondern können sich gegenseitig bedingen. Schliesslich ist es auf Dauer eine Voraussetzung des ökonomischen Erfolges, dass die ökologischen und sozialen Herausforderungen der Zukunft bewältigt werden. Indem nicht erst aufgrund gesetzlicher Regelungen gehandelt wird, sondern durch aktive Berücksichtigung der "neuen" Belange, gelingt der Übergang von einer defensiven Anpassungsstrategie zu einer offensiven Handlungsstrategie.
KMU zwischen Chancen und Risiken
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In ökologischer Hinsicht bedarf es für die Realisierung einer solchen Offensivstrategie und damit der Integration der Ökologie in die Unternehmensführung eines Umweltmanagements, das alle betrieblichen Funktionen erfasst und zudem zweckmässig den Blickwinkel auf die vor- und nachgelagerten Stufen der Unternehmung erweitert. Bei der Entscheidung über leistungswirtschaftliche, finanzwirtschaftliche und soziale Ziele und Strategien sollten auch die ökologischen Auswirkungen berücksichtigt werden. Ansatzpunkte bietet der vollständige "Produktweg", der bei der Gewinnung der Rohstoffe anfängt und über den Produktionsprozess und den Gebrauch bei der Entsorgung des Produktes endet. Der Weg des Produktes beinhaltet also neben der eigentlichen Produktion die vorgelagerten Stufen der Rohstoff- und Energiegewinnung sowie die nachgelagerten Stufen der Distribution, des Konsums und der Entsorgung. Damit ist er abzugrenzen vom Produktlebenszyklus im herkömmlichen Sinne, der die Lebensdauer eines Produktes von der Markteinführung bis zu seinem Ersatz durch neue, verbesserte Produkte beschreibt. Im wesentlichen bieten sich, ausgehend von den Wertschöpfungsaktivitäten, für KMU fünf ökologische Handlungsfelder an (vgl. Dyllick, 1990, S. 6 ff.) : Betrieb, Mitarbeiter, Markt, Produkt und Öffentlichkeit. Im internen Handlungsfeld "Betrieb" soll der Prozess der Leistungserstellung umweltverträglich gestaltet werden. Bei den "Mitarbeitern" bilden Motivation, Information sowie eine ökologische Aus- und Weiterbildung die wichtigsten Ansatzpunkte. Der "Markt" stellt die Beziehung zu den Kunden in den Vordergrund. Durch Produktentwicklung und Marketing kann ein ökologischer Zusatznutzen realisiert werden, mit dessen Hilfe eine Differenzierung zur Konkurrenz oder ein neuer Markt aufgebaut werden kann. Beim "Produkt" wird die umweltverträgliche Gestaltbarkeit des ganzen "Produktweges" von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung hervorgehoben. Schliesslich werden mit der "Öffentlichkeit" alle externen Interessengruppen in die Betrachtung einbezogen. Es ist eine aktive und offene Kommunikation zu wählen, deren Gestaltung abhängig ist von der Exponiertheit der Unternehmung und den Erwartungen der Öffentlichkeit. Die wichtigsten Vorteile eines so verstandenen aktiven Umweltmanagements liegen in einer erhöhten Reagibilität, geringeren Risiken, erhöhten Absatzchancen, einem Imagegewinn in der Öffentlichkeit sowie in einer höheren Attraktivität als Arbeitgeber - alles Vorteile, die der weitsichtige Unternehmer höher bewerten wird als die anfangs höheren Aufwendungen für das umweltbewusste Management. Im Hinblick auf die soziale/gesellschaftliche Verantwortung ist im Zielsystem der KMU neben den unternehmungsinternen Anliegen neuen Ansprüchen Rechnung zu tragen, die von externen Gruppen geltend gemacht werden (etwa Fremdkapitalgeber, Lieferanten, Kunden). Ihre Berücksichtigung bedeutet 4·
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
nicht, die KMU zu Wohltätigkeitseinrichtungen zu machen, sondern zu Unternehmungen, die sich ihrer umfassenden Verantwortung bewusst sind - und so auf Dauer ihr Ansehen verbessern und ihre Machtstellung stärken - im Interesse der Sicherung ihres eigenen Handlungsspielraumes und ihrer Überlebensfähigkeit. - Selbstverwirklichung der Mitarbeiter Gesellschaftliche! soziale Ziele
- Einkommen - soziale Sicherheit - Unabhängigkeit - Partnerschaftlichkei t - etc. - Emissionsminderung - Umweltbelastungsreduktion
Ökologische Ziele
- Energieverbrauchsreduktion - Umweltverträglichkeit - Entsorgbarkeit - etc.
Abbildung 3: Ökologische und gesellschaftliche/soziale Ziele
Ein Bekenntnis zu solchen Zielen dokumentiert das Bewusstsein der Führenden von der Einbettung der KMV in das grössere System ihrer Umwelt und dürfte ihnen vorerst mindestens einen Bonus-Vorsprung gegenüber denjenigen Firmen einbringen, die strikt an bloss ökonomischen, internen Zielen festhalten - bis sie früher oder später per Gesetz oder Verordnung zu einem breiteren Zielspektrum gezwungen werden.
11. Wirtschaft und Technik Unterscheidet man mit Porter die grundsätzlich möglichen Wettbewerbsstrategien Kostenführerschaft, Differenzierung und Konzentration, so scheinen für KMV am ehesten die bei den letzten erfolgversprechend zu sein. Die hohen Produktionskosten, bedingt vor allem durch hohe Löhne unter den Gegebenheiten hoher Arbeitsintensität, schränken Kostenführerschaftsstrategien schweizerischer KMV ein. Eine Konzentration aufMarktnischen mit spezialisierten Produkten, die einen hohen Wertschöpfungsanteil einschliessen, ermöglicht vergleichsweise besser, Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Daneben ist eine Diffe-
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renzierung durch innovative Produkte, die individuelle Konsumentenbedürfnisse befriedigen, verbunden mit Serviceleistungen und hoher objektiver und subjektiver Qualität von höherer Attraktivität für schweizerische kleine und mittlere Unternehmen. Wesentlich erleichtert wird die Implementierung der Konzentrations- und Differenzierungsstrategien durch die Einführung von CIM (Computer Integrated Manujacturing) mit technischen und betriebswirtschaftlichen Bausteinen. Die betriebswirtschaftlichen Aufgaben liegen in der Produktionsplanung und -steuerung; die eher technisch orientierten Aufgaben sind Gegenstand des Computer Aided Design (CAD) und des Computer Aided Manufacturing (CAM). CIM, verstanden als konzeptionelle Lösung für die Integration der Gestaltungs-, Planungs-, Steuerungs-, Kontroll- und Umwandlungsprozesse in einer Unternehmung durch bereichsübergreifende Informationssteuerung und Informationsanwendung, wird heute zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor auch für KMU (Scheer, 1987). Dies ist z.T. bedingt durch die starke wirtschaftliche Verflechtung, die einen Transfer der CIM-Konzepte von Grossunternehmen zu kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere im Bereich der Zulieferindustrie, mit sich brachte. Daneben sind es vielfache Vorteile, welche die Verbindung der Informationstechnik mit der Produktionstechnik und den betriebswirtschaftlichen Abläufen bietet, die die Bedeutung des CIM - für viele Betrachter überraschend - auch für KMU stark ansteigen lässt. Durch den Einsatz von CIM kann insbesondere der Ziel konflikt zwischen Marketing und Produktion, oder vereinfacht zwischen einer weitgehenden Differenzierung und einer hohen "Automatisierung", die eine rationelle und kosteneffiziente Produktion erlaubt, verkleinert werden. - Überlebenssicherung - Gewinnverbesserung
Wirtschaftliche Ziele
- Wachstum, auch über die Grenzen - Konzentration auf Marktnischen - Differenzierung - etc. - Nutzung Computerpotential - Produktivitätssteigerung
Technologische Ziele
- Einsatz Informationstechnologie - Reengineering - Rationalisierung - etc.
Abbildung 4 : Wirtschaftliche und technologische Ziele
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
CIM-Konzeptionen sind allerdings aufgrund unterschiedlicher Randbedingungen und Unternehmensstrategien unternehmensspezifisch anzuwenden. Das gewählte Produktionsverfahren, der angestrebte Produktdifferenzierungsgrad, die Anzahl Aufträge pro Jahr sowie die Losgrösse pro Auftrag bestimmen die gebotene Auslegung. CIM-Konzepte sind daher von der verfolgten Unternehmens- und Produktionsstrategie abhängig: In Grossbetrieben kommen eher Transferstrassen und bei Klein- und Mittelunternehmen eher flexible FertigungszeIlen sowie flexible Fertigungssysteme zum Einsatz. Fachorgane bieten CIM-Pakete an, weIche speziell die technischen, organisatorischen und ausbildungsmässigen Bedürfnisse der mittelständischen Unternehmen befriedigen (vgl. BFK, 1992). Dank leistungsfähiger Personal Computer und Low-CostSysteme wird CIM heute kostengünstig und stellt deshalb nicht mehr nur ein Potential für Grossbetriebe dar. Bei der Einführung kann auf offene, modulare Standard-CIM-Technik zurückgegriffen werden, die mit Hilfe externer Institutionen zu implementieren ist. Mit der politischen Öffnung der osteuropäischen Staaten wie mit der westeuropäischen Integration hat die Marktentwicklung für schweizerische KMU einen neuen Stellenwert erhalten. Die KMU kennen aber oft nicht alle Möglichkeiten einer erfolgreichen Auslandbetätigung oder nutzen sie zu wenig, indem sie mehr als nötig regional ausgerichtet bleiben. Das bestätigen die Ergebnisse der bereits erwähnten INTERSTRATOS-Untersuchung, wonach im Durchschnitt der befragten KMU über ein Drittel des Umsatzes allein auf den lokalen Markt (Gebiete mit einem Radius von höchstens 50 km um den Betriebsstandort) entfällt. Gewiss bietet die lokale Marktbearbeitung Vorteile wie geringe Transportund Marketingkosten, hohen Bekanntheitsgrad, engen Kundenkontakt etc. Trotzdem sollte das Marktpotential jenseits der vertrauten traditionellen geographischen Bearbeitungsgrenzen nicht schlichtweg vernachlässigt werden, schon gar nicht, wenn die traditionellen Märkte unergiebiger werden. Neben dem direkten und indirekten Export als verbreitetster Art der Auslandbetätigung können durchaus auch Kooperationen oder Direktinvestitionen in Form von Neugründungen, Akquisitionen und Beteiligungen in Betracht kommen. Beim direkten Export vollzieht sich der Absatz an ausländische Nachfrager, also an Verwender, Konsumenten oder an Absatzmittler wie Importeure, Händler und Handelsgesellschaften. Beim indirekten Export werden dagegen inländische Absatzmittler zwischengeschaltet, weIche ihrerseits die Exportaufgaben übernehmen. Die bedeutendsten Formen der Kooperation für KMU sind Lizenzen, Zulieferverträge, Joint Ventures, Franchising sowie technische und kaufmännische Beratung. Mit Blick auf die Schweiz schränken die nichttarifären Handelshemmnisse des EU-Binnenmarktes die Exportmöglichkeiten in die EU stark ein, damit erhalten die Kooperationen und Direktinvestitionen als mögliche Auslandsaktivitäten neuerdings ein besonderes Gewicht. Die Kriterien zur Beurteilung der verschiedenen Internationalisierungsoptionen liegen zum
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einen innerhalb des Unternehmens selbst, zum anderen in der Umwelt, und hier insbesondere im ausländischen Markt, der erarbeitet werden soll. Beurteilungskriterien
Unternehmensfaktoren: finanzielle und materielle Ressourcen - Managementressourcen, internationale Erfahrungen - Produkteigenschaften
-
Umweltfaktoren:
Export
Direktinvestitionen
Kooperationen
direkt
Akquisitionen
Lizenzen
indirekt
Beteiligungen
Zulieferverträge
Neugründungen
techno und kfm. Beratung
- Marktpotential - Wettbewerbsverhältnisse - staatliche Vorschriften und Restriktionen - politische Risiken und soziokulturelle Faktoren
Joint Ventures Franchising
Abbildung 5: Auslandsaktivitäten und Beurteilungskriterien
In der modernen Innovationsliteratur wird gelegentlich über den Haupteinfluss des Innovationsprozesses diskutiert. Insbesondere geht es um die Frage, ob Innovationen einem "demand-pull" oder einem "technology-push" zu verdanken sind, ob also die Nachfrage die Neuerungen auslöst oder ob zuerst Technologien entwickelt werden, die sich dann den Markt schaffen. Hierzu ist zu sagen, dass der Entwicklungsprozess sich in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung typischerweise an den Bedürfnissen des Marktes orientiert und demzufolge einen "demand-pull" darstellt, dass aber auch wesentliche Basisinnovationen, z.B. als Ergebnis von Grundlagenforschung, sich nicht auf Marktnachfrage zurückführen lassen, sondern aus der Technologie heraus entstehen. Beide Varianten sind also in der Praxis anzutreffen. Zum anderen ist der Einfluss der Unternehmungsgrösse auf die Innovationsaktivitäten umstritten. Vorherrschend scheint noch immer die unbefangene These, dass vor allem grosse Unternehmen kraft ihrer Ressourcen innovativer seien. Begründet wird die Meinung speziell mit der Finanzkraft und den riesigen F&E-Budgets. In diesem Zusammenhang werden freilich oft Ursache und Wirkung verwechselt. Haben Grossunternehmen per se eine innovative Überlegenheit, oder konnten KMU aufgrund erfolgreich durchgeführter Innovationen schnell wachsen? Microsoft, Bertelsmann und IKEA sind Beispiele von
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Unternehmen, die aufgrund ihrer starken Innovationskraft als "Kleine" ein überdurchschnittliches Wachstum aufweisen und daher heute zu den Grossunternehmen zu zählen sind. Auch versuchen Grossunternehmen wie Daimler Benz, IBM und Sulzer nicht umsonst, ihre Organisationsstrukturen zu verflachen, um sich dadurch mehr Marktnähe und Flexibilität, mit anderen Worten charakteristische KMU-Eigenschaften, zunutze zu machen. Versteht man unter Innovation im umfassenden Sinne die Umsetzung einer neuen nützlichen Idee von ihrer Entstehung bis zur praktischen Anwendung, liegen Bedeutung und Beitrag der KMU eher in der Invention und der Evolution bis zur Anwendungsreife, die Rolle der "Grossen" eher in der zweckfreien Grundlagenforschung und später in der Diffusion (vgl. Pleitner, 1987). Da sich KMU wegen ihrer begrenzten Ressourcen auf wenige Produkte und Technologien konzentrieren müssen, erlangen sie spezifische Vorteile auf diesen Gebieten.
Stärken und Schwächen der Unternehmung
Wertvorstellungen des Unternehmers und der relevanten An spruchsgruppen
Chancen und Gefahren der Umwelt · gesellschaftlich · ökologisch · tech nologisch · wirtschaftlich
I
I
Verschiedene Szenarien . optimistisch . pessimistisch
l ,",. ";, ~r
Un ternehmensstrategien
Abbildung 6: Der Prozess der Strategieentwicklung
Zwar ist die Flexibilität der kleinen Unternehmen - es wurde betont - typischerweise grösser als die der Grosskonzerne, doch stellt neuerdings die rasante Dynamisierung der Umwelt die KMU vor das Problem, geeignete Strategien zu entwickeln, welche die Anpassungsfähigkeit auch langfristig sicherstellen können. Diese Aufgabe ist nicht ohne einige systematische Erarbeitungsschriue zu
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lösen: Ausgehend von den Stärken und Schwächen des Unternehmens sind die Chancen und Gefahren seines Umfeldes auf Grundlage der Wertvorstellungen des Unternehmers und der relevanten Anpruchsgruppen zu eruieren. Neben qualitativen Hilfsmitteln, z.B. in Form von Leitbildern, helfen quantitative Überlegungen und Pläne dabei, mögliche Strategien aufzustellen und auf ihre Machbarkeit hin zu überprüfen. Unter Umständen können sogar verschiedene Szenarien mit mittel- und langfristigen Daten durchgerechnet werden. Wesentliche Datenquellen bilden externe Informationsdokumente sowie interne Grössen, etwa aus Planbilanzen, -erfolgs- und -mittelflussrechnungen. In den hier sehr grob skizzierten Prozess der Strategieentwickiung sind die wichtigsten Entscheidungsträger einzubeziehen, da auf diese Weise für die Implementation der Strategie die Akzeptanz der Mitarbeiter gegenüber den Neuerungen verbessert wird. Es ist nicht einfach, mittelständische Unternehmer vom Nutzen strategischen Verhaltens zu überzeugen. Die Turbulenzen, die auf den skizzierten Gebieten auf sie zukommen und die sicher nicht abflauen, zwingen die KMU jedoch, die Führung zu professionalisieren. Wenn das gelingt, ist nicht daran zu zweifeln, dass die neuen Herausforderungen, die heute viele Ängste in den KMU auslösen, sich in Chancen verwandeln, deren Nutzung einen erfolgreichen Weg ins nächste Jahrhundert eröffnet.
Literatur BFK: CIM Aktionsprogramm, Positionen und Perspektiven, Hrsg. : Bundesamt für Konjunkturfragen, Bern 1992. Birch, D.: The Job Generation Process, Cambridge Mass. 1979. Birch, D.: Job Creation in America, New York/London 1987. Bundesamt für Statistik (Hrsg.): Betriebszählungen, Bern 1955, 1965, 1975, 1985, 1991. Cecchini, P./Catinat, M./Jacquemin, A.: Europa 92: Der Vorteil des Binnenmarktes, Baden-Baden 1988. Dyllick, Th.: Ökologie in der Unternehmung: Konsequenzen für Führung und Organisation, in: Geschäftsbericht der Schweizerischen Gesellschaft für Organisation 1990, S.6 ff. Ghermi, P.E.: EG, EFTA und die Liberalisierung im Welthandel: Effekte auf die schweizerischen EG-Warenausfuhren der letzten dreissig Jahre und die diesbezüglichen möglichen Auswirkungen der EG-Integration Ende 1993, Zürich 1991.
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Haahti, A.l.: INTERSTRATOS, Internationalization of Strategie Orientations of European Small and Medium Enterprises, Brussels 1993. Leipert, Chr.: Die heimlichen Kosten des Fortschritts: Wie Umweltzerstörungen das Wirtschaftswachstum fördert, Frankfurt a.M 1989. Pleitner, H.l.: Die Rolle der Innovation für die Zukunftssicherung der kleineren Betriebe, in: Internationales Gewerbearehiv, 1987,3. Heft, S. 145 ff. Pleitner, H.l.: Gewerbe 2000. Eine Perspektivstudie für kleine und mittlere Unternehmungen, Winterthur 1989. Porter, M.E.: Wettbewerbsstrategie. Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, Frankfurt a.M. 1988. Scheer, A.-W.: CIM, Der computergestützte Industriebetrieb, 2. Aufl., Berlin 1987. Ulrich, H.lKrieg, W.: Das St. Galler Management Modell, Bern 1972. Small Business Administration: The State of Small Business: AReport of the President, Washington D.C. 1990. Winter, G.: Das umweltbewusste Unternehmen. Ein Handbuch der Betriebsökologie mit 22 Checklisten für die Praxis, 2. Aufl., München 1988.
Die kleinen Unternehmen zur Zeit der Jahrtausendschwelle Unternehmer und Führungskräfte in Klein- und Mittelunternehmen (KMU) mögen sich manchmal vorkommen wie auf einem Karussell; dieses dreht sich immer schneller - und das nicht an einem festen Standort - es schwankt und bewegt sich wie ein UFO fort: - in welche Richtung (nach oben oder unten)? - geradeaus oder im Slalom? Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es so rasch so massive Veränderungen. Der Zukunftsforscher Alvin Toffler veranschaulicht dies mit drei Wellen: • •
•
den verschiedenen vorindustriellen agrarischen Gesellschaften den Industriegesellschaften mit der Ausbildung grosser Bürokratien. die auf einem permanenten. vertikalen. mechanistischen Aufbau basieren. der sich für repetitive produktive Erzeugnisse oder repetitive Entscheidungen eignet einem neuen Lebensstil mit diversifizierten. erneuerbaren Energieträgern. Produktionsmethoden. neuen Familienstrukturen (..elektronisches Heim"). neu gestalteten Schulen und Unternehmen.
Wir stehen heute am Anfangspunkt der dritten Welle und sind mit dem Sektor der Klein- und Mittelunternehmen davon voll mitbetroffen. Unserer Volkswirtschaft ist das nicht gleichgültig: 97 % unserer Unternehmungen beschäftigen weniger als 50 Mitarbeiter. sind also kleine Betriebe. Für andere Länder gilt ein ähnlicher Prozentanteil. selbst für Giganten wie die USA und Japan. In jüngster Zeit gewinnen diese Firmen sogar an Stellenwert. Erstaunlich genug: Atemberaubende Umwälzungen und trotzdem Erfolg der KMU - entgegen alten Untergangsprophezeiungen. Das muss wohl seine Gründe haben. Wir sehen sie in den bereits im vorangehenden Beitrag angesprochenen drei Thesen: Aktualisierte Fassung eines Vortrages von 1993.
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•
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•
Verschiebungsthese: In den hochentwickelten Ländern lässt sich ein überproportionales Wachstum des Dienstleistungssektors im Vergleich zu den übrigen Wirtschaftssektoren beobachten. Im tertiären Sektor herrschen aus verschiedenen Gründen die kleinen Betriebe vor. Leistungsthese: Eine betriebs wirtschaftliche Erklärung bietet sich mit der ungeschmälerten Leistungsfahigkeit kleiner Firmen im Quervergleich der Betriebsgrössen an. In manchen Branchen ist heute die Rentabilität der Betriebe um so höher, je kleiner sie sind. Menschlichkeitsthese: Die Stärke der mittelständischen Betriebe hat auch psychologische Hintergründe (Sehnsucht nach Rückkehr zu einem menschlichen Format, als Hinwendung von der Masse zum Mass u.ä.). Diesem Trend kommen die kleinen Unternehmen zweifellos entgegen, und sie werden von ihm gestützt. Der Trend ist auch und gerade bei jungen Leuten stark ausgeprägt.
Die ermutigenden drei Thesen könnten zum Abwarten einladen, doch die Position der KMU will ständig neu erkämpft werden. Es bieten sich überall neue Chancen, aber ebenso lauern rundum neue Bedrohungen, mindestens auf fünf grossen Gebieten: Ökonomische Veränderungen Gesellschaftlicher Wandel q Ökologische Trends q Technologische Entwicklung q
q
und alles ist gebündelt in Europäische Herausforderung
q
A. Ökonomische Veränderungen Die rund 280'000 Unternehmungen in der Schweiz beschäftigen im Durchschnitt 10 Mitarbeiter. Auch diese Zahl für 1991 zeigt die kleinbetriebliche Struktur unserer Wirtschaft. 97,3 % Kleinbetriebe (1-49 Beschäftigte), 2,5 % Mittelbetriebe (50-499 Beschäftigte), und nur 0,2 % aller Einheiten zählen zu den grossen mit mehr als 500 Beschäftigten. Interessanterweise hat sich in den letzten Jahrzehnten der Anteil der kleinen, mittleren und gros sen Unternehmen an der Gesamtzahl kaum verändert. Aber die Gesamtzahl der Unternehmen ist absolut immer gestiegen; auch die Anzahl der Klein- und Mittelbetriebe hat zugenommen und dürfte in Zukunft weiterhin steigen: Das Verschwinden der kleinen und mittleren Unternehmen ist also nicht zu erwarten. Zurückgegangen ist aber die Zahl der Beschäftigten in den KMU: Noch 44 % aller Beschäftigten arbeiten in Kleinbetrieben (1955 waren
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es mehr als die Hälfte), 30 % in mittleren und 26 % in grossen Firmen. Dieses Bild ist typisch auch für andere Länder. Noch bedeutender sind die qualitativen Veränderungen am Arbeitsplatz und bei den Anforderungen an die Mitarbeiter. Die "Technisierung" der Arbeit beeinflusst auch die Einstellung zur Arbeit; sie verlangt neue "Tugenden", die Fähigkeit und Bereitschaft zum Lernen und zur Teamarbeit, gute Auffassungsgabe, Flexibilität, Kreativität und Abstraktionsvermögen. Damit hat sich auch die Ausbildung zu ändern, so dass die Anforderungen am Arbeitsplatz und die Qualifikation der Mitarbeiter sich entsprechen. Das gilt natürlich ganz besonders für die Führungskräfte und Unternehmer. Ihre Aus- und Weiterbildung wird zu einer Schlüsselgrösse für den Erfolg der Zukunft. Die Schweiz verfügt hier im internationalen Vergleich über gute Voraussetzungen, wenn wir beispielsweise an die duale Ausbildung in Betrieb und Schule denken. So oder so: Aus- und Weiterbildung werden noch wichtiger. Die Erstausbildung schafft nur die Basisqualifikation. Am Arbeitsplatz selbst müssen Vertiefung, Erweiterung und Angleichung des Wissens an den geforderten Stand stattfinden. Qualifikation wird auf allen Ebenen in Zukunft grossgeschrieben. Sie bestimmt massgeblich Leistungspotential, Wettbewerbsfahigkeit und Anpassungsvennögen der Wirtschaft. Tabelle I: Erwerbsbevölkerung insgesamt und Bevölkerung im Alter 15 bis 19 Jahre (im Jahr 2000)
(1984=100) Westeuropa Schweiz Österreich Bundesrepublik Deutschland Niederlande Belgien Japan USA
Erwerbsbevölkerung insgesamt
103 100 103
94 108 103
105
109
Bevölkerung im Alter von 15 - 19 Jahren
69 65
64
50 69 80 83
92
Quelle: Prognos World Report
Noch wichtiger wird die Qualifikation wegen der demographischen Entwicklung: Die aktive Bevölkerung (also die Erwerbstätigen zwischen 20 und 64 Jahren) stagniert oder schrumpft bei uns. Der Anteil der Jugendlichen geht zurück. Im internationalen Vergleich nimmt die Schweiz eine mittlere Stellung ein, die Bundesrepublik Deutschland fällt zurück. Die Umschichtung der Erwerbsbevölkerung zur Jahrtausendwende bleibt nicht ohne Folgen:
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•
•
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Die zunehmende Knappheit an jungen Arbeitskräften führt zu einem immer härteren Konkurrenzkampf um Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt. Folgen sind nicht zuletzt höhere Rekrutierungs- und Lohnkosten. Die Lösung des Personalproblems wird Kreativität und Flexibilität bei Arbeitgebern ebenso wie Arbeitnehmern erfordern. Bis Ende der neunziger Jahre werden Zehntausende von Lehrlingen weniger eine Berufslehre absolvieren. Sie wollen eine attraktive Ausbildung mit Lehrplänen und Lehrzielen, die von der kurzen Lebensdauer des bestehenden Technologiewissens ausgehen und Einbezug neuen technischen Wissens ermöglichen. Diese Lehrpläne haben die Voraussetzung für eine lebenslängliche Lernbereitschaft zu schaffen. Anpassung und Umstieg müssen erleichtert werden. Mit der sorgfaltigen Berufsausbildung, zu der die Schweizer Kleinunternehmen seit jeher einen beträchtlichen Beitrag geleistet haben, ist es also nicht mehr getan. Um der Abwanderung von Fachkräften Einhalt zu gebieten, müssen die Kleinbetriebe auch für die Weiterbildung ihrer Arbeitskräfte mit erhöhten Aufwendungen rechnen, zeitlich wie finanziell, zugunsten der Mitarbeiter wie der Führungskräfte. Das kann ein einzelner Betrieb sich kaum leisten. Daher empfiehlt es sich, Lernverbunde nach Branchenzugehörigkeit zu bilden sich an Weiterbildungsprogrammen ähnlicher Branchen zu beteiligen oder von Weiterbildungsangeboten l'nd Erfahrungsaustauschgruppen von Verbänden und entsprechenl'~n Instituten zu profitieren.
Weiterbildung und Erfahrungsaustausch bleiben ein Postulat. Die positiven Wirkungen lassen sich belegen: Unternehmungen, die in einer Erfahrungsaustauschgruppe mitarbeiten, können eine um einen Viertel höhere Umsatzrentabilität erwirtschaften als ihre Berufskollegen ohne Erfa-Arbeit (s.u. "Erfahrungsaustausch unter Klein- und Mittelunternehmen - Anspruch und Realität", S. 347 ff.). Die Kleinunternehmung ermöglicht wegen ihrer Überschaubarkeit eine intensive Verbindung zwischen Chef und Mitarbeitern. Der zunehmenden Bedeutung des Humankapitals entsprechend, sollte diese persönliche statt anonyme Beziehung Motivation schaffen ebenso wie ein menschliches Klima. Mit motivierten Mitarbeitern bestehen bessere Chancen, innovativ zu werden: Suche nach neuen Produkten und Dienstleistungen, nach neuen Marktfeldern und Marktnischen, die Ausschöpfung von Möglichkeiten der Qualitätssteigerung. Die Innovation muss dazu beitragen, dass die KMU auch in Zukunft überleben. Nur: Kleinunternehmungen beschränken sich oft auf das freiwillige Leben von der Hand in den Mund. Auf Dauer wird es nicht mehr ohne Planung und
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strategische Überlegungen gehen. Nur mit angepassten, bedürfnisgerechten Leistungen können die Stärken erhalten werden. Mit solchen Leistungen eröffnen sich auch auf neuen Märkten beachtliche Chancen. Und einmal erzielte Erfolge tragen weiter: Gute Unternehmen werden noch besser. Und gute Unternehmungen haben Kooperationsaussichten, wenn sie sich verstärken wollen.
B. Gesellschaftlicher Wandel Im vorangehenden Abschnitt war schon von der Erwerbsbevölkerung die Rede. Noch drastischer wird sich die Gesamtbevölkerung verändern. Die Altersstruktur dürfte sich massiv verschieben: Die Zahl der Jungen geht infolge der niedrigen Geburtenrate deutlich zurück, während die alten Leute zahlreicher werden. Unser gesellschaftliches, politisches und wirtschaftliches Verhalten stützt sich - bewusst oder unbewusst - auf Werte, Normen, Muster. Diese Orientierungsgrundlage ist dem Wandel der Zeit unterworfen, und sie dürfte sich in Zukunft mehr und schneller verändern. Anstelle von traditionellen, während Generationen akzeptierten, unumstrittenen Werten ist ein Wertpluralismus mit zum Teil widersprüchlichen Wertsysternen getreten. Bislang übernommene Werte werden relativiert, in Frage gestellt. Über traditionell konsensfahige Werte bilden sich divergierende Vorstellungen. Sie schaffen einerseits Hoffnungen auf individuelle "Befreiung", zugleich oft Gefühle der Verunsicherung. Vielleicht tritt Gemeinschaftsorientierung, Opferbereitschaft hinter die personenbezogenen Werte zurück: Da ist von der Tendenz zum Hedonismus die Rede, von der geziehen Ausrichtung des Lebens auf Genuss und Vergnügen in allen Bereichen, insbesondere auch im Kauf und Konsum. Man zeigt etwa Freude an gutem Essen und Trinken und nutzt die Technik für Genuss und Bequemlichkeit. Damit gehen Tendenzen zum Neomaterialismus einher. Im Zusammenhang mit Karrierebewusstsein und dem Streben nach Besitz bilden sie geradezu die Voraussetzung für die hedonistische Lebenseinstellung. Die Entwicklung deutet aber darauf hin, dass die Erfolgsmotive wie die unmittelbar materiellen Bedürfnisse in Zukunft ganz anders beschaffen sein werden als bis dahin. Beispiel: Für den modernen Menschen zählt oft das Erfolgserlebnis im kl.einen Kreise mehr als gesamtgesellschaftliches Ansehen. So erleben wir neue Konsumenten mit neuen Bedürfnissen, denen die Anbieter Rechnung tragen müssen. Dabei sind weitere Aspekte zu berücksichtigen:
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Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
Das Ausgabeverhalten der Haushalte dürfte dem schon lange beobachtbaren Trend weiter folgen: Die Ausgaben für Nahrungsmittel beispielsweise haben sich seit Jahrzehnten relativ vermindert und liegen heute nur noch bei etwa einem Achtel der gesamten Haushaltausgaben. Stagnation zeigen die Ausgaben für das Wohnen. • Wegen Technisierung und Produktivitätssteigerung wird die durchschnittliche Arbeitszeit auch inskünftig reduziert werden können. Damit steht vielen Erwerbstätigen mehr Freizeit zur Verfügung, allerdings nicht den Führungskräften. • Freizeit schafft den so Privilegierten mehr Spielraum als heute für Entspannung, Genuss, Aktivität, "Selbstverwirklichung", für individuelles Tun wie für soziale Kontakte. Kurz: Der Freizeitbereich wird an ökonomischer Bedeutung gewinnen. Ob auch an rekreativer Bedeutung, bleibe noch dahingestellt. • Es gibt schon frappante Beispiele dafür, wie selbst kleinere Betriebe durch geeignete Freizeitaktivitäten den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter entgegenkommen und deren Identifikation mit der Unternehmung zugleich spürbar verstärken - mit einem entsprechenden Effekt auch für die Arbeitsmotivation. • Die einzelnen Haushalte werden immer kleiner. Zu Beginn der neunziger Jahre waren etwa 65 % der Schweizer Haushalte nur mit einer oder zwei Personen "besetzt". Der gleiche Anteil gilt für Deutschland (früheres Bundesgebiet), ein etwas tieferer für Österreich. Wegen der Zunahme kinderloser Haushalte, der frühen Trennung der Jugendlichen vom Elternhaus, der ansteigenden Scheidungsrate, aber auch durch den Trend zu mehr Individualität nimmt die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte weiter zu. Damit verbunden ist insgesamt zwangsläufig eine erhöhte Nachfrage nach Wohnraum ebenso wie nach Wohnungseinrichtungen. • Die interessanteste Konsumgruppe dürften die 40- bis 50-Jährigen werden. In der zweiten Hälfte ihres erwerbs aktiven Lebens setzen sie Geld und Zeit nicht mehr für Familie und Karriere, sondern für neue Konsumerlebnisse ein. Betroffen davon sind alle latenten Bedürfnisse in zahllosen Bereichen von Reisen, Fitness, Körperpflege, Wohnen, Garten bis zur Meditation und Tai chi. • Diese "Mittelalterlichen" haben gute Aussichten, älter als ihre Eltern zu werden, nimmt doch die Lebenserwartung zu. Zumeist haben sie auch keinen Lebensabend in Armut zu befürchten; vielmehr nimmt (wie es heute aussieht) die Kaufkraft der Älteren zu. Es bildet sich der viel zitierte Seniorenmarkt, ein Markt der ,jungen Alten", die ihr Leben nach eigenen Vorstellungen aktiv gestalten wollen und die - Geld und Zeit - freizügig konsumieren. So belegen etwa Studien, dass um die Jahrtausendwende die Altersgruppe der über 6O-Jährigen über mehr als einen Drittel der ausgabefahigen Einkommen verfügt. Und in manchen Ländern wird die Grenze zum Seniorenalter schon mit 55 überschritten.
•
KMU mit Blick auf lahrtausendschwelle
65
Der neue Lebens- und Konsumstil, geprägt durch Erlebnishunger und Drang nach Zerstreuung und Abwechslung, bedeutet für die kleinbetrieblichen Anbieter mit ihrer Kundenorientierung entschieden neue Chancen. Aber sie sind mit einer gewaltigen kreativen Herausforderung verbunden: Ihre Kunden sind nicht mehr berechenbar und treu - Stammkunden sterben aus. Die Konsumenten von morgen wollen jeden Tag neu und mit anderen Einfallen erobert sein; sie sind besser informiert und zunehmend kritischer. Sie lassen sich von vielfaltigen Bedürfnissen leiten, auch von widersprüchlichen. Einfach ist die Ausnützung der Chancen also nicht.
C. Ökologische Trends Ökologische Fragen - vor zehn Jahren so gut wie unbekannt - gewinnen in ungeahntem Ausmass an Bedeutung. Beispiele: Luftverschmutzung, Abfall. Die Schweiz produziert weit mehr Abfall pro Kopf als der Durchschnitt der Länder. Aber auch hier gibt es eine Kehrseite: Umweltbewusstsein - im positivem Sinn - nimmt zu. So führen wir im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viel Abfall wieder dem Recycling zu. Die Wiederverwertung von Papier und Glas ist weitentwickelt. Es wird damit gerechnet, dass sich die Menge der Siedlungsabfalle bis im Jahr 2000 um 9% oder 360 kg / pro Kopf und Jahr verringern wird. Trotzdem: Unsere Müllberge wachsen rascher als die Kapazitäten zu ihrer Beseitigung. Die Umweltprobleme werden alle Wirtschaftssubjekte mehr noch als heute beeinflussen. Eine stärker greifende Umweltpolitik, wie weit sie im einzelnen auch gehen mag, könnte (Erfahrungen mit öffentlichen Auflagen generell zeigen das) besonders dem Gewerbe ansehnliche Opfer abverlangen. Sie wird aber gleichzeitig den KMU eine Reihe neuer Chancen eröffnen. Eine Abwägung der Aussichten ergibt etwa folgendes Bild: •
•
Die Bedrohung unseres Lebensraumes sowie die Wahrnehmung dieser Bedrohung werden den Druck auf den Staat und die Wirtschaft erhöhen. Deregulierung wollen alle - trotzdem: Die Umweltschutzgesetzgebung dürfte noch umfassender werden. Die Belastung für das schon heute unter einer Normenflut leidende Gewerbe könnte damit weiter zunehmen. Doch sehen wir es auch positiv: Es entstehtlbesteht ein riesiger Bedarf an umweltfreundlichen Technologien und Produkten. In diesem Wachstumsmarkt eröffnen sich innovativen Betrieben ungeahnte Chancen. Hinzu kommt, dass bei zunehmendem Umweltbewusstsein der Konsumenten die Umweltverträglichkeit
5 Pleitner
66
•
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
der "regulären" Produkte oder Dienstleistungen neue Werbeargumente liefert und sogar zur Erschliessung neuer Absatzmärkte führen kann. Umweltverträgliche Produkte sind in aller Regel dauerhaft oder können wiederverwendet werden. In den Aspekten Dauerhaftigkeit und Wiederverwendung liegen namentlich für KMU grosse Betätigungsfelder für Innovation und Kreativität. Nach den heute noch verbreiteten Wegwerfgewohnheiten dürfen wir inskünftig mit einer deutlichen Nachfragesteigerung nach dauerhaften oder "recyclierfahigen" Marktleistungen rechnen. Möglicherweise wird in Zukunft das Produktionsverfahren nicht schon beim Produkt, sondern erst bei seiner Entsorgung enden. Es ist z. B. nicht auszuschliessen, dass der Produzent am Ende der Lebensdauer des von ihm hergestellten Produktes (z. B. Haushalt- oder Bürogerät) rücknahmepflichtig wird. Alternativ könnte es sein, dass zur Reduktion des Abfallberges die Entsorgung derart mit Gebühren belastet wird, dass der Konsument aus finanziellen Überlegungen die Produkte länger nutzt. Auch im ökologischen Kontext kommen also Bedrohungen auf die KMU zu, aber auch hier eröffnen sich neue Betätigungsfelder und Erfolgspotentiale.
D. Technologische Entwicklung Man fragt sich manchmal, was denn technisch noch alles entwickelt und erfunden werden kann und ob wir nicht bald an die Grenzen stossen. Es sielit noch nicht so aus, wenn man auch Grenzen, Bremsen beim weiteren technischen Fortschritt wahrzunehmen beginnt. Die Impulse bleiben aber vorderhand so stark, dass sie unsere Welt auch in Zukunft nachhaltig verändern werden, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Sie dürften den Trend zu mehr Freizeit zusätzlich verstärken. Auch ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit, zumindest unter weniger qualifizierten Arbeitnehmern, scheint denkbar. Die teilweise Wiedervereinigung von Wohnen und Arbeiten unter einem Dach und Teleheimarbeit wird nicht nur dauernden häuslichen Frieden, sondern auch sozialpsychologische Probleme mit sich bringen. Wie werden die KMU in Zukunft von der technologischen Entwicklung betroffen? •
Beschäjtigungswirkungen des Einsatzes neuer Technologien gegenüber dem Einsatz konventioneller Anlagen und Geräte können sich sowohl beim Hersteller als auch beim Anwender ergeben, weil viel höhere
KMU mit Blick auf lahrtausendschwelle
•
•
•
67
Produktivität erreichbar wird. Die Folge ist sehr einfach: Wir bewältigen die Produktion mit weniger Leuten, oder die gegebene Belegschaft erreicht viel höhere Produktion. An die Führung von Kleinbetrieben werden weiter wachsende Anforderungen gestellt. Entscheide sind in immer kürzeren Abständen und schneller zu treffen. Informationsbeschaffung, -verarbeitung und -weitergabe werden auch in kleineren Unternehmen immer mehr rechnergestützt erfolgen. Viele Unternehmen werden bis zur Jahrtausendwende ein Informations-Management einführen, ein alle Unternehmensbereiche übergreifendes, Pe-gestütztes Konzept. Das bringt wie jede Innovation neue Lösungen, aber auch neue Probleme. Die bisherige berufliche Qualifikation der Mitarbeiter genügt inskünftig immer weniger und immer weniger lange. Den neuen Anforderungen ist schon in den Grundschulen Rechnung zu tragen - wo ihnen aber nicht einmal alle Lehrer entsprechen. Wir können nur hoffen, dass in unserem Bildungswesen nicht amerikanische Verhältnisse einreissen (10 % der Bevölkerung sind dort funktionale Analphabeten). Und wir alle müssen sehr viel tun, um uns selber und unsere Mitarbeiter auf dem laufenden zu halten. Trotzdem: Bei der Einführung neuer Technologien werden heute statt einer Inselvariante umfassende Lösungen angestrebt, auch wenn sie sich erst im Laufe der Zeit verwirklichen lassen. Höhere Komplexität bedeutet aber auch höheres Problempotential. Wir vermuten daher, dass die Entwicklung im technologischen Bereich über kurz oder lang in Richtung benutzerfreundlicher und "einfacherer" Lösungen drängt. Wir müssen auch in der technologischen Entwicklung mitzuhalten versuchen, aber wir dürfen unsere Ansprüche durchsetzen. Die technologischen Möglichkeiten und Mittel sollen uns dienen und nicht versklaven.
E. Die europäische Herausforderung Auch unter diesem Stichwort sind wir aufgerufen, die Entwicklung aufmerksam mitzuverfolgen. In der Tat hat sich in letzter Zeit in der Schweiz die Einstellung zur EU grundlegend gewandelt. Überwog noch vor wenigen Jahren unter dem Eindruck von "Eurokratie" und "Euro sklerose" die Skepsis, geht man heute trotz beobachtbarer Rückschläge in der Entwicklung der Union von ihrer Irreversibilität aus. Das bedeutet freilich auch heute noch nicht, dass deswegen eine Mehrheit für den Beitritt der Schweiz votieren würde. Inzwischen stellen sich führende Unternehmungen darauf ein; falls Politiker und Funktionäre müde werden sollten, dürften die internationalen Konzerne für
68
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
neuen "Drive" sorgen. Wie ist unter diesen Prämissen die weitere Entwicklung einzuschätzen? Bewertet man die wirtschaftliche Stärke der EU an hand nüchterner Zahlen, so sieht die Lage der Europäischen Union im Vergleich zu Japan und den USA vorerst noch bescheiden aus: Die EU mit ihren rund 350 Millionen Einwohnern hat einen Anteil von 6,2 % der Weltbevölkerung (Japan 2,2 %, USA 4,6 %). Diese 350 Millionen Einwohner erbringen insgesamt einen Anteil von 25 % der Weltwirtschaftsleistung (1992), während der Anteil der USA trotz der niedrigeren Bevölkerungszahl bei 26 % und der von Japan bei 15 % liegt. Hält man sich an Pro-Kopf-Ziffern, so sind diese zwar aus methodischstatistischen Gründen nicht unproblematisch, aber plastisch. Ein Blick z. B. auf die Wirtschaftsleistung pro Kopf (1993 gemessen am Bruttoinlandprodukt) zeigt, dass die EU insgesamt noch einiges tun muss, um die beiden anderen Blöcke der vielzitierten "Triade" (EU, USA, Japan) einzuholen (vgl. Tab. 2). Die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit war daher in der EU das Hauptmotiv für die neuen Impulse zur Verwirklichung der Integration. Dieses Vorhaben hat inzwischen eine solche Dynamik entwickelt, dass das Binnenmarktprogramm der EU für die Schweiz eine der grässten Herausforderungen darstellen wird. Das obwohl (oder gerade weil) die Schweiz wirtschaftlich eng wie kein zweites Nichtmitgliedland bereits in den EU-Raum integriert ist: Rund drei Viertel unserer Importe stammen aus der Europäischen Union. 56 % der schweizerischen Exporte fliessen in die EU (1994). Die Weiterentwicklung der EU tangiert die Schweiz in jedem Fall: Sie zwingt uns intern zur Steigerung unserer Wettbewerbsfähigkeit und extern zu einem Arrangement mit der EU. Die Schweiz wird sich jedenfalls in Zukunft im rauher werdenden Wettbewerbsklima schwerer behaupten können. Tabelle 2: Wirtschaftsleistung pro Kopf (1993)
EU-12 Bundesrepublik Deutschland allein USA Japan Schweiz
19'100 US$ 23'500 US$ 24'700 US$ 31'400 US$ 36'400 US$
Quelle: Weltbank-Atlas. 1995.
Der europäische Binnenmarkt tangiert aber auch die Unternehmen unmittelbar: Er weckt Unsicherheit oder Interesse, Angst oder Hoffnung.
KMU mit Blick auf Jahnausendschwelle
69
Tatsächlich fällt es schwer, pauschal die Chancen und Risiken des EU-Binnenmarktes für EFfA-Unternehmer zu beurteilen. Zu vieles ist im Fluss, hängt von den besonderen Gegebenheiten der Branchen und Betriebe ab. Licht und Schatten liegen dicht beieinander. Trotz der prognostischen Schwierigkeiten dürften die folgenden Stichworte zu den Opportunitäten und Bedrohungsfaktoren realistisch sein: •
•
• • • •
Schweizer Unternehmungen profitieren - im europäischen Vergleich - generell von höherer Arbeitsproduktivität, längeren Arbeitszeiten und geringerer Steuerbelastung, sind hingegen in bezug auf die Lohnkosten benachteiligt. Schweizer Unternehmungen in Wirtschaftszweigen, die - aufgrund ihrer Gegebenheiten - eine Betätigung in grösseren Märkten verlangen, werden den verschärften Konkurrenzkampf wesentlich stärker verspüren als Betriebe, die sich an der regionalen Nachfrage orientieren können. Zulieferer grösserer Unternehmungen werden inskünftig wohl mit zahlreicheren (unter Umständen effizienteren, leistungsfähigeren und kostengünstigeren) Konkurrenzunternehmungen zu rechnen haben. Für Schweizer Unternehmungen dürften sich vor allem im Bereich spezialisierter Produkte und Dienstleistungen verbesserte oder neue Marktmöglichkeiten ergeben. Chancen eröffnen sich speziell den Schweizer Unternehmungen mit einer (Neu-)Besinnung auf die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen. Überzeugende Qualität relativiert die Bedeutung des Preises. Zuverlässigkeit und Präzision in jeder Beziehung sollten als traditionelles Schweizer Markenzeichen wieder sichergestellt werden.
Die Entwicklung zum EU-Binnenmarkt verlangt vom Unternehmer und von jedem Mitarbeiter jedenfalls noch mehr Einsatz, neue Sensibilität, ständig ausgefahrene Antennen zur Aufnahme auch schwacher Signale, die sowohl Bedrohungen wie Möglichkeiten frühzeitig anzeigen.
F. Schlussbemerkungen Was bedeuten alle diese Betrachtungen für Unternehmer und Führungskräfte? Zusammengefasst haben KMU alle Aussicht zu überleben, wenn vier Bedingungen erfüllt sind: • •
wenn Pläne und Massnahmen (Strategien) geschmiedet werden, statt dass man in den Tag hineinwirtschaftet wenn eine ausgeprägte, teamorientierte Unternehmenskultur eine leistungsfördemde Atmosphäre schafft
70 • •
Teil I: Merkmale und Zukunftsaussichten
wenn qualifizierte wie motivierte Mitarbeiter am Werk sind wenn der Unternehmer die dynamische, vorwärtsdrängende Rolle ausfüllt, die ihm zukommt - in Zukunft mehr denn je.
Literatur Bundesamt für Statistik (Hrsg.): Eidgenössische Betriebszählungen, Bern 1962 - 1992. Gerken, G.: Trend-Zeit. Die Zukunft überrascht sich selbst, DüsseldorflWien u.a., 1993, S. 110 ff. Kölzer, B. : Senioren als Zielgruppe im Handelsmarketing, in: Mitteilungen des Instituts für Handelsforschung an der Universität Köln, 1995/2, S. 27 ff. Müller-Ganz, J. : Kennzahlen zur Bonitätsbeurteilung im Quervergleich unter besonderer Berücksichtigung von Klein- und Mittelunternehmungen, Bernl StuttgartlWien 1992, S. 145 ff. Nitze, A.: Die organisatorische Umsetzung einer ökologisch bewussten Unternehmensführung, Bern 1991, S. 253 ff. o. Verf.: 10 Märkte der Zukunft, in: Die Geschäftsidee, 1994NI, S. 42 ff. Opaschowski, H.W.: Wie leben wir nach dem Jahr 2000? Szenarien über die Zukunft von Arbeit und Freizeit, Hamburg 1988, S. 5 ff. Pleitner, HJ.: Gewerbe 2000 - Wirtschaft, Gesellschaft, Ökologie, Technologie und EG-Binnenmarkt im Jahr 2000. Eine Perspektivstudie für kleine und mittlere Unternehmungen, Winterthur 1989. Prognos/European Center for Economic Research and Strategy Consulting (Hrsg.): Prognos World Report. Industrial Countries 1992-1998-2005, Basel 1993. Schmidt, K.-H.: Ökologie und Technologie im Gewerbe, in: Internationales Gewerbearchiv, 199311, S. 1 ff. Schneider, H.-D.: Wer sind die "Neuen Alten"?, in: Schweizerische Arbeitgeber-Zeitung, 1992/Nr. 10, S. 229 ff. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch 1994 für das Ausland, Wiesbaden 1994. Tietz, B.: Einzelhandelsperspektiven für die Schweiz bis zum Jahre 2010. Gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen, Zürich 1994, S. 29 ff. Tofler, A.: Überleben im 21. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 25 ff.
KMV mit Blick auf lahrtausendschwelle
71
Ulrich,H.lProbst, GJ.B./Studer, H.-P. : Konstanz und Wandel in den Werthaltungen schweizerischer Führungskräfte, BernlStuttgart 1985. Weltbank (Hrsg.): Weltbank-Atlas, Washington, D.C., 1995.
Teil 11: Der Unternehmer in der dynamischen Wirtschaft
Der gewerbliche Unternehmer zwischen Tradition und Moderne A. Zum Begriff "Unternehmer" "Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte." So beschreibt Friedrich Schiller Wallenstein, den kaiserlichen Feldmarschall im Dreissigjährigen Krieg. Der Wortlaut des Zitats erinnert an das Image des Unternehmers: Die Öffentlichkeit hat den Unternehmer über die Zeiten hinweg sehr unterschiedlich beurteilt. Als positive Merkmale, die den Unternehmer charakterisieren, können beispielsweise angeführt werden (Pleitner, 1978): • • • • • •
Herstellung von Waren für Dritte (Nicklisch, Brentano) Übernahme eines Vermögensrisikos (Nicklisch, Liefmann, Brentano, Cantillon) Tätigkeit aus eigenem Entschluss, Selbständigkeit (Liefmann) Transformation von Produktionsfaktoren in Produkte (Walras, Brentano, Gerhardt, Say) Verfügungsrecht über die Produktionselemente (Brentano, Gerhardt) Durchsetzung neuer Verknüpfungen von Produktionsfaktoren und damit Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt (Schumpeter, Sombart).
Diese Merkmale wurden überwiegend von Klassikern der Wirtschaftswissenschaften geprägt. Sie sahen im Unternehmer den Hauptträger des Fortschritts. Gleichzeitig finden wir aber auch kritische Bemerkungen über diesen Menschentyp. Adam Smith beispielsweise beanstandete "das egoistische Streben nach Profit von Händlern und Produzenten." Andere Wissenschafter unterschätzen die Rolle des Unternehmers wie zum Beispiel Mill (durch den der Ursprünglich erschienen in: Klein- und Mittelbetriebe - Motoren unserer Wirtschaft. Festschrift zum 70. Geburtstag von Bundesrat Ernst Brugger, auf der Basis einer öffentlichen Vorlesungsreihe an der HSG unter der Leitung von HJ. Pleitner (Hrsg.), Bem 1984, mit aktualisierender Ergänzung.
76
Teil 11: Unternehmer in der dynamischen Wirtschaft
Begriff Unternehmer [entrepreneur] unter Wirtschaftern zum gängigen Sprachgebrauch wurde), von Wiese und sogar Ricardo, obwohl dieser selbst Unternehmerwar. In diesem Zusammenhang tendieren wir dazu, Karl Marx als entschiedenen Gegner privaten Unternehmertums anzusehen. Marx' Haltung war indessen ambivalent: Er verstand den Unternehmer als Förderer, als Persönlichkeit, die in der Lage sei, Produktionsbedingungen als realistische Grundlage für eine höher entwickelte Gesellschaftsform zu schaffen, deren Grundprinzip die Entfaltung des Individuums sei. Gegenstand seiner Kritik waren lediglich die Ziele (übertriebene Investitionen und Wachstum) und die Mittel (Ausbeutung, Sklaverei sowie Arbeitslosigkeit). In systemkritischer Verfremdung dieser Argumentation ist für viele intellektuelle Betrachter bis heute der Unternehmer eher Schmarotzer als Förderer des allgemeinen Wohlstands. % der Befragten
Die meisten Unternehmer ... ... denken nur an 60 ihren eigenen Gewinn
... kann ich nicht beurteilen
24r-__~~~____
•.•sind auch sozial eingestellt
16
1950
1956
I
1976
I~
1980
Quelle: Institut für Demoskopie, 1977, "Unternehmer", 1982. Abbildung 1: Entwicklung des Unternehmerbildes
Es ist durchaus möglich, dass die ehemals "hässlichen Kapitalisten" im Zeichen der Wirtschaftsflaute noch populärer geworden sind, nicht zuletzt als Garanten von Arbeitsplätzen. Nach den Erhebungen in der Bundesrepublik Deutschland hat sich das Bild jedenfalls nicht verschlechtert (Wirtschaftswoche, 1983). Interessant ist auch der Vergleich zwischen Erwartungen an den Unternehmer und tatsächlicher Wahrnehmung des Unternehmers: Angestellte und Arbeiter erwarten von einem Unternehmer mehr, als sie ihm in Wirklichkeit zubilligen.
77
Unterneluner zwischen Tradition und Modeme
90% der Befragten verbinden mit dem Begriff "Unternehmer" Gewinnstreben, Eigentum und Profit, aber auch Leistung, Verantwortung und Führungsqualitäten. Der ideale Unternehmer ist nach derselben Umfrage eine Frau oder ein Mann mit Verantwortungsbewusstsein, Organisationstalent, Intelligenz, Gerechtigkeit, Tüchtigkeit, sozialer Einstellung und Weitblick. Bescheidenheit, Interesse für Kunst und Wissenschaft, Risikofreude und Selbstlosigkeit werden weniger erwartet. Tabelle I : Ideal- und Realimage der Unterneluner
Arbeiter und Angestellte in der Privatwirtschaft
•
• •
• • • • • • • • • • • • • •
• • • •
Verantwortungsbewusst Guter Organisator Klug, intelligent Gerecht, meint es gut mit Mitarbeitern Tüchtig Sozial eingestellt Fortschrittlich, denkt weit voraus Ideenreich Sparsam, versteht gut zu wirtschaften Unbestechlich In Notfällen hilfsbereit Kann sich gut durchsetzen Ruhig, überlegen Aeissig, unermüdlich Starke Persönlichkeit, versteht andere mitzureissen Energisch Humorvoll Selbstlos, denkt mehr an den Betrieb und an die Mitarbeiter als an sich selbst Risikofreudig Kultiviert, Interesse für Kunst und Wissenschaft Zurückhaltend, bescheiden
beschreiben ihren obersten Chef(in %)
erwarten von einem Untemehmer(in %)
57 52 57 44 62 36 40 38 46 39 50 61 46 56
90 86 85 85 83 83 81 81 76 76 79 74 76 72
35 52 37
74 63 63
17 23 25 18
50 47 37 29
Quelle: Unternehmerinstitut, 1993.
Auch für die Schweiz existieren einige empirische Daten. Sie sind insofern noch aussagekräftiger, als sie zwischen gewerblichen Geschäftsinhabern, Unternehmern von Mittelbetrieben und Direktoren in Grossbetrieben unterscheiden.
78
Teil 11: Unternehmer in der dynamischen Wirtschaft
Die Zahlen in Tab. 2 verdeutlichen das relativ gute Bild des gewerblichen Unternehmers; Tabelle 2: Bild des Unternehmers I Managers
Positive Eigenschaften
Gewerbliche Unternehmer Unternehmer von Mittelbetrieben Direktoren in Grossunternehmungen
Negative % Eigenschaften
%
fleissig aufrichtig vorbildlich
78 egoistisch 74 stur 52 rücksichtslos
9 8 7
fleissig aufrichtig gescheit
66 rücksichtslos 66 egoistisch 58 stur
11 11 10
einflussreich gescheit aufrichtig
60 rücksichtslos
22
58 egoistisch 54 eingebildet
15 13
Quelle: Publitest. 1977.
seine Kollegen aus Mittelbetrieben werden immer noch erheblich besser eingeschätzt als die Direktoren in Grossunternehmungen. Der Vergleich zeigt, dass es grundsätzlich zweckmässig ist, zwischen Unternehmern (Eigentümern) und Managern (Angestellten) zu unterscheiden.
B. Unternehmer versos Manager Formal gibt es klare Unterschiede. Der Unternehmer hat eine doppelte Funktion: Zum einen bringt er das Kapital ein (obwohl er nicht Gründer sein muss), zum anderen leitet er die Firma. Somit ist er sein eigener Herr und die oberste Kontrollinstanz in der Unternehmung (Gasse, 1982). Dagegen ist der "bi os se" Manager Angestellter mit keiner oder höchstens symbolischer Kapitalbeteiligung. Daher wird oft davon ausgegangen, dass die emotionale Bindung an die Firma beim Unternehmer enger ist als beim ausserhalb der Firma engagierten Manager. Diese These hat umfangreiche Forschungstätigkeit ausgelöst, insbesondere bezüglich der Unterschiede in Motivation und Qualifikation. Mit dem Risiko einer zu grossen Vereinfachung können wir sagen, dass bei den Unternehmern die Motivation höher eingeschätzt wird und bei den angestellten Managern die berufliche Qualifikation, beispielsweise durch eine bessere Ausbildung, eine höhere Bereitschaft zu ständiger Weiterbildung und folglich ein höheres Wis-
Unternehmer zwischen Tradition und Modeme
79
sens- und Fähigkeitsniveau (KentiSexton, 1983; Brockhaus, 1982; Gasse, 1982). Einige Beobachter sind daher überzeugt, angestellte Manager seien sogar bessere Führungskräfte als Unternehmer, zumal sie unabhängig sind von Kapitalbindungen, die die nötige Flexibilität beeinträchtigen. Überdies kann man sich von ihnen trennen, wenn sie nicht hinreichend qualifiziert sind, was bei einem Owner-manager kaum möglich ist. Von der zweiten Generation an sind ausserdem die Unternehmer in ihrer Position kraft Geburt statt Qualifikation (Endress, 1971). Meines Erachtens sollten wir diese Unterschiede aber nicht überschätzen oder verallgemeinern, obwohl sie sicher vorkommen. Am Ende werden die Marktkräfte zu grosse Führungsmängel in jedem Fall an den Tag bringen. Die allgemein anerkannte Vorstellung von Führungsanforderungen ist der umfassende gemeinsame Nenner für Unternehmer wie für Manager. In dieser Hinsicht sind ihre Rollen vergleichbar, und es erstaunt nicht, dass sich die Öffentlichkeit mit der Unterscheidung schwer tut (vgl. Tab. 3) Mindestens haben wir auch innerhalb der Unternehmertypologie zu differenzieren. Tabelle 3: Vorstellung vom Unternehmer
Der Unternehmer - wer ist das? Frage: "Wenn von Unternehmern gesprochen wird, an wen denken sie da? Können Sie bitte sagen, wen Sie zu den Unternehmern rechnen?" Inhaber einer grösseren Firma Inhaber eines Supermarktes Zeitungsverieger Selbständige Handwerker Gastwirte Bankdirektoren Zahnärzte mit eigener Praxis Vorstandsmitglieder von Versicherungsgesellschaften Inhaber eines kleinen Lebensmittelgeschäfts Selbständige Taxifahrer Angestellte Geschäftsführer Freischaffende Künstler Keine Angabe
%
94 66 64
55 37 36 36 34 33 29 13 II
3
Quelle: Wirtschaftswoche. 1983; Stichprobe aus der bundesdeutschen Bevölkerung ab 16 Jahre.
80
Teil 11: Unternehmer in der dynamischen Wirtschaft
c. Unternehmertypen Eine solche Differenzierung innerhalb der Kategorie der "Owner-manager" mag etwas künstlich erscheinen. Sie ist trotzdem gerechtfertigt, da zweifellos nicht alle mittelständischen Firmeninhaber dynamische Unternehmer etwa im erwähnten Sinne Schumpeters sind, die versuchen, die Welt zu verändern. Ein grosser Teil von ihnen sind schlicht unabhängige Geschäftsleute, die sich im wesentlichen auf ihre handwerklich-technische Qualifikation und im übrigen auf ihre Intuition verlassen. Der "wirkliche" Unternehmer im engeren Sinne - oftmals Unternehmungsgründer - tendiert in erster Linie zur Suche nach Marktchancen, die ausgebeutet werden können. Er ist ausgesprochen kaufmännisch orientiert und verlässt sich gleichermassen auf Intuition und Verstand. Oftmals entscheidet sich dieser Unternehmertyp erst nach dem Entschluss, eine Unternehmung zu gründen, für die Herstellung einer Marktleistung (Brockhaus, 1982). Unsere Unterscheidung ähnelt etwas derjenigen von Homaday (und anderen Forschern) zwischen "Handwerker-Unternehmern" und "ChancenUnternehmern" (Hornaday, 1982). Sicher gibt es zwischen diesen Polen weitere Varianten; zumindest kann man aber Typen gemäss der Matrix in Abb. 2 unterscheiden (vgl. auch Beitrag "Strategisches Verhalten in mittelständischen Unternehmungen", S. 144 ff.).
~p Status
tl
eng "
" breit"
Unternehmer
1
2
Selbständiger Geschäftsmann
3
4
Abbildung 2: Typologie gewerblicher Unternehmer (Pleitner)
Typ 1 wirkt wie ein Widerspruch in sich. Ein Mensch kann jedoch zugleich hochgesteckte Ambitionen haben und einen Mangel an Horizont und Bildung aufweisen. Dieser Typ scheint zur Frustration oder zum geschäftlichen Misserfolg verurteilt, sofern er nicht vom Glück begünstigt ist. Typ 2 symbolisiert den "echten" Unternehmer mit anspruchsvollen Zielen und den persönlichen Mitteln oder Voraussetzungen, sie auch zu erreichen, eine Kombination also von Sensibilität und Rationalität, von Besonnenheit und Aktivität, von Risikobereitschaft und Risikovermeidung. Einige Experten glauben nicht, dass eine solche Kombination zwischen dem rationalen Manager und dem
Unternehmer zwischen Tradition und Modeme
81
intuitiven Unternehmer möglich ist (vgl. Gasse, 1982); in Tat und Wahrheit existieren aber zahlreiche Beispiele. Typ 3 der Matrix repräsentiert das Gegenteil des "echten" Unternehmers. Er ist der ursprüngliche Handwerker, der sich selbständig macht, um unabhängig zu sein und sich einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Er kann als "Unternehmer wider Willen" bezeichnet werden (Nitsche, 1977). Seine Rolle steht jedoch im Einklang mit seinen persönlichen Mitteln, will er doch keineswegs mit seinen Produkten oder Dienstleistungen die Welt verändern. Typ 4 schliesslich brächte die persönlichen Voraussetzungen für den "richtigen" Unternehmer mit; er will dies jedoch gar nicht werden. Er beschränkt seine Aktivitäten gezielt und bewusst auf ein Spektrum, das ihm noch genügend Zeit für aussergeschäftliche Interessen lässt. Man könnte ihn als Unternehmer mit einer "modernen" Werthaltung bezeichnen, während Typ 3 den "traditionellen" gewerblichen Unternehmer verkörpert. Ein solcher Versuch der Klassifizierung ist eine modell hafte Vereinfachung, da Überschneidungen zwischen den angeführten Merkmalen zusätzliche, nicht ausdrücklich erwähnte Unternehmertypen ergeben könnten.) Wir sollten aber nicht übersehen, dass Unternehmer in kleineren Betrieben sehr verschiedenartige Typen darstellen können und dass folglich generell gültige Aussagen über sie schwer zu machen sind. Das überall passende Schlüsselwort unserer Zeit ist Wandel. Ein Wandel, den wir in unserer Matrix feststellen können, wäre eine Verschiebung von Typ 2 zu 4; wir werden darauf zurückkommen. Eine Veränderung, die wir gerne erreichen würden, ist die von Typ 3 zu 2, da nur letzterer derjenige Unternehmer ist, der strategisch handelt und sich verhält - also offen und zukunftsgerichtet. Der Modellansatz unserer Vier-Felder-Matrix kann pragmatisch mit dem Versuch vervollständigt werden, ein Profil der idealen Merkmale eines Unternehmers zu entwerfen (vgl. Abb. 3). Die Liste möglicher Eigenschaften in Abb. 3 könnte wegen der enormen Vielfalt unternehmerischer Züge ohne weiteres verlängert werden. In der Untersuchung eines amerikanischen "East-West Center Technology and Development Institute" werden nicht weniger als 43 solcher Faktoren erwähnt (Research Methodology Workshop, 1977).
I
Vesper (1980) unterscheidet beispielsweise zehn Unternehmertypen (self-employed individuals, team builders, independent pattern multipliers, economy-of-scale exploiters, capital aggregators, acquirers, buy-self artists, conglomerators, speculators, apparent value manipulators). Zu weiteren Unternehmertypen s. S. 148 f.
6 Pleitner
82
Teil 11: Unternehmer in der dynamischen Wirtschaft
Wichtig erscheint nun, dass ein erfolgreicher Unternehmer mit seinen Eigenschaften irgendwo zwischen den jeweiligen Extremen rangieren sollte, entsprechend der delphischen Weisheit "Die Tugend ist die rechte Mitte zwischen zwei Fehlern". Extrem 1
Ideale Merkmale
Extrem 2
Traumtänzerei
Intuition
Mangel an Gespür
Ruhelosigkeit
Dynamik
Trägheit
Sprunghaftigkeit
Initiative
Passivität
Spekulationssucht
Risikofreude
Ängstlichkei t
Unüberlegtheit
Entscheidungsfreude
Neigung zum Zaudern
Blindes Heldentum
Mut
Zaghaftigkeit
Besessenheit
Motivation
Unlust
Verschwendung
Umsicht in finanziellen Dingen
Knauserei
Dickfelligkeit
Psychische Belastbarkeit
Stress anfälligkeit
Phantasterei
Kreativität
Ideenlosigkeit
Abbildung 3: Profil eines erfolgreichen Unternehmers (Pleitner)
Es stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser Ausführungen über Eigenschaften von Inhabern gewerblicher Betriebe, wenn unser Thema eher auf ihr Verhalten zielt. Der Grund liegt in der Beobachtung, dass diese verschiedenen Phänomene zueinander in enger Beziehung stehen.
D. Von Wesensmerkmalen zu Werthaltungen und Verhalten Der Zusammenhang kann realistisch wie in Abb. 4 verdeutlicht werden (v gl. Ettinger, 1983, und Gabele, 1983). Die persönlichen Züge des Unternehmers, die interdependent mit seinem "Background" verbunden sind, beeinflussen seine Motive. In ihrer Gesamtheit bestimmen sie seine Motivation, die ihrerseits die Grundlage darstellt für die Einstellungen des Unternehmers, für seine Wertvorstellungen hinsichtlich seiner Unternehmung in ihrer Umwelteinbettung (Gasse, 1982). Die Einstellungen sind relativ dauerhaft, bewusst und tief in seiner Persönlichkeit verwurzelt. Sie beeinflussen ihrerseits Richtung, Stärke, Ziele und Mittel seines Verhaltens.
Unternehmer zwischen Tradition und Modeme
83
Die Übersicht in Abb. 4 zeigt, dass die verschiedenen Phänomene theoretisch klar unterscheidbar sind. Die Unterscheidungen sind jedoch schwer nachzuvollziehen, wenn man den Schritt von der Theorie zur empirischen Überprüfung macht. Dies erklärt, warum die in den Publikationen hierzu benutzte Terminologie nicht übereinstimmt. Die folgenden Hinweise suchen terminologische Probleme pragmatisch auszuklammern.
Umfeld des Unternehmers (B ackground) : Farn Hie, Gesellschaft, usw .
Persönliche Wesensmerkrnale
1
Motivation
1
1
Einstellungen IW erthaltungen
1
Verhalten
Abbildung 4: Die Struktur der Unternehmerpersönlichkeit (Pleitner)
I. Motive und Werthaltungen In einer eigenen Untersuchung (Pleitner, 1981a) haben wir versucht, die Bedeutung von zehn sinnvol1 unterscheidbaren Motiven für gewerbliche Unternehmer im Vergleich zu denen ihrer Mitarbeiter herauszufinden. Die entsprechende Frage war "Was ist für Sie am wichtigsten, dass Sie mit Ihrer Tätigkeit (Arbeit) in der Firma zufrieden sein können?" Aus der Liste der zehn Faktoren konnten jeweils die drei wichtigsten ausgewählt werden. Zwei Zufal1sstichproben aus schweizerischen Unternehmern und Mitarbeitern gewerblicher Betriebe ergaben das Bild gemäss Tab. 4. Der erste Eindruck, den Tab. 4 vermittelt, ist derjenige bedeutender Unterschiede zwischen Selbständigen und ihren Mitarbeitern, Unterschiede, die ein-
84
Teil 11: Unternehmer in der dynamischen Wirtschaft
mal mehr die besondere Natur des Unternehmers aufzeigen, die sich auch in der Reihenfolge der Motive niederschlägt. Unsere Aufmerksamkeit gilt besonders der ersten Spalte. Es dominieren eindeutig die ersten vier Faktoren, mit Art und Umfang der Unternehmeraktivitäten als Hauptmotivator. Tabelle 4: Die wichtigsten Motive (Pleitner)
Unternehmer
Mitarbeiter
25 17 16 15 11 7 4 3 2
5 9 11 15 9
-
16 11 11 2
100 225 77
100 1029 349
%
Art der Tätigkeit I Arbeit Übernahme von Verantwortung Arbeitsleistung Menschliche Kontakte I Beziehungen Unternehmensorganisation und -führung Vergrösserungs-I Entwicklungsmöglichkeiten Ansehen I Anerkennung Tätigkeits- I Arbeitsbedingungen Einkünfte I Einkommen Macht I Kontrolle
Total Anzahl Nennun~n Anzahl Antwortende
%
11
Er schliesst sowohl den Kreativitäts- als auch den Unabhängigskeitsaspekt ein, den Vorteil, sein eigener Herr zu sein. Dieses umfassende Motiv kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden; es ist der zentrale Faktor, der den Unternehmer sozusagen in Bewegung hält. Dieses Ergebnis wurde in einer weiteren Untersuchung des Gewerbeinstituts an der Hochschule St.Gallen (Baldegger, 1984) bestätigt, in der es um junge und um angehende Unternehmer geht. Auch sie betonten die Unabhängigkeit als wichtigstes Motiv. Der zweitwichtigste Faktor bezieht sich auf die Verantwortung der Unternehmer gegenüber ihren Mitarbeitern, Kunden und mehr und mehr auch gegenüber der Umwelt, einem Problembereich, den sie bis vor kurzem zumeist anderen überliessen. Materiell schliesst die Verantwortung den umsichtigen Umgang mit den teils geborgten, teils selbst eingebrachten Mitteln ein. Dies gibt dem Unternehmer ein - sicher angenehmes - Gefühl der Macht und des Einflusses, obwohl Macht als eigenständiges Motiv nicht zugegeben wurde. Dem dritten unserer Faktoren, dem Leistungsgefühl, wurde in der Vergangenheit oftmals der Haupteinfluss auf das Unternehmerverhalten zugeschrieben (dies insbesondere seit den Studien von McClelland [vgl. McClelland, 1961] und seinen Schülern). Danach ist das Leistungsmotiv eine überaus umfassende Dimension, die zum Beispiel auch die Verantwortung für die geleistete Arbeit
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einschliesst (z.B. Problemlösungen, Zielsetzung und Zielerreichung). Das Leistungsbedürfnis ist nach dieser Schule nicht nur charakteristisch für Unternehmer, sondern umgekehrt streben junge Leute mit diesem Bedürfnis oft die Unternehmerposition an. Dieses Motiv spielt unzweifelhaft eine wichtige Rolle, kann aber die Gesamtheit der für unsere Zielgruppe stimulierenden Kräfte gemäss unseren Ergebnissen doch nicht abdecken. Der letzte unserer wesentlichen Faktoren bezieht sich auf die menschliche Seite im Geschäftsleben. Er umfasst die Kontakte des Unternehmers sowohl mit seinen Mitarbeitern als auch mit firmenexternen, also zum Beispiel Kollegen. Während der Chef innerhalb seiner Firma oft der "einsame Wolf" bleibt (dies vielfach bewusst, um seine persönliche Autorität nicht zu gefährden), hat er persönliche, freundschaftliche Beziehungen zu seinen Berufskollegen. Dies schliesst eine gewisse Anerkennung ein, die ihm innerhalb seiner Firma kaum in grossem Masse entgegengebracht wird - daher vielleicht der niedrige Rang dieses speziellen Faktors Anerkennung in unserer Liste. Eine ganze Reihe internationaler Studien kommt zu vergleichbaren Ergebnissen. Interessant ist die Beobachtung, dass Motivationsunterschiede zwischen Unternehmern und angestellten Managern abnehmen, je älter diese sind beziehungsweise je länger sie in der Unternehmung tätig sind (vgl. Cromie in einer irischen Studie von 1982). Jedenfalls scheinen sich die Führungskräfte eher nach der Grösse der Firma, der sie vorstehen, zu unterscheiden als nach ihrem Status als Unternehmer oder reine Manager. Diese Annahme lässt sich illustrieren. Schweizer Führungskräften wurde eine Frage gestellt, die auf ihre Einstellung zur Firma abzielt: "Eine Führungskraft sollte sich voll mit ihrer Unternehmung identifizieren - stimmen Sie dem zu?" (Probst, 1983.). Die Ergebnisse finden sich in Tab. 5. Tabelle 5: Identifizierung mit der Finna
Mit "Stimme vollkommen zu" antworteten Unternehmungschefs 1 bis 199 Mitarbeitern 200 bis 999 Mitarbeitern 1000 bis 9999 Mitarbeitern 10000 und mehr Mitarbeitern
62% 53% 49% 34%
Die Abweichungen zwischen Unternehmern und Managern innerhalb der Grössenklassen waren wesentlich weniger aufflillig. Feststellungen wie diese führen zur Frage, ob wir einen Wandel der Wertvorstellungen der Unternehmer im Zeitablauf feststellen oder erwarten können. Mit anderen Worten: Unter-
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scheiden sich die traditionellen und die modernen Wertvorstellungen erheblich? Die Antwort auf diese Frage fällt nicht leicht, da wir uns nicht auf empirische Daten bezüglich alter Vergangenheitswerte stützen können. Da es keine entsprechenden Längsschnittuntersuchungen gibt, müssen wir uns auf Beschreibungen der eingangs erwähnten Art stützen. Diese können aber idealisiert oder ideologisiert und folglich nicht absolut zuverlässig sein. Mit dieser Einschränkung glauben wir, dass sich insbesondere zwei Werte seit der Pionierzeit verändert haben, nämlich Gewinnstreben und Wachstumsstreben. Freilich existieren beide Werte nach wie vor, aber viele gewerbliche Unternehmer haben ihre diesbezüglichen Einstellungen im Vergleich zu ihren Vätern deutlich modifiziert. Wie sieht diesbezüglich der Ausblick in die Zukunft aus? In einer Zeit massiven Wertewandels werden sich wohl auch die Unternehmer je länger je weniger an traditionelle Vorstellungen halten. Es ist zum Beispiel denkbar, dass eine steigende Anzahl Unternehmer versuchen wird, der Familie oder sonstigen aussergeschäftlichen Aktivitäten mehr Zeit zu widmen. Ihre Hingabe an die Firma könnte nicht mehr so unbeschränkt sein, wie es lange Zeit selbstverständlich war. Auf diesen Trend deuten Ergebnisse zu Werthaltungsfragen der INTERSTRATOS-Erhebung: 58% der Befragten sind nicht der Ansicht, das Geschäft sollte Vorrang vor dem Familienleben haben (BrunnerlHabersaat, 1994, S. 66 ff.). Vielleicht kann man aus den Werthaltungen der jungen Leute von heute nur bedingt Voraussagen ableiten; denn sie könnten ja die Werte ihrer Väter später übernehmen. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass Unternehmer - so verschieden sie auch sind - von den augenscheinlichen Trends in unserer Gesellschaft nicht beeinflusst würden. Sie sind zwar "Trend-Setter", aber sie unterliegen zugleich ihrerseits dem grossen Wandel, den wir erleben.
11. Verhalten Dieser Wandel wird bereits im Verhalten der Unternehmer sichtbar. Das mögen zwei Beispiele veranschaulichen. Das erste Beispiel bezieht sich auf die Risikobereitschaft. Die klassischen Pionierunternehmer waren Muster von mutigen Abenteurern, die nicht selten zu Spielern wurden, wobei der Einsatz mitunter das eigene Leben war. Der typische gewerbliche Unternehmer von heute geht eher ein begrenztes Risiko ein, und er wird um so vorsichtiger, je weniger er über Methoden und Informationen verfügt, mit denen sich das Risiko analysieren liesse. Eine weitere Schweizer Studie zeigt einen beachtenswerten Zusammenhang auf, der zwischen Pla-
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nungskompetenz und Risikobereitschaft besteht (Nydegger, 1983). Dies erinnert an die oft zitierte Annahme, nach der rationale Manager eher Risiken eingehen als Unternehmer. Diese Theorie scheint jedoch nicht mehr haltbar zu sein (Brockhaus). Insgesamt lassen beide eine eher bescheidene Risikobereitschaft erkennen, zumindest im Vergleich mit ihren Kollegen aus der Pionierzeit. Dies ist jedoch keineswegs als Werturteil gemeint. Mein zweites Beispiel zum veränderten unternehmerischen Verhalten bezieht sich auf ihr Tun im Zusammenhang. Als der Umweltschutz noch vor nicht langer Zeit ein Thema der öffentlichen Diskussion wurde, zögerten die gewerblichen Unternehmer zunächst, sich an den gebotenen Anstrengungen zu beteiligen. In der Zwischenzeit zeigen jedoch immer mehr Betriebsinhaber Verständnis und Interesse gegenüber diesen Bedürfnissen. Sie bringen persönliche und finanzielle Opfer, aber sie liefern auch kreative ProblemIösungen und entdecken auf diese Weise neue Wirkungsmöglichkeiten oder strategische Geschäftseinheiten. Selbst auf ungeliebtem Gebiet können Milchkühe gezüchtet werden, wenn man nur willens ist, das eigene Verhalten den Erfordernissen anzupassen. Es bieten sich viele Beispiele an, die die geänderten Attitüden der gewerblichen Unternehmer aufzeigen, so zum Beispiel ihr Verhalten in der Unternehmung selbst (Führungsstil, dezentrale Entscheidungsfindung durch Beteiligung der Mitarbeiter, bessere Informationspolitik usw.) Dieser Wandel ist allerdings für die Öffentlichkeit weniger spektakulär, insbesondere solange die Unterneh~ mer ihre Public-Relations-Anstrengungen noch bescheiden halten. Hier bleibt Spielraum für weitere Verhaltensanpassungen.
E. Abschliessende Bemerkung Unsere Ausführungen mögen Bedauern verursachen, dass die Zeiten des starken Mannes als Unternehmer, der Berge versetzte, vorbei sind. Nichtsdestotrotz haben wir immer noch eine grosse Anzahl erfolgreicher kleiner Unternehmungen und folglich mittelständischer Unternehmer. Viele von ihnen geben auf, aber gleichzeitig wagen viele junge Leute den Schritt in die Unabhängigkeit, dies trotz immenser Schwierigkeiten von allen Seiten. So scheint kein Grund für Pessimismus oder Klage gegeben. Unsere Unternehmer sind nicht mehr dieselben Typen wie früher. Aber diese Tatsache beweist gerade ihre Fähigkeit zur Anpassung an die Veränderungen in ihrem Umfeld .
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Das Unternehmerbild aus unterschiedlichen Perspektiven der Gründung
A. Untersuchungsperspektiven der Gründung Seit Mitte der siebziger Jahre wird die Forschung über Unternehmer und Unternehmungsgründung intensiviert und gleichzeitig vermehrt empirisch fundiert. Parallel zum wachsenden Interesse lässt sich eine kaum mehr überblickbare Fülle von Erklärungsversuchen beobachten, die sich an unterschiedlichen Aspekten des Gründungsphänomens orientieren, verschiedene zeitliche Phasen thematisieren und voneinander abweichende Analysemethoden in Anspruch nehmen (Sextonl Smilor, 1986; Pleitner, 1986). Trotz der Vielfalt in der Forschung bleibt eine Erkenntnis zumeist unbestritten: Der Unternehmer ist die zentrale Figur, der dominierende Faktor im turbulenten Prozess der Gründung einer Unternehmung. Zur Charakterisierung des Unternehmers werden vornehmlich abstrakte Persönlichkeitsmerkmale in Form von Motiven, Werten oder Einstellungen verwendet und verhaltensnahe Merkmale, weIche konkrete berufliche Ziele einbeziehen. In den Erklärungsmodellen fungieren die Persönlichkeitsmerkmale potentieller Unternehmer üblicherweise als Bestimmungsfaktoren der Gründung - als unabhängige Variablen -, die mit bestimmten Ebenen der Erklärung in Zusammenhang stehen. Unter Erklärungsebene ist diejenige Stufe der mehrschichtigen Realität zu verstehen, auf der das zu explizierende Phänomen - die abhängige Variable - angesiedelt ist. Zur Erklärung der Gründung lassen sich drei Ebenen unterscheiden: die Wahl der Unternehmerlaufbahn, die Gründung einer Unternehmung und das Entstehen homogener Gruppen neuer Unternehmungen - sogenannter Unternehmungspopulationen (oder Branchen). Alle drei Ebenen sind als sich ergänzende, komplementäre Untersuchungsperspektiven zu sehen; sie konstituieren ein hierarchisch strukturiertes Erklärungssystem. Die Wahl der Unternehmerlaufbahn ist Teil der Gründung einer Unternehmung, und diese ist immer auch Teil von
Erschienen in katalanischer Sprache in: Revista Economica de Catalunya 1988/Nr. 8 Dossier: Creaci6n d'Empresas.
Untemehrnerbild aus Perspektiven der Gründung
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übergeordneten Erklärungsebenen, wie der Ebene der Unternehmungspopulation (der Regionalwirtschaft, der Volkswirtschaft oder der internationalen Wirtschaftsgemeinschaft).
Unabhängige Variablen
Persönlichkeitsmerkm ale potentieller Unternehmer Umfeld potentieller Unternehmer
Umwelt der neu zu schaf· fenden Unternehmung
Abhängige Variablen
Wahl der Unternehmerlaufbahn
Gründung einer Unternehmung
Generelle Umwelt
Abbildung I: Untersuchungsperspektiven der Gründung
Die unabhängigen Variablen ihrerseits bewegen sich wiederum auf verschiedenen Ebenen. In ihrer Grobstruktur differenziert die Ebene des Unternehmers zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen und dem Umfeld, das die berufliche und ausserberufliche Situation des Unternehmers einbezieht. Die Umwelt, in deren Kontext neue Unternehmungen oder Populationen von Unternehmungen entstehen, kann vereinfacht in einen beeinflussbaren und einen nicht beeinflussbaren Teil aufgegliedert werden, in die spezifische Umwelt neuzuschaffender Unternehmungen und in die generelle Umwelt. Das beeinflussbare Umweltsegment wird konstituiert durch ein Netz von Transaktionen mit beschaffungsseitigen Bezugsgruppen (Kapitalgeber, Mitarbeiter) und absatzseitigen Bezugsgruppen (potentielle Kunden). Der generelle Umweltteil, der Beschränkungen auferlegt und sich dem Einflussbereich einer Unternehmung oder Gruppe von Unternehmungen entzieht, vereinigt die ökonomischen, politischen, sozialen und ökologischen Bedingungen in einem Wirtschaftsraum.
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Der Entwurf der Untersuchungsperspektiven der Gründung verlagert den Akzent von den unabhängigen auf die abhängigen Variablen, auf die Ebenen der Erklärung. Das entspricht durchaus nicht den Gewohnheiten in der Literatur. Das Methodenarsenal der differentiellen Psychologie scheint die Anlage der empirischen Untersuchungen weit mehr zu steuern als die Fragestellung, zu deren Klärung ein Beitrag geleistet werden soll. Menschen mit hohem Leistungsmotiv, so nimmt beispielsweise McClelland (1976; 1985) an, suchen unternehmerische Berufe bevorzugt auf, gründen überdurchschnittlich häufig neue Unternehmungen und entwickeln diese ausserdem mit Erfolg. Die Konzentration auf Unternehmermerkmale geht so weit, dass die Umwelt der neuzuschaffenden Unternehmung als vernachlässigbar angenommen wird (und alle anderen Einflussfaktoren, die ausser dem Unternehmer den Erfolg neuer Unternehmungen ausmachen, als konstant vorausgesetzt werden). Impliziert ist die Prämisse, dass ein potentieller Unternehmer so gezielt auf die Lieferanten von gründungsnotwendigen Ressourcen einzuwirken vermag, dass seine Vorstellungen vom Aufbau einer neuen Unternehmung ohne weiteres Realität werden. Betrachtet man die Gründung einer Unternehmung als das zu erklärende Phänomen, wird man dem theoretischen Programm von McClelland zu Recht Reduktionismus vorwerfen. Aber man darf nicht übersehen, dass sich der formulierte Zusammenhang aufrechterhalten lässt, wenn er auf die Individualebene eingegrenzt wird: Menschen mit hohem Leistungsmotiv suchen unternehmerische Berufe (entrepreneurial occupations) bevorzugt auf. Die Parallele zu einer anderen Gruppe von Erklärungsansätzen ist offenkundig. Untersuchungen über das Entstehen neuer Unternehmungspopulationen betonen die Bedeutung der Ressourcen und scheinen den Unternehmer zu negieren. Nicht Persönlichkeitsmerkmale, Entscheidungen und Verhalten der Unternehmer sind die treibenden Kräfte für das Entstehen neuer Populationen von Unternehmungen, sondern die ökonomischen, politischen, sozialen und ökologischen Bedingungen in einem Wirtschaftsraum, welche die Verteilung der Ressourcen und deren Zugangsvoraussetzungen bestimmen. Die empirische Untersuchung von Carroll und Delacroix (1982) veranschaulicht das Argumentationsmuster. Politische Turbulenzen in einem Land vermögen z.B. Ressourcen freizusetzen, die das Entstehen von kritischen Zeitschriftenverlagen begünstigen (und vermutlich Neugründungen in der Investitionsgüterbranche behindern). Offenbar wird die sichtbare Hand des Unternehmers ausgeschaltet zugunsten der unsichtbaren Kräfte der generellen Umwelt. Die nebensächliche Rolle des Unternehmers muss in Verbindung gesehen werden mit der Erklärungsebene der Population und dem langfristigen Analysehorizont. Unternehmerische Entscheidungen werden nicht übersehen, aber der Erklärungsebene der einzelnen Unternehmung zugeordnet. Der langfristige Analysehorizont will die Dynamik von
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Unternehmungspopulationen im Zeitablauf aufdecken und abstrahiert deshalb von der Person des Unternehmers. Pennings (1982), ein prominenter Vertreter der Populationsperspektive, macht auf diese Implikation selber aufmerksam und meint, dass der Unternehmer irgendwie als passives, reaktives Wesen erscheine, dessen Unternehmung den Umweltbedingungen machtlos ausgeliefert sei. Ein Erklärungsversuch aus der Populationsperspektive weicht erheblich ab von einer Untersuchung, die sich auf der Ebene des Unternehmers oder der Unternehmung bewegt. Das Unternehmerbild verändert sich, weil durch den Wechsel der Erklärungsebene eine andere Problemstellung wichtig wird. Gesteuert durch die Individualperspektive, soll zunächst die grundlegende Problemstellung auf der Ebene des Unternehmers charakterisiert werden. In einem zweiten Schritt wird die Problemstellung definiert, welche die Erklärungsebene der Unternehmung zur eigenständigen Untersuchungsperspektive macht.
B. Wahl der Unternehmerlaufbahn I. Leistungsmotiv Die Menschen suchen nach beruflichen Tätigkeiten, die es ihnen erlauben, ihre Motive zu entfalten und ihre beruflichen Ziele zu verwirklichen. Motive und Berufsziele entfalten oder verwirklichen sich nicht von selbst: Sie sind in einem spezifischen Kontext zu mobilisieren - beispielsweise im beruflichen Umfeld einer neuen Unternehmung. Welche Motive die Unternehmerlaufbahn zu aktualisieren vennag oder welche beruflichen Ziele sie zu erreichen verspricht, ist Bestandteil jener Fragestellung, die aus der Unternehmerperspektive im Vordergrund steht: Warum wählen Menschen die Unternehmerlaufbahn, ziehen diese Laufbahn der Angestelltentätigkeit vor? Das Bestreben, die mannigfaltige Struktur der Unternehmerpersönlichkeit zu charakterisieren, regte geradezu eine Jagd nach dem Unternehmer an, dem unbekannten Wesen. Das Unternehmerbild, das aus den Ergebnissen der Forschung hervorgeht, ist die Vorstellung vom Unternehmer als einer beinahe mythisch verklärten Figur. Es ist die Rede vom innovativen, dynamischen Unternehmer, vom Menschen, dessen Persönlichkeitsstruktur gekennzeichnet ist durch starke Leistungsmotivation, grosses Selbstvertrauen, kalkulierte Risikobereitschaft, hohe Unabhängigkeitsorientierung und die Überzeugung, den Lauf der Dinge selber aktiv beeinflussen zu können. Diese Merkmale wurden besonders häufig untersucht, widerspiegeln jedoch nur einen kleinen Ausschnitt aus den Forschungsanstrengungen, die sich in einer riesigen Zahl von Persönlichkeitsmerkmalen verzettelt haben (Hornaday, 1982; Klandt, 1984).
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Eine besondere Bedeutung hat das Leistungsmotiv erlangt. Unternehmungen sind auf Leistungen ausgerichtet. Das Verhalten der Unternehmer bestimmt die Leistung von Unternehmungen mit, und deshalb nimmt man an, dass Gründer neuer Unternehmungen von einem starken Streben nach Leistung getragen sein müssten. Unter dem Leistungsmotiv ist das permanente Streben zu verstehen, etwas besser, mit weniger Aufwand zu tun, als es bisher getan wurde (McClelland, 1985). Die individuelle Stärke des Leistungsmotivs bildet sich schon in den frühen Lebensphasen heraus und ist im Erwachsenenalter kaum mehr zu beeinflussen, also über die Zeit relativ stabil. Motive wie das Streben nach Leistung können dem beruflichen Verhalten Intensität und langfristig Richtung verleihen. Aber ob sie es wirklich tun, hängt nicht allein von der Motivstärke ab, Motive kommen erst zum Tragen, wenn das berufliche Umfeld eine Entfaltung des betreffenden Motivs hinreichend wahrscheinlich macht. Das Leistungsmotiv vermag sich vor allem in beruflichen Tätigkeiten zu entfalten, die sich im Sinne eines Idealtypus als unternehmerische Berufe definieren lassen. In unternehmerischen Berufen werden wichtige Entscheidungen selten durch Dritte initiiert, während der Vorbereitung unterstützt und nachträglich überprüft. Sie sind vielmehr selbständig einzuleiten, und für ihre Ergebnisse ist persönliche Verantwortung zu übernehmen. Erfolg oder Misserfolg von Entscheidungen messen sich nicht an subjektiven und globalen Beurteilungen der Leistungen durch Dritte, sondern an "harten", konkreten Rückmeldungen in Form von Daten über Umsatz oder Gewinn. Und schliesslich involvierten unternehmerische Berufe immer ein Mindestmass an Herausforderung und Risiko, das bei Erfolgschancen von 50 zu 50 als besonders anregend wahrgenommen wird. Der Idealtypus des unternehmerischen Berufes ähnelt der Unternehmerfunktion, wie sie in der Phase der Gründung und in wenig strukturierten, überschaubaren Kleinunternehmungen zu erfüllen ist. Nur geringe Übereinstimmung ergibt sich mit der Managerfunktion in komplexen, hierarchisch aufgebauten Unternehmungen. In diesen Positionen kommt es ja nicht so sehr darauf an, Leistungen um ihrer selbst willen anzustreben und einzelne Probleme selbständig zu lösen, sondern andere dazu zu bewegen, sich im Dienste der Unternehmung optimal einzusetzen. Manager dürften sich deshalb eher durch ein ausgeprägtes Streben nach Einfluss und Macht auszeichnen als durch ein dominantes Streben nach Leistung. Empirische Untersuchungen bestätigen diese Vermutungen. Menschen mit hohem Leistungsmotiv neigen zu unternehmerischen Berufen, und sie sind überaus häufig als Gründer einer neuen Unternehmung, leitender Eigentümer eines Kleinbetriebes, Unternehmungsberater oder Verkäufer in einer Unternehmung tätig (McClelland, 1965; Nandy, 1973). Manager dagegen besitzen zumeist ein ausgeprägtes Machtrnotiv, das sich besonders erfolgreich auswirkt, wenn es stärker ausgebildet ist als das Streben nach sozialem Kontakt und darüber hinaus durch ein hohes Mass an Selbstdisziplin kontrolliert wird (McClellandIBoyatzis, 1982.)
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11. Berufsziele und Realisierungschancen Wahl eines unternehmerischen Berufes und Wahl der Unternehmerlaufbahn lassen sich nicht als gleichbedeutende Begriffe verwenden. Das suggeriert schon eine Gruppierung der unternehmerischen Tätigkeiten, die Funktionen wie Gründer einer Unternehmung oder Verkäufer in einer bestehenden Unternehmung umfasst. Ob eine Person mit hohem Leistungsmotiv die Unternehmerlaufbahn wählt oder ob sie eine unternehmerische Tätigkeit als Verkäufer vorzieht, ist offensichtlich mit dem Leistungsmotiv allein nicht zu erklären. Das Leistungsmotiv vermag das berufliche Verhalten zu aktivieren und ihm langfristig Richtung zu verleihen, aber es bestimmt nicht, welche konkrete Tätigkeit eine Person in einer gegebenen Situation wählt. Verhaltensnahe Berufsziele beeinflussen die Wahl der Unternehmerlaufbahn mit. Diese unterliegen vieWiltigen Wandlungen und eignen sich deshalb vor allem zur Erklärung und Prognose des kurzfristigen Verhaltens. Da sich variable Berufsziele und relativ stabile Motive offenbar nicht ausschliessen, liegt es nahe, ausser den Motiven auch die Berufsziele zur Erklärung der Wahl der Unternehmerlaufbahn heranzuziehen. In einer Untersuchung des Schweizerischen Instituts für gewerbliche Wirtschaft an der Hochschule St. Gallen (Baldegger, 1984) wurden die massgebenden beruflichen Ziele potentieller Unternehmer ermittelt. Menschen streben vor allem eine Unternehmerlaufbahn an, weil ihnen diese Laufbahn im Vergleich zur Angestelltentätigkeit grössere persönliche Unabhängigkeit verspricht, nicht allein um ihrer selbst willen, sondern als Chance, eigene Ideen zu entwickeln und zu verwirklichen, als Gelegenheit, persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten einzusetzen, und als Möglichkeit, selber Verantwortung für die Erfüllung einer Aufgabe zu übernehmen. Pekuniäre Überlegungen wie hohes Einkommen sind für die Wahl der Unternehmerlaufbahn von zweitrangiger Bedeutung, und es wird betont, dass Arbeit und Beruf im gesamten Spektrum der Lebensinteressen einen höheren Stellenwert einnehmen als in der Angestelltenlaufbahn. Angestrebte Berufsziele sind für sich genommen nicht an Begrenzungen durch Realitätsanforderungen gebunden; sie drücken das Wünschbare aus und übergehen das Realisierbare. Aber solche Realitätsanforderungen bestimmen die Wahl der Unternehmerlaufbahn mit. Ein potentieller Unternehmer muss sich selber für geeignet halten, um in der Unternehmerlaufbahn bestehen zu können, was vom subjektiven Vergleich mit den Fähigkeiten bereits aktiver Unternehmer abhängig ist. Der Aufbau einer Unternehmung muss als realisierbar erscheinen - eine subjektive Beurteilung der unternehmungsspezifischen Umwelt, die sich vor allem auf die Einstellungen und das Verhalten der Ressourcenlieferanten abstützt. Beide Annahmen lassen sich mit Hilfe von Ergebnissen der schweizerischen Stichprobe veranschaulichen und präzisieren. Potentielle Unternehmer fühlen sich den fachtechnischen Anforderungen in der Unternehmerlaufbahn gewachsen. Erhebliche Defizite verspüren sie in den Fähigkeiten zur
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Führung von Mitarbeitern und den Methoden zur Unternehmungsführung, trauen sich aber zu, diese zu erlernen und später zu beherrschen. Die Chancen zur Realisierung einer neuen Unternehmung werden vor allem als abhängig von der Möglichkeit beurteilt, qualifiziertes Personal beschaffen zu können, und erst an zweiter Stelle rangiert das Aufbringen von finanziellen Mitteln. Kurzfristig variable, subjektiv beurteilte Realisierungschancen verleihen der Wahl der Unternehmerlaufbahn Dynamik. In ihrem Zusammenspiel mit den beruflichen Zielen und den Einschätzungen der eigenen Unternehmerfähigkeiten lenken sie die berufliche Entwicklung in die eine oder andere Richtung, schieben die Wahl der Unternehmerlaufbahn allenfalls auf, bis die Realisierungschancen als verbessert wahrgenommen werden. Das Kontinuum der Realitätsorientierung lässt sich erweitern. Es kommt erst zum Eintritt in die Unternehmerlaufbahn, wenn eine neue Unternehmung wirklich gegründet (oder übernommen) wird. Das individuelle Phänomen der Wahl der Unternehmerlaufbahn ist untrennbar mit der übergeordneten Unternehmungsebene verbunden, die sich im übrigen durch eine eigenständige Problemstellung charakterisiert.
c. Gründung der Unternehmung: von der Vision zur Aktion Der Aufbau einer Unternehmung ist nicht nur ein individuelles Phänomen. Der Prozess der Unternehmungsgründung involviert die Verbreitung von unternehmerischen Ideen innerhalb eines Netzwerkes von wichtigen Bezugsgruppen, die sich den Ideen genügend verpflichtet fühlen und zu ihrer Realisierung einen Beitrag leisten. Wie bestimmte Ideen potentieller Unternehmer - also ursprünglich individuelle Visionen - in das kollektive Phänomen der Gründung einer Unternehmung transferiert werden, ist die grundlegende Problemstellung auf der Erklärungsebene der Unternehmung. Das Unternehmerbild, das hinter diesen Überlegungen steht, ist gekennzeichnet durch eine mittlere Position, die zwischen dem visionären Erfinder und dem diametral entgegengesetzten Manager angesiedelt ist. Ausgangsbasis des Prozesses der Unternehmungsgründung ist eine unternehmerische Vision, durch die das Betätigungsfeld der Unternehmung, ihre Domäne in Form von Märkten, Produkten und Technologien grob definiert wird. Zur Verwirklichung seiner Vision ist der potentielle Unternehmer auf Ressourcen angewiesen, die von Bezugsgruppen in der Umwelt zu beziehen sind und zur Erstellung von Leistungen benötigt werden, welche die Umwelt erst in Zukunft abnehmen kann - nach dem Markteintritt der neuen Unternehmung. Die wichtigste Aufgabe des Unternehmers besteht darin, seine Ideen über Unternehmungsstrategie und Unternehmungskultur zu konkretisieren, die Bezugsgruppen von deren Realisierungschancen zu überzeugen, ihre Anforderungen anzupassen
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und sie für eine gemeinsame Durchführung des Gründungsvorhabens zu verpflichten.
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Abbildung 8: Erfolgsfaktoren nach InternationaJisierungsvariante
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Teil 111 : Unternehmungsführung - Internationalisierung
Es liegt auf der Hand, dass die Erfolgsfaktoren unterschiedlich eingeschätzt werden, je nachdem, ob die betreffenden KMU im Importgeschäft (also beschaffend) international tätig sind oder aber sich verkaufend im Ausland engagieren. Die "Beschaffenden" setzen eher auf Grössen wie Flexibilität, Lieferzuverlässigkeit und Produktqualität (s. Abb. 8), Grössen, die im Beschaffungskontext in der Tat zweifellos ihre Bedeutung haben. Bemerkenswerterweise suggerieren die Ergebnisse (s. weiter Abb. 8), dass dieselben Grössen auch als massgebliche Erfolgsfaktoren durch die "Absetzenden" eingeschätzt werden. Die Richtung der Auslandstätigkeit scheint also keinen Einfluss auf die Einschätzung der wesentlichen Erfolgsfaktoren zu haben.
3. Erfolgsfaktoren nach Umsatzanteil aus Auslandstätigkeit
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